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German Pages 1700 [1698] Year 2021
Gaul Arbeitsrecht der Umstrukturierung
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herausgegeben von
Prof. Dr. Björn Gaul Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln
2., neu bearbeitete und erweiterte Auflage
2022
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Bearbeiter der 2. Auflage Dr. Charlotte Beck Fachanwältin für Arbeitsrecht, Berlin
Prof. Dr. Anja Mengel, LL.M. Columbia Fachanwältin für Arbeitsrecht, Berlin
Dr. Philipp Bollacher Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Heidelberg
Dr. Patrick Mückl Fachanwalt für Arbeitsrecht, Düsseldorf
Dr. Andrea Bonanni Fachanwältin für Arbeitsrecht, Köln
Thomas Niklas Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln
PD Dr. Gerrit Forst, LL.M. Cambridge Rechtsanwalt, Essen
Dr. Alexandra Otto Fachanwältin für Arbeitsrecht, Köln
Prof. Dr. Björn Gaul Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln
Dr. Björn Otto Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln
Dr. Burkard Göpfert, LL.M. Columbia University New York Fachanwalt für Arbeitsrecht, München
Dr. Marcus Richter Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln
Dr. Nina Hartmann Fachanwältin für Arbeitsrecht, München
Dr. Sebastian Roloff Richter am Bundesarbeitsgericht, Erfurt
Dr. Andreas Hofelich Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln
Dr. Sascha Schewiola Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln
Dr. Tobias Leder, LL.M. Duke Fachanwalt für Arbeitsrecht, München
Dr. Ralf Steffan Rechtsanwalt, Köln
Dr. Daniel Ludwig Fachanwalt für Arbeitsrecht, Hamburg
Dr. Susanna Stöckert Rechtsanwältin, München
Prof. Dr. Stefan Lunk Fachanwalt für Arbeitsrecht, Hamburg
Zitierempfehlung: Bearbeiter in Gaul, Arbeitsrecht der Umstrukturierung, 2. Aufl. 2022, Rz. …
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-42663-7 ©2022 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Eberl & Kœsel FinePrints Printed in Germany
Vorwort Stillstand auf unternehmerischer Ebene bedeutet Rückschritt. Folgerichtig muss die unternehmerische Ausrichtung immer wieder überprüft und an intern wie extern veränderte Rahmenbedingungen angepasst werden. Derartige Umstrukturierungen, wie sie vor allem durch Digitalisierung und technische Veränderungen, durch eine Konzentration auf das Kerngeschäft oder die Erweiterung und Anpassung des Produkt- und/oder Dienstleistungsportfolios getrieben werden, sind die unvermeidbare Grundlage, um nachhaltig unternehmerischen Erfolg, Arbeitsplätze und Wohlstand zu sichern. Aus Sicht des Arbeitsrechts führt dies nicht nur zu Reorganisationsmaßnahmen, die durch Umwandlungen (vor allem Spaltungen und Verschmelzungen) das Unternehmen selbst verändern. Im Mittelpunkt der arbeitsrechtlich relevanten Veränderungen stehen vor allem Betriebs- und Betriebsteilübergänge nach § 613a BGB, insbesondere im Zusammenhang mit Unternehmenskäufen, Outsourcingmaßnahmen oder Zusammenschlüssen. Dieser Bereich des Arbeitsrechts ist auf der einen Seite durch seine Komplexität und stete Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen geprägt, wenn man sich nur beispielhaft die Änderungen im (grenzüberschreitenden) Umwandlungsrecht, neue Leitlinien des EU-Rechts in Bezug auf die Kennzeichnung des Betriebs- oder Betriebsteilübergangs nach § 613a BGB oder die Anforderungen an eine wirksame betriebsbedingte Kündigung vor Augen führt. Alle diese Veränderungen müssen schon bei der Vorbereitung unternehmerischer Maßnahmen oder deren Überprüfung, wenn Arbeitnehmer*innen oder Arbeitnehmervertreter*innen oder deren anwaltliche Berater*innen aktiv werden, beachtet werden. Auf der anderen Seite ist dieser Bereich aber auch durch die Möglichkeit geprägt, aus verschiedenen Handlungsalternativen heraus eine Umsetzung festzulegen, die nach ihrem Aufwand, der zeitlichen Abfolge und ihren Rechtsfolgen die Interessen der jeweils beteiligten Unternehmen, der Arbeitnehmer*innen und Arbeitnehmervertreter*innen möglichst weitgehend berücksichtigt. Dabei geht es nicht nur um eine Abwägung der Chancen und Risiken, die mit den verschiedenen Lösungswegen verbunden sind, sondern auch um den Versuch, unternehmerische Entscheidungen möglichst störungsfrei umzusetzen. Schließlich geht es (auch) darum, Prozesse nicht (erst) zu gewinnen, sondern zu vermeiden. Das aber setzt in vielen Fällen voraus, bereits zu Beginn die Interessen aller Beteiligten einzubeziehen. Die Vorauflage dieses Werks war noch als Habilitationsschrift an der Universität zu Köln entstanden. In seiner zweiten Auflage hat das Werk diesen Bereich verlassen und soll – durch die Einbeziehung von mehr als 20 sehr erfahrenen Praktiker*innen aus Anwaltschaft, Gerichtsbarkeit und Wissenschaft – der betrieblichen und gerichtlichen Praxis einen breiten Überblick über die arbeits- und mitbestimmungsrechtlichen Fragen der Umstrukturierung von Unternehmen und Betrieben verschaffen. Dies schließt natürlich auch in der Neuauflage die Besonderheiten grenzüberschreitender Sachverhalte sowie die angrenzenden Bereiche des Umwandlungsrechts, der betrieblichen Altersversorgung, des Insolvenz- und des Datenschutzrechts ein. Es war ein langer Weg, eine Habilitationsschrift des Jahres 2002, die noch die Sichtweise des jungen Wissenschaftlers zum Ausdruck brachte, in ein der Gegenwart zugewandtes Handbuch für Arbeitgeber, Betriebsräte, Gewerkschaften und Arbeitsgerichte zu verwandeln, das auch gegensätzliche Auffassungen unterschiedlichen Ursprungs zum Ausdruck bringt. Ich bin darüber sehr dankbar und empfinde das Wirken der Kolleginnen und Kollegen als ungeheure Bereicherung, bringt es doch viele Jahre und Jahrzehnte beruflicher Erfahrung mit verschiedenen Blickwinkeln zusammen. Gleichzeitig freue ich mich, der Praxis damit eine umfassende VII
Vorwort
Übersicht zu allen arbeitsrechtlichen Fragen an die Hand geben zu können, die bei kollektiven Veränderungsprozessen in der unternehmerischen Wirklichkeit relevant sind. Nachdem der Dank der Vorauflage noch den Herren Hanau und Henssler gegolten hatte, die den Ursprung des Werks initiiert und begleitet haben, gilt der Dank jetzt vor allem den Bearbeiter*innen dieser Neuauflage, die nicht nur mit erheblichem Aufwand eine vollständige Neubearbeitung vorgenommen haben. Bemerkenswert war ihre Bereitschaft und die des Dr. Otto Schmidt Verlags, den Entstehungsprozess dieser Neuauflage über die Jahre hinweg nicht aufzugeben, sondern daran trotz aller Zweifel bis zuletzt festzuhalten. Auf diese Weise haben wir es geschafft, fast übergreifend Rechtsprechung, Literatur und Gesetzgebung auf den Stand des Sommers 2021 zu bringen. Ich hoffe, dass die Freude, jetzt das fertige Werk seiner praktischen Anwendung und – was sicher weiterhin notwendig ist – weiteren Erkenntnisgewinnen zuzuführen, diese Belastungen vergessen lässt. Anregungen und Kritik der Leserschaft können mir als Herausgeber sowie dem Verlag unter [email protected] mitgeteilt werden. Abschließend möchte ich Dank an die verschiedenen Lektorinnen des Dr. Otto Schmidt Verlags und meine Assistentinnen, Frau Doris Hensch und Frau Sylvia Gwozdz, richten, die uns mit Geduld, Organisationsvermögen und – angesichts der Dauer des Entstehungsprozesses sogar generationenübergreifend – der wiederholten Forderung und Förderung der Arbeit von Bearbeiter*innen und Herausgeber zum gemeinsamen Abschluss gebracht haben. Der gleiche Dank betrifft die ungezählten Mitarbeiter*innen in den verschiedenen Kanzleien, die die Bearbeiter*innen über die Jahre hinweg bei der wiederholten Aktualisierung mit großer Sorgfalt unterstützt und damit ebenfalls einen ganz wesentlichen Beitrag geleistet haben. Köln, im September 2021
VIII
Björn Gaul
Inhaltsübersicht Ausführliche Inhaltsverzeichnisse finden Sie jeweils am Anfang der einzelnen Kapitel. Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII XIII XXIII
Teil 1 Formen der Unternehmensumstrukturierung §1 §2 §3
Betrieb, Unternehmen und Konzern als Objekte der Umstrukturierung (Gaul) Umstrukturierungen auf Betriebsebene (Gaul) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen (Bollacher) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 7 15
Teil 2 Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB §4 §5 §6 §7 §8
Kennzeichnung eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs nach § 613a BGB (Gaul/Bonanni) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB (Gaul/Bonanni) . . . . . . . Zeitpunkt des Übergangs bei Übertragungsvorgängen im Anwendungsbereich von § 613a BGB (Gaul) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besondere Aspekte bei einzelnen Übertragungsvorgängen (Gaul/Bonanni) . . . Anwendbarkeit von § 613a BGB im Rahmen grenzüberschreitender Sachverhalte (Gaul/Mückl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53 137 173 181 195
Teil 3 Arbeitsvertragliche Konsequenzen einer Anwendbarkeit von § 613a BGB §9
Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB (i.V.m. § 324 UmwG) (Richter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 10 Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung (Mückl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 11 Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht bei Betriebs(teil-)übergang und Umwandlung (Gaul/B. Otto) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
219 281 376
IX
Inhaltsübersicht
Teil 4 Haftungsrechtliche Konsequenzen einer übertragenden Vermögensverteilung Seite
§ 12 Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes (Schewiola) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 13 Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz sowie in besonderen Fällen (Schewiola) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
481 521
Teil 5 Organmitglieder § 14 Rechtsfolgen von Betriebsübergang und Umwandlung für Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder (Bollacher) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
567
Teil 6 Änderung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen § 15 Änderung oder Beendigung von Arbeitsverhältnissen bei einer unternehmensinternen Veränderung (Niklas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 16 Änderung oder Beendigung von Arbeitsverhältnissen bei Errichtung, Spaltung oder Auflösung eines Gemeinschaftsbetriebs (Niklas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 17 Beendigung von Arbeitsverhältnissen im Zusammenhang mit Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung (Niklas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 18 Änderung von Arbeitsverträgen im Zusammenhang mit Betriebsübergang/ Umwandlung (Niklas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 19 Beteiligung des Betriebsrats bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen (Roloff) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 20 Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten (Roloff) . . . . . . . . . . . . . . . . .
579 597 606 709 724 735
Teil 7 Kollektivvertragliche Konsequenzen § 21 Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen (Gaul/Mengel und Beck) . . . . . . . . . . § 22 Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung (Steffan) . . . . . . . . . . . . . . § 23 Sonstige Kollektivvereinbarungen in der Umstrukturierung (Steffan) . . . . . . .
773 844 913
Teil 8 Folgen für Arbeitnehmervertreter § 24 Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für den Betriebsrat und andere Arbeitnehmervertretungen (Leder/Lunk) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X
931
Inhaltsübersicht
Teil 9 Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertretungen im Zusammenhang mit einer Umstrukturierung Seite
§ 25 § 26 § 27 § 28 § 29 § 30 § 31 § 32
Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte (Gaul/Ludwig/A. Otto) . . . . . Umwandlungsrechtliche Beteiligungsrechte (Gaul/B. Otto) . . . . . . . . . . . . . Beteiligungsrechte des Sprecherausschusses (Forst) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beteiligungsrechte des Europäischen Betriebsrats, des SE-Betriebsrats und des SCE-Betriebsrats (Forst) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beteiligungsrechte im Personalvertretungsrecht (Forst) . . . . . . . . . . . . . . . . Beteiligungsrechte bei der Einbindung kirchlicher Rechtsträger (Forst) . . . . . . Beteiligungsrechte bei öffentlichen Übernahmen (Forst) . . . . . . . . . . . . . . . Beteiligungsrechte bei grenzüberschreitenden Sachverhalten (Forst) . . . . . . . .
1015 1251 1339 1342 1361 1369 1374 1382
Teil 10 Unternehmensmitbestimmung § 33 Konsequenzen einer Umstrukturierung für die Unternehmensmitbestimmung (Forst) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1393
Teil 11 Betriebliche Altersversorgung § 34 Rechtsfolgen einer Umstrukturierung im Bereich der betrieblichen Altersversorgung (Hofelich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1419
Teil 12 Insolvenz § 35 Besonderheiten einer Umstrukturierung in der Insolvenz (Hartmann) . . . . . .
1535
Teil 13 Datenschutz § 36 Datenschutz in der Umstrukturierung (Göpfert/Stöckert) . . . . . . . . . . . . . . .
1587
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1607
XI
Abkürzungsverzeichnis a.A. abl. ABl. Abs. abw. AcP AEntG AEUV ÄndG a.F. AG AGG AiB AKRR AKFG AktG allg. Alt. amtl. AnfG AngKSchG Anm. AnwBl. AO AöR AP APS ArbEV ArbG ArbGG ArbGV AR-Blattei ArbNErfG ArbPlSchG ArbRB ArbZG ARdGgw. Art. ARSt ASiG ATG AuA Aufl. AÜG AuR
anderer Auffassung ablehnend Amtsblatt Absatz abweichend Archiv für die civilistische Praxis Arbeitnehmer-Entsendegesetz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Änderungsgesetz alte Fassung Aktiengesellschaft; Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Arbeitsrecht im Betrieb (Zeitschrift) Annuß/Kühn/Rudolph/Rupp (siehe Literaturverzeichnis) Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetz Aktiengesetz allgemein Alternative amtlich(e) Anfechtungsgesetz Gesetz über die Fristen für die Kündigung von Angestellten Anmerkung Anwaltsblatt (Zeitschrift) Abgabenordnung Archiv für öffentliches Recht (Zeitschrift) Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des BAG) Ascheid/Preis/Schmidt (siehe Literaturverzeichnis) Arbeitsentgeltverordnung Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Düwell/Lipke (siehe Literaturverzeichnis) Arbeitsrechts-Blattei, Handbuch für die Praxis Gesetz über Arbeitnehmererfindungen Arbeitsplatzschutzgesetz Arbeitsrechtsberater (Zeitschrift) Arbeitszeitgesetz Das Arbeitsrecht der Gegenwart (Zeitschrift) Artikel Arbeitsrecht in Stichworten Arbeitssicherheitsgesetz Altersteilzeitgesetz Arbeit und Arbeitsrecht (Zeitschrift) Auflage Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Arbeit und Recht (Zeitschrift)
XIII
Abkürzungsverzeichnis
BA BAG BAGE BB BBiG Bd. BDSG BeckOKArbR BeckOKSozR BEEG Beil. BeschFG BetrAV BetrAVG BetrVG BFH BFH/NV BFHE BGB BGBl. BGH BGHZ BKK Bl. BlStSozArbR BPersVG BR-Drucks. BRTV-Bau BSG BSGE Bsp. bspw. BStBl. BT-Drucks. BTMG Buchst. BUrlG BuV BuW BV BVerfG BVerfGE BVerwG bzw.
XIV
Bundesanstalt für Arbeit Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (Amtliche Sammlung) Betriebs-Berater (Zeitschrift) Berufsbildungsgesetz Band Bundesdatenschutzgesetz Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht (siehe Literaturverzeichnis) Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht (siehe Literaturverzeichnis) Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz Beilage Beschäftigungsförderungsgesetz Betriebliche Altersversorgung (Zeitschrift) Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Betriebsverfassungsgesetz Bundesfinanzhof Nicht veröffentlichte Entscheidungen des BFH (Zeitschrift) Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (Amtliche Sammlung) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Amtliche Sammlung) Betriebskrankenkasse Blatt Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherungsrecht und Arbeitsrecht (Zeitschrift) Bundespersonalvertretungsgesetz Bundesratsdrucksache Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts (Amtliche Sammlung) Beispiel beispielsweise Bundessteuerblatt (Zeitschrift) Bundestagsdrucksache Betäubungsmittelgesetz Buchstabe Bundesurlaubsgesetz Betriebs- und Unternehmensverfassung (Zeitschrift) Betrieb und Wirtschaft (Zeitschrift) Betriebsvereinbarung Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Amtliche Sammlung) Bundesverwaltungsgericht beziehungsweise
Abkürzungsverzeichnis
ca. CDU CSU
circa Christlich Demokratische Union Deutschlands Christlich Soziale Union in Bayern
DA DAG DB DBGrG DDR DG DG DGB DG d.h. DiskE DKW DNotZ DStR DStRE DtZ DZWIR
Durchführungsanweisung Deutsche Angestellten Gewerkschaft Der Betrieb (Zeitschrift) Gesetz über die Gründung einer Deutsche Bahn AG Deutsche Demokratische Republik COMP Generaldirektion Wettbewerb EMPL Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Integration Deutscher Gewerkschaftsbund Bank UmwG Gesetz zur Umwandlung der Deutsche Genossenschaftsbank das heißt Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Umwandlungsrechts 1988 Däubler/Klebe/Wedde (siehe Literaturverzeichnis) Deutsche Notarzeitschrift Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst (Zeitschrift) Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht
EAS EBRG EDV EFG EFTA EFZG eG EG EGAktG EG EGBGB EGHGB EGV EMRK ENeuOG ErwG ESC EStG EStR ESUG etc. EU EuGH EUV EuZA EuZW
Europäisches Arbeits- und Sozialrecht Europäisches Betriebsräte-Gesetz Elektronische Datenverarbeitung Entscheidungen der Finanzgerichte (Zeitschrift) European Free Trade Agreement Entgeltfortzahlungsgesetz eingetragene Genossenschaft Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Aktiengesetz InsO Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäische Menschenrechtskonvention Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens Erwägungsgrund Europäische Sozialcharta Einkommensteuergesetz Einkommensteuerrecht Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen et cetera Europäische Union Europäischer Gerichtshof Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht XV
Abkürzungsverzeichnis
e.V. evtl. EVÜ EWG EWiR EWIV EWR EzA
eingetragener Verein eventuell Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung Europäischer Wirtschaftsraum Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht
f. ff. FDP FG FGPrax Fk-InsO FKVO FlexiG Fn. FPfZG FR FS
folgende fortfolgende Freie Demokratische Partei Finanzgericht Praxis der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Zeitschrift) Wimmer (siehe Literaturverzeichnis) Fusionskontrollverordnung Gesetz zur Absicherung flexibler Arbeitsbedingungen Fußnote Familienpflegezeitgesetz Finanz-Rundschau (Zeitschrift) Festschrift
GaststättenG GBl.DDR GBO GbR GBV GenG gem. GesamtvollstreckungsO GeschGehG GewO GG ggf. GK-ArbGG GK-BetrVG GMP GmbH GmbHG GmbHR GmbH-StB GNG
Gaststättengesetz Gesetzblatt der DDR Grundbuchordnung Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gesamtbetriebsvereinbarung Genossenschaftsgesetz gemeinsam(e) Verordnung über die Gesamtvollstreckung
GRC GRUR GS GWB XVI
Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen Gewerbeordnung Grundgesetz gegebenenfalls Ahrendt/Bader/Dörner u.a. (siehe Literaturverzeichnis) Wiese/Kreutz (siehe Literaturverzeichnis) Germelmann/Matthes/Prütting (siehe Literaturverzeichnis) Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH-Gesetz GmbH-Rundschau (Zeitschrift) GmbH-Steuerberater (Zeitschrift) Gesetz über die Neuordnung zentraler Einrichtungen des Gesundheitswesens Europäische Grundrechte-Charta Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) Großer Senat Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
Abkürzungsverzeichnis
GWBG GWR
Grunsky/Waas/Benecke/Greiner (siehe Literaturverzeichnis) Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)
HaKo-BetrVG Hako-KSchG Halbs. HBV Hdb HGB h.M. Hrsg. HRV HWGNRH HWK HzA
Düwell (siehe Literaturverzeichnis) Gallner/Mestwerdt/Nägele (siehe Literaturverzeichnis) Halbsatz Gewerkschaft Handel Banken Versicherung Handbuch Handelsgesetzbuch herrschende Meinung Herausgeber Handelsregisterverordnung Hess/Worzalla u.a. (siehe Literaturverzeichnis) Henssler/Willemsen/Kalb (siehe Literaturverzeichnis) Leinemann (siehe Literaturverzeichnis)
i.d.F. i.d.R. IDW i.E. IG INF InsO IPRspr. i.R.d. i.S.d. IStR i.S.v. i.V.m.
in der Fassung in der Regel Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. im Ergebnis; im Einzelnen Industriegewerkschaft Die Information über Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift) Insolvenzordnung Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts (Entscheidungssammlung) im Rahmen des im Sinne des/der Internationales Steuerrecht (Zeitschrift) im Sinne von in Verbindung mit
JArbSchG JuS JZ
Jugendarbeitsschutzgesetz Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristen-Zeitung (Zeitschrift)
Kap. KapErhG Kölner Kölner
Kapitel Kapitalerhöhungsgesetz Kommentar zum Aktiengesetz Zöllner/Noack (siehe Literaturverzeichnis) Kommentar zum Umwandlungsgesetz Dauner-Lieb/Simon (siehe Literaturverzeichnis) KölnKommWpÜG Hirte/von Bülow (siehe Literaturverzeichnis) KBV Konzernbetriebsvereinbarung KDHZ Kittner/Deinert/Heuschmid/Zwanziger (siehe Literaturverzeichnis) KG Kommanditgesellschaft KGaA Kommanditgesellschaft auf Aktien KO Konkursordnung KR Bader/Fischermeier/Gallner u.a. (siehe Literaturverzeichnis) krit. kritisch KSchG Kündigungsschutzgesetz XVII
Abkürzungsverzeichnis
KTS KuR KuR10 KVG
Zeitschrift für Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen (Zeitschrift) Kirche und Recht (Zeitschrift) Rieder (siehe Literaturverzeichnis) Kommunalvermögensgesetz
LAG LAGE lit. LPG LS LStR LStDV LwAnG
Landesarbeitsgericht Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte Buchstabe Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft Leitsatz Lohnsteuer-Richtlinien Lohnsteuer-Durchführungsverordnung Landwirtschaftsanpassungsgesetz
MAHArbR MarkenG MAVO MDR m.E. MERL MgVG MitbestG MitbestBeibG Mitbestimmung MittBayNot MittRhNotK MMR MontanMitbErgG MontanMitbG
MuSchG MVG-EKD m.w.N.
Moll (siehe Literaturverzeichnis) Markengesetz Mitarbeitervertretungsordnung Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) meines Erachtens Massenentlassungsrichtlinie Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz Mitbestimmungsgesetz Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetz Die Mitbestimmung (Zeitschrift) Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins (Zeitschrift) Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer (Zeitschrift) MultiMedia und Recht (Zeitschrift) Montan-Mitbestimmungsergänzungsgesetz Gesetze über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie 1951 Mutterschutzgesetz Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland mit weiteren Nachweisen
NachhBG NachwG n.F. NJOZ NJW NJW-RR NotBZ Nr. n.v. NZA NZA-RR NZG NZM
Nachhaftungsbegrenzungsgesetz Nachweisgesetz neue Fassung Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenzeitschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Zeitschrift für die notarielle Beratungs- und Beurkundungspraxis Nummer (noch) nicht veröffentlicht Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht NZA-Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht
XVIII
Abkürzungsverzeichnis
o.Ä. OFD OHG OLG OLGZ Os. ÖTV OVG PartG PartGG PatG PDS PersR PersV PersVG PfandBG PflegeZG PostPersRG PSV PTNeuOG RabattG RabelsZ RAG RAGE RdA RDV RdW RefE reg. RegE RG RGRK
RGBl. RIW RL RNotZ Rpfleger RsprEinhG RVO Rz.
oder Ähnliche(s) Oberfinanzdirektion Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen einschließlich der freiwilligen Gerichtsbarkeit Orientierungssatz Gewerkschaft für öffentliche Dienste Transport und Verkehr Oberverwaltungsgericht Parteiengesetz Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Patentgesetz Partei des Demokratischen Sozialismus Der Personalrat (Zeitschrift) Die Personalvertretung NW Personalvertretungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen Pfandbriefgesetz Pflegezeitgesetz Gesetz zum Personalrecht der Beschäftigten der früheren Deutschen Bundespost Pensionssicherungsverein Gesetz zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation Rabattgesetz Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Reichsarbeitsgericht Entscheidungssammlung des Reichsarbeitsgerichts Recht der Arbeit (Zeitschrift) Recht der Datenverarbeitung (Zeitschrift) Recht der Wirtschaft (Zeitschrift) Referentenentwurf regulär Regierungsentwurf Reichsgericht Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes (siehe Literaturverzeichnis) Reichsgesetzblatt Recht der internationalen Wirtschaft Richtlinie Rheinische Notarzeitschrift Der deutsche Rechtspfleger (Zeitschrift) Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes Reichsversicherungsordnung Randzahl
XIX
Abkürzungsverzeichnis
s. S. s.a. Sachgeb. SAE SanInsFoG SCEBG
SteuK StGB St. StuB
siehe Seite; Satz siehe auch Sachgebiet Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen (Zeitschrift) Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in einer Europäischen Genossenschaft Schleswig-Holsteinische Anzeigen (Justizministerialblatt des Bundeslandes Schleswig-Holstein) Societas Europaea SE-Ausführungsgesetz SE-Beteiligungsgesetz Seearbeitsgesetz SE-Verordnung Sozialgesetzbuch Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts erster Instanz siehe oben sogenannte(r) Sonderbeilage Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren Sozialdemokratische Partei Deutschlands sozialpolitische informationen Sprecherausschussgesetz Gesetz über die Spaltung der von der Treuhand verwalteten Unternehmen Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen Steuerrecht kurzgefasst (Zeitschrift) Strafgesetzbuch Rspr. Ständige Rechtsprechung Unternehmensteuern und Bilanzen (Zeitschrift)
TVG
Tarifvertragsgesetz
u.a. u.Ä. u.a.m. UmwBerG UmwG UmwStG UrhG UStG usw. u.U. UWG
unter anderem; und andere und Ähnlich(es) und andere(s) mehr Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts Umwandlungsgesetz Gesetz zur Änderung des Umwandlungssteuerrechts Urhebergesetz Umsatzsteuergesetz und so weiter unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
v. v.a.
vom vor allem
SchlHA SE SEAG SEBG SeeArbG SE-VO SGB Slg. s.o. sog. Sonderbeil. SozplKonkG SPD spi SprAuG SpTrUG StaRUG
XX
Abkürzungsverzeichnis
VAG VBL VermG VG vgl. VglO VIZ Vorbem. VVaG VVDStRL VVG VwVfG
Versicherungsaufsichtsgesetz Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder Vermögensgesetz Verwaltungsgericht vergleiche Vergleichsordnung 1935 Zeitschrift für Vermögens- und Investitionsrecht Vorbemerkung(en) Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Veröffentlichungen der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer Gesetz über den Versicherungsvertrag Verwaltungsverfahrensgesetz
WHSS WiB wib WKS WM WO
WPg WpHG WPrax WpÜG WRV
Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt (siehe Literaturverzeichnis) Wirtschaftliche Beratung (Zeitschrift) Woche im Bundestag (Zeitschrift) Wißmann/Kleinsorge/Schubert (siehe Literaturverzeichnis) Wertpapiermitteilungen (Zeitschrift) BetrVG 1952 Wahlordnung BetrVG 1952 – Erste Rechtsverordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes 1953 Erste, Zweite oder Dritte Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz MitbestG 1977 Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift) Wertpapierhandelsgesetz Wirtschaftsrecht und Praxis (Zeitschrift) Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Weimarer Verfassung
z.B. ZDG ZESAR ZEuS ZfA ZGR ZHR Ziff. ZInsO ZIP zit. ZOV ZPO ZSEG z.T. ZTR zust. ZVK ZZP
zum Beispiel Zivildienstgesetz Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zeitschrift für offene Vermögensfragen Zivilprozessordnung Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen zum Teil Zeitschrift für Tarifrecht zustimmend Zusatzversorgungskasse Zeitschrift für Zivilprozess
1./2./3. WO
XXI
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XXX
Teil 1 Formen der Unternehmensumstrukturierung
§1 Betrieb, Unternehmen und Konzern als Objekte der Umstrukturierung
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 B. Die Kennzeichnung des Betriebs . . . . . 1.3 C. Die Kennzeichnung des Unternehmens 1.10
D. Die Kennzeichnung des Konzerns im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.17
Schrifttum: Blumers, Ausgliederung und Spaltung und wesentliche Betriebsgrundlagen, DB 1995, 496; Bonanni, Der gemeinsame Betrieb mehrerer Unternehmen, 2003; Braun/Wisskirchen, Konzernarbeitsrecht, 2015; Ekkenga, Die Überleitung von Arbeitsverhältnissen kraft rechtsgeschäftlicher Funktionsnachfolge, ZIP 1995, 1225; Fromen, Der gemeinsame Betrieb mehrerer Unternehmen – Der Versuch einer kritischen Analyse, Festschrift für Dieter Gaul, 1992, S. 151; B. Gaul, Die schwierige Kennzeichnung des Betriebs oder Betriebsteils im Sinne des § 613a BGB, Festschrift für Ulrich Preis, 2021, S. 279; Haase, Betrieb, Unternehmen und Konzern im Arbeitsrecht, NZA 1988, Beil. 3, S. 11; Henssler, Der Arbeitsvertrag im Konzern, 1983; Hörger/Pauli, Nachfolge bei Kapital- und Personengesellschaften, GmbHR 1999, 945; Jacobi, Betrieb und Unternehmen als Rechtsbegriffe, 1926; Jacobi, Betrieb und Unternehmen, Festschrift für Viktor Ehrenberg, 1927, S. 1; Junker, Internationales Arbeitsrecht im Konzern, 1992; Konzen, Unternehmensaufspaltung und Organisationsänderungen im Betriebsverfassungsrecht, 1986; Richardi, Betriebsbegriff als Chamäleon, Festschrift für Herbert Wiedemann zum 70. Geburtstag, 2002, S. 493; Preis, Legitimation und Grenzen des Betriebsbegriffs im Arbeitsrecht, RdA 2000, 257; Schiefer, § 613a BGB – Problemschwerpunkte und aktuelle Fragen – Teil 1 Wortlaut, Tatbestandsvoraussetzungen sowie Betriebsveräußerung und -stilllegung, DB 2021, 453; Schwanda, Der Betriebsübergang in § 613a BGB unter besonderer Berücksichtigung des Betriebsbegriffs, Berlin 1992 (zugl. Diss. Nürnberg 1990); Steffan, (Konzern-)Betriebsvereinbarungen und Betriebsübergang, ArbRB 2020, 286; Vogt, Arbeitsrecht im Konzern, 2014; Windbichler, Arbeitsrecht im Konzern, 1989; Windbichler, Arbeitsrecht und Konzernrecht, RdA 1999, 146.
A. Einführung Betrieb und Unternehmen gehören neben Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu den Kernbegriffen des Arbeitsrechts. Dabei ist es notwendig, die Begriffe auf der Grundlage allgemeiner Feststellungen in Bezug auf die jeweils maßgebliche gesetzliche Regelung zu charakterisieren1. Da
1 Vgl. nur Jacobi, Betrieb und Unternehmen, S. 1 ff.; Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 1 ff., 171 ff.; U. Preis, RdA 2000, 257 ff.; Richardi, Festschrift Wiedemann, S. 493 ff.
Gaul | 1
1.1
§ 1 Rz. 1.1 | Betrieb, Unternehmen und Konzern als Objekte der Umstrukturierung
die Umstrukturierung aus arbeitsrechtlicher Sicht sowohl den Betrieb als auch das Unternehmen betreffen kann, abhängig von der Betroffenheit der beiden Objekte aber unterschiedliche Rechtsfolgen auslösen kann, soll zunächst einmal eine allgemeine Kennzeichnung von Betrieb und Unternehmen vorgenommen werden. Sie orientiert sich an den überwiegend in Rechtsprechung und Literatur verwendeten Kriterien, ist gleichzeitig aber offen, um unter Berücksichtigung des jeweiligen Normenbezugs Anpassungen zu erfahren. Beispielhaft sei hier nur auf den Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils i.S.d. § 613a BGB, die Spaltung eines Rechtsträgers nach § 123 UmwG, die Betriebs- und Unternehmensspaltung i.S.d. § 106 BetrVG, den unionsrechtlich geprägten Begriff des Betriebs in § 17 KSchG oder den Begriff der Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG hingewiesen. Wichtig ist, dass bei der Vorbereitung einer Restrukturierung bzw. der Bewertung ihrer Folgen berücksichtigt wird, dass dem Begriff des Betriebs oder Betriebsteils, dem Begriff des Unternehmens oder dem der Betriebs- oder Unternehmensspaltung im konkreten Regelungszusammenhang eine unterschiedliche Bedeutung zuzumessen sein kann.
1.2
Bei der Kennzeichnung des Begriffs des Konzerns, der im Zusammenhang mit den arbeitsrechtlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer Betriebs- und Unternehmensspaltung Bedeutung vor allem im Bereich der Mitbestimmung besitzt, soll zunächst einmal von den aktienrechtlichen Begriffen ausgegangen werden. Dies schließt nicht aus, dass sich insbesondere aus der steuerrechtlichen Betrachtungsweise heraus Unterschiede ergeben. Bedeutung hat dies vor allem in Bezug auf das Umwandlungs- und Umwandlungssteuerrecht (vgl. Rz. 3.88).
B. Die Kennzeichnung des Betriebs 1.3
Obwohl der Begriff des Betriebs in vielen gesetzlichen Regelungen verwendet wird, ist damit keine einheitliche Begriffsbestimmung verbunden. Beispielhaft sei hier für das Arbeitsrecht nur auf eine ganze Reihe von Vorschriften des Betriebsverfassungsrechts (vgl. nur §§ 1, 3, 4, 9 ff., 60 BetrVG), zur Unternehmensmitbestimmung (vgl. nur § 3 Abs. 2, 3 DrittelbG, §§ 10 ff. MitbestG, § 1 MitbestBeiG, § 6 Abs. 5 MontanMitbestG, § 2 Abs. 1, §§ 28, 29 SEBG), des Kündigungsschutzrechts (vgl. nur §§ 1, 15, 17, 23 KSchG), auf § 613a BGB oder die Regelungen des Umwandlungsgesetzes (vgl. nur §§ 322 ff. UmwG) hingewiesen. Das Gleiche gilt für den Begriff des Betriebsteils (vgl. nur §§ 4, 18 Abs. 2 BetrVG). Auch das Tarifrecht knüpft arbeitsrechtliche Konsequenzen an das Vorliegen eines Betriebs (vgl. nur § 3 Abs. 2, §§ 4a, 8 TVG). Mit Ausnahme von § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, der die Voraussetzungen einer Fiktion der betriebsverfassungsrechtlichen Selbstständigkeit eines Betriebsteils benennt, findet sich im Arbeitsrecht indes keine gesetzliche Definition für den Begriff des Betriebs oder Betriebsteils. Vergleichbar mit der Situation im Steuerrecht bleibt es deshalb Rechtsprechung und Literatur überlassen, Kriterien für eine Kennzeichnung des Betriebs zu entwickeln.
1.4
Ausgangspunkt der Überlegungen zur arbeitsrechtlichen Kennzeichnung des Betriebs ist im Regelfall der „allgemeine“ oder „objektive“ Betriebsbegriff, wie er zunächst durch Jacobi1 mit Blick auf das Betriebsrätegesetz als „Vereinigung von persönlichen, sächlichen und immateriellen Mitteln zur fortgesetzten Verfolgung eines von einem oder mehreren Rechtssubjekten gemeinsam gesetzten technischen Zwecks“ definiert wurde. Unter besonderer Benennung der
1 Jacobi, Betrieb und Unternehmen, S. 9; Jacobi, Festschrift Ehrenberg, S. 9.
2 | Gaul
Die Kennzeichnung des Betriebs | Rz. 1.7 § 1
Arbeitnehmer, die von Jacobi noch als „persönliche Betriebsmittel“ gekennzeichnet waren, verstehen Rechtsprechung1 und Literatur2 den Betrieb insoweit überwiegend als organisatorische Einheit, innerhalb derer der Arbeitgeber allein oder mit Hilfe eines oder mehrerer Arbeitnehmer(s) unter Verwendung von sächlichen und/oder immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung des Eigenbedarfs erschöpfen.
Als wesentliches Kennzeichen des Betriebs wurde dabei zunächst der arbeitstechnische Zweck, der innerhalb des Betriebs verfolgt wird3, später dann aber die Organisation angesehen4. Soweit ein Teil der Literatur hiervon abweichend vor allem auf die Tätigkeit abgestellt hat, die in räumlicher Verbundenheit verrichtet werden und/oder zur Verwirklichung einer personellen oder technischen oder organisatorischen Zielsetzung des Unternehmens dienen5, hat sich dies in Literatur und Rechtsprechung nicht durchgesetzt. Erkennbar wird aber, dass die Anforderungen an die Organisation eines Betriebs oder Betriebsteils normenspezifisch verschieden sein kann, was zur Folge hat, dass ein Betrieb i.S.d. § 17 KSchG nicht notwendigerweise auch ein Betrieb i.S.d. § 1 Abs. 3 KSchG, des § 613a BGB oder des § 1 BetrVG sein muss. Das kann beispielsweise bei der Frage bedeutsam werden, ob eine Veränderung von Organisationsstrukturen die Spaltung eines Betriebs oder den Zusammenschluss mehrerer Betriebe zur Folge hat.
1.5
Allen Definitionen des Betriebs ist zunächst einmal gemeinsam, dass sie den Betrieb als tatsächliche Einheit verstehen. Hiervon soll nachfolgend auch ausgegangen werden. Die rechtliche Zuordnung des im Betrieb verwendeten Vermögens einschließlich der Verbindlichkeiten und die vertragliche Zuordnung der im Betrieb tätigen Personen bleiben für die arbeitsrechtliche Kennzeichnung des Betriebs zunächst einmal unerheblich. Sie kennzeichnen das Unternehmen als Träger der Rechte und Pflichten. Darüber hinaus setzt die Kennzeichnung eines Betriebs nicht zwingend voraus, dass Betriebsmittel bei der Verwirklichung des arbeitstechnischen Zwecks Verwendung finden. Unerheblich ist auch, welche Rechte der Betriebsinhaber daran besitzt; insoweit können in einem Betrieb auch Betriebsmittel eingesetzt werden, die einem Dritten gehören. Wie die Rechtsfigur des gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen deutlich macht, kann ein Betrieb auch durch verschiedene Rechtsträger betrieben werden.
1.6
Übereinstimmung besteht auch insoweit, als der Begriff des Betriebs einer Parteidisposition grundsätzlich nicht zugänglich ist. Lediglich § 3 BetrVG gestattet, durch Vereinbarung betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheiten zu bilden, die im Wege einer Fiktion dann als Betrieb i.S.d. BetrVG gelten. Dies kann auch den Zusammenschluss von Betrieben zur Folge haben, die die innerhalb des durch Tarifvertrag gebildeten Betriebs als organisatorisch abgrenzbare Einheiten fortbestehen6. Mit Einschränkung wird daran auch in Bezug auf die Tarifeinheit (§ 4a TVG) angeknüpft.
1.7
1 BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 271/12, DB 2013, 1674 Rz. 19; BAG v. 29.5.1991 – 7 ABR 54/90, AP Nr. 5 zu § 4 BetrVG 1972 Bl. 2. 2 Konzen, Unternehmensaufspaltungen, S. 19; Richardi, § 1 BetrVG Rz. 15 ff. 3 So Jacobi, Betrieb und Unternehmen, S. 9, 20; Schwarz, Übergang des Unternehmens, S. 37. 4 So BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, NZA 2001, 831 Rz. 18. 5 Vgl. Joost, Betrieb und Unternehmen S. 393; Ekkenga, ZIP 1995, 1225, 1228 f.; U. Preis, RdA 2000, 257, 267 ff. 6 BAG v. 7.6.2011 – 1 ABR 110/09, DB 2011, 2498 f. Rz. 14 f.
Gaul | 3
§ 1 Rz. 1.8 | Betrieb, Unternehmen und Konzern als Objekte der Umstrukturierung
1.8
Entscheidend für die Kennzeichnung des Betriebs sind damit allein die tatsächlichen Gegebenheiten. In diesem Zusammenhang werden vor allem der Inhaber, der (arbeitstechnische) Betriebszweck, die technische Leitung, die räumliche Einheit, die wirtschaftliche Zusammengehörigkeit, die Einheitlichkeit der Belegschaft, die Dauerhaftigkeit der Verbundenheit, die Einheit der personellen und sozialen Leitungsmacht, die Art der Tätigkeit und die Leitung in wirtschaftlichen Fragen genannt. Welche Bedeutung diesen Kriterien im Einzelfall tatsächlich zuzugestehen ist, ist – ggf. unter Berücksichtigung unionsrechtlicher Vorgaben – im Zusammenhang mit den jeweils maßgeblichen Vorschriften aufzuzeigen. Dabei ist eine Gesamtbetrachtung durchzuführen1. Die Merkmale haben dabei im Zweifel nur indizielle Bedeutung2; es geht also um eine „typologische Betrachtungsweise“3.
1.9
Letztlich steht im Mittelpunkt der Kennzeichnung des Betriebs die „organisatorische Einheit“. Lässt man den vor allem bei § 613a BGB verwendeten Begriff der „wirtschaftlichen Einheit“ einmal unberücksichtigt, ist daher für die Feststellung eines Betriebs vor allem bedeutsam, in welcher Weise der oder die an einem Betrieb beteiligten Rechtsträger die Leitungsmacht in den wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten gegenüber den in dieser Einheit beschäftigten Arbeitnehmern ausüben. Wie vor allem aus § 1 Abs. 2 BetrVG erkennbar wird, ist dies das wesentliche Kennzeichen der „organisatorischen Einheit“ jedenfalls in Bezug auf § 1 Abs. 3 KSchG oder § 1 BetrVG. Die Anforderungen an eine organisatorisch eigenständige Einheit können auf der Basis unionsrechtlicher Vorgaben aus den Richtlinien 98/59/EG (Massenentlassung) oder 2001/23/EG (Betriebsübergang) indes abweichen und durch eine niedrigere Schwelle der Steuerungsbefugnis geprägt sein (vgl. Rz. 4.48).
C. Die Kennzeichnung des Unternehmens 1.10
Arbeitsrechtlich findet der Begriff des Unternehmens vor allem im Betriebsverfassungsrecht (vgl. nur §§ 1, 3, 47, 106 ff., 111 ff. BetrVG), den Regelungen zur Unternehmensmitbestimmung (vgl. § 1 DrittelbG, 1, §§ 30 ff. MitbestG, § 1 MitbestBeiG, §§ 1 ff. MontanMitbestG, § 2 Abs. 1, §§ 28, 29 SEBG), im Kündigungsschutzrecht (vgl. nur § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b KSchG) und in einzelnen Vorschriften des Umwandlungsgesetzes (vgl. § 152 UmwG) Verwendung. Auch das Tarifrecht knüpft z.B. in Bezug auf den Geltungsbereich von Tarifverträgen und die Feststellung der Vertragspartner für Firmen bzw. Haustarifverträge an das Unternehmen an4.
1.11
Auch für den Begriff des Unternehmens gibt es keine Legaldefinition. Insoweit ist wiederum durch Auslegung der jeweils in Rede stehenden Vorschriften festzustellen, ob und inwieweit der Sachverhalt unter Berücksichtigung seiner konkreten Gegebenheiten erfasst wird5.
1.12
Ausgangspunkt für eine allgemeine arbeitsrechtliche Kennzeichnung des Unternehmens ist nicht die tatsächliche organisatorische Verknüpfung von Betriebsmitteln. Vielmehr ist an den Rechtsträger anzuknüpfen, dem ein Betrieb oder Betriebsteil und das dazugehörende Vermögen zuzuordnen sind. Der Begriff des Unternehmens setzt damit die Einheitlichkeit und 1 2 3 4 5
Vgl. GK-BetrVG/Kraft, § 4 Rz. 5 f.; U. Preis, RdA 2000, 257, 278. Vgl. GK-BetrVG/Kraft, § 4 Rz. 12. So bereits Fromen, Festschrift D. Gaul, S. 151, 177 ff. Vgl. BAG v. 15.6.2016 – 4 AZR 805/14, ZIP 2017, 37 Rz. 47; HWK/Henssler, § 4 TVG Rz. 15 ff. BAG v. 29.11.1989 – 7 ABR 64/87, NZA 1990, 615, 618; BAG v. 13.2.2007 – 1 AZR 184/06, NZA 2007, 825 Rz. 18.
4 | Gaul
Die Kennzeichnung des Unternehmens | Rz. 1.16 § 1
rechtliche Identität des betreibenden Unternehmens voraus. Ein Unternehmen kann sich nicht über den Geschäfts- und Tätigkeitsbereich seines Rechtsträgers hinaus erstrecken. Neben den juristischen Personen1 und den Personengesellschaften des Handelsrechts2 oder der EWIV3 können dabei natürliche Personen ein Unternehmen haben bzw. als Unternehmen zu qualifizieren sein4. Gleiches gilt für Gewerkschaften, wenn diese nicht ohnehin als Verein eingetragen sind5. Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, dass Kapitalgesellschaften, Gesellschaften des Handels- und des bürgerlichen Rechts wie auch Vereine nach den Vorschriften des AktG, SEAG, SCEAG, GmbHG, HGB und BGB jeweils nur Träger eines einheitlichen Unternehmens sein können6. Eine natürliche Person kann hingegen Inhaber mehrerer Unternehmen sein, sofern Leitung und Organisation jeweils autonom erfolgen7.
1.13
Das folgt auch aus der Unterscheidung zum Konzern. Die rechtliche Selbständigkeit von Kapitalgesellschaften und Gesamthandgesellschaften des Handelsrechts geht auch nicht dadurch verloren, dass sie mit einem oder mehreren Unternehmen wirtschaftlich verflochten sind oder Personengleichheit der Geschäftsführung besteht.
1.14
Das Unternehmen setzt die wirtschaftlichen Ziele, um derentwillen die Tätigkeit durch seine Organe, geschäftsführenden Gesellschafter und/oder Arbeitnehmer ausgeübt wird8. Erst wenn Arbeitnehmer beschäftigt werden, hat das Unternehmen auch einen oder mehrere Betriebe. Innerhalb der organisatorischen Einheit dieser Betriebe wird dann versucht, mit Hilfe von Arbeitnehmern den durch den Unternehmer vorgegebenen Unternehmenszweck zu verwirklichen.
1.15
Vor diesem Hintergrund unterscheidet sich die arbeitsrechtliche Kennzeichnung des Unternehmens auch von der umsatzsteuerrechtlichen oder betriebswirtschaftlichen Begriffsbestimmung. So ist nach § 2 Abs. 1 UStG Unternehmer, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt, wobei die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers erfasst wird. Gewerblich oder beruflich ist dabei jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird. Betriebswirtschaftlich wird als Unternehmen eine ökonomische Einheit der Gesamtwirtschaft verstanden, die von einem Unternehmer auf eigene Rechnung und Gefahr zum Zwecke des Erwerbs betrieben wird. Anknüpfungspunkt ist damit nicht der Rechtsträger, dem bestimmtes Vermögen im Rechtssinne zugeordnet werden kann. Vielmehr wird bei einem solchen Verständnis eine wirtschaftliche Betrachtung zugrunde gelegt. Danach ist das Unternehmen letztlich eine Gesamtheit von Sachen und Rechten, tatsächlichen Beziehungen und Erfahrungen sowie unternehmerischen
1.16
1 2 3 4 5 6
Rowedder/Rittner/Schmidt-Leithoff, § 3 GmbHG Rz. 11 ff. Vgl. Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 218 f. Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 65, S. 1582 ff. Dehmer, § 152 UmwG Rz. 12. HWK/Kalb, § 10 ArbGG Rz. 3. BAG v. 13.2.2007 – 1 AZR 184/06, NZA 2007, 825 Rz. 17; BAG v. 17.3.2010 – 7 AZR 706, DB 2010, 2812 Rz. 15; HWK/Hohenstatt/Dzida, § 47 BetrVG Rz. 3. 7 HWK/Hohenstatt/Dzida, § 47 BetrVG Rz. 3; DKW/Trittin, § 47 BetrVG Rz. 26; a.A. Richardi/Annuß, § 47 BetrVG Rz. 9. 8 BAG v. 11.6.2020 – 2 AZR 660/19, NZA 2020, 1241 Rz. 13; Jacobi, Betrieb und Unternehmen, S. 9, 20; Haase, NZA 1988, Beil. 3, S. 11 f.
Gaul | 5
§ 1 Rz. 1.16 | Betrieb, Unternehmen und Konzern als Objekte der Umstrukturierung
Handlungen1. Diese umsatzsteuerlichen oder betriebswirtschaftlichen Begriffsbestimmungen werden nachfolgend nicht weiter verwendet. Vielmehr wird, soweit nicht ein besonderer Hinweis erfolgt, stets das Unternehmen als Synonym für den Rechtsträger oder dann umgekehrt der Begriff des Rechtsträgers als Synonym für den des Unternehmens verwandt.
D. Die Kennzeichnung des Konzerns im Arbeitsrecht 1.17
Der Konzern ist ein Zusammenschluss rechtlich selbstständiger Unternehmen, die durch den Zusammenschluss diese Selbständigkeit nicht verlieren2. Ob und inwieweit innerhalb dieser Unternehmen eigenständige Betriebe bestehen, spielt keine Rolle.
1.18
Nach §§ 17, 18 AktG liegt ein Konzern im aktienrechtlichen Sinne vor, wenn entweder ein herrschender und eine oder mehrere abhängige Unternehmen unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefasst sind (sog. Unterordnungskonzern) oder rechtliche selbstständige Unternehmen ohne Abhängigkeit von einem Unternehmen unter einheitlicher Leitung zusammengefasst sind (sog. Gleichordnungskonzern). Unternehmen, zwischen denen ein Beherrschungsvertrag (§ 291 AktG) besteht oder von dem das eine in das andere eingegliedert ist (§ 319 AktG), werden dabei als unter einheitlicher Leitung zusammengefasst angesehen. Ferner wird von einem abhängigen Unternehmen (widerleglich) vermutet, dass es mit dem herrschenden Unternehmen einen Konzern bildet. Als abhängig in diesem Sinne anzusehen sind selbstständige Unternehmen, auf die ein anderes (herrschendes) Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Dabei begründet § 17 Abs. 2 AktG eine widerlegbare Vermutung der Abhängigkeit, wenn die AG in Mehrheitsbesitz eines anderen Unternehmens – gleich welcher Rechtsform – steht.
1.19
Voraussetzung für die Kennzeichnung als herrschendes Unternehmen ist, dass das Unternehmen, das faktisch oder kraft Vereinbarung die Leitung eines anderen Unternehmens innehat, seinerseits nicht von einem anderen Unternehmen abhängig ist. Denn eine einheitliche Leitung durch ein Unternehmen kommt nur in Betracht, wenn dort alle konzernrelevanten Leitungsentscheidungen für die nachgeordneten Unternehmen „beherrschungs- und weisungsfrei“ getroffen werden.
1.20
Lässt man die Figur des „Konzerns im Konzern“ an dieser Stelle einmal unberücksichtigt (vgl. Rz. 26.98), bei der eine Verlagerung der Leitungsmacht auf eine nachgeordnete Gesellschaft erfolgt3, kann deshalb eine Zwischenholding, die ihrerseits kraft Vereinbarung (z.B. Beherrschungsvertrag) oder als Folge einer unmittelbaren oder mittelbaren Steuerungsmöglichkeit ihres Mehrheitsanteilsinhabers von einem anderen Unternehmen abhängig ist, nicht als herrschendes Unternehmen eines Konzerns qualifiziert werden. Herrschend ist nur ein solches Unternehmen, das nicht selbst beherrscht wird4. Dies folgt mitbestimmungsrechtlich aus dem Grundsatz, dass eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer grundsätzlich auf der (höchsten) Konzernebene ausreichend ist, von wo aus die tatsächliche Leitungsmacht ausgeübt wird5. Deut1 Vgl. Bonanni, Der gemeinsame Betrieb mehrerer Unternehmen, S. 3. 2 BAG v. 17.4.2012 – 3 AZR 400/10, BB 2013, 57 Rz. 43. 3 Vgl. BAG v. 23.5.2018 – 7 ABR 60/16, NZA 2018, 1562 Rz. 21; HWK/Seibt, § 5 MitbestG Rz. 8; ErfK/Oetker, § 5 MitbestG Rz. 9. 4 Vgl. HWK/Hohenstatt/Dzida, § 58 BetrVG Rz. 11; GK-BetrVG/Kreutz/Franzen, § 58 Rz. 12 ff. 5 Vgl. WWKK/Koberski, § 5 MitbestG Rz. 7, 62; Habersack/Henssler/Habersack, § 5 MitbestG Rz. 10, 13 f.
6 | Gaul
Umstrukturierungen auf Betriebsebene | § 2
lich wird dies auch durch § 5 Abs. 3 MitbestG. Danach gilt das der eigentlichen Konzernleitung am nächsten stehende Unternehmen, das von seiner Rechtsform in den Anwendungsbereich des MitbestG fällt, als herrschendes Unternehmen, wenn die Konzernleitung, die ihrerseits nicht vom MitbestG erfasst wird, über dieses Unternehmen seine Herrschungsmacht auf andere (nachgeordnete) Unternehmen ausübt. Eine solche Fiktion fehlt z.B. im DrittelbG oder im BetrVG. Allerdings schließt dies nicht generell aus, dass ein Konzernbetriebsrat gebildet wird, obwohl das herrschende Unternehmen nicht in den Anwendungsbereich des BetrVG fällt1. Bedeutung gewinnt der Konzernbegriff arbeitsrechtlich etwa bei Fragen der Mitbestimmung, der Betriebsverfassung und der Arbeitnehmerüberlassung2. Wie der Konzern dabei zu verstehen ist, muss indes wie bei Betrieb und Unternehmen jeweils individuell im Hinblick auf die jeweilige Vorschrift und ihren Anwendungsbereich ermittelt werden. Da insoweit aber arbeitsrechtlich in der Regel der Unterordnungskonzern vorausgesetzt wird, soll bei der weiteren Verwendung des Konzernbegriffs von dessen Vorliegen ausgegangen werden, falls nicht ausdrücklich etwas anderes genannt wird.
1.21
Die vorstehende Kennzeichnung eines Konzerns ist nicht davon abhängig, ob einzelne Unternehmen ihren Sitz im Ausland haben. Dies betrifft das herrschende Unternehmen ebenso wie die Unternehmen, die hiervon abhängig sind. Relevanz hat dieser Umstand aber für die Frage, ob und inwieweit die Unternehmen mit Sitz im Ausland und/oder ausländische Betriebe eines im Inland gelegenen Unternehmens bei der Auslegung und Anwendung deutscher Vorschriften Berücksichtigung finden. Beispielhaft sei hier nur auf die Berechnung der Schwellenwerte für die Unternehmensmitbestimmung (vgl. Rz. 25.72) oder die Voraussetzungen für die Bildung eines Konzernbetriebsrats (vgl. Rz. 24.142) verwiesen.
1.22
§2 Umstrukturierungen auf Betriebsebene
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 B. Der Zusammenschluss von Betrieben und Betriebsteilen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 I. Zusammenschluss durch Eingliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 II. Neugründung eines Betriebs durch Zusammenschluss . . . . . . . . . . . . . . . . 2.12 III. Zusammenschluss durch Gründung eines gemeinsamen Betriebs . . . . . . . . 2.13 C. Allgemeine Kennzeichnung der Spaltung eines Betriebs . . . . . . . . . . . 2.15
I. Die Abspaltung oder Ausgliederung eines Betriebsteils . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Auflösung eines Betriebs . . . . . . . . III. Die Spaltung des gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen . . . . D. Abgrenzung der Veränderungen auf Betriebs- und Unternehmensebene I. Abgrenzung der Verschmelzung vom Zusammenschluss der Betriebe . . . . . . II. Abgrenzung von Betriebs- und Unternehmensspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.19 2.21 2.23
2.26 2.27
1 BAG v. 26.8.2020 – 7 ABR 24/18 n.v. Rz. 46. 2 Vgl. allgemein zum Arbeitsrecht im Konzern Braun/Wisskirchen, Konzernarbeitsrecht; Henssler, Arbeitsvertrag im Konzern; Junker, Arbeitsrecht im Konzern; Vogt, Arbeitsrecht im Konzern.
Gaul | 7
Umstrukturierungen auf Betriebsebene | § 2
lich wird dies auch durch § 5 Abs. 3 MitbestG. Danach gilt das der eigentlichen Konzernleitung am nächsten stehende Unternehmen, das von seiner Rechtsform in den Anwendungsbereich des MitbestG fällt, als herrschendes Unternehmen, wenn die Konzernleitung, die ihrerseits nicht vom MitbestG erfasst wird, über dieses Unternehmen seine Herrschungsmacht auf andere (nachgeordnete) Unternehmen ausübt. Eine solche Fiktion fehlt z.B. im DrittelbG oder im BetrVG. Allerdings schließt dies nicht generell aus, dass ein Konzernbetriebsrat gebildet wird, obwohl das herrschende Unternehmen nicht in den Anwendungsbereich des BetrVG fällt1. Bedeutung gewinnt der Konzernbegriff arbeitsrechtlich etwa bei Fragen der Mitbestimmung, der Betriebsverfassung und der Arbeitnehmerüberlassung2. Wie der Konzern dabei zu verstehen ist, muss indes wie bei Betrieb und Unternehmen jeweils individuell im Hinblick auf die jeweilige Vorschrift und ihren Anwendungsbereich ermittelt werden. Da insoweit aber arbeitsrechtlich in der Regel der Unterordnungskonzern vorausgesetzt wird, soll bei der weiteren Verwendung des Konzernbegriffs von dessen Vorliegen ausgegangen werden, falls nicht ausdrücklich etwas anderes genannt wird.
1.21
Die vorstehende Kennzeichnung eines Konzerns ist nicht davon abhängig, ob einzelne Unternehmen ihren Sitz im Ausland haben. Dies betrifft das herrschende Unternehmen ebenso wie die Unternehmen, die hiervon abhängig sind. Relevanz hat dieser Umstand aber für die Frage, ob und inwieweit die Unternehmen mit Sitz im Ausland und/oder ausländische Betriebe eines im Inland gelegenen Unternehmens bei der Auslegung und Anwendung deutscher Vorschriften Berücksichtigung finden. Beispielhaft sei hier nur auf die Berechnung der Schwellenwerte für die Unternehmensmitbestimmung (vgl. Rz. 25.72) oder die Voraussetzungen für die Bildung eines Konzernbetriebsrats (vgl. Rz. 24.142) verwiesen.
1.22
§2 Umstrukturierungen auf Betriebsebene
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 B. Der Zusammenschluss von Betrieben und Betriebsteilen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 I. Zusammenschluss durch Eingliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 II. Neugründung eines Betriebs durch Zusammenschluss . . . . . . . . . . . . . . . . 2.12 III. Zusammenschluss durch Gründung eines gemeinsamen Betriebs . . . . . . . . 2.13 C. Allgemeine Kennzeichnung der Spaltung eines Betriebs . . . . . . . . . . . 2.15
I. Die Abspaltung oder Ausgliederung eines Betriebsteils . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Auflösung eines Betriebs . . . . . . . . III. Die Spaltung des gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen . . . . D. Abgrenzung der Veränderungen auf Betriebs- und Unternehmensebene I. Abgrenzung der Verschmelzung vom Zusammenschluss der Betriebe . . . . . . II. Abgrenzung von Betriebs- und Unternehmensspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.19 2.21 2.23
2.26 2.27
1 BAG v. 26.8.2020 – 7 ABR 24/18 n.v. Rz. 46. 2 Vgl. allgemein zum Arbeitsrecht im Konzern Braun/Wisskirchen, Konzernarbeitsrecht; Henssler, Arbeitsvertrag im Konzern; Junker, Arbeitsrecht im Konzern; Vogt, Arbeitsrecht im Konzern.
Gaul | 7
§ 2 Rz. 2.1 | Umstrukturierungen auf Betriebsebene
A. Einführung 2.1
Umstrukturierungen können die Unternehmensebene und/oder die Betriebsebene betreffen. So können sie sich durch Verschmelzung, Spaltung oder sonstige Formen der Übertragung allein auf den Rechtsträger und das ihm zugeordnete Vermögen beziehen (Rz. 3.1 ff.). Dabei kann die betriebliche Ebene unverändert bleiben. Denkbar ist aber auch, dass sich die Umstrukturierung ausschließlich oder parallel zu Veränderungen auf der Unternehmensebene auf die Betriebsebene bezieht und hier auch oder nur hier Veränderungen zur Folge hat. Ob die Veränderung eines Betriebs durch den Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder Betriebsteilen oder seine Auf- oder Abspaltung bzw. Auflösung zugleich auch eine veränderte Zuordnung des dem Betrieb ursprünglich zugeordneten Vermögens zur Folge hat, spielt für die Unterscheidung der denkbaren Formen einer Umstrukturierung auf Betriebsebene keine Rolle.
2.2
An sich ist entscheidend für die Kennzeichnung einer Umstrukturierung auf Betriebsebene, wie der Betrieb in seiner ursprünglichen Form definiert wird. Denn nur wenn klar ist, welche Merkmale den Betrieb in seiner (organisatorischen) Einheit kennzeichnen, können die Auswirkungen von Veränderungen in Bezug auf diese Merkmale bewertet werden. Folgerichtig kann der Zusammenschluss oder die Spaltung eines Betriebs in Bezug auf die jeweils in Rede stehende Frage unterschiedlichen Kriterien unterworfen sein. So muss der Fortbestand eines betriebsverfassungsrechtlichen Betriebs zur Aufrechterhaltung des dort errichteten Betriebsrats nicht den gleichen Kriterien unterworfen sein wie die Frage, ob die jeweils in Rede stehenden Einheiten weiterhin einen einheitlichen kündigungsschutzrechtlichen Betrieb bilden und zugleich auch für den Fall kollidierender Tarifverträge die maßgebliche Einheit für die Feststellung der Mehrheitsgewerkschaft sind. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Zusammenschluss durch Tarifvertrag nach § 3 BetrVG die Folge einer Fiktion ist, die den organisatorisch abgrenzbaren Fortbestand der davon betroffenen Einheiten innerhalb des neu geschaffenen Betriebs unberührt lässt (vgl. Rz. 4.36, 21.46)1.
B. Der Zusammenschluss von Betrieben und Betriebsteilen 2.3
Die erste Form einer Veränderung auf betrieblicher Ebene ist der Zusammenschluss von Betrieben oder Betriebsteilen. Dabei ist zwischen der Eingliederung eines Betriebs oder Betriebsteils in einen anderen Betrieb (Zusammenschluss durch Eingliederung) und der Neugründung eines Betriebs durch Zusammenschluss mehrerer Betriebe oder Betriebsteile (Zusammenschluss durch Neugründung) zu unterscheiden. Welche Kriterien dabei im Einzelnen erfüllt sein müssen, hängt von der jeweils in Rede stehenden Rechtsfrage ab (vgl. nur Rz. 15.7, 15.24, 16.8, 16.14 ff., 22.14 ff., 17.116 ff., 22.53 ff., 24.2 ff.). Besonderheiten können sich dann ergeben, wenn mehrere Rechtsträger beteiligt sind, insbesondere also die Bildung oder Auflösung eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen in Rede steht (vgl. Rz. 2.23). Durch den Abschluss eines Strukturtarifvertrags nach § 3 BetrVG kann der Zusammenschluss zweier Betriebe auch so gestaltet werden, dass trotz tatsächlicher Veränderungen auf der organisatorischen Ebene jedenfalls betriebsverfassungsrechtlich von einem Fortbestand der bisherigen Betriebe innerhalb dieser übergreifenden Organisationseinheit auszugehen ist2. Umge1 BAG v. 7.6.2011 – 1 ABR 110/09, DB 2011, 2498 f. Rz. 14 f. 2 Vgl. BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 3/07, NZA 2008, 1259 Rz. 24; Hessisches LAG v. 5.8.2019 – 16 TaBV 242/18 n.v.; Salamon, NZA 2009, 74, 76 f.
8 | Gaul
Der Zusammenschluss von Betrieben und Betriebsteilen | Rz. 2.8 § 2
kehrt kann durch Tarifvertrag vereinbart werden, dass Betriebe betriebsverfassungsrechtlich zusammengeschlossen werden, obgleich sie operativ weiterhin getrennt gesteuert werden.
I. Zusammenschluss durch Eingliederung Lässt man die Besonderheiten eines Zusammenschlusses unter Einbindung betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten nach § 3 Abs. 5 BetrVG bzw. durch Schaffung solcher Organisationseinheiten an dieser Stelle unberücksichtigt (vgl. Rz. 26.240), wird bei einer Eingliederung ein ursprünglich selbständiger Betrieb oder Betriebsteil insoweit von einem anderen Betrieb aufgenommen, als die dort bereits bestehende Organisations- und Leitungsmacht nunmehr auch für die in dem eingegliederten Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zuständig ist. Der aufnehmende Betrieb besteht also unter Wahrung seiner Identität fort. Der eingegliederte Betrieb oder Betriebsteil existiert mit dem Wirksamwerden der Eingliederung nicht mehr.
2.4
Bei der Frage, ob eine Eingliederung vorliegt, muss unter Berücksichtigung des Einzelfalls eine Abwägung der qualitativen und quantitativen Veränderungen in der betrieblichen Organisationsstruktur vorgenommen werden. Entscheidend ist deshalb vor allem, ob die Organisation des aufnehmenden Betriebs fortbesteht. Unerheblich ist dabei zunächst einmal, dass die Eingliederung eine Veränderung der arbeitstechnischen Leitung zur Folge hat und sich die Zahl der abgrenzbaren Bereiche des aufnehmenden Betriebs (Abteilungen, Profit-Center) erhöht.
2.5
Auch wenn sich aus der jeweils in Rede stehenden Vorschrift Besonderheiten ergeben können, ist im Zweifel entscheidend für die Kennzeichnung eines Betriebs oder Betriebsteils als aufnehmende Einheit, dass die Organisationsstrukturen, die der Ausübung der Leitungsmacht in den wesentlichen personellen und sozialen Fragen zugrunde liegen, im Großen und Ganzen nicht verändert werden. Bei der Ausübung der Organisations- und Leitungsmacht in personellen und sozialen Angelegenheiten kann also weiterhin auf Strukturen zurückgegriffen werden, die bereits in der potenziell als aufnehmender Betrieb angesehenen Einheit vorhanden gewesen sind1.
2.6
Hiervon ausgehend kommt es häufig zu einer Eingliederung, wenn der Zusammenschluss Einheiten betrifft, in denen unterschiedliche arbeitstechnische Zweckbestimmungen verfolgt werden. Denn in diesem Fall wird im Zweifel nur eine horizontale Erweiterung der Organisation, keine Änderung der vertikalen Leitungsstrukturen innerhalb der bestehenden Organisation erfolgen. Erkennbar wird dies beispielsweise daran, dass die für die vorgenannten Fragen maßgeblichen Positionen im aufnehmenden Betrieb auch nach dem Zusammenschluss identisch besetzt sind.
2.7
Umgekehrt spricht für eine Änderung der bestehenden Organisation, wenn der Zusammenschluss in fachbezogen identischen Bereichen erfolgt. Denn hier muss – bezogen auf beide Einheiten – in der Regel auch innerhalb der einzelnen Bereiche eine integrationsbedingte Änderung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten einzelner Mitarbeiter veranlasst werden. Selbst wenn die allgemeine Personalplanung und die Befugnis zur Entscheidung über Einstellungen und Entlassungen bei einer bestimmten Stelle verbleiben, sind damit in der Regel Änderungen bei der Befugnis zur Entscheidung über die künftige Personaleinsatzplanung, etwaige Versetzungen, Beginn und Ende der Arbeitszeit einschließlich der Lage der Pausen
2.8
1 WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 52; Mückl/Götte, DB 2017, 966, 969 f.
Gaul | 9
§ 2 Rz. 2.8 | Umstrukturierungen auf Betriebsebene
und Vergütungsstrukturen, die aufeinander abgestimmt werden müssen, verbunden. Das gilt insbesondere für den Fall des Zusammenschlusses einzelner Abteilungen oder Teams. Für eine Änderung der bestehenden Organisation spricht auch der Umstand, dass die in Rede stehende Einheit in der Vergangenheit als Teil eines Betriebs geführt und vor der Übertragung herausgelöst wurde. In der Regel dürfte die betriebsteilbezogene Organisation nicht so eigenständig sein, dass sie auch nach der Aufnahme einer beim übernehmenden Rechtsträger bereits bestehenden Einheit fortbesteht.
2.9
Völlig unerheblich für die Kennzeichnung eines Zusammenschlusses durch Eingliederung ist, ob in der aufnehmenden Einheit ein Betriebsrat gewählt wurde1. Nicht dort, wo in der Vergangenheit ein Betriebsrat bestand, ist auch in der Zukunft stets ein Betrieb. Vielmehr richtet sich die Frage der Bildung bzw. des Fortbestands des Betriebsrats danach, ob ein Betrieb (fort-)besteht (vgl. Rz. 24.4).
2.10
Hinsichtlich der quantitativen Bewertung ist davon auszugehen, dass es sich bei dem aufnehmenden Betrieb im Zweifel um den nach der Zahl der Arbeitnehmer größeren Betrieb handelt, wobei man als grobe Richtschnur von einem Zahlenverhältnis von 60 % (Mitarbeiter des aufnehmenden Betriebs) zu 40 % (Mitarbeiter des angegliederten Betriebs) ausgehen kann. Gehen die Zahlen stärker auseinander, spricht dies erst recht für eine Eingliederung2. Liegen die Beschäftigtenzahlen enger beieinander, wird man eher von der Neugründung eines Betriebs durch den Zusammenschluss ausgehen können3. Besonderheiten können sich vor allem beim Einsatz von Teilzeitbeschäftigten und/oder Job-Sharing ergeben.
2.11
Die Verlegung eines Betriebs oder Betriebsteils in die räumliche Nähe eines anderen Betriebs genügt nicht, um von einem Zusammenschluss auszugehen (vgl. Rz. 24.41, 25.99). Unabhängig davon, ob eine kündigungs- oder betriebsverfassungsrechtliche Betrachtungsweise in Rede steht, bedarf es einer übergreifenden Steuerung. Unterschiede bestehen allerdings in Bezug auf die Anforderungen, die an die Intensität dieser Steuerungsstrukturen zu knüpfen sind.
II. Neugründung eines Betriebs durch Zusammenschluss 2.12
Der Zusammenschluss von Betrieben und Betriebsteilen kann wegen des damit verbundenen Eingriffs in die Organisationsstrukturen beider Einheiten auch zur Gründung eines neuen Betriebs führen. Hiervon ist auch unter Berücksichtigung von Besonderheiten im Kündigungs(Rz. 15.16) und – wegen der Einbeziehung organisatorischer Einheiten i.S.d. § 3 Abs. 5 BetrVG und/oder räumlicher Veränderungen – im Betriebsverfassungsrecht (Rz. 25.133) vor allem dann auszugehen, wenn die mit der Integration verbundenen Maßnahmen mit erheblichen Veränderungen in Bezug auf die Leitungsstrukturen verbunden sind, mit deren Hilfe die wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten gesteuert werden. Dies ist nicht nur 1 A.A. Trittin, AiB 1998, 545, 547; Brinkmann, Spaltung von Rechtsträgern, S. 181 ff., die den Fortbestand der Betriebsvereinbarung vom Fortbestand des Betriebsrats abhängig machen. 2 So geht das BAG im Beschluss v. 25.9.1996 – 1 ABR 25/96, NZA 1997, 668 davon aus, dass der Zusammenschluss eines Betriebs mit 90–100 Arbeitnehmern und eines anderen Betriebs mit etwa 800 Arbeitnehmern als Eingliederung zu qualifizieren ist. Auch WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 51, geht davon aus, dass bei dem Zusammenschluss einer Verwaltung mit 100 Mitarbeitern und einer Produktion mit 600 Mitarbeitern von einer Eingliederung ausgegangen werden kann. 3 Abw. LAG Düsseldorf v. 22.1.1997 – 12 Sa 1368/96 n.v., das sogar beim Zusammenschluss von zwei Betrieben mit jeweils 560 und 900 Arbeitnehmern von der Neugründung eines Betriebs ausgegangen ist.
10 | Gaul
Allgemeine Kennzeichnung der Spaltung eines Betriebs | Rz. 2.15 § 2
dann der Fall, wenn die Personalleitung neu konzipiert wird. Man wird hiervon auch dann ausgehen können, wenn die fachbezogene Personaleinsatzplanung übergreifend mit einer Veränderung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten verbunden ist. In der Regel ist dies der Fall, wenn nicht nur zwei, sondern drei und mehr Betriebe und Betriebsteile zu einer Einheit zusammengeschlossen werden. Insoweit kann auch an den Kriterien angeknüpft werden, die zur grundlegenden Änderung der Betriebsorganisation i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG entwickelt wurden (vgl. Rz. 25.159). In diesem Fall besteht keiner der beteiligten Betriebe in seiner bisherigen Identität fort. Ein neuer Betrieb tritt an die Stelle der bisherigen Betriebe oder Betriebsteile1. Zum Teil wird deshalb auch von der „Verschmelzung von Betrieben“ gesprochen2.
III. Zusammenschluss durch Gründung eines gemeinsamen Betriebs Der Zusammenschluss von Betrieben oder Betriebsteilen kann auch zur Bildung eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen (Rechtsträger) führen. Das ist dann der Fall, wenn die Betriebe oder Betriebsteile vor ihrem Zusammenschluss mindestens zwei verschiedenen Unternehmen zugeordnet waren und diese Zuordnung auch nach dem Zusammenschluss auf der betrieblichen Ebene verbleibt.
2.13
Lässt man an dieser Stelle einmal offen, welche Voraussetzungen für die Bildung eines gemeinsamen Betriebs erfüllt sein müssen (vgl. Rz. 7.17)3, kann auch die Gründung eines gemeinsamen Betriebs durch den Zusammenschluss von zwei Betrieben oder Betriebsteilen in zwei verschiedenen Formen erfolgen: Einerseits kann darin die Eingliederung eines Betriebs oder Betriebsteils eines Unternehmens in den in seiner Identität fortbestehenden Betrieb eines anderen Unternehmens zu sehen sein. Andererseits kann der Zusammenschluss mehrerer Betriebe oder Betriebsteile mehrerer Unternehmen auch zur Folge haben, dass die neue Einheit – der gemeinsame Betrieb dieser Unternehmen – als Neugründung eines Betriebs zu qualifizieren ist, weil keine Identität mit der bei einer der beteiligten Unternehmen zuvor bestehenden Betriebe gegeben ist. Insoweit finden also die gleichen Kriterien Anwendung, wie dies bei unternehmensinternen Umstrukturierungen der Fall ist.
2.14
C. Allgemeine Kennzeichnung der Spaltung eines Betriebs Auch der Begriff der Spaltung findet in unterschiedlichem Zusammenhang Anwendung, ohne dass Voraussetzungen und Rechtsfolgen der damit verbundenen Maßnahmen einheitlich bestimmt werden. Beispielhaft sei nur auf die Realteilung von Personengesellschaften, die Spaltung eines Betriebs i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG oder die Betriebsaufspaltung hingewiesen, die arbeitsrechtlich, handelsrechtlich, umwandlungsrechtlich und steuerrechtlich mit zum Teil unterschiedlichen Voraussetzungen verknüpft werden. So bezieht der Begriff der Betriebsaufspaltung aus steuerlicher Sicht Vorgänge ein, bei denen der Betrieb im arbeitsrechtlichen Sinne völlig unberührt bleibt. Vergleichbar umstritten ist, ob der Begriff der Unternehmensspaltung i.S.d. § 106 Abs. 3 BetrVG nur die Spaltung nach § 123 UmwG erfasst, oder ob auch
1 Trittin, AiB 1998, 545, 547 ff.; Richardi/Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 97. 2 So Henssler, NZA 1994, 913, 918; Junker in Hanau/Schaub, Arbeitsrecht 1997, S. 87, 99; MüllerEhlen, Übergang von Arbeitsverhältnissen, S. 134. 3 Vgl. HWK/B. Gaul, § 1 BetrVG Rz. 6 f.; HWK/Quecke, § 1 KSchG Rz. 11.
Gaul | 11
2.15
§ 2 Rz. 2.15 | Umstrukturierungen auf Betriebsebene
sonstige Übertragungsvorgänge, insbesondere also solche im Wege der Einzelrechtsnachfolge einbezogen werden (vgl. Rz. 25.27). Gleiches dürfte für § 28 Abs. 2 Nr. 8 SEBG gelten.
2.16
Objekt der Betriebsspaltung in dem hier verstandenen Sinne ist der Betrieb im arbeitsrechtlichen Sinne. Geht man zunächst einmal von der „Grundform“ der Betriebsspaltung aus, also der Teilung des einem einzigen Rechtsträger (Unternehmen) zugeordneten Betriebs, hat ein solcher Vorgang zur Konsequenz, dass der diesem Rechtsträger zugeordnete Betrieb als organisatorische Zusammenfassung von Arbeitnehmern und Betriebsmitteln zur Verfolgung eines oder mehrerer arbeitstechnischer Zweckbestimmungen dergestalt verändert wird, dass ein Teil dieser Einheit zukünftig (separat) – also außerhalb des bisherigen Betriebs – geführt wird. Im Gegensatz zum Zusammenschluss, der zu einer übergreifenden Organisationsstruktur bislang eigenständiger Einheiten führt, kommt es bei der Spaltung eines Betriebs also zur Herauslösung einzelner Teile.
2.17
Ohne Rücksicht auf die unterschiedliche Kennzeichnung des Betriebs in Bezug auf die jeweils in Rede stehende Fragestellung lassen sich allerdings auch in Bezug auf die Spaltung zwei verschiedene Grundmuster unterscheiden. Die Spaltung eines Betriebs kann in Form einer Abspaltung oder Ausgliederung eines Teils vollzogen werden, nach der der Betrieb im Übrigen in seiner bisherigen Identität neben dem Teil, der herausgelöst (abgespalten) wurde, fortbesteht. Im Kern ist diese Form der Umstrukturierung das Gegenstück zum Zusammenschluss durch Aufnahme. Denkbar ist aber auch, dass die Spaltung zu einer Auflösung des Betriebs führt. In diesem Fall besteht keine Identität zwischen dem ursprünglichen Betrieb und den Einheiten, die die neu entstehen. Diese Form der Spaltung stellt das Gegenstück zum Zusammenschluss durch Neugründung eines Betriebs dar.
2.18
Besonderheiten ergeben sich auch bei der Spaltung des gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen. Hier sind zwar mehrere Rechtsträger beteiligt, gleichwohl erfolgt an sich keine Übertragung von Vermögen auf einen der beteiligten Rechtsträger (vgl. Rz. 7.5); die Veränderungen beschränken sich auf die bislang einheitliche Leitung der durch die beteiligten Rechtsträger eingebrachten Betriebe oder Betriebsteile (vgl. Rz. 7.12).
I. Die Abspaltung oder Ausgliederung eines Betriebsteils 2.19
Die Spaltung eines Betriebs durch eine Abspaltung oder Ausgliederung ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Teil des bisherigen Betriebs herausgelöst und als neue Einheit selbstständig fortgeführt wird, der Betrieb im Übrigen aber fortbesteht. Welche Kriterien für die Selbstständigkeit des abgespaltenen oder ausgegliederten Teils erfüllt werden müssen, hängt dann jeweils von den Anforderungen an den normspezifischen Begriff des Betriebs oder selbständigen Betriebsteils ab, die noch im Einzelnen zu erörtern sind. Bei der grundsätzlichen Kennzeichnung soll unterstellt werden, dass die neu entstehenden Einheiten nach Maßgabe der jeweils in Rede stehenden Vorschriften als selbstständiger Betrieb oder Betriebsteil zu qualifizieren sind. Dabei sollen solche Formen der Betriebsspaltung nachfolgend als „betriebliche Abspaltung“ oder „betriebliche Ausgliederung“ oder „Ausgliederung“ bzw. „Abspaltung eines Betriebsteils“ bezeichnet werden.
2.20
Die Bezugnahme auf den Betrieb als Objekt der Umstrukturierung unterscheidet diese Form der Restrukturierung von der Spaltung eines Unternehmens, die auch in Form einer Abspaltung oder Ausgliederung nach § 123 Abs. 2, 3 UmwG erfolgen kann (vgl. Rz. 3.48 ff.).
12 | Gaul
Abgrenzung der Veränderungen auf Betriebs- und Unternehmensebene | Rz. 2.26 § 2
II. Die Auflösung eines Betriebs Denkbar ist allerdings auch, dass die Teilung des bisherigen Betriebs nicht nur mit der Entstehung neuer betrieblicher Einheiten, sondern auch mit der vollständigen Auflösung der bisherigen Einheit verbunden ist. Wann eine solche Form der Spaltung gegeben ist, muss mit Blick auf die maßgeblichen Vorschriften, insbesondere BetrVG und KSchG, überprüft werden. Einzelheiten können hier offen bleiben.
2.21
Zum Zwecke der Unterscheidung dieser Form der Betriebsspaltung soll nachfolgend indes der Begriff der „Auflösung eines Betriebs“ verwendet werden. Vergleichbar mit der Aufspaltung i.S.d. § 123 Abs. 1 UmwG, die die vollständige Übertragung des Vermögens eines Rechtsträgers auf andere Rechtsträger bei Auflösung des übertragenden Rechtsträgers betrifft (vgl. Rz. 3.54), soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass das Objekt der Spaltung untergeht und durch zwei oder mehr neue selbstständige Einheiten ersetzt wird, innerhalb derer die bislang ausgeübten arbeitstechnischen Zweckbestimmungen weiter verfolgt werden.
2.22
III. Die Spaltung des gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen Die Spaltung eines Betriebs kann auch den gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen (Rechtsträger) betreffen.
2.23
Bei der Ausgliederung oder Abspaltung eines Betriebsteils besteht der bisherige Betrieb fort. Sind an einem Betrieb mehrere Unternehmen beteiligt, kann der Betrieb trotz der Herauslösung des einem Rechtsträger zuzuordnenden Teils als gemeinsamer Betrieb der verbleibenden Rechtsträger fortbestehen. Entsprechendes gilt dann, wenn einer der an einem gemeinsamen Betrieb beteiligten Rechtsträger nur einen Teil herauslöst und eigenständig fortführt, den übrigen Teil aber innerhalb des gemeinsamen Betriebs belässt.
2.24
Nur wenn alle Teile, die durch verschiedene Rechtsträger in Form eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen verbunden wurden, aus dem gemeinsamen Betrieb herausgelöst werden und durch die jeweils beteiligten Rechtsträger getrennt fortgeführt werden, wird der gemeinsame Betrieb beendet. Ob darin dann die „Ausgliederung eines Betriebsteils“ oder eine „Auflösung des gemeinsamen Betriebs“ gesehen werden kann, hängt davon ab, ob der bei einem der bis dahin beteiligten Rechtsträger verbleibende Teil des bisherigen Gemeinschaftsbetriebs noch als fortbestehender Restbetrieb angesehen werden kann oder ob die den beteiligten Rechtsträgern jetzt jeweils getrennt zugeordneten Teile sich gegenüber dem bisherigen gemeinsamen Betrieb so stark unterscheiden, dass jeweils von der Entstehung neuer Einheiten ausgegangen werden muss. In erstgenannter Variante liegt eine Abspaltung oder Ausgliederung vor. Bei der zweiten Variante ist von einer Auflösung auszugehen.
2.25
D. Abgrenzung der Veränderungen auf Betriebs- und Unternehmensebene I. Abgrenzung der Verschmelzung vom Zusammenschluss der Betriebe Die umwandlungsrechtliche Verschmelzung von Unternehmen (vgl. Rz. 3.9 ff.) ist aus sich heraus nicht mit Veränderungen auf der betrieblichen Ebene verknüpft. Ob und inwieweit parallel zu dieser unternehmensbezogenen Umstrukturierung auch Veränderungen auf betrieblicher Ebene erfolgen, muss nach Maßgabe der für betriebsbezogene Maßnahmen geltenden Kriterien gesondert entschieden und umgesetzt werden.
Gaul | 13
2.26
§ 2 Rz. 2.27 | Umstrukturierungen auf Betriebsebene
II. Abgrenzung von Betriebs- und Unternehmensspaltung 2.27
Die Unternehmensspaltung unterscheidet sich von der Betriebsspaltung dadurch, dass das Vermögen eines Unternehmens – in den Worten des UmwG: Rechtsträgers – verteilt, also auf andere Unternehmen bzw. Rechtsträger übertragen wird. Nur wenn das Vermögen im Anschluss an den Übertragungsvorgang jedenfalls zum Teil auch einem anderen Rechtsträger zugeordnet wird, kann von einer für die Spaltung erforderlichen Teilung des Vermögens gesprochen werden. Entscheidend dabei ist allerdings, dass der übernehmende Rechtsträger mit dem Wirksamwerden des Übertragungsvorgangs die Nutzungsbefugnis über das Vermögen erlangt hat. Eigentum braucht mit dem Übertragungsvorgang, wie an anderer Stelle noch eingehend ausgeführt werden wird, nicht vermittelt werden.
2.28
Von der voranstehenden Kennzeichnung ausgehend, ist die Unternehmensspaltung in dem hier verstandenen Sinne nicht auf die Übertragung von Vermögen im Wege der Spaltung nach § 123 UmwG begrenzt. Vielmehr werden auch sonstige Übertragungsvorgänge einbezogen, die im Wege der Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge abgewickelt werden. Hierzu kann z.B. auch der Verkauf einzelner Betriebsmittel eines Unternehmens (asset deal) oder die Realoder Naturalteilung des einer Personen(-handels-)gesellschaft zugeordneten Vermögens gehören. Welche grundlegenden Unterschiede mit den einzelnen Übertragungsvorgängen außerhalb der arbeitsrechtlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen verbunden sind, soll nachfolgend gesondert behandelt werden (vgl. § 3).
2.29
Unerheblich für die Kennzeichnung als Unternehmensspaltung ist, in welcher Form die zwischen den beteiligten Rechtsträgern bestehenden Rechtsbeziehungen ausgestaltet sind. Insoweit wird die Übertragung an Dritte ebenso wie die Übertragung auf ein Konzernunternehmen erfasst.
2.30
Das Vorliegen einer Unternehmensspaltung hängt nicht davon ab, dass das von der Übertragung betroffene Vermögen in Form eines Betriebs oder Betriebsteils organisiert ist. Dies hat, mit unterschiedlichen Voraussetzungen, im Zweifel aber Bedeutung für die arbeits- und steuerrechtlichen Konsequenzen solcher Übertragungsvorgänge. Versteht man die Unternehmensspaltung als schlichte Teilung des einem Unternehmen (Rechtsträger) zugeordneten Vermögens, wird deutlich, dass der dahinter stehende Übertragungsvorgang nicht zwangsläufig mit der Spaltung eines Betriebs verbunden ist. Er kann auch einen Betrieb in seiner Gesamtheit betreffen. In diesem Fall besteht der Betrieb im Anschluss an den Übertragungsvorgang beim übernehmenden Rechtsträger fort.
2.31
Denkbar ist, dass nur ein Teil eines Betriebs des übertragenden Rechtsträgers übertragen wird. Dabei sind zwei Fallgestaltungen denkbar:
2.32
Zunächst einmal können die beteiligten Rechtsträger übereinkommen, dass der Betrieb trotz der Übertragung eines Teils des diesem Betrieb zugeordneten Vermögens auf einen anderen Rechtsträger auch nach dem Übertragungsvorgang in seiner bisherigen Form fortgeführt wird. In diesem Fall besteht der Betrieb, allerdings als gemeinsamer Betrieb der beteiligten Rechtsträger, fort. Werden mehrere Teile des Betriebs des übertragenden Rechtsträgers auf verschiedene Unternehmen übertragen, die sich allerdings gleichwohl auf die Fortsetzung der bisherigen Einheit als gemeinsamer Betrieb verständigen, gilt Entsprechendes. Ein abweichendes Bild tritt dann ein, wenn der oder die übernehmenden Rechtsträger den übernommenen Betriebsteil losgelöst von der beim übertragenden Rechtsträger bestehenden Einheit als eigenständige Einheit fortführen. In diesem Fall wird die Unternehmensspaltung mit der Spaltung des Betriebs verknüpft. 14 | Gaul
Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen | § 3
Ob der übernehmende Rechtsträger den übernommenen Betriebsteil eigenständig fortführt oder mit einer dort bereits bestehenden Einheit zusammenschließt, spielt für die Kennzeichnung der Spaltung, die sich allein nach den Rechtsfolgen für die abgebende Einheit bestimmt, keine Rolle. Bedeutung hat eine solche Maßnahme des übernehmenden Rechtsträgers aber vor allem für die betriebsverfassungsrechtliche und die kündigungsschutzrechtliche Situation der Arbeitnehmer, die in der übertragenen Einheit beschäftigt sind. Denn diese Einheit ist von dem Zusammenschluss beim übernehmenden Rechtsträger betroffen. Hier muss wiederum zwischen einer Eingliederung in einen bestehenden Betrieb und der Neugründung eines Betriebs unterschieden werden (vgl. Rz. 15.15; Rz. 25.132; Rz. 24.14 ff.).
§3 Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen
A. Strukturen von Vermögensübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . II. Übertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Verschmelzung nach § 2 UmwG I. Allgemeines und Arten der Verschmelzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ablaufplan einer Verschmelzung . . . III. Der Verschmelzungsvertrag . . . . . . . IV. Der Verschmelzungsbericht . . . . . . . V. Die Prüfung der Verschmelzung . . . VI. Die Verschmelzungsbeschlüsse . . . . VII. Unterrichtung des Betriebsrates . . . VIII. Rechtsformabhängige Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Wirksamwerden 1. Anmeldung zum Handelsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eintragung im Handelsregister . 3. Wirkungen und Rechtsfolgen . . X. Verschmelzungen im Konzern . . . . . C. Spaltungen nach § 123 UmwG I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Arten der Spaltung . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abspaltung . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1 3.2 3.6
3.9 3.17 3.18 3.23 3.26 3.30 3.35
III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X. XI. XII. D.
3.36
I. II.
3.37 3.40 3.42 3.45
III.
3.48 3.53 3.54 3.55
II.
E. I.
F. I.
3. Ausgliederung . . . . . . . . . . . . . . 3.56 4. Quotenverschiebende und nicht-verhältniswahrende Spaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . 3.58 Gegenstand der Spaltung . . . . . . . . . 3.62 Ablaufplan einer Spaltung . . . . . . . . 3.64 Spaltungsvertrag und Spaltungsplan 3.65 Der Spaltungsbericht . . . . . . . . . . . . 3.71 Die Prüfung der Spaltung . . . . . . . . 3.74 Die Zustimmungsbeschlüsse . . . . . . 3.76 Unterrichtung des Betriebsrates . . . 3.77 Rechtsformabhängige Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.78 Wirksamwerden . . . . . . . . . . . . . . . . 3.79 Spaltungen im Konzern . . . . . . . . . . 3.80 Weitere Formen der Vermögensübertragung Die Anwachsung . . . . . . . . . . . . . . . 3.82 Die Einbringung in eine Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.86 Sonstige Formen der Vermögensübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.95 Abgrenzungen Abgrenzung zum Gesellschafteroder Inhaberwechsel . . . . . . . . . . . . 3.96 Abgrenzung zum Formwechsel bzw. der formwechselnden Umwandlung 3.98 Internationale Sachverhalte Einzelrechtsnachfolge . . . . . . . . . . . 3.105
Gaul und Bollacher | 15
2.33
Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen | § 3
Ob der übernehmende Rechtsträger den übernommenen Betriebsteil eigenständig fortführt oder mit einer dort bereits bestehenden Einheit zusammenschließt, spielt für die Kennzeichnung der Spaltung, die sich allein nach den Rechtsfolgen für die abgebende Einheit bestimmt, keine Rolle. Bedeutung hat eine solche Maßnahme des übernehmenden Rechtsträgers aber vor allem für die betriebsverfassungsrechtliche und die kündigungsschutzrechtliche Situation der Arbeitnehmer, die in der übertragenen Einheit beschäftigt sind. Denn diese Einheit ist von dem Zusammenschluss beim übernehmenden Rechtsträger betroffen. Hier muss wiederum zwischen einer Eingliederung in einen bestehenden Betrieb und der Neugründung eines Betriebs unterschieden werden (vgl. Rz. 15.15; Rz. 25.132; Rz. 24.14 ff.).
§3 Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen
A. Strukturen von Vermögensübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . II. Übertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Verschmelzung nach § 2 UmwG I. Allgemeines und Arten der Verschmelzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ablaufplan einer Verschmelzung . . . III. Der Verschmelzungsvertrag . . . . . . . IV. Der Verschmelzungsbericht . . . . . . . V. Die Prüfung der Verschmelzung . . . VI. Die Verschmelzungsbeschlüsse . . . . VII. Unterrichtung des Betriebsrates . . . VIII. Rechtsformabhängige Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Wirksamwerden 1. Anmeldung zum Handelsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eintragung im Handelsregister . 3. Wirkungen und Rechtsfolgen . . X. Verschmelzungen im Konzern . . . . . C. Spaltungen nach § 123 UmwG I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Arten der Spaltung . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abspaltung . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1 3.2 3.6
3.9 3.17 3.18 3.23 3.26 3.30 3.35
III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X. XI. XII. D.
3.36
I. II.
3.37 3.40 3.42 3.45
III.
3.48 3.53 3.54 3.55
II.
E. I.
F. I.
3. Ausgliederung . . . . . . . . . . . . . . 3.56 4. Quotenverschiebende und nicht-verhältniswahrende Spaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . 3.58 Gegenstand der Spaltung . . . . . . . . . 3.62 Ablaufplan einer Spaltung . . . . . . . . 3.64 Spaltungsvertrag und Spaltungsplan 3.65 Der Spaltungsbericht . . . . . . . . . . . . 3.71 Die Prüfung der Spaltung . . . . . . . . 3.74 Die Zustimmungsbeschlüsse . . . . . . 3.76 Unterrichtung des Betriebsrates . . . 3.77 Rechtsformabhängige Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.78 Wirksamwerden . . . . . . . . . . . . . . . . 3.79 Spaltungen im Konzern . . . . . . . . . . 3.80 Weitere Formen der Vermögensübertragung Die Anwachsung . . . . . . . . . . . . . . . 3.82 Die Einbringung in eine Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.86 Sonstige Formen der Vermögensübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.95 Abgrenzungen Abgrenzung zum Gesellschafteroder Inhaberwechsel . . . . . . . . . . . . 3.96 Abgrenzung zum Formwechsel bzw. der formwechselnden Umwandlung 3.98 Internationale Sachverhalte Einzelrechtsnachfolge . . . . . . . . . . . 3.105
Gaul und Bollacher | 15
2.33
§ 3 | Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen II. Gesamtrechtsnachfolge . . . . . . . . . . 3.106 III. Grenzüberschreitende Umwandlungen im Geltungsbereich der europäischen Niederlassungsfreiheit 1. Rechtliche Grundlagen . . . . . . . 3.108
2. Grenzüberschreitende Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . 3.112 3. Sonstige grenzüberschreitende Umwandlungen . . . . . . . . . . . . 3.115
Schrifttum: Aha, Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge bei der Ausgliederung, AG 1997, 354; Bayer, Haupt- und Gesellschafterversammlung vor Eintragung der AG und der GmbH in das Handelsregister, JZ 1952, 551; Bayer/Schmidt, Das Vale-Urteil des EuGH: Die endgültige Bestätigung der Niederlassungsfreiheit als „Formwahlfreiheit“, ZIP 2014, 148; Belling/Collas, Der Schutz der Arbeitnehmer vor den haftungsrechtlichen Folgen einer Betriebsaufspaltung NJW 1991, 1919; Berner/Klett, Die Aufteilung von Vertragsverhältnissen – Ein Beitrag zu mehr Rechtssicherheit bei umwandlungsrechtlichen Spaltungen, NZG 2008, 601; Beutel, Der neue rechtliche Rahmen grenzüberschreitender Verschmelzungen in der EU, München 2008 (zugl. Diss. 2008); Beuthien/Becker, Rechtsprobleme bei der Umwandlung der Produktivgenossenschaft des Handwerks, ZIP 1992, 83; Binnewies, Formelle und materielle Voraussetzungen von Umwandlungsbeschlüssen, GmbHR 1997, 727; Blechmann, Die Zuleitung des Umwandlungsvertrages an den Betriebsrat, NZA 2005, 1143; Blaschke, Die Bezeichnung von Grundstücken, unvermessenen Teilflächen und Rechten an Grundstücken im Spaltungs- und Übernahmevertrag, NZG 2016, 328; Blumers, Grundregeln für die Optimierung des Unternehmenskauf nach neuem Umwandlungs(-steuer)recht, DB 1995, 496; Bollacher, Keine Verletzung der Niederlassungsfreiheit durch nationale Beschränkungen des Wegzugs von Gesellschaften, RIW 2009, 150; Brehm/Schümmer, Grenzüberschreitende Umwandlungen nach der neuen Richtlinie über grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, NZG 2020, 539; Buchna, Ausgewählte Fragen zum Umwandlungsgesetz und Umwandlungssteuergesetz 1995, DStZ 1995, 449; Bungert/de Raet, Grenzüberschreitender Formwechsel in der EU, DB 2014, 761; Bungert/Lange, Übertragung von Grundstücken und Rechten an Grundstücken im Wege der Spaltung nach dem UmwG, DB 2010, 547; Drygala, Die Mauer bröckelt – Bemerkungen zur Bewegungsfreiheit deutscher Unternehmen in Europa, ZIP 2005, 1995; Drygala/van Bressendorf, Gegenwart und Zukunft grenzüberschreitender Verschmelzungen und Spaltungen, NZG 2016, 1161; Ege/Klett, Praxisfragen der grenzüberschreitenden Mobilität von Gesellschaften, DStR 2012, 2442; Engels/Müller/Mauß, Ausgewählte arbeitsrechtliche Probleme der Privatisierung – Aufgezeigt am Beispiel der Bahnstrukturreform, DB 1994, 473; Felix/ Strahl, Realteilung von Mitunternehmerschaften mit real-geteilten Mitunternehmeranteilen, BB 1996, 2221; Fink/Chilevych, Grenzüberschreitende Formwechsel nach und aus Deutschland – Vorauseilende Umsetzung der Änderungen der EU-Mobilitäts-Richtlinie, NZG 2020, 544; Fisch, Der Übergang ausländischen Vermögens bei Verschmelzungen und Spaltungen – Eine Analyse aus Sicht der Praxis, NZG 2016, 448; Flume, Die werdende juristische Person, in Festschrift für Ernst Gessler, 1970, S. 3; Förster, Grenzüberschreitende Umstrukturierungen, DStR 2020, 865; Gaul/Ludwig/Forst, Europäisches Mitbestimmungsrecht, 2015; Geck, Die Spaltung von Unternehmen nach dem neuen Umwandlungsrecht, DStR 1995, 416; Gottschalk, Zur Frage grenzüberschreitender Verschmelzungen und der Eintragungsfähigkeit in das nationale Handelsregister, EuZW 2006, 83; Goutier/Knopf/Tulloch, Kommentar zum Umwandlungsrecht: Umwandlungsgesetz – Umwandlungssteuergesetz, 1996; Grunewald/Winter, Die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften in Kölner Umweltrechtstage: Verschmelzung, Spaltung, Formwechsel nach neuem Umwandlungsrecht und Umwandlungssteuerrecht (Hrsg.: Marcus Lutter), S. 19; Habersack/Drinhausen, SE-Recht mit grenzüberschreitender Verschmelzung, 2. Aufl. 2016; Habersack/Wicke, UmwG, 2019; Heckschen, Die Entwicklung des Umwandlungsrechts aus Sicht der Rechtsprechung und Praxis, DB 1998, 1385; Heckschen, Grenzüberschreitender Formwechsel, ZIP 2015, 2049; Heckschen, Grenzüberschreitende Sitzverlegung und grenzüberschreitender Rechtsformwechsel, GWR 2020,449; Heidenhain, Duplik zu Neye, GmbHR 1995, 566; Heidenhain, Fehlerhafte Umsetzung der Spaltungsrichtlinie, EuZW 1995, 327; Heidenhain, Sonderrechtsnachfolge bei der Spaltung, ZIP 1995, 801; Heidenhain, Spaltungsvertrag und Spaltungsplan, NJW 1995, 2873; Heidtkamp, Die umwandlungsrechtliche Schlussbilanz – praxisrelevante Fragen, BZG 2013, 852; Heiss, Die Spaltung von Unternehmen im Deutschen Gesellschaftsrecht, Berlin 1995 (zugl. Diss. 1994); Henckel,
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Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen | § 3 Die Verschmelzungsprüfung als Schutzrecht der Anteilseigner; Henssler, Arbeitnehmerinformation bei Umwandlung und ihre Folgen im Gesellschaftsrecht, in Festschrift für Alfons Kraft, 1998, S. 219; Hermann/Heuer/Raupach, Loseblatt-Sammlung (Stand: 2020) zum EStG KStG; Herrler, Ermöglichung grenzüberschreitender Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften durch Änderung des Umwandlungsgesetzes, EuZW 2007, 295; Herrler, Gewährleistung des Wegzugs von Gesellschaften durch Art. 43, 48 EG nur in Form der Herausumwandlung, DNotZ 2009, 484; Hersch, Verschmelzung von Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit nach dem Umwandlungsgesetz, NZG 2016, 611; Hirte, Die Europäische Aktiengesellschaft – ein Überblick nach In-Kraft-Treten der deutschen Ausführungsgesetzgebung (Teil II), DStR 2005, 700; Hoffman-Becking, Das neue Verschmelzungsrecht in der Praxis, in Festschrift für Hans Joachim Fleck, 1988, S. 105; Hoger/Lieder, Die grenzüberschreitende Anwachsung, ZHR 180 (2016), 613; Hübner, Der grenzüberschreitende Formwechsel nach VALE – zur Satzungssitzverlegung von Luxemburg nach Deutschland, IPRax 2015, 134; IDW, WP-Handbuch, 17. Auflage 2020; Ihrig, Gläubigerschutz durch Kapitalaufbringung bei Verschmelzung und Spaltung nach neuem Umwandlungsrecht, GmbHR 1995, 622; Ising/Thiell, Der Übergang laufender Arbeitsverhältnisse nach dem Spaltungsgesetz, DB 1991, 2082; Jaensch, Der grenzüberschreitende Formwechsel vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH, EWS 2007, 97; Joost, Arbeitsrechtliche Angaben im Umwandlungsvertrag, ZIP 1995, 976; Kallmeyer, Umwandlungsgesetz, 7. Aufl. 2020; Kallmeyer, Der Einsatz von Spaltung und Formwechsel nach dem UmwG 1995 für die Zukunftssicherung von Familienunternehmen, DB 1996, 28; Kallmeyer, Das neue Umwandlungsgesetz, ZIP 1994, 1746; Kallmeyer/ Kappes, Grenzüberschreitende Verschmelzungen und Spaltungen nach SEVIC Systems und der EUVerschmelzungsrichtlinie, AG 2006, 224; Klein, Grenzüberschreitende Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften, RNotZ 2007, 565; Koppensteiner, Ausgliederungs- und Spaltungsgesetz, in Festschrift für Wolfgang Zöllner, 1998, S. 295; Kowallik/Merklein/Scheipers, Ertragssteuerliche Beurteilung der Anwachsung nach den Änderungen des UmwStG aufgrund des SEStEG, DStR 2008, 173; Kraft/Redenius-Hövermann, Umwandlungsrecht, 2015; Krause/Kulpa, Grenzüberschreitende Verschmelzungen, ZHR 171 (2007), 38; Krockenberger/Spiegl, Spaltung und Rahmenvertrag, NZG 2016, 1401; Kuntz, Internationales Umwandlungsrecht – zugleich eine Besprechung des Urteils „Sevis Systems“, IStR 2006, 224; Leible/Hoffman, Grenzüberschreitende Verschmelzungen im Binnenmarkt nach Sevic, RIW 2006, 161; Lennerz, Die internationale Verschmelzung und Spaltung unter Beteiligung deutscher Gesellschaften, 2010; Lieder/Scholz, Vinkulierte Forderungen und Gesellschaftsanteile in der umwandlungsrechtlichen Universalsukzession, ZIP 2015, 1705; Lutter, Umwandlungsgesetz, 6. Aufl. 2019; Maier/ Funke, Umwandlungsrechtliche und umwandlungssteuerrechtliche Aspekte einer mehrstufigen Kettenumwandlung, DStR 2015, 2703; Masing, Betriebliche Altersversorgung in der Unternehmensspaltung: der individuelle Schutz von unmittelbaren Versorgungszusagen in einer neuen Sukzessionsform, Berlin, Baden-Baden 1997 (zugl. Diss. Berlin 1995); Mayer, Erste Zweifelsfragen bei der Unternehmensspaltung, DB 1995, 861; Meilicke/Rabback, Die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Sevic und die Folgen für das deutsche Handels- und Steuerrecht, GmbHR 2006, 123; Melchior, Die Beteiligung von Betriebsräten an Umwandlungsvorgängen aus Sicht des Handelsregisters, GmbHR 1996, 833; Müller-Glöge, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 21. Aufl. 2020; Neye, Die Änderungen im Umwandlungsrecht nach den handels- und gesellschaftsrechtlichen Formgesetzen in der 13. Legislaturperiode, DB 1998, 1649; Neye, Nochmals: Entstehung vermögens- und subjektloser Kapitalgesellschaften, GmbHR 1995, 565; Oplustil/Schneider, Zur Stellung der Europäischen Aktiengesellschaft im Umwandlungsrecht, NZG 2003, 13; Orth, Umwandlung durch Anwachsung, DStR 1999, 1011 (Teil I) und 1053 (Teil II); Priester, Mitgliederwechsel im Umwandlungszeitpunkt – Die Identität des Gesellschafterkreises – ein zwingender Grundsatz?, DB 1997, 560; Prüm, Die grenzüberschreitende Spaltung, Konstanz 2006 (zugl. Diss. 2006); Quander, Betriebsinhaberwechsel bei Gesamtrechtsnachfolge; Rautenstrauch/Adrian, § 15a EStG bei Anwachsung auf eine Kapitalgesellschaft, DStR 2006, 359; Rawert, Anmeldepflichten beim Kommanditistenwechsel durch Spaltung, ZIP 2016, 1609; Rubner/Fischer, Möglichkeiten einer nicht-verhältniswahrenden Spaltung von Kapitalgesellschaften im Lichte des § 128 UmwG, NZG 2014, 761; Säcker (Hrsg.), Münchner Kommentar zum BGB, 2020; Sagasser/ Bula/Brünger, Umwandlungen, 5. Aufl. 2017; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 18. Aufl. 2019; Schmidt, EStG, 39. Aufl. 2020; Schmidt, Umwandlung von Vorgesellschaften? §§ 41 AktG, 11 GmbHG und umwandlungsrechtlicher Numerus clausus, in Festschrift für Wolfgang Zöllner, 1998, S. 521; K. Schmidt, Universalsukzession kraft Rechtsgeschäfts, AcP 191 (1991), 495; Schmitt/Hörtnagl, Umwandlungs-
Bollacher | 17
§ 3 Rz. 3.1 | Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen gesetz, Umwandlungssteuergesetz, 9. Aufl. 2020; Schön, Das System grenzüberschreitender Niederlassungsfreiheit nach VALE, ZGR 2013, 333; Schöne, Die Spaltung unter Beteiligung von GmbH gem. § 123 ff. UmwG, Grundlagen, Anteilsgewährung, Beschlußfassung, Informationspflichten, Köln 1998 (zugl. Habilitationsschrift Münster 1997/1998); Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2015; Schulze-Osterloh, Probleme einer Spaltung von Personengesellschaften, ZHR 149 (1985), 614; Schüren, Gleitzeitsysteme – Inhaltsschranken der „Zeitsouveränität“, AuR 1996, 381; Semler/Stengel, Umwandlungsgesetz: UmwG, 4. Aufl. 2017; Servatius, Der Anfang vom Ende der unechten Vorgesellschaft, NJW 2001, 1696; Soergel, BGB, 13. Aufl. 2011; Staudinger, Kommentar zum BGB, 17. Aufl. 2017; von Steinau-Steinrück, Haftungsrechtlicher Arbeitnehmerschutz bei der Betriebsaufspaltung, Berlin 1996 (zugl. Diss. Bonn 1993/ 1994); Thiel, Die Spaltung (Teilverschmelzung) im Umwandlungsgesetz und im Umwandlungssteuergesetz – neue Möglichkeiten zur erfolgsneutralen Umstrukturierung von Kapitalgesellschaften, DStR 1995, 237; Thiele/König, Die Anforderungen an die Bezeichnung der zu übertragenden Gegenstände des Aktiv- und Passivvermögens gem. § 126 I Nr. 9 UmwG, NZG 2015, 178; Thiermann, Grenzüberschreitende Verschmelzungen deutscher Gesellschaften, 2010; Trümner, Probleme beim Wechsel vom öffentlich-rechtlichen zum privatrechtlichen Arbeitgeber infolge Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, PersR 1993, 473; Veil, Aktuelle Probleme im Ausgliederungsrecht, ZIP 1998, 361; Vogt/Oltmanns, Die Anwachsung als Fall des Betriebsüberganges, NZA 2012, 1190; Weiler, Die „Spaltung zu Null“ als Mittel der Umstrukturierung von Unternehmen – Nicht-verhältniswahrende Spaltungen im Lichte der Anteilsgewährpflicht, NZG 2013, 1326; Wenglorz, Die grenzüberschreitende Heraus-Verschmelzung einer deutschen Kapitalgesellschaft: Und es geht doch!, BB 2004, 1061; Werner, Die Ausgliederung, in Festschrift für Karlheinz Quack, 1991, S. 519; Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Loseblattsammlung, Stand Oktober 2016; Wirth, Spaltung einer eingetragenen Genossenschaft: Aufspaltung, Abspaltung und Ausgliederung zur Aufnahme durch und zur Neugründung von Personenhandelsgesellschaften, Kapitalgesellschaften und Genossenschaften, Stuttgart u.a. 1998 (zugl. Diss. Jena 1997); Wittgens, Zur Frage des Prüfungsumfangs des gerichtlich bestellten sachverständigen Prüfers eines Unternehmensvertrages, BB 2007, 1070; Zöllner, Bemerkungen zu allgemeinen Fragen des Referentenentwurfs eines Umwandlungsgesetzes, ZGR 1993, 334.
A. Strukturen von Vermögensübertragung 3.1
Maßnahmen einer Restrukturierung von Unternehmen sind damit verbunden, dass das Vermögen eines Rechtsträgers ganz oder teilweise auf andere Rechtsträger übertragen wird. Nachstehend sollen die wichtigsten Möglichkeiten solcher Übertragungsvorgänge aufgezeigt werden. Da sich aus der Art der Übertragung Konsequenzen für die zivilrechtliche Gestaltung, den sachenrechtlichen Vollzug, die steuerliche Einordnung und die Anwendbarkeit einzelner Arbeitnehmerschutzvorschriften ergeben (z.B. § 613a BGB, §§ 134, 323 Abs. 1 UmwG, § 111 BetrVG), was gesondert auch unter dem Blickwinkel des Rechtsmissbrauchs behandelt werden soll, soll dabei zwischen Einzel- und Gesamtrechtsnachfolge unterschieden werden. Ob und inwieweit § 613a BGB auch auf konzerninterne Vermögensübertragungen oder – ggf. analog – die Bildung bzw. Auflösung eines gemeinsamen Betriebes anwendbar ist, wird gesondert behandelt (vgl. Rz. 7.1 ff.).
I. Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge 3.2
Bei der Einzelrechtsnachfolge werden die Vermögensgegenstände einzeln auf den Rechtsnachfolger übertragen. Rechtsgrund ist regelmäßig ein schuldrechtliches Verpflichtungsgeschäft, kann aber etwa im Falle des Rücktritts oder der ungerechtfertigten Bereicherung auch eine gesetzliche Bestimmung sein. Der klassische Fall ist dabei die Veräußerung von Vermögensgegenständen und Verbindlichkeiten (Asset Deal). Möglich ist daneben auch nur die Übertragung der Nutzungsmöglichkeiten der Vermögensgegenstände, etwa bei Vermietung, Verpach18 | Bollacher
Strukturen von Vermögensübertragung | Rz. 3.5 § 3
tung, Leasing oder Überlassung von Betriebsmitteln im Rahmen eines entgeltlichen Betriebsführungsvertrages. Die Übertragung erfolgt dabei in der Regel entgeltlich, insbesondere bei Nachfolgen in Familienunternehmen kann sie zu Lebzeiten im Wege der vorweggenommenen Erbfolge durch Schenkung oder bei Erfüllung eines Vermächtnisses nach dem Erbfall auch unentgeltlich erfolgen. Bei der Übertragung von Vermögen, Betrieben, Betriebsteilen und anderen Sachgesamtheiten muss in dem Verpflichtungsgeschäft nicht jeder einzelne, dieser Gesamtheit zugeordnete Vermögensgegenstand benannt werden. Es genügt, dass er ggf. durch Auslegung des Vertrages in bestimmbarer Weise der zu übertragenden Sachgesamtheit zugeordnet werden kann. In der Praxis hat sich durchgesetzt, zum einen auf dem Vertrag beigefügte Aufstellungen (z.B. Inventarlisten, Anlagenverzeichnisse, Lagepläne und räumliche Abgrenzungen etc.) zu verweisen und zum anderen mit Auffangklauseln, nach denen „auch alle sonstigen dem Betrieb zugewiesenen Vermögensgegenstände von der Übertragung erfasst sein sollen“, das „Vergessen“ einzelner Gegenstände zu vermeiden. Für den dinglichen Vollzug der Übertragung ist es erforderlich, für jeden einzelnen übertragenen Vermögensgegenstand die jeweiligen sachenrechtlichen Vorschriften einzuhalten. Körperliche Gegenstände sind nach den §§ 929 ff. BGB zu übergeben, Forderungen nach § 398 BGB abzutreten und bei Grundstücken hat die Eintragung gemäß § 873 BGB im Grundbuch zu erfolgen.1 Dies kann, etwa bei der Übernahme von Vertragsverhältnissen oder Verbindlichkeiten, die Zustimmung Dritter erforderlich machen. Kann diese Zustimmung nicht eingeholt werden oder ist sie mit (zu) hohen Leistungen an den Dritten verbunden, kann dies ein entscheidendes Argument sein, das gewünschte Unternehmen nicht durch Übernahme der einzelnen Vermögengegenstände im Wege der Einzelrechtsnachfolge, sondern durch Gesamtrechtsnachfolge oder mittelbar durch Übertragung seiner Anteile (Share Deal) zu erwerben. Nicht übertragene Vermögensgegenstände bleiben grundsätzlich beim bisherigen Inhaber. Arbeitsrechtlich gilt freilich § 613a BGB, wonach Arbeitsverhältnisse nach den dort genannten Voraussetzungen auch dann mit auf den Rechtsnachfolger übergehen, wenn sie (ausdrücklich) nicht mitübertragen werden sollen. Besonderheiten können mit Blick auf § 613a BGB dadurch begründet werden, dass anstelle oder neben der Übernahme der Betriebsmittel Personal eingestellt wird. Auch dieser Vorgang ist indes der Einzelrechtsnachfolge zuzuordnen.
3.3
In steuerlicher Hinsicht führt die entgeltliche Einzelrechtsnachfolge, wenn sie zu einem Erlös über den Buchwerten führt, grundsätzlich zu einem Veräußerungsgewinn und damit regelmäßig zur steuerpflichtigen Aufdeckung stiller Reserven. Besonderheiten bestehen bei der Einbringung gegen Gewährung von Anteilen, die gemäß § 20 UmwStG zu Buchwerten erfolgen kann (vgl. Rz. 3.85).
3.4
Sowohl der Abschluss des zugrunde liegenden schuldrechtlichen Vertrages als auch der Vollzug der Übertragungen im Wege der Einzelrechtsnachfolge sind grundsätzlich Aufgabe der Geschäftsleitung eines Unternehmens. Ob ein Beschluss der Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers für die Wirksamkeit einer Übertragung erforderlich ist, hängt von dem Gesellschaftsvertrag des handelnden Rechtsträgers ab. Allerdings sind hinsichtlich der Befugnisse der Hauptversammlung einer AG die Grundsätze der Holzmüller-Entscheidung des BGH vom 25.2.19822 zu berücksichtigen, wenn es sich bei dem zu übertragenden Betrieb bzw. Betriebsteil um einen zum satzungsmäßigen Kernbereich des Unternehmens gehörenden Betriebszweig handelt. Hiernach ist es Vorstand und Aufsichtsrat unabhängig von der satzungs-
3.5
1 Zum Nachweis der Rechtsnachfolge gegenüber dem Grundbuch vgl. OLG München v. 5.11.2015 – 34 Wx 331/15, NZG 2016, 150. 2 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 131 f.
Bollacher | 19
§ 3 Rz. 3.5 | Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen
rechtlichen Ausgestaltung verwehrt, ohne Beteiligung der Hauptversammlung über grundlegende Vermögensübertragungen zu entscheiden, auch wenn die Satzung das Handeln des Vorstands formal deckt. In der sog. Gelatine-Entscheidung konkretisierte der BGH diese Doktrin im Jahre 2004 dahingehend, dass in solchen Fällen aufgrund der Vergleichbarkeit des Eingriffes mit der Satzungsänderung mit einer Dreiviertel-Mehrheit des vertretenen Grundkapitals zu entscheiden sei.1 Die weitergehenden Anforderungen des UmwG, die auch für die Ausgliederung eine solche Mehrheit (§ 43 Abs. 2 Satz 2, § 135 Satz 1 UmwG) vorsehen, finden bei der Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge weder unmittelbar noch analog Anwendung.2
II. Übertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge 3.6
Bei der Gesamtrechtsnachfolge wird die Vermögensübertragung in einem einzigen Akt (uno actu) vollzogen.3 Ohne Rücksicht auf die Zusammensetzung des Vermögens sind besondere einzelne Vollzugsakte nicht erforderlich. Die jeweiligen sachenrechtlichen Vorschriften müssen für den dinglichen Vollzug nicht eingehalten werden und insbesondere Verträge oder Verbindlichkeiten werden ohne Mitwirkung Dritter wirksam übertragen. Auch etwa vertraglich vereinbarte Übertragungs- oder Abtretungsverbote stehen der Vermögensübertragung im Wege der Verschmelzung nicht entgegen.4 Nach der Übertragung sind das Grundbuch und vorhandene Registereinträge zu berichtigen. Soweit der Übertragungsvorgang etwa bei Spaltungen auf einen Teil des Vermögens eines Unternehmens begrenzt ist, wird auch von einer partiellen Gesamtrechtsnachfolge gesprochen.5
3.7
Die wichtigsten Formen der Gesamtrechtsnachfolge sind im Erbrecht und im Umwandlungsrecht geregelt und knüpfen an einen tatsächlichen Umstand (Erbfall, §§ 1922 ff. BGB), an eine einseitige Erklärung (z.B. Spaltungsplan gemäß § 136 UmwG) oder eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung (z.B. Verschmelzungsvertrag gemäß § 4 UmwG) an. Eine Gesamtrechtsnachfolge ist allerdings auch ohne spezifische gesetzliche Vorschrift möglich, bspw. bei der Vermögensübertragung durch Anwachsung. Entgegen anderer Aussagen sind deshalb weder alle Fälle der Gesamtrechtsnachfolge gesetzlich normiert,6 noch werden sie durch eine Nachfolge kraft Gesetzes charakterisiert.7
3.8
Für die arbeitsrechtlichen Aspekte der Restrukturierung ist Folgendes wichtig: Grundsätzlich führt die Übertragung von Vermögen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nicht aus sich heraus zu einer Änderung oder Übertragung eines Betriebes. Ob und inwieweit auf dieser Ebene Veränderungen vorgenommen werden, muss deshalb losgelöst von der (zivilrechtlichen) Übertragung des Vermögens entschieden werden (vgl. Rz. 2.1 ff.).
BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30, 45. A.A.: Veil, Aktuelle Probleme im Ausgliederungsrecht, ZIP 1998, 361, 368 f. K. Schmidt, Universalsukzession kraft Rechtsgeschäfts, AcP 191 (1991), 495, 501. BGH v. 22.9.2016 – VII ZR 298/14, DNotZ 2017, 52; Lieder/Scholz, Vinkulierte Forderungen und Gesellschaftsanteile, ZIP 2015, 1705. 5 Lutter/Teichmann, § 123 UmwG Rz. 4. 6 So aber: Engels/Müller/Mauß, Ausgewählte arbeitsrechtliche Probleme, DB 1994, 473, 474. 7 Vgl. MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 217; Engels/Müller/Mauß, DB 1994, 473, 474. 1 2 3 4
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Die Verschmelzung nach § 2 UmwG | Rz. 3.13 § 3
B. Die Verschmelzung nach § 2 UmwG I. Allgemeines und Arten der Verschmelzung Die Verschmelzung ist die Vereinigung des Vermögens des übertragenden Rechtsträgers auf den übernehmenden Rechtsträger bei gleichzeitiger liquidationsloser Auflösung des übertragenden Rechtsträgers.1 Sie ist in den §§ 2 ff. UmwG geregelt und dient als Grundtatbestand der im UmwG normierten, weiteren Umwandlungsarten. Die Regelungen zur Verschmelzung finden deshalb insbesondere auch bei Spaltungen Anwendung.
3.9
Abweichungen von den Regelungen des UmwG sind nach § 1 Abs. 3 UmwG nur statthaft, wenn sie ausdrücklich zugelassen sind. Das UmwG ist also grundsätzlich einer Parteidisposition nicht zugänglich. Auch ergänzende Bestimmungen in Verträgen, Satzungen, Statuten oder Willenserklärungen sind nur statthaft, wenn das UmwG keine abschließende Regelung enthält. Unabhängig davon bleibt ergänzend die Übertragung von Vermögen im Wege der Einzelrechtsnachfolge uneingeschränkt zulässig.
3.10
Der übertragende Rechtsträger erlischt und wird im Handelsregister gelöscht, ohne dass es einer Auflösung oder Liquidation bedarf. Dessen Anteilsinhaber erhalten dafür Anteile am übernehmenden Rechtsträger. Grundsätzlich sollen sich die Werte der neuen und der alten Beteiligung entsprechen,2 allerdings sind auch bare Zuzahlungen und – jedenfalls soweit alle Beteiligten zustimmen – quotenverschiebende Verschmelzungen möglich.3
3.11
Bei der Verschmelzung im Wege der Neugründung ist der übernehmende Rechtsträger eine neue Gesellschaft, die im Rahmen des Umwandlungsverfahrens gegründet wird. Es finden die rechtsformspezifischen Gründungsvorschriften Anwendung, umwandlungsrechtliche Besonderheiten gibt es dabei nur wenige. Der übertragende Rechtsträger gilt als Gründer der neuen Gesellschaft (§ 36 Abs. 2 Satz 2 UmwG). Eine Übernahme von Anteilen durch Dritte als weitere Gründer des neuen Rechtsträgers ist möglich.4 Vorschriften, die für die Gründung eine Mindestzahl der Gründer vorschreiben, sind nicht anzuwenden (§ 135 Abs. 2 UmwG).
3.12
Bei der Verschmelzung im Wege der Aufnahme ist der übertragende Rechtsträger bereits existent. Regelmäßig nimmt dieser eine Kapitalerhöhung vor, um die Pflicht zur Gewährung von Anteilen erfüllen zu können; zwingend ist dies allerdings nicht.5 Sollen mehrere Rechtsträger auf einen übernehmenden Rechtsträger verschmolzen werden, so kann dies entweder im Wege einer Einheitsverschmelzung oder durch getrennte Verschmelzung erfolgen. Mehrere Einzelverschmelzungen werden grundsätzlich unabhängig voneinander wirksam, können aber durch Vereinbarung entsprechender Bedingungen in einer bestimmten Reihenfolge miteinander verknüpft werden (sog. Kettenverschmelzungen)6.
3.13
1 Semler/Stengel/Stengel, § 2 UmwG Rz. 2. 2 Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG UmwStG, § 5 UmwG Rz. 7; Kallmeyer/Marsch-Barner, § 5 UmwG Rz. 7. 3 Semler/Stengel/Schröer, § 5 UmwG Rz. 31. 4 BGH v. 9.5.2005 – II ZR 29/03, AG 2005, 613 zum Formwechsel; Lutter/Grunewald, § 36 UmwG Rz. 15 m.w.N. 5 Lutter/Drygala, § 2 UmwG Rz. 26; KG Berlin v. 22.9.1998 – 1 W 4387/97, BB 1999, 16. 6 Kallmeyer/Marsch-Barner, § 2 UmwG Rz. 4; ausführlich zu Kettenverschmelzungen Maier/Funke, DStR 2015, 2703.
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§ 3 Rz. 3.14 | Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen
3.14
Beteiligte Rechtsträger einer Verschmelzung können gemäß § 3 Abs. 1 UmwG OHG, KG, PartG, GmbH, AG, KGaA, eG, eingetragene Vereine, genossenschaftliche Prüfverbände und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit1 und damit mit Ausnahme von Einzelpersonen2 und Gesellschaften bürgerlichen Rechts sämtliche gängigen inländischen Rechtsformen sein. Eine Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) kann allerdings wegen des Sacheinlageverbotes des § 5a Abs. 2 Satz 2 GmbHG dann nicht aufnehmender Rechtsträger sein, wenn umwandlungsbedingt eine (Sach-) Kapitalerhöhung erfolgen soll, die das Stammkapital nicht auf mindestens 25.000 Euro erhöht.3
3.15
Vom UmwG sind grundsätzlich nur Rechtformen mit Sitz im Inland erfasst, weshalb eine Beteiligung ausländischer Rechtsformen nicht möglich ist (vgl. aber Rz. 3.107 ff.). Auch die Societas Europea (SE) ist in § 3 UmwG nicht genannt. Vereinzelt wird vertreten, Art. 66 SE-VO, der eine Rückumwandlung durch Formwechsel nach einer Sperrzeit von zwei Jahren vorsieht, regele abschließend die Möglichkeiten der Umwandlung einer bestehenden SE.4 Dies überzeugt allerdings nicht. Art. 66 SE-VO regelt grundsätzlich nur den Formwechsel im Sinne der SE-VO und schließt andere Umwandlungen nach dem UmwG nicht aus.5 Deshalb gelten für eine SE mit Sitz im Inland gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c (ii) SE-VO die für eine inländische AG geltenden Vorschriften. Eine SE kann damit grundsätzlich wie eine AG sowohl übertragender als auch übernehmender Rechtsträger bei Umwandlungen nach dem UmwG sein.6 Da die SEVO die Möglichkeiten der Gründung einer SE allerdings abschließend regelt, kann die SE nicht neuer bzw. übernehmender Rechtsträger bei einer Umwandlung durch Neugründung sein.
3.16
Auch aufgelöste Rechtsträger können als übertragende Rechtsträger beteiligt sein, es sei denn, ihre Fortsetzung könnte – etwa wegen Überschuldung7 – nicht mehr beschlossen werden (§ 3 Abs. 3 UmwG)8 oder es wurde bereits mit der Verteilung des Vermögens an die Anteilsinhaber begonnen (entsprechend Art. 89 Abs. 2 Richtlinie 2017/1132/EU über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts).9 Eine Beteiligung aufgelöster oder insolventer Rechtsträger als übernehmende Rechtsträger ist dagegen wegen des klaren Wortlauts des § 3 Abs. 3 UmwG und der strengen Bindungswirkung des UmwG (§ 1 Abs. 3 UmwG) ausgeschlossen.10 Ein Verstoß gegen § 3 Abs. 3 UmwG wirkt sich allerdings nach Eintragung der Umwandlung in das Han-
1 Dazu Hersch, NZG 2016, 611. 2 Ausnahme ist die Übernahme des Vermögens einer Kapitalgesellschaft durch dessen Alleingesellschafter gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 2 UmwG. 3 BGH v. 19.4.2011 – II ZB 25/10, DNotZ 2011, 705; BGH v. 11.4.2011 – II ZB 9/10, NJW 2011, 1883 (Abspaltung), Lutter/Teichmann, § 124 UmwG Rz. 2. 4 Wohl Hirte, DStR 2005, 700, 704. 5 Semler/Stengel/Drinhausen, UmwG, Einleitung C Rz. 56 ff. 6 Semler/Stengel/Drinhausen, UmwG, Einleitung C Rz. 59, 6 ff.; Lutter/Drygala, § 3 UmwG Rz. 20; Oplustil/Schneider, Europäische Aktiengesellschaft, NZG 2003, 13; Haritz/Menner/Stengel, UmwStG, Einführung, A. Rz. 27. 7 Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG UmwStG, § 3 UmwG Rz. 49. 8 BayObLG v. 4.2.1998 – 3 ZBR 462/97, DB 1998, 715; KG Berlin v. 22.9.1998 – 1 W 2161/97, GmbHR 1999, 1232, 1233. 9 Lutter/Drygala, § 2 UmwG Rz. 26; Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG UmwStG, § 3 UmwG Rz. 47; OLG Naumburg v. 12.2.1997 – 10 Wx 1/97, GmbHR 1997, 1152, 1155. 10 OLG Brandenburg v. 27.1.2015 – 7 W 118/14, NZG 2015, 884; Semler/Stengel/Schröer, § 3 UmwG Rz. 46.
22 | Bollacher
Die Verschmelzung nach § 2 UmwG | Rz. 3.19 § 3
delsregister gemäß § 20 Abs. 2 UmwG nicht mehr aus, da er nicht so schwerwiegend ist, dass die Rechtsgrundlage für die Umwandlung entfällt.1
II. Ablaufplan einer Verschmelzung 3.17
1. Vorbereitungen & Erstellung (und ggf. Feststellung) der Schlussbilanz der übertragenden Rechtsträger (§ 17
Abs. 2 UmwG) & Unternehmensbewertung zur Festlegung des Umtauschverhältnisses & (ggf.) Anmeldung des Vorhabens bei den deutschen oder europäischen Kartellbehörden
2. Verschmelzungsvertrag & Erstellung/Entwurf Verschmelzungsvertrag (Inhalt nach § 5 UmwG) & Erstellung Verschmelzungsbericht (§ 8 UmwG) & Verschmelzungsprüfung (rechtformabhängig, §§ 9, 39 ff. UmwG) & Zuleitung Verschmelzungsvertrag/Entwurf an den Betriebsrat (§ 5 Abs. 3 UmwG) & Notarielle Beurkundung des Verschmelzungsvertrages (§ 6 UmwG)
3. Zustimmung der Anteilsinhaber (Verschmelzungsbeschlüsse, § 13 UmwG) & Zustimmung der Anteilsinhaber aller übertragenden Rechtsträger & Zustimmung der Anteilsinhaber aller übernehmenden Rechtsträger
4. Vollzugs der Verschmelzung (§§ 16 ff. UmwG) & Anmeldung zum Handelsregister aller übertragenden Rechtsträger & Anmeldung zum Handelsregister aller übernehmenden Rechtsträger & Eintragung im Handelsregister aller übertragenden Rechtsträger & Eintragung im Handelsregister aller übernehmenden Rechtsträger
Abbildung: Ablaufplan einer Verschmelzung
III. Der Verschmelzungsvertrag Der Verschmelzungsvertrag wird durch die vertretungsberechtigten Organe der beteiligten Rechtsträger geschlossen. Beim Vertragsschluss sind die allgemeinen Regelungen zu beachten und insbesondere bei einer Mehrfachvertretung die Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB einzuholen sowie etwaige Zustimmungen des Aufsichtsrats (vgl. § 11 Abs. 4 Satz 2 AktG, § 52 Abs. 1 GmbHG) einzuhalten. Der Verschmelzungsvertrag ist gemäß § 6 UmwG formbedürftig und notariell zu beurkunden und wird gemäß § 13 Abs. 1 UmwG nur wirksam, wenn sämtliche erforderlichen Verschmelzungsbeschlüsse vorliegen.
3.18
Seiner Rechtsnatur nach ist der Verschmelzungsvertrag in erster Linie ein körperschaftlicher Organisationsakt.2 Daneben begründet er schuldrechtliche Verpflichtungen und ist insoweit gegenseitiger Vertrag gemäß § 320 BGB. Er kann auch ein Vertrag zugunsten Dritter gemäß
3.19
1 BGH v. 29.6.2001 – V ZR 186/00, ZIP 2001, 2006, 2008. 2 Mayer in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 4 Rz. 21 ff.; Lutter/Drygala, § 4 UmwG Rz. 4 f.
Bollacher | 23
§ 3 Rz. 3.19 | Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen
§ 328 Abs. 1 BGB sein,1 etwa soweit die Anteilsinhaber der übertragenen Rechtsträger durch den Anspruch auf Anteilsgewährung an dem übernehmenden Rechtsträger oder durch etwaige Regelungen zu baren Zuzahlungen oder Abfindungen begünstigt werden oder soweit Arbeitnehmern gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 UmwG2 Informationsrechte gewährt werden. Gleichwohl haben weder die beteiligten Anteilsinhaber noch die Arbeitnehmer einen eigenen Anspruch gegen die beteiligten Rechtsträger auf Erfüllung des Verschmelzungsvertrags.3
3.20
Der Inhalt des Verschmelzungsvertrags bestimmt sich zunächst gemäß § 5 Abs. 1 UmwG, der verschiedene Mindestanforderungen bestimmt. Neben den Angaben zu den beteiligten Rechtsträgern und der Vereinbarung zur Gewährung von Anteilen sind dies insbesondere das Umtauschverhältnis, die Einzelheiten der Anteilsübertragungen, der Zeitpunkt der Gewinnbeteiligung, der Verschmelzungsstichtag, die einzelnen Anteilsinhabern gewährten Vorteile oder Sonderrechte sowie die Folgen der Verschmelzung für die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen. Bei einer Verschmelzung zur Neugründung muss der Vertrag ferner den Gesellschaftsvertrag des neuen Rechtsträgers enthalten (§ 37 UmwG). Darüber hinaus können in dem Verschmelzungsvertrag weitere schuldrechtliche Vereinbarungen getroffen werden. In der Praxis finden sich neben die gesamte Umwandlung beschreibenden Vorbemerkungen regelmäßig Bestimmungen zur künftigen Firmierung, zu den Kosten der Verschmelzung, zu Sonderrechten Einzelner (v.a. im Hinblick auf die Bestellung von Geschäftsführern und Vorstandsmitgliedern), zu besonderen Verpflichtungen der übernehmenden Rechtsträger (v.a. bzgl. der Wahrung von Besitz-/Bestandsschutz gegenüber Arbeitnehmer sowie Vertriebs- und Vertragspartnern) sowie zu Kündigungsmöglichkeiten und Vorbehaltsrechten. Ggf. sind zudem weitere rechtsformspezifische Besonderheiten zu beachten (vgl. §§ 40, 46, 80, 110, 122c UmwG).
3.21
Der Verschmelzungsvertrag kann (auflösende oder aufschiebende) Bedingungen,4 Befristungen oder Rücktrittsrechte enthalten. Sämtliche dieser Vorbehalte gegen die Wirksamkeit des Verschmelzungsvertrages können aber längstens bis zur Eintragung der Verschmelzung im Register des übertragenden Rechtsträgers geltend gemacht bzw. ausgeübt werden, weil dieser Eintragung insoweit Bestandschutz zukommt und eine eingetragene Verschmelzung nicht rückabgewickelt werden kann.5
3.22
Eine inhaltliche Änderung oder eine Aufhebung bzw. Beendigung des Verschmelzungsvertrags ist grundsätzlich einvernehmlich möglich. Liegt bereits ein Verschmelzungsbeschluss vor, bedürfen Aufhebung und Abänderung des Verschmelzungsvertrages der Zustimmung dieser Anteilsinhaber durch Beschluss und zwar mit derselben Mehrheit wie der Verschmelzungsbeschluss.6 Nicht inhaltliche Änderungen und solche Änderungen, die den Verschmelzungsvorgang nicht selbst betreffen, können auch noch nach Eintragung der Verschmelzung im Handelsregister vorgenommen werden.7 1 2 3 4 5
Kallmeyer/Marsch-Barner, § 4 UmwG Rz. 3. Grunewald/Winter, Die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, S. 24. OLG München v. 12.5.1993 – 27 U 459/92, BB 1993, 2040, 2041. OLG Hamm v. 19.12.2005 – 15 W 377/05, GmbHR 2006, 255, 257. Kallmeyer/Marsch-Barner, § 4 UmwG Rz. 18, Lutter/Drygala, § 4 UmwG Rz. 28; offengelassen für die Eintragung einer Verschmelzung ohne Verschmelzungsbeschlüsse oder für eklatante Verstöße gegen den ordre public OLG Frankfurt v. 24.1.2012 – 20 W 504/10 und v. 26.5.2003 – 20 W 61/03; a.A. für den Fall, dass die gewählte Umwandlungsform oder Gesellschaftsform nicht dem Gesetz entspricht BGH v. 23.11.2007 – LwZR 12/06 und v. 19.6.2012 – II ZR 241/10. 6 Kallmeyer/Marsch-Barner, § 4 UmwG Rz. 17; Mayer in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 4 Rz. 62. 7 Lutter/Drygala, § 4 UmwG Rz. 28 ff.
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Die Verschmelzung nach § 2 UmwG | Rz. 3.26 § 3
IV. Der Verschmelzungsbericht Gemäß § 8 UmwG haben die Vertretungsorgane jedes an der Verschmelzung beteiligten Rechtsträgers einen ausführlichen schriftlichen Bericht zu erstatten, in dem die Verschmelzung, der Verschmelzungsvertrag und insbesondere das Umtauschverhältnis der Anteile oder die Angaben über die Mitgliedschaft bei dem übernehmenden Rechtsträger sowie die Höhe einer anzubietenden Barabfindung rechtlich und wirtschaftlich erläutert und begründet werden (Verschmelzungsbericht). Ist ein an der Verschmelzung beteiligter Rechtsträger ein verbundenes Unternehmen i.S.d. § 15 AktG, so sind in dem Bericht auch Angaben über alle für die Verschmelzung wesentlichen Angelegenheiten der anderen verbundenen Unternehmen zu machen. Der Bericht ist schriftlich zu erstatten und mit eigenhändiger Unterschrift der Organmitglieder in vertretungsberechtigter Anzahl zu versehen.1 Die beteiligten Rechtsträger können auch einen einheitlichen Verschmelzungsbericht erstellen.
3.23
In dem Bericht brauchen Tatsachen nicht aufgenommen zu werden, deren Bekanntwerden geeignet ist, einen der beteiligten Rechtsträger oder einem verbundenen Unternehmen einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen. In diesem Falle sind aber die Gründe für die Nichtdarlegung anzugeben (§ 8 Abs. 2 Satz 1 und 2 UmwG). Nicht zulässig ist es, sich der Berichtspflicht dadurch zu entziehen, dass nur allgemein auf die Schädlichkeit einzelner Angaben im Bericht verwiesen wird.2 Weitere Angaben zu Inhalt oder Umfang des Berichts finden sich weder im UmwG noch in den Richtlinien (siehe Rz. 3.108 f.). Der Bericht dient allerdings der Vorbereitung der Anteilsinhaber und sollte deshalb so verfasst sein, dass diese in die Lage versetzt werden, über die Verschmelzung in Kenntnis aller maßgebenden Umstände abstimmen zu können.3 Bei den Angaben über Umtauschverhältnisse und Wertrelationen sollten nur solche Planzahlen verwendet und verwertet werden, die auf einer zutreffenden Tatsachengrundlage beruhen und in ihrer Kalkulation vertretbar sind.4
3.24
Ein Verschmelzungsbericht ist dann gemäß § 8 Abs. 3 UmwG nicht erforderlich, wenn alle Anteilsinhaber aller beteiligten Rechtsträger auf seine Erstattung in notariell beurkundeter Form verzichten oder wenn sich alle Anteile des übertragenden Rechtsträgers in der Hand des übernehmenden Rechtsträgers befinden.
3.25
V. Die Prüfung der Verschmelzung Eine Prüfung der Verschmelzung durch externe Sachverständige ist grundsätzlich nur erforderlich, wenn dies für einen konkreten Verschmelzungsvorgang im UmwG bestimmt ist (Pflichtprüfungen) oder die Prüfung auf Antrag eines beteiligten Anteilsinhabers (Antragsprüfungen)5 zu erfolgen hat. Eine Prüfpflicht ist vorgesehen bei der Beteiligung einer Aktiengesellschaft (§ 60 UmwG), einer KGaA (§ 78 UmwG), eines wirtschaftlichen Vereins (§ 100 UmwG) sowie bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung (§ 122a ff. UmwG). Antragsprüfungen sind vorgesehen bei der Beteiligung einer GmbH (§ 48 UmwG), einer Personengesellschaft 1 BGH v. 21.5.2007 – II ZR 266/07, NZG 2007, 174; Lutter/Drygala, UmwG, § 8 Rz. 6; Kallmeyer/ Marsch-Barner, UmwG, § 8 Rz. 3; für eine eigenhändige Unterschrift aller Organmitglieder Semler/Stengel/Stengel, UmwG, § 8 Rz. 7 und Lutter/Schwab, § 127 UmwG Rz. 10 (für den Spaltungsbericht); für den Verzicht auf das Unterschriftserfordernis dagegen KG Berlin v. 25.10.2004 – 23 U 234/03, ZIP 2005, 167, 168. 2 BGH v. 22.5.1989 – II ZR 206/88, NJW 1989, 2689, 2690. 3 Kallmeyer/Marsch-Barner, § 8 UmwG Rz. 1. 4 OLG Stuttgart v. 14.10.2010 – 20 W 16/06, AG 2011, 49, 53. 5 IDW, WP-Handbuch, Bd. II, 230.
Bollacher | 25
3.26
§ 3 Rz. 3.26 | Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen
(§ 44 UmwG) oder einer Partnerschaftsgesellschaft (§ 45e UmwG). Bei Beteiligung von eingetragenen Genossenschaften ist gemäß § 81 UmwG für jede beteiligte Genossenschaft eine gutachterliche Äußerung eines Prüfverbandes dahingehend einzuholen, ob die Verschmelzung mit den Belangen der Mitglieder und der Gläubiger vereinbar ist.
3.27
Eine im UmwG bestimmte Verschmelzungsprüfung ist nicht erforderlich, wenn alle Anteilsinhaber aller beteiligten Rechtsträger in notariell beurkundeter Form auf sie verzichten (§ 9 Abs. 3, § 8 Abs. 3 UmwG) oder wenn sich alle Anteile eines übertragenen Rechtsträgers in der Hand des übernehmenden Rechtsträgers befinden, soweit sie die Aufnahme dieses Rechtsträgers betrifft (§ 9 Abs. 2 UmwG).
3.28
Der Prüfgegenstand, also der Verschmelzungsvertrag oder dessen Entwurf, ist vom Prüfer auf Richtigkeit und Vollständigkeit hin zu prüfen.1 Kernstück der Verschmelzungsprüfung ist die Kontrolle der Umtauschverhältnisse.2 Art und Inhalt des Prüfberichts gibt das UmwG dabei nicht konkret vor. Auch die Verschmelzungsprüfung dient aber in erster Linie der Information der Anteilsinhaber. Insoweit sind Verschmelzungsbericht und Verschmelzungsprüfung kumulativ zu würdigen; ist ein Teil weniger ausführlich, muss der andere Teil diesbezüglich umso ausführlicher sein.3
3.29
Als Person des Verschmelzungsprüfers kommen gemäß § 11 Abs. 1 UmwG und § 319 Abs. 1 HGB Wirtschaftsprüfer, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, bei der Verschmelzung mittelgroßer GmbH oder Personenhandelsgesellschaften auch vereidigte Buchprüfer und Buchprüfungsgesellschaften in Betracht. Die Prüfer werden auf Antrag vom zuständigen Gericht ausgewählt und bestellt (§ 10 Abs. 1 Satz 1 UmwG).
VI. Die Verschmelzungsbeschlüsse 3.30
Der Verschmelzungsvertrag wird gemäß § 13 Abs. 1 UmwG nur wirksam, wenn die Anteilsinhaber der beteiligten Rechtsträger durch Beschluss zustimmen (Verschmelzungsbeschluss). Bis dahin ist er schwebend unwirksam. Gemäß § 13 Abs. 3 UmwG ist jeder Verschmelzungsbeschluss notariell zu beurkunden. Unabhängig von der Rechtsform der beteiligten Rechtsträger ist der Verschmelzungsbeschluss zwingend in einer Versammlung der Anteilsinhaber zu fassen; ein Beschluss im Umlaufverfahren ist nicht möglich (§ 13 Abs. 1 Satz 2 UmwG). Im Gesellschaftsvertrag bzw. der Satzung eines beteiligten Rechtsträgers kann hiervon nicht wirksam abgewichen werden.4
3.31
Das weitere Verfahren der Anteilseignerversammlung und ihrer Vorbereitung ist im UmwG nur ansatzweise geregelt. Die hierzu vorhandenen Regelungen betreffen vor allem die Frage, wie die erforderlichen Unterlagen den Anteilsinhabern zugänglich zu machen sind (vgl. §§ 42, 47, 49, 61, 63, 82 und 102 UmwG). Im Übrigen gelten für Form, Inhalt und Fristen der Einberufung und Durchführung der Versammlung die allgemeinen rechtsformspezifischen Regelungen.
3.32
Die erforderliche Mehrheit für den Verschmelzungsbeschluss ist rechtsformabhängig im zweiten Teil des UmwG geregelt. Bei juristischen Personen ist in der Regel eine Dreiviertelmehrheit
1 2 3 4
Kallmeyer/Müller, § 9 UmwG Rz. 17 f.; Wittgens, BB 2007, 1070 f. Henckel, Die Verschmelzungsprüfung als Schutzrecht, S. 193. Lutter/Drygala, § 9 UmwG Rz. 10. Kallmeyer/Zimmermann, § 13 UmwG Rz. 3.
26 | Bollacher
Die Verschmelzung nach § 2 UmwG | Rz. 3.36 § 3
erforderlich, für Personengesellschaften dagegen die Zustimmung aller Gesellschafter, sofern nicht der Gesellschaftsvertrag eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung zulässt (§ 43 Abs. 2 UmwG). Die allgemeinen Regelungen über die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten haben auch in diesem Kontext Relevanz.1 Verweigert ein Anteilsinhaber seine Zustimmung zu einem Verschmelzungsbeschluss aus sachfremden Erwägungen oder mit dem Ziel, dadurch verschmelzungsfremde, eigene Ziele durchzusetzen, so kann seine Stimmabgabe treuwidrig sein mit der Folge, dass die erforderliche Mehrheit für den Verschmelzungsbeschluss doch besteht.2 Gegenstand des Verschmelzungsbeschlusses ist der abgeschlossene Verschmelzungsvertrag oder ein Entwurf. Der Beschlussgegenstand muss in schriftlicher Form vorliegen3 und den Anteilsinhabern einsehbar sein. Wird über einen Entwurf des Verschmelzungsvertrags Beschluss gefasst, darf dieser später inhaltlich nicht mehr geändert werden. Wird er dennoch inhaltlich geändert, bedarf es einer erneuten Zustimmung durch die Anteilseignerversammlungen.
3.33
Gemäß § 14 Abs. 1 UmwG ist eine Klage gegen die Wirksamkeit des Verschmelzungsbeschlusses binnen eines Monats nach der Beschlussfassung zu erheben. Dies gilt unabhängig von der Rechtsform des Rechtsträgers, seiner Beteiligung an der Verschmelzung (als übertragender oder übernehmender Rechtsträger) und der Art der gegen die Nichtigkeit erhobenen Klage (Anfechtungs- oder Feststellungsklage).4 Wird über die Klage gegen den Verschmelzungsbeschluss erst nach Eintragung der Verschmelzung im Handelsregister entschieden, so kann nur noch Schadenersatz, nicht aber Rückabwicklung der Verschmelzung verlangt werden (§ 16 Abs. 3 Satz 10 UmwG).
3.34
VII. Unterrichtung des Betriebsrates Gemäß § 5 Abs. 3 UmwG ist der Verschmelzungsvertrag bzw. sein Entwurf spätestens einen Monat vor dem Tag der Anteilseignerversammlung jedes beteiligten Rechtsträgers über die Verschmelzungsbeschlüsse dem zuständigen Betriebsrat zuzuleiten. Einzelheiten werden an anderer Stelle erörtert (vgl. Rz. 26.79 ff.).
3.35
VIII. Rechtsformabhängige Besonderheiten Rechtsformabhängige Besonderheiten, die bei jeder Verschmelzung zu beachten sind, ergeben sich aus den §§ 39–45e UmwG (Beteiligung von Personengesellschaften), §§ 46–59 UmwG (Beteiligung von GmbH), § 78 UmwG (Beteiligung von KGaA), §§ 79–98 UmwG (Beteiligung von eingetragenen Genossenschaften) und §§ 99–122 UmwG (Beteiligung von rechtsfähigen Vereinen, genossenschaftlichen Prüfverbänden, Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit und Alleingesellschaftern von Kapitalgesellschaften). Insoweit wird auf die einschlägige Kommentarliteratur verwiesen. Grenzüberschreitende Verschmelzungen werden unter Rz. 3.106 ff. behandelt.
1 OLG Frankfurt v. 8.2.2006 – 12 W 185/05, ZIP 2006, 370, 372; Semler/Stengel/Gehling, § 13 UmwG Rz. 24. 2 BGH v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184, 194; OLG Frankfurt v. 8.2.2006 – 12 W 185/05, ZIP 2006, 370, 372; Semler/Stengel/Gehling, § 13 UmwG Rz. 24; BGH v. 15.11.1982 – II ZR 62/82, BGHZ 85, 350, 360 (zum Rechtsformwechsel, auf Verschmelzung oder andere Umwandlungen aber entsprechend übertragbar, Lutter/Drygala, § 13 UmwG Rz. 54). 3 Semler/Stengel/Gehling, § 13 UmwG Rz. 28. 4 Semler/Stengel/Gehling, § 14 UmwG Rz. 2.
Bollacher | 27
3.36
§ 3 Rz. 3.37 | Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen
IX. Wirksamwerden 1. Anmeldung zum Handelsregister 3.37
Die Verschmelzung bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Eintragung in das Register jedes beteiligten Rechtsträgers. Sie muss dazu gemäß § 16 UmwG durch die jeweiligen Vertretungsorgane zu den zuständigen Registern angemeldet werden; die Vertretungsorgane der übernehmenden Rechtsträger sind dabei gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 UmwG auch zur Anmeldung beim Register jedes übertragenden Rechtsträgers berechtigt.
3.38
Die Anmeldung hat elektronisch und in notariell beglaubigter Form (§ 12 Abs. 1 HGB) zu erfolgen. Der Anmeldung sind die in § 17 UmwG aufgeführten Anlagen beizufügen. Dazu zählen der Verschmelzungsvertrag, Niederschriften der Verschmelzungsbeschlüsse, nach dem Gesetz erforderliche Zustimmungserklärungen einzelner Anteilsinhaber, der Verschmelzungsbericht, der Prüfungsbericht bzw. die entsprechenden Verzichtserklärungen sowie ein Nachweis über die rechtzeitige Weiterleitung des Verschmelzungsvertrages bzw. des Entwurfes an den Betriebsrat. Anlagen müssen in Urschrift oder Abschrift oder, wenn sie notariell beurkundet sind, in Ausfertigung oder öffentlich beglaubigter Abschrift übermittelt werden. Der Anmeldung zum Register jedes übertragenden Rechtsträgers1 ist ferner eine Bilanz beizufügen, die auf einen höchstens acht Monate vor der Anmeldung liegenden Stichtag aufgestellt worden ist (§ 17 Abs. 2 Satz 1, 4 UmwG). Eine Eintragung der Verschmelzung darf nicht erfolgen, wenn die Bilanz auf einen länger als acht Monate vor der Anmeldung liegenden Stichtag aufgestellt worden ist (§ 17 Abs. 2 Satz 4 UmwG). Wenngleich noch nicht alle Fragen bezüglich der Fristwahrung höchstrichterlich geklärt sind, ist anerkannt, dass eine Fristwahrung nicht nur dann vorliegt, wenn die Anmeldung formell ordnungsgemäß und vollständig vorgenommen wird. Liegen wenigstens der Verschmelzungsvertrag, die Verschmelzungsbeschlüsse und die erforderlichen weiteren Zustimmungsbeschlüsse vor, führt eine Anmeldung auch dann zur Fristwahrung, wenn einige Unterlagen fehlen, die nachgereicht werden können,2 z.B. die Schlussbilanz, jedenfalls sofern diese alsbald nachgereicht wird.3 Zudem sollen formale Fehler und auch die Anmeldung bei einem unzuständigen Gericht die Fristwahrung nicht gefährden.4 Da die gesamte Wirksamkeit der Verschmelzung und häufig auch der damit einhergehenden betrieblichen Umstrukturierung von der erfolgreichen Eintragung im Handelsregister abhängt, wird in der Praxis freilich große Sorgfalt auf die Einhaltung aller Formen und Fristen bei der Anmeldung gelegt.
3.39
Die Vertretungsorgane jedes beteiligten Rechtsträgers haben gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 UmwG persönlich zu versichern, dass eine Klage gegen die Wirksamkeit des Verschmelzungsbeschlusses nicht oder nicht fristgemäß erhoben oder eine Klage rechtskräftig abgewiesen oder zurückgenommen worden ist (Negativerklärung), es sei denn, die klageberechtigten Anteilsinhaber haben durch notariell beurkundete Verzichtserklärung, die der Anmeldung beizufügen ist, auf die Klage gegen die Wirksamkeit des Verschmelzungsbeschlusses verzichtet.
1 Nicht dagegen bei den Anmeldungen der übernehmenden Rechtsträger, BayObLG v. 10.12.1998 – 3 ZBR 237/98, GmbHR 1999, 295. 2 OLG Hamm v. 19.12.2005 – 15 W 377/05, GmbHR 2006, 255, 257; a.A. KG Berlin v. 22.9.1998 – 1 W 4387/97, NJW-RR 1999, 186, 187; LG Dresden v. 21.2.1997 – 42 T 85/96, NotBZ 1997, 138. 3 OLG Jena v. 21.10.2002 – 6 W 543/02, NJW-RR 2003, 99, 100; a.A. LG Kempten v. 4.5.2001 – 1 HK T 850/01, RPfleger 2001, 433. 4 Lutter/Decher, § 17 UmwG Rz. 13 ff.
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Die Verschmelzung nach § 2 UmwG | Rz. 3.43 § 3
2. Eintragung im Handelsregister Jedes Registergericht prüft die Voraussetzungen der Eintragung in formeller und materieller Hinsicht. Über die Eintragung hat es gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 HRV unverzüglich zu entscheiden. Liegen alle Eintragungsvoraussetzungen vor, hat es die Eintragung zu verfügen. Weitere Prüfungen stehen dem Registergericht nicht zu, es darf die Eintragung auch nicht von sonstigen Voraussetzungen abhängig machen.
3.40
Grundsätzlich hat zuerst die Registereintragung bei jedem übertragenden Rechtsträger zu erfolgen, da gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 UmwG die Verschmelzung am Register des übernehmenden Rechtsträgers erst eingetragen werden darf, nachdem sie im Register jedes der übertragenden Rechtsträgers eingetragen wurde. Die Eintragung im Register der übertragenden Rechtsträger wird dabei mit dem Vermerk versehen, dass die Verschmelzung erst mit der Eintragung am Sitz des übernehmenden Rechtsträgers wirksam wird.
3.41
3. Wirkungen und Rechtsfolgen Die Wirkungen der Eintragung bestimmen sich nach § 20 UmwG. Das Vermögen eines übertragenden Rechtsträgers geht gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG einschließlich aller Verbindlichkeiten im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den bzw. die übernehmenden Rechtsträger über. Dingliche Vollzugsakte, Zustimmung Dritter oder eine Besitzergreifung (§ 857 BGB) bedarf es anders als bei der Einzelrechtsnachfolge nicht. Unerheblich ist, inwieweit das übergehende Vermögen jeweils bekannt oder bilanziell erfasst ist.1 Erforderlich sind indes deklaratorische Berichtigungen von Registern oder auch Grundbüchern. Soweit für diese Berichtigungen Erklärungen Dritter erforderlich sind, ist es empfehlenswert, diese bereits im Rahmen der Verschmelzung einzuholen, um mögliche Blockaden bei der Berichtigung der Register oder Grundbücher zu vermeiden.2 Dies gilt grundsätzlich auch für das im Ausland belegene Vermögen. Da sich die dingliche Rechtslage aber nach den Grundsätzen des Internationalen Privatrechts nach dem Ortsrecht (lex rei sitae) richtet, empfiehlt es sich regelmäßig, neben dem Verschmelzungsvertrag einen gesonderten, der Ortsform genügenden Veräußerungsvertrag abzuschließen.3 Sind Anteile an Kapitalgesellschaften im Vermögen eines übertragenden Rechtsträgers vorhanden, gehen diese auch dann ohne weiteren Vollzugsakt auf den übernehmenden Rechtsträger über, wenn in der Satzung Abtretungsbeschränkung oder Zustimmungserfordernisse bestehen.4 Die arbeitsrechtlichen Folgen einer Verschmelzung werden in Bezug auf die individual- und kollektivrechtlichen Aspekte gesondert behandelt, ausgehend davon, dass § 613a BGB auch auf die Verschmelzung Anwendung findet (vgl. Rz. 9.22 ff. und 26.13 ff.).
3.42
Mit vollständiger Übertragung des Vermögens des bzw. der übertragenden Rechtsträger entfällt die Notwendigkeit einer Liquidation oder Abwicklung. Vielmehr erlöschen diese Rechtsträger kraft Gesetz gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 2 UmwG, ohne dass es einer gesonderten Löschung oder eines Antrags auf Löschung bedarf. Die Anteilsinhaber der übertragenden Rechtsträger werden gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG automatisch Anteilsinhaber des übernehmenden Rechtsträgers im Verhältnis der Bestimmungen des Verschmelzungsvertrags.
3.43
1 Kallmeyer/Marsch-Barner, § 20 UmwG Rz. 4. 2 Vgl. Rawert, ZIP 2016, 1609 zur Zustimmungspflicht der Mitgesellschaft bei der Handelsregisteranmeldung des Kommanditistenwechsels durch Spaltung. 3 Kallmeyer/Marsch-Barner, § 20 UmwG Rz. 5; Fisch, NZG 2016, 448. 4 Kallmeyer/Marsch-Barner, § 20 UmwG Rz. 7; Lieder/Scholz, ZIP 2015, 1705.
Bollacher | 29
§ 3 Rz. 3.44 | Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen
3.44
Schließlich verleiht die Eintragung im Register des übernehmenden Rechtsträgers der Verschmelzung eine Art Bestandsschutz. Der Mangel der notariellen Beurkundung des Verschmelzungsvertrags und ggf. erforderlicher Zustimmungs- oder Verzichtserklärungen wird gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 UmwG mit Eintragung geheilt und auch andere Mängel des Verschmelzungsverfahrens können nach diesem Zeitpunkt gemäß § 20 Abs. 2 UmwG nicht mehr geltend gemacht werden. Es ist anerkannt, dass die Rückgängigmachung einer Verschmelzung weder praktisch noch rechtlich möglich ist.1 Nur vereinzelt hat die Rechtsprechung offengelassen, ob das grundsätzliche Verbot einer Entschmelzung bei Vorliegen von gravierenden Sonderkonstellationen, etwa wenn ein Verschmelzungsvertrag gänzlich fehlt, wenn eine Verschmelzung ohne Fassung von Beschlüssen eingetragen wird, wenn die gewählte Umwandlungsform oder die Gesellschaftsform, in die umgewandelt werden soll, nicht dem Gesetz entspricht oder im Falle eines eklatanten und offensichtlichen Verstoßes der Verschmelzung gegen den ordre public, durchbrochen werden kann.2
X. Verschmelzungen im Konzern 3.45
Besondere Vorschriften zur sog. Konzernverschmelzung finden sich in § 62 UmwG. Hierdurch sollen Verschmelzungen im Konzern vereinfacht und entformalisiert werden. So wird für Fälle, in denen sich neun Zehntel des Stamm- oder Grundkapitals einer übertragenden Kapitalgesellschaft in der Hand einer übernehmenden Aktiengesellschaft befinden, durch § 62 Abs. 1 UmwG der sonst notwendige Verschmelzungsbeschluss der übernehmenden Aktiengesellschaft zur Aufnahme der übertragenden Gesellschaft für nicht erforderlich erklärt. Alle übrigen Regelungen für die Verschmelzung müssen aber eingehalten werden.3 Die Regelung in § 62 Abs. 1 UmwG beruht auf der Überlegung, dass die „Einschmelzung“ einer Gesellschaft, an der bereits eine Kapitalbeteiligung von mindestens 90 % besteht, für die übernehmende Gesellschaft ohnehin keine besondere Bedeutung hat (sog. Bagatellverschmelzung).4 Eine Rückausnahme zur Entbehrlichkeit eines Verschmelzungsbeschlusses findet sich in § 62 Abs. 2 Satz 1 UmwG, wenn Aktionäre der übernehmenden AG mit mindestens 5 % Anteil am Grundkapital die Einberufung der Hauptversammlung verlangen (sog. Minderheitsverlangen). Nach § 62 Abs. 2 Satz 2 UmwG kann dieses Quorum durch die Satzung sogar noch weiter heruntergesetzt sein. Ein solches Verlangen kann bis zur Einberufung der Hauptversammlung formlos an die AG oder deren Vorstand herangetragen werden.5 Der Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst Fälle, in denen die Muttergesellschaft die Rechtsform einer AG, KGaA oder SE und die Tochtergesellschaft die Rechtsform einer GmbH, AG, KGaA oder SE aufweist.6
3.46
Ferner erleichtern § 8 Abs. 3 und § 9 Abs. 2 und 3 UmwG konzerninterne Verschmelzungen, da bei Verschmelzungen von 100-prozentigen Tochtergesellschaften auf die Mutter ein Verschmelzungsbericht und eine Prüfung der Verschmelzung kraft Gesetzes nicht erforderlich sind.
1 Lutter/Grunewald, § 20 UmwG Rz. 77 ff. m.w.N. 2 OLG Frankfurt v. 24.1.2012 – 20 W 504/10, ZIP 2012, 826; OLG Frankfurt v. 26.5.2003 – 20 W 61/ 03, NZG 2003, 790; zum LwAnG: BGH v. 23.11.2007 – LwZR 12/06, ZOV 2008, 34; BGH v. 19.6.2012 – II ZR 241/10, ZIP 2012, 1912; BGH v. 29.6.2001 – V ZR 186/00, ZIP 2001, 2006, 2008. 3 Lutter/Grunewald, § 62 UmwG Rz. 3. 4 Kallmeyer/Marsch-Barner, § 62 UmwG Rz. 3. 5 Maulbetsch/Klumpp/Rose/Rose, § 62 UmwG Rz. 18. 6 Kraft/Redenius-Hövermann, UmwandlungsR, S. 108.
30 | Bollacher
Spaltungen nach § 123 UmwG | Rz. 3.50 § 3
Weiter ist im Kontext der Konzernverschmelzungen die Möglichkeit eines verschmelzungsrechtlichen Squeeze-Outs vorgesehen. § 62 Abs. 5 UmwG eröffnet diese Möglichkeit des Ausschlusses von Minderheitsaktionären schon ab einer Beteiligung von 90 %, wenn damit eine Verschmelzung nach oben verbunden ist.1 Allerdings ist diese Möglichkeit nach § 62 Abs. 5 Satz 1 und 7 UmwG auf Aktiengesellschaften beschränkt, wobei über die einschlägigen Verweise auch die KGaA sowie die SE erfasst werden. Der Verschmelzungsvertrag hat nach § 62 Abs. 5 Satz 2 UmwG im Falle eines geplanten Squeeze-Outs die Angabe zu enthalten, dass die Durchführung eines solchen beabsichtigt ist. Nach dem in Bezug genommenen § 327e AktG ist der Squeeze-Out-Beschluss im Handelsregister der übertragenen Gesellschaft einzutragen.
3.47
C. Spaltungen nach § 123 UmwG I. Allgemeines Die Spaltung ist die Übertragung des Vermögens des übertragenden Rechtsträgers bzw. bei Abspaltung und Ausgliederung des abgespaltenen oder ausgegliederten Teils oder die abgespaltenen oder ausgegliederten Teile des Vermögens einschließlich der Verbindlichkeiten entsprechend der im Spaltungs- und Übernahmevertrag vorgesehenen Aufteilung jeweils als Gesamtheit auf den oder die übernehmenden Rechtsträger. Sie ist in den §§ 123 ff. UmwG geregelt. Die Regelungen zur Verschmelzung (§§ 2 ff. UmwG) gelten ergänzend, soweit sich aus den § 123 ff. UmwG nichts anderes ergibt.
3.48
Eine Spaltung ist regelmäßig2 damit verbunden, dass zum Ausgleich für die Übertragung des Vermögens Anteile am übernehmenden Rechtsträger gewährt werden. Die Auswirkungen auf den übertragenden Rechtsträger sowie die Anteilseigner der beteiligten Rechtsträge differieren dabei nach der Art der Spaltung.
3.49
Wie bei der Verschmelzung ist auch bei der Spaltung zwischen der Übertragung des Vermögens auf einen bereits bestehenden Rechtsträger (Spaltung zur Aufnahme) oder einen dadurch gegründeten Rechtsträger (Spaltung durch Neugründung) zu unterscheiden. Soweit das Gesetz dabei sprachlich zwischen dem übernehmenden Rechtsträger (Spaltung zur Aufnahme) und dem neuen Rechtsträger (Spaltung zur Neugründung) differenziert, hat dies keine entscheidende Bedeutung. Die Spaltung zur Aufnahme und zur Neugründung können im Rahmen einer Spaltung miteinander verbunden werden (§ 123 Abs. 4 UmwG),3 eine Verbindung von Aufspaltung und Ausgliederung oder Verschmelzung und Spaltung ist ausgeschlossen.4 Bei der Spaltung zur Aufnahme wird das Vermögen im Regelfall im Zusammenhang mit einer Kapitalerhöhung übernommen, um die Verpflichtung zur Gewährung von Anteilen zu erfüllen; zwingend ist dies allerdings nicht.5 Anteilsinhaber des bereits bestehenden, überneh-
3.50
1 Kallmeyer/Marsch-Barner, § 62 UmwG Rz. 1. 2 Zu den hier nicht behandelten Ausnahmen, in denen von einer Übertragung von Anteilen abgesehen werden kann, Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, UmwG UmwStG, § 126 UmwG Rz. 41 ff. 3 Umstritten ist, ob im Rahmen einer Spaltung Abspaltung und Ausgliederung auf verschiedene Rechtsträger verbunden werden können (so Lutter/Lieder, § 123 UmwG Rz. 64; abl. Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, UmwG UmwStG, § 123 UmwG Rz. 17). 4 Lutter/Lieder, § 123 UmwG Rz. 67; Semler/Stengel/Schwanna, § 123 UmwG Rz. 20. 5 Vgl. BAG v. 11.3.2008 – 3 AZR 358/06, BB 2009, 329, 332; KG Berlin v. 22.9.1998 – 1 W 4387/97, BB 1999, 16; Ihrig, GmbHR 1995, 622; Goutier/Knopf/Tulloch/Bermel, § 54 UmwG Rz. 8 f.; Heckschen, DB 1998, 1385, 1386.
Bollacher | 31
§ 3 Rz. 3.50 | Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen
menden Rechtsträgers können auch Dritte sein. Abspaltung und Ausgliederung können beim übertragenden Unternehmen mit einer Kapitalherabsetzung einhergehen.
3.51
Die Übernahme des Vermögens bei der Spaltung durch Neugründung erfolgt im Regelfall im Zuge einer Sachgründung durch Sacheinlage. Auf sie finden die für die Gründung des neuen Rechtsträgers geltenden Vorschriften Anwendung (z.B. GmbH: §§ 1–11 GmbHG), sofern das Umwandlungsgesetz in §§ 123 ff. UmwG nichts Abweichendes bestimmt. Der übertragende Rechtsträger gilt als Gründer der neuen Gesellschaft,1 ob er auch Anteilsinhaber an der neuen Gesellschaft wird, hängt von der gewählten Form der Spaltung ab. Eine Übertragung von Anteilen an Dritte, die in § 123 UmwG nicht genannt sind, ist im Rahmen der Spaltung ausgeschlossen.2 Solche Verfügungen können – nach allerdings umstrittener Ansicht – erst im Anschluss an die Spaltung vorgenommen werden.3 Vorschriften, die für die Gründung eine Mindestzahl der Gründer vorschreiben, sind nicht anzuwenden (§ 135 Abs. 2 UmwG).
3.52
Gemäß § 124 UmwG können an einer Aufspaltung oder einer Abspaltung als übertragende, übernehmende oder neue Rechtsträger die in § 3 Abs. 1 UmwG genannten Rechtsträger (vgl. Rz. 3.14) sowie als übertragende Rechtsträger wirtschaftliche Vereine, an einer Ausgliederung als übertragende, übernehmende oder neue Rechtsträger die in § 3 Abs. 1 UmwG genannten Rechtsträger sowie als übertragende Rechtsträger wirtschaftliche Vereine, Einzelkaufleute, Stiftungen sowie Gebietskörperschaften oder Zusammenschlüsse von Gebietskörperschaften, die nicht Gebietskörperschaften sind, beteiligt sein.
II. Arten der Spaltung 3.53
Nach § 123 UmwG ist eine Spaltung in drei Formen möglich. Jede dieser Formen kann als Spaltung zur Aufnahme oder zur Neugründung erfolgen.
1. Aufspaltung 3.54
Bei der Aufspaltung gemäß § 123 Abs. 1 UmwG wird das Vermögen des übertragenden Rechtsträgers auf mindestens zwei andere Rechtsträger übertragen. Die Aufspaltung ist also damit verbunden, dass das gesamte Vermögen verteilt wird und der übertragende Rechtsträger erlischt. Die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers werden entsprechend der im Spaltungsund Übernahmevertrag vorgesehenen Aufteilung Anteilsinhaber der beteiligten aufnehmenden Rechtsträger.
1 Bei der Gründung einer GmbH im Rahmen der Aufspaltung entfällt eine Unterzeichnung des Gesellschaftsvertrags durch alle Gesellschafter (§ 2 Abs. 1 Satz 2 GmbHG). 2 So zur Verschmelzung Widmann/Mayer/Rieger, Umwandlungsrecht, § 36 Rz. 181; a.A. Lutter/Grunewald, § 36 UmwG Rz. 15, unter Aufgabe der in der Erstauflage vorgenommenen Bewertung. 3 Hinsichtlich der steuerlichen Konsequenzen ist jedoch vor allem §§ 11, 15 UmwStG zu beachten, nach denen die übergehenden Wirtschaftsgüter in der steuerlichen Schlussbilanz für das letzte Wirtschaftsjahr der übertragenden Körperschaft mit dem Wert angesetzt werden können, der sich nach den steuerrechtlichen Vorschriften über die Gewinnermittlung ergibt, also mit dem Buchwert, soweit nur sichergestellt ist, dass die im übergehenden Vermögen enthaltenen stillen Reserven später bei der übernehmenden Körperschaft der Körperschaftsteuer unterliegen und sofern weiter eine Gegenleistung nicht gewährt wird oder in Gesellschaftsrechten besteht.
32 | Bollacher
Spaltungen nach § 123 UmwG | Rz. 3.57 § 3
2. Abspaltung Bei der Abspaltung nach § 123 Abs. 2 UmwG wird nur ein Teil des Vermögens des übertragenden Rechtsträgers auf einen oder mehrere andere Rechtsträger übertragen. Der übertragende Rechtsträger besteht also fort. Zum Ausgleich erhalten die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers entsprechend der im Spaltungs- und Übernahmevertrag vorgesehenen Aufteilung Anteile oder Mitgliedschaften des übernehmenden Rechtsträgers. Es entsteht also ein Schwesterunternehmen zum übertragenden Rechtsträger. Erfolgt die Abspaltung auf mehrere Rechtsträger, entsteht eine entsprechende Beteiligung an allen übernehmenden Rechtsträgern.
3.55
3. Ausgliederung Die Ausgliederung nach § 123 Abs. 3 UmwG entspricht im Grunde der Abspaltung. Allerdings werden die Anteile oder Mitgliedschaften des/der übernehmenden Rechtsträger(s) nicht den Anteilsinhabern des übertragenden Rechtsträgers, sondern dem übertragenden Rechtsträger selbst gewährt. Dadurch entsteht ein Tochterunternehmen des übertragenden Rechtsträgers und damit eine Holdingstruktur. Die Tochter übernimmt zwar einen Teil des Vermögens des übertragenden Rechtsträgers, da der übertragende Rechtsträger aber selbst die als Ausgleich zu gewährenden Geschäftsanteile erhält, tritt hier – anders als bei der Abspaltung – wertmäßig keine Vermögensminderung auf Seiten des übertragenden Rechtsträgers ein. Vielmehr werden die übertragenen Vermögenswerte durch Geschäftsanteile ausgetauscht.
3.56
Der Umstand, dass Anteile oder Mitgliedschaften der/des übernehmenden Rechtsträger(s) bei der Ausgliederung – im Gegensatz zur Abspaltung – dem übertragenden Rechtsträger selbst gewährt werden, ermöglicht eine Ausweitung des Kreises der an einer solchen Spaltung beteiligten Rechtsträger. Über die an einer Auf- oder Abspaltung beteiligten Rechtsträger hinaus können auch solche Rechtsträger einbezogen werden, an denen ein Dritter keine Anteile oder Mitgliedschaften haben kann. Im Einzelnen sind dies Einzelkaufleute, Stiftungen sowie Gebietskörperschaften oder Zusammenschlüsse von Gebietskörperschaften, die nicht Gebietskörperschaften sind (§ 124 Abs. 1 UmwG). Bei Einzelkaufleuten werden auch „Kleingewerbetreibende“ erfasst, sofern die Firma des Unternehmens im Handelsregister eingetragen ist.
3.57
Gesellschafter
A Teil 1
Teil 2
Gesellschafter
B
C
Teil 1
Teil 2
Aufspaltung
Bollacher | 33
§ 3 Rz. 3.57 | Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen
Gesellschafter
A Teil 1
Teil 2
Gesellschafter
A
B
Teil 1
Teil 2
Abspaltung
Gesellschafter
Gesellschafter
A Teil 1
A Teil 1
Teil 2
B Teil 2
Ausgliederung
4. Quotenverschiebende und nicht-verhältniswahrende Spaltungen 3.58
Wichtig auch für die arbeitsrechtlichen Folgen einer Spaltung (hier: Fortbestand, Zuständigkeit und/oder Bildung eines Konzernbetriebsrats) ist der Umstand, dass § 128 UmwG einen Gestaltungsspielraum für quotenverschiebende und nicht-verhältniswahrende Spaltungen begründet:
3.59
Die Anteile oder Mitgliedschaften an den übernehmenden Rechtsträger müssen den Anteilsinhabern des übertragenden Rechtsträgers nicht zwingend in einem Verhältnis zugeteilt werden, das ihrer Beteiligung am übertragenden Rechtsträger entspricht (sog. verhältniswahrende Abspaltung). Zulässig ist auch eine Zuteilung der Anteile bzw. Mitgliedschaften in einem Verhältnis, das ihrer Beteiligung am übertragenden Rechtsträger nicht entspricht (sog. nicht verhältniswahrende Abspaltung). Dies schließt auch die Möglichkeit mit ein, dass ein Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft überhaupt nicht an einer übernehmenden Gesell34 | Bollacher
Spaltungen nach § 123 UmwG | Rz. 3.63 § 3
schaft beteiligt wird („Spaltung zu Null“).1 Zulässig ist es zudem, einzelnen Gesellschaftern an keinem übernehmenden Rechtsträger Anteile zu gewähren oder sie im Zuge der Spaltung insgesamt aus allen beteiligten Rechtsträgern ausscheiden zu lassen.2 Damit ist es insbesondere bei der Aufspaltung möglich, dass gleichzeitig mit der Aufteilung des betroffenen Vermögens die Inhaberschaft dieses Vermögensteils verändert wird. Auf diese Weise kann letztlich auch beeinflusst werden, ob und inwieweit (noch) ein herrschender Einfluss der einzelnen beteiligten Anteilsinhaber auf den vom übernehmenden Rechtsträger gehaltenen Vermögensteil besteht. Bedeutsam ist dies insbesondere bei Nachfolgeregelungen, durch die eine Auseinandersetzung und Trennung von Gesellschaftergruppen und Familienstämmen erreicht werden soll.3
3.60
Voraussetzung für jede nicht-verhältniswahrende Spaltung ist indes gemäß § 128 UmwG die Zustimmung aller Anteilsinhaber des beteiligten Rechtsträgers. Der Spaltungsbeschluss kann in diesem Fall nur einstimmig gefasst werden.4 Erforderlich ist auch die Zustimmung stimmrechtsloser Anteile. Bei verpfändeten oder mit einem Nießbrauch belasteten Anteilen ist zudem die Zustimmung der dinglich Berechtigten erforderlich.5 Die quotal benachteiligten Anteilsinhaber dürfen in den Grenzen der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht nach freiem Ermessen über die Zustimmung entscheiden. Sie werden die Zustimmung regelmäßig von bestimmten Ausgleichsleistungen abhängig machen. Diese können in Zahlungen, Anteilen am übertragenden Rechtsträger oder sonstigen Leistungen bestehen.6
3.61
III. Gegenstand der Spaltung Gegenstand der Spaltung ist bei der Aufspaltung das Vermögen des übertragenden Rechtsträgers, bei der Abspaltung und Ausgliederung Teile des Vermögens des übertragenden Rechtsträgers.
3.62
Bezieht sich die Spaltung nur auf einen Teil des Vermögens, steht den Beteiligten ein breiter Gestaltungsspielraum zu. Sie können (und müssen gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 9 UmwG) im Spaltungs- und Übernahmevertrag (bzw. im Spaltungsplan) die Gegenstände des Aktiv- und Passivvermögens bzw. die Betriebe oder Betriebsteile, die an jeden der übernehmenden Rechtsträger übertragen werden, frei zuteilen. Es können dabei auch nur einzelne Vermögensgegenstände im Wege der Abspaltung übertragen werden (§ 123 Abs. 2 UmwG). Bei der Ausgliederung, die regelmäßig nur einen Teil des Vermögens betrifft, kann der „Teil“ auch das gesamte Vermögen darstellen, so dass im Wege der Ausgliederung eine Holding ohne (mit Ausnahme
3.63
1 OLG München v. 10.7.2013 – 31 Wx 131/13, FGPrax 2013, 222. 2 FG Münster v. 17.5.2006 – 7 K 5976/02 F, EFG 2006, 1536, 1538; LG Essen v. 15.3.2002 – 42 T 1/ 02, NZG 2002, 736, 737; LG Konstanz v. 13.2.1998 – 1 HTH 6/97, GmbHR 1998, 837; Schmitt/ Hörtnagl/Hörtnagl, UmwG UmwStG, § 128 UmwG Rz. 16; Lutter/Priester, § 128 UmwG Rz. 15; Heidenhain, EuZW 1995, 327 f.; Neye, Änderungen im Umwandlungsrecht, DB 1998, 1649, 1652 f.; abl. Mayer in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 128 Rz. 15. 3 Vgl. Werner, FS Quack, S. 519, 531 f. 4 Kritisch dazu und für eine teleologische Reduktion dahingehend, dass nur solche Anteilsinhaber zustimmen müssen, die durch die quotale Verschiebung nicht benachteiligt werden Rubner/Fischer, NZG 2014, 761. 5 Lutter/Priester, § 128 UmwG Rz. 18. 6 Lutter/Priester, § 126 UmwG Rz. 75; Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, UmwG UmwStG, § 126 UmwG Rz. 105.
Bollacher | 35
§ 3 Rz. 3.63 | Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen
der Anteile an der ausgegliederten Tochtergesellschaft) eigene Vermögensgegenstände geschaffen werden kann.
IV. Ablaufplan einer Spaltung 3.64
1. Vorbereitungen & Erstellung (und ggf. Feststellung) der Schlussbilanz der übertragenden Rechtsträger (§ 17
Abs. 2 UmwG) & Erstellung (und ggf. Feststellung) der Aufteilungsbilanz der übertragenden Rechtsträger
(§ 17 Abs. 2 UmwG) & Unternehmensbewertung zur Festlegung des Umtauschverhältnisses & (ggf.) Anmeldung des Vorhabens bei den deutschen oder europäischen Kartellbehörden
2. Spaltungsvertrag (bzw. Spaltungsplan) & Erstellung/Entwurf Spaltungsvertrag (Inhalt nach § 126 UmwG bzw. beim Spaltungsplan
nach § 136 UmwG) & Erstellung Verschmelzungsbericht (§§ 8, 125, 127 UmwG) & Verschmelzungsprüfung (rechtformabhängig, §§ 9, 39 ff., 125, 138 ff. UmwG) & Zuleitung Verschmelzungsvertrag/Entwurf an den Betriebsrat (§ 126 Abs. 3 UmwG) & Notarielle Beurkundung des Spaltungsvertrages/Spaltungsplans (§§ 125, 6 UmwG)
3. Zustimmung der Anteilsinhaber (Spaltungsbeschlüsse, §§ 13, 125 UmwG) & Zustimmung der Anteilsinhaber aller übertragenden Rechtsträger & Zustimmung der Anteilsinhaber aller übernehmenden Rechtsträger
4. Vollzugs der Verschmelzung (§§ 129 ff. UmwG) & Anmeldung zum Handelsregister aller übertragenden Rechtsträger & Anmeldung zum Handelsregister aller übernehmenden Rechtsträger & Eintragung im Handelsregister aller übertragenden Rechtsträger & Eintragung im Handelsregister aller übernehmenden Rechtsträger
Abbildung: Ablaufplan einer Spaltung
V. Spaltungsvertrag und Spaltungsplan 3.65
Grundlage der Spaltung ist bei Spaltungen zur Aufnahme der Abschluss eines Spaltungs- und Übernahmevertrages, im Folgenden auch verkürzt Spaltungsvertrag genannt (§ 126 UmwG). Da bei Spaltungen zur Neugründung ein Vertragspartner vor dem Wirksamwerden der Spaltung noch nicht besteht, tritt der Spaltungsplan an die Stelle des Spaltungsvertrags (§ 136 UmwG). Qualifiziert wird der Spaltungsplan als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung.1 Bindungswirkung gegenüber anderen Rechtsträgern vermag der Spaltungsplan nicht zu entfalten, sondern allenfalls gegenüber den Organen des zu spaltenden Rechtsträgers oder den Arbeitnehmern.2 Werden Spaltung zur Neugründung und Spaltung zur Aufnahme in ei-
1 Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, UmwG UmwStG, § 136 UmwG Rz. 3. 2 Kallmeyer, ZIP 1994, 1746, 1754.
36 | Bollacher
Spaltungen nach § 123 UmwG | Rz. 3.68 § 3
ner Umwandlung verbunden, ist der Spaltungsplan in den einheitlichen Spaltungsvertrag der übrigen Beteiligten einzubeziehen.1 Soweit nachfolgend nichts Abweichendes vermerkt ist, gelten die Ausführungen zum Spaltungsvertrag jeweils entsprechend auch für den diesen bei der Spaltung zur Aufnahme ersetzenden Spaltungsplan. Parteien des Spaltungsvertrags sind notwendigerweise alle beteiligten Rechtsträger. Auch bei Beteiligung mehrerer Rechtsträger auf der übernehmenden Seite sind uneinheitliche bilaterale Verträge nicht möglich.2 Zuständig für den Abschluss des Spaltungsvertrags bzw. die Aufstellung des Spaltungsplans sind die Vertretungsorgane der beteiligten Rechtsträger (§ 4 Abs. 1, §§ 125, 136 UmwG). Spaltungsvertrag und Spaltungsplan sind notariell zu beurkunden und werden erst mit den Spaltungsbeschlüssen wirksam. Im Übrigen bestehen beim Spaltungsvertrag hinsichtlich Vertragsschluss, Formfragen, Bedingungen, Befristungen und nachträgliche Änderungen keine Besonderheiten gegenüber dem Verschmelzungsvertrag (vgl. Rz. 3.18 ff.).
3.66
Beim Inhalt des Spaltungsvertrags sind zunächst die gesetzlichen Mindestanforderungen gemäß § 136 UmwG zu beachten. Wie beim Verschmelzungsvertrag sind neben den Angaben zu den beteiligten Rechtsträgern und der Vereinbarung zur Gewährung von Anteilen insbesondere das Umtauschverhältnis, die Einzelheiten der Anteilsübertragungen, der Zeitpunkt der Gewinnbeteiligung, der Spaltungsstichtag, die einzelnen Anteilsinhabern gewährten Vorteile oder Sonderrechte sowie die Folgen der Spaltung für die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen zu regeln.
3.67
Wichtiger Bestandteil des Spaltungsvertrags ist die genaue Bezeichnung und Aufteilung der Gegenstände des Aktiv- und Passivvermögens,3 die an jeden der übernehmenden Rechtsträger übertragen werden, sowie der übergehenden Betriebe und Betriebsteile unter Zuordnung zu den übernehmenden Rechtsträgern gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 9 UmwG. Für eine genaue Bezeichnung muss zunächst der Bestimmtheitsgrundsatz gewahrt sein und es gelten die zur Übertragung von Sachgesamtheiten im Wege der Einzelrechtsnachfolge entwickelten Grundsätze.4 Bei Grundstücken ist wegen § 28 GBO zumindest das Grundbuch und das Flurstück zu nennen.5 Ob einzelne Vermögensgegenstände aufgeteilt werden können, bestimmt sich nach deren Teilbarkeit. Insbesondere bei der Aufteilung einheitlicher Vertragsverhältnisse ist dies nach zumindest noch herrschender Auffassung nicht der Fall.6 Fehlt eine solche genaue Regelung bei der Zuordnung von Verbindlichkeiten, kann sich keiner der beteiligten Rechtsträger auf die zeitliche Begrenzung der gesamtschuldnerischen Haftung nach § 133 Abs. 3 UmwG berufen. Die Anforderungen an die Konkretisierung dürfen allerdings nicht überspannt werden. Mit der Rechtsprechung ist es zu Recht ausreichend, dass im Wege der Auslegung des Spaltungsvertrages ermittelt werden kann, welche Vermögensgegenstände wohin übertragen werden sollen. Es genügt, wenn der Gegenstand bei betriebswirtschaftlicher Betrachtung dem Geschäftsbetrieb eines bestimmten, im Spaltungsvertrag allokierten Unterneh-
3.68
1 2 3 4 5
Lutter/Priester, § 126 UmwG Rz. 9; Heidenhain, NJW 1995, 2873, 2874. Lutter/Priester, § 126 UmwG Rz. 10; Heidenhain, NJW 1995, 2873, 2874, BegrRegE § 126 UmwG. Dazu Thiele/König, NZG 2015, 178. Vgl. Regierungsbegründung, BT-Drucks. 12/6699, 119; Mayer, DB 1995, 861, 864. BGH v. 25.1.2008 – V ZR 79/07, NZG 2008, 436; Lutter/Priester, § 126 UmwG Rz. 53; Bungert/Lange, DB 2010, 547; Blaschke, 2016, 328; a.A. OLG Schleswig v. 26.8.2009 – 2 W 241/08, NJW-RR 2009, 592, 593. 6 OLG München v. 26.1.2016 – 34 SchH 13/15, NZG 2016, 662 (zu Vertragsverhältnis und Schiedsvereinbarung); Lutter/Priester, § 126 UmwG Rz. 64; wohl a.A. Berner/Klett, NZG 2008, 601, 602; Krockenberger/Spiegl, NZG 2016, 1401.
Bollacher | 37
§ 3 Rz. 3.68 | Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen
mensteils zugerechnet werden kann.1 Zulässig sind zudem sog. All-Klauseln, wonach generalklauselartig alle wirtschaftlich zu dem Betrieb oder Betriebsteil gehörenden Gegenstände des materiellen und auch immateriellen Anlage- und Umlaufvermögens übertragen werden, gleichgültig ob bilanziert oder nicht bilanziert.2 Solche Klauseln sind zu empfehlen, um „vergessene“ Vermögensgegenstände zu vermeiden. In der Praxis hat sich dabei eine Bezugnahme auf dem Spaltungsvertrag als Anlagen beigefügte3 Inventare, Anlagenverzeichnisse oder Jahresabschlüsse durchgesetzt. Da auch ungewisse und unbekannte Verbindlichkeiten, die am Tage des Wirksamwerdens der Spaltung entstanden sind, übertragen werden,4 sollte der Spaltungsoder Übernahmevertrag entsprechende Regelungen enthalten.
3.69
Die Zuteilung der Vermögensgegenstände auf die einzelnen beteiligten Rechtsträger können die Parteien des Spaltungsvertrages im Wege der Vertragsautonomie frei festlegen. Eine Aufteilung, bei der die Aktiva von den Passiva oder die Arbeitnehmer von „ihrem“ Betrieb getrennt werden, sowie auch die Übertragung nur eines einzelnen Gegenstandes ist umwandlungsrechtlich möglich.5 Zu beachten ist freilich, dass es Grenzen außerhalb des Umwandlungsrechts gibt, die entsprechende Gestaltungen verhindern bzw. wirtschaftlich sinnlos werden lassen. Einer Übertragung nur der Passiva auf einen Rechtsträger stehen jedenfalls bei Kapitalgesellschaften die Grundsätze der Kapitalaufbringung entgegen, die Arbeitnehmer werden vor einer nachteiligen Vermögensaufteilung durch § 613a BGB geschützt und die Zulässigkeit der Gesamtrechtsnachfolge für nur einen einzelnen Gegenstand wird steuerrechtlich nicht anerkannt, weil für die steuerneutrale Spaltung nach §§ 15, 20, 21 UmwStG die Übertragung eines Betriebs, Teilbetriebs, eines Mitunternehmeranteils oder einer qualifizierten Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft erforderlich ist.
3.70
Darüber hinaus können in dem Spaltungsvertrag weitere schuldrechtliche Vereinbarungen getroffen werden. In der Praxis finden sich neben die gesamte Umwandlung beschreibenden Vorbemerkungen regelmäßig Bestimmungen zur künftigen Firmierung, zu den Kosten der Verschmelzung, zu Sonderrechten Einzelner (v.a. im Hinblick auf die Bestellung von Geschäftsführern und Vorstandsmitgliedern), zu besonderen Verpflichtungen der übernehmenden Rechtsträger (v.a. bzgl. der Wahrung von Besitz-/Bestandsschutz gegenüber Arbeitnehmer sowie Vertriebs- und Vertragspartnern) sowie Kündigungsmöglichkeiten und Vorbehaltsrechten, vgl. insoweit aber Rz. 3.20 f. Ggf. sind zudem weitere rechtsformspezifische Besonderheiten zu beachten (vgl. §§ 40, 46, 80, 110, 122c UmwG).
VI. Der Spaltungsbericht 3.71
Parallel zur Erstellung eines Spaltungsvertrags oder -plans haben die Vertretungsorgane jedes der an der Spaltung beteiligten Rechtsträgers – bei der Spaltung zur Neugründung nur die des übertragenden Rechtsträgers – gemäß § 127 UmwG einen ausführlichen schriftlichen Bericht zu erstatten, in dem die Spaltung, der Vertrag oder sein Entwurf im Einzelnen und bei Aufspaltung und Abspaltung insbesondere das Umtauschverhältnis der Anteile oder die Angaben 1 OLG Schleswig v. 26.8.2009 – 2 W 241/08, NJW-RR 2010, 592, 593; BGH v. 8.10.2003 – XII ZR 50/02, NJW-RR 2004, 123. 2 OLG Schleswig v. 26.8.2009 – 2 W 241/08, NJW-RR 2010, 592, 593; BGH v. 8.10.2003 – XII ZR 50/02, NJW-RR 2004, 123. 3 Lutter/Priester, § 126 UmwG Rz. 49; Kallmeyer/Sickinger, § 126 UmwG Rz. 20. 4 Kallmeyer/Sickinger, § 126 UmwG Rz. 27. 5 Lutter/Priester, § 126 UmwG Rz. 72; Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, UmwG UmwStG, § 126 UmwG Rz. 64; a.A. Belling/Collas, NJW 1991, 1919, 1926.
38 | Bollacher
Spaltungen nach § 123 UmwG | Rz. 3.77 § 3
über die Mitgliedschaften bei den übernehmenden Rechtsträgern, der Maßstab für ihre Aufteilung sowie die Höhe einer anzubietenden Barabfindung rechtlich und wirtschaftlich erläutert und begründet werden (Spaltungsbericht). Insbesondere bei nicht-verhältniswahrenden Spaltungen hat der Spaltungsbericht nachvollziehbare Unternehmensbewertungen zu enthalten und präzise auf die konkreten Anteilsverhältnisse einzugehen.1 Ein Spaltungsbericht ist dann gemäß §§ 127, 8 Abs. 3 UmwG nicht erforderlich, wenn alle Anteilsinhaber aller beteiligten Rechtsträger auf seine Erstattung in notariell beurkundeter Form verzichten oder wenn sich alle Anteile des übertragenden Rechtsträgers in der Hand des übernehmenden Rechtsträgers befinden.
3.72
Da sich im Übrigen keine Abweichungen zum Verschmelzungsbericht ergeben, wird auf die dortigen Ausführungen verwiesen (vgl. Rz. 3.23).
3.73
VII. Die Prüfung der Spaltung Bei der Ausgliederung findet eine Prüfung der Spaltung gemäß § 125 UmwG nicht statt. Bei Abspaltung und Aufspaltung ist dagegen grundsätzlich eine Prüfung der Spaltung erforderlich. Dies anders als bei der Verschmelzung auch dann, wenn sich alle Anteile eines übertragenden Rechtsträgers in der Hand des übernehmenden Rechtsträgers befinden, da § 9 Abs. 2 UmwG wegen § 125 UmwG ausdrücklich nicht auf Spaltungen Anwendungen findet. Diese Regelung wird zu Recht kritisiert: Zum einen scheint die Anordnung der Prüfung nicht stets sachgerecht, weil etwa bei der Abspaltung eines Betriebsteils auf die 100-prozentige MutterGmbH kein Anteilstausch stattfindet und eine Prüfung deshalb nicht erforderlich ist. Zum anderen hätte konsequenterweise auch der inhaltsgleiche § 8 Abs. 3 Alt. 2 UmwG ausgenommen werden müssen.2
3.74
Mangels Abweichungen zur Verschmelzung wird im Übrigen auf die dortigen Ausführungen verwiesen (vgl. Rz. 3.26).
3.75
VIII. Die Zustimmungsbeschlüsse Voraussetzung für die Wirksamkeit des Spaltungsvertrags ist gemäß §§ 125 Satz 1, 13 UmwG, dass die Anteilsinhaber der beteiligten Rechtsträger ihre Zustimmung erteilen. Da insoweit keine spaltungsspezifischen Besonderheiten bestehen, wird auf die Ausführungen zu den Verschmelzungsbeschlüssen verwiesen (vgl. Rz. 3.30). Auf die erforderliche Zustimmung aller beteiligten Anteilsinhaber bei nicht-verhältniswahrenden Spaltungen wurde in Rz. 3.58. eingegangen.
3.76
IX. Unterrichtung des Betriebsrates Nach § 126 Abs. 3 UmwG muss der Spaltungsvertrag oder sein Entwurf spätestens einen Monat vor dem Tag der Versammlung der Anteilsinhaber jedes beteiligten Rechtsträgers, die über die Zustimmung zu diesem Vertrag beschließen sollen, dem zuständigen Betriebsrat dieses Rechtsträgers zugeleitet werden. Einzelheiten werden an anderer Stelle erörtert (vgl. Rz. 3.29).
1 Lutter/Schwab, § 127 UmwG Rz. 32. 2 Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, UmwG UmwStG, §125 UmwG Rz. 13 ff.
Bollacher | 39
3.77
§ 3 Rz. 3.78 | Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen
X. Rechtsformabhängige Besonderheiten 3.78
Rechtsformabhängige Besonderheiten, die bei jeder Spaltung zu beachten sind, ergeben sich aus §§ 138–173 ff. UmwG. Hinsichtlich etwaiger Fragen wird insoweit auf die einschlägige Kommentarliteratur hingewiesen.
XI. Wirksamwerden 3.79
Die Spaltung wird gemäß §§ 130, 137 UmwG erst mit ihrer Eintragung in das Handelsregister jedes der übernehmenden Rechtsträger wirksam. Die Bestimmungen für die Verschmelzung über die Anmeldung, die Eintragung und die Wirkungen der Eintragung der Umwandlung gelten entsprechend (vgl. Rz. 3.37).
XII. Spaltungen im Konzern 3.80
Spaltungen in Konzernverhältnissen sind nahezu wie entsprechende Verschmelzungen vereinfacht und mit weniger Bürokratie möglich. So ist bei einer Vermögensübertragung eines 90prozentigen Gesellschafters auf seine „Tochter“ der Spaltungsbeschluss der Anteilseigener der übernehmenden Tochter gemäß §§ 62, 125 UmwG nicht erforderlich (vgl. Rz. 3.5).
3.81
Dagegen entfällt die Spaltungsprüfung nicht bei spaltungsbedingten Vermögensübertragungen der 100-prozentigen Mutter auf die Tochter (§ 125 UmwG, vgl. Rz. 3.74). Und wegen der Ausnahme von § 62 Abs. 5 UmwG aus dem Verweis in § 125 UmwG besteht die Möglichkeit des umwandlungsrechtlichen Squeeze-Out (vgl. Rz. 3.74) bei Spaltungen ebenfalls nicht.
D. Weitere Formen der Vermögensübertragung I. Die Anwachsung 3.82
Die Anwachsung ist eine gesetzlich nahezu nicht geregelte Möglichkeit, Vermögen von Personengesellschaften im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den letzten verbliebenen Gesellschafter zu übertragen. Die Anwachsung kann ohne Einhaltung der Formalitäten und Verfahren einer Umwandlung herbeigeführt werden, auch grenzüberschreitend,1 wird sofort wirksam und kann unter bestimmten Voraussetzungen steuerneutral erfolgen. Da sie nicht gesetzlich geregelt ist, bestehen aber noch immer einige Unsicherheiten hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen.
3.83
Ausgangspunkt ist § 738 BGB (ggf. i.V.m. § 105 Abs. 3 und § 161 Abs. 2 HGB), wonach der Anteil des aus einer Personengesellschaft (GbR, OHG oder KG) ausscheidenden Gesellschafters den anderen Gesellschaftern zuwächst. Diese Rechtswirkung tritt mit dem Ausscheiden eines Gesellschafters von selbst ein. Einer gesonderten rechtsgeschäftlichen Übertragung der bestehenden Rechte und Pflichten bedarf es nicht. Entsprechende Anwendung finden §§ 738 ff. BGB beim Austritt des vorletzten Gesellschafters. Dies setzt allerdings voraus, dass die Möglichkeit der Fortführung der Gesellschaft durch den letzten verbleibenden Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag oder einer späteren Einigung vereinbart ist.2 Übernimmt der verbleiben-
1 Hoger/Lieder, ZHR 180 (2016), 613. 2 St. Rspr. seit BGH v. 13.12.1965 – II ZR 10/64, NJW 1966, 827, 828; BGH v. 7.7.2008 – II ZR 37/ 07, MittBayNot 2009, 57.
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Weitere Formen der Vermögensübertragung | Rz. 3.87 § 3
de Gesellschafter die Gesellschaft aufgrund einer Übernahmevereinbarung, geht das gesamte Gesellschaftsvermögen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge1 ohne besonderen Übertragungsakt2 auf den letzten Gesellschafter über und die Gesellschaft wird ohne Liquidation beendet. Auslöser der Übertragung ist demnach nur der Austritt des letzten Gesellschafters, der bei Kündigung durch Ablauf der Kündigungsfrist und bei Vereinbarungen zu dem vereinbarten Zeitpunkt eintritt. Die Anwachsung ist insoweit entgeltlich, als § 738 BGB bestimmt, dass der Ausscheidende von den gemeinsamen Verbindlichkeiten freizustellen und ihm dasjenige zu zahlen ist, was er bei einer Auseinandersetzung erhalten würde. Abweichende Vereinbarungen über den Abfindungsanspruch sind freilich möglich. Zivilrechtlich kann mit der Anwachsung eine schnelle und unbürokratische Vermögensübertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge herbeigeführt werden. In arbeitsrechtlicher Sicht stellt der Übergang eines im Gesellschaftsvermögen enthaltenen Betriebes von der Gesellschaft auf ihren letzten Gesellschafter im Wege der Anwachsung einen Betriebsübergang gemäß § 613a BGB dar3 (vgl. dazu auch Rz. 5.45).
3.84
In steuerlicher Hinsicht kann je nachdem, ob die Anwachsung steuerlich unentgeltlich oder entgeltlich ist, Schenkung- oder Ertragsteuer entstehen.4 Bei einer Anwachsung auf eine Kapitalgesellschaft können unter Umständen verrechenbare Verluste gemäß § 15a EStG genutzt werden.5 Gehört Grundbesitz zu dem durch Anwachsung übertragenen Vermögen, kann zudem Grunderwerbsteuer anfallen.6
3.85
II. Die Einbringung in eine Gesellschaft Die Vermögensübertragung kann auch durch Einbringung von Vermögen in eine Gesellschaft erfolgen, was Übertragungsvorgänge der Einzelrechtsnachfolge mit denen der Gesamtrechtsnachfolge verknüpft. Das eingebrachte Vermögen wird zivilrechtlich im Wege der Einzelrechtsnachfolge übertragen, steuerrechtlich kann aber eine Gesamtrechtsnachfolge steuerneutral zu Buchwerten möglich sein.
3.86
Die Einbringung von Sach- oder Rechtsgesamtheiten in eine Gesellschaft kann im Zusammenhang mit einer Sachgründung, einer Nachgründung oder einer Kapitalerhöhung,7 sofern diese nicht aus Gesellschaftsmitteln erfolgt, vorkommen. Der bisherige Inhaber verpflichtet sich dabei im Gesellschaftsvertrag (Sachgründung) bzw. der Übernahmeerklärung (Sachkapitalerhöhung) zur Übertragung des Vermögens bzw. Vermögensteils. Die Übertragung selbst erfolgt mit einem gesonderten Einbringungsvertrag.8 Da die Einbringung zivilrechtlich im Wege der Einzelrechtsnachfolge vorgenommen wird, gelten für die Ausgestaltung und Bestimmtheit des Einbringungsvertrags die allgemeinen sachenrechtlichen Grundsätze, insbesondere bedarf es bei Einbringung von Vertragsverhältnissen und Verbindlichkeiten der Zustimmung der Vertragspartner und Gläubiger (vgl. auch Rz. 3.2).
3.87
1 2 3 4 5 6 7
Kowallik/Marklein/Scheipers, DStR 2008, 173. BGH v. 22.9.1993 – IV ZR 183/92, NJW-RR 1993, 1443. BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815; Vogt/Oltmanns, NZA 2012, 1190. Vgl. Orth, DStR 1999, 1011 ff. und 1053 ff. Vgl. Rautenstrauch/Adrian, DStR 2006, 359. FG Düsseldorf v. 14.7.2004 – 7 K 792/02 GE, DStRE 2004, 1363. MünchGesR/Krieger, IV § 56, S. 709 ff.; MünchGesR/Hoffmann-Becking, IV § 4 Rz. 22 ff.; Aha, AG 1997, 345, 349. 8 Vgl. Scholz/Winter/Westernann, § 5 GmbHG Rz. 35 ff.; Kallmeyer, GmbH-Handbuch, Rz. I 287.
Bollacher | 41
§ 3 Rz. 3.88 | Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen
3.88
Steuerrechtlich kann die Einbringung unter den Voraussetzungen der §§ 20–23, 24 UmwStG steuerneutral zu Buchwerten erfolgen. Die steuerpflichtige Aufdeckung stiller Reserven kann so vermieden werden. Voraussetzung ist dafür zunächst, dass ein steuerrechtlicher Betrieb, ein Teilbetrieb oder ein Mitunternehmeranteil eingebracht wird. Dies bedeutet, dass bei der Einbringung eines Betriebs oder Teilbetriebs eine Sachgesamtheit mit allen wesentlichen Betriebsgrundlagen in der bestehenden Organisationsform in einem einheitlichen Vorgang übertragen wird, dass die neue Gesellschaft das zivilrechtliche Eigentum, das wirtschaftliche Eigentum oder das dauerhafte Nutzungsrecht erhält1 und dass mit der Übertragung die bisherige Tätigkeit des einbringenden Rechtsträgers im Rahmen des bisherigen Betriebs endet.2 Der Betrieb muss also bis zur Einbringung bestanden haben; eine etwaige Betriebsaufgabe darf jedenfalls noch nicht erkennbar zum Ausdruck gebracht worden sein.3
3.89
Werden nur einzelne Vermögensgegenstände oder Verbindlichkeiten übertragen, die im steuerrechtlichen Sinne keinen Betrieb darstellen, kommt eine Einbringung zu Buchwerten nicht in Betracht. Nicht erforderlich ist allerdings, dass alle Wirtschaftsgüter übertragen werden. Vielmehr ist das Zurückbehalten von Wirtschaftsgütern, die keine wesentliche Betriebsgrundlage darstellen, für die Kennzeichnung des Einbringungsvorgangs unerheblich. Wenn ein Einzelunternehmen oder eine Personengesellschaft einbringender Rechtsträger sind, gelten die zurückbehaltenen Wirtschaftsgüter allerdings im Regelfall als in das Privatvermögen überführt, mit der Folge, dass die stillen Reserven realisiert werden.4 Es genügt, wenn die übernehmende Kapitalgesellschaft durch die Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen in die Lage versetzt wird, frei über die wesentlichen Betriebsgrundlagen zu verfügen, um den Betrieb fortzusetzen.5 Ob der Betrieb tatsächlich fortgeführt wird, wird überwiegend als unerheblich angesehen.6 Nicht erforderlich ist es, das Eigentum zu übertragen. Insoweit erscheint es richtig, auch solche Wirtschaftsgüter dem Betrieb zuzurechnen, die im Sonderbetriebsvermögen eines Mitunternehmers stehen und eine wesentliche Wirtschaftsgrundlage bilden. Entscheidend ist hier, dass sie innerhalb der organisierten Gesamtheit funktionsbezogen zur Nutzung überlassen werden,7 ohne einen eigenständigen Teilbetrieb darzustellen.
3.90
Betriebsgrundlage können sachliche oder immaterielle Betriebsmittel sein. Ob ein Wirtschaftsgut wesentlichen Charakter hat, bestimmt sich nicht nach den stillen Reserven, die darin enthalten sind. Dieser Gesichtspunkt hat, von einer funktionalen Eingrenzung des Betriebsbegriffs ausgehend, nur indiziellen Charakter.8 Entscheidend ist die Bedeutung der Betriebsmittel für die Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit.9 Entscheidend ist damit eine Be-
1 Vgl. hierzu Schmitt/Hörtnagl/Schmitt, UmwG UmwStG, § 20 UmwStG Rz. 21 f. 2 BFH v. 29.11.1988 – VIII R 316/82, BStBl. II 1989, 602, 604; BFH v. 16.12.1992 – X R 52/90, BStBl. II 1994, 838, 839; Herrmann/Heuer/Raupach, § 16 EStG Rz. 100 ff. 3 FG Düsseldorf v. 28.9.1956 – V 16/56, EFG 1957, 276, 277; Widmann in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht § 20 Rz. 7; Schmidt, § 16 EStG Rz. 97. 4 Zur Versteuerung vgl. Schmitt/Hörtnagl/Schmitt, UmwG UmwStG, § 20 UmwStGRz. 74. 5 Vgl. Schmitt/Hörtnagl/Schmitt, UmwG UmwStG, § 20 UmwStGRz. 22. 6 BFH v. 11.3.1982 – IV R 25/79, BStBl. II 1982, 707, 709; BFH v. 26.1.1991 – IV R 50/90, BStBl. II 1992, 380, 381; a.A. Blumers, DB 1995, 496 (500). 7 Vgl. BFH v. 19.3.1991 – VIII 1276/87, BStBl. II 1991, 635, 636; BFH v. 26.1.1994 – III R 39/91, BStBl. II 1994, 458, 460; BFH v. 20.3.2003 – IV R 27/01, BStBl. II 2003, 878; Schmitt/Hörtnagl/ Schmitt, UmwG UmwStG, § 20 UmwStG Rz. 24. 8 BFH v. 21.5.1992 – X R 77-80/90, BFH/NV 1992, 659, 660; Schmidt, § 16 EStG Rz. 101. 9 BFH v. 16.12.1992 – X R 52/90, BStBl. II 1994, 838, 839; Schmitt/Hörtnagl/Schmitt, UmwG UmwStG, § 20 UmwStG Rz. 24.
42 | Bollacher
Weitere Formen der Vermögensübertragung | Rz. 3.92 § 3
trachtungsweise im Einzelfall. Bei Produktionsunternehmen sind daher im Regelfall die Maschinen, bei Dienstleistungsunternehmen die Büroeinrichtung wesentliche Betriebsgrundlagen.1 Das unterscheidet auch die nach § 613a BGB wesentlichen Ressourcen, die auch Arbeitnehmer einbeziehen (vgl. Rz. 4.128 ff.). Wenn Betriebsmittel jederzeit ersetzbar sind, spricht dies allerdings gegen ihre Kennzeichnung als wesentliche Betriebsgrundlage (H 139 VIII EStR). Bedeutsam ist dies nicht nur für Umlaufvermögen (z.B. Warenbestand);2 der Grundsatz kann auch für das Anlagevermögen (z.B. Betriebsgrundstück) zum Tragen kommen.3 Als wesentliche Betriebsgrundlagen anzusehen sind bspw. Beteiligungen, wenn sie operativ wie Betriebsabteilungen geführt werden und nicht eine reine Finanzanlage darstellen,4 Ladenlokale, wenn eine Verlegung des Betriebs Veränderungen des Kundenkreises, des Warenangebots, des Warenabsatzes und der Wettbewerbslage mit sich bringt5 und Grundstücke, Büro- und Verwaltungsgebäude, wenn sie die räumliche und funktionale Grundlage für die Geschäftstätigkeit bieten; dies ist der Fall, wenn das Unternehmen ohne diese Betriebsmittel nicht ohne eine einschneidende Änderung der Organisation fortgeführt werden könnte.6 Keine Betriebsgrundlage ist die bloße Tätigkeit eines Dienstleisters. Sie ist weder Sache noch Recht.7 Eine bloße Funktionsnachfolge kann damit auch steuerlich keine Einbringung eines Dienstleistungsbetriebs begründen. Entscheidend ist hier, ob wesentliche Geschäftsbeziehungen8 oder sonstige immaterielle Werte (z.B. Patente, Warenzeichen, Gebrauchsmuster, Lizenzen, Know-how),9 Genehmigungen10 oder der Kundenstamm11 übernommen werden, so dass damit die rechtliche Möglichkeit geschaffen wird, im Rahmen dieser Verträge die bisherige Tätigkeit fortzusetzen.
3.91
Werden nicht alle wesentlichen Betriebsgrundlagen übertragen, ist die Einbringung eines Betriebs ausgeschlossen. Zu prüfen ist aber, ob die Übertragung der Wirtschaftsgüter als Teilbetrieb mit der Folge gekennzeichnet werden kann, dass eine Teilbetriebsübertragung i.S.d. § 20 Abs. 1 UmwStG vorliegt.12 Entsprechend den Feststellungen zur Einbringung eines Betriebs kommt es auch für die Einbringung eines Teilbetriebs darauf an, dass die Übertragung – bezogen auf den Teilbetrieb – die wesentlichen Betriebsgrundlagen betrifft.13
3.92
1 BFH v. 27.3.1987 – III R 214/83, BFH/NV 1987, 578, 579. 2 Hierzu vgl. BFH v. 24.6.1976 – IV R 200/72, BStBl. II 1976, 672, 673; BFH v. 29.11.1988 – VIII R 316/82, BStBl. II 1989, 602, 604. 3 Vgl. BFH v. 20.6.1989 – VIII R 396/83, BFH/NV 1989, 634, 635. 4 Schmitt/Hörtnagl/Schmitt, UmwG UmwStG, § 20 UmwStG Rz. 35. 5 BFH v. 12.2.1992 – XI R 18/90, BStBl. II 1992, 723, 724. 6 BFH v. 23.5.2000 – VIII R 11/99, GmbHR 2000, 1205 f. 7 BFH v. 9.7.1970 – IV R 16/89, BStBl. II 1970, 722, 723; BFH v. 26.1.1989 – IV R 151/86, BStBl. II 1989, 455. 8 Vgl. BFH v. 25.5.1988 – I R 92/84, BFH/NV 1989, 258, 259. 9 BFH v. 26.1.1989 – IV R 151/86, BStBl. II 1989, 455; BFH v. 14.12.1993 – VIII R 13/93, BStBl. II 1994, 922, 924; Schmitt/Hörtnagl/Schmitt, UmwG UmwStG, § 20 UmwStG Rz. 52; Schmidt, § 15 EStG Rz. 808. 10 Vgl. BFH v. 3.10.1989 – VIII R 142/84, BStBl. II 1990, 420, 423. 11 BFH v. 22.11.1988 – VIII R 323/84, BStBl. II 1989, 357, 359; BFH v. 18.5.1994 – I R 109/93, BStBl. II 1994, 925, 927. 12 So Schmitt/Hörtnagl/Schmitt, UmwG UmwStG, § 20 UmwStG Rz. 79, 91 ff.; Widmann in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 20 Rz. 56. 13 Vgl. BFH v. 24.4.1969 – IV R 202/68, BStBl. II 1969, 397, 398; BFH v. 19.11.1985 – VII R 189/83, BFH/NV 1987, 275, 276; Blumers, DB 1994, 496 f.
Bollacher | 43
§ 3 Rz. 3.93 | Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen
3.93
Gegenstand einer Einbringung nach § 20 Abs. 1 Satz 1 UmwStG kann auch ein Mitunternehmeranteil oder der Bruchteil eines Mitunternehmeranteils sein.1 Der Mitunternehmeranteil ist als Anteil einer natürlichen oder juristischen Person an einer Mitunternehmerschaft anzusehen, die einen Gewerbebetrieb, einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb oder eine freiberufliche Tätigkeit zum Gegenstand hat. Damit scheiden Anteile an einer Kapitalgesellschaft (AG, KGaA, GmbH) aus; ihre Einbringung kann aber nach Maßgabe von § 20 Abs. 1 Satz 2 UmwG erfolgen. Mitunternehmerschaften sind danach u.a. Beteiligungen an GbR, OHG, KG einschließlich GmbH & Co KG, die Gemeinschaft i.S.d. §§ 741 ff. BGB, die eheliche Gütergemeinschaft, die Erbengemeinschaft, die Vorgesellschaft einer Kapitalgesellschaft, die Vorgründungsgesellschaft, die EWIV oder die Partnerschaftsgesellschaft, sofern und soweit sie gewerblich, freiberuflich oder im Bereich der Forst- und Landwirtschaft tätig oder gewerblich i.S.d. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG geprägt sind.
3.94
Weitere Voraussetzung für die steuerneutrale Einbringung ist bei der Einbringung in eine Kapitalgesellschaft, dass der Einbringende nach § 20 UmwStG dafür neue Anteile an der Gesellschaft erhält, und bei der Einbringung in eine Personengesellschaft, dass er nach § 24 UmwStG Mitunternehmer der Gesellschaft wird. Bei Kapitalgesellschaften kommen nur die Sachgründung (§ 5 Abs. 4 GmbHG, § 27 AktG), die Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage (§ 56 GmbH, § 183 AktG) oder eine Umwandlung nach Maßgabe des Umwandlungsgesetzes in Betracht, wenn sie den ergänzenden Vorgaben in §§ 20, 23, 25 UmwStG entspricht.
III. Sonstige Formen der Vermögensübertragung 3.95
Neben den bislang behandelten Möglichkeiten gibt es weitere Formen der Vermögensübertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge, z.B. im UmwG (Vermögensübertragung gemäß § 174 UmwG), in Spezialgesetzen (Gesetz zur Spaltung von Treuhandunternehmen, Entflechtung von Unternehmen, Gesetz über die Spaltung landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften und Ausgliederungen aus dem Vermögen der Deutsche Bahn AG), oder im Rahmen der Auseinandersetzung eines Unternehmens (Realteilung bzw. Liquidation). Diese sind im Einzelnen in der Vorauflage (dort unter § 3 Rz. 49 ff.) dargestellt, auf die verwiesen wird.
E. Abgrenzungen I. Abgrenzung zum Gesellschafter- oder Inhaberwechsel 3.96
Die Übertragung von Anteilen an einer Gesellschaft (GmbH, Aktiengesellschaft, Genossenschaft, Personenhandelsgesellschaft oder GbR)2 oder einem Verein, häufig auch „Share Deal“ genannt, führt zu keiner Übertragung des Vermögens des betroffenen Rechtsträgers. Es kommt nur zu einem Wechsel der Inhaber der Gesellschaft, der keinen Betriebsübergang gemäß § 613a BGB3 darstellt und die Rechte und Pflichten und insbesondere die Vertragsver-
1 Widmann in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 20 Rz. 94; Schmidt, § 16 EStG Rz. 408, 417; Schmitt/Hörtnagl/Schmitt, UmwG UmwStG, § 20 UmwStG Rz. 91 f. 2 Veränderungen der Gesellschafter bei der Vorgesellschaft oder der Vorgründungsgesellschaft werden nachfolgend nicht behandelt. 3 BAG v. 22.3.2017 – 8 AZR 543/15.
44 | Bollacher
Abgrenzungen | Rz. 3.97 § 3
hältnisse und Vermögenswerte grundsätzlich1 unberührt lässt. Ob dabei der Weg des Ein- und Austritts oder der Weg der Anteilsübertragung gegangen wird, spielt an dieser Stelle keine Rolle. Der erstgenannte Weg eines Gesellschafterwechsels setzt Vereinbarungen zwischen dem einoder austretenden Gesellschafter und allen übrigen Gesellschaftern2 voraus. Der zweite Weg vollzieht sich mit Zustimmung3 der übrigen Gesellschafter auf der Grundlage einer Vereinbarung, die allein zwischen dem Anteilsveräußerer und -erwerber getroffen wird. Der Anteil als solcher wird durch seine Übertragung nicht verändert.4 Da der bloße Wechsel des Gesellschafters bzw. die Veränderung der Zahl der Gesellschafter auch nicht zu einer Auflösung der Gesellschaft führt, kann sie auch nicht als Realteilung gekennzeichnet werden. Dabei besteht heute weitgehendes Einvernehmen darüber, dass im Wege der Anteilsübertragung sogar die vollständige und gleichzeitige Auswechselung aller Mitglieder unter Wahrung der Identität einer Personengesellschaft und unter Aufrechterhaltung des ihr zugeordneten Gesamthandsvermögens möglich ist.5 Eine solche Übertragung kann, insbesondere bei der Vereinbarung einer Übernahmeklausel, auch zu einer Vereinigung aller Anteile in der Person eines Gesellschafters führen. Bei der GmbH oder der AG ist dies – wie § 1 GmbHG, § 2 AktG deutlich machen – ohne Weiteres möglich. Entsprechendes wird inzwischen allerdings auch für die Personengesellschaft angenommen, wenn alle Anteile auf einen einzigen Erwerber (vollständiger Austausch der Gesellschafter)6 oder auf den letzten, dann noch verbleibenden Gesellschafter7 übertragen werden. Auf diese Weise wird dem Interesse der früheren Gesellschafter Rechnung getragen, das zur Verfolgung eines bestimmten Zwecks organisierte Vermögen fortbestehen zu lassen. Im Gegensatz zur Kapitalgesellschaft führt dieser Übertragungsvorgang bei der Personengesellschaft aber zu einer Beendigung der Gesellschaft ohne Liquidation. Im Wege der Gesamtrechtsnachfolge wandelt sich das Gesamthandseigentum beim Anteilserwerber im Wege der Anwachsung in Alleineigentum um, ohne dass es einer weiteren Verfügung über einzelne Vermögensgegenstände bedarf (vgl. Rz. 3.84).8
1 Im Einzelfall können vertragliche „change of control-Klauseln“ zu beachten sein. Diese gewähren einem Vertragspartner ein Kündigungsrecht für den Fall, dass der Inhaber oder die Mehrheit oder zumindest die Kontrolle über das Unternehmen wechselt. 2 Bei Personengesellschaften ist der Aus- und Eintritt eine Satzungsänderung, der – vorbehaltlich einer abweichenden Regelung in der Satzung – sämtliche Mitgesellschafter zustimmen müssen. 3 Bei Kapitalgesellschafter ist eine Zustimmung der Mitgesellschafter zur Anteilsübertragung nicht kraft Gesetzes erforderlich, wird aber häufig in der Satzung als Übertragungsvoraussetzung festgelegt (sog. Vinkulierung). 4 Zur Unterscheidung vgl. allg. MünchKommBGB/Schäfer, § 719 BGB Rz. 25 m.w.N. 5 Vgl. nur BGH v. 8.11.1965 – II ZR 223/64, BGHZ 44, 229, 231; MünchKommBGB/Schäfer, § 719 BGB Rz. 26; Staudinger/Keßler, BGB, § 719 Rz. 4, jeweils m.w.N. Ähnlich BGH v. 18.2.1998 – XII ZR 39/96, DB 1998, 716 f. im Hinblick auf die Anwendbarkeit von § 571 BGB beim Gesellschafterwechsel. 6 So BGH v. 8.11.1965 – II ZR 223/64, BGHZ 44, 229, 231; BGH v. 10.5.1978 – VIII ZR 32/75, BGHZ 71, 296, 299; Rüthers/Franke, Anm. zu BAG v. 12.7.1990 – 2 AZR 39/90, EzA § 613a BGB Nr. 90, 9, 11 f. (KG); Flume, Personengesellschaft I/1 § 17 V (358); MünchKommBGB/Schäfer, § 719 BGB Rz. 26 m.w.N. (GbR). 7 So Flume, Personengesellschaft I/1 § 17 VIII (373 f.); Soergel/Hadding, § 719 BGB Rz. 11. 8 BGH v. 10.5.1978 – VIII ZR 32/77, BGHZ 71, 296, 297; BGH v. 24.11.1978 – V ZB 24/78, WM 1979, 249 f.; MünchKommBGB/Schäfer, § 719 BGB Rz. 26; a.A. OLG Zweibrücken v. 7.4.1975 – 3 W 11/75, OLGZ 1975, 405, 407.
Bollacher | 45
3.97
§ 3 Rz. 3.98 | Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen
II. Abgrenzung zum Formwechsel bzw. der formwechselnden Umwandlung 3.98
Bei der formwechselnden Umwandlung, die heute in §§ 190 ff. UmwG unter dem Begriff des „Formwechsels“ geregelt ist, ändert sich nur die Rechtsform eines Unternehmens, also das „Kleid“, in dem die Gesellschaft nach außen erscheint. Alter und neuer Rechtsträger sind also identisch, selbst wenn man angesichts der äußerlichen Veränderungen durchaus – so Zöllner1 – von der „Identität eines Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ sprechen kann.
3.99
Auch bei einem Wechsel zwischen juristischer Person und Gesamthand ist der Formwechsel nicht mit einem Übergang von Vermögen verbunden. In §§ 14, 25 UmwStG mussten deshalb besondere Regelungen getroffen werden, die trotz fehlenden Übertragungsvorgangs – abweichend vom allgemeinen Realisationsprinzip in § 252 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 HGB – unter bestimmten Voraussetzungen eine Besteuerung stiller Reserven begründen. Insoweit kann, ohne Unterscheidung zwischen übertragender und formwechselnder Umwandlung, z.B. eine Kapitalgesellschaft aus steuerlichen Gründen in eine Personengesellschaft umgewandelt werden, oder eine GmbH kann zum Zwecke des späteren Börsengangs in eine AG2 umgewandelt werden.
3.100
Ein Formwechsel gemäß §§ 190 ff. UmwG kann nur unter Einbeziehung der in § 191 UmwG genannten Rechtsträger erfolgen. Damit gelten aber vor allem für die GbR Besonderheiten:
3.101
Soll eine AG, KGaA oder GmbH in eine GbR umgewandelt werden, kann dies nach Maßgabe von §§ 190 ff., 226 ff. UmwG erfolgen. Voraussetzung ist lediglich, dass der Unternehmensgegenstand des formwechselnden Rechtsträgers nicht im Betrieb eines vollkaufmännischen Handelsgewerbes besteht, das zwingend zur Bildung einer Handelsgesellschaft (OHG oder KG) führen würde.3
3.102
Von dieser Umwandlung zu unterscheiden ist die formwechselnde Umwandlung4 einer OHG bzw. einer KG in eine GbR. Sie tritt bereits dann ein, wenn aus rechtlichen Gründen (z.B. Zweckänderung) oder tatsächlichen Gründen (z.B. Schrumpfung des Unternehmens) der Zweck der Gesellschaft nicht mehr auf den Betrieb eines (vollkaufmännischen) Handelsgewerbes gerichtet ist. Denkbar ist ein solcher Formwechsel insbesondere im Zusammenhang mit der Errichtung einer Holdingstruktur oder einer Betriebsaufspaltung, bei der die GbR als Besitz-Gesellschaft und eine andere Gesellschaft, in der Regel eine GmbH, als Betriebsgesellschaft geführt wird. Nur wenn der gesunkene Umfang der Geschäftstätigkeit der Grund für die Umwandlung ist, bedarf es noch einer Löschung der Firma im Handelsregister.5 In allen Fällen muss allerdings vor allem im Hinblick auf etwaige Ansprüche Dritter geklärt werden, ob und inwieweit die unterschiedliche Stellung von Komplementär und Kommanditist einer KG innerhalb einer GbR fortbesteht.6 Im Übrigen aber ist ein Rückgriff auf die Vorgaben des UmwG nicht erforderlich. Mit der entsprechenden Begründung wandelt sich eine GbR in eine OHG oder KG, wenn der Gesellschaftszweck auf ein (vollkaufmännisches) Handelsgewerbe gerichtet wird. Er tritt mit der Zweckänderung ein. Die nach §§ 123, 106 f. HGB notwendige Eintragung im Handelsregister hat hier nur deklaratorische Bedeutung.
1 2 3 4
Zöllner, ZGR 1993, 334, 336 f. Hierzu vgl. Kallmeyer, DB 1996, 28, 29 f. MünchKommBGB/Ulmer/Schäfer, § 705 BGB Rz. 8. Die begriffliche Kennzeichnung wechselt K. Schmidt, ZHR 143 (1981), 2, 3, spricht hier von „identitätswahrender Umwandlung“. 5 MünchKommBGB/Ulmer/Schäfer, § 705 BGB Rz. 8. 6 Zum Meinungsstand vgl. MünchKommBGB/Ulmer/Schäfer, § 705 BGB Rz. 14.
46 | Bollacher
Internationale Sachverhalte | Rz. 3.105 § 3
Da § 191 Abs. 2 UmwG die GbR nur als neuen Rechtsträger nennt, ist eine Umwandlung der GbR in eine Kapitalgesellschaft ausgeschlossen. Eine Ausweitung der im UmwG insoweit enumerativ genannten Gestaltungsmöglichkeiten ist ausgeschlossen (§ 1 Abs. 2 UmwG). Ein vergleichbares Ergebnis tritt allerdings dann ein, wenn die Gesellschafter der GbR sämtliche Anteile auf eine bereits bestehende GmbH oder AG übertragen. Ohne Rücksicht auf die Frage, wie das zugrunde liegende Rechtsgeschäft zu beurteilen ist, kommt das Anwachsungsprinzip zur Anwendung mit der Folge, dass das Gesamthandseigentum der GbR-Gesellschafter durch das Alleineigentum der GmbH oder AG ersetzt wird. Die darin liegende Vereinigung der GbR-Anteile in einer Hand führt zur Gesamtrechtsnachfolge des Anteilserwerbers in Aktiva und Passiva der Gesellschaft unter Umwandlung des Gesamthandsvermögens in Alleineigentum des Erwerbers.
3.103
Da die formwechselnde Umwandlung nach UmwG1 auch bei einem Wechsel zwischen juristischer Person und Gesamthand nicht mit einem Übergang von Vermögen verbunden ist, findet § 613a BGB keine Anwendung.2 Die Arbeitsverhältnisse bleiben unberührt.3 Änderungen können allerdings hinsichtlich der Bildung unternehmens- und rechtsformbezogener Organe der Mitbestimmung (Aufsichtsrat) auftreten.
3.104
F. Internationale Sachverhalte I. Einzelrechtsnachfolge Bei der Einzelrechtsnachfolge vollzieht sich die Vermögensübertragung grundsätzlich auf zwei Ebenen: Auf der schuldrechtlichen Ebene wird der Rechtsgrund für die Übertragung geschaffen und auf der dinglichen Ebene wird die Übertragung dann sachenrechtlich vollzogen. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten sind diese beiden Ebenen getrennt zu beurteilen. Beim schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäft (Kaufvertrag, Nutzungsvertrag etc.) können die Parteien grundsätzlich das anwendbare Recht selbst und frei wählen.4 Insoweit richten sich die Regelungen für das Zustandekommen, die Auslegung und die Grenzen des dispositiven Rechts nach der gewählten Rechtsordnung. Für den dinglichen Vollzug ist nach den allgemeinen Grundsätzen des Internationalen Privatrechts (vgl. Art. 43 EGBGB) das Recht des Landes anwendbar, in dem der von dem Vollzug betroffene Vermögensgegenstand liegt (lex rei sitae).5 Bei Übertragung von Vermögen oder Vermögensteilen, das sich auf mehrere Länder erstreckt, müssen deshalb für den dinglichen Vollzug die sachenrechtlichen Vorschriften verschiedener Rechtsordnungen beachtet werden. So ist es denkbar, dass für dieselbe Art von Vermögensgegenständen verschiedene Vollzugshandlungen erforderlich sind. Insbesondere dann, wenn an den jeweiligen Lageorten verschiedene Formvorschriften bestehen, kann dies einem einheitlichen Übertragungsvertrag entgegenstehen und gesonderte Vollzugsvereinbarungen bzw. Vollzugshandlungen in den verschiedenen Ländern erforderlich machen.
1 Zum Formwechsel außerhalb des UmwG durch Anwachsung s. Rz. 3.82 ff. und zum Formwechsel zwischen GbR und OHG kraft Begründung/Beendigung eines Handelsgewerbes s. Rz. 3.102 f. 2 LAG Hamm v. 25.10.2000 – 4 Sa 363/00 n.v.; Henssler, NZA 1994, 913, 917. 3 Junker in Hanau/Schaub, Arbeitsrecht 1997, S. 87, 106. 4 Art. 3 ff. der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des europäischen Parlaments und des Rates vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom-I). 5 BGH v. 25.9.1996 – VIII ZR 76/95, NJW 1997, 461, 462; BGH v. 22.2.2010 – II ZR 287/07, IPRspr 2010, Nr. 82, 173.
Bollacher | 47
3.105
§ 3 Rz. 3.106 | Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen
II. Gesamtrechtsnachfolge 3.106
Bei der Gesamtrechtsnachfolge ist grundsätzlich zunächst ebenfalls nach den allgemeinen Bestimmungen des Internationalen Privatrechts zu bestimmen, nach welcher Rechtsordnung sich der die Gesamtrechtsnachfolge auslösende Umstand beurteilt. So unterliegt beispielsweise die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach dem deutschen Internationalen Privatrecht (Art. 25 Abs. 1 EGBGB) dem Recht des Staates, dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes angehörte.
3.107
Bei den hier vor allem in Rede stehenden Umwandlungen richtet sich das anwendbare Recht nach dem für jeden beteiligten Rechtsträger geltenden Gesellschaftsstatut. Grenzüberschreitende Umwandlungen müssen folglich die Anforderungen sowohl der Rechtsordnung des übertragenden Rechtsträgers als auch der Rechtsordnung des aufnehmenden Rechtsträgers erfüllen. Für eine grenzüberschreitende Umwandlung ist es damit Voraussetzung, dass die Rechtsordnung des aufnehmenden Rechtsträgers sowohl eine „Hineinumwandlung“ als auch den übertragenden Rechtsträger ausländischer Rechtsform anerkennt und dass die betreffende ausländische Rechtsordnung die Möglichkeit einer „Herausumwandlung“ konkret vorsieht.1 Das Gesellschaftsstatut richtet sich nach der Gründungstheorie nach der Rechtsordnung, in der die Gesellschaft gegründet wurde, und nach der Sitztheorie nach der Rechtsordnung, in der sich der tatsächliche Sitz der Gesellschaft befindet; auf den in der Satzung angegebenen Satzungssitz oder den Ort der Registereintragungen kommt es nach der Sitztheorie nicht an. Der BGH2 folgt für Gesellschaften außerhalb des europäischen Wirtschaftsraumes unter Berufung auf Gewohnheitsrecht der Sitztheorie, so dass für die Fragen der grenzüberschreitenden Umwandlungen das Recht am Ort des tatsächlichen Sitzes der Hauptverwaltung maßgeblich ist.
III. Grenzüberschreitende Umwandlungen im Geltungsbereich der europäischen Niederlassungsfreiheit 1. Rechtliche Grundlagen 3.108
Bis zum Jahr 2005 war es in Deutschland auch bei grenzüberschreitenden Umwandlungen im Anwendungsbereich der europäischen Niederlassungsfreiheit anerkannt, dass sie nicht zulässig sind und nur die in § 3 UmwG genannten inländischen Rechtsformen Rechtsträger nach dem UmwG sein können.3 Ab 2005 haben sich die Grundlagen indes durch die europäische Gesetzgebung und verschiedene Urteile europäischer Gerichte stark verändert und der Veränderungsprozess ist derzeit noch nicht abgeschlossen. Mit der internationalen Verschmelzungsrichtlinie4 hat der europäische Gesetzgeber erstmals Regelungen für die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen EU-Mitgliedstaaten getroffen, die durch die §§ 122a–122l UmwG nahezu unverändert in das deutsche Recht umge1 Habersack/Drinhausen/Kliem, § 122b UmwG Rz. 12 für Gesellschaften US-amerikanischen Rechts mit Hinweis auf BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, NJW 2003, 1607. 2 Grundlegend BGH v. 11.7.1957 – II ZR 318/55, NJW 1957, 1433; zuletzt etwa BGH v. 29.6.2010 – VI ZR 122/09, NJW-RR 2010, 1554; zur Gründungstheorie und dem Meinungsstand ausführlich MünchKommBGB/Kindler, Bd. 11, Rz. 351 ff. 3 Sagasser/Bula/Brünger/Gutkès, Umwandlungen, § 12 Rz. 5, der auch die damals in der Praxis entwickelten Ausweichkonstruktionen wie synthetische Zusammenschlüsse, Übernahmeangebote und An- und Abwachsungsmodelle vorstellt. 4 Richtlinie 2005/76/EG über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten.
48 | Bollacher
Internationale Sachverhalte | Rz. 3.109 § 3
setzt wurden und besondere Bestimmungen über das anwendbare Verfahren enthalten (dazu Rz. 3.110). Für die Societas Europea (Europäische Aktiengesellschaft – SE) und die Europäische Genossenschaft (SCE) gelten zudem die SE-VO1 und das SEAG2 bzw. die SCE-VO3 und das SCEAG,4 nach denen eine SE bzw. eine SCE durch bestimmte grenzüberschreitende Verschmelzungen oder Formwechsel von bestehenden Aktiengesellschaften bzw. Genossenschaften errichtet werden kann. Die Beteiligung an Umwandlungen einer bestehenden SE regelt die SE-VO dagegen nicht unmittelbar. Unter maßgeblicher Berufung auf die Niederlassungsfreiheit im Binnenmarkt haben dann einige wesentliche Gerichtsurteile die Mobilität über Landesgrenzen hinaus weiter ermöglicht. Mit der grundlegenden SEVIC-Entscheidung5 hat der EuGH höchstrichterlich geklärt, dass Beschränkungen hinsichtlich der grenzüberschreitenden Umwandlungsvorgänge nicht mit der europäischen Niederlassungsfreiheit vereinbar sind. Die generelle Verweigerung grenzüberschreitender Verschmelzungen ist zumindest dann nicht mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar, wenn entsprechende innerstaatliche Verschmelzungen unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sind.6 Zudem hat der EuGH in den Entscheidungen Cartesio7 und VALE8 festgestellt, dass der grenzüberschreitende und identitätswahrende Formwechsel grundsätzlich zulässig ist. Umstritten ist seit der Cartesio-Entscheidung hingegen die Rechtslage für Hinausverschmelzungen, da sich der EuGH in dieser Entscheidung ausdrücklich den Leitlinien der Daily Mail-Entscheidung9 angeschlossen und es den Mitgliedstaaten freigestellt hat, den Wegzug einer Gesellschaft mit dem Verlust der Rechtsform zu verknüpfen. Für die dennoch anzunehmende Zulässigkeit auch der grenzüberschreitenden Hinausverschmelzung lässt sich anführen, dass Cartesio nur einen Formwechsel betraf, an dem stets lediglich ein Rechtsträger beteiligt war10 und dass die Erwägungen des EuGHs nicht auf andere Umwandlungsarten mit mehreren Rechtsträgern erstreckt werden können.11 Sodann hat der EuGH in der Rechtssache „Polbud“12 entschieden, dass ein grenzüberschreitende Formwechsel durch Sitzverlegung in das europäische Ausland von der Niederlassungsfreiheit gedeckt ist und entgegenstehende innerstaatliche Regelungen, die für diesen Fall eine Auflösung der Gesellschaft vorsahen, insoweit nicht anzuwenden sind. 1 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE). 2 Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) v. 22.12.2004 (BGBl. I S. 3675), zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes v. 10.5.2016 (BGBl. I S. 1142). 3 Verordnung (EG) Nr. 1435/2004 des Rates vom 22.7.2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SE). 4 Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22.7.2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE) v. 14.8.2006 (BGBl. I S. 1911), zuletzt geändert durch Art. 11 des Gesetzes v. 10.5.2016 (BGBl. I S. 1142). 5 EuGH v. 31.12.2005 – C-411/03, DStR 2006, 49. 6 EuGH v. 31.12.2005 – C-411/03, DStR 2006, 49; Sagasser/Bula/Brünger/Gutkès, Umwandlungen, § 12 Rz. 2. 7 EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, BB 2009, 11; Bollacher, RIW 2009, 150. 8 EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, BB 2012, 2069. 9 EuGH v. 27.9.1988 – 81/87, NJW 1989, 2186 ff. 10 Lutter/Drygala, § 1 UmwG Rz. 15; Lennerz, Die internationale Verschmelzung und Spaltung unter Beteiligung deutscher Gesellschaften, S. 93 f.; Thiermann, Grenzüberschreitende Verschmelzungen deutscher Gesellschaften, S. 289, 299. 11 Wenglorz, BB 2004, 1061, 1063; Drygala, ZIP 2005, 1995, 1997 f.; Schön, ZGR 2013, 333, 360. 12 EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16, NZG 2017, 1308.
Bollacher | 49
3.109
§ 3 Rz. 3.110 | Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen
3.110
Zudem ist der europäische Gesetzgeber weiter aktiv gewesen: Die Verschmelzungsrichtlinie wurde zunächst mit der Gesellschaftsrechtsrichtlinie1 erweitert. Mit der Mobilitätsrichtlinie2 als Teil des sog. Company Law Package hat der europäische Gesetzgeber die Regelungen der erweiterten Verschmelzungsrichtlinie sodann umfassend erneuert und für europäische Gesellschaften vereinheitlichte Rahmenbedingungen für grenzüberschreitende Umwandlungen geschaffen, insbesondere werden die grenzüberschreitende Umwandlung (Formwechsel) und die grenzüberschreitende Spaltung von Kapitalgesellschaften geregelt und die Regelungen der grenzüberschreitende Verschmelzung angepasst. Die nationale Umsetzung der Mobilitätsrichtlinie muss durch die Mitgliedstaaten bis zum 31.01.2023 erfolgen. Gegenwärtig ist damit zu rechnen, dass sich der deutsche Gesetzgeber wie bei der damaligen Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie auf die Umsetzung der Mobilitätsrichtlinie durch entsprechende Anpassung u.a. des UmwG beschränkt und keine erweiternden oder ergänzenden Neuregelungen vornimmt, insbesondere die Änderungen im UmwG entsprechend der Mobilitätsrichtlinie auf Kapitalgesellschaften beschränkt.3
3.111
Auch wenn UmwG, Richtlinien und die Entscheidungen insbesondere der europäischen Gerichte für einige Fallkonstellationen konkrete Regelungen vorsehen, bestehen in der Praxis viele noch ungelöste Fragen zur Umsetzung solcher internationalen Umwandlungen und zu den jeweils anwendbaren Verfahrensvorschriften.4 Personenhandelsgesellschaften können zwar gem. § 122b Abs. 1 Nr. 2 UmwG als übernehmender Rechtsträger beteiligt sein, durch die Beschränkung von Verschmelzungs- und Mobilitätsrichtlinie auf Kapitalgesellschaften werden allerdings Personengesellschaften sonst nicht erfasst. Die Mobilitätsrichtlinie gilt ferner nur für Unternehmen, die innerhalb verschiedener Mitgliedstaaten der EU ansässig sind, und damit nicht für Umwandlungen aus demselben Mitgliedstaat oder aus Drittstaaten. Schließlich gilt die Mobilitätsrichtlinie bei Spaltungen nur für Spaltungen zur Neugründung, nicht aber für Spaltungen zur Aufnahme. Zudem ist derzeit unklar, ob bzw. in welchem Umfang eine Vorwirkung der Mobilitätsrichtlinie anzunehmen ist; das OLG Saarbrücken hat einen grenzüberschreitenden Herausformwechsel im Ausgangspunkt nach den §§ 190 ff. UmwG beurteilt und ergänzend die Bestimmungen über grenzüberschreitende Verschmelzungen gem. §§ 122a ff. UmwG entsprechend herangezogen, soweit dies zum Schutze Außenstehender, insbesondere von Gläubigern und Arbeitnehmern, erforderlich ist.5 Auch für andere Formen der Gesamtrechtsnachfolge, etwa die Anwachsung, gibt es derzeit keine rechtssichere Aussage über die anwendbaren Verfahrensvorschriften.
2. Grenzüberschreitende Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften 3.112
Für grenzüberschreitende Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften, die in unterschiedlichen Mitgliedstaaten der EU bzw. des Europäischen Wirtschaftsraums6 ansässig sind, enthalten die §§ 122a–122l UmwG besondere Bestimmungen über das anwendbare Verfahren. Die §§ 122a ff. UmwG setzen dabei die Verschmelzungsrichtlinie nahezu unverändert in das deutsche Recht 1 Richtlinie 2017/1132/EU über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts. 2 Richtlinie 2019/2121/EU in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen. 3 Heckschen, GWR 2020, 449, 453. 4 Förster, DStR 2020, 865; Drygala/van Bressendorf, NZG 2016, 1161. 5 OLG Saarbrücken v. 7.1.2020 – 5 W 79/19, Brehm/Schümmer, NZG 2020, 538, 543. 6 Durch Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 127/2006 v. 22.9.2006 (ABl. 2006 Nr. L 333, S: 59) ist der Anwendungsbereich der Verschmelzungsrichtlinie auf die Mitgliedstaaten des EWR erweitert worden.
50 | Bollacher
Internationale Sachverhalte | Rz. 3.118 § 3
um. Gemäß § 122a Abs. 2 UmwG gelten die allgemeinen Regelungen zur Verschmelzung, sofern §§ 122c ff. UmwG nicht etwas Abweichendes bestimmen. Das grenzüberschreitende Verschmelzungsverfahren entspricht strukturell dem des UmwG.1 Insbesondere enthält es die im UmwG bereits vorgesehenen Kernelemente Verschmelzungsplan (§ 122c UmwG), Verschmelzungsbericht (§ 122e UmwG), Verschmelzungsprüfung (§ 122f UmwG) und Verschmelzungsbeschlüsse (§ 122g UmwG). Auch die Grundsätze der Rechtsfolgen einer Verschmelzung, dem Bestandsschutz und der Wirksamkeit entsprechen denen des UmwG.
3.113
Ein zusätzlicher Verfahrensschritt ist die Verschmelzungsbescheinigung (§ 122k UmwG), die auf Antrag der Vertretungsorgane eines übertragenden Rechtsträgers vom zuständigen Registergericht ausgestellt und in dem bestätigt wird, dass die Voraussetzungen für die grenzüberschreitende Verschmelzung vorliegen. Als Verschmelzungsbescheinigung gilt dabei auch die Eintragung der Verschmelzung im Register des betroffenen Rechtsträgers.
3.114
3. Sonstige grenzüberschreitende Umwandlungen Grenzüberschreitende Umwandlungen i.S.d. Richtlinien erfassen den Wechsel der Rechtsform einer Gesellschaft in die Rechtsform eines anderen Mitgliedstaats ohne Auflösung, Abwicklung oder Liquidation der Gesellschaft und unter Beibehaltung ihrer Rechtspersönlichkeit unter Verlegung zumindest ihres Satzungssitzes. Sie erfassen damit grundsätzlich den Formwechsel, die Verschmelzung und die Spaltung2 und sind damit immer die Kombination aus Formwechsel und Sitzverlegung.3
3.115
Von der Niederlassungsfreiheit gedeckt sind nach der Rechtsprechung, den Richtlinien und des UmwG mittlerweile4 (i) die Herein- und Hinausspaltung unter Beteiligung von Kapitalgesellschaften, (ii) die Hereinverschmelzung von Personengesellschaften, (iii) die Hereinspaltung von Personengesellschaften, (iv) die Hinausverschmelzung von Personengesellschaften bei Ermöglichung durch den Aufnahmestaat und (v) die Hinausspaltung von Personengesellschaften bei Ermöglichung durch den Aufnahmestaat.
3.116
Das Verfahren grenzüberschreitender Umwandlungen ist in der Mobilitätsrichtlinie wie folgt vorgesehen: Für grenzüberschreitende Umwandlungen ist ein Umwandlungsplan erforderlich, der gewisse Mindestangaben enthalten muss. Zusätzlich zu den Angaben im Umwandlungsplan gem. § 194 UmwG sind ein Zeitplan, Angaben zu einer etwaigen Förderung im Wegzugsstaat und Angaben zu einem etwaigen Verhandlungsverfahren mit den Arbeitnehmern zu machen. Gesellschaftern, die gegen die Zustimmung zum Umwandlungsplan stimmen, ist eine Barabfindung anzubieten. Gläubigern ist ein Anspruch auf Bestellung angemessener Sicherheit einzuräumen.
3.117
Daneben ist ein Umwandlungsbericht zu erstellen. Darin sind die rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte der grenzüberschreitenden Umwandlung, die Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer (einschließlich der Maßnahmen zu ihrer Sicherung), die Bar-
3.118
1 Vgl. Klein, RNotZ 2007, 565. 2 Meilicke/Rabback, GmbHR 2006, 123, 126; Kallmeyer/Kappes, AG 2006, 224, 234; Beutel, Der neue rechtliche Rahmen grenzüberschreitender Verschmelzungen in der EU, S. 91; Gottschalk, EuZW 2006, 83, 84; Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38, 46. 3 Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG UmwStG, § 191 UmwG Rz. 38. 4 Sagasser/Bula/Brünger/Gutkès, Umwandlungen, § 2 Rz. 53.
Bollacher | 51
§ 3 Rz. 3.118 | Verschmelzung, Spaltung und sonstige Formen der Übertragung von Vermögen
abfindung, die Auswirkungen auf die Gesellschafter und die den Gesellschaftern zustehenden Rechtsbehelfe zu erläutern. Die Erläuterung für Gesellschafter ist dabei nicht erforderlich, wenn alle Gesellschafter auf ihn verzichten oder die Gesellschaft nur einen Gesellschafter hat.
3.119
Der Umwandlungsplan ist grundsätzlich von einem unabhängigen Sachverständigen zu prüfen, wenn nicht die Gesellschafter einvernehmlich darauf verzichten.
3.120
Die Gesellschafterversammlung jedes Rechtsträgers hat dem Umwandlungsplan mit qualifizierter Mehrheit zuzustimmen. Der Umwandlungsplan ist dabei mindestens einen Monat vor dem Tag der Gesellschafterversammlung offenzulegen. Zudem ist der Umwandlungsbericht (samt Plan) gegenüber Gesellschaftern und Arbeitnehmervertretern bzw. Arbeitnehmern bereits sechs Wochen vor der Gesellschafterversammlung zugänglich zu machen. Gläubigern ist ein Anspruch auf Bestellung angemessener Sicherheit einzuräumen.
3.121
Für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer gilt die Regelung im Zuzugsstaat (Sitzlandprinzip), sofern nicht ein der Regelung bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen vergleichbares Verhandlungsverfahren durchgeführt wird (dazu Rz. 32.3 ff.).
3.122
Das Verfahren der grenzüberschreitenden Umwandlung wird zunächst im Wegzugsstaat und dann im Zuzugsstaats geführt: Alle Unterlagen sind zunächst bei der zuständige Behörde des Wegzugsstaats einzureichen. Diese prüft die eingereichten Unterlagen insbesondere darauf, dass die grenzüberschreitende Umwandlung nicht „zu missbräuchlichen, betrügerischen oder kriminellen Zwecken“ vorgenommen werden soll, stellt eine Vorabbescheinigung aus, dass im Wegzugsstaat alle Voraussetzungen und Formalitäten der grenzüberschreitenden Umwandlung ordnungsgemäß erfüllt sind und übergibt damit das Verfahren an die Behörde des Zuzugsstaats. Diese Behörde prüft dann ihrerseits, ob die Vorabbescheinigung ordnungsgemäß vorliegt, ob die umgewandelte Gesellschaft die Gründungsvoraussetzungen der Zielrechtsform erfüllt und ob ggf. ein Verhandlungsverfahren zur Mitbestimmung der Arbeitnehmer durchgeführt wurde, und führt dann die Registereintragung aus.
3.123
Die Möglichkeit dieser grenzüberschreitenden Umwandlungen ist im Bereich der Europäischen Gemeinschaft bzw. des Europäischen Wirtschaftsraums zwar grundsätzlich anerkannt. Ebenso anerkannt ist, dass sich die grenzüberschreitende Spaltungen und der grenzüberschreitende Formwechsel grundsätzlich nach denselben Grundsätzen wie grenzüberschreitende Verschmelzungen richten.1 Bei der konkreten Umsetzung und Durchführung ergeben sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt freilich noch erhebliche Probleme und Unsicherheiten dadurch, dass anders als bei der Verschmelzung bisher verbindlichen Grundlagen und Vorgaben, insbesondere zu den Verfahrensnormen fehlen. Dies wird sich voraussichtlich erst mit der Umsetzung der Mobilitätsrichtlinie in das Recht der Mitgliedstaaten ändern.
3.124
Für die Praxis wird aber auch nach der Umsetzung noch eine unsichere Rechtssituation bestehen, weil jedenfalls für eine Übergangszeit noch Ungewissheit herrschen dürfte, welche Anforderungen die verschiedenen Registergerichte an eine Eintragung stellen bzw. unter Beachtung der Niederlassungsfreiheit stellen dürfen. Da auch grenzüberschreitende Umwandlungen erst mit der Eintragung in das Handelsregister wirksam werden, kann derzeit bei einer Anmeldung noch nicht sicher gesagt werden, ob, in welchem zeitlichen Rahmen und ggf. nach welchen Zwischenverfügungen eine Eintragung auch tatsächlich erfolgt. 1 Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38, 46; Leible/Hofmann, RIW 2006, 161, 165; Bungert/de Raet, DB 2014, 761, 766; zur Durchführung vgl. im Einzelnen: Prüm, Grenzüberschreitende Spaltungen, S. 101 ff.
52 | Bollacher
Teil 2 Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
§4 Kennzeichnung eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs nach § 613a BGB
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Entstehungsgeschichte von § 613a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs . . . . . . . . . . . . I. Leitlinien der Rechtsprechung zu Richtlinie 2001/23/EG und § 613a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung betriebsverfassungsrechtlicher Kriterien für die Kennzeichnung des Anwendungsbereichs von § 613a BGB . . . . . . . . . . . III. Systematisierung der Kriterien eines Betriebs oder Betriebsteilübergangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Kennzeichnung der einzelnen Kriterien eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs . . . . . . . . . . . . 1. Der Betrieb oder Betriebsteil als organisatorische Einheit . . . . . . . a) Ausübung der Leitungsmacht als Merkmal zur Kennzeichnung der Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besonderheiten in der Matrix-Organisation . . . . . . c) Ausgrenzung vorübergehender Organisationsformen . . d) Bestehen einer organisatorischen Einheit vor dem Übertragungsvorgang . . . . . e) Fortbestand der organisatorischen oder funktionellen Identität des Betriebs oder Betriebsteils im Anschluss an den Übertragungsvorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1 4.4
2.
4.14 3. 4.16
4.
4.34
4.38
4.47 4.48
4.50 4.66 4.68 5. 4.73
4.79
f) Besonderheiten beim Betriebsteilübergang . . . . . . Kein Betriebsübergang bei bloßer Fortsetzung der gleichen Tätigkeit (Funktions- oder Auftragsnachfolge) . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung der beim bisherigen Inhaber ausgeübten Tätigkeit . . . Übernahme von Betriebsmitteln a) Unterscheidung zwischen betriebsmittelintensiver und betriebsmittelarmer Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Übernahme eines Auftrags . c) Übernahme von Marken, Lizenzen, Konzessionen und gewerblichen Schutzrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bedeutung der Übernahme von Daten, Datenträgern und IT-Systemen . . . . . . . . . e) Unterscheidung zwischen Eigentum und sonstigen Nutzungsberechtigungen . . f) Kein Betriebsübergang bei Fortführung des Betriebs durch bisherigen Inhaber . . g) Besonderheiten bei Betriebsführungsverträgen . . . . . . . . Übernahme von Arbeitnehmern als Merkmal eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs . . . . . . . . . a) Allgemeine Bedeutung des Personals . . . . . . . . . . . . . . . b) Gestaltungsformen einer Übernahme von Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bedeutung der Anzahl des übernommenen Personals .
4.87
4.89 4.93 4.95
4.96 4.108
4.109 4.111 4.114 4.118 4.121
4.128 4.129 4.135 4.140
Gaul/Bonanni | 53
§ 4 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB d) Bedeutung der Sachkunde des Personals . . . . . . . . . . . . e) Bedeutung von Schulungsmaßnahmen des neuen Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . f) Übernahme des im Personal verkörperten Knowhow bzw. Good-will . . . . . . g) Besondere Bedeutung von Führungskräften . . . . . . . . . h) Einstellung von Arbeitnehmern als Geschäftsführer, freie Mitarbeiter oder Werkvertragsnehmer . . . . . i) Übernahme von Leiharbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . aa) Übernahme von Leiharbeitnehmern als Indiz für einen Betriebsübergang . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausgliederung von Arbeitnehmern auf Personaldienstleistungsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . (1) Ausgliederung mit Rücküberlassung von Arbeitnehmern . . . . . . .
4.145 4.151
6.
4.152 4.153
4.154 4.156
7.
8. 9.
4.157
4.167 4.168
10. 11.
(2) Kein Betriebsübergang beim „Spiel über die Bande“ zum Dritten . . . cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . Tatsächliche Fortsetzung der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit (Ähnlichkeit der ausgeübten Tätigkeit) . . . . . . . . . . . . . Keine Unterscheidung zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Rechtsträgern oder Tendenzträgern . . . . . . . . . . . . . . . . Keine wesentliche Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit . . . . . Bedeutung von Lage und räumlicher Veränderung a) Bedeutung der Lage für die Kennzeichnung eines Betriebs oder Betriebsteils . . . b) Bedeutung räumlicher Veränderungen für die Anwendbarkeit von § 613a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung des Inhalts der Arbeitsverträge . . . . . . . . . . . . . . Prozessuale Geltendmachung eines Betriebsübergangs . . . . . . .
4.173 4.180
4.181
4.184 4.188
4.195
4.199 4.205 4.207
Schrifttum: Adam, Betriebsübergang – Der Übergang materieller Betriebsmittel als Tatbestandsmerkmal des § 613a BGB, MDR 2004, 909; von Alvensleben, Die Rechte der Arbeitnehmer bei Betriebsübergang im europäischen Gemeinschaftsrecht: eine Studie zu den gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen des § 613a BGB, 1992 (zugl. Diss. Bonn 1991); Annuß, Betriebsübergang bei Auftragsnachfolge – wie erfolgt die umfassende Gesamtbewertung?, EuZA 2021, 85; Annuß, Der Betriebsübergang in der neuesten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, BB 1998, 1582; Ascheid, Richtlinie 77/187 EWG: Harmonisierung europäischen und deutschen Richterrechts, in Festschrift für Thomas Dieterich, 1999, S. 9; Bachner, Der Betriebsübergang nach § 613a BGB, AiB 1996, 291; Backhaus, Betriebsübergang nach § 613a BGB bei Erwerb des Betriebsvermögens durch ein Bündel von Rechtsgeschäften mit betriebsfremden Dritten, DB 1985, 1131; Baeck/Lingemann, Auftragsübergang als Betriebsübergang? – Neues vom EuGH, NJW 1997, 2492; Bastgen, Wie man seine Belegschaft unfreiwillig vergrößert, BB 1994, 1859; Baudenbacher, Auftragsnachfolge und Betriebsübergang im europäischen Recht, DB 1996, 217; Bauer, Unternehmensveräußerung und Arbeitsrecht: arbeitsrechtliche Probleme bei der Übertragung von Unternehmen, Betrieben, Betriebsteilen und Gesellschaftsanteilen, 1983; Bauer, Outsourcing out? – Anmerkung zum Urteil des EuGH v. 14.4.1994, BB 1994, 1433; Bauer, EU-Richtlinienvorschlag zum Betriebsübergang, DB 1994, 1979; Bauer/v. Medem, § 613a BGB: Übergang vom Leiharbeitsverhältnissen bei Übertragung des Entleiherbetriebs?, NZA 2011, 20; Bauer/von Steinaus-Steinrück, Neuregelung des Betriebsübergangs: Erhebliche Risiken und viel mehr Bürokratie!, ZIP 2002, 457; Bayreuther, Neues zum Betriebsübergang aus Erfurt und Luxemburg – Definition des Betriebsteils, Auftragsnachfolge und Vergaben im ÖPNV, NZA 2020, 1505; Becker-Schaffner, Rechtsfragen zu § 613a BGB, BlStSozArbR 1975, 305; Birk, Betriebsaufspaltung und Änderung der Konzernorganisation im Arbeitsrecht, ZGR 1984, 23; Birkholz, Betriebsübergang nach § 613a BGB in der Insolvenz, 1995 (zugl. Diss. Berlin 1995); Bolck, Personalrechtliche Probleme bei der Ausgliederung von Teilbe-
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Eine Studie zur Struktur der Schuld- und Organisationsverhältnisse, in Festschrift für Walter SchmidtRimpler, 1957, S. 181; Buchner, Verlagerung betrieblicher Aufgaben als Betriebsübertragung im Sinne von § 613a BGB?, DB 1994, 1417; Buchner, Die Ausgliederung von betrieblichen Funktionen (Betriebsteilen) unter arbeitsrechtlichen Aspekten, GmbHR 1997, 377, 434; Bulla, Sind anzeigepflichtige Entlassungen Betriebseinschränkungen im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes?, RdA 1976, 233; Call, Die Rechtslage zum Tatbestandsmerkmal „Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils“ des § 613a BGB, NJ 2012, 19; Chandna-Hoppe, Das Vorliegen eines Betriebsübergangs bei der Neuvergabe staatlicher Aufträge, EuZA 2019, 255; Commandeur, Betriebs-, Firmen- und Vermögensübernahme, München 1990; Commandeur, Die Bedeutung des § 613a BGB im Bereich der ehemaligen DDR, NZA 1991, 705; Commandeur, Individualrechtliche Probleme des Widerspruchs des Arbeitnehmers beim Betriebsübergang, NJW 1996, 2537; Däubler, Privatisierung als Rechtsproblem, 1980; Denecke, Rechtsnachfolge in den Betrieb: Übergang des Arbeitsverhältnisses, BB 1950, 679; Depenheuer, Betriebsübergänge in öffentlichen Theaterbetrieben, ZTR 1997, 492; Dötsch, Ansprüche der Arbeitnehmer beim Betriebsübergang, AuA 1997, 404; Edenfeld, Der Betriebsübergang – Ein nach wie vor aktuelles Problem, AuA 1996, 379; Edenfeld, Der neue Betriebs(teil)begriff des BAG zu § 613a BGB, AuA 1998, 161; Ekkenga, Die Überleitung von Arbeitsverhältnissen kraft rechtsgeschäftlicher Funktionsnachfolge, ZIP 1995, 1225; Everhardt, Die Bedeutung des § 613a BGB für die Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung, BB 1976, 1611; Falkenberg, Schicksal der Arbeitsverhältnisse bei Betriebsinhaberwechsel, RdA 1967, 121; Falkenberg, Auswirkungen des § 613a BGB in der betrieblichen Praxis, DB 1980, 783; Felsner, Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen von Unternehmensübernahmen in Europa: eine rechtsvergleichende Untersuchung zur Umsetzung der Richtlinie 77/187/EWG in Italien sowie in Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden, mit einigen Anmerkungen zum Deutschen Recht, 1997 (zugl. 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§ 4 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB Rechtsprechung zum Betriebsübergang, in Festschrift für Wolfdieter Küttner, 2006, S. 357; Hasford, Die Wirkung des rechtsgeschäftlichen Übergangs von Betriebsteilen auf bestehende Arbeitsverhältnisse, BB 1973, 526; Hauck, Die Tatbestandsmerkmale des Betriebsübergangs in der Rechtsprechung des BAG und des EuGH, Festschrift für Jobst-Hubertus Bauer zum 65. Geburtstag, 2010, S. 401; Heilmann, Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des europäischen Gerichtshofs zum Betriebsübergang im Vergleich, AuR 1996, 168; Heinze, Der Betriebsübergang in der Rechtsprechung des EuGH – Anmerkung zum EuGH-Urteil vom 11.03.1997 – Rs. C–13/95, DB 1997, 677; Heither, Es geht um den Schutz der Arbeitnehmer bei Betriebsübergang, Blick durch die Wirtschaft, 30. 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C 298/94 (Henke) und BAG v. 20.3.1997 – 8 AZR 856/95, BB 1997, 1738; Kraft, Betriebsübergang und Arbeitsverhältnis in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes, in Festschrift 25 Jahre BAG, 1979, S. 299; Krause, Die tatsächliche Betriebsführung als konstitutives Erfordernis des Betriebsübergangs, ZfA 2001, 67; Krejci, Betriebsübergang und Arbeitsvertrag: Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der Vertragsübernahme, 1972; Kühn, Der Betriebsübergang bei Leiharbeit, NJW 2011, 1408; Lemp, Neues vom BAG zum Betriebsübergang kraft Auftragsnachfolge, NZA 2013, 1390; Lieb, Betriebs(Teil-)Übergang bei zentraler Unternehmensorganisation, ZfA 1994, 229; Lingemann/Göpfert, Outsourcing als Betriebsänderung, NZA 1997, 383; Lorenz, Neuvergabe von Dienstleistungsaufträgen kein Betriebsübergang?, ZIP 1997, 531; Loritz, Aktuelle Rechtsprobleme des Betriebsübergangs nach § 613a BGB, RdA 1987, 65; Lunk, Gestaltungsoptionen bei Betriebsübergangs-Sachverhalten, Festschrift zum 25-jährigen Bestehen der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltsverein, 2006, S. 645; Lutter, Quo vadis EuGH?, ZIP 1994, 1514; Meilicke, Zum Übergang der Arbeitsverhältnisse nach § 613a BGB bei Pächterwechsel, DB 1982, 1168; Meyer, Betriebsübergang 4.0, NZA 2020, 1273; Meyer, Neue betriebsverfassungsrechtliche Fragen zum Teil-Betriebsübergang, NZA 2019, 900; Moll, Betriebsübergang und Funktionsnachfolge, AuA 1996, 270; Moll, Bedeutung und Voraussetzungen des Betriebsübergangs im Wandel, RdA 1999, 233; Mückl, Betriebsübergang und Matrix-Struktur – Welche Arbeitnehmer sind erfasst?, DB 2015, 2695; Müller-Glöge, Bestandsschutz beim Betriebsübergang nach § 613a BGB, NZA 1999, 449; Neumann-Duesberg, Betriebsübergang und Tendenzbetrieb (§ 613a BGB, § 118 Abs. 1 BetrVG), NJW 1973, 268; Oetker, Die Vorgaben der Betriebsübergangsrichtlinie für die Beteiligungsrechte des Betriebsrats, NZA 1998, 1193; Pietzko, Der Tatbestand des § 613a BGB, 1988 (zugl. Diss. Köln 1987); Pottmeyer, Die Überleitung der Arbeitsverhältnisse im Fall des Betriebsinhaberwechsels nach § 613a BGB und die Mitbestimmung gemäß §§ 111 ff. BetrVG, 1987 (zugl. Diss. Bochum 1986/1987); Preis, Legitimation und Grenzen des Betriebsbegriffs im Arbeitsrecht, RdA 2000, 257; Preis/Greiner, Die Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD – eine innovative Stärkung der Binnenflexibilität im Arbeitsverhältnis, ZTR 2006, 290; Preis/Steffan, Neue Konzepte
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Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB | § 4 des BAG zum Betriebsübergang nach § 613a BGB, DB 1998, 309; Pünnel, Rechtsnachfolge und Betriebsnachfolge im Arbeitsrecht, Diss. 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Geburtstag, 2010, S. 901; Schiefer, Betriebsübergang: Das Merkmal „Betrieb oder Betriebsteil“ nach der Rechtsprechung des EuGH, DB 2011, 54; Schiefer, Arbeitsrechtliche Voraussetzungen und Folgen des Betriebsübergangs gem. § 613a BGB, in Festschrift für Heinz Josef Willemsen, 2018, S. 427; Schiefer, § 613a BGB – Problemschwerpunkte und aktuelle Fragen, DB 2021, 453, 509; Schiefer/Worzalla, Betriebsübergang (§ 613a BGB) – Fragen über Fragen, DB 2008, 1566; Schlachter, Betriebsübergang bei „eigenwirtschaftlicher Nutzung“ von Betriebsmitteln des Auftraggebers, NZA 2006, 80; Schmalenberg, Die Tatbestandsvoraussetzungen des Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB, NZA 1989, Beil. 3, S. 14; Schramm, Die Willensbeteiligung der Arbeitnehmer bei Betriebsinhaberwechsel, 1978; Schubert, Die Gesamtrechtsnachfolge bei der Fusion von Aktiengesellschaften, Diss. München 1965; Schwanda, Der Betriebsübergang in § 613a BGB unter besonderer Berücksichtigung des Betriebsbegriffs, 1992 (zugl. Diss. Nürnberg 1990); Schwarz, Das Arbeitsverhältnis bei Übergang des Unternehmens, Wien 1967; Schwerdtner, Individualarbeitsrechtliche Probleme des Betriebsübergangs – Versuch einer Bestandsaufnahme, in Festschrift für Gerhard Müller, 1981, S. 557; Schwerdtner, Übernahme von bislang betriebsintern erledigten Aufgaben durch Fremdfirmen als Betriebsübergang i.S.d § 613a, Anmerkung zum Urteil des EuGH v. 14.4.1994, Wprax 1994, 2; Sieger/ Hasselbach, Veräußerung mit Erwerberkonzept – Arbeitsrechtliche Probleme des Unternehmenserwerbs zu Sanierungszwecken, DB 1999, 430; Steffan, Der betriebsmittelarme Betrieb – das unbekannte Wesen, NZA 2018, 154; Tamm, Europarechtliche Vorgaben für den Betriebsübergang, ZESAR 2012, 151; Thüsing, Der Schutz des Tarifvertrages vor den tarifvertraglich Geschützten, DB 1999, 1552; Thüsing/Flink, Betriebsübergang bei Abschluss eines Betriebsführungsvertrages?, in Festschrift für Wilhelm Moll, 2019, S. 659; von Tiling, Das Verhältnis von Personalgestellung und Betriebsübergang in der Praxis, ZTR 2014, 695; Trittin, Der EuGH bestätigt die umstrittene Christel Schmidt-Entscheidung – Anmerkung zur EuGH-Entscheidung vom 11.3.1997, DB 1997, 1333; Voss, Funktionsnachfolge als Betriebsübergang i.S. von § 613a BGB, NZA 1995, 205; Waas, Betriebsübergang durch „Funktionsnachfolge“?, EuZW 1994, 528; Waas, Zur Konsolidierung des Betriebsbegriffs in der Rechtsprechung von EuGH und BAG zum Betriebsübergang, ZfA 2001, 377; Walk/Wiese, Betriebsteilübergang bei Netzübernahme, RdE 2012, 234; Wank, Der Betriebsübergang in der Rechtsprechung von EuGH und BAG – eine methodische Untersuchung –“, Festschrift 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, 2004, S. 245; Weigand, Kleinbetriebe und Kündigungsschutz, DB 1997, 2484; Weißmüller, Der Betriebsführungsvertrag – eine Alternative zum Unternehmenskauf?, BB 2000, 1949; Willemsen, Die neuere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 613a BGB – Tendenzen und Schlussfolgerungen für die Praxis, ZIP 1986, 477; Willemsen, Der Grundtatbestand des Betriebsübergangs nach § 613a BGB, RdA 1991, 204; Willemsen, Aktuelle Tendenzen zur Abgrenzung des Betriebsübergangs, DB 1995, 924; Willemsen, Erosion des Arbeitgeberbegriffs nach der Albron-Entscheidung des EuGH?,
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§ 4 Rz. 4.1 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB NJW 2011, 1546; Willemsen, Europäisches und deutsches Arbeitsrecht im Widerstreit?, NZA 2008, Beil. 4, S. 155; Willemsen, „Mit oder an?“ – § 613a BGB und der Wertschöpfungsgedanke, Festschrift für Reinhard Richardi zum 70. Geburtstag, 2007, S. 475; Willemsen, Mehr Klarheit nach „Klarenberg“!, NZA 2014, 1010; Willemsen/Annuß, Neue Betriebsübergangsrichtlinie – Anpassungsbedarf in deutschem Recht?, NJW 1999, 2073; Willemsen/Lembke, Die Neuregelung von Unterrichtung und Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer beim Betriebsübergang, NJW 2002, 1159; Willemsen/Sagan, Der Tatbestand des Betriebsübergangs nach „Klarenberg“, ZIP 2010, 1205; Wollenschläger, Betriebsverfassungsrechtliche Fragen des Betriebsüberganges nach § 613a BGB unter Berücksichtigung des Rechtes der Europäischen Union, in Festschrift für Wolfgang Gitter, 1995, S. 1067; Wortmann, Neue Regeln beim Betriebsübergang, ArbRB 2010, 123; Worzalla, Neue Spielregeln bei Betriebsübergang – Die Änderungen des § 613a BGB, NZA 2002, 353; Wulff, Wann liegt ein Betriebs- bzw. Betriebsteilübergang vor?, AiB 2003, 398; Wulff/Kahl, Der Betriebsteilübergang, AiB 2007, 143; Zuleeg, Ist der Standard des deutschen Arbeitnehmers durch europäische Rechtsprechung bedroht?, ARdGgw 1995, 41; Zuleeg, Europäischer Gerichtshof und nationale Arbeitsgerichte aus europarechtlicher Sicht, RdA 1996, 71; Zumkeller, Die Voraussetzungen des Betriebsübergangs nach § 613a BGB vor dem Hintergrund neuer Rechtsprechung, DStR 1998, 1920; Zwanziger, Vom Reinigungsvertrag zur Krise der Europäischen Union?, DB 1994, 2621; Zwanziger, Zur Abgrenzung des Betriebsübergangs, DB 1995, 1331.
A. Einführung 4.1
Für die Beurteilung der arbeitsrechtlichen Folgen einer Umstrukturierung ist es von entscheidender Bedeutung zu wissen, ob und in welchem Umfang § 613a BGB Anwendung findet. Die Vorschrift regelt nicht nur die Überleitung bestehender Arbeitsverhältnisse, sondern auch – diese Regelungen besitzen in der Praxis in der Regel die größte Bedeutung – die Rechtsfolgen der Überleitung für Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag, aus Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen. Darüber hinaus werden besondere Vorgaben für die Haftung der beteiligten Rechtsträger, die Unterrichtung der Arbeitnehmer und einen etwaigen Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses getroffen sowie die Möglichkeit einer Kündigung von Arbeitsverhältnissen eingeschränkt.
4.2
Voraussetzung für eine Anwendbarkeit von § 613a BGB ist zunächst einmal die Feststellung, wann die Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils vorliegt. Diesen Fall erfasst das Gesetz ausdrücklich, allerdings müssen die Merkmale eines solchen Übergangs unter Berücksichtigung der Rechtsprechung konkretisiert werden. Unerheblich ist dabei, ob von einem Verkauf, einer Verpachtung, einem Out- oder Insourcing-Vorgang oder einer sonstigen Form der Übertragung die Rede ist. Allein bei einer Umwandlung nach den umwandlungsrechtlichen Vorgaben können abweichende Kriterien gelten (vgl. Rz. 5.55).
4.3
Im Anschluss daran muss geklärt werden, ob diese Übertragung auf der Grundlage eines Rechtsgeschäfts erfolgt (vgl. Rz. 5.1 ff.). Hierzu können auch solche Regelungen gehören, die – wie die Regelungen zur Vergabe von Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr in § 131 GWB – aufgrund gesetzlicher Vorgabe zwischen zwei Rechtsträgern vereinbart werden. Ob § 613a BGB auch bei unternehmensinternen Betriebsspaltungen oder der Spaltung oder Auflösung eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen zur Anwendung kommt, hängt von der Notwendigkeit und Möglichkeit einer analogen Anwendung von § 613a BGB ab (vgl. Rz. 7.2 ff.).
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Entstehungsgeschichte von § 613a BGB | Rz. 4.7 § 4
B. Entstehungsgeschichte von § 613a BGB Lässt man Gesetzentwürfe zur Regelung der Betriebsnachfolge aus den Jahren 1923 und 1938 einmal unberücksichtigt, gab es bis zur Einfügung von § 613a BGB im Jahre 1972 keine gesetzliche Regelung der arbeitsrechtlichen Konsequenzen einer Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen. Zu den Konsequenzen der Übertragung von Betrieben und Betriebsteilen auf einen anderen Rechtsträger wurden deshalb völlig unterschiedliche Lösungsansätze vertreten1.
4.4
Erst durch § 122 BetrVG2 wurde § 613a mit Wirkung zum 19.1.1972 in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt. Im Gegensatz zur heutigen Fassung regelte das Gesetz indes nur:
4.5
(1) Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. (2) Der bisherige Arbeitgeber haftet neben dem neuen Inhaber für Verpflichtungen nach Absatz 1, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach diesem Zeitpunkt fällig werden, als Gesamtschuldner. Dies gilt nicht, wenn eine juristische Person durch Verschmelzung oder Umwandlung erlischt; § 8 des UmwG in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. November 1969 (Bundesgesetzblatt I S. 2081) bleibt unberührt.
Eine Erweiterung in Bezug auf die Rechtsfolgen für Kollektivvereinbarungen ist erst auf der Grundlage der Richtlinie vom 14.2.1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (77/187/EWG)3 erfolgt. Dabei wurde zum 21.8.19804 hinter § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB folgende Neuregelung eingefügt:
4.6
Sind diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Satz 2 gilt nicht, wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags oder durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt werden. Vor Ablauf der Frist nach Satz 2 können die Rechte und Pflichten geändert werden, wenn der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung nicht mehr gilt oder bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags dessen Anwendung zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer vereinbart wird.
§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB stellt insoweit zunächst einmal die Umsetzung von Richtlinie 77/ 187/EWG dar und soll die Kontinuität der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit beste-
1 Vgl. B. Gaul, Vorauflage § 5 Rz. 11 ff.; RAG v. 1.10.1930 – RAG 194/30, ARS 11, 208 ff.; BAG v. 18.2.1960 – 5 AZR 472/57, AP Nr. 1 zu § 419 BGB Betriebsnachfolge Bl. 1 ff.; BAG v. 29.11.1962 – 2 AZR 176/62, AP Nr. 6 zu § 419 BGB Betriebsnachfolge Bl. 2 f.; BAG v. 29.4.1966 – 3 AZR 208/ 65, AP Nr. 7 zu § 419 BGB Betriebsnachfolge Bl. 2; LAG Mannheim v. 30.11.1951, BB 1952, 258, 259; Hessisches LAG v. 1.12.1964 – 5 Sa 325/64, BB 1965, 1270; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, S. 514; Galperin, RdA 1955, 187; Galperin, DB 1962, 1078, 1079 ff.; Kaskel/Dersch, Arbeitsrecht, S. 135 f.; Nikisch, Lehrbuch des Arbeitsrechts I § 46 II 3 (S. 659); Brecher, Festschrift Schmidt-Rimpler, S. 181 ff.; Bötticher, Festschrift Nikisch, S. 3, 10; D. Gaul, Betriebsinhaberwechsel, S. 40 ff.; Bobrowski/D. Gaul, Arbeitsrecht im Betrieb, 4. Aufl. 1962, S. 412. 2 BGBl. I 1972, S. 13 ff. 3 ABl. EG Nr. L 61 v. 5.3.1977, S. 26 ff. 4 BGBl. I S. 1308 ff.
Gaul/Bonanni | 59
4.7
§ 4 Rz. 4.7 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
henden Arbeitsverhältnisses unabhängig von einem Inhaberwechsel gewährleisten. Eine Verbesserung soll damit nicht bewirkt werden1.
4.8
Darüber hinaus wurde eine besondere Regelung in Bezug auf die Beendigung von Arbeitsverhältnissen als Absatz 4 angefügt: Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils ist unwirksam. Das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen bleibt unberührt.
4.9
Dass auch die Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer vom 9.12.19892 vor allem Unterrichtungsverpflichtungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Zusammenhang mit der Umstrukturierung und Verschmelzung von Unternehmen begründete3, hatte keine weitere Änderung zur Folge. Dies galt auch für die Richtlinie gemäß Art. 54 Abs. 3 lit. g des Vertrags vom 9.10.1978 betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften (78/855/EWG)4, in der auf die Richtlinie 77/187/EWG verwiesen und von einem Übergang des Vermögens „ipso iure“ gesprochen wurde5.
4.10
Nachdem zwischenzeitliche Vorschläge für eine Änderung der Richtlinie zum Betriebs- und Unternehmensübergang gescheitert waren6, wurde eine Anpassung der Richtlinie 77/187/EWG durch die Richtlinie 98/50/EG vom 29.6.19987 vorgenommen8. Die darin enthaltenen Änderungen wurden durch die Richtlinie 2001/23/EG vom 12.3.20019 in eine einheitliche Neufassung der Richtlinie gebracht. Die Umsetzungsfrist (17.7.2001) blieb hiervon unberührt. Damit sind die Vorgaben der Richtlinie 2001/23/EG nunmehr für die Auslegung und Anwendung des deutschen Rechts maßgeblich.
4.11
Auf nationaler Ebene blieb es trotz verschiedener Vorschläge zur Neuregelung von § 613a BGB, die im Anschluss an die Wiedervereinigung Deutschlands entwickelt10 und zum Teil sogar in das Gesetzgebungsverfahren gebracht wurden11, zunächst einmal bei den Änderungen von § 613a Abs. 3 BGB zur Umsetzung der Vorgaben des SpTrUG (1991) und des Umwandlungsbereinigungsgesetzes (1995)12. Danach gilt Absatz 2 nicht, wenn eine juristische Person oder eine Personenhandelsgesellschaft durch Umwandlung erlischt. Darüber hinaus wurde in § 324 UmwG festgestellt: Rechte und Pflichten bei Betriebsübergang. § 613a Abs. 1 und 4 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bleibt durch die Wirkungen der Eintragung einer Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung unberührt.
1 BAG v. 19.9.2007 – 4 AZR 711/06, NZA 2008, 241 Rz. 20; BAG v. 23.7.2015 – 6 AZR 687/14 n.v. Rz. 28. 2 KOM(89) 248 endg. 3 Vgl. Vorauflage § 5 Rz. 23 f. 4 ABl. EG Nr. L 295 v. 20.10.1978, S. 36 ff. 5 Vgl. Vorauflage § 5 Rz. 26. 6 Vgl. Vorauflage § 5 Rz. 27 ff. 7 ABl. EG Nr. L 201 v. 17.7.1998, S. 88 ff. 8 Eingehend Oetker, NZA 1998, 1193 ff.; B. Gaul, BB 1999, 256 ff., 582 ff.; Willemsen/Annuß, NJW 1999, 2073 ff.; Franzen, RdA 1999, 361 ff. 9 ABl. EG L 82 v. 22.3.2001, S. 16 ff. 10 Vgl. Gutachten D zum 59. DJT Hannover 1992, Hromadka, FS D. Gaul S. 357, 392. 11 BR-Drucks. 293/95 (Sachsen); BR-Drucks. 671/96 (Brandenburg). 12 BGBl. I 1994, S. 3211, 3257.
60 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.15 § 4
Erst zum 1.4.20021 wurde § 613a Abs. 5 BGB um Regelungen zur Unterrichtung der vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer und in Abs. 6 um ein Widerspruchsrecht gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses ergänzt2:
4.12
(5) Der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber hat die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang in Textform zu unterrichten über: 1. den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs, 2. den Grund für den Übergang, 3. die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und 4. die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen. (6) Der Arbeitnehmer kann dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung nach Absatz 5 schriftlich widersprechen. Der Widerspruch kann gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber erklärt werden.
Trotz berechtigter Kritik an der individuellen Ausgestaltung der Unterrichtungspflicht und der inhaltlichen Anforderungen an diese Unterrichtung scheint die Entwicklung von § 613a BGB zunächst einmal abgeschlossen zu sein. Das Übergangsmandat des Betriebsrats ist mit § 21a BetrVG allgemein anerkannt (vgl. Rz. 24.56). Regelungen zur Zuordnung von Arbeitnehmern sind derzeit aber nur in § 323 Abs. 2 UmwG enthalten (vgl. Rz. 10.115).
4.13
C. Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs § 613a BGB enthält keine Definition eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs, so dass die tatbestandlichen Voraussetzungen durch Rechtsprechung und Literatur gekennzeichnet werden mussten. Im Vordergrund stehen dabei der Zweck von § 613a BGB und die Vorgaben, die der EuGH in seiner Rechtsprechung zu den Richtlinien 77/187/EWG und 2001/23/EG entwickelt hat. Dabei geht es nicht nur um die Frage, welche Bedeutung die Übernahme materieller und immaterieller Betriebsmittel, eine Übernahme von Arbeitnehmern und die Fortsetzung der bisherigen oder einer gleichartigen Geschäftstätigkeit hat. Klärungsbedürftig war auch, ob und inwiefern Veränderungen auf der organisatorischen Ebene einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang entgegenstehen.
4.14
Ausgehend davon, dass die praktische Handhabe eines Übertragungsvorgangs vor allem die richterrechtlich geprägte Kennzeichnung von § 613a BGB berücksichtigen muss, soll nachfolgend zunächst einmal aufgezeigt werden, welche Leitlinien vor allem durch EuGH und BAG entwickelt wurden. Im Anschluss daran soll deutlich gemacht werden, dass auch unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung im Wesentlichen vier Tatbestandsvoraussetzungen zusammenfassen kumulativ erfüllt sein müssen, um von einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang auszugehen. Die für die praktische Anwendung von § 613a BGB wichtige Systematik soll im Anschluss daran aufgezeigt und im Nachgang hierzu unter Berücksichtigung der einzelfallbezogenen Rechtsprechung konkretisiert und mit Beispielen versehen werden.
4.15
1 BGBl. I 2002, S. 1163 ff. 2 Hierzu Bauer/von Steinau-Steinrück, ZIP 2002, 457 ff.; Bonanni, ArbRB 2002, 19 ff.; B. Gaul/Otto, DB 2002, 634 ff.; Grobys, BB 2002, 726 ff.; Willemsen/Lembke, NJW 2002, 1159 ff.; Worzalla, NZA 2002, 353 ff.
Gaul/Bonanni | 61
§ 4 Rz. 4.16 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
I. Leitlinien der Rechtsprechung zu Richtlinie 2001/23/EG und § 613a BGB 4.16
Ausgangspunkt der Rechtsprechung des EuGH ist an sich nur eine Charakterisierung des Begriffs des Unternehmens, Betriebs oder Betriebsteils im Hinblick auf die jeweils gültige Richtlinie 77/187/EWG bzw. 2001/23/EG. Eine Auslegung des nationalen Rechts bleibt den zuständigen Gerichten in den einzelnen Mitgliedstaaten vorbehalten. Für die Mitgliedstaaten der EU folgt allerdings aus Art. 4 EUV die Verpflichtung, die Prärogativen des EuGH zum Inhalt der Richtlinie über den konkret entschiedenen Fall hinaus im Rahmen einer unionsrechtskonformen Auslegung und Anwendung nationalen Rechts zu berücksichtigen1. Der EuGH spricht insoweit von der Notwendigkeit, das zur Durchführung der Richtlinie erlassene Gesetz unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den das nationale Recht einräume, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auszulegen und anzuwenden2. Dies gilt insbesondere bei den autonomen Begriffen des Gemeinschaftsrechts, wie sie mit Betrieb und Betriebsteil gegeben sind3.
4.17
Stehen sich Private in einem Rechtsstreit gegenüber, kann eine Richtlinie allerdings keine Ansprüche des Einzelnen begründen. Dies gilt selbst dann, wenn die Richtlinie klar und unbedingt ist. Eine Grenze bilden die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Auslegung bzw. Fortbildung des nationalen Rechts. Hierzu kann allerdings auch die Entscheidung gehören, eine teleologische Einschränkung gesetzlicher Regelungen vorzunehmen, sofern dies durch europarechtliche Vorgaben geboten ist. Schon dies kann zur Folge haben, dass vom Wortlaut des Gesetzes abweichende Ergebnisse erzielt werden4. Unabhängig davon können von der gesetzlichen Regelung abweichende Ansprüche dadurch entstehen, dass die streitgegenständliche Vorschrift wegen der darin liegenden Verletzung unionsrechtlicher Vorgaben unangewendet bleiben muss und das stattdessen unmittelbar anwendbare Gemeinschaftsrecht und/oder die verbleibenden Vorschriften des nationalen Rechts bereits die gewünschte Rechtsfolge zeitigen5. In allen anderen Fällen ist der Gesetzgeber zur Nachbesserung gefordert; ggf. kommt ein Anspruch aus den Grundsätzen zur Staatshaftung in Betracht6. Eine horizontale Direktwirkung nicht ordnungsgemäß umgesetzter Vorgaben einer Richtlinie wird auch durch den EuGH bislang abgelehnt7.
4.18
In seiner damit für die Auslegung und Anwendung von § 613a BGB maßgeblichen Rechtsprechung zu den Richtlinien 77/187/EWG und 2001/23/EG betont der EuGH zunächst einmal, dass eine wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer bisherigen Identität übertragen werden müsse, um einen Übergang im Sinne der Richtlinie anzunehmen8. Die Arbeitnehmer werden dabei als Teil der wirtschaftlichen Einheit angesehen9. Ob eine wirtschaftliche Einheit veräußert worden sei, könne dabei nicht bereits aus der Übertragung der Aktiva eines Unterneh1 Vgl. EuGH v. 14.7.1994 – C-91/92, EAS EGV Art. 189 Nr. 10 Rz. 26 – Faccini Dori; EuGH v. 7.12.1995 – C-472/93, NZA 1996, 305, 306 – Luigi Spano. 2 EuGH v. 14.7.1994 – C-91/92, EuZW 1994, 498, 500 – Faccini Dori. 3 EuGH v. 18.3.1986 – C-24/85 n.v. Rz. 10, 15 – Spijkers; Wank, Festschrift 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 245, 256 ff., 258 ff. 4 Vgl. BGH v. 26.11.2008 – VIII 200/05, NJW 2009, 427 Rz. 60; BAG v. 24.3.2009 – 9 AZR 983/07, NZA 2009, 538 Rz. 51 ff., 56; Hergenröder, Festschrift Zöllner, S. 1139, 1150 ff., 1154 ff. 5 Vgl. EuGH v. 22.11.2005 – C-144/04, NZA 2005, 1345, 1348 – Mangold. 6 Vgl. EuGH v. 14.7.1994 – C-91/92, EuZW 1994, 498, 500 – Faccini Dori; BVerfG v. 6.7.2010 – 2 BvR 2661/06, NZA 2010, 995. 7 Vgl. nur EuGH v. 14.7.1994 – C-91/92, EuZW 1994, 498, 499 – Faccini Dori. 8 EuGH v. 11.3.1997 – C-13/95, DB 1997, 628, 629 – Ayse Süzen. 9 EuGH v. 25.7.1991 – C-362/89, EAS Nr. 6 zu Art. 3 RL 77/187/EWG Rz. 9 – d’Urso.
62 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.20 § 4
mens geschlossen werden. Vielmehr ergebe sich dies u.a. daraus, ob der Betrieb von dem neuen Inhaber mit derselben oder einer gleichartigen Geschäftstätigkeit tatsächlich weitergeführt oder wieder aufgenommen werde1. Für die Feststellung, ob diese Voraussetzungen erfüllt seien, müssten sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehörten namentlich – die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs, – der Übergang oder Nichtübergang der materiellen Aktiva wie Gebäude und bewegliche Güter, – der Wert der immateriellen Aktiva zum Zeitpunkt des Übergangs, – die Übernahme oder Nichtübernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, – der Übergang oder Nichtübergang der Kundschaft, – der Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und der nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit und – die Dauer einer evtl. Unterbrechung dieser Tätigkeit2. Diese Rechtsprechung hat das BAG inzwischen übernommen3. Allerdings wird es übereinstimmend abgelehnt, die vorgenannten Umstände jeweils isoliert zu betrachten. Vielmehr handele es sich nur um Teilaspekte einer Gesamtbetrachtung, bei der jeweils auf den konkreten Einzelfall abgestellt werden müsste4. Insofern komme den verschiedenen Kriterien je nach ausgeübter Tätigkeit und je nach Produktions- und Betriebsmethoden auch ein unterschiedliches Gewicht zu5. Dass die übertragene Tätigkeit für das übertragende Unternehmen nur von untergeordneter Bedeutung sei und nicht notwendig mit dem Gesellschaftszweck des Unternehmens zusammenhänge, stehe einer Anwendbarkeit der Richtlinie nicht entgegen6.
4.19
Ausgangspunkt dieser Grundsätze zur Kennzeichnung einer Übertragung nach § 613a BGB ist dabei der Betrieb. Dieser setzt eine „organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung“ voraus. Ihre Identität ergebe sich – neben der Tätigkeit – auch aus anderen Merkmalen wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und ggf. den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln7. In entsprechender Weise wird der Betriebsteil i.S.d. § 613a BGB als organisatorisch abgrenzbare Teileinheit (Teilorganisation) qualifiziert, mit der be-
4.20
1 EuGH v. 26.5.2005 – C-478/03, NZA 2005, 681 Rz. 36 – Celtec; BAG v. 27.9.2012 – 8 AZR 826/11, NZA 2013, 961 Rz. 21. 2 EuGH v. 18.3.1986 – C-24/85, EAS Nr. 2 zu § 1 RL 77/187/EWG Rz. 13 – Spijkers; EuGH v. 11.3.1997, – C-13/95, DB 1997, 628, 629 – Ayse Süzen. 3 Vgl. BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 648/13, NZA 2015, 167 Rz. 17; BAG v. 22.1.2015 – 8 AZR 139/14, NZA 2015, 1325 Rz. 15. 4 EuGH v. 20.1.2011 – C-463/09, NZA 2011, 148 Rz. 34 – CLECE; BAG v. 18.9.2014 – 8 AZR 733/ 13, NZA 2015, 97 Rz. 18; BAG v. 22.1.2015 – 8 AZR 139/14, NZA 2015, 1325 Rz. 15 f. 5 EuGH v. 25.1.2001 – C-172/99, NZA 2001, 249, 251 – Liskojärvi; BAG v. 18.9.2014 – 8 AZR 733/ 13, NZA 2015, 97 Rz. 18. 6 Vgl. BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 648/13, NZA 2015, 167 Rz. 18. 7 EuGH v. 13.6.2019 – C-664/17, NZA 2019, 889 Rz. 62 – Ellinika Nafpigeia; BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, NZA 2020, 1091 Rz. 59; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303, Rz. 81.
Gaul/Bonanni | 63
§ 4 Rz. 4.20 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
triebstechnische Teilzwecke verfolgt werden1 und die zugleich wirtschaftlich Gegenstand einer Übertragung sein kann2. Betriebsteil könne dabei auch eine Einheit des Betriebs sein, in der eine untergeordnete Hilfsfunktion verfolgt werde3. Nicht erforderlich sei, dass der Betriebsteil durch seine Lage, die technische oder sonstige Ausstattung und die Organisation so eigenständig ist, dass ein neuer Inhaber ihn als in sich geschlossene Einheit selbstständig fortführen könnte4. Auch eine Selbstständigkeit i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG5 oder eine Mindestarbeitnehmerzahl6 sei für § 613a BGB nicht erforderlich. Nur ein einziger Arbeitnehmer kann insoweit einen Betriebsteil darstellen und deshalb in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen7.
4.21
Voraussetzung für die Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils war nach bisheriger Rechtsprechung allerdings, dass die übernommenen Betriebsmittel bereits beim früheren Betriebsinhaber eine abgrenzbare Organisationseinheit bildeten. Diese Organisationsstruktur muss sich der potenzielle Erwerber des Betriebs nutzbar machen8. Hierfür müsse grundsätzlich die gleiche oder gleichartige Tätigkeit innerhalb der bisherigen Organisationsstruktur fortgesetzt werden. Wesentliche Änderungen in der Organisation, der Struktur oder im Konzept der betrieblichen Tätigkeit könnten deshalb einer Identitätswahrung entgegenstehen9. Von einer identitätswahrenden Übertragung sei allerdings nicht nur dann auszugehen, wenn die übergegangene Einheit ihre Selbständigkeit wahre. Vielmehr genüge es, wenn die funktionale Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren – zu denen Betriebsmittel und Arbeitnehmer rechneten – beibehalten werde und es dem Erwerber auf diese Weise möglich gemacht werde, diese Faktoren zu nutzen, um derselben oder einer gleichartigen Tätigkeit nachzugehen10. Gleichzeitig wurde es als nicht ausreichend angesehen, wenn erst der Erwerber mit den Betriebsmitteln einen Betrieb oder Betriebsteil bilde11.
4.22
Ob das BAG daran festhalten wird, ist allerdings nach den Urteilen des 8. Senats des BAG vom 27.2.202012 und des 6. Senats des BAG vom 14.5.202013. Beide Senate des BAG haben sich in obiter dicta intensiv mit der Frage eines Betriebsübergangs befasst. Ganz wesentlich war dabei die Frage, ob eine wirtschaftliche Einheit, die Gegenstand einer Übernahme nach § 613a BGB sein kann, an die Voraussetzung geknüpft ist, dass dieser Einheit „bestimmtes“ Personal
1 BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, NZA 2020, 1091 Rz. 67 ff. 2 BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, NZA 2020, 1091 Rz. 67 ff.; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303, Rz. 160 ff. 3 EuGH v. 14.4.1994 – C-392/92, NZA 1994, 545 f. – Christel Schmidt; BAG v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, NZA 2003, 93, 98. 4 Vgl. MünchKomm/Schaub, § 613a BGB Rz. 30; Soergel/Raab § 613a BGB Rz. 33 f. 5 BAG v. 16.10.1987 – 7 AZR 519/86, AP Nr. 69 zu § 613a BGB Bl. 4; BAG v. 9.2.1989 – 2 AZR 405/88 n.v. 6 Vgl. BAG v. 22.5.1985 – 5 AZR 30/84, DB 1985, 2409, 2410; D. Gaul, Betriebsübergang, S. 100. 7 EuGH v. 14.4.1994 – C-392/92, NZA 1994, 545 f. – Christel Schmidt. 8 Willemsen, RdA 1991, 204, 210 f. 9 BAG v. 15.11.2012 – 8 AZR 683/11, NJW 2013, 2379 Rz. 20; BAG v. 23.5.2013 – 8 AZR 207/12, DB 2013, 2336 Rz. 24. 10 EuGH v. 12.2.2009 – C-466/07, NZA 2009, 251 Rz. 53 – Klarenberg; BAG v. 20.3.2014 – 8 AZR 1/13, NJW 2014, 2604 Rz. 18; BAG v. 22.5.2014 – 8 AZR 1069/12, NZA 2014, 1335 Rz. 26. 11 BAG v. 13.10.2011 – 8 AZR 455/10, NZA 2012, 504 Rz. 37; BAG v. 23.5.2013 – 8 AZR 207/12, DB 2013, 2336 Rz. 25. 12 BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303. 13 BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, NZA 2020, 1092.
64 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.25 § 4
– formell oder tatsächlich – zugeordnet (gewesen) sein muss oder ob eine entsprechende Einheit auch durch wechselndes oder rotierendes Personal gebildet werden kann, das mit einer bestimmten Aufgabe eingesetzt wird1. Problematisch war auch, welcher Grad der Steuerung von Arbeitnehmern genügt, um die hiervon betroffenen Arbeitnehmer als einen Betriebsteil i.S.d. § 613a BGB qualifizieren zu können. Da diese Frage indes nicht entscheidungsrelevant war, konnte der 8. Senat, der insoweit ein Vorabentscheidungsersuchen für erforderlich hielt, die Frage offen lassen. Ob die insoweit gekennzeichnete Einheit von einem Übertragungsvorgang nach § 613a BGB betroffen ist, hängt nach der Rechtsprechung vor allem davon ab, ob die für die jeweils in Rede stehende Einheit wesentlichen Ressourcen übernommen wurden. Dabei wird zwischen den materiellen und immateriellen Betriebsmitteln auf der einen Seite und den nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Arbeitnehmern auf der anderen Seite zu unterscheiden.
4.23
Als sächliche Betriebsmittel kommen vor allem Grundstücke und Gebäude, Maschinen und Anlagen, Betriebsmittel und Werkzeuge, aber auch Roh- und Hilfsstoffe, Halb- und Fertigfabrikate, Fahrzeuge und sonstige Transportgeräte, Computeranlagen sowie Büroeinrichtungen und -maschinen in Betracht, sofern diese in einer den Betrieb oder Teilbetrieb kennzeichnenden organisatorischen Einheit zusammengefasst sind. Zu den immateriellen Betriebsmitteln gehören insbesondere der Kundenstamm, Kundenlisten, Geschäftsbeziehungen zu Dritten, Aufträge, der Good-will, die Position des Unternehmens auf dem Markt, Formeln, Angaben über Abmessungen, Beimengungen, Verfahrenskniffe, Rezepturen, Computerprogramme und das Know-how, also das Wissen um nachahmbare technische Fertigkeiten2, ggf. allerdings auch Geschäftsräume und Geschäftslage, sofern diese Bestandteile des Betriebs es ermöglichen, den bisherigen Kundenkreis zu erhalten und auf den neuen Betriebsinhaber überzuleiten3. Die betriebswirtschaftliche, bilanz- und steuerrechtliche Unterscheidung zwischen Umlauf- und Anlagevermögen war für § 613a BGB unerheblich4.
4.24
Ausgehend von dieser Begriffsbestimmung war Voraussetzung für das Vorliegen eines (Teil-) Betriebsübergangs i.S.d. § 613a BGB, dass „wesentliche“ Betriebsmittel von einer Person auf eine andere Person übertragen werden5. In diesem Fall könne die Übertragung einer ihre Identität wahrenden Einheit auch ohne Übernahmen von Personal vorliegen6. Dabei kommt es nicht darauf an, in wessen Namen oder Rechnung ein Betrieb gegenüber Dritten geführt werde. Unerheblich ist auch, ob die Betriebsmittel im Eigentum des übertragenden oder übernehmenden Rechtsträger stünden oder ob sie eigen- oder fremdwirtschaftlich genutzt würden7. Soweit zuvor noch die Ansicht vertreten wurde, dass Betriebsmittel einem potenziellen Erwerber nicht zugerechnet werden könnten, wenn dieser seine (Dienst-)Leistung nur an fremden Geräten und Maschinen innerhalb fremder Räume erbringe, ohne dass ihm die Befugnis
4.25
1 Vgl. BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 101 ff., 156 ff. 2 BAG v. 29.9.1988 – 2 AZR 67/88, AP Nr. 76 zu § 613a BGB Bl. 3, 4; BAG v. 14.7.1994 – 2 AZR 86/ 94 n.v. 3 BAG v. 3.10.1986 – 2 AZR 696/85, NZA 1987, 382, 384; BAG v. 9.2.1994 – 2 AZR 781/93, NZA 1994, 612, 613 f. 4 BAG v. 16.10.1987 – 7 AZR 519/86, AP Nr. 69 zu § 613a BGB Bl. 3 f. 5 BAG v. 9.2.1994 – 2 AZR 666/93, NZA 1994, 686, 688. 6 EuGH v. 20.11.2003 – C-340/01, NZA 2003, 1385 Rz. 36 f. – Abler; BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 648/13, NZA 2015, 167 Rz. 19. 7 EuGH v. 15.12.2005 – C-232/04, NZA 2006, 29 Rz. 37, 39 – Güney-Görres.
Gaul/Bonanni | 65
§ 4 Rz. 4.25 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
eingeräumt sei, über Art und Weise der Nutzung der Betriebsmittel in eigenwirtschaftlichen Interesse zu entscheiden1, hat das BAG diese Auffassung aufgegeben2.
4.26
Bei der Frage, welche Betriebsmittel wesentlich sind, wird auf die die Eigenart der im Betrieb ausgeübten Tätigkeit abgestellt3. Bei Produktionsbetrieben sei regelmäßig die Übernahme der sächlichen Betriebsmittel entscheidend4. Bei Handels- und Dienstleistungsbetrieben wird demgegenüber meist auf den Übergang immaterieller Betriebsmittel wie Kundenstamm, Kundenlisten, Geschäftsbeziehungen, das Know-how und der Good-will abgestellt. Erforderlich sei also vor allem, ob der potenzielle Erwerber Liefer- und Kundenkontakte übernahm und zum Zwecke der Fortsetzung der Tätigkeit des bisherigen Betriebsinhabers in bestehende Vertragsbeziehungen eintrat5. Soweit der Handel betroffen war, wurde darüber hinaus auf die Übernahme des Gebäudes, des Warenbestandes und auf die mit der Fortsetzung des Verkaufs dieser Ware verbundene Übernahme des Good-will abgestellt6.
4.27
Die fehlende Übertragung materieller oder immaterieller Betriebsmittel schließt allerdings das Vorliegen eines Betriebsübergangs nicht aus. Da eine wirtschaftliche Einheit in bestimmten Branchen ohne relevante materielle oder immaterielle Betriebsmittel tätig sein könne, hat die Rechtsprechung schon früh deutlich gemacht, dass der identitätswahrende Übergang solcher Einheiten nicht von der Übertragung von Betriebsmitteln abhängig ist. Insbesondere in betriebsmittelarmen und dienstleistungsorientierten Branchen, in denen es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankomme, könne deshalb eine organisierte Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch ihre gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sei, eine wirtschaftliche Einheit darstellen7. Damit könne von dem Übergang einer solchen Einheit ausgegangen werden, wenn der andere Rechtsträger nicht nur die gleiche oder gleichartige Tätigkeit weiterführe, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernehme, das sein Vorgänger gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt habe8. Voraussetzung für eine Einbeziehung der Arbeitnehmer sei indes, dass die Arbeitnehmer für die Tätigkeit des jeweiligen Betriebs oder Betriebsteils eine besondere Bedeutung besitzen. Wann – bezogen auf diesen Betrieb oder Betriebsteil – von der Übernahme des wesentlichen Personals ausgegangen werden könne, richtet sich nach qualitativen und quantitativen Kriterien. Wenn es sich hingegen um Bereiche handelte, die – wie vor allem im Produktionsbereich – durch materielle und/oder immaterielle Betriebsmittel geprägt würden, müssten diese auf einen anderen Rechtsträger übertragen werden, um einen Betriebsübergang annehmen zu können9.
1 BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 426/94, EzA § 613a BGB Nr. 160 S. 5; BAG v. 14.5.1998 – 8 AZR 418/ 96, NZA 1999, 483, 484 f. 2 Vgl. BAG v. 6.4.2006 – 8 AZR 249/04, NZA 2006, 1039, 1041; BAG v. 13.6.2006 – 8 AZR 271/05, NZA 2006, 1101 Rz. 20. 3 Vgl. BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 648/13, NZA 2015, 167 Rz. 17; Moll, AuA 1996, 270, 271 f. 4 Vgl. BAG v. 27.9.1984 – 2 AZR 309/83, AP Nr. 39 zu § 613a BGB Bl. 3 f. (Baubetrieb); BAG v. 28.4.2011 – 8 AZR 709/09 n.v. Rz. 46. 5 BAG v. 22.9.1994 – 2 AZR 54/94, NZA 1995, 165, 166. 6 Vgl. BAG v. 22.9.1994 – 2 AZR 54/94, NZA 1995, 165, 166. 7 BAG v. 23.5.2013 – 8 AZR 207/12, DB 2013, 2336 Rz. 22 f.; BAG v. 22.1.2015 – 8 AZR 139/14, NZA 2015, 1325 Rz. 15 f.; BAG v. 2.3.2006 – 8 AZR 147/05, NZA 2006, 1105 Rz. 12; BAG v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, NZA 1997, 1050 Rz. 35. 8 EuGH v. 11.3.1997 – C-13/95, DB 1997, 628, 629 f. – Ayse Süzen; BAG v. 18.9.2014 – 8 AZR 733/ 13, NZA 2015, 97 Rz. 18; BAG v. 19.3.2015 – 8 AZR 150/14, n.v. Rz. 18 f. 9 Bauer, BB 1994, 1433, 1435; Baeck/Lingemann, NJW 1997, 2492, 2494.
66 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.32 § 4
Wichtig an dieser Rechtsprechung ist, dass der Betrieb danach nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden kann. Abweichend von der zum Teil vertretenen Auffassung1 genügt deshalb die bloße Fortsetzung der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit durch einen anderen Rechtsträger nicht, um von einer Anwendbarkeit von § 613a BGB auszugehen. Eine solche „Funktionsnachfolge“ stelle keinen Betriebsübergang dar2. Auch der bloße Verlust eines Auftrags an einen Mitbewerber stelle deshalb keinen Übergang i.S.d. Richtlinie dar. Denn das zuvor beauftragte Dienstleistungsunternehmen verliere zwar einen Kunden, bestehe aber in vollem Umfang weiter, ohne dass einer seiner Betriebe oder Betriebsteile auf den neuen Auftraggeber übertragen worden wäre3.
4.28
Konsequenz dieser Rechtsprechung ist, dass die Richtlinie Übertragungsvorgänge ohne Rücksicht darauf erfasst, ob es sich um eine Dienstleistung oder um eine Produktionstätigkeit handelt. Entscheidend ist, dass die für die jeweilige Tätigkeit maßgeblichen Ressourcen durch den potenziellen Erwerber übernommen und durch diesen in gleicher oder gleichartiger Weise benutzt würden4. Die Identität eines Betriebs als Grundlage für die Frage des Fortbestands kann sich daher auch aus anderen Merkmalen wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und ggf. den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln ergeben. Abhängig von der jeweils im Betrieb oder Betriebsteil ausgeübten Tätigkeit kommt den für das Vorliegen eines Übergangs maßgeblichen Kriterien daher ein unterschiedliches Gewicht zu5.
4.29
Voraussetzung für die Anerkennung als Übertragungsvorgang i.S.d. Art. 1 Richtlinie 2001/23/ EG ist allerdings, dass die in Rede stehende Tätigkeit nicht auf die Ausübung eines bestimmten Vorhabens beschränkt, sondern bereits vor dem Übergang auf Dauer angelegt sei. Dies sei nicht der Fall, wenn dem neuen Unternehmer Arbeitnehmer und Material zur Verfügung gestellt würden, mit denen nur die von einem anderen Unternehmen begonnenen Arbeiten fertig gestellt werden sollten6.
4.30
Eine Beendigung von Arbeitsverhältnissen steht einem Betriebsübergang nach dieser Rechtsprechung nicht entgegen. Zum einen ist es für den EuGH durchaus denkbar, dass eine solche Beendigung aus den in der Richtlinie genannten Gründen gestattet sei. Im Übrigen könne das Vorliegen eines Betriebsübergangs nicht dadurch ausgeschlossen werden, dass zuvor unter Missachtung der Vorgaben der Richtlinie Vertragsverhältnisse beendet würden7.
4.31
Unter Berücksichtigung der voranstehend dargelegten Kriterien ist der EuGH bereits frühzeitig davon ausgegangen, dass der von der Richtlinie erfasste Übertragungsvorgang auch in zwei Schritten erfolgen könne. Notwendig sei nur, dass die betroffene wirtschaftliche Einheit
4.32
1 Vgl. nur Zwanziger, DB 1994, 2621 ff.; Koch, AuA 1995, 329, 331; ebenso Zuleeg, ARdGgw 1995, 41, 51, und Heilmann, AuR 1996, 168, 169 f., die allerdings eine Tätigkeit am gleichen Ort und damit auch innerhalb des gleichen „Funktionszusammenhangs“ für erforderlich hielten. 2 EuGH v. 20.1.2011 – C-463/09, NZA 2011, 148 Rz. 39 ff. – CLECE; BAG v. 23.5.2013 – 8 AZR 207/12, DB 2013, 2336 Rz. 23; BAG v. 19.3.2015 – 8 AZR 150/14, n.v. Rz. 20; Hauck, Festschrift Bauer, S. 401, 405. 3 EuGH v. 11.3.1997 – C-13/95, DB 1997, 628, 629 – Ayse Süzen. 4 Vgl. EuGH v. 20.11.2003 – C-340/01, NZA 2003, 1385 – Abler. 5 St. Rspr. des BAG seit EuGH v. 11.3.1997 – C-13/95, DB 1997, 628, 629 – Ayse Süzen; BAG v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, NZA 1997, 1050. 6 EuGH v. 2.12.1999 – C-234/98, NZA 2000, 587, 588 – Allen; EuGH v. 24.1.2002 – C-51/00, NZA 2002, 265, 267 – Temco. 7 EuGH v. 7.3.1996 – C-171/91 und 172/94, NZA 1996, 413, 414 – Merckx.
Gaul/Bonanni | 67
§ 4 Rz. 4.32 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
ihre Identität bewahre. Dies könne auch dann der Fall sein, wenn ein Unternehmen durch den ersten Pächter auf den Eigentümer zurück übertragen und von dort auf einen neuen Pächter übertragen werde. Dies gelte insbesondere dann, wenn der Betrieb des Unternehmens von dem neuen Pächter ohne Unterbrechung mit dem Personal fortgeführt werde, das auch schon vor dem Übergang in dem Unternehmen beschäftigt gewesen sei1.
4.33
Dass eine öffentliche Einrichtung an dem Übertragungsvorgang beteiligt ist, steht einer Anwendung der Richtlinie nicht entgegen. Auch öffentlich-rechtlich organisierte Einheiten zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben – und damit auch militärische Einrichtungen2 – können Betriebe i.S.d. § 613a BGB sein3. Voraussetzung ist, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit in Rede steht, die auf Dauer angelegt ist. Die Ausübung hoheitlicher Aufgaben wird hingegen nicht erfasst4. Damit wird auch die strukturelle Neuordnung der öffentlichen Verwaltung und die Übertragung von Verwaltungsaufgaben einer öffentlichen Verwaltung auf eine andere nicht einbezogen5.
II. Bedeutung betriebsverfassungsrechtlicher Kriterien für die Kennzeichnung des Anwendungsbereichs von § 613a BGB 4.34
§ 613a BGB soll einen Übergang der Arbeitsverhältnisse auslösen, der unabhängig vom Willen der beteiligten Rechtsträger erfolgt6. Dabei soll der übernehmende Rechtsträger nicht das Recht haben, Einzelne oder Teile der Belegschaft vom Übergang des Arbeitsverhältnisses auszuschließen7. Das entspricht dem Zweck von Richtlinie 2001/23/EG. Durch eine Kontinuität der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit bestehenden Arbeitsverhältnisse soll sie Arbeitnehmer bei einem Inhaberwechsel schützen und insbesondere die Wahrung ihrer Ansprüche gewährleisten (3. Erwägungsgrund)8. Entscheidend ist daher, dass die fragliche Einheit ihre Identität bewahrt, was namentlich dann angenommen wird, wenn der Betrieb tatsächlich weitergeführt oder wiederaufgenommen wird9.
4.35
Soweit bei der Kennzeichnung des Begriffs des Betriebs oder Betriebsteils in der Vergangenheit häufig an den Grundsätzen ausgerichtet wurde, die im Betriebsverfassungsrecht entwickelt wurden10, ist die aktuelle Rechtsprechung davon mit Blick auf den unterschiedlichen Normzweck von § 613a BGB einerseits und §§ 4, 106, 111 BetrVG andererseits zu Recht abgewichen11. Insofern kann auch der Betriebsteil i.S.d. § 613a BGB nicht allein mit den in § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG genannten Kriterien umschrieben werden12. § 4 BetrVG regelt die be1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
EuGH v. 10.2.1988 – C-324/86, EAS RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 4 S. 20 – Daddy’s Dance Hall. BAG v. 27.4.2000 – 8 AZR 260/99, n.v.; BAG v. 25.9.2003 – 8 AZR 421/02, NZA 2004, 316 Rz. 18. BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 22. EuGH v. 25.1.2001 – C-172/99, NZA 2001, 249, 250 – Liskojärvi; BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/ 13, NZA 2015, 866 Rz. 22. BAG v. 22.5.2014 – 8 AZR 1069/12, NZA 2014, 1335 Rz. 32 f. BAG v. 31.1.1985 – 2 AZR 530/83, NJW 1986, 87, 89. BAG v. 3.7.1986 – 2 AZR 68/85, AP Nr. 53 zu § 613a BGB Bl. 5. Vgl. EuGH v. 19.9.1995 – C-48/94, NZA 1995, 1031 – Rygaard; BAG v. 26.8.1999 – 8 AZR 594/98 n.v. EuGH v. 10.12.1998 – C-173/96 und C-247/96, NZA 1999, 189, 190 – Hidalgo und Ziemann. Vgl. LAG Berlin v. 7.9.1993 – 12 Sa 71/93, LAGE § 613a BGB Nr. 33 S. 4 f. BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, NZA 2020, 1091 Rz. 63; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 81; BAG v. 16.10.1987 – 7 AZR 519/86, AP Nr. 69 zu § 613a BGB Bl. 4. Vgl. BAG v. 19.11.1996 – 3 AZR 394/95, EzA § 613a BGB Nr. 146 S. 6; Schwerdtner, Festschrift Gerhard Müller, S. 557, 564.
68 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.38 § 4
triebsverfassungsrechtliche Eigenständigkeit einzelner Betriebsstätten. Ist sie gegeben, kann bei einer ausreichenden Zahl von Arbeitnehmern ein Betriebsrat gewählt werden. § 4 BetrVG hat also kollektivrechtliche Bedeutung in Bezug auf die Wahl und Zuständigkeit eines Betriebsrats. Eine begriffliche Kennzeichnung des Betriebs im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne ist damit nicht verbunden. Denn die dort genannten Betriebsteile „gelten“ nur als selbstständige Betriebe. Andernfalls wäre zum Beispiel trotz räumlicher Entfernung von einem einheitlichen Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne auszugehen. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB hingegen hat allein individualrechtlichen Charakter. Die Vorschrift soll Inhalt und Bestand des Arbeitsverhältnisses schützen, ohne Rücksicht darauf, ob in der betreffenden Einheit ein Betriebsrat gewählt werden kann. Dies zeigt auch der Unterschied des Regelungszwecks von Art. 1 und 6 Richtlinie 2001/23/EG. Beiden Vorschriften ist damit gemeinsam, dass sie vom Bestehen eines Betriebs bzw. Betriebsteils ausgehen. Eine Definition erfolgt nicht. Ob ein Betrieb oder Betriebsteil vorliegt, muss gesondert geprüft werden. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass ein Betriebsteil i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG stets auch als Betriebsteil i.S.d. § 613a BGB zu qualifizieren ist. Dass der umgekehrte Rückschluss nicht möglich ist1, soll nachfolgend aufgezeigt werden. Aus der im Übrigen bestehenden Unabhängigkeit von § 613a BGB gegenüber den Vorgaben des BetrVG folgt außerdem, dass eine Mindestarbeitnehmerzahl für das Vorliegen eines Betriebs oder Betriebsteils i.S.d. § 613a BGB nicht erforderlich ist2. Selbstverständlich werden deshalb auch betriebsratslose Betriebe erfasst3. Ohne Bedeutung für § 613a BGB ist auch der Abschluss von Vereinbarungen nach § 3 BetrVG, durch die neue betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheiten geschaffen werden4.
4.36
Dennoch gilt Folgendes: Die Ablehnung einer Anwendung der im Betriebsverfassungsrecht entwickelten Grundsätze zur Kennzeichnung eines Betriebs oder Betriebsteils schließt nicht aus, dass ein Teil dieser Kriterien auch bei § 613a BGB Verwendung finden. Dies gilt insbesondere für die Berücksichtigung von Betriebszweck, Betriebsmitteln und Betriebsorganisation. Allerdings muss die Möglichkeit einer Einbeziehung dieser Gesichtspunkte unter Berücksichtigung des Zwecks der gesetzlichen Regelung im Einzelnen geprüft werden.
4.37
III. Systematisierung der Kriterien eines Betriebs oder Betriebsteilübergangs Hiervon ausgehend lassen Wortlaut, Systematik, Gesamtzusammenhang und Zweck von § 613a BGB auch unter Berücksichtigung der Richtlinie 2001/23/EG einen weiten Spielraum bei der Kennzeichnung des Betriebs oder Betriebsteils sowie des Übergangs einer auf diese Weise gekennzeichneten Einheit. Problematisch an dem Erfordernis einer einzelfallbezogenen Gesamtabwägung ist allerdings, dass nicht alle Kriterien erfüllt sein müssen, an denen die Rechtsprechung das Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs festmachen will (vgl. Rz. 4.47 ff.). Dies führt dazu, dass die Anwendbarkeit von § 613a BGB nur im Wege einer typologischen Betrachtungsweise festgestellt werden kann, deren Ausgang – weder positiv noch negativ – vorhergesehen werden kann. Hanau5 spricht hier zu Recht von einem „Kriterien-Sammelsuri1 Zutreffend BAG v. 18.1.1984 – 5 AZR 435/81 n.v. 2 Vgl. nur EuGH v. 14.4.1994 – C-392/92, AP Nr. 106 zu § 613a BGB Bl. 1 – Christel Schmidt; BAG v. 6.2.1980 – 5 AZR 275/78, DB 1980, 1495. 3 BAG v. 6.2.1980 – 5 AZR 275/78, NJW 1980, 2149, 2150. 4 BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, NZA 2020, 1091 Rz. 63; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 81; Stege/Weinspach/Schiefer, § 3 BetrVG Rz. 19; Mückl, DB 2010, 2615 ff. 5 Hanau, Festschrift Küttner, S. 357, 363.
Gaul/Bonanni | 69
4.38
§ 4 Rz. 4.38 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
um“, das ebenso viel- wie nichtssagend und praktisch „unbrauchbar“ sei. Vor diesem Hintergrund wird an den bereits in der Vorauflage entwickelten Überlegungen festgehalten, diese Kriterien in eine übergreifende Systematik einzubinden1. Dies erleichtert in der praktischen Anwendung von § 613a BGB die Vorbereitung entsprechender Übertragungsvorgänge und ermöglicht zu jeder Zeit eine Entscheidung über die Frage, ob und ggf. unter welchen veränderten Rahmenbedingungen eine Anwendbarkeit von § 613a BGB ausgelöst oder vermieden werden kann. Bei der Kennzeichnung der einzelnen Schritte werden die Kriterien, die durch Rechtsprechung und Literatur entwickelt wurden, eingebunden.
4.39
Das Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs ist damit in zwei Schritten festzustellen. Beide Schritte gelten gleichermaßen für das Outsourcing, das Insourcing oder sonstige Formen der Übertragung entsprechender Einheiten: Schritt 1: Kennzeichnung des Betriebs oder Betriebsteils, der beim potenziellen Veräußerer besteht und Gegenstand einer solchen Übertragung sein kann.
4.40
1. Voraussetzung: Vorliegen eines Betriebs oder Betriebsteils Im ersten Schritt ist zunächst einmal zu prüfen, ob bei dem potenziellen Veräußerer überhaupt eine abgrenzbare (wirtschaftliche) Einheit vorhanden ist, die Gegenstand eines Übertragungsvorgangs sein kann. Damit sind auch nur die Arbeitnehmer von § 613a BGB betroffen, die in dieser Einheit arbeiten bzw. dieser Einheit organisatorisch zugeordnet werden können (vgl. § 10). – Entscheidend für das Vorliegen eines Betriebs oder Betriebsteils ist, dass organisatorische und/oder funktionale Strukturen zwischen Arbeitnehmern und Betriebsmitteln innerhalb einer (wirtschaftlichen) Einheit vorhanden sind. Nur wenn eine solche wirtschaftliche Einheit, die schon bei einem Rechtsträger bestanden hat, durch einen anderen Rechtsträger fortgeführt wird, macht die Verpflichtung des übernehmenden Rechtsträgers Sinn, das bislang in dieser Einheit durch einen anderen Rechtsträger beschäftigte Personal zu übernehmen. Für § 613a BGB genügt es nicht, dass eine solche Einheit erst durch den Erwerber mit den Betriebsmitteln und dem übernommenen Personal geschaffen wird. – Wesentliches Merkmal bei der dahingehenden Kennzeichnung eines Betriebs oder Betriebsteils ist, dass Arbeitnehmer und Betriebsmittel zur Verfolgung einer arbeitstechnischen Zweckbestimmung organisatorisch zusammengefasst sind. Unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung von EuGH und BAG (vgl. Rz. 4.16 ff.) genügt dabei allerdings, dass Arbeitnehmer – ggf. abteilungsübergreifend – mit Blick auf ihre Funktion in Bezug auf den Arbeitsprozess übergreifend gesteuert werden. Unterschiedlich bei Betrieb oder Betriebsteil ist nur das Gewicht der Steuerung. Für den Betriebsteil genügt es, dass eine Führungskraft vorhanden ist, die für die Personaleinsatzplanung der ihr zugeordneten Arbeitnehmer zuständig ist. Dass weitergehende Vorgaben zu den Aufgaben der Teileinheit sowie Fragen der Einstellung und Entlassung, Arbeitszeit und Entgelt durch andere Personen außerhalb des Betriebsteils bestimmt werden, steht ihrer Kennzeichnung als Betriebsteil nicht entgegen. Geht es um die Kennzeichnung des Betriebs i.S.d. § 613a BGB, wird man insofern im Wesentlichen auf die Kriterien zurückgreifen können, die für die Kennzeichnung eines selbstständigen Betriebsteils i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG erfüllt sein müssen. Hier ist also eine Eigenständigkeit gefragt, die alle wesentlichen Fragen betrifft, die der per-
1 Vgl. Vorauflage § 6 Rz. 222 ff.
70 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.42 § 4
sonellen und sozialen Mitbestimmung des Betriebsrats nach §§ 87, 92, 99, 102 BetrVG unterworfen sind. – Unabhängig davon müssen Betrieb und Betriebsteil i.S.d. § 613a BGB auch im Hinblick auf den Zweck, der in diesen Einheiten verfolgt wird, abgrenzbar sein. Dass in anderen Bereichen des Unternehmens oder Betriebs ähnliche Aufgaben wahrgenommen werden, spielt – wie das Beispiel einer regional ausgerichteten Struktur eines Vertriebs deutlich macht – keine Rolle.
4.41
Schritt 2: Übernahme und Fortführung des Betriebs oder Betriebsteils Im zweiten Schritt ist festzustellen, ob der insoweit gekennzeichnete Betrieb oder Betriebsteil unter Wahrung seiner bisherigen Identität durch einen anderen Rechtsträger übernommen wurde und fortgeführt wird. Lässt man dabei die Notwendigkeit einer rechtsgeschäftlichen Übertragung zunächst einmal unberücksichtigt (vgl. § 5), wird man diesen Übertragungsvorgang im Wesentlichen an drei Kriterien festmachen können. 2. Voraussetzung: Übernahme wesentlicher Arbeitnehmer und/oder Betriebsmittel – Zunächst einmal muss der potenzielle Erwerber die wesentlichen Ressourcen übernommen haben, mit deren Hilfe der bisherige Inhaber innerhalb des potenziell von der Übertragung betroffenen Betriebs oder Betriebsteils eine bestimmte Tätigkeit verrichtet hat. Hierzu gehören nicht nur materielle und immaterielle Betriebsmittel, die der bisherige Betriebsinhaber bislang verwendet hat. Auch Arbeitnehmer können zu den wesentlichen Ressourcen gehören, die den Bestand des Betriebs oder Betriebsteils beim übertragenden Rechtsträger bestimmt haben. Ihre Einstellung kann demzufolge Grundlage für die Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils durch einen anderen Rechtsträger sein. Da § 613a BGB über den bloßen Übergang des Arbeitsverhältnisses hinaus weitergehende Regelungen zum Inhalts- und Bestandsschutz trifft, liegt in der Einbeziehung der Arbeitnehmer kein Zirkelschluss. Denn nur eine der Rechtsfolgen (Übergang des Arbeitsverhältnisses) wird jedenfalls für die Arbeitnehmer, die freiwillig übernommen werden, bereits durch aktives Tun des potenziellen Erwerbers ausgelöst. Die übrigen Rechtsfolgen (z.B. Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen als Bestandteil des Arbeitsvertrags) können erst nach Anerkennung eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs aus § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB abgeleitet werden. Außerdem kann nur mit § 613a BGB begründet werden, dass die bislang nicht freiwillig eingestellten Arbeitnehmer durch den anderen Rechtsträger übernommen werden müssen. – Voraussetzung für eine Einbeziehung solcher Übertragungsvorgänge in den Anwendungsbereich von § 613a BGB ist allerdings nicht nur, dass der bisherige Betriebsinhaber seine entsprechende Tätigkeit eingestellt hat bzw. kurzfristig einstellen wird. Voraussetzung ist darüber hinaus, dass es sich bei den übernommenen Betriebsmitteln oder Arbeitnehmern um das Substrat dieser wirtschaftlichen Einheit handelt. Es muss die Grundlage dafür sein, dass der potenzielle Erwerber die gleiche oder gleichartige Tätigkeit überhaupt fortsetzen kann. Es müssen also die wesentlichen Betriebsmittel und die nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Arbeitnehmer des Betriebs oder Betriebsteils sein, dessen Übergang diskutiert wird. Welche Betriebsmittel wesentlich sind, ist einzelfallbezogen unter Berücksichtigung des Betriebszwecks festzustellen. Entscheidend ist, ob der potenzielle Erwerber das für die Wertschöpfung maßgeblichen Betriebsmittel erhalten hat und die Tätigkeit der Arbeitnehmer an oder mit diesen Betriebsmitteln steuert, also den Arbeitnehmern gegenüber in eigenem Namen tätig wird und das arbeitgeberseitige Direktionsrecht wahrnimmt. Gaul/Bonanni | 71
4.42
§ 4 Rz. 4.42 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
– Übt der potenzielle Erwerber die gleiche oder gleichartige Tätigkeit aus, ohne wesentliches Personal oder wesentliche Betriebsmittel übernommen zu haben, liegt eine bloße Funktionsnachfolge vor. Sie fällt nicht in den Anwendungsbereich von § 613a BGB.
4.43
3. Voraussetzung: Fehlen einer wesentlichen Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit – Als zweites Kriterium der Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils muss sichergestellt sein, dass keine wesentliche Unterbrechung der Tätigkeit zwischen der Beendigung durch den bisherigen Inhaber und der Fortsetzung durch den potenziellen Erwerber erfolgt ist. Welche Dauer hierfür maßgeblich ist, muss einzelfallbezogen mit Blick auf den Betriebszweck geprüft werden. Im Zweifel wird man davon ausgehen können, dass bei einer Unterbrechung von mehr als sechs bis sieben Monaten eine Neugründung und keine Fortsetzung einer wirtschaftlichen Einheit gegeben ist. In diesem Fall stellt die Beendigung der Tätigkeit durch den bisherigen Betriebsinhaber auch eine Betriebsstilllegung dar.
4.44
4. Voraussetzung: Fortführung der Tätigkeit unter Wahrung der bisherigen Organisations- oder Funktionsstruktur – Abschließend setzt der Übertragungsvorgang i.S.d. § 613a BGB voraus, dass der potenzielle Erwerber mit den übernommenen Arbeitnehmern und/oder Betriebsmitteln im Rahmen einer eigengesteuerten Organisation die gleiche oder gleichartige Tätigkeit verrichten, wie sie in der wirtschaftlichen Einheit ausgeübt wurde, deren Übergang diskutiert wird. Dabei muss er die organisatorische Einheit fortführen, die der bisherige Betriebsinhaber für diese Tätigkeit aufgebaut hatte. Ausreichend dafür ist, dass der funktionale Zusammenhang der Arbeitnehmer und/oder Betriebsmittel, die für die jeweils in Rede stehende Tätigkeit beim bisherigen Betriebsinhaber maßgeblich waren, durch den anderen Rechtsträger fortgeführt wird.
4.45
Die vorstehenden Kriterien sind zwar auch Inhalt der durch die Rechtsprechung entwickelten Gesamtabwägung. Abweichend hiervon müssen die vier vorstehenden Kriterien einer Übertragung nach § 613a BGB indes ausnahmslos erfüllt sein. Wird eine der drei Voraussetzungen nicht erfüllt, liegt kein Betriebs- oder Betriebsteilübergang vor.
4.46
Ohne Bedeutung für die Frage eines Betriebsübergangs ist, ob die betroffenen Arbeitnehmer arbeitsvertraglich verpflichtet wären, für den potenziellen Erwerber zu arbeiten. Räumliche Veränderungen sind nur dann von Bedeutung, wenn sie bewirken, dass der Betrieb in seiner personellen Zusammensetzung vollständig aufgelöst wird, so dass der potenzielle Erwerber den bisherigen Betriebszweck erst nach einer Einstellung neuen Personals fortsetzen kann. In diesem Fall kann nämlich im Zweifel von einer Betriebsstilllegung, nicht aber von einem Betriebsübergang ausgegangen werden.
IV. Die Kennzeichnung der einzelnen Kriterien eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs 4.47
Nachfolgend werden die Kriterien aufgezeigt, deren Vorliegen oder Fehlen für die Anerkennung oder Ablehnung eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs maßgeblich ist. Die Reihenfolge der nachfolgenden Darstellung entspricht auch der empfohlenen Prüfungsreihenfolge. Ob und inwieweit dem in Rede stehenden Übertragungsvorgang ein Rechtsgeschäft zugrunde liegt, wird gesondert behandelt (vgl. § 5).
72 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.50 § 4
1. Der Betrieb oder Betriebsteil als organisatorische Einheit Schon Art. 1 Nr. 1 lit. b Richtlinie 2001/23/EG spricht von einem Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer „organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit“. Der Betrieb i.S.d. § 613a BGB wird deshalb auch als „organisatorische Einheit“1 bzw. als „organisatorische Gesamtheit von Personen und Sachen“ verstanden2. Voraussetzung eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs ist eine Wahrung der organisatorischen Identität3.
4.48
Der Vorteil einer Eingrenzung der Kennzeichnung der von einem potenziellen Übertragungsvorgang betroffenen Organisationseinheit ist, dass daran anknüpfend nicht nur festgestellt werden kann, welche Arbeitnehmer und/oder Betriebsmittel – in den Worten der Richtlinie 2001/23/EG: welche Ressourcen – wesentlich sind und übernommen werden müssen, um von einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang auszugehen. Das betrifft nicht nur die Frage, ob eine betriebsmittelintensive oder eine betriebsmittelarme Tätigkeit vorliegt, sondern auch die Frage, welche Betriebsmittel bzw. welches Personal die wesentliche Grundlage der bisherigen Tätigkeit war (vgl. Rz. 4.95 ff. und 4.128 ff.)4. Denn nur dann, wenn aus einer organisatorischen Einheit heraus Personal oder Betriebsmittel übernommen werden, kann ein Betriebsübergang vorliegen. Der weitere Vorteil der Eingrenzung ist darin zu sehen, dass die Zuordnung der Arbeitnehmer und damit auch der Übergang des Arbeitsverhältnisses beim Betriebsteilübergang geklärt werden kann (vgl. Rz. 10.113)5. Das kann gerade bei besonderen Organisationsformen wie der Matrix von Bedeutung sein6. Darüber hinaus kann durch einen Vergleich der organisatorischen Einheit, wie sie beim heutigen Betriebsinhaber vorhanden war, mit der potenziellen Einheit, wie sie durch den potenziellen Erwerber fortgeführt wird, festgestellt werden, ob dies unter Wahrung der (bisherigen) Organisations- oder Funktionsstruktur erfolgt (vgl. Rz. 4.46).
4.49
a) Ausübung der Leitungsmacht als Merkmal zur Kennzeichnung der Organisation Das Vorliegen einer Organisation wird nicht bereits durch die bloße Zuordnung von Arbeitnehmern zu einem Bereich, einer Abteilung oder einem Team begründet bzw. durch eine veränderte Zuordnung zerschlagen. Auch können materielle Betriebsmittel (z.B. Grundstück, Maschinen, Fahrzeuge)7 und/oder immaterielle Betriebsmittel (z.B. Kunden- oder Patientenkartei, Aufträge für bestimmte(n) Kunden)8 allein noch keinen Betrieb oder Betriebsteil bil-
1 Vgl. nur BAG v. 18.3.1997 – 3 AZR 729/95, DB 1997, 2282. 2 EuGH v. 11.3.1997 – C-13/95, DB 1997, 628, 629 – Ayse Süzen. 3 Vgl. nur BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 648/13, NZA 2015, 167 Rz. 17,20; BAG v. 20.3.2014 – 8 AZR 1/13, NJW 2014, 2604 Rz. 18; BAG v. 22.5.2014 – 8 AZR 1069/12, NZA 2014, 1335 Rz. 26; BAG v. 18.3.1997 – 3 AZR 729/95, NZA 1998, 97, 99. 4 BAG v. 22.1.2015 – 8 AZR 139/14, NZA 2015, 1325 Rz. 23, 25. 5 BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, DB 2013, 1178 Rz. 33 ff. 6 Vgl. Mückl, DB 2015, 2695 ff. 7 Vgl. BAG v. 26.8.1999 – 8 AZR 718/98, EzA § 613a BGB Nr. 185 S. 5 f.; LAG Köln v. 19.6.1998 – 11 Sa 1503/97, LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 25 S. 2. 8 Vgl. BAG v. 24.4.1997 – 8 AZR 848/94, NZA 1998, 253, 254; LAG Düsseldorf v. 29.2.2000 – 3 Sa 1896/99, LAGE § 613a BGB Nr. 79 S. 5.
Gaul/Bonanni | 73
4.50
§ 4 Rz. 4.50 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
den. Entgegen der Überlegungen des 8. Senats in seinem Urteil vom 27.2.20201 gilt dies selbst dann, wenn mit diesen Betriebsmitteln ständig derselbe Betriebszweck verfolgt wird2.
4.51
Dass § 613a BGB in diesem Zusammenhang auch unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben des EuGH zu durchaus unterschiedlichen Sichtweisen führen kann, zeigen die Urteile des 8. Senats des BAG vom 27.2.20203 und des 6. Senats des BAG vom 14.5.20204. Beide haben sich in obiter dicta intensiv mit der Frage eines Betriebsübergangs befasst. Ganz wesentlich war dabei die Frage, ob eine wirtschaftliche Einheit, die Gegenstand einer Übernahme nach § 613a BGB sein kann, an die Voraussetzung geknüpft ist, dass dieser Einheit „bestimmtes“ Personal – formell oder tatsächlich – zugeordnet (gewesen) sein muss oder ob eine entsprechende Einheit auch durch wechselndes oder rotierendes Personal gebildet werden kann, das über eine bestimmte Zeitspanne hinweg mit einer bestimmten Aufgabe eingesetzt wird. Konkret ging es dort um die Frage, ob der Umstand, dass ein bestimmter Teil der Flugzeuge von Air Berlin, die im Auftrag von Eurowings im Rahmen des sogenannten „WetLease“ eingesetzt wurden, auch dann einen Betriebsteils bilden können, wenn auf diesen Flugzeugen wechselnde Piloten zum Einsatz kamen, die Piloten also – mit Ausnahme eines kurzen Zeitraums von etwa drei bis vier Monaten – auch in anderen Flugzeugen eingesetzt wurden5.
4.52
Folgt man der bisherigen Rechtsprechung des BAG, ist davon auszugehen, dass der für § 613a BGB maßgebliche Begriff der „Organisation“ eines Betriebs die Art und Weise erfasst, in der das Verhältnis zwischen Arbeitgeber, Arbeitnehmer(n) und Betriebsmitteln – vor allem im Rahmen einer arbeitsteiligen Tätigkeitsweise – durch die planmäßige Verteilung von Aufgaben, Leitungsbefugnissen, Zuständigkeiten und Verantwortung innerhalb der verschiedenen Hierarchieebenen so koordiniert wird, dass ein oder mehrere arbeitstechnische Ziele verwirklicht werden6. Entsprechendes gilt für den Betriebsteil.
4.53
Bei der Kennzeichnung der Betriebsorganisation in diesem Zusammenhang ist aber nicht die arbeitsvertragliche Zuordnung maßgeblich. Sie besteht in der Regel zum Unternehmen, gestattet also keine Unterscheidung von Betrieben oder Betriebsteilen. Im Übrigen bliebe unberücksichtigt, dass – vor allem bei einer Sparten- oder Matrixorganisation oder beim gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen – auch unternehmensübergreifende Arbeits- und Ablaufprozesse und daraus folgend auch unternehmensübergreifende Betriebe und Betriebsteile bestehen können. Richtig ist deshalb auch, für die Anerkennung einer betrieblichen Organisation keine „formelle“ Zuordnung von Arbeitnehmern zu verlangen7. Zum einen wäre bereits unklar, welche Anforderungen diese „Formalität“ erfüllen muss. Zum anderen bliebe unberücksichtigt, dass die Richtlinie 2001/23/EG den Transfer von Arbeitsverhältnissen allein da-
1 BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 94 ff. 2 Zutreffend lehnt das BAG im Urteil v. 26.8.1999 – 8 AZR 718/98, EzA § 613a BGB Nr. 185 S. 5 f. einen Betriebsübergang deshalb z.B. dann ab, wenn in einer Fabrik, die Zahnräder produziert, ein bestimmter Arbeitnehmer an einer bestimmten Maschine bestimmte Zahnräder für einen bestimmten PKW-Hersteller fertigt und dieser die betreffende Maschine kauft, um die Produktion selbst zu übernehmen. 3 BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303. 4 BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, NZA 2020, 1092. 5 Vgl. BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 101 ff., 156 ff. 6 HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 38; DKK/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 82; Rumpff/ Boewer, Wirtschaftliche Angelegenheiten, S. 300 ff. 7 Offen BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 105.
74 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.55 § 4
ran knüpft, dass der Arbeitnehmer einer Einheit „angehört“1, was auch durch eine tatsächliche Zuordnung erfolgen kann2. Wie die Figur des gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen verdeutlicht, ist das wichtigste Merkmal für eine Kennzeichnung der Betriebsorganisation die personelle und funktionale Funktionsweise in Bezug auf die in dieser Einheit beschäftigten Arbeitnehmer. Nur durch die den einzelnen Arbeitnehmern bzw. einer Gruppe von Arbeitnehmern – bezogen auf den arbeitsorganisatorischen Zweck – jeweils zugewiesenen Rechte und Pflichten und die damit verknüpften Arbeitsprozesse kann eine Unterscheidung verschiedener Einheiten erfolgen3.
4.54
Allein durch die Zuweisung einer bestimmten Aufgabe entstehen aber nicht ohne weiteres jeweils selbstständig organisierte Einheiten4. Deshalb genügt es für die Anerkennung eines Betriebs oder Betriebsteils auch nicht, wenn Arbeitnehmer und/oder Betriebsmittel ständig in einer bestimmten Weise eingesetzt werden. Denn gleiche oder gleichartige Arbeitsprozesse können auch in unterschiedlichen Unternehmen oder Betrieben etabliert sein. Hiervon ausgehend genügt es für die Kennzeichnung als Betrieb oder Betriebsteil ebenfalls nicht, wenn Arbeitnehmer einer größeren Gruppe aufgrund von Weisungen einer Führungskraft über einen längeren Zeitraum hinweg für einen bestimmten Kunden eingesetzt werden. Das betrifft nicht nur den Fall, dass ein Teil der Bus- oder LKW-Fahrer eines Unternehmens nur für einen bestimmten Kunden oder innerhalb eines bestimmten Gebiets eingesetzt werden5. Ebenso wenig genügt es, wenn ein bestimmter Prozentsatz der in einem Unternehmen verfügbaren Piloten immer für einen bestimmten Kunden auf den für diesen Kunden lackierten Flugzeugen eingesetzt wird, die konkret eingesetzten Piloten aber fortlaufend wechseln6. Hier kommt die Anerkennung eines Betriebs oder Betriebsteils erst in Betracht, wenn – was bei Air Berlin durchaus denkbar erschien – als Folge der Insolvenz anderweitige Einsatzmöglichkeiten entfallen und die im Unternehmen verbliebenen Piloten noch vor dem potenziellen Betriebsoder Betriebsteilübergang ausschließlich auf den Flugzeugen eingesetzt werden, die an einen bestimmten Kunden verleast sind. Denn in diesem Moment entfällt der übergreifende Personaleinsatz. Jetzt kann ein Betrieb oder Betriebsteil allenfalls mit der Begründung verneint werden, dass die verbleibende Einsatzdauer nicht genügt, um von einer auf Dauer eingerichteten Einheit auszugehen (vgl. Rz. 4.73)7. Hiervon ausgehend kann auch ein regionales System zur Versorgung mit Strom-, Gas oder Wasser (Netze eines Energieversorgungsunternehmens), dessen Übergang zur Diskussion steht, nicht ohne Rücksicht auf die Organisation seines Betriebs bereits als übergangsfähiger Betriebsteil qualifiziert werden8. Vielmehr muss festgestellt werden, ob innerhalb der Zentraleinheiten eine auf den Betriebsteil bezogene Or-
4.55
Vgl. EuGH v. 21.10.2010 – C-242/09, NZA 2010, 1225 Rz. 24 ff. – Albron Catering. Vgl. EuGH v. 21.10.2010 – C-242/09, NZA 2010, 1225 Rz. 24 ff. – Albron Catering. Vgl. EuGH v. 12.2.2009 – C-466/07, NZA 2009, 251 ff. – Klarenberg. BAG v. 26.8.1999 – 8 AZR 718/98, EzA § 613a BGB Nr. 185 S. 5. Vgl. BAG v. 26.8.1999 – 8 AZR 718/98, NZA 2000, 144 Rz. 19. Ebenso BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, NZA 2020, 1091 Rz. 67; a.A. BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 111 ff. 7 Vgl. BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303; Jacobs/Schindler, RdA 2021, 45 ff. 8 Walk/Wiese, RdE 2012, 234, 236; abw. Lieb, ZfA 1994, 229, 232 f., der mit Blick auf den Zweck von § 613a BGB einen Betriebsteil bereits dadurch kennzeichnen will, dass die zu übertragenden Betriebsmittel einem übergeordneten gemeinsamen Zweck gewidmet sind und in diesem Sinne zusammengehören. Es genüge, wenn eine organisatorische Verselbständigung gedanklich vollzogen werden könnte.
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Gaul/Bonanni | 75
§ 4 Rz. 4.55 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
ganisation besteht oder ob diese Organisationsstruktur – wie im Zusammenhang mit der Zuordnung von Arbeitnehmern aufgezeigt wird (vgl. Rz. 10.10 – noch bis zum Übertragungszeitpunkt geschaffen wird. Über die Möglichkeit einer Kennzeichnung des eigenständigen Betriebszwecks hinaus ist nämlich entscheidend, wie das arbeitsteilige Zusammenwirken bestimmt wird. Der EuGH verlangt deshalb auch eine „ausreichende funktionelle Autonomie“1. Da die Funktion einer Tätigkeit insoweit nur unter Berücksichtigung des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts bestimmt werden kann, gehört hierzu vor allem die Frage, wer im Hinblick auf die Verwirklichung des arbeitstechnischen Zwecks die Direktiven in Bezug auf Ort, Zeit, Dauer und Art der Tätigkeit vorgeben kann. Zu Recht wird deshalb auch am Vorliegen eines „einheitlichen Leitungsapparats“ angeknüpft, um einen Betrieb zu kennzeichnen2. Entsprechendes gilt für einen Betriebsteil, selbst wenn man dort – wie noch ausgeführt wird – eine schwächere Ausprägung der Arbeitssteuerung verlangen muss.
4.56
Ausgehend von der hierarchischen Struktur einer Arbeitsorganisation können Weisungsrechte durch den Arbeitgeber, im Zweifel also das Organ (z.B. Geschäftsführer), selbst ausgeübt werden. Bei einem mehrstufigen Aufbau kann auch ein Vertreter des Arbeitgebers (als Fach- oder Personalvorgesetzter) die Zuordnung des Arbeitnehmers bestimmen. Insofern können insbesondere Führungskräfte, also hierarchische Strukturen, als Merkmal genutzt werden, um die wirtschaftliche Einheit auf der Ebene des Betriebs – mehr aber noch des Betriebsteils – zu kennzeichnen3. Entsprechend hat D. Gaul4 den Betriebsteil als „abgrenzbare Organisationseinheit mit eigener Leitungsspitze, wenn auch unter der gesamten Leitung des Betriebes stehend“, qualifiziert. Ausdruck findet dies letztlich auch in Berichtspflichten, die nicht gegenüber dem Linienvorgesetzten, sondern gegenüber dem funktional Vorgesetzten bestehen. Dieser genügt, um eine organisatorische abgrenzbare Einheit i.S.d. § 613a BGB zu formen.
4.57
Von diesen Grundsätzen ausgehend setzt die Abgrenzbarkeit einer organisatorischen Einheit i.S.d. § 613a BGB voraus, dass die arbeitstechnischen Aufgaben durch die Zuordnung von Betriebsmitteln, Leitungsbefugnissen, Zuständigkeiten und Verantwortung zwischen den in dieser Einheit Beschäftigten weitgehend autonom verteilt sind. Ohne dass innerhalb des betreffenden Betriebsteils alle Entscheidungen hinsichtlich der dort beschäftigten Arbeitnehmer getroffen werden, muss eine gewisse funktionelle Eigenständigkeit gegeben sein5. Hierzu muss die Leitung einer Gruppe von Arbeitnehmern befugt sein, die Arbeit dieser Gruppe relativ frei und unabhängig zu organisieren und insbesondere Weisungen zu erteilen und Aufgaben auf die zu dieser Gruppe gehörenden untergeordneten Arbeitnehmer zu verteilen, ohne dass Betriebsmittel oder Arbeitnehmer anderer Unternehmensteile des Arbeitgebers dazwischengeschaltet sind6. Vergleichbar mit Überlegungen des BAG zu § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist für
1 EuGH v. 6.3.2014 – C-458/12, NZA 2014, 423 Rz. 32 – Amatori; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/ 19, NZA 2020, 1303 Rz. 32. 2 Vgl. BAG v. 25.9.1986 – 6 ABR 68/84, DB 1987, 1202, 1203; Fitting, § 1 BetrVG Rz. 64, 71 f. 3 Vgl. nur EFTA-Gerichtshof v. 25.9.1996 – E-2/95, EAS RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 11a S. 10 – Eidesund („Mitarbeiter der Führungsebene“); BAG v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, NZA 1996, 1050, 1053 („Führungskräfte“); BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, EzA § 613a BGB Nr. 159 S. 6 („Vorarbeiterin“); BAG v. 14.5.1998 – 8 AZR 418/96, NZA 1999, 483, 485 („Schichtleiter und weitere Führungskräfte). 4 Anm. zu LAG Bremen v. 17.11.1989 – 4 Sa 69/89 und 72/89, LAGE § 613a BGB Nr. 18, S. 10. 5 Jedenfalls keine vollständige Selbständigkeit, so BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 82. 6 EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10, NZA 2011, 1077 Rz. 52 – Scattolon; EuGH v. 6.3.2014 – C-458/12, NZA 2014, 423 Rz. 32 – Amatori; BAG v. 12.12.2013 – 8 AZR 1023/12, NZA 2014, 436 Rz. 17.
76 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.59 § 4
das Vorliegen eines Betriebsteils grundsätzlich erforderlich aber auch ausreichend, dass dort überhaupt eine den Einsatz der Arbeitnehmer bestimmende Leitung institutionalisiert ist und von dieser das Weisungsrecht des Arbeitgebers ausgeübt wird1. In seinem Urteil vom 27.2.20202 spricht der 8. Senat des BAG unter Verweis auf den EuGH im Urteil vom 10.12.19983 deshalb auch von einer „gewissen“ – wenn auch eingeschränkten – „Freiheit“ in der Organisation und Durchführung der Tätigkeit. Dass arbeitsvertragliche Festlegungen zur Tätigkeit Einzelner getroffen worden seien, die der Organisationskompetenz der jeweiligen Führungskräfte als Leitung der betreffenden Gruppe von Arbeitnehmern Grenzen setzen, stehe der Anerkennung einer wirtschaftlichen Einheit nicht entgegen. Auf diese Weise können im öffentlichen Dienst nicht nur selbstständige Dienststellen in den Anwendungsbereich von § 613a BGB fallen. Es können auch untergeordnete Teilbereiche der öffentlichen Verwaltung erfasst sein, sofern dort wirtschaftliche Tätigkeiten verrichtet werden und die hier in Rede stehenden Voraussetzungen erfüllt werden4. Einbezogen wird allerdings nur die Steuerung von Arbeitnehmern. Wenn es beispielsweise den Arbeitnehmern einer Vertriebsorganisation obliegt, jeweils eine Gruppe externen Personals (z.B. Handelsvertreter) zu koordinieren, bilden diese mit dem Vertriebsmitarbeiter keinen eigenen Betriebsteil. Gleiches gilt, wenn mehrere Trainer eines Vereins jeweils für bestimmte Trainingsgruppen zuständig sind. Auch hier bilden der einzelne Trainer und seine Gruppe keinen Betriebsteil5. Abzustellen ist auf die Vertriebsmitarbeiter und die Trainer in ihrer Gesamtheit, sofern deren Arbeit durch das Unternehmen bzw. den Verein übergreifend gesteuert wird. Sie bilden dann in ihrer Gesamtheit einen Betriebsteil i.S.d. § 613a BGB.
4.58
Dabei ist es denkbar, dass gleiche Aufgaben auf verschiedene Einheiten verteilt werden. Im Betriebsteil müssen also keine andersartigen Zwecke verfolgt werden als im übrigen Betrieb6. So könnte die Vertriebstätigkeit in „Kunden allgemein“ und „Key-accounts“ oder „Vertrieb Nord“ und „Vertrieb Süd“ unterteilt werden. Speditionstätigkeiten könnten übergreifend gesteuert oder, versehen mit einer eigenen Arbeitsorganisation, bestimmten Auftraggebern zugeordnet sein7. Reinigungs- oder Bewachungsarbeiten können einerseits übergreifend und mit einer wechselnden Besetzung der einzelnen Objekte von einer Zentrale aus gesteuert werden, was im Zweifel eine einzige Einheit i.S.d. § 613a BGB zur Folge hat. Andererseits aber könnte eine objektbezogene Arbeitsorganisation geschaffen werden, die bei jeweils eigenständiger Steuerung zu getrennten Betriebsteilen führt8. Wenn ein Arbeitnehmer dauerhaft in unterschiedlichen Betriebsteilen eingesetzt wird, kann dies nach den Feststellungen des EuGH im Urteil vom 26.3.20209 allerdings den Übergang eines Teils des Arbeitsverhältnisses, also eines Teilzeitarbeitsverhältnisses, auf den Rechtsträger zur Folge haben, der diesen Betriebsteil mit seinen wesentlichen Ressourcen übernimmt. Der Erwerber übernimmt also nur den Teil
4.59
1 BAG v. 27.1.2011 – 8 AZR 326/09, NZA 2011, 1162 Rz. 23; BAG v. 12.12.2013 – 8 AZR 1023/12, NZA 2014, 436 Rz. 14. 2 BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 122. 3 EuGH v. 10.12.1998 – C-173/96, C-247/96, NZA 1999, 189 Rz. 27 – Hidalgo. 4 Sächsisches LAG v. 8.3.1996 – 3 Sa 77/96, NZA-RR 1997, 4, 5. 5 LAG Berlin v. 26.8.2002 – 7 Sa 252/02, NZA-RR 2003, 183, 184 f. 6 BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 706/11, DB 2013, 1556 Rz. 26; BAG v. 12.12.2013 – 8 AZR 1023/12, NZA 2014, 436 Rz. 14. 7 Vgl. BAG v. 26.8.1999 – 8 AZR 718/98, EzA § 613a BGB Nr. 185 S. 6. 8 BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, EzA § 613a BGB Nr. 159, 4. 9 EuGH v. 26.3.2020 – C-344/18, NZA 2020, 503 Rz. 33 – ISS Facility Services.
Gaul/Bonanni | 77
§ 4 Rz. 4.59 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
des Arbeitsverhältnisses, mit dem der Arbeitnehmer diesem Betrieb oder Betriebsteil angehört.
4.60
Denkbar ist auch, dass unterschiedliche Aufgaben (Vertrieb und Produktion) in jeweils eigenständigen Einheiten an einem Standort oder an verschiedenen Standorten verfolgt werden. Denkbar ist weiterhin, dass Betriebsmittel (z.B. Kundenstamm, Computerprogramme, Leitungsnetz, Betriebsräume) zentral vorgehalten, aber von unterschiedlichen Einheiten benutzt werden. Für die Kennzeichnung einer Einheit als Betrieb oder Betriebsteil ist nur erforderlich, dass die Einheit nach den Vorstellungen des Arbeitgebers, der für die Organisation verantwortlich ist, aus sich heraus in der Lage ist, den ihr zugewiesenen arbeitstechnischen Zweck im Rahmen einer eigenen Steuerung der Arbeit zu verwirklichen. Bei einem Betriebsteil kann dieser Zweck – bezogen auf den Gesamtzweck des Betriebs – auch von untergeordneter Bedeutung sein.
4.61
Solange es um die Kennzeichnung eines Betriebsteils geht, ist es unschädlich, wenn wesentliche personelle und soziale Fragen, die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats auslösen, außerhalb der Teileinheit – dann also im Betrieb in seiner Gesamtheit – eine zentrale Regelung erfahren. Andernfalls wäre es – geht man von den im Betriebsverfassungsrecht entwickelten Kriterien zur Kennzeichnung eines eigenständigen Betriebs aus – nicht möglich, innerhalb des Betriebs unselbstständige Betriebsteile zu haben, die Gegenstand einer Betriebsänderung (§ 111 BetrVG) bzw. eines Betriebsübergangs (§ 613a BGB) sein können. Erforderlich ist aber, dass ein Mitarbeiter innerhalb der jeweils in Rede stehenden Einheit berechtigt ist, das arbeitgeberseitige Direktionsrecht in Bezug auf die Arbeitssteuerung wahrzunehmen1. Ausnahmen dürfen nur einzelne Personen (z.B. obere Führungskräfte) des betreffenden Bereichs erfassen, sofern dies nur einen der Zahl seiner Mitarbeiter nach untergeordneten Teil des jeweiligen Betriebs oder Betriebsteils betrifft. Kennzeichnend für die für § 613a BGB maßgebliche Steuerung ist, dass die Arbeit innerhalb der entsprechenden Einheit arbeitsteilig und ohne Einbeziehung der Arbeitnehmer anderer Einheiten gelenkt wird. Die jeweils in Rede stehende Führungskraft muss also – abgegrenzt von sonstigen Bereichen des Betriebs – berechtigt sein, den übrigen Mitarbeitern dieser Einheit verbindliche Anweisungen bezüglich des Orts, der Zeit sowie der Art und Weise der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung zur Verwirklichung des in dieser Einheit verfolgten arbeitstechnischen Zweck zu erteilen. Die für die Kennzeichnung eines Betriebsteils erforderliche Steuerung ist in der Betriebspraxis auch dann als gegeben anzusehen, wenn im Hinblick auf eine nach ihrem Aufgabenbereich abgrenzbare Einheit durch einen Vertreter des Arbeitgebers (Führungskraft) eine eigenständige Personaleinsatzplanung2 bzw. ein eigenständiges Fehlzeitenmanagement betrieben wird, also die fehlzeitenbedingte Abwesenheit einzelner Mitarbeiter durch Krankheit oder Urlaub eigenverantwortlich durch Mitarbeiter dieser Einheit ausgeglichen wird. Nicht erforderlich ist, dass der insoweit als Führungskraft gekennzeichnete Arbeitnehmer mit einer Befugnis zur Abmahnung ausgestattet ist. Der hierzu berechtigte Personenkreis kann durchaus enger eingegrenzt werden.
4.62
Eine Ausnahme zu dem Erfordernis einer Führungskraft ist nur dort denkbar, wo – wie bei Gruppenarbeit oder agilen Steuerungsstrukturen – Arbeitnehmer auch ohne die hierarchische Hervorhebung eines Arbeitnehmers in der Lage sind, die einheitsbezogene Arbeit zu 1 Vgl. BAG v. 18.3.1997 – 3 AZR 729/95, DB 1997, 2282, 2283, das bei der Kennzeichnung eines Seeschiffes als Teilbetrieb auch auf die „Anordnungsbefugnis“ des mit arbeitgeberähnlichen Kompetenzen ausgestatteten Kapitäns nach §§ 2, 106 SeemG verweist. 2 Vgl. BAG v. 26.8.1999 – 8 AZR 718/98, EzA § 613a BGB Nr. 185 S. 6.
78 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.64 § 4
strukturieren und in ihrer Umsetzung gemeinsam zu lenken. Hier wird die Leitungsbefugnis horizontal fachbezogen wahrgenommen, selbst wenn für die Kommunikation nach außen ein Sprecher bestimmt wird. Auch solche Einheiten können als Betriebsteil zu qualifizieren sein, wenn die notwendige Dauerhaftigkeit gegeben ist. Richtig ist es deshalb, wenn vor allem die „konkrete Personaleinteilung, das Vorhandensein eines Arbeitsprogramms mit einem bestimmten Zeitplan, die Personalauswahl und der Einsatz der ausgewählten Personen für bestimmte Tätigkeiten“ als Kriterien für die Kennzeichnung der Einheiten genannt werden, die Gegenstand einer Übertragung i.S.d. Art. 1 Richtlinie 2001/23/EG sein können1. Umgekehrt folgt daraus auch: Je stärker die Verflechtung eines Bereichs mit anderen Bereichen ist (z.B. durch wechselnde Tätigkeiten der Arbeitnehmer), desto unselbstständiger ist die Einheit, in der jeweils der Einsatz erfolgt2. Damit nimmt auch die Eigenständigkeit der Organisation, die Voraussetzung für das Vorliegen eines Betriebsteils ist, ab. Folgerichtig bewirkt der Umstand, dass einzelne Fahrer einer Spedition nur für bestimmte Kunden fahren, aber – wie auch die übrigen Fahrer – übergreifend Anweisungen durch den Geschäftsführer erhalten, noch nicht die Entstehung eines Betriebsteils i.S.d. § 613a BGB3. Soweit der 8. Senat des BAG diese Überlegungen nicht für zwingend hält4, überzeugt dies angesichts der entsprechenden Feststellungen des EuGH zur Notwendigkeit einer organisatorischen Einheit indes nicht. Ebenso wenig bilden drei oder vier Taxen eines Betriebs, in dem 13 Taxen eingesetzt werden, ohne organisatorische Abgrenzbarkeit einen Betriebsteil5.
4.63
In der Regel ist es unerheblich, wenn der Rahmen für die Ausübung der Leitungsmacht durch Vereinbarungen mit einem Dritten, beispielsweise einen Auftrag- oder Treugeber, vorgegeben wird6. Auch wenn solche Weisungen erheblichen Einfluss auf die Arbeits- und Ablaufprozesse, die Zeiten der Arbeit und die jeweils maßgeblichen Qualitätsstandards haben können, setzt die Anerkennung einer organisatorischen Einheit des Dienstleisters voraus, dass dort eine – wenn auch eingeschränkte – Freiheit in Bezug auf die Organisation und Durchführung der fraglichen Dienstleistung besteht. Das wäre nicht der Fall, wenn die Aufgabe des Dienstleisters – wie dies bei einer Arbeitnehmerüberlassung der Fall wäre – auf die bloße Bereitstellung seines Personals für die auftragerteilende Einrichtung begrenzt wird7. Voraussetzung ist vielmehr, dass der jeweilige Betriebsinhaber die Leitungsmacht in Bezug auf Art, Ort und Zeit
4.64
1 Vgl. Generalanwalt Cosmas im Schlussantrag zu den Rechtssachen v. 24.9.1998 – C-127/96 u.a., EAS RL 77/187/EWG Nr. 17 S. 31, dort allerdings bezogen auf Richtlinie 77/187/EWG. 2 B. Gaul, ZTR 1998, 1, 6. 3 Vgl. BAG v. 26.8.1999 – 8 AZR 718/98, EzA § 613a BGB Nr. 185 S. 6, das deshalb auch die Kennzeichnung von 3 von 17 LKW-Zügen einer Spedition als Teilbetrieb abgelehnt hat. 4 Vgl. BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 111 ff. 5 LAG Köln v. 28.3.2006 – 9 (13) Sa 1361/05 Rz. 43 n.v. 6 Vgl. LAG Bremen v. 17.11.1989 – 4 Sa 69/89, LAGE § 613a BGB Nr. 18 S. 6 f.; Schmalenberg, NZA 1989 Beil. 3, S. 14, 15. 7 Vgl. EuGH v. 10.11.1998 – C-173/96 und C-247/96, NZA 1999, 189, 190 – Hidalgo und Ziemann. Auch der Generalanwalt hatte in seinem Schlussantrag zu den Rechtssachen C-127/96 u.a. v. 24.9.1998 (EAS RL 77/187/EWG Nr. 17 S. 33) darauf hingewiesen, dass bei der Übertragung von Dienstleistungen z. B. der Reinigung oder der Bewachung in manchen Einrichtungen sehr oft der Auftraggeber den Zeitplan für die Arbeit festlege, die Verwendung bestimmter Rohstoffe ge- oder verbiete oder die Beachtung bestimmter Sicherheitsregeln verlange (z.B. Museum, Bank, Wohnanlage). Entscheidend bleibe, dass dem Auftragnehmer ein Entscheidungsspielraum bei der Festlegung der Organisation verbleibe, so dass sich seine Tätigkeit nicht allein auf das Zurverfügungstellen von Arbeitnehmern beschränke; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 313 Rz. 122.
Gaul/Bonanni | 79
§ 4 Rz. 4.64 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
der Tätigkeit von Arbeitnehmern innerhalb der ihm zugeordneten Einheit übernehmen muss. Wechselt diese Leitungsmacht, kann dies zu einer Anwendbarkeit des § 613a BGB führen.
4.65
Wichtig ist allerdings, dass die jeweilige Leitungsmacht im eigenen Namen erfolgen muss. Betriebsinhaber ist die Person, die den Betrieb in eigenem Namen führt und nach außen als Betriebsinhaber auftritt. Damit erfolgt kein Wechsel des Betriebsinhabers, wenn zwar die Betriebsführung übernommen wird, alle Erklärungen der Betriebsführungsgesellschaft aber Namens und im Auftrag des bisherigen Betriebsinhabers abgegeben werden. Dieser bleibt damit auch weiterhin Inhaber; die Betriebsführungsgesellschaft wird wie eine Führungskraft als Vertreter tätig (vgl. Rz. 4.136)1. b) Besonderheiten in der Matrix-Organisation
4.66
Die Notwendigkeit einer organisatorischen Einheit als Anknüpfungspunkt für § 613a BGB gilt auch in einer Matrix-Organisation. Hier stellt sich aber die Frage, ob Arbeitnehmer, die aus einem anderen Betrieb – ggf. auch eines anderen Unternehmens – heraus einzelne Bereiche der vom Übertragungsvorgang betroffenen Einheit steuern, dieser Einheit mit der Folge zugeordnet werden können, dass ihr Arbeitsverhältnis bei einer Übertragung dieser Einheit ebenfalls auf den Erwerber übergeht (vgl. Rz. 10.150 ff.). Entsprechend der nachfolgend gesondert behandelten Frage einer Einbindung von Leiharbeitnehmern spricht hierfür zwar auf den ersten Blick, dass sie den Betriebszweck fördern und (mit-)bestimmend für die Arbeitsund Ablauforganisation sind. Insofern verfolgen also Vorgesetzte und nachgeordnete Mitarbeiter innerhalb einer Matrix-Organisation den gleichen Betriebszweck. Für das BAG ist dies bereits ausreichend, um von einer Einstellung i.S.d. § 99 BetrVG auszugehen2. Hiervon ausgehend wäre in der Matrix allerdings eine mehrfache Zugehörigkeit von Vorgesetzten zu den jeweiligen Einheiten gegeben, in denen Arbeitnehmer beschäftigt werden, für die eine (fachliche) Verantwortung besteht.
4.67
Dagegen spricht aber nicht nur, dass die Weisungen von Matrix-Vorgesetzten typischerweise auf fachliche Fragen beschränkt ist. Die wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten werden unter Einbeziehung des disziplinarischen Weisungsrechts weiterhin innerhalb des Betriebs wahrgenommen, in den die Weisungen ausgeübt werden. Entscheidend gegen ihre Zugehörigkeit zur gesteuerten Einheit spricht schlussendlich, dass Vorgesetzte innerhalb der Matrix im Zweifel keine Weisungen in Bezug auf die eigene Tätigkeit aus der Einheit heraus erhalten, die sie (von außen) steuern. Das aber ist Voraussetzung ihrer Zugehörigkeit. Damit findet – entgegen zunehmend vertretener Auffassungen3 – keine betriebsverfassungsrechtliche Eingliederung statt4. Auch eine kündigungsschutzrechtliche Zuordnung ist nicht gegeben5. Damit in Übereinstimmung ist auch in Bezug auf § 613a BGB keine Zugehörigkeit zu der organisatorischen Einheit gegeben, in die Weisungen erteilt werden6. Das gilt selbst dann, wenn hier
1 Vgl. BAG v. 27.9.2012 – 8 AZR 826/11, NZA 2013, 961 Rz. 21; Birk, ZGR 1984, 23, 48 f. 2 BAG v. 12.6.2019 – 1 ABR 5/18, NZA 2019, 1288 Rz. 16, 21 ff.; abw. noch BAG v. 13.12.2005 – 1 ABR 51/04, NZA 2006, 1369 Rz. 12 ff. 3 Vgl. BAG v. 12.6.2019 – 1 ABR 5/18, NZA 2019, 1288 Rz. 16, 21 ff; LAG Baden-Württemberg v. 28.5.2014 – 4 TaBV 7/13, BB 2014, 2298 Rz. 57 ff.; LAG Berlin-Brandenburg v. 17.6.2015 – 17 TaBV 277/15, NZA-RR 2015, 529 Rz. 20; LAG Düsseldorf v. 10.2.2016 – 7 TaBV 63/15, n.v. Rz. 49. 4 Ebenso noch BAG v. 13.12.2005 – 1 ABR 51/04, NZA 2006, 1369 Rz. 14. 5 BAG v. 19.7.2016 – 2 AZR 468/15, NZA 2016, 1196 Rz. 20. 6 Mückl, DB 2015, 2695, 2697 ff.
80 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.71 § 4
Berichtspflichten (dotted lines) bestehen. Matrix-Vorgesetzte sind daher von einem Übergang der Einheit, für die sie eine (fachliche) Verantwortung haben, nicht betroffen, solange sie ihre (fachliche) Weisungsbefugnis aus einem anderen Betrieb oder Betriebsteil heraus wahrnehmen. c) Ausgrenzung vorübergehender Organisationsformen Organisation setzt eine gewisse Dauer voraus. Voraussetzung für die Anerkennung eines Betriebs oder Betriebsteils ist daher, dass innerhalb der jeweils in Rede stehenden Einheit eine auf Dauer angelegte Tätigkeit ausgeübt wird1.
4.68
Entgegen den Feststellungen des EuGH im Urteil vom 13.7.20172 wird man die erforderliche Dauerhaftigkeit indes nicht bereits dann ausschließen können, wenn die wirtschaftliche Einheit auf die Ausführung eines bestimmten Vorhabens bzw. die Fertigstellung bestimmter Verträge oder Programme beschränkt ist. Zunächst einmal ist die Dauer, die zur Ausführung eines bestimmten Vorhabens verwendet wird, nicht abstrakt-generell festzulegen. Das Vorhaben kann Jahre, ggf. sogar Jahrzehnte in Anspruch nehmen (z.B. Bergbau, Landschaftsrekultivierung, Bau von Philharmonien, Opern, Flughäfen oder Brücken). Im Übrigen ließe sich bei einer generellen Ausgrenzung von Tätigkeiten, die auf der Grundlage eines befristeten Vertrags erfolgen, die Anwendbarkeit von § 613a BGB nach Belieben verhindern.
4.69
Hiervon ausgehend liegt eine nur vorübergehende Organisationsform vor, wenn die Tätigkeit als solche zeitlich begrenzt ist. Das ist z.B. der Fall, wenn es sich um eine bestimmte Tätigkeit oder ein Projekt handelt, das – zeit- oder zweckbefristet (z.B. Aufbau eines Messestands, Hausbau, Werbekampagne, Catering oder Bewachung einer konkreten Veranstaltung) – nur vorübergehender Natur ist. Hier kann grundsätzlich keine dauerhafte Fortsetzung und damit auch kein Übergang des Betriebs stattfinden3. Entsprechendes gilt für einen bestimmten Produktionsauftrag, der nach seiner Erledigung mit keinen weiteren Arbeiten verbunden ist4. Dass der Arbeitnehmer durch einen anderen Rechtsträger vorübergehend in seiner bisherigen „strukturellen Einbindung“ eingesetzt wird, genügt nicht5.
4.70
Die Grenze zu dauerhaften Arbeiten ist fließend. Insoweit geht auch der EuGH von einer Anwendbarkeit der Richtlinie aus, wenn die übertragenen Betriebsmittel den übernehmenden Rechtsträger in die Lage versetzten, eine Tätigkeit oder bestimmte Tätigkeiten des übertragenden Rechtsträgers dauerhaft fortzusetzen. Entscheidend ist letztlich, ob die in Rede stehende Tätigkeit ihrer Natur nach wiederkehrend ist6. Selbst wenn diese Arbeiten an verschiedene Auftragnehmer vergeben werden, kann die für wechselnde Auftragnehmer jeweils tätige Gruppe einen Betrieb oder Betriebsteil bilden. Ob dabei allerdings weniger die Vergangenheit und mehr der Blick in die Zukunft maßgeblich ist, so dass es genügt, wenn als Folge einer Übernahme der wesentlichen Ressourcen auch eine Fortsetzung möglich ist7, lässt die Recht-
4.71
1 EuGH v. 6.3.2014 – C-458/12, NZA 2014, 423 Rz. 31 – Amatori u.a.; BAG v. 22.1.2015 – 8 AZR 139/14, NZA 2015, 1325 Rz. 14; abl. Annuß, BB 1998, 1582, 1583. 2 EuGH v. 13.6.2019 – C-664/17, NZA 2019, 889 Rz. 38, 54 ff. – Ellinika Nafpigeia. 3 Vgl. Schiefer, NZA 1998, 1095, 1096. 4 Vgl. BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 375/96, DB 1998, 372, 373. 5 A.A. Annuß, BB 1998, 1582, 1583. 6 So zutreffend BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, EzA § 613a BGB Nr. 159 S. 7. 7 So BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 132, das aber auch insoweit ein Vorabentscheidungsersuchen für erforderlich hält.
Gaul/Bonanni | 81
§ 4 Rz. 4.71 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
sprechung des EuGH nicht erkennen. Gegen eine Berücksichtigung der Zukunft spricht zwar, dass die Richtlinie 2001/23/EG nur den Status quo fortschreiben will1. Wenn eine Fortsetzung durch den bisherigen Inhaber des Betriebs oder Betriebsteils aber geplant und/oder durch die Ausrichtung der Betriebsorganisation angelegt war, spricht dies für einen Übergang nach § 613a BGB. Denn in diesem Fall baut der der potenzielle Erwerber mit den Arbeitnehmern und/oder Betriebsteilen nicht erst eine dauerhaft funktionsfähige Einheit auf, sondern setzt nur fort, was bereits – wenn auch erst für eine relativ kurze Zeit – beim bisherigen Betriebsinhaber bestanden hat. Schließlich heißt dauerhaft nicht zeitlich unbegrenzt2. Auch die Befristung eines Vertrags, der Grundlage für die Ausführung der Arbeiten ist, schließt deshalb das Entstehen eines Betriebs oder Teilbetriebs nicht aus3. Betroffen hiervon ist beispielsweise die Überwachung oder Reinigung eines fortbestehenden Objekts4. Auch der Betrieb einer Buslinie5 oder die Schaffung einer abgrenzbaren Arbeitsstruktur aus Arbeitnehmern und Betriebsmitteln durch den Insolvenzverwalter (hier: Fortführung vertraglicher Vereinbarungen zum Wetlease einer bestimmten Anzahl von Flugzeugen mit dem Ziel einer Veräußerung der Flugzeuge und Fortführung der damit bedienten Slots)6 kann als dauerhafte Einheit organisiert sein. In allen Fällen spielt es keine Rolle, wenn die eigentlich auf Dauer ausgerichtete Arbeit unvorhergesehen vorzeitig beendet wird7.
4.72
Auch bei ihrer Natur nach dauerhafter Tätigkeit liegt eine allerdings nur vorübergehende Organisationsstruktur vor, wenn die jeweils in Rede stehende Einheit stets wechselnd besetzt wird. Das kann z.B. bei der Besetzung verschiedener Schichten einer Produktion, die Besetzung einer Baustelle, die Festlegung des Teams für die Reinigung eines Objekts oder die Bestimmung der Besatzung eines Flugzeugs, einer Bahn oder eines Schiffs der Fall sein. In solchen Fällen bilden zwar die Arbeitnehmer der Schicht für die Dauer der jeweiligen Schicht bzw. des Schichtplans, die auf der konkreten Baustelle bzw. im Reinigungsobjekt eingesetzten Mitarbeiter oder die für die jeweilige Fahrt bzw. den Flug bestimmte Besatzung eine organisatorische Einheit, wenn es eine Person gibt, die durch Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts den Arbeitseinsatz dieser Gruppe von Arbeitnehmern vor Ort konkretisiert und insoweit auch die Verantwortung trägt. Ausgehend von einer wechselnden Besetzung solcher Schichten, Fortbewegungsmittel oder Objekte handelt es sich aber nur um eine vorübergehende Einheit, die ihrerseits nicht Gegenstand eines Übertragungsvorgangs nach § 613a BGB sein kann. Ihr fehlt die Dauerhaftigkeit, die Voraussetzung für die Anerkennung als wirtschaftliche Einheit ist, die dann unter Wahrung ihrer Identität auch übertragen werden kann. Anknüpfungspunkt für einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang ist in solchen Fällen die Einheit, aus der heraus – gleichsam als Pool – die Besetzung der vorübergehenden Arbeitsgruppen erfolgt8.
1 Vgl. EuGH v. 26.3.2020 – C-344/18, NZA 2020, 503 Rz. 25 – ISS Facility Services; BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, NZA 2020, 1092 Rz. 85. 2 BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 88. 3 BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 88, 119; BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/ 96, EzA § 613a BGB Nr. 159 S. 5, 7. 4 BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, EzA § 613a BGB Nr. 159 S. 5, 7. 5 Vgl. EuGH v. 25.1.2001 – C-172/99, NZA 2001, 249, 251 – Liskojärvi. 6 Vgl. BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 118 ff.; Jacobs/Schindler, RdA 2021, 45 ff.; abl. BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, NZA 2020, 1091 Rz. 67. 7 Thüringer LAG v. 14.11.2000 – 5 Sa 55/99, NZA-RR 2001, 121, 124. 8 Ebenso BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, NZA 2020, 1091 Rz. 84; a.A. BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 111 ff.
82 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.75 § 4
d) Bestehen einer organisatorischen Einheit vor dem Übertragungsvorgang § 613a BGB findet keine Anwendung, wenn die Aufgaben, deren Übergang in Rede steht, nicht bereits vor dem denkbaren Übergangs innerhalb eines organisatorisch verselbstständigten Bereichs verrichtet wurden1. Sonst ist begriffslogisch auch die nach Art. 1 lit. b Richtlinie 2001/23/EG erforderliche Identität einer beim Veräußerer bestehenden mit einer durch den Erwerber übernommenen Einheit ausgeschlossen. Es genügt also nicht, wenn der potenzielle Erwerber mit übernommene Ressourcen, die bislang nicht teilbetrieblich organisiert waren, erst einen Betrieb oder Betriebsteil gründet2. Die organisatorische Eigenständigkeit muss spätestens bis zum Betriebsübergang geschaffen werden3 und tatsächlich bis zum Übertragungsvorgang fortbestehen.
4.73
An diesem Erfordernis muss insbesondere bei der Gestaltung von Vereinbarungen zur Übernahme einer Dienstleistung geachtet werden. Wird die vor allem personell und funktional charakterisierte Organisationsstruktur vor einer Übertragung der dort verrichteten Aufgaben auf Dritte aufgelöst, kann dies einen Betriebsübergang ausschließen4. Umgekehrt aber kann die Zusammenfassung von bislang ohne übergreifende Steuerung (dezentral) verrichteten Tätigkeiten zu einer organisatorischen Einheit mit einheitlicher Steuerung zur Anwendung von § 613a BGB führen, wenn dies noch vor dem Übertragungsvorgang erfolgt und die dieser Einheit zugeordneten Betriebsmittel und/oder Arbeitnehmer von einem anderen Rechtsträger übernommen werden. Hier besteht für die beteiligten Rechtsträger also Gestaltungsspielraum, gleichzeitig aber für den Erwerber auch ein Risiko für die unerwartete Anwendbarkeit von § 613a BGB. Wichtig ist deshalb, den Fortbestand einer bestimmten Organisationsstruktur, die Grundlage des DD-Prozesses im Vorfeld von Übertragungsvorgängen war, in etwaigen Kauf- oder Übertragungsverträgen festzuschreiben.
4.74
Das Erfordernis einer organisatorischen Struktur vor dem potenziellen Übergang schließt einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang aus, wenn eine Funktion übernommen wird, die beim bisherigen Betriebsinhaber bislang nur als Tätigkeit abgrenzbar war, die unabhängig voneinander in verschiedenen Abteilungen, Teams oder sonstigen Bereichen ausgeübt wurde. Dies gilt selbst dann, wenn durch den potenziellen Erwerber im Anschluss an die Übernahme wesentlicher Ressourcen eine Struktur geschaffen wird, die – personell, funktional und hierarchisch – die vorstehend genannten Kriterien eines Betriebs oder Betriebsteils erfüllt5. Folgerichtig lehnt die Rechtsprechung beispielsweise einen Betriebsteilübergang ab, wenn eine ihrer Art nach abgrenzbare Tätigkeit innerhalb eines Betriebs (z.B. Bedienung einer bestimmten Maschine6, Belieferung eines bestimmten Kunden7, Reinigungsarbeiten8, Tätigkeit eines Programmierers9) vor einer Übernahme dieser Arbeiten durch einen anderen Rechtsträger
4.75
1 BAG v. 23.5.2013 – 8 AZR 207/12, DB 2013, 2336 Rz. 25; BAG v. 22.1.2015 – 8 AZR 139/14, NZA 2015, 1325 Rz. 23. 2 BAG v. 26.7.2007 – 8 AZR 769/06, DB 2007, 2843, 2844; BAG v. 13.10.2011 – 8 AZR 455/10, NZA 2012, 504 Rz. 37, 45 f. 3 Abw. Lieb, ZfA 1994, 229, 233, der die Möglichkeit einer gedanklichen Verselbständigung für ausreichend hält, wenn eine Einheit durch den übergreifenden Betriebszweck gekennzeichnet ist. 4 Vgl. Lorenz, ZIP 1997, 531, 534; Preis/Steffan, DB 1998, 309, 310. 5 BAG v. 6.11.1990 – 2 AZR 210/90 n.v.; BAG v. 19.2.1994 – 2 AZR 666/93, NZA 1994, 686, 687. 6 BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 52/96, EzA § 613a BGB Nr. 166 S. 3. 7 LAG Hamm v. 20.5.1998 – 18 Sa 1687/97, LAGE § 613a BGB Nr. 71 S. 3 f. 8 BAG v. 19.2.1994 – 2 AZR 666/93, NZA 1994, 686, 687. 9 BAG v. 24.4.1997 – 8 AZR 848/94, NZA 1998, 253, 254.
Gaul/Bonanni | 83
§ 4 Rz. 4.75 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
noch nicht in der Form eines Betriebsteils organisiert war1. Problematisch sind allerdings die Fälle, in denen erst kurz vor dem Übergang aus einer bislang nur ihrer Tätigkeit nach abgrenzbaren Einheit eine auch organisatorisch eigenständige Einheit geschaffen wird. Das zeigen die unterschiedlichen Auffassungen zu dem Vorliegen einer übertragungsfähigen Einheit im Rahmen der Insolvenz von AirBerlin2.
4.76
Eine organisatorisch abgrenzbare Einheit kann auch dann ausgeschlossen sein, wenn die von der Übernahme betroffene Tätigkeit beim bisherigen Betriebsinhaber dezentral geführt war bzw. die Arbeitnehmer dezentral geführt eingesetzt wurden. Hier fehlt es an einer organisatorisch abgrenzbaren Einheit, die Gegenstand eines Übertragungsvorgangs sein kann. Folgerichtig liegt auch kein Betriebsteilübergang vor, wenn ein Unternehmen jede dritte Maschine verkauft, die künftig – mit gleicher Zweckbestimmung – durch einen anderen Rechtsträger verwendet wird, falls die veräußerten Maschinen nicht auch arbeitsorganisatorisch beim übertragenden Rechtsträger zu einer Teileinheit innerhalb des Maschinenparks zusammengefasst waren. § 613a BGB kann auch dann nicht zur Anwendung kommen, wenn sukzessive die wegen Erreichens der Altersgrenze oder aus sonstigen Gründen frei werdenden Stellen für Reinigungskräfte im Unternehmen nicht mehr besetzt und diese Arbeiten an ein Fremdunternehmen vergeben werden3.
4.77
Folgt man der wohl h.M., reicht es für eine Anwendbarkeit von § 613a BGB ebenfalls nicht, wenn beim bisherigen Betriebsinhaber nur eine „funktionelle Verknüpfung“ der vom Übertragungsvorgang betroffenen Arbeitnehmer und/oder Betriebsmittel gegeben war, aber (noch) kein Betriebsteil mit organisatorischer Selbständigkeit bestanden hat4. Ob diese Kennzeichnung des Betriebs oder Betriebsteils mit den Vorgaben der Richtlinie 2001/23/EG vereinbar ist, erscheint allerdings zweifelhaft. Dagegen spricht nicht nur, dass der EuGH eine „funktionelle Autonomie“5 ausreichen lässt, um eine übertragungsfähige Einheit anzunehmen. Hinzu kommt, dass eine identitätswahrende Übertragung nach dem zutreffenden Verständnis der Rechtsprechung bereits anzuerkennen ist, wenn die funktionale Verknüpfung der von der Übertragung betroffenen Produktionsfaktoren, zu denen Arbeitnehmer und Betriebsmittel rechnen, beim potenziellen Erwerber gewahrt wird (vgl. Rz. 4.21, 4.83 ff.)6.
4.78
Eine identitätswahrende Übertragung unterstellt aber an sich, dass das Objekt der Übertragung in dieser Form (identisch) auch beim bisherigen Inhaber gekennzeichnet bestanden hat. Die Betriebe oder Betriebsteile müssen spiegelbildlich bestanden haben. Lässt man dabei konsequenterweise auf beiden Seiten schon einen funktionellen Zusammenhang genügen, wäre eine identitätswahrende Übertragung schon dann möglich, wenn Arbeitnehmer und Betriebsmittel, die beim übertragenden Rechtsträger nur durch ihren funktionellen Zusammen1 Vgl. BAG v. 6.11.1990 – 2 AZR 210/90 n.v.; LAG Hamm v. 24.2.2000 – 4 Sa 1731/99 n.v.; Kittner/ Zwanziger/Bachner, Arbeitsrecht § 114 Rz. 19. 2 Vgl. BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, NZA 2020, 1091 Rz. 75 ff. (ablehnend); a. A. BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 101 ff, 111 ff.; Jacobs/Schindler, RdA 2021, 45 ff. (für eine Anwendbarkeit von § 613a BGB). 3 Abw. LAG Hamburg v. 29.3.1996 – 3 Sa 1/95 n.v. 4 So BAG v. 13.10.2011 – 8 AZR 455/10, NZA 2012, 504 Rz. 37; Salamon, NZA 2012, 482, 484 f. Soweit Willemsen (NZA 2014, 1011, 1012) plädiert, tatbestandlich einen Betriebsteil beim übertragenden Rechtsträger nebst einer teilbetrieblichen Organisation zu verlangen, geht dies in die gleiche Richtung. 5 EuGH v. 6.3.2014 – C-458/12, NZA 2014, 423 Rz. 32 – Amatori. 6 EuGH v. 12.2.2009 – C-466/07, NZA 2009, 251 Rz. 53 – Klarenberg; BAG v. 20.3.2014 – 8 AZR 1/ 13, NJW 2014, 2604 Rz. 18; BAG v. 22.5.2014 – 8 AZR 1069/12, NZA 2014, 1335 Rz. 26.
84 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.81 § 4
hang gekennzeichnet sind, übernommen und unter Wahrung dieses Zusammenhangs, ggf. sogar in einer organisatorisch abgrenzbaren Einheit, mit der gleichen Zweckbestimmung eingesetzt werden. e) Fortbestand der organisatorischen oder funktionellen Identität des Betriebs oder Betriebsteils im Anschluss an den Übertragungsvorgang Von einem Fortbestand des Betriebs oder Betriebsteils unter Wahrung seiner Identität ist auszugehen, wenn die Arbeits- und Ablaufprozesse nach Übernahme der wesentlichen Betriebsmittel (vgl. Rz. 4.95) und/oder des nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Personals (vgl. Rz. 4.128) durch den potenziellen Erwerber jedenfalls vorübergehend im Wesentlichen unverändert fortgeführt werden1. Umgekehrt spricht gegen einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang, wenn Arbeitsabläufe verändert werden und eine Integration der Arbeitnehmer und Betriebsmittel in die beim potenziellen Erwerber bereits vorhandene Arbeits- und Ablauforganisation erfolgt, die in Bezug auf die betroffenen Arbeitsplätze zu einer veränderten Aufgaben- und Verantwortungsstruktur führt. Dies gilt selbst dann, wenn das nach Zahl und Sachkunde bislang wesentliche Personal, das durch einen anderen Rechtsträger bislang zusammen in einem Betrieb oder Betriebsteil eingesetzt wurde, durch den potenziellen Erwerber eingestellt wird. Hier erfolgt die Einstellung letztlich nur, weil dies aus Sicht des neuen Arbeitgebers eine unkomplizierte Art und Weise gewesen ist, die erforderlichen Arbeitskräfte für eine neu begonnene Tätigkeit2 bzw. die Arbeit in einer beim neuen Arbeitgeber bereits funktionsfähig bestehenden Arbeits- und Ablauforganisation zu gewinnen („Personalbedarfsdeckung“).
4.79
Hiervon ausgehend hatte das BAG in seiner früheren Rechtsprechung angenommen, dass es am Fortbestand der Identität der übernommenen Einheit und damit an der Voraussetzung für einen Betriebs(teil-)übergang i.S.d. § 613a BGB fehle, wenn eine bestehende wirtschaftliche Einheit vollständig in die eigene Organisationsstruktur eines anderen Unternehmens eingegliedert werde3. Gleiches gelte, wenn eine wirtschaftliche Einheit nicht in eine bestehende, sondern eine erst neu aufgebaute Organisationsstruktur eines neu gegründeten Unternehmens eingegliedert werde. Da § 613a BGB den Erhalt der Arbeitsverhältnisse nur dann gewährleistet werden, wenn die betriebliche Einheit fortbestehe, könne in solchen Konstellationen kein Übergang einer wirtschaftlichen Einheit angenommen werden. Hier stehe das Vorliegen einer anderen Organisationsstruktur der Anwendbarkeit von § 613a BGB entgegen4.
4.80
Mit Blick auf die Feststellungen des EuGH im Urteil vom 12.2.20095 hat die Rechtsprechung von diesem Erfordernis inzwischen Abstand genommen. Insofern kann § 613a BGB auch dann zur Anwendung kommen, wenn der Betrieb oder Betriebsteil in seiner bisherigen Organisationsform durch den übernehmenden Rechtsträger aufgelöst wird und übernommene Betriebsmittel in die beim Erwerber bereits bestehende Arbeits- und Ablauforganisation ein-
4.81
1 Vgl. BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 676/97, NZA 1999, 420, 421 f.; ArbG Marburg v. 31.1.1997 – 2 Ca 423/96 n.v. 2 Vgl. EFTA-Gerichtshof v. 25.9.1996 – E-2/95, EAS RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 11a S. 10 – Eidesund. 3 Vgl. BAG v. 6.4.2006 – 8 AZR 249/04, NZA 2006, 1039, 1042; BAG v. 24.8.2006 – 8 AZR 317/05, NZA 2007, 1287 Rz. 31; BAG v. 30.10.2008 – 8 AZR 855/07, DB 2009, 739 Rz. 44. 4 BAG v. 24.4.2008 – 8 AZR 268/07, NZA 2008, 1314 Rz. 42. 5 C-466/07, NZA 2009, 251 ff. – Klarenberg.
Gaul/Bonanni | 85
§ 4 Rz. 4.81 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
gebunden und mit gleicher Zweckbestimmung weiter verwendet werden. Ähnliches gilt in Bezug auf Einheiten, die maßgeblich durch Zahl und Sachkunde ihrer Arbeitnehmer bestimmt werden. Auch hier kann ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang selbst dann gegeben sein, wenn der potenzielle Erwerber die gleiche Tätigkeit mit einer veränderten Zahl von Abteilungen fortführt1 und/oder die übernommenen Arbeitnehmer verschiedenen Organisationseinheiten (Abteilungen/Teams) zuordnet2. Die darin liegende Veränderung der Organisationsstruktur steht einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang nicht entgegen3.
4.82
Erforderlich für die Wahrung der erforderlichen Identität der vom Übertragungsvorgang betroffenen Einheit ist aber, dass die funktionelle Verknüpfung der Wechselbeziehung und gegenseitigen Ergänzung zwischen diesen Faktoren im Anschluss an den Übertragungsvorgang beibehalten wird. Darauf hat das BAG auch in den aktuellen Entscheidungen noch einmal hingewiesen4. Die Beibehaltung einer solchen funktionellen Verknüpfung zwischen den übertragenen Faktoren erlaubt es nämlich dem Erwerber diese Strukturen trotz ihrer Eingliederung in eine neue (eigene) Organisationsstruktur nutzbar zu machen, um derselben oder einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen5.
4.83
Die „funktionelle Verknüpfung“ der wesentlichen Produktionsfaktoren ist dabei als arbeitsteiliges Zusammenwirken der Arbeitnehmer und/oder Betriebsmittel zu verstehen, die schon beim bisherigen Betriebsinhaber zur Verfolgung eines oder mehrerer Betriebszwecke eingesetzt wurden und dadurch eine wirtschaftliche Einheit gebildet haben. Schlussendlich handelt es sich also nur um eine Konkretisierung des Begriffs der „organisatorischen Einheit“ im Sinne einer funktionsbezogenen Betrachtungsweise, keine Abkehr von der Notwendigkeit, dass gerade die übergreifende Steuerung des Einsatzes von Arbeitnehmern und Betriebsmitteln grundlegende Voraussetzung für die Kennzeichnung eines Betriebs oder Betriebsteils i.S.d. § 613a BGB ist.
4.84
Den Unterschied zur Funktionsnachfolge, die nicht zur Anwendung von § 613a BGB führt, macht schon das Urteil des BAG vom 22.1.20096 deutlich. In dem zugrunde liegenden Fall war der Kläger ursprünglich als Haustechniker bei der Beklagten zu 1. beschäftigt, die für die Charité auf dem Campus K, einem Teilbereich des Universitätsgeländes, technische Dienstleistungen verrichtete. Hierzu gehörte die „Erbringung von technischer Betriebsleitung und Management, technischen Anlagen und Systembetrieb und Instandhaltung sowie gebäudetechnischen Servicedienst für die betriebs- und versorgungstechnischen Anlagen/Systeme für die Gebäude der Ring- und Nordbebauung“. Als die Universitätsklinik 2005 beschloss, das gesamte Facility-Management nur noch an einen Auftragnehmer zu vergeben, wurde der Auftrag mit der Beklagten zu 1. gekündigt. Diese wiederum kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Wirkung zum 31.3.2006. Zu diesem Zeitpunkt sollten auch ihre Dienstleistungen für die Charité enden. Die Beklagte zu 1. beschäftigte zu diesem Zeitpunkt 19 Arbeitnehmer. Mit etwa 1.900 Arbeitnehmern nahm die Beklagte zu 2. ab dem 1.1.2006 ihre Tätig-
1 BAG v. 22.5.2014 – 8 AZR 1069/12, NZA 2014, 1335 Rz. 59. 2 Salamon/Hoppe, NZA 2010, 989, 990 f. 3 Vgl. EuGH v. 13.9.2007 – C-458/05, NZA 2007, 1151 – Jouini; EuGH v. 6.3.2014 – C-458/12, NZA 2014, 423 Rz. 33; BAG v. 15.11.2012 – 8 AZR 683/11, NJW 2013, 2379 Rz. 20. 4 BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, NZA 2020, 1092 Rz. 62; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 87. 5 EuGH v. 12.2.2009 – C-466/07, NZA 2009, 251 Rz. 47 f. – Klarenberg; BAG v. 22.1.2009 – 8 AZR 158/07, NZA 2009, 905 Rz. 19; BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 648/13, NZA 2015, 167 Rz. 20. 6 BAG v. 22.1.2009 – 8 AZR 158/07, NZA 2009, 905.
86 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.86 § 4
keit auf. Die Aufgaben aus dem Dienstleistungsauftrag zwischen der Charité und der Beklagten zu 1. übernahm sie ab 1.4.2006. Allerdings wurde die Arbeitsweise innerhalb des Bereichs der Betriebstechnik, dem insgesamt 340 Arbeitnehmer angehörten, nach vollständig anderen Arbeits- und Ablaufprozessen organisiert. Sechs Arbeitnehmer der Beklagten zu 1. wurden von der Beklagten zu 2. eingestellt und in ihrem Betrieb beschäftigt. Dies genügte nicht, um einen Betriebsübergang anzunehmen. Hierfür wäre erforderlich gewesen, dass die „organisierte Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit“ ihre Identität bewahre. Entscheidend ist insoweit nicht die Zuordnung von Arbeitnehmern und/oder Betriebsmitteln zu einer bestimmten Abteilung innerhalb einer Organisation, wie sie auch durch ein Organigramm erkennbar wird, das an disziplinarischen Vorgaben ausgerichtet ist. Maßgeblich für die Frage einer Anwendbarkeit von § 613a BGB ist, ob und ggf. in welcher Weise bei der Verfolgung eines bestimmten Betriebszwecks ein arbeitsteiliges Zusammenwirken dieser Produktionsfaktoren vor und in vergleichbarer Weise nach dem streitgegenständlichen Übertragungsvorgang gegeben ist. Hiervon ausgehend setzt ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang voraus, dass der bisherige Funktions- und Zweckzusammenhangs zwischen den übernommenen Arbeitnehmern und/oder Betriebsmitteln durch den potenziellen Erwerber trotz eines Wegfalls der „organisatorischen Selbständigkeit“ fortgeführt wird. Umgekehrt scheidet ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang aus, wenn diese funktionelle Verknüpfung beendet und die übernommenen Arbeitnehmer und/oder Betriebsmittel in eine veränderte Arbeits- und Ablauforganisation mit neuen Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und Aufgaben eingebunden werden1. Insofern hat das BAG im Urteil vom 22.1.20092 das Vorliegen eines Betriebsübergangs auch mit der Begründung abgelehnt, dass die Beklagte zu 2. mit etwa 1.900 Beschäftigten andere, umfassendere Aufgaben in einer wesentlich veränderten organisatorischen Zusammenfassung von Ressourcen als vorher die Beklagte zu 1. verrichte. Habe diese mit 19 Arbeitnehmern im Bereich des Campus K den gebäudetechnischen Servicedienst, die technische Betriebsleitung und das Management für die Betriebs- und versorgungstechnischen Anlagen/Systeme für die Gebäude der Ring- und Nordbebauung zu erbringen, so bewältige die Beklagte zu 2. mit etwa 1.900 Beschäftigten ab dem 1.1.2006 sämtliche nicht klinischen/medizinischen Dienstleistungen für die gesamte Charité. Allein für die Betriebstechnik beschäftigte sie dabei etwa 340 Arbeitnehmer, darunter nur noch sechs frühere Mitarbeiter der Beklagten zu 1. Für die Beklagte zu 2. stellte die früher von der Beklagten zu 1. zu bewältigenden Aufgaben nur noch einen kleinen Teil des Auftragsvolumens dar, wobei ihre im Bereich der Betriebstechnik beschäftigten 340 Arbeitnehmer im gesamten Klinikum der Charité eingesetzt werden.
4.85
„Den“ Arbeitsplatz des Klägers mit der Aufgabenstellung, ausschließlich die Betriebstechnik auf dem Campus K zu gewährleisten, gab es bei dem Beklagten zu 2. deshalb nicht mehr. Deren Techniker hatten vielmehr die Serviceleistungen im Gesamtbereich des Klinikums zu erbringen. Damit war der Funktions- und Zweckzusammenhang der organisatorisch zur Bewältigung der Aufgabe „Betriebstechnik im K“ bei der Beklagten zu 1. gebildeten Einheit bei der Beklagten zu 2. nicht mehr vorhanden. Die bei der Beklagten zu 1. Noch vorhandene organisatorische Einheit hatte nicht nur ihre „organisatorische Selbständigkeit“ verloren; es waren auch keine in ihrem Funktions- und Zweckzusammenhang beibehaltenen Faktoren in die Organisationsstruktur der Beklagten zu 2. eingegliedert worden. Mit anderen Worten: Die Beklagte zu 2. nützte zur Verfolgung ihrer viel umfassenderen, wirtschaftlichen Tätigkeit keine
4.86
1 BAG v. 22.1.2009 – 8 AZR 158/07, NZA 2009, 905 Rz. 19; BAG v. 15.11.2012 – 8 AZR 683/11, NJW 2013, 2379 Rz. 20. 2 8 AZR 158/07, NZA 2009, 905 Rz. 24 ff.
Gaul/Bonanni | 87
§ 4 Rz. 4.86 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
Produktionsfaktoren, wie sie bei der Beklagten zu 1. in ihrer Wechselbeziehung und gegenseitigen Ergänzung bestanden hatten. Dass die Service-Techniker der Beklagten zu 2., soweit sie im Campus K tätig wurden, an demselben Ort und in den gleichen Räumen arbeiteten, war nicht von entscheidender Bedeutung, da die insoweit geschuldeten Dienstleistungen zwangsläufig nur standortgebunden erfolgen können. Zur Aufrechterhaltung des Betriebsablaufs in der Klinik mussten sie notwendig auch ohne zeitliche Unterbrechung fortgeführt werden. Daraus lässt sich ein Betriebsübergang nicht ableiten. f) Besonderheiten beim Betriebsteilübergang
4.87
Die Anwendbarkeit von § 613a BGB ist mit Blick auf jede Einheit gesondert zu bewerten. Wenn die weitergehenden Voraussetzungen einer Übernahme nicht in Bezug auf den Betrieb in seiner Gesamtheit erfüllt sind, müssen sie betriebsteilbezogen geprüft werden. Dabei ist es denkbar, dass diese Übernahme nur in Bezug auf einen oder einzelne Betriebsteile vorliegt, andere also beim bisherigen Betriebsinhaber fortbestehen. Nacheinander müssen also die jeweils kleineren Teileinheiten geprüft werden. Beispiel: Überträgt der bisherige Betriebsinhaber seinen Produktionsbereich nach § 613a BGB, sind die Verwaltung oder der Vertrieb nicht betroffen, wenn für diese Betriebsteile die Voraussetzung einer Übernahme durch den potenziellen Erwerber nicht erfüllt sind.
4.88
Unerheblich ist, ob der insoweit verbleibende Restbetrieb fortgesetzt werden könnte oder noch lebensfähig ist1. Insoweit kann der Übergang eines Betriebsteils durchaus dazu führen, dass die beim übertragenden Rechtsträger verbleibenden Einheiten stillgelegt werden2.
2. Kein Betriebsübergang bei bloßer Fortsetzung der gleichen Tätigkeit (Funktions- oder Auftragsnachfolge) 4.89
Auch unter Berücksichtigung der vorangehenden Überlegungen besteht weitgehende Übereinstimmung darüber, dass eine wirtschaftliche Einheit i.S.d. § 613a BGB nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden darf3. Die bloße Fortsetzung derselben oder einer gleichartigen Tätigkeit (Funktionsnachfolge) genügt deshalb nicht, um einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang anzunehmen4. Dies betrifft insbesondere die erstmalige Fremdvergabe von Dienstleistungen (Outsourcing), die Vergabe an ein anderes Fremdunternehmen bzw. die Beendigung dieser Fremdvergabe. Deshalb kann auch der bloße Verlust eines Auftrags, der zur Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit durch einen anderen Rechtsträger – in der Regel den Konkurrenten – führt (Auftragsnachfolge), noch keinen Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils bewirken5. Voraussetzung für die Annahme eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs, dass der Rechtsträger, der die gleiche oder gleichartige Tätigkeit fortsetzt (vgl. Rz. 4.201), die für diese Tätigkeit beim bisherigen Betriebs- oder Betriebsteilinhaber wesentlichen Arbeitnehmer 1 BAG v. 24.8.2006 – 8 AZR 556/05, DB 2006, 2818 Rz. 23; BAG v. 7.4.2011 – 8 AZR 730/09, NZA 2011, 1231 Rz. 27. 2 Vgl. BAG v. 24.8.2006 – 8 AZR 556/05, DB 2006, 2818 Rz. 28; Kraft, Festschrift BAG, S. 299, 303 f. 3 Vgl. nur EuGH v. 11.3.1997 – C-13/95, DB 1997, 628, 629 – Ayse Süzen; EuGH v. 26.9.2000 – C175/99, EAS RL 77/187/EWG, Art. 1 Nr. 21 S. 9 f. – Mayeur; BAG v. 7.4.2011 – 8 AZR 730/09, NZA 2011, 1231 Rz. 23. 4 Vgl. nur EuGH v. 20.11.2011 – C-463/09 – NZA 2011, 148 Rz. 39 ff. – CLECE; BAG v. 18.9.2014 – 8 AZR 733/13, NZA 2015, 97 Rz. 18; BAG v. 19.3.2015 – 8 AZR 150/14, n.v. Rz. 20. 5 EuGH v. 10.12.1998 – C-173/96 und C-247/96, NZA 1999, 189, 190 f. – Hidalgo und Ziemann; BAG v. 22.1.2009 – 8 AZR 158/07, NZA 2009, 905 Rz. 19 ff.
88 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.92 § 4
(vgl. Rz. 4.128) und/oder Betriebsmittel (vgl. Rz. 4.95) übernommen hat und diese im Rahmen der Fortsetzung dieser Betriebstätigkeit zum Einsatz bringt (vgl. Rz. 4.188). Hiervon ausgehend liegt eine bloße Funktionsnachfolge zum Beispiel dann vor, wenn eine Spedition, die im Rahmen eines Outsourcing-Vorhabens mit den Auslieferungsfahrten eines Produktionsunternehmens beauftragt wird, diese Fahrten mit eigenen LKW vornimmt, also keine Fahrzeuge des Auftraggebers übernommen werden. Eine bloße Auftragsnachfolge ist gegeben, wenn der Dienstleister, der im Anschluss an eine Neuausschreibung der bereits fremdvergebenen Arbeiten im Bodenverkehrsdienst an einem Flughafen beauftragt wird, sich für diese Aufgabe Förder- und Transportfahrzeuge neu beschafft, statt die Fahrzeuge von dem bislang beauftragten Dienstleister, einer Leasinggesellschaft und/oder dem Flughafen zu übernehmen, die durch den bisherigen Dienstleister bislang an diesem Flughafen eingesetzt wurden. Voraussetzung ist natürlich, dass der Erwerb von einem Dritten erfolgt, der diese Fahrzeuge nicht zuvor von dem bisherigen Betriebsinhaber erhalten hat (vgl. Rz. 4.158). Bei einem solchen Erwerb fehlt es auch an einer (jedenfalls mittelbaren) Übernahme der Betriebsmittel, die der bisherige Betriebsinhaber bei seiner Tätigkeit bislang eingesetzt hatte.
4.90
Soweit im Anschluss an Joost1 in der Vergangenheit zum Teil davon ausgegangen war, dass der Betrieb oder Betriebsteil i.S.d. § 613a BGB bereits durch die Tätigkeit der Arbeitnehmer qualifiziert werde2, berücksichtigte dies nicht ausreichend, was daran anknüpfend überhaupt Objekt einer Übertragung i.S.d. § 613a BGB sein soll. Denn eine Übertragung setzt nicht nur eine Verbindung zwischen dem abgebenden und dem empfangenden Rechtsträger voraus. Der Vorgang des Übertragens setzt insoweit auch die tatsächliche Überleitung, die Weitergabe eines bestimmten Objekts – hier also des Betriebs oder Betriebsteils – voraus. Wenn der Betrieb nicht durch Betriebsmittel gekennzeichnet wird, die übertragen werden können, muss jedenfalls am Übergang der Arbeitnehmer und der damit verbundenen Organisationstruktur angeknüpft werden. Nur so lässt sich erklären, dass Art. 1 Abs. 1 lit. b Richtlinie 2001/23/ EG von der Übertragung einer Zusammenfassung von Ressourcen spricht, was Betriebsmittel und Arbeitnehmer gleichermaßen erfasst. Fehlt eine solche Übertragung, kommt es auf die Gleichartigkeit bestimmter Vorgänge nicht an. Es fehlt der Vorgang, der die beiden Tätigkeiten verbindet.
4.91
Unabhängig davon ist die tätigkeitsbezogene Kennzeichnung des Betriebs indes auch aus anderen Gründen nicht überzeugend. Wie die Ausführungen von Joost3 zum Teilbetrieb zeigen, kann eine tätigkeitsbezogene Kennzeichnung nämlich nur in Bezug auf den Betrieb als Gesamtheit vorgenommen werden. Teileinheiten können damit nicht gekennzeichnet werden, soll nicht bereits die Tätigkeit des einzelnen Arbeitnehmers genügen, um ihn als Teilbetrieb anzusehen. Dies aber würde zu einer Atomisierung des Anwendungsbereichs von § 613a BGB führen. Soll ein Teil des Betriebs – aus Sicht von Joost also ein Teil der Tätigkeit eines Unternehmens – beschrieben werden, bedarf es deshalb darüber hinausgehender Kriterien. Während die h.M. insoweit auf den Teilzweck oder die Teilorganisation zurückgreift, verwendet Joost das Kriterium der Teilaufgabe als Teil des unternehmerischen Leistungsangebots. Von diesem Grundsatz ausgehend sei ein Betriebsteil gegeben, wenn ein Teil der Leistungserstellung von dem bisherigen Unternehmer für seine Person aufgegeben, aber nicht stillgelegt, sondern von einem anderen Unternehmer nach seinen Vorstellungen weiterbetrieben werde. Auch Joost muss damit bei seiner tätigkeitsbezogenen Kennzeichnung des Anwendungsbe-
4.92
1 Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 393 ff.; Joost, Festschrift Wlotzke, S. 683, 689. 2 So Ekkenga, ZIP 1995, 1225, 1229 ff.; Preis, RdA 2000, 257, 277. 3 Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 391 f.
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§ 4 Rz. 4.92 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
reichs von § 613a BGB auf den Zweck einer bestimmten Tätigkeit und das Erfordernis, dass der bisherige Arbeitgeber diesen Zweck selbst nicht weiterverfolgt, zurückgreifen. Damit aber verliert die allein tätigkeitsbezogene Bewertung ihre Bedeutung.
3. Bedeutung der beim bisherigen Inhaber ausgeübten Tätigkeit 4.93
Die Tätigkeit, die innerhalb der potenziell von einer Übertragung nach § 613a BGB betroffenen Einheit ausgeübt wird, und der darin liegende Betriebszweck haben gleichwohl ganz erhebliche Bedeutung für die Frage, ob der in Rede stehende Vorgang als Betriebs- oder Betriebsteilübergang zu qualifizieren ist. Denn die Art dieser Tätigkeit und der damit zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Übertragung verbundene Betriebszweck sind nicht nur maßgeblich dafür, ob durch die Übernahme von Arbeitnehmern und/oder Betriebsmitteln ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang ausgelöst wird. Die Art der innerhalb der streitgegenständlichen Einheit ausgeübten Tätigkeit bestimmt, was überhaupt die für einen Übertragungsvorgang im Rahmen von § 613a BGB maßgeblichen Ressourcen sind. Danach richtet sich insbesondere, ob eine betriebsmittelintensive oder eine betriebsmittelarme Tätigkeit vorliegt (vgl. Rz. 4.107). Die Art der beim bisherigen Inhaber ausgeübten Tätigkeit bestimmt auch, welche Dauer der Unterbrechung einer Fortführung des Betriebs entgegensteht, so dass von einer Stilllegung des Betriebs- oder Betriebsteils auszugehen wäre (vgl. Rz. 4.156). Schlussendlich wird auch die Identität der von einer Übertragung betroffenen Einheit maßgeblich davon abhängig gemacht, dass die gleiche oder gleichartige Tätigkeit durch einen anderen Rechtsträger fortgeführt wird (vgl. Rz. 4.201).
4.94
Unerheblich für die Bedeutung des Betriebszwecks ist, ob der Betrieb oder Betriebsteil – wie dies z.B. bei einer Hauptverwaltung der Fall sein kann – für sich allein nicht bestehen kann. Entscheidend für die Berücksichtigung dieses Merkmals ist nur, ob innerhalb der betreffenden Einheit der vom Arbeitgeber gesetzte Zweck – z.B. die Steuerung und Leitung des Unternehmens – selbst erfüllt werden kann1. Deshalb spielen in diesem Zusammenhang auch steuerrechtliche Anforderungen an den Teilbetrieb keine Rolle.
4. Übernahme von Betriebsmitteln 4.95
Soweit der Übergang einer Einheit mit betriebsmittelintensiver Tätigkeit in Rede steht, ist das Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs daran geknüpft, dass (auch) materielle oder immaterielle Betriebsmittel durch einen anderen Rechtsträger zur weiteren Nutzung erworben werden. Welcher Art das für den Erwerb maßgebliche Rechtsgeschäft ist, soll an anderer Stelle behandelt werden (vgl. § 5). Entscheidend ist, dass das Rechtsgeschäft dem potenziellen Erwerber die Berechtigung zur eigenverantworteten Nutzung der Ressourcen verschaffen muss, die durch den bisherigen Inhaber des Betriebs oder Betriebsteils zu einem bestimmten Zweck eingesetzt wurden. a) Unterscheidung zwischen betriebsmittelintensiver und betriebsmittelarmer Tätigkeit
4.96
Um die Wesentlichkeit von Betriebsmitteln bewerten zu können, die Gegenstand eines Übertragungsvorgangs sind, ist zunächst einmal die Tätigkeit festzustellen, die innerhalb der potentiell vom Übertragungsvorgang betroffenen Einheit verfolgt wird. Betriebsmittel sind nur
1 BAG v. 23.9.1982 – 6 ABR 42/81, AP Nr. 3 zu § 4 BetrVG 1972 Bl. 3.
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Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.99 § 4
dann für eine Anwendbarkeit von § 613a BGB relevant, wenn mit ihnen der wesentliche Betriebszweck erfüllt wird. Ihr Einsatz muss also bei einer wertenden Betrachtung den eigentlichen Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs ausmachen1. Allein der Umstand, dass Betriebsmittel für eine Tätigkeit erforderlich sind, führt indes noch nicht dazu, dass diese Betriebsmittel für die betriebliche Tätigkeit identitätsprägend sind und damit zur Annahme eines betriebsmittelgeprägten Betriebs führen2. Das gilt beispielsweise für das Auto eines IT-Mitarbeiters, der vor Ort technische Dienstleistungen im Bereich von Hardoder Software erbringt3. Es hat eine dienende bzw. Hilfsfunktion. Solange LegalTec noch nicht in den Vordergrund der beratenden Tätigkeit rückt, gilt gleiches für die IT, die in der Kanzlei eines Steuerberaters oder Rechtsanwalts verwendet wird4. Wesentliche Betriebsmittel dienen nicht nur der Unterstützung, sondern prägen die wirtschaftliche Wertschöpfung. Kenntnisse und Fähigkeiten der Mitarbeiter sowie die Art und Weise ihres arbeitsteiligen Zusammenwirkens beeinflussen in solchen Fällen zwar das Arbeitsergebnis, genügen aber für sich genommen nicht, um das arbeitstechnische Ziel zu erreichen. Darin kann auch das bloße Bedienen einer Maschine liegen, die schlussendlich das Arbeitsergebnis erstellt. Für die Wesentlichkeit der Betriebsmittel spricht, wenn die Betriebsmittel unverzichtbar zur auftragsmäßigen Verrichtung der Tätigkeit sind, auf dem freien Markt nicht erhältlich sind oder ihr Gebrauch vom Auftraggeber zwingend vorgeschrieben wird5. Die Vorgabe zur Verwendung bestimmter Betriebsmittel kann auch durch öffentlich-rechtliche Bestimmungen vorgegeben sein (z.B. Rettungsdienst)6. Machen die Vorgaben im Zusammenhang mit der Fortführung einer bestimmten Tätigkeit im Zusammenhang mit Outsourcing oder Auftragsnachfolge allerdings den Austausch von Betriebsmitteln erforderlich, weil diese modernen (ggf. umweltspezifischen) Anforderungen nicht mehr genügen, schließt der Umstand, dass die gleiche Tätigkeit mit neuen (materiellen) Betriebsmitteln fortgeführt wird, die Anwendbarkeit von § 613a BGB nicht per se aus. Hier muss geprüft werden, ob durch die Übernahme weiterer (personeller oder immaterieller) Ressourcen ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang ausgelöst wird (vgl. Rz. 4.95 ff., 4.128 ff.)7.
4.97
Nicht erforderlich für die Wesentlichkeit eines Betriebsmittels ist, dass die Mehrzahl der Arbeitnehmer der in Rede stehenden Einheit mit diesen Betriebsmitteln arbeitet. Sie kann gleichwohl prägend für die Tätigkeit der übrigen Arbeitnehmer sein8. Unerheblich ist auch, ob die gleiche Tätigkeit auch mit anderen Betriebsmitteln hätte verrichtet werden können, wenn die vom Übertragungsvorgang betroffenen Betriebsmittel tatsächlich für die Fortsetzung der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit genutzt werden9.
4.98
Sind die materiellen und/oder immaterielle Betriebsmittel für den Betrieb so prägend, dass ohne ihre Übernahme und weitere Nutzung durch den Nachfolger die gleiche oder gleicharti-
4.99
1 BAG v. 25.6.2009 – 8 AZR 258/08, NZA 2009, NZA 2009, 1412 Rz. 30; BAG v. 19.3.2015 – 8 AZR 150/14 n.v. Rz. 19 ff. 2 BAG v. 15.11.2011 – 8 AZR 197/11, NZA-RR 2013, 179 Rz. 51; BAG v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, NZA 2008, NZA-RR 2009, 469 Rz. 49 ff. 3 BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 706/11, DB 2013, 1556 Rz. 28 f. 4 Vgl. LAG Baden-Württemberg v. 17.2.2012 – 1 Sa 24/11, n.v. Rz. 70. 5 BAG v. 10.5.2012 – 8 AZR 434/11, NZA 2012, 1161 Rz. 25; BAG v. 23.5.2013 – 8 AZR 207/12, DB 2013, 2336 Rz. 31. 6 BAG v. 10.5.2012 – 8 AZR 434/11, NZA 2012, 1161 Rz. 37. 7 Vgl. EuGH v. 27.2.2020 – C-298/18, NZA 2020, 443 – Grafe und Pohle. 8 BAG v. 23.5.2013 – 8 AZR 207/12, DB 2013, 2336 Rz. 39. 9 BAG v. 23.5.2013 – 8 AZR 207/12, DB 2013, 2336 Rz. 37.
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§ 4 Rz. 4.99 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
ge Tätigkeit nicht identitätswahrend fortgeführt werden kann, ist bei fehlender Übernahme der Betriebsmittel der Betriebsübergang ausgeschlossen. Hier liegt eine betriebsmittelintensive Tätigkeit vor. Umgekehrt steht einem Betriebsübergang in solchen Fällen nicht entgegen, wenn keine oder nur wenige Arbeitnehmer übernommen werden1. Zu solchen Einheiten gehören, sofern keine handwerkliche Tätigkeit vorliegt, in der Regel Produktionsbetriebe2. Einzubinden sind in der Regel auch weiterverarbeitende Betriebe3, eine maschinelle Verarbeitung von Druckerzeugnissen4 oder Betriebe des Baugewerbes5. Hier geht es um Maschinen, Werkzeuge und Fertigungs-Know-how (einschließlich etwaiger Benutzerhandbücher6 und Pläne).
4.100
In bestimmten Branchen spielen Betriebsmittel generell keine oder nur eine untergeordnete Rolle für die wirtschaftliche Wertschöpfung. Hierzu gehören in der Regel der Handel7, die Instandhaltung eines Strom-, Gas- oder Wassernetzes8, Beratungstätigkeiten bzw. technische Serviceleistungen9, Verwaltungstätigkeiten (einschließlich Justiziariat)10, Reinigung11, Bewachung12, die bei einem Verleiher beschäftigten Leiharbeitnehmer13, der Betrieb eines Frauenhauses14, die Redaktion einer Zeitschrift/Zeitung15, Hol- und Bringdienste sowie einfache Logistiktätigkeit16, IT-Serviceleistungen17, Zustelldienste im Bereich der Zei-
1 BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 146/19, NZA 2020, 1092 Rz. 67; BAG v. 2.3.2006 – 8 AZR 147/05, NZA 2006, 1105 Rz. 19. 2 Vgl. BAG v. 27.9.2012 – 8 AZR 826/11, NZA 2013, 961 Rz. 25; BAG v. 23.9.2010 – 8 AZR 567/09, NZA 2011, 197 Rz. 42 ff. 3 BAG v. 27.1.2011 – 8 AZR 326/09, NZA 2011, 1162 Rz. 31. 4 BAG v. 6.4.2006 – 8 AZR 222/04, NZA 2006, 723 Rz. 21 ff., 23. 5 BAG v. 24.2.2000 – 8 AZR 162/99, n.v. Rz. 24 ff.; BAG v. 26.7.2007 – 8 AZR 769/06, NZA 2008, 112, 115, wobei das BAG neben den materiellen und immateriellen Betriebsmitteln auch die personellen Mittel sowie die organisatorischen Konzepte berücksichtigt. 6 Vgl. BAG v. 23.5.2013 – 8 AZR 207/12, DB 2013, 2336 Rz. 44. 7 Vgl. BAG v. 29.6.2000 – 8 AZR 520/99, n.v.; BAG v. 22.7.2004 – 8 AZR 350/03, NZA 2004, 1383 Rz. 41. 8 Walk/Wiese, RdE 2012, 234, 239. 9 BAG v. 22.5.2014 – 8 AZR 1069/12, NZA 2014, 1335 Rz. 45 ff. (Arbeitsvermittlung); BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11, NZA-RR 2013, 6 (IT-Serviceleistungen). 10 BAG v. 24.8.2006 – 8 AZR 317/05, NZA 2007, 1287 Rz. 29 ff. 11 EuGH v. 11.3.1997 – C-13/95, NZA 1997, 433 – Ayse Süzen; BAG v. 21.5.2008 – 8 AZR 481/07, NZA 2009, 144. 12 Vgl. BAG v. 23.5.2013 – 8 AZR 207/12, DB 2013, 2336 ff. Rz. 4, 30 ff., sofern die Bewachung nicht im Wesentlichen mit einer besonderen technischen Einrichtung erfolgt; BAG v. 15.11.2011 – 8 AZR 197/11, NZA-RR 2013, 179 Rz. 51; BAG v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, NZA-RR 2009, 469 Rz. 49. 13 BAG v. 12.12.2013 – 8 AZR 1023/12, NZA 2014, 436 Rz. 18 ff. 14 BAG v. 4.5.2006 – 8 AZR 299/05, NZA 2006, 1096, 1100, wenngleich das BAG hier auch prüft, ob Konzepte, Ablaufpläne oder Erziehungspläne für Kinder übernommen wurden. 15 Abw. LAG Rheinland-Pfalz v. 24.5.2007 – 11 Sa 55/07, NZA-RR 2007, 566 ff., das auf die Übernahme von Redaktionsräumlichkeiten, Kommunikationsmitteln (Telefon/Telefax), Email-Adresse und Homepage sowie die weitere Beschäftigung der 15 bis 20 freien Mitarbeiter abgestellt hat und eine Übernahme des nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des Personals nicht für erforderlich gehalten hat. 16 Soweit BAG v. 13.12.2007 – 8 AZR 937/06, NZA 2008, 1021 Rz. 18 f. eine betriebsmittelarme Tätigkeit angenommen hat, kann dies indes nicht überzeugen. Denn die innerbetrieblichen Transporte und die Lagerung konnten nicht ohne wesentliche materielle und immaterielle Hilfsmittel (z.B. Lagerhalle, Stapler, Paletten, Umreifungspresse, Warenverwaltungsprogramm) durchgeführt werden. 17 BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 706/11, DB 2013, 1556 Rz. 28 f.
92 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.101 § 4
tungen1, Catering, medizinische oder pflegerische Dienste, Haus- bzw. Grundstücksverwaltung2 oder Facility-Management3, der Betrieb und die Kontrolle technischer Einrichtungen (z.B. Heizung, Klimaanlagen, Sanitärräumlichkeiten)4, technische Wartung und häufig auch Reparaturdienste. In solchen Bereichen kann bereits eine strukturierte Gesamtheit von Arbeitnehmern trotz des Fehlens nennenswerter materieller oder immaterieller Vermögenswerte eine wirtschaftliche Einheit i.S.d. § 613a BGB darstellen5. Bei der Feststellung, ob diese Einheit unter Wahrung ihrer Identität übergegangen ist, muss deshalb im Zweifel auf die Übernahme von Personal abgestellt werden (vgl. Rz. 4.128 ff.). Dies gilt selbst dann, wenn dabei technische Anlagen Verwendung finden. Denn die vorgenannten Dienstleistungen werden „an“ diesen Einrichtungen erbracht; die Dienstleistung wird nicht „mit“ diesen Anlagen erbracht. Sie sind daher kein Betriebsmittel i.S.d. § 613a BGB6. Entsprechendes gilt für Waren oder Grundstücke, die das Objekt der Lagerung und/oder der Verwaltung sind7. Hiervon ausgehend ist deshalb auch eine strikte Abgrenzung nach den wesentlichen Bestandteilen Grundstücks/Gebäudes (§ 94 BGB) und dem damit verbundenen Zubehör (§ 97 BGB)8 insbesondere in betriebsmittelarmen Einheiten nicht geeignet, die Wesentlichkeit von Betriebsmitteln im Rahmen von § 613a BGB festzustellen. Eine schematische Zuteilung von Betriebsmitteln zu einer bestimmten Art der betrieblichen Tätigkeit ist damit indes nicht verbunden. Vielmehr müssen branchen- und tätigkeitsbezogene Besonderheiten berücksichtigt werden. Wie bereits die Bedeutung gewerblicher Schutzrechte deutlich macht, können deshalb auch im produzierenden Gewerbe immaterielle Schutzrechte bedeutsam sein. Entsprechendes gilt für den Dienstleistungsbereich oder den Handel, für den ausnahmsweise auch materielle oder immaterielle Betriebsmittel eine wesentliche Bedeutung besitzen können. Beispielweise sei hier verwiesen auf den Betrieb von Regallagern, Kühlhäusern oder Schlachtbetrieben9, die Dekontreinigung im Bereich von Kernkraftwerken10, das EDV-Warenverwaltungssystem im Lager/Verkauf, auf einen Hafenumschlagsbetrieb11, Alarmverwaltungssysteme nebst Leitstelle im Objektschutz12, die Fluggastkontrolle13, die technischen Arbeitsmittel (Laptop, Ersatzteile) sowie das Know-how, die Einführung am Markt oder etwaige Kundenlisten eines technischen Service- und Wartungsbetriebs14, die
1 BAG v. 19.3.2015 – 8 AZR 150/14, AP Nr. 461 zu § 613a BGB Rz. 24; BAG v. 14.4.2015 – 1 AZR 794/13, NZA 2015, 1147 Rz. 26. 2 BAG v. 15.11.2012 – 8 AZR 683/11, NJW 2013, 2379 Rz. 27 ff. 3 BAG v. 22.1.2009 – 8 AZR 158/07, NZA 2009, 905; BAG v. 15.11.2012 – 8 AZR 683/11, NJW 2013, 2379. 4 BAG v. 14.8.2007 – 8 AZR 1043/06, NZA 2007, 1431, 1434. 5 BAG v. 19.3.2015 – 8 AZR 150/14, AP Nr 461 zu § 613a BGB Rz. 19. 6 BAG v. 14.8.2007 – 8 AZR 1043/06, NZA 2007, 1431, 1434; BAG v. 25.5.2013 – 8 AZR 207/12, DB 2013, 2336 Rz. 32. 7 Vgl. BAG v. 15.11.2012 – 8 AZR 683/11, NJW 2013, 2379 Rz. 27 ff.; abw. BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11, NZA-RR 2013, 6 Rz. 45, das auch die Übernahme eines Warenbestands von „erheblichem Wert“ als Indiz für einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang bei einer betriebsmittelarmen IT-Serviceleistung bewertet hat. 8 So Adam, MDR 2004, 909, 911. 9 BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 431/06, NZA 2007, 793. 10 LAG Niedersachsen v. 6.1.2009 – 12 Sa 1058/08, NZA-RR 2009, 184, 186 f. 11 BAG v. 22.8.2013 – 8 AZR 521/12, AP Nr 444 zu § 613a BGB. 12 BAG v. 25.5.2013 – 8 AZR 207/12, DB 2013, 2336 Rz. 30 ff. 13 EuGH v. 15.12.2005 – C-232/04 und C-233/04, NZA 2006, 29 Rz. 33 – Güney-Görres. 14 LAG Niedersachsen v. 8.2.2011 – 16 Sa 733/11 n.v. Rz. 67.
Gaul/Bonanni | 93
4.101
§ 4 Rz. 4.101 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
Einrichtung einer Betriebskantine1, den Betrieb eines Bistrowaggons der Bahn2, Einsatzfahrzeuge und Rettungswachen für den Rettungsdienst3, oder den Betrieb eines Call-Centers4.
4.102
Lediglich die Betriebsorganisation selbst ist kein Betriebsmittel. Sie ist ein eigenständiges Merkmal, von der die identitätswahrende Übertragung eines Betriebs- oder Betriebsteils abhängig ist (vgl. Rz. 4.48 ff.). Auch die Arbeitnehmer eines Betriebs werden nicht als „persönliche Betriebsmittel“5, sondern eigenständig berücksichtigt (vgl. Rz. 4.128).
4.103
Möglich ist auch, dass in einer Einheit Tätigkeiten ausgeübt werden, bei denen übergreifend auf die Übernahme von Arbeitnehmern und Betriebsmitteln abgestellt werden muss (z.B. Logistik, IT-Service, Gefahrstofflager6).
4.104
Die Wesentlichkeit von Betriebsmitteln kann im Einzelfall auch von der Größe des Betriebs oder Betriebsteils abhängen, der von einem Übergang betroffen sein soll. Je kleiner die Einheit ist, die Gegenstand einer Übertragung sein soll, desto geringere Anforderungen sind – geht man von einer absoluten Betrachtungsweise aus – an die Bedeutung eines Betriebsmittels zu stellen. Wesentlich kann hier bereits ein einziger Auftrag, ein bestimmtes Know-how, eine Maschine oder eine bestimmte Software sein. Der Begriff der Wesentlichkeit ist also relativ und hängt von dem Bezugsobjekt im Einzelfall ab. Sind Betriebsmittel verderblich, einfach austauschbar und/oder ohne weiteres von dritter Seite aus zu besorgen, haben sie für die Anwendbarkeit von § 613a BGB nur eine geringe Bedeutung7. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass – wie noch auszuführen sein wird – die kennzeichnenden Betriebsmittel (z.B. Know-how) ausnahmsweise auch in einer Person verkörpert sein können. Deren Anstellung durch den Erwerber kann dann ein Merkmal dafür sein, dass ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang vorliegt.
4.105
Auf der Grundlage der vorstehenden Grundsätze hat sich die Rechtsprechung intensiv mit der Bedeutung von Betriebsmitteln befasst und dabei unter Berücksichtigung der jeweiligen Tätigkeit einzelfallbezogene Feststellungen getroffen, die für eine erste Bewertung vergleichbarer Fälle nutzbar gemacht werden können: – Anzeigen- und Werbeblatt: Geschäftspapiere und Kundenlisten, soweit sie insbesondere für den Anzeigenkauf Bedeutung besitzen8,
1 EuGH v. 20.11.2003 – C-340/01, NZA 2003, 1385 Rz. 33, 36 – Carlito Abler; BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, BB 2014, 1213 Rz. 19 f.; BAG v. 17.12.2009 – 8 AZR 1019/08, NZA 2010, 499. 2 BAG v. 10.5.2012 – 8 AZR 434/11, NZA 2012, 1161 Rz. 42; BAG v. 25.8.2016 – 8 AZR 53/05 n.v. (mit Erfordernis einer Gesamtbetrachtung). 3 Vgl. BAG v. 10.5.2012 – 8 AZR 434/11, NZA 2012, 1161 Rz. 31, 36 ff. 4 In BAG v. 25.6.2009 – 8 AZR 258/08, NZA 2009, 1412 Rz. 29 ff. hat das BAG das Call-Center allerdings dem Bereich betriebsmittelarmer Tätigkeit zugeordnet. 5 So aber Zuleeg, ARdGgw 1995, 41, 49. 6 BAG v. 22.7.2004 – 8 AZR 350/03, NZA 2004, 1383 Rz. 41. 7 BAG v. 30.10.1986 – 2 AZR 696/85, DB 1987, 992, 993 (Warenbestand im Einzelhandel); BAG v. 22.9.1994 – 2 AZR 54/94, NZA 1995, 165, 166 f. (Materiallager im Produktionsbetrieb); LAG Köln v. 2.2.1995 – 10 Sa 1071/94 n.v. (Speise- und Getränkevorräte einer Gaststätte). 8 BAG v. 15.5.1985 – 5 AZR 276/84, BB 1985, 1794; abl. Loritz, RdA 1987, 65, 69 f., der die für den Druck des Anzeigenblattes erforderlichen Betriebsmittel als wesentlich ansieht.
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Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.105 § 4
– Arztpraxis: Praxisräume nebst medizinischer und technischer Einrichtung, Telefonnummer sowie Patientenunterlagen1, – Außendienst: siehe Handel, – Baubetrieb (einschließlich Dachdeckerhandwerk): materielle und immaterielle Betriebsmittel einschließlich personeller Mittel sowie die organisatorischen Konzepte, die der Durchführung der Bauarbeiten dienen, nicht das Büro (nebst Einrichtung) und seine Lage2, – Betriebs- und Objektschutz (Bewachungstätigkeit): Alarmmanagementsystem (System zur Zustandsüberwachung und Meldungsbearbeitung von ca. 7.500 aufgeschalteten Adressen aus den Bereichen Brand, Einbruch, Notruf, Videosensoren, Zaunsensoren, Haustechnik, Gebäudeleittechnik sowie Steuerung von Türen, Toren, Schranken, Drehkreuzen und Videosprechstellen), Informationssystem zur zentralen Steuerung und Verwaltung von Tätigkeitsdaten nebst Leitstelle3, – Bistrobetrieb der Bahn: Waggon mit spezifischer Einrichtung zum Bistrobetrieb4, – Bodenverkehrsdienst: Transportmittel für die Be- und Entladung sowie das Betanken von Flugzeugen, – Busbetrieb: Busse5, – Callcenter: Telefonanlage, Räumlichkeiten, Computer (nebst Software), Arbeitsstationen6, – Druckerei: Maschinen, Farbenlager, Schmier- und Reinigungsstoffe, Papierlager7, – Druckerzeugnis-Verarbeitung (maschinelles Einlegen von Beilagen, Verpackung): Maschinen zur Verarbeitung und Verpackung von Zeitungen (Weiterverarbeitungsanlage, Abwickelstationen, Anleger, Einsteckmaschinen, Rollpackanlagen)8, – Flugverkehr: Flugzeuge9, – Forschungsschiff: Schiff nebst wissenschaftlicher Einrichtung10,
1 Vgl. BAG v. 22.6.2011 – 8 AZR 107/10, DB 2011, 2553; LAG Düsseldorf v. 29.2.2000 – 3 Sa 1896/ 99, NZA-RR 2000, 353 ff.; LAG Berlin v. 3.3.2000 – 2 Sa 2616/99, ZIP 2011, 1380. 2 BAG v. 24.2.2000 – 8 AZR 162/99 n.v.; BAG v. 26.7.2007 – 8 AZR 769/06, NZA 2008, 112, 115. 3 EuGH v. 19.10.2017 – C-200/16, NZA 2017, 1379 Rz. 33 f. – Securitas (Übernahme der für die Ausführung der Dienstleistung „unabdingbaren Ausrüstung“); BAG v. 23.5.2013 – 8 AZR 207/ 12, DB 2013, 2336 Rz. 4, 30 ff. 4 BAG v. 6.4.2006 – 8 AZR 249/04, NZA 2006, 1039, 1041 f. 5 EuGH v. 27.2.2020 – C-298/18, NZA 2020, 443 – Grafe und Pohle; LAG Rheinland-Pfalz v. 1.2.2016 – 3 Sa 257/15 n.v.; Hessisches LAG v. 19.2.2013 – 13 Sa 1029/12 n.v. 6 BAG v. 25.6.2009 – 8 AZR 258/08, NZA 2009, 1412 Rz. 29 f., wobei das BAG gleichwohl das Vorliegen eines „betriebsmittelgeprägten“ Betriebs abgelehnt hat. 7 BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 306/98, NZA 1999, 706 Rz. 19 wobei das BAG – wenn auch untergeordnet (vgl. BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 763/97 n.v.) – darüber hinaus auch die Übernahme von Arbeitnehmern geprüft hat. 8 BAG v. 6.4.2006 – 8 AZR 222/04, NZA 2006, 723 Rz. 23. 9 BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, NZA 2020, 1091 Rz. 62; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 86. 10 BAG v. 2.3.2006 – 8 AZR 147/05, NZA 2006, 1105 Rz. 17.
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§ 4 Rz. 4.105 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
– Gaststätte: Art des Speisenangebots, Kundenstamm, Koch, Bedienungspersonal, Name1, nicht: Speisen- und Getränkevorräte2, Einrichtungsgegenstände3 bzw. Kleininventar4, – Gefahrstofflager: Hochregallager, Warenbestand, Ordnung des Lagers, Übernahme und Fortführung von Richtlinien zum Brandschutz5, nicht: Einsatz eines eigenen IT-Lager- und Verwaltungssystems6, – Handel: Warensortiment (Art, Qualität, Herkunft)7 und Betriebsform (z.B. Warenhaus, Fachgeschäft, Spezialgeschäft, Supermarkt, Selbstbedienungsladen)8, Kundenstamm9 und Lieferantenverträge, sofern diese spezielle Marktware verkaufen, die von anderen Lieferanten nicht bezogen werden kann10, die Einführung des Unternehmens am Markt (Goodwill)11, Marketing-Konzepte, CRM-Daten, sofern sich daraus auch Anhaltspunkte für eine Optimierung des weiteren Vertriebs ergeben, Marken und Gebrauchsmuster, sofern Ware unter einer bestimmten Marke vertrieben wird, die die Auswahl der Kunden beeinflusst12; nicht: Betriebsräume nebst Einrichtung13, eine ausgeräumte Immobilie14, das Warensorti-
1 BAG v. 11.9.1997 – 8 AZR 555/95, NZA 1998, 31, 32 f.; LAG Köln v. 2.2.1995 – 10 Sa 1071/94 n.v.; abw. noch BAG v. 27.4.1995 – 8 AZR 197/94, BB 1995, 1800, 1801, das die Zentrumslage und den bekannten Namen der Gaststätte als nicht entscheidend kennzeichnete. 2 LAG Köln v. 2.2.1995 – 10 Sa 1071/94 n.v. 3 BAG v. 11.9.1997 – 8 AZR 555/95, NZA 1998, 31, 32 f. 4 BAG v. 27.4.1995 – 8 AZR 197/94, BB 1995, 1800, 1801. 5 BAG v. 22.7.2004 – 8 AZR 350/03, NZA 2004, 1383 Rz. 32. 6 BAG v. 22.7.2004 – 8 AZR 350/03, NZA 2004, 1383 Rz. 33 ff. 7 BAG v. 26.2.1987 – 2 AZR 321/86, NZA 1987, 588, 590; BAG v. 18.5.1997 – 8 AZR 741/94, EzA § 613a BGB Nr. 139 S. 4; LAG Düsseldorf v. 30.8.2016 – 14 Sa 274/16 n.v. 8 BAG v. 2.12.1999 – 8 AZR 796/98, NZA 2000, 369, 370 f. 9 BAG v. 14.8.2007 – 8 AZR 1043/06, NZA 2007, 1431, 1433. „Laufkundschaft“ wird man insoweit zwar nicht als übertragungsfähiges Betriebsmittel kennzeichnen können (zutreffend Willemsen, RdA 1991, 204, 213). Allerdings kann sich aus der Lage eines Geschäfts und der damit verbundenen Ausrichtung auf eine bestimmte Kundenstruktur ein immaterielles Merkmal ergeben, dass bei einer Gesamtabwägung für den Fortbestand einer betrieblichen Einheit beim anderen Rechtsträger spricht. 10 BAG v. 2.12.1999 – 8 AZR 796/98, DB 2000, 622, 623. 11 BAG v. 14.8.2007 – 8 AZR 1043/06, NZA 2007, 1431, 1433. 12 BAG v. 28.4.1988 – 2 AZR 623/87, AP Nr. 74 zu § 613a BGB Bl. 5, 6. 13 BAG v. 28.4.1988 – 2 AZR 623/87, AP Nr. 74 zu § 613a BGB Bl. 5; BAG v. 18.5.1997 – 8 AZR 741/94, EzA § 613a BGB Nr. 139 S. 5 ff.; Thüringer LAG v. 14.11.2000 – 5 Sa 55/99, NZARR 2001, 121, 123. 14 Hessisches LAG v. 17.11.1985 – 13 Sa 490/86, DB 1987, 894 f.; Willemsen, RdA 1991, 204, 213. Entsprechend geht der BFH im Urteil v. 26.6.1975 – IV R 122/71, DB 1975, 2352, bei der „Überlassung der nackten 4 Wände“ von einer Betriebsaufgabe, nicht aber von einer Betriebsverpachtung aus, da die Räume neu eingerichtet und der Kundenstamm neu gewonnen werden müsse. Soweit das LAG Hamburg im Urteil v. 21.1.1986 – 6 Sa 77/85, DB 1986, 1576, schon die Übernahme eines leeren Geschäftsraums als ausreichend für eine Anwendbarkeit von § 613a BGB angesehen hat, lag dies vor allem an der besonderen Geschäftslage (Mönckebergstraße). Dennoch aber kann der Entscheidung, wie die Feststellungen des BAG im Urteil v. 26.2.1987 – 2 AZR 321/86, NZA 1987, 589, 590 f., deutlich machen, nicht zugestimmt werden. Zu Recht berücksichtigt das BAG im Urteil v. 2.12.1999 – 8 AZR 796/98, DB 2000, 622, 623, bei der Bewertung der Geschäftslage deshalb auch, ob die Betriebsform und die Art der verkauften Ware beibehalten worden ist. Denn nur dann kann über die örtliche Lage auch ein Anknüpfungspunkt dafür gefunden werden, dass Kundenbeziehungen fortgeführt werden.
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Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.105 § 4
ment, sofern dieses alsbald auch bei Dritten besorgt werden könnte1, Lieferverträge und Rechtsbeziehungen zum Einzelhandel, Kunden- und Lieferantenlisten2, soweit die Akquise neuer Verträge im Fokus der weiteren Vertriebstätigkeit steht, – Handwerksbetrieb (Heizungs- und Lüftungsbau): Kleintransporter, LKW, Gabelstapler, Marktstellung, Firmenname, Goodwill und Kundenkontakte3, – Handwerksbetrieb (Heizungs- und Sanitärhandwerk): Sächliche Betriebsmittel sind nicht entscheidend; maßgeblich ist Übernahme des wesentlichen Teils des Fachpersonals4, – Kantine: Catering-Know-how, Räumlichkeiten, Einrichtungsgegenstände (z.B. Spülküche)5, – Kindertagesstätte: Räumlichkeiten (einschließlich Außenbereich), Ausbildung und besondere Fertigkeiten der Beschäftigten, pädagogisches Betreuungsangebot, nicht: Spielgeräte, Einrichtungsgegenstände oder gar Kinder6, – Kino (Lichtspieltheater): eingerichtete Immobilie und Lage, weniger: Einrichtung, Projektoren, Vorhänge, Stuhlreihen, Leinwände, nicht: Vorräte der Kinoshops7, – Kleinpaketfertigung (im Nachgang zur Herstellung von Druckerzeugnissen): Maschinen zur Sortierung, Etikettierung und Folienverpackung nebst entsprechender Software, Transportwagen und Transportbänder8, – Kraftwerksreinigung (Dekontreinigung): Waschmaschinen, Wäschetrockner, mobile Desinfektionsabteilung, Dekontaminationszelte und Messgeräte, Räumlichkeiten, Dekontraum mit Dekontwannen und -boxen, Dekontwerkstatt, Abfallbearbeitungsbereich mit Abfallpresse9, – Krankenhaus: Räumlichkeiten, technische Ausstattung und Fortbestand des Bereichs der erfolgreich behandelten Indikationen10, – Lagerhaltung: Lagerhaltung und Lagerordnung11, – Logistik (Bewegung intermodaler Transporteinheiten)12: Kräne, sächliche Betriebsmittel, – Luftfahrtunternehmen: Flugzeuge13, – Musikschule: Räumlichkeiten, Instrumente, Einrichtung und sonstige Sachmittel14,
LAG Hamm v. 4.4.2000 – 4 Sa 1220/99, ZInsO 2000, 292 ff. Thüringer LAG v. 14.11.2000 – 5 Sa 55/99, NZA-RR 2001, 121, 123. BAG v. 16.2.2006 – 8 AZR 204/05, NZA 2006, 794 Rz. 20 ff. LAG Niedersachsen v. 22.2.2005 – 13 Sa 1316/04, NZA-RR 521 (LS). Vgl. EuGH v. 20.11.2003 – C-340/01, NZA 2003, 1385, Rz. 36 – Carlito Abler. Vgl. LAG Hamm v. 19.3.1998 – 17 Sa 1749/97, ZTR 1998, 426. LAG Köln v. 8.3.2004 – 4 Sa 1115/03, NZA-RR 2004, 464, 466 f. BAG v. 27.1.2011 – 8 AZR 326/09, NZA 2011, 1162 Rz. 6, 31. LAG Niedersachsen v. 6.1.2009 – 12 Sa 1058/08, NZA-RR 2009, 184, 186 f. BAG v. 31.5.1990 – 2 AZR 13/90, ZTR 1991, 33. BAG v. 13.12.2007 – 8 AZR 924/06 nv., wobei das BAG die Bedeutung der übrigen Betriebsmittel wohl nicht ausreichend gewichtet. 12 EuGH v. 26.11.2016 – C – 509/14, ZESAR 2016, 230 – Aira Pascual. 13 BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 142 ff. 14 EuGH v. 7.8.2018 – C-472/16, NZA 2018, 1132 Rz. 35 f. – Colino Sigüenza. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Gaul/Bonanni | 97
§ 4 Rz. 4.105 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
– Produktionsbetrieb: Produktionsmaschinen, Einrichtungsgegenstände, in der Regel nicht Materiallager1, Grundstücke2 oder Büromöbel3, – (Reparatur-)Werkstatt: Know-how, Räumlichkeiten und Gerätschaften4, nicht: Reparaturaufträge, da Kundenbeziehungen nicht auf Dauer angelegt sind5, – Rettungsdienst: Rettungswachen, Fahrzeuge, Ausrüstungsgegenstände6, – Schiff: siehe Forschungsschiff, – Schlachthof: Förderbänder, Hebeeinrichtungen, Podeste, Fellabzugsmaschinen, Fräsen, Pumpen, Waagen, Kühlräume, Hygieneschleusen, Zerlegetische, Zerlegeband, Transporteinrichtungen, nicht: Messer, Messerkörbe, Handschuhe etc.7, – Steuerberatungskanzlei: langfristig bestehende Mandantenverträge8, – Theater: Räumlichkeiten, Inventar und künstlerisches Konzept, im Regelfall nicht das Namensrecht und die Rechte an Aufführungen und Inszenierungen9, – Vertrieb: siehe Handel.
4.106
Im Ergebnis gilt branchenunabhängig: Erst wenn Betriebsmittel den Erwerber in die Lage versetzen, die bislang in einem Betrieb oder Betriebsteil ausgeübte Tätigkeit fortzuführen, können sie überhaupt für die potenziell von der Übertragung betroffenen Einheit wesentlich sein. Ergänzend hierzu muss allerdings auch geprüft werden, ob die jeweiligen Betriebsmittel oder ob – was trotz notwendiger Betriebsmittel denkbar ist – auch oder vorrangig die Arbeitnehmer die für die Wertschöpfung der in Rede stehenden Einheit wirklich wesentliche Ressource sind. Auch unverzichtbare Betriebsmittel können eine nur untergeordnete Bedeutung haben (z.B. Hausschlüssel, Reinigungsmittel, Mobiltelefone, Eimer, Schreibtische, Handwagen, Fahrräder, PKW)10.
4.107
Beispielhaft sei insoweit auf immaterielle Betriebsmittel verwiesen, die im Vertrieb zum Einsatz kommen. So stellen die mit Bestandskunden bereits bestehenden Verträge zwar ein Betriebsmittel dar. Für die Kennzeichnung der für einen Vertrieb nach § 613a BGB maßgeblichen Ressourcen dürften diese Verträge indes nicht wesentlich sein, wenn es nach der Übertragung dieser Verträge auf einen potenziellen Erwerber im Wesentlichen um die Akquise neuer Kunden geht. Denn die aus den bestehenden Verträgen folgenden Handlungspflichten
1 2 3 4 5 6 7 8
9 10
BAG v. 22.9.1994 – 2 AZR 54/94, NZA 1995, 165, 166 f. BAG v. 29.10.1975 – 5 AZR 444/74, BB 1976, 315. BAG v. 22.5.1985 – 5 AZR 30/84, AP Nr. 42 zu § 613a BGB Bl. 3 f. ArbG Hamburg v. 19.10.1994 – 16 Ca 610/93 n.v. Vgl. BAG v. 27.4.1988 – 5 AZR 358/87, DB 1988, 1653; BAG v. 22.1.1998 – 8 AZR 243/95, EzA § 613a BGB Nr. 161 S. 5. Vgl. BAG v. 25.8.2016 – 8 AZR 53/05 n.v. (mit Erfordernis einer Gesamtbetrachtung); BAG v. 10.5.2012 – 8 AZR 434/11, NZA 2012, 1161 Rz. 31, 36 ff. BAG v. 29.3.2007 – 8 AZR 519/06, NZA 2007, 927 Rz. 26 f. LAG Nürnberg v. 9.12.1998 – 4 Sa 1059/97 n.v.; LAG Köln v. 13.12.2005 – 9 Sa 744/05 Rz. 58 n.v., wobei sich nach heutiger Sicht die Frage stellt, ob nicht die Arbeitnehmer die eigentlichen Ressourcen des Betriebs- oder Betriebsteils sind, so dass die Übernahme des nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Personals und des damit verbundenen Know-hows maßgeblich sein dürfte. LAG Berlin v. 3.9.1998 – 14 Sa 67/98, NZA-RR 1998, 530, 531. BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 706/11, DB 2013, 1556 Rz. 28 f., 31 ff.; BAG v. 19.3.2015 – 8 AZR 150/ 14, EzA § 613a BGB 2002 Nr 163 Rz. 24.
98 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.109 § 4
sind im Zweifel festgelegt und werden nicht durch den Vertrieb, sondern durch Backoffice und Liefer- bzw. Produktionsbereiche abgewickelt. Im Wesentlichen geht es insoweit also um die Durchführung bestehender Vereinbarungen. Hinzu kommt, dass übertragene Verträge in der Regel befristet sind, also keine dauerhafte Fortführung dieser Aufgaben zulassen. Entscheidend für die erfolgreiche Fortführung eines Vertriebs ist aber, dass mit den Bestandskunden und neuen Kunden neue Verträge zum Abschluss kommen. Dabei gilt: „Neues Stück, neues Glück.“ Insofern hängt es letztlich von den Kenntnissen und vertriebsspezifischen Fertigkeiten der beim potenziellen Erwerber beschäftigten Arbeitnehmer ab, ob Kundenverträge nach der Übernahme gehalten bzw. verlängert oder ausgebebaut werden können. Ihr Spezialwissen um die Produkte, den Markt und vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten sind entscheidend, um attraktive Angebote zu erarbeiten und zum Abschluss zu bringen. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn der Erfolg des Vertriebs ganz wesentlichen durch das Produkt, den Namen des Produkts oder ein vorgegebenes Marketing- und Verkaufskonzept geprägt wird. Denn hier stehen dann wieder immaterielle Betriebsmittel in Rede (vgl. Rz. 4.109 f.). b) Übernahme eines Auftrags Die Übernahme eines Auftrags stellt keinen Erwerb immaterieller Betriebsmittel dar. Entsprechend bewirkt auch die Neuvergabe eines Auftrags keine Anwendbarkeit von § 613a BGB1. Darin liegt auch keine Übernahme eines Kunden des vorangehenden Auftragnehmers, die als Übernahme eines immateriellen Betriebsmittels berücksichtigt werden könnte. Der Auftrag ist nur die wirtschaftliche und rechtliche Grundlage für die unternehmerische Tätigkeit. Die arbeitstechnische Wertschöpfung wird durch wesentliche Betriebsmittel oder das nach Zahl und Sachkunde wesentliche Personal bei Erfüllung des Auftrags geschaffen. Nur deren Übernahme kann einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang auslösen2.
4.108
c) Übernahme von Marken, Lizenzen, Konzessionen und gewerblichen Schutzrechten Entsprechend den allgemeinen Überlegungen zur Übertragung von Betriebsmitteln kann auch in der Übertragung von Konzessionen oder gewerblichen Schutzrechten (z.B. Patente) ein Indiz für das Vorliegen eines Betriebsübergangs liegen. Schließlich wird damit die rechtliche Grundlage gesetzt, die wirtschaftliche Einheit durch Fortsetzung derselben oder gleichartigen Tätigkeit fortzuführen3. Dies gilt auch dann, wenn hinsichtlich solcher Rechte nur Nutzungsbefugnisse übertragen werden4. Dies bringt auch § 27 Abs. 2 MarkenG zum Ausdruck. Danach wird das durch die Eintragung, die Benutzung oder notorische Bekanntheit einer Marke begründete Recht für alle oder für einen Teil der Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke Schutz genießt, im Zweifel von der Übertragung oder dem Übergang des Geschäftsbetriebs oder eines Teils des Geschäftsbetriebs erfasst, wenn die Marke zu diesem Geschäftsbetrieb oder Teil des Geschäftsbetriebs gehört. Umgekehrt liegt in der weiteren Nutzung des Firmennamens oder der Marke auch die Übernahme eines immateriellen Betriebs-
1 BAG v. 19.3.2015 – 8 AZR 150/14, EzA § 613a BGB 2002 Nr. 163 Rz. 22; BAG v. 14.8.2007 – 8 AZR 1043/06, NZA 2007, 1431, 1433 f.; abw. noch BAG v. 13.12.2007 – 8 AZR 937/06, NZA 2008, 1021 Rz. 21, das in der Identität des Auftraggebers noch ein Merkmal des Betriebsübergangs gesehen hatte. 2 BAG v. 15.11.2011 – 8 AZR 197/11, NZA-RR 2013, 179 Rz. 45 f. 3 Vgl. BAG v. 22.9.1994 – 2 AZR 54/94, NZA 1995, 165, 166 f.; LAG Düsseldorf v. 18.4.1996 – 5 (6) Sa 1580/95, LAGE § 613a BGB Nr. 49 S. 5; Backhaus, DB 1985, 1131. 4 BAG v. 28.4.1988 – 2 AZR 623/87, AP Nr. 74 zu § 613a BGB Bl. 5 f.
Gaul/Bonanni | 99
4.109
§ 4 Rz. 4.109 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
mittels, dass – wenn es auf der Grundlage eines Rechtsgeschäfts erfolgt – bei der Gesamtbetrachtung im Rahmen von § 613a BGB zu berücksichtigen ist1.
4.110
In allen Fällen ist allerdings zu klären, ob das immaterielle Betriebsmittel tatsächlich für die jeweils in Rede stehende Tätigkeit eine notwendige und wertschöpfende Voraussetzung ist. Vergleichbar mit den vorangehenden Ausführungen zu Kundenverträgen oder Kundenkontakten ist das selbst dann nicht zwingend der Fall, wenn gewerbliche Schutzrechte, Lizenzen oder sonstige Vereinbarungen die Befugnis vermitteln, in einem bestimmten Gebiet exklusiv die Produkte eines bestimmten Herstellers vertreten zu dürfen2. Entsprechendes gilt für die Konzession in einem Verteilnetzgebiet3 oder eine kassenärztliche Zulassung4. Denn die damit verbundene Tätigkeit bleibt vor allem durch etwaige materielle Betriebsmittel, das Knowhow und die Steuerung der identitätsbildenden Arbeitnehmer geprägt (vgl. Rz. 4.107); die Lizenz oder Zulassung vermittelt nur die Befugnis zur Ausübung dieser Tätigkeit. Dies kann sich aber z.B. dann ändern, wenn dem potenziellen Erwerber im Zusammenhang mit einer solchen Lizenz auch Marketingkonzepte, Verkaufsstrategien oder ein einheitlicher Markenauftritt verschafft wird. Dieser kann, wie das Good-will einer Marke, wesentliche Grundlage für den Zugang zu einer Kundenstruktur sein, die dann auch ohne besonderes Know-how einer Vertriebsmannschaft die Fortführung eines Vertriebsgeschäfts möglich macht. d) Bedeutung der Übernahme von Daten, Datenträgern und IT-Systemen
4.111
Deutlich schwieriger ist die Bedeutung von Daten, Datenträgern und IT-Systemen zu bewerten. Dies gilt umso mehr, als diese Daten heute häufig ganz wesentliche Informationen über die bisherige und künftige Tätigkeit enthalten, die in einem Betrieb oder Betriebsteil ausgeübt wird. Wenn diese Daten nur in einem bestimmten IT-System nutzbar gemacht werden können, also insbesondere die Überlassung einer spezifischen Software erforderlich ist, um die bisherige Tätigkeit fortzusetzen, können die Daten, Datenträger und/oder das damit verbundene IT-System wesentliche immaterielle Betriebsmittel sein, deren Übernahme zur Anwendung von § 613a BGB führt. Das gleiche gilt, wenn die Daten – auch wenn sie in anderen Systemen genutzt werden – so sensibel und aussagefähig sind, dass darauf aufbauend die wesentliche Grundlage für eine Produktion oder einen Vertrieb aufgebaut werden kann. Diese Wirkung kann auch eine Kunden- oder CRM-Datei haben, die mit Hinweisen zu bisherigen Kunden, Ansprechpartnern, bestehenden Vertragsbeziehungen, Marketingstrategien und/ oder kundenspezifischen Produktkalkulationen überlassen wird. Das gilt für den Vertrieb ebenso wie Service- und Beratungstätigkeiten5.
1 BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 706/11, DB 2013, 1556 Rz. 45. 2 Abw. EuGH v. 7.3.1996 – C-171/94 und C-172/94, NZA 1996, 413 – Merckx, Neuhuys; BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 706/11, DB 2013, 1556 Rz. 39; die in der Übertragung einer Kundenkartei und der Vereinbarung einer Vertriebslizenz oder -berechtigung ein Indiz für die Übernahme eines auf den Vertrieb gerichteten Betriebs- oder Betriebsteils gesehen hatten. 3 Abw. Wiese/Walk, RdE 2012, 234, die im Anschluss an die Kennzeichnung als betriebsmittelarmen Betrieb einerseits – zu Recht – vor allem auf die Übernahme des nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Personals abstellen (S. 239), andererseits aber auf die Übernahme der Konzession und des dazu gehörenden Verteilnetzes abstellen wollen (S. 240 f.). 4 BAG v. 22.6.2011 – 8 AZR 107/10, DB 2011, 2553 Rz. 38 ff. 5 BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 706/11, DB 2013, 1556 Rz. 39; BAG v. 22.5.2014 – 8 AZR 1069/12, NZA 2014, 1335 Rz. 46.
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Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.114 § 4
In solchen Fallgestaltungen kommt es schlussendlich aber auf den Einzelfall an. Zu prüfen ist, ob und inwieweit die in Rede stehenden Daten bislang exklusiv dem bisherigen Inhaber zur Verfügung standen oder ob sie generell verfügbar oder auch durch Dritte beschafft werden können. Insoweit kommt es auch darauf an, ob IT-Systeme austauschbar sind oder ob es sich um Anwendungen handelt, die für die Besonderheiten des jeweils in Rede stehenden Geschäfts, die spezifischen Kunden, besondere Produkte oder die Arbeits- und Ablaufstrukturen der bislang beim bisherigen Betriebsinhaber ausgeübten Tätigkeit entwickelt wurden. Wenn die Systemwelt den letztgenannten Voraussetzungen entspricht, liegt es nahe, darin auch ein wesentliches Betriebsmittel zu sehen. Wenn es sich um eine austauschbare IT handelt, deren Nutzen von der Art ihrer Anwendung und dem Know-how ihrer Nutzer abhängig ist, spricht dies indes gegen die Wesentlichkeit. Entsprechendes gilt dann, wenn die IT-Systeme mit Logiken versehen sind, deren Wirkungsweise erst durch den Erwerber spezifiziert und auf die neuen Bedürfnisse ausgerichtet werden muss. Ein solches Tool ist für die weitere Tätigkeit nicht identitätsprägend, weil der Inhalt der Tätigkeit erst im Anschluss an diese Einrichtung durch den übernehmenden Rechtsträger selbst bestimmt werden kann. Dies gilt erst recht, wenn das für die Fortsetzung einer bestimmten Tätigkeit erforderliche IT-System durch den potenziellen Erwerber grundlegend neu konzipiert und aufgebaut wird.
4.112
In allen Fällen wird man allerdings gerade bei der Überlassung immaterieller Betriebsmittel prüfen müssen, ob und inwieweit diese gemeinsam mit der Übernahme von Schlüsselkräften zu einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang führen. Denn häufig ist es erst die Kombination aus diesen Ressourcen, die eine Fortführung möglich macht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der eigentliche Kern des für die Wertschöpfung beim potenziellen Erwerber erforderlichen Know-hows durch die Übernahme von Schlüsselkräften und die weitere Nutzung der Daten bzw. IT-Systeme übernommen wird.
4.113
e) Unterscheidung zwischen Eigentum und sonstigen Nutzungsberechtigungen Für die Kennzeichnung wesentlicher Betriebsmittel spielt es keine Rolle, ob diese im Eigentum des jeweiligen Betriebsinhabers stehen. Grundsätzlich sind einem Betrieb im Rahmen von § 613a BGB auch solche Gebäude, Maschinen, Werkzeuge oder Einrichtungsgegenstände als sächliche Betriebsmittel zuzurechnen, die der Inhaber aufgrund einer mit Dritten getroffenen Nutzungsvereinbarung zur Erfüllung des Betriebszwecks einsetzen kann. Dabei kann die Nutzungsvereinbarung als Miete, Pacht, Leasing, Franchise, Nießbrauch oder als untypischer Vertrag ausgestaltet sein1. Entscheidend ist, dass sie bei der Beschäftigung der Arbeitnehmer innerhalb des Betriebs Verwendung gefunden haben. Voraussetzung für § 613a BGB ist deshalb nicht, dass Eigentum übertragen wird2. Die Nutzungsbefugnisse von Arbeitnehmern des potenziellen Inhabers werden diesem dabei als Besitzdiener zugerechnet3. Folgerichtig löst die Herausgabe wesentlicher Betriebsmittel durch den bisherigen Betriebsinhaber an einen Verpächter/Auftraggeber keinen Betriebsübergang aus, wenn dieser den Betrieb nicht selbst fortführen will (Insourcing), sondern die Vergabe an einen anderen Pächter/Auftragnehmer geplant ist (Auftragsnachfolge)4. Erst die Neuvergabe ist in diesem Fall das den Übergang auslösende Rechtsgeschäft (vgl. Rz. 5.18). 1 BAG v. 22.1.1998 – 8 AZR 775/96, EzA § 613a BGB Nr. 162 S. 4 f. 2 EuGH v. 20.11.2003 – C-340/01, NZA 2003, 1385 Rz. 41 – Abler; BAG v. 18.9.2014 – 8 AZR 733/ 13, NZA 2015, 97 Rz. 18; BAG v. 22.1.2015 – 8 AZR 139/14, NZA 2015, 1325 Rz. 17. 3 BAG v. 15.12.2005 – 8 AZR 202/05, NZA 2006, 597 Rz. 48; BAG v. 6.4.2006 – 8 AZR 222/04, NZA 2006, 723 Rz. 24. 4 Vgl. BAG v. 10.5.2012 – 8 AZR 434/11, NZA 2012, 1161 Rz. 41 f.
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4.114
§ 4 Rz. 4.115 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
4.115
Entgegen der früheren Bewertung durch das BAG1 hat es auch keine Bedeutung, ob die Nutzung der Betriebsmittel eigenwirtschaftlichen Interessen dient oder maßgeblich durch Vorgaben eines Dritten – im Zweifel des Auftraggebers – bestimmt wird2. Unerheblich ist deshalb auch, ob der Rechtsträger, der den Einsatz der Arbeitnehmer an den Betriebsmitteln steuert, über Investitionen in diese Betriebsmittel zu entscheiden hat. Es kann sich auch dann um wesentliche Betriebsmittel handeln, wenn sie durch einen Dritten gestellt werden, der auch über Art und Umfang des Einsatzes, den Austausch dieser Betriebsmittel oder eine etwaige Reparatur zu entscheiden hat. Für die Inhaberschaft ist es daher nicht erforderlich, dass der Betrieb auf eigene Rechnung geführt wird. Unschädlich ist auch, wenn der Gewinn an einen anderen abgeführt wird3. Folgerichtig kann ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang deshalb auch durch die Überlassung von Sicherheitssystemen ausgelöst werden, die auf dem Grundstück des Auftraggebers eines Bewachungsunternehmens installiert seien, ohne dass der Auftragnehmer über Art und Ausgestaltung ihres Einsatzes entscheiden oder insoweit eine eigenwirtschaftliche Kalkulation vornehmen kann.
4.116
Gegen eine solche Differenzierung im Anwendungsbereich von § 613a BGB spricht nicht nur der Umstand, dass Betriebsmittel auch im Dienstleistungsbereich eine prägende Bedeutung haben können. Es macht keinen Sinn, hier zu unterscheiden, ob die Betriebsmittel, die im Rahmen der eigengesteuerten Betriebsorganisation eingesetzt werden, zur eigenwirtschaftlichen Nutzung oder nach Maßgabe wirtschaftlicher Handlungsvorgaben des Auftraggebers verwendet werden. So wäre es bei diesem Denkansatz in der Logistik für die Anwendbarkeit von § 613a BGB unerheblich, wenn der neue Auftragnehmer die bisherige Tätigkeit nur mit Hilfe einer bestimmten Software, des Regalsystems, der Fördertechnik und einzelner Fahrzeuge (Gabelstapler) fortsetzen könnte, wenn ihm diese – wie seinem Vorgänger – durch den Auftraggeber mit bestimmten Verwendungsvorgaben zur Verfügung gestellt würden. In gleicher Weise würde die erstmalige Ausgliederung einer Betriebskantine, bei der dem Fremdbetreiber die Räumlichkeiten und wesentlichen Gerätschaften des Auftraggebers zur Nutzung überlassen werden, nicht von § 613a BGB erfasst, wenn der Verkauf der Speisen und Getränke im Namen und auf Rechnung des übertragenden Rechtsträgers erfolgte. Umgekehrt aber würde ein Betriebsteilübergang vorliegen, wenn der Verkauf auf eigene Rechnung erfolgte, die Räumlichkeiten und Gerätschaften also für eine eigenwirtschaftliche Nutzung (z.B. Pacht) überlassen würden. Wechselte der Auftraggeber im Zusammenhang mit der Neuausschreibung einer bereits fremdvergebenen Tätigkeit das Konzept so, dass Herstellung und Verkauf von Speisen und Getränken wieder in seinem Namen und auf seine Rechnung erfolgt, würde die bloße Übertragung der Räumlichkeiten nebst Einrichtung trotz Fortsetzung der arbeitstechnisch gleichen oder gleichartigen Tätigkeit nicht in den Anwendungsbereich von § 613a BGB fallen, falls nicht auch Arbeitnehmer übernommen werden. Allein die Art und Weise der Überlassung von Betriebsmitteln wäre also entscheidend für das Vorliegen eines Betriebsoder Betriebsteilübergangs. Eine solche Betrachtungsweise überzeugt nicht.
4.117
Die Unterscheidung zwischen Arbeits- und Betriebsmitteln hat deshalb keine Bedeutung für das Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs4. Zu sehr werden durch die damit verbundene Unterscheidung zwischen eigen- und fremdwirtschaftlicher Nutzung von Betriebs1 So noch BAG v. 12.11.1997 – 8 AZR 426/94, EzA § 613a BGB Nr. 160 S. 4 f.; BAG v. 22.1.1998 – 8 AZR 775/96, EzA § 613a BGB Nr. 162 S. 4 f. 2 Vgl. nur EuGH v. 15.12.2005 – C-232/04, NZA 2006, 29 Rz. 39 – Güney-Görres; BAG v. 6.4.2006 – 8 AZR 249/04, NZA 2006, 1039, 1041; Bonanni/Tenbrock, ArbRB 2006, 207, 208 ff. 3 BAG v. 13.12.2007 – 8 AZR 1107/06, DB 2008, 1161 Rz. 24. 4 Vgl. EuGH v. 15.12.2005 – C-232/04, NZA 2006, 29 – Güney-Görres.
102 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.118 § 4
mitteln wirtschaftliche Überlegungen, die der Zielsetzung des Unternehmens zugeordnet sind, in die Kennzeichnung der arbeitstechnischen Organisation eines Betriebs eingebracht. Entscheidend ist, ob die überlassenen Betriebsmittel für die tatsächliche Fortsetzung der Betriebstätigkeit durch den potenziellen Erwerber wesentlich sind. Wenn Dienstleistungen nur „für“ die Aufrechterhaltung einer Anlage erbracht werden, sich also die Tätigkeit „an“ der Anlage vollzieht, machen die Anlagen selbst bei wertender Betrachtungsweise nicht den eigentlichen Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs aus und stellen für diese Tätigkeit auch keine sächlichen Betriebsmittel dar, die für die Frage einer Anwendbarkeit von § 613a BGB maßgeblich sind. Unerheblich dabei ist, wem die Betriebsmittel gehören oder wer für ihre Instandhaltung verantwortlich ist1. Die technische Pflege oder Reparatur einer Anlage oder die Verwaltung ihrer Benutzung stellt deshalb eine betriebsmittelarme Tätigkeit dar, wegen der bei der Kennzeichnung der maßgeblichen Ressourcen vor allem auf das nach Zahl und Sachkunde wesentliche Personal abgestellt werden muss. Etwas anderes würde dann gelten, wenn „mit“ einer Anlage eine bestimmte Dienstleistung erbracht wird, beispielsweise die Lieferung von Wärme, Wasser und Energie in einer bestimmten Menge und Qualität2. f) Kein Betriebsübergang bei Fortführung des Betriebs durch bisherigen Inhaber Nicht jede Überleitung wesentlicher Betriebsmittel führt zwingend zu einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang. Auch bei einer betriebsmittelintensiven Tätigkeit setzt die Anwendbarkeit von § 613a BGB voraus, dass der bisherige Inhaber seine Tätigkeit einstellt, nachdem wesentliche Ressourcen seines Betriebs oder Betriebsteils durch einen anderen Rechtsträger übernommen wurden3. Folgerichtig ist ein Betriebsübergang ausgeschlossen, wenn nur das Eigentum an den Betriebsmitteln übertragen wird, der bisherige Betriebsinhaber aber die betriebliche Tätigkeit (z.B. Einzelhandel, Grundstücksverwaltung) mit eigenem Personal innerhalb der eigengesteuerten Organisation ohne Einschränkung fortsetzt (z.B. Sale-and-Lease-back von Betriebsmitteln; Veräußerung der Immobilie eines Kaufhauses bei Fortsetzung des Betriebs durch den bisherigen Inhaber in der jetzt angemieteten Immobilie)4. Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie bei einer umgekehrten Betriebsaufspaltung – eine Vereinbarung über die Nutzungsüberlassung abgeschlossen wird. Denn hier behält der bisherige Betriebsinhaber die Leitungsmacht über die bisherigen Betriebsmittel und damit auch den Betrieb5. Hiervon ist auch dann auszugehen, wenn ein Dritter die Kundenbeziehungen eines Unternehmens erwirbt und der bisherigen Betriebsinhaber – jetzt allerdings im Namen des Dritten – weiterhin beauftragt bleibt, für diese Kunden die bisherige Dienstleistung in der bisherigen Art und Weise zu erledigen (hier: Betrieb eines Frischelagers)6. Wegen eines Betriebsführungsvertrags vgl. Rz. 4.121 ff. 1 Abw. noch Willemsen, FS Richardi, S. 475, 480 ff., der mit auf unterschiedliche „Betriebssphären“ noch danach unterscheiden will, wer für die Bereitstellung und Wartung der einem Dritten zum Flugbetrieb überlassenen Flugzeuge verantwortlich ist. 2 Vgl. BAG v. 2.3.2006 – 8 AZR 147/05, NZA 2006, 1105 Rz. 22; BAG v. 22.1.2009 – 8 AZR 158/07, NZA 2009, 905 Rz. 18. 3 Vgl. BAG 21.2008 – 8 AZR 77/07, NZA 2008, 825 Rz. 19; BAG v. 27.9.2012 – 8 AZR 826/11, NZA 2013, 961 Rz. 21. 4 LAG Berlin v. 2.12.1997 – 3 Sa 82/97 und 83/97 n.v. Richtigerweise wird deshalb verlangt, dass der bisherige Inhaber seine betriebliche Tätigkeit beendet (vgl. RGRK/Ascheid, § 613a BGB Rz. 93; Krause, ZfA 2001, 67, 91). 5 LAG Berlin v. 2.12.1997 – 3 Sa 82/97 und 83/97, n.v. 6 BAG v. 14.8.2007 – 8 AZR 803/06, DB 2007, 2718, 2719 f.
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4.118
§ 4 Rz. 4.119 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
4.119
Folgerichtig ist eine Anwendbarkeit von § 613a BGB auch dann abzulehnen, wenn der bisherige Inhaber die wesentlichen Betriebsmittel veräußert, um den Betrieb oder Betriebsteil im Austausch mit neuen, möglicherweise technisch verbesserten Betriebsmitteln fortzusetzen. Eine solche Situation kann z.B. gegeben sein, wenn eine Spedition ihre LKW als wesentliche Betriebsmittel geschlossen an einen Dritten veräußert, den Betrieb aber mit neuen LKW fortsetzt. Eine vergleichbare Situation kann dann gegeben sein, wenn eine Gaststätte nach Beendigung des Pachtvertrags an einen anderen Rechtsträger verpachtet wird, der Erstpächter im Anschluss an die Rückgabe der Gaststätte in unmittelbarer Nachbarschaft aber eine neue Gaststätte eingerichtet bzw. übernommen hat, um mit einem vergleichbaren Konzept und dem entsprechenden Angebot an Getränken und Speisen die bisherigen Kunden weiter an sich zu binden1. Ähnliches kann dann gelten, wenn eine Arztpraxis veräußert wird, der Verkäufer seine ärztliche Tätigkeit aber in einer anderen, in räumlicher Nähe gelegenen Praxis fortsetzt2. Denn § 613a BGB soll eine Überleitung von Arbeitsverhältnissen nur für den Fall bewirken, dass die Beschäftigungsmöglichkeit beim bisherigen Arbeitgeber entfällt, aber in gleicher oder gleichartiger Weise bei einer anderen Person fortbesteht. Bei der hier in Rede stehenden Fallgestaltung aber besteht die bisherige Möglichkeit der Beschäftigung in unveränderter Form beim übertragenden Rechtsträger fort.
4.120
Dies gilt selbst dann, wenn solche Übertragungsvorgänge vorübergehend mit einer Unterbrechung der Tätigkeit verbunden sind. Eine vorübergehende Unmöglichkeit der Betriebstätigkeit als Folge der Veräußerung von Betriebsmitteln ist erst dann beachtlich, wenn die Schwelle zur Stilllegung überschritten wird3. Dies machen schon die gesetzlichen Regelungen zur konjunkturellen Kurzarbeit deutlich, die gerade in Krisenzeiten (z. B. COVID-19) durch Verordnung sogar eine vierundzwanzigmonatige Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit zulassen, ohne dass darin eine Betriebsstilllegung gesehen wird. g) Besonderheiten bei Betriebsführungsverträgen
4.121
Inhaber eines Betriebs ist die Person, die den Betrieb in eigenem Namen führt und gegenüber den insofern betroffenen Arbeitnehmern als Betriebsinhaber auftritt. Unerheblich dabei ist, ob die Ergebnisse der betrieblichen Tätigkeit gegenüber Dritten (z.B. Kunden) im Namen eines anderen Rechtsträgers „verkauft“ werden (Beispiel: Vertrieb von Produkten durch A im Namen des Herstellers B). Entscheidend dabei ist, wer den Betrieb – also die Betriebsmittel und/oder Arbeitnehmer – steuert und damit diese Ressourcen in einer arbeitsrechtlich relevanten Weise selbst nutzt4.
4.122
Vor diesem Hintergrund spielt auch die Frage, ob ein Rechtsträger das Ergebnis der eigengesteuerten Arbeitsorganisation auf eigene Rechnung oder auf fremde Rechnung erbringt,
1 BAG v. 29.9.1988 – 2 AZR 107/88, AP Nr. 76 zu § 613a BGB Bl. 5 f. 2 Vgl. LAG Düsseldorf v. 29.2.2000 – 3 Sa 1896/99, LAGE § 613a BGB Nr. 79 S. 7, das aber berechtigterweise von einem Betriebsübergang ausging, weil die insoweit behauptete Fortsetzung tatsächlich nicht erfolgt war. 3 Vgl. hierzu BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86, NZA 1988, 170, 171. 4 Vgl. BAG v. 20.3.2003 – 8 AZR 312/02, NZA 2003, 1338; BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 2/07 n.v.; BAG v. 27.9.2012 – 8 AZR 826/11, NZA 2013, 961 Rz. 21, die allerdings missverständlich auf das Verhältnis „nach außen“ abstellen, ohne ausreichend zwischen der Steuerung des Betriebs, die gegenüber Arbeitnehmern erfolgt, und dem Verhältnis zu Dritten (Kunden und sonstigen Vertragspartnern) zu unterscheiden.
104 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.125 § 4
keine Rolle. Auch ein Betriebsführungsvertrag kann einem anderen Rechtsträger deshalb die Befugnis zur Nutzung wesentlicher Betriebsmittel vermitteln. Entscheidend ist aber, dass die Steuerung der betrieblichen Tätigkeit durch den potenziellen Erwerber in eigenem Namen erfolgt1. Weisungen gegenüber den Arbeitnehmern, die im Betrieb eingesetzt werden, müssen also im Namen des Rechtsträgers erfolgen, der nach Maßgabe der Vereinbarungen die Betriebsführung übernommen hat. Damit wird er Betriebsinhaber. Das Ergebnis der betrieblichen Tätigkeit kann dann gegenüber Dritten im Namen eines anderen, ggf. auch des Auftraggebers für die Betriebsführung, verkauft werden. Dies kann auch unter Verwendung fremder Briefbögen erfolgen, mit deren Hilfe die Produkte oder Dienstleistungen gegenüber Kunden verkauft werden. Entscheidend ist, dass die Steuerung der mit der Herstellung der Produkte bzw. der Erbringung der Dienstleistung beschäftigten Arbeitnehmer in eigenem Namen durch den neuen Betriebsinhaber erfolgt. Dass diese gegenüber Dritten dann in fremdem Namen auftreten, ist unerheblich.
4.123
Entgegen der Auffassung des BAG im Urteil vom 25.1.2018 ist es nicht erforderlich, dass der potenzielle Erwerber auch gegenüber Dritten als Inhaber des Betriebs auftritt. Zwar sieht das BAG darin die Voraussetzung für die Anerkennung des potenziellen Erwerbers als die für den Betrieb einer wirtschaftlichen Einheit verantwortliche Person. Hiervon ausgehend genüge es für den Wechsel des Inhabers des Betriebs oder Betriebsteils nicht, wenn der potenzielle Erwerber in Lohnfertigung tätig werde und auf der Grundlage einer Generalvollmacht gegenüber Kunden ausschließlich im Namen und für Rechnung des bisherigen Betriebsinhabers auftrete. Ebensowenig genüge es, wenn der potenzielle Erwerber gegenüber Arbeitnehmern, der Agentur für Arbeit oder dem Finanzamt in eigenem Namen als Arbeitgeber aufgetreten sei2. Dass der Betrieb eine organisatorisch abgrenzbare Einheit dargestellt habe und der potenzielle Erwerber im Rahmen der Betriebsführung alle wesentlichen Betriebsmittel übernommen und ohne Unterbrechung mit gleicher Zweckbestimmung eingesetzt habe, führe daher noch nicht zur Anwendbarkeit von § 613a BGB. Voraussetzung eines Inhaberwechsels sei, dass der bisherige Inhaber seine wirtschaftliche Betätigung in dem Betriebs- oder Betriebsteil einstelle. Hierfür wiederum sei erforderlich, dass die wirtschaftliche Einheit auch nach außen durch den potenziellen Erwerber genutzt werde. Das aber sei nicht der Fall, wenn der potenzielle Erwerber gegenüber Dritten auf der Grundlage der erteilten Generalhandlungsvollmacht stets ausschließlich im Namen der Beklagten tätig geworden sei, liege dieser Wechsel nicht vor. Im Kern habe der potenzielle Erwerber damit nur wie ein leitender Angestellter bzw. Generalbevollmächtigter gehandelt und deshalb eben nicht die Verantwortung für den Betrieb der in Rede stehenden wirtschaftlichen Einheit übernommen. Berechtigt und verpflichtet aus solchen Rechtsgeschäften sei nur der bisherige Inhaber geworden. Insbesondere Kunden und Lieferanten seien im Namen der Beklagten angesprochen worden. Der Marktauftritt sei weiterhin über die Internetseite der Beklagten erfolgt.
4.124
Bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist dieser Kennzeichnung der Betriebsinhaberschaft zwar zuzustimmen. Ungeachtet dessen erscheint es nicht überzeugend, dem Umstand, dass der potenzielle Erwerber gegenüber allen Arbeitnehmern stets in eigenem Namen aufgetreten war, nicht das für § 613a BGB erforderliche Gewicht zuzumessen. Wie auch § 1 Abs. 1 AÜG in Übereinstimmung mit § 611a Abs. 1 BGB zum Ausdruck bringt, stellt die Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts ein wesentliches Kennzeichen des Arbeitsverhältnisses und der damit verbundenen Eingliederung eines Arbeitnehmers in den Betrieb des
4.125
1 BAG v. 15.12.2005 – 8 AZR 202/05, NZA 2006, 597 Rz. 59 ff. 2 BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 55 ff.
Gaul/Bonanni | 105
§ 4 Rz. 4.125 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
Arbeitgebers dar. Dabei spielt es für die Kennzeichnung der Eingliederung in die fremdbestimmte Arbeitsorganisation keine Rolle, wer den wirtschaftlichen Nutzen aus den Arbeitsergebnissen zieht, die innerhalb eines solchen Betriebs erzielt werden. Der Betrieb, der auf diese Weise durch einen Arbeitgeber geführt wird, kann auch gemeinnützig organisiert sein, ohne dass dies die Betriebsinhaberschaft in Frage stellt. Denkbar ist auch, dass die in einem Betrieb durch den Arbeitgeber auf der Grundlage des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts (§ 106 GewO) gesteuerten Arbeitnehmer ein Produkt herstellen oder eine Dienstleistung anbieten, die gegenüber Kunden im Namen eines Dritten verkauft werden. So kann die gesamte Vertriebsorganisation in einer eigenen Gesellschaft organisiert sein, obgleich das Produkt bzw. die Dienstleistung, die verkauft wird, wirtschaftlich einem Dritten zugutekommt. Ob durch die Vertriebsgesellschaft einen Gewinn erzielt, ob sie auf der Grundlage einer Cost-Plus-Basis, ob sie kostendeckend oder mit Verlust arbeitet, spielt für die Betriebsinhaberschaft keine Rolle. Unerheblich ist auch, ob der Verkauf der Produkte in eigenem oder in fremdem Namen erfolgt. Sie ist Betriebsinhaber, wenn sie für den Einsatz der Mitarbeiter verantwortlich ist und diese auch in allen Belangen steuert. Dies wird insbesondere dann deutlich, wenn eine solche Einheit „auf der grünen Wiese“ errichtet wird, also gar keine Übernahme einer bereits bestehenden Einheit in Rede steht. Wer soll bei dieser Organisation denn sonst Arbeitgeber sein als derjenige, der diese Einheit aufgebaut hat und die Arbeit der Mitarbeiter und ihrer Betriebsmittel steuert, selbst wenn die Ergebnisse im Namen eines Dritten verkauft werden?
4.126
Ob die Betriebsmittel im Zusammenhang mit einem Betriebsführungsvertrag durch Dritte (z.B. Fluggastkontrollanlage eines Flughafens) mit einer bestimmten Zweckbindung zur Verfügung gestellt werden oder ob sich der potenzielle Betriebserwerber diese Betriebsmittel anderweitig für die eigene Verwendung beschafft hat, spielt keine Rolle1. Unerheblich ist auch, wenn sich der derjenige, der einen Betrieb im eigenen Namen steuert, bestimmte Vorgaben des Auftraggebers (z.B. Museum, Bank) beachten muss.
4.127
Die bloße Betriebsführung im Namen eines Dritten begründet keine Betriebsinhaberschaft. Dies ist dann der Fall, wenn zwar die Betriebsführung übernommen wird, alle Erklärungen der Betriebsführungsgesellschaft, insbesondere solche gegenüber den Arbeitnehmern in der betroffenen Einheit, aber Namens und im Auftrag des bisherigen Betriebsinhabers abgegeben werden. Tatsächlich wird damit zwar die Leitungsmacht innerhalb der betrieblichen Organisation durch einen anderen Rechtsträger wahrgenommen. Solange dieser aber in Vertretung des bisherigen Betriebsinhabers tätig wird, besteht der Betrieb bei dem bisherigen Inhaber ohne Rücksicht auf die Übertragung von Betriebsmitteln fort. § 613a BGB findet keine Anwendung2.
5. Übernahme von Arbeitnehmern als Merkmal eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs 4.128
Wenn und soweit eine betriebsmittelarme Tätigkeit in Rede steht (vgl. Rz. 4.95), kann die Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils auch durch die Einstellung von Personal bewirkt werden. Die Einstellung ist dann das maßgebliche Rechtsgeschäft (vgl. Rz. 5.20 ff.).
1 Vgl. EuGH v. 2.12.1999 – C-234/98, NZA 2000, 587, 589 – Allen. 2 Vgl. Birk, ZGR 1984, 23, 48 f.; Scheifele, BB 1991, 557, 629, 633; Commandeur, NZA 1991, 705, 708.
106 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.132 § 4
a) Allgemeine Bedeutung des Personals Ob Arbeitnehmer bei der Kennzeichnung eines Betriebs oder Betriebsteils i.S.d. § 613a BGB Berücksichtigung finden können, ist lange Zeit weitgehend ablehnend behandelt worden. Erst nachdem das BAG mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH seine ablehnende Haltung aufgegeben und einzelne Arbeitnehmer oder die organisatorische Zusammenfassung von Arbeitnehmern bei der Kennzeichnung eines Betriebs- oder Betriebsübergangs berücksichtigt hat, konnte sich die Ansicht durchsetzen, dass die strukturierte Gesamtheit von Arbeitnehmern auch ohne wesentliche Betriebsmittel einen Betrieb oder Betriebsteil bilden können, so dass mit deren Übernahme ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang i.S.d. § 613a BGB ausgelöst werden kann.
4.129
Gegen die generelle Einbeziehung von Arbeitnehmern spricht zwar, dass § 613a BGB die bis zu seiner Schaffung umstrittene Frage regelt, ob bei der Veräußerung eines Betriebs oder Betriebsteils auch Arbeitnehmer auf den Erwerber übergehen. Der Übergang des Arbeitsverhältnisses ist also Rechtsfolge von § 613a BGB.
4.130
Gleichwohl ist es richtig, wenn Arbeitnehmer bei der Kennzeichnung des Betriebs oder Betriebsteils und damit auch bei der Frage ihres Übergangs berücksichtigt werden. Zunächst einmal können einzelne Arbeitnehmer wegen des in ihrer Person verkörperten Know-how oder Good-will durchaus die Grundlage dafür setzen, dass der Betrieb oder Betriebsteil durch einen anderen Rechtsträger fortgesetzt wird1. Darüber hinaus muss vor allem in den betriebsmittelarmen und dienstleistungsorientieren Bereichen in die Überlegungen einbezogen werden, dass häufig gerade das gute Funktionieren der arbeitsteilig zusammenwirkenden Belegschaft Voraussetzung dafür ist, dass der Betriebszweck – die gegenüber Dritten angebotene Tätigkeit – in der qualitativ und quantitativ gewünschten Weise durch den bisherigen Betriebsinhaber erfüllt und den potenziellen Erwerber fortgeführt werden soll. Hier kommt es auch auf die Fachkenntnisse, die Fertigkeiten und die Erfahrung des Personals, ein etwaiges Know-how, Kontakte und ein etwaiges Netzwerk an2. Entsprechendes gilt bei technischen Entwicklungsleistungen (z.B. Softwareprogrammierung), die unmittelbar an die Fertigkeiten des Personals geknüpft sind. Folgerichtig knüpft die Anwendbarkeit von § 613a BGB hier gerade an den Umstand an, dass eine derart organisierte Zusammenfassung von Arbeitnehmern in ihrer Gesamtheit übernommen wird und dadurch den übernehmenden Rechtsträger in die Lage versetzt, die Tätigkeit des bisherigen Betriebsinhabers fortzusetzen3. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine bestimmte (Dienst-)Leistung am Markt bzw. gegenüber Kunden ohne Unterbrechung angeboten werden soll.
4.131
Hier kommt es dann darauf an, mit Blick auf die Besonderheiten des Einzelfalls festzustellen, ob die von einem anderen Rechtsträger zur Fortsetzung einer gleichen oder gleichartigen Tätigkeit beschäftigten Arbeitnehmer des bisherigen Betriebsinhabers einen nach Zahl und Sachkunde für den Betrieb oder Betriebsteil wesentlichen Charakter besitzen4. Ob die
4.132
1 BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 426/94, EzA § 613a BGB Nr. 160 S. 5 ff.; BAG v. 2.12.1999 – 8 AZR 796/98, NZA 2000, 369, 371. 2 BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 706/11, DB 2013, 1556 Rz. 33 ff.; BAG v. 22.5.2014 – 8 AZR 1069/12, NZA 2014, 1335 Rz. 46, 52. 3 BAG v. 25.6.2009 – 8 AZR 258/08, NZA 2009, 1412 Rz. 31; BAG v. 19.3.2015 – 8 AZR 150/14 n.v. Rz. 19. 4 Vgl. EuGH v. 11.3.1997 – C-13/95, DB 1997, 628, 629 – Ayse Süzen; BAG v. 19.3.2015 – 8 AZR 150/14 n.v. Rz. 24.
Gaul/Bonanni | 107
§ 4 Rz. 4.132 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
Sachkunde wesentlich ist oder ob im Wesentlichen eine quantitative Betrachtungsweise ausreichend ist, hängt vom Einzelfall ab (vgl. Rz. 4.145)1.
4.133
Wenn das nach Zahl und Sachkunde wesentliche Personal übernommen wurde, muss der potenzielle Erwerber nicht nur die Arbeitnehmer weiter beschäftigen, bei denen es auf der Grundlage seines Angebots zum Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags gekommen ist. Er muss auch die Arbeitnehmer übernehmen, die zu dem jeweils in Rede stehenden Betrieb oder Betriebsteil gehören, bislang aber kein Angebot erhalten haben. Für diesen Personenkreis geht es um den Übergang und den damit verbundenen Inhalts- und Bestandsschutz, also allein um die Rechtsfolge von § 613a BGB. Für die Arbeitnehmer, die durch Abschluss eines Arbeitsvertrags selbst das Vorliegen eines Betriebsübergangs ausgelöst haben, geht es zwar nicht mehr um die Frage, ob sie von dem potenziellen Erwerber eingestellt werden. Auch für diese Personengruppe geht es aber letztlich um Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs, nämlich die inhaltliche Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses, die Haftung des bisherigen Rechtsträgers und ein etwaiges Widerspruchsrecht. Fehlt eine ordnungsgemäße Unterrichtung, hat dies Auswirkungen auch auf die Dauer der Widerspruchsfrist (vgl. Rz. 11.296).
4.134
Ob darüber hinaus auch materielle und/oder immaterielle Betriebsmittel übertragen werden müssen, hängt davon ab, ob diese – neben den Arbeitnehmern – prägenden Charakter für die jeweils in Rede stehende Tätigkeit haben. Denkbar ist, dass die Betriebsmittel nur untergeordnete Bedeutung haben, selbst wenn sie für die Arbeit unverzichtbar sind. Denkbar ist aber auch, dass Tätigkeiten in Rede stehen, bei denen übergreifend auf die Übernahme von Arbeitnehmern und Betriebsmitteln abgestellt werden muss. (vgl. Rz. 4.103). b) Gestaltungsformen einer Übernahme von Arbeitnehmern
4.135
Eine für § 613a BGB relevante Übernahme von Personal liegt in jedem Fall dann vor, wenn Arbeitnehmer des bisherigen Betriebsinhabers durch den neuen Inhaber eingestellt werden. Als Einstellung ist insoweit der Abschluss des Arbeitsvertrags mit dem Ziel einer Eingliederung in die eigene bzw. die Weiterbeschäftigung in der übernommenen Betriebsorganisation anzusehen. Ob die Arbeitsbedingungen entsprechend der Inhaltsgarantie des § 613a Abs. 1 BGB festgelegt wurden, spielt für das Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs keine Rolle2. Es genügt, wenn die Arbeitnehmer für die gleiche oder gleichartige Tätigkeit eingestellt werden.
4.136
Schriftform ist für den Abschluss eines solchen Arbeitsvertrags nicht erforderlich. Es genügt, wenn sich der Wille zur Beschäftigung bei dem potenziellen Erwerber konkludent aus dem Verhalten von Arbeitnehmer und potenziellen Erwerber ergibt. Anhaltspunkte können z.B. die Entgegennahme von Weisungen des Erwerbers oder seiner Führungskräfte, die Entgegennahme von Entgeltzahlungen und Entgeltbescheinigungen durch den Erwerber, die Verwendung von Betriebsmitteln des Erwerbers, der Wechsel der Berufskleidung, neue Briefbögen oder Email-Adressen sein. Ob und ggf. wann der Erwerber dem Arbeitnehmer gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 NachwG eine schriftliche Niederschrift über den Arbeitgeberwechsel als Veränderung wesentlicher Arbeitsbedingungen aushändigt, spielt für den Abschluss des Arbeitsvertrags keine Rolle.
1 BAG v. 22.1.2015 – 8 AZR 139/14, NZA 2015, 1325 Rz. 23, 25, 32. 2 BAG v. 18.3.1997 – 3 AZR 729/95, DB 1997, 2282.
108 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.139 § 4
Da es sich um einen gesetzlichen Übergang des Arbeitsverhältnisses handelt, spielt auch das Schriftformerfordernis aus § 623 BGB keine Rolle. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn eine betriebsmittelarme Tätigkeit in Rede steht und das Angebot des potenziellen Erwerbers nur durch so wenige Arbeitnehmer angenommen wird, dass darin kein Wechsel des nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Personals liegt. In diesem Fall hat der Wechsel der wenigen Arbeitnehmer keinen Betriebs- oder Betriebsteilübergang zur Folge. Wenn vermieden werden soll, dass der Arbeitsvertrag mit dem bisherigen Betriebsinhaber neben dem neuen Arbeitsvertrag mit dem potenziellen Erwerber fortbesteht, muss schriftlich dessen Aufhebung vereinbart werden. Denkbar ist, dies in eine dreiseitige Vereinbarung zwischen dem Arbeitnehmer und den beiden beteiligten Unternehmen einzubinden. Wenn ein solcher Wechsel des Arbeitgebers ohne Anwendbarkeit von § 613a BGB vermieden werden soll, muss der neue Arbeitsvertrag unter die Bedingung entsprechender Vereinbarungen mit dem nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Personal, ggf. in Form eines bestimmten Prozentsatzes, gestellt werden. Alternativ könnte durch den potenziellen Erwerber in der Vereinbarung zugesagt werden, dass der Arbeitnehmer auch außerhalb des unmittelbaren Anwendungsbereichs in Bezug auf den Inhalts- und Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses so behandelt wird, als habe der Wechsel im Rahmen von § 613a BGB stattgefunden.
4.137
Dass sich der potenziell übernehmende Rechtsträger gegenüber dem bisherigen Betriebsinhaber verpflichtet, alle Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen1, spielt in den betriebsmittelintensiven Bereichen keine Rolle. Hier hängt die Anwendbarkeit von § 613a BGB ohnehin davon ab, dass die für eine Fortsetzung der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit wesentlichen Betriebsmittel übernommen werden. Ob und wie viele Arbeitnehmer zusätzlich wechseln, ist für die Kennzeichnung von § 613a BGB unerheblich, wenn nicht auch wesentliche Betriebsmittel übertragen werden2.
4.138
Auch bei den betriebsmittelarmen Bereichen genügt das Angebot, alle Arbeitnehmer zu übernehmen, allerdings nicht, um einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang auszulösen. Hier kommt eine Aufrechterhaltung der betrieblichen Organisation nur in Betracht, wenn der potenzielle Erwerber das nach seiner Zahl und Sachkunde wesentliche Personal der jeweiligen Einheit tatsächlich übernommen hat. Insofern führt auch die durch Gesetz oder Tarifvertrag begründete Pflicht, Arbeitnehmer zu übernehmen, nicht bereits zur Anwendung von § 613a BGB3. Denn damit wird nur die Pflicht begründet, ein Angebot zur Übernahme zu unterbreiten. Lehnt das nach Zahl und Sachkunde wesentliche Personal den Übergang ab, ist ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang ausgeschlossen. Dies gilt auch dann, wenn das Angebot des potenziellen Erwerbers abgelehnt wird, weil damit eine Verschlechterung von Arbeitsbedingungen verbunden gewesen wäre. Die fehlende Bereitschaft des relevanten Anteils der Beschäftigten, die Arbeitsbedingungen beim potenziellen Erwerber zu akzeptieren, bringt somit auch die verbliebenen, ggf. selbst wechselwilligen Arbeitnehmer um die Chance eines Betriebsübergangs. Das ist Konsequenz des Erfordernisses einer Identitätswahrung. Das Gleiche gilt, wenn die Angebote einer Übernahme durch den potenziellen Erwerber bewusst auf eine bestimmte Zahl von Arbeitnehmern begrenzt werden. Wenn diese Arbeitnehmer nicht als das nach Zahl und Sachkunde wesentliche Personal qualifiziert werden können, kommt § 613a BGB trotz ihrer Einstellung nicht zur Anwendung. Eine richterliche Kontrolle, die die Entscheidung der wechselunwilligen Belegschaftsmitglieder im Interesse ihrer Kollegen an das
4.139
1 BAG v. 19.11.1996 – 3 AZR 394/95, AP Nr. 152 zu § 613a BGB Bl. 2. 2 EuGH v. 25.1.2001 – C-172/99, NZA 2001, 249, 252 – Oy Liikenne (Busverkehr). 3 Vgl. EuGH v. 24.1.2002 – C-51/00, NZA 2002, 265 Rz. 27 – Temco.
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§ 4 Rz. 4.139 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
Vorliegen „sachlicher Gründe“ bände, findet ebenso wenig statt wie eine richterliche Kontrolle der vom potenziellen Erwerber angebotenen Arbeitsbedingungen. Insofern hat es der Erwerber in der Hand, durch Einschränkungen in Bezug auf die Zahl, Qualifikation und/oder Bedeutung der übernommenen Arbeitnehmer das Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs zu steuern. Darin liegt auch kein Rechtsmissbrauch. Denn in vergleichbarer Weise wäre er in den betriebsmittelintensiven Bereichen berechtigt, nur solche Betriebsmittel zu übernehmen, die in Bezug auf die bislang in der in Rede stehenden Einheit ausgeübte Tätigkeit nicht als wesentlich qualifiziert werden können. Insofern kann der potenzielle Erwerber auch entscheiden, Personal nur unterhalb der für eine Identitätswahrung „kritischen Masse“ zu übernehmen1. Weder § 613a BGB noch die Richtlinie 2001/23/EG sehen eine unbedingte Verpflichtung des potenziellen Erwerbers zur Weiterbeschäftigung des bisherigen Personals vor. Vielmehr kann er sich entscheiden, ob er unter Inkaufnahme der Rechtsfolgen des § 613a BGB eine mit dem Personal verknüpfte Betriebsorganisation weiternutzt und hieraus Vorteile zieht oder darauf verzichtet2. c) Bedeutung der Anzahl des übernommenen Personals
4.140
Schon bei der Abgrenzung der Betriebsstilllegung zur Betriebseinschränkung i.S.d. § 111 Satz 3 Nrn. 1, 2 BetrVG wird davon ausgegangen, dass die Identität eines Betriebs verloren geht, wenn als Folge einer Verlegung nur ein Bruchteil der bisherigen Belegschaft am neuen Standort weiterbeschäftigt werde3. Entsprechendes gilt in Bezug auf „betriebsmittelarme“ Bereiche im Hinblick auf eine Anwendbarkeit von § 613a BGB. Sie ist ausgeschlossen, wenn nur ein geringer Teil der Arbeitnehmer eines Betriebs oder Betriebsteils vom potenziellen Erwerber übernommen und weiterbeschäftigt wird4. Das gilt auch, wenn es sich dabei um die Führungskraft handelt. Denn der Betrieb oder Betriebsteil besteht nicht nur aus „Kopf“ (Führungskraft), sondern auch „Körper“ (nachgeordnete Mitarbeiter)5. Der weiterbeschäftigte Belegschaftsteil muss also aufgrund seiner Sachkunde, seiner Organisationsstruktur und seiner relativen Größe im Grundsatz funktionsfähig bleiben6. Fehlen andere Anhaltspunkte für einen Betriebsübergang, besteht der Betrieb beim bisherigen Inhaber fort.
4.141
Bedauerlicherweise kann bei der Kennzeichnung eines ihrer Zahl nach wesentlichen Teils der Arbeitnehmer nicht auf bestimmte Schwellenwerte (z.B. § 17 KSchG) zurückgegriffen werden. Dabei bliebe unberücksichtigt, dass die Zahl der Arbeitnehmer nur ein Indiz neben der Sachkunde und sonstigen Kriterien ist, das – wie die Übernahme von Betriebsmitteln –
1 BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 197/11, NZA-RR 2013, 179 Rz. 57; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 39. 2 Schlussanträge Generalanwältin Trstenjak v. 26.10.2010 – C-463/09, NZA 2011, 148 Rz. 65.; BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 197/11, NZA-RR 2013, 179 Rz. 57; Jochums, NJW 2005, 2580, 2585. 3 Vgl. BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86, AP Nr. 67 zu § 613a BGB Bl. 3. 4 Vgl. Sachverhalte mit einer verringerten Produktion bei gleichzeitiger Übernahme nur eines untergeordneten Teils des Personals: LAG Bremen v. 15.2.2011 – 1 Sa 258/10 n.v. (Übernahme von nur 1/5 der Arbeitnehmer); LAG Köln v. 14.9.2005 – 3 Sa 504/05 n.v. Rz. 28 (Übernahme von weniger als 30 % des Personals); weitergehend nimmt Däubler (DKK, § 111 BetrVG Rz. 66) mit Blick auf § 111 BetrVG an, dass es für eine Wahrung der Identität genüge, wenn mehr als 50 % der Belegschaft weiterbeschäftigt werden. Bei Betrieben mit hoher Fluktuation könne sogar eine Weiterbeschäftigung von 30 % der Belegschaft genügen. Würden weniger Arbeitnehmer weiterbeschäftigt, läge allerdings eine Betriebsstilllegung am bisherigen Betriebssitz vor. 5 LAG Düsseldorf v. 29.4.2009 – 12 Sa 1551/08, ArbRB 2010, 44. 6 BAG v. 15.11.2011 – 8 AZR 197/11, NZA-RR 2013, 179 Rz. 53.
110 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.143 § 4
für eine Anwendbarkeit von § 613a BGB spricht. Darüber hinaus ließe dies außer Acht, dass die für einen Fortbestand des Betriebs nach § 613a BGB maßgebliche Bedeutung des Personals branchenbezogen Wechseln unterworfen ist. Insoweit wird die Frage, ob die übernommenen Arbeitnehmer ihrer Zahl nach als wesentlich anzusehen sind, nicht nur von der Art ihrer Tätigkeit, sondern auch der Qualität ihrer Arbeit und deren Bedeutung für den Betriebszweck beeinflusst. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung muss daneben auch berücksichtigt werden, ob der einstellende Rechtsträger darüber hinaus Mitarbeiter beschäftigt, die bis dahin nicht bei dem bisherigen Betriebsinhaber eingesetzt waren1. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, ob der potenzielle Erwerber überhaupt die Tätigkeit des alten Betriebsinhabers im bisherigen Umfang fortsetzt. Wenn eine nicht nur unerhebliche Einschränkung der Tätigkeit vorgenommen wird, die wegen der geänderten Arbeitsund Ablauforganisation auch mit einer geringeren Zahl an Beschäftigten verbunden ist, kann dies im Rahmen einer Gesamtbetrachtung trotz der Übernahme von Personal einen Betriebsoder Betriebsteilübergang ausschließen. Denn dann kann trotz einer ihrer Art nach gleichen oder gleichartigen Tätigkeit nicht von dem Fortbestand der wirtschaftlichen Einheit unter Wahrung ihrer Identität ausgegangen werden. Vielmehr wird man davon ausgehen können, dass der übernehmende Rechtsträger eine neue Arbeits- und Ablauforganisation aufbauen muss, die dem geringeren Umfang der betrieblichen Tätigkeit Rechnung trägt2. Insofern muss geprüft werden, ob in der Übernahme einer geringeren Zahl die Übernahme eines Betriebs liegt, der zuvor rationalisiert wurde. Dies schließt die Anwendbarkeit von § 613a BGB nicht aus. Denn ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang kann auch dann vorliegen, wenn ein erheblicher Teil des Personals auf Grund eines Sanierungskonzepts abgebaut wird3. Eine Funktionsnachfolge außerhalb des Anwendungsbereichs von § 613a BGB liegt hingegen dann vor, wenn ohne die Übernahme einer ihre Identität wahrenden Einheit nur ein Teil der Tätigkeit des bisherigen Betriebsinhabers durch einen anderen Rechtsträger fortgeführt wird4.
4.142
Bezugspunkt für die Bewertung der quantitativen und qualitativen Veränderungen ist stets der Betrieb oder – wenn ein Betriebsteil Gegenstand der Übertragung sein soll – der jeweilige Betriebsteil5. So hat das BAG zu Recht das Vorliegen eines Betriebs- bzw. Betriebsteilübergangs abgelehnt, wenn die betriebliche Tätigkeit verändert wird und der potenzielle Erwerber nur noch 54 der bislang 90 Arbeitnehmer einsetzen kann6. Schlussendlich ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die die Art der Tätigkeit, die Funktion sowie Kenntnisse und Fähigkeiten des übernommenen Personals ebenso berücksichtigt wie ein besonderes Know-how oder Good-will, das durch einzelne Arbeitnehmer verkörpert wird, in einer gewichteten Form zur Einbindung kommt. Dies machen schon die nachfolgenden Beispiele deutlich, die jeweils zu einer Anwendbarkeit von § 613a BGB geführt haben:
4.143
1 Vgl. BAG v. 25.6.2009 – 8 AZR 258/08, NZA 2009, 1412 Rz. 44 f., das die Übernahme von 220 Arbeitnehmern trotz 155 Neueinstellungen bei betriebsmittelarmer Tätigkeit (Call-Center) als ausreichend angesehen hat, um einen Betriebsübergang auszulösen. 2 Vgl. BAG v. 14.5.1998 – 8 AZR 418/96, NZA 1999, 483, 485; LAG Hamm v. 30.3.1998 – 16 Sa 942/ 97, LAGE § 613a BGB Nr. 72 S. 5 f. 3 BAG v. 25.6.2009 – 8 AZR 258/08, NZA 2009, 1412 Rz. 29; BAG v. 26.7.2007 – 8 AZR 769/06, NZA 2008, 112, 115; BAG v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, NZA 1997, 148 Rz. 14 ff.; Annuß, EuZA 2021, 85, 90 f. 4 BAG v. 27.1.2001 – 8 AZR 106/99 n.v. (Übernahme von 100 der 180 Arbeitnehmer). 5 Vgl. BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 375/96, NZA 1998, 249, 250 f. 6 BAG v. 14.5.1998 – 8 AZR 418/96, NZA 1999, 483, 485.
Gaul/Bonanni | 111
§ 4 Rz. 4.143 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
– Call-Center: Übernahme von ¾ der Mitarbeiter (etwa 333 von 428 Mitarbeitern)1, – Druckerei: Übernahme von 12 der 23 Mitarbeiter (52 %), wobei die Führungskräfte als Geschäftsführer weiterbeschäftigt wurden2, – Großhandel: Übernahme von 56 % der Mitarbeiter sowie 2 Führungskräfte als Geschäftsführer (insgesamt damit 65 %)3, – IT-Service: Übernahme von 50 der 87 (57,5 %) bzw. 80 Mitarbeiter (62,5 %)4, – Malerbetrieb: Übernahme von 10 der 18 Mitarbeiter (56 %)5, – Reinigungsgewerbe: Übernahme von 86,2 %6 bzw. 90 %7 der Mitarbeiter, Flugzeugreinigung: Übernahme von 87 der 124 Mitarbeiter/Leiharbeitnehmer (70 %)8, – Wachdienst: Übernahme von 22 der 36 Mitarbeiter einschließlich aller Schichtleiter (61 %), wenn eine verhältnismäßig qualifizierte und spezialisierte Tätigkeit in Rede steht9, – Zustelldienste (Zeitungen): mehr als 50 % der Mitarbeiter werden übernommen10.
4.144
Im Gegensatz dazu wurde ein Betriebs- bzw. Betriebsteilübergang in folgenden Fallgestaltungen abgelehnt: – Abwasserentsorgung (einschließlich kaufmännischer Bereiche): Übernahme von 37 der etwa 90 Arbeitnehmer, die mit technischen und kaufmännischen Aufgaben eingesetzt waren11, – Baubetrieb: Übernahme von 4 der 12 Mitarbeiter (33 %)12 bzw. von etwa 15 % der Belegschaft13 des bisherigen Betriebsinhabers,
1 BAG v. 25.6.2009 – 8 AZR 258/08, NZA 2009, 1412 Rz. 34 f. 2 BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 306/98, NZA 1999, 706, 707, wobei wohl die Übernahme der wesentlichen Betriebsmittel maßgeblich gewesen sein dürfte (vgl. BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 763/97, n.v. Rz. 36, 39). 3 Thüringer LAG v. 14.11.2000 – 5 Sa 55/99, NZA-RR 2001, 121, 124. 4 BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 706/11, DB 2013, 1556 Rz. 36; BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11, NZA-RR 2013, 6 Rz. 43 f. 5 LAG Schleswig-Holstein v. 5.7.2001 – 1 (4) Sa 430/00, NZA-RR 2002, 70, 71 f. 6 BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, EzA § 613a BGB Nr. 159 S. 6. 7 ArbG Marburg v. 31.1.1997 – 2 Ca 423/96 n.v. 8 ArbG Düsseldorf v. 11.3.2011 – 10 Ca 6310/10 n.v. (Übernahme von 46 der 83 Festangestellten und von 41 der 41 zuletzt eingesetzten Leiharbeitnehmer als angestellte Arbeitnehmer). 9 BAG v. 14.5.1998 – 8 AZR 418/96, NZA 1999, 483, 485. 10 LAG Baden-Württemberg v. 21.10.1996 – 19 Sa 30/96, LAGE § 613a BGB Nr. 52 S. 9, das allerdings – was nicht überzeugt – auch eine Beschäftigung als selbständige Kuriere (keine Arbeitnehmer) als ausreichend ansieht. 11 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 546/10, NZA 2012, 509 Rz. 22. 12 LAG Hessen v. 27.11.1997 – 5 Sa 24/97 n.v. 13 LAG Hamm v. 30.3.1998 – 16 Sa 942/97, LAGE § 613a BGB Nr. 72 S. 5 f., das zu Recht einen Betriebsübergang abgelehnt hat, obgleich auch Betriebsmittel des bisherigen Betriebsinhabers übernommen, ein Teil der Aufträge fortgesetzt wurde und die Tätigkeit in ihrer Gesamtheit im Wesentlichen identisch war.
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Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.144 § 4
– Bewachung: 4 von 7 (57 %) bzw. 14 von 28 (50 %) Mitarbeitern1, 52 von 90 Wachleuten (58 %) bzw. 22 von 36 (61 %) Wachleuten, soweit einfache Tätigkeiten verrichtet werden2, 57 %3 bzw. 40 %4 der Mitarbeiter, – Busbetrieb: Übernahme von 9 der 15 Busfahrer (60 %) bei Fortführung derselben Buslinie5, – Einzelhandel: Übernahme von 13 der 30 Mitarbeiter (43 %) im Verkauf6, – Hol- und Bringdienst im Krankenhaus: Übernahme von 75 % der Belegschaft bei gleichzeitiger Änderung der Arbeits- und Ablauforganisation7, – Justiziariat: Übernahme von 2 der 6 Juristen8, – Konstruktionsabteilung einer Maschinenfabrik: Übernahme von 2 der 4 Konstrukteure9, – Mischbetrieb (Produktion/Service): Übernahme der Servicemitarbeiter, die etwa 25 % der Gesamtbelegschaft ausmachen10, – Reinigungsgewerbe: Übernahme von 1 der 4 (25 %)11, 7 der 22 (32 %)12, von 4 der 7 (57 %)13, von 50 %14, von 60 %15 bzw. von zwei Dritteln16 der Mitarbeiter, die bislang im Objekt eingesetzt wurden, – Schlachthof: Übernahme von 10 der 30–35 Mitarbeiter (max. 33 %) bei Veränderung der Arbeitsorganisation und Tätigkeit17, – Schulungseinrichtung: Übernahme von 10 der 34 bzw. 3518 der bislang eingesetzten Dozenten (29 %)19, 1 BAG v. 15.11.2011 – 8 AZR 197/11, NZA-RR 2013, 179 Rz. 54, zumal in Bezug auf die Übernahme von 4 der 7 Mitarbeiter auch keine Objektverantwortlichen (Führungskräfte) übernommen wurden. Bei der Übernahme von 14 der 28 Mitarbeiter wurde nur eine von 5 Objektverantwortlichen übernommen. 2 BAG v. 14.5.1998 – 8 AZR 418/96, NZA 1999, 483, 485. 3 BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 197/11, NZA-RR 2013, 179 Rz. 55. 4 BAG v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, NZA-RR 2009, 469. 5 LAG Köln v. 14.3.2000 – 13 Sa 1356/99, NZA-RR 2000, 634, 635. 6 LAG Hamm v. 4.4.2000 – 4 Sa 1220/99, ZinsO 2000, 292 ff. 7 BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 676/97, NZA 1999, 420, 421 f. 8 BAG v. 24.8.2006 – 8 AZR 317/05, NZA 2007, 1287 Rz. 33. 9 LAG Köln v. 7.9.2005 – 7 (9) Sa 425/04 n.v. Rz. 36. 10 BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 375/96, DB 1998, 372, 373. 11 BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 522/01, AiB 2004, 49 Rz. 53. 12 LAG Hamm v. 8.10.1996 – 6 Sa 847/96, DB 1997, 48, 49, wobei unklar ist, ob die Mitarbeiter allein in dem vom Auftragsverlust betroffenen Objekt eingesetzt wurden. 13 LAG Köln v. 23.1.1998 – 11 (9) Sa 822/97, NZA-RR 1998, 337. 14 LAG Köln v. 26.3.1998 – 5 (12) Sa 1790/97 n.v. 15 BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 333/04, NZA 2006, 31. 16 BAG v. 19.3.1998 – 8 AZR 737/96 n.v. 17 BAG v. 23.9.1999 – 8 AZR 650/98 n.v. 18 Der Sachverhalt war hier unklar. 19 LAG Niedersachsen v. 12.5.1998 – 13 Sa 1698/97 n.v., das insoweit einen Betriebsübergang ablehnt. Nicht überzeugend ist allerdings die Annahme der 13. Kammer, dass trotz der geringen Zahl der übernommenen Arbeitnehmer ein Teilbetriebsübergang begrenzt auf die Mitarbeiter angenommen werden könne, die sich bei dem potenziellen Rechtsnachfolger beworben und mit den veränderten Vertragsbedingungen einverstanden gewesen sind. Die Anwendbarkeit von § 613a BGB ist kein Pri-
Gaul/Bonanni | 113
§ 4 Rz. 4.144 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
– Spedition: Übernahme von 3 der 17 Mitarbeiter (18 %)1, – Wareneingang: Übernahme von 2 der 4 Mitarbeiter (50 %)2, – Zustelldienste (Zeitungen): Übernahme von 7 der 57 Arbeitnehmer3. d) Bedeutung der Sachkunde des Personals
4.145
Wenn materielle oder immaterielle Betriebsmittel keine besondere Bedeutung entfalten, spielt nicht allein die Anzahl von Arbeitnehmern, sondern die Beschäftigung von Know-how-Trägern – also Arbeitnehmern mit besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten – regelmäßig eine entscheidende Rolle bei der Kennzeichnung des Betriebs oder Betriebsteils. Beispielhaft sei hier nur auf Softwareprogrammierer, Mitarbeiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung, Lehrkräfte eines Schulungsveranstalters4, das Ensemble eines Orchesters oder (Tanz-) Theaters5 oder den Koch eines Restaurants6 hingewiesen. Die Übernahme dieser Arbeitnehmer durch Dritte kann dann zum Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs führen7. Umgekehrt kann der Verzicht auf die Weiterbeschäftigung dieser Arbeitnehmer trotz Fortsetzung der Tätigkeit, die von diesen Arbeitnehmern innerhalb einer organisatorischen Einheit bislang ausgeübt wurde, die Anwendbarkeit von § 613a BGB verhindern, wenn auch keine sonstigen Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Betriebsübergangs (z.B. Übernahme von Betriebsmitteln) vorliegen.
4.146
Schwierigkeiten an der Einbeziehung der Sachkunde entstehen aber zunächst einmal dadurch, dass der Grad der erforderlichen Sachkunde nicht abstrakt-generell festgelegt werden kann. Handelt es sich hierbei um Know-how, das nur durch langjährige fachspezifische Arbeit erworben wird? Sind Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich, die nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG eine Herausnahme aus der Sozialauswahl rechtfertigten, oder genügen Fähigkeiten, die innerhalb einer kurzen Einarbeitungszeit erlangt werden? Sind nur solche Kenntnisse maßgeblich, die aufgrund einer gesonderten Fort- oder Weiterbildungsmaßnahme erworben werden?
4.147
Richtigerweise wird man auf die betriebsbezogene Bedeutung des in dem betreffenden Arbeitnehmer verkörperten Know-how abstellen müssen. Es muss für den konkret in Rede ste-
1 2 3 4 5 6 7
vileg derjenigen, die entsprechende Ansprüche geltend machen. Wenn die Voraussetzungen für einen Betriebsteilübergang vorliegen, sind alle Mitarbeiter einzubeziehen, die bis zum Übergang in dem betroffenen Betriebsteil tätig bzw. diesem Betriebsteil nach allgemeinen Grundsätzen zuzuordnen sind. Liegen die Voraussetzungen einer Anwendbarkeit von § 613a BGB nicht vor, weil die übernommenen Mitarbeiter nach Zahl und Sachkunde noch keinen eigenständigen Betriebsteil widerspiegeln, kann sich kein Arbeitnehmer auf den gesetzlichen Inhalts- und Bestandsschutz berufen (vgl. Schlussanträge Generalanwältin Trstenjak v. 26.10.2010 – C-463/09, NZA 2011, 148 Rz. 65; BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 197/11, NZA-RR 2013, 179 Rz. 57). BAG v. 26.8.1999 – 8 AZR 718/98, DB 2000, 94 f. BAG v. 17.4.2003 – 8 AZR 253/02 n.v. BAG v. 19.3.2015 – 8 AZR 150/14, AP Nr 461 zu § 613a BGB Rz. 24. Vgl. Hessisches LAG v. 1.7.1996 – 10 Sa 1162/95, NZA-RR 1997, 41, 43. Depenheuer, ZTR 1997, 492, 493 f. BAG v. 11.9.1997 – 8 AZR 555/95, NZA 1998, 31, 33. Ebenso Hessisches LAG v. 1.7.1996 – 10 Sa 1162/95, NZA-RR 1997, 41, 43; Henssler, NZA 1994, 913, 917; Bachner, AiB 1996, 291, 294.
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Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.149 § 4
henden Betrieb oder Betriebsteil wesentlichen Charakter haben1. Ein bloßer Erfahrungsvorsprung genügt nicht. Die Bedeutung der Sachkunde hängt deshalb vom Einzelfall ab. Daraus folgt auch, dass es nicht generell auf die Zahl und zugleich auch die Sachkunde des Personals ankommt, das übernommen wird. Vielmehr kann es im Einzelfall ausreichen, dass die übernommenen Arbeitnehmer nach Zahl oder Sachkunde für die fortgeführte Dienstleistung von wesentlicher Bedeutung sind. Insoweit kann, wenn – wofür vor allem die Übernahme von Führungskräften spricht – die Arbeits- und Ablauforganisation beibehalten wird, auch in solchen Fallgestaltungen von der Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils ausgegangen werden, die hinsichtlich der in Rede stehenden Tätigkeit keine besondere Fachkenntnis erforderlich machen. So führt das BAG schon im Urteil vom 11.12.19972 aus:
4.148
„Entgegen der Auffassung des LAG ist nicht zwingend erforderlich, dass durch den übernommenen Teil der Arbeitnehmerschaft ein besonderes Fachwissen repräsentiert wird. Genügt für eine auf dem Markt angebotene Dienstleistung ein geringer Qualifikationsgrad der Arbeitnehmer und sind diese leicht austauschbar, kommt deren „Know-how“ keine entscheidenden Bedeutung für die Identität der wirtschaftlichen Einheit zu. Solche Tätigkeitsbereiche sind vielmehr geprägt von ihrer Arbeitsorganisation, der sich daraus ergebenden Aufgabenzuweisung an den einzelnen Arbeitnehmer und dem in der Organisation zur Struktur verkörperten Erfahrungswissen. Die Identität einer solchen wirtschaftlichen Einheit wird gewahrt, wenn der neue Auftragnehmer die Arbeitnehmer an ihren alten Arbeitsplätzen mit unveränderten Aufgaben weiterbeschäftigt. Er hat dann eine bestehende Arbeitsorganisation übernommen und keine neue aufgebaut. … Haben die Arbeitnehmer einen geringen Qualifikationsgrad, muss eine hohe Anzahl von ihnen weiter beschäftigt werden, um auf einen Fortbestand der vom Konkurrenten geschaffenen Arbeitsorganisation schließen zu können. Ist ein Betrieb stärker durch das Spezialwissen und die Qualifikation der Arbeitnehmer geprägt, kann neben anderen Kriterien ausreichen, dass wegen ihrer Sachkunde wesentliche Teile der Belegschaft übernommen werden“3.
Daraus folgt: Je qualifizierter die auszuübende Tätigkeit ist, desto geringere Bedeutung besitzt die Zahl der übernommenen Arbeitnehmer. Schließlich wird der Betrieb nicht durch die Zahl der Arbeitnehmer gekennzeichnet. Er wird dadurch gekennzeichnet, dass diese Arbeitnehmer in einer organisatorischen Einheit einen oder mehrere bestimmte arbeitstechnische Zwecke verfolgen. Gerade weil die Verfolgung des arbeitstechnischen Zwecks im Vordergrund steht, kann schon das Know-how einzelner Arbeitnehmer wesentliche Bedeutung entfalten. Nicht Quantität, sondern Qualität entscheidet in der Regel über den Erfolg der arbeitstechnischen Einheit. Dass die Übernahme einzelner Arbeitnehmer genügen kann, ist letztlich nur die Konsequenz aus der Feststellung, dass die menschliche Arbeitskraft, Kenntnisse und Fähigkeiten der Arbeitnehmer und die Arbeits- und Ablauforganisation in bestimmten Tätigkeitsbereichen eine hervorgehobene Bedeutung für den Fortbestand eines Betriebs besitzen. So wie einzelne Betriebsmittel genügen können, um einen Betrieb oder Betriebsteil zu kennzeichnen, kann dies auch durch Arbeitnehmer geschehen, die in ihrer organisatorischen Zusammenfassung den Betrieb repräsentieren. Umgekehrt nimmt die Bedeutung der Übernahme von Personal ab, wenn keine besonderen Kenntnisse oder Fähigkeiten erforderlich sind, um die in Rede stehende Tätigkeit fortzusetzen4. Um zu wissen, welchen nach Zahl und Sachkunde zu bestimmenden Teil der Belegschaft ein anderer Rechtsträger übernehmen muss, um von dem Fortbestand einer Arbeitsorganisation ausgehen zu können, müssen im Einzel1 2 3 4
Vgl. BAG v. 11.9.1997 – 8 AZR 555/95, NZA 1998, 31, 33 (Koch einer gutbürgerlichen Gaststätte). BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, EzA § 613a BGB Nr. 159 S. 5. Ebenso BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 676/97, NZA 1999, 420, 421 f. EFTA-Gerichtshof v. 25.9.1996 – E-2/95, EAS RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 11a S. 9 f. – Eidesund.
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4.149
§ 4 Rz. 4.149 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
fall die Art der Tätigkeit, die Struktur des Betriebs- oder Betriebsteils und die Arbeits- bzw. Fertigungsmethoden bewertet werden1.
4.150
Darüber hinaus sind auch bei der Übernahme von Know-how-Kräften die Gesamtumstände einzubeziehen. Nur dann, wenn die Einstellung dieser Mitarbeiter letztlich auch mit einem Fortbestand der bisherigen Betriebsorganisation beim neuen Arbeitgeber verbunden ist, liegt ein Fall im Anwendungsbereich von § 613a BGB vor. Für einen Betriebsübergang spricht deshalb auch, wenn alle zum Geschäftsfeld des bisherigen Betriebsinhabers gehörenden Bereiche in praktisch allen Hierarchie- und Kompetenzstufen durch das vom potenziellen Erwerber übernommene Personal weitgehend abgedeckt sind. Umgekehrt gilt: Wenn ein Unternehmen (nur) einzelne Know-how-Kräfte eines Konkurrenten abwirbt, die ohne die Unterstützung durch eine wesentliche Zahl weiterer Mitarbeiter den bisherigen Betrieb oder Betriebsteil nicht fortsetzen könnten, spricht dies gegen einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang2. e) Bedeutung von Schulungsmaßnahmen des neuen Arbeitgebers
4.151
Dass das nach seiner Sachkunde wesentliche Personal regelmäßiger Schulungen bedarf, steht einer Berücksichtigung seiner Einstellung im Zusammenhang mit der Kennzeichnung eines Betriebsübergangs nicht entgegen. So hat das BAG im Zusammenhang mit der Übernahme eines Call-Centers darauf abgestellt, dass die eingestellten Mitarbeiter bereits Kenntnisse im „First-Level“-Bereich besessen hatten, was für den Erwerber von wesentlicher Bedeutung für die Schulung in Bezug auf die weitere Arbeit im „Second-Level“ gewesen sei. Gerade wegen dieser Fachkenntnisse habe der Erwerber allen Arbeitnehmern die Übernahme trotz geänderter Arbeitsbedingungen angeboten. Hinzu kam, dass auch Schulungspersonal des bisherigen Inhabers übernommen und für die weitere Ausbildung der Mitarbeiter eingesetzt worden war. Diese hatten die Schulungen für den „Second-Level“ zum Teil sogar noch während ihrer Tätigkeit für den bisherigen Betriebsinhaber begonnen3. f) Übernahme des im Personal verkörperten Know-how bzw. Good-will
4.152
Insbesondere die Übernahme von Spezialisten kann durch ihr Know-how ein wichtiges Indiz für die Anwendbarkeit von § 613a BGB sein4. In Branchen, in denen es auf sonstige materielle oder immaterielle Betriebsmittel nicht entscheidend ankommt, kann auch das Goodwill, das in der Person eines Arbeitnehmers verkörpert ist, einem Betrieb oder Betriebsteil das entscheidende Gepräge geben5. Insofern kann auch die Einführung eines mit Fortbildung/ Umschulung befassten Unternehmens am Markt untrennbar mit der Qualität des Unterrichts verbunden sein, die wiederum wesentlich auf der fachlichen und pädagogischen Kompetenz ihrer Lehrkräfte beruht6. Für die Anwendbarkeit von § 613a BGB spricht deshalb, wenn sich die übernommenen Mitarbeiter durch bestimmte Funktionen und Kompetenzen
1 BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 306/98, NZA 1999, 706, 707; BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 197/11, NZARR 2013, 179 Rz. 55; BAG v. 22.1.2015 – 8 AZR 139/14, NZA 2015, 1325 Rz. 25, 32. 2 Vgl. Willemsen/Annuß, Anm. zu BAG v. 17.7.1997 – 8 AZR 156/95 (B), DB 1997, 1875, 1877; Waas, ZfA 2001, 377, 391 f. 3 BAG v. 25.6.2009 – 8 AZR 258/08, NZA 2009, 1412 Rz. 35 f., 41. 4 BAG v. 27.1.2000 – 8 AZR 106/99 n.v.; BAG v. 22.5.2014 – 8 AZR 1069/12, NZA 2014, 1335 Rz. 52. 5 BAG v. 9.2.1994 – 2 AZR 781/93, NZA 1994, 612, 614; Loritz, RdA 1987, 65, 70. 6 Hessisches LAG v. 1.7.1996 – 10 Sa 1162/95, NZA-RR 1997, 41, 43.
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Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.154 § 4
auszeichnen, die auf dem freien Markt nicht oder nicht so ohne weiteres verfügbar sind1. Solche Arbeitnehmer haben in einer Gesamtbetrachtung jedenfalls ein deutlich höheres Gewicht als Arbeitnehmer, die mit Blick auf die Art ihrer Tätigkeit und die dafür erforderlichen Kenntnisse für eine Fortsetzung des Betriebs austauschbar oder sogar nicht relevant sind. g) Besondere Bedeutung von Führungskräften Führungskräfte haben im Rahmen einer Gesamtbetrachtung für die Kennzeichnung eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs eine besondere Bedeutung2. Berücksichtigt man die Überlegungen zur Bedeutung des Know-hows, der Sachkunde des Personals und des im Personal verkörperten Good-wills, ist dies berechtigt. In der Regel – Ausnahmen bleiben vorbehalten – können Führungskräfte den Erfolg der arbeitstechnischen Zweckbestimmung, spezifisches Fachwissen, Marktkenntnisse, den Fortbestand von Kundenkontakten und das Good-will, das mit einer bestimmten Produktion verbunden ist, eher als nachgeordnete Mitarbeiter verkörpern. Sie sind auch in der Lage, die vorhandenen Organisationsstrukturen eines Betriebs oder Betriebsteils in Kenntnis ihrer Stärken und Schwächen den geänderten Gegebenheiten beim übernehmenden Rechtsträger anzupassen und ggf. weiterzuentwickeln3. Einem Leitungswechsel oder der Beibehaltung der bisherigen Leitung kann deshalb wesentliche Bedeutung bei der Gesamtbeurteilung zukommen4. Das gilt erst recht, wenn die Übernahme gegenüber den bisherigen Kunden „zu Werbezwecken“ mitgeteilt wird5. Folgerichtig ist auch die Übernahme von Personal, das alle „Hierarchie- und Kompetenzstufen“ widerspiegelt6, ein entscheidendes Argument für die Annahme, dass es sich um das wesentliche Personal handelt. Die Übernahme von Führungskräften hat deshalb ein stärkeres Gewicht, als dies bei der Übernahme „normaler“ Mitarbeiter oder Aushilfskräfte der Fall ist7.
4.153
h) Einstellung von Arbeitnehmern als Geschäftsführer, freie Mitarbeiter oder Werkvertragsnehmer Die Übernahme der für die Fortführung eines Betriebs oder Betriebsteils wesentlichen Ressourcen kann auch dadurch erfolgen, dass ein Teil der beim bisherigen Betriebsinhaber beschäftigten Arbeitnehmer durch einen anderen Rechtsträger als freie Mitarbeiter8, als Ge-
1 LAG Düsseldorf v. 4.8.1999 – 4 (18) Sa 358/99, LAGE § 613a BGB Nr. 78 S. 3 f. 2 Vgl. nur EuGH v. 20.1.2011 – C-463/09, NZA 2011, 148 – CLECE Rz. 41; BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, EzA § 613a BGB Nr. 159 S. 6 („Vorarbeiterin“); BAG v. 14.5.1998 – 8 AZR 418/96, NZA 1999, 483, 485 („Schichtleiter und weitere Führungskräfte); BAG v. 15.11.2011 – 8 AZR 197/ 11, NZA-RR 2013, 179 Rz. 55 („Objektverantwortliche“); BAG v. 22.5.2014 – 8 AZR 1069/12, NZA 2014, 1335 Rz. 52 („wesentliche Teile der Leitungsebene“); BAG v. 22.1.2015 – 8 AZR 139/ 14, NZA 2015, 1325 Rz. 33 („Führungskräfte und ggf. auch die sie verbindende Arbeitsorganisation“). 3 Vgl. BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, EzA § 613a BGB Nr. 159 S. 6. 4 Vgl. BAG v. 22.5.2014 – 8 AZR 1069/12, NZA 2014, 1335 Rz. 53; BAG v. 22.1.2015 – 8 AZR 139/ 14, NZA 2015, 1325 Rz. 33. 5 BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 706/11, DB 2013, 1556 Rz. 37 („eingespieltes Team aus früheren C Führungskräften“). 6 Thüringer LAG v. 14.11.2000 – 5 Sa 55/99, NZA-RR 2001, 121, 124. 7 BAG v. 22.1.2015 – 8 AZR 139/14, NZA 2015, 1325 Rz. 33. 8 Vgl. BAG v. 18.2.1999 – 8 AZR 485/97, NZA 1999, 648, 650.
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4.154
§ 4 Rz. 4.154 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
schäftsführer1 oder als Werk- oder Dienstvertragsnehmer eingesetzt wird. Denn trotz der in veränderter Rechtsform fortgesetzten Zusammenarbeit dürfte darin im Zweifel eine Grundlage für die tatsächliche Fortsetzung der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit liegen. Ihre Beschäftigung ist damit ein Indiz für das Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs. Dies gilt jedenfalls bei einer betriebsmittelarmen Tätigkeit. In Indiz für die Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils ist auch die weitere Beschäftigung freier Mitarbeiter als freie Mitarbeiter2.
4.155
Handelt es sich um eine betriebsmittelarme Tätigkeit, genügt es allerdings für eine Anwendbarkeit von § 613a BGB nicht, wenn das nach Zahl und Sachkunde wesentliche Personal nur noch als Handelsvertreter, als Dienst- oder Werkvertragnehmer oder in sonstiger selbständiger Beschäftigung durch den potenziellen Erwerber eingesetzt wird. Denn diese Einsatzformen sind gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht innerhalb des Betriebs des potenziellen Erwerbers erfolgen, sondern als Solo-Selbständige bzw. als Arbeitnehmer eines Dritten erfolgen, der seinerseits auf der Grundlage eines Dienst- oder Werkvertrags mit dem potenziellen Erwerber tätig wird. In dessen Betrieb, nicht aber im Betrieb des Erwerbers, sind diese Arbeitnehmer dann tätig. Das schließt aus, dass der potenzielle Erwerber einen Betrieb oder Betriebsteil übernommen hat, der durch die Zahl oder Sachkunde dieser Arbeitnehmer gekennzeichnet war. Damit liegt in solchen Fällen eine Stilllegung des Betriebs oder Betriebsteils bei dem bisherigen Betriebsinhaber vor3. § 613a Abs. 4 Satz 1 KSchG steht betriebsbedingten Kündigungen durch den bisherigen Betriebsinhaber nicht entgegen (vgl. Rz. 17.30). Insoweit gelten die Grundsätze, die das BAG schon in der Weight-Watchers-Entscheidung4 und der Moskito-Anschläger-Entscheidung5 aufgezeigt hat. i) Übernahme von Leiharbeitnehmern
4.156
Der bloße Einsatz von Arbeitnehmern als Leiharbeitnehmer genügt nicht, um die Übernahme eines Betriebs- oder Betriebsteils durch den Entleiher anzunehmen6. Folgerichtig stellt auch der Wechsel des Verleihers, der andere Leiharbeitnehmer zum Einsatz bringt, keinen Übergang nach § 613a BGB dar7. Vergleichbar mit der Übernahme früherer Arbeitnehmer als Fremdpersonal des potenziellen Erwerbers ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung allerdings zu berücksichtigen, ob der potenzielle Erwerber Leiharbeitnehmer zum Einsatz bringt, die bislang als Arbeitnehmer des bisherigen Betriebsinhabers beschäftigt waren.
1 Vgl. BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 306/98, NZA 1999, 706, 707; Thüringer LAG v. 14.11.2000 – 5 Sa 55/99, NZA-RR 2001, 121, 124. 2 LAG Rheinland-Pfalz v. 24.5.2007 – 11 Sa 55/07, NZA-RR 2007, 566, 569. 3 Dies übersieht das LAG Baden-Württemberg v. 21.10.1996 – 19 Sa 30/96, LAGE § 613a BGB Nr. 52 S. 8 ff. 4 Vgl. BAG v. 9.5.1996 – 2 AZR 438/95, NZA 1996, 1145 ff. 5 Vgl. BAG v. 13.3.2008 – 2 AZR 1037/06, NZA 2008, 878 ff. 6 Abw. Preis/Greiner, ZTR 2006, 290, 294 f., die bei einer (bloßen) Personalgestellung des nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Personals im Anschluss an die Übertragung der bislang selbst verrichteten Aufgabe an einen Dritten die Anwendbarkeit von § 613a BGB für möglich halten. Er soll durch einen Widerspruch vermieden werden können. 7 Vgl. Willemsen, NJW 2007, 2065, 2066.
118 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.160 § 4
aa) Übernahme von Leiharbeitnehmern als Indiz für einen Betriebsübergang Mit Blick auf Feststellungen des EuGH im Urteil vom 21.10.20101 kann § 613a BGB auch dadurch ausgelöst werden, dass die durch den bisherigen Betriebsinhaber als Entleiher in dem von der Übertragung betroffenen Betrieb eingesetzten Leiharbeitnehmer durch den potenziellen Erwerber übernommen und als eigene Arbeitnehmer eingesetzt werden2. Dieses Indiz kommt jedenfalls in Bezug auf die Arbeitnehmer zum Tragen, die schon der bisherige Betriebsinhaber als Arbeitnehmer beschäftigt hat.
4.157
Fraglich ist, ob sich auch die Arbeitnehmer, die beim bisherigen Betriebsinhaber als Leiharbeitnehmer eingesetzt wurden, auf das Vorliegen eines Betriebsübergangs berufen können. Ausgangspunkt dieser Fragestellung ist die Feststellung des EuGH, nach der als „Veräußerer“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. a Richtlinie 2001/23/EG auch ein Unternehmen qualifiziert werden könne, zu dem ein Arbeitnehmer ständig abgestellt war, ohne jedoch mit diesem durch einen Arbeitsvertrag verbunden gewesen zu sein3. Dass der Arbeitnehmer durch einen Arbeitsvertrag an ein anderes (Konzern-)Unternehmen gebunden war, stand dieser Annahme nicht entgegen.
4.158
In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall gliederte eine konzernangehörige Betriebsgesellschaft durch Vertrag vom 1.3.2005 die von ihr ausgeübten Tätigkeiten (Cateringtätigkeiten; Lieferung von Mahlzeiten) auf eine nicht konzernangehörige Gesellschaft, die spätere Beklagte, aus. Die Beklagte stellte das bislang durch die Betriebsgesellschaft für die Cateringtätigkeiten genutzte Personal ein und setzte es selbst zur Fortführung dieser Tätigkeit ein, wobei sie Cateringtätigkeiten und diese auch für Dritte ausführte. Der Kläger wurde als Mitarbeiter der Abteilung „Betriebskantinen“ beschäftigt. Die Besonderheit des Falles lag allerdings darin, dass das gesamte dem Betriebsteil zuzuordnende Personal gar nicht bei der Betriebsgesellschaft angestellt war. Vielmehr war es von einer Konzerngesellschaft als zentrale Arbeitgeberin eingestellt und zu den verschiedenen Betriebsgesellschaften abgestellt worden. Vor diesem Hintergrund hatte der Gerechtshof Amsterdam den EuGH um Vorabentscheidung gebeten, ob es sich nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG nur dann um einen Übergang von Rechten und Pflichten auf den Erwerber handelt, wenn der Veräußerer des zu übertragenden Unternehmens auch formell der Arbeitgeber der betroffenen Arbeitnehmer ist. Dabei sollte der EuGH differenzieren zwischen einem konzerninternen Einsatz durch eine Personaldienstleistungsgesellschaft und einem Unternehmen, das auch anderweitigen Personaleinsatz praktiziere. Hintergrund waren Klagen, mit denen die von der Beklagten eingestellten Leiharbeitnehmer eine Fortführung der sich aus ihrem Arbeitsverhältnis zum Verleiher begründeten Rechte und Pflichten verlangten. Insbesondere sollten die danach geltenden Arbeitsbedingungen angewendet werden und Gehaltssteigerungen berücksichtigt werden.
4.159
In seiner Entscheidung hat der EuGH klargestellt, dass eine vertragliche Beziehung zum bisherigen Betriebsinhaber nicht erforderlich ist, um Arbeitnehmern den durch die Richtlinie gewährten Schutz zugutekommen zu lassen. Dies folge maßgeblich aus dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 2001/23/EG, wonach die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber übergehen. Gerade weil neben den Arbeitsverträgen auch die Arbeitsver-
4.160
1 EuGH v. 21.10.2010 – C-242/09, NZA 2010, 1225 Rz. 26 ff. – Albron Catering. 2 ArbG Düsseldorf v. 11.3.2011 – 10 Ca 6310/10 n.v. (Übernahme von 46 der 83 Festangestellten und 41 von 41 Leiharbeitnehmern als angestellte Arbeitnehmer); offen BAG v. 15.5.2013 – 7 AZR 525/11, NZA 2013, 1214 Rz. 37 f. 3 So auch Kühn, NJW 2011, 1408 ff.
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§ 4 Rz. 4.160 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
hältnisse genannt würden, müssten auch Leiharbeitnehmer erfasst werden. Unerheblich sei in diesem Zusammenhang, dass in der vorliegenden Konstellation ein Arbeitsvertrag mit dem Verleiher bestand. Aus der Richtlinie gehe nicht hervor, dass das Verhältnis zwischen Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis ein Subsidiaritätsverhältnis sei und daher bei mehreren Arbeitgebern automatisch auf den vertraglichen Arbeitgeber abgestellt werden müsse1. Dass dem Vertragsarbeitgeber insoweit kein Vorrang gebühre, sieht der EuGH schließlich dadurch bestätigt, dass die Arbeitnehmer ausweislich des dritten Erwägungsgrundes der Richtlinie 2001/23/EG bei einem „Inhaberwechsel“ geschützt werden sollen. Ein Inhaberwechsel könne jedoch auch den nichtvertraglichen Arbeitgeber bezeichnen, der für die Durchführung der übertragenen Tätigkeiten verantwortlich ist.
4.161
Die mit dieser Sichtweise verbundene Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2001/23/EG überzeugt nicht. Sie steht im Widerspruch zu anderen Feststellungen der Richtlinie, ohne dass dies zum Schutz der Leiharbeitnehmer erforderlich ist. Dies gilt umso mehr, als der EuGH als Folge der gleichzeitigen Beantwortung beider Vorlagefragen offen lässt, ob seine Feststellungen 1. auf Konzernsachverhalte begrenzt sind und ob sie – alternativ oder kumulativ – 2. an die Voraussetzung geknüpft sind, dass das gesamte oder jedenfalls das nach Zahl und Sachkunde wesentliche Personal in dem von der Übertragung betroffenen Betrieb oder Betriebsteil dauerhaft als Leiharbeitnehmer eingesetzt war.
4.162
Im Ergebnis gewährt der EuGH den Leiharbeitnehmern damit einen doppelten Schutz. Sie können sich nicht nur auf die Richtlinie berufen, wenn der Betrieb des Verleihers durch einen anderen Rechtsträger übertragen wird. Das folgt schon aus Art. Abs. 2 lit. b Richtlinie 2001/23/EG. Leiharbeitnehmer können sich nunmehr auch dann auf die Richtlinie berufen, wenn der Betrieb des Entleihers von einem Übertragungsvorgang betroffen ist. Weitergehend scheint sogar zu gelten: Ihre Einstellung durch einen anderen Rechtsträger kann sogar zum Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs führen.
4.163
Das durch den EuGH für diese Feststellungen maßgeblich herangezogene Schutzbedürfnis der betroffenen Leiharbeitnehmer besteht im Gegensatz zu jenem herkömmlicher Arbeitnehmer jedoch schon deshalb nicht, weil sich Leiharbeitnehmer auch nach einer Übertragung ihres Einsatzbetriebs auf einen anderen Rechtsträger weiterhin auf ein Vertragsarbeitsverhältnis zu einem Dritten, dem Verleiher, berufen können. Es gilt nämlich der Grundsatz, dass das Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher unabhängig von dem Bestehen einer Beschäftigungsmöglichkeit in dem Betrieb eines Dritten besteht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie dies auch vorliegend wohl der Fall war – der Leiharbeitnehmer in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zum Verleiher gestanden hat. Hiervon ausgehend kann sich der Leiharbeitnehmer auch dann nicht auf die Möglichkeit seiner Beschäftigung durch einen anderen Rechtsträger berufen, wenn der Entleiher den Einsatz beendet, obwohl der Betrieb durch ihn selbst ohne Veränderung fortgeführt wird. Warum soll sich der Arbeitnehmer auf diese Beschäftigungsmöglichkeit plötzlich berufen können, wenn der Betrieb des Entleihers durch einen anderen Rechtsträger fortgeführt wird? Dies gilt umso mehr, als der Leiharbeitnehmer auch bei einer Übernahme des Entleiherbetriebs durch einen Dritten seinen Beschäftigungsanspruch gegenüber dem Vertragsarbeitgeber (Verleiher) behält, der jedenfalls nach deutschem Verständnis auch das Annahmeverzugsrisiko trägt. Solange für den Verleiher anderweitige Einsatzmöglichkeiten bestehen, ist auch eine betriebsbedingte Kündigung ausgeschlossen. Die Kontinuität der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit bestehenden Arbeitsverhältnisse unabhängig von einem Inhaberwechsel, die Erwägungsgrund 3 der Richtlinie 1 EuGH v. 21.10.2010 – C-242/09, NZA 2010, 1225 Rz. 26 ff. – Albron Catering.
120 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.166 § 4
2001/23/EG schützt, wird also für die Leiharbeitnehmer bereits durch den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses zum Verleiher gewahrt. Bedauerlicherweise hat sich der EuGH in den Entscheidungsgründen auch nicht mit Art. 2 Abs. 1 lit. c Richtlinie 2001/23/EG auseinandergesetzt. Danach können die Mitgliedstaaten Leiharbeitsverhältnisse nicht von dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausschließen, wenn der Verleiher als übertragender Rechtsträger tätig wird. Diese Feststellung zeigt, dass die Richtlinie die Arbeitsverhältnisse von Leiharbeitnehmern dem Betrieb des Verleihers als wirtschaftliche Einheit zuordnet. Ist dessen Betrieb von einem Übertragungsvorgang i.S.d. Art. 1 Richtlinie 2001/23/EG betroffen, kann sich der Leiharbeitnehmer auf den Schutz der Richtlinie berufen. Für den Fall, dass der Betrieb des Entleihers übertragen wird, ist nichts Gleichartiges vorgesehen.
4.164
Unberücksichtigt lässt der EuGH letztendlich auch die Interessen des Verleihers, dessen unternehmerische Freiheit ebenso wie der Betrieb als Bestandteil des Eigentums durch Art. 16, 17 GRC geschützt sind. Die Erfassung der Leiharbeitsverhältnisse durch § 613a BGB bei Übertragungsvorgängen, die den Betrieb des Entleihers betreffen, hat nämlich zur Folge, dass der Verleiher den Übergang der bei ihm vertraglich beschäftigten Leiharbeitnehmer auf einen Dritten dulden muss. Dies gilt jedenfalls dann, wenn – was der EuGH wegen des bereits auf freiwilliger Ebene vollzogenen Arbeitgeberwechsels nicht prüfen musste – seine Interpretation der Richtlinie zur Folge hat, dass von einem gesetzlichen Übergang der Arbeitsverhältnisse auch ohne den vorangehenden Abschluss von Arbeitsverhältnissen auszugehen ist. Hierzu könnte es beispielsweise dann kommen, wenn die für die betriebliche Tätigkeit des Entleihers bislang wesentlichen Betriebsmittel durch einen anderen Rechtsträger übernommen und anschließend in „eigener Regie“ mit gleicher oder gleichartiger Tätigkeit weiter genutzt würden. Der Verleiher würde damit seiner wesentlichen Ressourcen in Form der Leiharbeitnehmer „beraubt“, ohne – was für eine Anwendbarkeit von § 613a BGB an sich erforderlich ist1 – die unternehmerische Entscheidung getroffen zu haben, seine eigene betriebliche Tätigkeit als Personaldienstleister aufzugeben. Schließlich ist nicht erkennbar, dass der EuGH den Übergang der Arbeitsverhältnisse der Leiharbeitnehmer auf den potenziellen Erwerber des Betriebs oder Betriebsteils auf die Dauer begrenzt, für die ihre Überlassung durch den Verleiher an den Entleiher geplant war. Hinzu kommt, dass § 613a BGB zwar den Eintritt in die Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen durch den Erwerber zur Folge hat. Die Vereinbarungen zwischen Verleiher und Entleiher über die Überlassung von Personal (§ 12 Abs. 1 AÜG) bestehen jedoch fort, was für den Verleiher den Verlust des Überlassungsentgelts und für beide Rechtsträger erhebliche Abwicklungsschwierigkeiten zur Folge hat.
4.165
Die Entscheidung des EuGH ist mithin nicht nur systemwidrig, sondern führt auch zu einem über das notwendige Maß hinausgehenden Schutz von Leiharbeitnehmern. Sie bewirkt tatsächliche Abwicklungsprobleme und macht die sanierende Übertragung notleidender Betriebe unattraktiver. Da nicht auszuschließen ist, dass die nationale Rechtsprechung sich der Auslegung des EuGH anschließen wird, muss das Risiko einer Pflicht zur Übernahme von Leiharbeitnehmern jedenfalls im Rahmen der Due Diligence über die Fallgestaltungen des § 10 AÜG hinaus berücksichtigt werden. Darüber hinaus wird man Wege finden müssen, die Unterrichtungspflicht nach § 613a Abs. 5 BGB zu erfüllen. Konsequenterweise steht den betroffenen Leiharbeitnehmern in diesem Fall auch ein Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB zu.
4.166
1 Vgl. BAG v. 29.9.1988 – 2 AZR 107/88, NZA 1989, 799; BAG v. 27.9.2007 – 8 AZR 941/06, NZA 2008, 1130.
Gaul/Bonanni | 121
§ 4 Rz. 4.167 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
bb) Ausgliederung von Arbeitnehmern auf Personaldienstleistungsgesellschaften
4.167
Insbesondere im Bereich von IT-Dienstleistungen, Logistik und Catering wird in der Praxis darüber nachgedacht, Arbeitnehmer auf eine Personaldienstleistungsgesellschaft auszugliedern. Zweck dieser Gestaltungsform ist, die Arbeitnehmer im Anschluss daran (wieder) bei ihrem ursprünglichen Arbeitgeber, bei einer anderen Konzerngesellschaft oder einem Dritten – jetzt allerdings als Leiharbeitnehmer – mit gleicher oder gleichartiger Tätigkeit einzusetzen. Dass auch diese Gestaltungsform mit dem Risiko eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs nach § 613a BGB verbunden sein kann, hat das BAG mit gegensätzlichen Ergebnissen schon in den beiden Urteilen vom 21.5.20081 und vom 23.9.20102 deutlich gemacht. (1) Ausgliederung mit Rücküberlassung von Arbeitnehmern
4.168
Folgt man den Feststellungen des BAG im Urteil vom 21.5.20083, liegt ein Betriebsübergang vor, wenn das Personaldienstleistungsunternehmen die bislang beim Betriebsinhaber beschäftigten Mitarbeiter wieder an den bisherigen Arbeitgeber mit dem Ziel überlässt, sie dort im Rahmen der bisherigen Tätigkeit einzusetzen.
4.169
In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall waren die Klägerinnen als Reinigungskräfte in einem Krankenhaus beschäftigt. Aus Gründen der Kostenersparnis kam es zur Gründung der Beklagten, einer Service-GmbH, deren ausschließlicher Unternehmensgegenstand die Stellung von Personal an das Kommunalunternehmen als Gesellschafterin des Krankenhauses und das Krankenhaus selbst war. Auf Empfehlung des Kommunalunternehmens schlossen die Klägerinnen Aufhebungsverträge mit dem Krankenhaus und zugleich neue Arbeitsverträge mit der Service-GmbH. Im Anschluss daran stellte die Service GmbH dem Krankenhaus die Klägerinnen auf der Grundlage eines Personalgestellungsvertrags wieder zur Verfügung. Sie verrichteten dort die gleichen Tätigkeiten wie früher. Alle arbeitsleistungsbezogenen Weisungen sowie die Zurverfügungstellung der Arbeitsmittel erfolgten durch das Kommunalunternehmen bzw. das Krankenhaus.
4.170
Ausgangspunkt für die Annahme eines Betriebsteilübergangs zu Lasten der Service-GmbH war für das BAG, dass die Reinigungskräfte bis zu ihrem Wechsel in die Service-GmbH eine organisatorisch abgrenzbare Einheit im Krankenhaus bildeten. Aus dieser Einheit waren durch die Service-GmbH durch Rechtsgeschäft das nach Zahl und Sachkunde wesentliche Personal übernommen und ohne Unterbrechung mit der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit in gleicher oder gleichartiger Organisationsweise eingesetzt worden. Dass die Service-GmbH als Arbeitgeberin diese betriebliche Tätigkeit nicht selbst verrichtete, stand einer Anwendbarkeit von § 613a BGB nicht entgegen. Aus Sicht des 8. Senats kam eine Fortsetzung der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit in gleicher oder gleichartiger Organisation letztendlich schon dadurch zustande, dass das Krankenhaus bzw. das Kommunalunternehmen als Entleiher den bisherigen Einsatz unter Wahrung dieser Strukturen fortgeführt haben. Dies habe zur Folge, dass die Identität der wirtschaftlichen Einheit auch nach ihrer Übernahme durch die Service GmbH gewahrt wurde4. Konsequenz war, dass die Aufhebungsverträge wegen Umgehung von § 613a BGB unwirksam waren (§ 134 BGB). Die Klägerinnen konnten von der ServiceGmbH verlangen, sie zu den bisherigen Arbeitsbedingungen zu beschäftigen (§ 613a Abs. 1
1 2 3 4
BAG v. 21.5.2008 – 8 AZR 481/07, NZA 2009, 144. BAG v. 23.9.2010 – 8 AZR 567/09, NZA 2011, 197. BAG v. 21.5.2008 – 8 AZR 481/07, NZA 2009, 144. Ähnlich EuGH v. 13.9.2007 – C-458/05, NZA 2007, 1151 – Jouini.
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Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.174 § 4
BGB). Die beabsichtigte Kostenersparnis konnte mit der Ausgliederung im Ergebnis nicht bewirkt werden. Dieser besonderen Betrachtungsweise des BAG ist zuzustimmen. Denn die Service-GmbH hatte sich im Anschluss an die Einstellung der Klägerinnen das arbeitsteilige Zusammenwirken der betroffenen Arbeitnehmer nutzbar gemacht. Dass einerseits nur das Gestellen des Personals und andererseits die eigengesteuerte Erbringung der Dienstleistung in Rede stand, steht der Anwendbarkeit von § 613a BGB nicht entgegen1. Gerade wegen der Möglichkeit, die funktionsfähige Einheit Reinigung trotz ihrer Ausgliederung auf einen anderen Rechtsträger innerhalb des Krankenhauses fortzuführen („Sale & Lease Back“), wurde die Reorganisation in dieser Form umgesetzt. Die Konstellation war mithin identisch mit jener, in der ein Reinigungsunternehmen das nach Zahl und Sachkunde wesentliche Reinigungspersonal des Krankenhauses übernommen und mit diesem Personal die Reinigungstätigkeit auf Grundlage eines Werkvertrages in derselben Weise wie bisher erledigt hätte. Der Umstand, dass der Betriebszweck des Erwerbers nur vordergründig die Arbeitnehmerüberlassung ist, rechtfertigt sicher keine andere Beurteilung.
4.171
Wenn die Ausgliederung ohne eine Anwendbarkeit von § 613a BGB hätte erfolgen sollen, wären also andere Maßnahmen notwendig gewesen. Hierzu hätte der Verzicht auf die Einstellung des nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Personals oder eine grundlegende Änderung der Arbeits- und Ablauforganisation gehört. Alternativ hierzu hätte die ServiceGmbH das übernommene Personal mit der Reinigung anderer Objekte beschäftigen müssen, worauf auch das BAG hingewiesen hat. Denn wenn der Reinigungsauftrag des Krankenhauses mit dem bereits bei der Service-GmbH beschäftigten Personal oder neu vom Arbeitsmarkt eingestellten Personal erfolgt wäre, hätte in Bezug auf die für die streitgegenständliche Tätigkeit wesentlichen Ressourcen keine Identität vorgelegen.
4.172
(2) Kein Betriebsübergang beim „Spiel über die Bande“ zum Dritten In seinem Urteil vom 23.9.20102 hat das BAG in einem ähnlichen Fall der Übernahme von Arbeitnehmern durch eine Personaldienstleistungsgesellschaft hingegen die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs abgelehnt. In dem zugrunde liegenden Fall war der Kläger als Industriemeister für die W-GmbH tätig. Über das Vermögen der W-GmbH war zum 1.5.2007 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Am 16.11.2007 nahmen auf dem Betriebsgelände in den vormaligen Räumlichkeiten der Insolvenzschuldnerin und unter Nutzung der vormals von der Insolvenzschuldnerin genutzten Maschinen die W-T sowie die WP die Produktion auf. Jede der beiden Gesellschaften produzierte in jeweils einer der beiden, zuvor von der Insolvenzschuldnerin genutzten Hallen mit den dort von der Insolvenzschuldnerin verwendeten Maschinen. Eigene Arbeitnehmer hatten die W-T und die WP nicht. Eine Reihe von früheren Arbeitnehmern der Insolvenzschuldnerin wurde allerdings durch eine Personaldienstleistungsgesellschaft, die Beklagte, eingestellt und zur Fortführung ihrer Tätigkeit an die W-T und die WP überlassen. Der Kläger war von der Beklagten nicht eingestellt worden und machte jetzt geltend, dass sein Arbeitsverhältnis gemäß § 613a BGB auf die Beklagte übergegangen sei.
4.173
Das BAG hat einen Betriebsübergang auf die Beklagte mit der Begründung abgelehnt, dass die wirtschaftliche Einheit, die bei der Insolvenzschuldnerin bestanden hatte, nicht unter Wah-
4.174
1 Lembke, BB 2010, 1533, 1539. 2 BAG v. 23.9.2010 – 8 AZR 567/09, NZA 2011, 197 Rz. 45.
Gaul/Bonanni | 123
§ 4 Rz. 4.174 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
rung ihrer Identität durch die Beklagte übernommen und fortgeführt worden sei. Der Betrieb der Insolvenzschuldnerin sei betriebsmittelgeprägt. Materielle Betriebsmittel, insbesondere Maschinen oder sonstige Produktionsanlagen, habe die Beklagte aber nicht übernommen. Darüber hinaus unterscheide sich der Betriebszweck der Beklagten erheblich von demjenigen der Insolvenzschuldnerin. Während diese einen Produktionsbetrieb geführt habe, läge der Unternehmensgegenstand der Beklagten in der nicht gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung. Der Umstand, dass die Mitarbeiter der Beklagten im Wesentlichen die gleichen Tätigkeiten wie zuvor ausführten, ändere hieran nichts, da sie diese nicht für die Beklagte, sondern für die W-T und die WP erbrächten.
4.175
Mit diesen Feststellungen scheint das BAG zwar Gestaltungsmöglichkeiten zu eröffnen, die – ähnlich der Einbindung einer Transfergesellschaft1 – eine übertragende Sanierung zulassen, ohne die zuvor bei dem Veräußerer angestellten Arbeitnehmer übernehmen zu müssen. Vergleicht man seine Feststellungen indes mit den Überlegungen im Urteil vom 21.5.20082, scheint Voraussetzung für die Vermeidung von § 613a BGB durch ein solches „Spiel über die Bande“ zu sein, dass es sich um eine betriebsmittelintensive Tätigkeit handelt. Dies erscheint keineswegs widerspruchsfrei.
4.176
Zwar liegt der Unterschied der den Entscheidungen 2008 und 2010 zugrunde liegenden Fallgestaltungen darin, dass die Reinigungstätigkeit bereits mit dem eingestellten Personal fortgeführt werden konnte, wohingegen eine Fortführung der Produktion ohne die Nutzung der wesentlichen Betriebsmittel ausgeschlossen war. Beiden Fällen gemeinsam war aber nicht nur die Absicht der beteiligten Rechtsträger, eine Anwendbarkeit von § 613a BGB durch das Zwischenschalten eines Personaldienstleisters zu vermeiden. Beide Fälle waren auch durch den Umstand geprägt, dass der jeweilige Entleiher sich diese Arbeitnehmer allein (Reinigung) bzw. gemeinsam mit den übernommenen Betriebsmitteln (Produktion) nutzbar machte, um den vom bisherigen Betriebsinhaber verfolgten Zweck fortzusetzen. In beiden Fällen fand beim Entleiher also eine Zusammenführung der für den Betrieb nach Maßgabe von Art. 1 Richtlinie 2001/23/EG prägenden Ressourcen statt.
4.177
Offenkundig will das BAG eine Zurechnung der damit verbundenen Fortsetzung des Betriebszwecks durch den Entleiher in Bezug auf den Verleiher aber nur bei betriebsmittelarmer Tätigkeit vornehmen. Bei betriebsmittelintensiver Tätigkeit soll dies schon wegen der fehlenden Übernahme von Betriebsmitteln durch den Entleiher nicht erfolgen. Hier wird dann auch auf den unterschiedlichen Betriebszweck (Arbeitnehmerüberlassung statt Produktion) abgestellt. Der Umstand, dass die frühere Produktion der Insolvenzschuldnerin in dem der Entscheidung vom 23.9.20103 zugrundeliegenden Fall auf zwei verschiedene Rechtsträger aufgeteilt wurde, dürfte aus sich heraus einem Betriebsteilübergang nicht entgegengestanden haben. Beide Produktionsbereiche waren bereits organisatorisch so eigenständig, dass eine getrennte Betrachtung erfolgen konnte. Berücksichtigt man, dass die betriebsmittelarme Konstellation ebenfalls unter Einbindung eines Dritten vollzogen werden könnte, der dann – ggf. auf der Grundlage eines Werkvertrags – die Reinigungstätigkeit mit den ihm vom Personaldienstleister überlassenen Leiharbeitnehmern im Krankenhaus fortsetzt, sind die Unterschiede der beiden Fallgestaltungen nur noch marginal. Dies gilt umso mehr, wenn Einheiten in Rede stehen, bei denen eine strikte Trennung von betriebsmittelintensiver und betriebs1 Vgl. BAG v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145; BAG v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866. 2 BAG v. 21.5.2008 – 8 AZR 481/07, NZA 2009, 144. 3 BAG v. 23.9.2010 – 8 AZR 567/09, NZA 2011, 197.
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Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.180 § 4
mittelarmer Tätigkeit ausgeschlossen sein kann (z.B. Logistik, IT-Dienstleistungen, Catering). In allen Fällen wird der Betrieb unter Wahrung seiner wirtschaftlichen Identität fortgeführt. Führt man sich den letzten Gesichtspunkt vor Augen, dürfte es zwar mit der Entscheidung des BAG vom 21.5.20081 vertretbar sein, eine Anwendbarkeit von § 613a BGB in Bezug auf den Personaldienstleister auf den Fall zu begrenzen, dass eine betriebsmittelarme Tätigkeit in Rede steht. Denn in diesen Fällen liegt in der Überlassung des nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Personals letztendlich schon eine Verfügung über einen funktionsfähigen Betrieb oder Betriebsteil, dessen konkrete Steuerung dann im Wege einer Übertragung des Direktionsrechts dem Entleiher überlassen wird. Dieser nutzt zu Fortsetzung des Betriebs oder Betriebsteils letztendlich ausschließlich die personellen Ressourcen einschließlich der Arbeitsund Ablauforganisation, die ihm durch den Verleiher zur Verfügung gestellt werden.
4.178
Eine solche Überlassung ist bei betriebsmittelintensiver Tätigkeit ausgeschlossen. Hier liegt der Schwerpunkt der Verfügung über die Ressourcen in dem Einsatz der Produktionsmittel, über die der Entleiher selbst verfügt. Dies spricht – insoweit in Übereinstimmung mit dem Ergebnis der Entscheidung vom 23.9.2010 – gegen eine Anwendbarkeit von § 613a BGB in Bezug auf den Personaldienstleister. Allerdings wird man zu prüfen haben, ob nicht stattdessen von einem Übergang der Arbeitsverhältnisse auf den Entleiher auszugehen ist. Dies gilt jedenfalls für solche Arbeitsverhältnisse zwischen dem bisherigen Betriebsinhaber und Arbeitnehmern, die zum Zeitpunkt der Übernahme dieser Betriebsmittel durch den Entleiher nicht bereits beendet worden sind. Diese Arbeitnehmer können geltend machen, dass das Arbeitsverhältnis als Folge einer Übernahme der wesentlichen Betriebsmittel nebst Fortführung der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit auf den Entleiher übergegangen ist. Dass ein Teil der Arbeitnehmer zuvor ausgeschieden und zum Personaldienstleister gewechselt ist, mag insoweit einem Übergang auf den Entleiher entgegenstehen. In jedem Fall aber ist der Einsatz dieser Arbeitnehmer im Wege der Arbeitnehmerüberlassung ein Indiz für das Vorliegen eines Betriebsübergangs auf den Entleiher. Wenn der Betrieb des Veräußerers im Vorfeld einer Übertragung nach den Feststellungen des EuGH im Urteil vom 21.10.2010 auch durch „Arbeitsverhältnisse“ mit Leiharbeitnehmern gebildet werden kann, der Entleiher also Veräußerer ist, wird auch der Betrieb des potentiellen Erwerbers im Anschluss an einen solchen Übertragungsvorgang durch „Arbeitsverhältnisse“ mit Leiharbeitnehmern gekennzeichnet. Konsequenz ist, dass die der Entscheidung des BAG vom 23.9.20102 zugrundeliegende Fallkonstellation keineswegs uneingeschränkt als Blaupause für eine übertragende Sanierung ohne die gleichzeitige Übernahme von Arbeitsverhältnissen herangezogen werden kann.
4.179
cc) Fazit Die vorstehend behandelten Entscheidungen machen deutlich, dass die Frage einer Anwendbarkeit von § 613a BGB auch Leiharbeitnehmer berücksichtigen muss. Nach den Feststellungen des EuGH kann sogar eine Übernahme der Leiharbeitsverhältnisse durch den Betriebserwerber in Betracht kommen. Auch Arbeitnehmer, die aus einem Betrieb heraus übernommen und nach ihrer Einstellung als Leiharbeitnehmer durch den Entleiher mit der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit beschäftigt werden, können das Vorliegen eines Betriebsoder Betriebsteilübergangs geltend machen. Bei einer betriebsmittelarmen Tätigkeit setzt dies nach Maßgabe des BAG nur die Übernahme des nach Zahl und Sachkunde wesentlichen
1 BAG v. 21.5.2008 – 8 AZR 481/07, NZA 2009, 144. 2 BAG v. 23.9.2010 – 8 AZR 567/09, NZA 2011, 197.
Gaul/Bonanni | 125
4.180
§ 4 Rz. 4.180 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
Personals durch den Verleiher voraus, der dann auch als Erwerber qualifiziert werden muss. Bei einer betriebsmittelintensiven Tätigkeit ist ein Übergang auf den Verleiher in Übereinstimmung mit dem BAG auszuschließen. Hier kommt aber ein Übergang auf den Entleiher in Betracht, sofern dieser die wesentlichen Betriebsmittel übernommen hat und im Rahmen der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit zum Einsatz bringt. Hier kann also auch das „Spiel über die Bande“ zu einer Anwendbarkeit von § 613a BGB führen.
6. Tatsächliche Fortsetzung der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit (Ähnlichkeit der ausgeübten Tätigkeit) 4.181
Wesentliches Merkmal eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs ist, dass Veräußerer und Erwerber durch die Beschäftigung von Arbeitnehmern jeweils selbst einen – bezogen auf den Betrieb oder Betriebsteil – gleichartigen Zweck verfolgen, namentlich also die gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt wird. Unerheblich dabei ist, ob die Tätigkeit durch den potenziellen Erwerber nur vorübergehend fortgesetzt wird und sodann eine Stilllegung oder Umstrukturierung erfolgt1. Derselbe Zweck ist nicht erforderlich, soweit die Veränderungen letztlich nur das Service- oder Produktangebot erweitern oder Entwicklungen im Markt oder in der Kundenstruktur Rechnung tragen2. Unerheblich ist auch, wenn bei im Wesentlichen gleicher oder gleichartiger Tätigkeit Zentralabteilungen (z.B. Einkauf, Marketing, HR) oder ergänzend ein zusätzlicher Vertrieb aufgebaut werden3.
4.182
Gegen einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang spricht, wenn die bisherige Tätigkeit der in Rede stehenden Einheit nur erheblich eingeschränkt fortgeführt wird. Dagegen spricht auch, wenn das betriebliche Konzept vollständig verändert und in die eigene Organisationsund Funktionsstruktur eingebunden wird4. Das gilt selbst dann, wenn zuvor alle wesentlichen Arbeitnehmer und/oder Betriebsmittel übernommen wurden5. Denn entgegen der in der Vergangenheit in Literatur6 und Rechtsprechung7 vertretenen Auffassung genügt es für eine Anwendbarkeit von § 613a BGB nicht, wenn der potenzielle Erwerber durch den Erwerb von Betriebsmitteln oder Arbeitnehmern in die Lage versetzt wird, die gleiche oder gleichartige Tätigkeit fortzusetzen. Erforderlich ist, dass beim übernehmenden Rechtsträger tatsächlich die bisherige, jedenfalls aber eine gleichartige betriebliche Tätigkeit in relativ gleichem Umfang ausgeübt wird8. Deshalb stellt auch die Rücknahme wesentlicher Betriebsmittel durch einen Verpächter/Auftraggeber keinen Betriebsübergang dar, wenn dieser den Betrieb nicht selbst fortführen will (Insourcing), sondern die Vergabe an einen anderen Pächter/Auftrag-
1 Vgl. BAG v. 22.5.1985 – 5 AZR 30/84, DB 1985, 2409, 2410; BAG v. 26.2.1987 – 2 AZR 768/85, NZA 1987, 419, 421; Willemsen, RdA 1991, 204, 210. 2 Vgl. BAG v. 25.6.2009 – 8 AZR 258/08, NZA 2009, 1412 Rz. 40 (Erweiterung des Service-Angebots eines Call-Centers). 3 BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 706/11, DB 2013, 1556 Rz. 53. 4 Vgl. BAG v. 25.9.2003 – 8 AZR 421/02, NZA 2004, 316 Rz. 23 (Übernahme eines Schießplatzes der Royal Air Force durch die Bundeswehr). 5 BAG v. 16.2.2006 – 8 AZR 204/05, NZA 2006, 794 Rz. 20; BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 546/10, NZA 2012, 509 Rz. 22; Willemsen, FS Richardi, S. 475, 479. 6 Vgl. nur Schwanda, Betriebsübergang S. 29, 115 ff.; Commandeur, Betriebsübernahme S. 33; D. Gaul, Betriebsübergang S. 58, 64; Bachner, AiB 1996, 291, 296, 298. 7 Vgl. nur BAG v. 27.4.1995 – 8 AZR 197/94, BB 1995, 1800, 1801; BAG v. 19.11.1996 – 3 AZR 394/ 95, BB 1997, 1051, 1052 f. 8 EuGH v. 20.11.2003 – C-340/01, NZA 2003, 1385 Rz. 29 – Carlito Abler; BAG v. 27.9.2012 – 8 AZR 826/11, NZA 2013, 961 Rz. 21; BAG v. 15.11.2012 – 8 AZR 683/11, NJW 2013, 2379 Rz. 36.
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Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.184 § 4
nehmer geplant ist (Auftragsnachfolge). Der neue Pächter/Auftragnehmer kann hier übernehmender Rechtsträger i.S.d. § 613a BGB sein1. Dass für die geänderte Tätigkeiten Schulungen notwendig sind, steht § 613a BGB nicht entgegen (vgl. Rz. 4.151). Dies zeigt auch die in § 111 Satz 3 BetrVG vorgenommene Unterscheidung zwischen der Stilllegung eines Betriebs oder Betriebsteils einerseits und der grundlegenden Änderung des Betriebszwecks andererseits. Allerdings spricht gegen einen Betriebsübergang, wenn der potenzielle Erwerber eine wesentlich andere Betriebstätigkeit verrichtet2 oder die vom bisherigen Betriebsinhaber übernommenen Arbeitnehmer mit völlig anderen Tätigkeiten beschäftigt werden3. In diesem Fall fehlt die für einen Übergang nach § 613a BGB erforderliche Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit4. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Änderungen nicht nur unwesentliche Teile der übernommenen Arbeitnehmer und/ oder Betriebsmittel betreffen5. Dabei ist zu prüfen, ob der Kern der bisherigen Tätigkeit fortgeführt wird; in diesem Fall soll auch eine Änderung der Tätigkeit um 35 % nicht zwingend zur Ablehnung eines Betriebsübergangs führen6. Wie der Umbau einer gutbürgerlichen Gaststätte in ein Restaurant mit arabischen Spezialitäten („Essen wie aus Tausend und einer Nacht“)7, die Veränderung der Produktion („Muster- und Modellschuhe statt Massenproduktion“)8, „Neuorganisierung des Streckengeschäfts“ (Ausgliederung der Auftragsverwaltung)9, der Sortimentswechsel im Einzelhandel („Möbel aus Insolvenzverfahren statt Markenmöbeln“)10, der Wechsel von einer Massenkabelfertigung zu einer Verarbeitung angekaufter Kabel nach individuellen Kundenwünschen11 oder die Veränderung eines Kantinenkonzepts („Aufwärmen statt Selbstkochen“)12 deutlich gemacht haben, die als wesentliche Änderung des Betriebszwecks gekennzeichnet wurden, kann eine solche Änderung allerdings auch innerhalb derselben Branche erfolgen. Erst recht liegt kein Betriebs- und Unternehmensübergang vor, wenn Freizeiträume eines Ferienzentrums eines Vereins oder einer Partei in einen offenen Hotel- und Restaurationsbetrieb umgebaut werden13. Ebenso ist § 613a BGB ausgeschlossen, wenn ein Hotel- und Gastronomiebetrieb in einen Betrieb zur Förderung und Ausbildung überwiegend schwerbehinderter Menschen nach § 215 SGB IX verändert wird14.
4.183
7. Keine Unterscheidung zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Rechtsträgern oder Tendenzträgern Keine Bedeutung für die Anwendbarkeit von § 613a BGB hat die wirtschaftliche Bedeutung einer bestimmten Tätigkeit. Das Ziel, um dessen Willen die Tätigkeit einer organisatorischen
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Vgl. BAG v. 10.5.2012 – 8 AZR 434/11, NZA 2012, 1161 Rz. 41 f. BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 159/98, NZA 1999, 704, 706; B. Gaul, ZTR 1998, 1, 5. Vgl. Schiefer, NZA 1998, 1095, 1099. BAG v. 25.6.2009 – 8 AZR 258/08, NZA 2009, 1412 Rz. 38. Vgl. BAG v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, NZA 2003, 93 ff. BAG v. 22.5.2014 – 8 AZR 1069/12, NZA 2014, 1335 Rz. 58. Vgl. BAG v. 11.9.1997 – 8 AZR 555/95, NZA 1998, 31, 32 f. BAG v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, NZA 2003, 93, 100. BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 648/13, NZA 2015, 167. BAG v. 20.1.2000 – 2 AZR 65/99, NZA 2000, 369; BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 331/05, NZA 2006, 1357. LAG Köln v. 14.9.2005 – 3 Sa 504/05 n.v. Vgl. BAG v. 17.12.2009 – 8 AZR 1019/08, NZA 2010, 499. BAG v. 16.7.1998 – 8 AZR 81/97, NZA 1998, 1233, 1234. LAG Berlin-Brandenburg v. 4.3.2010 – 26 Sa 2407/09, NZA-RR 2011, 13.
Gaul/Bonanni | 127
4.184
§ 4 Rz. 4.184 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
Tätigkeit ausgeübt wird (z.B. Gewinn, Gemeinnützigkeit), ist dem Unternehmen als Rechtsträger zuzuordnen. Ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang kommt daher auch dann in Betracht, wenn die wirtschaftliche Bedeutung einer arbeitstechnischen Zweckbestimmung – für den übernehmenden und den übertragenden Rechtsträger gleichermaßen – von untergeordneter Bedeutung ist1. Berücksichtigt man Art. 94 EG (heute: Art. 115 AEUV) als Grundlage der Richtlinie 2001/23/EG, genügt es, dass in der jeweils in Rede stehenden Einheit eine dem Wirtschaftsleben zuzuordnende Tätigkeit im Sinne von Art. 2 EG (heute: Art. 2 AEUV) verrichtet wird2.
4.185
Ob ein Unternehmen auf Gewinnerzielung gerichtet ist, ist daher einzubeziehen in § 613a BGB. spielt deshalb keine Rolle3. Auch Tendenzunternehmen werden von § 613a BGB erfasst4. Ein Betrieb i.S.d. § 613a BGB, der dem Rechtsträger noch zuzuordnen ist, kann auch innerhalb einer ehrenamtlichen Organisation, einer Gesellschaft in Liquidation5, einem gemeinnützigen Verein6, einem Verband, innerhalb der alliierten Streitkräfte7 oder eines öffentlich-rechtlich organisierten Rechtsträgers (z.B. Gebietskörperschaft, Sparkasse, Anstalt des öffentlichen Rechts)8 oder in einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft oder einer Auffanggesellschaft bestehen, die nicht notwendig auf Gewinnerzielung gerichtet sind.
4.186
Wie auch Art. 1 Abs. 1 lit. c Richtlinie 2001/23/EG noch einmal deutlich macht, werden nur solche Einheiten ausgegrenzt, die hoheitliche Aufgaben wahrnehmen9. Von der Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse ist auszugeben, wenn in einer hinreichend qualifizierten Weise von Sonderrechten, Hoheitsprivilegien oder Zwangsbefugnissen Gebrauch gemacht wird10. Ein Anhaltspunkt für eine wirtschaftliche Tätigkeit liegt vor, wenn die jeweilige Tätigkeit in vergleichbarer Weise auch von Privaten ausgeübt werden könnte11. Dass sie durch den öffentlich-rechtlichen Rechtsträger im allgemeinen Interesse und ohne eigenen Erwerbszweck erbracht wird, steht einer Anwendbarkeit von § 613a BGB nicht entgegen12. Wenn eine bislang
1 EuGH v. 10.12.1998 – C-127/96, C-229/96 und C-74/97, NZA 1999, 253, 254 – Vidal SA, Santner und Montana. 2 Vgl. Schlussantrag des Generalanwalts in der Rechtssache C-127/96 u.a. v. 24.9.1998, EAS RL 77/ 187/EWG Nr. 17 S. 9, dort noch bezogen auf Art. 100 EGV. 3 EuGH v. 14.9.2000 – C-343/98, NZA 2000, 1279 Rz. 30; BAG v. 10.5.2012 – 8 AZR 434/11, NZA 2021, 1161 Rz. 34. 4 Vgl. BAG v. 24.8.2006 – 8 AZR 317/15, NZA 2007, 1287 Rz. 31; BAG v. 20.3.1997 – 8 AZR 856/ 95, BB 1997, 1743, 1744. 5 LAG Berlin v. 2.12.1997 – 3 Sa 82/97 und 83/97 n.v. 6 LAG Rheinland-Pfalz v. 8.2.2017 – 4 Sa 180/16 n.v. Rz. 28. 7 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 21 ff.; BAG v. 25.9.2003 – 8 AZR 421/02, NZA 2004, 316 Rz. 18. 8 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 22; BAG v. 22.5.2014 – 8 AZR 1069/12, NZA 2014, 1335 Rz. 30 ff.; BAG v. 7.9.1995 – 8 AZR 928/93, NZA 1996, 424 ff. 9 Vgl. nur EuGH v. 26.9.2000 – C-175/99, EzA § 613a BGB Nr. 192 S. 3 ff. – Mayeur; BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 22; BAG v. 22.5.2014 – 8 AZR 1069/12, NZA 2014, 1335 Rz. 32. 10 EuGH v. 29.4.2010 – C-160/08, NVwZ 2010, 949 Rz. 79 – Kommission/Deutschland; BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 22; BAG v. 22.5.2014 – 8 AZR 1069/12, NZA 2014, 1335 Rz. 35. 11 Vgl. EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10, NZA 2011, 1077 Rz. 44 – Scattolon; BAG v. 31.1.2019 – 8 AZR 410/13, ZTR 2019, 455 Rz. 116, 125. 12 EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10, NZA 2011, 1077 Rz. 44 – Scattolon; BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 22; BAG v. 22.5.2014 – 8 AZR 1069/12, NZA 2014, 1335 Rz. 35.
128 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.189 § 4
durch die öffentliche Hand ausgeübte Tätigkeit privatisiert wird, also im Anschluss daran durch einen privatrechtlich organisierten Rechtsträger ausgeübt wird, kann dies zur Anwendbarkeit von § 613a BGB führen. Dies gilt zum Beispiel für die Versorgungsdienste für Wasser, Gas und Elektrizität, das öffentliche Gesundheits- und Bildungswesen, der Stadt- und Regionalverkehr, das Facility-Management einer Gemeinde oder öffentlich-rechtlichen Einrichtung, die Forschung für zivile Zwecke, kommunale Kultureinrichtungen wie z.B. Oper und Orchester, ein Schlachthof sowie das Rundfunk- und Fernsehwesen gerechnet werden. Auch die Beendigung einer solchen Fremdvergabe und das anschließende Insourcing kann einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang darstellen1. § 130 BetrVG, der bestimmte öffentlich-rechtliche Rechtsträger von der Geltung des BetrVG ausnimmt, findet bei § 613a BGB keine Anwendung2. Besonderheiten bei Übertragungsvorgängen zwischen öffentlich-rechtlichen Rechtsträgern wird dadurch Rechnung getragen, dass nur die rechtsgeschäftliche Übertragung (vgl. Rz. 5.2) von § 613a BGB erfasst wird3. Entsprechendes gilt für Religionsgemeinschaften, ohne Rücksicht darauf, in welcher Rechtsform sie bestehen (vgl. Rz. 25.96). Außerhalb der besonderen Regelungen des UmwG, die auch für öffentlich-rechtliche Körperschaften zur Anwendung kommen, gelangt § 613a BGB insoweit vor allem bei der privatisierenden Übertragung einzelner Bereiche auf externe Dritte (Outsourcing) zum Tragen4.
4.187
8. Keine wesentliche Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit Betriebsübergang und Betriebsstilllegung schließen sich grundsätzlich aus. Schon dies macht erkennbar, dass die Dauer einer etwaigen Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt im Rahmen der Gesamtabwägung bei der Frage einer Anwendbarkeit von § 613a BGB ist5. Denn ein Betrieb oder Betriebsteil, der wegen seiner Stilllegung nicht mehr existent ist, kann grundsätzlich nicht (mehr) Gegenstand einer Übertragung auf Dritte sein. Dies gilt unabhängig davon, ob die Stilllegung durch den bisherigen Betriebsinhaber oder einen Dritten, der die Betriebsmittel ohne das Ziel einer Fortsetzung der Betriebstätigkeit erworben hat (z.B. Verpächter einer Gaststätte), bewirkt wird.
4.188
Voraussetzung für die Annahme einer Stilllegung ist aber, dass zum Zeitpunkt der Übernahme wesentlicher Betriebsmittel und/oder Arbeitnehmer nicht nur eine vorübergehende Einstellung der betrieblichen Tätigkeit gegeben ist. Vielmehr muss die Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls so erheblich sein, dass organisatorisch von einer Auflösung der bestehenden Strukturen und wirtschaftlich von einer Neugründung durch den späteren Erwerber der Betriebsmittel gesprochen werden muss. Auf Veranlassung des bisherigen Inhabers muss die betriebliche Tätigkeit für eine nicht absehbare Zeit vollständig eingestellt worden sein, so dass von einer endgül-
4.189
1 BAG v. 25.8.2016 – 8 AZR 53/05 n.v.; Forst, ZESAR 2016, 192 ff.; BAG v. 10.5.2012 – 8 AZR 434/ 11, NZA 2012, 1161 Rz. 35; 2 BAG v. 7.9.1995 – 8 AZR 928/93, NZA 1996, 424, 426. 3 BAG v. 4.3.1993 – 2 AZR 507/92, NZA 1994, 260, 263. 4 Vgl. BAG v. 22.8.1996 – 2 AZR 5/96, ZTR 1997, 190; Sächsisches LAG v. 8.3.1996 – 3 Sa 77/96, NZA-RR 1997, 4, 5; Bolck, ZTR 1994, 14, 16. 5 Vgl. nur EuGH v. 2.12.1999 – C-234/98, NZA 2000, 587, 589 – Allen; BAG v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, NZA 1997, 1050, 1052 f.
Gaul/Bonanni | 129
§ 4 Rz. 4.189 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
tigen Stilllegung des Betriebs oder Betriebsteils ausgegangen werden muss1. Dass die Arbeitnehmer während einer Unterbrechung entlassen werden, also die Arbeitsverhältnisse beendet sind, ist nicht entscheidend.
4.190
Ist eine wesentliche Unterbrechung erfolgt, gibt es keine (wirtschaftliche) Einheit mehr, die übertragen werden könnte2. Dies gilt selbst dann, wenn im Anschluss daran die wesentlichen Arbeitnehmer und/oder Betriebsmittel übernommen werden, um durch den potenziellen Erwerber die gleiche oder gleichartige Tätigkeit fortzusetzen.
4.191
Eine feste Grenze, von der an die Dauer der Unterbrechung einer betrieblichen Tätigkeit das Vorliegen eines Betriebsübergangs ausschließt, gibt es nicht. Berücksichtigt man die Überlegungen im Zusammenhang mit einer Kündigung wegen vorübergehender Betriebsstilllegung (vgl. Rz. 4.188 f.), müssen die branchen- und betriebsbezogenen Auswirkungen einer solchen Unterbrechung einbezogen werden3. Schließlich beeinflusst die Dauer der Unterbrechung vor allem die Frage, ob Beziehungen des bisherigen Inhabers zu Kunden und Lieferanten fortgeführt4 und/oder das Good-will eines Unternehmens durch den neuen Rechtsträger übernommen werden. Dauert die Unterbrechung zu lang, müssen solche Verbindungen insbesondere im Bereich des Handels und der kurzfristigen Dienstleistungen neu aufgebaut werden. Wenn es sich um fortlaufend notwendige Tätigkeiten handelt (z.B. Reinigung, Bewachung, Catering), sind die potenziellen Kunden in der Regel bereits alternative Bindungen zu anderen Dienstleistern eingegangen. Nur ein Produktionsbetrieb kann u. U. zunächst einmal „auf Lager“ produzieren, also auch ohne einen erfolgreichen Vertrieb den arbeitstechnischen Zweck nach einer Unterbrechung weiterverfolgen5.
4.192
Dauert die Unterbrechung länger als jede gesetzliche Kündigungsfrist, wird man darin zwar ein wesentliches Indiz gegen einen Betriebsübergang sehen müssen6. Vergleichbar damit hatten Preis/Steffan7 bei einer Unterbrechung von mehr als vier Monaten „im Zweifel“ einen Betriebsübergang abgelehnt. Lunk8 nimmt eine „Faustregel“ von sechs Monaten an, nach der von einer Betriebsstilllegung ausgegangen werden könne. Umgekehrt war eine Anwendbarkeit von § 613a BGB im Zweifel nicht bereits abgelehnt worden, wenn die Beendigung der Betriebstätigkeit für nicht mehr als drei Monate erfolgt wäre. Umgekehrt war eine Anwendbarkeit von § 613a BGB im Zweifel nicht bereits abgelehnt worden, wenn die Beendigung der Betriebstätigkeit für nicht mehr als drei Monate erfolgt war9. Entscheidend sind allerdings 1 EuGH v. 17.12.1987 – C-287/86, EAS RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 3 S. 12 – Ny Molle Kro; EuGH v. 15.6.1988 – C-101/87, EAS RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 5 S. 25 – Bork. 2 von Alvensleben, Betriebsübergang im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 187 f. 3 Fuhlrott/Salamon, BB 2012, 1793, 1794. 4 Vgl. BAG v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, NZA 1996, 1050, 1052. 5 Loritz, Anm. zu BAG v. 3.7.1986 – 2 AZR 68/85, AP Nr. 53 zu § 613a BGB Bl. 11 f. 6 Vgl. EuGH v. 7.8.2018 – C-472/16, NZA 2018, 1132 Rz. 41 f. – Colino Sigüenza; Preis/Steffan, DB 1998, 309, 314. 7 DB 1998, 309, 314, dort allerdings unter Bezugnahme auf die Vier-Monats-Frist des BeschFG, das aufgehoben und zum v. 1.1.2001 durch das TzBfG ersetzt wurde. 8 FS Deutscher Anwaltsverein, S. 645, 664. 9 So LAG Berlin v. 17.11.1986 – 9 Sa 77/86, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 9 S. 11; Etzel, GK-KR KSchG § 15 Rz. 89 f. Abweichend hiervon hat das LAG Köln im Urteil v. 2.10.1997 – 10 Sa 643/97, LAGE § 613a BGB Nr. 67 S. 3 f.) die vorübergehende Stilllegung einer Kindertagesstätte für die Dauer von etwa drei Monaten ausreichen lassen, da die Kinder in der Zwischenzeit anderweitig versorgt waren. Auch Loritz, RdA 1987, 65, 71, hat Zweifel, ob ein Betrieb, der zwei Monate stillgelegt war, tatsächlich beim Übergang noch ein Betrieb i.S.d. § 613a Abs. 1 BGB sei.
130 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.194 § 4
auch hier die Umstände des Einzelfalls. Insofern wird man – wie auch die gesetzlichen Regelungen zur Kurzarbeit deutlich machen – auch bei längeren Unterbrechungen ggf. noch keine Stilllegung annehmen dürfen. Umgekehrt kann es allerdings auch Fälle geben, bei denen man schon nach kürzerer Zeit von einer wirtschaftlich erheblichen Unterbrechung ausgehen muss. Denn die organisatorische Zusammenfassung von Arbeitnehmern und Betriebsmitteln zu einem Betrieb oder Betriebsteil hängt hinsichtlich der Dauerhaftigkeit ihrer Verbundenheit nicht davon ab, ob innerhalb des Betriebs oder Betriebsteils durchschnittlich kürzere oder längere Kündigungsfristen zur Anwendung kommen. Andernfalls würden Betriebe oder Betriebsteile mit jüngeren Arbeitnehmern und kürzeren Kündigungsfristen schneller aus dem Anwendungsbereich von § 613a BGB ausgegrenzt. Branchenbezogen hat die Rechtsprechung insoweit in folgenden Fallgestaltungen ein wichtiges Indiz gegen das Vorliegen eines Betriebsübergangs gesehen1:
4.193
– Einzelhandel: 9 Monate (oder: zwei umsatzstarke Verkaufsperioden) Einstellung jeder Verkaufstätigkeit (Modegeschäft)2, – Filmtheater: 10-monatige Einstellung3, – Gaststätte: Umbau von mehr als 5 Monaten4 bzw. fast einem 3/4 Jahr5; Einstellung der Tätigkeit für 16 Monate6 oder – Intensivmobile: Unterbrechung für 1 1/2 Jahre und Wiederaufnahme im Rahmen einer neuen Betriebsorganisation7. In folgenden Fällen wurde keine Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit für eine wirtschaftlich erhebliche Dauer angenommen: – Bowlingbahn: Stilllegung für 4 Monate8, – Großhandel: 10 Tage ohne Tätigkeit9, – Maschinenbau: 3 1/2 Monate Kurzarbeit Null10, – Möbelprofilfabrik: 14-tägiger Produktionsstillstand11, – Musikschule: 6 Monate12 oder – Theater: Einstellung für eine Spielzeit (1 Jahr)13.
1 Weitere Beispiele finden sich bei Pietzko, Tatbestand des § 613a BGB S. 78 f. 2 BAG v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, NZA 1997, 1050, 1052. 3 LAG Berlin v. 17.11.1986 – 9 Sa 77/86, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 9 S. 10, 12. 4 BAG v. 11.9.1997 – 8 AZR 555/95, NZA 1998, 31, 33. 5 BAG v. 27.4.1995 – 8 AZR 200/94, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 83 S. 2 f. 6 Vgl. LAG Köln v. 10.4.1997 – 5 Sa 454/96, LAGE § 613a BGB Nr. 63 S. 5. 7 Vgl. LAG Köln v. 26.2.1998 – 5 (7) Sa 1336/97, NZA-RR 1999, 27, 28. 8 BAG v. 3.7.1986 – 2 AZR 68/85, AP Nr. 53 zu § 613a BGB Bl. 1. 9 Thüringer LAG v. 14.11.2000 – 5 Sa 55/99, NZA-RR 2001, 121, 127. 10 ArbG Lübeck v. 8.3.2011 – 6 Ca 2752/10 n.v. 11 BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 296/10, DB 2012, 1619 Rz. 47. 12 EuGH v. 7.8.2018 – C-472/16, NZA 2018, 1132 Rz. 17 ff., 41 f. – Colino Sigüenza. 13 LAG Berlin v. 3.9.1998 – 14 Sa 67/98, NZA-RR 1998, 530, 531.
Gaul/Bonanni | 131
4.194
§ 4 Rz. 4.195 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
9. Bedeutung von Lage und räumlicher Veränderung a) Bedeutung der Lage für die Kennzeichnung eines Betriebs oder Betriebsteils
4.195
Die räumliche Zusammenfassung ist zwar ein Indiz für das Vorliegen einer betrieblichen Einheit1. Allerdings wird man ohne Rücksicht auf die räumliche Nähe stets eine bewertende Betrachtung vorzunehmen haben. Denn maßgeblich bleibt die funktionale und arbeitsorganisatorische Zuordnung des Arbeitnehmers. Andernfalls wäre die Wirkung einer Betriebsorganisation weitgehend aufgehoben
4.196
Auch bei räumlicher Nähe, was zum Beispiel bei aufeinanderfolgenden Produktions- oder Dienstleistungsprozessen der Fall sein kann, können deshalb unterschiedliche Einheiten bestehen2. Erforderlich ist nur, dass durch die Funktion der Tätigkeit eines Arbeitnehmers und seine hierarchische Einbindung eine Zuordnung zu einem bestimmten Bereich vorgenommen werden kann. Ist dieser Bereich, wie aufgezeigt, in der Lage, weitgehend autonom einen oder mehrere Betriebszwecke zu verfolgen, liegt eine abgrenzbare Teileinheit i.S.d. § 613a BGB vor. Umgekehrt kann auch bei räumlich weiter Entfernung eine einzige Einheit gegeben sein, deren Übergang nach § 613a BGB in Rede steht. Denn auch bei getrennt liegenden Arbeitsstätten kann durch eine einheitliche Ausübung der Leitungsmacht und das arbeitsteilige Zusammenwirken der Mitarbeiter eine organisatorische Einheit bestehen. Hier gelten als die gleichen Überlegungen wie im Kündigungsrecht (vgl. Rz. 15.9 ff).
4.197
Beispielhaft sei hier nur auf die Situation großer Reinigungs- und Bewachungsunternehmen verwiesen, die in verschiedenen Objekten einzelne Arbeitnehmer und Arbeitnehmergruppen zum Einsatz bringen, den Einsatz aber zentral steuern (z.B. Kontrollgänge oder Kontrollanrufe durch Einsatzleiter)3. Trotz räumlich unterschiedlicher Einsatzbereiche kann insoweit ein einheitlicher Betrieb i.S.d. § 613a BGB vorliegen, also eine organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Unternehmer bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt4. Umgekehrt können verschiedene Objekte – ohne Rücksicht auf ihre Entfernung – je nach Lage und Größe innerhalb eines bestimmten Bezirks jeweils in ihrer Gesamtheit einen Betrieb und einzelne Objekte einen Teil dieses Betriebs bilden. Dies ist der Fall, wenn die Leitungsmacht zur Verfolgung des arbeitstechnischen Zwecks nicht von der Zentrale des Unternehmens, sondern dezentral bzw. regional ausgeübt wird. Wenn ein Arbeitnehmer mit einem bestimmten Teil seiner Arbeitszeit einer bestimmten Einheit angehört, hat dies zur Folge, dass sein Arbeitsverhältnis mit dem insoweit in Rede stehenden Teil kraft Gesetzes auf den potenziellen Erwerber übergeht5. Umgekehrt ist auch die Übertragung einer betriebsübergreifenden Tätigkeit, die weder an einen Betrieb noch an einen Betriebsteil gebunden ist, nicht in den Anwendungsbereich von § 613a BGB einzubeziehen6.
4.198
Vergleichbar mit dem kündigungsschutzrechtlichen Betriebsbegriff ist auch bei § 613a BGB maßgeblich auf die tatsächliche Leitungsmacht anzustellen. Wenn die Leitungsmacht funktionsbezogen im Hinblick auf die wesentlichen personellen und sozialen Fragen tatsächlich
1 EFTA-Gerichtshof v. 25.9.1996 – E-2/95, EAS RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 11a S. 9 – Eidesund. 2 BAG v. 6.4.2006 – 8 AZR 222/04, NZA 2006, 723 Rz. 28. 3 Vgl. BAG v. 29.9.1988 – 2 AZR 107/88, AP Nr. 76 zu § 613a BGB Bl. 3 f.; LAG Hamm v. 8.10.1996, LAGE § 613a BGB Nr. 53 S. 6. 4 BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 333/04, NZA 2006, 31. 5 Vgl. EuGH v. 26.3.2020 – C-344/18, NZA 2020, 503 Rz. 38 – ISS Facility Services. 6 So LAG Berlin v. 7.9.1993 – 12 Sa 71/93, LAGE § 613a BGB Nr. 33 S. 2 ff. (für das Betreiben mehrerer Flugstrecken, das innerhalb eines Konzerns eingestellt bzw. verlagert wird).
132 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.200 § 4
ausgeübt wird, können Arbeitnehmer auch dann einer Einheit zuzuordnen sein, wenn sie ohne eine räumliche Zusammenfassung tätig werden. Beispielhaft sei nur auf die Situation von Außendienstmitarbeitern verwiesen, deren Betriebszugehörigkeit im Betriebsverfassungsrecht1 ebenso wie im Kündigungsschutzrecht2 zweifelsfrei ist. Denkbar ist auch, dass sie in unterschiedlichen Abteilungen tätig sind, aber durch die funktionale Verknüpfung ihrer Arbeitsprozesse übergreifend gesteuert werden und deshalb eine Einheit im Sinne des § 613a BGB bilden. Hiervon ist im Anschluss an den EuGH vom 12.2.20093 auszugehen4. Allerdings besitzt die Frage einer räumlichen Eingrenzung im Rahmen von § 613a BGB bereits deshalb kein besonderes Gewicht, weil schon das Vorliegen eines Betriebsteils genügt, um die gesetzliche Regelung anzuwenden. Hierfür genügt es aber, wenn Arbeitnehmer – ortsbezogen oder ortsübergreifend – von einer Stelle aus gesteuert werden. Da diese Steuerung ohne weiteres auch durch eine Führungskraft geleistet werden kann, die die Personaleinsatzplanung innehat, führt schon dies zur Entstehung eines Betriebsteils. Für das Kündigungsrecht wäre dies unerheblich, weil der Betriebsteil hier keine Rolle spielt. b) Bedeutung räumlicher Veränderungen für die Anwendbarkeit von § 613a BGB Zum Teil wird der Betrieb durch die „räumliche Verbundenheit“ von Arbeitnehmern gekennzeichnet5. Vergleichbar damit geht ein Teil des Schrifttums davon aus, dass die Fortsetzung der gleichen Tätigkeit durch einen anderen Rechtsträger in denselben Räumlichkeiten für einen Betriebsübergang spreche6, wohingegen eine Verlagerung den Betrieb in seinem Bestand auflösen könne7. Insbesondere bei einer Übertragung von Betrieben und Betriebsteilen ins Ausland komme § 613a BGB deshalb in der Regel nicht zur Anwendung (vgl. Rz. 8.30)8.
4.199
Eine solche Verknüpfung des Fortbestands eines Betriebs mit seiner räumlichen Lage ist abzulehnen. Vielmehr geht die Ähnlichkeit einer betrieblichen Tätigkeit und damit die Identität einer wirtschaftlichen Einheit nicht bereits dadurch verloren, dass ein Betrieb oder Betriebsteil verlegt wird9. § 613a BGB kann auch dann vorliegen, wenn der Betrieb oder Betriebsteil an einen anderen Standort verlegt wird10. Dies gilt auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten (vgl. Rz. 8.31). Das zeigt auch § 111 BetrVG, der bei seiner Kennzeichnung der Betriebsänderung im Wege einer Verlegung des Betriebs oder eines Betriebsteils von der Voraussetzung ausgeht, dass der Betrieb oder Betriebsteil einer Verlegung fortbesteht. Grundsätzlich ist der Betrieb nicht an einen bestimmten Ort gebunden. Nur wenn der Betriebszweck wesentlich geändert oder die betriebliche Organisation im Zusammenhang mit einer Verlage-
4.200
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Vgl. DKK/Trümner, § 5 BetrVG Rz. 36 ff. Vgl. KR/Weigand, § 23 KSchG Rz. 36 ff. EuGH v. 12.2.2009 – C-466/07, NZA 2009, 251 Rz. 53 – Klarenberg. Ebenfalls BAG v. 22.1.2009 – 8 AZR 158/07, NZA 2009, 905 Rz. 19; BAG v. 17.12.2009 – 8 AZR 1019/08, NZA 2010, 499 Rz. 17, 20 f. Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 241 ff., 246, 248 ff., 251, 301, 397. So Bachner, AiB 1996, 291, 296. Vgl. Blomeyer, Anm. zu EuGH v. 14.4.1994 – C-392/92, EzA § 613a Nr. 114 S. 16 – Schmidt; Schiefer, NJW 1995, 160, 163; Willemsen, DB 1995, 924, 926. Vgl. BAG v. 20.4.1989 – 2 AZR 431/88, DB 1989, 2334; LAG Berlin v. 8.9.1998 – 6 Sa 53/98 n.v.; Däubler, FS Kissel, S. 129 ff. BAG v. 25.6.2009 – 8 AZR 258/08, NZA 2009, 1412 Rz. 43; Hanau, FS Küttner, S. 357, 362. BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, NZA 2011, 1143 Rz. 36, 38.
Gaul/Bonanni | 133
§ 4 Rz. 4.200 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
rung aufgelöst wird, kann eine Stilllegung vorliegen1. Diese schließt dann wiederum, wenn sie zuvor oder gleichzeitig erfolgt, das Vorliegen eines Betriebsübergangs aus.
4.201
Voraussetzung für das Vorliegen einer Betriebsstilllegung trotz räumlicher Veränderungen ist, dass die alte Betriebsorganisation tatsächlich aufgelöst und der Aufbau einer im Wesentlichen neuen Organisation erfolgt2. Diese Maßnahmen müssen die Identität zwischen der alten und der neuen Belegschaft verhindert haben. Folgerichtig hat das LAG Düsseldorf im Urteil vom 16.2.19953 darauf hingewiesen, dass die Organisation des Betriebs und seine Funktionsfähigkeit weitgehend von dem quantitativen und qualitativen Personalbestand abhänge, wobei entweder einzelne Arbeitnehmer aufgrund ihres besonderen Know-hows, fachspezifischer Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen, der Leistungsstärke und Zuverlässigkeit oder Gruppen von Arbeitnehmern (eingespielte Teams) oder die (Stamm)-Belegschaft den Betrieb tragen könnten. Stünden diese Arbeitnehmer am neuen Ort nicht (mehr) zur Verfügung, müsse der Erwerber um die übernommenen Produktionsmittel eine neue Betriebsorganisation mit wesentlich anderer Personalstruktur aufbauen. In diesem Fall sei weder von einem Betriebsübergang noch einer Betriebsverlegung, sondern – bezogen auf den übertragenden Rechtsträger – von einer Betriebsstilllegung auszugehen4.
4.202
Dem ist zuzustimmen. Es überzeugt deshalb nicht, wenn das LAG Nürnberg im Urteil vom 22.7.19965 die Ansicht vertritt, dass bereits eine Verlegung des Betriebssitzes von Würzburg nach Karlsstatt (ca. 25 km) eine so wesentliche Änderung darstelle, dass eine Identität zwischen der beim bisherigen Arbeitgeber bestehenden Einheit und der durch einen Dritten am neuen Betriebssitz betriebenen Einheit nicht mehr gegeben sei. Mit dieser Entscheidung unterstellt das LAG Nürnberg nicht nur eine lebensfremde Unbeweglichkeit von Arbeitnehmern. Es übersieht auch den Umstand, dass § 613a BGB eine Aufrechterhaltung des Betriebs sichern will. Insoweit kann der Rechtsträgerwechsel allein aus der Verlegung eines Betriebs keine Stilllegung machen. Deutlich wird dies insbesondere dann, wenn die Verlegung erst im Anschluss an den Betriebsübergang vollzogen wird. Wenn der andere Rechtsträger die wesentlichen Betriebsmittel übernimmt und die gleiche oder gleichartige Tätigkeit fortsetzt, ist – vergleichbar mit Fallgestaltungen ohne Rechtsträgerwechsel – aber auch bei gleichzeitiger Umsetzung (nur) von einer Verlegung, keiner Stilllegung des Betriebs auszugehen.
4.203
Auch bei einer Verlegung an weit entfernte Orte kann deshalb nicht ohne weiteres von einer Betriebsstilllegung ausgegangen werden. Berechtigterweise hält das BAG bei einer „erheblichen räumlichen Entfernung“ zwischen „alter“ und „neuer“ Betriebsstätte eine identitätswahrende Übertragung nur für zweifelhaft, nicht aber für zwingend6. Das zeigt auch die Anerkennung eines grenzüberschreitenden Betriebsübergangs (vgl. Rz. 8.3). Entscheidend ist, ob 1 Vgl. BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, NZA 2011, 1143 Rz. 31 ff.; Franzen, Betriebsinhaberwechsel, S. 42. 2 Vgl. BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86, AP Nr. 67 zu § 613a BGB Bl. 3, 4, das insoweit indes von „Betriebsgemeinschaft“ spricht; Herschel/Löwisch, § 15 KSchG Rz. 46; KR/Etzel, § 15 KSchG Rz. 79. 3 LAG Düsseldorf v. 16.2.1995 – 12 Sa 1925/94, NZA-RR 1996, 241 f. (Verkauf von Betriebsmitteln ins Ausland). 4 Ebenso LAG Hamm v. 28.1.1997 – 4 Sa 141/96 n.v.; LAG Berlin v. 18.9.1998 – 6 Sa 53/98 n.v. (Verlagerung von Betriebsmitteln und Know-how von Berlin nach Tschechien, dort 80 km östlich von Karlsbad). 5 LAG Nürnberg v. 22.7.1996 – 7 Sa 981/95 n.v. 6 Vgl. BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, NZA 2011, 1143 Rz. 36, da seine Wegstrecke von 59 km (einfache Entfernung), die in einer knappen Autostunde zu bewältigen sei, für unerheblich hält.
134 | Gaul/Bonanni
Merkmale eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs | Rz. 4.205 § 4
und inwieweit auf Arbeitnehmerseite die Bereitschaft besteht, auch an einem anderen Ort die bisherige Tätigkeit fortzusetzen. Ob eine (vertragliche) Verpflichtung zur Weiterarbeit an einem anderen Ort besteht, ist unerheblich1. Andernfalls würde jedes Erfordernis einer Änderungskündigung zur Veränderung der örtlichen Lage eines Betriebs dessen Stilllegung auslösen. Damit ist von einem Betriebsübergang auszugehen, wenn alle wesentlichen Betriebsgrundlagen oder Teile davon funktionsfähig an einen anderen Ort überführt werden oder – insbesondere im Dienstleistungsbereich – dort die nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Arbeitsverhältnisse fortbestehen, die die Identität der bisherigen Betriebsgemeinschaft wahren2. Wird die Verlegung noch durch den bisherigen Betriebsinhaber vorgenommen, erwirbt der übernehmende Rechtsträger dann den verlegten Betrieb3. Verzichtet der übertragende Rechtsträger auf die Verlegung, kann die Maßnahme erst durch den Erwerber erfolgen. Dies gilt auch für Änderungskündigungen, die erforderlich sind, falls die mit dem übertragenden Rechtsträger abgeschlossenen Verträge keinen Einsatz am neuen Arbeitsort zulassen. Zutreffenderweise ist der Fortbestand eines Betriebs an die Beibehaltung des bisherigen Standorts nur dann gebunden, wenn er der Natur der Tätigkeit nach an diesen Standort gebunden ist4. Besonderheiten können sich darüber hinaus branchenbezogen aus der Bedeutung der Geschäftslage ergeben (z.B. Einzelhandel). Vor diesem Hintergrund wird man bei wesentlichen räumlichen Veränderungen eine Einschränkung der Anwendbarkeit von § 613a BGB vornehmen müssen, wenn nur ein nach Zahl und Sachkunde unwesentlicher Teil der Belegschaft bereit ist, die bisherige Tätigkeit für einen anderen Rechtsträger an einem anderen Ort fortzusetzen. Dies gilt auch dann, wenn diese Weigerung in Form eines Widerspruchs gegen den vermeintlichen Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen anderen Rechtsträger erklärt wird. Wenn über die Einstellung dieser Arbeitnehmer hinaus keine weiteren Indizien für die Annahme eines Betriebsübergangs (z.B. Übertragung von materiellen und immateriellen Betriebsmitteln) vorliegen, fehlt es nämlich an einer Identität des bei den beteiligten Rechtsträgern jeweils bestehenden Betriebs. Vielmehr ist der potenzielle Erwerber gehalten, unter Verwendung anderweitig erworbener Betriebsmittel und im Anschluss an die Neueinstellung anderer Arbeitnehmer eine eigene betriebliche Organisation aufzubauen. Dass er mit dieser die gleiche oder eine gleichartige Tätigkeit wie der bisherige Betriebsinhaber verrichtet, spielt keine Rolle. Die darin liegende Funktionsnachfolge genügt, wenn keine anderen Kriterien erfüllt sind, noch nicht für die Annahme eines Betriebsübergangs.
4.204
10. Bedeutung des Inhalts der Arbeitsverträge Entgegen der zum Teil vertretenen Auffassung5 spielt es für eine Anwendbarkeit von § 613a BGB keine Rolle, wenn Arbeitnehmer nach der Verlegung eines Betriebs nur noch aufgrund einer Änderung ihres Arbeitsvertrags verpflichtet werden könnten, die Tätigkeit am neuen Betriebssitz fortzusetzen6. Die abweichende Auffassung lässt nicht nur den Grad der indivi1 LAG Hamm v. 22.8.1996 – 4 Sa 322/96 n.v.; Hassenpflug, Kündigung von Betriebsratsmitgliedern, S. 36; KR/Etzel, § 15 KSchG Rz. 85. 2 Vgl. WHSS/Schweibert, Umstrukturierung, C Rz. 33, die auf die Bedeutung der am anderen Ort beschäftigten Belegschaft abstellt und als Indikator auf den Ausbildungsstand und die Fluktuation des Personals verweist. 3 BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86, AP Nr. 67 zu § 613a BGB Bl. 3, 4. 4 BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86, AP Nr. 67 zu § 613a BGB Bl. 3, 4. 5 LAG Nürnberg v. 22.7.1996 – 7 Sa 981/95 n.v.; LAG Berlin v. 18.9.1998 – 6 Sa 53/98 n.v. 6 Ebenso LAG Hamm v. 22.8.1996 – 4 Sa 322/96 n.v.; KR/Etzel, § 15 KSchG Rz. 85.
Gaul/Bonanni | 135
4.205
§ 4 Rz. 4.205 | Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613a BGB
dualrechtlichen Änderungen völlig unberücksichtigt. Wenn nämlich, weil Direktionsklauseln fehlen, jede kleinste Änderung der Vertragspflichten durch Änderungskündigung oder -vereinbarung umgesetzt werden muss, läge, wenn dies die überwiegende Zahl der Arbeitnehmer beträfe, stets eine Betriebsstilllegung vor. Eine solche Betrachtungsweise steht auch im Widerspruch zu der Annahme, dass auch die Änderung des Betriebszwecks nicht schon dann zu einer Betriebsstilllegung führt, wenn sie auf individualrechtlicher Ebene nur im Wege von Änderungskündigungen durchsetzbar ist. Andernfalls würde der Tatbestand der Verlegung eines Betriebs bzw. der grundlegenden Änderung des Betriebszwecks in § 111 Satz 3 Nr. 2, 4 BetrVG gegenüber der Stilllegung nach § 111 Satz 2 Nr. 1 BetrVG jedwede Bedeutung verlieren.
4.206
Letztlich kommt es deshalb auf die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen nicht an. Es ist ohne weiteres denkbar, dass der Betrieb nach seiner Übertragung gemäß § 613a BGB erst im Anschluss an den Ausspruch von Änderungskündigungen fortgesetzt werden kann. Dass diese auch im Anwendungsbereich von § 613a BGB nicht ausgeschlossen sind, zeigt schon § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB.
11. Prozessuale Geltendmachung eines Betriebsübergangs 4.207
Wenn ein Arbeitnehmer den vermeintlichen Erwerber eines Betriebs- oder Betriebsteils in Anspruch nimmt, muss er die Voraussetzungen einer Anwendbarkeit von § 613a BGB und seiner organisatorischen Zuordnung zu dem vom Übertragungsvorgang betroffenen Betrieb oder Betriebsteil darlegen und ggf. auch beweisen1. Etwas anderes kann allerdings dann gelten, wenn der bisherige Betriebsinhaber eine betriebsbedingte Kündigung mit der Absicht einer Stilllegung begründet, obwohl Arbeitnehmer und/oder Betriebsmittel von einem anderen Rechtsträger übernommen worden und in vergleichbarer Weise durch den übernehmenden Rechtsträger eingesetzt worden sind. Hier obliegt es dem Arbeitgeber, darzulegen und ggf. zu beweisen, dass die Veräußerung zum Zeitpunkt der Kündigung nicht bereits voraussehbar oder gar geplant war (vgl. Rz. 17.55). Denn die Wiederaufnahme der betrieblichen Tätigkeit durch den Erwerb wesentlicher Ressourcen begründet eine tatsächliche Vermutung gegen eine ernsthafte Absicht, den Betrieb stillzulegen2.
4.208
Eine bestimmte Frist zur Geltendmachung eines bei dem Erwerber eines Betriebs oder Betriebsteils bestehenden Arbeitsverhältnisses gibt es nicht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Fortbestand nicht von der Unwirksamkeit einer Kündigung abhängig ist, die in den Grenzen von §§ 4, 7 KSchG angegriffen werden müsste (vgl. Rz. 17.211). Insofern kann ein Arbeitnehmer in den Grenzen der Verwirkung geltend machen, dass ein anderer Rechtsträger gemäß § 613a BGB in das Arbeitsverhältnis eingetreten ist3. Der erfolgreichen Geltendmachung der daraus folgenden Ansprüche können allerdings Ausschluss- oder Verjährungsfristen entgegenstehen (vgl. Rz. 9.132 ff., 9.174 f.).
4.209
Richtige Klageart ist die Feststellungsklage. Hierbei handelt es sich um Rechtsverhältnis i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO, an dessen Feststellung der Arbeitnehmer gegenüber dem Übernehmer des
1 BAG v. 27.9.2012 – 8 AZR 826/11, NZA 2013, 961 Rz. 22; BAG v. 15.11.2012 – 8 AZR 683/11, NJW 2013, 2379 Rz. 22. 2 Vgl. BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 75 ff.; BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/ 10, NZA-RR 2012, 465 Rz. 41. 3 BAG v. 18.12.2003 – 8 AZR 621/02, BB 2004, 1634, 1635.
136 | Gaul/Bonanni
Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB | § 5
Betriebs ein Interesse hat1. Das besondere Feststellungsinteresse besteht, da der Antrag auf die Feststellung des Bestands eines Arbeitsverhältnisses gerichtet ist. Einer solchen Klage steht auch nicht eine – ggf. sogar gegen den gleichen Arbeitgeber/Beklagten erhobene – Leistungsklage wegen deren Vorrangs gegenüber der Feststellungsklage entgegen. Den von einem in Frage stehenden Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmern steht es frei, den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses gegenüber den verschiedenen in Betracht kommenden Arbeitgebern geltend zu machen und daneben auch Leistungsklagen auf Entgeltzahlung zu erheben. Die Feststellungsklage zum Bestand eines Arbeitsverhältnisses mit einem bestimmten Arbeitgeber betrifft, auch wenn sie gegenüber mehreren in Betracht kommenden Arbeitgebern erhoben wird, einen unterschiedlichen Streitgegenstand, erst recht gilt dies für eine auf Entgeltzahlung gerichtete Zahlungsklage. Die auf den Bestand eines Arbeitsverhältnisses gerichtete Feststellungsklage ist nicht nur Grundlage für Zahlungsansprüche, sondern für eine ganze Reihe weiterer verschiedener gegenseitiger Ansprüche2.
§5 Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB
A. Grundkonzeption der gewillkürten Übertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Keine Übertragung durch Gesetz oder staatlichen Hoheitsakt . . . . . . . C. Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsgeschäfte zwischen altem und neuem Betriebsinhaber . . . . . . . . . . . II. Erwerb von Betriebsmitteln unter Einbeziehung Dritter . . . . . . . . . . . . . III. Übergang durch Einstellung/Abwerbung von Personal . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Sachgründung oder Sacheinlage als rechtsgeschäftlicher Übertragungsvorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Übertragung im Rahmen der Realteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Übertragung von Geschäftsanteilen bzw. Gesellschaftsanteilen (share deal) 1. Austausch von Gesellschaftern . .
5.1 5.2 5.6
VII.
VIII.
5.7 5.16
D.
5.20
I. II.
5.32 5.38 E. 5.39
F.
2. Personengesellschaft: Reduzierung auf einen einzigen Gesellschafter (Anwachsung) . . . . . . . . Übertragung im Rahmen der Zwangsverwaltung bzw. -versteigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übertragungsvorgänge im Zusammenhang mit Privatisierungsvorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonstige Übertragungen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellungnahme 1. Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übertragung einzelner Vermögensgegenstände . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . Unwirksamkeit des Übertragungsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung der Ergebnisse .
5.45
5.48
5.50
5.55
5.58 5.64 5.71 5.72 5.80
1 BAG v. 10.5.2012 – 8 AZR 434/11, NZA 2012, 1161 Rz. 22. 2 BAG v. 10.5.2012 – 8 AZR 434/11, NZA 2012, 1161 Rz. 22.
Gaul/Bonanni | 137
Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB | § 5
Betriebs ein Interesse hat1. Das besondere Feststellungsinteresse besteht, da der Antrag auf die Feststellung des Bestands eines Arbeitsverhältnisses gerichtet ist. Einer solchen Klage steht auch nicht eine – ggf. sogar gegen den gleichen Arbeitgeber/Beklagten erhobene – Leistungsklage wegen deren Vorrangs gegenüber der Feststellungsklage entgegen. Den von einem in Frage stehenden Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmern steht es frei, den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses gegenüber den verschiedenen in Betracht kommenden Arbeitgebern geltend zu machen und daneben auch Leistungsklagen auf Entgeltzahlung zu erheben. Die Feststellungsklage zum Bestand eines Arbeitsverhältnisses mit einem bestimmten Arbeitgeber betrifft, auch wenn sie gegenüber mehreren in Betracht kommenden Arbeitgebern erhoben wird, einen unterschiedlichen Streitgegenstand, erst recht gilt dies für eine auf Entgeltzahlung gerichtete Zahlungsklage. Die auf den Bestand eines Arbeitsverhältnisses gerichtete Feststellungsklage ist nicht nur Grundlage für Zahlungsansprüche, sondern für eine ganze Reihe weiterer verschiedener gegenseitiger Ansprüche2.
§5 Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB
A. Grundkonzeption der gewillkürten Übertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Keine Übertragung durch Gesetz oder staatlichen Hoheitsakt . . . . . . . C. Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsgeschäfte zwischen altem und neuem Betriebsinhaber . . . . . . . . . . . II. Erwerb von Betriebsmitteln unter Einbeziehung Dritter . . . . . . . . . . . . . III. Übergang durch Einstellung/Abwerbung von Personal . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Sachgründung oder Sacheinlage als rechtsgeschäftlicher Übertragungsvorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Übertragung im Rahmen der Realteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Übertragung von Geschäftsanteilen bzw. Gesellschaftsanteilen (share deal) 1. Austausch von Gesellschaftern . .
5.1 5.2 5.6
VII.
VIII.
5.7 5.16
D.
5.20
I. II.
5.32 5.38 E. 5.39
F.
2. Personengesellschaft: Reduzierung auf einen einzigen Gesellschafter (Anwachsung) . . . . . . . . Übertragung im Rahmen der Zwangsverwaltung bzw. -versteigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übertragungsvorgänge im Zusammenhang mit Privatisierungsvorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonstige Übertragungen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellungnahme 1. Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übertragung einzelner Vermögensgegenstände . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . Unwirksamkeit des Übertragungsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung der Ergebnisse .
5.45
5.48
5.50
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5.58 5.64 5.71 5.72 5.80
1 BAG v. 10.5.2012 – 8 AZR 434/11, NZA 2012, 1161 Rz. 22. 2 BAG v. 10.5.2012 – 8 AZR 434/11, NZA 2012, 1161 Rz. 22.
Gaul/Bonanni | 137
§ 5 | Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB Schrifttum: Abel, Übergangsmandat bei unternehmensinternen und unternehmensübergreifenden betrieblichen Umstrukturierungen, AiB 1999, 601; Aha, Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge bei der Ausgliederung, AG 1997, 345; von Alvensleben, Die Rechte der Arbeitnehmer bei Betriebsübergang im europäischen Gemeinschaftsrecht: eine Studie zu den gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen des § 613a BGB, Baden-Baden 1992 (zugl. Diss. Bonn 1991); Annuß, Der Betriebsübergang in der neuesten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, BB 1998, 1582; Bachner, Der Betriebsübergang nach § 613a BGB, AiB 1996, 291; Bachner, Individualarbeits- und kollektivrechtliche Auswirkungen des neuen Umwandlungsgesetzes, NJW 1995, 2881; Backhaus, Betriebsübergang nach § 613a BGB bei Erwerb des Betriebsvermögens durch ein Bündel von Rechtsgeschäften mit betriebsfremden Dritten, DB 1985, 1131; Baeck/Lingemann, Auftragsübergang als Betriebsübergang? – Neues vom EuGH, NJW 1997, 2492; Bartodzicj, Reform des Umwandlungsrechts und Mitbestimmung, ZIP 1994, 580; Bauer/ Lingemann, Das neue Umwandlungsrecht und seine arbeitsrechtlichen Auswirkungen, NZA 1994, 1057; Bauer/Randhofer, Outsorcing von Personalarbeit – Gewinn fürs Unternehmen?, AuA 1998, 329; Baumann, Arbeitsrechtliche Aspekte des neuen Umwandlungsrechts, DStR 1995, 888; Becker-Schaffner, Rechtsfragen zu § 613a BGB, BlStSozArbR 1975, 305; Belling/Müsgen, Arbeitsrechtliche Aspekte der Sanierung von Betrieben in den neuen Bundesländern, NZA-Beil. 1991/1, 7; Benz, Der Anwendungsbereich des § 613a BGB bei Privatisierungen, Marburg 2016; Berndt/Boin, Zur Rechtsnatur der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, NJW 1998, 2854; Berscheid, Die Auswirkungen der arbeitsrechtlichen Vorschriften des Umwandlungsgesetzes auf die einzelnen Arbeitsverhältnisse und die Beteiligungsrechte des Betriebsrats, in Festschrift für Eugen Stahlhacke, 1995, S. 15; Bieback, Arbeitsrechtliche Probleme der Fusion öffentlich-rechtlicher Körperschaften, ZTR 1998, 396; Bieler, Zur Sicherung der Arbeitnehmer bei der Übernahme notleidender Betriebe, BB 1981, 435; Birk, Arbeitsrechtliche Probleme der Betriebsaufspaltung, BB 1976, 1227; Birk, Betriebsaufspaltung und Änderung der Konzernorganisation im Arbeitsrecht, ZGR 1984, 23; Birkholz, Betriebsübergang nach § 613a BGB in der Insolvenz, Frankfurt/M. u.a. 1995 (zugl. Diss. Berlin 1995); Blanke, Personalüberleitungstarifvertrag bei Privatisierungen – Zur Zulässigkeit des Verbots von Haustarifverträgen in den Satzungen der kommunalen Arbeitgeberverbände, ZTR 2000, 211; Boecken, Der Übergang von Arbeitsverhältnissen bei Spaltung nach dem neuen Umwandlungsrecht, ZIP 1994, 1087; Borngräber, Arbeitsverhältnis bei Betriebsübergang: Der Eintritt des neuen Betriebsinhabers in die Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen beim Betriebsübergang durch Rechtsgeschäft (§§ 613a Abs. 1 BGB), Düsseldorf u.a. 1977; Bracker, Betriebsübergang und Betriebsverfassung, Berlin 1979 (zugl. Diss. München 1979); Brinkmann, Die Spaltung von Rechtsträgern nach dem neuen Umwandlungsrecht: eine Analyse ihrer individualrechtlichen Folgen, Berlin 1999 (zugl. Diss. Göttingen 1998); Carlé, Die Betriebsaufspaltung, 2003; Chandna-Hoppe, Das Vorliegen eines Betriebsübergangs bei der Neuvergabe staatlicher Aufträge, EuZA 2019, 255; Commandeur, Die Bedeutung des § 613a BGB im Bereich der ehemaligen DDR, NZA 1991, 705; Däubler, Das Arbeitsrecht im neuen Umwandlungsgesetz, RdA 1995, 136; Debong, Rechtsgeschäftlicher Erwerb konkursreifer Betriebe nicht vor Eröffnung des Konkursverfahrens über das Veräußerungsvermögen?, NZA 1986, 665; Drasdo, Betriebsfortführung durch Zwangsverwalter als Betriebsübergang gem. § 613a BGB, NZA 2012, 239; Drischler, Arbeitsverhältnis bei Betriebsübergang im Konkurs, RPfl. 1988, 443; Düwell, Umstrukturierung von Unternehmen – legislatorische Defizite und rechtspolitische Forderungen, AuR 1994, 357; Ebert, Privatisierung – Personalüberleitungs- und Personalgestellungsverträge, ArbRB 2002, 236; Ebert, Privatisierung – Übergangsmandate des Personalrats schaffen, ArbRB 2005, 58; Edenfeld, Der Betriebsübergang – Ein nach wie vor aktuelles Problem, AuA 1996, 379; Ekkenga, Die Überleitung von Arbeitsverhältnissen kraft rechtsgeschäftlicher Funktionsnachfolge, ZIP 1995, 1225; Elking, Zuordnungsentscheidung und Versetzung vor Betriebsübergang, § 613a IV 1 BGB als rechtliche Grenze, NZA 2014, 295; Elking/Aszmons, Nicht zuzuordnende Arbeitsverhältnisse beim Betriebsübergang – Neue Rechtsprechung, Theorie und Praxisempfehlung, BB 2014, 373; Engels/Müller/Mauß, Ausgewählte arbeitsrechtliche Probleme der Privatisierung – Aufgezeigt am Beispiel der Bahnstrukturreform, DB 1994, 473; Escher, Rechtsprobleme der Zusatzversorgung bei der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen, ZTR 1997, 396; Falkenberg, Auswirkungen des § 613a BGB in der betrieblichen Praxis, DB 1980, 783; Flume, Die werdende juristische Person, in Festschrift für Ernst Gessler, 1971, S. 3; Freytag, Die Auswirkungen der Spaltung auf die Rechte der Arbeitnehmer, Frankfurt/M. u.a. 2001 (zugl. Diss. Münster 2000); Fuhlrott, Zwischengeschaltete Transfergesellschaften zur Vermeidung von Betriebsübergängen, NZA 2012, 549; Fuhlrott/Chwalisz,
138 | Gaul/Bonanni
Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB | § 5 Transfergesellschaften und Betriebsübergang, FA 2011, 38; B. Gaul, Das Schicksal von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen bei der Umwandlung von Unternehmen, NZA 1995, 717; B. Gaul, Kehrtwende der Rechtsprechung zum Betriebsübergang im Dienstleistungsbereich, ZTR 1998, 1; B. Gaul, Die Übernahme von Betriebsmitteln als Merkmal des Betriebs- oder Betriebsteilübergangs nach § 613a BGB, in Festschrift für Wilhelm Moll, 2019, S. 165; Geck, Die Spaltung von Unternehmen nach dem neuen Umwandlungsrecht, DStR 1995, 416; Gerold, Die Verschmelzung nach dem neuen Umwandlungsrecht, MittRhNotK 1997, 205; Ginal/Raif, Der Betriebsführungsvertrag – Ein arbeitsrechtlicher Fallstrick?, GWR 2017, 131; Gockel, Der Übergang von Ansprüchen und Anwartschaften aus einer betrieblichen Altersversorgung nach § 613a Abs. 1 BGB, Diss. Trier 1987; Greiner/Pionteck, Bestandsaufnahme Betriebsübergangsrecht, RdA 2020, 84, 169; Haase, Betrieb, Unternehmen und Konzern im Arbeitsrecht, NZA-Beil. 1988/3, S. 11; Habersack, Haftung der Mitglieder einer GbR für Bürgschaftsverpflichtungen der Gesellschaft, BB 1999, 61; Hanau, Arbeitsrecht und Mitbestimmung in Umwandlung und Fusion, ZGR 1990, 548; Hanau/Vossen, Die Auswirkungen des Betriebsinhaberwechsels auf Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge, in Festschrift für Marie Luise Hilger und Hermann Stumpf, 1983, S. 271; Hartmann, Die privatautonome Zuordnung von Arbeitsverhältnissen nach Umwandlungsrecht, ZfA 1997, 21; Heckelmann, Die GbRmbH als (neue) Gesellschaftsform?, in Festschrift für Karlheinz Quack, 1991, S. 243; Heidenhain, Spaltungsvertrag und Spaltungsplan, NJW 1995, 2873; Heil/Scherer, Der Betriebsübergang – eine Zwischenbilanz zur europarechtskonformen Auslegung von § 613a BGB, ZAP Fach 17, 363; Heinze, Die Arbeitgebernachfolge bei Betriebsübergang, DB 1980, 205; Heinze, Arbeitsrechtliche Fragen bei der Übertragung und Umwandlung von Unternehmen, ZfA 1997, 1; Heiss, Die Spaltung von Unternehmen im Deutschen Gesellschaftsrecht, Berlin 1995 (zugl. Diss. 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Grundkonzeption der gewillkürten Übertragung | Rz. 5.1 § 5 lin 1992 (zugl. Diss. Nürnberg 1990); Schwedhelm/Streck/Mack, Die Spaltung der GmbH nach neuem Umwandlungsrecht, GmbHR 1995, 7, 100; Sieger/Hasselbach, Veräußerung mit Erwerberkonzept – Arbeitsrechtliche Probleme des Unternehmenserwerbs zu Sanierungszwecken, DB 1999, 430; von Stebut, Die Haftung ausgeschiedener Gesellschafter für Gesellschaftsverbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen, ZGR 1981, 183; von Steinau-Steinrück, Haftungsrechtlicher Arbeitnehmerschutz bei der Betriebsaufspaltung, Berlin 1996 (zugl. Diss. Bonn 1993/1994); Steuck, Die privatisierende Umwandlung, NJW 1995, 2887; Teichmann, Die Spaltung von Rechtsträgern als Akt der Vermögensübertragung, ZGR 1993, 396; Thiel, Die Spaltung (Teilverschmelzung) im Umwandlungsgesetz und im Umwandlungssteuergesetz – neue Möglichkeiten zur erfolgsneutralen Umstrukturierung von Kapitalgesellschaften, DStR 1995, 237, 276; Thienemann, Der Umgehungsbegriff im Arbeitsrecht unter besonderer Berücksichtigung einzelner Umgehungsmodelle im Zusammenhang mit § 613a BGB, Berlin 2017 (zugl. Diss. Erlangen-Nürnberg 2016); Thüsing/Flink, Betriebsübergang bei Abschluss eines Betriebsführungsvertrages?, in Festschrift für Wilhelm Moll, 2019, S. 659; Thüsing/Schorn, Aufgabennachfolge und Betriebsübergang im öffentlichen Dienst, ZTR 2008, 651; Tillmann, Die Mehrfachverschmelzungen auf eine GmbH unter Beteiligung vermögensloser übertragender Rechtsträger, BB 2004, 673; Timm, Die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts und ihre Haftungsverfassung, NJW 1995, 3209; Ulmer, Erwiderung zur Anm. von Herbert Wiedemann (JZ 1980, 195), JZ 1980, 354; Ulmer, Wege zum Ausschluss der persönlichen Gesellschafterhaftung in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, ZIP 2000, 509; Ulmer/Ihrig, Die Rechtsnatur der Einmann-Gründungsorganisation, GmbHR 1988, 373; Vossen, Die betriebsbedingte Kündigung durch den bisherigen Arbeitgeber aus Anlass des Betriebsübergangs, BB 1984, 1557; Wank/Börgmann, Der Übergang durch Rechtsgeschäft beim Betriebsübergang, DB 1997, 1229; Weimar/Alfes, Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers bei Umstrukturierung von Treuhandunternehmen?, NZA 1991, 833; Weimar/Alfes, Arbeitsrechtliche Grundsatzfragen der Betriebsaufspaltung, BB 1993, 783; Weißmüller, Der Betriebsführungsvertrag – eine Alternative zum Unternehmenskauf?, BB 2000, 1949; Welkoborsky, Transferleistungen für betriebliche Restrukturierung, NZS 2004, 509; Wiedemann, Anm. zu BGH 30.4.1979 (BGHZ 74, 240), JZ 1980, 195; Wiedemann, Rechtsverhältnisse der BGB-Gesellschaften zu Dritten, WM-Beil. 1994/4, S. 3; Willemsen, Die neuere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 613a BGB – Tendenzen und Schlußfolgerungen für die Praxis, ZIP 1986, 477; Willemsen, Der Grundtatbestand des Betriebsübergangs nach § 613a BGB, RdA 1991, 204; Willemsen, Arbeitsrechtliche Aspekte der Reform des Umwandlungsrechts, RdA 1993, 133; Willemsen, Europäisches und deutsches Arbeitsrecht im Widerstreit? – Aktuelle „Baustellen“ im Recht des Betriebsübergangs, NZA-Beil. 2008/4, S. 155; Willemsen, Betriebsübergang trotz Nichtübernahme prägender Betriebsmittel, jM 2020, 374; Willemsen/Annuß, Auftragsnachfolge – jetzt doch ein Betriebsübergang?, DB 2004, 134; Wlotzke, Das Arbeitsrecht im Rahmen des deutsch-deutschen Einigungsprozesses, RdA 1994, 73; Wlotzke, Arbeitsrechtliche Aspekte des neuen Umwandlungsrechts, DB 1995, 40; Wolff/Conradi, Personalüberleitung und Personalüberleitungsvereinbarungen bei Privatisierungsvorhaben im Krankenhausbereich, ZTR 2007, 290; Wollenschläger, Betriebsverfassungsrechtliche Fragen des Betriebsüberganges nach § 613a BGB unter Berücksichtigung des Rechtes der Europäischen Union, in Festschrift für Wolfgang Gitter, 1995, S. 1067; Wollenschläger/von Harbou, Arbeitsrechtliche Fragen bei Privatisierungs- und Outsorcingmaßnahmen in öffentlichen Krankenhäusern, NZA 2005, 1083; Zumkeller, Die Voraussetzungen des Betriebsübergangs nach § 613a BGB vor dem Hintergrund neuer Rechtsprechung, DStR 1998, 1920.
A. Grundkonzeption der gewillkürten Übertragung § 613a BGB spricht dem Wortlaut nach nur von der Überleitung durch Rechtsgeschäft. Obwohl deshalb weitgehende Übereinstimmung über die Ausgrenzung von Übertragungsvorgängen besteht, die kraft Gesetzes erfolgen, wird nach wie vor unterschiedlich bewertet, welche Formen der Übertragung im Übrigen von § 613a BGB erfasst werden. Folgt man den auch insoweit für die Auslegung und Anwendung von § 613a BGB bedeutsamen Überlegungen des EuGH zum Anwendungsbereich der Richtlinien zum Betriebs- und Unternehmens-
Gaul/Bonanni | 141
5.1
§ 5 Rz. 5.1 | Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB
übergang, kann dabei nicht allein am Wortlaut angeknüpft werden. Danach sind die Vorgaben der Richtlinie 2001/23/EG anwendbar auf den Übergang eines Unternehmens, Betriebs, Unternehmensteils bzw. Betriebsteils auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung (Art. 1 Abs. 1 lit. a Richtlinie 2001/23/EG). Vielmehr gehören hierzu alle Fallgestaltungen, in denen die für den Betrieb des Unternehmens verantwortliche natürliche oder juristische Person, die die Arbeitgeberverpflichtungen gegenüber den Beschäftigten des Unternehmens eingeht, im Rahmen „vertraglicher Beziehungen“ wechselt1. Daran anknüpfend ist die Frage zu entscheiden, ob und inwieweit § 613a BGB auf die Übertragung von Vermögen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge, insbesondere durch eine Umwandlung oder Anwachsung, anwendbar ist. Diese Konzeption einer gewillkürten Übertragung ist auch maßgeblich für die Kennzeichnung von Fallgestaltungen, in denen zwischen übertragendem und übernehmendem Rechtsträger keine unmittelbaren Vertragsbeziehungen bestehen.
B. Keine Übertragung durch Gesetz oder staatlichen Hoheitsakt 5.2
Weitgehendes Einvernehmen besteht darüber, dass die Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils kraft Gesetzes von § 613a BGB nicht erfasst wird2. Typischerweise wird man hier – auch wenn die Ausgrenzung rechtspolitisch keineswegs geboten erscheint – den Erbfall nennen müssen3. Überträgt der Erbe indes in Erfüllung eines Vermächtnisses einen Betrieb oder Betriebsteil, ist von einer Anwendbarkeit des § 613a BGB auszugehen4. Das Gleiche gilt dann, wenn durch Gesetz die Verpflichtung zu sonstigen Formen der rechtsgeschäftlichen Übertragung begründet wird5.
5.3
Nach ganz überwiegend vertretener Ansicht ist auch die Übertragung durch staatlichen Hoheitsakt auszugrenzen6. Hierzu gehört auch der Fall, dass Pflichtaufgaben, die zuvor durch einen privaten Rechtsträger verrichtet wurden, auf der Grundlage einer darauf gerichteten Verwaltungsentscheidung (wieder) durch den öffentlichen Hoheitsträger übernommen werden7. Dieser Fall dürfte im Umkehrschluss der Übertragung von Aufgaben einer Verwaltungsbehörde auf eine andere gleichzusetzen sein, die in Art. 1 Abs. 1 lit. c Richtlinie 2001/23/EG aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgegrenzt wird. Schließlich erfolgt die Übernahme durch den öffentlich-rechtlichen Träger, um eine gesetzliche Verpflichtung zu erfüllen8. Ob und 1 Vgl. nur EuGH v. 19.10.2017 – C-200/16, NZA 2017, 1379 Rz. 22 – Securitas; EuGH v. 26.11.2015 – C-509/14, NZA 2016, 31 Rz. 32 – Aira Pascual u.a. 2 BAG v. 18.12.2008 – 8 AZR 660/07, ZTR 2009, 534 Rz. 35; BAG v. 2.3.2006 – 8 AZR 124/05, NZA 2006, 848 Rz. 24; Benz, § 613a BGB bei Privatisierungen, S. 242 ff. 3 Vgl. nur MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 63, 197; D. Gaul, Betriebsübergang, S. 14. 4 BAG v. 15.5.1985 – 5 AZR 276/84, NZA 1985, 736; Sächsisches LSG v. 12.12.2001 – L 3 AL 150/98 n.v. Rz. 57; LAG Hamm v. 28.1.1997 – 4 Sa 141/96, LAGE § 91 a ZPO Nr. 6. 5 Vgl. BAG v. 18.8.2011 – 8 AZR 230/10, NZA 2012, 267 Rz. 27 ff.; BAG v. 25.1.2001 – 8 AZR 336/ 00, NZA 2001, 840, 841 f. 6 BAG v. 18.8.2011 – 8 AZR 230/10, NZA 2012, 267 Rz. 27; BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 917/06, NZA-RR 2008, 367 Rz. 30. 7 Vgl. LAG Hamm v. 19.3.1998 – 17 Sa 1749/97, ZTR 1998, 426 (LS); LAG Hamm v. 9.10.1995 – 17 Sa 1946/94, LAGE § 613a BGB Nr. 44 S. 13 f. 8 Vgl. EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10, NZA 2011, 1077 Rz. 44 – Scattolon; EuGH v. 10.12.1998 – C173/96 und C-247/96, NZA 1999, 189 Rz. 24 – Hidalgo u.a.; BAG v. 2.3.2006 – 8 AZR 124/05, NZA 2006, 848 Rz. 24 f.
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Keine Übertragung durch Gesetz oder staatlichen Hoheitsakt | Rz. 5.4 § 5
inwieweit in solchen Fällen der öffentlich-rechtlichen Funktionsnachfolge ein Übergang von Arbeitsverhältnissen anzunehmen ist, muss im Lichte des Sozialstaatsprinzips unter eigenständigen Überlegungen zur Rechtsnachfolge bewertet werden1. Anwendbar ist § 613a BGB in diesem Zusammenhang nur dann, wenn nicht-hoheitliche Aufgaben durch Rechtsgeschäft wieder auf öffentlich-rechtliche Hoheitsträger übertragen werden2. Entgegen der Bewertung durch das BAG im Urteil vom 26.8.19993 kann allerdings auch dann, wenn ein neu bestellter Notar die Kanzlei und das Personal eines aus dem Amt entlassenen Notars übernimmt, von einem rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang auszugehen sein. Zutreffend ist zwar, dass die konkrete Befugnis zur Wahrnehmung des Notariats durch staatlichen Hoheitsakt verliehen wird (vgl. § 111 BNotO). Darin liegt allerdings noch nicht die Übertragung des für den Betrieb als arbeitstechnische Organisationseinheit wesentlichen Substrats4. Vielmehr liegt darin nur die Befugnis, die betriebliche Tätigkeit im Rechtsverkehr anzubieten. Entsprechendes würde in Bezug auf die Erteilung einer Kassenzulassung gelten, die im Zusammenhang mit der Übernahme einer Arztpraxis erfolgen soll, aber an die Rückgabe des bisherigen Praxisinhabers geknüpft ist5. Da die Tätigkeit eines Notars unabhängig von seiner hoheitlichen Aufgabe ganz wesentlich durch den Mandantenstamm, das in Form von Vertragsmustern gesicherte Know-how und das Personal der Kanzlei mit seinem Know-how und der Kenntnis um besondere Wünsche der Mandanten geprägt wird, liegt in der Übernahme dieser materiellen und immateriellen Ressourcen einschließlich der Arbeitnehmer das wesentliche Substrat des Betriebs eines Notars. Es erlaubt dem Amtsnachfolger, die bisherige Aufgabe fortzuführen, wenn das Notaramt übertragen wurde. Dies gilt ohne Rücksicht darauf, ob es sich um ein Nur-Notariat oder die gemischte Ausübung von anwaltlicher und notarieller Tätigkeit handelt. Dass das BAG hiervon abweichend das wesentliche Substrat des Notariats in der höchstpersönlichen Notarbefugnis, also dem Notaramt gesehen und deshalb insbesondere die Übernahme des Personals und der Akten für unbeachtlich gehalten hat6, überzeugt nicht. Denn bei dieser Sichtweise wird die Befugnis zur Fortführung der betrieblichen Tätigkeit stärker gewichtet als der Umstand, dass mit der Übernahme der vorstehenden Ressourcen erst die Grundlage dafür gesetzt wird, die mit dem Notariat verbundene Aufgabe überhaupt erst verrichten zu können. Damit fehlt es an der für § 613a BGB erforderlichen Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Tatsachen7. Wenn der Nachfolger, der zum Notar bestellt wurde, das nach seiner Zahl und Sachkunde wesentliche Personal übernimmt und ohne eine wesentliche 1 Vgl. BAG v. 13.12.2007 – 8 AZR 937/06, NZA 2008, 1021 Rz. 12; BAG v. 16.3.1994 – 8 AZR 576/ 92, NZA 1995, 783, 784. 2 Vgl. EuGH v. 26.11.2015 – C-509/14, NZA 2016, 31 Rz. 30 – Aira Pascual u.a.; BAG v. 25.8.2016 – 8 AZR 53/15, NZA-RR 2017, 123 Rz. 24 ff.; vgl. auch BAG v. 10.5.2012 – 8 AZR 434/11, NZA 2012, 1161 Rz. 35, wonach die Übertragung von Dienstleistungen, die im öffentlichen Interesse sind, die Anwendung des § 613a BGB dann nicht ausschließt, wenn die betreffende Tätigkeit keine hoheitliche Tätigkeit darstellt. 3 BAG v. 26.8.1999 – 8 AZR 827/98, NZA 2000, 371 Rz. 15 ff.; LAG Düsseldorf v. 13.4.2010 – 6 Sa 1438/09, RNotZ 2010, 551; Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 26; a.A. für ein von mehreren Notaren betriebenes Notariat: LAG München v. 8.7.2014 – 2 Sa 94/14, ZIP 2014, 2255. 4 Vgl. auch LAG München v. 8.7.2014 – 2 Sa 94/14, ZIP 2014, 2255; a.A. LAG Düsseldorf v. 13.4.2010 – 6 Sa 1438/09, RNotZ 2010, 551. 5 Vgl. LAG Düsseldorf v. 29.2.2000 – 3 Sa 1896/99, NZA-RR 2000, 353, 355; vgl. zum Verkauf der kassenärztlichen Zulassung: BAG v. 22.6.2011 – 8 AZR 107/10, NZA-RR 2012, 119 Rz. 35, 38, wonach richtigerweise kein Betriebsübergang vorliegt, wenn die für die Arztpraxis wesentlichen Betriebsmittel und/oder das identitätsbildende Personal nicht übernommen werden. 6 BAG v. 26.8.1999 – 8 AZR 827/98, NZA 2000, 371 Rz. 22 ff. 7 Zutreffend LAG München v. 8.7.2014 – 2 Sa 94/14, ZIP 2014, 2255 Rz. 61 f.
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5.4
§ 5 Rz. 5.4 | Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB
Unterbrechung ein Notariat in den gleichen Geschäftsräumen fortführt, ist dies abweichend von der Auffassung des BAG als rechtsgeschäftlicher Betriebsübergang anzusehen. Insoweit sind sowohl die Vereinbarungen über die Übernahme des Mandantenstamms, der Betriebsmittel (Geschäftsräume, EDV) als auch die Vereinbarungen über die Einstellung des Personals als Rechtsgeschäfte anzusehen, die der Übertragung eines Betriebs zugrunde liegen können1. Vergleichbares gilt für Steuer- oder Rechtsanwaltsbüros. Der Grundsatz der Diskontinuität im Zusammenhang mit der Übernahme eines Notariats steht einem Betriebsübergang nur dann entgegen, wenn die zeitliche Unterbrechung des Betriebs des Notariats als Folge einer späten Entscheidung über den Amtsnachfolger nach den allgemeinen Grundsätzen als erheblich anzusehen ist (vgl. Rz. 4.188 ff.). Umgekehrt gilt: Wenn der Amtsnachfolger die Geschäfte ohne Übernahme von Personal oder Vertragsmustern fortsetzt, liegt auch dann kein rechtsgeschäftlicher Betriebsübergang vor, wenn laufende Geschäftsvorgänge des Amtsvorgängers fertiggestellt werden2 und die Räumlichkeiten nebst Einrichtung übernommen werden. Denn bei diesen Gegenständen handelt es sich nicht um wesentliche Betriebsmittel, die Grundlage für eine dauerhafte Fortsetzung des Betriebs sind. Folgerichtig kann der bisherige Notar, dem keine Anhaltspunkte für eine entsprechende Übernahme seiner Geschäftsräume bzw. des Personals vorliegen, betriebsbedingte Kündigungen aussprechen. Denn für ihre Rechtswirksamkeit kommt es, wie noch auszuführen sein wird (vgl. Rz. 17.7 ff.), allein darauf an, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung keine Anhaltspunkte für einen rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang vorlagen.
5.5
Entsprechendes würde z.B. dann gelten, wenn ein Rechtsträger wesentliches Personal und/ oder Betriebsmittel eines anderen Rechtsträgers übernimmt, um die von diesem bis dahin wahrgenommene Abfallentsorgung oder den Personennahverkehr fortzuführen. Selbst wenn diese Tätigkeit einer behördlichen Erlaubnis bzw. Konzession bedarf, ist bereits mit Übernahme der Leitungsmacht über die wesentlichen Betriebsmittel und/oder – soweit es sich um eine betriebsmittelarme Tätigkeit handelt – die Arbeitnehmer des Rechtsträgers, die diese Aufgabe bislang wahrgenommen haben, eine Anwendbarkeit von § 613a BGB gegeben3. Unerheblich ist, ob die Vergabeentscheidung auf der Grundlage der Richtlinie 92/50/EWG erfolgt4. Die Erteilung der Konzession ist dann allerdings ein zusätzliches Indiz, um einen Betriebsübergang anzunehmen5. Dies gilt umso mehr, wenn Betriebsmittel nicht übernomen werden, weil deren Austausch aus rechtlichen, umweltrelevanten oder technischen Vorgaben ohnehin erforderlich war (vgl. Rz. 4.97)6. Ggf. muss, um aus dem Blickwinkel des potenziellen Erwerbers das wirtschaftliche Risiko eines Eintritts in die Arbeitsverhältnisse des bisherigen Auftragnehmers abzumildern, die Übernahme von Betriebsmitteln und/oder Personal aufschiebend an die Erteilung der Erlaubnis geknüpft werden. Der Umstand, die mit den übernommenen Ressourcen im Betrieb bislang produzierte Leistung selbst am Markt gar nicht anbieten zu können oder zu dürfen, steht einer Anwendbarkeit von § 613a BGB nur dann entgegen, wenn
1 Vgl. Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 26; LAG Brandenburg v. 22.7.1999 – 8 Sa 102/99, LAGE § 613a BGB Nr. 77 S. 2 (Steuerberaterbüro). 2 Vgl. EuGH v. 13.6.2019 – C-664/17, NZA 2019, 889 Rz. 54 – Ellinika Nafpigeia; Schaub/Ahrendt, Arbeitsrechts-Handbuch, § 117 Rz. 20 ff. 3 Vgl. EuGH v. 25.2.2020 – C 298/18, NZA 2020, 1303 Rz. 41 – Grafe und Pohle; BAG v. 25.8.2016 – 8 AZR 53/15, NZA-RR 2017, 123 Rz. 35. 4 Vgl. EuGH v. 25.1.2001 – C-172/99, NZA 2001, 249 Rz. 21 f. – Liikenne. 5 Vgl. EuGH v. 14.9.2000 – C-343/98, NZA 2000, 1279 Rz. 41 – Collino; BAG v. 22.5.2014 – 8 AZR 1069/12, NZA 2014, 1335 Rz. 34. 6 EuGH v. 27.2.2020 – C-298/18, NZA 2020, 443 Rz. 35 – Grafe und Pohle.
144 | Gaul/Bonanni
Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge | Rz. 5.8 § 5
dies zum Anlass genommen wird, die übernommenen Arbeitnehmer und/oder Betriebsmittel gar nicht erst einzusetzen. In diesem Fall liegt eine Stilllegung durch den bisherigen Betriebsinhaber vor.
C. Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge Einigkeit besteht darüber, die im Wege der Einzelrechtsnachfolge vorgenommene Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils in den Anwendungsbereich von § 613a BGB einzubeziehen. Die Art des Rechtsgeschäfts ist dabei unerheblich. Auf diese Weise werden einseitige, zweiseitige und mehrseitige Rechtsgeschäfte einbezogen, ohne zwischen entgeltlichen und unentgeltlichen Übertragungsvorgängen zu unterscheiden.
5.6
I. Rechtsgeschäfte zwischen altem und neuem Betriebsinhaber Keine Probleme bereitet dabei die Einbeziehung von Übertragungsvorgängen, bei denen rechtsgeschäftliche Vereinbarungen unmittelbar zwischen dem alten und dem neuen Betriebsinhaber abgeschlossen werden. Auf diese Weise wurden beispielsweise die Veräußerung1 – also der Verkauf eines Betriebs oder Betriebsteils – sowie die Übertragung im Wege der Begründung oder Beendigung eines Mietvertrags2, eines Pachtvertrags3, eines Leasingvertrags4, eines Handelsvertretervertrags5, die Bestellung eines Nießbrauchs6 oder eines sonstigen Nutzungsrechts als Rechtsgeschäft erfasst, das zur Anwendung von § 613a BGB führen kann, wenn damit die weiteren Voraussetzungen des Tatbestands ausgelöst werden (vgl. Rz. 4.14, 4.47 ff.). Dabei kann es sich auch um ein „Management-Buy-Out“ handeln7. Erforderlich ist lediglich, dass der Rechtsträger, der auf diese Weise die eigenbestimmte Verfügungsgewalt über bestimmte Betriebsmittel erlangt, diese auch zur Fortsetzung des vom bisherigen Betriebsinhaber verfolgten Zwecks einsetzen will (vgl. Rz. 4.181 ff.). In entsprechender Weise werden auch ein Geschäftsführungsvertrag gemäß § 291 Abs. 1 Satz 2 AktG oder ein Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsvertrag nach § 292 Abs. 1 Nr. 3 AktG einbezogen, wenn sie mit einem Wechsel des Rechtsträgers verbunden sind, der tatsächlich den jeweils betroffenen Betrieb führt8.
5.7
Abweichend von Vereinbarungen über die Zusammenarbeit im gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen (vgl. Rz. 7.4) wird folgerichtig auch der Betriebsführungsvertrag in den
5.8
1 Vgl. nur BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 50. 2 Vgl. LAG Köln v. 25.9.2009 – 4 Sa 855/08 Rz. 46; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 132; abw. LAG Baden-Württemberg v. 19.6.1984 – 12 Sa 39/84, BB 1985, 123, das dem Mietvertrag im Gegensatz zum Pachtvertrag offenbar die Qualität eines Rechtsgeschäfts i.S.d. § 613a BGB absprechen will. 3 EuGH v. 20.11.2003 – C-340/01, NZA 2003, 1385 Rz. 39 – Abler u.a.; EuGH v. 17.12.1987 – C287/86, EAS RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 3 S. 9 f. – Mølle; BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 655/13, NZA 2015, 94 Rz. 22. 4 BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, NZA 2020, 1092 Rz. 67; BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86, AP Nr. 67 zu § 613a BGB Bl. 4. 5 BAG v. 22.1.1988 – 2 AZR 480/87, NZA 1988, 838, 840. 6 BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 2/07, AP BGB § 613a Nr. 339 Rz. 32; BAG v. 15.5.1985 – 5 AZR 276/84, BB 1985, 1794. 7 Vgl. HWK/Willemsen, § 613a BGB Rz. 197; Schaub/Ahrendt, Arbeitsrechts-Handbuch, § 117 Rz. 31. 8 LAG Baden-Württemberg v. 9.3.2016 – 4 Sa 19/15, AG 2016, 754.
Gaul/Bonanni | 145
§ 5 Rz. 5.8 | Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB
Anwendungsbereich von § 613a BGB einbezogen (vgl. Rz. 4.121 ff.)1. Richtigerweise spielt es dabei auch keine Rolle, ob die Arbeitnehmer gegenüber Dritten (Kunden) im Namen und/ oder auf Rechnung des bisherigen Betriebsinhabers bzw. des Unternehmens auftreten, der die Betriebsführung übernommen hat. Unerheblich ist auch, wer das wirtschaftliche Risiko der Betriebsführung trägt und/oder den Ertrag erhält. Entscheidend ist vielmehr, in wessen Namen der Betrieb geführt wird. Tritt der Betriebsführer gegenüber den Arbeitnehmern in eigenem Namen auf, indem er alle wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten entscheidet und in der Umsetzung steuert, ist er als Folge der Aufnahme der Betriebsführung kraft Rechtsgeschäfts Betriebsinhaber geworden2. Das entspricht auch den Grundsätzen der Eingliederung in eine betriebliche Organisationsstruktur, wie sie in § 1 Abs. 1 AÜG, § 611a Abs. 1 BGB erkennbar werden3.
5.9
Soweit das BAG in seinem Urteil vom 25.1.20184 die Verantwortlichkeit für den Betrieb einer wirtschaftlichen Einheit der Person zuordnet, die die wirtschaftliche Einheit im eigenen Namen führt und nach außen als deren Inhaber auftritt, entspricht dies zunächst einmal diesen Überlegungen. Richtig war es deshalb auch, die Vereinbarung, nach der der potenzielle Erwerber bei seiner Betriebsführung, sofern diese im Zusammenhang mit der Lohnfertigung und der Herstellung der Produkte des Auftraggebers erfolgt, für die dieser die Patentrechte und das Know-how besaß, ausschließlich für Rechnung und im Namen des Auftraggebers handeln sollte, als wesentliches Indiz für die fehlende Übernahme des Betriebs anzusehen. Denn bei einer solchen Vereinbarung läge im Ergebnis nur eine Stellvertretung vor, so dass der Auftraggeber weiterhin Inhaber des Betriebs bliebe.
5.10
Über diesen Umstand hinaus vertritt das BAG allerdings hiervon abweichend die Auffassung, dass ein Betriebsübergang auch nicht bereits dann gegeben sei, wenn der potenzielle Erwerber im Verhältnis zur Belegschaft als Inhaber auftrete. Erforderlich sei vielmehr die Nutzung der wirtschaftlichen Einheit nach außen, was nicht gegeben sei, wenn der Marktauftritt in Bezug auf die Podukte (weiterhin) über eine Website des Auftraggebers erfolge und Verträge mit Dritten, insbesondere mit Kunden und Dritten, auf Rechnung und im Namen des Auftraggebers geschlossen würden. Nur wenn der potenzielle Erwerber auch in diesem Bereich in eigenem Namen tätig würde, sei die notwendige Verantwortung für die Führung eines Betriebs gegeben. Daran anknüpfend lehnte das BAG in dem seiner Entscheidung zugrunde liegenden Fall das Vorliegen eines Betriebsübergangs ab, obwohl der potenzielle Erwerber gegenüber den Arbeitnehmern, den Arbeitnehmervertretern (Betriebsrat/Gewerkschaft) und verschiedenen Behörden (u.a. Agentur für Arbeit) in eigenem Namen als Arbeitgeber und vermeintlicher Betriebsinhaber aufgetreten war. Diese tatsächliche Ausübung des fachlichen und disziplinarischen Weisungsrechts in eigenem Namen ist für die Anwendbarkeit von § 613a BGB maßgeblich, selbst dann, wenn aus den Vereinbarungen über die Führung des Unternehmens Anhaltspunkte für das Auftreten im Rahmen einer Stellvertretung erkennbar sind. Davon war auch das BAG ausgegangen, hatte aber die entsprechenden (unstreitigen) Feststellungen im Sachverhalt nicht berücksichtigt.
1 BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, BB 2018, 1719 Rz. 54; HWK/Willemsen, § 613a BGB Rz. 42a f., 197; Rieble, NZA 2018, 1302. 2 Vgl. HWK/Willemsen, § 613a BGB Rz. 42 f., 196. 3 Eingehender B. Gaul, Festschrift Moll, S. 165, 177 ff. 4 EuGH v. 6.3.2014 – C-458/12, NZA 2014, 423 Rz. 29 – Amatori u.a.; BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 338/16, NZA 2018, 933 Rz. 55 ff.
146 | Gaul/Bonanni
Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge | Rz. 5.14 § 5
Das einschränkende Verständnis der Übernahme des Betriebs durch das BAG berücksichtigt nicht genügend, dass die arbeitsrechtliche Führung eines Betriebs nichts mit der Frage zu tun hat, in wessen Namen die Erzeugnisse des Betriebs gegenüber Dritten veräußert werden. Das zeigt auch § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG durch den Hinweis auf den Einsatz von Betriebsmitteln und Arbeitnehmern zur Verfolgung arbeitstechnischer Zwecke. Deutlich wird dies bei der Gründung einer Handelsgesellschaft, die mit ihren Mitarbeitern Produkte oder Dienstleistungen Dritter vertreibt. Wenn die im Innen- und Außendienst tätigen Arbeitnehmer durch die Geschäftsführung der Handelsgesellschaft in Bezug auf alle wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten in eigenem Namen gesteuert werden, ist die Handelsgesellschaft selbst dann Betriebsinhaber, wenn die Produkte (z.B. Versicherungsverträge, Medikamente) im Namen des jeweiligen Herstellers veräußert werden und dafür eine Provision erzielt wird. Eine Vereinbarung, die diese Form der Führung eines Betriebs zum Inhalt hat, ist deshalb auch als Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB zu qualifizieren.
5.11
Unerheblich ist, ob der Abschluss eines (Pacht-)Vertrags oder eine sonstige Form der vertraglichen Nutzungsüberlassung – wie die vorläufige Einweisung in den Besitz von zurückzugebenden Unternehmen (§ 6a Abs. 1 VermG) – für bestimmte Übertragungsvorgänge durch den Gesetzgeber vorgeschrieben wurde1.
5.12
Eigentum muss bei den vorgenannten Übertragungsgeschäften nicht vermittelt werden. Werden nur die Betriebsmittel übertragen, ohne zugleich auch die Verfügungsgewalt aufzugeben (z.B. Sicherungsübereignung, Verkauf und Rückmietung), liegt kein Betriebsübergang vor2. Voraussetzung für die Einbeziehung eines Rechtsgeschäfts ist, dass die tatsächliche Verfügungsoder Nutzungsmöglichkeit vermittelt wird3.
5.13
Berechtigterweise wird es als unerheblich angesehen, wenn erst eine Mehrzahl von Rechtsgeschäften („Bündel von Rechtsgeschäften“) in ihrer Gesamtheit nach dem Willen der Beteiligten bewirkt, dass der Betrieb oder Betriebsteil übertragen wird4. Schließlich spricht das Gesetz von einer Übertragung „durch Rechtsgeschäft“, nicht „durch ein Rechtsgeschäft“5. Die Art der jeweiligen Rechtsgeschäfte spielt keine Rolle6. Erforderlich ist nur, dass die verschiedenen Rechtsgeschäfte insgesamt darauf gerichtet sind, einem anderen Rechtsträger die seinerseits gewollte Inhaberschaft über einen Betrieb oder Betriebsteil im Wege der Einzelrechtsnachfolge zu verschaffen7. Ob und inwieweit diese Zweckbestimmung besteht, muss im Einzelfall geprüft werden. Dabei kann die Höhe des Erwerbspreises, wenn dort immaterielle Vorteile eingerechnet wurden, die bei der Weiterführung des Betriebs nutzbar gemacht werden können, ein Indiz für die Anwendbarkeit von § 613a BGB bilden8.
5.14
1 Vgl. Commandeur, NZA 1991, 705, 711. 2 BAG v. 14.8.2007 – 8 AZR 803/06, NZA 2007, 1428 Rz. 26; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 64; so wohl auch KR/Treber, § 613a BGB Rz. 60. 3 Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 7; Soergel/Raab, § 613a BGB Rz. 31. 4 BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 706/11, DB 2013, 1556 Rz. 56; BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11, NZARR 2013, 6 Rz. 65 f. 5 BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11, NZA-RR 2013, 6 Rz. 66 (IT-Service). 6 Vgl. BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86, NZA 1988, 170, 171; HWK/Willemsen, § 613a BGB Rz. 198 f. 7 Vgl. BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 706/11, BeckRS 2013, 69658 Rz. 59; BAG v. 18.2.1999 – 8 AZR 485/97, NZA 1999, 648, 649. 8 Joost, Betrieb und Unternehmen S. 387; Wank/Börgmann, DB 1997, 1229, 1234; abw. Ekkenga, ZIP 1995, 1225, der unzutreffenderweise eine Anwendbarkeit allein mit Blick auf einen Kaufpreis bzw. einen Pacht- oder Mietzins unterhalb des „Marktniveaus“ ablehnt, selbst wenn der übernehmende
Gaul/Bonanni | 147
§ 5 Rz. 5.15 | Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB
5.15
Berücksichtigt man die Kriterien der im Steuerrecht entwickelten Betriebsaufspaltung, kann die Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils auch dadurch bewerkstelligt werden, dass die Besitzgesellschaft das Umlaufvermögen an die Betriebsgesellschaft veräußert, hinsichtlich des Anlagevermögens indes nur eine Nutzungsüberlassung (z.B. Verpachtung) vereinbart wird. Die daraus folgende Anwendbarkeit von § 613a BGB für die echte Betriebsaufspaltung gilt entsprechend für den Fall einer umgekehrten Betriebsaufspaltung1. Nur bei der unechten oder uneigentlichen Betriebsaufspaltung, bei der zwei bereits bestehende Unternehmen die Nutzung des Anlage- und Umlaufvermögens vereinbaren, muss eine solche Vereinbarung nicht zwangsläufig auf die Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils gerichtet sein. Denkbar ist hier, dass trotz der eigentumsrechtlichen Übertragung von Vermögen die Nutzungsberechtigung des bisherigen Betriebsinhabers fortbesteht2. Werden von den beteiligten Unternehmen im Rahmen der Verfolgung des gemeinsamen Unternehmenszwecks Arbeitnehmer eingesetzt, dürften die Voraussetzungen eines gemeinsamen Betriebs vorliegen.
II. Erwerb von Betriebsmitteln unter Einbeziehung Dritter 5.16
Eine unmittelbare vertragliche Beziehung zwischen dem bisherigen Betriebsinhaber und dem Erwerber des Betriebs oder Betriebsteils ist nicht erforderlich, um eine Anwendbarkeit von § 613a BGB auszulösen3. Obwohl an dieser Interpretation des Erfordernisses „durch Rechtsgeschäft“ zum Teil Kritik geäußert wurde4, wird man es in Übereinstimmung mit den bereits dargestellten Vorgaben des EuGH5 als ausreichend ansehen müssen, dass der neue Inhaber seine Leitungsbefugnis über einen Betrieb oder Betriebsteil, die bis dahin in den Händen eines anderen Betriebsinhabers lag, durch ein Rechtsgeschäft oder ein Bündel von Rechtsgeschäften erhält, die auch mit verschiedenen Dritten abgeschlossen sein können6. Entscheidend ist, dass mit dem Übertragungsvorgang in seiner Gesamtheit der Erwerb eines bereits bestehenden Betriebs oder Betriebteils bewirkt wird7. Trotz der fehlenden Kontakte zwischen dem alten und dem neuen Betriebsinhaber kommt es zu keinem „Durchgangserwerb“ des vermittelnden Dritten (z.B. Verpächter), wenn dieser seinerseits keine Absicht zur eigenständigen Fortführung des Betriebs hat8. Vielmehr ist von einem unmittelbaren Übertrag vom Erstinhaber auf den Neuinhaber auszugehen.
5.17
Diese Rechtsfolge kann zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut von § 613a BGB abgeleitet werden. Da das Gesetz nur davon spricht, dass der Betrieb oder Betriebsteil „durch Rechtsgeschäft“ übergeht, sind unterschiedliche Auslegungsergebnisse denkbar. Systematik sowie Sinn und Zweck des Gesetzes gebieten aber ein entsprechendes Verständnis der rechtsgeschäftli-
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Rechtsträger mit den erworbenen Betriebsmitteln den bisherigen Betriebszweck, den der übertragende Rechtsträger eingestellt hat, fortsetzt. BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 30 ff.; Carlé, Betriebsaufspaltung S. 20 ff., 309 ff.; Kußmaul, GmbHR 2012, 834. Schaub, ZIP 1984, 272; Loritz, RdA 1987, 65, 78. BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 655/13, NZA 2015, 94 Rz. 22; BAG v. 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29 Rz. 47. Zumkeller, DStR 1998, 1920, 1925. Vgl. nur EuGH v. 19.10.2017 – C-200/16, NZA 2017, 1379 Rz. 23 – Securitas; EuGH v. 20.11.2003 – C-340/01, NZA 2003, 1385 Rz. 39 – Abler u.a. Vgl. nur BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 706/11, BeckRS 2013, 69658 Rz. 56; BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11, NZA-RR 2013, 6 Rz. 64. Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 112. A.A. Liessem, Betriebsverpachtung S. 50 f.
148 | Gaul/Bonanni
Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge | Rz. 5.18 § 5
chen Übertragung1. Nur so kann verhindert werden, dass sich der spätere Betriebsinhaber bei einer Übertragung unter Zwischenschaltung eines Dritten darauf beschränkt, junge und leistungsfähige Fachkräfte zu übernehmen, während alte und kranke Arbeitnehmer, Schwangere und schwerbehinderte Menschen weitgehend schutzlos bleiben. Im Übrigen kann nur durch die Einbeziehung von Vereinbarungen mit Dritten dem Umstand Rechnung getragen werden, dass im heutigen Wirtschaftsverkehr Betriebsmittel vielfach Dritten gehören und dem Betriebsinhaber insbesondere im Wege der Miete, der Pacht oder des Leasings nur zur Nutzung überlassen werden. Ihre Übertragung auf einen anderen Rechtsträger kann nur unter Einbeziehung der Dritten erfolgen2. Entsprechendes gilt dann, wenn der potenzielle Erwerber durch Abschluss einer exklusiven Vertriebsberechtigung3 oder die Neubegründung eines Liefervertrags mit dem Hersteller sicherstellt, dass er die Kundenkontakte fortsetzen und anstelle des bisherigen Betriebsinhabers mit den wesentlichen Betriebsmitteln versehen bzw. beliefert wird4. Dieser Betrachtungsweise kann uneingeschränkt zugestimmt werden, soweit der übernehmende Rechtsträger auf diese Weise die Möglichkeit zur Nutzung wesentlicher Betriebsmittel erhält, die Grundlage für die tatsächliche Fortsetzung der Betriebstätigkeit sind. Hierzu gehören vor allem der Pächterwechsel5, der Erwerb von Dritten, die als Sicherungsnehmer über die Betriebsmittel verfügen können6, der Abschluss bzw. die Neubegründung eines Franchisevertrags7, die Beendigung eines Mietverhältnisses über Geschäftsräume mit anschließendem Verkauf der Mietsache durch den Eigentümer8, ein Auftrags- oder Werkvertragswechsel, der mit der Überlassung von Betriebsmitteln verbunden ist (z.B. Catering, Bewachung)9, Übernahme der Hauptbelegschaft im Reinigungsgewerbe10, die Neuvergabe einer Konzession für den Betrieb einer regionalen Buslinie11 oder die Übertragung von Betriebsteilen auf eine bereits bestehende Auffanggesellschaft12. Denkbar ist auch, dass die Übertragung aufgrund ei-
1 Vgl. BAG v. 25.2.1981 – 5 AZR 991/78, NJW 1981, 2212, 2212 f. 2 Vgl. BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11, NZA-RR 2013, 6 Rz. 66. Auf die Eigentümerstellung kommt es nicht an: BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 917/06, NZA-RR 2008, 367 Rz. 37. 3 EuGH v. 7.3.1996 – C-171/94 und 172/94, NZA 1996, 413 Rz. 18 – Merckx, Neuhuys; BAG v. 18.9.2014 – 8 AZR 733/13, NZA 2015, 97 Rz. 30. 4 Vgl. BAG v. 18.5.1995 – 8 AZR 741/94, EzA § 613a BGB Nr. 139 S. 7 f. 5 EuGH v. 10.2.1988 – C-324/86, EAS RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 4 S. 20 – Daddy’s Dance Hall; BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 32; BAG v. 18.8.2011 – 8 AZR 230/10, NZA 2012, 267 Rz. 32. 6 BAG v. 14.8.2007 – 8 AZR 803/06, NZA 2007, 1428 Rz. 26; LAG Schleswig-Holstein v. 5.7.2001 – 1 (4) Sa 430/00, NZA-RR 2002, 70, 71; Nerlich/Kreplin/Althaus, Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung § 19 Rz. 52. 7 BAG v. 6.4.2006 – 8 AZR 249/04, BB 2006, 2192 Rz. 20 ff.; lediglich Funktionsnachfolge angenommen: Hessisches LAG v. 19.12.2003 – 17/9 Sa 1029/03, AuR 2005, 75. 8 EuGH v. 15.6.1988 – C-101/87, EAS RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 5 S. 26 – Bork International. 9 Vgl. EuGH v. 20.11.2003 – C-340/01, NZA 2003, 1385 Rz. 43 – Abler; BAG v. 17.12.2009 – 8 AZR 1019/08, NJW 2010, 1689 Rz, 27; BAG v. 26.7.2007 – 8 AZR 769/06, NZA 2008, 112 Rz. 24 ff. 10 BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 333/04, NZA 2006, 31, 32. 11 EuGH v. 25.1.2001 – C-172/99, NZA 2001, 249 Rz. 44 – Liikenne; kein Betriebsübergang bei bloßer Übernahme von Buslinien ohne nennenswerte Übernahme von Bussen: LAG Rheinland-Pfalz v. 1.2.2016 – 3 Sa 257/15 Rz. 91; im Ergebnis wohl auch Hessisches LAG v. 19.2.2013 – 13 Sa 1029/12 Rz. 29; differenzierter: EuGH v. 27.2.2020 – C-298/18, NZA 2020, 443 Rz. 23 ff., 35 – Grafe und Pohle. 12 Vgl. BAG v. 26.3.1996 – 3 AZR 965/94, NZA 1997, 94, 95 f.; dabei kann der Betriebsinhaber die nicht in seinem Eigentum stehenden Betriebmittel aufgrund einer mit Dritten getroffenen Nut-
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5.18
§ 5 Rz. 5.18 | Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB
ner konzernrechtlichen Weisung erfolgt1. Ein Zwischenerwerb des Betriebs durch den Dritten kommt indes – wie an anderer Stelle ausgeführt wurde – nur dann in Betracht, wenn dieser tatsächlich den Betrieb jedenfalls vorübergehend selbst führt. Auf diese Weise werden die Übertragung einer bislang selbst ausgeübten Dienstleistung an Dritte (Outsourcing2) und die eigene Übernahme einer bislang durch Dritte ausgeübten Dienstleistung (Rücknahme/Insourcing) ebenso erfasst wie die erneute Fremdvergabe einer bereits durch einen Dritten ausgeübten Dienstleistung (Auftragsnachfolge)3, wenn – was wichtig ist – die Fortführung durch die Übernahme wesentlicher Ressourcen bewirkt wird. Ohne die Übernahme solcher Ressourcen könnte das Rechtsgeschäft allein nicht zur Anwendbarkeit von § 613a BGB führen (vgl. Rz. 4.95 ff.)4.
5.19
Unerheblich ist bei sämtlichen Übertragungsvorgängen, aus welchem Grund der zwischen dem ursprünglichen Betriebsinhaber und dem oder den Dritten abgeschlossene Vertrag endet. Auf diese Weise wird ein Übertragungsvorgang auch dann erfasst, wenn er durch eine Kündigung oder Befristung der mit dem bisherigen Betriebsinhaber bestehenden Nutzungsvereinbarung eingeleitet wird5. Es genügt, wenn der bisherige Betriebsinhaber seine betriebliche Tätigkeit auf der Grundlage einer gegenüber Dritten abgegebenen Erklärung bzw. einer mit diesem abgeschlossenen Vereinbarung beendet6. Damit hat der neue Inhaber die Inhaberschaft über den Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft erworben7. Dass dies bereits dann der Fall sein soll, wenn Subventionen einer Behörde an eine andere juristische Person gewährt werden, die einen ähnlichen Zweck wie der bisherige Subventionsempfänger ausübte8, erscheint allerdings zu weitgehend, wenn über die Finanzierung hinaus nicht auch sonstige Betriebsmittel und/oder Arbeitnehmer durch den neuen Subventionsempfänger in die Fortsetzung der Tätigkeit eingebunden werden.
III. Übergang durch Einstellung/Abwerbung von Personal 5.20
Schwieriger wird die Bewertung, wenn der Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils nur dadurch bewirkt wird, dass das nach Zahl und Sachkunde wesentliche Personal des bisherigen Betriebsinhabers durch einen anderen Rechtsträger eingestellt und mit der gleichen oder gleich-
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zungsvereinbarung zur Erfüllung seiner Betriebszwecke einsetzen, wobei die Nutzungsvereinbarung als Pacht, Nießbrauch oder als untypischer Vertrag ausgestaltet sein kann: vgl. BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 2/07, DZWIR 2008, 366 Rz. 32. Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 84. Näher hierzu Bauer/Randhofer, AuA 1998, 329; König/Hauptvogel/Zeidler, BB 2005, 9; Schubert, ZESAR 2019, 153. EuGH v. 11.7.2018 – C-60/17, NZA 2018, 1053 Rz. 27, 30 – Seguridad; EuGH v. 10.12.1998 – C-127/96, C- 229/96 und C-74/97, NZA 1999, 253 Rz. 24, 27 – Vidal u.a. EuGH v. 19.10.2017 – C 200/16, NZA 2017, 1379 Rz. 34 – Securitas; EuGH v. 20.1.2011 – C-463/ 09, NZA 2011, 148 Rz. 34 – CLECE; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 140. Vgl. EuGH v. 5.5.1988 – C-144/87 und 145/87, NZA 1990, 885 – Berg. Vgl. BAG v. 29.9.1988 – 2 AZR 107/88, NZA 1989, 799, 801, das die Freigabe einer Kundenbeziehung durch Beendigung eines Dienstleistungsvertrags voraussetzt, damit im Wege der Auftragsnachfolge ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang erfolgen kann; BAG v. 18.10.1990 – 2 AZR 172/ 90, AP Nr. 88 zu § 613a BGB Bl. 3. EuGH v. 7.8.2018 – C-472/16, NZA 2018, 1123 Rz. 39 – Colino Sigüenza; EuGH v. 26.11.2015 – C-509/14, NZA 2016, 31 Rz. 39 f. – Aira Pascual u.a.; BAG v. 3.7.1986 – 2 AZR 68/85, DB 1987, 99, 100. So EuGH v. 19.5.1992 – C-29/91, NZA 1994, 207 Rz. 11, 21 – Redmond Stichting.
150 | Gaul/Bonanni
Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge | Rz. 5.23 § 5
artigen Tätigkeit weiterbeschäftigt wird (vgl. Rz. 4.128 ff., 4.181 ff.). Obwohl BAG1 und EuGH2 auch in diesen Fallgestaltungen von einer Übertragung durch Rechtsgeschäft sprechen, kann dieses Ergebnis nicht uneingeschränkt übernommen werden. Richtig ist zunächst einmal, dass die Einstellung von Arbeitnehmern durch Abschluss von Arbeitsverträgen rechtsgeschäftlich die Grundlage setzt, eine vorhandene Arbeitsorganisation zu übernehmen und die gleiche oder gleichartige Tätigkeit mit diesen Arbeitnehmern fortzusetzen.
5.21
Insoweit bestehen zunächst einmal keine Bedenken hinsichtlich der Annahme einer rechtsgeschäftlichen Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils, wenn der bisherige Betriebsinhaber und der neue Arbeitgeber einverständlich einen Wechsel der Arbeitnehmer herbeiführen3. Wegen des fehlenden Schriftformerfordernisses kann der damit verbundene Abschluss eines Arbeitsvertrags mit dem übernehmenden Rechtsträger auch mündlich oder durch konkludentes Verhalten erfolgen. Hiervon ist auch bei einer entsprechenden Vorgabe im Tarifvertrag auszugehen4. In diesem Fall kann von einem gewollten und durch rechtsgeschäftliches Handeln der beteiligten Rechtsträger (Beendigung/Abschluss des Arbeitsvertrags) bewirkten Inhaberwechsel ausgegangen werden. Keine Rolle spielt dabei, ob es sich um die erstmalige Fremdvergabe einer Dienstleistung (Outsourcing) oder den Wechsel der Auftragnehmer einer bereits zuvor fremdvergebenen Dienstleistung (Auftragsnachfolge) handelt. Stets sind die gleichen Kriterien anwendbar5.
5.22
Probleme bestehen aber nicht nur dann, wenn der bisherige Betriebsinhaber keinerlei Maßnahmen ergreift, um an einem solchen Wechsel mitzuwirken. Dies ist nicht nur dann denkbar, wenn er zum Zeitpunkt der Beendigung der Arbeitsverhältnisse der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer keine Kenntnis von der durch den potenziellen Rechtsnachfolger beabsichtigten Einstellung hat. Eine solche Vorgehensweise wäre auch dann denkbar, wenn ihm erst nach Ausspruch von Kündigungen bzw. dem Abschluss von Aufhebungsverträgen bekannt wird, dass ein anderer Rechtsträger das nach Zahl und Sachkunde wesentliche Personal einstellen und unter Wahrung der bisherigen Organisationsstruktur mit der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit einsetzen will. Soll hier ein Betriebsübergang nur dann anzunehmen sein, wenn sich der bisherige Rechtsträger noch vor der Beendigung der Arbeitsverhältnisse entschließt, den Wechsel zu dem anderen Rechtsträger zu unterstützen? Eine „Verweigerungshaltung“ des übertragenden Rechtsträgers kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Wechsel von Know-how-Trägern gegen seinen Willen im Rahmen einer Abwerbung6 durch ein Konkurrenzunternehmen erfolgt. Würde § 613a BGB auch auf solche Fallgestaltungen anwendbar sein, würde der bisherige Betriebsinhaber nicht nur die bereits abgeworbenen Arbeitnehmer, sondern auch die übrigen Arbeitnehmer verlieren, die dem betroffenen Betrieb
5.23
1 Vgl. BAG v. 25.8.2016 – 8 AZR 53/15, NZA-RR 2017, 123 Rz. 25 ff.; BAG v. 21.5.2015 – 8 AZR 409/13, NZG 2016, 35, 37; BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, NZA 1998, 534 535 f. 2 Vgl. nur EuGH v. 11.7.2018 – C-60/17, NZA 2018, 1053 Rz. 34 – Seguridad; EuGH v. 26.11.2015 – C-509/14, NZA 2016, 31 Rz. 41 – Aira Pascual u.a. 3 Ebenso Willemsen/Annuß, Anm. zu BAG v. 17.7.1997 – 8 AZR 156/95 (B), DB 1997, 1875, 1877; Joost, Festschrift Kraft, S. 281, 286, 287 ff., der bei anderen Fallgestaltungen aber die Voraussetzungen für einen rechtsgeschäftlichen Übergang durch die bloße Einstellung von Arbeitnehmern offenbar nicht als gegeben sieht, S. 288 f. 4 EuGH v. 11.7.2018 – C-60/17, NZA 2018, 1053 Rz. 38 – Seguridad; EuGH v. 24.1.2002 – C-51/00, NZA 2002, 265 Rz. 27 – Temco. 5 B. Gaul, ZTR 1998, 1, 7; HWK/Willemsen, § 613a BGB Rz. 48 f. 6 HWK/Willemsen, § 613a BGB Rz. 205; Braun, DB 2002, 2326.
Gaul/Bonanni | 151
§ 5 Rz. 5.23 | Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB
oder Betriebsteil zugeordnet waren und deren Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes durch den durch die Übernahme des nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Personals ausgelösten Betriebsübergang mit übergehen, falls insoweit kein Widerspruch gemäß § 613a Abs. 6 BGB erklärt wird. Der bisherige Betriebsinhaber besäße keine Möglichkeit, selbst rechtsgeschäftlich über das weitere Schicksal seines Betriebs oder Betriebsteils zu entscheiden1. Umgekehrt würde der abwerbende Rechtsträger damit alle Mitarbeiter erhalten, die in dem Betrieb oder Betriebsteil beschäftigt waren, dessen wesentliches Personal er zuvor bereits abgeworben hatte.
5.24
Für eine generelle Einbeziehung solcher Vorgänge spricht zwar zunächst einmal, dass das Gesetz nur auf den übernehmenden Rechtsträger abstellt, soweit es einen rechtsgeschäftlichen Erwerb des Betriebs oder Betriebsteils verlangt.
5.25
Gegen eine zu weite Interpretation des Merkmals „durch Rechtsgeschäft“ spricht aber, dass der Begriff „Übergang“, der – bildhaft gesprochen – eine Brücke zwischen dem bisherigen und dem neuen Betriebsinhaber erforderlich macht, eine tatsächliche Einbeziehung des bisherigen Betriebsinhabers fordert. Ergänzend weist Joost2 darauf hin, dass das Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Betrieb als Objekt bezogen sei und daher eine entsprechende Befugnis zur Verfügung über den Gegenstand voraussetze, die allein dem (bisherigen) Inhaber des Betriebs zustehe. Eine Antwort in Bezug auf die Anwendbarkeit von § 613a BGB wird man deshalb nur finden können, wenn die Umstände, die zu einer Übernahme des Personals des bisherigen Betriebsinhabers geführt haben, bei der Auslegung des Tatbestands mit berücksichtigt werden3.
5.26
Kein Übergang „durch Rechtsgeschäft“ liegt deshalb vor, wenn die Einstellungen ohne Einbindung des bisherigen Betriebsinhabers, also auf der Grundlage eines offenen Bewerbungsverfahrens, in freiem Wettbewerb und auf der Grundlage der Bedingungen des einstellenden Unternehmens erfolgt sind4. Eine solche Fallgestaltung wird man jedenfalls dann annehmen können, wenn Arbeitnehmer durch ein Konkurrenzunternehmen gegen den Willen des bisherigen Betriebsinhabers abgeworben und dort mit der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit eingesetzt werden5. Vergleichbar mit einer Betriebsbesetzung, bei der Dritte ebenfalls die tatsächliche Leitungsmacht über einen Betrieb erhalten6, fallen solche Fallgestaltungen nicht in den Anwendungsbereich von § 613a BGB. Schranken hinsichtlich der praktischen Gestaltungsmöglichkeiten können sich hier allein aus den Grenzen des Wettbewerbsrechts (z.B. § 1 UWG) ergeben.
5.27
Grundlage für die Ausgrenzung dieser Fallgestaltung aus dem Anwendungsbereich von § 613a BGB ist aber nicht der Umstand, dass ein Einverständnis des bisherigen Betriebsinhabers7, seine Zustimmung zu der Fortführung des Betriebs8 oder eine „tatsächliche Willensübereinstim-
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Joost, Festschrift Kraft, S. 281, 287; HWK/Willemsen, § 613a BGB Rz. 205. Joost, Festschrift Kraft, S. 281, 287. Vgl. EFTA-Gerichtshof v. 25.9.1996 – E-2/95, EAS RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 11 a S. 10. EFTA-Gerichtshof v. 25.9.1996 – E-2/95, EAS RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 11 a (LS); HWK/Willemsen, § 613a BGB Rz. 29; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 59. LAG Baden-Württemberg v. 21.7.1997 – 15 Sa 47/97, NZA-RR 1998, 10, 12; Hölters/von SteinauSteinrück/Thees, Unternehmenskauf, Rz. 6.73, 6.79; APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 73; ähnlich Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 77. Vgl. ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 59; Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 27. So Willemsen/Annuß, Anm. zu BAG v. 17.7.1997 – 8 AZR 156/95 (B), DB 1997, 1875, 1877. Abl. bereits Backhaus, DB 1985, 1131, 1134.
152 | Gaul/Bonanni
Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge | Rz. 5.29 § 5
mung“ zwischen dem bisherigen und dem neuen Betriebsinhaber1 hinsichtlich einer Weiterbeschäftigung durch den anderen Rechtsträger fehlt. Ebensowenig scheitert die Anwendbarkeit von § 613a BGB daran, dass kein „Übergang mit Willen des [bisherigen] Betriebsinhabers“ gegeben ist, der den einzelnen Abschluss von Arbeitsverträgen zu einem Übertragungsvorgang i.S. einer „gewollten Einheit“ zusammenführt2. Eine solche Übereinstimmung zwischen den beteiligten Rechtsträgern ist für eine rechtsgeschäftliche Übertragung i.S.d. § 613a BGB nicht erforderlich. Die beiden Rechtsträger müssen überhaupt keinen Kontakt zueinander besitzen. Entscheidende Voraussetzung für eine Einbeziehung der Übernahme von Personal in den Begriff des „rechtsgeschäftlichen“ Übergangs eines Betriebs oder Betriebsteils ist, dass der bisherige Betriebsinhaber willentlich eine Beendigung der innerhalb des in Rede stehenden Betriebs oder Betriebsteils ausgeübten Tätigkeit und/oder der Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer bewirkt, die dieser organisatorischen Einheit zuzuordnen sind. Unerheblich ist, ob die Beendigung der Arbeitsverhältnisse durch Kündigung, Aufhebungsvertrag oder die fehlende Verlängerung eines befristeten Arbeitsverhältnisses herbeigeführt wird. Nur dann kann von der Übertragung in „zwei Schritten“3, also von einem insgesamt einheitlichen Handeln, gesprochen werden4. Entsprechendes gilt, wenn die Übernahme des Personals durch Tarifvertrag bestimmt wird5. Folgerichtig ist eine Anwendbarkeit von § 613a BGB ausgeschlossen, wenn der bisherige Betriebsinhaber die betriebliche Tätigkeit fortsetzen will. Arbeitnehmer, die in einem solchen Fall ihr Arbeitsverhältnis aufgrund der Abwerbung eines Konkurrenzunternehmens beenden, sind damit an ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot bzw. eine nachvertragliche Verschwiegenheitspflicht gebunden. Im Gegensatz zu einer Übertragung im Anwendungsbereich von § 613a BGB, bei der die Vereinbarung über das nachvertragliche Wettbewerbsverbot auf den übernehmenden Rechtsträger übergehen würde, so dass im Verhältnis zum bisherigen Betriebsinhaber eine Wettbewerbstätigkeit zulässig wäre (vgl. Rz. 9.104 f.), können diese nachvertraglichen Verpflichtungen sogar eine Tätigkeit des abgeworbenen Arbeitnehmers für das Konkurrenzunternehmen verbieten.
5.28
Die für § 613a BGB erforderliche Mitwirkung des übertragenden Rechtsträgers ist auch dann noch gegeben, wenn er zu keinem Zeitpunkt Kenntnis von der Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer durch einen anderen Rechtsträger gehabt hat. Ausreichend für die Annahme einer Übertragung „durch Rechtsgeschäft“ ist, dass der bisherige Inhaber eines Betriebs oder Betriebsteils -insbesondere wegen eines Auftragsverlusts – die Arbeitsverhältnisse der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer beendet und diese dann – durch Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags – zum übernehmenden Rechtsträger wechseln. Eine weitergehen-
5.29
1 So Annuß, BB 1998, 1582, 1585; a.A. wohl Nerlich/Kreplin/Althaus, Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, § 19 Rz. 52, wonach entscheidend sei, dass der Betriebsübergang auf dem Willen der Beteiligten beruhe. 2 So aber die Anforderungen von Joost, Festschrift Kraft, S. 281, 288 f.; ähnlich Joost, Festschrift Wlotzke, S. 683, 695, wo er von der Notwendigkeit eines beidseitig durch die beteiligten Rechtsträger auf Arbeitgeberseite gewollten Betriebsübergangs spricht. 3 So BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 148; EuGH v. 25.1.2001 – C-172/99, NZA 2001, 249 Rz. 29 – Liikenne. 4 Vgl. BAG v. 18.8.2011 – 8 AZR 230/10, NZA 2012, 267 Rz. 27; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 59 („derivativer Erwerb“). 5 EuGH v. 11.7.2018 – C-60/17, NZA 2018, 1053 Rz. 38 – Seguridad; EuGH v. 24.1.2002 – C-51/00, NZA 2002, 265 Rz. 27 – Temco.
Gaul/Bonanni | 153
§ 5 Rz. 5.29 | Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB
de Koordination durch den bisherigen Betriebsinhaber ist nicht erforderlich1. In entsprechender Weise hat es das BAG deshalb auch nicht als erforderlich angesehen, dass der bisherige Betriebsinhaber den Abschluss eines Franchisevertrags vermittelt, durch den dem neuen Betriebsinhaber wesentliche Betriebsmittel verfügbar gemacht werden2. Umgekehrt steht es damit einer Anwendbarkeit von § 613a BGB nicht entgegen, wenn bei der Übernahme von Personal weitere Personen (z.B. Personalberater bzw. -vermittler)3 oder eine Transfergesellschaft4 zwischengeschaltet werden.
5.30
Dass es damit von der Entscheidung der Arbeitnehmer abhängt, ob es zu einer Anwendbarkeit von § 613a BGB kommt, erscheint entgegen der Bedenken von Joost5 unbedenklich. Eine ähnliche Abhängigkeit von der Entscheidung Dritter ist beispielsweise dann gegeben, wenn ein Betrieb im Rahmen eines Pächterwechsels durch den Verpächter übertragen wird. Entscheidend ist, dass die bisherige Tätigkeit unter bewusster und gewollter Aufrechterhaltung der betrieblichen Organisation, die der bisherige Inhaber geschaffen hatte, fortgesetzt wird, nachdem dieser auf die Fortsetzung des Betriebs oder Betriebsteils verzichtet hat. Dass der andere Rechtsträger, der die gleiche oder gleichartige Tätigkeit fortsetzen will, durch die Entscheidung über die Zahl und Qualität des neu eingestellten Personals, das bis zu diesem Zeitpunkt noch beim bisherigen Betriebsinhaber beschäftigt ist, die Anwendbarkeit von § 613a BGB beeinflussen kann, spielt keine Rolle. Selbstverständlich liegt darin die Möglichkeit begründet, auch über den Übergang der sonstigen Arbeitsverhältnisse des Betriebs oder Betriebsteils zu entscheiden.
5.31
Richtig ist allerdings der Hinweis von Joost, dass bei einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang durch die Übernahme von Personal erst „ex ante“ – also mit Abschluss der für die Übernahme des wesentlichen Personals erforderlichen Arbeitsverträge – feststeht, ob § 613a BGB anwendbar ist. Da dieser Vorgang durch den neuen Arbeitgeber steuerbar ist, wird man indes nicht von einem „Spiel des Zufalls“6 sprechen können. Die Gestaltungsmöglichkeit ist Ausfluss der allgemeinen Vertragsfreiheit. In gleicher Weise könnte sich der andere Rechtsträger entscheiden, auf die Übernahme von Betriebsmitteln zu verzichten und/oder eine andere Tätigkeit auszuüben. Nur wenn er das nach Zahl und Sachkunde wesentliche Personal, das der bisherige Betriebsinhaber beschäftigte, übernimmt und die gleiche oder gleichartige Tätigkeit fortsetzt, kann deshalb ein rechtsgeschäftlicher Übergang eines Betriebs angenommen werden. Alles andere würde erneut dazu führen, dass die bloße Funktionsnachfolge – letztlich auch unter Verzicht auf das Erfordernis eines Rechtsgeschäfts – bereits zur Anwendbarkeit von § 613a BGB führte. Dies aber ist abzulehnen.
1 HWK/Willemsen, § 613a BGB Rz. 53, 58; a.A. Willemsen/Annuß, Anm. zu BAG v. 17.7.1997 – 8 AZR 156/95 (B), DB 1997, 1875, 1877. 2 BAG v. 18.5.1995 – 8 AZR 741/94, EzA § 613a BGB Nr. 139 S. 7 f.; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 108 ff. 3 Vgl. Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 14; Meyer, BB 2004, 490; Fuhlrott, NZA 2012, 549; Schrader, NZA-RR 2009, 309. 4 BAG v. 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152 Rz. 31 ff. 5 Joost, Festschrift Kraft, S. 281, 288 f. 6 So Joost, Festschrift Kraft, S. 281, 289.
154 | Gaul/Bonanni
Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge | Rz. 5.34 § 5
IV. Die Sachgründung oder Sacheinlage als rechtsgeschäftlicher Übertragungsvorgang Auf der Grundlage der Überlegungen zu Übertragungsvorgängen unter Einbeziehung Dritter ist auch die Einbringung von Betriebsmitteln in eine Auffanggesellschaft als rechtsgeschäftliche Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils anzusehen1. Dabei geht auch das BAG davon aus, dass es keine Rolle spielt, in welchem Umfang der übertragende Rechtsträger an der neuen Gesellschaft als Gesellschafter beteiligt ist. Maßgeblich ist vielmehr die Gefahr, dass durch die Gründung einer Auffanggesellschaft, innerhalb derer die bisherige Tätigkeit auf der Grundlage der noch nutzbaren Betriebsteile des bisherigen Betriebsinhabers fortgesetzt wird, eine Anwendbarkeit von § 613a BGB vermieden wird. Hiervon ausgehend ist es richtig anzunehmen, dass die Auffanggesellschaft schon mit Abschluss des Gesellschaftsvertrags die wesentlichen Betriebsmittel erhalten hat, so dass schon zu diesem Zeitpunkt von einem Betriebsoder Betriebsteilübergang auszugehen ist2.
5.32
Bei einer Einbeziehung eines solchen Einbringungsvorgangs ist unerheblich, ob es sich um eine Kapital- oder eine Personengesellschaft handelt3. Mit Vollzug der Einbringung wird die Gesellschaft in die Lage versetzt, den Betrieb oder Betriebsteil, der Gegenstand des Übertragungsvorgangs ist, fortzusetzen4.
5.33
Der Gesellschaftsvertrag, regelmäßig verbunden mit einem Einbringungsvertrag, ist die Rechtsgrundlage für die Übertragung von Betriebsmitteln im Zusammenhang mit einer Sacheinlage (vgl. Rz. 3.51, 3.54)5. Dies gilt auch für die Gründung einer Ein-Personen-Gesellschaft, wenngleich die Vorgaben dort durch Beschluss des Gründers festgelegt werden. Die Besonderheit an der Einbeziehung der Einbringung von Betriebsmitteln in den Anwendungsbereich von § 613a BGB liegt lediglich darin, dass die übernehmende Gesellschaft Betriebsinhaber wird, ohne selbst eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung mit dem bisherigen Betriebsinhaber oder einem Dritten abgeschlossen zu haben. Dies gilt nicht nur für den Fall einer Neugründung6, sondern auch dann, wenn Betriebe oder Betriebsteile im Rahmen einer Nachgründung7 oder einer Kapitalerhöhung8 eingebracht werden. Das entspricht Art. 1 Richtlinie 2001/23/EG, der nicht verlangt, dass die Vereinbarung über den Erwerb einer wirtschaftlichen Einheit9 unmittelbar mit dem Erwerber abgeschlossen wird10. Eine unmittelbare Beziehung wäre allerdings bei einer Vereinbarung mit einer bestehenden Gesellschaft gegeben, durch die ein Dritter ver-
5.34
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
BAG v. 25.6.1985 – 3 AZR 254/83, AP Nr. 23 zu § 7 BetrAVG Bl. 3 m. krit. Anm. Kraft. Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 9; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 126. LAG Hamm v. 25.10.2000 – 4 Sa 363/00, DZWIR 2001, 192, 195 f. Vgl. BAG v. 23.1.1990 – 3 AZR 171/88, NZA 1990, 685, 688; Bachner, AiB 1996, 291, 296; ErfK/ Preis, § 613a BGB Rz. 60. Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 9; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 64; Schaub, NZA 1989, 5, 6. Vgl. hierzu MünchGesR/Hoffmann-Becking, IV § 3 Rz. 1 ff.; Aha, AG 1997, 345; Nagl, DB 1996, 1221. Vgl. hierzu MünchGesR/Hoffmann-Becking, IV § 4 Rz. 50 ff.; ErfK/Preis, BGB § 613a Rz. 60. Vgl. hierzu MünchGesR/Scholz, IV §§ 56 ff.; Sieg/Maschmann, Unternehmensumstrukturierung, Rz. 108; Tillmann, BB 2004, 673; Lutter/Vetter, § 55 UmwG Rz. 8 ff. Zur Wahrung der wirtschaftlichen Einheit beim Betriebsübergang BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/ 19, NZA 2020, 1091 Rz. 58 ff.; BAG v. 25.8.2016 – 8 AZR 53/15, NZA 2017, 599 Rz. 26, 28, 31 ff. BAG v. 22.1.2015 – 8 AZR 139/14, NZA 2015, 1325 Rz. 19; BAG v. 18.8.2011 – 8 AZR 230/10, NZA 2012, 267 Rz. 27.
Gaul/Bonanni | 155
§ 5 Rz. 5.34 | Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB
pflichtet wird, die einem (Vor-)Gesellschafter obliegende Verpflichtung auf Erbringung einer Sacheinlage zu erfüllen (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 1 AktG).
5.35
Ausgehend davon, dass bei der Kapitalgesellschaft mit Abschluss des Gesellschaftsvertrags eine Vorgesellschaft entsteht (vgl. Rz. 3.30 f., 3.67 ff.), übernimmt diese die Sacheinlage im Wege der Einzelrechtsnachfolge1. Sobald später die Gesellschaft entsteht, geht das Vermögen auf diese im Wege der Gesamtrechtsnachfolge über2. Dies gilt auch dann, wenn die Vorgesellschaft während des Gründungsstadiums durch eine oder mehrere Personen vertreten wird, die im Anschluss an die Eintragung der Gesellschaft als Geschäftsführer eingetragen werden sollen. Diese Personen berechtigen und verpflichten die Vorgesellschaft, die als solche Träger von Rechten und Pflichten sein kann3. Der Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils kann damit auch nur auf den Vertretenen, die Vorgesellschaft, erfolgen. Da diese mit der Eintragung im Handelsregister in der dann entstehenden Gesellschaft aufgeht, ist ein Übergang des Betriebs oder Betriebsteils auf die als Geschäftsführer auftretende Person ausgeschlossen4. Ob und inwieweit eine Anwendbarkeit von § 613a BGB denkbar erscheint, wenn die Gesellschafter bereits vor Abschluss des Gesellschaftsvertrags auf der Grundlage einer Vorgründungsgesellschaft tätig werden, soll vorliegend nicht behandelt werden. Letztlich handelt es sich um eine eigenständige Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder, wenn bereits ein Handelsgeschäft betrieben wird, um eine oHG, für deren Schulden alle Beteiligten unbeschränkt persönlich haften; Rechte und Pflichten gehen nicht automatisch auf die Vorgesellschaft oder später auf die GmbH über, sondern müssen, wenn sie in die GmbH eingebracht werden sollen, durch besonderes Rechtsgeschäft übertragen werden5.
5.36
Bei der Personengesellschaft erfolgt die Übertragung unmittelbar in das Gesellschaftsvermögen6. Keine Rolle spielt, ob die Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt bereits die Qualität einer oHG oder KG besitzt. Wenn sie zum Zeitpunkt der Einbringung „nur“ als GbR qualifiziert werden kann, ist der spätere Übergang in eine Personenhandelsgesellschaft nach dem HGB als Formwechsel anzusehen, der die Identität des Rechtsträgers unberührt lässt (vgl. Rz. 3.100).
5.37
Ob die Übertragung von Vermögen im Zusammenhang mit einer Sacheinlage auch die Voraussetzungen einer Einbringung nach §§ 20 bis 23 UmwStG erfüllt, so dass die Übertragung auch zu Buchwerten vorgenommen werden kann, kann bei der hier in Rede stehenden Frage unberücksichtigt bleiben. Insoweit sei auf die Kommentarliteratur zum UmwStG verwiesen. Für die arbeitsrechtliche Frage kommt es nur darauf an, ob das übertragene Vermögen nach den zu § 613a BGB entwickelten Grundsätzen (vgl. Rz. 4.38 ff.) als Betrieb oder Betriebsteil gekennzeichnet werden kann. Ob das übertragene Vermögen zugleich auch als Betrieb oder als Teilbetrieb im steuerlichen Sinne angesehen werden kann, was für die Anwendbarkeit von §§ 20 ff. UmwStG erforderlich ist, spielt keine Rolle. Unerheblich ist deshalb auch, wer steuerlich als Einbringender angesehen wird.
1 Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 8 f.; Boecken, Anm. zu BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 416/99, RdA 2001, 236, 240. 2 BGH v. 7.5.1984 – II ZR 276/83, BGHZ 91, 148, 151; Hachenburg/Ulmer, § 11 GmbHG Rz. 8 ff.; Quander, Betriebsinhaberwechsel bei Gesamtrechtsnachfolge, S. 157 f. 3 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056, 1057. 4 Vgl. LAG Berlin v. 4.1.1988 – 9 Sa 111/87, DB 1988, 1400. 5 Vgl. hierzu BGH v. 7.5.1984 – II ZR 276/83, BGHZ 91, 148, 151 f.; Quander, Betriebsinhaberwechsel bei Gesamtrechtsnachfolge, S. 155 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 34 III S. 1028. 6 BAG v. 23.1.1990 – 3 AZR 171/88, NZA 1990, 685, 688.
156 | Gaul/Bonanni
Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge | Rz. 5.41 § 5
V. Übertragung im Rahmen der Realteilung Auch die Realteilung im Zusammenhang mit der Auflösung ist als umgekehrter Vorgang zur Einbringung bzw. Gründung (vgl. Rz. 3.84 ff.) mit der Übertragung von Vermögen im Wege der Einzelrechtsnachfolge verbunden. Soweit dabei Gegenstand der Übertragung Betriebe oder Betriebsteile sind, was möglich ist (vgl. Rz. 3.84 ff.), kommt § 613a BGB zur Anwendung1. Insoweit ist auch die Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen, die satzungsgemäß im Zusammenhang mit der Auflösung eines Vereins oder der Entziehung der Rechtsfähigkeit gemäß § 45 BGB vorgenommen wird, als Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB anzusehen2.
5.38
VI. Übertragung von Geschäftsanteilen bzw. Gesellschaftsanteilen (share deal) 1. Austausch von Gesellschaftern Kapitalgesellschaft: Bei der Übertragung von Geschäftsanteilen an einer Kapitalgesellschaft kommt es nur zu einem Wechsel des Inhabers der Gesellschaft, die ihrerseits mit dem Arbeitnehmer als Arbeitgeber verbunden ist. Die Gesellschaft als Rechtsträger besteht trotz der Übertragung von Geschäftsanteilen bzw. Aktien in ihrer bisherigen Identität fort; eine Übertragung von Vermögen findet nicht statt. Dies gilt selbst dann, wenn sämtliche Gesellschafter ausgetauscht werden.
5.39
Da auch das Vermögen unverändert diesem Rechtsträger zugeordnet bleibt, besteht auch der Arbeitsvertrag zum bisherigen Rechtsträger fort. Schon dies schließt eine Anwendbarkeit von § 613a BGB im Regelfall aus3. Damit ist auch der Eintritt eines anderen Rechtsträgers in die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber ausgeschlossen4. Soweit man nicht bereits eine kollektivrechtliche Fortgeltung der Konzernbetriebsvereinbarung als Betriebs- oder Gesamtbetriebsvereinbarung annehmen will5, was überzeugend erscheint, wäre es geboten, jedenfalls von einer analogen Anwendbarkeit von § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB in Bezug auf Rechte und Pflichten einer bis zum share deal geltenden Konzernbetriebsvereinbarung auszugehen. Andernfalls bestünde z.B. die Gefahr, dass mit dem Wegfall einer Konzernbindung als Folge eines share deals Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung ersatzlos entfielen, wenn die zugrunde liegende Konzernbetriebsvereinbarung nach der Übertragung an konzernfremde Dritte nicht mehr zur Anwendung kommt. Bei einer individualrechtlichen Fortgeltung, die mit einem Wechsel der Rechtsnatur der Anspruchsgrundlage verbunden wäre, was nicht überzeugt, könnten Änderungen nur noch durch individuelle Änderungsvereinbarung oder -kündigung vorgenommen werden. Bei einer Fortgeltung als Betriebsvereinbarung, die vorzugswürdig erscheint, könnten spätere Änderungen in den Grenzen von § 77 BetrVG erfolgen6.
5.40
Personenhandelsgesellschaft: Das Gleiche gilt für den Gesellschafterwechsel von oHG oder KG, unabhängig davon, ob er durch Übertragung von Gesellschaftsanteilen oder durch den
5.41
1 Vgl. Beisel/Klumpp, Unternehmenskauf, Rz. 252 f. 2 BAG v. 13.2.2014 – 8 AZR 144/13, NJW 2014, 2223 Rz. 14. 3 BAG v. 27.4.2017 – 8 AZR 859/15, AP BGB § 613a Nr. 469 Rz. 33; BAG v. 20.4.2010 – 3 AZR 225/ 08, NZA 2010, 883 Rz. 36 ff. 4 BAG v. 23.3.2017 – 8 AZR 91/15, NZA 2017, 981 Rz. 17; BAG v. 12.7.1990 – 2 AZR 39/90, NZA 1991, 63, 64. 5 So BAG v. 25.2.2020 – 1 ABR 39/18, NZA 2020, 875 Rz. 26; BAG v. 13.8.2019 – 1 AZR 213/18, NZA 2020, 49 Rz. 32. 6 So BAG v. 25.2.2020 – 1 ABR 39/18, NZA 2020, 875 Rz. 48.
Gaul/Bonanni | 157
§ 5 Rz. 5.41 | Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB
Ein- oder Austritt von Gesellschaftern bewirkt wird. Der erstgenannte Weg eines Gesellschafterwechsels setzt Vereinbarungen zwischen dem ein- oder austretenden Gesellschafter und allen übrigen Gesellschaftern voraus. Der zweite Weg vollzieht sich mit Zustimmung der übrigen Gesellschafter auf der Grundlage einer Vereinbarung, die allein zwischen dem Anteilsveräußerer und -erwerber getroffen wird. Der Anteil als solcher wird durch seine Übertragung nicht verändert (vgl. Rz. 3.96 f.)1. Obwohl beide Vorgänge im Ergebnis dazu führen, dass das Gesamthandsvermögen, in der Regel also auch Betriebe und Betriebsteile, auf der Grundlage eines Rechtsgeschäfts einer anderweitig zusammengesetzten Gesamthandsgemeinschaft zugeordnet wird, lässt sich der bloße Wechsel des Gesellschafters bzw. die Veränderung der Zahl der Gesellschafter nicht dem Anwendungsbereich von § 613a BGB zuordnen. Da die Übertragungsvorgänge aber nur die Anteile an der Gesamthand betreffen, bleibt die Gesellschaft als Gesamthand in ihrem Fortbestand unberührt2. Auch der Betrieb bzw. Betriebsteil bleibt der Gesellschaft ohne jede Veränderung zugeordnet3. Der Inhaber des Betriebs ist also trotz des Übertragungsvorgangs auf der Ebene der Gesellschafter unverändert. Anhaltspunkte, hier von einer analogen Anwendbarkeit von § 613a BGB auszugehen, bestehen nicht4. Ausnahmen können auch hier allenfalls in Bezug auf konzernbezogene Kollektivvereinbarungen gerechtfertigt sein.
5.42
Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn im Wege der Anteilsübertragung eine vollständige und gleichzeitige Auswechselung aller Gesellschafter vorgenommen wird, was nach überwiegend vertretener Ansicht unter Wahrung der Identität einer Personenhandelsgesellschaft und unter Aufrechterhaltung des ihr zugeordneten Gesamthandsvermögens möglich ist5. Eine Anwendbarkeit von § 613a BGB wäre indes dann anzunehmen, wenn die bisherige Gesellschaft aufgelöst und der Betrieb auf eine neugegründete Gesellschaft übertragen wird6.
5.43
Bei der GbR wird man im Anschluss an die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der (Außen-) GbR durch den BGH7 und das wohl überwiegende Schrifttum8 die vorstehend zur oHG und KG vorgenommene Bewertung übertragen können. Dies gilt mit Blick auf die aktuellen Überlegungen zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts erst recht, wenn die GbR nach dem gemeinsamen Willen der Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnehmen soll9.
5.44
Entscheidend für die hier in Rede stehende Frage ist, dass die GbR als Folge einer Anerkennung der Rechtsfähigkeit in der Lage ist, entsprechend § 124 HGB Rechte zu erwerben und
1 Vgl. BAG v. 14.8.2007 – 8 AZR 803/06, NZA 2007, 1428 Rz. 16 f. 2 Vgl. BAG v. 14.8.2007 – 8 AZR 803/06, NZA 2007, 1428 Rz. 19 ff.; LAG Düsseldorf v. 16.6.2016 – 11 Sa 352/15, BeckRS 2016, 107581; LAG Hamm v. 30.1.1997 – 4 Sa 823/96 n.v. 3 Henssler, NZA 1994, 913, 917; Schmalenberg, NZA-Beil. 1989/3, 14; a.A. von Stebut, ZGR 1981, 183, 206. 4 Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 64; Hölters/von Steinau-Steinrück/Thees, Unternehmenskauf, Rz. 6.60 f. 5 Vgl. nur BGH v. 8.11.1965 – II ZR 223/64, BGHZ 44, 229, 231; ähnlich BGH v. 18.2.1998 – XII ZR 39/96, DB 1998, 716 zur Anwendbarkeit von § 571 BGB beim Gesellschafterwechsel. 6 Bauer, Unternehmensveräußerung, S. 28; Seiter, Betriebsinhaberwechsel, S. 39; Beisel/Klumpp, Unternehmenskauf, Rz. 495. 7 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056; OLG Frankfurt v. 18.1.1999 – 18 W 59/98, MDR 1999, 766. 8 Vgl. nur Flume, ZHR 136, 177, 184; K. Schmidt, NJW 2001, 993; Huber, Festschrift Lutter, S. 107, 122; Westermann, WM 2013, 441, 444 f. 9 Vgl. BT-Drucks. 19/27635, S. 13 (§ 705 Abs. 2 BGB-E).
158 | Gaul/Bonanni
Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge | Rz. 5.45 § 5
Verbindlichkeiten einzugehen1. Verändert sich die Zusammensetzung der Gesellschafter, hat dies keinen Einfluss auf den Fortbestand der mit der Gesellschaft bestehenden Rechtsverhältnisse2. Da damit weiterhin der gleiche Rechtsträger Vertragspartner ist, ist eine Anwendung von § 613a BGB ausgeschlossen3.
2. Personengesellschaft: Reduzierung auf einen einzigen Gesellschafter (Anwachsung) Ohne Rücksicht auf die Unterscheidung zwischen der Personenhandelsgesellschaft (oHG oder KG) auf der einen Seite und GbR auf der anderen Seite wird man indes von einer Übertragung i.S.d. § 613a BGB ausgehen können, wenn der Übertragungsvorgang – insbesondere bei der Vereinbarung einer Übernahmeklausel – zu einem Übergang aller Anteile an einer solchen Gesellschaft auf einen einzigen Erwerber (vollständiger Austausch der Gesellschafter)4 oder auf den letzten, dann noch verbleibenden Gesellschafter führt (Anwachsung)5. Denn die Personengesellschaft kann – anders als die juristische Person – nicht mit nur noch einem einzigen Gesellschafter fortbestehen. Vielmehr führt der Übertragungsvorgang bei der Personengesellschaft zu einer Beendigung der Gesellschaft ohne Liquidation6. Im Wege der Gesamtrechtsnachfolge wandelt sich das Gesamthandseigentum beim Anteilserwerber im Wege der Anwachsung in Alleineigentum um, ohne dass es einer weiteren Verfügung über einzelne Vermögensgegenstände bedarf7. Da sich aber die Inhaberschaft der einzelnen Person schon wegen der Haftungsunterschiede, der Art ihrer Willensbildung und ihrem Handeln im Rechtsverkehr von der Inhaberschaft einer Gesamthand unterscheidet, liegt darin ein Betriebsinhaberwechsel. Da dieser Gesamtrechtsnachfolge auch gewillkürte Abreden der Gesellschafter zugrunde liegen, erfolgt die Übertragung auch „durch Rechtsgeschäft“, was zur unmittelbaren Anwendung von § 613a BGB führt, wenn Betriebe oder – falls der Teil eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen betroffen ist – Betriebsteile betroffen sind8. Hiervon geht wohl auch das BAG aus9, konnte die Frage aber offen lassen. Es hat für den Fall der Anwachsung lediglich entschieden, dass der neue Rechtsträger bei gesellschaftsrechtlicher Gesamtrechtsnachfolge in die Arbeitgeberstellung eintritt, ohne dass es auf einen Betriebsübergang nach § 613a BGB ankommt. Für einen Betriebsübergang spreche aber, dass die Identität des Betriebsinhabers gewechselt habe und dies rechtsgeschäftlich veranlasst worden sei. Ein Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB bestehe jedoch in den Fällen nicht, in denen der bisherige Rechtsträger erlischt und der neue Arbeitgeber durch gesellschaftsrechtliche Gesamtrechtsnachfolge in die Arbeitsverhältnisse eintrete.
1 2 3 4 5 6 7 8 9
So bereits Flume, ZHR 136, 177, 193; Übersicht bei Kreft, Festschrift Goette, S. 263 ff. BGH v. 17.6.2014 – XI ZR 514/11 Rz. 17; BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056, 1057. LAG Köln v. 14.5.2001 – 2 Sa 1054/00, MDR 2001, 1175; DKK/Trümner, § 1 BetrVG Rz. 177. Allg. zu dieser Form des Gesellschafterwechsels vgl. BGH v. 10.5.1978 – VIII ZR 32/77, BGHZ 71, 296, 299 f; Schnitker/Grau, ZIP 2008, 394, 397. Ebenso LAG Köln v. 14.5.2001 – 2 Sa 1054/00, MDR 2001, 1175; HWK/Willemsen, § 613a BGB Rz. 191; Rödder/Herlinghaus/van Lishaut/Winter, UmwStG Rz. 588 ff.; a.A. Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 125. BAG v. 14.7.2015 – 3 AZR 252/14, NZA-RR 2015, 539 Rz. 17; BGH v. 10.5.1978 – VIII ZR 32/77, BGHZ 71, 296, 300. BGH v. 1.6.2017 – VII ZR 277/15, NJW 2017, 3521; BAG v. 14.7.2015 – 3 AZR 252/14, NZA-RR 2015, 539 Rz. 41; MünchKommBGB/Schäfer, § 719 BGB Rz. 26, § 730 BGB Rz. 69. Abl. Borngräber, Betriebsübergang, S. 52; Schaub, ZIP 1984, 272, 273; Seiter, Betriebsinhaberwechsel, S. 39. Vgl. BAG v. 21.08.2008 – 8 AZR 157/08, NZA 2008, 815 Rz. 17.
Gaul/Bonanni | 159
5.45
§ 5 Rz. 5.46 | Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB
5.46
Zu den Rechtsträgern, die Ziel eines Formwechsels i.S.d. §§ 190 ff. UmwG sein können, gehört – anders als die GbR – nicht der Einzelkaufmann. Schließlich ist die Übertragung einer Gesamthand auf einen einzelnen Rechtsträger mehr als die bloße Entscheidung, dem übertragenden Rechtsträger eine andere Rechtsform zu geben. Hierin liegt ein Übertragungsvorgang, der allenfalls im Wege einer übertragenden Umwandlung abgewickelt werden kann.
5.47
Allein der Wechsel in den Personen der Komplementäre und Kommanditisten einer KG berührt – so das BAG1 – die Identität der Gesellschaft als Rechtssubjekt nicht, so dass allein der Gesellschafterwechsel zu keinem Betriebsübergang führt, was selbst dann gelten soll, wenn alle Gesellschafter ausscheiden und ihre Gesellschaftsanteile auf einen oder mehrere Erwerber übertragen.
VII. Übertragung im Rahmen der Zwangsverwaltung bzw. -versteigerung 5.48
Umstritten ist die Anwendbarkeit von § 613a BGB bei Übertragungsvorgängen im Rahmen der Zwangsverwaltung oder -versteigerung. Gegen eine Anwendbarkeit der Vorschrift spricht bereits, dass der Erwerb von Vermögen im Rahmen der Zwangsversteigerung nicht als rechtsgeschäftlicher Übertragungsvorgang gekennzeichnet werden kann2. Vielmehr erfolgt die Übertragung kraft Hoheitsakts, nämlich auf der Grundlage des Zuschlags (§§ 90, 91 ZVG)3. Dass unwesentliche Bestandteile eines Betriebs, der Gegenstand der Beschlagnahme ist, parallel dazu durch Rechtsgeschäft übertragen werden können, wird man – abweichend von der Bewertung durch das BAG4 – nicht als ausreichend ansehen können. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die für eine Fortsetzung des Betriebs erforderlichen (immateriellen) Betriebsmittel (z.B. Know-how, Patente, Lizenzen) erst durch eine gesonderte Vereinbarung mit dem Zwangsverwalter außerhalb der Versteigerung übertragen werden5.
5.49
Auch die Fortführung eines Betriebs durch den Zwangsverwalter6 kann – obwohl auch hier unterschiedliche Ansichten vertreten werden – vergleichbar mit dem Tätigwerden eines Insolvenzverwalters7 oder eines Testamentsvollstreckers8 nicht ohne Weiteres in den Anwendungsbereich von § 613a BGB einbezogen werden9. Zunächst einmal wird man selbst dann, wenn man eine Befugnis des Zwangsverwalters zur Fortführung des Betriebs annimmt10, nicht von der Übernahme eines Betriebs i.S.d. § 613a BGB ausgehen können. Schließlich wird die Verwaltung nur im Namen des bisherigen Inhabers, der vorübergehend die Verfügungsbefugnis verloren hat, ausgeübt11. Arbeitgeber sind weiterhin der Erbe (Testamentsvollstre1 BAG v. 14.8.2007 – 8 AZR 803/06, NJW 2008, 314 Rz. 17. 2 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 64; a.A. Liessem, Betriebsverpachtung, S. 45 ff. 3 Ebenso HWK/Willemsen, § 613a BGB Rz. 208; Zeller/Stöber, § 90 ZVG Rz. 2; Jauernig, Zwangsvollstreckungsrecht, § 24 VII S. 111. 4 BAG v. 14.10.1982 – 2 AZR 811/79, AP Nr. 36 zu § 613a BGB Bl. 5. 5 Vgl. Birkholz, Betriebsübergang in der Insolvenz, S. 102 f., 105 ff.; Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 36 ff. 6 Vgl. BAG v. 18.8.2011 – 8 AZR 230/10, NJW 2011, 3596 Rz. 27, 19; zusammenfassend vgl. Birkholz, Betriebsübergang in der Insolvenz, S. 108 ff. m.w.N; Drasdo, NZA 2012, 239. 7 Vgl. Picot/Schnitker, Arbeitsrecht bei Unternehmenskauf, C Rz. 162. 8 Vgl. Pietzko, Tatbestand des § 613a BGB, S. 167 f. 9 Ebenso LAG Köln v. 11.5.1999 – 10 Sa 14/99, NZA 2000, 36, 38; Drischler, Rpfleger 1988, 443, 444. 10 Vgl. LAG Bremen v. 6.2.1987 – 4 Sa 328/85, BB 1987, 1606; Drischler, Rpfleger 1988, 443, 444. 11 Ebenso Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 11; vgl. zum Testamentsvollstrecker oder Konkursverwalter Kamlah, Kollektivverträge bei Betriebsübergang, S. 148 f.
160 | Gaul/Bonanni
Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge | Rz. 5.51 § 5
ckung)1, der Gemeinschuldner (Insolvenz)2 oder der Schuldner (Zwangsverwaltung)3. Im Übrigen wird die Leitungsmacht bei der Zwangsverwaltung auf der Grundlage einer Beschlagnahme, also eines Verwaltungsakts, ausgeübt4. Nur insoweit wird dem Schuldner die Verwaltung und Nutzung entzogen. Eine Zustimmung des Schuldners zur Fortführung des Betriebs, an die z.T. die Anwendbarkeit von § 613a BGB geknüpft wird5, ist nicht erforderlich6. Ein Betrieb oder Betriebsteilübergang kommt hier nur dann in Betracht, wenn über den beschlagnahmten Betrieb oder Betriebsteil hinaus durch gesonderte Vereinbarung des Verwalters mit dem Schuldner oder einem Dritten Resourcen erworben werden, die einen eigenständigen Betriebs- oder Betriebsteilübergang darstellen. Das kommt beispielsweise dann in Betracht, wenn der Verwalter, der den mit einem Dritten bestehenden Pachtvertrag beendet und das verpachtete Objekt (hier: Hotel) selbst übernimmt und ohne wesentliche Änderung fortführt7. Denn ohne diese rechtsgeschäftliche Maßnahme wäre der durch den Schuldner als Verpächter abgeschlossene Pachtvertrag auch gegenüber dem Verwalter wirksam, der Pächter also weiterhin Betriebsinhaber (§ 152 Abs. 2 ZVG). Ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang kann auch dann vorliegen, wenn der Zwangsverwalter den Betrieb oder Betriebsteil auf einen Dritten überträgt (z.B. Verpachtung)8.
VIII. Übertragungsvorgänge im Zusammenhang mit Privatisierungsvorhaben Losgelöst von § 168 UmwG, der an anderer Stelle behandelt wird (vgl. Rz. 5.61, 5.82), ist § 613a BGB auch dann anwendbar, wenn die Partner der Vereinbarung, die der Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils zugrunde liegt, öffentlich-rechtliche Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen sind9. Unerheblich ist, ob der öffentlich-rechtliche Rechtsträger als übertragender oder übernehmender Rechtsträger beteiligt ist10. Entsprechend stellt auch Art. 1 Abs. 1 lit. c Richtlinie 2001/23/EG klar, dass die Richtlinie auch für öffentliche Unternehmen gilt, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht.
5.50
Trotz der Ausgrenzung von Übertragungsvorgängen, die kraft Hoheitsakts durchgeführt werden, wird damit auch die Privatisierung von Aufgaben des öffentlichen Dienstes durch Übertragung auf die Privatwirtschaft in den Anwendungsbereich von § 613a BGB einbezogen11. Dies gilt auch dann, wenn zwischen öffentlicher Hand und übernehmendem Rechtsträger ein
5.51
1 Pietzko, Tatbestand des § 613a BGB, S. 168. 2 Vgl. BAG v. 19.5.2005 – 3 AZR 649/03, NZA-RR 2006, 373, 376. 3 Ebenso Pietzko, Tatbestand des § 613a BGB, S. 205; a.A. Commandeur, Betriebsübernahme, S. 48 f., Hölters/von Steinau-Steinrück/Thees, Unternehmenskauf, Rz. 6.72, die von einem Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Zwangsverwalter ausgehen. 4 Drischler, RPfl. 1988, 443, 444; Mohrbutter, NZA 1985, 105, 107. 5 So BAG v. 9.1.1980 – 5 AZR 21/78, DB 1980, 1497; Birkholz, Betriebsübergang in der Insolvenz, S. 117 ff., 119. 6 Vgl. BAG v. 18.8.2011 – 8 AZR 230/10, NJW 2011 Rz. 35, 3596; Backhaus, DB 1985, 1131, 1132. 7 Vgl. BAG v. 18.8.2011 – 8 AZR 230/10, NZA 2012, 267 Rz. 29 ff.; BAG v. 14.10.1982 – 2 AZR 811/79, AP Nr. 36 zu § 613a BGB Bl. 5. 8 Vgl. Birkholz, Betriebsübergang in der Insolvenz, S. 122. 9 EuGH v. 27.2.2020 – C-298/18, NZA 2020, 443 Rz. 41 – Grafe und Pohle; EuGH v. 6.9.2011 – C108/10, NZA 2011, 1077 Rz. 44 ff. – Scattolon; BAG v. 10.5.2012 – 8 AZR 434/11, NZA 2012, 1161 Rz. 33 ff. 10 Vgl. EuGH v. 26.9.2000 – C-175/99, NZA 2000, 1327 Rz. 47 ff., 57 – Mayeur. 11 Vgl. nur EuGH v. 7.8.2018 – C-472/16, NZA 2018, 1123 Rz. 46 – Colino Sigüenza; BAG v. 8.1.2016 – 8 AZR 493/14, NZA 2016, 250 Rz. 29.
Gaul/Bonanni | 161
§ 5 Rz. 5.51 | Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB
öffentlich-rechtlicher Vertrag1 abgeschlossen wird. In gleicher Weise werden Übertragungsvorgänge einbezogen, die – wenn an einem Übertragungsvorgang außerhalb der Privatisierung beiderseits öffentlich-rechtliche Rechtsträger beteiligt sind – auf der Grundlage einer Verwaltungsvereinbarung vorgenommen werden2. Allerdings muss Gegenstand des Übertragungsvorgangs ein Betrieb oder Betriebsteil sein. Wenn es nur um die Übertragung von Verwaltungsaufgaben einer Behörde oder Dienststelle geht, kann – wenn keine besonderen gesetzlichen Regelungen geschaffen werden – auch dann nicht von einer Anwendbarkeit des § 613a BGB ausgegangen werden, wenn die bisherigen Aufgaben nunmehr durch einen anderen Träger der öffentlichen Verwaltung3 oder einen privaten Rechtsträger ausgeübt wird. Denn letztlich handelt es sich auch hier um eine bloße Funktionsnachfolge, die § 613a BGB nicht erfasst4.
5.52
Soweit bei Privatisierungsvorgängen Personalüberleitungsverträge – soweit es nicht um die Überleitung bzw. Zuweisung von Beamten geht5 – abgeschlossen werden, steht dies einer Anwendung von § 613a BGB nicht entgegen6. Im Gegenteil: Mit solchen Verträgen wird versucht, über § 613a BGB hinaus den Interessen der von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer Rechnung zu tragen. Insofern bestehen auch keine Bedenken, entsprechende Abreden durch Tarifvertrag abzuschließen7. Eine Verpflichtung, solche Tarifverträge abzuschließen, lässt sich indes aus der Richtlinie 2001/23/EG nicht ableiten8. Dies gilt insbesondere für kollektivvertragliche Ansprüche, die auf diese Weise – ggf. über § 613a BGB hinausgehend – fortgeschrieben werden. Häufig soll mit solchen Vereinbarungen auch eine Möglichkeit geschaffen werden, dass die Arbeitnehmer nach ihrem Wechsel in die Privatwirtschaft wieder in den öffentlichen Dienst zurückkehren9.
5.53
Einer Übertragung i.S.d. § 613a BGB steht nicht entgegen, wenn Anlass für den Übertragungsvorgang gewesen ist, dass der bisherige Betriebsinhaber die behördliche Erlaubnis für eine Fortsetzung des Betriebs verloren hat10. Unerheblich ist auch, wenn der Erwerber des Betriebs erst nach Erteilung einer behördlichen Erlaubnis bzw. Konzession die tatsächliche Tätigkeit aufnehmen darf11. Dies gilt auch für die Übernahme der Kanzlei eines Notariats, selbst wenn die nach außen gerichtete Tätigkeit des Notars erst mit der Bestellung durch den Justizminister erfolgen kann (vgl. Rz. 5.4). Hiervon unabhängig kann der Antragsteller aber die organisatorische Gesamtheit einer bereits bestehenden Kanzlei, insbesondere durch Einstellung
1 BAG v. 10.5.2012 – 8 AZR 434/11, NZA 2012, 1161 Rz. 44. 2 Vgl. BAG v. 27.4.2000 – 8 AZR 260/99, RzK I 5e Nr. 135; BAG v. 7.9.1995 – 8 AZR 928/93, NZA 1996, 424, 426; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 62. 3 Vgl. BAG v. 24.8.2006 – 8 AZR 317/05, NZA 2007, 1287 Rz. 31; BAG v. 20.3.1997 – 8 AZR 856/ 95, BB 1997, 1743. 4 Vgl. EuGH v. 20.1.2011 – C-463/09, NZA 2011, 148 Rz. 36 ff. – CLECE; EuGH v. 26.9.2000 – C175/99, NZA 2000, 1327 Rz. 28, 33 – Mayeur; BAG v. 25.8.2016 – 8 AZR 53/15, NZA-RR 2017, 123 Rz. 30. 5 Vgl. Hofmann, ZTR 1996, 493; Thüsing/Schorn, ZTR 2008, 651. 6 BAG v. 11.7.2019 – 6 AZR 40/17, NZA-RR 2019, 590 Rz. 19; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 62. 7 LAG Niedersachsen v. 31.8.2001 – 10 Sa 2899/98, NZA-RR 2002, 630; zutr. Blanke, ZTR 2000, 211; Pawlak/Leydecker, ZTR 2008, 74. 8 A.A. Blanke, ZTR 2000, 211, 212, 214, dort noch in Bezug auf Richtlinie 77/187/EWG. 9 Eingehend vgl. Blanke/Gebhardt/Heuermann, Privatisierungsrecht, Rz. 89 ff. 10 LAG Berlin-Brandenburg v. 1.9.2010 – 17 Sa 836/10, ZIP 2011, 878; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 82; abw. LAG Köln v. 2.10.1997 – 10 Sa 643/97, NZA-RR 1998, 290. 11 BAG v. 13.6.2006 – 8 AZR 551/05 n.v.; BAG v. 8.2.1989 – 5 AZR 66/88, KTS 1990, 107, 110.
162 | Gaul/Bonanni
Sonstige Übertragungen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge | Rz. 5.56 § 5
des juristischen und verwaltenden Personals, übernehmen (vgl. Rz. 4.128 ff., 5.4). In entsprechender Weise hängt die Anerkennung eines Betriebsübergangs durch Verpachtung eines Restaurants nicht davon ab, ob die lebensmittelrechtlichen Genehmigungen und eine etwaige Genehmigung der Gewerbeaufsicht erteilt wurde. Entscheidend ist, dass bei einer Bewertung der Gesamtumstände des in Rede stehenden Vorgangs von dem Übergang einer wirtschaftlichen Einheit auszugehen ist, die bei dem potenziellen Erwerber fortgeführt wird. Welche Rechtsfolgen sich bei einer Personalgestellung ergeben, wird gesondert erörtert (vgl. Rz. 4.51, 4.47).
5.54
D. Sonstige Übertragungen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge I. Meinungsstand Nachdem die Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils im Wege der Gesamtrechtsnachfolge noch in der Vergangenheit grundsätzlich aus dem Anwendungsbereich von § 613a BGB ausgegrenzt wurde, hat sich diese Sichtweise – lässt man die vorstehend gesondert behandelten Rechtsfolgen bei Personengesellschaften an dieser Stelle unberücksichtigt – spätestens mit dem Inkrafttreten des Umwandlungsbereinigungsgesetzes zum 1.1.1995 geändert1. Inzwischen ist weitgehend anerkannt, dass es sich jedenfalls bei der Unternehmensumwandlung nicht um eine Übertragung kraft Gesetzes, sondern um eine rechtsgeschäftliche Übertragung handelt. Insofern wird ganz überwiegend angenommen, dass § 613a BGB – unmittelbar2, analog3 oder auf der Grundlage einer Rechtsgrund-4oder Rechtsfolgenverweisung5 in § 324 UmwG – auch die Gesamtrechtsnachfolge durch Unternehmensumwandlung erfasse. Relevant wird dies jeweils dort, wo sich die Rechtsfolgen des Übertragungsvorgangs nicht bereits aus den allgemeinen Folgen der Gesamtrechtsnachfolge erklären lassen6. Allerdings wird die Anwendbarkeit von § 613a BGB durch einen Teil der Literatur abgelehnt, wenn das Vermögen, das Gegenstand des Übertragungsvorgangs geworden ist, (noch) nicht die Qualität eines Betriebs oder Betriebsteils besessen hat7.
5.55
Ob § 613a BGB auf sonstige Formen der Gesamtrechtsnachfolge außerhalb des UmwG anwendbar ist, wird unterschiedlich bewertet. Überwiegend scheint wohl die Ansicht vertreten zu werden, dass es eines Rückgriffs auf § 613a BGB nicht bedürfe, weil bereits aus den allgemeinen Grundsätzen der Gesamtrechtsnachfolge eine ausreichende Absicherung der Arbeitnehmer erfolge und der Gesetzgeber insoweit auf eine Bezugnahme – entsprechend § 324
5.56
1 Vgl. hierzu Vorauflage § 7 Rz. 59 m.w.N. 2 So Bartodziej, ZIP 1994, 580; Baumann, DStR 1995, 888; Brinkmann, Spaltung von Rechtsträgern, S. 75; Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 67; B. Gaul, NZA 1995, 717, 721; Henssler, Festschrift Kraft, S. 219, 226; Sagan, Festschrift Willemsen, S. 417, 419 ff.; Schaub, Festschrift Wlotzke, S. 103, 105, 118. 3 So Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 76; Hanau/Vossen, Festschrift Hilger/Stumpf, S. 272, 289; von Alvensleben, Betriebsübergang im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 275 f., 280. 4 So BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/18, ZIP 2018, 441 Rz. 26; BAG v. 6.10.2005 – 2 AZR 316/04, NZA 2006, 990 Rz. 41; HWK/Müller-Bonanni, § 324 UmwG Rz. 1. 5 So Salje, RdA 2000, 126; Hartmann, ZfA 1997, 21, 24. 6 Vgl. BAG v. 15.6.2016 – 4 AZR 805/14, NZA 2017, 326 Rz. 33. 7 Boecken, Unternehmensumwandlungen, S. 52, 55; Kraft, ZfA 1997, 303, 304.
Gaul/Bonanni | 163
§ 5 Rz. 5.56 | Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB
UmwG – verzichtet habe1. Wegen Restrukturierungsmaßnahmen im Bereich der Krankenkassen vgl. Rz. 7.19 ff.).
5.57
Beim Tod des Arbeitgebers geht das Arbeitsverhältnis auf die Erben über (§ 1922 BGB) und erlischt nicht. Eine Ausnahme gilt nur dort, wo die Erbringung der Arbeitsleistung untrennbar mit der Person des Arbeitgebers verbunden ist2.
II. Stellungnahme 1. Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen 5.58
Die frühere Ausgrenzung der Übertragung von Betrieben und Betriebsteilen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge aus dem Anwendungsbereich von § 613a BGB wurde zwar zu Recht vor allem mit Blick auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes und den dort zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers begründet. Dieser hatte nämlich die Einfügung von § 613a BGB in das Bürgerliche Gesetzbuch mit dem Hinweis verbunden, dass für die Gesamtrechtsnachfolge eine entsprechende Regelung nicht erforderlich sei. Damit konnte in der fehlenden Regelung der Umwandlung durch § 613a Abs. 1 BGB keine planwidrige Regelungslücke gesehen werden, die eine Analogie rechtfertigte3.
5.59
Zu Recht haben die meisten Stellungnahmen deshalb hervorgehoben, dass schon darin ein Verstoß gegen die Vorgaben der Richtlinie 77/187/EWG (heute: Richtlinie 2001/23/EG) zu sehen war, die unterschiedslos für die Fälle des Übergangs von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung gilt (Art. 1) und diesbezüglich Vorgaben hinsichtlich der Wahrung der Ansprüche der Arbeitnehmer enthält (Art. 3)4. Obwohl die verschiedenen sprachlichen Fassungen von Art. 1 Richtlinie 2001/23/EG im Hinblick auf den Begriff der „vertraglichen Übertragung“ unterschiedliche Kennzeichnungen verwenden5, wird in allen Fassungen übereinstimmend auch die Verschmelzung als besondere Form der Gesamtrechtsnachfolge erfasst. Ergänzend hierzu war in den Richtlinien 78/855/EWG betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften und Art. 11 Richtlinie 82/891/EWG für die Spaltung von Aktiengesellschaften bestimmt worden, dass die Wahrung der Ansprüche der von solchen Vorgängen betroffenen Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften gemäß der Richtlinie 77/187/EWG zu regeln ist.
5.60
Nachdem erste Anzeichen für die entsprechende Erkenntnis des Gesetzgebers 19916 im Zusammenhang mit dem SpTrUG erkennbar wurden, trat die Kehrtwende zum 1.1.1995 ein. Zwar war § 613a Abs. 1 BGB im Rahmen des Umwandlungsbereinigungsgesetzes nicht geändert worden und spricht weiterhin nur von dem Übergang von Betrieben und Betriebsteilen
1 So Bauer/Lingemann, NZA 1994, 1057, 1062; ebenso Bieback, ZTR 1998, 396 für die Fusion öffentlich-rechtlicher Körperschaften (z.B. Vereinigung von Krankenkassen gemäß §§ 144 ff. SGB V). 2 ErfK/Preis, § 613 BGB Rz. 11. 3 So bereits D. Gaul, Betriebsübergang, S. 42 f. 4 Vgl. nur Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 350. 5 So ist in der französischen Fassung von „cession conventionelle“, in der italienischen Fassung von „cessione contrattuale“ und in der niederländischen Fassung von „overdracht krachtens overeenkomst“ die Rede, was andere Formen der Übertragung als die aufgrund eines Verwaltungsakts oder einer gerichtlichen Entscheidung ausschließt, wohingegen die englische („legal-transfer“) und die dänische Fassung („overdragelse“) deutlich für einen weiteren Anwendungsbereich sprechen (EuGH v. 7.2.1985 – C-135/83, ZIP 1985, 824). 6 BGBl. I 1991, S. 854.
164 | Gaul/Bonanni
Sonstige Übertragungen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge | Rz. 5.62 § 5
„durch Rechtsgeschäft“. Lediglich in § 324 UmwG wurde bestimmt, dass § 613a Abs. 1 und 4 BGB durch die Wirkungen der Eintragung einer Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung unberührt bleibt. Da die Begründung der gesetzlichen Vorschriften zur Spaltung eines Unternehmens die ausdrückliche Feststellung enthält, dass die Spaltung Rechtsgeschäft im Sinne des § 613a BGB sei und die Anwendung von § 613a BGB auf Vorgänge übertragender Umwandlungen, Verschmelzungen, Auf- und Abspaltungen auch gemeinschaftsrechtlich (u.a. durch die Richtlinien 77/187/EWG und 82/891/EWG) zwingend vorgeschrieben sei, so dass nicht zwischen sachenrechtlichen Übergängen aufgrund einer Singular- oder einer Universalsukzession zu unterscheiden sei1, ist § 613a Abs. 1 BGB unmittelbar auch ohne Änderungen seines Wortlauts auf die Verschmelzung, Spaltung und Vermögensübertragung i.S.d. Regelungen des UmwG anzuwenden2. Schließlich gilt die Verpflichtung zur richtlinienkonformen Interpretation des nationalen Rechts insbesondere dann, wenn ein Mitgliedstaat die Ansicht vertritt, dass die bereits geltenden Vorschriften des von ihm gestalteten Rechts den Anforderungen der betreffenden Richtlinie genügten3. Unerheblich für die Anwendbarkeit von § 613a BGB ist, ob die Anwendbarkeit des Umwandlungsgesetzes auf den jeweiligen Übertragungsvorgang an besondere – ggf. über § 613a BGB hinausgehende – Voraussetzungen geknüpft ist. Beispielhaft sei hier nur auf die Ausgliederung von öffentlichen Betrieben aus dem Vermögen von Gebietskörperschaften nach § 168 UmwG hingewiesen, der eine besondere Definition des Unternehmensbegriffs zugrunde liegt. Da auch der Gesetzgeber in seiner Stellungnahme zur Anwendbarkeit von § 613a BGB abstrakt-generell von der Annahme ausgegangen ist, dass eine Unterscheidung zwischen einer Singular- und einer Universalsukzession nicht mehr gerechtfertigt sei, kann auch eine Unterscheidung nach den Gestaltungsmöglichkeiten für eine Umwandlung von Unternehmen nicht mehr vorgenommen werden. Dabei sind auch rechtsgeschäftliche Übertragungsvorgänge einzubeziehen, die außerhalb des UmwG öffentlich-rechtliche Körperschaften, Anstalten und Stiftungen betreffen, sofern diese keine hoheitlichen Aufgaben wahrnehmen (Art. 1 Abs. 1 lit. c Richtlinie 2001/23/EG). Beispielhaft sei hier nur auf die Vereinigung von Krankenkassen hingewiesen (vgl. Rz. 7.19 ff.).
5.61
§ 324 UmwG hat klarstellende Bedeutung und stellt deshalb auch eine Rechtsgrundverweisung dar, soweit die Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen in Rede steht (vgl. zur Übertragung einzelner Vermögensgegenstände Rz. 5.754). Es wird festgestellt, dass die in § 613a Abs. 1 und 4 bis 6 BGB bestimmten Rechtsfolgen die Regelungen des Umwandlungsgesetzes ergänzen5. Schließlich hat der Gesetzgeber wegen der Anwendbarkeit von § 613a BGB ganz bewusst auf eine Änderung des Tarifvertragsrechts verzichtet, um die Fortgeltung
5.62
1 Vgl. BR-Drucks. 75/94, S. 118, 175 = BT-Drucks. 12/6699, S. 118, 175. Eine entsprechende Aussage enthielt die spätere Stellungnahme des Rechtsausschusses (BT-Drucks. 12/7850, S. 142 f.). 2 Vgl. Kliemt/Gerdom, BB 2018, 1401, 1404; Mengel, Umwandlungen, S. 75 ff., 101; ErfK/Oetker, § 324 UmwG Rz. 3; Wlotzke, DB 1995, 40, 43. 3 EuGH v. 16.12.1993 – C-334/92, NJW 1994, 921 Rz. 21. 4 BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, BB 2011, 2108, 2111 mit Anm. Ubber; BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, NZA 2018, 370 Rz. 22 ff.; BAG v. 20.4.2016 – 10 AZR 111/15, NZA 2017, 141 Rz. 30 m.w.N.; Lutter/Joost, § 324 UmwG Rz. 6; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 181; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 131; a.A. im Sinne einer Rechtsfolgenverweisung Kressel, BB 1995, 928; Salje, RdA 2000, 126. 5 So auch die ausdrückliche Stellungnahme des Rechtsausschusses in Bezug auf § 324 UmwG, BTDrucks. 12/7850, S. 143, 145.
Gaul/Bonanni | 165
§ 5 Rz. 5.62 | Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB
des Tarifvertrags abzusichern1. Die in § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB bestimmten Rechtsfolgen sollten „jetzt auch“2 für Verschmelzung, Spaltung und Vermögensübertragung nach Maßgabe des Umwandlungsgesetzes gelten, soweit sich die Rechtsfolgen nicht bereits aus dem Wesen der Gesamtrechtsnachfolge ergeben und ein Rückgriff auf § 613a BGB nicht erforderlich ist3. Insoweit ist der Verschmelzungs- oder Spaltungsvertrag einerseits gesellschaftsrechtlicher Organistationsakt, andererseits aber auch schuldrechtlicher Vertrag, der das Außenverhältnis bestimmt4. Folgerichtig handelt es sich bei einem Verschmelzungs- oder Spaltungsplan um eine einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung5. Entsprechend der allgemeinen Kennzeichnung des Rechtsgeschäfts handelt es sich in beiden Fällen um die bewusste Setzung von Rechtsfolgen durch eine oder mehrere Willenserklärungen. Die Auslegung der Erklärungen bestimmt sich nach §§ 133, 157 BGB6. Wie Rieble7 aufgezeigt hat, gilt dies erst recht für die Spaltung, bei der in Form der partiellen Gesamtrechtsnachfolge eine Aufteilung des Vermögens eines Rechtsträgers auf mehrere Rechtsträger erfolgt. Lässt man das Sonderproblem einer Zuordnung von Arbeitsverhältnissen einmal außer Acht (vgl. Rz. 10.195 ff., 10.231 ff.), richtet sich die Zuordnung des Vermögens nach der Aufteilung gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 9 UmwG, die die beteiligten Rechtsträger im Spaltungsvertrag einvernehmlich oder der übertragende Rechtsträger im Spaltungsplan einseitig festgelegt haben. Es sind nicht der Gesetzgeber oder – wie beim Tod – ein durch Rechtsgeschäft nicht beeinflussbares Ereignis, die bestimmen, welcher Rechtsträger welche Aktiva oder Passiva erhält. Ausnahmen gelten nur für Gegenstände, die durch Rechtsgeschäft nicht übertragen werden können (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UmwG). Dass der Übergang des Arbeitsverhältnisses bei einer Aufspaltung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG nach Auffassung des BAG darüber hinaus an ein Wahlrecht der Arbeitnehmer geknüpft sein soll, überzeugt allerdings nicht (vgl. hierzu Rz. 10.195 ff., 10.231 ff.).
5.63
Dass die Umwandlung eines Unternehmens erst mit der Eintragung im Handelsregister wirksam wird, ist unerheblich. Ein ähnliches Wirksamkeitserfordernis besteht in Form der Eintragung im Grundbuch bei der Übertragung von Immobilien, die, wenn sie wesentliche Betriebsmittel darstellen, Gegenstand einer Betriebs- oder Betriebsteilübertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge sein können.
2. Übertragung einzelner Vermögensgegenstände 5.64
Von dieser Bewertung ausgehend erfasst § 613a BGB jede Form der Umwandlung eines Unternehmens. Dabei sind auch solche Fallgestaltungen einzubeziehen, in denen das übertragene Vermögen (assets) nicht als Betrieb oder Betriebsteil i.S.d. § 613a BGB anzusehen ist und im Spaltungsplan oder -vertrag zugleich einzelne Arbeitsverhältnisse dem übernehmenden Rechtsträger zugeordnet werden.
5.65
Soweit die abweichende Interpretation des Anwendungsbereichs von § 613a BGB damit begründet wird, dass eine Anwendung von § 613a BGB nur dann in Betracht komme, wenn die
1 2 3 4
BR-Drucks. 75/94, S. 78 = BT-Drucks. 12/6699, S. 78. So Wlotzke, DB 1995, 40, 43. Vgl. BAG v. 15.6.2016 – 4 AZR 805/14, NZA 2017, 326 Rz. 33. Vgl. GKT/Bermel, § 4 UmwG Rz. 9 ff.; Teichmann, ZGR 1993, 396, 398; Hennrichs, Formwechsel und Gesamtrechtsnachfolge, S. 31 ff.; Schöne, Spaltung von GmbH, S. 33 f. 5 Körner/Rodewald, BB 1999, 853, 854. 6 Vgl. Dehmer, § 4 UmwG Rz. 9; GKT/Bermel, § 4 UmwG Rz. 13; Körner/Rodewald, BB 1999, 853, 854. 7 Rieble, ZIP 1997, 301, 303.
166 | Gaul/Bonanni
Sonstige Übertragungen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge | Rz. 5.68 § 5
dort geregelten Voraussetzungen erfüllt seien, ist dies für den Bereich der Einzelrechtsnachfolge zwar zutreffend. Würde man § 324 UmwG deshalb aber auch für den Bereich der Umwandlung ausschließlich als Rechtsgrundverweisung mit der Folge verstehen, dass zugleich auch eine rechtsgeschäftliche Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils vorliegen muss („Rechtsgrundverweisung“)1, würde § 613a Abs. 1, 4 bis 6 BGB in der Tat nicht zur Anwendung kommen, wenn einzelne Vermögensgegenstände übertragen werden, die nicht als Betrieb oder Betriebsteil gekennzeichnet werden können2. Eine darauf gegründete Einschränkung des Anwendungsbereichs lässt aber unberücksichtigt, dass der Gesetzgeber bei der Neufassung des Umwandlungsgesetzes im Jahre 1995 davon ausgegangen ist, dass § 613a BGB neben der Überleitung eines Betriebs oder Teilbetriebs im Wege der Einzelrechtsnachfolge auch die Fälle der Gesamtrechtsnachfolge im Wege der Umwandlung erfasst. Daran hat er bei der späteren Ergänzung um die Regelungen zur Unterrichtung3 und zum Widerspruchsrecht angeknüpft (2002). Eine Ausgrenzung der Fälle, bei denen im Rahmen einer Spaltung Vermögen betroffen ist, das nicht die Qualität eines Betriebs oder Teilbetriebs erfüllt, lässt sich aus der Entstehungsgeschichte heraus nicht rechtfertigen. § 324 UmwG hat – was der Wortlaut schon deutlich macht („bleibt … unberührt“) – nur klarstellenden Charakter.
5.66
Gegen die Ausgrenzung der Übertragung einzelner Vermögensgegenstände aus dem Anwendungsbereich spricht im Übrigen nicht nur der Umstand, dass Art. 1 lit. a Richtlinie 2001/23/ EG ausdrücklich auch die Übertragung von Unternehmensteilen neben der Übertragung von Betriebsteilen erfasst. Diese Ausweitung macht nur dann Sinn, wenn es bei diesem Objekt des Übertragungsvorgangs nicht auf die organisatorische Selbstständigkeit im Sinne eines Betriebsteils gehen sollte. Eine unionsrechtskonforme Auslegung von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB, der von § 324 UmwG unberührt bleibt, gebietet deshalb die unmittelbare Einbeziehung solcher Übertragungsvorgänge.
5.67
Die Einbeziehung des Übergangs von Arbeitsverhältnissen im Zusammenhang mit der Übertragung einzelner Vermögensgegenstände ohne die Qualität eines Betriebs oder Betriebsteils vermeidet auch Widersprüche. Denn einerseits – so ein Teil derjenigen, die eine Sonderbehandlung der Fälle mit einem „umwandlungsrechtlichen Übergang“ von Arbeitsverhältnissen annehmen – soll § 613a Abs. 1 BGB in Fällen, bei denen die Spaltung Vermögen betrifft, das nicht als Betrieb oder Betriebsteil gekennzeichnet werden kann, unanwendbar sein. Deshalb soll auch das Kündigungsverbot aus § 613a Abs. 4 BGB nicht anwendbar sein4. Andererseits aber nimmt der überwiegende Teil der Vertreter dieser Ansicht an, dass das Kündigungsverbot in § 613a Abs. 4 BGB5 und die in § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB getroffenen Regelungen hinsichtlich der Fortgeltung von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen jedenfalls analog
5.68
1 So Bachner, NJW 1995, 2881, 2882, der von einer „konstitutiven“ Begründung der Anwendbarkeit von § 613a BGB durch § 324 UmwG spricht; Freytag, Spaltung S. 24 f.; Lutter/Sagan, § 324 UmwG Rz. 7; Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 11; abl. Brinkmann, Spaltung von Rechtsträgern, S. 83. 2 Vgl. BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, NZA 2018, 370 Rz. 36 („bloße Zusammenfassung von Prozessen und Aufgaben sowie von Arbeitnehmern“). 3 Vgl. LAG Berlin Brandenburg v. 13.9.2018 – 21 Sa 391/18, BB 2019, 120; LAG Schleswig-Holstein v. 2.3.2011 – 3 TaBV 1/11, BeckRS 2011, 70378; Otto/Mückl, BB 2011, 1978. 4 Vgl. Brinkmann, Spaltung von Rechtsträgern, S. 269 f. 5 Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 271; Schalle, Bestandsschutz, S. 254 f.
Gaul/Bonanni | 167
§ 5 Rz. 5.68 | Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB
Geltung beanspruchten1, wenn Arbeitnehmer außerhalb eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs durch Spaltung auf einen anderen Rechtsträger übergehen. Boecken2 begründet die analoge Anwendbarkeit von § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB damit, dass „die Gesetzesverfasser … generell davon ausgingen, dass für das Recht des einzelnen Arbeitsverhältnisses § 613a BGB gilt“. An anderer Stelle spricht er davon, dass die Verfasser des Umwandlungsgesetzes meinten, von der Regelung des § 613a BGB würden alle umwandlungsbedingt übergehenden Arbeitsverhältnisse erfasst. Auf die Größe bzw. den Organisationsgrad des von der Überleitung betroffenen Vermögens soll es dabei nicht ankommen3. Dass die Unterscheidung zwischen umwandlungsrechtlichen und arbeitsrechtlichen Übergängen auch zu haftungsrechtlichen Widersprüchen führen würde, wird an anderer Stelle aufgezeigt (vgl. Rz. 6.19 ff., 12.1 ff., 13.43 ff., 13.149 ff.).
5.69
Dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes folgend findet sich eine Differenzierung zwischen einer Umwandlung und sonstigen Formen der Übertragung in § 613a Abs. 3 BGB nur für den Fall, dass eine juristische Person oder eine Personenhandelsgesellschaft durch Umwandlung erlischt4. § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB, die nach Maßgabe der abweichenden Ansicht analog anwendbar sein sollen, beziehen sich ihrem Wortlaut und der Systematik nach unmittelbar auf § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB. Während nämlich bei Satz 1 bestimmt wird, dass der Erwerber in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen eintritt, enthalten Satz 2 bis 4 für den Fall, dass „diese“ Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt sind, abweichende Regelungen. Voraussetzung einer Anwendung von Satz 2 bis 4 ist also die Anwendbarkeit von Satz 1. Umgekehrt folgt daraus die Feststellung, dass immer dann, wenn § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB anwendbar ist, auch die Besonderheiten des § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB gelten.
5.70
Geht man deshalb richtigerweise von einer generellen Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB bei einer Umwandlung aus, folgt daraus, dass der übernehmende Rechtsträger in die Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen eintritt, die dem Vermögen zuzuordnen sind, das übertragen wird. Welche Arbeitnehmer hiervon dann konkret betroffen sind, ist damit noch nicht entschieden. Im Zweifel ist eine konstitutive Zuordnung erforderlich, weil es die Angehörigkeitzu einem Betrieb oder Betriebsteil in diesen Fällen nicht gibt (vgl. Rz. 10.169 ff.).
3. Zwischenergebnis 5.71
Abschließend lässt sich damit feststellen, dass auch bei der Unternehmensumwandlung der Übergang der Arbeitsverhältnisse unmittelbar aus § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB folgt5; § 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG ist nicht anwendbar6. § 324 UmwG hat insoweit nur klarstellende Bedeutung.
1 Vgl. Mengel, Umwandlungen, S. 221 f.; WHSS/Willemsen, Umstrukturierung, B Rz. 93; Freytag, Spaltung, S. 24 f.; ErfK/Oetker, § 324 UmwG Rz. 6; ähnlich Däubler, RdA 1995, 136, 143, der insoweit auf die Richtlinie 77/187/EWG verwiesen hatte; abl. Brinkmann, Spaltung von Rechtsträgern, S. 190 ff. 2 Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 153, 174 ff., 199. 3 Vgl. Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 121 f., 135, 181; Kraft, ZfA 1997, 303, 306; Müller-Ehlen, Übergang von Arbeitsverhältnissen, S. 112 f. 4 Hierzu vgl. Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 348 ff. m.w.N. 5 GKT/Goutier, § 126 UmwG Rz. 19 f. 6 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, NZA 2018, 370 Rz. 26 ff.; Heidenhain, NJW 1995, 2873, 2878.
168 | Gaul/Bonanni
Unwirksamkeit des Übertragungsgeschäfts | Rz. 5.75 § 5
Dabei ist es unerheblich, ob das übertragene Vermögen nach den zu § 613a BGB im Bereich der Einzelrechtsnachfolge entwickelten Kriterien bereits die Qualität eines Betriebs oder Betriebsteils besitzt. Auch solche Arbeitnehmer, die im Zusammenhang mit der Übertragung einzelner Vermögensgegenstände dem übernehmenden Rechtsträger zugeordnet werden und deren Arbeitsverhältnis deshalb im Wege der partiellen Gesamtrechtsnachfolge übergeht, können sich auf § 613a BGB berufen.
E. Unwirksamkeit des Übertragungsgeschäfts Die der Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils zugrunde liegenden Rechtsgeschäfte können aus unterschiedlichen Gründen unwirksam sein. Bei der Einzelrechtsnachfolge kommt vor allem eine Nichtigkeit wegen Anfechtung oder einer Geschäftsunfähigkeit eines der beteiligten Rechtsträger in Betracht. Bei der Übertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge ist eine Unwirksamkeit des Spaltungsvertrags oder -plans aus den im Zusammenhang mit seiner Anfechtbarkeit bzw. der Nichtigkeit genannten Gründen möglich (vgl. hierzu Rz. 26.128 ff., 26.174 ff.).
5.72
Bei der Umwandlung sind Unwirksamkeitsgründe unerheblich, wenn sie bereits in das Register des übertragenden Rechtsträgers eingetragen wurde und damit wirksam geworden ist. Hier bleibt es bei den in §§ 171, 131 UmwG bestimmten Rechtsfolgen, selbst wenn das zugrunde liegende Rechtsgeschäft, der Verschmelzungs- oder Spaltungsvertrag oder -plan, unwirksam ist (vgl. Rz. 3.32 ff.; Rz. 26.128 ff., 26.178 ff.).
5.73
Nach Auffassung des BAG setzt ein Betriebsübergang nicht die Wirksamkeit des zugrunde liegenden Rechtsgeschäftes voraus, da entscheidend der tatsächliche Übergang und die Nutzung der wesentlichen Betriebsmittel seien1. Ein Betriebsübergang könne auch aufgrund eines nichtigen Rechtsgeschäfts erfolgen2. Anknüpfungspunkt ist dabei insbesondere die Annahme, dass durch die Notwendigkeit eines „Übergangs durch Rechtsgeschäft“ (nur) die Fälle der Gesamtrechtsnachfolge und der Übertragung aufgrund eines Hoheitsaktes von der Anwendbarkeit des § 613a BGB ausgeschlossen werden sollten. So ist das BAG zu der Anwendbarkeit von § 613a BGB für den Fall gekommen, dass es zwischen einem Insolvenzverwalter und dem den Betrieb fortführenden Unternehmen nicht zu einer Einigung über den Kauf der Betriebsmittel gekommen war, diese aber bereits zur Nutzung überlassen worden waren3. Ebenso hält das BAG es für die Annahme eines Betriebsübergangs für unerheblich, dass die Übereignung der Betriebsmittel unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung steht oder ein Rücktrittsrecht vereinbart wurde4. Die (mögliche) Ausübung vertraglicher Rechte stehe einem Betriebsübergang nicht entgegen. Dieser bleibe auch nicht so lange in der Schwebe, bis klar sei, ob das Rückstrittsrecht ausgeübt werde oder nicht.
5.74
Bei der Einzelrechtsnachfolge indes führt die Unwirksamkeit des der Übertragung zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts dazu, dass der potenzielle Erwerber eines Betriebs oder Betriebsteils an sich ohne Rechtsgrund besitzt. In entsprechender Weise bestehen Rückabwicklungsansprü-
5.75
1 2 3 4
BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 917/06, NZA-RR 2008, 367 Rz. 30. BAG v. 15.12.2005 – 8 AZR 202/05, NZA 2006, 597 Rz. 58. BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 917/06, NZA-RR 2008, 367 Rz. 30, 36 f. BAG v. 15.12.2005 – 8 AZR 202/05, NZA 2006, 597 Rz. 51.
Gaul/Bonanni | 169
§ 5 Rz. 5.75 | Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB
che des übertragenden Rechtsträgers. Ob und inwieweit § 613a BGB auf solche Übertragungsvorgänge anwendbar ist, muss allerdings differenziert betrachtet werden1.
5.76
Keine Bedenken bestehen, einen rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang i.S.d. § 613a BGB anzunehmen, wenn die zugrunde liegenden Rechtsgeschäfte aus formalen Gründen unwirksam sind. Ausreichend für den Übergang der Arbeitsverhältnisse ist, dass der potenzielle Erwerber die tatsächliche Leitungsmacht über den Betrieb oder Betriebsteil übernommen hat2. Entsprechendes gilt z.B. dann, wenn das zugrunde liegende Rechtsgeschäft infolge Anfechtung nichtig ist3.
5.77
Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die zugrunde liegenden Vereinbarungen aufgrund einer Geschäftsunfähigkeit des Erwerbers rechtsunwirksam sind. Zutreffend ist hier zwar die Annahme des 5. Senats4, dass ein Schutz des Geschäftsunfähigen im Verhältnis zum übertragenden Rechtsträger durch §§ 104, 105 BGB gewährleistet ist. Würde man allerdings gleichwohl § 613a BGB zur Anwendung bringen, wäre auch von einem Eintritt des potenziellen Erwerbers in die am Tage des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse auszugehen5. Die betroffenen Arbeitnehmer erhielten damit ohne Rücksicht auf individuelle Kündigungsfristen durch einen Wechsel auf Arbeitgeberseite einen Vertragspartner, der seinerseits keine Leistungsverpflichtungen eingehen kann. Zugleich würde der potenzielle Erwerber trotz seiner Geschäftsunfähigkeit mit dem Risiko sämtlicher Ansprüche aus den übergegangenen Arbeitsverhältnissen, einschließlich der Haftung für bereits entstandene Ansprüche, belastet.
5.78
Eine solche Rechtsfolge wäre mit dem Schutzzweck der §§ 104, 105 BGB nicht vereinbar. Berücksichtigt man, dass in diesen Fallgestaltungen von Beginn an eine Nichtigkeit des der Übertragung zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts anzunehmen ist, ist eine Anwendbarkeit von § 613a BGB ausgeschlossen6. Dass der übertragende Rechtsträger somit für etwaige Ansprüche aus den Arbeitsverhältnissen auch nach dem Tag der tatsächlichen Übertragung des Betriebs einzustehen hat, ohne darauf einen steuernden Einfluss ausüben zu können, muss hingenommen werden. Eine Minderung seiner Verpflichtungen wird allerdings dadurch bewirkt, dass nach den Grundsätzen zum faktischen Arbeitsvertrag durchaus Ansprüche gegenüber dem potenziellen Erwerber begründet sein können, die im Rahmen von § 615 BGB Berücksichtigung finden7. Schließlich gilt die Lehre vom faktischen Arbeitsverhältnis auch und gerade im Verhältnis zu einem geschäftsunfähigen Arbeitgeber8. Eine Ablehnung der An1 BAG v. 6.2.1985 – 5 AZR 411/83, NJW 1986, 453; LAG Hamm v. 9.10.1995 – 17 Sa 1946/94, LAGE § 613a BGB Nr. 44 S. 5. 2 Vgl. BAG v. 13.9.1994 – 3 AZR 148/94, NZA 1995, 740, 741; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 61; APS/ Steffan, § 613a BGB Rz. 75. 3 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 917/06, BB 2008, 1175 Rz. 43 f.; anders, wenn der Betrieb infolge Nichtigkeit des Übertragungsgeschäfts an den Betriebsveräußerer „zurückfällt“, bevor die Einnahme der tatsächlichen Leitungsmacht durch den Erwerber abgeschlossen war: LAG Köln v. 7.12.2001 – 11 Sa 867/01, NZA-RR 2002, 514. 4 BAG v. 6.2.1985 – 5 AZR 411/83, NJW 1986, 453 ff. 5 So BAG v. 6.2.1985 – 5 AZR 411/83, NJW 1986, 453, 453 f., das für den Eintritt in die Arbeitsverhältnisse auch beim geschäftsunfähigen Erwerber genügen lässt, dass dieser den Betrieb tatsächlich übernommen und im eigenen Namen fortgeführt hat. 6 Ebenso Schröder, NZA 1986, 286; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 61; Kittner/Zwanziger/Bachner, Arbeitsrecht, § 114 Rz. 32; HWK/Willemsen, § 613a BGB Rz. 207. 7 Vgl. Loritz, RdA 1987, 65, 74; von Alvensleben, Betriebsübergang im Europäischen Gemeinschaftsrecht S. 204 ff. 8 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 61; APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 75.
170 | Gaul/Bonanni
Zusammenfassung der Ergebnisse | Rz. 5.83 § 5
wendbarkeit von § 613a BGB erscheint im Übrigen auch mit Blick auf den Schutzzweck des Gesetzes geboten. Denn auch bei einer Übertragung des Betriebs auf den Geschäftsunfähigen wäre ein Widerspruch der betroffenen Arbeitnehmer ausgeschlossen, selbst wenn der Widerspruch nach Ablauf eines Monats nach ordnungsgemäßer Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 5 BGB mit der Begründung ausgesprochen würde, dass der der Übertragung zugrunde liegende Vertrag unwirksam ist. Damit setzte die erfolgreiche Geltendmachung der im Anschluss an den Übertragungsvorgang entstehenden Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis voraus, dass eine Rückabwicklung auf den übertragenden Rechtsträger erfolgen würde. Wenn dieser aber keine Absicht mehr hätte, den Betrieb tatsächlich fortzusetzen, würde hier trotz einer Rückübertragung wesentlicher Betriebsmittel nicht mehr von einem Betriebsübergang auszugehen sein. Denn zu einer Anwendbarkeit von § 613a BGB würde diese Übertragung nur dann führen, wenn auf Seiten des Erwerbers auch die Absicht bestünde, die gleiche oder gleichartige Tätigkeit mit Hilfe der erworbenen Ressourcen tatsächlich fortzusetzen (vgl. Rz. 4.181 ff.). Das BAG hat für den Fall eines Rückgewährschuldverhältnisses ein Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB angenommen. Ob ein Betriebsübergang vorliege, entscheide sich dann alleine danach, ob die Betriebsmittel tatsächlich übergehen und vom Erwerber genutzt werden1.
5.79
F. Zusammenfassung der Ergebnisse Versucht man die Übertragungsvorgänge zu kennzeichnen, die zur Anwendung von § 613a BGB führen, lassen sich die Ergebnisse wie folgt zusammenfassen:
5.80
1. Nicht erfasst werden zunächst einmal solche Vorgänge, in denen Vermögen kraft Gesetzes oder Hoheitsakts übertragen wird. Hierzu gehört neben dem Erbfall z.B. die Übertragung eines Betriebs im Wege der Zwangsversteigerung. Einzubeziehen in den Anwendungsbereich von § 613a BGB ist allerdings der Fall, dass eine bestimmte Tätigkeit im Anschluss an die Übertragung von Betriebsmitteln bzw. die Übernahme von Personal erst mit Erteilung einer behördlichen Zustimmung aufgenommen werden darf (z.B. Abfallentsorgung, Notariat). § 613a BGB kann auch dann greifen, wenn der Zwangsverwalter außerhalb der Beschlagnahme durch gesondertes Rechtsgeschäft mit dem Schuldner oder einem Dritten Ressourcen erwirbt, die einen Betriebs oder Betriebsteil darstellen, und die gleiche oder gleichartige Tätigkeit tatsächlich fortführt.
5.81
2. Hinsichtlich der Form der Vermögensübertragung muss zwischen der Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge und der (partiellen) Gesamtrechtsnachfolge unterschieden werden. Beide Übertragungsformen fallen in den Anwendungsbereich von § 613a BGB. Für die Umwandlung wird dies unter Einbeziehung der Spaltung und der Vermögensteilübertragung noch einmal durch § 324 UmwG klargestellt. Dass öffentlich-rechtliche Rechtsträger an solchen Übertragungsvorgängen beteiligt werden, spielt keine Rolle. Insbesondere die Privatisierung öffentlicher Aufgaben kann damit von § 613a BGB erfasst werden. Mit § 168 UmwG hat der Gesetzgeber sogar eine Sonderform der Spaltung geschaffen, durch die solche Privatisierungsvorhaben erleichtert werden.
5.82
3. Entgegen einer wohl überwiegend vertretenen Meinung kommt es bei der Einbeziehung der Spaltung nach § 123 UmwG in den Anwendungsbereich von § 613a BGB nicht darauf an, ob die Übertragung Betriebe und Betriebsteile oder „nur“ Vermögensgegenstände zum
5.83
1 BAG v. 15.12.2005 – 8 AZR 202/05, NZA 2006, 597 Rz. 51.
Gaul/Bonanni | 171
§ 5 Rz. 5.83 | Überleitung durch Rechtsgeschäft i.S.d. § 613a BGB
Gegenstand hat, die noch nicht die Qualität eines Betriebs oder Betriebsteils i.S.d. § 613a BGB besitzen. Beide Fallgestaltungen sind unmittelbar nach § 613a BGB abzuwickeln. Nur so lassen sich die Vorgaben der Richtlinie 2001/23/EG erfüllen und Wertungswidersprüche in Bezug auf den Inhalts- und Bestandsschutz beseitigen, die ohne eine Anwendung der Vorschrift im Anschluss an den Übergang von Arbeitsverhältnissen eintreten würden.
5.84
4. Bei den Übertragungsformen außerhalb des UmwG kommt es nicht darauf an, ob das Vermögen unmittelbar vom bisherigen Inhaber auf den neuen Inhaber übertragen wird (z.B. Kaufvertrag). Es genügt, wenn der neue Inhaber die Leitungsmacht auf der Grundlage rechtsgeschäftlicher Abreden erhalten hat, selbst wenn diese mit Dritten abgeschlossen werden (z.B. Wechsel des Betriebspächters, Eintritt in Leasingverträge, Übernahme von Sicherungsgut).
5.85
5. Entsprechend den Kriterien, die für die Kennzeichnung des Betriebs herausgearbeitet wurden, liegt eine rechtsgeschäftliche Übernahme auch dann vor, wenn Personal des bisherigen Betriebsinhabers übernommen wird. Unerheblich ist, ob die Übernahme durch Zwischenschaltung Dritter (z.B. Personalberater) erfolgt. Voraussetzung ist aber nicht nur, dass es sich um das nach Zahl und Sachkunde wesentliche Personal handelt. Erforderlich ist auch, dass der bisherige Betriebsinhaber seine eigene Tätigkeit eingestellt hat oder kurzfristig einstellen wird. Eine Abwerbung von Arbeitnehmern eines Konkurrenzunternehmens wird nicht von § 613a BGB erfasst.
5.86
6. Angesichts dieser Kennzeichnung der rechtsgeschäftlichen Übertragung ist auch die Erbringung einer Sacheinlage in den Anwendungsbereich von § 613a BGB einzubeziehen. Dies gilt ohne Rücksicht darauf, dass die zugrundeliegende Vereinbarung über die Übertragung nicht mit dem späteren Betriebsinhaber, sondern zwischen den Gesellschaftern des späteren Betriebsinhabers abgeschlossen wird. Unerheblich ist, ob ein Teil der Übertragungsvorgänge, die bei dem Vollzug der Sacheinlage erforderlich werden, im Wege der Gesamtrechtsnachfolge erfolgt. Von dieser Übertragungsform ist z.B. beim Übergang des Vermögens der Vorgesellschaft auf die eigentliche Zielgesellschaft auszugehen.
5.87
7. Der Wechsel der Gesellschafter ist grundsätzlich kein Betriebsübergang. Eine Ausnahme betrifft den Fall der Anwachsung, die als Sonderform der „Verschmelzung“ auch für grenzüberschreibende Übertagungsvorgänge Bedeutung hat. Hier werden sämtliche Anteile an einer Personengesellschaft auf einen einzigen Gesellschafter mit der Folge übertragen, dass er das Gesellschaftsvermögen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge unter Auflösung der Gesellschaft ohne Abwicklung erwirbt. Da der einzelne Gesellschafter keine Identität mehr mit der Gesellschaft besitzt, die in diesem Zusammenhang untergegangen ist, hat ein Betriebsinhaberwechsel stattgefunden. § 613a BGB ist unmittelbar anwendbar.
5.88
8. Wenn der der Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils zugrunde liegende Vertrag unwirksam ist, lässt dies die Anwendbarkeit von § 613a BGB unberührt. Nur wenn höherrangige Grundsätze zum Schutz der Geschäftsunfähigkeit des Erwerbers zur Nichtigkeit der Vereinbarung geführt haben, können diesen die in § 613a BGB geregelten Pflichten nicht treffen. Hier ist nach allgemeinen Grundsätzen eine Rückabwicklung vorzunehmen.
172 | Gaul/Bonanni
Gesetzliche Grundkonzeption | Rz. 6.1 § 6
§6 Zeitpunkt des Übergangs bei Übertragungsvorgängen im Anwendungsbereich von § 613a BGB
A. Gesetzliche Grundkonzeption . . . . . . 6.1 B. Übergang durch Übernahme von Betriebsmitteln (Asset Deal) I. Einheitliche Übernahme von Betriebsmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 II. Schrittweise Übernahme von Betriebsmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.9 C. Übergang durch Einstellung von Personal und Fortsetzung der Betriebstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.11
D. Übergang durch Anwachsung . . . . . . 6.17 E. Übergang durch Umwandlung I. Übergang mit Wirksamwerden der Umwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.19 II. Übergang vor oder nach dem Wirksamwerden der Umwandlung . . . . . . . 6.21
Schrifttum: Bachner, Der Betriebsübergang nach § 613a BGB, AiB 1996, 291; Boßmann, Arbeitsrechtliche Problemfelder beim Betriebsübergang, INF 1998, 530; Commandeur, Betriebs-, Firmenund Vermögensübernahme, 1990; Dzida, Arbeitsrecht im Umwandlungsgesetz – weitere Fragen aus Sicht der Praxis, in Festschrift für Heinz-Josef Willemsen, 2018, S. 95; Ginal/Raif, Betriebsübergang und Auftragsnachfolge – Aufgabe des Kriteriums Betriebsmittel?, GWR 2021, 133; Greiner/Pionteck, Bestandsaufnahme Betriebsübergangsrecht – Teil 1: Tatbestand des Betriebsübergangs, RdA 2020, 84; Harig/Kay, Der Insolvenzplan als Lösung für datenschutzrechtliche Probleme beim Verkauf aus der Insolvenz, NZI 2020, 96; von Hoyningen-Huene/Windbichler, Der Übergang von Betriebsteilen nach § 613a BGB, RdA 1977, 329; Hunold, Aktuelle Rechtsprechung zu zentralen Fragen des Betriebsübergangsrechts, NZA-RR 2010, 281; Ising/Thiell, Der Übergang laufender Arbeitsverhältnisse nach dem Spaltungsgesetz, DB 1991, 2082; Karlsfeld, Das Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer beim Betriebsübergang nach dem UmwG, 2001 (zugl. Diss. Hannover 2001); Kreitner, Kündigungsrechtliche Probleme beim Betriebsinhaberwechsel, 1989; Lipinski/Kaindl, Risiken und Chancen des § 613a BGB bei M&A-Transaktionen: Strategien zur Vermeidung und Gestaltung eines Betriebs(teil)übergangs, BB 2018, 245 Mayer, Betriebsübergang 4.0., NZA 2020, 1273; Moll, Betriebsübergang und Betriebsänderung, RdA 2003, 129; Schiefer, § 613a BGB – Problemschwerpunkte und aktuelle Fragen – Teil 2 Rechtsfolgen, Unterrichtung und Widerspruch, DB 2021, 509; Schmalenberg, Die Tatbestandsvoraussetzungen des Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB, NZA 1989 Beil. 3, S. 14; Seidel, Betriebsübergang im betriebsmittelgeprägten Betrieb ohne Übernahme von Betriebsmitteln, NZA 2020, 498; Thiel, Die Spaltung (Teilverschmelzung) im Umwandlungsgesetz und im Umwandlungssteuergesetz – neue Möglichkeiten zur erfolgsneutralen Umstrukturierung von Kapitalgesellschaften, DStR 1995, 237, 276; Vogt/Oltmanns, Die Anwachsung als Fall des Betriebsübergangs?, NZA 2012, 1190.
A. Gesetzliche Grundkonzeption Gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB tritt der übernehmende Rechtsträger kraft Gesetzes in die beim übertragenden Rechtsträger bestehenden Arbeitsverhältnisse ein, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil übergeht. Auch Art. 3 Richtlinie 2001/23/EG bestimmt nur, dass die zum Zeitpunkt des Übergangs beim übertragenden Rechtsträger bestehenden Arbeitsverhältnisse ipso
Gaul | 173
6.1
§ 6 Rz. 6.1 | Zeitpunkt des Übergangs bei § 613a BGB
iure auf den Erwerber übergehen1. Eine Regelung, wann genau von dem Übergang auszugehen ist, enthält § 613a BGB nicht. Nur für den Übergang von Vermögen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge gibt es gesetzliche Regelungen, die den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Übertragung bestimmen. Beispielhaft sei hier nur auf § 20 Abs. 1 Nr. 1, § 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG hingewiesen (vgl. Rz. 3.37, 3.79).
6.2
Der Übergang der Arbeitsverhältnisse erfolgt damit grundsätzlich zum Zeitpunkt des Übergangs des Unternehmens, Betriebs oder Betriebsteils. Wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Übergang im Anwendungsbereich von § 613a BGB erfüllt sind, kann der Zeitpunkt des Eintritts in die Arbeitsverhältnisse nicht durch Vereinbarung zwischen den beteiligten Rechtsträgern auf einen früheren oder späteren Zeitpunkt verlegt werden2. Dies schränkt zwar den Gestaltungsspielraum ein. Da allerdings der Eintritt der in § 613a Abs. 1 BGB, § 324 UmwG genannten Rechtsfolgen für den Inhalt des Arbeitsverhältnisses und die Haftung der beteiligten Rechtsträger aus §§ 133 f. UmwG, § 613a Abs. 2 BGB an den Übergang anknüpfen, ist es für die Betriebspraxis wichtig, den Zeitpunkt des Übergangs exakt festzustellen und ggf. verbleibende Gestaltungsoptionen zu nutzen. Dies betrifft nicht nur Übertragungszeitpunkte, die für die Personalkostenabrechnung oder die Berechnung von Versorgungsanwartschaften hilfreich sind (z.B. Monatsanfang). Relevant wird dies auch bei Übertragungsvorgängen im Rahmen der Insolvenz, weil die Anwendbarkeit von Schranken zur Haftung für bereits entstandene Ansprüche vom Zeitpunkt des Betriebsübergangs abhängig ist (vgl. Rz. 35.19 ff.).
B. Übergang durch Übernahme von Betriebsmitteln (Asset Deal) I. Einheitliche Übernahme von Betriebsmitteln 6.3
Für die Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils, der durch die Übernahme wesentlicher Betriebsmittel im Wege der Einzelrechtsnachfolge bewirkt wird, ist der Zeitpunkt maßgeblich, an dem der potenzielle Erwerber tatsächlich die Leitungsmacht über den Betrieb oder Betriebsteil übernimmt. Dafür genügt es nicht, dass der potenzielle Erwerber in der Lage ist, mit Hilfe der übertragenen Betriebsmittel den bisherigen Betriebszweck fortzusetzen (vgl. Rz. 4.171)3. Erforderlich ist, dass der Erwerber die Verantwortung für den Betrieb übernimmt und die geschäftliche Tätigkeit tatsächlich im eigenen Namen weiterführt oder wieder aufnimmt (vgl. Rz. 4.181)4. Das setzt einen Beschluss des potenziellen Erwerbers voraus, selbst die Leitungsmacht über den Betrieb oder Betriebsteil eines anderen Rechtsträgers zu übernehmen5.
6.4
Soweit das BAG abstrakt-generell auf die „umfassende Nutzung des Betriebs nach außen“ abstellen will, so dass nicht allein maßgeblich sei, wer im Verhältnis zur Belegschaft als Inhaber
1 EuGH v. 9.9.2020 – C-674/18, C-675/18, NZA 2020, 1531 Rz. 52 – TMD Friction; EuGH v. 5.5.1988 – C-144/87, C-145/87, NZA 1990, 985 Rz. 14 – Berg und Busschers. 2 EuGH v. 26.5.2005 – C-478/03, NZA 2005, 681 Rz. 41; BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 77/07, NZA 2008, 825 Rz. 30; BAG v. 13.12.2007 – 8 AZR 1107/06, DB 2008, 1161 Rz. 35. 3 Vgl. nur BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 77/07, NZA 2008, 825 Rz. 19 f.; BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 159/98, NZA 1999, 704, 705 f. 4 Vgl. EuGH v. 26.5.2005 – C-478/03, NZA 2005, 681 Rz. 34; BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 56 ff.; BAG v. 15.12.2005 – 8 AZR 202/05, NZA 2006, 597 Rz. 59 ff. 5 Abw. noch BAG v. 23.7.1991 – 3 AZR 366/90, NZA 1992, 217, 218.
174 | Gaul
Übergang durch Übernahme von Betriebsmitteln (Asset Deal) | Rz. 6.8 § 6
auftrete1, erscheint dies missverständlich. Das Gleiche gilt für die Feststellung, dass die Inhaberschaft übergehe, wenn der neue Inhaber die wirtschaftliche Einheit nutze und fortführe2. Maßgeblich für das Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs ist schlussendlich, ob der potenzielle Erwerber die wesentlichen Fragen, die personelle und soziale Angelegenheiten i.S.d. §§ 87, 92, 99, 102 BetrVG betreffen, eigenständig regeln kann und von dieser Berechtigung gegenüber den Arbeitnehmern dieser Einheit auch tatsächlich im eigenen Namen Gebrauch macht3. Andernfalls besteht die Gefahr, dass zu sehr auf die unternehmerische Verwertung des Ergebnisses einer Betriebsführung gegenüber Dritten abgestellt wird. Denn für die Inhaberschaft in Bezug auf einen Betrieb kommt es nicht darauf an, in wessen Namen das Ergebnis einer Produktion oder Dienstleistung innerhalb dieses Betriebs gegenüber Dritten angeboten wird. Entscheidend für § 613a BGB ist, durch wen die Erstellung der Produktion oder Dienstleistung im eigenen Namen gesteuert wird.
6.5
Unerheblich ist, ob der potenzielle Erwerber nach den schuldrechtlichen Vereinbarungen die betriebliche Tätigkeit eigentlich zu einem früheren Zeitpunkt hätte aufnehmen sollen4. Eine Verpflichtung, einen Betrieb zu übernehmen, kann einen Betriebsübergang nicht auslösen. Umgekehrt steht einem Übergang nach § 613a BGB nicht entgegen, wenn der potenzielle Erwerber die tatsächliche Leitungsmacht bereits übernimmt, obgleich die hierfür nach dem Kaufvertrag erforderlichen Voraussetzungen (z.B. Kaufpreiszahlung) noch nicht erfüllt sind. Der Realakt des Übergangs der Leitungsmacht kann – so das BAG – nicht unter einen vertraglichen Bedingungsvorbehalt gestellt werden5.
6.6
Abweichend von dem vorstehenden Grundsatz ist eine tatsächliche Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit nach Übernahme der Organisations- und Leitungsmacht nur dann nicht erforderlich, wenn die Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit im Anschluss an die Übernahme wesentlicher Betriebsmittel durch den übernehmenden Rechtsträger veranlasst wird, nur vorübergehenden Charakter hat und er im Anschluss daran die gleiche oder gleichartige Tätigkeit „in eigener Regie“ fortsetzen will (vgl. Rz. 4.181). In diesem Fall erfolgt das vorübergehende Ruhen der betrieblichen Tätigkeit auf seine Veranlassung. Wie das Beispiel Kurzarbeit zeigt, die auch unmittelbar nach der Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils durch den Erwerber veranlasst werden kann, ist auch dies als tatsächliche Ausübung von Leitungsmacht zu qualifizieren.
6.7
In allen Fallgestaltungen ist es unerheblich, ob überhaupt und wenn, zu welchem Zeitpunkt der übernehmende Rechtsträger über die Übernahme der Nutzungsmöglichkeit hinaus auch Eigentum an den Betriebsmitteln erwirbt6. Unerheblich ist auch, zu welchem Zeitpunkt die
6.8
1 BAG v. 13.12.2007 – 8 AZR 1107/06, DB 2008, 1161 Rz. 24; BAG v. 20.3.2003 – 8 AZR 312/02, NJW 2003, 3581. 2 So BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 993 Rz. 56; BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 197/11, NZA-RR 2013, 179 Rz. 42. 3 BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 159/98, NZA 1999, 704, 705; BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 196/98, NZA 1999, 869, 870; LAG Köln v. 27.9.1990 – 10 Sa 32/90, LAGE § 613a BGB Nr. 21 S. 3 f.; Willemsen, Anm. zu BAG v. 28.4.1987 – 3 AZR 75/86, EzA § 613a BGB Nr. 67 S. 11 f. 4 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 77/07, NZA 2008, 825 Rz. 27, 29; a.A. MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 58. 5 BAG v. 13.12.2007 – 8 AZR 1107/06, DB 2008, 1161 Rz. 27, 35. 6 Vgl. EuGH v. 15.12.2005 – C-232/04 und C-233/04, NZA 2006, 29 Rz. 33 ff. – Güney-Görres; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 117.
Gaul | 175
§ 6 Rz. 6.8 | Zeitpunkt des Übergangs bei § 613a BGB
dem Übergang der Leitungsmacht zugrundeliegenden Vereinbarungen abgeschlossen wurden (Signing)1.
II. Schrittweise Übernahme von Betriebsmitteln 6.9
Für die Anwendbarkeit von § 613a BGB im Bereich der Einzelrechtsnachfolge kommt es damit zunächst einmal nicht darauf an, ob dem übernehmenden Rechtsträger anstelle des Eigentums an Betriebsmitteln zunächst einmal nur Nutzungsrechte überlassen werden. Schon die Berechtigung, Betriebsmittel zur Fortsetzung der Betriebstätigkeit nutzen zu können, stellt eine Übertragung von Betriebsmitteln dar, die bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigen ist.
6.10
Um bei einer schrittweisen Übertragung der Nutzungsbefugnis über einzelne materielle und/ oder immaterielle Betriebsmittel über die Frage einer Anwendbarkeit von § 613a BGB entscheiden zu können, muss eine Gesamtbetrachtung vorgenommen werden. Abweichend von den isolierten Feststellungen des BAG im Urteil vom 14.8.20072 ist es dabei noch nicht ausreichend, dass die wesentlichen Betriebsmittel übergegangen sind und die Entscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang liegt nur dann vor, wenn der übernehmende Rechtsträger durch die schrittweise Übertragung in die Lage versetzt wird, die bisherige Tätigkeit des Betriebs oder Betriebsteils fortzusetzen und die gleiche oder gleichartige Tätigkeit auch tatsächlich fortgeführt wird3. Die bloße Berechtigung zur Fortsetzung der Betriebstätigkeit genügt nicht (vgl. Rz. 4.181). Wenn eine Fortsetzung der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit erst erfolgen kann, wenn die Betriebsmittel in verschiedenen Schritten übertragen worden sind, kommt § 613a BGB erst mit dem Schritt in Betracht, mit dem der potenzielle Erwerber in Summe die Verfügungsgewalt über die wesentlichen Betriebsmittel erlangt. Unerheblich ist, wenn im Anschluss daran noch weitere – insoweit unwesentliche Betriebsmittel – übertragen werden.
C. Übergang durch Einstellung von Personal und Fortsetzung der Betriebstätigkeit 6.11
Die Grundsätze zur Übernahme von Betriebsmitteln sind, soweit es um die Kennzeichnung des Zeitpunkts der Übertragung geht, auch auf solche Fallgestaltungen zu übertragen, in denen – weil eine betriebsmittelarme Tätigkeit in Rede steht – die Anwendbarkeit von § 613a BGB durch die Einstellung des nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Personals des bisherigen Betriebsinhabers ausgelöst wird. Auch hier kommt es nicht darauf an, wann die entsprechenden Arbeitsverträge, im Ausnahmefall auch Dienstverträge oder Freie-Mitarbeiter-Verträge, abgeschlossen bzw. Leiharbeitnehmer eingesetzt werden (vgl. Rz. 4.128 ff.). Ebenso sind diese Grundsätze auf Sachverhalte zu übertragen, in denen die Übernahme von Arbeitnehmern und Betriebsmitteln als Ressourcen zu berücksichtigen ist.
1 Vgl. BAG v. 3.7.1986 – 2 AZR 68/85, AP Nr. 53 zu § 613a BGB Bl. 7 f.; LAG Köln v. 2.2.1995 – 10 Sa 1071/94, n.v. 2 BAG v. 14.8.2007 – 8 AZR 803/06, NZA 2007, 1428 Rz. 20. 3 Vgl. BAG v. 10.6.1988 – 2 AZR 801/87, AP Nr. 82 zu § 613a BGB Bl. 4, bei dem die tatsächlichen Voraussetzungen für einen solchen Übergang indes nicht ausreichend vorgetragen waren; Kreitner, Kündigungsrechtliche Probleme, S. 188 f.
176 | Gaul
Übergang durch Einstellung von Personal und Fortsetzung der Betriebstätigkeit | Rz. 6.15 § 6
Entscheidend ist, wann die betroffenen Mitarbeiter tatsächlich ihre Arbeit für den übernehmenden Rechtsträger aufnehmen und der Betrieb oder Betriebsteil unter Wahrung seiner Identität durch den übernehmenden Rechtsträger tatsächlich fortgeführt wird1. Entsprechend den zur Kennzeichnung einer mitbestimmungspflichtigen Einstellung nach § 99 BetrVG entwickelten Kriterien kann erst dann von der tatsächlichen Übernahme der Leitungsmacht durch den neuen Rechtsträger ausgegangen werden, wenn dieser die Beschäftigung der bislang beim übertragenden Rechtsträger eingesetzten Mitarbeiter steuern kann. Auf den tatsächlichen Einsatz der übernommenen Mitarbeiter innerhalb einer durch den Erwerber gesteuerten Organisationsstruktur kann nur dann verzichtet werden, wenn der bisherige Betriebsinhaber seine Tätigkeit eingestellt hat und der neue Arbeitgeber trotz Abschluss entsprechender Verträge in Kenntnis der Möglichkeit zur Fortsetzung der Betriebstätigkeit aufgrund eigener Leitungsmacht vorübergehend eine Arbeitsunterbrechung bewirkt (vgl. Rz. 4.188)2. Das könnte arbeitgeberseitig veranlasst beispielsweise durch Kurzarbeit und arbeitnehmerseitig durch eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ausgelöst werden.
6.12
Hiervon ausgehend wird ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Übernahme der personellen Ressourcen sukzessive, also nicht gleichzeitig zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgt. Voraussetzung ist freilich, dass die schrittweise Übernahme des gesamten Personals auf einer einheitlichen Unternehmerentscheidung des potenziellen Erwerbers beruht3.
6.13
Für die Annahme eines Betriebsübergangs durch die schrittweise Übernahme von Personal kommt es – noch viel stärker als bei der Übernahme von Betriebsmitteln – indes darauf an, dass die organisatorische Einheit, die Gegenstand eines Übertragungsvorgangs nach § 613a BGB sein soll, in abgrenzbarer Weise bis zum Übergang fortbestanden hat (vgl. Rz. 4.46 ff.). Wenn die schrittweise Übernahme von Personal dazu führt, dass die beteiligten Unternehmen vorübergehend zwei eigenständige Organisationseinheiten betreiben, kann dies einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang entgegenstehen. Denn wenn der Betrieb oder Betriebsteil trotz des Weggangs eines Teils des Personals beim bisherigen Inhaber fortbesteht, ist es grundsätzlich ausgeschlossen, dass diese Einheit unter Wahrung ihrer (wirtschaftlichen) Identität gleichzeitig schon beim potenziellen Erwerber besteht. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass der potenzielle Erwerber eine neue eigenständige Organisationseinheit aufbaut (vgl. Rz. 4.85). Selbst wenn ihm dabei besondere Kenntnisse und Fähigkeiten einzelner Arbeitnehmer zugutekommen, die er vom bisherigen Betriebsinhaber übernommen hat, schließt dies eine Anwendbarkeit von § 613a BGB aus.
6.14
Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die Arbeitnehmer, die im ersten Schritt übernommen wurden, nur die Übernahme der übrigen – nach Zahl und Sachkunde – wesentlichen Arbeitnehmer vorbereiten sollen. Denn dann liegt auf der Grundlage einer einheitlichen Unternehmerentscheidung ein Betriebsübergang vor, der in den folgenden Schritten auch zu einer Beendigung der entsprechenden Tätigkeit durch den bisherigen Betriebsinhaber führt4.
6.15
1 Ebenso BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 197/11, NZA-RR 2013, 179 Rz. 42. 2 Ähnlich Thüringer LAG v. 14.11.2000 – 5 Sa 55/99, NZA-RR 2001, 121, 126, das allerdings von der Notwendigkeit ausgeht, dass die Beschäftigung der übernommenen Arbeitnehmer unmittelbar bevorstehe, die Tätigkeit durch den potenziellen Erwerber aber bereits mit anderen Arbeitnehmern aufgenommen werde. 3 BAG v. 25.6.2009 – 8 AZR 258/08, NZA 2009, 1412 Rz. 33; HWK/Willemsen, § 613a BGB Rz. 132. 4 BAG v. 25.6.2009 – 8 AZR 258/08, NZA 2009, 1412 Rz. 33.
Gaul | 177
§ 6 Rz. 6.16 | Zeitpunkt des Übergangs bei § 613a BGB
6.16
Entgegen der Überlegungen des LAG Hamburg im Vorlagebeschluss v. 29.3.19961 liegt indes keine schrittweise Übernahme von Personal vor, wenn der Arbeitgeber eine bestimmte Tätigkeit (hier: Reinigung) in der Weise fremdvergibt, dass er immer dann, wenn eine Reinigungskraft ausscheidet oder ihre Reinigungsarbeiten aus anderen Gründen zeitweise oder auf Dauer nicht mehr erledigen kann, ihren Reinigungsbezirk an ein Drittunternehmen zur Reinigung vergibt. Damit bliebe unberücksichtigt, dass der potenzielle Erwerber bei dieser Fallgestaltung weder Betriebsmittel noch Arbeitnehmer übernimmt. Dies schließt auch nach Art. 1 Abs. 1 lit. b Richtlinie 2001/23/EG einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang aus. Denn es werden keine „Ressourcen“ übernommen, wenn die Tätigkeit durch den potenziellen Erwerber mit eigenen Arbeitnehmern und eigenen Betriebsmitteln verrichtet wird. Vielmehr liegt eine schrittweise Funktionsnachfolge vor, die von § 613a BGB nicht erfasst wird. Dies gilt auch dann, wenn der beauftragte Dienstleister für eine Fortsetzung der Tätigkeiten Neueinstellungen vornehmen muss, sofern es sich dabei nicht um Arbeitnehmer handelt, die bis dahin durch den bisherigen Betriebsinhaber beschäftigt wurden.
D. Übergang durch Anwachsung 6.17
Zwar ist das BAG davon ausgegangen, dass der neue Rechtsträger bei gesellschaftsrechtlicher Gesamtrechtnachfolge, wie sie im Fall der Anwachsung nach § 738 BGB vorliege, in die Arbeitgeberstellung eintrete, ohne dass es auf einen Betriebsübergang im Sinne des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ankäme2. Der Umstand, dass die Gesamtrechtsnachfolge durch die hoheitliche Eintragung des Anteilsinhaberwechsels wirksam wird, steht aber der Anerkennung einer Anwendbarkeit von § 613a BGB nicht entgegen. Denn auch der Übergang von Betrieben und Betriebsteilen im Wege einer Anwachsung findet – vergleichbar der Situation bei einer Umwandlung – seine Grundlage in rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen. Die mit der Anwachsung bewirkte Übertragung von Betrieben oder – wenn Teile eines gemeinsamen Betriebs betroffen sind – Betriebsteilen auf einen anderen Rechtsträger bewirkt daher auch die Anwendbarkeit von § 613a BGB (vgl. Rz. 5.45).
6.18
Wirksam wird die Anwachsung mit Eintragung in das Handelsregister. Wenn keine Abstimmung mit dem Registergericht erfolgt, kann der Tag des Wirksamwerdens der Übertragung damit grundsätzlich nicht exakt benannt werden, was insbesondere für die Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB von Bedeutung ist (vgl. Rz. 11.147 ff.). Vielmehr kann in der Regel nur der Tag der Antragstellung, nicht dagegen der Tag der Eintragung, der zum Erlöschen des bisherigen Arbeitgebers führt, angegeben werden. Steht damit der Zeitpunkt des Übergangs der Arbeitsverhältnisse – wie auch in anderen Fällen der Umwandlung – noch nicht definitiv fest, ist auf diesen Umstand hinzuweisen und der voraussichtliche Zeitpunkt anzugeben. Das sollte auch dann erfolgen, wenn – was in der Praxis möglich ist – in Abstimmung mit dem Registergericht die Tage festgelegt werden, an denen die Eintragung erfolgen soll.
1 LAG Hamburg v. 29.3.1996 – 3 Sa 1/95, n.v. 2 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 158/07, NZA 2007, 815; dazu Vogt/Oltmanns, NZA 2012, 1090 ff.
178 | Gaul
Übergang durch Umwandlung | Rz. 6.22 § 6
E. Übergang durch Umwandlung I. Übergang mit Wirksamwerden der Umwandlung Erfolgt die Übertragung im Wege der Verschmelzung (§ 2 UmwG), Spaltung (§ 123 UmwG) oder Vermögensübertragung (§ 174 UmwG), kommt es grundsätzlich darauf an, wann die Umwandlung in das Register des für den jeweils in Rede stehenden Übertragungsvorgang wesentlichen Rechtsträgers eingetragen und damit wirksam geworden ist. Erst mit Eintragung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1, § 131 Abs. 1 Nr. 1, § 133 UmwG treten die zivilrechtlichen Folgen einer veränderten Zuordnung des Vermögens ein (Rz. 3.37, 3.79)1. Grundsätzlich kann dieser Tag nicht genau festgelegt werden, weil die Parteien einer Umwandlung das Handeln des Gerichts nicht bestimmen können. In der Praxis ist es aber gerade bei komplexen Übertragungsvorgängen nicht unüblich, mit dem Registergericht den Umwandlungsvorgang und den Zeitpunkt der Eintragung abzustimmen.
6.19
Der Verschmelzungs- oder Spaltungsstichtag, von dem an die Handlungen des übertragenden Rechtsträgers als für Rechnung des/der übernehmenden Rechtsträger(s) vorgenommen gelten, ist für die arbeitsrechtlichen Folgen ohne Bedeutung2. Er betrifft nur die bilanziellen Folgen der Umwandlung, also das Innenverhältnis zwischen den beteiligten Rechtsträgern. Es ist der Zeitpunkt, von dem an die Handlungen des/der übertragenden Rechtsträger(s) als für Rechnung des/der übernehmenden Rechtsträger(s) vorgenommen gelten (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 6 UmwG, § 126 Abs. 1 Nr. 6 UmwG). Auf den Tag, der diesem Tag vorangeht, ist die Schlussbilanz des übertragenden Rechtsträgers aufzustellen (vgl. § 17 Abs. 2, § 125 Satz 1 UmwG). Dieser Tag ist zugleich der steuerliche Übertragungsstichtag, mit dessen Ablauf auch das zu versteuernde Übernahmeergebnis entsteht (vgl. nur § 4 Abs. 4 bis 6 UmwStG). Darüber hinaus sind das Einkommen und Vermögen des/der übertragenden Rechtsträger(s) so zu ermitteln, als ob das Vermögen das Vermögen der übertragenden Körperschaft mit Ablauf des steuerlichen Übertragungsstichtags auf den übernehmenden Rechtsträger übergegangen wäre (§ 2 Abs. 1 UmwStG). Damit haben die Umwandlungsstichtage vor allem steuerliche und bilanzielle Bedeutung (vgl. Rz. 3.38).
6.20
II. Übergang vor oder nach dem Wirksamwerden der Umwandlung Bei einer Verschmelzung oder Spaltung kann der Zeitpunkt des Übergangs der Arbeitsverhältnisse nach § 613a BGB indes abweichend vom Wirksamwerden der Umwandlung festgelegt werden. Voraussetzung hierfür ist, dass der übernehmende Rechtsträger auf der Grundlage einer gesonderten Vereinbarung mit dem übertragenden Rechtsträger zu einem Zeitpunkt die tatsächliche Leitungsmacht über den Betrieb oder Betriebsteil übernimmt, der nicht mit dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Umwandlung identisch ist. Die entsprechende Vereinbarung kann auch im Verschmelzungs- oder Spaltungsvertrag getroffen werden.
6.21
Soll dieser Übergang vor dem Wirksamwerden der Umwandlung erfolgen, muss eine Spaltung oder Verschmelzung zur Aufnahme vorliegen. Denn nur dann kann zwischen den beteiligten Rechtsträgern vereinbart werden, dass der übernehmende Rechtsträger die wesentlichen Ressourcen des Betriebs oder Betriebsteils übernimmt und damit die gleiche oder gleichartige Tätigkeit schon vor dem Wirksamwerden der Umwandlung in eigenem Namen fortsetzt. Ob
6.22
1 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, NZA 2018, 370 Rz. 22 ff.; a.A. Karlsfeld, Widerspruchsrecht, S. 99 f., der generell auf den Übergang der Leitungsmacht abstellen will. 2 So bereits Ising/Thiell, DB 1991, 2082, 2085; Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 13 f.
Gaul | 179
§ 6 Rz. 6.22 | Zeitpunkt des Übergangs bei § 613a BGB
und inwieweit durch die Spaltung oder Verschmelzung anschließend auch das Eigentum an den Betriebsmitteln oder sonstiges Vermögen übertragen wird, spielt keine Rolle1. Sofern der übertragende Rechtsträger mit dem Wirksamwerden der Umwandlung nicht erlischt, kann auch vereinbart werden, dass die Übernahme der wesentlichen Ressourcen erst im Anschluss an das Wirksamwerden der Spaltung oder Verschmelzung erfolgt. Wichtig ist allerdings, dass mit dem Wirksamwerden der Umwandlung nur Vermögen übertragen, aber die Befugnis zur weiteren Nutzung aber erst zu einem späteren Zeitpunkt eingeräumt wird.
6.23
Die entsprechende Gestaltungsmöglichkeit folgt aus dem Umstand, dass § 613a BGB völlig selbstständig neben §§ 2, 123 UmwG steht. Das macht insoweit zutreffend auch § 324 UmwG deutlich („bleibt unberührt“). Folgerichtig kann eine gesonderte Vereinbarung der an einer Umwandlung beteiligten Rechtsträger losgelöst von dem Stand der Übertragung des Vermögens im Wege der Umwandlung zu einem Übergang der Arbeitsverhältnisse nach § 613a BGB führen2. Entscheidend ist, ob durch diese Vereinbarung die allgemeinen Voraussetzungen eines Übergangs der Arbeitsverhältnisse im Wege der Einzelrechtsnachfolge erfüllt werden.
6.24
Wenn eine betriebsmittelintensive Tätigkeit der vom Übergang betroffenen Einheit in Rede steht, wird der Übergang von Arbeitsverhältnissen durch die Nutzungsüberlassung hinsichtlich der wesentlichen Betriebsmittel bewirkt3. In der Regel wird hierfür aus steuerlichen Gründen ein Zeitpunkt zwischen dem Umwandlungsstichtag und der Eintragung der Umwandlung (einschließlich) bestimmt. Denkbar ist aber, dass durch entsprechende Vereinbarungen der Übergang der Arbeitsverhältnisse auch auf einen Zeitpunkt nach Wirksamwerden der Umwandlung verlegt wird. Dies wäre dann der Fall, wenn zwischen den beteiligten Rechtsträgern vereinbart wird, dass der übertragende Rechtsträger bis zu einem bestimmten Stichtag nach Eintragung der Spaltung weiterhin für die Führung des Betriebs in eigenem Namen verantwortlich ist und ihm insoweit auch die Betriebsmittel zur Nutzung überlassen werden. Dass das Eigentum an diesen Betriebsmitteln mit Wirksamwerden der Spaltung bereits auf den übernehmenden Rechtsträger übertragen wird, spielt keine Rolle. Die Arbeitsverhältnisse gehen im Wege der Einzelrechtsnachfolge gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB erst dann auf den übernehmenden Rechtsträger über, wenn er losgelöst vom Wirksamwerden der Umwandlung und dem daraus folgenden Eigentumserwerber – auch tatsächlich die Betriebsführung übernimmt.
6.25
Steht eine betriebsmittelarme Tätigkeit in Rede, kann der Übergang losgelöst von der Umwandlung auch dadurch bewirkt werden, dass die nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Mitarbeiter, die der übertragende Rechtsträger bislang in dem vom Übergang betroffenen Betrieb oder Betriebsteil beschäftigt hat, unabhängig von dem umwandlungsrechtlichen Übergang von Vermögen durch den übernehmenden Rechtsträger eingestellt werden und mit dem gleichen oder gleichartigen Betriebszweck weiterbeschäftigt werden.
6.26
Solche Vereinbarungen zum Zeitpunkt des Betriebsinhaberwechsels sind in der betrieblichen Praxis deshalb von Vorteil, weil sie den übernehmenden Rechtsträger in die Lage versetzen, ohne Rücksicht auf den nicht vorhersehbaren Tag der Eintragung der Umwandlung durch das Registergericht die Tätigkeit in den Einheiten, deren Übergang geplant ist, auf der 1 BAG v. 25.5.2001 – 8 AZR 416/99, EzA §613a BGB Nr. 190 m. Anm. Gaul/Bonanni; Dzida, FS Willemsen, S. 95, 104. 2 Sagasser/Bula/Brünger/Schmidt, § 6 Rz. 3 ff. m.w.N. 3 Kittner/Zwanziger/Bachner, Arbeitsrecht, § 114 Rz. 5.
180 | Gaul
Besondere Aspekte bei einzelnen Übertragungsvorgängen | § 7
Grundlage einer eigenständigen Steuerung aufzunehmen1. Auf diesen Zeitpunkt können dann auch entsprechende Erklärungen gegenüber Arbeitnehmern, Arbeitnehmervertretern und der Öffentlichkeit abgestimmt werden, was die Kommunikation erleichtert. Allerdings muss im Einzelfall insbesondere mit Blick auf die Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 5 BGB (vgl. Rz. 11.163 ff.). geprüft werden, ob und inwieweit die unterschiedlichen Konsequenzen eines Übergangs im Wege der Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge alternativ oder kumulativ zur Anwendung kommen. Beispielsweise sei hier nur auf die Haftung nach §§ 133 f. UmwG, § 613a Abs. 2 BGB hingewiesen. Das macht die Beschreibungen der Rechtsfolgen möglicherweise komplex. Kommt der darin liegende Übergang der Leitungsmacht schon vor dem Wirksamwerden der Umwandlung zustande, treten bereits zu diesem Zeitpunkt die in § 613a BGB bestimmten Rechtsfolgen für die Übertragungsvorgänge im Wege der Einzelrechtsnachfolge ein. Entsprechendes gilt für einen Übergang im Anschluss an das Wirksamwerden der Spaltung nach § 123 UmwG. Das kann zur Folge haben, dass Arbeitnehmer sich nur auf § 613a Abs. 2 BGB, nicht aber auf §§ 133, 134 UmwG berufen können (vgl. Rz. 13.149). Allerdings muss im Einzelfall geklärt werden, welche steuerlichen Konsequenzen mit diesem arbeitsrechtlich definierten Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils verbunden sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn – was steuerrechtlich problematisch sein dürfte – die Übertragung der wesentlichen Leitungsmacht auf einen Zeitpunkt noch vor den Spaltungsstichtag gelegt wird.
§7 Besondere Aspekte bei einzelnen Übertragungsvorgängen
A. Übertragungsvorgänge im Konzern . 7.1 B. Veränderungen im gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen als Betriebsübergang i.S.d. § 613a BGB I. Gründung des gemeinsamen Betriebs . 7.2 II. Auflösung des gemeinsamen Betriebs . 7.5 III. Übertragung des Betriebs in seiner Gesamtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6 IV. Ausscheiden einzelner Unternehmen bzw. Übertragung einzelner Betriebsteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.8 V. Bildung eines gemeinsamen Betriebs im Anschluss an einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang . . . . . . . . . . . . . . 7.17
C. Restrukturierung von Krankenkassen I. Fusion von Sozialversicherungsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Übergang von Personal auf eine geschlossene Betriebskrankenkasse bei Einstellung der Kostenübernahme durch den Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . III. Personalübergang bei einer Fusion von Betriebskrankenkassen . . . . . . . . . 1. Anwendbarkeit der Betriebsübergangsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . D. Übergang unter Beteiligung kirchlicher Rechtsträger . . . . . . . . . . . . . . .
7.19
7.25 7.30 7.37 7.40 7.41
1 Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 15 ff.
Gaul und Gaul/Bonanni | 181
6.27
Besondere Aspekte bei einzelnen Übertragungsvorgängen | § 7
Grundlage einer eigenständigen Steuerung aufzunehmen1. Auf diesen Zeitpunkt können dann auch entsprechende Erklärungen gegenüber Arbeitnehmern, Arbeitnehmervertretern und der Öffentlichkeit abgestimmt werden, was die Kommunikation erleichtert. Allerdings muss im Einzelfall insbesondere mit Blick auf die Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 5 BGB (vgl. Rz. 11.163 ff.). geprüft werden, ob und inwieweit die unterschiedlichen Konsequenzen eines Übergangs im Wege der Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge alternativ oder kumulativ zur Anwendung kommen. Beispielsweise sei hier nur auf die Haftung nach §§ 133 f. UmwG, § 613a Abs. 2 BGB hingewiesen. Das macht die Beschreibungen der Rechtsfolgen möglicherweise komplex. Kommt der darin liegende Übergang der Leitungsmacht schon vor dem Wirksamwerden der Umwandlung zustande, treten bereits zu diesem Zeitpunkt die in § 613a BGB bestimmten Rechtsfolgen für die Übertragungsvorgänge im Wege der Einzelrechtsnachfolge ein. Entsprechendes gilt für einen Übergang im Anschluss an das Wirksamwerden der Spaltung nach § 123 UmwG. Das kann zur Folge haben, dass Arbeitnehmer sich nur auf § 613a Abs. 2 BGB, nicht aber auf §§ 133, 134 UmwG berufen können (vgl. Rz. 13.149). Allerdings muss im Einzelfall geklärt werden, welche steuerlichen Konsequenzen mit diesem arbeitsrechtlich definierten Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils verbunden sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn – was steuerrechtlich problematisch sein dürfte – die Übertragung der wesentlichen Leitungsmacht auf einen Zeitpunkt noch vor den Spaltungsstichtag gelegt wird.
§7 Besondere Aspekte bei einzelnen Übertragungsvorgängen
A. Übertragungsvorgänge im Konzern . 7.1 B. Veränderungen im gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen als Betriebsübergang i.S.d. § 613a BGB I. Gründung des gemeinsamen Betriebs . 7.2 II. Auflösung des gemeinsamen Betriebs . 7.5 III. Übertragung des Betriebs in seiner Gesamtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6 IV. Ausscheiden einzelner Unternehmen bzw. Übertragung einzelner Betriebsteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.8 V. Bildung eines gemeinsamen Betriebs im Anschluss an einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang . . . . . . . . . . . . . . 7.17
C. Restrukturierung von Krankenkassen I. Fusion von Sozialversicherungsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Übergang von Personal auf eine geschlossene Betriebskrankenkasse bei Einstellung der Kostenübernahme durch den Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . III. Personalübergang bei einer Fusion von Betriebskrankenkassen . . . . . . . . . 1. Anwendbarkeit der Betriebsübergangsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . D. Übergang unter Beteiligung kirchlicher Rechtsträger . . . . . . . . . . . . . . .
7.19
7.25 7.30 7.37 7.40 7.41
1 Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 15 ff.
Gaul und Gaul/Bonanni | 181
6.27
§ 7 | Besondere Aspekte bei einzelnen Übertragungsvorgängen Schrifttum: Andelewski/Brachmann, Arbeitsrechtliche Fragestellungen bei Fusionen von Trägern der gesetzlichen Sozialversicherung, NZA 2010, 1103; Andelewski/Steinbring, Das rechtliche Schicksal von Dienstvereinbarungen und Tarifverträgen nach der Fusion gesetzlicher Krankenkassen, KrV 2012, 192; Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRl 54 (1995), 243; Blanke/Gebhardt/Heuermann, Leitfaden Privatisierungsrecht: Praxis der Personalüberleitungs- und Personalgestellungsverträge für Arbeiter und Angestellte, 1998; Däubler, Privatisierung als Rechtsproblem, 1980; Depenheuer, Betriebsübergänge in öffentlichen Theaterbetrieben, ZTR 1997, 492; Edenfeld, Fortführung einer Betriebs- als Dienstvereinbarung – Arbeits- und personalvertretungsrechtliche Aspekte am Beispiel einer BKK, PersV 10 (2013), 368; Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V; Escher, Rechtsprobleme der Zusatzversorgung bei der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen – Das Beispiel der Gebäudeversicherung, ZTR 1997, 394; B. Gaul, Die schwierige Kennzeichnung des Betriebs oder Betriebsteils im Sinne des § 613a BGB, in Festschrift Preis, 2021, S. 279; Gussen in BeckOK, § 613a BGB, Rz. 277b ff.; Hanau/ Becker, Arbeitsrechtliche Probleme der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen (Rechtsgutachten erstattet für die Gewerkschaft ÖTV), 1980; Hanau/Thüsing, Arbeitsrechtliche Konsequenzen beim Betriebsübergang kirchlicher Einrichtungen, KuR 2000, 165; Hebeler, Die Vereinigung, Auflösung und Schließung von Sozialversicherungsträgern, NZS 2008, 238; Heckschen, Die Entwicklung des Umwandlungsrechts aus Sicht der Rechtsprechung und Praxis, DB 1998, 1385; Kreitner, Kündigungsschutzrechtliche Probleme beim Betriebsinhaberwechsel, 1989 (zugl. Diss. Köln 1989); Lipinski/Kaindl, Risiken und Chancen des § 613a BGB bei M&A-Transaktionen: Strategien zur Vermeidung und Gestaltung eines Betriebs(teil)übergangs, BB 2018, 245; Oberthür, Betriebsübergang im Konzern – Gemeinschaftsbetrieb und Rechtsmissbrauch, ArbRB 2015, 272; Pietzko, Der Tatbestand des § 613a BGB, 1988 (zugl. Diss. Köln 1987); Plander, Die Personalgestellung zum Erwerber beim Betriebsübergang als Reaktion auf den Widerspruch von Arbeitnehmern, NZS 2002, 69; Reichold, Rechtsfragen des Systemwechsels zwischen weltlichem und kirchlichem Arbeitsrecht am Beispiel des § 613a BGB, in Festschrift Reinhard Richardi zum 70. Geburtstag, 2007, S. 943; Reichold, Keine kollektive Ablösung kirchlicher AVR nach Betriebsübergang durch Betriebsvereinbarung, RdA 2020, 126; Richardi, Geltung des kirchlichen Arbeitsrechts bei Umstrukturierungen, in Festschrift Jobst-Hubertus Bauer, 2006, S. 673; Röder, Unternehmensspaltungen, Gemeinschaftsbetrieb und Betriebsübergang, DR 2019, 585; Ruge/Maerker, Arbeits- und personalvertretungsrechtliche Aspekte bei der Vereinigung von Krankenkassen, ZTR 2007, 663; Schiefer, Outsourcing, Auftragsvergabe, Betriebsübergang nach geänderter Rechtsprechung, NZA 1998, 1095; Schiefer, § 613a BGB – Problemschwerpunkte und aktuelle Fragen – Teil 1 Wortlaut, Tatbestandsvoraussetzungen sowie Betriebsveräußerung und -stilllegung, DB 2021, 453; Schiefer/Pogge, Betriebsübergang und dessen Folgen – Tatbestandsvoraussetzungen des § 613a BGB und Fortgeltung kollektiv-rechtlicher Regelungen, NJW 2003, 3734; Schindhelm/Stein, Der Gegenstand der Ausgliederung bei einer Privatisierung nach dem UmwG, DB 1999, 1375; Schipp/Schipp, Arbeitsrecht und Privatisierung, 1996; Schmalenberg, Die Tatbestandsvoraussetzungen des Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB, NZA 1989 Beil. 3, S. 14; Schnapp, Kassenschließung trotz fehlerfreier Errichtung? Über die Vergesslichkeit des Sozialgesetzgebers und den Zustand der Kommentarliteratur, NZS 2001, 449; Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBl. 1994, 962; Steuck, Die privatisierende Umwandlung, NJW 1995, 2887; von Tiling, Die Rechtsfolgen des Betriebsübergangs im Spannungsfeld von Kirchenfreiheit und staatlicher Arbeitsrechtsordnung, 2004 (zugl. Diss. Göttingen 2004); von Tiling, Das Verhältnis von Personalgestellung und Betriebsübergang in der Praxis, ZTR 2014, 695; Trebeck, Betriebsverfassungsrechtliche Bedeutung des Übergangs einer kirchlichen Einrichtung auf einen privatrechtlichen Träger, ArbR 2020, 345; Trümner, Probleme beim Wechsel vom öffentlich-rechtlichen zum privatrechtlichen Arbeitgeber infolge Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, PersR 1993, 473; Vogt, Fusionen in der gesetzlichen Krankenversicherung, KrV 2009, 170; Wank/Brüning, Der Übergang des Personals von Betriebskrankenkassen nach § 147 Abs. 2 SGB V, ZfA 1995, 699; Wegner-Wahnschaffe, Zusatzversorgung und Privatisierung – Möglichkeiten und Grenzen, dargestellt am Fall der Gebäudeversicherungsanstalten Baden-Württembergs, ZTR 1998, 485; Weimar/Alfes, Arbeitsrechtliche Grundsatzfragen der Betriebsaufspaltung, BB 1993, 783.
182 | Gaul/Bonanni
Veränderungen im gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen | Rz. 7.3 § 7
A. Übertragungsvorgänge im Konzern § 613a BGB erfasst ohne Besonderheiten und/oder Einschränkungen auch Übertragungsvorgänge zwischen Konzernunternehmen1. Allerdings müssen auch insoweit die allgemeinen Voraussetzungen erfüllt sein. Eine Auftragsneuvergabe oder Funktionsnachfolge wird nicht dadurch zum Betriebsübergang, dass sie im Rahmen eines Unternehmensverbunds oder Konzerns erfolgt2.
7.1
B. Veränderungen im gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen als Betriebsübergang i.S.d. § 613a BGB I. Gründung des gemeinsamen Betriebs Der gemeinsame Betrieb mehrerer Unternehmen (Gemeinschaftsbetrieb) ist im Kündigungsschutzrecht (vgl. Rz. 16.2) ebenso wie im Betriebsverfassungsrecht (vgl. Rz. 25.623) anerkannt. Wenngleich sich die Voraussetzungen, die an das Vorliegen eines solchen Betriebs geknüpft werden, im Kündigungsschutz- und Betriebsverfassungsrecht zum Teil unterscheiden, wird der Gemeinschaftsbetrieb in allen Fallgestaltungen übereinstimmend dadurch gekennzeichnet, dass Arbeitnehmer verschiedener Arbeitgeber innerhalb einer (unternehmensübergreifenden) Organisationseinheit zum Einsatz kommen. Soweit keine betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheit i.S.d. § 3 Abs. 5 BetrVG in Rede steht, wird die Einheitlichkeit der Organisation vor allem dadurch sichergestellt, dass die Regelung der wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten zentral von den beteiligten Rechtsträgern koordiniert wird3. Die Gründung einer steuerrechtlichen Organschaft zwischen zwei Unternehmen genügt nicht4.
7.2
Zutreffend ist kein Betriebsübergang gegeben, wenn ein Unternehmen sich mit einem Betrieb oder Betriebsteil an einem gemeinsamen Betrieb beteiligt5. Die „Einbindung“ eines Betriebs oder Betriebsteils in den gemeinsamen Betrieb bewirkt für den jeweiligen Arbeitgeber keinen Verzicht auf die Ausübung der Leitungsmacht über die in diesem Betrieb oder Betriebsteil beschäftigten Arbeitnehmer. Im Gegensatz zur Arbeitnehmerüberlassung ist das Zusammenwirken innerhalb eines Gemeinschaftsbetriebs deshalb auch nicht mit der Übertragung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts auf einen anderen Rechtsträger verbunden. Dies gilt auch dann, wenn man in der Vereinbarung über die Teilung eines gemeinsamen Betriebs die Gründung einer Innen-GbR sieht6. Vielmehr wird im gemeinsamen Betrieb nur eine Vereinbarung darüber getroffen, dass die wesentlichen personellen und sozialen Fragen einheitlich von einer Stelle aus gegenüber den Arbeitnehmern und Arbeitnehmervertretern gesteuert werden. Soweit darin z.T. die Wahrnehmung von Befugnissen liegt, die dem arbeitgeberseitigen Direktionsrecht zugeordnet werden können (z.B. Beginn und Ende der Arbeitszeit), erfolgt die Wahrnehmung gegenüber den einzelnen Arbeitnehmern jeweils namens und im Auftrag der jewei-
7.3
1 Vgl. EuGH v. 6.3.2014 – C-458/12, NZA 2014, 423 Rz. 47 ff.; EuGH v. 2.12.1999 – C-234/98, NZA 2000, 587; LAG Niedersachsen v. 27.6.2006 – 13 Sa 378/06 n.v. 2 BAG v. 19.3.2015 – 8 AZR 150/14, DB 2015, 2030 Rz. 31. 3 Vgl. HWK/B. Gaul, § 1 BetrVG Rz. 6 ff. m.w.N. 4 BAG v. 25.5.2005 – 7 ABR 38/04, NZA 2005, 1080 Rz. 34 ff.; HWK/B. Gaul, § 1 BetrVG Rz. 16. 5 BAG v. 17.1.2002 – 2 AZR 57/01, NZA 2002, 999 Rz. 30 ff.; BAG v. 26.8.1999 – 8 AZR 594/98 n.v.; DKK/Trümner, § 1 BetrVG Rz. 175; Schiefer/Pogge, NJW 2003, 3734. 6 So BAG v. 17.1.2002 – 2 AZR 57/01, NZA 2002, 999; BAG v. 5.3.1987 – 2 AZR 623/85, NZA 1988, 32; Fitting, § 1 BetrVG Rz. 80; a.A. Richardi/Richardi, § 1 BetrVG Rz. 78 f.
Gaul/Bonanni | 183
§ 7 Rz. 7.3 | Besondere Aspekte bei einzelnen Übertragungsvorgängen
ligen Arbeitgeber. Selbst bei der Annahme einer GbR ist der Gesellschaftszweck damit nur auf die Begründung einer Gesellschaft gerichtet, deren Betätigung allein die gemeinsame Steuerung, nicht die gemeinsame Arbeitgebereigenschaft ist (Innen-GbR). Zweck der Vereinbarung über die gemeinsame Betriebsführung und damit Zweck des Gemeinschaftsbetriebs ist allein die Koordination der Tätigkeiten und Direktionsrechte der verschiedenen Gesellschaften gegenüber den Arbeitnehmern. Auf diese Betriebsführungsgemeinschaft wird nichts übertragen, was die Identität der wirtschaftlichen Einheit ausmacht. Dies schließt einen Betriebsübergang auf einen gemeinsamen Betrieb aus1. Insofern hat auch die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der GbR keine Bedeutung. Wenn nicht ausdrücklich zwischen den beteiligten Rechtsträgern etwas anderes vereinbart wird, bleiben die Arbeitnehmer im gemeinsamen Betrieb Arbeitnehmer ihres bisherigen Arbeitgebers. Ohne eine solche besondere Vereinbarung kommt ein Übergang der Arbeitsverhältnisse auf die am gemeinsamen Betrieb beteiligten Unternehmen in ihrer Gesamtheit bzw. als GbR nicht in Betracht2. Die beteiligten Unternehmen werden durch die Bildung einer GbR nicht Arbeitgeber der in diesem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer.
7.4
Damit ist die Zusammenarbeit im Gemeinschaftsbetrieb auch von der Steuerung eines Betriebs durch eine Betriebsführungsgesellschaft zu unterscheiden. Wenn die Betriebsführungsgesellschaft in eigenem Namen die Steuerung eines Betriebs übernimmt, der zuvor – in seiner Gesamtheit oder in einzelnen Teilen – in der Leitungsmacht von anderen Rechtsträgern gestanden hat, liegt darin ein Übergang der jeweiligen Betriebe oder Betriebsteile i.S.d. § 613a BGB. Denn mit der Übertragung verzichten die bisherigen Arbeitgeber auch auf die Ausübung der Leitungsmacht, die aber Voraussetzung dafür ist, Inhaber eines Betriebs oder Betriebsteils zu sein. Dies gilt abweichend von der vom BAG vertretenen Auffassung auch dann, wenn die Ergebnisse der selbstgesteuerten Betriebstätigkeit (Produkte/Dienstleistungen) im Markt im Namen eines Dritten verkauft werden, die Betriebsführungsgesellschaft also nach außen gegenüber Kunden und Lieferanten nicht als Betriebsinhaber auftritt (vgl. Rz. 4.121). Entscheidend ist, dass der Betriebsführer aufgrund des Betriebsführungsvertrages gegenüber den Arbeitnehmern als Betriebsinhaber auftritt3. Wenn die Betriebsführungsgesellschaft die Steuerung der Arbeitnehmer hingegen im Namen eines Dritten bewirkt, bleibt dieser (weiterhin) Inhaber des Betriebs (vgl. Rz. 4.123)4.
II. Auflösung des gemeinsamen Betriebs 7.5
Entsprechend den Feststellungen zur Gründung eines gemeinsamen Betriebs liegt auch in der Auflösung eines gemeinsamen Betriebs durch Beendigung der Vereinbarung zur gemeinsamen Führung kein Übergang der einzelnen Teileinheiten auf die Rechtsträger, die an dem gemeinsamen Betrieb beteiligt waren. Da die beteiligten Unternehmen auch während der Zusammenarbeit jeweils Inhaber des von ihnen „eingebundenen“ Teils gewesen sind, fehlt es an dem für § 613a BGB erforderlichen Inhaberwechsel5.
1 BAG v. 16.2.2006 – 8 AZR 211/05, NZA 2006, 592 Rz. 20; BAG v. 24.2.2000 – 8 AZR 162/99 n.v.; BAG v. 26.8.1999 – 8 AZR 588/98 n.v. 2 Vgl. LAG Düsseldorf v. 19.6.1998 – 11 (14) Sa 1838/97 n.v. 3 Vgl. auch WHSS/Willemsen, Umstrukturierung, G Rz. 38 und 78; Rieble, NZA 2010, 1154, 1147. 4 Anders BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 338/16, BB 2018, 756 Rz. 37. 5 Vgl. LAG Düsseldorf v. 19.6.1998 – 11 (14) Sa 1838/97 n.v.
184 | Gaul/Bonanni
Veränderungen im gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen | Rz. 7.9 § 7
III. Übertragung des Betriebs in seiner Gesamtheit Von seiner organisatorischen Abgrenzbarkeit ausgehend, kann auch der gemeinsame Betrieb mehrerer Unternehmen ganz oder teilweise Gegenstand einer Übertragung i.S.d. § 613a BGB sein1. Geht es nur um einen Betriebsteil, spielt es keine Rolle, ob in der betreffenden Einheit Arbeitnehmer eines oder mehrerer Unternehmen beschäftigt werden. Hiervon schien auch der EuGH mit seiner Annahme auszugehen, dass ein Übergang i.S.d. Richtlinie 77/187/EWG möglich ist, wenn sich der Übertragungsvorgang auf eine wirtschaftliche Einheit beziehe. Dass die beteiligten Unternehmen sich dasselbe Management und dieselben Räumlichkeiten teilten und kein Übergang von Führungspersonal erfolgt sei, sei in diesem Zusammenhang unerheblich2.
7.6
Voraussetzung für eine Kennzeichnung dieses Vorgangs als Betriebsübergang i.S.d. § 613a BGB ist lediglich, dass der Betrieb unter Wahrung seiner Identität beim potenziellen Erwerber fortbesteht. Unerheblich ist, ob es sich dabei um einen Rechtsträger handelt, der bislang am gemeinsamen Betrieb beteiligt war3, oder ob die Übertragung auf einen bislang unbeteiligten Dritten erfolgt. Erforderlich ist in allen Fallgestaltungen, dass, überträgt man die allgemeinen Überlegungen, die für den Betrieb in seiner Gesamtheit wesentlichen Betriebsmittel und/oder das für den Betrieb nach Zahl und Sachkunde wesentliche Personal übertragen bzw. übernommen werden, um damit die gleiche oder gleichartige Tätigkeit fortzusetzen (vgl. Rz. 4.181). Ob der Übergang von Vermögen, das an den gemeinsamen Betrieb gebunden ist, im Wege der Einzel- oder – was selten sein dürfte – der Gesamtrechtsnachfolge erfolgt, spielt keine Rolle. Wichtiger ist, dass die bisher am gemeinsamen Betrieb beteiligten Rechtsträger ihre eigene Steuerung über die innerhalb des Gemeinschaftsbetriebs ausgeübte Tätigkeit aufgeben müssen. Nur dann ist der potenzielle Erwerber auch in der Lage, als neuer Inhaber in der für § 613a BGB erforderlichen Weise selbst die Leitungsmacht zu übernehmen.
7.7
IV. Ausscheiden einzelner Unternehmen bzw. Übertragung einzelner Betriebsteile Schwieriger ist es, das Ausscheiden einzelner Unternehmen bzw. die Veräußerung einzelner Teile des gemeinsamen Betriebs auf andere Rechtsträger in den Anwendungsbereich von § 613a BGB einzubeziehen. Voraussetzung hierfür ist nämlich nicht nur, dass der Teilbereich des gemeinsamen Betriebs, der Gegenstand einer Übertragung werden soll, als organisatorische Teileinheit abgrenzbar ist. Erforderlich ist auch, dass der potenzielle Erwerber anstelle des bisherigen Inhabers die Leitungsmacht über die jeweilige Einheit übernommen hat. Dies ist keineswegs zwingend, wie die Beendigung eines gemeinsamen Betriebs insbesondere im Insolvenzfall eines der beteiligten Rechtsträger deutlich macht.
7.8
In seiner Entscheidung vom 26.8.19994 geht der 8. Senat des BAG davon aus, dass jeder Unternehmer beim Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebs „notwendig einen übergangsfähigen Betriebsteil [habe], weil er gegenüber den übrigen Unternehmern aus Rechtsgründen eine abgrenzbare Einheit [bilde]“.
7.9
1 Vgl. BAG v. 20.7.1982 – 3 AZR 261/80, DB 1983, 50; BAG v. 30.1.1996 – 3 AZR 238/95 n.v.; offengelassen: BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 546/10, NZA 2012, 509 Rz. 25 ff., 33. 2 Vgl. EuGH v. 2.12.1999 – C-234/98, NZA 2000, 587 Rz. 17 – Allen; EuGH v. 6.3.2014 – C-458/12, NZA 2014, 423 Rz. 48 – Amatori. 3 Hierzu vgl. BAG v. 30.1.1996 – 3 AZR 238/95 n.v. 4 BAG v. 26.8.1999 – 8 AZR 594/98 n.v.
Gaul/Bonanni | 185
§ 7 Rz. 7.10 | Besondere Aspekte bei einzelnen Übertragungsvorgängen
7.10
Dieser Feststellung ist jedenfalls dann zuzustimmen, wenn die an einem gemeinsamen Betrieb beteiligten Unternehmen jeweils abgrenzbare Betriebsteile „einbringen“ und diese – wenn auch unter einer einheitlichen Leitungsmacht – nach Aufgabe und Organisation auch im Anschluss daran innerhalb des Gemeinschaftsbetriebs abgrenzbar geführt werden. Hiervon wird man im Regelfall dann ausgehen können, wenn unterschiedliche Tätigkeiten (z.B. Produktion von Druckerzeugnissen, Werbung und Vertrieb), die bislang von verschiedenen Rechtsträgern innerhalb eigenständiger Einheiten ausgeübt wurden, zu einer einheitlichen Organisationseinheit innerhalb eines gemeinsamen Betriebs zusammengefasst werden.
7.11
Bedenken bestehen indes dann, wenn die Tätigkeitsbereiche, die die beteiligten Unternehmen in einen Gemeinschaftsbetrieb „eingebunden“ haben, mit der Zeit und infolge der übergreifenden/gemeinsamen Tätigkeit so miteinander verbunden worden sind, dass die bestehende Organisation keine Unterscheidung der Arbeitnehmer nach Maßgabe ihrer arbeitsvertraglichen Bindung mehr erlaubt. Hierzu kann es beispielsweise dann kommen, wenn der Vertrieb zweier Pharmafirmen zusammengebracht und über viele Jahre hinweg gemeinsam geführt wird. Wenn die Mitarbeiter im Außen- und Innendienst fortan Produkte beider Unternehmen vertreiben, kann nur durch eine erneute Zuordnung und die Auflösung der Vereinbarung über die gemeinsame Führung eine Trennung in zwei Betriebsteile, die die jeweiligen Arbeitnehmer der beteiligten Unternehmen separiert, erfolgen. Andernfalls würde der Vertrieb in seiner Gesamtheit als Betrieb oder – falls z.B. auch die Produktion gemeinsam betrieben wird – als Betriebsteil anzusehen sein.
7.12
Angesichts dessen wird man, um aus einem gemeinsamen Betrieb heraus einen Betriebsteil übertragen zu können, verlangen müssen, dass die Arbeitssteuerung für diese Teileinheit relativ selbstständig innerhalb der jeweiligen Teileinheit erfolgt. Wie das BAG in anderem Zusammenhang deutlich gemacht hat, müssen vor dem Wirksamwerden des potenziellen Übertragungsvorgangs organisatorisch abgrenzbare Einheiten geschaffen werden, denen eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern angehört, um insoweit einen Betriebsteilübergang auszulösen (vgl. Rz. 4.48 f.). Die bloße Zuordnung von Arbeitnehmern, die bislang in verschiedenen organisatorischen Einheiten des gemeinsamen Betriebs mit gleichen Aufgaben befasst waren (z.B. IT), ohne dass ihre Arbeit durch eine Führungskraft übergreifend gesteuert wurde, zu einem potenziellen Erwerber eines Betriebsteils genügt nicht, um eine Anwendbarkeit von § 613a BGB auszulösen1. Die gegenteilige Betrachtungsweise, wie sie der 8. Senat des BAG im Urteil vom 27.2.20202 abweichend von der Sichtweise des 6. Senats des BAG im Urteil vom 14.5.20203 noch für möglich gehalten hatte, überzeugt nicht (vgl. Rz. 4.52)4. Dass bei der Schaffung organisatorisch abgrenzbarer Einheiten innerhalb des gemeinsamen Betriebs in die dort bestehenden Arbeits- und Ablaufstrukturen eingegriffen wird und Arbeitnehmer unterschiedlicher Unternehmen einbezogen werden, ist unerheblich. Es genügt, dass diese Zuordnung unter Berücksichtigung individual- und kollektivrechtlicher Rahmenbedingungen (§ 106 GewO, § 315 BGB, § 99 BetrVG) tatsächlich erfolgt ist. Einer Abgrenzung einzelner Betriebsteile innerhalb des gemeinsamen Betriebs steht ebenfalls nicht entgegen, dass der gemeinsame Betrieb schon für seine Existenz voraussetzt, dass die beteiligten Rechtsträger vereinbart haben, die Leitungsmacht in allen wesentlichen personellen und sozialen Fragen zentral und übergreifend zu steuern. Der Grad der relativen Verselbstständigung der Steuerungsmöglichkeiten innerhalb der einzelnen Teilbereiche des Betriebs, der für einen Betriebsteil i.S.d. § 613a 1 2 3 4
BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, NZA 2018, 370 Rz. 32 ff. BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303. BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, NZA 2020, 1092. Eingehend B. Gaul, Festschrift Preis, S. 279, 285 f.
186 | Gaul/Bonanni
Veränderungen im gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen | Rz. 7.16 § 7
BGB erforderlich ist (vgl. Rz. 4.87), steht nämlich hinter der einheitlichen Leitungsmacht zurück, an die der gemeinsame Betrieb in seiner Gesamtheit geknüpft ist. Ob der Betriebsteil auf einen Dritten übertragen wird oder ob die Übertragung des Betriebsteils erfolgt, indem der gemeinsame Betrieb durch den oder die Rechtsträger, die nach dem Ausscheiden eines Rechtsträgers aus dem Kreis der Rechtsträger, die den gemeinsamen Betrieb bildeten, unter Einbeziehung des durch den ausgeschiedenen Rechtsträger ursprünglich „eingebrachten“ Betriebsteils fortgeführt wird, spielt keine Rolle. Beide Vorgänge können in den Anwendungsbereich von § 613a BGB fallen, wenn der Betrieb oder Betriebsteil beim neuen Inhaber in seiner bisherigen Identität fortgeführt wird1. Entscheidend dafür ist nicht allein, ob und inwieweit die Betriebsmittel des aus der Trägerschaft für den gemeinsamen Betrieb ausgeschiedenen Unternehmens durch den oder die verbleibenden Rechtsträger genutzt werden. Eine solche Verfügungsmöglichkeit kann schon während der Zusammenarbeit im Rahmen des gemeinsamen Betriebs bestanden haben. Wenn Betriebsmittel wegen der Art der Tätigkeit überhaupt Bedeutung für den Betrieb haben, liegt in der Nutzung der Betriebsmittel des ausgeschiedenen Unternehmens die für § 613a BGB erforderliche Ausweitung der Steuerungsmöglichkeit nur dann, wenn der potenzielle Erwerber allein über die Verwendung der Betriebsmittel entscheiden kann und dies auch als Bestandteil seiner eigenen Betriebsorganisation erfolgt. In diesem Fall kommt es nicht darauf an, ob daneben auch die überwiegende Zahl der Arbeitnehmer eingestellt wurde und/oder bestimmte Aufträge übernommen wurden2. Im Übrigen ist vor allem in den „dienstleistungsorientierten und betriebsmittelarmen“ Bereichen insbesondere an dem Umstand anzuknüpfen, dass der nach Zahl oder Sachkunde wesentliche Teil des bislang im Betriebsteil beschäftigten Personals übernommen und der bisherige Betriebszweck unter Aufrechterhaltung der Arbeitsabläufe weiterverfolgt werden3.
7.13
Erforderlich ist darüber hinaus, dass der bisherige Inhaber des Betriebsteils seine wirtschaftliche Betätigung in diesem Teil eingestellt hat. Dies schließt nicht aus, dass übertragender und übernehmender Rechtsträger noch eine Zeitlang nebeneinander im gemeinsamen Betrieb tätig werden4.
7.14
Handelt es sich um einen Dritten, muss der jeweilige Betriebsteil aus dem gemeinsamen Betrieb ausgegliedert werden. Handelt es sich um ein Unternehmen, das trotz des Ausscheidens des bisherigen Arbeitgebers innerhalb des gemeinsamen Betriebs die Zusammenarbeit mit den übrigen Unternehmen fortsetzen will, muss es insoweit isoliert von den übrigen Unternehmen die Steuerung über die in diesem Betriebsteil vom bisherigen Arbeitgeber eingesetzten Arbeitnehmer übernommen haben. Dass übergreifende Fragen (z.B. Arbeitszeit, Versetzungen) weiterhin zentral gegenüber allen Arbeitnehmern wahrgenommen werden, spielt keine Rolle.
7.15
Schwieriger wird die Situation dann, wenn der bisherige Gemeinschaftsbetrieb nach dem Ausscheiden eines Unternehmens von den übrigen Unternehmen mit den bisherigen Arbeitnehmern und Betriebsmitteln fortgesetzt wird, ohne dass erkennbar wird, dass ein bestimmtes Unternehmen anstelle des bisherigen Betriebsteilinhabers als neuer Inhaber des durch das ausgeschiedene Unternehmen eingebrachten Betriebsteils aktiv wird. Auch hier kann ein Be-
7.16
1 Schiefer/Pogge, NJW 2003, 3734. 2 BAG v. 26.8.1999 – 8 AZR 594/98 n.v. 3 Hessisches LAG v. 16.4.1997 – 8 Sa 1202/95, NZA-RR 1998, 242 Rz. 31 ff.; BM/Trittin, § 613a BGB Rz. 33. 4 BAG v. 26.8.1999 – 8 AZR 594/98 n.v.
Gaul/Bonanni | 187
§ 7 Rz. 7.16 | Besondere Aspekte bei einzelnen Übertragungsvorgängen
triebsteilübergang i.S.d. § 613a BGB vorliegen1. Voraussetzung ist aber, dass der bisherige Betrieb in seiner Gesamtheit von den übrigen Unternehmen fortgeführt wird. Denn damit wird auch der jeweils in Rede stehende Betriebsteil fortgeführt. Sofern der individuelle Wille eines einzelnen Unternehmens auf Übernahme der Inhaberschaft zu diesem Betriebsteil nicht erkennbar ist, wird man allerdings nicht umhinkommen, die im gemeinsamen Betrieb verbliebenen Unternehmen in ihrer Gesamtheit – insoweit auch als GbR – als Inhaber des jeweiligen Betriebsteils anzusehen. Denn ihr Handeln ist einvernehmlich darauf gerichtet, unter Einbeziehung der dort beschäftigten Arbeitnehmer den bisherigen Betriebszweck weiter zu verfolgen. Arbeitgeber der dem übergehenden Betriebsteil zuzuordnenden Arbeitnehmer sind damit alle Unternehmen in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit. Maßgeblich für ihre Rechte und Pflichten gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern ist § 613a BGB. Wenn die im Gemeinschaftsbetrieb verbleibenden Unternehmen hingegen nur einen Teil des Betriebsteils fortsetzen, der von dem ausgeschiedenen Mitglied „eingebunden“ wurde, kommt auch nur insoweit ein Betriebsteilübergang in Betracht. Erforderlich ist aber, dass die Teile, die nicht fortgesetzt werden, ihrerseits organisatorisch abgrenzbar sind. Wenn dies nicht der Fall ist, muss – entsprechend den allgemeinen Überlegungen – geprüft werden, ob der übernommene Bereich des Betriebsteils wesentlich war; in diesem Fall geht der gesamte Betriebsteil über. War er unwesentlich, liegt kein Übertragungsvorgang i.S.d. § 613a BGB vor.
V. Bildung eines gemeinsamen Betriebs im Anschluss an einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang 7.17
Ein Betriebsteilübergang i.S.d. § 613a BGB kann auch dann vorliegen, wenn einzelne Betriebsteile des Betriebs eines Rechtsträgers nach ihrer Übertragung auf einen anderen Rechtsträger mit den übrigen Betriebsteilen des bisherigen Betriebs als gemeinsamer Betrieb des übertragenden und des/der übernehmenden Rechtsträger(s) weitergeführt werden2. Hiervon gehen § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG, § 322 UmwG ausdrücklich aus. Entscheidend ist, dass das Vermögen bzw. die Arbeitnehmer, die einem anderen Rechtsträger zuvor zugeordnet und von diesem übernommen werden, auf der Grundlage einer eigenständigen Entscheidung des übernehmenden Rechtsträgers zur Verwirklichung seines Unternehmenszwecks im gemeinsamen Betrieb der beteiligten Rechtsträger eingesetzt werden. Dass der übernehmende Rechtsträger insoweit auf die eigene Wahrnehmung der Leitungsbefugnis verzichtet, spielt keine Rolle, denn ihm ist die Wahrnehmung der Leitungsmacht hinsichtlich seiner Arbeitnehmer im gemeinsamen Betrieb der Unternehmen als eigene Leitungsmacht zuzuordnen. Dies unterscheidet den Einsatz eigener Arbeitnehmer im gemeinsamen Betrieb von dem Einsatz eigener Arbeitnehmer im Wege der Arbeitnehmerüberlassung. Bei letztgenannter Form des Personaleinsatzes besteht von Seiten des Verleihers kein Einfluss mehr auf die Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts3.
7.18
Hiervon ausgehend kann ein Betrieb auch dadurch übertragen werden, dass einzelne Teile durch verschiedene Rechtsträger übernommen und von diesen als gemeinsamer Betrieb fortgeführt werden4. Da der gemeinsame Betrieb nur als Innen-GbR der beteiligten Rechtsträger
1 BAG v. 17.1.2002 – 2 AZR 57/01, NZA 2002, 999; BAG v. 26.8.1999 – 8 AZR 594/98 n.v.; BM/Trittin, § 613a BGB Rz. 33. 2 A.A. Schmalenberg, NZA 1989 Beil. 3, S. 14 f. 3 Vgl. BAG v. 3.12.1997 – 7 AZR 764/96, NZA 1998, 876. 4 LAG Düsseldorf v. 30.8.2016 – 14 Sa 274/16, AuR 2016, 521, das für die Annahme eines Betriebsübergangs in diesem Fall nicht verlangt, dass die Erwerber den Betrieb oder Betriebsteil als gemein-
188 | Gaul/Bonanni
Restrukturierung von Krankenkassen | Rz. 7.23 § 7
gegründet wird, werden die beteiligten Unternehmen aber nicht als Gesamtheit Arbeitgeber. § 613a BGB verlangt die Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils durch einen einzigen Rechtsträger1. Voraussetzung für den Übergang von Arbeitsverhältnissen auf einzelne Rechtsträger ist, dass der Übergang der einzelnen Betriebsteile auf die jeweiligen Rechtsträger bei isolierter Betrachtung als Betriebsteilübergang im Anwendungsbereich von § 613a Abs. 1 BGB qualifiziert werden kann. Daraus folgt dann auch die Zuordnung der vom Übertragungsvorgang betroffenen Arbeitnehmer. Unerheblich ist dabei, ob der Übergang im Wege der Einzelrechtsnachfolge oder beispielsweise als Spaltung nach § 123 UmwG erfolgt. Entscheidend ist, dass die übernehmenden Rechtsträger miteinander vereinbaren, mit den jeweiligen Betriebsteilen, die sie übernommen haben, die bisherige Betriebsstruktur unter Wahrung ihrer organisatorischen Identität im Wesentlichen ohne Veränderung fortzusetzen. Können die Arbeitnehmer und/oder Betriebsmittel, die einzelne Rechtsträger aus dem gemeinsamen Betrieb heraus übernehmen, mangels organisatorischer Abgrenzbarkeit nicht als Betriebsteil gekennzeichnet werden, schließt dies eine Anwendbarkeit von § 613a BGB aus (vgl. Rz. 4.73).
C. Restrukturierung von Krankenkassen I. Fusion von Sozialversicherungsträgern Die Fusion von Sozialversicherungsträgern ist in den §§ 155 bis 158 SGB V spezialgesetzlich geregelt.
7.19
§§ 155 ff. SGB V regeln dabei die freiwillige Vereinigung von Ortskrankenkassen, Betriebskrankenkassen, Innungskrankenkassen und Ersatzkassen Eine solche Vereinigung ist auf Beschluss der Verwaltungsräte der beteiligten Kassen möglich, bedarf jedoch der Genehmigung der vor der Vereinigung zuständigen Aufsichtsbehörden.
7.20
§ 155 SGB V erlaubt auch die kassenartenübergreifende Vereinigung von Krankenkassen. In diesem Fall muss mit dem Antrag auf Vereinigung die Erklärung abgegeben werden, welche Kassenartzugehörigkeit aufrechterhalten bleiben soll. § 156 SGB V regelt die Vereinigung von bundes- und landesunmittelbaren Krankenkassen auf deren Antrag. Die Vereinigung erfolgt in diesen Fällen durch das Bundesministerium für Gesundheit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates, wenn durch die Vereinigung die Leistungsfähigkeit der betroffenen Krankenkassen erhöht werden kann und eine freiwillige Vereinigung innerhalb von zwölf Monaten nach Antragstellung nicht zustande gekommen ist.
7.21
§ 141 SGB VI regelt die Vereinigung von Regionalträgern der gesetzlichen Rentenversicherung, § 118 SGB VII die Vereinigung von Berufsgenossenschaften.
7.22
Vereinigung meint dabei, dass die bisherigen Rechtsträger erlöschen und ein neuer Rechtsträger gegründet wird. Dieser neue Rechtsträger tritt ab dem Zeitpunkt der Fusion in die Rechte und Pflichten der bisherigen Sozialversicherungsträger ein. Die bisherigen Sozialversicherungs-
7.23
samen Betrieb führen. Ausreichend sei (unter weiteren Voraussetzungen) die Führung im Rahmen einer unternehmerischen Zusammenarbeit. 1 BAG v. 4.7.2007 – 4 AZR 491/06, NZA 2008, 307 Rz. 38 ff.; a.A. LAG Rheinland-Pfalz v. 6.10.2005 – 6 Sa 461/05 n.v. Rz. 72, das den Übergang auf die beiden Rechtsträger annimmt, die den gemeinsamen Betrieb nach dem Ausscheiden eines weiteren Rechtsträger fortführen (hier: Notariat).
Gaul/Bonanni | 189
§ 7 Rz. 7.23 | Besondere Aspekte bei einzelnen Übertragungsvorgängen
träger werden geschlossen. Es handelt sich also um eine gesetzlich geregelte Gesamtrechtsnachfolge1.
7.24
Unterschiedlich beurteilt wird, ob daneben auch die Vorschrift des § 613a BGB direkt oder analog als „Auffangnorm“ anzuwenden ist2. Gegen eine unmittelbare Anwendbarkeit spricht bereits der Umstand, dass es an dem Tatbestandsmerkmal des Rechtsgeschäfts zwischen Veräußerer und Erwerber fehlt, da die Fusion von Sozialversicherungsträgern aufgrund der gesetzlichen Anordnung in den genannten spezialgesetzlichen Vorschriften erfolgt. Eine direkte Anwendung des § 613a BGB kommt daher nicht in Betracht3. Gegen eine direkte Anwendung von § 613a BGB spricht auch ein Vergleich der vorgenannten Vorschriften mit § 324 UmwG. Denn nach § 324 UmwG bleibt § 613a Abs. 1, Abs. 4, Abs. 5 und 6 BGB unberührt. Hierbei handelt es sich um eine Rechtsgrund- und nicht um eine Rechtsfolgenverweisung. Neben der von § 324 UmwG angeordneten Gesamtrechtsnachfolge kommt § 613a BGB daher nur dann zur Anwendung, wenn die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Ein entsprechender Verweis auf § 613a BGB ist aber weder in §§ 155 ff. SGB V noch in § 141 Abs. 3 Satz 3 SGB VI oder § 118 Abs. 1 Satz 7 SGB VII enthalten. Da diese Vorschriften nach § 324 UmwG in Kraft getreten sind, wird man aus dem fehlenden Verweis auf § 613a BGB in diesen Vorschriften nur folgern können, dass der Gesetzgeber gerade keine Anwendung von § 613a BGB normieren wollte4. Auch die Richtlinie 2001/23/EG führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Die Sozialversicherungsträger nehmen spezifisch hoheitliche Aufgaben wahr, ihre Fusion ist daher gerade nicht vom Geltungsbereich der Richtlinie erfasst. Auch fehlt es für eine analoge Anwendung des § 613a BGB an einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke. Dies gilt nicht nur für die Frage der Fortgeltung individualrechtlicher Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer, sondern auch für die von BAG und BVerwG angenommene kollektivrechtliche Fortgeltung von Gesamtvereinbarungen5.
II. Übergang von Personal auf eine geschlossene Betriebskrankenkasse bei Einstellung der Kostenübernahme durch den Arbeitgeber 7.25
Unter den in § 149 Abs. 1 SGB V genannten Voraussetzungen kann der Arbeitgeber für einen oder mehrere Betriebe eine Betriebskrankenkasse (BKK) errichten. Dabei kann der Arbeitgeber zwischen einer für Betriebsfremde geschlossenen und einer für Betriebsfremde geöffneten, also einer „offenen“ BKK wählen. Soweit er sich für die Errichtung einer geschlossenen BKK entscheidet, hat der Arbeitgeber die Wahl, die für die Führung der Geschäfte erforderlichen Personen auf seine Kosten zu bestellen. Dieses Wahlrecht hat der Arbeitgeber auch bei einer bereits bestehenden geschlossenen BKK. Er kann die Übernahme der weiteren Kosten des für die Geschäfte erforderlichen Personals ablehnen. In diesem Fall übernimmt die BKK spätestens zum 1.1. des auf den Zugang der Ablehnung folgenden übernächsten Kalenderjahres die bisher mit der Führung der Geschäfte der BKK beauftragten Personen, wenn diese nicht widersprechen (§ 149 Abs. 2 Satz 4 SGB V). Die BKK tritt insoweit in die Rechte und
1 Vgl. hierzu nur Andelewki/Bachmann, NZA 2010, 1103. 2 Für eine Anwendung Bieback, PersR 2000, 13; dagegen: LAG Köln v. 2.8.2016 – 12 Sa 78/16 n.v. Rz. 86 f., 89 f.; Vogt, KrV 2009, 170, 173; Andelewski/Brachmann, NZA 2010, 1103. 3 LAG Köln v. 2.8.2016 – 12 Sa 78/16 n.v. Rz. 89 f.; 89 f.; Bergmann, PersR 2011, 511, 515. Vgl. zum gesetzlichen Übergang der Arbeitsverhältnisse von der Bundesagentur für Arbeit auf einen kommunalen Träger nach § 6c SGB II BAG v. 17.3.2016 – 6 AZR 96/15, NZA 2016, 1095. 4 LAG Köln v. 27.1.2006 – 4 Sa 942/05 n.v.; Andelewski/Brachmann, NZA 2010, 1103, 1105. 5 Vgl. BVerwG v. 25.6.2003 – 6 P 1/03, ZTR 2003, 527.
190 | Gaul/Bonanni
Restrukturierung von Krankenkassen | Rz. 7.29 § 7
Pflichten aus den Dienst- oder Arbeitsverhältnissen der übernommenen Personen ein; § 613a BGB ist entsprechend anzuwenden (§ 149 Abs. 2 Satz 5 SGB V). Soweit die BKK in ihrer Satzung eine Regelung nach § 144 Abs. 2 Satz 1 SGB V vorsieht, also die BKK durch alle Versicherungspflichtigen und Versicherungsberechtigten gewählt werden kann, gelten § 149 Ab. 2 Satz 4 bis 6 SGB V vom Tag des Wirksamwerdens dieser Satzungsbestimmung an entsprechend. Eine Satzungsregelung nach § 144 Abs. 2 Satz 1 SGB V ist nach § 144 Abs. 2 Satz 3 SGB V Betriebskrankenkassen, die für Betriebe privater Kranken- oder Lebensversicherungen errichtet oder aus einer Vereinigung mit solchen Betriebskrankenkassen hervorgegangen sind, nicht möglich, wenn die Satzung dieser Krankenkasse eine solche Satzungsregelung nicht bereits am 26.9.2003 enthalten hat.
7.26
Grundsätzlich kann bei der Kennzeichnung des der Führung der Geschäfte erforderlichen Personals zwar auf die zu § 613a BGB entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. Zur Führung der Geschäfte erforderlich sind die Arbeitnehmer, die auch als nach Zahl und Sachkunde wesentlich anzusehen wären (vgl. Rz. 4.140, 4.145). Eine Besonderheit gilt im Rahmen von § 149 Abs. 2 SGB V nur insoweit, als dass dabei nicht nur Arbeitsverhältnisse, sondern auch solche Personen einbezogen werden können, die auf der Grundlage eines Dienstvertrags für die BKK tätig waren. Hierzu gehört zum Beispiel der Geschäftsführer der BKK, der typischerweise kein Arbeitnehmer ist, sondern auf Grundlage eines Dienstvertrags tätig wird.
7.27
Entscheidend für die hier in Rede stehende Frage ist aber, dass die Einstellung der Personalkostenübernahme bei einer geschlossenen BKK nur deshalb zur Anwendung von § 613a BGB führt, weil dies durch § 149 Abs. 2 Satz 5 SGB V vorgegeben wird. Gegen eine originäre Anwendbarkeit von § 613a Abs. 1 BGB spricht bereits, dass die Einstellung der Kostenübernahme nicht mit einer Übertragung von Betriebsmitteln oder der rechtsgeschäftlichen Übernahme von Personal verbunden ist. Die Betriebsmittel, die zur Führung der BKK erforderlich waren (z.B. Räumlichkeiten, Mitgliederdaten, Computerprogramme), standen nämlich schon vor diesem Zeitpunkt in der Verfügungsbefugnis der BKK. Lediglich das Personal, das durch den Arbeitgeber bestellt worden war, stand der BKK noch nicht uneingeschränkt zur Verfügung. Vielmehr hatte der Arbeitgeber der BKK das zur Führung der Geschäfte erforderliche Personal im Wege der Arbeitnehmerüberlassung zur Verfügung gestellt1.
7.28
Durch die Entscheidung des Arbeitgebers, die Personalkostenübernahme in Bezug auf diese Beschäftigten einzustellen, ist dann zwar die Verpflichtung der BKK begründet worden, dieses Personal „entsprechend“ § 613a BGB zu übernehmen. Unerheblich ist, ob von der damit auf Arbeitnehmerseite korrespondierenden Berechtigung, eine Übernahme verlangen zu können, nur einzelne Arbeitnehmer, ein Großteil der Belegschaft oder alle Arbeitnehmer Gebrauch machen. Da für die BKK indes in keiner der Fallgestaltungen die Möglichkeit besteht, eigenständig über die Einstellung des Personals zu entscheiden, kann von einer rechtsgeschäftlichen Übernahme des Betriebs oder Betriebsteils nicht gesprochen werden. § 613a BGB wäre damit, wenn § 149 SGB V keine entsprechende Bezugnahme begründet hätte, auch dann nicht zur Anwendung gekommen, wenn die BKK das nach Zahl oder Sachkunde wesentliche Personal übernommen hätte2.
7.29
1 Vgl. Wank/Brüning, ZfA 1995, 699, 708, die davon sprechen, dass der Arbeitgeber zwar Vertragspartei war, den zuständigen Organen der BKK jedoch das Direktionsrecht wegen der zu erbringenden Arbeitsleistung zustand. 2 Vgl. Wank/Brüning, ZfA 1995, 699.
Gaul/Bonanni | 191
§ 7 Rz. 7.30 | Besondere Aspekte bei einzelnen Übertragungsvorgängen
III. Personalübergang bei einer Fusion von Betriebskrankenkassen 7.30
Geregelt ist die Vereinigung von Betriebskrankenkassen in § 155 SGB V. Danach können sich Betriebskrankenkassen auf Grundlage eines Beschlusses ihrer Verwaltungsräte zu einer gemeinsamen Betriebskrankenkasse vereinigen. Dabei sind drei unterschiedliche Konstellationen denkbar, nämlich (1) die Vereinigung zweier geschlossener Betriebskrankenkassen, (2) die Vereinigung zweier offener Betriebskrankenkassen und (3) die Vereinigung einer offenen und einer geschlossenen Betriebskrankenkasse. Soweit sich eine geschlossene und eine offene Betriebskrankenkasse vereinigen, handelt es sich bei der neu entstehenden Betriebskrankenkasse ebenfalls um eine offene Betriebskrankenkasse.
7.31
Die Fusion vollzieht sich in allen Konstellationen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge. Mit dem durch die Aufsichtsbehörden bestimmten Zeitpunkt, zu dem die Vereinigung wirksam wird, sind die bisherigen Krankenkassen geschlossen. Die neue Krankenkasse tritt in die Rechte und Pflichten der bisherigen Krankenkassen ein (§ 115 Satz 5, Satz 6 SGB V). Dies gilt auch für die bestehenden Dienst- und Arbeitsverträge1. Während § 149 Abs. 2 Satz 5 SGB V jedoch für den Fall der Einstellung der Kostenübernahme durch den Arbeitgeber (vgl. hierzu Rz. 7.25) für die für die Führung der Geschäfte erforderlichen Personen einen ausdrücklichen Verweis auf § 613a BGB enthält, fehlt eine entsprechende Regelung für den Fall einer Fusion von Krankenkassen.
7.32
Vereinzelte Stimmen in der Literatur sprechen sich indes für eine Anwendung des § 613a BGB aus. Begründet wird dies mit dem Erfordernis, auf Seiten des Arbeitnehmers einen möglichen Rechtsverlust zu vermeiden. Jedenfalls aber müssten die betroffenen Arbeitnehmer analog § 613a Abs. 5, 6 BGB über die Vereinigung unterrichtet werden und die Möglichkeit haben, dem Übergang des Arbeitsverhältnisses zu widersprechen. Hierfür sprächen die allgemeinen Überlegungen des BAG mit Blick auf das in § 613a BGB verankerte Widerspruchsrecht (vgl. Rz. 11.157).
7.33
Diese Auffassung überzeugt nicht. Die Fusion von Krankenkassen stellt kein Rechtsgeschäft i.S.d. des § 613a BGB dar, sondern vollzieht sich nach spezialgesetzlichen Normen2. Auch sind an der Fusion i.S.d. § 155 SGB V mindestens drei Rechtsträger, nämlich die beiden sich vereinigenden Betriebskrankenkassen sowie die hieraus entstehende neue Krankenkasse beteiligt. An einem Betriebsübergang gemäß § 613a BGB sind hingegen lediglich zwei Parteien, nämlich Erwerber und Veräußerer, beteiligt.
7.34
Gegen eine Anwendung des § 613a BGB spricht schließlich der Entstehungszeitpunkt der spezialgesetzlichen Regelungen in SGB V, VI und VII. Dieser liegt nämlich nach § 324 UmwG, der einen Verweis auf § 613a BGB enthält. Hieraus kann gefolgert werden, dass der Gesetzgeber gerade keine Anwendung des § 613a BGB im Rahmen der Fusion von Krankenkassen wollte3. Andernfalls hätte er wie bei § 324 UmwG einen entsprechenden Verweis aufgenommen. Folgerichtig ist § 613a BGB auch nur in § 149 SGB V genannt, der in Form der Einstellung der Personalkostenübernahme auch keinen Betriebsübergang, sondern nur eine entsprechende Anwendung der Vorschrift begründen kann.
1 BAG v. 29.9.2010 – 10 AZR 588/09, NJW 2011, 476. 2 LAG Köln v. 2.8.2016 – 12 Sa 78/16 n.v. Rz. 89 f.; Andelewki/Bachmann, NZA 2010, 1103, 1104. 3 LAG Köln v. 27.1.2006 – 4 Sa 942/05 n.v.
192 | Gaul/Bonanni
Restrukturierung von Krankenkassen | Rz. 7.40 § 7
Auch ein durch privatrechtliche Vereinbarung ausgelöster Wechsel von Arbeitnehmern kann die Rechtsfolgen des § 613a BGB im Falle einer Fusion von Krankenkassen nicht auslösen. Zwar handelt es sich bei der Tätigkeit der Krankenkassen um eine betriebsmittelarme Tätigkeit. Voraussetzung für das Vorliegen eines solchen Betriebsübergangs wäre aber, dass die neue Krankenkasse vor der Fusion gegründet würde und die Arbeitnehmer auf der Grundlage einer Vereinbarung mit der neu gegründeten Krankenkasse von dieser eingestellt werden.
7.35
Diese Voraussetzung ist jedoch regelmäßig nicht erfüllt. Eine Fusion nach § 155 SGB V führt erst zur Entstehung einer neuen Krankenkasse, so dass vor diesem Zeitpunkt keine Vereinbarung über die Übernahme von Arbeitnehmern abgeschlossen werden kann. Ungeachtet dessen würde man in einer Anwendung von § 613a BGB wohl eine Umgehung der spezialgesetzlichen Regelungen sehen müssen. Denn im Falle der Vereinigung zweier Krankenkassen wechseln in der Regel Arbeitnehmer in die neu zu gründende Krankenkasse. Ließe man einen derartigen Wechsel (auch auf individualvertraglicher Grundlage) ausreichen, um den Anwendungsbereich des § 613a BGB zu eröffnen, käme man regelmäßig zur Anwendung dieser Vorschrift, obwohl die spezialgesetzlichen Regelungen dies gerade nicht vorsehen.
7.36
1. Anwendbarkeit der Betriebsübergangsrichtlinie Auch die Richtlinie 2001/23/EG rechtfertigt kein anderes Ergebnis in Bezug auf die Auslegung und Anwendung der Regelungen des SGB V. Zwar hat der EuGH in seiner Entscheidung vom 21.10.20101 die Auffassung vertreten, dass Veräußerer i.S.d. Betriebsübergangsrichtlinie auch der Arbeitgeber sein kann, der keine arbeitsvertragliche Beziehung zu einem in seinem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer hat. Der EuGH hatte insoweit die Frage zu entscheiden, ob ein Betriebsübergang auch dann vorliegt, wenn der Arbeitnehmer bei der Konzernmutter angestellt, aber für ein anderes Konzernunternehmen ohne einen weiteren Arbeitsvertrag tätig ist und der dort bestehende Betriebsteil an ein nicht zum Konzern gehörendes Unternehmen veräußert wird. Der EuGH hat diese Frage und somit das Vorliegen eines Betriebsüberganges i.S.d. der Richtlinie 2001/23/EG bejaht.
7.37
Eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf die Fusion von Krankenkassen ist jedoch weder geboten noch zulässig. Denn die Krankenkassen nehmen als Sozialversicherungsträger spezifisch hoheitliche Aufgaben wahr und sind daher schon nicht vom Anwendungsbereich der Betriebsübergangsrichtlinie erfasst. Aus diesem Grund kommt eine Anwendbarkeit der Regelungen zum Betriebsübergang auf die Krankenkassen-Fusion auch vor dem europarechtlichen Hintergrund nicht in Betracht.
7.38
Zur Frage der Fortgeltung kollektivrechtlicher Vereinbarungen im Falle einer Fusion von Krankenkassen siehe Rz. 7.24).
7.39
2. Zusammenfassung Damit bleibt es bei der Fusion von BKKen bei der Gesamtrechtsnachfolge. Die neue Betriebskrankenkasse tritt in sämtliche Rechte und Pflichten – auch in die bestehenden Arbeitsverhältnisse – der bisherigen Rechtsträger ein (§ 155 Abs. 6 Satz 2 SGB V)2.
1 EuGH v. 21.10.2010 – C-242/09, NZA 2010, 1225. 2 BAG v. 29.9.2010 – 10 AZR 588/09, NJW 2011, 476 Rz. 23, 26.
Gaul/Bonanni | 193
7.40
§ 7 Rz. 7.41 | Besondere Aspekte bei einzelnen Übertragungsvorgängen
D. Übergang unter Beteiligung kirchlicher Rechtsträger 7.41
Grundsätzlich findet § 613a Abs. 1, 4 BGB auch dann Anwendung, wenn ein Betrieb oder Betriebsteile von einem kirchlichen Rechtsträger übernommen werden1. Unerheblich ist, ob der übertragende Rechtsträger selbst der Kirche zugeordnet wird oder außerhalb der Kirche eine unternehmerische Tätigkeit wahrgenommen hat2. Aus der durch Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleisteten Kirchenautonomie, die sicherstellen soll, dass innerhalb der für alle geltenden Gesetze für die Gestaltung des kirchlichen Dienstes und seiner arbeitsrechtlichen Ordnung eine Regelungsautonomie besteht, damit die Kirchen die besonderen kirchlichen Aspekte in der vom kirchlichen Selbstverständnis gebotenen Form verwirklichen können3, kann sich allerdings nicht nur eine Modifikation der arbeitsvertraglichen Pflichten ergeben (vgl. Rz. 23.37). Diese Einschränkung der Rechte und Pflichten nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen kirchlichen Rechtsträger muss allerdings der durch Art. 4 GG geschützten Religionsfreiheit Rechnung tragen4. Die besondere Rechtsstellung der Kirchen kann auch zu einer Einschränkung des durch § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB gewährleisteten Kündigungsverbots führen5. Mit vergleichbaren Besonderheiten kommt § 613a BGB auch bei der Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils von einem kirchlichen Rechtsträger auf einen Rechtsträger privater Rechtsform zur Anwendung (z.B. Outsourcing der Reinigung oder des Facility-Managements)6.
7.42
Welche besonderen Konsequenzen solche Übertragungsvorgänge für Rechte und Pflichten haben, die bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses durch Vereinbarungen des Dritten Weges geregelt waren, wird – wie auch die Rechtsfolgen für etwaige Ansprüche aus Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen – gesondert im Zusammenhang mit den kollektivrechtlichen Fragestellungen als Folge einer Anwendung von § 613a BGB behandelt (vgl. Rz. 23.26 ff.). Dort werden dann auch die Konsequenzen für die Arbeitnehmervertreter in Betriebsrat und Mitarbeitervertretung behandelt (vgl. Rz. 24.98).
1 Kirchlicher Arbeitsgerichtshof für die deutschen Diözesen v. 13.12.2013 – M 09/13, ZMV 2014, 99; von Tiling, ZTR 2017, 11 ff.; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 15 Rz. 11; Joussen, NJW 2006, 1850, 1851; Hanau/Thüsing, KuR 2000, 165, 166 ff.; Reichold, FS Richardi, S. 943, 950 f. 2 Vgl. LAG Schleswig-Holstein v. 16.10.2000 – 4 Sa 75/00, ZMV 2001, 98; LAG Hamm v. 17.10.2000 – 7 Sa 1122/00 n.v., jeweils Übertragung zwischen kirchlichen Rechtsträgern; vgl. auch Joussen, NJW 2006, 1850, 1851. 3 So Hanau/Thüsing, KuR 2000, 165, 166. 4 Richardi, FS Bauer, S. 673, 684; Joussen, NJW 2006, 1850, 1851, 1852. 5 Vgl. Kreitner, Kündigungsschutzrechtliche Probleme, S. 252 ff. 6 VerwG. EKD v. 25.4.1996 – 0124/B23-97, NZA-RR 1998, 477; Richardi, FS Bauer, S. 673, 683; Reichold, FS Richardi, S. 943, 950 f.
194 | Gaul/Bonanni
Grenzüberschreitende Sachverhalte | § 8
§8 Anwendbarkeit von § 613a BGB im Rahmen grenzüberschreitender Sachverhalte
A. Typische grenzüberschreitende Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Voraussetzungen einer Anwendbarkeit von § 613a BGB I. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Geltungsanspruch von § 613a BGB bei grenzüberschreitenden Sachverhalten 1. Geltungsanspruch als Folge der EU-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geltungsanspruch auf der Grundlage der Grundsätze des Internationalen Privatrechts . . . . . . . . . . . a) Sachverhalte innerhalb der EU und des EWR . . . . . . . . . aa) Das Arbeitsvertragsstatut als maßgeblicher Anknüpfungspunkt . . . . . . . bb) Festlegung des Arbeitsvertragsstatuts . . . . . . . . . b) Sachverhalte im Zusammenhang mit Drittstaaten . . . . . . c) Sachverhalte außerhalb des Anwendungsbereichs von § 613a BGB . . . . . . . . . . . . . . C. Voraussetzungen für § 613a BGB . . . I. Bedeutung räumlicher Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Übernahme von Arbeitnehmern oder Betriebsmitteln . . . . . . . . . . . . . .
8.1
8.3
8.5
8.9 8.11 8.12 8.17 8.23 8.28 8.29 8.30 8.32
III. Vermeidung einer wesentlichen Unterbrechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Rechtsfolgen der Anwendbarkeit von § 613 BGB auf den grenzüberschreitenden Sachverhalt . . . . . . . . . . I. Übernahme durch ausländischen Rechtsträger ohne Standortverlagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Standortverlagerung ins Ausland . . . 1. Individualrechtliche Rechtsfolgen a) Übergang der Arbeitsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wechsel des Arbeitsorts . . . . c) Unterrichtungspflicht der beteiligten Rechtsträger . . . . . d) Widerspruch des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Betriebsbedingte Kündigung 2. Kollektivrechtliche Rechtsfolgen a) Folgen für den Betriebsrat . . b) Beteiligungsrechte des Betriebsrats wegen einer Betriebsverlegung . . . . . . . . . c) Rechte und Pflichten aus Betriebsvereinbarungen . . . . d) Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen . . . . . . . . . . . . aa) Normative Tarifbindung bb) Geltung kraft Bezugnahmeklausel . . . . . . . . . . . .
8.35
8.36
8.37 8.38
8.39 8.40 8.45 8.47 8.50 8.55 8.59 8.61 8.69 8.70 8.76
Schrifttum: Bauer/Schansker, Verlagerung eines Betriebsteils ins grenznahe Ausland, ArbRAktuell 2011, 298; Braun/Wisskirchen (Hrsg.), Konzernarbeitsrecht, 2015; Dowling, A Guide to Employment Issues in Cross-Border Mergers Acquisitions, Business Law International 2011, 317; Eisbach/Rothkegel, Outsourcing – Offshoring, AiB 2012, 746; Feudner, Grenzüberschreitende Anwendung des § 613a BGB?, NZA 1999, 1184; Forst, Grenzüberschreitender Betriebsübergang mit nachfolgender Betriebsverlagerung in einen Drittstaat, SAE 2012, 8; Franzen/Gallner/Oetker (Hrsg.), Kommentar zum Europäischen Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2020; B. Gaul/Jeffreys/Tinhofer/van Wassenhove, Study on the application of Directive 2001/23/EC to cross border transfer of undertakings, Study nº VT/2005/101; B. Gaul/ Ludwig/Forst (Hrsg.), Europäisches Mitbestimmungsrecht, 2015; B. Gaul/Mückl, Off-Shoring – Freier Gestaltungsspielraum oder § 613a BGB, DB 2011, 2318; Habersack/Drinhausen (Hrsg.), SE-Recht mit grenzüberschreitender Verschmelzung, 2. Aufl. 2016; Junker, Rechtsfragen grenzüberschreitender Betriebsverlagerung, NZA-Beilage 2012 Nr. 8; Junker, Internationales Arbeitsrecht im Konzern, 1992;
Gaul/Mückl | 195
§ 8 Rz. 8.1 | Grenzüberschreitende Sachverhalte Kania, Grenzüberschreitende Betriebsübergänge aus europarechtlicher Sicht, 2012; Klemm/Frank, Betriebsrentenrechtliche Fallstricke bei M&A-Transaktionen, BB 2013, 2741; Leuchten, Grenzüberschreitende Betriebsübergänge aus deutscher Sicht, FA 2002, 138; Leuchten, Betriebsübergang mit internationalem Bezug, ZESAR 2012, 411; Mankowski, Wichtige Klärungen im Internationalen Arbeitsrecht, IPRax 1994, 88; Niksova, Grenzüberschreitender Betriebsübergang, ecolex 2013, 53; Niksova, Grenzüberschreitender Betriebsübergang, 2014; Pesch, Offshoring – Welche arbeitsrechtlichen Folgen hat ein grenzüberschreitender Betriebsübergang, KSzW 2012, 114; Pfeiffer, Das IPR des Betriebsübergangs, Festschrift für Gerrick Frhr. von Hoyningen-Huene zum 70. Geburtstag, 2014, S. 351; Preis/ Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2019; Raif/Ginal, Betriebsübergang bei Verlagerung ins Ausland nach der BAG-Rechtsprechung, GWR 2013, 217; Schiefer/Hartmann, Aktuelle Entwicklungen: Outsourcing, Betriebsübergang, Auftragsvergabe und Umstrukturierung BB 2012, 1985; Seifert, Der Einfluss des Unionsrechts auf das Deutsche Arbeitsrechtliche Schrifttum, ZfA 2021, 65; Wisskirchen/Goebel, Arbeitsrechtliche Aspekte der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland (OffShoring), DB 2004, 1937.
A. Typische grenzüberschreitende Sachverhalte 8.1
Obwohl bislang nur wenig Rechtsprechung zum grenzüberschreitenden Betriebs- und Betriebsteilübergang bekannt ist, hat die praktische Bedeutung dieses Themas in den letzten Jahren ganz erheblich zugenommen. Hintergrund sind vor allem die Harmonisierung des Binnenmarktes in Europa, die Zunahme grenzüberschreitender Investitionen und die Idee einer Kostensenkung durch das Offshoring von Dienstleistungen und Produktion. Hierbei kommt eine Vielfalt an grenzüberschreitenden Sachverhalten in Betracht, wobei die folgenden Konstellationen1 wohl in der Praxis regelmäßig am häufigsten auftreten werden: – Übernahme Betrieb/Betriebsteil durch ausländischen Rechtsträger ohne Veränderung des in Deutschland gelegenen Standorts; – Übernahme des in Deutschland gelegenen Betriebs/Betriebsteils durch ausländischen Rechtsträger und anschließende Verlagerung ins Ausland; – Verlagerung des Betriebs/Betriebsteils ins Ausland durch bisherigen Betriebsinhaber und anschließende Übernahme durch ausländischen Rechtsträger; – Übernahme eines im Ausland gelegenen Betriebs/Betriebsteils durch Rechtsträger mit Sitz in Deutschland und anschließende Verlagerung nach Deutschland; – Verlagerung eines im Ausland gelegenen Betriebs/Betriebsteils durch den bisherigen Betriebsinhaber nach Deutschland und anschließende Übernahme durch Rechtsträger mit Sitz in Deutschland; – Übernahme eines im Ausland befindlichen Betriebs/Betriebsteils eines Rechtsträgers mit Sitz in Deutschland durch einen anderen Rechtsträger mit Sitz in Deutschland.
8.2
Grundsätzlich kann ein Betriebsübergang auf zwei Wegen einen grenzüberschreitenden Bezug erhalten: Zum einen kann es darum gehen, dass der Betrieb oder Betriebsteil durch einen Rechtsträger veräußert oder erworben wird, dessen Sitz außerhalb von Deutschland liegt. Dabei wird man differenzieren müssen zwischen solchen Ländern, in denen die RL 2001/23/EG
1 Vgl. zu Konstellationen: Gaul/Mückl, DB 2011, 2318; Gaul/Jeffreys/Tinhofer/van Wassenhove, Study nº VT/2005/101, 16 ff.
196 | Gaul/Mückl
Voraussetzungen einer Anwendbarkeit von § 613a BGB | Rz. 8.5 § 8
zur Anwendung kommt, und anderen Ländern, die hiervon abweichende Regelungen getroffen haben. Zum anderen kann ein Übertragungsvorgang zuvor, gleichzeitig oder danach mit einer grenzüberschreitenden Verlagerung des Betriebs oder Betriebsteils verbunden sein. Wichtig ist es deshalb, bei einer Bewertung der Rechtsfolgen genau zwischen der Verlagerung einerseits und der Übertragung/Übernahme andererseits zu unterscheiden. Dies gilt auch und insbesondere mit Blick auf die Frage, ob und ggf. wie lange deutsches Arbeitsrecht für die Bewertung des Sachverhalts maßgeblich ist. Schließlich bestimmt dies auch, ob und ggf. in welchem Umfang übertragender und übernehmender Rechtsträger an Handlungspflichten aus § 613a BGB gebunden sind1.
B. Voraussetzungen einer Anwendbarkeit von § 613a BGB I. Voraussetzungen Die Anwendbarkeit von § 613a BGB bei grenzüberschreitenden Sachverhalten2 ist nach der Rechtsprechung des BAG an zwei Voraussetzungen geknüpft: Zum einen muss für das betroffene Arbeitsverhältnis nach den allgemeinen Grundsätzen des Internationalen Privatrechts das deutsche Arbeitsvertragsstatut gelten3. Ist dies nicht der Fall, bestimmt sich die Frage, ob der jeweils in Rede stehende Übertragungsvorgang mit vergleichbaren Rechtsfolgen verbunden ist, nach dem dann maßgeblichen Recht eines anderen Staates. Das ist insbesondere im Geltungsbereich der RL 2001/23/EG zu erwarten. Zum anderen müssen trotz des grenzüberschreitenden Charakters die allgemeinen Voraussetzungen der rechtsgeschäftlichen Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils erfüllt sein (vgl. §§ 4, 5). Neben der notwendigen Unterscheidung zwischen betriebsmittelintensiven und betriebsmittelarmen Tätigkeiten kommt es dabei vor allem auf die Frage an, welche Bedeutung etwaige räumliche Veränderungen im Zusammenhang mit dem Übertragungsvorgang in Bezug auf das Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs haben.
8.3
Ob sich diese Rechtsfolgen gegenüber einem im Ausland befindlichen Rechtsträger durchsetzen lassen, spielt bei der Entscheidung in Bezug auf die materiell-rechtliche Verbindlichkeit von § 613a BGB keine Rolle. Die Frage der Anwendbarkeit einer Norm darf nicht mit der Frage nach deren Durchsetzbarkeit im Ausland vermengt werden4.
8.4
II. Geltungsanspruch von § 613a BGB bei grenzüberschreitenden Sachverhalten 1. Geltungsanspruch als Folge der EU-Richtlinie In Art. 1 Abs. 2 RL 2001/23/EG definiert die Richtlinie ihren räumlichen Anwendungsbereich. Demnach erfasst sie Unternehmen, Betriebe, Unternehmens bzw. Betriebsteile, die sich innerhalb des Geltungsbereichs des Vertrags befinden. Betriebe, die außerhalb der Europäischen Union bzw. des EWR liegen, werden deshalb vom Geltungsbereich nicht erfasst. Rechtsfolgen
1 Vgl. BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, NZA 2011, 1143 Rz. 45; Forst, SAE 2012, 18, 21. 2 Zur Anwendbarkeit von § 613a BGB bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen oder Anwachsungen vgl. Rz. 3.105 ff. 3 Vgl. BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, NZA 2011, 1143 Rz. 40. 4 BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, NZA 2011, 1143 Rz. 45.
Gaul/Mückl | 197
8.5
§ 8 Rz. 8.5 | Grenzüberschreitende Sachverhalte
für Sachverhalte, die vor oder nach einer Verlegung solche Betriebe oder Betriebsteile erfassen, können deshalb jedenfalls nicht aus der RL 2001/23/EG abgeleitet werden.
8.6
Obwohl Richtlinie 2001/23/EG eine ganz wesentliche Grundlage für die Kennzeichnung des Anwendungsbereichs von § 613a BGB bildet (vgl. Rz. 4.16), enthält sie wie Richtlinie 77/187/ EWG keine Regelungen, aus denen heraus Grundsätze für eine Anwendbarkeit in Bezug auf grenzüberschreitende Sachverhalte abgeleitet werden können1. Dass die Richtlinie ohnehin keine unmittelbaren Rechtsfolgen bestimmen kann, die für Rechtsbeziehungen zwischen Privaten maßgeblich sind2, spielt deshalb keine Rolle.
8.7
Soweit hiervon abweichend aus der Richtlinie eine ungeschriebene Sonderanknüpfung an das Betriebsstatut des Veräußerers gesehen wird3, ist dies mit der h.M. abzulehnen4. Dagegen spricht bereits, dass schon im Vorfeld der Richtlinie 77/187/EWG bewusst auf eine Kollisionsnorm verzichtet wurde5. So war im ursprünglichen Vorschlag der Kommission noch das Kapitel 5 („Special rules governing conflicts of law“) mit einem zwei Absätze enthaltenden Art. 10 vorgesehen6, die in Art. 10 der finalen Version der Richtlinie 77/187/EWG vom 14.2.1977 nicht mehr enthalten sind. Dort wird nur noch bestimmt, dass sich die Richtlinie an alle Mitgliedstaaten richtet. Zuvor hatte auch der Wirtschafts- und Sozialausschuss des Europäischen Parlaments Bedenken gegenüber einer Kollisionsnorm geäußert, gleichzeitig aber eine Klarstellung verlangt, nach der Zusammenschlüsse und Übernahmen nicht zur einer Anwendung des Arbeitsrechts eines anderen Landes führen können7. Etwas anderes folgt richtigerweise auch nicht aus dem Urteil des EuGH vom 9.11.20008 zur RL 86/653/EWG (Handelsvertreterrichtlinie). Denn soweit dieser Entscheidung entnommen wird, dass ein binnenmarktbezogener Schutzzweck einer Richtlinie das Gebot einschließe, die Maßgaben der Richtlinie erforderlichenfalls auch ungeachtet der Anwendbarkeit eines drittstaatlichen Rechts zur Durchsetzung zu verhelfen, folgt daraus keine Notwendigkeit, Art. 1 Abs. 2 RL 2001/23/EG als Kollisionsnorm und nicht als Sachnorm zu qualifizieren9. Das Arbeitsvertragsstatut als für die Anwendbarkeit von § 613a BGB unbeachtlich zu qualifizieren10, ist nicht überzeugend. Die Umgehung von § 613a BGB durch entsprechende Rechtswahl im Arbeitsvertrag wird nämlich schon durch Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Rom-I-VO ausgeschlossen11 (vgl. Rz. 8.20). Gerade auf den Ausschluss einer solchen Umgehung zwingender Richtlinienvorgaben durch Rechtswahl kam es
1 Ebenso Grau/Hartmann in Preis/Sagan, Europäisches Arbeitsrecht, § 15 Rz. 68. 2 Vgl. nur EuGH v. 14.7.1994 – C-91/92, EuZW 1994, 498, 499 Rz. 24 – Faccini Dori. 3 So etwa Junker, Internationales Arbeitsrecht im Konzern, § 8 V, 2. a) (S. 234 f.); Pfeiffer, Festschrift von Hoyningen-Huene, S. 351, 356 ff.; zum Meinungsstand vgl. ferner Grau/Hartmann in Preis/ Sagan, Europäisches Arbeitsrecht, § 15 Rz. 68. 4 Für viele FGO/Winter, Art. 1 RL 2001/23/EG Rz. 110. 5 Vgl. Niksova, ecolex 2013, 53, 55. 6 Vgl. ABl. Nr. C 104 v. 13.9.1974, S. 4. 7 Vgl. Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses von seiner 129. Plenarsitzung am 23. und 24.4.1975 abgedruckt in: ABl. Nr. C 255 v. 7.11.1975, S. 32. 8 EuGH v. 9.11.2000 – C-381/98, NJW 2001, 2007 Rz. 21 ff.– Ingmar GB Ltd. vs. Eaton Leonard Technologies Inc. 9 So Pfeiffer, Festschrift von Hoyningen-Huene, S. 351, 356 ff. 10 So Pfeiffer, Festschrift von Hoyningen-Huene, S. 351, 356 ff. 11 MünchArbR/Oetker, § 13 Rz. 130.
198 | Gaul/Mückl
Voraussetzungen einer Anwendbarkeit von § 613a BGB | Rz. 8.11 § 8
dem EuGH in seinem Urteil vom 9.11.20001 indes an. Auch die Europäische Kommission hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass RL 2001/23/EG keine Kollisionsnormen enthält2. Grundlage für die Anwendbarkeit einer gesetzlichen Regelung zum Betriebsübergang können deshalb nur die gesetzlichen Regelungen sein, die auf nationaler Ebene zur Umsetzung der Richtlinien getroffen wurden, sofern diese nach allgemeinen Grundsätzen auf das in Rede stehende Arbeitsverhältnis zur Anwendung kommen. Weil auf nationaler Ebene trotz der unionsrechtlichen Vorgabe eine unterschiedliche Umsetzung erfolgt ist, kann dies in Abhängigkeit von dem anwendbaren Recht zu abweichenden Ergebnissen führen.
8.8
2. Geltungsanspruch auf der Grundlage der Grundsätze des Internationalen Privatrechts Obwohl § 613a BGB im Rahmen der BetrVG-Reform in das BGB eingefügt wurde (vgl. Rz. 4.5), spielt das Territorialitätsprinzip für die Anwendbarkeit von § 613a BGB keine Rolle3. Der Umstand, dass ein Sachverhalt mit Auslandsbezug in Rede steht, schließt deshalb eine Anwendbarkeit von § 613a BGB nicht aus. Vielmehr sind die allgemeinen Grundsätze des Internationalen Privatrechts maßgeblich, die ein deutsches Arbeitsvertragsstatut auch bei Sachverhalten zulassen, die durch den Arbeitsort, den Sitz des Arbeitgebers oder räumliche Veränderungen eines Betriebssitzes grenzüberschreitenden Charakter haben4. Dabei ist allerdings zwischen Sachverhalten innerhalb der EU bzw. des EWR und Sachverhalten mit einem Zusammenhang zu einem Drittstaat zu unterscheiden.
8.9
Losgelöst davon sind die kollektiven Aspekte transnationaler Betriebsübergänge (Tarifverträge, Schutz der Arbeitnehmervertreter, Informations- und Anhörungspflichten gegenüber Arbeitnehmervertretern) weder in der RL 2001/23/EG noch in der Rom-I-VO kollisionsrechtlich geregelt5, so dass insoweit nicht auf das Arbeitsvertragsstatut abgestellt werden kann6 (vgl. Rz. 8.61 ff.).
8.10
a) Sachverhalte innerhalb der EU und des EWR Bei Sachverhalten, die sich innerhalb der EU und des EWR abspielen, sind auch in Bezug auf den Betriebs- und Betriebsteilübergang – soweit nicht das Kollektivrecht betroffen ist – grundsätzlich die Vorschriften der Rom-I-VO maßgeblich7.
1 EuGH v. 9.11.2000 – C-381/98, NJW 2001, 2007, Rz. 21 ff., 25 – Ingmar GB Ltd. vs. Eaton Leonard Technologies Inc. 2 Bericht der Kommission v. 18.6.2007, KOM (2007) 334 endg., Ziff. 2.3. 3 Vgl. zum Territorialitätsprinzip ausführlich: Liebig in Braun/Wisskirchen, Konzernarbeitsrecht, Teil II Abschn. 1 Rz. 10 ff. 4 Vgl. BAG v. 21.3.2017 – 7 AZR 207/15, RIW 2017, 826 Rz. 87; BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 608/11, ZInsO 2013, 1366 Rz. 40; BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, NZA 2011, 1143 Rz. 43. 5 Bericht der Kommission v. 18.6.2007, KOM (2007) 334 endg., Ziff. 2.3, S. 5; FGO/Winter, Art. 1 RL 2001/23/EG Rz. 113. 6 Dies ist allerdings in Übereinstimmung mit der h.M. kein Grund, die Anknüpfung an das Arbeitsvertragsstatut im Übrigen für nicht maßgeblich zu halten, a.A. z.B. Junker, Internationales Arbeitsrecht im Konzern, § 8 V, 2. a) S. 234 f. 7 Abweichend hiervon bleiben für Arbeitsverhältnisse, die vor dem 17.12.2009 geschlossen wurden, die entsprechenden Vorschriften des EGBGB gemäß Art. 28 Rom-I-VO anwendbar (vgl. BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, NZA 2011, 1143 Rz. 39).
Gaul/Mückl | 199
8.11
§ 8 Rz. 8.12 | Grenzüberschreitende Sachverhalte
aa) Das Arbeitsvertragsstatut als maßgeblicher Anknüpfungspunkt
8.12
Bei der kollisionsrechtlichen Festlegung in Bezug auf eine Anwendbarkeit von § 613a BGB könnte an das Statut des der Übertragung zugrunde liegenden Rechtsgeschäft, den Betriebssitz oder das Arbeitsvertragsstatut angeknüpft werden1.
8.13
Richtigerweise ist sowohl die Anknüpfung an das Statut des zugrundeliegenden Rechtsgeschäfts als auch die Anknüpfung an den Betriebssitz abzulehnen. Für eine Berücksichtigung des für den Übernahmevertrag maßgeblichen Rechts spricht zwar die damit einhergehende Vereinheitlichung des geltenden Rechts für alle Arbeitsverhältnisse. Eine solche Anknüpfung wird dem Schutzzweck von § 613a BGB indes nicht gerecht. Denn es würde zulassen, dass sich die beteiligten Rechtsträger zu Lasten unbeteiligter Dritten auf die Anwendbarkeit eines Rechts verständigen, zu der das Arbeitsverhältnis selbst keinen oder nur einen zufälligen Bezug hat. Gegen eine bloße Anknüpfung an den Sitz des Betriebs spricht, dass jedenfalls auf der Grundlage der durch den EuGH zu RL 2001/23/EG entwickelten Kriterien nicht nur und nicht notwendig Sachen, sondern eine Gesamtheit wesentlicher Betriebsmittel und/oder wesentlichen Personals übernommen werden muss, um die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs zu erfüllen2. Dabei ist es denkbar, dass in dem vom Übertragungsvorgang betroffenen Betrieb oder Betriebsteil Arbeitnehmer mit unterschiedlichem Arbeitsvertragsstatut beschäftigt sind. Entgegen kritischer Anmerkungen der Literatur3 entspricht dies auch der Bewertung in Bezug auf andere gesetzliche Regelungen (z.B. Entgeltfortzahlung, Kündigungsschutz), die nicht dem zwingenden Recht zuzuordnen sind. Die übergreifende Betrachtungsweise, die mit einer generellen Anknüpfung am Betriebssitz verbunden wäre, ließe dies unberücksichtigt4.
8.14
Maßgeblich für die Anwendbarkeit von § 613a BGB ist deshalb das Arbeitsvertragsstatut. Hierfür spricht nach der Rechtsprechung des BAG entscheidend der Schutz des Vertrauens des Arbeitnehmers in den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses auch bei einer Übertragung des Betriebs oder Betriebsteils auf der Grundlage des auch im Übrigen für die wechselseitigen Rechte und Pflichten maßgeblichen Rechtssystems5. Das Interesse des übernehmenden Rechtsträgers, der von einem gesetzlichen Übergang des Arbeitsverhältnisses betroffen sein kann, muss dahinter zurücktreten. Schutzbedürftigkeit besteht insoweit auch nicht. Denn er hat als Dritter die Möglichkeit, eine Due Diligence durchzuführen, Sachverhaltsgestaltungen außerhalb des Anwendungsbereichs von § 613a BGB zu wählen oder auf eine Übernahme des Betriebs oder Betriebsteils zu verzichten. Für den Arbeitnehmer ist diese Gestaltungsmöglichkeit nicht gegeben6.
8.15
Die Anknüpfung an das Arbeitsvertragsstatut entspricht im Übrigen Überlegungen im Rahmen des der Richtlinie 77/187/EG zugrundeliegenden Gesetzgebungsverfahrens. Zwar wurde dort das 5. Kapitel, das eine Kollisionsregelung treffen sollte, letztlich gestrichen. Hintergrund waren aber auch Überlegungen der Kommission, eine Verordnung zu erlassen, die zur Auf-
1 Vgl. bereits BAG v. 29.10.1992 – 2 AZR 267/92, DB 1993, 637 Rz. 49; LAG Baden-Württemberg v. 17.9.2009 – 11 Sa 39/09 n.v. Rz. 46. 2 EuGH v. 26.11.2015 – C-509/14, NZA 2016, 31 Rz. 32 – Aira Pascual. 3 Mankowski, IPRax 1994, 88, 96. 4 Vgl. hierzu auch Mankowski, IPRax 1994, 88, 96. 5 Vgl. BAG v. 29.10.1992 – 2 AZR 267/92, DB 1993, 637 Rz. 51. 6 Vgl. BAG v. 29.10.1992 – 2 AZR 267/92, DB 1993, 637.
200 | Gaul/Mückl
Voraussetzungen einer Anwendbarkeit von § 613a BGB | Rz. 8.19 § 8
lösung der kollisionsrechtlichen Fragen auf das Recht abstellen sollte, das vor dem Übergang für das Arbeitsverhältnis galt1. Unerheblich ist, ob das Arbeitsvertragsstatut zu einer besseren oder für den Arbeitnehmer schlechteren Rechtsposition führt, als dies bei einer Anknüpfung an das Statut des für den Übertragungsvorgang maßgeblichen Rechtsgeschäfts der Fall wäre2.
8.16
bb) Festlegung des Arbeitsvertragsstatuts Die Festlegung des Arbeitsvertragsstatus folgt allgemeinen Grundsätzen. Bei der Feststellung des objektiven Vertragsstatuts ist damit gemäß Art. 8 Abs. 2 Rom-I-VO grundsätzlich der gewöhnliche Arbeitsort maßgeblich. Sofern ein gewöhnlicher Arbeitsort nicht bestimmbar ist, kommt es gemäß Art. 8 Abs. 3 Rom-I-VO auf das Recht der Niederlassung an, die den Arbeitnehmer eingestellt hat. Allerdings kann nach Art. 8 Abs. 4 Rom-I-VO die Gesamtheit der Umstände ergeben, dass der Arbeitsvertrag engere Verbindungen zu einem anderen Staat aufweist, dessen Recht dann in einem solchen Fall zur Anwendung kommt.
8.17
Grundsätzlich kann das objektive Arbeitsvertragsstatut durch die Wahl einer anderen Rechtsordnung verändert werden. Eine solche Rechtswahl ist nach Art. 8 Abs. 1 Rom-I-VO zulässig, wobei der Kreis der wählbaren Rechtsordnungen nicht beschränkt ist und es auch keinerlei Berührungspunkte zur gewählten Rechtsordnung bedarf3.
8.18
Eine solche Rechtswahl ist auch mit Blick auf § 613a BGB wirksam. Denn die gesetzlichen Regelungen für den Fall der rechtsgeschäftlichen Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils wird man nicht als Eingriffsnorm4 oder gar als Teil des ordre public qualifizieren können, deren Einhaltung so entscheidend für die Wahrung des öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, anzusehen ist, dass seine Rechtsfolgen auf alle in Betracht kommenden Sachverhalte angewendet werden müssen5. Voraussetzung hierfür wäre, dass § 613a BGB nicht nur auf den Schutz individueller Interessen einzelner Arbeitnehmer gerichtet ist, sondern zumindest auch öffentliche Gemeinwohlinteressen verfolgt6. Dies ist nicht der Fall. Denn es ist zentraler Zweck von § 613a BGB, einen Inhaltsund Bestandsschutz der von der Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils betroffenen Arbeitnehmer gegenüber den beteiligten Rechtsträgern zu begründen. Damit wird der Inhaltsund Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses erweitert, ohne dass davon unmittelbar und vordergründig Gemeinwohlinteressen verfolgt werden7. In Übereinstimmung mit seiner Rechtsprechung zu Art. 30 EGBGB geht das BAG deshalb zu Recht davon aus, dass der Ausschluss von § 613a BGB durch die Wahl eines ausländischen Arbeitsvertragsstatuts nicht als Verstoß
8.19
1 Vgl. Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses abgedruckt in: ABl. Nr. C 255 v. 7.11.1975, S. 32. 2 Vgl. BAG v. 29.10.1992 – 2 AZR 267/92, DB 1993, 637. 3 Vgl. MünchKommBGB/Martiny, Art. 8 Rom I-VO Rz. 27. 4 Nationale Umsetzungsgesetze als Eingriffsnormen zu qualifizieren, schlägt Kania, Grenzüberschreitende Betriebsübergänge, S. 108, 136 ff. vor. Dagegen zutreffend mit zahlreichen Nachweisen Niksova, Grenzüberschreitender Betriebsübergang, S. 87 ff., 101 ff. 5 BAG v. 18.4.2012 – 10 AZR 200/11, NZA 2012, 1152 Rz. 14. 6 BAG v. 7.5.2020 – 2 AZR 692/19, NZA 2021, 225 Rz. 48; BAG v. 18.4.2012 – 10 AZR 200/11, NZA 2012, 1152 Rz. 14. 7 BAG v. 29.10.1992 – 2 AZR 267/92, DB 1993, 637 Rz. 89.
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§ 8 Rz. 8.19 | Grenzüberschreitende Sachverhalte
gegen den ordre public i.S.d. Art. 21 Rom-I-VO zu bewerten ist. § 613a BGB gehört nicht zu den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts1.
8.20
Allerdings stellt § 613a BGB eine zwingende Vorschrift i.S.d. Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Rom-I-VO dar2. Die Rechtswahl der Arbeitsvertragsparteien darf also nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch § 613a BGB gewährt würde, falls dieser auf der Grundlage der Grundsätze zum objektiven Vertragsstatut zur Anwendung käme und dies für den Arbeitnehmer günstiger wäre als Regelungen des Statuts, das die Parteien vereinbart hatten. In Übereinstimmung mit den früheren Regelungen in Art. 30 Abs. 1 EGBGB ist also auch im Rahmen von Art. 8 Abs. 1 Rom-I-VO ein Günstigkeitsvergleich vorzunehmen. Abweichend von der zum Teil vertretenen Auffassung3 kommt § 613a BGB daher nicht zur Anwendung, wenn das gewählte Statut eine für den Arbeitnehmer im Zusammenhang mit dem Betriebs- oder Betriebsteilübergang günstigere Rechtsfolge begründet.4 Allerdings wird man dabei einen Sachgruppenvergleich vorzunehmen haben. Entscheidend ist damit, dass die Regelungen zu Inhalts- und Bestandsschutz insgesamt günstiger sind5.
8.21
Hiervon ausgehend findet § 613a BGB grundsätzlich Anwendung, wenn der gewöhnliche Arbeitsort des Arbeitnehmers in Deutschland ist. Wenn sich ein gewöhnlicher Arbeitsort nicht bestimmen lässt, kommt es darauf an, dass der Sitz der Niederlassung – hier also der Betrieb, dem der Arbeitnehmer zugeordnet ist – in Deutschland ist. Ferner kann auch die Gesamtheit der Umstände ergeben, dass deutsches Arbeitsrecht zur Anwendung kommt. Umgekehrt können grundsätzlich keine Rechte und Pflichten aus § 613a BGB abgeleitet werden, wenn die objektive Anknüpfung nach Art. 8 Abs. 2 bis 4 Rom-I-VO nicht zu Anwendbarkeit deutschen Arbeitsrechts gelangt und nicht hiervon abweichend deutsches Arbeitsrecht vereinbart wurde.
8.22
Wird ein deutsches Arbeitsvertragsstatut vereinbart, kommt § 613a BGB bei Sachverhalten innerhalb der EU und des EWR zur Anwendung, wenn bei objektiver Anknüpfung des Arbeitsverhältnisses kein anderes für den Arbeitnehmer günstigeres Arbeitsvertragsstatut zur Anwendung käme. Umgekehrt kann § 613a BGB in solchen Sachverhalten auch durch die Wahl des Rechts einer anderen Rechtsordnung nicht ausgeschlossen werden, wenn ein Günstigkeitsvergleich ergibt, dass § 613a BGB dem Arbeitnehmer mehr Schutz gewährt, als die Regelungen zum Betriebsübergang der gewählten Rechtsordnung. b) Sachverhalte im Zusammenhang mit Drittstaaten
8.23
Deutlich herausfordernder sind Übertragungsvorgänge im Zusammenhang mit Nicht-EU bzw. Nicht-EWR-Staaten. Denn es ist nicht anzunehmen, dass mit einer Standortverlagerung verbundene Übertragungsvorgänge in Staaten, die nicht Teil der EU bzw. des EWR und daher nicht an die RL 2001/23/EG gebunden sind (d.h. „Drittstaaten“ im Verhältnis zur RL 2001/
BAG v. 29.10.1992 – 2 AZR 267/92, DB 1993, 637. Vgl. zu Art. 30 Abs. 1 EGBGB: BAG v. 29.10.1992 – 2 AZR 267/92, DB 1993, 637. KR/Weigend, Int ArbvertragsR Rz. 23. BAG v. 13.11.2007 – 9 AZR 134/07, NZA 2008, 761, 764 Rz. 35; Hessisches LAG v. 7.5.2015 – 9 Sa 1036/14 Rz. 35 (Revision: 2 AZR 468/15). 5 Diesen Ansatz scheint der EuGH in Bezug auf die Ablösung kollektivrechtlicher Regelungen im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang zu verfolgen, vgl. EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10, NZA 2011, 1077– Scattolon; zur Bewertung des BAG zuletzt BAG v. 15.12.2020 – 1 AZR 499/18 Rz. 44 m.w.N. 1 2 3 4
202 | Gaul/Mückl
Voraussetzungen einer Anwendbarkeit von § 613a BGB | Rz. 8.24 § 8
23/EG) nach dem Überschreiten der EU/EWR-Grenze noch an sie gebunden sind1. Im Wortlaut der Richtlinie findet sich hierfür kein Anhaltspunkt. Auch der Gedanke des Arbeitnehmerschutzes dürfte als Anknüpfung nicht ausreichen2, zumal einem Geltungsbefehl gegenüber Drittstaaten erhebliche völkerrechtliche Bedenken entgegen stünden3. Das Tatbestandsmerkmal „wenn und soweit“ in Art. 1 Abs. 2 RL 2001/23/EG kann daher nicht im Sinne eines unbedingten, auch für Drittstaaten maßgeblichen Geltungswillens ausgelegt werden4. Übrig bleiben zwei mögliche Deutungen:5 (1) Mit „wenn und soweit“ ist ein Vorher-Nachher-Prinzip angeordnet, sodass „soweit“ eigentlich i.S.v. „solange“ zu lesen ist, oder (2) maßgeblich ist allein, dass sich der vom Übertragungsvorgang betroffene Betrieb im Zeitpunkt der Übertragung noch in einem Mitgliedsstaat befindet. Obwohl zunächst einmal gute Gründe für die erste Deutungsvariante sprechen, weil die RL 2001/23/EG sowohl übertragenden als auch den übernehmenden Rechtsträger verpflichten will6, scheint das BAG jedenfalls in Bezug auf § 613a BGB die zweite Deutungsvariante zu favorisieren7. Diese Überlegungen tragen dem Schwerpunkt des betroffenen Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt des Beginns der Übertragung Rechnung, was eine konsequente Umsetzung der Anknüpfung an das Arbeitsvertragsstatut bedeuten würde. Überträgt man diese Bewertung auf die RL 2001/23/EG, erfasst der Anwendungsbereich der Richtlinie grundsätzlich auch Fälle, in denen ein Betriebsübergang aus einem Mitgliedstaat in einen Drittstaat erfolgt, ausgehend davon, dass auf den Standort des übergehenden Betriebs und nicht auf den Sitz des Erwerbers abgestellt wird8. Denkbar sind dann folgende Fallkonstellationen9: – Vollzieht sich der Betriebsübergang vor der (mit einem Statutenwechsel verbundenen10) Verlagerung in den Drittstaat noch in dem Mitgliedsstaat und folgt die (mit einem Statutenwechsel verbundene) Verlagerung in den Drittstaat ihm nach, ist die RL 2001/23/EG auf den übertragenden und den übernehmenden Rechtsträger anwendbar. – Erfolgt die (mit einem Statutenwechsel verbundene) Verlagerung aus dem Mitgliedstaat in den Drittstaat vor dem Übertragungsvorgang, findet die Richtlinie keine Anwendung11. – Umgekehrt unterfällt ein Übertragungsvorgang in einem Drittstaat auch dann nicht der RL 2001/23/EG, wenn im Nachgang eine (mit einem Statutenwechsel verbundene) Verlage-
1 FGO/Winter, Art. 1 RL 2001/23/EG Rz. 109 m.w.N.; vgl. auch. Kania, Grenzüberschreitende Betriebsübergänge, S. 74 ff. 2 FGO/Winter, Art. 1 RL 2001/23/EG Rz. 109. 3 Niksova, Grenzüberschreitender Betriebsübergang, S. 104 f.; FGO/Winter, Art. 1 RL 2001/23/EG Rz. 109. 4 Niksova, Grenzüberschreitender Betriebsübergang, S. 104 f. 5 Vgl. Kania, Grenzüberschreitende Betriebsübergänge, S. 74 ff. m.w.N. 6 Vgl. befürwortend Niksova, Grenzüberschreitender Betriebsübergang, S. 104 f. 7 BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, NZA 2011, 1143 Rz. 45. 8 vgl. Niksova, ecolex 2013, 53, 56; Niksova, Grenzüberschreitender Betriebsübergang, S. 103 ff. 9 Kania, Grenzüberschreitende Betriebsübergänge, S. 75 f. 10 Betriebsverlagerung und Statutenwechsel können bei betriebsmittelintensiven Betrieb(steil)en zeitlich auseinanderfallen, weil das Arbeitsvertragsstatut an den regelmäßigen Arbeitsort anknüpft und daher die Aufnahme der Tätigkeit maßgeblich ist, die zeitlich nach der Verlagerung der Produktionsmittel liegen kann, vgl. Kania, Grenzüberschreitende Betriebsübergänge, S. 103 m.w.N. Bei betriebsmittelarmen Betrieb(steil)en dürfte dies nicht der Fall sein. Aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung wird nachfolgend dennoch schlicht von „Verlagerung“ gesprochen. 11 FGO/Winter, Art. 1 RL 2001/23/EG Rz. 109 m.w.N.
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8.24
§ 8 Rz. 8.24 | Grenzüberschreitende Sachverhalte
rung des übertragenen Betriebs(teils) aus dem Drittstaat heraus in einen Mitgliedsstaat erfolgt. – Die RL 2001/23/EG findet indes auf übertragenden und übernehmenden Rechtsträger Anwendung, wenn der Betrieb(steil), der Gegenstand eines späteren Übertragungsvorgangs ist, zunächst aus einem Drittstaat in einen Mitgliedsstaat verlagert und dann in diesem Mitgliedstaat übertragen wird. – Fallen Übertragung und (mit einem Statutenwechsel verbundene) Verlagerung zeitlich zusammen, bleibt es bei der vorstehenden Bewertung. Maßgeblich ist, welches Arbeitsvertragsstatut bei Beginn der Maßnahme zur Anwendung kommt: Handelt es sich um mitgliedsstaatliches Recht, sind übertragender und übernehmender Rechtsträger gebunden. Ist drittstaatliches Recht anwendbar, ist keiner der beteiligten Rechtsträger an die Vorgaben der RL 2001/23/EG gebunden.
8.25
Eine davon zu trennende Frage ist, ob eine mit der Übertragung eines Betriebs- oder Betriebsteils verbundene Standortverlagerung in einen Drittstaat, der – wie die Schweiz – ohne Bindung an RL 2001/23/EG im nationalen Recht über eine inhaltlich vergleichbare Regelung zum Betriebsübergang verfügt und – vermittelt über die Rom-I-VO – zu Ergebnissen führen kann, die mit denen der Richtlinie vergleichbar sind1.
8.26
Die RL 2001/23/EG regelt die Fälle einer transnationalen Übertragung in Drittstaaten, wie gerade dargestellt, richtigerweise nicht. Dass die Sozialpartner in der Phase ihrer Anhörung die Ansicht äußerten, dass ein Übergang in einen Staat außerhalb der EU oder des EWR die Identität der wirtschaftlichen Einheit nicht bewahren würde, wenn man bedenke, dass im rechtlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeld wahrscheinlich erhebliche Unterschiede bestünden2, hat dies keine Bedeutung für die Frage einer unionsrechtlichen Vorgabe. Entsprechendes gilt für die Feststellungen des EuGH im Urteil vom 26.9.20003, wonach nicht auszuschließen sei, dass die Organisation, die Arbeitsweise, die Finanzierung, die Leitung und die anwendbaren Rechtsvorschriften eine wirtschaftliche Einheit in solcher Weise kennzeichnen könnten, dass eine Änderung dieser Merkmale aufgrund des Übergangs dieser Einheit zu einem Wechsel ihrer Identität führe4. Denn diese Überlegungen kommen ohne Rücksicht darauf zum Tragen, ob der Übertragungsvorgang innerhalb oder außerhalb der EU bzw. EWR erfolgt.
8.27
Richtigerweise wird man auch bei Übertragungsvorgängen, die einen Zusammenhang mit Ländern außerhalb von EU und EWR haben, auf das Kollisionsrecht und das daraus folgende Arbeitsvertragsstatut abstellen müssen5. Weil die Rom-I-VO außerhalb der Mitgliedstaaten grundsätzlich keine Anwendung findet (Art. 288 Abs. 2 AEUV), kommt dabei auch anderes Kollisionsrecht namentlich das des EGBGB und des Drittstaates zur Anwendung6. Ist auf der
1 FGO/Winter, Art. 1 RL 2001/23/EG Rz. 109 m.w.N. 2 Erste Phase der Anhörung der Sozialpartner gemäß Art. 138 Abs. 2 EG-Vertrag betreffend grenzüberschreitende Übergänge von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen, Juni 2007, 9. 3 EuGH v. 26.9.2000 – C-175/99, NZA 2000, 1327 – APIM. 4 EuGH v. 26.9.2000 – C-175/99, NZA 2000, 1327 Rz. 53 – APIM. 5 Insoweit stellt etwa das LAG Baden-Württemberg im Urteil v. 15.12.2009 (22 Sa 45/09, BB 2010, 1415 Rz. 48, 51) für die Anwendbarkeit von § 613a BGB nicht auf die Richtlinie, sondern auf das Kollisionsrecht ab. 6 Forst, SAE 2012, 18.
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Voraussetzungen für § 613a BGB | Rz. 8.30 § 8
Grundlage dieser Vorgaben des Internationalen Privatrechts auch ohne Rückgriff auf die Rom-I-VO das deutsche Arbeitsvertragsstatut maßgeblich, ist grundsätzlich von einer Anwendbarkeit von § 613a BGB auszugehen1. § 613a BGB enthält keine räumliche Einschränkung. Der Eintritt etwaiger Rechtsfolgen hängt allerdings auch in seinem Anwendungsbereich schlussendlich davon ab, dass der von der Übertragung betroffene Betrieb oder Betriebsteil im Anschluss an den Übertragungsvorgang unter Wahrung seiner Identität fortgeführt wird (vgl. Rz. 4.79). Das dürfte jedenfalls bei räumlichen Veränderungen, wie sie hier in Rede stehen, selten der Fall sein2. Letztlich ergeben sich damit im Rahmen von § 613a BGB die oben (Rz. 8.24) aufgezeigten Fallgruppen. c) Sachverhalte außerhalb des Anwendungsbereichs von § 613a BGB Hiervon ausgehend sind im Grunde nur solche Übertragungsvorgänge aus dem Anwendungsbereich von § 613a BGB auszugrenzen, die einen Betrieb oder Betriebsteil betreffen, dessen Sitz zum Zeitpunkt seiner Übertragung außerhalb der EU bzw. des EWR befindet. In solchen Sachverhalten ist es kaum denkbar, dass Arbeitnehmer betroffen sind, die dort mit einem deutschen Arbeitsvertragsstatut beschäftigt sind. Nur soweit dies ausnahmsweise – insbesondere als Folge einer Rechtswahl – der Fall ist, kann dies auch zu einer Anwendbarkeit von § 613a BGB führen, wenn seine tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind3.
8.28
C. Voraussetzungen für § 613a BGB Auch beim Vorliegen eines deutschen Arbeitsvertragsstatuts ist es erforderlich, einzelfallbezogen zu prüfen, ob der jeweils in Rede stehende Übertragungsvorgang trotz seines grenzüberschreitenden Charakters tatbestandlich die Voraussetzungen einer rechtsgeschäftlichen Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils i.S.d. § 613a BGB erfüllt4. Der bloße Anteilserwerb (Share Deal) durch einen ausländischen Investor genügt für eine Anwendbarkeit von § 613a BGB nicht5. Dabei kann an die allgemeinen Kriterien angeknüpft werden, wie sie an anderer Stelle dargelegt wurden (vgl. §§ 4, 5). Nachfolgend werden nur solche Aspekte behandelt, bei denen als Folge des grenzüberschreitenden Charakters Besonderheiten zum Tragen kommen.
8.29
I. Bedeutung räumlicher Veränderungen Gerade bei grenzüberschreitenden Sachverhalten stellt sich die Frage, welche Bedeutung räumliche Veränderungen in Bezug auf die notwendige Wahrung der Identität des Betriebs oder Betriebsteils haben. Einerseits verweist die Rechtsprechung darauf, dass der Standort eines Betriebes nur dann etwas an der unveränderten Fortführung des arbeitstechnischen Zweckes zu ändern vermag, wenn die Natur der ausgeübten Tätigkeit bzw. der jeweils in Rede stehende
1 BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, NZA 2011, 1143 Rz. 45. 2 Ausdrücklich offengelassen hat das LAG Berlin im Urteil v. 18.9.1998 (6 Sa 53/98 n.v. Rz. 16) die Frage nach einer Anwendbarkeit des § 613a BGB bei Übertragungsvorgängen, die Drittstaaten einbeziehen. 3 Vgl. Niksova, ecolex 2013, 53, 56. 4 Vgl. BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, NZA 2011, 1143 Rz. 32; LAG Baden-Württemberg v. 17.9.2009 – 11 Sa 39/09 n.v. Rz. 48 ff. 5 Vgl. BAG v. 23.3.2017 - 8 AZR 543/15 n.v. Rz. 17; BAG v. 14.8 2007 – 8 AZR 803/06, NZA 2007, 1428 Rz. 16.
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8.30
§ 8 Rz. 8.30 | Grenzüberschreitende Sachverhalte
arbeitstechnische Zweck von diesem Standort abhängig sind1. So spiele die Entfernung von 59 km (einfache Wegstrecke) bei guter Erreichbarkeit keine Rolle2. Andererseits spricht das BAG in seiner Entscheidung vom 26.5.20113 davon, dass es „derartige“ räumliche Entfernungen zwischen alten und neuen Betriebssitz geben kann, die die Wahrung der Identität zweifelhaft erscheinen lassen können4. Das scheint jedenfalls dann der Fall zu sein, wenn neue und alte Betriebsstätte mehrere hundert Kilometer voneinander entfernt sind5. In der Literatur wird die Bedeutung der räumlichen Entfernung unterschiedlich bewertet. Insbesondere gibt es keine einheitliche Linie, welches Kriterium für die Anerkennung eines Betriebs- oder Betriebsteils durch die räumliche Entfernung beeinflusst werden kann6.
8.31
Richtigerweise ist davon auszugehen, dass die Ähnlichkeit einer betrieblichen Tätigkeit und damit die Identität der wirtschaftlichen Einheit nicht bereits dadurch verloren geht, dass ein Erwerber einen Betrieb verlegt7. Abzulehnen ist deshalb auch die Annahme, dass jede Verlagerung eines Betriebs in das Ausland als Betriebsstilllegung zu behandeln sei; damit wäre eine Übernahme dieses Betriebs ausgeschlossen. Dagegen spricht bereits, dass auch bei inländischen Sachverhalten eine Verlegung des Betriebs nicht notwendig mit seiner Auflösung oder Stilllegung verbunden ist. Das zeigt bereits das Nebeneinander der entsprechenden Tatbestände in § 111 Satz 3 Nr. 1, 2 BetrVG. Hinzu kommt, dass die räumliche Entfernung im Zweifel nur ein Umstand ist, der im Rahmen der Gesamtbetrachtung der verschiedenen Merkmale für oder gegen das Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs sprechen kann8. Wenn alle anderen Umstände – insbesondere die Übernahme der wesentlichen Ressourcen, das Fehlen einer wesentlichen Unterbrechung und die tatsächliche Fortführung der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit unter Wahrung der bisherigen Organisations- oder Funktionsstruktur (vgl. Rz. 4.142) – die identitätswahrende Übernahme und Fortführung eines Betriebs oder Betriebsteils nahelegen, steht der Umstand, dass damit eine grenzüberschreitende Verlagerung verbunden ist, der Anwendbarkeit von § 613a BGB nicht entgegen.
II. Übernahme von Arbeitnehmern oder Betriebsmitteln 8.32
In Übereinstimmung mit den Grundsätzen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs auf nationaler Ebene setzt die Anwendbarkeit von § 613a BGB auf grenzüberschreitende Sachverhalte voraus, dass die für die Tätigkeit in der jeweils in Rede stehenden Einheit wesentlichen Ressourcen übernommen und durch den Erwerber zur Fortführung der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit genutzt werden. So nimmt auch die Rechtsprechung an, dass trotz einer erheblichen Entfernung von einer Identität der wirtschaftlichen Einheit gesprochen werden kann, wenn der Erwerber einen Produktionsbetrieb unter Übernahme der Arbeitsorganisation mit den Produktionsmaschinen und dem bereits eingearbeiteten Team fortgesetzt hat9. Entschei-
Vgl. BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86, NZA 1988, 170 Rz. 34. Vgl. BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, NZA 2011, 1143 Rz. 36. Vgl. BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, NZA 2011, 1143 Rz. 36. Vgl. BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, NZA 2011, 1143 Rz. 36. Vgl. BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 335/99, RzK I 5e Nr 137 Rz. 71. Vgl. Junker, NZA-Beil. 2012, S. 8, 15; Bauer/Schansker, ArbRAktuell 2011, 298. BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11, NZA-RR 2013, 6 Rz. 59; BAG v. 26.4.2011 – 8 AZR 37/10, NZA 2011, 1143 Rz. 36, 38; BAG v. 25.6.2009 – 8 AZR 258/08, NZA 2009, 1412 Rz. 43. 8 Vgl. EuGH v. 26.11.2015 – C-509/14, NZA 2016, 31 Rz. 32 – Aira Pascual; EuGH v. 26.9.2000 – C175/99, NZA 2003, 1327 Rz. 59 – APIM. 9 BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 335/99, RzK I 5e Nr 137 Rz. 73.
1 2 3 4 5 6 7
206 | Gaul/Mückl
Voraussetzungen für § 613a BGB | Rz. 8.35 § 8
dend ist auch insoweit, ob in der beim bisherigen Inhaber bestehenden Einheit eine betriebsmittelintensive oder eine betriebsmittelarme Tätigkeit ausgeübt wird (vgl. Rz. 4.96 ff., 4.128 ff.). Hiervon ausgehend kann die rechtsgeschäftliche Übernahme materieller oder immaterieller Betriebsmittel durch einen ausländischen Rechtsträger nur dann zu einem grenzüberschreitenden Betriebs- oder Betriebsteilübergang führen, wenn diese Betriebsmittel in einer Einheit bislang zur Ausübung einer betriebsmittelintensiven Tätigkeit genutzt wurden. Wenn der potenzielle Erwerber solche Betriebsmittel verlagert und die Produktion an einem anderen Ort mit gleicher Arbeitsorganisation und gleichen Betriebsmethoden weiterführt, spricht dies für eine Wahrung der wirtschaftlichen Identität1. Voraussetzung ist, dass sie auch beim Erwerber bei einer wertenden Betrachtung den eigentlichen Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs ausmachen (Rz. 4.97). Zu berücksichtigen ist auch, dass die ausschließliche Verlagerung von Betriebsmitteln über eine große Entfernung im Einzelfall sogar eine Auflösung der betrieblichen Organisation darstellen kann2. Umgekehrt gilt: Wenn der potenzielle Erwerber bei der Fortsetzung der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit im Wesentlichen mit Betriebsmitteln arbeitet, die bei ihm bereits vorhanden waren, ist eine Anwendbarkeit von § 613a BGB ausgeschlossen. In diesem Fall liegt im Zweifel nur ein Erwerb von Wirtschaftsgütern vor, die in einem bereits funktionsfähig bestehenden Betrieb bei der Übernahme oder Fortführung einer Produktion mitgenutzt werden3. Das gilt selbst dann, wenn hierfür Arbeitnehmer des bisherigen Inhabers eingestellt werden.
8.33
Umgekehrt setzt die Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils, der durch eine betriebsmittelarme Tätigkeit gekennzeichnet war, die Einstellung des nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Personals durch den ausländischen Rechtsträger voraus (vgl. Rz. 4.128 ff.). Nicht erforderlich ist, dass dieses Personal auch an einem anderen Arbeitsort tätig ist. Denkbar ist, dass die weitere Beschäftigung am gleichen Ort oder – wenn es sich um Vertriebsmitarbeiter handelt – im gleichen Gebiet in Deutschland erfolgt. Voraussetzung ist lediglich, dass die Arbeitsund Ablauforganisation bzw. der funktionale Zusammenhang dieser Arbeitnehmer durch den neuen Arbeitgeber fortgeführt wird. Umgekehrt gilt: Bei einer betriebsmittelarmen Tätigkeit hängt die Organisation des Betriebs und seine Funktionsfähigkeit weitgehend von dem quantitativen und qualitativen Personalbestand ab. Wenn das nach Zahl oder seiner besonderen Sachkunde wesentlichen Personal am neuen Ort nicht mehr zur Verfügung steht, muss die wirtschaftliche Einheit neu aufgebaut werden. Das schließt einen Betriebsübergang aus4.
8.34
III. Vermeidung einer wesentlichen Unterbrechung Auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten schließt die Annahme einer Betriebsstilllegung die Anwendbarkeit von § 613a BGB aus (vgl. Rz. 4.201). Das kann gerade bei solchen Übertragungsvorgängen relevant werden, wo die Verlagerung von Betriebsmitteln zwangsläufig eine vorübergehende Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit zur Folge hat. Wenn diese Unterbrechung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls so erheblich ist, dass organisatorisch von einer Auflösung der bestehenden Strukturen und wirtschaftlich von einer Neugründung durch den späteren Erwerber der Betriebsmittel gesprochen werden muss, liegt kein Betriebs- oder Betriebsteilübergang vor. Denn wenn eine wesentliche Unterbrechung erfolgt ist, gibt es keine (wirtschaftliche) Einheit mehr, die übernommen werden 1 2 3 4
BAG v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, NZA 2003, 93 Rz. 77. Vgl. LAG Hamm v. 28.1.1997 – 4 Sa 141/96 n.v. Rz. 54. BAG v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, NZA 2003, 93 Rz. 75. Vgl. LAG Düsseldorf v. 16.2.1995 – 12 Sa 1925/94, NZA-RR 1996, 241 f.
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8.35
§ 8 Rz. 8.35 | Grenzüberschreitende Sachverhalte
könnte1. Dies gilt selbst dann, wenn im Anschluss daran die wesentlichen Arbeitnehmer und/ oder Betriebsmittel übernommen werden, um durch den potenziellen Erwerber die gleiche oder gleichartige Tätigkeit fortzusetzen. Nach welcher Zeitspanne dies angenommen werden kann, ist allerdings einzelfallbezogen festzustellen.
D. Rechtsfolgen der Anwendbarkeit von § 613 BGB auf den grenzüberschreitenden Sachverhalt 8.36
Bei einer Anwendbarkeit von § 613a BGB bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ist zwischen den individual- und kollektivrechtlichen Folgen zu unterscheiden. Außerdem ist zu berücksichtigen, ob Rechte und Pflichten zwischen Arbeitnehmer und bisherigem Betriebsinhaber oder im Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Erwerber in Rede stehen.
I. Übernahme durch ausländischen Rechtsträger ohne Standortverlagerung 8.37
Bei der Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils, der am bisherigen Standort in Deutschland fortgeführt wird, gibt es keine Besonderheiten. Es gelten die normalen Rechtsfolgen, wie sie insbesondere in Bezug auf den Übergang des Arbeitsverhältnisses (vgl. § 9), Unterrichtungspflicht und Widerspruchsrecht (vgl. § 11), die Berechtigung zur Kündigung (vgl. § 17) und Rechtsfolgen für Betriebsvereinbarungen (vgl. § 22) und Tarifverträge (vgl. § 21) an anderer Stelle aufgezeigt werden. Regelmäßig bleibt weiterhin das Statut des Arbeitsorts anwendbar. Auch das Betriebsratsmandat bleibt hiervon unberührt, solange der Betrieb im Inland unter Wahrung seiner Identität fortgeführt wird (vgl. Rz. 24.4).
II. Standortverlagerung ins Ausland 8.38
Gerade bei Übertragungsvorgängen, die mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland verbunden sind, ist für eine Bewertung der Rechtsfolgen eine Differenzierung der einzelnen Handlungsschritte notwendig. Dabei muss berücksichtigt werden, ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen auch einen Wechsel des Arbeitsvertragsstatuts zur Folge hat2. Schließlich kann dies sogar bewirken, dass die durch § 613a BGB oder die RL 2001/23/EG gewährleisteten Rechte und Pflichten ersatzlos entfallen3.
1. Individualrechtliche Rechtsfolgen a) Übergang der Arbeitsverhältnisse
8.39
Liegen die Voraussetzungen für eine Anwendbarkeit von § 613a BGB vor, tritt der ausländische Erwerber des Betriebs oder Betriebsteils in die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer ein, die der betroffenen Einheit zugeordnet sind (vgl. Rz. 9.31, 10.4)4.
1 2 3 4
von Alvensleben, Betriebsübergang im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 187 f. Vgl. BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, NZA 2011, 1143 Rz. 45. Vgl. BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, NZA 2011, 1143 Rz. 45. Vgl. LAG Baden-Württemberg v. 15.12.2009 – 22 Sa 45/09, BB 2010, 1415 Rz. 52; B. Gaul/Mückl, DB 2011, 2318, 2320.
208 | Gaul/Mückl
Rechtsfolgen der Anwendbarkeit von § 613 BGB | Rz. 8.42 § 8
b) Wechsel des Arbeitsorts Mit dem gesetzlichen Eintritt des übernehmenden Rechtsträgers in die zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse ist grundsätzlich noch kein Wechsel des Arbeitsorts verbunden. Die weitere Beschäftigung des Arbeitnehmers im Ausland nach einer Übernahme und Verlagerung des Betriebs oder Betriebsteils ist nicht Voraussetzung, sondern allenfalls mittelbare Folge eines Eintritts des Erwerbers in das Arbeitsverhältnis nach § 613a BGB1. Sobald sich der regelmäßige Arbeitsort ändert, hat dies im Zweifel aber auch einen Wechsel des Arbeitsvertragsstatuts zur Folge2. Schließlich kommt grundsätzlich das Recht des Staats zur Anwendung, in dem das Arbeitsverhältnis nach dem Betriebsübergang besteht3. Bei einem Wechsel in das Nicht-EU-Ausland kann dieses Statut auch zum Wegfall der durch § 613a BGB begründeten Rechte und Pflichten führen4.
8.40
Der Wechsel des Arbeitsorts muss deshalb im Anschluss an den Übertragungsvorgang durch den übernehmenden Rechtsträger im Rahmen des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts veranlasst oder zwischen Arbeitnehmer und übernehmenden Rechtsträger vereinbart werden. Eine solche Vereinbarung ist immer dann erforderlich, wenn der Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich die Verpflichtung einer Tätigkeit im Ausland enthält. Schweigt der Arbeitsvertrag in Bezug auf den Arbeitsort, wird man – abweichend von der Möglichkeit eines Einsatzes in Deutschland5 – den Arbeitgeber nämlich nicht für berechtigt halten können, dem Arbeitnehmer einseitig auch eine Tätigkeit im Ausland zuzuweisen. Einen solchen Umfang der arbeitnehmerseitigen Leistungspflicht muss der Arbeitnehmer nach §§ 133, 157 BGB i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 NachwG nicht erwarten, wenn er im Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich erkennbar wird6.
8.41
Scheitern entsprechende Vereinbarungen, kommt nur eine betriebsbedingte Änderungskündigung in Betracht7. § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB steht ihr nicht entgegen8. Da als Arbeitsvertragsstatut deutsches Recht gilt, muss sie vor allem §§ 1, 2 KSchG Rechnung tragen. Sie kann nicht nur durch den übernehmenden Rechtsträger erklärt werden. Auch der bisherige Betriebsinhaber kann auf der Grundlage eines Erwerberkonzepts eine betriebsbedingte Änderungskündigung aussprechen (vgl. Rz. 17.75 ff.)9. Bis zum Ablauf der Kündigungsfrist besteht für den betroffenen Arbeitnehmer indes keine Verpflichtung, die Tätigkeit am neuen Arbeitsort aufzunehmen. Der Arbeitnehmer kann die Arbeitsleistung am neuen Standort verweigern; der Vergütungsanspruch bestimmt sich nach § 615 BGB. Entgegen früherer Rechtsprechung kann eine entsprechende Erklärung auch nicht als Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses verstanden werden10. Das folgt bereits aus dem gesetzlichen Schriftformerfordernis (§ 613a Abs. 6 BGB), das bei der bloßen Verweigerung der Arbeitsleistung nicht gewahrt ist. Erklärt sich der Arbeitnehmer schriftlich, ist im Zweifel durch Auslegung festzustellen, ob ein Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses erklärt oder ein Leistungsverweigerungsrecht geltend gemacht wird (vgl. Rz. 11.250).
8.42
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Vgl. Pesch, KSzW 2012, 114, 120; Wisskirchen/Goebel, DB 2004, 1937, 1939. Vgl. BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10 NZA 2011, 1143 Rz. 45; Niksova, ecolex 2013, 53, 55. Vgl. BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 608/11, AP Nr. 23 zu § 620 BGB Kündigungserklärung Rz. 40. BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, DB 2011, 2323 Rz. 45; Niksova, ecolex 2013, 53, 56. Vgl. B. Gaul/Mückl, DB 2011, 2318, 2320. Vgl. auch B. Gaul/Mückl, DB 2011, 2318, 2320. Vgl. B. Gaul/Mückl, DB 2011, 2318, 2320; Feudner, NZA 1999, 1184, 1189. Vgl. BAG v. 20.4.1989 – 2 AZR 431/88, NZA 1990, 32 Rz. 24. Vgl. B. Gaul/Mückl, DB 2011, 2318, 2320; Leuchten, FA 2002, 138, 140 f. Abw. noch BAG v. 20.4.1989 – 2 AZR 431/88; NZA 1990, 32 Rz. 24.
Gaul/Mückl | 209
§ 8 Rz. 8.43 | Grenzüberschreitende Sachverhalte
8.43
Wichtig ist allerdings, dass diese Form der Änderungskündigung im Zweifel nur bei betriebsmittelintensiver Tätigkeit in Betracht kommt. Denn nur hier kann die Übernahme des Betriebs und der daraus resultierende Übergang des Arbeitsverhältnisses bereits mit dem Erwerb von wesentlichen Betriebsmitteln bewirkt werden. Im Anschluss daran könnte der Erwerber auch eine Verlagerung dieser Betriebsmittel veranlassen, die dann mit einer entsprechenden Änderung des potenziellen Arbeitsorts verknüpft wird.
8.44
Bei betriebsmittelarmer Tätigkeit wird der potenzielle Erwerber sein Angebot einer Einstellung von Arbeitnehmern im Zweifel bereits an das Einverständnis mit einer Fortsetzung der Tätigkeit an einem anderen Arbeitsort binden. Mit der Annahme des Angebots erweitert sich das Direktionsrecht auf den neuen Standort des Betriebs oder Betriebsteils. Ein automatischer Übergang des Arbeitsverhältnisses mit der Folge, dass eine Weiterbeschäftigung am neuen Standort ggf. erst im Wege einer Änderungskündigung durchgesetzt werden muss, kommt hier nur für solche Arbeitnehmer in Betracht, die kein Angebot angenommen haben, falls das übrige nach Zahl und Sachkunde wesentliche Personal der betroffenen Einheit entsprechende Angebote angenommen und einem Wechsel zum Erwerber zugestimmt hat. c) Unterrichtungspflicht der beteiligten Rechtsträger
8.45
Der übertragende und der übernehmende Rechtsträger müssen die von der Übernahme ihres Betriebs oder Betriebsteils betroffenen Arbeitnehmer entsprechend § 613a Abs. 5 BGB unterrichten. Besonderheiten können sich vor allem in Bezug auf die Person des Erwerbers, seinen Sitz, einen etwaigen Wechsel des Arbeitsorts und/oder Arbeitsstatuts, besondere Rechtsfolgen durch die Einbindung eines ausländischen Rechtsträgers oder geplante Maßnahmen (z.B. Betriebsverlegung) ergeben. Nur so kann sich der Arbeitnehmer „ein Bild machen“, das Grundlage seiner Entscheidung über die Ausübung oder Nichtausübung des Widerspruchsrechts ist1. Im Übrigen gelten die allgemeinen Grundsätze (vgl. Rz. 11.156 ff.).
8.46
Da die Unterrichtung vor einem Übergang der Arbeitsverhältnisse erfolgen muss, hat ein späterer Wechsel des Arbeitsvertragsstatuts keine Bedeutung. Es bleibt auch dann bei der Anwendung von § 613a Abs. 5 BGB, wenn die Unterrichtung erst nach einer Übernahme und Verlegung des Betriebs ins Ausland erfolgt2. d) Widerspruch des Arbeitnehmers
8.47
Da das Widerspruchsrecht an das der Unterrichtungspflicht zugrunde liegende Arbeitsvertragsstatut geknüpft ist, kommt auch insoweit § 613a Abs. 6 BGB ohne Einschränkung zur Anwendung, wenn und solange deutsches Recht Anwendung findet. Die Tatsache, dass der Erwerber das Widerspruchsrecht nicht kennt, spielt keine Rolle. Unerheblich ist auch, dass das Widerspruchsrecht in der RL 2001/23/EG selbst nicht angelegt ist3. Obwohl vor allem eine beabsichtigte Verlagerung des Betriebs und die damit verbundene Änderung des Arbeitsvertragsstatuts oder Zweifel in Bezug auf die Leistungsfähigkeit eines Arbeitgebers im Ausland die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in Frage stellen können, bedarf der Widerspruch keiner Begründung.
1 Vgl. BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, NZA 2014, 610 Rz. 19. 2 Vgl. bezüglich nicht grenzüberschreitender Fälle BAG v. 14.12.2006 – 8 AZR 763/05, NZA 2007, 682 Rz. 48. 3 Vgl. Liebig in Braun/Wisskirchen, Konzernarbeitsrecht, Teil II Abschn. 1 Rz. 61.
210 | Gaul/Mückl
Rechtsfolgen der Anwendbarkeit von § 613 BGB | Rz. 8.53 § 8
Grundsätzlich ist der Widerspruch auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten an die Monatsfrist des § 613a Abs. 6 BGB geknüpft1. Allerdings besteht gerade in den hier in Rede stehenden Sachverhalten das Risiko, dass einzelne Rechtsfolgen nicht oder nicht ordnungsgemäß dargestellt werden. Damit kann der Widerspruch in den Grenzen der Verwirkung auch nach Ablauf eines Monats nach Zugang des Unterrichtungsschreibens gegenüber einem der beteiligten Rechtsträger erklärt werden (vgl. Rz. 11.174)2.
8.48
Mit dem Statutenwechsel infolge einer Verlagerung erlischt allerdings das Widerspruchsrecht gemäß § 613a Abs. 6 BGB3. Dies gilt unabhängig davon, ob die Verlagerung in einen anderen Mitgliedsstaat oder in einen Drittstaat erfolgt. Denn § 613a Abs. 6 BGB beruht nicht auf der RL 2001/23/EG4. Die betriebsverfassungsrechtlichen Folgen eines derartigen Widerspruchs ergeben sich ebenfalls nicht aus der Richtlinie5.
8.49
e) Betriebsbedingte Kündigung Auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten darf eine Kündigung gemäß § 613a Abs. 4 BGB nicht wegen des Betriebs- oder Betriebsteilübergangs erklärt werden. Das wäre z.B. dann der Fall, wenn Rechte und Pflichten, die sich als Folge des deutschen Arbeitsvertragsstatuts ergeben, durch den übernehmenden Rechtsträger abgelehnt werden. Kündigungen aus anderen Gründen bleiben für beide Rechtsträger allerdings zulässig. Insofern gelten die allgemeinen Grundsätze (vgl. Rz. 17.20 ff.).
8.50
Eine Änderung des Arbeitsvertragsstatuts tritt erst ein, nachdem das Arbeitsverhältnis (übergegangen und) verlagert worden ist. Für die Frage, ob es zu einem Betriebsübergang gekommen ist, ist eine solche Statutenänderung daher ebenso wie für die Frage der Wirksamkeit einer vor dem Betriebsübergang erklärten, nach deutschem Recht zu beurteilenden Kündigung noch ohne Belang6.
8.51
Für den bisherigen Inhaber kommt eine betriebsbedingte Kündigung vor allem dann in Betracht, wenn der Betrieb in seiner Gesamtheit übertragen wird und der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widerspricht. Denn mit der Übertragung entfällt die Beschäftigungsmöglichkeit; dies gilt ohne Rücksicht auf eine etwaige Verlagerung. Allerdings müssen Beschäftigungsmöglichkeiten, die in anderen inländischen Betrieben bestehen, geprüft werden. Handelt es sich um einen Betriebsteilübergang, kommt darüber hinaus eine Sozialauswahl mit den im verbleibenden Restbetrieb beschäftigten Arbeitnehmern in Betracht7.
8.52
Ist der übernehmende Rechtsträger allerdings nicht über Art. 4 RL 2001/23/EG an eine § 613a Abs. 4 BGB vergleichbare Umsetzungsnorm gebunden, ist es denkbar, dass unmittelbar nach der Verlagerung und dem mit ihr verbundenen Statutenwechsel eine Kündigung „wegen“ des Betriebsübergangs ausgesprochen wird8. Da dies allerdings bereits im Unterrichtungsschreiben nach § 613a Abs. 5 BGB als in Aussicht genommene Maßnahme gekennzeichnet werden
8.53
1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. B. Gaul/Mückl, DB 2011, 2318, 2320. Vgl. Raif/Ginal, GWR 2013, 217, 218. Kania, Grenzüberschreitende Betriebsübergänge, S. 106. FGO/Winter, Art. 3 RL 2001/23/EG Rz. 77. FGO/Winter, Art. 3 RL 2001/23/EG Rz. 78. BAG v. 25.4.2013 – 6 AZR 49/12, NZI 2013, 758, Rz. 166 m.w.N. Vgl. Liebig in Braun/Wisskirchen, Konzernarbeitsrecht, Teil II Abschn. 1 Rz. 68. Vgl. Kania, Grenzüberschreitende Betriebsübergänge, S. 106.
Gaul/Mückl | 211
§ 8 Rz. 8.53 | Grenzüberschreitende Sachverhalte
müsste, werden derartige Fälle in der Praxis kaum auftreten. In ihnen wird der Arbeitnehmer nämlich in aller Regel bereits dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen, um – ohne die Unsicherheiten einer fremden Rechtsordnung – im Inland über den Bestand des Arbeitsverhältnisses entscheiden zu lassen.
8.54
Eine nach § 613a Abs. 4 BGB untersagte Kündigung kann umgekehrt auch dann in Deutschland ausgesprochen werden, wenn der Betriebsübergang in einem nicht über Art. 4 RL 2001/ 23/EG an eine § 613a Abs. 4 BGB vergleichbare Umsetzungsnorm gebundenen Staat erfolgt. Ist er mit einer Verlagerung nach Deutschland verbunden, gilt dies aber ab dem Statutenwechsel, der die Anwendbarkeit deutschen Rechts bewirkt, nicht mehr. Denn ab diesem Zeitpunkt würde § 613a Abs. 4 BGB Anwendung finden1.
2. Kollektivrechtliche Rechtsfolgen a) Folgen für den Betriebsrat
8.55
Wenn ein Betrieb oder Betriebsteil durch einen im Ausland ansässigen Rechtsträger übernommen wird, hat dies zunächst einmal die allgemeinen Konsequenzen für den bis zu diesem Zeitpunkt bestehenden Betriebsrat (vgl. Rz. 24.1 ff.). Damit bestehen der Betriebsrat und die Mandate seiner Mitglieder fort, wenn der Betrieb unter Wahrung seiner Identität übertragen wird. Wenn nur ein Betriebsteil übernommen und der Betrieb in diesem Zusammenhang gespalten wird, besteht infolge der Spaltung ein Übergangsmandat nach § 21a Abs. 1 BetrVG.
8.56
Erst mit der Verlagerung des Betriebs oder Betriebsteils ins Ausland endet das Mandat des Betriebsrats bzw. das Übergangsmandat nach § 21a Abs. 1 BetrVG2. Das folgt aus dem Umstand, dass der Geltungsbereich des BetrVG auf Deutschland begrenzt ist (Territorialitätsprinzip)3. Auch wenn damit Beteiligungsrechte eines in Deutschland bestehenden Betriebsrats für die seinem Betrieb angehörenden Arbeitnehmer nicht dadurch ausgeschlossen werden, dass diese Arbeitnehmer im Ausland tätig sind4, steht dies der Bildung eines Betriebsrats für den (dann) im Ausland befindlichen Betrieb entgegen. Die deutsche Betriebsverfassung ist auf das Inland begrenzt5. Entsprechendes gilt für den Sprecherausschuss. Ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen neue Arbeitnehmervertretungen gebildet werden können, hängt von der für das jeweilige Land geltenden Rechtslage ab.
8.57
Die Mandate einzelner Betriebsratsmitglieder im Gesamt- oder Konzernbetriebsrat, im Gesamt- oder Unternehmenssprecherausschuss oder in übergreifenden Schwerbehindertenvertretungen enden im Zweifel bereits mit dem Wirksamwerden des Betriebs- oder Betriebsteilübergangs. Ob ein (vorübergehend) von übertragendem und übernehmendem Rechtsträger geführter Gemeinschaftsbetrieb daran etwas ändert, ist allerdings umstritten6. Solange der Be-
1 2 3 4
Vgl. Kania, Grenzüberschreitende Betriebsübergänge, S. 106. Vgl. B. Gaul/Mückl, DB 2011, 2318, 2321; Kania, Grenzüberschreitende Betriebsübergänge, S. 108. BAG v. 20.4.2005 – 7 ABR 20/04, NZA 2005, 1006 Rz. 31. Vgl. BAG v. 22.3.2000 – 7 ABR 34/98, NZA 2000, 1119 Rz. 28; HWK/B. Gaul, Vor § 1 BetrVG Rz. 5. 5 Vgl. B. Gaul/Mückl, DB 2011, 2318, 2321. 6 Für die Möglichkeit der Entsendung unternehmensfremder Mitglieder eines im Gemeinschaftsbetrieb gebildeten Betriebsrats in den Gesamtbetriebsrat des jeweils anderen Unternehmens spricht sich die landesarbeitsgerichtliche Rechtsprechung aus, vgl. LAG Baden-Württemberg v. 5.11.2020 – 14 TaBV 4/20 Rz. 60 ff. m.w.N. (Rechtsbeschwerde eingelegt unter 7 ABR 41/20); a.A. z.B. Richardi/Annuß, § 47 BetrVG Rz. 77 m.w.N.
212 | Gaul/Mückl
Rechtsfolgen der Anwendbarkeit von § 613 BGB | Rz. 8.60 § 8
trieb noch nicht ins Ausland verlagert ist, können abweichende Regelungen durch Tarifvertrag oder – ausnahmsweise – durch Betriebsvereinbarung nach § 3 BetrVG bestimmt werden. Mit der Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils durch einen anderen nicht konzernangehörigen Rechtsträger enden auch etwaige Mandate im Europäischen Betriebsrat oder im SEbzw. SCE-Betriebsrat. Wenn der übernehmende Rechtsträger ein anderes Konzernunternehmen ist, hängen die Rechtsfolgen für etwaige Mandate im Europäischen Betriebsrat oder im SE- bzw. SCE-Betriebsrat im Zweifel von der zugrunde liegenden Vereinbarungen ab. Ggf. muss die Vereinbarung infolge einer strukturellen Änderung (§ 18 Abs. 3 SEBG) neu verhandelt werden (z.B. bei einem Betriebsübergang im Rahmen der Verschmelzung einer mitbestimmten Gesellschaft auf die SE1. Ob ein Betriebs(teil)übergang für sich genommen eine strukturelle Änderung darstellen kann, ist umstritten2). Da die Vertreter typischerweise durch die Arbeitnehmervertreter der Länder bestimmt werden, in denen der Betrieb belegen ist, endet im Zweifel die durch eine deutsche Arbeitnehmervertretung vorgenommene Entsendung. Die weitere Vertretung in einer grenzüberschreitenden Arbeitnehmervertretung hängt dann von den für das Land geltenden Regelungen ab, in das der Betrieb oder Betriebsteil verlagert wird. Etwas anderes kann gelten, wenn die an der Übertragung beteiligten Rechtsträger einem vereinbarten „Entsendekreis“ angehören.
8.58
b) Beteiligungsrechte des Betriebsrats wegen einer Betriebsverlegung Vor der Verlagerung werden Beteiligungsrechte des Betriebsrats ausgelöst. Das gilt nicht nur für personelle Einzelmaßnahmen (§§ 99, 102 BetrVG). Die Verlagerung eines Betriebs oder Betriebsteils ins Ausland stellt eine Betriebsänderung nach § 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG dar, die mit Unterrichtungs- und Beratungsrechten des Betriebsrats und der Pflicht der beteiligten Rechtsträger verbunden ist, nach § 112 BetrVG über einen Interessenausgleich und Sozialplan zu verhandeln3.
8.59
Wirtschaftliche Nachteile können sich in diesen Fällen allerdings nicht nur als unmittelbare Folge der Verlagerung und – für den Fall betriebsbedingter Kündigungen nach Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses – einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses ergeben. Wenn und soweit § 613a BGB als Folge eines Wechsels des Arbeitsvertragsstatuts im Verhältnis zum übernehmenden Rechtsträger nicht zur Anwendung kommt, wird man auch diese mittelbaren Folgen der dem Arbeitgeberwechsel vorgeschalteten Verlagerung und den damit verbundenen Eingriff in Rechte und Pflichten als wirtschaftlichen Nachteil i.S.d. § 112 BetrVG erfassen können. Unerheblich ist, ob die Arbeitnehmer diese Rechtsfolgen billigen4. Insoweit gilt nichts anderes als bei Übertragungsvorgängen im Inland, bei denen etwaige Nachteile als Folge des Arbeitgeberwechsels allerdings abschließend durch § 613a BGB geregelt sind und deshalb nicht Gegenstand von Sozialplanverhandlungen sind (vgl. Rz. 25.215).
8.60
1 Kienast in B. Gaul/Ludwig/Forst, § 2 Rz. 635 f.; Hohenstatt/Müller-Bonanni in Habersack/Drinhausen, § 18 SEBG Rz. 10. 2 Vgl. Hohenstatt/Müller-Bonanni in Habersack/Drinhausen, § 18 SEBG Rz. 10; Kienast in B. Gaul/ Ludwig/Forst, § 2 Rz. 641 ff. m.w.N. 3 Vgl. Feudner, NZA 1999, 1184. 1189. 4 Abw. Feudner, NZA 1999, 1184, 1189, der in diesen Fällen regelmäßig keine ausgleichspflichtigen Nachteile sieht.
Gaul/Mückl | 213
§ 8 Rz. 8.61 | Grenzüberschreitende Sachverhalte
c) Rechte und Pflichten aus Betriebsvereinbarungen
8.61
Der übernehmende Rechtsträger tritt auch in die betriebsverfassungsrechtliche Stellung des früheren Betriebsinhabers ein und ist an die im Betrieb geltenden Betriebsvereinbarungen jedenfalls so lange gebunden, bis sie ihr Ende finden1. Allein die Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils hat eine solche Beendigung nicht zur Folge. Vielmehr gelten die Betriebsvereinbarungen grundsätzlich als Betriebsvereinbarungen fort. Dies gilt zunächst dann, wenn der auf einen ausländischen Rechtsträger übertragene Betrieb unter Wahrung seiner Identität fortgeführt wird. Entsprechendes gilt, wenn der von der Übertragung betroffene Betriebsteil durch den ausländischen Erwerber zunächst als Betrieb fortgeführt wird (vgl. Rz. 22.14). Auch für Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen gelten die allgemeinen Regelungen (vgl. Rz. 22.44 ff.).
8.62
Wird der Betrieb oder Betriebsteil allerdings ins Ausland verlagert, endet die kollektivrechtliche Geltung einer Betriebsvereinbarung, einer Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung2. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB greift insoweit dann nicht ein, wenn die Verlagerung dem Betriebsübergang nachfolgt3. Denn diese Norm greift als „Auffangregelung“ nach der Rechtsprechung des BAG nur dann ein, wenn der Betrieb zeitgleich mit dem Übergang seine Identität verliert oder auf andere Weise den Geltungsbereich des BetrVG verlässt und aus diesem Grund eine (Konzern-, Gesamt-) Betriebsvereinbarung nicht mehr normativ gilt4. Bereits dem Wortlaut von § 613a Abs. 1 Satz 2, 3 BGB nach kann ein nach dem Betriebs(teil)übergang erfolgender sonstiger Wegfall der Geltungsvoraussetzungen des BetrVG nicht mehr zu einer nachfolgenden Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB führen5. Etwas anderes wird man auch nicht aus Art. 6 RL 2001/23/EG herleiten können6.
8.63
Dieses Ergebnis macht aber kein Verständnis von § 613a BGB als Eingriffsnorm erforderlich7. Im Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 3 RL 2001/23/EG wird man vielmehr jedenfalls dann, wenn der jeweilige Mitgliedsstaat eine § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB vergleichbare Umsetzungsnorm geschaffen hat, davon ausgehen müssen, dass die Rechte und Pflichten aus Konzern-, Gesamt- und Betriebsvereinbarungen nach der Verlagerung Bestandteil des Arbeitsverhältnisses werden8.
8.64
Teilweise wird darüber hinausgehend angenommen, dass sogar eine Betriebsvereinbarung als solche für ein Jahr seit dem Übergang fortgeführt werden müsse, wenn der Mitgliedsstaat, in den die Verlagerung erfolge, die Aufrechterhaltung von „Kollektivverträgen“ nach einem Betriebsübergang vorsehe. Er müsse dann im Wege richtlinienkonformer Auslegung seinem nationalen Recht unbekannte Vereinbarungen aufrechterhalten9. Für das deutsche Recht, das in § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB keine Aufrechterhaltung von Betriebsvereinbarungen und Ta1 Vgl. BAG v. 27.7.1994 – 7 ABR 37/93, NZA 1995, 222 Rz. 31. 2 Vgl. Pesch, KSzW 2012, 114, 118; Wisskirchen/Goebel, DB 2994, 1937, 1938; Kania, Grenzüberschreitende Betriebsübergänge, S. 112 m.w.N. 3 Vgl. zum Folgenden Kania, Grenzüberschreitende Betriebsübergänge, S. 112 f. 4 Kania, Grenzüberschreitende Betriebsübergänge, S. 112 f. 5 Kania, Grenzüberschreitende Betriebsübergänge, S. 112 f. 6 Für möglich hält das aber Feudner, NZA 1999, 1184, 1188; a.A. zu Recht Niksova, Grenzüberschreitender Betriebsübergang, S. 249 f. 7 In diesem Sinne der Lösungsvorschlag für ein angebliches Umsetzungsdefizit in Bezug auf die RL 2001/23/EG von Kania, Grenzüberschreitende Betriebsübergänge, S. 136 ff. 8 Niksova, Grenzüberschreitender Betriebsübergang, S. 253 ff. 9 Niksova, Grenzüberschreitender Betriebsübergang, S. 252 f.
214 | Gaul/Mückl
Rechtsfolgen der Anwendbarkeit von § 613 BGB | Rz. 8.68 § 8
rifverträgen als Betriebsvereinbarung bzw. Tarifvertrag als solche regelt, sondern – so das BAG – im Rahmen der Transformation in den „Inhalt des Arbeitsverhältnisses“ lediglich mit Blick auf Veränderungs- und Beendigungsmöglichkeiten nach näherer Maßgabe des § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB deren kollektivrechtlichen Charakter erhält1, wird man dies aber nicht annehmen können. Im Fall einer mit einem Betriebs(teil)übergang verbundenen Verlagerung eines ausländischen Betriebs in das Inland finden daher § 613a Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB auf die ausländischen Kollektivverträge, die das Funktionsäquivalent zu deutschen Betriebsvereinbarungen i.S.d. BetrVG bilden, analoge Anwendung2. Dies bedeutet, dass eine deutsche Betriebsvereinbarung ihre ausländischen Funktionsäquivalente ablöst und zwar – als Betriebsvereinbarung – mit normativer Wirkung. Erfolgt die Verlagerung innerhalb des Geltungsbereichs der RL 2001/23/EG, sind individualvertragliche Änderungen zum Nachteil der betroffenen innerhalb der Jahresfrist des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen.
8.65
Allerdings kann innerhalb dieser Zeitspanne durch Kollektivvereinbarung eine Veränderung auch zum Nachteil des Arbeitnehmers erfolgen, wenn sie den gleichen Regelungsgegenstand betrifft und für das Arbeitsverhältnis Geltung beansprucht. Es genügt, wenn die ausländische Kollektivnorm funktional äquivalent mit einer Betriebsvereinbarung i.S.d. § 77 BetrVG ist.
8.66
Dementsprechend ist zwar ausgehend vom deutschen Verständnis auch keine „Über-KreuzAblösung“ möglich, bei der die Betriebsvereinbarung durch ausländische Tarifverträge abgelöst wird3. Da die Richtlinie in Art. 3 Abs. 3 indes lediglich von „Kollektivverträgen“ spricht, ohne zwischen Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen zu differenzieren, wird man die Frage, ob eine „Über-Kreuz-Ablösung“ möglich ist, nach dem Recht des Staates beurteilen müssen, in den der Betrieb verlagert worden ist. Während nach deutschem Recht – auf der Grundlage der Rechtsprechung des BAG – also das nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgeltende ausländische Äquivalent einer Betriebsvereinbarung nicht durch einen deutschen Tarifvertrag abgelöst werden könnte, dürfte es den Mitgliedstaaten freistehen, eine Über-Kreuz-Ablösung zu ermöglichen4.
8.67
Im Fall eines transnationalen Betriebs(teil)übergangs in einen Drittstaat, in dem die RL 2001/ 23/EG keine Anwendung findet und deren Art. 3 Abs. 3 also nicht eingreift, endet die Wirkung der Betriebsvereinbarungen im Zeitpunkt der Betriebsverlagerung über die Grenze5. Soweit der Erwerber nicht nach seinem nationalen Recht analog Art. 3 Abs. 3 RL 2001/23/EG bzw. § 613a Abs. 1 Satz 2, 3 BGB zu einer Aufrechterhaltung verpflichtet ist, entfallen schlicht alle Wirkungen der Betriebsvereinbarung. Es findet auch keine Transformation in das Arbeitsverhältnis statt. Der neue Betriebsinhaber ist, ohne an die Vorgaben des § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB gebunden zu sein, berechtigt, neue Kollektivverträge nach seinem nationalen Recht abzuschließen. Da er keine deutschen Kollektivvereinbarungen ablösen muss, stellt sich hier die Frage der Zulässigkeit einer „Über-Kreuz-Ablösung“ nicht.
8.68
1 Das BAG geht zwar von einer kollektivrechtlichen Aufrechterhaltung als Inhalt des Arbeitsverhältnisses aus, aber nicht von der Aufrechterhaltung in Form einer Betriebsvereinbarung, vgl. BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 30 ff., 61 ff.; Rz. 11.53. 2 Ebenso verallgemeinernd Niksova, Grenzüberschreitender Betriebsübergang, S. 280. 3 Vgl. B. Gaul/Mückl, DB 2011, 2318, 2321. 4 Ebenso FGO/Winter, Art. 3 RL 2001/23/EG Rz. 63 m.w.N. 5 Niksova, Grenzüberschreitender Betriebsübergang, S. 262, 280.
Gaul/Mückl | 215
§ 8 Rz. 8.69 | Grenzüberschreitende Sachverhalte
d) Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
8.69
Bei der Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils durch einen ausländischen Rechtsträger gelten in Bezug auf tarifliche Rechte und Pflichten zunächst einmal die allgemeinen Rechtsfolgen aus § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB (individualrechtliche Bezugnahme) oder § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB (gesetzliche Tarifbindung), soweit der übernehmende ausländische Rechtsträger nicht unmittelbar normativ kongruent tarifgebunden ist, sodass § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB nach der Rechtsprechung des BAG keine Anwendung findet. Insoweit kann auf die Darstellung an anderer Stelle verwiesen werden (vgl. Rz. 21.28). Dass er i.S.d. § 3 TVG tarifgebunden ist, kommt in der Praxis kaum jemals vor. aa) Normative Tarifbindung
8.70
Wird der Betrieb oder Betriebsteil in das Ausland verlagert, ist eine gesetzliche Tarifbindung des Erwerbers generell ausgeschlossen1. Unerheblich ist dabei auch, ob sie bis dahin über § 5 Abs. 4 TVG oder die Regelungen des AEntG ausgelöst wurde. Denn das TVG gilt (lässt man eine theoretisch denkbare Ausstrahlung einmal unberücksichtigt) ebenso wie das AEntG nur für Arbeitsverhältnisse im Inland.
8.71
Hinzu kommt, dass der Betrieb im Zweifel nicht mehr vom räumlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrags erfasst wird2. Die in diesem Fall vom BAG für Inlandssachverhalte angenommene Nachwirkung entsprechend § 4 Abs. 5 TVG3 scheidet mangels Anwendbarkeit des TVG ebenfalls aus. Der Abschluss eines Firmentarifvertrags scheitert im Zweifel an der Zuständigkeit der Gewerkschaft.
8.72
In Übereinstimmung mit der zu Betriebsvereinbarungen vertretenen Auffassung wird man allerdings von einer Fortgeltung der tariflichen Rechte und Pflichten als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses ausgehen müssen, soweit ausländische Funktionsäquivalente zu Tarifverträgen infolge einer mit einem Betriebs(teil)übergang verbundenen Betriebsverlagerung im Inland zur Anwendung kommen. § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB gilt insoweit analog.
8.73
Dabei gilt die Jahresfrist des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, solange sich der Betrieb im Geltungsbereich der RL 2001/23/EG befindet. Auch hier wird man Änderungen auch zum Nachteil des Arbeitnehmers allerdings für zulässig halten müssen, wenn sie durch eine funktionsäquivalente Kollektivvereinbarung erfolgen, den gleichen Regelungsgegenstand betreffen und dieses Regelungen für das Arbeitsverhältnis Geltung beanspruchen4.
8.74
Wie bereits dargelegt wurde (vgl. Rz. 8.67), wird man dabei die Frage, ob eine „Über-KreuzAblösung“ möglich ist, nach dem Recht des Staates beurteilen müssen, in den der Betrieb verlagert worden ist. Während nach deutschem Recht also das nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgeltende ausländische Äquivalent eines Tarifvertrags nicht durch eine deutsche Betriebs-
1 I. E. ebenso Kania, Grenzüberschreitende Betriebsübergänge, S. 114. 2 B. Gaul/Mückl, DB 2011, 2318, 2321; vgl. auch Kania, Grenzüberschreitende Betriebsübergänge, S. 113 f. 3 BAG v. 13.7.1994 – 4 AZR 555/93, NZA 1995, 479; BAG v. 10.12.1997 – 4 AZR 193/97, NZA 1998, 488. 4 Vgl. B. Gaul/Mückl, DB 2011, 2318, 2321 f.; Liebig in Braun/Wisskirchen, Konzernarbeitsrecht, Rz. 87.
216 | Gaul/Mückl
Rechtsfolgen der Anwendbarkeit von § 613 BGB | Rz. 8.76 § 8
vereinbarung abgelöst werden könnte, dürfte es den Mitgliedstaaten freistehen, eine ÜberKreuz-Ablösung zu ermöglichen1. In Übereinstimmung mit der zu Betriebsvereinbarungen entwickelten Lösung (vgl. Rz. 8.68) wird man im Fall eines transnationalen Betriebs(teil)übergangs in einen Drittstaat, in dem die RL 2001/23/EG keine Anwendung findet und deren Art. 3 Abs. 3 also nicht eingreift, hingegen annehmen müssen, dass die Wirkung von Tarifverträgen im Zeitpunkt der Betriebsverlagerung über die Grenze endet2. Soweit der Erwerber nicht nach seinem nationalen Recht analog Art. 3 Abs. 3 RL 2001/23/EG bzw. § 613a Abs. 1 Satz 2, 3 BGB zu einer Aufrechterhaltung verpflichtet ist, entfallen schlicht alle Wirkungen des Tarifvertrags. Es findet auch keine Transformation in das Arbeitsverhältnis statt. Der neue Betriebsinhaber ist, ohne an die Vorgaben des § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB gebunden zu sein, berechtigt, neue Kollektivverträge nach seinem nationalen Recht abzuschließen. Da er keine deutschen Kollektivvereinbarungen ablösen muss, stellt sich hier die Frage der Zulässigkeit einer „Über-Kreuz-Ablösung“ nicht.
8.75
bb) Geltung kraft Bezugnahmeklausel Soweit ein Tarifvertrag bis zu dem mit der Verlagerung verbundenen Statutenwechsel aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel galt, entscheidet ab dem Zeitpunkt des Statutenwechsels das ausländische Recht des dann geltenden Arbeitsvertragsstatuts über die Auslegung und damit den Inhalt und die Wirksamkeit der arbeitsvertraglichen Bezugnahme. Das kann auch zu Einschränkungen bei dynamischen Bezugnahmen auf den jeweils geltenden Tarifvertrag führen.
1 Ebenso FGO/Winter, Art. 3 RL 2001/23/EG Rz. 63 m.w.N. 2 Niksova, Grenzüberschreitender Betriebsübergang, S. 219, 278.
Gaul/Mückl | 217
8.76
Teil 3 Arbeitsvertragliche Konsequenzen einer Anwendbarkeit von § 613a BGB
§9 Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB (i.V.m. § 324 UmwG)
A. Arbeitgeberwechsel, Zeitpunkt und erfasste Arbeitsverhältnisse I. Eintritt des Betriebserwerbers in bestehende Arbeitsverhältnisse . . . II. Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . III. Erfasste „Arbeitsverhältnisse“ 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewusste Zuordnung von Arbeitsverhältnissen . . . . . . . . . B. Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Besitzstandswahrung . . . . . . . . . 2. Keine Verpflichtung zur Angleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Relevanz der jeweiligen Anspruchsgrundlage . . . . . . . . . II. Fortschreibung der Betriebszugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Eintritt in arbeitsvertragliche Rechte und Pflichten . . . . . . . . . . . 1. Pflicht zur Arbeitsleistung, Anspruch auf Beschäftigung . . . 2. Direktionsrecht/Arbeitsort . . . . 3. Laufbahnzusagen, Titel und Funktionsbezeichnungen . . . . . 4. Grundentgelt, Sonderzahlungen 5. Tantieme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Dienstwagen, Aufwendungsersatz und Reisekostenerstattung . 7. Urlaub und Urlaubsabgeltungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Mutterschutz, Elternzeit, Sabbatical . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.1 9.2 9.6 9.19 9.22 9.24 9.25 9.26 9.27 9.31 9.37 9.38 9.39 9.44 9.46 9.58 9.59 9.62 9.68
9. Kündigung, Kündigungsfristen, Freistellung, Abwicklungsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Lohn- und Gehaltspfändung . . 11. Werkmiet- und Werkdienstwohnungen . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Sonstige betriebsspezifische Sonderleistungen . . . . . . . . . . . 13. Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung . . . . . . . . . . . . 14. Ansprüche aus Vorruhestandsleistungen und Altersteilzeit . . . 15. Schadensersatzansprüche/Ansprüche aus unerlaubter Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Versicherungen . . . . . . . . . . . . . 17. Geheimhaltungspflichten . . . . . 18. Gesetzliches und nachvertragliches Wettbewerbsverbot/ Nebentätigkeitsgenehmigung a) Gesetzliches Wettbewerbsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nebentätigkeitsgenehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nachvertragliches Wettbewerbsverbots . . . . . . . . . . . . d) Übernahme von Verpflichtungen gegenüber ausgeschiedenen Arbeitnehmern 19. Arbeitnehmererfindungen und Urheberrechte a) Arbeitnehmererfindungen aa) Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . . .
9.70 9.76 9.77 9.79 9.89 9.90
9.93 9.96 9.101
9.104 9.106 9.107 9.112
9.115
Richter | 219
§ 9 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs bb) Übertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . cc) Fortgeltung von Fristen zur Freigabe/Inanspruchnahme . . . . . . . . b) Urheberrechte . . . . . . . . . . . 20. Zeugnisanspruch . . . . . . . . . . . 21. Ansprüche aus Annahmeverzug a) Ansprüche gegenüber dem übernehmenden Rechtsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ansprüche gegenüber dem übertragenden Rechtsträger 22. Ansprüche auf Abfindungen . . 23. Ausschlussfristen . . . . . . . . . . . IV. Auswirkung auf Vermögensbeteiligungen, insb. Aktienoptionen . . 1. Unternehmensneutrale Anlageformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unternehmens- oder konzernbezogene Anlageformen . . . . . . a) Zusagen des übertragenden Rechtsträgers . . . . . . . . . . . . b) Zusagen anderer (Konzern-) Unternehmen . . . . . . . . . . .
9.120 V. 9.122 9.123 9.126
VI. VII.
9.127 9.130 9.131 9.132
VIII.
9.135
C. D.
9.136
E.
9.137
F.
c) Zulässigkeit und Wirkung eines Rückübertragungsvorbehalts für den Fall der Vertragsbeendigung . . . . . . Auswirkungen auf Prokura und Handlungsvollmacht . . . . . . . . . . . Auswirkungen auf Arbeitgeberdarlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswirkungen auf besondere Beauftragungen (Datenschutzbeauftragte/r, Frauenbeauftragte/r, Gleichstellungsbeauftragte/r, Schwerbehindertenvertreter/in u.a.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eintritt in steuer- und sozialversicherungsrechtliche Pflichten . . . Anspruch auf Gleichbehandlung . Rechtswirkungen abändernder arbeitsvertraglicher Regelungen . . Verjährung und Verwirkung von Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten bei einer Beteiligung kirchlicher Rechtsträger . . . .
9.149 9.151 9.153
9.156 9.158 9.163 9.167 9.174 9.176
9.139 9.147
Schrifttum: Annuß, Der Betriebsübergang in der neuesten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, BB 1998, 1582; Bachner, Der Betriebsübergang nach § 613a BGB, AiB 1996, 291; Bader, Das Arbeitsförderungsreformgesetz, AuR 1997, 381; Baeck/Diller, Arbeitsrechtliche Probleme bei Aktienoptionen und Belegschaftsaktien, DB 1998, 1405; Bartenbach/Volz, Arbeitnehmererfindungen, 6. Aufl. 2013; Bauer, Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Betriebsübergang, DB 1983, 713; Bauer/Göpfert/von Steinau-Steinrück, Aktienoptionen bei Betriebsübergang, ZIP 2001, 1129; Baur, Rechtsänderungen zum 1.4.1997 durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz (AFRG), DB 1997, 726; Becker-Schaffner, Rechtsfragen zu § 613 BGB, BIStSozArbR 1975, 305; Bieback, Arbeitsrechtliche Probleme der Fusion öffentlich-rechtlicher Körperschaften, ZTR 1998, 396; Borngräber, Arbeitsverhältnis bei Betriebsübergang: Der Eintritt des neuen Betriebsinhabers in die Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen beim Betriebsübergang durch Rechtsgeschäft (§ 613a Abs. 1 BGB), 1977; Bossmann, Die Auswirkungen des Betriebsübergangs nach § 613a BGB auf die Wettbewerbsverbote, 1993 (zugl. Diss. Bielefeld 1992); von Braunschweig, Steuergünstige Gestaltung von Mitarbeiterbeteiligungen in Management-Buy-Out-Strukturen, DB 1998, 1831; Bruns, Die Werkmietwohnung, NZM 2014, 535; Buchner, Wettbewerbsverbote während und nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, 1995; Bunte, Nichtigkeit eines Erlassvertrags zur Umgehung der Rechtsfolgen des § 613a I BGB, NZA 2010, 319; Dauner-Lieb/Langen (Hrsg.), BGB Schuldrecht, 2. Aufl. 2012; Edenfeld, Der neue Betriebs(teil)begriff des BAG zu § 613a BGB, AuA 1998, 161; Forst, Leiharbeitnehmer im Betriebsübergang, RdA 2011, 228; Franzen, Der Betriebsinhaberwechsel nach § 613a BGB im internationalen Arbeitsrecht, 1994 (zugl. Diss. Berlin 1993); Fuchs, Betriebliche Sozialleistungen beim Betriebsübergang. Unter besonderer Berücksichtigung unternehmensspezifischer Sozialleistungen, 2000 (zugl. Diss. Freiburg/Breisgau 1999); Fuhlrott/Fabritius, Das Schicksal von arbeitgebergebundenen Leistungen bei Betriebsübergängen, BB 2013, 1592; B. Gaul, Auswirkungen des rechtsgeschäftlich begründeten Betriebsüberganges
220 | Richter
Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs | § 9 auf nachwirkende Wettbewerbsvereinbarungen und Geheimhaltungspflichten, NZA 1989, 697; B. Gaul, Neues zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot, DB 1995, 874; B. Gaul, Kehrtwende der Rechtsprechung zum Betriebsübergang im Dienstleistungsbereich, ZTR 1998, 1; B. Gaul/Bonanni/ Naumann, Betriebsübergang: Neues zur betriebsbedingten Kündigung aufgrund Erwerberkonzepts, DB 2003, 1902; B. Gaul/Jares, Aktuelles zum Betriebsübergang – Rechtsfolgen des Betriebsübergangs nach § 613 BGB und Gestaltungsmöglichkeiten, DStR 2013, 658; B. Gaul/Ludwig, Betriebsübergang: Auswirkungen auf Vereinbarungen über nachvertragliche Wettbewerbsverbote, NZA 2013, 489; B. Gaul/Naumann, Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs für unternehmens- und konzernspezifische Sonderleistungen, NZA 2011, 121; D. Gaul, Auswirkungen des Betriebsinhaberwechsels auf bestehende Arbeitsverhältnisse und Betriebsvereinbarungen, BUV 1972, 181; D. Gaul, Auswirkungen des rechtsgeschäftlich begründeten Betriebsüberganges auf nachwirkende Wettbewerbsvereinbarungen und Geheimhaltungspflichten, NZA 1989, 697; D. Gaul, Der Betriebsübergang und Arbeitnehmererfindung, GRUR 1990, 163; D. Gaul, Die Arbeitnehmererfindung nach dem Betriebsübergang, GRUR 1994, 1; Gerutke/Ulber, Der Eingliederungsvertrag, AiB 1997, 511; Greiner, „Personalhoheit“ als Schlüsselbegriff der Abgrenzung von echtem Fremdpersonaleinsatz und verdeckter Arbeitnehmerüberlassung, RdA 2014, 262; Grimm/Walk, Das Schicksal erfolgsbezogener Vergütungsformen beim Betriebsübergang, BB 2003, 577; Grunsky, Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot (§§ 74 ff. HGB) als gegenseitiger Vertrag, in Festschrift für Alfred Söllner, 1990, S. 41; Haas/Pötschan, Ausgabe von Aktienoptionen an Arbeitnehmer und deren lohnsteuerliche Behandlung, DB 1998, 2138; Hambach, Gesetzliche Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften und Betriebsübergang, NZA 2000, 291; Hanau, Zur Kündigung von Arbeitsverhältnissen wegen Betriebsübergang, ZIP 1984, 141; Hanau, Der Eingliederungsvertrag – Ein neues Instrument der Arbeitsförderung, DB 1997, 1278; Hanau, Aufhebungsvertrag und Betriebsübergang, ZIP 1999, 324; Hanau/Thüsing, Arbeitsrechtliche Konsequenzen beim Betriebsübergang kirchlicher Einrichtungen, KuR 2000, 165; Hanau/Vossen, Die Auswirkungen des Betriebsinhaberwechsels auf Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge, in Festschrift für Marie Luise Hilger und Hermann Stumpf, 1983, S. 271; Harrer (Hrsg.), Mitarbeiterbeteiligungen und Stock-Option-Pläne, 2000; Heinze, Der Betriebsübergang in der Insolvenz, in Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, 2000, S. 751; Herschel, Kündigung bei Betriebsübergang, DB 1984, 612; Hillebrecht, Der Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses im Zusammenhang mit § 613a BGB, NZA 1989 Beil. 4, S. 10; Hohenstatt/Naber, Organmitglieder und Massenentlassungen – Die Balkaya-Entscheidung des EuGH und ihre Folgen, EuZA 2016, 22; Hohmeister/Küper, Aktuelle Fragen der personellen Umstrukturierung in Betrieben und Verwaltungen, PersR 1997, 89; Hold, Der Eingliederungsvertrag nach §§ 54a bis 54c AFG aus arbeitsrechtlicher Sicht, AuA 1997, 285; von Hoyningen-Huene/Windbichler, Der Übergang von Betriebsteilen nach § 613a BGB, RdA 1977, 329; Hromadka, Das Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers, DB 1995, 1609; Joussen, Kirchliche Arbeitsvertragsinhalte beim Betriebsübergang, NJW 2006, 1850; Jüchser, Auswirkungen des Betriebsübergangs auf den Zeugnisanspruch des Arbeitnehmers nach § 109 GewO, NZA 2012, 244; Kania, Nichtarbeitsrechtliche Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Diss. Köln 1989; Klein, Massenentlassung – Art 1 Abs. 1 Buchst. a EGRL 59/98 – Arbeitnehmerbegriff – Berechnung der Beschäftigtenzahl – Berücksichtigung Geschäftsführer und Praktikanten, AuR 2016, 77; Köhler, Fortbestand handelsrechtlicher Vollmacht bei Betriebsübergang?, BB 1979, 912; Krause, Die tatsächliche Betriebsführung als konstitutives Erfordernis des Betriebsübergangs, ZfA 2001, 67; Kreitner, Kündigungsschutzrechtliche Probleme beim Betriebsinhaberwechsel, 1989 (zugl. Diss. Köln 1989); Kühn, Der Betriebsübergang bei Leiharbeit, NJW 2011, 1408, Kuner, Urlaub bei Wechsel in eine Teilzeittätigkeit mit weniger Wochenarbeitstagen, öAT 2015, 76; Lahusen, Aktuelle Rechtsprechung zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot, NZA 1985, 802; Leder/Rodenbusch, Übergang der Arbeitsverhältnisse auch bei gesetzlichem Betriebsübergang, EWiR 2011, 737; Leinemann/Lipke, Betriebsübergang und Urlaubsanspruch, DB 1988, 1217; Lepke, Begünstigter Personenkreis bei Betriebsübergang, BB 1979, 526; Liessem, Der Übergang der Arbeitsverhältnisse bei der Betriebsverpachtung, Diss. Köln 1983; Lunk, Der EuGH und die deutschen GmbH-Fremdgeschäftsführer – Auf dem Weg zum Arbeitnehmerstatus?, NZA 2015, 917; Lunk/Hildebrand, Konsequenzen der Balkaya-Entscheidung des EuGH für Geschäftsführer, Arbeitnehmer und Gesellschafter, NZA 2016, 129; Mechlem/Melms, Verfall- und Rückzahlungsklauseln bei Aktienoptionsplänen, DB 2000, 1614; Meyer, Untergang von Sozialleistungen beim Betriebsübergang, SAE 2006, 264; Meyer, Ablösung von Betriebs-, Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen
Richter | 221
§ 9 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs beim Betriebsübergang, DB 2000, 1174; Meyer, Sozialplangestaltung bei nachträglichem Betriebsübergang, NZA 2000, 297; Moll, Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers nach einem Betriebsübergang, NJW 1993, 2016; Mückl, Betriebsübergang und Matrix-Struktur – Welche Arbeitnehmer sind erfasst?, DB 2015, 2695; Nägele, Die Wettbewerbsabrede beim Betriebsinhaberwechsel, BB 1989, 1480; Nehls/ Sudmeyer, Zum Schicksal von Aktienoptionen bei Betriebsübergang, ZIP 2002, 201; Neyer, Steuerliche Behandlung von Arbeitnehmer-Aktienoptionen, BB 1999, 130; Nicolai, Anwendbarkeit des AGB-Gesetzes auf „nichtarbeitsrechtliche Beziehungen“ zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ZIP 1995, 359; Niesel, Die wichtigsten Änderungen des Arbeitsförderungsrechts durch das ArbeitsförderungsReformgesetz (AFRG), NZA 1997, 580; Oberthür/Lohr, Der Handelsvertreter im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht, NZA 2001, 126; Oster, Arbeitnehmererfindungen beim Betriebsübergang in der Insolvenz. Das Verhältnis von § 27 Nr. 1 ArbnErfG zu § 613a BGB, GRUR 2012, 467; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, 1993 (zugl. Habilitation Köln 1992); Preis/Sagan, Europäisches Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2019; Preis/Steffan, Neue Konzepte des BAG zum Betriebsübergang nach § 613a BGB, DB 1998, 309; Reimer/Schade/Schippel, Arbeitnehmererfindungsgesetz, 8. Aufl. 2007; Rieble, Widerspruch nach § 613a VI BGB – die (ungeregelte) Rechtsfolge, NZA 2004, 1; Röhsler/ Borrmann, Wettbewerbsbeschränkungen für Arbeitnehmer und Handelsvertreter, 1981; Rolfs, Arbeitsrechtliche Aspekte des neuen Arbeitsförderungsrechts, NZA 1998, 17; Rolfs, Die betriebliche Altersversorgung beim Betriebsübergang, NZA-Beil. 2008, 164; Säcker/Joost, Auswirkungen eines Betriebsübergangs auf Ruhestandsverhältnisse, DB 1978, 1030, 1078; Sagan, Das Verschlechterungsverbot bei der Ablösung von Kollektivverträgen bei einem Betriebsübergang, EuZA 2012, 247; Salamon/Fuhlrott, Die Reichweite des Wettbewerbsverbotes im gekündigten Arbeitsverhältnis, BB 2011, 1018; Schaub, Rechtsprobleme des Betriebsübergangs, ZIP 1984, 272; Schaub, Flexibilisierung des Personaleinsatzes, BB 1998, 2106; Schmalenberg, Die Tatbestandsvoraussetzungen des Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB, NZA 1989 Beil. 3, S. 14; Schneider/Sittard, Annahmeverzug des Arbeitgebers bei Widerspruch gegen den Betriebsübergang, BB 2007, 2230; Schreiber, Das Arbeitsverhältnis beim Übergang des Betriebs, RdA 1982, 137; Schwab, Arbeitnehmererfindungsrecht, 3. Aufl. 2014; Schwab, Der Arbeitnehmer als Urheber, NZA-RR 2015, 5; Schwerdtner, Individualarbeitsrechtliche Probleme des Betriebsübergangs. Versuch einer Bestandsaufnahme, in Festschrift für Gerhard Müller, 1981, S. 557; Schwerdtner, Zur Anwendbarkeit von BGB § 613a auf Ruhestandsverhältnisse, SAE 1978, 60; Simon, Arbeitsrechtliche und Haftungsprobleme der Betriebsaufspaltung, ZfA 1987, 311; Sittard/Flockenhaus, „Scattolon“ und die Folgen für die Ablösung von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen nach einem Betriebsübergang, NZA 2013, 652; Steffan, Neues vom EuGH zum Betriebsübergang: Was folgt aus „Scattolon“?, NZA 2012, 473; von Steinau-Steinrück, Neues vom EuGH zum Betriebsübergang, NJW-Spezial 2012, 434; Steuck, Die privatisierende Umwandlung. Zur Ausgliederung von Regie- und Eigenbetrieben der Gebietskörperschaften u.a. nach dem neuen Umwandlungsrecht, NJW 1995, 2887; Trümner, Probleme beim Wechsel von öffentlich-rechtlichen zum privatrechtlichen Arbeitgeber infolge von Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen, PersR 1993, 473; Weber, Neuere Rechtsprechung des EuGH zur Massenentlassungsrichtlinie, NZA 2016, 727; Weimar/Alfes, Arbeitsrechtliche Grundsatzfragen der Betriebsaufspaltung, BB 1993, 783; Weisemann/Schrader, Wettbewerbsverbote während der Dauer und nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, DB 1980 Beil. Nr. 4, S. 1; Wiese, Altersversorgung und Gleichbehandlung bei der Verschmelzung und Umwandlung von Gesellschaften, RdA 1979, 432; Willemsen, Die Kündigung wegen Betriebsübergangs, ZIP 1983, 411; Willemsen, Erosion des Arbeitgeberbegriffs nach der Albron-Entscheidung des EuGH?, NJW 2011, 1546; Willemsen, Aktuelle Rechtsprechung des EuGH zum Arbeits- und Sozialrecht, Befristung, Betriebsübergang, RdA 2012, 291; Winter, Betriebsübergang und Tarifvertragsersetzung – was ergibt sich aus dem Urteil Scattolon?, RdA 2013, 36; Wirth, Spaltung einer eingetragenen Genossenschaft: Aufspaltung, Abspaltung und Ausgliederung zur Aufnahme durch und zur Neugründung von Personenhandelsgesellschaften, Kapitalgesellschaften und Genossenschaften, 1998 (zugl. Diss. Jena 1997); Zerres, Arbeitsrechtliche Aspekte bei der Verschmelzung von Unternehmen, ZIP 2001, 359; Zimmer, Die Ausgabe von Optionsrechten an Mitglieder des Aufsichtsrats und externe Berater, DB 1999, 999.
222 | Richter
Arbeitgeberwechsel, Zeitpunkt und erfasste Arbeitsverhältnisse | Rz. 9.6 § 9
A. Arbeitgeberwechsel, Zeitpunkt und erfasste Arbeitsverhältnisse I. Eintritt des Betriebserwerbers in bestehende Arbeitsverhältnisse Gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB tritt der Erwerber in sämtliche Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Er wird, anders formuliert, kraft gesetzlicher Anordnung Vertragsarbeitgeber bezogen auf die von § 613a Abs. 1 BGB erfassten Arbeitsverhältnisse (vgl. Rz. 9.37 ff.).
9.1
II. Maßgeblicher Zeitpunkt Stichtag für die Bestimmung des Inhalts der Rechte und Pflichten, in die der Erwerber eintritt, ist gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB, § 324 UmwG der Zeitpunkt des Übergangs der betrieblichen Einheit, der das Arbeitsverhältnis des betreffenden Arbeitnehmers zugeordnet ist.
9.2
Als „Zeitpunkt des Übergangs“ gilt bei einem klassischen Betriebsübergang auf Basis eines Asset Deals der Zeitpunkt, in dem der Erwerber die Leitung der auf ihn übergehenden betrieblichen Einheit übernimmt. Das ist der Fall, wenn er als neuer Inhaber die Geschäftstätigkeit tatsächlich und unter Wahrung der Identität des Unternehmens weiterführt. Eines gesonderten Übertragungsvorgangs bedarf es hierfür nicht. Der Betriebsübergang wird indes nicht durch die bloße (vertraglich eingeräumte) Möglichkeit des Erwerbers zur Fortführung des Betriebs unter seiner Leitung ausgelöst (vgl. Rz. 6.6).
9.3
Sonstige bezogen auf die betriebliche Einheit zwischen Veräußerer und Erwerber vereinbarte Übergangszeitpunkte wie etwa der Übergang des wirtschaftlichen Risikos sind demgegenüber für § 613a BGB unerheblich. Demgemäß ist eine rückwirkende Übernahme einer betrieblichen Einheit arbeitsrechtlich betrachtet ausgeschlossen. Nicht selten fallen die Zeitpunkte der schuldrechtlichen oder dinglichen Übertragung aufgrund der getroffenen Gestaltung im Kaufund Übertragungsvertrag und der Zeitpunkt des Betriebsübergangs durch faktische Übernahme der Leitung des Unternehmens zeitlich auseinander. Auf die insoweit zutreffende Darstellung des Übergangs- und damit Eintrittszeitpunkts ist insbesondere bei der Erstellung des Informationsschreibens gemäß § 613a Abs. 5 BGB besonders zu achten (vgl. Rz. 11.19 ff.).
9.4
Liegt der Übertragung der betrieblichen Einheit ein Vorgang nach dem Umwandlungsgesetz zugrunde, ordnet § 324 UmwG als Rechtsgrundverweisung die Anwendbarkeit von § 613a BGB an. Das der Übertragung zugrunde liegende Rechtsgeschäft liegt dann in dem jeweiligen Verschmelzungs- oder Abspaltungsvertrag. Entsprechend ist auch in Umwandlungsfällen der Zeitpunkt des Betriebsübergangs anhand der für § 613a BGB entwickelten Grundsätze zu bestimmen, sodass weder der Zeitpunkt des Abschlusses der Umwandlungsverträge noch die Eintragung der Umwandlung in das Handelsregister maßgeblich sind, sondern allein der Zeitpunkt der Übernahme der Leitungsmacht (vgl. Rz. 6.3 ff.).
9.5
III. Erfasste „Arbeitsverhältnisse“ 1. Grundsätze Die durch § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB gesetzlich angeordnete Überleitung auf den Erwerber umfasst alle „im Zeitpunkt des Übergangs zum bisherigen Betriebsinhaber bestehenden Arbeitsverhältnisse“. Die Art und inhaltliche Ausgestaltung des zugeordneten Arbeitsverhältnisses ist unerheblich, sodass auch befristete Arbeitsverhältnisse, Arbeitsverhältnisse in Teilzeit sowie Arbeitsverhältnisse von Aushilfskräften, Altersteilzeitarbeitsverhältnisse ebenso wie ArRichter | 223
9.6
§ 9 Rz. 9.6 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
beitsverhältnisse von geringfügig Beschäftigten i.S.d. § 8 SGB IV erfasst werden1. Obwohl § 613a BGB Ausbildungsverhältnisse nicht gesondert erwähnt, werden auch Auszubildende2 (vgl. § 10 Abs. 2 BBiG), Volontäre, Praktikanten3 und Personen, die gemäß § 26 BBiG zum Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen eingestellt werden4, von § 613a BGB erfasst.
9.7
Einbezogen werden auch Arbeitnehmer in ruhenden Arbeitsverhältnissen. Hierzu zählen insbesondere Mitarbeiter in Elternzeit5 und solche Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis – insbesondere wegen der Altersversorgung – während der Dauer einer Auslandsentsendung, im Rahmen derer ein aktives Arbeitsverhältnis mit einem (Tochter-)Unternehmen im Ausland begründet wird, zum Ruhen gebracht wurde6. Zu dieser Gruppe gehören auch solche Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis ruht, während sie auf der Grundlage eines eigenständigen Dienstvertrags mit einer anderen (Tochter-)Gesellschaft als Geschäftsführer tätig sind. Wichtig ist es, gerade solche Arbeitsverhältnisse im Rahmen einer Due Diligence zu erfassen. Arbeitnehmer, die aus ihrem fortbestehenden Arbeitsverhältnis heraus in eine andere Gesellschaft entsandt wurden, um dort als Geschäftsführer tätig zu sein, werden ohnehin erfasst. Denn sie verrichten ihre arbeitsvertragliche Tätigkeit – wie Außendienstmitarbeiter – auf der Grundlage eines aktiven Arbeitsverhältnisses nur außerhalb der räumlichen Grenze des Betriebsgeländes.
9.8
Arbeitnehmer in Altersteilzeit werden ohne Rücksicht darauf einbezogen, ob sie sich in der sog. Arbeits- oder Freistellungsphase befinden7. Maßgeblich ist allein, dass das Arbeitsverhältnis zum Übergangszeitpunkt an sich noch besteht. Entsprechendes gilt auch bei der Vereinbarung eines Sabbaticals i.S.d. § 7 Abs. 1a SGB IV. Wie die Regelungen zur Flexibilisierung der Arbeitszeit in § 2 ATG, § 7 Abs. 1a SGB IV verdeutlichen, haben die Arbeitsvertragsparteien in beiden Fallgestaltungen nur eine Vorleistung, Nachleistung oder Suspendierung der nach dem Arbeitsvertrag geschuldeten Arbeit vereinbart. Die Hauptleistungspflicht des Arbeitgebers besteht unverändert fort, während die Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt realisiert wird.
9.9
Arbeitnehmer werden auch dann einbezogen, wenn sie wegen der Größe des Betriebs (§ 23 KSchG) oder der Dauer des Arbeitsverhältnisses (§ 1 Abs. 1 KSchG) noch nicht in den Anwendungsbereich des KSchG fallen8. Ohne Rücksicht auf die Wirksamkeit einer Kündigung gehen auch solche Arbeitnehmer über, die sich zum Zeitpunkt der Übertragung in einem gekündigten Arbeitsverhältnis befinden9. Welche Konsequenzen sich daraus für die Passivlegitimation einer etwaigen Klage gegen die Kündigung sowie auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ergeben, wird an anderer Stelle behandelt (vgl. Rz. 20.80). 1 Vgl. nur WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 127. 2 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 382/05, NZA 2006, 1406; zuvor bereits: Bachner, AiB 1996, 291, 292; Schreiber, RdA 1982, 137, 147. 3 Lepke, BB 1979, 526, 528; differenzierend BAG v. 18.11.1999 – 2 AZR 89/99, DB 2000, 772, 773. 4 Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 28; Bachner, AiB 1996, 291, 292; Schreiber, RdA 1982, 137, 147; Lepke, BB 1979, 526, 528. 5 Vgl. LAG Hamm v. 28.8.1997 – 4 Sa 2224/96, LAGE § 613a Nr. 64 (LS). 6 BAG v. 14.7.2005 – 8 AZR 392/04, NZA 2005, 1411. 7 BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 27/07, NZA 2008, 705; BAG v. 30.10.2008 – 8 AZR 54/07, NZA 2009, 432. 8 BAG v. 31.1.1985 – 2 AZR 530/93, NJW 1986, 87, 88 f.; LAG Hamm v. 30.9.2009 – 2 Sa 595/09, BeckRS 2010, 67342; Herschel, DB 1984, 612; Willemsen, ZIP 1983, 411, 414; Hanau, ZIP 1984, 141; Hillebrecht, NZA 1989 Beil. 4, S. 10, 13. 9 BAG v. 22.2.1978 – 5 AZR 800/76, BB 1978, 914; Hillebrecht, NZA 1989 Beil. 4, S. 10.
224 | Richter
Arbeitgeberwechsel, Zeitpunkt und erfasste Arbeitsverhältnisse | Rz. 9.12 § 9
Voraussetzung ist lediglich, dass das Arbeitsverhältnis am Tage des Übergangs des Betriebsoder Betriebsteils oder – sofern es sich um eine Umwandlung handelt – dem Wirksamwerden der Spaltung oder Vermögensteilübertragung nach dem UmwG besteht. Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis vor dem Zeitpunkt des Übergangs – etwa durch Ablauf der Kündigungsfrist einer ordentlichen Kündigung – endete, werden in den Anwendungsbereich von § 613a BGB, § 324 UmwG nicht einbezogen1. Nicht erfasst werden auch Arbeitsverhältnisse, die erst nach der Übertragung des (Teil-)Betriebs oder dem Wirksamwerden der Umwandlung begründet werden.
9.10
Soweit sich aus einem beim übertragenden Rechtsträger bereits beendeten Arbeitsverhältnis nachvertragliche Rechte und Pflichten ergeben (z.B. betriebliche Altersversorgung, Karenzentschädigung bei nachvertraglichem Wettbewerbsverbot, Anspruch auf Rückzahlung eines Darlehens), bleiben diese bei einer Übertragung des Arbeitsverhältnisses im Wege der Einzelrechtsnachfolge gegenüber dem übertragenden Rechtsträger bestehen. Solche nachwirkenden Pflichten und Rechte gehen nicht nach § 613a BGB auf den Erwerber über. Denkbar ist ein Übergang der Ansprüche ausgeschiedener Arbeitnehmer nur, wenn hierfür eine besondere Rechtsgrundlage existiert (z.B. § 133 UmwG). So kann bei einer Spaltung oder Vermögensteilübertragung im Spaltungs- oder Übernahmevertrag gleichwohl eine Zuordnung von Forderungen oder Verbindlichkeiten zum übertragenden Rechtsträger erfolgen (vgl. Rz. 3.69 f.), wobei es im Hinblick auf Versorgungsverbindlichkeiten einer Zustimmung des ausgeschiedenen Versorgungsberechtigten oder des Pensionssicherungsvereins wohl nicht bedarf2.
9.11
Im Gegensatz zu leitenden Angestellten3 werden Organmitglieder (vgl. Rz. 14.1 ff.) grundsätzlich ebenso wenig wie mitarbeitende Gesellschafter oder auch Vereins- oder Genossenschaftsmitglieder von § 613a BGB erfasst. Ergibt sich die Pflicht zur Arbeitsleistung auch unmittelbar aus dem Gesellschaftsvertrag, ist der jeweils Beschäftigte kein Arbeitnehmer. Dies gilt nach bisheriger Rechtsprechung des BAG auch für Organmitglieder, die bei Erfüllung ihrer Arbeitsleistung, ähnlich einem Arbeitnehmer, Weisungsrechten unterliegen und somit auch für (Fremd-)Geschäftsführer4. Ob das BAG an dieser – nach hiesiger Ansicht rechtlich zutreffenden – Rechtsprechung auch künftig festhalten wird, ist in Anbetracht neuerer Entscheidungen des EuGH5 zum europarechtlichen Arbeitnehmer- und Beschäftigtenbegriff nicht mit letzter Sicherheit zu sagen. Der EuGH hatte zuletzt zum einen entschieden, dass Mitglieder der Unternehmensleitung einer Kapitalgesellschaft, die ihre Tätigkeit nach Weisung und Aufsicht eines anderen Organs dieser Gesellschaft ausüben, als Gegenleistung für ihre Tätigkeit eine Vergütung erhalten und selbst keine Anteile an dieser Gesellschaft besitzen, bei der Erstattung einer Massenentlassungsanzeige als Arbeitnehmer zu berücksichtigen seien. Für den gleichen Personenkreis hatte der EuGH zuvor bereits die in der Richtlinie 92/85/EWG
9.12
1 2 3 4
Vgl. MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 83. So BAG v. 22.2.2005 – 3 AZR 499/03, NZA 2009, 639. Vgl. BAG v. 22.2.1978 – 5 AZR 800/76, DB 1978, 1453. BAG v. 3.6.1975 – 1 ABR 98/74, AP Nr. 1 zu § 5 BetrVG Rotes Kreuz Bl. 3 (Rote-Kreuz-Schwester); BAG v. 8.1.1970 – 3 AZR 436/67, AP Nr. 14 zu § 528 ZPO Bl. 2 (Kommanditist); BAG v. 16.2.1995 – 3 AZR 436/67, EzA § 611 BGB Arbeitnehmerstatus – DDR Nr. 2 S. 3 (LPG Mitglieder); BAG v. 13.6.1996 – 8 AZR 20/94, EzA § 611 BGB Arbeitnehmerstatus – DDR Nr. 3 S. 4 ff. (Genossenschaftsmitglied). 5 EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14 – Balkaya, NZA 2015, 861; EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09 – Danosa, AG 2011, 165; vgl. zur Diskussion Hohenstatt/Naber, EuZA 2016, 22; Klein, AuR 2016, 77; Lunk, NZA 2015, 917; Lunk/Hildebrand, NZA 2016, 129; Weber, NZA 2016, 727, 731.
Richter | 225
§ 9 Rz. 9.12 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
zugrunde gelegten Mutterschutzvorschriften für anwendbar erklärt1. Der EuGH hat in seinen beiden Entscheidungen die Erstreckung des Anwendungsbereichs allerdings aus den Besonderheiten der jeweiligen Normzwecke hergeleitet2 und betont, der europarechtliche Arbeitnehmer- und Beschäftigtenbegriff sei autonom und anhand unionsrechtlicher objektiver Kriterien zu definieren, weshalb es auf die Natur des Beschäftigungsverhältnisses nach nationalem Recht nicht weiter ankäme3. Es ist zu erwarten, dass das BAG die durch den EuGH aufgestellten Grundsätze zur Reichweite und Erstreckung eines europäischen Arbeitnehmerbegriffs auch hinsichtlich anderer nationaler Umsetzungsnormen berücksichtigen wird. Es spricht dabei allerdings auch viel dafür, dass sich Änderungen für Organmitglieder im Hinblick auf § 613a BGB und die ihm zugrundeliegende Betriebsübergansrichtlinie nicht ergeben werden. Das gilt schon deshalb, als Art. 2 Abs. 1 Buchst. D Richtlinie 2001/23/EG für den Geltungsbereich ausdrücklich auf die jeweiligen nationalen Arbeitnehmerbegriffe verweist und somit gerade nicht auf den unionsrechtlichen Arbeitnehmer- und Beschäftigtenbegriff abstellt. Insoweit wurde bewusst auf eine Harmonisierung durch das Unionsrecht verzichtet4. Jedenfalls im Anwendungsbereich des § 613a BGB scheidet eine Erstreckung des Arbeitnehmerbegriffs auf Organmitglieder, insbesondere Fremdgeschäftsführer weiterhin aus.
9.13
Ebenso wenig in den Anwendungsbereich von § 613a BGB fallen (echte) freie Mitarbeiter5, Handelsvertreter6, Heimarbeiter7 sowie arbeitnehmerähnliche Personen i.S.d. § 12a TVG (z.B. freie Journalisten, Schriftsteller, Künstler)8, soweit es sich bei ihnen nicht um Scheinselbstständige handelt. Maßstab für die Abgrenzung sind allerdings nicht sozialversicherungsrechtliche Faktoren9, sondern die in Anlehnung an § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB entwickelten10 und nunmehr in § 611 a BGB n.F. weitestgehend kodifizierten Kriterien.
1 EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09 – Danosa, AG 2011, 165. 2 EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14 – Balkaya, NZA 2015, 861; EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09 – Danosa, AG 2011, 165. 3 So für den Fall der Massenentlassungsanzeige EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, NZA 2015, 861 Rz. 34 ff. 4 Grau/Hartmann in Preis/Sagan, Europäisches Arbeitsrecht, Rz. 15.56. 5 BAG v. 13.2.2003 – 8 AZR 59/02, NZA 2003, 854; LAG Köln v. 10.9.1998 – 11 Sa 46/98, n.v., das in seiner Entscheidung allerdings hätte überprüfen müssen, ob die konkrete Vertragsbeziehung tatsächlich als freies Mitarbeiterverhältnis, nicht als Arbeitsverhältnis anzusehen war; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 67; KassHdb/Hattesen, Teil 1.7 Rz. 89. 6 Vgl. BGH v. 12.11.1962 – 7 ZR 223/61, NJW 1963, 101; MünchKommHGB/Ströbl, § 89b HGB Rz. 48; Staub/Emde, § 89b HGB Rz. 47; Oberthür/Lohr, NZA 2001, 126, 130. 7 BAG v. 3.7.1980 – 3 AZR 1077/78, BB 1981, 1466 f.; BAG v. 24.3.1998 – 9 AZR 218/97, NZA 1998, 1001 ff., das allerdings offengelassen hat, ob an dieser Ausgrenzung auch dann festzuhalten sei, wenn durch den fehlenden Übergang der Heimarbeiter die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats beim übernehmenden Rechtsträger, dessen Zuständigkeit sich gemäß § 6 BetrVG auch auf die in Heimarbeit Beschäftigten erstrecken kann, beeinträchtigt werden kann; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 67; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 23; Lepke, BB 1979, 526, 529 f. 8 MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 80; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 67; Däubler/Deinert/Zwanziger/Zwanziger, § 613a BGB Rz. 14, der eine analoge Anwendbarkeit befürwortet. 9 BAG v. 15.12.1999 – 5 AZR 3/99, NZA 2000, 534, 536; § 7 Abs. 4 SGB IV hatte noch in der Fassung bis zum 31.12.2002 einen Vermutungstatbestand für eine abhängige Beschäftigung enthalten, der auf einen Katalog sozialversicherungsrechtlich, aber nicht arbeitsrechtlich maßgeblicher Kriterien aufsetzte. 10 Vgl. BAG v. 6.5.1998 – 5 AZR 612/97, EzA § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff Nr. 68 S. 2; BAG v. 15.12.1999 – 5 AZR 3/99, NZA 2000, 534, 536; BAG v. 15.12.1999 – 770/98, NZA 2000, 481, 482 f.; BAG v. 15.12.1999 – 5 AZR 566/98, NZA 2000, 447.
226 | Richter
Arbeitgeberwechsel, Zeitpunkt und erfasste Arbeitsverhältnisse | Rz. 9.19 § 9
Inwiefern Leiharbeitsverhältnisse von § 613a BGB erfasst werden, richtet sich spätestens seit der Albron-Entscheidung1 des EuGH zu sog. „Konzernleiharbeitsverhältnissen“ danach, welches Konzept der Arbeitnehmerüberlassung zugrunde liegt.
9.14
Für Fälle der „ständigen“ Arbeitnehmerüberlassung innerhalb eines Konzerns kann entsprechend der EuGH-Rechtsprechung als „Veräußerer“ i.S.d. Art. 2 der Richtlinie 2001/23/EG auch das Konzernunternehmen („faktischer Arbeitgeber“) angesehen werden, zu dem die Arbeitnehmer ständig abgestellt waren, ohne jedoch mit diesem durch einen Arbeitsvertrag verbunden gewesen zu sein und obwohl es innerhalb des Konzerns ein Unternehmen gibt („formaler Arbeitgeber“), an das die betreffenden Arbeitnehmer durch einen Arbeitsvertrag gebunden waren2. Für diese Sonderkonstellation des dauerhaften Auseinanderfallens von „faktischem“ und „formalem“ Arbeitgeber gehen die Entleiharbeitnehmer mit der Übertragung ihres „faktischen“ Arbeitgebers auf dessen neuen Inhaber über3. Dieses Ergebnis deckt sich auch mit dem Wortlaut in Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG, wonach als gleichwertige Alternativen ein „Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis“ erforderlich und ausreichend sind.
9.15
Von dieser Entscheidung indes weiterhin nicht tangiert werden Fälle gewerblicher Arbeitnehmerüberlassung auf Zeit. Für diese „klassischen“ Leiharbeitsverhältnisse gilt auch nach der Albron-Entscheidung, dass sie von einem Betriebsübergang nach § 613a BGB nur betroffen sind, soweit der Verleihbetrieb und nicht der Entleihbetrieb auf einen anderen Inhaber übergeht4. Etwas anderes gilt nur dann, sofern ausnahmsweise (auch) ein Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG zum entleihenden Betrieb besteht5.
9.16
In gleicher Weise werden Personen aus dem Anwendungsbereich von § 613a BGB ausgegrenzt, die im Anschluss an eine Langzeiterkrankung ausschließlich in einem Wiedereingliederungsverhältnis gemäß § 74 SGB V zum übertragenden Rechtsträger stehen. Hierbei handelt es sich um ein Rechtsverhältnis eigener Art (§ 311 Abs. 1 BGB), das ohne entsprechende Vereinbarung weder ein neues noch eine Variante des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses darstellt6.
9.17
Welche Besonderheiten für Beamte für den Fall der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen gelten, wird nachfolgend nicht behandelt7.
9.18
2. Bewusste Zuordnung von Arbeitsverhältnissen Die soeben beschriebenen, dem Grunde nach unter § 613a BGB zu subsumierenden Arbeitsverhältnisse müssen im Zeitpunkt des Betriebsübergangs indes nicht nur bestehen, sondern auch dem vom Übergang betroffenen Betrieb oder Betriebsteil zugeordnet sein. Die Beurtei1 EuGH v. 21.10.2010 – C-242/09 – Albron, EuZW 2011, 72. 2 EuGH v. 21.10.2010 – C-242/09 – Albron, EuZW 2011, 72. 3 EuGH v. 21.10.2010 – C-242/09 – Albron, EuZW 2011, 72; so auch Kühn, NJW 2011, 1408; Forst, RdA 2011, 228; mit Zurechnung der Veräußerung zum Verleiher Willemsen, NJW 2011, 1546, 1548; Mückl, DB 2015, 2695, 2696. 4 Erfk/Preis, § 613a BGB Rz. 67; Willemsen, NJW 2011, 1546, 1549 ff.; Mückl, DB 2015, 2695, 2696. 5 Erfk/Preis, § 613a BGB Rz. 67; von Hoyningen-Huene/Windbichler, RdA 1977, 329, 334; Seiter, Betriebsinhaberwechsel, S. 58; zum Eintritt der Fiktion nach einem Betriebsübergang Greiner, RdA 2014, 262, 268 ff. 6 BAG v. 29.1.1992 – 5 AZR 37/91, AP Nr. 1 zu § 74 SGB V Bl. 2; BAG v. 28.7.1999 – 4 AZR 192/98, NZA 1999, 1295. 7 Hierzu vgl. Trümner, PersR 1993, 473, 474 f., 477 f.; Steuck, NJW 1995, 2887, 2891 f.
Richter | 227
9.19
§ 9 Rz. 9.19 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
lung, welcher Arbeitnehmer welcher betrieblichen Einheit zugeordnet ist, wird regelmäßig bedeutsam, wenn nicht der Betrieb als Ganzes, sondern lediglich ein Betriebsteil übertragen wird, und z.B. sog. „Springerarbeitsverhältnisse“, Arbeitnehmer mit überbetrieblicher Leitungsfunktion und Arbeitnehmer, die in Stabs- oder Querschnittsbereichen eingesetzt werden, betroffen sind.
9.20
Bestehen Zweifel, welchem Betrieb oder Betriebsteil der jeweilige Arbeitnehmer zuzuordnen ist, kommt es nach bisheriger Rechtsprechung des BAG auf den Willen der Arbeitsvertragsparteien an1. Ist ein solcher ausdrückliche oder konkludente Wille nicht vorhanden oder ermittelbar, so hat eine ausdrückliche oder konkludente Zuordnung grundsätzlich durch den Veräußerer als Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts aus § 106 GewO zu erfolgen2.
9.21
Für die Zuordnung des Arbeitnehmers ist entscheidend, ob er in den übergegangenen Betrieb oder Betriebsteil tatsächlich eingegliedert war. Nicht ausreichend ist folglich, dass der Arbeitnehmer Tätigkeiten für den übertragenen Betrieb oder Betriebsteil verrichtet hat, ohne in dessen Struktur eingebunden gewesen zu sein. Maßgeblich ist insoweit, in welchem Betriebsteil der Arbeitnehmer vor der (Teil-) Betriebsveräußerung überwiegend tätig war. Es kommt demgemäß auf den Schwerpunkt der Tätigkeit an. Der Schwerpunkt kann, bei Zuordnung des Arbeitnehmers zu zwei Betrieben oder Betriebsteilen, nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anhand der Arbeitszeiten für den einen und den anderen Betriebsteil sowie anhand des überwiegenden Arbeitsorts festgestellt werden. Praktische und rechtliche Schwierigkeiten können im Rahmen eines Betriebsübergangs nach § 613a BGB entstehen, wenn Arbeitnehmer betroffen sind, die in zentralen Unternehmensbereichen tätig sind und damit sog. „Overheadpositionen“ ausüben oder es sich um Arbeitnehmer handelt, deren Arbeitsverhältnis nach Maßgabe der vorstehend skizierten Maßstäbe im Ergebnis tatsächlich zwei wirtschaftlichen Einheiten zugeordnet ist3. In diesen Konstellationen wird nun auf nationalrechtlicher Ebene die Frage zu beantworten sein, ob das Arbeitsverhältnis insofern aufzuspalten ist, dass es anteilig auf die unterschiedlichen Erwerber der jeweiligen wirtschaftlichen Einheiten, denen das Arbeitsverhältnis anteilig zugeordnet war, übergeht. Im Hinblick auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern in den beschriebenen Doppelpositionen auf unterschiedliche Erwerber der jeweiligen wirtschaftlichen Einheiten übergehen, hat der EuGH mit rechtlich wenig überzeugender Begründung erstmals in seinem Urteil im Rechtsstreit ISS Facility Services NV/Govaerts4 den Übergang eines Arbeitsverhältnisses in Teilen bejaht. Hiernach soll ein Doppelpositionsarbeitsverhältnis bei einem Übergang der betroffenen Betriebsteile auf verschiedene Erwerber in mehrere Teilzeitarbeitsverhältnisse entsprechend der vom betreffenden Arbeitnehmer wahrgenommenen Aufgaben aufgespalten werden und in dieser Form dann auf den jeweiligen Betriebserwerber übergehen. Das wiederum soll – so der EuGH – aber nur gelten, wenn die Aufspaltung des Arbeitsvertrags denn möglich ist, keine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für den Arbeitnehmer eintreten und die in der Richtlinie 2001/23/EG garantierten Ansprüche gewahrt
1 BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, BB 2013, 1853; BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11, BB 2012, 3144. 2 Vgl. BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, BB 2013, 1853; BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 398/04, BAGE 114, 374. 3 Löw/Stolzenberg, NZW 2020, 1279. 4 EuGH v. 26.3.2020 – C-344/18 (Govaerts ./. ISS), AP RL 2001/23/EG Nr. 25; anders noch: EuGH v. 12.11.1992 – C-209/91 – Watsen Rask, NZA 1995, 475 (Ls.) Rz. 16; EUGH v. 7.2.1985 – 186/83 – Botzen, BeckRS 2004, 72088.
228 | Richter
Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.23 § 9
werden1. Schon diese Einschränkungen zeigen, dass eine solche anteilige Übertragung eines Arbeitsverhältnisses auf verschiedene Arbeitgeber nicht platzgreifen kann, denn sie werden stets mit einer Verschlechterung – tatsächlich oder rechtlich – aufgrund des Umstandes verbunden sein. Vor allem aber wird es sich in der Mehrzahl solcher Konstellationen bei den verschiedenen Erwerbern um Konkurrenzunternehmen handeln, mit der Folge, dass der Arbeitnehmer durch die Aufspaltung seines Arbeitsverhältnisses und die Zuweisung zu verschiedenen Wettbewerbern von der ersten Sekunde an in die Verletzung des jedem Arbeitsverhältnisses immanenten Wettbewerbsverbots drängen würde. Völlig zu übersehen scheint der EuGH zudem, dass er mit seiner Entscheidung dem Arbeitnehmer die Möglichkeit nimmt, künftig – und wie nach bisheriger Rechtsprechung – für einen der beteiligten Wettbewerber im bisherigen Umfang tätig zu werden. Denn er mag dem Übergang des einen Teils seines Arbeitsverhältnisses auf den „unerwünschten“ neuen Arbeitgeber widersprechen; dieser Teil seines Arbeitsverhältnisses fällt dann aber zurück zum bisherigen Arbeitgeber, nicht hingegen zu dem anderen Arbeitgeber. Überdies übersieht der EuGH, dass die Richtlinie 2001/23/EG nicht Übertragung eines Arbeitsverhältnisses anordnet, nicht hingegen die Spaltung und Schaffung von zwei Arbeitsverhältnissen vorsieht. Die Liste der Argumente, die gegen dieses jüngste Urteil des EuGH sprechen, ließe sich noch umfänglich fortsetzen2. Insgesamt bleibt daher die Hoffnung, dass der EuGH sein Fehlurteil alsbald korrigiert, sobald er die Möglichkeit hierzu erhält. Es steht zudem zu erwarten, dass seine Rechtsprechung bis dahin in Deutschland keine große Relevanz zukommen wird, denn typischerweise sind Arbeitsverhältnisse in Deutschland individualrechtlich einer wirtschaftlichen Einheit zugewiesen.
B. Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB Ist ein Arbeitsverhältnis nach § 613a BGB übergegangen und der Erwerber in das Arbeitsverhältnis mit den vom Übergang betroffenen Arbeitnehmern eingetreten, stellt sich die Folgefrage nach den Auswirkungen auf die individualrechtlichen Rechtspositionen der betroffenen Arbeitnehmer. Dieser wird im Folgenden nachgegangen.
9.22
Sollten sich im Einzelfall Besonderheiten aus dem Umstand ergeben, dass der Übertragung eine Umwandlung i.S. des UmwG zugrunde liegt, wird hierauf im Grundsatz nachstehend gesondert eingegangen (vgl. Rz. 10.169 ff.). Vorab sollen an dieser Stelle aber wesentliche Grundsätze der Nachhaftung des übertragenden Rechtsträgers dargestellt werden: Vollzieht sich der Betriebsübergang im Wege einer Umwandlung nach dem UmwG und existieren die an der Umwandlung beteiligten Rechtsträger auch nach dem Umwandlungsvorgang fort, verdrängen nach h.M. die im Vergleich zu § 613a Abs. 2 BGB strengeren und weitergehenden Sonderregelungen der §§ 133, 134 UmwG für die Nachhaftung des übertragenden Rechtsträgers eben die allgemeine Regelung des § 613a Abs. 2 BGB3. So haftet der übertragende Rechtsträger nach § 133 Abs. 3 und 4 UmwG auch für solche Verbindlichkeiten, die ihm zwar im Umwandlungsvertrag nicht zugewiesen wurden, die aber vor der Umwandlung entstanden sind und innerhalb von fünf Jahren nach der Umwandlung (Spaltung oder Ausgliederung) fällig werden. Im Vergleich sieht § 613a Abs. 2 BGB „nur“ eine zeitlich begrenztere Nachhaftung für Verbindlichkeiten vor, die innerhalb von zwei Jahren nach dem Betriebsübergang fällig werden. Grün-
9.23
1 EuGH v. 26.3.2020 – C-344/18 (Govaerts ./. ISS), AP RL 2001/23/EG Nr. 25. 2 Siehe hierzu auch: Löw/Stolzenberg, NZW 2020, 1279, 1281. 3 Vgl. Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 349 m.w.N.; WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 205 m.w.N.
Richter | 229
§ 9 Rz. 9.23 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
de, warum Arbeitnehmer mit ihren Forderungen nicht wie jeder andere Gläubiger auch in den Genuss einer längeren Nachhaftung nach § 133 Abs. 3 und 4 UmwG kommen sollen, bestehen insoweit nicht. Erlischt der übertragende Rechtsträger im Zuge der Umwandlung (z.B. durch Verschmelzung nach den §§ 2 ff. UmwG), kommt eine Nachhaftung dieses Rechtsträgers naturgemäß nicht in Betracht. Insofern kommt § 613a Abs. 3 BGB lediglich klarstellende Wirkung zu, ohne dass es einer solchen bedürfte. Erlischt indes eine Personengesellschaft, weil sie auf eine Kapitalgesellschaft verschmolzen wird, ordnet § 45 UmwG eine Nachhaftung der persönlich haftenden Gesellschafter für solche Forderungen an, die vor der Verschmelzung entstanden und innerhalb von fünf Jahren danach fällig werden. Darüber hinaus können Gläubiger des übertragenden und übernehmenden Rechtsträgers nach § 22 UmwG, unter dort näher beschriebenen Voraussetzungen, Sicherheitsleistungen für vor der Verschmelzung entstandene Forderungen verlangen1.
I. Grundsätze 9.24
Auf Rechtsfolgenseite ordnet § 613a BGB im Wege der Sonderrechtsnachfolge kraft Gesetzes den vollständigen Austausch der Vertragsparteien auf Arbeitgeberseite an. Etwaige in der Praxis häufig zu findende Neuabschlüsse der (bestehenden) Arbeitsverträge haben daher allenfalls deklaratorische Wirkung2. Das ursprüngliche Arbeitsverhältnis zwischen dem Veräußerer als Arbeitgeber und dem jeweiligen Arbeitnehmer bleibt mithin grundsätzlich zu den gleichen Bedingungen bei dem Betriebserwerber bestehen. Etwas anderes ergibt sich lediglich für den Fall, dass der Arbeitnehmer entsprechend § 613a Abs. 6 BGB dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses innerhalb der angeordneten Frist widerspricht.
1. Besitzstandswahrung 9.25
§ 613a BGB bildet die zentrale Norm vor allem der individual-arbeitsrechtlichen Besitzstandswahrung. Sie schützt den Arbeitnehmer vor Schlechterstellung aufgrund eines Betriebsübergangs und dem damit verbundenen Arbeitgeberwechsel. Grundsätzlich sollen alle arbeitnehmerseitigen Interessen, insbesondere das Interesse am Erhalt des Arbeitsplatzes und der seinem bisherigen Arbeitgeber gegenüber bestehenden Ansprüche (z.B. ein der Höhe nach gleicher Gehaltsanspruch) im Falle eines Betriebsübergangs gewahrt bleiben3. Stehen die übernommenen Arbeitnehmer durch die Übernahme ihrer bisherigen Rechte und Ansprüche günstiger als die bereits beim Erwerber vorhandene Belegschaft, bleibt dieser Status selbstredend bestehen. Insbesondere bleibt es dem Erwerber verwehrt, unter dem Hinweis auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz eine Anpassung der Konditionen zu Lasten der übernommenen Arbeitnehmer zum Zwecke der Angleichung anzuordnen. Um eine solche für die übergehenden Arbeitnehmer verschlechternde Gleichstellung zu bewirken, bleibt dem Erwerber auf individualvertraglicher Ebene nur der Weg über eine vertragliche Vereinbarung mit dem jeweils übernommenen Arbeitnehmer oder – soweit hierfür die rechtlichen Voraussetzungen im Übrigen gegeben sein sollten – der Ausspruch einer Änderungskündigung4. Umgekehrt ist der Erwerber aber auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz ge1 Vgl. zu Schwierigkeiten mit Forderungen aus betrieblicher Altersversorgung z. B. WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 207. 2 Vgl. WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 122; zu abändernden vertraglichen Vereinbarungen siehe Rz. 9.167 ff. 3 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 2. 4 BAG v. 6.12.1978 – 5 AZR 545/77, DB 1979, 896; nach EuGH v. 14.9.2000 – C-343/98, EAS RL 77/ 187/EWG Art. 1 Nr. 20 S. 12 f. lässt dies auch RL 2001/23/EG zu.
230 | Richter
Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.28 § 9
halten, die Konditionen der bis dato beschäftigten Arbeitnehmer an die besseren Konditionen der neu hinzugekommenen Arbeitnehmer anzugleichen1.
2. Keine Verpflichtung zur Angleichung Der Besitzstandsschutz nach § 613a BGB schützt den Arbeitsplatz in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung, dient also der Sicherung des „Status quo“ des Arbeitnehmers für die Zukunft nach Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber2. § 613a BGB gewährt dem Arbeitnehmer demgegenüber keine weitergehenden Ansprüche oder Rechte gegen den in das Arbeitsverhältnis eintretenden Erwerber. Dementsprechend ist der Erwerber nicht dazu verpflichtet, die unverändert zu übernehmenden Arbeitsverhältnisse an die bereits im übernehmenden Betrieb bestehenden und ggf. für die Altarbeitnehmer günstigeren (z.B. höhere Arbeitsvergütung, günstigerer Freizeitausgleich, zeitlicher Umfang der Arbeitspflicht etc.) vertraglichen Regelungen anzupassen3.
9.26
3. Relevanz der jeweiligen Anspruchsgrundlage Der Eintritt in bestehende Arbeitsverhältnisse gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB betrifft alle individualvertraglich im Arbeitsverhältnis begründeten Rechte und Pflichten. Zum Begriff des Arbeitsverhältnisses und der damit verbundenen Kennzeichnung des persönlichen Geltungsbereichs von § 613a BGB vergleiche die Ausführungen unter Rz. 9.6 ff. Der Begriff des Arbeitsverhältnisses geht dabei über den des formellen Arbeitsvertrags hinaus4. Erfasst werden der Arbeitsvertrag nebst ergänzenden Vereinbarungen sowie arbeitsvertragliche Einheitsregelungen5, Gesamtzusagen6 und Ansprüche aufgrund beim Veräußerer bestehender betrieblicher Übung7.
9.27
Befindet sich eine betriebliche Übung noch im Stadium ihrer Entstehung, tritt der Erwerber auch in diesen tatsächlichen Zustand ein8. Allerdings kann der Erwerber – angelehnt an die vom BAG entwickelten Grundsätze9 – die Entstehung der dann anspruchsbegründenden betrieblichen Übung durch entsprechende gegenläufige Handhabung nach dem Eintritt in die Arbeitsverhältnisse naturgemäß noch vermeiden. Gegenüber Arbeitnehmern, die erst im An-
9.28
1 BAG v. 21.1.2010 – 6 AZR 449/09, NZA 2010, 600; BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 517/04, NZA 2006, 265; BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 517/04, BB 2006, 440; BAG v. 29.8.2001 – 4 AZR 352/00, NZA 2002, 863. 2 Vgl. BAG v. 25.8.1976 – 5 AZR 788/75, DB 1977, 358. 3 BAG v. 21.1.2010 – 6 AZR 449/09, NZA 2010, 600; BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 517/04, NZA 2006, 265; BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 517/04, BB 2006, 440; BAG v. 12.9.2013 – 6 AZR 512/12, NZA-RR 2014, 154 Rz. 154 ff. 4 Becker-Schaffner, BlStSozArbR 1975, 305, 307; Bossmann, Auswirkungen des Betriebsübergangs, S. 151. 5 Vgl. Heinze, Festschrift Uhlenbruck, S. 751, 757; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 233. 6 Vgl. BAG v. 18.4.2012 – 10 AZR 47/11, NZA 2012, 791 Rz. 18; BAG v. 4.6.2008 – 4 AZR 421/07, NZA 2008, 1360. 7 Vgl. BAG v. 19.9.2007 – 4 AZR 711/06, NZA 2008, 241; BAG v. 3.11.2004 – 5 AZR 73/04, BeckRS 2004 30345778; BAG v. 19.6.1980 – 3 AZR 958/79, AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG Wartezeit Bl. 2 f.; D. Gaul, BuV 1972, 181, 185 f.; von Hoyningen-Huene/Windbichler, RdA 1977, 329, 335; Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 61. 8 Vgl. hierzu BAG v. 19.9.2007 – 4 AZR 711/06, NZA 2008, 241. 9 Vgl. zur Beseitigung eines Anspruchs auf laufende Zuwendungen auch LAG Hamm v. 16.8.2000 – 18 Sa 64/00, n.v.; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 74.
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§ 9 Rz. 9.28 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
schluss an den Betriebsübergang eingestellt werden oder bereits zum Zeitpunkt bei dem Erwerber beschäftigt waren, kann der Erwerber das Entstehen von Ansprüchen aus betrieblicher Übung ohnehin durch eine entsprechende Erklärung ihnen gegenüber verhindern1. Ansprüche dieser Arbeitnehmer auf Einbeziehung in eine entsprechende beim Erwerber fortgesetzte betriebliche Übung können auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz hergeleitet werden. Anderes gilt selbstverständlich, wenn der Arbeitgeber die betriebliche Übung auf Teile der zuvor bereits Beschäftigten oder neu eingestellten Arbeitnehmer erstreckt, auf andere hingegen nicht. Ebenso kann der übernehmende Rechtsträger hinsichtlich einer bei ihm zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden betrieblichen Übung bezogen auf die übergehenden Arbeitnehmer differenzieren. Diese haben grundsätzlich ebenfalls keinen Anspruch auf Einbeziehung auf eine für Sie günstige betriebliche Übung und zwar weder aus § 613a BGB, der der Besitzstandswahrung dient und nicht zu einer Anpassung „nach oben“ verpflichtet, noch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz2. Einer gesonderten Erklärung bedarf es nach der aktuellen Rechtsprechung insoweit nicht3. Auch nach längerer Zeit schuldet der Betriebserwerber keine Angleichung der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen4. Anderes gilt, wenn der Arbeitgeber neue Vergütungsstrukturen schafft oder freiwillig Lohnerhöhungen gewährt. In diesen Konstellationen kommt der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz wieder zum Tragen5.
9.29
Soweit Ansprüche für das übergehende Arbeitsverhältnis in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen, einem Sozialplan oder sonstigen Kollektivvereinbarungen (z.B. Richtlinie mit dem Sprecherausschuss) begründet sind, bestimmt sich deren Fortgeltung für den Fall der Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils auf einen anderen Rechtsträger vorrangig nach den allgemeinen kollektivrechtlichen Grundsätzen für die Geltung kollektivrechtlicher Regelungen, in Ermangelung einer kollektivrechtlichen Fortgeltung nach § 613a Abs. 1 Satz 2–4 BGB. Auf die sich daraus ergebenden, teils komplexen Fragestellungen wird – auch in der Abgrenzung zur Regelungsabrede – an anderer Stelle eingegangen (vgl. Rz. 23.1 ff.).
9.30
Maßgeblicher Bezugspunkt für die Besitzstandswahrung ist wiederum der Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Übergangs des Arbeitsverhältnisses. Der zu diesem Zeitpunkt bestehende Besitzstand soll geschützt werden. Nach diesem Zeitpunkt können Änderungen nur noch im Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und übernehmendem Rechtsträger bewirkt werden.
II. Fortschreibung der Betriebszugehörigkeit 9.31
Zwar handelt es sich bei der Betriebszugehörigkeit nicht um ein übergehendes Recht des Arbeitnehmers i.S.d. § 613a BGB6. Aus dem in § 613a BGB angelegten Besitzstandsschutz folgt indes, dass die bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses beim übertragenden Rechtsträger erwiesene Betriebszugehörigkeit auch gegenüber dem übernehmenden Rechtsträger zu berücksichtigen bleibt, soweit die Dauer der Betriebszugehörigkeit für die Ausübung von Rech-
1 Vgl. BAG v. 14.11.2001 – 10 AZR 152/01, NZA 2002, 527. 2 BAG v. 25.8.1976 – 5 AZR 788/75, DB 1977, 358; BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 517/04, NZA 2006, 265; BAG v. 21.1.2010 – 6 AZR 449/09, NZA 2010, 600. 3 BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 517/04, NZA 2006, 265; BAG v. 21.1.2010 – 6 AZR 449/09, NZA 2010, 600. 4 BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 517/04, NZA 2006, 265; BAG v. 21.1.2010 – 6 AZR 449/09, NZA 2010, 600. 5 BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 517/04, NZA 2006, 265. 6 Vgl. BAG v. 26.9.2007 – 10 AZR 657/06, NZA 2007, 1426.
232 | Richter
Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.33 § 9
ten und Pflichten tatbestandlich von Bedeutung ist1. Dies gilt auch für alle Zeiten, die beim übertragenden Rechtsträger kraft Gesetzes (z.B. für Mutterschutzzeit nach § 10 Abs. 2 MuSchG oder für Altfälle von Wehr- oder Ersatzdienst oder Zivildienst gemäß § 6 Abs. 2 ArbPlSchG, § 78 Abs. 1 Nr. 1 ZDG) oder kraft Zusage des früheren Arbeitgebers wie Betriebszugehörigkeit zu behandeln waren2. Im Zusammenhang mit der Fortschreibung der Betriebszugehörigkeit bei fortwirkenden Tarifregelungen hat der EuGH mit seiner Entscheidung aus dem Jahr 2014 in Sachen Scattolon3 eine erhebliche wissenschaftliche Diskussion ausgelöst. Der Entscheidung lag der – insoweit besonders gelagerte – Sachverhalt zu Grunde, dass eine Arbeitnehmerin aufgrund eines gesetzlich angeordneten Übergangs auf den Staat erhebliche Entgelteinbußen hinnehmen musste, weil ihre abgeleisteten Dienstjahre beim übertragenden Rechtsträger infolge der beim Erwerber auf Basis eines nunmehr einschlägigen Tarifvertrags vorzunehmenden Eingruppierung nicht vollumfänglich berücksichtigt wurden. Der EuGH ist der Ansicht, dass es die § 613a BGB zugrundeliegende Richtlinie 2001/23/EG nicht zulässt, dass Arbeitnehmer „erhebliche Kürzungen“ von Leistungen, insbesondere ihres Arbeitsentgelts im Vergleich zu ihrer Lage unmittelbar vor dem Übergang deswegen hinnehmen müssen, weil ihre Betriebszugehörigkeit, die sie sich beim Veräußerer erdient haben, bei der Bestimmung ihres Entgeltanspruchs beim Erwerber nicht berücksichtigt werden. Dies solle auch dann gelten, wenn die Aussparung der Betriebszugehörigkeitszeiten auf kollektivrechtlichen Regelungen beruht. Ziel der Richtlinie sei es, zu verhindern, dass sich die Lage der übergegangenen Arbeitnehmer „allein aufgrund des Betriebsübergangs“ nachteilig verändert. Die Entscheidung wirft indes im Hinblick auf ihre Reichweite zahlreiche Fragen auf. So bleibt offen, inwieweit der EuGH ein absolutes Verschlechterungsverbot bei kollektivrechtlicher Ablösung tatsächlich annehmen möchte4. Mehr spricht insbesondere unter Berücksichtigung des im kollektiven Arbeitsrecht allgemein anerkannten Ablösungsprinzips allerdings dafür, dass sich die vom EuGH mit der Scattolon-Entscheidung aufgestellten Einschränkungen auf die Fälle erheblicher Entgeltkürzungen infolge der mit einer Ablösung verbundenen eingeschränkten Berücksichtigung von Dienstjahren beschränken.
9.32
Für die Entgeltberechnung (z.B. für Beschäftigungsjahressprünge5 und sonstige Lohnerhöhungen6 oder für den Anspruch auf besondere Zulagen7) ist die Betriebszugehörigkeit vom Erwerber zu berücksichtigen, soweit sich dies aus dem Inhalt des übergehenden Arbeitsverhältnisses ergibt8 und die Zeiten der Betriebszugehörigkeit bereits beim Veräußerer gewirkt haben9. Dementsprechend sind für eine Jubiläumszusage Zeiten der Betriebszugehörigkeit beim Veräußerer dem Erwerber nur dann zuzurechnen, wenn die Jubiläumszusage nicht erst-
9.33
1 2 3 4
5 6 7 8 9
Siehe bereits BAG v. 25.8.1976 – 5 AZR 788/75, DB 1977, 358. Vgl. EuGH v. 14.9.2000 – C-343/98, EAS RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 20 S. 12 f. EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10 – Scattolon, EuZW 2011, 798. Vgl. zur Diskussion Winter, RdA 2013, 36, 38; Sittard/Flockenhaus, NZA 2013, 652, 654 f.; Willemsen, RdA 2012, 291, 302; für ein solches Verbot Sagan, EuZA 2012, 247, 252; kritisch Leder/Rodenbusch, EWiR 2011, 737; von Steinau-Steinrück, NJW-Spezial 2012, 434, 435; Steffan, NZA 2012, 473, 476. Bieback, ZTR 1998, 396, 398. EuGH v. 14.9.2000 – C-343/98, EAS RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 20 S. 12 f. Vgl. WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 170. EuGH v. 14.9.2000 – C-343/98, EAS RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 20 S. 12 f. BAG v. 19.9.2007 – 4 AZR 601/06, NZA 2008, 1264 hinsichtlich des Wechsels des Vergütungssystems; BAG v. 17.10.2007 – 4 AZR 1005/06, NZA 2008, 713 hinsichtlich der Auslegung eines Tarifvertrags.
Richter | 233
§ 9 Rz. 9.33 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
malig vom Erwerber, sondern auch bereits vom Veräußerer gewährt wurde1. Auch wenn der übernehmende Rechtsträger im Anschluss an den Übergang von Arbeitsverhältnissen innerhalb seines Betriebs oder Unternehmens neue betriebliche Regelungen schafft, insbesondere Leistungen (Vorruhestandsleistungen oder sonstige Zuwendungen) zusagt, ist er grundsätzlich berechtigt, hinsichtlich der Betriebszugehörigkeit nur die Dauer des mit ihm bestehenden Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen2. Für Regelungen in Sozialplänen, insbesondere zu Sozialplanabfindungen, steht dem übernehmenden Rechtsträger und dem betrieblichen Sozialpartner frei, in der Vereinbarung vorzusehen, dass die bei einem Rechtsvorgänger erbrachte Betriebszugehörigkeit unberücksichtigt bleibt (vgl. Rz. 25.327). Entsprechendes gilt für sonstige Zuwendungen und Vorruhestandsleistungen, die auf individual- oder kollektivrechtlicher Ebene erstmals zugesagt werden3.
9.34
Im Krankheitsfall ist die beim übertragenden Rechtsträger verbrachte Betriebszugehörigkeit z.B. bei der Wartezeit nach § 3 Abs. 1 EFZG oder einem Anspruch auf Zuschuss zum Krankengeld, soweit dieser an die Betriebszugehörigkeit anknüpft, zu berücksichtigen.
9.35
Auch hinsichtlich des Erwerbs einer unverfallbaren Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung wird die Betriebszugehörigkeit beim Veräußerer im Rahmen von § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG dem Erwerber grundsätzlich – auch wenn erst durch den Erwerber eine Versorgungszusage erfolgt – zugerechnet4. Hier kann der Eintritt in das bestehende Arbeitsverhältnis bewirken, dass die zugunsten eines Arbeitnehmers erdiente Versorgungsanwartschaft bereits nach kurzer Zeit unverfallbar wird (§§ 1b, 30 f. BetrAVG)5. Erteilt der Erwerber erst nach einem Betriebsübergang eine Versorgungszusage, so kann er bei der Aufstellung von Berechnungsregeln die Beschäftigungszeit beim früheren Arbeitgeber als wertbildenden Faktor außer Ansatz lassen (vgl. Rz. 34.109)6.
9.36
Eine Anrechnung der Betriebszugehörigkeit erfolgt auch bei der Berechnung des Anspruchs auf Erholungsurlaub7 und im Bereich des Kündigungsschutzes. Auch hier entfällt z.B. die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG, wenn der Arbeitnehmer beim übertragenden Rechtsträger 1 BAG v. 12.9.2013 – 6 AZR 512/12, NZA-RR 2014, 154 Rz. 42; BAG v. 9.4.2008 – 4 AZR 184/07, BeckRS 2011, 78875 Rz. 27; BAG v. 26.9.2007 – 10 AZR 657/06, NZA 2007, 1426. 2 BAG v. 25.8.1976 – 5 AZR 788/75, DB 1977, 358, 359; BAG v. 30.8.1979 – 3 AZR 58/78, NJW 1980, 416; Schaub, ZIP 1984, 272, 277; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 76. 3 BAG v. 25.8.1976 – 5 AZR 788/75, DB 1977, 358, 359; WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 170. 4 BAG v. 19.4.2005 – 3 AZR 469/04, NZA 2005, 840; BAG v. 19.12.2000 – 3 AZR 451/99, DB 2001, 2407; BAG v. 8.2.1983 – 3 AZR 229/81, AP BGB § 613a Nr. 35. 5 Moll, NJW 1993, 2016, 2018. Soweit das BAG v. 30.8.1979 (3 AZR 58/78, NJW 1980, 416) bereits im Leitsatz die Feststellung getroffen hat, dass der Erwerber eines Betriebs nicht gesetzlich verpflichtet sei, bei der Gewährung und Berechnung von Versorgungsleistungen aufgrund einer eigenen Versorgungszusage diejenigen Beschäftigungszeiten anzurechnen, welche die übernommenen Arbeitnehmer bei dem Veräußerer des Betriebs verbracht haben, ist dies zwar richtig. Man wird im Einzelfall überprüfen müssen, ob der übernehmende Rechtsträger von dieser Befugnis bei der Ausgestaltung der Versorgungszusage auch tatsächlich Gebrauch gemacht hat. Vgl. Hambach, NZA 2000, 291 ff.; Rolfs, NZA-Beil. 2008, 164 ff. 6 Vgl. EuGH v. 14.9.2000 – C-343/98, EAS RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 20 S. 12 f.; BAG v. 19.4.2005 – 3 AZR 469/04, NZA 2005, 840; BAG v. 24.7.2001 – 3 AZR 660/00, NZA 2002, 520; BAG v. 25.8.1976 – 5 AZR 788/75, AP Nr. 41 zu § 242 BGB Gleichbehandlung Bl. 2; MünchKommBGB/ Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 98. 7 LAG Düsseldorf v. 9.11.2000 – 13 Sa 1272/00, LAGE § 613a BGB Nr. 80a; von Hoyningen-Huene/ Windbichler, RdA 1977, 329, 334; Moll, NJW 1993, 2016, 2018.
234 | Richter
Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.38 § 9
bereits mehr als sechs Monate beschäftigt war1. Insoweit kann auch keine kurze Kündigungsfrist wegen „Probezeit“ gemäß § 622 Abs. 3 BGB vereinbart werden. Die Kündigungsfristen bestimmen sich nach der gesamten Betriebszugehörigkeit beim übertragenden und übernehmenden Rechtsträger2. Gegenteilige Vereinbarungen sind unwirksam. Bei der Sozialauswahl ist die beim übertragenden Rechtsträger verbrachte Betriebszugehörigkeit mit zu berücksichtigen. Anzurechnen ist auch eine frühere Betriebszugehörigkeit, die bei einer nur kurzen Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses beim übertragenden Rechtsträger nach allgemeinen Grundsätzen erfolgt ist3. Dies kann sogar für eine vertraglich vereinbarte Anrechnung anderweitiger Zeiten (z.B. Studium) als Betriebszugehörigkeit gelten. Da durch eine solche Vereinbarung die kündigungsrechtliche Position des betroffenen Arbeitnehmers gegebenenfalls zu Lasten anderer Arbeitnehmer im Rahmen der Sozialauswahl verbessert wird, bedarf jedenfalls eine individualvertragliche Vereinbarung stets eines sachlichen Grundes und darf nicht dazu dienen, die Sozialauswahl rechtsmissbräuchlich zu manipulieren4.
III. Eintritt in arbeitsvertragliche Rechte und Pflichten Entscheidend für den Eintritt in individualvertragliche Abreden durch den übernehmenden Rechtsträger ist, ob sie Bestandteil des Arbeitsverhältnisses sind. Die hierzu gehörenden Rechte und Pflichten können über den reinen Arbeitsvertrag hinausgehen. Von entscheidender Bedeutung ist, ob es sich um arbeitsrechtliche oder nichtarbeitsrechtliche Beziehungen handelt. Als arbeitsrechtliche Vertragsbeziehung sind Abreden anzusehen, die unmittelbar einer Konkretisierung der Hauptleistungspflichten aus § 611 BGB dienen, sie also beeinflussen5.
9.37
1. Pflicht zur Arbeitsleistung, Anspruch auf Beschäftigung Mit dem Eintritt in das bestehende Arbeitsverhältnis ist der übernehmende Rechtsträger als Ausfluss des gemäß §§ 242, 611, 613 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG auch im Arbeitsverhältnis zu berücksichtigenden Persönlichkeitsrechts zur Beschäftigung des Arbeitnehmers verpflichtet6. Eine Befreiung von dieser Verpflichtung durch Freistellung des Arbeitnehmers kommt außerhalb vertraglich angelegter Freistellungen (etwa nach Kündigung) nur in Betracht, soweit schützenswerte Interessen des Arbeitgebers konkret durch die Beschäftigung nach dem Betriebsübergang gefährdet wären7. Spiegelbildlich ist der Arbeitnehmer auch nach dem Übergang zur Erbringung seiner Arbeitsleistung verpflichtet. 1 BAG v. 20.2.2014 – 2 AZR 859/11, NZA 2014, 1083; BAG v. 27.6.2002 – 2 AZR 270/01, NZA 2003, 145; BAG v. 8.6.1989 – 2 AZR 656/88, n.v.; von Hoyningen-Huene/Windbichler, RdA 1977, 329, 334. 2 BAG v. 18.9.2003 – 2 AZR 330/02, NZA 2004, 319; LAG Düsseldorf v. 9.11.2000 – 13 Sa 1272/00; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 97. 3 KR/Rachor, § 1 Rz. 106, 115 ff. 4 BAG v. 2.6.2005 – 2 AZR 480/04, NZA 2006, 207; Löwisch/Spinner/Wertheimer, § 1 KSchG Rz. 54; Bayreuther/Linck/Krause, § 1 KSchG Rz. 120; zu Anrechnungsvereinbarungen von Dienstzeiten als Organmitglied LAG Rheinland-Pfalz v. 19.1.2005 – 10 Sa 849/04. 5 Eingehend zur Unterscheidung und den damit verbundenen Folgen vgl. Kania, Nichtarbeitsrechtliche Beziehungen, S. 8 ff. 6 Vgl. BAG v. 10.11.1955 – 2 AZR 591/54, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht Bl. 1; BAG GS v. 27.2.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht Bl. 5 ff.; LAG Hamburg v. 30.9.1994 – 3 Sa 72/94, LAGE § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 39 S. 2 ff.; Kreitner, Kündigungsrechtliche Probleme, S. 124. 7 Vgl. BAG v. 15.6.1972 – 2 AZR 345/71, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 14 S. 60; Stahlhacke/Preis/Vossen/ Preis, Kündigung und Kündigungsschutz, Rz. 717 f., 961 ff.
Richter | 235
9.38
§ 9 Rz. 9.39 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
2. Direktionsrecht/Arbeitsort 9.39
Insbesondere lassen der Betriebsübergang und der damit verbundene Übergang des Arbeitsverhältnisses eine mangels eingetretener Konkretisierung (noch) bestehende Möglichkeit, dem Arbeitnehmer einen anderen Arbeitsort zuzuweisen, unberührt. Ob ein dahingehendes Weisungsrecht besteht, ist vor allem dann von Bedeutung, wenn mit der Übernahme der betrieblichen Einheit eine räumliche Veränderung verbunden ist. Gerade vor diesem Hintergrund ist im Vorfeld einer Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils stets zu prüfen, ob und inwieweit das Direktionsrecht die Zuweisung eines anderen Arbeitsortes zulässt.
9.40
Die Arbeitsleistungspflicht ist in Ermangelung einer arbeitsvertraglichen Reglung grundsätzlich nicht an einen bestimmten Ort geknüpft. Eine Konkretisierung des Arbeitsortes bei fehlender Vereinbarung folgt regelmäßig weder aus dem dauerhaften Einsatz an einem von mehreren Betriebsstandorten1, noch ergibt sie sich aus § 269 Abs. 1 BGB2. Ist der Ort der Arbeitsleistung nicht vertraglich fixiert und ergibt sich auch nicht anderweitig, dass der Arbeitnehmer an einem ganz bestimmten Ort zu beschäftigen ist, ist der Arbeitgeber grundsätzlich im Rahmen seines Direktionsrechts gemäß § 106 Satz 1 GewO3 berechtigt, dem Arbeitnehmer nach billigem Ermessen einen anderen Arbeitsort (auch) nach dem Betriebsübergang zuzuweisen4.
9.41
Enthalten Arbeitsverträge Regelungen zum Direktionsrecht, unterliegen diese prinzipiell der Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB. Geben die Regelungen das gesetzliche Direktionsrecht lediglich wieder (deklaratorische Klauseln) oder konkretisieren es, findet eine AGB-rechtliche Kontrolle nur im Hinblick auf Unklarheiten nach § 305c Abs. 2 BGB und Intransparenz nach § 307 Abs. 3 Satz 2, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, eine inhaltliche Kontrolle hingegen ausschließlich unter Billigkeitsgesichtspunkten nach § 106 Satz 1 GewO5 statt6. Soweit die Regelung über das dem Arbeitgeber kraft Gesetzes zustehende Direktionsrecht hinausgeht, ist eine Inhaltskontrolle nach § 307 Abs.1 Satz 1 BGB durchzuführen7. Eine Kontrolle anhand des § 308 Nr. 4 BGB findet hinsichtlich des Direktionsrechts aus § 106 GewO indes grundsätzlich nicht statt8. Sind die Regelungen wirksam, rückt der übernehmende Rechtsträger gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB uneingeschränkt in die durch die Klausel begründete Direktionsbefugnis mit allen Weiterungen und Einschränkungen ein.
9.42
In Betracht kann im Einzelfall aber eine Anpassung, bei mangelnder Einigung über die Anpassung auch eine Teilkündigung nach den Vorschriften über die Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB kommen. Dies ist dann möglich, wenn die tatsächlichen Gegebenheiten beim übernehmenden Rechtsträger sich derart erheblich ändern, dass mit den sich daraus ergebenden Weiterungen bei Vertragsschluss nicht gerechnet werden konnte. Bezogen 1 Vgl. nur BAG v. 17.8.2011 – 10 AZR 202/10, NZA 2012, 265 Rz. 19; BAG v. 13.6.2012 – 10 AZR 296/11, NZA 2012, 1154 Rz. 24. 2 ErfK/Preis, § 106 GewO Rz. 27 m.w.N.; a.A. LAG Baden-Württemberg v. 10.12.2010 – 18 Sa 33/10, LAGE BGB 2002 § 611 Direktionsrecht Nr. 2. 3 Mit Wirkung ab dem 1.4.2017 in § 611a BGB geregelt. 4 BAG v. 11.4.2006 – 9 AZR 557/05, NZA 2006, 1149; BAG v. 19.1.2011 – 10 AZR 738/09, NZA 2011, 631; zu den Schwierigkeiten der Bestimmung der Reichweite des Weisungsrechts im Einzelfall vgl. ErfK/Preis, § 106 GewO Rz. 8 ff. 5 Mit Wirkung ab dem 1.4.2017 in § 611a BGB geregelt. 6 BAG v. 13.4.2010 – 9 AZR 36/09, AP BGB § 307 Nr. 45; ErfK/Preis, § 310 BGB Rz. 55. 7 BAG, v. 13.3.2007 – 9 AZR 433/06, NJOZ 2008, 3160 Rz. 39 f.; ErfK/Preis, § 310 BGB Rz. 53, 55. 8 BAG, v. 13.3.2007 – 9 AZR 433/06, NJOZ 2008, 3160 Rz. 37; ErfK/Preis, § 310 BGB Rz. 55.
236 | Richter
Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.46 § 9
auf das Direktionsrecht kommt ein Wegfall der Geschäftsgrundlage regelmäßig nicht in Betracht, wenn die Weiterung auch beim bisherigen Arbeitgeber keinen Wegfall der Geschäftsgrundlage dargestellt hätte. Dies sei am Beispiel des arbeitsvertraglich eingeräumten Rechts verdeutlicht, den Arbeitnehmer auch an einem anderen Ort eine vergleichbare Arbeit zuzuweisen. Alleine der Umstand, dass der übernehmende Rechtsträger über weitere, räumlich entfernte Betriebe verfügt, kann nicht dazu führen, dass über § 313 BGB das erweiterte Direktionsrecht wieder einzuschränken ist. Denn auch beim veräußernden Rechtsträger war es im Grundsatz nicht ausgeschlossen, dass dieser nach Zustandekommen des Arbeitsverhältnisses an anderen, räumlich entfernten Orten Betriebe eröffnet und den Arbeitnehmer dorthin versetzt. Deckt das arbeitsvertragliche Weisungsrecht (§ 106 GewO1) eine Veränderung des Arbeitsortes im Einzelfall nicht, bedarf es einer Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer oder einer auf die Ortsveränderung gerichteten Änderungskündigung2, die selbstredend die übrigen Wirksamkeitsvoraussetzungen einer solchen Kündigung erfüllen muss (vgl. Rz. 17.76 ff. und 18.2 ff.).
9.43
3. Laufbahnzusagen, Titel und Funktionsbezeichnungen Zusagen über eine Versetzung, eine Beförderung oder eine Auslandsentsendung binden auch den übernehmenden Rechtsträger. Abweichungen sind folglich, wenn kein wirksamer Widerrufsvorbehalt gegeben ist, nur einvernehmlich oder durch Änderungskündigung durchsetzbar. Reine Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung, die ohne Verbindlichkeit beim übertragenden Rechtsträger in Rede standen, stellen hingegen eine bloße Chance dar und binden den übernehmenden Rechtsträger nicht weiter. Er kann dann frei im Rahmen seiner Personalplanung disponieren.
9.44
Ob bestimmte Titel oder Funktionsbezeichnungen, wie beispielsweise Präsident, Director Human Resources fortgeführt werden, kann der übernehmende Rechtsträger ohne eine Bindung an Entscheidungen des bisherigen Arbeitgebers festlegen. Da solche Funktionsbezeichnungen nicht Inhalt des Arbeitsverhältnisses sind, werden sie von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nicht erfasst3; der übergehende Arbeitnehmer kann die weitere Nutzung der Funktionsbezeichnung nicht verlangen.
9.45
4. Grundentgelt, Sonderzahlungen Lohn, Gehalt, Zulagen und Zuschläge: Lohn- und Gehaltsansprüche, die einzelvertraglich vereinbart wurden, müssen vom übernehmenden Rechtsträger erfüllt werden. Dies gilt auch für Vereinbarungen über ein sogenanntes außertarifliches Gehalt und etwaige Entgeltfortzahlungsansprüche bei Fehlzeiten (z.B. Krankheit, Betriebsratstätigkeit)4. Unerheblich für das Außenverhältnis zum Arbeitnehmer ist dabei, ob ein solcher Anspruch vor oder nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses entstanden oder fällig ist5. Dieser zeitliche Aspekt ist alleine für
1 Mit Wirkung ab dem 1.4.2017 in § 611a BGB geregelt. 2 BAG v. 20.4.1989 – 2 AZR 431/88, AP Nr. 81 zu § 613a BGB Bl. 3; ErfK/Preis, 106 GewO Rz. 27; Hohmeister/Küper, PersR 1997, 89, 90; Hromadka, DB 1995, 1609, 1612; Bieback, ZTR 1998, 396, 398, für den Fall einer Fusion öffentlich-rechtlicher Körperschaften. 3 Bauer/Haußmann/Krieger, Umstrukturierung, Teil 3 A Rz. 71; von Steinau-Steinrück/Thees in Hölters, Unternehmenskauf, Rz. 6.159, 6.182. 4 MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 89. 5 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 73.
Richter | 237
9.46
§ 9 Rz. 9.46 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
die gesamtschuldnerische Haftung des übertragenden Rechtsträgers sowie für die Haftung im Innenverhältnis des bisherigen und des neuen Arbeitgebers von Bedeutung.
9.47
Hat ein (vorübergehendes) Leistungsverweigerungsrecht aus § 7 EFZG bestanden, und ist es durch Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an den bisherigen Betriebsinhaber untergegangen, so lebt es – den vorbeschriebenen Grundsätzen folgend – nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses nicht zugunsten des übernehmenden Rechtsträgers wieder auf1. Der neue Arbeitgeber muss den erfolgten Nachweis gegen sich gelten lassen.
9.48
(Jahres-)Sonderzahlungen: Ansprüche auf Zuschläge und Sonderzahlungen, wie Prämien, Boni, Gratifikationen, Jahressonderzahlungen, Provisionen, 13. Monatseinkommen und Gewinnbeteiligung, die individualrechtlich2 begründet wurden, werden gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB Bestandteil des Arbeitsvertrags zwischen Arbeitnehmer und übernehmendem Rechtsträger. Hiervon ist bei Zuschlägen oder Zulagen jedenfalls immer dann auszugehen, wenn der Arbeitgeber über den Tariflohn hinaus trotz geltender Tarifbindung solche Zuwendungen leistet, ohne sich an die tatbestandlichen Voraussetzungen oder die Höhe der Zuwendungen nach Maßgabe des Tarifvertrags auszurichten3. Folglich haftet der übernehmende Rechtsträger nicht nur für Ansprüche, die erst nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses entstehen oder erarbeitet werden. Dies kann z. B. für eine sog. Weihnachtsgratifikation4 ebenso wie für eine Jubiläumszuwendung gelten.
9.49
Ob eine gesamtschuldnerische Haftung des übertragenden Rechtsträgers gegeben ist, hängt von den Vorgaben in § 613a Abs. 2 BGB, § 133 UmwG ab (vgl. Rz. 12.6 ff.). Bei Jahressonderzahlungen kommt es damit darauf an, ob sie allein arbeitsleistungsbezogen gewährt werden – hier erfolgt eine zeitanteilige Mithaftung, da der Anspruch bei aufgeschobener Fälligkeit fortlaufend entsteht – oder ob sie, insbesondere bei einer Stichtagszahlung, auch an die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt fortbestehende Betriebszugehörigkeit geknüpft sind5. In diesem Fall entsteht der Anspruch auf die Sonderleistung erst mit Erreichen des Stichtags. Wenn dieser nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses liegt, ist eine gesamtschuldnerische Haftung des übertragenden Rechtsträgers im Außenverhältnis ausgeschlossen6. Ein Rückgriff auf den übertragenden Rechtsträger ist für den übernehmenden Rechtsträger in diesem Fall nur möglich, wenn entsprechende Ausgleichsansprüche vereinbart wurden. Dies erfolgt typischerweise in dem der Übertragung zugrundeliegenden (Kauf-)Vertrag. In Umwandlungsfällen wird die Haftung im Innverhältnis von übertragendem und übernehmenden Rechtsträger typischerweise in dem entsprechenden Umwandlungsvertrag geregelt7. Dies gilt nach Maßgabe des BAG auch für die Übernahme eines Betriebs aus der Insolvenz8. Im Außenverhältnis zu den entsprechenden Arbeitnehmern scheidet eine gesamtschuldnerische Haftung nur bei Um1 2 3 4 5 6
7 8
LAG Köln v. 18.7.1997 – 2 Sa 368/97, NZA 1999, 269. Für Leistungen auf kollektivrechtlicher Grundlage siehe unter Rz. 9.29. Vgl. BAG v. 13.1.1993 – 5 AZR 209/92, BeckRS 1993, 30915612. Vgl. BAG v. 11.10.1995 – 10 AZR 984/94, BB 1996, 166 f.; BAG v. 19.3.2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091. Grobys/Panzer/Juli, Arbeitsrecht, Sonderzahlungen Rz. 2 ff., 28. Generell gegen einen Anteiligen Anspruch auf Weihnachtsgeld Grobys/Panzer/Juli, Arbeitsrecht, Sonderzahlungen Rz. 30; abw. Moll, NJW 1993, 2016, 2019, und Bachner, AiB 1996, 291, 304 f., die generell bei Jahressonderzahlungen eine zeitanteilige Haftung des übertragenden Rechtsträgers annehmen. Hierzu vgl. Henssler/Strohn/Galla/Cé, § 126 UmwG Rz. 51; Lutter/Priester, § 126 UmwG Rz. 91; Semler/Stengel/Schröer, § 126 UmwG Rz. 96. BAG v. 11.10.1995 – 10 AZR 984/94, BB 1996, 166 f.
238 | Richter
Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.51 § 9
wandlungsvorgängen aus, bei denen der übertragende Rechtsträger erlischt. In Anbetracht all dessen und mit Blick auf die Haftungsregelung des § 613a Abs. 2 BGB (vgl. Rz. 12.6 ff.) ist im Rahmen einer Due Diligence stets zu prüfen (und auch beim veräußernden Rechtsträger aktiv nachzufragen), ob und inwieweit Ansprüche, vor allem auf Sonderzahlungen, in der Vergangenheit gestundet wurden. Boni: Auch eine variable, von persönlichen und unternehmensspezifischen Zielerreichungen abhängende Vergütung (Boni), fällt unter den Anwendungsbereich des § 613a BGB (für Tantieme siehe auch unter Rz. 9.58). Soweit sich die dem Bonus jeweils zugrundeliegenden Ziele – was regelmäßig der Fall sein wird – an Bereichs-, Unternehmens- und/oder Konzernkennzahlen orientieren, ändern sich regelmäßig mit dem Eintritt des übernehmenden Rechtsträgers in das Arbeitsverhältnis inhaltlich wesentliche Bezugsgrößen, wie etwa der Gewinn, Umsatz oder verkaufte Stückzahlen. Schwierigkeiten bereitet die Handhabe von Fällen, in denen der Bonus auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des ursprünglichen Betriebsinhabers zugeschnitten war (z.B. 10 % des Jahresgewinns) und sich dessen Leistungsfähigkeit von dem erwerbenden Rechtsträger deutlich – positiv oder negativ – unterscheidet. In solchen Fällen ist der Vertrag mit seiner variablen Vergütungsregelung ergänzend auszulegen; ist dies nicht möglich, kommt eine Änderung der Regelung nach Maßgabe des § 313 BGB aufgrund des Wegfalls der Geschäftsgrundlage dahingehend in Betracht, dass die Vereinbarung jedenfalls wirtschaftlich der beim bisherigen Rechtsträger entspricht1. Eine Anpassung des Inhalts der abstrakten Zielvorgaben ist insbesondere angezeigt, wenn diese an bestimmte Kennzahlen anknüpfen, die beim übernehmenden Rechtsträger in dieser Weise nicht erreicht werden können. Andernfalls käme es gerade zu einer Zweckverfehlung der Vereinbarung. Gleiches gilt, wenn die vorgegebenen wirtschaftlichen Ziele beim erwerbenden Unternehmen völlig unproblematisch, möglicherweise schon im Zeitpunkt der Übernahme erfüllt oder weit übererfüllt sind. Dies gilt erst recht, wenn als Bezugsgröße die Umsatzzahlen der übergeordneten Konzernmutter herangezogen werden. Da Boni im Unterschied zu Personalrabatten oder Deputaten (vgl. Rz. 11.37) nicht an den individuellen Tätigkeitsbereich des Unternehmens, sondern (jedenfalls auch) an dessen generellen geschäftlichen und wirtschaftlichen Erfolg anknüpfen, kommt ein vollständiger Wegfall der Regelung über die Leistung von Boni weder im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung noch über § 313 BGB in Betracht2.
9.50
Die Berechnung der konkreten Höhe des Bonus für das Jahr des Betriebsübergangs kann sich bei alledem durchaus kompliziert gestalten. Interessengerecht wird regelmäßig eine Berechnung sein, nach der sich die Bonuszahlung aus zwei Zeitabschnitten – Zeitraum bis und nach Betriebsübergang – zusammensetzt. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass der übergehende Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung anteilig für beide Rechtsträger erbracht und damit auch anteilig zum jeweiligen Unternehmenserfolg beigetragen hat3. Für den Zeitraum vor dem Betriebsübergang ist dann auf den übertragenden Rechtsträger und die ursprünglich vereinbarte Bezugsgröße abzustellen und die anteilige Zielerreichung zu berechnen. Für den Zeitraum nach dem Betriebsübergang ist auf die gegebenenfalls wie vorbeschrieben angepasste Bezugsgröße und dessen (anteilige) Erreichung beim übernehmenden Rechtsträger abzustellen. Ob es ihm Rahmen dieser Berechnung angezeigt ist, die Höhe des Bonus für die Arbeitsleistung beim übertragenden Rechtsträger anhand einer dort zu erstellenden Zwischenbilanz
9.51
1 Vgl. Gaul/Naumann, NZA 2011, 121, 124; s.a.: WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 177 mit verschiedenen Beispielsmodellen. 2 Vgl. Grimm/Walk, BB 2003, 577, 583; Gaul/Naumann, NZA 2011, 121, 124. 3 Vgl. LAG München v. 26.1.2005 – 10 Sa 752/04, BeckRS 2009, 68089; LAG Düsseldorf v. 30.1.2012 – 9 Sa 1277/11, BeckRS 2012, 75564.
Richter | 239
§ 9 Rz. 9.51 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
zu berechnen, muss im Einzelfall entschieden werden. Zu nicht interessengerechten und damit weder im Wege der Vertragsauslegung noch über § 313 BGB nicht mehr abbildbaren Ergebnissen führt die Berechnung anhand eines solchen Modells regelmäßig dann, wenn sich der wirtschaftliche und unternehmerische Erfolg des übertragenden und/oder übernehmenden Unternehmens auf ein Geschäftsjahr bezogen punktuell und nicht linear einstellt. Werden beispielsweise beim übertragenden Rechtsträger Geschäftsabschlüsse, die sich entscheidend auf das Jahresergebnis auswirken, typischerweise aufgrund langer Vorlauffristen oder eines Saisongeschäfts erst im letzten Quartal eines Jahres erzielt, würde eine Berechnung der Bonushöhe des übergehenden Arbeitnehmers anhand einer Zwischenbilanz, die – um im Beispiel zu bleiben – zum Übertragungsdatum am 1. Juli des Jahres erstellt wird, den Anteil am wirtschaftlichen Erfolg des übertragenden Unternehmens nicht angemessen widerspiegeln. Die sich typischerweise erst am Ende eines Jahres realisierenden Geschäftserfolge, die auf den Einsatz der Arbeitskraft während des gesamten Jahres fußen, blieben bei einer solchen Betrachtung unberücksichtigt und der anteilige, sich auf den ersten Zeitraum der Berechnung beziehende Bonus würde sich überproportional, ggf. sogar auf null reduzieren. Solchen Sondereffekten muss das im Einzelfall gewählte Berechnungsmodell zureichend Rechnung tragen.
9.52
Das jeweils im Einzelfall zu wählende Berechnungsmodell ist sodann auch im Rahmen der anteiligen gesamtschuldnerischen Haftung gemäß § 613a Abs. 2 Satz 2 BGB heranzuziehen, wenn – was zumeist der Fall sein wird – die in Rede stehenden Bonuszahlungen innerhalb eines Jahres nach dem Betriebsübergang fällig werden.
9.53
Vorausschauender Weise wird ein entsprechendes Berechnungsmodell auch in dem dem Betriebsübergang zugrundeliegenden Kaufvertrag für die Haftung im Innenverhältnis von übertragendem und übernehmendem Rechtsträger verankert. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Haftung für solche Ansprüche nicht generell für sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis im Kaufvertrag einer Partei zugeordnet wird.
9.54
Provisionen: Für Provisionsansprüche gilt im Grundsatz das zu den Boni Ausgeführte entsprechend. Der übernehmende Rechtsträger haftet für sämtliche Provisionsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, auch wenn sie bereits vor dem Übergang des Arbeitsverhältnisses entstanden oder erarbeitet sind. Etwaig ist im Wege der Vertragsauslegung oder gemäß § 313 BGB eine Anpassung der der Provisionsberechnung zugrunde liegenden Bezugsgrößen bewirkt worden, die sich dann – jedenfalls für den Zeitraum nach Betriebsübergang – an den neuen Gegebenheiten beim übernehmenden Rechtsträger auszurichten hat1. Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nicht übergegangen ist, können ihre Ansprüche grundsätzlich nur bei dem übertragenden Rechtsträger geltend machen und zwar selbst dann, wenn das provisionspflichtige Geschäft erst bei dem und durch den übernehmenden Rechtsträger ausgeführt wird2. Umgekehrt schuldet der übernehmende Rechtsträger aber dann die Provision, wenn eine entsprechende Zuordnung der Provisionsverpflichtung im Umwandlungsvertrag erfolgt ist. Zum gleichen Ergebnis führt es, wenn der übertragende Rechtsträger durch Verschmelzung oder Aufspaltung untergeht und der an sich auf den übernehmenden Rechtsträger übergehende Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widerspricht, was als außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu werten ist (siehe hierzu im Einzelnen Rz. 11.166 ff.). 1 Vgl. Borngräber, Betriebsübergang, S. 81; Grimm/Walk, BB 2003, 577, 583; Gaul/Naumann, NZA 2011, 121, 124. 2 BAG v. 11.11.1986 – 3 AZR 179/85, NZA 1987, 597; APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 87; Moll, NJW 1993, 2016, 2019.
240 | Richter
Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.59 § 9
Ausschluss- und Kürzungstatbestände: Mit der Übernahme von Regelungen über die Gewährung von Sonderleistungen gelten auch die daran geknüpften Ausschluss- und Kürzungstatbestände im Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und übernehmendem Rechtsträger. So kann der neue Arbeitgeber etwa Fehlzeiten während des Bezugszeitraums anspruchsmindernd berücksichtigen, wenn in der Vereinbarung eine entsprechende Klausel enthalten ist (z.B. Kürzung bei Krankheit oder Elternzeit).
9.55
Rückzahlungsklausel: Bei einer Vertragsbeendigung im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses können zugunsten des übernehmenden Rechtsträgers auch – grundsätzlich allein für hauptleistungsbezogene Sonderleistungen wirksame – Rückzahlungsklauseln zum Tragen kommen1. Der Übergang des Arbeitsverhältnisses nach §§ 613a BGB, 324 UmwG stellt für sich genommen selbstverständlich keine Vertragsbeendigung in diesem Sinne dar. Gleiches gilt für einen gemäß § 613a Abs. 6 BGB erklärten Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses. Für den Veräußerer stellt der Widerspruch schon deshalb keinen Beendigungstatbestand dar, weil das Arbeitsverhältnis zu ihm als Rechtsfolge des wirksamen Widerspruchs ex tunc gerade fortbesteht. Umgekehrt hat infolge des Widerspruchs ex tunc kein Arbeitsverhältnis zwischen widersprechendem Arbeitnehmer und Erwerber bestanden, weshalb insoweit einer Rückzahlungsklausel keine rechtliche Relevanz in diesem Rechtsverhältnis zukommt. Für den Leistungsaustausch zwischen Übergang des Arbeitsverhältnisses und erfolgtem Widerspruch finden allein die Grundsätze des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses Anwendung. In diesem Rahmen steht dem Arbeitnehmer kein Anspruch gegen den Erwerber auf Zahlung der mit einer Rückzahlungsklausel verbundenen Sonderleistung zu, da diese den Bestand eines Arbeitsverhältnisses voraussetzt2. Auf die Anwendbarkeit von etwaigen Rückzahlungsklauseln kann es für den Erwerber im Fall des Widerspruchs des Arbeitnehmers gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auch nicht weiter ankommen3.
9.56
Von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB erfasst werden ferner auch bereicherungsrechtliche Ansprüche auf Rückzahlung zu viel gezahlter Vergütung4 oder den Ausgleich eines durch den übertragenden Rechtsträger gewährten Vorschusses.
9.57
5. Tantieme Tantiemen sind als vereinbarter Vergütungsbestandteil, der das Arbeitsentgelt ergänzt und mit der erbrachten Arbeitsleistung verknüpft ist5, Bestandteil der Entgeltpflicht, welche mit Betriebsübergang auf den Erwerber übergeht6. Insoweit gelten die Ausführungen zu den Rechtsfolgen bei Boni (vgl. Rz. 9.50 ff.) entsprechend.
9.58
6. Dienstwagen, Aufwendungsersatz und Reisekostenerstattung Dienstwagen: Die individualrechtliche Vereinbarung über die Gewährung eines Dienstwagens, der auch zur privaten Nutzung überlassen wird, wird von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB erfasst
1 Vgl. ArbG Kiel v. 13.1.1999 – 6 Ca 2909 b/97, BeckRS 1999, 30777179. 2 Vgl. LAG Berlin-Brandenburg v. 20.11.2013 – 21 Sa 866/13, BB 2014, 1139. 3 Siehe vergleichbar ArbG Bielefeld v. 15.2.2012 – 6 Ca 1896/11, GWR 2012, 256, welches dem übernehmenden Rechtsträger generell die Berechtigung abspricht, sich im Fall des Widerspruchs auf Ausschlussfristen berufen zu können. 4 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 79. 5 BAG v. 3.5.2006 – 10 AZR 310/05, NZA-RR 2006, 582. 6 Gaul/Naumann, NZA 2011, 121, 124.
Richter | 241
9.59
§ 9 Rz. 9.59 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
und auf den neuen Rechtsträger übergeleitet. Die Überlassung des Dienstwagens mit der Berechtigung zur Privatnutzung bleibt folglich – als Entgeltbestandteil1 – unverändert auch nach dem Betriebsübergang geschuldet2. Im Einzelfall kann jedoch ein Widerruf der Überlassung möglich sein, wenn ein entsprechender Widerrufsvorbehalt wirksam vereinbart wurde und die Grenzen billigen Ermessens (§ 315 BGB) nicht überschritten werden3. Der Austausch des konkret überlassenen Dienstwagens bleibt grundsätzlich möglich.
9.60
Die Überlassung eines „reinen“ Dienstwagens ohne die Erlaubnis zur privaten Nutzung ist bloßes Arbeitsmittel und kann als solches dem Arbeitnehmer vor, sowie auch nach dem Betriebsübergang entzogen werden.
9.61
Aufwendungsersatz und Reisekostenerstattung: Nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB werden auch Regelungen zum Aufwendungsersatz (z.B. Reisekosten, Telefonkosten, Home-Office) übergeleitet4. Dies gilt auch, wenn sie pauschaliert – etwa in Form eines Fahrtkostenzuschusses – gezahlt werden5. Steuerliche Vorgaben spielen bei der Übernahme arbeitsrechtlicher Verpflichtungen keine Rolle6. Allerdings kann auch der übernehmende Rechtsträger von etwaig vereinbarten Widerrufs- oder Änderungsvorbehalten Gebrauch machen7. Ebenso wenig besteht grundsätzlich ein Anspruch der übergehenden Arbeitnehmer auf Beibehaltung einer vom Arbeitgeber erlassenen Reisekostenrichtlinie. Vom Übergang ausgenommen und somit allein gegen den übertragenden Rechtsträger zu richten sind Aufwendungsersatzansprüche, die im Zusammenhang mit der Verhandlung über die Begründung eines – letztlich nicht geschlossenen – Arbeitsverhältnisses entstanden sind, wie beispielsweise Vorstellungskosten. In derartige Verpflichtungen tritt der übernehmende Rechtsträger mangels übergangsfähigem Arbeitsverhältnis nicht gemäß § 613a BGB ein. Entsprechendes gilt in Bezug auf einen Anspruch auf Herausgabe von Bewerbungsunterlagen. Der übernehmende Rechtsträger kommt als Verpflichteter nur in Betracht, wenn die Verpflichtungen des übertragenden Rechtsträgers im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den übernehmenden Rechtsträger übergehen, wie dies bei Verschmelzung oder Anwachsung typischerweise der Fall ist. Entsprechendes gilt, soweit der Umwandlungsvertrag solche Ansprüche dem übernehmenden rechtsträger zuweist.
7. Urlaub und Urlaubsabgeltungsansprüche 9.62
Der Erwerber tritt bezogen auf den Erholungsurlaub ohne Einschränkung in die Rechtsposition des übertragenden Rechtsträgers ein. Dies gilt selbst bei dem Erwerb aus der Insolvenz (vgl. Rz. 35.19 ff.). Noch bestehende Urlaubsansprüche muss der neue Arbeitgeber in natura erfüllen8. Der uneingeschränkte Eintritt in bestehende Urlaubsansprüche greift selbst dann ein, 1 BAG v. 23.6.1994 – 8 AZR 537/92, NZA 1994, 1128; BAG v. 27.5.1999 – 8 AZR 415/98, BB 1999, 1660 f.; BAG v. 14.12.2010 – 9 AZR 631/09, NJW 2011, 1469; BAG v. 21.3.2012 – 5 AZR 651/10, NJW 2012, 1756. 2 Borngräber, Betriebsübergang, S. 91; D. Gaul, Betriebsübergang, S. 184 f.; Fuchs, Betriebliche Sozialleistungen, S. 126 f.; Fuhlrott/Fabritius, BB 2013 1592, 1593; Gaul/Jares, DStR 2013, 658. 3 Vgl. BAG v. 17.9.1998 – 8 AZR 791/96, BeckRS 1998, 30371143. 4 BAG v. 14.10.2003 – 9 AZR 657/02, NJW 2004, 2036; Bauer, Unternehmensveräußerung, S. 67; D. Gaul, Betriebsübergang, S. 185, 186; abl. Borngräber, Betriebsübergang, S. 91. 5 D. Gaul, Betriebsübergang, S. 185. 6 D. Gaul, Betriebsübergang, S. 185 f. 7 Bauer, Unternehmensveräußerung, S. 67. 8 BAG v. 2.12.1999 – 8 AZR 774/98, EzA § 613a BGB Nr. 189 S. 3; Leinemann/Lipke, DB 1988, 1217, 1219; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 166; WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 186.
242 | Richter
Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.64 § 9
wenn im Vorfeld des Übergangs des Arbeitsverhältnisses eine wirksame betriebsbedingte Kündigung erfolgt, es aber erst danach zum Übergang des Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a BGB kommt1. Bereits genehmigten Urlaub muss sich der Arbeitnehmer nach einem Betriebsübergang vom neuen Arbeitgeber nicht erneut genehmigen lassen; auch insoweit bleibt der erwerbende Rechtsträger gebunden2. Insbesondere aus Sicht des erwerbenden Rechtsträgers ist diese Haftungssituation angemessen in der Haftungsregelung im Innenverhältnis in dem der Übertragung zugrundeliegenden Vertrag zu berücksichtigen. Auch gibt diese Rechtslage Anlass dazu, sich im Rahmen einer Due Diligence eine Übersicht zu den (noch) bestehenden Urlaubsansprüchen vorlegen zu lassen. Besonderes Augenmerk ist bei der Prüfung dann auch auf die Urlaubsansprüche langzeiterkrankter Arbeitnehmer zu richten. Maßgeblich für den Umfang des Erholungsurlaubs und damit für die Höhe des Urlaubsabgeltungsanspruchs sind an sich die bis zum Übergang bestehenden Regelungen. Dies gilt in jedem Fall für den gesetzlichen Mindesturlaub sowie für einzelvertraglich begründete Urlaubsansprüche. Fraglich ist, wie es sich auswirkt, wenn kollektivrechtliche Regelungen die Grundlage des Urlaubsanspruchs bilden, und diese beim übernehmenden Rechtsträger durch eine dort bestehende Regelung abgelöst wird. Das kommt vornehmlich bei Urlaubsansprüchen auf tarifvertraglicher Basis in Betracht. Findet dann beim übernehmenden Rechtsträger normativ eine von der bisherigen tariflichen Regelung abweichende Regelung auf das Arbeitsverhältnis Anwendung, löst diese die bis zum Übergang auf das Arbeitsverhältnis normativ einwirkende tarifliche Regelung an sich ab und zwar selbst dann, wenn sie für den Arbeitnehmer ungünstiger ist, namentlich einen geringeren Urlaubsanspruch als die bisherige für den übergehenden Arbeitnehmer tariflich geltende Regelung vorsieht. Ob es bei dieser Anwendung der allgemeinen Grundsätze bleiben wird, ist in Anbetracht der jüngeren Rechtsprechung des EuGH3 und der sich daran anschließenden Änderung der Rechtsprechung des BAG durchaus zweifelhaft. Beide Gerichte haben für einen Wechsel von einer Vollzeit- in eine Teilzeitbeschäftigung entschieden, dass sofern vor dem Wechsel der dem Arbeitnehmer zustehende Urlaub nicht genommen werden konnte, keine nachträgliche Kürzung des Urlaubs erfolgen darf4. Es soll demgemäß keine zukunftsbezogene, sondern eine vergangenheitsbezogene Betrachtung vorgenommen werden, sodass die bei Entstehung des Urlaubsanspruchs maßgebliche Arbeitszeit für den jeweiligen Bezugszeitraum entscheidend bleibt, auch wenn sie sich während des Bezugszeitraums verringert5. In die gleiche Richtung weist auch die Entscheidung des EuGH in Sachen Scattolon6.
9.63
Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass der Übergang des Arbeitsverhältnisses nicht als Beendigung i.S.v. § 7 Abs. 4 BUrlG im Verhältnis zum übertragenden Rechtsträger gewertet werden kann, obschon das Arbeitsverhältnis zu diesem mit dem Übertragungsvorgang endet. Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Urlaubsabgeltung nach § 7 Abs. 4 BUrlG besteht mithin insoweit nicht; zudem gilt ein Abgeltungsverbot bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis7.
9.64
1 BAG v. 2.12.1999 – 8 AZR 774/98, NZA 2000, 480; WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 186. 2 LAG Köln v. 18.7.1997 – 11 Sa 368/97, NZA 1999, 269. 3 EuGH v. 13.6.2013 – C-415/12, NZA 2013, 775. 4 EuGH v. 13.6.2013 – C-415/12, NZA 2013, 775; BAG v. 10.2.2015 – 9 AZR 54/14, NZA 2015, 1005. 5 Kuner, öAT 2015, 76. 6 EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10 – Scattolon, EuZW 2011, 798; siehe hierzu auch die Ausführungen unter Rz. 9.28. 7 Vgl. Schaub/Linck, Arbeitsrechts-Handbuch, § 104 Rz. 93; BAG v. 16.10.2012 – 9 AZR 234/11, NZA 2013, 575.
Richter | 243
§ 9 Rz. 9.65 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
9.65
Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob im Innenverhältnis zwischen übertragendem und übernehmendem Rechtsträger etwaige Ausgleichsansprüche bestehen. Sind Urlaubsansprüche vor dem Betriebsübergang bereits gegenüber dem übertragenden Rechtsträger entstanden und gewährt der übernehmende Rechtsträger nach dem Übergang diesen Urlaub, ist der übertragende Rechtsträger im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs dem neuen Arbeitgeber zur (anteiligen) Erstattung der Kosten der Freizeitgewährung verpflichtet1. Bestmöglich sollte eine konkrete Regelung zur Haftung für Urlaubsansprüche im Innenverhältnis von übertragendem und übernehmendem rechtsträger in dem der Übertragung zugrundeliegenden Vertrag getroffen werden2.
9.66
Das vorstehend Beschriebene führt in letzter Konsequenz dazu, dass der volle Urlaubsanspruch im Außenverhältnis alleine durch den übernehmenden Rechtsträger gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten ist, wenn das Arbeitsverhältnis nach dem erfolgten Übergang endet. Dabei ist ebenso unerheblich, ob der Rechtsgrund für die Beendigung bereits vor Betriebsübergang gesetzt wurde (etwa bei vor dem Betriebsübergang erfolgter Kündigung oder bei Befristung des Arbeitsverhältnisses), wie der Umstand, dass der abzugeltende Urlaubsanspruch an sich zeitanteilig dem Betriebsveräußerer zuzurechnen ist. Insbesondere eine gesamtschuldnerische Haftung des übertragenden Rechtsträgers gemäß § 613a Abs. 2 BGB scheidet in diesen Fällen aus, da der Abgeltungsanspruch nach jüngster Rechtsprechung des BAG kein Surrogat des nicht in natura verwirklichten Urlaubsanspruchs, sondern einen eigenständigen, mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses erst entstehender Geldanspruch ist3. Auf diese Besonderheit ist bei der Gestaltung der Haftungsregelung in dem der Übertragung zugrundeliegenden Vertrag besonderes Augenmerk zu legen.
9.67
Im Vorfeld eines Betriebsübergangs, wie auch einer Umwandlung, kann der Arbeitgeber die Inanspruchnahme von Erholungsurlaub gegenüber Arbeitnehmern, die die Wartezeit des § 5 BUrlG erfüllt haben, nur nach Maßgabe von § 7 Abs. 1 BUrlG verweigern. Wenn zum Zeitpunkt des Antrags auf Gewährung von Erholungsurlaub bereits der Anspruch auf den vollen Jahresurlaub entstanden ist, ist der Arbeitgeber nicht berechtigt, die Gewährung pauschal mit der Begründung auf den bevorstehenden Betriebsübergang zu verweigern und den Arbeitnehmer darauf zu verweisen, er könne seinen (anteiligen) Resturlaub beim neuen Betriebsinhaber beantragen4. Wirtschaftliche Überlegungen allein rechtfertigen die Ablehnung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 1 BUrlG jedenfalls nicht. Anderes kann aber gelten, wenn zur Vorbereitung und der Abwicklung der Übertragung des Betriebs oder des Betriebsteils die Arbeitskraft des den Urlaub beantragenden Arbeitnehmers tatsächlich benötigt wird, also dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen.
1 BGH v. 4.7.1985 – IX ZR 172/84, NZA 1985, 737; BGH v. 25.3.1999 – III ZR 27/98, NJW 1999, 2962; OLG Thüringen v. 2.5.2012 – 7 U 971/11, juris Rz. 35 f.; WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 186. 2 Vgl. Leinemann/Lipke, DB 1988, 1217, 1218, 1220 ff., die allerdings nur beim Abschluss einer Vereinbarung zwischen den beteiligten Rechtsträgern einen solchen Erstattungsanspruch des übernehmenden Rechtsträgers für gegeben halten. 3 BAG v. 19.6.2012 – 9 AZR 652/10, DB 2012, 2288; vgl. auch BAG v. 19.5.2015 – 9 AZR 725/13, NZA 2015, 989; vgl. zur Rechtsprechungsänderung auch die Ausführungen in ErfK/Gallner § 7 BUrlG Rz. 73. 4 LAG Hamm v. 12.9.1996 – 4 Sa 486/96, LAGE § 626 BGB Nr. 105 S. 1, 2.
244 | Richter
Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.71 § 9
8. Mutterschutz, Elternzeit, Sabbatical Für den Zeitraum des Mutterschutzes wird das bestehende Arbeitsverhältnis ruhend gestellt1. Das Arbeitsverhältnis besteht folglich während dieser Zeit weiter und geht dementsprechend auch bei einem Betriebsübergang auf den Erwerber über2. Entsprechendes gilt für die Elternzeit3. Mit Ablauf der Elternzeit ist der Arbeitnehmer verpflichtet, seine Tätigkeit in dem nunmehr zum übernehmenden Rechtsträger bestehenden Arbeitsverhältnis wieder aufzunehmen. Er hat seine vertraglich vereinbarten Leistungspflichten folglich nahtlos im Anschluss an die Elternzeit im neuen Betrieb zu erbringen. Etwas anderes gilt bei wirksamen Widerspruch, der auch während der Elternzeit erfolgen kann.
9.68
Eine weitere Form der Freistellung von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung stellt das sog. Sabbatical dar. Im Rahmen eines Sabbaticals wird dem Arbeitnehmer typischerweise unter Fortzahlung seiner – etwaig verringerten – Vergütung Freizeit gewährt. Hierbei werden durch den Arbeitnehmer zumeist im Vorfeld angesparter künftiger Urlaub oder sonstige Freizeitansprüche eingebracht. Während des gewährten (angesparten) Urlaubs sowie bei der Einbringung von Arbeitszeitguthaben aus einem Langzeitarbeitszeitkonto bleibt das Beschäftigungsverhältnis sozialversicherungspflichtig, bezogen auf die Langzeitarbeitszeitkonten gilt dies jedenfalls gemäß nach § 7 Abs. 1a Satz 2 SGB IV für den Zeitraum von drei Monaten4. Zeitlich unbegrenzt gilt dies, soweit der Arbeitnehmer während des Sabbaticals aufgrund eines angesparten Wertguthabens nach § 7 Abs. 1a Satz 1 SGB IV eine Vergütung erhält, die nicht unterhalb von 70 % seiner regelmäßigen durchschnittlichen Bezüge liegt. Alternativ kann ein Betrieb dem Arbeitnehmer darüber hinaus auch eine unbezahlte Auszeit anbieten. Während des Sabbaticals besteht – ungeachtet der sozialversicherungspflichtigen Einordnung während der Dauer des Sabbaticals – das Arbeitsverhältnis jedenfalls zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber fort und geht ebenso wie Arbeitsverhältnisse, die aufgrund von Mutterschutz oder Elternteilzeit ruhen, auf den übernehmenden Rechtsträger über.
9.69
9. Kündigung, Kündigungsfristen, Freistellung, Abwicklungsvereinbarung Gemäß § 613a Abs. 4 Satz 1 und 2 BGB ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses „wegen“ des Betriebsübergangs ausgeschlossen. Dieses Kündigungsverbot ist vor dem erläuterten Zweck der Norm, den Arbeitnehmer im Falle eines Betriebsübergangs zu schützen, nur konsequent, in seinem Anwendungsbereich jedoch äußerst begrenzt. Da § 613a BGB den Arbeitnehmer zwar schützen, aber nicht besser stellen sollen, bleibt das Recht zur Kündigung des Arbeitsvertrages aus anderen Gründen unberührt, vgl. § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB (vgl. zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses im Zuge des Betriebsübergangs im Einzelnen Rz. 17.21 ff.).
9.70
Vollzieht sich der Betriebsübergang nach Ablauf der Kündigungsfrist, die durch den Ausspruch der Kündigung durch den Betriebsveräußerer in Gang gesetzt wurde, geht das Arbeitsverhältnis, weil beendet, nicht auf den übernehmenden Rechtsträger über. Anderes kann sich ergeben, wenn der übernehmende Rechtsträger den gekündigten Arbeitnehmer im unmittel-
9.71
1 MünchKommBGB/Spinner, § 611a BGB Rz. 378 ff. 2 Vgl. Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 144; siehe auch OVG Bautzen v. 23.10.2013 – 5A 877/11, BeckRS 2014, 49099; ausdrücklich die Elternzeit erwähnend BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 27/07, NZA 2008, 705 Rz. 47. 3 Vgl. BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 27/07, NZA 2008, 705 Rz. 47; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 144vgl. auch VG Regensburg v. 26.9.2006 – RO 2 K 05.2198, BeckRS 2006, 25737. 4 Vgl. Salaw-Hanslmaier, ZRP 2009, 179.
Richter | 245
§ 9 Rz. 9.71 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
baren Anschluss an den Ablauf der Kündigungsfrist einstellt und beschäftigt1. In diesen Konstellationen soll, rechtsdogmatisch fraglich, dem Arbeitnehmer der soziale Besitzstand, insbesondere die bisherige Betriebszugehörigkeit im neuen Arbeitsverhältnis anzuerkennen sein. Begründet wird dieser „Kunstgriff“ mit dem engen zeitlichen Zusammenhang zu dem ursprünglich zum übertragenden Rechtsträger bestehenden, aber im Zeitpunkt des Betriebsübergangs beendeten Arbeitsverhältnisses.
9.72
Dem gekündigten Arbeitnehmer steht auch in Ansehung des Betriebsübergangs kein Anspruch auf Wiedereinstellung und Fortführung des Arbeitsverhältnisses gegen den Betriebserwerber zu (vgl. Rz. 17.208). Die Kündigung durch den Betriebsveräußerer behält, auch wenn der Betriebsübergang auf den Erwerber äußerst zeitnah stattfindet, seine Gültigkeit. Anderes soll nach Ansicht der Rechtsprechung gelten, wenn die Kündigungsfrist unmittelbar vor dem Betriebsübergang abläuft und sich während der laufenden Kündigungsfrist bereits der Kündigungsgrund, etwa der Beschluss zur Betriebsstilllegung, erledigt hat (vgl. Rz. 17.218). In dieser Konstellation soll allerdings das Fortsetzungs- und Wiedereinstellungsverlangen entsprechend der Frist zur Einlegung eines Widerspruchs gemäß § 613a Abs. 5 und 6 BGB binnen einer Frist von einem Monat nach Kenntniserlangung von den den Anspruch begründenden Tatsachen geltend gemacht werden müssen (vgl. Rz. 17.238).
9.73
Erfolgt nach dem Betriebsübergang eine ordentliche Kündigung (vgl. Rz. 20.51), sind bei der Berechnung der maßgeblichen Kündigungsfrist die bei dem übertragenden Rechtsträger – und etwaig dessen Rechtsvorgängern – zurückgelegten Betriebszugehörigkeitszeiten zu berücksichtigen2.
9.74
Ist der Arbeitnehmer bei Übergang des Arbeitsverhältnisses freigestellt, ruht seine Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung, das Arbeitsverhältnis an sich besteht jedoch während dieser Zeit und wird in der Folge gemäß § 613a BGB auf den übernehmenden Rechtsträger kraft Gesetzes übergeleitet. Ob dies auch gilt, wenn der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs unwiderruflich freigestellt ist, folglich die Freistellung aufgrund bestehender Befristung, Aufhebungsvereinbarung oder wirksamer Kündigung in die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mündet, war lange umstritten. Zwischenzeitlich hat das BAG – rechtlich zutreffend – entschieden, dass auch im Rahmen einer unwiderruflichen Freistellung des Arbeitnehmers ein Übergang stattfindet3, da allein der Bestand des Arbeitsverhältnisses und nicht die tatsächliche Beschäftigung für die Überleitung gemäß § 613a BGB maßgeblich ist.
9.75
Mitunter gehen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Anschluss an einen erfolgten Kündigungsausspruch durch den Arbeitgeber eine gesonderte vertragliche Vereinbarung ein, die weitere Modalitäten der bis zur Beendigung zu vollziehenden Abwicklung des Arbeitsverhältnisses enthält. Diese Form der Vereinbarung wird üblicherweise als Abwicklungsvereinbarung bezeichnet. Sie ist vom sog. Aufhebungsvertrag abzugrenzen, der nicht nur Abwicklungsfragen regelt, sondern auch den Rechtsgrund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses darstellt. Sofern es zu einem Betriebsübergang kommt, ist der Betriebserwerber gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB an beide Arten der Vereinbarungen gebunden. Der Erwerber rückt vollumfänglich in die sich aus dem Aufhebungs- oder dem Abwicklungsvertrag ergebenden Pflichten ein.
1 BAG v. 27.6.2002 – 2 AZR 270/01, NJW 2003, 773; BAG v. 18.9.2003 – 2 AZR 330/02, NZA 2004, 319; BAG v. 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, BB 2012, 451; LAG Köln v. 26.11.2014 – 5 Sa 728/14. 2 BAG v. 18.9.2003 – 2 AZR 330/02, NZA 2004, 319; BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 397/06, NZA 2007, 739. 3 BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 27/07, NZA 2008, 705.
246 | Richter
Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.78 § 9
10. Lohn- und Gehaltspfändung Eine Lohnpfändung gegen einen vom Übergang seines Arbeitsverhältnisses betroffenen Arbeitnehmer besteht rangwahrend auch nach dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses beim übernehmenden Rechtsträger fort1. Nach einem Betriebsübergang bleiben sowohl die Pfandverstrickung als auch die Reihenfolge der Pfändungen erhalten. Es müssen keine neuen Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse gegen den neuen Betriebsinhaber erlassen werden2. Entsprechendes gilt bei einem Übergang des Arbeitsverhältnisses im Zuge einer Umwandlung oder sonstiger Formen der (partiellen) Gesamtrechtsnachfolge.
9.76
11. Werkmiet- und Werkdienstwohnungen Vor allem in größeren Unternehmen kommt es vor, dass Arbeitnehmern sog. „Werkmietwohnungen“ zur Verfügung gestellt werden. Dabei handelt es sich um Wohnraum, der mit Rücksicht auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses vermietet wird. Das entsprechende Mietverhältnis besteht dabei neben dem Arbeitsverhältnis. Der Werkmietwohnvertrag ist demgemäß nicht als arbeitsvertragliche Vereinbarung zu qualifizieren und fällt als solcher nicht in den Anwendungsbereich des § 613a BGB. Das Mietverhältnis besteht vielmehr nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses mit dem ursprünglichen Arbeitgeber zunächst fort und kann von diesem nach § 576 BGB gekündigt werden3. Rechte und Pflichten aus dem Mietverhältnis können bei der Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils im Wege der Einzelrechtsnachfolge nicht kraft Gesetzes auf den übernehmenden Rechtsträger übergeleitet werden. Anderes gilt erst, wenn Wohnungen im Zuge des Betriebsübergangs an den Betriebserwerber mit veräußert werden: Der Erwerber tritt dann bereits nach § 566 BGB in das Mietverhältnis ein4. Dies gilt auch für die Umwandlung nach dem UmwG: Hier kann im Umwandlungsvertrag festgelegt werden, dass der übernehmende Rechtsträger neben dem Betrieb oder Betriebsteil auch die Werkwohnungen und die diesbezüglich bestehenden Werkmietverhältnisse übernimmt. Hat sich der übertragende Rechtsträger einzelvertraglich verpflichtet, eine Mietwohnung für die Dauer des Arbeitsverhältnisses zur Verfügung zu stellen, bleibt der übernehmende Rechtsträger daran gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB gebunden5. Erfüllt er diese Verpflichtung nicht, droht ihm ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung6. Dem ist in dem Betriebsübergang zugrundeliegenden Vertrag Rechnung zu tragen.
9.77
Von Werkmietwohnung zu unterscheiden sind sog. „Werkdienstwohnungen“. Dabei handelt es sich – ausgehend von § 576b BGB – um Wohnraum, der als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses überlassen wird. Die Nutzung des Wohnraums ist Arbeitsentgelt7 und erfolgt häufig funktionsbezogen, um die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit erfüllen zu können (z.B.
9.78
1 LAG Hamm v. 29.9.1975 – 3 Sa 483/75, BB 1976, 364 (LS); Hessisches LAG v. 22.7.1999 – 5 Sa 13/ 99, DB 1999, 2476 (LS); OLG Oldenburg v. 31.5.2012 – 8 U 43/12, BeckRS 2013, 09955; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 186; Gallner/Mestwerdt/Nägele/Mestwerdt/Wemheuer, § 613a BGB Rz. 67. 2 Hessisches LAG v. 22.7.1999 – 5 Sa 13/99, ArbRB 2000, 38; Küttner/Griese, Personalbuch, Pfändung, Rz. 8. 3 BAG v. 24.1.1990 – 5 AZR 749/87, EzA § 2 ArbGG 1979 Nr. 17 S. 2; WHSS/Willemsen/MüllerBonanni, Umstrukturierung, G Rz. 175. 4 WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 175. 5 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 77; WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 175. 6 Vgl. Seiter, Der Betriebsinhaberwechsel, S. 79. 7 Schaub, ZIP 1984, 272, 277; Kania, Nichtarbeitsrechtliche Beziehungen, S. 177.
Richter | 247
§ 9 Rz. 9.78 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
Hausmeister)1. Folgerichtig ist bei etwaigen Streitigkeiten der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet (§ 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG)2. Bei dieser Form der Wohnraumüberlassung kommt § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB uneingeschränkt zur Anwendung3. Das Gleiche gilt, wenn sich der übertragende Rechtsträger dem Arbeitnehmer gegenüber im Arbeitsvertrag dazu verpflichtet hatte, ihm die Wohnung für die Dauer des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung eines bestimmten Entgelts zur Verfügung zu stellen, siehe Rz. 9.77. In beiden Fällen ist der übernehmende Rechtsträger verpflichtet, im Rahmen des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses seinerseits eine Überlassung der Wohnung sicherzustellen4. Gelingt ihm dies nicht, ist der übernehmende Rechtsträger dem Arbeitnehmer zum Schadensersatz verpflichtet5. Schuldet der Arbeitgeber lediglich Wohnraum nach bestimmter Art und Güte sowie in bestimmter Lage, wird regelmäßig nur Schadensersatz wegen Nichterfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten in Betracht kommen, wenn der Arbeitgeber zu Gunsten des Arbeitnehmers entsprechenden Wohnraum nicht zu Verfügung stellt. Hat sich die Wohnraumbeschaffungspflicht des Arbeitgebers indes auf eine ganz bestimmte Wohnung konkretisiert (Beispiel: Wohnung eines Hausmeisters im Betrieb selbst), lässt der Vermieter den übernehmenden Arbeitgeber aber nach dem Betriebsübergang nicht in den entsprechenden Mietvertrag eintreten, liegt ein Fall der (subjektiven) Unmöglichkeit vor, wobei der Schadensersatz, dem Grundsatz der Naturalrestitution folgend, auch darin liegen kann, eine vergleichbare Wohnung in ähnlicher Lage für den Arbeitnehmer bereitzustellen.
12. Sonstige betriebsspezifische Sonderleistungen 9.79
Arbeitskleidung: Stellt der Arbeitgeber Arbeitskleidung zur Verfügung, wird die zugrunde liegende Regelung von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB regelmäßig nicht erfasst. Dies gilt selbst dann, wenn dem Arbeitnehmer durch die Benutzung vermögenswerte Vorteile zufließen. Die Entscheidung über die Art der Arbeitsmittel und ihre Verwendung unterliegt – vorbehaltlich etwaiger Mitwirkungsrechte des Betriebsrats – der unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers. Damit ist der übernehmende Rechtsträger nicht verpflichtet, weiterhin eine bestimmte Arbeitskleidung (z.B. Kleidung eines Kochs) zur Verfügung zu stellen. Anderes kann sich selbstverständlich aus gesetzlichen Schutzvorschriften oder kollektivrechtlichen Regelungen ergeben. Sind solche jedoch nicht einschlägig, muss der Arbeitnehmer selbst für eine „arbeitstaugliche“ Kleidung Sorge tragen. Allerdings besteht, wenn der Arbeitgeber auf die Zurverfügungstellung von Arbeitskleidung verzichtet, in der Regel auch kein Anspruch gegenüber den Arbeitnehmern auf Verwendung einer bestimmten Kleidung. Eine solche wiederum kann sich aber aus den Besonderheiten einer bestimmten Branche (z.B. Spielkasino, Hotelgewerbe) sowie einzelvertraglich getroffenen Abreden ergeben.
9.80
Leistungen im Krankheits- und Todesfall: In Zusagen des Arbeitgebers, die Leistungsansprüche im Krankheits- und Todesfall begründen, tritt der übernehmende Rechtsträger gemäß § 613a BGB uneingeschränkt ein. Haben bestimmte Behandlungen, deren Kostendeckung von der Zusage erfasst ist, bereits vor dem Übergang des Arbeitsverhältnisses begonnen, wird man allerdings einen Ausgleichsanspruch im Innenverhältnis der insoweit gesamtschuldnerisch haftenden Rechtsträger anerkennen müssen, vorausgesetzt die entsprechende Zahlungsver1 2 3 4 5
BAG v. 23.8.1989 – 5 AZR 569/88, EzA § 565 b-e BGB Nr. 3 S. 3; Bruns, NZM 2014, 535 ff. BAG v. 18.9.2007 – 9 AZR 822/06, BeckRS 2008, 51746. MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 99; Meyer, DB 2000, 1174, 1175. ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 77. Seiter, Betriebsinhaberwechsel, S. 79. Ebenso Bachner, AiB 1996, 291, 299, der allerdings nicht zwischen Werkmiet- und Werkdienstwohnungen differenziert.
248 | Richter
Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.83 § 9
pflichtung wird innerhalb eines Jahres nach Betriebsübergangs fällig. Bestmöglich wird auch insoweit in dem der Übertragung der betrieblichen Einheit zugrundeliegenden Vertrag eine diesen Aspekt umfassende Haftungsregelung vorgesehen. Deputat: Zusagen des bisherigen Arbeitgebers auf Sonderleistungen in Form von Deputaten (z.B. Energie, Kohle, Getränke, Waren) sind Bestandteil des Arbeitsverhältnisses und werden daher grundsätzlich gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den übernehmenden Rechtsträger übergeleitet1. Etwas anderes muss in den Fällen gelten, in denen die Deputate eigene Produkte oder Dienstleistungen des Veräußerers darstellen, die der Erwerber nicht oder nicht in dieser Art produziert oder anbietet. Beispielhaft sei die Ausgliederung des Fahrdienstes aus einer Brauerei oder der Kantine eines Energieversorgungsunternehmens verwiesen. Zwar kann sich hier der übernehmende Rechtsträger die geschuldete Sachleistung (Bier, Energie) anderweitig beschaffen und dem Arbeitnehmer zur Verfügung stellen. Allerdings werden die Kosten für derart unternehmensbezogene Deputate für den Erwerber – der solche Produkte/Dienstleistungen nicht selber herstellt oder anbietet – um ein vielfaches höher als für den Veräußerer sein. In Abhängigkeit von den konkreten Umständen des Einzelfalles und der Vertragsgestaltung kann bereits eine Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB der zwischen dem Veräußerer und dem Arbeitnehmer jeweils den Deputaten zugrundeliegenden Vereinbarungen ergeben, dass diese nur solange zu gewähren sind, wie sie auch von dem Arbeitgeber oder dem Konzern, dem er angehört, hergestellt oder vertrieben werden2. Geben Vertrag und Umstände eine solche Auslegung nicht her, steht dem erwerbenden Rechtsträger ein Anpassungsrecht nach § 313 Abs. 1 BGB zu. Grundlage der Leistungsgewährung war schließlich, dass die Kosten für das Deputat für den Arbeitgeber verglichen mit dem Markt gering waren3. Vollzieht sich die Übertragung der betrieblichen Einheit innerhalb einer Unternehmensgruppe und betreibt zwar nicht der übernehmende Rechtsträger, aber ein mit ihm verbundenes Unternehmen, auf welches die gemeinsame Obergesellschaft bestimmenden Einfluss hat, die Produktion, wird dies – umgekehrt – zur Folge haben, dass eine Störung der Geschäftsgrundlage nicht eintritt, ein Anpassungsrecht mithin nicht besteht und somit der Verschaffungsanspruch bezogen auf das jeweilige Deputat gegenüber dem Erwerber auch nach dem Betriebsübergang fortbesteht4.
9.81
Flugtickets: Für Flugtickets, die Mitarbeiter des Flughafens oder einer Fluggesellschaft zu besonderen Konditionen erhalten, gelten die vorstehenden Ausführungen zu Deputaten aus eigener Produktion oder eigenem Vertrieb entsprechend. Ein solcher Anspruch entfällt ersatzlos, wenn der übernehmende Rechtsträger selbst aufgrund seiner Tätigkeit nicht in der Lage ist, dem Arbeitnehmer diese Leistung durch das eigene Unternehmen zu ähnlichen Kosten zu verschaffen5.
9.82
Jobticket für den öffentlichen Personennahverkehr: Die Zusage des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer ganz oder teilweise ein Jobticket zu finanzieren, geht als geldwerter Bestandteil des Arbeitsverhältnisses auf den übernehmenden Rechtsträger über. Wenn dieser dann aufgrund seiner Größe oder der fehlenden Zugehörigkeit zu einer bestimmten Unternehmens-
9.83
1 LAG Düsseldorf v. 22.1.1997 – 12 Sa 1367/96, n.v., das allerdings beim Vorliegen einer Verschmelzung einen Rückgriff auf § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nur hilfsweise in Betracht gezogen hat. 2 Gaul/Naumann, NZA 2011, 121, 123. 3 Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 164; von Steinau-Steinrück/Thees in Hölters, Unternehmenskauf, Rz. 6.207. 4 Gaul/Naumann, NZA 2011, 121, 123. 5 BAG v. 13.12.2006 – 10 AZR 792/05, NZA 2007, 325; vgl. von Steinau-Steinrück/Thees in Hölters, Unternehmenskauf, Rz. 6.207.
Richter | 249
§ 9 Rz. 9.83 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
gruppe ein solches Ticket nur mit gewissen Mehrkosten gewähren kann, muss dies – entsprechend den Überlegungen zum Verschaffungsanspruch im Bereich der betrieblichen Altersversorgung (vgl. Rz. 34.99 ff.) – als Folge der Bestandssicherung im Rahmen von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB hingenommen werden. Änderungen können hier nur auf der Grundlage eines wirksam vereinbarten Widerrufsvorbehalts oder im Wege der Änderungskündigung oder -vereinbarung herbeigeführt werden. Eine Störung der Geschäftsgrundlage, die zur Einstellung der Leistung berechtigt, wird man nicht, allenfalls in besonders gelagerten Einzelfällen, annehmen können.
9.84
Parkplatz: Auch die kostenlose Zurverfügungstellung eines Parkplatzes kann, insbesondere in einer Großstadt, als Vertrags- und Vergütungsbestandteil anzusehen sein1. Ob und inwieweit ein Anspruch auf diese Leistung besteht, muss im Einzelfall und unter Berücksichtigung der getroffenen einzel- oder kollektivvertraglichen Vereinbarungen geprüft werden. Fehlt es an einer ausdrücklichen Regelung, stellt sich die Frage, ob ein Anspruch auf Zurverfügungstellung durch betriebliche Übung entstanden ist. Dabei sind an die Begründung eines solchen Verschaffungsanspruchs hohe Anforderungen zu stellen, da Arbeitnehmer auch bei einer jahrelangen kostenlosen Nutzung eines Parkplatzes nicht berechtigterweise davon ausgehen können, der Arbeitgeber werde auch künftig kostenlos Parkplätze bereitstellen2. In jedem Fall ist im Gegensatz zu anderen Sonderleistungen des Arbeitgebers eine wirksame Zusage, dem Arbeitnehmer unentgeltlich oder zu vergünstigten Konditionen einen Parkplatz zur Verfügung zu stellen, an die genutzte Betriebsstätte geknüpft. Geht folglich mit der Übertragung der betrieblichen Einheit eine Ortsveränderung und der Aufgabe der bis dahin genutzten Immobilie einher, entfällt regelmäßig die Geschäftsgrundlage für die kostenlose Zurverfügungstellung gemäß § 313 BGB, so dass dem übernehmenden Rechtsträger ein Anpassungsanspruch zusteht, den er ggf. durch (Teil-)Kündigung gemäß § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB im Weigerungsfall des Arbeitnehmers rechtlich umsetzen muss.
9.85
Personalrabatte sind typischerweise Belohnung für gezeigte Betriebstreue und dienen der Bindung des Arbeitnehmers an das Arbeitsverhältnis. Auch das eigenbetriebliche Interesse des Arbeitgebers spielt eine Rolle, da Personaleinkäufe in einem gewissen Umfang Produktabsatz und Umsatz sichern. Es besteht damit ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Gewährung des Personalrabatts und dem Bestand des Arbeitsverhältnisses. Da der Personalrabatt als geldwerter Vorteil mit Entgeltcharakter ausgestattet ist, tritt der übernehmende Rechtsträger grundsätzlich gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB in die Verpflichtung zur Gewährung des Personalrabatts ein3. Richtigerweise geht das BAG deshalb davon aus, dass der Betriebsrat bei der Gewährung von Personalrabatten beim Bezug von Waren (z.B. Jahreswagen) oder Leistungen (z.B. Flugreisen) gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen hat4. Zum Schicksal des Personalrabatts bei kollektivrechtlicher Grundlage vgl. Rz. 22.34. 1 So LAG Schleswig-Holstein v. 3.4.2001 – 1 Sa 646 b/00, NZA-RR 2001, 488 ff., das allerdings wegen der individuellen Gegebenheiten zu Recht eine betriebliche Übung abgelehnt hat. 2 LAG Baden-Württemberg v. 14.1.2014 – 1 Sa 17/13, FD-ArbR 2014, 355152, wobei hier zu beachten war, dass sich die Frage eines Anspruchs aus betrieblicher Übung im Zusammenhang mit Neubaumaßnahmen stellte und die bisherige Parkplatzanlage beseitigt wurde. Unter erheblichen Aufwendungen wurde eine neue Parkplatzfläche erstellt, die sodann nur gegen Parkgebühren benutzt werden konnte. 3 BAG v. 11.12.1996 – 5 AZR 336/95, BB 1997, 1159; BAG v. 7.9.2004 – 9 AZR 631/03, BB 2005, 1909; ErfK/Preis, § 611a BGB Rz. 519, § 613a BGB Rz. 73. 4 BAG v. 28.7.1992 – 1 ABR 22/92, EzA § 87 BetrVG 1972 Werkmietwohnung Nr. 7 S. 2; BAG v. 26.5.1993 – 5 AZR 219/92, EzA § 9 AGBG Nr. 1 S. 5 m. insoweit zust. Anm. Streckel, S. 10 f.; a.A. LAG Hamm v. 22.12.1982 – 12 TaBV 53/82, DB 1983, 1985 f.
250 | Richter
Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.88 § 9
Trotz dieses Bezugs zwischen Zusage und Arbeitsverhältnis kann sich jedoch – im Sinne eines vertraglichen Vorbehalts – bereits aus der Auslegung der Zusage ergeben, dass eine Leistungspflicht des übernehmenden Rechtsträgers dann entfallen soll, wenn dieser die Produkte oder Dienstleistungen nicht mehr selbst herstellt oder anbietet, die Gegenstand der Regelung zum Personalrabatt gewesen sind1. Nach Treu und Glauben und unter der Berücksichtigung der Verkehrssitte (§§ 133, 157 BGB) ist für den Arbeitnehmer als Empfänger der Leistung aufgrund der Regelungsziele der Zusage im Normalfall erkennbar, dass eine Verpflichtung gegenständlich auf eine Eigenproduktion beschränkt ist2. Auf die Frage des Wegfalls der entsprechenden Leistungspflicht nach den Grundsätzen zur Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) kommt es dann erst gar nicht an. Sie sind aber entsprechend den vorstehenden Ausführungen zum Deputat anwendbar, soweit Rabatte beim übertragenden Rechtsträger zwar nicht auf eigene Produkte, aber Handelswaren gewährt wurden. Eine Verpflichtung des übernehmenden Rechtsträgers, dem Arbeitnehmer Produkte des bisherigen Arbeitgebers zum vergünstigten Preis zu verschaffen, besteht keinesfalls3. Ebenso wenig besteht ein Anspruch des Arbeitnehmers auf eine Ausgleichsleistung, da durch eine solche der Zweck der Leistung verloren ginge4.
9.86
Sozialeinrichtungen (z.B. Kantine): § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB begründet grundsätzlich keinen Anspruch des vom Übergang seines Arbeitsverhältnisses betroffenen Arbeitnehmers, vom übernehmenden Rechtsträger die Fortführung einer Sozialeinrichtung (z.B. Kantine, Sportplatz) verlangen zu können. Rechtfertigen lässt sich dies bereits mit Blick auf Art. 3 Richtlinie 2001/23/EG, der Rechte aus einem Arbeitsverhältnis oder – soweit Kollektivvereinbarungen getroffen sind – Arbeitsbedingungen gewährleistet. Vergleichbar mit der Unterscheidung zwischen Inhaltsnormen und Normen über betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Fragen (vgl. Rz. 21.41 ff.; Rz. 22.109 ff.) gehören Regelungen über die Errichtung und Durchführung einer Sozialeinrichtung nicht zum Bestandteil des Arbeitsverhältnisses. Die entsprechende Berechtigung entfällt im Anschluss an einen Betriebsübergang oder einer Umwandlung ersatzlos, ohne dass es einer Änderungskündigung durch den übernehmenden Rechtsträger bedarf, wenn die Sozialeinrichtung nicht Bestandteil der von der Übertragung erfassten betrieblichen Einheit ist.
9.87
Vereins- oder Verbandsmitgliedschaften: Bei Führungskräften oder Mitarbeitern, die ins Ausland entsandt werden, übernimmt der Arbeitgeber häufig auch die Verpflichtung, Beiträge zu bestimmten Vereinen oder Verbänden zu entrichten, bei denen der Arbeitnehmer eine persönliche Mitgliedschaft auf Veranlassung des Arbeitgebers begründet hat. Diese Verpflichtung geht nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den übernehmenden Rechtsträger über. Der Arbeitgeber wird in diesen Konstellationen jedoch – soweit sich aus den niedergelegten Vereinbarungen nichts anderes ergibt – berechtigt sein, die (unverzügliche) Beendigung der Mitgliedschaft einzufordern. Mit Ablauf der gesetzten Frist endet dann auch die Verpflichtung zur künftigen Finanzierung der Mitgliedschaft.
9.88
1 BAG v. 7.9.2004 – 9 AZR 631/03, BB 2005, 1909; dazu Meyer, SAE 2006, 264, 265; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 73. 2 Fuchs, Betriebliche Sozialleistungen beim Betriebsübergang, 2000, S. 125 f. 3 BAG v. 7.9.2004 – 9 AZR 631/03, BB 2005, 1909; BAG v. 13.12.2006 – 10 AZR 792/05, NZA 2007, 325. 4 BAG v. 7.9.2004 – 9 AZR 631/03, BB 2005, 1909.
Richter | 251
§ 9 Rz. 9.89 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
13. Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung 9.89
Zu den Rechtsfolgen des Betriebsübergangs und der Umwandlung für Ansprüche auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung siehe unter § 34.
14. Ansprüche aus Vorruhestandsleistungen und Altersteilzeit 9.90
Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern, die sich im „echten“ Vorruhestand befinden, werden von § 613a BGB nicht erfasst, da das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Übergangs der betrieblichen Einheit auf den übernehmenden Rechtsträger bereits beendet ist. Damit kann der übernehmende Rechtsträger auch nicht in Rechte dieser (ehemaligen) Arbeitnehmer eintreten1. Etwas anderes gilt, wenn sich der Betriebsübergang im Wege der Gesamtrechtsnachfolge durch Umwandlung (z. B. Verschmelzung, Aufspaltung oder Anwachsung) vollzieht. In diesem Fall werden die Ansprüche aus einem Ruhestandsverhältnis aufgrund der Gesamtrechtsnachfolge erfasst und auf den übernehmenden Rechtsträger übertragen, soweit der zugrundeliegende Umwandlungsvertrag nicht wirksam anderes regelt.
9.91
Die Rechtsfolgen, die ein Betriebsübergang für Altersteilzeitvereinbarungen auslöst, hängen vornehmlich von dem gewählten Altersteilzeitmodell (Absenkungs-, Blockmodell oder Kombination aus beidem) einerseits ab sowie andererseits davon, ob der Erwerb der betrieblichen Einheit aus der Insolvenz des übertragenden Rechtsträgers erfolgt. Wurde mit dem Arbeitnehmer Altersteilzeit im Absenkungsmodell vereinbart, wurde folglich die Arbeitszeit in der Altersteilzeit unter entsprechender Absenkung der Vergütung und Aufstockung der selbigen reduziert, tritt der übernehmende Arbeitgeber in diese Regelung uneingeschränkt ein. Dies gilt – anders als beim Blockmodell – auch in Konstellationen, in denen die betriebliche Einheit aus einem Insolvenzverfahren erworben wird.
9.92
Arbeitnehmer, die in Altersteilzeit im Blockmodell beschäftigt werden, stehen natürlich vor, aber auch nach Eintritt in die sog. Freistellungphase weiterhin in einem Arbeitsverhältnis zum übertragenden Rechtsträger und werden daher von § 613a BGB erfasst2. Mit der Vereinbarung eines Blockmodells geht zudem der Aufbau von Arbeitszeitguthaben, die vom Erwerber ebenso wie rückständige Lohnzahlungen gegenüber dem übergegangenen Arbeitnehmer auszugleichen sind3. Solche Arbeitszeitguthaben müssen – soweit sie übergehen – zudem auch vom Betriebserwerber nach § 8a Abs. 1 ATG gegen Zahlungsunfähigkeit abgesichert werden. Vor diesem Hintergrund ist beim Erwerb einer betrieblichen Einheit dringend darauf zu achten, dass der dem Erwerb zugrundeliegende Vertrag eine Regelung zum Übergang zureichender Sicherungsmittel vorsieht. Erwirbt der übernehmende Rechtsträger die betriebliche Einheit aus der Insolvenz des übertragenden Rechtsträgers, haftet er im Verhältnis zum Altersteilzeitarbeitnehmer nur für die nach Insolvenzeröffnung erdienten, also durch nach der Insolvenzeröffnung erbrachten Arbeitsleistung aufgebauten Wertguthaben. Denn nur bei diesen Ansprüchen handelt es sich um Masseforderungen, während die vor der Insolvenzeröffnung erarbeiteten Wertguthaben als Insolvenzforderungen zu qualifizieren sind4, für die der
1 Vgl. BAG v. 10.10.1989 – 3 AZR 200/88, NZA 1990, 564, 566. 2 BAG v. 30.10.2008 – 8 AZR 54/07, NJW 2009, 432; BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 27/07, NZA 2008, 705; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 83. 3 LAG Düsseldorf v. 16.7.2004 – 9 Sa 110/04, ZIP 2004, 2112, 2114; Fuhlrott/Fabritius, BB 2013, 1592, 1595 m.w.N. 4 BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 645/03, NZA 2005, 527; BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, ZIP 2005, 457; BAG v. 23.2.2005 – 10 AZR 600/03, AP Nr. 1 zu § 108 InsO.
252 | Richter
Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.95 § 9
übernehmende Rechtsträger aus insolvenzrechtlichen Gründen nicht haftet1. § 613a BGB wird insoweit teleologisch reduziert.
15. Schadensersatzansprüche/Ansprüche aus unerlaubter Handlung Hinsichtlich der Konsequenzen für Schadensersatzansprüche muss, soweit sie aus einer Pflichtverletzung i.S.d. §§ 280 ff. BGB folgen, für den Fall des Betriebsübergangs wie auch für Umwandlung differenziert werden. Von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB werden an sich zwar alle Ersatzansprüche erfasst, die aus einer Verletzung arbeitsrechtlicher Vertragsbeziehungen folgen2. Für die Einbeziehung von Ersatzansprüchen wegen der Nicht- oder Schlechterfüllung nichtarbeitsrechtlicher Vertragsbeziehungen ist allerdings erforderlich, dass zwischen dieser Vertragsbeziehung und dem Arbeitsverhältnis ein unmittelbarer rechtlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang besteht. Dies ist – wie ausgeführt – beispielsweise bei einem Arbeitgeberdarlehen in der Regel der Fall (vgl. Rz. 9.153 ff.). Welcher Art die Pflichtverletzung sodann ist, die den Schadensersatzanspruch nach Maßgabe der §§ 280 ff. BGB begründet, ist grundsätzlich unbeachtlich.
9.93
Eine Besonderheit gilt für Schadensersatzansprüche, die wegen der Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht nach § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, § 611 BGB geltend gemacht werden (culpa in contrahendo). Der Übergang von Schadensersatzansprüchen kann nur angenommen werden, wenn das Arbeitsverhältnis, bei dessen Begründung vorvertragliche Pflichten verletzt wurden, überhaupt auf den übernehmenden Rechtsträger übergegangen ist. Für Ansprüche auf Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung gilt, dass sie von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nur insoweit erfasst werden, wie sie durch ein Handeln in oder im Zusammenhang mit der Umsetzung des Arbeitsverhältnisses entstanden sind3. Die insoweit vorzunehmende Zuordnung kann an den zu § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. d ArbGG entwickelten Kriterien ausgerichtet werden4. Bedeutsam ist dies vornehmlich für wechselseitige Ersatzansprüche wegen der Beschädigung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmereigentum. Ausgeschlossen ist jedoch, dass vom übernehmenden Rechtsträger Schadensersatzansprüche gegenüber ausgeschiedenen Arbeitnehmern wegen einer rechtswidrigen Verwertung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen (§ 17 UWG) geltend gemacht werden, wenn das Arbeitsverhältnis bereits vor der Übertragung des Betriebs- oder Betriebsteils beendet wurde. Hier ist ein Übergang der Verbindlichkeit wegen der fehlenden Anwendbarkeit von § 613a BGB nicht möglich. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die entsprechende Forderung entstanden und dem übernehmenden Rechtsträger bei einer im Wege der Gesamtrechtsnachfolge durch Umwandlung zugewiesen wurde.
9.94
Zinsansprüche folgen stets und damit auch im Hinblick auf § 613a BGB dem Schicksal der zugrundeliegenden Hauptforderung5. Geht die Hauptforderung – z B. eine Schadensersatzforderung – nach § 613a BGB auf den Betriebserwerber über, steht ihm auch akzessorisch der zugehörige Zinsanspruch zu.
9.95
1 BAG v. 30.10.2008 – 8 AZR 54/07, NZA 2009, 432; BAG v. 19.12.2006 – 9 AZR 230/06, DB 2007, 1707. 2 Exemplarisch: BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 655/13, NZA 2015, 94. 3 Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 59; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 154. 4 BAG v. 20.1.1982 – 5 AZR 755/79, AP Nr. 72 zu § 4 TVG Ausschlussfristen Bl. 1. 5 Vgl. zur rechtlichen Einordnung Kania, Nichtarbeitsrechtliche Beziehungen, S. 69 ff., 86.
Richter | 253
§ 9 Rz. 9.96 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
16. Versicherungen 9.96
Durch den übertragenden Rechtsträger zugunsten von Arbeitnehmern abgeschlossene Versicherungen können grundsätzlich in den Anwendungsbereich von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB fallen, sofern sie auf der Grundlage einzelvertraglicher Abreden zugesagt wurden1. Relevanz hat dies insbesondere für Lebens-, Unfall-, Kranken- und Reisegepäckversicherungen.
9.97
Entgegen der Abgrenzung, die im Steuerrecht im Zusammenhang mit der Kennzeichnung des steuerpflichtigen Arbeitslohns vorgenommen wird2, kommt es nicht darauf an, ob sich aufgrund der Versicherungsvereinbarung unmittelbar Leistungsansprüche des Arbeitnehmers gegenüber der Versicherung ergeben. Entscheidend ist vielmehr, ob der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer die Zusage gemacht hat, auf seine Kosten bestimmte Risiken über die gesetzlichen Pflichten hinaus abzusichern. Damit werden entsprechende Zusagen nicht nur dann erfasst, wenn die Leistungen im Rahmen einer Gruppenversicherung erbracht werden sollen. Hier ist der Arbeitnehmer zwar materiell Inhaber des Rechtsanspruchs gegenüber dem Versicherer (§ 44 Abs. 1 Satz 1, § 179 Abs. 1 Satz 2 VVG). Der Leistungsanspruch kann aber nur durch den Versicherungsnehmer, also den Arbeitgeber, geltend gemacht werden. Solche Zusagen werden auch dann erfasst, wenn der Arbeitgeber unmittelbar leistet, seinerseits aber eine Rückdeckungsversicherung abgeschlossen hat. Insoweit muss, vergleichbar mit den Überlegungen zur betrieblichen Altersversorgung (vgl. Rz. 34.135 ff., 34.139), zwischen dem Versicherungs- und dem Versorgungsverhältnis unterschieden werden.
9.98
Die vorstehend beschriebene Abgrenzung hat zur Folge, dass den übernehmenden Rechtsträger eine Leistungsverpflichtung auch dann trifft, wenn eine Fortführung der (Firmen-)Police oder der Gruppenversicherung ausgeschlossen ist. Die betroffenen Arbeitnehmer haben insoweit einen Anspruch auf Verschaffung eines entsprechenden Versicherungsschutzes. Für den übernehmenden Rechtsträger bleibt damit die Möglichkeit, über das „Ob“ und das „Wie“ der Versicherung und des damit verbundenen Risikos (einschließlich ihrer Finanzierung) zu entscheiden3. Verzichtet er auf die Versicherung, trägt er das damit verbundene Versicherungsrisiko selbst.
9.99
Art. 3 Abs. 4 Richtlinie 2001/23/EG sieht eine solch weitreichende Eintrittsverpflichtung des übernehmenden Rechtsträgers nicht als zwingend an und lässt keinen Übergang solcher versicherungsrechtlicher Regelungen vor. In Übereinstimmung mit den Ausführungen zur Übernahme von Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung (vgl. Rz. 35.23, Rz. 35.38 ff.) muss jedoch festgestellt werden, dass der deutsche Gesetzgeber von der Möglichkeit einer Beschränkung der Rechtswirkungen des § 613a BGB auf solche Verpflichtungen keinen Gebrauch gemacht hat. Dies mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass eine solche Beschränkung im Reflex zur Sicherung des entsprechenden Schutzes Leistungspflichten des übertragenden Rechtsträgers hätte vorsehen müssen. Denn eine dahingehende Regelung wäre nach Art. 3 Abs. 4 Richtlinie 2001/23/EG notwendig, schließt man eine Übertragung der entsprechenden Absicherung durch den übernehmenden Rechtsträger aus.
1 Vgl. BAG v. 13.2.2003 – 8 AZR 654/01, NZA 2003, 552 zu einer Lebensversicherung. 2 Vgl. BFH v. 18.8.2016 – VI R 46/13, BeckRS 2016, 95596; BFH v. 16.4.1999 – VI R 66/97, NZA-RR 1999, 535 ff. 3 A.A. Bauer, Unternehmensveräußerung, S. 67, der bei solchen Fallgestaltungen eine Anwendbarkeit von § 613a BGB verneint. Auch Borngräber, Betriebsübergang, S. 90, lehnt bei „qualitativ völlig veränderten“ Verpflichtungen des übernehmenden Rechtsträgers als Folge einer Umstellung der Versicherung eine Eintrittspflicht nach § 613a Abs. 1 BGB ab.
254 | Richter
Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.104 § 9
Grundsätzlich kann auch eine zusätzliche Krankenversicherung von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB erfasst werden. Allerdings muss es sich hierbei um eine freiwillige Versicherung (z.B. wegen einer Auslandsentsendung) handeln. Zu Besonderheiten, die sich aus der Einbindung einer Betriebskrankenkasse ergeben, siehe Rz. 7.25 ff.
9.100
17. Geheimhaltungspflichten Die arbeitsvertragliche Pflicht zur Geheimhaltung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen muss durch den Arbeitnehmer auch nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses eingehalten werden. War auch eine nachvertragliche Verschwiegenheitspflicht vereinbart, kommt sie im Verhältnis zum übernehmenden Rechtsträger denknotwendig erst zum Tragen, wenn das Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und übernehmendem Rechtsträger beendet wird1.
9.101
Obgleich der Übergang des Arbeitsverhältnisses zur Beendigung der rechtlichen Bindungen zwischen Arbeitnehmer und übertragendem Rechtsträger führt, löst dies die Verschwiegenheitspflicht nicht auf. Mit Blick auf § 324 UmwG sowie § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ist der übernehmende Rechtsträger als Rechtsnachfolger nicht Dritter, sondern Inhaber des Anspruchs auf Verschwiegenheit2. Er kann, selbst wenn es sich um die Weitergabe der beim übertragenden Rechtsträger entstandenen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse handelt, im Rahmen des Arbeitsverhältnisses die Bekanntgabe ihm gegenüber verlangen, falls dies zur Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten erforderlich ist. Eine Verschwiegenheitspflicht des Arbeitnehmers gegenüber dem übernehmenden Rechtsträger kommt nur dann in Betracht, wenn die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nach der Übertragung an sich keine Relevanz (mehr) für die übertragene betriebliche Einheit haben. Der Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den übernehmenden Rechtsträger ist insoweit dann als Beendigung anzusehen, die die vereinbarte nachvertragliche Verschwiegenheitspflicht auslöst.
9.102
Besteht das Arbeitsverhältnis mit dem übertragenden Rechtsträger fort, hat dies – wie einleitend ausgeführt – auf den Bestand einer nachvertraglichen Geheimhaltungsverpflichtung an sich keine Auswirkungen. Probleme können entstehen, wenn das Arbeitsverhältnis zum übertragenden Rechtsträger aufgrund eines Widerspruchs gegen dessen Übergang fortbesteht. Hat der Arbeitnehmer nach Übergang, aber vor Widerspruch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des übertragenden Rechtsträgers an den übernehmenden Rechtsträger preisgegeben, kann hierin – soweit keine besonderen Umstände vorliegen, die zu einer abweichenden Bewertung Anlass geben – keine Verletzung der Geheimnispflicht gesehen werden3.
9.103
18. Gesetzliches und nachvertragliches Wettbewerbsverbot/ Nebentätigkeitsgenehmigung a) Gesetzliches Wettbewerbsverbot Das gesetzliche Wettbewerbsverbot nach § 60 HGB besteht nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem übernehmenden Rechtsträger als arbeitnehmerseitige Pflicht grundsätzlich fort (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB)4. Der Kreis der erlaubten Tätigkeiten kann sich
1 D. Gaul, NZA 1989, 697, 700. 2 Dauner-Lieb/Langen/Klappstein, BGB Schuldrecht, § 613a Rz. 33 unter Hinweis auf die Übernahme von vertraglichen Nebenpflichten. 3 Zu diesem Problemkreis vgl. D. Gaul, NZA 1989, 697, 700 ff. 4 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 80; Gaul/Ludwig, NZA 2013, 489; D. Gaul, NZA 1989, 697, 698.
Richter | 255
9.104
§ 9 Rz. 9.104 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
in Folge des Übergangs ändern, also enger oder auch weiter werden, da sich Inhalt und Reichweite des Wettbewerbsverbots nach den Anforderungen des Unternehmens und nicht des Betriebs richten1. Aus § 242, § 241 Abs. 2, § 315 BGB folgt aber das Gebot, dem Arbeitnehmer bei der Beendigung einer nach Betriebsübergang nicht mehr zulässigen Nebentätigkeit eine am Einzelfall ausgerichtete Auslauffrist einzuräumen2.
9.105
Der übernehmende Rechtsträger kann auch berechtigt sein, eine vom übertragenden Rechtsträger ursprünglich erteilte Einwilligung zu einer Wettbewerbstätigkeit zu widerrufen. Der Widerruf hat dann zur Folge, dass der Arbeitnehmer die entsprechende Tätigkeit einstellen muss. Steht die der Einwilligung zugrundeliegende Erklärung einer dahingehenden Auslegung entgegen, etwa, weil der Widerruf der Einwilligung ausdrücklich ausgeschlossen wurde, kann nach Übergang der betrieblichen Einheit ein Anpassungs- und bei Weigerung ein Recht zur Teilkündigung nach § 313 BGB wegen Störung der Geschäftsgrundlage in Betracht kommen3. Aufgrund der Wertung des § 60 HGB kann der Arbeitnehmer schon dem Grunde nach nicht darauf vertrauen, dass es zu keinerlei Umstrukturierungsmaßnahmen komme, die seine Genehmigung tangieren4. b) Nebentätigkeitsgenehmigung
9.106
Das Vorstehende gilt für eine vom übertragenden Rechtsträger erteilte Einwilligung zur Durchführung einer anderweitigen, nicht wettbewerbsrelevanten Nebentätigkeit. Hier kann der übernehmende Rechtsträger ein Verbot oder die Aufgabe der Tätigkeit jedoch nur soweit einfordern, wie dies durch berechtigte Interessen bedingt ist. Fehlt es hieran, hat der Arbeitnehmer aus Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG i.V.m. §§ 242, 241 Abs. 2, § 315 BGB einen Anspruch gegenüber dem übernehmenden Rechtsträger auf Ausübung der Nebentätigkeit5. Der Erlaubnisvorbehalt muss zudem im Arbeitsvertrag selbst zum Ausdruck kommen. Andernfalls läge darin eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Rechtsposition des Arbeitnehmers. Denn der Arbeitgeber ist zu einem solchen Eingriff in die Rechtsposition des Arbeitnehmers nur berechtigt, wenn seine durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Interessen an einem Verbot die durch Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Interessen des Arbeitnehmers an der Ausübung der Nebentätigkeit überwiegen6. Wenn – was nach wie vor anzutreffen ist – das Nebentätigkeitsverbot ohne Erlaubnisvorbehalt im Formulararbeitsvertrag enthalten ist, wäre es sogar nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam; eine geltungserhaltende Reduktion wäre ausgeschlossen (§ 306 BGB).
1 D. Gaul, NZA 1989, 697, 698; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 193; MünchKommHGB/Thüsing, § 60 HGB Rz. 52 ff.; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 101 m.w.N. 2 Ebenso WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 183. 3 Zur Möglichkeit des Widerrufs Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 194; zur Anpassung nach § 313 BGB: Abl. D. Gaul, NZA 1989, 697, 698. 4 Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 194; WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 183. 5 BAG v. 13.5.2015 – 2 ABR 38/14, NZA 2016, 116, Rz. 21. 6 So BAG v. 26.8.1976 – 2 AZR 377/75, DB 1977, 544, 545; BAG v. 24.3.2010 – 10 AZR 66/09, NZA 2010, 693, Rz. 17; ErfK/Schmidt, Art. 12 GG Rz. 34. Zur Interessenabwägung siehe MünchArbR/ Reichold, § 54 Rz. 1; zur Einwilligung des Arbeitgebers in eine Teilzeitbeschäftigung siehe MünchArbR/Reichold, § 54 Rz. 15.
256 | Richter
Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.108 § 9
c) Nachvertragliches Wettbewerbsverbots Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitnehmer grundsätzlich frei, seine Kenntnisse und Fähigkeiten beruflich anderweitig, auch bei einem Wettbewerber des bisherigen Arbeitgebers, zu verwenden1. Etwas anderes gilt, wenn verbindlich ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot i.S.d. §§ 74 ff. HGB vereinbart ist2. Richtigerweise handelt es sich bei der Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots um einen Bestandteil des Arbeitsverhältnisses3, der nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB mit auf den übernehmenden Rechtsträger übergeht, ohne dass es einer gesonderten Vereinbarung bedürfte4.
9.107
Widerspricht der Arbeitnehmer dem Betriebsübergang, richtet sich die Wirksamkeit und Verbindlichkeit des nachvertraglichen Wettbewerbsverbotsallein nach den Verhältnissen beim übertragenden Rechtsträger am Tage der Vertragsbeendigung mit ihm5; auf den erwerbenden Rechtsträger kommt es insoweit nicht weiter an. Die geschäftlichen Interessen und damit die zulässige Reichweite eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots können sich nach der Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils aufgrund der Übertragung der betrieblichen Einheit erheblich verändert haben6. Nimmt der Arbeitnehmer später, aber noch während des laufenden nachvertraglichen Wettbewerbsverbots doch eine Tätigkeit bei dem übernehmenden Rechtsträger auf, spricht viel dafür, dass der übertragende Rechtsträger eine Unterlassung dieser Tätigkeit nicht wird verlangen und durchsetzen können. Es fehlt diesem insoweit an einem die verfassungsrechtlich geschützte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers übersteigenden berechtigten Interesse.
9.108
1 Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rz. 14, 29. 2 Zur Übertragbarkeit der dort für den Handlungsgehilfen getroffenen Regelungen: BAG v. 13.9.1969 – 3 AZR 138/68, AP Nr. 24 zu § 611 BGB Konkurrenzklausel m. zust. Anm. Wiedemann/Steinberg Bl. 7 ff.; BAG v. 2.8.1971 – 3 AZR 12/71, AP Nr. 27 zu § 74 HGB Bl. 2; D. Gaul, Schutz von Betriebsund Geschäftsgeheimnissen, S. 218 f.; Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rz. 49 ff.; Weisemann/ Schrader, DB 1980 Beil. 4, S. 3, 7; Lahusen, NZA 1985, 802; Buchner, Anm. zu BAG v. 2.5.1970 – 3 AZR 134/69, AP Nr. 26 zu § 74 HGB Bl. 4 ff.; Gaul/Ludwig, NZA 2013, 489. 3 Birk, Anm. zu BAG v. 24.10.1972 – 3 AZR 102/72, SAE 1974, 5, 10; Schreiber, RdA 1982, 137, 145; Buchner, Wettbewerbsverbote, C, Rz. 445 ff.“; Grunsky, Festschrift Söllner, 1990, S. 41, 42 ff.; ausdrücklich abl. Nägele, BB 1989, 1480 f.; Gaul/Ludwig, NZA 2013, 489, 490. 4 LAG Baden-Württemberg v. 6.8.1998 – 19 Sa 10/98, LAGE § 613a BGB Nr. 70 S. 1 ff.; Birk, Anm. zu BAG v. 24.10.1972 – 3 AZR 102/72, SAE 1974, 5, 8 f.; v. Hoyningen-Huene/Windbichler, RdA 1977, 329, 334; D. Gaul, NZA 1989, 697, 698; Bauer, DB 1983, 713, 716 f.; Moll, NJW 1993, 2016, 2017; Bossmann, Auswirkungen des Betriebsübergangs, S. 156 f. m.w.N.; Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 59; B. Gaul, DB 1995, 874, 876; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 193 ff.; Annuß, BB 1998, 1582, 1585; Gaul/Ludwig, NZA 2013, 489; Buchner, Wettbewerbsverbote, C Rz. 445 ff., 451 ff., der allerdings im Wege der Auslegung eine Verpflichtung des übernehmenden Rechtsträgers für denkbar erachtet, bei einer Beendigung des Vertragsverhältnisses mit dem Arbeitnehmer die wettbewerbsrechtlichen Belange auch des übertragenden Rechtsträgers mit zu vertreten. Diese Verpflichtung soll dann auch das geschäftliche Interesse des übernehmenden Rechtsträgers i.S.d. § 74a Abs. 1 HGB an einer Aufrechterhaltung des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots begründen (dies zurecht ablehnend Röhsler/Borrmann, Wettbewerbsbeschränkungen für Arbeitnehmer und Handelsvertreter, S. 126). 5 Zur Bedeutung der Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und Unverbindlichkeit im Zusammenhang mit einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot vgl. BAG v. 15.1.2014 – 10 AZR 243/13, NZA 2014, 536 ff. 6 D. Gaul, NZA 1989, 697, 699.
Richter | 257
§ 9 Rz. 9.109 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
9.109
Geht das Arbeitsverhältnis auf den erwerbenden Rechtsträger über, wird dieser grundsätzlich durch das nachvertragliche Wettbewerbsverbot berechtigt und (hinsichtlich einer etwaigen Karenzentschädigung) verpflichtet1. Die Karenzzeit beginnt dann mit Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis mit dem übernehmenden Rechtsträger. Von diesem Zeitpunkt und den berechtigten Interessen des übernehmenden Rechtsträgers nach § 74a Abs. 1 HGB2 hängt dann die Verbindlichkeit des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots ab3. Die Interessenlage des übertragenden Rechtsträgers ist insoweit rechtlich nicht mehr von Belang. Ergibt sich eine Unverbindlichkeit des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots, steht dem Arbeitnehmer nach § 74a Abs. 1 HGB ein „Wahlrecht“ zu, ob er sich nachvertraglich an das Wettbewerbsverbot gebunden sieht oder nicht. Entscheidet sich der Arbeitnehmer für die Einhaltung des Wettbewerbsverbots, kann er die Karenzentschädigung vom Erwerber beanspruchen. Entscheidet er sich, das Wettbewerbsverbot nicht anzuerkennen, geht der Anspruch auf Karenzentschädigung verloren4.
9.110
Soweit die Wettbewerbsvereinbarung mit dem Arbeitsverhältnis nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber übergeht, kann sich der Übertragende, selbst in dem Fall, in dem der Unternehmenszweck unverändert durch den Erwerber fortgeführt wird, nicht mehr auf das Wettbewerbsverbot berufen; er muss im Gegenzug indes auch keine Karenzentschädigungszahlungen leisten5. Ferner kann er nicht verhindern, dass der Erwerber einen Verzicht auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot erklärt (§ 75a HGB) oder mit dem Arbeitnehmer dessen Aufhebung vereinbart und seinerseits nach Ablauf einer Frist von einem Jahr ab Zugang der Verzichtserklärung von der Verpflichtung zur Karenzentschädigung frei wird6. Absicherung in dieser Hinsicht kann der übertragende Rechtsträger zum einen durch explizite Abreden mit dem Arbeitnehmer erlangen, in denen sich dieser verpflichtet, das Wettbewerbsverbot auch nach dem Betriebsübergang zu beachten. Zum anderen kann er den übernehmenden Rechtsträger verpflichten, auf bestehende nachvertragliche Wettbewerbsverbote nicht zu verzichten und deren Durchsetzung zu betreiben, soweit der übertragende Rechtsträger dies verlangt. Solange eine nachvertragliche Wettbewerbsabrede im Hinblick auf die unmittelbar bevorstehende Beendigung der Rechtsbeziehung zum übertragenden Rechtsträger durch die anstehende Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge indes vor der Übertragung des Arbeitsverhältnisses getroffen wird, ist sie nur wirksam, wenn die Vorgaben der §§ 74 ff. HGB eingehalten werden. Eine Vereinbarung, nach der sich der Arbeitnehmer dem Veräußerer zur Wettbewerbsenthaltung verpflichtet, ist danach im Hinblick auf den Zweck von § 613a BGB wirksam nur möglich, wenn der Arbeitnehmer für seine Tätigkeit bei dem übernehmenden Rechtsträger keine Einschränkung seiner Leistungsverpflichtungen hinnehmen muss.
9.111
Hat der übernehmende Rechtsträger an dem vereinbarten und auf ihn übergegangenen nachvertraglichen Wettbewerbsverbot kein Interesse, steht ihm die Möglichkeit offen, auf die Einhaltung des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots noch während des laufenden Arbeitsverhältnisses gemäß § 75a HGB zu verzichten. Macht er von diesem Recht Gebrauch, wird er 1 BAG v. 27.11.1991 – 4 AZR 211/91, NZA 1992, 800; Gaul/Ludwig, NZA 2013, 489. 2 So auch Bauer, DB 1983, 713, 717; Gaul/Ludwig, NZA 2013, 489, 490; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 196 m.w.N. 3 Vgl. zur Problematik von „statischen Wettbewerbsklauseln“ Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 196 m.w.N. 4 Vgl. BAG v. 2.12.1968 – 3 AZR 402/67, AP Nr. 3 zu § 74a HGB Bl. 2; BAG v. 5.10.1982 – 3 AZR 451/80, AP Nr. 42 zu § 74 HGB Bl. 2. 5 Vgl. WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 184 m.w.N. 6 Buchner, Wettbewerbsverbote, C Rz. 457.
258 | Richter
Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.112 § 9
nach Ablauf einer Frist von einem Jahr ab Zugang der Verzichtserklärung von der Verpflichtung zur Zahlung der Karenzentschädigung frei. In Anbetracht dieses Fristlaufs kann es sich anbieten, den veräußernden Rechtsträger bereits in dem der Übertragung zugrundeliegenden Vertrag zu verpflichten, unverzüglich und noch vor dem Betriebsübergang auf die Einhaltung des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots zu verzichten, um einen möglichst frühzeitigen Beginn des Fristlaufs sicherzustellen. d) Übernahme von Verpflichtungen gegenüber ausgeschiedenen Arbeitnehmern Schwierigkeiten bereiten Fälle, in denen der Arbeitnehmer, mit dem ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart wurde, bereits vor Betriebsübergang aus dem Arbeitsverhältnis mit dem übertragenden Rechtsträger ausscheidet, der übernehmende Rechtsträger jedoch Interesse an der Einhaltung des Wettbewerbsverbots hat. Ein Eintreten in die nachvertragliche Wettbewerbsabrede gemäß § 613a BGB scheidet mangels eines bei Übergang der betrieblichen Einheit bestehenden Arbeitsverhältnisses aus. Dass aus der Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots gemäß §§ 74 ff. HGB eine rechtliche Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch über die Beendigung des Arbeitsvertrags hinaus besteht, genügt – entgegen anderer Ansicht1 – nicht, um unmittelbar einen Übergang der Wettbewerbsvereinbarung gemäß § 613a BGB anzunehmen2. Auch eine analoge Anwendbarkeit von § 613a BGB kommt nach zutreffender Ansicht nicht in Betracht3. Es fehlt hierfür sowohl an der für eine analoge Anwendung der Vorschriften erforderlichen vergleichbaren Interessenlage als auch an der erforderlichen planwidrigen Regelungslücke4. Einer möglichen individualvertraglichen Überleitung auf den übernehmenden Rechtsträger wird der ausgeschiedene Arbeitnehmer typischerweise nur zustimmen, wenn sich der übernehmende Rechtsträger zur Zahlung einer über dem Mindestbetrag des § 74 Abs. 2 HGB liegenden Karenzentschädigung bereit erklärt5. Insoweit gilt der Grundsatz, dass der Erwerber nur in Arbeitsverhältnisse eintritt, die am Tage des Wirksamwerdens der Übertragung in dem vom Übergang betroffenen Betrieb oder Betriebsteil noch bestehen. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer selbst durch Widerspruch oder außerordentliche Kündigung, die auch im Zusammenhang mit einer Spaltung nach § 123 UmwG denkbar sind (vgl. Rz. 11.167 ff.), eine Beendigung der Rechtsbeziehung vor seinem Übergang auf einen anderen Rechtsträger oder – bei einem späteren Widerspruch – ex tunc zum Tage des von den beteiligten Unternehmen aus beabsichtigten Übergangs bewirkt hat. Bei Umwandlungen kann grundsätzlich in dem zugrundeliegenden Vertrag die Übertragung der Rechte und Pflichten aus der nachvertraglichen Wettbewerbsabrede dem übernehmenden Rechtsträger zugeordnet werden. Das Wettbewerbsverbot selbst,
1 HWK/Willemsen/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 244; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 197 2 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 80; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 102 – jeweils m.w.N. 3 LAG Köln v. 8.7.2011 – 10 Sa 398/11, ZIP 2012, 243; Hessisches LAG v. 3.5.1993 – 10 Sa 345/93, NZA 1994, 1033, 1034; Birk, Anm. zu BAG v. 24.10.1972 – 3 AZR 102/72, SAE 1974, 5, 9 f.; Bauer, DB 1983, 713, 717; KassHdb/Hattesen, Teil 1.7 Rz. 124 f.; von Hoyningen-Huene/Windbichler, RdA 1977, 329, 334, lehnen eine analoge Anwendbarkeit von § 613a BGB jedenfalls für den Betriebsteilübergang ab; a.A. Seiter, Betriebsinhaberwechsel, S. 81; Becker-Schaffner, BlStSozArbR 1975, 305, 307; Simon, ZfA 1987, 311, 327; Schmalenberg, NZA 1989 Beil. 3, S. 14, 15; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 102; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 80. 4 LAG Köln v. 8.7.2011 – 10 Sa 398/11, ZIP 2012, 243; Hessisches LAG v. 3.5.1993 – Sa 345/93, NZA 1994, 1033, 1034; a.A. Borngräber, Arbeitsverhältnis bei Betriebsübergang, S. 74. 5 Vgl. LAG Köln v. 8.7.2011 – 10 Sa 398/11, ZIP 2012, 243; Hessisches LAG v. 3.5.1993 – 10 Sa Ga 345/93, NZA 1994, 1033, 1034; WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 185.
Richter | 259
9.112
§ 9 Rz. 9.112 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
die Unterlassungsverpflichtung, bezieht sich dann allerdings weiterhin auf den übertragenden Rechtsträger. Eine Ausnahme gilt, wenn der übertragende Rechtsträger im Zuge der Umwandlung, wie etwa bei einer Aufspaltung, erlischt. In diesen Fällen können die Ansprüche aus der nachvertraglichen Wettbewerbsabrede nach zutreffender Ansicht dem übernehmenden Rechtsträger vollumfänglich zugeordnet werden, so dass sich das Wettbewerbsverbot auf ihn und seine berechtigte Interessenlage bezieht. Die Wirksamkeit der nachvertraglichen Wettbewerbsabrede für die Zukunft setzt dann voraus, dass seine geschäftlichen Interessen die Wettbewerbsenthaltung rechtfertigen.
9.113
Fehlt es an einem solchen Interesse, tritt der übernehmende Rechtsträger nach zutreffender Ansicht zwar gleichwohl in die Wettbewerbsabrede nach allgemeinen Regeln der §§ 14, 20 UmwG ein, wobei sich das Wettbewerbsverbot in diesem Fall für den bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmer nach § 74a Abs. 1 HGB als unverbindlich erweisen wird. Ob der erwerbende Rechtsträger Interesse an der Aufrechterhaltung des Wettbewerbsverbots hat, darf indes keinen Einfluss darauf haben, dass die Wettbewerbsvereinbarung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf ihn übergeht, da andernfalls dem bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmer sein ursprünglich begründeter Anspruch auf Karenzentschädigung trotz Gesamtrechtsnachfolge genommen würde.
9.114
Denkbar ist auch, dass der übertragende Rechtsträger, zu dessen Gunsten das Wettbewerbsverbot dem Grunde nach besteht, dieses an den Erwerber abtritt. Allerdings greift der Unterlassungsanspruch in diesen Fällen nur, wenn das Interesse an der Unterlassung nach wie vor auch beim Veräußerer liegt. Andernfalls ist das Wettbewerbsverbot nach § 74a Abs. 1 HGB unverbindlich und die Abtretung geht letztlich ins Leere. Besteht ein solches Interesse aber, kann auch ein tauglicher Lösungsansatz sein, den übertragenden Rechtsträger im Rahmen des dem Betriebsübertragung zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses zu verpflichten, etwaige Unterlassungsansprüche gegen die ausgeschiedenen Arbeitnehmer auf entsprechende Aufforderung des Erwerbers durchzusetzen. In beiden Fällen ist in der vertraglichen Vereinbarung zwischen Veräußerer und Erwerber festzuhalten, dass der übertragende Rechtsträger zur Erhaltung solcher Unterlassungsansprüche verpflichtet ist, die geschuldete Karenzentschädigung fortlaufend zu zahlen. Im Zuge dessen lässt sich zugleich klarstellen, dass das Wettbewerbsverbot selbstverständlich nicht im Verhältnis zum übernehmenden Rechtsträger gelten soll, soweit dieser Interesse daran hat, den bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmer „wieder“ in den übernommenen oder einen anderen Betrieb des übernehmenden Unternehmens aufzunehmen. Schließlich ist konsequenterweise eine Regelung zur Tragung der Kosten der Karenzentschädigung im Innenverhältnis zu treffen.
19. Arbeitnehmererfindungen und Urheberrechte a) Arbeitnehmererfindungen aa) Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge
9.115
Unter Berücksichtigung der Wirkungsweise und des Schutzzweckes des § 613a BGB ist mit der herrschenden Meinung von einer Einbeziehung der arbeitnehmererfindungsrechtlichen Rechte und Pflichten nach dem ArbNerfG in den Anwendungsbereich von § 613a BGB auszugehen1. Zwar ist das aufgrund einer Arbeitnehmerfindung entstehende gesetzliche Schuldverhältnis vom Arbeitsverhältnis losgelöst. Wie durch § 1 ArbNErfG zum Ausdruck kommt, 1 LG Düsseldorf v. 13.4.2010 – 4b O 277/08, BeckRS 2010, 28499 und v. 10.8.2010 – 4a O 132/09, BeckRS 2012, 10677; Bartenbach/Volz, ArbNErfG, § 1 Rz. 115; Reimer/Schade/Schippel/Rother, § 5
260 | Richter
Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.120 § 9
hat es seinen Rechtsgrund dennoch im Arbeitsverhältnis1, sodass es von § 613a BGB miterfasst wird. Mit dem Wirksamwerden der Übertragung der betrieblichen Einheit tritt der übernehmende Rechtsträger in der Folge in die Leistungsverpflichtungen aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis ein, wie sie sich aus dem ArbNErfG ergeben; dies gilt insbesondere für die Vergütungspflicht nach § 9 ArbNErfG2. Hat für den übernehmenden Rechtsträger die in Rede stehende Erfindung i.S.d. §§ 2, 3 ArbNErfG keine Bedeutung, steht es ihm frei, auf die Übertragung der Schutzrechtsposition zu verzichten. Mit der entsprechenden Freigabe entfällt dann auch seine Vergütungsverpflichtung. Zu den Fristen für die Freigabe siehe unter Rz. 9.122.
9.116
Dass der übernehmende Rechtsträger etwaige Vergütungsverpflichtungen nach § 9 ArbNErfG bei der Festsetzung des Kaufpreises nicht berücksichtigt hat, insoweit also eine Mehrleistung erbringen muss, kann selbstverständlich eine andere Betrachtungsweise nicht rechtfertigen. Es obliegt dem potentiellen Erwerber eines Betriebs oder Betriebsteils, sich auf der Grundlage einer Due Diligence Klarheit über etwaige Folgeverpflichtungen zu verschaffen und diese bei der Kalkulation des Gesamtkaufpreises, letztlich also auch bei der Kalkulation des Preises für den Erwerb der Schutzrechtsposition, zu berücksichtigen.
9.117
Widerspricht der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a Abs. 6 BGB und besteht sein Arbeitsverhältnis dementsprechend mit dem übertragenden Rechtsträger fort, kann ein Vergütungsanspruch im Verhältnis zum übernehmenden Rechtsträger nicht entstehen. Dies gilt selbst dann, wenn diesem die Schutzrechtsposition zum Zwecke der Nutzung durch den Veräußerer übertragen wurde3. Der Arbeitnehmer kann in diesem Fall von dem übertragenden Rechtsträger eine Beteiligung an den Vorteilen geltend machen, die dem übertragenden Rechtsträger als Folge der gemeinsamen Übertragung von Betrieb oder Betriebsteil und Schutzrechtsposition zugeflossen sind oder laufend zufließen.
9.118
Keine Relevanz für die Höhe des jeweiligen Vergütungsanspruchs kommt dem für die übertragene betriebliche Einheit erzielten Kaufpreis zu. § 9 ArbNErfG knüpft bei der Festsetzung der Erfindervergütung an objektive Kriterien an, die Grundlage bei einer eigenständigen Veräußerung der Erfindung i.S.d. §§ 2, 3 ArbNErfG sind4.
9.119
bb) Übertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge Das Vorstehende kann im Grundsatz auch auf Übertragungsvorgänge angewandt werden, bei denen Arbeitsverhältnisse im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf einen anderen Rechtsträger übergehen. In jedem Fall gilt dies für Übertragungsvorgänge nach dem Umwandlungsgesetz, für die gemäß § 324 BGB § 613a Abs. 1 BGB Anwendung findet5. Eine ausdrückliche Regelung zum Übergang der arbeitnehmererfindungsrechtlichen Rechte und Pflichten im Umwandlungsvertrag ist insoweit nicht erforderlich, aber auch nicht schädlich. Mit dem Übergang
1 2 3 4 5
ArbEG Rz. 13a; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 169; Schaub/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 114 Rz. 9; Oster, GRUR 2012, 467, 468 f. Bartenbach/Volz, § 1 ArbNErfG Rz. 115. Oster, GRUR 2012, 467, 469; Bartenbach/Volz, § 1 ArbNErfG Rz. 118.2. Bartenbach/Volz, § 1 ArbNErfG Rz. 116. Eingehend hierzu D. Gaul, GRUR 1994, 1, 4 ff. So Bartenbach/Volz, § 1 ArbNErfG Rz. 127.
Richter | 261
9.120
§ 9 Rz. 9.120 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
der Arbeitsverhältnisse tritt der übernehmende Rechtsträger vielmehr kraft Gesetzes in die entsprechenden Verpflichtungen ein.
9.121
Da die eigentliche Schutzrechtsposition durch den Übergang des Arbeitsverhältnisses aber nicht berührt wird, muss diesbezüglich eine besondere Zuordnung vorgenommen werden. Abweichend von der für Warenzeichen aus § 27 Abs. 2 MarkenG folgenden Vermutung werden sie von der bloßen Zuordnung von Betrieben oder Betriebsteilen nicht erfasst. Möglich ist es dabei auch, die Nutzungsbefugnis mehrerer Rechtsträger festzuschreiben. Dahingehende Vereinbarungen sind dann konsequenterweise bei der Festsetzung der Vergütung nach § 9 ArbNErfG wie bei Übertragungsvorgängen und Nutzungsvereinbarungen außerhalb der Umwandlung zu berücksichtigen. cc) Fortgeltung von Fristen zur Freigabe/Inanspruchnahme
9.122
Aus den dargestellten Grundsätzen zur Übertragung der Rechte und Pflichten aus einer Arbeitnehmererfindung folgt, dass die für eine Fiktion der Inanspruchnahme gemäß § 6 ArbNErfG geltende Frist durch den Übertragungsvorgang weder unterbrochen noch gehemmt wird1. Der übernehmende Rechtsträger, der nunmehr zur Inanspruchnahme berechtigt ist, muss daher gemäß § 6 Abs. 2 ArbNErfG innerhalb von vier Monaten nach Eingang der ordnungsgemäßen Meldung gemäß § 5 Abs. 2, 3 ArbNErfG gegenüber dem Arbeitnehmer die Freigabe der Diensterfindung in Textform erklären. Mit fruchtlosem Ablauf der vorgenannten Frist gilt seine Inanspruchnahme im Sinne von § 6 Abs. 1 ArbNErfG als erklärt2. b) Urheberrechte
9.123
Angesichts der Schutzfähigkeit urheberrechtsfähiger Entwicklungen stellt sich für den Arbeitnehmer und/oder die an der Übertragung der betrieblichen Einheit beteiligten Rechtsträger die Frage, ob und inwieweit der übernehmende Rechtsträger im Anschluss an den Übergang eines Arbeitsverhältnisses zur Verwertung und Nutzung der durch den Arbeitnehmer entwickelten Urheberrechte – insbesondere im Hinblick auf etwaige Computerprogramme – berechtigt und damit zugleich zur Zahlung einer Vergütung verpflichtet ist. Da ausdrückliche Regelungen durch den Gesetzgeber nicht geschaffen wurden, muss sich die Beantwortung dieser Fragen an den allgemeinen Grundsätzen des Urheberrechts unter Berücksichtigung der Schutzzwecke des § 613a BGB und der ihm zugrundeliegenden Richtlinie ausrichten3.
9.124
Hierzu ist als Grundsatz festzuhalten, dass die Befugnis zur Nutzung urheberrechtsfähiger Entwicklungen eines Arbeitnehmers bei Übergang des Arbeitsverhältnisses infolge einer Übertragung der zugeordneten betrieblichen Einheit immer dann auch ohne die Zustimmung des Arbeitnehmers auf den Erwerber übergeht, wenn schon der übertragende Rechtsträger Inhaber der Nutzungsberechtigung war. Der übernehmende Rechtsträger, der insoweit in die entsprechende Position des übertragenden Rechtsträgers eintritt, bedarf zur Legitimation seiner fortwährenden Nutzung keiner besonderen Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer. Als Ausgleich hierzu ist er verpflichtet, eine etwaige Nutzungsentschädigung an den Arbeitneh-
1 Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 169 f.; WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 176. 2 Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 169 f. 3 Schwab, NZA-RR 2015, 5 ff.; vgl. exemplarisch: Wandtke/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht, 5. Aufl. 2019.
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Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.128 § 9
mer zu zahlen, wenn diese auch ohne den Übergang des Arbeitsverhältnisses durch den übertragenden Rechtsträger auf der Grundlage allgemeiner Grundsätze zu zahlen gewesen wäre. Die voranstehenden Überlegungen gelten ohne Rücksicht auf die Form der Übertragung. Bei einer Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge folgt dies aus § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB. Bei Umwandlungsvorgängen folgt dies aus § 324 UmwG, § 613a Abs. 1 BGB. Auch kann im Rahmen des Umwandlungsvertrags die Nutzungsbefugnis einem der beteiligten Rechtsträger zugeordnet werden, sofern dieser nicht durch die Umwandlung erlischt. Solche Regelungen sind auch außerhalb einer Umwandlung nach dem Umwandlungsgesetz zulässig.
9.125
20. Zeugnisanspruch Der übernehmende Rechtsträger ist verpflichtet, den aus § 109 GewO folgenden Zeugnisanspruch zu erfüllen1. Die hierfür benötigten Informationen zur Tätigkeit des Arbeitnehmers beim übertragenden Rechtsträger muss er ggf. beim übertragenden Rechtsträger erfragen. Die Beurteilung selbst kann sich allerdings nur auf die Zeit nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses beziehen. Sie ist subjektiv und schließt deshalb eine Bindung an die Beurteilung durch den übertragenden Rechtsträger aus. Die Zeit bis zum Übergang muss der Arbeitnehmer durch ein Zwischenzeugnis erfassen lassen. Der Anspruch auf ein solches Zwischenzeugnis ist mit Blick auf den Arbeitgeberwechsel auch im Klageweg durchsetzbar2. Hat der übertragende Rechtsträger ein Zwischenzeugnis ausgestellt, an welches sich ein weiterer im Endzeugnis zu beurteilender Zeitraum anschließt, so ist der übernehmende Rechtsträger im Grundsatz an den Inhalt des Zwischenzeugnisses gebunden. Er darf hiervon jedoch abweichen, wenn die späteren Leistungen und das spätere Verhalten des Arbeitnehmers dies rechtfertigen3. Umgekehrt obliegt es dem Arbeitnehmer, die Gründe einer etwaigen Verbesserung der im End- gegenüber den im Zwischenzeugnis bescheinigten Leistungen darzulegen und zu beweisen4.
9.126
21. Ansprüche aus Annahmeverzug a) Ansprüche gegenüber dem übernehmenden Rechtsträger In Ansprüche aus Annahmeverzug tritt der übernehmende Rechtsträger gemäß § 613a Abs. 1 BGB vollumfänglich ein, auch wenn sie bereits beim übertragenden Rechtsträger begründet waren5. Der übertragende Rechtsträger haftet im Außenverhältnis zum Arbeitnehmer gemäß § 613a Abs. 2 neben dem übernehmenden Rechtsträger für solche Verzugsansprüche, die – was ohne weitere Abrede der Fall ist – innerhalb eines Jahres nach der Übertragung der betrieblichen Einheit fällig werden.
9.127
Wurde das den Annahmeverzug begründende Angebot der Arbeitsleistung bereits beim übertragenden Rechtsträger unterbreitet, oder war ein solches Angebot (z.B. aufgrund erfolgter Freistellung) entbehrlich, ist der Arbeitnehmer im Anschluss an den Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht verpflichtet, seine Arbeitsleistung beim übernehmenden Arbeitgeber er-
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1 2 3 4 5
MünchKommBGB/Henssler, § 630 BGB Rz. 49. Jüchser, NZA 2012, 244, 246. BAG v. 16.10.2007 – 9 AZR 248/07, NZA 2008, 298. Vgl. LAG Bremen v. 9.11.2000 – 4 Sa 101/00, NZA-RR 2001, 287. LAG Düsseldorf v. 26.5.2011 – 11 Sa 181/11, BeckRS 2011, 75099; NK-BGB/Klappstein, § 613a BGB Rz. 29; Meyer, NZA 2000, 297, 301 f. Für aufgrund unterbliebener Beschäftigung entgangene Trinkgelder: LAG Köln v. 2.2.1995 – 10 Sa 1071/94, BeckRS 1995, 30753222.
Richter | 263
§ 9 Rz. 9.128 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
neut anzubieten1. Bedeutsam wird dies insbesondere dann, wenn vom übertragenden Rechtsträger vor Übergang des Arbeitsverhältnisses eine Kündigung ausgesprochen und der Arbeitnehmer nicht weiterbeschäftigt wurde2. Greift der Arbeitnehmer fristwahrend die Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage an, sieht das BAG in der erhobenen Klage ein wörtliches und zureichendes Angebot i.S.d. § 295 BGB, welches nach erfolgtem Betriebsübergang auch im Verhältnis zum übernehmenden Rechtsträger fortwirkt3. Unerheblich ist, ob der übernehmende Rechtsträger Kenntnis vom Annahmeverzug hat. Er muss sich die Kenntnis des bisherigen Betriebsinhabers zurechnen lassen4. Da der Übergang des Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes erfolgt, ist auch eine Erklärung des Arbeitnehmers gegenüber dem übernehmenden Rechtsträger, dass er den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit diesem wolle, nicht erforderlich. Zu beachten ist jedoch, dass das BAG in seiner vorzitierten Rechtsprechung klargestellt hat, dass die Rechtslage anders zu bewerten ist, wenn der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Erhebung der Kündigungsschutzklage oder nach Erhebung der Kündigungsschutzklage nicht arbeitswillig oder nicht arbeitsfähig i.S.d. § 297 BGB ist. Gemäß § 297 Alt. 2 BGB komme der Gläubiger nicht in Verzug, wenn der Schuldner zu der für die Handlung des Gläubigers bestimmten Zeit außer Stande ist, die Leistung zu bewirken. Der Arbeitnehmer müsse daher im Falle einer Arbeitsunfähigkeit nach der Herstellung der Arbeitsfähigkeit die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit mitteilen und seine Arbeitsleistung nochmals gemäß §§ 294, 295 Satz 1 BGB anbieten. Gleiches gelte für die ursprünglich fehlende oder zwischenzeitlich eingetretene Arbeitsunwilligkeit. Auch in diesem Fall reiche die ursprünglich erhobene Kündigungsschutzklage nicht, um den Arbeitgeber nach einer zwischenzeitlich eingetretenen Arbeitsunwilligkeit nach Herstellung der Arbeitswilligkeit für die Zukunft zu versetzen. Vielmehr bedürfe es eines neuen Angebots der Arbeitsleistung gemäß der §§ 294, 295 BGB5. Diese Einschränkung gilt selbstverständlich auch im Verhältnis zum übernehmenden Rechtsträger nach Übergang des Arbeitsverhältnisses.
9.129
Hiervon ist der Fall des Wiedereinstellungsanspruchs gegenüber dem übernehmenden Rechtsträger im Anschluss an eine wirksame betriebsbedingte Kündigung durch den übertragenden Rechtsträger zu unterscheiden6. Hier obliegt es alleine dem Arbeitnehmer den Wiedereinstellungsanspruch einerseits geltend zu machen, wie andererseits seine Arbeitsleistung neu anzubieten. Die Geltendmachung des Wiedereinstellungsanspruchs für sich genommen vermag einen Annahmeverzug mangels Bestehen eines Arbeitsverhältnisses nicht auszulösen. Lehnt der übernehmende Rechtsträger aber – entgegen seiner Rechtspflicht aus §§ 242, 613a BGB – eine Wiedereinstellung ab, obschon die Voraussetzungen eines solchen Wiedereinstellungsanspruchs im Einzelfall vorliegen, führt dies vom Tage der Geltendmachung des Wiedereinstellungsanspruchs an zu einem Schadensersatzanspruch aus §§ 242, 280 ff., § 311 Abs. 2, § 613a BGB. Der den Wiedereinstellungsanspruch berechtigt geltend machende Arbeitnehmer 1 BAG v. 9.7.1987 – 2 AZR 467/86, n.v.; BAG v. 21.3.1991 – 2 AZR 577/90, DB 1991, 1886; BAG v. 23.9.2009 – 5 AZR 518/08, NZA 2010, 781; Bachner, AiB 1996, 291, 299; Küttner/Kreitner, Personalbuch, Betriebsübergang Rz. 57. 2 BAG v. 21.3.1991 – 2 AZR 577/90, NZA 1991, 726 f.; BAG v. 15.11.2012 – 8 AZR 827/11, NJW 2013, 1898; Moll, NJW 1993, 2016, 2018. 3 BAG v. 21.3.1991 – 2 AZR 577/90, NZA 1991, 726; BAG v. 21.3.1985 – 2 AZR 201/84, NZA 1985, 778; BAG v. 9.8.1984 – 2 AZR 374/83, NZA 1985, 119. 4 BAG v. 16.7.1998 – 8 AZR 81/97, NZA 1998, 1233, 1234; s. auch zur Kenntnis der Schwerbehinderteneigenschaft BAG v. 11.12.2008 – 2 AZR 395/07, NZA 2009, 556. 5 BAG v. 8.4.1988 – 2 AZR 681/87, BeckRS 2009, 66109; BAG v. 21.3.1985 – 2 AZR 201/84, NZA 1985, 778. 6 Vgl. hierzu umfassend Preis/Steffan, DB 1998, 309, 312.
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Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.132 § 9
hat dann einen Anspruch darauf, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn er unmittelbar im Anschluss an die Geltendmachung des Wiedereinstellungsanspruchs seine Arbeitsleistung durch den übernehmenden Rechtsträger eingestellt hätte und tatsächlich weiterbeschäftigt worden wäre. b) Ansprüche gegenüber dem übertragenden Rechtsträger Widerspricht der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a Abs. 6 BGB und besteht in der Folge das Arbeitsverhältnis ex tunc beim übertragenden Rechtsträger fort (vgl. Rz. 11.242 ff.), besteht der Annahmeverzug denklogisch gegenüber dem übertragenden Rechtsträger fort, sofern er die Arbeitsleistung nicht annimmt. Erklärt der Arbeitnehmer seinen Widerspruch jedoch erst nach dem Übergang der betrieblichen Einheit, bedarf es eines Angebots zur Begründung des Annahmeverzugs, wenn es nicht entbehrlich ist. Eine solche Entbehrlichkeit wird in der Rechtsprechung teilweise verneint, soweit der Veräußerer vor dem Betriebsübergang in seinem Informationsschreiben deutlich gemacht hat, den Arbeitnehmer nach einem Widerspruch nicht mehr zu beschäftigen oder nicht mehr beschäftigen zu können. In diesen Fällen bedürfe es nach § 296 BGB keines Angebotes des Arbeitnehmers nach den §§ 294, 295 BGB mehr1. In jedem Fall muss sich der widersprechende Arbeitnehmer einen bei dem übernehmenden Rechtsträger oder einem Dritten erzielten Verdienst oder soweit er einen solchen trotz Zumutbarkeit unterlassen hat, nach § 615 Satz 2 BGB auf einen etwaigen Anspruch aus Annahmeverzug anrechnen lassen2.
9.130
22. Ansprüche auf Abfindungen Einzelvertragliche Zusagen auf Zahlung von Abfindungen müssen – dem Grundsatz der Überleitung von Ansprüchen folgend – durch den übernehmenden Rechtsträger erfüllt werden, wenn das Arbeitsverhältnis erst im Anschluss an den Übergang der betrieblichen Einheit endet3. Dies gilt auch, wenn die Abfindung durch gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 9, 10 KSchG4 oder gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich festgesetzt wird5. Bei Sozialplanansprüchen folgt der Anspruch, wie an anderer Stelle näher dargestellt wird (vgl. Rz. 25.406 ff.), aus dem kollektivrechtlich, jedenfalls aber als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgeltenden Sozialplan6. Besonderheiten ergeben sich in der Insolvenz des veräußernden Rechtsträgers (s. hierzu Rz. 35.83 ff.).
9.131
23. Ausschlussfristen Ausschlussfristen, die im Arbeitsvertrag unmittelbar oder durch Bezugnahme auf einen Tarifvertrag, vereinbart sind, finden auch nach dem Übergang unveränderte Anwendung7. Wenn ein Tarifvertrag normativ anzuwenden war, bestimmt sich seine Fortgeltung nach allgemeinen Grundsätzen; fehlt es danach an einer kollektiven Fortgeltung, gelten seine Regelungen als Bestandteil des Arbeitsvertrages mit kollektivrechtlichem Charakter nach § 613a Abs. 1 Satz 2 Vgl. LAG München v. 23.7.2008 – 3 Sa 118/09, juris Rz. 68. Vgl. LAG München v. 23.7.2008 – 3 Sa 118/09, juris Rz. 68. WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 198. LAG Düsseldorf v. 10.7.1995 – 10 Sa 508/95, NZA-RR 1996, 242 ff. Moll, NJW 1993, 2016, 2018 unter Verweis auf BAG v. 13.11.1986 – 2 AZR 771/85, NZA 1987, 458. 6 WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 198. 7 Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 170 m.w.N.
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Richter | 265
9.132
§ 9 Rz. 9.132 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
bis 4 BGB fort (vgl. Rz. 22.77 ff.). War ein Anspruch bereits beim übertragenden Rechtsträger von einer Ausschlussfrist wirksam erfasst, kann sich hierauf auch der übernehmende Rechtsträger berufen1. Umgekehrt muss der übernehmende Rechtsträger eine rechtzeitige Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber dem übertragenden Rechtsträger gegen sich gelten lassen2. Bei einer zweistufigen Ausschlussfrist, die eine gerichtliche Geltendmachung verlangt, muss die Klage3 zur Fristwahrung nach erfolgtem Betriebsübergang gegen den übernehmenden Rechtsträger gerichtet werden. Stehen Ansprüche in Rede, für die gemäß § 613a Abs. 2 BGB bisheriger Arbeitgeber und erwerbender Rechtsträger als Gesamtschuldner haften, wirkt die Geltendmachung bezogen auf die Ausschlussfrist den allgemeinen Vorschriften (§ 425 BGB) folgend, nur gegenüber dem Rechtsträger, gegenüber dem sie erfolgt, sprich gegen den die Klage gerichtet ist4. Da in dem Übergang der betrieblichen Einheit zugleich auch die Beendigung des Rechtsverhältnisses zum übertragenden Rechtsträger liegt, können für den Veräußerer kürzere Ausschlussfristen als für den neuen Arbeitgeber zur Anwendung kommen. Sind für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wirksam – was nur selten der Fall sein wird – kürzere Ausschlussfristen als für den Fall der Geltendmachung im bestehenden Arbeitsverhältnis vereinbart worden, ist der Übergang des Arbeitsverhältnisses im Hinblick auf den übertragenen Rechtsträger als Beendigung anzusehen5.
9.133
War die die Ausschlussfrist fristwahrende Klage zum Zeitpunkt des Übergangs bereits rechtshängig, ist dies auch im Verhältnis zum übernehmenden Rechtsträger ausreichend. Für die prozessuale Handhabe sind dann § 167 ZPO i.V.m. §§ 265, 325 ZPO (Rechtskrafterstreckung) maßgeblich. Eine erneute Klage gegen den übernehmenden Rechtsträger ist nicht erforderlich6.
9.134
Umgekehrt ist stets zu prüfen, ob im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses erstmals Ausschlussfristen zur Anwendung kommen. Grund hierfür kann insbesondere die neue Anwendbarkeit eines Tarifvertrags, etwa durch eine sich mit dem Betriebsübergang vollziehende Ablösung des bisherigen Tarifvertrags nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB oder die erstmalige Geltung eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags, sein. In diesem Fall muss der Anspruch nach Maßgabe der neuen Regelung geltend gemacht werden. Wird dort eine gerichtliche Geltendmachung verlangt, ist es nicht ausreichend, wenn der Arbeitnehmer die Klage zunächst allein auf Feststellung des Fortbestands eines Arbeitsverhältnisses zum übernehmenden Rechtsträger richtet7.
IV. Auswirkung auf Vermögensbeteiligungen, insb. Aktienoptionen 9.135
Da Vermögensbeteiligungen, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer leistet, arbeitsrechtlich Bestandteil des Vergütungsanspruchs sind, fallen die der Leistung zugrundeliegenden Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in den Anwendungsbereich von § 613a
1 Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 62. 2 Vgl. BAG v. 21.3.1991 – 2 AZR 577/90, NZA 1991, 726, 727; BAG v. 22.10.2009 – 8 AZR 766/08, NZA-RR 2010, 660, Rz. 18; Bachner, AiB 1996, 291, 300. 3 Die Erhebung einer Kündigungsschutzklage kann ausreichend sein: BAG v. 19.9.2012 – 5 AZR 627/11, NZA 2013, 101, als Reaktion auf BVerfG v. 1.12.2010 – 1 BvR 1682/07, NZA 2011, 354. 4 BAG v. 22.8.2012 – 5 AZR 526/11, NZA 2013, 376. 5 BAG v. 10.8.1994 – 10 AZR 937/93, BB 1995, 521, 522. 6 BAG v. 22.2.2012 – 4 AZR 580/10, BeckRS 2012, 71257, Rz. 21; BAG v. 21.3.1991 – 2 AZR 577/90, NZA 1991, 726, 727; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 380. 7 BAG v. 12.2.2001 – 9 AZR 1/00, DB 2001, 1676.
266 | Richter
Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.140 § 9
Abs. 1 Satz 1 BGB. Unterstellt man, dass die Zusage noch nicht erfüllt wurde, spielt es dabei keine Rolle, ob es sich um eine einmalige oder laufende Zuwendung handelt. Unerheblich ist auch, ob für gewählte Anlageformen staatliche Zulagen gewährt werden. Wenn kein Widerruf der Zusage vorbehalten wurde, muss geklärt werden, ob und inwieweit daraus Leistungsverpflichtungen des übernehmenden Rechtsträgers entstehen können.
1. Unternehmensneutrale Anlageformen Weitestgehend unproblematisch ist der Eintritt des übernehmenden Rechtsträgers, wenn es sich um allgemein zugängliche Anlageformen handelt (z.B. Sparbeitrag zum Erwerb von Aktien oder Aufwendungen des Arbeitnehmers nach dem Wohnungsbau-Prämiengesetz). Solche „unternehmensneutralen“ Beteiligungsformen werden in der Regel als monatlicher Festbetrag gezahlt. Diese Verpflichtung ist grundsätzlich – soweit sie auf individualvertraglicher Grundlage gewährt wird – vom übernehmenden Rechtsträger fortzusetzen1.
9.136
2. Unternehmens- oder konzernbezogene Anlageformen Komplexer stellt sich die Rechtslage dar, wenn die Anlage ihrer Form nach nur unter Mitwirkung des übertragenden Rechtsträgers oder dessen Obergesellschaft erfolgen kann. Dies gilt insbesondere für investive Formen der Vermögensbildung, zu welchen insbesondere die Möglichkeiten des Erwerbs von Geschäftsanteilen oder Aktien des übertragenden Rechtsträgers oder eines zum Konzern des Rechtsträgers gehörenden Unternehmens zählen2. Entsprechendes würde für branchenbezogene Investitionsformen gelten, falls der erwerbende Rechtsträger einen solchen Branchenbezug nicht aufweist.
9.137
Klärungsbedürftig ist etwa die Rechtslage, wenn die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Anlage, insbesondere für die Realisierung von eingeräumten Aktienoptionen3, nicht mehr erfüllt werden können, nachdem das Arbeitsverhältnis auf einen anderen Rechtsträger übergegangen ist. So ist die Wahrnehmung einer Aktienoption vielfach daran geknüpft, dass das Arbeitsverhältnis zum bisherigen Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Wahrnehmung der Aktienoption noch besteht.
9.138
a) Zusagen des übertragenden Rechtsträgers Grundsätzlich ist von einem Eintritt des übernehmenden Rechtsträgers in die Zusage auf Gewährung der Vermögensbeteiligung – z.B. auf Gewährung einer Aktienoption – gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auszugehen, da diese im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis erteilt wird4, soweit die Auslegung der Zusage nichts anderes ergibt.
9.139
Handelt es sich bei der Gewährung von Aktienoptionen im Verhältnis zur Vergütung des Arbeitnehmers im Übrigen lediglich um eine unwesentliche Nebenleistung des übertragenden Rechtsträgers, wird bereits eine Auslegung der Gewährungszusage nach §§ 133, 157 BGB in der Regel ergeben, dass diese bei Wegfall ihres Zweckes – nämlich der Identifikation mit dem
9.140
1 Gaul/Naumann, NZA 2011, 121, 124. 2 Vgl. hierzu v. Braunschweig, DB 1998, 1831 ff.; Zimmer, DB 1999, 999 ff. 3 Zum Schicksal von Aktienoptionsplänen nach Betriebsübergang: vgl. Schnitker/Grau, BB 2002, 2497 ff. 4 Gaul/Naumann, NZA 2011, 121, 125.
Richter | 267
§ 9 Rz. 9.140 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
die Aktienoption gewährenden Unternehmen – durch den Betriebsübergang ersatzlos entfällt1.
9.141
Anders stellt sich die Situation indes dann dar, wenn zugesagte Aktienoptionen einen wesentlichen Bestandteil des zur Arbeitsleistung im Synallagma stehenden Entgeltanspruchs des Arbeitnehmers bilden2. Hier wird regelmäßig der ersatzlose Wegfall der Zusage und der Option für den Arbeitnehmer nicht alleine aus dem Umstand des Übergangs des Arbeitsverhältnisses gefolgert werden können. Vielmehr wird in diesen Konstellationen die der Aktienoptionsgewährung zugrundeliegende Zusage oder Vereinbarung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage anzupassen sein3. Denn entsprechend zu den Grundsätzen für die Fortgewährung von Personalrabatten und zu Deputaten4 ist der Zweck der ursprünglich getroffenen Zusage nicht mehr erreichbar sowie die Erfüllung der Zusage nach dem Betriebsübergang dem Erwerber nicht, jedenfalls nicht wie dem Veräußerer vergünstigt, möglich.
9.142
Im Rahmen einer Anpassung nach § 313 BGB wird man, wenn die Vermögensbeteiligung beim übertragenden Rechtsträger als allgemeiner Bestandteil der Vergütung vereinbart wurde, wenn überhaupt eine Anpassung hin zu einer Verpflichtung des übernehmenden Rechtsträgers zur Gewährung einer wirtschaftlich vergleichbaren Leistung oder eben Option annehmen können5. Das muss selbst dann gelten, wenn dem übernehmenden Rechtsträger die Erfüllung der Aktienoptionen – weil die Aktie am Markt gehandelt und für ihn damit objektiv verschaffbar ist – an sich möglich wäre. Insoweit muss Berücksichtigung finden, dass Zweck der Einräumung einer Aktienoption typischerweise ist, für den Arbeitnehmer durch die mögliche Beteiligung am Unternehmen oder am Konzern einen Anreiz für besonderen Einsatz und für die Identifikation mit dem Arbeitgeber zu schaffen. Dieser Zweck kann indes nicht mehr erfüllt werden, wenn die Verpflichtung weiterhin auf die Gewährung von Aktien eines nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses Dritten, möglicherweise sogar eines Wettbewerbers, gerichtet bliebe. Dies berücksichtigend spricht mehr dafür, dass im Rahmen der Anpassung in aller Regel von einem vollständigen Wegfall der noch nicht gezogenen und erfüllten Option des Arbeitnehmers ausgegangen werden muss6. Für diese Bewertung spricht auch, dass das BAG selbst Beteiligungsoptionen nicht als originären Vergütungsbestandteil qualifiziert, sondern lediglich als Verdienstchance, also eine unsichere Position7. Allerdings wird in der im Rahmen der Anpassungsprüfung nach § 313 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung auch zu berücksichtigen sein, ob einem kompensationslosen Wegfall der Option entgegensteht, dass 1 Ebenso WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 178. 2 Vgl. WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 179 unter Hinweise auf die Grenzziehung durch das BAG bei einseitiger Lohngestaltung durch Änderungskündigung BAG v. 12.12.1984 – 7 AZR 509/83, NZA 1985, 321 und m.w.N. 3 Ebenso WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 177 ff.; Nehls/Sudmeyer, ZIP 2002, 201, 203; Gaul/Naumann, NZA 2011, 121; a.A. wohl Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 166. 4 Siehe hierzu: BAG v. 7.9.2004 – 9 AZR 631/03, BB 2005, 1909. 5 Ebenso WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 179; Picot/Schnitker, Arbeitsrecht bei Unternehmenskauf, Teil I F Rz. 220 ff.; abw. Nehls/Sudmeyer, ZIP 2002, 201, 203, die trotz des allgemeinen Bekenntnisses zur Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung im Regelfall die alte Regelung auf den übernehmenden Rechtsträger übertragen wollen. Dass der ursprüngliche Zweck nicht mehr erreicht werden könne, stehe der Übertragung nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nicht entgegen. 6 So auch Bauer/Göpfert/von Steinau-Steinrück, ZIP 2001, 1129; MAH-ArbR/Cohnen, 5. Aufl., § 54 Rz. 12. 7 BAG v. 28.5.2008 – 10 AZR 351/07, NZA 2008, 1066, Rz. 34.
268 | Richter
Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.147 § 9
der Arbeitnehmer für die Option auf Rechte, etwa anderweitige Vergütungsbestandteile, verzichtet hat. In jedem Fall scheidet indes eine Verpflichtung des übernehmenden Rechtsträgers aus, die eingeräumte und kraft Gesetzes auf ihn übergeleitete Aktienoption durch die Beteiligung am eigenen Unternehmen einzuräumen. Dem steht Art. 14 GG, wie auch Art. 12 GG und die durch sie geschützte unternehmerische Freiheit und das Recht am Eigentum deutlich entgegen1.
9.143
Sieht die Zusage der Aktienoption oder der zugrundeliegende Aktienoptionsplan den Wegfall des Rechts zum Erwerb der Vermögensbeteiligung für den Fall vor, dass der Arbeitnehmer noch während der Wartezeit aus dem Arbeitsverhältnis mit dem übertragenden Rechtsträger ausscheidet, bleibt für die vorbeschriebene Anwendung der Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage aus § 313 BGB kein Raum2. Solche Verfallklauseln für Aktienoptionen und vergleichbare Vermögensbeteiligungen hält die Rechtsprechung aufgrund des im Vergleich zu anderen Sondervergütungen viel höheren spekulativen Charakters von Aktienoptionen und vergleichbaren Beteiligungsmodellen für diese grundsätzlich für zulässig3. Bei richtiger Betrachtung handelt es sich beim Verfall von Aktienoptionen auch nicht um den Entzug einer bereits erarbeiteten Vergütung, sondern vielmehr lediglich nur um den Entzug einer Verdienstchance4.
9.144
Mit überzeugenden Argumenten wird zudem vertreten, dass ein Verfall von Aktienoptionen sowie vergleichbarer Beteiligungsoptionen aufgrund des nach erfolgtem Übergang der betrieblichen Einheit auf einen nicht zum Unternehmensverbund angehörenden Dritten regelmäßig entfallenden Leistungszwecks auch dann vertraglich vorgesehen werden kann, wenn die Wartefrist für die Ausübung im Zeitpunkt des Betriebsübergans bereits abgelaufen ist5.
9.145
Der übertragende Rechtsträger hat die betroffenen Arbeitnehmer allerdings im Rahmen des Unterrichtungsschreibens gemäß § 613a Abs. 5 BGB auch darauf hinzuweisen, dass sie ihre Option zeitlich nur noch bis zum Übertragungsstichtag ziehen können6.
9.146
b) Zusagen anderer (Konzern-)Unternehmen Wird dem Arbeitnehmer die Möglichkeit einer Beteiligung an der Konzerngesellschaft aufgrund einer Vereinbarung zwischen ihm und dieser eingeräumt, scheidet ein Eintritt des übernehmenden Rechtsträgers in die entsprechende Verpflichtung über § 613a BGB aus, da sie nicht Bestandteil des Arbeitsvertrages ist7. Entscheidend für das Schicksal der Rechtsposition
1 Ebenso Bauer/Göpfert/von Steinau-Steinrück, ZIP 2001, 1129, 1132. 2 BGH v. 3.7.1981 – V ZR 100/80, BGHZ 81, 135 Rz. 35. 3 BAG v. 28.5.2008 – 10 AZR 351/07, NZA 2008, 1066 Rz. 34; ebenso WHSS/Willemsen/MüllerBonanni, Umstrukturierung, G Rz. 180; Mechlem/Melms, DB 2000, 1614, 1616; von Steinau-Steinrück/Thees in Hölters, Unternehmenskauf, Rz. 6.192. 4 BAG v. 28.5.2008 – 10 AZR 351/07, NZA 2008, 1066, Rz. 34. 5 Ebenso WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 180. 6 Ebenso WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 180. 7 BAG v. 12.2.2003 – 10 AZR 299/02, NZA 2003, 487, 489; vgl. Hessisches LAG v. 19.11.2001 – 16 Sa 971/01, DB 2002, 794 f.; Fuhlrott/Fabritius, BB 2013, 1592, 1594; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 165 m.w.N.; WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 179 m.w.N.
Richter | 269
9.147
§ 9 Rz. 9.147 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
des Arbeitnehmers sind dann allein die mit dem dritten Rechtsträger abgeschlossenen Vereinbarungen1.
9.148
Wird ein Aktienoptionsplan durch die Konzernobergesellschaft bestimmt und dessen Anwendung von Arbeitnehmern der Tochtergesellschaften als übertragendem Rechtsträger durch gesonderte Absprache zwischen Arbeitnehmer und Konzernobergesellschaft vereinbart, ist diese Vereinbarung kein Bestandteil zwischen Arbeitnehmer und Konzerntochter. Unerheblich ist dann, ob der übertragende Rechtsträger bei der Wahrnehmung der Aktienoption, etwa durch Verrechnung des Kaufpreises mit dem Gehalt, eingeschaltet wird2 oder die Konzernobergesellschaft den Anspruch an den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zwischen dem begünstigten Arbeitnehmer und der Tochtergesellschaft geknüpft hat. In der Vereinbarung zwischen den Konzernunternehmen und dem Arbeitnehmer liegt auch keine unzulässige Umgehung arbeitsvertraglicher Schutzprinzipien oder von § 613a BGB3, da die den Aktienoptionsplan beschließenden Aktionäre des Konzernunternehmens eigene Zwecke verfolgen können. c) Zulässigkeit und Wirkung eines Rückübertragungsvorbehalts für den Fall der Vertragsbeendigung
9.149
Fraglich ist, ob die mit dem Übergang des Arbeitsverhältnisses verbundene Beendigung der vertraglichen Beziehungen zum bisherigen Betriebsinhaber zum Anlass genommen werden kann, eine bereits in der Vergangenheit erworbene Vermögensbeteiligung (z.B. Aktien) an den übertragenden Rechtsträger oder einen von diesem bestimmten Dritten – ggf. zu einem definierten Kaufpreis – rück zu übertragen. Solche Klauseln werden – jedenfalls für den Fall der Beendigung außerhalb von Betriebsübergang und Umwandlung – überwiegend als zulässig angesehen4.
9.150
Geht man davon aus, dass eine solche Verpflichtung wirksam in der zugrunde liegenden Vereinbarung festgeschrieben ist, wird ihre Wirksamkeit auch nicht durch eine Ausweitung ihrer Anwendung auf den Fall des Betriebsübergangs oder der Umwandlung tangiert. Dies gilt in jedem Fall dann, wenn die Rückübertragung als Recht des Arbeitnehmers ausgestaltet ist. Ist die Rückgewähr der realisierten Beteiligung indes als Pflicht des Arbeitnehmers ausgestaltet, muss die entsprechende Regelung den Grundsätzen zur Wirksamkeit von Rückzahlungsklauseln5 genügen. Da eine solche Vereinbarung das Recht des Arbeitnehmers auf die freie Wahl seines Arbeitsplatzes (wirtschaftlich) einschränken kann, muss unter Berücksichtigung der Interessen des Arbeitgebers eine am Einzelfall ausgerichtete Abwägung vorgenommen werden. Bei Regelungen in Form Allgemeiner Geschäftsbedingungen gilt der abstrakte Maßstab des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Nur wenn die Verpflichtung zur Rückübertragung einschließlich der daran geknüpften Bedingungen (Zeitplan, Höhe des Ausgleichsbetrags, alternative Übertragungsmöglichkeiten) geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen auch angemessen ist, um das unternehmerisch verfolgte Ziel einer Begrenzung der Vermögensbeteiligung auf eigene Arbeitnehmer zu verwirklichen, können ein Betriebsüber1 BAG v. 3.5.2006 – 10 AZR 310/05, NZA 2006, 1296; vgl. auch Fuhlrott/Fabritius, BB 2013, 1592, 1594. 2 LAG Düsseldorf v. 3.3.1998 – 3 Sa 1452/97, NZA 1999, 981, 982 f. 3 Gaul/Naumann, NZA 2011, 121, 127. 4 Vgl. Baeck/Diller, DB 1998, 1405, 1407 f. 5 Vgl. BVerfG v. 19.10.1993 – 1 BvR 567/89, AP Nr. 35 zu Art. 2 GG Bl. 2 ff.; BAG v. 11.4.1990 – 5 AZR 308/89, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe Bl. 2 f.; BAG v. 28.3.2007 – 10 AZR 261/06, NZA 2007, 687 Rz. 25.
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Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.153 § 9
gang oder eine Umwandlung eine solche Verpflichtung zur Rückübertragung auslösen. Diese Voraussetzungen werden jedenfalls dann gewahrt sein, wenn die Rückübertragung zum Zeitwert erfolgt. Im Hinblick auf das Urteil des BAG vom 28.5.20081 kann jedoch davon ausgegangen werden, dass bei Unternehmensbeteiligungen ein weniger strenger Maßstab an solche Rückzahlungsklauseln anzulegen ist, als bei anderen Formen von Sondervergütungen2.
V. Auswirkungen auf Prokura und Handlungsvollmacht Die Erteilung einer Prokura oder einer Handlungsvollmacht setzt nicht voraus, dass zwischen Unternehmer und Bevollmächtigtem ein Arbeitsverhältnis besteht, sondern kann auch gegenüber Dritten erfolgen. Die mit ihrer Erteilung verbundene Vollmacht wird nicht Bestandteil des Arbeitsvertrags. Da es sich außerdem um die Befugnis handelt, einen bestimmten Rechtsträger zu vertreten, kann diese Befugnis für den Fall des Übergangs einer betrieblichen Einheit auf einen anderen Rechtsträger nicht übertragen werden3. Daher erlischt mit dem Übergang des Arbeitsverhältnisses die Befugnis zur Vertretung des übertragenden Rechtsträgers nur dann, wenn die Vollmacht unter die auflösende Bedingung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses zum übertragendem Rechtsträger oder einem Konzernunternehmen gestellt wurde; ansonsten mit dem (für die Prokura eintragungspflichtigen, aber) jederzeit möglichen Widerruf4.
9.151
Eine Befugnis zur Vertretung des übernehmenden Rechtsträgers als Prokurist muss von diesem gesondert erteilt werden5. Ein Anspruch darauf besteht wegen des besonderen Vertrauensverhältnisses, das einer Vollmachtserteilung zugrunde liegt, selbst dann nicht gemäß § 613a BGB, wenn der Erwerber eine entsprechende Zusage in den Arbeitsvertrag aufgenommen hatte6. Diese Rechtsfolge gilt für Einzel- und Gesamtrechtsnachfolge gleichermaßen.
9.152
VI. Auswirkungen auf Arbeitgeberdarlehen Für die Rechtsfolgen von Betriebsübertragungen für Arbeitgeberdarlehen kommt es maßgeblich auf die Einordnung und Ausgestaltung des Arbeitgeberdarlehens an, genauer darauf, ob es als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses oder eben gesondert, vom Arbeitsverhältnis losgelöst, gewährt wurde. Dies ist im konkreten Einzelfall zu prüfen7. Beruht das Darlehen auf einem gesonderten Darlehensvertrag, steht dieser selbständig neben dem Arbeitsvertrag und bleibt unberührt vom Übergang des Arbeitsverhältnisses im Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und übertragenden Rechtsträger8. Etwas anderes muss indes gelten, soweit der Darle1 BAG v. 28.5.2008 – 10 AZR 351/07, NZA-RR 2006, 582 ff. 2 Gaul/Naumann, NZA 2011, 121, 127. 3 So auch Köhler, BB 1979, 912, 913 f.; Moll, NJW 1993, 2016, 2018; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 92; a.A. D. Gaul, Betriebsübergang, S. 182 ff., und Wirth, Spaltungen, S. 353, die einen Übergang der Bevollmächtigung annehmen. 4 MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 92; Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath/Karthaus/Richter, § 613a BGB Rz. 143; so wohl auch Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 154; a.A. HWK/Willemsen/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 237; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 78. 5 Vgl. Wirth, Spaltungen, S. 353. 6 Vgl. Picot/Henssler, Unternehmenskauf und Restrukturierung, § 12 Rz. 36. 7 BAG v. 21.10.2010 – 6 AZR 556/07, DB 2010 675 Rz. 20; BAG v. 19.3.2009 – 6 AZR 557/07, NZA 2009, 896 Rz. 26. 8 BAG v. 19.1.2011 – 10 AZR 873/08, NZA 2011, 1159 Rz. 14; BAG v. 23.2.1999 – 9 AZR 737/97, NZA 1999, 1212 Rz. 26; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 73; WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 174.
Richter | 271
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§ 9 Rz. 9.153 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
hensvertrag Bestandteil des Arbeitsverhältnisses ist. Das ist etwa der Fall, wenn das Darlehen in Form eines Entgeltvorschusses oder einer betrieblichen Sozialleistung gewährt wird1.
9.154
Obwohl Arbeitsvertrag und Darlehensvertrag aus sich heraus selbständig sind2, ist dem Arbeitgeberdarlehen zumindest ein wirtschaftlicher und teilweise rechtlicher Bezug zum Arbeitsverhältnis immanent3. So wird typischerweise vereinbart, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Arbeitgeber berechtigt, das Darlehen zu kündigen und der Arbeitnehmer damit vorfristig zur Rückzahlung verpflichtet ist4. Oder es wird vorgesehen, dass ab dem Zeitpunkt der Beendigung der Zusammenarbeit eine für den Arbeitgeber günstigere Verzinsung der Darlehensforderung eingreift5. Wird ein Arbeitgeberdarlehen mit Zinsen unter dem Marktniveau oder zinslos gewährt, ist es regelmäßig als Arbeitsentgelt anzusehen, zumal die besonderen Konditionen ohne das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses nicht gewährt würden6. Dass es sich bei vergünstigten Arbeitgeberdarlehen um Entgelt handelt, kommt schon in der steuerlichen7 und sozialversicherungsrechtlichen8 Behandlung einerseits und der Anerkennung eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG9 andererseits zum Ausdruck. Regelmäßig wird man im Rahmen der Vertragsauslegung zu dem Ergebnis gelangen, dass es sich bei dem in Rede stehenden Arbeitgeberdarlehen um einen Bestandteil des Arbeitsverhältnisses handelt10. Auf den Verwendungszweck des Darlehens kommt es insoweit nicht an11. Auf dieses Haftungsrisiko ist bei der Gestaltung des der Übertragung zugrundeliegenden (Kauf-)Vertrages dringend zu achten. Eine andere Gesamtbewertung kann nach den 1 APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 90; Fuhlrott/Fabritius, BB 2013, 1592, 1595; a.A. für betriebliche Sozialleistungen MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 91; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 168; ebenfalls kritisch WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 174. 2 So BAG v. 23.2.1999 – 9 AZR 737/97, BB 1999, 1981, 1982; BAG v. 19.1.2011 – 10 AZR 873/08, NZA 2011, 1159 Rz. 16. 3 LAG Saarland v. 29.4.1987 – 1 Sa 91/86, NZA 1988, 164, 165. 4 Vgl. LAG Köln v. 18.5.2000 – 10 Sa 50/00, NZA-RR 2001, 174 ff.; zur Unbedenklichkeit solcher Klauseln Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 168. 5 Vgl. LAG Niedersachsen v. 9.11.1999 – 7 Sa 321/99, DB 2000, 227 f.; Preis, Vertragsgestaltung, S. 350 ff. 6 So zutreffend Kania, Nichtarbeitsrechtliche Beziehungen, S. 19, 33. 7 Vgl. § 19 Abs. 1 EStG i.V.m. § 2 Abs. 1, 2 Nr. 3 LStDV und H 19.3 LStDV (zu 19 EStG); zur steuerlichen Handhabe von Arbeitgeberdarlehen BMF, Schrb. v. 19.5.2015 – IV C 5 - S 2334/07/0009, DStR 2015, 1180. 8 Vgl. §§ 14, 17 SGB IV i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SvEV; KassKomm/Zieglmeier, § 14 SGB IV Rz. 101. 9 Vgl. BAG v. 9.12.1980 – 1 ABR 80/77, EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 1 S. 3 f.; BAG v. 26.5.1993 – 5 AZR 219/92, EzA § 9 AGBG Nr. 1 S. 5; Nicolai, ZIP 1995, 359, 360; ErfK/Kania, § 87 BetrVG Rz. 97. 10 So LAG Köln v. 18.5.2000 – 10 Sa 50/00, NZA-RR 2001, 174 ff.; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 168. Auch Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 60, geht von einer Verpflichtung des übernehmenden Rechtsträgers zur Gewährung von Arbeitgeberdarlehen aus, falls solche Vorgaben beim alten Arbeitgeber bestanden haben. Selbst wenn damit ausdrücklich keine Aussage in Bezug auf bereits bestehende Darlehensvereinbarungen getroffen wurde, wird jedenfalls eine Zuordnung zu den arbeitsvertraglichen Regelungen erkennbar. Abl. WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 174, der von einem Fortbestand des Rückzahlungsanspruchs eines übertragenden Rechtsträgers ausgeht. Den übernehmenden Rechtsträger soll die Verpflichtung treffen, die Differenz zwischen den Mitarbeiterkonditionen und den „Normalkonditionen“ für Dritte auszugleichen, falls der übertragende Rechtsträger die Bedingungen mit dem Übergang des Arbeitsverhältnisses beendet. 11 D. Gaul, Betriebsübergang, S. 188 f.
272 | Richter
Umfang des Eintritts gemäß § 613a BGB | Rz. 9.156 § 9
vorstehenden Überlegungen greifen, wenn das besagte Darlehen etwa zu marktüblichen Konditionen gewährt wird oder die Unabhängigkeit der Gewährung vom Bestand des Arbeitsverhältnisses anderweitig zum Ausdruck kommt1. Das Schicksal von Verpflichtungen aus dem Darlehensvertrag teilt indes nicht notwendigerweise das Schicksal der in diesem Zusammenhang abgeschlossenen Vereinbarungen über die Gewährung einer Sicherheit2. Hier muss differenziert werden: Sicherheiten, die mit dem Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens akzessorisch verbunden sind, gehen auf den übernehmenden Rechtsträger über. Ansprüche, die lediglich auf der Grundlage einer schuldrechtlichen Vereinbarung mit der gesicherten Forderung verbunden werden, verbleiben grundsätzlich beim ursprünglichen Gläubiger, dem übertragenden Rechtsträger, soweit sich der Betriebsübergang nicht im Wege der Aufspaltung, Verschmelzung oder Anwachsung vollzieht und der übertragende Rechtsträger mit der Übertragung erlischt. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den praxisrelevanten Fall der Bestellung einer nichtakzessorischen Grundschuld (§§ 1191, 1192 BGB) für das dem Arbeitnehmer gewährte Darlehen. Wenn der übernehmende Rechtsträger Inhaber der Grundschuld werden soll, bedarf es grundsätzlich einer gesonderten Übertragung. Diese kann im Zusammenhang mit der Übertragung der betrieblichen Einheit geregelt werden. Sie kann auch im Rahmen eines Umwandlungsvertrages getroffen werden. Fehlt aber eine solche Vereinbarung, bleibt das Sicherungsmittel in der Verfügungsgewalt des übertragenden Rechtsträgers, vorausgesetzt, dass dieser nicht durch gesellschaftsrechtliche Umstrukturierung (Verschmelzung, Aufspaltung, Vermögensvollübertragung nach dem UmwG oder Anwachsung) erlischt und die Sicherungsrechte im Wege der Gesamtrechtsnachfolge – soweit im Umwandlungsvertrag angeführt – auf den Erwerber übergehen3. Die Rechtsfolgen des § 613a BGB werden dabei unabhängig davon ausgelöst, ob der übertragende Rechtsträger durch das „Auseinanderfallenlassen“ von Sicherungsmittel und zu sichernder Forderung ggf. gegen den in der Sicherungsabrede vereinbarten Sicherungszweck verstößt4. Es können lediglich Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers als Sicherungsgeber gegenüber dem übertragenden Rechtsträger aus dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung entstehen5.
9.155
VII. Auswirkungen auf besondere Beauftragungen (Datenschutzbeauftragte/r, Frauenbeauftragte/r, Gleichstellungsbeauftragte/r, Schwerbehindertenvertreter/in u.a.) Viele Unternehmen beschäftigen – aufgrund gesetzlicher Vorgaben – inzwischen diverse Arbeitnehmer, die zusätzlich zu ihrem regulären Hauptberuf noch eine besondere Beauftragung ausüben. Konkret handelt es sich hierbei um Personen, die als Datenschutzbeauftragte, Frauenbeauftragte oder Gleichstellungsbeauftragte fungieren. Bei dieser Personengruppe stellt sich
1 Ebenso Fuchs, Betriebliche Sozialleistungen, S. 64, 117 ff., der den Anwendungsbereich von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ohnehin auf Leistungen begrenzt, die eine dem Arbeitnehmer vergleichbare Einzelperson, die nicht in einem Arbeitsverhältnis mit dem Veräußerer steht, nicht zu den gleichen Konditionen vom übertragenden Rechtsträger erhalten würde. 2 BAG v. 27.6.1997 – 8 AZR 373/97, n.v. 3 So für die Spaltung OLG Hamm v. 4.1.2011 – 15 W 452/10, NZG 2011, 393; OLG Schleswig v. 1.10.2008 – 2 W 241/08 Schleswig DNotZ 2010, 66. 4 LAG Niedersachsen v. 27.6.1997 – 16 Sa 2153/96, n.v. 5 BGH v. 2.10.1990 – XI ZR 205/89, NJW-RR 1991, 305, 306; LAG Niedersachsen v. 27.6.1997 – 16 Sa 2153/96, n.v.
Richter | 273
9.156
§ 9 Rz. 9.156 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
im Zusammenhang mit § 613a BGB die Frage, ob die Beauftragung auch beim übernehmenden Rechtsträger fortbesteht oder nicht. Bezogen auf die Funktion des Datenschutzbeauftragten hat das LAG Berlin-Brandenburg zutreffend entschieden, dass die Bestellung i.S.v. § 4f Abs. 1 Satz 1 BDSG a.F. nicht Teil des eingegangenen Arbeitsverhältnisses ist und dementsprechend auch nicht als Annex vom Betriebsübergang erfasst wird1. Die Bestellung ist als reine Nebenabrede folglich nicht Bestandteil der wesentlichen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag. Der Erwerber muss die frühere Bestellung daher nicht gegen sich gelten lassen, sondern kann völlig losgelöst von dieser eine eigene Auswahl bezüglich der Beauftragung treffen.
9.157
Diese zutreffende Rechtsprechung dürfte grundsätzlich für gleichgelagerte Funktionen übertragbar sein, sodass auch etwa im Falle des Abfallbeauftragten (§ 54 Abs. 1 KrW-/AbfG i.V.m. § 1 AbfBetrBV), der Fachkraft für Arbeitssicherheit (§ 6 ASiG), des Gefahrgutbeauftragten (§§ 1 ff. GbV), des Brandschutzbeauftragten (§ 10 Abs. 2 ArbSchG), des Ersthelfers (§ 10 Abs. 2 ArbSchG), des Immissionsschutzbeauftragten (§ 53 BImSchG i.V.m. § 1 5. BImSchV), des Sicherheitsbeauftragten (§ 22 SGB VII), des Strahlenschutzbeauftragten (§ 31 StrlSchVO), des Störfallbeauftragten (§ 58a BImSchG) oder des Beauftragten für biologische Sicherheit (§ 16 Abs. 1 Satz 1 GenTSV) davon auszugehen ist, dass die Beauftragung bei Betriebsübergang erlischt und nicht weiter besteht. Widerspricht der in Rede stehende Arbeitnehmer indes der Übernahme, wirkt die Beauftragung dem übertragenden Rechtsträger gegenüber fort.
VIII. Eintritt in steuer- und sozialversicherungsrechtliche Pflichten 9.158
Selbstverständlich ist auch der übernehmende Rechtsträger ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs verpflichtet, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge auf die zu zahlende Arbeitsvergütung einzubehalten und abzuführen. Als öffentlich-rechtliche Pflichten verhalten sie sich akzessorisch zum Arbeitsverhältnis, das ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs nur noch gegenüber dem Übernehmer besteht. Einen Eintritt in die entsprechenden öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen des übertragenden Rechtsträgers für die Zeit bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses kann § 613a Abs. 1 BGB, als Haftungsnorm zivilrechtlichen Charakters, jedoch nicht begründen2.
9.159
Wenn die Überleitung der Arbeitsverhältnisse im laufenden Monat oder vor einem der Fälligkeitstermine gemäß § 23 SGB IV erfolgt, was gerade durch die Eintragung einer Spaltung oder Vermögensübertragung der Fall sein kann, werden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge vom übernehmenden Rechtsträger nur zeitanteilig geschuldet. Dies gilt ohne Rücksicht darauf, dass der übernehmende Rechtsträger gegenüber dem Arbeitnehmer auch für die bis zum Übergang entstandenen Vergütungsansprüche vollumfänglich haftet. Eine darüber hinausgehende Haftung für vom übertragenden Rechtsträger nicht gezahlte Sozialversicherungsbeiträge folgt auch nicht aus § 25 HGB, da sie keine zivilrechtlichen Geschäftsverbindlichkeiten des Betriebs
1 LAG Berlin-Brandenburg v. 15.10.2013 – 3 Sa 567/13, ZD 2016, 31 Rz. 36. 2 Für die Pflicht zur Abfuhr der Sozialversicherungsbeiträge LSG Sachsen-Anhalt v. 11.1.2011 – L 1 R 51/10 B ER, ZIP 2011, 1121; Bayerisches LSG v. 18.1.2011 – L 5 R 848/10 B ER, ZIP 2011,1380; BayObLG v. 31.10.1974 – 1 U 2225/74, BB 1974, 1582, 1583; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 81; WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 199; RGRK/Ascheid, BGB § 613a Rz. 101; Zerres, ZIP 2001, 359, 362; abw. Schwerdtner, Festschrift Gerhard Müller, S. 557, 581; Liessem, Betriebsverpachtung, S. 82 ff., die von einer Übernahme der Verpflichtung zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung ausgehen.
274 | Richter
Anspruch auf Gleichbehandlung | Rz. 9.163 § 9
darstellen1. Eine Verpflichtung zur Begleichung von Steuerrückständen, die im Zeitraum vor dem Betriebsübergang angefallen sind, kann sich indes aus § 75 AO ergeben, wobei die Regelung nicht auf Sozialversicherungsbeiträge entsprechend anwendbar ist2. Eine Haftung des Betriebsübernehmers auch für bereits vor dem Betriebsübergang angefallene Sozialversicherungsbeiträge ergibt sich in Umwandlungsfällen, soweit der übertragende Rechtsträger durch die Umwandlung erlischt (Verschmelzung, Aufspaltung, Vermögensübertragung) aus dem Prinzip der Gesamtrechtnachfolge und dem damit verbundenen Eintritt in alle Rechte und Verbindlichkeiten. Für den Fall, dass der übertragende Rechtsträger nach erfolgter Umwandlung fortbesteht, wie etwa im Fall der Abspaltung, kann sich die Haftung aus §§ 133, 134 UmwG ergeben.
9.160
Entsprechendes gilt für die Verpflichtung des Arbeitgebers, Beiträge zur Sozialversicherung abzuführen. Auch insoweit gilt, dass ein Eintritt des übernehmenden Rechtsträgers in Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis keine Abführungspflichten für Entgelte auszulösen vermag, die vor dem Eintritt in das Arbeitsverhältnis geschuldet sind. Bezogen auf Entgeltansprüche, die für nach dem Eintritt in das Arbeitsverhältnis geschuldet sind, schuldet der übernehmende Rechtsträger bereits nach den allgemeinen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften die Abführung der Sozialabgaben. Stehen umgekehrt sozialversicherungsrechtliche Leistungen in Rede, muss der übernehmende Rechtsträger, soweit er nicht bereits nach den allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen zur Rechtsnachfolge in die begünstigenden Verwaltungsakte eintritt, einen neuen Antrag auf die entsprechenden Leistungen stellen. Einem etwaig vor dem Übergang des Arbeitsverhältnisses gestellten Antrag des übertragenden Rechtsträgers kommt grundsätzlich keine Wirkung für den übernehmenden Rechtsträger zu3. Anderes gilt in den Fällen der Gesamtrechtsnachfolge.
9.161
Wenn beim übertragenden Rechtsträger eine Betriebskrankenkasse bestand, bleibt diese von einem Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils an sich unberührt. Zu Einzelheiten siehe Rz. 7.19 ff.
9.162
C. Anspruch auf Gleichbehandlung Im Zuge der Übertragung betrieblicher Einheiten kommt es regelmäßig dazu, dass diese beim übernehmenden Rechtsträger mit anderen Einheiten zusammengeschlossen oder in eine bereits bestehende Einheit eingegliedert werden. Auf individualvertraglicher Ebene (zu Ansprüchen aus kollektivrechtlichen Regelungen, insbesondere Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen vgl. Rz. 18.5 ff., 21.1 ff., 22.1 ff.) stehen ein solcher Zusammenschluss und eine solche Eingliederung auch dann nicht der Fortgeltung der bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen entgegen, wenn sie von den Arbeitsbedingungen in der bereits bestehenden betrieblichen Einheit abweichen. Sie gelten gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ohne Veränderung fort; eine Ablösung durch eine vereinheitlichende Kollektivvereinbarung ist – lässt man den Ab-
1 LSG Rheinland-Pfalz v. 13.8.2008 – L 4 R 366/07, juris Rz. 28; LSG Sachsen-Anhalt v. 11.1.2011 – L 1 R 51/10 B ER, ZIP 2011, 1121; Bayerisches LSG v. 18.1.2011 – L 5 R 848/10 B ER, ZIP 2011, 1380. 2 LSG Sachsen-Anhalt v. 11.1.2011 – L 1 R 51/10 B ER, ZIP 2011, 1121; Bayerisches LSG v. 18.1.2011 – L 5 R 848/10 B ER, ZIP 2011,1380. 3 LSG Rheinland-Pfalz v. 24.4.1990 – L 1 Ar 105/89, NZA 1990, 712 (LS).
Richter | 275
9.163
§ 9 Rz. 9.163 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
schluss einer ablösenden Betriebsvereinbarung nach Maßgabe des Grundsatzes der kollektiven Günstigkeit einmal außen vor – an sich ausgeschlossen.
9.164
Die damit für den Arbeitgeber verbundene unpraktische Ungleichbehandlung ist als Folge der ansonsten ausgewogenen Regelungen des § 613a Abs. 1 BGB hinzunehmen1. Einseitig sind folglich Verschlechterungen nicht durchsetzbar, um eine Gleichbehandlung durchzusetzen2. Dagegen stehen insbesondere die allgemeinen Schranken aus §§ 1, 2 KSchG, § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, die an anderer Stelle näher beleuchtet werden (vgl. Rz. 18.6 ff.). Allerdings gilt dieses System für beide Arbeitsvertragsparteien. Es ist also nicht nur eine Änderungskündigung zur Anpassung gesperrt3; auch der Arbeitnehmer kann keine Gleichbehandlung durch Anpassung „nach oben“ verlangen4. § 613a BGB schützt nur den bis zum Übergang erdienten Besitzstand5. Er gewährt keine Besserstellung.
9.165
Zu berücksichtigen ist allerdings, dass der neue Arbeitgeber jedenfalls dann, wenn er zu einem Zeitpunkt nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses gestalterisch tätig wird, an den Grundsatz der Gleichbehandlung gebunden ist6. In Anbetracht dessen spricht einiges dafür, dass dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung mit zunehmendem Zeitablauf mehr Gewicht zukommt7. Denkbar ist sogar, dass sich der Übergang der Arbeitsverhältnisse als Grund für die Differenzierung zwischen den Arbeitnehmern oder Arbeitnehmergruppen im Laufe der Zeit verbraucht8. Dieses vor allem wirtschaftliche Risiko ist in jedem Fall bei der rechtlichen Bewertung der Übertragung der betrieblichen Einheit zu berücksichtigen.
9.166
Einem Angleichungsanspruch steht wiederum die Möglichkeit des Erwerbers gegenüber, bei neuen Leistungszusagen nur Betriebszugehörigkeitszeiten der mit ihm bestehenden Arbeitsverhältnisse zu berücksichtigen9. Allerdings sind die in der Scattolon-Entscheidung10 des EuGH getroffenen Wertungen zur Berücksichtigung von Betriebszugehörigkeitszeiten beim übertragenden Rechtsträger zu beachten (vgl. hierzu im Einzelnen unter Rz. 9.32 f.).
1 BAG v. 21.1.2010 – 6 AZR 449/09, NZA 2010, 600; BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 517/04, BB 2006, 440; BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 517/04, NZA 2006, 265; BAG v. 25.8.1976 – 5 AZR 788/75, AP Nr. 41 zu § 242 BGB Gleichbehandlung Bl. 2 f.; von Hoyningen-Huene/Windbichler, RdA 1977, 329, 336; Seiter, Betriebsinhaberwechsel, S. 83; Schaub, BB 1998, 2106, 2107; a.A. DKW/Trümner, § 1 BetrVG Rz. 200. 2 Vgl. BAG v. 6.12.1978 – 5 AZR 545/77, AP Nr. 7 zu § 2 AngKSchG Bl. 2 f.; Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 61. 3 Vgl. BAG v. 28.4.1982 – 7 AZR 1139/79, NJW 1982, 2687, 2688; LAG Rheinland-Pfalz v. 9.1.1997 – 5 Sa 992/96, LAGE § 2 KSchG Nr. 24 S. 3. 4 Vgl. BAG v. 25.8.1976 – 5 AZR 788/75, AP Nr. 41 zu § 242 BGB Gleichbehandlung Bl. 2; BAG v. 30.8.1979 – 3 AZR 58/78, NJW 1980, 416; BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 517/04, NZA 2006, 265; Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 61; Moll, NJW 1993, 2016, 2019; Zerres, ZIP 2001, 359, 362; HWK/Willemsen, § 613a BGB Rz. 246. 5 D. Gaul, Betriebsübergang, S. 156. 6 Vgl. Erman/Edenfeld, BGB, § 613a Rz. 61. 7 So BAG v. 29.8.2001 – 4 AZR 352/00, n.v., das es allerdings ausdrücklich ablehnt, rechtliche Vorgaben im Hinblick auf die Entscheidung zu treffen, ob, wann und wie die Differenzierung abgebaut werden soll. 8 Seiter, Betriebsinhaberwechsel, S. 83 f.; abl. Wiese, RdA 1979, 432, 437; Moll, NJW 1993, 2016, 2019. 9 Schaub, ZIP 1984, 272, 277. 10 EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10 – Scattolon, EuZW 2011, 798.
276 | Richter
Rechtswirkungen abändernder arbeitsvertraglicher Regelungen | Rz. 9.169 § 9
D. Rechtswirkungen abändernder arbeitsvertraglicher Regelungen Die Frage, inwieweit die Abänderung von arbeitsvertraglichen Regelungen vor oder nach Betriebsübergang Rechtswirkung entfaltet, zeigt exemplarisch das Spannungsverhältnis von zwingenden arbeitsrechtlichen Schutzzwecken und privatautonomen Gestaltungsmöglichkeiten der Vertragsparteien, namentlich von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, auf.
9.167
Eine quasi vorgelagerte und in ihren Auswirkungen noch weitreichendere Frage stellt sich im Hinblick auf die Dispositionsbefugnis über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses als Ganzes. Insoweit gilt, dass Arbeitnehmer und übertragender Rechtsträger (vor dem Betriebsübergang) oder Arbeitnehmer und übernehmender Rechtsträger (nach Betriebsübergang) das Arbeitsverhältnis prinzipiell einvernehmlich jederzeit auflösen können, ohne dass es hierfür eines sachlichen Grundes bedürfte1. Erforderlich für die Wirksamkeit einer solchen Vereinbarung ist indes, dass der Arbeitnehmer frei darüber entscheiden kann und nicht etwa im Zusammenhang mit dem (bevorstehenden) Betriebsübergang arbeitgeberseitig unter Druck gesetzt wird oder unter Vorspiegelung falscher Tatsachen entscheidet2. Ebenso wenig darf die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses der Umgehung des Schutzzwecks des § 613a BGB dienen.
9.168
Etwas komplexer stellt sich die Frage nach einer Abänderungsbefugnis hinsichtlich einzelner arbeitsvertraglicher Regelungen dar. Die in § 613a BGB angeordneten Rechtsfolgen stellen im Lichte des Normzwecks des Arbeitnehmerschutzes zwingendes Recht dar3. Die angeordneten Rechtsfolgen sind zu Lasten des Arbeitnehmers weder durch individualvertragliche Vereinbarungen zwischen dem Betriebsveräußerer und dem Betriebserwerber, noch durch Vereinbarungen zwischen dem Betriebsveräußerer und Arbeitnehmer abdingbar4. Eine die Arbeitsbedingungen verschlechternde Vereinbarung, die vor dem Übergang zwischen dem Arbeitnehmer und dem bisherigen oder dem künftigen Arbeitgeber im Hinblick auf den bevorstehenden Übergang geschlossen wird, ist daher nach § 134 BGB unwirksam5. Vor dem Hintergrund, dass auch für arbeitsvertragliche Regelungen zunächst der Grundsatz der Vertragsfreiheit maßgeblich ist, kann die Unabdingbarkeit von § 613a BGB indes nur so weit reichen, wie sie vom Schutzzweck, den Arbeitnehmer vor Nachteilen durch den Betriebsübergang zu bewahren, getragen wird6. Sofern es zu keiner Gesetzesumgehung durch eine Schlechterstellung des übergehenden Arbeitnehmers kommt, können individualvertragliche Zusatzvereinbarungen getroffen und entsprechende Verträge geschlossen werden7. Entscheidende Bedeutung für die Beurteilung der Zulässigkeit solcher Änderungsvereinbarungen kommt dem Zeitpunkt ihres Abschlusses zu.
9.169
1 BAG v. 25.10.2012 – 8 AZR 575/11, NZA 2013, 203 Rz. 35; BAG v. 18.8.2011, NZA 2012, 152 Rz. 32; BAG v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NJW 2006, 938 Rz. 28; BAG v. 29.10.1975 – 5 AZR 444/74, NJW 1976, 535. 2 Hanau, ZIP 1999, 324, 325; WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 191. 3 St. Rspr. BAG v. 29.10.1975 – 5 AZR 444/74, NJW 1976, 535; BAG v. 12.5.1992 – 3 AZR 247/91, NZA 1992, 1080; BAG v. 19.3.2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091 Rz. 21; BAG v. 20.3.2014 – 8 AZR 1/13, NZA 2014, 1095 Rz. 24; BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 655/13, NZA 2015, 94 Rz. 25. 4 BAG v. 20.3.2014 – 8 AZR 1/13, NZA 2014, 1095 Rz. 24; so schon BAG v. 14.7.1981 – 3 AZR 517/ 80, NJW 1982, 1607; EuGH v. 26.5.2005 – C-478/03, NZA 2005, 681 Rz. 37. 5 BAG v. 12.5.1992 – 3 AZR 247/91, NZA 1992, 1080; BAG v. 19.3.2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091 Rz. 27. 6 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 83. 7 BAG v. 29.10.1975 – 5 AZR 444/74, NJW 1976, 535.
Richter | 277
§ 9 Rz. 9.170 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
9.170
In älteren Entscheidungen machten der 3. und 5. Senat des BAG die Wirksamkeit einer nachträglichen Änderungsvereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Betriebserwerber noch davon abhängig, ob der entsprechenden Vereinbarung ein sachlicher Grund zugrunde lag1. Ob und inwiefern ein sachlicher Grund vorliegt, war eine Frage der rechtlichen Bewertung im Einzelfall. Der Erlass rückständiger Löhne oder betrieblicher Sozialleistungen durch den Arbeitnehmer konnte daher wirksam sein, wenn hierdurch vorhandene Arbeitsplätze – sachlicher Grund – trotz einer kurzweiligen finanziell schwierigen Lage des Betriebs erhalten bleiben konnten2.
9.171
Richtigerweise zeigt die Rechtsprechung in Bezug auf Änderungsvereinbarungen zwischen dem Betriebserwerber und dem Arbeitnehmer nach Betriebsübergang in jüngerer Zeit vermehrt Liberalisierungstendenzen zu etwaigen Abänderungsmöglichkeiten. So rückt der 5. Senat jedenfalls von einem generellen Sachgrunderfordernis für Abänderungen des Arbeitsvertrags (nach Betriebsübergang) durch den übernommenen Arbeitnehmer und Betriebserwerber mit Blick auf die Vertragsfreiheit ab. Nach seinen Feststellungen bedarf eine entsprechende Vereinbarung, mit der die einzelvertraglich mit dem übertragenden Rechtsträger vereinbarte Vergütung abgesenkt wird, keines sie rechtfertigenden Sachgrundes3. Inwiefern diese Rechtsprechung eine generelle Abkehr vom Grundsatz des Sachgrunderfordernisses darstellt und mithin auch die bereits genannten Fälle des Erlasses rückständiger Löhne und betrieblicher Sozialleistungen erfasst, hat das BAG zuletzt ausdrücklich offengelassen4.
9.172
Richtig ist im Ergebnis, dass es für die Wirksamkeit einer zwischen dem übernehmenden Rechtsträger und Arbeitnehmer nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses geschlossenen Vereinbarung, mit welcher der Arbeitsvertrag – auch zum Nachteil des Arbeitnehmers – abgeändert wird, keines sachlichen Grundes bedarf. Hierfür spricht bereits, dass § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB – im Gegensatz zu § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB für kollektivvertragliche Regelungen – keine Änderungssperre normiert. Nach einem den Besitzstand des Arbeitnehmers wahrenden Betriebsübergang muss es dem „neuen“ Vertragspartner unter dem Aspekt der Privatautonomie indes möglich sein, nachträglich Veränderungen an den arbeitsvertraglichen Regelungen und damit auch in Bezug auf einen dadurch begründeten Besitzstand im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer vorzunehmen. Eine zu enge gerichtliche Inhaltskontrolle von Abänderungsvereinbarungen würde zudem dem arbeitgeber-, aber auch arbeitnehmerseitigen Bedürfnis nach Flexibilität und Reaktionsmöglichkeiten auf etwaige mit dem Betriebsübergang einhergehende wirtschaftliche und strukturelle Veränderungen nicht gerecht, wobei sich eine entsprechende Regelung sowohl an den §§ 305 ff. BGB messen lassen muss5, wie auch an den Grundsätzen des Rechtsmissbrauchs.
9.173
Umgekehrt bleibt es dabei, dass eine Vereinbarung zwischen dem Arbeitnehmer und dem übertragenden Rechtsträger, die den Übergang des Arbeitsverhältnisses im Zuge eines Betriebsübergangs ausschließt, unwirksam ist, soweit der Arbeitnehmer nicht selbst ausdrücklich auf die in Rede stehende Regelung besteht6. Ebenfalls wegen Verstoßes gegen § 613a BGB
1 BAG v. 18.8.1976 – 5 AZR 95/75, NJW 1977, 1168; vgl. auch BAG v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145 Rz. 29. 2 BAG v. 18.8.1976 – 5 AZR 95/75, NJW 1977, 1168; BAG v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, DB 1980, 308. 3 BAG v. 7.11.2007 – 5 AZR 1007/06, NZA 2008, 530; zustimmend LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 11.3.2015 – 3 Sa 128/14, BeckRS 2015, 67333. 4 BAG v. 19.3.2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091 Rz. 29. 5 Schaub/Ahrendt, Arbeitsrechts-Handbuch, § 118 Rz. 25. 6 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 82; vgl. auch Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 27 f.
278 | Richter
Besonderheiten bei einer Beteiligung kirchlicher Rechtsträger | Rz. 9.176 § 9
unwirksam wäre eine Vereinbarung, mit welcher der Arbeitnehmer gegenüber dem Betriebsveräußerer auf rückständige Vergütungsansprüche im Fall des Betriebsübergangs auf einen dritten Rechtsträger verzichtet1. Wegen Verstoßes gegen § 613a BGB i.V.m. § 4 BetrAVG gilt selbiges auch für solche Vereinbarungen, nach welchen der übertragende Rechtsträger alleiniger Versorgungsschuldner nach dem Betriebsübergang bleibt (vgl. Rz. 34.216)2.
E. Verjährung und Verwirkung von Rechten Im Ausgangspunkt gilt, dass mit dem Eintritt des Erwerbers in die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis bestehende Ansprüche bereits mit dem jeweiligen Fristlauf für Verjährung und etwaige Verwirkung belegt sind. Besonderheiten ergeben sich insoweit nicht. Für die Unterbrechung und Hemmung der Verjährung gilt grundsätzlich das zu den Ausschlussfristen und der insoweit rechtzeitigen Geltendmachung gegenüber dem richtigen Schuldner Ausgeführte entsprechend (siehe hierzu vorstehend Rz. 9.132 ff.). Die Frage nach der Verjährung und Verwirkung von Rechten (des Arbeitnehmers) im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang nach § 613a BGB hat im Übrigen vornehmlich für zwei Fragestellungen praktische Bedeutung: zum einen für die Frage nach der Verjährung und Verwirkung des Widerspruchsrechts aus § 613a Abs. 5, 6 BGB und zum anderen für die generelle Geltendmachung des Übergangs des Arbeitsverhältnisses.
9.174
Bei der Verwirkung des Widerspruchsrechts eines übergehenden Arbeitnehmers geht es um die Frage, ob und wie lange der Arbeitnehmer die Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs rückgängig machen kann (vgl. zu den Einzelheiten Rz. 11.209 ff.). Ebenso stellt sich die Frage, bis wann ein Arbeitnehmer, der durch den Betriebserwerber nicht beschäftigt wird, den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber geltend machen kann, ohne dass dem die Einrede der Verjährung oder Verwirkung entgegengehalten werden kann. Für den Tatbestand der Verwirkung wird allerdings nicht nur ein Zeit-, sondern auch Umstandsmoment gefordert. Ist das Arbeitsverhältnis ungekündigt auf den Erwerber übergegangen, ist das Zeitmoment erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums erfüllt3. Einer unverzüglichen Ausübung des Fortsetzungs- oder Wiederherstellungsanspruchs – mit Blick auf § 4 KSchG aus Sicht des Arbeitnehmers optimalerweise im Rahmen einer rechtzeitig erhobenen Kündigungsschutzklage – bedarf es hingegen, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Veräußerer wirksam betriebsbedingt gekündigt worden ist (vgl. Rz. 17.237).
9.175
F. Besonderheiten bei einer Beteiligung kirchlicher Rechtsträger § 613a BGB kommt auch dann zur Anwendung, wenn kirchliche Rechtsträger an der Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils beteiligt sind4 (vgl. Rz. 7.41 f.), wobei die Handhabe von etwaigen kirchlichen Loyalitätspflichten Schwierigkeiten bereiten kann. Insoweit unpro-
1 BAG v. 19.3.2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091; Bunte, NZA 2010, 319, 320 f.; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 82. 2 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 82; BAG v. 14.7.1981 – AP Nr. 27 zu § 613a BGB. 3 Vgl. BAG v. 18.12.2003 – 8 AZR 621/02, NZA 2004, 791; WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 197. 4 Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 5 Rz. 10, 12; Hanau/Thüsing, KuR 2000, 165, 166 ff.
Richter | 279
9.176
§ 9 Rz. 9.176 | Arbeitsvertragliche Konsequenzen eines Betriebsübergangs
blematisch ist der Fall, dass der Übergang von einem kirchlichen auf einen nichtkirchlichen Rechtsträger vollzogen wird. Hier entfallen etwaige zum Veräußerer bestehende kirchliche Loyalitätspflichten mit dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den nichtkirchlichen Rechtsträger, zumal nur ein der Kirche zugehöriger Arbeitgeber kirchenspezifische Loyalitätspflichten wirksam auferlegen kann1.
9.177
Umstritten ist indes, ob die vom Übergang ihres Arbeitsverhältnisses von einem nichtkirchlichen auf einen kirchlichen Rechtsträger betroffenen Arbeitnehmer nach dem Übergang weiterhin den „normalen“ oder auch den besonderen kirchlichen Loyalitätspflichten des erwerbenden Rechtsträger unterworfen sind2. Die besseren Gründe sprechen für eine Veränderung der arbeitsvertraglichen Pflichten3. Ganz grundsätzlich soll § 613a BGB den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu weitestgehend unveränderten Konditionen sichern, einen absolut wirkenden Bestandsschutz – welcher vor jedweder Art der Veränderung schützt – gewährleistet er indes gerade nicht: Vielmehr lässt die Vorschrift Raum, einzelne Rechte und Pflichten auf die Bedürfnisse von neuem Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch zum Nachteil des Arbeitnehmers anzupassen, etwa bei der Ablösung tarifvertraglicher Rechte durch einen bei dem übernehmenden Rechtsträger geltenden Tarifvertrag. Diese Handhabe steht zudem im Einklang mit derjenigen – allgemein anerkannten – Handhabe für Fälle, in denen sich der Betriebsübergang von einem kirchlichen auf einen säkularen Rechtsträger vollzieht. Passt man in diesem Fall im Wege des Betriebsübergangs die Rechte und Pflichten des Arbeitnehmers dahingehend an, dass dieser bei dem säkularen erwerbenden Rechtsträger nicht mehr zur Einhaltung der erhöhten kirchlichen Treuepflichten verantwortlich ist, kann im umgekehrten Fall konsequenterweise nichts anderes gelten. In der Konsequenz müssen daher in den Fällen des Übergangs von einem säkularen auf einen kirchlichen Rechtsträger ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs die erhöhten Loyalitätspflichten des erwerbenden Rechtsträgers gelten4.
9.178
Da diese erhöhten Treupflichten indes erst ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs von den übergehenden Arbeitnehmern eingefordert werden können, ist der neue Arbeitgeber zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen einer Missachtung dieser Pflichten nur dann berechtigt, wenn die Vertragspflichtverletzung zeitlich dem Übergang des Arbeitsverhältnisses nachgelagert ist5.
9.179
Kommt es nach dem Betriebsübergang zu Verstößen gegen die Loyalitätspflichten, kann der kirchliche Rechtsträger eine ordentliche oder gar außerordentliche Änderungs- oder Beendigungskündigung aussprechen, die wegen der Garantie der kirchlichen Selbstbestimmung die Besonderheiten bei Arbeitnehmern im kirchlichen Dienst berücksichtigen muss6. Bei Ausspruch der Kündigung kommt dann auch in besonderer Weise der durch Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleistete Schutz der Eigenständigkeit der Kirchen und ihrer Einrichtungen
1 Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 5 Rz. 14; Joussen, NJW 2006, 1850, 1852; Melot de Beauregard/Baur, NZA-RR 2014, 625, 630. 2 Vgl. zum Streitstand exemplarisch Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 5 Rz. 14 ff. 3 So schon Hanau/Thüsing, KuR 2000, 165, 168 ff.; Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 47 ff. 4 Vgl. Hanau/Thüsing, KuR 2000, 165, 168 ff.; Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 47 ff.; kritisch Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 5 Rz. 14. 5 So schon Hanau/Thüsing, KuR 2000, 165, 169. 6 Wegen Einzelheiten zur Kündigung bei kirchlichen Rechtsträgern, insbesondere im Zusammenhang mit der (erneuten) Heirat s. etwa Gallner/Mestwerdt/Nägele/Gallner/Denecke, § 1 KSchG Rz. 530 ff.
280 | Richter
Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung | § 10
zum Tragen1. Dem steht die Regelung des § 613a Abs. 4 BGB nicht entgegen, selbst wenn die Kündigung in zeitlichem Zusammenhang mit einem Betriebsübergang oder einer Umwandlung ausgesprochen wird. Die Kündigung erfolgt in diesen Konstellationen verhaltensbedingt aufgrund des Loyalitätsverstoßes, nicht hingegen „wegen“ des Betriebsübergangs.
§ 10 Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
A. Überblick über die praktische Bedeutung der Zuordnung von Arbeitsverhältnissen . . . . . . . . . . . I. Bedeutung von Zuordnungen für den Tatbestand eines Betriebsoder Betriebsteilübergangs . . . . . II. Umstrukturierungen im Vorfeld eines Übertragungsvorgangs . . . . III. Bisherige Diskussion . . . . . . . . . . B. Gesetzliche Regelungen zur Zuordnung von Arbeitnehmern . . . C. Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB . . . . . . . I. Kriterien des EuGH . . . . . . . . . . . II. Gestaltungsmöglichkeiten nach der Rechtsprechung des BAG . . . 1. Drei-Stufen-Test des BAG . . . . 2. Stufe 1: Einvernehmliche Zuordnung a) Maßgeblichkeit der Einigung der Arbeitsvertragsparteien aa) Umgesetzte Zuordnungsvereinbarung . . . bb) Maßgeblichkeit von Änderungsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . .
10.1
10.4 10.7 10.13 10.17 10.19 10.20 10.21 10.22
10.23 10.27
cc) Erfordernis eines Sachgrundes bei belastender Drittwirkung im Zusammenhang mit nachfolgenden Personalabbaumaßnahmen . . . . . dd) Kein Anspruch des Arbeitnehmers auf eine Zuordnungsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zuordnungsvereinbarung ohne Umsetzung b) Irrelevanz von Zuordnungsvereinbarungen zwischen übertragendem und übernehmendem Rechtsträger bei § 613a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gestaltungsspielraum durch dreiseitige Vereinbarung zwischen Veräußerer, Erwerber und Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . d) Bedeutung von Vereinbarungen zwischen übertragendem Rechtsträger und Betriebsrat außerhalb umwandlungsrechtlicher Maßnahmen . . . . . . . . . . .
10.34
10.37 10.38
10.39
10.40
10.43
1 Hierzu vgl. BVerfG v. 21.9.1976 – 2 BvR 350/75, BVerfGE 42, 312, 334; BVerfG v. 25.3.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366, 404; BVerfG v. 17.2.1981 – 2 BvR 384/78, BVerfGE 57, 220, 244; BVerfG v. 4.6.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83 und 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138. Ähnlich zur Kündigung von Rundfunkmitarbeitern nach einem Betriebsübergang vgl. BVerfG v. 19.7.2000 – 1 BvR 6/97, NZA 2000, 1049.
Richter und Mückl | 281
Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung | § 10
zum Tragen1. Dem steht die Regelung des § 613a Abs. 4 BGB nicht entgegen, selbst wenn die Kündigung in zeitlichem Zusammenhang mit einem Betriebsübergang oder einer Umwandlung ausgesprochen wird. Die Kündigung erfolgt in diesen Konstellationen verhaltensbedingt aufgrund des Loyalitätsverstoßes, nicht hingegen „wegen“ des Betriebsübergangs.
§ 10 Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
A. Überblick über die praktische Bedeutung der Zuordnung von Arbeitsverhältnissen . . . . . . . . . . . I. Bedeutung von Zuordnungen für den Tatbestand eines Betriebsoder Betriebsteilübergangs . . . . . II. Umstrukturierungen im Vorfeld eines Übertragungsvorgangs . . . . III. Bisherige Diskussion . . . . . . . . . . B. Gesetzliche Regelungen zur Zuordnung von Arbeitnehmern . . . C. Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB . . . . . . . I. Kriterien des EuGH . . . . . . . . . . . II. Gestaltungsmöglichkeiten nach der Rechtsprechung des BAG . . . 1. Drei-Stufen-Test des BAG . . . . 2. Stufe 1: Einvernehmliche Zuordnung a) Maßgeblichkeit der Einigung der Arbeitsvertragsparteien aa) Umgesetzte Zuordnungsvereinbarung . . . bb) Maßgeblichkeit von Änderungsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . .
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10.4 10.7 10.13 10.17 10.19 10.20 10.21 10.22
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cc) Erfordernis eines Sachgrundes bei belastender Drittwirkung im Zusammenhang mit nachfolgenden Personalabbaumaßnahmen . . . . . dd) Kein Anspruch des Arbeitnehmers auf eine Zuordnungsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zuordnungsvereinbarung ohne Umsetzung b) Irrelevanz von Zuordnungsvereinbarungen zwischen übertragendem und übernehmendem Rechtsträger bei § 613a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gestaltungsspielraum durch dreiseitige Vereinbarung zwischen Veräußerer, Erwerber und Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . d) Bedeutung von Vereinbarungen zwischen übertragendem Rechtsträger und Betriebsrat außerhalb umwandlungsrechtlicher Maßnahmen . . . . . . . . . . .
10.34
10.37 10.38
10.39
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10.43
1 Hierzu vgl. BVerfG v. 21.9.1976 – 2 BvR 350/75, BVerfGE 42, 312, 334; BVerfG v. 25.3.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366, 404; BVerfG v. 17.2.1981 – 2 BvR 384/78, BVerfGE 57, 220, 244; BVerfG v. 4.6.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83 und 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138. Ähnlich zur Kündigung von Rundfunkmitarbeitern nach einem Betriebsübergang vgl. BVerfG v. 19.7.2000 – 1 BvR 6/97, NZA 2000, 1049.
Richter und Mückl | 281
§ 10 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung 3. Stufe 2: Zuordnung kraft Direktionsrechts . . . . . . . . . . . a) Arbeitsvertragliche Ausgestaltung des Direktionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kollektivrechtliche Ausgestaltung des Direktionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorgaben des BAG für die Zuordnungsentscheidung kraft Direktionsrechts aa) Organisationsfreiheit des Arbeitgebers/Ausschluss eines Anspruchs des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . bb) Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . cc) Keine zeitliche Zuordnungsgrenze vor einem Betriebsteilübergang . d) Billiges Ermessen aa) Grundsätzlicher Gestaltungsspielraum des Arbeitgebers . . . . . . . . bb) Kein Erfordernis einer Sozialauswahl . . . . . . . cc) Kriterien einer Ermessensentscheidung des übertragenden Rechtsträgers . . . . . . . . . . . . . dd) Bedeutung eines Punkteschemas . . . . . . e) Rechtsfolgen einer unwirksamen Versetzung . . . f) Kein Anspruch auf erneute Zuordnung nach Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Stufe 3: Zuordnung nach objektiven Kriterien . . . . . . . . a) Relevante Zuordnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . b) Maßgeblichkeit des relativen Schwerpunkts bei Fehlen eines absoluten Schwerpunkts . . . . . . . . . . c) Fehlen eines relativen Schwerpunkts . . . . . . . . . . d) Relevanter Zeitraum für die Schwerpunktbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . .
282 | Mückl
10.47 10.48 10.55
10.57 10.58 10.59
10.70 10.73
10.81
D. I.
II.
10.86 10.89 10.97 10.101 10.102
10.103 10.105 10.109
III.
e) Irrelevanz einer schwerpunktmäßigen Tätigkeit für einen Betrieb oder Betriebsteil . . . . . . . . . . . . f) Beispiele für die Zuordnung zum übergehenden Betriebsteil in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . g) Irrelevanz des Schicksals des nicht eingegliederten Arbeitsverhältnisses nach dem Übergang eines anderen Betriebs oder Betriebsteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Grenzen der Zuordnung nach der überwiegenden Tätigkeit? . . . . . . . . . . . . . aa) Keine mehrstufige Zuordnung des Arbeitsverhältnisses . . . . bb) Kein Wahlrecht des Arbeitnehmers . . . . . . 5. Zulässigkeit einer Änderungskündigung . . . . . . . . . . . . . . . Besondere Einsatzformen und Betriebsstrukturen . . . . . . . . . . . . Arbeitnehmerüberlassung 1. Albron Catering . . . . . . . . . . . 2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . Matrix-Strukturen . . . . . . . . . . . . 1. Was sind Matrix-Strukturen? . 2. Dauerhafte „Übertragung“ des fachlichen Weisungsrechts 3. Vergleichbarkeit mit einer dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung – Albron-TestTeil 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Grenzen der Vergleichbarkeit mit einer dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung – AlbronTest-Teil 2 a) Nichtvorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung . . b) Steuernde Einheit als „nichtvertraglicher Arbeitgeber“? . . . . . . . . . . c) Bewertung anhand des Schutzwecks der Betriebsübergangsvorschriften . . . Gemeinschaftsbetrieb . . . . . . . . .
10.110
10.111
10.116 10.117 10.118 10.122 10.126 10.127 10.129 10.131 10.134 10.135 10.137
10.139
10.140 10.142 10.143 10.152
Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung | § 10 IV. Fiktive Betriebsstrukturen nach § 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Berechtigtes Fehlen einer Arbeitsleistung 1. Arbeitnehmer mit ruhendem Arbeitsvertrag . . . . . . . . . . . . . 2. Freigestellte Betriebsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Arbeit außerhalb des Betriebs 1. Außendienstmitarbeiter . . . . . 2. Vorübergehend entsandte Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . 3. Mitarbeiter in externen Zentralabteilungen . . . . . . . . . VII. Mehrfache Betriebszugehörigkeit VIII. Eintritt des Erwerbs in ein Arbeitsverhältnis trotz Unterbrechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Besonderheiten bei einer Umwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzliche Vorgaben . . . . . . . . . . 1. Verhältnis von § 324 UmwG zu § 613a Abs. 1 BGB . . . . . . . 2. Verhältnis von § 613a BGB zum Umwandlungsvertrag bzw. -plan . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnis von § 324 UmwG, § 613a BGB zu § 323 Abs. 2 UmwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kein Erfordernis einer Zustimmung des Arbeitnehmers . . . . . . . 1. Außerhalb des Anwendungsbereichs von § 324 UmwG, § 613a BGB . . . . . . . . . . . . . . . 2. Im Anwendungsbereich von § 613a BGB . . . . . . . . . . . . . . . III. Namentliche Zuordnung der Arbeitnehmer im Interessenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorliegen von Betriebsänderung und Interessenausgleich .
10.156 IV. 10.157 10.158 10.161 10.162 10.163 10.164
10.168 10.169 10.170
V.
10.172
VI.
10.177
10.182 10.185
10.186 10.195 VII. 10.198 F. 10.199
2. Formale Erfordernisse a) Schriftliche Vereinbarung . b) Namentliche Bezeichnung Rechtsfolgen von § 323 Abs. 2 UmwG und bestehender Gestaltungsspielraum 1. § 323 Abs. 2 UmwG als lex specialis zu § 315 Abs. 3 BGB a) Dogmatische Einordnung . b) Gestaltungsspielraum . . . . c) Normative Wirkung? . . . . d) Als Betriebsvereinbarung abgeschlossener Interessenausgleich . . . . . . . . . . . . . . 2. Überprüfbarkeit auf grobe Fehlerhaftigkeit a) Voraussetzungen . . . . . . . . b) Geltendmachungsfrist für den Arbeitnehmer? . . . . . . 3. Darlegungs- und Beweislast . . Anwendbarkeit von § 323 Abs. 2 UmwG im Bereich der Einzelrechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung einer Zuordnung im Umwandlungsvertrag bzw. -plan 1. Abgrenzung zwischen deklaratorischen und konstitutiven Feststellungen . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis zwischen Umwandlungsvertrag bzw. -plan und Interessenausgleich nach § 323 Abs. 2 UmwG . . . . . . . . . . . . . a) „Gewöhnlicher“ Interessenausgleich . . . . . . . . . . . . b) „Qualifizierter“ Interessenausgleich und als Betriebsvereinbarung abgeschlossener Interessenausgleich . . . Nachträgliche Zuordnung von Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . Beteiligungsrechte des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10.200 10.204
10.206 10.209 10.218 10.220
10.226 10.227 10.228
10.229
10.231
10.236 10.237
10.240 10.241 10.246
Schrifttum: von Alvensleben, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Betriebsübergang im europäischen Gemeinschaftsrecht: eine Studie zu den gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen des § 613a BGB, 1992 (zugl. Diss. Bonn 1991); Annuß, Der Betriebsübergang nach „Ayse Süzen“, NZA 1998, 70; Ascheid, Die betriebsbedingte Kündigung – § 1 KSchG – § 54 AGB-DDR – § 613a IV 2 BGB, NZA 1991, 873; Ascheid, Beschäftigungsförderung durch Einbeziehung kollektivvertraglicher Regelungen in dem Kündigungsschutzgesetz, RdA 1997, 333; Bachner, Arbeitsrechtliche Folgen des neuen Umwandlungsgesetzes, AuA 1996, 217; Bachner, Der Betriebsübergang nach § 613a BGB, AiB 1996, 291; Bauer/Hauß-
Mückl | 283
§ 10 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung mann/Krieger, Umstrukturierung: Handbuch für die arbeitsrechtliche Praxis, 3. Aufl. 2015; Bauer/Herzberg, Arbeitsrechtliche Probleme in Konzernen mit Matrixstrukturen, NZA 2011, 713; Bauer/Lingemann, Das neue Umwandlungsrecht und seine arbeitsrechtlichen Auswirkungen, NZA 1994, 1057; Bauer/von Medem, § 613a BGB: Übergang von Leiharbeitsverhältnissen bei Übertragung des Entleiherbetriebs?, NZA 2011, 20; Baumann, Arbeitsrechtliche Aspekte des neuen Umwandlungsrechts, DStR 1995, 888; Boecken, Der Übergang von Arbeitsverhältnissen bei Spaltung nach dem neuen Umwandlungsrecht, ZIP 1994, 1087; Boecken, Unternehmensumwandlungen und Arbeitsrecht, 1996; Brinkmann, Die Spaltung von Rechtsträgern nach dem neuen Umwandlungsrecht: eine Analyse ihrer individualrechtlichen Folgen, 1999 (zugl. Diss. Göttingen 1998); Bülow, Dispositives Civilprozeßrecht und die verbindliche Kraft der Rechtsordnung, AcP 64 (1881), 1; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991; Christiansen, Betriebszugehörigkeit: Die Zuordnung von Arbeitnehmern aus betriebsverfassungsrechtlicher Sicht, 1998 (zugl. Diss. Kiel 1997); Commandeur/Kleinebrink, Die Änderungskündigung als Mittel zur Lösung von Zuordnungsproblemen beim Betriebsübergang, NJW 2005, 633; Däubler, Das Arbeitsrecht im neuen Umwandlungsgesetz, RdA 1995, 136; Düwell, Umwandlung von Unternehmen und arbeitsrechtliche Folgen, NZA 1996, 393; Düwell, Zweites Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes, FA 2007, 204; Düwell, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Umwandlungsgesetzes, FA 2006, 140; Düwell/Beseler/Göttling, Arbeitsrechtliche Probleme bei Betriebsänderung, Betriebsübergang und Umwandlung, 4. 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284 | Mückl
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Mückl | 285
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A. Überblick über die praktische Bedeutung der Zuordnung von Arbeitsverhältnissen 10.1
Bei Umstrukturierungsmaßnahmen entscheidet grundsätzlich1 die Zuordnung der Arbeitnehmer zu dem vom Übergang betroffenen Vermögen unter anderem darüber, welches Arbeitsverhältnis von einem Übergang gemäß § 613a BGB, § 324 UmwG betroffen ist.
10.2
Davon, ob eine Übertragung erfolgt, hängt aus Arbeitnehmersicht nicht nur ab, welche Entwicklungsmöglichkeiten sich für den betroffenen Arbeitnehmer bei einer Fortsetzung der Tätigkeit bieten. Der Übertragungsvorgang kann für ihn vor allem mit einer grundlegenden Veränderung des Arbeitsumfelds verbunden sein2. Denkbar ist dies z.B. bei einem Ausscheiden aus dem bisherigen Konzern, der Eingliederung in eine fremde Betriebsorganisation oder bei einem mit dem Eintritt des neuen Arbeitgebers verbundenen Tarifwechsel bzw. dem Fehlen einer Sozialplanpflicht beim übernehmenden Rechtsträger als dem neuen Arbeitgeber (§ 112a BetrVG).
10.3
Aus Arbeitgebersicht ist die Zuordnung nicht weniger relevant. Denn die Personalausstattung eines Betriebs oder Betriebsteils entscheidet nach Menge und Qualität häufig darüber, ob Umstrukturierungen und insbesondere Unternehmens(ver)käufe erfolgreich umgesetzt werden können. Denkbar ist ein Scheitern dabei nicht nur, wenn mehr oder andere Arbeitnehmer übernommen werden müssen als gewünscht. Die Menge und Qualität der zu übernehmenden Arbeitnehmer und deren Funktion ist daher regelmäßiger Gegenstand arbeitsrechtlicher Garantien im Unternehmenskaufvertrag und unter Berücksichtigung von Rationalisierungsmöglichkeiten, Lohnniveau etc. maßgeblich für die Kaufpreisbildung, die insoweit auch negativ ausfallen und dann Ausgleichsmechanismen (negativer Kaufpreis) erforderlich machen kann3.
1 Vorbehaltlich eines vor kurzem vom BAG angenommenen „Wahlrechts“ des Arbeitnehmers in bestimmten Fallkonstellationen, vgl. dazu Rz. 10.186 ff. 2 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 1; Haupt, Zuordnung, S. 10. 3 Vgl. WHSS/Willemsen, Umstrukturierung, G Rz. 21; Haupt, Zuordnung, S. 8 f.
286 | Mückl
Überblick über die praktische Bedeutung der Zuordnung | Rz. 10.7 § 10
In der Praxis hängt der Erfolg von Transaktionen allerdings umgekehrt häufig auch und gerade davon ab, dass zentrale Leistungs- und Know-how-Träger übernommen werden, ohne die eine wirtschaftlich erfolgreiche Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit ausgeschlossen oder zumindest (sehr) zweifelhaft erscheint. Der Umgang mit sog. „Key Employees“ ist dementsprechend häufig Inhalt der arbeitnehmerbezogenen Klauseln von Unternehmenskaufverträgen. Sichergestellt werden sollen dabei der Übergang des Arbeitsverhältnisses sowie die Nichtausübung von Widerspruchs- oder Kündigungsrechten und das Fehlen von Anreizen hierfür (z.B. in Form von Change-of-Control-Klauseln und/oder Wettbewerbsverboten).
I. Bedeutung von Zuordnungen für den Tatbestand eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs Wichtig für die Praxis sind Betriebs(teil)zugehörigkeiten allerdings nicht nur mit Blick auf die Rechtsfolgen eines Übertragungsvorgangs. Soweit eine betriebsmittelarme Tätigkeit in Rede steht, kann die Erhöhung oder Verringerung der in einer organisatorischen Einheit beschäftigten Mitarbeiterzahl sowie eine Veränderung der qualitativen Zusammensetzung durch Vornahme entsprechender Zuordnungen im Vorfeld der Übertragung das Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs fördern oder verhindern. Denn in Branchen, in denen es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, kann auch eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden ist, eine übertragungsfähige wirtschaftliche Einheit darstellen (vgl. dazu Rz. 4.129 ff.). Die Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit ist in diesem Fall nach der Rechtsprechung des BAG anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch – und dies ist entscheidend – einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt hatte (vgl. Rz. 4.148).
10.4
Welcher nach Zahl und Sachkunde zu bestimmende Teil der Belegschaft übernommen werden muss, um die Rechtsfolgen des § 613a BGB auszulösen, hängt von der Struktur des Betriebs oder Betriebsteils und der ausgeübten Tätigkeit ab (vgl. Rz. 4.140 ff.): Werden Arbeitnehmer mit einer geringeren Qualifikation beschäftigt, muss eine größere Anzahl von ihnen weiterbeschäftigt werden, um auf einen Fortbestand der vom übertragenden Rechtsträger geschaffenen Arbeitsorganisation schließen zu können, als wenn der Betrieb stärker durch Spezialwissen und Qualifikation der Arbeitnehmer geprägt ist. Denn hier kann neben anderen Kriterien ausreichen, dass wegen ihrer Sachkunde wesentliche Teile der Belegschaft übernommen werden. So ist schließlich entscheidend, ob der weiter beschäftigte Belegschaftsteil insbesondere aufgrund seiner Sachkunde, seiner Organisationsstruktur und nicht zuletzt seiner relativen Größe im Grundsatz funktionsfähig geblieben ist (vgl. dazu Rz. 4.145 ff., 4.153).
10.5
Da die Funktionsfähigkeit über die Hinzuordnung oder Hinwegordnung verändert werden kann, kann zumindest in Bezug auf durch betriebsmittelarme Tätigkeiten geprägte Betriebe oder Betriebsteile durch Zuordnungsentscheidungen auch das Vorliegen des Tatbestands des § 613a BGB gesteuert werden.
10.6
II. Umstrukturierungen im Vorfeld eines Übertragungsvorgangs Dementsprechend können auch organisatorische Maßnahmen verhindern, dass bestimmte Arbeitsverhältnisse auf den übernehmenden Rechtsträger übergehen. Dies gilt parallel zu den nachfolgend zu Zuordnungsentscheidungen entwickelten Grundsätzen auch dann, wenn sie erst im Vorfeld eines Betriebsübergangs realisiert werden (vgl. Rz. 10.64 ff.). Mückl | 287
10.7
§ 10 Rz. 10.8 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
10.8
Eine solche Entscheidung kann beispielsweise darin liegen, die bislang dezentral in den einzelnen Standorten eines Unternehmens ausgeübten Mitarbeiter des Bereichs Controlling in einer selbstständig geführten Zentralabteilung am Standort der Hauptverwaltung zusammenzufassen. Eine entsprechende Entscheidung könnte z.B. für den Bereich EDV getroffen werden. Sie bewirkt, dass die bislang den einzelnen Betrieben zugeordneten Mitarbeiter der Bereiche EDV und Controlling von dem Übergang der dezentralen Betriebe auf einen anderen Rechtsträger nicht betroffen sind. Voraussetzung ist allerdings, dass die Personaleinsatzplanung nun zentral koordiniert wird1.
10.9
Umgekehrt ist ebenso möglich, im Vorfeld einer Betriebs- oder Betriebsteilübertragung bislang zentral wahrgenommene Aufgaben mit ihren Arbeitnehmern dezentral den einzelnen Betrieben oder Betriebsteilen zuzuordnen. Wenn die betreffenden Mitarbeiter anschließend in die Organisation der einzelnen Betriebe oder Betriebsteile eingegliedert werden, sind sie vom Übergang dieser Einheiten gemäß § 613a BGB betroffen2. Ein Übergang der Einheit, der sie bis zur Neuordnung zugeordnet waren, hat grundsätzlich keine Bedeutung (vgl. Rz. 10.67 ff.). Soweit in der Literatur gefordert wird, derartigen organisatorischen Maßnahmen müsse eine sachlich begründete, also nicht willkürliche Entscheidung zugrunde liegen3, richtet sich dies nach den zu Versetzungen im Vorfeld eines Betriebs(teil)übergangs entwickelten Kriterien (vgl. Rz. 10.52 ff.). § 613a BGB schützt nämlich den einzelnen Arbeitnehmer, so dass der Umstand, ob einer oder mehrere (andere) Arbeitnehmer (ebenfalls) von einer entsprechenden Organisationsmaßnahme betroffen sind, keine Rolle spielt, solange nicht ihre Zusammenfassung zu einer übertragungsfähigen Einheit und deren Übertragung in Rede stehen.
10.10
Wichtig für eine kontrollierte Übertragung lediglich bestimmter wirtschaftlicher Einheiten und ihrer Mitarbeiter ist daher – insbesondere, wenn eine Verteilung auf unterschiedliche Erwerber gelingen soll – zunächst eine genaue Analyse und ggf. Umstrukturierung der vorhandenen Steuerung der zu übertragenden Arbeitnehmergruppen. Denn durch Umgestaltung der Personalsteuerung, d.h. der funktionellen Autonomie, können verkaufs- und übertragungsfähige Einheiten geschaffen und Umstrukturierungen trotz Eingreifen von § 613a BGB zu für Erwerber attraktiven Konditionen ermöglicht werden. Schließlich gehen nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB mit dem Übergang einer wirtschaftlichen Einheit nur die Arbeitsverhältnisse auf den neuen Arbeitgeber über, die dem „Betrieb“ oder „Betriebsteil“, d.h. der übergehenden wirtschaftlichen Einheit, zugeordnet sind4. Eine wirtschaftliche Einheit muss vor dem Übergang bestehen und kann nicht nachträglich geschaffen werden. Eine mangelnde Zuordbarkeit von Arbeitnehmern lässt sich – wie der 6. Senat des BAG in seinem Urteil vom 14.5.20205 zu Recht klargestellt hat – auch nicht durch eine betriebsbezogene Sozialauswahl substituieren. § 613a BGB ist anders als § 1 Abs. 3 KSchG kein Sozialschutz, der sicherstellen soll, dass die
1 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 37. 2 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 37. 3 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 37. Wann dies mit der Bewertung von Müller/Thüsing, ZIP 1997, 1869, 1877, übereinstimmt, nach der solche Organisationsmaßnahmen unbeachtlich sein sollen, wenn sie – ausgehend von einer „betriebsmittelorientierten Betrachtungsweise“ – gewählt wurde, um Arbeitsverhältnisse von den dazugehörigen Betriebsmitteln zu trennen, ist unklar. Die betriebsmittelorientierte Sichtweise von Müller/Thüsing berücksichtigt im Übrigen zu wenig, dass die zentral geführten Einheiten häufig betriebsmittelunabhängige Dienstleistungen verrichten. 4 BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12, NZA-RR 2014, 175; vgl. zu Sonderkonstellationen nachfolgend unter Rz. 10.143. 5 BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, ZInsO 2020, 1780.
288 | Mückl
Überblick über die praktische Bedeutung der Zuordnung | Rz. 10.13 § 10
Kündigung gegenüber dem Arbeitnehmer erfolgt, den sie am wenigsten belastet1. Erst recht kann eine Zuordnung von Arbeitnehmern nicht durch eine nach dem Betriebsübergang durchzuführende „nachträgliche“ Sozialauswahl erfolgen. Ist ein Betriebsteil übergegangen, sind die diesem zugeordneten Arbeitsverhältnisse ohne Weiteres2 auf den Erwerber übergegangen und damit aus dem die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG begrenzenden „Restbetrieb“ ausgeschieden3. Problematisch ist in diesem Kontext allerdings, wenn der 8. Senat in seinem Urteil vom 27.2.20204 (obiter dictum) annimmt, es sei ungeklärt, ob eine wirtschaftliche Einheit, die u.a. mit wechselndem oder rotierendem Personal betrieben wird, keine wirtschaftliche Einheit i.S.d. RL 2001/23/EG sein kann. Das könne nicht – zu Ungunsten der Beschäftigten – ohne Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH angenommen werden. Diese Bewertung überzeugt nicht nur deshalb nicht, weil der EuGH bislang die Rechtsfolgen eines Übergangs i.S.d. RL 2001/23/ EG daran geknüpft hat, dass der jeweilige Arbeitnehmer der organisatorischen Einheit angehört5. Hinzukommt, dass diese Sichtweise auf der Tatbestandsseite einen Verzicht auf das Kriterium der „Organisation“ zur Folge hätte, das in diesem Kontext stattdessen durch eine auf Dauer angelegte, abgrenzbare „Tätigkeit“ ersetzt würde. Das widerspricht nicht nur dem Wortlaut von Art. 1 Nr. 1 lit. b RL 2001/23/EG, sondern schafft eine bedenkliche Nähe zum Einbezug der Funktionsnachfolge in den Tatbestand von § 613a BGB, die hiervon bislang immer klar ausgenommen war6. Wesentlich überzeugender ist daher die Sichtweise des 6. Senats in seinem Urteil vom 14.5.20207.
10.11
Wichtig ist unabhängig davon, dass derartige Organisationsmaßnahmen im Zeitpunkt des Betriebs- bzw. Betriebsteilübergangs nicht nur konzipiert, sondern umgesetzt sind8. Denn nur Einheiten, die zum Zeitpunkt des Übertragungsvorgangs auch tatsächlich auf Seiten des übertragenden Rechtsträgers bestehen, können Gegenstand eines Übergangs i.S.d. § 613a BGB sein. Es genügt nicht, wenn diese Einheiten erst im Anschluss an den in Rede stehenden Übertragungsvorgang geschaffen werden sollen (vgl. Rz. 6.1 ff.).
10.12
III. Bisherige Diskussion Die bisherige Diskussion der damit zusammenhängenden Fragen beschäftigte sich im Schwerpunkt – bisweilen sehr „theorielastig“9 – mit Zuordnungskriterien und -mechanismen – für in zentralen oder übergeordneten Unternehmensbereichen bzw. Stabs- und Querschnittsbereichen beschäftigte Arbeitnehmer, die insofern „mittelbar übergangsbetroffen“ sind, als sie hauptsächlich oder teilweise für einen übertragenen Betrieb(steil) tätig waren, dem sie selbst nicht zugeordnet sind (Fallgruppe 1), bzw.
1 2 3 4 5 6 7 8 9
Schubert, ZESAR 2019, 153, 157. „ipso iure“, vgl. EuGH v. 14.11.1996 – C-305/94, DB 1996, 2546. BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, ZInsO 2020, 1780. BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303. Vgl. nur EuGH v. 12.11.1992 – C-209/91; EuGH v. 7.2.1985 – C-186/83. BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, ZInsO 2020, 1780. B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 38. Zur Zuordnungsfrage sind selbst in jüngerer Zeit mehrfach Dissertationen verfasst worden, vgl. Frahm, Betriebsteilübergang, 2007; Haupt, Zuordnung, 2009, und Wang, Betriebs(teil)übergang, 2012.
Mückl | 289
10.13
§ 10 Rz. 10.13 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
– für Arbeitnehmer mit wechselnden Einsatzorten (arbeitsplatzvariable Arbeitsverhältnisse) wie z.B. Springern, deren Arbeitsverhältnis dadurch gekennzeichnet ist, dass sie voraussetzungsgemäß immer wieder in anderen Betriebsteilen tätig werden (Fallgruppe 2).
10.14
Hintergrund hierfür ist, dass Zuordnungsfragen vor allem auch dann entstehen, wenn in einer funktionsbezogenen Organisation des Unternehmens einzelne Bereiche zentral und damit jedenfalls von der Zweckbestimmung betriebsübergreifend geführt werden1. Betroffen hiervon ist nicht nur die „klassische“ Hauptverwaltung, der z.B. die Funktionen Finanzen, Personal und Controlling für das Gesamtunternehmen, ggf. sogar den Konzern, verantwortlich zugeordnet sind. Denkbar sind betriebsübergreifende Funktionen auch in anderen Bereichen, beispielsweise Beschaffung, Qualitätssicherung, technischer Dienst (Wartung und Reparatur), Lager, Bewachung, Botendienste. Auch der Bereich Marketing kann zentral geführt werden. Erst recht stellen sich diese Fragen, wenn – wie in vielen internationalen Konzernen – eine Matrixstruktur im Sinne einer konzernfunktionalen Personalsteuerung etabliert ist (Rz. 10.134 ff.).
10.15
Hinzu kommen Arbeitnehmer, die – wie Außendienstmitarbeiter – außerhalb eines räumlich abgrenzbaren Betriebsteils tätig sind (Fallgruppe 3) oder sich – wie Mitarbeiter in Elternzeit – in einem ruhenden Arbeitsverhältnis befinden (Fallgruppe 4) bzw. – wie freigestellte Betriebsratsmitglieder – aus sonstigen Gründen im Zeitpunkt des Betriebs(teil)übergangs keiner betrieblichen Tätigkeit für den Arbeitgeber nachgehen (Fallgruppe 5).
10.16
Hintergrund für die Vielzahl von Theorien, die vor allem unter den Schlagworten „Objektive Theorie“ und „Subjektive Theorie“ diskutiert werden, war einerseits das Fehlen gesetzgeberischer Vorgaben und andererseits das Fehlen klarer durch die Rechtsprechung herausgearbeiteter Kriterien. Letzteren Mangel hat das BAG aber zwischenzeitlich behoben2 und gerade in jüngerer Zeit zahlreiche Klarstellungen für die Praxis vorgenommen, die – konsequent angewendet – einerseits eine für die Praxis hinreichend zuverlässige Bewertung ermöglichen und andererseits einen hinreichenden Gestaltungsspielraum eröffnen (vgl. Rz. 10.21 ff.). Das ist auch in der Beratungspraxis deutlich spürbar. Denn Diskussionen zu den vorgenannten Fallgruppen sind eher selten geworden, in jüngster Zeit allerdings aufgrund der Rechtsprechung des EuGH wieder in Bewegung geraten (vgl. Rz. 10.127 ff.). Zentraler Gegenstand der Diskussion ist dementsprechend zumeist die Frage, welcher Gestaltungsspielraum im Vorfeld bzw. im Zusammenhang mit Übertragungsvorgängen und Umstrukturierungen besteht. Darauf konzentriert sich die nachfolgende Darstellung ausgehend von der zutreffenden neueren Rechtsprechung des BAG.
B. Gesetzliche Regelungen zur Zuordnung von Arbeitnehmern 10.17
Eine gesetzliche Regelung zur Zuordnung von Arbeitnehmern im Zusammenhang mit Betriebsübergang und Umwandlung findet sich allein in § 323 Abs. 2 UmwG. Dort ist vorgesehen, dass die namentliche Zuordnung von Arbeitnehmern zu einem bestimmten Betrieb oder Betriebsteil in einem Interessenausgleich anlässlich einer Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung nach dem UmwG durch das Arbeitsgericht nur auf grobe Fehlerhaftig-
1 Hierzu und zu der folgenden Problembeschreibung B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 8. 2 Ebenso die Bewertung von Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 60, der zu Recht feststellt, die Bedeutung von „Zweifelsfällen“ sei durch die neuere Rechtsprechung des BAG „deutlich zurückgegangen“.
290 | Mückl
Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB | Rz. 10.20 § 10
keit überprüft werden kann (vgl. Rz. 10.226 ff.). § 323 Abs. 2 UmwG enthält aber keine Kriterien, nach denen die Zuordnung von Arbeitnehmern im Zusammenhang mit solchen Übertragungsvorgängen vorzunehmen ist. Dem Wortlaut nach wird lediglich die Möglichkeit eingeschränkt, die von den betrieblichen Sozialpartnern in einem Interessenausgleich vorgenommene Zuordnung zu überprüfen. Auch § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB bestimmt lediglich, dass der neue Inhaber in die „im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse“ eintritt. Der Wortlaut lässt also nur eine zeitliche Zuordnung von Arbeitsverhältnissen zu. Nach welchen Kriterien über eine Zuordnung der im Zeitpunkt der Übertragung bestehenden Arbeitsverhältnisse zu den betroffenen Betrieben, Betriebsteilen oder – im Falle der Umwandlung – des separat übertragenen Vermögens entschieden werden soll, muss deshalb anderweitig bestimmt werden. Der Umstand, dass Gegenstand einer Spaltung nach dem UmwG Betriebe, Betriebsteile oder separates Vermögen sein können, legt allerdings nahe, hier eine differenzierte Betrachtungsweise vorzunehmen (Rz. 10.229 ff.).
10.18
C. Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB Rechtsprechung und Literatur haben unterschiedliche Lösungswege entwickelt, um im Zusammenhang mit Spaltungs- und Übertragungsvorgängen die Zuordnung von Arbeitnehmern vorzunehmen. Überwiegend werden die Vorschläge zwar im Hinblick auf die Ausgliederung eines Teilbetriebs gemacht. Da Arbeitnehmer häufig betriebsteilübergreifend tätig werden, spielt die Zuordnung hier eine besondere Rolle. Die Grundsätze, die für diese Sachlage entwickelt wurden, lassen sich im Regelfall aber auf Fallgestaltungen übertragen, in denen Arbeitnehmer im Unternehmen betriebsübergreifend zum Einsatz gelangen1. Nachfolgend erfolgt deshalb eine zusammenfassende Darstellung, deren Ausgangspunkt die für die Praxis maßgeblichen Vorgaben der Rechtsprechung sind.
10.19
I. Kriterien des EuGH Der EuGH geht bei seiner Auslegung der Richtlinie zum Betriebs- und Unternehmensübergang (RL 2001/23/EG) von einer objektiv-funktionalen Zuordnung der Arbeitnehmer aus. Für den Übergang von Arbeitsverhältnissen bei Übertragung eines Betriebsteils ist es danach entscheidend, ob der Teil übertragen wurde, dem ein Arbeitnehmer angehöre und der den organisatorischen Rahmen bilde, innerhalb dessen sich das Arbeitsverhältnis konkretisiere. Das Arbeitsverhältnis werde inhaltlich durch die Verbindung zwischen dem Arbeitnehmer und dem Unternehmens- oder Betriebsteil gekennzeichnet, dem er zur Erfüllung seiner Aufgabe angehöre. Für die Beurteilung, ob ein Arbeitsverhältnis übergegangen sei, genüge es daher festzustellen, welchem Unternehmens- oder Betriebsteil der betreffende Arbeitnehmer angehöre2. Zu diesem Auslegungsergebnis ist der EuGH auch bei der Kennzeichnung des Betriebs im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie 75/129/EWG gekommen3. Arbeitnehmer, die
1 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 9. 2 EuGH v. 7.2.1985 – C-186/83, ZIP 1985, 828 Rz. 15 – Botzen; EuGH v. 14.4.1994 – C-392/92, NZA 1994, 545 Rz. 13 – Christel Schmidt. 3 EuGH v. 7.12.1995 – C-44/93, NZA 1996, 471 Rz. 32 ff. – Rockfon AS; vgl. jetzt zum Betriebsbegriff EuGH v. 30.4.2015 – C-80/14, NZA 2015, 601 Rz. 54 ff. – USDAW und Wilson, dazu Mückl, EWiR 2015, 391 f.
Mückl | 291
10.20
§ 10 Rz. 10.20 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
zwar nicht zu dem übertragenen Teil des Unternehmens gehörten, aber bestimmte Tätigkeiten mit Betriebsmitteln des übertragenen Teils des Unternehmens verrichteten oder die als Beschäftigte einer Verwaltungsabteilung des Unternehmens, die selbst nicht übertragen werde, Tätigkeiten für den übertragenen Teil des Unternehmens verrichteten, werden nach seiner Ansicht von einer rechtsgeschäftlichen Überleitung des Betriebsteils nicht erfasst1. Eine Klarstellung, wann ein Arbeitnehmer einem Betrieb oder Teilbetrieb „angehört“, enthalten die Entscheidungsgründe indes nicht. Abgelehnt wird durch den EuGH lediglich, die Zuordnung eines Arbeitnehmers damit zu begründen, dass er ganztägig oder nahezu ganztägig für den übertragenen Unternehmensteil beschäftigt ist2.
II. Gestaltungsmöglichkeiten nach der Rechtsprechung des BAG 10.21
Das BAG hat allerdings darüber hinausgehend in jüngerer Zeit konkrete Kriterien entwickelt, die einerseits eine klare Abgrenzung erlauben und andererseits der betrieblichen und unternehmerischen Praxis hinreichenden Gestaltungsspielraum belassen.
1. Drei-Stufen-Test des BAG 10.22
Zusammenfassend beschreiben lässt sich die Lösung des BAG (vorbehaltlich einer Zuordnung durch Betriebsvereinbarung, die nachfolgend der zweiten Stufe zuzuordnen wäre, zu der das BAG – soweit ersichtlich – noch nicht ausdrücklich Stellung genommen hat) als Drei-StufenTest wie folgt: 1. Stufe: Für die Frage, welchem Betrieb oder Betriebsteil ein Arbeitnehmer zugeordnet ist, kommt es zunächst auf den Willen der Arbeitsvertragsparteien an3. 2. Stufe: Ist der Wille der Arbeitsvertragsparteien weder ausdrücklich dokumentiert noch in konkludenter Form (d.h. durch Auslegung ermittelbar), erfolgt die Zuordnung grundsätzlich – ausdrücklich oder konkludent – durch den Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts4. 3. Stufe: Erst wenn weder eine einvernehmliche Zuordnung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer noch eine einseitige Zuordnung des Arbeitgebers kraft seines Direktionsrechts feststellbar ist, erfolgt die Zuordnung nach objektiven Kriterien5. Maßgeblich ist insoweit, wo der Schwerpunkt der Tätigkeit des Arbeitnehmers lag.
1 Ebenso BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 375/96, NZA 1998, 249 Rz. 46 ff. 2 EuGH v. 7.2.1985 – C-186/83, ZIP 1985, 828 Rz. 16 – Botzen. Der Generalanwalt hatte in seinem Schlussantrag die insoweit wohl abweichende Ansicht vertreten, dass durchaus auf die überwiegende Tätigkeit eines Arbeitnehmers abgestellt werden könne. So war nach seiner Ansicht ein Lohnbuchhalter, der ausschließlich die Löhne der Beschäftigten des übertragenden Betriebsteils bearbeitete, als der Lohnbuchhalter des übertragenen Betriebsteils anzusehen. Ebenso von Alvensleben, Betriebsübergang im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 234 f. 3 St. Rspr., vgl. BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 35; BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12, NZA-RR 2014, 175 Rz. 24; BAG v. 20.4.2016 – 10 AZR 111/15, NZA 2017, 141 Rz. 30; LAG Nürnberg v. 12.4.2016 – 7 Sa 649/14, NZA-RR 2016, 517 Rz. 41. 4 St. Rspr., vgl. BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 35; BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12, NZA-RR 2014, 175 Rz. 24; BAG v. 20.4.2016 – 10 AZR 111/15, NZA 2017, 141 Rz. 30; LAG Nürnberg v. 12.4.2016 – 7 Sa 649/14, NZA-RR 2016, 517 Rz. 41. 5 BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277 Rz. 35; BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12, NZA-RR 2014, 175 Rz. 29; BAG v. 20.4.2016 – 10 AZR 111/15, NZA 2017, 141 Rz. 30.
292 | Mückl
Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB | Rz. 10.25 § 10
2. Stufe 1: Einvernehmliche Zuordnung a) Maßgeblichkeit der Einigung der Arbeitsvertragsparteien aa) Umgesetzte Zuordnungsvereinbarung Ausgehend von diesen Kriterien muss in der betrieblichen Praxis zunächst der Inhalt des Arbeitsvertrags geprüft und bewertet werden. Denn ergibt sich hieraus – ggf. unter Berücksichtigung zwischenzeitlich erfolgter Änderungen (vgl. Rz. 10.27 ff.) – losgelöst von einem Betriebsübergang eine einvernehmliche Zuordnung des Arbeitnehmers zu einem bestimmten Betriebsteil, ist zunächst einmal dieser dokumentierte Wille der Arbeitsvertragsparteien für die Zuordnung maßgeblich1. Fragen der Zuordnung kraft Direktionsrechts stellen sich nicht mehr, da die arbeitsvertragliche Vereinbarung das Direktionsrecht begrenzt (§ 106 GewO)2.
10.23
Eine ausdrückliche arbeitsvertragliche Zuordnung ist selbstverständlich nur dann maßgeblich, wenn und solange wie der Arbeitsvertrag auch den getroffenen Vereinbarungen entsprechend gelebt wird. Erfolgt eine Eingliederung abweichend vom Vertragswortlaut, für die nach allgemeinen Grundsätzen der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast trägt3, ist diese – dann konkludent erfolgte – Einigung über die Zuordnung maßgeblich4. Zur Bewertung einer Vereinbarung ohne umsetzende Eingliederung in einen Betriebsteil vgl. Rz. 10.38.
10.24
In der betrieblichen Praxis wird in derartigen Fällen typischerweise eine „Öffnung“ des Arbeitsverhältnisses für das arbeitgeberseitige Direktionsrecht vorliegen, indem der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer – abweichend von der getroffenen ausdrücklichen Vereinbarung – Arbeit (en) in einem anderen Betriebsteil zuweist und der Arbeitnehmer dieser Weisung Folge leistet. Ausgangspunkt des Gesetzgebers ist schließlich die in § 106 GewO dokumentierte Maßgabe, dass ohne ausdrückliche vertragliche Festlegung in Bezug auf die zu erbringende Arbeitsleistung der Arbeitgeber die maßgeblichen Entscheidungen trifft. Eine andere Bewertung – etwa die Annahme eines jeweiligen Neuabschlusses von konkretisierenden Ergänzungsverträgen über Ausnahmen unter Aufrechterhaltung der ursprünglichen Regelung – ist realitätsfern5, nicht praktikabel und widerspricht der in § 106 GewO zum Ausdruck gekommenen Wertung des Gesetzgebers. Dies gilt umso mehr, wenn man sich vor Augen führt, dass ein – dann typischerweise vom Arbeitnehmer behauptetes – Nichteingreifen von § 106 GewO bei nachweislich praktizierter Abweichung von den im Vertragswortlaut zum Ausdruck gekommenen Vorgaben schon deshalb vom Arbeitnehmer dargelegt und bewiesen werden muss6, weil es sich bei § 106 GewO um dispositives Gesetzesrecht handelt, das stets dann eingreift, wenn nicht zweifelsfrei eine abweichende Vereinbarung vorliegt7. Da es sich bei einer vom Vertragswort-
10.25
1 BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12, NZA-RR 2014, 175 Rz. 24. 2 Vgl. statt vieler BAG v. 28.3.2013 – 10 AZR 569/12, NZA-RR 2014, 181 Rz. 23 f. 3 Vgl. prägnant: BAG v. 29.5.1991 – 4 AZR 358/90, Rz. 35: Dem Arbeitsvertrag wohnt die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit inne. 4 Ebenso Kreitner, FS Küttner, S. 399, 411. 5 Eine Qualifikation von Arbeitsanweisungen als Rechtsgeschäft zu Recht grundsätzlich ablehnend (mit Ausnahme von Arbeitszeit, Arbeitsort und Tätigkeitsbereich [wohl inhaltlich]) z.B. Staudinger/Richardi/Fischinger (2016), § 611 BGB Rz. 962 m.w.N. (auch zur Gegenansicht). 6 BeckOKArbR/Tillmanns, § 106 GewO Rz. 10, 59. 7 Die bis heute im Wesentlichen akzeptierte Theorie des dispositiven Rechts geht auf Bülow, AcP 64 (1881), S. 1 ff. zurück, vgl. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 532; Mückl, Vertragsbruch, S. 64. Danach ist dispositives Recht die Ermächtigung an Private zur autonomen Gestaltung der Rechtslage, sodass jede dispositive Norm eigentlich aus zwei Rechtssätzen besteht: Erstens der Ermächtigung zur privatautonomen Regelung und zweitens aus der gesetzlichen Norm, die subsidiär immer
Mückl | 293
§ 10 Rz. 10.25 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
laut abweichend gelebten Vertragsdurchführung, die zur Beseitigung der Festlegung eines bestimmten Arbeitsorts führt, um eine Individualvereinbarung handeln würde, greifen zugunsten des Arbeitnehmers nicht die zu § 305c BGB entwickelten Auslegungsgrundsätze ein. Zweifel gehen also bei nachweislich vom Vertragswortlaut abweichender Praxis nicht zu Lasten des Arbeitgebers, sondern zu Lasten des insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Arbeitnehmers.
10.26
Dass der Arbeitsvertrag neben einer ausdrücklichen Zuordnung des Arbeitnehmers zu einem bestimmten Betriebsteil eine sog. Versetzungsklausel (also eine vertragliche Ausgestaltung von § 106 GewO) enthält, steht der Maßgeblichkeit einer dem Vertragswortlaut entsprechenden Vertragsdurchführung nicht entgegen. Nimmt der Arbeitgeber eine Neuzuordnung des Arbeitnehmers vor, macht er damit allein von seinem vertraglich vorbehaltenen Neuzuordnungsrecht Gebrauch. Insoweit gelten dann die nachfolgend (Rz. 10.57 ff.) entwickelten Grundsätze. bb) Maßgeblichkeit von Änderungsvereinbarungen
10.27
Auch zwischenzeitlich vorgenommene Vertragsänderungen sind grundsätzlich beachtlich, soweit sie umgesetzt werden. In der Nichtumsetzung wird nämlich – spiegelbildlich zu der Situation einer konkludenten Wiedereröffnung des Direktionsrechts (vgl. Rz. 10.25) – eine konkludente Rückkehr zur ursprünglichen Vereinbarung liegen.
10.28
Die Maßgeblichkeit des geänderten Vertragsinhalts gilt grundsätzlich selbst dann, wenn die entsprechende Änderungsvereinbarung anlässlich eines Betriebsteilübergangs getroffen wird. Die vom BAG zu der Unwirksamkeit von Aufhebungsverträgen im Zusammenhang mit einem bevorstehenden Betriebsübergang entwickelten Grundsätze1 können auf den vorliegenden Fall in der Regel nicht übertragen werden.
10.29
Denkbar ist ihre Übertragung nur in dem – realitätsfernen – Fall, dass zunächst zwischen Veräußerer und Arbeitnehmer eine Versetzung in einen Betriebsteil vereinbart wird, in dem für den Arbeitnehmer – für beide Parteien erkennbar – keine Beschäftigungsmöglichkeit besteht, so dass der Arbeitnehmer sich bewusst mit einer Versetzung einverstanden erklärt, die zwingend eine betriebsbedingte Kündigung nach sich zieht. Hinzu treten müsste bei dieser Konstellation allerdings gleichzeitig noch ein Angebot des Erwerbers an den Arbeitnehmer (bzw. ein verbindliches Inaussichtstellen2), bei dem Erwerber zu verschlechterten Bedingungen weiterzuarbeiten. Das ist in der Praxis nahezu undenkbar, da sich Arbeitnehmer kaum bewusst auf derartige Vereinbarungen einlassen dürften.
10.30
Täuscht der Veräußerer hingegen den Arbeitnehmer bei Abschluss der Versetzungsvereinbarung arglistig über das Nichtbestehen einer – abhängig von der vereinbarten Dauer des Arbeitsverhältnisses: befristeten bzw. unbefristeten – Beschäftigungsmöglichkeit in dem nicht zu übertragenden Betriebsteil, kann der Arbeitnehmer die Versetzungsvereinbarung bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 123 BGB anfechten, während eine Anfechtung nach § 119
dann in Kraft tritt, wenn die Beteiligten von ihrer Regelungskompetenz keinen Gebrauch gemacht haben. Daher muss derjenige, der das (Fort-)Bestehen einer § 106 GewO abbedingenden vertraglichen Regelung für sich in Anspruch nimmt, deren Vorliegen darlegen und ggf. beweisen. 1 Vgl. BAG v. 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, AP BGB § 613a Nr. 414, Rz. 32 ff.; BAG v. 25.10.2012 – 8 AZR 572/11, AP BGB § 613a Nr. 436, Rz. 33. 2 Vgl. BAG v. 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, AP BGB § 613a Nr. 414, Rz. 32; BAG v. 25.10.2012 – 8 AZR 572/11, AP BGB § 613a Nr. 436, Rz. 33.
294 | Mückl
Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB | Rz. 10.32 § 10
Abs. 2 BGB wegen eines Irrtums über das Fortbestehen von Beschäftigungsmöglichkeiten beim Veräußerer in aller Regel ausscheidet1. Die weiteren Rechtsfolgen hängen richtigerweise davon ab, ob der Erwerber in die Täuschung eingebunden war oder nicht: Hat der Erwerber den Arbeitnehmer gemeinsam mit dem Veräußerer arglistig getäuscht (was kaum jemals vorkommen dürfte), erscheint es unter Berücksichtigung der vom BAG für den arglistig täuschenden Arbeitgeber entwickelten Grundsätze2 richtig, die Anfechtung gemäß § 142 Abs. 1 BGB zurückwirken zu lassen. Konsequenz daraus ist, dass das Arbeitsverhältnis in derartigen Fällen – parallel zur Rechtslage bei einem verkannten Betriebsübergang – seit dem Zeitpunkt des Betriebsteilübergangs mit dem Erwerber besteht. Die Ansprüche zwischen Veräußerer und Arbeitnehmer für die Zeit zwischen Betriebsübergang und Zugang der Anfechtung richten sich nach der Lehre über das fehlerhafte Arbeitsverhältnis und sind nicht nach den §§ 812 ff. BGB rückabzuwickeln3. Denn insoweit kann nichts anderes gelten als im Fall eines nach einem Betriebsteilübergang wirksam erklärten Widerspruchs4, da mit Blick auf die eingreifende Rückwirkung spiegelbildlich die gleiche Situation vorliegt. Macht der Arbeitnehmer von seinem Anfechtungsrecht keinen Gebrauch, kann er nach § 280 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB Schadenersatz verlangen5.
10.31
Täuscht der Erwerber allerdings nicht gemeinsam mit dem Veräußerer arglistig, ist zwar theoretisch ebenfalls eine Anfechtung der Versetzungsvereinbarung nach § 123 BGB denkbar, die dann auch nach § 142 BGB zurückwirkt. Parallel zu den vom BAG für den Fall eines Aufhebungsvertrags aus Anlass eines Betriebsübergangs entwickelten Grundsätzen6 führt dies aber nicht zur rückwirkenden Eingliederung in den übertragenen Betriebsteil mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis gemäß § 613a Abs. 1 BGB rückwirkend auf den Erwerber übergegangen ist. Denn wenn der Erwerber dort die Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags nach der Rechtsprechung des BAG wegen einer Umgehung von § 613a BGB nur dann gegen sich gelten lassen muss, wenn er an der Umgehung durch das verbindliche Inaussichtstellen einer Weiterbeschäftigung mitgewirkt hat, kann nichts anderes gelten, wenn er sich nicht an der arglistigen Täuschung beteiligt. Denn alles andere liefe letztlich auf eine Anfechtung mit Drittwirkung hinaus, durch die dem Erwerber ein im Zeitpunkt des Betriebsübergangs nicht bestehendes Arbeitsverhältnis aufgedrängt würde. Dafür fehlt aber eine rechtliche Grundlage, zu-
10.32
1 Vgl. Haas/Salamon/Hoppe, NZA 2011, 128, 129 ff. 2 Keine Privilegierung des arglistig täuschenden Arbeitgebers mit Blick auf die Rückwirkung der Anfechtung nach § 142 BGB, vgl. BAG v. 16.9.1982 – 2 AZR 228/80, NJW 1984, 446 Rz. 44. 3 Vgl. zur Anfechtung eines Widerspruchs bei fehlerhafter Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB Mückl, JuS 2006, 395, 396 m.w.N. 4 Ein wirksamer, erst nach dem Betriebsübergang erklärter Widerspruch wirkt auf den Zeitpunkt des Betriebsübergangs zurück, mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis mit dem früheren Arbeitgeber über den Zeitpunkt des Betriebsübergangs hinaus unverändert fortbesteht (BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 Rz. 51,). Ist der Arbeitnehmer in der Zwischenzeit für den Betriebserwerber tätig geworden, richten sich die Rechtsbeziehungen zwischen dem Arbeitnehmer und dem Betriebserwerber nach den Grundsätzen des fehlerhaften bzw. faktischen Arbeitsverhältnisses (vgl. LAG Berlin-Brandenburg v. 20.11.2013 – 21 Sa 866/13, 21 Sa 960/13, 21 Sa 866/13, 21 Sa 960/ 13, BB 2014, 1139 (LS) Rz. 91; LAG Nürnberg v. 5.10.2011 – 2 Sa 765/10, Rz. 26, juris; LAG München v. 24.2.2011 – 4 Sa 1056/10, LAGE § 812 BGB 2002 Nr. 1, Rz. 34; LAG Köln v. 11.6.2004 – 12 Sa 374/04, LAGE § 613a BGB 2002 Nr. 5, Rz. 26; ArbG Bielefeld v. 4.4.2012 – 6 Ca 1896/11, Rz. 74). 5 Vgl. LAG Hamm v. 19.5.1994 – 16 (10) Sa 1545/93, EzA-SD 1994, Nr. 24, 10–12, unter II. 3. 6 Vgl. BAG v. 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, AP BGB § 613a Nr. 414, Rz. 32; BAG v. 25.10.2012 – 8 AZR 572/11, AP BGB § 613a Nr. 436, Rz. 33.
Mückl | 295
§ 10 Rz. 10.32 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
mal dies der in § 123 Abs. 2 BGB zum Ausdruck gekommenen Wertung klar widerspricht. Daran ändern auch die vom BAG zur fehlerhaften Unterrichtung entwickelten Grundsätze nichts: Eine derartige Drittwirkung gegenüber dem Erwerber ist zwar im Rahmen einer arglistig unterlassenen oder fehlerhaften Unterrichtung über einen Betriebsübergang anerkannt1. Sie ist dort aber nur deshalb gerechtfertigt, weil Erwerber und Veräußerer gemeinsam zur zutreffenden Unterrichtung verpflichtet sind (§ 613a Abs. 5 BGB), so dass die Wertung des § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB eingreift. Hinzu kommt, dass der entweder dem Erwerber oder dem Veräußerer gegenüber erklärte Widerspruch nach § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB ausdrücklich beiden gegenüber Wirkung entfaltet, sodass für die Anfechtung nichts anderes gelten kann2. Die eigene Verpflichtung zur korrekten Unterrichtung legitimiert dort, dass der Erwerber für arglistige Täuschungen des Veräußerers haftet. Außerhalb der Unterrichtungspflicht trifft den Erwerber aber keine eigene Verpflichtung, den Veräußerer von der arglistigen Täuschung seiner Arbeitnehmer über den Fortbestand von Beschäftigungsmöglichkeiten in nicht übertragenen Betriebsteilen abzuhalten. Hiervon ausgehend kann eine Anfechtung der ohne Beteiligung des Erwerbers unter arglistiger Täuschung des Arbeitnehmers durch den Veräußerer abgeschlossene Versetzungsvereinbarung keine Wirkung gegenüber dem Erwerber entfalten.
10.33
Der Arbeitnehmer muss sich vielmehr an den Veräußerer als Täuschenden halten. Hätte dieser das Arbeitsverhältnis auch ohne Täuschung über das Fortbestehen von Beschäftigungsmöglichkeiten in einem anderen Betriebsteil bei einem Verbleib im übertragenen Betriebsteil (z.B. auf der Grundlage eines Erwerberkonzepts oder aus sonstigen Gründen i.S.d. § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB) beenden können, scheiden Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers aus. Fehlt es an einer derartigen auf den übertragenen Betriebsteil bezogenen oder sonstigen Beendigungsmöglichkeit, stellt sich die Frage, ob die arglistige Täuschung zu einem Ausschluss der betriebsbedingten Kündigung aufgrund des Fehlens von Beschäftigungsmöglichkeiten in dem Betriebsteil folgt, in den die Versetzung vereinbarungsgemäß erfolgt ist3. Ein derartiges Kündigungsverbot für den Veräußerer hat das BAG bei einem auf fehlerhafter Unterrichtung beruhenden Widerspruch des Arbeitnehmers völlig zu Recht abgelehnt4. Die Annahme, der Arbeitgeber sei infolge eines arglistigen Vorspiegelns von Beschäftigungsmöglichkeiten zur unbegrenzten Fortführung des Arbeitsverhältnisses unter Zahlung der Vergütung ohne Gegenleistung verpflichtet, erscheint auch unter Berücksichtigung des Fehlverhaltens des Arbeitgebers unangemessen. Denn bei Annahme dieser Rechtsfolge würde die einmalige arglistige Täuschung durch den Arbeitgeber letztlich zum berufslebenslangen „Glücksfall“ für den Arbeitnehmer. Angemessener ist es, die betriebsbedingte Kündigung zwar zuzulassen, dem Arbeitnehmer aber einen Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 BGB zuzugestehen. Der Schadensbemessung ist analog § 10 KSchG ein je nach Alter und Betriebszugehörigkeit gestaffelter zeitlicher Rahmen von bis zu 12 bzw. 18 Monaten zu Grunde zulegen5. So wird eine an den Einzelfall angepasste, flexible Lösung erreicht. Sonstige immaterielle Einbußen des Arbeitnehmers sind nicht ersatzfähig (§ 253 BGB).
1 BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 220/11, NZA 2012, 1101 Rz. 36; Mückl, JuS 2006, 395, 396; Haas/Salamon/Hoppe, NZA 2011, 128, 131 f. 2 Vgl. BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 220/11, NZA 2012, 1101 Rz. 36. 3 In diesem Sinne bei Verletzung der Unterrichtungspflicht nach § 613a Abs. 5 BGB: LAG Berlin v. 29.4.2004 – 18 Sa 2424/03, NZA-RR 2005, 125 Rz. 59 f.; a.A. Mückl, JuS 2006, 395, 396. 4 BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 398/04, NZA 2005, 1302 Rz. 25 ff. 5 Vgl. für den Fall fehlerhafter Unterrichtung bereits Mückl, JuS 2006, 395, 396.
296 | Mückl
Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB | Rz. 10.36 § 10
cc) Erfordernis eines Sachgrundes bei belastender Drittwirkung im Zusammenhang mit nachfolgenden Personalabbaumaßnahmen Problematisch kann die einvernehmliche abweichende vertragliche Zuordnung allerdings auch mit Blick auf dritte Arbeitnehmer dann werden, wenn beim übertragenden Rechtsträger im Anschluss an die Umwandlung bzw. den Betriebsübergang wegen einer zu geringen Auslastung der beschäftigten Arbeitnehmer betriebsbedingte Kündigungen erforderlich werden.
10.34
Hier kann der Verbleib zusätzlicher Arbeitnehmer im Rahmen der Sozialauswahl dazu führen, dass Arbeitnehmer gekündigt werden, die von Beginn an dieser beim übertragenden Rechtsträger verbleibenden Einheit zugeordnet waren. Denn die Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern, die an sich von einem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses betroffen wären, erfolgt im Rahmen des bisherigen Arbeitsvertrags und unter Fortbestand der bisherigen Betriebszugehörigkeit. Insoweit muss der Grund für die Vereinbarung einer Weiterbeschäftigung beim übertragenden Rechtsträger berücksichtigt werden. Er kann dazu führen, dass trotz vergleichbarer Schutzbedürftigkeit dem Arbeitnehmer zu kündigen ist, dessen Arbeitsverhältnis ohne die Vereinbarung auf den anderen Rechtsträger übergegangen wäre1.
10.35
Eine Vereinbarung, wonach solche Mitarbeiter von betriebsbedingten Kündigungen des übertragenden Rechtsträgers ausgeschlossen werden sollen, ist – ausdrücklich oder konkludent – nur dann statthaft, wenn dies nicht als Vertrag zu Lasten Dritter geschieht, der unwirksam ist. Insoweit wird man auf der Grundlage der Rechtsprechung des BAG2 berücksichtigen müssen, dass die Regelungen über die Sozialauswahl nicht dispositiv sind. Sie können insbesondere nicht einzelvertraglich – auch zu Gunsten bestimmter Arbeitnehmer – gezielt verändert werden. Nach der Bewertung des BAG steht § 1 Abs. 3 KSchG aber mittelbaren Verschlechterungen der kündigungsrechtlichen Position eines Arbeitnehmers nicht entgegen, die sich aus einer zulässigen Gestaltung der Arbeitsbedingungen ergeben. Durch eine vertragliche Vereinbarung kann deshalb an sich eine nicht anrechnungsfähige frühere Beschäftigungszeit bei demselben Arbeitgeber oder bei einem anderen Unternehmen auf die Betriebszugehörigkeitsdauer angerechnet werden. Gleiches wird man von dieser Rechtsprechung ausgehend daher auch mit Blick auf die Vereinbarung eines Verbleibs im Betrieb des übertragenden Rechtsträgers annehmen müssen. Allerdings darf die sich zu Lasten des anderen zu kündigenden Arbeitnehmers auswirkende Individualvereinbarung nicht rechtsmissbräuchlich sein und allein eine Umgehung der Sozialauswahl bezwecken. Zudem muss – so das BAG – „in Anbetracht des Spannungsverhältnisses des verfassungsrechtlich gebotenen Kündigungsschutzes nach Art. 12 Abs. 1 GG einerseits und der Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien andererseits regelmäßig für eine solche Anrechnung ein sachlicher Grund bestehen“3. Dabei kann nach der Bewertung des BAG insbesondere in dem zeitlichen Zusammenhang zwischen der Individualvereinbarung und dem Kündigungsereignis ein starkes Indiz für einen fehlenden sachlichen Grund und eine mögliche Umgehungsabsicht liegen. Gerade in diesen Fällen muss der kündigungsberechtigte Arbeitgeber den möglichen sachlichen Grund für den Inhalt der Individualvereinbarung näher darlegen4.
10.36
1 2 3 4
B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 51. BAG v. 2.6.2005 – 2 AZR 480/04, BAGE 115, 9 Rz. 34. BAG v. 2.6.2005 – 2 AZR 480/04, BAGE 115, 92 Rz. 34. BAG v. 2.6.2005 – 2 AZR 480/04, BAGE 115, 92 Rz. 34.
Mückl | 297
§ 10 Rz. 10.37 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
dd) Kein Anspruch des Arbeitnehmers auf eine Zuordnungsvereinbarung
10.37
Wichtig für die betriebliche Praxis ist, dass in aller Regel keine Verpflichtung des übertragenden Rechtsträgers als Arbeitgeber besteht, ein entsprechendes Änderungsangebot des Arbeitnehmers anzunehmen. Dies hat das BAG in seinem Urteil vom 21.2.20131 überzeugend damit begründet, dass das Vertragsrecht, wozu auch das Arbeitsvertragsrecht zählt, grundsätzlich keinen Kontrahierungszwang und damit auch keinen Anspruch kenne, das Vertragsänderungsangebot eines Vertragspartners anzunehmen. Gesetzliche Ausnahmen von diesem Grundsatz, wie z.B. die Vertragsänderungsansprüche in § 8 TzBfG oder § 15 BEEG, bestätigen diese Rechtsprechung zwar, sind im vorliegenden Kontext aber irrelevant. Ebenso wenig folgt ein solcher Anspruch des Arbeitnehmers auf Vertragsänderung nach der Rechtsprechung des BAG aus § 242 BGB. Der übertragende Rechtsträger ist insbesondere nicht nach Treu und Glauben verpflichtet, mit dem Arbeitnehmer eine Vereinbarung über eine Weiterbeschäftigung in einem anderen Betrieb oder Betriebsteil zu treffen, um ihm dadurch z.B. die Übernahme durch den Erwerber eines anderen Betriebs gemäß § 613a Abs. 1 BGB zu ermöglichen und die Möglichkeit einer betriebsbedingten Kündigung wegen Wegfalls seines Arbeitsplatzes bei dem Erwerber des Betriebs, dem der Arbeitnehmer bislang zugeordnet war, auszuschließen2. Der Schutz des Arbeitnehmers, insbesondere der vor einem Arbeitsplatzverlust bei Betriebsübergängen, wird durch die Regelungen des § 613a BGB und des KSchG gewährleistet. Darüber hinausgehende besondere Fürsorgepflichten treffen den Arbeitgeber als Betriebsveräußerer gegenüber dem vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer nach der zutreffenden Bewertung des BAG im Regelfall nicht. ee) Zuordnungsvereinbarung ohne Umsetzung
10.38
Soweit zwar eine Zuordnungsvereinbarung abgeschlossen, diese aber nicht umgesetzt wird, bleibt die tatsächliche Vertragsdurchführung maßgeblich3. b) Irrelevanz von Zuordnungsvereinbarungen zwischen übertragendem und übernehmendem Rechtsträger bei § 613a BGB
10.39
§ 613a BGB bezweckt den Schutz des Arbeitnehmers4, wenn ein Betrieb bzw. Betriebsteil mittels Rechtsgeschäfts den Inhaber wechselt, und enthält zugunsten der Arbeitnehmer zwingendes Recht5, sodass der Übergang von Arbeitsverhältnissen bei Eingreifen des § 613a BGB von Rechts wegen erfolgt6. Zulasten der Arbeitnehmer dürfen daher die Rechtsfolgen des § 613a BGB nicht durch eine Vereinbarung zwischen Betriebsveräußerer und Erwerber ausgeschlossen werden (vgl. Rz. 9.169)7. Anders lautende Abmachungen zwischen den beteiligten Rechts-
1 BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 43. 2 BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 43. 3 BAG v. 22.7.2004 – 8 AZR 350/03, BAGE 111, 283 Rz. 43; ebenso DFL/Bayreuther, 8. Aufl. 2016, § 613a BGB Rz. 42. 4 BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617, 621 Rz. 43. 5 BAG v. 19.3.2015 – 8 AZR 119/14, BB 2015, 2036 (red. Leitsatz) Rz. 32. 6 Vgl. u. a. EuGH v. 26.5.2005 – C-478/03, ZIP 2005, 1377 Rz. 38 – Celtec; EuGH v. 25.7.1991 – C362/89, ZIP 1993, 936 Rz. 12 – d’Urso u. a.; EuGH v. 10.2.1988 – C-324/86, Slg 1988, 739 Rz. 14 – Foreningen af Arbejdsledere i Danmark, „Daddy’s Dance Hall“; BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11, BB 2012, 3144, 74 ff. 7 Vgl. BAG v. 19.3.2009 – 8 AZR 722/07, AP Nr. 369 zu BGB § 613a, Rz. 26; BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11, NZA-RR 2013, 6 Rz. 81.
298 | Mückl
Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB | Rz. 10.42 § 10
trägern ändern daran – wie das BAG in seinem Urteil vom 20.3.20141 noch einmal klargestellt hat – nichts. Sie ermöglichen für sich genommen keine von der tatsächlichen Eingliederung abweichende Zuordnung des Arbeitnehmers durch Vereinbarung zwischen Veräußerer und Erwerber. Das BAG hat daher in ständiger Rechtsprechung – und übereinstimmend mit dem EuGH2 – völlig zu Recht angenommen, dass die Vereinbarungen in dem einem Betriebsübergang zugrunde liegenden Kaufvertrag für die Frage der Zuordnung des Arbeitnehmers ohne Bedeutung sind3. Gleiches gilt im Rahmen eines Spaltungsvertrags nach §§ 123, 126 UmwG4. Soweit das BAG in Bezug auf Zuordnungsvereinbarungen den „Willen der Beteiligten“ für maßgeblich gehalten hat, ist darunter „nur eine solche Einigung zu verstehen, die mit dem betroffenen Arbeitnehmer getroffen wurde“5. Regelungen in einem Kaufvertrag o. ä. zwischen den beteiligten Rechtsträgern können dementsprechend allenfalls dadurch Bedeutung erlangen, dass die im Kaufvertrag getroffenen Vorgaben den Veräußerer – z.B. in Form einer Closing-Bedingung – verpflichten, Änderungen der Zuordnung vor einem Betriebsteilübergang vorzunehmen, die der Veräußerer auch tatsächlich (durch Einigung mit dem Arbeitnehmer oder kraft seines Direktionsrechts) vor dem Betriebsteilübergang umsetzt. Für die arbeitsrechtlichen Fragen relevant ist dann allerdings nicht die im Kaufvertrag getroffene Regelung, sondern deren vertragsgemäße Umsetzung durch den Veräußerer. c) Gestaltungsspielraum durch dreiseitige Vereinbarung zwischen Veräußerer, Erwerber und Arbeitnehmer Ausgehend davon, dass § 613a BGB eine Arbeitnehmerschutzvorschrift ist, kann auf seine zwingende Anwendung natürlich verzichtet werden, wenn die tatsächlichen Gegebenheiten eine Umgehung des Schutzzwecks ausschließen. Soweit es deshalb für zulässig angesehen wird, durch eine Vereinbarung zwischen dem Arbeitnehmer und den am Übertragungsvorgang beteiligten Rechtsträgern die Zuordnung des Arbeitnehmers zu regeln, bestehen dagegen grundsätzlich keine Bedenken6.
10.40
Erfolgt die Spaltung nach § 123 UmwG im Wege der Neugründung, genügt es, wenn eine Zustimmung des Arbeitnehmers zu der durch den übertragenden Rechtsträger vorgesehenen Zuordnung vorliegt. Auf diese Weise kann nicht nur bewirkt werden, dass der Arbeitnehmer trotz seiner objektiv vorhandenen Zugehörigkeit zu dem Betrieb bzw. Betriebsteil, der übertragen wurde, beim bisherigen Arbeitgeber verbleibt7. In gleicher Weise kann ein Übergang des Arbeitsverhältnisses bewirkt werden, obwohl an sich keine Zuordnung zu dem vom Übergang betroffenen Vermögen gegeben war8.
10.41
Problematisch kann diese einvernehmlich herbeigeführte Änderung von § 613a BGB indes wiederum dann werden, wenn beim übertragenden Rechtsträger im Anschluss an die Umwandlung bzw. den Betriebsübergang wegen einer zu geringen Auslastung der beschäftigten
10.42
1 BAG v. 20.3.2014 – 8 AZR 1/13, ZIP 2014, 1992 Rz. 24. 2 EuGH v. 14.11.1996 – C-305/94, AP Nr. 12 zu EWG-RL Nr. 77/187, Rz. 20. 3 St. Rspr. vgl. nur BAG v. 29.10.1975 – 5 AZR 444/74, AP Nr. 2 zu § 613a BGB, Rz. 39; BAG v. 12.5.1992 – 3 AZR 247/91, AP Nr.14 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung, Rz. 32; BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 706/11, DB 2013, 1556 Rz. 64. 4 BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, BAGE 142, 36 Rz. 35. 5 BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11, NZA-RR 2013, 6 Rz. 78. 6 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 50. 7 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 50. 8 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 50.
Mückl | 299
§ 10 Rz. 10.42 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
Arbeitnehmer betriebsbedingte Kündigungen erforderlich werden. Hier gelten die oben zu entsprechenden Vereinbarungen zwischen übertragendem Rechtsträger und Arbeitnehmer (ohne Einbindung des aufnehmenden Rechtsträgers) entwickelten Grundsätze entsprechend (vgl. Rz. 10.23 ff.). d) Bedeutung von Vereinbarungen zwischen übertragendem Rechtsträger und Betriebsrat außerhalb umwandlungsrechtlicher Maßnahmen
10.43
Irrelevant sind auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BAG außerhalb umwandlungsrechtlicher Maßnahmen auch von der realen Eingliederung abweichende Vereinbarungen zwischen übertragendem Rechtsträger und dessen Betriebsrat. Insoweit gelten bislang die zu Vereinbarungen zwischen übertragendem und übernehmendem Rechtsträger entwickelten Grundsätze (vgl. Rz. 10.39) entsprechend, zumal etwaige Vereinbarungen in einem Interessenausgleich – jedenfalls dann, wenn sie nicht als Betriebsvereinbarung ausgestaltet sind1 – einer individualrechtlichen Umsetzung durch den übertragenden Rechtsträger als Arbeitgeber im Vorfeld des Betriebsübergangs bedürfen. Denn ein Interessenausgleich entfaltet grundsätzlich keine normative Wirkung für die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer2.
10.44
Denkbar ist ein anderes Ergebnis auf Basis einer entsprechenden Betriebsvereinbarung aber auf der Grundlage der in jüngerer Zeit entwickelten Rechtsprechung des BAG zur konkludenten Betriebsvereinbarungsoffenheit von als AGB ausgestalteten Arbeitsverträgen. In seinem Urteil vom 5.3.20133 hat das BAG nämlich angenommen, eine Öffnungsklausel für Betriebsvereinbarungen, d.h. deren dynamische Inbezugnahme, sei als AGB ausgestalteten Arbeitsverträgen immanent. Daraus ergeben sich für die Betriebsparteien – ohne Verstoß gegen das Günstigkeitsprinzip – ganz erhebliche Gestaltungsspielräume4. Abzuwarten bleibt zwar, ob die Instanzgerichte dieser Entscheidung folgen werden5. Das BAG befindet sich allerdings – mit Ausnahme des 4. Senats6 – auf dem Weg zu einer einheitlichen Rechtsprechung in dieser Frage7. Dies hätte auch im vorliegenden Kontext erhebliche Auswirkungen:
10.45
Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung können die Arbeitsvertragsparteien ihre vertraglichen Absprachen dahingehend gestalten, dass sie einer Abänderung durch betriebliche Nor1 Zu dieser Möglichkeit vgl. nur BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, BAGE 146, 234 Rz. 32. Zur Bedeutung normativ wirkender Vorgaben in diesem Kontext vgl. sogleich Rz. 10.46 ff. 2 BAG v. 14.11.2006 – 1 AZR 40/06, BAGE 120, 173 Rz. 16; BAG v. 25.4.2007 – 6 AZR 622/06, BAGE 122, 197 Rz. 35. 3 BAG v. 5.3.2013 – 1 AZR 417/12, ZIP 2013, 1542; bestätigend BAG v. 24.10.2017 – 1 AZR 846/15, AP Nr. 110 zu § 77 BetrVG 1972, Rz. 18. 4 Vgl. Mückl, Arbeitsrecht in Krise und Insolvenz, 1. Aufl., Rz. 250 ff. 5 Distinguishing – also Sachverhaltsunterscheidung – betreibt z.B. LAG Rheinland-Pfalz v. 11.11.2013 – 5 Sa 312/13, Rz. 76 ff., n.v. 6 Kritisch, aber nicht überzeugend BAG v. 11.4.2018 – 4 AZR 119/17, BAGE 162, 293 Rz. 48 ff. 7 Der 5. Senat des BAG hat sich dem 1. Senat des BAG indes bereits angeschlossen (vgl. BAG v. 21.8.2013 – 5 AZR 581/11, NZA 2014, 271 Rz. 47; BAG v. 21.8.2013 – 5 AZR 582/11 bis 5 AZR 588/11, n.v.; BAG v. 30.1.2019 – 5 AZR 450/17, NZA 2019, 1065 Rz. 60 ff. m.w.N. auch zu abweichenden Ansichten); zu Recht folgend auch der 6. Senat (BAG v. 11.7.2019 – 6 AZR 40/17, NZARR 2019, 590 Rz. 21). Der 9. Senat des BAG scheint Gleiches tun zu wollen (vgl. BAG v. 18.2.2014 – 9 AZR 821/12, NZA 2014, 1036 Rz. 21); ebenso der 10. Senat (vgl. BAG v. 19.3.2014 – 10 AZR 622/13, ZIP 2014, 1241, 37). Tendenziell dürfte Gleiches auch für den 7. Senat gelten (vgl. BAG v. 23.7.2014 – 7 AZR 771/12, NZA 2014, 1341 Rz. 24). Zu Versorgungszusagen vertritt der 3. Senat dieselbe Auffassung (vgl. BAG v. 11.12.2018 – 3 AZR 380/17, NZA 2019, 1082 Rz. 64 ff.).
300 | Mückl
Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB | Rz. 10.47 § 10
men unterliegen. Eine solche konkludente Vereinbarung ist nach der Bewertung des BAG regelmäßig anzunehmen, wenn der Vertragsgegenstand in AGB enthalten ist und einen kollektiven Bezug hat1. Denn mit der Verwendung von AGB macht der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer erkennbar deutlich, dass im Betrieb einheitliche Vertragsbedingungen gelten sollen. Da AGB ebenso wie Bestimmungen in einer Betriebsvereinbarung auf eine Vereinheitlichung der Regelungsgegenstände gerichtet sind, kann aus Sicht eines verständigen und redlichen Arbeitnehmers nach der Bewertung des BAG nicht zweifelhaft sein, dass es sich bei den vom Arbeitgeber gestellten Arbeitsbedingungen um solche handelt, die einer Änderung durch Betriebsvereinbarung zugänglich sind2. Etwas anderes gilt – so das BAG ausdrücklich – nur dann, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausdrücklich Vertragsbedingungen vereinbaren, die unabhängig von einer für den Betrieb geltenden normativen Regelung Anwendung finden sollen3. Mit Blick auf den Umstand, dass gemäß § 310 Abs. 3 BGB nahezu alle Arbeitsverträge als AGB zu qualifizieren sind, stellt sich im vorliegenden Kontext allein die Frage, ob die Eingliederung des betroffenen Arbeitnehmers in eine bestimmte Organisationseinheit den erforderlichen „kollektiven Bezug“ besitzt. Das wird man angesichts der Tatsache, dass betriebsorganisatorische Fragen gemäß §§ 99 f., § 106 Abs. 3, § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG kraft Gesetzes einen kollektiven Bezug besitzen, jedenfalls dann annehmen müssen, wenn die Eingliederung der betroffenen Arbeitnehmer der Ausstattung einer bestimmten Organisationseinheit oder der Schaffung neuer bzw. der Spaltung oder Eingliederung bestehender Organisationseinheiten dient. Insofern wird man jedenfalls im Anwendungsbereich des § 111 Satz 3 Nr. 1, 3 und 4 BetrVG einen hinreichenden kollektiven Bezug annehmen müssen. Ob man ihn aber auch außerhalb der Vorgaben des § 111 BetrVG dann annehmen kann, wenn eine freiwillige Betriebsvereinbarung (§ 88 BetrVG) entsprechende Gestaltungsmaßnahmen vorsieht, ist noch nicht abschließend geklärt. Jedenfalls im Anwendungsbereich des § 111 Satz 3 Nr. 1, 3 und 4 BetrVG eröffnet eine Vereinbarung nach § 323 Abs. 2 UmwG, die als Betriebsvereinbarung abgeschlossen wird, im Rahmen umwandlungsrechtlicher Maßnahmen zusätzliche Gestaltungsspielräume (vgl. Rz. 10.206 ff., 10.229 ff.). Letztlich handelt es sich dabei um nicht mehr und nicht weniger als eine kollektivrechtliche Ausgestaltung des Direktionsrechts des Arbeitgebers durch Vereinbarung mit dem Betriebsrat. Dass derartige die Ausformung des Direktionsrechts bewirkende Betriebsvereinbarungen möglich sind, ist gerichtlich bereits anerkannt4.
10.46
3. Stufe 2: Zuordnung kraft Direktionsrechts Fehlt es an einer zuordnenden Vereinbarung mit Wirkung für den Arbeitnehmer, ist nach der Rechtsprechung des BAG die im Rahmen billigen Ermessens (§ 315 BGB) auf der Grundlage seines Direktionsrechts (§ 106 GewO) getroffene Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers für die Eingliederung maßgeblich. Welche Gestaltungsspielräume insoweit für den Arbeitgeber bestehen, hängt von dem Umfang seines Direktionsrechts ab.
1 2 3 4
BAG v. 5.3.2013 – 1 AZR 417/12, ZIP 2013, 1542 Rz. 60. BAG v. 5.3.2013 – 1 AZR 417/12, ZIP 2013, 1542 Rz. 60. BAG v. 5.3.2013 – 1 AZR 417/12, ZIP 2013, 1542 Rz. 60. Vgl. nur Hessisches LAG v. 30.3.2015 – 17 Sa 1195/14, Rz. 98 ff. zur Regelung der Ausübung des Direktionsrechts im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung durch Betriebsvereinbarung.
Mückl | 301
10.47
§ 10 Rz. 10.48 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
a) Arbeitsvertragliche Ausgestaltung des Direktionsrechts
10.48
Nach § 106 Satz 1 GewO kann der Arbeitgeber u.a. den Inhalt und Ort der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit dieser nicht durch den Arbeitsvertrag festgelegt ist. Im Zweifel wird es sich dabei gemäß § 310 Abs. 3 BGB um eine Allgemeine Geschäftsbedingung gemäß §§ 305 ff. BGB handeln. In diesem Fall ist nach der Rechtsprechung des BAG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln, ob ein bestimmter Tätigkeitsort tatsächlich fixiert ist und welchen Inhalt ggf. ein vereinbarter Versetzungsvorbehalt hat1.
10.49
Die Auslegung der vertraglichen Bestimmungen kann dabei ergeben, dass eine wie ein Versetzungsvorbehalt erscheinende Klausel lediglich den Umfang der geschuldeten Leistung bestimmen soll, insbesondere dann, wenn alternative Tätigkeitsinhalte oder Tätigkeitsorte schon konkret benannt sind2. Denn die Bestimmung eines Orts oder Inhalts der Arbeitsleistung in Kombination mit einer durch Versetzungsvorbehalt vorgesehenen Einsatzmöglichkeit im gesamten Unternehmen verhindert nach der Rechtsprechung des BAG regelmäßig die Beschränkung auf den ausdrücklich genannten Ort und Inhalt der Arbeitsleistung3. Es macht nach der Bewertung des BAG nämlich keinen Unterschied, ob im Arbeitsvertrag auf eine Festlegung des Orts sowie Inhalts der Arbeitsleistung verzichtet und die nötige Konkretisierung dem Arbeitgeber im Rahmen von § 106 GewO vorbehalten wird oder ob der Ort und Inhalt der Arbeitsleistung zwar bestimmt, aber zugleich die Möglichkeit der Zuweisung eines anderen Orts bzw. – gleichwertigen – Inhalts vereinbart wird. In diesem Fall werde – so das BAG – lediglich klargestellt, dass § 106 Satz 1 GewO gelten und eine Befugnis zur Versetzung an andere Arbeitsorte bestehen soll4. Gleiches gilt für andere – gleichwertige – Arbeitsinhalte5, da sich aus dem Inhalt der Klausel oder aus dem Zusammenhang der Regelung deutlich ergeben muss, dass sich der Arbeitgeber nicht die Zuweisung geringerwertiger Tätigkeiten – ggf. noch unter Verringerung der Vergütung – vorbehält6.
10.50
Ergibt die Auslegung, dass der Vertrag eine nähere Festlegung des Orts und Inhalts der Tätigkeit enthält, unterliegt sie keiner Angemessenheitskontrolle i.S.d. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Vielmehr handelt es sich um die Bestimmung des Inhalts der Hauptpflicht7. Dabei ist es unerheblich, wie eng oder weit die Leistungsbestimmung gefasst ist. Vorzunehmen ist lediglich eine Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB8.
10.51
Fehlt es an einer Festlegung des Orts und Inhalts der Leistungspflicht im Arbeitsvertrag, ergibt sich der Umfang der Weisungsrechte des Arbeitgebers aus § 106 GewO. Je allgemeiner
1 BAG v. 26.1.2012 – 2 AZR 102/11, BAGE 140, 328 Rz. 16; BAG v. 19.1.2011 – 10 AZR 738/09, AP BGB § 307 Nr. 50, Rz. 12; BAG v. 25.8.2010 – 10 AZR 275/09, BAGE 135, 239 Rz. 17 bis 31. 2 BAG v. 26.1.2012 – 2 AZR 102/11, BAGE 140, 328 Rz. 17; BAG v. 19.1.2011 – 10 AZR 738/09, AP BGB § 307 Nr. 50, Rz. 15; BAG v. 25.8.2010 – 10 AZR 275/09, BAGE 135, 239 Rz. 18. 3 BAG v. 18.10.2017 – 10 AZR 330/16, NZA 2017, 1452 Rz. 27; BAG v. 26.1.2012 – 2 AZR 102/11, BAGE 140, 328 Rz. 17; BAG v. 13.4.2010 – 9 AZR 36/09, AP BGB § 307 Nr. 45, Rz. 27. 4 BAG v. 26.1.2012 – 2 AZR 102/11, BAGE 140, 328 Rz. 17; BAG v. 13.4.2010 – 9 AZR 36/09, AP BGB § 307 Nr. 45, Rz. 27. 5 BAG v. 9.5.2006 – 9 AZR 424/05, NZA 2007, 145 Rz. 23. 6 BAG v. 25.8.2010 – 10 AZR 275/09, NZA 2010, 1355 Rz. 25. 7 BAG v. 26.1.2012 – 2 AZR 102/11, BAGE 140, 328 Rz. 18; BAG v. 19.1.2011 – 10 AZR 738/09, AP BGB § 307 Nr. 50, Rz. 16. 8 BAG v. 26.1.2012 – 2 AZR 102/11, BAGE 140, 328 Rz. 18.
302 | Mückl
Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB | Rz. 10.54 § 10
der Ort und Inhalt der Arbeitsleistung im Arbeitsvertrag festgelegt ist, desto weiter geht die Befugnis des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer einen bestimmten (anderen) Arbeitsort bzw. -inhalt einseitig zuzuweisen1. Auf die Zulässigkeit eines außerdem vereinbarten Versetzungsvorbehalts kommt es dann nicht an2. Enthält der Arbeitsvertrag neben einer Festlegung des Orts und Inhalts der Tätigkeit einen Versetzungsvorbehalt, muss differenziert werden3:
10.52
Ergibt die Vertragsauslegung, dass der Versetzungsvorbehalt materiell (nur) dem Inhalt der gesetzlichen Regelung des § 106 GewO entspricht oder zugunsten des Arbeitnehmers davon abweicht, unterliegt diese Klausel keiner Angemessenheitskontrolle i.S.d. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, sondern allein einer Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB4. Der Arbeitgeber, der sich lediglich die Konkretisierung des vertraglich vereinbarten Tätigkeitsinhalts, nicht aber eine Änderung des Vertragsinhalts vorbehält, weicht nicht zulasten des Arbeitnehmers von Rechtsvorschriften ab (§ 307 Abs. 3 Satz 1 BGB). Die Vertragsklausel muss dabei zwar die Beschränkung auf den materiellen Gehalt des § 106 GewO unter Berücksichtigung der dargestellten Auslegungsgrundsätze aus sich heraus erkennen lassen. Auch die Verpflichtung zur transparenten Vertragsgestaltung gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB erfordert aber nicht, dass die Klausel Hinweise auf den Anlass der Ausübung des Weisungsrechts enthält5.
10.53
Ergibt die Vertragsauslegung, dass sich der Arbeitgeber mit dem Versetzungsvorbehalt über § 106 GewO hinaus ein Recht zur Vertragsänderung vorbehält, unterliegt die Regelung der Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB6. Führt die Kontrolle zur Unwirksamkeit des Versetzungsvorbehalts, richtet sich der Inhalt des Vertrags gem. § 306 Abs. 2 BGB nach den gesetzlichen Vorschriften. Eine geltungserhaltende Reduktion auf das angemessene Maß findet nicht statt7. Maßgeblich ist in diesem Fall § 106 GewO. Die Vorschrift überlässt dem Arbeitgeber das Weisungsrecht aber nur insoweit, wie der Leistungsinhalt durch den Arbeitsvertrag nicht festgelegt ist8. Ergibt die Auslegung des Vertrags, dass ein bestimmter Arbeitsort bzw. -inhalt vereinbart wurde, ist der Arbeitgeber an diesen gebunden, wenn ein zusätzlich vereinbarter Versetzungsvorbehalt der Angemessenheitskontrolle nicht standhält9.
10.54
1 BAG v. 26.1.2012 – 2 AZR 102/11, BAGE 140, 328 Rz. 19; BAG v. 19.1.2011 – 10 AZR 738/09, AP BGB § 307 Nr. 50, Rz. 17. 2 BAG v. 18.10.2017 – 10 AZR 330/16, NZA 2017, 1452 Rz. 27; BAG v. 26.1.2012 – 2 AZR 102/11, BAGE 140, 328 Rz. 19. 3 BAG v. 26.1.2012 – 2 AZR 102/11, BAGE 140, 328 Rz. 20 ff.; BAG v. 25.8.2010 – 10 AZR 275/09, BAGE 135, 239 Rz. 23. 4 BAG v. 26.1.2012 – 2 AZR 102/11, BAGE 140, 328 Rz. 21; BAG v. 25.8.2010 – 10 AZR 275/09, BAGE 135, 239 Rz. 24; BAG v. 13.4.2010 – 9 AZR 36/09, AP BGB § 307 Nr. 45, Rz. 24 ff. 5 BAG v. 26.1.2012 – 2 AZR 102/11, BAGE 140, 328 Rz. 22; BAG v. 25.8.2010 – 10 AZR 275/09, BAGE 135, 239 Rz. 25; vgl. auch BAG v. 13.3.2007 – 9 AZR 433/06, AP BGB § 307 Nr. 26, Rz. 44 ff. 6 BAG v. 26.1.2012 – 2 AZR 102/11, BAGE 140, 328 Rz. 22; BAG v. 25.8.2010 – 10 AZR 275/09, BAGE 135, 239 Rz. 26. 7 BAG v. 26.1.2012 – 2 AZR 102/11, BAGE 140, 328 Rz. 22; BAG v. 25.8.2010 – 10 AZR 275/09, BAGE 135, 239 Rz. 30. 8 BAG v. 26.1.2012 – 2 AZR 102/11, BAGE 140, 328 Rz. 22. 9 BAG v. 26.1.2012 – 2 AZR 102/11, BAGE 140, 328 Rz. 22.
Mückl | 303
§ 10 Rz. 10.55 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
b) Kollektivrechtliche Ausgestaltung des Direktionsrechts
10.55
Grenzen werden dem Direktionsrecht nach § 106 GewO häufig auch durch kollektivrechtliche Vereinbarungen gezogen. Im Zusammenhang mit der Zuordnung von Arbeitnehmern zu Betriebsteilen sind sie – lässt man Interessenausgleiche nach § 323 Abs. 2 UmwG einmal unberücksichtigt – aber bislang als gezielte Zuordnungsregelungen kaum praktisch geworden. Denkbar ist, dass sich dies auf der Grundlage der aktuellen Rechtsprechung des BAG zur konkludenten Betriebsvereinbarungsoffenheit von als AGB vereinbarten Arbeitsverträgen ändert (vgl. Rz. 10.44 ff.). Bislang werden in Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen aber kaum Vorgaben über die Zuordnung von Arbeitnehmern zu bestimmten Betriebsteilen vorgenommen.
10.56
Entsprechende Regelungen können im Zusammenhang mit Um- und Restrukturierungen in Interessenausgleichen vereinbart werden, welche die Versetzung bestimmter Arbeitnehmer innerhalb des Betriebs bzw. betriebsübergreifend vorsehen. Derartige Regelungen in einem Interessenausgleich begründen aber – sofern der Interessenausgleich nicht als Betriebsvereinbarung abgeschlossen wird (vgl. Rz. 10.220) – keinen Umsetzungsanspruch des Betriebsrats oder der betroffenen Arbeitnehmer und wirken daher nicht direktionsrechtsbeschränkend. Eine Eingrenzung erfolgt daher allenfalls dann, wenn als Betriebsvereinbarung bzw. im Rahmen von Überleitungstarifverträgen Zuordnungen vorgenommen werden oder sich eine Beschränkung mittelbar dadurch ergibt, dass die Kollektivvereinbarungen die vom Arbeitnehmer geschuldete Tätigkeit derart ausgestalten, dass lediglich ein Einsatz in bestimmten Betrieben oder Betriebsteilen in Betracht kommt. c) Vorgaben des BAG für die Zuordnungsentscheidung kraft Direktionsrechts aa) Organisationsfreiheit des Arbeitgebers/Ausschluss eines Anspruchs des Arbeitnehmers
10.57
Grundsätzlich entscheidet nach der zutreffenden Rechtsprechung des BAG aber der Arbeitgeber aufgrund seines Organisations- und Direktionsrechts über den Arbeitseinsatz des Arbeitnehmers1. Der Arbeitnehmer hat nur Anspruch auf vertragsgemäße Arbeit zu vertragsgemäßen Bedingungen2, nicht auf eine Beschäftigung auf einem bestimmten Arbeitsplatz oder in einem bestimmten Arbeitsbereich3 (vgl. zum Nichtbestehen eines Anspruchs des Arbeitnehmers auf Vertragsänderung Rz. 10.37). bb) Maßgeblicher Zeitpunkt
10.58
Die ermessensfehlerfreie Ausübung des Weisungsrechts durch den Arbeitgeber ist bezogen auf den Beginn der Personalmaßnahme zu prüfen4. Dies ist im vorliegenden Kontext die Zuordnung des Arbeitnehmers zu einem bestimmten Tätigkeitsbereich5. Nachträgliche Entwicklungen spielen keine Rolle.
1 2 3 4 5
BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 46. Vgl. BAG v. 7.2.2007 – 5 AZR 422/06, AP BGB § 615 Böswilligkeit Nr. 12, Rz. 18. BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 46. BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 47. BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 47.
304 | Mückl
Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB | Rz. 10.62 § 10
cc) Keine zeitliche Zuordnungsgrenze vor einem Betriebsteilübergang Hiervon ausgehend können entsprechende Zuordnungsentscheidungen auch kurzfristig vor einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang vorgenommen werden1. Dies hat das BAG in seinem Urteil vom 21.6.20122 klargestellt und insbesondere die Rechtsansicht des dortigen Klägers zurückgewiesen, es müsse eine retrospektive Betrachtung über einen längeren Zeitraum (dort: zwei Jahre) für die Zuordnung maßgeblich sein. Dafür – so zutreffend das BAG – gebe es „keine rechtlichen Ansatzpunkte. Die Zuordnung zu einem bestimmten Betrieb oder Betriebsteil kann durch den Arbeitgeber „von heute auf morgen“ erfolgen. Voraussetzung dafür ist lediglich das Einverständnis des Arbeitnehmers oder dass die Zuordnung durch das Weisungsrecht des Arbeitgebers gedeckt ist (§ 106 GewO)“.
10.59
Mit dieser zutreffenden Bewertung auf den ersten Blick unvereinbar ist die von Elking3 vertretene Ansicht, das Verbot des Ausspruchs von Kündigungen wegen des Betriebsteilübergangs gemäß § 613a Abs. 4 BGB entfalte sozusagen eine – von Elking in zeitlicher Hinsicht nicht näher konkretisierte – Art von „Vorwirkung“, indem es Versetzungen in künftig stillzulegende Betriebsteile (kurzfristig) vor einem Betriebsteilübergang sperre4. Das ist unter mehreren Gesichtspunkten nicht zutreffend:
10.60
Zunächst einmal stützt sich diese Ansicht5 unzutreffend auf das Urteil des BAG vom 21.2.2013, in dem das BAG – anknüpfend an seine bisherige Rechtsprechung – lediglich zutreffend feststellt: „Wäre […] keine wirksame (frühere [= vorherige]) Zuordnung des Klägers zum Betrieb ‚Backoffice‘ erfolgt gewesen, so wäre die (nachträgliche [= nach dem Betriebsübergang erfolgende]) Zuordnung zu diesem Betrieb mittels eines Interessenausgleichs wegen Verstoßes gegen § 613a BGB unwirksam“6. Das ist weder überraschend, noch stützt es die These einer Vorwirkung von § 613a Abs. 4 BGB. Im entschiedenen Fall war der Interessenausgleich nämlich am 27.11.2009 geschlossen worden, während der dortige Betriebsteilübergang – wie geplant und vereinbart – erst mit Wirkung zum 1.1.2010 erfolgte. Die vorstehend wiedergegebenen Feststellungen des BAG erfolgten damit lediglich obiter – und stützen die These einer Vorwirkung von § 613a Abs. 4 BGB in keiner Weise.
10.61
Kernüberlegung von Elking ist allerdings die Annahme, bei einer Versetzung handele es sich in dem Fall „um eine bloße Hilfsmaßnahme zu einer Kündigung wegen des Betriebsübergangs“, „indem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in einen anderen, in naher Zukunft stillzulegenden Betrieb(steil) zuordnet bzw. in ihn versetzt“ und anschließend betriebsbedingt kündigt7. Dass dadurch kurzfristige Versetzungen ausgeschlossen sind, wird man jedenfalls in dieser Allgemeinheit aber nicht annehmen können. Denn dabei wird verkannt, dass derartige Maßnahmen allenfalls dann unzulässig sein könnten, wenn durch sie die Vorgaben für die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung, insbesondere einer Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG, umgangen würde (vgl. zu Kündigungen bei Betriebsübergang Rz. 17.21 ff.).
10.62
1 Staudinger/Annuß (2019), § 613a BGB Rz. 150; Kreitner, FS Küttner, S. 399, 413 f.; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a Rz. 87; Sieg/Maschmann, Unternehmensumstrukturierung, Rz. 138; Beseler in Beseler/Düwell/Göttling, Betriebsübergang, S. 83; a.A. Elking/Aszmons, BB 2014, 373, 378. 2 BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 243/11, AP BGB § 613a Nr. 430, Rz. 65. 3 Elking, NZA 2014, 295, 297 ff. 4 In diesem Sinne bereits Elking/Aszmons, BB 2014, 373, 378. 5 Vgl. bereits Elking/Aszmons, BB 2014, 373, 379. 6 BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 38. 7 Elking, NZA 2014, 295, 298 f.
Mückl | 305
§ 10 Rz. 10.62 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
Eine mangelnde Zuordbarkeit von Arbeitnehmern lässt sich – wie der 6. Senat des BAG in seinem Urteil vom 14.5.20201 zu Recht klargestellt hat – gerade nicht durch eine betriebsbezogene Sozialauswahl substituieren. § 613a BGB ist anders als § 1 Abs. 3 KSchG kein Sozialschutz, der sicherstellen soll, dass die Kündigung gegenüber dem Arbeitnehmer erfolgt, den sie am wenigsten belastet2. Keinesfalls unzulässig können derartige Versetzungen daher nicht nur in dem Fall einer geplanten Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept3 sein (was auch Elking annimmt4). Sie sind selbstverständlich auch in dem Fall eines entsprechenden Veräußererkonzepts5 zulässig.
10.63
Als weitere Begründung stützt sich Elking auf die Annahme, § 613a Abs. 4 BGB schütze nicht einen abstrakten Arbeitsplatz, sondern „den konkreten Arbeitsplatz als Teil der übergehenden betrieblichen Strukturen“6. Diese Annahme steht im klaren Widerspruch zur Rechtsprechung des BAG, die – wie gezeigt – gerade nicht von einem Anspruch des Arbeitnehmers auf die Zuordnung zu einem bestimmten Arbeitsbereich ausgeht (vgl. Rz. 10.59) und deshalb konsequent auch kurzfristige Versetzung für im Rahmen des Direktionsrechts zulässig hält. Dass diese Rechtsprechung richtig ist, zeigt folgende Kontrollüberlegung:
10.64
Der Arbeitnehmer, der dem Arbeitgeber vertraglich kraft Direktionsrechts im Rahmen billigen Ermessens einen Entscheidungsspielraum für Zuordnungen eingeräumt hat, kann gegen die Nutzung dieses Entscheidungsspielraums durch entsprechende Zuordnung nicht stärker geschützt sein, als wenn er selbst die Versetzung vereinbart hätte. Vor diesem Hintergrund müssen zunächst alle Zuordnungsentscheidungen als zulässig ausgegrenzt werden, an denen der übernehmende Rechtsträger als Erwerber nicht beteiligt war. Das BAG hält nämlich zutreffend lediglich solche Vereinbarungen über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses für unzulässig, die auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Bewahrung der Kontinuität des Arbeitsplatzes (zu betriebsübergangsrechtlich unzulässig veränderten Bedingungen) beim übernehmenden Rechtsträger gerichtet sind (vgl. Rz. 10.28). Keine Rolle spielen daher Versetzungsentscheidungen, die der übernehmende Rechtsträger nicht im Zusammenwirken mit dem übertragenden Rechtsträger vereinbart hat. Die Interessen des übernehmenden Rechtsträgers dürfen in dieser Konstellation nicht ausgeblendet werden, da ihn die Rechtsfolgen des § 613a BGB treffen. „Wegen des Betriebsübergangs“ können nämlich nur solche Kündigungen und Aufhebungsverträge erfolgen, die durch das Interesse des übernehmenden Rechtsträgers motiviert sind, bestimmte Arbeitnehmer entweder gar nicht oder lediglich zu anderen Arbeitsbedingungen zu übernehmen, als § 613a BGB dies vorsieht. Reine Binnensachverhalte im Innenverhältnis zwischen übertragendem Rechtsträger und Arbeitnehmer ohne Beteiligung des übernehmenden Rechtsträgers können diesem nicht als Umgehung der Rechtsfolgen von § 613a BGB zugerechnet werden.
10.65
Denn der Betriebsinhaber ist durch § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB nach der zutreffenden Rechtsprechung des BAG nicht gehindert, auch im Zusammenhang mit der Veräußerung eines Betriebes Rationalisierungen zur Verbesserung des Betriebes durchzuführen und zu diesem
1 BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, ZInsO 2020, 1780. 2 Schubert, ZESAR 2019, 153, 157. 3 Vgl. hierzu BAG v. 29.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387 Rz. 34; BAG v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, NZA 2003, 1027 Rz. 21 ff. sowie eingehend WHSS/Willemsen/Sittard, Umstrukturierung, H Rz. 107 ff. 4 Ekling, NZA 2014, 295, 299. 5 Vgl. hierzu BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, NZA-RR 2014, 185 Rz. 70 m.w.N. 6 Elking, NZA 2014, 295, 298.
306 | Mückl
Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB | Rz. 10.67 § 10
Zweck betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen (vgl. Rz. 17.21 ff.). Das Kündigungsverbot greift auch dann nicht ein, wenn das der betriebsbedingten Kündigung zugrunde liegende Konzept des Veräußerers ausschließlich dazu dient, den Betrieb verkaufsfähig zu machen (vgl. Rz. 17.30). In seinem Urteil vom 20.9.2006 hat das BAG deshalb völlig zutreffend klargestellt: „Der Arbeitgeber kann den Betrieb und die Betriebsabläufe und damit auch die Zahl der vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten (Arbeitsplätze) auf Grund seiner Unternehmerfreiheit grundsätzlich nach eigenem Ermessen gestalten, ohne insoweit einer arbeitsgerichtlichen Kontrolle unterworfen zu sein. Dabei spielt es für die kündigungsrechtliche Bewertung keine Rolle, ob es ihm um die langfristige Optimierung eigener unternehmerischer Tätigkeit oder auch oder gar ausschließlich darum geht, den Betrieb verkaufsfähig zu machen. § 613a Abs. 4 BGB steht somit der klassischen Sanierungskündigung auch im zeitlichen Umfeld eines Betriebsübergangs nicht entgegen […]. Der Schutzzweck des § 613a BGB ist in diesen Fällen nicht betroffen. Dieser liegt darin zu verhindern, dass bei der Übernahme der Belegschaft eine Auslese getroffen wird und Veräußerer und Erwerber den Betriebsübergang dazu benutzen, sich der besonders schutzbedürftigen älteren, schwerbehinderten, unkündbaren oder sonst sozial schwächeren Arbeitnehmer zu entledigen […]. § 613a Abs. 4 BGB schützt nicht vor Risiken, die sich jederzeit unabhängig vom Betriebsübergang aktualisieren können, und führt insbesondere nicht zur Lähmung der als notwendig erachteten unternehmerischen Maßnahmen“1. Von dieser zutreffenden Beschreibung des Schutzzwecks des § 613a BGB ausgehend, darf der übertragende Rechtsträger unter Nutzung seines Direktionsrechts aufgrund eigener unternehmerischer Entscheidung also auch kurzfristig Versetzungen mit dem Ziel vornehmen, einen Betrieb oder Betriebsteil – nach seiner Bewertung und ohne kollusives Zusammenwirken mit dem übernehmenden Rechtsträger – verkaufsfähig zu machen.
10.66
Dass für mit dieser Motivation durch den übertragenden Rechtsträger versetzte Arbeitnehmer bei dem übertragenden Rechtsträger selbst keine Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen, betrifft allein das Verhältnis zwischen übertragendem Rechtsträger und versetztem Arbeitnehmer. Gegen die Versetzung in eine Organisationseinheit, in der zukünftig keine Beschäftigungsmöglichkeiten mehr bestehen, ist der Arbeitnehmer auch im laufenden Arbeitsverhältnis nicht geschützt. Denkbar ist in derartigen Konstellationen lediglich, dass eine betriebsbedingte Kündigung des Veräußerers unter bestimmten Voraussetzungen wegen einer Umgehung der Vorgaben des § 1 Abs. 3 KSchG unwirksam ist. Insoweit dürften die oben zu unter Einsatz arglistiger Täuschungen abgeschlossener Versetzungsvereinbarungen entwickelten Grundsätze (vgl. Rz. 10.30 ff.) entsprechend gelten. Dies führt dann aber jedenfalls nicht zur fiktiven Eingliederung in einen zwischenzeitlich auf den übernehmenden Rechtsträger übergegangenen Betriebsteil und einer rückwirkenden Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit diesem. Die Gesetzesumgehung trifft – sofern sie vorliegt – allein den das KSchG Umgehenden und den dadurch geschützten Arbeitnehmer, nicht aber den übernehmenden Rechtsträger als hieran nicht beteiligten Dritten. Denn wenn bereits ein Vertrag zu Lasten Dritter unwirksam ist, muss dies erst recht für einseitige Maßnahmen Dritter ohne Beteiligung (und sogar ohne Einflussnahmemöglichkeit) des belasteten Dritten gelten.
10.67
1 BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387 Rz. 33 (Hervorhebung hinzugefügt) unter Hinweis auf BAG v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, BAGE 83, 302 Rz. 14; BAG v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/ 02, Rz. 17; Ascheid, NZA 1991, 873, 878.
Mückl | 307
§ 10 Rz. 10.68 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
10.68
Im Einklang mit der völlig zutreffenden Rechtsprechung des BAG entfaltet § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB daher jedenfalls dann keine „Vorwirkung“ i.S. der Unwirksamkeit von Versetzungen des übertragenden Rechtsträgers, wenn sie nicht im Wege eines Zusammenwirkens mit dem übernehmenden Rechtsträger objektiv dazu erfolgen, gezielt ein bestimmtes als belastend empfundenes Arbeitsverhältnis zu beenden, ohne dass die Vorgaben des § 1 KSchG erfüllt wären. Allenfalls dann, wenn beide beteiligten Rechtsträger derart zusammenwirken, kommt eine „Vorwirkung“ in Betracht, da es letztlich keinen Unterschied machen kann, ob der Umgehungstatbestand in einem Schritt (Kündigung bzw. Aufhebungsvertrag) oder in zwei Schritten (zunächst Versetzung und dann Kündigung) erfolgt. Für das Vorliegen eines derartigen Zusammenwirkens trägt nach der Rechtsprechung des BAG der versetzte Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast1. Die Freiheit des Arbeitgebers, seinen Betrieb zu organisieren und in diesem Zusammenhang Versetzungen vorzunehmen, wird also durch § 613a Abs. 4 BGB nicht deshalb eingeschränkt, weil im Zusammenhang mit der Umorganisation ein Betriebsteilübergang geplant ist.
10.69
Deshalb wird auch in der Literatur überwiegend zu Recht angenommen, es könnten durchaus auch kurzfristig vor dem Betriebs(teil)übergang erfolgte, ernst gemeinte Umsetzungen den Kreis der übergangsbetroffenen Arbeitsverhältnisse verändern2. Erst recht ist der Arbeitgeber zur Vorbereitung der Überleitung eines Betriebs- oder Betriebsteils schon auf der Grundlage des Direktionsrechts berechtigt, Arbeitnehmern, deren Zuordnung auf der Grundlage ihrer derzeitigen Tätigkeit zweifelhaft ist, Aufgaben zuzuweisen, die einen klaren Rückschluss auf eine Zuordnung des Arbeitsverhältnisses zulassen3. Ob diese Aufgaben schon immer bestanden haben oder im Rahmen einer etwaigen Neustrukturierung der Betriebsorganisation im ersten Schritt geschaffen wurden, ist unerheblich4. d) Billiges Ermessen aa) Grundsätzlicher Gestaltungsspielraum des Arbeitgebers
10.70
Außerhalb der Fallkonstellationen eines Zusammenwirkens von übertragendem und übernehmendem Rechtsträger werden für den übertragenden Rechtsträger nur ausnahmsweise die Vorgaben des § 315 BGB einer Versetzung entgegenstehen. Denn grundsätzlich entscheidet schließlich der Arbeitgeber aufgrund seines Organisations- und Direktionsrechts über den Arbeitseinsatz des Arbeitnehmers. Dieser hat nur Anspruch auf vertragsgemäße Arbeit zu vertragsgemäßen Bedingungen, nicht auf eine Beschäftigung auf einem bestimmten Arbeitsplatz oder in einem bestimmten Arbeitsbereich5.
1 Es ist Sache des Arbeitnehmers, der sich auf die Unwirksamkeit einer Kündigung nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB beruft, darzulegen und ggf. zu beweisen, dass die Kündigung wegen eines Betriebsübergangs ausgesprochen wurde. Der Arbeitnehmer muss also auch vortragen, dass die tatsächlichen Voraussetzungen eines Betriebsübergangs erfüllt sind (vgl. BAG v. 22.6.2011 – 8 AZR 107/10, AP BGB § 613a Nr. 408, Rz. 32; BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, AP BGB § 613a Nr. 409, Rz. 29; BAG v. 18.10.2012 – 6 AZR 41/11, NZA 2013, 1007, 1011 Rz. 39). Im Fall einer angenommenen „Vorwirkung“ von § 613a Abs. 4 BGB kann nichts anderes gelten. 2 Staudinger/Annuß (2019), § 613a BGB Rz. 150; Kreitner, FS Küttner, 399, 413 f.; MünchKommBGB/ Müller-Glöge, § 613a Rz. 87; Sieg/Maschmann, Unternehmensumstrukturierung, Rz. 138; Beseler in Beseler/Düwell/Göttling, Betriebsübergang, S. 83. 3 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 88. 4 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 88. 5 BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 46.
308 | Mückl
Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB | Rz. 10.73 § 10
Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Arbeitspflicht sich entsprechend auf einen bestimmten Arbeitsplatz konkretisiert hat1. Die Bestimmung eines Orts der Arbeitsleistung in Kombination mit einer im Arbeitsvertrag durch Versetzungsvorbehalt geregelten Einsatzmöglichkeit im gesamten Unternehmen verhindert dabei regelmäßig die vertragliche Beschränkung auf den im Vertrag genannten Ort der Arbeitsleistung2. Es macht dabei nach der zutreffenden Rechtsprechung des BAG keinen Unterschied, ob im Arbeitsvertrag auf eine Festlegung des Orts der Arbeitsleistung verzichtet und diese dem Arbeitgeber im Rahmen von § 106 GewO vorbehalten bleibt oder ob der Ort der Arbeitsleistung bestimmt, aber die Möglichkeit der Zuweisung eines anderen Orts vereinbart wird3. In diesem Fall wird lediglich klargestellt, dass § 106 Satz 1 GewO gelten und eine Versetzungsbefugnis an andere Arbeitsorte bestehen soll4. Es ist zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass Arbeitspflichten sich, ohne dass darüber ausdrückliche Erklärungen ausgetauscht werden, nach längerer Zeit auf bestimmte Arbeitsbedingungen konkretisieren5. Die Nichtausübung des Direktionsrechts über einen längeren Zeitraum schafft aber regelmäßig keinen Vertrauenstatbestand dahin gehend, dass der Arbeitgeber von diesem vertraglich und/oder gesetzlich eingeräumten Recht in Zukunft keinen Gebrauch mehr machen will. Denn die Nichtausübung des Direktionsrechts hat keinen Erklärungswert. Nur beim Hinzutreten besonderer Umstände, aufgrund derer der Arbeitnehmer darauf vertrauen darf, dass er nicht in anderer Weise eingesetzt werden soll, kann es daher durch konkludentes Verhalten zu einer vertraglichen Beschränkung der Ausübung des Direktionsrechts kommen6. Die Darlegungs- und Beweislast trifft insoweit den Arbeitnehmer7.
10.71
Dem Arbeitgeber als Inhaber des Bestimmungsrechts nach § 315 Abs. 1 BGB verbleibt für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum, innerhalb dessen ihm mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen können. Nach § 315 Abs. 3 BGB ist gerichtlich überprüfbar, ob der Arbeitgeber als Gläubiger diese Grenzen gewahrt hat8.
10.72
bb) Kein Erfordernis einer Sozialauswahl Eine soziale Auswahl wie im Falle des § 1 Abs. 3 KSchG findet bei Versetzungsentscheidungen nach der Rechtsprechung des BAG aber nicht statt. Soweit es auf die Zumutbarkeit des neu zugewiesenen Arbeitsorts ankommt, kann allerdings aus den „sozialrechtlichen Regeln über die Zumutbarkeit einer Beschäftigung kein belastbarer Maßstab für die arbeitsrechtliche Beurteilung des Ermessensgebrauchs nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB bei einer Versetzung
1 BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 46. 2 BAG v. 28.8.2013 – 10 AZR 537/12, Rz. 20; BAG v. 26.9.2012 – 10 AZR 311/11, NZA-RR 2013, 403 Rz. 18; BAG v. 19.1.2011 – 10 AZR 738/09, BB 2011, 1468 Rz. 15; BAG v. 13.4.2010 – 9 AZR 36/09, AP BGB § 307 Nr. 45, Rz. 27. 3 BAG v. 28.8.2013 – 10 AZR 537/12, Rz. 20. 4 BAG v. 28.8.2013 – 10 AZR 537/12, Rz. 20. 5 BAG v. 26.9.2012 – 10 AZR 311/11, NZA-RR 2013, 403 Rz. 25; BAG v. 17.8.2011 – 10 AZR 202/ 10, NZA 2012, 265 Rz. 19 m.w.N. 6 BAG v. 26.9.2012 – 10 AZR 311/11, NZA-RR 2013, 403 Rz. 25; BAG v. 17.8.2011 – 10 AZR 202/ 10, NZA 2012, 265 Rz. 19 m.w.N. 7 Vgl. BAG v. 26.9.2012 – 10 AZR 311/11, NZA-RR 2013, 403 Rz. 26. 8 BAG v. 26.9.2012 – 10 AZR 311/11, NZA-RR 2013, 403 Rz. 28; vgl. BAG v. 13.6.2012 – 10 AZR 296/11, NZA 2012, 1154 Rz. 28; BGH v. 18.10.2007 – III ZR 277/06, BGHZ 174, 48 Rz. 20.
Mückl | 309
10.73
§ 10 Rz. 10.73 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
abgeleitet werden“1. Das wird man auch im Vorfeld eines Betriebs oder Betriebsteilübergangs nicht anders bewerten können:
10.74
Lässt man dogmatische Überlegungen einmal unberücksichtigt, die bei einer am Gebot der Gerechtigkeit im Einzelfall orientierten Ermessensentscheidung an sich ausschließen, eine Abwägung nach kollektiven Gesichtspunkten vorzunehmen2, spricht gegen eine analoge Anwendbarkeit von § 1 Abs. 3 KSchG zunächst einmal, dass die notwendige Vergleichbarkeit der Situation bei einer betriebsbedingten Kündigung und der Situation bei einer Zuordnung von Arbeitnehmern vor einem Betriebsübergang oder einer Umwandlung im Regelfall nicht gegeben ist3. § 1 Abs. 3 KSchG geht von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus. Die Notwendigkeit einer Sozialauswahl wird hier dadurch begründet, dass weniger Arbeitsplätze als Arbeitnehmer vorhanden sind. Ein Teil der Arbeitsverhältnisse muss wegen fehlender Weiterbeschäftigungsmöglichkeit beendet werden. Diese Situation ist im Zusammenhang mit Betriebsübergang und Umwandlung nur dann gegeben, wenn beim übernehmenden oder übertragenden Rechtsträger betriebsbedingte Kündigungen geplant sind. Nur hier erscheint die Situation so vergleichbar, dass man analog § 1 Abs. 3 KSchG auch soziale Gesichtspunkte bei der Auswahlentscheidung über die Zuordnung zu den jeweiligen Betrieben oder Betriebsteilen berücksichtigen muss. Schließlich kann die Zuordnung zu einem Betriebsteil, in dem betriebsbedingte Kündigungen beabsichtigt sind, eine Vorentscheidung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses darstellen, wenn dort keine vergleichbaren und/oder weniger schutzwürdige Arbeitnehmer beschäftigt werden. Damit ist eine Situation gegeben, die das BAG bereits im Urteil vom 15.12.19944 im Zusammenhang mit einer Auswahlentscheidung über die Arbeitnehmer, die auf freien Arbeitsplätzen im Unternehmen weiterbeschäftigt werden können, zu einer vorgeschalteten Sozialauswahl veranlasst hat. Der 6. Senat des BAG scheint hiervon in seinem Urteil vom 14.5.20205 aber abzurücken, wenn er im Anschluss an Schubert6 feststellt, § 613a BGB sei anders als § 1 Abs. 3 KSchG kein Sozialschutz, der sicherstellen soll, dass die Kündigung gegenüber dem Arbeitnehmer erfolgt, den sie am wenigsten belastet.
10.75
Im Übrigen führt zwar jede Form der hier in Rede stehenden Übertragung für einen Teil der Mitarbeiter zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem bisherigen Arbeitgeber. Abweichend von der § 1 Abs. 3 KSchG zugrunde liegenden Sachlage wird im Zeitpunkt der Umwandlung/Überleitung aber ein Arbeitsverhältnis mit dem Rechtsnachfolger begründet. Dessen Inhalt bestimmt sich grundsätzlich nach den zwischen Arbeitnehmer und übertragendem Rechtsträger getroffenen Vereinbarungen. Geht man davon aus, dass die Sozialauswahl Ausdruck des im gesamten Kündigungsrecht geltenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – genauer: der Angemessenheit – ist7, sind die hierzu entwickelten Kriterien nicht ohne weiteres auf die hier in Rede stehende Fallgestaltung übertragbar. Denn grundsätzlich führt der Übergang eines Arbeitsverhältnisses weder bei einer Einzel- noch bei einer Gesamtrechtsnachfolge zu einem Eingriff in den individuellen Besitzstand der betroffenen Arbeitnehmer8.
1 BAG v. 26.9.2012 – 10 AZR 311/11, NZA-RR 2013, 403 Rz. 30; vgl. BAG v. 17.8.2011 – 10 AZR 202/10, NZA 2012, 265 Rz. 23. 2 von Hoyningen-Huene, Billigkeit im Arbeitsrecht, S. 43. 3 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 92, dort auch zum Folgenden. 4 BAG v. 15.12.1994 – 2 AZR 320/94, NZA 1995, 413, 414 ff. 5 BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, ZInsO 2020, 1780. 6 Schubert, ZESAR 2019, 153, 157. 7 Vgl. Preis, Grundprinzipien des Kündigungsrechts, 414 ff. 8 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 93.
310 | Mückl
Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB | Rz. 10.78 § 10
Nachteile können sich für die von einem Übergang im Wege der Einzelrechtsnachfolge betroffenen Arbeitnehmer letztlich allerdings daraus ergeben, wenn die Übernahme durch ein neugegründetes Unternehmen erfolgt, das für die Dauer von vier Jahren nach seiner Gründung von der Pflicht zur Aufstellung eines Sozialplans befreit ist (§ 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Derselbe Nachteil für die von einem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses betroffenen Arbeitnehmer tritt gemäß § 111 Satz 1 BetrVG ein, wenn im übergeleiteten Teilbetrieb in der Regel nicht mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt werden. Letztlich begründen die vorgenannten Rechtsfolgen aber lediglich die Gefahr zukünftiger Nachteile. Auch wenn solche Gefahren bei der Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB zu berücksichtigen sein können (vgl. Rz. 11.12), kann häufig nicht vorhergesagt werden, ob die Risiken tatsächlich realisiert werden. Bei der Entscheidung über die Anwendbarkeit von § 1 Abs. 3 KSchG im Zusammenhang mit der Zuordnung von Arbeitnehmern hat deshalb größeres Gewicht, dass unmittelbare Nachteile durch §§ 133 f., 323 Abs. 1, § 324 UmwG, § 613a BGB verhindert werden1.
10.76
Entscheidend gegen die Notwendigkeit einer Sozialauswahl bei der Zuordnung von Arbeitsverhältnissen spricht zudem, dass die Situation für die betroffenen Arbeitnehmer eine andere ist, als sie dem unmittelbaren Anwendungsbereich von § 1 Abs. 3 KSchG zugrunde liegt2: Dort ist der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses vorteilhaft, die Beendigung nachteilhaft. Bei der Überleitung eines Betriebs oder Betriebsteils lässt sich hingegen nicht abstrakt-generell feststellen, ob der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses beim übertragenden Rechtsträger oder der Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Rechtsnachfolger die für den Arbeitnehmer vorteilhaftere Rechtsfolge ist3. Die Zuordnung einzelner Arbeitnehmer zum verbleibenden Restbetrieb kann auch nachteilig sein, wenn der Restbetrieb im Anschluss an die Übertragung eines Teilbereichs auf einen anderen Rechtsträger stillgelegt wird (was insbesondere in der Insolvenz häufig der Fall ist). Maßgeblich für die Bewertung der Folgen einer Zuordnung ist für die betroffenen Arbeitnehmer damit nicht nur die Größe der jeweils beim übertragenden und übernehmenden Rechtsträger fortbestehenden Betriebe. Häufig steht das unternehmerische Konzept für die Zukunft und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der beteiligten Rechtsträger im Vordergrund. Bedeutsam dürften dabei z.B. die Einbindung in einen Konzern und/ oder zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten des Unternehmens am Markt sein. Da diese Gegebenheiten im Einzelfall ein so unterschiedliches Gewicht besitzen, ist es ausgeschlossen, generell festzulegen, dass der Übergang eines Arbeitsverhältnisses auf ein neugegründetes Unternehmen, das von der Sozialplanpflicht befreit ist, als ein so gewichtiger Nachteil anzusehen ist, dass nur die sozial weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmer dem übergeleiteten Betrieb oder Betriebsteil zugeordnet werden könnten.
10.77
Gegen die Notwendigkeit einer Sozialauswahl analog § 1 Abs. 3 KSchG bei der Zuordnung von Arbeitnehmern spricht schließlich, dass damit einer der beteiligten Rechtsträger eine Belegschaftsstruktur hinzunehmen hätte, die ihm schon wegen des Alters der Mitarbeiter die Fortsetzung des Betriebs regelmäßig erheblich erschwerte oder gar unmöglich machte4. Würde man einzelne Arbeitnehmer gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG aus der Sozialauswahl herausnehmen, könnte nur ein Rechtsträger begünstigt werden. Völlig offen wäre dabei, ob dies der übertragende oder der übernehmende Rechtsträger ist. Arbeitnehmer, die wegen ihres besonderen
10.78
1 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 94. 2 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 96, dort auch zum Folgenden. 3 Zutreffenderweise hatte deshalb schon Henssler (NZA 1994, 913, 921) festgestellt, dass eine Zuordnung von Arbeitnehmern zu einem Betriebsteil im Zusammenhang mit einem Übergang gemäß § 613a BGB in den Kategorien der Besser- oder Schlechterstellung nicht fassbar sei. 4 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 98, dort auch zum Folgenden.
Mückl | 311
§ 10 Rz. 10.78 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
Kündigungsschutzes aus der Sozialauswahl herausgenommen würden (z.B. werdende Mütter, Arbeitnehmer in Elternzeit, Betriebsratsmitglieder), blieben bei einem einzigen Rechtsträger. Dies würde auch für die tarifvertraglich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer gelten1.
10.79
Auch diese Konsequenz einer Sozialauswahl würde eine Umwandlung oder Teilbetriebsübertragung in der Praxis erheblich erschweren. Wegen der Unterschiedlichkeit von Umwandlung/ (Teil-)Betriebsüberleitung einerseits und betriebsbedingter Kündigung andererseits geht eine solche Folge auch weit über den eigentlichen (Schutz-)Zweck von § 1 Abs. 3 KSchG hinaus2.
10.80
Abschließend bleibt festzuhalten: Da auch § 315 BGB – wie nachfolgend aufgezeigt wird – die sozialen Belange der Arbeitnehmer berücksichtigt, ist eine Sozialauswahl bei der Entscheidung über die Zuordnung von Arbeitnehmern nicht erforderlich. Davon geht auch der 6. Senat des BAG in seinem Urteil vom 14.5.20203 zu Recht aus. cc) Kriterien einer Ermessensentscheidung des übertragenden Rechtsträgers
10.81
Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen (§ 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB) verlangt vom Arbeitgeber eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit4. In die Abwägung sind nach der Rechtsprechung des BAG alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Im Zusammenhang mit Betriebs- oder Betriebsteilübergängen hat das BAG bislang aber kaum spezifische Grenzen entwickelt. Insbesondere sind Versetzungen im zeitlichen Vorfeld eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs nicht per se unbillig, sondern in den allgemeinen Grenzen zulässig. Einzige Sonderkonstellation ist diejenige der Gesetzesumgehung durch Zusammenwirken von übertragendem und übernehmendem Rechtsträger (vgl. Rz. 10.89 ff.). Dafür, dass der Arbeitgeber die ihm durch § 106 GewO, § 315 BGB gesetzten Grenzen nicht überschritten hat, trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast5.
10.82
Eine Konkretisierung der zu berücksichtigenden Kriterien muss ausgehend von den vom BAG entwickelten Grundsätzen zunächst folgende Gesichtspunkte berücksichtigen6: – die Vorteile aus einer Regelung, – die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, – die beiderseitigen Bedürfnisse, – außervertragliche Vor- und Nachteile, – Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie – soziale Lebensverhältnisse7, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen.
1 2 3 4 5
Vgl. B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 98. B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 99. BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, ZInsO 2020, 1780. BAG v. 26.9.2012 – 10 AZR 311/11, NZA-RR 2013, 403 Rz. 29. BAG v. 15.1.2014 – 10 AZR 243/13, NZA 2014, 536 Rz. 33; MünchKommBGB/Würdinger, § 315 Rz. 54. 6 BAG v. 26.9.2012 – 10 AZR 311/11, NZA-RR 2013, 403, 405; BAG v. 13.4.2010 – 9 AZR 36/09, AP BGB § 307 Nr. 45, Rz. 40; BAG v. 21.7.2009 – 9 AZR 404/08, EzA TVG § 4 Luftfahrt Nr. 18, Rz. 22. 7 Zu deren Berücksichtigung vgl. auch B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 103.
312 | Mückl
Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB | Rz. 10.85 § 10
In diesem Rahmen gilt ausgehend vom Schutzzweck von § 613a BGB, der Sicherung des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses, dass sich die Zuordnungsentscheidung im vorliegenden Kontext primär an der Möglichkeit einer Beschäftigung des Arbeitnehmers ausrichten muss. Keinen Bedenken unterliegt daher, einen Arbeitnehmer dem Betriebsteil zuzuordnen, in den er organisatorisch und seiner Aufgabenstellung nach integriert war1. Dies gilt erst recht, wenn der Arbeitnehmer bis zur Entscheidung des Arbeitgebers überwiegend in dem Betriebsteil tätig war, dem er zugeordnet wurde. Maßgeblich ist dabei die Zeit, die er im Rahmen des jeweiligen Betriebs oder Betriebsteils gearbeitet hat (vgl. Rz. 10.101)2. Letztlich kann zur Überprüfung der Ermessensrichtigkeit der Zuordnungsentscheidung auf die Kriterien abgestellt werden, die das BAG auf der 3. Stufe seines Drei-Stufen-Tests anwendet (vgl. zu ihnen Rz. 10.101 ff.).
10.83
Über diese individualrechtlich ausgerichteten Interessen hinaus sind bei der Zuordnung der einzelnen Arbeitnehmer auch etwaige Konsequenzen für den Betriebsrat dann zu berücksichtigen, wenn mit der Übertragung eines Betriebsteils ein Ausscheiden von Betriebsratsmitgliedern aus dem Betriebsrat verbunden ist3. Insoweit ist es als ermessensfehlerhaft angesehen worden, wenn der Arbeitgeber unmittelbar im Anschluss an eine Betriebsratswahl den gesamten Wahlvorstand und die späteren Mitglieder des Betriebsrats einschließlich einzelner Ersatzmitglieder aus dem Betrieb heraus an einen anderen Standort versetzt, um diesen dann aus dem Betrieb herauszulösen und auf einen anderen Rechtsträger zu übertragen4. Wie das LAG Sachsen-Anhalt im Urteil vom 16.3.19995 ausgeführt hat, ist es weiterhin ermessensfehlerhaft, wenn der Arbeitgeber Mitglieder des Betriebsrats oder der Schwerbehindertenvertretung, die besonderen Kündigungsschutz nach § 15 KSchG genießen, dem Betriebsteil zuordnet, der im Anschluss an den Betriebsteilübergang bzw. die Umwandlung stillgelegt wird. Denn damit würde der durch § 15 Abs. 5 KSchG gewährleistete Schutz umgangen. Folgerichtig ist, wenn der bisherige Betrieb nicht als gemeinsamer Betrieb der am Übertragungsvorgang beteiligten Rechtsträger fortgeführt wird, eine Versetzung in die zu übertragenden Betriebsteile ausgeschlossen.
10.84
Nach der Rechtsprechung des BAG entspricht eine Entscheidung des Arbeitgebers im Übrigen dann nicht billigem Ermessen, wenn er lediglich unternehmerische Interessen im Auge hat und allein darauf abstellt, welcher Arbeitnehmer aus seiner Sicht für bestimmte Aufgaben am besten geeignet erscheint. Ein absoluter Vorrang betrieblicher Interessen wird nicht anerkannt6. Allerdings können neben den sozialen Gesichtspunkten zugunsten der betroffenen Arbeitnehmer sowohl Belange der betroffenen Betriebe als auch des Gesamtunternehmens Berücksichtigung finden7. Insoweit ist der übertragende Rechtsträger berechtigt, unternehmerische Interessen bei der Zuordnung von Arbeitnehmern über die engen Grenzen des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG hinaus zu berücksichtigen. In den Grenzen des AGG können einzelne Arbeitnehmer deshalb einem Betriebsteil auch dann zugeordnet werden, wenn dies für die Sicherung einer gesunden Altersstruktur bzw. eine hinsichtlich der Leistungsfähigkeit und
10.85
1 Vgl. LAG Niedersachsen v. 14.8.1981 – 3 Sa 59/81, DB 1982, 1174, 1175. 2 LAG Düsseldorf v. 18.4.1996 – 5 (6) Sa 1580/96, LAGE § 613a BGB Nr. 49, 6; Loritz, SAE 1986, 138, 144; Kreitner, NZA 1990, 429, 430; abl. EuGH v. 7.2.1985 – C-186/83, ZIP 1985, 828 Rz. 146 – Botzen, der eine Anknüpfung an die Arbeitszeit ablehnt. 3 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 104, dort auch zum Folgenden. 4 Hessisches LAG v. 7.3.1995 – 4 Sa GA 1740/94, AiB 1995, 677 ff. 5 LAG Sachsen-Anhalt v. 16.3.1999 – 8 Sa 589/98, NZA-RR 1999, 574 Rz. 30. 6 Vgl. BAG v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, DB 1998, 1087 Rz. 29. 7 Vgl. BAG v. 15.12.1994 – 2 AZR 320/94, NZA 1995, 413 Rz. 34; B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 106; a.A. wohl Müller/Thüsing, ZIP 1996, 1869, 1873.
Mückl | 313
§ 10 Rz. 10.85 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
Belastbarkeit gleichmäßige Zusammensetzung der Belegschaft erforderlich ist. Die strengen Kriterien, die das BAG insoweit zu § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG entwickelt hat, finden parallel zu den Überlegungen zur Unangemessenheit einer Sozialauswahl im vorliegenden Kontext (vgl. Rz. 10.70 ff.) keine Anwendung. Konsequenterweise können – wiederum in den Grenzen des AGG – auch Fehlzeiten, z.B. wegen Elternzeit oder Krankheit, berücksichtigt werden. Damit dürfen also auch jüngere Arbeitnehmer mit geringerer Betriebszugehörigkeit dem Betriebsteil zugeordnet werden, dessen (wirtschaftliche) Entwicklung günstiger erscheint. Wichtig ist, dass – insoweit ebenfalls abweichend von § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG – dabei die Interessen von übertragendem und übernehmendem Rechtsträger gleichermaßen neben den Interessen des Arbeitnehmers Berücksichtigung finden. Auf Arbeitgeberseite kann dem Interesse an einer ausgewogenen Personalstruktur bei beiden Rechtsträgern Rechnung getragen werden1. dd) Bedeutung eines Punkteschemas
10.86
Denkbar erscheint, im Hinblick auf die Zuordnung im Vorfeld eines Betriebs(teil)übergangs durch ein Punkteschema festzulegen, welche sozialen Kriterien berücksichtigt und wie diese Kriterien zueinander gewichtet werden sollen2. Entsprechend § 1 Abs. 4 KSchG kann ein solches Schema in einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung nach § 95 BetrVG oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt werden.
10.87
Auch wenn § 1 Abs. 4 KSchG – entsprechend den Ausführungen zu § 1 Abs. 3 KSchG (vgl. Rz. 10.73 ff.) – weder unmittelbar noch analog anwendbar ist, ist der Auswahl von Arbeitnehmern auf der Grundlage eines solchen Punkteschemas eine hohe Richtigkeitsgewähr zuzuerkennen. Wenn der übertragende Rechtsträger und Vertreter der Arbeitnehmer (Gewerkschaft, Betriebs- oder Personalrat) Vereinbarungen treffen, die die Kriterien einer solchen Zuordnung und ihr jeweiliges Gewicht festlegen, kann zunächst einmal davon ausgegangen werden, dass ihr eine objektive und angemessene Abwägung zugrunde liegt. Entsprechend dem Rechtsgedanken des § 1 Abs. 4 KSchG sowie der Rechtsprechung zur Inhaltskontrolle von Tarifverträgen3 oder abändernden Betriebsvereinbarungen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung erscheint es insoweit richtig, lediglich von einer Überprüfbarkeit der Gewichtung der sozialen Kriterien auf grobe Fehler auszugehen4. Voraussetzung ist allerdings, dass über das Schema hinaus unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls – insoweit auch mit Blick auf den Übergang des Betriebsteils und die damit verbundenen Folgen – jeweils noch eine besondere Würdigung vorgenommen wird5.
10.88
Ob und inwieweit betriebliche Belange angemessen berücksichtigt wurden, ist auch bei einem Punkteschema indes voll überprüfbar. Punkteschema, die die betrieblichen Belange berücksichtigen, sind theoretisch zwar denkbar, haben in der Praxis indes kaum Relevanz. Da Kenntnisse und Fähigkeiten häufig nicht abstrakt arbeitsplatzbezogen, sondern nur individuell für
1 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 106. Zu den Anforderungen vgl. BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, BAGE 147, 89 Rz. 30 ff. und dazu Mückl, EWiR 2014, 295 f.; Mückl, Arbeitsrecht in Krise und Insolvenz, 2. Aufl., Rz. 1002 ff. 2 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 108. 3 Vgl. nur Wiedemann/Wiedemann, § 1 TVG Rz. 226. 4 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 109. 5 Vgl. zu dieser Einzelfallbetrachtung bei Punkteschemata vor dem 1.10.1996: BAG v. 7.12.1995 – 2 AZR 1008/94, NZA 1996, 473 Rz. 19 ff.; BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 357/89, NZA 1990, 729 Rz. 34 ff.; BAG v. 15.6.1989 – 2 AZR 580/88, NZA 1990, 226 Rz. 37.
314 | Mückl
Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB | Rz. 10.93 § 10
den einzelnen Mitarbeiter bestimmt werden können, ist es überaus schwierig, abstrakt-generelle Kriterien für die Berücksichtigung unternehmerischer Belange aufzustellen1. e) Rechtsfolgen einer unwirksamen Versetzung Mit Blick auf die praktischen Folgen ist im Fall einer billigem Ermessen widersprechenden Zuordnungsentscheidung i.S. einer Versetzung jedoch richtigerweise wie folgt zu differenzieren:
10.89
Liegt der Verstoß gegen die Vorgabe billigen Ermessens in einem Zusammenwirken von übertragendem und übernehmendem Rechtsträger, geht das betroffene Arbeitsverhältnis – analog zur Fallkonstellation eines unwirksamen Aufhebungsvertrags bzw. einer unwirksamen Versetzungsvereinbarung unter gemeinsamer Täuschung durch übertragenden und übernehmenden Rechtsträger (vgl. Rz. 10.30 ff.) – auf den übernehmenden Rechtsträger über. Verstößt der übertragende Rechtsträger ohne Zusammenwirken mit dem übernehmenden Rechtsträger gegen die Vorgaben des § 315 BGB, findet jedenfalls dann kein Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den übernehmenden Rechtsträger statt (vgl. Rz. 10.70), wenn die unwirksame Anweisung umgesetzt wird und der Arbeitnehmer tatsächlich – weisungsgemäß – die Arbeit in dem nicht übertragenen Betrieb oder Betriebsteil aufnimmt. Dann wird nämlich in aller Regel eine konkludente Vertragsänderung vorliegen (vgl. Rz. 10.24).
10.90
Lediglich dann, wenn eine derartige Umsetzung in der vorgenannten Fallkonstellation nicht erfolgt, geht das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers gemäß § 613a BGB auf den übernehmenden Rechtsträger über, da es rechtlich und tatsächlich weiterhin in den übertragenen Betrieb oder Betriebsteil eingegliedert ist2.
10.91
Hintergrund dieser Differenzierung zwischen umgesetzter und nicht umgesetzter rechtswidriger Weisung (außerhalb der Fälle des Zusammenwirkens der beteiligten Rechtsträger) ist Folgendes:
10.92
Dem Arbeitnehmer ist zumutbar, einer unbilligen Weisung nicht zu folgen und dadurch seine Rechtsposition zu wahren. Nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB besteht nach neuester Rechtsprechung des BAG keine – auch keine vorläufige – Bindung des Arbeitnehmers an unbillige Weisungen, sofern der Arbeitnehmer diese nicht trotz ihrer Unbilligkeit akzeptiert3. Die Situation ist letztlich nicht anders als bei der Zuweisung eines nicht leidensgerechten Arbeitsplatzes durch den Arbeitgeber: Ist der Arbeitnehmer aus in seiner Person liegenden Gründen nicht mehr in der Lage, die vom Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts nach § 106 Satz 1 GewO näher bestimmte Leistung zu erbringen, muss er dieser Weisung nicht folgen. Die Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB kann es dann nach der Rechtsprechung des BAG gebieten, dass der Arbeitgeber von seinem Direktionsrecht erneut Gebrauch macht und
10.93
1 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 109. 2 Auf beide Aspekte (rechtliche und tatsächliche Eingliederung) dürfte letztlich auch LAG Chemnitz v. 8.3.1996 – 3 Sa 77/96, NZA-RR 1997, 4 abstellen, da die Klägerin im dortigen Fall keine andere Stelle angetreten hatte, sodass sie letztlich wie ein freigestellter Arbeitnehmer behandelt werden muss. A.A. Hessisches LAG v. 7.3.1995 – 4 SaGa 1740/94, AiB 1995, 677; LAG Hamm v. 15.4.1999 – 8 Sa 2302/98, Rz. 58 ff., n.v.; Schiefer/Doublet/Hartmann, Outsorcing, Rz. 125; Tschöpe/Fuhlrott, Rz. G 127. 3 BAG v. 18.10.2017 – 10 AZR 330/16, NZA 2017, 1452 Rz. 63 ff.
Mückl | 315
§ 10 Rz. 10.93 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
die vom Arbeitnehmer zu erbringende Leistung innerhalb des arbeitsvertraglich vereinbarten Rahmens anderweitig derart konkretisiert, dass dem Arbeitnehmer die Leistungserbringung wieder möglich wird1. Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Neubestimmung der Tätigkeit des Arbeitnehmers setzt nach der Rechtsprechung des BAG aber voraus, dass der Arbeitnehmer die Umsetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz verlangt und dem Arbeitgeber mitgeteilt hat, wie er sich seine weitere, die aufgetretenen Leistungshindernisse ausräumende Beschäftigung vorstellt2. Unterlässt der Arbeitgeber dann eine entsprechende Arbeitsplatzzuweisung, macht er sich schadensersatzpflichtig, wobei ein Mitverschulden des Arbeitnehmers zu berücksichtigen ist3.
10.94
Betriebsübergangsrechtlich ist aufgrund von § 613a Abs. 4 BGB – wie gezeigt (vgl. Rz. 10.65) – keine andere Bewertung gerechtfertigt. Wenn der Arbeitnehmer gegen rechtswidrige Weisungen auch im laufenden Arbeitsverhältnis nicht stärker geschützt ist, ist nicht nachvollziehbar, weshalb dies allein deshalb anders sein sollte, weil – ohne Zusammenwirken von übertragendem und übernehmendem Rechtsträger – ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang nachfolgt. Dies gilt umso mehr, als Voraussetzung eines Übergangs des Arbeitsverhältnisses sowohl nach der Rechtsprechung des EuGH als auch nach der Rechtsprechung des BAG eine tatsächliche Eingliederung in die übertragene Organisationseinheit im Zeitpunkt des Betriebsübergangs ist4. Für diese Bewertung spricht auch, dass dadurch dem Umstand Rechnung getragen wird, dass der betriebsverfassungsrechtliche Betriebsbegriff Grundlage der Regelung in § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB war, auch wenn er für die Kennzeichnung des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift letztlich keine abschließenden Vorgaben enthält (vgl. Rz. 4.34 ff.). Betriebsverfassungsrechtlich ist – erst recht nach dem jüngsten Rechtsprechungswandel des BAG5 – aber eine tatsächliche und nicht allein eine rein rechtliche Zuordnung zu dem Betrieb erforderlich.
10.95
Wird nach der Zuordnung der Arbeitnehmer eine betriebsbedingte Kündigung erforderlich, findet das Kündigungsverbot in § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB keine Anwendung. Denn auch im Zusammenhang mit Betriebsübergang und Umwandlung sind solche Kündigungen zulässig, wenn die allgemeinen Voraussetzungen, vor allem aus § 1 KSchG, beachtet werden (§ 613a Abs. 4 Satz 2 BGB)6.
10.96
Entsprechend den Feststellungen des 2. Senat des BAG im Urteil vom 10.11.19947 ist allerdings zu berücksichtigen, ob der Kündigung eine ermessensfehlerhafte Zuordnung von Arbeitnehmern vorangegangen ist. War dies der Fall, erweitert sich der Kreis der in die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG einzubeziehenden Arbeitnehmer8. Es ist nicht mehr allein auf die Sachlage zum Zeitpunkt der Kündigung abzustellen. Vielmehr sind – ohne Rücksicht auf
1 BAG v. 19.5.2010 – 5 AZR 162/09, NZA 2010, 1119 Rz. 27. Zu den Grenzen der Zumutbarkeit näher Mückl/Hiebert, NZA 2010, 1259 ff. 2 BAG v. 19.5.2010 – 5 AZR 162/09, NZA 2010, 1119 Rz. 28. 3 BAG v. 19.5.2010 – 5 AZR 162/09, NZA 2010, 1119 Rz. 41. 4 Vgl. nur EuGH v. 12.11.1992 – C-209/91, Slg. 1992, I-5755, Rz. 16 – Watson Rask und Christensen; EuGH v. 7.2.1985 – C-186/83, ZIP 1985, Rz. 14 – Botzen; BAG v. 18.10.2012 – 6 AZR 41/11, NZA 2013, 1007 Rz. 43 m.w.N. 5 BAG v. 13.3.2013 – 7 ABR 69/11, NZA 2013, 789 Rz. 23 ff. (Aufgabe der „Zwei-Komponenten-Lehre“ in Bezug auf Leiharbeitnehmer und damit des Erfordernisses eines Vertragsverhältnisses mit dem Betriebsinhaber). 6 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 157. 7 BAG v. 10.11.1994 – 2 AZR 242/94, NZA 1995, 566 Rz. 27 ff. 8 Vgl. zum Folgenden bereits B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 158.
316 | Mückl
Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB | Rz. 10.98 § 10
eine tatsächlich bereits vollzogene Überleitung von Arbeitsverhältnissen – alle Arbeitnehmer, die von der Zuordnungsentscheidung betroffen waren, zu berücksichtigen, falls der Arbeitgeber dem gekündigten Arbeitnehmer die Arbeit dieser Arbeitnehmer hätte zuweisen können und er deren Arbeit nach einer „gewissen Einarbeitungszeit“ auch hätte ausüben können. Die Zuordnung des Arbeitsplatzes und die anschließende Kündigung sind insoweit als einheitlicher Akt auf der Grundlage eines einheitlichen Entschlusses zu behandeln. Es gelten die oben (Rz. 10.34 ff.) entwickelten Grundsätze entsprechend. f) Kein Anspruch auf erneute Zuordnung nach Widerspruch Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf einen Betriebserwerber wirksam gemäß § 613a Abs. 6 BGB widersprochen haben, fallen – wie das BAG in seinem Urteil vom 21.2.20131 zu Recht noch einmal klargestellt hat – im Übrigen nicht „automatisch“ in den vom Arbeitgeber eventuell weitergeführten und einem späteren Betriebsübergang zugänglichen Bereich2. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft für einen derartigen anderen Betrieb- oder Betriebsteil anbietet3. Denn auch das Arbeitsvertragsrecht kennt grundsätzlich keinen Kontrahierungszwang und damit auch keinen Anspruch, das Vertragsänderungsangebot eines Vertragspartners anzunehmen. Etwas anderes kann nur in gesetzlich angeordneten Ausnahmefällen wie z.B. die Vertragsänderungsansprüche gemäß § 8 TzBfG oder § 15 BEEG gelten, die im Kontext eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs aber nicht relevant sind4. Dementsprechend folgt ein derartiger Anspruch auf Vertragsänderung auch nicht aus § 242 BGB5. Denn der Schutz des Arbeitnehmers, insbesondere der vor einem Arbeitsplatzverlust bei Betriebsübergängen, wird durch die Regelungen des § 613a BGB und des KSchG gewährleistet. Darüber hinausgehende besondere Fürsorgepflichten treffen den Arbeitgeber als übertragenden Rechtsträger gegenüber dem vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer im Regelfall nicht6.
10.97
Soweit der übertragende Rechtsträger nach dem Widerspruch des Arbeitnehmers keine neue Zuordnung vorgenommen hat, greift zugunsten des widersprechenden Arbeitnehmers auch § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht ein7, weil es – was hierfür erforderlich wäre – an einer „getroffenen Bestimmung“ im Sinne dieser Vorschrift fehlt8. Die in der betrieblichen Praxis in derartigen Fällen typischerweise erfolgende Freistellung des widersprechenden Arbeitnehmers stellt keine Zuordnung zu einem Betrieb oder Betriebsteil dar, weil es an der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches fehlt9. § 315 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BGB, der für den Fall gilt, dass eine Bestimmung i.S.d. § 315 BGB „verzögert wird“, greift ebenfalls nicht ein, weil der übertragende Rechtsträger nach der zutreffenden Rechtsprechung des BAG auch losgelöst von einem entsprechenden Angebot des Arbeitnehmers nicht verpflichtet ist, den widersprechenden Arbeitnehmer einem anderen Betrieb- oder Betriebsteil zuzuordnen:
10.98
BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 41. Vgl. bereits BAG v. 13.2.2003 – 8 AZR 102/02, BB 2003, 1286 Rz. 45. BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 43. BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 43. BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 43. BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 43. Ebenso B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 155; a.A. Lieb, ZfA 1994, 229, 245; Helpertz, DB 1990, 1562, 1564 f. 8 BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 44. 9 BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 44; vgl. bereits BAG v. 28.3.2000 – 1 ABR 17/99, NZA 2000, 1355 Rz. 20 ff. 1 2 3 4 5 6 7
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§ 10 Rz. 10.99 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
10.99
Der Arbeitnehmer hat nach seinem Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den übernehmenden Rechtsträger insbesondere keinen Anspruch aus § 241 Abs. 2 BGB auf Versetzung durch den übertragenden Rechtsträger in einen anderen Betrieb oder Betriebsteil des übertragenden Rechtsträgers. Das Arbeitsverhältnis kann nach seinem Inhalt zwar jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten (§ 241 Abs. 2 BGB). Die Interessen des Arbeitnehmers im Hinblick auf den Bestand seines Arbeitsverhältnisses sind aber durch § 613a BGB gewahrt. Widerspricht der Arbeitnehmer, trägt er folgerichtig das Risiko, dass für ihn kein Beschäftigungsbedarf beim übertragenden Rechtsträger mehr besteht, weil aufgrund des Betriebsübergangs sein alter Betrieb oder Betriebsteil nicht mehr beim übertragenden Rechtsträger existiert1. Der Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer dieses Risiko dadurch zu nehmen, dass er ihn in einen anderen Betrieb oder Betriebsteil seines Unternehmens versetzt2. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn er den anderen Betrieb ebenfalls bereits an einen Betriebserwerber veräußert hat und er diesem – nach Abschluss der Übernahmevereinbarungen – einen zusätzlich zu übernehmenden Arbeitnehmer „verschaffen“ würde3.
10.100
Der in § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b KSchG zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke einer Weiterbeschäftigungspflicht in einem anderen Betrieb ist auf die vorliegende Fallgestaltung nach der zutreffenden Rechtsprechung des BAG nicht entsprechend anzuwenden4. Denn aus dem dort geregelten Schutz des Arbeitnehmers vor betriebsbedingten Arbeitgeberkündigungen ist nicht die Verpflichtung des Arbeitgebers abzuleiten, einen Arbeitnehmer, der einem gemäß § 613a Abs. 1 BGB auf einen Erwerber übergegangen Betrieb zugeordnet war, einem anderen Betrieb zuzuordnen, wenn er dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber widersprochen hat. Dies gilt insbesondere bei einer Übertragung mehrerer Betriebe oder Betriebsteile. Hier würde eine analoge Anwendung des Rechtsgedankens des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b KSchG nämlich dazu führen, dass der Arbeitnehmer im Ergebnis ein Wahlrecht hätte, von welchem der übernehmenden Rechtsträger er gemäß § 613a BGB „übernommen“ werden möchte. Er könnte sich seinen neuen Arbeitgeber gleichsam durch Ausübung oder Nichtausübung seines Widerspruchsrechts auswählen. Ein derartiges Wahlrecht lehnt das BAG zu Recht ab. Für eine Anwendbarkeit des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b KSchG ist daher in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BAG allenfalls im Rahmen der Prüfung Raum, ob eine vom übertragenden Rechtsträger wegen des Wegfalls eines Beschäftigungsbedarfs ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt ist5.
4. Stufe 3: Zuordnung nach objektiven Kriterien 10.101
Nur dann, wenn weder eine einvernehmliche Zuordnungsvereinbarung noch eine umgesetzte klare (ausdrückliche oder konkludente) Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers vorliegt, erfolgt die Zuordnung nach der Rechtsprechung des BAG ausschließlich nach objektiven Kriterien. Dies ist der Hintergrund dafür, dass das BAG in mittlerweile ständiger Rechtsprechung im Rahmen des Drei-Stufen-Tests stets davon spricht, dass „zunächst“ der Wille der Beteiligten (1. Stufe) und – soweit keine Vereinbarung besteht – „grundsätzlich“ das Direktionsrecht
1 2 3 4 5
BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 48. BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 48. BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 48. BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 49. BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 49.
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Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB | Rz. 10.102 § 10
des Arbeitgebers maßgeblich sei1. Der Zusatz „grundsätzlich“ kennzeichnet dabei nicht eine Einschränkung des Direktionsrechts2, sondern weist auf die Notwendigkeit seiner erkennbaren Ausübung hin, damit sein „Vorrang“ i.S.d. 2. Stufe eingreift, wie das Urteil des BAG vom 21.6.20123 deutlich macht, in der das BAG alle drei Stufen schulmäßig durchprüft. Wie in der Literatur allerdings zutreffend herausgearbeitet worden ist4, handelt es sich bei der 3. Stufe dogmatisch im Kern um nichts anderes als um eine Bewertung der tatsächlichen Umstände, anhand derer die konkludente Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers im Rahmen seines Direktionsrechts ermittelt wird. Spiegelbildlich geschieht dasselbe wie im Rahmen der Prüfung der Frage, ob der Arbeitgeber sein Direktionsrecht durch die Zuweisung einer bestimmten Tätigkeit eingeschränkt hat (vgl. Rz. 10.71). a) Relevante Zuordnungskriterien In derartigen Fällen ist nach der Rechtsprechung des BAG zunächst entscheidend, in welchem Betrieb bzw. Betriebsteil der Arbeitnehmer vor dem Übergang überwiegend tätig war5. Es kommt auf den Schwerpunkt seiner Tätigkeit an6. Dieser Tätigkeitsschwerpunkt ist nach objektiven Kriterien zu ermitteln. Hierbei ist eine wertende Gesamtbetrachtung aller Elemente vorzunehmen7. In erster Linie ist dabei nach dem BAG auf den jeweiligen zeitlichen Aufwand und Arbeitseinsatz abzustellen8. Hintergrund hierfür ist, dass es sich dabei nach der Bewertung des BAG um ein zumeist einfach zu ermittelndes, sachgerechtes quantitatives Kriterium handelt9. Darüber hinaus ist – so das BAG – „auch der überwiegende Arbeitsort von Bedeutung“10. Daneben werden in der Literatur als Kriterien – die Zuordnung von Mitarbeitern und Vorgesetzten11, – die Zahl der unterstellten Mitarbeiter12, – der erzielte Umsatz13, – die schriftlichen Vereinbarungen14 und – die im Übrigen im Rahmen des Direktionsrechts erteilten Weisungen15
1 Vgl. nur BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12, NZA-RR 2014, 175 Rz. 24; BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 35. 2 So aber (unter völliger Missachtung des Kontextes) Elking/Aszmons, BB 2014, 373, 377. 3 BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11, NZA-RR 2013, 6 Rz. 70 ff. 4 Kreitner, FS Küttner, 399, 412. 5 BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12, NZA-RR 2014, 175 Rz. 28. 6 BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12, NZA-RR 2014, 175 Rz. 29; vgl. BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 706/11, DB 2013, 1556 Rz. 66; BAG v. 27.1.2011 – 8 AZR 326/09, NZA 2011, 1162 Rz. 32. 7 BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12, NZA-RR 2014, 175 Rz. 29. 8 BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12, NZA-RR 2014, 175 Rz. 30. 9 BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12, NZA-RR 2014, 175 Rz. 30. 10 BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12, NZA-RR 2014, 175 Rz. 30. 11 MünchHdbArbR/Wank, § 102 Rz. 131; Wang, Betriebs(teil)übergang, S. 91. 12 Kreitner, NZA 1990, 429, 430; Wang, Betriebs(teil)übergang, S. 91. 13 Kreitner, NZA 1990, 429, 430; Wang, Betriebs(teil)übergang, S. 91. 14 Wang, Betriebs(teil)übergang, S. 91 m.w.N. 15 Wang, Betriebs(teil)übergang, S. 91 m.w.N.
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10.102
§ 10 Rz. 10.102 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
genannt. Letzteres, nämlich die disziplinarische und fachliche Zuordnung, hat das BAG z.B. in seinem Urteil vom 20.4.20101 ebenfalls für maßgeblich gehalten. Mit „Arbeitsort“ ist daher nicht lediglich der physische Arbeitsort, sondern auch die organisatorische und funktionale Eingliederung, d.h. die disziplinarische und fachliche Zuordnung innerhalb eines Standorts gemeint. Die Bedeutung der einzelnen Tätigkeiten für das Gesamtunternehmen, die Zahl der jeweils unterstellten Arbeitnehmer und der jeweils erzielte Umsatz spielen hingegen ausgehend von dem strukturorientieren Ansatz des BAG richtigerweise keine Rolle2. Denn die organisatorische und funktionale Einbindung eines Arbeitnehmers hängt nicht davon ab, dass er in der jeweiligen Tätigkeit einen hohen Umsatz erzielt und/oder als Vorgesetzter für die Beschäftigung weiterer Arbeitnehmer verantwortlich ist. Da § 613a BGB auch auf Bereiche anwendbar ist, die Hilfsfunktionen ausüben, kann auch die Bedeutung einzelner Tätigkeiten für das Gesamtunternehmen keine Rolle spielen. In entsprechender Weise ist auch eine etwaige Gewinn- oder Verlustsituation in den einzelnen Bereichen unerheblich. b) Maßgeblichkeit des relativen Schwerpunkts bei Fehlen eines absoluten Schwerpunkts
10.103
Ist ausgehend von den Kriterien Arbeitszeit, Arbeitsort sowie fachliche und disziplinarische Zuordnung ein derartiger, absoluter Schwerpunkt der Tätigkeit nicht feststellbar, ist nach der Rechtsprechung des BAG der relative Schwerpunkt der Tätigkeit maßgeblich3. Dies hat das BAG z.B. für eine Arbeitnehmerin angenommen, die zu 1/3 in dem übertragenen Betriebsteil und zu 2/3 in dem nicht übertragenen Betriebsteil tätig war4. Dies gilt auch dann, wenn der Einsatz in anderen Einheiten überobligatorisch außerhalb der arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeit geschieht5.
10.104
Wie die Zuordnung solcher Arbeitnehmer zu erfolgen hat, die tatsächlich in die Organisation von zwei oder mehr Betriebsteilen eingegliedert sind (sog. Schnittstellen-Arbeitsplätze), entscheidet das BAG zutreffend grundsätzlich nach quantitativen Gesichtspunkten. Deshalb kommt es z.B. bei einer Betriebsspaltung in insgesamt lediglich zwei Betriebsteile, von denen einer gemäß § 613a BGB übertragen wird, nur dann zum Übergang eines sog. „SchnittstellenArbeitsverhältnisses“, wenn der Erwerber den „absoluten Arbeitsplatzschwerpunkt“, d.h. den Aufgabenbereich übernimmt, in dem der betreffende Arbeitnehmer zu mehr als 50 % seiner Arbeitszeit tätig war6. Nicht gelöst werden können damit allerdings jene Konstellationen, in denen ein bisher bestehender Schnittstellen-Arbeitsplatz infolge einer Betriebsspaltung in mindestens drei Teile geteilt wird. Sofern sich dabei allerdings eindeutig wenigstens ein relativer Schwerpunkt ausmachen lässt, besteht das Arbeitsverhältnis – wiederum unter weitestgehender Verwirklichung des dem § 613a BGB zugrundeliegenden Schutzzwecks – nach dem Betriebsteilübergang (weiterhin) zu dem Rechtsträger, der diesen Betriebsteil übernommen hat7.
1 BAG v. 20.4.2010 – 3 AZR 225/08, NZA 2010, 883 Rz. 41. 2 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 101; a.A. Kreitner, NZA 1990, 429, 430. 3 BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12, NZA-RR 2014, 175 Rz. 35; BAG v. 27.1.2011 – 8 AZR 326/09, NZA 2011, 1162 Rz. 32. 4 BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12, NZA-RR 2014, 175 Rz. 37. 5 BAG v. 27.1.2011 – 8 AZR 326/09, NZA 2011, 1162 Rz. 32. 6 Staudinger/Annuß (2019), § 613a BGB Rz. 148; Annuß, NZA 1998, 70, 77. 7 Staudinger/Annuß (2019), § 613a BGB Rz. 149; Annuß, NZA 1998, 70, 77.
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Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB | Rz. 10.107 § 10
c) Fehlen eines relativen Schwerpunkts Keine expliziten Feststellungen des BAG liegen bislang zu der Frage vor, wie die quantitativstrukturorientierte Lösung des BAG weiterentwickelt werden soll, wenn sich nicht einmal ein relativer Schwerpunkt der Tätigkeit eines Arbeitnehmers in einem Betrieb oder Betriebsteil ausmachen lässt (zu Literaturlösungen mit vom BAG grundsätzlich unterscheidenden Ansatz vgl. Rz. 10.117 ff.). Dann sprechen auf der Grundlage der vom BAG entwickelten Lösung allerdings die besseren Gründe dafür, dass das in Rede stehende Arbeitsverhältnis dann nicht von einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang erfasst ist, wenn im Vorfeld keine Zuordnungsentscheidung des übertragenden Rechtsträgers erfolgt1. Denn führt man sich vor Augen, dass der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf einen bestimmten Arbeitsplatz besitzt (vgl. Rz. 10.57), kann die Eingliederung in einen Betriebsteil, dem das Arbeitsverhältnis bislang nicht angehörte, nur durch den übertragenden Rechtsträger als Arbeitgeber erfolgen. Umstritten ist dabei lediglich, ob sich die entsprechende Entscheidungsbefugnis unmittelbar aus § 613a BGB2 oder aber aus § 315 BGB, § 106 GewO3 ergibt. Losgelöst von dieser dogmatischen Frage wird die betriebliche Praxis bei der Zuordnungsentscheidung die vom BAG für die Ausübung des Direktionsrechts entwickelten Kriterien (vgl. Rz. 10.86 ff.) berücksichtigen müssen. Praktisch wird daher vor allem anhand der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast entschieden, ob eine vorhergehende Zuordnungsentscheidung erfolgt ist oder nicht.
10.105
Alternativ denkbar wäre in Fällen eines fehlenden Schwerpunkts zwar, das Entstehen mehrerer Teilzeitarbeitsverhältnisse anzunehmen4, wie dies der EuGH für den Fall mehrfacher Betriebszugehörigkeit für möglich gehalten hat (vgl. Rz. 10.182 f.) Die Rechtsfolge einer Spaltung des Arbeitsverhältnisses mit anschließender Teilübertragung sieht § 613a BGB allerdings nicht vor, sodass sie allein über eine Analogie begründbar wäre5, deren Voraussetzungen allerdings nicht vorliegen. Soweit dies in der Literatur anders gesehen wird, erschöpft sich die Begründung für eine Regelungslücke in einer rechtspolitischen Forderung6, welche eine Planwidrigkeit als weitere Voraussetzung einer Analogie gerade nicht zu begründen vermag7. Hinzu kommt, dass dem Gesetzgeber die Problematik allerdings seit Langem bekannt ist und er sie – trotz ausführlicher Auseinandersetzung mit ihr im Rahmen der Schaffung des § 323 Abs. 2 UmwG – gerade nicht zum Anlass genommen hat, § 613a BGB zu ändern. Auch das spricht gegen eine Planwidrigkeit.
10.106
Losgelöst davon würde eine Teilung des Arbeitsverhältnisses in der betrieblichen Praxis häufig zu unüberwindbaren Schwierigkeiten und Nachteilen – gerade auch für den Arbeitnehmer – führen8: Zunächst einmal würden dem Arbeitnehmer infolge eines zweiten Arbeitsverhältnis-
10.107
1 Kreitner, NZA 1990, 429, 432; Moll, RdA 1999, 233, 240; KR/Pfeiffer, § 613a BGB Rz. 105; vgl. hierzu Staudinger/Annuß (2019), § 613a BGB Rz. 149; Annuß, NZA 1998, 70, 77; vgl. auch LAG Düsseldorf v. 18.4.1996 – 5 Sa 1579/95, LAGE § 613a BGB Nr. 47. Missverstanden wird das durch Wang, Betriebs(teil)übergang, S. 78, soweit dort ein „nachträgliches Wahlrecht“ angenommen wird. Jede Zuordnung muss, da die Eingliederung tatbestandliche Voraussetzung eines Übergangs ist, vor dem Übergang erfolgt sein. Nachträgliche Maßnahmen kommen nicht in Betracht, sodass die Kritik von Wang nicht greift. 2 So wohl nur Staudinger/Annuß (2019), § 613a BGB Rz. 149; Annuß, NZA 1998, 70, 77. 3 So z.B. Bauer/Haußmann/Krieger, Umstrukturierung, Teil 3 A Rz. 83. 4 So Wang, Betriebs(teil)übergang, S. 94 ff. 5 Wang, Betriebs(teil)übergang, S. 95. 6 Wang, Betriebs(teil)übergang, S. 95. 7 Vgl. nur BAG v. 7.7.2010 – 4 AZR 549/08, BAGE 135, 80 Rz. 29. 8 Ebenso Müller/Thüsing, ZIP 1997, 1869, 1870; Gentges, RdA 1996, 265, 267.
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§ 10 Rz. 10.107 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
ses steuerliche Nachteile drohen (Steuerklasse IV). Hinzu kommen wettbewerbsrechtliche Grenzen, die den Arbeitnehmer hindern können, zeitgleich für den übertragenden und den übernehmenden Rechtsträger tätig zu sein. Gleiches gilt für arbeitszeitrechtliche Grenzen. Die Arbeitsbelastung im Arbeitsverhältnis mit dem übernehmenden Rechtsträger kann einen Verstoß gegen das Nebentätigkeitsverbot im Arbeitsvertrag mit dem übertragenden Rechtsträger bewirken. Schließlich kann – soweit mit dem Übertragungsvorgang eine Verlagerung der übertragenen Einheit verbunden ist – bereits die räumliche Distanz zwischen den Betriebsstätten einen parallelen Einsatz ausschließen. Gleiches gilt bei konfligierenden Arbeitszeiten z.B. im Rahmen von Schichtmodellen. Dies alles würde sich noch potenzieren, wenn die Spaltung und Übertragung nach dieser Lösung nicht zwei, sondern drei oder mehr parallele Teilzeitarbeitsverhältnisse bewirken würde.
10.108
Mit Blick auf das Fehlen einer Regelungslücke, die Raum für eine analoge Anwendung von § 613a BGB ließe, und die praktischen Schwierigkeiten, die eine sinnvolle Fortführung von parallelen Teilzeitarbeitsverhältnissen in der Regel als ausgeschlossen erscheinen lassen, sowie den Umstand, dass der Arbeitnehmer gerade keinen Anspruch auf einen bestimmten Arbeitsplatz, sondern lediglich auf vertragsgemäße Beschäftigung hat, erscheint es deshalb richtig, dem Arbeitgeber bei Fehlen eines relativen Schwerpunkts die Zuordnungsentscheidung zuzuweisen. Im Rahmen dieser Zuordnungsentscheidung muss er schließlich dem Bestandschutzgedanken des § 613a BGB sowie sozialen Erwägungen neben betrieblichen Interessen gerecht werden (vgl. Rz. 10.90). Trifft er keine ermessensgerechte Entscheidung, obwohl eine entsprechende Zuordnung erforderlich wäre, und beendet dann mangels Beschäftigungsbedarfs das Arbeitsverhältnis, kommen für den Arbeitnehmer Schadensersatzansprüche in Betracht (vgl. Rz. 10.101, 10.33 ff.), die den Interessen des Arbeitnehmers hinreichend Rechnung tragen. d) Relevanter Zeitraum für die Schwerpunktbestimmung
10.109
In zeitlicher Hinsicht hat das BAG zuletzt z.B. ein Betrachtung der Tätigkeit während der letzten drei Monate vor dem Betriebsteilübergang für ausreichend gehalten1. In anderen Entscheidungen erfolgt eine Betrachtung eines Zeitraums von vier Monaten2. In der Literatur demgegenüber eine Lösung analog § 23 Abs. 1 Satz 2, 3 KSchG vorgeschlagen, nach der retrospektiv auf den üblichen Beschäftigungsschwerpunkt abgestellt wird3 bzw. – darüber hinausgehend – selbst die denkbare Entwicklung in der Zukunft einbezogen4. Einen Mindestzeitraum wird man hier aber ebenso wenig sinnvoll festlegen wie auf Schwerpunkte der Vergangenheit oder eine (nicht sinnvoll prognostizierbare) Zukunft abstellen können. Denn letztlich geht es um die Ermittlung einer gelebten Integration durch Einbindung in die organisatorischen Abläufe einer bestehenden Einheit. Eine derartige Integration kann auch kurzfristig vor einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang erfolgen. Denkbar ist das z.B. bei projektbezogener Arbeit, in deren Rahmen bspw. im IT-Bereich im jeweiligen Projekt während einer bestimmten Phase turnusmäßig spezielle Entwicklerkenntnisse benötigt werden. Arbeitet der Mitarbeiter mit dem entsprechenden Spezial-Know-how dann zunächst über mehrere Monate im Projekt der einen Organisationseinheit (Team A) mit und verschiebt sich der Schwerpunkt dann zwei Wo1 BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12, NZA-RR 2014, 175 Rz. 31; ebenso BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617 Rz. 47 (September bis Betriebsübergang zum 1. Januar). 2 BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 706/11, DB 2013, 1556 Rz. 68; BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 243/11, AP BGB § 613a Nr. 430 Rz. 64. 3 Wang, Betriebs(teil)übergang, S. 85 ff. 4 Müller/Thüsing, ZIP 1997, 1869, 1872.
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Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB | Rz. 10.110 § 10
chen vor einem Betriebsteilübergang in Bezug auf Team A in Richtung der Mitarbeit in dem Projekt einer anderen Organisationseinheit (Team B), ist kein Grund dafür erkennbar, weshalb nicht die im Zeitpunkt des Betriebsteilübergangs bestehenden Verhältnisse maßgeblich sein sollen, sodass sein Arbeitsverhältnis von einem auf das Team A bezogenen Betriebsteilübergang nicht erfasst ist. Letztlich geht es schließlich um eine typologische Bewertung1, sodass sich in Bezug auf Zeiträume allenfalls die Frage stellen kann, wie aussagekräftig sie im Einzelfall sind. Dabei wird man ausgehend von einem beweglichen System2 allerdings feststellen können, dass ein Zeitraum von drei Monaten vor dem Betriebs- oder Betriebsteilübergang in der Regel für eine eindeutige Zuordnung zur jeweiligen Einheit spricht. Ein kürzerer Zeitraum schließt die Zuordnung aber nicht aus. So kann z.B. die Eigenart der übernommenen Tätigkeit – wie im vorstehenden Beispiel – auch dann für eine Eingliederung sprechen, wenn die Tätigkeit erst kurz vor dem Betriebsübergang übernommen worden ist. Denn führt man sich vor Augen, dass es vorliegend letztlich um eine Auslegung der Tätigkeitszuweisung durch den Arbeitgeber anhand der objektiven Umstände geht, können für den bestehenden Spielraum keine strengeren Grenzen gelten als im Rahmen der Stufe 2, in der das BAG eine ganz kurzfristige Zuordnung (von heute auf morgen) für zulässig hält (vgl. Rz. 10.64). Völlig zu Recht hat das BAG daher auch in seinem Urteil vom 21.6.20123 die dort von dem klagenden Arbeitnehmer vertretene Ansicht, es sei auf einen Zeitraum von zwei Jahren vor dem Betriebsübergang abzustellen, mit dem Hinweis zurückgewiesen, dafür gebe es „keine rechtlichen Ansatzpunkte“. e) Irrelevanz einer schwerpunktmäßigen Tätigkeit für einen Betrieb oder Betriebsteil Ausgangspunkt für die vorstehend zusammengefasste Beurteilung der Zuordnung ist die vom EuGH und dem BAG praktizierte strukturelle Betrachtungsweise: Es ist stets erforderlich, dass der Arbeitnehmer in den übertragenen Betriebsteil tatsächlich eingegliedert war4, sodass es insbesondere nicht ausreicht, dass er Tätigkeiten für den übertragenen Teil verrichtet hat, ohne in dessen Struktur eingebunden gewesen zu sein5. Dies gilt selbst dann, wenn die Tätigkeiten des Arbeitnehmers (nahezu) ausschließlich oder überwiegend dem übergehenden Betriebsteil zugutegekommen sind6. Aus der Sicht des 8. Senats des BAG ist das konsequent. Denn auch eine beim übertragenden Rechtsträger bestehende funktionelle Verknüpfung genügt nach der Rechtsprechung des 8. Senats des BAG nicht, um einen schon beim übertragenden Rechtsträger bestehenden Betriebsteil mit organisatorischer Selbständigkeit anzunehmen, der i.S.d. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB übertragen werden könnte7. Hiervon ausgehend ist es nur folgerichtig, dass funktionelle Beziehungen zur übertragenden Einheit nicht ausreichen, um
1 2 3 4
Wang, Betriebs(teil)übergang, S. 91. Vgl. dazu Bydlinski, Methodenlehre, S. 529 ff. 8 AZR 243/11, AP BGB § 613a Nr. 430, Rz. 65. BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12, NZA-RR 2014, 175 Rz. 34; BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11, NZA-RR 2013, 6 Rz. 75; BAG v. 7.4.2011 – 8 AZR 730/09, NZA 2011, 1231 Rz. 21. 5 BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12, NZA-RR 2014, 175 Rz. 34; vgl. BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 706/11, DB 2013, 1556 Rz. 62. 6 BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12, NZA-RR 2014, 175 Rz. 35; vgl. BAG v. 24.8.2006 – 8 AZR 556/05, AP BGB § 613a Nr. 315, Rz. 28. 7 BAG v. 13.10.2011 – 8 AZR 455/10, NZA 2012, 504 Rz. 37; im Ergebnis ebenso wohl der 6. Senat, der im Urteil vom 25.4.2013 (6 AZR 49/12, AP Nr. 1 zu § 343 InsO) zwar in Rz. 182 scheinbar eine funktionelle Beziehung ausreichen lässt, dies aber in Rz. 183 negiert; vgl. unabhängig davon zu Zweifeln in Bezug auf die Vereinbarkeit mit der Rechtsprechung des EuGH z.B. Mückl, Arbeitsrecht in Krise und Insolvenz, 1. Aufl., Rz. 583.
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10.110
§ 10 Rz. 10.110 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
eine Zuordnung im Sinne einer Eingliederung in diese Einheit anzunehmen. Hinzukommen muss zumindest eine dauerhafte Eingliederung in die Einheit aufgrund einer aus dieser Einheit heraus gesteuerten Ausübung des fachlichen Direktionsrechts (vgl. Rz. 10.113 f.). In aller Regel ist allerdings zudem eine Unterwerfung unter das aus der Einheit heraus ausgeübte disziplinarische Direktionsrecht erforderlich (vgl. Rz. 10.149, 10.158 ff.). f) Beispiele für die Zuordnung zum übergehenden Betriebsteil in der Rechtsprechung
10.111
Abgelehnt hat das BAG dementsprechend eine Eingliederung und einen dadurch bewirkten Übergang des Arbeitsverhältnisses z.B. in folgenden Fallkonstellationen (vgl. im Übrigen die Rechtsprechungsübersicht unter Rz. 10.125): Beispiel 1: Die Arbeitnehmerin betreute gemeinsam mit den übrigen Arbeitnehmern der Station F und zusammen mit den anderen Arbeitnehmern des Arbeitgebers in Deutschland im Bodenbetrieb den Flugverkehr des Arbeitgebers von Deutschland aus und nach Deutschland. Sie gab z.B. Tickets aus, reservierte Sitzplätze und war für die Kommunikation mit den Passagieren und Reisebüros sowie die Abrechnung und Abwicklung gegenüber Frachtkunden zuständig. In die Struktur des Flugbetriebs war sie nicht eingebunden1. Beispiel 2: Der Arbeitnehmer ist im „Bereich Anschlusswesen bei dem Arbeitgeber in der Art einer „technischen Stabsabteilung“ beschäftigt, die für die Bereich Abwasser und Trinkwasser zuständig ist, ist also keinem der Bereiche „Abwasser“ oder „Trinkwasser“ zuzuordnen. Ob er überwiegend für den einen oder den anderen Bereich bei dem Arbeitgeber tätig war, spielt keine Rolle. Auch wenn er nach seinem Vorbringen „ganz überwiegend“ Arbeiten für den Bereich „Abwasser“ verrichtet hat, kann dies bei einer Übertragung dieses Bereichs i.S.d. § 613a BGB für sich genommen keinen Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den übernehmenden Rechtsträger nach § 613a BGB begründen2.
10.112
Bei Arbeitnehmern, die zwar in einem Betriebsteil tätig sind (z.B. Controlling, Personal), deren Arbeit aber verschiedenen Bereichen des Betriebs oder dem Betrieb in seiner Gesamtheit zugutekommt, handelt es sich ausgehend von den vorstehenden Grundsätzen nämlich nicht um übergreifend tätige Mitarbeiter3. Vielmehr sind sie dem Betriebsteil zuzurechnen, in dem sie zum Zeitpunkt der Übertragung anderer Bereiche arbeiten. Dass sie von dort aus für den von der Übertragung betroffenen Betriebsteil arbeiten, spielt keine Rolle. Dies gilt selbst dann, wenn sie den Betriebsteil, der von ihrer Arbeit profitiert, aufsuchen müssen, um ihre Aufgaben zu erfüllen (z.B. Controlling, Reinigung). Entscheidend ist, dass ihr Personaleinsatz von einer eigenständigen Stelle aus gesteuert wird, sie also nicht in die weisungsunterworfene Arbeitsorganisation des anderen Betriebsteils eingebunden sind, der vom Übergang betroffen ist4. Unerheblich ist, wenn sie sich in ihrer Arbeit an den Bedürfnissen in diesem Betriebsteil orientieren5. Eine besondere Zuordnungsentscheidung ist nicht erforderlich. Ihr Arbeitsverhältnis fällt nicht in den Anwendungsbereich von § 613a BGB, wenn ein Betriebsteil übertra-
1 BAG v. 25.4.2013 – 6 AZR 49/12, AP Nr. 1 zu § 343 InsO, Rz. 171; BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 348/11, NZA 2013, 669 Rz. 89. 2 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 538/10, AP Nr. 421 zu § 613a BGB (LS), Rz. 23 f. 3 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 75. 4 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 75. 5 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 75.
324 | Mückl
Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB | Rz. 10.114 § 10
gen wird, für den sie überwiegend tätig waren1. Zu der Frage, ob durch entsprechende Regelungen im Umwandlungsvertrag bzw. -plan und/oder in einem Interessenausgleich nach § 323 Abs. 2 BGB gleichwohl festgelegt werden kann, dass das Arbeitsverhältnis auf einen anderen Rechtsträger übergeht, vgl. Rz. 10.222 ff. Eine Zuordnungsentscheidung ist allerdings für solche Arbeitnehmer erforderlich, die tatsächlich übergreifend eingesetzt werden2. Beispielhaft gilt das nicht nur für den Springer, den Trainee oder isoliert tätige Arbeitnehmer (z.B. Gärtner, Pförtner), bei denen aus der Tätigkeit heraus keine Zuordnung zu einem bestimmten Betriebsteil erfolgen kann. Zu diesem Kreis gehören auch solche Mitarbeiter, die aus einer Zentralabteilung heraus tätig sind, aber wegen der Art ihrer Tätigkeit in die Organisation der einzelnen Fachabteilungen integriert werden. Hierzu können z.B. EDV-Mitarbeiter gehören, die während ihrer Aufgabenerfüllung – beispielsweise im Rahmen einzelner Projekte – in die arbeitsorganisatorische Leitungsmacht des jeweils betroffenen Bereichs eingegliedert werden (vgl. Rz. 10.120). Darüber hinaus gehören zu diesem Personenkreis solche Mitarbeiter, die wegen einer Freistellung oder einem ruhenden Arbeitsverhältnis keinerlei Arbeitsleistung verrichten. Für diese Mitarbeiter muss über die Zugehörigkeit zum Betrieb hinausgehend festgestellt werden, ob der Betroffene nach den vom BAG entwickelten Kriterien auch dem von der Übertragung auf einen anderen Rechtsträger betroffenen Betriebsteil zuzuordnen ist. Entsprechendes gilt auch für solche Arbeitnehmer, die dem Unternehmen angehören, aber tatsächlich betriebsübergreifend im Einsatz sind (z.B. unabhängige Revision). Funktion
Übergehender Betriebsteil
Zugehörigkeit zum übergehenden Betriebsteil
Abteilungsleiter (Abteilung mit mehreren Unterabteilungen)
Übergang einer Unterabteilung
JA, insbesondere wenn der Abteilungsleiter an den entsprechenden Verhandlungen zum Übergang der Unterabteilung beteiligt und/oder, wenn er zusätzlich als Leiter der übergehenden Unterabteilung dieser zugeordnet war3.
(von vertraglicher Vereinbarung) Abweichender Einsatzort
Einsatzort/ -abteilung
NEIN, wenn Tätigkeit im betroffenen Betriebsteil nur aushilfsweise erfolgt4. JA bei einvernehmlicher dauerhafter Neuzuordnung. Einer nachträglichen einvernehmlichen Zuordnung steht auch eine andere Angabe im Arbeitsvertrag nicht entgegen5.
Auftragslogistikerin in der Fertigung
Produktion und Service
JA, wenn sie schwerpunktmäßig im Bereich der übergegangenen Produktion beschäftigt war6.
1 Ebenso Moll, RdA 1999, 233, 240; von Steinau-Steinrück/Thees in Hölters, Unternehmenskauf, Rz. 6.53; a.A. von Alvensleben, Betriebsübergang im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 234 f. 2 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 76, dort auch zum Folgenden. 3 LAG Düsseldorf v. 29.1.2010 – 9 Sa 303/07, ZIP 2010, 1258. 4 LAG Düsseldorf v. 14.5.2004 – 9 (14) Sa 1691/03: Kfz-Elektriker in anderer Werkstatt. 5 LAG Schleswig-Holstein v. 13.6.2013 – 5 Sa 367/12, NZA-RR 2013, 456: Unterwasserbau statt Überwasserbau in der Reederei. 6 LAG Sachsen-Anhalt v. 16.3.1999 – 8 Sa 589/98, NZA-RR 1999, 574.
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10.113
10.114
§ 10 Rz. 10.114 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
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Funktion
Übergehender Betriebsteil
Zugehörigkeit zum übergehenden Betriebsteil
Außendienstmitarbeiter im Baustoffunternehmen (Fliesen, Stahl, Haustechnik, Industrie- & Baubedarf)
Fliesenproduktion
NEIN, weil keine Zuordnung zu einem bestimmten Produktbereich vorgenommen wurde. Der Mitarbeiter ist vielmehr für alle Bereich/Produkte in gleichem Maße zuständig1.
Backoffice Tätigkeiten im Callcenter
„Service Center Telekommunikation“
NEIN, soweit die Backoffice-Tätigkeiten in einem abgetrennten Bereich unabhängig von der Telekommunikation durchgeführt werden. Das gilt auch dann, wenn die Mitarbeiter die Bürotätigkeiten zuvor „mit-erledigt“ haben, der Arbeitgeber später aber durch ausdrückliche Zuordnung getrennte Betriebsteile schafft. Der Arbeitnehmer hat dann keinen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Zuordnung zum übergehenden Betriebsteil, selbst wenn anderenfalls eine Kündigung droht2. JA, wenn sich eine Zuordnung nach objektiven Kriterien nicht vornehmen lässt, weil der betroffene Mitarbeiter zuletzt beide Tätigkeiten ausgeübt hat, und die Zuordnung zum übergehenden Betriebsteil dem Wunsch des Arbeitnehmers entspricht. Dann steht diesem ein Wahlrecht zu, welchem Betriebsteil er zugeordnet werden möchte3.
Berater für ITInfrastrukturen („Technical Consultant“)
Marketing
NEIN, da Beratung allein kein Teil des Marketings ist. Dazu ist vielmehr die Gewinnung von Neukunden erforderlich. Die fachliche Führung allein genügt nicht4.
Bodenpersonal einer Fluggesellschaft („Sales Representative“)
Flugbetrieb
NEIN. Denn Flug- und Bodenbetrieb sind zwei unterschiedliche Betriebsteile einer Fluggesellschaft5.
Customer Service Engineer (Systemtechniker)
IT-Service
NEIN, wenn der Arbeitnehmer zuvor mehrere Jahre einvernehmlich einem anderen Bereich (hier: „Druckerwartung“) zugeordnet wurde, z.B. durch Überlassung mit Einverständnis des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer kehrt nicht automatisch zur früheren Zuordnung zurück6.
Vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 21.2.2005 – 7 Sa 440/04. BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, DB 2013, 1178; Thüringer LAG v. 16.5.2012 – 4 Sa 56/11. Thüringer LAG v. 14.11.2011 – 6 Sa 41/11. Hessisches LAG v. 10.10.2013 – 19 Sa 411/12. BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 348/11, BB 2013, 1339. BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 706/11, DB 2013, 1556.
326 | Mückl
Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB | Rz. 10.114 § 10 Funktion
Übergehender Betriebsteil
Zugehörigkeit zum übergehenden Betriebsteil JA, wenn der Arbeitnehmer (aufgrund des Arbeitsvertrags) dem Bereich „Service“ zuzuordnen ist. Eine abweichende Vereinbarung über die Zuordnung zwischen Arbeitgeber und dem Erwerber des Betriebsteils ist ohne Bedeutung1.
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Einzelhandelskaufmann Abteilung Rundfunk/ Fernsehen
Abteilung Hörgeräte/Akustik/ Optik und Verwaltung
NEIN, da keine Zuordnung zu übertragenen Abteilungen erfolgt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass es sich ggf. um einen Gemeinschaftsbetrieb handelt2.
Entsandter Arbeitnehmer
Beschäftigungsort in Deutschland
JA, weil sich durch die Entsendung des Arbeitnehmers ins Ausland nichts an der Zuordnung ändert, soweit die Auslandstätigkeit der Inlandsbeschäftigung zuzurechnen ist. Das ist der Fall, wenn die Entsendung nur vorübergehend geplant ist3.
Freigestellter Arbeitnehmer
„zugehöriger“ Betriebsteil
JA, weil die Freistellung keinerlei Auswirkungen auf die Zuordnung des Arbeitnehmers hat4.
Gebiets-Verkaufsleiter einer Warenhauskette
Mehrere Filialen
JA, soweit der Verkaufsleiter für das Gebiet oder die Mehrzahl der verkauften Filialen zuständig ist5.
Geschäftsführer/ Vorstand
Betriebsteil/gesamtes Unternehmen
NEIN, da § 613a BGB nur Arbeitsverhältnisse, nicht aber das Anstellungsverhältnis von Organmitgliedern erfasst. Ausnahmeweise JA, wenn neben dem Anstellungsverhältnis ein Arbeitsvertrag geschlossen wird; ein solcher kann insbesondere in der Vereinbarung der Weiterbeschäftigung nach Verlust der Organstellung liegen6.
Hausmeister als Mitarbeiter einer Hausverwaltung
Eigentümerwechsel am Grundstück und anschl. Selbstverwaltung
NEIN. Insoweit fehlt es schon an einem Betriebsübergang, weil das betroffene Gebäude nicht Betriebsmittel, sondern Gegenstand der Dienstleistung ist7.
Kaufmännischer Mitarbeiter in einer firmen-/ unternehmenseinheitlichen Verwaltung
Produktion/operatives Geschäft (z.B. Bauhof)
NEIN. Denn die firmenübergreifend zuständige Verwaltung ist regelmäßig als eigener Teilbetrieb zu werten. Hierfür sprechen insbesondere eine einheitliche Leitung der Verwaltung, weitere Untergliederung der Verwaltung in Abteilungen, fehlende Zuordnung einzelner Mitarbeiter zu speziellen Betrieben des Unternehmens. Verschiedene Betriebsteile liegen insbesondere in folgenden Fällen vor:
BAG v. 21.6.2012 – 8 AZR 243/11. Hessisches LAG v. 28.4.2005 – 9 Sa 1743/04. Hessisches LAG v. 15.3.2004 – 16 Sa 1377/03. LAG Rheinland-Pfalz v. 24.5.2007 – 11 Sa 55/07, NZA-RR 2007, 566. LAG Hamm v. 7.1.1999 – 4 Sa 2350/97. BAG v. 13.2.2003 – 8 AZR 654/01, GmbHR 2003, 765. BAG v. 15.11.2012 – 8 AZR 683/11, DB 2013, 1419.
Mückl | 327
§ 10 Rz. 10.114 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung Funktion
Übergehender Betriebsteil
Zugehörigkeit zum übergehenden Betriebsteil – Autohaus mit mehreren „Filialen“ und einheitlicher Verwaltung1 – einheitliche Verwaltung für eine gesamte Firmengruppe2 – Finanz- und Personalbuchhaltung für ganzes Unternehmen und Übergang nur des Speditionsbetriebs3 – Mischtätigkeit ein Druckzentrum und Verwaltung, wobei Verwaltung überwiegt (2/3 der Tätigkeit)4 – Sachbearbeiterin Versicherung bei Übergang der Unternehmensteile Fracht und Logistik5 JA, wenn es sich bei der Verwaltung nicht um einen eigenen Betriebsteil handelt, sondern diese dem übergehenden Betriebsteil (Produktion/operatives Geschäft) angegliedert ist. Dann gehören auch die Verwaltungsmitarbeiter zum entsprechenden Betriebsteil „Produktion“. Eine Zuordnung der Verwaltung zu einem anderen Betriebsteil liegt allerdings nicht schon vor, wenn der Arbeitnehmer rein tatsächlich Tätigkeiten für den betroffenen Betriebsteil durchgeführt hat. Darauf, ob der Restbetrieb fortgesetzt werden kann, kommt es für die Zuordnung nicht an6. Insbesondere gegeben bei: – Mitarbeiter Personal und Rechnungswesen, deren Tätigkeit dem überwiegend dem übernommenen Betriebsteil zugutekommt und die Beschäftigungsmöglichkeit im Ausgangsunternehmen entfällt7. JA, wenn es sich bei der Verwaltung um einen eigenen Betriebsteil handelt, den der Erwerber aber mit übernommen hat, indem ein wesentlicher Teil der Beschäftigten aus diesem Bereich mit derselben Funktion weiterbeschäftigt werden8.
Leiter allgemeiner Betrieb bei einem Franchisegeber mit Getränkegroßmarkt
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Getränkegroßmarkt
NEIN, weil der Betriebsleiter nicht dem Großmarkt zugeordnet ist, sondern eine einheitliche Aufgabenstellung hat9.
LAG Düsseldorf v. 14.12.2000 – 2 Sa 1333/00. BAG v. 24.8.2012 – 8 AZR 556/05. BAG v. 21.1.1999 – 8 AZR 298/98. BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12. LAG Schleswig-Holstein v. 23.7.2003 – 2 Sa 128/02. BAG v. 8.8.2002 – 8 AZR 583/01; BAG v. 23.9.1999 – 8 AZR 650/98; jeweils offengelassen. LAG Köln v. 8.6.2001 – 11 Sa 281/01; LAG Köln v. 2.3.2001 – 11 Sa 1386/00. BAG v. 18.4.2002 – 8 AZR 346/01; im Einzelfall offengelassen. LAG Hamm v. 15.4.1999 – 8 Sa 3202/98 – dort bestand zudem kein einseitiges Direktionsrecht des Arbeitgebers bzgl. des Arbeitsorts.
328 | Mückl
Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB | Rz. 10.116 § 10 Funktion
Übergehender Betriebsteil
Zugehörigkeit zum übergehenden Betriebsteil
Lithograph in der manuellen Bildbearbeitung
elektronische Bildbearbeitung
NEIN, soweit nicht der Gesamtbetrieb übernommen werden sollte. Dies richtet sich nach der Vereinbarung zwischen Veräußerer und Erwerber1.
LKW-Fahrer
Gefahrstofflager
JA, wenn der LKW-Fahrer allein zum Transport der Gefahrstoffe von der Produktionsstätte zum Gefahrstofflager beschäftigt wurde und seine Weisungen von der Leitung des Gefahrstofflagers erhielt2.
Mitarbeiter in Lager und Versand
Büro/Verwaltung
NEIN, weil es sich um zwei unterschiedliche Betriebsteile handelt. Das gilt auch dann, wenn der Betriebsteil Lager und Versand zuvor stillgelegt wurde. Die betroffenen Arbeitnehmer werden dann nicht automatisch dem verbleibenden Restbetrieb zugeordnet3.
Nautischer Offizier (mit variablen Einsätzen)
bereedertes Schiff
NEIN, soweit der Seemann nicht objektiv diesem Schiff zuzuordnen ist oder zum Zeitpunkt des Übergangs dort beschäftigt war. Dies gilt auch, wenn der Seemann gelegentlich auf dem betroffenen Schiff eingesetzt wurde. Denn das Kriterium der überwiegenden Beschäftigung ist bei Seeleuten nicht anwendbar, weil diese gemäß MTV-See grundsätzlich zum Einsatz auf allen Schiffen des Reeders verpflichtet sind4.
Entgegen einer zum Teil vertretenen Ansicht kann § 323 Abs. 2 UmwG nicht als Grundlage für die Entscheidung über die Zuordnung von Arbeitnehmern herangezogen werden. Wie nachfolgend noch einmal gesondert erläutert wird (vgl. Rz. 10.219 ff.), schafft § 323 Abs. 2 UmwG nur eine Einschränkung der gerichtlichen Überprüfbarkeit einer Entscheidung, die trotz entsprechender Regelungen in einem Interessenausgleich grundsätzlich noch durch den Arbeitgeber auf der Ebene des Individualarbeitsrechts umgesetzt werden muss. § 323 Abs. 2 UmwG ist insoweit als spezialgesetzliche Regelung anzusehen, die unter den dort genannten Voraussetzungen die normalen Vorgaben zur gerichtlichen Überprüfbarkeit von Entscheidungen, die im Rahmen des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts getroffen werden (§ 315 Abs. 3 BGB), verdrängt5.
10.115
g) Irrelevanz des Schicksals des nicht eingegliederten Arbeitsverhältnisses nach dem Übergang eines anderen Betriebs oder Betriebsteils Keine Rolle für die Frage der Zuordnung spielt konsequenterweise auch, welches Schicksal das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers nach dem Übergang hat. So wie es unerheblich ist, dass ein nach einem Betriebsteilübergang verbleibender „Restbetrieb“ auf Dauer nicht lebensfähig ist oder stillgelegt wird6, spielt es auch keine Rolle, ob es nach dem Betriebsteilübergang noch
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BAG v. 21.1.1999 – 8 AZR 287/98. BAG v. 22.7.2004 – 8 AZR 350/03. BAG v. 25.9.2003 – 6 AZR 446/02; vgl. auch LAG Berlin-Brandenburg v. 7.8.2008 – 14 Sa 231/08. LAG Hamburg v. 3.2.2004 – 2 Sa 68/02. Ebenso Mengel, Umwandlungen, S.109 ff., 128 f. Vgl. BAG v. 13.2.2003 – 8 AZR 102/02, DB 2003, 1740 Rz. 50.
Mückl | 329
10.116
§ 10 Rz. 10.116 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
die ursprüngliche oder überhaupt eine Verwendung für den Arbeitnehmer im nicht übertragenen Betriebsteil gibt1. h) Grenzen der Zuordnung nach der überwiegenden Tätigkeit?
10.117
Die Zuordnung nach der überwiegenden Tätigkeit führt jedenfalls bei der Zuordnung von Arbeitnehmern, die aufgrund der Eigenart ihrer Tätigkeit und/oder ihrer hierarchischen Stellung in der Unternehmenshierarchie „isoliert“ tätig werden, zu einem befriedigenden Ergebnis. Dies kann beispielsweise der Fall sein bei bestimmten Führungskräften (z.B. EDV-Beauftragter), dem Betriebsarzt oder einem Mitarbeiter, der betriebsübergreifend bestimmte Servicefunktionen wahrnimmt (z.B. Fahrer, Reisebüro)2. In der Literatur wird allerdings kritisiert, dass die Zuordnung allein nach dem Tätigkeitsschwerpunkt in den übrigen Fällen einer Zuordnung mit erheblichen Zufälligkeiten verbunden sei. So würde bei einer betriebsübergreifenden Tätigkeit kein Arbeitnehmer von dem Übergang eines der Betriebe betroffen sein, wenn jedes Mitglied dieser übergreifend tätigen Gruppe überwiegend in anderen als dem von einer Übertragung betroffenen Betrieb tätig gewesen ist. Nur bei der Aufspaltung gemäß § 123 Abs. 1 UmwG fände – notwendigerweise – eine Überleitung statt. Ist es dem übertragenden Rechtsträger nach der Überleitung des Betriebs nicht möglich, die verbleibenden Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen, seien dann entgegen dem auf einen Bestandsschutz ausgerichteten Zweck von § 613a BGB betriebsbedingte Kündigungen nicht zu vermeiden. Entsprechendes würde gelten, wenn zwar eine große Zahl von Mitarbeitern Arbeiten für den in einem Teilbetrieb verfolgten (Teil-)Betriebszweck verrichtet hat, wegen des übergreifenden Charakters der Arbeiten aber nur ein kleiner Teil dieser Arbeitnehmer zugleich auch den nach Maßgabe der individuellen Arbeitszeit überwiegenden Teil seiner Tätigkeit für diesen Teilbetrieb gearbeitet hat. Umgekehrt würden sämtliche Arbeitnehmer in ein Arbeitsverhältnis zum Rechtsnachfolger treten, die überwiegend für den übertragenen Betrieb oder Betriebsteil tätig waren. Aufgaben, die sie im Restunternehmen erfüllt haben, blieben unberücksichtigt. Damit würde beim übertragenden Rechtsträger eine Minderbeschäftigung, beim übernehmenden Rechtsträger eine Überbeschäftigung eintreten. aa) Keine mehrstufige Zuordnung des Arbeitsverhältnisses
10.118
Begegnet werden soll dem – abweichend von dem organisationsstrukturabhängigen Ansatz des BAG – durch eine funktionale Betrachtung, die ein zweistufiges Vorgehen erforderlich macht3: Auf der ersten Stufe erfolgt – ohne Eingreifen von § 315 BGB – eine Zuordnung von Arbeitsplätzen durch den übertragenden Rechtsträger zum jeweiligen Betrieb oder Betriebsteil und auf der zweiten Stufe eine Zuordnung der Arbeitsverhältnisse kraft Direktionsrechts nach § 106 GewO, § 315 BGB. Dabei ist umstritten, ob die Zuordnung lediglich gedanklich erfolgen4 oder real vollzogen werden muss5. Hintergrund sind dabei stets die vorstehend skizzierten Schutzzwecküberlegungen, die sich in der Ansicht zusammenfassen lassen, dass es im Fall eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs keine nicht einer bestimmten Organisationseinheit zuordenbaren Arbeitsverhältnisse geben dürfe.
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BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12, NZA-RR 2014, 175 Rz. 38. B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 56. Ausführlich B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 76 ff. So Lieb, ZfA 1994, 229, 236 f. B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 76 ff.
330 | Mückl
Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB | Rz. 10.120 § 10
Letztlich löst sich diese Ansicht aber aus Schutzzwecküberlegungen heraus von den Tatbestandsvoraussetzungen des § 613a BGB, nach denen – auf der Grundlage der Rechtsprechung des BAG – als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal die Eingliederung des Arbeitsverhältnisses in die Organisationseinheit erforderlich ist, damit es von einem Übergang gemäß § 613a BGB erfasst wird1. Daher kann zunächst einmal eine rein gedankliche Zuordnung von Arbeitnehmern keinen Übergang des Arbeitsverhältnisses bewirken. Fiktive Verhältnisse sind irrelevant. Diesem Einwand sieht sich zwar der Teil der Literatur, der eine reale Umsetzung fordert, nicht ausgesetzt. Im Ergebnis bewirkt die Forderung nach einer realen Umsetzung aber – hält man an der Rechtsprechung des BAG zum Tatbestand des § 613a BGB fest –, dass der übertragende Rechtsträger im Vorfeld eines Übertragungsvorgangs eine Zuordnung zu Einheiten vornimmt oder solche Einheiten durch entsprechende Zuordnung erst schafft, um das Arbeitsverhältnis im Rahmen des § 613a BGB übertragungsfähig zu machen. Das mag aus Arbeitnehmersicht zwar im Einzelfall wünschenswert sein, löst sich aber jedenfalls dann von den Tatbestandsvoraussetzungen des § 613a BGB, wenn man als Objekt des Übertragungsvorgangs auf Seiten des übertragenden Rechtsträgers mit dem BAG2 eine organisatorische und keine rein funktionelle Einheit fordert (vgl. Rz. 4.20, 4.73 ff.).
10.119
Dass die Rechtsprechung des BAG zum Tatbestand des § 613a BGB aufgegeben wird bzw. die fehlende Zugehörigkeit zu einer Organisationseinheit zwingend eine planwidrige, verdeckte Regelungslücke darstellt, die es durch analoge Anwendung des § 613a BGB zu schließen gilt3, überzeugt indes nicht. Denn Hintergrund dafür, dass dem übernehmenden Rechtsträger die der übernommenen Organisationseinheit zugeordneten Arbeitsverhältnisse „aufgezwungen“ werden, ist dessen Nutzung der Betriebsmittel und Arbeitsverhältnisse zumindest unter Beibehaltung des Funktionszusammenhangs zwischen ihnen (vgl. Rz. 4.79 ff.). Maßgeblich dafür, dass ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang vorliegt, ist eine Vorher-Nachher-Betrachtung in Bezug auf die übertragene Einheit, wobei eine bloße Funktionsnachfolge gerade nicht ausreicht (Rz. 4.76). Hiervon ausgehend greift der Schutzzweck des § 613a BGB dann nicht ein, wenn keine übertragungsfähige Einheit, sondern lediglich sonstige Vermögensgestände und ggf. vereinzelte Arbeitsverhältnisse übernommen werden. Insofern sind immer Übertragungsvorgänge denkbar, die sich auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses bei dem übertragenden Rechtsträger negativ auswirken können, ohne dass stets der übernehmende Rechtsträger zur Übernahme gefährdeter Arbeitsverhältnisse verpflichtet wird. Eine analoge Anwendung des § 613a BGB unter Lösung von dessen Tatbestandsvoraussetzungen aus Schutzzweckgesichtspunkten heraus, würde letztlich nichts anderes bedeuten, als eine uferlose Ausweitung des Anwendungsbereichs von § 613a BGB. Sie wäre im vorliegenden Kontext im Übrigen mit der Rechtsprechung zum Nichtvorliegen eines Betriebs(teil)übergangs bei bloßer Funktionsnachfolge unvereinbar. Denn wenn der übernehmende Rechtsträger gezwungen wäre, auch die Arbeitsverhältnisse von Mitarbeitern, die nicht in die übernommene Einheit eingegliedert sind, sondern lediglich für diese Einheit tätig waren, zu übernehmen, würde dies nichts anderes bedeuten als einen Übergang des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer „Funktionsnachfolge im Kleinen“.
10.120
1 Staudinger/Annuß (2019), § 613a BGB Rz. 147. 2 BAG v. 13.10.2011 – 8 AZR 455/10, NZA 2012, 504 Rz. 37; im Ergebnis ebenso wohl der 6. Senat, der im Urteil v. 25.4.2013 (6 AZR 49/12, AP Nr. 1 zu § 343 InsO) zwar in Rz. 182 scheinbar eine funktionelle Beziehung ausreichen lässt, dies aber in Rz. 183 negiert; vgl. unabhängig davon zu Zweifeln in Bezug auf die Vereinbarkeit mit der Rechtsprechung des EuGH z.B. Mückl, Arbeitsrecht in Krise und Insolvenz, 1. Aufl., Rz. 583. 3 So Lieb, ZfA 1994, 229, 236.
Mückl | 331
§ 10 Rz. 10.121 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
10.121
Richtigerweise bleibt es daher bei der zutreffenden Rechtsprechung des BAG, die eine Eingliederung des betroffenen Arbeitnehmers in die zu übertragende Einheit fordert. Das hat nichts mit einen Verzicht auf eine Zuordnung bei „Schwierigkeiten“ zu tun. Denn eine vom Tatbestand des § 613a BGB losgelöste Zuordnung ist nicht erforderlich. Im Gegenteil: Die vom BAG vorgenommene strukturorientierte Zuordnung führt zu klaren Ergebnissen und vermeidet Zuordnungsschwierigkeiten. Sie führt auch dann nicht zu unbilligen Ergebnissen, wenn dadurch alle Arbeitnehmer, die nicht mehr als 50 % ihrer Tätigkeit für den vom Übergang betroffenen Betrieb oder Betriebsteil verrichten, beim bisherigen Arbeitgeber verbleiben, obwohl jedenfalls ein Teil der bislang übergreifend organisierten Arbeit und die damit verbundene Beschäftigungsmöglichkeit beim übernehmenden Rechtsträger angekommen ist1. Denn dieses Ergebnis ist ebenso denkbar, wenn sonstiges Vermögen, das nicht die Qualität eines Betriebs- oder Betriebsteils hat, auf einen anderen Rechtsträger übertragen wird. Gegen derartige Übertragungsvorgänge ist der Arbeitnehmer ebenfalls nicht geschützt. Dies gilt umso mehr, als auch Arbeitnehmer, die in einen Betriebsteil eingegliedert sind, in dem aufgrund der Übertragung eines anderen Betriebsteils kein Beschäftigungsbedarf mehr besteht, in diesem Fall keinen Schutz genießen2, obwohl Unterschiede in der Schutzbedürftigkeit insoweit nicht erkennbar sind. bb) Kein Wahlrecht des Arbeitnehmers
10.122
Auch außerhalb der Fallgruppe eines Widerspruchs des Arbeitnehmers gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses kommt aus ähnlichen Überlegungen heraus erst recht ein Wahlrecht des Arbeitnehmers, welchem Betrieb oder Betriebsteil er bei der Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils zuzuordnen ist, nicht in Betracht3. Denn Hintergrund für die Annahme eines entsprechenden Wahlrechts sind letztlich dieselben Schutzzweckgesichtspunkte, die sich nicht überzeugend vom Tatbestand des § 613a BGB lösen und nur deshalb ein Wahlrecht des Arbeitnehmers postulieren müssen, das allerdings auch aus folgenden Gründen nicht in Betracht kommt:
10.123
Zunächst einmal sieht § 613a BGB, der zwingenden Charakter hat4, ein derartiges Wahlrecht bereits seinem Wortlaut nach nicht vor. Infolge dieses zwingenden Charakters spielt es keine Rolle, ob sich Veräußerer und Erwerber über die Rechtsfolgen der Veräußerung eines Betriebs oder Teilbetriebs einigen (vgl. Rz. 10.41)5. Spiegelbildlich kann dann allerdings konsequenterweise auch der Arbeitnehmer den Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht gegen den Willen der beteiligten Rechtsträger dadurch bewirken, dass er schlicht wählt, welchem Betrieb oder Betriebsteil er angehören will. Denn das widerspräche nicht nur dem Umstand, dass er keinen Anspruch auf einen bestimmten Arbeitsplatz hat (vgl. Rz. 10.57), sondern auch § 106 GewO, wonach dem Arbeitgeber das Zuordnungsrecht zusteht, soweit es nicht durch abweichende Vereinbarungen begrenzt ist (vgl. Rz. 10.55 ff.).
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A.A. B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 56. Ebenso B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 34. A. A. Thüringer LAG v. 14.11.2011 – 6 Sa 41/11, Rz. 66 (ohne nähere Begründung). BAG v. 29.10.1975 – 5 AZR 444/74, AP Nr.2 zu § 613a BGB, Rz. 38 f.; Mengel, Umwandlungen, S. 136 f., 150 f. 5 Vgl. BAG v. 12.5.1992 – 3 AZR 247/91, EzA § 613a BGB Nr. 104, Rz. 32; von Hoyningen-Huene/ Windbichler, RdA 1977, 329, 333.
332 | Mückl
Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von § 613a BGB | Rz. 10.126 § 10
Entgegen der Ansicht von Müller-Bonanni/Thüsing1 kann die Zulässigkeit eines Wahlrechts auch nicht damit begründet werden, dass mit dem Widerspruch „so etwas wie ein Wahlrecht des Arbeitnehmers beim Betriebsübergang“ anerkannt worden sei. Das Widerspruchsrecht ist ein Rechtsfolgenverweigerungsrecht, das eine Zuordnung zum Betrieb oder Betriebsteil voraussetzt. Die Anerkennung eines Wahlrechts würde hingegen einen Teil der tatbestandlichen Voraussetzungen durch eine Entscheidung des Arbeitnehmers ersetzen. Im Übrigen wirkt das Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB nur in eine Richtung: Es stellt den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zum übertragenden Rechtsträger sicher. Ein Recht, gegen den Willen der beteiligten Rechtsträger einen Arbeitgeberwechsel herbeizuführen, ist damit nicht verbunden2. Berücksichtigt man, dass eine Betriebs- oder Unternehmensspaltung auch mit der Übertragung von Vermögen auf mehrere Rechtsträger verbunden sein kann, bei der Aufspaltung nach § 123 Abs. 1 UmwG sogar sein muss, könnte sich der Arbeitnehmer sogar zwischen mehreren Rechtsträgern entscheiden, die an die Stelle seines bisherigen Arbeitgebers treten sollen3. Damit würde § 613a BGB, der nur den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses sicherstellen soll, eine normzweckwidrige Besserstellung des Arbeitnehmers bewirken4. Das BAG hat ein Wahlrecht daher nur in Fällen angenommen, in denen eine Aufspaltung ohne Betriebsübergang vorliegt (und auch dort zu Unrecht, vgl. Rz. 10.186 ff.). Darin liegt im Übrigen auch ein Verstoß gegen das Grundrecht der unternehmerischen Entfaltungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG) sowie der Grundgedanken in §§ 415 f. BGB, nunmehr zulasten des übernehmenden Rechtsträgers, auf den die Entscheidung gefallen ist. Denn Arbeitnehmern würde durch das Zugestehen eines Wahlrechts z.B. in Fällen eines Betriebs mit betriebsmittelarmer Tätigkeit und vielen nicht eingegliederten Arbeitsverhältnissen letztlich ermöglicht, durch Ausübung ihres Wahlrechts einen Betriebsübergang auf den übernehmenden Rechtsträger auszulösen oder zu verhindern, ohne dass der übernehmende Rechtsträger insoweit eingebunden wäre. Sie könnten schließlich durch Ausübung ihres Wahlrechts den Übergang des nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des Personals bewirken (vgl. zur Maßgeblichkeit dieses Gesichtspunkts Rz. 4.140 ff.)5.
10.124
In Übereinstimmung mit den überzeugenden Überlegungen des BAG zum Nichtbestehen eines Wahlrechts des Arbeitnehmers nach dem Widerspruch gegen einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang (vgl. Rz. 10.122 ff.) wird man ein solches daher auch im Vorfeld eines Übertragungsvorgangs nicht annehmen können.
10.125
5. Zulässigkeit einer Änderungskündigung Die Besetzung des von einem Betriebsteilübergang bzw. einer Umwandlung betroffenen Arbeitsplatzes kann nach h.M. auch im Wege einer Änderungskündigung durchgesetzt werden6. Zulässig ist eine Änderungskündigung nach § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB, § 324 UmwG i.V.m. §§ 1, 2 KSchG insbesondere dann, wenn das unternehmerische Konzept nach der Betriebsoder Betriebsteilübertragung nur bei einer Zuordnung einer bestimmten Zahl von Arbeitneh1 2 3 4
Müller-Bonanni/Thüsing, ZIP 1997, 1869, 1873 f. Abl. auch Loritz, RdA 1987, 65, 79 f.; Kreitner, Kündigungsrechtliche Probleme, S. 198. So ausdrücklich Müller/Thüsing, ZIP 1996, 1869, 1873 f. B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 42; Elking/Aszmons, BB 2014, 373, 374; abl. auch Kreitner, NZA 1990, 429, 431 f.; Müller-Ehlen, Übergang von Arbeitsverhältnissen, S. 38 f., 40. 5 Elking/Aszmons, BB 2014, 373, 374. 6 Willemsen, RdA 1993, 133, 137; Lieb, ZfA 1994, 229, 242 Fn. 24; Hartmann, ZfA 1997, 21, 32 f.; APS/Steffan, § 324 UmwG Rz. 29; MünchHdbArbR/Wank, § 102 Rz. 131; Commandeur/Kleinebrink, NJW 2005, 633 (die unterschiedliche Fallkonstellationen durchspielen).
Mückl | 333
10.126
§ 10 Rz. 10.126 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
mern verwirklicht werden kann1. Die Zahl der Arbeitnehmer und die ausgeübte Tätigkeit kann dann von den Gegebenheiten bis zur Übertragung abweichen. Denkbar ist eine Änderungskündigung zur Neuzuordnung von Arbeitsverhältnissen vor einem Betriebsübergang z.B. dann, wenn bei Umwandlungen und Neugründungen Spezialisten abweichend von ihrem bisherigen Beschäftigungsort in dem neugegründeten Unternehmen dringend benötigt werden2. Individuell zulässig ist die Änderungskündigung indes nur dann, wenn es kein milderes Mittel gibt (z.B. Weiterbeschäftigung auf anderem Arbeitsplatz im Rahmen des Direktionsrechts) und die Vorgaben zur Sozialauswahl berücksichtigt werden. Hier ist § 1 Abs. 3 KSchG also unmittelbar anwendbar. Auch im Übrigen verbleibt es aber bei den allgemeinen Grundsätzen, sodass insbesondere die zeitliche Nähe einer Änderungskündigung zum Betriebsübergang keinen Verstoß gegen § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB indiziert, da auch Versetzungen zeitnah vor einem Betriebs(teil)übergang erfolgen können (vgl. Rz. 10.59 ff.). Soweit die Vorgaben des § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB erfüllt sind, spricht nichts gegen eine Änderungskündigung zur Strukturierung der zu übertragenden Einheit. Auch § 323 Abs. 1 UmwG steht dem nicht entgegen3. Sie kommt allerdings in der Praxis bislang eher selten vor, weil Strukturierungsplanungen mit Blick auf die zu beachtenden Kündigungsfristen zu spät begonnen werden, um Änderungskündigungen sinnvoll nutzen zu können.
D. Besondere Einsatzformen und Betriebsstrukturen 10.127
Die vom BAG entwickelten Grundsätze zur Zuordnung von Arbeitnehmern bedürfen z.B. im Fall der Arbeitnehmerüberlassung aufgrund einschlägiger Rechtsprechung des EuGH einer Präzisierung, die auch für sonstige komplexe Einsatzformen bzw. Betriebsstrukturen nutzbar gemacht werden soll:
10.128
Sofern das fachliche und das disziplinarische Direktionsrecht nicht durch denselben Rechtsträger, sondern von unterschiedlichen Rechtsträgern ausgeübt wird, folgt aus der Maßgeblichkeit des Direktionsrechts für die Zuordnung zu einer übertragenen organisatorischen Einheit – außerhalb der Fälle einvernehmlicher Zuordnung – für die betriebliche Praxis die wichtige Frage, ob das Arbeitsverhältnis nur der Organisationseinheit zugeordnet ist, in der das disziplinarische Weisungsrecht ausgeübt wird oder nur derjenigen, in der das fachliche Weisungsrecht ausgeübt wird oder beiden. Das BAG geht bei seinem Drei-Stufen-Test stillschweigend von klassischen Einsatzformen und Organisationsstrukturen aus. Zu besonderen Einsatzformen wie der Leiharbeit oder zu besonderen Organisationsstrukturen im Konzern wie z.B. einer Matrixorganisation verhält sich die Rechtsprechung des BAG nicht ausdrücklich.
I. Arbeitnehmerüberlassung 1. Albron Catering 10.129
Mit den von einem Betriebsübergang erfassten Arbeitsverhältnissen bei einer Arbeitnehmerüberlassung, bei der das disziplinarische Weisungsrecht vom Verleiher und das fachliche Weisungsrecht vom Entleiher ausgeübt wird, hat sich der EuGH in der Rs. Albron Catering4 beschäftigt. Der Kläger des dortigen Ausgangsverfahrens war – wie das gesamte Personal des Kon1 2 3 4
B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 139. APS/Steffan, § 324 UmwG Rz. 29. Vgl. Semler/Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 3; Widmann/Mayer/Wälzholz, § 323 UmwG Rz. 13. EuGH v. 21.10.2010 – C-242/09, DB 2011, 303 – Albron Catering.
334 | Mückl
Besondere Einsatzformen und Betriebsstrukturen | Rz. 10.131 § 10
zerns – bei einer dem Heineken-Konzern angehörigen Personalführungsgesellschaft (HNB) angestellt. Er wurde von ihr als Leiharbeitnehmer „ständig“1 (i.S.v. „dauerhaft“) bei einer einzigen anderen Konzerngesellschaft (HN) eingesetzt. Die HN wiederum gliederte die von ihr ausgeübten Tätigkeiten (u.a. Catering) auf die nicht konzernangehörige Beklagte (Albron) aus. Albron stellte das bislang durch die HN eingesetzte Personal ein und erbrachte mit ihm weiterhin Cateringtätigkeiten (auch für Dritte). Der Kläger machte geltend, es habe ein Betriebsübergang vorgelegen, weshalb die (offenbar günstigeren) Arbeitsbedingungen der HNB bei Albron für ihn weitergelten würden. Der Gerechtshof te Amsterdam legte dem EuGH u.a. die Frage vor, ob nach Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23/EG nur dann ein Übergang von Rechten und Pflichten auf den Erwerber stattfindet, wenn der übertragende Rechtsträger der Vertragsarbeitgeber der übergehenden Arbeitnehmer ist. Der EuGH verneint dies und stellte fest, dass das Vorliegen eines Betriebsübergangs „nicht unter allen Umständen“ eine vertragliche Bindung zum Betriebsinhaber voraussetze: Nach Art. 2 Abs. 1 lit. a RL 2001/23/EG sei „Veräußerer“, wer infolge eines Übergangs i.S.d. RL 2001/23/ EG seine Arbeitgebereigenschaft verliere. Dabei differenziere die RL 2001/23/EG nicht zwischen vertraglichen und sonstigen (nichtvertraglichen) Arbeitgebern. Vielmehr sei nach Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23/EG „alternativ und somit gleichwertig“ für die Eigenschaft als Veräußerer entweder ein Arbeitsvertrag oder ein Arbeitsverhältnis erforderlich, ohne dass einem dieser Erfordernisse der Vorrang zukomme. In „einem Kontext wie dem des Ausgangsverfahrens“2 könnten deshalb zwei Arbeitgeber nebeneinander bestehen. Wenn daher in einem Konzern zwei Arbeitgeber nebeneinander bestünden, von denen der eine vertragliche Beziehungen und der andere nichtvertragliche Beziehungen zu den Arbeitnehmern dieses Konzerns unterhält, kann – so der EuGH – „als „Veräußerer“ im Sinne der Richtlinie 2001/23 auch der Arbeitgeber betrachtet werden, der für die wirtschaftliche Tätigkeit der übertragenen Einheit verantwortlich ist und der in dieser Eigenschaft Arbeitsverhältnisse mit den Arbeitnehmern dieser Einheit begründet, und zwar auch bei Fehlen vertraglicher Beziehungen zu diesen Arbeitnehmern“3. Dies wird nach der Bewertung des EuGH durch den dritten Erwägungsgrund der RL 2001/23 bestätigt, „der die Notwendigkeit hervorhebt, die Arbeitnehmer bei einem „Inhaberwechsel“ zu schützen“. Dieser Begriff könne „in einem Kontext wie dem des Ausgangsverfahrens den nichtvertraglichen Arbeitgeber bezeichnen, der für die Durchführung der übertragenen Tätigkeit verantwortlich ist“4.
10.130
2. Bewertung Da das Arbeitsverhältnis des Klägers, der als Leiharbeitnehmer ausschließlich bei der HN eingesetzt war, nach den Feststellungen des EuGH von einem Betriebsübergang erfasst, also – auch5 – in die organisatorische Einheit der HN eingegliedert war, obwohl kein Arbeitsvertrag mit der HN als Entleiher bestand, muss die betriebliche Praxis davon ausgehen, dass die über die Ausübung des fachlichen Weisungsrechts erfolgte Eingliederung in eine Organisationseinheit betriebsübergangsrechtlich ggf. eine Zuordnung des Arbeitnehmers zur einem von dem
1 2 3 4 5
EuGH v. 21.10.2010 – C-242/09, DB 2011, 303 Rz. 20 – Albron Catering. EuGH v. 21.10.2010 – C-242/09, DB 2011, 303 Rz. 26, 30 – Albron Catering. EuGH v. 21.10.2010 – C-242/09, DB 2011, 303 Rz. 28, ebenso Rz. 31 – Albron Catering. EuGH v. 21.10.2010 – C-242/09, DB 2011, 303 Rz. 30 – Albron Catering. Zur Eingliederung in die Organisationseinheit des Verleihers vgl. EuGH v. 13.9.2007 – C-458/05, NJW 2007, 3195 – Jouini; EuGH v. 15.9.2010 – C-386/09 AP Nr. 6 zu Richtlinie 2001/23/EG – Briot.
Mückl | 335
10.131
§ 10 Rz. 10.131 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
Entleiher übertragenen Betrieb oder Betriebsteil bewirken kann. Die Anforderungen daran sind in der Literatur umstritten1. Das BAG2 hat die Frage bislang offengelassen.
10.132
Ohne arbeitsvertragliche Bindung zwischen Betriebsinhaber und Arbeitnehmer wird man von einer Eingliederung in den Einsatzbetrieb aber nur ausgehen können, wenn die ausschließlich kraft Ausübung des fachlichen Weisungsrechts bewirkte Eingliederung auf Dauer angelegt ist3. Schließlich betont der EuGH stets einen „Kontext wie dem des Ausgangsverfahrens“4, in dem die Überlassung an denselben Entleiher „ständig“5 erfolgt. Das ist nach § 1 Abs. 1b AÜG allerdings – außerhalb der Ausnahmen nach § 1 Abs. 3 AÜG – ohnehin nicht mehr zulässig, sodass sich die Bedeutung dieser Konstellation (in der Praxis insbesondere außerhalb von Konzernstrukturen, vgl. § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG) durch die Neufassung des AÜG deutlich reduziert haben dürfte.
10.133
Für die Frage, welche Arbeitsverhältnisse von einem Betriebs(teil)übergang erfasst sind, bleibt losgelöst davon die Feststellung entscheidend, dass allein eine auf Dauer angelegte Ausübung des fachlichen Weisungsrechts durch einen Nichtvertragsarbeitgeber innerhalb von dessen wirtschaftlicher Zwecksetzung eine Eingliederung in die übertragende Organisationseinheit bewirken kann. Daher wird die betriebliche Praxis annehmen dürfen, dass „gewöhnliche“ Leiharbeitnehmer, soweit sie nicht – was nach § 1 Abs. 1b AÜG derzeit (außerhalb der Ausnahmen nach § 1 Abs. 3 AÜG) ohnehin ausgeschlossen ist – dauerhaft an einen einzigen Entleiher überlassen werden, nicht von einem auf den Betrieb des Entleihers bezogenen Betriebs (teil)übergang erfasst sind6.
II. Matrix-Strukturen 10.134
Für in einer Matrix-Struktur organisierte Konzerne stellt sich in der betrieblichen Praxis die Frage, inwieweit die Feststellungen des EuGH übertragen werden müssen7, insbesondere, ob bereits eine gemeinsame wirtschaftliche Zweckverfolgung unter gemeinsamer Ausübung des fachlichen Direktionsrechts eine Qualifikation als „nichtvertraglicher Arbeitgeber“ bewirkt.
1. Was sind Matrix-Strukturen? 10.135
Klassische Unternehmensstrukturen sind durch vertikale Hierarchie- und Berichtslinien geprägt8. An der Spitze besteht in der Regel eine Leitung, die das disziplinarische, teilweise aber auch das fachliche Weisungsrecht ausübt. Letzteres wird in derartigen Strukturen allerdings
1 Vgl. Willemsen, NJW 2011, 1546, 1548 ff.; Bauer/von Medem, NZA 2011, 20, 21 ff.; für eine Begrenzung auf Konzernsachverhalte Junker, NZA 2011, 950, 952; weitergehend Forst, RdA 2011, 228, 232 ff., der allerdings ausgleichend für eine Beschränkung auf der Rechtsfolgenseite eintritt. 2 BAG v. 15.5.2013 – 7 AZR 525/11, DB 2013, 2276 Rz. 38; BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 838/11, NJW 2013, 1692 Rz. 17. 3 Vgl. Willemsen, NJW 2011, 1546, 1549; Greiner, NZA 2014, 284, 288 f.; zu weitgehend meine Einschätzung in GWR 2011, 45. 4 EuGH v. 21.10.2010 – C-242/09, DB 2011, 303 Rz. 26, 30 – Albron Catering. 5 EuGH v. 21.10.2010 – C-242/09, DB 2011, 303 Rz. 20 – Albron Catering. 6 So die mittlerweile wohl h.M., vgl. z.B. Willemsen, NJW 2011, 1546, 1549; für eine Begrenzung auf Konzernsachverhalte Junker, NZA 2011, 950, 952. 7 Meyer, NZA 2013, 1326, 1330 hält dies „unter Umständen“, die er nicht näher kennzeichnet, für möglich. 8 Vgl. Neufeld/Michels, KSzW 2012, 49, 50; Kort, NZA 2013, 1318 m.w.N.
336 | Mückl
Besondere Einsatzformen und Betriebsstrukturen | Rz. 10.138 § 10
zumeist an der Spitze des jeweiligen Funktionsbereichs des Unternehmens ausgeübt. Berichtslinien verlaufen dementsprechend nur unternehmensintern1. Eine Unternehmens- oder Konzernorganisation in Form einer Matrix-Struktur beruht hingegen auf betriebswirtschaftlich veranlassten funktionalen und organisatorischen Überlegungen, die zu einer mehrdimensionalen Unternehmensorganisation führen, für die gesellschaftsund arbeitsrechtliche Strukturen nicht entscheidend sind2. Es erfolgt eine unternehmensübergreifende Gliederung nach Funktions- und Produktionsbereichen3, die bewirkt, dass zusätzlich zu den für die Einzelunternehmen typischen vertikalen Hierarchien horizontale Verantwortlichkeiten hinzutreten. Konsequenz ist die Entstehung mehrdimensionaler Strukturen4. Für Arbeitnehmer folgt daraus, dass sie mindestens zwei ggf. aber auch mehr Weisungsbeziehungen unterliegen5. In derartigen Strukturen besitzen Arbeitnehmer folgerichtig häufig zwei oder mehr Vorgesetzte, die wiederum häufig in unterschiedlichen konzernangehörigen Unternehmen angestellt sind6.
10.136
2. Dauerhafte „Übertragung“ des fachlichen Weisungsrechts Im „Normalfall“ steht das arbeitsvertragliche Weisungsrecht, das aus dem Arbeitsvertrag folgt7, dem Vertragsarbeitgeber zu. Im Rahmen einer Matrix-Organisation findet aber typischerweise eine (teilweise) Aufspaltung des Direktionsrechts derart statt, dass das fachliche Weisungsrecht durch mindestens eine andere Einheit des Konzerns („steuernde Einheit“)8 ausgeübt wird, die dem Arbeitnehmer fachliche Weisungen erteilt (häufig durch eine als (Matrix-)“Manager“9, z.B. als Produkt-Manager, bezeichnete Person).
10.137
Soweit der Matrix-Manager ebenfalls beim Vertragsarbeitgeber angestellt ist, liegt in der Wahrnehmung des Weisungsrechts durch unterschiedliche Personen lediglich eine vertragsarbeitgeberinterne Delegation der Weisungsbefugnis, die nicht unter § 613 Satz 2 BGB fällt10 und welcher der Arbeitnehmer daher nicht zustimmen muss. Wird das fachliche Weisungsrecht hingegen auf einen externen Dritten übertragen, geschieht dies typischerweise in Form einer Ausübungsermächtigung (§§ 164 ff. BGB)11, die nach der zutreffenden Rechtsprechung des BAG ebenfalls keiner Zustimmung des Arbeitnehmers bedarf12.
10.138
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Kort, NZA 2013, 1318 m.w.N. Vgl. Wisskirchen/Bissels, DB 2007, 340; Neufeld/Michels, KSzW 2012, 49 f.; Kort, NZA 2013, 1318. Bauer/Herzberg, NZA 2011, 713; Kort, NZA 2013, 1318. Neufeld/Michels, KSzW 2012, 49, 50; Kort, NZA 2013, 1318. Kort, NZA 2013, 1318, 1319; Schumacher, NZA 2015, 587. Vgl. Wisskirchen/Bissels, DB 2007, 340; Kort, NZA 2013, 1318, 1319 m.w.N. LAG Baden-Württemberg v. 28.5.2014 – 4 TaBV 7/13, BB 2014, 2298 Rz. 58; Bauer/Herzberg, NZA 2011, 713, 714; Kort, NZA 2013, 1318, 1319. Kort, NZA 2013, 1318, 1319; Meyer, NZA 2013, 1326, 1329. Neufeld/Michels, KSzW 2012, 49, 50. Maywald, Matrix-Strukturen, S.126; Neufeld/Michels, KSzW 2012, 49, 51 f.; Kort, NZA 2013, 1318, 1319. Seibt/Wollenschläger, AG 2013, 229, 235; Kort, NZA 2013, 1318, 1320; Schumacher, NZA 2015, 587. BAG v. 10.3.1998 – 1 AZR 658/97, NZA 1998, 1242 Rz. 29; zustimmend die h.M. vgl. etwa Müller-Bonanni/Mehrens, ZIP 2010, 2228, 2229; Neufeld/Michels, KSzW 2012, 49, 53; Kort, NZA 2013, 1318, 1320.
Mückl | 337
§ 10 Rz. 10.139 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
3. Vergleichbarkeit mit einer dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung – Albron-Test-Teil 1 10.139
Für die Frage, welche Arbeitsverhältnisse von einem Betriebs(teil)übergang erfasst sind, ist ausgehend von den Feststellungen des EuGH in der Rs. Albron Catering daher in derartigen Fallkonstellationen jedenfalls der erste Teil des Eingliederungstests erfüllt. Denn die steuernde Einheit benötigt „nur“ (aber immerhin) dauerhaft das fachliche Weisungsrecht, damit eine rechtsträgerübergreifende fachliche Steuerung langfristig möglich ist. Insoweit ist die Situation mit einer dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung an denselben Entleiher vergleichbar, dem der Verleiher ebenfalls gemäß §§ 164 ff. BGB die Ausübung seines fachlichen Weisungsrechts überträgt1.
4. Grenzen der Vergleichbarkeit mit einer dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung – Albron-Test-Teil 2 a) Nichtvorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung
10.140
Keine Arbeitnehmerüberlassung liegt indes vor, wenn die Arbeitnehmer in einen Gemeinschaftsbetrieb entsandt werden, zu dessen gemeinsamer Führung sich ihr Vertragsarbeitgeber und ein Dritter rechtlich verbunden haben2 bzw. wenn sie für ihren Vertragsarbeitgeber bei der Erfüllung von dessen gesetzlichen Aufgaben tätig werden3 oder wenn die beteiligten Arbeitgeber im Rahmen einer unternehmerischen Zusammenarbeit mit dem Einsatz ihrer Arbeitnehmer jeweils ihre eigenen Betriebszwecke verfolgen4.
10.141
Darin liegt auch bei einer Übertragung des fachlichen Weisungsrechts zur Durchsetzung einer Matrixstruktur ein wesentlicher Unterschied zur Arbeitnehmerüberlassung5. Denn der Vertragsarbeitgeber verfolgt bei der Etablierung von Matrix-Strukturen mit der Übertragung des fachlichen Weisungsrechts gerade (auch) eigene – rechtsträgerübergreifende – gemeinsame Betriebszwecke6. b) Steuernde Einheit als „nichtvertraglicher Arbeitgeber“?
10.142
„Veräußerer“ i.S.d. RL 2001/23 in Form des „nichtvertraglichen Arbeitgebers“ ist nach der Bewertung des EuGH zudem nur derjenige, „der für die wirtschaftliche Tätigkeit der übertragenen Einheit verantwortlich ist und der in dieser Eigenschaft Arbeitsverhältnisse mit den Arbeitnehmern dieser Einheit begründet“7. Für Matrix-Strukturen typisch ist aber, dass beide beteiligten Rechtsträger für die wirtschaftliche Tätigkeit innerhalb der fachlichen Organisationseinheit verantwortlich sind. Hiervon ausgehend spricht gegen die Qualifikation der steuernden Einheit als „nichtvertraglichen Arbeitgeber“ zunächst einmal, dass der Entscheidung eine Leiharbeitskonstellation zugrunde lag und der EuGH in seiner Entscheidung stets betont, 1 Vgl. nur Neufeld/Michels, KSzW 2012, 49, 51 m.w.N. 2 BAG v. 25.10.2000 – 7 AZR 487/99, BAGE 96, 150 Rz. 24; vgl. BAG v. 3.12.1997 – 7 AZR 764/96, AP AÜG § 1 Nr. 24, Rz. 19. 3 BAG v. 25.10.2000 – 7 AZR 487/99, BAGE 96, 150 Rz. 24; vgl. BAG v. 26.4.1995 – 7 AZR 850/94, AP AÜG § 1 Nr. 19, Rz. 18. 4 BAG v. 25.10.2000 – 7 AZR 487/99, BAGE 96, 150 Rz. 24. 5 Henssler, NZA-Beilage 2014, 95, 101. 6 Maywald, Matrix-Strukturen, S. 134; Neufeld/Michels, KSzW 2012, 49, 54; Kort, NZA 2013, 1318, 1320. 7 EuGH v. 21.10.2010 – C-242/09, DB 2011, 303 Rz. 28 – Albron Catering.
338 | Mückl
Besondere Einsatzformen und Betriebsstrukturen | Rz. 10.145 § 10
seine Feststellungen würden für einen „Kontext wie dem des Ausgangsverfahrens“1 gelten, der im Fall einer Matrix-Struktur aufgrund der Verfolgung gemeinsamer Betriebszwecke jedoch gerade nicht vorliegt. c) Bewertung anhand des Schutzwecks der Betriebsübergangsvorschriften Eine homogene Zweckverfolgung von Vertragsarbeitgeber und steuernder Einheit würde allerdings nur dann gegen eine Qualifikation der steuernden Einheit als nichtvertraglicher Arbeitgeber sprechen, wenn man zur Begründung auf Rechtsmissbrauchsüberlegungen abstellte, die letztlich einen Entzug aus der wirtschaftlichen Verantwortung durch Umgehungskonstruktionen verhindern sollen.
10.143
Da es dem EuGH aber wohl nicht um die Vermeidung von Rechtsmissbrauch, sondern um die Schließung von Schutzlücken geht, dürfte die eher die Überlegung weiterführen, dass ein Betriebs(teil)übergang nur vorliegt, wenn der übernehmende Rechtsträger die Organisationseinheit zumindest unter Wahrung des bestehenden Funktionszusammenhangs unter gleicher oder gleichartiger Zwecksetzung fortführt2. Bei einer von mindestens zwei Rechtsträgern fachlich geführten Einheit scheidet diese Fortführung aber aus, wenn – ausgehend von der mit der Einheit verfolgten Zwecksetzung – eine Fortführung bei isolierter Übertragung der lediglich einem der beteiligten Rechtsträgers vertragsrechtlich zuzuordnenden Ressourcen eine Wahrung des Funktionszusammenhangs zur Verfolgung desselben oder eines gleichartigen Zwecks nicht gestattet.
10.144
Da ein isoliert steuernder Rechtsträger als verantwortlicher Betriebs(teil)inhaber – anders als in den „gewöhnlichen“ Fällen eines Zusammenfallens von disziplinarischem und fachlichem Weisungsrecht und anders als in Albron Catering – bei rechtsträgerübergreifender, gemeinschaftlicher fachlicher Steuerung nicht identifizierbar ist, bleibt letztlich allein die vertragsrechtliche Bewertung übrig, um festzustellen, wann einer der beteiligten Rechtsträger die Einheit derart prägt, dass bei seinem Ausscheiden aus der Struktur eine für Arbeitnehmer relevante Schutzlücke entsteht. Daher wird man (1) bei betriebsmittelarmer Tätigkeit auf die zahlenmäßigen Verhältnisse (Welcher Vertragsarbeitgeber prägt?) und (2) bei betriebsmittelintensiver Tätigkeit auf die rechtliche Beschaffung der Produktionsmittel (Welcher Rechtsträger stellt die Produktionsmittel, die rechtsträgerübergreifend genutzt werden, aufgrund Kauf, Pacht, Miete, etc. zur Verfügung?) abstellen müssen3 und insoweit u.a. die zur Eingliederung bzw. Neugründung von Betrieben bzw. Betriebsteilen im Betriebsverfassungsrecht entwickelten Kriterien4 (vgl. Rz. 22.59 ff.) analog heranziehen können. Wenn z.B. eine Führungskraft aus Betrieb 1 des an der Matrix-Struktur beteiligten Unternehmens 1 die unternehmensübergreifende fachliche Organisationseinheit (beispielsweise das Controlling) mit 5 Arbeitnehmern steuert, die in Betrieb 2 des Unternehmens 1 und eines ebenfalls an der Matrixstruktur beteiligten Unternehmens 2 beschäftigt sind, ist für die Zuordnung der fachlichen Organisationseinheit maßgeblich, ob Unternehmen 1 oder Unternehmen 2 sie als Vertragsarbeitgeber (nach Zahl und Sachkunde des eingesetzten Personals etc.) prägt.
10.145
1 EuGH v. 21.10.2010 – C-242/09, DB 2011, 303 Rz. 26, 30 – Albron Catering. 2 BAG v. 19.3.2015 – 8 AZR 119/14, Rz. 20. 3 Vgl. ähnlich wohl BAG v. 26.8.1999 – 8 AZR 588/98, Rz. 17 ff.; BAG v. 17.1.2002 – 2 AZR 57/01, ZIP 2002, 1412 Rz. 28 ff.; in diese Richtung dürften die Überlegungen von Willemsen, NJW 2011, 1546, 1550 gehen. 4 Vgl. Niklas/Mückl, DB 2008, 2250, 2251 m.w.N.
Mückl | 339
§ 10 Rz. 10.146 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
10.146
Vergleichbare Schutzlücken, wie sie der EuGH erkennbar vermeiden will, werden bei dauerhafter Beendigung der in Rede stehenden rechtsträgerübergreifenden fachlichen Organisationseinheit innerhalb eines Konzerns unter Übertragung der wesentlichen Ressourcen der betreffenden Einheit auf einen (konzernfremden) Dritten, der sie unter Fortsetzung des innerhalb der Einheit vorhandenen Funktionszusammenhangs ohne wesentliche Unterbrechung zu demselben oder einem gleichartigen Zweck weiternutzt, nur selten in Betracht kommen.
10.147
Gerade weil die Einheit im Rahmen der Matrix-Struktur durch übergreifende Wahrnehmung des fachlichen Weisungsrechts rechtsträgerübergreifend organisiert ist und Funktionszusammenhänge ebenfalls rechtsträgerübergreifend bestehen, wird eine Fortsetzung unter Wahrung des Funktionszusammenhangs durch einen Dritten häufig nur möglich sein, wenn alle an der unternehmensübergreifenden fachlichen Organisationseinheit beteiligten Rechtsträger ihre in der Einheit gebündelten wesentlichen Ressourcen auf ihn übertragen. Bei Erfüllung der übrigen Kriterien läge dann unproblematisch ein Betriebs(teil)übergang auf den Dritten vor, ohne dass Schutzlücken erkennbar wären.
10.148
Umgekehrt läge, wenn ein auf nur einen der beteiligten Rechtsträger bezogener Übertragungsvorgang mangels vertragsrechtlich bewerteter Prägung der fachlichen Organisationseinheit durch diesen Rechtsträger bewirkt, dass weder die fachlich einheitlich gesteuerte Organisation noch der bestehende Funktionszusammenhang bei dem übernehmenden Rechtsträger zur Verfolgung des gleichen oder eines gleichartigen Zwecks fortgeführt werden kann, notwendig kein Betriebs(teil)übergang vor. Eine (ungewollte) Schutzlücke scheidet mangels Betriebs(teil) übergangs ebenfalls aus.
10.149
Damit dürfte trotz Gleichlaufs von fachlicher Steuerung und wirtschaftlicher Zwecksetzung auf Seiten der steuernden Einheit mit der wirtschaftlichen Zwecksetzung des Vertragsarbeitgebers in der Regel ein Betriebs(teil)übergang ausscheiden, wenn die Einheit nicht durch die Ressourcen eines Vertragsarbeitgebers geprägt wird.
10.150
Eine mit den in der Sache Albron Catering aufgestellten Grundsätzen vergleichbare Gestaltung wäre bei dem Bestehen von Matrix-Strukturen wohl nur denkbar, wenn (1) die fachliche Organisationseinheit durch einen der beteiligten Rechtsträger im vorgenannten Sinne geprägt wird oder (2) sich innerhalb der rechtsträgerübergreifenden Einheit übergangsfähige Unterorganisationseinheiten (Teileinheiten i.S.v. Betriebsteilen) befänden, die ihrerseits zwar mit Arbeitnehmern der an der übergeordneten Einheit beteiligten Rechtsträger besetzt, aber dennoch im vorgenannten Sinn durch einen der Rechtsträger geprägt sind (siehe Rz. 10.161).
10.151
Auch in den letztgenannten Fallkonstellation wäre ein Betriebsteilübergang eine Weiterentwicklung der in der Rs. Albron Catering entwickelten Grundsätze. Angesichts des diffusen Schutzzweckarguments1, das der EuGH ergänzend zur Entscheidungsbegründung bemüht, wird man allerdings nicht völlig ausschließen können, dass alle in der jeweiligen, durch einen Rechtsträger im vorgenannten Sinne „geprägten“ fachlichen Organisationseinheit dauerhaft zusammengefassten Arbeitsverhältnisse von einem entsprechenden Betriebsteilübergang erfasst sind2. Durch diese Rechtsfortbildung würden die Tatbestandsvoraussetzungen des § 613a
1 Willemsen, NJW 2011, 1546, 1548; Greiner, NZA 2014, 284, 289. 2 Tendenziell wohl auch Henssler, NZA-Beilage 2014, 95, 102; Willemsen, NJW 2011, 1546, 1550.
340 | Mückl
Besondere Einsatzformen und Betriebsstrukturen | Rz. 10.154 § 10
BGB indes weiter aufgeweicht und die Diskussion um die Rechtsfolgen wäre auch hier eröffnet1. Zu ihnen hat der EuGH nämlich noch nicht Stellung genommen2.
III. Gemeinschaftsbetrieb Vergleichbare Überlegungen sind insbesondere in speziellen Fällen eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, § 322 UmwG) denkbar3. Denn auch im Rahmen eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen, der durch eine institutionalisiert einheitliche Leitung in den wesentlichen personellen und sozialen Fragen, d.h. – im Gegensatz zur Arbeitnehmerüberlassung und zu Matrix-Strukturen – durch eine (z.B. aufgrund einer Innen-GbR i.S.d. § 705 BGB) einheitlich koordinierte Ausübung auch des disziplinarischen Weisungsrechts, gekennzeichnet ist4, können die Stellung als Vertragsarbeitgeber und die Inhaberschaft bezüglich des zu übertragenden Betriebs(teils) dauerhaft auseinanderfallen (müssen dies aber natürlich nicht). Bilden beteiligte Unternehmen zur einheitlichen Leitung eines gemeinsamen Betriebs eine BGB-Gesellschaft, werden allein dadurch die Unternehmen nämlich nicht Arbeitgeber aller in diesem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer5.
10.152
So könnten im Fall eines Gemeinschaftsbetriebs der Rechtsträger A und B z.B. 30 Arbeitnehmer in einer arbeitsvertraglichen Beziehung zum B stehen, obwohl sie – z.B. infolge einer früheren Versetzung nach innerbetrieblicher Umstrukturierung – dauerhaft in dem von Trägerunternehmen A geprägten Betriebsteil eingesetzt sind6. Betriebsinhaber i. S.d. § 613a BGB ist in einem derartigen Fall nicht die von den beiden Trägergesellschaften A und B für die gemeinsame Führung des Betriebs gebildete Innen-GbR, sondern jeder Rechtsträger für den ihm (vertrags-)rechtlich zugeordneten Betriebsteil7. Wird nun der A zugeordnete Betriebsteil unter gleichzeitiger Auflösung des Gemeinschaftsbetriebs auf einen Dritten übertragen, ergäbe sich für die Arbeitnehmer, deren Vertragsarbeitgeber B ist, die aber dauerhaft (nur) im A zugeordneten Betriebsteil beschäftigt sind, eine ähnliche Schutzlücke, wie der EuGH sie in Albron Catering angenommen hat.
10.153
Dies spricht dafür, auch in einer solchen Konstellation betriebsübergangsrechtlich eine Zuordnung der 30 Arbeitnehmer, die B als Vertragsarbeitgeber besitzen, aber dauerhaft dem koordinierten fachlichen und disziplinarischen Weisungsrecht von A und B unterlagen und auf dieser Grundlage in den von A geprägten Betriebsteil eingegliedert waren, zu dem von A geprägten Betriebsteil anzunehmen8. Mit Blick auf die Rechtsfolgen eines Betriebs(teil)übergangs stellen sich insoweit dieselben Fragen wie bei Leiharbeit und Matrixstrukturen9.
10.154
1 Vgl. – bei dauerhafter Arbeitnehmerüberlassung – für einen Übergang des Arbeitsverhältnisses zum Vertragsarbeitgeber Willemsen, NJW 2011, 1546, 1548 f.; für einen Übergang des – inhaltlich begrenzten – Arbeitsverhältnisses zum Entleiher (d.h. im vorliegenden Kontext zur steuernden Einheit) Forst, RdA 2011, 228, 232 ff.; MünchKomm/Müller-Glöge, 8. Aufl. 2020, BGB § 613a Rz. 80; Fiebing u.a./Mestwerdt, KSchR, 5. Aufl. 2015, § 613a BGB Rz. 57; Greiner, NZA 2014, 284, 289. 2 So die zutreffende Feststellung von Greiner, NZA 2014, 284, 289. 3 Zutreffend Willemsen, NJW 2011, 1546, 1550. 4 Vgl. nur BAG v. 16.2.2006 – 8 AZR 211/05, NZA 2006, 592 Rz. 18. 5 BAG v. 16.2.2006 – 8 AZR 211/05, NZA 2006, 592 Rz. 18 m.w.N. 6 Beispiel nach Willemsen, NJW 2011, 1546, 1550. 7 Vgl. BAG v. 26.8.1999 – 8 AZR 588/98, Rz. 16, 18, n.v.; BAG v. 17.1.2002 – 2 AZR 57/01, ZIP 2002, 1412 Rz. 31, 35 ff.; WHSS/Willemsen, G Rz. 82; Willemsen, NJW 2011, 1546, 1550. 8 Vgl. Willemsen, NJW 2011, 1546, 1550. 9 Für eine Übertragung des Arbeitsverhältnisses mit dem Vertragsarbeitgeber B in dieser Fallkonstellation konsequent Willemsen, NJW 2011, 1546, 1550.
Mückl | 341
§ 10 Rz. 10.155 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
10.155
Sind hingegen die 30 arbeitsvertraglich bei B angestellten Arbeitnehmer nur vorübergehend (z.B. wegen saisonalen Auftragsmangels in dem Betriebsteil B) in dem durch A geprägten Betriebsteil eingesetzt, verfügen aber über „Stammarbeitsplätze“ in dem von B geprägten Betriebsteil, sind sie dem Betriebsteil, der von A geprägt wird, betriebsübergangsrechtlich nicht zuzuordnen1. In diesem Fall bleibt die durch das disziplinarische Direktionsrecht geprägte Einheit maßgeblich.
IV. Fiktive Betriebsstrukturen nach § 3 BetrVG 10.156
Fiktive betriebsverfassungsrechtliche Betriebsstrukturen nach § 3 BetrVG2 spielen für die Frage der Zuordnung grundsätzlich keine Rolle, weil sie nicht geeignet sind, die im Rahmen des § 613a BGB maßgebliche Organisationseinheit abweichend von realen Gegebenheiten durch Vereinbarung zu strukturieren3. Sie müssen sich zwar nach der Rechtsprechung des BAG, um wirksam zu sein4, an den realen Entscheidungsstrukturen orientieren5. Erforderlich ist für § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG z.B. ein Zusammenhang zwischen vornehmlich organisatorischen oder kooperativen Spezifika auf Arbeitgeberseite und wirksamer sowie zweckmäßiger Interessenvertretung der Arbeitnehmer6. Da dies aber für sich genommen nach der Bewertung des BAG nicht in allen Fällen ausreichend ist7, um eine wirksame fiktive Struktur zu etablieren, sind Vereinbarungen nach § 3 BetrVG selbst dann, wenn sie wirksam sind, nicht einmal in allen Fällen geeignet, als Indiz (neben anderen) für die Zuordnung von Arbeitnehmern zu einer übertragungsfähigen Einheit zu sprechen.
V. Berechtigtes Fehlen einer Arbeitsleistung 1. Arbeitnehmer mit ruhendem Arbeitsvertrag 10.157
Auch solche Mitarbeiter, bei denen die wechselseitigen Hauptleistungspflichten ruhen (z.B. wegen Elternzeit, Wehrdienst, Ersatzdienst, Auslandsentsendung, Arbeitskampf), werden von § 613a BGB erfasst. Sie sind dem Betrieb oder Betriebsteil zuzuordnen, dem sie ohne das Ruhen des Arbeitsvertrags aufgrund ihrer Tätigkeit und Funktion zuzuordnen gewesen wären8. Die Zuordnung von Arbeitsverhältnissen, bei denen keine Beschäftigungspflicht (mehr) besteht, hat folgerichtig nach dem zuletzt innegehabten Arbeitsplatz zu erfolgen9. Dies gilt mit der zutreffenden h.M. bereits nach dem klaren Wortlaut des § 613a BGB auch für Arbeitsverhältnisse in der Freistellungsphase einer verblockten Altersteilzeit10. In Zweifelsfällen, insbe1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Vgl. Willemsen, NJW 2011, 1546, 1550. Zu Gestaltungsmöglichkeiten vgl. Gaul/Mückl, NZA 2011, 657 ff. Vgl. nur Mückl, DB 2010, 2615, 2619. Zu Rechtsfolgen unwirksamer Vereinbarungen vgl. Mückl/Koehler, NZA-RR 2009, 513 ff. Vgl. BAG v. 21.9.2011 – 7 ABR 54/10, BAGE 139, 197 Rz. 43 für Zusammenfassung mehrerer Betriebe nach § 3 Abs.1 Nr. 1 Buchst. b BetrVG durch Tarifvertrag; vgl. allgemein BAG v. 24.4.2013 – 7 ABR 71/11, BAGE 145, 60 Rz. 27. BAG v. 13.3.2013 – 7 ABR 70/11, BAGE 144, 290 Rz. 38. BAG v. 24.4.2013 – 7 ABR 71/11, BAGE 145, 60 Rz. 28. Vgl. LAG Hamm v. 28.8.1997 – 4 Sa 2245/96, LAGE § 613a Nr. 64 (LS), Rz. 77; B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 159; Wang, Betriebs(teil)übergang, S. 134 f. m.w.N. BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 27/07, NZA 2008, 705 Rz. 50; BAG v. 30.10.2008 – 8 AZR 54/07, NZA 2009, 432 Rz. 18, dazu Mückl, EWiR 2009, 403 f. BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 27/07, NZA 2008, 705 Rz. 50; LAG Düsseldorf v. 22.10.2003 – 12 Sa1202/03, NZA-RR 2004, 288 Rz. 21; Hessisches LAG v. 23.8.2006 – 8 Sa 1744/05, ZIP 2007, 391 Rz. 30; APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 81a; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 67; vgl. Staudinger/Annuß
342 | Mückl
Besondere Einsatzformen und Betriebsstrukturen | Rz. 10.160 § 10
sondere also bei übergreifenden Tätigkeiten, kann durch den übertragenden Rechtsträger wiederum eine Zuordnung nach § 315 BGB erfolgen. Insoweit sind also die allgemeinen Grundsätze maßgeblich1.
2. Freigestellte Betriebsratsmitglieder Da es ein „freischwebendes Betriebsratsmitglied“ nicht gibt2, gelten die vorstehenden Grundsätze auch für die Zuordnung von freigestellten Betriebsratsmitgliedern3. Dabei besteht kein Näheverhältnis zu dem beim übertragenden Rechtsträger verbleibenden Restbetrieb, das dazu führt, das Arbeitsverhältnis dort zu belassen4. Entsprechend der Handhabe bei „normalen“ Betriebsratsmitgliedern muss deshalb auch bei den freigestellten Betriebsratsmitgliedern unter Berücksichtigung der arbeitsvertraglich bestimmten Arbeitsleistung unter Einbeziehung einer betriebsüblichen beruflichen Entwicklung (§ 37 Abs. 4 BetrVG) der individuelle Arbeitsplatz festgelegt werden5. Schließlich kann individuell von Seiten des Betriebsratsmitglieds sogar ein Interesse daran bestehen, dass das Arbeitsverhältnis gemäß § 613a BGB auf einen anderen Rechtsträger übergeht. Falls dies nicht der Fall ist, bietet das Widerspruchsrecht die Möglichkeit, beim bisherigen Arbeitgeber zu verbleiben. Ein Wahlrecht für freigestellte Betriebsratsmitglieder6 ist wegen Verstoßes gegen das Begünstigungsverbot aus § 78 Satz 2 BetrVG abzulehnen7.
10.158
Eine Verpflichtung des übertragenden Rechtsträgers zur Zuordnung von Betriebsratsmitgliedern zu dem von einem Übergang betroffenen Betriebsteil kann sich gemäß § 15 Abs. 5, 4 KSchG nur für den Fall ergeben, dass der Betrieb mit Ausnahme des für eine spätere Übertragung vorgesehenen Betriebsteils, in dem eine Weiterbeschäftigung des Betriebsratsmitglieds möglich ist, in einem ersten Schritt stillgelegt wird. Wenn die Stilllegung indes gleichzeitig mit der Übertragung erfolgt, kann über § 15 Abs. 5, 4 KSchG kein Anspruch auf Zuordnung zu dem von der Übertragung betroffenen Betriebsteil begründet werden, um die betriebsbedingte Kündigung zu vermeiden8. Darin läge eine unzulässige Begünstigung der Betriebsratsmitglieder, die auch § 613a BGB nicht rechtfertigt.
10.159
Dass auf diese Weise unter Umständen zwei Arbeitsverhältnisse für einen Arbeitsplatz übergehen9, muss hingenommen werden10. Solche Problemlagen bestehen auch in anderen Fällen, wo wegen der Fehlzeit eines Mitarbeiters Vertretungskräfte eingestellt werden (z.B. Mutterschutz, Elternzeit, langandauernde Erkrankung). Die zusätzliche Belastung ist bereits in der Grundentscheidung des Gesetzgebers zur Freistellung bzw. Arbeitsbefreiung mit oder ohne Entgeltfortzahlung begründet. Denn die hierfür geschaffenen Regelungen machen die Einstel-
10.160
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
(2019), § 613a BGB Rz. 144, 148; B. Gaul, Vorauflage, § 10 Rz. 5; a.A. z.B. Hanau, RdA 2003, 230, 231. B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 159. So BAG v. 18.9.1997 – 2 ABR 15/97, DB 1998, 210 Rz. 39. BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 27/07, NZA 2008, 705 Rz. 50. Näher mit ausführlicher Begründung B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 160; a.A. Henssler, NZA 1994, 913, 921; Henssler, Festschrift Kraft, S. 219, 234; Natzel, NZA 2000, 77, 80 f. B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 161; von Steinau-Steinrück/Thees in Hölters, Unternehmenskauf, Rz. 6.104. So Bachner, AiB 1996, 291, 300. B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 161. Vgl. BAG v. 14.2.2002 – 8 AZR 175/01, Rz. 29, n.v. So die Kritik von Henssler, Festschrift Kraft, S. 219, 234. B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 163.
Mückl | 343
§ 10 Rz. 10.160 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
lung weiterer Arbeitnehmer erforderlich, wenn die Arbeit erledigt werden soll, ohne dass die Arbeitsverhältnisse der fehlenden Arbeitnehmer beendet werden.
VI. Arbeit außerhalb des Betriebs 1. Außendienstmitarbeiter 10.161
Arbeitnehmer können auch dann noch dem übertragenen Betrieb zuzuordnen sein, wenn sie räumlich außerhalb des Betriebs tätig sind1. Erforderlich ist allerdings, dass die personelle und soziale Leitungsmacht aus dem in Rede stehenden Betrieb heraus ausgeübt wird2. Außendienstmitarbeiter gehören damit im Regelfall dem übertragenen Betrieb an3. Eine Ausnahme wird man indes dann machen müssen, wenn die im Außendienst tätigen Mitarbeiter einen gegenüber dem Hauptbetrieb abgrenzbaren Betriebsteil bilden4. Eine solche Organisationsform kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Außendienst in sog. „Vertriebszentren“ organisiert ist, die ihrerseits die Qualität eines selbstständigen Betriebs oder Betriebsteils i.S.d. § 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erfüllen5.
2. Vorübergehend entsandte Arbeitnehmer 10.162
Zu den außerhalb des Betriebs tätigen Arbeitnehmern können auch solche Mitarbeiter gehören, die vorübergehend entsandt wurden6. Denn eine solche Entsendung eines Mitarbeiters lässt, losgelöst von ihrer Bezeichnung (z.B. Abordnung, Dienstreise, Versetzung), die Betriebszugehörigkeit unberührt, wenn die allgemeinen Voraussetzungen der Betriebszugehörigkeit – also eine tatsächliche und rechtliche Bindung an den Herkunftsbetrieb – fortbestehen7. Betriebsübergangsrechtlich sind insoweit die zur Arbeitnehmerüberlassung entwickelten Kriterien maßgeblich (vgl. Rz. 10.129 ff.).
3. Mitarbeiter in externen Zentralabteilungen 10.163
Mitarbeitern, die in einer außerhalb des Betriebs gelegenen Zentralabteilung, insbesondere in einer Hauptverwaltung, (Service-)Aufgaben für den von einer Übertragung betroffenen Betrieb wahrnehmen, ohne dass aus der Zentralabteilung heraus auch die Leitungsmacht in den wesentlichen personellen und sozialen Fragen für die verwalteten Betriebe oder Betriebsteile ausgeübt wird, fehlt die Zugehörigkeit zu diesen Betrieben oder Betriebsteilen8. Denn solche Abteilungen stellen ihrerseits einen Betrieb oder selbständigen Betriebsteil i.S.d. § 613a BGB dar. Diesem Betrieb, nicht aber dem übertragenen Betrieb, sind solche Mitarbeiter zuzuordnen9. 1 LAG Nürnberg 9.8.2011 – 6 Sa 230/10, BB 2011, 2612 (LS) Rz. 58; vgl. betriebsverfassungsrechtlich auch BAG v. 19.6.2001 – 1 ABR 43/00, NZA 2001, 1263 Rz. 23. 2 LAG Nürnberg 9.8.2011 – 6 Sa 230/10, BB 2011, 2612 (LS) Rz. 58. 3 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 66. 4 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 66. 5 Christiansen, Betriebszugehörigkeit, S. 148 ff. 6 Zu den mitbestimmungsrechtlichen Aspekten einer Entsendung vgl. Mückl/Kaueroff, ArbRAktuell 2013, 567 ff. 7 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 68. Zu den maßgeblichen Kriterien einer derart fortbestehenden Verbindung vgl. nur Mückl/Kaueroff, ArbRAktuell 2013, 567 ff. 8 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 71. 9 Vgl. EuGH v. 7.2.1985 – C 186/1983, ZIP 1985, 828 Rz. 16. – Botzen; BAG v. 23.9.1982 – 6 ABR 42/81, AP Nr.3 zu § 4 BetrVG 1972, Rz. 21.
344 | Mückl
Besondere Einsatzformen und Betriebsstrukturen | Rz. 10.166 § 10
VII. Mehrfache Betriebszugehörigkeit Betriebsverfassungsrechtlich ist es zwar ohne weiteres möglich, dass Arbeitnehmer mehreren Betrieben zugehörig sind. Ein Beispiel hierfür sind Teilzeitbeschäftigte1. Wenngleich für den Regelfall davon auszugehen ist, dass eine mehrfache Betriebsangehörigkeit jeweils Betriebe betrifft, die zu unterschiedlichen (Konzern-) Unternehmen gehören2, sind allerdings auch solche Fallgestaltungen denkbar, in denen Mitarbeiter – z.B. halbtags oder wochenweise – ihre Arbeit in verschiedenen Standorten/Betrieben eines Unternehmens verrichten und dort jeweils in die betriebliche Organisation eingegliedert sind3. Wenn das BAG im Urteil vom 20.7.19824 davon ausgeht, dass ein Arbeitsverhältnis im Zusammenhang mit dem etwaigen Übergang eines Arbeitsverhältnisses nach § 613a BGB nur einem Betrieb oder Betriebsteil zugeordnet werden könne, ist das nur richtig, wenn zunächst einmal eine solche Zuordnung vorgenommen wird. Ohne eine solche Zuordnung, die letztlich mit der Zuweisung einer geänderten (auf einen einzigen Betrieb bezogenen) Tätigkeit verbunden wäre, bliebe die Zuordnung zu beiden (oder mehr) Betrieben bestehen. Betriebsübergangsrechtlich erfolgt eine Zuordnung nach dem Schwerpunkt und wenn ein solcher nicht besteht, eine Zuordnung durch den Arbeitgeber (vgl. Rz. 10.101 ff.).
10.164
Wichtig ist allerdings, diese Fälle der Zugehörigkeit eines Arbeitnehmers zu mehreren Betrieben von dem Fall zu unterscheiden, bei dem innerhalb eines Betriebs Aufgaben verrichtet werden, die bei der Erfüllung des arbeitstechnischen Betriebszwecks eines anderen Betriebs zugutekommen. Da die Zugehörigkeit zum Betrieb insoweit nicht an die Verwertung des Arbeitsergebnisses, sondern an der organisatorischen Einbindung eines Arbeitnehmers anknüpft, ist hier im Ergebnis nur eine Zuordnung zu einem einzigen Betrieb, dem Betrieb, von dem aus die Arbeit gesteuert wird, möglich5. Nur wenn dieser Betrieb Gegenstand einer Übertragung wird, kommt § 613a BGB in Bezug auf die dort beschäftigten Arbeitnehmer zur Anwendung.
10.165
Komplexe Herausforderungen stellen sich allerdings gerade dann, wenn Arbeitsverhältnisse auf „Doppelpositionen“ in Rede stehen6, das Arbeitsverhältnis also gleichzeitig in zwei wirtschaftliche Einheiten integriert ist. Der EuGH hat insoweit in seinem Urteil vom 26.3.20207 für den Fall der Übertragung dieser Einheiten auf unterschiedliche Erwerber angenommen, wenn ein Arbeitsverhältnis in mehrere wirtschaftliche Einheiten integriert sei, sei Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23/EG im Fall eines Unternehmensübergangs, an dem mehrere Erwerber beteiligt sind, dahin auszulegen, dass die Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsvertrag auf jeden der Erwerber anteilig entsprechend der vom betreffenden Arbeitnehmer wahrgenommenen Aufgaben übergehen, sofern (i) die daraus folgende Aufspaltung des Arbeitsvertrags möglich ist und (ii) weder eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen nach sich zieht (iii) noch die Wahrung der durch die RL 2001/23/EG gewährleisteten Ansprüche berührt. Sollte sich eine solche Aufspaltung als unmöglich herausstellen oder die Ansprüche dieses Arbeitnehmers beeinträchtigen, wäre – so der EuGH weiter – bei der etwaigen nachfolgenden Beendigung des
10.166
1 GK-BetrVG/Raab, § 7 BetrVG Rz. 40. 2 Vgl. GK-BetrVG/Raab, § 7 BetrVG Rz. 40 m.w.N. 3 Vgl. LAG Köln v. 3.9.2007 – 14 TaBV 20/07, Rz. 28; Thüringer LAG v. 20.10.2011 – 6 TaBV 8/10, Rz. 36; Gentges, RdA 1996, 265, 267; B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 72. 4 BAG v. 20.7.1982 – 3 AZR 261/80, EzA § 613a Nr. 33, 204, Rz. 22. 5 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 73; Christiansen, Betriebszugehörigkeit, 105 ff. 6 Vgl. bereits Annuß, NZA 1998, 70, 76 zu „Schnittstellenpositionen“. 7 EuGH v. 26.3.2020 – C-344/18, NZA 2020, 503.
Mückl | 345
§ 10 Rz. 10.166 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
Arbeitsverhältnisses nach Art. 4 RL 2001/23/EG davon auszugehen, dass sie durch den oder die Erwerber erfolgt ist, auch wenn sie vom Arbeitnehmer ausgegangen sein sollte.
10.167
Diese Entscheidung wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Unklar bleibt zunächst einmal, unter welchen Bedingungen eine Aufspaltung des Arbeitsvertrags „möglich“ ist. Sie dürfte z.B. regelmäßig nicht in Betracht kommen, wenn der betroffene Arbeitnehmer für den zu übertragenen Betriebsteil zwar teilweise tätig ist (z.B. in einem Umfang von lediglich 10%), er aber ganz überwiegend für die beim übertragenden Rechtsträger verbleibenden Betriebsteile weiterarbeiten soll (z.B. in einem zeitlichen Umfang von 90%). Dann wird man – unter Anwendung der vom BAG zur Feststellung des objektiven Schwerpunkts entwickelten Grundsätze (Rz. 10.101 ff.) – annehmen müssen, dass eine Aufspaltung nicht möglich ist, sondern das Arbeitsverhältnis dem übertragenden Rechtsträger zuzuordnen ist. Angeknüpft werden kann also im ersten Schritt an die Schwerpunktbestimmung durch das BAG, die allerdings in erster Linie in Evidenzfällen klare Ergebnisse bewirken wird. Denn selbst dann, wenn es einen klaren Schwerpunkt gibt (z.B. 60% der Arbeitszeit einer bestimmten Aufgabe in einem bestimmten Betriebsteil zuzuordnen sind), wird man die Entscheidung des EuGH aber nicht so verstehen können, dass die nicht dem Schwerpunkt zuzuordnenden Tätigkeiten irrelevant sind. Machen sie z.B. 40% der durchschnittlichen Arbeitszeit für Tätigkeiten aus, die zukünftig einem anderen Rechtsträger zugeordnet sind, wird man sie berücksichtigen müssen. „Möglich“ wird die Spaltung des Arbeitsverhältnisses in diesen Fallkonstellationen – anders als in Fällen eines klaren Missverhältnisses zwischen den jeweils übertragenen Aufgabenumfängen – sein. Denkbar ist, dass der EuGH diese Abgrenzungsschwierigkeiten mit dem weiteren Prüfungsmerkmal der „Nicht-Nachteiligkeit“ begegnen wollte. Es ist aber unklar, wann die Aufteilung eines Arbeitsverhältnisses eigentlich nicht mit Nachteilen für den Arbeitnehmer verbunden ist (vgl. bereits oben unter Rz. 10.107 ff.): Denn die Komplexität wird sich stets erhöhen1. Z.B. müssen Arbeits- und Urlaubszeiten mit zwei (oder mehr) Arbeitgebern abgestimmt werden, die häufig gegenläufige Interessen haben dürften2. Die bei Aufspaltung des Arbeitsverhältnisses in Teilzeitarbeitsverhältnisse eintretenden Folgen lassen sich nur bedingt mit „allgemeinem“ Teilzeitrecht lösen3. Steuerlich werden mehrere Arbeitsverhältnisse in der Regel auch wegen der anwendbaren Steuerklassen4 „nachteilig“ sein. Wäre eine Spaltung des Arbeitsverhältnisses in diesem Sinne stets „nachteilig“, bliebe für die Rechtsprechung des EuGH allerdings – außerhalb der oben geschilderten Evidenzfälle5 – insoweit kein Anwendungsbereich, als die Folge stets eine Verweisung auf das Recht des Arbeitnehmers wäre, das Arbeitsverhältnis bzw. die Arbeitsverhältnisse zu kündigen. Für die betroffenen Unternehmen ist die Rechtsprechung – auch wenn es nach dem EuGH darauf nicht ankommt – ebenfalls „nachteilig“. Denn durch sie wird der Kreis der von einem Betriebsteilübergang erfassten – und dementsprechend nach § 613a Abs. 5 BGB auch von den Erwerbern zu unterrichtenden – Arbeitnehmer nicht nur erweitert, sondern auch der Kreis der Haftungsschuldner des Arbeitnehmers und es ergeben sich praktische Schwierigkeiten wie z.B. die Frage, welcher Erwerber welche Personalakten erhält. Die Praxis wird daher vermehrt über vorbereitende Umstrukturierungen nachdenken müssen, die mit Doppelpositionen verbundene Schwierigkeiten vermeiden.
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Benkert, NJW-Spezial 2020, 274 Benkert, NJW-Spezial 2020, 274 Optimistisch Löw/Stolzenberg, NZA 2020, 1279, 1284. Küttner/Seidel, Personalbuch 2020, Mehrfachbeschäftigung Rz. 8. In diesem Sinne wohl auch Arnold, FD-ArbR 2020, 429300: „für den Regelfall abzulehnen“.
346 | Mückl
Besonderheiten bei einer Umwandlung | Rz. 10.170 § 10
VIII. Eintritt des Erwerbs in ein Arbeitsverhältnis trotz Unterbrechung Die Übertragung eines gespaltenen Arbeitsverhältnisses ist nicht die einzige „Überraschung“ die bei Unternehmens(ver)käufen berücksichtig werden muss. So hat das LAG Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 5.3.20201 angenommen, im Rahmen eines Betriebs(teil)übergangs trete der Erwerber kraft Gesetzes in Arbeitsverhältnisse selbst dann ein, wenn das Arbeitsverhältnis mit dem Veräußerer im Zuge des Betriebs(teil)übergangs durch Kündigung oder Aufhebungsvertrag aufgelöst worden sei und anschließend ein neues Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber begründet werde. Der Erwerber müsse sich aufgrund des Betrieb(teil)übergangs so behandeln lassen, als bestünden die arbeitsrechtlichen Beziehungen zum Veräußerer weiter. Wäre die rechtliche Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses im Verhältnis zu diesem aufgrund eines hinreichend engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs des früheren mit dem neubegründeten Arbeitsverhältnis unschädlich, gilt dies – so das LAG Berlin-Brandenburg – nach dem Schutzzweck von § 613a BGB und Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23/EG auch gegenüber dem Erwerber. Das LAG Berlin-Brandenburg beruft sich dazu auf Rechtsprechung des BAG zum KSchG2 sowie zu § 622 BGB3 und überträgt diese Rechtsprechung – soweit ersichtlich – erstmals auf § 613a BGB. Ziel dürfte eine Vermeidung von Umgehungsversuchen sein, wie sie – insbesondere im Kontext insolvenzbedingter Sanierungen – in der Vergangenheit unter Verwendung von Transfergesellschaften unternommen worden sind. Die Praxis wird sich daher noch stärker vom Modell „Trennung vor und anschließende Einstellung nach Betriebs(teil)übergang“ verabschieden müssen.
10.168
E. Besonderheiten bei einer Umwandlung Die zur Einzelrechtsnachfolge entwickelten Grundsätze zur betriebsübergangsrechtlichen Zuordnung von Arbeitnehmern gelten als Ausgangspunkt auch für Zuordnungen im Zusammenhang mit einer Umwandlung von Unternehmen i.S.d. UmwG4. Inwieweit sie aufgrund umwandlungsrechtlicher Vorgaben zu modifizieren sind, hat die Rechtsprechung – soweit ersichtlich – noch nicht abschließend geklärt.
10.169
I. Gesetzliche Vorgaben Seinem ausdrücklichen Wortlaut nach trifft lediglich § 323 Abs. 2 UmwG gesetzliche Vorgaben zur Zuordnung von Arbeitnehmern anlässlich einer Umwandlung5. Danach kann die Zuordnung der Arbeitnehmer durch das Arbeitsgericht nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden, wenn bei einer Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung ein Interessenausgleich zustande kommt, in dem diejenigen Arbeitnehmer namentlich bezeichnet werden, die nach der Umwandlung einem bestimmten Betrieb oder Betriebsteil zugeordnet werden. Der Anwendungsbereich des § 323 Abs. 2 UmwG ist damit nicht auf Spaltungen beschränkt, sondern erfasst zusätzlich Verschmelzung und Vermögensübertragung, da es auch im Zusammenhang mit derartigen Maßnahmen zu einer Veränderung der Betriebsstruktur kommen kann, die Zuordnungsfragen aufwirft, wenngleich der Schwerpunkt der Anwendungs-
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LAG Berlin-Brandenburg v. 5.3.2020 – 21 Sa 1684/19, BeckRS 2020, 11255. BAG v. 20.2.2014 – 2 AZR 859/11, NZA 2014, 10. BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 131/07, AP Nr.43 zu § 23 KSchG 1969. Vgl. zum insoweit bestehenden Gestaltungsspielraum auch Mückl/Götte, DB 2017, 966 ff. Zuletzt ausführlich Roloff/Plum, ZIP 2019, 2288 ff.
Mückl | 347
10.170
§ 10 Rz. 10.170 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
fälle bei Spaltungen liegen wird1. Nicht erfasst ist demgegenüber der Formwechsel, weil die Änderung der Rechtsform des Rechtsträgers des Betriebs für die betriebliche Struktur irrelevant ist2.
10.171
§ 5 Abs. 1 Nr. 9, § 126 Abs. 1 Nr. 9 und 11 und § 324 UmwG treffen demgegenüber keine ausdrücklichen Feststellungen zur Zuordnung von Arbeitnehmern. § 126 Abs. 1 Nr. 9 UmwG sieht nur (aber immerhin) eine Zuordnung von Betrieben und Betriebsteilen zu den beteiligten Rechtsträgern im Spaltungsvertrag vor und § 324 UmwG bestimmt, dass § 613a Abs. 1, 4 bis 6 BGB durch die Wirkungen der Eintragung einer Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung unberührt bleibt, während § 613a Abs. 3 BGB klarstellt, dass § 613a Abs. 2 BGB bei umwandlungsbedingtem Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers keine Anwendung findet (vgl. Rz. 13.149 ff.). Konsequenz daraus ist, dass § 324 UmwG, § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB in Bezug auf die Zugehörigkeit von Arbeitsverhältnissen zum übertragenen Betriebs(teil) als Teil des Tatbestands des § 613a Abs. 1 BGB dieselben Vorgaben treffen wie § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB für sich genommen.
1. Verhältnis von § 324 UmwG zu § 613a Abs. 1 BGB 10.172
Denn nach der ständigen Rechtsprechung des BAG kann die Vorgabe des § 324 UmwG, wonach § 613a Abs. 1 und 4 bis 6 BGB durch die Wirkungen der Eintragung einer Umwandlung „unberührt“ bleibt, nur bedeuten, dass „die Voraussetzungen des § 613a BGB auch im Umwandlungsfall selbständig zu prüfen sind“3. § 324 UmwG ist damit nach ständiger Rechtsprechung und h.M. eine Rechtsgrundverweisung auf den Tatbestand des § 613a Abs. 1 BGB und keine bloße Rechtsfolgenverweisung4. Erfolgt durch Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung der Übergang eines Betrieb(teil)s auf einen anderen Rechtsträger, tritt dieser grundsätzlich nur gemäß § 324 UmwG, § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB – d.h. bei Vorliegen des Tatbestands von § 613a BGB – in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein5. Folgerichtig ist das BAG von einer freien Zuordenbarkeit der Verpflichtungen gegenüber ehemaligen Arbeitnehmern ausgegangen. Denn infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, aus dem sie stammen, ist dieses Arbeitsverhältnis nicht vom Tatbestand des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB erfasst6, sodass der zwingende Charakter des § 613a BGB keine wie auch immer geartete Sperrwirkung entfalten kann.
1 APS/Steffan, § 323 UmwG Rz. 18. 2 APS/Steffan, § 323 UmwG Rz. 18. 3 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, BAGE 160, 345 Rz. 26; BAG v. 20.4.2016 – 10 AZR 111/15, BAGE 155, 44 Rz. 30; BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 416/99, BAGE 95, 1 Rz. 66; BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 406/99, Rz. 67; LAG Baden-Württemberg v. 24.10.2000 – 10 TaBV 2/99, AP Nr. 18 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit, Rz. 99. 4 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, BAGE 160, 345 Rz. 26; Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 2; WHSS/Willemsen, Umstrukturierung, B Rz. 91, G Rz. 18; Schmitt/Hörtnagl/Langner, § 324 UmwG Rz. 1; Semler/Stengel/Simon, § 324 UmwG Rz. 3; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 181; ErfK/Oetker, § 324 UmwG Rz. 2; a.A. Salje, RdA 2000, 126; B. Gaul, Vorauflage, § 7 Rz. 83 (Rechtsfolgenverweisung). 5 So zu Recht noch BAG v. 11.3.2008 – 3 AZR 358/06, BAGE 126, 120 Rz. 17; LAG Schleswig-Holstein v. 26.8.2004 – 3 Sa 189/04, Rz. 33; zur – nicht überzeugenden – neuen Rechtsprechung des BAG für die rein umwandlungsrechtliche Übertragung von Arbeitsverhältnissen außerhalb von § 613a BGB vgl. unter Rz. 10.202 ff. 6 BAG v. 22.2.2005 – 3 AZR 499/03 (A), BAGE 114, 1 Rz. 21 f.; BAG v. 11.3.2008 – 3 AZR 358/06, BAGE 126, 120 Rz. 17; LAG Düsseldorf v. 5.6.2003 – 11 (1) Sa 1/03, NZA-RR 2004, 255 Rz. 70.
348 | Mückl
Besonderheiten bei einer Umwandlung | Rz. 10.175 § 10
Konsequenz daraus ist, dass – lässt man einen Interessenausgleich nach § 323 Abs. 2 UmwG einmal unberücksichtigt (vgl. Rz. 10.198 ff.) – im Rahmen von Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung mit Blick auf § 613a BGB in Übereinstimmung mit der h.M. grundsätzlich dieselben Gestaltungsmöglichkeiten und -grenzen wie im Rahmen der Einzelrechtsnachfolge bestehen (vgl. Rz. 10.19 ff.)1. Nach Maßgabe der zutreffenden, sog. „Trennungstheorie“2 sind insbesondere die betriebsverfassungsrechtliche (Betriebsebene i.S.d. BetrVG) und die gesellschaftsrechtliche Ebene (Rechtsträgerebene) zu trennen, sodass ausgehend von den in betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten in Bezug auf die Betriebsebene (vgl. Rz. 13.86) auch nachfolgende Übertragungsvorgänge auf Basis umwandlungsrechtlicher Maßnahmen durch Neustrukturierung so vorbereitet werden können, dass sich neben § 323 Abs. 2 UmwG auch bei nachfolgender Geltung von § 613a BGB in Bezug auf den Übertragungsvorgang selbst erhebliche Gestaltungsspielräume ergeben.
10.173
Denn für Spaltungen nach dem UmwG ist es – wie das LAG Schleswig-Holstein3 zu Recht (rechtskräftig)4 klargestellt hat – nicht erforderlich, dass das vorhandene Vermögen nur in Form der Übertragung ganzer Betriebe oder Betriebsteile gespalten wird. Dies hat auch das BAG später nicht in Zweifel gezogen5. Vielmehr ist es unter Wahrung der ausschließlich die Betriebsebene betreffenden Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach §§ 111 ff. BetrVG zunächst einmal zulässig, vor der eigentlichen Unternehmensaufspaltung einen zuvor einheitlichen Betrieb – z.B. nach Arbeitsprozessen – zu „zerschlagen“ und hierdurch eigenständige Betriebe zu bilden, um danach diese eigenständigen Betriebe im Wege der Spaltung nach § 123 UmwG auf andere Rechtsträger zu übertragen6. Denn unbeschadet von § 324 UmwG i.V.m. § 613a BGB liegt es in der Privatautonomie der beteiligten Rechtsträger, die Zuordnung von Betrieben und Betriebsteilen für die Zeit nach der Umwandlung zu regeln, insbesondere bestehende Betriebe organisatorisch zu spalten und die so entstehenden Betriebsteile auf jeweils verschiedene Rechtsträger zu übertragen7.
10.174
Für die betriebliche Praxis wichtig ist, dass hinreichend dokumentiert und nachvollziehbar in dem der Betriebsspaltung zugrundeliegenden Interessenausgleich dokumentiert ist, dass gerade nicht die bisherige Betriebsstruktur des übertragenden Rechtsträgers vom übernehmenden Rechtsträger übernommen wird. Dies kann z.B. dadurch geschehen, dass in einer Anlage zum Interessenausgleich anschaulich dargestellt wird, dass in den verschiedenen betrieblichen Bereichen jeweils nur ein Teil der Arbeitsprozesse als zu übertragend gekennzeichnet ist8. Auch
10.175
1 Vgl. für viele z.B. Mückl/Götte, GWR 2016, 106. 2 Mückl/Fuhlrott/Niklas/Otto/Schwab/Mückl, Kap. 4 Rz. 146, 376; Mückl/Götte, DB 2017, 966, 967 m.w.N. 3 LAG Schleswig-Holstein v. 5.11.2015 – 4 Sa 415/14, Rz. 145 ff.; LAG Schleswig-Holstein v. 5.11.2015 – 4 Sa 28/15, NZG 2016, 557 (LS) Rz. 97 ff.; LAG Schleswig-Holstein v. 7.7.2016 – 5 Sa 414/15, EWiR 2017, 59 (LS) Rz. 81, 92. 4 Die beim BAG gegen LAG Schleswig-Holstein v. 5.11.2015 – 4 Sa 415/14 unter dem Az. 8 AZR 62/ 16 anhängige Revision wurde zurückgenommen, während die gegen LAG Schleswig-Holstein v. 5.11.2015 – 4 Sa 28/15 eingelegte Revision durch – nicht überzeugendes – Urteil v. 19.10.2017 (8 AZR 63/16, BAGE 160, 345 = AG 2018, 442) endete. 5 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, BAGE 160, 345 = AG 2018, 442. 6 LAG Schleswig-Holstein v. 5.11.2015 – 5 Sa 437/14; LAG Hamburg v. 4.5.2016 – 6 Sa 2/16, juris Rz. 87, ZInsO 2016, 2305 Rz. 97 (rkr.). 7 LAG Schleswig-Holstein v. 5.11.2015 – 5 Sa 437/14, Rz. 83; LAG Hamburg v. 4.5.2016 – 6 Sa 2/16, ZInsO 2016, 2305 Rz. 97; LAG Hamburg v. 31.5.2016 – 7 Sa 3/16, NZG 2017, 186 Rz. 39; HWK/ Willemsen, § 324 UmwG Rz. 23 m.w.N. 8 Vgl. LAG Schleswig-Holstein v. 7.7.2016 – 5 Sa 414/15, EWiR 2017, 59 (LS).
Mückl | 349
§ 10 Rz. 10.175 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
weitere Indizien, die den Tatbestand des § 613a BGB ausschließen können, wie bei betriebsmittelarmen Betrieben die fehlende Übernahme des nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Personals (vgl. Rz. 4.129 ff.), sollten ausdrücklich im Interessenausgleich dokumentiert werden1.
10.176
Mit der Betriebsspaltung wird dann im Vorfeld der übertragenden Umwandlung – wie das LAG Hamburg anschaulich beschrieben hat – „der ‚arbeitsorganisatorische Boden‘ für die Unternehmensspaltung vorbereitet“: Beispiel2: Die A GmbH plant eine Spaltung ihres Betriebs X in die neuen Betriebe XA und XB gemäß § 111 BetrVG. Im Nachgang zu dieser Betriebsspaltung soll die A GmbH nach § 123 Abs. 1 Nr. 2 UmwG zur Neugründung der A1 GmbH und der A2 GmbH aufgespalten und im Rahmen dieser Aufspaltung sollen der Betrieb XA auf die A1 GmbH und der Betrieb XB auf die A2 GmbH übertragen werden. Es werden also zwei neue arbeitsorganisatorische Einheiten (d.h. Betriebe) gebildet, mit denen die durch die Unternehmensaufspaltung entstehenden Unternehmen jeweils ihre arbeitstechnischen Zwecke verfolgen sollen. Die so entstandenen Betriebe gehen mit Eintragung der Unternehmensspaltung (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG) entsprechend der im Spaltungsplan vorgesehenen Vermögensaufteilung auf die übernehmenden Rechtsträger, nämlich die A1 GmbH (Betrieb XA) und die A2 GmbH (Betrieb XB), über3.
2. Verhältnis von § 613a BGB zum Umwandlungsvertrag bzw. -plan 10.177
Da § 613a Abs. 1 BGB zwingend ist (vgl. Rz. 10.39) und sein Tatbestand nach den klaren Vorgaben des § 324 UmwG „unberührt“ bleibt, kommt bei tatbestandlichem Eingreifen von § 613a BGB – ebenso wie bei einer Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge (vgl. Rz. 10.39 ff.) – einer von § 613a BGB abweichenden Vereinbarung zwischen den beteiligten Rechtsträgern über die Zuordnung im Umwandlungsvertrag oder -plan keine Wirkung zu4. Sie ist nach § 134 BGB wegen eines Verstoßes gegen die zwingenden Vorgaben des § 613a BGB unwirksam5, sofern der betroffene Arbeitnehmer nicht zustimmt (§§ 182 ff. BGB)6, während der Vertrag bzw. Plan im Übrigen nach § 139 BGB wirksam bleibt7. Zur Bedeutung von Zuordnungsvereinbarungen außerhalb von § 613a BGB vgl. Rz. 10.186 ff.
10.178
Wer der neue Betriebsinhaber ist, bestimmt sich demgegenüber in Umwandlungsfällen nach den Bestimmungen des Umwandlungsvertrags bzw. – bei der Spaltung zur Neugründung –
1 Vgl. LAG Schleswig-Holstein v. 7.7.2016 – 5 Sa 414/15, EWiR 2017, 59 (LS). 2 Vgl. LAG Hamburg v. 12.10.2016 – 5 Sa 16/16, juris Rz. 88; LAG Hamburg v. 31.5.2016 – 7 Sa 3/ 16, ZInsO 2017, 1390; LAG Hamburg v. 4.5.2016 – 6 Sa 2/16, ZInsO 2016, 2305 Rz. 9. 3 Zum Übertragungszeitpunkt und Gestaltungsmöglichkeiten insoweit vgl. Mückl/Fuhlrott/Niklas/ Otto/Schwab/Mückl, Kap. 4 Rz. 32 ff. m.w.N. 4 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, BAGE 160, 345 = AG 2018, 442. 5 Willemsen, NZA 1996, 791, 799; APS/Steffan, § 126 UmwG Rz. 29; Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 67; Hartmann, ZfA 1997, 21, 24 f.; Mertens, Umwandlung, S. 168; B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 27, 114 ff. m.w.N. 6 Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 53; Däubler, RdA 1995, 136, 143; Mertens, Umwandlung, S. 168; Kallmeyer/Sickinger, § 126 UmwG Rz. 35; Heidenhain, NJW 1995, 2873, 2879; Boecken, ZIP 1994, 1087, 1093; vgl. zum Erfordernis einer Einbindung des Arbeitnehmers in die Vereinbarung bei einer Einzelrechtsnachfolge bereits oben Rz. 10.39 ff. 7 APS/Steffan, § 126 UmwG Rz. 29.
350 | Mückl
Besonderheiten bei einer Umwandlung | Rz. 10.181 § 10
nach dem Spaltungsplan gemäß § 136 UmwG. Hinsichtlich der Zuordnung von Betrieben bzw. Betriebsteilen besteht für die beteiligten Rechtsträger damit Gestaltungsfreiheit1. Lässt man die durch § 323 Abs. 2 UmwG eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten zunächst einmal unberücksichtigt (vgl. Rz. 10.209 ff.), besitzt die namentliche Zuordnung eines Arbeitsverhältnisses im Umwandlungsvertrag oder -plan damit grundsätzlich nur deklaratorische Bedeutung, wenn sie Arbeitsverhältnisse betrifft, die in einem Betrieb oder Betriebsteil beschäftigt werden, der auf einen anderen Rechtsträger übertragen wird2. Hiervon dürfte auch der Gesetzgeber ausgegangen sein3. Denn der Übergang der einem Betrieb oder Betriebsteil zugeordneten Arbeitsverhältnisse erfolgt gemäß § 324 UmwG, § 613a Abs. 1 BGB bereits kraft Gesetzes. Deshalb genügt es, im Umwandlungsvertrag oder -plan eine Zuordnung der Betriebe und Betriebsteile zu den beteiligten Rechtsträgern vorzunehmen. Diese Zuordnung der Betrieb(steil)e hat konstitutive Bedeutung4. Die zivilrechtlich erforderliche Bestimmtheit der vom Übergang betroffenen Arbeitsverhältnisse ist wegen § 613a BGB durch die Benennung des Betriebs oder Betriebsteils erfüllt. Allerdings kann die anschließend vorgenommene Zuordnung der Arbeitsverhältnisse zu den Betrieb(steil)en, sofern von den nach § 323 Abs. 2 UmwG bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten kein Gebrauch gemacht wird, gerichtlich gemäß § 315 Abs. 3 BGB überprüft werden5. Insoweit gelten die zu Betriebs(teil)übergängen im Rahmen der Einzelrechtsnachfolge entwickelten Grundsätze (vgl. Rz. 10.229 f.).
10.179
Ausgeschlossen ist folgerichtig, aus der namentlichen Benennung von Arbeitnehmern in einem Umwandlungsvertrag oder -plan eine widerlegbare Vermutung dafür zu folgern, dass die dort genannten Arbeitsverhältnisse dem übergehenden Betrieb oder Betriebsteil angehören6. Denn mit Ausnahme der namentlichen Benennung, die von den beteiligten Rechtsträgern ohne jede Einbindung des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmervertreter festgelegt wird, enthält der Umwandlungsvertrag keine tatsächlichen Anhaltspunkte, von denen aus unter Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung auf die Zuordnung zu einem Betrieb oder Betriebsteil geschlossen werden könnte. Gehört ein nicht genannter Arbeitnehmer dem vom Übergang betroffenen Betrieb oder Betriebsteil an, geht auch sein Arbeitsverhältnis vorbehaltlich eines Widerspruchs gemäß § 613a Abs. 6 BGB (i.V.m. § 324 UmwG) auf den übernehmenden Rechtsträger über7.
10.180
Die Zuordnung eines bislang in diese Einheit nicht eingegliederten Arbeitsnehmers zum übertragenen Betrieb(steil) ist ebenfalls nur im Rahmen der der zur Einzelrechtsnachfolge entwickelten Grundsätze (vgl. Rz. 10.27 ff., 10.57 ff.) möglich.
10.181
1 Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 51. 2 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 129; Studt, Interessenausgleich, S. 65; Lutter/Joost, Umwandlungsrechtstage, S. 297, 320; Heinze, ZfA 1997, 1, 7; Mengel, Umwandlungen, S. 146; Kallmeyer/Sickinger, § 126 UmwG Rz. 34; Widmann/Mayer/Mayer, § 126 UmwG Rz. 258 ff. 3 BR-Drucks. 75/94, 118, 121. 4 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 132; Kallmeyer/Sickinger, § 126 UmwG Rz. 34 f.; Heinze, ZfA 1997, 1, 7; in diesem Sinn auch Widmann/Mayer/Mayer, § 126 UmwG Rz. 258. 5 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 132; ähnlich Widmann/Mayer/Mayer, § 126 UmwG Rz. 260 f. 6 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 135; a.A. Widmann/Mayer/Mayer, § 126 UmwG Rz. 260; ebenso schon Ising/Thüll, DB 1991, 2082, 2084 zu § 2 Abs. 1 Nr. 10 SpTrUG. 7 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 135.
Mückl | 351
§ 10 Rz. 10.182 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
3. Verhältnis von § 324 UmwG, § 613a BGB zu § 323 Abs. 2 UmwG 10.182
Ist § 613a Abs. 1 BGB allerdings zwingend und bleibt sein Tatbestand nach den klaren Vorgaben des § 324 UmwG „unberührt“, stellt sich die Frage, welche Bedeutung insoweit § 323 Abs. 2 UmwG zukommt, wonach die Zuordnung der Arbeitnehmer durch das Arbeitsgericht nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann, wenn bei einer Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung ein Interessenausgleich zustande kommt, in dem diejenigen Arbeitnehmer namentlich bezeichnet werden, die nach der Umwandlung einem bestimmten Betrieb oder Betriebsteil zugeordnet werden.
10.183
Einen unterschiedlichen Regelungsgegenstand haben beide Normen bereits ihrem Wortlaut nach. Seinem Wortlaut nach regelt § 323 Abs. 2 UmwG nämlich nur (aber immerhin) die Beschränkung der gerichtlichen Überprüfbarkeit einer von den Betriebsparteien in einem „Interessenausgleich“ vorgenommenen Zuordnung des Arbeitnehmers zu einem Betrieb(steil). Rechtstechnisch ist damit nicht der Tatbestand des § 613a Abs. 1 BGB eingeschränkt1, sondern seine gerichtliche Durchsetzbarkeit2, indem er Zuordnungsentscheidungen nicht einer vollumfänglichen gerichtlichen Prüfung nach § 315 BGB unterwirft, sondern sie auf den Maßstab der groben Fahrlässigkeit beschränkt. Insofern ist es grundsätzlich richtig, wenn angenommen wird, auch in einem Interessenausgleich könne keine von § 613a BGB abweichende Zuordnung vorgenommen werden3. Das BAG fordert in seinem Urteil vom 19.10.20174 – im Gegenteil – die Zuordnung zu einem Betrieb- oder Betriebsteil.
10.184
Bei Abschluss eines Interessenausgleichs gemäß § 323 Abs. 2 UmwG wird der Gestaltungsspielraum bei der Zuordnung von Arbeitnehmern im Zusammenhang mit der Umwandlung eines Rechtsträgers damit im Wesentlichen auf drei Fälle begrenzt: – Der erste Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass Arbeitnehmer betroffen sind, die beim übertragenden Rechtsträger betriebs- oder betriebsteilübergreifend eingesetzt waren und deshalb ohne eine zusätzliche Entscheidung nicht einem bestimmten Betrieb oder Betriebsteil zugeordnet werden können (vgl. Rz. 10.105 ff.). Dabei werden Overheadfunktionen, Stabsabteilungen sowie Arbeitnehmer genannt, die wegen ihrer Aufgaben in verschiedenen Betrieben oder Betriebsteilen tätig werden (z.B. Springer)5. – Eine Zuordnung, im Umwandlungsvertrag bzw. -plan oder – was nach dem Urteil des 8. Senats vom 19.10.20176 bereits ausgeschlossen wäre – im Interessenausgleich nach § 323 Abs. 2 UmwG soll konstitutiv ferner in dem Fall vorgenommen werden können, wenn die Übertragung Vermögensgegenstände betrifft, die als Sache oder Sachgesamtheit keinen Betrieb
1 Vgl. auch Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 61; a.A. – nicht überzeugend – Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 123 ff., nach dessen Ansicht für § 323 Abs. 2 UmwG nahezu kein Anwendungsbereich verbleibt, was der Gesetzgeber erkennbar nicht gewollt hat. 2 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 118 f.; WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, G Rz. 138 f.; jetzt auch Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 61. 3 Vgl. Bauer/Lingemann, NZA 1994, 1057, 1061, Wlotzke, DB 1995, 40, 45; Willemsen, NZA 1996, 791, 799; Düwell, NZA 1996, 393, 398; Schalle, Bestandsschutz, 68 ff., 73. 4 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, BAGE 160, 345 = AG 2018, 442. 5 Vgl. Bauer/Lingemann, NZA 1994, 1057, 1061; Boecken, Unternehmensumwandlungen Rz. 71; Wlotzke, DB 1995, 40, 45; Mayer, GmbHR 1996, 403, 409; Willemsen, NZA 1996, 791, 799; Hartmann, ZfA 1997, 21, 25. 6 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, BAGE 160, 345 = AG 2018, 442.
352 | Mückl
Besonderheiten bei einer Umwandlung | Rz. 10.185 § 10
oder Betriebsteil darstellen1. Zur Begründung wird insoweit darauf verwiesen, dass § 613a BGB bei der „spaltungs-“ oder „umwandlungsrechtlichen“ Übertragung von Vermögen, das nach den zu § 613a BGB entwickelten Kriterien nicht die Qualität eines Betriebs oder Betriebsteils besitze, ohnehin nicht zur Anwendung komme, also auch keine Einschränkung des Zuordnungsspielraums begründen könne2. Mengel3 spricht zutreffend davon, dass die Arbeitsverhältnisse in diesem Fall „im Grundsatz frei“ zugeordnet werden können. Das BAG hält dies in seinem Urteil vom 19.10.20174 für ausgeschlossen, weil es in diesen Fallkonstellationen – zu Unrecht – ein Wahlrecht des Mitarbeiters annimmt (vgl. Rz. 10.186 ff.). – Der dritte Fall einer „spaltungsrechtlichen Zuordnung“ soll vorliegen, wenn der Betrieb oder Betriebsteil, dem ein Arbeitnehmer bislang zugeordnet sei, seinerseits nicht übertragen werde5. Hartmann6 scheint von einer solchen Möglichkeit sogar dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer dem Übergang widersprochen hat, § 613a BGB also selbst keine Bindungswirkung mehr entfaltet. Allerdings müsse, wenn auf die Möglichkeit einer Regelung im Interessenausgleich zurückgegriffen werde, die Zuordnung durch den Arbeitgeber noch auf der individualrechtlichen Ebene umgesetzt werden. Vorteil der Vereinbarung im Interessenausgleich sei allerdings, dass die entsprechenden Maßnahmen, wenn sie im Rahmen des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts erfolgten, nicht mehr umfassend hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Grundsatz billigen Ermessens (§ 315 Abs. 1, 3 BGB) überprüft werden könnten. Vielmehr könne das Gericht die Entscheidung nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfen7.
II. Kein Erfordernis einer Zustimmung des Arbeitnehmers Soweit über den bloßen Widerspruch im Anwendungsbereich des § 613a BGB hinaus im Zusammenhang mit der Zuordnung von Arbeitsverhältnissen bei Umwandlungsmaßnahmen teilweise – jüngst auch mit Zustimmung des BAG8 – das Erfordernis einer Zustimmung des Arbeitnehmers zur Überleitung des Arbeitsverhältnisses angenommen wird9, ohne die das Arbeitsverhältnis beim übertragenden Rechtsträger verbleibe10, ist dies nicht nur im Anwendungsbereich des § 613a BGB nicht zutreffend11, sondern auch dann, wenn ein Übertragungsvorgang sich nicht auf einen Betrieb oder Betriebsteil bezieht12.
1 Vgl. Boecken, ZIP 1994, 1087, 1091; WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 141 f.; abl. Studt, Interessenausgleich, 86 f. 2 So Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 123 ff.; Kraft, ZfA 1997, 303, 304 f.; WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 141 f. 3 Mengel, Umwandlungen, S. 206. 4 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, BAGE 160, 345 = AG 2018, 442. 5 So Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 71; Hartmann, ZfA 1997, 21, 25. 6 Hartmann, ZfA 1997, 21, 26 Fn. 21. 7 Hartmann, ZfA 1997, 21, 31 ff. 8 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, BAGE 160, 345 = AG 2018, 442. 9 Abl. Mengel, Umwandlungen, S. 151 f. Auch Hartmann, ZfA 1997, 21, 26 ff., lehnt ein allgemeines Zustimmungserfordernis ab, kommt aber in Ausnahmefällen zu der Notwendigkeit einer Zustimmung des Arbeitnehmers mit der Übertragung seines Arbeitsverhältnisses. 10 Dehmer, § 131 UmwG Rz. 54. Ähnlich bereits Mertens, Umwandlung, S. 145, 163, Mertens, AG 1994, 66, 72; Trittin, AiB 2001, 147, 149; für die Fälle außerhalb des Anwendungsbereichs von § 613a BGB eine Zustimmung fordernd Semler/Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 39. 11 Ebenso Hartmann, ZfA 1997, 21, 26 ff. 12 Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 55; Widmann//Mayer/Mayer, § 126 UmwG Rz. 184.
Mückl | 353
10.185
§ 10 Rz. 10.186 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
1. Außerhalb des Anwendungsbereichs von § 324 UmwG, § 613a BGB 10.186
Das BAG hat allerdings in seinem – nicht überzeugenden – Urteil vom 19.10.20171 angenommen, sofern das betroffene Arbeitsverhältnis nicht bereits im Wege des Betriebs(teil-)übergangs nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf einen der übernehmenden Rechtsträger übergeht, setze der Übergang eines Arbeitsverhältnisses vom übertragenden auf den übernehmenden Rechtsträger im Wege der (partiellen) Gesamtrechtsnachfolge nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG – jedenfalls im Fall der Aufspaltung des übertragenden Rechtsträgers – des Weiteren voraus, dass der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses zustimmt2.
10.187
Soweit es zur Begründung ausgeführt hat, für das Zustimmungserfordernis spreche bereits die Gesetzesgeschichte, da nach der Gesetzesbegründung zu § 126 Abs. 1 Nr. 9 UmwG die allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts bestimmten, ob Gegenstände und die ihnen zuzuordnenden Hilfsrechte bei der Zuweisung getrennt werden können (ob etwa bestimmte Rechte bei der Spaltung erlöschen oder ob sie bei einer Abspaltung oder Ausgliederung übergeleitet werden können), und zu diesen allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts zähle der Gesetzgeber u.a. § 613 Satz 2 BGB, überzeugt dies nicht3.
10.188
Denn diese Ansicht kann bei einem derartigen „umwandlungs-“4 oder „spaltungsrechtlichen Übergang“5 richtigerweise nicht mehr auf § 132 Satz 1 UmwG a.F. i.V.m. § 613a Satz 2 BGB gestützt werden6. Mit der Abschaffung des § 132 Satz 1 UmwG, der als „Spaltungsbremse“ empfunden wurde, hat der Gesetzgeber nämlich auch dieser Ansicht begegnen wollen7. Insofern steht auch § 613 Satz 2 BGB einer derartigen Zuordnung nicht entgegen. Denn § 613 Satz 2 BGB ist zunächst einmal lediglich eine Auslegungsregel und kein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB8. Er konkretisiert insoweit § 399 BGB, den § 132 UmwG wiederum im Kontext von Spaltungen aufrecht erhielt. Mit der Abschaffung von § 132 UmwG sollte aber genau die nach § 613 Satz 2 BGB „im Zweifel“ vorgegebene Erforderlichkeit einer Zustimmung des Arbeitnehmers bei einer umwandlungsrechtlichen Übertragung des Arbeitsverhältnisses außerhalb von § 613a BGB beseitigt werden9, da sich etwaige Zweifel als Spaltungsbremse erwiesen hatten.
10.189
Dass eine Beseitigung eines etwaigen Zustimmungserfordernisses beabsichtigt war, folgt bereits aus dem Umstand, dass dem Gesetzgeber die entsprechende Diskussion während des Gesetzgebungsverfahrens bekannt war, sie ihn aber nur mit Blick auf die Übertragung von Pensionsverpflichtungen bei Spaltungen hinreichend zum Handeln motiviert hat. Insofern folgt
1 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, BAGE 160, 345 Rz. 27–29. 2 Vgl. Schaub/Ahrendt, Arbeitsrechts-Handbuch, 18. Aufl. 2019, § 116 Rz. 11; NK-GA/Boecken, § 324 UmwG Rz. 34; Studt, Der umwandlungsrechtliche Interessenausgleich nach § 323 Abs. 2 UmwG S. 80 f.; a.A. Mückl/Fuhlrott/Niklas/Otto/Schwab/Mückl, Kap. 4. Rz. 52. 3 Näher Lakenberg, NJW 2018, 3064, 3065. 4 So Kraft, ZfA 1997, 303, 35. 5 So Boecken, ZIP 1994, 1087, 1091 ff.; Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 100 ff., 105 f. 6 So bzgl. § 613a S. 2 BGB jedoch Semler/Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 39; APS/Steffan, § 323 UmwG Rz. 22; jetzt nur noch für den Fall, dass von § 613a BGB abgewichen werden soll: Kallmeyer/Sickinger, § 126 UmwG Rz. 35; vor der Abschaffung von § 132 UmwG ebenso Boecken, ZIP 1994, 1087, 1091 ff.; Kraft, ZfA 1997, 303, 305; Müller-Ehlen, Übergang von Arbeitsverhältnissen, 41 ff., 47; Marx, Spaltung, S. 185; Freytag, Spaltung, S. 58 ff. 7 Bejahend – wenngleich kritisch – Düwell, FA 2007, 204, 205; Düwell, FA 2006, 140, 142. 8 HWK/Thüsing, § 613 BGB Rz. 1. 9 Düwell, FA 2007, 204, 205; Düwell, FA 2006, 140, 142.
354 | Mückl
Besonderheiten bei einer Umwandlung | Rz. 10.191 § 10
auch im Umkehrschluss aus § 133 Abs. 3 Satz 2 UmwG und der dort als einzige gesetzgeberische Reaktion auf die um § 613 BGB, §§ 4, 7 BetrAVG geführte Diskussion vorgesehenen Verlängerung der Haftungszeiten für Pensionsverbindlichkeiten, dass ein Zustimmungserfordernis im Zusammenhang mit umwandlungsrechtlichen Maßnahmen nicht besteht: Es folgt weder aus § 613 Satz 2 BGB, der infolge der Streichung von § 132 UmwG a.F. gerade nicht mehr anwendbar ist, noch aus § 613a BGB, der in Abs. 6 lediglich ein Widerspruchsrecht bei Betriebs(teil)übergängen, nicht aber ein Zustimmungserfordernis vorsieht. Das BAG setzt sich mit diesen systematisch eindeutig gegen seine Bewertung sprechenden Gründen im Urteil vom 19.10.20171 leider nicht auseinander, sondern versucht, sein Ergebnis grundrechtlich abzusichern: Das Erfordernis der Zustimmung des betroffenen Arbeitnehmers folge – jedenfalls im Fall einer Aufspaltung des übertragenden Rechtsträgers – auch aus den grundrechtlichen Wertungen des Art. 12 Abs. 1 GG. Das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG garantiere dem Arbeitnehmer die freie Wahl des Arbeitsplatzes und damit auch die freie Wahl des Vertragspartners. Der Arbeitnehmer soll nicht verpflichtet werden, für einen Arbeitgeber zu arbeiten, den er nicht frei gewählt hat2. Diesen grundrechtlichen Wertungen könne jedenfalls im Fall der Aufspaltung des übertragenden Rechtsträgers, da dieser mit dem Wirksamwerden der Aufspaltung untergeht, nur durch ein Zustimmungserfordernis ausreichend Rechnung getragen werden. Auch dies überzeugt nicht3. Zunächst einmal wird bei dieser Argumentation ausgeblendet, dass das BVerfG auch betont, mit dem Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes gem. Art. 12 Abs. 1 GG sei weder ein Anspruch auf Bereitstellung eines Arbeitsplatzes eigener Wahl noch eine Bestandsgarantie für den einmal gewählten Arbeitsplatz verbunden und das Grundrecht gewähre auch keinen unmittelbaren Schutz gegen den Verlust eines Arbeitsplatzes auf Grund privater Dispositionen4. Danach besteht grundrechtlich – auch bei Übertragung des Arbeitsverhältnisses im Wege der Aufspaltung – kein Erfordernis für eine konstitutive Zustimmung des Arbeitnehmers.
10.190
Allerdings erscheint auch ein Fortbestand mit beiden (bzw. allen) übernehmenden Rechtsträgern gem. § 131 Abs. 3 UmwG – wie ihn der EuGH5 in anderem Kontext (nicht überzeugend) angenommen hat – wenig sinnvoll und zum Schutz des Arbeitnehmers ungeeignet. Denn nicht nur bildet das Verhältnis für die Verteilung des Überschusses der Aktiva über die Passiva der Schlussbilanz – anders als bei Forderungen oder Verbindlichkeiten – kaum einen sinnvollen Maßstab für die Aufteilung der aus dem Arbeitsverhältnis resultierenden Rechte und Pflichten auf mehrere Arbeitgeber (vgl. dazu Rz. 10.166). Hinzu kommen zunächst die gegen die eine übertragungsbedingte Aufspaltung von Arbeitsverhältnissen in Teilzeitarbeitsverhältnisse, wie sie der EuGH6angenommen hat, bestehenden Bedenken (vgl. dazu Rz. 10.164). In deren Lichte wird das BAG seine Rechtsprechung allerdings ohnehin neu bewerten Müssen. Losgelöst davon erweist das – indem es mit einem Zustimmungserfordernis und Wahlrecht sogar deutlich über den EuGH hinausgeht – letztlich Arbeitnehmern und Arbeitgeber einen „Bärendienst“. Denn es eröffnet dem Arbeitnehmer damit die Möglichkeit, zu Lasten des Ar-
10.191
1 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, BAGE 160, 345 Rz. 27–29. 2 Vgl. BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, BVerfGE 128, 157 Rz. 69 f., 76; BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, BAGE 157, 317 Rz. 30. 3 Zum Folgenden näher und zutreffend Lakenberg, NJW 2018, 3064, 3066; Rieble, NZA 2018, 1302, 1308. 4 BVerfG v. 25. 1. 2011 – 1 BvR 1741/09, NZA 2011, 400 Rz. 72. 5 EuGH v. 26.3.2020 – C-344/18, NZA 2020, 503. 6 EuGH v. 26.3.2020 – C-344/18, NZA 2020, 503.
Mückl | 355
§ 10 Rz. 10.191 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
beitgebers, aber auch der übrigen Arbeitnehmer diejenige Einheit auszuwählen, in der sich der größte Teil des Vermögens und der (zukunftssichernden) Aufträge des aufgespaltenen Rechtsträgers und der – auch unter dem Gesichtspunkt einer Sozialauswahl – „sicherste“ Arbeitsplatz befindet. Dies gilt auch und gerade dann, wenn bei mehreren aufnehmenden Rechtsträgern erkennbar ein zwingend mit einer Sozialauswahl verbundener Personalabbau erforderlich wird. Das BAG erlaubt dem betroffenen Arbeitnehmer hier ein „Cherry Picking“ zulasten der Arbeitgeber und übrigen Mitarbeiter, indem es ihm das Recht einräumt, sich die Einheit auszusuchen, in der die Sozialauswahl zu seinen Gunsten ausgeht. Es schafft damit unnötige Unsicherheiten nicht nur für die betroffenen Unternehmen, sondern auch für die jeweils anderen Arbeitnehmer selbst. Vor allem ist aber auch das Ergebnis evident wertungswidersprüchlich: Der kraft Gesetzes geringer – nämlich nicht durch § 613a BGB – geschützte Arbeitnehmer erhält den weitergehenden Schutz durch deutlich weitergehende Rechte.
10.192
Erforderlich ist all das – entgegen der Bewertung des BAG – auch im Fall einer Aufspaltung nicht1. Das Grundrecht des Arbeitnehmers auf freie Wahl des Arbeitgebers und die gesetzlich angeordneten Folgen einer Aufspaltung können unter Übertragung der vom 8. Senat2 selbst zur Anwachsung entwickelten Grundsätze in Einklang gebracht werden: Erlischt der übertragende Rechtsträger, ohne dass das Arbeitsverhältnis von einem Betriebsteilübergang auf einen (der) aufnehmenden Rechtsträger erfasst ist, wird man demgegenüber – analog zur Rechtsprechung des BAG bei einem Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang – ein Recht des Arbeitnehmers zur außerordentlichen Kündigung annehmen müssen. Auf den Fristbeginn wird das BAG ebenfalls die Grundsätze anwenden, die es zum Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang entwickelt hat3. Soweit der 8. Senat seine entsprechende frühere Entscheidung für nicht einschlägig hält, weil sie sich allein auf § 613a BGB beziehe, während die Aufspaltung in den hier in Rede stehenden Fällen gerade keinen Betriebsübergang ausgelöst habe4, ist nicht ersichtlich, warum diese Fälle aus verfassungsrechtlicher Sicht unterschiedlich zu behandeln sein sollten5. Richtig – und frei von Wertungswidersprüchen – wäre eine Gleichbehandlung beider Fallkonstellationen.
10.193
Die betriebliche Praxis wird sich dennoch an der Rechtsprechung ausrichten. Konsequenz für die Planung gesellschaftsrechtlicher Umstrukturierungen wird dementsprechend zunächst einmal sein, das Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers jedenfalls bei größeren Arbeitnehmerzahlen meiden, und so das vorsorgliche „Zurücklassen“ der Arbeitnehmer in einem entleerten Rechtsträger zu ermöglichen6. Ist dies nicht möglich, wird man seitens der betroffenen Arbeitgeber, um Planbarkeiten in einem Mindestumfang zu gewährleisten, z.B. möglichst frühzeitig – unter Fristsetzung – zur Ausübung des Wahlrechts auffordern müssen. Wird es nicht fristgerecht ausgeübt, erlischt es und es verbleibt bei der im Spaltungsplan oder -vertrag vorgenommenen Zuordnung. Eine Ausübungsfrist hat das BAG zwar in seinem Urteil vom 19.10.20177 nicht angesprochen. Es erscheint aber wertungswidersprüchlich zu § 613a Abs. 6 BGB, im Rahmen umwandlungsrechtlicher Übertragungsvorgänge außerhalb von § 613a BGB ein nur durch die Grundsätze von Verjährung und Verwirkung begrenztes Wahlrecht anzuer1 2 3 4 5 6 7
Ebenso Rieble, NZA 2018, 1302, 1308; Lakenberg, NJW 2018, 3064, 3066. BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, BB 2008, 1739; Otto/Mückl, BB 2011, 1978 ff. BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, BB 2008, 1739; Otto/Mückl, BB 2011, 1978 ff. BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, BAGE 160, 345 Rz. 51. Ebenso Lakenberg, NJW 2018, 3064, 3066. Rieble, NZA 2018, 1302, 1308. BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, BAGE 160, 345 Rz. 27 – 29.
356 | Mückl
Besonderheiten bei einer Umwandlung | Rz. 10.196 § 10
kennen. Insofern wird man vielmehr § 613a Abs. 6 BGB analog anwenden können, sodass das Wahlrecht nach Aufforderung innerhalb eines Monats auszuüben ist. Nicht erforderlich ist allerdings, dass alle an der Aufspaltung beteiligten Rechtsträger den betroffenen Arbeitnehmer zunächst analog § 613a Abs. 5 BGB unterrichten müssen. Denn auch dies wäre eine mit einem überobligatorischen Aufwand verbundene, wertungswidersprüchliche Besserstellung des Arbeitnehmers, dessen Arbeitsverhältnis umwandlungsrechtlich außerhalb von § 613a BGB übertragen wird. Die Ausübungsfrist beginnt daher – will man mit dem BAG ein Wahlrecht anerkennen – mit einer entsprechenden Aufforderung des Arbeitnehmers durch einen oder mehrere an der Übertragung beteiligte(n) Rechtsträger, die – auch zu Dokumentationszwecken – in Textform erfolgen sollte. In Übereinstimmung mit einem Teil der Literatur wird man in den Fällen einer Übertragung des Arbeitsverhältnisses aufgrund Regelung im Umwandlungsvertrag oder -plan außerhalb des Anwendungsbereichs von § 613a BGB aber analog § 613a Abs. 6 BGB ein Widerspruchsrecht anerkennen können1, soweit der übertragende Rechtsträger nicht durch Aufspaltung oder Verschmelzung erlischt2, das innerhalb eines Monats nach der Information über die geplante Übertragung kraft Umwandlungsvertrags oder -plans bzw. – wenn eine solche Information nicht erfolgt – innerhalb eines Monats nach Kenntnis von der Eintragung der Umwandlung in das Handelsregister erfolgen muss. Denn führt man sich die Begründung des BAG für die Notwendigkeit eines Widerspruchsrechts nach § 613a Abs. 6 BGB vor Augen, sprechen die besseren Gründe dafür, dieselbe Bewertung im vorliegenden Kontext vorzunehmen. Für den Fristbeginn wird man die Rechtsprechung des BAG zum Beginn der Ausübungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB bei Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers3 entsprechend anwenden können.
10.194
2. Im Anwendungsbereich von § 613a BGB Erst recht keiner vorherigen Zustimmung des Arbeitnehmers bedarf es im Anwendungsbereich von § 613a BGB4: Das entscheidende Argument gegen die Notwendigkeit einer Zustimmung des von einer Spaltung oder Vermögensübertragung betroffenen Arbeitnehmers ist, dass § 324 UmwG durch die Bezugnahme auf § 613a BGB, der unberührt bleibt, deutlich macht, dass die Umwandlung im Wege der Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung stets mit einem Übergang der dem in Gestalt eines Betriebs(teils) übertragenen Vermögen zugeordneten Arbeitsverhältnissen verbunden ist. Da der Gesetzgeber mit § 324 UmwG, § 613a BGB klargestellt hat, dass solche Übertragungsvorgänge kraft Gesetzes zu einem Übergang der Arbeitsverhältnisse führen, liegt in dem darin liegenden Arbeitgeberwechsel kein Umstand, der – trotz der Pflicht zur persönlichen Dienstleistung (§ 613 Satz 1 BGB) – als Schranke dem Übergang entgegenstehen könnte.
10.195
Dies gilt – entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht5 – selbst dann, wenn das Arbeitsverhältnis in seiner Anlage auf die Person des Arbeitgebers zugeschnitten ist (persönliche Prä-
10.196
1 Ebenso Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 59. 2 Zum Nichtbestehen eines Widerspruchsrechts, sondern eines außerordentlichen Kündigungsrechts in diesem Fall BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, BB 2008, 1739 Rz. 20 ff.; Otto/Mückl, BB 2011, 1978 ff. 3 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, BB 2008, 1739; Otto/Mückl, BB 2011, 1978 ff. 4 Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 55. 5 Hartmann, ZfA 1997, 21, 26, 27 f.
Mückl | 357
§ 10 Rz. 10.196 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
gung) oder kraft Vertrags auf einen bestimmten Betriebsteil bezogen ist1. Zum einen bieten das Recht zum Widerspruch und zur außerordentlichen bzw. ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses allen Beteiligten ausreichend Möglichkeiten, etwaigen Schwierigkeiten einer Fortsetzung dieses Arbeitsverhältnisses bei einem anderen Rechtsträger zu entgegnen. Zum anderen steht eine Vereinbarung, nach der ein Arbeitnehmer ausschließlich innerhalb eines bestimmten Betriebs oder Betriebsteils tätig werden soll, seiner Zuordnung zu einem anderen Betrieb oder Betriebsteil auch im Zusammenhang mit einer Spaltung oder Vermögensteilübertragung entgegen.
10.197
Auch eine Änderungskündigung oder eine „spaltungsrechtliche Zuordnung“ mit dem Ziel, eine vom Vertrag abweichende Zuordnung des Arbeitnehmers zu dem vom Übergang betroffenen Betrieb oder Betriebsteil zu erreichen, ist im Rahmen der allgemeinen Vorgaben zulässig (vgl. Rz. 10.126 und Rz. 10.57 ff.).
III. Namentliche Zuordnung der Arbeitnehmer im Interessenausgleich 10.198
Die wichtigste Einschränkung der gerichtlichen Überprüfbarkeit kann nach § 323 Abs. 2 UmwG im Zusammenhang mit einer Spaltung oder Vermögensteilübertragung durch die in einem Interessenausgleich zwischen Betriebsrat und übertragendem Rechtsträger vorgenommene Zuordnung bewirkt werden.
1. Vorliegen von Betriebsänderung und Interessenausgleich 10.199
Obwohl § 323 Abs. 2 UmwG – anders als § 125 InsO und § 1 Abs. 5 KSchG – nicht ausdrücklich von einer Betriebsänderung spricht, dürfte eine solche Regelungsmöglichkeit an sich nur im Zusammenhang mit einer solchen Maßnahme gegeben sein. Hiervon geht die im Schrifttum h.M. aus2. Denn schließlich handelt es sich bei der Bezeichnung „Interessenausgleich“ um einen rechtstechnischen Begriff, der seinen Ursprung und seine Prägung im Zusammenhang mit den Beteiligungsrechten des Betriebsrats wegen einer Betriebsänderung nach §§ 111, 112 BetrVG erfahren hat. Allerdings ist der Wortlaut hier keineswegs eindeutig3, so dass es vertretbar wäre, auch einen freiwilligen Interessenausgleich anlässlich einer Umwandlung einzubeziehen4. Dies wäre insbesondere dann vorteilhaft, wenn die Zuordnung von Arbeitnehmern anlässlich der Übertragung eines Betriebs in seiner Gesamtheit erfolgen sollte. Eine solche Form der Übertragung dürfte gerade bei der Verschmelzung, die ebenfalls von § 323 Abs. 2 UmwG genannt wird, der Regelfall sein. Denn dieser Übergang stellt, folgt man der h.M., keine Betriebsänderung dar (vgl. Rz. 10.170 ff.). Nur wenn man sie – nicht zutreffend – als Betriebsänderung qualifiziert5, könnte ein Interessenausgleich nach § 112 BetrVG ange-
1 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 47, dort auch zum Folgenden. 2 Roloff/Plum, ZIP 2019, 2288, 2290; Lutter/Joost, § 323 UmwG Rz. 33; APS/Steffan, § 323 UmwG Rz. 19; HWK/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 28; Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 58; Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 125; Mengel, Umwandlungen, S. 109 ff., 118 f.; Brinkmann, Spaltung von Rechtsträgern, S. 136 f.; Schalle, Bestandsschutz, S. 84 ff., 99; Studt, Interessenausgleich, S. 24 ff. 3 Ein Teil der Literatur deutet z.B. „bei“ in „wegen“ um, vgl. Henssler/Strohn/Moll, § 323 UmwG Rz. 18; Semler/Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 21. 4 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 112; Hohenstatt, NZA 1998, 846, 853 f.; a.A. Henssler/Strohn/Moll, § 323 UmwG Rz. 17. 5 So aber B. Gaul, Vorauflage, § 28 Rz. 101 ff.
358 | Mückl
Besonderheiten bei einer Umwandlung | Rz. 10.202 § 10
strebt werden1. Richtig ist allerdings, dass zwischen Umwandlung und Interessenausgleich ein Kausalzusammenhang bestehen muss2. Ein nur anlässlich einer Umwandlungsmaßnahme vereinbarter Interessenausgleich ohne Bezug zu der umwandlungsrechtlichen Maßnahme genügt nicht.
2. Formale Erfordernisse a) Schriftliche Vereinbarung In formaler Hinsicht verlangt die Zuordnung von Arbeitnehmern im Interessenausgleich zunächst einmal den Abschluss einer schriftlichen Vereinbarung (§ 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Die Vereinbarung muss beiderseits auf der gleichen Vertragsurkunde unterschrieben werden. Das bloße Paraphieren kann zwar genügen3; die Praxis sollte sich hierauf aber nicht verlassen und vorsorglich auf eine vollen Unterschrift bestehen. Denn nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist ein Interessenausgleich über eine geplante Betriebsänderung schriftlich niederzulegen und vom Unternehmer und vom Betriebsrat zu unterschreiben. Auf das gesetzliche Schriftformerfordernis sind die §§ 125, 126 BGB anwendbar. Nach § 126 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BGB muss bei einem Vertrag die Unterzeichnung der Parteien eigenhändig durch Namensunterschrift auf derselben Urkunde erfolgen. Da § 323 Abs. 2 UmwG – wie § 1 Abs. 5 KSchG – verlangt, dass die zu entlassenden Arbeitnehmer „in einem Interessenausgleich namentlich bezeichnet“ werden, erstreckt sich das Schriftformerfordernis auch auf die Namensliste4. Ihm wird ohne Weiteres Genüge getan, wenn die Namensliste zwar nicht im Interessenausgleich selbst, sondern in einer Anlage enthalten ist, und Interessenausgleich und Namensliste eine einheitliche Urkunde bilden5.
10.200
Eine einheitliche Urkunde liegt zunächst einmal dann vor, wenn sowohl Interessenausgleich als auch Namensliste unterschrieben und von Anfang an körperlich miteinander verbunden sind6. Für die Herstellung der Verbindung ist eine Heftklammer nicht ausreichend7. Notwendig ist die Verbindung durch Klebstoff, feste Bindung oder eine Heftmaschine8.
10.201
Eine einheitliche Urkunde kann aber nach der Rechtsprechung des BAG selbst dann vorliegen, wenn die Namensliste getrennt vom Interessenausgleich erstellt worden ist. Voraussetzung ist, dass im Interessenausgleich auf die zu erstellende Namensliste verwiesen wird, die erstellte Namensliste – ebenso wie zuvor der Interessenausgleich – von den Betriebsparteien unterschrieben worden ist und die Liste ihrerseits eindeutig auf den Interessenausgleich Bezug
10.202
1 Abw. Düwell, Festschrift Dietrich, S. 101, 116 f., der den Interessenausgleich i.S.d. § 323 Abs. 2 UmwG als eine Betriebsvereinbarung kennzeichnet, die normativ i.S.d. § 77 Abs.4 BetrVG wirke. Gleichwohl geht er davon aus, dass diese Betriebsvereinbarung einen Bezug zu einer Betriebsänderung hat. 2 Henssler/Strohn/Moll, § 323 UmwG Rz. 18. 3 ArbG Nürnberg v. 17.12.1997 – 2 Ca 5956/97 n.v.; offengelassen von BAG v. 12.5.2010 – 2 AZR 551/08, NZA 2011, 114 Rz. 22; a.A. B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 113. 4 So für § 1 Abs. 5 KSchG bereits BAG v. 12.5.2010 – 2 AZR 551/08, NZA 2011, 114 Rz. 17. 5 Ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG v. 12.5.2010 – 2 AZR 551/08, NZA 2011, 114 Rz. 17 m.w.N. 6 So für § 1 Abs. 5 KSchG bereits BAG v. 12.5.2010 – 2 AZR 551/08, NZA 2011, 114 Rz. 17. 7 Hessisches LAG v. 20.6.1989 – 5 Sa 12/89, (LS) n.v. 8 BAG v. 7.5.1998 – 2 AZR 55/98, NZA 1998, 1110 Rz. 22.
Mückl | 359
§ 10 Rz. 10.202 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
nimmt1. Nach der Rechtsprechung des BAG ist hierfür nicht nur eine Verweisung im Interessenausgleich auf eine (noch zu erstellende) Namensliste, sondern auch ein textlicher Rückbezug in der (zeitnah erstellten) Namensliste auf den betreffenden Interessenausgleich unverzichtbar. Nur so sei – so das BAG – für den Fall, dass beide Schriftstücke nicht schon von Beginn an körperlich miteinander verbunden waren, die erforderliche Einheitlichkeit der Urkunde herzustellen und zu garantieren2.
10.203
Sogar eine nicht unterschriebene Namensliste als Anlage wahrt die Schriftform nach der Rechtsprechung des BAG noch, wenn die Unterschrift unter dem Interessenausgleich sie als dessen Teil noch deckt. Das ist der Fall, wenn der Interessenausgleich selbst unterschrieben ist, in ihm auf die Anlage ausdrücklich Bezug genommen wird und Interessenausgleich und Anlage schon bei dessen Unterzeichnung mit einer Heftmaschine körperlich derart miteinander verbunden waren, dass eine Lösung nur durch Gewaltanwendung (Lösen der Heftklammer) möglich war3. b) Namentliche Bezeichnung
10.204
Ein Interessenausgleich nach § 323 Abs. 2 UmwG muss die Arbeitnehmer namentlich bestimmten Betrieben oder Betriebsteilen zuordnen4. Eine ausdrückliche gleichzeitige Zuordnung zu einem bestimmten Rechtsträger in den Fällen der Spaltung oder Teilübertragung ist nicht erforderlich und ohne Zuordnung zu einem Betrieb(steil) auch nicht ausreichend5. Eine pauschale Bezugnahme auf Abteilungen oder Arbeitsgruppen reicht im Rahmen des § 323 Abs. 2 UmwG ebenfalls nicht aus6.
10.205
Eine namentliche Bezeichnung verlangt umgekehrt ferner, nicht allein von den in einer Abteilung, einem Betrieb oder einem Betriebsteil beschäftigten Arbeitnehmern zu sprechen7. Dies gilt selbst dann, wenn jeweils eine ausnahmslose Übertragung der tatsächlich dort tätigen Arbeitnehmer beabsichtigt ist. Die namentliche Kennzeichnung muss, wenn Vorname und Nachname zur Individualisierung nicht genügen, vielmehr sogar mit ergänzenden Hinweisen (z.B. Geburtsdatum, Abteilung, Personalnummer) versehen werden. Damit unterscheiden sich die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Namensliste gemäß § 323 Abs. 2 UmwG von den Anforderungen zur Bestimmtheit der Angaben im Spaltungsplan oder -vertrag, soweit es dort um die Rechtsfolgen für die von einem Übergang betroffenen Arbeitsverhältnisse geht (vgl. zu den Anforderungen an die dortigen Angaben Rz. 3.65 ff.).
BAG v. 12.5.2010 – 2 AZR 551/08, NZA 2011, 114 Rz. 17. BAG v. 12.5.2010 – 2 AZR 551/08, NZA 2011, 114 Rz. 24. BAG v. 12.5.2010 – 2 AZR 551/08, NZA 2011, 114 Rz. 17. KölnKomm/Hohenstatt/Schramm, § 323 UmwG Rz. 42; Henssler/Strohn/Moll, § 323 UmwG Rz. 19. 5 Schmitt/Hörtnagl/Langner, § 323 UmwG Rz. 17; Henssler/Strohn/Moll, § 323 UmwG Rz. 19; Semler/Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 23. 6 KölnKomm/Hohenstatt/Schramm, § 323 UmwG Rz. 42; Semler/Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 22; Henssler/Strohn/Moll, § 323 UmwG Rz. 19. 7 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 113. 1 2 3 4
360 | Mückl
Besonderheiten bei einer Umwandlung | Rz. 10.208 § 10
IV. Rechtsfolgen von § 323 Abs. 2 UmwG und bestehender Gestaltungsspielraum 1. § 323 Abs. 2 UmwG als lex specialis zu § 315 Abs. 3 BGB a) Dogmatische Einordnung Ausgehend von Wortlaut und Systematik der Norm sowie den zwingenden Vorgaben des § 613a BGB, die durch § 323 Abs. 2 UmwG – wie dargelegt (vgl. Rz. 10.182 ff.) – nicht eingeschränkt werden, bildet § 323 Abs. 2 UmwG nicht erst die Grundlage dafür, in einem Interessenausgleich die namentliche Zuordnung von Arbeitnehmern zu einem Betrieb oder Betriebsteil vorzunehmen1. Grundlage für die Zuordnung von Arbeitnehmern bleibt das arbeitgeberseitige Direktionsrecht2, dessen Grenzen, lässt man sonstige Gesetze und Kollektivnormen einmal außer Acht, vor allem durch den Grundsatz billigen Ermessens (§ 315 Abs. 1 BGB) definiert werden. Insoweit muss also auch eine Zuordnung, die durch Arbeitgeber und Betriebsrat im Interessenausgleich vorgenommen wird, (grundsätzlich; vgl. Rz. 10.199 ff.) noch auf individualrechtlicher Ebene umgesetzt werden3. Dies gilt auch dann, wenn in Zweifelsfällen (noch) eine namentliche Zuordnung der Arbeitnehmer im Spaltungsplan oder Umwandlungsvertrag vorgenommen wurde. Der Plan oder Vertrag hat auch in diesen Fallgestaltungen keine konstitutive Bedeutung; er perpetuiert nur die vorangehende Entscheidung des übertragenden Rechtsträgers4.
10.206
Die Bedeutung von § 323 Abs. 2 UmwG liegt angesichts dessen nicht in einer Ausweitung oder Einschränkung der Freiheit des Arbeitgebers, im Vorfeld der Übertragung eines Betriebsteils die Zuordnung von Arbeitnehmern vorzunehmen. § 323 Abs. 2 UmwG schränkt vielmehr die Möglichkeit ein, die Wirksamkeit der individualrechtlichen Maßnahmen zu überprüfen, die zur Umsetzung der im Interessenausgleich getroffenen Zuordnung vorgenommen werden (vgl. Rz. 10.182 ff.). Der Interessenausgleich kann also nur Maßnahmen betreffen, die personelle Maßnahmen im Rahmen der Neuorganisation auf der betrieblichen Ebene betreffen. Nur so lässt sich auch erklären, dass der Gesetzgeber die Vereinbarung nach § 323 Abs. 2 UmwG auch auf Maßnahmen beziehen will, die „nach“ der Umwandlung wirksam werden. Denn hier spielt § 613a BGB keine Rolle mehr5. Vor diesem Hintergrund ist § 323 Abs. 2 UmwG als lex specialis zu § 315 Abs. 3 BGB anzusehen, der im Allgemeinen von einer vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit der nach billigem Ermessen zu treffenden Entscheidungen ausgeht6.
10.207
Die Zuordnung ist in allen kollektiv- und individualrechtlichen Streitigkeiten, für die sie maßgeblich ist, z.B. bei Fragen der Anwendbarkeit des BetrVG oder des KSchG wie auch bei der Frage der Sozialauswahl im Fall einer betriebsbedingten Kündigung, nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfbar7.
10.208
1 Hartmann, ZfA 1997, 21, 30; B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 116. 2 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 117. 3 So auch Baumann, DStR 1995, 888, 892; Hartmann, ZfA 1997, 21, 32; Schalle, Bestandsschutz, S. 96 ff., 111 f. 4 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 117; abw. Boecken, ZIP 1994, 1087, 1091. 5 Ebenso Mengel, Umwandlungen, S. 109 ff., 115, 117, 119 f. 6 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 119; Hartmann, ZfA 1997, 21, 30 ff. 7 Schmitt/Hörtnagl/Langner, § 323 UmwG Rz. 22; Semler/Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 32; Henssler/Strohn/Moll, § 323 UmwG Rz. 21.
Mückl | 361
§ 10 Rz. 10.209 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
b) Gestaltungsspielraum
10.209
§ 323 Abs. 2 UmwG führt dazu, dass die Zuordnung von Arbeitnehmern, wenn sie entsprechend der Vereinbarung mit dem Betriebsrat im Interessenausgleich erfolgt, nur noch auf grobe Ermessensfehler überprüft werden kann. Dies gilt zunächst, wenn die Zuordnung im Rahmen des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts bzw. durch einen als Betriebsvereinbarung ausgestalteten Interessenausgleich (vgl. Rz. 10.220 ff.) erfolgt ist. Die Zuordnung mittels Änderungskündigung in Umsetzung eines Interessenausgleichs gemäß § 323 Abs. 2 UmwG dürfte – soweit die Änderung der Arbeitsbedingung die Neuzuordnung betrifft – ebenfalls privilegiert sein, soweit sie nicht gegen § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB verstößt1. Denn es kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber mit § 323 Abs. 2 UmwG erst Einschätzungsspielräume eröffnen wollte, um sie dann auf dem Umweg über §§ 1, 2 KSchG wieder zu schließen. Das wäre widersprüchlich, zumal Interessenausgleiche in aller Regel einer individualrechtlichen Umsetzung bedürfen (zu Ausnahmen vgl. Rz. 10.220 ff.).
10.210
Folgerichtig kann es deshalb auch – entgegen der Ansicht des 8. Senats im Urteil vom 19.10.20172 – nicht überzeugen, wenn § 323 Abs. 2 UmwG als spezialgesetzliche Regelung zu § 613a BGB qualifiziert wird3. Dies macht § 324 UmwG deutlich, der klarstellt, dass § 613a BGB auch bei einer Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensteilübertragung Anwendung findet (vgl. Rz. 10.172). Nicht überzeugend ist daher auch, wenn der Anwendungsbereich von § 323 Abs. 2 UmwG auf die sog. „umwandlungsrechtlich übergehenden Arbeitsverhältnisse“ begrenzt wird4. Der Gesetzgeber hat mit § 323 Abs. 2 UmwG den betrieblichen Sozialpartnern gerade eine Regelungsmöglichkeit verschaffen wollen, die dem Umstand Rechnung trägt, dass auch im Anwendungsbereich von § 613a BGB Zweifelsfälle hinsichtlich der Zuordnung von Arbeitnehmern entstehen können5. Im Übrigen bliebe bei einer Beschränkung auf die sog. „umwandlungsrechtlich übergehenden Arbeitsverhältnisse“ für § 323 Abs. 2 UmwG nahezu kein Anwendungsbereich mehr, was der Gesetzgeber erkennbar gerade nicht gewollt hat6. Schließlich sollte mit § 323 Abs. 2 UmwG die Streichung der noch in § 126 des Referentenentwurf vom 15.4.1992 enthaltenen Möglichkeit, die Zuordnung der Arbeitsverhältnisse im Umwandlungsvertrag mehr oder weniger frei zu regeln, teilweise kompensiert werden7.
10.211
Damit wird die zwingende Wirkung von § 613a BGB durch § 323 Abs. 2 UmwG keineswegs eingeschränkt8. Im Gegenteil: Bei der Frage, ob die auf der Grundlage des Interessenausgleichs vorgenommene Zuordnung wirksam ist, müssen die Wertentscheidungen berücksichtigt werden, die mit § 324 UmwG, § 613a BGB zum Übergang von Betrieben und Betriebsteilen geschaffen wurden9. Der dahingehende Vorrang der Regelungen zum Betriebsübergang ist bereits aus dem Gesichtspunkt ihrer unionsrechtskonformen Auslegung und Anwendung geboten. Schließlich darf § 323 Abs. 2 UmwG nicht zu einer Umgehung der Bestandsgarantie 1 Mengel, Umwandlungen, S. 109, 116, 128; Römer, Interessenausgleich, S. 211 f.; a.A. B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 119. 2 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, BAGE 160, 345 Rz. 37. 3 Brinkmann, Spaltung von Rechtsträgern, S. 141 ff., 145; a.A. Kallmeyer, ZIP 1994, 1746, 1757; ebenso Lutter/Joost, Umwandlungsrechtstage, S. 297, 321. 4 So aber Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 125; a.A. wie hier B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 120. 5 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 120. 6 Vgl. Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 55. 7 Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 59. 8 Zutreffend Mengel, Umwandlungen, S. 109 ff., 126 f., 129. 9 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 121; vgl. Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 62a.
362 | Mückl
Besonderheiten bei einer Umwandlung | Rz. 10.213 § 10
durch Richtlinie 2001/23/EG führen. Dabei schließen die europarechtlichen Vorgaben indes nicht aus, auch Zweifelsfälle im Rahmen des Anwendungsbereichs von § 613a BGB durch die betrieblichen Sozialpartner festzulegen1. Wird bei der Betriebsaufspaltung allerdings der Betrieb zerschlagen und gehen insoweit auch keine Betriebsteile auf die neu gebildeten Betriebe über, kann die Zuordnungsentscheidung im Interessenausgleich mit der Namensliste gemäß § 323 Abs. 2 UmwG frei von § 613a BGB erfolgen, da die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Betriebsteilübergangs nicht vorliegen2. Auch das BAG fordert in seinem Urteil vom 19.10.20173 lediglich eine Zuordnung zu übertragungsfähigen Einheiten, die aber auch erst im Vorfeld des Übertragungsvorgangs geschaffen werden können.
10.212
Beispiel: Wenn die A GmbH ihre Betriebe X, Y und Z, d.h. die bisherigen wirtschaftlichen Einheiten, nach Arbeitsprozessen zerschlägt und im Anschluss daran – entsprechend der identifizierten Arbeitsprozesse – die neuen Betriebe AX, BY und CZ bildet, um sie im Nachgang umwandlungsrechtlich im Wege der Abspaltung nach § 123 Abs. 2 Nr. 2 UmwG auf ihre Schwestergesellschaft, die B GmbH, zu übertragen, kann die A GmbH mit dem zuständigen Betriebsrat4 im Rahmen des § 323 Abs. 2 UmwG auf der Grundlage eines Interessenausgleichs mit Namensliste eine Zuordnung der Mitarbeiter der Ursprungsbetriebe X, Y und Z zu den neuen Betrieben AX, BY und CZ vornehmen, ohne hierbei an die Vorgaben des § 613a BGB gebunden zu sein. § 613a BGB greift nach § 324 UmwG erst ein, wenn die Abspaltung nach § 123 Abs. 2 Nr. 2 UmwG durch Eintragung im Handelsregister vollzogen wird, indem die neuen Betriebe AX, BY und CZ auf die B GmbH übertragen werden5.
Die Zuordnungen der Arbeitnehmer konnten die Betriebsparteien im vorstehenden Beispiel nach § 323 Abs. 2 UmwG durch eine Namensliste im Rahmen des Interessenausgleichs nach § 112 BetrVG vornehmen. Zwar kann nach h.M. nach § 324 UmwG keine von § 613a BGB abweichende Zuordnungsentscheidung der Betriebsparteien getroffen werden (vgl. Rz. 10.177 ff.)6. Dieser Vorrang kommt im vorstehenden Beispiel aber nicht zum Tragen. Denn § 324 UmwG ist nicht lediglich eine Rechtsfolgenverweisung, sondern eine Rechtsgrundverweisung auf § 613a BGB (vgl. Rz. 10.172 ff.)7. Der Vorrang des § 613a BGB i.V.m. § 324 UmwG vor einer Zuordnung gemäß § 323 Abs. 2 UmwG gilt folgerichtig nur dann, wenn mit der Umwandlungsmaßnahme tatsächlich ein Betrieb oder Betriebsteil auf einen anderen Rechtsträger übergeht8. Werden demgegenüber die Betriebe, die im Zuge der Spaltung auf den oder die neuen Rechtsträger übertragen werden sollen, erst durch eine zeitgleiche organisatorische Umstrukturierung geschaffen, fehlt es zuvor an Betrieben oder Betriebsteilen, an die für die Zuordnung der Arbeitnehmer gemäß § 613a Abs. 1 BGB angeknüpft werden könnte9. In dieser Situation kön1 2 3 4 5 6 7 8 9
A.A. Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 128. LAG Schleswig-Holstein v. 5.11.2015 – 5 Sa 437/14, juris Rz. 93. BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, BAGE 160, 345 Rz. 37. Zu den Zuständigkeiten vgl. allgemein Mückl/Fuhlrott/Niklas/Otto/Schwab/Otto, Kap. 2 Rz. 132 ff. m.w.N. LAG Schleswig-Holstein v. 5.11.2015 – 4 Sa 28/15, NZG 2016, 557 (LS) Rz. 97; LAG Schleswig-Holstein v. 5.11.2015 – 5 Sa 437/14, ZInsO 2016, 593 (LS) Rz. 93. LAG Hamburg v. 4.5.2016 – 6 Sa 2/16, ZInsO 2016, 2305 Rz. 104; differenzierend Mückl/Fuhlrott/ Niklas/Otto/Schwab/Mückl, Kap. 4 Rz. 99, 109 m.w.N. Mückl/Fuhlrott/Niklas/Otto/Schwab/Mückl, Kap. 4 Rz. 39 m.w.N. LAG Schleswig-Holstein v. 5.11.2015 – 5 Sa 437/14, ZInsO 2016, 593 (LS) Rz. 87; LAG Hamburg v. 4.5.2016 – 6 Sa 2/16, ZInsO 2016, 2305 Rz. 104. LAG Schleswig-Holstein v. 5.11.2015 – 5 Sa 437/14, ZInsO 2016, 593 (LS) Rz. 86 ff.; LAG Hamburg v. 4.5.2016 – 6 Sa 2/16, ZInsO 2016, 2305 Rz. 104.
Mückl | 363
10.213
§ 10 Rz. 10.213 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
nen die Betriebsparteien in einem Interessenausgleich zur Betriebsspaltung die namentliche Zuordnung der Arbeitnehmer zu den neu geschaffenen Betrieben vornehmen1.
10.214
Entsprechende Zuordnungsentscheidungen können auch kurzfristig vor einem Betriebs(teil) übergang vorgenommen werden (vgl. Rz. 10.59)2. Gestaltungsgrenzen ergeben sich allerdings daraus, dass die im Interessenausgleich erfolgte Zuordnung nach § 323 Abs. 2 UmwG nicht grob fehlerhaft sein darf (vgl. Rz. 10.226 ff.). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie die gesetzlichen Wertungen des § 613a BGB missachtet3, indem sich die Betriebsparteien nicht von sachlichen Gründen leiten lassen und die Zuordnung willkürlich erscheint. Nach der gesetzlichen Intention steht ihnen aber ein Beurteilungsspielraum zu4. Sind sachliche Gründe erkennbar, scheidet eine grobe Fehlerhaftigkeit aus (vgl. Rz. 10.226)5.
10.215
Soweit ganz überwiegend die Ansicht vertreten wird, dass im Wege des Interessenausgleichs keine von § 613a BGB abweichende Zuordnung vorgenommen werden kann6, kann dieser Bewertung indes nur insoweit gefolgt werden, als eine hiervon abweichende Zuordnung den Grundsätzen billigen Ermessens genügen bzw. ohne Verstoß gegen § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB sozial gerechtfertigt sein (§§ 1, 2 KSchG) muss. Ob dies der Fall ist, kann, wenn die namentliche Zuordnung im Interessenausgleich erfolgt ist, durch das Arbeitsgericht nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.
10.216
Würde man anders entscheiden, wäre § 323 Abs. 2 UmwG im Übrigen bedeutungslos. Denn immer dann, wenn ein Arbeitnehmer ohnehin einem Betrieb oder Betriebsteil zugeordnet werden kann, bedarf es an sich keiner weiteren Maßnahme, um den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auszulösen. Wenn aber gerade die Fälle, die nicht oder nicht ohne weiteres zugeordnet werden können, einer Entscheidung der betrieblichen Sozialpartner entzogen sind, könnte lediglich deklaratorisch das aus § 613a BGB, § 324 UmwG folgende Ergebnis wiedergegeben werden.
10.217
Entgegen abweichender Stimmen7 ist § 323 UmwG damit nicht nur auf die Zweifelsfälle, insbesondere die Zuordnung betriebs- und betriebsteilübergreifend tätiger Arbeitnehmer begrenzt8. Vielmehr können in die Zuordnung durch den Interessenausgleich auch solche Arbeitnehmer einbezogen werden, die zwar in einem anderen Betrieb oder Betriebsteil beschäftigt sind, deren Arbeit wegen des übergreifenden Zwecks aber auch dem von der Übertragung betroffenen Betrieb oder Betriebsteil zugutegekommen ist. Beispielhaft kann es hierbei um die Zuordnung der im Overhead beschäftigten Arbeitnehmer gehen, selbst wenn die dortigen Be1 LAG Schleswig-Holstein v. 5.11.2015 – 5 Sa 437/14, ZInsO 2016, 593 (LS) Rz. 86 ff.; LAG Hamburg v. 4.5.2016 – 6 Sa 2/16, ZInsO 2016, 2305 Rz. 104; vgl. bereits Mückl/Götte, GWR 2016, 106. 2 Mückl/Götte, DB 2017, 966, 967 m.w.N. 3 LAG Schleswig-Holstein v. 5.11.2015 – 5 Sa 437/14, ZInsO 2016, 593 (LS) Rz. 115; Mückl/Fuhlrott/Niklas/Otto/Schwab/Mückl, Kap. 4 Rz. 107 ff. 4 LAG Schleswig-Holstein v. 5.11.2015 – 5 Sa 437/14, ZInsO 2016, 593 (LS) Rz. 115; Mückl/Fuhlrott/Niklas/Otto/Schwab/Mückl, Kap. 4 Rz. 107 ff. 5 LAG Schleswig-Holstein v. 5.11.2015 – 5 Sa 437/14, ZInsO 2016, 593 (LS) Rz. 115; ErfK/Oetker, § 324 UmwG Rz. 10; HWK/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 30; Mückl/Fuhlrott/Niklas/Otto/Schwab/ Mückl, Kap. 4 Rz. 107 ff. m.w.N. 6 Vgl. nur Bauer/Lingemann, NZA 1994, 1057, 1061; Wlotzke, DB 1995, 40, 45; Willemsen, NZA 1996, 791, 799; Düwell, NZA 1996, 393, 398; Schalle, Bestandsschutz, 68 ff., 73. 7 Vgl. z.B. Bauer/Lingemann, NZA 1994, 1057, 1061; Wlotzke, DB 1995, 40, 45; Düwell, NZA 1996, 393, 398; Bachner, AuA 1996, 217, 219; Müller-Ehlen, Übergang von Arbeitsverhältnissen, 66. 8 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 124.
364 | Mückl
Besonderheiten bei einer Umwandlung | Rz. 10.220 § 10
reiche (z.B. Personal, Finanzen) eigenständig geführt werden, also an sich nicht von der Übertragung anderer Betriebe oder Betriebsteile betroffen sind. Andernfalls könnte im Zusammenhang mit einer Betriebsspaltung dem Umstand nicht Rechnung getragen werden, dass mit der Übertragung anderer Betriebsteile die Arbeit auch für die Zentralabteilungen verringert wird, ohne dass die dort beschäftigten Mitarbeiter unmittelbar vom Übergang betroffen sind1. Bei einer Zuordnung dieser Bereiche muss allerdings unter Berücksichtigung der Wertentscheidungen von § 324 UmwG, § 613a BGB überprüft werden, ob die betrieblichen Sozialpartner die Grenzen billigen Ermessens eingehalten haben. In Fallgestaltungen, in denen Vermögen übertragen wird, das nicht die Qualität eines Betriebs oder Betriebsteils besitzt, kann demgegenüber – wenn man § 323 Abs. 2 UmwG nicht mit dem BAG2 ganz ausscheiden lässt – allein auf die allgemeinen Überlegungen zum billigen Ermessen i.S.d. § 315 Abs. 1 BGB zurückgegriffen werden3. Insbesondere in diesen Fallgestaltungen kann die Zuordnung dann durchaus auch von unternehmerischen Belangen, z.B. dem Interesse an einer angemessenen Alters- und Leistungsstruktur der Belegschaft, beeinflusst sein4. c) Normative Wirkung? Der Interessenausgleich und die in ihm vorgenommene Zuordnung haben nach h.M. keine normative Wirkung5. Sie bewirken keine Änderung des Inhalts des Arbeitsvertrags. Die Zuordnung im Interessenausgleich gibt vielmehr – lässt man Fälle eines als Betriebsvereinbarung abgeschlossenen Interessenausgleichs einmal unberücksichtigt – lediglich die Bewertung der Betriebsparteien über die bestehende Eingliederung wieder und ist damit „nur“ eine feststellende Wissenserklärung i.S. einer Bewertung6. Eine auf der Grundlage des Arbeitsvertrags nicht mögliche Versetzung muss ggf. individualrechtlich gesondert umgesetzt werden7; Beispiel: Änderungsvereinbarung vor dem Betriebs(teil)übergang.
10.218
Die Zuordnung im Interessenausgleich lässt im Übrigen das Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB unberührt8. Im Fall eines Widerspruchs bleibt das Arbeitsverhältnis zum bisherigen Rechtsträger erhalten; es findet aber keine „Zuordnung“ zu einem anderen Rechtsträger oder Betrieb(steil) statt9.
10.219
d) Als Betriebsvereinbarung abgeschlossener Interessenausgleich Weiterreichende Gestaltungsspielräume durch Einschränkung der Überprüfbarkeit der vorgenommenen Zuordnungsentscheidung auf grobe Fehlerhaftigkeit werden erreicht, wenn der
1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. Mengel, Umwandlungen, S. 138 ff. BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, BAGE 160, 345 Rz. 27–29. B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 124. B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 124. Semler/Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 32; APS/Steffan, § 323 UmwG Rz. 29; Henssler/Strohn/ Moll, § 323 UmwG Rz. 23; Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 61. Lutter/Joost, § 323 UmwG Rz. 38. Diese Bewertung erfasst auch konkludente Vertragsänderungen (vgl. zu ihnen Rz. 10.24 f.). Schmitt/Hörtnagl/Langner, § 323 UmwG Rz. 22; vgl. Semler/Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 34; Henssler/Strohn/Moll, § 323 UmwG Rz. 23. Henssler/Strohn/Moll, § 323 UmwG Rz. 24; Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 61. BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, DB 2013, 1178 Rz. 42 ff.; Mückl, Arbeitsrecht in Krise und Insolvenz, 2. Aufl., Rz. 1135 ff.; Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 61; Lutter/Joost, § 324 UmwG Rz. 42; Semler/Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 49 f.; Henssler/Strohn/Moll, § 323 UmwG Rz. 24.
Mückl | 365
10.220
§ 10 Rz. 10.220 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
zuordnende Interessenausgleich dadurch normative Wirkung erlangt, dass er als Betriebsvereinbarung abgeschlossen wird.
10.221
Ein Interessenausgleich im rechtstechnischen Sinn ist zwar eine Einigung zwischen Unternehmer und Betriebsrat über eine geplante Betriebsänderung, § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Er bezieht sich insoweit ausschließlich darauf, ob und wann diese Maßnahme durchgeführt und wie sie verwirklicht werden soll1. Er ist nach überwiegender Ansicht eine kollektive Vereinbarung besonderer Art2, begründet ein kollektivrechtliches Schuldverhältnis3 und ist keine Betriebsvereinbarung4, bindet den Arbeitgeber aber regelmäßig, die Betriebsänderung in der im Interessenausgleich vorgesehenen Art und Weise durchzuführen5. Im Gegensatz dazu hat der Sozialplan – die Einigung über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen (§ 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) – die Wirkung einer Betriebsvereinbarung (§ 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG).
10.222
Nach der Differenzierung des Gesetzes zwischen Interessenausgleich und Sozialplan hat der Interessenausgleich Regelungen zum Inhalt, die nicht Gegenstand des Sozialplans nach § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG sind. Danach haben der Ausgleich und die Milderung der den Arbeitnehmern entstehenden wirtschaftlichen Nachteile im Interessenausgleich grundsätzlich „nichts zu suchen“6. Dennoch enthalten Vereinbarungen über einen Interessenausgleich häufig nicht nur Regelungen über die Durchführung der Betriebsänderung selbst, sondern auch Folgeregelungen, die ihrer Art nach Geltung für die Arbeitsverhältnisse beanspruchen und den Arbeitnehmern Rechte oder Ansprüche einräumen. Ein derartiger sog. „qualifizierter Interessenausgleich“ ist eine gemischte Vereinbarung, die auch die Rechtsnatur einer freiwilligen Betriebsvereinbarung (§ 88 BetrVG) aufweist7.
10.223
Hiervon ausgehend ist es den Betriebsparteien jedenfalls unbenommen8, einen Interessenausgleich freiwillig als Betriebsvereinbarung abzuschließen und ihm so normative Wirkung bei-
1 BGH v. 15.11.2000 – XII ZR 197/98, AP Nr.140 zu § 112 BetrVG 1972, Rz. 46; LAG Düsseldorf v. 14.12.2010 – 16 Sa 513/10, Rz. 87. 2 BAG v. 20.4.1994 – 10 AZR 186/93, BAGE 76, 255, Rz. 27; LAG Düsseldorf v. 14.12.2010 – 16 Sa 513/10, Rz. 87. 3 GK-BetrVG/Oetker, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 73. 4 BGH v. 15.11.2000 – XII ZR 197/98, AP Nr.140 zu § 112 BetrVG 1972, Rz. 45. 5 Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 44, GK-BetrVG/Oetker, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 73. 6 BGH v. 15.11.2000 – XII ZR 197/98, AP Nr.140 zu § 112 BetrVG 1972, Rz. 48; LAG Düsseldorf v. 14.12.2010 – 16 Sa 513/10, Rz. 88. 7 BGH v. 15.11.2000 – XII ZR 197/98, AP Nr.140 zu § 112 BetrVG 1972, Rz. 47; LAG Berlin-Brandenburg v. 24.8.2011 – 15 Sa 170/11, BB 2011, 2932 (LS) Rz. 34; LAG Düsseldorf v. 14.12.2010 – 16 Sa 513/10, Rz. 88; LAG Berlin-Brandenburg v. 4.6.2010 – 13 Sa 832/10, Rz. 61; Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 47; Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rz. 45 f.; GK-BetrVG/Oetker, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 75; vgl. auch BAG v. 14.11.2006 – 1 AZR 40/06, BAGE 120, 173 Rz. 22; BAG v. 17.4.2012 – 1 AZR 119/11, DB 2012, 2406 Rz. 23 (Interessenausgleich und Sozialplan als Betriebsvereinbarung). 8 Eine Auffassung in der Literatur fordert einen ausdrücklichen Abschluss als Betriebsvereinbarung, vgl. dazu und zu zutreffenden Gegenargumenten wie hier GK-BetrVG/Oetker, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 76.
366 | Mückl
Besonderheiten bei einer Umwandlung | Rz. 10.225 § 10
zulegen1, z.B. zusammen mit einer Auswahlrichtlinie2. Ihm kommt dann normative Wirkung gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG zu3. Führt man sich nun die vom BAG entwickelte Betriebsvereinbarungsoffenheit von als AGB abgeschlossenen Arbeitsverträgen (vgl. Rz. 10.44 ff.) und die Zulässigkeit einer in der Betriebsvereinbarung vorgenommenen Ausübung des Direktionsrechts (vgl. Rz. 10.44, 10.55) vor Augen, kommt eine neue Zuordnung von Arbeitsverhältnissen auch in einem als Betriebsvereinbarung abgeschlossenen Interessenausgleich i.S.d. § 323 Abs. 2 UmwG in Betracht, die dann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit (dazu Rz. 10.226 ff.) überprüfbar ist. Dass ein in diesem Sinne „qualifizierter“ Interessenausgleich kein Interessenausgleich i.S.d. § 323 Abs. 2 UmwG ist, wird man nämlich aus mehreren Gründen nicht annehmen können. Zunächst einmal spricht dagegen, dass der Gesetzgeber mit der durch § 323 Abs. 2 UmwG bewirkten Begrenzung der Kontrollfähigkeit von Zuordnungen kompensieren wollte, dass die noch in § 126 des Referentenentwurf vom 15.4.1992 enthaltenen Möglichkeit, die Zuordnung der Arbeitsverhältnisse im Umwandlungsvertrag mehr oder weniger frei zu regeln, gestrichen wurde4. Wenn der Gesetzgeber aber zulässigen Gestaltungsspielraum so weit wie – im Rahmen der Vorgaben der RL 2001/23/EG – möglich aufrecht erhalten wollte, kann nicht angenommen werden, er habe einen durch einen qualifizierten Interessenausgleich bewirkten Gestaltungsspielraum aus dem Anwendungsbereich von § 323 Abs. 2 UmwG herausnehmen wollen. Dies gilt umso mehr, als die Möglichkeit, qualifizierte Interessenausgleiche bzw. Interessenausgleiche in Form einer freiwilligen Betriebsvereinbarung abzuschließen, bereits vor dem Inkrafttreten von § 323 Abs. 2 UmwG anerkannt war5. Auch dies spricht gegen eine Herausnahme aus dem Anwendungsbereich dieser Norm. Denn hätte der Gesetzgeber dies gewollt, hätte er das klargestellt und klarstellen müssen. Indem stattdessen ohne Einschränkung des Wortlauts auf den von der Rechtsprechung anerkannten Begriff des Interessenausgleichs abgestellt wird, der einen Abschluss als freiwillige Betriebsvereinbarung zulässt, wird klargestellt, dass jede Form des Interessenausgleichs erfasst ist, also auch ein qualifizierter bzw. als Betriebsvereinbarung abgeschlossener Interessenausgleich.
10.224
Auf der Grundlage eines solchen Interessenausgleichs kann daher im Vorfeld einer Umwandlung eine nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfbare Zuordnung von Arbeitsverhältnissen vorgenommen werden – und zwar nach der Rechtsprechung des BAG „von heute auf morgen“ (vgl. Rz. 10.59). Dadurch eröffnen sich den Betriebsparteien erhebliche Gestaltungsspielräume, die insbesondere in Krisensituationen genutzt werden können, um Betriebe bzw. Betriebsteile „verkaufsfähig“ und damit überlebensfähig zu gestalten (vgl. zu den insoweit individualrechtlich bestehenden Gestaltungsgrenzen Rz. 10.21 ff.). Denn sie erübrigen entsprechende Einzelvereinbarungen mit dem Arbeitnehmer, tragen auch ohne Eingreifen von § 323 Abs. 2 UmwG eine Richtigkeitsgewähr in sich (vgl. § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB)6 und sind – soweit § 323 UmwG eingreift – eben nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfbar. Da § 613a BGB kaum eine „Vorwirkung“ entfaltet (vgl. Rz. 10.60 ff.), wird man unter Berücksichtigung des
10.225
1 BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, NZA 2014, 46 Rz. 32; Grobys/Panzer-Heermeier/Schimmelpfennig, Interessenausgleich, Rz. 19; vgl. zu einem solchen Fall BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, BAGE 128, 238 Rz. 4; Lingemann/Beck, NZA 2009, 577, 578. 2 BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, NZA 2014, 46 Rz. 32. 3 Grobys/Panzer-Heemeier/Schimmelpfennig, Interessenausgleich, Rz. 19. 4 Kallmeyer/Willemsen, § 324 BetrVG Rz. 59, 61. 5 Vgl. nur Rumpff/Boewer, Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten, 3. Aufl. 1990, Kap. I Rz. 22. 6 Vgl. statt aller HWK/Gaul, § 77 BetrVG Rz. 21; BeckOKArbR/Jacobs, § 310 BGB Rz. 14.
Mückl | 367
§ 10 Rz. 10.225 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
Maßstabs der groben Fehlerhaftigkeit (dazu Rz. 10.226 ff.) nur in extremen Ausnahmefällen zu einer unzulässigen Zuordnung in einem als Betriebsvereinbarung abgeschlossenen Interessenausgleich nach § 323 Abs. 2 UmwG gelangen können.
2. Überprüfbarkeit auf grobe Fehlerhaftigkeit a) Voraussetzungen
10.226
Die Zuordnung von Arbeitnehmern ist, auch wenn sie auf der Grundlage eines Interessenausgleichs erfolgt, angreifbar, wenn sie einen „groben und ins Auge springenden Fehler“ besitzt1, wenn die Bewertung „völlig sachfremd“2 bzw. „in besonderem Maße sachwidrig und unter keinem sachlichen Gesichtspunkt zu rechtfertigen ist“3, wenn sie „evident unzulänglich“ ist4 oder ein „untragbares“ Ergebnis5 erzielt wurde, ihr also eine offensichtlich fehlende oder unangemessene Berücksichtigung der Interessen des Arbeitnehmers zugrunde liegt6. Grob fehlerhaft ist die Zuordnung gemessen an § 613a BGB daher, wenn sie in starkem Maße bzw. schwerwiegend gegen die sich aus § 613a BGB ergebende Zuordnung verstößt bzw. die dortigen gesetzlichen Wertungen vollständig missachtet7. Dies soll z.B. der Fall sein, wenn ein Arbeitnehmer einem Betrieb zugeordnet wird, in dem er bisher nicht oder nur völlig untergeordnet tätig war8. Keine grobe Fehlerhaftigkeit liegt umgekehrt vor, wenn die Zuordnung zumindest vertretbar ist9. b) Geltendmachungsfrist für den Arbeitnehmer?
10.227
Im Schrifttum ist zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit zunehmend eine Verpflichtung des Arbeitnehmers angenommen worden, die grobe Fehlerhaftigkeit innerhalb einer an § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB orientierten Frist gerichtlich geltend zu machen. Es könne schließlich nicht dauerhaft offen bleiben, in welcher betrieblichen Einheit und für welchen Arbeitgeber der Arbeitnehmer zu arbeiten habe10. Andere lehnen dies zu Recht unter Hinweis auf das Fehlen einer entsprechenden gesetzliche Regelung und ein fehlendes praktisches Bedürfnis ab11: Erst wenn nach ordnungsgemäßer Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 5 BGB nicht mehr wider-
1 So ArbG Berlin v. 16.4.1997 – 69 Ca 49520/96 n.v. zur Namensliste nach § 1 Abs. 5 KSchG. 2 So Bauer/Lingemann, NZA 1994, 1057, 1061; Willemsen, NZA 1996, 791, 799; Müller-Ehlen, Übergang von Arbeitsverhältnissen, S. 70. 3 So Hartmann, ZfA 1997, 21, 40. 4 So Ascheid, RdA 1997, 333, 341 f. zur Namensliste nach § 1 Abs. 5 KSchG a.F. 5 So Müller-Ehlen, Übergang von Arbeitsverhältnissen, S. 70. 6 Vgl. Wlotzke, DB 1995, 40, 45; Mengel, Umwandlungen, S. 154 f.; Studt, Interessenausgleich, S. 124 ff. 7 Schmitt/Hörtnagl/Langner, § 323 UmwG Rz. 20; Lutter/Joost, § 323 UmwG Rz. 40; Henssler/ Strohn/Moll, § 323 UmwG Rz. 21. Für § 1 Abs. 5 KSchG ebenso BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/ 11, BAGE 142, 339 Rz. 34: „wenn eine evidente, ins Auge springende erhebliche Abweichung von den Grundsätzen des § 1 Abs. 3 KSchG vorliegt und der Interessenausgleich jede soziale Ausgewogenheit vermissen lässt“. 8 Henssler/Strohn/Moll, § 323 UmwG Rz. 21. 9 Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 60. 10 KölnKomm/Hohenstatt/Schramm, § 323 UmwG Rz. 45; Lutter/Joost, § 323 UmwG Rz. 40 f.; Semler/Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 31. Siehe auch APS/Steffan, § 323 UmwG Rz. 28: die DreiWochen-Frist des § 4 KSchG kann herangezogen werden. 11 Henssler/Strohn/Moll, § 323 UmwG Rz. 22.
368 | Mückl
Besonderheiten bei einer Umwandlung | Rz. 10.228 § 10
sprochen werden könne, sei die Zuordnung nicht mehr angreifbar. Entsprechendes gelte für nicht übergehende Arbeitsverhältnisse. Ein anderes Ergebnis ist auch mit der von § 323 Abs. 2 UmwG angeordneten Rechtsfolge nicht vereinbar. Denn wenn § 323 Abs. 2 UmwG die gerichtliche Überprüfbarkeit einschränkt, ist nicht erkennbar, weshalb dies von einer Geltendmachung innerhalb einer bestimmten Frist abhängen sollte. Das Problem dürfte eher auf vertraglicher Ebene dahin zu lösen sein, dass dann, wenn die Fehlerhaftigkeit der Zuordnung vom Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum nicht geltend gemacht wird, von einer konkludenten Vertragsänderung auszugehen ist (vgl. Rz. 10.27 ff.). Ein Zeitraum von einem Monat dürfte dabei analog § 613a Abs. 6 BGB in aller Regel ausreichend sein. Etwas anderes folgt regelmäßig nicht aus einer denkbaren Übertragung der Grundsätze zur Verwirkung von Rechten (§ 242 BGB), die neben einem Zeitmoment ein Umstandsmoment erfordern1. Denn führt man sich vor Augen, dass der Gesetzgeber nach § 613a Abs. 6 BGB einen Zeitraum von einem Monat als ausreichend für die Ausübung des Widerspruchsrechts betrachtet, nachdem der Arbeitnehmer über die erfolgte – voraussetzungsgemäß: grob fehlerhafte – Zuordnung informiert ist, dürfte kein schutzwürdiges Vertrauen des Arbeitnehmers mehr anzuerkennen sein, nach Ablauf der Monatsfrist für den Widerspruch separat seine Zuordnung anzugreifen. Denn bei einer grob fehlerhaften Zuordnung ist das für den Arbeitnehmer bestehende Risiko, „ob ein Gericht im Rahmen der Prüfung nach § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB seine Einschätzung teilt“2, regelmäßig so gering, dass es in aller Regel zumutbar erscheint, den groben Fehler innerhalb eines Monats geltend zu machen. Etwas anderes kann nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen gelten, in denen sonstige zugunsten des Arbeitnehmers sprechende Umstände hinzutreten (z.B. eine Verhinderung der Geltendmachung o.Ä.).
3. Darlegungs- und Beweislast Darlegungs- und beweispflichtig für entsprechende Zuordnungsfehler ist der Arbeitnehmer3, wobei eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast besteht4. Nicht ausreichend ist dabei aber, wenn der Arbeitnehmer lediglich die grobe Fehlerhaftigkeit der Zuordnung behauptet5. Er muss zunächst einmal substantiiert Anhaltspunkte dafür vortragen, dass eine völlig sachfremde Entscheidung getroffen wurde6. Erst wenn dies der Fall ist, obliegt es dem Arbeitgeber, seinerseits substantiiert die Gründe für die Zuordnung darzulegen. Ein non liquet geht zu Lasten des Arbeitnehmers7.
1 BAG v. 21.9.2017 – 2 AZR 57/17, NZA 2017, 1524 Rz. 33. 2 BAG v. 18.10.2017 – 10 AZR 330/16, NZA 2017, 1452 Rz. 79. 3 Henssler/Strohn/Moll, § 323 UmwG Rz. 27; B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 126; Semler/Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 30; Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 132; Lutter/Joost, § 323 UmwG Rz. 40; APS/Steffan, § 323 UmwG Rz. 27; wohl auch Bauer/Lingemann, NZA 1994, 1057, 1061; Wlotzke, DB 1995, 40, 45; Mengel, Umwandlungen, S. 155; Studt, Interessenausgleich, S. 140 ff., die insoweit allerdings eine Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers sieht; a.A. Hartmann, ZfA 1997, 21, 41. 4 APS/Steffan, § 323 UmwG Rz. 27; Henssler/Strohn/Moll, § 323 UmwG Rz. 27; Semler/Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 30; B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 126 m.w.N. 5 So aber Henssler/Strohn/Moll, § 323 UmwG Rz. 27; Müller-Ehlen, Übergang von Arbeitsverhältnissen, S. 71. 6 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 126; vgl. Semler/Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 30. 7 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 126.
Mückl | 369
10.228
§ 10 Rz. 10.229 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
V. Anwendbarkeit von § 323 Abs. 2 UmwG im Bereich der Einzelrechtsnachfolge 10.229
Bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsrechts, also vor allem bei der Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen im Wege der Einzelrechtsnachfolge, ist § 323 Abs. 2 UmwG nicht anwendbar1. Eine unmittelbare Anwendung ist nach dem Wortlaut der Vorschrift ausgeschlossen, eine analoge Anwendbarkeit, weil keine planwidrige Regelungslücke gegeben ist2. Der Gesetzgeber hat im Gesetzgebungsverfahren eingehend die Probleme einer Zuordnung erörtert. Er hat gleichwohl nur im UmwG unter Bezugnahme auf die konkreten Tatbestände der Umwandlung eine Regelung vorgenommen. Auf eine Ergänzung der Regelungen in § 613a BGB oder §§ 111 ff. BetrVG, die bei einer allgemeinen Regelung über die Zuordnung von Arbeitnehmern durch Interessenausgleich sinnvoll gewesen wäre, ist nicht erfolgt, obwohl im Rahmen des Umwandlungsbereinigungsgesetzes Änderungen in § 613a BGB, §§ 106, 111 BetrVG vorgenommen wurden. Da das Verhältnis zwischen Umwandlung und § 613a BGB in § 324 UmwG noch einmal angesprochen wird, ohne einen breiteren Anwendungsbereich von § 323 Abs. 2 UmwG aufzuzeigen, ist keine planwidrige Regelungslücke gegeben3. Dies gilt umso mehr, als die Frage der Zuordnung von Arbeitsverhältnissen bei Spaltungen im Zusammenhang mit der Abschaffung des § 132 UmwG a.F. in der Literatur noch einmal explizit diskutiert wurde und dennoch keine Änderung der §§ 322 ff. UmwG erfolgt ist, obwohl dem Gesetzgeber die diesbezügliche Diskussion bekannt war.
10.230
Sollte aber gleichwohl, was zu empfehlen ist, in der Praxis ein Interessenausgleich über die Zuordnung der Arbeitnehmer auch außerhalb des Anwendungsbereichs von § 323 UmwG abgeschlossen werden, wird man – anknüpfend an die Annahme einer materiellen Richtigkeitsgewähr von Betriebsvereinbarungen (vgl. Rz. 10.225) – und die Rechtsgedanken der § 1 Abs. 5 KSchG, §§ 125, 128 InsO und § 323 Abs. 2 UmwG dennoch von einer stärkeren Richtigkeitsgewähr ausgehen können, die mittelbar zu einer Einschränkung der gerichtlichen Prüfungsintensität führt4.
VI. Bedeutung einer Zuordnung im Umwandlungsvertrag bzw. -plan 1. Abgrenzung zwischen deklaratorischen und konstitutiven Feststellungen 10.231
Die namentliche Zuordnung eines Arbeitnehmers im Umwandlungsvertrag bzw. -plan hat grundsätzlich nur deklaratorische Bedeutung. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie Arbeitnehmer betrifft, die in einem Betrieb oder Betriebsteil beschäftigt werden, der auf einen anderen Rechtsträger übertragen wird5. Hiervon dürfte auch der Gesetzgeber ausgegangen sein6.
10.232
Soweit ganz überwiegend angenommen wird, dass die Zuordnung im Umwandlungsvertrag bzw. -plan jedenfalls dann konstitutive Bedeutung besitze, wenn betriebsteilübergreifend ein1 LAG Sachsen-Anhalt v. 16.3.1999 – 8 Sa 589/98, NZA-RR 1999, 574 Rz. 30; Gentges, RdA 1996, 265, 274; B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 127 m.w.N. auch zur Gegenansicht. 2 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 127; Bachner, AiB 1996, 291, 300, Schalle, Bestandsschutz, S. 325 f.; a.A. Mengel, Umwandlungen, 452 f. 3 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 127. 4 Im Ergebnis ebenso B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 128. 5 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, BAGE 160, 345 = AG 2018, 442; Lutter/Joost, Umwandlungsrechtstage, S. 297, 320; Heinze, ZfA 1997, 1, 7; Mengel, Umwandlungen, S. 146; Kallmeyer/Sickinger, § 126 UmwG Rz. 34; Widmann/Mayer/Mayer, § 126 UmwG Rz. 258 ff. 6 BR-Drucks. 75/94, 118, 121.
370 | Mückl
Besonderheiten bei einer Umwandlung | Rz. 10.235 § 10
gesetzte Arbeitnehmer betroffen sind1 oder die Übertragung Vermögensgegenstände betrifft, die als Sache oder Sachgesamtheit keinen Betrieb oder Betriebsteil darstellen2, kann dem nur mit der Einschränkung zugestimmt werden, dass kein Schwerpunkt erkennbar ist (vgl. Rz. 10.105), der eine Zuordnung zu einem bestimmten Betrieb oder Betriebsteil ermöglicht3. Zunächst einmal hat es für die hier in Rede stehende Frage keine Bedeutung, ob in den betroffenen Betrieben ein Betriebsrat gewählt wurde4. Zwar kann nur mit dem Betriebsrat ein Interessenausgleich nach § 323 Abs. 2 UmwG abgeschlossen werden. Auch dieser hat indes – sofern er nicht als Betriebsvereinbarung abgeschlossen wird – keine konstitutive Bedeutung, sondern schränkt nur (aber immerhin) die gerichtliche Überprüfbarkeit ein (vgl. Rz. 10.227).
10.233
Konstitutive Bedeutung besitzt die Zuordnung im Umwandlungsvertrag bzw. -plan jedenfalls in zwei Fällen:
10.234
– Im ersten Fall – in dem das BAG5 zu Unrecht eine Zustimmung des Arbeitnehmers fordert – erfolgt die Übertragung von Vermögen, das nicht die Qualität eines Betriebs oder Betriebsteils besitzt. – Im zweiten Fall sollen Arbeitnehmer zugeordnet werden, die zwar außerhalb des vom Übergang betroffenen Betriebs oder Betriebsteils beschäftigt werden, deren Tätigkeit aber – insbesondere in Overheadfunktionen – den vom Übergang betroffenen Betriebsteilen zugutekommt. In beiden Fällen kann nicht bereits aus der Zuordnung des Betriebs oder Betriebsteils auf den Übergang der Arbeitsverhältnisse geschlossen werden. Eine Zustimmung der insoweit betroffenen Arbeitnehmer zum Übergang ihres Arbeitsverhältnisses ist – entgegen der Bewertung des BAG6 – richtigerweise nicht erforderlich (vgl. Rz. 10.185 ff.)7. Ein Übergang des Arbeitsverhältnisses kann durch die betroffenen Arbeitnehmer durch Widerspruch verhindert werden, sofern keine Aufspaltung oder Verschmelzung bzw. Anwachsung vorliegt (vgl. Rz. 10.194; Rz. 11.148). In den letztgenannten Fällen steht ihm ein Recht zur außerordentlichen Kündigung zu (vgl. Rz. 10.192). Sofern Arbeitnehmer betroffen sind, die keinerlei Bezug zu den vom Übergang betroffenen Einheiten besitzen, kann nach zutreffender – allerdings noch nicht durch die Rechtsprechung abgesicherter8 – Auffassung durch den Umwandlungsvertrag bzw. -plan eine konstitutive Zuordnung vorgenommen werden9. Allerdings steht dem Arbeitnehmer ein Widerspruchsrecht analog § 613a Abs. 6 BGB bzw. – bei Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers – ein außer-
1 Vgl. Widmann/Mayer/Mayer, § 126 UmwG Rz. 262; ähnlich Willemsen, RdA 1993, 133, 137 und Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 55, der von einer „quasi-konstitutive[n] Bedeutung“ spricht. 2 So Boecken, ZIP 1994, 1087, 1091; vgl. Widmann/Mayer/Mayer, § 126 UmwG Rz. 265; Lutter/Priester, § 126 UmwG Rz. 50. 3 Ebenso Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 55. 4 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 131; a.A. Lutter/Joost, Umwandlungsrechtstage, S. 297, 320. 5 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, BAGE 160, 345 = AG 2018, 442. 6 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, BAGE 160, 345 = AG 2018, 442. 7 A.A. Kallmeyer/Sickinger, § 126 UmwG Rz. 35. 8 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, BAGE 160, 345 = AG 2018, 442 verhält sich dazu nicht unmittelbar, soweit dort lediglich für § 323 Abs. 2 UmwG eine Zuordnung zu einer übertragungsfähigen Einheit i.S.d. § 613a BGB gefordert wird. 9 Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 71; Hartmann, ZfA 1997, 21, 25; a.A. B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 134.
Mückl | 371
10.235
§ 10 Rz. 10.235 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
ordentliches Kündigungsrecht zu (vgl. Rz. 10.194). Die betriebliche Praxis sollte allerdings bis eine Absicherung durch die Rechtsprechung erfolgt, vorsorglich eine Zustimmung des Arbeitnehmers einholen1.
2. Verhältnis zwischen Umwandlungsvertrag bzw. -plan und Interessenausgleich nach § 323 Abs. 2 UmwG 10.236
Denkbar ist, dass eine namentliche Zuordnung von Arbeitnehmern im Spaltungsvertrag von den Feststellungen abweicht, die Arbeitgeber und Betriebsrat im Rahmen eines Interessenausgleichs nach § 323 Abs. 2 UmwG treffen. a) „Gewöhnlicher“ Interessenausgleich
10.237
Nur dann, wenn einem Interessenausgleich keine normative Wirkung zukommt, weil er nicht als Betriebsvereinbarung abgeschlossen wurde, wird man in diesem Fall den Vorgaben des Umwandlungsvertrags bzw. -plans Vorrang einräumen müssen2. Schließlich führt der Umwandlungsvertrag bzw. -plan dann kraft Gesetzes zu einer Übertragung des Vermögens. Dies gilt selbst dann, wenn man darin einen Verstoß gegen die Vorgaben aus der Richtlinie 2001/ 23/EG sehen würde. Ohne Rücksicht darauf, welche Vereinbarung zuerst abgeschlossen wurde, sind die beteiligten Rechtsträger in diesem Fall schließlich verpflichtet, die Vorgaben im Umwandlungsvertrag bzw. -plan umzusetzen3.
10.238
Allerdings kann ein Nachteilsausgleichsanspruch des Arbeitnehmers wegen der damit verbundenen Abweichung vom Interessenausgleich gemäß § 113 Abs. 1 BetrVG begründet sein4. Bedeutsam ist dies insbesondere dann, wenn – abweichend von der Regelung im Interessenausgleich – im Spaltungsvertrag kein Übergang des Arbeitsverhältnisses festgelegt worden ist. Denn den Übergang des Arbeitsverhältnisses kann der Arbeitnehmer nicht einseitig herbeiführen. Ein Widerspruch nach § 613a Abs. 6 BGB würde ihn nur in die Lage versetzen, den Übergang des Arbeitsverhältnisses zu verhindern, falls dieser im Umwandlungsvertrag bzw. -plan – abweichend zu den Vorgaben im Interessenausgleich – festgelegt wurde.
10.239
Ein Nachteilsausgleichsanspruch nach § 113 Abs. 1 BetrVG kommt darüber hinaus jedoch nur in Betracht, wenn kein zwingender Grund für eine abweichende Zuordnung im Umwandlungsvertrag bzw. -plan gegeben war5. Zwingend ist ein Abweichen jedenfalls dann, wenn damit einer Zuordnung Rechnung getragen wird, die – abweichend von den Regelungen im Interessenausgleich – unzweifelhaft nach den zu § 613a BGB im Bereich der Einzelrechtsnachfolge entwickelten Kriterien gegeben wäre6.
1 Ebenso WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, G Rz. 137, 142. 2 A.A. (ausnahmsloser Vorrang des Interessenausgleichs) PW/Joost, Umstrukturierung, Rz. 98; Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 61 (unter unzutreffender Berufung auf Staudinger/Annuß, 2016, § 613a BGB Rz. 336, 339); KölnerKomm/Hohenstatt/Schramm, § 324 UmwG Rz. 47; a.A. wie hier B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 136 (ausnahmsloser Vorrang des Spaltungsvertrags). 3 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 136. 4 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 136; ebenso wohl Schalle, Bestandsschutz, S. 137 ff., 151, die davon spricht, dass bei abweichenden Regelungen im Spaltungsvertrag der Interessenausgleich durch den Arbeitgeber nicht durchgeführt werden kann. 5 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 152. 6 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 152; vgl. auch Hartmann, ZfA 1997, 21, 36.
372 | Mückl
Besonderheiten bei einer Umwandlung | Rz. 10.244 § 10
b) „Qualifizierter“ Interessenausgleich und als Betriebsvereinbarung abgeschlossener Interessenausgleich Wird ein Interessenausgleich demgegenüber als Betriebsvereinbarung abgeschlossen und nimmt der übertragende Rechtsträger dementsprechend im Rahmen der vorstehend entwickelten Grundsätze im Vorfeld der Spaltung eine Neuzuordnung von Arbeitsverhältnissen zu Betrieben bzw. Betriebsteilen vor, indem er den Inhalt des Arbeitsvertrags umgestaltet, ist der Interessenausgleich insoweit maßgeblich. Dies folgt aus § 324 UmwG, der durch den Umwandlungsvertrag oder -plan nicht abbedungen werden kann (vgl. Rz. 10.177).
10.240
VII. Nachträgliche Zuordnung von Arbeitnehmern Die nachträgliche Zuordnung von Arbeitnehmern zu den von einer Übertragung betroffenen Betrieben oder Betriebsteilen bereitet bei Einzel- und Gesamtrechtsnachfolge gleichermaßen Schwierigkeiten, wird aber in der Regel nur bei einer Gesamtrechtsnachfolge praktisch, sodass sie im Zusammenhang mit den Besonderheiten einer Gesamtrechtsnachfolge dargestellt wird.
10.241
Angesichts der Verpflichtung nach § 5 Abs. 3, § 126 Abs. 3, §§ 176 f., 188 UmwG, dem Betriebsrat einen Monat vor der Versammlung der Anteilseigner des Rechtsträgers, die über die Zustimmung zum Spaltungs- bzw. Vermögensteilübertragungsvertrag beschließen, den Vertrag oder seinen Entwurf zuzuleiten, der gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 11, §§ 136, 176 f. UmwG dann auch Regelungen über die Folgen der Umwandlung für die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen und die insoweit vorgesehenen Maßnahmen enthält, mag es zwar überraschend wirken, dass sich Fragen der nachträglichen Zuordnung vor allem in diesem Kontext stellen.
10.242
Soweit entsprechende Regelungen auch die Rechtsfolgen für die von einer Umwandlung betroffenen Arbeitnehmer bezeichnen, genügen allerdings abstrakt-generelle Feststellungen. In der Praxis wird – obwohl das nicht empfehlenswert ist – im Umwandlungsvertrag oder -plan bisweilen lediglich festgehalten, dass der übernehmende Rechtsträger in die Arbeitsverhältnisse derjenigen Arbeitnehmer eintritt, die in einem Betriebsteil tätig sind, der dem übernehmenden Rechtsträger zugewiesen wurde. Eine namentliche Benennung oder eine Entscheidung über die Frage, ob auch übergreifend tätige Arbeitnehmer dem von der Übertragung betroffenen Betriebsteil zuzuordnen sind, ist damit nicht verbunden. Manchmal wird im Umwandlungsvertrag oder -plan auch generell lediglich ein Rechtsträger benannt, dem die Arbeitsverhältnisse zugeordnet werden, die nicht namentlich genannt werden. Ob diese Zuordnung wirksam ist, kann nach § 315 Abs. 3 BGB überprüft werden. In diesem Fall geht es dann nicht mehr um eine nachträgliche Zuordnung, sondern um eine im Wege der Auslegung des Umwandlungsvertrags oder -plans zutreffende Feststellung, welchem Rechtsträger die Arbeitnehmer nach dem Willen der Beteiligten Rechtsträger zugeordnet werden sollen.
10.243
Da die dem übertragenen Betriebsteil zuzuordnenden Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes auf den übernehmenden Rechtsträger übergehen (§ 324 UmwG, § 613a BGB), stellt sich in beiden Fällen aber die Frage, welche der übergreifend tätigen Arbeitnehmer nach der Übertragung welchem Rechtsträger zuzuordnen sind. Da es hier aber dem zwingenden Charakter von § 613a BGB zuwiderliefe, „im Zweifel“ eine Überleitung anzunehmen oder abzulehnen, ist die erforderliche Zuordnung von Arbeitnehmern auch nach der erfolgten Überleitung des Betriebs- oder Betriebsteils zulässig1. Zuständig ist der übertragende Rechtsträger, bei dem das
10.244
1 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 150; i.E. auch Müller-Ehlen, Übergang von Arbeitsverhältnissen, S. 48 f.
Mückl | 373
§ 10 Rz. 10.244 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
Arbeitsverhältnis des übergreifend tätigen Mitarbeiters zunächst einmal verbleibt. Allerdings unterliegt die Entscheidung den gleichen Schranken wie eine Zuordnung von Arbeitnehmern vor der Überleitung. Damit ist sie vor allem nach § 315 Abs. 3 BGB überprüfbar.
10.245
Nur wenn der übertragende Rechtsträger bereits (durch Aufspaltung) erloschen ist und die Zuordnung eines „vergessenen“ Arbeitsverhältnisses deshalb in Rede steht, weil mehrere übernehmende Rechtsträger in Betracht kommen, ist eine nachträgliche Entscheidung des ehemaligen Arbeitgebers ausgeschlossen. Sofern hier auch durch Auslegung des Umwandlungsvertrags oder -plans keine Lösung gefunden werden kann und eine objektive Zuordnung nach dem (früheren) Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses für einen bestimmten Betrieb oder Betriebsteil nicht gegeben ist (vgl. den Rechtsgedanken des § 131 Abs. 3 UmwG), erscheint es hier – und nur hier – ausnahmsweise vertretbar, zunächst einmal von einer Gesamtschuldnerschaft der verbleibenden Rechtsträger auszugehen1. Diese Gesamtschuldnerschaft kann dann der Arbeitnehmer durch Ausübung eines Wahlrechts beenden2. Einer besonderen Ankündigung entsprechend § 264 Abs. 2 Satz 1 BGB bedarf es nicht3. Ausgeschlossen erscheint aber, bei derart „vergessenen“ Arbeitsverhältnissen von einer Vertragsbeendigung auszugehen4.
F. Beteiligungsrechte des Betriebsrats 10.246
Sind die Voraussetzungen einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG im Zusammenhang mit einer Zuordnung von Arbeitsverhältnissen – z.B. aufgrund Nichterreichens der maßgeblichen Schwellenwerte5 – nicht erfüllt, bestehen noch keine Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach dieser Norm. Durch die Zuordnung von Aufgaben zu den einzelnen Arbeitsplätzen im Vorfeld einer geplanten Spaltung oder Verschmelzung werden allenfalls Unterrichtungs- und Beratungsrechte nach §§ 90 f. BetrVG ausgelöst6. Wird eine Neuverteilung von Aufgaben tatsächlich vor der eigentlichen Betriebs- und Unternehmensspaltung bzw. Verschmelzung umgesetzt, kann die separate Unterrichtung und Beratung mit Wirtschaftsausschuss und Betriebsrat wegen dieser Änderungen erforderlich werden und ihrer Beteiligung wegen der Spaltung von Unternehmen oder Betrieben (§ 106 Abs. 3 Nr. 8 BetrVG) bzw. der Spaltung von Betrieben (§ 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG) vorgeschaltet sein (vgl. Rz. 10.173 ff.)7. Im Regelfall aber dürfte, da die Planungen zeitgleich geführt werden, eine gleichzeitige Beteiligung erfolgen8.
10.247
Im Zusammenhang mit der Zuordnung von Arbeitnehmern zu dem von einem Übergang betroffenen Betrieb oder Betriebsteil, können sich demgegenüber auf den unterschiedlichen Stu-
1 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 151; vgl. Däubler, RdA 1995, 136, 142; abl. Schalle, Bestandsschutz, S. 152 f. 2 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 151; a.A. Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 76 f., und Schalle, Bestandsschutz, S. 152 f., die, wenn eine Zuordnung nicht im Wege einer Auslegung des Spaltungsvertrags erfolgen kann, dem Arbeitnehmer unmittelbar das Recht zugestehen, über die Auswahl des neuen Arbeitgebers zu entscheiden. 3 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 151; ähnlich Müller-Ehlen, Übergang von Arbeitsverhältnissen, S. 52 ff. 4 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 151; Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 74 ff.; eine Beendigung bezweifelnd auch Kraft, ZfA 1997, 303, 35. 5 Vgl. HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 25, 29 m.w.N. 6 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 140. 7 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 141. 8 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 141.
374 | Mückl
Beteiligungsrechte des Betriebsrats | Rz. 10.250 § 10
fen Beteiligungsrechte des Betriebsrats ergeben: So löst eine Zuordnung der einzelnen Arbeitnehmer zu ihren jeweiligen neuen Arbeitsplätzen auf individualrechtlicher Ebene die Unterrichtungs- und Erörterungspflichten gemäß §§ 81 f. BetrVG aus1. Wenn die Zuweisung eines (anderen) Tätigkeitsbereichs als Versetzung nach § 95 Abs. 3 BetrVG anzusehen ist, muss der Betriebsrat gemäß § 99 BetrVG beteiligt werden2. Zu berücksichtigen ist dabei, dass eine betriebsverfassungsrechtliche Versetzung auch darin liegen kann, dass dem Arbeitnehmer bestimmte Aufgaben entzogen werden3. Bei Betriebsratsmitgliedern kann eine Zustimmung nach § 103 Abs. 3 BetrVG notwendig sein. Dass der Arbeitgeber auf der Grundlage der im Arbeitsvertrag enthaltenen Direktionsklausel zu einer Versetzung berechtigt ist, macht die Beteiligung des Betriebsrats nicht entbehrlich. Wenn keine Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung vorliegt oder als erteilt gilt oder durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt wurde, sind die beteiligten Rechtsträger gehindert, der Arbeitnehmer mit den neuen Aufgaben einzusetzen. Ausnahmen können nur über ein Verfahren gemäß § 100 BetrVG begründet werden. Mit Blick auf den zwingenden Charakter von § 613a BGB kommt vor allem ein Widerspruch des Betriebsrats nach § 99 Abs. 2 Nr. 1, 3 BetrVG in Betracht.
10.248
Eine Verweigerung der Zustimmung nach § 99 Abs. 2 BetrVG ist allerdings ausgeschlossen, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat im Vorfeld eines Betriebsübergangs bzw. einer Umwandlung im Interessenausgleich die Zuordnung der Arbeitnehmer zu den jeweiligen Betrieben und Betriebsteilen vornehmen4. Falls bei den Verhandlungen über den Interessenausgleich nur über die Zuordnung der Arbeitnehmer zu den Betrieben oder Betriebsteilen, nicht aber die konkreten Arbeitsbereiche, gesprochen wurde, muss bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 99 BetrVG gesondert ein Verfahren nach dieser Norm durchgeführt werden5. Denkbar ist das vor allem im Zusammenhang mit Versetzungen i.S.d. § 95 BetrVG. Voraussetzung hierfür ist aber, dass im Zusammenhang mit der Vereinbarung des Interessenausgleichs noch keine Einigung zwischen den Betriebsparteien über eine abweichende Zuweisung des Arbeitsbereichs erzielt wurde. Entsprechend den Überlegungen des BAG zur Beteiligung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG im Zusammenhang mit Interessenausgleichsverhandlungen6 ist eine solche Verknüpfung beider Verfahren zulässig7. Sinnvoll erscheint dabei, die entsprechende Beteiligung des Betriebsrats auch deklaratorisch mit dem Ziel einer Beweiserleichterung im Interessenausgleich festzuhalten.
10.249
Zuständig für die Vereinbarung nach § 323 Abs. 2 UmwG bzw. die Wahrnehmung sonstiger Beteiligungsrechte ist – abhängig von der geplanten Maßnahme – der nach §§ 50, 58 BetrVG zuständige Betriebsrat, Gesamt- oder Konzernbetriebsrat8. Wegen der weiteren Einzelheiten
10.250
1 2 3 4 5 6 7 8
B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 142. Willemsen, RdA 1993, 133, 137; Lieb, ZfA 1994, 229, 245; B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 142. BAG v. 2.4.1996 – 1 AZR 743/95, DB 1996, 1880 Rz. 21. Semler/Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 37; B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 143; KölnKomm/Hohenstatt/Schramm, § 324 UmwG Rz. 48; Henssler/Strohn/Moll, § 323 UmwG Rz. 25; HWK/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 33; Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 63 m.w.N. A.A. Brinkmann, Spaltung von Rechtsträgern, S. 148 f.; Römer, Interessenausgleich, S. 209, die generell von einer Konsumierung von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmervertretung bei der Vereinbarung eines Interessenausgleichs gemäß § 323 Abs. 2 UmwG ausgehen. Vgl. BAG v. 20.5.1999 – 2 AZR 532/98, NZA 1999, 1101 Rz. 11. B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 143. Für viele Fitting, § 111 BetrVG Rz. 84.
Mückl | 375
§ 10 Rz. 10.250 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
zu diesen besonderen Formen der Zuständigkeit eines Betriebsrats sei insoweit auf die Ausführungen an anderer Stelle hingewiesen (vgl. Rz. 25.610 ff.).
10.251
Arbeitnehmer, die gegen ihren Willen und gegen den Willen des Betriebsrats einem abgespaltenen Betriebsteil zugeordnet werden, sind gegenüber dem Rechtsnachfolger zur Aufnahme der Tätigkeit verpflichtet, wenn und soweit die individualrechtlichen Voraussetzungen gegeben sind. Denn nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB besteht nach neuester Rechtsprechung des BAG keine – auch keine vorläufige – Bindung des Arbeitnehmers an unbillige Weisungen, sofern der Arbeitnehmer diese nicht trotz ihrer Unbilligkeit akzeptiert1. Ein beim Rechtsnachfolger neu gegründeter Betriebsrat ist demgegenüber nicht in der Lage, der Versetzung nachträglich zu widersprechen2. Denn die Maßnahme ist bereits umgesetzt. Denkbar ist allein, dass bei einer Eingliederung des übertragenen Betriebsteils in einen anderen Betrieb beim übernehmenden Rechtsträger der dort bereits bestehende Betriebsrat bei der Zuweisung von Aufgaben, die dann den Gesamtbetrieb betreffen, Mitwirkungsrechte wegen einer Versetzung nach § 95 Abs. 3, § 99 BetrVG ausübt3. Denn hiervon sind auch die beim übernehmenden Rechtsträger vor der Übernahme bereits beschäftigten Arbeitnehmer betroffen. Nur unter diesen Voraussetzungen kann damit eine ermessensfehlerhafte Zuordnung auch auf kollektiver Ebene sanktioniert werden.
§ 11 Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht bei Betriebs(teil-)übergang und Umwandlung
A. Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . I. Sinn und Zweck der Unterrichtungsverpflichtung . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzung der Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Inhalt und Umfang der Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Person des Erwerbers . . . . . . . a) Natürliche Personen . . . . . b) Juristische Personen/ Handelsgesellschaften . . . . 2. Gegenstand des Betriebs(teil-) übergangs . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zeitpunkt des Übergangs . . . . 4. Grund für den Übergang . . . .
11.1 11.2 11.5 11.7 11.8 11.9 11.10 11.17 11.19 11.24
5. Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer/in Aussicht genommene Maßnahmen . . . . . a) Standardschreiben zur Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB . . . . . . . . . . . . b) Rechtliche Folgen des Übergangs . . . . . . . . . . . . . aa) Konsequenzen für einzelvertragliche Rechte und Pflichten . . . . . . . bb) Konsequenzen für Betriebsbeauftragte und sonstige Funktionen . . cc) Konsequenzen für etwaige Vertretungsbefugnisse . . . . . . . . . . .
1 BAG v. 18.10.2017 – 10 AZR 330/16, NZA 2017, 1452 Rz. 63 ff. 2 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 145. 3 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 145.
376 | Mückl und Gaul/B. Otto
11.28 11.31 11.32 11.33 11.40 11.42
§ 10 Rz. 10.250 | Zuordnung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergang und Umwandlung
zu diesen besonderen Formen der Zuständigkeit eines Betriebsrats sei insoweit auf die Ausführungen an anderer Stelle hingewiesen (vgl. Rz. 25.610 ff.).
10.251
Arbeitnehmer, die gegen ihren Willen und gegen den Willen des Betriebsrats einem abgespaltenen Betriebsteil zugeordnet werden, sind gegenüber dem Rechtsnachfolger zur Aufnahme der Tätigkeit verpflichtet, wenn und soweit die individualrechtlichen Voraussetzungen gegeben sind. Denn nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB besteht nach neuester Rechtsprechung des BAG keine – auch keine vorläufige – Bindung des Arbeitnehmers an unbillige Weisungen, sofern der Arbeitnehmer diese nicht trotz ihrer Unbilligkeit akzeptiert1. Ein beim Rechtsnachfolger neu gegründeter Betriebsrat ist demgegenüber nicht in der Lage, der Versetzung nachträglich zu widersprechen2. Denn die Maßnahme ist bereits umgesetzt. Denkbar ist allein, dass bei einer Eingliederung des übertragenen Betriebsteils in einen anderen Betrieb beim übernehmenden Rechtsträger der dort bereits bestehende Betriebsrat bei der Zuweisung von Aufgaben, die dann den Gesamtbetrieb betreffen, Mitwirkungsrechte wegen einer Versetzung nach § 95 Abs. 3, § 99 BetrVG ausübt3. Denn hiervon sind auch die beim übernehmenden Rechtsträger vor der Übernahme bereits beschäftigten Arbeitnehmer betroffen. Nur unter diesen Voraussetzungen kann damit eine ermessensfehlerhafte Zuordnung auch auf kollektiver Ebene sanktioniert werden.
§ 11 Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht bei Betriebs(teil-)übergang und Umwandlung
A. Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . I. Sinn und Zweck der Unterrichtungsverpflichtung . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzung der Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Inhalt und Umfang der Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Person des Erwerbers . . . . . . . a) Natürliche Personen . . . . . b) Juristische Personen/ Handelsgesellschaften . . . . 2. Gegenstand des Betriebs(teil-) übergangs . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zeitpunkt des Übergangs . . . . 4. Grund für den Übergang . . . .
11.1 11.2 11.5 11.7 11.8 11.9 11.10 11.17 11.19 11.24
5. Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer/in Aussicht genommene Maßnahmen . . . . . a) Standardschreiben zur Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB . . . . . . . . . . . . b) Rechtliche Folgen des Übergangs . . . . . . . . . . . . . aa) Konsequenzen für einzelvertragliche Rechte und Pflichten . . . . . . . bb) Konsequenzen für Betriebsbeauftragte und sonstige Funktionen . . cc) Konsequenzen für etwaige Vertretungsbefugnisse . . . . . . . . . . .
1 BAG v. 18.10.2017 – 10 AZR 330/16, NZA 2017, 1452 Rz. 63 ff. 2 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 145. 3 B. Gaul, Vorauflage, § 12 Rz. 145.
376 | Mückl und Gaul/B. Otto
11.28 11.31 11.32 11.33 11.40 11.42
Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht | § 11 dd) Haftungsrechtliche Konsequenzen . . . . . . . ee) Konsequenzen für die betrieblichen Organisationsstrukturen . . . . ff) Konsequenzen für Arbeitnehmervertretungen und die Unternehmensmitbestimmung . gg) Konsequenzen für durch Kollektivvereinbarung geregelte Rechte und Pflichten . . . . . . (1) Fortgeltung, Transformation und Ablösung von Kollektivvereinbarungen . . . . . . . . . . . (a) Tarifverträge . . . . . . . . (b) Betriebsvereinbarungen/Sprecherausschussvereinbarungen . . . . . . (aa) Identitätswahrende Übertragungen . . . . . . (bb) Identitätsverändernde Übertragungen . . . . . . (cc) Überleitungsbetriebsvereinbarungen . . . . . . (2) Darstellungsdetaillierung von Kollektivvereinbarungen . . . . . . . . (3) Sozialplan oder sozialplanähnliche Kollektivvereinbarungen . . . . . . (4) Zweifel über Geltungsbereich oder Anwendungsvoraussetzungen (5) Vorabentscheidung des EuGH? . . . . . . . . . . . . . (6) Besonderheiten in Bezug auf mittelbare Folgen . . . . . . . . . . . . . (7) Besonderheiten in Bezug auf wesentliche Arbeitsbedingungen . . hh) Konsequenzen für die betriebliche Altersversorgung . . . . . . . . . . . . ii) Kündigungsrechtliche Situation . . . . . . . . . . . jj) Widerspruchsrecht . . . kk) Wahlrecht bei umwandlungsrechtlicher Aufspaltung . . . . . . . . .
11.43 11.46
11.50
11.52
IV. V. VI. VII. VIII. IX.
11.53 11.54 11.61 11.62
X. XI. XII. XIII.
11.66 11.67 11.68 11.70 11.72
XIV.
11.78 11.79 11.81 11.83 11.86 11.91 11.97
B. I. II.
c) Wirtschaftliche Folgen des Übergangs . . . . . . . . . . . . . d) Soziale Folgen des Übergangs . . . . . . . . . . . . . . . . . e) In Aussicht genommene Maßnahmen . . . . . . . . . . . Unterrichtungsverpflichteter . . . . Adressat der Unterrichtung . . . . . Form/Sprache/Zugang der Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitpunkt der Unterrichtung . . . . Nachträgliche Änderung der Gegebenheiten . . . . . . . . . . . . . . . Korrigierende Unterrichtung/ nachträgliche Heilung von Fehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrstufige Übertragungsvorgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Darlegungs- und Beweislast . . . . Verzicht auf die Unterrichtung . . Unterrichtungsverpflichtung bei Umwandlung/Anwachsung . . . . . 1. Besonderheiten bei Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis der Arbeitnehmerunterrichtung zu den umwandlungsrechtlichen Unterrichtungspflichten gegenüber den Arbeitnehmervertretern und Arbeitnehmern . . . . . . . . 3. Besonderheiten des Formwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterrichtungsverpflichtung und SE-/SCE-Gründung 1. SE-/SCE-Gründung durch Umwandlung (Formwechsel) . 2. SE-/SCE-Gründung durch Verschmelzung . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnis der Arbeitnehmerunterrichtung zu den SE-/ SCE-umwandlungsrechtlichen Informationspflichten gegenüber den Arbeitnehmervertretern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sinn und Zweck des Widerspruchsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzung des Widerspruchsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.98 11.107 11.108 11.112 11.118 11.123 11.127 11.129
11.134 11.136 11.140 11.142 11.147
11.148
11.150 11.152
11.153 11.154
11.155 11.156 11.157 11.160
Gaul/B. Otto | 377
§ 11 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
III.
IV. V. VI.
VII. VIII.
IX. X.
1. Übertragungsvorgänge im Wege der Einzelrechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übertragungsvorgänge im Wege der Gesamtrechtsnachfolge bei Fortbestand des übertragenden Rechtsträgers . . . . . 3. Übertragungsvorgänge im Wege der Gesamtrechtsnachfolge bei Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers . . . . . 4. Übertragungsvorgänge im Wege der Gesamtrechtsnachfolge kraft Gesetzes außerhalb des Umwandlungsrechts . . . . Adressat des Widerspruchs . . . . . 1. Neuer Inhaber . . . . . . . . . . . . . 2. Bisheriger Arbeitgeber . . . . . . 3. Widerspruchsadressat bei mehrstufigen Übertragungsvorgängen . . . . . . . . . . . . . . . . Form, Inhalt und Zugang des Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . Fristen für das Widerspruchsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abweichende Fristsetzung durch den Arbeitgeber bzw. durch Kollektivvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzicht auf das Widerspruchsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausschluss des Widerspruchsrechts durch Verwirkung . . . . . . . 1. Voraussetzungen der Verwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeitmoment . . . . . . . . . . . . . . 3. Umstandsmoment . . . . . . . . . 4. Darlegungs- und Beweislast . . Kollektive Ausübung des Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten bei Kettenbetriebsübergängen . . . . . . . . . . . 1. Widerspruchsrecht hinsichtlich des zuletzt erfolgten Betriebs(teil-)übergangs . . . . . 2. Widerspruchsrecht hinsichtlich des vorangegangenen Betriebs(teil-)übergangs . . . . . 3. Maßgeblicher Zeitpunkt des Widerspruchs . . . . . . . . . . . . .
378 | Gaul/B. Otto
11.163
11.164
11.165
11.172 11.174 11.176 11.177
11.180 11.181 11.191
11.199 11.202 11.209 11.211 11.214 11.217 11.222 11.224 11.231
11.232
11.233 11.236
a) Ablauf der Ein-MonatsFrist vor dem weiteren Betriebs(teil-)übergang und Widerspruch erst nach Fristablauf . . . . . . . . b) Ablauf der Ein-MonatsFrist vor dem weiteren Betriebs(teil-)übergang und Widerspruch vor Fristablauf . . . . . . . . . . . . . c) Ablauf der Ein-MonatsFrist nach dem weiteren Betriebs(teil-)übergang . . . XI. Rechtsfolgen des Widerspruchs 1. Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit dem bisherigen Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . a) Widerspruch vor Betriebs (teil-)übergang . . . . . . . . . b) Widerspruch nach Betriebs(teil-)übergang . . . aa) Rückabwicklung des faktischen Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . bb) Vertragsänderungen/ Kündigungen des Betriebserwerbers vor Widerspruchszugang . cc) Arbeitnehmererfindungen . . . . . . . . . . . . dd) Ausschlussfristen . . . . 2. Bedeutung des Widerspruchs für den Betriebs(teil-)übergang/die Umwandlung . . . . . . 3. Änderung von Arbeitsbedingungen/Kündigung nach Widerspruch durch den bisherigen Arbeitgeber . . . . . . . . . . . a) Betriebsbedingte Kündigung/Sozialauswahl . . . . . b) Besonderheiten bei Übertragung des gesamten Betriebs . . . . . . . . . . . . . . . c) Besonderheiten für Betriebsratsmitglieder . . . d) Abfindungszahlungen/ Sozialplan . . . . . . . . . . . . . e) Massenentlassungen . . . . . f) Widerspruch und Sperrzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.237
11.239 11.241
11.242 11.243 11.244 11.245
11.247 11.248 11.249
11.250
11.254 11.255 11.256 11.257 11.260 11.261 11.262
Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht | § 11 4. Arbeitnehmerüberlassung/ Personalgestellung nach Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . a) Kennzeichnung der Arbeitnehmerüberlassung/Personalgestellung . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen nach § 613a BGB . . . . . . . . . . . . c) Individual- und kollektivrechtliche Anforderungen . d) Schranken des AÜG . . . . . e) Dienst-/Werkvertrag sowie Gemeinschaftsbetrieb als Alternative . . . . . . . . . . . . . 5. Entgeltfortzahlungsansprüche/ Annahmeverzugslohn a) Zahlungsansprüche gegen den Betriebsveräußerer . . . aa) Widerspruch vor Betriebs(teil-)übergang . . bb) Widerspruch nach Betriebs(teil-)übergang . .
11.263 11.264 XII. 11.265 11.266 11.268
XIII. C. I.
11.271 II.
11.273 11.274 11.275
III.
cc) Anrechnung (böswillig unterlassenen) anderweitigen Verdienstes (§ 615 Satz 2 BGB) . . . b) Zahlungsansprüche gegen den Betriebserwerber . . . . Rücknahme/Widerruf des Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . Anfechtung des Widerspruchs . . Rechtsfolgen einer fehlenden oder fehlerhaften Unterrichtung Kein Fristbeginn nach § 613a Abs. 6 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schadensersatzansprüche . . . . . . . 1. Unterrichtung als Nebenleistungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anspruchsgegner und Anspruchsgrundlage . . . . . . . . 3. Anspruchsinhalt . . . . . . . . . . . 4. Darlegungs- und Beweislast . . Erfüllungsansprüche . . . . . . . . . .
11.279 11.284 11.287 11.290
11.296 11.297 11.298 11.299 11.302 11.308 11.311
Schrifttum (zum Schriftum bis 2002 vgl. Vorauflage): Annuß, Das richtig gewordene Unterrichtungsschreiben, NZA 2017, 976; Bauer/Ernst, Verwirkung des Widerspruchrechts nach Betriebsübergang – Rechtssicherheit zu welchem Preis?, NZA 2018, 1243; Dzida, Verwirkung des Widerspruchsrechts beim Betriebsübergang, DB 2010, 167; Elking/Aszmons, Die Unterrichtung der Arbeitnehmer über die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Betriebsübergangs, BB 2014, 2041; Fuhlrott, Verwirkung des Widerspruchsrechts nach Weiterarbeit bei Erwerber bei unvollständiger, aber grundlegender Unterrichtung über Betriebsübergang, ArbRAktuell 2018, 257; Fuhlrott/Hecht, Verwirkung des Widerspruchsrechts durch eigene Prozessführung, FA 2014, 133; Fuhlrott/Ritz, Anforderungen an Unterrichtungsschreiben bei Betriebsübergängen, BB 2012, 2689; B. Gaul, Betriebsübergang: Grenzen der Unterrichtungspflicht in Bezug auf Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen, RdA 2015, 206; B. Gaul/Jares, Aktuelles zum Betriebsübergang – Rechtsfolgen des Betriebsübergangs nach § 613a BGB und Gestaltungsmöglichkeiten, DStR 2013, 658; B. Gaul/Krause, Sorgfalt wird (endlich) belohnt: Zur ordnungsgemäßen Unterrichtung über den Betriebsübergang nach § 613a Abs. 5 BGB – Zugleich Besprechung des Urteils des BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, RdA 2013, 39; B. Gaul/Niklas, Wie gewonnen, so zerronnen: Unterrichtung, Widerspruch und Verwirkung bei § 613a BGB, DB 2009, 452; B. Gaul/B. Otto, Rechtsfolgen einer fehlenden oder fehlerhaften Unterrichtung bei Betriebsübergang und Umwandlung, DB 2005, 2465; Göpfert/Giese, „Aggressives“ Erwerberverhalten im Betriebsübergang – Folgen für die Unterrichtung nach § 613a V BGB, NZA 2017, 966; Göpfert/Winzer, NachUnterrichtungspflicht beim Betriebsübergang?, ZIP 2008, 761; Grau, Rechtsfolgen von Verstößen gegen die Unterrichtungspflicht bei Betriebsübergang gemäß § 613a Abs. 5 BGB, RdA 2005, 367; Grau, Rechtsbeziehungen nach Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses bei Betriebsübergang, MDR 2005, 491; Grau, Unterrichtung der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter gem. Art. 7 der Betriebsübergangsrichtlinie 2001/23/EG und die Umsetzung der europäischen Vorgaben im deutschen Recht, ZfA 2005, 647; Grau/Schaut, Neuere Entwicklungen bei den Anforderungen an § 613a BGB-Unterrichtungsschreiben, NZA 2018, 216; Günther/Falter, Die Unterrichtung fremdsprachiger Arbeitnehmer über einen Betriebsübergang, ArbRAktuell 2011, 164; Haas/Salamon/Hoppe, Beseitigung des Widerspruchs gegen den Betriebsübergang: Auswirkungen der Verletzung von Informationspflichten des Arbeitgebers, NZA 2011, 128; Hauck, Information über einen Betriebsübergang nach
Gaul/B. Otto | 379
§ 11 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht § 613a V BGB und Widerspruch nach § 613a VI BGB, NZA-Beil. 2009, 18; Hidalgo/Kobler, Die betriebsverfassungsrechtlichen Folgen des Widerspruchs bei einem Betriebsübergang – Wenn alle Arbeitnehmer widersprechen!, NZA 2014, 290; Hohenstatt/Grau, Arbeitnehmerunterrichtung beim Betriebsübergang, NZA 2007, 13; Jacobsen/Menke, Arbeitgeber auf Abruf? Zum Inhalt von Unterrichtungsschreiben nach § 613a BGB und zur Verwirkung des Widerspruchsrechts beim Betriebsübergang, NZA-RR 2010, 393; Jaeger, Die Unterrichtungspflicht nach § 613a Abs. 5 BGB in der Praxis der Betriebsübernahme, ZIP 2004, 433; Kittner, Die Verwirkung des Widerspruchsrechts beim Betriebsübergang, NJW 2012, 1180; Kleinebrink/Commandeur, Bedeutung, Form und Inhalt der ordnungsgemäßen Unterrichtung beim Betriebsübergang, FA 2009, 101; Klocke, Die Vermutung aufklärungspflichtigen Verhaltens bei fehlerhafter Information nach § 613a V BGB, RdA 2017, 311; Leinhas/ Wörlen, Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers bei Betriebsübergang, JA 2005, 304; Lembke/Oberwinter, Unterrichtungspflicht und Widerspruchsrecht beim Betriebsübergang im Lichte der neuesten Rechtsprechung, ZIP 2007, 310; Leßmann, Nachunterrichtung beim Betriebsübergang, DB 2011, 2378; Lingemann, Richtig unterrichtet beim Betriebsübergang – neue Hilfestellungen des BAG, NZA 2012, 546; Lunk, Schadensersatz wegen Verstoßes gegen die Unterrichtungspflicht bei einem Betriebsübergang gemäß § 613a Abs. 5 BGB, RdA 2009, 48; Meyer, Verzicht auf das Widerspruchsrecht, SAE 2020, 17; Meyer, Neues zum Widerspruchsrecht beim Betriebsübergang, ZfA 2020, 487; Meyer, Korrektur fehlerhafter Unterrichtung bei feindlichem Betriebsübergang, NZA 2017, 960; Meyer, Unterrichtungspflicht und Widerspruchsrecht beim Betriebsübergang – Gestaltungsfolgen für Übertragungs- und Umwandlungsverträge, BB 2003, 1010; Meyer, „Auftragsnachfolge“ und Unterrichtung bei Betriebsübergang, NZA 2012, 1185; Meyer, Unterrichtungspflichten des Arbeitgebers und Widerspruch des Arbeitnehmers – Erfahrungen aus der Praxis und Rechtsprechung, NZA-Beil. 2008, 173; Meyer, Inhalt einer Unterrichtung bei Betriebsübergang, DB 2007, 858; Mohnke/Betz, Unterrichtung der Mitarbeiter über die Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen bei einem Betriebs(teil)übergang, BB 2008, 498; Moll/Katerndahl, Unterrichtungs und Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer bei mehreren Betriebsübergängen, RdA 2017, 324; Mückl, Das Problem mangelnder Kooperationsbereitschaft der beteiligten Rechtsträger im Rahmen der Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB, RdA 2008, 343; Mückl/Schulte, Zur Auslegung einer Erklärung als Verzicht auf das Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB, EWiR 2019, 635; Müller-Bonanni/Grau, Neues zum Widerspruchsrecht (§ 613a BGB), ArbRB 2007, 146; Nebeling/Brauch, Es ist niemals zu spät… oder manchmal doch?, BB 2010, 1474; Nebeling/Kille, Verwirkung des Widerspruchsrechts bei fehlerhafter Unterrichtung über den Betriebsübergang, NZARR 2013, 1; Neufeld/Beyer, Der nachträgliche Widerspruch nach § 613a V BGB und seine Folgen für das Arbeitsverhältnis, die betriebliche Altersversorgung und deren Insolvenzsicherung, NZA 2008, 1157; Olbertz/Ungnad, Zeitliche Grenze des Widerspruchsrechts nach § 613a Abs. 6 BGB im Falle fehlerhafter Unterrichtung der Arbeitnehmer, BB 2004, 213; A. Otto, Verzicht auf das Widerspruchsrecht – in Zukunft nur noch durch ausdrückliche Verzichtserklärung?, DB 2019, 2470; B. Otto/Mückl, Aufspaltung, Verschmelzung, Anwachsung – Schadensersatz bei unzureichender Unterrichtung trotz Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers?, BB 2011, 1978; Pils, Der Verzicht auf das Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB, BB 2014, 185; Reinecke, Betriebsübergang: Rettungsanker Verwirkung des Widerspruchsrechts?, DB 2012, 50; Reinhard, Die Pflicht zur Unterrichtung über wirtschaftliche Folgen eines Betriebsübergangs – ein weites Feld, NZA 2009, 63; Rudkowski, Das „ewige“ Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers nach § 613a VI BGB und seine Grenzen, NZA 2010, 739; Rupp, Das Problem widersprüchlicher Unterrichtungen bei § 613 V BGB, NZA 2007, 301; Rütz, Adressat des Widerspruchs bei mehreren Betriebsübergängen, DB 2015, 560; Sagan, Unterrichtung und Widerspruch beim Betriebsübergang aus deutscher und europäischer Sicht, ZIP 2011, 1641; Schiefer/Worzalla, Unterrichtungspflicht bei Betriebsübergang nach § 613a V BGB – Eine Bestandsaufnahme, NJW 2009, 558; Schnitker/Grau, Unterrichtung der Arbeitnehmer gemäß § 613a V BGB im Spiegel der Betriebsübernahmepraxis, BB 2005, 2238; Simon/Hinrichs, Unterrichtung der Arbeitnehmer und ihrer Vertretungen bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen, NZA 2008, 391; Simon/Weninger, Betriebsübergang und Gesamtrechtsnachfolge: Kein Widerspruch – keine Unterrichtung?, BB 2010, 117; Steffan, Das „nachträgliche“ Widerspruchsrecht beim Betriebsübergang – eine unendliche Geschichte?, NZA 2016, 608; Vogt, Die Anwachsung als Fall des Betriebsübergangs?, NZA 2012, 1190; Waldenmaier/Pichler, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen im Rahmen des Unterrichtungsschreibens nach § 613a V BGB, NZA-RR 2008, 1; Willemsen, Aktuelles zum Betriebsübergang – § 613a BGB im
380 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.3 § 11 Spannungsfeld von deutschem und europäischem Recht, NJW 2007, 2065; Willemsen/Lembke, Die Neuregelung von Unterrichtung und Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer beim Betriebsübergang, NJW 2002, 1159; Willmer/Fuchs/Berner, Der Widerspruch des Arbeitnehmers nach § 613a VI BGB als Sanierungsinstrument – Die Widerspruchslösung, NZI 2015, 263; Wirlitsch/Lindemann, Rechtsfolgen nachträglicher Unterrichtung beim Betriebsübergang, ArbRAktuell 2011, 450.
A. Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers Seit dem 1.4.20021 begründen § 613a Abs. 5 BGB, § 324 UmwG die Verpflichtung der an einem Betriebs(teil-)übergang bzw. einer Umwandlung beteiligten Rechtsträger, die von dem Übertragungsvorgang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang über dessen tatsächlichen bzw. geplanten Zeitpunkt, den Grund für den Übergang, die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs sowie die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen zu unterrichten. Dem entspricht ein Auskunftsanspruch der betroffenen Arbeitnehmer, der im Klagewege durchsetzbar ist2. Darüber hinaus hat das in der Rechtsprechung des EuGH3 und des BAG4 bereits vor seiner gesetzlichen Normierung anerkannte Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers in § 613a Abs. 6 BGB eine eigenständige gesetzliche Regelung erfahren.
11.1
I. Sinn und Zweck der Unterrichtungsverpflichtung Mit der gesetzlichen Unterrichtungspflicht soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass ein Betriebsinhaberwechsel für den einzelnen Arbeitnehmer mit wesentlichen Änderungen der Arbeitsbedingungen und der beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten verbunden sein kann, die ihn ggf. veranlassen, dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen anderen Arbeitgeber zu widersprechen bzw. – im Fall eines umwandlungs- oder anwachsungsbedingten Erlöschens des übertragenden Rechtsträgers – die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei einem anderen Rechtsträger durch außerordentliche fristlose Kündigung zu unterbinden5. Im Kern geht es – vor dem Hintergrund der durch Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Vertrags- und Berufsfreiheit des Arbeitnehmers6 – darum, dem Arbeitnehmer das Recht zu gewährleisten, die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses mit einem aufgedrängten Vertragspartner zu verhindern7.
11.2
Dabei geht der Gesetzgeber über das nach der Richtlinie 2001/23/EG Erforderliche deutlich hinaus. Denn Art. 7 Abs. 1, 6 Richtlinie 2001/23/EG sieht einen Unterrichtungsanspruch der
11.3
1 BGBl. I 2002, S. 1163 ff.; zur früheren Rechtslage sowie den europarechtlichen Bezügen vgl. B. Gaul, Vorauflage, § 11 Rz. 3 ff. 2 BAG v. 22.8.2012 – 5 AZR 526/11, NZA 2013, 376 Rz. 19; BAG v. 20.3.2008 – 8 AZR 1022/06, NZA 2008, 1297 Rz. 52. 3 Vgl. EuGH v. 24.1.2002 – C-51/00, NZA 2002, 265 Rz. 36 – Temco; EuGH v. 7.3.1996 – C-171/94 und C-172/94, NZA 1996, 413 Rz. 39 – Merckx. 4 Vgl. nur BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, NZA 2014, 774 Rz. 25; BAG v. 25.1.2001 – 8 AZR 336/00, NZA 2001, 840 Rz. 61. 5 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815 Rz. 24. 6 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815 Rz. 24. 7 BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279 Rz. 42; BAG v. 28.6.2018 – 8 AZR 100/17 Rz. 33 n.v.; BAG v. 21.4.2016 – 8 AZR 728/14 Rz. 17 n.v.; BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647 Rz. 20; B. Otto/Mückl, DB 2011, 1978, 1979; Moll/Katerndahl, RdA 2017, 324 f.
Gaul/B. Otto | 381
§ 11 Rz. 11.3 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
Arbeitnehmer lediglich subsidiär für den Fall vor, dass es in dem in Rede stehenden Betrieb oder Unternehmen gegen den Willen der Arbeitnehmer – z.B. wegen des Unterschreitens der Schwellenwerte für die Bildung eines Betriebsrats oder eines Sprecherausschusses oder wegen der Dauer des Wahlverfahrens – keine Arbeitnehmervertretung gibt. Insofern hätte es nahegelegen, den Anwendungsbereich des § 613a Abs. 5 BGB auf betriebsratslose Betriebe zu beschränken und eine Informationsverpflichtung im Übrigen lediglich gegenüber dem Betriebsrat zu statuieren1. Dies hätte der Handhabe in anderen europäischen Ländern, beispielsweise in Großbritannien, Italien oder den Niederlanden, entsprochen2.
11.4
Darüber hinaus soll dem bisherigen und dem neuen Arbeitgeber Planungssicherheit gegeben werden. Denn mit Zugang der (ordnungsgemäßen) Unterrichtung beginnt für den Arbeitnehmer die einmonatige Frist für die Erklärung eines etwaigen Widerspruchs nach § 613a Abs. 6 BGB3. Bei einer rechtzeitigen Unterrichtung weiß der Betriebserwerber somit frühzeitig, mit welchen Arbeitnehmern er rechnen kann oder ob ggf. Neueinstellungen notwendig sind. Ebenso hat der Betriebsveräußerer alsbald Klarheit, welche Arbeitnehmer er weiter beschäftigen oder womöglich unter Einhaltung kündigungsrechtlicher Vorschriften und Regelungen betriebsbedingt entlassen muss.
II. Voraussetzung der Unterrichtung 11.5
Die Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers besteht dementsprechend immer dann, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil gemäß § 613a BGB auf einen anderen Arbeitgeber übertragen werden soll. Sie ist unabhängig von der Größe des in Rede stehenden Betriebs oder Betriebsteils4. Ebenso wenig entfällt die Unterrichtungsverpflichtung, wenn die betroffenen Arbeitnehmer bereits aus anderer Quelle, beispielsweise „aus der Zeitung“ bzw. „dem Internet“ oder durch Arbeitnehmervertreter, von dem geplanten Übergang ihres Arbeitsverhältnisses erfahren haben5. Der Anspruch auf Unterrichtung ist – worauf nachfolgend gesondert eingegangen wird (vgl. Rz. 11.147 ff.) – gemäß § 324 UmwG auch in den Fällen einer Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung nach dem UmwG sowie dann gegeben, wenn der übertragende Rechtsträger mit dem Wirksamwerden des Übertragungsvorgangs erlischt6.
11.6
Auch etwaige Beteiligungs- und Informationsrechte der Arbeitnehmervertretung im Zusammenhang mit dem Übergang sind für die Frage nach dem Eingreifen von § 613a Abs. 5 BGB ohne Belang. Ein abweichendes Verständnis ließe unberücksichtigt, dass der Betriebsrat über einen Übertragungsvorgang nur in Unternehmen mit mehr als 20 Arbeitnehmern und nur dann zu unterrichten ist, wenn der Betriebsübergang zugleich zu einer Betriebsänderung führt, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben kann. Der bloße Betriebsübergang als solcher ist keine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG. Er kann eine sein, wenn er sich nicht allein in dem Wechsel des Betriebsinhabers erschöpft, sondern gleichzeitig Maßnahmen ergriffen werden, welche eines oder mehrere
1 Entsprechende Änderungsvorschläge der FDP-Fraktion wurden im Gesetzgebungsverfahren nicht berücksichtigt (vgl. BT-Drucks. 14/8128). 2 Vgl. dazu B. Gaul/Jeffreys/Tinhofer/van Wassenhove, Study on the application of Directive 2001/ 23/EC to cross border transfers of undertakings S. 46 ff. 3 BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 69; BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 25; BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, NZA 2014, 610 Rz. 18. 4 BT-Drucks. 14/7760, 19. 5 BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 539/08 Rz. 25 n.v.; B. Gaul/B. Otto, DB 2005, 2465, 2468. 6 B. Otto/Mückl, DB 2011, 1978, 1979.
382 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.9 § 11
der Tatbestandsmerkmale des § 111 BetrVG erfüllen (vgl. Rz. 25.88). Im Übrigen bestehen nur Beteiligungsrechte des Wirtschaftsausschusses nach § 106 BetrVG (vgl. Rz. 25.11 ff.).
III. Inhalt und Umfang der Unterrichtung In Übereinstimmung mit Art. 7 Abs. 6 Richtlinie 2001/23/EG verpflichtet § 613a Abs. 5 BGB den bisherigen Arbeitgeber oder den neuen Inhaber, die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang zu unterrichten über
11.7
– den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs (§ 613a Abs. 5 Nr. 1 BGB), – den Grund für den Übergang (§ 613a Abs. 5 Nr. 2 BGB), – die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer (§ 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB) und – die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen (§ 613a Abs. 5 Nr. 4 BGB).
1. Person des Erwerbers Zusätzlich zu den gesetzlich ausdrücklich normierten Unterrichtungsgegenständen beinhaltet eine ordnungsgemäße Unterrichtung zunächst die Information über die Person des Erwerbers1. Denn ohne dessen Kenntnis kann der Arbeitnehmer nicht entscheiden, ob er für den neuen Inhaber weiterarbeiten oder dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen will.
11.8
a) Natürliche Personen Soweit der Erwerber eine natürliche Person ist, muss diese „identifizierbar“, d.h. regelmäßig unter Nennung ihres Vor- und Nachnamens2, sowie unter Angabe einer konkreten, ladungsfähigen Anschrift bezeichnet werden. Dies gilt nicht nur für inländische, sondern auch für ausländische Erwerber. Zwar hat das BAG die Frage, ob bereits die fehlerhafte Bezeichnung des Vornamens des Erwerbers bzw. – bei juristischen Personen – von dessen Geschäftsführer einer ordnungsgemäßen Unterrichtung entgegensteht, bislang offengelassen3. Der Umstand, dass die Frage überhaupt diskutiert wird, zeigt indes, dass die Rechtsprechung hier einen sehr strengen Maßstab anlegt. Selbst Fehler, die lediglich redaktionell bedingt sind, können zu einer Untauglichkeit der Unterrichtung führen4. Da Ungenauigkeiten dem Rechtsgedanken von § 305c Abs. 2, § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB entsprechend im Zweifel zu Lasten der informierenden Arbeitgeber ausgelegt werden, sollte die Praxis vorsorglich von dem Erfordernis einer möglichst eindeutigen und vollständigen Bezeichnung des Erwerbers ausgehen.
1 BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279 Rz. 43; BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 539/08 Rz. 23 f. n.v.; LAG Düsseldorf v. 14.10.2015 – 1 Sa 733/15 Rz. 52 f. n.v. 2 Ob die Angabe des Vornamens zu einer ordnungsgemäßen Unterrichtung gehört, ist in der Rechtsprechung bislang noch nicht abschließend geklärt (vgl. BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, NZA 2006, 1268 Rz. 23). 3 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, NZA 2006, 1268 Rz. 23 (dort: Jochen/Joachim). 4 BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, NZA 2014, 774 Rz. 22 (versehentliche Bezeichnung des Erwerbers „Ap“ als „Ar“).
Gaul/B. Otto | 383
11.9
§ 11 Rz. 11.10 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
b) Juristische Personen/Handelsgesellschaften
11.10
Bei Gesellschaften gehört zu einer ordnungsgemäße Unterrichtung die Firmenbezeichnung (§ 17 Abs. 1 HGB) einschließlich der Benennung der konkreten in- bzw. ausländischen Rechtsform, die Angabe eines Firmensitzes, um das zuständige Handelsregister einsehen zu können1, und die Angabe einer Geschäftsadresse2, um ggf. einen Widerspruch gegenüber dem neuen Inhaber erklären zu können. Ferner sollte die gesetzliche Vertretung, d.h. die Person des/der jeweiligen Geschäftsführer bzw. des Vorstands, namentlich benannt werden (zur Detailierung siehe Rz. 11.9). Dabei genügt es, eine zur aktiven und passiven Vertretung berechtigte Person anzugeben. Eine vollständige Nennung aller Organmitglieder ist nicht erforderlich. Soweit eine vollständige gesetzliche Vertretung nicht angegeben wird oder angegeben werden kann, ist auf Seiten der Erwerbergesellschaft zumindest eine natürliche Person zu bezeichnen, die einfache Vertretungsbefugnis (zumindest auch) in Bezug auf Personalfragen besitzt. Auf diese Weise müssen der Erwerber und die für ihn handelnde Person konkret identifizierbar sein3.
11.11
Die Angabe der Handelsregisternummer ist zwar keine zwingende Voraussetzung für die Ordnungsgemäßheit der Unterrichtung4. Gleichwohl ist deren (richtige) Benennung einschließlich der Angabe des zuständigen (nationalen oder ausländischen) Registergerichts5 im Unterrichtungsschreiben im Interesse einer eindeutigen Identifizierung des Erwerbers zu empfehlen. Dies gilt umso mehr, als der Arbeitnehmer nach Auffassung der Rechtsprechung auf den Umstand einer fehlenden Registereintragung jedenfalls dann hingewiesen werden muss, wenn der Gründungsvorgang – wie beispielsweise bei der GmbH (§ 11 Abs. 1 GmbHG) – erst mit der Eintragung abgeschlossen ist6.
11.12
Weiterhin muss jedenfalls bei Erwerbergesellschaften, die im Zeitpunkt des Übergangs noch nicht länger als vier Jahre bestehen, der Zeitpunkt der Gründung i.S.d. § 112a Abs. 2 Satz 3 BetrVG, d.h. der Zeitpunkt der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gemäß § 138 AO, mitgeteilt werden7. Denn der fehlende Hinweis auf die Neugründung des Betriebserwerbers, der gemäß § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG für die Dauer von vier Jahren seit der Gründung nicht sozialplanpflichtig ist, führt – jedenfalls für die Dauer dieses Sozialplanprivilegs8 – zur Fehlerhaftigkeit des Unterrichtungsschreibens9. Typischerweise ist dies der Zeitpunkt, ab dem das Unternehmen (nicht der Betrieb) werbend am Markt auftritt10 bzw. der Betrieb/die Betriebsstätte eröff-
1 LAG Hamburg v. 7.10.2016 – 6 Sa 21/16 Rz. 47 n.v. 2 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 47; BAG v. 15.3.2012 – 8 AZR 700/10, NZA 2012, 1097 Rz. 24. 3 BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 539/08 Rz. 25 n.v.; LAG Düsseldorf v. 14.10.2015 – 1 Sa 733/15 Rz. 52 n.v. 4 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 47; BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, NZA 2006, 1268 Rz. 23; wobei das BAG in einer Entscheidung v. 21.12.2017 (8 AZR 700/16, NZA 2018, 854 Rz. 38) die Angabe des zuständigen Registergerichts als „ggf.“ erforderlich ansieht. 5 Thüringer LAG v. 15.2.2018 – 3 Sa 373/17 Rz. 18 n.v.; LAG Hamburg v. 7.10.2016 – 6 Sa 21/16 Rz. 47 n.v. 6 BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 Rz. 21; LAG Berlin-Brandenburg v. 13.9.2018 – 21 Sa 391/18, BB 2019, 120 Rz. 78. 7 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 44. 8 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 28, 39. 9 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 37; BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, NZA 2014, 610 Rz. 26; LAG Sachsen-Anhalt v. 1.9.2015 – 6 Sa 221/14 Rz. 66 n.v. 10 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 38, 44; Klein/Rätke, AO, 15. Aufl. 2020, § 138 AO Rz. 2.
384 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.15 § 11
net wird1. Bei einer Betriebs(teil-)übertragung auf eine Vorratsgesellschaft erfolgt die Aufnahme der Erwerbstätigkeit spätestens mit der Übernahme des Betriebs(teils)2. Zusätzlich ist es – wenngleich nicht zwingend – zumindest ratsam, im Unterrichtungsschreiben das Stamm- (§ 5 GmbHG) bzw. Grundkapital (§ 6 AktG) der Erwerbergesellschaft anzugeben3. Zwar lässt sich die entsprechende Information bereits dem Handelsregister entnehmen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 GmbHG, § 39 Abs. 1 Satz 1 AktG). Auch soll der bisherige Arbeitgeber grundsätzlich nicht verpflichtet sein, den Arbeitnehmer über die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Betriebsübernehmers im Einzelnen zu unterrichten, da deren Beurteilung üblicherweise nicht eindeutig anhand objektiver Tatsachen erfolgen kann, sondern jeweils im Einzelfall einer regelmäßig nicht justiziablen Einschätzung der wirtschaftlichen und rechtlichen Gegebenheiten sowie der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung unterliegt4. Dies bedeutet, dass das wirtschaftliche Potenzial des Betriebserwerbers „im Allgemeinen“ nicht Gegenstand der Informationspflicht ist. Gleichwohl dürfte die Kapitalausstattung des Erwerbers für die Entscheidung des Arbeitnehmers über einen etwaigen Widerspruch von gewisser Relevanz sein, so dass die entsprechende Information in das Unterrichtungsschreiben aufgenommen werden sollte. Hierzu dürften auch Patronatserklärungen gehören, wenn diese für den Geschäftsbetrieb des übernehmenden Rechtsträgers wesentlich sind. Denn schlussendlich ergänzt dies die Angaben zu den materiellen oder immateriellen Betriebsmitteln, die Gegenstand der Übertragung auf den übernehmenden Rechtsträger sind.
11.13
Soweit die als Erwerbergesellschaft vorgesehene juristische Person im Zeitpunkt der Unterrichtung noch nicht im Handelsregister eingetragen ist, muss gegenüber den Arbeitnehmern offengelegt werden, dass Einzelheiten über die Betriebserwerberin deshalb noch nicht mitgeteilt werden können, weil diese erst noch gegründet wird5 bzw. sich in Gründung befindet6. Andernfalls ist das Unterrichtungsschreiben unvollständig und „unwirksam“7. Wenn sich aus dem Unterrichtungsschreiben in diesen Fällen indes eindeutig ergibt, welche (in Gründung befindliche) Gesellschaft als Erwerberin vorgesehen ist und die insoweit handlungsbefugten Personen genannt sind, ist das Unterrichtungsschreiben – soweit die übrigen gesetzlich vorgesehenen Informationen enthalten sind – auch dann ordnungsgemäß, wenn die Eintragung erst nach der Unterrichtung erfolgt8. Eine anschließend übermittelte ergänzende Information, wonach die Eintragung zwischenzeitlich erfolgt ist, hat in diesen Fällen lediglich klarstellenden Charakter und führt – anders als in den Fällen einer korrigierenden Information (vgl. Rz. 11.134 f.) – nicht dazu, dass die Widerspruchsfrist erst mit Zugang des „zweiten“ Unterrichtungsschreibens zu laufen beginnt.
11.14
Falls es sich bei der Erwerbergesellschaft um eine KG handelt, deren Komplementär eine inoder ausländische Kapitalgesellschaft ist (z.B. GmbH & Co. KG, BV & Co. KG), ist es grundsätzlich nicht erforderlich, dass die persönlich haftende Komplementärgesellschaft in dem Un-
11.15
1 GK-BetrVG/Oetker, 11. Aufl. 2018, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 328. 2 BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, NZA 2014, 610 Rz. 27. 3 Vgl. BAG v. 20.5.2010 – 8 AZR 585/08 Rz. 17 n.v.; LAG München v. 1.10.2008 – 11 Sa 49/08 Rz. 83 n.v., welche die „geringe Kapitalausstattung“ des Erwerbers als unterrichtungspflichtig einstufen. 4 BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 1116/06, NZA 2008, 642 Rz. 33. 5 BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 539/08 Rz. 25 n.v. 6 BAG v. 15.3.2012 – 8 AZR 700/10, NZA 2012, 1097 Rz. 24. 7 BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, NZA 2014, 610 Rz. 23. 8 Vgl. hierzu die Formulierungen des Unterrichtungsschreibens in BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/ 10, NZA 2012, 584 Rz. 5.
Gaul/B. Otto | 385
§ 11 Rz. 11.15 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
terrichtungsschreiben konkret benannt wird1. Sie erwirbt nicht, sondern vertritt nur den Erwerber. Dies gilt jedenfalls dann, wenn auf Erwerberseite stattdessen eine natürliche Person mit Personalkompetenz aufgeführt wird, an die sich die Arbeitnehmer bei Bedarf für Fragen bzw. etwaige Widersprüche wenden können. Gleichwohl wird es zur Vermeidung von Diskussionen über die Ordnungsgemäßheit der Unterrichtung regelmäßig sinnvoll sein, die Komplementärin des Erwerbers und ggf. auch die vertretenden Organe zu bezeichnen.
11.16
Über eine etwaige Konzernbindung des Erwerbers muss im Rahmen der Unterrichtung grundsätzlich nicht informiert werden. Etwas anderes kann allerdings gelten, wenn die Konzernstrukturen Rückschlüsse auf die zukünftigen Beschäftigungsperspektiven der betroffenen Arbeitnehmer zulassen und insofern Relevanz für die Entscheidung über das Widerspruchsrecht besitzen2. Bedeutsam ist eine Konzernbeziehung des Erwerbers – wie auch die Konzernbindung des übertragenden Rechtsträgers – beispielsweise mit Blick auf die Beendigung und/ oder das Wirksamwerden von Konzernbetriebsvereinbarungen bzw. etwaiger Vereinbarungen mit dem Konzernsprecherausschuss. In diesen Fällen muss – in den übrigen Fällen sollte vorsorglich – auf die Art der Konzernbindung sowie die (aktuelle und zukünftig geplante) Positionierung der Erwerbergesellschaft einschließlich des übergehenden Betriebs(teils) innerhalb des Konzerns hingewiesen werden. Wichtig dabei ist allerdings, die Information über die Erwerbergesellschaft nicht mit den Angaben über die anderen Konzerngesellschaften zu vermengen. Die jeweilige Firmierung/Rechtsform muss stets klar und eindeutig kommuniziert werden. Darüber hinaus müssen die Rechtsfolgen für Ansprüche bzw. Rechte und Pflichten mit Konzernbezug dargestellt werden.
2. Gegenstand des Betriebs(teil-)übergangs 11.17
Erforderlich ist des Weiteren eine Unterrichtung über den Gegenstand des Betriebs(teil-)übergangs3. Hierfür bedarf es regelmäßig einer zumindest schlagwortartigen Umschreibung der von der Übertragung betroffenen Organisationseinheiten (z.B. „Geschäftsbereich Field Service“4, „Betrieb der Fachklinik für Rehabilitation“5, „Geschäftsbereich Consumer Imaging (CI)“6) sowie des Hinweises, dass der die Unterrichtung erhaltende Arbeitnehmer dem in Rede stehenden Betrieb/Betriebsteil zugeordnet ist. Zur Zuordnung vgl. Rz. 10.21 ff.
11.18
Die übergehenden Einheiten müssen in Abgrenzung zu den bei dem bisherigen Arbeitgeber verbleibenden Betrieben/Betriebsteilen dargestellt werden, damit die Arbeitnehmer die unternehmerische Zielsetzung der verbleibenden Einheiten und ihre dortigen Beschäftigungschancen realistisch einschätzen können. Unklare, im Unternehmen bislang nicht gebräuchliche Kennzeichnungen der übergehenden Organisationseinheiten sind zu vermeiden. Die Darstellung sollte sich am üblichen innerbetrieblichen Sprachgebrauch orientieren.
1 LAG Düsseldorf v. 14.10.2015 – 1 Sa 733/15 Rz. 57 n.v.; a.A. ArbG Essen v. 24.6.2015 – 6 Ca 1223/ 15 Rz. 46 n.v. 2 Vgl. BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 Rz. 22. 3 BAG v. 21.12.2017 – 8 AZR 700/16, NZA 2018, 854 Rz. 20; BAG v. 24.7.2008 – 8 AZR 1020/06 Rz. 28 n.v. 4 BAG v. 14.12.2006 – 8 AZR 763/05, NZA 2007, 682 Rz. 28. 5 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, NZA 2006, 1268 Rz. 3, 24. 6 BAG v. 27.11.2008 – 8 AZR 188/07, NZA 2009, 752 Rz. 23; BAG v. 24.7.2008 – 8 AZR 1020/06 Rz. 28 n.v.
386 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.23 § 11
3. Zeitpunkt des Übergangs Soweit gemäß § 613a Abs. 5 Nr. 1 BGB über den Zeitpunkt des Übergangs informiert werden soll, muss der nach den Absprachen bzw. Planungen der beteiligten Rechtsträger vorgesehene bzw. – falls die Unterrichtung erst nach dem Übergang erfolgt – der tatsächliche Stichtag der Übertragung genannt werden1.
11.19
In den Fällen der Einzelrechtsnachfolge ist dies regelmäßig ein bestimmtes Datum, wobei auch die Uhrzeit (z.B. 1.3.2021, 0:00 Uhr) konkret bezeichnet werden sollte2. Da der Übergangszeitpunkt den Moment bezeichnet, an dem der neue Rechtsträger in das Arbeitsverhältnis eintritt, muss hier der Zeitpunkt benannt werden, an dem der neue Inhaber die betreffende Einheit unter Wahrung ihrer Identität weiterführt bzw. weitergeführt hat. Typischerweise geht die Einstellung der betrieblichen Tätigkeit durch den bisherigen Betriebsinhaber diesem Zeitpunkt voran. Wenn es dazwischen aber eine Unterbrechung gibt, ist der Zeitpunkt vor Beginn der Unterbrechung nur relevant für das Unterrichtungsschreiben, wenn die damit verbundene Einstellung der betrieblichen Tätigkeit durch den übernehmenden Rechtsträger veranlasst und von diesem gesteuert wird (vgl. Rz. 4.188 ff.).
11.20
Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die tatsächliche Übernahme der Organisationsund Leitungsmacht. Die bloße Möglichkeit zur Fortsetzung des Betriebs genügt nicht (Rz. 6.3 ff., Rz. 6.11 ff.)3. Auch sind etwaige Bedingungen im Kaufvertrag (z.B. Zahlung des Kaufpreises, Zustimmungsvorbehalte von Aufsichtsgremien und Behörden), ein in einem Personalüberleitungsvertrag vereinbarter Übergangsstichtag4 oder – bei einer Übertragung durch Einzelrechtsnachfolge – das Datum der Eintragung des Erwerbers in das Handelsregister5 für den tatsächlichen Zeitpunkt des Übergangs unerheblich.
11.21
Da es ausreicht, den geplanten Zeitpunkt zu nennen, wird die Unterrichtung über den geplanten Zeitpunkt der Übernahme nicht allein deshalb unzutreffend, weil der Betriebs(teil-)übergang – anders als ursprünglich angedacht – erst zu einem späteren als dem in dem Schreiben genannten Zeitpunkt erfolgt6. Wenn der Übergang nach den zwischen Veräußerer und Erwerber getroffenen Vereinbarungen erst nach Eintritt bestimmter Bedingungen erfolgen soll, muss dies im Unterrichtungsschreiben angegeben werden. Die Bezeichnung eines bestimmten Datums als Übergangsstichtag wäre in diesem Fall unzutreffend. Voraussetzung ist aber, dass der Bedingungseintritt und damit der Überangszeitpunkt für den Arbeitnehmer feststellbar ist. Nur in diesem Fall wird der Übergang mit Eintritt der Bedingung wirksam. Auf eine gesonderte Mitteilung entsprechend § 15 Abs. 2 TzBfG kommt es dann nicht an.
11.22
Falls die Übertragung nicht durch Einzelrechtsnachfolge, sondern im Wege der Gesamtrechtsnachfolge, z.B. durch Umwandlung, bewirkt werden soll, kann üblicherweise kein konkretes Datum benannt werden. Denn die Übertragung erfolgt hier erst mit Eintragung der Umwandlung im Register des Sitzes des übernehmenden Rechtsträgers (§ 20 Abs. 1 Nr. 1, § 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG). Insofern reicht es aus, im Unterrichtungsschreiben den Monat, in dem die Umwandlung gemäß §§ 16, 125 Satz 1, § 129 UmwG zum Register angemeldet werden soll
11.23
1 Vgl. B. Gaul, Vorauflage, § 8 Rz. 3 ff. 2 Vgl. BAG v. 25.10.2012 – 8 AZR 575/11, NZA 2013, 203 Rz. 46. 3 BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 197/11, NZA-RR 2013, 179; Rz: 42; LAG Baden-Württemberg v. 26.2.2016 – 17 Sa 58/15 n.v. Rz. 112. 4 BAG v. 5.9.2012 – 4 AZR 749/10, NZA-RR 2013, 285 Rz. 23. 5 BAG v. 5.9.2012 – 4 AZR 749/10, NZA-RR 2013, 285 Rz. 23. 6 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, NZA 2006, 1273 Rz. 21.
Gaul/B. Otto | 387
§ 11 Rz. 11.23 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
bzw. worden ist, sowie den sich daraus ergebenden voraussichtlichen Termin der Eintragung, der erfahrungsgemäß vier bis acht Wochen nach Anmeldung liegt, zu bezeichnen1. Dabei kommt es auf den Zeitpunkt der Eintragung in das Handelsregister des Sitzes des übertragenden Rechtsträgers an (vgl. Rz. 3.40). Wenn es allerdings gelingt, mit dem Registergericht den Zeitpunkt der für das Wirksamwerden der Umwandlung maßgeblichen Eintragung abzustimmen, was gerade bei komplexen Übertragungsvorgängen mit einer Vielzahl umstellungsbedürftiger Prozesse außerordentlich hilfreich ist (vgl. Rz. 6.19 f.), kann dieser Zeitpunkt als geplanter Zeitpunkt genannt werden. Empfehlenswert ist aber, diese Feststellung um den Hinweis zu ergänzen, dass an diesem Tage die Eintragung erfolgen soll.
4. Grund für den Übergang 11.24
Die Benennung des Grundes für den Übergang (§ 613a Abs. 5 Nr. 2 BGB) erfordert zunächst einen Hinweis auf den Rechtsgrund der Übertragung (z.B. Kaufvertrag, Pachtvertrag, Abschluss eines Betriebsführungsvertrags, Umwandlungsvertrag, etc.)2.
11.25
Insbesondere bei komplexeren Übertragungsvorgängen mit mehreren Beteiligten ist hier besondere Sorgfalt geboten. Dies betrifft nicht nur die (juristisch) korrekte Bezeichnung des dem Betriebs(teil-)übergang zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts. So hat es das BAG beispielsweise als fraglich angesehen, ob ein mit „Master Sale and Purchase Agreement“ überschriebenes Vertragswerk, welches für den zu veräußernden Geschäftsbereich einen „negativen Kaufpreis“ vorsah, mit dem Begriff „Kaufvertrag“ im Unterrichtungsschreiben richtig charakterisiert wurde, oder ob nicht richtigerweise von einem „atypischen Vertrag sui generis“ hätte gesprochen werden müssen3. Vorsorglich sollte neben der Bezeichnung eine Beschreibung aufgenommen werden, die erkennen lässt, was mit dem Vertrag geregelt wird.
11.26
Genauigkeit wird auch bei der Bezeichnung der Parteien des jeweiligen Rechtsgeschäfts verlangt4. Soweit das BAG in der Entscheidung vom 23.7.2009 darüber hinaus zwischen schuldrechtlichem Grundverhältnis und dinglichem Erfüllungsgeschäft differenziert5, lassen sich hieraus zwar keine allgemeingültigen Formulierungsvorschläge ableiten. Gleichwohl zeigen die Überlegungen des BAG, dass die Rechtsprechung von den Arbeitgebern in diesem Bereich ein (häufig zu) hohes Maß an juristischer Präzision und Detailierung einfordert. Dies gilt umso mehr, als auch Fehler, die auf einer fehlerhaften redaktionellen Bearbeitung des Unterrichtungsschreibens beruhen, das Unterrichtungsschreiben untauglich i.S.d. § 613a Abs. 5 BGB machen können6. Wichtig bleibt aber, dass insbesondere dann auf Präzision geachtet wird, wenn dem Übertragungsvorgang eine Mehrzahl von Verträgen mit unterschiedlichen Rechtsträgern zugrunde liegt. Das ist regelmäßig bei einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang durch Einzelrechtsnachfolge der Fall, bei der einzelne Betriebsmittel häufig nur durch ergänzende Vereinbarungen mit Dritten übernommen werden können (z.B. Eintritt in Mietoder Leasingverträge). Auch auf diese Vereinbarungen muss verwiesen werden.
1 Ebenso Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 279; Bonanni, ArbRB 2002, 19, 20; Willemsen/Lembke, NJW 2002, 1159, 1165. 2 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 50; BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 Rz. 24. 3 BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 Rz. 28. 4 Vgl. dazu BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, NZA 2014, 610 Rz. 24. 5 BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 Rz. 28. 6 BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, NZA 2014, 774 Rz. 22 (versehentliche Bezeichnung des Erwerbers „Ap“ als „Ar“).
388 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.29 § 11
Weitergehende Motive, die die beteiligten Rechtsträger zur Übertragung der wirtschaftlichen Einheit bewegt haben, müssen grundsätzlich nicht, jedenfalls nicht im Detail genannt werden. Angesichts der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit kann insbesondere keine vertiefte, mit betriebswirtschaftlichen Kennzahlen unterlegte Rechtfertigung des Betriebsübergangs verlangt werden1. Die Rechtsprechung hält es allerdings für notwendig, dass den betroffenen Arbeitnehmern jene unternehmerischen Gründe für den Betriebsübergang mitgeteilt werden, die sich beim Betriebserwerber, im Falle eines Widerspruchs beim Betriebsveräußerer auf den Arbeitsplatz auswirken können2. Insofern ist es nicht nur sinnvoll, sondern auch erforderlich, den sachlichen Grund des jeweils in Rede stehenden Übertragungsvorgangs zumindest stichwortartig zu benennen (z.B. Konzentration auf das Kerngeschäft, Gründung eines JointVentures, steuerliche Gründe, rechtliche Verselbständigung eines Geschäftsbereichs und dessen anschließende Veräußerung, „Trennung von Nichtkernkompetenzen“3, etc.). Aus Sicht der beteiligten Rechtsträger spricht für eine solche Auskunft im Zweifel auch die praktische Annahme, dass die Wahrscheinlichkeit von Widersprüchen erfahrungsgemäß umso geringer ist, je „besser“ – d.h. plausibler und nachvollziehbarer – die für die in Rede stehende Übertragung sprechenden Gründe erläutert werden.
11.27
5. Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer/in Aussicht genommene Maßnahmen Schwerpunkt der Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 5 BGB sind regelmäßig die Angaben zu den rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die betroffenen Arbeitnehmer (§ 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB) sowie den für sie in Aussicht genommenen Maßnahmen (§ 613a Abs. 5 Nr. 4 BGB).
11.28
Entsprechend den Überlegungen zum Inhalt der Verpflichtung aus § 5 Abs. 1 Nr. 9, § 126 Abs. 1 Nr. 11 UmwG ist ein pauschalierter Verweis auf § 613a Abs. 1 bis 4 BGB bzw. das bloße Abschreiben des Gesetzeswortlauts ungenügend4. Allerdings wird man mit Blick auf den Umstand, dass sich die Unterrichtungsverpflichtung an „die Arbeitnehmer“ richtet, allgemeine Angaben zu den sich aus dem Übergang des Arbeitsverhältnisses ergebenden Konsequenzen als ausreichend ansehen müssen. Eine individuelle und verbindliche Rechtsberatung des Arbeitnehmers kann nicht verlangt werden5. Dies gilt umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass sich im Zusammenhang mit einem Betriebs(teil-)übergang bzw. einer Umwandlung typischerweise äußerst komplexe Rechtsfragen ergeben, die häufig sogar im Unternehmen selbst bzw. zwischen mehreren an der Transaktion beteiligten Beratern umstritten sind. Der Umstand, dass Rechtsfragen ggf. schwierig zu beantworten sind, macht eine Unterrichtung indes nicht entbehrlich oder unzumutbar6. Vielmehr genügen die beteiligten Arbeitgeber in diesem Fall den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Unterrichtung, wenn sie nach angemesse-
11.29
1 B. Gaul/B. Otto, DB 2005, 2465. 2 BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 Rz. 24; BAG v. 20.3.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, 1354 Rz. 23. 3 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 32. 4 OLG Düsseldorf v. 15.5.1998 – 3 Wx 156/98, NZA 1998, 766 Rz. 15; zweifelnd auch BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 398/04, NZA 2005, 1302 Rz. 20; ebenso in Bezug auf die Darlegung des Beratungsstands nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, NZA 2020, 1092 Rz. 138. 5 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 25; BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, NZA 2012, 584 Rz. 36. 6 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 34.
Gaul/B. Otto | 389
§ 11 Rz. 11.29 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
ner Prüfung der Rechtslage, die ggf. die Einholung von (qualifiziertem) Rechtsrat über die höchstrichterliche Rechtsprechung verlangt, eine rechtlich vertretbare Position einnehmen1.
11.30
Der Umfang der sich daraus im Einzelfall ergebenden Informationspflicht ist bislang nicht abschließend geklärt. Beobachten lässt sich allerdings, dass die Rechtsprechung die Anforderungen, welche an die beteiligten Rechtsträger gestellt werden, in den letzten Jahren zunehmend erhöht hat. Insbesondere im Hinblick auf die durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarungen geregelten Arbeitsbedingungen ist die Aussage des BAG, bei „komplexen Rechtsfragen“ genüge es, wenn der Arbeitgeber eine „rechtlich vertretbare Position einnimmt“2, de facto zu einer Leerformel geworden, die mit der tatsächlich für die beteiligten Rechtsträger zu leistenden Detailierungstiefe nur noch wenig gemein hat. Da bei der Auslegung und Anwendung der Richtlinie 2001/23/EG auch eine etwaige Beeinträchtigung der durch Art. 16 GRC gewährleisteten unternehmerischen Freiheit zu berücksichtigen ist3, erscheint es inzwischen geboten, die Grenzen dieser Rechtsprechung durch ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV zu klären (vgl. Rz. 11.78). Dies gilt umso mehr, als die Richtigkeit der Unterrichtung Voraussetzung für den Beginn der Monatsfrist für den Widerspruch nach § 613a Abs. 6 BGB ist. Im Einzelnen: a) Standardschreiben zur Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB
11.31
Nicht notwendig ist es, dass jede betroffene Arbeitnehmergruppe ein gesondertes, auf sie individuell abgestimmtes Schreiben erhält. Vielmehr kann die Unterrichtung aller von dem Betriebs(teil-)übergang erfassten Arbeitnehmer in einem Standardschreiben erfolgen, welches dann etwaige Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses erfassen muss4. Dabei kann es – je nach Komplexität der in Rede stehenden Übertragungsvorgänge – allerdings sinnvoll sein, im Interesse der Übersichtlichkeit für einzelne Arbeitnehmergruppen (z.B. leitende Angestellte/ „einfache“ Arbeitnehmer) jeweils gesonderte Muster zu erstellen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Einbindung von Feststellungen ohne konkrete Relevanz für den einzelnen Arbeitnehmer die Komplexität eines Unterrichtungsschreibens so erhöht, dass man analog § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB von seiner Intransparenz ausgehen muss. b) Rechtliche Folgen des Übergangs
11.32
Zu den rechtlichen Folgen gehören zunächst die sich unmittelbar aus dem Betriebs(teil-)übergang als solchem ergebenden Rechtsfolgen. Die Rechtsfolgen müssen in dem Unterrichtungsschreiben präzise angegeben werden, es darf kein juristischer Fehler enthalten sein5. Es reicht daher nicht mehr, wie noch von der früheren Rechtsprechung gefordert, dass die Belehrung über die rechtlichen Folgen nur „im Kern“ richtig ist und lediglich eine „ausreichende“ Unter-
1 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 25; BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, NZA 2006, 1273 Rz. 23. 2 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 25; BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, NZA 2006, 1273 Rz. 23. 3 EuGH v. 27.4.2017 – C-680/15, NZA 2017, 571 Rz. 26, 29 – Asklepios; EuGH v. 18.7.2013 – C426/11, NZA 2013, 835 Rz. 30 ff. – Alemo Herron. 4 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 36; ArbG Paderborn v. 23.11.2018 – 3 Ca 626/18 Rz. 24 n.v. 5 BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 540/08 Rz. 31 n.v.; LAG Hamm v. 25.8.2011 – 17 Sa 498/11 Rz. 127 n.v.; ArbG Hamburg v. 27.4.2016 – 17 Ca 437/15 Rz. 25 n.v.
390 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.36 § 11
richtung erfolgt1. Ungeachtet der juristischen Genauigkeit verlangt die Rechtsprechung eine konkrete betriebsbezogene Darstellung in einer auch für juristische Laien möglichst verständlichen Sprache2. aa) Konsequenzen für einzelvertragliche Rechte und Pflichten Die Unterrichtung über die rechtlichen Folgen erfordert einen Hinweis auf den kraft Gesetzes erfolgenden Eintritt des Übernehmers in die individualrechtlichen Rechte und Pflichten aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB)3. Insofern genügt regelmäßig die abstrakte Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der zum Übertragungszeitpunkt der in Rede stehenden Organisationseinheit zugeordneten Arbeitnehmer auf den Erwerber übergeht und der Erwerber in das Arbeitsverhältnis eintritt. Dabei sollte klargestellt werden, dass die im Zeitpunkt des Übergangs getroffenen einzelvertraglichen Rechte und Pflichten durch den Übergang nicht verändert werden. Eine nähere Bezeichnung der Rechtsgrundlagen (Arbeitsvertrag, Gesamtzusage oder betriebliche Übung) ist in diesem Zusammenhang nicht geboten.
11.33
Auf den Umstand, dass die bei dem Veräußerer verbrachte Unternehmenszugehörigkeit bei dem Erwerber bereits kraft Gesetzes vollständig angerechnet wird4, sollte aufmerksam gemacht werden. Es muss der Anschein vermieden werden, dass diese Anrechnung eine (freiwillige) Leistung des Erwerbers bzw. an zusätzliche Erklärungen geknüpft ist.
11.34
Für den Arbeitnehmer muss ferner deutlich werden, dass der Arbeitgeberwechsel – vorbehaltlich eines etwaigen Widerspruchs – automatisch („kraft Gesetzes“)5 erfolgt. Insofern muss auf Formulierungen verzichtet werden, die den Eindruck erwecken können, dass die Fortgeltung der Vertragsbedingungen bzw. der Übergang des Arbeitsverhältnisses im Belieben des übernehmenden Rechtsträgers stehen6.
11.35
Auch wenn die Information nach der Rechtsprechung grundsätzlich nicht dazu dient, den Arbeitnehmer über alle ihn möglicherweise treffenden individuellen Folgen des Betriebsübergangs zu informieren7, sollten etwaige in Bezug auf bestimmte Arbeitnehmergruppen bestehende Besonderheiten erwähnt werden. Soweit unter den von dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses betroffenen Arbeitnehmern beispielsweise Mitarbeiter sind, deren Arbeitsverhält-
11.36
1 So noch BAG v. 22.4.1993 – 2 AZR 313/92, NZA 1994, 357 Rz. 20. 2 BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 18/10, NZA 2011, 1448 Rz. 25; LAG Köln v. 16.12.2011 – 4 Sa 1129/11 Rz. 32 n.v. 3 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, NZA 2012, 584 Rz. 27. 4 EuGH v. 6.4.2017 – C-336/15, NZA 2017, 585 Rz. 26 – Unionen; BAG v. 23.5.2013 – 2 AZR 54/12, NZA 2013, 1197 Rz. 27. 5 So ausdrücklich BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279 Rz. 42; BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 29. 6 So hat das BAG die Darstellung im Unterrichtungsschreiben, der Erwerber habe sich „verpflichtet, alle … betroffenen Arbeitsverhältnisse … zu übernehmen“, als „problematisch“ angesehen, weil daraus abgeleitet werden könnte, der Übergang der Mitarbeiter bedürfe der (freiwilligen) Übernahme einer Verpflichtung (BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, NZA 2006, 1268 Rz. 36). Auch der Hinweis, die „bisher erbrachten Dienstjahre“ würden von dem Erwerber „anerkannt“, wurde als fehlerhaft gerügt, da dadurch der Eindruck entstehen könne, es bedürfe einer vereinbarungsgemäßen Anerkennung durch den Betriebserwerber (BAG v. 20.3.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, 1354 Rz. 29). 7 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 25.
Gaul/B. Otto | 391
§ 11 Rz. 11.36 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
nis befristet ist oder sich in gekündigtem Zustand befindet, sollte in dem Unterrichtungsschreiben klargestellt werden, dass der Betriebs(teil-)übergang an der damit verbundenen, bei dem Erwerber eintretenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses nichts ändert. Ebenso sollten Arbeitnehmer, die mit dem bisherigen Arbeitgeber einen Altersteilzeit-1, Vorruhestandsoder Aufhebungsvertrag abgeschlossen haben, darüber informiert werden, dass diese Vereinbarungen von dem Betriebs(teil-)übergang ebenfalls unberührt bleiben. Der Erwerber tritt darin ein.
11.37
Soweit auf einzelvertraglicher Ebene weitergehende Vereinbarungen mit dem Veräußerer über besondere Rechte und Pflichten für das bestehende Arbeitsverhältnis oder den Fall seiner Beendigung getroffen wurden, empfiehlt es sich, auf den gesetzlichen Eintritt des Erwerbers in diese Rechte und Pflichten im Unterrichtungsschreiben gesondert hinzuweisen. Das betrifft nicht nur Versorgungszusagen (vgl. Rz. 34.100), sondern beispielsweise auch Regelungen über eine Lebens- und Unfallversicherung, die Gewährung von Deputaten, eine leistungs- oder erfolgsabhängige Zahlung, die Gewährung eines Dienstwagens mit dem Recht zur Privatnutzung, eine Abfindungszusage für den Fall der Arbeitsvertragsbeendigung oder ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot. Umgekehrt muss in dem Unterrichtungsschreiben angegeben werden, wenn einzelvertragliche Zusagen des Veräußerers zu betriebs- oder unternehmensspezifischen Sonderleistungen (z.B. Personalrabatte2, Aktienoptionen, Vermögensbeteiligungen) – was im Wege der Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln ist – nicht auf den Erwerber übergehen bzw. gemäß § 313 BGB durch einen Geldausgleich ersetzt werden.
11.38
Soweit Arbeitnehmer anlässlich des Arbeitsverhältnisses Vereinbarungen über die Gewährung von Sonderleistungen (z.B. Aktienoptionen) mit einem Konzernunternehmen getroffen haben, das mit dem Vertragsarbeitgeber verbunden ist, muss auf den Umstand, dass der Erwerber in derartige Abreden regelmäßig nicht gemäß § 613a Abs. 1 BGB eintritt3, im Rahmen der Unterrichtung nicht hingewiesen werden. Denn § 613a Abs. 5 BGB beinhaltet keine Verpflichtung, über sämtliche mit dem Arbeitsverhältnis (mittelbar) im Zusammenhang stehende, gegenüber etwaigen Dritt- und/oder Konzernunternehmen begründete Rechte und Pflichten umfassend zu informieren. Vielmehr ist die Unterrichtung auf die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis, d.h. die gegenüber dem Vertragsarbeitgeber bestehenden Rechte und Pflichten, begrenzt.
11.39
Nicht thematisiert werden müssen die Auswirkungen des Betriebs(teil-)übergangs für (echte) freie Mitarbeiter4 sowie von den beteiligten Rechtsträgern eingesetzte Leiharbeitnehmer. Da der EuGH aber Leiharbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/23/EG einbezieht5, wird man diese Entwicklung im Auge behalten müssen. Denn nach dem hier vertretenen Verständnis besteht zwar der Arbeitsvertrag mit dem Verleiher fort. Ein unterrichtungsbedürftiger Übergang ist also nicht gegeben. Möglicherweise sieht dies die Rechtsprechung indes anders. Auch die Folgen des Betriebs(teil-) übergangs für die Mitglieder der Leitungs- (Vorstand, Geschäftsführung) und Aufsichtsorgane
Vgl. dazu BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 220/11, NZA 2012, 1101 Rz. 21. BAG v. 7.9.2004 – 9 AZR 631/03, NZA 2005, 1223 Rz. 40 ff. BAG v. 12.2.2003 – 10 AZR 299/02, NZA 2003, 487 Rz. 53. Vgl. zur Abgrenzung zwischen freien Mitarbeitern und Arbeitnehmern BAG v. 17.6.2020 – 7 AZR 398/18, NZA 2020, 1470 Rz. 14; BAG v. 20.8.2003 – 5 AZR 610/02, NZA 2004, 39 sowie zur Qualifizierung sogenannter Crowdworker als Arbeitnehmer vgl. BAG v. 1.12.2020 – 9 AZR 102/20 n.v. 5 Vgl. EuGH v. 21.10.2010 – C-242/09, NZA 2010, 1225 Rz. 24 – Albron Catering; BAG v. 17.6.2015 – 4 AZR 61/14 (A), NZA 2016, 373 Rz. 49.
1 2 3 4
392 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.42 § 11
(Aufsichtsrat) der an dem Betriebs(teil-) übergang beteiligten Arbeitgeber müssen in dem Unterrichtungsschreiben nicht genannt werden. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass der EuGH Mitglieder der Unternehmensleitung einer Kapitalgesellschaft, die ihre Tätigkeit nach Weisung und Aufsicht eines anderen Organs dieser Gesellschaft ausüben, als Gegenleistung für ihre Tätigkeit eine Vergütung erhalten und selbst keine Anteile an dieser Gesellschaft besitzen, für die Zwecke der massenentlassungsrechtlichen Vorschriften (§§ 17 ff. KSchG) Arbeitnehmern gleichstellt1, auch für Fremdgeschäftsführer einer GmbH. Sie sind keine Arbeitnehmer i.S.v. § 613a Abs. 1 BGB, sofern nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen des § 611a BGB erfüllt werden2. bb) Konsequenzen für Betriebsbeauftragte und sonstige Funktionen Die Unterrichtung muss sich auch mit dem Umstand befassen, dass die Rechtsstellung als Betriebsbeauftragter (z.B. Fachkraft für Arbeitssicherheit, Sicherheits-, Immissionsschutz-, Gewässerschutz- und Abfallbeauftragter) mit dem Übergang des Arbeitverhältnisses automatisch beendet wird (vgl. Rz. 9.157). Entsprechendes gilt für die Rechtsstellung als Datenschutzbeauftragter (vgl. Rz. 9.156). Ein Widerruf ist insoweit nicht erforderlich. Das gilt auch in solchen Fällen, in denen die Abberufung an eine Zustimmung des Betriebsrats geknüpft ist (vgl. § 9 Abs. 3 ASiG). Denn diese Funktionen sind nicht Bestandteil des Arbeitsverhältnisses, in das der übernehmende Rechtsträger gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB eintritt. Das kann auch eine Änderung der dem Arbeitnehmer übertragenenen Aufgaben sowie der persönlichen Rechtsstellung (z.B. Kündigungsschutz) zur Folge haben. Soweit geplant ist, nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses eine erneute Bestellung, keine Bestellung oder eine modifizierte Bestellung vorzunehmen, ist auch das in der Unterrichtung erkennbar zu machen.
11.40
Ob und ggf. inwieweit Unternehmerpflichten, die dem Arbeitnehmer durch den bisherigen Betriebsinhaber übertragen wurden (z.B. arbeitsschutzrechtliche Pflichten (§ 13 ArbSchG)), als Folge des Betriebs(teil-)übergangs beendet werden, ist umstritten (vgl. Rz. 9.156 f.). Angesichts der erheblichen Konsequenzen, die sich für den Arbeitnehmer aus dem (Fort-)Bestehen oder Nichtbestehen dieser Pflichten ergeben können, muss im Rahmen der Unterrichtung angegeben werden, welche Auswirkungen der Betriebs(teil-)übergang insoweit hat. Erforderlich ist zumindest eine vertretbare Darstellung der Folgen des Übergangs nach § 613a BGB.
11.41
cc) Konsequenzen für etwaige Vertretungsbefugnisse Die Unterrichtung muss auch die Rechtsfolgen für die beim bisherigen Betriebsinhaber bestehenden Vertretungsbefugnisse erkennen lassen. Im Zweifel wird eine etwaige Handlungsvollmacht, Prokura oder Vollmacht gemäß § 164 BGB durch den Veräußerer widerrufen. Eine automatische Beendigung tritt nur dann ein, wenn sie an den Bestand des Arbeitsverhältnisses mit dem bisherigen Betriebsinhaber geknüpft war (vgl. Rz. 9.151 f.). Darüber hinaus muss klargestellt werden, ob und ggf. in welcher Weise der Erwerber diese oder andere Vertretungsbefugnisse einräumen wird.
1 EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, NZA 2015, 861 Rz. 41 – Balkaya. 2 Vgl. auch BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 614/04, Rz. 18, NZA 2006, 366; LAG München v. 9.7.2020 – 7 Sa 444/20 Rz. 38 n.v.; ArbG Stuttgart v. 21.12.2016 – 26 Ca 735/16, NZA-RR 2017, 69 Rz. 141, welche die Arbeitnehmerstellung von Fremdgeschäftsführern einer GmbH auch für die Zwecke des Kündigungsschutzes grundsätzlich verneinen.
Gaul/B. Otto | 393
11.42
§ 11 Rz. 11.43 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
dd) Haftungsrechtliche Konsequenzen
11.43
Die Rechtsprechung verlangt weiterhin eine Unterrichtung über die gesamtschuldnerische Haftung des Übernehmers und des Veräußerers und deren Verteilung nach § 613a Abs. 2 BGB. Hierzu gehört der Hinweis, dass der Erwerber auch für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis haftet, welche dem Arbeitnehmer vor dem Betriebs(teil-)übergang gegen den bisherigen Arbeitgeber zustanden, und dass für Ansprüche, die vor dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs entstanden sind und die vor Ablauf eines Jahres nach diesem Zeitpunkt fällig werden, eine gesamtschuldnerische Haftung des bisherigen und des neuen Arbeitgebers besteht (vgl. Rz. 12.6 ff.). Des Weiteren muss auf die begrenzte Haftung des bisherigen Arbeitgebers für nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs fällig werdende Ansprüche hingewiesen werden (vgl. Rz. 12.8)1. Der bloße Hinweis auf eine „nur zeitanteilige“ Nachhaftung des Betriebsveräußerers ist unzureichend. Das gesetzliche Haftungssystem beim Betriebs(teil-)übergang muss vollständig dargestellt werden2. Darüber hinaus ist auch eine durch Rechtsgeschäft begründete Haftung zu erfassen, wenn sie nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses wirksam wird (z.B. Schuldbeitritt, Patronatserklärung).
11.44
Für den Fall einer Spaltung nach dem UmwG muss ergänzend das Haftungsregime der §§ 133, 134 UmwG erläutert werden (vgl. Rz. 13.45 ff.)3. Wenn die Umwandlung erst wirksam wird, nachdem bereits ein Übergang des Arbeitsverhältnisses im Wege der Einzelrechtsnachfolge gemäß § 613a BGB bewirkt wurde (z.B. Wirksamwerden eines Pachtvertrags und Übernahme der Steuerung der betrieblichen Tätigkeit am 1.9., Eintragung der Spaltung nach § 123 UmwG zum Übergang des sonstigen Vermögens am 17.11.), erfasst die wechselseitige Haftung der an der Spaltung beteiligten Rechtsträger nach § 133 UmwG nur noch die Ansprüche, wie sie nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a Abs. 1, 2 BGB verteilt sind. Wenn die Umwandlung noch innerhalb der Jahresfrist des § 613a Abs. 2 BGB wirksam wird, bewirkt die Haftung aus §§ 133, 134 UmwG allerdings eine Verlängerung der Jahresfrist des § 613a Abs. 2 BGB um weitere fünf oder zehn Jahre. Das muss in der Unterrichtung erkennbar werden.
11.45
Erlischt der übertragende Rechtsträger durch die Übertragung (Verschmelzung, Aufspaltung, Anwachsung), muss auf die daraus folgenden Besonderheiten hingewiesen werden. Schließlich kommt § 613a Abs. 2 BGB nach § 613a Abs. 3 BGB in diesen Fällen nicht zur Anwendung (vgl. Rz. 13.150 ff.). ee) Konsequenzen für die betrieblichen Organisationsstrukturen
11.46
Um dem Arbeitnehmer eine Einschätzung seiner Beschäftigungschancen bei dem Erwerber bzw. – im Fall eines Widerspruchs – bei dem Veräußerer zu ermöglichen, muss in dem Unterrichtungsschreiben auch die betriebliche Struktur der beteiligten Rechtsträger vor und nach dem Übertragungsvorgang dargestellt werden.
11.47
Dies beinhaltet insbesondere die Feststellung, ob und inwieweit die bei dem bisherigen Arbeitgeber vorhandenen Betriebe/Betriebsteile im Anschluss an den Betriebs(teil-)übergang bei dem Erwerber unter Wahrung ihrer Identität fortbestehen oder mit dort bereits bestehenden Einheiten zusammengeschlossen werden. Dabei muss erkennbar werden, ob der Zusammen-
1 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 34. 2 BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 Rz. 34. 3 BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 1116/06, NZA 2008, 642 Rz. 36 f.; B. Gaul/Niklas, DB 2009, 452, 453.
394 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.50 § 11
schluss durch Eingliederung einer der beteiligten Einheiten in einen insoweit unter Wahrung seiner bisherigen Identität fortbestehenden Betrieb oder durch Neugründung eines Betriebs erfolgt. Als aufnehmende Einheit kommen dabei ein bereits beim übernehmenden Rechtsträger bestehender Betrieb ebenso wie ein Betrieb in Betracht, der übertragen wird (vgl. Rz. 2.4 ff., 2.12). Im Zusammenhang mit dieser Darstellung muss zwischen der kündigungsschutzrechtlichen und der betriebsverfassungsrechtlichen Bewertung dieser Organisationsstrukturen beim übertragenden und dem/den übernehmenden Rechtsträger(n) differenziert werden (vgl. nur Rz. 17.109, 17.137 ff., 22.28 ff., 22.53 ff., 24.2 ff., 24.25 ff.). Dazu gehört auch die Darstellung etwaig bestehender bzw. geplanter Gemeinschaftsbetriebe zwischen den beteiligten Rechtsträgern (vgl. Rz. 16.8 ff., 17.116 ff.). Denn ohne diese Information lassen sich die Ordnungsgemäßheit der Unterrichtung über die Konsequenzen für Betriebsvereinbarungen, die ergänzenden Feststellungen zu den Rechtsfolgen der Übertragung für die verschiedenen Arbeitnehmervertreter und die Ausführungen zu der kündigungsschutzrechtlichen Situation nicht beurteilen. Ob dies auch die Verpflichtung beinhaltet, nicht nur die von dem Übertragungsvorgang betroffenen, sondern sämtliche Betriebe des Erwerbers und des Veräußerers in dem Unterrichtungsschreiben zu erwähnen, ist in der Rechtsprechung bislang ebenso wenig geklärt wie die Frage, ob die Zahl der durch den Erwerber beschäftigten Arbeitnehmer, ggf. sogar unter Angabe ihrer zahlenmäßigen Aufteilung auf die einzelnen Betriebe/Betriebsteile, mitgeteilt werden muss. Da die Zahl und Struktur der Betriebe für die Beschäftigungsperspektiven in dem jeweiligen Unternehmen von Relevanz ist, empfiehlt es sich, die Unterrichtung vorsorglich nicht auf die unmittelbar von dem Betriebs(teil-)übergang betroffenen Organisationseinheiten zu beschränken, sondern alle Betriebe des Veräußerers und des Erwerbers aufzuführen.
11.48
Sicherheitshalber sollte in diesem Zusammenhang auch die Betriebsgröße, d.h. die ungefähre Anzahl der den einzelnen Organisationseinheiten jeweils zugeordneten Arbeitnehmer genannt werden. Denn da das BAG einen Umstand bereits dann als unterrichtungserheblich qualifiziert, wenn hiermit – und sei es lediglich „reflexhaft“ – eine „geminderte Rechtsposition der Arbeitnehmer [verbunden ist], deren Arbeitsverhältnisse übergegangen sind“1, ist die Zahl der im jeweiligen Betrieb tätigen Arbeitnehmer jedenfalls dann anzugeben, wenn anlässlich des Betriebs(teil-)übergangs für den Arbeitnehmer rechtserhebliche Schwellenwerte überbzw. unterschritten werden. Dies ist beispielsweise denkbar, wenn ein Betriebsteil mit in der Regel nicht mehr als zehn Arbeitnehmern bei dem Erwerber unter Wahrung seiner Identität als eigenständiger Betrieb fortgeführt wird. Denn da das Erreichen des Schwellenwertes des § 23 Abs. 1 KSchG und der dadurch entstehende Kündigungsschutz kein Recht i.S.d. § 613a Abs. 1 Satz 1 KSchG sind2, kann der Betriebs(teil-)übergang ggf. auch zu dem Verlust des gesetzlichen Kündigungsschutzes führen. Die Zahl der Arbeitnehmer in anderen Betrieben kann darüber hinaus Bedeutung für unternehmensbezogene Schwellenwerte haben, wie sie z.B. in § 1 MitbestG, § 1 DrittelbG oder §§ 106, 111 BetrVG genannt werden.
11.49
ff) Konsequenzen für Arbeitnehmervertretungen und die Unternehmensmitbestimmung Da § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB – anders als § 5 Abs. 1 Nr. 9, § 126 Abs. 1 Nr. 11 UmwG – nur von den Folgen „für die Arbeitnehmer“, nicht aber von den Konsequenzen „für ihre Vertretungen“
1 BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, NZA 2014, 610 Rz. 31. 2 BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 397/06, NZA 2007, 739 Rz. 18.
Gaul/B. Otto | 395
11.50
§ 11 Rz. 11.50 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
spricht, werden die Auswirkungen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs für den Betriebsrat, den Sprecherausschuss und sonstige Arbeitnehmervertretungen (z.B. Gesamt- und Konzernbetriebsrat, Gesamt-/Unternehmens- und Konzernsprecherausschuss, Wirtschaftsausschuss, Schwerbehindertenvertretung1, Jugend- und Auszubildendenvertretung, Personalrat, Europäischer Betriebsrat, SE-Betriebsrat) sowie die Arbeitnehmervertreter im mitbestimmten Aufsichtsrat von der Unterrichtungspflicht im Prinzip nicht erfasst2. Dies trifft an sich auch zu für ein etwaiges Rest-3 oder Übergangsmandat (§§ 21a, 21b BetrVG, § 177 Abs. 8 SGB IX) oder die Notwendigkeit, aufgrund veränderter Betriebsgrößen Neuwahlen einzuleiten (§ 13 BetrVG).
11.51
Gleichwohl sollten etwaige kollektivrechtliche Veränderungen für die Arbeitnehmervertretungen sowie die unternehmensmitbestimmungsrechtliche Verfassung der beteiligten Rechtsträger in dem Unterrichtungsschreiben (vorsorglich) erwähnt werden. Hierzu gehört eine Darstellung der vor und nach dem Betriebs(teil-)übergang vorhandenen betriebsverfassungsrechtlichen Gremien sowie ein Hinweis auf mitbestimmte Aufsichtsorgane, jeweils nebst Erläuterung etwaiger anlässlich des Übergangs eintretender Modifikationen sowie – im Fall von Abspaltungen oder Ausgliederungen nach § 123 Abs. 2, 3 UmwG – eines Hinweises auf die Mitbestimmungsbeibehaltungsvorgaben des § 325 Abs. 1 UmwG. Mitzuteilen sind dabei nicht nur die Folgen für das jeweilige Arbeitnehmervertretungsgremium, sondern auch für dessen jeweilige Mitglieder. Soweit das Unternehmen bzw. der Betrieb des Erwerbers nach dem Betriebs(teil-)übergang den Tendenzschutzregelungen (§ 118 BetrVG, § 1 Abs. 4 MitbestG, § 1 Abs. 2 DrittelbG, § 31 EBRG4, § 39 SEBG5, § 39 Abs. 1 SCEBG6, § 28 MgVG7) unterliegt, muss hierauf ebenfalls hingewiesen werden. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass zumindest die Mitglieder der Arbeitnehmervertretungsorgane über die kollektivrechtlichen Konsequenzen aufgeklärt werden müssen, die ihre individuelle Rechtsposition beeinflussen können (z.B. Mandatsbeendigung8, Kündigungsschutz nach § 15 KSchG). Darüber hinaus könnte die Ansicht vertreten werden, dass die vorgenannten Auswirkungen in Bezug auf die kollektivrechtliche Vertretung der von der Übertragung betroffenen Arbeitnehmer eine „rechtliche“, „soziale“ oder „wirtschaftliche“ Folge des Betriebsübergangs sind (§ 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB). Von letzterem scheint zunehmend auch die Rechtsprechung auszugehen, wenn sie Umstände dann als unterrichtungspflichtig einstuft, wenn sie zumindest „reflexartig“ eine Verminderung der Rechtsposition von Arbeitnehmern darstellen9. Führt man sich das Risiko einer fehlerhaften Unterrichtung – auf das nachfolgend gesondert eingegangen wird (vgl. Rz. 11.267 ff.) – vor Augen, sollte dieser mit einer Ergänzung der Unterrichtung verbundene (Mehr-)Aufwand hingenommen werden.
1 Vgl. LAG Düsseldorf v. 18.10.2017 – 12 TaBVGa 4/17 Rz. 67 ff. n.v. 2 B. Gaul/B. Otto, DB 2005, 2465, 2467; ebenso Willemsen/Lembke, NJW 2002, 1159, 1162 f.; a.A. Worzalla, NZA 2002, 353, 355. 3 Vgl. hierzu BAG v. 11.10.2016 – 1 ABR 51/14, NZA 2017, 68 Rz. 11. 4 Vgl. hierzu Gaul/Ludwig/Forst/B. Otto, Europäisches Mitbestimmungsrecht, § 1 B Rz. 135 ff. 5 Vgl. hierzu Gaul/Ludwig/Forst/B. Otto, Europäisches Mitbestimmungsrecht, § 2 I Rz. 551 ff. 6 Vgl. hierzu Gaul/Ludwig/Forst/B. Otto, Europäisches Mitbestimmungsrecht, § 3 I Rz. 97. 7 Vgl. hierzu Gaul/Ludwig/Forst/B. Otto, Europäisches Mitbestimmungsrecht, § 5 H Rz. 232 f. 8 ArbG Solingen v. 27.7.2017 – 2 BVGa 3/17 Rz. 29, 31 n.v. 9 BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, NZA 2014, 610 Rz. 31; ähnlich HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 330, welcher eine Unterrichtungspflicht über Umstände annimmt, die nach der früheren Rechtsprechung einen sachlichen Grund für einen Widerspruch darstellten.
396 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.55 § 11
gg) Konsequenzen für durch Kollektivvereinbarung geregelte Rechte und Pflichten Zu den im Unterrichtungsschreiben zu erläuternden, beim Übernehmer geltenden Rechten und Pflichten gehört grundsätzlich weiter die Anwendbarkeit tariflicher Normen und die Frage, inwieweit beim Veräußerer geltende Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durch beim Erwerber geltende Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen abgelöst werden1. Entsprechende Informationen sind für etwaig vorhandene Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarungen zu machen2. Soweit von dem Betriebs(teil-)übergang auch leitende Angestellte erfasst werden, müssen – zumindest ihnen gegenüber – auch die für Sprecherausschussvereinbarungen eintretenden Rechtsfolgen aufgezeigt werden. Außerdem muss nach Maßgabe der Rechtsprechung deutlich gemacht werden, ob einzelne Regelungen einer Kollektivvereinbarung im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses keine oder keine uneingeschränkte Geltung mehr beanspruchen.
11.52
(1) Fortgeltung, Transformation und Ablösung von Kollektivvereinbarungen Erforderlich dürfte zunächst ein Hinweis darauf sein, ob die Tarifverträge bzw. Betriebs-/Sprecherausschussvereinbarungen bei dem neuen Inhaber unverändert kollektivrechtlich fortgelten, ob sie gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB – unter Beibehaltung des kollektivrechtlichen Charakters3 – zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses werden4 oder gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3, 4 BGB durch bei dem Erwerber geltende Betriebs-/Sprecherausschussvereinbarungen bzw. Tarifverträge abgelöst werden5. Wenn diese Rechtsfolgen jeweils nur einen Teil der Kollektivvereinbarungen oder einen Teil der Arbeitnehmer betreffen, muss die Unterrichtung dies für die betroffenen Arbeitnehmer klarstellen.
11.53
(a) Tarifverträge In Bezug auf Tarifverträge bedarf es dementsprechend einer Aussage zu der Frage, ob und wenn ja auf welcher Grundlage (Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband, Abschluss von Firmentarifverträgen, Allgemeinverbindlichkeit, Rechtsverordnung nach §§ 7, 7a AEntG, arbeitsvertragliche Bezugnahme) bei dem Veräußerer und/oder dem Erwerber Tarifverträge zur Anwendung kommen.
11.54
Dies erfordert regelmäßig einen Hinweis auf die Arbeitgeberverbands-/Branchenzugehörigkeit des übergeleiteten Betriebs/Betriebsteils sowie die Angabe, ob der Erwerber Mitglied eines Arbeitgeberverbands ist bzw. werden soll. Wenn auf Seiten eines der beteiligten Rechtsträger eine Allgemeinverbindlicherklärung oder eine Verbindlichkeit nach §§ 7, 7a AEntG gegeben ist, muss auch dies erkennbar gemacht werden. Schließlich tritt diese Rechtsfolge ohne Rück-
11.55
1 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, NZA 2012, 584 Rz. 27; BAG v. 27.11.2008 – 8 AZR 174/07, NZA 2009, 552 Rz. 15. 2 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 44. 3 BAG v. 12.6.2019 – 1 AZR 154/17, NZA 2019, 1203 Rz. 46; BAG v. 12.2.2014 – 4 AZR 317/12, NZA 2014, 613 Rz. 23; BAG v. 3.7.2013 – 4 AZR 961/11, NZA-RR 2014, 80 Rz. 16 f. 4 Soweit das BAG in diesem Zusammenhang von „einzelvertraglicher Weitergeltung“ bei dem Erwerber spricht (BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 35), ist hiermit die unter Beibehaltung ihres kollektiv-rechtlichen Charakters erfolgende – an sich bereits durch Urteil BAG v. 22.4.2009 (4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 61 ff.) so bezeichnete – Transformation der in Kollektivverträgen geregelten Rechte und Pflichten in das Arbeitsverhältnis gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB gemeint. 5 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, NZA 2012, 584 Rz. 27.
Gaul/B. Otto | 397
§ 11 Rz. 11.55 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
sicht auf die Mitgliedschaft von Arbeitnehmern in einer Gewerkschaft oder die Bindung des Arbeitgebers an einen Tarifvertrag durch Abschluss eines Firmentarifvertrags oder Arbeitgeberverbandsmitgliedschaft ein.
11.56
Weiterhin muss darüber informiert werden, ob die vor dem Übergang aufgrund beiderseitiger Tarifbindung kraft Gesetzes geltenden Tarifverträge im Anschluss an die Übertragung kollektivrechtlich unverändert (dynamisch) fortgelten oder – bei inkongruenter oder fehlender Tarifbindung des Erwerbers – unter Beibehaltung ihres kollektivrechtlichen Charakters (statisch) Inhalt des Arbeitsverhältnisses werden1. Ergänzend sind die hiervon abweichenden Folgen für Tarifverträge nach § 3 BetrVG oder zu betrieblichen oder betriebsverfassungsrechtlichen Fragen nach § 3 Abs. 2 TVG aufzuzeigen, die nicht von § 613a BGB erfasst werden (vgl. Rz. 21.45, 24.182 ff.). Zu einer gesetzlichen Fortgeltung des gleichen Tarifvertrags kann es bei jeder Form der Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils aufgrund deckungsgleicher Mitgliedschaft der beteiligten Arbeitgeber im selben Arbeitgeberverband oder – wenn eine Übertragung im Wege der Umwandlung in Rede steht – durch den Übergang eines Firmen- bzw. Haustarifvertrags im Wege einer Verschmelzung2 oder Spaltung kommen (vgl. Rz. 21.4 ff.). Steht hingegen bei Inhalts-, Abschluss- oder Beendigungsnormen hingegen eine Transformation gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB im Raum, muss die einjährige Änderungssperre erläutert werden. Auch auf die Dauer der statischen Fortgeltung ist einzugehen3. Ferner sollte für den Fall eines bei dem Erwerber bestehenden bzw. eines möglicherweise noch abzuschließenden Tarifvertrags darauf hingewiesen werden, dass die Veränderungssperre dann – jedenfalls bei beiderseitiger Tarifbindung4 oder Allgemeinverbindlicherklärung5 – nicht gilt (§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB)6. Wegen einer möglichen Tarifkonkurrenz oder -pluralität auch auf Seiten des übernehmenden Rechtsträgers ist zwischen einer Bindung durch Verbandstarifvertrag und einer Bindung durch einen Firmen- bzw. Haustarifvertrag zu unterscheiden. Auch ist mitzuteilen, ob bzw. wenn ja in welchem Umfang eine Ablösung der den Inhalt des Arbeitsverhältnisses bestimmenden Tarifnormen nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB erfolgt7 (vgl. Rz. 21.61 ff.). Unter Berücksichtigung der Einschränkungen durch die Vorgaben des BVerfG im Urteil vom 11.7.20178 können sich dabei weitere Besonderheiten aus § 4a TVG ergeben (vgl. Rz. 21.12).
11.57
Eine darüber hinausgehende Verpflichtung klarzustellen, dass der neue Betriebsinhaber für den Fall einer identitätswahrenden Übertragung des Betriebs oder Betriebsteils verpflichtet ist, die im Betrieb(steil) bestehende (tarifliche) Vergütungsordnung solange fortzuführen, bis mit den zuständigen Arbeitnehmervertretern gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG etwas Abweichendes vereinbart wurde9, besteht nicht. Eine auf jede einzelne Kollektivvereinbarung ein-
1 Vgl. dazu BAG v. 12.2.2014 – 4 AZR 317/12, NZA 2014, 613 Rz. 23; BAG v. 3.7.2013 – 4 AZR 961/ 11, NZA-RR 2014, 80 Rz. 17. 2 BAG v. 18.9.2019 – 5 AZR 335/18, NZA 2020, 187 Rz. 21; BAG v. 15.6.2016 – 4 AZR 805/14, NZA 2017, 326 Rz. 33. 3 Vgl. dazu EuGH v. 9.3.2006 – C-499/04, NZA 2006, 376 Rz. 29 ff. – Werhof; BAG v. 3.7.2013 – 4 AZR 961/11, NZA-RR 2014, 80 Rz. 16. 4 BAG v. 9.4.2008 – 4 AZR 164/07, NZA 2008, 1432 Rz. 19. 5 BAG v. 7.7.2010 – 4 AZR 1023/08, NZA-RR 2011, 30 Rz. 32. 6 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 37. 7 Vgl. hierzu BAG v. 3.7.2013 – 4 AZR 138/12, ZTR 2014, 154 Rz. 24 f.; BAG v. 21.11.2012 – 4 AZR 85/11, NZA 2013, 512 Rz. 17. 8 BVerfG v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15 u.a., NZA 2017, 915. 9 BAG v. 25.4.2017 – 1 AZR 427/15, NZA 2017, 1346 Rz. 25; BAG v. 8.12.2009 – 1 ABR 66/08, NZA 2010, 404 Rz. 22 ff.
398 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.60 § 11
gehende individuelle Rechtsberatung kann nicht verlangt werden1. Es genügt der allgemeine Hinweis auf die Rechtsfolgen aus § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB. Dies gilt insbesondere mit Blick auf den Umstand, dass das Ergebnis eines etwaigen Mitbestimmungsverfahrens nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG im Zeitpunkt der Unterrichtung oftmals unklar ist. Zu spekulativen Mitteilungen sind Erwerber und Veräußerer nicht verpflichtet2. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn der Erwerber bereits zum Zeitpunkt der Unterrichtung Änderungen in Bezug auf die Vergütungsordnung plant. Wird erst beim übernehmenden Rechtsträger (erstmals) eine Tarifbindung ausgelöst (z.B. durch Allgemeinverbindlicherklärung gemäß § 5 Abs. 4 TVG), ist auch dies anzugeben.
11.58
Soweit arbeitsvertraglich die Anwendung tarifvertraglicher Rechte vereinbart wurde, muss klargestellt werden, dass diese Vereinbarungen durch den Betriebs(teil-)übergang nicht berührt werden. Die Bezugnahme bleibt mit dem zum Übergangsstichtag maßgeblichen Inhalt unverändert gültig (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB) (vgl. Rz. 21.142 ff.). Ungeachtet des Umstands, dass die Konsequenzen des Betriebsübergangs für die vertragliche Tarifgeltung vom Inhalt und der Formulierung der Bezugnahmeklauseln abhängen3, ist eine detaillierte Auslegung der in den jeweiligen Arbeitsvertragsmustern des bisherigen Arbeitgebers verwendeten Klauseln im Rahmen des Unterrichtungsschreibens nicht erforderlich. Es reicht die Angabe, dass der Erwerber kraft Gesetzes (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB) in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen, also auch in die Zusage der Anwendung eines oder mehrerer Tarifverträge eintritt4. Um dem unterschiedlichen Inhalt der im Betrieb verwendeten Bezugnahmeklauseln Rechnung zu tragen, sollte ergänzend darauf hingewiesen werden, dass der individuelle Inhalt der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf die Tarifverträge darüber entscheidet, ob zukünftig etwaige Tarifverträge des Erwerbers auf einzelvertraglicher Grundlage Anwendung finden oder es bei einer individualvertraglichen Geltung der bisherigen (d.h. im Übergangszeitpunkt für den Veräußer maßgeblichen) tarifvertraglichen Regelungen bleibt5. Klargestellt werden sollte dabei vorsorglich auch, dass der Inhalt der indiviudellen Zusage im Zweifel durch Auslegung festzustellen ist, deren Ergebnis unter anderem vom Zeipunkt des Vertragsschlusses und vom Wortlaut der Klausel abhängt. Eine weitergehende Differenzierung zwischen Altverträgen (Abschluss bis Wirksamwerden der Schuldrechtsmodernisierung) und Neuverträgen (Abschluss nach Wirksamwerden der Schuldrechtsmodernisierung) ist nicht erforderlich, zumal dabei oft übersehen wird, dass durch Änderungen eines Altvertrags nach dem Wirksamwerden der Schuldrechtsmodernisierung auch für die Bezugnahmeklausel eine Geltung der für Neuverträge entwickelten Grundsätze bewirkt werden kann6. Das aber müsste im Unterrichtungsschreiben als ergänzender Hinweis zu Altverträgen eingebunden werden.
11.59
Wenn keine für alle betroffenen Arbeitnehmer einheitlichen Rechtsfolgen eintreten, muss im Rahmen der Darstellung differenziert werden. Das kann insbesondere dann zum Tragen kommen, wenn neben der gesetzlichen eine arbeitsvertragliche Tarifbindung in Betracht kommt.
11.60
1 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 25. 2 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 39. 3 BAG v. 17.6.2015 – 4 AZR 61/14 (A), NZA 2016, 373 Rz. 44 f.; BAG v. 17.11.2010 – 4 AZR 391/09, NZA 2011, 356 Rz. 31; LAG Berlin-Brandenburg v. 19.6.2015 – 9 Sa 411/15 Rz. 53 n.v. 4 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 39. 5 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 41. 6 Vgl. BAG v. 7.12.2016 – 4 AZR 414/14, NZA 2017, 597 Rz. 31; BAG v. 13.5.2015 – 4 AZR 244/14, NZA-RR 2016, 6 Rz. 26.
Gaul/B. Otto | 399
§ 11 Rz. 11.60 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
Relevant wird dies auch dann, wenn in Bezug auf den betroffenen Arbeitnehmerkreis Altund Neuverträge gleichermaßen zur Anwendung kommen. Denn hier können trotz identischer Formulierung unterschiedliche Rechtsfolgen eintreten (vgl. Rz. 21.121 ff.). (b) Betriebsvereinbarungen/Sprecherausschussvereinbarungen
11.61
Aus der Darstellung der vor und nach dem Betriebs(teil-)übergang maßgeblichen betrieblichen Strukturen leiten sich die Konsequenzen für durch Betriebsvereinbarungen (einschließlich Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen) geregelten Rechte und Pflichten ab. Nichts anderes ist für Sprecherausschussvereinbarungen, Gesamt-, Unternehmens- und Konzernsprecherausschussvereinbarungen anzunehmen, für die die nachfolgenden Ausführungen entsprechend gelten. (aa) Identitätswahrende Übertragungen
11.62
Falls der in Rede stehende Betrieb unter Wahrung seiner Identität1 übertragen oder der übernommene Betriebsteil bei dem Erwerber als selbständiger Betrieb weitergeführt wird, ist im Unterrichtungsschreiben klarzustellen, dass die Betriebsvereinbarungen bei dem Erwerber unverändert als Betriebsvereinbarungen fortgelten, soweit mit den zuständigen Arbeitnehmervertretern nichts Abweichendes vereinbart wird bzw. die Betriebsvereinbarung aus sonstigen Gründen (z.B. Befristung) endet (vgl. Rz. 22.28 ff.)2. Das gilt auch dann, wenn in den unter Wahrung seiner Identität beim übernehmenden Rechtsträger fortbestehenden Betrieb ein dort bereits vorhandener Betrieb oder Betriebsteil eingegliedert wird (vgl. Rz. 22.28).
11.63
Gesamtbetriebsvereinbarungen des Veräußerers gelten in diesem Fall bei dem Erwerber ebenfalls normativ unverändert als Betriebsvereinbarungen fort3. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die in der Gesamtbetriebsvereinbarung geregelten Rechte und Pflichten beim aufnehmenden Unternehmen nicht normativ ausgestaltet sind (vgl. Rz. 22.45 ff.)4. Andernfalls werden sie dort durch zum gleichen Regelungsgegenstand geltende (Gesamt-)Betriebsvereinbarungen geändert oder ersetzt (vgl. Rz. 22.47). Eine Fortgeltung als Gesamtbetriebsvereinbarungen kommt nur in Betracht, wenn alle Betriebe eines Unternehmens auf einen anderen Inhaber übertragen werden, der seinerseits noch keine Arbeitnehmer beschäftigt (vgl. Rz. 22.45). Bei Vereinbarungen mit dem Gesamt- oder Unternehmenssprecherausschuss gelten Besonderheiten, die ebenfalls dargestellt werden müssen (vgl. Rz. 23.2 ff.).
11.64
Konzernbetriebsvereinbarungen gelten für die vom Übertragungsvorgang betroffenen Arbeitnehmer als Vereinbarungen auf Konzernebene fort, solange auch der übernehmende Rechtsträger Teil desselben Konzerns ist. Ist dies nicht der Fall, wird der Betrieb aber unter Wahrung seiner Identität übertragen, ist darüber zu informieren, dass die Konzernbetriebsvereinbarung bei dem Erwerber als „einfache“ Betriebsvereinbarung weiterhin normative An-
1 Vgl. hierzu BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277 Rz. 49; LAG Düsseldorf v. 18.10.2017 – 12 TaBVGa 4/17 Rz. 66 n.v. 2 BAG v. 22.10.2019 – 3 AZR 429/18, ZIP 2020, 571 Rz. 47; BAG v. 5.5.2015 – 1 AZR 763/13, NZA 2015, 1331 Rz. 47; BAG v. 14.8.2013 – 7 ABR 56/11, DB 2014, 308 Rz. 29. 3 BAG v. 27.1.2016 – 4 AZR 916/13, NZA-RR 2016, 366 Rz. 14; BAG v. 8.7.2015 – 4 AZR 111/14 Rz. 29 n.v. 4 BAG v. 13.8.2019 – 1 AZR 213/18, NZA 2020, 49 Rz. 32; BAG v. 5.5.2015 – 1 AZR 763/13, NZA 2015, 1331 Rz. 46.
400 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.67 § 11
wendung findet (vgl. Rz. 22.51). Davon ist mit Blick auf die Feststellungen des BAG im Beschluss vom 25.2.20201 auszugehen2. Soweit bei dem Erwerber weitere (Gesamt- bzw. Konzern-)Betriebsvereinbarungen gelten, sollten die übergehenden Arbeitnehmer ergänzend darüber unterrichtet werden, ob ihr Arbeitsverhältnis nach dem Übergang bei dem Erwerber – nach näherer Maßgabe der jeweiligen (Gesamt- bzw. Konzern-)Betriebsvereinbarung – von deren Anwendungsbereich erfasst wird3. Eine auf jede einzelne Kollektivvereinbarung eingehende individuelle Rechtsberatung kann dabei nicht verlangt werden4. Vielmehr genügt grundsätzlich der allgemeine Hinweis, dass bei dem Erwerber Gesamt- bzw. Konzernbetriebsvereinbarungen in Kraft sind, die auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden, sofern der Erwerber bzw. der Arbeitnehmer in ihren Geltungsbereich fällt5. Weitergehende Hinweise verlangen auch § 2 Abs. 3, § 3 Satz 1 NachwG nicht. Dies gilt nach der Rechtsprechung jedenfalls dann, wenn in den in Rede stehenden Kollektivvereinbarungen keine „wesentlichen Arbeitsbedingungen“ geregelt sind (vgl. Rz. 11.81).
11.65
(bb) Identitätsverändernde Übertragungen Soweit der Betrieb/Betriebsteil anlässlich des Betriebs(teil-)übergangs seine betriebliche Identität verliert und bei dem Erwerber mit einer dort bestehenden Einheit zusammengeschlossen bzw. in diese eingegliedert wird, sind die Arbeitnehmer über die damit verbundene statische Fortgeltung der durch Betriebsvereinbarung bzw. Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung geregelten Rechte und Pflichten als Inhalt des Arbeitsverhältnisses6 zu unterrichten. Eine etwaige gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB eintretende Ablösung durch bei dem Erwerber geltende Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge (vgl. Rz. 22.88 ff.)7 zum gleichen Regelungsgegenstand ist ebenfalls zu erwähnen.
11.66
(cc) Überleitungsbetriebsvereinbarungen Soweit anlässlich des Betriebs(teil-)übergangs (Überleitungs-)Betriebsvereinbarungen geschlossen worden sind, die Art und Umfang der nach dem Betriebs(teil-)übergang relevanten Kollektivvereinbarungen festlegen, müssen die Arbeitnehmer hierüber im Unterrichtungsschreiben informiert werden. Denn die (Überleitungs-)Betriebsvereinbarung hat in der Regel vor allem eine kollektivrechtliche Fortgeltung von Betriebs- oder Gesamtbetriebsvereinbarungen als Betriebsvereinbarungen beim übernehmenden Rechtsträger zur Folge, bewirkt also, dass § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB gar nicht zur Anwendung kommt. Gleichzeitig kann sie festlegen, dass beim übernehmenden Rechtsträger bestehende Betriebsvereinbarungen auf die
1 BAG v. 25.2.2020 – 1 ABR 39/18, NZA 2020, 875 Rz. 19 ff. 2 Vgl. auch BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 44: „rechtlich vertretbare Position“. 3 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 45. 4 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 25. 5 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 45. 6 LAG Düsseldorf v. 25.2.2014 – 6 Sa 1431/13 Rz. 64 n.v. 7 Zu den Möglichkeiten einer „Überkreuzablösung“ von Betriebsvereinbarungen durch Tarifvertrag vgl. LAG Düsseldorf v. 25.2.2014 – 6 Sa 1431/13 Rz. 63 n.v. Für den umgekehrten Fall der regelmäßig nicht möglichen Überkreuzablösung von Tarifverträgen durch Betriebsvereinbarungen vgl. BAG v. 3.7.2013 – 4 AZR 961/11, NZA-RR 2014, 80 Rz. 19; BAG v. 21.4.2010 – 4 AZR 768/08, DB 2010, 1998 Rz. 43 ff.
Gaul/B. Otto | 401
11.67
§ 11 Rz. 11.67 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
wechselnden Arbeitnehmer nicht oder mit Modifikationen zur Anwendung kommen, insoweit also eine Begrenzung des Geltungsbereichs vorgenommen wird (vgl. Rz. 22.40). (2) Darstellungsdetaillierung von Kollektivvereinbarungen
11.68
Eine detaillierte Bezeichnung einzelner Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen ist dabei grundsätzlich nicht nötig, da sich der Arbeitnehmer – nach Erhalt der in Textform zu erteilenden Informationen – selbst näher erkundigen kann1. Insofern ist auch keine vollständige Auflistung der vor und nach dem Betriebsübergang maßgeblichen Kollektivvereinbarungen geboten. Insbesondere begründet § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB keine Verpflichtung, die künftig bei dem Erwerber geltenden Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen sowie Sprecherausschussvereinbarungen in einer Anlage zum Unterrichtungsschreiben den bisher bzw. nach dem Übergang beim Veräußerer maßgeblichen Regelungen synoptisch gegenüberzustellen2. Auch ist es nicht notwendig, die bei dem neuen Inhaber anwendbaren Tarifverträge und/oder Betriebsvereinbarungen dem Unterrichtungsschreiben beizufügen3.
11.69
Vielmehr genügt es, im Unterrichtungsschreiben die vor und nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses anwendbaren Tarifverträge in einer allgemeinen Form zu skizzieren, die § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 10 NachwG entspricht4, also die Rechtsnatur (Firmen- oder Verbandstarifvertrag) und den räumlichen und sachlichen Geltungsbereich (z.B. Verbandstarifverträge der X-Branche Nordrhein-Westfalen) erkennen lässt. Darüber hinaus ist es erforderlich darauf zu verweisen, ob der Tarifvertrag oder die Tarifverträge statisch oder dynamisch Geltung beanspruchen. (3) Sozialplan oder sozialplanähnliche Kollektivvereinbarungen
11.70
Über einen zwischen dem Betriebsrat und dem Betriebsveräußerer geschlossenen Sozialplan, der Abfindungsregelungen für die Arbeitnehmer vorsieht, denen aufgrund ihres Widerspruchs gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses aus betriebsbedingten Gründen gekündigt wird, sollen die Arbeitnehmer nach Auffassung der Rechtsprechung unterrichtet werden5. Je nach Inhalt kann dies auch Angaben zu einem Interessenausgleich umfassen. Soweit die Arbeitnehmer, die nach einer Umwandlung einem bestimmten Betrieb oder Betriebsteil zugeordnet werden, in dem Interessenausgleich namentlich bezeichnet sind, sollte die damit nach § 323 Abs. 2 UmwG verbundene Einschränkung des arbeitsgerichtlichen Prüfungsumfangs auf grobe Fehlerhaftigkeit6 in dem Unterrichtungsschreiben vorsorglich angesprochen werden. Zwar handelt es sich hierbei nicht um eine „Folge des Übergangs“, sondern um eine „Folge des Nichtübergangs“. Der daraus zum Teil gezogenen Schlussfolgerung, die Unterrichtungsverpflichtung sei auf die Konsequenzen für das Arbeitsverhältnis bzw. die Arbeitsbedingungen bei dem Übernehmer beschränkt7, ist das BAG indes nicht gefolgt. Vielmehr 1 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, NZA 2012, 584 Rz. 27. 2 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 44; BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 Rz. 36; a.A. Jaeger, ZIP 2004, 433, 441. 3 So aber Jaeger, ZIP 2004, 433, 441. 4 B. Gaul/B. Otto, DB 2005, 2465, 2466. 5 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, NZA 2006, 1273 Rz. 26; a.A. LAG Düsseldorf v. 1.4.2005 – 18 Sa 1950/04, DB 2005, 1741 Rz. 57 ff. 6 Vgl. hierzu BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, NZA 2018, 370 Rz. 37 ff. 7 LAG Düsseldorf v. 1.4.2005 – 18 Sa 1950/04 Rz. 58, DB 2005, 1741; B. Gaul/B. Otto, DB 2005, 2465, 2466.
402 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.73 § 11
soll die Unterrichtungspflicht auch etwaige Ansprüche aus einem Sozialplan1 sowie aus sozialplanähnlichen Vereinbarungen2 umfassen. Denn die Frage, ob ein Arbeitnehmer im Falle seines Widerspruchs mit einer Kündigung rechnen muss und ob ihm in diesem Fall ggf. eine Abfindung zusteht, sei für seine Willensbildung von erheblicher Bedeutung. Dass eine Unterrichtungspflicht – so das BAG – nur dann zu bejahen sei, „wenn Ansprüche aus einem Sozialplan in Betracht kommen können“3, hilft als Korrektiv nur bedingt weiter. Denn von einem derartigen „In-Betracht-Kommen“ soll – nimmt man das BAG ernst – schon dann auszugehen sein, wenn ein Anspruch nicht offenkundig unter jedem denkbaren Gesichtspunkt völlig ausgeschlossen ist. Dies kommt in der Praxis fast nie vor.
11.71
(4) Zweifel über Geltungsbereich oder Anwendungsvoraussetzungen Bei der Unterrichtung sind auch etwaig bestehende Zweifel daran zu berücksichtigen, ob die vom Übertragungsvorgang betroffenen Arbeitenhmer nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses noch vom Geltungsbereich einer Kollektivvereinbarung erfasst werden oder ob die in der beim übernehmenden Rechtsträger fortgeltenden Kollektivvereinbarung bestimmten Anspruchsvoraussetzungen in Bezug auf die übergehenden Arbeitnehmer auch gegenüber dem neuen Arbeitgeber erfüllt werden können. Nach Auffassung des 2. Senats des BAG in seinem Urteil vom 26.3.20154 reicht in diesem Fall der (rechtlich zutreffende) Hinweis auf die Fortgeltung eines Tarifvertrags für eine ordnungsgemäße Unterrichtung nicht aus. Denn mit der Geltung eines Tarifvertrags stehe nicht zugleich fest, dass die von ihm vorgesehenen Voraussetzungen für einen Anspruch auf bestimmte Leistungen prinzipiell erfüllbar sind5. Vielmehr sollen die beteiligten Arbeitgeber in einer derartigen Konstellation verpflichtet sein, die Frage, ob Ansprüche aus dem Tarifvertrag gegenüber dem Erwerber noch in Betracht kommen, aufzuwerfen und in rechtlich vertretbarer Weise zu beantworten6. Dies soll selbst dann gelten, wenn sich nach einem über mehrere Instanzen geführten Rechtsstreit später (d.h. nach der Unterrichtung) rechtskräftig herausstellt, dass der in Rede stehende Tarifvertrag im Ergebnis keinerlei Ansprüche zugunsten des Arbeitnehmers begründet hätte7.
11.72
Hiervon ausgehend sind die an einem Betriebsübergang beteiligten Rechtsträger verpflichtet, selbst dann im Unterrichtungsschreiben rechtliche Bewertungen zu der Frage abzugeben, ob Ansprüche bestehen könnten, wenn die Anspruchsvoraussetzungen durch den Betriebsübergang selbst nicht ausgelöst werden. Damit begründet das BAG schlussendlich eine Pflicht zur abstrakt-generellen Aufklärung auch über (theoretisch) denkbare Rechtsfolgen, weil der Übertragungsvorgang selbst kein Grund für die Entstehung des Anspruchs sein kann. Von der wie-
11.73
BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, NZA 2006, 1273 Rz. 26. BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 29. BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, NZA 2006, 1273 Rz. 26. BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 28. BAG v. 23.7.2015 – 6 AZR 687/14 Rz. 29 n.v.; BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 28. 6 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 28. 7 So hat das BAG durch Urteil BAG v. 23.7.2015 – 6 AZR 687/14 n.v. in Bezug auf den Tarifvertrag, der dem BAG in der Entscheidung BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 noch als Grundlage möglicher Abfindungsansprüche erschien, entschieden, dass der Tarifvertrag für die nach dem Betriebsübergang von dem Erwerber entlassenen Arbeitnehmer keine Ansprüche begründet.
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Gaul/B. Otto | 403
§ 11 Rz. 11.73 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
derholten Ausgangsthese des BAG, wonach eine umfassende Rechtsberatung jedes einzelnen Arbeitnehmers nicht verlangt werden kann1, bleibt damit im Ergebnis nicht mehr viel übrig.
11.74
Mehr noch: Die Anforderungen des 2. Senats des BAG widersprechen ausdrücklich den Prämissen des 8. Senats des BAG. Dieser hatte in seinem Urteil vom 10.11.2011 noch darauf hingewiesen, dass Veräußerer und Erwerber nicht zu einer Darstellung spekulativer Szenarien (dort: Tarifwechsel durch künftigen Abschluss eines neuen Tarifvertrags) im Unterrichtungsschreiben verpflichtet sind, falls konkrete Angaben angesichts der objektiv bestehenden Situation nicht möglich und entsprechende Maßnahmen nicht absehbar sind2. Maßgeblich für die Unterrichtungspflicht seien allein die Planungen der beteiligten Arbeitgeber3.
11.75
Warum das Unterrichtungsschreiben gleichwohl Feststellungen zu etwaigen Ansprüchen des Arbeitnehmers für den Fall einer durch Veräußerer oder Erwerber (noch) gar nicht geplanten Schließung oder Verlegung des Betriebs enthalten soll, lässt sich mit § 613a Abs. 5 BGB schwer begründen. Der Wortlaut spricht von den „Folgen des Übergangs“. Ansprüche, die Folge künftiger Personalmaßnahmen oder bereits bei dem Veräußerer geltender Vereinbarungen sind, gehören nicht dazu. Dies gilt erst recht, wenn man sich vor Augen führt, dass nur die in Aussicht genommenen Maßnahmen zum Inhalt der Unterrichtung gehören. Da sich die Entscheidung des Arbeitnehmers über den Widerspruch von der Konzeption des Gesetzgebers an unmittelbaren Folgen oder den Konsequenzen geplanter Maßnahmen ausrichten soll, spricht auch dies nicht für die Einbeziehung lediglich theoretisch bzw. möglicherweise relevant werdender Rechtsfragen.
11.76
Im Ergebnis machen die Überlegungen des 2. Senats eine fehlerfreie Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB nahezu unmöglich, was erhebliche Risiken in Bezug auf einen Widerspruch nach Ablauf der Monatsfrist zur Folge hat. Dies gilt umso mehr, als man die Überlegungen des BAG zu der Darstellungstiefe bei Tarifverträgen zwanglos auf Betriebsvereinbarungen und sonstige Kollektivvereinbarungen übertragen kann. Auch hier wäre damit keine abstrakt-generelle Beschreibung der Rechtsfolgen mehr ausreichend. Vielmehr müssten die Konsequenzen für einzelne Betriebs-, Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen ebenso wie für Vereinbarungen mit dem Sprecherausschuss, dem Europäischen Betriebsrat und anderen Arbeitnehmervertretern konkret beschrieben werden. Immer dann, wenn die Anwendung und/oder der Inhalt unternehmens- oder branchenspezifischer Regelungen nach dem Betriebsübergang zweifelhaft sind, müsste das Unterrichtungsschreiben darüber eine Aussage treffen. Betroffen hiervon wären beispielsweise Kollektivvereinbarungen zu Belegschaftsaktien, Aktienoptionsplänen, gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien, zur Einbindung externer Versorgungsträger zur Abwicklung einer (mittelbaren) Versorgungszusage, Betriebsvereinbarungen über Ansprüche im Zusammenhang mit betrieblichen Einrichtungen, Firmenunfallversicherungen oder Sonderzahlungen, die mit dem Unternehmenserfolg verknüpft sind.
11.77
Überzeugend ist dies nicht. Denn auch die Darstellung der abstrakt-generellen Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs für Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen versetzt die betroffenen Arbeitnehmer durchaus bereits in die Lage, die rechtlichen Konsequenzen eines Übergangs des Arbeitsverhältnisses zu bewerten und eine Entscheidung darüber zu treffen, ob ein Wider1 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 25; LAG Sachsen-Anhalt v. 1.9.2015 – 6 Sa 221/14 Rz. 67 n.v. 2 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, NZA 2012, 584 Rz. 39, 41. 3 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, NZA 2012, 584 Rz. 30.
404 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.80 § 11
spruch erklärt werden soll. Dass der 2. Senat hier von den beteiligten Rechtsträgern fast Unmögliches verlangt, zeigt auch der Umstand, dass über die Auslegung und den Inhalt möglicher Ansprüche nach dem in der Entscheidung in Rede stehenden Tarifvertrag (TV soziale Sicherung) parallel vor dem 6. Senat gestritten wurde. Konkret ging es um die Frage, ob auch beim Erwerber nach dem Betriebsübergang verbrachte Dienstzeiten als Beschäftigungszeiten für die Berechnung von tarifvertraglichen Überbrückungsbeihilfen berücksichtigt werden müssen. Nimmt man die Ausführungen des 2. Senats ernst, müssten auch derartige Streitfragen zum Gegenstand der Unterrichtung gemacht werden. (5) Vorabentscheidung des EuGH? Die stetig wachsende Strenge der Rechtsprechung in Bezug auf die Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB sollte möglichst bald überprüft und abgeschwächt werden. Ob die durch den 8. Senat in zum Teil neuer Besetzung auf den Weg gebrachte Einschränkung des Widerspruchsrechts bei Kettenbetriebsübergängen (vgl. Rz. 11.231 ff.)1 ein paralleler Schritt in diese Richtung ist, wird sich zeigen. Hintergrund ist der Umstand, dass in der Anerkennung und Erweiterung der Pflicht zur Kennzeichnung der Unterrichtungspflichten beim Betriebsübergang immer auch eine Einschränkung der unternehmerischen Handlungs- und Entscheidungsfreiheit zu sehen ist. Da Art. 16 GRC aber diese Freiheit nur durch andere Grundrechte einschränken will, wird man daraus auch auf eine Einschränkung der aus § 613a Abs. 5 BGB resultierenden Handlungspflichten schließen müssen. Auf diese Form einer Berücksichtigung der unternehmerischen Handlungsfreiheit hatte der EuGH bereits bei anderer Gelegenheit hingewiesen2. Schließlich wird durch die aktuelle Interpretation von § 613a Abs. 5 BGB ein ganz erhebliches Risiko für den Veräußerer geschaffen, als Folge eines Widerspruchs noch nach vielen Jahren wieder zu einer Fortführung von Arbeitsverhältnissen zu kommen. Da der Umfang der durch Art. 7 Abs. 6 Richtlinie 2001/23/EG gesetzten Pflichten nur durch den EuGH selbst bestimmt werden kann, sollte dieser nach Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung angerufen werden.
11.78
(6) Besonderheiten in Bezug auf mittelbare Folgen Gleichwohl wird sich die Praxis bis auf Weiteres darauf einrichten müssen, dass die Arbeitnehmer auch über die mittelbaren Folgen eines Betriebsübergangs – etwa darüber, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen beim Erwerber zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Absicherung der Arbeitnehmer führen – informiert werden müssen, wenn darin ein relevantes Kriterium für einen möglichen Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses gesehen werden muss3.
11.79
Daraus folgt, dass etwaige Sozialplanansprüche oder vergleichbare Abfindungsleistungen nicht nur abstrakt-generell, sondern zugleich verbunden mit einer Einschätzung angegeben werden müssen, ob die in Rede stehenden Vereinbarungen für die von dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses betroffenen Arbeitnehmer im Fall einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses „grundsätzlich“ einen Anspruch vorsehen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass Sozialpläne regelmäßig einen Anspruchsausschluss bzw. eine Verringerung von Zahlungen für
11.80
1 Vgl. BAG v. 21.4.2016 – 8 AZR 728/14 n.v.; BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647. 2 EuGH v. 27.4.2017 – C-680/15, NZA 2017, 571 Rz. 23 – Asklepios; EuGH v. 18.7.2013 – C-426/11, NZA 2013, 835 Rz. 30 ff. – Alemo Herron. 3 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 25; LAG Hamm v. 19.7.2019 – 16 Sa 43/19 Rz. 36 n.v.
Gaul/B. Otto | 405
§ 11 Rz. 11.80 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
den Fall von Widersprüchen nach § 613a Abs. 6 BGB vorsehehen1. Eine konkrete Bezifferung des für den jeweiligen Arbeitnehmer relevanten Betrags ist nicht erforderlich. (7) Besonderheiten in Bezug auf wesentliche Arbeitsbedingungen
11.81
Weiterhin sollten wesentliche Veränderungen in Bezug auf die Hauptleistungspflichten (z.B. Verschlechterungen von Arbeitszeitdauer und Vergütung) kurz inhaltlich skizziert werden. Bloße Modifikationen der formellen Arbeitsbedingungen (z.B. Arbeitszeitlage, Betriebsordnung, bloße Veränderungen der Funktionsbezeichnung des Mitarbeiters, soweit sie nicht mit einer inhaltlichen Änderung der Arbeitsbedingungen verbunden sind) müssen grundsätzlich nicht mitgeteilt werden. Für die Bestimmung der Wesentlichkeit ist ein großzügiger Maßstab anzulegen. In Anlehnung an § 2 NachwG sind wesentlich alle Regelungen, die üblicherweise in Arbeitsverträgen bestimmter Arbeitnehmer vereinbart werden oder deren Kenntnis für den Arbeitnehmer zur Geltendmachung seiner Rechte notwendig ist und deren Unkenntnis zu erheblichen Nachteilen führen kann2. Abweichungen im Synallagma sind dabei zwar zu bezeichnen, ohne Rücksicht darauf, ob eine Vergütungsminderung die Zumutbarkeitsgrenzen des § 140 SGB III bzw. die von der Rechtsprechung aufgestellten materiellen Schwellenwerte für die Ausübung von Widerrufsvorbehalten3 erreicht. Es genügen aber beispielsweise Hinweise darauf, dass die Regelungen des einen Vergütungstarifvertrags durch die Regelungen eines anderen, konkret bezeichneten Vergütungstarifvertrags abgelöst werden, so dass im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses eine neue Eingruppierung erfolgt.
11.82
Auf diese Weise wird dem Informationsbedürfnis der Arbeitnehmer hinreichend Rechnung getragen. Denn letztlich besteht der Sinn und Zweck der Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB nicht darin, dem Arbeitnehmer die zukünftigen Arbeitsbedingungen in Form eines „Handbuchs“ zusammenzustellen. Der Arbeitnehmer soll in die Lage versetzt werden, sich einen ersten Eindruck von den bei dem Erwerber zu erwartenden Rechten und Pflichten zu machen und sich ggf. weitergehend zu erkundigen und beraten zu lassen4. Dass ihm die bei dem neuen Inhaber geltenden Kollektivvereinbarungen nicht ohne Weiteres zugänglich sind, ändert daran nichts. Denn dem Arbeitnehmer ist es auch insoweit zumutbar, sich bei etwaigen aus der Grobübersicht ergebenden Fragen zur weiteren Klärung an den Erwerber zu wenden. hh) Konsequenzen für die betriebliche Altersversorgung
11.83
Die Konsequenzen des Betriebsübergangs für etwaige Zusagen auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung werden an sich bereits durch die Angaben zum Übergang des Arbeitsverhältnisses (einzelvertragliche Versorgungszusage), zu den Rechtsfolgen für Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge (kollektivrechtliche Versorgungszusagen) und zur Haftung der beteiligten Rechtsträger abgedeckt. Auch wenn eine darüber hinausgehende eigenständige Erwähnung daher grundsätzlich nicht zwingend erforderlich ist5, ist es wegen der besonderen 1 Zur Zulässigkeit derartiger Begrenzungen vgl. BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 448/05, NZA 2008, 425 Rz. 42; BAG v. 5.2.1997 – 10 AZR 553/96, NZA 1998, 158 Rz. 28; LAG Düsseldorf v. 14.12.2010 – 16 Sa 513/10 Rz. 144 n.v. 2 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 45. 3 Vgl. dazu BAG v. 21.3.2012 – 5 AZR 651/10, NZA 2012, 616 Rz. 19; BAG v. 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, NZA 2005, 465 Rz. 23. 4 BT-Drucks. 14/7760, 19. 5 So wohl auch ArbG Essen v. 22.8.2008 – 5 Ca 727/08 Rz. 70 f. n.v.; ggf. a.A. LAG Köln v. 16.12.2011 – 4 Sa 1129/11 Rz. 53 n.v., das die Frage, was mit Anwartschaften der betrieblichen Altersversor-
406 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.87 § 11
Bedeutung der betrieblichen Altersversorgung für die Lebensplanung der Arbeitnehmer empfehlenswert, die Auswirkungen des Betriebs(teil-)übergangs für die Versorgungsanwartschaften im Unterrichtungsschreiben explizit anzusprechen. Dazu gehört auch eine Änderung des Versorgungswegs und/oder der notwendige oder beabsichtigte Wechsel des Versorgungsträgers. Unabhängig hiervon sind gesonderte Ausführungen dann erforderlich, wenn die besondere Haftung aus § 134 UmwG zum Tragen kommt (vgl. Rz. 34.157 ff.). Darüber hinaus sind nähere Erläuterungen zu machen, falls der Übergang von Versorgungsanwartschaften mit einer Änderung des Versorgungswegs verbunden ist. Dies ist z.B. der Fall, wenn der übernehmende Rechtsträger eine unmittelbare Versorgungszusage gewähren muss, weil eine Fortführung der bei dem Erwerber bestehenden mittelbaren Versorgungszusage (z.B. Unterstützungkasse) nicht möglich ist (vgl. Rz. 34.130 ff.)1.
11.84
Wichtig ist aber: Auswirkungen für ausgeschiedene Arbeitnehmer bzw. Betriebsrentner werden von § 613a Abs. 5 BGB nicht erfasst. Denn die Unterrichtungspflicht gilt nur zugunsten der im Zeitpunkt des Übergangs noch bei dem Veräußerer beschäftigten Arbeitnehmer, die der in Rede stehenden Organisationseinheit zugeordnet sind2. Folgerichtig gehören etwaige Folgen eines Übertragungsvorgangs für den Umfang der Anpassungspflichten nach § 16 BetrAVG auch nicht zu den Gegenständen der Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB.
11.85
ii) Kündigungsrechtliche Situation Zusätzlich sollen bisheriger Arbeitgeber und neuer Inhaber gehalten sein, die von dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses betroffenen Arbeitnehmer grundsätzlich auch auf die „kündigungsrechtliche Situation“3 bzw. „den Kündigungsschutz“4 hinzuweisen. Dazu gehören auch etwaige Besonderheiten, die sich für einzelne Arbeitnehmer aus dem Fortbestand oder der Beendigung einer bestimmten Funktion (z.B. Betriebsratsmitglied, Datenschutzbeauftragter) ergeben.
11.86
Obwohl an sich bereits in § 613a Abs. 4 BGB eindeutig geregelt, ist damit zunächst der Hinweis darauf gemeint, dass Kündigungen wegen des Betriebs(teil-)übergangs gesetzlich ausgeschlossen sind, das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen jedoch unberührt bleibt. Ob eine entsprechende Information stets5 oder nur dann erforderlich ist, „wenn sich Kündigungen abzeichnen“6, ist bislang noch nicht abschließend geklärt. Vorsorglich sollte eine dahingehende Erläuterung von § 613a Abs. 4 BGB in jedes Unterrichtungsschreiben aufgenommen werden.
11.87
1 2 3 4 5 6
gung geschieht, unter Verweis auf die Entscheidung des BAG v. 23.7.2009 (8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 Rz. 34) als „wichtig“ ansieht und diesbezüglich fehlende Aussagen als ein Indiz für die Fehlerhaftigkeit der Unterrichtung zu bewerten scheint. Vgl. BAG v. 15.2.2011 – 3 AZR 54/09, NZA 2011, 928 Rz. 30; BAG v. 13.11.2007 – 3 AZR 191/06, NZA 2008, 600 Rz. 24. Vgl. zu der umwandlungsrechtlichen Ausgliederung von Versorgungsverbindlichkeiten in eine Rentnergesellschaft BAG v. 15.9.2015 – 3 AZR 839/13, NZA 2016, 235 Rz. 26; BAG v. 17.6.2014 – 3 AZR 298/13, BB 2015, 190 Rz. 57 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 27. LAG Düsseldorf v. 19.9.2007 – 7 (11) Sa 1068/06 Rz. 74 n.v.; BT-Drucks. 14/7760, 19. So LAG Düsseldorf v. 19.9.2007 – 7 (11) Sa 1068/06 Rz. 74 n.v. So BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 27.
Gaul/B. Otto | 407
§ 11 Rz. 11.88 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
11.88
Weiterhin sollte die im Anschluss an den Betriebs(teil-)übergang vorgesehene Größe des Betriebs, dem der Arbeitnehmer zugeordnet ist, angegeben werden (vgl. Rz. 11.36). Zwingend ist dies jedenfalls dann, wenn in dem Betrieb des Erwerbers nach dem Betriebs(teil-)übergang die Anwendungsvoraussetzungen des § 23 KSchG nicht mehr erfüllt sind. Ob in diesem Fall die bloße Angabe der Belegschaftsstärke des Betriebs ausreicht, anhand derer der Arbeitnehmer das zukünftige (Nicht-)Vorhandensein des gesetzlichen Kündigungsschutzes selbst bestimmen kann, ist bislang noch nicht abschließend entschieden. Vorsorglich sollte hier zusätzlich ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass der Erwerberbetrieb nicht in den Geltungsbereich des KSchG fällt1. Dies ist nicht nur bei einem Unterschreiten der Schwellenwerte des § 23 Abs. 1 KSchG2, sondern auch dann der Fall, wenn der Betrieb nach dem Betriebs (teil-)übergang – beispielsweise aufgrund einer Betriebsverlagerung oder einer Verlegung der für die personellen und sozialen Angelegenheiten relevanten Leitungsstrukturen – nicht mehr in Deutschland, sondern im Ausland belegen ist3.
11.89
Nicht im Unterrichtungsschreiben erwähnt werden muss der Umstand, dass Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis sich im Zeitpunkt des Betriebs(teil-)übergangs in gekündigtem Zustand befindet, unter den von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen einen Anspruch auf Wiedereinstellung (vgl. Rz. 17.209) haben können. Eine auf die individuellen Umstände jedes einzelnen Arbeitnehmers eingehende Rechtsberatung kann nicht verlangt werden4.
11.90
Im Fall einer umwandlungsrechtlichen Spaltung müssen auch die Konsequenzen von § 323 Abs. 1 UmwG genannt werden (vgl. Rz. 17.92 ff.). Der Arbeitnehmer ist also darauf hinzuweisen, dass sich seine kündigungsrechtliche Stellung aufgrund der Spaltung oder Teilübertragung für die Dauer von zwei Jahren nicht verschlechtert5. jj) Widerspruchsrecht
11.91
Auf das Widerspruchsrecht gemäß § 613a Abs. 6 BGB muss ebenfalls hingewiesen werden6. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass die entsprechende Befugnis sich direkt aus dem Gesetz ergibt und der Arbeitnehmer sie daher kennen dürfte bzw. er sich hierüber unschwer Kenntnis verschaffen könnte.
11.92
Gegenstand der Unterrichtung ist in diesem Zusammenhang nicht nur der Bestand des Widerspruchsrechts. Vielmehr geht es auch um die hierfür maßgebliche Frist (ein Monat), die Form (schriftlich) sowie die möglichen Adressaten eines etwaigen Widerspruchs7.
11.93
Soweit auf den im Anschluss an einen Widerspruch bei dem Veräußerer aufgrund Wegfalls des Beschäftigungsbedarfs drohenden Arbeitsplatzverlust hingewiesen werden soll, ist darauf zu achten, den Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung lediglich als möglich, nicht aber als sicher darzustellen. Denn da die Kündigung bei dem Veräußerer – soweit dessen An1 So ausdrücklich LAG Düsseldorf v. 9.1.2018 – 3 Sa 251/17, BB 2018, 1395 Rz. 59. 2 Vgl. dazu BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 397/06, NZA 2007, 739 Rz. 29. 3 Vgl. dazu BVerfG v. 12.3.2009 – 1 BvR 1250/08 Rz. 2 n.v.; BAG v. 8.10.2009 – 2 AZR 654/08, DB 2010, 230 Rz. 13; BAG v. 17.1.2008 – 2 AZR 902/06, NZA 2008, 872 Rz. 21. 4 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 25. 5 Vgl. BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 397/06, NZA 2007, 739 Rz. 52. 6 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 31; BAG v. 20.3.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, 1354 Rz. 33. 7 BAG v. 20.3.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, 1354 Rz. 33.
408 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.94 § 11
wendungsvoraussetzungen erfüllt sind – unter dem Vorbehalt des KSchG steht, sind entsprechende betriebsbedingte Kündigungen nur dann zulässig, wenn eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf freien Arbeitsplätzen im Unternehmen (auch unter veränderten Arbeitsbedingungen) nicht möglich ist (vgl. Rz. 17.25) und der die Kündigung erhaltende Arbeitnehmer unter mehreren vergleichbaren Arbeitnehmern am sozial wenigsten schutzwürdig ist (§ 1 Abs. 3 KSchG). Vgl. hierzu Rz. 17.46 f. Der Widerspruch kann dabei im Rahmen der Sozialauswahl nicht zu Lasten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden (vgl. Rz. 17.114 f.). Falls der gesamte Betrieb, dem der Arbeitnehmer zugeordnet ist, auf den Erwerber übergeht, dürfte der Arbeitnehmer im Anschluss an einen Widerspruch den gesetzlichen Kündigungsschutz nach dem KSchG verlieren. Denn Voraussetzung für die Anwendbarkeit des KSchG ist, dass der Arbeitnehmer einem im Inland belegenen Betrieb zugeordnet ist, dessen Beschäftigtenzahl die erforderlichen Schwellenwerte erreicht1. Es reicht nicht aus, dass das Unternehmen weitere Betriebe führt, auf die das KSchG anwendbar ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen ausnahmsweise auf die Beschäftigtenzahl des Unternehmens abzustellen ist2, bei dem der Arbeitnehmer infolge seines Widerspruchs verbleibt. Da ein Arbeitnehmer bei Übergang des gesamten Betriebs nach einem Widerspruch nicht automatisch etwaig vorhandenen anderen Betrieben des Veräußerers zugeordnet wird3, spricht viel dafür, dass der bisherige Arbeitgeber in diesen Fällen kündigen kann, ohne an die Kündigungsbeschränkung des KSchG gebunden zu sein4. Insbesondere ist der Arbeitgeber grundsätzlich nicht verpflichtet, dem widersprechenden Arbeitnehmer das Risiko des Arbeitsplatzverlustes dadurch zu nehmen, dass er ihn in einen anderen Betrieb seines Unternehmens versetzt5. Ebenso wenig bedarf es in diesen Fällen einer Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG (vgl. Rz. 19.8). Soweit entsprechende Vereinbarungen nicht bereits vor dem Betriebs(teil-) übergang abgeschlossen wurden, ist der Versuch eines Interessenausgleichs und der Abschluss eines Sozialplans allein aufgrund der im Anschluss an einen Widerspruch erfolgenden Entlassungen nur erforderlich bzw. erzwingbar, wenn die Zahl der Entlassungen die Schwellenwerte der § 17 Abs. 1 KSchG (Interessenausgleichs), § 112a BetrVG (Sozialplan) übersteigt6 und der Arbeitnehmer – was bei einem Übergang des gesamten Betriebs häufig nicht der Fall sein wird7 – nach dem Widerspruch einem Betrieb zugeordnet wird, für den ein Betriebsrat besteht. Auch auf diese Umstände sollten die Arbeitnehmer vorsorglich hingewiesen werden. 1 BVerfG v. 12.3.2009 – 1 BvR 1250/08 Rz. 2 n.v.; BAG v. 29.8.2013 – 2 AZR 808/12 Rz. 30 n.v.; BAG v. 17.1.2008 – 2 AZR 902/06, NZA 2008, 872 Rz. 18. 2 BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BvL 15/87, NZA 1998, 470 Rz. 52; BAG v. 24.1.2013 – 2 AZR 140/12, NZA 2013, 726 Rz. 22; BAG v. 28.10.2010 – 2 AZR 392/08, DB 2011, 118 Rz. 21. 3 BAG v. 25.4.2013 – 6 AZR 49/12 Rz. 179 n.v.; BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, DB 2013, 1178 Rz. 41, 48; BAG v. 25.9.2003 – 8 AZR 446/02, NZA 2004, 1406 Rz. 32; LAG Rheinland-Pfalz v. 16.7.2015 – 2 Sa 586/14 Rz. 95 n.v.; zu der Frage, ob eine fehlerhafte Beteiligung nach § 99 BetrVG der wirksamen Zuordnung eines Mitarbeiters zu einer von einem Betrieb(teil-)übergang betroffenen Organisationseinheit entgegensteht, vgl. LAG München v. 7.12.2020 – 4 TaBV 39/20 n.v. 4 Offengelassen von BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12, NZA 2015, 889 Rz. 16; a.A. ArbG Frankfurt v. 17.6.2010 – 13 Ca 6534/09 n.v. das auf die Zahl der in der Regel Beschäftigten vor dem Betriebsübergang abstellt, sowie Hessisches LAG v. 7.12.2010 – 13 Sa 1160/10 n.v., welches das KSchG auch im Fall einer widerspruchsbedingten Kündigung nach dem Übergang des gesamten Betriebs ohne nähere Begründung „zweifelsfrei“ für anwendbar hält. 5 BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, DB 2013, 1178 Rz. 48. 6 BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, NZA 2016, 1072 Rz. 29; BAG v. 5.6.2014 – 2 AZR 418/13, NZA 2015, 832 Rz. 21; BAG v. 28.3.2006 – 1 ABR 5/05, NZA 2006, 932 Rz. 18. 7 Vgl. zu § 102 BetrVG BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 61; BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12, NZA 2015, 889 Rz. 41.
Gaul/B. Otto | 409
11.94
§ 11 Rz. 11.94 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
Eine darüber hinausgehende Erläuterung der von der Rechtsprechung für Kündigungen im Kleinbetrieb aufgestellten Grundsätze1 ist demgegenüber grundsätzlich nicht erforderlich.
11.95
Falls sich der Erwerber gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber verpflichtet hat, die widersprechenden Arbeitnehmern auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags oder im Wege der Arbeitnehmerüberlassung für die Dauer ihrer Kündigungsfrist vorübergehend zu den gleichen Bedingungen wie bei dem Veräußerer weiterzubeschäftigen, droht den widersprechenden Arbeitnehmern ab dem Zeitpunkt des Übergangs gemäß § 615 Satz 2 BGB der Verlust ihres Gehaltsanspruchs2. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer – beispielsweise aufgrund einer entsprechenden Mitteilung des Erwerbers – sicher weiß, dass er unabhängig von seinem Widerspruch durch den Betriebserwerber beschäftigt werden würde3. Das damit verbundene Vergütungsrisiko gehört ebenfalls zu den informationspflichtigen (mittelbaren) rechtlichen Folgen des Betriebsübergangs, auf die im Unterrichtungsschreiben hingewiesen werden muss4.
11.96
Soweit ein Widerspruchsrecht wegen Erlöschens des übertragenden Rechtsträgers nicht besteht5, schließt die gleichwohl fortbestehende Unterrichtungspflicht6 auch eine Information über das Bestehen des an die Stelle des Widerspruchsrechts tretenden außerordentlichen Kündigungsrechts7 ein8. kk) Wahlrecht bei umwandlungsrechtlicher Aufspaltung
11.97
Folgt man dem BAG bei der Anerkennung eines Wahlrechts von Arbeitnehmern bei Aufspaltungen nach § 123 Abs. 1 UmwG (vgl. Rz. 10.231 ff.), müssen die betroffenen Arbeitnehmer auch über diese Gestaltungsmöglichkeit, die Adressaten entsprechender Erklärungen und damit verbundene Folgen im Rahmen der Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB in Kenntnis gesetzt werden. Dies dürfte in der Praxis außerordentlich problematisch sein, weil zu einer Darstellung der Folgen einer Ausübung des Wahlrechts gehört, alle rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs auf einen anderen Rechtsträger und die dort vorgesehenen Maßnahmen zu unterrichten. Hinzu kommt, dass nach wir vor unklar ist, ob das BAG tatsächlich ein Wahlrecht auch dann anerkennen will, wenn durch den übertragenden Rechtsträger eine Zuordnung des Arbeitnehmers zu dem Betrieb oder Betriebsteil erfolgt war, in dem der Arbeitnehmer bis zum Wirksamwerden der Umwandlung beschäftigt war. In allen Fällen muss die Unterrichtung eine insoweit vertretbare Auffassung zum Ausdruck bringen.
1 Vgl. dazu BAG v. 19.7.2016 – 2 AZR 468/15, NZA 2016, 1196 Rz. 20; BAG v. 23.7.2015 – 6 AZR 457/14, NZA 2015, 1380 Rz. 23 ff. 2 BAG v. 9.9.2010 – 2 AZR 582/09, ZTR 2011, 113 Rz. 38 ff. (Arbeitnehmerüberlassung); BAG v. 20.3.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, 1354 Rz. 35; BAG v. 7.2.2007 – 5 AZR 422/06, NZA 2007, 561 Rz. 16; BAG v. 19.3.1998 – 8 AZR 139/97, NZA 1998, 750 Rz. 32 f. (Befristung); LAG Hamburg v. 24.2.2016 – 6 Sa 31/15 Rz. 112 ff. n.v.; LAG Sachsen-Anhalt v. 12.1.1999 – 8 Sa 283/98 Rz. 14 f. n.v. 3 BAG v. 20.3.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, 1354 Rz. 35. 4 BAG v. 20.3.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, 1354 Rz. 34. 5 Vgl. dazu BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, NZA 2018, 370 Rz. 51; BAG v. 14.3.2012 – 7 AZR 147/11, NZA 2012, 1183 Rz. 55; BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815 Rz. 24 f. 6 B. Otto/Mückl, BB 2011, 1978, 1979. 7 Vgl. dazu BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, NZA 2018, 370 Rz. 51; BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815 Rz. 24. 8 B. Otto/Mückl, BB 2011, 1978, 1980.
410 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.100 § 11
c) Wirtschaftliche Folgen des Übergangs Zu den wirtschaftlichen Folgen i.S.v. § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB gehören solche Veränderungen, die sich nicht als rechtliche Folge unmittelbar den Bestimmungen des § 613a Abs. 1 bis 4 BGB entnehmen lassen1. Unter Verweis auf dieses Tatbestandsmerkmal, welches zunehmend den Charakter einer „Generalklausel“ erhält, verlangt die Rechtsprechung regelmäßig Angaben zu mittelbaren Folgen eines Betriebs(teil-)übergangs, wenn darin ein relevantes Kriterium für einen möglichen Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses gesehen werden muss.
11.98
Hierzu sollen beispielsweise Informationen darüber gehören, dass „die rechtlichen Rahmenbedingungen beim Erwerber zu keiner Sicherung der Arbeitnehmer führen“2. Eine dahingehende Unterrichtungserheblichkeit wird beispielsweise der Frage beigemessen, ob das Arbeitsverhältnis nach dem Übergang bei dem Erwerber weiterhin dem Kündigungsschutz des KSchG unterfällt (vgl. Rz. 11.86). Auch hält die Rechtsprechung einen Hinweis im Unterrichtungsschreiben für erforderlich, wenn der Erwerber das Sozialplanprivileg nach § 112a Abs. 2 BetrVG für sich in Anspruch nehmen kann3. Erscheint es zweifelhaft, ob die Voraussetzungen des § 112a BetrVG vorliegen, soll das Informationsschreiben jedenfalls eine Aussage dahin erhalten, dass diese Frage in rechtlicher Hinsicht unklar ist und welche Auffassung der alte und neue Arbeitgeber hierzu vertreten4. Die bloße Information darüber, dass es sich bei dem Erwerber um eine neu gegründete Gesellschaft handelt, soll – unseres Erachtens zweifelhaft – nicht ausreichend sein5. Allerdings soll ein Fehler in der Unterrichtung, der sich (allein) aus einem nicht ordnungsgemäßen Hinweis auf das Sozialplanprivileg des § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG ergibt, mit Ablauf von vier Jahren seit der Gründung des neuen Inhabers kraft Gesetzes geheilt werden6. Denn dann findet auch das Privileg keine Anwendung mehr.
11.99
Von unterrichtungsbedürftigen „wirtschaftlichen“ Folgen des Betriebs(teil-)übergangs geht die Rechtsprechung auch dann aus, wenn die ökonomischen Rahmenbedingungen des Betriebs(teil-)übergangs zu einer so gravierenden Gefährdung der wirtschaftlichen Absicherung der Arbeitnehmer bei dem neuen Betriebsinhaber führen, dass dies als ein wesentliches Kriterium für einen möglichen Widerspruch der Arbeitnehmer gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses anzusehen ist7.
11.100
1 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 25; BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, NZA 2014, 610 Rz. 30. 2 LAG Düsseldorf v. 14.10.2015 – 1 Sa 733/15 Rz. 59 n.v. 3 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 36 f.; BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, NZA 2014, 610 Rz. 31; LAG Sachsen-Anhalt v. 1.9.2015 – 6 Sa 221/14 Rz. 66 n.v.; zweifelnd LAG Hamm v. 19.7.2019 – 16 Sa 43/19 Rz. 39 n.v. 4 LAG Sachsen-Anhalt v. 1.9.2015 – 6 Sa 221/14 Rz. 68 n.v.; offengelassen in BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 28. 5 LAG Sachsen-Anhalt v. 1.9.2015 – 6 Sa 221/14 Rz. 68 n.v., a.A. LAG Hamm v. 19.7.2019 – 16 Sa 43/19 Rz. 39 n.v. 6 BAG v. 24.8.2017 – 8 AZR 265/16, NZA 2018, 168 Rz. 43; BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 28, 39. 7 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 53; LAG Hamm v. 19.7.2019 – 16 Sa 43/19 Rz. 36 n.v.; LAG Düsseldorf v. 9.1.2018 – 3 Sa 251/17, AE 2018, 83 Rz. 56; LAG Sachsen-Anhalt v. 1.9.2015 – 6 Sa 221/14 Rz. 66 n.v.
Gaul/B. Otto | 411
§ 11 Rz. 11.101 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
11.101
Dementsprechend sind die beteiligten Arbeitgeber zwar nicht verpflichtet, über die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Betriebsübernehmers im Einzelnen zu unterrichten1. Allerdings muss die wirtschaftliche Lage des Erwerbers thematisiert werden, wenn sie „Widerspruchsrelevanz“ besitzt. Dies soll regelmäßig der Fall sein, wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Erwerbers zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Absicherung der Arbeitnehmer führen2.
11.102
Daher müssen die Arbeitnehmer informiert werden, ob bisher dem übergehenden Betrieb zuzurechnende Vermögensgegenstände von erheblichem Wert, zu denen das Grundvermögen zählt, auf den Betriebserwerber mit übergehen3.
11.103
Auch muss es den Arbeitnehmern mitgeteilt werden, wenn bestimmte für die Fortsetzung des Betriebs relevante Betriebsmittel bzw. Verträge nicht auf den Erwerber übergehen bzw. dort auslaufen. So hat die Rechtsprechung beispielsweise den Hinweis an die von einem Betriebsübergang betroffenen Mitarbeiter eines Gastronomiebetriebs, bei dem Erwerber sei die unveränderte Fortführung des Betriebs vorgesehen, als unzureichend angesehen, weil der zugrunde liegende Pachtvertrag im Zeitpunkt der Unterrichtung noch nicht verlängert worden war. Zur vollständigen Unterrichtung hätte hier darauf aufmerksam gemacht werden müssen, dass „trotz aller positiven Tendenzen die Verhandlungen über die Verlängerung des Pachtsvertrags noch nicht abgeschlossen waren und der Vertrag noch nicht unterzeichnet war“4.
11.104
Ferner müssen die Arbeitnehmer informiert werden, wenn die wirtschaftliche Notlage des Betriebserwerbers offensichtlich ist, wie z.B. bei einem bereits eingeleiteten Insolvenzverfahren5. Auch soll in der Unterrichtung auf das Vorhandensein oder das Fehlen einer Patronatserklärung zugunsten des Erwerbers hingewiesen werden müssen, wenn der Erwerber Schulden des Veräußerers übernimmt, selbst aber nur über ein „geringes“6 Haftungskapital verfügt7. In ähnlicher Weise hat die Rechtsprechung die Vereinbarung eines „negativen Kaufpreises“ als unterrichtungspflichtig qualifiziert, da sich daraus das (widerspruchsrelevante) Indiz ableiten lasse, der übergehende Betrieb sei „nicht viel wert“8.
11.105
Gleiches nimmt die Rechtssprechung an, wenn sich infolge des Betriebsübergangs die für die Forderungen des Arbeitnehmers aus seinem Arbeitsverhältnis zur Verfügung stehende Haftungsmasse in erheblichem Umfang verringert. Die nicht unerhebliche Verringerung der verbleibenden Haftungsgrundlage soll einen Umstand darstellen, auf dessen Kenntnis der Arbeitnehmer Anspruch hat9. 1 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 54; BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 1116/06, NZA 2008, 642 Rz. 33. 2 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866 Rz. 25. 3 BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 1116/06, NZA 2008, 642 Rz. 34. 4 LAG Sachsen-Anhalt v. 1.9.2015 – 6 Sa 221/14 Rz. 60 n.v. 5 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 54; BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 1116/06, NZA 2008, 642 Rz. 33. 6 Als „gering“ wurde im Streitfall ein Stamm- und damit Haftungskapital des Erwerbers von 50.000,00 € bei mehr als 3.000 übernommenen Arbeitnehmern angesehen, LAG München v. 9.10.2008 – 4 Sa 411/08 Rz. 87 f. n.v. 7 LAG München v. 9.10.2008 – 4 Sa 411/08 Rz. 87 n.v.; LAG München v. 25.9.2008 – 3 Sa 266/08 Rz. 52 n.v.; LAG München v. 19.9.2008 – 3 Sa 128/08 Rz. 44 n.v. 8 LAG München v. 9.10.2008 – 4 Sa 411/08 Rz. 87 n.v.; a.A. (mit einzelfallbezogener Begründung) BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 56. 9 BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 1116/06, NZA 2008, 642 Rz. 32.
412 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.108 § 11
Wo genau die „Erheblichkeitsschwelle“ liegt, die eine Unterrichtungspflicht auslösen soll, hat die Rechtsprechung bislang offengelassen. Die Anforderungen an die Unterrichtung werden damit weitgehend konturen- und uferlos.
11.106
d) Soziale Folgen des Übergangs Was unter „sozialen Folgen“ des Übergangs zu verstehen ist, ist von der Rechtsprechung bisher nicht näher thematisiert worden. In einer Entscheidung aus dem Jahr 2004 hat das BAG angedeutet, die von dem Erwerber angedachte Kündigung einer durch Betriebsvereinbarung geregelten „großzügigen Prämienregelung“ könne eine soziale Folge des Betriebsübergangs darstellen1. Letztlich dürfte es hier wohl nicht unerhebliche Überschneidungen mit rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen i.S.v. § 613a Abs. 5 BGB geben. In der Literatur werden als in diesem Sinne unterrichtungspflichtige Folgen der bei dem Erwerber drohende Wegfall freiwilliger Sozialeinrichtungen (z.B. betriebliche Kindertagesstätte, Kantine, Fitnessstudio) sowie Veränderungen in Zusammenhang mit ablösenden Kollektivvereinbarungen, die etwa die Arbeitszeit, Urlaubsgrundsätze oder Lohngestaltung betreffen, genannt2. Berücksichtigt man die Tendenz der Rechtsprechung, vermehrt auch mittelbare Konsequenzen als unterrichtungspflichtig einzustufen, ist nicht auszuschließen, dass das BAG unter diesem Aspekt zukünftig im Unterrichtungsschreiben auch Angaben über den Stand der Gleichstellung von Frauen und Männern im Unternehmen des Erwerbers, Zielgrößen für die Beschäftigung von Frauen in Führungsebenen oder Hinweise für den Fall für notwendig hält, dass im Betrieb des Erwerbers das Gebot der Entgeltgleichheit keine ausreichende Beachtung gefunden hat.
11.107
e) In Aussicht genommene Maßnahmen Zu den hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen gehören nach der Gesetzesbegründung Weiterbildungsmaßnahmen im Zusammenhang mit geplanten Produktionsumstellungen oder Umstrukturierungen und andere Maßnahmen, welche die berufliche Entwicklung der Arbeitnehmer betreffen3. Unter Berücksichtigung der Zielsetzung von Art. 7 Abs. 1, 6 Richtlinie 2001/23/EG sind „Maßnahmen“ i.S.v. § 613a Abs. 5 Nr. 4 BGB weitergehend alle durch den bisherigen oder neuen Betriebsinhaber geplanten erheblichen Änderungen der rechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Situation der von dem Übergang betroffenen Arbeitnehmer4. Dies umfasst auch einen Hinweis auf etwaige nach dem Betriebs(teil-)übergang vorgesehene Personalabbaumaßnahmen und sonstige Reorganisationsvorhaben (z.B. der Zusammenschluss und/oder die Verlegung von Betrieben/Betriebsteilen) einschließlich einer Unterrichtung über den für den Fall einer Betriebsänderung geplanten bzw. gesetzlich erforderlichen Versuch eines Interessenausgleichs und den Abschluss eines Sozialplans. Hier genügt die Anmerkung, dass über Interessenausgleich und Sozialplan verhandelt werden soll. Konkrete inhaltliche Ideen des Arbeitgebers zur Dotierung des Sozialplans sind Gegenstand der Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern und müssen im Unterrichtungsschreiben nicht vorab offen geleget werden. Ferner müssen die Arbeitnehmer über etwaige ins Auge gefasste Anpassungen der bisherigen Organisation an die nach dem
1 2 3 4
BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 398/04, NZA 2005, 1302 Rz. 20. MAHArbR/Cohnen, 5. Aufl. 2021, § 55 Rz. 53; Reinhard, NZA 2009, 63, 65. BT-Drucks. 14/7760, 19. BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 30.
Gaul/B. Otto | 413
11.108
§ 11 Rz. 11.108 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
Übergang bestehenden Gegebenheiten (Umgruppierungen, Versetzungen, etc.) informiert werden1. Hierzu gehört ggf. auch die Notwendigkeit einer (veränderten) Eingruppierung.
11.109
In Aussicht genommen sind Maßnahmen frühestens dann, wenn ein Stadium konkreter Planungen erreicht ist2. Maßgeblich ist der Kenntnisstand beider Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Unterrichtung3. Bloße Vorüberlegungen, Planspiele von Projektgruppen4, die Arbeit an der Erstellung eines Plans5 oder der Umstand, dass für die von dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses betroffenen Arbeitnehmer relevante Maßnahmen aus Sicht eines objektiven Dritten sinnvollerweise durchgeführt werden sollten bzw. dass hierfür eine wirtschaftliche Notwendigkeit erkennbar ist, genügen nicht. Hinreichend konkret geplant sind Maßnahmen vielmehr erst dann, wenn der Arbeitgeber aufgrund abgeschlossener Prüfungen und Vorüberlegungen grundsätzlich zu ihrer Durchführung entschlossen ist6. Eine kumulative Planung beider beteiligter Arbeitgeber ist nicht erforderlich. Auch auf den Zeitpunkt der Umsetzung kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Dementsprechend muss über geplante, für die Mitarbeiter geplante Maßnahmen auch dann informiert werden, wenn sie erst deutlich nach dem Betriebs(teil-)übergang erfolgen sollen.
11.110
Von einem „In-Aussicht-Nehmen“ i.S.v. § 613a Abs. 5 Nr. 4 BGB ist ferner dann auszugehen, wenn sich der neue Inhaber zwar noch nicht auf eine bestimmte Maßnahme festgelegt hat, er sich von mehreren Alternativlösungen aber bereits (weitestgehend) sicher für eine der diskutierten Varianten entschieden hat7. Unternehmens- oder konzernbezogene Entscheidungen, die sich nicht unmittelbar auf den Betrieb bzw. Betriebsteil beziehen, dem die von dem Betriebs(teil-)übergang betroffenen Arbeitnehmer zugeordnet sind (z.B. die Entscheidung zur Fertigung eines Nachfolgeprodukts an einem anderen Produktionsstandort, welche zukünftig dazu führen kann, dass Personalmaßnahmen in dem Betrieb notwendig werden, der das Vorgängerprodukt herstellt), führen nicht zu einer Unterrichtungsverpflichtung nach § 613a Abs. 5 Nr. 4 BGB. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich hieraus noch keine konkret absehbaren Folgen für den gemäß § 613a BGB übergehenden Betriebs(teil) ergeben8.
11.111
Die Unterrichtungsverpflichtung über eine Maßnahme entfällt dabei nicht allein deshalb, weil die Entscheidung über die in Rede stehende Maßnahme nicht durch den Erwerber, sondern durch ein den neuen Arbeitgeber beherrschendes Unternehmen getroffen wird9. Vergleichbar mit den Überlegungen zu § 17 KSchG (vgl. Rz. 25.83) setzt das allerdings voraus, dass 1 Vgl. zu § 5 UmwG: OLG Düsseldorf v. 15.5.1998 – 3 Wx 156/98, NZA 1998, 766 Rz. 15; a.A. Bauer/von Steinau-Steinrück, ZIP 2002, 457, 463, die geplante Betriebsänderungen per se nicht erfassen wollen. 2 BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, NZA 2014, 610 Rz. 30; BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 30; BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, NZA 2012, 584 Rz. 30. 3 BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, NZA 2014, 610 Rz. 30; BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 23; LAG Hamm v. 19.7.2019 – 16 Sa 43/19 Rz. 36 n.v. 4 So zu § 111 BetrVG BAG v. 27.6.1989 – 1 ABR 19/88, NZA 1989, 929 Rz. 28; LAG MecklenburgVorpommern v. 17.1.2006 – 5 TaBV 3/05 Rz. 35 n.v.; LAG Düsseldorf v. 27.8.1985 – 16 TaBV 52/ 85, NZA 1986, 371 Os. 2. 5 So zu § 111 BetrVG vgl. BAG v. 18.7.2017 – 1 AZR 546/15, NZA 2017, 1618 Rz. 34. 6 So für die vergleichbare Frage nach dem „Planungsstadium“ einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG BAG v. 28.10.1992 – 10 ABR 75/91, NZA 1993, 420 Rz. 30. 7 So für § 111 BetrVG BAG v. 18.7.1972 – 1 AZR 189/72, DB 1972, 2021 Ls. 1. 8 Vgl. LAG Baden-Württemberg v. 27.9.2004 – 4 TaBV 3/04, NZA-RR 2005, 195 Rz. 16. 9 Ebenso Preis/Sagan/Grau/Hartmann, Europäisches Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2019, Rz. 15.217; Schnitker/Grau, BB 2005, 2238, 2241.
414 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.113 § 11
Vorstand/Geschäftsführung eine entsprechende Weisung erhalten oder die Entscheidung des Gesellschafters übernommen haben. In diesem Fall kann sich der Erwerber dann nicht darauf berufen, dass ihm die für die Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB erforderlichen Informationen nicht vorliegen1. Denn mit der Weisung und/oder der eigenen Entscheidung liegen die maßgeblichen Umstände vor, über die zu unterrichten ist. Zwar ist eine den § 5 Abs. 2 EBRG, § 17 Abs. 3a KSchG vergleichbare Regelung in § 613a BGB nicht enthalten. Mit Blick auf Art. 7 Abs. 4 Richtlinie 2001/23/EG sowie das Gebot der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung nationalen Rechts2 sind insoweit auch solche Maßnahmen im Unterrichtungsschreiben anzugeben, die ihren Ursprung in einem verbundenen Unternehmen haben, jetzt aber auch durch den übertragenden oder übernehmenden Rechtsträger geplant werden. Solange allerdings nur die Anteilsinhaber eines verbundenen Unternehmens mit Vorüberlegungen zu Maßnahmen im Zusammenhang mit einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang befasst sind, löst dies noch keine Unterrichtungspflichten der hiervon betroffenen Unternehmen aus. Ungeachtet dessen empfiehlt es sich aus Sicht der betroffenen Unternehmen, etwaige Maßnahmen, die durch ein herrschendes Unternehmen in Bezug auf den von dem Übergang betroffenen Betrieb geplant sind, vor Unterrichtung der Arbeitnehmer abzufragen. Ob diese Obliegenheit zur Informationsabfrage mit einem Anspruch der beteiligten Unternehmen gegen die sie beherrschenden Unternehmen auf Unterrichtung über etwaig geplante Maßnahmen korrespondiert3, ist von der Rechtsprechung bislang noch nicht entschieden worden. Richtigerweise wird man allerdings davon ausgehen müssen, dass die informationsverpflichteten Arbeitgeber von dem herrschenden Unternehmen verlangen können, über etwaig in Aussicht genommene Maßnahmen unterrichtet zu werden4. Bis zu einer Übernahme dieser Entscheidung auf der Ebene des betroffenen Unternehmens besteht aber noch keine Verpflichtung, etwaige Pläne der Anteilsinhaber im Unterrichtungsschreiben anzugeben.
IV. Unterrichtungsverpflichteter Zur Unterrichtung verpflichtet sind der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber. Die Unterrichtungspflicht trifft Veräußerer und Erwerber als Gesamtschuldner i.S.d. §§ 421 ff. BGB5.
11.112
Neuer Inhaber i.S.v. § 613a Abs. 5 BGB ist derjenige Arbeitgeber, der den Betrieb(steil) im Rahmen des Betriebs(teil-)übergangs, über den der Arbeitnehmer unterrichtet wird, erworben hat bzw. erwirbt6. Bei einer vor dem Betriebs(teil-)übergang erfolgenden Unterrichtung ist dies der übernehmende Rechtsträger. Wird die Unterrichtung erst nach dem Betriebs(teil-)
11.113
1 Vgl. hierzu Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 277, der aber offenbar eine vorgelagerte Unterrichtungspflicht annimmt. 2 EuGH v. 16.7.2009 – C-12/08 Rz. 61 – Mono Car Styling n.v.; EuGH v. 5.10.2004 – C-397/01, NZA 2004, 1145 Rz. 114 f. – Pfeiffer; BAG v. 18.3.2010 – 8 AZR 1044/08, NZA 2010, 1129 Rz. 36; LAG Berlin-Brandenburg v. 3.9.2013 – 12 Sa 1028/13 Rz. 22 n.v. 3 Für den Bereich des EBRG folgt aus § 5 Abs. 3 EBRG ein Anspruch auf Informationserhebung gegenüber den anderen Unternehmen der Unternehmensgruppe (vgl. dazu HWK/Giesen, EBRG Rz. 34; Preis/Sagan/Müller-Bonanni/Witschen, Europäisches Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2019, Rz. 17.89). 4 Vgl. für die Informationsansprüche aus § 5 Abs. 2, 3 EBRG EuGH v. 13.1.2004 – C-440/00, NZA 2004, 160 Rz. 47, 57 – Kühne & Nagel; BAG v. 30.3.2004 – 1 ABR 61/01, NZA 2004, 863 Rz. 145. 5 BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279 Rz. 43; BAG v. 9.12.2010 – 8 AZR 614/08 Rz. 31 n.v.; BT-Drucks. 14/7760, 19; Klocke, RdA 2017, 311, 312. 6 Vgl. zu § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647 Rz. 22.
Gaul/B. Otto | 415
§ 11 Rz. 11.113 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
übergang vorgenommen, handelt es sich bei dem „neuen Inhaber“ um den bei Unterrichtungszugang aktuellen Arbeitgeber.
11.114
Bisheriger Arbeitgeber ist dementsprechend derjenige, der den Betrieb(steil) vor dem neuen Inhaber innehatte1.
11.115
Soweit einer der beiden Arbeitgeber die von dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses betroffenen Arbeitnehmer ordnungsgemäß unterrichtet, wirkt die damit verbundene Erfüllung des Unterrichtungsanspruchs auch zugunsten des anderen Arbeitgebers (§ 422 Abs. 1 Satz 1 BGB).
11.116
Umgekehrt werden etwaige Informationsfehler den beteiligten Arbeitgebern wechselseitig zugerechnet2. Sowohl § 613a BGB als auch Art. 3 Abs. 2 Richtlinie 2001/23/EG fingieren einen gleichen Informationsstand von Veräußerer und Erwerber über die Rechte und Pflichten der übergegangenen Arbeitsverhältnisse. Veräußerer und Erwerber können sich daher im Fall einer unzureichenden Unterrichtung nicht darauf berufen, ihnen seien bestimmte unterrichtungsrelevante Umstände nicht bekannt, weil sie in der Sphäre des jeweils anderen Arbeitgebers liegen. § 425 BGB ändert daran nichts. Für das Schuldverhältnis von Betriebsveräußerer und Betriebserwerber als Gesamtschuldner gegenüber dem Arbeitnehmer als Berechtigtem ist in § 613a BGB insofern „ein anderes“ normiert (§ 425 Abs. 1 BGB)3.
11.117
Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, in dem der Betriebs(teil-)übertragung zugrunde liegenden Vertrag (z.B. Kaufvertrag, „Asset Purchase Agreement“ [APA], etc.) möglichst konkret festzulegen, welcher Rechtsträger für die Unterrichtung zuständig ist. Sinnvollerweise sollte eine für beide Arbeitgeber gleichlautende Formulierung möglichst in einem gemeinsamen Schreiben festgelegt werden. Dabei sollte auch geregelt werden, wer innerhalb welcher Fristen welchen Teil der Information beisteuern muss und hierfür die Verantwortung trägt. Ferner sind Absprachen darüber wünschenswert, wie die Haftungsverteilung zwischen den Rechtsträgern im Innenverhältnis erfolgen soll, falls sich die Unterrichtung im Nachhinein als unzutreffend herausstellt.
V. Adressat der Unterrichtung 11.118
Unterrichtungsbechtigt sind alle von dem Betriebs(teil-)übergang „betroffenen“ Arbeitnehmer, d.h. die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis der von dem Betriebs(teil-)übergang erfassten Organisationseinheit zugeordnet ist4.
11.119
Eine lediglich mittelbare Betroffenheit genügt nicht. Im Fall einer Betriebsspaltung müssen die bei dem Veräußerer verbleibenden Arbeitnehmer daher nicht gemäß § 613a Abs. 5 BGB über den Betriebs(teil-)übergang und die damit einhergehende Verkleinerung des Betriebs informiert werden5. Ebenso wenig besteht eine Unterrichtungsverpflichtung gegenüber den Arbeitnehmern des Erwerbers, die infolge des Betriebs(teil-)übergangs neue Kollegen mit ggf. anderen Arbeitsbedingungen hinzugewinnen. 1 BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647 Rz. 22; BAG v. 11.12.2014 – 8 AZR 943/13, NZA 2015, 481 Rz. 30; BAG v. 24.4.2014 – 8 AZR 369/13, NZA 2014, 1074 Rz. 17. 2 BAG v. 18.3.2010 – 8 AZR 840/08, NZA-RR 2011, 280 Rz. 39; LAG Rheinland-Pfalz v. 20.5.2020 – 7 Sa 306/19 Rz. 67 n.v. 3 BAG v. 18.3.2010 – 8 AZR 840/08, NZA-RR 2011, 280 Rz. 39. 4 BAG v. 25.4.2013 – 6 AZR 49/12 Rz. 179 n.v.; BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, DB 2013, 1178 Rz. 41, 48; BAG v. 18.10.2012 – 6 AZR 41/11, NZA 2013, 1007 Rz. 43. 5 Schnitker/Grau, BB 2005, 2238; Willemsen/Lembke, NJW 2002, 1159, 1161.
416 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.122 § 11
Dies schließt eine allgemeine (d.h. nicht an den strengen Anforderungen des § 613a Abs. 5 BGB zu messende) Information sonstiger Mitarbeitergruppen über den Betriebs(teil-)übergang zwar nicht aus. Etwaige gegenüber nicht unmittelbar betroffenen Arbeitnehmern gemachte Erläuterungen der Arbeitgeber sollten aber gleichwohl mit dem Unterrichtungsschreiben nach § 613a Abs. 5 BGB abgestimmt werden. Da nicht auszuschließen ist, dass derartige „sekundäre“ Informationen nicht nur von dem unmittelbaren Adressatenkreis, sondern auch von den Arbeitnehmern zur Kenntnis genommen werden, deren Arbeitsverhältnis auf den Erwerber übergeht, muss sichergestellt werden, dass in den verschiedenen Dokumenten keine widersprechenden/inkongruenten Angaben enthalten sind. Andernfalls droht die Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB allein durch diese Inkonsistenzen fehlerhaft zu werden. Dies kann – je nach den Umständen des Einzelfalls – selbst dann gelten, wenn sie für sich genommen zutreffend gewesen wäre1. Denn Veräußerer und Erwerber müssen sicherstellen, dass den Mitarbeitern klar ist, welche Information als Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB gedacht und daher für den Beginn der Ein-Monats-Frist relevant ist2.
11.120
Ebenfalls nicht nach Maßgabe von § 613a Abs. 5 BGB unterrichtet werden müssen (echte) freie Mitarbeiter3 sowie Leiharbeitnehmer, die in dem übergehenden Betrieb(steil) eingesetzt werden. Sie sind – woran auch die mit Wirkung zum 1.4.2017 in Kraft getretenen Änderungen des AÜG nichts geändert haben – keine „betroffenen Arbeitnehmer“ i.S.v. § 613a Abs. 5 BGB. Allerdings wird man hier die weitere Interpretation der Richtlinie 2001/23/EG im Auge behalten müssen (vgl. Rz. 11.39).
11.121
Auch gegenüber den Mitgliedern der Leitungs- (Vorstand, Geschäftsführung) und Aufsichtsorgane (Aufsichtsrat), die aufgrund ihrer Stellung im Zweifel ohnehin mit dem Betriebs(teil-) übergang befasst sind, besteht keine förmliche Unterrichtungsverpflichtung der an dem Betriebs(teil-)übergang beteiligten Arbeitgeber aus § 613a Abs. 5 BGB. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass der EuGH Mitglieder der Unternehmensleitung einer Kapitalgesellschaft, die ihre Tätigkeit nach Weisung und Aufsicht eines anderen Organs dieser Gesellschaft ausüben, als Gegenleistung für ihre Tätigkeit eine Vergütung erhalten und selbst keine Anteile an dieser Gesellschaft besitzen, für die Zwecke der massenentlassungsrechtlichen Vorschriften (§§ 17 ff. KSchG) Arbeitnehmern gleichstellt4, auch für Fremdgeschäftsführer einer GmbH. Sie sind ebenfalls keine betroffenen Arbeitnehmer i.S.v. § 613a Abs. 5 BGB, jedenfalls nicht, solange die Voraussetzungen des § 611a Abs. 1 BGB nicht ausnahmsweise erfüllt sind5.
11.122
1 Vgl. B. Gaul/B. Otto, DB 2005, 2465, 2468; a.A. Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 262, der für den Fall nachträglich entstehender Widersprüchlichkeiten lediglich von einem Schadensersatzanspruch der Arbeitnehmer gemäß § 280 BGB ausgeht. 2 BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 Rz. 21; LAG Schleswig-Holstein v. 5.12.2013 – 5 Sa 266/13 Rz. 43 n.v.; ArbG Hamburg v. 16.3.2016 – 28 Ca 387/15 Rz. 28 n.v. 3 Vgl. zur Abgrenzung zwischen freien Mitarbeitern und Arbeitnehmern BAG v. 17.6.2020 – 7 AZR 398/18, NZA 2020, 1470 Rz. 14; BAG v. 20.8.2003 – 5 AZR 610/02, NZA 2004, 39. 4 EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, NZA 2015, 861 Rz. 41 ff. – Balkaya. 5 Vgl. auch BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 614/04, NZA 2006, 366 Rz. 18; LAG München v. 9.7.2020 – 7 Sa 444/20 Rz. 38 n.v.; LAG Hamm v. 10.5.2017 – 2 Ta 497/16 Rz. 30 ff. n.v.; ArbG Stuttgart v. 21.12.2016 – 26 Ca 735/16, NZA-RR 2017, 69 Rz. 141, welche die Arbeitnehmerstellung von Fremdgeschäftsführern einer GmbH auch für die Zwecke des Kündigungsschutzes grundsätzlich verneinen.
Gaul/B. Otto | 417
§ 11 Rz. 11.123 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
VI. Form/Sprache/Zugang der Unterrichtung 11.123
Die Unterrichtung hat gemäß § 613a Abs. 5 BGB in Textform (§ 126b BGB) zu erfolgen. Die Information muss daher – in einer Urkunde oder auf andere, zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneten Weise (z.B. per E-Mail oder Fax) abgegeben werden, – die Person des Erklärenden benennen und – den Abschluss der Erklärung durch Nachbildung der Namensunterschrift (z.B. eingescannte Unterschrift) oder anders (z.B. durch Datierung und/oder Grußformel oder durch Angabe des Arbeitgebernamens1) erkennbar machen.
11.124
Insofern ist zwar nicht erforderlich, dass der die Unterrichtung vornehmende Arbeitgeber oder eine für ihn zeichnungsbefugte Person jede einzelne Unterrichtung eigenhändig unterschreibt. Geboten ist aber, dass eindeutig erkennbar ist, wer die Unterrichtung vornimmt2. Notwendig sind also die korrekte Bezeichnung des Arbeitgebers sowie – insbesondere bei juristischen Personen oder Handelsgesellschaften – die Nennung der vertretungsberechtigten natürlichen Person3. So genügt beispielsweise ein lediglich mit „Personnel Services“ unterzeichnetes Anschreiben, dem die Person des Erklärenden nicht entnommen werden kann, den formalen Anforderungen nicht4.
11.125
Die Unterrichtung muss den betroffenen Arbeitnehmern individuell zugehen5. Ein Aushang im Betrieb oder ein Einstellen der Information im Intranet genügen daher nicht. Auch wenn es sich um eine Wissenserklärung handelt, gelten die allgemeinen Grundsätze der §§ 130 ff. BGB entsprechend. In der Praxis wird schon aus Beweisgründen üblicherweise die Form der Urkunde, d.h. eines Schreibens, gewählt, welches den Arbeitnehmern entwender – beispielsweise im Rahmen einer Betriebsversammlung – gegen Empfangsbestätigung unmittelbar übergeben oder per Boten, der den Inhalt des Schreibens kennt und seine Kuvertierung beobachtet hat, zugestellt wird.
11.126
In welcher Sprache die Unterrichtung zu erfolgen hat, ist in § 613a BGB nicht ausdrücklich festgelegt. Dem Rechtsgedanken des § 184 GVG entsprechend wird regelmäßig eine Unterrichtung in deutscher Sprache genügen, wobei eine auch für juristische Laien möglichst verständliche Darstellung gewählt werden sollte6. Denn soweit ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Erhalt von Informationen in seiner Muttersprache besteht, sind derartige Ausnahmen – anders als in § 613a BGB – durch den Gesetzgeber explizit angeordnet (z.B. § 11 Abs. 2 Satz 2 AÜG, § 2 Abs. 5 WO BetrVG, § 1 Abs. 5 BPersVWO). Allenfalls in Konstellationen, in denen
1 BAG v. 14.8.2013 – 7 ABR 56/11, DB 2014, 308 Rz. 33; BAG v. 9.12.2008 – 1 ABR 79/07, NZA 2009, 627 Rz. 46. 2 BAG v. 10.3.2009 – 1 ABR 93/07, NZA 2009, 622 Rz. 35; BAG v. 9.12.2008 – 1 ABR 80/07 Rz. 43 n.v.; OVG NRW v. 1.9.2015 – 20 A 1868/14.PVB, ZTR 2016, 54 Rz. 44. 3 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 47; BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 Rz. 20; LAG Berlin-Brandenburg v. 13.9.2018 – 21 Sa 391/18, BB 2019, 120 Rz. 76; a.A. BGH v. 1.7.2014 – VIII ZR 72/14 Rz. 2 n.v.; BGH v. 7.7.2010 – VIII ZR 321/09, NJW 2010, 2945 Rz. 16, der die Angabe des Namens der juristischen Person ausreichen lässt. 4 BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 Rz. 21 a.E. 5 Vgl. zu den Zugangsformen B. Gaul/B. Otto, ArbRB 2003, 306 ff. 6 BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 18/10, NZA 2011, 1448 Rz. 25; BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, NZA 2006, 1268 Rz. 21; LAG Köln v. 16.12.2011 – 4 Sa 1129/11 Rz. 32 n.v.
418 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.128 § 11
der Arbeitnehmer für den Arbeitgeber erkennbar kein Deutsch versteht, und die Arbeitsvertragsparteien auch die übrigen arbeitsrechtlich relevanten Unterlagen (z.B. den Arbeitsvertrag) nicht in deutscher Sprache ausgefertigt haben bzw. Arbeitsanweisungen nur in der (Fremd-)Sprache des Arbeitnehmers erteilt werden, kann es mit Blick auf §§ 242, 241 Abs. 2 BGB ggf. geboten sein, die Unterrichtung auch in der zuvor verwendeten Sprache vorzunehmen1.
VII. Zeitpunkt der Unterrichtung Nach dem Wortlaut von § 613a Abs. 5 BGB muss die Unterrichtung „vor dem Übergang“ erfolgen. Dies ist zwar eine Verpflichtung, die betroffenen Arbeitnehmer vor dem Betriebsübergang zu informieren. Die verspätete kann ebenso wie die fehlerhafte Unterrichtung Schadensersatzansprüche auslösen (vgl. Rz. 11.297 ff.). Gleichwohl wird damit eine nachträgliche Unterrichtung ausgeschlossen2. Vielmehr können die beteiligten Rechtsträger die Unterrichtung auch noch nach dem Betriebs(teil-)übergang vornehmen3 oder – falls Fehler erkennbar werden – korrigieren oder vervollständigen. Die Unterrichtungsverpflichtung aus § 613a Abs. 5 BGB ist zeitlich nicht befristet.
11.127
Gleichwohl wird die Unterrichtung in der Praxis üblicherweise möglichst frühzeitig vorgenommen. Soweit die erforderlichen Informationen vorliegen, sollten Veräußerer und Erwerber die Unterrichtung regelmäßig mindestens einen Monat vor dem geplanten Betriebs (teil-)übergang zustellen. Folgt man der Rechtsprechung des BAG, erlischt das Recht zum Widerspruch gegen einen früheren Übergang nach § 613a BGB nämlich, wenn dem Arbeitnehmer mehr als einen Monat vor einem erneuten Übergang des Arbeitsverhältnisses nach § 613a BGB jedenfalls grundlegende Informationen zugeleitet werden. Auch wenn man diese Rechtsfolge als Verwirkung behandeln muss (vgl. Rz. 11.209 ff.), ist damit eine gewichtige Klarstellung verbunden, beendet dies doch das Risiko eines Widerspruchs wegen des vorangehenden Übergangs. Darüber hinaus gewährleistet die frühzeitige Unterrichtung, dass beide Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt des Betriebs(teil-)übergangs Klarheit darüber haben, welche Arbeitnehmer auf den Erwerber übergehen. Dies ist nicht nur bei betriebsmittelarmen Tätigkeiten, für deren Verrichtung es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft bzw. die Qualifikation der Mitarbeiter ankommt, sondern auch aus administrativen Gründen von erheblicher Bedeutung. Denn da den Erwerber ab dem Übergangsstichtag sämtliche Arbeitgeberpflichten treffen, muss er für die gemäß § 613a BGB zu ihm wechselnden Arbeitnehmer unter anderem die Abrechnung des Arbeitsentgelts (§ 108 GewO) vornehmen sowie Steuern und Sozialversicherungsabgaben abführen (§ 38 EStG, § 28d SGB IV). Auch soweit die Übernahme des Betriebs(teils) nach den Absprachen der beteiligten Rechtsträger – was zulässig ist – (aufschiebend bedingt) davon abhängig gemacht wird, dass bis zu einem bestimmten Stichtag eine bestimmte Zahl positiver Rückmeldungen über die Bereitschaft zum Arbeitgeberwechsel eingegangen bzw. nicht mehr als eine bestimmte Zahl von Widersprüchen erklärt worden ist, besteht ein Interesse daran, den Bedingungseintritt möglichst frühzeitig feststellen zu können.
11.128
1 Vgl. hierzu auch Langner, DB 2008, 2082, 2084. 2 So aber Bauer/von Steinau-Steinrück, ZIP 2002, 457, 459. 3 BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 Rz. 21; BAG v. 14.12.2006 – 8 AZR 763/05, NZA 2007, 682 Rz. 48; LAG Schleswig-Holstein v. 5.12.2013 – 5 Sa 266/13 Rz. 43 n.v.; ArbG Hamburg v. 16.3.2016 – 28 Ca 387/15 Rz. 28 n.v.; B. Gaul/B. Otto, DB 2005, 2465, 2468; vgl. BT-Drucks. 14/ 7760, 20.
Gaul/B. Otto | 419
§ 11 Rz. 11.129 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
VIII. Nachträgliche Änderung der Gegebenheiten 11.129
Der Inhalt der Unterrichtung richtet sich nach dem Kenntnisstand des Veräußerers und des Erwerbers zum Zeitpunkt der Unterrichtung1. Die Unterrichtung wird daher nicht allein deshalb unrichtig, weil sich die ihr zugrunde liegenden Umstände nach Zugang der Unterrichtung geändert haben. Sobald der Unterrichtungspflichtige dem Arbeitnehmer Informationen nach seinem Kenntnisstand im Zeitpunkt der Unterrichtung erteilt, ist der Unterrichtungsanspruch aus § 613a Abs. 5 BGB i.S.v. § 362 Abs. 1 BGB erfüllt. Dementsprechend kann eine ergänzende Unterrichtung in diesen Fällen grundsätzlich nicht verlangt werden2.
11.130
Andernfalls hätte der Gesetzgeber nicht den „geplanten“ Zeitpunkt der Übertragung oder die „in Aussicht genommenen“ Maßnahmen als Gegenstand der Unterrichtung genannt. Aus der Verwendung dieser zukunftsgerichteten Formulierungen wird deutlich, dass sich die tatsächlichen Gegebenheiten – einschließlich der Vorstellungen des Arbeitgebers – im Anschluss an die Unterrichtung verändern können, ohne dass dies die Verpfllichtung zu einer erneuten Unterrichtung zur Folge hätte. Dies gilt auch bei wesentlichen Veränderungen. Beispielhaft sei hier auf die (erhebliche) Verschiebung des ursprünglich geplanten Zeitpunkts der Übertragung, die Veränderung der Arbeitsbedingungen aufgrund eines erst nach Unterrichtung abgeschlossenen Tarifvertrags, den Tarifwechsel aufgrund einer nicht vorhersehbaren Allgemeinverbindlicherklärung eines beim Erwerber geltenden Tarifvertrags oder die Entscheidung des Erwerbers hingewiesen, z.B. wegen veränderter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen – anders als ursprünglich geplant – doch noch Personalanpassungsmaßnahmen durchzuführen. Ebensowenig muss nachträglich über den Inhalt eines abgeschlossenen Interessenausgleichs oder Sozialplans unterrichtet werden, wenn das Unterrichtungsschreiben über die geplante Betriebsänderung und die Beteiligung des Betriebsrats nach §§ 111, 112 BetrVG bzw. die Verhandlungen über Interessenausgleich und Sozialplan informiert hat. Voraussetzung ist, dass dies der Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Unterrichtung gewesen ist.
11.131
Die gegenteilige Auffassung, die eine ergänzende Unterrichtung bei wesentlichen Änderungen für erforderlich hält, die für die Ausübung des Widerspruchsrechts von erheblicher Bedeutung sind3, berücksichtigt nicht genügend, dass den beteiligten Rechtsträgern durch die Befristung des Widerspruchs nach durchgeführter Information auch Klarheit darüber verschafft werden soll, welche Arbeitnehmer beim Erwerber tätig sein werden und welche im Betrieb des Veräußerers verbleiben. Dies gilt auch mit Blick auf etwaige Kündigungen nach Widerspruch, bei denen u.U. lange Kündigungsfristen beachtet werden müssen. Dieser Zweck würde vereitelt, wenn aufgrund nachträglicher im Zeitpunkt der Unterrichtung noch nicht absehbarer Sachverhalte die Widerspruchsfrist immer wieder neu beginnen würde. Dass Arbeitnehmer durch eine frühzeitige Information keine ergänzenden Hinweise zu später erst bekannt werdenden Gegebenheiten erhalten müssen, ist nach dem Willen des Gesetzgebers hinzunehmen.
11.132
Nehmen die beteiligten Rechtsträger trotz ursprünglich ordnungsgemäßer, d.h. dem Kenntnisstand bei Zugang entsprechender Unterrichtung gleichwohl nachträglich freiwillig eine ergänzende Information der Mitarbeiter vor, wird die Monatsfrist für die Ausübung des Wider1 BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, NZA 2014, 610 Rz. 30; BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 23; BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, NZA 2012, 584 Rz. 24; LAG Hamm v. 19.7.2019 – 16 Sa 43/19 Rz. 36 n.v.; LAG Sachsen-Anhalt v. 1.9.2015 – 6 Sa 221/14, Rz. 66 n.v. 2 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357 Rz. 31; BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, NZA 2006, 1273 Rz. 31; LAG Berlin-Brandenburg v. 14.6.2012 – 26 Sa 658/12, Rz. 47 n.v.; B. Gaul/ B. Otto, DB 2005, 2465, 2467. 3 Jaeger, ZIP 2004, 433, 437 f.; Niehls, NZA 2003, 822, 823; Worzalla, NZA 2002, 353, 354.
420 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.135 § 11
spruchsrechts dadurch nicht erneut in Lauf gesetzt1. Wichtig ist allerdings, dass der Arbeitnehmer in diesen Fällen eindeutig darauf hingewiesen wird, dass es sich bei dem zweiten Schreiben lediglich um eine zusätzliche Mitteilung handelt, welche die ursprüngliche förmliche Unterrichtung nicht ersetzen, sondern lediglich um im Zeitpunkt der Unterrichtung noch nicht bekannte Informationen ergänzen soll. Veräußerer und Erwerber müssen also sicherstellen, dass den Mitarbeitern klar ist, welche Information als Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB gedacht und daher für den Beginn der Ein-Monats-Frist relevant ist2. Unklarheiten gehen zulasten des Verwenders und führen – soweit die Unterrichtung infolge mehrerer divergierender Schreiben nicht komplett fehlerhaft wird – zumindest dazu, dass mit Zugang des ergänzenden, in seiner Bedeutung nicht hinreichend eindeutig gekennzeichneten Schreibens eine erneute Widerspruchsfrist zu laufen beginnt. Eine Verpflichtung zu einer erneuten Unterrichtung ist lediglich dann anzunehmen, wenn die nach Zugang der Unterrichtung eingetretenen Veränderungen so gewichtig sind, dass es sich bei dem im Unterrichtungsschreiben dargestellten im Vergleich zu dem tatsächlich eingetretenen Übertragungsvorgang „nicht mehr um denselben Betriebsübergang handelt“3. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Betrieb auf einen anderen als den in dem Unterrichtungsschreiben bezeichneten Erwerber übergeht4. Auch in diesem Fall sollte aus Gründen der Rechtsklarheit aber das Verhältnis zwischen erster und zweiter Unterrichtung hervorgehoben werden, hier also, dass (nur) die zweite Unterrichtung die zur Erfüllung der Vorgaben aus § 613a Abs. 5 BGB und für den Fristbeginn nach § 613a Abs. 6 BGB maßgebliche sein soll.
11.133
IX. Korrigierende Unterrichtung/nachträgliche Heilung von Fehlern Soweit die Unterrichtung nicht ordnungsgemäß erfolgt ist, wird sie grundsätzlich nicht allein durch Zeitablauf „richtig“. Vielmehr bedarf es einer erneuten, den Vorgaben des § 613a Abs. 5 BGB genügenden Unterrichtung, um etwaige ursprünglich vorhandene Fehler auszubessern und die Frist des § 613a Abs. 6 BGB in Lauf zu setzen5. Um bei einer „korrigierenden“ Unterrichtung Missverständnisse darüber zu vermeiden, welche der beiden Unterrichtungen die entscheidende ist, müssen die beteiligten Rechtsträger eindeutig klarstellen, dass (nur) die zweite Unterrichtung die zur Erfüllung der Vorgaben aus § 613a Abs. 5 BGB und für den Fristbeginn nach § 613a Abs. 6 BGB maßgebliche sein soll. Zu einer Berichtigung von Fehlern sind die beteiligten Rechtsträger berechtigt, aber nicht verpflichtet. Unterrichten sie die Arbeitnehmer trotz Unrichtigkeiten der Unterrichtung nicht erneut, bleibt es dabei, dass die Arbeitnehmer von ihrem Widerspruchsrecht grundsätzlich bis zur Grenze der Verwirkung Gebrauch machen können (vgl. Rz. 11.209 ff.)6.
11.134
Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass Fehler nicht „von selbst“ unbeachtlich werden, kommt allerdings dann in Betracht, wenn die Aussage des Unterrichtungsschreibens durch
11.135
1 B. Gaul/B. Otto, DB 2005, 2465; zur nachträglichen Ergänzung einer zunächst unvollständigen Unterrichtung vgl. BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 Rz. 21. 2 BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 Rz. 21. 3 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357 Rz. 31 („völlig andere Maßnahme“); BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, NZA 2006, 1273 Rz. 31; LAG Berlin-Brandenburg v. 14.6.2012 – 25 Sa 657/12, Rz. 73 n.v. 4 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, NZA 2006, 1273 Rz. 31; LAG Berlin Brandenburg v. 14.6.2012 – 26 Sa 658/12, Rz. 47 n.v. 5 BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 Rz. 21. 6 BAG v. 28.6.2018 – 8 AZR 100/17, Rz. 39 n.v.
Gaul/B. Otto | 421
§ 11 Rz. 11.135 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
Zeitablauf oder den Eintritt weiterer Ereignisse zutreffend wird. Beispiel: Eintritt des Erwerbers in den Arbeitgeberverband nach unzutreffendem Hinweis auf seine gesetzliche Tarifbindung im Unterrichtungsschreiben. Hiervon geht auch das BAG aus, wenn im Unterrichtungsschreiben der erforderliche Hinweis auf das vierjährige Sozialplanprivileg aus § 112a Abs. 2 BetrVG nicht enthalten war. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass dieser Fehler in der Unterrichtung mit Ablauf von vier Jahren seit der Gründung des neuen Inhabers kraft Gesetzes geheilt ist1. Denn ab diesem Zeitpunkt ist die mit dem Sozialplanprivileg des § 112a Abs. 2 BetrVG verbundene wirtschaftliche Gefährdung des Arbeitnehmers nicht mehr gegeben, so dass es kein wesentliches Kriterium für einen etwaigen Widerspruch mehr sein kann. Im Hinblick auf diesen Unterrichtungsfehler beginnt die Frist des § 613a Abs. 6 BGB dann mit der Heilung, d.h. mit Ablauf des Privilegierungszeitraums von vier Jahren seit der Gründung des neuen Betriebsinhabers2. Auf andere Fehler des Unterrichtungsschreibens hat dieser Zeitablauf keine Bedeutung3.
X. Mehrstufige Übertragungsvorgänge 11.136
Soweit der in Rede stehende Betrieb(steil) von dem bisherigen Arbeitgeber in mehreren Schritten auf den (Letzt-)Erwerber überführt wird, sind die Arbeitnehmer im Rahmen der Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB auch über die einzelnen „Transaktionsstufen“ zu informieren (vgl. zu den widerspruchsrechtlichen Besonderheiten Rz. 11.231 ff.). Ob insofern eine Unterrichtung ausreicht oder mehrere Unterrichtungsschreiben erstellt werden müssen, hängt von der Art der Übertragungsvorgänge ab.
11.137
Wenn der Betrieb(steil) im Anschluss an den ersten Betriebs(teil-)übergang von dem neuen Arbeitgeber auf einen weiteren Erwerber übertragen werden soll, bedarf es regelmäßig zweier Unterrichtungsschreiben; über jeden Betriebs(teil-)übergang ist also von den jeweils beteiligten Rechtsträgern gesondert zu informieren4. Wichtig ist allerdings, dass tatsächlich mehrere, ein jeweils eigenständiges Unterrichtungserfordernis begründende Betriebs(teil-)übergänge vorliegen. Dies gilt nicht nur bei im Wege der Einzelrechtsnachfolge erfolgenden Übertragungsvorgängen, sondern wegen des Charakters von § 324 UmwG als Rechtsgrundverweisung (vgl. Rz. 5.62, 10.172)5 auch bei einem Arbeitgeberwechsel durch Umwandlung. Bei der Einzelrechtsnachfolge setzt das voraus, dass der „Zwischenerwerber“ den Betrieb(steil) zumindest vorübergehend führt und die hierfür erforderliche betriebliche Leitungsmacht eigenständig ausübt (vgl. Rz. 4.50 ff., 4.79)6. Die bloße Übertragung materieller und immaterieller Aktiva allein genügt nicht, um einen Betriebs(teil-)übergang nach § 613a Abs. 1 BGB auszulösen. Grundsätzlich gilt das gleiche für den Erwerb durch Umwandlung (vgl. Rz. 5.62, 5.64 ff., 10.172 f.). Auch ohne die an sich erforderliche Ausübung der Leitungsmacht kommt es allerdings bei einer
1 BAG v. 24.8.2017 – 8 AZR 265/16, NZA 2018, 168 Rz. 43; BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 28, 39. 2 BAG v. 24.8.2017 – 8 AZR 265/16, NZA 2018, 168 Rz. 43; BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 44. 3 Vgl. BAG v. 24.8.2017 – 8 AZR 265/16, NZA 2018, 168 Rz. 44 ff. 4 BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647 Rz. 21; Moll/Katerndahl, RdA 2017, 324, 325. 5 BAG v. 22.10.2019 – 3 AZR 429/18, ZIP 2020, 571 Rz. 44; BAG v. 12.6.2019 – 1 AZR 154/17, NZA 2019, 1203 Rz. 39; BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, NZA 2018, 370 Rz. 26, 45; BAG v. 20.4.2016 – 10 AZR 111/15, NZA 2017, 141 Rz. 30; LAG Baden-Württemberg v. 8.2.2017 – 4 Sa 34/16, ZIP 2017, 1176 Rz. 130. 6 Vgl. EuGH v. 27.2.2020 – C-298/18, NZA 2020, 443 Rz. 23 – Grafe und Pohle; BAG v. 15.11.2012 – 8 AZR 683/11, DB 2013, 1419 Rz. 36; LAG Köln v. 27.1.2017 – 4 Sa 426/16, Rz. 83 n.v.
422 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.140 § 11
Verschmelzung oder Aufspaltung schon dann zu einem Übergang des Arbeitsverhältnisses im Anwendungsbereich des § 613a BGB, wenn der übertragende Rechtsträger mit dem Wirksamwerden der Umwandlung aufgelöst wird. Denn mit der Auflösung des übertragenden Rechtsträgers endet zwangsläufig die Betriebsinhaberschaft des übertragenden Rechtsträgers, der im Wege der Gesamtrechtsnachfolge durch den übernehmenden Rechträger ersetzt wird (vgl. Rz. 3.6). Diese gesonderte (doppelte) Unterrichtungspflicht aus § 613a Abs. 5 BGB besteht auch dann, wenn der Übergang des Arbeitsverhältnisses im Anschluss an die Auflösung des übertragenden Rechtsträgers nur für eine „juristische“ Sekunde erfolgt, weil unmittelbar im Anschluss daran eine (Weiter-)Übertragung auf den (Letzt-)Erwerber bewirkt wird. Solche Übertragungsvorgänge sind vielfach durch steuerliche Überlegungen motiviert, die regelmäßig auch an den Übergang des Betriebs oder Betriebsteils geknüpft sind. Die daran anknüpfende Pflicht der beiden jeweils beteiligten Rechtsträger zur Unterrichtung über beide Übertragungsvorgänge korrespondiert mit der Berechtigung des Arbeitnehmers, jedenfalls dem zweiten Übergang des Arbeitsverhältnisses widersprechen zu können. Das setzt begriffslogisch voraus, dass der Zwischenerwerber „bisheriger Arbeitgeber“ i.S.d. § 613a Abs. 6 BGB geworden ist; gemeinsam mit dem (Letzt-)Erwerber trifft ihn deshalb – bezogen auf den zweiten Übertragungsvorgang – auch die Unterrichtungspflicht aus § 613a Abs. 5 BGB. Hiervon ausgehend muss bei mehrfachen Übertragungsvorgängen nicht nur berücksichtigt werden, ob der Übertragungsvorgang auch mit einem Übergang des Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a Abs. 1 BGB oder – was gerade bei einer Einzelrechtsnachfolge der Fall sein kann – einem bloßen Übergang von Vermögen ohne den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Zwischenerwerber verbunden ist. Diese unterschiedliche Rechtsfolge muss im Unterrichtungsschreiben deutlich erkennbar werden, selbst wenn – worauf hinzuweisen ist – wegen der fehlenden Übernahme der den Betriebsinhaber kennzeichnenden Leitungsmacht durch den Zwischenerwerber von einem unmittelbaren Übergang des Arbeitsverhältnisses vom (Erst-) Veräußerer auf den (Letzt-)Erwerber ausgegangen werden kann. Schließlich muss der Arbeitnehmer durch die Beschreibung des Zwischenschritts erkennen können, ob ggf. Vermögen nach dem Übergang auf den Zwischenerwerber auch auf den (Letzt-)Erwerber übertragen wird.
11.138
Geht das Arbeitsverhältnis in einer unterrichtungspflichtigen Weise zunächst einmal auf den Zwischenerwerber über, kann die zweifache Unterrichtungspflicht allerdings auch in einem einzigen Schreiben erfüllt werden. Es muss durch den Zwischenerwerber oder den (Erst-)Veräußerer und den Zwischenerwerber oder den (Letzt-)Erwerber als Urheber erstellt werden.
11.139
XI. Darlegungs- und Beweislast Ob eine erfolgte Unterrichtung den Anforderungen des § 613a Abs. 5 BGB entsprochen hat, unterliegt der gerichtlichen Überprüfung1. Für die Erfüllung der Unterrichtungspflichten sind Veräußerer und Übernehmer darlegungs- und beweispflichtig2. Genügt die Unterrichtung zunächst formal den gesetzlichen Anforderungen, insbesondere denen des § 613a Abs. 5 BGB, und ist sie nicht offensichtlich fehlerhaft, so ist es Sache des Arbeitnehmers, der sich auf die Unzulänglichkeit der Unterrichtung beruft, einen behaupteten Mangel näher darzulegen. Hierzu ist er im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast nach § 138 Abs. 3 ZPO verpflich1 BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279 Rz. 45; BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, NZA 2012, 584 Rz. 24. 2 BAG v. 24.7.2008 – 8 AZR 1020/06, Rz. 24 n.v.; Hessisches LAG v. 14.12.2010 – 15 Sa 757/10, Rz. 46 n.v.; ArbG Paderborn v. 23.11.2018 – 3 Ca 626/18, Rz. 22 n.v.
Gaul/B. Otto | 423
11.140
§ 11 Rz. 11.140 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
tet1. Dem bisherigen Arbeitgeber und/oder dem neuen Inhaber – je nachdem, wer die Unterrichtung vorgenommen hat – obliegt dann die Darlegungs- und Beweislast für die ordnungsgemäße Erfüllung der Unterrichtungspflicht, indem mit entsprechenden Darlegungen und Beweisangeboten die Einwände des Arbeitnehmers entkräftet werden2.
11.141
Von einer „offensichtlich unzureichenden“ Unterrichtung im vorgenannten Sinne, die auch ohne qualifiziertes Bestreiten des Arbeitnehmers von den Arbeitsgerichten quasi „von Amts wegen“ als schädlich für die Einhaltung der Ein-Monats-Frist zu berücksichtigen ist, geht die Rechtsprechung nur dann aus, wenn die Unterrichtung über die Person des Betriebserwerbers und/oder in Bezug auf einen in § 613a Abs. 5 BGB genannten Umstand fehlt bzw. unverständlich oder auf den ersten Blick mangelhaft ist3.
XII. Verzicht auf die Unterrichtung 11.142
Da es sich bei § 613a Abs. 5 BGB (für den Arbeitnehmer) um dispositives Recht handelt, können die von dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses betroffenen Arbeitnehmer auf die Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 5 BGB an sich ganz oder teilweise verzichten4. Denn soweit bestimmte Inhalte von § 613a BGB abweichenden Parteivereinbarungen (zeitlich befristet) entzogen sind, hat der Gesetzgeber den zwingenden Charakter der jeweiligen Regelung (z.B. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB) im Gesetzeswortlaut eindeutig klargestellt5.
11.143
Gleichwohl spielt die theoretisch bestehende Verzichtsmöglichkeit in der Praxis keine große Rolle. Zum einen muss der Verzicht auf die Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB, vergleichbar mit den Überlegungen zum Verzicht auf das Widerspruchsrecht (vgl. Rz. 11.202), in Bezug auf einen konkreten Übertragungsvorgang erfolgen. Er kann nicht abstrakt-generell in den Formulararbeitsvertrag eingebunden werden. Eine formularmäßige Erklärung des Arbeitnehmers, wonach mit der Unterschrift unter das Unterrichtungsschreiben die Vollständigkeit und Ordungsgemäßheit der Unterrichtung bestätigt bzw. zugleich auf eine weitere Unterrichtung verzichtet wird, dürfte darüber hinaus nicht mit § 307 Abs. 1, 2 Nr. 1, § 309 Nr. 12 BGB vereinbar sein. Vielmehr muss der verzichtende Arbeitnehmer von dem Veräußerer oder Erwerber zumindest in groben Zügen über den Umstand, dass ein sein Arbeitsverhältnis erfassender Betriebs(teil-)übergang bevorsteht und wer als Erwerber in Betracht kommt, informiert worden sein. In welcher Detailierungstiefe eine derartige kursorische Unterrichtung zu erfolgen hat, ist in Rechtsprechung und Literatur aber bislang ebenso wenig geklärt6 wie die Frage, ob auch eine in sonstiger Form erlangte, d.h. nicht durch die beteiligten Rechtsträger vermittelte, allgemeine Kenntnis von dem Betriebs(teil-)übergang als Entscheidungsgrundlage für einen wirksamen Verzicht auf das Unterrichtungsrecht ausreicht. Naheliegend ist, sich hier an dem Inhalt der „grundlegenden Informationen“ zu orientieren, die das BAG zuletzt im Zusam-
1 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 23; Sächsisches LAG v. 16.5.2014 – 3 Sa 9/ 14, Rz. 48 n.v. 2 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, NZA 2012, 584 Rz. 24; LAG Hamm v. 19.7.2019 – 16 Sa 43/19, Rz. 37. 3 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, BB 2013, 2302 Rz. 23. 4 Ebenso LAG Niedersachen v. 5.2.2018 – 8 Sa 831/17, NZA-RR 2018, 411 Rz. 37; Staudinger/Annuß, § 613a BGB, Rz. 301. 5 Vgl. BAG v. 7.11.2007 – 5 AZR 1007/06, NZA 2008, 530 Rz. 15. 6 So fordert beispielsweise Annuß (Staudinger/Annuß, § 613a BGB, Rz. 301), dass „dem Verzichtenden der geplante Zeitpunkt des Übergangs bekannt ist und er über die Identität des neuen Inhabers wenigstens in Form seiner Konzernzugehörigkeit orientiert ist“.
424 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.148 § 11
menhang mit der Diskussion über eine zeitliche Grenze für das Widerspruchsrecht herangezogen hat1. Zum anderen lässt sich das arbeitgeberseitig üblicherweise erstrebte Ziel, Widersprüche möglichst zu vermeiden bzw. frühzeitig Klarheit über die Zahl der widersprechenden Arbeitnehmer zu erhalten, einfacher (d.h. rechtssicherer) durch einen – zumindest nach ordnungsgemäßer Unterrichtung möglichen2 – Verzicht auf das Widerspruchsrecht (vgl. hierzu Rz. 11.202) erreichen.
11.144
Soweit der Arbeitnehmer nur auf seinen Unterrichtungsanspruch, nicht aber zugleich auf sein Widerspruchsrecht verzichtet, bleibt das Widerspruchsrecht gemäß § 613a Abs. 6 BGB bestehen. Die Widerspruchsfrist beginnt in diesem Fall mit dem Zugang der Verzichtserklärung beim bisherigen oder beim neuen Arbeitgeber. Auch wenn ein gesetzliches Formerfordernis insoweit nicht besteht (vgl. Rz. 11.142), sollte ein etwaiger Verzicht aus Dokumentationsgründen vorsorglich schriftlich erfolgen.
11.145
Ein Verzicht auf die Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder sonstige Kollektivabrede ist wegen des individualrechtlichen Charakters der Unterrichtungsverpflichtung ausgeschlossen3.
11.146
XIII. Unterrichtungsverpflichtung bei Umwandlung/Anwachsung Die durch § 613a Abs. 5 BGB begründete Unterrichtungspflicht mit den vorstehend beschriebenen Folgen und Besonderheiten besteht auch für den Fall einer Anwachsung oder bei übertragenden Umwandlungen nach dem UmwG. Danach sind die von einer Verschmelzung (§§ 2 ff. UmwG), Spaltung (§§ 123 ff. UmwG) oder Vermögensübertragung (§§ 174 ff. UmwG) betroffenen Arbeitnehmer über den geplanten bzw. tatsächlichen Zeitpunkt der Umwandlung sowie deren Grund und Folgen rechtzeitig in Textform zu informieren. Dabei kann offenbleiben, ob § 324 UmwG insoweit stets als Rechtsgrundverweisung zu verstehen ist4 oder ob die (entsprechende) Anwendbarkeit von § 613a Abs. 5 BGB als Folge einer unionsrechtskonformen Auslegung und Anwendung selbst dann angenommen werden muss, wenn die für § 613a Abs. 1 BGB an sich erforderliche Übernahme der den Betriebsinhaber kennzeichnenden Leitungsmacht nicht gegeben ist.
11.147
1. Besonderheiten bei Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers Dies gilt auch dann, wenn der übertragende Rechtsträger im Rahmen der Übertragung durch Aufspaltung (§ 123 Abs. 1, § 131 Abs. 1 Nr. 2 UmwG), nationale oder grenzüberschreitende Verschmelzung (§§ 2, 20, 122a ff. UmwG), Vermögensübertragung unter Auflösung (§ 174 1 Vgl. BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279 Rz. 81; BAG v. 28.6.2018 – 8 AZR 100/17, Rz. 28 n.v.; BAG v. 21.12.2017 – 8 AZR 99/17, Rz. 28 n.v. 2 Für eine ordnungsgemäße Unterrichtung als Voraussetzung für den Verzicht auf das Widerspruchsrecht LAG Saarland v. 12.8.2009 – 2 Sa 52/09, Rz. 163 n.v.; a.A. LAG Niedersachsen v. 5.2.2018 – 8 Sa 833/17, Rz. 38 n.v.; LAG Düsseldorf v. 27.5.2009 – 7 Sa 726/08, Rz. 54 n.v.; ErfK/Preis, § 613a BGB, Rz. 104; offengelassen in BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279 Rz. 50. 3 Vgl. für den ähnlichen Fall des Verzichts auf das Widerspruchsrecht B. Gaul/B. Otto, DB 2002, 634, 638. 4 So BAG v. 22.10.2019 – 3 AZR 429/18, ZIP 2020, 571 Rz. 44; BAG v. 12.6.2019 – 1 AZR 154/17, NZA 2019, 1203 Rz. 39; BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, NZA 2018, 370 Rz. 26, 45; BAG v. 20.4.2016 – 10 AZR 111/15, NZA 2017, 141 Rz. 30.
Gaul/B. Otto | 425
11.148
§ 11 Rz. 11.148 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 UmwG) oder Anwachsung nach § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB1 erlischt und ein Widerspruchsrecht daher nicht in Betracht kommt2. Die Unterrichtung dient in diesen Fällen zwar nicht dazu, den Arbeitnehmern eine hinreichende Informationsgrundlage für die Entscheidung über die Ausübung eines Widerspruchsrechts zu ermöglichen. Denn ein solches Widerspruchsrecht besteht gerade nicht. An seine Stelle tritt aber – als funktionales Äquivalent – ein Recht zur außerordentlichen, ggf. fristlosen Kündigung. Um dieses Recht sinnvoll ausüben zu können, bedarf der Arbeitnehmer letztlich derselben informationellen Grundlage wie in den Fällen, in denen er über die Ausübung seines Widerspruchsrechts entscheiden muss.
11.149
Da die Frist des § 626 Abs. 2 BGB erst ab Kenntnis des Arbeitnehmers von der Eintragung der zum Erlöschen des bisherigen Arbeitgebers führenden Umwandlung zu laufen beginnt3 und der Eintragungszeitpunkt bei einer im Vorfeld erfolgenden Unterrichtung im Unterrichtungsschreiben typischerweise nicht tagesgenau angegeben werden kann (vgl. Rz. 11.23), sollten die Arbeitnehmer nach erfolgter Eintragung gesondert über den (konkreten) Eintragungszeitpunkt informiert werden. Andernfalls können die Arbeitnehmer von ihrem außerordentlichen Kündigungsrecht – was insbesondere bei längeren Kündigungsfristen und einem beabsichtigten Wechsel zu einem Wettbewerber interessant sein kann – auch noch nach dem Arbeitgeberwechsel Gebrauch machen, soweit das Kündigungsrecht nicht verwirkt (vgl. Rz. 11.209) bzw. – bei „Kettenbetriebsübergängen“4 – erloschen ist (vgl. Rz. 11.233). Allerdings kann die außerordentliche Kündigung frühestens zum Wirksamwerden des Betriebs- oder Betriebsteilübergangs erklärt werden. Davor ist eine Beendigung nur nach allgemeinen Grundsätzen mit der individuellen Kündigungsfrist möglich.
2. Verhältnis der Arbeitnehmerunterrichtung zu den umwandlungsrechtlichen Unterrichtungspflichten gegenüber den Arbeitnehmervertretern und Arbeitnehmern 11.150
Der Unterrichtungsanspruch der Arbeitnehmer tritt im Fall einer (nationalen oder grenzüberschreitenden) Verschmelzung bzw. Spaltung neben die sich aus § 5 Abs. 1 Nr. 9, § 122c Abs. 2 Nrn. 4, 10, § 122e Satz 1, § 126 Abs. 1 Nr. 11 UmwG ergebende Verpflichtung, in dem Umwandlungsvertrag, -plan oder Verschmelzungsbericht bzw. dessen Entwurf die Folgen der Umwandlung für die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen sowie die insoweit vorgesehenen Maßnahmen anzugeben und das Ganze gemäß § 5 Abs. 3, § 122e Satz 2, § 126 Abs. 3 UmwG den zuständigen Arbeitnehmervertretern zuzuleiten bzw. zugänglich zu machen (vgl. Rz. 26.224).
11.151
Die Unterrichtungspflicht nach § 613a Abs. 5 BGB bleibt in den Fällen einer grenzüberschreitenden Verschmelzung auch dann bestehen, wenn es in dem in Rede stehenden deutschen Unternehmen keinen Betriebsrat gibt und der Verschmelzungsbericht daher gemäß § 122e Satz 2 UmwG unmittelbar den Arbeitnehmern zugänglich gemacht werden muss.
1 Zur Anwendbarkeit von § 613a BGB auf den Fall der gesellschaftsrechtlichen Anwachsung nach § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB vgl. WHSS/Willemsen, 5. Aufl. 2016, G Rz. 235; Vogt/Oltmanns, NZA 2012, 1190; offengelassen in BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815 Rz. 14. 2 B. Otto/Mückl, BB 2011, 1978, 1981. 3 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815 Rz. 24. 4 Vgl. dazu BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 619/13, NZA 2014, 1405 Rz. 29.
426 | Gaul/B. Otto
Unterrichtungsanspruch des Arbeitnehmers | Rz. 11.154 § 11
3. Besonderheiten des Formwechsels Lediglich im Fall eines Formwechsels nach §§ 190 ff. UmwG verbleibt es bei der Verpflichtung, in dem Umwandlungsbeschluss die Folgen des Formwechsels für die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen sowie die insoweit vorgesehenen Maßnahmen zu bestimmen (§ 194 Abs. 1 Nr. 7 UmwG) und den Entwurf des Umwandlungsbeschlusses nach Maßgabe von § 194 Abs. 2 UmwG an den zuständigen Betriebsrat des formwechselnden Rechtsträgers zuzuleiten. Eine darüber hinausgehende förmliche Verpflichtung, die Arbeitnehmer über den Formwechsel zu informieren, besteht nicht. Dies gilt nach richtiger Auffassung auch dann, wenn in dem in Rede stehenden Unternehmen kein Betriebsrat gebildet wurde1. Denn zum einen wird der Formwechsel in § 324 UmwG nicht genannt. Zum anderen kommt es bei einem Formwechsel gerade nicht zu einem Betriebsinhaberwechsel. Vielmehr besteht der formwechselnde Rechtsträger im Anschluss an die Eintragung in der in dem Umwandlungsbeschluss bestimmten Rechtsform als Vertragspartner weiter (§ 202 Abs. 1 UmwG). § 613a BGB findet keine Anwendung2.
11.152
XIV. Unterrichtungsverpflichtung und SE-/SCE-Gründung 1. SE-/SCE-Gründung durch Umwandlung (Formwechsel) Eine Pflicht zur Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB besteht auch dann nicht, wenn eine bestehende AG gemäß Art. 2 Abs. 4, Art. 37 VO 2157/2001 (SE-VO) in eine SE umgewandelt wird. Gleiches gilt für den Fall der formwechselnden Umwandlung einer Genossenschaft in eine SCE gemäß Art. 2 Abs. 1 5. Spiegelstrich, Art. 35 Abs. 1 VO 1435/2003 (SCE-VO). Denn ebenso wie bei einem Formwechsel gemäß §§ 190 ff. UmwG kommt es auch bei der SE- bzw. SCE-Gründung durch formwechselnde Umwandlung nicht zu einem Wechsel des Vertragspartners (Art. 37 Abs. 2 SE-VO, Art. 3 Abs. 1 SCE-VO). Der durch Art. 37 Abs. 9 SE-VO, Art. 35 Abs. 8 SCE-VO angeordnete „Übergang“ der Arbeitsverhältnisse der umzuwandelnden Gesellschaft auf die SE/SCE ist kein Betriebs(teil-)übergang i.S.v. § 613a BGB, sondern beinhaltet lediglich die rein deklaratorische Festellung, dass die Arbeitsverhältnisse mit der formgewechselten Gesellschaft (SE/SCE) fortbestehen.
11.153
2. SE-/SCE-Gründung durch Verschmelzung Demgegenüber ist die Gründung einer SE/SCE durch Verschmelzung zur Neugründung (Art. 2 Abs. 1, Art. 17 Abs. 2 lit. b SE-VO, Art. 2 Abs. 1 4. Spiegelstrich, Art. 19 2. Spiegelstrich SCEVO) oder durch Verschmelzung zur Aufnahme (Art. 2 Abs. 1, Art. 17 Abs. 2 lit. a SE-VO, Art. 2 Abs. 1 4. Spiegelstrich, Art. 19 1. Spiegelstrich SCE-VO) regelmäßig mit einer Verpflichtung zur Unterrichtung der Arbeitnehmer der deutschen Gründungsgesellschaft nach § 613a Abs. 5 BGB verbunden. Zum einen gehört zu den nach Art. 18 SE-VO, Art. 20 SCE-VO auf die SEbzw. SCE-Gründung durch Verschmelzung subsidiär anzuwendenden Vorschriften des für die Verschmelzung von Aktiengesellschaften geltenden nationalen Rechts auch § 324 UmwG i.V.m. § 613a Abs. 5 BGB. Zum anderen dürften die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 613a BGB auch bei Verschmelzungsvorgängen nach Art. 2 Abs. 1, Art. 17 ff. SE-VO, Art. 2 Abs. 1 4. Spiegelstrich, Art. 19 ff. SCE-VO jedenfalls dann vorliegen, wenn im Rahmen der SE-/SCE-Gründung eigenständige Betriebe/Betriebsteile übertragen werden (vgl. Rz. 8.3). Die
1 Lutter/Hoger, § 194 UmwG Rz. 40; a.A. Pfaff, BB 2002, 1604, 1608. 2 Ebenso BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 416/99, NZA 2000, 1115 Rz. 65, für die formwechselnde Umwandlung nach §§ 301 ff. UmwG.
Gaul/B. Otto | 427
11.154
§ 11 Rz. 11.154 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
klarstellende Regelung in Art. 29 Abs. 4 SE-VO, Art. 33 Abs. 4 SCE-VO, wonach die mit den beteiligten Gesellschaften bestehenden Arbeitsverhältnisse mit der Eintragung auf die SE übergehen, ändert daran ebenso wenig etwas wie der Umstand, dass ein Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB in diesen Fällen aufgrund des Erlöschens der übertragenden Gesellschaft nicht besteht (vgl. Rz. 11.165 f.).
3. Verhältnis der Arbeitnehmerunterrichtung zu den SE-/SCE-umwandlungsrechtlichen Informationspflichten gegenüber den Arbeitnehmervertretern 11.155
Soweit die Arbeitnehmer nach dem vorgesagten anlässlich der SE-/SCE-Gründung gemäß § 613a Abs. 5 BGB zu informieren sind, tritt dieser Unterrichtungsanspruch neben die sich aus Art. 1 Abs. 4, 20 Abs. 1 lit. i SE-VO, 1 Abs. 6, 22 Abs. 1 lit. k SCE-VO ergebende Verpflichtung, in dem Verschmelzungsplan oder Verschmelzungsvertrag bzw. dessen Entwurf Angaben zu dem Verfahren zu machen, nach dem die Arbeitnehmerbeteiligungsvereinbarung geschlossen wird, und das Ganze gemäß Art. 18 SE-VO, 20 SCE-VO, § 5 Abs. 3 UmwG den zuständigen Arbeitnehmervertretern zuzuleiten bzw. zugänglich zu machen.
B. Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers 11.156
Gemäß § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB kann der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB schriftlich widersprechen. Durch die gesetzliche Kodifizierung des Widerspruchsrechts hat der deutsche Gesetzgeber die langjährige Rechtsprechung des BAG, das ein Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers bereits durch Urteil vom 2.10.19741 anerkannt hatte, bestätigt. Zwar ist das Recht, dem mit dem Betriebs(teil-)übergang verbundenen Übergang des Arbeitsverhältnisses zu widersprechen, in der Richtlinie 2001/23/EG nicht ausdrücklich geregelt und daher europarechtlich nicht zwingend vorgegeben2. Jedoch ist das Widerspruchsrecht mittlerweile auch in der Rechtsprechung des EuGH anerkannt3.
I. Sinn und Zweck des Widerspruchsrechts 11.157
Das Widerspruchsrecht soll den grundrechtlichen Wertungen des Art. 12 Abs. 1 GG Rechnung tragen, der dem Arbeitnehmer die freie Wahl des Arbeitsplatzes und damit auch die freie Wahl des Vertragspartners garantiert. Der Arbeitnehmer soll nicht verpflichtet werden, für einen Arbeitgeber zu arbeiten, den er nicht frei gewählt hat4. Hinzu kommt, dass der Arbeitnehmer mit dem Eintritt des Betriebserwerbers in das Arbeitsverhältnis einen neuen
1 BAG v. 2.10.1974 – 5 AZR 504/73, DB 1975, 601 Rz. 25 ff.; abl. LAG Berlin v. 24.10.1977 – 9 Sa 44/ 77, DB 1978, 500 (nur Recht des Arbeitnehmers zur außerordentlichen Kündigung). 2 Vgl. BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, NZA 2011, 400 Rz. 94, 110 ff.; BAG v. 16.7.2015 – 8 AZR 775/13, Rz. 27 n.v. 3 Vgl. EuGH v. 24.1.2002 – C-51/00, NZA 2002, 265 Rz. 36 f. – Temco; EuGH v. 16.12.1992 – C132/91, C-138/91 und C-139/91, NZA 1993, 169 Rz. 30 ff. – Katsikas u.a.; krit. noch EuGH v. 5.5.1988 – C-144/87, C-145/87, NZA 1990, 885 Rz. 30 ff. – Berg und Buschers. 4 BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279 Rz. 42; BAG v. 28.6.2018 – 8 AZR 100/17, Rz. 33 n.v.; BAG v. 21.4.2016 – 8 AZR 728/14, Rz. 17 n.v.; BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647 Rz. 17.
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Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.162 § 11
Schuldner erhält. Ein Schuldnerwechsel setzt aber analog § 415 Abs. 1 Satz 1 BGB die Zustimmung des Gläubigers voraus. Dies gilt auch für das Recht des Arbeitsvertrags1. Aus Sicht der Arbeitnehmer geht es letztlich also um zweierlei: Zum einen bezweckt das Widerspruchsrecht den Schutz des Arbeitnehmers, gegen seinen Willen einen neuen Arbeitgeber aufgedrängt zu bekommen. Zum anderen führt die Ausübung des Widerspruchsrechts auch zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit dem bisherigen Arbeitgeber. Das Widerspruchsrecht ist darauf gerichtet, den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Betriebsübernehmer nicht eintreten, sondern stattdessen das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber fortbestehen zu lassen2.
11.158
Schließlich kommt § 613a Abs. 6 BGB eine Befriedungsfunktion zu. Insbesondere durch die Verknüpfung von Widerspruchsrecht und Unterrichtungspflicht hat der Gesetzgeber auch dem Bedürfnis von bisherigem Arbeitgeber und neuem Inhaber an Planungssicherheit Rechnung getragen3. Durch eine ordnungsgemäße Unterrichtung soll eine rechtssichere Zuordnung der Arbeitsverhältnisse herbeigeführt werden4.
11.159
II. Voraussetzung des Widerspruchsrechts Voraussetzung für den Bestand eines Widerspruchsrechts ist der „Übergang des Arbeitsverhältnisses“, d.h. das Vorliegen eines Betriebs(teil-)übergangs gemäß § 613a BGB (vgl. §§ 4, 5).
11.160
Die Befugnis zum Widerspruch hängt nicht davon ab, ob der Arbeitnehmer von den beteiligten Rechtsträgern ordnungsgemäß i.S.v. § 613a Abs. 5 BGB informiert worden ist5. Ebenso wenig ist eine fehlerfreie Unterrichtung Wirksamkeitsvoraussetzung für den Widerspruch des Arbeitnehmers6. Soweit sich in der Rechtsprechung zum Teil die Formulierung findet, „§ 613a Abs. 6 Satz 1 BGB [setze] eine den Anforderungen des § 613a Abs. 5 BGB entsprechende Unterrichtung voraus“7, ist damit lediglich gemeint, dass die einmonatige Widerspruchsfrist nur durch eine ordnungsgemäße Unterrichtung in Lauf gesetzt wird.
11.161
Auch soll es für die Existenz des Widerspruchsrechts nach der Rechtsprechung nicht erforderlich sein, dass im Zeitpunkt der Erklärung des Widerspruchs noch ein Arbeitsverhältnis besteht. Vielmehr kann das Widerspruchsrecht – bei ordnungsgemäßer Unterrichtung unter Beachtung der Monatsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB (vgl. Rz. 11.191) und bei fehlender bzw. fehlerhafter Unterrichtung in den Grenzen der Verwirkung (vgl. Rz. 11.209 ff.) – auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgeübt werden8. Es genügt, dass im Zeitpunkt des Betriebsübergangs ein Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Betriebsinhaber be-
11.162
1 BAG v. 2.10.1974 – 5 AZR 504/73, DB 1975, 601 Rz. 22. 2 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815 Rz. 24. 3 BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 69; BAG v. 21.4.2016 – 8 AZR 728/14, Rz. 28 n.v.; BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647 Rz. 28 f. 4 BT-Drucks. 14/7760, 19. 5 BAG v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, NZA 2005, 43 Rz. 27. 6 LAG Köln v. 2.8.2010 – 2 Sa 176/10, ZIP 2011, 830 Rz. 33 f. 7 BAG v. 21.4.2016 – 8 AZR 728/14, Rz. 27 n.v.; BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647 Rz. 27; LAG Berlin-Brandenburg v. 13.9.2018 – 21 Sa 391/18, BB 2019, 120 Rz. 73. 8 BAG v. 21.1.2010 – 8 AZR 870/07, Rz. 18 n.v.; BAG v. 24.7.2008 – 8 AZR 755/07, NZA-RR 2009, 294 Rz. 38; BAG v. 20.3.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, 1354 Rz. 37; LAG Rheinland-Pfalz v. 20.5.2020 – 7 Sa 306/19, Rz. 57 n.v.; a.A. LAG Berlin-Brandenburg v. 20.7.2007 – 6 Sa 680/07, NZA-RR 2007, 626 Rz. 39.
Gaul/B. Otto | 429
§ 11 Rz. 11.162 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
stand und der Arbeitnehmer dem übergehenden Betrieb oder Betriebsteil zugeordnet war. Konsequenz hat dieser Widerspruch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für die Frage, mit welchem Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Beendigung besteht und zwischen welchen Parteien die nachvertraglichen Rechte und Pflichten (z.B. Altersversorgung, nachvertragliches Wettbewerbsverbot) zu erfüllen sind.
1. Übertragungsvorgänge im Wege der Einzelrechtsnachfolge 11.163
Das Widerspruchsrecht besteht dementsprechend zunächst bei Übertragungsvorgängen im Wege der Einzelrechtsnachfolge.
2. Übertragungsvorgänge im Wege der Gesamtrechtsnachfolge bei Fortbestand des übertragenden Rechtsträgers 11.164
Ein Widerspruchsrecht haben die Arbeitnehmer auch dann, wenn der Übergang des Arbeitsverhältnisses gemäß § 324 UmwG, § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB im Rahmen einer umwandlungsrechtlichen Abspaltung (§ 123 Abs. 2 UmwG), Ausgliederung (§ 123 Abs. 3 UmwG) oder abspaltenden bzw. ausgliedernden Vermögensübertragung (§ 174 Abs. 2 Nrn. 2, 3 UmwG) erfolgt und der übertragende Rechtsträger im Anschluss an die Umwandlung fortbesteht.
3. Übertragungsvorgänge im Wege der Gesamtrechtsnachfolge bei Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers 11.165
Etwas anderes gilt, wenn der übertragende Rechtsträger durch Aufspaltung (§ 123 Abs. 1, § 131 Abs. 1 Nr. 2 UmwG), nationale oder grenzüberschreitende Verschmelzung (§§ 2, 20, 122a ff. UmfwG) bzw. SE-/SCE-Gründung durch Verschmelzung (Art. 29 Abs. 1 lit. c SE-VO, Art. 28 Abs. 1 SCE-VO), Vermögensübertragung unter Auflösung (§ 174 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 UmwG) oder Anwachsung nach § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB erlischt.
11.166
In diesem Fall kommt ein Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB nicht in Betracht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Arbeitsvertragsparteien – was grundsätzlich denkbar (vgl. dazu auch Rz. 11.146)1, praktisch aber sehr selten ist – ein an § 613a Abs. 6 BGB angelehntes Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers nicht individualvertraglich vereinbart haben. Obwohl der Wortlaut von § 324 UmwG, § 613a Abs. 6 BGB eine entsprechende Einschränkung nicht unmittelbar erkennen lässt, führen der Sinn und Zweck des Widerspruchsrechts bei Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers zu einer teleologischen Reduktion des Anwendungsbereichs von § 613a Abs. 6 BGB2.
11.167
Statt eines Widerspruchsrechts steht dem Arbeitnehmer, wenn er sein Arbeitsverhältnis nicht bei dem neuen Arbeitgeber fortsetzen will, wegen seiner durch Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Vertrags- und Berufsfreiheit ein Recht zur außerordentlichen Kündigung zu3. Das Erlöschen des bisherigen Arbeitgebers stellt einen wichtigen Grund i.S.d. § 626
1 Offengelassen in BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815 Rz. 19. Die Konsequenzen eines durch Vereinbarung begründeten „Widerspruchsrechts“ sind – soweit nicht eindeutig festgelegt – im Wege der Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln. 2 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815 Rz. 24. 3 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, NZA 2018, 370 Rz. 51; BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815 Rz. 24.
430 | Gaul/B. Otto
Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.169 § 11
Abs. 1 BGB dar. Die Kündigung kann ohne Rücksicht auf die für den Arbeitnehmer geltenden Kündigungsfristen so erklärt werden, dass sie mit dem Wirksamwerden des Übertragungsvorgangs wirksam wird. Erfährt der Arbeitnehmer erst zu diesem Zeitpunkt oder später von dem Übergang des Arbeitsverhältnisses, kann die Kündigung außerordentlich fristlos erklärt werden. Will der Arbeitnehmer von der Befugnis zur außerordentlich Kündigung Gebrauch machen, muss das Kündigungsschreiben dem neuen Arbeitgeber innerhalb von zwei Wochen zugehen. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt erst ab Kenntnis des Arbeitnehmers von der Eintragung bzw. der geplanten Eintragung der zum Erlöschen des bisherigen Arbeitgebers führenden Umwandlung bzw. Anwachsung zu laufen1. Eine analoge Anwendung der Ein-Monats-Frist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB ist nicht geboten2.
11.168
Soweit ein übertragender Rechtsträger sein Vermögen gemäß § 123 Abs. 1 UmwG aufspaltet, ohne dass die Voraussetzungen eines Betriebs(teil-)übergangs erfüllt sind, lehnt das BAG ein solches Recht zur außerordentlichen Kündigung ab. Stattdessen soll der Arbeitnehmer ein Wahlrecht haben, mit welchem der neuen bzw. übernehmenden Rechtsträger das Arbeitsverhältnis fortgesetzt wird (vgl. auch Rz. 10.231 ff.)3. Innerhalb welcher Frist dieses Wahlrecht auszuüben ist, hat das BAG bislang nicht entschieden. Überzeugend erscheint dieses Wahlrecht indes nicht. Zum einen steht es im Widerspruch zu der bereits im Jahr 2007 getroffenen Entscheidung des Gesetzgebers, § 132 UmwG zu streichen. Damit wurde die Gesamtrechtsnachfolge bei Spaltung und Verschmelzung denselben Grundsätzen unterworfen; ausgenommen von der Rechtsnachfolge sind nur höchstpersönliche Rechte und Pflichten, die hier nicht in Rede stehen. Der Schutz eines Dritten, der sich durch die Umwandlung einem neuen Vertragspartner gegenüber sieht, sollte durch Kündigung, Rücktritt, Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage o.Ä. gelöst werden4. Diese Möglichkeit besteht auch für den von einer Spaltung betroffenen Arbeitnehmer. Zum anderen erscheint das Wahlrecht angesichts der Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung, die – abweichend von der Bewertung des BAG – auch in diesen Sachverhalten anzuerkennen ist, auch als unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Interessen der an einer solchen Umwandlung beteiligten Rechtsträger, ohne dass dies zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) und der Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) erforderlich ist. Dies gilt umso mehr, als zu berücksichtigen ist, dass der Arbeitnehmer das Wahlrecht nach Maßgabe der durch das BAG entwickelten Konzeption auch so ausüben könnte, dass das Arbeitsverhältnis mit einem Rechtsträger fortgesetzt werden muss, der seinerseits dieses Arbeitsverhältnis nicht begründet und auch keinen Betrieb oder Betriebsteil übernommen hat, dem dieses Arbeitsverhältnis zugeordnet war. Das steht im Widerspruch zur unternehmerischen Freiheit (Art. 16 GRC, Art. 14 GG) und der Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) der an einer Umwandlung beteiligten Rechtsträger. Abweichend von der durch das BAG vertretenen Auffassung erscheint es deshalb zulässig, die Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern, die keinem Betrieb oder Betriebsteil angehören, einem der übernehmenden (neuen) Rechtsträger im Spaltungsvertrag bzw. -plan zuzuordnen. Konsequenz ist der automatische (gesetzliche) Übergang des Arbeitsverhältnisses mit dem Wirksamwerden der Aufspaltung, sofern keine außerordentliche Kündigung erfolgt.
11.169
1 2 3 4
BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815 Rz. 24. Abw. noch B. Gaul, Vorauflage, § 11 Rz. 36. BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, NZA 2018, 370 Rz. 48. Vgl. BR-Drucks. 548/06, 41.
Gaul/B. Otto | 431
§ 11 Rz. 11.170 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
11.170
Ob eine als „Widerspruch“ gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses bezeichnete Erklärung des Arbeitnehmers als außerordentlich, ggf. fristlose Eigenkündigung oder als Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags gewertet werden kann, ist im Wege der Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln. Ist dies nicht der Fall, ist eine entsprechende Umdeutung des Widerspruchs nach § 140 BGB nicht möglich1. Denn während der Widerspruch einen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit dem bisherigen Arbeitgeber bewirkt, führt die Kündigung bzw. der Aufhebungsvertrag zu einer endgültigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Das Ersatzgeschäft würde damit weiterreichen als die (unwirksame) Widerspruchserklärung.
11.171
Einen Anspruch auf Schadensersatz nach § 628 Abs. 2 BGB hat der kündigende Arbeitnehmer in diesem Fall gleichwohl nicht. Eine gesellschaftsrechtliche Umstrukturierung, die zum Erlöschen des bisherigen Arbeitgebers führt, ist grundsätzlich kein vertragswidriges Verhalten des Arbeitgebers2.
4. Übertragungsvorgänge im Wege der Gesamtrechtsnachfolge kraft Gesetzes außerhalb des Umwandlungsrechts 11.172
Kein Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB besteht demgegenüber, wenn der Arbeitgeberwechsel gesetzlich angeordnet ist, ohne dass die Voraussetzungen eines Betriebs(teil-) übergangs nach § 613a BGB vorliegen3. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern eines Bundeslandes auf eine Stiftung des öffentlichen Rechts durch Landesgesetz übertragen werden. Ähnliches gilt bei dem Zusammenschluss von Krankenkassen (vgl. Rz. 7.19 ff.). Ein Widerspruchsrecht kommt in diesen Konstellationen nur dann in Betracht, wenn es spezialgesetzlich vorgesehen oder vertraglich vereinbart wird4. Eine analoge Anwendung von § 613a Abs. 6 BGB scheidet regelmäßig aus5.
11.173
Etwas anderes kann nach der Rechtsprechung indes im Rahmen von Privatisierungen anzunehmen sein, wenn diese außerhalb rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen bereits durch Gesetz bewirkt werden. Soweit ein solcher Wechsel des Arbeitgebers unmittelbar kraft Gesetzes aus der Beschäftigung bei einem öffentlichen Arbeitgeber zu einem privaten Arbeitgeber erfolgt oder wenn es sich um einen Zwischenschritt zu einer beabsichtigten Privatisierung handelt, muss der Gesetzgeber das Grundrecht des Arbeitnehmers auf freie Wahl des Arbeitsplatzes schützen6. Dies beinhaltet typischerweise die Verpflichtung, dem Arbeitnehmer ein § 613a Abs. 6 BGB vergleichbares Widerspruchsrecht oder ein Rückkehrrecht zu dem bisherigen Arbeitgeber einzuräumen7. Falls eine solche Befugnis in der in Rede stehenden gesetzlichen Regelung nicht vorgesehen ist und sich auch nicht im Wege der Auslegung begründen lässt, muss das zur Entscheidung berufene Fachgericht die Sache dem Bundesverfassungsgericht
1 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815 Rz. 29. 2 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815 Rz. 24 a. E. 3 BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, NZA 2011, 400 Rz. 35; BAG v. 18.12.2008 – 8 AZR 660/07, ZTR 2009, 534 Rz. 35; BAG v. 25.6.2008 – 8 AZR 780/07, Rz. 35 n.v. 4 BAG v. 2.3.2006 – 8 AZR 124/05, NZA 2006, 848 Rz. 16; LAG Köln v. 2.8.2016 – 12 Sa 78/16, Rz. 89 n.v.; vgl. zur Rechtslage vor Inkrafttreten des § 613a BGB auch BAG v. 25.1.2001 – 8 AZR 336/00, NZA 2001, 840 Rz. 59 ff. 5 BAG v. 16.7.2015 – 8 AZR 266/13, NZA 2016, 250 Rz. 29; BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 619/13, NZA 2014, 1405 Rz. 29; LAG Baden-Württemberg v. 26.2.2016 – 17 Sa 58/15, Rz. 125 n.v. 6 BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, NZA 2011, 400 Rz. 94 f. 7 BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, NZA 2011, 400 Rz. 115; BAG v. 26.9.2013 – 8 AZR 775/12 (A), ZTR 2014, 163 Rz. 30 ff.
432 | Gaul/B. Otto
Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.179 § 11
nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG zur Entscheidung vorlegen1. Die Konstruktion eines unmittelbar auf die Regelungen des GG gestützten Widerspruchsrechts ist regelmäßig nicht möglich.
III. Adressat des Widerspruchs Der Widerspruch kann gemäß § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB sowohl gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber als auch gegenüber dem neuen Inhaber erklärt werden. Beide potenziellen Adressaten müssen einen fristgerechten Widerspruch gegen sich gelten lassen. Es obliegt dann den beteiligten Rechtsträgern, sich im Innenverhältnis über den Zugang des Widerspruchs und die damit verbundenen Rechtsfolgen zu informieren. Dies gilt unabhängig davon, ob der Widerspruch vor oder nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen wird2. Die Eigenschaft als „bisheriger Arbeitgeber“ und die Stellung als „neuer Inhaber“ hängt dabei von dem Zeitpunkt des Widerspruchs ab3.
11.174
Da die Rechtsprechung bislang nicht entschieden hat, ob die wechselseitige Informationsobliegenheit mit einem entsprechenden Anspruch der beteiligten Rechtsträger korrespondiert, empfiehlt es sich, die Verpflichtung, den jeweils anderen Teil über die jeweils eingehenden Widersprüche zu unterrichten, zwischen den beteiligten Rechtsträgern ausdrücklich zu vereinbaren.
11.175
1. Neuer Inhaber Soweit der Betriebs(teil-)übergang im Zeitpunkt des Zugangs des Widerspruchs bereits erfolgt ist, ist neuer Inhaber i.S.v. § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB derjenige, der beim letzten Betriebs(teil-) übergang den Betrieb erworben hat4. Wenn der Widerspruch schon vor dem Betriebs(teil-) übergang erklärt wird, ist neuer Inhaber der (zukünftige) Arbeitgeber, welcher den Betrieb (steil) übernehmen soll.
11.176
2. Bisheriger Arbeitgeber Hat der Betriebs(teil-)übergang bei Zugang des Widerspruchs schon stattgefunden, ist bisheriger Arbeitgeber derjenige, der vor dem aktuellen Arbeitgeber, also vor dem neuen Inhaber, Betriebsinhaber war. Ein noch weiter zurückliegender ehemaliger Arbeitgeber, zu dem in der Vergangenheit ein Arbeitsverhältnis bestand, ist dementsprechend kein tauglicher Adressat eines Widerspruchs in Bezug auf den letzten Übergang des Arbeitsverhältnisses5.
11.177
Geht der Widerspruch vor dem Betriebs(teil-)übergang zu, ist bisheriger Arbeitgeber i.S.v. § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB der im Zeitpunkt des Widerspruchszugangs aktuelle Arbeitgeber.
11.178
Soweit über das Vermögen des bisherigen Arbeitgebers im Zeitpunkt des Widerspruchs das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt worden ist, tritt der Insolvenzverwalter an die Stelle des bisherigen Arbeitgebers. Durch die Eröffnung des Insolvenz-
11.179
Vgl. BAG v. 26.9.2013 – 8 AZR 775/12 (A), ZTR 2014, 163 Rz. 44. BAG v. 14.12.2006 – 8 AZR 763/05, NZA 2007, 682 Rz. 48 ff. Vgl. BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647 Rz. 23. BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647 Rz. 22; BAG v. 24.4.2014 – 8 AZR 369/13, NZA 2014, 1074 Rz. 17. 5 BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647 Rz. 22; BAG v. 11.12.2014 – 8 AZR 943/13, NZA 2015, 481 Rz. 30.
1 2 3 4
Gaul/B. Otto | 433
§ 11 Rz. 11.179 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
verfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Damit kann der Schuldner als Vertragsarbeitgeber die aus der Arbeitgeberstellung fließenden Rechte und Pflichten nicht mehr ausüben; sie fallen dem Insolvenzverwalter zu. Dieser tritt in die Arbeitgeberstellung ein und übt für die Dauer des Insolvenzverfahrens statt des Vertragsarbeitgebers die Funktion des Arbeitgebers aus1. Hierzu gehört auch die Befugnis zur Entgegennahme etwaiger Widersprüche nach § 613a Abs. 6 BGB.
3. Widerspruchsadressat bei mehrstufigen Übertragungsvorgängen 11.180
Kommt es nach einem Betriebs(teil-)übergang zu einem weiteren Betriebs(teil-)übergang („Kettenbetriebsübergang“) und hat der Arbeitnehmer bis dahin dem mit dem vorangegangenen Betriebs(teil-)übergang verbundenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht widersprochen, verliert der vormalige Arbeitgeber daher seine Eigenschaft als „bisheriger“ Arbeitgeber i.S.v. § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB an den Zwischenerwerber2. Will der Arbeitnehmer in einem solchen Fall mit einem Widerspruch einen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit dem vormaligen Arbeitgeber bewirken, muss er deshalb zunächst erfolgreich dem an den weiteren Betriebsübergang geknüften Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den neuen Inhaber widersprechen3. Eine Widerspruchsmöglichkeit gegenüber vorangegangenen Arbeitgebern besteht erst dann, wenn diese als Folge eines wirksamen Widerspruchs gegen die späteren Betriebsübergänge (wieder) in die Rechtsstellung als „bisheriger“ oder „neuer“ Inhaber gerückt sind4. Ein gegenüber einem früheren Arbeitgeber erklärter Widerspruch, der nicht als „bisheriger Arbeitgeber“ bzw. als „neuer Inhaber“ im vorgenannten Sinne qualifiziert werden kann, geht ins Leere und ist daher unbeachtlich5.
IV. Form, Inhalt und Zugang des Widerspruchs 11.181
Gemäß § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB muss der Arbeitnehmer den Widerspruch schriftlich (§ 126 BGB) erklären. Dies erfordert regelmäßig ein vom Arbeitnehmer bzw. seinem Vertreter eigenhändig unterzeichnetes Schreiben. Ein Widerspruch durch konkludentes Handeln, beispielsweise durch Weiterarbeit beim Veräußerer6 oder die Weigerung, beim übernehmenden Rechtsträger zu arbeiten, kommt nicht in Betracht. Nach einem Betriebs(teil-)übergang geführte Gespräche über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags mit dem übertragenden Rechtsträger reichen für einen Widerspruch ebenfalls nicht aus7. Auch Schweigen kann nicht als Widerspruch angesehen werden.
11.182
Durch die eigenhändige Unterzeichnung der Erklärung (§ 126 Abs. 1 BGB), die als Folge des gesetzlichen Schriftformerfordernisses notwendig ist8, soll dem Arbeitnehmer die Bedeutung
1 2 3 4 5 6 7 8
BAG v. 21.11.2013 – 6 AZR 979/11, NZA 2014, 276 Rz. 12. BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647 Rz. 14, 21. BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647 Rz. 14, 21. BAG v. 21.4.2016 – 8 AZR 728/14, Rz. 22 n.v.; BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 619/13, NZA 2014, 1405 Rz. 29. BAG v. 18.6.2015 – 8 AZR 321/14, Rz. 16 n.v. LAG Hamm v. 2.10.2014 – 15 Sa 1002/14, Rz. 45 n.v. Abw. zur Rechtslage vor Inkrafttreten von § 613a Abs. 6 BGB noch LAG Bremen v. 8.11.2001 – 4 Sa 17/01, NZA-RR 2002, 411 Rz. 84. BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 20; BAG v. 10.5.2016 – 9 AZR 145/15, NZA 2016, 1137 Rz. 30; LAG Rheinland-Pfalz v. 8.9.2020 – 8 Sa 411/19, Rz. 53 n.v.
434 | Gaul/B. Otto
Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.186 § 11
des Widerspruchs bewusst gemacht werden. Weiterhin soll er – wie beim Schriftformerfordernis der Kündigung oder des Aufhebungsvertrags nach § 623 BGB – vor einer voreiligen Erklärung geschützt werden (Warnfunktion). Denn der Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den neuen Inhaber kann für den Arbeitnehmer zum Verlust des Arbeitsplatzes führen, wenn es für ihn bei seinem bisherigen Arbeitgeber infolge des Übergangs keine Beschäftigungsmöglichkeiten mehr gibt (vgl. Rz. 17.110)1. Der schriftlichen Form steht die Erklärung des Widerrufs in elektronischer Form gemäß § 126a BGB gleich (§ 126 Abs. 3 BGB). Anders als bei der Erteilung einer Bürgschaftserklärung nach § 766 Satz 2 BGB kann der Arbeitnehmer den Übergang seines Arbeitsverhältnisses somit auch durch eine mit seinem Namen und einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem SigG versehene Erklärung verhindern. Wegen der komplizierten technischen Vorgaben dürfte die letztgenannte Form des Widerspruchs in ihrer praktischen Relevanz jedoch weiterhin gering bleiben. Eine „einfache“ E-Mail oder ein Telefax2 genügen nicht.
11.183
Soweit sich der Arbeitnehmer bei der Erklärung des Widerspruchs eines Vertreters bedient, sind zudem die weitergehenden Formerfordernisse des § 174 BGB zu beachten3.
11.184
Als einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung4 setzt der Widerspruch zu seiner Wirksamkeit den – im Streitfall durch den Arbeitnehmer zu beweisenden5 – Zugang beim Adressaten voraus (§§ 130 ff. BGB)6.
11.185
Inhaltlich muss im Widerspruch der Wille zum Ausdruck kommen, einen Übergang des Arbeitsverhältnisses verhindern zu wollen. Dabei ist es regelmäßig unschädlich, wenn der Widerspruch gegen den „Betriebs(teil-)übergang“ gerichtet wird. Auch aus einer juristisch derart ungenauen Formulierung ist hinreichend erkennbar, dass der Arbeitnehmer den Übergang seines Arbeitsverhältnisses nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ablehnt7. Der strenge Maßstab des § 613a Abs. 5 BGB („es darf kein juristischer Fehler enthalten sein“)8 gilt insofern nicht. Ebenso wenig muss die Erklärung ausdrücklich als „Widerspruch“ bezeichnet werden. Es genügt, wenn das Bestreben des Arbeitnehmers, sein Arbeitsverhältnis mit dem neuen Inhaber nicht fortsetzen zu wollen, in einer formgerechten Urkunde einen andeutungsweisen Ausdruck gefunden hat9. Denkbar ist ein derart konkludent erklärter Widerspruch beispielsweise bei einer (schriftlichen) Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und übertragendem Rechtsträger, wonach das Arbeitsverhältnis ohne Rücksicht auf den Übertragungsvorgang zwischen den Parteien fortbesteht10. Ob die Erhebung einer Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber nicht durch Betriebsübergang auf einen neuen Inha-
11.186
1 BAG v. 28.6.2018 – 8 AZR 100/17, Rz. 34 n.v.; BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647 Rz. 19; BT-Drucks. 14/7760, 20. 2 BAG v. 10.5.2016 – 9 AZR 145/15, NZA 2016, 1137 Rz. 31. 3 Vgl. hierzu BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 220/11, NZA 2012, 1101 Rz. 34. 4 BAG v. 19.2.2009 – 8 AZR 176/08, NZA 2009, 1095 Rz. 22; BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 431/06, NZA 2007, 793 Rz. 34; LAG Baden-Württemberg v. 25.2.2016 – 3 Sa 41/15, Rz. 128 n.v. 5 LAG Saarland v. 12.8.2009 – 2 Sa 52/09, Rz. 107 n.v. 6 Vgl. zu den Zugangsformen B. Gaul/B. Otto, ArbRB 2003, 306 ff. 7 BAG v. 19.2.2009 – 8 AZR 176/08, NZA 2009, 1095 Rz. 23; BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 398/04, NZA 2005, 1302 Rz. 16. 8 BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 Rz. 31; ArbG Hamburg v. 27.4.2016 – 17 Ca 437/15, Rz. 25 n.v. 9 BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 431/06, NZA 2007, 793 Rz. 36. 10 Vgl. Commandeur, NJW 1996, 2537, 2540.
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§ 11 Rz. 11.186 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
ber beendet worden ist, sondern fortbesteht, als formgerechter Widerspruch zu verstehen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab1.
11.187
Die Angabe einer Begründung oder ein sachlicher bzw. objektiv vernünftiger Grund ist nicht erforderlich2. Die Motive, die den Arbeitnehmer zum Widerspruch bewogen haben, sind grundsätzlich unerheblich3.
11.188
Vor dem Hintergrund der Zielsetzung des Widerspruchsrechts, die individuelle Arbeitgeberwahlfreiheit des Arbeitnehmers abzusichern4, darf der Widerspruch allerdings nicht zur Erreichung unzulässiger Zwecke dienen. Insofern unterliegt das Widerspruchsrecht den allgemeinen Schranken der Rechtsmissbrauchskontrolle (§ 242 BGB). Danach kann der Widerspruch dann missbräuchlich sein, wenn ihm kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegt, er als Vorwand für die Erreichung vertragsfremder oder unlauterer Zwecke dient oder nur den Zweck hat, einem anderen Schaden zuzufügen (§ 226 BGB)5. Dies kommt in Betracht, wenn der Widerspruch (allein) dazu eingesetzt wird, andere Ziele als die Sicherung der arbeitsvertraglichen Rechte und die Beibehaltung des bisherigen Arbeitgebers herbeizuführen, beispielsweise weil er schwerpunktmäßig von der Motivation getragen ist, Vergünstigungen zu erzielen, auf die der Arbeitnehmer keinen Rechtsanspruch hat6. Die allgemeine Hoffnung des Arbeitnehmers, durch einen Widerspruch seine Chancen auf Weiterbeschäftigung – beispielsweise durch Verdrängung eines sozial weniger schutzwürdigen vergleichbaren Arbeitnehmers7 – zu verbessern, eine Abfindung zu erhalten oder dem Betriebserwerber den Abschluss eines Arbeitsvertrags zu für ihn (d.h. den Arbeitnehmer) günstigeren Bedingungen anzubieten, ist als solche nicht rechtsmissbräuchlich8. Da die Darlegungs- und Beweislast für einen etwaigen Rechtsmissbrauch in derartigen Konstellationen beim Arbeitgeber liegt9, lässt sich ein rechtzeitig erklärter Widerspruch in der Praxis auf diese Weise ohnehin regelmäßig nicht als unwirksam qualifizieren.
11.189
Entgegen einer zum Teil geäußerten Ansicht10 kann der Widerspruch durch den Arbeitnehmer auch nicht an eine bestimmte Bedingung (z.B. Schaffung bestimmter Arbeitsbedingungen oder Beschäftigungsmöglichkeit durch den übernehmenden Rechtsträger) geknüpft werden11. Einer solchen Bedingung steht der Umstand entgegen, dass es sich bei dem Widerspruch um eine einseitig rechtsgestaltende Willenserklärung handelt, die bedingungsfeind1 Im konkreten Fall abgelehnt BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 431/06, NZA 2007, 793 Rz. 36; bejaht Sächsisches LAG v. 21.6.2006 – 2 Sa 347/05, Rz. 20 ff. n.v. 2 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33 Rz. 57; BAG v. 29.3.2007 – 8 AZR 538/06, NZA 2008, 48 Rz. 25; BAG v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, NZA 2005, 43 Rz. 28. 3 BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279 Rz. 79; BAG v. 19.2.2009 – 8 AZR 176/08, NZA 2009, 1095 Rz. 24; BAG v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, NZA 2005, 43 Rz. 28. 4 BT-Drucks. 14/7760, 19 f. 5 BAG v. 19.2.2009 – 8 AZR 176/08, NZA 2009, 1095 Rz. 28; BAG v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, NZA 2005, 43 Rz. 43; Sächsisches LAG v. 10.1.2008 – 8 Sa 181/07, Rz. 45 n.v. 6 BAG v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, NZA 2005, 43 Rz. 43; LAG München v. 6.5.2009 – 11 Sa 499/ 08, Rz. 100 n.v. 7 Vgl. BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33 Rz. 51. 8 BAG v. 19.2.2009 – 8 AZR 176/08, NZA 2009, 1095 Rz. 28. 9 BAG v. 17.6.2014 – 3 AZR 412/13, NZA 2015, 704 Rz. 46; BAG v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, NZA 2005, 43 Rz. 44. 10 So Trittin, Betriebsübergang S. 14 f.; Woeller, AiB 1994, 598 f. 11 BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 398/04, NZA 2005, 1302 Rz. 16; LAG Düsseldorf v. 25.11.1997 – 8 Sa 1358/97, NZA-RR 1998, 539 Rz. 74.
436 | Gaul/B. Otto
Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.193 § 11
lich ist1. Keine unzulässige Konditionierung, sondern eine rechtlich unschädliche Rechtsbedingung2 liegt allerdings vor, wenn ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis von mehreren nacheinander erfolgenden Betriebs(teil-)übergängen betroffen ist, dem mit dem weiteren Betriebsübergang verbundenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den neuen Inhaber für den Fall widerspricht, dass sich sein Widerspruch gegen den infolge des vorangegangenen Betriebsübergangs eingetretenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses als nicht durchgreifend erweisen sollte3. Denkbar ist auch, dass der Arbeitnehmer im Anschluss an den Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses gegenüber dem neuen Betriebsinhaber erklärt, dass er dort das Arbeitsverhältnis (nur) zu bestimmten Konditionen fortsetzen will4. Der Erwerber kann dann aber frei über die Annahme des darin liegenden Angebots auf Abschluss eines (geänderten) Arbeitsvertrags entscheiden. Bei allem ist Folgendes wichtig: Das Widerspruchsrecht ist ein Mittel, die kraft Gesetzes vorgesehene Folge des Übergangs des Arbeitsverhältnisses zu verhindern. Damit geht das Arbeitsverhältnis auf den neuen Inhaber über, wenn nicht widersprochen wird. Eine Erklärung des Arbeitnehmers, dass er den Übergang wolle bzw. ihm zustimme, ist nicht notwendig5. Zu dem besonderen Erfordernis eines einvernehmlichen Arbeitgeberwechsels bei Übertragungsvorgängen in Bezug auf betriebsmittelarme Tätigkeiten vgl. Rz. 4.139).
11.190
V. Fristen für das Widerspruchsrecht Gemäß § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB ist der Widerspruch innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung i.S.v. § 613a Abs. 5 BGB schriftlich zu erklären. Damit geht das Gesetz über die frühere Rechtsprechung des BAG6 hinaus, das für das richterrechtlich entwickelte Widerspruchsrecht in Anlehnung an die im Kündigungsschutz- und Befristungsrecht maßgebliche Regelfrist für die gerichtliche Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Kündigung bzw. Befristung (§ 4 Satz 1, § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG, § 17 Satz 1 TzBfG) zunächst noch eine Drei-Wochen-Frist vorgesehen hatte.
11.191
Für die Fristenkalkulation ist der Tag, an dem die Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB dem Arbeitnehmer zugeht, nicht mitzurechnen (§ 187 Abs. 1 BGB), so dass die Frist gemäß § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit dem Ablauf desjenigen Tages des Folgemonats endet, der durch seine Benennung dem Zugangstag entspricht. Erhält der Arbeitnehmer das Unterrichtungsschreiben beispielsweise am 18.8., beginnt die Widerspruchsfrist am 19.8., 0:00 Uhr, und endet mit Ablauf des 18.9. (24:00 Uhr).
11.192
Nicht erforderlich ist, dass der Arbeitnehmer tatsächlich Kenntnis von den Informationen erlangt hat. Entsprechend § 130 BGB genügt es für den Fristbeginn, wenn die Erklärung so in den Herrschaftsbereich des Arbeitnehmers gelangt, dass dieser die Möglichkeit der Kenntnisnahme besitzt.
11.193
1 BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647 Rz. 19; BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 431/06, NZA 2007, 793 Rz. 34; vgl. zur Kündigung OLG Hamm v. 9.12.2015 – 8 U 26/15, Rz. 50 n.v. 2 Vgl. dazu BAG v. 21.4.2016 – 2 AZR 697/15, Rz. 16 n.v.; BAG v. 17.12.2015 – 2 AZR 304/15, NZA 2016, 568 Rz. 22. 3 BAG v. 21.4.2016 – 8 AZR 728/14, Rz. 41 n.v. 4 Trittin, AiB 1997, 146, 149. 5 BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279 Rz. 42; BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647 Rz. 16; abw. vor Inkrafttreten von § 613a Abs. 6 BGB noch LAG Köln v. 6.6.1997 – 4 Sa 279/97 n.v. 6 BAG v. 22.4.1993 – 2 AZR 313/92, NZA 1994, 357 Rz. 28; Moll/Katerndahl, RdA 2017, 324, 328.
Gaul/B. Otto | 437
§ 11 Rz. 11.194 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
11.194
Da nach dem Wortlaut des § 613a Abs. 6 BGB allein auf den Zugang der Mitteilung nach § 613a Abs. 5 BGB abgestellt und kein Unterschied zwischen einem Widerspruch in der Zeit vor und nach dem Betriebs(teil-)übergang gemacht wird (vgl. zum Zeitpunkt der Unterrichtung Rz. 11.127), hat sich die früher umstrittene Frage erledigt, ob der übertragende Rechtsträger die betroffenen Arbeitnehmer bereits im Vorfeld eines Betriebs(teil-)übergangs durch eine entsprechende Information zur Ausübung des Widerspruchsrechts zwingen kann1. Nach § 613a Abs. 5, 6 BGB können die beteiligten Unternehmen die Frist für die Ausübung des Widerspruchsrechts bereits langfristig vor dem Wirksamwerden des Übertragungsvorgangs in Lauf setzen (vgl. dazu Rz. 11.127 f.)2.
11.195
Allerdings beginnt die Frist noch nicht mit einer irgendwie gearteten Information, sondern erst mit Zugang einer vollständigen Unterrichtung des Arbeitnehmers über die in § 613a Abs. 5 BGB aufgeführten Inhalte3. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 613a Abs. 6 BGB, der für den Fristbeginn eine „Unterrichtung nach Abs. 5“ fordert. Insofern wird man auch an der Rechtsprechung zu § 102 BetrVG anknüpfen können, nach der die gesetzliche Verpflichtung zur Betriebsratsanhörung vor Kündigungen nicht bei jeder Mitteilung, sondern nur bei einer „ordnungsgemäßen Unterrichtung“erfüllt ist4.
11.196
Die Verlängerung der Widerspruchsfrist für den Fall etwaiger Fehler im Unterrichtungsschreiben wird man freilich restriktiv zur Anwendung bringen müssen. Zum einen wird man in diesem Zusammenhang nur solche Fehler eines Unterrichtungsschreibens berücksichtigen können, die für den Arbeitnehmer, der nach Ablauf der Monatsfrist widerspricht, überhaupt relevant sind. So spielen beispielsweise unzutreffende oder fehlende Hinweise auf die besonderen Rechtsfolgen für den Kündigungsschutz von Mitgliedern des Betriebsrats, Besonderheiten für leitende Angestellte, Schwerbehinderte und ihre Vertretung oder Arbeitnehmer mit gesetzlicher Tarifbindung keine Rolle, wenn der Arbeitnehmer, dessen Widerspruch in Rede steht, kein Mitglied des Betriebsrats ist, keine Behinderung hat, kein leitender Angestellter ist und/oder wegen fehlender Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft auch keine gesetzliche Tarifbindung in Rede steht. Zum anderen kann ein Fehler in der Unterrichtung, der sich durch Zeitablauf heilt, schon vor Eintritt einer etwaigen Verwirkung zu einem Beginn der Frist für den Ausspruch eines Widerspruchs führen. Beispielhaft sei auf die spätere Schaffung einer gesetzlichen Tarifbindung durch Beitritt zum Arbeitgeberverband oder den Wegfall von Privilegien wegen einer Neugründung verwiesen (vgl. Rz. 11.99). So hatte das BAG bei einem fehlenden Hinweis auf das Sozialplanprivileg des § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG angenommen, dass der Fehler der Unterrichtung mit Ablauf von vier Jahren seit der Gründung des neuen Inhabers kraft Gesetzes mit der Folge geheilt sei, dass dann die Widerspruchsfrist von einem Monat beginnt5. Eine erneute Unterrichtung über den Wegfall des Fehlers ist nicht erforderlich.
1 Vgl. zur Diskussion BAG v. 25.1.2001 – 8 AZR 336/00, NZA 2001, 840 Rz. 71; BAG v. 19.3.1998 – 8 AZR 139/97, NZA 1998, 750 Rz. 24 f. m.w.N. 2 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 34; BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 Rz. 21; LAG Rheinland-Pfalz v. 20.5.2020 – 7 Sa 306/19, Rz. 55 n.v. 3 BAG v. 28.6.2018 – 8 AZR 100/17, Rz. 12 n.v.; BAG v. 21.4.2016 – 8 AZR 728/14, Rz. 27 n.v.; BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647 Rz. 27; LAG Düsseldorf v. 18.11.2020 – 4 Sa 397/20, Rz. 56 n.v. 4 BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, NZA 2016, 1072 Rz. 16; LAG Berlin-Brandenburg v. 28.5.2020 – 21 Sa 2090/19, Rz. 58 n.v. 5 Vgl. zur Hemmung einer Verwirkung BAG v. 24.8.2017 – 8 AZR 265/16, NZA 2018, 168 Rz. 43; BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 28, 39.
438 | Gaul/B. Otto
Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.202 § 11
Ein etwaiger Streit über die Ordnungsgemäßheit der Unterrichtung hemmt den Beginn der Frist für den Widerspruch nicht, wenn sich später herausstellt, dass die Unterrichtung ordnungsgemäß erfolgt ist1.
11.197
Dass der Arbeitnehmer möglicherweise aus einer anderen Quelle, d.h. nicht durch die in Textform gefasste Unterrichtung eines der beteiligten Rechtsträger von dem Betriebs(teil-)übergang erfahren hat (z.B. Zeitungsbericht, Internet, Betriebsversammlung), spielt für den Fristbeginn keine Rolle2. Dieser Umstand kann allenfalls im Rahmen der Überlegungen zur Verwirkung (vgl. dazu Rz. 11.217 f.) berücksichtigt werden.
11.198
VI. Abweichende Fristsetzung durch den Arbeitgeber bzw. durch Kollektivvertrag Der Arbeitgeber kann die Information über den Betriebs(teil-)übergang bzw. die Umwandlung nicht mit einer Fristsetzung zur Ausübung des Widerspruchsrechts verbinden, wenn dies zu einer Verkürzung der Ein-Monats-Frist führen soll3. Eine derartige Fristverringerung ist selbst dann unzulässig, wenn der Arbeitgeber im Rahmen der Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB ordnungsgemäß auf die gesetzliche Widerspruchsfrist hinweist4. Denn die Frist des § 613a Abs. 6 BGB steht als zwingendes Recht nicht zur einseitigen Disposition des Arbeitgebers.
11.199
Demgegenüber bestehen gegen eine einvernehmliche Verlängerung der Frist grundsätzlich keine Bedenken. Voraussetzung ist jedoch, dass diese Fristverlängerung durch beide Rechtsträger gemeinsam eingeräumt wird. Denn eine Zusage, die nur durch Veräußerer oder Erwerber erteilt wird, wäre als unzulässiger Vertrag zulasten Dritter zu bewerten. Schließlich dient die Widerspruchsfrist in erster Linie dazu, allen Beteiligten solcher Übertragungsvorgänge Rechtssicherheit und Rechtsklarheit über ihre zukünftigen Vertragspartner zu geben.
11.200
Kollektivrechtliche Regelungen, durch welche die Frist zur Ausübung des Widerspruchsrechts modifizert wird, sind unzulässig, wenn damit keine Verbesserung der einzelvertraglichen Rechtsposition des Arbeitnehmers verbunden ist5.
11.201
VII. Verzicht auf das Widerspruchsrecht Da es sich beim Widerspruchsrecht um eine individualrechtliche Rechtsposition handelt6, kann darauf durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder sonstige Kollektivrechtsabrede nicht verzichtet werden7. Unerheblich ist auch, ob die beteiligten Rechtsträger untereinander abweichende Regelungen treffen. Nur der Arbeitnehmer selbst kann über das Recht verfügen. An1 BAG v. 22.6.2009 – 8 AZR 752/09, NZA-RR 2012, 507 Rz. 34. 2 BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 539/08, Rz. 25 n.v.; LAG Hamburg v. 7.10.2016 – 6 Sa 21/16, Rz. 47 n.v.; B. Gaul/B. Otto, DB 2005, 2465, 2468. 3 B. Gaul/B. Otto, DB 2002, 634, 637; a.A. vor Inkrafttreten des § 613a Abs. 6 BGB noch BAG v. 19.3.1998 – 8 AZR 139/97, NZA 1998, 750 Rz. 25. 4 Vgl. BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, Rz. 48 n.v.; BAG v. 20.3.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, 1354 Rz. 33. 5 BAG v. 2.10.1974 – 5 AZR 504/73, DB 1975, 601 Rz. 51; abw. Commandeur, Betriebsübernahme S. 16; Seiter, Betriebsinhaberwechsel S. 99 f. 6 BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647 Rz. 19; BAG v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, NZA 2005, 43 Rz. 38 f. 7 BAG v. 2.10.1974 – 5 AZR 504/73, DB 1975, 601 Rz. 51; D. Gaul, ZfA 1990, 87, 92.
Gaul/B. Otto | 439
11.202
§ 11 Rz. 11.202 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
erkannt ist insoweit, dass das Recht zum Widerspruch durch eine einseitige Verzichtserklärung des Arbeitnehmers gegenüber einem der beteiligten Rechtsträger1 oder durch Vereinbarung zwischen dem Arbeitnehmer und einem der beteiligten Rechtsträger ausgeschlossen werden kann2.
11.203
Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit einer solchen Vereinbarung ist allerdings, dass sie im Hinblick auf einen konkreten Übertragungsvorgang getroffen wird3 und die Schriftform entsprechend § 613a Abs. 6 BGB gewahrt wird4. Eine abstrakt-generelle Verzichtsregelung – beispielsweise im Arbeitsvertrag – lässt das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) unberücksichtigt und ist wegen des grundsätzlich höchstpersönlichen Charakters der Arbeitsleistung mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben, die der Annahme des Widerspruchsrechts zugrunde liegen, nicht vereinbar und deshalb unwirksam5. Im Zweifel folgt dies schon aus § 307 Abs. 1, 2 Nr. 1, § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB.
11.204
Darüber hinaus muss der verzichtende Arbeitnehmer von dem Veräußerer oder Erwerber zumindest in groben Zügen über den geplanten Betriebs(teil-)übergang informiert worden sein6. In welcher Detailierungstiefe eine derartige kursorische Unterrichtung zu erfolgen hat, ist in Rechtsprechung7 und Literatur8 bislang ebenso wenig geklärt wie die Frage, ob auch eine in sonstiger Form erlangte, d.h. nicht durch die beteiligten Rechtsträger vermittelte, allgemeine Kenntnis von dem Betriebs(teil-)übergang und dem Widerspruchsrecht als Entscheidungsgrundlage für einen wirksamen Verzicht auf das Widerspruchsrecht ausreicht. Naheliegend ist, sich hier an dem Inhalt der von der Rechtsprechung als Voraussetzung für das Erlöschen des in Bezug auf einen früheren Betriebs(teil-)übergang bestehenden Widerspruchrechts geforderten sogenannten „grundlegenden Informationen“9 zu orientieren. Notwendige, aber auch ausreichende Informationsbasis für einen wirksamen Verzicht ist die durch den bisherigen Betriebsinhaber oder den potenziellen Erwerber bewirkte Angabe des (geplanten) Zeitpunkts und des Gegenstands des Betriebs(teil-)übergangs sowie des (potenziellen) Erwerbers und der Hinweis, dass dem Arbeitnehmer an sich ein Widerspruchsrecht zusteht10.
1 BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, DB 2013, 1178 Rz. 43; BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 431/06, NZA 2007, 793 Rz. 45; LAG Niedersachen v. 5.2.2018 – 8 Sa 831/17, NZA-RR 2018, 411 Rz. 36 f.; LAG Düsseldorf v. 27.5.2009 – 7 Sa 726/08, Rz. 54 n.v. 2 BAG v. 30.10.2003 – 8 AZR 491/02, NZA 2004, 481 Rz. 28; BAG v. 19.3.1998 – 8 AZR 139/97, NZA 1998, 750 Rz. 22. 3 LAG Saarland v. 12.8.2009 – 2 Sa 52/09, Rz. 163 n.v.; ArbG Arnsberg v. 13.5.2013 – 1 Ca 53/13, Rz. 82 n.v. 4 LAG Düsseldorf v. 27.5.2009 – 7 Sa 726/08, Rz. 54 n.v. 5 I.E. ebenso Moll, NJW 1993, 2016, 2017; a.A. Pröpper, DB 2000, 2322, 2323 ff. m.w.N. 6 Vgl. BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279 Rz. 50; BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 431/ 06, NZA 2007, 793 Rz. 45 (ein Verzicht auf das Widerspruchsrecht „setzt allerdings das Bewusstsein voraus, ein solches Recht zu haben“.). 7 Vgl. BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 431/06, NZA 2007, 793 Rz. 45; LAG Saarland v. 12.8.2009 – 2 Sa 52/09, Rz. 163 n.v.; LAG Düsseldorf v. 27.5.2009 – 7 Sa 726/08, Rz. 54 n.v. 8 Vgl. ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 104; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 362; Staudinger/ Annuß, § 613a BGB Rz. 341. 9 BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279 Rz. 81; BAG v. 28.6.2018 – 8 AZR 100/17, Rz. 28 n.v.; BAG v. 21.12.2017 – 8 AZR 99/17, Rz. 28 n.v.; BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647 Rz. 15. 10 BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279 Rz. 50; BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 431/06, NZA 2007, 793 Rz. 45; LAG München v. 9.10.2007 – 4 Sa 411/08, Rz. 48 n.v.
440 | Gaul/B. Otto
Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.206 § 11
Eine vollumfängliche Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB ist demgegenüber nicht erforderlich1. Inhaltlich muss in der Erklärung bzw. Vereinbarung der Wille zum Ausdruck kommen, auf das Widerspruchsrecht verzichten bzw. es nicht mehr ausüben zu wollen (§§ 133, 157 BGB). Hat der Arbeitgeber die Verzichtsvereinbarung vorbereitet, muss sie insoweit auch den Grundsätzen der AGB-Kontrolle Rechnung tragen (§§ 305 ff. BGB). Sie muss also insbesondere hinreichend transparent sein (§ 305c Abs. 1, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) und kann keine Bestätigung des Arbeitnehmers über den Erhalt einer ordnungsgemäßen Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB enthalten (§ 309 Nr. 12 lit. b BGB). Im Zweifel dürfte bei einer Anwendbarkeit der AGB-Kontrolle auch ein kompensationsloser Verzicht mit den Vorgaben der Angemessenheit nicht vereinbar sein. Hier kann an der Rechtsprechung zum Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage angeknüpft werden2. Dass die Erklärung ausdrücklich als „Verzicht“ bezeichnet wird, ist nicht erforderlich. So beinhalten beispielsweise die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem bisherigen Arbeitgeber und dessen anschließende Fortsetzung mit dem neuen Inhaber durch dreiseitigen Vertrag regelmäßig zugleich einen Verzicht auf das Widerspruchsrecht. Ebenfalls zulässig ist es, wenn der Arbeitnehmer mit dem bisherigen Arbeitgeber oder mit dem neuen Arbeitgeber den Übergang des Arbeitsverhältnisses vereinbart3 bzw. seine Zustimmung zum Übergang erklärt4. In einer solchen Erklärung liegt – anders als bei einer zweiseitig vereinbarten Verlängerung der Widerspruchsfrist nach § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB – kein Vertrag zulasten des übernehmenden Rechtsträgers5. Schließlich kommt es auf den Willen des übernehmenden Rechtsträgers im Rahmen von § 613a BGB nicht an. Wenn der Arbeitnehmer keinen Widerspruch ausübt, ist ipso iure von einem Übergang des Arbeitsverhältnisses auszugehen. Wenn der Arbeitnehmer nun kraft Vereinbarung mit dem übertragenden Rechtsträger auf die Ausübung seines Rechtsfolgenverweigerungsrechts verzichtet, ändert sich an diesem gesetzlichen Übergang des Arbeitsverhältnisses nichts. Dies gilt selbst dann, wenn – was bei Vorliegen der „grundlegenden Informationen“ zulässig ist (vgl. dazu Rz. 11.204) – der Verzicht vor der (vollständigen) Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB erklärt wird.
11.205
Ein Verzicht durch konkludentes Handeln auf das Widerspruchsrecht ist ausgeschlossen. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitnehmer die Arbeit beim übernehmenden Rechtsträger in Kenntnis des Vorliegens eines Betriebs(teil-)übergangs bzw. einer Umwandlung aufnimmt oder gegenüber dem übernehmenden Rechtsträger im Klagewege Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis (z.B. Beschäftigung oder Gehalt) geltend macht6. Auch der bloße Vollzug einer dem Betriebs(teil-)übergang vorausgegangenen Abwicklungsvereinbarung kann nicht als Widerspruchsverzicht angesehen werden7. Andernfalls liefe das Schriftformerfordernis des § 613a
11.206
1 LAG Niedersachsen v. 5.2.2018 – 8 Sa 833/17, Rz. 38 n.v.; LAG Düsseldorf v. 27.5.2009 – 7 Sa 726/ 08, Rz. 54 n.v.; a.A. LAG Saarland v. 12.8.2009 – 2 Sa 52/09, Rz. 163 n.v.; ArbG Arnsberg v. 13.5.2013 – 1 Ca 53/13, Rz. 82 n.v.; offengelassen in BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279, Rz. 50. 2 Ebenso HWK/Roloff, Anh. §§ 305–310 BGB ABC der Klauseltypen Rz. 55. 3 BAG v. 19.3.1998 – 8 AZR 139/97, NZA 1998, 750 Rz. 22; BAG v. 15.2.1984 – 5 AZR 123/82, NZA 1984, 32 Rz. 23. 4 D. Gaul, ZfA 1990, 87, 92. 5 A.A. Herschel, Anmerkung zu BAG v. 15.2.1984 – 5 AZR 123/82, AP Nr. 37 zu § 613a BGB Bl. 3. 6 Vgl. zur Rechtslage vor Inkrafttreten des § 613a BGB LAG Hamm v. 28.8.1997 – 4 Sa 2245/96, Rz. 80 f. n.v. 7 BAG v. 24.2.2011 – 8 AZR 469/09, NZA 2011, 973 Rz. 36.
Gaul/B. Otto | 441
§ 11 Rz. 11.206 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
Abs. 6 BGB leer, durch das sichergestellt werden soll, dass der Arbeitnehmer nicht durch voreilige Handlungen das Recht verliert, den Übergang seines Arbeitsverhältnisses zu verhindern. Innerhalb der Monatsfrist steht deshalb auch die Weiterarbeit für den Erwerber, mit der letztendlich nur der Rechtsfolge aus § 613a Abs. 1 BGB Rechnung getragen wird, einem Widerspruch nicht entgegen. Dass der Erwerber damit einer ganz erheblichen Gefährdung seiner Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ausgesetzt wird, nimmt der Gesetzgeber hin.
11.207
Angesichts der voranstehenden Gestaltungsmöglichkeiten dürfte es für den übernehmenden Rechtsträger sinnvoll sein, die Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils unter die aufschiebende Bedingung zu stellen, dass mit namentlich genannten Arbeitnehmern, an deren Weiterbeschäftigung ein betriebliches Interesse besteht, neue Arbeitsverträge abgeschlossen bzw. ihm entsprechende Erklärungen über den Verzicht auf das Widerspruchsrecht vorgelegt werden1. Als Kompensation für den darin liegenden Verzicht kann eine „Wechselprämie“ versprochen oder – gerade bei betriebsmittelarmen Übertragungsvorgängen – eine Anwendbarkeit von § 613a BGB ohne Rücksicht darauf zugesagt werden, ob die für die Anerkennung eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs nach Zahl und Sachkunde erforderliche Anzahl des Personals der in Rede stehenden Einheit zum potenziellen Erwerber wechseln. Alternativ ist zu prüfen, ob mit dem Abschluss des Kaufvertrags solange gewartet werden kann, bis von Seiten der potenziell von einem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses betroffenen Arbeitnehmer, deren Übernahme gewünscht wird, eine Zustimmung mit dem Wechsel des Arbeitgebers erklärt wird. Diese Erklärung kann ihrerseits unter den Vorbehalt einer Veräußerung des Betriebs oder Betriebsteils gestellt werden.
11.208
Spricht der Arbeitnehmer trotz eines Verzichts auf das Widerspruchsrecht bzw. des gegenüber einem der beteiligten Rechtsträger erklärten Einverständnisses mit dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses einen Widerspruch aus, ist dieser unwirksam2. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn der Arbeitnehmer durch bewusst fehlerhafte Unterrichtung zum Verzicht veranlasst wurde. Hier sind die entsprechenden Erklärungen des Arbeitnehmers anfechtbar gemäß § 123 BGB. Bei einer nur fahrlässig fehlerhaften Unterrichtung (unvollständig oder falsch), kann der Arbeitnehmer sein Einverständnis mit dem Übergang bzw. den Verzicht auf das Widerspruchsrecht nicht mehr beseitigen, aber einen Schadensersatzanspruch (vgl. dazu Rz. 11.297 ff.) geltend machen.
VIII. Ausschluss des Widerspruchsrechts durch Verwirkung 11.209
Unabhängig von ausdrücklichen Vereinbarungen bzw. einem Verzicht kann das Recht zum Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses trotz fehlender oder fehlerhafter Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB ausnahmsweise auf der Grundlage der Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) wegen Verwirkung ausgeschlossen sein3.
1 D. Gaul, ZfA 1990, 87, 93. 2 BAG v. 19.3.1998 – 8 AZR 139/97, NZA 1998, 750 Rz. 22. 3 BAG v. 21.12.2017 – 8 AZR 700/16, NZA 2018, 854 Rz. 13 f.; BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, NZA 2014, 774 Rz. 25; BAG v. 22.6.2011 – 8 AZR 752/09, NZA-RR 2012, 507 Rz. 28; vgl. zur Verwirkung der Rechte aus einem Arbeitsverhältnis LAG Berlin-Brandenburg v. 15.4.2016 – 2 Sa 2118/15 und 2 Sa 2282/15, Rz. 43 ff. n.v.
442 | Gaul/B. Otto
Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.212 § 11
Die Richtlinie 2001/23/EG steht dem nicht entgegen1. Das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers ist europarechtlich nicht zwingend vorgegeben. Es richtet sich nach nationalem Recht2. Dies gilt auch für die Dauer seiner Ausübung. Losgelöst hiervon ist ein zeitlich unbegrenztes Widerspruchsrecht als „Sanktion“ für eine unterbliebene bzw. nicht ordnungsgemäß erfolgte Unterrichtung auch unter Berücksichtigung des in der Rechtsprechung des EuGH verankerten Effektivitätsgrundsatzes („effet utile“)3 nicht geboten4. Dass der Gesetzgeber eine Verwirkung des Widerspruchsrechts nicht ausschließen wollte, ergibt sich zudem aus dem Fehlen eines entsprechenden Verwirkungsverbots in § 613a BGB (vgl. § 77 Abs. 4 Satz 3 BetrVG, § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG, § 3 Satz 3 MiLoG)5.
11.210
1. Voraussetzungen der Verwirkung Voraussetzung der Verwirkung ist zunächst, dass der Berechtigte seinen Anspruch erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums geltend macht (Zeitmoment). Allerdings genügt der bloße Zeitablauf allein für die Verwirkung des Widerspruchsrechts nicht6. Erforderlich ist zusätzlich, dass der Berechtigte unter Umständen untätig geblieben ist, die den Eindruck erweckten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment)7. Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten (d.h. des bisherigen und des neuen Arbeitgebers) das Interesse des Berechtigten (d.h. des Arbeitnehmers) derart überweigen, dass ihm (d.h. dem Verpflichteten) die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist. Demgegenüber setzt der – durch die Arbeitsgerichte „von Amts wegen“ zu berücksichtigende8 – Verwirkungseinwand nicht voraus, dass der Verpflichtete eine konkret feststellbare Vermögensdisposition im Vertrauen auf die Nichtinanspruchnahmen getroffen haben muss9.
11.211
Das Vorliegen beider Voraussetzungen (Zeit- und Umstandsmoment) ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung festzustellen10. Dementsprechend ist hinsichtlich des Zeitmoments grundsätzlich nicht auf eine bestimmte Frist abzustellen. Bei dem Zeitmoment handelt es sich
11.212
1 BAG v. 21.12.2017 – 8 AZR 700/16, NZA 2018, 854 Rz. 15; BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, NZA 2014, 774 Rz. 25. 2 EuGH v. 24.1.2002 – C-51/00, NZA 2002, 265, Rz. 36 – Temco; BVerfG v. 15.5.2012 – 1 BvR 2783/09, Rz. 18 n.v.; BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, NZA 2011, 400 Rz. 110; BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 43; BAG v. 18.6.2015 – 8 AZR 321/14, Rz. 14 n.v. 3 Vgl. dazu EuGH v. 14.10.2020 – C-677/19, Rz. 21 – Valoris n.v.; BAG v. 24.2.2016 – 7 AZR 712/ 13, NZA 2016, 758 Rz. 17. 4 So BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, NZA 2014, 774 Rz. 25, unter Verweis auf EuGH v. 8.7.2010 – C-246/09, NZA 2010, 869 Rz. 36 – Bulicke. 5 BAG v. 28.6.2018 – 8 AZR 100/17, Rz. 31 n.v.; BAG v. 24.8.2017 – 8 AZR 265/16, NZA 2018, 168 Rz. 33; LAG Düsseldorf v. 18.11.2020 – 4 Sa 397/20, Rz. 73 n.v. 6 BAG v. 20.3.2018 – 9 AZR 508/17, NZA 2018, 931 Rz. 26; BAG v. 21.4.2016 – 2 AZR 609/15, NZA 2016, 941 Rz. 24. 7 BAG v. 25.8.2020 – 9 AZR 373/19, NZA 2020, 1537 Rz. 42; BAG v. 20.3.2018 – 9 AZR 508/17, NZA 2018, 931 Rz. 26; BAG v. 21.9.2017 – 2 AZR 57/17, NZA 2017, 1524 Rz. 33; BAG v. 17.6.2014 – 3 AZR 412/13, NZA 2015, 704 Rz. 61; BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, NZA 2014, 774 Rz. 26; LAG Düsseldorf v. 14.10.2015 – 1 Sa 733/15, Rz. 64 n.v. 8 Vgl. OLG Karlsruhe v. 24.3.2016 – 12 U 141/15, Rz. 57 n.v. 9 BAG v. 22.6.2011 – 8 AZR 752/09, NZA-RR 2012, 507 Rz. 39; LAG Rheinland-Pfalz v. 20.5.2020 – 7 Sa 306/19 Rz. 66 n.v. 10 BAG v. 24.2.2011 – 8 AZR 413/09 Rz. 29 n.v.
Gaul/B. Otto | 443
§ 11 Rz. 11.212 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
nicht um eine gesetzlich oder vertraglich vorgegebene Frist, für welche bestimmte Anfangsund Endzeitpunkte gelten, wie sie in den §§ 186 ff. BGB geregelt sind1. Entscheidend sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls. Auch ist die Länge des Zeitablaufes in Wechselwirkung zu dem ebenfalls erforderlichen Umstandsmoment zu setzen. Zeitmoment und Umstandsmoment beeinflussen sich wechselseitig, d.h. beide Elemente sind bildhaft im Sinne „kommunizierender Röhren“ miteinander verbunden2. Je stärker das gesetzte Vertrauen oder die Umstände, die eine Geltendmachung für den Anspruchsgegner unzumutbar machen, sind, desto schneller kann ein Anspruch verwirken3. Umgekehrt gilt, je mehr Zeit seit dem Zeitpunkt des Betriebs(teil-)übergangs verstrichen ist und je länger der Arbeitnehmer bereits für den Erwerber gearbeitet hat, desto geringer sind die Anforderungen an das Umstandsmoment4. Es müssen letztlich besondere Verhaltensweisen sowohl des Berechtigten als auch des Verpflichteten vorliegen, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen. Für die hier in Rede stehende Konstellation bedeutet dies, dass der Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum hinweg trotz Kenntnis des Vorliegens eines Betriebs(teil-)übergangs bzw. des Wissens um den Arbeitgeberwechsel für den übernehmenden Rechtsträger gearbeitet haben und dadurch das Vertrauen der beteiligten Rechtsträger entstanden sein muss, dass der Arbeitnehmer keine Einwände gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses mehr geltend machen wird.
11.213
Auf die verwirkungsbegründenden Umstände können sich die beteiligten Rechtsträger unabhängig davon berufen, ob bzw. wann sie hiervon Kenntnis erlangt haben5. Bei der Verwirkung des Widerspruchsrechts im Zusammenhang mit einem Betriebs(teil-)übergang genügt es, dass einer der Verpflichteten von den vertrauensbildenden Umständen Kenntnis hat. Jedenfalls im unmittelbaren Verhältnis zwischen Betriebsveräußerer und Betriebserwerber sieht das Gesetz grundsätzlich eine gemeinsame Verpflichtung und Berechtigung beider aus dem Arbeitsverhältnis vor. Daraus folgt, dass immer dann, wenn sich der Betriebserwerber als neuer Arbeitgeber auf Verwirkungsumstände berufen könnte, diese auch der Betriebsveräußerer als früherer Arbeitgeber für sich in Anspruch nehmen kann6. In der Praxis werden insoweit häufig Auskunftsansprüche des Veräußerers gegen den Betriebserwerber vereinbart, durch die gewährleistet werden kann, dass der Veräußerer im Streitfall auch von den verwirkungsrelevanten Tatsachen erfährt, die sich nach dem Betriebs(teil-)übergang in der Sphäre des Betriebserwerbers zugetragen haben. Denn trotz ihres Charakters als Einwendung können die Arbeitsgerichte die von Amts wegen zu berücksichtigende Verwirkung nur auf der Grundlage eines entsprechenden Sachvortrags des Arbeitgebers zu den verwirkungsbegründenden Tatsachen prüfen.
1 BAG v. 22.6.2011 – 8 AZR 752/09, NZA-RR 2012, 507 Rz. 33; LAG Rheinland-Pfalz v. 20.5.2020 – 7 Sa 306/19 Rz. 64 n.v. 2 BAG v. 28.6.2018 – 8 AZR 100/17 Rz. 17 n.v.; BAG v. 21.12.2017 – 8 AZR 700/16, NZA 2018, 854 Rz. 17; BAG v. 22.6.2011 – 8 AZR 752/09, NZA-RR 2012, 507 Rz. 30. 3 BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279 Rz. 68; BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 524/16 Rz. 58 n.v.; BAG v. 24.7.2008 – 8 AZR 175/07, NZA-RR 2010, 74 Rz. 27. 4 BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279 Rz. 68; BAG v. 22.6.2011 – 8 AZR 752/09, NZA-RR 2012, 507 Rz. 30; LAG Düsseldorf v. 18.11.2020 – 4 Sa 397/20 Rz. 61 n.v. 5 BAG v. 24.8.2017 – 8 AZR 265/16, NZA 2018, 168 Rz. 32. 6 BAG v. 24.2.2011 – 8 AZR 885/08 Rz. 38 n.v.; BAG v. 12.11.2009 – 8 AZR 530/07, NZA 2010, 761 Rz. 34 f.; LAG Rheinland-Pfalz v. 20.5.2020 – 7 Sa 306/19 Rz. 67 n.v.
444 | Gaul/B. Otto
Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.216 § 11
2. Zeitmoment Die Frist für das Zeitmoment beginnt nicht erst mit Kenntnis des Arbeitnehmers von der Fehlerhaftigkeit der Unterrichtung1. Maßgeblich ist vielmehr die Kenntnis des Arbeitnehmers von dem Betriebs(teil-)übergang bzw. dem Wechsel seines Vertragsarbeitgebers und der Ablauf der Monatsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB. Vor Ablauf eines Monats nach der Unterrichtung in Textform muss der Arbeitgeber immer mit einem Widerspruch des Arbeitnehmers rechnen. Andererseits gibt der Arbeitgeber mit der Unterrichtung über den Betriebs (teil-)übergang grundsätzlich zu erkennen, dass er mit dieser die Widerspruchsfrist in Gang setzen will und nach Fristablauf die Erklärung von Widersprüchen nicht mehr erwartet2. Dies gilt auch, wenn die Unterrichtung unvollständig oder fehlerhaft war3. Soweit der Arbeitnehmer durch die beteiligten Rechtsträger keinerlei Unterrichtung erhalten hat, beginnt die Frist für die Bestimmung des Zeitmoments mit dem Zeitpunkt, zu dem der Arbeitnehmer von dem Betriebsübergang bzw. dem Arbeitgeberwechsel aus anderer Quelle erfahren hat4.
11.214
Eine feststehende Frist, nach deren Ablauf in Verbindung mit bestimmten Umständen stets von einer Erfüllung des Zeitmoments auszugehen ist, gibt es nach der Rechtsprechung nicht5. Zwar wird man die Frist des § 5 Abs. 3 Satz 2 KSchG als „Orientierungswert“ nutzen und nach Ablauf von sechs Monaten seit dem tatsächlichen Übergang des Arbeitsverhältnisses und der Kenntnis des Arbeitnehmers hiervon oftmals von dem Eingreifen des Zeitmoments ausgehen können6. Schließlich hat der Gesetzgeber mit dieser Regelung zur Zulassung verspäteter Klagen gegen eine Kündigung deutlich gemacht, dass nach dieser Zeitspanne ohne Rücksicht auf ein etwaiges Verschulden der betroffenen Arbeitnehmer vertragsbeendigende Maßnahmen hingenommen werden müssen. Gleichwohl kann das Zeitmoment im Einzelfall auch erst zu einem späteren Zeitpunkt eingreifen.
11.215
So hat die Rechtsprechung das Zeitmoment in Bezug auf das Widerspruchsrecht beispielsweise als erfüllt angesehen, wenn der Widerspruch erst
11.216
– 8 Jahre und 10 Monate nach Zugang der (fehlerhaften) Unterrichtung7, – sieben Jahre nach dem Zeitpunkt des Betriebs(teil-)übergangs8, – 78 Monate (6,5 Jahre) nach der (fehlerhaften) Unterrichtung9, – mehr als fünf Jahre nach Zugang des Unterrichtungsschreibens10, – mehr als vier Jahre nach Zugang des Unterrichtungsschreibens11,
1 BAG v. 12.11.2009 – 8 AZR 530/07, NZA 2010, 761 Rz. 27. 2 BAG v. 24.7.2008 – 8 AZR 166/07 Rz. 39 n.v.; BAG v. 24.7.2008 – 8 AZR 1020/06 Rz. 41 n.v. 3 BAG v. 20.5.2010 – 8 AZR 585/08 Rz. 42 n.v.; BAG v. 12.11.2009 – 8 AZR 530/07, NZA 2010, 761 Rz. 27. 4 BAG v. 24.2.2011 – 8 AZR 469/09, NZA 2011, 973 Rz. 28; BAG v. 24.7.2008 – 8 AZR 175/07, NZA-RR 2010, 74 Rz. 32. 5 BAG v. 12.11.2009 – 8 AZR 530/07, NZA 2010, 761 Rz. 25. 6 B. Gaul/B. Otto, DB 2002, 634, 636. 7 LAG Hamburg v. 7.10.2016 – 6 Sa 21/16 Rz. 57 n.v. 8 BAG v. 24.8.2017 – 8 AZR 265/16, NZA 2018, 168 Rz. 27. 9 BAG v. 15.3.2012 – 8 AZR 700/10, NZA 2012, 1097 Rz. 33. 10 LAG Sachsen-Anhalt v. 1.9.2015 – 6 Sa 221/14 Rz. 74 n.v. 11 Thüringer LAG v. 27.3.2014 – 2 Sa 412/12 Rz. 34 n.v.; offengelassen in BAG v. 18.6.2015 – 8 AZR 321/14 Rz. 15 n.v.
Gaul/B. Otto | 445
§ 11 Rz. 11.216 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
– fast 36 Monate nach Unterrichtung1, – mehr als 27 Monate nach der schriftlichen Unterrichtung des Arbeitnehmers2, – mehr als 24 Monate (2 Jahre) nach Zugang des Unterrichtungsschreibens3, – fast 24 Monate nach Erhalt des Unterrichtungsschreibens4, – fast 20 Monate nach Unterrichtung5, – über 19 Monate nach Ablauf der (fiktiven) Ein-Monats-Frist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB6, – über 18 Monate nach Ablauf der hypothetischen gesetzlichen Widerspruchsfrist7, – 17 Monate nach Unterrichtung und Ablauf der (hypothetischen) Ein-Monats-Frist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB8, – mehr als 16 Monate nach Ablauf der hypothetischen gesetzlichen Widerspruchsfrist9, – 15 Monate nach Unterrichtung10, – fast 14 Monate nach Ablauf der hypothetischen gesetzlichen Widerspruchsfrist11, – mehr als 12 Monate nach dem Betriebsübergang12, – mehr als neun Monate nach Unterrichtung13, – siebeneinhalb Monate nach Unterrichtung14, – knapp sechs Monate nach der (fehlerhaften) Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB15 erklärt wird. Je nach Intensität des Umstandsmoments können für die Verwirklichung des Zeitmoments ggf. sogar bereits etwas mehr als 2,5 Monate ausreichen16. Die entscheidende Bedeutung bei der Anerkennung der Verwirkung hat deshalb das Umstandsmoment.
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BAG v. 22.6.2011 – 8 AZR 752/09, NZA-RR 2012, 507 Rz. 33. BAG v. 9.12.2010 – 8 AZR 614/08 Rz. 24 n.v. BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, NZA 2014, 610 Rz. 32. BAG v. 21.1.2010 – 8 AZR 63/08 Rz. 21 n.v. BAG v. 9.12.2010 – 8 AZR 592/08 Rz. 20 n.v. BAG v. 21.1.2010 – 8 AZR 977/07 Rz. 31 n.v. BAG v. 20.5.2010 – 8 AZR 872/08 Rz. 30 n.v. BAG v. 12.11.2009 – 8 AZR 530/07, NZA 2010, 761 Rz. 28. BAG v. 12.11.2009 – 8 AZR 718/07 Rz. 28 n.v. BAG v. 22.4.2010 – 8 AZR 871/07 Rz. 31 n.v.; BAG v. 2.4.2009 – 8 AZR 473/07 Rz. 24 n.v.; Thüringer LAG v. 27.3.2014 – 2 Sa 412/12 Rz. 34 n.v. („in der Regel“). BAG v. 22.4.2010 – 8 AZR 872/07 Rz. 35 n.v. BAG v. 20.5.2010 – 8 AZR 585/08 Rz. 33 n.v.; BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 431/06, NZA 2007, 793 Rz. 45. BAG v. 24.2.2011 – 8 AZR 935/08 Rz. 28 n.v.; BAG v. 24.2.2011 – 8 AZR 699/09 Rz. 29 n.v.; Thüringer LAG v. 27.3.2014 – 2 Sa 412/12 Rz. 34 n.v. („in der Regel“). BAG v. 22.4.2010 – 8 AZR 805/07 Rz. 32 n.v.; BAG v. 2.4.2009 – 8 AZR 220/07 Rz. 28 n.v. BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, NZA 2014, 774 Rz. 29. BAG v. 24.7.2008 – 8 AZR 205/07, NZA 2008, 1294 Rz. 36.
446 | Gaul/B. Otto
Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.217 § 11
3. Umstandsmoment Das für die Verwirkung weiterhin erforderliche Umstandsmoment ist nach dem (bisherigen) Verständnis des BAG jedenfalls dann erfüllt, wenn der Arbeitnehmer vor Erklärung des Widerrufs „über sein Arbeitsverhältnis disponiert“ hat1. Folgt man dieser formalen Kennzeichnung des Umstandsmoments, kann eine derartige, das Umstandsmoment der Verwirkung begründende Disposition darin liegen, dass der Arbeitnehmer nach dem Betriebs(teil-)übergang und vor Erklärung des Widerspruchs – eine von dem Betriebserwerber erklärte Kündigung „nicht angegriffen“2 oder „hingenommen“ hat3, wobei „Hinnehmen“ nicht gleichbedeutend mit dem Nichterheben einer Kündigungsschutzsklage ist4. Soweit der Arbeitnehmer die Kündigung nicht im Klagewege angreifen will, muss er, wenn er verwirkungsbegründende Umstandsmomente vermeiden will, auf andere Weise zum Ausdruck bringen, dass er die Kündigung nicht akzeptiert, etwa durch die Ankündigung, dem Übergang des Arbeitsverhältnisses noch widersprechen zu wollen. Ob dies „unverzüglich“ (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) oder innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu geschehen hat, hat das BAG bislang offengelassen5. – einen Aufhebungsvertrag mit dem Betriebserwerber geschlossen hat6. – einen Abwicklungsvertrag mit dem Betriebserwerber geschlossen hat7. – eine Eigenkündigung ausgesprochen hat8. – das Arbeitsverhältnis mit dem Betriebserwerber im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs beendet. Dies gilt auch dann, wenn der Vergleich widerruflich abgeschlossen wurde, der Arbeitnehmer den Widerruf jedoch nicht erklärt oder in die Wege leitet9. – auf eine im Anschluss an eine Kündigung gemachte Abfindungszusage des Betriebserwerbers nicht mit einem Widerspruch reagiert hat10. – eine Klage auf Feststellung des Bestands eines Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebserwerber erhoben und dieses Verfahren durch einen gerichtlichen Vergleich beendet hat, wonach sich der Arbeitnehmer und der beklagte (vermeintliche) Betriebserwerber auf das Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebserwerber verständigen und der beklagte Betriebserwerber dem Arbeitnehmer im Gegenzug die Zahlung eines nicht näher deklarierten Geldbetrags zusagt11. Dies gilt selbst dann, wenn sich der Arbeitneh-
1 BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, NZA 2014, 774 Rz. 31; BAG v. 12.11.2009 – 8 AZR 530/07, NZA 2010, 761 Rz. 29. 2 BAG v. 24.2.2011 – 8 AZR 699/09 Rz. 30 n.v.; BAG v. 9.12.2010 – 8 AZR 592/08 Rz. 22 n.v. 3 BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, NZA 2014, 774 Rz. 31; BAG v. 12.11.2009 – 8 AZR 530/07, NZA 2010, 761 Rz. 31. 4 BAG v. 24.2.2011 – 8 AZR 885/08 Rz. 35 n.v.; LAG Düsseldorf v. 2.11.2012 – 7 Sa 677/11 Rz. 114 n.v. 5 BAG v. 22.6.2011 – 8 AZR 752/09, NZA-RR 2012, 507 Rz. 38. 6 BAG v. 9.12.2010 – 8 AZR 614/08 Rz. 28 n.v.; BAG v. 20.5.2010 – 8 AZR 585/08 Rz. 35 f. n.v.; BAG v. 27.11.2008 – 8 AZR 174/07, NZA 2009, 552 Rz. 33. 7 LAG Düsseldorf v. 27.5.2009 – 7 Sa 726/08 Rz. 49 n.v. 8 BAG v. 12.11.2009 – 8 AZR 718/07 Rz. 29 n.v. 9 BAG v. 24.2.2011 – 8 AZR 699/09 Rz. 30 n.v. 10 BAG v. 12.11.2009 – 8 AZR 530/07, NZA 2010, 761 Rz. 31. 11 BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, NZA 2014, 774 Rz. 32.
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11.217
§ 11 Rz. 11.217 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
mer in dem Vergleich den Widerspruch gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber ausdrücklich vorbehält. – Rechte gegen den Betriebserwerber einklagt, die gerade einen wirksamen Betriebs(teil-) übergang voraussetzen, z.B. Geltendmachung von Differenzlohnzahlungen nach dem Tarifvertrag des bisherigen Arbeitgebers unter Berufung auf § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB1. – durch seinen Rechtsanwalt im Gütetermin erklären lässt, dass er dem Betriebsübergang nicht widersprochen habe2. – mit dem Betriebserwerber einen Aufhebungsvertrag sowie mit einem dritten Arbeitgeber (z.B. einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft) einen neuen Arbeitsvertrag abschließt3. Nichts anderes gilt, wenn beide Vereinbarungen in einem Dokument (dreiseitiger Vertrag) gebündelt sind. Von einem verwirkungsbegründenden Umstandsmoment ist hier insbesondere dann auszugehen, wenn von dem Betriebserwerber eine Abfindung gezahlt wird, die den gesamten Bestand des Arbeitsverhältnisses, d.h. auch die Zeit beim Betriebsveräußerer, berücksichtigt4. – das Arbeitsverhältnis durch Vereinbarung mit dem Betriebserwerber auf eine völlig neue rechtliche Grundlage stellt, z.B. durch die Begründung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses5 oder den Abschluss eines grundlegend neuen Arbeitsvertrags, durch den nach § 613a BGB weitergeltende Rechte explizit abgelöst werden sollen6. – trotz jahrelangen Streits um die Weitergeltung einer Tarifdynamik Ansprüche auf eine Erhöhung des Tariflohns ausschließlich gegenüber dem Betriebserwerber geltend macht und dabei den Weg der Konkfliktbereinigung, durch Erklärung eines Widerspruchs gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnssiss die beiderseitige Taribindung wiederherzustellen, ausspart7. – zunächst für einen längeren Zeitraum8 keinen Widerspruch erhebt, obwohl er bereits vor dem Betriebsübergang durch Schreiben seines Rechtsanwalts die Unvollständigkeit der Unterrichtung gerügt hat9.
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Thüringer LAG v. 10.4.2014 – 3 Sa 307/13 Rz. 31 f. n.v. BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 431/06, NZA 2007, 793 Rz. 45. BAG v. 12.11.2009 – 8 AZR 530/07, NZA 2010, 761 Rz. 29. BAG v. 18.3.2010 – 8 AZR 840/08, NZA-RR 2011, 280 Rz. 36. BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, NZA 2014, 774 Rz. 32; BAG v. 21.1.2010 – 8 AZR 870/07 Rz. 33 f. n.v.; LAG Düsseldorf v. 14.10.2015 – 1 Sa 733/15 Rz. 66 n.v. Thüringer LAG v. 27.3.2014 – 2 Sa 277/12 Rz. 34 n.v.; Hessisches LAG v. 1.10.2013 – 13 Sa 274/13 Rz. 47 n.v.; nach Auffassung des LAG Schleswig-Holstein v. 5.12.2013 – 5 Sa 266/13, Rz. 53 f. n.v. kann auch eine Änderungsvereinbarung, durch die lediglich eine Höhergruppierung bestätigt wird, nach außen dokumentieren, dass der Arbeitnehmer den Betriebserwerber als seinen neuen Arbeitgeber akzeptiert, wenn das Zeitmoment „in besonders krasser Weise“ (hier mehr als 6,5 Jahre) erfüllt ist. BAG v. 15.3.2012 – 8 AZR 700/10, NZA 2012, 1097 Rz. 37 f. Im konkreten Fall vier Monate (vgl. BAG v. 22.6.2011 – 8 AZR 752/09, NZA-RR 2012, 507 Rz. 38). BAG v. 22.6.2011 – 8 AZR 752/09, NZA-RR 2012, 507 Rz. 38; BAG v. 27.11.2008 – 8 AZR 174/07, NZA 2009, 552 Rz. 33; z.T. abw. BAG v. 24.7.2008 – 8 AZR 755/07, NZA-RR 2009, 294 Rz. 45, das aus dem anwaltlichen Hinweis, der Arbeitnehmer betrachte sich bislang nicht ordnungsgemäß unterrichtet und werde nach Erhalt einer vollständigen Unterrichtung über einen etwaigen Widerspruch entscheiden, ableitet, der Arbeitgeber habe mit einem Widerspruch rechnen müssen.
448 | Gaul/B. Otto
Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.218 § 11
– zunächst für einen längeren Zeitraum1 keinen Widerspruch erklärt, obwohl der Betriebswerber den Arbeitnehmer schriftlich über seine wirtschaftliche Existenzbedrohung, die Bestellung eines Liquitdators und die geplante Betriebsstilllegung informiert hat2. – den bisherigen Arbeitgeber durch Schreiben seines Rechtsanwalts (Fachanwalt für Arbeitsrecht) wegen Zahlung einer Sozialplanabfindung unter ausdrücklichem Hinweis auf die Nachhaftung nach § 613a Abs. 2 Satz 1 BGB sowie die Bekräftigung in Anspruch nimmt, dass das Arbeitsverhältnis gemäß § 613a BGB auf den Betriebserwerber übergegangen sei3. Demgegenüber genügt es nach den bisherigen Feststellungen der Rechtsprechung für die Verwirklichung des Umstandsmoments für sich genommen, d.h. ohne Hinzutreten weiterer Umstände, nicht, dass der Arbeitnehmer im Anschluss an einen Betriebs(teil-)übergang und vor Erklärung des Widerspruchs – seinen Arbeitsvertrag mit dem Betriebserwerber „im Rahmen des Üblichen“, d.h. ohne „grundlegende Änderungen des rechtlichen Bestandes des Arbeitsverhältnisses“, anpasst (z.B. redaktionelle Ergänzungen, Zuordnung zu einer neuen Kostenstelle des Betriebserwerbers, vertragliche Neugestaltung der Tätigkeit mit veränderter Funktionsbezeichnung, Änderung einzelner Arbeitsbedingungen wie Art und Umfang der zu erbringenden Arbeitsleistung oder Höhe der Arbeitsvergütung)4. Zu derartigen unerheblichen Vertragsänderungen zählen auch Anpassungen der Arbeitsbedingungen, die sich infolge einer Änderung von kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme anwendbaren Tarifverträgen ergeben5. – sein Widerspruchsrecht nicht zeitnah nach Veröffentlichung oder Kenntnis von einer arbeitsgerichtlichen Entscheidung ausübt, welche die Nichtkonformität des Unterrichtungsschreibens mit den Vorgaben des § 613a Abs. 5 BGB rechtskräftig feststellt6. – nach längerer Arbeitsunfähigkeit seine Wiederherstellung gegenüber dem Betriebserwerber anzeigt7. – gegenüber dem Betriebserwerber einen Dienstwagen beantragt8. – über seinen Arzt Wiedereingliederungsmaßnahmen gegenüber dem Betriebserwerber beantragen lässt9. – sich gegenüber seinen ehemaligen, bei dem Betriebserwerber verbleibenden Kollegen per E-Mail anlässlich der Aufnahme einer Tätigkeit bei einem anderen Unternehmen verabschiedet10.
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Im konkreten Fall vier Monate (vgl. BAG v. 22.6.2011 – 8 AZR 752/09, NZA-RR 2012, 507 Rz. 38). BAG v. 22.6.2011 – 8 AZR 752/09, NZA-RR 2012, 507 Rz. 38. BAG v. 24.7.2008 – 8 AZR 205/07, NZA 2008, 1294 Rz. 29 f. BAG v. 15.3.2012 – 8 AZR 700/10, NZA 2012, 1097 Rz. 36; BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 Rz. 50; LAG Sachsen-Anhalt v. 1.9.2015 – 6 Sa 221/14 Rz. 80 n.v.; Sächsisches LAG v. 16.5.2014 – 3 Sa 9/14 Rz. 68 n.v.; LAG Berlin-Brandenburg v. 14.6.2012 – 25 Sa 657/12 Rz. 89 n.v. BAG v. 24.8.2017 – 8 AZR 265/16, NZA 2018, 168 Rz. 47. BAG v. 24.8.2017 – 8 AZR 265/16, NZA 2018, 168 Rz. 39. BAG v. 15.3.2012 – 8 AZR 700/10, NZA 2012, 1097 Rz. 36. BAG v. 15.3.2012 – 8 AZR 700/10, NZA 2012, 1097 Rz. 36. BAG v. 15.3.2012 – 8 AZR 700/10, NZA 2012, 1097 Rz. 36. BAG v. 24.7.2008 – 8 AZR 202/07 Rz. 45 n.v.
Gaul/B. Otto | 449
11.218
§ 11 Rz. 11.218 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
– Kündigungsschutzklage gegen eine ihm gegenüber durch den Betriebserwerber ausgesprochene Beendigungskündigung1 oder Änderungskündigung2 erhebt. – gegen den potenziellen Betriebserwerber Klage auf Feststellung erhebt, dass auf sein Arbeitsverhältnis aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklausel weiterhin die bei dem Betriebsveräußerer geltenden Tarifverträge Anwendung finden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es dem Arbeitnehmer offenkundig um die Sicherung bisheriger Vertragsbedingungen im Arbeitsverhältnis geht3. – gegen eine ihm gegenüber durch den Betriebserwerber ausgesprochene Kündigung zwar keine Kündigungsschutzklage erhebt, den Widerspurch sodann aber innerhalb der DreiWochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG erklärt4. – trotz eines in Bezug auf das Erwerberunternehmen gestellten Insolvenzantrags nicht unmittelbar sein Widerspruchsrecht ausübt5. – in dem Fall, dass dem ersten Betriebs(teil-)übergang ein weiterer Betriebs(teil-)übergang („Zweit-Betriebsübergang“) folgt, zunächst dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Zweiterwerber und erst später dem Übergang auf den Ersterwerber widerspricht (vgl. zu den Voraussetzungen des Erlöschens des Widerspruchsrechts bei Kettenbetriebsübergängen Rz. 11.233)6.
11.219
Derartige Umstände sollen nach der bisherigen Rechtsprechung selbst dann nicht zu einer Verwirkung führen, wenn bereits eine Vielzahl anderer Arbeitnehmer dem Übergang des Arbeitsverhältnisses nach Ablauf der Monatsfrist wirksam widersprochen hat und dies dem Betroffenen auch bekannt ist. Selbst eine potenzielle „Lawine“ an Widersprüchen anderer Arbeitnehmer führt für sich genommen nicht zu einer Verwirkung des Widerspruchsrechts einzelner Mitarbeiter7.
11.220
Zu Recht hat das BAG diese außerordentlich strenge Sichtweise aber noch einmal in Frage gestellt und deutlich gemacht, dass auch die bloße Weiterarbeit beim übernehmenden Rechtsträger die Verwirkung des Widerspruchsrechts zur Folge haben kann. Voraussetzung ist allerdings, dass der Arbeitnehmer „grundlegende Informationen“ erhalten hat, also über den mit dem Betriebsübergang verbundenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses, den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt, den Gegenstand des Betriebs(teil-)übergangs und den Betriebsübernehmer unterrichtet worden ist8. Unter diesen Voraussetzungen verwirkt er das Recht zum Widerspruch, wenn er seine Arbeitsleistung beim übernehmenden Rechtsträger mindestens sieben Jahre erbracht hat. Fristbeginn ist insoweit der Zeitpunkt des Betriebsüber-
1 BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, NZA 2014, 610 Rz. 32; BAG v. 2.4.2009 – 8 AZR 262/07, NZA 2009, 1149 Rz. 23; LAG Düsseldorf v. 14.10.2015 – 1 Sa 733/15 Rz. 66 n.v. 2 LAG Niedersachsen v. 8.7.2014 – 9 Sa 184/14 Rz. 32 f. n.v. 3 BAG v. 11.12.2014 – 8 AZR 943/13, NZA 2015, 481 Rz. 21. 4 BAG v. 24.2.2011 – 8 AZR 885/08 Rz. 36 n.v.; BAG v. 9.12.2010 – 8 AZR 152/08 Rz. 21 f. n.v. 5 BAG v. 27.11.2008 – 8 AZR 1021/06 Rz. 38 n.v.; BAG v. 24.7.2008 – 8 AZR 755/07, NZA-RR 2009, 294 Rz. 44. 6 BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 18/10, NZA 2011, 1448 Rz. 36. 7 BAG v. 24.8.2017 – 8 AZR 265/16, NZA 2018, 168 Rz. 49. 8 BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279 Rz. 81; BAG v. 28.6.2018 – 8 AZR 100/17 Rz. 20, 24, 28 n.v.; BAG v. 24.8.2017 – 8 AZR 265/16, NZA 2018, 168 Rz. 25.
450 | Gaul/B. Otto
Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.223 § 11
gangs oder – soweit die grundlegende Information erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt – der Zeitpunkt des Zugangs dieser Unterrichtung1. Dieser offenen Sichtweise, die zu einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung führt, ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Insofern wird man auch das formale Erfordernis einer Disposition des Arbeitnehmers über das Arbeitsverhältnis als Voraussetzung des Umstandsmoments ablehnen müssen. Es berücksichtigt nicht, dass die Anerkennung einer rechtsmissbräuchlichen Verhaltensweise im Anwendungsbereich von § 242 BGB nicht an ein bestimmtes Verhalten oder gar einen Katalog umstandsrelevanter Tatsachen geknüpft ist. Vielmehr ist einzelfallbezogen festzustellen, ob das individuelle Verhalten des Gläubigers bei dem Schuldner das berechtigte Vertrauen hat entstehen lassen, dass der Anspruch nicht mehr geltend gemacht wird. Dabei ist – entsprechend dem Gedanken der „korrespondierenden Röhren“ auch zu berücksichtigen, dass das Vertrauen in die Nichtausübung des Widerspruchsrechts mit zunehmender Zeit auch dadurch begründet werden kann, dass durch den Arbeitnehmer in Kenntnis des vorangehenden Betriebsübergangs Rechte und Pflichten gegenüber dem Erwerber geltend gemacht werden. Das entspricht den früheren Überlegungen des BAG zu einem „Erlöschen“ des Widerspruchsrechts, wenn nach einer rudimentären Unterrichtung über einen bevorstehenden Betriebsübergang mehr als einen Monat kein Widerspruch gegen einen Übergang des Arbeitsverhältnisses im Rahmen eines vorangehenden Betriebs(teil-)übergangs erklärt wird. Denn eine solche Inanspruchnahme des Erwerbers aus dem übergegangenen Arbeitsverhältnis ist mit der offenen Anerkennung dieses Arbeitsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und dem Erwerber verknüpft. Wiederholt sich diese Anerkennung über einen längeren Zeitraum, beispielsweise durch die Geltendmachung von Zahlungsansprüchen, die Inanspruchnahme von Elternzeit, durch Vereinbarungen über die Änderung einzelner Arbeitsbedingungen, durch Auseinandersetzungen über den Umfang des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts, eine Beförderung oder die Versetzung an einen anderen Ort, ist auch dies bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Richtigerweise wird man dieses „Erlöschen“ aber den Überlegungen zur Verwirkung und den zu § 242 BGB entwickelten Kriterien zuordnen müssen, anstatt hierfür einen neuen Tatbestand zu begründen, dessen eigenständige Bewertung dogmatischen Zweifeln unterworfen ist.
11.221
4. Darlegungs- und Beweislast Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen der Voraussetzungen der rechtsvernichtenden Einwendung der Verwirkung ist nach den allgemeinen Regeln der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast derjenige, der den Einwand des Rechtsmissbrauchs geltend macht2, d.h. regelmäßig der bzw. die beteiligten Arbeitgeber. Da sich die verwirkungsrelevanten Tatsachen typischerweise in der Sphäre des Betriebserwerbers zutragen, ist es aus Sicht des Veräußerers regelmäßig sinnvoll, sich von dem Betriebserwerber vor dem Betriebs(teil-)übergang Auskunftsansprüche einräumen zu lassen, auf deren Grundlage er später von etwaigen verwirkungsbegründenden Sachverhalten erfahren kann.
11.222
Ausnahmesweise kann die Berufung des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer habe sein Widerspruchsrecht verwirkt, ihrerseits gegen Treu und Glauben verstoßen und damit unzulässig sein. Dies ist denkbar, wenn der Widerspruchsadressat das Umstandsmoment (z.B. den Abschluss eines Aufhebungsvertrags oder eines gerichtlichen Vergleichs) selbst unter Verstoß ge-
11.223
1 BAG v. 28.6.2018 – 8 AZR 100/17 Rz. 29 n.v. 2 BAG v. 17.6.2014 – 3 AZR 412/13, NZA 2015, 704 Rz. 46.
Gaul/B. Otto | 451
§ 11 Rz. 11.223 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
gen § 242 BGB herbeigeführt hat (z.B. weil die handelnden Arbeitgebervertreter bei Abschluss des Aufhebungsvertrags gewusst haben, dass der Arbeitgeber wegen drohender Insolvenz die sich aus dem Aufhebungsvertrag ergebenden Verpflichtungen nicht mehr erfüllen kann). Für das Vorliegen eines solchen Verstoßes trägt grundsätzlich der Arbeitnehmer die Darlegungsund Beweislast1.
IX. Kollektive Ausübung des Widerspruchs 11.224
Als individuelles Gestaltungsrecht2 obliegt die Ausübung des Widerspruchsrechts dem Arbeitnehmer. Der Betriebsrat oder eine Gewerkschaft können das Widerspruchsrecht, soweit nicht eine individuelle Stellvertretung vorliegt, nicht anstelle oder für die Belegschaft des von dem Übergang erfassten Betriebs(teils) wahrnehmen. Dementsprechend müssen sich einzelne Arbeitnehmer etwaige Erklärungen des Betriebsrats oder sonstiger Arbeitnehmervertreter, die auf eine Ablehnung des Betriebs(teil-)übergangs bzw. der Arbeitsverhältnisse gerichtet sind, weder als eigenen Widerspruch zurechnen lassen noch können derartige Aussagen, selbst wenn der entsprechende Protest der Arbeitnehmervertreter schriftlich erklärt wird, als Widerspruch eines Arbeitnehmers gemäß § 613a Abs. 6 BGB qualifiziert werden. Die Ausübung des Widerspruchsrechts steht nicht zur Disposition durch den Betriebsrat. Insofern kann durch Betriebsvereinbarung auch kein Verfahren zur Ausübung des Widerspruchsrechts bestimmt werden.
11.225
Dennoch aber kann die von einem Betriebs(teil-)übergang betroffene Gruppe von Arbeitnehmern auch gleichzeitig bzw. abgestimmt von ihrem individuellen Widerspruchsrecht Gebrauch machen3. Auch für einen derartigen kollektiven Widerspruch ist ein sachlicher Grund nicht erforderlich4. Ebenso wenig finden auf einen gemeinschaftlich erklärten Widerspruch die Grundsätze des Arbeitskampfrechts Anwendung. Nach Auffassung des BAG erhält der Widerspruch trotz der ggf. entstehenden Drucksituation auf Seiten des Betriebsveräußerers noch keinen Arbeitskampfcharakter dadurch, dass mehrere oder alle Arbeitnehmer hiervon Gebrauch machen. Denn er ist nicht auf die Veränderung von Arbeitsbedingungen oder die Abwehr einer arbeitgeberseitigen Maßnahme ausgerichtet, sondern bezweckt lediglich die Verhinderung der Auswechslung des Arbeitgebers und die Erhaltung des Status quo5.
11.226
Auch kann in einer gemeinschaftlichen, d.h. durch eine Mehrheit von Arbeitnehmern erfolgenden Ausübung des Widerspruchsrechts grundsätzlich noch kein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gesehen werden6.
11.227
Zwar unterliegt das Widerspruchsrecht den allgemeinen Schranken der Rechtsmissbrauchskontrolle (§ 242 BGB). Danach kann der Widerspruch dann missbräuchlich sein, wenn ihm kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegt, er als Vorwand für die Erreichung vertragsfremder oder unlauterer Zwecke dient oder nur den Zweck hat, einem anderen Schaden
1 BAG v. 11.11.2010 – 8 AZR 185/09 Rz. 39 f. n.v.; BAG v. 25.2.2010 – 8 AZR 740/08 Rz. 41 n.v. 2 BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279 Rz. 42; BAG v. 28.6.2018 – 8 AZR 100/17 Rz. 15 n.v.; BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 32; BAG v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, NZA 2005, 43 Rz. 39. 3 BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, NZA 2011, 400 Rz. 95. 4 BAG v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, NZA 2005, 43 Rz. 28. 5 BAG v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, NZA 2005, 43 Rz. 40. 6 BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 541/08 Rz. 44 n.v.; BAG v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, NZA 2005, 43 Rz. 29 ff.
452 | Gaul/B. Otto
Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.230 § 11
zuzufügen (§ 226 BGB)1. Dies kommt in Betracht, wenn die kollektive Ausübung des Widerspruchsrechts (allein) dazu eingesetzt wird, andere Ziele als die Sicherung der arbeitsvertraglichen Rechte und die Beibehaltung des bisherigen Arbeitgebers herbeizuführen, beispielsweise weil der Widerspruch schwerpunktmäßig von der Motivation getragen ist, den Betriebs (teil-)übergang als solchen zu verhindern oder aber Vergünstigungen zu erzielen, auf die der Arbeitnehmer keinen Rechtsanspruch hat2. Dem Umstand, dass die jeweiligen Widersprüche einem im Internet veröffentlichten Musterschreiben der Gewerkschaft nachgebildet sind, lässt sich ein rechtsmissbräuchliches Verhalten deshalb noch nicht entnehmen3. Ebenso wenig reicht die Tatsache, dass die Arbeitnehmer ihren Widerspruch nach der Teilnahme an einer Informationsveranstaltung der Gewerkschaft gleichlautend formuliert und die Widerspruchsschreiben gesammelt und sodann gebündelt in der Personalabteilung abgegeben haben, für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Vereitelungsabsicht aus4. Soweit die Rechtsprechung in einer Beschlussfassung der Arbeitnehmer, dem Betriebs(teil-)übergang mit dem (alleinigen bzw. überwiegenden) Ziel der Verhinderung desselben zu widersprechen, ein Indiz für Rechtsmissbrauch sieht5, kann eine dahingehende Intention der Arbeitnehmer bzw. eine entsprechende Steuerung durch die Arbeitnehmervertreter (z.B. Betriebsrat, Gewerkschaft) in der Praxis gleichwohl regelmäßig nicht bewiesen werden. Denn die Darlegungs- und Beweislast für einen etwaigen Rechtsmissbrauch liegt bei dem Arbeitgeber, der sich auf das rechtsmissbräuchliche Verhalten beruft6. Die Tatsache, dass mehrere Arbeitnehmer parallel und abgestimmt von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch machen, gilt nicht als Beweis des ersten Anscheins für einen Rechtsmissbrauch. Auch der bloße Vortrag des Arbeitgebers, die Arbeitnehmer hätten den kollektiven Widerspruch mit dem Ziel beschlossen, den Betriebs(teil-)übergang zu verhindern, ist ohne zusätzliche Angaben der näheren Umstände und des konkreten Inhalts der behaupteten Entschließung nach dem Verständnis der Rechtsprechung „unsubstantiiert“ und verpflichtet die Tatsachengerichte nicht zur Anhörung eines arbeitgeberseitig zum Beweis seiner Behauptung benannten Zeugen7.
11.228
Insofern stellt der kollektive Widerspruch ein Instrumentarium für die Arbeitnehmer dar, einen Betriebs(teil-)übergang – auch bei betriebsmittelintensiven Aufgaben – wirtschaftlich unsinnig zu machen und damit de facto oder – in den Fällen der Übertragung einer betriebsmittelarmen Tätigkeit – sogar tatsächlich zu verhindern (vgl. Rz. 4.27). Denn für die beteiligten Rechtsträger kann der Übertragungsvorgang seinen Sinn verlieren, weil dem potenziellen Erwerber eine Fortsetzung der Geschäftstätigkeit ohne die dem Betrieb(steil) zugeordneten Arbeitnehmer nicht mehr möglich ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn hierfür Know-howKräfte erforderlich sind, die sich dem kollektiven Widerspruch angeschlossen haben.
11.229
Dass kollektive Widersprüche in der Praxis gleichwohl vergleichsweise selten stattfinden, dürfte daran liegen, dass ein wirksamer (kollektiver) Widerspruch auch für die Arbeitnehmer mit
11.230
1 BAG v. 19.2.2009 – 8 AZR 176/08, NZA 2009, 1095 Rz. 28; BAG v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, NZA 2005, 43 Rz. 43; Sächsisches LAG v. 10.1.2008 – 8 Sa 181/07 Rz. 45 n.v. 2 BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 541/08 Rz. 44 n.v.; BAG v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, NZA 2005, 43 Rz. 43; LAG München v. 6.5.2009 – 11 Sa 499/08 Rz. 100 n.v. 3 BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 541/08 Rz. 45 n.v. 4 BAG v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, NZA 2005, 43 Rz. 46. 5 BAG v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, NZA 2005, 43 Rz. 46. 6 BAG v. 17.6.2014 – 3 AZR 412/13, NZA 2015, 704 Rz. 46; BAG v. 19.2.2009 – 8 AZR 176/08, NZA 2009, 1095 Rz. 36; BAG v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, NZA 2005, 43 Rz. 44. 7 BAG v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, NZA 2005, 43 Rz. 46.
Gaul/B. Otto | 453
§ 11 Rz. 11.230 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
einem hohen Risiko verbunden ist. Schließlich bewirkt der Widerspruch nicht nur den an sich intendierten Verlust des Anspruchs auf Weiterbeschäftigung beim übernehmenden Rechtsträger. Dass der bisherige Arbeitgeber den zur Übertragung auf den Erwerber vorgesehenen Betrieb(steil) im Anschluss an den kollektiven Widerspruch selbst fortführt, ist gleichwohl nicht gewährleistet. Ein späteres Angebot des Arbeitnehmers, dann doch noch zum potenziellen Erwerber zu wechseln, kann von diesem ohne Rücksicht auf § 613a BGB abgelehnt werden. Darüber hinaus kann der Widerspruch die betriebsbedingte Kündigung durch den bisherigen Arbeitgeber zur Folge haben. In den Fällen der Übertragung des gesamten Betriebs riskiert der Arbeitnehmer dabei oftmals den Verlust des gesetzlichen Kündigungsschutzes nach dem KSchG (vgl. Rz. 17.176 ff.). Ein Ausgleich wegen dieser Kündigungen wird nur dann geschaffen, wenn bei dem übertragenden Rechtsträger ein Sozialplan besteht, der auch für den Fall solcher Kündigungen nach Widerspruch Abfindungen vorsieht (vgl. Rz. 25.333). Soweit entsprechende Vereinbarungen nicht bereits vor dem Betriebs(teil-)übergang abgeschlossen wurden, ist der Versuch eines Interessenausgleichs und der Abschluss eines Sozialplans allein aufgrund der im Anschluss an einen Widerspruch erfolgenden Entlassungen nur erforderlich bzw. erzwingbar, wenn die Zahl der Entlassungen die Schwellenwerte von § 17 Abs. 1 KSchG (Interessenausgleich), § 112a BetrVG (Sozialplan) übersteigt (vgl. Rz. 25.112 ff.) und der Arbeitnehmer – was bei einem Übergang des gesamten Betriebs häufig nicht der Fall sein wird1 – nach dem Widerspruch einem Betrieb zugeordnet wird, für den (noch) ein Betriebsrat besteht (vgl. Rz. 11.94).
X. Besonderheiten bei Kettenbetriebsübergängen 11.231
Soweit das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers bereits in der Vergangenheit von einem Betriebs(teil-)übergang erfasst gewesen ist und es später zu einem weiteren Betriebs(teil-)übergang kommt („Kettenbetriebsübergang“2), kann die Ausübung des Widerspruchsrechts nach der Rechtsprechung auch in Form eines „Kettenwiderspruchs“ mit dem Ziel erfolgen, dass das Arbeitsverhältnis bei dem ursprünglichen Arbeitgeber verbleibt (vgl. Rz. 11.242). Voraussetzung hierfür ist allerdings nicht nur, dass der Widerspruch gegenüber dem richtigen Adressaten erklärt wird. Andernfalls geht der Widerspruch „ins Leere“ und ist bereits aus diesem Grund unbeachtlich. Darüber hinaus darf bei ordnungsgemäßer Unterrichtung die Ein-Monats-Frist für die Ausübung des Widerspruchsrechts noch nicht abgelaufen oder bei fehlender oder fehlerhafter Unterrichtung das Widerspruchsrecht weder verwirkt noch – wenn man insoweit der Rechtsprechung des BAG folgt – erloschen sein (vgl. Rz. 11.209, 11.233).
1. Widerspruchsrecht hinsichtlich des zuletzt erfolgten Betriebs(teil-)übergangs 11.232
Die Frage, ob und wie lange das hinsichtlich des zuletzt erfolgten Betriebs(teil-)übergangs bestehende Recht, dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den neuen Inhaber zu widersprechen, besteht, beantwortet sich nach den vorstehend dargestellten allgemeinen Grundsätzen, d.h. es hängt insbesondere von dem Erhalt einer ordnungsgemäßen Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 5 BGB und – bei deren Fehlen – von einer etwaigen Verwirkung des Widerspruchsrechts ab3.
1 Vgl. zu § 102 BetrVG BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 61; BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12, NZA 2015, 889 Rz. 41. 2 Vgl. BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 619/13, NZA 2014, 1405 Rz. 29. 3 BAG v. 21.4.2016 – 8 AZR 728/14 Rz. 41 n.v.
454 | Gaul/B. Otto
Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.235 § 11
2. Widerspruchsrecht hinsichtlich des vorangegangenen Betriebs(teil-)übergangs Demgegenüber geht die Rechtsprechung in Bezug auf den dem letzten Betriebs(teil-)übergang vorangegangenen Betriebs(teil-)übergang davon aus, dass das sich hieraus an sich ergebende Widerspruchsrecht erlischt, wenn
11.233
– der Arbeitnehmer im Rahmen der Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB von den dort genannten Personen, d.h. dem bisherigen oder dem neuen Inhaber, über die sogenannten „grundlegenden Informationen“, d.h. über – den mit dem letzten und dem vorangegangenen Betriebs(teil-)übergang verbundenen jeweiligen Übergang seines Arbeitsverhältnisses, – den Zeitpunkt oder geplanten Zeitpunkt, – den Gegenstand des Betriebs(teil-)übergangs und – den Betriebsübernehmer, – in Textform in Kenntnis gesetzt worden ist, – der Arbeitnehmer dem infolge des vorangegangenen Betriebs(teil-)übergangs eingetretenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht binnen einer Frist von einem Monat nach Zugang der Unterrichtung über den infolge des weiteren Betriebsübergangs eintretenden Übergang des Arbeitsverhältnisses widerspricht und – diese Monatsfrist ihrerseits noch vor dem weiteren Betriebsübergang abläuft1. Diese richterrechtlich entwickelte Möglichkeit eines „Erlöschens“ des Widerspruchsrechts gilt unabhängig davon, ob die Unterrichtung über den an den weiteren Betriebs(teil-)übergang geknüpften Übergang des Arbeitsverhältnisses im Übrigen ordnungsgemäß i.S.v. § 613a Abs. 5 BGB ist.
11.234
Auch wenn es unter den vorgenannten Voraussetzungen auf eine etwaige Fehlerhaftigkeit dieser Unterrichtung2 sowie die allgemeinen Verwirkungsvoraussetzungen3 nicht mehr ankommen soll, wird man darin – in dem „Kleid des Erlöschens“ – schlussendlich gleichwohl eine Anwendung der zu § 242 BGB entwickelten Grundsätze des Rechtsmissbrauchs sehen müssen. Überzeugender wäre insoweit allerdings, übergreifend nur von Verwirkung zu sprechen. Das Zeitmoment wird insoweit durch die Zeitspanne zwischen der fehlerhaften Unterrichtung in Bezug auf den früheren Betriebsübergang und den Ablauf der Monatsfrist über die grundlegende Information zu dem erneuten Betriebsübergang erfüllt. Das Umstandsmoment wird dadurch verwirklicht, dass trotz des ausdrücklichen Hinweises auf das Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem aktuellen Arbeitgeber innerhalb eines Monats nach Zugang dieser grundlegenden Information kein Widerspruch gegen den darin erkennbaren Übergang von dem früheren Arbeitgeber auf den aktuellen Arbeitgeber erklärt wird. Es wäre dogmatisch nicht überzeugend, den Untergang des nach § 613a Abs. 6 BGB bestehenden Widerspruchsrechts auf unterschiedlichen Wegen anzuerkennen, obgleich nur § 242 BGB diese Annahme rechtfertigt.
11.235
1 BAG v. 21.4.2016 – 8 AZR 728/14 Rz. 15, 26 n.v.; BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647 Rz. 15, 26. 2 BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647 Rz. 15, 26. 3 BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647 Rz. 47.
Gaul/B. Otto | 455
§ 11 Rz. 11.236 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
3. Maßgeblicher Zeitpunkt des Widerspruchs 11.236
Kommt es nach einem Betriebs(teil-)übergang zu einem weiteren Betriebs(teil-)übergang und wurde der Arbeitnehmer von den in § 613a Abs. 5 BGB genannten Personen im Rahmen einer Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB über die grundlegenden Informationen in Kenntnis gesetzt, gilt somit Folgendes: a) Ablauf der Ein-Monats-Frist vor dem weiteren Betriebs(teil-)übergang und Widerspruch erst nach Fristablauf
11.237
Erfolgte die Information über den mit dem weiteren Betriebs(teil-)übergang eintretenden Übergang des Arbeitsverhältnisses so rechtzeitig, dass die Frist von einem Monat nach Zugang dieser Unterrichtung noch vor dem weiteren Betriebs(teil-)übergang abläuft, „erlischt“ das Recht des Arbeitnehmers zum Widerspruch gegen den infolge des vorangegangenen Betriebs(teil-)übergangs eingetretenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses regelmäßig, wenn der Arbeitnehmer diese Monatsfrist ungenutzt verstreichen lässt1. Der Arbeitnehmer verwirkt durch sein Unterlassen das Recht, nach Ablauf der Widerspruchsfrist für den vorausgegangenen Betriebs(teil-)übergang den Übergang des Arbeitsverhältnisses rückgängig zu machen.
11.238
In einem solchen Fall kann der Arbeitnehmer durch einen späteren Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses vom vormaligen Arbeitgeber auf den Zwischenerwerber den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses mit dem vormaligen Arbeitgeber auch dann nicht mehr herbeiführen, wenn sein Widerspruch gegen den an den weiteren Betriebs(teil-)übergang geknüpften Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den neuen Inhaber erfolgreich ist. Hat der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den neuen Inhaber erfolgreich widersprochen, hat dies nur zur Folge, dass das Arbeitsverhältnis nicht auf den neuen Inhaber übergeht, sondern beim Zwischenerwerber verbleibt. b) Ablauf der Ein-Monats-Frist vor dem weiteren Betriebs(teil-)übergang und Widerspruch vor Fristablauf
11.239
Erfolgte die Information des Arbeitnehmers über den mit dem weiteren Betriebs(teil-)übergang eintretenden Übergang seines Arbeitsverhältnisses so rechtzeitig, dass die Frist von einem Monat nach Zugang dieser Unterrichtung noch vor dem weiteren Betriebs(teil-)übergang abläuft und widerspricht der Arbeitnehmer innerhalb dieser Frist dem infolge des vorangegangenen Betriebs(teil-)übergangs eingetretenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses, ist zunächst die Wirksamkeit dieses Widerspruchs zu klären2.
11.240
Dem Arbeitnehmer bleibt es in einem solchen Fall allerdings unbenommen, auch dem mit dem weiteren Betriebs(teil-)übergang verbundenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den neuen Inhaber für den Fall zu widersprechen, dass sich sein Widerspruch gegen den infolge des vorangegangenen Betriebs(teil-)übergangs eingetretenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses als nicht durchgreifend erweisen sollte. Für den Widerspruch gegen den mit dem letzten Betriebs(teil-)übergang eintretenden Übergang des Arbeitsverhältnisses verbleibt es dabei, dass die in § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB bestimmte Frist nur durch eine ordnungsgemäße Unterrichtung i.S.v. § 613a Abs. 5 BGB in Lauf gesetzt wird.
1 BAG v. 21.4.2016 – 8 AZR 728/14 Rz. 39 n.v. 2 BAG v. 21.4.2016 – 8 AZR 728/14 Rz. 40 n.v.
456 | Gaul/B. Otto
Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.244 § 11
c) Ablauf der Ein-Monats-Frist nach dem weiteren Betriebs(teil-)übergang Läuft die Frist von einem Monat nach Zugang der Unterrichtung über den mit dem weiteren Betriebs(teil-)übergang verbundenen Übergang des Arbeitsverhältnisses erst nach dem weiteren Betriebsübergang ab, ist der Arbeitnehmer zwar nicht gehalten, ein etwa fortbestehendes Recht zum Widerspruch gegen den infolge des vorangegangenen Betriebs(teil-)übergangs eingetretenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses innerhalb der Monatsfrist auszuüben. Will er durch einen Widerspruch aber bewirken, dass der an den vorangegangenen Betriebs(teil-) übergang geknüpfte Arbeitgeberwechsel letztlich nicht stattfindet, verbleibt es dabei, dass er zunächst den Eintritt der Rechtsfolgen verhindern muss, die das Gesetz an den weiteren Betriebs(teil-)übergang knüpft. Das bedeutet, dass er zunächst erfolgreich dem infolge des weiteren Betriebs(teil-)übergangs kraft Gesetzes eintretenden Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den neuen Inhaber widersprechen muss1.
11.241
XI. Rechtsfolgen des Widerspruchs 1. Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit dem bisherigen Arbeitgeber Der ordnungsgemäß und fristgerecht erklärte Widerspruch des Arbeitnehmers bewirkt, dass das Arbeitsverhältnis zum bisherigen Arbeitgeber fortbesteht. Im Sinne einer Rechtsfolgenverweigerung treten die in § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB, § 324 UmwG angeordneten Rechtsfolgen des Betriebs(teil-)übergangs bzw. der Umwandlung für das Arbeitsverhältnis nicht ein2.
11.242
a) Widerspruch vor Betriebs(teil-)übergang Unproblematisch ist dies für den Fall, dass der Widerspruch vor dem Betriebs(teil-)übergang erklärt wurde. Der Arbeitnehmer behält seinen alten Vertragspartner3. Ein Arbeitgeberwechsel findet nicht statt.
11.243
b) Widerspruch nach Betriebs(teil-)übergang Diese Rechtsfolge ergibt sich – ex tunc – auch dann, wenn der Widerspruch erst im Anschluss an das Wirksamwerden des Betriebs(teil-)übergangs bzw. der Umwandlung erklärt wird4. Der Widerspruch wirkt auch in diesem Fall auf den Zeitpunkt des Betriebs(teil-)übergangs zurück. Zwar schreibt § 613a Abs. 6 BGB diese Konsequenz des Widerspruchs nicht ausdrücklich fest. Gleichwohl ergibt sich das entsprechende Ergebnis aus dem Sinn und Zweck des Widerspruchsrechts, dem Arbeitnehmer gegen dessen ausdrücklich erklärten Willen keinen Arbeitgeberwechsel – auch nicht für begrenzte Zeit – aufzuzwingen5. Der Arbeitnehmer wird so
1 BAG v. 21.4.2016 – 8 AZR 728/14 Rz. 42 n.v. 2 BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279 Rz. 42; BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, NZA 2017, 783 Rz. 32; BAG v. 21.4.2016 – 8 AZR 728/14 Rz. 19 n.v.; BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, NZA 2016, 647 Rz. 19; vgl. dazu Moll/Katerndahl, RdA 2017, 324 ff. 3 BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279 Rz. 42; BAG v. 21.4.2016 – 8 AZR 728/14 Rz. 19 n.v. 4 BAG v. 16.4.2013 – 9 AZR 731/11, NZA 2013, 850 Rz. 26; LAG Düsseldorf v. 14.10.2015 – 1 Sa 733/15 Rz. 69 n.v.; ArbG Essen v. 24.6.2015 – 6 Ca 1217/15 Rz. 57 n.v. 5 Vgl. BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815 Rz. 24; BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, NZA 2006, 1268 Rz. 41.
Gaul/B. Otto | 457
11.244
§ 11 Rz. 11.244 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
behandelt, als habe das Arbeitsverhältnis den gesamten Zeitraum über mit dem bisherigen Arbeitgeber fortbestanden1. aa) Rückabwicklung des faktischen Arbeitsverhältnisses
11.245
Grundsätzlich ist daran festzuhalten. Soweit allerdings eine Rückabwicklung des im Anschluss an den Betriebs(teil-)übergang beim übernehmenden Rechtsträger (vorübergehend) bestehenden Arbeitsverhältnisses entsprechend den Grundsätzen zum faktischen Arbeitsverhältnis2 nach Maßgabe von §§ 812 ff. BGB vorgenommen wird3, ergeben sich daraus eine ganze Reihe von Problemen, die in Rechtsprechung und Literatur noch weitgehend ungelöst sind. Beispielhaft sei hier nur auf eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, die Gewährung von Erholungsurlaub, die Entwicklung einer schutzfähigen Erfindung, den Ausspruch einer Abmahnung, die Einweisung in Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des übernehmenden Rechtsträgers4 und/oder eine nach dem Betriebs(teil-)übergang vor Zugang des Widerspruchs erklärte Kündigung durch den neuen Inhaber5 hingewiesen.
11.246
Die beteiligten Rechtsträger sollten deshalb – unter Einbeziehung der Arbeitnehmer – auch die Frage einer Ausübung des Widerspruchsrechts noch vor dem Wirksamwerden des Betriebs(teil-)übergangs durch Vertrag regeln. Üblicherweise geschieht dies durch Abschluss einer dreiseitigen Vereinbarung, mit der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem bisherigen Arbeitgeber und die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem neuen Inhaber festgelegt und damit zugleich auf das Widerspruchsrecht verzichtet wird (vgl. Rz. 11.202). Zusätzlich ist es regelmäßig sinnvoll, wenn Veräußerer und Erwerber sich bereits im Vorfeld darüber verständigen, welcher Rechtsträger die mit einem etwaigen nach dem Betriebs(teil-) übergang erfolgenden Widerspruch verbundenen Kosten (z.B. Entgelt, Kosten etwaiger Freistellungszeiten, Rechtsberatung, etc.) in welchem Umfang tragen soll. Dazu gehört auch, dass etwaige Zahlungen, die wegen des erwarteten Übergangs von Arbeitnehmern erfolgt sind (z.B. Auflösung von Rückstellungen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung, Abfindungen für den Fall der Beendigung von Arbeitsverhältnissen), durch den potenziellen Erwerber nach Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses zurückgezahlt werden. bb) Vertragsänderungen/Kündigungen des Betriebserwerbers vor Widerspruchszugang
11.247
Unabhängig von derartigen vertraglichen Absprachen sind etwaige Zusagen, Vertragsanpassungen, Abmahnungen oder Kündigungen des Betriebserwerbers für das im Anschluss an den Widerspruch (wieder) beim übertragenden Rechtsträger fortbestehende Arbeitsverhältnis regelmäßig unbeachtlich. Sie wirken im Anschluss an einen Widerspruch nicht für
1 LAG Niedersachsen v. 16.9.2014 – 15 Sa 533/14 Rz. 39 n.v. 2 Vgl. dazu BAG v. 27.7.2010 – 3 AZR 317/08, DB 2011, 943 Rz. 24 ff.; ArbG Osnabrück v. 11.3.2015 – 2 Ca 431/14, Rz. 73 f. n.v. 3 LAG Hamm v. 1.3.2013 – 10 Sa 1175/12 Rz. 31 n.v.; LAG Nürnberg v. 9.8.2011 – 6 Sa 230/10 Rz. 53 n.v.; LAG München v. 24.2.2011 – 4 Sa 1056/10 Rz. 26 ff. n.v.; LAG Köln v. 5.10.2007 – 11 Sa 257/ 07, NZA-RR 2008, 5 Rz. 94; LAG Köln v. 11.6.2004 – 12 Sa 374/04, ZIP 2005, 591 Rz. 24 ff.; ArbG Essen v. 24.6.2015 – 6 Ca 1217/15 Rz. 57 n.v. 4 Vgl. D. Gaul, ZfA 1990, 87, 99 ff. 5 Vgl. dazu LAG Düsseldorf v. 14.10.2015 – 1 Sa 733/15 Rz. 70 ff. n.v.; LAG Köln v. 5.10.2007 – 11 Sa 257/07, NZA-RR 2008, 5 Rz. 84; ArbG Essen v. 24.6.2015 – 6 Ca 1223/15 Rz. 57 ff. n.v.
458 | Gaul/B. Otto
Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.249 § 11
bzw. gegen den bisherigen Arbeitgeber. Vielmehr handelt der (vermeintliche) „Betriebserwerber“ aufgrund der Rückwirkung des Widerspruchs als nichtberechtigter Dritter. Eine nachträgliche Genehmigung seiner Erklärungen durch den bisherigen Arbeitgeber gemäß § 177 Abs. 1, § 180 Satz 2, § 184 Abs. 1 BGB kommt grundsätzlich nicht in Betracht1. Denn ohne Kenntnis von einem (rückwirkenden) Widerspruch bzw. ohne Hinweis darauf, dass es dazu kommen könnte, handelt der Betriebserwerber nicht als Vertreter ohne Vertretungsmacht, sondern ausschließlich in eigenem Namen. Eine etwaige Kündigung des Betriebserwerbers ist im Fall eines (nachträglichen) Widerspruchs selbst dann unwirksam, wenn der Arbeitnehmer gegen die Kündigung nicht innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG Kündigungsschutzklage erhoben hat2. cc) Arbeitnehmererfindungen Wird der Widerspruch im Anschluss an das Wirksamwerden des Betriebs(teil-)übergangs bzw. der Umwandlung erklärt, bleibt der bisherige Arbeitgeber alleiniger Träger aller Rechte und Pflichten aus dem ArbNErfG. Hat dieser die Rechte an in Anspruch genommenen Diensterfindungen im Rahmen des Betriebs(teil-)übergangs (§ 613a BGB) auf den Betriebserwerber übertragen, stehen dem Arbeitnehmer keine Vergütungsansprüche gegen den (vorübergehenden) Rechtsnachfolger zu3. In einem solchen Fall ist der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmererfinders nach § 9 ArbNErfG i.V.m. Nr. 16 der Richtlinie für die Vergütung von Arbeitnehmererfindungen im privaten Dienst (ArbnErfRL) auf eine Beteiligung am Kaufpreis für die Rechte an der Erfindung beschränkt und richtet sich allein gegen den bisherigen Betriebsinhaber als Arbeitgeber4.
11.248
dd) Ausschlussfristen Für etwaige vertragliche Ausschlussfristen nimmt die Rechtsprechung eine Ausnahme von dem Grundsatz der Rückwirkung des Widerspruchs an. Soweit der Arbeitnehmer bei einem Betriebs(teil-)übergang dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses erst nach dem Zeitpunkt des Übergangs wirksam widerspricht, läuft eine tarifliche Ausschlussfrist zur gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber, die von dem Widerspruch abhängen, grundsätzlich erst ab dem Zugang des Widerspruchs5. Gleiches wird man für den Fall arbeitsvertraglich vereinbarter Ausschlussfristen annehmen müssen. Eine „mechanische Handhabe“ der Widerspruchsfolgen verbietet sich. Vielmehr ist der Umfang der Rückwirkung des Widerspruchs im Einzelfall jeweils unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks zu bestimmen6.
1 LAG Düsseldorf v. 14.10.2015 – 1 Sa 733/15 Rz. 71 f. n.v.; ArbG Essen v. 24.6.2015 – 6 Ca 1223/15 Rz. 57 ff. n.v.; a.A. LAG Köln v. 5.10.2007 – 11 Sa 257/07, NZA-RR 2008, 5 Rz. 87. 2 Ebenso BAG v. 9.12.2010 – 8 AZR 152/08 Rz. 22 n.v. 3 Bartenbach/Volz, 5. Aufl. 2013, § 1 ArbnErfG Rz. 116. 4 Bartenbach/Volz, Arbeitnehmererfindervergütung, 4. Aufl. 2017, RL Nr. 16 Rz. 6, 72; Grobys/Panzer-Heemeier/Richter, SWK-Arbeitsrecht 18 Rz. 43. 5 BAG v. 16.4.2013 – 9 AZR 731/11, NZA 2013, 850 Rz. 23, 27 ff. 6 BAG v. 16.4.2013 – 9 AZR 731/11, NZA 2013, 850 Rz. 29.
Gaul/B. Otto | 459
11.249
§ 11 Rz. 11.250 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
2. Bedeutung des Widerspruchs für den Betriebs(teil-)übergang/die Umwandlung 11.250
Demgegenüber führt der Widerspruch regelmäßig nicht dazu, dass der Betriebs(teil-)übergang bzw. die Umwandlung als solche unterbleibt. Als individuelles Gestaltungsrecht wirkt der Widerspruch grundsätzlich nur für das einzelne Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers, der den Widerspruch erklärt.
11.251
Dies gilt in betriebsmittelgeprägten Betrieben bzw. Betriebsteilen auch dann, wenn eine Vielzahl an Arbeitnehmern des von dem Betriebs(teil-)übergang betroffenen Betriebs(teils) dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widerspricht. Denn da der Betriebs(teil-)übergang hier im Wesentlichen davon abhängt, dass der Betriebserwerber die für die in Rede stehende Organisationseinheit wesentlichen Betriebsmittel übernimmt, kann ein Betriebs(teil-)übergang in diesen Fällen auch ohne Übernahme von Personal vorliegen (vgl. Rz. 4.99). Der Wechsel der dem Betrieb(steil) zugeordneten Arbeitnehmer ist dann Rechtsfolge, nicht Voraussetzung des Betriebs(teil-)übergangs.
11.252
Etwas anderes kann in Branchen gelten, in denen es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt (betriebsmittelarme Betriebe). Die Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit hängt in diesem Fall davon ab, dass der neue Betriebsinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt hatte (vgl. Rz. 4.27). Wird die jeweilige „Hauptbelegschaft“ vom angeblichen Erwerber nicht übernommen, findet ein Betriebs(teil-)übergang nicht statt (vgl. Rz. 4.27). Soweit es sich um Übertragungsvorgänge außerhalb des Umwandlungsrechts handelt, führen kollektive Widersprüche, deren Zahl so hoch ist, dass die zum Arbeitgeberwechsel bereiten Arbeitnehmer nicht mehr dem nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Personal entsprechen, in diesen Konstellationen also dazu, dass der arbeitgeberseitig angestrebte Betriebs(teil-)übergang unterbleibt. Mit anderen Worten: Der Widerspruch resultiert nicht nur darin, dass die Arbeitsverhältnisse der widersprechenden Arbeitnehmer mit dem bisherigen Arbeitgeber fortbestehen, sondern verhindert auch, dass die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer, die von ihrem Widerspruchsrecht keinen Gebrauch gemacht haben, kraft Gesetzes auf den Erwerber übergehen. Für diese Mitarbeiter findet ein Arbeitgeberwechsel nur statt, wenn sie sich mit dem Wechsel ihres Vertragspartners auf einzelvertraglicher Grundlage (z.B. durch dreiseitigen Vertrag) einverstanden erklärt haben. Es kann sinnvoll sein, wegen dieser Unsicherheit von Beginn an dreiseitige Vereinbarungen anzubieten, in denen ein Eintritt des potenziellen Erwerbers in die Arbeitsverhältnisse entsprechend § 613a BGB zugesagt wird.
11.253
Wenn sich die Übertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge durch Spaltung oder Vermögensübertragung nach den Vorgaben des UmwG vollzieht und – weil der übertragende Rechtsträger fortbesteht – ein Widerspruchsrecht gegeben ist (vgl. Rz. 11.164), kann ein Massenwiderspruch in betriebsmittelarmen Branchen zwar ebenfalls verhindern, dass es zu einem Betriebs(teil-)übergang im arbeitsrechtlichen Sinne kommt. Denn aufgrund des Charakters von § 324 UmwG als Rechtsgrundverweisung muss das Vorliegen eines Betriebs(teil-)übergangs bei einer Spaltung oder Vermögensübertragung für jede der in Betracht kommenden (Teil-)Einheiten eigenständig geprüft werden (vgl. Rz. 5.62). Lassen sich die Voraussetzungen des § 613a BGB in nicht betriebsmittelgeprägten Bereichen aufgrund der Vielzahl an Widersprüchen nicht feststellen, führt die Eintragung der Umwandlung in das Register des Sitzes des übernehmenden Rechtsträgers aber gleichwohl dazu, dass die abgespaltenen oder ausgegliederten Teile des Vermögens des übertragenden Rechtsträgers einschließlich der Verbind-
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Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.255 § 11
lichkeiten auf den übernehmenden Rechtsträger übergehen (§ 131 Abs. 1 Nr. 1, § 176 Abs. 3 Satz 1, § 177 Abs. 2 Satz 1 UmwG). Hierzu gehören auch die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses nicht wirksam widersprochen haben und in dem maßgeblichen Umwandlungsvertrag (Spaltungs- und Übernahme- bzw. Übertragungsvertrag) namentlich gekennzeichnet und dem jeweiligen Betrieb bzw. Betriebsteil zugeordnet sind1. Ohne eine namensscharfe Zuordnung im Umwandlungsvertrag führen Widersprüche, deren Zahl so hoch ist, dass die zum Arbeitgeberwechsel bereiten Arbeitnehmer nicht mehr dem nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Personal entsprechen, dazu, dass auch die übrigen Arbeitnehmer bei dem übertragenden Rechtsträger verbleiben. Etwas anderes gilt nur bei der Aufspaltung nach § 123 Abs. 1 UmwG, wenn man hier in Übereinstimmung mit dem BAG ein Wahlrecht anerkennt, dessen Ausübung zum Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen Rechtsträger führt, den der Arbeitnehmer als neuen Arbeitgeber bestimmt hat (vgl. Rz. 10.231 ff.).
3. Änderung von Arbeitsbedingungen/Kündigung nach Widerspruch durch den bisherigen Arbeitgeber Das Recht zum Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses schützt den Arbeitnehmer nicht davor, dass als Folge des Fortbestands seines Arbeitsverhältnisses beim übertragenden Rechtsträger Nachteile eintreten. Diese ergeben sich vor allem daraus, dass der bisherige Arbeitgeber nach dem Betriebs(teil-)übergang keine oder nur noch eine eingeschränkte Beschäftigungsmöglichkeit für den widersprechenden Arbeitnehmer besitzt. Insoweit kann es insbesondere zum Ausspruch betriebsbedingter Änderungs- und Beendigungskündigungen kommen (vgl. Rz. 17.110).
11.254
a) Betriebsbedingte Kündigung/Sozialauswahl § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB steht dem nicht entgegen. Vielmehr sind entsprechende Kündigungen bei dem Veräußerer – soweit die Anwendungsvoraussetzungen des KSchG dort erfüllt sind – rechtlich zulässig, wenn eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf freien Arbeitsplätzen im Unternehmen (auch unter veränderten Arbeitsbedingungen) nicht möglich ist und der die Kündigung erhaltende Arbeitnehmer unter mehreren vergleichbaren Arbeitnehmern gemäß § 1 Abs. 3 KSchG am sozial wenigsten schutzwürdig ist (vgl. Rz. 17.112). Der Widerspruch kann dabei im Rahmen der Sozialauswahl nicht zulasten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden (vgl. Rz. 17.114 f.). Ebenso wenig führt allein der Umstand, dass der Arbeitnehmer nicht ordnungsgemäß nach § 613a Abs. 5 BGB unterrichtet wurde, dazu, dass eine im Anschluss an den Widerspruch durch den Veräußerer wegen fehlender Beschäftigungsmöglichkeit ausgesprochene Kündigung treuwidrig und deshalb unwirksam ist2. Ein Recht der nicht von einem Betriebsteilübergang betroffenen Mitarbeiter, die nach den Vorgaben der Sozialauswahl anstelle des widersprechenden Arbeitnehmers von einer Kündigung bedroht sind (Rz. 17.112), ihr Arbeitsverhältnis beim übernehmenden Rechtsträger fortzusetzen, besteht nicht (vgl. Rz. 17.35 ff.).
1 Vgl. BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, NZA 2018, 370 Rz. 25 ff. 2 BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 493/05 Rz. 39 n.v.; BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 398/04, NZA 2005, 1302 Rz. 21; a.A. LAG Berlin v. 29.4.2004 – 18 Sa 2424/03, NZA-RR 2005, 125 Rz. 51 f.
Gaul/B. Otto | 461
11.255
§ 11 Rz. 11.256 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
b) Besonderheiten bei Übertragung des gesamten Betriebs
11.256
Falls der gesamte Betrieb, dem der Arbeitnehmer zugeordnet ist, auf den Erwerber übergeht, dürfte der Arbeitnehmer im Anschluss an einen Widerspruch sogar oftmals den gesetzlichen Kündigungsschutz nach dem KSchG komplett verlieren. Denn Voraussetzung für dessen Anwendbarkeit ist, dass der Arbeitnehmer einem im Inland belegenen Betrieb zugeordnet ist, dessen Beschäftigtenzahl die erforderlichen Schwellenwerte erreicht1. Es reicht nicht aus, dass das Unternehmen weitere Betriebe führt, auf die das KSchG anwendbar ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen ausnahmsweise auf die Beschäftigtenzahl des Unternehmens abzustellen ist2, bei dem der Arbeitnehmer infolge seines Widerspruchs verbleibt. Da ein Arbeitnehmer bei Übergang des gesamten Betriebs nach einem Widerspruch nicht automatisch etwaig vorhandenen anderen Betrieben des Veräußerers zugeordnet wird3, spricht viel dafür, dass der bisherige Arbeitgeber in diesen Fällen kündigen kann, ohne an die Kündigungsbeschränkung des KSchG gebunden zu sein4. Insbesondere ist der Arbeitgeber grundsätzlich nicht verpflichtet, dem widersprechenden Arbeitnehmer das Risiko des Arbeitsplatzverlustes dadurch zu nehmen, dass er ihn in einen anderen Betrieb seines Unternehmens versetzt5. Ebenso wenig bedarf es in diesen Fällen einer Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG6 bzw. – im Anwendungsbereich des Personalvertretungsrechts – des Personalrats (vgl. Rz. 19.2)7. c) Besonderheiten für Betriebsratsmitglieder
11.257
Auch Betriebsratsmitglieder und andere dem Sonderkündigungsschutz des § 15 Abs. 1 bis 3 KSchG unterfallende (ehemalige) Funktionsträger müssen im Anschluss an einen Widerspruch nach § 613a Abs. 6 BGB mit einer Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses rechnen.
11.258
Soweit der gesamte Betrieb übertragen wird, findet § 15 Abs. 4 KSchG entsprechende Anwendung, wenn der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widerspricht8.
1 BVerfG v. 12.3.2009 – 1 BvR 1250/08 Rz. 2 n.v.; BAG v. 29.8.2013 – 2 AZR 808/12 Rz. 30 n.v.; BAG v. 17.1.2008 – 2 AZR 902/06, NZA 2008, 872 Rz. 18. 2 BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BvL 15/87, NZA 1998, 470 Rz. 52; BAG v. 24.1.2013 – 2 AZR 140/12, NZA 2013, 726 Rz. 22; BAG v. 28.10.2010 – 2 AZR 392/08, NZA 2013, 726 Rz. 21; BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, NZA 2001, 831 Rz. 17. 3 BAG v. 25.4.2013 – 6 AZR 49/12 Rz. 179 n.v.; BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, DB 2013, 1178 Rz. 41, 48; BAG v. 25.9.2003 – 8 AZR 446/02, NZA 2004, 1406 Rz. 32; BAG v. 13.2.2003 – 8 AZR 102/02, DB 2003, 1740 Rz. 45; LAG Rheinland-Pfalz v. 16.7.2015 – 2 Sa 586/14 Rz. 95 n.v. 4 Offengelassen von BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12, NZA 2015, 889 Rz. 16; a.A. ArbG Frankfurt v. 17.6.2010 – 13 Ca 6534/09 n.v., das auf die Zahl der in der Regel Beschäftigten vor dem Betriebsübergang abstellt, sowie Hessisches LAG v. 7.12.2010 – 13 Sa 1160/10 n.v. welches das KSchG auch im Fall einer widerspruchsbedingten Kündigung nach dem Übergang des gesamten Betriebs ohne nähere Begründung „zweifelsfrei“ für anwendbar hält. 5 BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, DB 2013, 1178 Rz. 48. 6 BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 61; BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12, NZA 2015, 889 Rz. 41; LAG Nürnberg v. 9.8.2011 – 6 Sa 230/10 Rz. 52 n.v. 7 BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 416/99, NZA 2000, 1115 Rz. 68. 8 BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 416/99, NZA 2000, 1115 Rz. 76; LAG Rheinland-Pfalz v. 7.5.2019 – 8 TaBV 20/18 Rz. 61 (n.v).
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Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.260 § 11
Für den Übergang einer Betriebsabteilung1 gilt § 15 Abs. 5 KSchG entsprechend, wenn der dort beschäftigte, dem Sonderkündigungsschutz des § 15 Abs. 1 bis 3 KSchG unterfallende Arbeitnehmer widerspricht. Auch in diesem Falle entfällt auf Dauer jede Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer in der betreffenden Betriebsabteilung. Der Arbeitnehmer ist vorrangig in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen. Ist dies aus betrieblichen Gründen nicht möglich, ist die Kündigung entsprechend § 15 Abs. 4 KSchG zulässig2. Soweit bei dem bisherigen Arbeitgeber ein gleichwertiger Arbeitsplatz vorhanden und mit einem nicht durch § 15 KSchG geschützten Arbeitnehmer besetzt ist, muss der Arbeitgeber nach der Rechtsprechung grundsätzlich versuchen, den Arbeitsplatz durch Umverteilung der Arbeit, Ausübung seines Direktionsrechts oder ggf. durch Kündigung für den Mandatsträger freizumachen3. Ist ein gleichwertiger Arbeitsplatz in der anderen Abteilung nicht vorhanden, ist der Arbeitgeber nach dem ultima-ratio-Grundsatz verpflichtet, dem Mandatsträger, bevor er ihm gegenüber eine Beendigungskündigung erklärt, die Beschäftigung auf einem geringerwertigen Arbeitsplatz anzubieten und hierzu ggf. eine Änderungskündigung auszusprechen. Dies beinhaltet ggf. auch die Obliegenheit des Arbeitgebers, einen geringwertigeren Arbeitsplatz für das Betriebsratsmitglied freizukündigen, es sei denn, im Rahmen der Interessenabwägung wäre festzustellen, dass die sozialen Belange des hiervon betroffenen Arbeitnehmers in erheblichem Maße die des durch § 15 KSchG geschützten Arbeitnehmers überwiegen4. Ein Anspruch, zur Vermeidung einer Kündigung die Beschäftigung auf einem höherwertigen Arbeitsplatz in einer anderen Betriebsabteilung anzubieten, besteht indes nicht5. Auch ist der Arbeitgeber nicht gehalten, für den widersprechenden Funktionsträger einen neuen Arbeitsplatz zu schaffen, der nach seinem unternehmerischen Organisationskonzept an sich nicht vorgesehen war6.
11.259
d) Abfindungszahlungen/Sozialplan Soweit entsprechende Vereinbarungen nicht bereits vor dem Betriebs(teil-)übergang abgeschlossen wurden, ist der Versuch eines Interessenausgleichs und der Abschluss eines Sozialplans allein aufgrund der im Anschluss an einen Widerspruch erfolgenden Entlassungen nur erforderlich bzw. erzwingbar, wenn die Zahl der Entlassungen die Schwellenwerte von § 17 Abs. 1 KSchG (Interessenausgleich), § 112a BetrVG (Sozialplan) übersteigt7 und der Arbeitnehmer – was bei einem Übergang des gesamten Betriebs häufig nicht der Fall sein wird8 – nach dem Widerspruch einem Betrieb zugeordnet wird, für den ein Betriebsrat besteht (vgl. Rz. 24.4). Doch selbst für den Fall, dass mit den zuständigen Arbeitnehmervertretern ein In1 Zum Begriff der Betriebsabteilung vgl. BAG v. 23.2.2010 – 2 AZR 656/08, NZA 2010, 1288 Rz. 29; LAG Köln v. 7.8.2020 – 4 Sa 122/20 Rz. 98 n.v. 2 BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 416/99, NZA 2000, 1115 Rz. 76; LAG Rheinland-Pfalz v. 7.5.2019 – 8 TaBV 20/18 Rz. 61 (n.v). 3 BAG v. 23.2.2010 – 2 AZR 656/08, NZA 2010, 1288 Rz. 37; Hessisches LAG v. 30.9.2016 – 10 SaGa 787/16 Rz. 45 n.v. 4 Offengelassen in BAG v. 12.3.2009 – 2 AZR 47/08, NZA 2009, 1264 Rz. 26 ff.; befürwortend LAG Düsseldorf v. 15.9.2005 – 11 Sa 788/05 Rz. 43 f. n.v. 5 BAG v. 23.2.2010 – 2 AZR 656/08, NZA 2010, 1288 Rz. 36. 6 BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 34; BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 417/14, NZA 2015, 1083 Rz. 40. 7 BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, NZA 2016, 1072 Rz. 29; BAG v. 5.6.2014 – 2 AZR 418/13, NZA 2015, 832 Rz. 21; BAG v. 28.3.2006 – 1 ABR 5/05, NZA 2006, 932 Rz. 18. 8 Vgl. zu § 102 BetrVG BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 61; BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12, NZA 2015, 889 Rz. 41.
Gaul/B. Otto | 463
11.260
§ 11 Rz. 11.260 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
teressenausgleich versucht1 und ein Sozialplan abgeschlossen wird, werden die widersprechenden Arbeitnehmer regelmäßig von Sozialplanleistungen ausgeschlossen. Denn nach der Rechtsprechung ist es grundsätzlich weder unzulässig, in einem Sozialplan Abfindungsansprüche für den Fall auszuschließen, dass das Arbeitsverhältnis nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf einen Betriebs- oder Betriebsteilerwerber übergeht, noch Mitarbeiter von Sozialplanansprüchen auszunehmen, die den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen Betriebs- oder Betriebsteilerwerber – ohne anerkennenswerte Gründe – durch Widerspruch verhindern (vgl. Rz. 25.330). e) Massenentlassungen
11.261
Da auch etwaige im Anschluss an einen Widerspruch durch den Betriebsveräußerer beabsichtigte betriebsbedingte Kündigungen oder Aufhebungsverträge als „durch den Arbeitgeber veranlasst“ gelten2, bedarf es vor dem Ausspruch der Kündigungen bzw. der Unterzeichnung der Aufhebungsvereinbarungen einer Massenentlassungsanzeige gegenüber der Agentur für Arbeit gemäß § 17 KSchG, falls die Zahl der Entlassungen in dem Betrieb, dem der zu entlassende Arbeitnehmer nach seinem Widerspruch zugeordnet ist, innerhalb von 30 Tagen die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG übersteigt (vgl. Rz. 25.486). Falls für den in Rede stehenden Betrieb, dem der Arbeitnehmer zugeordnet ist, ein Betriebsrat besteht, ist zusätzlich eine Unterrichtung nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG (vgl. Rz. 25.521 ff.) sowie eine Beratung nach § 17 Abs. 2 Satz.2 KSchG (vgl. Rz. 25.526 ff.) erforderlich3. f) Widerspruch und Sperrzeit
11.262
Wichtig im Hinblick auf etwaige sozialversicherungsrechtliche Ansprüche des Arbeitnehmers im Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und/oder die steuerliche Behandlung der Abfindung ist allerdings der Umstand, dass Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 2001/23/EG die Mitgliedstaaten verpflichtet vorzusehen, dass die Beendigung durch den Arbeitgeber erfolgt ist, wenn Anlass für den Widerspruch eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil des Arbeitnehmers gewesen ist4. Hierzu rechnet auch eine Änderung der Vergütung, die nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses eintritt5. Insoweit geht die Rechtsprechung mittlerweile trotz § 2 Abs. 4, 5 SGB III davon aus, dass der Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a Abs. 6 BGB kein Lösen des Beschäftigungsverhältnisses i.S.d. § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III darstellt6. Die Verhängung einer Sperrzeit gegenüber einem Arbeitnehmer, der im Anschluss an einen Widerspruch betriebsbedingt gekündigt wird, kommt daher regelmäßig nicht in Betracht. Andernfalls würde auch die verfassungsrechtliche Grundlage des Rechts zum Widerspruch nicht genügend beachtet. 1 Zu etwaigen unter Berücksichtigung der Widerspruchsgründe zu bemessenden Nachteilsausgleichsansprüchen gemäß § 113 BetrVG bei unterlassenem Interessenausgleichsversuch vgl. BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 1116/06, NZA 2008, 642 Rz. 24; BAG v. 10.12.1996 – 1 AZR 290/96, NZA 1997, 787 Rz. 32. 2 Vgl. BAG v. 19.3.2015 – 8 AZR 119/14 Rz. 48 n.v.; BAG v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, NZA 2012, 1029 Rz. 47 f. 3 BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 752/11, NZA 2013, 1040 Rz. 43 ff. 4 EuGH v. 12.11.1998 – C-399/96, NZA 1999, 31 Rz. 44 – Europièces. 5 EuGH v. 7.3.1996 – C-171/94 und 172/94, NZA 1996, 413 Rz. 38 – Merckx, wobei unklar ist, ob es sich dabei um eine wesentliche Vergütungsänderung handeln muss. 6 BSG v. 8.7.2009 – B 11 AL 17/08 R, BB 2010, 443 Rz. 16.
464 | Gaul/B. Otto
Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.264 § 11
4. Arbeitnehmerüberlassung/Personalgestellung nach Widerspruch Wenn der übertragende Rechtsträger nach dem Widerspruch von Arbeitnehmern gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses trotz fehlender Möglichkeit einer Beschäftigung im eigenen Betrieb keine betriebsbedingten Kündigungen aussprechen will, wird eine Beendigung von Arbeitsverhältnissen zum Teil dadurch vermieden, dass die hiervon betroffenen Arbeitnehmer im Wege der Arbeitnehmerüberlassung oder der sogenannten „Personalgestellung“ beim übernehmenden Rechtsträger eingesetzt werden1. Dies gilt insbesondere bei der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen bzw. der Ausgliederung von Teilbereichen aus Unternehmen, die die (Versorgungs-)Tarifverträge des öffentlichen Dienstes zur Anwendung bringen. Hier erfolgt die sogenannte Personalgestellung auch zur Vermeidung von hohen Zahlungspflichten des übertragenden Rechtsträgers gegenüber den Zusatzversorgungskassen, die mit der Forderung nach Gegenwertzahlungen den Fortbestand der Mitgliedschaft beim bisherigen Versorgungsträger erzwingen wollen (vgl. Rz. 34.401). Wenn für das Arbeitsverhältnis Tarifverträge des öffentlichen Dienstes zur Anwendung kommen, kann eine solche Überlassung sogar außerhalb der Höchstüberlassungsdauer des § 1 Abs. 1b AÜG durchgeführt werden (§ 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG)2. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung des widersprechenden Arbeitnehmers die Möglichkeit einer „Gestellung“ des betreffenden Arbeitnehmers an einen anderen Arbeitgeber zu sondieren, besteht regelmäßig indes nicht3. Weder kann der übertragende Rechtsträger zu einer Änderung und Ausweitung seiner unternehmerischen Tätigkeit (hier: Arbeitnehmerüberlassung oder Werkvertragnehmer) noch kann der übernehmende Rechtsträger zum Einsatz von Fremdpersonal gezwungen werden. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der in Rede stehende Mitarbeiter tariflich ordentlich unkündbar ist (vgl. Rz. 17.111).
11.263
a) Kennzeichnung der Arbeitnehmerüberlassung/Personalgestellung Arbeitnehmerüberlassung und Personalgestellung sind dadurch gekennzeichnet, dass der an sich vom Betriebs- oder Betriebsteilübergang betroffene Arbeitnehmer durch den bisherigen Arbeitgeber (Verleiher) an den übernehmenden Rechtsträger mit dem Ziel überlassen wird, innerhalb der dort fortbestehenden Betriebsorganisation mit der bisherigen Tätigkeit weiterbeschäftigt zu werden4. Das Direktionsrecht in Bezug auf Art der Tätigkeit, Ort sowie Beginn und Ende der Arbeitszeit, Pausen und die Verteilung auf die einzelnen Wochentage, wie es an sich in § 611a Abs. 1 BGB auf Seiten des übertragenden Rechtsträgers als Arbeitgeber vorgesehen ist, wird insoweit aber durch den übernehmenden Rechtsträger (Entleiher) wahrgenommen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG). Ob dies zur unmittelbaren Anwendbarkeit des AÜG führt, hängt von einer Anwendbarkeit der privilegierten Formen einer Überlassung nach § 1 Abs. 3 AÜG ab. Darüber hinaus können die unionsrechtlichen Vorgaben zu einer Anpassung der Arbeitsbedingungen führen5.
1 Eingehend Plander, NZA 2002, 69 ff. 2 BAG v. 14.10.2020 – 7 AZR 286/18 n.v. 3 BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 34 f.; BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 379/12, NZA 2014, 139 Rz. 27; vgl. zu den Ausnahmen BAG v. 23.1.2014 – 2 AZR 372/13, NZA 2014, 895 Rz. 23; BAG v. 29.3.2007 – 8 AZR 538/06, NZA 2008, 48 Rz. 36 ff.; BAG v. 17.9.1998 – 2 AZR 419/ 97, NZA 1999, 258 Rz. 50. 4 Vgl. BAG v. 17.1.2017 – 9 AZR 76/16, NZA 2017, 572 Rz. 21; BAG v. 15.4.2014 – 3 AZR 395/11 Rz. 20 n.v.; BAG v. 6.8.2003 – 7 AZR 180/03, BB 2004, 669 Rz. 38. 5 BAG v. 14.10.2020 – 7 AZR 286/18 n.v.
Gaul/B. Otto | 465
11.264
§ 11 Rz. 11.265 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
b) Voraussetzungen nach § 613a BGB
11.265
§ 613a BGB steht einer derartigen Gestaltungsform nicht entgegen. Voraussetzung ist lediglich, dass dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten bei fehlender oder fehlerhafter Unterrichtung form- und fristgerecht widersprochen wird. Die Vereinbarung einer Personalgestellung/Arbeitnehmerüberlassung, die ohne Widerspruch an die Stelle eines Übergangs des Arbeitsverhältnisses treten soll, ist jedenfalls bei der Übertragung der für eine betriebsmittelgeprägte Tätigkeit wesentlichen Betriebsmittel unwirksam, da sie den gesetzlichen Eintritt des Erwerbers in die Arbeitsverhältnisse nach § 613a BGB nicht verhindern kann1. Nur dort, wo in betriebsmittelintensiven Branchen eine Auftragsvergabe im Wege der Funktionsnachfolge erfolgt, kann unmittelbar die Überlassung/Gestellung vereinbart werden. Bei betriebsmittelarmer Tätigkeit kann die Personalgestellung grundsätzlich nicht zur Vermeidung von § 613a BGB eingesetzt werden. Im Gegenteil: Der eigengesteuerte Einsatz der nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Arbeitnehmer in der Organisation des potenziellen Erwerbers stellt neben der Übernahme der übrigen Arbeitnehmer im Zweifel ein wesentliches Indiz für einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang dar (vgl. Rz. 4.27)2. c) Individual- und kollektivrechtliche Anforderungen
11.266
Aus individualrechtlicher Sicht ist weiterhin erforderlich, dass der Arbeitnehmer überhaupt verpflichtet ist, im Rahmen der Betriebsorganisation eines anderen Unternehmens tätig zu werden. Diese Pflicht kann durch den Arbeitsvertrag, eine ergänzende Vereinbarung zum Arbeitsvertrag oder durch einen für das Arbeitsverhältnis verbindlichen Tarifvertrag (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 TVöD) begründet werden3. Eine Änderungskündigung mit dem Ziel der Arbeitnehmerüberlassung ist denkbar, muss aber auch die gesetzlichen Vorgaben zur Sozialauswahl beachten4. Eine Pflicht zur Aufnahme der neuen Tätigkeit besteht indes erst mit Ablauf der Kündigungsfrist5. Vor Ablauf der Kündigungsfrist kann der Arbeitnehmer allenfalls über die Folgen aus § 615 Satz 2 BGB, d.h. über finanziellen Druck, dazu veranlasst werden, die neue Tätigkeit anzutreten6.
11.267
Eine Verpflichtung des bisherigen Arbeitgebers (Verleiher), einen etwaigen bei ihm bestehenden Betriebsrat gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG um Zustimmung zu dem vorübergehenden Arbeitseinsatz des widersprechenden Arbeitnehmers bei dem Betriebserwerber (Entleiher) zu bitten, besteht nicht. Denn die Tätigkeit bei dem Betriebserwerber stellt keine Versetzung (§ 95 Abs. 3 BetrVG) des widersprechenden Arbeitnehmers dar7. Soweit bei dem Betriebserwerber ein für den Einsatzbetrieb zuständiger Betriebsrat besteht, bedarf das Tätigwerden des wider-
1 BAG v. 19.3.2015 – 8 AZR 119/14 Rz. 32 n.v.; BAG v. 20.3.2014 – 8 AZR 1/13, NZA 2014, 1095 Rz. 24. 2 BAG v. 22.1.2015 – 8 AZR 139/14, NZA 2015, 1325 Rz. 16; LAG Baden-Württemberg v. 26.2.2016 – 17 Sa 58/15 Rz. 110 n.v.; von Tiling, ZTR 2014, 695, 698 f. 3 Vgl. BAG v. 23.3.2011 – 10 AZR 374/09 Rz. 26 n.v.; BAG v. 14.7.2010 – 10 AZR 182/09, ZTR 2010, 650 Rz. 50. 4 BAG v. 29.3.2007 – 2 AZR 31/06, NZA 2007, 855 Rz. 41. 5 Vgl. BAG v. 7.2.2007 – 5 AZR 422/06, NZA 2007, 561 Rz. 18. 6 Vgl. BAG v. 9.9.2010 – 2 AZR 582/09, ZTR 2011, 113 Rz. 38 ff. 7 BAG v. 19.6.2001 – 1 ABR 43/00, NZA 2001, 1263 Rz. 25; ebenso für die personalvertretungsrechtlichen Regelungen bei Personalgestellung BAG v. 23.3.2011 – 10 AZR 374/09 Rz. 90 n.v.
466 | Gaul/B. Otto
Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.270 § 11
sprechenden Arbeitnehmers unter dem Gesichtspunkt der Einstellung der Zustimmung des Betriebsrats des Entleiherbetriebs (§ 99 Abs. 1 BetrVG, § 14 Abs. 3 Satz 1 AÜG)1. d) Schranken des AÜG Wichtig ist allerdings, dass der Arbeitseinsatz bei dem Betriebserwerber die aus dem Recht der Arbeitnehmerüberlassung Kennzeichnungspflichten und weitergehende Schranken für die Art und die Dauer des Einsatzes beachtet. Das betrifft auch die Personalgestellung, sofern nicht das AÜG auf der Grundlage gesetzlicher Ausnahmeregelungen (z.B. § 1 Abs. 3 AÜG) nicht zur Anwendung kommt2.
11.268
So darf die Arbeitnehmerüberlassung nur vorübergehend erfolgen (§ 1 Abs. 1 Satz 4 AÜG) und darf, wenn nicht für den Einsatzbetrieb Ausnahmen vereinbart werden (§ 1 Abs. 1b AÜG), 18 Monate nicht übersteigen. Darüber hinaus müssen die Regelungen zum Equal-Pay und Equal-Treatment beachtet werden (§ 8 Abs. 1 AÜG). Ausgenommen von den Regelungen des AÜG sind nur Arbeitnehmer, deren Aufgaben von dem bisherigen zu dem anderen Arbeitgeber verlagert werden, wenn das Arbeitsverhältnis aufgrund eines Tarifvertrags des öffentlichen Dienstes mit dem bisherigen Arbeitgeber weiter besteht und die Arbeitsleistung bei dem anderen Arbeitgeber erbracht wird (§ 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG). Ebenfalls nicht von den Beschränkungen des AÜG erfasst werden Arbeitgeber, die juristische Personen des öffentlichen Rechts sind und Tarifverträge des öffentlichen Dienstes oder Regelungen der öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften anwenden (§ 1 Abs. 3 Nr. 2c AÜG). Dabei hat das BAG aber offengelassen, ob im Anwendungsbereich dieser Privilegien das unionsrechtliche Gebot der Gleichbehandlung zu einer Anpassung der Arbeitsbedingungen an die beim Entleiher geltenden Bedingungen auch außerhalb des Anwendungsbereichs von § 8 AÜG zwingt3.
11.269
Soweit darüber hinaus auch weiterhin Einsatzformen vom Anwendungsbereich des AÜG befreit bleiben, bei denen Arbeitnehmer zwischen Konzernunternehmen überlassen werden, sofern der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG), kann dies für vorübergehende Personalengpässe beim übernehmenden Rechtsträger genutzt werden. Die Regelung erlaubt aber im Anschluss an einen Widerspruch keine Überlassung von Arbeitnehmern, die zeitlich nur durch das Erreichen der Altersgrenze begrenzt wird. Hier sind die Arbeitnehmer zwar nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt. Der Einsatz ist aber nicht mehr vorübergehender Natur, was wegen der Regelungen in Art. 1 Abs. 1 Richtlinie 2008/104/EG trotz gegenteiliger Stimmen in der Literatur als übergeordnete Schranke der Arbeitnehmerüberlassung zu verstehen ist4. Werden die vor-
11.270
1 BAG v. 1.6.2011 – 7 ABR 117/09, NZA 2011, 1435 Rz. 15; zu etwaigen in diesem Fall ggf. bestehenden Mitbestimmungsrechten nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG vgl. BAG v. 19.6.2001 – 1 ABR 43/00, NZA 2001, 1263 Rz. 29 ff. 2 Vgl. BAG v. 14.10.2020 – 7 AZR 286/18 n.v.; LAG Baden-Württemberg v. 11.2.2016 – 3 TaBV 2/14 Rz. 82 n.v.; LAG Baden-Württemberg v. 17.4.2013 – 4 TaBV 7/12, ZTR 2013, 618 Rz. 109; a.A. OVG Münster v. 19.9.2014 – 20 A 281/13 PVG, ZTR 2015, 107 Rz. 59; zur Unanwendbarkeit des AÜG auf Fälle der gesetzlich angeordneten Personalgestellung vgl. BAG v. 5.3.1997 – 7 AZR 357/ 96, NZA 1997, 1165 Rz. 16. Hierzu zählen z.B. § 5 Abs. 4 AsylG, § 26 Abs. 4 BAPostG, § 1 Gesetz zur Übernahme der Beamten und Arbeitnehmer der Flugsicherung, § 1 BwKoopG, § 2 BWpVerwPG, § 2 BfAIPG und § 44g SGB II. 3 Vgl. BAG v. 14.10.2020 – 7 AZR 286/18 n.v. 4 Ebenso LAG Niedersachsen v. 19.9.2012 – 17 TaBV 124/11, AiB 2013, 130 Rz. 30; a.A. Stellungnahme der Europäischen Kommission v. 20.7.2015 (Az. CHAP(2015)00716); Thüsing/Stiebert, DB 2012, 632, 634.
Gaul/B. Otto | 467
§ 11 Rz. 11.270 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
stehend skizzierten Grenzen zur Überlassungsdauer missachtet, hat dies den Eintritt des Entleihers in das Arbeitsverhältnis zur Folge (§ 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG), es sei denn, der Leiharbeitnehmer erklärt innerhalb der in § 9 Abs. 2 AÜG vorgesehenen Fristen schriftlich gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhält. e) Dienst-/Werkvertrag sowie Gemeinschaftsbetrieb als Alternative
11.271
Wenn die Anwendbarkeit der vorstehenden Schranken der Arbeitnehmerüberlassung vermieden werden soll, kann zwischen den beteiligten Rechtsträgern auch ein Dienst- oder Werkvertrag abgeschlossen werden, kraft dessen der bisherige Betriebsinhaber mit den Arbeitnehmern, die dem Übergang des Arbeitsverhältnisses widersprochen haben, eine bestimmte Tätigkeit für den Erwerber des Betriebs oder Betriebsteils verrichtet. Diese Tätigkeit kann auch unter Verwendung solcher Betriebsmittel erfolgen, die dem Erwerber zuvor übertragen wurden. Voraussetzung ist, dass eine klare Abgrenzung zwischen den durch den bisherigen Inhaber des Betriebs zu verrichtenden Dienst- oder Werkleistungen und dem betrieblichen Aufgabenbereich des Erwerbers erfolgt. Bei der Erfüllung der damit verbundenen Tätigkeit muss der bisherige Betriebsinhaber alle wesentlichen Entscheidungen gegenüber den Arbeitnehmern treffen, selbst wenn er sich dabei an den zeitlichen Vorgaben des Erwerbers als Auftraggeber ausrichten muss. Unmittelbare Anweisungen des Betriebserwerbers müssen mit Ausnahme von Notfällen ausgeschlossen sein. Weiterhin muss der bisherige Betriebsinhaber die Gewährleistung für die ordnungsgemäße und fristgerechte Erbringung der Dienst- oder Werkleistung übernehmen. Im Zweifel gilt ensprechendes für die Nutzung von Betriebsmitteln, die ihm für diese Tätigkeit überlassen werden1.
11.272
Denkbar ist ferner, dass der bisherige Arbeitgeber und der neue Inhaber den Betrieb bzw. Betriebsteil, der Gegenstand des Übertragungsvorgangs sein soll, im Anschluss an etwaige Widersprüche vorübergehend als Gemeinschaftsbetrieb2 führen. Auf diese Weise können die beteiligten Rechtsträger zum einen sicherstellen, dass der Erwerber die zur Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit erforderlichen Arbeitskräfte des Betriebsveräußerers auch dann einsetzen kann, wenn die Arbeitnehmer dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprechen. Für den Betriebsveräußerer entfällt im Gegenzug das Annahmeverzugslohnrisiko, da die Arbeitnehmer trotz ihres Widerspruchs weiterhin beschäftigt werden können. Ein Zustimmungserfordernis besteht für den Arbeitseinsatz im Gemeinschaftsbetrieb nicht. Ebenso wenig sind die Arbeitnehmer berechtigt, die Erbringung ihrer Arbeitsleistung im Gemeinschaftsbetrieb zu verweigern. Da es sich jeweils um einen Einsatz auch im Betrieb des bisherigen Arbeitgebers handelt, liegt auch keine Arbeitnehmerüberlassung vor. Damit kommt auch die Höchstüberlassungsdauer des § 1 Abs. 1b AÜG nicht zur Anwendung3.
1 Vgl. BAG v. 27.6.2017 – 9 AZR 133/16 Rz. 27 n.v.; BAG v. 6.8.2003 – 7 AZR 180/03, BB 2004, 669 Rz. 37 ff. 2 Zu dessen Voraussetzungen vgl. BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 38/19, NZA 2019, 1427 Rz. 14; BAG v. 13.8.2008 – 7 ABR 21/07, NZA-RR 2009, 255 Rz. 19 ff.; BAG v. 9.2.2000 – 7 ABR 21/98, DB 2000, 384 Rz. 35. 3 BAG v. 3.12.1997 – 7 AZR 764/96, NZA 1998, 876 f.; LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 13.6.2017 – 5 Sa 209/16 n.v.
468 | Gaul/B. Otto
Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.277 § 11
5. Entgeltfortzahlungsansprüche/Annahmeverzugslohn a) Zahlungsansprüche gegen den Betriebsveräußerer Mit dem widerspruchsbedingten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses beim übertragenden Rechtsträger bestehen auch die Ansprüche des Arbeitnehmers auf Lohn- und Gehaltszahlung einschließlich etwaiger (Jahres-)Sonderleistungen fort.
11.273
aa) Widerspruch vor Betriebs(teil-)übergang Da man insoweit jedenfalls den Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses als Angebot zur Arbeitsleistung ansehen muss (§§ 294 ff. BGB), gilt dies gemäß § 615 Satz 1, §§ 611 ff. BGB auch dann, wenn nach dem Übergang des Betriebs oder Betriebsteils bei dem übertragenden Rechtsträger keine Möglichkeit einer Beschäftigung (mehr) gegeben ist.
11.274
bb) Widerspruch nach Betriebs(teil-)übergang Dabei bleibt der bisherige Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung nach den Grundsätzen des Annahmeverzugs auch dann verpflichtet, wenn der Widerspruch erst nach dem Betriebs(teil-) übergang erklärt wird1.
11.275
Dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung bis zur Erklärung des Widerspruchs dem Betriebserwerber angeboten und dort auch erbracht hat, führt lediglich dazu, dass eine etwaige durch den Betriebserwerber geleistete Vergütung nach § 615 Satz 2 BGB auf den Annahmeverzugslohnanspruch angerechnet wird2. Soweit der Betriebserwerber für die nach dem Betriebs(teil-)übergang erbrachte Arbeitsleistung keine oder lediglich eine anteilige Vergütung gezahlt hat, kann der widersprechende Arbeitnehmer sein Gehalt im Anschluss an den Widerspruch auch rückwirkend für die Zeit ab dem Betriebs(teil-)übergang gemäß § 615 Satz 1, §§ 611 ff. BGB von dem Betriebsveräußerer fordern.
11.276
Dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber nicht angeboten hat, spielt grundsätzlich keine Rolle. Vielmehr tritt der Annahmeverzug nach der Rechtsprechung regelmäßig auch ohne ein entsprechendes Angebot der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer ein, wenn der Arbeitgeber im Unterrichtungsschreiben erklärt hat, dass eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Anschluss an einen Widerspruch nicht möglich bzw. das Beschäftigungsbedürfnis durch den Betriebs(teil-)übergang entfallen sei (§ 295 BGB)3. Gleiches gilt nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB, wenn die Unterrichtung nicht oder nicht ordnungsgemäß i.S.d. § 613a Abs. 5 BGB, d.h. verspätet oder fehlerhaft, erfolgt ist4. Schließlich ist es der bisherige Betriebsinhaber selbst, der durch die Übertragung des Betriebs oder Betriebsteils und die verspätete Information über die Rechtsfolgen aus § 613a BGB verhindert hat, dass der Arbeitnehmer noch bis zum Wirksamwerden des Betriebs- oder Be-
11.277
1 BAG v. 20.5.2010 – 8 AZR 734/08, NZA 2010, 1295 Rz. 35; BAG v. 27.11.2008 – 8 AZR 1021/06 Rz. 49 ff. n.v.; BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 382/05, NZA 2006, 1406 Rz. 40 ff.; a.A. Sächsisches LAG v. 19.11.2019 – 3 Sa 124/19, AuA 2020, 434 Rz. 30. 2 BAG v. 27.11.2008 – 8 AZR 1021/06 Rz. 51 n.v.; LAG Düsseldorf v. 10.8.2010 – 17 Sa 1453/08 Rz. 90 f. n.v. 3 BAG v. 20.5.2010 – 8 AZR 734/08, NZA 2010, 1295 Rz. 35; BAG v. 27.11.2008 – 8 AZR 1021/06 Rz. 49 n.v. 4 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 382/05, NZA 2006, 1406 Rz. 43; LAG Rheinland-Pfalz v. 20.5.2020 – 7 Sa 306/19 Rz. 79 n.v.
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§ 11 Rz. 11.277 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
triebsteilübergangs seinen Widerspruch erklären und den ununterbrochenen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses beim bisherigen Betriebsinhaber bewirken konnte.
11.278
Vertretbar erscheint sogar, einen Entgeltfortzahlungsanspruch gegenüber dem bisherigen Betriebsinhaber auch dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nach dem Betriebs(teil-)übergang nicht gegenüber dem Betriebserwerber angeboten hat. Nur so kann letztlich der Zweck des Widerspruchsrechts, die Pflicht zur Weiterarbeit für einen neuen Vertragspartner trotz der Vorgaben zur persönlichen Dienstleistung in § 613 Satz 2 BGB zu vermeiden, verwirklicht werden. cc) Anrechnung (böswillig unterlassenen) anderweitigen Verdienstes (§ 615 Satz 2 BGB)
11.279
Allerdings muss sich der widersprechende Arbeitnehmer auf seinen Entgeltfortzahlungsanspruch gemäß § 615 Satz 2 BGB den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er im Anschluss an den Betriebs(teil-)übergang bzw. das Wirksamwerden der Umwandlung zu erwerben böswillig unterlassen hat1. Von einem böswilligen Unterlassen ist regelmäßig auszugehen, wenn dem Arbeinehmer ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände (Arbeitsmöglichkeit, Zumutbarkeit der Arbeit, nachteilige Folgen für den Arbeitgeber) vorsätzlich untätig bleibt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert2.
11.280
Dabei ist ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs beim neuen Betriebsinhaber nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil das Widerspruchsrecht zulässigerweise ausgeübt wurde. Umgekehrt begründet aber allein ein zulässigerweise ausgeübter Widerspruch noch nicht ein böswilliges Unterlassen i.S.v. § 615 Satz 2 BGB3. Vorwerfbar ist die Nichtannahme einer Tätigkeit allerdings dann, wenn die in Rede stehende Arbeit zumutbar gewesen wäre. Die Zumutbarkeit bemisst sich unter Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben, wobei die Art der Arbeit, die sonstigen Arbeitsbedingungen oder die Person des Arbeitgebers Unzumutbarkeitskriterien darstellen können4. Auch vertragsrechtliche Umstände sind zu berücksichtigen. Allerdings ist die nichtvertragsgemäße Arbeit nicht ohne Weiteres mit unzumutbarer Arbeit gleichzusetzen5. Zumutbarkeit ist insbesondere dann gegeben, wenn der übernehmende Rechtsträger eine Weiterbeschäftigung auf demselben Arbeitsplatz mit derselben Tätigkeit und zu denselben Arbeitsbedingungen zumindest für die Dauer einer etwaigen Kündigungsfrist anbietet6. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer – bei1 Vgl. BAG v. 22.3.2017 – 5 AZR 337/16, NZA 2017, 988 Rz. 17; BAG v. 11.1.2006 – 5 AZR 98/05, NZA 2006, 314 Rz. 18; BAG v. 11.1.2006 – 5 AZR 125/05, NZA 2006, 313 Rz. 14 f. 2 Vgl. BAG v. 22.3.2017 – 5 AZR 337/16, NZA 2017, 988 Rz. 17; BAG v. 9.9.2010 – 2 AZR 582/09, ZTR 2011, 113 Rz. 38 ff. (Arbeitnehmerüberlassung); BAG v. 20.3.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, 1354 Rz. 35; BAG v. 7.2.2007 – 5 AZR 422/06, NZA 2007, 561 Rz. 16; BAG v. 19.3.1998 – 8 AZR 139/97, NZA 1998, 750 Rz. 32 f. (Befristung). 3 BAG v. 20.3.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, 1354 Rz. 35. 4 BAG v. 11.1.2006 – 5 AZR 98/05, NZA 2006, 314 Rz. 18. 5 BAG v. 17.11.2011 – 5 AZR 564/10, NZA 2012, 260 Rz. 17; LAG Hamm v. 17.3.2016 – 17 Sa 1660/ 15 Rz. 263 n.v. 6 BAG v. 9.9.2010 – 2 AZR 582/09, ZTR 2011, 113 Rz. 38 ff. (Arbeitnehmerüberlassung); BAG v. 20.3.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, 1354 Rz. 35; BAG v. 7.2.2007 – 5 AZR 422/06, NZA 2007, 561 Rz. 16; BAG v. 19.3.1998 – 8 AZR 139/97, NZA 1998, 750 Rz. 32 f. (Befristung); LAG Hamburg v. 24.2.2016 – 6 Sa 31/15 Rz. 112 ff. n.v.; LAG Sachsen-Anhalt v. 12.1.1999 – 8 Sa 283/98 Rz. 14 f. n.v.
470 | Gaul/B. Otto
Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.283 § 11
spielsweise aufgrund einer entsprechenden Mitteilung des Erwerbers – sicher weiß, dass er unabhängig von seinem Widerspruch von dem Betriebserwerber beschäftigt werden würde1. Der Arbeitnehmer muss allerdings ohne Hinzutreten besonderer Umstände kein Angebot des Betriebserwerbers annehmen, welches auf eine Weiterbeschäftigung zu schlechteren Arbeitsbedingungen gerichtet ist2. Grundlage einer möglichen Tätigkeit des widersprechenden Arbeitnehmers beim Betriebserwerber ist regelmäßig ein neuer (befristeter) Arbeitsvertrag3. Zu dessen Eingehung ist der Arbeitnehmer nach einem Widerspruch zwar nicht verpflichtet. Da ihm ein solcher Abschluss auf der Grundlage einer Interessenabwägung allerdings für die Dauer der Kündigungsfrist, die beim übertragenden Rechtsträger zur Anwendung kommt, jedenfalls dann zuzumuten ist, wenn die Arbeitsvertragsbedingungen des befristeten Arbeitsvertrags mit dem Inhalt des Arbeitsvertrags mit dem bisherigen Arbeitgeber übereinstimmen, muss er sich die Vergütung, die dort zu erzielen wäre, auf den Vergütungsanspruch beim übertragenden Rechtsträger anrechnen lassen. Die grundsätzlich erforderliche Kongruenz der Vertragsbedingungen umfasst nach der Rechtsprechung auch die Möglichkeit, den befristeten Arbeitsvertrag während der Laufzeit der Befristung ordentlich zu kündigen4. Insofern ist darauf zu achten, dass dem Arbeitnehmer die Befugnis zur ordentlichen Kündigung auch im Rahmen des befristeten Arbeitsvertrags eingeräumt wird (§ 15 Abs. 3 TzBfG), sofern auch der Arbeitsvertrag mit dem bisherigen Arbeigeber ordentlich kündbar ist. Ausgehend davon, dass die Vergütungsansprüche nach dem Arbeitsvertrag mit dem Betriebsveräußerer und befristeten Arbeitsvertrag mit dem Betriebserwerber gleich sind, entfällt also der Anspruch auf Gehaltsfortzahlung gemäß § 615 Satz 1 BGB gegen den bisherigen Arbeitgeber. Entsprechendes wird man für leistungsbezogene (Jahres-)Sonderleistungen annehmen müssen.
11.281
Ein Rückgriff auf die Grundsätze zur Arbeitnehmerüberlassung ist für eine Anwendbarkeit von § 615 Satz 2 BGB nicht erforderlich. Insoweit verliert der Arbeitnehmer, dem ein neuer (zumutbarer) Arbeitsvertrag beim übernehmenden Rechtsträger angeboten wird, seine Entgeltfortzahlungsansprüche auch dann, wenn der alte Betriebsinhaber sich gegen einen Einsatz des Arbeitnehmers im Wege der Arbeitnehmerüberlassung bzw. auf der Grundlage eines Werkvertrags entscheidet. Eine Verpflichtung, den widersprechenden Arbeitnehmer per Arbeitnehmerüberassung bzw. Personalgestellung anderweitig einzusetzen, besteht nicht5. Bietet der bisherige Arbeitgeber dem widersprechenden Arbeitnehmer indes an, im Wege der Arbeitnehmerüberlassung vorübergehend beim Erwerber zu im Übrigen unveränderten Arbeitsbedingungen eingesetzt zu werden, findet auch insoweit § 615 Satz 2 BGB Anwendung6. Dass der Arbeitnehmer zu einer solchen Arbeit vertraglich nicht verpflichtet ist, spielt im Rahmen von § 615 Satz 2 BGB keine Rolle7.
11.282
Erhält der Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs des Arbeitgebers Arbeitslosengeld und unterlässt böswillig einen Erwerb, so wird das Arbeitslosengeld anteilig auf dasjenige Ar-
11.283
1 BAG v. 20.3.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, 1354 Rz. 35. 2 A.A. in Bezug auf § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG BAG v. 22.3.2017 – 5 AZR 337/16, NZA 2017, 988 Rz. 23, das schlechtere Vertragsbedingungen nur im Ausnahmefall als Begründung für eine Unzumutbarkeit ansieht. 3 Vgl. BAG v. 19.3.1998 – 8 AZR 139/97, NZA 1998, 750 Rz. 36. 4 LAG Hamm v. 15.5.2012 – 12 Sa 202/12 n.v. 5 BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 34. 6 BAG v. 9.9.2010 – 2 AZR 582/09, ZTR 2011, 113 Rz. 40. 7 Vgl. BAG v. 17.11.2011 – 5 AZR 564/10, NZA 2012, 260 Rz. 17.
Gaul/B. Otto | 471
§ 11 Rz. 11.283 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
beitsentgelt angerechnet, das der Arbeitnehmer aufgrund des Annahmeverzugs noch vom Arbeitgeber verlangen kann. Das bezogene Arbeitslosengeld ist bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze Äquivalent des gesamten Bruttoarbeitsgentgelts, d.h. das Arbeitslosengeld ist nur in Höhe des vom Arbeitgeber zu verlangenden Entgeltanteils – nach Abzug des böswillig unterlassenen Verdienstes – proportional anrechenbar. Entspricht der Betrag, den der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber theoretisch verlangen kann, x % der ursprünglichen Forderung, so sind darauf x % des gewährten Arbeitslosengeldes anzurechnen1. Zweck einer solchen anteiligen Anrechnung ist, dass dem Arbeitnehmer weder das gesamte Arbeitslosengeld zusätzlich verbleibt, noch dass der Arbeitgeber von seiner Entgeltzahlungspflicht durch die komplette Anrechnung des Arbeitslosengeldes befreit wird. b) Zahlungsansprüche gegen den Betriebserwerber
11.284
Unabhängig von den annahmeverzugsrechtlichen Vergütungsansprüchen gegen den Betriebsveräußerer richtet sich der Vergütungsanspruch für die Zeit bis zum Zugang des nachträglichen Widerspruchs primär gegen den Betriebserwerber, bei dem der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung erbracht hat2. Zwar ist das insoweit bestehende faktische Arbeitsverhältnis grundsätzlich nach Maßgabe von §§ 812 ff. BGB rückabzuwickeln. Soweit der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nach dem Betriebs(teil-)übergang bei dem Betriebserwerber bis zur Erklärung des Widerspruchs tatsächlich erbracht hat, steht einem etwaigen Rückforderungsanspruch des Betriebserwerbers gegen den Arbeitnehmer indes regelmäßig der Umstand entgegen, dass der Betriebserwerber seinerseits um den Wert der erbrachten Arbeitsleistung bereichert ist. Soweit der Betriebserwerber als neuer Inhaber Vergütung an den Arbeitnehmer gezahlt hat, ist der entsprechende Betrag gemäß § 615 Satz 2 BGB auf den gegen den bisherigen Arbeitgeber bestehenden Annahmeverzugslohnanspruch anzurechnen. Eine „Doppelzahlung“ wird dadurch vermieden3.
11.285
Etwas anderes kommt lediglich dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer nach dem Betriebs (teil-)übergang durch den Betriebserwerber von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt worden ist. Da das Arbeitsverhältnis mit dem Zugang des Widerspruchs rückwirkend bei dem bisherigen Arbeitgeber verbleibt, entfällt im Verhältnis zu dem Betriebserwerber zugleich der Arbeitsvertrag als Rechtsgrund für die Zahlung der Arbeitsvergütung4. Die Freistellung stellt in diesem Zusammenhang regelmäßig keine abstrakte, konstituive, vom Betand des Arbeitsverhältnisses unabhängige Vereinbarung dar und kann, ohne besondere Umstände (z.B. die Zusage des Arbeitgebers, dass die Vergütung auch während der Freistellung weiter gezahlt werde), nicht als eigenständiger Rechtsgrund für die Weiterzahlung der Arbeitsvergütung herangezogen werden. Soll eine Freistellungsvereinbarung unabhängig von den hierfür maßgeblichen tarifvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Voraussetzugnen einen Entgeltanspruch begründen, bedarf dies einer gesonderten Regelung5. Fehlt es an einer derartigen Vereinbarung, kann der Betriebserwerber die an den freigestellten Arbeitnehmer nach dem
1 BAG v. 11.1.2006 – 5 AZR 125/05, NZA 2006, 313 Rz. 16 f. 2 LAG Berlin-Brandenburg v. 20.11.2013 – 21 Sa 866/13 und 21 Sa 960/13 Rz. 91 n.v.; LAG Nürnberg v. 5.10.2011 – 2 Sa 765/10 Rz. 26 n.v.; Neufeld/Beyer, NZA 2008, 1157, 1159. 3 BAG v. 24.7.2008 – 8 AZR 1020/06 Rz. 48 n.v.; LAG Düsseldorf v. 10.8.2010 – 17 Sa 1453/06 Rz. 91 n.v. 4 LAG München v. 24.2.2011 – 4 Sa 1056/10 Rz. 17 n.v. 5 LAG Hamm v. 21.10.2016 – 1 Sa 414/16 Rz. 52 n.v.; LAG München v. 24.2.2011 – 4 Sa 1056/10 Rz. 24 n.v.
472 | Gaul/B. Otto
Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers | Rz. 11.289 § 11
Betriebs(teil-)übergang gezahlte Vergütung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB zurückverlangen1. Der Arbeitnehmer kann sich dabei regelmäßig nicht auf den Einwand der Entreicherung berufen. Zwar ist ein Bereicherungsanspruch gemäß § 818 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn das Erlangte ersatzlos weggefallen ist und kein Überschuss im Vermögen des Empfängers mehr besteht, das ohne den bereichernden Vorgang vorhanden wäre. Allerdings vermeidet der Arbeitnehmer, der mit der durch den Betriebserwerber gezahlten Vergütung seine laufenden Lebenshaltungskosten bestreitet, deren anderweitige, ggf. kreditfinanzierte Deckung. Schon aus diesem Grund kommt eine Entreicherung nicht in Betracht2. Des Weiteren ist der identische arbeitsrechtliche Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers gegen seinen bisherigen Arbeitgeber, unabhängig von dessen Realisierbarkeit bzw. Werthaltigkeit sowie ungeachtet eines etwaigen Verfalls dieses Anspruchs aufgrund einer arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist, auch als einer Entreicherung gegenüber dem Betriebsübernehmer entgegenstehend zu berücksichtigen3.
11.286
XII. Rücknahme/Widerruf des Widerspruchs Eine Rücknahme oder ein Widerruf des (zugegangenen) Widerspruchs als einseitige rechtsgestaltende Willenserklärung ist – vergleichbar mit der Kündigung – nicht möglich4. Dies gilt auch dann, wenn dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Erklärung des Widerspruchs noch keine ordnungsgemäße Unterrichtung i.S.d. § 613a Abs. 5 BGB vorgelegen hat5.
11.287
Unbeachtlich ist der Widerspruch eines Arbeitnehmers gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber lediglich dann, wenn die Maßnahme, über die nach § 613a Abs. 5 BGB informiert wurde, nicht durchgeführt wurde. Bei einer völlig anderen Maßnahme als der, über die informiert wurde, handelt es sich auch nicht um eine Planungsänderung, bei der grundsätzlich kein Anspruch auf ergänzende Unterrichtung besteht, wenn der Unterrichtungspflichtige dem Arbeitnehmer Informationen nach seinem Kenntnisstand im Zeitpunkt der Unterrichtung erteilt hat. Vielmehr bedarf es in diesem Fall einer erneuten Unterrichtung (vgl. Rz. 11.129). Ein etwaiger in Bezug auf den nicht durchgeführten Betriebs (teil-)übergang erklärter Widerspruch geht ins Leere6.
11.288
Unabhängig davon ist der übernehmende Rechtsträger nach Zugang eines wirksamen Widerrufs nicht mehr zur Übernahme des Arbeitnehmers verpflichtet. Ein Wechsel zum neuen Betriebsinhaber kommt in diesem Fall folglich nur (noch) dann zustande, wenn Einvernehmen über die neuen Arbeitsbedingungen erzielt wird. Allerdings können die beteiligten Rechtsträger einer entsprechenden Bitte des Arbeitnehmers auf Weiterbeschäftigung bei dem Betriebserwerber mit der Folge zustimmen, dass dadurch (freiwillig) eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem übertragenden Rechtsträger und die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
11.289
LAG München v. 24.2.2011 – 4 Sa 1056/10 Rz. 16 n.v. LAG München v. 24.2.2011 – 4 Sa 1056/10 Rz. 42 n.v. LAG München v. 24.2.2011 – 4 Sa 1056/10 Rz. 43 n.v. BAG v. 19.2.2009 – 8 AZR 176/08, NZA 2009, 1095 Rz. 33; BAG v. 30.10.2003 – 8 AZR 491/02, NZA 2004, 481 Rz. 21; LAG Köln v. 1.3.2013 – 9 Sa 774/12 Rz. 108 n.v. 5 LAG Köln v. 2.8.2010 – 2 Sa 176/10, ZIP 2011, 830 Rz. 33. 6 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357 Rz. 31.
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Gaul/B. Otto | 473
§ 11 Rz. 11.289 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
bei dem neuen Betriebsinhaber vereinbart werden1. Erforderlich ist allerdings, dass sowohl der bisherige Arbeitgeber als auch der neue Inhaber einverstanden sind. Eine lediglich durch einen der beteiligten Rechtsträger erklärte Zustimmung zur Rücknahme des Widerspruchs ist als Vertrag zulasten Dritter unbeachtlich2.
XIII. Anfechtung des Widerspruchs 11.290
Losgelöst von etwaigen Schadensersatzansprüchen kommt bei einer unterbliebenen bzw. fehlerhaften Unterrichtung und einem dadurch veranlassten Widerspruch des Arbeitnehmers grundsätzlich auch eine Anfechtung des Widerspruchs in Betracht3. Denkbar ist dies beispielsweise bei einer unzutreffenden Information über die bei dem Erwerber geltenden Arbeitsbedingungen bzw. einer bewusst falschen Darstellung der durch den Erwerber geplanten Maßnahmen.
11.291
Der erforderliche Anfechtungsgrund ergibt sich zwar regelmäßig noch nicht aus § 119 Abs. 1 BGB4. Denn ein Irrtum über die für die Willensbildung maßgeblichen Umstände ist als bloßer Motivirrtum unbeachtlich5.
11.292
Möglich ist grundsätzlich eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB6. Die beteiligten Arbeitgeber sind dabei nicht „Dritte“ i.S.d. § 123 Abs. 2 BGB, da sie für die Erfüllung der Unterrichtungspflicht – wie vorstehend ausgeführt (vgl. Rz. 11.112) – als Gesamtschuldner haften7.
11.293
Gleichwohl begründet nicht jede fahrlässig fehlerhafte Unterrichtung ein Anfechtungsrecht gemäß § 123 Abs. 1 BGB. Erforderlich ist vielmehr, dass die in der unrichtigen bzw. unterbliebenen Unterrichtung liegende Täuschung „arglistig“ erfolgt. Dies setzt voraus, dass dem Arbeitgeber die Unrichtigkeit seiner Angaben bewusst war bzw. er mit deren Fehlerhaftigkeit zumindest (bedingt vorsätzlich) rechnen musste. Denkbar ist dies beispielsweise bei unabgestimmten Behauptungen des Veräußerers über durch den Erwerber geplante Maßnahmen oder (bewusst) fehlerhaften Angaben über die gesetzliche Insolvenzsicherungspflicht für Wertguthaben nach § 8a ATG8. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass sich der Inhalt der Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB nach dem wechselseitigen Kenntnisstand des Veräußerers und Erwerbers zum Zeitpunkt der Unterrichtung bestimmt (vgl. Rz. 11.127 ff.). Eine nachträgliche Veränderung des zugrunde liegenden Sachverhalts, z.B. eine Verschiebung des Übertragungsstichtags, begründet keine erneute Unterrichtungspflicht bzw. macht die einmal erfolgte Unterrichtung nicht „unrichtig“. Dem entspricht es, dass die Erklärung über die „in Aussicht genommenen Maßnahmen“ zwar eine durch objektive Indizien verfestigte subjektive Absicht
1 BAG v. 19.2.2009 – 8 AZR 176/08, NZA 2009, 1095 Rz. 33; LAG Köln v. 12.10.1995 – 5 Sa 749/95, NZA-RR 1996, 327. 2 BAG v. 30.10.2003 – 8 AZR 491/02, NZA 2004, 481 Rz. 26 f.; LAG Köln v. 1.3.2013 – 9 Sa 774/12 Rz. 109 n.v. 3 BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 220/11, NZA 2012, 1101 Rz. 24 ff.; vgl. Meyer, NZA 2017, 960, 962. 4 Vgl. hierzu LAG Hamm v. 22.8.1996 – 4 Sa 322/96 Rz. 188 f. n.v.; LAG Bremen v. 18.9.1987 – 4 Sa 640/86 n.v. 5 B. Gaul/B. Otto, DB 2005, 2465, 2469. 6 BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 220/11, NZA 2012, 1101 Rz. 24. 7 B. Gaul/B. Otto, DB 2005, 2465, 2469. 8 BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 220/11, NZA 2012, 1101 Rz. 29, wobei das BAG hier von einer „Täuschung durch Verschweigen“, d.h. durch Unterlassen, ausgeht.
474 | Gaul/B. Otto
Rechtsfolgen einer fehlenden oder fehlerhaften Unterrichtung | Rz. 11.296 § 11
voraussetzt, aber keinen Anspruch auf tatsächliche Durchführung der anvisierten Maßnahmen begründet1. Es handelt sich um eine Wissens-, keine Willenserklärung. Wird der Arbeitnehmer über den Betriebs(teil-)übergang überhaupt nicht unterrichtet, wird ein arglistiges Verhalten indes regelmäßig vorliegen. Denn bei einer Täuschung durch Unterlassen handelt arglistig, wer einen Betriebs(teil-)übergang mindestens für möglich hält, gleichzeitig weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Arbeitnehmer den Betriebs(teil-)übergang und/oder die damit verbundenen Folgen nicht kennt und bei Offenbarung den Widerspruch nicht erklärt hätte. Ein Anfechtungsrecht ist demnach – wenig praxisrelevant – allenfalls dann ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber entweder die gesetzliche Unterrichtungspflicht überhaupt nicht kennt oder nicht weiß, dass sein Betrieb auf einen anderen Arbeitgeber übergeht. Insofern empfiehlt es sich, die Arbeitnehmer auch dann in Textform gemäß § 613a Abs. 5 BGB zu unterrichten, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich zuvor – was beispielsweise im Rahmen der durch das EnWG begründeten Verpflichtung zur Trennung der Netze von den Bereichen Erzeugung und Vertrieb (sogenanntes „Unbundling“) von Bedeutung sein kann2 – auf die Ausübung des Widerspruchs3 verständigt haben.
11.294
Soweit der Arbeitnehmer von seinem Anfechtungsrecht innerhalb der Jahresfrist des § 124 BGB Gebrauch macht, gilt der Widerspruch als nicht erfolgt (§ 142 Abs. 1 BGB)4. Die wirksame Anfechtung des Widerspruchs beseitigt seine Wirkung nicht nur gegenüber dem unmittelbaren Erklärungsempfänger, sondern gegenüber beiden beteiligten Rechtsträgern. Dies gilt auch dann, wenn die in Rede stehende Täuschungshandlung nur von dem Betriebsveräußerer begangen wurde5. Das Arbeitsverhältnis verbleibt daher nicht bei dem bisherigen Arbeitgeber, sondern geht gemäß § 613a BGB mit allen Rechten und Pflichten auf den Erwerber über. Anders als im Rahmen des Schadensersatzanspruchs, der auf eine Entschädigung in Geld begrenzt ist, führt die Anfechtung somit zu einem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Die unterschiedliche Behandlung beider Institute ist allerdings insoweit gerechtfertigt, als sich der Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber nach erfolgter Anfechtung unmittelbar aus dem Gesetz, nämlich aus § 613a BGB, ergibt.
11.295
C. Rechtsfolgen einer fehlenden oder fehlerhaften Unterrichtung I. Kein Fristbeginn nach § 613a Abs. 6 BGB Wird der von einem Betriebs(teil-)übergang bzw. einer Umwandlung betroffene Arbeitnehmer entgegen den Vorgaben des § 613a Abs. 5 BGB weder durch seinen bisherigen Arbeitgeber noch durch den neuen Inhaber des Betriebs von dem Betriebsübergang informiert, führt dies zunächst dazu, dass die einmonatige Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 BGB nicht in Lauf gesetzt wird. In den Grenzen der Verwirkung kann der Arbeitnehmer dementsprechend auch noch nach dem vollzogenen Betriebsübergang bzw. einer Umwandlung dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den neuen Arbeitgeber widersprechen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer überhaupt nicht oder lediglich unvollständig von dem Betriebs(teil-)übergang bzw. der Umwandlung unterrichtet worden ist (vgl. Rz. 11.195). Eine 1 2 3 4 5
B. Gaul/B. Otto, DB 2005, 2465, 2469. Vgl. dazu OLG Düsseldorf v. 25.3.2015 – VI-3 Kart 116/14 (V) n.v. Vgl. dazu BAG v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, NZA 2005, 43 Rz. 29 ff. BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 220/11, NZA 2012, 1101 Rz. 24. BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 220/11, NZA 2012, 1101 Rz. 36.
Gaul/B. Otto | 475
11.296
§ 11 Rz. 11.296 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
Kausalität zwischen der fehlerhaften Information und dem nicht ausgeübten Widerspruchsrecht ist nicht erforderlich (vgl. Rz. 11.188).
II. Schadensersatzansprüche 11.297
Neben dem gesetzlich normierten Widerspruchsrecht kommen für den Fall fehlender oder fehlerhafter Unterrichtung auch Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers gegen die beteiligten Rechtsträger in Betracht1. Lediglich beispielhaft sei hier auf den Fall eines unterlassenen Wechsels einer Krankenkasse verwiesen, der wegen unterbliebener Unterrichtung im Anschluss an den Arbeitgeberwechsel nur verspätet bewirkt werden kann und mit erhöhten Beitragspflichten verbunden ist. Denkbar ist ein Schadensersatzanspruch weiterhin dann, wenn ein Arbeitnehmer nach erfolgreichem Kündigungsschutzprozess in Unkenntnis eines zwischenzeitlich erfolgten Betriebs(teil-)übergangs zunächst den Vertragsarbeitgeber auf Zahlung von Verzugslohn verklagt, nach Kenntniserlangung von dem Betriebsinhaberwechsel seine Klage umstellt und sich der Betriebserwerber sodann auf Ausschlussfristen oder Verjährung beruft2.
1. Unterrichtung als Nebenleistungspflicht 11.298
Bei der Informationspflicht nach § 613a Abs. 5 BGB handelt es sich nicht um eine bloße Obliegenheit des Arbeitgebers3, sondern um eine echte Rechtspflicht der am Übertragungsvorgang beteiligten Rechtsträger, deren Verletzung Erfüllungs- und – unter den weiteren Voraussetzungen der §§ 280 ff. BGB – Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers begründen kann4. Dies folgt nicht nur aus dem Wortlaut des Gesetzes („hat … zu unterrichten“). Dem entspricht Art. 9 Richtlinie 2001/23/EG, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, innerstaatliche Regelungen zu treffen, „um allen Arbeitnehmern und Vertretern der Arbeitnehmer, die ihrer Ansicht nach durch die Nichtbeachtung der sich aus dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen benachteiligt sind, die Möglichkeit zu geben, ihre Forderungen durch Gerichtsverfahren einzuklagen …“. Die Richtlinie geht also von einem klagbaren Anspruch des Arbeitnehmers, nicht nur von einer Obliegenheit des Arbeitgebers aus.
2. Anspruchsgegner und Anspruchsgrundlage 11.299
Die danach grundsätzlich mögliche Haftung richtet sich – der Alternativität der Unterrichtungsverpflichtung gemäß § 613a Abs. 5 BGB entsprechend („oder“) – sowohl gegen den bisherigen als auch gegen den neuen Arbeitgeber5. Die beteiligten Rechtsträger haften für die Erfüllung der sich aus § 613a Abs. 5 BGB ergebenden Pflichten als Gesamtschuldner (§ 421 BGB)6. 1 BAG v. 9.12.2010 – 8 AZR 592/08 Rz. 30 ff. n.v.; BAG v. 11.11.2010 – 8 AZR 169/09 Rz. 22 n.v.; LAG Rheinland-Pfalz v. 20.5.2020 – 7 Sa 306/19 Rz. 83 n.v.; vgl. Meyer, NZA 2017, 960 ff. 2 LAG Hamm v. 11.3.2002 – 8 Sa 1249/01 Rz. 23 n.v. 3 So noch vor Inkrafttreten des § 613a Abs. 6 BGB BAG v. 22.4.1994 – 2 AZR 50/92, NZA 1994, 360 Rz. 27. 4 BAG v. 9.12.2010 – 8 AZR 592/08 Rz. 30 n.v.; BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 1116/06, NZA 2008, 642 Rz. 40; LAG Rheinland-Pfalz v. 20.5.2020 – 7 Sa 306/19 Rz. 83 n.v.; so bereits B. Gaul/B. Otto, DB 2002, 634, 639 f. 5 Näher dazu B. Gaul/B. Otto, DB 2002, 634, 639. 6 BAG v. 9.12.2010 – 8 AZR 614/08 Rz. 31 n.v.; BAG v. 18.3.2010 – 8 AZR 840/08 Rz. 39, NZA-RR 2011, 280; BT-Drucks. 14/7760, 19.
476 | Gaul/B. Otto
Rechtsfolgen einer fehlenden oder fehlerhaften Unterrichtung | Rz. 11.304 § 11
Das Schadensersatzverlangen gegenüber Veräußerer und Erwerber bestimmt sich nach § 280 Abs. 1 BGB. Deren Verschulden wird gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutet1. Grundlage hierfür ist die Verletzung der sich aus dem durch § 613a Abs. 5 BGB begründeten gesetzlichen Schuldverhältnis ergebenden Pflichten2, welches auch den zukünftigen Betriebsinhaber zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitnehmers verpflichtet (§ 311 Abs. 2 Nr. 3, § 241 Abs. 2 BGB).
11.300
Eine Haftungsfreizeichnung dergestalt, dass jeder Arbeitgeber sich auf die Verpflichtung des anderen berufen kann, scheidet dabei aus. Ebenso wenig kann sich der Arbeitgeber einer Haftung durch die Behauptung entziehen, ihm würden die für die Unterrichtung erforderlichen Informationen durch den neuen Inhaber nicht zur Verfügung gestellt. Denn zum einen bleiben bis zur Bewirkung der ganzen Leistung, d.h. der Unterrichtung, sämtliche Schuldner verpflichtet (§ 421 Satz 2 BGB). Zum anderen wäre es widersprüchlich, den Arbeitgeber, der sich auf die Unterrichtung durch seinen Vertragspartner verlässt, von einer Haftung auszunehmen, während er für den Fall einer fehlerhaften Unterrichtung haften würde. Die beteiligten Rechtsträger sollten deshalb bereits im Übertragungsvertrag festlegen, durch wen die Unterrichtungsverpflichtung erfüllt wird, auf welche Weise die wechselseitige Information über die für die Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen sichergestellt werden kann und wie die Haftung für die damit im Zusammenhang stehenden Fragen verteilt ist.
11.301
3. Anspruchsinhalt Inhaltlich richtet sich der Ersatzanspruch des Arbeitnehmers auf Herstellung des gleichen wirtschaftlichen Zustands, der ohne das schädigende Ereignis, d.h. die fehlende bzw. fehlerhafte Unterrichtung, bestehen würde. Der Arbeitnehmer, der über den Betriebs(teil-)übergang nicht oder nicht vollständig unterrichtet worden ist, ist so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn er richtig und vollständig informiert gewesen wäre3.
11.302
Eine Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 BGB in dem Sinne, dass der Arbeitnehmer mit der Begründung, bei ordnungsgemäßer Information hätte er dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht widersprochen, den Abschluss eines eigenständigen Arbeitsvertrags mit dem Erwerber verlangen könnte, scheidet nach richtiger Auffassung aus4. Denn der damit einhergehende Eingriff in die Vertragsautonomie ist durch das von den §§ 249 ff. BGB geschützte Wiederherstellungsinteresse nicht gerechtfertigt5. Diesem ist vielmehr auch dann genüge getan, wenn ein etwaig entstandener Schaden, z.B. die Differenz zu der beim Erwerber möglichen Vergütung, in Geld ausgeglichen wird (§ 251 BGB). Dies entspricht den Vorgaben der § 15 Abs. 6 AGG, § 164 Abs. 2 SGB IX, die bei einer wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgenden Benachteiligung ebenfalls keinen Anspruch auf Begründung eines (geänderten) Arbeitsverhältnisses, sondern lediglich auf Entschädigung in Geld gewähren.
11.303
Offen ist dabei allerdings der Zeitraum, der als Grundlage für die Berechnung des Schadens in Ansatz zu bringen ist. Ein pauschaliertes Abstellen auf die Dauer der jeweiligen Kündigungsfrist bzw. eine Obergrenze von drei Monaten, wie es zum Teil im Rahmen der § 15 AGG, § 164
11.304
1 BAG v. 9.12.2010 – 8 AZR 592/08 Rz. 30 n.v.; B. Gaul/B. Otto, DB 2002, 634, 639. 2 B. Gaul/B. Otto, DB 2002, 634, 640. 3 BAG v. 9.12.2010 – 8 AZR 592/08, Rz. 30 n.v.; LAG Rheinland-Pfalz v. 20.5.2020 – 7 Sa 306/19, Rz. 83 n.v. 4 B. Gaul/B. Otto, DB 2005, 2465, 2469. 5 Vgl. dazu schon B. Gaul/B. Otto, DB 2002, 634, 639.
Gaul/B. Otto | 477
§ 11 Rz. 11.304 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
Abs. 2 SGB IX vertreten wird1, überzeugt nicht. Denn eine derartige fiktive Kündigung würde letztlich wegen des Betriebs(teil-)übergangs erfolgen und wäre damit unwirksam (§ 613a Abs. 4 Satz 1 BGB). Auch eine Anlehnung an die Drei-Monats-Grenze des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG ist als willkürlich abzulehnen. Angemessen erscheint vielmehr, der Schadensbemessung entsprechend § 10 KSchG einen – je nach Alter und Betriebszugehörigkeit gestaffelten – zeitlichen Rahmen von 12 bis 18 Monaten zugrunde zu legen2.
11.305
Eine darüber hinausgehende immaterielle Werteinbuße des Arbeitnehmers, beispielsweise ein vermeintlich besseres Betriebsklima bei dem übernehmenden Rechtsträger, ist gemäß § 253 BGB nicht ersatzfähig. Entsprechendes gilt für Rechtsfolgen, über die der Arbeitgeber zwar nicht bzw. nicht ordnungsgemäß unterrichtet hat, die aber unmittelbar durch § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB ausgelöst werden (z.B. ein Tarifwechsel oder die Ablösung von Betriebsvereinbarungen). Denn die dem Arbeitnehmer insoweit entstehenden Nachteile wären auch bei einer ordnungsgemäßen Unterrichtung eingetreten3. Schäden, die auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten entstanden wären, sind vom Schutzzweck der §§ 280 ff., § 613a Abs. 5 BGB nicht erfasst4.
11.306
Unproblematisch ist der umgekehrte Fall, in dem der Arbeitnehmer geltend macht, bei ordnungsgemäßer Unterrichtung widersprochen zu haben und daher zu seinem alten Arbeitgeber zurückkehren zu wollen. Dieses Ziel kann der Arbeitnehmer – wozu er regelmäßig schon im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB verpflichtet sein dürfte – bereits durch einfachen Widerspruch erreichen, da die einmonatige Widerspruchsfrist – wie vorstehend ausgeführt – erst mit vollständiger Unterrichtung zu laufen beginnt und der Widerspruch – wie bereits vor Inkrafttreten des § 613a Abs. 5, 6 BGB allgemein anerkannt5 – rückwirkend den Übergang des Arbeitsverhältnisses verhindert6. Zudem lässt sich ein etwaiger Schadensersatzanspruch hier zumindest der Höhe nach durch den Einwand des Arbeitgebers beschränken, dass dem Arbeitnehmer nach Erklärung des Widerspruchs ohnehin betriebsbedingt gekündigt worden wäre. Soweit der Arbeitnehmer von seinem Widerspruchsrecht keinen Gebrauch macht bzw. das Widerspruchsrecht bereits verwirkt ist, kann der Arbeitnehmer vom Betriebsveräußerer auch im Wege einer Schadensersatzklage nicht verlangen, mittels der Naturalrestitution wirtschaftlich so gestellt zu werden, als hätte er dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber ordnungsgemäß widersprochen7. Denn durch die Einräumung einer derartigen weiteren Widerspruchsmöglichkeit würden letztlich die Regelungen bezüglich des Widerspruchsrechts des Arbeitnehmers umgangen8.
11.307
Unabhängig von Höhe und Inhalt eines etwaigen Schadensersatzanspruchs ist stets sorgfältig zu prüfen, ob die in Rede stehende, nicht ordnungsgemäße Unterrichtung für den behaup1 Vgl. BAG v. 27.8.2020 – 8 AZR 62/19, NZA 2021, 189 Rz. 85; BAG v. 17.8.2010 – 9 AZR 839/08, NZA 2011, 153 Rz. 61 ff.; VGH Baden-Württemberg v. 7.2.2012 – 4 S 82/12, AE 2012, 142 Rz. 12; VG Stuttgart v. 17.9.2013 – 3 K 1995/13, AE 2014, 18 Rz. 28. 2 B. Gaul/B. Otto, DB 2005, 2465, 2469. 3 B. Gaul/B. Otto, DB 2002, 634, 639. 4 Vgl. BGH v. 29.1.2019 – VI ZR 495/16, NJW 2019, 1076 Rz. 42; BAG v. 26.7.2016 – 1 AZR 160/14, NZA 2016, 1543 Rz. 68. 5 BAG v. 22.4.1993 – 2 AZR 50/92, NZA 1994, 360 Rz. 12 ff. 6 So unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Kausalität im Ergebnis auch BAG v. 9.12.2010 – 8 AZR 592/08 Rz. 31 n.v. 7 BAG v. 11.11.2010 – 8 AZR 169/09 Rz. 22 n.v. 8 BAG v. 11.11.2010 – 8 AZR 169/09 Rz. 22 n.v.; BAG v. 2.4.2009 – 8 AZR 220/07 Rz. 40 n.v.
478 | Gaul/B. Otto
Rechtsfolgen einer fehlenden oder fehlerhaften Unterrichtung | Rz. 11.309 § 11
teten Schaden überhaupt ursächlich geworden ist1. Daran fehlt es, wenn der Arbeitnehmer von dem Betriebsveräußerer im Wege des Schadensersatzes eine mit dem Betriebserwerber nach dem Betriebs(teil-)übergang vereinbarte Abfindung verlangt, die ihm aufgrund der Insolvenz des Betriebserwerbers nicht mehr ausgezahlt wurde2. Eine Ursächlichkeit zwischen nicht ordnungsgemäßer Unterrichtung und Schaden ist auch dann nicht gegeben, wenn der Arbeitnehmer durch Ausübung seines Widerspruchsrechts den Schaden in dem von ihm gewünschten Sinn vermeiden kann3. Losgelöst hiervon werden oftmals lediglich persönliche Erwartungen des Arbeitnehmers nicht erfüllt, ohne dass die (unterbliebene) Unterrichtung des Arbeitgebers hierfür kausal geworden ist. Subjektive Empfindungen und mit dem Übergang verbundene Hoffnungen des Arbeitnehmers werden durch § 613a Abs. 5, 6 BGB indes nicht geschützt. Ihre Enttäuschung kann dementsprechend auch nicht schadensersatzrechtlich sanktioniert werden. Fühlt sich der Arbeitnehmer lediglich subjektiv getäuscht, ohne dass eine quantifizierbare Werteinbuße feststellbar ist, kommt weder ein Widerspruch noch ein Schadensersatzanspruch in Betracht (§ 253 BGB)4.
4. Darlegungs- und Beweislast Insofern muss der Arbeitnehmer nicht nur darlegen und ggf. beweisen, dass die eingetretene Vermögensminderung im Falle ordnungsgemäßer Unterrichtung ausgeblieben wäre (haftungsbegründende Kausalität), sondern auch, dass der geltend gemachte Schaden im Falle der Erklärung bzw. Unterlassung des Widerspruchs nicht eingetreten wäre (haftungsausfüllende Kausalität)5. Beweiserleichterungen sind dabei grundsätzlich nicht möglich.
11.308
Insbesondere greifen zugunsten des Arbeitnehmers nicht die durch den BGH entwickelten Grundsätze zur „Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens“6. Danach ist derjenige, der seine vertraglichen oder vorvertraglichen Beratungs- und Aufklärungspflichten verletzt, dafür beweispflichtig, dass der Schaden bei pflichtgemäßem Verhalten nicht entstanden wäre7. Er muss also Tatsachen darlegen, die für ein atypisches Verhalten des Geschädigten sprechen8. Die damit verbundene, eine echte Beweislastumkehr begründende Vermutung9, dass sich der Geschädigte „aufklärungsrichtig“ verhalten hätte10, greift jedoch dann nicht ein, wenn unter sachlichen Gesichtspunkten mehrere Entscheidungen in Betracht kommen11. Insofern ist zu berücksichtigen, dass selbst bei ordnungsgemäßer Unterrichtung eine Entscheidung des Arbeitnehmers sowohl für als auch gegen den Widerspruch in Betracht kommt. So kann sich der Arbeitnehmer auch bei einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für einen Über-
11.309
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
BAG v. 9.12.2010 – 8 AZR 592/08 Rz. 31 n.v.; BAG v. 11.11.2010 – 8 AZR 169/09 Rz. 27 n.v. BAG v. 11.11.2010 – 8 AZR 169/09 Rz. 27 n.v. BAG v. 9.12.2010 – 8 AZR 592/08 Rz. 31 n.v.; LAG Hamm v. 1.3.2013 – 10 Sa 1175/12 Rz. 29 n.v. B. Gaul/B. Otto, DB 2002, 634, 639. BAG v. 9.12.2010 – 8 AZR 592/08 Rz. 30 n.v.; Klocke, RdA 2017, 311, 312 f. Vgl. dazu BGH v. 10.1.2017 – XI ZR 365/14 Rz. 10 n.v.; BGH v. 26.3.2013 – XI ZR 228/11 Rz. 9 ff. n.v.; BGH v. 5.7.1973 – VII ZR 12/73 Rz. 12 n.v. BGH v. 10.1.2017 – XI ZR 365/14 Rz. 10 n.v.; BAG v. 17.10.2000 – 3 AZR 605/99, NZA 2001, 206 Rz. 38. BAG v. 21.11.2000 – 3 AZR 13/00, NZA 2002, 618 Rz. 44. BAG v. 17.10.2000 – 3 AZR 605/99, NZA 2001, 206 Rz. 17; offengelassen in BAG v. 21.11.2000 – 3 AZR 13/00, NZA 2002, 618 Rz. 44; a.A. BGH v. 30.9.1993 – IX ZR 73/93, DB 1993, 2373 Rz. 13 ff. BGH v. 26.2.2013 – XI ZR 183/11 Rz. 13, 17 n.v. BAG v. 9.12.2010 – 8 AZR 592/08 Rz. 30 n.v.; BGH v. 10.12.1998 – IX ZR 358/97, DB 1999, 424; BGH v. 17.12.1997 – VIII ZR 235/96, DB 1998, 765 Rz. 56.
Gaul/B. Otto | 479
§ 11 Rz. 11.309 | Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht
gang seines Arbeitsverhältnisses aussprechen, weil er beispielsweise die Karriereaussichten bei dem Erwerber für besser hält. Eine Vermutung des Inhalts, dass der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber bei ordnungsgemäßer Unterrichtung nicht widersprochen hätte, kommt also nicht in Betracht.
11.310
Aus denselben Gründen scheidet regelmäßig auch eine Anwendbarkeit der Regeln über den Anscheinsbeweis aus. Danach kann von einer feststehenden Ursache auf einen bestimmten Erfolg oder umgekehrt geschlossen werden, wenn sich unter Berücksichtigung aller Einzelumstände und besonderen Merkmale des Sachverhalts ein für die zu beweisende Tatsache nach der Lebenserfahrung typischer Geschehensablauf ergibt1. Demgegenüber ist ein Anscheinsbeweis bei individuell geprägten Willensentschlüssen, die nicht durch eine typisierende Betrachtungsweise erfasst werden können2, grundsätzlich ausgeschlossen. So hat die Rechtsprechung einen Anscheinsbeweis für einen Kausalzusammenhang zwischen (fehlerhaften) Ad-hoc-Mitteilungen und Kaufentschluss mit der Begründung abgelehnt, Anlageentscheidungen seien durch vielfältige rationale und irrationale Faktoren sowie spekulative Elemente geprägt, die einer durch ständige Erfahrungen des täglichen Lebens belegbaren Typisierung nicht zugänglich seien3. Diese Bewertung lässt sich auf die Ausübung des Widerspruchsrechts übertragen. Die entsprechende Entscheidung beruht ebenfalls auf einer Vielzahl von Umständen, die nicht auf messbare materielle Vor- und Nachteile beschränkt ist, sondern infolge der mehr oder weniger stark ausgeprägten Identifizierung mit dem Arbeitgeber regelmäßig auch persönliche, emotionale Aspekte umfasst.
III. Erfüllungsansprüche 11.311
Da es sich bei der Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB um eine Wissenserklärung, keine Willenserklärung handelt, kann aus fehlerhaften Angaben im Unterrichtungsschreiben zu den Folgen des Übergangs und den insoweit vorgesehenen Maßnahmen kein Erfüllungsanspruch geltend gemacht werden4. Ein besonderer Hinweis auf diese Absicht der beteiligten Rechtsträger muss nicht gesondert in das Unterrichtungsschreiben aufgenommen werden. Es hilft aber, in der Unterrichtung vorsorglich erkennbar zu machen, dass damit die gesetzliche Pflicht zur Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 5 BGB erfüllt wird.
1 BGH v. 19.7.2004 – II ZR 218/03, DB 2004, 1928 Rz. 42; OLG Düsseldorf v. 22.12.2016 – I-5 U 46/ 16, NJW-RR 2017, 856 Rz. 33. 2 BGH v. 9.5.2005 – II ZR 287/02, DB 2005, 1845 Rz. 22; BGH v. 19.7.2004 – II ZR 218/03, DB 2004, 1928 Rz. 42; BGH v. 19.7.2004 – II ZR 217/03, NJW 2004, 2668 Rz. 54. 3 BGH v. 19.7.2004 – II ZR 218/03, DB 2004, 1928 Rz. 41 ff.; BGH v. 19.7.2004 – II ZR 217/03, NJW 2004, 2668 Rz. 39. 4 LAG Hamm v. 1.3.2013 – 10 Sa 1175/12 Rz. 31 ff. n.v.; LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 4.9.2012 – 5 Sa 308/11 Rz. 82 n.v.; B. Gaul/B. Otto, DB 2005, 2465, 2470.
480 | Gaul/B. Otto
Teil 4 Haftungsrechtliche Konsequenzen einer übertragenden Vermögensverteilung
§ 12 Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes
A. Haftung nach § 613a BGB I. Haftung des Erwerbers . . . . . . . . . . II. Haftung des Veräußerers . . . . . . . . . 1. Anspruch aus bestehendem Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung nach Entstehung und Fälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . 3. Quotelung nach § 613a Abs. 2 Satz 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wirkung der gesamtschuldnerischen Haftung . . . . . . . . . . . . . . 5. Abdingbarkeit und zwingender Charakter des § 613a Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Haftung bei einer Firmenfortführung nach § 25 HGB . . . . . . . . . . . . I. Voraussetzungen 1. Handelsgeschäft . . . . . . . . . . . . 2. Tatsächliche Fortsetzung des Handelsgeschäfts . . . . . . . . . . . . 3. Fortführung der Firma . . . . . . . 4. Art der Übertragung des Handelsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . II. Haftungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . III. Verbleib der Verbindlichkeit beim Veräußerer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Möglichkeit einer abweichenden Vereinbarung zur Haftung des Erwerbers (§ 25 Abs. 2 HGB) . . . . . V. Verhältnis zu § 613a BGB . . . . . . . . VI. Begrenzung der Nachhaftung des früheren Geschäftsinhabers (§ 26 HGB) 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . .
12.1 12.6 12.7 C. 12.8 12.13
I.
12.18
II. III.
12.20 D. 12.23 12.24 12.25 12.26 12.27 12.29 12.33
E.
I.
II. III. F.
12.36 12.44
G. H.
2. Verhältnis zwischen § 26 HGB und § 613a BGB . . . . . . . . . . . . 3. Abdingbarkeit von § 26 HGB . . 4. Übergangsregelungen für Altfälle (Art. 37 EGHGB) . . . . . . . Haftung beim Eintritt in das Geschäft eines Einzelkaufmanns nach § 28 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung der neuen Gesellschaft und ihrer Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . Nachhaftung des Einzelkaufmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übergangsregelung für Alt-Verbindlichkeiten (Art. 37 EGHGB) . . . . . . Haftung beim Eintritt in eine bestehende Personengesellschaft . . . . Haftung bei Ausscheiden des Gesellschafters aus einer Personenhandelsgesellschaft Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. OHG-Gesellschafter und Komplementär der KG . . . . . . . . . . . 2. Kommanditist . . . . . . . . . . . . . . Begrenzung der Nachhaftung . . . . . Verhältnis zwischen § 160 Abs. 1 HGB und § 613a BGB . . . . . . . . . . . Haftung beim Ausscheiden aus einer GbR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung nach § 419 a.F. BGB . . . . Haftung des Betriebsübernehmers für Steuern und Steuerabzugsbeträge (§ 75 AO) . . . . . . . . . . . . . .
12.50 12.57 12.58
12.59 12.64 12.66 12.70 12.71
12.82 12.83 12.87 12.90 12.95 12.98 12.99
12.100
12.47
Schewiola | 481
§ 12 | Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes I. Gläubigerschutz gegen existenzvernichtende Eingriffe durch Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.112 I. Frühere Rechtsprechung zur Durchgriffshaftung im Konzern . . . . . . . . 12.118
II. Aktuelle Rechtsprechung zur Existenzvernichtung auf der Grundlage des § 826 BGB 1. Aufgabe und neuer Grundsatz . 12.120 2. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . 12.127 3. Haftungsumfang . . . . . . . . . . . 12.131
Schrifttum: Abel, Übergangsmandat bei unternehmensinternen und unternehmensübergreifenden betrieblichen Umstrukturierungen, AiB 1999, 601; Adamek/Loose, Die Haftung des GmbH-Gesellschafters nach § 74 AO, GmbHR 2001, 649; Adamek/Loose, Zur Enthaftung des ausscheidenden Personengesellschafters, NJW 2000, 2529; Arnold/Dötsch, Persönliche Haftung für Altschulden beim Eintritt in eine GbR, DStR 2003, 1398; Ascheid, Richtlinie 77/187 EWG: Harmonisierung europäischen und deutschen Richterrechts, in Festschrift für Thomas Dieterich, 1999, S. 9; Behr, Die Vollstreckung in Personengesellschaften, NJW 2000, 1137; Beuthien, Zu zwei Missdeutungen des § 25 HGB, NJW 1993, 1737; Birk, Betriebsaufspaltung und Änderung der Konzernorganisation im Arbeitsrecht, ZGR 1984, 23; Bisle, Zum existenzvernichtenden Eingriff durch Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH, DStR 2012, 1514; Bitter, Haftung von Gesellschaftern und Geschäftsführern in der Insolvenz ihrer GmbH (Teil 2), ZInsO 2010, 1561; Bork, Arbeitnehmerschutz bei der Betriebsaufspaltung, BB 1989, 2181; Canaris, Die Übertragung des Regelungsmodells der §§ 125–130 HGB auf die Gesellschaft bürgerlichen Rechts als unzulässige Rechtsfortbildung contra legem, ZGR 2004, 69; Cierniak, Die aktuelle Rechtsprechung des BGH zur Unternehmensinsolvenz, DB 2006, 1996; Classen, Distressed M&A – Besonderheiten beim Unternehmenskauf aus der Insolvenz, BB 2010, 2898; Drygala, Der Gläubigerschutz bei der typischen Betriebsaufspaltung, 1991 (zugl. Diss. Gießen 1990); Drygala, Betriebsaufspaltung und Haftungsausschluss doch keine Illusion?, NJW 1995, 3237; Fandel/Hausch, Das Widerspruchsrecht gemäß § 613a Abs. 6 BGB bei Umwandlungen nach dem UmwG unter Wegfall übertragender Rechtsträger, BB 2008, 2402; J. W. Flume, Vermögenstransfer und Haftung, 2008 (zugl. Diss. Köln 2008); J. W. Flume, Die Firma als „tradeable Asset“, DB 2008, 2011; W. Flume, Gesellschaft und Gesamthand, ZHR 136 (1972), 177; Fröhlich/Strasser, Die Limited als Einzelkaufmann mit beschränkter Haftung? Deliktsrechtliche Gegenargumente, ZIP 2006, 1182; Froehner, Die Haftung des Erwerbers für rückständige Sozialversicherungsbeiträge beim Unternehmenskauf im Rahmen eines Asset Deals, GWR 2015, 202; B. Gaul, Sonderleistungen und Fehlzeiten, 1994 (zugl. Diss. Köln 1993); B. Gaul, Der Zweck von Sonderleistungen, BB 1994, 494, 565; Gehrlein, Die Existenzvernichtungshaftung im Wandel der Rechtsprechung, WM 2008, 761; Goette, Die Rechtsfolgen eigenkapitalsetzender Nutzungsüberlassung, DStR 1994, 1658; Gotthardt, Sicherheitsleistung für Forderungen pensionsberechtigter Arbeitnehmer bei Kapitalherabsetzung, BB 1990, 2419; Heeg, Haftet der Betriebsnachfolger für Einkommensteuerschulden des früheren Inhabers?, DStR 2012, 2159; Heinze, Die Arbeitgebernachfolge bei Betriebsübergang, DB 1980, 205; Heinze, Arbeitsrechtliche Fragen bei der Übertragung und Umwandlung von Unternehmen, ZfA 1997, 1; Heinze/Hüfner, Haftung des Erwerbers eines Unternehmens vom Insolvenzverwalter nach § HGB § 25 HGB, NZG 2010, 1060; Henze, Beschränkung der Gesellschafterhaftung – Teilrechtsfähigkeit der GbR im Wandel?, BB 1999, 2260; Hermann/vonWoedtke, Haftung von Gesellschaftern für Verbindlichkeiten einer GmbH – Grenzen des existenzvernichtenden Eingriffs, BB 2012, 2255; Huber, Rechtsfähigkeit, juristische Person und Gesamthand, in Festschrift für Marcus Lutter, 2000, S. 107; Huep, Die Haftungsbeschränkung zugunsten der Gesellschaft einer BGB-Gesellschaft, NZG 2000, 285; Keßler, Zivilrechtliche Haftungsrisiken der Betriebsaufspaltung, GmbHR 1993, 541; Klein, Steuerliche Haftungsrisiken beim Immobilienerwerb DStR 2005, 1753; Kleindiek, Eintrittshaftung in der BGB-Gesellschaft, in Festschrift für Volker Röhricht, 2005, S. 315; Knöfel, Kommentar zum Urteil OLG Naumburg v. 17.1.2006 – 9 U 86/05, EWiR 2006, 239; Koppensteiner, Ausgliederungs- und Spaltungsgesetz, in Festschrift für Wolfgang Zöllner, 1999, S. 295; Krejci, Betriebsübergang und Arbeitsvertrag: Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der Vertragsübernahme, 1972; Langohr-Plato, Neue haftungsrechtliche Aspekte in der betrieblichen Altersversorgung, BetrAV 1996, 81; Leibner/Pump, Die Vorschriften des § 75 AO und § 25 HGB – Wege zur zivilrechtlichen und steuerlichen Haftungsvermeidung, DStR 2002, 1689; Leinemann/Lipke, Betriebsübergang
482 | Schewiola
Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes | § 12 und Urlaubsanspruch, DB 1988, 1217; Lemp, Neues vom BAG zum Betriebsübergang kraft Auftragsnachfolge, NZA 2013, 1390; Lettl, Die Haftung des Erwerbers eines Handelsgeschäfts wegen Firmenfortführung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB, WM 2006, 2336; Lieb, Zur Begrenzung der so genannten Nachhaftung nach Ausscheiden aus der haftungsbegründenden Rechtsposition, ZGR 1985, 124; Lieb, Haftungsklarheit für den Mittelstand, GmbHR 1994, 657; Liessem, Der Übergang der Arbeitsverhältnisse bei der Betriebsverpachtung, Diss. Köln 1983; Lilienfein/Fiedler, Schuldübernahme von Ruhegeldverbindlichkeiten, BB 1981, 2012; Lindacher, Akzessorische Gesellschafterhaftung bei Gesellschaftsschulden nach § 28 HGB, NZG 2002, 113; Löwisch, Zur Weiterhaftung des Betriebsveräußerers nach § 613a Abs. 2 Satz 1 BGB, ZIP 1986, 1101; Marosek, Die Enthaftung im Einkommensteuerrecht, 2004 (zugl. Diss. 2004, Augsburg); Mettler, Die Mithaftung des Firmennachfolgers durch Fortführung einer Firmenhomepage, MDR 2012, 1005; Michalski, Die Haftung für Sozialverpflichtungen in der GbR, NZA 2000, 355; Moll/Hottgenroth, Zur Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters einer Personenhandelsgesellschaft für Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen, RdA 1994, 223; Mösbauer, Die Steuerhaftung bei Unternehmensveräußerung, BB 1990 Beil. 3; P. O. Mülbert, Die rechtsfähige Personengesellschaft, AcP 1999, 38; Müller/Kluge, Unternehmensfortführung bei Teilerwerb – zur Bedeutung des Unternehmenswerts für § 25 I 1 HGB, NZG 2010, 256; Naraschewski, Haftung bei der Spaltung von Kommanditgesellschaften, DB 1995, 1265; Neufeld, Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers gem. § 613a Abs. 6 BGB in Fällen gesellschaftsrechtlicher Gesamtrechtsnachfolge, BB 2008, 1739; Nitsche, Das neue Nachhaftungsbegrenzungsgesetz – Vertragsübergang kraft Gesetzes?, ZIP 1994, 1919; Otto/Mückl, Aufspaltung, Verschmelzung, Anwachsung – Schadensersatz bei unzureichender Unterrichtung trotz Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers?, BB 2011, 1978; Reichold, Das neue Nachhaftungsbegrenzungsgesetz, NJW 1994, 1617; Reiff, Wider die unternehmenstragende Gesellschaft bürgerlichen Rechts ohne Gesellschafterhaftung, ZIP 1999, 517; Reiff, Die Beschränkung der persönlichen Gesellschafterhaftung in der GbR nach der Akzessorietätstheorie, ZIP 1999, 1329; Reiff, Die Haftungsverfassung der GbR nach dem Urteil des BGH v. 27.9.1999 (II ZR 371/98), NZA 2000, 281; Reiser, Betriebsaufspaltung und Haftungsausschluss eine Illusion?, NJW 1995, 1804; Rieble, Widerspruch nach § 613a VI BGB – die (ungeregelte) Rechtsfolge, NZA 2004, 1; Ries, Anmerkung zu AG Memmingen v. 2.12.2003 – HRB 8361, RPfleger 2004, 226; Rolfs, NZA-Beil. 2008, 164; Säcker/ Joost, Auswirkungen eines Betriebsübergangs auf Ruhestandsverhältnisse, DB 1978, 1030, 1078; Schleifenbaum, Gesellschafterwechsel als Betriebsübergang bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, BB 1991, 1705; Schmalenberg, Die Tatbestandsvoraussetzungen des Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB, NZA 1989 Beil. 3, S. 14; Schmalz/Ebener, Gesamtschuldnerausgleich zwischen Betriebserwerber und -veräußerer für Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers?, DB 2000, 1711; K. Schmidt, Haftungskontinuität als unternehmensrechtliches Prinzip, ZHR 145 (1981), 2; K. Schmidt, Gleichordnung im Konzern: terra incognita?, ZHR 155 (1991), 417; K. Schmidt, Die BGB-Außengesellschaft: rechts- und parteifähig, NJW 2001, 993; K. Schmidt, Die Gesellschafterhaftung bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts als gesetzliches Schuldverhältnis – Zum Stand der nach den BGH-Urteilen vom 24.2.2003 und vom 7.4.2003, NJW 2003, 1897; K. Schmidt, Analoge Anwendung von § 28 HGB auf die Sachgründung freiberuflicher und gewerbetreibender BGB-Gesellschaften?, BB 2004, 785; Schmittmann, Unternehmensübertragung in der Krise, StuB 2006, 945; Seibert, Nachhaftungsbegrenzungsgesetz – Haftungsklarheit für den Mittelstand, DB 1994, 461; Seiter, Betriebsinhaberwechsel, 1980; Simon/Weninger, Betriebsübergang und Gesamtrechtsnachfolge: Kein Widerspruch – Keine Unterrichtung?, BB 2010, 117; Smid, Existenzvernichtungshaftung, Insolvenzabwicklung und Sanierung, DZWIR 2008, 265; Soltesz, Augen auf beim „Asset-Deal“! – Beihilferechtliche Haftung des Erwerbers von Betriebsvermögen, BB 2001, 1049; von Steinau-Steinrück, Haftungsrechtlicher Arbeitnehmerschutz bei der Betriebsaufspaltung, 1996 (zugl. Diss. Bonn 1993/1994); Stimpel, Anpassung von Versorgungsbezügen im Konzern, in Festschrift für Alfred Kellermann, 1991, S. 423; Strohn, Existenzvernichtungshaftung – Vermögensvermischungshaftung – Durchgriffshaftung, ZInsO 2008, 706; Thieme/Löchelt, Schuldübernahme von Versorgungsansprüchen nach dem Betriebsrentengesetz – Unwirksamkeit der Übertragung auf Versorgungsträger, die in § 4 Abs. 1 BetrAVG nicht genannt sind, BB 1981, Beil. 10; Ulmer, Die zeitliche Begrenzung der Haftung von Gesellschaftern beim Ausscheiden aus einer Personenhandelsgesellschaft sowie bei der Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft, BB 1983, 1865; Ulmer, Gesellschafterhaftung in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, Durchbruch der Akzessorietätstheorie?, ZIP 1999, 554; Ulmer, Unbeschränkte Gesellschafterhaftung in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, Be-
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§ 12 Rz. 12.1 | Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes sprechung des Urteils BGH NJW 1999, 3483, ZGR 2000, 339; Vetter, Die neue dogmatische Grundlage des BGH zur Existenzvernichtungshaftung, BB 2007, 1965; Wälzholz, Haftungsausschluss bei Firmenfortführung, DStR 2003, 1453; Watermeyer, Steuerhaftung bei Betriebsübergang, GmbH-StB 2006, 259; Weller, Die Neuausrichtung der Existenzvernichtungshaftung durch den BGH und ihre Implikationen für die Praxis, ZIP 2007, 1681; Weller, Die Existenzvernichtungshaftung im modernisierten GmbH-Recht – eine Außenhaftung für Forderungsvereitelung (§ 826 BGB), DStR 2007, 1166; Wiedemann, Gesellschaftliche Probleme der Betriebsaufspaltung, ZIP 1986, 1293; Wiedemann, Entwicklungen im Kapitalgesellschaftsrecht, DB 1993, 141; Wiedemann, Rechtsverhältnisse der BGB-Gesellschaften zu Dritten, WM 1994 Beil. 4, S. 3; Wiesner, Die Haftungsordnung der BGB-Gesellschaft, JuS 1981, 331; Wilhelm, Die Haftung bei Fortführung eines Handelsgeschäfts ohne Übernahmevertrag mit dem Vorgänger, NJW 1986, 1797; Willemsen, Aktuelles zum Betriebsübergang – § 613a BGB im Spannungsfeld von deutschem und europäischem Recht, NJW 2007, 2065; von Woedtke, Haftung von Gesellschaftern für Verbindlichkeiten einer GmbH – Grenzen des existenzvernichtenden Eingriffs, BB 2012, 2255; Worzalla, Neue Spielregeln bei Betriebsübergang – Die Änderungen des § 613a BGB, NZA 2002, 353; Zöllner, Wovon handelt das Handelsrecht, ZGR 1983, 82.
A. Haftung nach § 613a BGB I. Haftung des Erwerbers 12.1
Der Erwerber eines Betriebs(-teils) tritt gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Dazu gehören auch gekündigte Arbeitsverhältnisse. Nicht erfasst werden allein Arbeitsverhältnisse, die bereits vor dem Übergang des Betriebs(-teils) beendet waren oder mit dem Wirksamwerden des Übergangs enden (vgl. Rz. 9.10). Das Gleiche gilt auch dann, wenn ein Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses nach dem Betriebs(-teil)übergang nach § 613a Abs. 6 BGB widersprochen hat. Denn der Widerspruch entfaltet ex tunc Wirkung (vgl. Rz. 11.244). Hat der Arbeitnehmer bis dahin für den Erwerber gearbeitet, kann der Arbeitnehmer über die Regeln des faktischen Arbeitsverhältnisses von dem Erwerber Vergütung beanspruchen1.
12.2
Die Rechtsgrundlage übergehender Ansprüche, für die der Erwerber haftet, spielt keine Rolle. Einzelbeispiele werden unter Rz. 5.6 ff. dargestellt. Hierzu gehören – entgegen Art. 3 Abs. 4 Richtlinie 2001/23/EG – auch Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung (vgl. dazu Rz. 34.81 ff.)2. Besonderheiten in Bezug auf kollektivrechtliche Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis ergeben sich aus § 613a Abs. 1 Satz 2–4 BGB (vgl. dazu Rz. 21.4 ff., 22.3 ff.).
12.3
Da es für die Haftung des Erwerbers allein auf das Bestehen des Arbeitsverhältnisses zum Stichtag der Übernahme ankommt, ist die Dauer des dem Anspruch zugrundeliegenden Bezugszeitraums unerheblich. Damit werden auch Jahressonderleistungen ohne Rücksicht darauf erfasst, ob der Anspruch – ggf. pro rata temporis – schon vor dem Betriebs(-teil)übergang entstanden ist oder erst danach entstehen wird3. Unerheblich ist deshalb auch, ob solche Sonderleistungen neben der Arbeitsleistung auch die Betriebszugehörigkeit vergüten („Sonderleistungen mit Gratifikationscharakter“). Der Erwerber haftet hier voll (vgl. Rz. 9.48 f.).
1 APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 221 a.E. m.w.N.; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 355 m.w.N.; Worzalla, NZA 2002, 353, 358. 2 Vgl. z.B. BGH v. 19.3.2009 – III ZR 106/08, AP Nr. 365 zu § 613a BGB. 3 Vgl. hierzu B. Gaul, Sonderleistungen und Fehlzeiten, S. 151 ff.; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 297; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 252; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 165.
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Haftung für Verbindlichkeiten bei einem Betriebs(-teil)übergang | Rz. 12.6 § 12 Beispiel: Der Veräußerer gewährt seinen Arbeitnehmern im November eines Kalenderjahres ein Weihnachtsgeld. Am 31.10. wird der Betrieb auf den Erwerber übertragen. Der Erwerber wird zum Schuldner des vollen Anspruchs auf Weihnachtsgeld.
Gekündigte, aber noch nicht beendete Arbeitsverhältnisse, die nach § 613a BGB übergehen, können für den Erwerber zu empfindlichen, nicht vorhergesehenen finanziellen Verpflichtungen führen. Diese können sich insbesondere aus langen Kündigungsfristen, Abfindungsansprüchen, Verpflichtungen aus nachvertraglichen Wettbewerbsverboten oder Ansprüchen auf Leistungen aus betrieblicher Altersversorgung ergeben. Im Rahmen einer Due Diligence sollten daher die übergehenden Arbeitsverhältnisse auf Käuferseite sorgfältig identifiziert und im Kaufvertrag festgehalten werden. Denn die Anzahl der übergehenden Arbeitsverhältnisse und die daraus resultierende Haftung können bei der Verhandlung über den Kaufpreis eine wichtige Rolle spielen1. Jedenfalls durch die Vereinbarung einer Haftungsregelung im Kaufvertrag über den Innenausgleich zwischen Veräußerer und Erwerber sollte eine angemessene Regelung gefunden werden.
12.4
Nicht vom persönlichen Geltungsbereich umfasst und somit nicht in die Haftung des Erwerbers nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB einbezogen werden Ansprüche von Beschäftigten, die auf der Grundlage eines Dienst- oder Werkvertrags tätig werden (z.B. Organmitglieder, freie Mitarbeiter)2. Ihr Vertragsverhältnis mit den daraus folgenden Ansprüchen verbleibt bei dem übertragenden Rechtsträger (vgl. Rz. 9.12 f.).
12.5
II. Haftung des Veräußerers Der Veräußerer haftet neben dem Erwerber nach § 613a Abs. 2 Satz 1 BGB im Wege des Schuldbeitritts als Gesamtschuldner für Verpflichtungen nach § 613a Abs. 1 BGB, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach diesem Zeitpunkt fällig werden. Diese gesamtschuldnerische Haftung schützt Arbeitnehmer vor der Gefahr, dass der Erwerber finanziell nicht in der Lage sein könnte, bereits vor dem Betriebsübergang entstandene Ansprüche der übernommenen Belegschaft zu erfüllen3. Europarechtlich ist die Veräußererhaftung nicht zwingend. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG enthält den Grundsatz, dass der übertragende Rechtsträger allein aufgrund des Übergangs des Arbeitsverhältnisses von seinen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis ipso iure befreit ist4. Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2001/23/EG eröffnet aber den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, auch den Veräußerer in die Haftung einzubeziehen. Von dieser Möglichkeit hat der deutsche Gesetzgeber mit der einjährigen Nachhaftung Gebrauch gemacht. Allerdings haftet der bisherige Arbeitgeber für diese Verbindlichkeiten nur in dem Umfang, der dem im Zeitpunkt des Übergangs abgelaufenen Teil ihres Bemessungszeitraums entspricht (§ 613a Abs. 2 Satz 2 BGB). Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass der bisherige Arbeitgeber nur für die Vergütung von Leistungen haftet, die bis zum Betriebsübergang erbracht wurden5.
1 Z.B. BGH v. 19.3.2009 – III ZR 106/08, AP Nr. 365 zu § 613a BGB. 2 HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 226; Palandt/Weidenkaff, § 613a BGB Rz. 5; Commandeur/Kleinebrink, Betriebs- und Firmenübernahme, Rz. 51 ff. 3 APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 157. 4 Vgl. EuGH v. 5.5.1988 – C-144/87 und C-145/87. 5 BT-Drucks. 6/1786, S. 67.
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12.6
§ 12 Rz. 12.7 | Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes
1. Anspruch aus bestehendem Arbeitsverhältnis 12.7
Die gesamtschuldnerische Haftung nach § 613a Abs. 2 BGB besteht nur im Hinblick auf Verbindlichkeiten gegenüber Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber übergegangen ist. Wurde das Arbeitsverhältnis vor dem Stichtag der Betriebsübernahme beendet, findet § 613a BGB insgesamt keine Anwendung (vgl. Rz. 9.10), so dass allein der Veräußerer für entsprechende Ansprüche des Arbeitnehmers haftet. Erfasst werden nur Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und aus Anlass seiner Beendigung.
2. Abgrenzung nach Entstehung und Fälligkeit 12.8
Die Haftung des Veräußerers setzt voraus, dass die Ansprüche vor dem Betriebs(-teil)übergang entstanden sind. Zudem muss die Fälligkeit des Anspruchs bis zum Übergang bzw. binnen Jahresfrist nach Übergang des Arbeitsverhältnisses eintreten. Werden Ansprüche erst zu einem späteren Zeitpunkt fällig, entfällt eine Haftung des Veräußerers, selbst wenn diese Ansprüche bereits vor dem Übergang des Arbeitsverhältnisses entstanden sind.
12.9
Für die Entstehung des Anspruchs ist ausreichend, dass der Rechtsgrund für den Anspruch bereits vor dem Übergang gesetzt wurde, also die durch Gesetz oder Vertrag bestimmten Voraussetzungen erfüllt sind. Hiervon ist bei Ansprüchen aus einem Dauerschuldverhältnis auszugehen, wenn das Rechtsverhältnis begründet wurde, aus dem sich ohne Hinzutreten weiterer rechtsgeschäftlicher Akte die einzelne Verbindlichkeit ergibt1. Unerheblich ist, ob der Anspruch noch von einer Gegenleistung abhängig ist.
12.10
Für das Arbeitsverhältnis als Dauerschuldverhältnis bedeutet dies, dass Ansprüche auf Lohn und Gehalt (Fixanteil) für die gesamte Vertragslaufzeit mit Vertragsschluss schon entstanden, wenn auch noch nicht fällig geworden sind2.
12.11
Bei einem Provisionsanspruch muss das provisionspflichtige Geschäft gemäß § 87 HGB bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses abgeschlossen sein3. Für ein Geschäft, das erst nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen anderen Rechtsträger abgeschlossen wird, ist mit Blick auf § 87 Abs. 3 HGB nur dann von einer Haftung des übertragenden Rechtsträgers auszugehen, wenn der Arbeitnehmer das Geschäft bis zum Übergang seines Arbeitsverhältnisses bereits vermittelt hatte oder es eingeleitet und so vorbereitet hatte, dass der Abschluss zu einem späteren Zeitpunkt überwiegend auf seine Tätigkeit zurückzuführen ist, und das Geschäft innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses abgeschlossen worden ist. Eine weitere Ausnahme gilt dann, wenn das Angebot des Dritten zum Abschluss eines Geschäfts, für das grundsätzlich eine Provisionspflicht gegeben ist, dem Arbeitnehmer oder dem übertragenden Rechtsträger bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen anderen Rechtsträger zugegangen ist4.
1 BAG v. 19.9.2007 – 4 AZR 711/06, NZA 2008, 241; BAG v. 28.11.1989 – 3 AZR 818/87, AP Nr. 10 zu § 161 HGB Bl. 2 m.w.N. m. zust. Anm. Wank, SAE 1991, 199, 200; BGH v. 27.9.1999 – II ZR 356/98, NJW 2000, 208, 209. 2 Vgl. BAG v. 16.5.2013 – 6 AZR 556/11, NZA 2013, 1079 (zu §§ 156, 157 UmwG); BAG v. 28.11.1989 – 3 AZR 818/87, AP Nr. 10 zu § 161 HGB Bl. 2; BAG v. 21.7.1977 – 3 AZR 189/76, AP Nr. 1 zu § 128 HGB Bl. 2; LAG Schleswig-Holstein v. 25.9.2012 – 1 Sa 488/11. i 3 Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Thume, § 87 HGB Rz. 16. 4 Vgl. BAG v. 11.11.1986 – 3 AZR 179/85, NZA 1987, 597.
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Haftung für Verbindlichkeiten bei einem Betriebs(-teil)übergang | Rz. 12.15 § 12
Die Fälligkeit binnen Jahresfrist kann insbesondere bei Sonderzahlungen relevant werden.
12.12
Beispiel: Veräußerer V gewährt seinen Arbeitnehmern einen auf das Kalenderjahr bezogenen Bonus. Die Auszahlung ist nach dem Arbeitsvertrag fällig am 30.6. des folgenden Kalenderjahres. Der Bonusanspruch wird nach der Zielvorgabe Monat für Monat aufgebaut und am Ende des Jahres insgesamt festgestellt. Am 1.6. des Geschäftsjahres (nicht Folgejahres) überträgt der Veräußerer seinen Betrieb auf den Erwerber.
Obwohl der Bonusanspruch der übergehenden Arbeitnehmer gegen den Veräußerer zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs (jedenfalls) zu 5/12 entstanden war, haftet der Veräußerer gegenüber den Arbeitnehmern nicht, d.h. auch nicht anteilig. Etwas anderes kann sich nur für das Innenverhältnis Veräußerer/Erwerber ergeben, wenn der Kaufvertrag eine entsprechende Haftungsregelung enthält.
3. Quotelung nach § 613a Abs. 2 Satz 2 BGB Um eine interessengerechte Inanspruchnahme des Veräußerers bei Ansprüchen zu erreichen, denen ein längerer Bezugszeitraum zugrunde liegt – wie im erwähnten Fall eines Bonus – begrenzt § 613a Abs. 2 Satz 2 BGB seine gesamtschuldnerische Haftung auf den Teil der bis zum Übergang entstandenen Verbindlichkeit, der dem im Zeitpunkt des Übergangs abgelaufenen Teil des Bezugszeitraums entspricht1. Damit wird bezweckt, dass der Veräußerer grundsätzlich nur für Forderungen des Arbeitnehmers einstehen soll, für die er eine Gegenleistung erhalten hat2.
12.13
Bei Jahressonderleistungen muss auf der Grundlage der vereinbarten Anspruchsvoraussetzungen unter Berücksichtigung des Zwecks der Zuwendung differenziert werden3: Unproblematisch ist eine Quotelung bei Ansprüchen, die allein oder – neben der Betriebszugehörigkeit – auch die Arbeitsleistung während des Bezugszeitraums vergüten. Auch wenn Einzelheiten jeweils mit Blick auf die Anspruchsgrundlage im Einzelfall bestimmt werden müssen4, kann man bei einer solchen Zweckbestimmung an sich davon ausgehen, dass der Anspruch pro rata temporis während des Bezugszeitraums entsteht5. Soweit diese Zeitspanne vor dem Übergang des Arbeitsverhältnisses liegt, ist eine Haftung des Veräußerers begründet, wenn der Anspruch binnen Jahresfrist fällig wird. Eine entsprechende Haftung erfolgt natürlich dann, wenn der Anspruch vor dem Übergang voll entstanden, aber erst später fällig wird6.
12.14
Eine Besonderheit besteht bei Ansprüchen, die auf der Tatbestandsebene das Erreichen eines Stichtags voraussetzen (z.B. nicht beendetes Arbeitsverhältnis am 30.11. des laufenden Kalenderjahres). Liegt der Stichtag nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs, stellt sich die Frage, ob der Anspruch des Arbeitnehmers erst mit dem Erreichen des Stichtages erstmals entsteht – dann haftet der Veräußerer nicht – oder aber bereits über das laufende Jahr anteilig entstanden ist – dann haftet auch der Veräußerer anteilig. Richtig ist, dass der Anspruch in diesen Fällen erstmals mit dem Erreichen des Stichtags entsteht, mithin kein Raum für eine anteilige
12.15
BAG v. 22.6.1978 – 3 AZR 832/76, AP Nr. 12 zu § 613a BGB. ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 136; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 165. Vgl. zur Bedeutung des Zwecks B. Gaul, Sonderleistungen und Fehlzeiten, S. 146 ff., 151 ff. m.w.N. Zur zweckbezogenen Auslegung von (Jahres-)Sonderleistungen, vgl. B. Gaul, BB 1994, 494 ff., 565 ff. 5 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 136; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 165. 6 Vgl. LAG Düsseldorf v. 12.5.1976 – 6 X Sa 802/75, DB 1977, 502.
1 2 3 4
Schewiola | 487
§ 12 Rz. 12.15 | Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes
Haftung des Veräußerers verbleibt. Voraussetzung ist, dass der Stichtag wirksam vereinbart werden konnte. Das ist etwa nicht der Fall bei einer Sonderzahlung, die reinen Entgeltcharakter hat1. In diesem Fall entsteht der Anspruch pro rata temporis, so dass der Veräußerer mithaftet. Dies muss die Parteien des Kaufvertrages allerdings nicht davon abhalten, die ausdrückliche Vereinbarung eines Schuldbeitritts des Veräußerers im Übernahmevertrag festzulegen. Unabhängig von der Haftung des Veräußerers haftet der Betriebserwerber natürlich für den gesamten Zeitraum2.
12.16
Der Veräußerer haftet neben dem Erwerber für die Erfüllung von Ansprüchen auf Erholungsurlaub. Zwar ist der Anspruch auf Erholungsurlaub beim Erwerber primär durch Gewährung von Freizeit zu erfüllen. Wird der Urlaub also nach dem Betriebsübergang angetreten, kann er in dieser Form nur durch den Betriebserwerber erfüllt werden3. Dennoch setzt § 421 BGB hinsichtlich der Gesamtschuldnerschaft keine völlige Gleichheit der geschuldeten Leistungen voraus. Soweit hier z.B. wegen Ablaufs der Wartezeit nach § 4 BUrlG bei einem Betriebsübergang noch vor dem 30.6. des laufenden Kalenderjahres bereits ein Anspruch auf den vollen Jahresurlaub entstanden ist, der nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses durch den neuen Arbeitgeber erfüllt wird, besteht im Innenverhältnis zwischen den beteiligten Rechtsträgern eine Verpflichtung des bisherigen Arbeitgebers zur Erstattung der durch bezahlte Freistellung entstandenen Kosten (Urlaubsentgelt), allerdings nur zeitanteilig entsprechend der Dauer des Kalenderjahres bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses4. Das entspricht § 17 BEEG, dessen Kürzungsregelung ebenfalls von der zeitratierlichen Entstehung des Urlaubsanspruchs geprägt ist. Dies gilt auch dann, wenn der Urlaubsanspruch wegen einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses beim übernehmenden Rechtsträger gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG abgegolten wird5.
12.17
Ob und inwieweit diese Grundsätze auf die Zahlung von arbeitsvertraglich oder tariflich geschuldetem Urlaubsgeld übertragbar sind, bestimmt sich wiederum danach, wann der Anspruch auf das Urlaubsgeld entsteht. Handelt es sich dabei um eine normale Jahressonderleistung, muss entsprechend den vorstehenden Grundsätzen überprüft werden, ob sie während des Bezugszeitraums zeitanteilig entsteht. Ob dabei auf das Kalenderjahr oder den Zeitraum zwischen den vereinbarten Fälligkeitsterminen abgestellt werden kann, ist im Einzelfall zu überprüfen. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die Zuwendung unmittelbar an die individuelle Dauer des Urlaubsanspruchs und seine tatsächliche Inanspruchnahme geknüpft ist, also für jeden Urlaubstag eine zusätzliche Hilfe darstellen soll. Hier richtet sich die Entstehung des Anspruchs auf Urlaubsgeld nach der Entstehung des Anspruchs auf Erholungsurlaub6. 1 BAG 13.9.1974 - 5 AZR 48/74, BB 1974, 1639. 2 MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 165. 3 Hessisches LAG v. 30.3.1998 – 11 Sa 1227/97, NZA-RR 1998, 532; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 136; Commandeur/Kleinebrink, Betriebs- und Firmenübernahme, Rz. 371. 4 BGH v. 25.3.1999 – III ZR 27/98, NZA 1999, 817; BGH v. 4.7.1985 – IX ZR 172/84, NJW 1985, 2643; OLG Thüringen v. 2.5.2012 – 7 U 971/11; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 137; a.A., eine vollständige Befreiung des übertragenden Rechtsträgers annehmend: OLG Frankfurt v. 17.2.1983 – 1 U 127/82, MDR 1983, 666; Leinemann/Lipke, DB 1988, 1217, 1218, die dies damit begründen, dass der Urlaubsentgeltanspruch erst zum Zeitpunkt der Freistellung entsteht. Abl. auch Schmalz/Ebener, DB 2000, 1711, 1713. 5 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 136; a.A. Leinemann/Lipke, DB 1988, 1217, 1218; MünchKommBGB/ Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 166: auch hier wird damit argumentiert, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund des Betriebsübergangs zunächst fortbesteht. Scheidet der Arbeitnehmer nach dem Betriebsübergang aus, entsteht erst dann der Abgeltungsanspruch aus § 7 Abs. 4 BUrlG, so dass eine anteilige Haftung nicht statthaft sein soll. 6 Vgl. LAG Niedersachsen v. 9.11.1999 – 7 Sa 40/99, n.v.
488 | Schewiola
Haftung für Verbindlichkeiten bei einem Betriebs(-teil)übergang | Rz. 12.22 § 12
4. Wirkung der gesamtschuldnerischen Haftung Entsprechend §§ 421 ff. BGB können die vom Betriebs- oder Betriebsteilübergang betroffenen Arbeitnehmer im Rahmen der Haftung nach § 613a Abs. 2 BGB Erwerber oder Veräußerer in Anspruch nehmen. Jeder der beteiligten Rechtsträger ist verpflichtet, auf Verlangen ggf. die ganze Leistung zu bewirken. Veräußerer und Erwerber sind grundsätzlich – vorbehaltlich anderweitiger Vereinbarungen untereinander – im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet (§ 426 Abs. 1 Satz 1 BGB). Soweit aber einer der beiden Rechtsträger im Außenverhältnis gegenüber dem Arbeitnehmer Leistungen erbracht hat, die seine Verpflichtung übersteigen, kann er gegenüber dem jeweils anderen Rechtsträger einen Rückgriffsanspruch geltend machen. Problematisch wird dies insbesondere dann, wenn zwischen dem bisherigen Betriebsinhaber und dem Erwerber wegen der Einbindung Dritter (z.B. Pächterwechsel) keine unmittelbaren rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen getroffen werden1.
12.18
Nach einer Entscheidung des OLG Düsseldorf2 soll der Erwerber bei einer am Ende eines Jahres an die Arbeitnehmer gewährten Weihnachtsgratifikation im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs vom Veräußerer den auf das Kalenderjahr bezogenen anteiligen Betrag erstattet verlangen können, der auf die Zeit von dessen Betriebsinhaberschaft entfällt. Entsprechendes gilt dann, wenn der Anspruch bis zum Übergang entstanden und fällig geworden ist (z.B. rückständiger Lohn)3.
12.19
5. Abdingbarkeit und zwingender Charakter des § 613a Abs. 1 BGB Veräußerer und Erwerber können einen vom Gesetz abweichenden Ausgleich im Innenverhältnis vereinbaren4. Eine solche Vereinbarung kann sich sowohl aus dem Übernahmevertrag als auch aus der Natur der Sache ergeben5.
12.20
Werden z.B. lediglich einzelne Assets übertragen, kann das Vorliegen eines Betriebs(-teil) übergangs i.S.d. § 613a BGB für die Parteien ungewiss sein. In solchen Grenzfällen ist es überlegenswert, eine vertragliche Regelung über den Ausgleich im Innenverhältnis für den Fall vorzusehen, dass sich § 613a BGB doch als einschlägig erweisen sollte.
12.21
Im Außenverhältnis dient § 613a BGB dem Schutz der übergehenden Arbeitnehmer. Eine im Innenverhältnis getroffene Vereinbarung darf sich nicht zu Lasten der Arbeitnehmer auswirken6. Insofern ist § 613a BGB unabdingbar. Die durch § 613a Abs. 2 BGB vorgesehene gesamtschuldnerische Haftung von Veräußerer und Erwerber darf vor allem nicht dadurch ausgehebelt werden, dass der Erwerber den Arbeitnehmer für die Geltendmachung seiner Ansprüche auf den Veräußerer verweist – oder umgekehrt. Möglich ist dagegen eine zugunsten des Arbeitnehmers getroffene Haftungserweiterung7. Auch soll es dem Arbeitnehmer freiste-
12.22
1 Vgl. auch Lemp, NZA 2013, 1390. 2 OLG Düsseldorf v. 28.12.1989 – 6 U 246/88, BB 1990, 2193 (LS). 3 Vgl. Liessem, Betriebsverpachtung, S. 81; Commandeur/Kleinebrink, Betriebs- und Firmenübernahme, Rz. 520 m.w.N. 4 HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 299. 5 MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 167; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 137; Palandt/ Grüneberg, § 426 BGB Rz. 9. 6 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 139. 7 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 139; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 169.
Schewiola | 489
§ 12 Rz. 12.22 | Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes
hen, auf den Schutz der sich aus § 613a BGB zu seinem Vorteil ergebenden Gesamtschuld zu verzichten1.
B. Haftung bei einer Firmenfortführung nach § 25 HGB 12.23
Wenn die Übernahme und Fortsetzung des Betriebs den Erwerb eines Handelsgeschäfts darstellt und mit der Fortführung der bisherigen Firma verbunden ist, haftet der übernehmende Rechtsträger gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB für alle im Betrieb des Geschäfts begründeten Verbindlichkeiten des früheren Inhabers2. Welcher Grundgedanke dieser Haftung des Erwerbers zugrunde liegt, ist in der Literatur seit jeher heftig umstritten3. Die Rechtsprechung verfolgt keine klare Linie4. Darauf soll hier nicht näher eingegangen werden. Die Nachhaftung des bisherigen Inhabers wird durch § 26 HGB begrenzt. Abweichende Vereinbarungen sind unter den in § 25 Abs. 2 HBG vorgesehenen Voraussetzungen möglich.
I. Voraussetzungen 1. Handelsgeschäft 12.24
Eine Haftung nach § 25 Abs. 1 HGB setzt zunächst die Übernahme eines Handelsgeschäfts voraus5. Als Handelsgeschäft wird allgemein das Unternehmen des Kaufmanns bzw. der Betrieb eines kaufmännischen Handelsgewerbes unter einer Firma verstanden6. Als Betreiber kommen der Einzelkaufmann sowie Handelsgesellschaften in Betracht, wenn die Gesellschaft das von ihr betriebene Unternehmen an einen personenverschiedenen Rechtsträger überträgt7. Ausreichend ist auch die Fiktion der Kaufmannseigenschaft kraft Eintragung gemäß § 5 HGB8. Keine Anwendung findet § 25 HGB dagegen auf Nichtkaufleute – auch nicht analog9. Eine Zweigniederlassung kann ein Handelsgeschäft darstellen10.
1 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 139; Seiter, Betriebsinhaberwechsel, S. 105. 2 Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 10 ff. 3 Zusammenfassend: MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 11 ff.; Staub/Burgard, § 25 HGB Rz. 8 ff.; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Reuschle, § 25 HGB Rz. 1 ff. 4 Staub/Burgard, § 25 HGB Rz. 10 m.w.N.; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Reuschle, § 25 HGB Rz. 8 f. 5 Dabei ist der Begriff des Handelsgeschäfts i.S.d. § 25 HGB von dem der §§ 343 ff. HGB zu unterscheiden, vgl. MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 38 Fn. 168. 6 MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 38; K. Schmidt, Handelsrecht, § 8 I 1 a (S. 293). 7 BGH v. 15.5.1990 – X ZR 82/88, NJW-RR 1990, 1251, 1253; MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 38; Staub/Burgard, § 25 HGB Rz. 47. 8 MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 38. 9 BGH v. 17.9.1991 – XI ZR 256/90, NJW 1992, 112; BGH v. 16.9.1981 – VIII ZR 111/80, NJW 1982, 577; BGH v. 29.11.1956 – II ZR 32/56, BGHZ 22, 240; OLG Frankfurt v. 28.6.1972 – 17 U 136/70, OLGZ 1973, 20, 22; LG Berlin v. 30.7.2004 – 102 T 42/04, NZG 2005, 443, 444; MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 32 ff.; Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 2; Lettl, WM 2006, 2336, 2337; Abw.: K. Schmidt, Handelsrecht, § 8 I 1 a, (S. 293, Rz. 1), wonach § 25 HGB analog für alle Unternehmensträger gelten soll; abw.: Staub/Burgard, § 25 HGB Rz. 36 ff., 40, wonach die analoge Anwendbarkeit von § 25 HGB nur dann möglich ist, wenn der Erwerber im Handelsregister eingetragen ist bzw. eingetragen werden kann; vgl. auch Heymann/Emmerich, § 25 HGB Rz. 10a m.w.N. zur Geltung von § 25 HGB für Minderkaufleute. 10 BGH v. 8.5.1972 – II ZR 155/69, NJW 1972, 1859.
490 | Schewiola
Haftung bei einer Firmenfortführung nach § 25 HGB | Rz. 12.26 § 12
2. Tatsächliche Fortsetzung des Handelsgeschäfts Das Handelsgeschäft muss bis zum Übertragungsvorgang betrieben und im Anschluss an seine Übernahme vom Erwerber auch tatsächlich fortgesetzt werden1. Durch diese Handlung wird die Kontinuität des Handelsgeschäfts gegenüber Dritten dokumentiert. Eine nur vorübergehende Fortführung reicht allerdings aus2. Bei einer umgehenden Stilllegung ist eine Anwendbarkeit von § 25 Abs. 1 HGB dagegen ausgeschlossen3. Dies gilt selbst dann, wenn die Neubegründung des Geschäfts unter der Firma des früheren Betriebsinhabers unter Verwendung von Betriebsmitteln erfolgt, sofern diese im Anschluss an die tatsächliche Einstellung durch den bisherigen Inhaber von diesem oder Dritten erworben werden4. Allerdings muss wie bei der Abgrenzung des Betriebsübergangs i.S.d. § 613a BGB von der Betriebsstilllegung (vgl. Rz. 4.188 ff.; Rz. 17.51 ff.) im Einzelfall überprüft werden, ob wirklich eine Einstellung, also nicht nur eine wirtschaftlich unerhebliche Unterbrechung der Betriebstätigkeit vorgenommen wurde. Schließlich ist bei § 25 Abs. 1 HGB eine vorübergehende Stilllegung des Geschäftsbetriebs unschädlich, solange die wesentlichen Grundlagen des Handelsgeschäfts, vor allem seine innere Organisation und seine Geschäftsbeziehungen zu Kunden und Lieferanten, soweit intakt bleiben, dass die Möglichkeit einer Wiederaufnahme und Fortführung des Unternehmens durch den Übernehmer besteht5.
12.25
3. Fortführung der Firma Die Firma des bisherigen Geschäftsinhabers muss weiterhin – jedenfalls im Kern – durch den Erwerber fortgeführt werden6. Ausreichend ist insoweit, dass der prägende Teil der Firma beibehalten wird7. Entscheidend ist dabei allein, ob der Verkehr die neue Firma noch mit der alten identifiziert8. So sind ein Nachfolgezusatz oder die Angabe einer anderen Rechtsform unerheblich9; auch können kleine Veränderungen der Firma10 oder eine kurzzeitige Umfirmierung unschädlich sein11. Auf die Übertragung der Firma und die Einwilligung zur Fort-
1 2 3 4 5 6 7 8
9 10 11
LAG Rheinland-Pfalz v. 23.5.218 – 2 Sa 512/17, juris. Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 6. Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 6. BGH v. 4.11.1991 – II ZR 85/91, NJW 1992, 911. BGH v. 4.11.1991 – II ZR 85/91, NJW 1992, 911; OLG Celle v. 18.5.1993 – 20 U 8/93, BB 1994, 1033; OLG Hamm v. 22.2.2008 –19 U 115/07, juris. Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 7; a.A. K. Schmidt, Handelsrecht, § 8 I 1 c (S. 298 ff., 302), wonach es primär auf die Erhaltung der Identität des Unternehmens ankommt; die Fortführung der Firma habe lediglich Indizwirkung. Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 7. BGH v. 5.7.2012 – III ZR 116/11, NZG 2012, 916, 917; BGH v. 28.11.2005 – II ZR 355/03, NJW 2006, 1001, 1002; BGH v. 4.11.1991 – II ZR 85/91, NJW 1992, 911; BGH v. 16.9.1981 – VIII ZR 111/80, NJW 1982, 577; Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 7. Nicht ausreichend ist die Fortführung einer bloßen Geschäftsbezeichnung, s. BGH v. 17.12.2013 – II ZR 140/13, NZG 2014, 459. Auch nicht ausreichend für eine Haftung nach § 25 HGB ist die bloße Fortführung einer Internet-Domain, LG Aachen v. 8.5.2009 – 6 S 226/08, MMR 2010, 258; zur Frage der Haftung wegen Fortführung einer Homepage vgl. auch Mettler, MDR 2012, 1005. Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Ries, § 25 HGB Rz. 19a; a.A. Canaris, Handelsrecht, § 7 Rz. 30, wonach die Identität der Firma schon dann nicht mehr gegeben ist, wenn der Rechtsformzusatz geändert wird. Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 7; eine detaillierte Aufstellung der Rechtsprechung zur Veränderungen der Firma s. bei MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 61 f. BGH v. 16.9.2009 – VIII ZR 321/08, NJW 2010, 236.
Schewiola | 491
12.26
§ 12 Rz. 12.26 | Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes
führung der Firma durch den bisherigen Firmeninhaber kommt es nicht an1. Die Frage der Zulässigkeit der geführten Firma nach Firmen-, Namens- oder Wettbewerbsrecht ist grundsätzlich unerheblich. Denn selbst wenn ausnahmsweise die Firma unberechtigterweise geführt wird, findet § 25 Abs. 1 HGB wegen § 5 HGB Anwendung2.
4. Art der Übertragung des Handelsgeschäfts 12.27
Der Erwerb muss unter Lebenden stattgefunden haben. Andernfalls ist § 27 HGB ggf. einschlägig. § 25 HGB erfasst grundsätzlich jede Form der Übertragung eines Handelsgeschäfts3. Zutreffend wird deshalb auch die Betriebsaufspaltung, wenn sie im Übrigen die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt, einbezogen4. Wie sich aus § 133 Abs. 1 Satz 2 UmwG ergibt, gehören hierzu auch Übertragungsvorgänge, die im Wege der Gesamtrechtsnachfolge abgewickelt werden5. Grundsätzlich genügt es, dass der Erwerber tatsächlich die Verfügungsmacht über das Handelsgeschäft erlangt6. Mängel im Übertragungsgeschäft sind also grundsätzlich unbeachtlich7. Unschädlich ist, dass gar kein Übernahmevertrag abgeschlossen wurde8, wenn der Vertrag nichtig9 oder wegen fehlender Devisengenehmigung schwebend unwirksam war10. Von § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB nicht erfasst ist allerdings der Erwerb vom Insolvenzverwalter, da die Aufgabe des Insolvenzverwalters, das Unternehmen – im Interesse der Gläubiger an der schnellstmöglichen Verwertung der Masse – im Ganzen zu veräußern, nicht durch eine mögliche Haftung des Erwerbers für die Schulden des bisherigen Unternehmensträgers erschwert werden soll11.
1 OLG Koblenz v. 11.11.2005 – 10 U 1325/04, NJW-RR 2006, 408; Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 7; anders allerdings i.R.d. § 25 Abs. 1 Satz 2 HGB bzgl. Forderungsübergang. A.A: MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 63 ff. m.w.N. 2 BGH v. 12.2.2001 – II ZR 148/99, NJW 2001, 1352; BGH v. 29.11.1956 – II ZR 32/56, NJW 1957, 179; Commandeur/Kleinebrink, Betriebs- und Firmenübernahme, Rz. 992; Staub/Burgard, § 25 HGB Rz. 69. 3 Detailliert: Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 4; MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 42 ff. 4 BAG v. 24.3.1987 – 3 AZR 384/85, DB 1988, 123, 124; BGH v. 29.3.1982 – II ZR 166/81, NJW 1982, 1647, 1648. Zur Frage der Unternehmensfortführung bei Teilerwerb: BGH v. 7.12.2009 – II ZR 229/08, NZG 2010, 112, mit Anm. Müller/Kluge, NZG 2010, 256. 5 A.A. MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 31, der eine Anwendbarkeit von § 25 HGB bei Übertragungsvorgängen im Rahmen der Gesamtrechtsnachfolge verneint. 6 OLG Jena v. 23.2.2006 – 1 U 613/05, OLGReport KG 2007, 106; Staub/Burgard, § 25 HGB Rz. 56; MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 42 m.w.N. 7 BGH v. 29.11.1956 – II ZR 32/56, NJW 1957, 79; OLG Stuttgart v. 23.3.2010 – 8 W 139/10, NZG 2010, 628; Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 5; Staub/Burgard, § 25 HGB Rz. 55. 8 BGH v. 29.11.1956 – II ZR 32/56, NJW 1957, 79; Staub/Burgard, § 25 HGB Rz. 56; vgl. auch Lettl, WM 2006, 2336, 2338. 9 BGH v. 29.11.1956 – II ZR 32/56, NJW 1957, 79; Staub/Burgard, § 25 HGB Rz. 55. 10 BGH v. 13.10.1955 – II ZR 44/54, NJW 1955, 1916. 11 BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 215/06, NJW 2007, 942; BGH v. 11.4.1988 – II ZR 313/87, NJW 1988, 1912; Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 4; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Reuschle, § 25 HGB Rz. 41 ff.; vgl. allerdings: OLG Stuttgart v. 23.3.2010 – 8 W 139/10, NZG 2010, 628, wonach der Erwerb nur einzelner Gegenstände durch den Insolvenzverwalter der Annahme eines Erwerbs i.S.v. § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB nicht entgegensteht. Zur Anwendbarkeit von § 25 Abs. 1 HGB beim Erwerb vom vorläufigen Insolvenzverwalter vgl. MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 36 f. m.w.N.
492 | Schewiola
Haftung bei einer Firmenfortführung nach § 25 HGB | Rz. 12.30 § 12
Umstritten ist die Anwendung von § 25 HGB, wenn ein Handelsgeschäft in eine Personenoder Kapitalgesellschaft eingebracht wird1. Dafür spricht zunächst einmal, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen auch im Zusammenhang mit solchen Übertragungsvorgängen erfüllt werden können. Für die Einbringung in eine Kapitalgesellschaft ist deshalb auch von einer Anwendbarkeit des § 25 HGB auszugehen2. Bei der Einbringung eines Handelsgeschäfts in eine Personengesellschaft ist dagegen die besondere Sachnähe zu dem Eintritt in das Geschäft eines Einzelkaufmanns gemäß § 28 HGB zu berücksichtigen. Insoweit findet nicht § 25 HGB, sondern § 28 HGB analog Anwendung3. Im Gegensatz zu § 25 HGB kommt es dann auf die Fortführung der Firma nicht an4. Für den Fall, dass eine Gesellschaft das von ihr betriebene Unternehmen an einen Einzelkaufmann oder an eine Personen- oder Kapitalgesellschaft veräußert, ohne dass ein namensgebender Gesellschafter am neuen Unternehmensträger beteiligt bleibt, ist wiederum § 25 HGB einschlägig5.
12.28
II. Haftungsumfang Der neue Geschäftsinhaber haftet nach § 25 Abs. 1 HGB für alle im Betrieb des Geschäfts begründeten Geschäftsverbindlichkeiten des früheren Inhabers. Dabei kann im Zweifel auf die §§ 343 f. HGB zurückgegriffen werden. Der Rechtsgrund der Verbindlichkeiten ist unerheblich; insoweit werden auch deliktische Ansprüche6 und Ansprüche aus dem Steuerverhältnis i.S.d. § 37 AO von der Haftung erfasst7. Sozialversicherungsbeiträge sollen dagegen von einer Haftung gemäß § 25 Abs. 1 HGB ausgeschlossen sein8. Es handelt sich dabei um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch, für den es, anders als z.B. im Steuerrecht in § 75 AO, keinen gesetzlichen Forderungsübergang gibt. Arbeitsverhältnisse und andere unternehmensbezogene Dauerschuldverhältnisse fallen unter § 25 HGB9.
12.29
Im Unterschied zu § 613a BGB, der nur bestehende Arbeitsverhältnisse erfasst, erstreckt sich § 25 HGB auf alle Ansprüche gegen den früheren Firmeninhaber aus bestehenden oder
12.30
1 So generell RG v. 12.1.1934 – II 23/33, RGZ 143, 154, 155; K. Schmidt, NJW 2000, 1521. 2 Seibert, DB 1994, 461, 462; Lieb, JZ 2000, 1010, 1011; a.A. MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 31. 3 Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Ries, § 25 HGB Rz. 13. Auch so MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 31, wobei grundsätzlich von einer Anwendbarkeit von § 28 HGB bzw. § 28 HGB analog ausgegangen wird, und zwar sowohl bei einer OHG- oder KG-Gründung durch Eintritt eines Gesellschafters in das Geschäft eines Einzelkaufmanns als auch bei der Einbringung eines Unternehmens in eine bestehende Personengesellschaft bzw. in eine Kapitalgesellschaft durch Sachgründung oder Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen. Gegen eine Analogie: BGH v. 18.1.2000 – XI ZR 71/99, NJW 2000, 1193. 4 MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 30. 5 MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 31. 6 Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 11. 7 Mösbauer, BB 1990 Beil. 3, S. 1, 11; Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 11. 8 LSG Rheinland-Pfalz v. 13.8.2008 – 4 R 366/07, ZIP 2008, 2023; Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 11. 9 BAG v. 24.3.1977 – 3 AZR 649/76, NJW 1977, 1791; Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 11; abw. Liessem, Betriebsverpachtung, S. 134 ff., der bei Ansprüchen aus bestehenden Arbeitsverhältnissen grundsätzlich nur § 613a Abs. 1 BGB, hinsichtlich der Verjährung aber § 26 HGB anwenden will. Eine Ausnahme soll nur für Firmentarifverträge gelten (S. 138 f.); nach MünchKommHGB/ Thiessen, § 25 HGB Rz. 66 sind Verbindlichkeiten aus Ruhestandsverhältnissen zwar von § 25 HGB erfasst, Verbindlichkeiten aus bestehenden Arbeitsverhältnissen fallen aber vorrangig unter § 613a BGB.
Schewiola | 493
§ 12 Rz. 12.30 | Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes
bereits beendeten Arbeitsverhältnissen. Dazu gehören z.B. Ansprüche auf rückständigen Lohn1, Ansprüche bereits ausgeschiedener Arbeitnehmer auf betriebliche Altersversorgung2 oder Ansprüche auf Karenzentschädigung wegen eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots3. Darüber hinaus werden auch Verbindlichkeiten, die außerhalb eines Arbeitsverhältnisses entstanden sind, oder Zahlungsansprüche von Heimarbeitnehmern4 erfasst.
12.31
Voraussetzung für eine Haftung des neuen Geschäftsinhabers ist allerdings, dass die Verbindlichkeit zum Zeitpunkt der Geschäftsübernahme bereits entstanden war. Unerheblich ist, ob sie zu diesem Zeitpunkt bereits fällig, noch betagt oder bedingt war5. Insoweit kann, insbesondere im Hinblick auf Dauerschuldverhältnisse6, auf die Darstellungen zur Entstehung eines Anspruchs im Rahmen von § 613a Abs. 1, 2 BGB zurückgegriffen werden (vgl. Rz. 9.24 ff.).
12.32
Die Haftung ist nicht auf das übernommene Vermögen begrenzt. Der Erwerber haftet neben dem Veräußerer als Gesamtschuldner kraft Gesetzes7 mit seinem ganzen Vermögen8. Ihm stehen gegen die Gläubiger alle Einreden des Veräußerers, sowie seine eigenen Einreden gemäß §§ 422 ff. BGB zu9.
III. Verbleib der Verbindlichkeit beim Veräußerer 12.33
§ 25 Abs. 1 HGB regelt die Haftung des Firmenübernehmers. Die Vorschrift sagt dagegen nichts darüber aus, ob der Erwerber neben der Haftungsübernahme auch in die zugrundeliegenden Vertragsverhältnisse eintritt, also Vertragspartner der Gläubiger, im Arbeitsverhältnis also Vertragspartner der Arbeitnehmer wird.
12.34
Die Rechtsprechung der BGH Senate ist uneinheitlich10. Ein Teil der Literatur geht von einer Überleitung des der Verbindlichkeit zugrunde liegenden Vertragsverhältnisses aus11. Überwiegend wird allerdings die Ansicht vertreten, dass es trotz der Haftung des firmenfortführenden
1 BAG v. 24.3.1977 – 3 AZR 649/76, NJW 1977, 1791. 2 BAG v. 24.3.1987 – 3 AZR 384/85, DB 1988, 123, 124; BAG v. 24.3.1977 – 3 AZR 649/76, NJW 1977, 1791; Schmalenberg, NZA 1989 Beil. 3, S. 14, 15; MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 111 m.w.N. Krit.: Säcker/Joost, DB 1978, 1030, 1078, 1079. 3 Heymann/Emmerich, § 25 HGB Rz. 29. 4 BAG v. 3.7.1980 – 3 AZR 1077/78, BB 1981, 1466; Commandeur/Kleinebrink, Betriebs- und Firmenübernahme, Rz. 1099. 5 BGH v. 25.4.1996 – I ZR 58/94, NJW 1996, 2866; BGH v. 15.5.1990 – X ZR 82/88, NJW-RR 1990, 1251, 1253; Heymann/Emmerich, § 25 HGB Rz. 32. 6 abw. Moll/Hottgenroth, RdA 1994, 223, 224 f. 7 H.M: Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 10;a.A: K. Schmidt, Handelsrecht, § 8 I 2 c (S. 306, Rz. 44). 8 BGH v. 29.6.1955 – IV ZR 50/55, BB 1955, 652. 9 Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 10. 10 Vgl. eine Übersicht bei MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 82. 11 So Krejci, Betriebsübergang, S. 218 ff.; Nitsche, ZIP 1994, 1919, 1923 f.; K. Schmidt, Handelsrecht, § 8 I 2 (S. 305, Rz. 40) und § 7 IV 3 (S. 271, Rz. 69 ff.) m.w.N; vgl. auch K. Schmidt, ZHR 145 (1981), 2, 24 f.; abl. OLG Hamm v. 10.3.2009 – 4 U 148/08, GWR 2009, 194, wonach § 25 HGB keine Rechtsnachfolge in Dauerschuldverhältnisse anordne; vgl. auch BGH v. 25.4.2001 – XII ZR 43/99, NJW 2001, 2251, 2252: Bei Mietverträgen sei jedenfalls ein Vertragsübergang auf einen neuen Mieter ohne Mitwirkung des Vermieters ausgeschlossen.
494 | Schewiola
Haftung bei einer Firmenfortführung nach § 25 HGB | Rz. 12.38 § 12
Erwerbers bei einem Fortbestand der Verbindlichkeit beim Veräußerer bleibe; der übernehmende Rechtsträger hafte dabei auf der Grundlage eines gesetzlichen Schuldbeitritts1. Für einen Übergang scheint auf den ersten Blick das Argument zu sprechen, dass der Veräußerer nach § 26 HGB nur zeitlich begrenzt haftet, den Gläubiger also ein Risiko trifft, nach der Enthaftung des Veräußerers ohne Vertragspartner dazustehen2. Dieses Argument kann bei genauerer Betrachtung jedoch nicht überzeugen. Denn Erwerber und Veräußerer schulden – selbst wenn man von einem Fortbestand der Verbindlichkeit beim Veräußerer ausgeht – als Gesamtschuldner die Erfüllung dieser Verbindlichkeit3. Im Übrigen zeigt der Gesetzgeber durch die Vorgaben zur Enthaftung in § 26 HGB, dass er trotz der Haftung des Erwerbers nach § 25 Abs. 1 HGB von einer fortbestehenden Haftung des Veräußerers ausgeht4. Wenn diese Haftung als Besonderheit trotz einer Überleitung des der Verbindlichkeit zugrunde liegenden Vertragsverhältnisses hätte erfolgen sollen, hätte es nahe gelegen, eine solche Verpflichtung in §§ 25 f. HGB nicht nur im Umkehrschluss, sondern durch einen eigenständigen, die Haftung des übertragenden Rechtsträgers begründenden Tatbestand, vergleichbar mit dem in § 613a Abs. 2 BGB vorgesehenen Schuldbeitritt5, zum Ausdruck zu bringen. Auch auf § 415 BGB sei verwiesen. Im Ergebnis ist daher mit der h.M. von einem gesetzlichen Schuldbeitritt ohne Vertragsüberleitung auszugehen. Dies gilt auch für Arbeitsverhältnisse, die somit nur auf den Erwerber übergehen, wenn gleichzeitig ein Fall von § 613a BGB vorliegt.
12.35
IV. Möglichkeit einer abweichenden Vereinbarung zur Haftung des Erwerbers (§ 25 Abs. 2 HGB) Eine abweichende Vereinbarung zur Haftung des neuen Geschäftsinhabers bis hin zum vollständigen Ausschluss ist einem Dritten gegenüber möglich, allerdings nur dann wirksam, wenn sie in das Handelsregister eingetragen und bekannt gemacht oder von dem Erwerber oder dem Veräußerer dem Dritten mitgeteilt wurde (§ 25 Abs. 2 HGB).
12.36
Diese Enthaftungsmöglichkeit unterscheidet § 25 HGB grundlegend von § 613a BGB. Die Haftung nach § 613a Abs. 2 BGB ist im Außenverhältnis nicht zu Lasten des Arbeitnehmers abdingbar. Soweit die Haftung im Außenverhältnis nach § 25 Abs. 2 HGB wirksam abbedungen ist, sagt dies allerdings noch nichts über die Haftung des Erwerbers nach anderen Haftungsvorschriften (wie z.B. § 613a BGB) aus. Eine etwaige Haftung nach anderen Vorschriften bleibt davon unberührt6.
12.37
Eine Enthaftung setzt nach dem Wortlaut des Gesetzes eine Vereinbarung zwischen Veräußerer und Erwerber voraus. Eine einseitige Ausschlusserklärung des Erwerbers ist somit nicht
12.38
1 So BAG v. 24.3.1998 – 9 AZR 57/97, NZA 1999, 145, 146 f.; BGH v. 8.5.1989 – II ZR 237/88, NJWRR 1989, 1055, 1056; BGH v. 26.11.1964 – VII ZR 75/63, NJW 1965, 439; Commandeur/Kleinebrink, Betriebs- und Firmenübernahme, Rz. 1067; Beuthien, NJW 1993, 1737, 1738; Baumbach/ Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 10; Koller/Kindler/Roth/Drüen/Roth, § 25 HGB Rz. 7; Henssler/ Strohn/Wamser, § 25 HGB Rz. 10; Staub/Burgard, § 25 HGB Rz. 75 ff. 2 So MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 83. 3 Commandeur/Kleinebrink, Betriebs- und Firmenübernahme, Rz. 1070. 4 Vgl. ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 142. 5 Zu diesem Verständnis von § 613a Abs. 2 BGB vgl. Heinze, DB 1980, 205, 207; Seiter, Betriebsinhaberwechsel, S. 107; Ascheid, FS Dieterich, S. 9, 27; abl. Löwisch, ZIP 1986, 1101 f., der im Wege einer Fiktion trotz des Übergangs des Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber von einem Fortbestand der individual- und kollektivvertraglichen Verbindlichkeiten des Veräußerers ausgeht. 6 Heymann/Emmerich, § 25 HGB Rz. 53.
Schewiola | 495
§ 12 Rz. 12.38 | Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes
ausreichend1. In den Fällen eines nicht rechtsgeschäftlich, sondern nur tatsächlich vollzogenen Inhaberwechsels liegt auf den ersten Blick keine Vereinbarung vor. Dies kann z.B. der Fall sein bei einem Pächterwechsel ohne zwischenzeitliche Unternehmensführung durch den Verpächter. In solchen Fällen erfolgt die Übertragung des Handelsgeschäfts durch die Kündigung des Pachtvertrags und die Neuverpachtung durch den Verpächter. Bisheriger und neuer Pächter haben zueinander keine rechtsgeschäftliche Bindung. Geht man richtigerweise davon aus, dass § 25 Abs. 1 HGB auch solche Fallgestaltungen erfasst2, erscheint es indes notwendig, ausnahmsweise die Möglichkeit eines einseitigen Haftungsausschlusses durch den Erwerber zuzulassen, soweit er im Handelsregister eingetragen und bekannt gemacht wird3.
12.39
Die Eintragung in das Handelsregister und die Bekanntmachung führen gegenüber allen Gläubigern zum Ausschluss bzw. zur Einschränkung der Haftung des Erwerbers. Dabei ist § 25 Abs. 2 HGB abschließend und verdrängt als lex specialis § 15 HGB4. Die formlose Mitteilung der Haftungseinschränkung des Erwerbers wirkt nur gegenüber dem einzelnen Empfänger, dem sie zugeht5.
12.40
Eintragung, Bekanntmachung oder Mitteilung der abweichenden Vereinbarung müssen mit der Übernahme zusammenfallen; ausreichend ist auch, wenn die Vereinbarung unverzüglich nach der Geschäftsübernahme angemeldet wird und Eintragung und Bekanntmachung sodann in angemessenem Zeitabstand nachgeholt werden. Dabei ist ein Zeitabstand von fünf Monaten nach Auffassung des OLG Düsseldorf noch ausreichend6. Alle Beschränkungen müssen allerdings aus den Registerakten eindeutig erkennbar sein7.
12.41
Die Haftungsbeschränkung kann einzelne Verbindlichkeiten betreffen8. Auch prozentuale Beschränkungen einzelner Verbindlichkeiten sind denkbar, da die jeweilige Verbindlichkeit für den Gläubiger erkennbar ist9. Unzureichend bestimmt, da für den Gläubiger nicht hinreichend nachvollziehbar, ist hingegen eine Beschränkung der Haftung auf einen globalen Höchstbetrag10.
1 OLG Frankfurt v. 23.6.2005 – 20 W 272/05, NJW-RR 2005, 1349, 1350; MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 93. 2 Vgl. BGH v. 6.1.1984 – II ZR 114/83, NJW 1984, 1186, 1187; OLG Frankfurt v. 23.6.2005 – 20 W 272/05, NJW-RR 2005, 1349, 1350; K. Schmidt, Anm. zu BGH v. 16.1.1984 – II ZR 114/83, NJW 1984, 1187; Wilhelm, NJW 1986, 1797 f. 3 So Wilhelm, NJW 1986, 1797, 1798; MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 50; Koller/Kindler/Roth/Drüen/Roth, § 25 HGB Rz. 8a; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Reuschle, § 25 HGB Rz. 27 f. 4 Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 14. 5 Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 14. 6 OLG Düsseldorf v. 6.6.2003 – 3 Wx 108/03, NZG 2003, 774, 776; Zeitabstände von über sieben Monate (OLG München v. 6.2.2007 – 31 Wx 103/06, BB 2007, 903), von acht Monaten (OLG Hamm v. 13.8.1991 – 15 W 195/91, NJW-RR 1994, 1119, 1121) und von neun Monaten (BGH v. 16.1.1984 – II ZR 114/83, NJW 1984, 1186, 1187) zwischen Haftungsausschluss und Eintragung wurden dagegen nicht für ausreichend erachtet; MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 96 m.w.N; Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 15 m.w.N. 7 Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 13. 8 Heymann/Emmerich, § 25 HGB Rz. 45; MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 94. 9 MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 94; Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 13. 10 MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 94; Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 13.
496 | Schewiola
Haftung bei einer Firmenfortführung nach § 25 HGB | Rz. 12.45 § 12
Die nach § 25 Abs. 2 HGB getroffene Vereinbarung ist weder durch Gläubiger (§ 2 AnfG) noch Insolvenzverwalter (§ 129 InsO) anfechtbar1.
12.42
Ohne eine Fortführung der Firma kann eine Haftung des Erwerbers für Geschäftsverbindlichkeiten wegen der Übernahme eines Handelsgeschäfts nur dann erfolgen, wenn ein besonderer Verpflichtungsgrund vorliegt, insbesondere wenn die Übernahme der Verbindlichkeiten in handelsüblicher Weise von dem Erwerber bekannt gemacht worden ist (§ 25 Abs. 3 HGB). Besondere Praxisrelevanz hat dies nicht.
12.43
V. Verhältnis zu § 613a BGB Ganz überwiegend wird davon ausgegangen, dass § 25 HGB und § 613a BGB nebeneinander und unabhängig voneinander Anwendung finden2. Das Zusammenspiel beider Vorschriften hat u.a. besondere Relevanz bei Ruhestandsverhältnissen, die nach § 613a Abs. 1 BGB nicht auf den Erwerber übergehen3. § 25 HGB geht weiter und erstreckt die Haftung des Firmenübernehmers auch auf diese Verhältnisse. Umgekehrt kommt es bei § 613a Abs. 1 BGB auf die Fortführung der Firma nicht an, so dass bei einem Betriebsübergang ohne Firmenfortführung lediglich § 613a BGB einschlägig ist. Sind beide Vorschriften einschlägig, muss die Haftung nach § 25 HGB in dem Unterrichtungsschreiben nach § 613a Abs. 5 BGB beschrieben und von der Haftung nach § 613a Abs. 2 BGB abgegrenzt werden. Fehlt dieser Hinweis, ist die Unterrichtung fehlerhaft und die einmonatige Widerspruchsfrist nach § 613a Abs. 6 BGB beginnt nicht zu laufen. Zudem sind Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers denkbar.
12.44
Ein Betriebsteilübergang nach § 613a BGB führt im Zweifel nicht zur Haftung nach § 25 Abs. 1 HGB. Zwar muss das Handelsgeschäft gemäß § 25 Abs. 1 HGB nicht zwangsweise vollständig übertragen werden. Dennoch sind an das Tatbestandsmerkmal der Übernahme des Handelsgeschäfts strenge Anforderungen zu stellen4. Es muss jedenfalls ein im Verkehr selbständiger Unternehmensteil (z.B. eine Zweigniederlassung5 oder eines von mehreren Handelsgeschäften des Veräußerers) übernommen werden und insoweit in seinem wesentlichen Bestandteil erhalten bleiben6. Es ist also notwendig, dass der Erwerber das bisher betriebene Handelsgeschäft als betriebsfähige Wirtschaftseinheit übernimmt und fortführt und dass zumindest diejenigen Teile, die den Kern des Unternehmens ausmachen, also den Tätigkeitsbereich bestimmen, mit dem es nach außen in Erscheinung tritt, auch tatsächlich auf den Erwerber übergehen7. Dies setzt jedenfalls ein selbständiges Auftreten im Rechtsverkehr, eine
12.45
1 Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 16. 2 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 141 f.; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 171 ff.; Seiter, Betriebsinhaberwechsel, S. 107. A.A. Staub/Burgard, § 25 HGB Rz. 86; MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 111, der davon ausgeht, dass § 25 HGB ausscheidet, wenn die Voraussetzungen des § 613a Abs. 1 BGB vorliegen. 3 MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 171; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 141; Seiter, Betriebsinhaberwechsel, S. 107. 4 MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 40. 5 MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 39. 6 Vgl. BGH v. 16.1.1984 – II ZR 114/83, NJW 1984, 1186, 1187; Commandeur/Kleinebrink, Betriebsund Firmenübernahme, Rz. 972. 7 BGH v. 16.9.2009 – VIII ZR 321/08, DStR 2009, 2440, 2442; BGH v. 4.11.1991 – II ZR 85/91, NJW 1992, 911; BGH v. 29.3.1982 – II ZR 166/81, NJW 1982, 1647, 1648; OLG Bremen v. 13.2.2008 – 1 U 78/07, NZG 2008, 946; OLG Köln v. 11.11.2005 – 10 U 1325/04, NZG 2006, 477, 478; OLG Düsseldorf v. 22.1.1998 – 10 U 30/97, NJW-RR 1998, 965; OLG Saarbrücken v. 17.12.1963 – 2 U 160/ 62, BB 1964, 1195 f.; für ein weitgehendes Verständnis des „Kern des Unternehmers“: OLG Stuttgart
Schewiola | 497
§ 12 Rz. 12.45 | Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes
eigenständige Führung der Geschäfte, eine eigene Buch-, Kassen- und Kontenführung sowie eine eigene Kundenabrechnung innerhalb der jeweils in Rede stehenden Einheit voraus1. Überschneidungen mit dem Begriff des Betriebsteils i.S.d. § 613a Abs. 1 BGB sind deshalb nur dann denkbar, wenn losgelöst von der kaufmännischen Abgrenzbarkeit eine übergreifende Wahrnehmung der Leitungsmacht in den wesentlichen personellen und sozialen Fragen erfolgt, die für den arbeitsrechtlichen Organisationsbegriff maßgeblich sind. Mit dem Erfordernis einer selbständigen Führung der Geschäfte innerhalb des Handelsgeschäfts dürfte dies indes selten vereinbar sein.
12.46
In den Rechtsfolgen beider Normen ergeben sich auch einige Unterschiede. Nach § 613a Abs. 1 BGB geht die Verbindlichkeit mit dem Betriebs(teil)übergang auf den Erwerber über, der somit Vertragspartner wird. Der bisherige Betriebsinhaber haftet lediglich nach § 613a Abs. 2 BGB. Dagegen bleibt gemäß § 25 HGB der Veräußerer Vertragspartner; der Erwerber haftet nur zusätzlich.
VI. Begrenzung der Nachhaftung des früheren Geschäftsinhabers (§ 26 HGB) 1. Grundsatz 12.47
Der frühere Geschäftsinhaber haftet gemäß § 26 Abs. 1 HGB für die Verbindlichkeiten, die von der Haftung des Erwerbers des Handelsgeschäfts nach § 25 Abs. 1 HGB erfasst werden, nur, wenn sie vor Ablauf von fünf Jahren fällig und daraus Ansprüche gegen ihn gerichtlich geltend gemacht sind oder – so § 26 Abs. 2 HGB – durch den früheren Geschäftsinhaber schriftlich anerkannt sind. Für öffentlich-rechtliche Verbindlichkeiten genügt der Erlass eines Verwaltungsakts. § 26 Abs. 1 HGB statuiert damit eine Enthaftungslösung2, die im Kern an den Ablauf des Fünf-Jahres-Zeitraums gekoppelt ist3. Dies gilt selbst dann, wenn eine Forderung erst kurz vor Ablauf des Fünf-Jahres-Zeitraums fällig wird. Dies kann in der Praxis zuweilen dazu führen, dass kurz vor Ablauf des Fünf-Jahres-Zeitraums – rein vorsorglich – Klagen gegen den früheren Geschäftsinhaber erhoben werden.
12.48
Maßgeblich für den Fristbeginn ist für die von der Vorschrift betroffenen Verbindlichkeiten der Ablauf des Tages, an dem der neue Inhaber der Firma in das Handelsregister eingetragen wird. Im Übrigen gelten die zivilrechtlichen Vorgaben zur Verjährung.
12.49
Insbesondere für Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen wurde durch die Neufassung des § 26 HGB im Jahre 1994 eine wesentliche Begrenzung der Haftung zugunsten des übertragenden Rechtsträgers erreicht, die auch im Bereich der betrieblichen Altersversorgung zur Anwendung kommt (vgl. Rz. 34.83).
2. Verhältnis zwischen § 26 HGB und § 613a BGB 12.50
Für die Praxis von wesentlicher Bedeutung ist das Verhältnis von § 26 HGB zu § 613 BGB. Eine gesetzliche Klarstellung gibt es nicht. Diese wäre jedoch sinnvoll gewesen, schaut man v. 13.12.1988 – 12 U 359/87, NJW-RR 1989, 424 f.; zur Definition des Kerns auch Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Reuschle, § 25 HGB Rz. 29 f. 1 So BGH v. 14.3.1963 – II ZR 159/61, BB 1963, 747, 748; BGH v. 5.2.1979 – II ZR 117/78, NJW 1979, 2245; Mösbauer, BB 1990 Beil. 3, S. 1, 3, 11; Baumbach/Hopt/Merkt, § 25 HGB Rz. 6. 2 Dies war nicht immer so. Zur Entstehungsgeschichte und der Handhabe von § 26 HGB a.F. vgl. BAG v. 24.3.1987 – 3 AZR 384/85, DB 1988, 123, 124; Nitsche, ZIP 1994, 1919 f. 3 MünchKommHGB/Thiessen, § 26 HGB Rz. 5.
498 | Schewiola
Haftung bei einer Firmenfortführung nach § 25 HGB | Rz. 12.52 § 12
sich einmal die unterschiedlichen Rechtsfolgen auf Veräußererseite an. § 613a Abs. 2 BGB sieht vor, dass der übertragende Rechtsträger für Ansprüche der auf den Erwerber übergegangenen Arbeitsverhältnisse nur insoweit haftet, als diese vor dem Übergang entstanden und binnen eines Jahres fällig werden. Bei einem Nebeneinander der beiden Vorschriften könnte diese Haftung durch die §§ 25, 26 HGB auf bis zu fünf Jahre ausgedehnt werden. Umgekehrt würde eine reine Anwendung von § 26 HGB auf Ruhestandsverhältnisse eine Begrenzung der Nachhaftung auf den Fünf-Jahres-Zeitraum bewirken, obwohl § 613a Abs. 1, 2 BGB eine zeitlich unbefristete Haftung des übertragenden Rechtsträgers vorsieht. Teilweise wird vertreten, § 613a BGB verdränge im Konkurrenzfall mit § 25 HGB als lex specialis § 26 HGB1. Soweit es um die Haftung für Ansprüche aus bestehenden Arbeitsverhältnissen gehe, die vom Übergang nach § 613a Abs. 1 BGB erfasst würden, sei damit allein § 613a Abs. 2 BGB maßgeblich2. Nachvollziehbar ist diese Auffassung insoweit, als dass das über § 613a Abs. 1 BGB als Voraussetzung einer Haftung hinausgehende Merkmal einer Fortführung der Firma des bisherigen Geschäftsinhabers an sich keine weitergehende Haftung des Veräußerers rechtfertigt. Schließlich bewirkt der bisherige Geschäftsinhaber, dass nicht mehr er selbst, sondern ein anderer Rechtsträger im Handelsverkehr unter dem Namen auftritt, unter dem er bislang selbst Geschäfte betrieben hat. Nicht überzeugend ist dagegen das diese Auffassung anführende Argument, es gebe keinen nachvollziehbaren Grund, warum Arbeitnehmer, die zufällig von Kaufleuten beschäftigt werden, bei Fortführung der Firma durch den Erwerber von der längeren Mithaftung des Veräußerers nach §§ 25, 26 HGB profitieren und dadurch besser gestellt werden sollen als Arbeitnehmer, die nicht von Kaufleuten beschäftigt werden3.
12.51
Für die Beantwortung der Frage muss letztlich doch entscheidend sein, dass mit einem Vorrang von § 613a Abs. 2 BGB eine Schlechterstellung der Arbeitnehmer bewirkt würde, die mit dem Schutzzweck von § 613a BGB nicht gerechtfertigt werden kann. § 613a Abs. 2 BGB sollte zugunsten der von einem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses Betroffenen einen zusätzlichen Schutz schaffen und keinen bereits kraft anderweitiger Regelung bestehenden Schutz beseitigen4. Ebenso wie § 133 Abs. 1 Satz 2 UmwG die Regelungen zur Haftung aus §§ 25, 26 und 28 HGB unberührt lässt, sprechen daher die besseren Argumente dafür, § 26 HGB neben der Haftung aus § 613a BGB anzuwenden. Bei Ansprüchen aus bestehenden Arbeitsverhältnissen, die auf einen anderen Rechtsträger übergehen, ist es dem alten Arbeitgeber im Anwendungsbereich von § 25 Abs. 1 HGB daher verwehrt, sich auf § 613a Abs. 2 BGB zu berufen. Es bleibt bei der fünfjährigen Nachhaftung. Allerdings wird man hier analog § 613a Abs. 2 Satz 2 BGB einen Anspruch auf Freistellung bzw. Erstattung gegenüber dem Erwerber annehmen können, soweit Leistungsansprüche erst im Anschluss an den Wechsel des Unternehmensträgers verdient werden. Nach außen bleibt es indes bei der gesamtschuldnerischen Verpflichtung gegenüber dem Arbeitnehmer.
12.52
1 MünchKommHGB/Thiessen, § 25 HGB Rz. 111, § 26 HGB Rz. 8; Baumbach/Hopt/Merkt, § 26 HGB Rz. 3. 2 MünchKommHGB/Thiessen, § 26 HGB Rz. 8; Staub/Burgard, § 25 HGB Rz. 86. 3 Vgl. MünchKommHGB/Thiessen, § 26 HGB Rz. 8. Dieses Argument hat nach der Ausweitung der Möglichkeiten zur Führung einer Firma, die das Handelsrechtsreformgesetz mit Wirkung zum 1.7.1985 (s. BGBl. I 1985, S. 1474) bewirkt hat, ohnehin kein großes Gewicht mehr. 4 Vgl. BAG v. 23.1.1990 – 3 AZR 171/88, NZA 1990, 685, 687, allerdings zum Verhältnis zwischen § 613a Abs. 2 BGB und § 28 HGB.
Schewiola | 499
§ 12 Rz. 12.53 | Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes
12.53
Fraglich ist, ob dieses Ergebnis auch auf Verbindlichkeiten gegenüber Arbeitnehmern, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprochen haben, und solchen Arbeitnehmern, die schon vor dem Betriebs- oder Betriebsteilübergang ausgeschieden sind, übertragen werden kann. Beide Arbeitnehmergruppen werden von § 613a BGB nicht erfasst (vgl. Rz. 9.10 und 11.242 ff.), so dass an sich kein Konkurrenzverhältnis zwischen § 25 Abs. 1, § 26 HGB und § 613a Abs. 1 und 2 BGB gegeben ist.
12.54
Teilweise wird die Ansicht vertreten, der übertragende Rechtsträger solle entsprechend § 26 HGB hinsichtlich solcher Verbindlichkeiten von der Nachhaftung befreit werden, die – losgelöst vom Zeitpunkt ihrer Entstehung – nach Ablauf des durch § 26 HGB definierten FünfJahres-Zeitraums fällig werden. An seiner Stelle würde dann allein der übernehmende Rechtsträger haften1. Im Bereich der betrieblichen Altersversorgung wäre er dann auch zur Erfüllung der Versorgungszusage bei Eintritt des Versorgungsfalls sowie zur späteren Anpassung nach § 16 BetrAVG verpflichtet2. Hinsichtlich einer Leistungsverpflichtung des PSV wäre dann auf eine etwaige Insolvenz des übernehmenden Rechtsträgers abzustellen.
12.55
Dieser Ansicht ist grundsätzlich zuzustimmen. Sie beseitigt die Begünstigung der zum Zeitpunkt des Übertragungsvorgangs bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmer gegenüber sonstigen Gläubigern des Veräußerers. Eine solche Begünstigung ließe sich mit dem vornehmlich auf Schutz der bestehenden Arbeitsverhältnisse und Einbindung des Erwerbers in die Haftung für Altverbindlichkeiten ausgerichteten Zweck des § 613a BGB nicht rechtfertigen. Problematisch an dieser Sichtweise ist allerdings, dass im Bereich der betrieblichen Altersversorgung die in § 4 BetrAVG getroffenen Vorgaben für eine Übertragung von Versorgungsverpflichtungen, die nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Anwendung kommen3, unberücksichtigt bleiben. So kann der alte Arbeitgeber Verpflichtungen gegenüber ausgeschiedenen Betriebsrentnern sogar für den Fall der Liquidation nur unter bestimmten Voraussetzungen auf eine Unterstützungskasse überleiten. Da andere Rechtsträger nicht genannt werden, kommt ein Übergang einer Verbindlichkeit auf den Erwerber eines Handelsgeschäfts nur dann in Betracht, wenn der Übertragungsvorgang im Wege der Gesamtrechtsnachfolge abgewickelt wird. Hier hat der Gesetzgeber einen weitergehenden Gestaltungsspielraum geschaffen. Bei den sonstigen Übertragungsvorgängen im Bereich der Einzelrechtsnachfolge wird man allerdings weiterhin – begrenzt auf Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung i.S.d. § 1 BetrAVG – von einem Vorrang der zu § 613a BGB bzw. § 4 BetrAVG entwickelten Grundsätze in Bezug auf ausgeschiedene Arbeitnehmer gegenüber der Nachhaftungsbegrenzung des § 26 HGB ausgehen müssen. In Übereinstimmung mit den Feststellungen des BAG4 bleibt der übertragende Rechtsträger Arbeitgeber i.S.d. Betriebsrentenrechts. Er ist für die Anpassung nach § 16 BetrAVG verantwortlich. Seine Vermögenssituation ist für eine etwaige Leistungsverpflichtung des PSV gemäß § 7 BetrAVG maßgeblich (vgl. Rz. 34.91).
12.56
Auch die Abgrenzung von § 613a Abs. 2 BGB zu § 26 HGB ist zwingender Bestandteil der Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB (vgl. Rz. 11.43 ff.).
1 So von Steinau-Steinrück, Betriebsaufspaltung, S. 32 ff., 36. 2 So Höfer/Höfer/de Groot, BetrAVG, Kap. 9 Rz. 181. 3 Vgl. BAG v. 11.3.2008 -3 AZR 358/06, DB 2008, 2369; BAG v. 26.6.1980 – 3 AZR 156/79, AP Nr. 1 zu § 4 BetrAVG Bl. 3; Höfer/Küpper, DB 2008, 118; ErfK/Steinmeyer, § 4 BetrAVG Rz. 2; Thieme/ Löchelt, BB 1981 Beil. 10 S. 1, 5; Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber/Kisters-Kölkes, BetrAVG, § 4 Rz. 9; a.A. Lilienfein/Fiedler, BB 1981, 2012, 2013, 2015 f. 4 BAG v. 24.3.1998 – 9 AZR 57/97, NZA 1999, 145, 147; BAG v. 24.3.1987 – 3 AZR 384/85, DB 1988, 123, 125.
500 | Schewiola
Haftung beim Eintritt in das Geschäft eines Einzelkaufmanns | Rz. 12.60 § 12
3. Abdingbarkeit von § 26 HGB § 26 HGB ist dispositiv. Die Notwendigkeit einer gerichtlichen Geltendmachung kann abbedungen werden1. Auch ist eine Verlängerung der Frist möglich2. So kann eine solche Vereinbarung zur Vermeidung einer Klageerhebung sinnvoll sein, wenn kurz vor Ablauf des FünfJahres-Zeitraums Gläubiger erstmalig auf den früheren Geschäftsinhaber mit einer Forderung zugehen und die Parteien sich zunächst im außergerichtlichen Vergleichswege einigen möchten. Eine Einschränkung der Nachhaftung über § 26 HGB hinaus kann nur durch eine Vereinbarung zwischen dem Gläubiger und dem früheren Geschäftsinhaber bewirkt werden. Eine Vereinbarung zwischen Veräußerer und Erwerber reicht dazu nicht aus3.
12.57
4. Übergangsregelungen für Altfälle (Art. 37 EGHGB) Mit Art. 37 Abs. 1 EGHGB hatte der Gesetzgeber eine Übergangsregelung zum NachhbG geschaffen. Danach findet § 26 HGB in der ab dem 26.3.1994 geltenden Fassung auf vor diesem Datum entstandene Verbindlichkeiten nur dann Anwendung, wenn
12.58
1. nach dem 26.3.1994 der neue Inhaber eingetragen wird oder die Gutmachung der Übernahme stattfindet und 2. die Verbindlichkeiten nicht später als vier Jahre nach der Eintragung oder der Kundmachung fällig werden.4
C. Haftung beim Eintritt in das Geschäft eines Einzelkaufmanns nach § 28 HGB Tritt jemand als persönlich haftender Gesellschafter oder als Kommanditist in das bestehende Geschäft eines Einzelkaufmanns ein, haftet die Gesellschaft gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 HGB für alle im Betriebe des Geschäfts entstandenen Verbindlichkeiten des früheren Geschäftsinhabers, auch wenn die frühere Firma nicht fortgeführt wird. Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 HGB gelten die in dem Betrieb begründeten Forderungen den Schuldnern gegenüber als auf die Gesellschaft übergegangen. Die Haftung nach § 613a BGB wird durch § 28 HGB nicht berührt5.
12.59
Der Schutzzweck der Norm ist ebenso wie bei § 25 HGB umstritten6. Auch § 28 HGB liegt jedenfalls der Gedanke der Kontinuität des Unternehmens zugrunde, allerdings unabhängig von der Fortführung der Firma7. Erforderlich ist die tatsächliche Fortführung des wesentlichen Kerns des Handelsgeschäfts des Einzelkaufmanns8.
12.60
1 Baumbach/Hopt/Merkt, § 26 HGB Rz. 12; Oetker/Vossler, § 26 HGB Rz. 14. 2 MünchKommHGB/Thiessen, § 26 HGB Rz. 11. 3 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Hillmann, § 26 HGB Rz. 20; Baumbach/Hopt/Merkt, § 26 HGB Rz. 12; Oetker/Vossler, § 26 HGB Rz. 14. 4 S. dazu BAG v. 27.6.2006 – 3 AZR 85/05, DB 2007, 2658. 5 Baumbach/Hopt/Merkt, § 28 HGB Rz. 6. 6 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Reuschle, § 28 HGB Rz. 1 ff.; MünchKommHGB/Thiessen, § 28 HGB Rz. 8 f.; Oetker/Vossler, § 28 HGB Rz. 3 ff. 7 Baumbach/Hopt/Merkt, § 28 HGB Rz. 1; Koller/Kindler/Roth/Drüen/Roth, § 28 HGB Rz. 1. 8 Baumbach/Hopt/Merkt, § 28 HGB Rz. 4.
Schewiola | 501
§ 12 Rz. 12.61 | Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes
12.61
§ 28 HGB spricht von einem „Eintritt“ in das Geschäft des Einzelkaufmanns. Diesen Eintritt gibt es rechtlich aber gar nicht1. Zutreffend ist allein, dass der bisherige Inhaber – anders als bei § 25 HGB – an seinem Geschäft beteiligt bleibt. Die Rechtsfolge des „Eintritts“ einer weiteren Person als persönlich haftender Gesellschafter oder als Kommanditist besteht bei § 28 HGB darin, dass eine neue Gesellschaft in der Form einer OHG oder KG entsteht. An dieser Gesellschaft ist der Einzelkaufmann seinerseits als Komplementär oder Kommanditist beteiligt2.
12.62
Umstritten ist, ob § 28 HGB analog anzuwenden ist, wenn durch den „Eintritt“ eines oder mehrerer Gesellschafter in den bisherigen Gewerbebetrieb keine OHG oder KG, sondern lediglich eine GbR entsteht. Dagegen spricht, dass abweichende Vereinbarungen zur Haftung i.S.d. § 28 Abs. 2 HGB in diesem Fall nicht im Handelsregister eingetragen werden könnten3. Der BGH hat es jedenfalls abgelehnt, § 28 HGB analog anzuwenden, wenn ein Einzelunternehmen in eine neu gegründete GmbH oder AG eingebracht wird. Erforderlich für § 28 HGB sei jedenfalls, dass eine Personengesellschaft entstehe4.
12.63
Bei Einbringung des kaufmännischen Handelsgeschäfts in eine bestehende Gesellschaft ist § 25 HGB als Auffangnorm einschlägig5. Bei Eintritt in eine bereits bestehende Personenhandelsgesellschaft gelten nur die §§ 130, 173 HGB (vgl. Rz. 12.71 ff.).
I. Haftung der neuen Gesellschaft und ihrer Gesellschafter 12.64
Der Eintritt eines Dritten hat gemäß § 28 Abs. 1 HGB zur Folge, dass die in diesem Zusammenhang gegründete Gesellschaft als übernehmender Rechtsträger für alle im Betrieb des Geschäfts entstandenen Verbindlichkeiten des früheren Geschäftsinhabers haftet. Die Gesellschaft wird also im Wege des gesetzlichen Schuldbeitritts Schuldnerin der bestehenden Geschäftsverbindlichkeiten6. Ob und inwieweit die Gesellschafter dieser Gesellschaft haften, be1 MünchKommHGB/Thiessen, § 28 HGB Rz. 1. 2 BGH v. 18.1.2000 – XI ZR 71/99, GmbHR 2000, 276, 277; MünchKommHGB/Thiessen, § 28 HGB Rz. 1; Staub/Burgard, § 28 HGB Rz. 18. 3 Gegen eine analoge Anwendbarkeit von § 28 HGB: Baumbach/Hopt/Merkt, § 28 HGB Rz. 2; Heymann/Emmerich, § 28 HGB Rz. 14; Staub/Burgard, § 28 HGB Rz. 21; Koller/Kindler/Roth/Drüen/ Roth, § 28 HGB Rz. 5; BGH v. 22.1.2004 – IX ZR 65/01, NJW 2004, 836, bei einer AnwaltsGbR; BGH v. 23.11.2009 – II ZR 7/09, NJW 2010, 3720, bei einer Rechtsanwaltspartnergesellschaft; Dafür: Kleindiek, FS Röhricht, S. 315, 330; K. Schmidt, NJW 2005, 2807; Arnold/Dötsch, DStR 2003, 1398, 1403; OLG Naumburg v. 17.1.2006 – 9 U 86/05, NZG 2006, 711, 712, mit Anm. Knöfel, EWiR 2006, 239. offen: BGH v. 18.1.2000 – XI ZR 71/99, GmbHR 2000, 276, 277 (vgl. dazu Anm. K. Schmidt, NJW 2000, 1521). 4 BGH v. 18.1.2000 – XI ZR 71/99, GmbHR 2000, 276, 277, Anm. K. Schmidt, NJW 2000, 1521; Baumbach/Hopt/Merkt, § 28 HGB Rz. 2; K. Schmidt, Handelsrecht § 8 II 1 c bb (S. 321 f., Rz. 104); K. Schmidt, NJW 2003, 1897, 1903; a.A. MünchKommHGB/Thiessen, § 28 HGB Rz. 10; Staub/Burgard, § 28 HGB Rz. 22. 5 BGH v. 18.1.2000 – XI ZR 71/99, GmbHR 2000, 276, 277; Baumbach/Hopt/Merkt, § 28 HGB Rz. 2; a.A. MünchKommHGB/Thiessen, § 28 HGB Rz. 10 f. 6 BAG v. 23.1.1990 – 3 AZR 171/88, NZA 1990, 685, 686; Baumbach/Hopt/Merkt, § 28 HGB Rz. 5; a.A. MünchKommHGB/Thiessen, § 28 HGB Rz. 27, der auch hier – entsprechend den Überlegungen zu § 25 HGB – von einer Vertragsüberleitung ausgeht; vgl. auch K. Schmidt, Handelsrecht, § 8 I 6, 4 c; Einen Vertragsübergang jedenfalls für Mietverträge ablehnend: BGH v. 25.4.2001 – XII ZR 43/99, NJW 2001, 2251; für personenbezogene Rechtsverhältnisse (hier: Rechtsanwalt) ablehnend: BGH v. 22.1.2004 – IX ZR 65/01, NJW 2004, 836. Zur Frage der akzessorischen Haftung und für ein gestuftes Modell: Lindacher, NZG 2002, 113.
502 | Schewiola
Haftung beim Eintritt in das Geschäft eines Einzelkaufmanns | Rz. 12.69 § 12
stimmt sich auf der Grundlage der allgemeinen Regelungen danach, ob der Eintritt als Komplementär oder Kommanditist erfolgt ist. Die Altschulden des Eintretenden werden dagegen von § 28 HGB nicht erfasst. Geschützt werden sollen die Gläubiger des „alten Geschäfts“, und zwar dem des Einzelkaufmanns1. Die Haftung nach § 28 Abs. 1 Satz 1 HGB ist nach Abs. 2 abdingbar. Soll die Haftung der Gesellschaft für die im Geschäft des Einzelkaufmanns begründeten Verbindlichkeiten durch eine vom Gesetz abweichende Vereinbarung ausgeschlossen oder begrenzt werden, kann dies gegenüber einem Dritten nur geltend gemacht werden, wenn sie in das Handelsregister eingetragen und bekannt gemacht oder von einem Gesellschafter dem Dritten mitgeteilt worden ist. Dass der Einzelkaufmann sich durch diese Möglichkeit auf einfache Weise selbst sanieren kann, ist hinzunehmen2. Gleichwohl dürfte in der Praxis ein Haftungsausschluss eher selten der Fall sein. Zum einen würde dadurch die Zahlungsfähigkeit der neuen Gesellschaft belastet. Zum anderen könnten die Altgläubiger die neue Gesellschaft durch einen Rückgriff auf § 135 HGB in erhebliche Schwierigkeiten bringen3.
12.65
II. Nachhaftung des Einzelkaufmanns Der Einzelkaufmann haftet für Verbindlichkeiten, die in seinem Geschäft vor Eintritt eines Gesellschafters begründet waren, persönlich. Da die Gesellschaft und er insoweit als Gesamtschuldner haften, können beide von den Gläubigern in voller Höhe in Anspruch genommen werden. Einzelheiten ergeben sich dabei aus §§ 421 ff. BGB.
12.66
Neben die persönliche Haftung aus seiner früheren Tätigkeit als Einzelkaufmann tritt die Haftung als Gesellschafter der Gesellschaft, in die das Handelsgeschäft eingebracht wurde. Ihre Ausgestaltung hängt davon ab, ob er als Komplementär oder Kommanditist tätig wird.
12.67
Sollte er in der neuen Gesellschaft Komplementär sein, haftet er auch insoweit weiter persönlich und unbegrenzt für Verbindlichkeiten seines früheren Handelsgeschäfts. Änderungen können gemäß § 160 Abs. 3 HGB nur eintreten, wenn er zu einem späteren Zeitpunkt Kommanditist wird.
12.68
Sollte er als Kommanditist tätig werden und die Gesellschaft für die im Betrieb seines Geschäftsbetriebs entstandenen Verbindlichkeiten haften, kommt – losgelöst von der Haftung als Kommanditist nach §§ 171 ff. HGB – allerdings gemäß §§ 26, 28 Abs. 3 HGB auch ohne gesonderte Vereinbarung eine zeitliche Begrenzung seiner Haftung zur Anwendung. Danach haftet der Einzelkaufmann für die in seinem Geschäft entstandenen Verbindlichkeiten nur, wenn sie vor Ablauf von fünf Jahren fällig und daraus Ansprüche gegen ihn gerichtlich geltend gemacht oder seinerseits schriftlich anerkannt sind. Bei öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeiten genügt zur Geltendmachung der Erlass eines Verwaltungsakts. Beginn der FünfJahres-Frist ist der Tag, an dem die Gesellschaft in das Handelsregister eingetragen wird.
12.69
1 BGH v. 23.11.2009 – II ZR 7/09, NJW 2010, 3720 Rz. 6; Koller/Kindler/Roth/Drüen/Roth, § 28 HGB Rz. 10. 2 MünchKommHGB/Thiessen, § 28 HGB Rz. 35. Zur rechtspolitischen Kritik des § 28 Abs. 2 HGB und gegen eine Reduzierung der Norm, vgl. auch Commandeur/Kleinebrink, Betriebs- und Firmenübernahme, Rz. 1403 f. 3 MünchKommHGB/Thiessen, § 28 HGB Rz. 35.
Schewiola | 503
§ 12 Rz. 12.70 | Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes
III. Übergangsregelung für Alt-Verbindlichkeiten (Art. 37 EGHGB) 12.70
Art. 37 EGHGB enthielt eine Übergangsvorschrift für §§ 26, 28 Abs. 3 HGB in Bezug auf Verbindlichkeiten, die vor dem 26.3.1994 begründet waren.
D. Haftung beim Eintritt in eine bestehende Personengesellschaft 12.71
Die Haftung einer Person, die als Gesellschafter in eine bestehende Personenhandelsgesellschaft eintritt, richtet sich nach § 130 Abs. 1, § 161 Abs. 2, § 173 Abs. 1 HGB. Danach besteht eine Haftung gleich den anderen Gesellschaftern, ohne Unterschied, ob die Firma eine Änderung erleidet oder nicht. Die Haftung gilt auch dann, wenn zum gleichen Zeitpunkt andere Gesellschafter ausscheiden. Der Haftungsumfang hängt davon ab, ob der Eintritt als Komplementär oder als Kommanditist erfolgt. Als Komplementär haftet der neue Gesellschafter persönlich und unbegrenzt nach § 161 Abs. 2, § 130 Abs. 1 HGB, als Kommanditist nach Maßgabe der §§ 171, 172 und 173 HGB grundsätzlich nur bis zur Höhe der Einlage. Unerheblich ist nach dem Wortlaut von § 130 Abs. 1 und § 173 Abs. 1 HGB, ob die Firma im Zusammenhang mit dem Eintritt eine Änderung erfährt.
12.72
Der Eintritt bewirkt eine Haftung des eintretenden Gesellschafters gegenüber Dritten nach den Maßgaben der §§ 128, 129 HGB. Der neue Gesellschafter haftet gesamtschuldnerisch mit den anderen Gesellschaftern nicht nur für neue, sondern auch für Altschulden der Gesellschaft (vgl. § 130 HGB). Dies umfasst auch Schulden der Gesellschaft gegenüber Mit- und bereits ausgeschiedenen Gesellschaftern1. Unerheblich ist, ob der Eintretende Kenntnis von der Haftung hatte oder hätte haben können2.
12.73
Eine abweichende Vereinbarung ist Dritten gegenüber unwirksam (§ 130 Abs. 2, § 173 Abs. 2 HGB). Den Gesellschaftern steht es allerdings frei, im Innenverhältnis eine abweichende Vereinbarung zu treffen3. Auch sind abweichende Haftungsvereinbarungen mit den Gläubigern möglich4.
12.74
In welcher Form der Eintritt erfolgt, ist unerheblich. Er kann durch Abschluss eines Aufnahmevertrags, durch Übertragung von Ansprüchen eines anderen (ausscheidenden) Gesellschafters oder durch Erbfolge (vgl. § 139 HGB) herbeigeführt werden5. Ohne Bedeutung ist deshalb auch, ob im Zusammenhang mit dem Eintritt eine Sacheinlage vorgenommen wurde, die zu einer parallelen Anwendbarkeit von § 613a BGB führen kann, wenn der eingebrachte Gegenstand einen Betrieb oder Betriebsteil darstellen kann. Erforderlich ist allerdings ein Bestehen der Gesellschaft schon vor dem Eintritt. Nicht anwendbar ist § 130 HGB demnach, wenn die Gesellschaft erst mit dem Eintritt entsteht6. Dies kann ein Fall von § 28 HGB sein. Auch
1 2 3 4 5 6
Baumbach/Hopt/Roth, § 130 HGB Rz. 7. Baumbach/Hopt/Roth, § 130 HGB Rz. 7. Baumbach/Hopt/Roth, § 130 HGB Rz. 8. Baumbach/Hopt/Roth, § 128 HGB Rz. 38 m.w.N. Heymann/Emmerich, § 130 HGB Rz. 3; Baumbach/Hopt/Roth, § 130 HGB Rz. 4. OLG Schleswig v. 11.3.2011 – 17 U 38/10, SchlHA 2011, 336, durch BGH v. 7.11.2011 – II ZR 215/ 11, juris, bestätigt, allerdings ohne auf diesen Punkt einzugehen; vgl. bereits OLG Düsseldorf v. 20.12.2001 – 23 U 49/01, NZG 2002, 284, 286; Baumbach/Hopt/Roth, § 130 HGB Rz. 2; Oetker/ Boesche, § 130 HGB Rz. 1.
504 | Schewiola
Haftung beim Eintritt in eine bestehende Personengesellschaft | Rz. 12.77 § 12
für die fehlerhafte Gesellschaft1 und den fehlerhaften Beitritt2 ist § 130 HGB anwendbar. Keine Anwendung findet die Norm dagegen bei einem nur scheinbaren Eintritt. Dann können allerdings die Grundsätze der Rechtsscheinhaftung Anwendung finden3. Von der Haftung betroffen ist nicht nur die natürliche Person, die Gesellschafter einer OHG oder KG geworden ist. Die Haftung nach § 130 HGB kommt auch dann zur Anwendung, wenn die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers im Zusammenhang mit dem Übergang von Vermögen dieses Rechtsträgers selbst Gesellschafter werden. Eine solche Konstellation ist z.B. denkbar, wenn das Vermögen einer Gesellschaft auf mehrere Gesellschaften verteilt werden soll, an denen jeweils dieselben Gesellschafter beteiligt sind4.
12.75
Die Haftung bei einem Eintritt in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts hat sich zwischenzeitlich grundlegend geändert. In seinem Urteil vom 30.4.19795 hatte der BGH auf der Grundlage der Doppelverpflichtungstheorie noch die Ansicht vertreten, dass derjenige, der in eine GbR eintritt, für die vorher begründeten Verbindlichkeiten nur kraft besonderer Vereinbarung mit dem Gläubiger haften muss6. Die damit verbundene Feststellung, nach der § 130 HGB beim Eintritt in eine GbR keine Anwendung findet, war indes schon in der Vergangenheit mit dem Hinweis darauf kritisiert worden, dass bei Eintritt eines neuen Gesellschafters und die Ablehnung einer Schuldübernahme nicht nur die Zugriffsmöglichkeit in das Privatvermögen des Gesellschafters, sondern auch die Zugriffsmöglichkeit in das Gesellschaftsvermögen nach § 736 ZPO verloren gehe, ohne dass der Rechtsverkehr darüber unterrichtet würde7.
12.76
Seitdem der BGH mit Urteil vom 29.1.20018 die Rechtsfähigkeit der GbR postuliert hat, entspricht das Verhältnis zwischen der Verbindlichkeit der Gesellschaft und der Haftung des Gesellschafters – soweit der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der GbR persönlich haftet – derjenigen bei der OHG9. Denn der BGH hat ausdrücklich klargestellt, dass der in eine GbR eintretende Gesellschafter auch für die bereits bestehenden Verbindlichkeiten nach § 130 HGB analog haftet10. Diese Haftung hatte der BGH zwar zunächst einmal dahingehend eingeschränkt, als er dem Eintretenden Vertrauensschutz gewährte. Die Haftung des eintretenden GbR-Gesellschafters sollte erst auf „künftige Beitrittsfälle“ anwendbar sein11. Aufgrund von Interpretationsschwierigkeiten in der Praxis hat der BGH diese Aussage dann allerdings präzisiert und einen solchen Vertrauensschutz abgelehnt, wenn der Neugesellschafter die Altverbindlichkeit bei Eintritt kennt oder hätte erkennen können12. Letzteres sei hinsichtlich der
12.77
1 BGH v. 8.11.1965 – II ZR 267/64, NJW 1966, 107; MünchKommHGB/K. Schmidt, § 130 HGB Rz. 7. 2 BGH v. 8.11.1965 – II ZR 267/64, NJW 1966, 107; MünchKommHGB/K. Schmidt, § 130 HGB Rz. 15. 3 OLG Saarbrücken v. 22.12.2005 – 8 U 91/05, NJW 2006, 2862 m. Anm. K. Schmidt, JuS, 2007, 88; Baumbach/Hopt/Roth, § 130 HGB Rz. 5. 4 Weitere Konstellationen sind denkbar, vgl. MünchKommHGB/K. Schmidt, § 130 HGB Rz. 14. 5 BGH v. 30.4.1979 – II ZR 137/78, BGHZ 74, 240, 241. 6 Vgl. Ulmer, JZ 1980, 354; Wiesner, JuS 1981, 331, 333. 7 Vgl. Wiedemann, JZ 1980, 195, 196. 8 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056 ff. 9 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056 (Fortführung von BGH v. 27.9.1999 – II ZR 371–98, NJW 1999, 3483). 10 BGH v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, NJW 2003, 1803. Dagegen weiterhin: Canaris, ZGR 2004, 69. 11 BGH v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, NJW 2003, 1803. 12 BGH v. 12.12.2005 – II ZR 283/03, NJW 2006, 765; Anm. Segna, NJW 2006, 1566; Krit.: MünchKommHGB/K. Schmidt, § 130 HGB Rz. 5; bereits: K. Schmidt, NJW 2003, 1897, 1902.
Schewiola | 505
§ 12 Rz. 12.77 | Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes
Verbindlichkeiten aus Versorgungsverträgen (Gas, Strom, Wasser) für die im Eigentum der GbR stehenden Mietshäuser der Fall.
12.78
Für die Partnerschaftsgesellschaft verweist § 8 Abs. 1 Satz 2 PartGG auf § 130 HGB.
12.79
Von einer Haftung des neu eintretenden Gesellschafters für Altschulden aus beruflicher Berufshaftung von Freiberufler-Sozietäten ist ebenfalls auszugehen1.
12.80
Auf der Grundlage der Akzessorietätstheorie ist die persönliche Haftung analog §§ 128 ff. HGB damit unbeschränkt. Sie kann durch Vereinbarung zwischen den Gesellschaftern gegenüber Dritten nicht beschränkt werden2. Eine Einschränkung oder sogar ein Ausschluss kann grundsätzlich nur durch eine individualvertragliche Vereinbarung mit dem Gläubiger herbeigeführt werden3. Ausnahmsweise anders ist dies bei geschlossenen Immobilienfonds, die als GbR ausgestaltet sind. Aufgrund der Eigenart solcher Außen-GbR als reine Kapitalanlagegesellschaften kann eine Haftung nach §§ 128, 130 HGB im Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen oder beschränkt werden4.
12.81
Im Übrigen kann auf die vorstehenden Feststellungen zur OHG Bezug genommen werden.
E. Haftung bei Ausscheiden des Gesellschafters aus einer Personenhandelsgesellschaft I. Grundsatz 12.82
Die Teilung und Übertragung des Vermögens einer Personenhandelsgesellschaft kann mit dem Ausscheiden eines Gesellschafters verbunden sein.
1. OHG-Gesellschafter und Komplementär der KG 12.83
Die Haftung des OHG-Gesellschafters bzw. des Komplementärs einer KG besteht auch nach dessen Ausscheiden aus der Gesellschaft fort (§ 160 HGB). Anders als bei der Kapitalgesellschaft kommt dabei der Umstand zum Tragen, dass die persönlich haftenden Gesellschafter der OHG und KG (Komplementäre) für Verbindlichkeiten der Gesellschaft persönlich haften (§§ 128, 161 Abs. 2 HGB). Wird das gesamte Vermögen der Gesellschaft übertragen und dabei die Gesellschaft vollständig aufgelöst, ist neben § 160 HGB auch § 159 HGB zu beachten5.
12.84
Die Haftung nach § 160 HGB betrifft nur Altschulden. Darunter sind nur solche Verpflichtungen zu verstehen, deren Rechtsgrund vor dem Ausscheiden aus der Gesellschaft gelegt wurde, und zwar auch dann, wenn weitere Voraussetzungen ihres Entstehens erst später erfüllt wer1 BGH v. 10.5.2012 – IX ZR 125/10, NJW 2012, 2435, 2441; BGH v. 3.5.2007 – IX ZR 218/05, NJW 2007, 2490, 2492; OLG Koblenz v. 21.10.2010 – 5 U 653/10, WuM 2012, 105, 106; Henssler/ Strohn/Steitz, § 130 HGB Rz. 2; Posegga, DStR 2013, 547, 550; Staub/Habersack, § 130 HGB Rz. 5; MünchKommHGB/K. Schmidt, § 130 HGB Rz. 5, jeweils m.w.N. 2 Vgl. BGH v. 27.9.1999 – II ZR 371/98, NJW 1999, 3483, 3485. 3 BGH v. 21.1.2002 – II ZR 2/00, NJW 2002, 1642. 4 BGH v. 21.1.2002 – II ZR 2/00, NJW 2002, 1642, 1643; MünchKommHGB/K. Schmidt, § 128 HGB Rz. 4; Oetker/Boesche, § 128 HGB Rz. 12. 5 Zum Zusammenspiel beider Vorschriften, vgl. MünchKommHGB/K. Schmidt, § 160 HGB Rz. 12, § 159 HGB Rz. 10.
506 | Schewiola
Haftung bei Ausscheiden aus einer Personenhandelsgesellschaft | Rz. 12.86 § 12
den1. Auf Entstehung, Fälligkeit oder Vorliegen einer Gegenleistung kommt es nicht an2. Somit ist jede Einzelverbindlichkeit eines vor dem Austritt abgeschlossenen Dauerschuldverhältnisses eine Altverbindlichkeit, für die der ausgeschiedene Gesellschafter einzustehen hat3. Eine nachträgliche Änderung des Schuldverhältnisses, die zu einer Erweiterung oder Verschärfung der Haftung des ausgetretenen Gesellschafters führen würde, ist irrelevant4. Dagegen wirken sich Einschränkungen der Verbindlichkeiten auch zugunsten des bereits ausgeschiedenen Gesellschafters aus5. Eine Haftung für Neuverbindlichkeiten der Gesellschaft scheidet grundsätzlich aus, es sei denn, der Ausgeschiedene tritt weiterhin als Gesellschafter auf und löst dadurch eine Rechtsscheinhaftung aus6. Entsprechendes gilt dann, wenn der persönlich haftende Gesellschafter Kommanditist wird (§ 160 Abs. 3 HGB). Unerheblich ist dabei, aus welchen Gründen Veränderungen vorgenommen werden7. Erfolgt der Austritt bzw. der Wechsel in die Kommanditistenstellung anlässlich einer Übertragung von Vermögen der Gesellschaft auf einen anderen Rechtsträger, möglicherweise den Gesellschafter selbst, hängt eine Haftung nach §§ 159, 161 Abs. 2 HGB deshalb nicht davon ab, ob und inwieweit das ihm oder einem anderen im Zusammenhang mit seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft übertragene Vermögen die Qualität eines Betriebs oder Betriebsteils besitzt.
12.85
Der ausgeschiedene Gesellschafter, der an einen Gläubiger der Gesellschaft geleistet hat, kann sich an die Gesellschaft, aus der er ausgetreten ist, wenden, um einen Regressanspruch geltend zu machen. Umstritten ist allerdings, auf welcher Grundlage dies geschehen kann. Da das Gesellschaftsverhältnis beendet ist, besteht jedenfalls kein Anspruch aus § 110 HGB8. Es wird vertreten, dass ein Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen auf der Grundlage von § 670 BGB bestehen kann9. Dem kann aber entgegengesetzt werden, dass der Gesellschafter eine eigene Schuld begleichen will10. Der Regressanspruch gegen die Gesellschaft kann als Fortsetzung des Anspruchs aus § 105 Abs. 3 HGB, § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB angesehen werden11. Zwischen Gesellschaft und ausgeschiedenem Gesellschafter besteht keine echte Gesamtschuld i.S.d. §§ 421 ff. BGB. Es muss im Einzelfall geprüft werden, ob die unterschiedliche
12.86
1 BGH v. 25.11.1985 – II ZR 80/85, NJW 1986, 1690; BAG v. 19.5.2004 – 5 AZR 405/03, NJW 2004, 3287; Baumbach/Hopt/Roth, § 128 HGB Rz. 29. 2 BGH v. 12.12.2005 – II ZR 283/03, NJW 2006, 765 Rz. 8; BGH v. 29.4.2002 – II ZR 330/00, NJW 2002, 2170, 2171; Henssler/Strohn/Steitz, § 128 HGB Rz. 44 und MünchKommHGB/K. Schmidt, § 128 HGB Rz. 49, jeweils m.w.N.; vgl. auch Heymann/Emmerich, § 128 HGB Rz. 50 Fn. 140 a.E. 3 BAG v. 21.7.1977 – 3 ZR 189/76, NJW 1978, 391; MünchKommHGB/K. Schmidt, § 128 HGB Rz. 50 m.w.N. 4 Allg. Meinung, vgl. Henssler/Strohn/Steitz, § 128 HGB Rz. 50; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/ Hillmann, § 128 HGB Rz. 51; MünchKommHGB/K. Schmidt, § 128 HGB Rz. 52 (z.T. kritisch), jeweils m.w.N. 5 Henssler/Strohn/Steitz, § 128 HGB Rz. 50. 6 BGH v. 17.1.2012 – II ZR 197/10, NZG 2012, 221, 222; BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056, 1061; Henssler/Strohn/Steitz, § 128 HGB Rz. 44. 7 Vgl. z.B. Henssler/Strohn/Steitz, § 128 HGB Rz. 43. 8 Ganz h.M.: BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, NJW 1963, 1873, 1874; Baumbach/Hopt/Roth, § 128 HGB Rz. 36; Oetker/Boesche, § 128 HGB Rz. 40. A.A. Hadding, FS Stimpel, 1985, S. 139, 155 f.; Preuß, ZHR 160 (1996), 163, 165. 9 Baumbach/Hopt/Roth, § 128 HGB Rz. 36; Heymann/Emmerich, § 110 HGB Rz. 1; erwogen auch bei Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Hillmann, § 128 HGB Rz. 31. 10 In diesem Sinne auch MünchKommHGB/K. Schmidt, § 128 HGB Rz. 62. 11 MünchKommHGB/K. Schmidt, § 128 HGB Rz. 61 m.w.N.
Schewiola | 507
§ 12 Rz. 12.86 | Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes
Interessenlage die entsprechende Anwendung der §§ 422 ff. BGB erlaubt1. Im Ergebnis kann der ausgeschiedene Gesellschafter aber auf jeden Fall entsprechend § 426 Abs. 2 BGB Regress verlangen2. Subsidiär kann er die anderen Gesellschafter in Anspruch nehmen3.
2. Kommanditist 12.87
Die Haftung des Kommanditisten ist auf die Höhe seiner Einlage (Haftsumme) begrenzt (§ 171 HGB). Insofern trifft ihn eine entsprechende Haftung grundsätzlich nur dann, wenn seine Einlage noch nicht geleistet oder wieder zurück gewährt wurde (§§ 171, 172 HGB).
12.88
Wichtig zur Absicherung dieser Haftungsprivilegierung des in der übertragenden Gesellschaft verbleibenden Kommanditisten ist allerdings, dass die Vermögensübertragung, wenn sie ohne angemessene Gegenleistung an den Kommanditisten selbst oder an eine Gesellschaft erfolgt, an der der Kommanditist als Gesellschafter beteiligt ist, ausschließlich zu Lasten des Kapitalkontos II vorgenommen wird. Auf dem Kapitalkonto II werden Gewinne, Verluste und Entnahmen geführt; es entwickelt sich also variabel4. Wird das Kapitalkonto I, dem die Einlage des Kommanditisten fest gutgeschrieben wird5, durch einen solchen Übertragungsvorgang belastet, ist von einer Rückzahlung i.S.d. § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB mit der Folge auszugehen, dass die Einlage gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft insoweit als nicht geleistet gilt6. Da eine Herabsetzung der Einlage gemäß § 174 HGB nur solchen Verbindlichkeiten entgegengesetzt werden kann, die nach Eintragung der Herabsetzung im Handelsregister entstanden sind, würde dies zu einem Aufleben der Haftung bis zur Höhe der ursprünglich vereinbarten Einlage führen.
12.89
Als Rückzahlung i.S.d. § 172 Abs. 4 HGB ist jede direkte oder indirekte Zuwendung aus dem Vermögen der KG an den Kommanditisten bis zur Höhe seiner Einlage zu verstehen, durch die der Gesellschaft Vermögenswerte ohne eine angemessene Gegenleistung entzogen werden7. Entscheidend ist, dass damit das haftende Vermögen der Gesellschaft zugunsten des Kommanditisten, der eine Einlage zugesagt hatte, vermindert wird. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Vermögensminderung durch die Gewährung von Geld- oder Sachleistungen vorgenommen wird8. Auch eine unangemessen hohe Tätigkeitsvergütung fällt darunter9. Folgerichtig kann die Übertragung von Vermögen auf eine Gesellschaft, an der der Kommanditist bereits als Gesellschafter beteiligt ist, nur dann aus dem Anwendungsbereich von § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB herausgenommen werden, wenn die übertragende KG ihrerseits entsprechend dem Wert des übertragenen (eingebrachten) Vermögens an dieser Gesellschaft beteiligt 1 Baumbach/Hopt/Roth, § 128 HGB Rz. 36. 2 Oetker/Boesche, § 128 HGB Rz. 40; Baumbach/Hopt/Roth, § 128 HGB Rz. 36; MünchKommHGB/ K. Schmidt, § 128 HGB Rz. 61. 3 Die Anspruchsgrundlage ist umstritten. Mehr dazu, s. Oetker/Boesche, § 128 HGB Rz. 41; MünchKommHGB/K. Schmidt, § 128 HGB Rz. 62. 4 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Ehricke, § 120 HGB Rz. 76; Baumbach/Hopt/Roth, § 120 HGB Rz. 19. 5 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Ehricke, § 120 HGB Rz. 75 ff. 6 Heymann/Horn, § 172 HGB Rz. 10. 7 BAG v. 28.9.1982 – 3 AZR 304/80, ZIP 1983, 170, 172; BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, NJW 1963, 1873, 1876; Heymann/Horn, HGB, § 172 Rz. 10; MünchKommHGB/K. Schmidt, §§ 171,172 HGB Rz. 65; Naraschewski, DB 1995, 1265, 1266; Henssler/Strohn/Gummert, § 172 HGB Rz. 45. 8 MünchKommHGB/K. Schmidt, § 172 HGB Rz. 66; Henssler/Strohn/Gummert, § 172 HGB Rz. 45; Naraschewski, DB 1995, 1265, 1266. 9 BAG v. 28.9.1982 – 3 AZR 304/80, ZIP 1983, 170.
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Haftung bei Ausscheiden aus einer Personenhandelsgesellschaft | Rz. 12.93 § 12
wird. Denn nur dann fließt der Gesellschaft eine angemessene Gegenleistung zu. Wird allein der Kommanditist selbst an der übernehmenden Gesellschaft beteiligt, empfängt er also persönlich eine Gegenleistung für das der anderen Gesellschaft übertragene Vermögen, ist dies als Rückzahlung seiner Einlage mit der Folge einer Haftung nach §§ 171, 172 Abs. 4 Satz 1 HGB in entsprechender Höhe anzusehen1. Einlagenrückgewähr ist auch die Leistung der KG an eine Gesellschaft, an welcher der Kommanditist beteiligt ist und auf deren Geschäftsführung er maßgeblichen Einfluss hat2.
II. Begrenzung der Nachhaftung § 160 Abs. 1 HGB3 begründet eine zeitliche Haftungsgrenze des ausgeschiedenen Gesellschafters, die anders als § 159 HGB a.F. ausgestaltet ist4. Danach haftet dieser lediglich für Altverbindlichkeiten der Gesellschaft, die vor Ablauf von fünf Jahren nach seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft fällig werden und daraus Ansprüche gegen ihn in einer in § 197 Abs. 1 Nr. 3– 5 BGB bezeichneten Art festgestellt sind oder eine gerichtliche oder behördliche Vollstreckungshandlung vorgenommen oder beantragt worden ist. Diese Frist gilt für sämtliche Gesellschaftsverbindlichkeiten, d.h. auch für Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen5. Für welchen Zeitraum ein Dauerschuldverhältnis abgeschlossen wurde und ob es vom Gläubiger gekündigt werden kann, ist für die Anwendbarkeit von § 160 Abs. 1 HGB unerheblich6. Bei einem sich nach Befristungsablauf automatisch verlängerten Vertrag handelt es sich um denselben Vertrag, dem Altverbindlichkeiten zugrunde liegen7.
12.90
Die Frist beginnt mit dem Ende des Tages, an dem das Ausscheiden in das Handelsregister des für den Sitz der Gesellschaft zuständigen Gerichts eingetragen wird (§ 160 Abs. 1 Satz 2 HGB). Wird das Ausscheiden des Gesellschafters allerdings nicht in das Handelsregister eingetragen, beginnt der Lauf der Frist mit der positiven Kenntnis des Gesellschaftsgläubigers vom Ausscheiden des Gesellschafters; somit ist die Eintragung des Ausscheidens im Handelsregister für den Fristbeginn nicht konstitutiv8.
12.91
Scheiden bei einer Vermögensübertragung gleichzeitig alle Gesellschafter aus der Gesellschaft aus und wird dabei die Gesellschaft aufgelöst, dann ist § 160 HGB unanwendbar, da in einem solchen Fall dem Gläubiger nicht die Gesellschaft als Schuldner verbleibt9. In einem solchen Fall ist § 159 HGB zu beachten.
12.92
Entsprechendes gilt nach § 160 Abs. 3 HGB auch für den persönlich haftenden Gesellschafter, der Kommanditist wird. Unerheblich ist, ob er in der Gesellschaft oder einem ihr als Gesell-
12.93
1 Vgl. BGH v. 13.2.1967 – II ZR 158/65, BGHZ 47, 149, 155; Heymann/Horn, § 172 HGB Rz. 12; Naraschewski, DB 1995, 1265, 1266. 2 BGH v. 25.5.2009 – II ZR 99/08, NJW 2009, 2378. 3 Zum Übergangsrecht (mit § 159 HGB a.F. bis zur Gesetzesänderung in 1994) sind Art. 35, 36 EGBGB zu beachten. 4 Zu § 159 a.F. HGB und der im Wege der Rechtsfortbildung entwickelten Enthaftungsregel für Dauerschuldverhältnisse vgl. MünchKommHGB/K. Schmidt, § 160 HGB Rz. 4 ff. 5 BGH v. 27.9.1999 – II ZR 356/98, NJW 2000, 298, 210. 6 BGH v. 27.9.1999 – II ZR 356/98, NJW 2000, 298 (mit diesem Urteil wurde die sog. Kündigungstheorie aufgehoben). 7 BGH v. 29.4.2002 – II ZR 330/00, NJW 2002, 2170. 8 BGH v. 24.9.2007 – II ZR 284/05, NJW 2007, 3784; MünchKommHGB/K. Schmidt, § 160 HGB Rz. 27; Altmeppen, NJW 2000, 2529 ff., 2533. 9 Baumbach/Hopt/Roth, § 160 HGB Rz. 1.
Schewiola | 509
§ 12 Rz. 12.93 | Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes
schafter angehörenden Unternehmen geschäftsführend tätig wird. Über § 172 Abs. 4 und § 161 Abs. 2 HGB gilt § 160 Abs. 1 HGB auch beim Ausscheiden eines Kommanditisten unter Einlagenrückgewähr.
12.94
Für vor dem 26.3.1994 entstandene Verbindlichkeiten sind die Übergangsregelungen der Art. 35, 36 EGHGB zu berücksichtigen.
III. Verhältnis zwischen § 160 Abs. 1 HGB und § 613a BGB 12.95
Soweit dem ausscheidenden Gesellschafter ein Betrieb oder Betriebsteil übertragen wird, kommt es dadurch zu einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang i.S.d. § 613a BGB (vgl. Rz. 3.84 und 5.45). In diesem Fall besteht ein Konkurrenzverhältnis zwischen der handelsrechtlichen Haftung aus § 128, § 160 Abs. 1, § 161 Abs. 2 HGB einerseits und der Haftung aus § 613a BGB andererseits1.
12.96
Nach § 613a Abs. 2 BGB ist die Haftung der abgebenden Gesellschaft für die übergehenden Arbeitsverhältnisse auf Ansprüche beschränkt, die bis zur Übertragung entstanden und innerhalb eines Jahres fällig geworden sind. Die in § 160 Abs. 1 HGB vorgesehene Enthaftung würde demnach bei einem Vorrang von § 613a BGB von fünf Jahren auf ein Jahr verkürzt. Gleiches würde in der Konstellation gelten, wenn die Gesellschaft dadurch aufgelöst wird, dass mit Ausnahme eines Gesellschafters alle Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheiden. Diese Fallgestaltung bewirkt, dass das Gesamthandvermögen der Gesellschaft im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den verbleibenden Gesellschafter übergeht, der nunmehr alleiniger Inhaber ist (vgl. Rz. 3.82 ff.). Auch hier würde damit binnen Jahresfrist eine Enthaftung der Gesellschaft bzw. des verbleibenden Gesellschafters, der die Rechtsnachfolge angetreten hat, eintreten. Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt der Übertragung des Betriebs oder Betriebsteils bereits ausgeschieden waren, könnten sich hingegen in den beschriebenen Fällen auf die Enthaftung nach § 160 HGB berufen. Denn bei ihnen käme § 613a BGB, damit also auch die Enthaftung durch § 613a Abs. 2 BGB, nicht zur Anwendung. Die übergehenden Arbeitnehmer würden insofern schlechter gestellt als die nicht übergehenden Arbeitnehmer.
12.97
Entsprechend der zur Haftung nach §§ 25, 28 HGB vorgenommenen Bewertung (vgl. Rz. 12.52) könnte eine solche Benachteiligung der in aktiven Arbeitsverhältnissen stehenden Arbeitnehmer gegenüber sonstigen Gläubigern, die bis zum Übertragungsvorgang Ansprüche gegenüber der Gesellschaft erworben haben, nicht überzeugen. Insoweit ist, was die Haftung der übertragenden Gesellschaft betrifft, von einem Vorrang von § 160 HGB auszugehen. Deshalb werden die aus einer Gesellschaft ausgeschiedenen Gesellschafter grundsätzlich (erst) nach Ablauf der Fünf-Jahres-Frist enthaftet.
F. Haftung beim Ausscheiden aus einer GbR 12.98
Für den Fall des Austritts eines Gesellschafters aus einer GbR verweist § 736 Abs. 2 BGB auf § 160 HGB. Somit wird die Haftung des ausscheidenden Gesellschafters entsprechend den Vorgaben über die Begrenzung der Nachhaftung in den Personenhandelsgesellschaften auf 1 Nach MünchKommHGB/K. Schmidt, § 160 HGB Rz. 15 und Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Hillmann, § 160 HGB Rz. 6 kommt eine Überschneidung der Tatbestände der § 160 HGB und § 613a BGB nicht in Betracht. Nach BAG v. 13.2.2014 – 8 AZR 144/13, NJW 2014, 2223 Rz. 19 scheint ein Zusammentreffen beider Tatbestände jedoch denkbar.
510 | Schewiola
Haftung für Steuern und Steuerabzugsbeträge | Rz. 12.101 § 12
fünf Jahre beschränkt. Da eine Eintragung im Handelsregister beim Ausscheiden des Gesellschafters, wie sie in § 160 HGB maßgeblich ist, bei der GbR nicht erfolgt, soll bei der Bestimmung des Beginns der Fünf-Jahres-Frist auf den Zeitpunkt der Kenntnis des Gläubigers vom Ausscheiden des Gesellschafters abzustellen sein1. Ist mit dem hierfür notwendigen Nachweis der Kenntnisnahme eine zu große Rechtsunsicherheit verbunden, könnte die GbR in eine KG umgewandelt werden (§ 105 Abs. 2, § 161 Abs. 2 HGB)2. Im Anschluss daran könnte dann das Ausscheiden durch Eintragung im Handelsregister dokumentiert und analog § 160 Abs. 3 HGB zur Grundlage einer Fristberechnung gemacht werden3. Eine vorzeitige Enthaftung des ausscheidenden Gesellschafters durch Vertrag mit dem jeweiligen Gläubiger ist zulässig4.
G. Haftung nach § 419 a.F. BGB Für Betriebsübergänge vor dem 1.1.1999 kommt noch eine Haftung gemäß § 419 a.F. BGB neben § 613a BGB in Betracht5. § 419 a.F. BGB regelte den Fall, dass jemand durch Vertrag das Vermögen eines anderen übernimmt. In diesem Fall können dessen Gläubiger, unbeschadet der Fortdauer der Haftung des bisherigen Schuldners, von dem Abschluss des Vertrags an ihre zu dieser Zeit bestehenden Ansprüche auch gegen den Übernehmer geltend machen. § 419 a.F. BGB ist gemäß Art. 33 Nr. 16 EGInsO mit Ablauf des 31.12.1998 außer Kraft getreten, bleibt aber für Altfälle unverändert anwendbar.
12.99
H. Haftung des Betriebsübernehmers für Steuern und Steuerabzugsbeträge (§ 75 AO) Wer ein Unternehmen oder einen in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführten Betrieb im Ganzen durch Übereignung erwirbt, haftet nach § 75 AO für betriebliche Steuern und Steuerabzugsbeträge, die im letzten vor der Übernahme liegenden Kalenderjahr entstanden sind. Der Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass der Erwerber im Unternehmen liegende Vorteile erlangt und so z.B. in die Lage versetzt wird, eigene Gewinne zu erwirtschaften, aus denen er die Betriebssteuern tilgen kann. § 75 AO bezweckt demnach, dass die in dem Unternehmen als solchem liegende Sicherung für die sich auf seinen Betrieb gründenden Steuerschulden durch den Übergang des Unternehmens in andere Hände nicht verloren geht.
12.100
Unternehmen ist jede organische Zusammenfassung von Einrichtungen und dauernden Maßnahmen, die diesem dienen oder zumindest seine wesentlichen Grundlagen ausmachen6. Der
12.101
1 OLG Dresden v. 2.10.1996 – 7 U 981/96, NJW-RR 1997, 162, 163; vgl. auch bereits zu § 159 HGB a.F.: BGH v. 10.2.1992 – II ZR 54/91, DB 1992, 982, 986, 988; Seibert, DB 1994, 461, 464; Altmeppen, NJW 2000, 2529, 2534; K. Schmidt, NJW 2001, 993, 999; MünchKommBGB/Schäfer, § 736 BGB Rz. 26 f. A.A. Steinbeck, WM 1996, 2041, 2045, die für eine analoge Anwendung des § 26 Abs. 1 HGB plädiert (Kundmachung maßgeblich). 2 K. Schmidt, NJW 2001, 993, 999; Baumbach/Hopt/Roth, HGB § 160, Rz. 1. 3 K. Schmidt, NJW 2001, 993, 999. 4 MünchKommBGB/Schäfer, § 736 BGB Rz. 25. 5 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 144. 6 BFH v. 27.5.1986 – VII R 183/83, BB 1986, 1976, 1977; BFH v. 30.8.1962 – V 32/60 U, BFHE 75, 518, 520.
Schewiola | 511
§ 12 Rz. 12.101 | Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes
Begriff ist weit auszulegen und orientiert sich am Unternehmensbegriff des UStG1. In Betracht kommt neben einem Gewerbebetrieb und einem landwirtschaftlichen Betrieb auch ein freiberufliches Unternehmen2. Der BFH hat offengelassen, ob ein Mindestmaß an sachlichen und persönlichen Mitteln vorhanden sein muss; solche Anforderungen hat er zumindest bislang nicht gestellt3. Ein solches Erfordernis könnte gerade bei freiberuflichen Unternehmen relevant werden4.
12.102
Betrieb ist eine wirtschaftliche, mindestens aber eine in sich abgeschlossene technische Einheit sächlicher und persönlicher Mittel, die bei einer Herauslösung aus der bislang übergeordneten Einheit (Unternehmen) als organisatorisch selbständiges Unternehmen weitergeführt werden kann5. Dabei kann auf die Definition und Rechtsprechung zum Teilbetrieb i.S.d. § 16 EStG zurückgegriffen werden6. Für einen Betrieb können z.B. sprechen: eine eigene Geschäftsführung, eine eigene Buchhaltung, eine räumliche Trennung von dem Unternehmen oder ein eigener Kundenstamm7. Entscheidend sind immer die Gesamtumstände des Einzelfalls8. Damit bestehen Parallelen, aber letztlich keine Identität zu dem arbeitsrechtlichen Betriebsbegriff nach dem BetrVG oder § 613a BGB. Als eigener Betrieb kommt etwa ein Kino einer Filmgesellschaft9 in Betracht.
12.103
Unternehmen und Betrieb müssen zum Zeitpunkt des Erwerbs „leben“10. Denn nur ein lebendes Unternehmen kann Gewinne generieren, aus denen Betriebssteuern gezahlt werden müssen. Gemeint ist damit, dass der Erwerber ohne nennenswerte Aufwendungen das Unternehmen in seiner bisherigen Art fortführen kann11.
12.104
Übereignung (im Ganzen) ist nicht mit dem zivilrechtlichen Begriff, also mit der dinglichen Rechtsgestaltung gleichzustellen. Ausreichend ist, dass das wirtschaftliche Eigentum im steuerlichen Sinne so auf den Erwerber übergeht, dass dieser wirtschaftlich wie ein Eigentümer darüber verfügen kann12. Ausschlaggebend ist also, dass ein tatsächlicher Zustand geschaffen wird, der bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise als ein Übergang des Unternehmens als Ganzes angesehen werden kann13. Hiervon geht der BFH bei einem Übergang der durch
1 BFH v. 12.1.2011 – XI R 11/08, NJW-RR 2011, 905, Rz. 23; Klein/Rüsken, § 75 AO Rz. 8. 2 Gosch/Jatzke, § 75 AO Rz. 9, jedoch einschränkend bzgl. gewissen freiberuflichen Tätigkeiten (z.B. Künstlern, Sportlern). 3 Vgl. z.B. BFH v. 11.5.1993 – VII R 86/92, DStR 1993, 1256; Klein/Rüsken, § 75 AO Rz. 9; Hübschmann/Hepp/Spitaler/Boeker, § 75 AO Rz. 26. 4 Tipke/Kruse/Loose, AO/FGO, § 75 AO Rz. 5. 5 Vgl. BFH v. 27.11.1979 – VII R 12/79, BStBl. II 1980, 258, 259; BFH v. 28.11.1973 – I R 129/71, BStBl. 1974 II S. 145, 146. 6 Klein/Rüsken, § 75 AO Rz. 11; Koenig/Intemann, § 75 AO Rz. 9. 7 Hübschmann/Hepp/Spitaler/Boeker, § 75 AO Rz. 28 f. 8 BFH v. 15.3.1984 – IV R 189/81, BStBl. 1984 II, 486 Rz. 1. 9 Tipke/Kruse/Loose, AO/FGO, § 75 AO Rz. 9. 10 BFH v. 21.6.2004 – VII B 345/03, BFH/NV 2004, 1509 (NV); BFH v. 7.3.1996 – VII B 242/95, BFH/NV 1996, BFH/NV 1996, 726; BFH v. 8.7.1982 – V R 138/81, BStBl. 1983 II, 282; BFH v. 16.3.1982 – VII R 105/79, BStBl. 1982 II, 483. 11 BFH v. 7.11.2002 – VII R 11/01, BStBl. II 2003, 226, 228; BFH v. 27.11.1979 – VII R 12/79, BStBl. 1980 II, 258. 12 BFH v. 18.3.1986 – VII R 146/81, BStBl. 86, 589 m.w.N.; BFH v. 27.11.1979 – VII R 12/79, BStBl. II 1980, 258; BFH v. 20.7.1967 – V 240/64, BStBl. III 1967, 684; Koenig/Intemann, § 75 AO Rz. 29. 13 Vgl. Mösbauer, BB 1990 Beil. 3, S. 1, 4; Commandeur/Kleinebrink, Betriebs- und Firmenübernahme, Rz. 1447 ff.; Wollny, Unternehmensübertragungen, Rz. 4023 f.
512 | Schewiola
Haftung für Steuern und Steuerabzugsbeträge | Rz. 12.108 § 12
das Unternehmen repräsentierten „organischen Zusammenfassung von Einrichtungen und dauernden Maßnahmen, die dem Unternehmen dienen oder zumindest seine wesentlichen Grundlagen ausmachen, so dass der Übernehmer das Unternehmen ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen fortführen kann“, aus1. Die Vorschrift kommt zur Anwendung, wenn der Betrieb ganz oder zum Teil im Sicherungseigentum Dritter steht2. Ebenso wie bei § 613a BGB ist es unerheblich, wenn Dritte in die Übertragung eingebunden werden3. Erforderlich ist lediglich, dass trotz der Einbindung Dritter ein direkter Übergang der Herrschaftsmacht vom bisherigen Unternehmens- bzw. Betriebsinhaber auf den Erwerber erfolgt4. Wenn der bisherige Inhaber an dem Zustandekommen des zwischen einem Dritten und dem späteren Unternehmens- bzw. Betriebsinhaber abgeschlossenen Rechtsgeschäfts nicht beteiligt ist, kommt § 75 AO nicht zur Anwendung5.
12.105
Überträgt man die voranstehenden Kriterien auf den Anwendungsbereich von § 613a BGB, wird man regelmäßig von einer Haftung gemäß § 75 AO ausgehen können, wenn ein Betrieb auf einen anderen Rechtsträger übertragen und von diesem fortgesetzt wird. Hier besteht in der Regel die notwendige eigenständige Geschäftsführung, die es ermöglicht, diese organisatorisch abgrenzbare Einheit losgelöst von sonstigen Betrieben im Rechts- und Geschäftsverkehr tätig werden zu lassen6. Ein Betriebsteil dürfte, zumal ihm in der Regel nicht die Qualität eines steuerlichen Teilbetriebs zukommt (vgl. Rz. 4.92), nicht genügen, um eine entsprechende Haftung auszulösen. Maßgeblich sind insoweit die jeweiligen Umstände des Einzelfalls7. Zu berücksichtigen ist aber, dass der BFH bei der Frage, ob ein Unternehmen in seiner Gesamtheit auf einen anderen Rechtsträger übergegangen ist, hinsichtlich des Unternehmensbegriffs auf die jeweils in Rede stehende Steuerart abstellt8.
12.106
Hinsichtlich der Bedeutung des der Übertragung zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts kann auf § 613a BGB verwiesen werden (vgl. Rz. 5.6 ff.). Auch hier genügt eine Übereignung der wesentlichen Grundlagen des Unternehmens im wirtschaftlichen Sinne, dass also ein eigentümerähnliches Herrschaftsverhältnis an den sachlichen Grundlagen des Unternehmens auf den Erwerber übergegangen ist9.
12.107
Bei einer Gesamtrechtsnachfolge ist § 45 AO zu beachten. Dies ist z.B. der Fall bei der Anwachsung. Scheiden bis auf einen alle Gesellschafter einer GbR aus und wird daher der einzige
12.108
1 BFH v. 12.1.2011 – XI R 11/08, BStBl. 2011, 477, 478 Rz. 22; BFH v. 27.5.1986 – VII R 183/83, BB 1986, 1976, 1977; BFH v. 30.8.1962 – V 32/60 U, BFHE 75, 518, 520. Auch Mitarbeiter können eine „wesentliche Grundlage“ i.S.d. § 75 AO darstellen, s. Gosch/Jatzke, § 75 AO Rz. 13 ff. und Commandeur/Kleinebrink, Betriebs- und Firmenübernahme, Rz. 1458 m.w.N. 2 FG Düsseldorf v. 10.5.2017 - 2 K 899/15 H, juris. 3 BFH v. 17.2.1988 – VII R 97/85, BFH/NV 1988, 755, 756; BFH v. 27.5.1986 – VII R 183/83, BB 1986, 1976, 1977; Schwarz, § 75 AO Rz. 31. 4 BFH v. 24.2.1987 – VII R 163/84, BFH/NV 1987, 750 f.; BFH v. 9.7.1985 – VII R 126/80, BFH/NV 1986, 65, 66; Schwarz, § 75 AO Rz. 12 f. 5 BFH v. 6.8.1985 – VII R 189/82, BStBl. II 1985, 651, 653; Schwarz, § 75 AO Rz. 31; Commandeur/ Kleinebrink, Betriebs- und Firmenübernahme, Rz. 1464. 6 BFH v. 4.7.2007 – X R 49/06, BStBl. II 2007, 772. 7 BFH v. 15.3.1984 – IV R 189/81, BStBl. II 1984, 486 Rz. 1; Gosch/Jatzke, § 75 AO Rz. 10. 8 Vgl. BFH v. 11.5.1993 – VII R 86/92, BStBl. II 1993, 700, 701. 9 BFH v. 18.3.1986 – VII R 146/81, BStBl. II 1986, 589.
Schewiola | 513
§ 12 Rz. 12.108 | Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes
verbleibende Gesellschafter alleiniger Inhaber des Gesellschaftsvermögens, tritt nach § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB Gesamtrechtsnachfolge ein1.
12.109
Grundsätzlich beschränkt § 75 Abs. 1 Satz 2 AO die Haftung auf das übernommene Vermögen. Die Haftung kann jedoch für eine an einem gewerblichen Unternehmen wesentlich beteiligte Person auf das persönliche Eigentum, welches dem Unternehmen dient, ausgeweitet werden (§ 74 AO). Unter § 75 AO fallen nur die durch den Betrieb des Unternehmens begründeten Steuern, also die Gewerbesteuer, die Umsatzsteuer, die Verbrauchssteuer und diesbezüglichen Steuerabzugsbeträge (z.B. Lohnsteuer, Lohnkirchensteuer, Kapitalertragsteuer), nicht aber die an die Person des Veräußerers gebundenen Steuern (z.B. Einkommensteuer) oder solche Steuern, die auch ohne den Betrieb vorkommen (z.B. Grundsteuer, Kfz-Steuer)2. Daneben haftet der Erwerber nach § 75 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 3 AO für Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen, da diese den Steuern gleichstehen. Darüber hinaus muss der übernehmende Rechtsträger nur noch für solche Steuern haften, die seit dem Beginn des letzten vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres entstanden und bis zum Ablauf von einem Jahr nach Anmeldung des Betriebs durch den Erwerber festgesetzt oder angemeldet worden sind (§ 75 Abs. 1 Satz 1 AO). Unerheblich ist dabei, ob der Erwerber bei der Betriebsübereignung von der Steuer wusste oder wissen konnte3.
12.110
Im Interesse einer wesentlichen Risikominderung wird die Haftung für solche Erwerbsvorgänge in § 75 Abs. 1 Satz 1 AO allerdings zeitlich zweifach eingeschränkt. Danach wird nur noch für Steuern gehaftet, die seit dem Beginn des letzten vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres entstanden und bis zum Ablauf von einem Jahr nach Anmeldung des Betriebs durch den Erwerber festgesetzt oder angemeldet worden sind4.
12.111
Keine Anwendung findet die Haftung nach § 75 Abs. 2 AO beim Erwerb eines Unternehmens oder eines Betriebs nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens5.
I. Gläubigerschutz gegen existenzvernichtende Eingriffe durch Gesellschafter 12.112
Die Haftung der Gesellschafter von juristischen Personen gegenüber Gläubigern der Gesellschaft wird durch den sog. Trennungsgrundsatz bestimmt. Dieser besagt, dass das Vermögen der juristischen Person von dem (Privat-)Vermögen ihrer Gesellschafter getrennt ist, demzufolge die Gesellschafter nicht für Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften6. Hiervon geht der Gesetzgeber nicht nur in § 13 Abs. 2 GmbHG und § 1 Abs. 1 Satz 2 AktG, sondern auch in den Vorgaben zum Eigenkapitalersatzrecht (§§ 30, 31 GmbHG) aus. Dies gilt selbst dann, wenn die Gesellschaft nur über einen Gesellschafter verfügt. Über die Rechtsfigur der juristi-
1 BFH v. 16.11.1989 – IV R 29/89, BStBl. II 1990, 272; vgl. auch BGH v. 7.7.2008 – II ZR 37/07, NJW 2008, 2992. 2 Gosch/Jatzke, § 75 AO Rz. 23; Luft, SteuK 2011, 97, 99; Heeg, DStR 2012, 2159, 2160 f. 3 Hübschmann/Hepp/Spitaler/Boeker, § 75 AO Rz. 81; Luft, SteuK 2011, 97, 99. 4 Hierzu vgl. Klein/Rüsken, § 75 AO Rz. 36–38; Commandeur/Kleinebrink, Betriebs- und Firmenübernahme, Rz. 1557 ff.; Luft, SteuK 2011, 97, 99. 5 BFH v. 23.7.1998 – VII R 143/97, BStBl. II 1998, 765; hierzu vgl. Koenig/Intemann, § 75 AO Rz. 60–64; Hübschmann/Hepp/Spitaler/Boeker, § 75 AO Rz. 59 ff. 6 Vgl. Baumbach/Hueck/Fastrich, § 13 GmbHG Rz. 5 f.
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Gläubigerschutz gegen existenzvernichtende Eingriffe durch Gesellschafter | Rz. 12.114 § 12
schen Person darf – wie es das BVerfG und der BGH einmal gesagt haben – nicht leichtfertig und schrankenlos hinweggegangen werden1. In der Praxis gibt es aber immer wieder Fallkonstellationen, in denen diskutiert wird, ob nicht ausnahmsweise auf die Gesellschafter zurückgegriffen werden kann, weil besondere Umstände vorliegen, die eine Durchbrechung der grundsätzlichen gesellschaftsrechtlichen Haftungsgrenzen rechtfertigen. Dies vornehmlich bei der GmbH.
12.113
Die Rechtsprechung hat bereits frühzeitig den Durchgriff auf die Gesellschafter zugelassen, wenn die Wahl der haftungsbeschränkenden Rechtsform und/oder die Art und Weise einer Einbindung der abhängigen (Kapital-)Gesellschaft unter Berücksichtigung der zu § 242 BGB entwickelten Grundsätze im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist2. Vor allem folgende Fallgestaltungen sind weitgehend anerkannt:
12.114
– Vornahme einer Vermögensverschiebung aus dem haftenden Unternehmen heraus, die als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist3, – Formenmissbrauch, bei dem die Haftungsfreistellung des Anteilsinhabers bewusst zum Nachteil der Gläubiger eingesetzt wird4, – Vermischung von Privat- und Gesellschaftsvermögen (z.B. durch falsche oder unzureichende Buchführung)5, – Anschein persönlicher Haftung6, – Verschleierung der Trennung zwischen Gesellschaft und Anteilsinhaber durch fehlende Unterscheidung der beiderseitigen Unternehmensorganisation (z.B. durch Führung ähnlicher Firmen, gleiche Geschäftsräume und gleiches Personal)7 oder – (materielle) Unterkapitalisierung, bei der die Ausstattung der Gesellschaft mit Eigenkapital mit hoher Wahrscheinlichkeit völlig unzureichend ist, um schon den nach Art und Umfang
1 Vgl. BVerfG v. 24.1.1962 – I BvR 845/58, BVerfGE 13, 331, 340; BAG v. 3.9.1998 – 8 AZR 189/97, DB 1998, 2532; BGH v. 29.11.1956 – II ZR 156/55, BGHZ 22, 226, 230; BSG v. 1.2.1996 – 2 RU 7/ 95, BB 1996, 2149, 2150 f. 2 BAG v. 8.9.1998 – 3 AZR 185/97, NZA 1999, 543, 544. 3 BAG v. 19.1.1988 – 3 AZR 263/86, AP Nr. 70 zu § 613a BGB Bl. 3. 4 Vgl. OLG Karlsruhe v. 7.4.1989 – 14 U 16/86, GmbHR 1990, 303; Lutter/Hommelhoff/Bayer, § 13 GmbHG Rz. 11 m.w.N. Zu diesen Fallgestaltungen wird man auch den Fall einer willkürlichen und von vornherein nicht praktikablen Ausgliederung rechnen können, die darauf hinausläuft, dass eine rechtliche Selbstständigkeit ausschließlich der Form nach besteht (vgl. BGH v. 4.5.1977 – VIII ZR 298/75, BGHZ 68, 312, 315 f.; BAG v. 3.9.1998 – 8 AZR 189/97, DB 1998, 2532 f.). 5 Vgl. hierzu BAG v. 19.1.1988 – 3 AZR 263/86, DB 1988, 1166, 1167; BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330, 332; BSG v. 1.2.1996 – 2 RU 7/95, BB 1996, 2149, 2151; Kübler, Anm. zu BGH v. 29.3.1993 – II ZR 265/91, NJW 1993, 1200, 1204, 1205; MünchGesR/Schiess, § 35 Rz. 18 ff.; Lutter/Hommelhoff/Bayer, § 13 GmbHG Rz. 19; Windbichler, Anm. zu BAG v. 8.9.1998 – 3 AZR 185/97, RdA 2000, 235, 238, 240. 6 BGH v. 29.11.1956 – II ZR 156/55, BGHZ 22, 226, 230. Vgl. auch BAG v. 14.12.1993 – 3 AZR 519/ 93, EzA § 16 BetrAVG Nr. 26 S. 5 f. Soweit nach dieser Entscheidung eine Versorgungszusage oder die Umstände, unter denen sie erteilt wurde, ergeben kann, dass hinter der erteilten Zusage das den Konzern beherrschende Unternehmen stehen soll und für deren Erfüllung eintreten wird, spricht allerdings mehr für eine vertragliche Anspruchsgrundlage. 7 Lutter/Hommelhoff/Bayer, § 13 GmbHG Rz. 24.
Schewiola | 515
§ 12 Rz. 12.114 | Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes
der tatsächlichen oder beabsichtigten Geschäftstätigkeit bestehenden und nicht durch Kredite Dritter zu deckenden mittel- oder langfristigen Finanzierungsbedarfs zu decken1.
12.115
Die Konsequenz dieser Fallgestaltungen besteht darin, dass die Gesellschafter entsprechend § 128 HGB unmittelbar den Gläubigern gegenüber für Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften2. Einschränkungen werden zum Teil dahingehend vorgenommen, dass nur diejenigen Gesellschafter haften, die die Verwirklichung der Voraussetzungen veranlasst oder in ihrer Position als Gesellschafter hiervon Kenntnis erlangt haben, aber trotz der Möglichkeit einer Änderung nicht aktiv geworden sind3. Der „ahnungslose“ Minderheitsgesellschafter soll ebenfalls ausgenommen werden4.
12.116
Eine besondere Fallkonstellation stellt die (ehemalige) Durchgriffshaftung im Konzern dar, von der die Rechtsprechung zwischenzeitlich aber wieder abgerückt ist und nunmehr als Haftung für existenzvernichtende Eingriffe wertet. Dazu nachfolgender Beispielsfall5:
12.117
Beispiel: Die A-GmbH führt Bildungsmaßnahmen im Auftrag der Arbeitsverwaltung durch. Aufgrund der sog. Hartz-Gesetze erhält die A-GmbH später keine Aufträge mehr. Die Gesellschafter beschließen, die AGmbH abzuwickeln. Teile des Vermögens der A-GmbH verkaufen sie auf eine ebenfalls von ihnen beherrschte B-GmbH im Wege eines Asset Deals unter Marktwert, um mit der B-GmbH den Unternehmensgegenstand fortzuführen. Die A-GmbH geht insolvent. Die Gläubiger haben offene sechsstellige Forderungen.
I. Frühere Rechtsprechung zur Durchgriffshaftung im Konzern 12.118
Die Rechtsprechung bediente sich in Konzernkonstellationen eine Zeit lang der Rechtsfigur des „qualifiziert faktischen“ Konzerns, analog §§ 302, 303 AktG. Danach sollte unter bestimmten Voraussetzungen die grundsätzliche Haftungsbeschränkung durchbrochen werden, wenn ein herrschendes Konzernunternehmen die Geschäfte bei der abhängigen Konzerngesellschaft über eine gewisse Dauer und Intensität einheitlich geleitet hatte6. In einem solchen Fall sei nämlich zu vermuten, dass die Verluste der abhängigen Gesellschaft auf der Ge-
1 Vgl. BGH v. 23.3.1992 – II ZR 128/91, GmbHR 1992, 365, 366; BGH v. 4.5.1977 – VIII ZR 298/75, NJW 1977, 1449, 1450; BSG v. 1.2.1996 – 2 RU 7/95, BB 1996, 2149, 2151; BAG v. 19.1.1988 – 3 AZR 263/86, AP Nr. 70 zu § 613a BGB Bl. 3; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 224; Stimpel, FS Goerdeler, S. 601, 608; Hachenburg/Ulmer, Anh. § 30 GmbHG Rz. 12; Lutter/Hommelhoff/Bayer, § 13 GmbHG Rz. 20 ff.; von Steinau-Steinrück, Betriebsaufspaltung, S. 147 ff.; einschränkend Kallmeyer, GmbH-Handbuch I, Rz. 68, der eine gewollte Ausnutzung der Unterkapitalisierung durch den Gesellschafter verlangt; krit. auch BAG v. 3.9.1998 – 8 AZR 189/97, DB 1998, 2532, das es lediglich dann, wenn neben der Unterkapitalisierung weitere Gesichtspunkte auftreten, die die Unterkapitalisierung so in den Hintergrund treten lassen, dass der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs nicht mehr vorrangig darauf gestützt werden könne, für denkbar hält, aus dem Gesamtgefüge eines solchen Vorgangs auf Rechtsmissbrauch zu schließen. 2 Vgl. Lutter, DB 1994, 129; Lutter/Hommelhoff/Bayer, § 13 GmbHG Rz. 11; abw. Stimpel, FS Goerdeler, S. 601, 608 (Haftung gegenüber der Gesellschaft). 3 Vgl. Hachenburg/Mertens, Anh. § 13 GmbHG Rz. 49; Lutter/Hommelhoff/Bayer, § 13 GmbHG Rz. 11, 14. 4 Vgl. Kallmeyer, GmbH-Handbuch I, Rz. 72; Lutter/Hommelhoff/Bayer, § 13 GmbHG Rz. 14. 5 Nachgebildet BGH v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, DStR 2012, 1044. 6 BGH v. 23.9.1991 – II ZR 135/90, NJW 1991, 3142 – Video; BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, NJW 1986, 188 – Autokran.
516 | Schewiola
Gläubigerschutz gegen existenzvernichtende Eingriffe durch Gesellschafter | Rz. 12.120 § 12
schäftsleitung beruhen1. Diese Vermutung musste dann der Gesellschafter – bzw. das herrschende Unternehmen – widerlegen, um der Haftung zu entgehen2. Andernfalls haftete der Gesellschafter im Außenverhältnis unmittelbar gegenüber dem Gläubiger der Gesellschaft, wenn die abhängige Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit die gegen sie bestehenden Forderungen nicht mehr erfüllen konnte3. Diese Rechtsfolge geht über eine Analogie zu §§ 302, 303 AktG hinaus. Denn die Gläubiger wären nach §§ 302, 303 AktG lediglich berechtigt, im Falle der Beendigung der Beherrschung lediglich Sicherheit für ihre Forderungen zu verlangen, die während des Bestehens des Beherrschungsvertrages begründet worden sind. Berechtigung, Anwendungsbereich, Reichweite und Voraussetzungen einer solchen Durchgriffshaftung im faktischen Konzern wurden jahrelang heftig diskutiert4. Die Kritik bezog sich insbesondere auf die schwer einzugrenzende Reichweite und die damit verbundenen erheblichen Rechtsunsicherheiten für die Praxis5. Erste Anzeichen eines Aufgebens dieses Rechtsinstituts waren schon in der TBB-Entscheidung des BGH6 aus dem Jahre 1993 zu erkennen. Der BGH stellte nicht mehr darauf ab, ob die abhängige GmbH eine Konzerntochter war. Relevant für die Haftung wurde lediglich die Frage, ob der Gesellschafter seine Stellung zum Schaden der GmbH und ihrer Gläubiger missbraucht hatte. 2001 distanzierte sich der BGH dann noch deutlicher von der Durchgriffshaftung, indem er in seiner Entscheidung Bremer Vulkan7 klarstellte, dass eine solche Haftung nichts mit einer einheitlichen Leitung im Konzern zu tun habe, sondern ganz allgemein mit dem Missbrauch der Rechtsform der GmbH durch ihre Gesellschafter zulasten der Gesellschaftsgläubiger.
12.119
II. Aktuelle Rechtsprechung zur Existenzvernichtung auf der Grundlage des § 826 BGB 1. Aufgabe und neuer Grundsatz Endgültig aufgegeben wurden Begriff und Rechtsfigur der „Durchgriffshaftung“ als eigenständige gesellschaftsrechtliche Anspruchsgrundlage mit dem BGH-Urteil Trihotel aus dem Jahre 20078. Mit dieser Entscheidung hat der BGH die Haftung der Gesellschafter als einen Fall der existenzvernichtenden Haftung nach § 826 BGB eingestuft. Neben einer solchen auf § 826 BGB begründbaren Haftung sei ein zusätzlich konzernabhängig „gesellschaftsrechtlich fundiertes Haftungsinstitut“ entbehrlich9. Durch diese Änderung ist es nunmehr problemlos möglich, die Existenzvernichtungshaftung sowohl von Konzernsachverhalten als auch vom GmbH-Recht zu lösen, wodurch andere Gesellschaftsformen von der Gesellschafterhaftung erfasst werden können10.
BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, NJW 1986, 188 – Autokran. MünchKommAktG/Altmeppen, Anhang zu § 317 AktG Rz. 2. BGH v. 23.9.1991 – II ZR 135/90, NJW 1991, 3142, 3145 f. – Video. Vgl. nur: MünchKommAktG/Kropf, 2. Aufl. 2000, Anhang zu § 317 AktG m.w.N. BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 Rz. 20 – Trihotel. BGH v. 29.3.1993 – II ZR 265/91, NJW 1993, 1200, 1202 – TBB. BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, NJW 2001, 3622 – Bremer Vulkan. BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, NJW 2008, 2437 – GAMMA; BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 Rz. 17 – Trihotel; MünchKommAktG/Altmeppen, Anhang zu § 317 AktG Rz. 7 m.w.N. 9 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 Rz. 29 – Trihotel; MünchKommAktG/Altmeppen, Anhang zu § 317 AktG Rz. 8. 10 MünchKommBGB/Wagner, § 826 BGB Rz. 180 ff. 1 2 3 4 5 6 7 8
Schewiola | 517
12.120
§ 12 Rz. 12.121 | Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes
12.121
Die sog. Existenzvernichtungshaftung als besondere Fallgruppe des § 826 BGB hat also die Stelle des „qualifiziert faktischen“ Konzerns ganz eingenommen. Danach haftet der Gesellschafter einer GmbH gegenüber der Gesellschaft „für missbräuchliche, zur Insolvenz der GmbH führende oder diese vertiefende kompensationslose Eingriffe in das der Zweckbindung zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger dienende Gesellschaftsvermögen“1. Die Haftung greift also grundsätzlich dann, wenn ein Gesellschafter der Gesellschaft planmäßig und zu betriebsfremden Zwecken Vermögen entzieht und auf diese Weise die Gläubiger der Gesellschaft durch eine Verringerung der Zugriffsmasse schädigt2. Dieser Rechtsprechung hat sich zwischenzeitlich auch das BAG angeschlossen3. Ein Vermögensentzug setzt dabei aber nicht zwingend einen Vermögensabfluss aus dem Gesellschaftsvermögen voraus. Der Entzug kann auch durch die Erhöhung von Verbindlichkeiten bewirkt werden. Dies dann, wenn hierdurch zielgerichtet und betriebsfremden Zwecken dienend die den Gesellschaftsgläubigern zur Verfügung stehende Haftungsmasse verkürzt wird4. Sittenwidrig ist der Entzug nur dann, wenn Umstände vorliegen, die Ausdruck der Missachtung des Prinzips der Trennung des Gesellschaftsvermögens vom Gesellschaftervermögen und der strikten Bindung des Gesellschaftsvermögens zur vorrangingen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger sind5.
12.122
Der wesentliche Unterschied zur Durchgriffshaftung besteht darin, dass sie eine Innenhaftung des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft darstellt6. Im Falle der Insolvenz der GmbH kann somit lediglich der Insolvenzverwalter den Anspruch geltend machen, nicht aber der jeweilige Gläubiger der Gesellschaft7.
12.123
Offengelassen hat der BGH, ob ausnahmsweise daneben noch eine unmittelbare Außenhaftung gegenüber Gläubigern der Gesellschaft in Betracht kommt, „etwa wenn das Restvermögen der Gesellschaft gezielt zum Zwecke der Schädigung eines einzelnen verbliebenen Gesellschaftsgläubigers „beiseite geschafft“ wird“8. Das OLG Brandenburg9 hat 2009 die grundsätzliche Möglichkeit einer solchen Außenhaftung angenommen. In diesem Fall ging es um die Frage der Haftung des Gesellschafters einer GmbH, der die Liquidation der GmbH beschlossen und ihr Aufgabenfeld auf eine andere Gesellschaft übertragen hatte. Das OLG Brandenburg hält eine Außenhaftung dem Grundsatz nach für angezeigt, wenn die masselose GmbH bereits gelöscht und eine Verweisung des Gläubigers auf die Inanspruchnahme der gelöschten GmbH unzumutbar ist. Im konkreten Fall lehnte das OLG Brandenburg eine Außenhaftung des Gesellschafters ab. Dies hat das OLG Brandenburg damit begründet, dass berech1 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, NJW 2008, 2437 Rz. 10 – GAMMA; BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 Rz. 28 – Trihotel. 2 BAG v. 14.12.2004 – 1 AZR 504/03, NJW 2005, 2172, 2174; BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, NJW 2002, 3024. 3 BAG v. 15.9.2015 – 3 AZR 893/13, NZA 2016, 235; BAG v. 15.1.2013 – 3 AZR 638/10, ZIP 2013, 1041; vgl. auch: LAG Hamm v. 30.1.2015 – 10 Sa 828/14, ZIP 2015, 1283 sowie LAG RheinlandPfalz v. 30.9.2009 – 8 Sa 358/09. 4 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, NZG 2019, 187. 5 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, NZG 2019, 187. 6 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 Rz. 17 – Trihotel; MünchKommAktG/Altmeppen, Anhang zu § 317 AktG Rz. 8. 7 BAG v. 14.12.2004 – 1 AZR 504/03, NJW 2005, 2172. 8 Baumbach/Hueck/Fastrich, § 13 GmbHG Rz. 58. Dafür: MünchKommBGB/Wagner, § 826 BGB Rz. 190; OLG Brandenburg v. 15.1.2009 – V U 170/06, GWR 2009, 10; offen: BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 Rz. 17 – Trihotel, ohne jedoch die Notwendigkeit einer Außenhaftung zu sehen. 9 OLG Brandenburg v. 15.1.2009 – V U 170/06, GWR 2009, 10.
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Gläubigerschutz gegen existenzvernichtende Eingriffe durch Gesellschafter | Rz. 12.127 § 12
tigte Gründe die Vorgehensweise des Gesellschafters nahe gelegt hätten, wie z.B. unerwartet hohe Umsatzsteuerverbindlichkeiten der GmbH oder Streitigkeiten im Rahmen der Geschäftsführung1. Denkbar ist auch eine direkte Haftung des Gesellschafters auf der Grundlage des § 826 BGB, und zwar jenseits der Grundsätze zur existenzvernichtenden Haftung2. Eine solche allgemeine Haftung setzt nicht notwendigerweise voraus, dass durch den vorsätzlichen, sittenwidrigen Eingriff, die Insolvenz der Gesellschaft ausgelöst wird. Jedoch muss der Gläubiger den Beweis dafür erbringen, dass er durch einen solchen Eingriff einen unmittelbaren Schaden erlitten hat, was mit praktischen Schwierigkeiten verbunden sein könnte3. Es wird vertreten, dass die Grundsätze der existenzvernichtenden Haftung nach § 826 BGB auch schon vor Eintritt der Insolvenz zur Anwendung kommen können, so bei dem Berechnungsdurchgriff zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit beim Aufstellen eines Sozialplans4. Ein Durchgriff ist auch bei § 16 BetrAVG denkbar5.
12.124
Adressat der Haftung ist auch derjenige, der zwar nicht an der geschädigten Gesellschaft, wohl aber mittelbarer Gesellschafter6 bzw. an einer anderen Gesellschaft beteiligt ist, die ihrerseits Gesellschafterin des Geschädigten ist (Gesellschafter-Gesellschafter), wenn er einen beherrschenden Einfluss auf die geschädigte Gesellschaft ausüben kann7. Bei einer mehrstufigen Gesellschaftsstruktur kann dies z.B. zur Folge haben, dass eine Haftung der Muttergesellschaft in Betracht kommen kann, ungeachtet davon, ob die zwischengeschalteten Gesellschaften haftbar wären8. Außerdem können Außenstehende (wie z.B. Geschäftsführer oder Rechtsanwälte) über § 830 BGB in die Haftung gezogen werden9.
12.125
Die Haftung setzt auf subjektiver Seite zumindest Eventualvorsatz voraus. Grobe Fahrlässigkeit ist nicht ausreichend. Für einen Eventualvorsatz reicht aus, dass die faktische dauerhafte Beeinträchtigung des Vermögens der geschädigten Gesellschaft im Hinblick auf die Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten die voraussehbare Folge des Eingriffs war und der Schädiger diese Rechtsfolge in Erkenntnis ihres möglichen Eintritts billigend in Kauf nahm10.
12.126
2. Fallgruppen Aus der Rechtsprechung des BGH können allgemein folgende Fallgruppen gebildet werden11: – Abzug von Finanzmitteln; – Abzug von Vermögensgegenständen und unternehmerischen Teilfunktionen;
1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. dazu Hermann/von Woedtke, BB 2012, 2255, 2261. Vgl. BGH v. 7.1.2008 – II ZR 314/05, NZA 2008, 187 Rz. 19. Hermann/von Woedtke, BB 2012, 2255, 2261. Löwisch, ZIP 2015, 209, unter Berufung auf BGH v. 20.9.2004 – II ZR 302/02, ZIP 2004, 2138. BAG v. 21.1.2021 – 3 AZR 139/17, ZIP 2021, 918. OLG Köln v. 18.10.2016 – 18 U 93/15, GWR 2017, 8. BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 Rz. 44 – Trihotel. Hermann/von Woedtke, BB 2012, 2255, 2261. Gehrlein, WM 2008, 761, 764; Weller, ZIP 2007, 1681, 1687; Strohn, ZInsO 2008, 706, 709; Smid, DZWIR 2008, 265, 269; einschränkend: Vetter, BB 2007, 1965, 1969. 10 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 Rz. 30 – Trihotel; BGH v. 9.2.2009 – II ZR 292/ 07, NJW 2009, 2127 Rz. 16 – Sanitary. 11 Zusammenfassend: Hermann/von Woedtke, BB 2012, 2255, 2258.
Schewiola | 519
12.127
§ 12 Rz. 12.127 | Haftung bei Übertragungsvorgängen außerhalb des Umwandlungsgesetzes
– Verlagerung von Geschäftsvorteilen und Erwerbschancen; – Eingehung unvertretbarer Risiken; – die Verschmelzung eines insolvenzreifen übertragenden Rechtsträgers wird als Gestaltungsmittel für dessen liquidationslose Abwicklung eingesetzt und hierdurch die Insolvenz des übernehmenden Rechtsträgers herbeigeführt oder vertieft1.
12.128
Als Anwendungsfälle können folgende weitere Konstellationen denkbar sein: – Die Vornahme einer Vermögensverschiebung ohne marktgerechte Vergütung aus dem haftenden Unternehmen heraus2. Auch die Veräußerung von Gesellschaftsvermögen an eine andere von den Gesellschaftern beherrschte Gesellschaft kann einen solchen Eingriff darstellen, wenn die Vermögensgegenstände unter Wert übertragen werden3. Es darf im Übrigen nicht übersehen werden, dass eine solche Übertragung von Vermögenswerten der Gesellschaft im Einzelfall auch einen Betriebsübergang i.S.d. § 613a BGB bewirken kann. – Die fremdfinanzierte Unternehmensakquisition (leveraged buy-out – „LBO“), bei der der Erwerb der Anteile der Zielgesellschaft durch eine sonst vermögenslose Gesellschaft erfolgt und der für den Erwerb erforderliche Kredit mit Vermögenswerten der Zielgesellschaft besichert wird4.
12.129
Umstritten ist, ob die sog. „Firmenbestattung“ (gemeint ist damit ein geplanter betrügerischer Bankrott5), also etwa der Verkauf von GmbH-Anteilen an Dritte im Ausland mit späterer Liquidation der GmbH, eine Haftung gemäß § 826 BGB auslösen kann6.
12.130
Dagegen sind folgende Fallgestaltungen keine Anwendungsfälle: – Die Aufspaltung unternehmerischer Aktivitäten in mehrere juristische Personen, solange das Konzernrecht solche Gestaltungen zulässt und Ausgleichsmechanismen vorsieht7. – Die Wahl der Rechtsform der englischen Limited, die per se keine sittenwidrige Schädigung darstellt8. – Die Einstellung eines Geschäftsbetriebs; denn die Gesellschafter sind nicht verpflichtet, diesen im Interesse der Gläubiger fortzuführen9.
1 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, NZG 2019, 187. 2 BGH v. 23.4.2014 – II ZR 252/10, WM 2012, 1034, 1036; BGH v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, NZG 2005, 117; BAG v. 19.1.1988 – 3 AZR 263/86, AP Nr. 70 zu § 613a BGB Bl. 3. 3 BGH v. 23.4.2015 – II ZR 252/10, DStR 2012, 1144; Bisle, DStR 2012, 1514. 4 MünchKommBGB/Wagner, § 826 BGB Rz. 192. 5 LAG Hamm v. 30.1.2015 – 10 Sa 828/14, ZIP 2015, 1283. 6 Die Sittenwidrigkeit bejahend: AG Memmingen v. 2.12.2003 – HRB 8361, GmbHR 2004, 952; Cierniak, DB 2006, 1996 m.w.N. Abl.: LAG Düsseldorf v. 7.9.2005 – 12 Sa 676/05 mit der Begründung, dass das Insolvenzverfahren eröffnet war und dies die Haftung nach § 826 BGB ausschließt (s. dazu BAG v. 14.12.2004 – 1 AZR 504/03, NJW 2005, 2172); Die Haftung auf der Grundlage von § 826 BGB wurde offengelassen von: BGH v. 22.12.2005 – IX ZR 190/02, NJW 2006, 908 Rz. 29. 7 Staudinger/Oechsler, § 826 BGB Rz. 321 f. 8 OLG Hamm v. 27.1.2006 – 12 U 108/05, NJW-RR 2006, 1631, 1632; in diesem Sinne auch schon BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, NJW 2005, 1648; Fröhlich/Strasser, ZIP 2006, 1182. 9 BGH v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, NZG 2005, 177; OLG Düsseldorf v. 29.11.2000 – 5 U 104/99, NZG 2001, 368, 371.
520 | Schewiola
Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz | § 13
– Die Neugründung einer GmbH, um die Geschäfte einer anderen überschuldeten GmbH weiterzuführen (sog. GmbH-Stafette)1. Dies könnte aber anders zu beurteilen sein, wenn ein solches Vorgehen zu einer Umgehung der § 613a BGB und § 25 HGB führt, die typischerweise eine zielgerichtete Benachteiligung einer bestimmten Gläubigergruppe darstellt2. Die Sittenwidrigkeit begründenden besonderen Umstände können auch darin zu sehen sein, dass Auflösung und Neugründung allein dem Zweck dienen, die Bindung an einen Langzeitvertrag umzugehen3.
3. Haftungsumfang Die Existenzvernichtungshaftung umfasst zunächst einmal den unmittelbaren Ausgleich in Höhe des entzogenen Vermögens4. Soweit weitere Schäden im Vermögen der Gesellschaft eintreten, kann die Haftung auch darüber hinausgehen. In seiner Trihotel-Entscheidung5 stellt der BGH klar, dass die Begrenzung der Haftung durch die Stammkapitalziffer keine Rolle spielt: „Die Existenzvernichtungshaftung soll wie eine das gesetzliche Kapitalerhaltungssystem ergänzende, aber deutlich darüber hinausgehende ‚Entnahmesperre‘ wirken, indem sie die sittenwidrige, weil insolvenzverursachende oder vertiefende ‚Selbstbedienung‘ des Gesellschafters vor den Gläubigern der Gesellschaft durch die repressive Anordnung der Schadensersatzpflicht in Bezug auf das beeinträchtigte Gesellschaftsvermögen ausgleicht“6.
12.131
Insofern sind die Schadensersatzansprüche aus Existenzvernichtungshaftung gegenüber Erstattungsansprüchen aus §§ 30, 31 GmbHG bzw. §§ 311, 317 AktG nicht subsidiär. Zwischen ihnen besteht – soweit sie sich überschneiden – Anspruchskonkurrenz7.
12.132
§ 13 Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz sowie in besonderen Fällen
A. Haftung bei Verschmelzung . . . . . . I. Grundsatz der Haftung bei Gesamtrechtsnachfolge gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG . . . . . . . . . II. Wirkung der Verschmelzung auf gegenseitige Verträge nach § 21 UmwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13.1
13.3
13.7
III. Sicherheitsleistungen nach § 22 UmwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Art des gesicherten Anspruchs . 2. Gefährdung der Erfüllung . . . . 3. Art und Umfang der Sicherheitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . 4. Form und Frist . . . . . . . . . . . . .
13.13 13.14 13.17 13.21 13.23
1 BGH v. 12.2.1996 – II ZR 279/94, NJW 1996, 1283; MünchKommBGB/Wagner, § 826 BGB Rz. 163 f.; Staudinger/Oechsler, § 826 BGB Rz. 323; Bitter, ZinsO 2010, 1561, 1567; a.A. RG v. 10.6.1926 – IV 186/26, RGZ 114, 68, 71 f.; Ulmer/Raiser, § 13 GmbHG Rz. 129. 2 Vgl. BSG v. 7.12.1983 – 7 RAr 20/82, NJW 1984, 2117. 3 RG v. 10.6.1926 – IV 186/26, RGZ 114, 68, 71 f. 4 Hermann/von Woedtke, BB 2012, 2255, 2259. 5 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 Rz. 38–40 – Trihotel. 6 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 Rz. 28 – Trihotel. 7 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 Rz. 38–40 – Trihotel.
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Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz | § 13
– Die Neugründung einer GmbH, um die Geschäfte einer anderen überschuldeten GmbH weiterzuführen (sog. GmbH-Stafette)1. Dies könnte aber anders zu beurteilen sein, wenn ein solches Vorgehen zu einer Umgehung der § 613a BGB und § 25 HGB führt, die typischerweise eine zielgerichtete Benachteiligung einer bestimmten Gläubigergruppe darstellt2. Die Sittenwidrigkeit begründenden besonderen Umstände können auch darin zu sehen sein, dass Auflösung und Neugründung allein dem Zweck dienen, die Bindung an einen Langzeitvertrag umzugehen3.
3. Haftungsumfang Die Existenzvernichtungshaftung umfasst zunächst einmal den unmittelbaren Ausgleich in Höhe des entzogenen Vermögens4. Soweit weitere Schäden im Vermögen der Gesellschaft eintreten, kann die Haftung auch darüber hinausgehen. In seiner Trihotel-Entscheidung5 stellt der BGH klar, dass die Begrenzung der Haftung durch die Stammkapitalziffer keine Rolle spielt: „Die Existenzvernichtungshaftung soll wie eine das gesetzliche Kapitalerhaltungssystem ergänzende, aber deutlich darüber hinausgehende ‚Entnahmesperre‘ wirken, indem sie die sittenwidrige, weil insolvenzverursachende oder vertiefende ‚Selbstbedienung‘ des Gesellschafters vor den Gläubigern der Gesellschaft durch die repressive Anordnung der Schadensersatzpflicht in Bezug auf das beeinträchtigte Gesellschaftsvermögen ausgleicht“6.
12.131
Insofern sind die Schadensersatzansprüche aus Existenzvernichtungshaftung gegenüber Erstattungsansprüchen aus §§ 30, 31 GmbHG bzw. §§ 311, 317 AktG nicht subsidiär. Zwischen ihnen besteht – soweit sie sich überschneiden – Anspruchskonkurrenz7.
12.132
§ 13 Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz sowie in besonderen Fällen
A. Haftung bei Verschmelzung . . . . . . I. Grundsatz der Haftung bei Gesamtrechtsnachfolge gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG . . . . . . . . . II. Wirkung der Verschmelzung auf gegenseitige Verträge nach § 21 UmwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13.1
13.3
13.7
III. Sicherheitsleistungen nach § 22 UmwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Art des gesicherten Anspruchs . 2. Gefährdung der Erfüllung . . . . 3. Art und Umfang der Sicherheitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . 4. Form und Frist . . . . . . . . . . . . .
13.13 13.14 13.17 13.21 13.23
1 BGH v. 12.2.1996 – II ZR 279/94, NJW 1996, 1283; MünchKommBGB/Wagner, § 826 BGB Rz. 163 f.; Staudinger/Oechsler, § 826 BGB Rz. 323; Bitter, ZinsO 2010, 1561, 1567; a.A. RG v. 10.6.1926 – IV 186/26, RGZ 114, 68, 71 f.; Ulmer/Raiser, § 13 GmbHG Rz. 129. 2 Vgl. BSG v. 7.12.1983 – 7 RAr 20/82, NJW 1984, 2117. 3 RG v. 10.6.1926 – IV 186/26, RGZ 114, 68, 71 f. 4 Hermann/von Woedtke, BB 2012, 2255, 2259. 5 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 Rz. 38–40 – Trihotel. 6 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 Rz. 28 – Trihotel. 7 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 Rz. 38–40 – Trihotel.
Schewiola | 521
§ 13 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz
IV. V.
VI.
B. I.
5. Ausschluss bei anderweitigen Sicherungen . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ansprüche und Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaber von Sonderrechten nach § 23 UmwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gläubigerschutz durch Schadensersatzpflicht der Verwaltungsträger des übertragenden Rechtsträgers nach § 25 UmwG . . . . . . . . . . Haftung aufgrund fehlerhafter oder unzureichender Angaben im Verschmelzungsvertrag . . . . . . . . . Haftung bei Spaltung . . . . . . . . . . . Übernahme von Verbindlichkeiten gemäß § 133 UmwG . . . . . . . . . . . . 1. Erfasste Ansprüche a) Art der von § 133 UmwG erfassten Verbindlichkeiten b) Begründung der Verbindlichkeit vor dem Wirksamwerden der Spaltung . . . . . 2. Haftung der beteiligten Rechtsträger a) Art der Haftung: Gesamtschuldnerische Haftung . . b) Haftung auf Erfüllung oder Einstandspflicht . . . . c) Innenausgleich unter den beteiligten Rechtsträger . . d) Inhaber von Sonderrechten 3. Zeitliche Begrenzung der Haftung nach § 133 Abs. 3 UmwG a) Grundsätzliche Haftung für Verbindlichkeiten ohne zeitliche Begrenzung . . . . . b) Fünf-Jahres-Frist für gesamtschuldnerische Haftung nach § 133 Abs. 3 bis 5 UmwG – Enthaftung des Mithafters . . . . . . . . . . c) Zehn-Jahres-Frist (§ 133 Abs. 3 Satz 2 UmwG) . . . . d) Eintritt der Verjährung (§ 133 Abs. 6 UmwG) . . . . e) Übergangsregelungen für Altverbindlichkeiten . . . . . 4. Sicherheitsleistungen gem. § 133 Abs. 1 Satz 2, §§ 125, 22 UmwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verpflichtete Rechtsträger . b) Berechtigte Gläubiger . . . .
522 | Schewiola
13.25
13.27 13.31
13.34
13.38 13.43 13.45
13.48 13.49
13.57 13.61 13.63 13.66
13.67
13.68 13.71 13.72 13.73
13.74 13.75 13.77
c) Gefährdungsgrund . . . . . . 5. Gestaltungsspielraum im Spaltungsvertrag oder -plan . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . b) Forderungen und Verbindlichkeiten aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis . c) Nebenansprüche aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . d) Forderungen und Verbindlichkeiten ausgeschiedener Arbeitnehmer . . . . . . . . . . e) Ansprüche und Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung . . . . . . . II. Schutz der Arbeitnehmer bei Spaltung in Betriebs- und Anlagegesellschaft (§ 134 UmwG) . . . . . . 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen a) Übertragung der zur Führung eines Betriebes notwendigen Vermögensteile im Wesentlichen . . . . . . . . aa) Betrieb . . . . . . . . . . . . bb) Zur Führung eines Betriebs notwendige Vermögensteile . . . . . . cc) Übertragung/Zurückbehaltung „im Wesentlichen“ . . . . . . . . . . . . b) Nutzungsüberlassung an die Betriebsgesellschaft . . . c) Beschränkung der Tätigkeit der Anlagegesellschaft auf die Verwaltung der Vermögensteile . . . . . . . . . d) Identität der Beteiligungsverhältnisse . . . . . . . . . . . . 3. Von § 134 UmwG erfasste Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalt der Ansprüche . . . . b) Begründung im FünfJahres-Zeitraum . . . . . . . . aa) Zeitpunkt der Begründung des Nachteilsausgleichsanspruchs nach § 113 BetrVG . . . . . . . bb) Zeitpunkt der Begründung von Sozialplanansprüchen . . . . . . . . . c) Begünstigter Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13.78 13.80 13.81 13.85 13.91 13.92 13.93
13.94 13.98
13.104 13.105 13.106 13.112 13.113
13.115 13.119 13.123 13.124 13.132
13.133 13.137 13.140
Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz | § 13 d) Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung . . . . . . . . 4. Zeitliche Begrenzung der Haftung gemäß (Zehn-JahresZeitraum) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Mithaftung der übrigen Rechtsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verhältnis zwischen §§ 133, 134 UmwG und § 613a BGB 1. Schutz durch § 613a Abs. 2 BGB und §§ 133, 134 UmwG . . . . . . 2. Einschränkung der Spaltungsfreiheit bei der Zuordnung der Arbeitsverhältnisse im Falle eines Betriebsübergangs i.S.d. § 613a Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . C. Haftung bei der Spaltung einer Personenhandelsgesellschaft I. Haftung der Gesellschafter der übertragenden OHG bzw. KG 1. Grundsatz a) Komplementär . . . . . . . . . .
13.145 II. 13.146 13.149
III. D.
13.150 E. F. 13.155 G.
H. 13.156
b) Kommanditist . . . . . . . . . . 2. Zeitliche Begrenzung der Nachhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung wegen Eintritts als Kommanditist in den übernehmenden Rechtsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung des ausscheidenden Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung bei einer Ausgliederung aus dem Vermögen eines Einzelkaufmanns (§§ 152 ff. UmwG) . . . Haftung nach § 25 HGB bei Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung wegen Eintritts in das Geschäft eines Einzelhandelskaufmanns (§ 28 HGB) bei Spaltung . . Haftung wegen Eintritts in eine Personenhandelsgesellschaft (§ 130 HGB) bei Spaltung . . . . . . . Haftung nach § 75 AO bei Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13.157 13.163
13.165 13.166
13.167 13.172
13.176
13.177 13.178
Schrifttum: Abel, Übergangsmandat bei unternehmensinternen und unternehmensübergreifenden betrieblichen Umstrukturierungen, AiB 1999, 601; Ahrendt, Zum Bemessungsdurchgriff beim Sozialplan, RdA 2012, 340; Arnold, Übergang von Pensionsverbindlichkeiten im Licht der Änderung des Umwandlungsgesetzes, DB 2008, 986; Bauer/Lingemann, Das neue Umwandlungsrecht und seine arbeitsrechtlichen Auswirkungen, NZA 1994, 1057; Berner/Klett, Die Aufteilung von Vertragsverhältnissen – Ein Beitrag zu mehr Rechtssicherheit bei umwandlungsrechtlichen Spaltungen, NZG 2008, 601; Birk, Arbeitsrechtliche Probleme der Betriebsaufspaltung, BB 1976, 1227; Blobel/Menz, Die Auswirkungen von Schuldner- und Gläubigerwechsel auf die Spaltungshaftung nach § 133 UmwG, NZG 2009, 608; Blumers, Ausgliederung und Spaltung und wesentliche Betriebsgrundlage, DB 1995, 496; Brinkmann, Die Spaltung von Rechtsträgern nach dem neuen Umwandlungsrecht: eine Analyse ihrer individualrechtlichen Folgen, Berlin (zugl. Diss. Göttingen 1998); Däubler, Das Arbeitsrecht im neuen Umwandlungsgesetz, RdA 1995, 136; Deinert, Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen und Folgen nationaler und transnationaler Umstrukturierungen von Betrieben und Unternehmen in Deutschland, RdA 2001, 368; Fichtelmann, Beendigung der Betriebsaufspaltung durch Konkurs der Betriebskapitalgesellschaft?, DStZ 1990, 257; Freytag, Die Auswirkungen der Spaltung auf die Rechte der Arbeitnehmer, Frankfurt/M. u.a. (zugl. Diss. Münster 2000); B. Gaul/B. Schmidt, Wirtschaftliche Vertretbarkeit eines Sozialplans im Konzern, DB 2014, 300; Geck, Die Spaltung von Unternehmen nach dem neuen Umwandlungsrecht, DStR 1995, 416; Hausch, Arbeitsrechtlichen Pflichtangaben nach dem UmwG (Teil I), RNotZ 2007, 308; Heckschen, Die Entwicklung des Umwandlungsrechts aus Sicht der Rechtsprechung und Praxis, DB 1998, 1385; Heidenhain, Fehlerhafte Umsetzung der Spaltungsrichtlinie, EuZW 1995, 327; Heidenhain, Spaltungsvertrag und Spaltungsplan, NJW 1995, 2873; Heinze, Arbeitsrechtliche Fragen bei der Übertragung und Umwandlung von Unternehmen, ZfA 1997, 1; Heiss, Gläubigerschutz bei der Unternehmensspaltung, DZWir 1993, 12; Henssler, Arbeitnehmerinformation bei Umwandlung und ihre Folgen im Gesellschaftsrecht, in Festschrift für Alfons Kraft, 1998, S. 219; Herbst, Arbeitsrecht im neuen Umwandlungsgesetz, AiB 1995, 5; Hill, Das neue Umwandlungsrecht und seine Auswirkungen auf die betriebliche Altersversorgung, BetrAV 1995, 114; Hohenstatt/Seibt, Ausgliederung laufender Pensionsverbindlichkeiten: Eine arbeits- und umwandlungsrechtliche Betrachtung, ZIP 2006, 546; Hönn, Dauer- und sonstige Schuldverhältnisse als Problem der Haftung aus-
Schewiola | 523
§ 13 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz geschiedener Gesellschafter unter Berücksichtigung des Gläubigerschutzes, ZHR 149 (1985), 300; Ihrig/Kranz, Zur Nachhaftung für Pensionsverbindlichkeiten bei der Spaltung – Zugleich ein Beitrag zu den Grenzen der zeitlichen Rückwirkung von Gesetzen, ZIP 2012, 749; Jaeger, Sicherheitsleistung für Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen bei Kapitalherabsetzung, Verschmelzung und Beendigung eines Unternehmensvertrages, DB 1996, 1069; Joost, Arbeitsrechtliche Angaben im Umwandlungsvertrag, ZIP 1995, 976; Kallmeyer, Das neue Umwandlungsgesetz, ZIP 1994, 1746; Kallmeyer, Spaltung nach neuem Umwandlungsgesetz: Anwendung des § 133 UmwG auf Arbeitnehmeransprüche?, ZIP 1995, 550; Kempermann, Grundstücke als wesentliche Betriebsgrundlage in der neuen Rechtsprechung zur Betriebsaufspaltung, FR 1993, 593; Kögel, Firmenrechtliche Besonderheiten des neuen Umwandlungsrechts, GmbHR 1996, 168; Kreßel, Arbeitsrechtliche Aspekte des neuen Umwandlungsbereinigungsgesetzes, BB 1995, 925; Krieger, Sicherheitsleistung für Versorgungsrechte?, in Festschrift für Rudolf Nirk, 1992, S. 551; Kruip, Betriebsrentenanpassung und Sozialplandotierung in Konzern und Umwandlung, Diss. Heidelberg 1997; Langohr-Plato, Neue haftungsrechtliche Aspekte in der betrieblichen Altersversorgung, BetrAV 1996, 81; Lingemann/Göpfert, Outsourcing als Betriebsänderung, NZA 1997, 383; Löwisch, Haftungsdurchgriff und Berechnungsdurchgriff bei Sozialplänen, 2015, 209; Luckey, Gewinnrealisierung bei der Betriebsaufspaltung?, DB 1979, 997; Lutter, Zur Reform von Umwandlung und Reform, ZGR 1990, 392; Maier-Reimer, Gesellschafteridentität in der umwandlungsrechtlichen Betriebsaufspaltung, Liber Amicorum für Wilhelm Happ, 2006, S. 151; Maier-Reimer, Nachhaftungsbegrenzung und neues Verjährungsrecht, DB 2002, 1818; Maier-Reimer/Bödefeld, Haftung für spaltungsbedingte Schulden, Liber Americorum Martin Winter, 2011, S. 453; Maier-Reimer/ Gsell, Schuldübergang und Haftung in der Spaltung, in Festschrift für Norbert Horn, 2006, S. 455; Märkle, Neue Rechtsprechung zur Betriebsaufspaltung, BB 1994, 831; Masing, Betriebliche Altersversorgung in der Unternehmensspaltung: der individuelle Schutz von unmittelbaren Versorgungszusagen in einer neuen Sukzessionsform (zugl. Diss. 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524 | Schewiola
Haftung bei Verschmelzung | Rz. 13.3 § 13 Abspaltung und Ausgliederung zur Aufnahme durch und zur Neugründung von Personenhandelsgesellschaften, Kapitalgesellschaften und Genossenschaften (zugl. Diss. Jena 1997); Wlotzke, Arbeitsrechtliche Aspekte des neuen Umwandlungsrechts, DB 1995, 40.
A. Haftung bei Verschmelzung Bei einer Verschmelzung geht gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG das Vermögen des übertragenden Rechtsträgers einschließlich der Verbindlichkeiten als Ganzes im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf einen bereits bestehenden Rechtsträger („Verschmelzung zur Aufnahme“, § 2 Nr. 1 UmwG) oder auf einen neu zu gründenden Rechtsträger („Verschmelzung zur Neugründung“, § 2 Nr. 2 UmwG) über. Die Verschmelzung wird mit der Eintragung in das Register des übernehmenden bzw. neu zu gründenden Rechtsträgers wirksam (§ 20 Abs. 1 UmwG). Der übertragende Rechtsträger erlischt ohne Liquidation kraft Gesetzes (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 UmwG). Anders als bei den in § 12 dargestellten Konstellationen stellt sich im Falle der Verschmelzung somit nicht die Frage der Haftung des übertragenden Rechtsträgers im Anschluss an die Vermögensübertragung (mit Ausnahme von § 25 Abs. 2 UmwG). Auch die umgekehrte Frage der Haftung des übernehmenden bzw. neu zu gründenden Rechtsträgers ist schnell beantwortet. Er übernimmt aufgrund der Gesamtrechtsnachfolge alle Verbindlichkeiten (vgl. Rz. 3.42 ff.).
13.1
Gleichwohl gibt es eine Reihe von Haftungsnormen im UmwG im Zusammenhang mit einer Verschmelzung. § 21 UmwG trägt dem Umstand Rechnung, dass der übertragende und der übernehmende Rechtsträger jeweils mit Dritten gegenseitige Verträge geschlossen haben, die nach Vollzug der Verschmelzung und infolge der eingetretenen Universalsukzession beeinträchtigt werden können. Gläubigerschutz wird durch § 22 UmwG in der Form vorgesehen, dass Gläubiger der an der Verschmelzung beteiligten Rechtsträger Sicherheitsleistung für ihre noch nicht fälligen Ansprüche verlangen können. § 23 UmwG will Inhaber von Sonderrechten aus dem übertragenden Rechtsträger vor der Verwässerung schützen.
13.2
I. Grundsatz der Haftung bei Gesamtrechtsnachfolge gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG Bei einer Verschmelzung geht gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG das Vermögen der übertragenden Rechtsträger als Ganzes kraft Gesetz und ohne gesonderten Übertragungsakt im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den übernehmenden oder neu gegründeten Rechtsträger über (vgl. Rz. 3.42 ff.). Die Gesamtrechtsnachfolge umfasst Verbindlichkeiten, Vermögenspositionen, also Aktiva und Passiva, sowie Besitzpositionen1. Es ist unerheblich, ob die Vermögenspositionen bekannt und bilanziell erfasst sind2. Einzelne Aktiva oder Passiva können von der Gesamtrechtsnachfolge nicht ausgenommen werden3. Ist dies gewünscht, muss über
1 KK/Simon, § 20 UmwG Rz. 18; Schmitt/Hörtnagl/Winter, § 20 UmwG Rz. 83; Semler/Stengel/Leonard/Leonard/Simon, § 20 UmwG Rz. 8; Henssler/Strohn/Heidinger, § 20 UmwG Rz. 4; Widmann/ Mayer/Vossius, § 20 UmwG Rz. 152. 2 Semler/Stengel/Leonard/Leonard/Simon, § 20 UmwG Rz. 8. 3 Lutter/Grunewald, § 20 UmwG Rz. 7; Schmitt/Hörtnagl/Winter, § 20 UmwG Rz. 29; Henssler/ Strohn/Heidinger, § 20 UmwG Rz. 7.
Schewiola | 525
13.3
§ 13 Rz. 13.3 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz
sie noch vor der konstitutiven Eintragung der Verschmelzung ins Handelsregister verfügt werden1.
13.4
Die Bestimmungen des § 20 UmwG sind unabdingbar. Bezüglich § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG bewirkt dies insbesondere, dass Einschränkungen der Haftung im Verschmelzungsvertrag nichtig sind2. Eine dem § 25 Abs. 2 HGB entsprechende Regelung kennt das UmwG nicht. Aus der Universalsukzession folgt also die unbeschränkte Haftung des übernehmenden Rechtsträgers für die Schulden jedes übertragenden Rechtsträgers mit seinem gesamten Vermögen.
13.5
Die bislang beim übertragenden Rechtsträger bestehenden Arbeitsverhältnisse gehen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge ebenfalls gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG auf den Erwerber über. Die Verschmelzung führt regelmäßig zu einem Betriebsübergang nach § 613a BGB. Diese Norm ist neben § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG anwendbar. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus § 324 UmwG, der allerdings eine Rechtsgrund- und keine Rechtsfolgenverweisung enthält (vgl. Rz. 10.172). Da es häufig nicht zu demselben Zeitpunkt zur Eintragung der Verschmelzung im Handelsregister und der Übernahme der Betriebsleitung als entscheidendem Merkmal des Betriebsübergangs kommt, kann der Betriebsübergang zeitlich schon vor der Verschmelzung vollzogen sein (vgl. Rz. 5.62).
13.6
Auf den alleinigen Rückgriff auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG kommt es bei Rechtsverhältnissen an, auf die § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB keine Anwendung findet. Dies ist z.B. der Fall bei bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmern3, bei freien Mitarbeitern oder bei Anstellungsverhältnissen mit Organmitgliedern des übertragenden Rechtsträgers – und zwar selbst dann, wenn die Verschmelzung zum Verlust der Organstellung führt (vgl. Rz. 14.32 ff.)4.
II. Wirkung der Verschmelzung auf gegenseitige Verträge nach § 21 UmwG 13.7
Treffen bei einer Verschmelzung aus gegenseitigen Verträgen, die zur Zeit der Verschmelzung von keiner Seite vollständig erfüllt sind, Abnahme-, Lieferungs- oder ähnliche Verpflichtungen zusammen, die miteinander unvereinbar sind oder die beide zu erfüllen eine schwere Unbilligkeit für den übernehmenden Rechtsträger bedeuten würde, bestimmt sich gemäß § 21 UmwG der Umfang der Verpflichtungen des übernehmenden Rechtsträgers nach Billigkeit unter Würdigung der vertraglichen Rechte aller Beteiligten.
13.8
§ 21 UmwG stellt eine besondere Ausprägung des Grundsatzes der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB – der neben § 21 UmwG anwendbar bleibt – dar5. Der Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass vertragliche Verpflichtungen des übertragenden Rechtsträgers gegenüber Dritten (dies ist nicht der übernehmende Rechtsträger) auf den übernehmenden Rechtsträger übergehen können, die mit dessen Verpflichtungen unvereinbar sind oder die beide zu erfüllen eine schwere Unbilligkeit für den übernehmenden Rechtsträger bedeuten würde6.
1 2 3 4 5 6
Semler/Stengel/Leonard/Leonard/Simon, § 20 UmwG Rz. 8. Semler/Stengel/Leonard/Leonard/Simon, § 20 UmwG Rz. 8, 11b. BAG v. 22.2.2005 – 3 AZR 499/03, NZA 2005, 639, 640 f. BAG v. 13.2.2003 – 8 AZR 654/01, NZA 2003, 552, 553 f. Kallmeyer/Marsch-Barner/Oppenhoff, § 21 UmwG Rz. 1. Henssler/Strohn/Carsten Müller, § 21 UmwG Rz. 1.
526 | Schewiola
Haftung bei Verschmelzung | Rz. 13.13 § 13
Keine Anwendung findet die Vorschrift aufgrund ihres klaren Wortlauts sowohl bei Verträgen zwischen Dritten und Tochterunternehmen des übertragenden bzw. übernehmenden Rechtsträgers1 als auch bei nicht gegenseitigen Verträgen, wie etwa Gesellschaftsverhältnissen2.
13.9
Bei den Verpflichtungen, von denen die Vorschrift ausgeht, handelt es sich um Primärpflichten und wesentliche Nebenpflichten, nicht dagegen um sonstige Sekundärpflichten3.
13.10
Unvereinbarkeit liegt vor, wenn die Erfüllung des einen Vertrages gerade die Erfüllung des anderen Vertrages vereitelt4. Ausreichend ist aber auch eine schwere Unbilligkeit. Wann eine solche vorliegt, ist im Einzelnen umstritten. Dabei geht die h.M. davon aus, dass eine nicht mehr hinnehmbare Belastung von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung vorliegen soll5. Hauptanwendungsbereich dieser Vorschrift sind somit vertragliche Wettbewerbsverbote6 und Wettbewerbsabreden sowie Exklusiv-Bezugs- oder Vertriebsrechte7. Umstritten ist, ob Verträge, die auf die Erbringung von reinen Dienstleistungen gerichtet sind, „ähnliche Verpflichtungen“ betreffen und somit dem Anwendungsbereich der Vorschrift unterfallen8. Zu denken ist dabei z.B. an unternehmensspezifische Leistungen an Arbeitnehmer (Deputate, Rabatte etc.).
13.11
Als Rechtsfolge bestimmt sich der Umfang der Verpflichtungen des übernehmenden Rechtsträgers nach Billigkeit unter Würdigung der vertraglichen Rechte aller Beteiligten. Möglich ist also, einen Vertrag bzw. beide kollidierenden Verträge so abzuändern, dass die Unvereinbarkeit oder schwere Unbilligkeit entfällt. Sinn und Zweck der Vorschrift verlangen ein pragmatisches Vorgehen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls sowie unter Würdigung der vormaligen Rechtsposition aller Beteiligten9. Es soll vermieden werden, dass negative Auswirkungen einer Verschmelzung ohne Weiteres auf Dritte abgewälzt werden10.
13.12
III. Sicherheitsleistungen nach § 22 UmwG Vor der Verschmelzung stehen den Gläubigern des übertragenden und des übernehmenden Rechtsträgers die Vermögensmassen ihres jeweiligen Vertragspartners zur Erfüllung der Verbindlichkeiten als Sicherheit zur Verfügung. Mit der Verschmelzung gibt es nur noch eine Vermögensmasse für alle Gläubiger, und zwar die des übernehmenden Rechtsträgers, der nunmehr für alle Verbindlichkeiten haftet. Dies stellt ein Risiko für alle Gläubiger dar. § 22 UmwG verleiht den Gläubigern daher die Möglichkeit, Sicherheitsleistung für ihre noch nicht fälligen Ansprüche vom übernehmenden Rechtsträger zu verlangen. Dieses Recht haben so-
1 Lutter/Grunewald, § 21 UmwG Rz. 6; a.A. Kallmeyer/Marsch-Barner/Oppenhoff, § 21 UmwG Rz. 2. 2 Lutter/Grunewald, § 21 UmwG Rz. 2 i.V.m. Rz. 4 und 9; a.A. Semler/Stengel/Leonard/Leonard, § 21 UmwG Rz. 3. 3 Henssler/Strohn/Carsten Müller, § 21 UmwG Rz. 5. 4 Schmitt/Hörtnagl/Winter, § 21 UmwG Rz. 8. 5 So Kallmeyer/Marsch-Barner/Oppenhoff, § 21 UmwG Rz. 5. Zu den anderen vertretenen Ansichten vgl. Schmitt/Hörtnagl/Winter, § 21 UmwG Rz. 9 m.w.N. 6 Widmann/Mayer/Vossius, § 21 UmwG Rz. 6. 7 Schmitt/Hörtnagl/Winter, § 21 UmwG Rz. 3. Gegen eine zu enge Auslegung des Anwendungsbereichs der Vorschrift, vgl. auch Semler/Stengel/Leonard/Leonard, § 21 UmwG Rz. 4. 8 Für eine enge Auslegung des Anwendungsbereichs der Vorschrift: Böttcher/Habighorst/Schulte/ Schulte, § 21 UmwG Rz. 2. Für eine weite Auslegung vgl. Widmann/Mayer/Vossius, UmwG § 21 Rz. 6 und 9; Lutter/Grunewald, § 21 UmwG Rz. 4. 9 Schmitt/Hörtnagl/Winter, § 21 UmwG Rz. 10. 10 Semler/Stengel/Leonard/Leonard, § 21 UmwG Rz. 7.
Schewiola | 527
13.13
§ 13 Rz. 13.13 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz
wohl die Gläubiger des übertragenden als auch die des übernehmenden Rechtsträges. Für die grenzüberschreitende Verschmelzung (z.B. zur Gründung einer SE) trifft § 122j UmwG eine Sonderregelung.
1. Art des gesicherten Anspruchs 13.14
§ 22 UmwG erfasst nur solche Ansprüche, die vor der Verschmelzung begründet wurden. Denn wird der Anspruch erst nach diesem Zeitpunkt begründet, kann der Gläubiger keinen Nachteil durch die Verschmelzung erleiden1.
13.15
Umstritten ist, ob für die Abgrenzung auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Verschmelzung durch Eintragung (§ 20 Abs. 1 UmwG) oder auf die Bekanntmachung der Eintragung (§ 19 Abs. 3 UmwG) abzustellen ist. Überwiegend wird davon ausgegangen, dass auf die Eintragung abzustellen ist, denn bereits zu diesem Zeitpunkt können Verbindlichkeiten nur noch mit dem verschmolzenen Rechtsträger begründet werden. § 15 Abs. 1 HGB bietet einen ausreichenden Schutz für Gläubiger, die mangels Bekanntmachung davon ausgehen, Ansprüche gegen einen nicht verschmolzenen Rechtsträger erworben zu haben2.
13.16
Der Rechtsgrund der Forderung ist unerheblich. Erfasst werden alle schuldrechtlichen Ansprüche, d.h. auch solche aus einem Arbeitsverhältnis. Zu denken ist insbesondere an Vergütungsansprüche (Gehalt, Boni, Tantieme, Sonderzahlungen etc.). Das Recht auf Sicherheitsleistung besteht nicht nur bei Geldforderungen. Es wird überwiegend angenommen, dass dingliche Rechte auch einbezogen werden3. Da hier das Recht selbst aber schon die Sicherheit darstellt, ist praktisch keine Gefährdung der Erfüllung gegeben4. Rechte aus dem Gesellschaftsverhältnis werden dagegen grundsätzlich nicht von § 22 UmwG erfasst5. Anders kann dies lediglich bei konkreten vor der Verschmelzung entstandenen und die Verschmelzung überdauernden Ansprüchen sein (z.B. Dividendenansprüche)6. Rechte, die unter § 23 UmwG fallen, werden nicht durch § 22 UmwG geschützt7.
2. Gefährdung der Erfüllung 13.17
Der jeweilige Gläubiger muss gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 UmwG glaubhaft machen, dass die Erfüllung des Anspruchs durch die Verschmelzung gefährdet ist. Anlass hierfür können z.B. die neue Rechtsform und Kapitalstruktur des übernehmenden Rechtsträgers, eine verringerte Liquidität, fehlendes Know-how durch den Wegfall gewerblicher Schutzrechte und/oder Li-
1 Henssler/Strohn/Carsten Müller, § 22 UmwG Rz. 4. 2 Henssler/Strohn/Carsten Müller, § 22 UmwG Rz. 4; Schmitt/Hörtnagl/Winter, § 22 UmwG Rz. 6; Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 22 UmwG Rz. 12 m.w.N; a.A. Kallmeyer/Marsch-Barner/Oppenhoff, § 22 UmwG Rz. 3, wonach die Sechs-Monats-Frist im Zeitpunkt der Bekanntmachung der Verschmelzung beginnt. 3 Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 22 UmwG Rz. 7 m.w.N. 4 Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 22 UmwG Rz. 7; Widmann/Mayer/Vossius, § 22 UmwG Rz. 17; einschr. Lutter/Grunewald, § 22 UmwG Rz. 29. 5 Semler/Stengel/Maier-Reimer/Seulen, § 22 UmwG Rz. 6; Henssler/Strohn/Carsten Müller, § 22 UmwG Rz. 6. 6 Henssler/Strohn/Carsten Müller, § 22 UmwG Rz. 6; Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 22 UmwG Rz. 6. 7 Henssler/Strohn/Carsten Müller, § 22 UmwG Rz. 6.
528 | Schewiola
Haftung bei Verschmelzung | Rz. 13.23 § 13
zenzen oder Produktivitätsengpässe nach einer Abtrennung und Übertragung produzierender Bereiche sein1. Notwendig ist eine konkrete Gefährdung der Erfüllung2. Für die Glaubhaftmachung können alle Beweismittel verwendet werden. Auch eine eidesstattliche Versicherung ist zulässig (§ 294 ZPO)3.
13.18
Dass die Gefährdung schon im Verschmelzungszeitpunkt gegeben sein muss4, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Es genügt, wenn sie innerhalb der Sechs-Monats-Frist des § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwG eintritt und formgerecht geltend gemacht wird.
13.19
Ein Anspruch auf Sicherheitsleistung ist nicht gegeben, wenn der Gläubiger Befriedigung verlangen kann (§ 22 Abs. 1 Satz 1 UmwG). Dies gilt vor allem bei Fälligkeit, selbst wenn der verpflichtete Rechtsträger nicht bereit ist, die Forderung zu erfüllen. Hier muss ggf. versucht werden, den Anspruch gerichtlich durchzusetzen5. Dies gilt auch dann, wenn ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht wird6. Allerdings ist der Gläubiger nicht gezwungen, die Fälligkeit herbeizuführen, wenn dies für ihn mit Nachteilen verbunden ist7. Außerdem ist der Anspruch auf Sicherheitsleistung auf der Grundlage des § 22 UmwG ausgeschlossen, wenn der Schuldner bereits ausreichend Sicherheit geleistet hat8.
13.20
3. Art und Umfang der Sicherheitsleistung Die Sicherheit ist gemäß den §§ 232 bis 240 BGB zu leisten. Die Wahl zwischen den verschiedenen Sicherungsmöglichkeiten steht dem Sicherheitsleistenden zu. Grundsätzlich ist der Wert des zu sichernden Anspruchs bzw. das konkrete Sicherheitsbedürfnis für die Höhe der Sicherheit maßgeblich9.
13.21
Bei zeitlich unbefristeten Dauerschuldverhältnissen ist eine Einschränkung des Anspruchs auf Sicherheitsleistung bis zum nächstmöglichen Kündigungszeitpunkt i.S.d. Kündigungstheorie zur Nachhaftungsbegrenzung nicht gerechtfertigt. Ob der Schuldner kündigt, steht zunächst nicht fest. Kündigt er, kann die schon erbrachte Sicherheitsleistung herabgesetzt werden10.
13.22
4. Form und Frist Der Anspruch auf Sicherheitsleistung muss schriftlich binnen sechs Monaten nach dem Tag, an dem die Verschmelzung an dem Sitz des Rechtsträgers gemäß § 19 Abs. 3 UmwG als be-
1 Vgl. zu Fallgruppen/Beispielen einer Gefährdung: Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 22 UmwG Rz. 21 ff.; Kallmeyer/Marsch-Barner/Oppenhoff, § 22 UmwG Rz. 7. 2 BGH v. 26.4.2002 – LwZR 20/01, NJW 2002, 2168. 3 Henssler/Strohn/Carsten Müller, § 22 UmwG Rz. 10. 4 So K. Schmidt, ZGR 1993, 366, 388. 5 Vgl. OLG Celle v. 2.11.1988 – 9 U 54/88, BB 1989, 868 f. (zu § 26 KapErhG). 6 Widmann/Mayer/Vossius, § 22 UmwG Rz. 39; Kallmeyer/Marsch-Barner/Oppenhoff, § 22 UmwG Rz. 8. 7 Henssler/Strohn/Carsten Müller, § 22 UmwG Rz. 7. 8 Henssler/Strohn/Carsten Müller, § 22 UmwG Rz. 9. 9 Vgl. BGH v. 18.3.1996 – II ZR 299/94, NJW 1996, 1539. 10 Henssler/Strohn/Carsten Müller, § 22 UmwG Rz. 13; Lutter/Grunewald, § 22 UmwG Rz. 24; anders: Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 22 UmwG Rz. 47 m.w.N. und Rz. 70, der an der Anwendung der Kündigungstheorie festhält.
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13.23
§ 13 Rz. 13.23 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz
kannt gemacht gilt, nach Grund und Höhe angemeldet werden. Wenn Ansprüche gegenüber verschiedenen Rechtsträgern bestehen, kann die Frist einen unterschiedlichen Lauf haben1. Grund und Höhe müssen substantiiert dargelegt werden. Ausnahmsweise kann die Höhe geschätzt werden, wenn sie noch nicht feststeht2. Schäden, die erst nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist eintreten, sollen keine Berücksichtigung finden3. Bei einem Bestreiten der Ansprüche müssen Grund und Höhe der Forderung durch den Gläubiger dargelegt und bewiesen werden. Hier reicht eine Glaubhaftmachung nicht aus; sie ist lediglich bzgl. der Gefährdung der Erfüllung durch die Verschmelzung, nicht aber in Bezug auf das Bestehen der Forderung selbst möglich4.
13.24
Da es sich um eine Ausschlussfrist handelt, führt ein Überschreiten der Frist zu einem Wegfall des Rechts auf Sicherheitsleistung5. Als fristwahrend wird angesehen, wenn die Anmeldung bei dem ggf. schon erloschenen Rechtsträger erfolgt6.
5. Ausschluss bei anderweitigen Sicherungen 13.25
Gläubiger, die über eine andere, wirtschaftlich gleichwertige Sicherheit verfügen, haben mangels Gefährdung nach § 22 Abs. 1 Satz 2 UmwG keinen Anspruch auf Sicherung gemäß § 22 Abs. 1 UmwG7. Dies gilt auch bzgl. Forderungen, für die eine Sicherheit nach § 232 BGB bestellt wurde8. Streitig ist, ob eine ausreichende Sicherheit durch einen Dritten den Anspruch aus § 22 UmwG ausschließt9.
13.26
Grundsätzlich besteht das Recht auf Sicherheitsleistung auch im Rahmen der Insolvenz. Eine Ausnahme hiervon macht § 22 Abs. 2 UmwG indes dann, wenn der Gläubiger für den Fall der Insolvenz des Schuldners ein Recht auf vorzugsweise Befriedigung aus einer Deckungsmasse hat, die nach gesetzlicher Vorschrift zu seinem Schutz errichtet ist und staatlich überwacht wird. Dies betrifft die Deckungsmasse nach § 30 PfandBG und das Sicherungsvermögen nach § 130 VAG.
6. Ansprüche und Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung 13.27
Für Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung, die in den Anwendungsbereich des Betriebsrentengesetzes fallen und darüber hinaus – was individuell mit Blick auf die Vorgaben in §§ 1, 7 BetrAVG festgestellt werden muss – Insolvenzschutz genießen, kann grundsätzlich keine Sicherheitsleistung nach § 22 Abs. 1 UmwG verlangt werden. Hier besteht Schutz durch die Eintrittspflicht des PSV gemäß §§ 7, 14 BetrAVG, so dass ein Schutz nach § 22 Abs. 1 UmwG bereits mangels Gefährdung (§ 22 Abs. 1 Satz 2 UmwG) überflüssig wäre10. 1 Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 22 UmwG Rz. 38. 2 So Henssler/Strohn/Carsten Müller, § 22 UmwG Rz. 11; Schmitt/Hörtnagl/Winter, § 22 UmwG Rz. 8. 3 Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 22 UmwG Rz. 40. 4 Henssler/Strohn/Carsten Müller, § 22 UmwG Rz. 11. 5 Kallmeyer/Marsch-Barner/Oppenhoff, § 22 UmwG Rz. 5. 6 So Kallmeyer/Marsch-Barner/Oppenhoff, § 22 UmwG Rz. 5. 7 Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 22 UmwG Rz. 60. 8 Vgl. Lutter/Grunewald, § 22 UmwG Rz. 27; Rittner, FS Oppenhoff, S. 317, 322; Kallmeyer/MarschBarner/Oppenhoff, § 22 UmwG Rz. 10; Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 22 UmwG Rz. 60. 9 Dafür: Lutter/Grunewald, § 22 UmwG Rz. 28; dagegen: KK/Simon, § 22 UmwG Rz. 41. 10 Vgl. BT-Drucks. 12/6699, S. 92; BAG v. 11.3.2008 – 3 AZR 358/06, WM 2009, 27; Semler/Stengel/ Leonard/Seulen, § 22 UmwG Rz. 59 m.w.N.; BGH v. 30.7.1996 – 3 AZR 397/95, NZA 1997, 436,
530 | Schewiola
Haftung bei Verschmelzung | Rz. 13.32 § 13
Eine Sicherheitsleistung nach § 22 Abs. 1 UmwG kann aber verlangt werden, wenn die von einer Insolvenz betroffenen Arbeitnehmer nur verfallbare bzw. lediglich vertraglich unverfallbare und damit nicht insolvenzgeschützte Versorgungsanwartschaften haben1. Mit Blick auf § 7 Abs. 3 BetrAVG wird man einen solchen Anspruch auf Sicherheitsleistung auch für den Teil einer Versorgungsleistung anerkennen müssen, der im Monat das Dreifache der im Zeitpunkt der ersten Fälligkeit maßgebenden monatlichen Bezugsgröße gemäß § 18 SGB IV überschreitet, da auch insoweit kein Insolvenzschutz besteht2. Dagegen scheidet eine Sicherheitsleistung nach § 22 UmwG in Bezug auf eine mögliche künftige Rentenanpassung nach § 16 BetrAVG aus. Denn hierbei handelt es sich nur um eine Erwartung, deren Realisierung unsicher ist3. Daran ändert auch nichts, dass der PSV für eine Anpassung nach § 16 BetrAVG nicht einsteht.
13.28
Bei einem Anspruch auf Kapitalleistungen und im Falle einer Entgeltumwandlung sind die gesetzlichen Sonderbestimmungen maßgeblich4.
13.29
Statthaft ist das Verlangen nach Sicherheitsleistung in jedem Fall dann, wenn Ansprüche auf Altersversorgung von Unternehmer, Allein- oder Mehrheitsgesellschaftern oder Mehrheitsgesellschafter-Geschäftsführer von GmbH geltend gemacht werden5. Denn auf diesen Personenkreis findet das Betriebsrentengesetz gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG keine Anwendung. Damit entfällt auch eine Absicherung durch den PSV6.
13.30
IV. Inhaber von Sonderrechten nach § 23 UmwG § 23 UmwG dient dem Schutz von Inhabern von Rechten in einem übertragenden Rechtsträger, die kein Stimmrecht gewähren. Die Vorschrift will eine Verwässerung von diesen Inhabern dadurch vermeiden, dass ihnen gleichwertige Rechte in dem übernehmenden Rechtsträger zu gewähren sind. Maßgeblich für die Gleichwertigkeit ist eine wirtschaftliche Betrachtungsweise7. Soweit Inhaber von Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und von Genussrechten betroffen sind, kann § 23 UmwG als besondere Ausgestaltung des allgemeinen Gläubigerschutzes von § 22 UmwG angesehen werden8.
13.31
Die Vorschrift erfasst keine rein schuldrechtlichen Gläubigerrechte. Gewinnabhängige Ansprüche aus einem Anstellungsvertrag, wie z.B. eine Tantieme oder Stock Options, fallen daher nicht unter § 23 UmwG9.
13.32
1 2 3 4 5 6 7 8 9
438; Lutter/Grunewald, § 22 UmwG Rz. 26; Kallmeyer/Marsch-Barner/Oppenhoff, § 22 UmwG Rz. 10; Widmann/Mayer/Vossius, § 22 UmwG Rz. 42; Wessels, ZIP 2010, 1417, 1419. ErfK/Steinmeyer, § 7 BetrAVG Rz. 5; Langohr-Plato, Betriebliche Altersversorgung, Rz. 1763. ErfK/Steinmeyer, § 7 BetrAVG Rz. 5; Langohr-Plato, Betriebliche Altersversorgung, Rz. 1763. WHSS/Schnitker, Umstrukturierung, J Rz. 615. Vgl. Langohr-Plato, Betriebliche Altersversorgung, Rz. 475 ff.; abl. Freytag, Spaltung, S. 137 ff. Langohr-Plato, Betriebliche Altersversorgung, Rz. 1875. ErfK/Steinmeyer, § 17 BetrAVG Rz. 9. BGH v. 28.5.2013 – II ZR 67/12, NZG 2013, 987, 991; KK/Simon, § 23 UmwG Rz. 18 m.w.N. Schmitt/Hörtnagl/Winter, § 23 UmwG Rz. 3. Kallmeyer/Marsch-Barner/Oppenhoff, § 23 UmwG Rz. 3; vgl. zur Abspaltung und Ausgliederung aber: Wilhelm, NZG 2011, 1211 ff.
Schewiola | 531
§ 13 Rz. 13.33 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz
13.33
Der Schutz aus § 23 UmwG ist im Verschmelzungsvertrag unabdingbar1. Unklar ist allerdings, ob in den Anleihebedingungen Abweichendes vereinbart werden kann2.
V. Gläubigerschutz durch Schadensersatzpflicht der Verwaltungsträger des übertragenden Rechtsträgers nach § 25 UmwG 13.34
Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 UmwG sind die Mitglieder des Vertretungsorgans bzw. des Aufsichtsorgans eines übertragenden Rechtsträgers als Gesamtschuldner zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den dieser Rechtsträger (nicht der übernehmende Rechtsträger), seine Anteilsinhaber oder seine Gläubiger durch die Verschmelzung erleiden.
13.35
Die Haftung setzt ein Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) voraus. Wenn die Mitglieder dieser Organe bei der Prüfung der Vermögenslage der Rechtsträger und beim Abschluss des Verschmelzungsvertrags ihre Sorgfaltspflicht beachtet haben, scheidet eine Haftung aus (§ 25 Abs. 1 Satz 2 UmwG).
13.36
Anspruchsberechtigt ist nach § 25 Abs. 1 Satz 1 UmwG auch der (bereits erloschene) übertragende Rechtsträger. § 25 Abs. 2 UmwG sieht dafür die Fiktion des Fortbestehens des übertragenden Rechtsträgers vor. Die betroffenen Ansprüche sind damit von dem Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 UmwG und dem Übergang des Vermögens auf den übernehmenden Rechtsträger nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG ausgeschlossen3. Geltend gemacht werden kann der Anspruch nach § 26 UmwG durch einen besonderen Vertreter. Gläubiger können auch Arbeitnehmer sein. Diese können insbesondere dann einen Schaden erleiden, wenn sie sich durch die Verschmelzung einem zahlungsunfähigen übernehmenden Rechtsträger gegenübersehen4. Dafür kommen grundsätzlich alle finanziellen Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis in Betracht. Allerdings ist zuvor die vorrangige Vorschrift des § 22 UmwG zu prüfen. Ein Schaden besteht daher nicht, wenn Sicherheitsleistungen gewährt werden können5.
13.37
Schadensersatzansprüche nach § 25 Abs. 1 UmwG verjähren nach § 25 Abs. 3 UmwG in fünf Jahren seit dem Tage, an dem die Eintragung der Verschmelzung in das Register des Sitzes des übernehmenden Rechtsträgers nach § 19 Abs. 3 UmwG bekannt gemacht worden ist. Auf die Kenntnis des Berechtigten kommt es dabei nicht an6. Für Ansprüche nach § 25 Abs. 2 UmwG gilt die Verjährungsfrist nach § 25 Abs. 3 UmwG ihrem eindeutigen Wortlaut zufolge nicht. Insofern gelten die allgemeinen Verjährungsbestimmungen des BGB. Vertragliche Ausschlussfristen finden grundsätzlich Anwendung.
1 Schmitt/Hörtnagl/Winter, § 23 UmwG Rz. 15; Semler/Stengel/Leonard/Kalss, § 23 UmwG Rz. 3. 2 Dafür: Kallmeyer/Marsch-Barner/Oppenhoff, § 23 UmwG Rz. 9; Widmann/Mayer/Vossius, § 23 UmwG Rz. 2, 46 ff.; Schmitt/Hörtnagl/Winter, § 23 UmwG Rz. 15. Dagegen: Lutter/Grunewald, § 23 UmwG Rz. 24. 3 Henssler/Strohn/Carsten Müller, § 25 UmwG Rz. 19. 4 BAG v. 11.3.2008 – 3 AZR 358/06, WM 2009, 27. 5 Henssler/Strohn/Carsten Müller, § 25 UmwG Rz. 8; Schmitt/Hörtnagl/Winter, § 25 UmwG Rz. 13. 6 Henssler/Strohn/Carsten Müller, § 25 UmwG Rz. 13.
532 | Schewiola
Haftung bei Verschmelzung | Rz. 13.41 § 13
VI. Haftung aufgrund fehlerhafter oder unzureichender Angaben im Verschmelzungsvertrag § 5 UmwG regelt den Mindestinhalt des Verschmelzungsvertrags. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 UmwG muss der Vertrag oder sein Entwurf (§ 4 Abs. 2 UmwG) die Folgen der Verschmelzung für die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen sowie die insoweit vorgesehenen Maßnahmen beinhalten. Der Sinn und Zweck dieser Vorgabe besteht darin, die Arbeitnehmer und insbesondere ihre Vertretungen möglichst frühzeitig über die individual- und kollektivarbeitsrechtlichen Folgen der Verschmelzung zu informieren, um bereits im Vorfeld eine möglichst sozialverträgliche Durchführung der Verschmelzung zu ermöglichen (vgl. Rz. 3.20 und 26.13 ff.).
13.38
Der konkrete Inhalt und Umfang der Information im Verschmelzungsvertrag ist umstritten (vgl. Rz. 26.15 ff.). Für die Frage der Haftung ist relevant, ob die arbeitsrechtlichen Angaben einen rechtsbegründenden Charakter haben, also Arbeitnehmern und/oder dem Betriebsrat im Falle fehlerhafter oder unzureichender Angaben vertragliche Ansprüche bzw. Schadensersatzansprüche erwachsen können (vgl. Rz. 26.166 ff.).
13.39
Beispiel: Im Verschmelzungsvertrag wird zu Unrecht von einer kündigungsrechtlichen Bestandssicherung nach § 323 UmwG ausgegangen.
Weder der einzelne Arbeitnehmer noch der Betriebsrat ist Partei des Verschmelzungsvertrages. Vertragliche Ansprüche könnten daher nur entstehen, soweit in dem Verschmelzungsvertrag ein Vertrag zugunsten Dritter gemäß § 328 BGB zu sehen wäre1. Davon ist aber nicht auszugehen. Die Informationspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 UmwG ist eine gesellschaftsrechtliche Besonderheit, die die arbeitsrechtlichen Verhältnisse unberührt lässt. Die Angaben im Verschmelzungsvertrag haben einen reinen informativen Wert; sie sind als Wissenserklärungen einzustufen2. Ein Wille der Vertragsparteien des Verschmelzungsvertrages zur Begründung von Ansprüchen Dritter ist daher grundsätzlich abzulehnen. Allerdings ist es den Parteien unbenommen, rechtsbegründende Ansprüche im Verschmelzungsvertrag zu schaffen. Diese müssen allerdings zweifelsfrei aus dem Verschmelzungsvertrag hervorgehen3.
13.40
Beispiel: „Hiermit wird garantiert, dass die betroffenen Arbeitnehmer für das Jahr 2015 einen Bonus von einem Bruttomonatsgehalt erhalten werden“. Oder: „Der übernehmende Rechtsträger wird ein Jahr nach dem Wirksamwerden der Verschmelzung keine ordentlichen Kündigungen aussprechen“.
Auch Schadensersatzansprüche scheiden grundsätzlich aus. Bei einem Verstoß gegen die Bestimmungen des § 5 Abs. 1 Nr. 7 UmwG kann ein Anspruch auf Schadensersatz der betroffenen Arbeitnehmer gegen ein Organmitglied aus § 25 UmwG bestehen4.
1 KK/Hohenstatt/Schramm, § 5 UmwG Rz. 210. 2 Semler/Stengel/Leonard/Schröer/Greitemann, § 5 UmwG Rz. 79; Schmitt/Hörtnagl/Langner, § 5 UmwG Rz. 91 ff. 3 Däubler, RdA 1995, 138; KK/Hohenstatt/Schramm, § 5 UmwG Rz. 210. 4 Henssler/Strohn/Heidinger, § 5 UmwG Rz. 28; Schmitt/Hörtnagl/Langner, § 5 UmwG Rz. 114.
Schewiola | 533
13.41
§ 13 Rz. 13.42 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz
13.42
§ 613a Abs. 5 BGB sowie weitere allgemeine arbeitsrechtliche Unterrichtungspflichten – etwa aus § 80 Abs. 2, § 106 Abs. 2 und § 111 BetrVG1 – bleiben von § 5 UmwG unberührt2.
B. Haftung bei Spaltung 13.43
Das UmwG sieht in § 123 drei Arten der Spaltung eines Rechtsträgers vor: die Aufspaltung (§ 123 Abs. 1 UmwG), die Abspaltung (§ 123 Abs. 2 UmwG) sowie die Ausgliederung (§ 123 Abs. 3 UmwG). Die Spaltung kann zur Aufnahme (§ 126 UmwG) oder zur Neugründung (§ 135 UmwG) erfolgen. Während der übertragende Rechtsträger bei der Aufspaltung aufgrund der Übertragung seines Gesamtvermögens erlischt, bleibt er bei der Abspaltung und Ausgliederung, durch die nur Vermögensteile auf Dritte übertragen werden, erhalten (vgl. Rz. 3.55 f.). Diese Unterscheidung ist bei der Frage der Haftung der an einer Spaltung beteiligten Rechtsträger zu berücksichtigen.
13.44
Die Spaltung führt zu einer partiellen Gesamtrechtsnachfolge (vgl. Rz. 3.6); die Vermögensteile gehen als Ganzes auf den/die Erwerber über. Es bedarf keiner Einzelübertragung. Die Gläubiger der an der Spaltung beteiligten Rechtsträger müssen diesem Vorgang, d.h. insbesondere dem Übergang ihrer Vertragsverhältnisse zu dem übernehmenden Rechtsträger, nicht zustimmen3. Der Gesetzgeber hat daher im UmwG eine Reihe besonderer Haftungsregelungen zum Schutz der Gläubiger geschaffen. Die Haftung nach den §§ 133, 134 UmwG bildet dabei den Kern der gesetzlichen Regelungen. Diese Haftungsregelungen sind insbesondere, aber nicht ausschließlich, in ein Verhältnis zu der Haftung bei einem Betriebsübergang nach § 613a Abs. 2 BGB zu setzen. Die Haftung nach den §§ 133, 134 UmwG führt etwa vor allem in zeitlicher Hinsicht zu einer erheblichen Ausweitung der Haftung des übertragenden Rechtsträgers gegenüber § 613a Abs. 2 BGB.
I. Übernahme von Verbindlichkeiten gemäß § 133 UmwG 13.45
§ 133 Abs. 1 Satz 1 UmwG begründet als Folge einer Spaltung eine gesamtschuldnerische Haftung der an der Spaltung beteiligten Rechtsträger. Insoweit besteht hinsichtlich der Rechtsfolge Übereinstimmung mit § 613a Abs. 2 BGB (vgl. Rz. 26.260 ff.). Mit Blick auf die Vorgaben aus der Spaltungsrichtlinie wurde die noch im Referentenentwurf zum Ausdruck gekommene Absicht, die Absicherung bei nicht fälligen Verbindlichkeiten auf einen Anspruch auf Sicherheitsleistung zu begrenzen4, nicht umgesetzt. Vielmehr ist der Gesetzgeber zum Schutz der Gläubiger den Weg einer primären Haftung aller Rechtsträger gegangen, die nicht summenmäßig – so z.B. § 11 SpTrUG – sondern nur zeitmäßig begrenzt wird. Der Anspruch auf Sicherheitsleistung besteht losgelöst davon nach §§ 22 f., 125, 133 Abs. 1 Satz 2 UmwG (vgl. Rz. 13.74 ff.).
13.46
Die gesamtschuldnerische Haftung hat aus Sicht der Gläubiger des übertragenden Rechtsträgers den Vorteil, dass nicht nur das gesamte Vermögen des übertragenden Rechtsträgers, wenn auch auf die Hände verschiedener Rechtsträger verteilt, zur Verfügung steht. Da die Haftung
1 § 5 Abs. 1 Nr. 9 UmwG soll gerade den Betriebsrat in die Lage versetzen, seine Rechte nach dem BetrVG wirkungsvoll auszuüben, s. Gaul, DB 1995, 2265, m.w.N. 2 Schmitt/Hörtnagl/Langner, § 5 UmwG Rz. 91 ff.; Semler/Stengel/Leonard/Schröer/Greitemann, § 5 UmwG Rz. 80. 3 Berner/Klett, NZG 2008, 601. 4 Krit. Heiss, DZWIR 1993, 12, 17 ff.
534 | Schewiola
Haftung bei Spaltung | Rz. 13.51 § 13
der übernehmenden Rechtsträger nicht auf das durch die Spaltung übertragene Nettoaktivvermögen begrenzt wurde1, kann bei der Spaltung zur Aufnahme von Seiten der Gläubiger sogar auf das beim aufnehmenden Rechtsträger bereits vorhandene Aktivvermögen zurückgegriffen werden. Die gesamtschuldnerische Haftung gilt auch für Inhaber von Sonderrechten, die kein Stimmrecht gewähren (z.B. Inhaber von Anteilen ohne Stimmrecht, von Wandelschuldverschreibungen, von Gewinnschuldverschreibungen und von Genussrechten). Das folgt aus § 133 Abs. 2 Satz 1, §§ 125, 23 UmwG. Die gleichwertigen Rechte können bei einer Abspaltung oder Ausgliederung auch vom übertragenden Rechtsträger gewährt werden (§ 133 Abs. 2 Satz 2 UmwG). Bei einer Ausgliederung aus dem Vermögen eines Einzelkaufmanns gelten die §§ 156, 157 UmwG.
13.47
1. Erfasste Ansprüche a) Art der von § 133 UmwG erfassten Verbindlichkeiten „Verbindlichkeiten“ i.S.v. § 133 Abs. 1 Satz 1 UmwG sind Verpflichtungen jeder Art, also Ansprüche aus Vertrag, aus Gesetz (auch Steuerverbindlichkeiten), Delikt oder aus einem Verwaltungsakt2. Auch Unterlassungs- und Duldungspflichten sind Verbindlichkeiten, die alle beteiligten Rechtsträger treffen, da nur dadurch Umgehungen der Haftung verhindert werden können3. Außerdem erstreckt sich die Haftung auf Sekundärverpflichtungen wie Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder Ansprüche wegen Schlechterfüllung oder Unmöglichkeit4.
13.48
b) Begründung der Verbindlichkeit vor dem Wirksamwerden der Spaltung Die gesamtschuldnerische Haftung ist begrenzt auf Ansprüche, die vor dem Wirksamwerden der Spaltung – also der Eintragung in das Handelsregister am Sitz des übertragenden Rechtsträgers (§§ 130, 131 UmwG) – begründet wurden5.
13.49
Wann Verbindlichkeiten „begründet“ wurden, definiert § 133 UmwG nicht. Unter Berücksichtigung des Zwecks der Vorschrift kann eine Parallele zu § 319 Satz 1 UmwG („entstandene Verbindlichkeiten“), § 613a Abs. 2 BGB („entstandene“ Verpflichtungen) und zur Nachhaftung des ausgeschiedenen persönlich haftenden Gesellschafters in § 160 HGB („begründeten Verbindlichkeiten“) gezogen werden. Vergleichbarkeit besteht insoweit auch zu den Regelungen zum Schutz der Gläubiger bei einer Kapitalherabsetzung in der Aktiengesellschaft, bei denen – wie bei § 22 UmwG – eine Begründung des Anspruchs vor der Umsetzung der die Erfüllung des Anspruchs gefährdenden Maßnahme verlangt wird.
13.50
Begründet ist eine Verbindlichkeit folglich dann, wenn ein Rechtsgrund dafür gesetzt ist, dass ein anderer ein Tun oder Unterlassen verlangen kann6. Es müssen noch nicht alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sein7. Der Anspruch kann befristet oder an eine Bedingung geknüpft
13.51
1 2 3 4 5 6
Hierzu vgl. Heiss, DZWIR 1993, 12, 15. Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 133 UmwG Rz. 13 f. Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 133 UmwG Rz. 9. Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 133 UmwG Rz. 13. Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 133 UmwG Rz. 11. Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 133 UmwG Rz. 11; Kallmeyer/Sickinger, § 133 UmwG Rz. 8; Henssler/Strohn/Galla/Carsten Müller, § 133 UmwG Rz. 5. 7 Kallmeyer/Sickinger, § 133 UmwG Rz. 8.
Schewiola | 535
§ 13 Rz. 13.51 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz
sein. Es ist allein entscheidend, ob der Rechtsgrund der Verbindlichkeit – und nicht der Eintritt der Bedingung oder der Ablauf der Frist – vor dem maßgebenden Zeitpunkt liegt1. Demzufolge kann auch noch die Erbringung einer Gegenleistung erforderlich sein2. Fälligkeit des Anspruchs ist – wie schon die Unterscheidung zwischen Begründung und Fälligkeit in § 133 UmwG (Abs. 1 und 3) deutlich macht – nicht erforderlich3.
13.52
Bei arbeitsvertraglichen Ansprüchen genügt der Abschluss des Arbeitsvertrags. Mit dem Abschluss sind alle Ansprüche auf Leistungen begründet, die in diesem Arbeitsvertrag – einmalig oder laufend – vorgesehen sind4, selbst wenn die tatsächliche Einstellung des Arbeitnehmers – also die Aufnahme der Tätigkeit – erst nach der Spaltung erfolgt. Nicht erfasst werden lediglich spätere Vertragsänderungen, also solche Ansprüche, die erst durch eine nach der Spaltung getroffene Vereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien oder eine Zusage des Arbeitgebers entstehen5. Begründet sind auch Ansprüche auf Leistungen nach Maßgabe kollektivrechtlicher Vereinbarungen, wenn diese Vereinbarungen vor dem Wirksamwerden der Spaltung in Kraft getreten sind und zugleich auch eine Bindung des Arbeitnehmers an die Vereinbarung gegeben war6. Dies gilt selbst dann, wenn ein Anspruch den Eintritt weiterer Bedingungen zu einem späteren Zeitpunkt voraussetzt (z.B. betriebliche Altersversorgung, Karenzentschädigung bei nachvertraglichem Wettbewerbsverbot)7.
13.53
Ansprüche aus Sozialplänen oder auf Nachteilsausgleich begründen nur dann „Verbindlichkeiten“, wenn der Sozialplan abgeschlossen bzw. eine sozialplanpflichtige Betriebsänderung vor dem maßgebenden Zeitpunkt begonnen wurde8. Werden Sozialplanansprüche erst im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses begründet, wird (vgl. Rz. 25.407 ff.) – außerhalb einer Betriebsaufspaltung nach § 134 UmwG (vgl. Rz. 3.54 und 13.93 ff.) – allein der neue Arbeitgeber verpflichtet. Dies gilt auch dann, wenn der Sozialplan rückwirkend in Kraft tritt. Ob der Sozialplan dann kollektiv- oder individualrechtlich als Bestandteil des Arbeitsvertrags (§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB) fortgilt, spielt keine Rolle. Dies gilt auch dann, wenn die Betriebsänderung bereits vor der Umwandlung geplant war9.
13.54
Bei Ansprüchen aus § 280 BGB oder unerlaubter Handlung genügt es, wenn die Vertragspflichtverletzung bzw. die unerlaubte (schadensverursachende) Handlung vor der Eintragung der Spaltung erfolgt ist10. Nicht erforderlich ist, dass dem Gläubiger der Schaden bereits bekannt ist11.
1 Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 133 UmwG Rz. 15; Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 133 UmwG Rz. 12. 2 Kallmeyer/Sickinger, § 133 UmwG Rz. 8. 3 Henssler/Strohn/Galla/Carsten Müller, § 133 UmwG Rz. 5. 4 BAG v. 16.5.2013 – 6 AZR 556/11, NZA 2013, 1079 (zu §§ 156, 157 UmwG); LAG Schleswig-Holstein v. 25.9.2012 – 1 Sa 488/11, juris; Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 133 UmwG Rz. 11. 5 Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 133 UmwG Rz. 11. 6 So auch wohl: Zerres, ZIP 2001, 259, 362. 7 Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 133 UmwG Rz. 12. 8 Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 133 UmwG Rz. 23. 9 Abw. Kruip, Betriebsrentenanpassung, S. 213 f., der bei Betriebsänderungen vor oder in Erwartung einer Spaltung den übertragenden Rechtsträger auch dann einbinden will, wenn der Sozialplan erst nach der Betriebsänderung beschlossen wird. 10 Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 133 UmwG Rz. 13 f. 11 Kallmeyer/Sickinger, § 133 UmwG Rz. 9.
536 | Schewiola
Haftung bei Spaltung | Rz. 13.58 § 13
Im Bereich der Altersversorgung sind nicht nur bestehende Anwartschaften, sondern auch laufende Versorgungsleistungen an Betriebsrentner erfasst1. Die Zusage muss lediglich vor dem Wirksamwerden der Spaltung erfolgt sein2. Dass Versorgungsleistungen an Betriebsrentner wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor der Spaltung nicht in den Anwendungsbereich von § 613a BGB einbezogen werden, ist unerheblich. Auch der Anspruch auf Anpassung laufender Versorgungsbezüge gemäß § 16 BetrAVG wird als Verbindlichkeit in die Haftung nach § 133 UmwG einbezogen3; ebenso die zusätzliche Anpassungspflicht für Anwartschaften nach § 2a BetrAVG. § 133 UmwG erfasst auch sonstige Verbindlichkeiten außerhalb bestehender Arbeitsverträge.
13.55
Rückwirkend in Kraft tretende Vereinbarungen binden nur den jeweils selbst oder durch Dritte (z.B. Arbeitgeberverband) handelnden Rechtsträger (vgl. Rz. 21.49).
13.56
2. Haftung der beteiligten Rechtsträger a) Art der Haftung: Gesamtschuldnerische Haftung Die an der Spaltung beteiligten Rechtsträger – dies sind der übertragende Rechtsträger und die übernehmenden bzw. neuen Rechtsträger – haften für Verbindlichkeiten, die vor der Spaltung begründet waren, als Gesamtschuldner (§ 133 Abs. 1 Satz 1 UmwG). Es werden alle beteiligten Rechtsträger in die gesamtschuldnerische Haftung eingebunden4.
13.57
Trotz des klaren Wortlauts in § 133 Abs. 1 Satz 1 UmwG ist die Art der Haftung umstritten. Denn zunehmend wird angenommen, dass es sich hierbei um eine akzessorische Mithaftung in Anlehnung an § 767 Abs. 1 BGB handele, da die Haftung einem Sicherungszweck diene5. So wirkten sich Änderungen der Hauptschuld unmittelbar auf die Mithafter aus. Bei einer Gesamtschuld gilt dagegen die Einzelwirkung von Einreden und Einwendungen gemäß § 425 BGB, was nach Auffassung der Befürworter der Akzessorietätslehre zu einer unangemessenen Privilegierung der Gläubiger führt. Angelehnt am klaren Wortlaut der Vorschrift scheint jedoch gleichwohl die Annahme einer Gesamtschuld i.S.d. §§ 421 ff. BGB vorzugswürdig6. Eine angemessene Berücksichtigung der Erwägungen der Gegenmeinung findet sich schon durch die Einordnung der Schuldner als „Haupt“- und „Mithafter“ und der damit verbundenen unterschiedlichen Dauer der Haftung (vgl. § 133 Abs. 3 UmwG). Eine darüberhinausgehende Korrektur der Auswirkungen einer Gesamtschuld über die Grundsätze der Akzessorietät bedarf es in der Praxis nicht. Sinn und Zweck der Vorschrift ist letztlich, die Gläubiger der an der Spaltung beteiligten Rechtsträger – zumindest innerhalb der unter § 133 Abs. 3 UmwG
13.58
1 Vgl. BGH v. 30.7.1996 – 3 AZR 397/95, ZIP 1997, 289, 290 ff.; Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 133 UmwG Rz. 24 m.w.N.; Kallmeyer/Sickinger, § 133 UmwG Rz. 8. 2 Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 133 UmwG Rz. 11. 3 Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 133 UmwG Rz. 11; Maulbetsch/Klumpp/Rose/Raible, § 133 UmwG Rz. 9. A.A. Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 133 UmwG Rz. 25, der nach dem Grund der Erhöhung differenziert (die Erhöhung wird von § 133 UmwG nicht erfasst, soweit sie auf eine Entgeltänderung beruht, die nach dem maßgeblichen Zeitpunkt erfolgt). 4 Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 133 UmwG Rz. 26; ErfK/Oetker, § 133 UmwG Rz. 2. 5 Habersack, FS Bezzenberger, S. 93, 96 ff.; Lutter/Schwab, § 133 UmwG Rz. 23; Widmann/Mayer/ Vossius, § 133 UmwG Rz. 25 ff.; Kallmeyer/Sickinger, § 133 UmwG Rz. 3; Rieble, ZIP 1997, 301, 312; VG Karlsruhe v. 16.12.2004 – 8 K 971/04, juris; Blobel/Menz, NZG 2009, 608. 6 So auch: KK/Simon, § 133 UmwG Rz. 17 ff.; Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 133 UmwG Rz. 30 ff.; Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 133 UmwG Rz. 2 ff.; Henssler/Strohn/Galla/Cédric Müller, § 133 UmwG Rz. 3; Maier-Reimer, FS Horn, S. 455 ff.
Schewiola | 537
§ 13 Rz. 13.58 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz
vorgesehenen Frist – aufgrund der weitgehenden Spaltungsfreiheit so zu stellen, als habe es die Spaltung nicht gegeben. Der Gläubiger soll so behandelt werden, als stünde das Vermögen des übertragenden Rechtsträgers ungespalten zur Verfügung. Dazu ist die Gesamtschuld am besten geeignet1.
13.59
Bei der Haftung ist zu unterscheiden zwischen dem Hauptschuldner und den Mithaftern. Ersterer ist derjenige, dem die Verbindlichkeit im Spaltungsvertrag (§ 126 Abs. 1 Nr. 9 UmwG) bzw. im Spaltungsplan (§ 136 UmwG) zugewiesen ist2. Der Hauptschuldner haftet ohne die zeitliche Begrenzung nach § 133 Abs. 3 UmwG. Die Mithafter sind die übrigen an der Spaltung beteiligten Rechtsträger. Diese haften nur nach Maßgabe der zeitlichen Begrenzung des § 133 Abs. 3 UmwG. Für die Gläubiger hat diese Unterscheidung in den ersten fünf Jahren keine Bedeutung. Dagegen ist die Unterscheidung im Innenverhältnis der Schuldner von Relevanz.
13.60
§ 133 Abs. 1 Satz 1 UmwG erfasst alle Ansprüche ohne Rücksicht darauf, ob sie dem Hauptschuldner oder einem Mithafter im Spaltungsvertrag oder -plan zugeordnet sind. Eine quotenmäßige Begrenzung der Haftung auf den Teil einer Leistung, der erst nach dem Übergang der Verbindlichkeit verdient wurde (bei Arbeitsverhältnissen z.B. Jahressonderleistung, Altersversorgung)3, kommt nicht in Betracht. b) Haftung auf Erfüllung oder Einstandspflicht
13.61
Grundsätzlich ist nicht nur der Hauptschuldner, sondern auch der Mithafter zur Erfüllung verpflichtet. Auch ist der Gläubiger nicht verpflichtet, zunächst den Hauptschuldner in Anspruch zu nehmen.
13.62
Bei Sachleistungspflichten kann aber unter Umständen nur dem Hauptschuldner die Erfüllung möglich sein (z.B. Flugtickets bei einer Fluggesellschaft), bei höchstpersönlichen oder personengebundenen Ansprüchen ist nur dem Hauptschuldner die Erfüllung möglich (§ 275 Abs. 1 BGB). In solchen Fällen ist der Mithafter lediglich als Einstandspflichtiger anzusehen4. c) Innenausgleich unter den beteiligten Rechtsträger
13.63
Bei einer Inanspruchnahme als Gesamtschuldner kann ein Ausgleich zugunsten des leistenden Rechtsträgers nur im Innenverhältnis erfolgen. Erfüllung durch den Hauptschuldner bewirkt die Befreiung des Mithafters (§ 422 Abs. 1 BGB). Bei einer Erfüllung durch einen Mithafter geht die Forderung des Gläubigers gemäß § 426 Abs. 2 BGB auf ihn über (§ 426 Abs. 2 BGB).
13.64
Nach § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB ist grundsätzlich anzunehmen, dass alle Rechtsträger zu gleichen Teilen verpflichtet sind. Etwas anderes gilt aber dann, wenn eine abweichende Regelung getroffen wird. Sie kann ausdrücklich oder konkludent, insbesondere also mit Blick auf den
1 Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 133 UmwG Rz. 6; Maulbetsch/Klumpp/Rose/Raible, § 133 UmwG Rz. 12; so auch: LAG Schleswig-Holstein v. 25.9.2012 – 1 Sa 488/11, juris; gegen das Modell der Gesamtschuld spricht auch nicht der von Blobel/Menz, NZG 2009, 608, 611, angesprochene Nachteil der Mithafter, wenn die Hauptschuld nachträglich zu Gunsten des Hauptschuldners abgeändert, d.h. erleichtert oder reduziert wird. 2 Vgl. dazu LG Dortmund v. 18.1.2013 – 3 O 221/12, juris. 3 So die Überlegung von Hill, BetrAV 1995, 114, 117 f. 4 Henssler/Strohn/Galla/Cédric Müller, § 133 UmwG Rz. 9.
538 | Schewiola
Haftung bei Spaltung | Rz. 13.67 § 13
Zweck der jeweils in Rede stehenden Leistung, erfolgen1. Empfehlenswert ist freilich, im Spaltungsvertrag oder -plan ausdrücklich eine entsprechende Regelung zu treffen. Wird einem Rechtsträger im Spaltungsvertrag oder -plan eine Verbindlichkeit zugewiesen, wird man indes davon ausgehen können, dass dieser Rechtsträger im Innenverhältnis auch als Hauptschuldner allein haften soll2. Fällt der im Innenverhältnis verpflichtete Rechtsträger aus, gelangt die Haftung nach § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB wieder zur Anwendung. Auch die an sich nur mithaftenden Rechtsträger sind dann zu einer Haftung nach gleichen Teilen verpflichtet3.
13.65
d) Inhaber von Sonderrechten Die gesamtschuldnerische Haftung tritt auch dann ein, wenn Inhaber von Sonderrechten, die kein Stimmrecht gewähren (z.B. Inhaber von Anteilen ohne Stimmrecht, von Wandelschuldverschreibungen, von Gewinnschuldverschreibungen und von Genussrechten), bei einer Spaltung die Gewährung gleichwertiger Rechte im übernehmenden Rechtsträger verlangen (§ 133 Abs. 2 Satz 1, §§ 125, 23 UmwG). Relevant kann diese Frage im Arbeitsrecht u.a. bei Mitarbeiterprogrammen in Form von z.B. Phantom Stock Programmen sein4. Allerdings können die gleichwertigen Rechte bei einer Abspaltung oder Ausgliederung auch vom übertragenden Rechtsträger gewährt werden (§ 133 Abs. 2 Satz 2 UmwG).
13.66
3. Zeitliche Begrenzung der Haftung nach § 133 Abs. 3 UmwG a) Grundsätzliche Haftung für Verbindlichkeiten ohne zeitliche Begrenzung Der Schuldner, dem eine Verbindlichkeit im Spaltungs- oder Übernahmevertrag zugeordnet worden ist (sog. Hauptschuldner), haftet für diese Verbindlichkeit zeitlich unbegrenzt. Sofern keine Ausschlussfristen greifen, gelten also die allgemeinen Verjährungsregeln. Für Verbindlichkeiten, die im Rahmen der Spaltung nicht übertragen werden, haftet der übertragende Rechtsträger ebenso ohne zeitliche Grenze. Ohne zeitliche Grenze erfolgt auch eine Haftung für Verpflichtungen gegenüber Inhabern von Sonderrechten gemäß § 133 Abs. 2, §§ 125, 23 UmwG; hier greift nur die besondere Regelung zur Verjährung in § 133 Abs. 6 UmwG. Für Verbindlichkeiten, deren Zuweisung schlicht vergessen wurde, haften im Zweifel alle beteilig-
1 Kallmeyer/Sickinger, § 133 UmwG Rz. 11 f. 2 Böttcher/Habighorst/Schulte/Fischer, § 133 UmwG Rz. 10 f.; Lutter/Schwab, § 133 UmwG Rz. 146 ff.; K. Schmidt, ZGR 1993, 366, 389, Rz. 93; Heidenhain, NJW 1995, 2873, 2879; Maulbetsch/Klumpp/ Rose/Raible, § 133 UmwG Rz. 13; Kallmeyer/Sickinger, § 133 UmwG Rz. 11 f. m.w.N.; a.A., die – wenn nichts Abweichendes geregelt ist – von einer Ausgleichspflicht der beteiligten Rechtsträger im Verhältnis des übernommenen Vermögens ausgeht: Goutier/Knopf/Tulloch/Goutier, § 133 UmwG Rz. 14; Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 133 UmwG Rz. 67; Widmann/Mayer/Vossius, § 133 UmwG Rz. 28. Vgl. auch Lutter/Schwab, § 133 UmwG Rz. 150, der von einer grundsätzlichen Haftung zu gleichen Teilen ausgeht, empfiehlt den Abschluss einer Vereinbarung im Spaltungsvertrag, um die Wirkungen einer im Einzelfall als ungerecht empfundenen Haftung zu gleichen Teilen zu kontern. 3 Lutter/Schwab, § 133 UmwG Rz. 146 ff.; Kallmeyer/Sickinger, § 133 UmwG Rz. 12; a.A. Goutier/ Knopf/Tulloch/Goutier, § 133 UmwG Rz. 14; Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 133 UmwG Rz. 67; Widmann/Mayer/Vossius, § 133 UmwG Rz. 28. 4 Vgl. dazu Wilhelm, NZG 2011, 1211 ff.
Schewiola | 539
13.67
§ 13 Rz. 13.67 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz
ten Rechtsträger nach § 133 Abs. 1 Satz 1 UmwG1. Hier scheidet also eine Enthaftung nach § 133 Abs. 3 UmwG für alle Rechtsträger aus. b) Fünf-Jahres-Frist für gesamtschuldnerische Haftung nach § 133 Abs. 3 bis 5 UmwG – Enthaftung des Mithafters
13.68
Rechtsträger, denen die jeweils in Rede stehende Verbindlichkeit im Spaltungs- und Übernahmevertrag nicht zugeordnet wurde (sog. Mithafter), haften nur, wenn die Verbindlichkeit innerhalb von fünf Jahren nach dem Wirksamwerden der Spaltung fällig wird und in der in § 133 Abs. 3, 4 UmwG geregelten Weise geltend gemacht oder anerkannt wird2. Diese Nachhaftungsbegrenzung ist auch unter Berücksichtigung von Art. 146 der Gesellschaftsrichtlinie richtlinienkonform3.
13.69
Die gerichtliche Geltendmachung ist entbehrlich, wenn der Anspruch durch den haftenden Rechtsträger schriftlich anerkannt wird (§ 133 Abs. 5 UmwG). Bei öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeiten genügt zur Geltendmachung der Erlass eines Verwaltungsakts (§ 133 Abs. 3 Satz 2 UmwG).
13.70
Da eine Verbindlichkeit – von einer teilweisen Zuordnung abgesehen – nur jeweils einem Rechtsträger zugeordnet werden kann, kann die zeitliche Begrenzung der Haftung auch mehreren Rechtsträgern, denen die Verbindlichkeit dann jeweils nicht zugewiesen wurde, zugutekommen. Die Fünf-Jahres-Frist beginnt mit dem Tage, an dem die Eintragung der Spaltung in das Register des Sitzes des übertragenden Rechtsträgers in der in § 19 Abs. 3 UmwG bestimmten Form als bekannt gemacht gilt (§ 133 Abs. 4 UmwG). Wegen der weiteren Vorgaben zur Berechnung gelten die in § 133 Abs. 4 Satz 2 UmwG zitierten allgemeinen Regelungen aus dem BGB entsprechend. c) Zehn-Jahres-Frist (§ 133 Abs. 3 Satz 2 UmwG)
13.71
Abweichend von § 133 Abs. 3 Satz 1 UmwG beträgt die Enthaftungsfrist zehn Jahre für vor dem Wirksamwerden der Spaltung begründete Versorgungsverpflichtungen, die den Regelungen des Betriebsrentengesetzes unterliegen. Abgesehen von dieser längeren Haftung ergeben sich bei Versorgungsverpflichtungen keine weiteren Besonderheiten4. Für diese, durch die zweite Umwandlungsrechtsnovelle im Jahre 2007 neu eingefügte Begrenzung gibt es keine Übergangsvorschrift. Die Begrenzung gilt daher nur für Spaltungsvorgänge ab dem 25.4.20075. d) Eintritt der Verjährung (§ 133 Abs. 6 UmwG)
13.72
Die Verjährung der von der gesamtschuldnerischen Haftung nach § 133 Abs. 1 UmwG erfassten Ansprüche richtet sich grundsätzlich nach den allgemeinen Vorschriften. Denn die Art des Anspruchs wird durch die gesamtschuldnerische Haftung nicht geändert. Ansprüche aus §§ 133, 125, 23 UmwG auf die Gewährung gleichwertiger Sonderrechte, die einen eigenständi1 Lutter/Schwab, § 133 UmwG Rz. 88. 2 Krit. zu der zeitlichen Begrenzung der gesamtschuldnerischen Haftung äußert sich Heidenhain, EuZW 1995, 327, 330, der darin einen Verstoß gegen die aus Art. 12 Richtlinie 82/891/EWG folgende Verpflichtung zum Gläubigerschutz sieht. 3 Schollmeyer, NZG 2020, 589. 4 Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 133 UmwG Rz. 77a. 5 Henssler/Strohn/Galla/Cédric Müller, § 133 UmwG Rz. 23.
540 | Schewiola
Haftung bei Spaltung | Rz. 13.78 § 13
gen Charakter haben, verjähren allerdings in fünf Jahren nach der Eintragung der Spaltung (§ 133 Abs. 4 Satz 1, Abs. 6, §§ 125, 19 Abs. 3 UmwG). Darüber hinaus können Ausschlussfristen zum Tragen kommen. e) Übergangsregelungen für Altverbindlichkeiten Bei Verbindlichkeiten, die vor dem 1.1.1995 begründet wurden, ist die Übergangsregelung des § 319 Satz 1 UmwG zu beachten.
13.73
4. Sicherheitsleistungen gem. § 133 Abs. 1 Satz 2, §§ 125, 22 UmwG Der Gläubigerschutz wird durch eine Pflicht zur Sicherheitsleistung auf der Grundlage der § 133 Abs. 1 Satz 2, §§ 125, 22 UmwG ergänzt. Sie soll dem Risiko begegnen, dass durch die Spaltung die Erfüllung noch nicht fälliger Verbindlichkeiten gefährdet wird.
13.74
a) Verpflichtete Rechtsträger Zur Sicherheitsleistung verpflichtet ist jeweils der Rechtsträger, gegen den sich der Anspruch richtet (§ 133 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 UmwG), also in der Regel derjenige, dem eine Verbindlichkeit im Spaltungsvertrag zugeordnet wird (sog. Hauptschuldner). Fehlt eine ausdrückliche Zuordnung, ist bei der Abspaltung und Ausgliederung der übertragende Rechtsträger verpflichtet1. Die Gläubiger des übernehmenden Rechtsträgers können nur von diesem Sicherheitsleistung verlangen. In der Bekanntmachung der Spaltung durch das Registergericht ist von Amts wegen auf das Recht auf Sicherheitsleistung hinzuweisen2.
13.75
Wer aus einem anderem Rechtsgrund (z.B. aus § 25 HGB) als Hauptschuldner haftet, ist zur Sicherheitsleistung nicht verpflichtet3.
13.76
b) Berechtigte Gläubiger Alle Gläubiger der an der Spaltung beteiligten Rechtsträger, deren Forderungen noch nicht fällig sind, können unter den Voraussetzungen des § 22 UmwG Sicherheitsleistung verlangen. Nicht nur die Gläubiger des übertragenden Rechtsträgers sind somit berechtigt. Bei ihnen greift ohnehin i.d.R. der Schutz durch die Einbeziehung der übernehmenden Rechtsträger in die gesamtschuldnerische Haftung aus §§ 133, 134 UmwG und § 613a Abs. 2 BGB, § 25 HGB, § 75 AO. Auch die Gläubiger der übernehmenden Rechtsträger können ein solches Recht geltend machen.
13.77
c) Gefährdungsgrund Eine Sicherheitsleistung kann etwa dann geboten sein, wenn die Fälligkeit einer Forderung nach Ablauf der Fristen für eine gesamtschuldnerische Haftung – also nach Ablauf von spä-
1 Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 133 UmwG Rz. 22; Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 133 UmwG Rz. 123. 2 Ein fehlender Hinweis hemmt den Fristbeginn nicht. Es können aber Amtshaftungsansprüche nach § 839 BGB, Art. 34 GG begründet sein (Widmann/Mayer/Vossius, UmwG § 22 Rz. 62; Kallmeyer/Marsch-Barner/Oppenhoff, § 22 UmwG Rz. 6). 3 Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 133 UmwG Rz. 123.
Schewiola | 541
13.78
§ 13 Rz. 13.78 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz
testens fünf bzw. zehn Jahren – dazu führt, dass allein der übertragende Rechtsträger mit dem verbliebenen Vermögen für die Erfüllung des Anspruchs haftet1. Sie kann in entsprechender Weise geboten sein, wenn die Forderung einem der übernehmenden Rechtsträger zugewiesen wird. Ohne eine Einflussnahmemöglichkeit des Gläubigers ist dieser Rechtsträger nunmehr Schuldner der Forderung.
13.79
Im Regelfall hat die Sicherheitsleistung größere Bedeutung für die bisherigen Gläubiger eines übernehmenden Rechtsträgers. Hier besteht häufig ein besonderes Schutzbedürfnis dadurch, dass der übernehmende Rechtsträger als Gesamtschuldner nunmehr auch für die Verbindlichkeiten der anderen Beteiligten haftet, ohne hierfür im Rahmen der Zuordnung zwingend einen (wirtschaftlichen) Ausgleich zu erhalten2.
5. Gestaltungsspielraum im Spaltungsvertrag oder -plan 13.80
§ 126 UmwG bestimmt den zwingenden Mindestinhalt des Spaltungs- und Übernahmevertrages. Weitergehende Reglungen können bzw. müssen ggf. (z.B. § 29 UmwG) aufgenommen werden3. a) Allgemeines
13.81
Der übertragende Rechtsträger entscheidet grundsätzlich darüber, welche Teile seines Vermögens auf den oder die übernehmenden Rechtsträger übertragen werden. Nach § 126 Abs. 1 Nr. 9 UmwG muss im Spaltungsvertrag die genaue Bezeichnung und Aufteilung der Gegenstände des Aktiv- und Passivvermögens, die an jeden der übernehmenden Rechtsträger übertragen wird, sowie die übergehenden Betriebe und Betriebsteile unter Zuordnung zu den übernehmenden Rechtsträgern enthalten sein. Die Anforderungen an die Bestimmtheit der Zuordnung dürfen allerdings nicht überspannt werden4. Es genügt, wenn der Gegenstand bei betriebswirtschaftlicher Betrachtung dem Geschäftsbetrieb eines bestimmten Unternehmensteils zugerechnet werden muss. Deshalb sind insbesondere sog. All-Klauseln zulässig, mit denen sämtliche zu einem bestimmten Bereich gehörenden Gegenstände erfasst werden5.
13.82
Durch die Zuordnung im Spaltungsvertrag kann zum einen klargestellt werden, welcher Rechtsträger Schuldner einer bestehenden Verbindlichkeit wird. Er haftet zeitlich nur begrenzt durch die allgemeinen Ausschluss- und Verjährungsfristen. Für die übrigen Rechtsträger wird die Dauer der Haftung darüber hinaus durch § 133 Abs. 3 bis 5 UmwG eingeschränkt. Für Gläubiger wird aus der Verteilung des Aktivvermögens zum anderen auch erkennbar, ob die Erfüllung der bestehenden Verbindlichkeit gesichert ist. Dies ist insbesondere deshalb von Bedeutung, weil die Übertragung von Verbindlichkeiten – entgegen der für die Einzelrechtsnachfolge aus §§ 414 f. BGB folgenden Rechtslage – nicht an eine Zustimmung der Gläubiger geknüpft ist.
1 Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 133 UmwG Rz. 121; Lutter/Schwab, § 133 UmwG Rz. 92. Zu diesen Konstellationen vgl. auch Heidenhain, EuZW 1995, 327, 330. 2 Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 133 UmwG Rz. 122; vgl. aber auch: LG Köln v. 17.9.2004 – 82 O 133/03, juris. 3 Übersichtlich: APS/Steffan, § 126 UmwG Rz. 52; ausführlich: Kallmeyer/Sickinger, § 126 UmwG Rz. 44 bis 63b; Lutter/Priester, § 126 UmwG Rz. 86 bis 95. 4 BGH v. 8.10.2003 – XII ZR 50/02, ZIP 2003, 2155. 5 BAG v. 22.2.2005 – 3 AZR 499/03 (A), NZA 2005, 639.
542 | Schewiola
Haftung bei Spaltung | Rz. 13.86 § 13
Das UmwG enthält keine Regelungen, die ausdrücklich den Gestaltungsspielraum bei der Zuordnung des Aktiv- und Passivvermögens begrenzen1. Eine Grenze soll es aber geben, und zwar die des Gestaltungsmissbrauchs. Es wird vertreten, dass diese erreicht sei, wenn einem übernehmenden Rechtsträger nur die Aktiva und einem anderen nur die Passiva zugeordnet werden2. Dies ist aber abzulehnen. Für diesen Fall gibt es den ausreichenden Schutzmechanismus des § 133 Abs. 1 Satz 1 UmwG3. Es ist daher auf die allgemeinen Vorschriften zurückzugreifen. Arbeitsrechtlich kommen darüber hinaus die Vorgaben aus § 324 UmwG, § 613a Abs. 1 BGB zur Anwendung.
13.83
Wird eine Verbindlichkeit bei der Abspaltung oder Ausgliederung im Spaltungs- oder Übernahmevertrag nicht zugeordnet, bleibt der übertragende Rechtsträger Hauptschuldner4. Etwas anderes gilt bei der Aufspaltung. Hier erlischt der übertragende Rechtsträger. Die übernehmenden Rechtsträger haften gesamtschuldnerisch als Hauptschuldner zu gleichen Teilen5. Insoweit gilt die Verbindlichkeit als zugewiesen, so dass die zeitliche Begrenzung der Haftung aus § 133 Abs. 3 UmwG keine Anwendung findet6. Hiervon ist auch der Gesetzgeber ausgegangen7, so dass § 131 Abs. 3 UmwG, der nur das Aktivvermögen erfasst, keine Anwendung findet8.
13.84
b) Forderungen und Verbindlichkeiten aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis Bewirkt die Spaltung nicht gleichzeitig einen Betriebsübergang i.S.d. § 613a BGB, sind für die Zuordnung der Arbeitsverhältnisse die Bestimmungen des Spaltungsvertrags maßgeblich. Dabei genügt es, dass im Spaltungsvertrag festgelegt wird, welcher Rechtsträger nach dem Wirksamwerden der Spaltung als Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fortsetzt. Diesem Rechtsträger gelten dann die aus dem Arbeitsverhältnis folgenden Forderungen und Verbindlichkeiten als zugeordnet. Dabei ist es nicht erforderlich, einzelne Forderungen oder Verbindlichkeiten aus dem Arbeitsverhältnis (z.B. Gehaltsansprüche, Versorgungsanwartschaften) im Einzelnen zu bestimmen.
13.85
Spaltungen bewirken aber oft einen Betriebsübergang i.S.d. § 613a BGB. Das Vorliegen eines solchen Betriebsübergangs stellt eine wesentliche Einschränkung der Gestaltungsfreiheit des Spaltungsvertrages dar. Aus der Anwendbarkeit von § 324 UmwG, § 613a BGB bei allen Gestaltungsformen der Spaltung folgt, dass die Zuordnung von Arbeitsverhältnissen zu den beteiligten Rechtsträgern nicht nach Belieben erfolgen kann (vgl. Rz. 26.266 ff.). Grundsätzlich gilt: Welchem Betrieb oder Betriebsteil ein Arbeitnehmer zugeordnet ist, richtet sich nach objektiven und subjektiven Kriterien (vgl. Rz. 10.22 ff.). Nur bei einer Zuordnung, die auf der Grundlage entsprechender Regelungen in einem Interessenausgleich erfolgt, ist diese Prüfung auf grobe Fehlerhaftigkeit beschränkt (§ 323 Abs. 2 UmwG). Eine Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer ist dabei nicht erforderlich (vgl. Rz. 10.185 ff.).
13.86
1 Berner/Klett, NZG 2008, 601. 2 Belling/Collas, NJW 1991, 1919. 3 Lutter/Priester, § 126 UmwG Rz. 72; Semler/Stengel/Leonard/Schröer/Greitmann, § 126 UmwG Rz. 28. 4 BT-Drucks. 12/6699, S. 121 zu § 131 UmwG; KallmeyerSickinger, § 133 UmwG Rz. 17. 5 Kallmeyer/Sickinger, § 133 UmwG Rz. 17. 6 K. Schmidt, ZGR 1993, 366, 387; Kallmeyer/Sickinger, § 126 UmwG Rz. 27, § 133 Rz. 17. 7 BT-Drucks. 12/6699, S. 121. 8 Kallmeyer/Sickinger, § 131 UmwG Rz. 29.
Schewiola | 543
§ 13 Rz. 13.87 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz
13.87
Entgegenstehende Bestimmungen im Spaltungsvertrag entfalten keine Wirkungen. An der Spaltung beteiligte Rechtsträger und betroffene Arbeitnehmer haben aber dennoch die Möglichkeit, eine anderweitige einvernehmliche Zuordnung zu Betrieben oder Betriebsteilen vorzunehmen (vgl. Rz. 3.67 ff.).
13.88
Werden Betriebe oder Betriebsteile zugeordnet, ist eine weitergehende Regelung hinsichtlich einzelner Arbeitsverhältnisse an sich überflüssig. Eine gesonderte Regelung ist nur dann sinnvoll, wenn die Zuordnung einzelner Arbeitnehmer zweifelhaft ist. Das Gleiche gilt dann, wenn bestehende Betriebe und Betriebsteile im Zusammenhang mit einer Spaltung zerschlagen werden, um mit den daraus resultierenden Vermögensteilen beim übertragenden und dem/ den übernehmenden Rechtsträger(n) neue Betriebe aufzubauen (vgl. Rz. 10.174 ff.).
13.89
Für die Zuordnung der Arbeitsverhältnisse kommt es darauf an, welcher Rechtsträger im Anschluss an den Übertragungsvorgang die tatsächliche Leitungsmacht über einen bestimmten Betrieb oder Betriebsteil ausüben soll. Dabei ist es nicht ausgeschlossen, Sachen und Rechte zu teilen, falls dies nach allgemeinen Grundsätzen zulässig ist. So ist es möglich, dem übernehmenden Rechtsträger anstelle des beim übertragenden Rechtsträger bestehenden Eigentums an Betriebsmitteln nur eine dingliche oder obligatorische Nutzungsberechtigung einzuräumen. Von Bedeutung ist dies z.B. für die Spaltung in eine Anlage- und Betriebsgesellschaft (vgl. Rz. 34.157 ff.), die zu einer besonderen Haftung der Anlagegesellschaft nach § 134 UmwG führt. Der nutzungsberechtigte Rechtsträger ist dann Arbeitgeber der diesem Betrieb oder Betriebsteil zuzuordnenden Arbeitnehmer (vgl. Rz. 34.159 ff.).
13.90
Der Umfang des Eintritts in die zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Spaltung bestehenden Arbeitsverhältnisse bestimmt sich unmittelbar nach § 324 UmwG, § 613a Abs. 1 BGB. Es ist unerheblich, ob Forderungen oder Verbindlichkeiten unmittelbar aus dem Arbeitsvertrag oder aus diesem Vertrag in Verbindung mit einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung, einer Gesamtzusage oder einer betrieblichen Übung folgen. c) Nebenansprüche aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis
13.91
Die Aufteilung von Verbindlichkeiten auf verschiedene Rechtsträger ist zulässig, wenn eine Erfüllung durch verschiedene Schuldner auch tatsächlich möglich ist und die Interessen des Vertragspartners gewahrt bleiben1. Insoweit gelten letztlich die gleichen Schranken wie bei der Singularsukzession2. Bei Arbeitsverhältnissen ist eine Aufteilung in diesem Sinne nur eingeschränkt möglich. Hauptleistungspflichten können nicht aufgeteilt werden. Dies würde ansonsten u.a. auch zu sozialversicherungsrechtlichen Problemen und zu Konflikten mit dem AÜG führen. Möglich ist eine Aufteilung dagegen für Nebenabreden wie z.B. aus Darlehensvereinbarungen oder Regelungen über eine Werkswohnung. Im Grundsatz ist davon auszugehen, dass sämtliche Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis, wenn im Spaltungsvertrag oder -plan nichts anderes festgelegt wurde, gegenüber dem Rechtsträger bestehen, mit dem das Arbeitsverhältnis im Anschluss an die Spaltung fortgesetzt wird. d) Forderungen und Verbindlichkeiten ausgeschiedener Arbeitnehmer
13.92
Verbindlichkeiten gegenüber bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmern werden von § 324 UmwG, § 613a Abs. 1 BGB nicht erfasst, so dass die Zuordnung von Betrieben oder Betriebs1 So Heidenhain, NJW 1995, 2873, 2877; Kallmeyer/Sickinger, § 126 UmwG Rz. 25. 2 Rieble, ZIP 1997, 301, 310 f.
544 | Schewiola
Haftung bei Spaltung | Rz. 13.97 § 13
teilen allein ihre Übertragung nicht bewirkt1. Ihre Zuordnung kann aber und muss, wie bei sonstigen Verbindlichkeiten, ausdrücklich oder im Rahmen einer Generalklausel vorgenommen werden2. Wenn keine Zuordnung erfolgt, bleibt der übertragende Rechtsträger als Schuldner verpflichtet. Bei einer Aufspaltung haften die übernehmenden bzw. neuen Rechtsträger gesamtschuldnerisch als Hauptschuldner zu gleichen Teilen3. e) Ansprüche und Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung § 133 UmwG gilt ohne Einschränkung für Ansprüche und Anwartschaften im Bereich der betrieblichen Altersversorgung (vgl. Rz. 34.173). Die Zuordnung ist somit nur für eine Begrenzung der Mithaftung nach § 133 Abs. 3 UmwG bedeutsam (vgl. Rz. 13.96).
13.93
II. Schutz der Arbeitnehmer bei Spaltung in Betriebs- und Anlagegesellschaft (§ 134 UmwG) § 134 UmwG ergänzt den Gläubigerschutz nach § 133 UmwG. Die Vorschrift gilt ausschließlich für Arbeitnehmer (Ausnahme: § 134 Abs. 2 UmwG) und ausschließlich für eine bestimmte Form der Spaltung, die steuer- und gesellschaftsrechtliche Betriebsaufspaltung.
13.94
Eine Betriebsaufspaltung zeichnet sich dadurch aus, dass ein Unternehmen in eine Anlagegesellschaft, die Vermögensgegenstände (z.B. Grundstücke) hält, und in eine Betriebsgesellschaft (häufig eine Kapitalgesellschaft), die diese Vermögensgegenstände zur Führung des Betriebes nutzt, aufgeteilt wird. Ziel der Betriebsaufspaltung ist in erster Linie, neben steuerlichen Vorteilen, das Anlagevermögen von den betrieblichen Risiken abzuschotten4. Die Betriebsgesellschaft besitzt kaum Vermögen, das als Sicherheit für die Forderungen der Gläubiger dient. Die Arbeitnehmer, die in dieser „risikobehafteten“ Betriebsgesellschaft angestellt sind, haben nach der Vorstellung des Gesetzgebers durch § 133 Abs. 1 Satz 1 UmwG keinen ausreichenden Gläubigerschutz5.
13.95
Vor diesem Hintergrund sieht § 134 UmwG vor, dass die vermögende Anlagegesellschaft für bestimmte Forderungen eine zeitlich begrenzte Mithaftung der Betriebsgesellschaft über die Grenzen des § 133 UmwG hinaus übernimmt6. Nach § 134 Abs. 1 UmwG haftet die Anlagegesellschaft deshalb auch für Forderungen der Arbeitnehmer der Betriebsgesellschaft als Gesamtschuldner, die binnen fünf Jahren nach dem Wirksamwerden der Spaltung aufgrund der §§ 111 bis 113 BetrVG begründet werden. Darüber hinaus haftet sie nach § 134 Abs. 2 UmwG für Versorgungsverpflichtungen nach Maßgabe des Betriebsrentengesetzes, die bis zum Wirksamwerden der Spaltung begründet sind. Abweichend von § 133 Abs. 3 Satz 1 UmwG genügt es, wenn die Ansprüche innerhalb von zehn Jahren nach dem Wirksamwerden der Spaltung fällig werden (§ 134 Abs. 3 UmwG).
13.96
Die Haftung nach § 134 UmwG lässt die Anwendung von § 133 UmwG für sonstige Ansprüche der von einer Spaltung betroffenen oder ausgeschiedenen Arbeitnehmer unberührt.
13.97
1 BAG v. 11.3.2008 – 3 AZR 358/06, NZA 2009, 790, 792; BAG v. 22.2.2005 – 3 AZR 499/03, NZA 2005, 639. 2 LAG Düsseldorf v. 5.6.2003 – 11 (1) Sa 1/03, NZA-RR 2004, 255. 3 Vgl. Kallmeyer/Sickinger, § 133 UmwG Rz. 17. 4 Henssler/Strohn/Galla/Cédric Müller, § 134 UmwG Rz. 1. 5 Vgl. BT-Drucks. 12/6699, S. 122. 6 Vgl. BT-Drucks. 12/6699, S. 123.
Schewiola | 545
§ 13 Rz. 13.98 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz
1. Anwendungsbereich 13.98
Die Spaltung in eine Anlage- und Betriebsgesellschaft kann nach § 134 Abs. 1 Satz 1 UmwG auf zwei unterschiedlichen Wegen erfolgen. Denn der übertragende Rechtsträger kann nach der Spaltung entweder als Betriebs- oder aber als Anlagegesellschaft fungieren.
13.99
Im ersten Fall werden die zur Führung eines Betriebs notwendigen Vermögensteile im Wesentlichen auf einen übernehmenden oder mehrere übernehmende oder auf einen neuen oder mehrere neue Rechtsträger übertragen. Die Tätigkeit dieses Rechtsträgers bzw. dieser Rechtsträger beschränkt sich im Wesentlichen auf die Verwaltung der übertragenen Vermögensteile (Anlagegesellschaft). Dem übertragenden Rechtsträger werden die Vermögensteile zur Nutzung und damit zur Führung eines Betriebs überlassen (Betriebsgesellschaft). Schließlich müssen an den an der Spaltung beteiligten Rechtsträgern im Wesentlichen dieselben Personen beteiligt sein (§ 134 Abs. 1 Satz 1 UmwG). Im zweiten Fall verbleiben die Vermögensteile bei dem übertragenden Rechtsträger (Anlagegesellschaft) und werden dem/den übernehmenden oder neuen Rechtsträger(n) als Betriebsgesellschaft(en) zur Nutzung überlassen (§ 134 Abs. 1 Satz 2 UmwG), wodurch es auch zu einem Betriebsübergang nach § 324 UmwG, § 613a BGB kommt.
13.100
Letztere Variante ist in der Praxis wohl vorteilhafter, weil kein Betriebsvermögen übertragen werden muss1. Dadurch können Kosten gespart werden. Insbesondere fällt keine Grunderwerbssteuer an, weil kein Grundstück übertragen werden muss2.
13.101
Nach seinem Wortlaut erfasst § 134 Abs. 1 UmwG den Fall der Abspaltung gemäß § 123 Abs. 2 UmwG. Eine Aufspaltung gemäß § 123 Abs. 1 UmwG ist nach dem Wortlaut dagegen nicht erfasst, weil der übertragende Rechtsträger bei der Betriebsaufspaltung fortbestehen muss. Gleiches gilt für die Ausgliederung nach § 123 Abs. 2 UmwG, da an den beteiligten Rechtsträgern bei der Betriebsaufspaltung nicht im Wesentlichen dieselben Personen beteiligt sind.
13.102
Nach der Auffassung des BAG3 findet § 134 UmwG gleichwohl (direkt) bei allen Spaltungsarten des § 123 UmwG Anwendung. Die Haftungsverschärfung des § 134 UmwG liefe weitgehend leer, wenn die Aufspaltung oder Ausgliederung aus dem Anwendungsbereich von § 134 UmwG ausgegrenzt werden würde. Denn es wäre in der Praxis im Regelfall unproblematisch, eine Spaltung in den insoweit begünstigten Formen nach § 123 Abs. 1, 3 UmwG durchzuführen, um so die Haftung nach § 134 UmwG zu umgehen. Da es auch bei der Aufspaltung bzw. Ausgliederung möglich ist, einem der beteiligten Rechtsträger das zur Führung eines Betriebs notwendige Vermögen zum Zwecke der Verwaltung zu übertragen, während dem anderen Rechtsträger diese Vermögensteile bei der Führung seines Betriebs zur Nutzung überlassen werden, wird das mit einer solchen Betriebsaufspaltung verbundene Risiko der Arbeitnehmer als Gläubiger gleichwohl verwirklicht4.
1 KK/Hohenstatt/Schramm, § 134 UmwG Rz. 2. 2 Nach Henssler/Strohn/Wardenbach, § 134 UmwG Rz. 1 hat die Betriebsaufspaltung aufgrund der Rechtsprechung des BGH zur eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung grundsätzlich an Attraktivität verloren. Ob sich dies durch die Streichung der §§ 32a, 32b GmbHG wieder geändert hat, bleibt abzuwarten. 3 BAG v. 15.3.2011 – 1 ABR 97/09, NZA 2011, 1112, Rz. 25; h.M., s.a.: Ahrendt, RdA 2012, 340; Lutter/Schwab, § 134 UmwG Rz. 8; Henssler/Strohn/Galla/Cédric Müller, § 134 UmwG Rz. 2; a.A. KK/Hohenstatt/Schramm, UmwG, § 134, Rz. 4 für den Fall der Aufspaltung, bei dem der übertragende Rechtsträger erlischt. 4 Lutter/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 4 ff.
546 | Schewiola
Haftung bei Spaltung | Rz. 13.105 § 13
Überwiegend1 wird zu Recht eine analoge Anwendung von § 134 UmwG auch auf die Einzelrechtsnachfolge (Asset Deal) abgelehnt. Schon eine planwidrige Regelungslücke ist nicht erkennbar, da das Haftungssystem des UmwG besonders ausgestaltet ist. Einzelne Elemente davon können nicht auf andere Gestaltungen entsprechend übertragen werden2. Die Problematik der Betriebsaufspaltung im gesellschaftsrechtlichen und steuerlichen Sinne ist bereits lange vor dem Inkrafttreten des Umwandlungsbereinigungsgesetzes erörtert worden. Der Unterschied der verschiedenen Formen der Übertragung von Vermögen, Betrieben und Betriebsteilen war Gegenstand der Diskussion im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens. Wenn der Gesetzgeber ausschließlich für die Spaltung nach dem UmwG, nicht aber für sonstige Formen der Spaltung in Anlage- und Betriebsgesellschaft, eine Regelung schafft, kann in Bezug auf sonstige Tatbestände nicht von einer versehentlich fehlenden Regelung gesprochen werden. Vielmehr sollte mit § 134 UmwG letztlich nur der besonderen Problemlage für Gläubiger Rechnung getragen werden, die sich daraus ergibt, dass bei der Spaltung als Form der Gesamtrechtsnachfolge auch Verbindlichkeiten ohne Zustimmung der Gläubiger übertragen werden können –, insoweit also auch eine wichtige Kontrollfunktion Dritter verloren geht3.
13.103
2. Voraussetzungen a) Übertragung der zur Führung eines Betriebes notwendigen Vermögensteile im Wesentlichen Durch die Spaltung wird der Anlagegesellschaft das betriebsnotwendige Vermögen und der Betriebsgesellschaft der Betrieb ohne das betriebsnotwendige Vermögen zugewiesen. Die zur Führung eines Betriebes notwendigen Vermögensteile müssen im Wesentlichen auf einen/andere Rechtsträger übertragen (§ 134 Abs. 1 Satz 1 UmwG) oder zurückbehalten werden (§ 134 Abs. 1 Satz 2 UmwG).
13.104
aa) Betrieb Der Begriff Betrieb ist im arbeitsrechtlichen Sinne zu verstehen (vgl. Rz. 1.3 ff.) und damit eine organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Arbeitgeber allein oder in Gemeinschaft mit seinen Arbeitnehmern arbeitstechnische Zwecke verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen4. Neben einem Betrieb als Ganzen kommt auch ein Betriebsteil als Spaltungsobjekt in Betracht5. Denn es genügt, dass das der Betriebsgesellschaft zugeordnete Vermögen diese in die Lage versetzt, einen Betrieb zu betreiben. Im Wortlaut des 1 Ebenso Hromadka/Hanau, Betriebsverfassung, S. 82, 92 f.; Widmann/Mayer/Vossius, § 134 UmwG Rz. 16 ff.; Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 6; Henssler, FS Kraft, S. 219, 249; Heckschen, DB 1998, 1385, 1386, 1396 f.; Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 134 UmwG Rz. 4; ErfK/Oetker, § 134 UmwG Rz. 2; Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 134 UmwG Rz. 19; Lutter/Schwab, § 134 UmwG Rz. 19. A.A. Däubler, RdA 1995, 136, 146: § 134 UmwG sei auch dann anzuwenden, wenn keine Unternehmensspaltung nach dem Umwandlungsgesetz, sondern eine Einzelrechtsnachfolge (Asset Deal) gegeben ist. Denn die Betroffenheit der Arbeitnehmer und die Interessenlage der Beteiligten sei dieselbe. 2 Ebenso Hromadka/Hanau, Betriebsverfassung, S. 82, 92 f.; Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 6. 3 Henssler/Strohn/Galla/Cédric Müller, § 134 UmwG Rz. 4; Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 134 UmwG Rz. 11. 4 Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 7; Henssler/Strohn/Galla/Cédric Müller, § 134 UmwG Rz. 4; Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 134 UmwG Rz. 11. 5 KK/Hohenstatt/Schramm, § 134 UmwG Rz. 6.
Schewiola | 547
13.105
§ 13 Rz. 13.105 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz
§ 134 Abs. 1 UmwG kommt dies durch den Begriff „eines“ statt seines Betriebes zum Ausdruck. Diese Voraussetzung ist auch dann erfüllt, wenn eine bislang als Betriebsteil geführte Einheit im Anschluss an die Spaltung als selbstständiger Betrieb geführt wird. Auch in diesem Fall kommt es – so Willemsen1 – zu der Aufspaltung in Haftungsmasse einerseits und Arbeitsplatz und Marktrisiko andererseits2. Allerdings muss der Betriebsteil schon vor der Betriebsspaltung als organisatorische Einheit bestehen3. bb) Zur Führung eines Betriebs notwendige Vermögensteile
13.106
Das Merkmal „zur Führung eines Betriebes notwendigen Vermögensteile“ ist funktional zu betrachten4. Die Betriebsgesellschaft wird gerade durch die ihr von der Anlagegesellschaft zur Nutzung überlassenen Bestandteile in die Lage versetzt, einen bestimmten Betriebszweck zu verfolgen. Werden von der Betriebsgesellschaft mehrere arbeitstechnische Zielsetzungen verfolgt, müssen die hierfür insgesamt notwendigen Bestandteile überlassen werden5. Unerheblich ist, ob der Betrieb dem Bereich der Produktion, der Dienstleistung oder des Handels zugeordnet ist6. Auch bei Produktionsbetrieben können immaterielle Betriebsmittel notwendig sein, um den Betriebszweck in der Betriebsgesellschaft weiterzuverfolgen (z.B. Know-how, Lizenzen, Computerprogramme). Umgekehrt können auch für ein Dienstleistungs- oder Handelsunternehmen materielle Betriebsmittel (z.B. Geschäftslokal, Kantine, Spezialgeräte) von entscheidender Bedeutung sein. Insoweit muss also auf die besonderen Gegebenheiten im Einzelfall abgestellt werden. Der wirtschaftliche Wert der Vermögensbestandteile ist für die Frage, ob sie „zur Führung eines Betriebs notwendig“ sind, unerheblich7.
13.107
Entscheidend ist eine Überlassung solcher materiellen oder immateriellen Betriebsmittel, die zur Erreichung des Betriebszwecks erforderlich und für den Betriebsablauf unerlässlich sind8. Die überlassenen Wirtschaftsgüter müssen ein wirtschaftliches Gewicht besitzen und nicht jederzeit ersetzbar sein9. Dies sind in erster Linie Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens10. Das Umlaufvermögen, das keine derartige Bedeutung besitzt, wird im Regelfall unmittelbar an die Betriebsgesellschaft veräußert bzw. dort im Wege der Sacheinlage eingebracht11.
13.108
So geht der BFH auch in Bezug auf die Vermietung/Verpachtung eines Grundstücks davon aus, dass die wirtschaftliche Bedeutung des Grundstücks für die Betriebsgesellschaft maßgeblich ist. Keine wesentliche Betriebsgrundlage sei demgemäß ein Betriebsgrundstück, das für das Betriebsunternehmen keine oder nur geringe wirtschaftliche Bedeutung besitze12. Hier ist 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 8 f. Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 9. Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 8. BFH v. 19.3.2009 – IV R 78/06, DStR 2009, 1138, 1141; vgl. Mengel, Umwandlungen, S. 241. Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 8. Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 10; a.A. Lutter/Schwab, § 134 UmwG Rz. 28. BFH v. 19.3.2009 – IV R 78/06, DStR 2009, 1138, 1140; Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 10. Blumers, DB 1995, 496, 497 m.w.N. Schneeloch, DStR 1991, 761, 762 f. Vgl. Schneeloch, DStR 1991, 761, 763; sowie die Gesamtübersicht bei Brandmüller, Betriebsaufspaltung, C Rz. 138 ff. (S. 193 ff.). Vgl. bereits Birk, BB 1976, 1227. BFH v. 18.6.2015 – IV R 11/13, DStR 2015, 2424, Rz. 24; BFH v. 2.4.1997 – X R 21/93, GmbHR 1997, 800, 801; BFH v. 17.11.1992 – VIII R 36/91, GmbHR 1993, 235; BFH v. 4.11.1992 – XI R 1/ 92, GmbHR 1993, 236.
548 | Schewiola
Haftung bei Spaltung | Rz. 13.110 § 13
eine funktionale Betrachtung maßgeblich. Das wirtschaftliche Gewicht eines Grundstücks im Falle der gleichartigen Nutzung weiterer Fremdgrundstücke durch die Betriebsgesellschaft ist nicht ausschließlich nach dem Nutzflächenverhältnis zu bestimmen1. Es kommt vielmehr auf die Wesentlichkeit der Grundstücksüberlassung und darauf an, ob dem überlassenen Grundstück im Rahmen aller das Betriebsunternehmen kennzeichnenden Umstände (sog. Gesamtbildbetrachtung) eine funktional nicht nur untergeordnete Bedeutung zukommt2. Eine wesentliche Bedeutung soll insbesondere dann anzunehmen sein, wenn das Betriebsunternehmen in seiner Betriebsführung auf das ihr zur Nutzung überlassene Grundstück angewiesen sei, weil – die Betriebsführung durch die Lage des Grundstücks bestimmt werde (z.B. Textileinzelhandel oder sonstiges Ladenlokal)3, oder – das Grundstück auf die Bedürfnisse des Betriebs zugeschnitten sei, vor allem, wenn die ausstehenden Baulichkeiten für die Zwecke des Betriebsunternehmens hergestellt oder gestaltet worden seien4, oder – das Betriebsunternehmen aus anderen innerbetrieblichen Gründen ohne ein Grundstück dieser Art den Betrieb nicht fortführen könnte5. Die bloße Nützlichkeit zur Betriebsführung genügt nicht6. Dass das Betriebsunternehmen für seine Belange jederzeit am Markt ein gleichwertiges Grundstück mieten oder kaufen könnte, schließt allerdings die sachliche Verflechtung nicht aus7.
13.109
Bei der Überlassung eines Bürogebäudes zur büro- und verwaltungsmäßigen Nutzung geht es auch um die Frage, ob das Gebäude wegen der Art der Tätigkeit überhaupt eine wesentliche Betriebsgrundlage sein kann8. Auch hier wird indes eine sachliche Verflechtung angenommen, wenn das Grundstück für die Betriebsführung der Betriebsgesellschaft von nicht nur geringer Bedeutung ist. Dies sei dann der Fall, wenn es der räumliche und funktionale Mittelpunkt der Geschäftstätigkeit des Betriebsunternehmens ist9. Diese Voraussetzung ist als erfüllt anzusehen, wenn aus dem Büro aus das Unternehmen betrieben wird und das Büro dessen
13.110
1 BFH v. 18.6.2015 – IV R 11/13, DStR 2015, 2424, Rz. 25; BFH v. 19.3.2009 – IV R 78/06, DStR 2009, 1138, 1140. 2 BFH v. 19.3.2009 – IV R 78/06, DStR 2009, 1138, 1140 f. m.w.N. 3 BFH v. 26.6.1992 – III R 91/88, BFH/NV 1993, 167, 168; BFH v. 12.2.1992 – XI R 18/90, GmbHR 1992, 769, 770. 4 BFH v. 10.4.1991 – XI R 22/89, BFH/NV 1992, 312, wobei die Gestaltung auch durch das Betriebsunternehmen erfolgen kann, wenn die Maßnahmen nach Zustimmung des Besitzunternehmens vorgenommen werden (vgl. Schneeloch, DStR 1991, 761, 762 f. m.w.N. zur unterschiedlichen Rechtsprechung der BFH-Senate). 5 BFH v. 2.4.1997 – X R 21/93, GmbHR 1997, 800, 801; BFH v. 26.5.1993 – XR 78/91, BStBl II 1993, 718, 719. 6 Hessisches FG v. 25.7.1996 – 2 K 3105/95, GmbHR 1997, 802 (LS). 7 BFH v. 19.3.2009 – IV R 78/06, DStR 2009, 1138, 1140; BFH v. 26.5.1993 – X R 78/91, BStBl. II 1993, 718, 719; Brandmüller, Betriebsaufspaltung, C Rz. 136 (S. 192). 8 Vgl. nur BFH v. 13.12.2005 – XI R 45/04, BFH/NV 2006, 1453 (NV); BFH v. 2.4.1997 – X R 21/93, GmbHR 1997, 800, 801; BFH v. 26.5.1993 – XR 78/91, BStBl. II 1993, 718, 719; BFH v. 11.11.1970 – I R 101/69, BStBl. II 1971, 61, 62; Kempermann, FR 1993, 593, 596; Märkle, BB 1994, 831, 835. 9 BFH v. 19.3.2009 – IV R 78/06, DStR 2009, 1138, 1141; BFH v. 13.12.2005 – XI R 45/04, BFH/NV 2006, 1453 (NV).
Schewiola | 549
§ 13 Rz. 13.110 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz
Sitz verkörpert1. Unabhängig davon sieht es der BFH als ausreichend an, wenn Grundstück und Gebäude auf die Bedürfnisse des Betriebs der Betriebsgesellschaft zugeschnitten sind, weil sie eben für diesen Betrieb hergestellt bzw. gestaltet wurden2. Stellen Büroräume allerdings nur einen geringen Anteil der Gesamtnutzfläche dar, sind sie nicht als wesentliche Betriebsgrundlage des Betriebes anzusehen3.
13.111
Darüber hinaus wird man solche Fallgestaltungen einbeziehen müssen, in denen die Anlagegesellschaft das jeweils zur Führung eines Betriebs notwendige Vermögen verschiedenen Betriebsgesellschaften zur Nutzung überlässt, ihrerseits aber den wesentlichen Teil dieses Vermögens – vermögensrechtlich gesehen – behält. Diese Gestaltungsmöglichkeit wird auch für die Betriebsaufspaltung im Handels- und Steuerrecht, an das mit § 134 UmwG angeknüpft wird, für denkbar erachtet4. Erforderlich ist nur, dass auch die übrigen Voraussetzungen einer personellen Verflechtung erfüllt sind. Darauf wird nachfolgend unter dem Stichwort der „Identität der Beteiligungsverhältnisse“ eingegangen (vgl. Rz. 13.119 ff.). cc) Übertragung/Zurückbehaltung „im Wesentlichen“
13.112
Die Übertragung/Zurückbehaltung der notwendigen Vermögensteile muss im Wesentlichen erfolgen. Eine vollständige Übertragung/Zurückbehaltung ist danach zunächst einmal nicht erforderlich. Wann die Wesentlichkeitsschwelle erreicht ist, ist umstritten. Teilweise wird angenommen, dass ⅔ bzw. 75 % des Werts der notwendigen Vermögensteile wesentlich sind5. Teilweise wird unter Rückgriff auf die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu § 419 Abs. 1 a.F. BGB von einer Wesentlichkeitsschwelle von 85–90 % ausgegangen6. Entscheidend soll der Verkehrswert zum Zeitpunkt der Spaltung, nicht der Buchwert sein7. b) Nutzungsüberlassung an die Betriebsgesellschaft
13.113
Zwischen der Anlage- und der Betriebsgesellschaft muss ein Rechtsverhältnis begründet werden, wonach die Betriebsgesellschaft die im Eigentum der Anlagegesellschaft stehenden betriebsnotwendigen Vermögensteile nutzen kann. Aus der Unterschiedlichkeit der übertrage-
1 BFH v. 13.12.2005 – XI R 45/04, BFH/NV 2006, 1453 (NV). 2 Vgl. BFH v. 2.4.1997 – X R 21/93, GmbHR 1997, 800, 801. 3 Vgl. BFH v. 13.12.2005 – XI R 45/04, BFH/NV 2006, 1453 (NV), wonach ein Anteil von 7,45 % der Gesamtnutzfläche nicht als ausreichend angesehen wurde. Bei Einzelhandelsunternehmen in Form von Filialbetrieben, vgl. BFH v. 19.3.2009 – IV R 78/06, DStR 2009, 1138, wonach das einzelne Geschäftslokal eines Filialeinzelhandelsbetriebs in aller Regel auch dann eine wesentliche Betriebsgrundlage ist, wenn auf das Geschäftslokal weniger als 10 % der gesamten Nutzfläche des Unternehmens entfällt. Der BFH sieht darin eine Besonderheit bei Filialbetrieben und keinen Widerspruch zu seiner Rechtsprechung in BFH v. 13.12.2005 – XI R 45/04, BFH/NV 2006, 1453 (NV). 4 Vgl. Brandmüller, Betriebsaufspaltung, C Rz. 136 (S. 192). 5 So Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 11. Für eine 75 % Übernahme: K. J. Müller, DB 2001, 2637, 2639; Freytag, Spaltung, S. 112 f. 6 So Widmann/Mayer/Vossius, § 134 UmwG Rz. 44; Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 134 UmwG Rz. 14; Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 134 UmwG Rz. 16; Henssler/Strohn/Galla/Cédric Müller, § 134 UmwG Rz. 5. A.A. Lutter/Schwab, § 134 UmwG Rz. 35, der darauf abstellen möchte, ob der Betriebsgesellschaft so viel Vermögen verbleibt, dass ihr Überleben für zehn Jahre gesichert erscheint. Mangels Praktikabilität einer solchen Prognose ist dieser Ansicht nicht zu folgen. 7 Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 11.
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Haftung bei Spaltung | Rz. 13.116 § 13
nen Betriebsmittel folgt, dass die Rechtsform der Nutzungsüberlassung nicht beschränkt ist. In Betracht kommen Miet- und Pachtvertrag, der Abschluss dinglicher Nutzungsvereinbarungen (Nießbrauch, Dienstbarkeit) oder Lizenz- und Know-how-Verträge1. Auch ein rein tatsächliches Nutzungsverhältnis ist ausreichend2. Werden von der Betriebsgesellschaft mehrere arbeitstechnische Zielsetzungen verfolgt, müssen die hierfür insgesamt notwendigen Bestandteile überlassen werden3.
13.114
c) Beschränkung der Tätigkeit der Anlagegesellschaft auf die Verwaltung der Vermögensteile Gemäß § 134 Abs. 1 UmwG muss sich die Tätigkeit der Anlagegesellschaft im Wesentlichen auf die Verwaltung der zur Führung des Betriebes notwendigen Vermögensteile beschränken. Daraus wird teilweise geschlossen, dass § 134 UmwG nicht zur Anwendung kommt, wenn die Anlagegesellschaft eine nicht nur geringfügige eigene operative Tätigkeit ausübt4 oder aber beträchtliches weiteres (nicht betriebsnotwendiges) Vermögen verwaltet5. Dem ist allerdings nicht zu folgen. Denn wenn dies so wäre, könnte die Haftung der Anlagegesellschaft relativ einfach umgangen werden. Offen bliebe dann allein die Frage, was unter einer nicht nur geringfügigen operativen Tätigkeit bzw. einem weiteren beträchtlichen Vermögen zu verstehen wäre.
13.115
Eine Ausgrenzung der Anlagegesellschaft aus der Haftung nach § 134 UmwG ist deshalb nicht ohne Einschränkung zu rechtfertigen. Durch § 134 UmwG sollen nämlich Arbeitnehmer geschützt werden, die hinnehmen müssen, dass das Vermögen ihres bisherigen Arbeitgebers so aufgeteilt wird, dass die Haftungsmasse für etwaige Ansprüche einem anderen Rechtsträger zugeordnet wird, wohingegen der Betrieb selbst bei einem insoweit deutlich „ärmeren“ Vermögensträger verbleibt. Ob die Anlagegesellschaft weitere Tätigkeiten als die Verwaltung der zur Führung des Betriebes notwendigen Vermögensteile verfolgt oder nicht, ändert nichts daran, dass die Arbeitnehmer der Betriebsgesellschaft in gleicher Masse durch die Spaltung gefährdet bleiben. Da ihrerseits insoweit kein Mitbestimmungsrecht besteht und selbst ein Widerspruchsrecht ausgeschlossen ist, wenn der Betrieb bei dem bisherigen Rechtsträger verbleibt, also nur das Anlagevermögen auf einen anderen Rechtsträger übertragen wird, soll diese als Ausgleich für das zur Verwaltung übernommene Vermögen über § 133 UmwG hinaus bei Ansprüchen wegen einer Betriebsänderung und betrieblicher Altersversorgung zeitlich begrenzt auch für noch entstehende Ansprüche haften. Wenn die Anlagegesellschaft auf diese Weise die zur Führung des Betriebs notwendigen Vermögensteile erhalten und auf diese Weise eine Abhängigkeit der Betriebsgesellschaft(en) begründet hat, gibt es bezogen auf den Schutzzweck und den Kreis der betroffenen Arbeitnehmer keinen sachlichen Grund, ihre Haftung einzuschränken, weil sie mit anderweitig im Anschluss an die Spaltung erworbenem Vermögen weitere Unternehmenszwecke verfolgt.
13.116
1 Vgl. Brinkmann, Spaltung von Rechtsträgern, S. 256 f. 2 Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 134 UmwG Rz. 24; Lutter/Schwab, § 134 UmwG Rz. 41; Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 134 UmwG Rz. 18. 3 Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 8. 4 Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 15. 5 Vgl. dazu KK/Hohenstatt/Schramm, § 134 UmwG Rz. 13.
Schewiola | 551
§ 13 Rz. 13.117 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz
13.117
Wenn die Anlagegesellschaft mit bereits vorhandenem oder neu erworbenem Vermögen anderweitige Tätigkeiten verfolgt, ist dies auch dann unschädlich, wenn dieser Teil ihrer betrieblichen Tätigkeit wesentlichen Charakter erhält1.
13.118
Ausreichend für die Anwendbarkeit des § 134 UmwG ist also, dass sich die Tätigkeit des übernehmenden Rechtsträgers für den betroffenen Betrieb im Wesentlichen auf die Verwaltung der ihr übertragenen Vermögensteile und deren Überlassung an die Betriebsgesellschaft beschränkt2. Weitere Tätigkeiten der Anlagegesellschaft hindern die Haftung nach § 134 UmwG nicht, wenn sie nicht den Betrieb betreffen, um dessen Vermögen es geht3. d) Identität der Beteiligungsverhältnisse
13.119
§ 134 UmwG verlangt, dass an der Anlage- und Betriebsgesellschaft „im Wesentlichen dieselben Personen“ beteiligt sind. Denn nur wenn Anlage- und Betriebsgesellschaft von denselben Personen bzw. Personengruppen wirtschaftlich gelenkt werden, besteht das Risiko der gezielten Auslagerung der Haftungsmasse auf eine vermögensarme Betriebsgesellschaft4.
13.120
Teilweise wird vertreten, dass die Gesellschafter zu mindestens 85–90 % identisch sein müssen5. Richtigerweise kann zur Bestimmung der Voraussetzung aber besser auf die im Handelsund Steuerrecht entwickelten Grundsätze zur personellen Verflechtung zurückgegriffen werden6. Danach ist eine personelle Verflechtung gegeben, wenn die beteiligten Gesellschaften über ihre Anteilsinhaber so eng miteinander verbunden sind, dass von einem einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen ausgegangen werden kann7. Diese Voraussetzungen werden nach Maßgabe des BFH dann erfüllt, wenn die Besitzgesellschaft oder die die Besitzgesellschaft beherrschenden Personen in der Lage sind, auch in der Betriebsgesellschaft ihren unternehmerischen Willen durchzusetzen8. Wichtig ist allerdings, dass dabei – anders als dies dem Wortlaut nach in § 134 UmwG der Fall ist – eine Personen- oder Beteiligungsidentität nicht
1 Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 15. 2 So auch: KK/Hohenstatt/Schramm, § 134 UmwG Rz. 14; Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 134 UmwG Rz. 16; Widmann/Mayer/Vossius, § 134 UmwG Rz. 53; a.A. Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 134 UmwG Rz. 23, der eine Haftung der Anlagegesellschaft ausschließt, wenn diese auch anderweitiges Vermögen in nicht unbedeutendem Umfang verwaltet oder einen weiteren Betrieb führt. Denn dies würde die Haftungsmasse der Anlagegesellschaft ungerechtfertigt erweitern; vgl. auch Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 3, 15, der dann eine Anwendbarkeit von § 134 UmwG verneint, wenn die Anlagegesellschaft neben der Verwaltung des betriebsnotwendigen Vermögens nach der Spaltung über „nennenswerte eigene betriebliche Aktivitäten“ verfüge bzw. eine „nicht nur geringfügige eigene operative Tätigkeit“ ausübe, allerdings insoweit eine Einschränkung vornimmt, als die Anlagegesellschaft außer dem an die Betriebsgesellschaft überlassenen Vermögen weiteres eigenes Vermögen verwalte. 3 Lutter/Schwab, § 134 UmwG Rz. 43 ff.; Semler/Stengel/Leonard//Seulen, § 134 UmwG Rz. 16 m.w.N. 4 Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 16. 5 Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 134 UmwG Rz. 28. 6 Widmann/Mayer/Vossius, § 134 UmwG Rz. 60 f.; Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 134 UmwG Rz. 32. 7 BFH v. 2.4.1997 – X R 21/93, GmbHR 1997, 800, 801; Luckey, DB 1979, 997, 1001, 1002 f.; Söffing, BB 1998, 397. 8 Vgl. BFH v. 16.5.2013 – IV R 54/11, BB 2014, 33, Rz. 34; BFH v. 8.9.2011 – IV R 44/07, DStR 2011, 2236; BFH v. 26.1.1989 – IV R 151/86, BStBl. II 1989, 455; BFH v. 8.11.1971 – GS 2/71, BStBl. II 1972, 63, 65.
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Haftung bei Spaltung | Rz. 13.122 § 13
verlangt wird1. Unerheblich ist auch, auf welcher Grundlage eine Durchsetzung dieses Willens erfolgt. Es genügt, dass den Anteilsinhabern der Anlage- oder Besitzgesellschaft aufgrund rechtlicher (z.B. Kapitalbeteiligung, Stimmrechtsbindungsvereinbarungen)2 und/oder tatsächlicher (z.B. faktische Beherrschungsmöglichkeit kraft finanzieller oder fachlicher Abhängigkeit)3 Umstände eine steuernde Einflussnahme auf die Belange der Betriebsgesellschaft möglich ist. Hiervon kann immer dann ausgegangen werden, wenn die Kapitalbeteiligung in der Betriebsgesellschaft mehr als 50 % beträgt4. Schließlich ist die Anteilsmehrheit bei der Kapitalgesellschaft regelmäßig auch mit der Stimmrechtsmehrheit verbunden5. Sollte für Gesellschafterbeschlüsse eine qualifizierte Mehrheit oder gar Einstimmigkeit erforderlich sein, muss diese Beteiligung vorliegen, um die Durchsetzbarkeit des Betätigungswillens und damit auch eine personelle Verflechtung annehmen zu können6. Bei der Personengesellschaft, bei der mangels abweichender Regelungen im Gesellschaftsvertrag nach Köpfen, ggf. sogar mit dem Einstimmigkeitsprinzip, abgestimmt wird, können Besonderheiten zum Tragen kommen7. Müssen die Beschlüsse der Besitz-Personengesellschaft also einstimmig gefasst werden, ist eine personelle Verflechtung nicht gegeben, wenn an der Betriebsgesellschaft nicht alle Gesellschafter der Besitz-Personengesellschaft beteiligt sind8. Eine familiäre Bindung zwischen den Anteilsinhabern beider Gesellschaften genügt nicht9.
13.121
Bei § 134 UmwG kann eine Wesentlichkeit der Beteiligungsidentität angenommen werden, wenn die Gesellschafter in beiden Gesellschaften jeweils mehr als 50 % der Stimmen besitzen10. Ist dies nicht der Fall, wird eine Identität auch dadurch als gewährleistet angesehen, dass über Stimmbindungs- oder Treuhandabreden eine Mehrheit gewährleistet ist11. Obwohl das Gesetz von „Beteiligung“ spricht, ist eine Mehrheit am Kapital nicht erforderlich12. Auch die Kopfzahl der Gesellschafter ist, da es auf die Möglichkeit einer Einflussnahme auf wirtschaftliche Entscheidungen in der Betriebsgesellschaft ankommt, nicht maßgeblich13. Damit genügt es, wenn bei der Ausgliederung die Anteilsinhaber der Anlagegesellschaft über ihren
13.122
1 Vgl. BFH v. 9.11.1983 – I R 174/79, BStBl. II 1984, 212; BFH v. 8.11.1971 – GS 2/71, BStBl. II 1972, 63, 65; Märkle, BB 1994, 831. 2 BFH v. 8.9.2011 – IV R 44/07, DStR 2011, 2236; eingehend Roschmann/Frey, GmbHR 1997, 155 ff.; Brinkmann, Spaltung von Rechtsträgern, S. 257 f. 3 Vgl. BFH v. 29.7.1976 – IV R 145/72, BStBl. II 1976, 750, 752; Brandmüller, Betriebsaufspaltung, C Rz. 122 ff. (S. 184 ff.). 4 BFH v. 16.5.2013 – IV R 54/11, BB 2014, 33, Rz. 36; BFH v. 28.11.1979 – I R 141/75, BStBl. II 1980, 162. 5 Fichtelmann, DStZ 1990, 371 ff.; Roschmann/Frey, GmbHR 1997, 155, 156. 6 BFH v. 10.12.1991 – VIII R 71/87, GmbHR 1992, 771; Söffing, DStR 1992, 633, 634 f.; vgl. auch Söffing, BB 1998, 397. 7 Vgl. BFH v. 16.5.2013 – IV R 54/11, BB 2014, 33, Rz. 36; BFH v. 29.10.1987 – VIII R 5/87, BStBl. II 1989, 96, 97; BFH v. 9.11.1983 – I R 174/79, BStBl. II 1984, 212, 213; Brandmüller, Betriebsaufspaltung, C Rz. 97 (S. 163 ff.); vgl. auch Schulze zur Wiesche, GmbHR 1994, 98. 8 BFH v. 16.5.2013 – IV R 54/11, BB 2014, 33, Rz. 36. 9 BFH v. 28.5.1991 – IV B 28/90, DStR 1991, 1244. 10 KK/Hohenstatt/Schramm, § 134 UmwG Rz. 17; Lutter/Schwab, § 134 UmwG Rz. 58, 60 ff.; Widmann/Mayer/Vossius, § 134 UmwG Rz. 60 ff.; Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 16. 11 Vgl. BVerfG v. 12.3.1985 – 1 BvR 571/81, BStBl. II 1985, 475, 479, 481; BFH v. 17.3.1987 VIII R 36/84, BStBl. II 1987, 858, 860; Märkle, BB 1994, 83 ff. 12 Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 16; a.A. Semler/StengelLeonard/Seulen, § 134 UmwG Rz. 26; Maier-Reimer, FS Happ, S. 151, wonach die Kapital- und Gewinnanteile maßgeblich sind. 13 Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 16; vgl. auch Lutter/Schwab, § 134 UmwG Rz. 56 ff.
Schewiola | 553
§ 13 Rz. 13.122 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz
Einfluss auf die geschäftsführenden Organe auch die Belange der Besitzgesellschaft steuern können.
3. Von § 134 UmwG erfasste Ansprüche 13.123
Der besondere Gläubigerschutz nach § 134 UmwG erfasst Ansprüche aufgrund der §§ 111 bis 113 BetrVG (Abs. 1) sowie Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung nach dem BetrAVG (Abs. 2). Die Besonderheit gegenüber § 133 UmwG bei Ansprüchen im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung besteht darin, dass diese erst innerhalb von fünf Jahren nach dem Wirksamwerden der Spaltung begründet werden müssen. Dagegen müssen Betriebsrentenansprüche bereits am Tage des Wirksamwerdens der Spaltung begründet sein. a) Inhalt der Ansprüche
13.124
§ 134 Abs. 1 UmwG erfasst nur Ansprüche von Arbeitnehmern. Eindeutig erfasst sind zum einen der Anspruch auf Leistungen eines Sozialplans, der im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung bei der Betriebsgesellschaft zustande kommt, und zum anderen der Anspruch auf einen Nachteilsausgleich gemäß § 113 BetrVG1. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Anspruch ausgelöst wird, weil die Betriebsgesellschaft erst gar nicht einen Interessenausgleich versucht hat oder aber von einem Interessenausgleich abweicht.
13.125
Dagegen sind Ansprüche des Betriebsrats auf Unterrichtung und Beratung gemäß § 111 BetrVG und auf Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan gemäß § 112 BetrVG, ggf. auch im Rahmen des Einigungsstellenverfahrens, nicht in die Haftung nach § 134 UmwG einbezogen. Hier handelt es sich um kollektivrechtliche Ansprüche des Betriebsrats. Der Betriebsrat muss sie gegenüber dem Rechtsträger durchsetzen, der nach allgemeinen betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätzen zuständig ist.
13.126
Da § 134 UmwG Ansprüche „auf Grund“ der §§ 111 bis 113 BetrVG nennt, werden Vereinbarungen über Leistungen außerhalb einer Betriebsänderung nicht erfasst. Dies gilt insbesondere in Bezug auf freiwillige Betriebsvereinbarungen, die in der Praxis zum Teil gleichwohl Sozialplan genannt werden und wirtschaftliche Nachteile betriebsbedingter Kündigungen ausgleichen oder mildern sollen, obgleich die zugrunde liegende Maßnahme nicht die Voraussetzungen einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG erfüllt2. Auch ein Tarifsozialplan fällt nicht unter § 134 UmwG, da die sich daraus ergebenden Ansprüche der Arbeitnehmer nicht „auf Grund“ der §§ 111 bis 113 BetrVG entstehen, sondern auf Grund der Verhandlungsinitiative der Gewerkschaft.
13.127
§ 134 UmwG kann nicht zur Anwendung kommen, wenn die Betriebsgesellschaft unter das Sozialplanprivileg des § 112a Abs. 2 BetrVG fällt. Das ist eine Folge des Verweises auf die §§ 111 bis 113 BetrVG in § 124 Abs. 2 UmwG. Dies wird allerdings nur dann bei einer Betriebsaufspaltung der Fall sein, wenn die Spaltung auf ein – noch nicht vier Jahre – bestehendes Unternehmen außerhalb desselben Konzerns und die Betriebsänderung noch vor Ablauf des Privilegierungszeitraums erfolgt3.
1 Bauer/Lingemann, NZA 1994, 1057, 1062; Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 17; Schmitt/ Hörtnagl/Hörtnagl, § 134 UmwG Rz. 38. 2 ErfK/Oetker, § 134 UmwG Rz. 7. 3 HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 112a BetrVG Rz. 8.
554 | Schewiola
Haftung bei Spaltung | Rz. 13.132 § 13
Streitig ist, ob bei der Bemessung der Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers zur Aufstellung des Sozialplans nur auf die Leistungsfähigkeit der Betriebsgesellschaft als Vertragsarbeitgeber abzustellen ist, oder aber auch auf die der Anlagegesellschaft1. Das BAG bejaht einen sog. Berechnungsdurchgriff bei der Anlagegesellschaft2. Dies ergebe sich aus dem Sinn und Zweck des § 134 UmwG. Denn eine in Folge der Spaltung vermögenslose Betriebsgesellschaft könne keinen Sozialplan aufstellen, der den berechtigten Belangen ihrer Beschäftigten genüge3. Der Berechnungsdurchgriff soll allerdings der Höhe nach auf die bei der Spaltung entzogenen Vermögensteile begrenzt sein4. Anderweitiges Vermögen der Anlagegesellschaft ist nicht zu berücksichtigen. Der Schutz des § 134 UmwG reicht nur insoweit, als durch die Spaltung dem Betrieb Vermögensteile als Haftung entzogen werden5. Ein etwaiger Schadensersatzanspruch wegen Existenzvernichtungshaftung gem. § 826 BGB (vgl. Rz. 25.359 ff.) gehört zum Vermögen der Gesellschaft, die Gläubigerin dieses Anspruchs ist, und soll deshalb bei der Beurteilung der Vermögenslage zur Festsetzung des Sozialplanvolumens ebenfalls Berücksichtigung finden6. Dem Berechnungsdurchgriff folgt ein Haftungsdurchgriff im Innenverhältnis7.
13.128
In entsprechender Weise kann bei der Berechnung eines Nachteilsausgleichs nach § 113 BetrVG ebenso auf die Leistungsfähigkeit der Anlagegesellschaft abgestellt werden8.
13.129
Regelungen in einem Interessenausgleich werden von § 134 UmwG nicht erfasst. Erst der Anspruch auf einen Nachteilsausgleich fällt unabhängig davon, ob in der Betriebsgesellschaft der Versuch eines Interessenausgleichs unterlassen wurde oder von einem solchen ohne zwingenden Grund abgewichen wurde, unter § 134 UmwG9.
13.130
Bei allen anderen Arbeitnehmeransprüchen greift lediglich die allgemeine Haftungsregelung des § 133 UmwG. Somit beschränkt sich die gesamtschuldnerische Haftung der Anlagegesellschaft in allen übrigen Fällen auf diejenigen Ansprüche, die vor dem Wirksamwerden der Spaltung begründet wurden10.
13.131
b) Begründung im Fünf-Jahres-Zeitraum Ansprüche von Arbeitnehmern wegen einer Betriebsänderung aus §§ 111 bis 113 BetrVG können nach dem Wirksamwerden der Spaltung auf unterschiedliche Weise begründet werden.
1 Vgl. dazu Ludwig/Hinze, NZA 2020, 1657, 1664. 2 BAG v. 15.3.2011 – 1 ABR 97/09, NZA 2011, 1112; vgl. auch BAG v. 24.8.2004 – 1 ABR 23/03, DB 2005, 397; vgl. auch ArbG Iserlohn v. 20.6.2018 - 1 BV 1/18, juris; Röger/Tholuck, NZA 2012, 294; ebenso Däubler, RdA 1995, 136, 144; Lutter/Schwab, § 134 UmwG Rz. 83; Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 250; Mengel, Umwandlungen, S. 244 f.; Kruip, Betriebsrentenanpassung, S. 216 f.; Brinkmann, Spaltung von Rechtsträgern, S. 261 f.; Deinert, RdA 2001, 368, 370; abl. Freytag, Spaltung, S. 125 f. Gegen die Annahme eines solchen „Bemessungsdurchgriffs“: Kallmeyer/ Willemsen, § 134 UmwG Rz. 19; KK/Hohenstatt/Schramm, § 134 UmwG Rz. 23; Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 134 UmwG Rz. 41; Mehrens, EWiR 2011, 621, 622. 3 BAG v. 15.3.2011 – 1 ABR 97/09, NZA 2011, 1112, Rz. 31, m.w.N.; Röger/Tholuck, NZA 2012, 294. 4 BAG v. 15.3.2011 – 1 ABR 97/09, NZA 2011, 1112, Rz. 32. 5 Vgl. dazu auch Ahrendt, RdA 2012, 340. 6 BAG v. 15.3.2011 – 1 ABR 97/09, NZA 2011, 1112, Rz. 36; Gaul/Schmidt, DB 2014, 300, 303. 7 Löwisch, ZIP 2015, 209 ff. 8 A.A. Freytag, Spaltung, S. 125 f. 9 Vgl. BAG v. 15.3.2011 – 1 ABR 97/09, NZA 2011, 1112, Rz. 24; Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 17; ErfK/Oetker, § 134 UmwG Rz. 7; a.A. Widmann/Mayer/Vossius, § 134 UmwG Rz. 79 ff. 10 Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 1; ErfK/Oetker, § 134 UmwG Rz. 7.
Schewiola | 555
13.132
§ 13 Rz. 13.133 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz
aa) Zeitpunkt der Begründung des Nachteilsausgleichsanspruchs nach § 113 BetrVG
13.133
Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG ist begründet, wenn die Betriebsgesellschaft eine Betriebsänderung durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich versucht zu haben. Weiterhin dann, wenn die Betriebsgesellschaft ohne zwingenden Grund von einem Interessenausgleich abweicht, der zwischen Betriebsrat und Anlagegesellschaft oder Betriebsrat und Betriebsgesellschaft vereinbart wurde1.
13.134
In beiden Fällen ist also Voraussetzung für die Begründung eines Anspruchs auf einen Nachteilsausgleich, dass die Betriebsgesellschaft nach dem Wirksamwerden der Spaltung eine Maßnahme zur Umsetzung einer Betriebsänderung durchführt2. Da der Nachteilsausgleichsanspruch mit der Verwirklichung der Betriebsänderung bzw. der abändernden Maßnahme entsteht3, ist ein tatsächliches Tun oder Unterlassen erforderlich. Ein etwaiges Verschulden ist unbeachtlich4. Die Maßnahme muss ursächlich für arbeitnehmerseitige Nachteile sein5. Unerheblich ist, ob der Interessenausgleich noch durch den übertragenden oder bereits den übernehmenden Rechtsträger abgeschlossen wurde.
13.135
Bei einem aktiven Tun muss mit der Umsetzung der Betriebsänderung begonnen werden6. Der Unternehmer beginnt mit der Umsetzung, wenn er unumkehrbare Maßnahmen ergreift und damit vollendete Tatsachen schafft7. Notwendig ist, dass die konkret in Rede stehende Maßnahme unmittelbar zu einem Nachteil der betroffenen Arbeitnehmer führt. Eine Kündigung zum Zwecke der Umsetzung der Betriebsänderung ist eine unumkehrbare Maßnahme in diesem Sinne8. Die Kündigung als einseitiges Rechtsgeschäft kann nicht wieder einseitig rückgängig gemacht werden. Eine Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG oder die Einleitung des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG sind dagegen nicht unumkehrbar. Hiervon geht auch das BAG aus, wenn es von der Möglichkeit ausgeht, die Anhörung nach § 102 BetrVG bereits in die Verhandlungen über einen Interessenausgleich einzubringen9. In beiden Fällen ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, überhaupt die Kündigung auszusprechen. Er ist ebenso berechtigt, bis zum Ablauf der in § 113 Abs. 3 BetrVG gesetzten Frist abzuwarten10. Möglicherweise wird er mit Blick auf etwaige Einwände des Betriebsrats sogar gänzlich auf
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 17; DKW/Däubler, § 113 BetrVG Rz. 5 f. DKW/Däubler, § 113 BetrVG Rz. 6. BAG v. 22.5.1979 – 1 AZR 46/76, DB 1979, 1751, 1754. St. Rspr., vgl. BAG v. 23.9.2003 – 1 AZR 576/02, AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 43; BAG v. 29.11.1983 – 1 AZR 523/82, AP Nr. 10 zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 2; Richardi/Annuß, § 113 BetrVG Rz. 28 m.w.N. Zum Ursachenzusammenhang vgl. GK-BetrVG/Oetker, § 113 Rz. 75 ff.; Richardi/Annuß, § 113 BetrVG Rz. 19 ff. BAG v. 14.9.1976 – 1 AZR 784/75, AP Nr. 2 zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 2; GK-BetrVG/Oetker, § 113 Rz. 64 ff. BAG v. 14.4.2015 – 1 AZR 794/13, NZA 2015, 1147, Rz. 22; BAG v. 30.5.2006 – 1 AZR 25/05, AP InsO § 209 Nr. 5. BAG v. 30.5.2006 – 1 AZR 25/05, AP InsO § 209 Nr. 5; BAG v. 4.12.2002 – 10 AZR 16/02, BAGE 104, 94; ErfK/Kania, § 113 BetrVG Rz. 9. BAG v. 14.4.2015 – 1 AZR 794/13, NZA 2015, 1147, Rz. 25; LAG Hamm v. 5.10.2011 – 6 Sa 2/11, juris; vgl. auch BAG v. 20.5.1999 – 2 AZR 148/99, NZA 1999, 1039, 1040 und 2 AZR 532/98, NZA 1999, 1101, 1102. Dies sollte aber, um die Betriebsratsanhörung selbst nicht fehlerhaft werden zu lassen, in der Mitteilung an den Betriebsrat zum Ausdruck kommen (BAG v. 20.5.1999 – 2 AZR 532/98, NZA 1999, 1101 ff.).
556 | Schewiola
Haftung bei Spaltung | Rz. 13.139 § 13
die Maßnahme verzichten. Es handelt sich also nur um vorbereitende Maßnahmen. Insoweit kann in der Einleitung dieser Verfahren allenfalls ein Verstoß gegen die Unterrichtungspflicht des § 111 Satz 1 BetrVG gesehen werden. Auch die Freistellung von Teilen der Belegschaft ist eine vorbereitende Maßnahme1. Dies gilt zunächst einmal für die widerrufliche Freistellung. Eine unwiderrufliche Freistellung ist dagegen nicht einseitig durch den Arbeitgeber umkehrbar. Allerdings wird eine unwiderrufliche Freistellung im ungekündigten unbefristeten Arbeitsverhältnis wegen des arbeitnehmerseitigen Beschäftigungsanspruchs nur selten bestehen. Allenfalls in einem befristeten Arbeitsverhältnis ist eine unwiderrufliche Freistellung denkbar; sie dürfte aber ebenfalls im Widerspruch zu dem ideellen Anspruch auf Beschäftigung stehen. Bei einem Unterlassen ist der Nachteilsausgleichsanspruch erst begründet, wenn die letzte Möglichkeit, das rechtlich geforderte Tun zu verwirklichen, verstrichen ist (z.B. werden die ersten Kündigungen ausgesprochen)2.
13.136
bb) Zeitpunkt der Begründung von Sozialplanansprüchen Sozialplanansprüche werden nicht mit dem Abschluss des Arbeitsvertrages begründet3. Für die Planung einer Betriebsänderung, die Unterrichtung des Betriebsrats nach § 111 BetrVG sowie die Beratung der Betriebsänderung mit dem Betriebsrat gilt nichts anderes. Daraus folgt allein, dass der Betriebsrat einen Sozialplan verlangen kann. Selbst der Abschluss des Sozialplans begründet noch keine Ansprüche4.
13.137
Begründet ist ein Sozialplananspruch erst dann, wenn die dem Sozialplan zugrundeliegende Maßnahme durchgeführt und darüber hinaus die sonstigen im Sozialplan festgelegten Anspruchsvoraussetzungen der jeweiligen Forderung erfüllt sind. Gegebenenfalls muss der Zeitpunkt der Entstehung des Sozialplananspruchs im Wege der Auslegung festgestellt werden5. Der Anspruch auf eine Abfindung ist im Regelfall erst dann entstanden, wenn die Kündigung ausgesprochen und das Arbeitsverhältnis beendet wurde6. Typischerweise wird die Sozialplanabfindung wegen betriebsbedingter Kündigung für den Fall einer Kündigungsschutzklage an den rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens geknüpft. In diesem Fall kann die entsprechende Forderung des Arbeitnehmers auch im Hinblick auf § 134 Abs. 1 UmwG erst mit Erfüllung dieser Voraussetzung entstehen. Das BAG hat bei einer entsprechenden Regelung daher das Entstehen eines Anspruchs verneint, wenn ein Arbeitnehmer nach Abschluss eines Aufhebungsvertrages aber vor dem Ausscheidensdatum verstirbt7.
13.138
Gleiches gilt für Fahrtkostenzuschläge oder Zuschläge bei einer Entgeltminderung als Folge einer geänderten Tätigkeit. Auch hier setzt die Entstehung des Anspruchs in der Regel voraus, dass die Versetzung vorgenommen und dem Arbeitnehmer tatsächlich Fahrtkosten entstanden sind. Ggf. kann der Anspruch anteilig nach erfolgter tatsächlicher Fahrt entstehen, er wird aber zu einem späteren Zeitpunkt einheitlich ausgezahlt.
13.139
1 2 3 4 5 6 7
BAG v. 30.5.2006 – 1 AZR 25/05, AP InsO § 209 Nr. 5. DKW/Däubler, § 113 BetrVG Rz. 9. So Hönn, ZHR 149 (1985), 300, 309, 317 ff. Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 17. BAG v. 25.9.1996 – 10 AZR 311/96, NZA 1997, 163, 165. DKW/Däubler, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 206. BAG v. 25.9.1996 – 10 AZR 311/96, NZA 1997, 163, 165; LAG Düsseldorf v. 12.3.2004 – 14 Sa 1827/03, juris.
Schewiola | 557
§ 13 Rz. 13.140 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz
c) Begünstigter Personenkreis
13.140
Begünstigt sind nach dem Wortlaut von § 134 Abs. 1 UmwG die „Arbeitnehmer der Betriebsgesellschaft“.
13.141
Unstreitig sind dies zunächst die Arbeitnehmer, die schon vor der Spaltung beim übertragenden Rechtsträger beschäftigt waren1.
13.142
Ob darüber hinaus auch die durch die Betriebsgesellschaft nach der Spaltung neu eingestellten Arbeitnehmer, die eine Betriebsänderung betrifft, begünstigt sind, ist umstritten. Die Befürworter haben jedenfalls den sehr abstrakt gehaltenen Wortlaut der Vorschrift auf ihrer Seite2. Zur Begründung wird neben dem Wortlaut angeführt, dass der Gesetzgeber mit § 134 UmwG vor allem auf den Umstand habe reagieren wollen, dass eine Betriebsgesellschaft typischerweise zeitnah im Anschluss an die Betriebsaufspaltung in eine bedrohliche Vermögenslage gerate. Ein qualifizierter Arbeitnehmerschutz müsse daher alle Arbeitnehmer erfassen, nicht nur die Alt-Arbeitnehmer3.
13.143
Eine solche Interpretation des Gesetzes vermag indes nicht zu überzeugen. Der Grund für die besonderen Regelungen zum Gläubigerschutz in §§ 133, 134 UmwG ist die Gefahr, dass das Vermögen des Schuldners nach Abschluss des Dauerschuldverhältnisses auf einen anderen Rechtsträger verteilt wird. Von dieser Aufteilung nicht betroffen sind Vertragspartner, die Forderungen erst nach dem Wirksamwerden der Spaltung erwerben. § 133 Abs. 1, § 134 Abs. 2 UmwG begrenzen die gesamtschuldnerische Haftung deshalb auf Verbindlichkeiten, die vor dem Wirksamwerden der Spaltung begründet wurden. § 134 Abs. 1 UmwG weitet diese Haftung aus. Der Grund ist das besondere Schutzbedürfnis der von einer Betriebsaufspaltung betroffenen Arbeitnehmer. Diese sollen davor geschützt werden, dass die beteiligten Rechtsträger mit der Vornahme einer Betriebsänderung warten, bis die Spaltung erfolgt ist. Insoweit soll den Arbeitnehmern, die schon vor der Spaltung beim übertragenden Rechtsträger beschäftigt waren, aber erst nach der Verminderung der Haftungsmasse, die ihrem Arbeitgeber für einen Sozialplan zur Verfügung steht, die Leistungsfähigkeit der Anlagegesellschaft zur Verfügung stehen. Denn für sie besteht keine Möglichkeit, sich einen leistungsstarken Gläubiger auszusuchen.
13.144
Mit der herrschenden Meinung ist daher § 134 UmwG in engem Kontext zu § 133 UmwG zu interpretieren. § 134 UmwG erweitert mit dem Wort „auch“ in Abs. 1 UmwG nicht den Kreis der betroffenen Arbeitnehmer, sondern lediglich den Kreis der geschützten Ansprüche4. § 134 UmwG bezieht sich also nur auf nach der Spaltung begründete Ansprüche von Arbeitnehmern, die schon vor der Spaltung in einem Arbeitsverhältnis zu dem übertragenden Rechtsträger standen.
1 Widmann/Mayer/Vossius, § 134 UmwG Rz. 89; Lutter/Schwab, § 134 UmwG Rz. 16; Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 17. 2 So Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 250; Lutter/Schwab, § 134 UmwG Rz. 74. 3 Lutter/Schwab, § 134 UmwG Rz. 16. 4 Henssler/Strohn/Galla/Cédric Müller, § 134 UmwG Rz. 11; Widmann/Mayer/Vossius, § 134 UmwG Rz. 89; Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 134 UmwG Rz. 4; Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 134 UmwG Rz. 38; Kallmeyer/Willemsen, § 134 UmwG Rz. 17.
558 | Schewiola
Haftung bei Spaltung | Rz. 13.150 § 13
d) Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung Wegen der Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung sei auf die allgemeinen Ausführungen zu den Konsequenzen von Betriebsübergang und Umwandlung auf etwaige Ansprüche und Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung verwiesen (vgl. Rz. 34.1 ff.).
13.145
4. Zeitliche Begrenzung der Haftung gemäß (Zehn-Jahres-Zeitraum) Die Haftung der Anlagegesellschaft aus § 134 Abs. 1 UmwG wird durch § 134 Abs. 3 i.V.m. § 133 Abs. 3 bis 5 UmwG zeitlich begrenzt. Danach haftet die Anlagegesellschaft nur dann, wenn Ansprüche innerhalb von zehn Jahren nach dem Tag, an dem die Eintragung der Spaltung in das Register des übertragenden Rechtsträgers nach §§ 125, 19 Abs. 3 UmwG als bekannt gemacht gilt, fällig werden und daraus Ansprüche gegen die Anlagengesellschaft in einer in § 197 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 BGB bezeichneten Art festgestellt sind, oder eine gerichtliche oder behördliche Vollstreckungshandlung vorgenommen oder beantragt wird.
13.146
Erreicht wird die Verlängerung der Haftung gegenüber § 133 UmwG dadurch, dass der aus § 133 Abs. 4 UmwG folgende Beginn der Fünf-Jahres-Frist für die Enthaftung im Rahmen von § 134 UmwG erst fünf Jahre später beginnt. Obwohl der Wortlaut insoweit unklar ist, wird damit unter Einbindung der ersten fünf Jahre in der Gesamtheit eine zehnjährige Haftung der Anlagegesellschaft begründet, die mit dem Wirksamwerden der Spaltung beginnt und nicht erst nach Ablauf des ersten Fünf-Jahres-Zeitraums1.
13.147
§ 134 Abs. 2 UmwG hatte ursprünglich die Funktion, die Haftung der Anlagegesellschaft für Versorgungsverpflichtungen der Betriebsgesellschaft auf zehn Jahre zu verlängern. Da seit Inkrafttreten der zweiten Umwandlungsrechts-Novelle am 25.4.2007 die Zehn-Jahres-Frist für Versorgungsverpflichtungen bei allen Spaltungsfällen gilt, hat die Vorschrift nur noch für Altfälle Bedeutung, in denen die Spaltung vor diesem Zeitpunkt erfolgt ist2. Eine Erweiterung der Haftung auf insgesamt 15 Jahre sieht die Vorschrift nicht vor.
13.148
5. Mithaftung der übrigen Rechtsträger Die Haftung nach § 133 UmwG bleibt durch § 134 UmwG unberührt. Daher besteht die gesamtschuldnerische Haftung anderer Rechtsträger, die an der Spaltung beteiligt sind, innerhalb des Fünf-Jahres-Zeitraums von § 133 Abs. 3 UmwG fort. Dies kann z.B. relevant werden, wenn durch die Spaltung zugleich mehrere Betriebsgesellschaften und eine Anlagegesellschaft entstehen.
13.149
III. Verhältnis zwischen §§ 133, 134 UmwG und § 613a BGB 1. Schutz durch § 613a Abs. 2 BGB und §§ 133, 134 UmwG Die Frage nach dem Verhältnis der §§ 133, 134 UmwG zu § 613a BGB stellt sich zunächst nicht, wenn kein Betriebs(-teil)übergang3 oder aber ein Fall der Aufspaltung vorliegt, bei dem der übertragene Rechtsträger erlischt4. 1 Bauer/Lingemann, NZA 1994, 1057, 1062; Geck, DStR 1995, 416, 423; Schaub, FS Wlotzke, S. 103, 114; Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 134 UmwG Rz. 48 f. 2 Lutter/Schwab, § 134 UmwG Rz. 55; kritisch zur Behandlung von Altfällen: Ihrig/Kranz, ZIP 2012, 749. 3 Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 133 UmwG Rz. 22. 4 Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 133 UmwG Rz. 21.
Schewiola | 559
13.150
§ 13 Rz. 13.151 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz
13.151
In den übrigen Fällen der Abspaltung und Ausgliederung ist eine Konkurrenz möglich. Diese wird aber nicht durch das Gesetz gelöst. § 324 UmwG stellt einerseits ausdrücklich klar, dass § 613a Abs. 1 und 4 BGB durch die Wirkungen der Eintragung einer Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensteilübertragung unberührt bleibt. Andererseits bestimmt § 613a Abs. 3 BGB, dass die Haftungsregelungen in § 613a Abs. 2 BGB nicht zur Anwendung kommen, wenn eine juristische Person oder Personenhandelsgesellschaft durch Umwandlung erlischt1.
13.152
Engelmeyer2 und Boecken3 vertreten die Auffassung, § 613a Abs. 2 BGB verdränge im unmittelbaren Anwendungsbereich von § 613a Abs. 1 BGB die Haftung nach §§ 133, 134 UmwG. Dabei gehen die Autoren allerdings davon aus, dass § 613a BGB bei der Umwandlung von Unternehmen nur dann zur Anwendung komme, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil i.S.d. § 613a Abs. 1 BGB übertragen werde4. In diesem Fall sei jedenfalls zugunsten des übertragenden Rechtsträgers ein Vorrang gegenüber §§ 133, 134 UmwG anzunehmen. Für die übrigen an einer Spaltung beteiligten Rechtsträger verbleibe es indes bei einer Anwendbarkeit von § 133 UmwG5. Im Übrigen soll § 613a BGB in seiner Gesamtheit keine Anwendung finden, wenn, was bei einer Umwandlung statthaft ist, nur einzelne Arbeitsverhältnisse übertragen werden, die ihrerseits nicht als Betriebsteil i.S.d. § 613a BGB qualifiziert werden können. In diesen Fällen eines „spaltungs-“ oder „umwandlungsrechtlichen“ Übergangs soll dann wieder die Haftung nach §§ 133 f. UmwG zur Anwendung kommen.
13.153
Richtigerweise wird die Haftung nach §§ 133, 134 UmwG generell nicht durch § 613a Abs. 2 BGB verdrängt. § 613a Abs. 2 BGB verfolgt den Zweck, den von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer besonderen Schutz zu gewähren6. Da § 613a Abs. 2 BGB aber eine kürzere Haftung des übertragenden Rechtsträgers7 im Vergleich zu den §§ 133, 134 UmwG vorsieht, würde eine Verdrängung der umwandlungsrechtlichen Vorschriften zur Folge haben, dass diese Arbeitnehmer schlechter gestellt würden, was nicht gewollt sein kann8. Gegen einen Vorrang von § 613a Abs. 2 BGB spricht auch, dass damit ein Teil der in § 134 UmwG getroffenen Regelungen zum besonderen Gläubigerschutz bei einer Spaltung in eine Anlage- und eine Betriebsgesellschaft leerliefe. Denn es leuchtet nicht ein, zwar § 133 UmwG im Anwendungsbereich von § 613a Abs. 1 BGB auszuschließen, aber zugleich § 134 UmwG anzuwenden.
13.154
Überwiegend wird auf der Grundlage des Spezialitätsgrundsatzes deshalb ein Vorrang der umwandlungsrechtlichen Vorschriften vor § 613a Abs. 2 BGB angenommen9. Geht man nicht
1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Maulbetsch/Klumpp/Rose/Raible, § 133 UmwG Rz. 9. Engelmeyer, Spaltung von Aktiengesellschaften, 1995, S. 350 f. Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 227 ff., 233. So auch Hill, BetrAV 1995, 114, 115 f. Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 233. Semler/Stengel/Leonard/Simon, § 324 UmwG Rz. 38. Kein Unterschied macht diese Problematik im Hinblick auf die Haftung des übernehmenden Rechtsträgers, der ohnehin für die bestehenden Ansprüche aus den auf ihn übergegangenen Arbeitsverhältnissen haftet. 8 So auch Herbst, AiB 1995, 5, 13; Wlotzke, DB 1995, 40, 43; Kallmeyer, ZIP 1995, 550, 551 f. Ursprünglich nahm Kallmeyer (ZIP 1994, 1746, 1757) an, dass für die Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen nicht die gesamtschuldnerische Haftung nach § 133 UmwG, sondern die gesamtschuldnerische Haftung nach § 613a Abs. 2 BGB gilt. 9 Für einen Vorrang der umwandlungsrechtlichen Vorschriften: Lutter/Sagan, § 324 UmwG Rz. 38 ff.; Semler/Stengel/Leonard/Simon, § 324 UmwG Rz. 38; KK/Hohenstatt/Schramm, § 324 UmwG Rz. 103; APS/Steffan, § 324 UmwG Rz. 26; Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 22; ErfK/Oetker, § 324 UmwG Rz. 5.
560 | Schewiola
Haftung bei der Spaltung einer Personenhandelsgesellschaft | Rz. 13.158 § 13
von einem Vorrang von § 613a Abs. 2 BGB aus, ist die Bedeutung dieses Meinungsstreites im Ergebnis gering. Denn selbst wenn man von einer parallelen Anwendbarkeit1 der Vorschriften ausgeht, führt dies im Ergebnis zu einer Haftung nach Maßgabe der weiterreichenden umwandlungsrechtlichen Vorgaben.
2. Einschränkung der Spaltungsfreiheit bei der Zuordnung der Arbeitsverhältnisse im Falle eines Betriebsübergangs i.S.d. § 613a Abs. 1 BGB Wie an anderer Stelle bereits erwähnt (vgl. Rz. 13.85), geht § 613a BGB hinsichtlich der Zuordnung von Arbeitsverhältnissen dem Grundsatz der Spaltungsfreiheit im UmwG vor. Folglich kann der Spaltungsvertrag beim Vorliegen eines Betriebsübergangs i.S.d. § 613a BGB die Zuordnung der einzelnen Arbeitsverhältnisse nicht beliebig bestimmen (vgl. Rz. 13.86).
13.155
C. Haftung bei der Spaltung einer Personenhandelsgesellschaft I. Haftung der Gesellschafter der übertragenden OHG bzw. KG 1. Grundsatz a) Komplementär Der persönlich haftende Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft, die als übertragender Rechtsträger an einer Abspaltung oder Ausgliederung beteiligt ist, haftet persönlich und unbegrenzt für die Dauer des in § 133 UmwG genannten Zeitraums für Verbindlichkeiten, die bis zum Übertragungsvorgang entstanden und den übernehmenden Rechtsträgern zugeordnet wurden2. Gleiches gilt im Ergebnis bei einer Aufspaltung (arg. § 125 UmwG i.V.m. § 45 UmwG)3.
13.156
b) Kommanditist Soweit die Einlage geleistet ist und eine Einlagenrückgewähr nicht stattgefunden hat, ist die Haftung der Kommanditisten auf die Höhe ihrer Einlage beschränkt (§§ 171, 172 HGB).
13.157
Umstritten ist, ob eine Spaltung nach § 123 UmwG eine Rückzahlung der Einlage i.S.d. § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB mit der Folge bewirken kann, dass die Einlage zu Lasten der verbleibenden Kommanditisten als nicht erbracht gilt und die Haftungsbeschränkung der §§ 171, 172 HGB keine Anwendung findet4.
13.158
1 Für eine parallele Anwendung von § 613a BGB und §§ 133, 134 UmwG: Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 133 UmwG Rz. 21; Hausch, RNotZ 2007, 308, 338. 2 Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 133 UmwG Rz. 5. 3 Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 133 UmwG Rz. 5. 4 Vgl. dazu etwa: Naraschewski, DB 1995, 1265, 1266; Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 133 UmwG Rz. 42; Kallmeyer/Sickinger, § 133 UmwG Rz. 22; Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 133 UmwG Rz. 116.
Schewiola | 561
§ 13 Rz. 13.159 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz
13.159
Nach wohl h.M. findet eine Rückzahlung der Einlage nicht statt, und zwar unabhängig davon, ob die Spaltung im Wege der Auf- oder Abspaltung bzw. Ausgliederung erfolgt1. § 133 UmwG biete einen ausreichenden Gläubigerschutz.
13.160
Teilweise wird dagegen von einer Anwendung der §§ 171, 172 Abs. 4 Satz 1 HGB ausgegangen, es sei denn, die Haftsumme beim übertragenden Rechtsträger werde entsprechend herabgesetzt und beim übernehmenden um denselben Betrag erhöht2.
13.161
Der h.M. ist jedenfalls für den Fall der Ausgliederung zu folgen. Die Anteilsgewährung an dem übernehmenden Rechtsträger erfolgt hier gemäß § 123 Abs. 3 UmwG an den übertragenden Rechtsträger. Die gesamtschuldnerische Haftung der an der Spaltung beteiligten Rechtsträger gemäß § 133 UmwG bewirkt in der Tat einen ausreichenden Schutz. Denn die bisherige Haftsumme steht den Gläubigern damit jedenfalls für den Fünf-Jahres-Zeitraum weiterhin zur Verfügung. Dass mit Ablauf dieses Zeitraums eine Enthaftung bewirkt wird, ist akzeptabel. Letztlich könnte der Kommanditist diese Rechtsfolge gemäß § 160, § 161 Abs. 2, § 171, § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB auch dadurch herbeiführen, dass er aus der Gesellschaft ausscheidet. Voraussetzung ist allerdings, dass auf Seiten des übernehmenden Rechtsträgers eine entsprechende Anhebung der Einlage bzw. des Kapitals vorgenommen wird. Eine Herabsetzung der Einlage bei der übertragenden Gesellschaft erscheint hingegen entbehrlich, da sie auch bei Eintragung nur für zukünftig entstehende Ansprüche Wirkung entfaltet (§ 174 HGB)3.
13.162
Bei der Abspaltung fließen die Anteile an dem übernehmenden Rechtsträger im Gegensatz zur Ausgliederung gemäß § 123 Abs. 2 UmwG den Gesellschaftern der Personenhandelsgesellschaft zu. Damit wird das Vermögen der Gesellschaft gemindert, ohne dass ihr eine entsprechende Ausgleichsleistung zufließt. Faktisch kommt es dadurch zwar nicht zu einer Rückzahlung der Einlage. Es kommt aber zu einer Minderung der Haftsumme der Gesellschaft zu Lasten der Gläubiger, die unausgeglichen bliebe. In diesem Fall ist deshalb eine Anwendung der §§ 171, 172 Abs. 4 Satz 1 HGB geboten4. Dabei kann auf eine Anwendbarkeit von § 174 Halbs. 2 HGB nicht verzichtet werden. Denn damit würde der Schutz der Altgläubiger missachtet, die Ansprüche gegen die übertragende Gesellschaft, die dieser im Rahmen von § 133 UmwG zugewiesen wurden, geltend zu machen.
2. Zeitliche Begrenzung der Nachhaftung 13.163
Der Gesetzgeber hat in § 45, § 125 Satz 1, § 135 UmwG eine zeitliche Begrenzung der Nachhaftung des persönlichen haftenden Gesellschafters einer Personenhandelsgesellschaft vorgenommen, der an einer Abspaltung oder Ausgliederung beteiligt ist. Diese Vorgaben gelten auch für die Haftung des Kommanditisten nach §§ 171, 172 HGB.
1 Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 133 UmwG Rz. 116; Lutter/Schwab, § 133 UmwG Rz. 99; Lutter/ Lieder, Anh. § 137 UmwG Rz. 13 f.; Kallmeyer/Sickinger, § 133 UmwG Rz. 22; KK/Simon, § 133 UmwG Rz. 86. Besonders detailliert: Widmann/Mayer/Vossius, § 45 UmwG Rz. 121 ff. 2 S. Naraschewski, DB 1995, 1265, 1267 f. 3 Vgl. Staub/Thiessen, § 174 HGB Rz. 12; Heymann/Horn, HGB, § 174 Rz. 3; a.A. Kallmeyer/Sickinger, § 133 UmwG Rz. 22. 4 Ebenso Brinkmann, Spaltung von Rechtsträgern, S. 240 f.; a.A. Kallmeyer/Sickinger, § 133 UmwG Rz. 22 mit dem Argument, es gebe bei der Spaltung keinen Grundsatz, dass die Summe der Haftbeträge gleich bleiben muss. Richtig sei allein, dass ggf. die Haftsumme bei dem übertragenden Unternehmen insgesamt herabgesetzt werden müsse, weil das abgespaltene Reinvermögen nicht durch Rücklagen gedeckt ist.
562 | Schewiola
Haftung bei Ausgliederung aus dem Vermögen eines Einzelkaufmanns | Rz. 13.168 § 13
Damit haftet ein Gesellschafter der Personenhandelsgesellschaft für Verbindlichkeiten der Gesellschaft nur dann, wenn sie vor Ablauf von fünf Jahren nach der Verschmelzung bzw. nach der Spaltung fällig und daraus Ansprüche gegen ihn in einer in § 197 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 BGB bezeichneten Art festgestellt sind oder eine gerichtliche oder behördliche Vollstreckungshandlung vorgenommen oder beantragt wird. Bei öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeiten genügt der Erlass eines Verwaltungsakts (§ 45 Abs. 1 Satz 2 UmwG). Entsprechend § 160 Abs. 3 Satz 2 HGB spielt es dabei keine Rolle, ob der Gesellschafter in dem Rechtsträger anderer Rechtsform geschäftsführend tätig wird (§ 45 Abs. 4 UmwG).
13.164
II. Haftung wegen Eintritts als Kommanditist in den übernehmenden Rechtsträger § 176 HGB, der eine Haftung des Kommanditisten für bis zur Eintragung seines Eintritts getätigte Geschäfte bestimmt, ist im Zusammenhang mit einer Spaltung nach § 123 UmwG nicht anwendbar1.
13.165
III. Haftung des ausscheidenden Gesellschafters Kommt es im Zusammenhang mit einer Spaltung nach § 123 UmwG zu einem Ausscheiden eines persönlich haftenden Gesellschafters, kommen die in § 160 HGB niedergelegten Grundsätze zur Anwendung2. Insoweit sei auf die Ausführungen an anderer Stelle hingewiesen (vgl. Rz. 12.82 ff.).
13.166
D. Haftung bei einer Ausgliederung aus dem Vermögen eines Einzelkaufmanns (§§ 152 ff. UmwG) Eine Spaltung nach dem UmwG auf einen Einzelkaufmann ist nicht möglich. Umgekehrt kann der Einzelkaufmann aber übertragender Rechtsträger einer Spaltung sein. Das UmwG beschränkt diese Möglichkeit allerdings auf den Fall der Ausgliederung (§ 124 Abs. 1 UmwG)3. Hierzu enthalten die §§ 152 ff. UmwG Sondervorschriften. Voraussetzung ist danach, dass die Übertragung zur Aufnahme durch Personenhandelsgesellschaften, Kapitalgesellschaften oder eingetragene Genossenschaften bzw. zur Neugründung von Kapitalgesellschaften erfolgt (§ 152 Satz 1 UmwG). Ausgliederungsfähig ist das Unternehmen bzw. sind Teile des Unternehmens (§ 152 Satz 1 UmwG), nicht dagegen Teile des Privatvermögens des Einzelkaufmanns. Eine Ausgliederung scheidet nach § 152 Satz 2 UmwG aus, wenn die Verbindlichkeiten des Einzelkaufmanns sein Vermögen übersteigen.
13.167
Die Haftung des Einzelkaufmanns wird in § 156 UmwG geregelt. Der Einzelkaufmann haftet danach für Verbindlichkeiten, die er im Wege der Ausgliederung auf den übernehmenden Rechtsträger übertragen hat. Welche Verbindlichkeiten dies sind, richtet sich nach dem Ausgliederungs- und Übernahmevertrag. Für diese (Alt-)Verbindlichkeiten legt § 157 UmwG allerdings eine zeitliche Grenze der Nachhaftung fest. Die Verbindlichkeiten müssen vor Ablauf von fünf Jahren nach der Ausgliederung fällig und daraus müssen Ansprüche gegen den Einzelkaufmann in einer in § 197 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 BGB bezeichneten Art festgestellt sein oder
13.168
1 Kallmeyer/Sickinger, § 133 UmwG Rz. 23; zweifelnd Widmann/Mayer/Vossius, § 40 UmwG Rz. 27 ff. 2 Kallmeyer/Sickinger, § 123 UmwG Rz. 26. 3 Vgl. dazu OLG Naumburg v. 4.3.2019 – 12 Wx 36/18, NJ 2019, 342.
Schewiola | 563
§ 13 Rz. 13.168 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz
eine gerichtliche oder behördliche Vollstreckungshandlung vorgenommen oder beantragt werden. Bei öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeiten genügt der Erlass eines Verwaltungsakts. Unerheblich ist, ob der Einzelkaufmann in dem Rechtsträger anderer Rechtsform geschäftsführend tätig wird (§ 157 Abs. 4 UmwG). Die §§ 156, 157 UmwG gehen in ihrem Anwendungsbereich der Haftung nach § 133 UmwG vor1. § 613a BGB tritt, soweit daraus eine kürzere Haftung des Einzelkaufmanns resultieren sollte, hinter die Sonderregelungen des § 157 UmwG zurück.
13.169
Für nicht übertragene Verbindlichkeiten haftet der Einzelkaufmann grundsätzlich weiter2. Das UmwG sieht keine entsprechende Enthaftung vor. Diese kann sich jedoch aus den §§ 25, 26 HGB ergeben3.
13.170
Für Verbindlichkeiten, die erst nach dem Wirksamwerden der Spaltung begründet werden, haftet der Einzelkaufmann in Abhängigkeit von seiner Stellung beim übernehmenden Rechtsträger. Zu denken ist etwa an eine Gesellschafterhaftung nach § 128 HGB.
13.171
Der übernehmende Rechtsträger haftet zunächst für übertragende (Alt-)Verbindlichkeiten aus § 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG. Für nicht übertragene (Alt-)Verbindlichkeiten haftet er als Gesamtschuldner nach § 133 UmwG neben dem Einzelkaufmann4. Daneben kann auch eine Haftung aus §§ 25, 28 HGB (analog) bestehen. Insoweit wird auch auf die weiteren Ausführungen unter Rz. 12.27, 13.172 ff. verwiesen.
E. Haftung nach § 25 HGB bei Spaltung 13.172
Der übernehmende Rechtsträger darf nach dem Wortlaut von § 125 Satz 1, § 18 UmwG bei einer Aufspaltung die Firma des übertragenden Rechtsträgers, dessen Handelsgeschäft er durch die Spaltung erwirbt, mit oder ohne Beifügung eines das Nachfolgeverhältnis andeutenden Zusatz fortführen. Entgegen dem Wortlaut ist eine Firmenfortführung aber auch im Falle einer Abspaltung und Ausgliederung möglich5. Denn Gegenstand der Ausgliederung und Abspaltung kann gerade der Betriebsteil sein, der die Grundlage der Sachfirma bildet6. Erfasst ist auch die Spaltung zur Neugründung (§ 135 Abs. 1 UmwG).
13.173
Im Falle einer Firmenfortführung stellt sich die Frage des Verhältnisses der umwandlungsrechtlichen Haftungsvorschriften (§§ 133, 134 UmwG) zu den handelsrechtlichen Haftungs1 BAG v. 16.5.2013 – 6 AZR 556/11, NZA 2013, 1079; Böttcher/Habighorst/Schulte/Böttcher, § 156 UmwG Rz. 2; Widmann/Mayer/Mayer, § 156 UmwG Rz. 4; Lutter/Karollus/Schwab, § 156 UmwG Rz. 2 m.w.N. 2 Lutter/Karollus/Schwab, § 156 UmwG Rz. 4; Widmann/Mayer/Mayer, § 156 UmwG Rz. 12; Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 156 UmwG Rz. 12. 3 Lutter/Karollus/Schwab, § 156 UmwG Rz. 5; Widmann/Mayer/Mayer, § 156 UmwG Rz. 12; Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 156 UmwG Rz. 17. 4 Zum besonderen Fall der Ausgliederung bei Übertragung der Verbindlichkeiten des Einzelunternehmers auf eine GmbH: Perwein, GmbHR 2007, 1214, 1218: Eine solche Fallgestaltung kann eine gesamtschuldnerische Haftung der GmbH für die Altverbindlichkeiten ihres Gründers bewirken. 5 Dies ist im Einzelnen streitig. Vgl. Lutter/Karollus/Schwab, § 156 UmwG Rz. 15; Kallmeyer/Sickinger, § 125 UmwG Rz. 29; anders: Sagasser/Bula/Brünger/Sagasser/Bultmann, § 18 Rz. 67, der auf § 22 HGB zurückgreifen will. Dagegen: Kögel, GmbHR 1996, 168, 173; Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 133 UmwG Rz. 19. 6 Semler/Stengel/Leonard/Bärwaldt, § 135 UmwG Rz. 21.
564 | Schewiola
Haftung wegen Eintritts in das Geschäft eines Einzelhandelskaufmanns | Rz. 13.176 § 13
vorschriften (§§ 25, 26 HGB). Unterschiede gibt es zum einen bei der Fristenberechnung für die Haftung des früheren Geschäftsinhabers1. Zum anderen erfassen die §§ 25, 26 HGB und damit auch die Enthaftung nach § 26 HGB sämtliche Verbindlichkeiten, während die Enthaftung des § 133 Abs. 3 UmwG nur die Verbindlichkeiten der Mithafter erfasst. Dies sind die beteiligten Rechtsträger, denen die Verbindlichkeiten im Spaltungs- und Übernahmevertrag nicht zugeordnet sind. Das Verhältnis klärt § 133 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 UmwG. Danach bleiben die Bestimmungen der §§ 25, 26 und 28 HGB unberührt. Dies ist so zu verstehen, dass die §§ 25, 26 HGB neben § 133 UmwG zur Anwendung kommen2. Nach anderer Auffassung ist der Verweis dagegen als Einschränkung der Gestaltungsfreiheit der Parteien bei der Zuteilung von Verbindlichkeiten im Spaltungsvertrag zu verstehen. Der Spaltungsvertrag dürfe die Verbindlichkeiten nicht einem anderen Rechtsträger zuweisen als demjenigen, der nach §§ 25, 26 HGB haftet3. Diese Einschränkung ist allerdings nicht überzeugend. Warum sollte der Spaltungsvertrag nicht einem beteiligten Rechtsträger die Verbindlichkeiten zuordnen können und der andere beteiligte Rechtsträger nach § 25 HGB (mit-)haften müssen4. Gegen eine Erweiterung des Gläubigerschutzes gibt es nichts einzuwenden. Faktisch dürfte sich dieses Problem in der Praxis aber nicht stellen. Denn die Parteien haben über § 25 Abs. 2 HGB die Möglichkeit, die handelsrechtliche Haftung nach § 25 Abs. 1 HGB auszuschließen, was auch schon im Spaltungsvertrag vereinbart werden kann5.
13.174
Der Hauptschuldner, d.h. derjenige, dem die Verbindlichkeiten im Spaltungs- und Übernahmevertrag zugewiesen sind, genießt dagegen keine Einschränkung seiner Haftung. Auch wenn er als früherer Geschäftsinhaber gem. § 26 HGB nach Ablauf von fünf Jahren im Außenverhältnis von der Haftung befreit wird, bleibt er auf der Grundlage der §§ 133, 134 UmwG und des Spaltungsvertrages auch nach Ablauf der Fünf-Jahres-Frist zur Befreiung des mithaftenden Firmenfortführers verpflichtet6.
13.175
F. Haftung wegen Eintritts in das Geschäft eines Einzelhandelskaufmanns (§ 28 HGB) bei Spaltung § 28 HGB setzt voraus, dass durch den Eintritt einer oder mehrerer Personen in das Geschäft eines Einzelkaufmannes eine Personenhandelsgesellschaft entsteht. Eine Haftung nach § 28 HGB ist im Zusammenhang mit einer Spaltung nach § 123 UmwG also grundsätzlich denkbar, wenn die Spaltung zur Neugründung einer Personenhandelsgesellschaft erfolgt7. Genau diesen Fall schließt das UmwG als Spaltung aber aus. Denn nach § 152 UmwG kann eine Spaltung des Unternehmens eines Einzelkaufmanns, dessen Firma im Handelsregister eingetragen ist, nur im Wege der Ausgliederung auf eine bestehende Personenhandelsgesellschaft erfol1 Anfang der Fünf-Jahres-Frist: Bei §§ 25, 26 HGB fängt die Frist mit der Eintragung im Handelsregister zu laufen; bei § 133 Abs. 3 UmwG läuft sie ab Bekanntmachung der Eintragung der Ausgliederung des übertragenden Rechtsträgers im Handelsregister. 2 So auch i.E.: KK/Simon, § 134 UmwG Rz. 69; Kallmeyer/Sickinger, § 126 UmwG Rz. 31. 3 K. Schmidt, ZGR 1993, 366, 386. 4 So auch: KK/Simon, § 126 UmwG Rz. 65. 5 Masing, Unternehmensspaltung, S. 185; ähnlich Mertens, Umwandlung und Universalsukzession, S. 123 ff. 6 Semler/Stengel/Leonard/Seulen, § 133 UmwG Rz. 114. 7 Vgl. Brinkmann, Spaltung von Rechtsträgern, S. 220 m.w.N.
Schewiola | 565
13.176
§ 13 Rz. 13.176 | Haftung bei Übertragungsvorgängen nach dem Umwandlungsgesetz
gen. Eine Ausgliederung zur Neugründung sieht § 152 UmwG nur für Kapitalgesellschaften vor. In diesem Fall findet § 28 HGB aber wiederum keine Anwendung1. Der Verweis in § 133 UmwG auf § 28 HGB gehe daher ins Leere2.
G. Haftung wegen Eintritts in eine Personenhandelsgesellschaft (§ 130 HGB) bei Spaltung 13.177
Wenn die Spaltung zur Aufnahme mit dem Eintritt in eine Personenhandelsgesellschaft verbunden ist, haften die neuen Gesellschafter für die bereits bestehenden Verbindlichkeiten des übernehmenden Rechtsträgers. Eine gegenteilige Vereinbarung ist unwirksam (vgl. Rz. 12.73 ff.).
H. Haftung nach § 75 AO bei Spaltung 13.178
Für die Haftung aus § 75 AO ergeben sich bei Spaltungen nach § 123 UmwG keine Besonderheiten. Insoweit sei auf die Ausführungen an anderer Stelle hingewiesen (vgl. Rz. 12.100).
1 Wenn auch nicht zum Verhältnis zu § 133 UmwG direkt passend: BGH v. 18.1.2000 – XI ZR 71/ 99, GmbHR 2000, 276, 277, Anm. K. Schmidt, NJW 2000, 1521; Baumbach/Hopt/Merkt, § 28 HGB Rz. 2; K. Schmidt, Handelsrecht, § 8 II 1 c bb (S. 321 f.); a.A., für die Anwendung von § 28 HGB: zuerst Staub/Hüffer, 4. Aufl., § 28 HGB Rz. 30; MünchKommHGB/Thiessen, § 28 HGB Rz. 1; Staub/Burgard, 5. Aufl., § 28 HGB Rz. 23. 2 Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 133 UmwG Rz. 18; Lutter/Schwab, § 133 UmwG Rz. 15; KK/Simon, § 156 UmwG Rz. 17; Widmann/Mayer/Mayer, § 156 UmwG Rz. 30; zweifelnd: Semler/Stengel/Leonard//Seulen, § 133 UmwG Rz. 112.
566 | Schewiola
Teil 5 Organmitglieder
§ 14 Rechtsfolgen von Betriebsübergang und Umwandlung für Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder
A. Konsequenzen für den Dienstvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1 I. Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2 II. Konsequenzen für die Organstellung 14.9 B. Übertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge I. Konsequenzen für den Dienstvertrag 1. Überleitung des Dienstvertrages . 14.11
2. Inhalt des Dienstvertrages nach seiner Überleitung . . . . . . . . . . . 3. Beendigung des Anstellungsvertrags nach seiner Überleitung . . . II. Konsequenzen für die Organstellung 1. Organstellung beim übertragenden Rechtsträger . . . . . . . . . . . . . 2. Organstellung beim übernehmenden Rechtsträger . . . . . . . . . 3. Abberufung und Niederlegung .
14.16 14.22
14.32 14.34 14.37
Schrifttum: Bauer, Unternehmensveräußerung und Arbeitsrecht: Arbeitsrechtliche Probleme bei der Übertragung von Unternehmen, Betrieben und Betriebsteilen und Gesellschaftsanteilen, 1983; Bauer/ Randofer, Outsourcing von Personalarbeit – Gewinn für’s Unternehmen?, AuA 1998, 329; Baums, Die Auswirkung der Verschmelzung von Kapitalgesellschaften auf die Anstellungsverhältnisse der Geschäftsleiter, ZHR 156 (1992), 248; Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1997; Boemke, Das Dienstverhältnis des GmbH-Geschäftsführers zwischen Gesellschafts- und Arbeitsrecht, ZfA 1998, 209; Buchner/Schlobach, Die Auswirkungen der Umwandlung von Gesellschaften auf die Rechtsstellung ihrer Organpersonen, GmbHR 2004, 1; Eckhardt, Kopplung der Beendigung des Anstellungsvertrages eines AG-Vorstandsmitglieds an den Bestellungswiderruf?, AG 1989, 431; Fleck, Übernahme eines GmbHGeschäftsführers als Vorstandsmitglied nach Umwandlung der Gesellschaft in eine AG, EWiR 1998, 317; Henssler, Das Anstellungsverhältnis der Organmitglieder, RdA 1992, 289; Hockemeier, Die Auswirkung der Verschmelzung von Kapitalgesellschaften auf die Anstellungsverhältnisse des Geschäftsleiters, Diss. Berlin 1990; Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch zum Gesellschaftsrecht Band 4, 5. Aufl. 2020; Hohenstatt/Willemsen, Abfindungsobergrenzen in Vorstandsverträgen, NJW 2008, 3462; Hueck, Einfluß der Umwandlung von Kapitalgesellschaften auf die Stellung von Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern, DB 1957, 1259; Hüffer/Koch, Aktiengesetz, 14. Aufl. 2020; Kallmeyer, Umwandlungsgesetz, 7. Aufl. 2020; Karlsfeld, Beendigung von Mandat und Anstellungsvertrag durch Organmitglieder, ArbRB 2012, 353; Kliemt/von Tiling, Das Schicksal des Vorstandsvertrages beim Formwechsel der AG in eine GmbH, ArbRB 2006, 25; Koppensteiner, Ausgliederungs- und Spaltungsgesetz, in Festschrift für Zöllner, 1998, S. 295; Krejci, Betriebsübergang und Arbeitsvertrag: Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der Vertragsübernahme, 1972; Kuhlmann, Die Mitbestimmungsfreiheit im ersten Aufsichtsrat einer AG gemäß § 30 II AktG, NZG 2010 46; Laber, § 613a BGB – Was gibt’s Neues?, ArbRB 2004, 55; Lingemann/Göpfert, Outsourcing als Betriebsänderung, NZA 1997, 383; Lunk, Rechtliche und taktische Erwägungen bei Kündigung und Abberufung des GmbH-Geschäftsführers, ZIP 1999, 1777; Lunk/Rodenbusch, Der Weiterbeschäftigungsanspruch des GmbH-Geschäftsführers, NZA 2011, 497; Lutter, Zum Vorschlagsrecht für die Geschäftsführerposition in einer GmbH und zu den
Bollacher | 567
§ 14 Rz. 14.1 | Rechtsfolgen für Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder Grenzen eines zulässigen Ausschlusses eines Geschäftsführers von der Geschäftsführertätigkeit, ZIP 1986, 1195; Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, 20. Aufl. 2020; Marx, Auswirkungen der Spaltung nach dem UmwG auf Rechtsverhältnisse mit Dritten, 2001 (zugl. Diss. Bayreuth 2000); Mertens, Umwandlung und Universalsukzession, 1993; Nägele, Der Anstellungsvertrag des Geschäftsführers, BB 2001, 305; Reiserer, Arbeitnehmerschutz für Geschäftsführer? – EuGH und BAG leisten Schützenhilfe, BB 2016, 1141; Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbH-Gesetz, 6. Aufl. 2017; Röder/Lingemann, Schicksal von Vorstand und Geschäftsführer bei Unternehmensumwandlung und Unternehmensveräußerung, DB 1993, 1341; Schmitt/Hörtnagel, Umwandlungsgesetz, Umwandlungssteuergesetz, 9. Aufl. 2020; Semler/Stengel, Umwandlungsgesetz, 4. Aufl. 2017; Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 6. Aufl. 2021; Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Loseblatt; Wirth, Spaltungen einer eingetragenen Genossenschaft: Aufspaltung, Abspaltung und Ausgliederung zur Aufnahme durch und zur Neugründung von Personalhandelsgesellschaften, Kapitalgesellschaften und Genossenschaften, 1998 (zugl. Diss. Jena 1997); Zöllner/Noack, Kölner Kommentar zum Aktienrecht, 3. Aufl. 2020.
A. Konsequenzen für den Dienstvertrag 14.1
Bei der Beurteilung der Frage, welche Rechtsfolgen eine Umwandlung bzw. die Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils für Organmitglieder der Kapitalgesellschaft hat, ist jeweils zwischen den Konsequenzen für den Anstellungsvertrag und für die Organstellung als Geschäftsführer oder Vorstandsmitglied zu unterscheiden (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 5, Abs. 3 Satz 5 AktG)1.
I. Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge 14.2
Wird ein Unternehmen oder Unternehmensteil im Rahmen der Einzelrechtsnachfolge übertragen, bedarf es für die Überleitung der Anstellungsverträge der Organmitglieder nach allgemeinen Grundsätzen der Zustimmung des Organmitglieds. Im Rahmen einer solchen Zustimmung werden dann regelmäßig auch durch die Vermögensübertragung erforderliche inhaltliche Änderungen des Anstellungsvertrages einvernehmlich geregelt. Gleiches gilt, wenn das Organmitglied der Aufhebung des bisherigen und dem Abschluss eines neuen Anstellungsvertrages zustimmt. Wird eine solche Zustimmung nicht erteilt, besteht der Anstellungsvertrag allerdings mit dem bisherigen Dienstherrn inhaltlich unverändert fort.
14.3
Die Überleitung ohne Zustimmung des Organmitglieds könnte allerdings im Rahmen eines Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB erfolgen, wenn der betroffene Anstellungsvertrag ein Arbeitsverhältnis ist oder § 613a BGB analog zur Anwendung käme. Dabei entspricht es der in Literatur und Rechtsprechung wohl übereinstimmend vertretenen Ansicht, dass für die Abgrenzung von Anstellungsverträgen mit Organmitgliedern zum Arbeitsverhältnis grundsätzlich die allgemeinen Kriterien zur Abgrenzung dieser Vertragsverhältnisse gelten2.
14.4
Der Vorstand einer AG und das Geschäftsleitungsorgan einer SE führen die Geschäfte der Gesellschaft kraft Gesetzes eigenverantwortlich und weisungsfrei. Deshalb sind Anstellungsverträge von Vorstandsmitgliedern einer AG oder SE grundsätzlich freie Dienstverträge und
1 Vgl. zu diesem Grundsatz BGH v. 7.12.1961 – II ZR 117/60, BGHZ 36, 142, 143; BGH v. 10.1.2000 – II ZR 251/98, NZA 2000, 376; BGH v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, GmbHR 1999, 1140; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, Anh. § 6 GmbHG Rz. 44; Karlsfeld, ArbRB 2012, 353. 2 Vgl. nur Lunk, ZIP 1999, 1777, 1782 f.; abw. Henssler, RdA 1992, 289, 290 ff.
568 | Bollacher
Konsequenzen für den Dienstvertrag | Rz. 14.7 § 14
keine Arbeitsverhältnisse. Sie werden deshalb weder von § 613a BGB erfasst noch ist § 613a BGB analog anwendbar. Entsprechendes galt jedenfalls bislang für Geschäftsführer einer GmbH. Das BAG hat im Urteil vom 13.2.20031 mit deutlicher Begründung ausgeführt, dass § 613a BGB weder unmittelbar noch analog auf Dienstverträge des GmbH-Geschäftsführers anwendbar sei. Es hat damit zwei zeitlich vorgelagerten Entscheidungen des BAG aus dem Jahr 19992 widersprochen. Folgt man dieser Bewertung, ist davon auszugehen, dass Anstellungsverträge von GmbH-Geschäftsführern bei Übertragungen im Rahmen der Einzelrechtsnachfolge unabhängig vom Vorliegen eines Betriebsüberganges einer Zustimmung des Geschäftsführers bedürfen und ohne Erteilung der Zustimmung grundsätzlich unverändert fortbestehen.
14.5
Entscheidungen aus der jüngeren Vergangenheit lassen allerdings Bedenken aufkommen, ob die bisherige Praxis von den Gerichten künftig aufrechterhalten wird: Zunächst hatte der EuGH in dem Fall Danosa am 11.11.20103 entschieden, dass sich eine GmbH-Geschäftsführerin auf die Arbeitsverhältnisse betreffende Mutterschutzrichtlinie4 berufen kann. In einer weiteren Entscheidung vom 9.7.20155 hatte der EuGH geurteilt, dass der Geschäftsführer einer GmbH bei der Berechnung der Schwellenwerte einer Massenentlassung nach § 17 Abs. 1 KSchG mitgezählt werden müsse, da er als Arbeitnehmer i.S.d. Unionsrechts zu behandeln sei. Das hat BAG GmbH-Geschäftsführern in zwei Beschlüssen6 den Weg zu den Arbeitsgerichten wiedereröffnet. Schließlich hat der BGH 2019 die Anwendbarkeit des AGG auf die Vereinbarung einer Entlassungsbedingung zwischen einer GmbH und ihrem Fremdgeschäftsführer bejaht.7
14.6
Auch wenn diese Tendenz sich tatsächlich zu einer Abkehr der bisherigen Praxis verfestigen sollte8, würde dies freilich keine generelle Einordnung als Arbeitsverhältnis bedeuten. Vielmehr müsste im jeweiligen Einzelfall die bestehende arbeitsrechtliche Abhängigkeit überprüft werden. Ob und inwieweit der Geschäftsführer im Rahmen seiner Tätigkeit den Dienstherrn vertreten kann, spielt dabei keine Rolle. Voraussetzung für eine solche Abhängigkeit ist nach den allgemeinen Kriterien und insbesondere unter Berücksichtigung der § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB und § 611a Abs. 1 BGB vielmehr, dass der Geschäftsführer die vertraglich geschuldete
14.7
1 BAG v. 13.2.2003 – 8 AZR 654/01, NZA 2003, 552. 2 BAG v. 26.5.1999 – 5 AZR 664/98, DB 1999, 1906 f. und BAG v. 6.5.1999 – 5 AZB 22/98, NZA 1999, 839. 3 EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, DB 2011, 2270. 4 Richtlinie 92/85 aus EWG des Rates vom 19.10.1992 über die Durchführung von Maßnahmen von Verbesserungen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz. 5 EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, NZA 2015, 861. 6 BAG v. 22.10.2014 – 10 AZB 46/14, GmbHR 2015, 27; BAG v. 3.12.2014 – 10 AZB 98/14, NZA 2015, 180; anders allerdings für einen Fremdgeschäftsführer: BAG v. 21.1.2019 – 9 AZB 23/18. 7 BGH v. 26.3.2019 – II ZR 244/17, NJW 2019, 2086. 8 Dazu Reiserer, BB 2016, 1141 ff.; dafür schon früher Henssler, RdA 1992, 289, 293 ff., der, was seine Ausführungen zu dem kraft Dienstvertrag tätigen Geschäftsführer im Umkehrschluss deutlich machen (296 f.), insoweit auch eine Anwendbarkeit von § 613a BGB für möglich hält; abl. zur Kennzeichnung solcher Vertragsverhältnisse als Arbeitsverhältnisse: BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, AP Nr. 1 zu § 38 GmbHG Bl. 1; BGH v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, AP Nr. 14 zu § 622 BGB Bl. 1; BGH v. 10.1.2000 – II ZR 251/98, BGHZ 49, 30, 31 f. = NZA 2000, 376; MünchArbR/Richardi, § 17 Rz. 53; Boemke, ZfA 1998, 209, 213 ff.; Nägele, BB 2001, 305.
Bollacher | 569
§ 14 Rz. 14.7 | Rechtsfolgen für Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder
Tätigkeit im Rahmen einer durch die GmbH bestimmten Arbeitsorganisation erbringt. Erforderlich ist also, dass er einem umfassenden Weisungsrecht seines Vertragspartners unterliegt, das Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer, Ort und sonstige Modalitäten der Arbeit betrifft. Entscheidend ist damit, dass die Gesellschaft eine über ihr gesellschaftsrechtliches Weisungsrecht hinausgehende Weisungsbefugnis auch hinsichtlich der Umstände hat, unter denen der Geschäftsführer seine Arbeitsleistung zu erbringen hat. Ein Arbeitsverhältnis liegt danach nur dann vor, wenn die Gesellschaft dem Geschäftsführer auch „arbeitsbegleitende und verfahrensorientierte“ Weisungen erteilt und auf diese Weise die konkreten Modalitäten der Arbeit bestimmen kann. Ist der Geschäftsführer zugleich alleiniger oder zumindest Mehrheitsgesellschafter, wird eine solche Weisungsgebundenheit weiterhin regelmäßig nicht vorliegen. Beim Geschäftsführer, der nur Minderheitsgesellschafter ist oder überhaupt keine Beteiligung besitzt (Fremdgeschäftsführer), könnte dies im Einzelfall anders zu beurteilen sein.
14.8
Sind im Einzelfall bei einem Organmitglied ausnahmsweise die Voraussetzungen eines Arbeitsverhältnisses gegeben, geht der Anstellungsvertrag nach Maßgabe von § 613a BGB auf den übernehmenden Rechtsträger über. Inwieweit nach Überleitung Anpassungs- oder Beendigungsmöglichkeiten bestehen, bestimmt sich dann nach den allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen (vgl. Rz. 17.7 ff., Rz. 18.1 ff.). Liegen die Voraussetzungen dagegen nicht vor, wird der Anstellungsvertrag nicht im Rahmen des Betriebsübergangs, sondern nur mit Zustimmung des jeweiligen Geschäftsführers übergeleitet und besteht bis zur Erteilung der Zustimmung unverändert beim bisherigen Dienstherrn fort.
II. Konsequenzen für die Organstellung 14.9
Vermögensübertragungen im Rahmen der Einzelrechtsnachfolge haben keine Auswirkungen auf die Stellung und die Besetzung der Organe der beteiligten Unternehmen. Das übertragende Unternehmen verliert durch die Übertragungen einzelne oder sogar alle Vermögensgegenstände, bleibt aber mitsamt allen Organen unverändert fortbestehen. Für eine Änderung von Organen oder Organbesetzungen des übertragenden Rechtsträgers bedarf es wie im Übrigen auch für Veränderungen bei Vertretungsverhältnissen gesonderter Beschlüsse nach den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften.
14.10
Entsprechendes gilt für das Unternehmen, das die übertragenen Vermögensgegenstände erhält. Sollen mit den Vermögensübertragungen Änderungen bei Organen, Organbesetzungen oder Vertretungsverhältnissen des übernehmenden Rechtsträgers erfolgen, müssen entsprechende Neubestellungen oder Abberufungen gesondert beschlossen werden. Auch hier gelten die allgemeinen Vorschriften.
B. Übertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge I. Konsequenzen für den Dienstvertrag 1. Überleitung des Dienstvertrages 14.11
Bei der Verschmelzung besteht Übereinstimmung, dass die Anstellungsverträge der Organe auf den übernehmenden Rechtsträger übergehen, da die Verbindlichkeiten aus solchen Dienst-
570 | Bollacher
Übertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge | Rz. 14.13 § 14
verträgen zu dem übertragenen Vermögen gehören1. Dabei wird offenbar stillschweigend2 unterstellt, dass der Anstellungsvertrag trotz § 613 Satz 1 BGB, wonach die Dienste im Zweifel in Person zu erbringen sind, keine höchstpersönlichen Rechte und Pflichten des Dienstnehmers begründet. Denn ansonsten stünde diese Höchstpersönlichkeit der Übertragung auch bei Gesamtrechtsnachfolge entgegen3. Dies wird regelmäßig auch dem Willen der Beteiligten entsprechen. Nur der übernehmende Rechtsträger, der den gesamten Geschäftsbetrieb übernommen hat, kann den Dienstvertrag als neuer Dienstherr erfüllen. Dem Organmitglied wird es trotz § 613 Satz 1 BGB regelmäßig zugemutet werden können, seine (höchstpersönlichen) Pflichten nunmehr gegenüber diesem neuen Rechtsträger zu erbringen. Da das Dienstverhältnis zum bisherigen Dienstherrn jedenfalls durch dessen Erlöschen im Rahmen der Verschmelzung beendet wird, blieben dem Organmitglied andernfalls nur Ersatzansprüche, die in erster Linie gegenüber dem übernehmenden Rechtsträger als Gesamtrechtsnachfolger und nur ausnahmsweise gegen das Vertretungsorgan oder das Aufsichtsorgan (§ 25 UmwG) des übertragenden Rechtsträgers bestehen. Bei Spaltungen war die Überleitung der Anstellungsverträge im Rahmen der partiellen Gesamtrechtsnachfolge zunächst umstritten. Wohl überwiegend wurde die Überleitung wegen § 613 Satz 2 BGB, wonach der Anspruch auf Leistung im Zweifel nicht übertragbar ist, und § 132 UmwG a.F., wonach allgemeine Vorschriften, welche die Übertragbarkeit eines bestimmten Gegenstandes ausschließen oder an bestimmte Voraussetzungen knüpfen, durch die Wirkungen der Eintragung nach § 131 UmwG unberührt bleiben4, abgelehnt. Der Gesetzgeber hat indes 2007 § 132 UmwG a.F. mit der ausdrücklichen Begründung aufgehoben, dass die Gesamtrechtsnachfolge bei Verschmelzung und Spaltung künftig denselben Grundsätzen zu unterwerfen sei5. Seitdem wird überwiegend zu Recht vertreten, dass die Überleitung der Anstellungsverträge bei Spaltungen im Rahmen der Gesamtrechtsnachfolge möglich ist6. Da die Vermögensübertragung bei Spaltungen gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG entsprechend der im Spaltungsvertrag vorgesehenen Aufteilung erfolgt, bedeutet dies, dass die beteiligten Rechtsträger im Spaltungsvertrag auch die Dienstverhältnisse der Organmitglieder einem beteiligten Rechtsträger zuordnen können7.
14.12
Die Zuordnung der Dienstverträge der Organmitglieder auf die beteiligten Rechtsträger kann schwierige Fragen aufwerfen. Geht man mit dem BGH8 davon aus, dass sich die Verantwort-
14.13
1 BAG v. 13.2.2003 – 8 AZR 654/01, NZA 2003, 552; BFH v. 12.12.2007 – XI B 23/07, BFH/NV 2008, 376; Hockemeier, Auswirkungen der Verschmelzung, S. 29; Lutter/Grunewald, § 20 GmbHG Rz. 28; BGH v. 8.7.2007 – II ZR 267/05, ZIP 2007, 910 (zum Formwechsel); Buchner/Schlobach, GmbHR 2004, 1, 15. 2 So führt z.B. Schmitt/Hörtnagl/Winter, UmwG UmwStG, § 20 UmwG Rz. 84 ff. verschiedene höchstpersönliche Rechte auf, erwähnt Anstellungsverträge aber nicht. 3 Begründung zum Regierungsentwurf des Zweiten Gesetzes zur Änderung des UmwG, BT-Drucks. 16/2919, S. 19. 4 Buchner/Schlobach, GmbHR 2004, 1, 15 f., die allerdings bei der Aufspaltung wegen des Fortfalls des übertragenden Rechtsträgers eine Überleitung zulassen. 5 Begründung zum Regierungsentwurf des Zweiten Gesetzes zur Änderung des UmwG, BT-Drucks. 16/2919, 19. 6 Semler/Schröer, § 131 UmwG Rz. 23 und 35; Schmitt/Hörtnagel/Langner, UmwG UmwStG, § 131 UmwG Rz. 11; Kallmeyer/Sickinger, § 131 UmwG Rz. 12 – die Letztgenannten allerdings unter unzutreffendem Verweis auf BFH v. 12.12.2007 – XI B 23/07, BFH/NV 2008, 376, der sich nur zur Fusion und nicht zur Spaltung äußert. 7 Kallmeyer/Sickinger, § 131 UmwG Rz. 12. 8 St. Rspr. vgl. BGH v. 1.3.1993 – II ZR 81/94, DStR 1994, 1092.
Bollacher | 571
§ 14 Rz. 14.13 | Rechtsfolgen für Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder
lichkeit des Vorstandmitglieds bzw. des Geschäftsführers auch bei mehrfacher Besetzung des Organs stets auf die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit erstreckt (Gesamtverantwortung) und nicht nur auf einzelne Teilbereiche oder sogar Zuständigkeitsbereiche innerhalb des Vorstands oder der Geschäftsführung, wird durch eine Zuordnung auf nur einen beteiligten Rechtsträger der Aufgabenbereich des Organmitglieds beschränkt. Entsprechendes gilt, wenn der Dienstvertrag beim übertragenden Rechtsträger verbleibt, ein Teil des zum bisherigen Aufgabenbereich gehörenden Geschäftsbetriebes aber auf einen übernehmenden Rechtsträger übertragen werden soll. Die Zuteilung zu einem übernehmenden Rechtsträger kann den Aufgabenund Pflichtenkreis des Organmitglieds indes auch erweitern, wenn der übertragene Vermögensteil mit einem bereits beim übertragenden Rechtsträger vorhandenen (Teil-) Betrieb eine Einheit bildet. Wollte man zur Vermeidung dieser Folgen eine Aufteilung eines Dienstvertrages auf mehrere beteiligte Rechtsträger zulassen, wäre dies nicht nur dogmatisch fragwürdig, weil sich eine anteilige Übernahme, wie sie in § 131 Abs. 3 UmwG vorgesehen ist, auf ein Dienstverhältnis in seiner Gesamtheit nicht übertragen lässt1. Es führte in jedem Fall zu schwierigen Abgrenzungsfragen bei Wettbewerbsverboten sowie bei der Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen.
14.14
Diese Fragen und Probleme stehen der Zulassung der Überleitung von Dienstverträgen entsprechend der Aufteilung im Spaltungsvertrag aber nicht grundsätzlich entgegen. Sie stellen sich zum einen auch bei anderen Vertragsverhältnissen, die nicht ausschließlich nur einem Teilbereich des aufgeteilten Vermögens zugeordnet werden können, ohne dass dort die Zulässigkeit der Aufteilung in Frage gestellt wird. Und, was entscheidend ist, sie werden zum anderen nicht alleine dadurch gelöst oder vermieden, dass die Überleitung bzw. Zuordnung des Anstellungsvertrages nicht zugelassen oder von der Zustimmung des Betroffenen abhängig gemacht wird. Denn ein dann anzunehmender Verbleib des Dienstvertrages beim übertragenden Rechtsträger wäre bei der Aufspaltung, bei der der übertragende Rechtsträger erlischt (vgl. Rz. 3.54), nicht möglich, und würde bei Ausgliederung und Abspaltung das Auseinanderfallen von Dienstvertrag und (bisherigem) Vermögen nicht verhindern.
14.15
Es ist deshalb bei Aufspaltung, Abspaltung oder Ausgliederung grundsätzlich Aufgabe des Spaltungsvertrages bzw. Spaltungsplans, die Dienstverträge der Organmitglieder entsprechend der Vermögensübertragung einem beteiligten, nicht erlöschenden Rechtsträger zuzuordnen. Gelingt eine interessengerechte und praktikable Aufteilung nicht, bleibt zur Vermeidung ungewollter einseitiger Vertragsbeendigungen (dazu Rz. 14.24 ff.) letztlich nur eine einvernehmliche Verständigung mit betroffenen Organmitgliedern und ggf. eine vertragliche Anpassung der der Dienstverträge.
2. Inhalt des Dienstvertrages nach seiner Überleitung 14.16
Eintritt in den Anstellungsvertrag: Geht der Anstellungsvertrag eines Organmitglieds auf einen anderen Rechtsträger über, sollte einvernehmlich festgelegt werden, zu welchen Bedingungen der übernehmende Rechtsträger in den bestehenden Anstellungsvertrag eintritt. Insbesondere bei Spaltungen könnten damit die durch die Aufteilung des Vermögens des übertragenden Rechtsträgers erforderlichen Anpassungen des Aufgaben- und Pflichtenkreises des Dienstnehmers vorgenommen werden.
1 Wirth, Spaltungen, S. 354; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Zimmermann, Anh. nach § 77 GmbHG Rz. 355.
572 | Bollacher
Übertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge | Rz. 14.20 § 14
Geschieht dies nicht, gelten zunächst einmal die Vertragsbedingungen fort, die mit dem übertragenden Rechtsträger vereinbart worden waren. Hiervon wird man selbst dann ausgehen müssen, wenn das Organmitglied im Anschluss an den Übergang seine Tätigkeit in einer Gesellschaft anderer Rechtsform (z.B. GmbH statt AG) verrichtet. So hat der BGH bereits im Leitsatz seines Urteils vom 12.5.19971 – allerdings für die formwechselnde Umwandlung – hervorgehoben, dass die Regeln eines in einer AG mit dem Vorstandsmitglied abgeschlossenen Dienstverhältnisses auch für die Tätigkeit innerhalb einer GmbH maßgeblich sind, wenn das Vorstandsmitglied der AG nach deren Umwandlung in eine GmbH zum Geschäftsführer bestellt wurde und bis zu seiner Abberufung durchgehend nach dem seinerzeit mit der AG geschlossenen schriftlichen Anstellungsvertrag verfahren worden ist.
14.17
Pflicht zur Dienstleistung: Probleme können sich für den Fall der Übertragung des Anstellungsvertrags indes dann ergeben, wenn – dauerhaft oder vorübergehend – keine Bestellung zum Organ des übernehmenden Rechtsträgers erfolgt. Schließlich begründet der Anstellungsvertrag grundsätzlich keinen Anspruch des Geschäftsführers oder Vorstands, zum Organ der Gesellschaft bestellt zu werden2, so dass auch für den übernehmenden Rechtsträger keine Verpflichtung besteht, das frühere Organmitglied wieder zum Organ des übernehmenden Rechtsträgers zu bestellen. Hier stellt sich nämlich die Frage, ob der Betroffene verpflichtet ist, auch unterhalb der Ebene des Organs – ggf. sogar als Arbeitnehmer des übernehmenden Rechtsträgers – tätig zu werden3.
14.18
Ist der Betroffene für eine Tätigkeit als Organmitglied eingestellt worden, besteht eine solche Verpflichtung an sich nicht4. Der übernehmende Rechtsträger bleibt indes aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zur Fortzahlung der Vergütung verpflichtet5. Eine Einschränkung kann sich hier aber aus § 615 Satz 2 BGB ergeben, wenn die Übernahme einer anderen Arbeit unterhalb der Ebene des Organs nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls zumutbar ist. In diesem Fall muss sich der frühere Geschäftsführer bzw. das frühere Vorstandsmitglied die Vergütung anrechnen lassen, die er aus der neuen Tätigkeit erhalten würde. Regelmäßig dürften diese Voraussetzungen aber nicht vorliegen, da die Aufteilung des Vermögens auf verschiedene Rechtsträger im Zweifel – bezieht man sich auf den einzelnen Rechtsträger – damit verbunden ist, dass das Tätigkeitsfeld und die damit verbundene Verantwortung kleiner ist. Insbesondere wenn man berücksichtigt, dass die Veränderungen durch die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers beschlossen werden, wird man von einer Zumutbarkeit der angebotenen Tätigkeit nur dann ausgehen können, wenn sie zwar unterhalb der Organebene beim übernehmenden Rechtsträger ausgeübt wird, aber gleichwohl vom Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich vergleichbar ist. Diese Voraussetzung könnte bei einer Spaltung zur Aufnahme, ggf. auch bei einer Betriebsaufspaltung, erfüllt sein. Die mit dem Organ vergleichbare Vertretungsbefugnis kann dann im Wege der Handlungs- oder Generalvollmacht gesichert werden.
14.19
Wurde der Geschäftsführer bzw. das Vorstandsmitglied indes nur für eine „leitende Funktion“ eingestellt, ist er in den allgemeinen Grenzen der Zumutbarkeit auch unterhalb der Organebe-
14.20
1 2 3 4 5
BGH v. 12.5.1997 – II R 50/96, DB 1997, 1455; dazu Kliemt/von Tiling, ArbRB 2006, 25, 26. BGH v. 11.10.2010 – II ZR 266/08, NZG 2011, 112, 113; Lunk/Rodenbusch, NZA 2011, 497. Eingehend Baums, ZHR 156 (1992), 248, 251 f., 253 f.; Baums, Der Geschäftsleitervertrag, S. 346. BGH v. 11.10.2010 – II ZR 266/08, NZG 2011, 112, 113. Vgl. BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, WM 1978, 319, 320; Hueck, DB 1957, 1259, 1261; Baums, ZHR 156 (1992), 251 f., 253 f.
Bollacher | 573
§ 14 Rz. 14.20 | Rechtsfolgen für Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder
ne einsetzbar1. In diesem Fall kommt auch der Umstand, dass der Übergang durch Umstände bewirkt wurde, die nicht durch das Organmitglied zu vertreten waren, nicht zum Tragen. Insbesondere dann, wenn sich im Anschluss an den Übergang des Vertragsverhältnisses die Arbeit des früheren Organmitglieds nicht wesentlich ändert, wird man von einer Weiterbeschäftigung auf dienstvertraglicher Ebene ausgehen können2. Voraussetzung ist natürlich, dass auch in dieser Zeit – entsprechend den allgemeinen Regelungen zur Kennzeichnung des Arbeitsverhältnisses – keine weisungsgebundene Tätigkeit im Rahmen einer fremdgesteuerten Arbeitsorganisation wahrgenommen wird. Ändert sich die Tätigkeit durch Eingliederung in eine fremdbestimmte Arbeitsorganisation, steht indes auch ohne eine ausdrückliche Vereinbarung der Annahme einer arbeitsvertraglichen Beschäftigung nichts entgegen.
14.21
Vergütungsansprüche: Grundsätzlich besteht der Vergütungsanspruch aus dem Anstellungsvertrag mit dem Übergang fort3. Unabhängig davon können Probleme dadurch entstehen, wenn der bisherige Anstellungsvertrag eine Vergütungsregelung enthielt, deren Bezugsgrößen bei dem übernehmenden Rechtsträger nicht vorhanden waren (z.B. bestimmter Umsatz einer business-unit) oder auf der Grundlage eines völlig veränderten Betätigungsfelds der Gesellschaft (z.B. Gewinn) bestimmt wird. Zum Teil wird für diesen Fall vorgeschlagen, an dem Durchschnitt der Vergangenheit anzuknüpfen4. Auf diese Weise wird man häufig eine vertretbare Lösung entwickeln können. Gegen eine allein vergangenheitsbezogene Bewertung spricht allerdings, dass der vertragliche Anspruch auf eine Vergütung gerichtet ist, die als Ausgleich für die aktuelle Tätigkeit gezahlt wird. Insoweit muss auch die Gegenwart einbezogen werden. Grundlage sind dabei die Grundsätze zur ergänzenden Vertragsauslegung5, hilfsweise die in § 313 BGB geregelten Grundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage6. Sie können auch dann zur Anwendung kommen, wenn eine Vertragspartei, hier der übertragende Rechtsträger, die Veränderung der Geschäftsgrundlage mit veranlasst hat7. Sie erlauben es, eine Vertragsanpassung vorzunehmen, die über den Zweck der Vereinbarung hinaus auch die tatsächlichen Gegebenheiten am Tage der Anpassung berücksichtigt. Nur so kann ein angemessener Risikoausgleich gefunden werden.
3. Beendigung des Anstellungsvertrags nach seiner Überleitung 14.22
Kündigung durch Gesellschaft: Die Kündigung des Anstellungsvertrags beurteilt sich nach den allgemeinen Grundsätzen. Ob und inwieweit der Geschäftsführer bzw. das Vorstandsmitglied bereits seine Organstellung verloren hat, spielt nur dann keine Rolle, wenn er im Anschluss an den Übertragungsvorgang bereits weisungsgebunden eingesetzt wurde. Denn dies kann dazu führen, dass der Anstellungsvertrag nunmehr als Arbeitsverhältnis qualifiziert werden muss mit der Folge, dass dann auch der Kündigungsschutz des Arbeitsrechts zur Anwendung kommt.
14.23
In den übrigen Fallgestaltungen, also beim Fortbestand des Anstellungsvertrags als Dienstverhältnis, ist zunächst einmal festzustellen, ob die bestehenden Vereinbarungen überhaupt eine ordentliche Kündigung des Anstellungsvertrags gestatten. Hiervon ist bei einer befristeten Be-
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BGH v. 9.10.2000 – II ZR 75/99, GmbHR 2000, 1256. BAG v. 13.2.2003 – 8 AZR 654/01, NZA 2003, 552, 556 f. Vgl. Baums, ZHR 156 (1992), 248, 251 f.; Kliemt/von Tiling, ArbRB 2006, 25, 26. So Baums, ZHR 156 (1992), 248, 252; Röder/Lingemann, DB 1993, 1341, 1347. Vgl. Baums, ZHR 156 (1992), 248, 252. Ebenso Hockemeier, Auswirkung der Verschmelzung, S. 94 ff., 109 ff., 121 ff., 125. Eingehend Hockemeier, Auswirkung der Verschmelzung, 104 ff.
574 | Bollacher
Übertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge | Rz. 14.27 § 14
schäftigung nur dann auszugehen, wenn eine ordentliche Kündigung ausdrücklich vereinbart wurde. Während beim Geschäftsführer keine weiteren Erfordernisse zu berücksichtigen sind1, setzt die ordentliche Kündigung eines Vorstandsmitglieds voraus, dass auch die Bestellung aus wichtigem Grund gemäß § 84 Abs. 3 Satz 1, 2 AktG widerrufen wird2. Diese Voraussetzung ist auch dann erfüllt, wenn die Organstellung im Zusammenhang mit dem Übertragungsvorgang wegen Auflösung des übertragenden Rechtsträgers beendet wird. Kündigung durch Organ: Erhält ein Organ des übertragenden Rechtsträgers im übernehmenden Rechtsträger, auf den sein Dienstvertrag übergeleitet wurde, keine neue Organstellung, kann ein Recht zur fristlosen Eigenkündigung gem. § 626 BGB bestehen. Ein solches Recht besteht aber nicht generell, sondern nur, wenn dem (ehemaligen) Organmitglied die Fortsetzung des Dienstverhältnisses im Einzelfall nach einer Abwägung der beiderseitigen Interessen unzumutbar ist. Dies wird regelmäßig gegeben sein, wenn der Dienstvertrag ein Amt unterhalb der Organebene nicht ausdrücklich vorsieht und dem (ehemaligen) Organmitglied im neuen Unternehmen auch kein entsprechendes angeboten wird oder werden kann3. Eine Unzumutbarkeit wird dagegen nicht ohne Weiteres vorliegen, wenn im neuen Unternehmen eine Tätigkeit als leitender Angestellter angeboten wird, die hinsichtlich der Kompetenz und Rangordnung im Innen- und Außenverhältnis – also insbesondere hinsichtlich Entscheidungskompetenz und Vertretungsmacht – der bisherigen Organstellung mindestens entspricht, was etwa bei Eingliederung eines kleineren Unternehmens mit einer oder wenigen Führungsebenen in ein Unternehmen oder Unternehmensverbund mit mehreren Führungsebenen vorstellbar ist.
14.24
Behält das Organmitglied seine Organstellung im übertragenden Rechtsträger, werden aber durch die Umwandlung alle oder wesentliche Vermögensteile auf einen übernehmenden Rechtsträger übergeleitet, so kann ebenfalls ein Recht zur fristlosen Eigenkündigung bestehen, sofern keine oder keine adäquaten Aufgaben für das Organmitglied verbleiben und dessen Kompetenzen erheblich beschränkt werden4.
14.25
Außer der möglichen Eigenkündigung stehen dem Organmitglied aber regelmäßig keine weiteren Rechte gegen die beteiligten Rechtsträger zu. Insbesondere besteht kein Anspruch auf Schadensersatz gegen den übernehmenden oder übertragenden Rechtsträger, weil die unternehmerische Entscheidung einer Umstrukturierung kein pflicht- oder treuwidriges Verhalten gegenüber dem Organmitglied ist5, und auch kein Anspruch auf Anstellung als leitender Angestellter oder Arbeitnehmer gegen den übernehmenden Rechtsträger6.
14.26
Eine außerordentliche Kündigung ist vor allem an den allgemeinen Voraussetzungen aus § 626 BGB zu messen7. Dabei dürfte es indes für eine Kündigung durch den übertragenden Rechtsträger nicht ausreichen, dass nach dem Übergang einzelner Betriebe oder Betriebsteile keine
14.27
1 Lutter/Hommelhof/Kleindiek, Anh. § 6 GmbHG Rz. 51 ff. 2 MünchGesR/Wentrup, IV § 21 Rz. 142. 3 Buchner/Schlobach, GmbHR 2004, 1; WHSS/Willemsen/Sittard, Umstrukturierung, H Rz. 159b; Röder/Lingemann, DB 1993, 1341, 1347; großzügiger Lutter/Hommelhof/Kleindiek, Anh. § 6 GmbHG Rz. 58. 4 BGH v. 6.3.2012 – II ZR 76/11, NZG 2012, 502, 504. 5 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815 (Erlöschen durch Verschmelzung); BGH v. 6.3.2012 – II ZR 76/11, NZG 2012, 502, 504 (Kompetenzbeschränkung). 6 BGH v. 11.10.2010 – II R 266/08, NJW 2011, 920. 7 Eingehend Hockemeier, Auswirkung der Verschmelzung, S.129 ff.; Baums, ZHR 156 (1992), 248, 254 f.
Bollacher | 575
§ 14 Rz. 14.27 | Rechtsfolgen für Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder
oder keine ausreichende Möglichkeit der Beschäftigung des Organmitglieds mehr gegeben ist. Schließlich ist dieser Übergang durch den Rechtsträger selbst veranlasst worden1. Für das Organmitglied können diese Veränderungen aber im Einzelfall durchaus einen Grund für die außerordentliche Beendigung darstellen2.
14.28
Befristung: Da die arbeitsrechtliche Befristungskontrolle bei Organmitgliedern keine Anwendung findet, enden die Verträge, wie ursprünglich festgelegt, mit Zeitablauf oder Zweckerfüllung. Eine Kündigung ist nicht erforderlich. Eine Besonderheit ergibt sich allerdings beim Übergang auf eine AG. Hier wird man den Aufsichtsrat nämlich für verpflichtet ansehen müssen, eine Befristung auf maximal fünf Jahre durchzusetzen. Andernfalls wäre die durch § 84 Abs. 1 AktG gewährleistete Entscheidungsfreiheit nicht mehr gewährt3.
14.29
Bedingung: Denkbar ist auch, den Bestand des Arbeitsverhältnisses auflösend an eine Bedingung zu knüpfen. Sie bewirkt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn das Ereignis, an das angeknüpft wird, eingetreten ist. Dabei dürfte es zulässig sein, die Beendigung des Anstellungsvertrags für den Fall festzulegen, dass die Organstellung infolge einer Umwandlung endet4. Schließlich ist es auch zulässig, den Fortbestand des Anstellungsvertrags an den Fortbestand der Bestellung als Organ der Gesellschaft zu knüpfen5. Umstritten ist allerdings, ob die Beendigung für den Fall der umwandlungsbedingten Beendigung der Organstellung auch dann eintritt, wenn die Vereinbarung nur abstrakt-generell davon spricht, dass der Anstellungsvertrag für die Dauer der Bestellung zum Geschäftsführer6 bzw. Vorstandsmitglied7 besteht.
14.30
Aufhebungsverträge: Für den Abschluss von Aufhebungsverträgen gelten keine Besonderheiten8.
14.31
Change of Control-Klauseln: Zusätzlich zu den beschriebenen Grundsätzen sind vertragliche Regelungen in bestehenden Dienstverträgen zu beachten. So können einerseits Umstrukturierungsmaßnahmen im Anstellungsvertrag bereits geregelt oder zugunsten des Unternehmens erlaubt werden. Häufiger allerdings finden sich Regelungen, die einem Organmitglied bei solchen Maßnahmen, insbesondere bei einem Kontrollwechsel auf Inhaberseite, ein Sonderkündigungsrecht und/oder eine bestimmte vertragliche Abfindung gewähren. Diese sog. change of control-Klauseln sind grundsätzlich zulässig und bei den finanziellen Auswirkungen der Umwandlungsmaßnahme zu berücksichtigen. Bei Aktiengesellschaften sind bezüglich der Abfindungshöhe freilich § 87 AktG und der Deutsche Corporate Governance Kodex zu beachten9.
1 Vgl. KK-AktG/Mertens/Cahn, § 84 Rz. 127; WHSS/Willemsen/Sittard, Umstrukturierung, H Rz. 160a. 2 Hueck, DB 1957, 1259, 1262; WHSS/Willemsen/Sittard, Umstrukturierung, H Rz. 159a. 3 So Fleck, Anm. zu BGH v. 19.12.1988 – II ZR 74/88, EWiR 1989, 317, 318. 4 Vgl. Hockemeier, Auswirkung der Verschmelzung, S. 30 ff., 36; ebenso Baums, ZHR 156 (1992), 248, 250 und Röder/Lingemann, DB 1993, 1341, 1344 f., die allerdings noch eine Einhaltung der Mindestkündigungsfrist in § 622 BGB für erforderlich halten. Dies überzeugt. 5 BGH v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, BB 1999, 2100, 2101. 6 Vgl. Röder/Lingemann, DB 1993, 1341, 1345; Lutter/Hommelhof/Kleindiek, Anh. § 6 GmbHG Rz. 44. 7 Vgl. Eckhardt, AG 1989, 431, 433; Hockemeier, Auswirkung der Verschmelzungen, S. 30 ff.; Röder/ Lingemann, DB 1993, 1341, 1344. 8 Eingehend, auch zur Verteilung der Vertretungsbefugnis auf Seiten der beteiligten Rechtsträger, vgl. Hockemeier, Auswirkung der Verschmelzung, S. 36 ff. 9 Hohenstatt/Willemsen, NJW 2008, 3462.
576 | Bollacher
Übertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge | Rz. 14.36 § 14
II. Konsequenzen für die Organstellung 1. Organstellung beim übertragenden Rechtsträger Wird Vermögen einer Gesellschaft im Wege der Abspaltung oder Ausgliederung nach § 123 Abs. 2, 3 UmwG übertragen, lässt dies die gesellschaftsrechtliche Verfassung des übertragenden Rechtsträgers unberührt, so dass insbesondere auch die Organe und die Organbesetzung keine Veränderung erfährt. Wegen der grundsätzlichen Trennung zwischen Organstellung und Anstellungsverhältnis gilt dies auch bei Vorliegen eines Betriebsüberganges und selbst dann, wenn der Anstellungsvertrag des Organmitglieds im Einzelfall in den Anwendungsbereich von § 613a BGB fallen sollte.
14.32
Die Organstellung eines Geschäftsführers oder eines Vorstands des übertragenden Rechtsträgers erlischt aber dann, wenn die Gesellschaft mit dem Wirksamwerden des Übertragungsvorgangs wie bei der Verschmelzung gem. § 20 Abs. 1 Nr. 2 UmwG oder Aufspaltung gem. § 131 Abs. 1 Nr. 2 UmwG aufgelöst wird1. Dies gilt auch dann, wenn die Gesellschaft zwar fortbesteht, im Zusammenhang mit der Spaltung aber ein Formwechsel durchgeführt wird2.
14.33
2. Organstellung beim übernehmenden Rechtsträger Die Organe und die Organbesetzung bei allen übernehmenden Rechtsträgern bleiben bei Verschmelzungen und Spaltungen zur Aufnahme grundsätzlich unberührt. Sollen mit der Umwandlung Änderungen bei Organbesetzungen verbunden sein, müssen entsprechende Neubestellungen oder Abberufungen ausdrücklich beschlossen werden. Auch hier gelten die allgemeinen Vorschriften. Möglich ist es freilich, solche Beschlüsse zeitgleich mit den Verschmelzungs- oder Spaltungsbeschlüssen zu fassen.
14.34
Auch wenn der Anstellungsvertrag im Rahmen der Umwandlung auf einen anderen Rechtsträger übergeht, führt dies nicht zu einem Aufleben der Organstellung. Die Organstellung wird nur begründet, wenn das frühere Organmitglied des übertragenden Rechtsträgers beim übernehmenden Rechtsträger neu zum Geschäftsführer bzw. Vorstandsmitglied bestellt wird. Ohne eine solche Neuregelung ist der Betroffene nicht berechtigt, den übernehmenden Rechtsträger organschaftlich zu vertreten3.
14.35
Bei Spaltung oder Verschmelzung zur Neugründung einer GmbH erfolgt die Bestellung zum Geschäftsführer abweichend von den allgemeinen Grundsätzen des GmbH-Rechts nicht durch Entscheidung der Gesellschafter der neu gegründeten GmbH (vgl. § 46 Nr. 5 GmbHG), sondern durch den übertragenden Rechtsträger als Gründer, vertreten durch seine Organe (§ 135 Abs. 2 Satz 1 UmwG, § 6 GmbHG) im Spaltungsplan bzw. Verschmelzungsvertrag4. Bei der Neugründung einer AG werden die Mitglieder des ersten Aufsichtsrats durch die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers als Gründer bestellt. Die Bestellung kann bereits im Spaltungsplan erfolgen. Finden mitbestimmungsrechtliche Vorschriften Anwendung, werden gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 UmwG, § 31 AktG zunächst nur die Aufsichtsräte der Anteilseigner bestellt und der Aufsichtsrat später, nach Eintragung der Umwandlung im Handelsregister und Einleitung eines Statusverfahrens durch den Vorstand gem. § 31 Abs. 3 AktG, nach Wahl
14.36
1 Vgl. OLG München v. 15.11.2000 – 7 U 3916/00, DB 2001, 524, 525; LAG Köln v. 15.8.2001 – 7 Sa 1403/00, n.v.; Röder/Lingemann, DB 1993, 1341; Baums, ZHR 156 (1992), 248, 249. 2 Vgl. Röder/Lingemann, DB 1993, 1341; Buchner/Schlobach, GmbHR 2004, 1, 3. 3 Mertens, Umwandlung, S. 151. 4 Widmann/Mayer/Mayer, § 135 UmwG Rz. 50.
Bollacher | 577
§ 14 Rz. 14.36 | Rechtsfolgen für Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder
der Aufsichtsräte der Arbeitnehmer ergänzt1. Die Amtszeit des ersten Aufsichtsrates ist bis zum Ende der ersten Hauptversammlung, die über die Entlastung des Aufsichtsrates beschließt, und damit auf maximal 20 Monate beschränkt (§ 30 Abs. 3 AktG). Der Aufsichtsrat bestellt dann gemäß § 30 Abs. 4 AktG den ersten Vorstand der neuen AG (§ 135 Abs. 2 Satz 1 UmwG i.V.m. § 30 AktG)2. Hier ist allerdings die Notwendigkeit einer Befristung der Bestellung auf maximal fünf Jahre zu berücksichtigen.
3. Abberufung und Niederlegung 14.37
Hinsichtlich der Möglichkeit einer Abberufung muss zwischen GmbH und AG unterschieden werden. In der GmbH sind die Gesellschafter jederzeit in der Lage, den Geschäftsführer abzuberufen. Selbstverständlich besteht diese Befugnis auch im Zusammenhang mit einer Vermögensübertragung durch Gesamtrechtsnachfolge auf einen anderen Rechtsträger, zumal damit in der Regel eine Veränderung des Tätigkeits- und Verantwortungsbereichs verbunden ist. Einschränkungen können sich hier nur aus besonderen Regelungen des Gesellschaftsvertrags ergeben3.
14.38
In der AG ist der Widerruf nur aus wichtigem Grund zulässig (§ 84 Abs. 3 Satz 1 AktG). Wie die im Gesetz genannten Beispiele deutlich machen, muss es für die Gesellschaft unzumutbar sein, mit dem betroffenen Mitglied des Vorstands bis zum Ablauf seiner Amtszeit zusammenzuarbeiten4. Die infolge der Vermögensübertragung veränderte Zusammensetzung des Vermögens des übertragenden oder auch des übernehmenden Rechtsträgers dürfte regelmäßig keine Unzumutbarkeit für die AG begründen, nicht zuletzt, weil sie bzw. ihre Anteilsinhaber diese Veränderung durch Zustimmung zur Umwandlung selbst herbeigeführt haben. Ob eine Veränderung der Mehrheitsverhältnisse beim übertragenden Rechtsträger für die Unzumutbarkeit genügt, muss mit Blick auf den Einzelfall überprüft werden5.
14.39
Für die Niederlegung des Amts als Organmitglied gelten die allgemeinen Grundsätze. Die Amtsniederlegung ist für Geschäftsführer6 und Mitglieder des Vorstands7 gleichermaßen grundsätzlich jederzeit möglich und bedarf keines wichtigen Grundes8. Die Amtsniederlegung darf allerdings nicht zur Unzeit erfolgen. Liegt für die sofortige Amtsniederlegung kein wichtiger Grund vor, so kann sich der Geschäftsführer bzw. das Vorstandsmitglied zudem gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig machen, weil er durch die Niederlegung seine Hauptpflicht auf Ausführung der Geschäftsführung verletzt9.
1 Kuhlmann, NZG 2010, 46, 49. 2 Widmann/Mayer/Rieger, § 135 UmwG Rz. 117 f., § 36 UmwG Rz. 176 f. 3 Vgl. Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, § 38 GmbHG Rz. 7; Lutter, Vorschlagsrecht für die Geschäftsführerposition, ZIP 1986, 1195 f. 4 Vgl. BGH v. 20.10.1954 – II ZR 280/53, BGHZ 15, 71 ff.; BGH v. 23.10.2006 – II ZR 298/05, NJWRR 2007, 389; OLG Frankfurt v. 17.2.2015 – 5 U 111/14, NZG 2015, 514, 515; KK-AktG/Mertens/ Cahn, § 84 Rz. 103; Hüffer/Koch/Koch, § 84 AktG Rz. 34. 5 Röder/Lingemann, DB 1993, 1341, 1345; hier ist allerdings entscheidend zu berücksichtigen, dass auch die Anteilsinhaber des übernehmenden Rechtsträgers der Veränderung zugestimmt und den möglichen wichtigen Grund damit selbst herbeigeführt haben. 6 Scholz/Schneider, § 38 GmbHG Rz. 85 ff.; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, § 38 GmbHG Rz. 41 ff. 7 KK-AktG/Mertens/Cahn, § 84 Rz. 162; Hüffer/Koch/Koch, § 84 AktG Rz. 35. 8 BGH v. 8.2.1993 – II ZR 58/92, BGHZ 121, 257, 261 f. 9 Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, § 38 GmbHG Rz. 46.
578 | Bollacher
Teil 6 Änderung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen
§ 15 Änderung oder Beendigung von Arbeitsverhältnissen bei einer unternehmensinternen Veränderung
A. Allgemeine Grundlagen . . . . . . . . . . 15.1 B. Auswirkungen auf die Sozialauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.7 I. Kennzeichnung eines kündigungsschutzrechtlich relevanten Zusammenschlusses von Betrieben und Betriebsteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.8 1. Kennzeichnung des kündigungsrechtlichen Betriebs . . . . . . . . . . . 15.9 2. Kündigungsschutzrechtliche Rechtsfolgen für den (Teil-) Betriebszusammenschluss . . . . . . 15.16
II. Kennzeichnung und Rechtsfolgen einer kündigungsschutzrechtlich relevanten Betriebsspaltung . . . . . . . . C. Zusammenschluss und Abspaltung von Kleinbetrieben – Anwendbarkeit des KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zusammenschluss von Kleinbetrieben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abspaltung von Kleinbetrieben . . . . . 1. Verfassungsrechtliche Interpretation von § 23 KSchG . . . . . . . . . . 2. Kündigungsschutzrechtliche Interpretation von § 23 KSchG . .
15.24
15.30 15.31 15.33 15.34 15.38
Schrifttum: Bachner, Sozialauswahl und Beteiligung des Betriebsrats bei unternehmens- und konzernweiten Verlagerungs- und Konzentrationsmaßnahmen, NZA 2006, 1309; Bitter, Zur Unternehmerentscheidung zwecks Personalabbau, DB 2000, 1760; Buschbaum, Die Herausnahme von Leistungsträgern aus der Sozialauswahl, BB 2011, 309; Eckhardt, Kopplung und Beendigung des Anstellungsvertrages eines AG-Vorstandsmitglieds an den Bestellungswiderruf, AG 1989, 431; Färber, Die horizontale und vertikale Vergleichbarkeit von Arbeitnehmern im Rahmen der Sozialauswahl, NZA 1985, 175; Fuhlrott, „Freie Stellen“ bei betriebsbedingter Kündigung – Grenzen der Weiterbeschäftigungspflicht, DB 2014, 1198; Fuhlrott/Fabritius, Besonderheiten der betriebsbedingten Kündigung von Leiharbeitnehmern, NZA 2014, 122; B. Gaul/Bonanni, Betriebsübergreifende Sozialauswahl und die Bedeutung von Versetzungsklauseln, NZA 2006, 289; B. Gaul/Ludwig, Betriebsbedingte Kündigung trotz des Einsatzes von Leiharbeitnehmern?, DB 2010, 2334; B. Gau/Niklas, Keine Altersdiskriminierung durch Sozialauswahl mit Altersgruppen, NZA-RR 2009, 457; D. Gaul, Wechselbeziehungen zwischen Direktionsrecht und Sozialauswahl, NZA 1992, 673; Gimmy/Hügel, Kündigungsschutz für „entgrenzte“ Arbeitnehmer?, NZA 2013, 764; Gramm, Zum Begriff des Betriebes, AuR 1964, 293; Hanau, Verfassungsrechtlicher Kündigungsschutz, Festschrift für Thomas Dieterich, 1999, S. 201 ff.; Hanau, Aktuelles zu Betrieb, Unternehmen und Konzern im Arbeitsrecht, ZfA 1990, 115; Hanau, Demografiegerechtes Arbeitsrecht aktuell, ZIP 2011, 1; Hassenpflug, Die Kündigung von Betriebsratsmitgliedern wegen Stilllegung eines Betriebes oder einer Betriebsabteilung, 1989 (zugl. Diss. Münster 1989); Hertzfeld/Steffens, Auswahl der zu kündigenden Mitarbeiter bei gleichzeitig bestehenden freien Arbeitsplätzen im Unternehmen, NZA 2020, 1063; Hohenstatt/Dzida, Die „maßgeschneiderte“ Betriebsverfassung, DB 2001, 2498; Kania/Gilberg, Kündigungsrechtliche Bedeutung der Betriebsfiktion gem. § 4 BetrVG, NZA 2000, 678; Kiel, Die Berücksichtigung anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten nach
Niklas | 579
§ 15 Rz. 15.1 | Änderung/Beendigung von ArbVerh – unternehmensinterne Veränderung Umstrukturierungen im Unternehmen, Festschrift für Peter Kreutz, 2009, S. 211 ff.; Kittner, Das neue Recht der Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen und die Ausdehnung der Kleinbetriebsklausel, AuR 1997, 182; Korinth, Prozessuale Probleme beim Kündigungsschutz außerhalb des KSchG, ArbRB 2009, 281; Krieger/Reinecke, Betriebsbedingte Kündigung: Schutz von Leistungsträgern und Altersgruppenbildung, DB 2013, 1906; Kühling, Die Berufsfreiheit des Arbeitnehmers, Festschrift für Thomas Dieterich, 1999, S. 325 ff.; Künzel/Fink, Arbeitsvertraglicher Sonderkündigungsschutz und Sozialauswahl, NZA 2011, 1385; Löwisch/Röder/Krieger, Punkteschemata für die Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen im Zeitalter von Diskriminierungsverboten, BB 2008, 610; Lunk, Unionsrechtlicher Kündigungsschutz – Gewährt das Unionsrecht einen eigenständigen Kündigungsschutz?, ArbRB 2020, 47; Lunk/Seidler, Sozialauswahl nach Altersgruppen – ein Abschied in Raten, NZA 2014, 455; Meyer, Kündigungsschutz im Kleinbetrieb oder in der Wartezeit nach der Grundrechtecharta, NZA 2014, 993; Mohr, Die Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 KSchG zwischen Kündigungs- und Diskriminierungsschutz, ZfA 2007, 361; Monz, Der Einbezug von ins Ausland entsandten Arbeitnehmern in die Sozialauswahl, BB 2014, 250; Niklas, Wegfall des allgemeinen Kündigungsschutzes bei Ersatzeinstellungen, NZA 2006, 1395; Niklas/Ittmann, Betriebs(-teil)übergang nach § 613a BGB – Wer geht mit, wer bleibt?, ArbRB 2013, 347; Otto/Mückl, Kündigungsschutz bei Arbeitsverhältnissen mit Auslandsbezug, BB 2008, 1231; Preis, Legitimation und Grenzen des Betriebsbegriffs im Arbeitsrecht, RdA 2000, 257; Richardi, Veränderung der Repräsentationsstrukturen, NZA Sonderheft 2001, 7; Schindler/Künzl, Tarifvertraglicher Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit und Sozialauswahl, ZTR 2014, 395; Thüsing/Wege, Sozialauswahl nach neuem Recht, RdA 2005, 12; Weigand, Kleinbetriebe und Kündigungsschutz, DB 1997, 2484; Wisskirchen/Bissels, Arbeitsrechtliche Probleme bei „Matrix-Strukturen“ – Kündigungsschutz im multinationalen Konzern bei multinational tätigen Arbeitnehmern, DB 2007, 340.
A. Allgemeine Grundlagen 15.1
Häufig ist die Umstrukturierung eines Unternehmens mit der Überlegung verbunden, Arbeitsbedingungen zu ändern und/oder die Zahl der in den betroffenen Betrieben oder Betriebsteilen beschäftigten Arbeitnehmer zu reduzieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn wirtschaftliche Schwierigkeiten des bisherigen Inhabers, möglicherweise sogar ein Insolvenzverfahren, Anlass für die Ausgliederung eines Betriebs oder Betriebsteils sind. Meist kann hier nur durch eine Reduzierung auch der Personalkosten ein Neuanfang gewagt werden.
15.2
Im Hinblick auf die damit verbundenen Personalmaßnahmen sollen nachfolgend zunächst einmal die Rahmenbedingungen bei einer unternehmensinternen Veränderung aufgezeigt werden (§ 15). Entscheidend ist dabei, wann überhaupt von einem kündigungsschutzrechtlich relevanten Zusammenschluss eines Betriebs oder einer entsprechenden Spaltung ausgegangen werden kann. Im Anschluss daran soll aufgezeigt werden, welche besonderen Anforderungen in Bezug auf Personalmaßnahmen im Zusammenhang mit der Errichtung, Auflösung oder Spaltung eines gemeinsamen Betriebs verbunden sind (§ 16). Da der gemeinsame Betrieb auch im Zusammenhang mit der Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Rechtsträger zum Tragen kommen kann, sollen Fragen zur Beendigung oder Änderung von Arbeitsverhältnissen im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang nach § 613a BGB und einer Spaltung nach § 123 UmwG erst im Anschluss daran behandelt werden (§§ 17, 18). Abschließend sollen Beteiligungsrechte des Betriebsrats im Zusammenhang mit solchen Personalmaßnahmen (§ 19) und einzelnen Fragen behandelt werden, die sich als Folge prozessualer Auseinandersetzungen zwischen den Arbeitnehmern und den beteiligten Rechtsträgern ergeben (§ 20).
580 | Niklas
Auswirkungen auf die Sozialauswahl | Rz. 15.7 § 15
Bei der einvernehmlichen Änderung oder Beendigung von Arbeitsverhältnissen anlässlich eines unternehmensinternen Zusammenschlusses oder einer Spaltung des Betriebs gibt es keine Besonderheiten.
15.3
Auch die einseitige Änderung oder Beendigung von Arbeitsverhältnissen im Zusammenhang mit dem unternehmensinternen Zusammenschluss oder der Spaltung eines Betriebs bestimmt sich zunächst einmal nach den allgemeinen Grundsätzen des Kündigungsrechts. § 613a Abs. 4 BGB, § 324 UmwG kommen nicht zur Anwendung. Neben den gesetzlichen und/oder tarifvertraglichen Vorgaben zum Kündigungsschutz besonderer Personengruppen sind damit vor allem die allgemeinen Vorgaben zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung zu beachten.
15.4
Unproblematisch in Bezug auf die soziale Rechtfertigung einer Kündigung ist die Notwendigkeit eines Wegfalls des Arbeitsplatzes und die fehlende Möglichkeit, den hiervon betroffenen Arbeitnehmer auf einem anderen (freien) Arbeitsplatz im Betrieb oder Unternehmen weiterzubeschäftigen (§ 1 Abs. 2 KSchG). Ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der Kündigung sind alle freien Arbeitsplätze im Unternehmen zu berücksichtigen. Erfolgt die Kündigung nach dem unternehmensinternen Zusammenschluss oder der Spaltung des Betriebs in seiner kündigungsrechtlichen Identität, ist auch die Sozialauswahl unproblematisch. Bei dem Zusammenschluss ist auf sämtliche Arbeitnehmer abzustellen, die in dem durch den Zusammenschluss entstandenen neuen Betrieb beschäftigt werden. Demgegenüber ist bei der Spaltung nur noch auf die Arbeitnehmer abzustellen, die in dem jeweiligen Betrieb beschäftigt werden, der von dem Arbeitsplatzwegfall betroffen ist. Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn zum Zeitpunkt der Spaltung bereits Personalanpassungsmaßnahmen geplant waren; ähnlich wie in den Fällen, in denen ein Betriebsteil stillgelegt und der andere Betriebsteil gemäß § 613a BGB auf einen anderen Rechtsträger übertragen wird, sind auch in diesem Fall alle vergleichbaren Arbeitnehmer des ursprünglichen Betriebs in die Sozialauswahl einzubeziehen, auch wenn dies – bezogen auf den Zeitpunkt der Kündigung – im Ergebnis eine betriebsübergreifende Sozialauswahl zur Folge hat (vgl. auch Rz. 15.25 ff.).
15.5
Problematisch sind allerdings zwei Aspekte: Erfolgt die Kündigung vor einem anstehenden Betriebszusammenschluss bzw. einer bevorstehenden Betriebsspaltung, ist zu prüfen, ob und inwieweit diese Maßnahme den Kreis der Arbeitnehmer verändert, die in die Sozialauswahl einzubeziehen sind. Erfolgt die Kündigung nach einem Betriebszusammenschluss oder einer -spaltung, ist überdies festzustellen, ob die Kündigung überhaupt an den Vorgaben der §§ 1, 2 KSchG zu messen ist. Voraussetzung hierfür ist, dass das Arbeitsverhältnis – erstmalig oder weiterhin – in den durch § 23 KSchG bestimmten Geltungsbereich fällt; das ist bei einem Kleinbetrieb nämlich in der Regel nicht der Fall.
15.6
B. Auswirkungen auf die Sozialauswahl Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist eine betriebsbedingte Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des gekündigten Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass die damit verbundene Sozialauswahl auf den Betrieb in seiner kündigungsschutzrechtlichen Identität bezogen ist, d.h. in die Auswahlentscheidung grundsätzlich nur diejenigen vergleichbaren Arbeitnehmer einzubeziehen sind, welche in demselben Betrieb be-
Niklas | 581
15.7
§ 15 Rz. 15.7 | Änderung/Beendigung von ArbVerh – unternehmensinterne Veränderung
schäftigt werden1. Ausgehend hiervon muss nicht nur geprüft werden, unter welchen Voraussetzungen überhaupt von einem Zusammenschluss oder einer Spaltung des Betriebs auszugehen ist. Ohne eine solche unternehmensinterne Veränderung bleiben die bis dahin geltenden Vorgaben in Bezug auf die Rechtswirksamkeit der Kündigung nämlich unberührt. Wird der Betrieb nach Zugang der Kündigung und vor Ablauf der Kündigungsfrist verschmolzen bzw. gespalten, muss überdies geprüft werden, ob und inwieweit eine solche Veränderung Einfluss auf den Kreis der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer besitzt. Schließlich sind in die Prognose des Arbeitgebers, die der Kündigung zugrunde gelegt wird, alle Umstände einzubeziehen, die am Tag des Zugangs der Kündigung für den Arbeitgeber erkennbar sind und die tatsächlichen Voraussetzungen einer Kündigung betreffen2.
I. Kennzeichnung eines kündigungsschutzrechtlich relevanten Zusammenschlusses von Betrieben und Betriebsteilen 15.8
Hat man die Beendigung von Arbeitsverhältnissen vor Augen, ist Ausgangspunkt für die Kennzeichnung eines kündigungsschutzrechtlich relevanten Betriebszusammenschlusses der Begriff des Betriebs i.S.d. § 1 KSchG. Besonderheiten einer Kündigung von Betriebsratsmitgliedern, bei denen auch der am BetrVG ausgerichtete Betriebsbegriff des § 15 KSchG maßgeblich ist3, sollen hier zunächst einmal unberücksichtigt bleiben (vgl. Rz. 17.145 ff.). Da das Gesetz keine Definition enthält, muss insoweit an den Grundsätzen angeknüpft werden, die Rechtsprechung und Literatur auf der Grundlage allgemeiner Überlegungen (vgl. Rz. 1.3 ff.) entwickelt haben.
1. Kennzeichnung des kündigungsrechtlichen Betriebs 15.9
Ursprünglich ist man davon ausgegangen, dass bei der Auslegung und Anwendung von § 1 KSchG der sog. allgemeine Betriebsbegriff (vgl. Rz. 1.4) zugrunde zu legen sei. Insoweit ist vielfach auf die Kriterien Bezug genommen worden, wie sie in §§ 1, 4 BetrVG zur Kennzeichnung des Betriebs i.S.d. Betriebsverfassungsrechts festgelegt wurden. Als Betrieb i.S.d. § 1 KSchG wurden damit solche Einheiten innerhalb eines Unternehmens gekennzeichnet, die entweder räumlich weit voneinander entfernt liegen oder einen nach Aufgabenbereich und Organisation eigenständigen Charakter besitzen4.
15.10
Mit guten Gründen sind Rechtsprechung5 und große Teile des Schrifttums6 dieser Bewertung nicht gefolgt. Überwiegend war zwar auch hier der allgemeine Betriebsbegriff Grundlage der
1 Vgl. nur BAG v. 22.5.1986 – 2 AZR 612/85, EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 22, Rz. 51; BAG v. 22.10.2015 – 2 AZR 582/14, NZA 2016, 33, Rz. 23; BAG v. 24.10.2019 – 2 AZR 85/19; KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 651; Linck/Krause/Bayreuther/Krause, § 1 KSchG Rz. 863; abw. Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 361 ff. 2 BAG v. 30.5.1985 – 2 AZR 321/84, AP Nr. 24 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Bl. 2 f.; BAG v. 27.2.1987 – 7 AZR 652/85, AP Nr. 41 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Bl. 5 f.; BAG v. 22.10.2015 – 2 AZR 650/14, NZA 2016, 630, Rz. 32; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303, Rz. 71. 3 Vgl. hierzu Hassenpflug, Kündigung von Betriebsratsmitgliedern, S. 13 ff., 21, 22 ff. 4 So Herschel/Steinmann, KSchG 1951 § 21, Rz. 1. 5 Vgl. BAG v. 26.8.1971 – 2 AZR 233/70, BB 1971, 1508 f.; BAG v. 21.6.1995 – 2 AZR 693/94, EzA § 23 KSchG Nr. 14, S. 2; LAG München v. 8.4.1954 – 13/53 I, BB 1954, 470; LAG Düsseldorf v. 19.6.1963 – 6 TaBV 4/63, DB 1964, 301; LAG Hamburg v. 9.4.1970 – 2 Sa 25/70, BB 1970, 1008 (LS). 6 Gramm, AuR 1964, 293.
582 | Niklas
Auswirkungen auf die Sozialauswahl | Rz. 15.12 § 15
Überlegungen. Danach ist Betrieb die organisatorische Einheit, innerhalb derer der Arbeitgeber mit seinen/m Arbeitnehmer(n) durch Einsatz materieller und immaterieller Betriebsmittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen. Bei der Feststellung, ob es sich im Einzelfall um mehrere selbstständige Betriebe oder nur um unselbstständige Teile eines einheitlichen Betriebs handelt, wird dann aber maßgeblich auf die Einheit der Organisationsstruktur abgestellt, die für die Verfolgung einer Teilfunktion der arbeitstechnischen Zwecke geschaffen wurde (vgl. Rz. 1.9)1. Ausgehend hiervon ist die räumliche Entfernung von Betriebsstätten – entgegen der Bewertung durch § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG – für die kündigungsschutzrechtliche Kennzeichnung des Betriebs ohne Bedeutung2. Damit können z.B. die einzelnen Geschäftsstellen eines Verbandes3, Vertriebsabteilungen eines Druckunternehmens4, verschiedene Bewachungs- oder Reinigungsobjekte eines Unternehmens5, mehrere Betriebsstätten eines Handwerks- bzw. Produktionsunternehmens6 oder die Filialen eines Einzelhandelsunternehmens7 auch dann einen einheitlichen Betrieb bilden, wenn sie räumlich weit voneinander entfernt sind und deshalb betriebsverfassungsrechtlich als eigenständige Betriebe behandelt werden8. Berechtigterweise wird insoweit darauf verwiesen, dass durch § 4 BetrVG gerade eine gesetzliche Fiktion geschaffen werde. Obwohl nach den allgemeinen Grundsätzen auch bei räumlicher Entfernung von Betriebsstätten ein einheitlicher Betrieb vorliegen könne, habe der Gesetzgeber festgelegt, dass die Einheiten dann als selbstständige Betriebe zu behandeln seien („gelten“), wenn sie räumlich weit voneinander entfernt seien9. Damit ist es ausgeschlossen, sich bei der Feststellung des kündigungsschutzrechtlichen Betriebsbegriffs an den Einzugsbereichen der jeweiligen Betriebsräte zu orientieren10.
15.11
Wie durch § 3 Abs. 5 Satz 1 BetrVG klargestellt wird, haben auch Vereinbarungen über die Schaffung betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten, in denen dann jeweils eigenständige Arbeitnehmervertretungen gebildet werden, für den kündigungsrechtlichen Betriebsbegriff keine Bedeutung. Denn der Gesetzgeber hat mit § 3 Abs. 5 Satz 1 BetrVG die nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG gebildeten betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten ausdrücklich als Betriebe i.S.d. BetrVG bezeichnet und die Fiktionswirkung dieser Regelung damit auf dieses Gesetz begrenzt. Im Bereich des KSchG bleibt deshalb der allgemeine kündigungsrechtliche Betriebsbegriff maßgeblich11. Unerheblich ist auch, ob auf der
15.12
1 So BAG v. 26.8.1971 – 2 AZR 233/70, BB 1971, 1508; BAG v. 28.10.2010 – 2 AZR 392/08, BB 2011, 1339, Rz. 17. 2 BAG v. 28.10.2010 – 2 AZR 392/08, BB 2011, 1339, Rz. 17; BAG v. 18.10.2012 – 6 AZR 86/11, AP Nr. 23 zu § 106 GewO, Rz. 41; LAG Rheinland-Pfalz v. 13.5.2019 – 3 Sa 63/18; a.A. Kania/Gilberg, NZA 2000, 678, 680 f. 3 LAG München v. 8.4.1954 – 13/53, BB 1954, 470. 4 LAG Düsseldorf v. 19.6.1963 – 6 TaBV 4/63, DB 1964, 301. 5 LAG Köln v. 26.3.1998 – 5 (12) Sa 1790/97. 6 BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, NZA 2001, 831, 831 f. 7 BAG v. 26.8.1971 – 2 AZR 233/70, BB 1971, 1508, 1509. 8 Vgl. BAG v. 21.6.1995 – 2 AZR 693/94, EzA § 23 KSchG Nr. 14, S. 3; BAG v. 28.10.2010 – 2 AZR 392/08, BB 2011, 1339, Rz. 17; KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 147. 9 BAG v. 26.8.1971 – 2 AZR 233/70, BB 1971, 1508, 1509; BAG v. 28.10.2010 – 2 AZR 392/08, BB 2011, 1339, Rz. 17. 10 Abw. Hanau, ZfA 1990, 115, 117, Fn. 2. 11 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33, Rz. 18; DKW/Trümner, § 3 BetrVG Rz. 210; ErfK/Koch, § 3 BetrVG Rz. 12; HWK/B. Gaul, § 3 BetrVG Rz. 32; Mückl, DB 2010, 2615, 2618; Preis, RdA 2000, 257, 264.
Niklas | 583
§ 15 Rz. 15.12 | Änderung/Beendigung von ArbVerh – unternehmensinterne Veränderung
Grundlage eines Beschlusses der Arbeitnehmer für mehrere an sich selbstständige Betriebe ein Betriebsrat gewählt wird (§ 3 Abs. 3 BetrVG). Schließlich sind die Vorgaben des individualrechtlich geprägten KSchG einer Disposition durch die Tarifpartner, die betrieblichen Sozialpartner oder die Arbeitnehmer mittels Mehrheitsentscheidung nicht zugänglich1. Im Hinblick auf die mit einer Massenentlassungsanzeige einhergehenden Beteiligung des Betriebsrats nach § 17 KSchG (vgl. Rz. 19.5 ff.) ist jedoch an den Betrieb anzuknüpfen, wie er durch Vereinbarung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 2 BetrVG geschaffen wurde2. Insoweit ist der betriebsverfassungsrechtliche Betriebsbegriff maßgeblich3. Hieran hat sich auch durch die Feststellungen des BAG, wonach im Hinblick auf § 17 KSchG weder der kündigungsschutzrechtliche noch der betriebsverfassungsrechtliche, sondern ein unionsrechtlicher Betriebsbegriff zugrunde zu legen sei, nichts geändert (vgl. Rz. 25.499)4.
15.13
Angesichts dessen entfaltet auch eine rechtskräftige Entscheidung über das Bestehen eines Betriebs im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne im Rahmen eines Verfahrens nach § 18 Abs. 2 BetrVG zwar Bindungswirkung in einem Individualverfahren, das betriebsverfassungsrechtliche Fragen zum Gegenstand hat (z.B. Versetzungsbefugnis im Betrieb)5. Damit kann sie auch die Zuständigkeit unterschiedlicher Betriebsräte für die Anhörung nach § 102 BetrVG begründen, wenn in einem kündigungsschutzrechtlichen Betrieb, der sich wegen der räumlichen Entfernung seiner Betriebsstätten aus mehreren betriebsverfassungsrechtlichen Betrieben zusammensetzt, ein Personalabbau durchgeführt wird. Für einen Kündigungsschutzprozess und die Annahme eines Betriebs im kündigungsschutzrechtlichen Sinne kann die Entscheidung im Rahmen des Verfahrens nach § 18 Abs. 2 BetrVG aber schon aus materiellrechtlichen Gründen nur indizielle Bedeutung besitzen, weil keine betriebsverfassungsrechtliche Vorfrage betroffen ist; eine Bindungswirkung besteht in diesem Fall nicht6. Entsprechendes gilt dann, wenn unter Verkennung des betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriffs Betriebsratswahlen durchgeführt wurden. Wenn diese Wahlen nicht angefochten worden sind, kann der Betriebsrat zwar sämtliche Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte wahrnehmen. Die Einheit, für die er gewählt wurde, gilt bis zum Ablauf der regulären Amtszeit als Betrieb i.S.d. BetrVG. Kündigungsschutzrechtlich hat dies indes schon wegen der unterschiedlichen Zweckrichtung des KSchG (individueller Bestandsschutz) und des BetrVG (Organisation der Betriebsverfassung) keine Bedeutung. Das Gleiche gilt für den Fall der Anfechtung, bis rechtskräftig über die Anfechtung entschieden worden ist7.
15.14
Entscheidend für die kündigungsrechtliche Bewertung ist damit nur, ob die Betriebsstätten in Bezug auf ihre Arbeitsorganisation einheitlich gesteuert werden. Dies ist nach Maßgabe des BAG der Fall, wenn ein einheitlicher Leitungsapparat vorhanden ist, der die Gesamtheit der
1 Ebenso Kania/Gilberg, NZA 2000, 678, 680 f.; Preis, RdA 2000, 257, 264; abw. offenbar Richardi, NZA Sonderheft 2001, 7, 10, der nur davon spricht, dass der besondere Kündigungsschutz des KSchG durch Vereinbarungen und § 3 Abs. 1 Nr. 4, 5 BetrVG nicht beeinflusst werde. 2 Vgl. HWK/B. Gaul, § 3 BetrVG Rz. 31; Mückl, DB 2010, 2615, 2618. 3 Vgl. BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 348/11, NZA 2013, 669, Rz. 84. 4 BAG v. 13.2.2020 – 6 AZR 146/19, NZA 2020, 1006, Rz. 61. 5 Vgl. BAG v. 9.4.1991 – 1 AZR 488/90, AP Nr. 8 zu § 18 BetrVG 1972, Bl. 3. 6 BAG v. 13.6.1985 – 2 AZR 452/84, NZA 1986, 600, 602; BAG v. 20.2.2014 – 2 AZR 859/11, NZA 2014, 1083, Rz. 40; GK-BetrVG/Kreutz, § 18 Rz. 79. 7 Preis, RdA 2000, 257, 263 f.; ebenso Kania/Gilberg, NZA 2000, 678, 680 f., obgleich sie aus einem „erheblichen praktischen Bedürfnis“ heraus dafür plädieren, den kündigungsrechtlichen und den betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff einheitlich an den in § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG genannten Kriterien auszurichten.
584 | Niklas
Auswirkungen auf die Sozialauswahl | Rz. 15.16 § 15
für die Erreichung des arbeitstechnischen Gesamtzweckes eingesetzten Mittel lenkt1. Bei der Kennzeichnung eines ortsübergreifenden Betriebs geht es letztlich also darum, dass der Kern der Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung im Wesentlichen selbstständig ausgeübt wird, wo mithin einheitlich über Arbeitsbedingungen und Organisationsfragen (Vergütung und Arbeitszeit, Arbeitsverteilung, Personalplanung, Fehlzeitenmanagement etc.) entschieden wird und in welcher Weise Einstellungen oder Entlassungen2 sowie Versetzungen vorgenommen werden3. Im Hinblick auf die einheitliche Steuerung besteht mithin Übereinstimmung mit den Anforderungen an die Kennzeichnung eines betriebsverfassungsrechtlichen Betriebs oder selbstständigen Betriebsteils nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG4. Nicht ausreichend ist, dass zentral lediglich Servicefunktionen wahrgenommen werden (z.B. Lohn- und Gehaltsabrechnung, Rechtsberatung)5. Umgekehrt kann trotz einer dezentralen Organisation, etwa von Personalreferenten, die „vor Ort“ über gewisse Kompetenzen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und Organisationsfragen sowie gar im Hinblick auf die Vornahme von Einstellungen verfügen, noch eine einheitliche Steuerung durch einen zentralen Personalleiter anzunehmen sein, wenn die Kompetenzen nicht eine gewisse Relevanz aufweisen6. Zu prüfen ist also stets, ob die Arbeitgeberfunktionen tatsächlich eigenständig ausgeübt werden können und wesentliche personelle und soziale Angelegenheiten betreffen. Von diesen Grundsätzen ausgehend, liegt ein kündigungsschutzrechtlicher Zusammenschluss von Betrieben nicht bereits dann vor, wenn Betriebe oder Betriebsteile an einen anderen Ort verlegt und dort mit einem bereits existierenden oder neu geschaffenen Betrieb oder Betriebsteil verschmolzen werden. Entscheidend ist vielmehr, dass die Leitungsmacht in den wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten, wie sie betriebsverfassungsrechtlich von §§ 92, 99, 102 bzw. § 87 BetrVG erfasst werden, im Rahmen einer einheitlichen Organisation zusammengefasst wird, d.h. die Arbeitnehmer der verschmolzenen Betriebe oder Betriebsteile fortan einheitlich gesteuert werden. Ein (einheitlicher) Betrieb liegt im Falle einer solchen einheitlichen Steuerung unabhängig davon vor, in welcher räumlichen Entfernung die beiden Einheiten zueinanderstehen, so dass – anders als beim betriebsverfassungsrechtlichen Betrieb gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG – selbst weit voneinander entfernte Einheiten einen kündigungsschutzrechtlichen Betrieb bilden, sofern die einheitliche Steuerung in den wesentlichen personellen und sozialen Fragen vorliegt.
15.15
2. Kündigungsschutzrechtliche Rechtsfolgen für den (Teil-)Betriebszusammenschluss Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG hat die Sozialauswahl betriebsbezogen zu erfolgen; Arbeitnehmer anderer Betriebe eines Unternehmens oder eines Konzerns sind nicht
1 BAG v. 26.8.1971 – 2 AZR 233/70, BB 1971, 1508, 1509; BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33, Rz. 20; BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, NZA 2017, 859, Rz. 15. 2 Richtigerweise weisen Kania/Gilberg, NZA 2000, 678, 680, indes darauf hin, dass die Befugnis zur Einstellung oder Entlassung auch zentral organisiert sein kann, ohne dass dies der dezentralen Annahme einzelner Betriebe i.S.d. § 1 KSchG entgegensteht. 3 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33, Rz. 20; BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, NZA 2017, 859, Rz. 15. 4 Ebenso KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 141; Linck/Krause/Bayreuther/Bayreuther, § 23 KSchG Rz. 9. 5 Hessisches LAG v. 27.11.1997 – 5 Sa 24/97. 6 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33, Rz. 21 ff.; HWK/B. Gaul, § 1 BetrVG Rz. 7.
Niklas | 585
15.16
§ 15 Rz. 15.16 | Änderung/Beendigung von ArbVerh – unternehmensinterne Veränderung
einzubeziehen1. Dies gilt auch dann, wenn arbeitsvertraglich ein unternehmens- oder konzernweites Versetzungsrecht vorbehalten wurde2.
15.17
Ausgangspunkt einer betriebsbedingten Kündigung ist damit, bezogen auf die Sozialauswahl, die Annahme, dass im Betrieb jedenfalls zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung kein Arbeitnehmer beschäftigt wird, der ordentlich kündbar ist und mit Blick auf die vier sozialen Kriterien einer Auswahlentscheidung nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG eine geringere Schutzwürdigkeit gegenüber dem von einer Kündigung betroffenen Arbeitnehmer besitzt. Wenn nicht von der Möglichkeit einer Herausnahme dieses Arbeitnehmers aus der Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG Gebrauch gemacht wird, hätte nämlich andernfalls diesem Arbeitnehmer gekündigt werden müssen.
15.18
Endet die Kündigungsfrist vor dem Zusammenschluss der Betriebe oder Betriebsteile, hat er grundsätzlich keine Konsequenzen für die Sozialauswahl.
15.19
Endet die Frist aber nach dem Zusammenschluss, stellt sich die Frage, ob nur auf die Arbeitnehmer abgestellt werden kann, die zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung in dem jeweils noch selbstständigen Betrieb auf einem vergleichbaren Arbeitsplatz beschäftigt werden, oder auch die entsprechenden Arbeitnehmer des Betriebs oder Betriebsteils einzubeziehen sind, mit welchem der noch selbstständige Betrieb verschmolzen wird. Für Letzteres spricht, dass die Prognose, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung abzugeben ist3, auf den Zustand bei Vertragsbeendigung abstellen muss. Sonst wäre es nicht zu begründen, dass der Arbeitgeber bei seiner Prognose die Personalentwicklung während des gesamten Verlaufs der Kündigungsfrist berücksichtigen muss. Nach den Feststellungen des BAG müssen, was die Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz betrifft, sogar solche Umstände berücksichtigt werden, die „alsbald“ nach Ablauf der Kündigungsfrist eine Weiterbeschäftigung zulassen4. 1 BAG v. 15.6.1989 – 2 AZR 580/88, EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 27, S. 6; BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33, Rz. 16; BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, AP Nr. 201 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Rz. 36; BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, NZA-RR 2014, 185, Rz. 44; BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 38/19, NZA 2019, 1427, Rz. 26; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 318; KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 651; Linck/Krause/Bayreuther/Krause, § 1 KSchG Rz. 863; abw. Preis, RdA 2000, 257, 275 f., der für eine tätigkeitsbezogene Sozialauswahl plädiert. Dort, wo der Unternehmer nach seiner unternehmerischen Zielsetzung die Tätigkeitsbereiche mit der Folge personeller Maßnahmen verändere, finde die Sozialauswahl statt. Die Sozialauswahl sei deshalb in den Tätigkeitsbereichen des Unternehmens durchzuführen, die von der kündigungsbegründenden unternehmerischen Zielsetzung in personeller, technischer oder organisatorischer Hinsicht betroffen seien. Problematisch daran ist aber, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, wie die Tätigkeit, die eine betriebsübergreifende Erweiterung und zugleich auch Schranke der Sozialauswahl darstellen soll, gekennzeichnet wird. Soll z.B. die Produktion einheitlich behandelt werden, soll auf das jeweils produzierte Werk (z.B. Waschmaschine oder Auto bzw. Waschmittel 1 oder Waschmittel 2) oder soll auf die Art der Tätigkeit innerhalb der Produktion (z.B. Maschinenschlosser) abgestellt werden? Diese Unsicherheiten lassen sich bei einer organisationsbezogenen Kennzeichnung des Betriebsbegriffs auch im KSchG vermeiden. 2 BAG v. 18.10.2006 – 2 AZR 676/05, NZA 2007, 798, Rz. 27; Linck/Krause/Bayreuther/Krause, § 1 KSchG Rz. 869. 3 Vgl. BAG v. 27.9.1984 – 2 AZR 309/83, AP Nr. 39 zu § 613a BGB, Bl. 5; BAG v. 23.2.2010 – 2 AZR 268/08, NZA 2010, 944, Rz. 18; BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 422/13, NZA 2015, 101, Rz. 31; BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 512/13, DB 2015, 1105, Rz. 16; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303, Rz. 71; KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 588. 4 BAG v. 15.12.1994 – 2 AZR 327/94, NZA 1995, 521, 525.
586 | Niklas
Auswirkungen auf die Sozialauswahl | Rz. 15.21 § 15
Ausgehend hiervon sind bei dem Zusammenschluss eines Betriebs mit einem anderen Betrieb oder Betriebsteil nicht nur die vergleichbaren Arbeitnehmer in die Sozialauswahl einzubeziehen, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung in dem (dann noch selbstständigen) Betrieb beschäftigt sind, sondern auch die Arbeitnehmer, deren Betrieb oder Betriebsteil nach Zugang der Kündigung, aber noch vor Ablauf der Kündigungsfrist mit dem Betrieb verschmolzen werden. Mehr noch: Gleiches wird man annehmen müssen, wenn der Zusammenschluss zum Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist noch nicht erfolgt ist, jedoch unmittelbar oder zumindest alsbald danach stattfinden soll. Als entscheidendes Kriterium wird man schlussendlich stets heranziehen können, ob die Kündigungen gemäß des unternehmerischen Konzepts aus Anlass des Zusammenschlusses erfolgen; in diesem Fall ist die Sozialauswahl bereits vorher auf den Gesamtbetrieb zu erstrecken1. Dass damit – bezogen auf den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – in den vorgenannten Fällen jeweils eine betriebsübergreifende Auswahlentscheidung erfolgt, ist hinzunehmen.
15.20
Als vergleichbar im Hinblick auf die Sozialauswahl gelten diejenigen Arbeitnehmer innerhalb des Betriebs, deren Arbeit der von einem Wegfall seines Arbeitsplatzes Betroffene aufgrund der vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten innerhalb einer kurzen Einarbeitungszeit übernehmen kann („arbeitsplatzbezogene Vergleichbarkeit“)2. Eine Beschränkung auf Betriebsabteilungen oder Betriebsteile ist nicht zulässig3. Welcher Einarbeitungszeitraum dem Arbeitgeber zugemutet werden kann, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab4, wobei der 2. Senat des BAG eine Einarbeitungszeit von drei Monaten insoweit als zu lang angesehen hat5. Entscheidend ist letztlich, dass das Anforderungsprofil des mit einem anderen Arbeitnehmer besetzten Arbeitsplatzes von dem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz entfällt, unter Berücksichtigung seiner vorhandenen beruflichen Erfahrung und Qualifikation und unter Vernachlässigung des „arbeitsplatzbezogenen Routinevorsprungs“ alsbald erfüllt werden kann6. Anders als bei der Prüfung möglicher Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Unternehmen, bei denen nach § 1 Abs. 2 Satz 3 KSchG auch zumutbare Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen berücksichtigt werden müssen, spielen diese bei der Frage der arbeitsplatzbezogenen Vergleichbarkeit keine Rolle. Liegt eine arbeitsplatzbezogene Vergleichbarkeit vor, ist weiter zu beachten, dass sich der Vergleich nur auf derselben Ebene der Betriebshierarchie vollzieht (sog. „horizontale Vergleichbarkeit“)7. Berücksichtigt werden zudem nur solche Arbeitsplätze, die der Arbeitgeber im Rahmen des Arbeitsvertrags kraft seines Direktionsrechts zuweisen kann („vertragliche Vergleichbarkeit“)8. Eine Änderung des Arbeitsvertrags, die erst eine solche Versetzung ermöglichen würde, kann im Hinblick auf die Sozialauswahl nicht berücksichtigt werden9. Besonderheiten gelten lediglich für die Auswahlentscheidung zwischen
15.21
1 So wohl BAG v. 18.10.2006 – 2 AZR 676/05, NZA 2007, 798 ff.; ebenso wie hier HWK/Quecke, § 1 KSchG Rz. 336. 2 BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 398/04, NZA 2005, 1302, 1305 f.; BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, NZA-RR 2014, 185, Rz. 45. 3 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33, Rz. 17. 4 BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, NZA-RR 2014, 185, Rz. 45. 5 BAG v. 5.5.1994 – 2 AZR 917/93, NZA 1994, 1023, 1025. 6 BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 398/04, NZA 2005, 1302, 1306; BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, NZA-RR 2014, 185, Rz. 45. 7 BAG v. 7.4.1993 – 2 AZR 449/91 (B), DB 1993, 1877, 1878; BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, NZA-RR 2014, 185, Rz. 45. 8 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33, Rz. 49. 9 BAG v. 7.4.1993 – 2 AZR 449/91 (B), DB 1993, 1877, 1878; BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33, Rz. 49; D. Gaul, NZA 1992, 673, 675; KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 670; a.A. HWK/
Niklas | 587
§ 15 Rz. 15.21 | Änderung/Beendigung von ArbVerh – unternehmensinterne Veränderung
Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten1. Eine Sozialauswahl zwischen Arbeitnehmern in Teilzeit und solchen, die in Vollzeit beschäftigt sind, kann insoweit ausgeschlossen sein, wenn der Arbeitgeber auf der Grundlage eines nachvollziehbaren unternehmerischen Konzepts bestimmten Tätigkeiten jeweils bestimmte Arbeitszeiten zuordnet2. Arbeitnehmer, die aufgrund solcher Organisationsentscheidungen unterschiedliche Arbeitszeiten aufweisen, die nur durch Änderungskündigungen angepasst werden könnten, sind nicht miteinander vergleichbar3. Insoweit steht einer einschränkenden Regelung der geschuldeten Arbeit im Arbeitsvertrag – aus Sicht des Arbeitnehmers – der Nachteil einer nur begrenzten Austauschbarkeit im Rahmen von § 1 Abs. 3 KSchG gegenüber. Verengt sich die Leistungspflicht des Arbeitnehmers – so das BAG in dem Urteil vom 17.9.19984 – auf einen einzigen Arbeitsplatz, der entfällt, kann er sogar ohne soziale Auswahl entlassen werden. Demgegenüber ist aus Sicht des Arbeitgebers zu beachten, dass ein weites Direktionsrecht zwar eine erhöhte Flexibilität hinsichtlich des Einsatzes der Arbeitnehmer bedeutet, bei etwaig notwendig werdenden Personalabbaumaßnahmen jedoch der Kreis der innerhalb des Betriebs zu vergleichenden Arbeitnehmer dadurch nicht selten erheblich vergrößert wird.
15.22
Aus der Sozialauswahl i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG herausgenommen werden können Arbeitnehmer, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen („Leistungsträger“) oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt, § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG. Zweck der Regelung ist es, im Interesse der Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Betriebes die betrieblichen Erfordernisse gegenüber den sozialen Gesichtspunkten stärker zu betonen5. Bei der Festlegung, ob Leistungsträger nicht in die Sozialauswahl einbezogen werden sollen, sind die Belange der sozial schwächeren Arbeitnehmer zu berücksichtigen, die ohne die Berufung des Arbeitgebers auf § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG ihren Arbeitsplatz nicht verlieren würden6. Das Interesse des sozial schwächeren Arbeitnehmers ist insoweit im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 2 Var. 1 KSchG gegen das berechtigte Interesse des Arbeitgebers an der Herausnahme bestimmter Arbeitnehmer abzuwägen. Je schwerer dabei das soziale Interesse wiegt, umso gewichtiger müssen die Gründe für die Ausklammerung eines Arbeitnehmers aus der Sozialauswahl sein7. Die Herausnahme von (vermeintlichen) Leistungsträgern i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 2 Var. 1 KSchG ist – neben der Sicherung der ausgewogenen Personalstruktur nach § 1 Abs. 3 Satz 2 Var. 2 KSchG, der Vereinbarung einer Auswahlrichtlinie gemäß § 1 Abs. 4 KSchG (vgl. Rz. 17.142, Rz. 25.187) und dem Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste nach § 1 Abs. 5 KSchG (vgl. Rz. 17.143 f., Rz. 25.190) – eine der wenigen gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten, von den engen Vorgaben der nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorgeschriebenen Sozialauswahl abzuweichen. In der Praxis führt dies nicht selten dazu, dass im Rahmen von Personal-
1 2 3 4 5 6 7
Quecke, § 1 KSchG Rz. 360, wonach vorherige Vertragsänderungen grundsätzlich zu berücksichtigen sind. Vgl. hierzu BAG v. 3.12.1998 – 2 AZR 341/98, NZA 1999, 431 ff.; BAG v. 7.12.2006 – 2 AZR 748/ 05, NZA-RR 2007, 460 ff.; APS/Kiel, § 1 KSchG, Rz. 614 ff.; KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 673 f. BAG v. 3.12.1998 – 2 AZR 341/98, NZA 1999, 431, 432 f.; BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 512/13, NZA 2015, 679, Rz. 48. BAG v. 15.7.2004 – 2 AZR 376/03, NZA 2005, 523, 526; BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 512/13, NZA 2015, 679, Rz. 48. BAG v. 17.9.1998 – 2 AZR 725/97, NZA 1998, 1332, 1333; BAG v. 17.2.2000 – 2 AZR 142/99, NZA 2000, 822, 824. BT-Drucks. 15/1204, S. 9. BAG v. 7.12.2006 – 2 AZR 748/05, NZA-RR 2007, 460, Rz. 34. BAG v. 7.12.2006 – 2 AZR 748/05, NZA-RR 2007, 460, Rz. 34.
588 | Niklas
Auswirkungen auf die Sozialauswahl | Rz. 15.23 § 15
abbaumaßnahmen 50 % und mehr der Belegschaft als Leistungsträger qualifiziert werden1. Hierbei wird verkannt, dass die Möglichkeit der Herausnahme von Arbeitnehmern aus der Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 Var. 1 KSchG die Ausnahme darstellt2. Eine Maximalgrenze gibt es jedoch nicht; vielmehr ist die Herausnahme eines jeden einzelnen Mitarbeiters an den gesetzlichen Vorgaben zu messen3. Maßgeblich für die mögliche Herausnahme können insoweit erhebliche Leistungsunterschiede sein, besondere Kenntnisse, Fähigkeiten und Qualifikationen (z.B. besondere IT-Kenntnisse oder Fremdsprachen) – sofern diese nicht bereits dazu führen, dass keine Vergleichbarkeit mehr vorliegt –, und drohende betriebliche Ablaufstörungen4. Alternativ zur Herausnahme von Leistungsträgern ermöglicht § 1 Abs. 3 Satz 2 Var. 2 KSchG die Herausnahme von Arbeitnehmern zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur. Die Personalstruktur ist dabei zwar nicht auf die Altersstruktur beschränkt. Hiervon umfasst sind vielmehr auch weitere Strukturmerkmale, wie z.B. das Geschlecht oder die Ausbildung und die Qualifikation der Mitarbeiter5. Der in der Umstrukturierungspraxis häufigste Anwendungsfall von § 1 Abs. 3 Satz 2 Var. 2 KSchG betrifft jedoch die Altersstruktur, namentlich durch die Vornahme der Sozialauswahl im Rahmen von Altersgruppen. Im Unterschied zur Gewichtung des Alters im Rahmen von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG, mit welcher den aufgrund des Alters typischerweise schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt Rechnung getragen werden soll6, dient die Bildung von Altersgruppen dem Schutz vor einer Überalterung der Belegschaft infolge einer Personalmaßnahme. Schließlich sind als Folge einer allein nach Maßgabe des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG durchgeführten Sozialauswahl zumeist die jüngeren Arbeitnehmer von einer Kündigung betroffen. Entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift („Sicherung“) darf die Bildung von Altersgruppen jedoch nicht dazu genutzt werden, um eine ausgewogene Personalstruktur erst zu schaffen. Vielmehr ist lediglich der Erhalt der existierenden Personalstruktur von § 1 Abs. 3 Satz 2 Var. 2 KSchG umfasst. Dies führt in der Praxis zu einer hohen Komplexität. Denn in jedem Fall muss die sich ergebende Verteilung der bislang Beschäftigten auf die gebildeten Altersgruppen ihre prozentuale Entsprechung in der Anzahl der in der jeweiligen Altersgruppe zu kündigenden Arbeitsverhältnisse finden7. Im Ergebnis sind für die Bildung von Altersgruppen insoweit drei Schritte erforderlich: 1. Bildung von Altersgruppen innerhalb des zur Sozialauswahl anstehenden Personenkreises – d.h. innerhalb der Vergleichsgruppe – nach sachlichen Kriterien, 2. Feststellung der prozentualen Verteilung der Belegschaft auf die Altersgruppen und 3. Verteilung der auszusprechenden Kündigungen diesem Proporz entsprechend auf die einzelnen Altersgruppen8. Neben der hierdurch hervorgerufenen Schwierigkeit des richtigen Zuschnitts der Altersgruppen besteht vor allem ein Risi-
1 Vgl. BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 697/01, NZA 2003, 849 ff., wo der Arbeitgeber 70 % der Arbeitnehmer von der Sozialauswahl herausgenommen hatte. 2 BAG v. 22.4.2002 – 2 AZR 706/00, NJW 2002, 3797, 3798; HWK/Quecke, § 1 KSchG Rz. 394. 3 A.A. Thüsing/Wege, RdA 2005, 12, 19, wonach in der Regel höchstens 15 % der Belegschaft aus der Sozialauswahl herausgenommen werden dürfen. 4 Vgl. hierzu BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 697/01, NZA 2003, 849, 853. 5 BAG v. 28.8.2003 – 2 AZR 368/02, NZA 2004, 432, 435; HWK/Quecke, § 1 KSchG Rz. 400; KR/ Rachor, § 1 KSchG Rz. 692; abl. Preis, NZA 1997, 1073, 1084, wonach der Gesetzgeber „offenbar“ nur die Altersstruktur gemeint habe. 6 KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 732. 7 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 478/13, NZA 2015, 1122, Rz. 15; BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, NZA 2013, 86, Rz. 31. 8 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 478/13, NZA 2015, 1122, Rz. 15; BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, NZA 2014, 46, Rz. 49.
Niklas | 589
15.23
§ 15 Rz. 15.23 | Änderung/Beendigung von ArbVerh – unternehmensinterne Veränderung
ko dergestalt, dass selbst geringfügige Veränderungen der Altersstruktur zur Unwirksamkeit der gesamten Sozialauswahl nach Altersgruppen führen können. In diesem Fall ist die Sozialauswahl ausschließlich an den Vorgaben des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG zu messen1. Möchte sich der Arbeitgeber wegen der Sicherung der Personalstruktur auf § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG berufen, muss er überdies die Auswirkungen und möglichen Nachteile einer Sozialauswahl ohne die Bildung von Altersgruppen im Einzelnen darlegen2. Denn Voraussetzung für die Sicherung der Personalstruktur gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 Var. 2 KSchG ist – wie bei der Herausnahme von Leistungsträgern – ein berechtigtes betriebliches Interesse. Nur dann, wenn die Anzahl der Entlassungen innerhalb einer Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer im Verhältnis zur Anzahl aller Arbeitnehmer des Betriebs die Schwellenwerte des § 17 KSchG erreicht, kommen ihm dabei Erleichterungen zugute; in diesem Fall wird ein berechtigtes betriebliches Interesse an der Beibehaltung der Altersstruktur – wenn auch widerlegbar – indiziert3.
II. Kennzeichnung und Rechtsfolgen einer kündigungsschutzrechtlich relevanten Betriebsspaltung 15.24
Im Umkehrschluss zu den geschilderten Grundsätzen beim Betriebszusammenschluss liegt eine kündigungsschutzrechtliche Spaltung des Betriebs vor, wenn die Leitungsmacht in den wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten aufgeteilt wird. Die einheitliche Organisation muss insoweit aufgehoben werden, als sie nunmehr für die beiden Einheiten getrennt ausgeübt wird. Unerheblich ist wiederum, in welcher räumlichen Entfernung die beiden Einheiten zueinander stehen. Vergleichbar mit den Überlegungen zu § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG können die Einheiten auch nebeneinander gebildet werden.
15.25
Im Zusammenhang mit der Betriebsspaltung stellt sich erneut die Frage, auf welchen Zeitpunkt – Zugang der Kündigung oder Ablauf der Kündigungsfrist – bei der Vornahme der Sozialauswahl abzustellen ist. Endet die Kündigungsfrist vor der Betriebsspaltung, hat sie jedenfalls keine Konsequenzen für die Sozialauswahl.
15.26
Endet die Frist aber nach der Betriebsspaltung, erscheint fraglich, ob – wie bei dem Betriebszusammenschluss – auf den Zeitpunkt der Vertragsbeendigung abzustellen ist. Denn bei einer Fokussierung auf die tatsächlichen Gegebenheiten am Tag des Ablaufs der Kündigungsfrist, die zu einer jeweils eigenständigen Sozialauswahl der dann getrennt geführten Betriebe führen würde, bliebe unberücksichtigt, dass der Arbeitgeber den Kreis der Arbeitnehmer bestimmt, die nach einer Spaltung in den neuen Betrieben auf vergleichbaren Arbeitsplätzen zum Einsatz kommen. Eine solche Einflussnahme erfolgt zunächst einmal durch die Entscheidung, welche Bereiche des bisherigen Betriebs nach ihrer Funktion den neuen Einheiten zugeordnet werden. Diese unternehmerische Entscheidung über die Organisation und den arbeitstechnischen Zweck, der in den jeweiligen Einheiten verfolgt werden soll, kann nur darauf überprüft werden, ob sie offensichtlich unsachlich oder durch Willkür begründet wird4. Eine weitere Personalauswahl wird dadurch herbeigeführt, dass der Arbeitgeber im Rahmen seines Di1 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 478/13, NZA 2015, 1122, Rz. 26. 2 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 478/13, NZA 2015, 1122, Rz. 14; BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, NZA-RR 2014, 185, Rz. 33. 3 BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, NZA-RR 2014, 185, Rz. 33; BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, NZA 2013, 86, Rz. 28. 4 Vgl. BAG v. 24.10.1979 – 2 AZR 940/77, AP Nr. 8 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Bl. 3; BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 422/13, NZA 2015, 101, Rz. 31; BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 512/ 13, DB 2015, 1105, Rz. 15; krit. Preis, NZA 1995, 241 ff.
590 | Niklas
Auswirkungen auf die Sozialauswahl | Rz. 15.29 § 15
rektionsrechts den Kreis der Arbeitnehmer festlegen kann, die in den jeweiligen Einheiten im Anschluss an die Betriebsspaltung beschäftigt werden (vgl. Rz. 10.47 ff.). Überträgt man diese Überlegungen auf die hier in Rede stehende Fragestellung, bedeutet dies, dass der Arbeitgeber in den Grenzen billigen Ermessens (§ 315 BGB) die Personalstruktur in den beiden Betrieben so bestimmen könnte, dass bestimmte Arbeitnehmer wegen ihrer Sozialdaten, also wegen ihres Alters, ihrer Betriebszugehörigkeit und ihren Unterhaltspflichten sowie einer etwaigen Schwerbehinderung, im Rahmen einer ggf. durchzuführenden Sozialauswahl mehr oder weniger von betriebsbedingten Kündigungen betroffen wären. Damit könnte der Arbeitgeber durch seine Auswahlentscheidung, die an sich nur die Frage der Weiterbeschäftigung in den nach der Spaltung des Betriebs bestehenden Einheiten betrifft, den Kreis der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer bestimmen. Diese Folge des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts im Vorfeld betriebsbedingter Kündigungen bewirkt, dass sich der Arbeitgeber insoweit über die Vorgaben in § 315 BGB hinaus zumindest an den Maßstäben der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG orientieren muss. Hiervon ist auch das BAG wiederholt ausgegangen, als es sich mit der Erforderlichkeit einer Sozialauswahl bei einer Betriebsteilstilllegung und Übertragung des restlichen Betriebsteils nach Maßgabe von § 613a BGB1 sowie der Frage der Sozialauswahl bei der Besetzung freier Stellen im Rahmen einer unternehmensinternen, aber betriebsübergreifenden Restrukturierungsmaßnahme beschäftigt hat2. Dass damit – bezogen auf den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – eine betriebsübergreifende Auswahlentscheidung erfolgt, ist wiederum hinzunehmen.
15.27
Daraus folgt, dass die Sozialauswahl bei einer Kündigung im Vorfeld einer Betriebsspaltung alle vergleichbaren Arbeitnehmer des Betriebs einbeziehen muss, die in dem noch bestehenden Betrieb beschäftigt werden. Voraussetzung ist freilich, dass die Personalanpassungsmaßnahmen zum Zeitpunkt der Betriebsspaltung bereits geplant sind. Dies gilt auch dann, wenn die Kündigungsfrist erst nach der Spaltung des Betriebs endet. Ggf. muss der Arbeitgeber vor der Betriebsspaltung Versetzungen vornehmen, um sicherzustellen, dass Arbeitnehmer, die an sich der von einer Rationalisierung betroffenen Einheit zugeordnet werden sollten und dort – bezogen auf die Verhältnisse in diesem Betrieb – mit Blick auf ihre Sozialdaten von einer Kündigung betroffen wären, in einer anderen Einheit weiter beschäftigt werden, falls dort Arbeitnehmer auf vergleichbaren Arbeitsplätzen tätig sind, die nach sozialen Kriterien eine geringere Schutzwürdigkeit aufweisen.
15.28
Wird ein Betrieb gespalten und ein daraus hervorgehender Betriebsteil in der Folge mit einem anderen Betrieb oder Betriebsteil verschmolzen, finden sowohl die Grundsätze zur Spaltung als auch zum Zusammenschluss Anwendung. Erfolgen die Spaltung sowie der anschließende Zusammenschluss nach Ablauf der Kündigungsfrist, hat dies wiederum keine Auswirkungen auf die Sozialauswahl. Endet das Arbeitsverhältnis demgegenüber nach dieser organisatorischen Maßnahme, erstreckt sich die Sozialauswahl sowohl auf die vergleichbaren Arbeitnehmer des Betriebs, die in dem noch bestehenden Betrieb beschäftigt werden, als auch auf die vergleichbaren Arbeitnehmer des Betriebs oder Betriebsteils, mit dem der abgespaltene Betriebsteil verschmolzen werden soll.
15.29
1 Vgl. etwa BAG v. 21.5.2015 – 8 AZR 409/13, NZG 2016, 35, Rz. 58. 2 Vgl. etwa BAG v. 27.7.2017 – 2 AZR 476/16, NZA 2018, 234, Rz. 38.
Niklas | 591
§ 15 Rz. 15.30 | Änderung/Beendigung von ArbVerh – unternehmensinterne Veränderung
C. Zusammenschluss und Abspaltung von Kleinbetrieben – Anwendbarkeit des KSchG 15.30
Voraussetzung für die Notwendigkeit einer sozialen Rechtfertigung einer Kündigung ist, dass der Betrieb, in dem der von einer Kündigung betroffene Arbeitnehmer beschäftigt wird, in den durch § 23 KSchG gekennzeichneten Geltungsbereich der beiden ersten Abschnitte des KSchG fällt. Seit dem im Rahmen der Agenda 2010 am 1.1.2004 in Kraft getretenen Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt1 gilt der Erste Abschnitt des KSchG mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 KSchG in Betrieben, in denen in der Regel zehn oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden, nicht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31.12.2003 begonnen hat, § 23 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 KSchG. Teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden sind dabei mit 0,5 und solche mit nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen. Für Arbeitnehmer, die zum 31.12.2003 den Kündigungsschutz nach altem Recht in Anspruch nehmen konnten, verbleibt es allerdings ohne Zeiteinschränkung bei der Anwendbarkeit des KSchG, sofern die Anzahl der vor dem 1.1.2004 beschäftigten Arbeitnehmer nicht auf fünf oder weniger sinkt2. Bis auf Weiteres können damit in ein und demselben Betrieb Arbeitnehmer mit Kündigungsschutz und solche ohne Kündigungsschutz beschäftigt sein. § 23 Abs. 1 KSchG bewirkt insoweit eine virtuelle Spaltung des Betriebs bei der Ermittlung des jeweils geltenden Schwellenwerts für „Alt-“ und „Neuarbeitnehmer“3. Im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse nicht dem deutschen Recht unterliegen, zählen nicht mit4. Leiharbeitnehmer sind demgegenüber zu berücksichtigen, sofern ihr Einsatz auf einem „in der Regel“ vorhandenen Personalbedarf beruht5. Wegen der Besonderheiten im gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen vgl. Rz. 16.10 ff.
I. Zusammenschluss von Kleinbetrieben 15.31
Im Rahmen von Restrukturierungen stellt sich immer wieder die Frage, ob eine Kündigung in einem Kleinbetrieb schon dann den Anforderungen des KSchG genügen muss, wenn zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung absehbar ist, dass die Schwellenwerte durch einen Betriebszusammenschluss überschritten werden. Führt der Zusammenschluss eines Kleinbetriebs mit einem anderen Betrieb oder Betriebsteil dazu, dass die Schwellenwerte des § 23 KSchG überschritten werden, ist dies im Falle des Ausspruchs von Kündigungen unproblematisch, sofern die Kündigungsfrist vor dem Zusammenschluss endet. In diesem Fall hat es keine Konsequenzen für die soziale Rechtfertigung. Das KSchG findet mithin grundsätzlich keine Anwendung. Endet das Arbeitsverhältnis demgegenüber nach dem Zusammenschluss, gelten die Grundsätze zum Zusammenschluss von Betrieben und Betriebsteilen entsprechend (vgl. Rz. 15.8 ff.). Dies bedeutet, dass für die Frage der Anwendbarkeit des KSchG i.S.d. § 23 KSchG bei dem Zusammenschluss eines Kleinbetriebs auch die Arbeitnehmer zu berücksich-
1 BGBl. I 2003, S. 3002 ff. 2 Bader, NZA 2004, 65, 67; Bauer/Krieger, DB 2004, 651, 653; Preis, DB 2004, 70, 78. 3 Bauer/Preis/Schunder, NZA 2004, 195; vgl. zur Frage der Berücksichtigungsfähigkeit von Ersatzeinstellungen BAG v. 27.11.2008 – 2 AZR 790/07, NZA 2009, 484. 4 BAG v. 26.3.2009 – 2 AZR 883/07, DB 2009, 1409, Rz. 22; etwas anderes gilt für Arbeitnehmer, die lediglich vorübergehend ins Ausland entsandt werden und damit nach wie vor in den inländischen Betrieb eingegliedert sind: KR/Bader, § 23 KSchG Rz. 24. 5 BAG v. 24.1.2013 – 2 AZR 140/12, NZA 2013, 726, Rz. 24.
592 | Niklas
Zusammenschluss und Abspaltung von Kleinbetrieben – KSchG | Rz. 15.34 § 15
tigen sind, deren Betrieb oder Betriebsteil nach Zugang der Kündigung, aber noch vor Ablauf der Kündigungsfrist mit dem Kleinbetrieb verschmolzen werden. Führt dies zu einem Überschreiten der Schwellenwerte des § 23 KSchG, unterfallen auch die Arbeitnehmer dem KSchG, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an sich in einem Kleinbetrieb tätig waren. Gleiches ist anzunehmen, wenn ein solcher Zusammenschluss zum Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist noch nicht erfolgt ist, jedoch unmittelbar oder zumindest alsbald danach stattfinden soll. Schlussendlich ergibt sich dies auch bereits aus § 23 KSchG selbst. Denn maßgeblich für die Überschreitung der Schwellenwerte ist die Zahl der „in der Regel“ beschäftigten Arbeitnehmer. Entscheidend ist mithin die Zahl der im Normalfall beschäftigten Arbeitnehmer, d. h. diejenige Personalstärke, die für den Betrieb im Allgemeinen kennzeichnend ist1. Zwar ist für die Ermittlung der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung abzustellen2. Insoweit bedarf es jedoch – bezogen auf den Kündigungszeitpunkt – eines Rückblicks auf die bisherige personelle Situation und einer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung3. Besteht zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein unternehmerisches Konzept, welches den Zusammenschluss des Kleinbetriebs mit einem anderen Betrieb oder Betriebsteil vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bzw. unmittelbar oder zumindest alsbald danach vorsieht, ist daher die – vorbehaltlich weiterer Restrukturierungen, Personalabbaumaßnahmen etc. – Belegschaftsstärke nach dem Zusammenschluss als maßgeblich anzusehen.
15.32
II. Abspaltung von Kleinbetrieben In der betrieblichen Praxis weitaus häufiger anzutreffen ist der Versuch, durch eine unternehmensinterne Abspaltung oder Ausgliederung eigenständige Betriebe zu schaffen, die wegen der geringen Zahl der dort beschäftigten Arbeitnehmer die Schwellenwerte für die Notwendigkeit einer sozialen Rechtfertigung von Kündigungen nach einer mehr als sechsmonatigen Anstellung nicht überschreiten.
15.33
1. Verfassungsrechtliche Interpretation von § 23 KSchG Schon auf der Grundlage der Überlegungen des BAG in dem Urteil vom 26.8.19714 sowie des BVerfG im Beschluss vom 27.1.19985 dürfte das Ziel einer Einschränkung des Kündigungsschutzes durch eine nur unternehmensinterne Abspaltung oder Ausgliederung jedoch zumeist nicht erreicht werden.
1 BAG v. 24.2.2005 – 2 AZR 207/04, NZA 2005, 766, 767. 2 BAG v. 16.6.1976 – 3 AZR 73/75, AP Nr. 8 zu § 611 BGB Treuepflicht, Bl. 2; BAG v. 17.1.2008 – 2 AZR 902/06, NZA 2008, 872, Rz. 13; APS/Moll, § 23 KSchG Rz. 44; ErfK/Kiel, § 23 KSchG Rz. 8; nach der Entscheidung des BAG v. 8.10.2009 – 2 AZR 654/08, DB 2010, 230, Rz. 15, ist für die Feststellung der Beschäftigtenzahl nach § 23 KSchG demgegenüber der Zeitpunkt der unternehmerischen Entscheidung maßgeblich, wenn der Personalabbau im Rahmen von Entlassungswellen erfolgt. 3 BAG v. 31.1.1991 – 2 AZR 356/90, NZA 1991, 562, 563. 4 BAG v. 26.8.1971 – 2 AZR 233/70, BB 1971, 1507, 1508. 5 BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BvL 15/87, AuR 1998, 207 ff. m. zust. Anm. Buschmann, S. 210 ff.; bestätigend BVerfG v. 12.3.2009 – 1 BvR 1250/08.
Niklas | 593
15.34
§ 15 Rz. 15.35 | Änderung/Beendigung von ArbVerh – unternehmensinterne Veränderung
15.35
So hat das BAG in der Entscheidung vom 26.8.1971 darauf hingewiesen, dass durch § 23 KSchG Kleinstbetriebe von den Belastungen des KSchG ausgenommen werden sollten, denen der Gesetzgeber wegen ihrer geringeren Leistungsfähigkeit nicht zumuten wollte, Arbeitnehmer gezwungenermaßen zu behalten oder auch eine Abfindung zu zahlen. Dieses gesetzgeberische Ziel entfalle, wenn ein und derselbe Arbeitgeber zahlreiche Verkaufsstellen mit zwar jeweils nicht mehr als – dem seinerzeit noch allein maßgeblichen Schwellenwert von – fünf Arbeitnehmern unterhalte, er aber insgesamt weit mehr Arbeitnehmer in seinen Zweigstellen beschäftige. Nach dem Sinn und Zweck des KSchG dürfe dieser Arbeitgeber dann nicht von den Belastungen und dürften seine Arbeitnehmer nicht von dem Schutz des Gesetzes ausgenommen werden.
15.36
Das BVerfG hatte in seinem Beschluss die Privilegierung der Kleinunternehmen mit Blick auf Art. 3, 12 GG zunächst damit gerechtfertigt, dass dort der Unternehmer typischerweise mitarbeite. Damit bekomme das Vertrauensverhältnis zu jedem seiner Mitarbeiter einen besonderen Stellenwert. Zu berücksichtigen sei auch, dass ein Kleinbetrieb angesichts der eingeschränkten finanziellen Gesamtausstattung häufig nicht in der Lage sei, Abfindungen bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu zahlen oder weniger leistungsfähiges, weniger benötigtes oder auch nur weniger genehmes Personal mit zu tragen. Schließlich belaste auch der Verwaltungsaufwand, den ein Kündigungsschutzverfahren mit sich bringe, den Kleinbetrieb stärker als ein größeres Unternehmen. Diese Überlegungen rechtfertigten es zwar nicht, den Begriff des Betriebs i.S.d. § 23 Abs. 1 KSchG mit dem Begriff des Unternehmens gleichzusetzen. Dies war zum Teil im Schrifttum verlangt worden1. Der Begriff des Betriebs i.S.d. § 23 Abs. 1 KSchG sei aber verfassungskonform dahin zu interpretieren, dass er auf solche Einheiten begrenzt bleibe, für deren Schutz die Kleinbetriebsklausel ihrem Zweck nach bestimmt sei2.
15.37
Wie das BAG in seiner Entscheidung vom 28.10.20103 klargestellt hat, gelten diese Erwägungen auch für die nachfolgenden Fassungen des KSchG, insbesondere für § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG in der Fassung des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003. Wenngleich das BVerfG und – ihm folgend – das BAG in den Entscheidungen vom 27.1.19984 und vom 15.3.20015 betont hatten, dass an der Anknüpfung des KSchG am Betriebsbegriff festgehalten werde, wurde in der Folge zum Teil vertreten, dass der Begriff des Betriebs i.S.d. § 23 Abs. 1 KSchG bei der Interpretation des BVerfG und des BAG zumindest faktisch mit dem des Unternehmens gleichgesetzt würde6. Denn im Ergebnis sei das KSchG nach diesem Verständnis ohne Rücksicht auf die Zahl der in den einzelnen Betriebsstätten eines Unternehmens beschäftigten Arbeitnehmer anwendbar, wenn – bezogen auf sämtliche Betriebsstätten – im Unternehmen in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer – bzw. fünf „Alt-Arbeitnehmer“ – beschäftigt würden7. Mit der genannten Entscheidung vom 28.10.20108 hat der 2. Senat aber erfreulicherweise nochmals deutlich gemacht, dass eine solche Interpretation auf eine vom
1 Vgl. nur Kittner, AuR 1997, 182, 190; Löwisch, NZA 1996, 1009; Preis, NJW 1996, 3369, 3370. 2 BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BvL 22/87, AuR 1998, 207, 209; BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, NZA 2017, 859, Rz. 27. 3 BAG v. 28.10.2010 – 2 AZR 392/08, BB 2011, 1339, Rz. 22; zuletzt bestätigt durch BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, NZA 2017, 859, Rz. 27. 4 BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BvL 15/87, AuR 1998, 207 ff. 5 BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, NZA 2001, 831. 6 Vgl. B. Gaul, Vorauflage, § 18, Rz. 28; ebenso zuvor bereits Hanau, FS Dieterich, S. 201, 207; Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 344 f., 355, 364, 401; Kühling, FS Dieterich, S. 325, 332. 7 B. Gaul, Vorauflage, § 18, Rz. 28. 8 BAG v. 28.10.2010 – 2 AZR 392/08, BB 2011, 1339, Rz. 24.
594 | Niklas
Zusammenschluss und Abspaltung von Kleinbetrieben – KSchG | Rz. 15.38 § 15
Gesetzgeber nicht beabsichtigte generelle Gleichsetzung von Betrieb und Unternehmen hinausliefe und nicht berücksichtige, dass auch das BVerfG lediglich von Einzelfällen ausgegangen sei, die dem gesetzgeberischen Leitbild nicht entsprächen. Ebenso wenig setze die Anwendung der Kleinbetriebsklausel voraus, dass die als Betrieb im kündigungsschutzrechtlichen Sinne zu verstehende Einheit sämtliche vom BVerfG als charakteristisch benannten Merkmale eines Kleinbetriebs erfülle1. Maßgeblich sei vielmehr eine alle Umstände des Einzelfalls einbeziehende, wertende Gesamtbetrachtung dahingehend, ob die Anwendung der Kleinbetriebsklausel nach Maßgabe des allgemeinen Betriebsbegriffs unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse dem mit ihr verbundenen Sinn und Zweck (noch) hinreichend gerecht werde. Ein „Berechnungsdurchgriff“ auf andere betriebliche Einheiten kommt mithin schlussendlich nur dann in Betracht, wenn angesichts der vom Arbeitgeber geschaffenen konkreten Organisation die gesetzgeberischen Erwägungen für die Privilegierung des Kleinbetriebs bei verständiger Betrachtung ins Leere gehen und die Bestimmung des Betriebsbegriffs nach herkömmlicher Definition unweigerlich zu einer sachwidrigen Ungleichbehandlung betroffener Arbeitnehmer führen würde2. Bezogen auf den hier in Rede stehenden Fall der unternehmensinternen Betriebsspaltung folgt daraus, dass das KSchG anwendbar bleibt, wenn in der zunächst einmal verselbstständigten Einheit in der Regel nicht mehr als zehn Arbeitnehmer – bzw. fünf „Alt-Arbeitnehmer“ – beschäftigt werden, die Kleinbetriebsklausel aus den vorgenannten Erwägungen aufgrund verfassungskonformer Auslegung des Betriebsbegriffs jedoch unberücksichtigt bleiben muss3. Erst die Übertragung einzelner Betriebsstätten auf einen anderen Rechtsträger würde, wie an anderer Stelle aufgezeigt wird, ihre eigenständige Bewertung in Bezug auf § 23 Abs. 1 KSchG erlauben. Hier sind allerdings, wie an anderer Stelle ausgeführt wird (vgl. Rz. 17.2 ff.), allgemeine Vorgaben zum Rechtsmissbrauch zu berücksichtigen.
2. Kündigungsschutzrechtliche Interpretation von § 23 KSchG In einer ganzen Reihe von Fallgestaltungen wird man indes auch ohne die verfassungsrechtlichen Überlegungen zu einer Fortgeltung des bisherigen Kündigungsschutzes gelangen. Grundlage dieser Annahme ist der Betriebsbegriff, wie er durch das BAG in verstetigter Rechtsprechung definiert wird4. Danach ist der Betrieb i.S.d. § 23 Abs. 1 KSchG als organisatorische Einheit anzusehen, innerhalb derer der Arbeitgeber mit seinen Arbeitnehmern durch den Einsatz technischer und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen. Da in einem Betrieb mehrere Zwecke verfolgt werden können, ist in erster Linie auf die Einheit der Organisation, nicht auf die Einheit der arbeitstechnischen Zweckbestimmung abzustellen. Erforderlich ist – so etwa der 2. Senat in seiner Entscheidung vom 15.3.20015 – ein Leitungsapparat, um insbesondere in personellen und sozialen Angelegenheiten wesentliche Entscheidungen selbst1 Noch offenlassend BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, NZA 2001, 831, 833; zwischenzeitlich aber wiederholt bestätigt durch BAG v. 19.7.2016 – 2 AZR 468/15, NZA 2016, 1196, Rz. 20 und BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, NZA 2017, 859, Rz. 27. 2 BAG v. 28.10.2010 – 2 AZR 392/08, BB 2011, 1339, Rz. 25; BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, NZA 2017, 859, Rz. 27; krit. Stahlhacke/Preis/Vossen/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz, Rz. 858a, der mit Blick auf den Schwellenwert zur Sozialplanpflicht nach §§ 111 ff. BetrVG davon ausgehen möchte, dass in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 Arbeitnehmern auch regelmäßig das KSchG anwendbar ist. 3 WHSS/Willemsen/Sittard, Umstrukturierung, H Rz. 51. 4 BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, NZA 2001, 831; BAG v. 28.10.2010 – 2 AZR 392/08, BB 2011, 1339, Rz. 20; BAG v. 7.7.2011 – 2 AZR 476/10, AP Nr. 26 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit, Rz. 36 f. 5 BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, NZA 2001, 831.
Niklas | 595
15.38
§ 15 Rz. 15.38 | Änderung/Beendigung von ArbVerh – unternehmensinterne Veränderung
ständig treffen zu können. Von Betrieben sind dabei Betriebsteile zu unterscheiden, die gegenüber dem Hauptbetrieb organisatorisch selbstständig sind und eine Teilfunktion von dessen arbeitstechnischem Zweck wahrnehmen1. Betriebsteile zeichnen sich dadurch aus, dass sie über einen eigenen Arbeitnehmerstamm, eigene technische Hilfsmittel und eine durch die räumliche und funktionale Abgrenzung vom Hauptbetrieb bedingte relative Selbstständigkeit verfügen. Andererseits aber fehlt ihnen der eigenständige Leitungsapparat2. Die Leitungsmacht wird hier zentral ausgeübt. Indizien hierfür sind z.B. eine zentrale Personaleinsatzplanung, der zentrale Ausspruch von Abmahnungen und Kündigungen sowie Weisungen in Bezug auf Arbeitszeit und Arbeitsort3. Dass wirtschaftlich-kaufmännische Angelegenheiten möglicherweise standortbezogen eigenständig wahrgenommen werden, spielt keine Rolle. Entscheidend ist – insoweit besteht Übereinstimmung mit den wesentlichen Kriterien für die Feststellung des betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriffs – die einheitliche Steuerung der wesentlichen Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten4.
15.39
Von besonderer Bedeutung ist die auf diesen Ausführungen aufbauende Feststellung des 2. Senats, nach der § 23 KSchG nicht zwischen einem Betrieb und einem Betriebsteil differenziere, der gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG lediglich auf der Grundlage einer gesetzlichen Fiktion als selbstständiger Betrieb i.S.d. BetrVG gelte. Deshalb setze ein kündigungsschutzrechtlicher Betrieb auch keine räumliche Einheit voraus5. Folgerichtig habe die nur teilweise Verselbstständigung eines Betriebsteils i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nicht zur Konsequenz, dass er auch als selbstständiger Betrieb i.S.d. § 23 Abs. 1 KSchG angesehen werden könne6. Werden aufgrund einer unternehmensinternen Abspaltung oder Ausgliederung vermeintlich eigenständige Betriebe geschaffen, ist nach alledem stets zuvörderst zu prüfen, ob und inwieweit diese tatsächlich eigenständig sind. Werden die Betriebsteile nicht mit einem eigenen Leitungsapparat ausgestattet, der die wesentlichen Entscheidungen in den personellen und sozialen Angelegenheiten eigenständig trifft, bilden die vermeintlich selbstständigen Betriebe bzw. Betriebsteile nämlich immer noch einen einheitlichen Betrieb mit der Organisation, von der sie abgespalten oder ausgegliedert wurden. Auf die räumliche Einheit kommt es in der Regel nicht an.
1 BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, NZA 2001, 831, 832; ebenso BAG v. 28.10.2010 – 2 AZR 392/ 08, BB 2011, 1339, Rz. 17; BAG v. 7.7.2011 – 2 AZR 476/10, AP Nr. 26 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit, Rz. 37. 2 Ebenso BAG v. 17.2.1983 – 6 ABR 64/81, AP Nr. 4 zu § 4 BetrVG 1972, Bl. 2; BAG v. 20.8.1998 – 2 AZR 84/98, AP Nr. 50 zu § 2 KSchG 1969, Bl. 3. 3 Vgl. BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, NZA 2001, 831, 832. 4 Vgl. BAG v. 15.1.2001 – 2 AZR 151/00, NZA 2001, 831, 832; BAG v. 28.10.2010 – 2 AZR 392/08, BB 2011, 1339, Rz. 16; BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, AP Nr. 52 zu § 23 KSchG 1969, Rz. 15. 5 BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, NZA 2001, 831, 832; so auch schon BAG v. 21.6.1995 – 2 AZR 693/94, EzA § 23 KSchG Nr. 14, S. 3. 6 BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, NZA 2001, 831, 832.
596 | Niklas
Änderung/Beendigung von ArbVerh bei Gemeinschaftsbetrieben | § 16
§ 16 Änderung oder Beendigung von Arbeitsverhältnissen bei Errichtung, Spaltung oder Auflösung eines Gemeinschaftsbetriebs
A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1 B. Kennzeichnung der Errichtung des kündigungsschutzrechtlichen Gemeinschaftsbetriebs . . . . . . . . . . . 16.2 C. Auflösung oder Spaltung des kündigungsschutzrechtlichen Gemeinschaftsbetriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.8 D. Auswirkungen auf die betriebsbedingte Kündigung I. Grundsätzliche Anforderungen bei Errichtung eines kündigungsschutzrechtlichen Gemeinschaftsbetriebs . . 16.10
II. Auswirkungen von Auflösung oder Spaltung 1. Anwendbarkeit von § 613a BGB 2. Fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nach der Auflösung oder Ausgliederung eines Betriebsteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auswirkungen auf die Sozialauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Nachwirkung des besonderen Kündigungsschutzes . . . . . . . . . . E. Schaffung von Kleinstbetrieben ohne Kündigungsschutz . . . . . . . . .
16.14
16.15 16.18 16.20 16.21
Schrifttum: Annuß, Betriebsbedingte Kündigung und arbeitsvertragliche Bindung, 2004 (zugl. Habil. Regensburg 2004); Annuß, Praktische Probleme des gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen, FA 2005, 293; Annuß/Hohenstatt, Betriebsidentität und Sozialauswahl beim gemeinsamen Betrieb, NZA 2004, 420; Bachner, Sozialauswahl und Beteiligung des Betriebsrats bei unternehmens- und konzernweiten Verlagerungs- und Konzentrationsmaßnahmen, NZA 2006, 1309; Bauer, Unternehmensveräußerung und Arbeitsrecht: arbeitsrechtliche Probleme bei der Übertragung von Unternehmen, Betrieben, Betriebsteilen und Gesellschaftsanteilen, Heidelberg 1983; Bauer/Randhofer, Outsourcing von Personalarbeit – Gewinn für’s Unternehmen?, AuA 1998, 329; Bodenstedt/Schnabel, Betriebsbedingte Kündigungen in der Matrixstruktur – insbesondere im grenzüberschreitend tätigen Unternehmensverbund, BB 2014, 1525; Bonanni, Der gemeinsame Betrieb mehrerer Unternehmen, 2003 (zugl. Diss. Köln 2002); Fuhlrott, „Freie Stellen“ bei betriebsbedingter Kündigung – Grenzen der Weiterbeschäftigungspflicht, DB 2014, 1198; Fuhlrott/Hoppe, Besonderheiten der Sozialauswahl bzw. Weiterbeschäftigungspflicht in Gemeinschaftsbetrieb und Konzern, BB 2012, 253; B. Gaul/Emmert/Kulejewski, Kündigung nach Auflösung eines gemeinsamen Betriebs, ArbRB 2004, 251; Henssler, Das Anstellungsverhältnis der Organmitglieder, RdA 1992, 289; Kania/Gilberg, Kündigungsrechtliche Bedeutung der Betriebsfiktion gem. § 4 BetrVG, NZA 2000, 678; Koppensteiner, Ausgliederungs- und Spaltungsgesetz, Festschrift für Wolfgang Zöllner, 1999, S. 295; Kothe, Der Gemeinschaftsbetrieb im Spiegel des Gesellschafts- und Konzernrechts, RdA 1992, 302; Lingemann/Göpfert, Outsourcing als Betriebsänderung, NZA 1997, 383; Lunk, Rechtliche und taktische Erwägungen bei Kündigung und Abberufung des GmbH–Geschäftsführers, ZIP 1999, 1777; Meyer, Restrukturierung und Betriebsübergang, AuA 1997, 43; Niklas/Schauß, Die Arbeitnehmerüberlassung ist endlich – was kommt dann?, BB 2014, 2805; Otto/Mückl, Erleichternde Weichenstellung für grenzüberschreitende gemeinsame Betriebe, BB 2009, 1926; Röder/Lingemann, Schicksal von Vorstand und Geschäftsführer bei Unternehmensumwandlung und Unternehmensveräußerung, DB 1993, 1341; Schiefer, Outsourcing, Auftragsvergabe, Betriebsübergang nach geänderter Rechtsprechung, NZA 1998, 892; Schumacher-Mohr/ Urban, Sozialauswahl im Veräußererbetrieb nach Widerspruch gegen Betriebsübergang, NZA 2008, 513; Temming, Anerkennung und Grenzen eines konzerndimensionalen Kündigungsschutzes, RdA 2018, 84.
Niklas | 597
§ 16 Rz. 16.1 | Änderung/Beendigung von ArbVerh bei Gemeinschaftsbetrieben
A. Allgemeines 16.1
In Bezug auf die einvernehmliche Änderung oder Beendigung von Arbeitsverhältnissen bei der Errichtung, Spaltung oder Auflösung eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen sind wiederum keine Besonderheiten zu vermerken. Entsprechendes gilt an sich auch für etwaige Kündigungen, die sich nach allgemeinen Grundsätzen richten. Bedeutung haben die Errichtung, Spaltung und Auflösung eines gemeinsamen Betriebs allerdings insoweit, als ihre Vornahme vor Ausspruch der Kündigung nicht nur die Frage der Weiterbeschäftigung auf anderen Arbeitsplätzen, sondern auch die Frage der Sozialauswahl beeinflusst. Darüber hinaus kann die Spaltung oder Auflösung eines gemeinsamen Betriebs bewirken, dass in den neuen Einheiten, sollten sie als Kleinstbetriebe fortgeführt werden, der Kündigungsschutz nach §§ 1 ff. KSchG entfällt.
B. Kennzeichnung der Errichtung des kündigungsschutzrechtlichen Gemeinschaftsbetriebs 16.2
Der gemeinsame Betrieb mehrerer Unternehmen ist als Organisationsform gesetzlich anerkannt (§ 322 UmwG, § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BetrVG). Bei der Kennzeichnung des gemeinsamen Betriebs i.S.d. KSchG wird zunächst einmal überwiegend an den Kriterien angeknüpft, wie sie für den gemeinsamen Betrieb i.S.d. BetrVG entwickelt wurden. Hierfür spricht die enge Verbindung zwischen dem Kündigungsschutz im KSchG und BetrVG, die z.B. durch § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, § 3 KSchG, § 102 Abs. 3 Nrn. 1, 3, 4, Abs. 4 bis 6 BetrVG zum Ausdruck gebracht wird.
16.3
Erforderlich ist also zunächst einmal, dass sich die beteiligten Unternehmen tatsächlich zur Führung eines gemeinsamen Betriebs verbunden haben. Dies ist nach insoweit übereinstimmender Bewertung in Rechtsprechung und Literatur dann der Fall, wenn sie einen einheitlichen Leitungsapparat zur Erfüllung der in der organisatorischen Einheit zu verfolgenden arbeitstechnischen Zwecke geschaffen haben1. Entsprechend der Situation im Betrieb eines einzigen Unternehmens ist es auch im gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen nicht erforderlich, dass ein einziger Zweck verfolgt wird. Es können mehrere Zwecke verfolgt werden, die weder identisch sind noch zueinander in einem funktionellen Zusammenhang stehen müssen2. Entscheidend ist die Einheit der Organisation. Daher muss eine „institutionelle einheitliche Leitung“ gegeben sein, die sich auf die wesentlichen Arbeitgeberfunktionen in den personellen und sozialen Angelegenheiten nach dem BetrVG erstreckt3. Hierzu gehört insbesondere eine einheitliche Wahrnehmung der sich aus dem Direktionsrecht des Arbeitgebers
1 Vgl. BAG v. 24.10.2013 – 2 AZR 1057/12, NZA 2014, 725, Rz. 51; BAG v. 20.2.2014 – 2 AZR 859/ 11, NZA 2014, 1083, Rz. 38; BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 38/19, NZA 2019, 1427 Rz. 14; KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 144; Linck/Krause/Bayreuther/Krause, § 1 KSchG Rz. 865. 2 BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, NZA 2001, 831; BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 271/12, NZA 2013, 837, Rz. 19; KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 144. 3 Vgl. BAG v. 13.2.2013 – 7 ABR 36/11, NZA-RR 2013, 521, Rz. 28; BAG v. 10.4.2014 – 2 AZR 647/ 13, NZA 2015, 162, Rz. 30; BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 38/19, NZA 2019, 1427, Rz. 14; Niklas/ Schauß, BB 2014, 2805, 2809.
598 | Niklas
Kündigungsschutzrechtlicher Gemeinschaftsbetrieb | Rz. 16.5 § 16
ergebenden Weisungsbefugnisse1, wie z.B. eine arbeitgeberübergreifende Diensteinsatz- oder Urlaubsplanung sowie entsprechende Regelungen zur Urlaubs- und Krankheitsvertretung2. Darüber hinaus müssen die Rechtsträger diese tatsächliche Verbindung auch vereinbart haben. Eine solche Vereinbarung über einen gemeinsamen Betrieb kann ausdrücklich geschlossen werden. Lässt man weitergehende Vermutungstatbestände – insbesondere § 322 UmwG und § 1 Abs. 2 BetrVG – hier einmal unberücksichtigt (vgl. Rz. 17.125 ff. und Rz. 22.128), kann sich der Abschluss einer solchen Vereinbarung aber auch konkludent daraus ergeben, dass der Kern der Arbeitgeberfunktionen im sozialen und personellen Bereich von derselben institutionellen Leitung ausgeübt wird3. Auf diese Vereinbarung über die einheitliche Leitung kann nicht verzichtet werden, weil nur so die bloße Zusammenarbeit von Unternehmen, also das parallele oder auch verzahnte Arbeiten der jeweils eigengesteuerten Belegschaft, von dem übergreifend und gemeinsam vorgenommenen Personaleinsatz unterschieden werden kann. Ob hiervon schon bei der Ausgliederung des Personalbereichs auszugehen ist, muss einzelfallbezogen mit Blick auf die jeweils intern wahrgenommenen Servicefunktionen und die damit verbundenen Weisungsrechte entschieden werden. So hat das BAG zuletzt in einer Entscheidung vom 24.10.2013 festgestellt, dass das Vorhandensein einer gemeinsamen Personalabteilung nicht schon dann für einen gemeinsamen Betrieb spreche, wenn Dienstleistungen übernommen würden, die auch als Serviceleistungen Dritter denkbar seien, etwa die Lohnbuchhaltung. Erforderlich sei vielmehr, dass die Personalabteilung zur Wahrnehmung der personellen Arbeitgeberfunktionen bevollmächtigt sei oder durch eine Person geleitet werde, die für beide Unternehmen die Entscheidungen in den wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten treffe4. Wenn die ausgegliederte Einheit nur Hilfsfunktionen erfüllt (z.B. Lohnund Gehaltsabrechnung), aber die Umsetzung letztlich in den einzelnen Unternehmen erfolgt, sind die Voraussetzungen für einen gemeinsamen Betrieb der beteiligten Unternehmen daher nicht erfüllt5.
16.4
Unbeachtlich ist neben der Ausübung der technischen Leitungsmacht auch die Frage, wie Entscheidungen in wirtschaftlich-kaufmännischen Angelegenheiten getroffen und umgesetzt werden6. Eine gemeinsame Buchhaltung oder ein gemeinsames Sekretariat, die für personelle und soziale Angelegenheiten gleichermaßen ohne Bedeutung sind, können deshalb in der Regel vernachlässigt werden7. Damit ist auch eine Zusammenfassung der Leitungsmacht in unternehmerischen Funktionen, wie sie §§ 111 ff. BetrVG zugeordnet werden können und wie sie das BAG noch im Urteil vom 23.3.19848 angenommen hat, im Kündigungsschutzrecht – wie auch im Betriebsverfassungsrecht – nicht mehr erforderlich9.
16.5
1 BAG v. 13.6.1985 – 2 AZR 452/84, NZA 1986, 600, 603; LAG Berlin-Brandenburg v. 11.2.2010 – 25 Sa 2061/09; LAG Hamm v. 22.4.2010 – 15 Sa 288/10. 2 BAG v. 13.8.2008 – 7 ABR 21/07, NZA-RR 2009, 255, Rz. 31. 3 BAG v. 29.4.1999 – 2 AZR 352/98, NZA 1999, 932, 933; BAG v. 13.8.2008 – 7 ABR 21/07, NZARR 2009, 255, Rz. 19; Niklas/Schauß, BB 2014, 2805, 2809. 4 BAG v. 24.10.2013 – 2 AZR 1057/12, NZA 2014, 725, Rz. 56. 5 BAG v. 18.10.2006 – 2 AZR 434/05, NZA 2007, 552, Rz. 53; BAG v. 24.10.2013 – 2 AZR 1057/12, NZA 2014, 725, Rz. 56. 6 Vgl. BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, NZA 2001, 831, 832, zum Betrieb eines Unternehmens. 7 Vgl. BAG v. 22.6.2005 – 7 ABR 57/04, NZA 2005, 1248, 1250; Hessisches LAG v. 11.9.2013 – 18 Sa 296/13; LAG Schleswig-Holstein v. 3.2.2020 – 1 Sa 120/19. 8 BAG v. 23.3.1984 – 7 AZR 515/82, NZA 1984, 88. 9 BAG v. 13.2.2013 – 7 ABR 36/11, NZA-RR 2013, 521, Rz. 28; BAG v. 24.10.2013 – 2 AZR 1057/12, NZA 2014, 725, Rz. 51; BAG v. 20.2.2014 – 2 AZR 859/11, NZA 2014, 1083, Rz. 38; a.A. Sowka, DB 1988, 1318, 1320.
Niklas | 599
§ 16 Rz. 16.6 | Änderung/Beendigung von ArbVerh bei Gemeinschaftsbetrieben
16.6
Auch wenn insoweit von der Notwendigkeit einer zentralen Steuerung der wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten ausgegangen werden soll, liegt der Schwerpunkt bei den Kriterien für das Vorliegen eines gemeinsamen Betriebs i.S.d. KSchG – abweichend vom BetrVG – aber auf einer einheitlichen Ausübung der Leitungsmacht in personellen Fragen. Dieser Aspekt hat, wie § 14 Abs. 2 KSchG zeigt, für das KSchG eine hervorgehobene Bedeutung. Insbesondere Einstellungen, Abmahnungen, Entlassungen und Änderungen der arbeitsvertraglichen Pflichten müssen also einheitlich für die im gemeinsamen Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer der beteiligten Unternehmen vorgenommen werden. Nur so ist im Übrigen die Basis gesetzt, um etwaige Maßnahmen zur Vermeidung einer Kündigung, auf die nachfolgend noch eingegangen wird, überhaupt unternehmensübergreifend wahrnehmen zu können.
16.7
An den Ausführungen zum kündigungsschutzrechtlichen Betrieb eines einzigen Unternehmens anknüpfend ist indes wichtig, dass die räumliche Entfernung der den verschiedenen Unternehmen zuzuordnenden Einheiten für die Kennzeichnung eines gemeinsamen Betriebs unbeachtlich ist1. Dies ist insoweit von besonderer Bedeutung, als hier ein bedeutsamer Unterschied zwischen dem (gemeinsamen) Betrieb i.S.d. KSchG und dem (gemeinsamen) Betrieb i.S.d. BetrVG besteht. Die mit Blick auf § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG in Bezug auf die Kennzeichnung des betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriffs entwickelten Kriterien sind auf den (gemeinsamen) Betrieb i.S.d. KSchG nicht übertragbar. Auch etwaige Vereinbarungen nach § 3 BetrVG oder Beschlüsse zu betriebsübergreifenden Betriebsratswahlen gemäß § 3 Abs. 3, § 4 Abs. 1 Satz 2, 3 BetrVG sind ohne Relevanz2. Deutlich wird dies nicht zuletzt aus § 3 Abs. 5 Satz 1 BetrVG. Der in Rechtsprechung3 und Literatur4 vertretenen These, nach der für das Kündigungsschutzrecht von dem betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff auszugehen ist, kann deshalb in dieser Pauschalität nicht zugestimmt werden5. Kündigungsschutzrechtlich können verschiedene Einheiten (Betriebsstätten) damit auch dann einen einheitlichen Betrieb bilden, wenn sie trotz erheblicher räumlicher Entfernung zentral gesteuert werden6. Unerheblich ist, ob sie einem oder mehreren Rechtsträgern gehören. Allerdings sind umso strengere Anforderungen an die Annahme einer konkludenten Vereinbarung über die gemeinsame Führung der Einheiten als Betrieb zu stellen, je weiter die einzelnen Betriebsstätten voneinander entfernt sind7.
1 Vgl. BAG v. 21.6.1995 – 2 AZR 693/94, EzA § 23 KSchG Nr. 14, S. 3; BAG v. 3.6.2004 – 2 AZR 577/03, NZA 2005, 175, 176 f.; BAG v. 28.10.2010 – 2 AZR 392/08, BB 2011, 1339, Rz. 17; HWK/ B. Gaul, § 4 BetrVG Rz. 8. 2 Vgl. zuletzt BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 38/19, NZA 2019, 1427, Rz. 14, wonach eine in einem „Struktur-Tarifvertrag“ getroffene Abrede die für die Annahme eines Gemeinschaftsbetriebs notwendige Organisationsstruktur nicht ersetzen, sondern allenfalls eine Führungsvereinbarung über die zu bildende Betriebsstätte darstellen kann. 3 So z.B. noch BAG v. 13.6.1985 – 2 AZR 452/84, NZA 1986, 600, 602; BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 355/89, NZA 1990, 977, 978. 4 Kania/Gilberg, NZA 2000, 678, 680 f.; Oetker, Anm. zu BAG v. 1.4.1987 – 4 AZR 77/86, SAE 1987, 301, 305 f. 5 Abl. auch Preis, RdA 2000, 257, 263. 6 BAG v. 3.6.2004 – 2 AZR 577/03, NZA 2005, 175, 176 f.; BAG v. 28.10.2010 – 2 AZR 392/08, BB 2011, 1339, 1340; LAG Rheinland-Pfalz v. 8.11.2012 – 10 Sa 224/12, LAGE § 23 KSchG Nr. 27, Rz. 32 ff. 7 Vgl. BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 355/89, NZA 1990, 977, 978; LAG Köln v. 21.7.2000 – 11 Sa 420/ 00, NZA-RR 2001, 245; Thüringer LAG v. 7.9.2004 – 7 Sa 542/03.
600 | Niklas
Auswirkungen auf die betriebsbedingte Kündigung | Rz. 16.11 § 16
C. Auflösung oder Spaltung des kündigungsschutzrechtlichen Gemeinschaftsbetriebs Von diesen Grundsätzen ausgehend liegt eine Auflösung des gemeinsamen Betriebs vor, wenn sämtliche beteiligten Unternehmen ihre Vereinbarung, die Leitungsmacht in den wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten einheitlich auszuüben, aufheben und diese Leitungsmacht im Anschluss daran für die ihnen jeweils zuzuordnenden Betriebsstätten separat ausüben. Die Organisation muss also – vergleichbar mit der in § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG vorgenommenen Bewertung – nicht nur unwesentlich geändert werden. Von der Spaltung eines gemeinsamen Betriebs ist insoweit auszugehen, wenn er nach dem Ausscheiden eines Unternehmens, das im Anschluss daran die Leitungsmacht über die arbeitsvertraglich mit ihm verbundenen Arbeitnehmer (wieder) eigenständig ausübt, mit mindestens zwei verbleibenden Unternehmen fortgeführt wird. Die räumliche Verlegung eines Teils des gemeinsamen Betriebs würde, wenn die Führungsvereinbarung fortbesteht, noch keine Spaltung oder Auflösung des gemeinsamen Betriebs bewirken. Entsprechend den Überlegungen des BAG zum gemeinsamen Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne im Beschluss vom 11.11.19971 ist auch die bloße Aufhebung der Vereinbarung über die gemeinsame Leitung nicht ausreichend. Die Entscheidung muss vielmehr stets auch tatsächlich umgesetzt werden2.
16.8
Die Ausgliederung eines Betriebsteils aus einem gemeinsamen Betrieb liegt, vergleichbar mit den Überlegungen zu § 613a BGB (vgl. Rz. 22.136 ff.), dann vor, wenn ein Betriebsteil durch einen der beteiligten Rechtsträger herausgelöst wird, der gemeinsame Betrieb aber mit mindestens zwei Rechtsträgern weiter fortgeführt wird. Zu diesen Rechtsträgern kann auch derjenige gehören, der einen Teil aus dem gemeinsamen Betrieb zurückgezogen hat.
16.9
D. Auswirkungen auf die betriebsbedingte Kündigung I. Grundsätzliche Anforderungen bei Errichtung eines kündigungsschutzrechtlichen Gemeinschaftsbetriebs Die Errichtung eines kündigungsschutzrechtlichen Betriebs mehrerer Unternehmen bewirkt, dass die in diesem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer – bezogen auf den betriebsbezogenen Kündigungsschutz – so behandelt werden, als handele es sich um einen einheitlichen Betrieb eines Rechtsträgers. Der Umstand, dass die Arbeitsverträge zu verschiedenen Rechtsträgern bestehen, bleibt ohne Auswirkungen.
16.10
Damit sind zunächst einmal alle Arbeitnehmer des gemeinsamen Betriebs bei der Berechnung des Schwellenwerts für die Anwendung des KSchG (§ 23 KSchG) einzubeziehen3. Soweit im gemeinsamen Betrieb in der Regel nicht mehr als zehn – bzw. mit Blick auf „Alt-Arbeitnehmer“ i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht mehr als fünf – Arbeitnehmer (Teilzeitbeschäftigte zählen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG anteilig) beschäftigt werden, muss mit Blick
16.11
1 BAG v. 11.11.1997 – 1 ABR 6/97, NZA 1998, 723, 725. 2 BAG v. 11.11.1997 – 1 ABR 6/97, NZA 1998, 723, 725; vgl. ebenso zur Spaltung eines Betriebs i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG BAG v. 10.12.1996 – 1 ABR 32/96, NZA 1997, 898, 899. 3 BAG v. 24.1.2013 – 2 AZR 140/12, NZA 2013, 726, Rz. 14; BAG v. 23.5.2013 – 2 AZR 54/12, NZA 2013, 1197, Rz. 28; Niklas/Schauß, BB 2014, 2805, 2810; abl. Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 344, 350 f., 355, 364, 401; Preis, RdA 2000, 257, 262, die die unternehmensbezogene Bewertung auch im gemeinsamen Betrieb beibehalten.
Niklas | 601
§ 16 Rz. 16.11 | Änderung/Beendigung von ArbVerh bei Gemeinschaftsbetrieben
auf die Feststellungen des BVerfG im Beschluss vom 27.1.19981 sowie des BAG in den Entscheidungen vom 26.8.19712, vom 28.10.20103 und den in der Folge ergangenen bestätigenden Entscheidungen4 geprüft werden, ob der jeweilige Arbeitgeber weitere Arbeitnehmer in anderen Betrieben beschäftigt, die ggf. aufgrund verfassungskonformer Auslegung der Kleinbetriebsklausel des § 23 KSchG zu berücksichtigen sind. Wenn diese Arbeitnehmer und die Arbeitnehmer im gemeinsamen Betrieb mit dem anderen Rechtsträger zusammen in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer (bzw. fünf „Alt-Arbeitnehmer“) sind, ist das KSchG anwendbar. Darlegungs- und beweispflichtig ist der Arbeitnehmer, für den allerdings eine abgestufte Darlegungslast gilt5.
16.12
Bei der Frage der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nach § 1 Abs. 2 KSchG muss der gesamte Betrieb einbezogen werden6. Dies gilt nicht nur für den Fall, dass z.B. bei einer krankheitsbedingten Kündigung ein „leidensgerechter“ Arbeitsplatz gesucht wird, der sodann durch eine Versetzungskette mit dem von einer Kündigung bedrohten Arbeitnehmer besetzt wird. Auch freie Arbeitsplätze in dem Teil des Betriebs, der von einem anderen Unternehmen in den gemeinsamen Betrieb eingebracht wurde, müssen in die Überlegungen eingebunden werden. Unabhängig davon sind freie Arbeitsplätze in anderen Betrieben des jeweiligen Unternehmens, zu dem eine arbeitsvertragliche Beziehung besteht, einzubeziehen. Dies gilt selbst dann, wenn eine Versetzung auf diesen Arbeitsplatz nur im Wege der Änderungskündigung durchsetzbar wäre. Freie Arbeitsplätze in anderen Betrieben eines Rechtsträgers, zu dem der von einer Kündigung betroffene Arbeitnehmer in keiner arbeitsvertraglichen Bindung steht, bleiben außen vor7.
16.13
Die Sozialauswahl bleibt zwar betriebsbezogen. Ohne Rücksicht auf den Umstand, dass ein Teil der Arbeitnehmer Arbeitsverträge mit einem anderen Unternehmen besitzt, sind aber alle Arbeitnehmer des gemeinsamen Betriebs, die auf einem vergleichbaren Arbeitsplatz (vgl. Rz. 15.21) beschäftigt werden, einzubeziehen8. Liegt eine Vergleichbarkeit vor, muss im gemeinsamen Betrieb gegebenenfalls auch der Arbeitnehmer eines anderen Rechtsträgers gekündigt werden, um die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers zu sichern, der von dem Wegfall seines Arbeitsplatzes betroffen, aber nach sozialen Gesichtspunkten schutzwürdiger ist. Auf dessen Arbeitsplatz wird der verbleibende Arbeitnehmer dann durch den bisherigen Arbeitgeber eingesetzt. Ein Wechsel des Arbeitgebers erfolgt nicht9. Diese unternehmensüber1 2 3 4 5 6 7 8
9
BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BvL 22/93, NZA 1998, 469 f. BAG v. 26.8.1971 – 2 AZR 233/70, BB 1971, 1507, 1508. BAG v. 28.10.2010 – 2 AZR 392/08, BB 2011, 1339, Rz. 25. Vgl. BAG v. 19.7.2016 – 2 AZR 468/15, NZA 2016, 1196, Rz. 20 und BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, NZA 2017, 859, Rz. 27. BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 131/07, AP Nr. 43 zu § 23 KSchG 1969, Rz. 30; BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, NZA 2017, 859, Rz. 12; Linck/Krause/Bayreuther/Bayreuther, § 23 KSchG Rz. 33; a.A. KR/Bader, § 23 KSchG Rz. 80 ff. m.w.N., wonach der Arbeitgeber die Beweislast trage. BAG v. 18.10.2012 – 6 AZR 41/11, NZA 2013, 1007, Rz. 53; BAG v. 20.6.2013 – 6 AZR 805/11, NZA 2013, 1137, Rz. 59. Vgl. Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 296; WHSS/Willemsen/Sittard, Umstrukturierung, H Rz. 149; offen Zöllner, FS Semler, 1993, S. 995, 999. BAG v. 5.5.1994 – 2 AZR 917/93, AP Nr. 23 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, Bl. 3; BAG v. 29.11.2007 – 2 AZR 763/06, AP Nr. 95 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, Rz. 23; BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 38/19, NZA 2019, 1427, Rz. 26; Niklas/Schauß, BB 2014, 2805, 2810; abl. Annuß, NZA Sonderheft 2001, 12, 23 f. BAG v. 5.3.1987 – 2 AZR 623/85, NZA 1988, 32, 33; APS/Moll, § 23 KSchG Rz. 18a; WHSS/Willemsen/Sittard, Umstrukturierung, H Rz. 143.
602 | Niklas
Auswirkungen auf die betriebsbedingte Kündigung | Rz. 16.16 § 16
greifende Sozialauswahl kann nur dadurch verhindert bzw. beendet werden, dass übergreifend eine Ausnahme von der Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG geltend gemacht oder die gemeinsame Leitungsstruktur jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist dauerhaft aufgegeben wird1.
II. Auswirkungen von Auflösung oder Spaltung 1. Anwendbarkeit von § 613a BGB Wenn die Auflösung bzw. Spaltung des gemeinsamen Betriebs damit verbunden wird, dass einer der beteiligten Rechtsträger die Betriebe bzw. Betriebsteile übernimmt, die ursprünglich einem anderen am gemeinsamen Betrieb beteiligten Rechtsträger gehörten, kann dies zur Anwendbarkeit von § 613a BGB führen2. Voraussetzung ist allerdings, dass die jeweils übernommene Einheit auch innerhalb des gemeinsamen Betriebs als organisatorisch abgrenzbare Einheit qualifiziert werden konnte. Darüber hinaus müssen hinsichtlich der Übernahme dieser Einheit durch den potenziellen Erwerber die sonstigen Voraussetzungen eines Betriebsoder Betriebsteilübergangs – also insbesondere die Übernahme von Betriebsmitteln und/ oder Personal sowie eine tatsächliche Fortsetzung der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit – erfüllt sein (vgl. Rz. 4.47 ff.). Wenn dies der Fall ist, kann zwar nicht allein mit der Begründung gekündigt werden, man wolle verhindern, dass Arbeitnehmer aus dem in Rede stehenden Betrieb bzw. Betriebsteil übernommen werden müssen, obgleich diese Einheit ursprünglich durch einen anderen Rechtsträger in den gemeinsamen Betrieb eingebracht worden ist (§ 613a Abs. 4 Satz 1 BGB). Allerdings bleibt eine Kündigung aus sonstigen Gründen weiterhin statthaft (§ 613a Abs. 4 Satz 2 BGB). Wegen der Bedeutung dieses besonderen Kündigungsverbots sei indes auf die allgemeinen Ausführungen an anderer Stelle hingewiesen (vgl. Rz. 17.7 ff.).
16.14
2. Fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nach der Auflösung oder Ausgliederung eines Betriebsteils Nach der Auflösung oder Spaltung eines gemeinsamen Betriebs oder der Ausgliederung eines Betriebsteils können bei der Frage der Weiterbeschäftigung nach § 1 Abs. 2 KSchG in Bezug auf betriebsbedingte Kündigungen solcher Rechtsträger, die jetzt außerhalb des gemeinsamen Betriebs tätig werden, nur noch die Arbeitsplätze einbezogen werden, die in Betriebsstätten des jeweiligen Arbeitgebers bestehen3. Auf freie Arbeitsplätze in Bereichen, die nach der Auflösung oder Spaltung bzw. der Herauslösung eines Betriebsteils aus dem gemeinsamen Betrieb den jeweils anderen Unternehmen zuzuordnen sind, besteht wegen der fehlenden Vereinbarung über die einheitliche Ausübung der Leitungsmacht kein Zugriff mehr. Damit kann auch eine Beschäftigung auf solchen Arbeitsplätzen zur Vermeidung einer Kündigung nicht durchgesetzt werden.
16.15
Anknüpfungspunkt für diese Bewertung ist die Prognose des Arbeitgebers am Tag des Zugangs der Kündigung. Wenn zu diesem Zeitpunkt der gemeinsame Betrieb bereits aufgelöst
16.16
1 BAG v. 13.9.1995 – 2 AZR 954/94, NZA 1996, 307, 309; BAG v. 20.6.2013 – 6 AZR 805/11, NZA 2013, 1137, Rz. 59. 2 Vgl. BAG v. 20.7.1982 – 3 AZR 261/80, EzA § 613a BGB Nr. 33 S. 204; Schiefer, NZA 1998, 1095, 1106. 3 BAG v. 13.9.1995 – 2 AZR 954/94, NZA 1996, 307, 309; BAG v. 23.3.2006 – 2 AZR 162/05, NZA 2007, 30, Rz. 35; BAG v. 18.10.2012 – 6 AZR 41/11, NZA 2013, 1007, Rz. 53.
Niklas | 603
§ 16 Rz. 16.16 | Änderung/Beendigung von ArbVerh bei Gemeinschaftsbetrieben
wurde, ist die Rechtsfolge eindeutig. Hier kann nur noch auf die unternehmensbezogene Situation abgestellt werden1. Nach den allgemeinen Grundsätzen zur betriebsbedingten Kündigung ist es indes nicht erforderlich, dass die Spaltung oder Auflösung des gemeinsamen Betriebs zu diesem Zeitpunkt bereits vollzogen wurde. Erforderlich ist nur, dass die durch Tatsachen begründbare ernstliche Absicht besteht, bis zum Ablauf der Kündigungsfrist eine Spaltung des gemeinsamen Betriebs durchzuführen. Denn auch hier besteht für den Arbeitgeber keine Möglichkeit, den Arbeitnehmer über die Kündigungsfrist hinaus weiterzubeschäftigen2. Arbeitsplätze, auf denen eine solche Weiterbeschäftigung möglich wäre, sind dann den jeweils anderen Unternehmen zugeordnet.
16.17
Nur für den Fall, dass der gemeinsame Restbetrieb nach der Spaltung bzw. der Ausgliederung eines Betriebsteils fortgeführt wird und dort betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden sollen, gilt die Notwendigkeit weiter, Beschäftigungsmöglichkeiten auch in den Teilen des gemeinsamen Betriebs anzubieten, die durch den/die anderen Rechtsträger eingebracht worden sind.
3. Auswirkungen auf die Sozialauswahl 16.18
Für den Fall der Auflösung bzw. Spaltung des gemeinsamen Betriebs oder der Ausgliederung eines Betriebsteils wird auch der Kreis der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer eingeschränkt. Nur noch die Arbeitnehmer, die in dem Teil des früheren Gemeinschaftsbetriebs beschäftigt werden, der bei dem jeweiligen Arbeitgeber verblieben ist, können – ausgehend von der voranstehend bereits gekennzeichneten Vergleichbarkeit (vgl. Rz. 15.21) – berücksichtigt werden. Ohne Bedeutung ist, ob in den anderen Unternehmen Arbeitnehmer beschäftigt werden, die nach sozialen Gesichtspunkten weniger schutzwürdig sind3. Maßgeblich ist auch hier wieder die Prognose des Arbeitgebers im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Diese muss deutlich machen, dass der gemeinsame Betrieb jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist aufgelöst oder gespalten wird. Eine Auflösung oder Spaltung des gemeinsamen Betriebs bzw. eine Herauslösung eines Betriebsteils bereits am Tag des Zugangs der Kündigung ist nicht erforderlich4.
16.19
Eine Ausnahme gilt wiederum nur für die Arbeitnehmer, die für den Fall der Spaltung oder der Ausgliederung eines Betriebsteils in dem gemeinsamen Restbetrieb weiterbeschäftigt werden und dort von einer betriebsbedingten Kündigung betroffen sind.
4. Nachwirkung des besonderen Kündigungsschutzes 16.20
Die Besonderheiten des Kündigungsschutzes im gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen wirken nicht nach. Dies gilt nach den Feststellungen des BAG sogar dann, wenn die Führungsvereinbarung bewusst aufgehoben wird, um den Kündigungsschutz bei nachfolgenden
1 BAG v. 13.9.1995 – 2 AZR 954/94, NZA 1996, 307, 308; BAG v. 23.3.2006 – 2 AZR 162/05, 2007, 30, Rz. 35; BAG v. 18.10.2012 – 6 AZR 41/11, NZA 2013, 1007, Rz. 53. 2 BAG v. 23.3.2006 – 2 AZR 162/05, NZA 2007, 30, Rz. 35; BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 38/19, 2019, 1427, Rz. 26. 3 BAG v. 27.11.2003 – 2 AZR 48/03, NZA 2004, 477, 478; BAG v. 23.3.2006 – 2 AZR 162/05, 2007, 30, Rz. 37. 4 BAG v. 27.11.2003 – 2 AZR 48/03, NZA 2004, 477, 478; BAG v. 23.3.2006 – 2 AZR 162/05, 2007, 30, Rz. 37.
604 | Niklas
NZA NZA NZA NZA
Schaffung von Kleinstbetrieben ohne Kündigungsschutz | Rz. 16.22 § 16
Kündigungen auf das jeweilige Unternehmen zu begrenzen1. Eine analoge Anwendbarkeit von § 323 Abs. 1 UmwG kommt, wie an anderer Stelle erörtert wird (vgl. Rz. 17.103 ff.), nicht in Betracht. Allerdings kommt für den Rechtsträger, der Arbeitnehmer des/der anderen Rechtsträger(s) im Anschluss an dessen Ausscheiden aus dem gemeinsamen Betrieb gemäß § 613a BGB übernimmt, das besondere Kündigungsverbot aus § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB zum Tragen. Wegen dessen Bedeutung sei indes auf die nachfolgenden Ausführungen verwiesen (vgl. Rz. 17.7 ff.).
E. Schaffung von Kleinstbetrieben ohne Kündigungsschutz Denkbar ist, dass der Kündigungsschutz im Anschluss an die Spaltung eines gemeinsamen Betriebs oder der Herauslösung eines Betriebsteils für die Einheiten entfällt, die dann separat weitergeführt werden. Wenn nämlich die nach der Kündigung bei den einzelnen Unternehmen geschaffenen Einheiten selbstständig fortgeführt werden, ohne dass dort jeweils die Schwellenwerte des § 23 KSchG überschritten werden, finden die ersten beiden Abschnitte des KSchG keine Anwendung mehr. Insbesondere entfällt die Notwendigkeit einer sozialen Rechtfertigung. Mit Blick auf die Feststellungen des BVerfG2 sowie des BAG3 setzt dies aber voraus, dass in allen Betriebsstätten des jeweils betroffenen Unternehmens zusammen in der Regel mehr als zehn bzw. – mit Blick auf „Alt-Arbeitnehmer“ – fünf Arbeitnehmer beschäftigt werden und – zusätzlich – angesichts der vom Arbeitgeber geschaffenen konkreten Organisation die gesetzgeberischen Erwägungen für die Privilegierung des Kleinbetriebs bei verständiger Betrachtung ins Leere gehen und die Bestimmung des Betriebsbegriffs nach herkömmlicher Definition unweigerlich zu einer sachwidrigen Ungleichbehandlung betroffener Arbeitnehmer führen würde. Ist dies der Fall, ist das Arbeitsverhältnis im Wege der verfassungskonformen Auslegung von § 23 Abs. 1 KSchG in den Geltungsbereich des KSchG einzubeziehen.
16.21
Eine Nachwirkung des bisherigen Kündigungsschutzes kommt nicht in Betracht. Geht man davon aus, dass unternehmerische Entscheidungen nur auf Willkür überprüfbar sind, kann auch über das Verbot treuwidrigen Verhaltens (§§ 242, 162 BGB) keine Nachwirkung begründet werden. Im Übrigen kommt, wie nachfolgend noch einmal gesondert ausgeführt wird (vgl. Rz. 17.103 ff.), eine analoge Anwendung von § 323 Abs. 1 UmwG nicht in Betracht. Auch die Frage des „kündigungsrechtlichen Berechnungsdurchgriffs“, der abzulehnen ist (vgl. Rz. 17.4 f.), würde sich nur dann stellen, wenn die bislang am gemeinsamen Betrieb beteiligten Rechtsträger in einem konzernrechtlichen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stünden.
16.22
1 BAG v. 13.9.1995 – 2 AZR 954/94, NZA 1996, 307, 309. 2 BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BvL 15/87, AuR 1998, 207 ff. 3 BAG v. 28.10.2010 – 2 AZR 392/08, BB 2011, 1339, Rz. 25; BAG v. 19.7.2016 – 2 AZR 468/15, NZA 2016, 1196, Rz. 20; BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, NZA 2017, 859, Rz. 27.
Niklas | 605
§ 17 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
§ 17 Beendigung von Arbeitsverhältnissen im Zusammenhang mit Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Beendigung durch Arbeitgeberkündigung I. Errichtung von Kleinstbetrieben durch die Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen . . . II. Verbot einer Kündigung wegen Betriebs(teil-)übergangs/Umwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ursächlicher Zusammenhang zwischen Kündigung und Übertragungsvorgang . . . . . . . 2. Adressat des Kündigungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Darlegungs- und Beweislast . . III. Personen- oder verhaltensbedingte Kündigung . . . . . . . . . . IV. Betriebsbedingte Kündigung . . . 1. Wegfall von Arbeitsplätzen durch Rationalisierung . . . . . . a) Wegfall des Arbeitsplatzes und Vertragsbeendigung vor der Übertragung . . . . . b) Wegfall des Arbeitsplatzes nach der Übertragung . . . aa) Kündigung durch den übernehmenden Rechtsträger . . . . . . . . bb) Kündigung durch den übertragenden Rechtsträger . . . . . . . . . . . . . 2. Kündigung wegen Stilllegung a) Dauerhafte Stilllegung . . . b) Kündigung bei Betriebsübergang nach Teilbetriebsstilllegung . . . . . . . . . c) Kündigung bei nur vorübergehender Stilllegung . . 3. Kündigung wegen einer Änderung des Betriebszwecks oder der Betriebsorganisation 4. Kündigung wegen der Verlegung eines (Teil-)Betriebs . . .
606 | Niklas
17.1
17.2
17.7
17.10 17.18 17.19 17.20 17.21 17.24 17.25 17.32 17.33 17.35 17.51 17.52 17.61 17.66
17.72 17.76
5. Kündigung im Zusammenhang mit Outsourcing und Auftragsnachfolge . . . . . . . . . 6. Besonderer Kündigungsschutz bei der Spaltung oder Teilübertragung gemäß § 323 Abs. 1 UmwG a) Unmittelbarer Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . aa) Persönlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . bb) Sachlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . b) Anwendbarkeit außerhalb einer Umwandlung . . . . . . 7. Kündigung nach Widerspruch des Arbeitnehmers . . . . . . . . . 8. Kündigung bei Fortbestand als gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen . . . . . a) Rechtsfolgen eines gemeinsamen Betriebs . . . . . . . . . b) Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines gemeinsamen Betriebs aa) Grundsatz . . . . . . . . . . bb) Gesetzliche Fiktion bei Unternehmensspaltung (§ 322 UmwG) . . cc) Anwendbarkeit von § 322 UmwG auf sonstige Übertragungsvorgänge . . . . . . . . . . . . . 9. Kündigung nach Abspaltung und Übertragung von Kleinbetrieben . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Konsequenzen eines Zusammenschlusses von Betrieben und Betriebsteilen beim übernehmenden Rechtsträger . . . . 11. Besonderheiten bei der Vereinbarung einer Konzerndirektionsklausel . . . . . . . . . . 12. Rechtsfolgen von Punkteschemata und Namenslisten nach § 1 Abs. 4, 5 KSchG . . . .
17.85
17.92 17.93 17.94 17.103 17.109
17.116 17.118
17.122 17.125
17.132
17.136
17.137
17.140
17.142
Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung | § 17 V. Arbeitnehmer mit Sonderkündigungsschutz 1. Mitglieder des Betriebsrats/ Schwerbehindertenvertreter . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . b) Rechtslage nach Widerspruch gegen den Betriebs (teil-)übergang oder die Umwandlung . . . . . . . . . . . c) Freigestellte Betriebsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . 2. Schwerbehinderte Menschen . 3. Arbeitnehmer in Mutterschutz, Eltern-, Pflege- und Familienpflegezeit . . . . . . . . . . 4. (Tarif-)Vertraglich ordentlich unkündbare Arbeitnehmer a) Grundsatz: Kündigung nur noch aus wichtigem Grund . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kündigungs- und Kündigungserklärungsfrist . . . . . c) Kündigung nach Widerspruch gegen den Betriebs (teil-)übergang . . . . . . . . . . d) Beteiligungsrechte des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . e) Besonderheiten bei der Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Auszubildende . . . . . . . . . . . . . 6. Sonstige Personengruppen . . . C. Sonstige Beendigungstatbestände I. Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gerichtliche Auflösung gemäß §§ 9, 10 KSchG . . . . . . . . . . . . . . .
17.145 17.146
17.149 17.161 17.162
17.167
17.170 17.175 17.176 17.179 17.181 17.183 17.184 17.187
III. Aufhebungsvertrag . . . . . . . . . . . . IV. Eigenkündigung des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Bedingung oder Befristung . . . . . D. Wiedereinstellungs- bzw. Fortsetzungsanspruch bei überraschendem Betriebs(teil-)übergang oder überraschender Fortführung statt Stilllegung . . . . . . . . . . I. Anerkennung des Anspruchs auf Wiedereinstellung . . . . . . . . . . . . . II. Entscheidungserheblicher Zeitpunkt für den Wegfall des Kündigungsgrundes bzw. des Grundes für die vereinbarte Aufhebung . . III. Inhalt des Anspruchs auf Wiedereinstellung . . . . . . . . . . . . . IV. Adressat des Anspruchs auf Wiedereinstellung . . . . . . . . . . . . . V. Einflussnahmemöglichkeit im Rahmen der Interessenabwägung VI. Unternehmensweiter Wiedereinstellungsanspruch . . . . . . . . . . . . . VII. Auswahlentscheidung unter Berücksichtigung der Sozialdaten . . VIII. Frist für die Geltendmachung der Wiedereinstellung . . . . . . . . . IX. Vereinbarung eines Wiedereinstellungsanspruchs . . . . . . . . . . . . X. Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Lohn- und Gehaltsfortzahlungsansprüche der betroffenen Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . .
17.191 17.204 17.205
17.208 17.209
17.218 17.224 17.226 17.227 17.231 17.232 17.236 17.240 17.242
17.243
17.188
Schrifttum: Ascheid, Richtlinie 77/187 EWG: Harmonisierung europäischen und deutschen Richterrechts, Festschrift für Thomas Dieterich, 1999, S. 9; Bauer, Beendigung von Arbeitsverhältnissen beim Betriebsübergang, DB 1983, 713; Bauer/Lingemann, Das neue Umwandlungsrecht und seine arbeitsrechtlichen Auswirkungen, NZA 1994, 1057; Baumann, Arbeitsrechtliche Aspekte des neuen Umwandlungsrechts, DStR 1995, 888; Bayreuther, Die Durchsetzbarkeit des konzernweiten Kündigungsschutzes, NZA 2006, 819; Beckschulze, Der Wiedereinstellungsanspruch nach betriebsbedingter Kündigung, DB 1998, 417; Belling, Die Beteiligung des Betriebsrats bei der Kündigung von Amtsträgern wegen der Stilllegung des Betriebs oder einer Betriebsabteilung, NZA 1985, 481; Bepler, Der Betriebsbegriff des Kündigungsschutzgesetzes und die Kleinbetriebsklausel, AuR 1997, 54; Bepler, Die Anhebung des Schwellenwertes im allgemeinen Kündigungsschutz, AuA 1997, 325; Berkowsky, Betriebsübergang und Kündigungsverbot nach § 613a BGB, DB 1983, 2683; Berkowsky, Auflösungsantrag und Betriebsübergang, NZI 2006, 81; Bieback, Arbeitsrechtliche Probleme der Fusion öffentlich-rechtlicher Körperschaften, ZTR 1998, 396; Bitter/Kiel, 40 Jahre Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Sozialwidrigkeit von Kündigungen, RdA 1994, 333; Boewer, Der Wiedereinstellungsanspruch – Teil 1, 2,
Niklas | 607
§ 17 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung NZA 1999, 1121, 1177; Bolck, Personalrechtliche Probleme bei der Ausgliederung von Teilbereichen des öffentlichen Dienstes und Überführung in eine private Rechtsform, ZTR 1994, 14; Bonanni/Niklas, Der Wiedereinstellungsanspruch bei überraschendem Betriebsübergang, DB 2010, 1826; Bram/ Rühl, Praktische Probleme des Wiedereinstellungsanspruchs nach wirksamer Kündigung, NZA 1990, 753; Brinkmann, Die Spaltung von Rechtsträgern nach dem neuen Umwandlungsrecht: eine Analyse ihrer individualrechtlichen Folgen, 1999 (zugl. Diss. Göttingen 1998); Clasen, Berichtigungsmöglichkeiten bei fehlerhafter Auswahl der Beklagten, NJW 2007, 2887; Commandeur, Individualrechtliche Probleme des Widerspruchs des Arbeitnehmers beim Betriebsübergang, NJW 1996, 2537; Commandeur/Kleinebrink, Läuft das Kündigungsverbot bei einem Betriebsübergang ins Leere?, BB 2012, 1857; Däubler, Das Arbeitsrecht im neuen Umwandlungsgesetz, RdA 1995, 136; Döpner, Die Veräußererkündigung auf Erwerberkonzept beim Betriebsübergang, 2013 (zugl. Diss. Düsseldorf 2013); Düwell, Umwandlung von Unternehmen und arbeitsrechtliche Folgen, NZA 1996, 393; Edenfeld, Der neue Betriebs(teil)begriff des BAG zu § 613a BGB, AuA 1998, 161; Ende, Das Recht des Arbeitnehmers auf Beendigung seines Arbeitsverhältnisses bei Betriebsübergang im EG-Recht, NZA 1994, 494; Engesser Means/Klebeck, Sperrzeit durch Widerspruch bei Betriebsübergang, NZA 2008, 143; Eylert/Spinner, Sozialauswahl nach Widerspruch des Arbeitnehmers gegen einen (Teil-)Betriebsübergang, BB 2008, 50; Fandel/Hausch, BSG – Keine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld aufgrund Widerspruchs gegen Betriebsteilübergang, BB 2010, 446; Feudner, Kündigungsschutz von Betriebsräten bei Betriebsübergang, DB 1994, 1570; Fischer, Individualrechtliche Probleme des verdeckten bzw. (zunächst) unerkannten Betriebsübergangs, DB 2001, 331; Fuhlrott, Reichweite und Grenzen des betriebsübergangsrechtlichen Kündigungsverbots, FA 2013, 258; Fuhlrott, Erwerberkonzeptkündigungen als Alternative zum BQGModell bei Betriebsübergängen, BB 2013, 2042; Furier, Wiedereinstellungsanspruch, AiB 1999, 246; B. Gaul, Weiterbeschäftigung nach zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen, BB 1995, 2422; B. Gaul, Sozialauswahl nach Widerspruch gegen Betriebsübergang, NZA 2005, 730; B. Gaul/Mückl, Off-Shoring – Freier Gestaltungsspielraum oder § 613a BGB?, DB 2011, 2318; B. Gaul/ Niklas, Neue Grundsätze zur Sperrzeit bei Aufhebungsvertrag, Abwicklungsvereinbarung und gerichtlichem Vergleich, NZA 2008, 137; B. Gaul/Niklas, Keine Altersdiskriminierung durch Sozialauswahl mit Altersgruppen, NZA-RR 2009, 457; D. Gaul, Das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers beim Betriebsübergang und seine Rechtswirkungen, ZfA 1990, 87; Gerauer, Betriebsratsamt und Betriebsübergang – Kündigung eines Betriebsratsmitglieds wegen Widerspruchs gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses bei Veräußerung einer Betriebsabteilung, BB 1990, 1127; Geyer, Der „konzernbezogene“ Kündigungsschutz bei Verlagerung von Aufgaben, FA 2008, 226; Göttling, Betriebsübergang vor dem Arbeitsgericht – Verfahrensrechtliche Aspekte, Festschrift für Heinz Josef Willemsen, 2018, S. 133; Gragert/Kreutzfeldt, Sturm auf die Gerichte? – die Konsequenzen aus dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zur Kleinbetriebsklausel in § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG, NZA 1998, 567; Gravenhorst, Der Auflösungsantrag des Arbeitgebers gem. § 9 KSchG, NZA-RR 2007, 57; Günzel, Der Wiedereinstellungsanspruch bei Fortführung des Betriebs nach Ablauf der Kündigungsfrist, DB 2002, 1227; Haase, Kündigung des Veräußerers nach Erwerberkonzept – contra legem?, Festschrift 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein, 2006, S. 613; Hager, Der Kündigungsschutz des Arbeitnehmers im Umwandlungsrecht, Gedächtnisschrift für Meinhard Heinze, 2004, S. 311; Hambitzer, Wiedereinstellungsanspruch nach wirksamer betriebsbedingter Kündigung?, NJW 1985, 2239; Hambitzer, Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers nach wirksamer Kündigung, 1987 (zugl. Diss. Bonn 1987); Hanau, Aktuelle Fragen zu § 613a BGB, Festschrift für Dieter Gaul, 1992, S. 287; Hanau/Thüsing, Tarifverträge zur Beschäftigungssicherung, ZTR 2001, 1, 49; Hassenpflug, Die Kündigung von Betriebsratsmitgliedern wegen Stilllegung eines Betriebes oder einer Betriebsabteilung, 1989; Heinze, Arbeitsrechtliche Fragen bei der Übertragung und Umwandlung von Unternehmen, ZfA 1997, 1; Helle, Konzernbedingte Kündigungsschranken bei Abhängigkeit und Beherrschung durch Kapitalgesellschaften, 1989; Herschel, Kündigung bei Betriebsübergang, DB 1984, 612; Hilbrandt, Sonderkündigungsschutz von Betriebsratsmitgliedern bei Massenänderungskündigungen, NZA 1997, 465; Houben, Gespaltener Kündigungsschutz im Kleinbetrieb – Auslegung des § 23 I KSchG bei Betriebsübergang, NJW 2010, 125; von Hoyningen-Huene/Linck, Betriebsbedingte Kündigung und Weiterbeschäftigungspflicht, DB 1993, 1185; Hutzler, Kündigung und Kündigungsausschluß bei Betriebsübergang, BB 1981, 1470; Ingelfinger, Widerspruch des Arbeitnehmers bei Betriebsübergang und Sozialauswahl bei anschließender betriebsbedingter Kündigung, ZfA 1996, 591;
608 | Niklas
Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung | § 17 Joost, Umwandlungsrecht und Arbeitsrecht, Die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, Kölner Umweltrechtstage: Verschmelzung, Spaltung, Formwechsel nach neuem Umwandlungsrecht und Umwandlungssteuerrecht (Hrsg.: Marcus Lutter), S. 297; Kalb, Betriebsverkleinerung und (Teil-)Betriebsübergang, Festschrift für Heinz Josef Willemsen, 2018, S. 219; Kallmeyer, Das neue Umwandlungsgesetz, ZIP 1994, 1746; Kania/Kramer, Unkündbarkeitsvereinbarungen in Arbeitsverträgen, Betriebsvereinbarungen, Tarifverträgen, RdA 1995, 287; Kiel/Koch, Die betriebsbedingte Kündigung, 2000; Kittner, Neues Kündigungsschutzrecht außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes, NZA 1998, 731; Kleinebrink, Der Aufhebungsvertrag bei Massenentlassung, Betriebsänderung und Betriebsübergang, FA 2008, 101; Kleinebrink, Betriebsübergang: Möglichkeiten zum Personalabbau trotz des Kündigungsverbots, ArbRB 2009, 333; Kleinebrink/Commandeur, Betriebsbedingte Kündigung mit Auslandsberührung, ArbRB 2014, 312; Konzen, Arbeitnehmerschutz im Konzern, RdA 1984, 65; Kortstock, Abfindung nach § 1a KSchG und Betriebsübergang, NZA 2007, 297; Kothe, Der Gemeinschaftsbetrieb im Spiegel des Gesellschafts- und Konzernrechts, RdA 1992, 302; Kraft, Betriebsübergang und Arbeitsverhältnis i.d. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, Festschrift 25 Jahre BAG, 1979, S. 299; Kreitner, Kündigungsschutzrechtliche Probleme beim Betriebsinhaberwechsel, 1989 (zugl. Diss. Köln 1989); Krieger/Willemsen, Der Wiedereinstellungsanspruch nach Betriebsübergang, NZA 2011, 1128; Künzel, Probleme der Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung, ZTR 1996, 385; Kukat, Betriebsbedingte Kündigung und konzernbezogener Kündigungsschutz in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, BB 2000, 1242; Lamers, Reorganisation der betrieblichen Personalarbeit durch Outsourcing, 1998 (zugl. Diss. Münster 1998); Lange, Mehrfacharbeitsverhältnisse – Nicht nur Fabelwesen, NZA 2012, 1121; Langenbucher, Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers beim Betriebsübergang, ZfA 1999, 299; Langner/Widhammer, Abgrenzung zwischen Vorbereitungshandlung und Betriebs(teil-)Stilllegung, NZA 2011, 430; Lessing, Entlassungen zwischen Stilllegungsentschluss und unverhofftem Betriebsübergang, 2009 (zugl. Diss. Marburg 2009); Lingemann/Beck, Auswahlrichtlinie, Namensliste, Altersgruppenbildung und Altersdiskriminierung, NZA 2009, 577; Lipinski, Reichweite der Kündigungskontrolle durch § 613a IV 1 BGB, NZA 2002, 75; Lipinski/Kaindl, Risiken und Chancen des § 613a BGB bei M&A-Transaktionen: Strategien zur Vermeidung und Gestaltung eines Betriebs(teil)übergangs (§ 613a BGB), BB 2018, 245; Löwisch/Wegmann, Betriebsänderung: Entdynamisierung arbeitsvertraglicher Tarifbindung mit arbeitsvertraglichen Mitteln, BB 2019, 1844; Luke, Gilt die dreiwöchige Klagefrist des § 4 KSchG auch für den Wiedereinstellungsanspruch?, NZA 2005, 92; Lunk, Sozialauswahl nach Altersgruppen – ein Abschied in Raten, NZA 2014, 455; Lunk/Möller, Folgeprobleme nach Widerspruch gegen Betriebsteilübergang, NZA 2004, 9; Lunk/Seidler, Betriebsbedingte Kündigungen bei anderweitig freien Arbeitsplätzen, NZA 2018, 201; Menke/Wolf, Alles hat ein Ende …? Betriebsübergang versus Betriebsstilllegung in der Insolvenz, BB 2011, 1461; Meyer, Neue Fragen einer Kündigung bei Widerspruch gegen „Betriebsübergang“, NZA 2005, 9; Meyer, Von Mehrfachbeschäftigungsverhältnissen bis hin zu Matrix-Strukturen im Konzern – Herausforderungen auch für den Arbeitsrechtler, NZA 2013, 1326; Moll, Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers nach einem Betriebsübergang, NJW 1993, 2016; Müller-Bonanni, Kündigungsschutz nach einem Betriebsübergang, RdA 2008, 114; Müller-Ehlen, Der Übergang von Arbeitsverhältnissen im Umwandlungsrecht, 1999; Müller-Glöge, Bestandsschutz beim Betriebsübergang nach § 613a BGB, NZA 1999, 449; Natzel, Rechtsstellung des freigestellten Betriebsratsmitglieds, NZA 2000, 77; Nicolai, Die Kündigung widersprechender Arbeitnehmer nach Betriebsübergang, BB 2006, 1162; Niklas, (Un-)Zuständigkeit des Betriebsrats bei Widerspruch gegen Betriebsübergang, DB 2015, 685; Niklas, Kündigung eines Betriebsratsmitglieds – Wie weit reicht der Sonderkündigungsschutz der Arbeitnehmervertretung?, ArbRB 2020, 250; Oberhofer, Der Wiedereinstellungsanspruch, RdA 2006, 92; Otto, Kündigung des Betriebsveräußerers nach Erwerberkonzept – Gestaltungsspielraum ja, aber kein Freibrief für beliebige Konzepte, DB 2014, 1871; Pauly, Ausgewählte Probleme der Sozialauswahl, ZTR 2006, 578; Pietzko, Rechtsgeschäftliche Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer beim Betriebsübergang, ZIP 1990, 1105; Plander, Die Betriebsstilllegung aus gesellschafts- und arbeitsrechtlicher Sicht, NZA 1999, 505; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen: eine Untersuchung zum Recht des materiellen Kündigungsschutzes, insbesondere zur Theorie der Kündigungsgründe, 1987 (zugl. Diss. Köln 1986); Preis/Steffan, Neue Konzepte des BAG zum Betriebsübergang nach § 613a BGB, DB 1998, 309; Quecke, Sozialauswahl nach Widerspruch gegen Teilbetriebsübergang?, ZIP 2007, 1846; Raab, Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers bei Wegfall des Kündigungsgrundes, RdA 2000, 147;
Niklas | 609
§ 17 Rz. 17.1 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung Ramm, Arbeitsrecht und Kleinunternehmen, AuR 1991, 257; Reidel, Kündigungsgarantie vs. Verschlechterungsverbot, Festschrift 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein, 2006, S. 1325; Rieble, Verschmelzung und Spaltung von Unternehmen und ihre Folgen für Schuldverhältnisse mit Dritten, ZIP 1997, 301; Rost, Beendigung von Arbeitsverhältnissen bei Umstrukturierung, NZA 2009 Beil. 1, S. 23; Schalle, Der Bestandsschutz der Arbeitsverhältnisse bei Unternehmensumwandlung: eine Untersuchung arbeitsrechtlicher Konsequenzen der Unternehmensorganisationsänderung nach dem UmwG, 1999 (zugl. Diss. Rostock 1998); Schaub, Rechtsprobleme des Betriebsübergangs, ZIP 1984, 272; Schaub, Der arbeitsrechtliche Betriebsübergang im Recht der Gesamtrechtsnachfolge, Festschrift für Otfried Wlotzke, 1996, S. 103; Schiefer, Betriebsbedingte Kündigung – Kündigungsursache und Unternehmerentscheidung, NZA-RR 2005, 1; Schmädicke, Sozialauswahl bei der Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept, NZA 2014, 515; Schneider/Sittard, Annahmeverzug des Arbeitgebers bei Widerspruch gegen den Betriebsübergang, BB 2007, 2230; Schubert, Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers nach betriebsbedingter Kündigung in der Insolvenz, ZIP 2002, 554; Schumacher-Mohr/Urban, Sozialauswahl im Veräußererbetrieb nach Widerspruch gegen Betriebsübergang, NZA 2008, 513; Sieger/Hasselbach, Veräußerung mit Erwerberkonzept – Arbeitsrechtliche Probleme des Unternehmenserwerbs zu Sanierungszwecken, DB 1999, 430; vom Stein, Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers bei Fehlprognose des Arbeitnehmers?, RdA 1991, 85; vom Stein, Wiedereinstellungsanspruch bei ungeplantem Betriebsübergang, Festschrift für Heinz Josef Willemsen, 2018, S. 575; Trittin, Fusion und Kündigungsschutz, AiB 2001, 147; Trümner, „Kündigungsrechtliche Stellung“ in § 323 Abs. 1 UmwG, AiB 1995, 309; Vossen, Die betriebsbedingte Kündigung durch den bisherigen Arbeitgeber aus Anlass des Betriebsübergangs, BB 1984, 1557; Vossen, Betriebsübergang und Kündigungsschutzprozess, Festschrift für Wolfgang Leinemann, 2006, S. 273; Vossen, Die Rechtsprechung zur Darlegungslast des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess bei Umorganisation von Arbeitsabläufen, Festschrift für Heinz Josef Willemsen, 2018, S. 587; Weber, Zur Frage der Vereinbarkeit des § 23 Abs. 1 S. 2 und 3 KSchG mit Art. 3 Abs. 1 und 3 GG, AuR 1995, 113; Weigand, Kleinbetriebe und Kündigungsschutz, DB 1997, 2484; Wickler, Die Arbeitgeberkündigung beim rechtsgeschäftlichen Betriebsinhaberwechsel – Zur Problematik des § 613a Abs. 4 BGB, 1985; Willemsen, Die Kündigung wegen Betriebsübergangs – Zur Auslegung des § 613a Abs. 4 BGB, ZIP 1983, 411; Willemsen, Arbeitsrecht im Umwandlungsgesetz – Zehn Fragen aus der Sicht der Praxis, NZA 1996, 791; Willemsen, Aufhebungsverträge bei Betriebsübergang – ein „Erfurter Roulette“?, NZA 2013, 242; Willmer/Fuchs/Berner, Der Widerspruch des Arbeitnehmers nach § 613a VI BGB als Sanierungsinstrument – Die Widerspruchslösung, NZI 2015, 263; Windbichler, Arbeitsrecht und Konzernrecht, RdA 1999, 146; Winter, Aufklärungspflichten beim Aufhebungsvertrag, 2010 (zugl. Diss. Mannheim 2010); Wisskirchen/Goebel, Arbeitsrechtliche Aspekte der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland (Off-shoring), DB 2004, 1937; Wißmann/Niklas, Asklepios – Der Vorhang zu und neue Fragen offen, NZA 2017, 697; Wlotzke, Arbeitsrechtliche Aspekte des neuen Umwandlungsrechts, DB 1995, 40; Wollenschläger/Fröhlich, Kündigungsschutz nach § 613a BGB beim grenzüberschreitenden Betriebsübergang, AuR 1990, 314; Zumkeller, Arbeitsrechtliche Folgen des Betriebsübergangs nach § 613a BGB, DStR 1998, 1966; Zwanziger, Tarifliche Unkündbarkeit und Sozialauswahl, DB 2002, 2166.
A. Allgemeines 17.1
Die Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen bzw. der Zusammenschluss oder die Spaltung eines Unternehmens können die Änderung oder Beendigung von Arbeitsverhältnissen unter verschiedenen Gesichtspunkten beeinflussen. Zunächst einmal kann der Übertragungsvorgang bewirken, dass Kleinstbetriebe entstehen, die jeweils von eigenständigen Rechtsträgern geführt werden (Rz. 17.2 ff.). Eine solche Fallkonstellation dürfte indes selten auftreten. Regelmäßig werden Betriebe oder Betriebsteile übertragen, in denen in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer bzw. – mit Blick auf § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG – fünf „Alt-Arbeitnehmer“ beschäftigt werden. Unter Einbeziehung des Verbots einer Kündigung wegen des Be610 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.4 § 17
triebs(teil-)übergangs (§ 613a Abs. 4 Satz 1 BGB) soll deshalb im Anschluss daran im Vordergrund einer intensiven Auseinandersetzung stehen, unter welchen Voraussetzungen eine Beendigung durch Arbeitgeberkündigung – etwa aufgrund einer Rationalisierung, einer Stilllegung oder der Verlegung von Betrieben und Betriebsteilen – herbeigeführt werden kann (Rz. 17.21 ff.). Im Rahmen einer Erörterung der betriebsbedingten Kündigung wird dabei die Besonderheit berücksichtigt, dass der auf einen anderen Rechtsträger übertragene Betriebsteil im Anschluss an den Übertragungsvorgang mit den übrigen Teilen des bisherigen Betriebs als gemeinsamer Betrieb fortgeführt wird. Im Anschluss daran werden sodann die Anforderungen an die Kündigung von Arbeitnehmern mit Sonderkündigungsschutz (z.B. Betriebsratsmitglieder, Arbeitnehmer mit tarifvertraglichem Schutz) behandelt. Sodann werden Einzelheiten der Vertragsbeendigung durch Anfechtung (Rz. 17.187), gerichtliche Entscheidung (Rz. 17.188 ff.), Aufhebungsvertrag (Rz. 17.191 ff.), Eigenkündigung des Arbeitnehmers (Rz. 17.204) sowie Bedingung und Befristung (Rz. 17.205 ff.) behandelt. Da die Prognose, die vielen Formen der Vertragsbeendigung zugrunde liegt, durch eine überraschende Betriebsveräußerung verändert werden kann, wird schließlich die Frage behandelt, unter welchen Voraussetzungen hier ein Anspruch auf Wiedereinstellung bzw. Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erwerber gegeben ist (Rz. 17.208 ff.).
B. Beendigung durch Arbeitgeberkündigung I. Errichtung von Kleinstbetrieben durch die Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen Denkbar ist, dass der übertragene Betrieb oder Betriebsteil, wenn er im Anschluss an den Übertragungsvorgang durch den übernehmenden Rechtsträger eigenständig fortgeführt wird, nach § 23 KSchG wegen der geringen Beschäftigtenzahl nicht (mehr) in den Anwendungsbereich der ersten beiden Abschnitte des KSchG fällt.
17.2
Grundsätzlich ist eine solche Rechtsfolge hinzunehmen. Sie ist Ergebnis der gesetzgeberischen Wertentscheidung, Kleinstbetriebe von den strengen Vorgaben der §§ 1, 2 KSchG zu befreien. Eine soziale Rechtfertigung etwaiger Kündigungen durch den übernehmenden Rechtsträger ist in diesem Fall also nicht erforderlich1. Ein Fortbestand des Kündigungsschutzes trotz Unterschreiten des Schwellenwertes gemäß § 23 KSchG folgt insoweit weder aus § 613a BGB noch aus einer – nicht möglichen – analogen Anwendung des § 323 Abs. 1 UmwG2.
17.3
Auch eine konzernrechtliche Bindung zwischen übertragendem und übernehmendem Rechtsträger kann keine Ausnahme rechtfertigen. Eine solche Ausnahme wurde unter dem Stichwort des kündigungsrechtlichen „Berechnungsdurchgriffs im Konzern“ damit begründet, dass der vom Gesetzgeber vorgesehene Schutz- oder Privilegierungsbedarf in einem solchen Fall nicht mehr bestehe3.
17.4
1 BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 397/06, NZA 2007, 739 ff. 2 BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 397/06, NZA 2007, 739, Rz. 18; vgl. zur Problematik der Berechnung der „Alt-Arbeitnehmer“-Zahl nach einem Betriebsübergang eingehend Houben, NJW 2010, 125 ff. 3 So LAG Düsseldorf v. 3.4.2001 – 6 Sa 114/01, NZA-RR 2001, 476 f.; Bepler, AuR 1997, 54, 58 f.; Buschmann, Anm. zu BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BvL 15/87 und 22/93, AuR 1998, 210, 211; Kittner, NZA 1998, 731 f.
Niklas | 611
§ 17 Rz. 17.5 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
17.5
Zu Recht weist das BAG indes in verstetigter Rechtsprechung darauf hin, dass eine solche Bewertung de lege lata nicht möglich ist1. Der Gesetzgeber hat trotz der Ausführungen des BverfG zur Notwendigkeit einer verfassungskonformen Einschränkung des Gesetzes in dem Beschluss vom 27.1.19982 und den mehrfachen Änderungen der §§ 1, 23 KSchG – zuletzt durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 – an der Verwendung des Betriebsbegriffs festgehalten. Auch die kündigungsrechtliche Vorgabe in § 322 UmwG zeigt, dass der Gesetzgeber kündigungsrechtlich weiterhin grundsätzlich am Betrieb anknüpfen will. Diese Entscheidung kann nicht einfach im Wege der Auslegung negiert werden3. Ausnahmen sind hier nur zulässig, wenn sie verfassungsrechtlich geboten sind. Das wird man auch unter Berücksichtigung der Wertentscheidungen in Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG im Regelfall ablehnen müssen4. Schließlich wird der Bestand des Arbeitsverhältnisses auch außerhalb des KSchG durch die allgemeinen Schranken einer Kündigung, namentlich die Grundsätze der Sittenwidrigkeit oder von Treu und Glauben, geschützt5. Eine weitere Ausnahme ist deshalb an sich nur dann geboten, wenn die beteiligten Rechtsträger in Form des gemeinsamen Betriebs durch eine Vereinbarung eine unternehmensbezogene Betrachtungsweise und damit auch die Anwendbarkeit des KSchG begründet haben. Wenn kein gemeinsamer Betrieb der Konzernunternehmen vorliegt, kann grundsätzlich keine Ausweitung auf den Konzern vorgenommen werden.
17.6
Eine über den gemeinsamen Betrieb hinausgehende Ausnahme wird man mit Blick auf den Grundsatz des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) nur dann rechtfertigen können, wenn – auch außerhalb des unmittelbaren Anwendungsbereichs von § 323 Abs. 1 UmwG, auf den an anderer Stelle eingegangen wird (vgl. Rz. 17.92 ff.) – ein Unternehmen mit einer Beschäftigtenzahl, die zur Anwendbarkeit der allgemeinen Schranken der §§ 1, 2 KSchG führt, unter Bildung separater betrieblicher Organisationsstrukturen nur deshalb aufgespalten wird, um missliebigen Arbeitnehmern den allgemeinen Kündigungsschutz zu entziehen und ihnen „frei“ kündigen zu können. Mit anderen Worten: Die gerade auch im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich zu achtende Grenzziehung des Gesetzgebers steht einer sachgerechten Lösung von Missbrauchsfällen nicht entgegen6. Hierfür ist aber der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig.
II. Verbot einer Kündigung wegen Betriebs(teil-)übergangs/Umwandlung 17.7
Entsprechend Art. 4 Richtlinie 2001/23/EG verbietet § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB seit 1980 die Kündigung von Arbeitnehmern wegen der Überleitung eines Betriebs oder Betriebsteils7. Diese Einschränkung gilt seit dem 1.1.1995 auch für den Fall der Übertragung im Wege der
1 BAG v. 12.11.1998 – 2 AZR 459/97, NZA 1999, 590, 592; BAG v. 29.4.1999 – 2 AZR 352/98, NZA 1999, 932, 934; BAG v. 13.6.2002 – 2 AZR 327/01, NZA 2002, 1147, 1148; BAG v. 16.1.2003 – 2 AZR 609/01, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Gemeinschaftsbetrieb, Bl. 11. 2 BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BvL 15/87 – NZA 1998, 470 ff. 3 BAG v. 12.11.1998 – 2 AZR 459/97, NZA 1999, 590, 592; Gragert/Kreutzfeld, NZA 1998, 567, 569; KR/Bader, § 23 KSchG, Rz. 70. 4 Eingehend BAG v. 12.11.1998 – 2 AZR 459/97, NZA 1999, 590, 592. 5 Vgl. BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BvL 15/87, AuR 1998, 207, 208; BAG v. 21.2.2001 – 2 AZR 15/00, AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung, Bl. 2 ff.; BAG v. 28.10.2010 – 2 AZR 392/08, AP Nr. 48 zu § 23 KSchG 1969, Rz. 37. 6 So BAG v. 12.11.1998 – 2 AZR 459/97, NZA 1999, 590, 593. 7 Zur Rechtslage bis 1980 vgl. nur Berkowsky, DB 1983, 2683 f.; Hueck/Nipperdey, S. 466.
612 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.9 § 17
Gesamtrechtsnachfolge durch Umwandlung, wie nicht zuletzt in § 324 UmwG zum Ausdruck kommt (vgl. Rz. 5.62). Diese Vorgaben der Richtlinie sind also vollständig umgesetzt1. Eine Kündigung ist damit – losgelöst von den spezialgesetzlichen Schranken einer Kündigung besonders schutzbedürftiger Personen (z.B. § 17 MuSchG, § 18 BEEG, § 15 KSchG, §§ 168 ff. SGB IX, § 22 BBiG), den Regelungen zur Massenentlassung (§ 17 KSchG) und den Vorgaben des Betriebsverfassungsrechts (§§ 102 f. BetrVG) – unwirksam, wenn sie wegen des Übergangs eines Betriebs oder Betriebsteils bzw. der Umwandlung ausgesprochen wird. Dies gilt selbst dann, wenn Betriebs(teil-)übergang oder Umwandlung scheitern2. Eine deshalb ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. Insoweit begründen § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB, § 324 UmwG ein eigenständiges Kündigungsverbot i.S.v. § 13 Abs. 3 KSchG, § 134 BGB3, das auch bei Arbeitnehmern anwendbar ist, die wegen § 1 Abs. 1, § 23 Abs. 1 KSchG (noch) keinen Verstoß gegen § 1 Abs. 2, 3 KSchG geltend machen können4. Von dem Kündigungsverbot erfasst werden dabei sowohl ordentliche als auch außerordentliche Beendigungs- und Änderungskündigungen sowie Aufhebungsverträge, sofern diese zur Vermeidung von Kündigungen wegen eines Betriebs(teil-)übergangs geschlossen werden5. Statthaft ist allerdings, das Arbeitsverhältnis aus anderen Gründen zu kündigen, was auch durch § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB klargestellt wird. Schließlich erlaubt auch Art. 4 Abs. 1 Satz 2 Richtlinie 2001/23/EG, eine Kündigung aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen auszusprechen, die Änderungen im Bereich der Beschäftigung mit sich bringen. Wichtig ist, dass ein vermeintlicher Verstoß gegen § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB seit der Neufassung des § 4 Satz 1 KSchG zum 1.1.2004 – schon nach der Gesetzesbegründung6 – als sonstiger Unwirksamkeitsgrund innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG geltend zu machen ist (vgl. Rz. 20.34).
17.8
Da der bloße Gesellschafterwechsel durch Übertragung von Geschäftsanteilen nur in Ausnahmefällen in den Anwendungsbereich von § 613a Abs. 1 BGB fällt (vgl. Rz. 5.39 ff.), findet das daran anknüpfende Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB auf den share deal grundsätzlich keine Anwendung. Dies gilt selbst dann, wenn „der Ruf der Firma“ mit der Person des Gesellschafters verbunden ist und die Arbeitsverhältnisse auf ihn zugeschnitten sind7. Denn ein Arbeitgeberwechsel, welcher von § 613a Abs. 1 BGB vorausgesetzt wird, muss auch für eine Anwendbarkeit von § 613a Abs. 4 BGB vorliegen. Er kann auch nicht im Wege der
17.9
1 Zur Begründung eingehend B. Gaul, NZA 1995, 717, 720 f. m.w.N. 2 BAG v. 19.5.1988 – 2 AZR 596/87, EzA § 613a BGB Nr. 82, S. 12 ff.; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 307; KR/Treber, § 613a BGB Rz. 93. 3 Vgl. nur BAG v. 31.1.1985 – 2 AZR 530/83, NJW 1986, 87, 88 f.; BAG v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/ 94, NZA 1997, 148, 149; BAG v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, NZA 1997, 1050, 1052; LAG Rheinland-Pfalz v. 21.7.2006 – 8 Sa 209/06; LAG Schleswig-Holstein v. 17.9.2008 – 6 Sa 58/08; Herschel, DB 1984, 612; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 304; a.A. noch Bauer, DB 1983, 713; Berkowsky, DB 1983, 2683, 2684 ff.; Loritz, RdA 1987, 65, 81 f.; Wickler, Arbeitgeberkündigung beim Betriebsinhaberwechsel, S. 22 ff., 33, der deshalb sogar dem Kausalitätserfordernis durch das Wort „wegen“ eine eigenständige Bedeutung abspricht und allein eine Überprüfung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung nach § 1 KSchG vornimmt (S. 36 ff., 50 ff.). 4 LAG Schleswig-Holstein v. 17.9.2008 – 6 Sa 58/08; KR/Treber, § 613a BGB Rz. 85 f.; Lipinski, NZA 2002, 75, 76 f.; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 390; a.A. Bauer, DB 1983, 713; Schaub, ZIP 1984, 272, 275. 5 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 153; KR/Treber, § 613a BGB Rz. 87. 6 BT-Drucks. 15/1204, S. 13. 7 BAG v. 12.7.1990 – 2 AZR 39/90, NZA 1991, 63, 64 f.; a.A. Hanau, FS D. Gaul, S. 287, 290, der für eine analoge Anwendbarkeit plädiert.
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§ 17 Rz. 17.9 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
Analogie als entbehrlich gekennzeichnet werden1. Allerdings muss sich die Kündigung wegen eines Gesellschafterwechsels an den allgemeinen Schranken, insbesondere also den Vorgaben aus § 1 KSchG, §§ 168 ff. SGB IX, § 17 MuSchG, § 18 BEEG, § 15 KSchG und § 626 BGB, messen lassen. Dabei stellt der Gesellschafterwechsel als solcher noch keinen Kündigungsgrund dar2. Darüber hinaus müssen die allgemeinen Generalklauseln (§§ 138, 242 BGB) berücksichtigt werden3.
1. Ursächlicher Zusammenhang zwischen Kündigung und Übertragungsvorgang 17.10
Der Wortlaut von § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB nennt über das Wort „wegen“ hinaus keine weiteren Kriterien, an denen die Kausalität zwischen der Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils einerseits und der Kündigung andererseits festgemacht werden kann. Unter Berücksichtigung des Zusammenhangs mit § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB („Kündigung aus anderen Gründen“) bzw. Art. 4 Abs. 1 Satz 2 Richtlinie 2001/23/EG („Kündigungen aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen, die Änderungen im Bereich der Beschäftigung mit sich bringen“) ist für den Umfang des Kündigungsverbots deshalb vor allem der Zweck der gesetzlichen Regelung maßgeblich.
17.11
Nach der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich aus dem Wortlaut der Richtlinie und dem Aufbau ihres Art. 1 Abs. 1, dass die Richtlinie die Kontinuität der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit bestehenden Arbeitsverhältnisse unabhängig von einem Inhaberwechsel gewährleisten soll4. Durch die Einfügung von § 613a Abs. 4 BGB im Jahr 1980 sollte den Vorgaben in Art. 4 der damaligen Richtlinie 77/187/EWG Rechnung getragen und eine Kündigung wegen des Betriebs(teil-)übergangs in Form eines eigenständigen Kündigungsverbots untersagt werden. Eine Kündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen sollte nicht ausgeschlossen werden.
17.12
Damit ist eine Kündigung unwirksam, wenn sie (nur) verhindern soll, dass der Erwerber in das Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitnehmer eintreten muss, der ihm zu teuer ist. Denn darin liegt der Versuch, den Inhaltsschutz des § 613a BGB zu umgehen5. Deutlich wird eine solche Absicht etwa dann, wenn nur solche Arbeitnehmer gekündigt werden, die auf der zwischen den beteiligten Rechtsträgern „vereinbarten“ Personalliste nicht genannt werden.
17.13
Eine Kündigung wegen des Betriebs- oder Betriebsteilübergangs liegt demgegenüber nicht vor, wenn das Arbeitsverhältnis durch einen der beteiligten Rechtsträger aus Gründen der Person oder dem Verhalten des Arbeitnehmers gekündigt wird (vgl. Rz. 17.20). Solche personen- oder verhaltensbedingten Gründe für eine Kündigung wurden schon nach Maßgabe
1 Eingehend Rüthers/Franke, Anm. zu BAG v. 12.7.1990 – 2 AZR 39/90, EzA § 613a BGB Nr. 90, S. 13 f. 2 BAG v. 12.7.1990 – 2 AZR 39/90, NZA 1991, 63, 65. 3 BAG v. 12.7.1990 – 2 AZR 39/90, NZA 1991, 63, 65 f. 4 Vgl. EuGH v. 19.9.1995 – C-48/94, NZA 1995, 1031, Rz. 15; EuGH v. 12.2.2009 – C-466/07, NZA 2009, 251, Rz. 40 – Klarenberg; EuGH v. 6.3.2014 – C-458/12, NZA 2014, 423, Rz. 51 – Amatori; EuGH v. 13.6.2019 –C-664/17, NZA 2019, 890, Rz. 41 – Ellinika Nafpigeia AE/Panagiotis Anagnostopoulos u.a. 5 BAG v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, AP Nr. 34 zu § 613a BGB, Bl. 3; BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/ 05, NZA 2007, 387, Rz. 30; Kreitner, Kündigungsrechtliche Probleme, S. 74.
614 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.14 § 17
des Gesetzgebers nicht vom Verbot des § 613a Abs. 4 Satz 1 erfasst1. Nur Kündigungen, die aus betrieblichen Gründen erfolgen, können von dem Verbot in § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB erfasst werden. Mit Blick auf Art. 4 Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 2001/23/EG ist hierbei davon auszugehen, dass der Übergang eines Unternehmens, Betriebs, Unternehmens- oder Betriebsteils als solcher nicht genügt, um arbeitgeberseitig eine Vertragsbeendigung herbeizuführen. Angesichts dieser Zweckbestimmung ist eine Kündigung nicht bereits dann unwirksam, wenn die Übertragung des Betriebs oder Betriebsteils hierfür ursächlich ist2. Auch wenn das Wort „wegen“ nach seinem unterschiedlichen Sprachgebrauch „aufgrund von, infolge“ oder auch „veranlasst, auf Veranlassung“ bedeuten, d.h. sowohl auf den Grund, auf ein ursächliches Verhältnis, als auch auf den Anlass hinweisen kann3, dürfen Umwandlung oder Betriebs(teil-)übergang also nicht nur der äußere Anlass, sondern müssen der tragende (wesentliche) Grund für die Kündigung sein4. Insofern muss das objektive Ergebnis einer Kündigung, nämlich der verhinderte Übergang eines Arbeitsverhältnisses, subjektiv durch das Ziel des Arbeitgebers ergänzt werden, diesen Übergang zu verhindern5. Maßgeblich ist insoweit der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Dass der kündigende Arbeitgeber die ihm bekannten Tatsachen rechtsirrig nicht als einen Betriebs(teil-)übergang gewertet hat, spielt keine Rolle6. Schließlich soll § 613a Abs. 4 BGB als spezialgesetzliche Regelung des allgemeinen Umgehungsverbots verhindern, dass der in § 613a Abs. 1 BGB angeordnete Bestandsschutz durch eine Kündigung unterlaufen wird; die Regelung hat insoweit nur eine Komplementärfunktion7. Das Verbot ist deshalb nicht anwendbar, wenn es neben dem Betriebs(teil-)übergang zum Zeitpunkt der Kündigung einen gesetzlich anerkannten, sachlichen Grund gibt, der „aus sich heraus“ die Kündigung rechtfertigt8. Diese Grundsätze gelten auch für die Umwandlung durch Verschmelzung oder Spaltung9. Denn § 613a Abs. 4 BGB schützt nicht vor Risiken, die sich jederzeit unabhängig von der Überleitung eines Betriebs oder Unternehmens realisieren können,
1 BT-Drucks. 3317, S. 7 f. 2 BAG v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, AP Nr. 34 zu § 613a BGB, Bl. 3; BAG v. 27.9.1984 – 2 AZR 309/ 83, AP Nr. 39 zu § 613a BGB, Bl. 4; Fuhlrott, FA 2013, 258, 259; Stahlhacke/Preis/Vossen/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz, Rz. 963. 3 BAG v. 19.5.1988 – 2 AZR 596/87, NZA 1989, 461, 462. 4 Vgl. BAG v. 9.2.1989 – 2 AZR 405/88; BAG v. 27.10.2005 – 8 AZR 568/04, NZA 2006, 668, Rz. 36; BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387, Rz. 28; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 305; Stahlhacke/Preis/Vossen/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz, Rz. 963; abw. Lipinski, NZA 2002, 75, 78, der § 613a Abs. 4 S. 1 BGB nur für anwendbar hält, wenn der Betriebsübergang das alleinige – also nicht nur das überwiegende oder tragende – Motiv der Kündigung ist. 5 Vgl. BAG v. 19.5.1988 – 2 AZR 596/87, NZA 1989, 461, 463; Hanau, ZIP 1998, 1816, 1820; KR/ Treber, § 613a BGB, Rz. 91; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 394. Allerdings schließt die irrtümliche Kennzeichnung eines Betriebs(teil-)übergangs als Betriebsstilllegung nicht aus, gleichwohl von einem Verstoß gegen das aus § 613 a Abs. 4 S. 1 BGB folgende Kündigungsverbot auszugehen (vgl. BAG v. 9.2.1989 – 2 AZR 405/88). 6 BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 306/98, NZA 1999, 706, 707. 7 BAG v. 31.1.1985 – 2 AZR 530/83, NZA 1985, 593, 596; BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387, Rz. 28; LAG Bremen v. 10.12.2008 – 2 Sa 125/08; Willemsen, ZIP 1983, 411, 413. 8 BAG v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, AP Nr. 34 zu § 613a BGB, Bl. 4; BAG v. 28.10.2004 – 8 AZR 391/03, NZA 2005, 285, 289; BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387, Rz. 28; LAG Bremen v. 10.12.2008 – 2 Sa 125/08; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 395. 9 Willemsen, NZA 1996, 791, 798.
Niklas | 615
17.14
§ 17 Rz. 17.14 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
und führt insbesondere nicht zur Lähmung der als notwendig erachteten unternehmerischen Maßnahmen1.
17.15
Auch im Zusammenhang mit einem Betriebs- oder Unternehmensübergang ist eine Kündigung damit vor allem dann statthaft, wenn sie nach den allgemeinen Grundsätzen sozial gerechtfertigt ist2. Zutreffend hat insoweit bereits Seiter3 im Jahr 1980 hervorgehoben, dass eine Kündigung mit betriebsbedingten Gründen gerechtfertigt werden kann, wenn diese unabhängig vom Betriebs- oder Betriebsteilübergang für eine einseitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausreichen. Völlig unerheblich ist, ob die jeweils in Rede stehende Rationalisierungsmaßnahme erst durch Synergieeffekte möglich wird, die als Folge organisatorischer Veränderungen im Anschluss an den Übertragungsvorgang verwirklicht werden. Insbesondere ist es damit nicht erforderlich, dass die Rationalisierungsmaßnahme auch ohne den Übertragungsvorgang erfolgt wäre4. Dabei genügt es aber – entgegen von Überlegungen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens5 – nicht, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in dem vom Übergang betroffenen Betrieb oder Betriebsteil entgegenstehen. Vielmehr müssen auch die weitergehenden allgemeinen Voraussetzungen einer betriebsbedingten Kündigung (fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Unternehmen; Sozialauswahl) erfüllt sein. Folgerichtig ist die Kündigung auch ohne Rückgriff auf § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB unwirksam, wenn im Rahmen des Anwendungsbereichs des KSchG die sonstigen Anforderungen aus § 1 KSchG nicht beachtet werden6.
17.16
Ob eine Kündigung wegen Betriebs(teil-)übergangs/Umwandlung vorliegt oder ob sie aus anderen Gründen erfolgt, ergibt sich aus den objektiven Verhältnissen, die der Prognose zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zugrunde liegen7. Ein Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen anderen Rechtsträger kann damit nur dann zur Unwirksamkeit einer Kündigung gemäß § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB führen, wenn für den übertragenden Rechtsträger die den Betriebs(teil-)übergang bzw. die Umwandlung auslösenden Tatsachen im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits feststehen oder zumindest greifbare Formen angenommen haben8. Sie bleibt unter diesen Voraussetzungen allerdings auch dann unwirksam, wenn der
1 BAG v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, NZA 1997, 148, 149; BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387, Rz. 33; Ascheid, NZA 1991, 873, 878; Staudinger/Annuß, § 613 BGB Rz. 398; Willemsen, ZIP 1983, 411, 413. 2 So bereits Fischer, BB 1971, 1203. 3 Seiter, Betriebsinhaberwechsel S. 113. 4 A.A. Bieback, ZTR 1998, 396, 399 f., im Zusammenhang mit der Fusion öffentlich-rechtlicher Körperschaften. 5 BT-Drucks. 8/3317, S. 14, 16. 6 Vgl. BAG v. 9.2.1994 – 2 AZR 666/93, NZA 1994, 686, 687; BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387, Rz. 34; BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 154/12, AP Nr. 199 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Rz. 37; APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 176; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 155; KR/Treber § 613a BGB Rz. 91; Sieger/Hasselbach, DB 1999, 430, 432. 7 BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, DB 1998, 316; BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 333/04, NZA 2006, 31, 33; BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 154/12, AP Nr. 199 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303, Rz. 71; Rz. 26; KR/Treber, § 613a BGB Rz. 91; Schiefer, NJW 1998, 1817, 1824; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz, Rz. 964. 8 BAG v. 19.5.1988 – 2 AZR 596/87, NZA 1989, 461, 463; BAG v. 12.11.1998 – 8 AZR 265/97, NZA 1999, 311, 312; BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 333/04, NZA 2006, 31, 33; BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR
616 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.19 § 17
Übergang des Betriebs oder Betriebsteils wider Erwarten nicht erfolgt1. Bei einer zunächst beabsichtigten Betriebsstilllegung, die später doch noch in einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang mündet, verstößt die Kündigung demgegenüber nicht gegen § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB, sondern ist – bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 2, 3 KSchG – regelmäßig wirksam. Insoweit kommt lediglich ein Anspruch auf Wiedereinstellung bzw. Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in Betracht (vgl. Rz. 17.209 ff.)2. Gleiches gilt, wenn lediglich erkennbar ist, dass die Tätigkeit des kündigenden Arbeitgebers zukünftig durch einen anderen Rechtsträger vorgenommen wird, ohne dass eine Überleitung von wesentlichen Betriebsmitteln oder Arbeitnehmern beabsichtigt ist. Auch dies löst nämlich keine Rechtsunwirksamkeit aus (vgl. Rz. 17.60). Denn für den Arbeitgeber, dessen subjektive Bewertung mitentscheidend ist, ist in diesem Fall nur eine Funktionsnachfolge erkennbar, die keinen Betriebs- oder Betriebsteilübergang darstellt (vgl. Rz. 4.89; Rz. 17.89). Ein wichtiges Indiz für eine Kündigung wegen eines Betriebs(teil-)übergangs bzw. einer Umwandlung liegt vor, wenn die Kündigung zu einem Zeitpunkt nahe der Überleitung des Betriebs oder Betriebsteils bzw. der Umwandlung des Unternehmens wirksam geworden ist3. Erforderlich ist dies jedoch nicht. Vielmehr kann das Kündigungsverbot nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB auch dann noch eingreifen, wenn die Kündigung nach dem Betriebs(teil-)übergang ausgesprochen wird4.
17.17
2. Adressat des Kündigungsverbots Adressat des Kündigungsverbots bzw. der Einschränkung hinsichtlich der Möglichkeit einer Kündigung aus sonstigen Gründen für den Fall eines Betriebs(teil-)übergangs bzw. einer Umwandlung sind die auf Arbeitgeberseite beteiligten Rechtsträger. Erfolgt die Kündigung im Vorfeld der Übertragung, ist es der übertragende Rechtsträger, andernfalls trifft das Verbot den übernehmenden Rechtsträger5. Eine Kündigung durch den Arbeitnehmer verbietet das Gesetz grundsätzlich nicht.
17.18
3. Darlegungs- und Beweislast Grundsätzlich hat der Arbeitnehmer, der sich allein auf die Unwirksamkeit einer Kündigung nach § 613a Abs. 4 BGB beruft, nach bisheriger Rechtsprechung des BAG darzulegen und ggf. zu beweisen, dass die Kündigung wegen eines Betriebs(teil-)übergangs ausgesprochen wurde und demzufolge auch, dass überhaupt ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang vorgelegen hat6. Unterliegt der Arbeitnehmer nicht dem KSchG, genügt aus Sicht des Arbeitgebers insoweit eine nachvollziehbare, nicht willkürlich erscheinende Begründung, um den Verdacht einer Kündigung wegen eines Betriebs(teil-)übergangs auszuschließen7. Ob das BAG hieran künftig festhält, bleibt abzuwarten. Denn im Rahmen einer seiner „Air-Berlin-Entscheidungen hat
1 2 3 4 5 6 7
154/12, AP Nr. 199 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Rz. 27; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303, Rz. 75; Preis/Steffan, DB 1998, 309, 310. BAG v. 19.5.1988 – 2 AZR 596/87, NZA 1989, 461, 462 ff. Vgl. BAG v. 19.6.1991 – 2 AZR 127/91, NZA 1991, 891. Vgl. EuGH v. 15.6.1988 – 101/87, EAS RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 5, LS 18. BAG v. 27.10.2005 – 8 AZR 568/04, NZA 2006, 668, Rz. 37. EuGH v. 12.3.1998 – C-319/94, NZA 1998, 529, 531. BAG v. 5.12.1985 – 2 AZR 3/85, NZA 1986, 522, 523; BAG v. 22.6.2011 – 8 AZR 107/10, NZA-RR 2012, 119, Rz. 32. Vgl. LAG Köln v. 3.3.1997 – 3 Sa 1063/96, LAGE § 613a BGB Nr. 59.
Niklas | 617
17.19
§ 17 Rz. 17.19 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
der 8. Senat Zweifel geäußert, ob diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast den Vorgaben des Unionsrechts entspricht, deren Umsetzung § 613a Abs. 4 BGB dient1. Da es in der streitgegenständlichen Angelegenheit hierauf nicht ankam, konnte der 8. Senat diese Frage letztlich unbeantwortet lassen, machte aber zugleich deutlich, dass hierüber auch nur der EuGH entscheiden könne2. Ungeachtet dessen hat der Arbeitgeber jedenfalls im Kündigungsschutzverfahren nach §§ 1, 4 KSchG vollumfänglich die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen. Daher ist es seine Aufgabe, vorzutragen und nachzuweisen, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt ist. Fehlt es daran, ist der Kündigungsschutzklage stattzugeben, ohne dass es der Feststellung bedarf, dass der tragende Beweggrund für die Kündigung ein Betriebs(teil-)übergang war3.
III. Personen- oder verhaltensbedingte Kündigung 17.20
Eine Kündigung aus Gründen in der Person (z.B. aufgrund von Erkrankungen) oder im Verhalten des Arbeitnehmers ist immer durch Umstände bedingt, die nichts mit dem Betriebs (teil-)übergang bzw. der Umwandlung zu tun haben. Sie wird von § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB, § 324 UmwG nicht erfasst4 und führt zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn die allgemeinen Voraussetzungen aus § 1 KSchG erfüllt sind. Bei der außerordentlichen Kündigung ist darüber hinaus § 626 BGB zu berücksichtigen. Soweit dabei eine Interessenabwägung vorzunehmen ist, kommt es auf Arbeitgeberseite auf die Interessen des Rechtsträgers an, zu dem das Arbeitsverhältnis im Anschluss an den Betriebs(teil-)übergang oder die Umwandlung fortbestehen würde. Maßgeblich für den Beginn der Zwei-Wochen-Frist ist die positive Kenntnis des kündigenden Rechtsträgers. Allerdings muss sich der übernehmende Rechtsträger eine etwaige Kenntnis des übertragenden Rechtsträgers auch im Hinblick auf die Kündigungserklärungsfrist wie eine eigene zurechnen lassen5.
IV. Betriebsbedingte Kündigung 17.21
Bei der Umstrukturierung eines Betriebs/Unternehmens im Zusammenhang mit der Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils hat die Kündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen eine hervorgehobene Bedeutung. Sie kann nicht nur durch den übertragenden, sondern auch durch den übernehmenden Rechtsträger ausgesprochen werden. Entscheidend für die rechtliche Beurteilung der Kündigung ist der Tag ihres Zugangs. An diesem Tag muss die durch Tatsachen begründete Prognose des Arbeitgebers vorliegen, dass die Voraussetzungen für eine Kündigung nach § 1 KSchG erfüllt sind6.
17.22
Im Hinblick auf die Rechtswirksamkeit der Kündigung aufgrund einer Rationalisierungsmaßnahme ist zunächst einmal von Bedeutung, ob die Kündigungsfrist vor oder nach dem Wirksamwerden des Übertragungsvorgangs endet (vgl. Rz. 17.45 ff.). Da die Übertragung ei1 BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303, Rz. 168. 2 BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303, Rz. 168. 3 BAG v. 5.12.1985 – 2 AZR 3/85, NZA 1986, 522, 523; BAG v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, NZA 2003, 93, 96; ArbG Berlin v. 22.11.2018 – 42 Ca 1306/18. 4 Vgl. BT-Drucks. 3317, S. 7 f. 5 So auch Lipinski, NZA 2002, 75, 81; Moll, NJW 1993, 2016, 2018; Schaub, ZIP 1984, 272, 277. 6 BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 543/06, NZA 2008, 821, Rz. 22; BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, AP Nr. 201 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Rz. 26; BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 422/ 13, NZA 2015, 101, Rz. 31; BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 512/13, NZA 2015, 679, Rz. 14; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 71.
618 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.26 § 17
nes Betriebs oder Betriebsteils mit einer Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit verknüpft sein kann, muss zudem eine Abgrenzung zur Stilllegung eines Betriebs oder Betriebsteils vorgenommen werden (vgl. Rz. 17.51 ff.). Geklärt werden muss auch, ob die Übertragung mit einer Änderung der betrieblichen Organisation, des Betriebszwecks oder der räumlichen Lage des Betriebs bzw. Betriebsteils verbunden ist (vgl. Rz. 17.72 ff.). Wegen der besonderen Regelungen zum Kündigungsschutz in §§ 322, 323 UmwG muss darüber hinaus geprüft werden, ob die Übertragung im Wege der Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge durchgeführt wird (vgl. Rz. 3.1 ff.; 17.132 ff.). Für die Fälle der Einzelrechtsnachfolge muss schließlich geprüft werden, ob die in den vorgenannten Vorschriften getroffenen Regelungen im Wege der Analogie oder als allgemeiner Rechtsgrundsatz anwendbar sind (vgl. Rz. 17.133 ff.). Maßgeblich für eine Beurteilung der Rechtswirksamkeit der Kündigung ist weiter die Frage, ob der Übertragungsvorgang mit einer Spaltung des Betriebs verbunden ist. Falls der Betrieb, was ebenfalls denkbar ist, im Anschluss an die Übertragung in seiner bisherigen kündigungsschutzrechtlichen Identität fortbesteht, kann dies als eigenständiger Betrieb des übernehmenden Rechtsträgers oder als gemeinsamer Betrieb mehrerer Rechtsträger, die am Übertragungsvorgang beteiligt sind, erfolgen (vgl. Rz. 17.116 ff.). Ebenso kann ein Zusammenschluss des übertragenen Betriebs oder Betriebsteils mit einem Betrieb oder Betriebsteil des übernehmenden Rechtsträgers erfolgen (vgl. Rz. 17.137 ff.). Insoweit muss bei der Bewertung auf die Kennzeichnung des Betriebs i.S.d. § 1 KSchG zurückgegriffen werden.
17.23
1. Wegfall von Arbeitsplätzen durch Rationalisierung Nachfolgend soll zunächst einmal der Fall erörtert werden, bei dem unternehmerische Maßnahmen einen Wegfall von Arbeitsplätzen bewirken, während der Betrieb oder Betriebsteil auf einen anderen Rechtsträger übertragen wird. Die Form der Übertragung bleibt an dieser Stelle unberücksichtigt. Besonderheiten einer Spaltung oder Vermögensübertragung sowie von Zusammenschlüssen werden gesondert erörtert (vgl. Rz. 17.92 ff.).
17.24
a) Wegfall des Arbeitsplatzes und Vertragsbeendigung vor der Übertragung Der Grundfall der betriebsbedingten Kündigung ist dadurch geprägt, dass der übertragende Rechtsträger kündigt, weil der Arbeitsplatz noch vor der Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils entfällt und keine Möglichkeit mehr gegeben ist, den betroffenen Arbeitnehmer im Unternehmen weiterzubeschäftigen. Bei (älteren) Arbeitnehmern mit längerer Betriebszugehörigkeit bedarf dies wegen der Dauer der Kündigungsfrist einer entsprechenden Vorbereitung.
17.25
Der für eine soziale Rechtfertigung der Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG erforderliche Wegfall des Arbeitsplatzes kann nicht bereits damit begründet werden, dass der übertragende Rechtsträger den Arbeitnehmer nach der Überleitung des Betriebs nicht weiter beschäftigen kann. Mit der Übertragung gehen zwar Arbeitsplätze beim übertragenden Rechtsträger verloren. Eine Umwandlung kann nach Maßgabe des UmwG sogar dazu führen, dass sich der übertragende Rechtsträger mit ihrem Wirksamwerden ohne Abwicklung auflöst. Gerade weil aber § 613a Abs. 1 BGB, § 324 UmwG zunächst einmal den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses beim übernehmenden Rechtsträger gewährleisten, liegt in der Übertragung selbst kein dringendes betriebliches Erfordernis, das zur Kündigung des Arbeitnehmers berechtigt1.
17.26
1 BAG v. 9.2.1994 – 2 AZR 666/93, AP Nr. 105 zu § 613a BGB, Bl. 3; Schumacher-Mohr, NZA 2004, 629.
Niklas | 619
§ 17 Rz. 17.27 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
17.27
Ebenfalls noch keine Rechtfertigung für die Kündigung von Arbeitsverhältnissen liegt in dem Umstand, dass die Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils ohne eine Absenkung des aktuellen Personalstands nicht realisiert werden kann1. Dies gilt selbst dann, wenn ein potenzieller Erwerber Druck ausübt und die Übernahme von einem bestimmten Personalstand abhängig macht2. Denn der Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen kann nicht mit der bloßen Entscheidung begründet werden, Personal „abzubauen“. Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist noch keine betriebsorganisatorische Maßnahme, die den Wegfall des Arbeitsplatzes bedingt3.
17.28
Voraussetzung für eine betriebsbedingte Kündigung von Arbeitsverhältnissen ist vielmehr, dass das kündigende Unternehmen beschließt, die betrieblichen Organisationsstrukturen so zu ändern, dass die Möglichkeit einer Beschäftigung des Arbeitnehmers bis zur Übertragung entfällt (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG). Nach § 1 Abs. 2 Satz 1, 3 KSchG ist darüber hinaus festzustellen, ob im Unternehmen ein freier gleichwertiger oder geringwertigerer Arbeitsplatz vorhanden ist, auf dem der vom Wegfall seines Arbeitsplatzes betroffene Arbeitnehmer – ggf. nach zumutbaren Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen – weiterbeschäftigt werden könnte. Dabei unterliegt die Gestaltung des Anforderungsprofils für einen (freien) eingerichteten Arbeitsplatz grundsätzlich der nur auf offenbare Unsachlichkeit zu überprüfenden unternehmerischen Disposition des Arbeitgebers4. Beförderungsstellen sind ausnahmsweise dann einzubeziehen, wenn der Inhalt der bisherigen Tätigkeit des vom Wegfall seines Arbeitsplatzes betroffenen Arbeitnehmers ganz überwiegend mit dem freien Arbeitsplatz übereinstimmt und der Arbeitnehmer die Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt, die dort zu verrichtende Tätigkeit auszuführen5. Darüber hinaus muss eine Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) vorgenommen werden, bei der allerdings solche Arbeitnehmer unberücksichtigt bleiben können, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt (vgl. Rz. 15.21 ff.)6.
17.29
Die Gründe für den Wegfall einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit können inner- oder außerbetrieblicher Natur sein. Dabei ist von dem Grundsatz auszugehen, dass es zu den personalpolitischen Entscheidungen gehört, mit welcher Zahl von Arbeitskräften der Arbeitgeber die anfallenden Arbeitsaufgaben erledigen will7. Insoweit obliegt es dem Arbeitgeber auch, darüber zu entscheiden, ob zur Bewältigung der Arbeit nur Vollzeitbeschäftigte, nur Teilzeit-
1 KR/Treber, § 613 BGB Rz. 94; Lipinski, NZA 2002, 75, 78; Moll, NJW 1993, 2016, 2021; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 399; a.A. Hanau, ZIP 1984, 141, 143 f.; Loritz, RdA 1987, 65, 83 f.; Zumkeller, DStR 1998, 1966, 1968. 2 Vgl. BAG v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, AP Nr. 34 zu § 613a BGB, Bl. 3; BAG v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, NZA 2003, 1027, 1028; Hanau; ZIP 1984, 141, 142; KR/Treber, § 613a BGB Rz. 94; Schumacher-Mohr, NZA 2004, 629, 630 f., 633; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 399. 3 Vgl. BAG v. 21.5.1957 – 3 AZR 79/55, AP Nr. 31 zu § 1 KSchG, Bl. 2. 4 BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 124/11, NZA 2012, 1223, Rz. 24; BAG v. 29.8.2013 – 2 AZR 721/12, NZA-RR 2014, 325, Rz. 18; von Hoyningen Huene/Linck, DB 1993, 1185, 1187. 5 BAG v. 10.11.1994 – 2 AZR 242/94, NZA 1995, 566, 568; BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 124/11, NZA 2012, 1223, Rz. 26. 6 Vgl. hierzu eingehend KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 677 ff. m.w.N. 7 BAG v. 3.12.1998 – 2 AZR 341/98, NZA 1999, 431; Sächsisches LAG v. 8.4.2003 – 9 Sa 709/02; KR/ Rachor, § 1 KSchG Rz. 679; Rühle, DB 1994, 834, 837.
620 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.30 § 17
beschäftigte oder Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte gleichermaßen eingesetzt werden1, sofern hierfür sachliche Gründe vorhanden sind2. Konsequenzen hat die Unterscheidung zwischen inner- und außerbetrieblichen Gründen vor allem im Hinblick auf den Umfang der arbeitgeberseitigen Darlegungs- und Beweislast für den Fall einer Kündigungsschutzklage3. Hier entstehen Schwierigkeiten regelmäßig dann, wenn die Kündigung auf außerbetriebliche Gründe gestützt wird. Denn insoweit muss schlüssig nicht nur der erwartete Eintritt der außerbetrieblichen Gründe (z.B. Auftrags- oder Umsatzrückgang um 40 %), sondern auch der unmittelbare Bezug zwischen der derzeitigen und der prognostizierten Umsatz-, Gewinn- oder Auftragsgröße einerseits und der derzeitigen und der prognostizierten Zahl der Arbeitsplätze andererseits dargelegt werden4. Diese Darstellung des Bezugs zwischen außerbetrieblichen Umständen und der betrieblichen Beschäftigungsmöglichkeit gelingt in der Praxis selten. In der Regel werden deshalb die außerbetrieblichen Umstände meist nur zum Anlass genommen, eine innerbetriebliche Umstrukturierung vorzunehmen. Innerbetriebliche Gründe werden sodann durch eine Umstrukturierung und Aufgabenneuverteilung geschaffen. Hier muss also dargelegt werden, warum z.B. infolge einer Fremdvergabe von Aufgaben, die Einführung automatisierter Fertigungsverfahren, eine neue Arbeitszeitregelung, die Einstellung bestimmter Arbeiten oder eine (angemessene) Arbeitsverdichtung von einem konkreten Zeitpunkt an Beschäftigungsmöglichkeiten entfallen5. Das Vorliegen eines solchen Konzepts und die damit verbundenen Folgen werden durch das Arbeitsgericht voll überprüft6. Daraus folgt aber nicht, dass nur solche Maßnahmen durchgeführt werden können, die kostengünstiger sind7. Denn die sachliche Rechtfertigung kann auch anderweitig begründet sein (z.B. Flexibilisierung, Beschränkung auf das Kerngeschäft). Eine Entscheidung über die betriebsbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann auch im Zusammenhang mit einer Übertragung des Betriebs oder Betriebsteils auf einen anderen Rechtsträger erfolgen8. Denn wie im Zusammenhang mit dem Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB ausgeführt (vgl. Rz. 17.14 ff.), schützt diese Regelung nicht vor Risiken, die sich jederzeit unabhängig von der Überleitung eines Betriebs oder Unternehmens realisieren können. Der Betriebsinhaber ist daher nicht durch § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB gehindert, auch im Zusammenhang mit der Veräußerung eines Betriebs oder Betriebsteils Rationalisierungen zur Verbesserung des Betriebes durchzuführen und zu diesem Zweck betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen. Dies gilt selbst dann, wenn das der betriebsbedingten Kündigung zugrundeliegende Konzept des Veräußerers ausschließlich dazu dient, den Betrieb ver-
1 BAG v. 24.4.1997 – 2 AZR 352/96, NZA 1997, 1047, 1049; BAG v. 22.4.2004 – 2 AZR 385/03, NZA 2004, 1158, 1159; BAG v. 1.3.2007 – 2 AZR 650/05, AP Nr. 164 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Rz. 25; LAG Hamburg v. 16.7.2020 – 8 TaBV 8/19. 2 BAG v. 22.4.2004 – 2 AZR 385/03, NZA 2004, 1158, 1159. 3 Vgl. BAG v. 30.4.1987 – 2 AZR 184/86, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Bl. 3 f. 4 Vgl. BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 256/01, NZA 2002, 1205, 1206 f.; Ascheid, NZA 1991, 873, 876; WHSS/Willemsen/Sittard, Umstrukturierung, H Rz. 14. 5 Vgl. BAG v. 10.7.2008 – 2 AZR 1111/06, NZA 2009, 312, Rz. 26; BAG v. 23.2.2012 – 2 AZR 548/ 10, NJW 2012, 2747, Rz. 18; BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 124/11, NZA 2012, 1223, Rz. 23; BAG v. 29.8.2013 – 2 AZR 809/12, NZA 2014, 730, Rz. 17. 6 BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 124/11, NZA 2012, 1223, Rz. 21; BAG v. 29.8.2013 – 2 AZR 809/12, NZA 2014, 730, Rz. 13. 7 A.A. offenbar LAG Düsseldorf v. 11.10.2001 – 13 (14) Sa 997/01, BB 2002, 361, 362 f. 8 Vgl. BAG v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, AP Nr. 34 zu § 613a BGB, Bl. 3 f.; BAG v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, NZA 1997, 148, 150; BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387, Rz. 33.
Niklas | 621
17.30
§ 17 Rz. 17.30 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
kaufsfähig zu machen1. Denn anders als in den Fällen, in denen ein potentieller Erwerber die Übernahme des Betriebs oder Betriebsteils von einem bestimmten Personalstand abhängig macht, beruht die Kündigung durch den Veräußerer zum Zweck einer Rationalisierung auf vom Veräußerer selbst gewonnenen und von ihm im Betriebsablauf zu verwirklichenden Erkenntnissen2. Ohne Rücksicht auf den Umstand, dass die Kündigung im zeitlichen Zusammenhang mit dem Betriebs(teil-)übergang ausgesprochen wird, ist für ihre Rechtswirksamkeit somit entscheidend, dass sie den in § 1 KSchG bestimmten Anforderungen an eine betriebsbedingte Kündigung genügt3. Das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB steht somit der klassischen Sanierungskündigung nicht entgegen, selbst wenn diese im zeitlichen Zusammenhang mit der Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils steht4.
17.31
Bei einer Vertragsbeendigung vor dem Betriebs- oder Betriebsteilübergang ergeben sich hinsichtlich der Sozialauswahl an sich keine Besonderheiten. Abweichendes gilt allerdings dann, wenn die Übertragung eines Betriebsteils durch eine unternehmensinterne Ausgliederung dieses Teils aus dem bisherigen Betrieb vorbereitet wird. Hier muss nämlich, wie im Zusammenhang mit unternehmensinternen Spaltungsvorgängen ausgeführt wurde (vgl. Rz. 15.27 ff.), eine übergreifende Sozialauswahl vorgenommen werden, wenn die Spaltung und die spätere Rationalisierung in einer der neu entstandenen Einheiten zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits bekannt ist. Gleiches gilt für den Fall eines zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung bereits bekannten späteren Betriebszusammenschlusses (vgl. Rz. 15.19 f.). b) Wegfall des Arbeitsplatzes nach der Übertragung
17.32
Häufig werden Umstrukturierungen nicht so frühzeitig eingeleitet, dass der Betrieb oder Betriebsteil erst nach Abschluss der Rationalisierungsmaßnahme übertragen wird. Die Gründe sind vielfältig. Es können zeitliche Probleme sein. So kann es gerade in Krisenfällen notwendig sein, den Übertragungsvorgang kurzfristig herbeizuführen. Denkbar ist auch, dass erst der Erwerber die Notwendigkeit sieht, Veränderungen im Personalbereich durchzuführen. Möglicherweise versucht der übernehmende Rechtsträger insoweit auch, Nutzen aus dem Sozialplanprivileg des § 112a Abs. 2 BetrVG für neu gegründete Unternehmen zu ziehen (vgl. Rz. 25.228 ff.). aa) Kündigung durch den übernehmenden Rechtsträger
17.33
Eine betriebsbedingte Kündigung, die nach der Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils durch den übernehmenden Rechtsträger ausgesprochen wird, ist nach den allgemeinen Grundsätzen zu behandeln5. § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB, § 324 UmwG stehen ihr nicht entgegen, wie § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB deutlich macht. Voraussetzung für ihre soziale Rechtfertigung ist ein Konzept des übernehmenden Rechtsträgers, das – ausgehend von innerbetrieblichen Gründen – als Folge einer Umstrukturierung und Aufgabenneuverteilung mit einem Wegfall von Arbeitsplätzen verbunden ist. Auch der übernehmende Rechtsträger muss aller1 BAG v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, NZA 1997, 148, 150; BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387, Rz. 33; Hillebrecht, NZA 1989 Beil. 4, S. 10, 14. 2 BAG v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, NZA 1997, 148, 150. 3 BAG v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, NZA 1997, 148, 149 f.; BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387, Rz. 33. 4 BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387, Rz. 33. 5 Ascheid, NZA 1991, 873, 878 f.; Wickler, Arbeitgeberkündigung beim Betriebsinhaberwechsel, S. 22 ff.
622 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.37 § 17
dings prüfen, ob eine anderweitige Weiterbeschäftigung – nunmehr bezogen auf die Situation in seinem Unternehmen – möglich ist (§ 1 Abs. 2 KSchG). Darüber hinaus ist eine Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG durchzuführen. Dabei sind die übernommenen und die bereits beim übernehmenden Rechtsträger beschäftigten Arbeitnehmer – soweit alle in einem Betrieb zusammengefasst werden – einzubeziehen1. Auf die Besonderheiten, die sich aus dem Zusammenschluss bzw. der Eingliederung eines übertragenen Betriebs oder Betriebsteils in einen anderen Betrieb des übernehmenden Rechtsträgers (vgl. Rz. 17.44 ff., 17.137 ff.) oder der Entstehung eines Kleinbetriebs (vgl. Rz. 17.2 ff.) ergeben können, wird gesondert eingegangen. Welche betriebsverfassungsrechtlichen Konsequenzen der Zusammenschluss und die Spaltung zur Folge haben, wird ebenfalls an einer anderen Stelle erörtert (vgl. Rz. 2.3 ff.; 2.19 ff.; Rz. 22.59 ff.; Rz. 24.7 ff.).
17.34
bb) Kündigung durch den übertragenden Rechtsträger Ob schon der übertragende Rechtsträger betriebsbedingte Kündigungen aussprechen kann, die der Umsetzung einer Umstrukturierungsmaßnahme im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den übernehmenden Rechtsträger dienen, wird unterschiedlich bewertet. Weitgehende Übereinstimmung besteht, als die bloße Weigerung des übernehmenden Rechtsträgers, bestimmte Arbeitnehmer zu übernehmen, auch unter Berücksichtigung der Überlegungen zur „Druckkündigung“ eine Kündigung nicht rechtfertigen kann2.
17.35
Ob der übertragende Rechtsträger berechtigt ist, betriebsbedingte Kündigungen auf der Grundlage eines Konzepts auszusprechen, das erst nach der Übertragung des Betriebs auf einen anderen Rechtsträger greifen und zum Wegfall von Arbeitsplätzen führen soll („Veräußererkündigung aufgrund Erwerberkonzepts“), hat das BAG lange Zeit offengelassen3. In seiner Entscheidung vom 26.5.19834 hat das BAG hierzu indes einschränkend festgestellt, dass eine solche Berechtigung allenfalls dann bestehen könne, wenn die entsprechenden Rationalisierungsmaßnahmen auch der ursprüngliche Arbeitgeber hätte durchführen können. Denn das Kündigungsrecht des Veräußerers dürfe nicht um Gründe erweitert werden, die allein in der Sphäre des Erwerbers lägen und von diesem erst mit dem Betriebsübergang aufgrund einer weitergehenden, betriebsübergreifenden unternehmerischen Planung verwirklicht werden könnten. Anderenfalls würde der Zweck des § 613a Abs. 4 BGBG vereitelt.
17.36
Mit Urteil vom 20.3.20035 hat der 8. Senat diese Argumentation erfreulicherweise und mit völlig zutreffender Begründung aufgegeben und in Übereinstimmung mit den entsprechenden Feststellungen im Schrifttum die Berechtigung des übertragenden Rechtsträgers zur Kündigung von Arbeitsverhältnissen aufgrund eines Konzepts des Erwerbers – jedenfalls in der
17.37
1 A.A. Kreitner, Kündigungsrechtliche Probleme, S. 116 ff., 119, der nur bei der Übertragung eines Betriebsteils mit anschließender Eingliederung in einen beim übernehmenden Rechtsträger bestehenden Betrieb eine übergreifende Sozialauswahl für geboten hält. 2 BAG v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, AP Nr. 34 zu § 613a BGB, Bl. 3; BAG v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/ 02, NZA 2003, 1027, 1028; Hanau, ZIP 1984, 141, 142; KR/Treber, § 613a BGB Rz. 94; Schumacher-Mohr, NZA 2004, 629, 630 f., 633; a.A. Birkholz, Betriebsübergang in der Insolvenz, S. 65 ff. 3 BAG v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, AP Nr. 34 zu § 613a BGB, Bl. 3; BAG v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/ 94, EzA § 613a BGB Nr. 142, S. 6. 4 BAG v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, DB 1983, 2690, 2691. 5 BAG v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, NZA 2003, 1027, 1028 f.; bestätigt durch BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387, Rz. 31; BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, NZA-RR 2014, 185, Rz. 70.
Niklas | 623
§ 17 Rz. 17.37 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
Insolvenz – angenommen1. Letztlich ist dies nur die Konsequenz einer Überleitung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB. Das übertragende und das übernehmende Unternehmen sind insoweit als Einheit anzusehen. Damit gilt nicht nur das Kündigungsverbot wegen des Übergangs gleichermaßen für den übertragenden und den übernehmenden Rechtsträger. In den Schranken von § 1 KSchG und sonstiger Vorgaben gilt auch die Berechtigung fort, das Arbeitsverhältnis aus anderen Gründen zu kündigen2. Schließlich soll § 613a BGB in Bezug auf beide Arbeitgeber nicht vor Risiken schützen, die sich jederzeit unabhängig von der Überleitung eines Betriebs oder Unternehmens aktualisieren können3. Wäre nur der übernehmende Rechtsträger im Hinblick auf ein Konzept, das erst im Anschluss an den Übertragungsvorgang greifen soll, zur betriebsbedingten Kündigung von Arbeitsverhältnissen berechtigt, bliebe der Sinn des Gesetzes unberücksichtigt. Denn § 613a BGB soll den Erwerber auch bei einer an sich bereits fehlenden Beschäftigungsmöglichkeit nicht verpflichten, das Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitnehmer noch einmal künstlich um die bei einer durch ihn auszusprechenden Kündigung einzuhaltenden Frist zu verlängern. Er soll mit einer Kündigung nicht so lange warten müssen, bis eine Rationalisierung, Sanierung oder ähnliche Maßnahme zu spät kommt4. Darüber hinaus soll er nicht dazu verpflichtet werden, auch ohne die Möglichkeit einer Beschäftigung das Arbeitsentgelt fortzuzahlen (§ 615 BGB).
17.38
Dass auch der Gesetzgeber von einer solchen Möglichkeit ausgeht, kommt letztlich auch in § 128 Abs. 1 InsO zum Ausdruck5. Danach wird die Anwendung der §§ 125 bis 127 InsO nicht dadurch ausgeschlossen, dass eine Betriebsänderung, die dem Interessenausgleich beim übertragenden Rechtsträger bzw. einem Feststellungsantrag des Arbeitnehmers zugrunde liegt, erst nach der Übertragung des Betriebs auf einen Rechtsnachfolger durchgeführt werden soll. Vor allem die für das Verfahren nach § 126 InsO vorgesehene Beteiligung des Betriebserwerbers ist aber nur dann sinnvoll, wenn die organisatorischen Maßnahmen, die mit einem Wegfall von Arbeitsplätzen verbunden sind, erst nach der Überleitung des Betriebs umgesetzt werden6.
17.39
Auch eine Veräußererkündigung aufgrund Erwerberkonzepts muss jedoch insbesondere den Anforderungen aus § 1 KSchG, § 102 BetrVG genügen. Um die für § 1 KSchG erforderliche Unternehmerentscheidung annehmen zu können, muss insoweit ein verbindliches Konzept
1 Vgl. nur Ascheid, NZA 1991, 873, 879; Annuß/Stamer, NZA 2003, 1247; APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 189; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 169; Fuhlrott, BB 2013, 2042, 2043; B. Gaul/Bonanni/Naumann, DB 2003, 1902, 1903; HWK/Müller-Bonanni, § 613 BGB Rz. 314; KR/Treber, § 613a BGB Rz. 96; Lipinski, NZA 2002, 75, 79; Loritz, RdA 1987, 65, 84; Moll, NJW 1993, 2016, 2021; SchumacherMohr, NZA 2004, 629, 631; Sieger/Hasselbach, DB 1999, 430, 432 f.; Stahlhacke/Preis/Vossen/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz, Rz. 963; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 400; Vossen, BB 1984, 1557, 1560; Wickler, Arbeitgeberkündigung beim Betriebsinhaberwechsel, S. 94 ff.; abl. LAG Köln v. 17.6.2003 – 9 Sa 443/03, ZIP 2003, 2042 f.; Küttner/Kreitner, Personalbuch 2020, Betriebsübergang, Rz. 90; Richardi, NZA 1991, 289, 292. 2 EuGH v. 12.3.1998 – C-319/94, NZA 1998, 529, Rz. 36; Wickler, Arbeitgeberkündigung beim Betriebsinhaberwechsel, S. 94 f. 3 BAG v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, NZA 1997, 148, 149; BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387, Rz. 33; Ascheid, NZA 1991, 873, 878; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 395; Willemsen, ZIP 1983, 411, 413. 4 So zutreffend bereits BAG v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, AP Nr. 34 zu § 613a BGB, Bl. 5; ebenso BAG v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, NZA 2003, 1027, 1028 f.; Wickler, Arbeitgeberkündigung beim Betriebsinhaberwechsel, S. 94 ff., 100. 5 BT-Drucks. 12/2443, S. 149. 6 So auch Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 113.
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Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.40 § 17
oder ein Sanierungsplan des Erwerbers vorliegen, dessen Durchführung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits greifbare Formen angenommen hat1. Entscheidend ist, ob dem Konzept eine unternehmerische Entscheidung von Veräußerer und Erwerber zugrunde liegt, die einen Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten nach sich zieht und damit den Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung rechtfertigt2. Auch wenn solche Entscheidungen grundsätzlich nicht der Schriftform bedürfen, ist es sinnvoll, das Zusammenwirken der Rechtsträger und die daraus folgende Entscheidung zu dokumentieren. Dies kann auch in Beschlüssen der Geschäftsführung, einem Interessenausgleich oder im Rahmen einer Vereinbarung der beteiligten Rechtsträger erfolgen3. Ein Zwang, die beabsichtigte Maßnahme in einem Kaufvertrag oder einem „rechtsverbindlichen“ Sanierungsplan festzuhalten4, besteht indes mit Blick auf anderweitige Möglichkeiten eines Nachweises der unternehmerischen Entscheidung nicht. Eine entsprechende Verpflichtung lässt sich auch nicht der Entscheidung des 8. Senats vom 20.3.20035 entnehmen. Wichtig ist nur, dass die Umsetzung des Konzepts zum Zeitpunkt der Kündigung greifbare Formen angenommen hat und gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tatsächlich einer weiteren Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers entgegensteht. Es genügt nicht, dass „vorsorglich vermuteten Wünschen vermuteter Betriebserwerber“ Rechnung getragen wird6. Hier fehlt es bereits an einer unternehmerischen Entscheidung, die den Wegfall von Arbeitsplätzen zur Folge hat. Wie das BAG in dem Urteil vom 20.3.20037 unter Bezugnahme auf Hanau8 ausdrücklich festgestellt hat, ist eine Veräußererkündigung aufgrund Erwerberkonzepts auch bei solchen (Rationalisierungs-)Maßnahmen zulässig, die der Veräußerer – gleich aus welchen Gründen – ohne die Übertragung des Betriebs- oder Betriebsteils selbst nicht getroffen hätte. Denn das Wesen der Sanierungsfälle liege – so der 8. Senat – häufig gerade darin, dass der Betrieb aus sich heraus aus wirtschaftlichen Gründen nicht in der Lage sei, bestimmte Rationalisierungsmaßnahmen mit dem Ziel eines Fortbestands durchzuführen. Nur die Übertragung gewährleistet hier überhaupt den Fortbestand des Betriebs und der damit nach Durchführung der Rationalisierungsmaßnahmen verbundenen Arbeitsplätze. Im Übrigen würde bei einer entsprechenden Begrenzung unberücksichtigt bleiben, dass die Einbindung des übertragenen Betriebs- oder Betriebsteils in die Betriebs-, Unternehmens- oder Konzernorganisation des Erwerbers häufig weitergehende Synergieeffekte eröffnet, die beim übertragenden Rechtsträger nicht bestanden haben. Auch diese müssen schon bei einer Kündigung des übertragenden Rechtsträgers einbezogen werden9.
1 BAG v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, NZA 2003, 1027, 1028 f.; BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387, Rz. 31; BAG v. 27.1.2011 – 2 AZR 9/10, AP Nr. 187 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Rz. 27; LAG Köln v. 11.9.2013 – 5 Sa 1128/12. 2 Annuß/Stamer, NZA 2003, 1247, 1248; Otto, DB 2014, 1871, 1872. 3 B. Gaul/Bonanni/Naumann, DB 2003, 1902, 1903; Otto, DB 2014, 1871, 1872; Vossen, BB 1984, 1557, 1560. 4 So APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 191; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 171; Lipinski, NZA 2002, 75, 79; Meyer, BB 2000, 1032, 1035; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 400; WHSS/Willemsen/Sittard, Umstrukturierung, H Rz. 117. 5 BAG v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, NZA 2003, 1027 ff. 6 Hanau, ZIP 1984, 141, 143. 7 BAG v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, NZA 2003, 1027, 1029. 8 Hanau, ZIP 1984, 141, 143. 9 Ebenso B. Gaul/Bonanni/Naumann, DB 2003, 1902, 1904; Wickler, Arbeitgeberkündigung beim Betriebsinhaberwechsel, S. 98 ff.; abw. Depenheuer, ZTR 1997, 492, 496, der die Doppelbesetzung von Arbeitsplätzen nach einem Betriebsübergang generell nicht als Kündigungsgrund anerkennt.
Niklas | 625
17.40
§ 17 Rz. 17.41 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
17.41
Wenngleich der 2. Senat die Zulässigkeit einer Veräußererkündigung aufgrund Erwerberkonzepts in der Entscheidung vom 20.3.20031 noch auf Fälle „in der Insolvenz“ beschränkt hat, sind keine Gründe ersichtlich, die einer übergreifenden Anwendung dieser Grundsätze bei Umstrukturierungen außerhalb der Insolvenz entgegenstehen2. Im Gegenteil: Die Argumentation des BAG in der vorgenannten Entscheidung ist auf sämtliche Sanierungsfälle innerhalb und außerhalb anwendbar, was der 2. Senat zwischenzeitlich in einer Folgeentscheidung aus dem Jahr 2011 auch ohne weitere Thematisierung angenommen hat3.
17.42
Soll eine Kündigung aufgrund Erwerberkonzepts ausgesprochen werden, ist auf der Grundlage der unternehmerischen Entscheidung zu prüfen, ob der Rechtsnachfolger die Arbeitnehmer mit Ablauf der Kündigungsfrist – ggf. nach zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen4 – anderweitig beschäftigen könnte5. Dabei ist – entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht – aber nicht nur auf die Betriebe und Betriebsteile abzustellen, die auf den anderen Rechtsträger übertragen werden6. Vielmehr sind entsprechend den allgemeinen Überlegungen zu § 1 Abs. 2 KSchG auch andere Betriebe im Unternehmen des übernehmenden Rechtsträgers zu berücksichtigen7. Nur damit wird zugunsten der Arbeitnehmer berücksichtigt, dass der Wegfall des Arbeitsplatzes auch Folge einer Neuorganisation und Aufgabenverlagerung zwischen den beim übernehmenden Rechtsträger bestehenden Betrieben sein kann. Etwaige Beschäftigungsmöglichkeiten, die sich auf diese Weise an anderen Standorten des neuen Arbeitgebers ergeben, müssen berücksichtigt werden. Umgekehrt muss zu Lasten der Arbeitnehmer akzeptiert werden, dass der übertragende Rechtsträger auf Maßnahmen abstellt, die aus tatsächlichen (z.B. Synergieeffekte, veränderte Tätigkeitsbereiche), rechtlichen (z.B. Auflösung eines gemeinsamen Betriebs) und/oder wirtschaftlichen Gründen (z.B. stärkere Finanzkraft) erst durch den übernehmenden Rechtsträger verwirklicht werden können. Freie Arbeitsplätze, die beim übertragenden Rechtsträger in anderen Betrieben bestehen und nach Ablauf der Kündigungsfrist eine Weiterbeschäftigung ermöglichen würden, bleiben – da insoweit auf die Situation beim übernehmenden Rechtsträger zum Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist abgestellt wird – unberücksichtigt. Insbesondere ist es damit, wie schon ausgeführt, nicht erforderlich, dass der übertragende Rechtsträger die Kündigung auch dann erklärt hätte, wenn der Übergang des Betriebs nicht erfolgt wäre. Eine Begrenzung der Frage der Weiterbeschäftigung auf die vom Übergang betroffenen Einheiten kommt nur dann in Betracht, wenn der übernehmende Rechtsträger selbst keine anderen Betriebe oder Betriebsteile hat, sie also nach dem Übergang „isoliert“ in einem eigenständigen Rechtsträger fortgeführt werden. Maßgeblich sind jeweils die Kenntnisse, die dem übertragenden Rechtsträger auf der Grundlage der Vereinbarung mit dem übernehmenden Rechtsträger zur Verfügung standen bzw. zur Verfügung stehen konnten. Dass der übertragende Rechtsträger vom übernehmen-
1 BAG v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, NZA 2003, 1027 ff. 2 B. Gaul/Bonanni/Naumann, DB 2003, 1902, 1904; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 314; Schmädicke, NZA 2014, 515, 516; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 400. 3 BAG v. 27.1.2011 – 2 AZR 9/10, AP Nr. 187 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Rz. 27; ebenso LAG Rheinland-Pfalz v. 11.3.2013 – 5 Sa 556/12; a.A. LAG Köln v. 17.6.2003 – 9 Sa 443/03, ZIP 2003, 2042. 4 Hierzu B. Gaul, BB 1995, 2422 ff. 5 Vgl. EuGH v. 12.3.1998 – C-319/94, NZA 1998, 529, 531. 6 So Sieger/Hasselbach, DB 1999, 430, 432 f.; Wickler, Arbeitgeberkündigung beim Betriebsinhaberwechsel, S. 100. 7 Ebenso B. Gaul/Bonanni/Naumann, DB 2003, 1902, 1904; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 314; Schumacher-Mohr, NZA 2004, 629, 632; WHSS/Willemsen/Sittard, Umstrukturierung, H Rz. 116.
626 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.45 § 17
den Rechtsträger notwendige und vorhandene Informationen nicht erhält, kann keine Einschränkung der kündigungsschutzrechtlichen Erfordernisse begründen, da beide kündigungsrechtlich als einheitlicher Arbeitgeber behandelt werden. Vielmehr muss sich der Veräußerer, der sich zum Nachteil des Arbeitnehmers die unternehmerische Entscheidung des Erwerbers über den Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes zurechnen lassen kann, auch die zugunsten des Arbeitnehmers wirkenden Umstände, die einer betriebsbedingten Kündigung entgegenstehen, zurechnen lassen1. Bestreitet der Arbeitnehmer im Rahmen einer gegen den Veräußerer gerichteten Kündigungsschutzklage die richtige Sozialauswahl unter Bezugnahme auf andere Arbeitnehmer, obliegt es dem Veräußerer, diesen Vortrag mit Hilfe des (potenziellen) Rechtsnachfolgers zu widerlegen. Dabei gilt: Solange der zu übertragende Betrieb oder Betriebsteil durch den übernehmenden Rechtsträger zunächst einmal als selbstständige organisatorische Einheit geführt wird, ist eine Einbeziehung der in anderen Betrieben durch den übernehmenden Rechtsträger beschäftigten Arbeitnehmer in die Sozialauswahl ausgeschlossen. Denn auch nach dem Übergang bleibt die Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG auf den Betrieb begrenzt2.
17.43
In Übereinstimmung mit einem Teil der Literatur ist eine Begrenzung der Sozialauswahl auf die vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer allerdings abzulehnen, wenn der Betrieb im Anschluss an die Übertragung mit einem beim übernehmenden Rechtsträger bereits bestehenden Betrieb oder Betriebsteil zusammengeschlossen wird. Wenn dieser Zusammenschluss nach den Planungen der beteiligten Rechtsträger schon vor Ablauf der Kündigungsfrist vollzogen wird, sind alle vergleichbaren Arbeitnehmer (zur Vergleichbarkeit vgl. Rz. 15.21) des neuen Betriebs in seiner Gesamteinheit in die Sozialauswahl einzubeziehen3.
17.44
Dabei spielt es an sich keine Rolle, ob ein Betrieb oder ein Betriebsteil übertragen wird. Entscheidend ist, dass die vom Übergang betroffene Einheit beim Erwerber mit einer dort bestehenden Einheit zusammengeschlossen wurde4. Eine wichtige Besonderheit der Übertragung eines Betriebsteils ergibt sich indes daraus, dass die Sozialauswahl bei den Arbeitnehmern, deren Kündigungsfrist bis zum Wirksamwerden des Übertragungsvorgangs endet, nur auf den gesamten ursprünglich bestehenden Betrieb zu beziehen ist. Arbeitnehmer, deren Kündigungsfrist erst nach dem Übergang endet, können insoweit ohne Rücksicht auf vergleichbare Arbeitnehmer gekündigt werden, die in den beim übertragenden Rechtsträger verbleibenden Einheiten beschäftigt werden. Entsprechendes gilt dann, wenn die Rationalisierungsmaßnahme allein in den beim übertragenden Rechtsträger verbleibenden Einheiten vorgenommen wird. Denn die für die Sozialauswahl erforderliche Austauschbarkeit der im Übrigen vergleichbaren Arbeitnehmer verlangt, dass der Arbeitgeber die Versetzung in den Grenzen des Direktionsrechts vornehmen kann. Dies ist bei der Weiterbeschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber, wie sie hier zur Vermeidung der Kündigung ggf. erfolgen müsste, nicht der Fall.
17.45
1 Otto, DB 2014, 1871, 1872. 2 So B. Gaul/Bonanni/Naumann, DB 2003, 1902, 1905; Henckel, ZGR 1984, 225, 234; Linck/Krause/ Bayreuther/Krause, § 1 KSchG Rz. 875; Sieger/Hasselbach, DB 1999, 430, 434; wohl auch Schumacher-Mohr, NZA 2004, 629, 632. 3 So auch Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 269 Fn. 540; B. Gaul/Bonanni/Naumann, DB 2003, 1902, 1905; Hüper, Betrieb im Unternehmerzugriff, S. 167 ff.; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 401; a.A. Lipinski, NZA 2002, 75, 79 f.; Trittin, AiB 2001, 147, 149. 4 A.A. Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 114; Lipinski, NZA 2002, 75, 79 f., die darin eine ungerechtfertigte Besserstellung der vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer sehen; abl. auch ErfK/ Preis, § 613a BGB Rz. 172, der eine übergreifende Sozialauswahl nur für den Fall der Übertragung eines Betriebsteils annehmen will.
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§ 17 Rz. 17.45 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
Andernfalls würde auch in die mitunter zwingende Zuordnung von Arbeitsverhältnissen gemäß § 613a BGB (vgl. Rz. 10.1 ff.) zu Lasten solcher Arbeitnehmer eingegriffen, die an sich nicht vom Übertragungsvorgang betroffen sind. Die in solchen Fällen vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer haben indes einen Anspruch auf Ausweitung der Sozialauswahl auf die Arbeitnehmer, die durch den übernehmenden Rechtsträger in der Einheit beschäftigt werden, mit der nach dem Übergang des Betriebsteils ein Zusammenschluss erfolgen wird. Dass der übertragende Rechtsträger diese Differenzierung durch den Zeitpunkt der Kündigung bzw. die Gewährung einer Auslauffrist steuern kann, ist entsprechend den Überlegungen des BAG zur Kündigung im Zusammenhang mit der Gründung oder Auflösung eines gemeinsamen Betriebs hinzunehmen (vgl. Rz. 16.15 ff.).
17.46
Unerheblich für die Notwendigkeit einer übergreifenden Sozialauswahl in der neu geschaffenen Einheit ist, ob die Kündigung durch Gründe gerechtfertigt wird, die erst als Folge des Zusammenschlusses auf Betriebsebene eintreten (z.B. Synergieeffekte), oder ob Gründe vorliegen, die losgelöst von dem Zusammenschluss betriebsbedingte Kündigungen rechtfertigen1. Stets muss sich der übertragende Rechtsträger solche Gründe zu Eigen machen. Unerheblich ist, was ihn zu seiner unternehmerischen Entscheidung motiviert hat.
17.47
Dass die Verpflichtung zur übergreifenden Sozialauswahl Schwierigkeiten bereitet, ist hinzunehmen. Denn schlussendlich entscheidend ist, dass die Wirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung an eine Prognose geknüpft ist, wonach die allgemeinen Voraussetzungen des § 1 Abs. 2, 3 KSchG jedenfalls am Tag der Vertragsbeendigung (Ablauf Kündigungsfrist) erfüllt sind2. So wird nach der ganz überwiegend vertretenen Auffassung (richtigerweise) auch in Bezug auf den Wegfall des Arbeitsplatzes und das Fehlen einer anderweitigen Möglichkeit der Weiterbeschäftigung verfahren. Insofern wäre es widersprüchlich, den übertragenden Rechtsträger bei der Betriebsbedingtheit der Kündigung dadurch zu begünstigen, dass für seine Prognose hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten, die für § 1 Abs. 2 KSchG maßgeblich sind, auf die Situation beim übernehmenden Rechtsträger abgestellt, jedoch hinsichtlich des Kreises der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer eine solche Prognosemöglichkeit abgelehnt wird. Schließlich knüpft auch die Sozialauswahl regelmäßig an diese Gegebenheiten an, also die im Betrieb bei Ablauf der Kündigungsfrist beschäftigten Arbeitnehmer. Auch hier gelten die Rechtsträger mithin als ein Arbeitgeber. Im Übrigen bliebe – worauf Wickler3 aufmerksam gemacht hat – unberücksichtigt, dass die im Betrieb des übertragenden Rechtsträgers ausgesprochenen Kündigungen in der Regel erst durch Maßnahmen und Gegebenheiten begründet werden, die beim übernehmenden Rechtsträger bestehen. Würde man 1 Abw. Loritz, RdA 1987, 65, 84, Schumacher-Mohr, NZA 2004, 629, 632; und WHSS/Willemsen/Sittard, Umstrukturierung, H Rz. 110, 142, die eine übergreifende Sozialauswahl nur dann für notwendig halten, wenn die Kündigung unter anderem oder ausschließlich auf die Verhältnisse im Betrieb des Erwerbers gestützt wird („Veräußererkündigung aufgrund Erwerberkonzepts“). Wenn allein Gründe herangezogen werden, die im bisherigen Betrieb des übertragenden Rechtsträgers liegen (z.B. Rationalisierung oder Zurückführung der Produktion), soll die soziale Auswahl nur auf die Arbeitnehmer des übertragenen Betriebs oder Betriebsteils bezogen werden („selbsttragende Kündigung“). 2 Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 401; insoweit ist es unzutreffend, wenn bei der Bewertung der Wirksamkeit einer Kündigung ausschließlich auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung abgestellt wird (so WHSS/Willemsen/Sittard, Umstrukturierung, H Rz. 134, 141). Vielmehr muss im Wege der Prognose auch die Zeit bis zur Vertragsbeendigung einbezogen werden. Andernfalls kann nicht dargelegt werden, dass die Kündigung durch betriebliche Erfordernisse „bedingt“ ist. 3 Wickler, Arbeitgeberkündigung beim Betriebsinhaberwechsel, S. 101 f.
628 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.50 § 17
die Sozialauswahl gleichwohl auf die beim übertragenden Rechtsträger beschäftigten Arbeitnehmer begrenzen, obgleich diese zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Maßnahmen bereits mit den zum Zeitpunkt der Kündigung beim übernehmenden Rechtsträger beschäftigten Arbeitnehmern in einem Betrieb zusammengefasst sind, würden sie schlechter gestellt, als dies der Fall wäre, wenn mit dem Ausspruch der betreffenden Kündigungen bis zum Übergang des Betriebs auf den übernehmenden Rechtsträger gewartet werden würde. Denn dann wären zweifelsohne alle Arbeitnehmer in der neu geschaffenen Einheit einzubeziehen. Bei einer Kündigung müsste also eine übergreifende Sozialauswahl durchgeführt werden. Dass der übertragende Rechtsträger nicht in der Lage ist, als Ergebnis der Sozialauswahl weniger schutzwürdige Arbeitnehmer des übernehmenden Rechtsträgers zu kündigen, muss durch ein konzertiertes Vorgehen der beteiligten Rechtsträger im Rahmen ihres Gemeinschaftskonzepts ausgeglichen werden1. Falls diese übergreifende Sozialauswahl vermieden werden soll, muss eben auf den Zusammenschluss der vom Übergang betroffenen Einheit mit der beim übernehmenden Rechtsträger beschäftigten Einheit verzichtet werden, was allerdings ausgeschlossen ist, wenn die Kündigung gerade durch Synergien als Folge dieses Zusammenschlusses begründet werden soll. Entsprechendes gilt dann, wenn der von einem Übergang betroffene Betriebsteil mit dem verbleibenden Restbetrieb als gemeinsamer Betrieb der beteiligten Rechtsträger fortgeführt wird. Hier muss – dann unternehmensübergreifend – eine Sozialauswahl unter Einbindung aller Arbeitnehmer erfolgen (vgl. Rz. 16.10 ff.; Rz. 17.118 ff.).
17.48
Nicht vereinbar mit dem Schutzzweck von § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB erscheint, wenn Hanau2 mit Blick auf die seinerzeit insoweit noch maßgeblichen „wirtschaftlichen Gründe“ die Herausnahme einzelner Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG anerkennt, sofern der Erwerber deren Weiterbeschäftigung zur Bedingung einer Übernahme des Betriebs- oder Betriebsteils gemacht hat. Da derartige Personallisten heute Begleiterscheinung nahezu jedes Übertragungsvorgangs sind, könnte die damit verbundene Vorgabe einer namentlich benannten „Wunschbelegschaft“ jedwede Sozialauswahl entbehrlich machen. Daran vermag auch der zutreffende Hinweis nichts zu ändern, dass das Erfordernis einer Sozialauswahl auch zum Scheitern eines Betriebs(teil-)übergangs führen kann. Nach der heutigen Fassung von § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG ist eine Herausnahme einzelner Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl insoweit nur dann möglich, wenn deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt (vgl. Rz. 15.22 f.). Liegen die entsprechenden (strengen) Voraussetzungen vor3, ist eine Auswahlentscheidung außerhalb von § 125 InsO zulässig.
17.49
Ohne Rücksicht auf die Wirksamkeit einer etwaigen Kündigung gehen Arbeitnehmer, deren Kündigungsfrist erst nach der Übertragung ihres Betriebs oder Betriebsteils endet, auf den übernehmenden Rechtsträger über. Ein Angebot zur Weiterbeschäftigung ist nicht erforderlich4.
17.50
1 So auch APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 194 und Loritz, RdA 1987, 65, 84, für den Fall, dass die Kündigung unter anderem oder ausschließlich auf die Verhältnisse im Betrieb des übernehmenden Rechtsträgers gestützt wird; abw. Henckel, ZGR 1984, 225, 234; Sieger/Hasselbach, DB 1999, 430, 434. 2 Hanau, ZIP 1984, 141, 143. 3 Vgl. hierzu im Einzelnen KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 677 ff. 4 EuGH v. 12.3.1998 – C-319/94, NZA 1998, 529, 531 f.
Niklas | 629
§ 17 Rz. 17.51 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
2. Kündigung wegen Stilllegung 17.51
Ein besonderer Fall der betriebsbedingten Kündigung ist die Kündigung wegen der Stilllegung eines Betriebs oder Betriebsteils. Da das Vorliegen eines Betriebs(teil-)übergangs nach vollzogener Stilllegung ausgeschlossen ist1, liegt auch bei einer solchermaßen begründeten Kündigung kein Verstoß gegen § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB vor. Dies gilt auch für den Fall der Umwandlung. Denn ein Betrieb oder Betriebsteil, der stillgelegt wird, kann im Anschluss daran nicht mehr auf einen anderen Rechtsträger übertragen werden. Hiervon gehen der EuGH2 und das BAG3 übereinstimmend aus, wenn sie bei der Frage, ob eine wirtschaftliche Einheit im Rahmen des § 613a BGB übergegangen ist, auch die Dauer einer evtl. Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit berücksichtigen (vgl. Rz. 4.188 ff.). a) Dauerhafte Stilllegung
17.52
Eine Betriebsstilllegung setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass die Betriebsorganisation und damit die zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehende Betriebs- und Produktionsgemeinschaft aufgelöst wird. Erkennbar wird dies in dem Entschluss, die wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einzustellen, den bisherigen (Teil-)Betriebszweck dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen4. Die bloße Einstellung der betrieblichen Tätigkeit genügt nicht; es muss die Auflösung der dem Betriebszweck dienenden Organisation hinzukommen5. Denn der Betrieb als organisatorische Einheit lebt – wie die Einführung von „KurzarbeitNull“ zeigt – auch bei einer vorübergehenden Unterbrechung seiner Tätigkeit fort.
17.53
Mit dem Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung braucht nicht bis zur Durchführung der Stilllegung gewartet zu werden. Sie ist wegen dringender betrieblicher Erfordernisse bereits dann sozial gerechtfertigt, wenn die betrieblichen Umstände „greifbare Formen“ angenommen haben, also aufgrund einer vernünftigen betriebswirtschaftlichen Betrachtung und mit Blick auf die durch den Arbeitgeber eingeleiteten Maßnahmen davon auszugehen ist, dass bis zum Auslaufen der einzuhaltenden Kündigungsfrist mit einiger Sicherheit ein Wegfall
1 Vgl. BAG v. 17.3.1987 – 1 ABR 47/85, EzA § 111 BetrVG 1972 Nr. 19, S. 163, 166; BAG v. 28.5.2009 – 8 AZR 273/08, NZA 2009, 1267, Rz. 30; BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 692/10, NZA-RR 2012, 570, Rz. 43; BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465, Rz. 39; BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 154/12, AP Nr. 199 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Rz. 28; BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, AP Nr. 57 zu § 17 KSchG 1969, Rz. 91; Küttner/Kreitner, Personalbuch 2020, Betriebsübergang, Rz. 91. 2 Vgl. nur EuGH v. 11.3.1997 – C-13/95, DB 1997, 628, 629 – Ayse Süzen; EuGH v. 20.11.2003 – C340/01, NZA 2003, 1385, Rz. 33 – Abler; EuGH v. 20.1.2011 – C-463/09, NZA 2011, 148, 149; EuGH v. 27.2.2020 – C-298/18, AP Nr. 24 zu Richtlinie 2001/23/EG, Rz. 24 – Grafe und Pohle. 3 Vgl. nur BAG v. 15.11.2012 – 8 AZR 683/11, NJW 2013, 2379, Rz. 18; BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 648/13, NZA 2015, 167, Rz. 17; BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, AP Nr. 57 zu § 17 KSchG 1969, Rz. 61. 4 BAG v. 25.2.1981 – 5 AZR 991/78, AP Nr. 24 zu § 613a BGB, Bl. 2; BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/ 10, NZA 2011, 1143, Rz. 26; BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465, Rz. 37; BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, AP Nr. 201 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Rz. 25; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303, Rz. 73. 5 Vgl. BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86, AP Nr. 67 zu § 613a BGB, Bl. 3; BAG v. 26.8.1999 – 8 AZR 827/98, EzA § 613a BGB Nr. 187, S. 4 („Auflösung des Betriebs in seinem Substrat“); BAG v. 26.4.2007 – 8 AZR 695/05, AP Nr. 4 zu § 125 InsO, Rz. 33; ErfK/Preis, § 613a BGB, Rz. 57.
630 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.54 § 17
des Arbeitsplatzes eintreten wird1. Der Arbeitgeber muss insoweit ernsthaft und endgültig zu Maßnahmen entschlossen sein, die rechtlich als eine Betriebsstilllegung zu qualifizieren sind, also die Auflösung der Betriebs- und Produktionsgemeinschaft. Indizien für eine solche Entwicklung sind darin zu sehen, dass die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertretungen aus §§ 106, 111, 112 BetrVG, § 17 KSchG eingeleitet wurden2, eine Massenentlassungsanzeige i.S.v. § 17 KSchG erstattet wurde3, die Verträge mit Versicherungen, Lieferanten und Kunden zum Tag der Stilllegung beendet, die Annahme weiterer Aufträge abgelehnt und Maßnahmen zur Verwertung der verbleibenden Betriebsmittel eingeleitet werden. Ausreichend ist auch der Beschluss des Arbeitgebers, ab sofort keine neuen Aufträge mehr anzunehmen, allen Arbeitnehmern zum nächstmöglichen Kündigungstermin zu kündigen, zur Abarbeitung der vorhandenen Aufträge eigene Arbeitnehmer nur noch während der jeweiligen Kündigungsfristen einzusetzen und so den Betrieb schnellstmöglich stillzulegen, selbst wenn dies die Entscheidung beinhaltet, bei etwaig noch verbleibenden Restarbeiten Fremdpersonal/Subunternehmer einzusetzen4. Dass einzelne Arbeitnehmer über den Stilllegungszeitpunkt hinaus mit Abwicklungs- oder Aufräumarbeiten beschäftigt sind, steht der Annahme der Stilllegung nicht entgegen5. Zu beachten ist hierbei jedoch, dass bei einer Betriebsstilllegung in Etappen nach den Grundsätzen der Sozialauswahl zu entscheiden ist, welche Arbeitnehmer zu den nach der Betriebsstilllegung verbleibenden Abwicklungsarbeiten herangezogen und welche zum Tag der Betriebsstilllegung gekündigt werden dürfen, sofern die Kündigungsfristen erst nach der Stilllegung enden6. Grundsätzlich gelten die voranstehenden Ausführungen auch für den Pächter eines Betriebs oder den Mieter von Räumlichkeiten, innerhalb derer ein Betrieb betrieben wird. Auch hier muss der Stilllegungsbeschluss unmissverständlich zum Ausdruck gebracht werden. Ergänzend müssen das Pachtverhältnis aufgelöst, Betriebsmittel, soweit sie in der Verfügungsmacht des Pächters bzw. Mieters stehen, veräußert und Aufträge für eine Fortsetzung der Betriebstätigkeit abgelehnt bzw. beendet werden7. Wenn die kurzen Kündigungsfristen dies zulassen, muss eine etwaige Kündigung des Miet- oder Pachtverhältnisses aber nicht schon vor der betriebsbedingten Kündigung des Arbeitnehmers erklärt werden. Im Hinblick auf die Abgrenzung der Stilllegung zum Betriebs(teil-)übergang darf die Beendigung des Miet- oder Pachtverhältnisses des bisherigen Betriebsinhabers indes nicht mit der Begründung einer entsprechenden Vereinbarung zwischen dem Vermieter bzw. Verpächter und dem potenziellen Erwerber des Betriebs- oder Betriebsteils verbunden sein.
1 So BAG v. 9.2.1994 – 2 AZR 666/93, NZA 1994, 686, 687; BAG v. 28.5.2009 – 8 AZR 273/08, NZA 2009, 1267, Rz. 29; BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465, Rz. 38; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303, Rz. 75. 2 BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465, Rz. 44; zurückhaltend zu diesem Indiz Hillebrecht, NZA 1989 Beil. 4, S. 10, 18. 3 BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465, Rz. 44; BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12 AP Nr. 201 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Rz. 34; BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, AP Nr. 57 zu § 17 KSchG 1969, Rz. 108. 4 Vgl. BAG v. 18.1.2001 – 2 AZR 514/99, NZA 2001, 719, 720 f.; Linck/Krause/Bayreuther/Krause, § 1 KSchG Rz. 806, 809. 5 BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 137/00, NZA 2002, 212, 215; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303, Rz. 76. 6 LAG Berlin-Brandenburg v. 7.11.2018 – 18 Sa 564/18. 7 Vgl. BAG v. 27.4.1995 – 8 AZR 197/94, BB 1995, 1800 f.; BAG v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, NZA 1997, 1050, 1051 f.; LAG Hamm v. 14.6.2005 – 19 Sa 251/05.
Niklas | 631
17.54
§ 17 Rz. 17.55 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
17.55
Erforderlich ist auch, dass die Veräußerung der Betriebsmittel an Dritte, nicht an den potenziellen Betriebs- oder Betriebsteilerwerber vorgenommen wird. Wird der vorhandene Warenbestand im Wege eines Räumungsverkaufs veräußert, muss differenziert werden: Gegen eine Anwendbarkeit von § 613a BGB spricht, wenn gerade die veräußerten Betriebsmittel das Kennzeichen des Betriebs oder Betriebsteils waren und der potenzielle Erwerber nicht in der Lage ist, sich entsprechende Gegenstände auf andere Weise zu besorgen (z.B. Küchen, Einzelanfertigung). Wenn eine Übernahme der Waren allerdings bereits ihrer Natur nach geringe Bedeutung besitzt (z.B. Lebensmittel) und/oder der potenzielle Erwerber sich entsprechende Waren problemlos von Dritten besorgen kann, schließt ein etwaiger Räumungsverkauf einen Betriebs(teil-)übergang nicht aus. Er kann, insbesondere wenn von Seiten des Betriebserwerbers zunächst einmal eine Renovierung beabsichtigt ist, sogar einen Betriebs(teil-)übergang vorbereiten1.
17.56
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtswirksamkeit einer Kündigung wegen einer Betriebsstilllegung ist wiederum der Zeitpunkt des Zugangs2; frühere Überlegungen sind insoweit grundsätzlich unbeachtlich3. Dabei kommt es auf das tatsächliche Vorliegen des Kündigungsgrundes und nicht auf die vom Arbeitgeber gegebene Begründung an. Eine vom Arbeitgeber mit einer Stilllegungsabsicht begründete Kündigung ist dementsprechend nur dann sozial gerechtfertigt, wenn sich die geplante Maßnahme objektiv als Betriebsstilllegung und nicht als Betriebsveräußerung darstellt, weil etwa die für die Fortführung des Betriebs wesentlichen Gegenstände einem Dritten überlassen werden sollten, der Veräußerer diesen Vorgang aber rechtlich unzutreffend als Betriebsstilllegung wertet4.
17.57
Unzulässig ist es, vorsorglich eine Kündigung mit der Begründung auszusprechen, dass entweder eine Stilllegung oder die Übertragung des Betriebs auf einen anderen Rechtsträger erfolgen werde5. Der entsprechenden Bewertung durch Pietzko6, wonach eine derartige Begründung deshalb zulässig sei, weil eine rechtswirksame Stilllegung mit der Folge betriebsbedingter Kündigungen unter dem Vorbehalt eines tatsächlich vollendeten Stillstands aller betrieblichen Tätigkeiten stehe, kann nicht gefolgt werden. Denn damit würde unter Abkehr allgemeiner Grundsätze zur Beurteilung von Kündigungen, die – auf der Basis des Prognoseprinzips – auch zugunsten der Arbeitgeber auf die Gegebenheiten am Tag des Zugangs der Kündigung abstellen, auf den Tag der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Bezug genommen. Darüber hinaus ist die von ihm angenommene Verknüpfung mit der Bedingungsfeindlichkeit einer Kündigung nicht vereinbar7.
17.58
Ein Beschluss der Gesellschafter zur Auflösung der Gesellschaft ist nicht erforderlich. Denn die Gesellschafter können sich – auch wenn das Unternehmen keine anderen Betriebe hat – 1 BAG v. 18.5.1995 – 8 AZR 741/94, EzA § 613a BGB Nr. 139, S. 6 f. 2 Vgl. BAG v. 27.9.1984 – 2 AZR 309/83, AP Nr. 39 zu § 613a BGB, Bl. 5; BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 137/00, NZA 2002, 212; BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465, Rz. 40; BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, AP Nr. 201 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Rz. 31; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303, Rz. 70; KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 617; Stahlhacke/Preis/Vossen/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz, Rz. 964. 3 BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, AP Nr. 201 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Rz. 31. 4 BAG v. 28.5.2009 – 8 AZR 273/08, NZA 2009, 1267, Rz. 30; BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465, Rz. 39. 5 Vgl. KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 617. 6 Pietzko, Der Tatbestand des § 613a BGB, S. 63 ff. 7 So bereits Hillebrecht, NZA 1989, Beil. 4, S. 10, 16 f.
632 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.59 § 17
durchaus entscheiden, eine Liquidation der Gesellschaft (noch) nicht einzuleiten1. Die Entscheidung über die Stilllegung ist vielmehr eine Entscheidung im Rahmen der Geschäftsführung, die allerdings wegen ihrer Bedeutung im Innenverhältnis regelmäßig schon auf der Grundlage der Satzung an die Zustimmung der Gesellschafter gebunden wird2. Umgekehrt beinhaltet aber auch der Beschluss zur Liquidation noch nicht zwangsläufig den Beschluss zur Stilllegung des Betriebs3. Denn die Auflösung der Gesellschaft kann auch damit verbunden werden, dass der Betrieb unter Wahrung seiner Identität und/oder einzelne Betriebsteile zum Zweck der Fortsetzung auf andere Rechtsträger übertragen werden. Damit wird der bisherige Rechtsträger zwar aufgelöst, der Betrieb indes nicht stillgelegt. Vor dem Hintergrund der voranstehenden Überlegungen kann auch dann noch nicht von einem Stilllegungsentschluss des Arbeitgebers ausgegangen werden, wenn er für sich entschieden hat, den Betrieb nicht mehr selbst fortzuführen. Entgegen der von Willemsen4 und Loritz5 vertretenen Ansicht wird dieser Entschluss nämlich bei einer Stilllegung und einem Betriebsübergang gleichermaßen verwirklicht. Damit würde der Arbeitgeber wiederum in die Lage versetzt, trotz eines möglichen oder gar beabsichtigten Betriebsübergangs betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen6. Kein Indiz für die Betriebsstilllegung in Abgrenzung zum Betriebsübergang liegt auch in dem Umstand einer Gewerbeabmeldung oder der Löschung in der Handwerksrolle; beide Maßnahmen schließen nicht aus, dass der Betrieb durch einen anderen Rechtsträger fortgeführt wird7. Auch die Kündigung von Arbeitsverhältnissen und die Abmeldung der Arbeitnehmer bei der Sozialversicherung ist – anders als bei der „normalen“ 1 Vgl. BAG v. 11.3.1998 – 2 AZR 414/97, NZA 1998, 879, 880 f.; BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 696/99, NZA 2001, 949, 950; BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, AP Nr. 201 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Rz. 31; a.A. LAG Berlin v. 10.8.1987 – 9 Sa 59/87, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 13, S. 2 und Plander, NZA 1999, 505, 506 ff., der aus der zutreffenden Feststellung, dass der Auflösungsbeschluss stets den Stilllegungsbeschluss beinhaltet, darauf schließt, dass – was allerdings unzutreffend ist – die Entscheidung zur Stilllegung des einzigen Betriebs einer Gesellschaft stets auch die Entscheidung erforderlich mache, eine Auflösung durchzuführen. Da die letztgenannte Entscheidung aber – so Plander – von den Gesellschaftern getroffen werden müsse, müssten diese auch über die Stilllegung entscheiden. Es kann indes schon aus steuerrechtlichen Überlegungen heraus sinnvoll sein, einen (verlustreichen) Betrieb stillzulegen, den Rechtsträger aber gleichwohl zu erhalten und im Wege der Umwandlung bzw. der Einbindung in eine steuerliche Organschaft zugunsten Dritter steuermindernd zu verwerten. 2 Eine Missachtung des Zustimmungserfordernisses der Gesellschafter hat aber jedenfalls dann nicht die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge, wenn aufgrund tatsächlicher Gegebenheiten zum Zeitpunkt ihres Zugangs gleichwohl von ihrem Vollzug ausgegangen werden kann (BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 697/99, NZA 2001, 949, 950; BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, AP Nr. 201 in § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Rz. 31). 3 LAG Berlin v. 3.9.1998 – 14 Sa 67/98, NZA-RR 1998, 530, dessen Hinweis auf die Möglichkeit des/ der Gesellschafter(s), den Betrieb trotz Liquidationsbeschlusses noch eine geraume Zeit weiter zu betreiben und/oder sich wieder in eine werbende Gesellschaft zurückzuverwandeln, indes nicht überzeugt. In der Praxis wird eine Liquidationsentscheidung mit dem Ziel getroffen, den bisherigen Gesellschaftszweck nicht mehr selbst zu betreiben. Eine „Liquidationsentscheidung auf Vorrat“, bei der der Betrieb über die reinen Abwicklungs- und Aufräumarbeiten hinaus noch fortgesetzt würde, ist kaum denkbar. 4 Willemsen, ZIP 1986, 477, 483 f. 5 Loritz, RdA 1987, 65, 70 f. 6 Zutreffend Hillebrecht, NZA 1989 Beil. 4, 10, 16 f. 7 Vgl. BAG v. 3.7.1986 – 2 AZR 68/85, AP Nr. 53 zu § 613a BGB, Bl. 6; BAG v. 27.4.1995 – 8 AZR 197/94, BB 1995, 1800, 1801; Fuhlrott in Tschöpe, Arbeitsrecht, Teil 2 G Rz. 76; Hillebrecht, NZA 1989 Beil. 4, S. 10, 18.
Niklas | 633
17.59
§ 17 Rz. 17.59 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
Betriebsstilllegung – kein Indiz für eine entsprechende Entscheidung des Arbeitgebers, wenn Streit über das Vorliegen eines Betriebsübergangs besteht. Schließlich soll gerade geprüft werden, ob sie trotz eines Betriebsübergangs ausgesprochen werden1. Letztlich trägt der bisherige Betriebsinhaber durch solche Anzeigen gegenüber den Ordnungsbehörden nur seinen ordnungsrechtlichen (vgl. z.B. § 22 Abs. 1 GaststättenG, § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 GewO) oder sozialversicherungsrechtlichen Meldepflichten Rechnung2. An einem Entschluss zur Stilllegung des Betriebs fehlt es weiterhin solange, wie der bisherige Betriebsinhaber mit einem potenziellen Betriebserwerber in Verhandlungen wegen einer Übernahme des Betriebs3 oder wesentlicher Betriebsmittel steht4 bzw. Maßnahmen zur Vorbereitung solcher Verhandlungen (z.B. Zeitungsanzeige) ergreift5. Dies gilt auch dann, wenn kurz vor der Erklärung der betriebsbedingten Kündigung ein Übernahmeangebot eines Interessenten vorliegt, welches wenige Tage später zu konkreten Verhandlungen mit einer teilweisen Betriebsübernahme führt6. Erst recht ist ein Stilllegungsentschluss zu verneinen, wenn schon Teile des Betriebs übertragen und Verhandlungen über die Übertragung weiterer Teile geführt werden7. Unter Berücksichtigung der Feststellungen des BAG in dem Urteil vom 18.3.19998 ist bei etwaigen Verhandlungen über die Übertragung von Betriebsmitteln, insbesondere aber die Neuvermietung oder -verpachtung bzw. den Verkauf von Betriebsräumen und Grundstücken, allerdings zu berücksichtigen, zu welchem Zweck der übernehmende Rechtsträger diese Betriebsmittel erwerben will. Erforderlich für einen Betriebsübergang ist, dass der übernehmende Rechtsträger den Betrieb durch Übernahme der Leitungsmacht auch tatsächlich fortsetzt bzw. fortsetzen will. Insoweit ist noch kein Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils i.S.d. § 613a BGB beabsichtigt, der einer Kündigung entgegenstünde, wenn der Erwerber durch die Übernahme der Betriebsmittel nur in die Lage versetzt wird, den bisherigen Betriebszweck fortzusetzen. Wenn der übernehmende Rechtsträger nur die Verwertung der Betriebsmittel (z.B. Neuverpachtung, Verkauf der Einzelteile) beabsichtigt, wird er deshalb nicht Inhaber des beim übertragenden Rechtsträgers bestehenden Betriebs (vgl. Rz. 4.95 ff.). Unerheblich ist, ob der Betrieb zeitgleich mit der Übertragung der Betriebsmittel oder erst zu einem späteren Zeitpunkt stillgelegt wird. Umgekehrt gilt: Solange der Verhandlungspartner des bisherigen Betriebsinhabers an einer Fortsetzung des Betriebs interessiert ist, kann auf Seiten des Betriebsinhabers noch keine Stilllegungsentscheidung gegeben sein. Die Verhandlungen müssen abgeschlossen, ggf. abgebrochen werden, um überhaupt zu einer Stilllegungsentscheidung kom-
1 BAG v. 27.4.1995 – 8 AZR 197/94, BB 1995, 1800, 1801; Hillebrecht, NZA 1989 Beil. 4, S. 10, 18; Langner/Widhammer, NZA 2011, 430, 431. 2 LAG Köln v. 2.2.1995 – 10 Sa 1071/94. 3 BAG v. 27.9.1984 – 2 AZR 309/83, AP Nr. 39 zu § 613a BGB, Bl. 5; BAG v. 27.4.1995 – 8 AZR 197/ 94, BB 1995, 1800, 1801; BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 543/06, NZA 2008, 821, Rz. 23; BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, AP Nr. 201 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Rz. 26; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303, Rz. 77; KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 617. 4 Vgl. BAG v. 28.4.1988 – 2 AZR 623/87, AP Nr. 74 zu § 613a BGB, Bl. 6; BAG v. 18.5.1995 – 8 AZR 741/94, EzA § 613a BGB Nr. 139, S. 5. 5 Vgl. BAG v. 3.7.1986 – 2 AZR 68/85, AP Nr. 53 zu § 613a BGB, Bl. 6; BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 543/06, NZA 2008, 821, Rz. 23; BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, AP Nr. 201 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Rz. 26; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303, Rz. 77. 6 BAG v. 29.9.2005 – 8 AZR 647/04, NZA 2006, 720, Rz. 25. 7 Vgl. BAG v. 19.5.1988 – 2 AZR 596/87, NZA 1989, 461, 463; BAG v. 19.6.1991 – 2 AZR 127/91, NZA 1991, 891. 8 BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 159/98, NZA 1999, 704, 705, seither mehrfach bestätigt, vgl. etwa BAG v. 26.7.2007 – 8 AZR 769/06, NZA 2008, 112, Rz. 26.
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Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.62 § 17
men zu können1. Anderenfalls liegt eine Vorratskündigung vor, die sozialwidrig ist2. Entsprechendes gilt für Verhandlungen über die Veräußerung von Geschäftsanteilen, wenn der Verhandlungspartner den Betrieb fortsetzen will oder Gespräche hinsichtlich der Übertragung einer Marke, deren Übernahme an die tatsächliche Fortsetzung des Geschäftsbetriebs oder Geschäftsteils geknüpft ist (§ 27 Abs. 2 MarkenG)3. Gegen die Absicht einer Stilllegung spricht auch, wenn im Sozialplan Regelungen vorgesehen sind, die für ihre Anwendbarkeit das Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs voraussetzen4. Ist allerdings ein Betriebsübergang für den bisherigen Betriebsinhaber zum Zeitpunkt der Kündigung nicht erkennbar, kann bei entsprechenden Maßnahmen von einem ernsthaften Stilllegungsbeschluss ausgegangen werden. Zutreffend geht das BAG deshalb auch von der Ernsthaftigkeit und Endgültigkeit eines Stilllegungsbeschlusses aus, selbst wenn sich der Arbeitgeber vorbehält, die Entscheidung zu ändern, falls sich die äußeren Umstände entgegen seinen Erwartungen günstiger entwickeln und ein Fortbestand des Betriebs – ggf. im Anschluss an die Übertragung auf einen anderen Rechtsträger – möglich ist5. Denn damit steht die Entscheidung des Arbeitgebers nur unter dem Vorbehalt, dass zum Zeitpunkt der Kündigung noch nicht vorhersehbare Umstände eine andere (rechtliche) Bewertung der Sachlage erforderlich machen6. Ein solcher Vorbehalt ist unschädlich. Stellt sich dann erst nach dem Stilllegungsbeschluss und den daran anknüpfenden Kündigungen heraus, dass der Betrieb auf einen anderen Rechtsträger übertragen und fortgeführt wird, kann nur ein Anspruch auf Wiedereinstellung bzw. Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem übernehmenden Rechtsträger entstehen (vgl. Rz. 17.208 ff.).
17.60
b) Kündigung bei Betriebsübergang nach Teilbetriebsstilllegung Häufig, insbesondere in Insolvenzverfahren, werden nur Teilbereiche eines Betriebs oder Unternehmens veräußert. Ziel der beteiligten Rechtsträger ist es, diese Bereiche im Markt zu erhalten. Die beim übertragenden Rechtsträger verbleibenden Betriebsteile werden dann stillgelegt. Teilbetriebsübergang und Teilbetriebsstilllegung werden also miteinander verknüpft.
17.61
Gegen eine solche Verknüpfung bestehen keine Bedenken. Soweit es darum geht, das Vorliegen einer Teilbetriebsstilllegung nachzuweisen, gelten die zur Stilllegung entwickelten Kriterien entsprechend. Schwierigkeiten können durch die Verknüpfung der Teilbetriebsstilllegung mit dem Teilbetriebsübergang allerdings insoweit entstehen, als der auf einen anderen Rechtsträger übertragene Betriebsteil abgegrenzt werden muss. Nur eine organisatorische Einheit, die in abgrenzbarer Weise bereits beim übertragenden Rechtsträger bestanden hat, kann unter Fortbestand ihrer Identität auf einen anderen Rechtsträger übergeleitet werden. Maßgeblich
17.62
1 Vgl. BAG v. 10.10.1996 – 2 AZR 477/95, DB 1997, 279. 2 BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 256/01, NZA 2002, 1205, 1206 f.; BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 543/06, NZA 2008, 821, Rz. 24; LAG Rheinland-Pfalz v. 5.6.2014 – 2 Sa 430/13. 3 BAG v. 28.4.1988 – 2 AZR 623/87, EzA § 613a BGB Nr. 80, S. 8 f.; Hillebrecht, NZA 1989 Beil. 4, S. 10, 18. 4 Vgl. BAG v. 5.12.1985 – 2 AZR 3/85, AP Nr. 47 zu § 613a BGB, Bl. 4; Hillebrecht, NZA 1989 Beil. 4, S. 10, 13. 5 BAG v. 27.2.1987 – 7 AZR 652/85, AP Nr. 41 zu § 1 KSchG 1969 – Betriebsbedingte Kündigung, Bl. 4 f.; BAG v. 29.9.2005 – 8 AZR 647/04, NZA 2006, 720, Rz. 24; BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/ 10, NZA-RR 2012, 465, Rz. 37. 6 Hillebrecht, NZA 1989 Beil. 4, S. 10, 16 f.
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§ 17 Rz. 17.62 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
sind dabei die Kriterien, die für die Kennzeichnung eines Teilbetriebs i.S.d. § 613a BGB an anderer Stelle beschrieben werden (vgl. Rz. 4.48 ff.).
17.63
Wichtig ist insoweit, dass die Übertragung eines Teilbetriebs nicht allein durch die Fortsetzung einer bestimmten Tätigkeit charakterisiert wird. Vielmehr muss eine organisatorische Einheit, die durch ihr Personal, die Führungskräfte, ihre Arbeitsorganisation, die Betriebsmethoden und die zur Verfügung stehenden Betriebsmittel gekennzeichnet wird, unter Wahrung ihrer Identität auf einen anderen Rechtsträger übertragen werden. Auch wenn es hierfür genügt, dass der Erwerber die funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren beibehält und es ihm derart ermöglicht wird, diese Faktoren zu nutzen, um derselben oder einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen, ist insoweit eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen1.
17.64
Im Hinblick auf die Abgrenzung des Teilbetriebsübergangs in Verbindung mit einer Teilbetriebsstilllegung einerseits von dem Übergang des Betriebs in seiner Gesamtheit andererseits ist es unerheblich, wenn der übernehmende Rechtsträger bereits als Folge der Übernahme eines Teilbetriebs in die Lage versetzt wird, auch die Arbeiten des beim übertragenden Rechtsträger verbleibenden Restbetriebs fortzusetzen. Dies gilt selbst dann, wenn der beim übertragenden Rechtsträger verbleibende Restbetrieb als solcher nicht überlebensfähig ist. Der Übergang eines Betriebs in seiner Gesamtheit setzt voraus, dass in Bezug auf die Gesamtheit als Folge der Übertragung materieller oder immaterieller Betriebsmittel und/oder der Übernahme einer organisierten Gesamtheit von Arbeitnehmern eine Einheit in ihrer Identität aufrechterhalten wird. Dies ist nur dann der Fall, wenn die gleiche oder gleichartige Tätigkeit mit den übernommenen Gegenständen und/oder Personen tatsächlich fortgesetzt wird (vgl. Rz. 4.79). Wenn nur in Bezug auf den übertragenen Betriebsteil als Folge der Übernahme von Betriebsmitteln und/oder des in diesem Betriebsteil bislang beschäftigten Personals eine solche Identität zwischen der bislang bestehenden Teileinheit und der beim Erwerber fortgesetzten Einheit gegeben ist, kommt auch nur für diese Einheit eine Anwendung von § 613a BGB in Betracht2. Ob der beim übertragenden Rechtsträger verbleibende Bereich eigenständig fortgeführt werden kann, ist für die Frage, ob für den übrigen Teil ein Betriebsteilübergang vorliegt, unerheblich. Denn der Betriebsteilübergang ergibt sich aus der Wahrung der Identität der übernommenen Einheit beim Erwerber und nicht aus dem Untergang der früheren Identität des Gesamtbetriebs3.
17.65
Nur die Arbeitnehmer, die dem übertragenden Betriebsteil zuzuordnen sind, gehen damit gemäß § 613a BGB auf den übernehmenden Rechtsträger über. Entsprechend der ständigen Rechtsprechung genügt es für den Übergang eines Arbeitsverhältnisses nicht, dass der Arbeitnehmer als Beschäftigter einer nicht übertragenen Abteilung Tätigkeiten (auch) für den übertragenen Betriebsteil verrichtet hat, ohne dem übertragenen Betriebsteil anzugehören. Die Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern aus Querschnittsbereichen (Controlling, Rechtsabteilung, Werkskantine etc.) gehen daher nicht auf den neuen Inhaber über, sofern diese Bereiche nicht selbst Gegenstand der Übertragung sind. Vielmehr muss im Zeitpunkt des Betriebsüber-
1 BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 648/13, NZA 2015, 167, Rz. 20. 2 BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 375/96, DB 1998, 372, 373; BAG v. 7.4.2011 – 8 AZR 730/09, NZA 2011, 1231, Rz. 16; ArbG Düsseldorf v. 16.4.2020 – 9 Ca 6999/17. 3 BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 375/96, DB 1998, 372, 373; BAG v. 7.4.2011 – 8 AZR 730/09, NZA 2011, 1231, Rz. 26; ArbG Düsseldorf v. 16.4.2020 – 9 Ca 6999/17; abw. noch BAG v. 29.10.1975 – 5 AZR 444/74, AP Nr. 2 zu § 613a BGB, Bl. 2.
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Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.68 § 17
gangs eine Zuordnung des jeweiligen Arbeitnehmers zum übertragenen Betriebsteil gegeben sein (zur Zuordnung im Zusammenhang mit § 613a BGB vgl. Rz. 10.19 ff.). c) Kündigung bei nur vorübergehender Stilllegung Auch eine vorübergehende Stilllegung des Betriebs kann eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen. Schwierigkeiten bereitet dabei aber die Abgrenzung zum Betriebs(teil-)übergang. Denn einerseits kommt eine Anwendung von § 613a BGB im Rahmen einer Gesamtbetrachtung auch dann in Betracht, wenn der übertragene Betrieb oder Betriebsteil (vorübergehend) nicht fortgeführt wird1. Andererseits kann die Dauer einer Unterbrechung der Tätigkeit in einem Betrieb das Vorliegen eines Betriebs- oder Unternehmensübergangs ausschließen2. Unter dieser Voraussetzung kommt dann auch das Verbot einer Kündigung wegen dieser Vorgänge aus § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB nicht mehr zur Anwendung.
17.66
Voraussetzung einer Kündigung wegen der vorübergehenden Stilllegung eines Betriebs oder Betriebsteils ist nach den Feststellungen des BAG, dass die tatsächliche Betätigung für eine im Voraus festgelegte, aber wirtschaftlich erhebliche (relativ lange) Zeitspanne nicht fortgeführt werden soll3. Insoweit muss auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Prognose des Arbeitgebers zum Zeitpunkt der Kündigung die große Wahrscheinlichkeit bestehen, dass bei Ablauf der Kündigungsfrist für eine nicht unerhebliche Zeit keine Beschäftigungsmöglichkeit gegeben ist4. Bedenken können diesbezüglich schon deshalb bestehen, weil vorzeitig – also unter erheblicher Verlängerung der Kündigungsfrist – gekündigt wird, die Überlegungen zur Zukunft des Betriebs aber noch nicht abgeschlossen wurden5. In der Praxis stellen sich dabei vor allem zwei Probleme:
17.67
Zunächst einmal ist fraglich, wann von einer nicht mehr unerheblichen Zeit der Betriebsstilllegung auszugehen ist. So hat der EuGH in einer Entscheidung vom 7.8.20186, welcher der Betrieb einer Musikschule zugrundelag, trotz fünfmonatiger Unterbrechung einen Betriebsübergang angenommen. Demgegenüber hat das BAG in seinen Urteilen vom 27.4.19957 und 11.9.19978 den Zeitraum einer Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit von fast einem Dreivierteljahr bzw. von mehr als fünf Monaten in Bezug auf den Umbau von Gaststätten als so wirtschaftlich erheblich angesehen, dass er eine Betriebsstilllegung kennzeichnen und da-
17.68
1 BAG v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, NZA 1997, 1050, 1052; BAG v. 13.2.2003 – 8 AZR 654/01, NZA 2003, 552, 556. 2 Vgl. nur EuGH v. 11.3.1997 – C-13/95, DB 1997, 628, 629 – Ayse Süzen; EuGH v. 27.2.2020 – C298/18, AP Nr. 24 zu Richtlinie 2001/23/EG, Rz. 24 – Grafe und Pohle; BAG v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, NZA 1997, 1050, 1052; BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465, Rz. 37; ArbG Düsseldorf v. 3.12.2020 – 10 Ca 3223/20; Fuhlrott in Tschöpe, Arbeitsrecht, Teil 2 G Rz. 71; Preis/Steffan, DB 1998, 309, 313 ff. 3 Vgl. BAG v. 9.2.1994 – 2 AZR 666/93, NZA 1994, 686, 687; BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 154/12, AP Nr. 199 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Rz. 25; BAG v. 20.6.2013 – 6 AZR 805/ 11, NZA 2013, 1137, Rz. 47; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303, Rz. 73; Preis/Steffan, DB 1998, 309, 313 ff. 4 BAG v. 9.2.1994 – 2 AZR 666/93, NZA 1994, 686, 687; BAG v. 28.5.2009 – 8 AZR 273/08, NZA 2009, 1267, Rz. 29; BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465, Rz. 38; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303, Rz. 75. 5 LAG Berlin v. 4.5.2001 – 6 Sa 2799/00, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 59, S. 3. 6 EuGH v. 7.8.2018 – C-472/16 – Colino Sigüenza, NZA 2018, 1123, Rz. 46. 7 BAG v. 27.4.1995 – 8 AZR 200/94, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 83, S. 2 f. 8 BAG v. 11.9.1997 – 8 AZR 555/95, NZA 1998, 31, 33.
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§ 17 Rz. 17.68 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
mit auch eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen könne. Das LAG Rheinland-Pfalz hat in einem Urteil vom 10.5.20041 insoweit einen Zeitraum von zwölf Monaten als hinreichend für den Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung erachtet. Im Rahmen der potenziellen Übernahme des Flugbetriebs einer Charterfluggesellschaft aus der Insolvenz wurde hingegen nach einem Urteil des BAG vom 26.4.20072 bereits – wie schon in dem genannten Urteil vom 11.9.19973 zur Stilllegung einer Gaststätte – eine Betriebsunterbrechung von fünf Monaten als ausreichend für die Annahme einer Betriebsstilllegung angesehen. Im Zusammenhang mit dem Umbau eines produzierenden Betriebs (Gefriertrocknung) hat das BAG in einem Urteil vom 21.6.20014 elf Monate als ausreichend befunden. Auch das LAG Berlin hat eine betriebsbedingte Kündigung für rechtswirksam erachtet, die im Hinblick auf die zehnmonatige Stilllegung eines Filmtheaters ausgesprochen wurde5. Entsprechend hat das BAG in Bezug auf die mögliche Übernahme eines Einzelhandelsfachgeschäfts mit modeorientierter Bekleidung in einem Urteil vom 22.5.19976 eine vollständige Einstellung der Verkaufstätigkeit für die Dauer von neun Monaten als wirtschaftlich so gewichtig angesehen, dass deshalb eine betriebsbedingte Kündigung zulässig war. Bei einer Kindertagesstätte soll nach Auffassung des LAG Köln schon eine dreimonatige Schließung für die Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung genügen können7. Umgekehrt hat das BAG in einer Entscheidung vom 3.7.19868 die etwa vier Monate andauernde Stilllegung einer Bowlingbahn zum Zweck des Umbaus für nicht ausreichend angesehen, um eine betriebsbedingte Kündigung zu rechtfertigen. In entsprechender Weise hatte es schon in einem Urteil vom 22.5.19869 trotz eines 14-tägigen Produktionsstillstands einer Möbelprofilfabrik keine Betriebsstilllegung, sondern einen Betriebsübergang angenommen10.
17.69
Eine klare zeitliche Grenze lässt sich angesichts der im Einzelfall unterschiedlichen Sachverhalte sicher nicht gewinnen. Lediglich dann, wenn die Stilllegung die Dauer von drei Monaten nicht übersteigt, dürfte im Regelfall nur von einer Betriebspause ausgegangen werden können11. Hiervon wird man auch für den Fall der Insolvenz ausgehen können12. Umgekehrt wird man – entsprechend den Überlegungen zur Kennzeichnung eines Betriebs(teil-)übergangs (vgl. Rz. 4.188 ff.) – von einer erheblichen Unterbrechung der Betriebstätigkeit und da1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
12
LAG Rheinland-Pfalz v. 10.5.2004 – 7 Sa 84/04. BAG v. 26.4.2007 – 8 AZR 695/05, AP Nr. 4 zu § 125 InsO, Rz. 60. BAG v. 11.9.1997 – 8 AZR 555/95, NZA 1998, 31 ff. BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 137/00, NZA 2002, 212, 216. LAG Berlin v. 17.11.1986 – 9 Sa 77/86, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 9, S. 10, 12. BAG v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, NZA 1997, 1050, 1052. LAG Köln v. 2.10.1997 – 10 Sa 643/97, NZA-RR 1998, 290, 292. BAG v. 3.7.1986 – 2 AZR 68/85, AP Nr. 53 zu § 613a BGB, Bl. 1. BAG v. 22.5.1985 – 5 AZR 173/84, AP Nr. 43 zu § 613a BGB, Bl. 5. Entsprechend hat das LAG Berlin in einer Entscheidung vom 17.11.1986 (9 Sa 77/86, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 9, S. 11) eine Betriebspause oder Unterbrechung von drei Monaten als generell zu kurz angesehen, um von einer Stilllegung ausgehen zu können. Vgl. LAG Berlin v. 17.11.1986 – 7 Sa 77/86, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 9, S. 11; KR/Kreft, § 15 KSchG Rz. 115f.; abw. LAG Köln v. 2.10.1997 – 10 Sa 643/97, LAGE § 613a BGB Nr. 67, S. 3 f.; Hassenpflug, Kündigung von Betriebsratsmitgliedern, S. 31 ff., die mit Blick auf die besonderen Gegebenheiten im Einzelfall zu Recht auch eine kürzere Frist für denkbar erachten. Abw. LAG Hamm v. 4.4.2000 – 4 Sa 1220/99, das bei einer Stilllegung im Insolvenzfall im Zweifel selbst dann keine „alsbaldige Wiedereröffnung“ gegeben sieht, wenn der Übertragungsvorgang bereits drei Monate nach der Einstellung der Betriebstätigkeit erfolgt.
638 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.70 § 17
mit auch einer Stilllegung ausgehen können, wenn die Unterbrechung länger als jede gesetzliche Kündigungsfrist (sieben Monate) währt1. Allerdings kommt es auch hier auf die besonderen Umstände des Einzelfalls an. Da eine Anwendbarkeit von § 613a BGB den Übergang einer wirtschaftlichen Einheit voraussetzt, die beim potenziellen Erwerber jedenfalls fortgeführt werden könnte, kann vor allem durch die Art und Weise des Geschäftsbetriebs eine Verkürzung oder Verlängerung der Zeitspanne bewirkt werden, innerhalb derer trotz einer Einstellung der betrieblichen Tätigkeit noch keine Stilllegung anzunehmen ist. Denn die Frage, ob der Betrieb nach der vorübergehenden Stilllegung durch einen anderen Rechtsträger fortgesetzt werden kann, hängt maßgeblich vom Betriebszweck ab. Dieser beeinflusst schließlich nicht nur die Möglichkeit einer Fortsetzung der Betriebs- und Produktionsgemeinschaft, sondern auch eine Fortsetzung der Geschäftsverbindungen zu Dritten2. So hat das BAG im vorstehend genannten Urteil vom 22.5.19973 die Annahme der Stilllegung eines Einzelhandelsfachgeschäfts mit modeorientierter Bekleidung vor allem damit begründet, dass der Verkauf stark saisonabhängig sei. Eine Einstellung der betrieblichen Tätigkeit über die Dauer von neun Monaten hatte deshalb den zumindest teilweisen Verlust von zwei umsatzstarken Verkaufsperioden zur Folge. In dieser Zeit konnten die markenbewussten Kunden des bisherigen Betriebsinhabers ihren Warenbedarf nicht an dem früheren Geschäftssitz befriedigen. Jeder dieser Kunden hatte seinen Bedarf anderweitig zu decken. Der potenzielle Erwerber musste damit die bisherigen Kunden durch eigene Leistung neu- oder wieder hinzugewinnen. Da die Unterbrechung der Verkaufstätigkeit auch länger währte als jede gesetzliche Kündigungsfrist von Arbeitsverhältnissen (vgl. § 622 Abs. 2 BGB), war sie nach den Feststellungen des 8. Senats auch als wirtschaftlich erheblich anzusehen4. Da auch sonstige Gesichtspunkte – insbesondere die fehlende Übernahme von Personal – gegen einen Betriebsübergang sprachen, war die Einstellung der Betriebstätigkeit ein dringendes betriebliches Erfordernis, das gemäß § 1 KSchG zur Kündigung berechtigte. Entsprechend hat das BAG in dem Urteil vom 26.4.20075 festgestellt, dass die Kunden einer Charterfluggesellschaft (überwiegend Reiseveranstalter) während der Betriebsunterbrechung anderweitig Flüge buchen mussten und der Übernehmer bei Markteintritt die Kunden neu werben musste. Nach fünfmonatiger Betriebsunterbrechung und Wegfall der wesentlichen Kundenbeziehungen könne der Übergang einer funktionsfähigen wirtschaftlichen Einheit in diesem Bereich nicht mehr angenommen werden. Über diese materiell-rechtlichen Überlegungen hinaus ist es für eine prozessuale Auseinandersetzung indes ebenso wichtig, substantiiert darzulegen, dass eine nachvollziehbare Prognose des Arbeitgebers zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung ergeben hat, dass nach Ablauf der Kündigungsfrist mit großer Wahrscheinlichkeit keine Möglichkeit gegeben ist, den Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen. Dies schließt die Weiterbeschäftigung in einem anderen Betrieb des Unternehmens – ggf. nach zumutbaren Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen – ein. Insoweit ist es nicht ausreichend, wenn der Arbeitgeber vorträgt, der Abschluss von Reno1 Vgl. BAG v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, NZA 1997, 1050, 1052; KR/Treber, § 613a BGB Rz. 35; Preis/Steffan, DB 1998, 309, 314. 2 Vgl. Hassenpflug, Kündigung von Betriebsratsmitgliedern, S. 31 ff.; Loritz, Anm. zu BAG v. 3.7.1986 – 2 AZR 68/85, AP Nr. 53 zu § 613a BGB, Bl. 11 ff. Zutreffend hat darauf auch das BAG in seinem Urteil v. 22.5.1997 (8 AZR 101/96, NZA 1997, 1050, 1051) hingewiesen. 3 BAG v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, NZA 1997, 1050, 1052. 4 Weitergehend nimmt Hassenpflug, Kündigung von Betriebsratsmitgliedern, S. 33, an, dass von einer Stilllegung bereits dann auszugehen sei, wenn innerhalb der durchschnittlichen Kündigungsfrist, die für die Arbeitnehmer im betroffenen Betrieb oder Betriebsteil zur Anwendung kommt, eine Beschäftigungsmöglichkeit entfällt. 5 BAG v. 26.4.2007 – 8 AZR 695/05, AP Nr. 4 zu § 125 InsO, Rz. 60.
Niklas | 639
17.70
§ 17 Rz. 17.70 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
vierungs- und Sanierungsarbeiten sei „nicht absehbar“, so dass auch im Hinblick auf die Beschäftigungsmöglichkeit „alles möglich“ sei. Denn in diesem Fall hat der Arbeitgeber überhaupt keine Prognose zum Beschäftigungsbedürfnis getroffen. Er hat nicht erkannt, ob überhaupt mit Ablauf der Kündigungsfristen – die sich über einen längeren Zeitraum hinweg hinziehen können – die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung entfallen ist1. Ebenso wenig genügt es, wegen einer „endgültigen Betriebsstilllegung“ zu kündigen, wenn sich im Übrigen keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür feststellen lassen, was darunter zu verstehen ist und in welcher Weise die Stilllegung über die Kündigung hinaus umgesetzt wird2.
17.71
Zu berücksichtigen ist dabei, dass – was gesondert behandelt wird (vgl. Rz. 4.188 ff.) – eine tatsächliche Vermutung gegen die ernsthafte Absicht einer Betriebsstilllegung spricht, wenn der Betrieb durch einen Erwerber alsbald nach der vorübergehenden Schließung wieder eröffnet wird3.
3. Kündigung wegen einer Änderung des Betriebszwecks oder der Betriebsorganisation 17.72
Entscheidend für das Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs ist die Wahrung der Identität. Dies ist insbesondere bei der Übertragung eines Betriebsteils von Bedeutung. Denn die in Rede stehende Teileinheit des Betriebs muss bereits beim früheren Betriebsinhaber die Qualität eines Betriebsteils gehabt haben. Schon beim bisherigen Betriebsinhaber muss mithin – in Anlehnung an § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG – eine selbstständig abtrennbare organisatorische Einheit gegeben sein, mit der innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks ein Teilzweck verfolgt wurde (vgl. Rz. 4.73 ff.). Ergibt die Gesamtbetrachtung eine identifizierbare wirtschaftliche und organisatorische Teileinheit, so muss diese beim Erwerber im Wesentlichen unverändert fortbestehen. Zwar muss der übertragene Unternehmens- oder Betriebsteil seine organisatorische Selbstständigkeit beim Betriebserwerber nicht vollständig bewahren. Vielmehr reicht es seit der Klarenberg-Entscheidung des EuGH vom 12.2.20094 aus, dass dieser die funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren beibehält und es ihm derart ermöglicht wird, diese Faktoren zu nutzen, um derselben oder einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen (vgl. Rz. 4.81 ff.). Unzutreffend ist insoweit, mit dem LAG Nürnberg in dem Urteil vom 26.8.19965 von einer Stilllegung des Betriebs auszugehen, wenn eine Fortsetzung der Tätigkeit für einen wesentlichen Teil der bislang in dieser Einheit beschäftigten Arbeitnehmer nur bei einer Änderung des Arbeitsvertrags denkbar ist. Denn der Betrieb als organisatorische Einheit wird schon nicht durch den Inhalt der Arbeitsverträge geprägt. Dessen ungeachtet kann es jedoch an einer unveränderten Fortführung unter Wahrung der Identität fehlen, wenn der neue Betreiber eine andere Leistung erbringt, den Betriebszweck ändert oder ein anderes Konzept verfolgt6. Maßgeblich ist insoweit eine Gesamtbetrachtung, die Grundlage für die Feststellung der identitätswahrenden Übertragung sein muss (vgl. Rz. 4.18 ff.; Rz. 4.93 ff.).
1 Vgl. BAG v. 27.4.1995 – 8 AZR 200/94, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 83, S. 3. 2 Vgl. BAG v. 3.7.1986 – 7 AZR 68/85, AP Nr. 53 zu § 613a BGB, Bl. 6 f. 3 BAG v. 27.9.1984 – 2 AZR 309/83, AP Nr. 39 zu § 613a BGB, Bl. 4 f.; BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 137/00, NZA 2002, 212, 214; BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465, Rz. 40; LAG Niedersachsen v. 24.2.2021 – 17 Sa 890/20. 4 EuGH v. 12.2.2009 – C-466/07, NZA 2009, 251 ff. 5 LAG Nürnberg v. 26.8.1996 – 7 Sa 981/95, LAGE § 613a BGB Nr. 51, S. 7 f. 6 BAG v. 17.12.2009 – 8 AZR 1019/08, NZA 2010, 499, Rz. 20.
640 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.73 § 17
Eine Aufgabe des Betriebszwecks kann nicht bereits dadurch erreicht werden, dass die materiellen Betriebsmittel ausgetauscht werden (vgl. Rz. 4.96). Die Änderung des Betriebszwecks muss vielmehr von grundlegender Natur sein. So hat das BAG in dem Urteil vom 11.9.19971 einen Betriebsübergang im Zusammenhang mit der Umwandlung einer Gaststätte, in der gutbürgerliche Küche angeboten wurde, in ein Restaurant mit arabischen Spezialitäten unter besonderer Berücksichtigung der damit verbundenen Änderung des Betriebszwecks abgelehnt. Grundlage war eine Gesamtabwägung der tatsächlichen Gegebenheiten. Insbesondere hat der 8. Senat neben der fast halbjährigen Schließung des Betriebs, die einer Übernahme des Kundenstamms entgegenstehe, seine Entscheidung damit begründet, dass der Grad der Ähnlichkeit der vor und nach der Weitervermietung der Gebäude betriebenen Gaststätte nicht ausreichend sei, um von einer Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit ausgehen zu können. So sei bereits die unterlassene Übernahme des Restaurantnamens bedeutsam, da der neue Name den Gästen gegenüber dem früheren Namen unmissverständlich einen Wechsel anzeige und deutlich mache, dass keine deutsche Küche mehr, sondern eine exotische zu erwarten sei. Dementsprechend habe die Gaststätte auch von ihrem Charakter her einen gewichtigen Wandel erfahren. Statt gutbürgerlicher Küche in 80jähriger Tradition würden nunmehr „Essen wie aus Tausend und einer Nacht“ sowie arabischer Bauchtanz angeboten. Dabei werde arabische Musik gespielt und durch arabisches Personal bedient. Der neue Betreiber offeriere nicht nur andere Speisen, sondern auch eine gänzlich andere, fremdartige Atmosphäre. Überdies habe auch ein Wechsel der Betriebsmethoden und der Arbeitsorganisation stattgefunden. In ähnlicher Weise hat der 8. Senat in seinem Urteil vom 17.12.20092 einen Betriebs(teil-)übergang verneint. In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall betrieb der bisherige Inhaber drei Betriebsrestaurants eines Automobilherstellers und war vertraglich verpflichtet, Essen vor Ort frisch zuzubereiten. Pro Betriebsrestaurant wurden je ein Koch und bis zu zwei Küchenhilfen eingesetzt. Die Bewirtschaftung der Betriebsrestaurants wurde sodann durch einen neuen Betreiber übernommen. Ab diesem Zeitpunkt wurden die Speisen zentral zubereitet und vor Ort nur noch aufgewärmt. Das Kantinenpersonal des neuen Betreibers bestand aus Hilfskräften; Köche waren in den Kantinen nicht mehr tätig. Hierdurch ist – so der 8. Senat – der frühere Betriebszweck, Mittagessen mit frisch gekochten Speisen anzubieten, entfallen. Damit seien zwangsläufig auch erhebliche organisatorische Veränderungen in einem zentralen Bereich einhergegangen. Es werde nicht mehr gekocht, nur noch gewärmt. Mit dem Wegfall der Köche sei ein nach Zahl und Sachkunde wesentlicher Teil des Personals nicht mehr vorhanden. Zwar sei eine Betriebskantine nicht betriebsmittelarm, die Bedeutung der menschlichen Arbeitskraft bei der Herstellung von Mahlzeiten sei aber (noch) vergleichsweise hoch. Werde dieser Produktionsfaktor dem bisherigen Betrieb entzogen und nach außen verlagert, so stelle dies eine Konzeptänderung dar, die der Annahme eines Betriebsübergangs entgegenstehe. Der Betrieb einer Werkskantine im Cateringsystem sei etwas anderes als die frische Essenszubereitung vor Ort. Entsprechendes gilt – so das BAG in der Entscheidung vom 13.7.20063 – etwa dann, wenn der „Übernehmer“ eines Fachgeschäftes für Markenmöbel auf einen Abholmarkt umgestellt wird. Auch nach der Klarenberg-Entscheidung ist die Änderung des Betriebszwecks insoweit ein wichtiges Gestaltungsmittel zur Vermeidung eines Betriebs(teil-)übergangs und damit für die etwaige Rechtfertigung betriebsbedingter Kündigungen4.
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BAG v. 11.9.1997 – 8 AZR 555/95, NZA 1998, 31, 32 f. BAG v. 17.12.2009 – 8 AZR 1019/08, NZA 2010, 499, Rz. 27. BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 331/05, NZA 2006, 1357 ff. Simon/Greßlin, BB 2010, 1284, 1285 f.
Niklas | 641
17.73
§ 17 Rz. 17.74 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
17.74
Auch wenn eine derart wesentliche Änderung des Betriebszwecks nicht vorliegt, ist nicht ausgeschlossen, dass bei einer Änderung oder Aufgabe des bisherigen Betriebszwecks im Anschluss an die Übertragung betriebsbedingte Kündigungen gerechtfertigt sind. Ob man bei einer wesentlichen Änderung oder Aufgabe des bisherigen Betriebszwecks dann von einer vollständigen oder teilweisen Stilllegung ausgeht1, ist letztlich nicht entscheidend. Eine Änderung oder Aufgabe des Betriebszwecks kann sich auf die Zahl der Beschäftigten, die Art ihrer Tätigkeit und die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten auswirken. Auch die nach außen gerichtete Geschäftstätigkeit kann – bspw. durch einen geänderten Kundenstamm – eine Änderung erfahren. Stehen die daraus folgenden Anforderungen für die im Betrieb zu verrichtenden Arbeiten im Widerspruch zu der Zahl und/oder Qualifikation der bislang beschäftigten Arbeitnehmer, kann dies aus betrieblichen Gründen die Kündigung von Arbeitsverhältnissen bedingen2.
17.75
Eine Ausnahme ist nur dann zu machen, wenn nach zumutbaren Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen die Weiterbeschäftigung auf einem verbleibenden freien Arbeitsplatz denkbar ist. Wenn hier ein Einsatz der Arbeitnehmer im Rahmen des neuen arbeitstechnischen Betriebszwecks zwar möglich erscheint, aber wegen einer Einschränkung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts ohne eine Änderung des Arbeitsvertrags ausgeschlossen ist, rechtfertigt dies nur eine betriebsbedingte Änderungskündigung. Ist diese Änderung schon für den übertragenden Rechtsträger erkennbar, kann er die Kündigung aussprechen. Trifft erst der übernehmende Rechtsträger die Entscheidung, eine solche Änderung des Betriebszwecks vorzunehmen, können Kündigungen erst nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses erfolgen.
4. Kündigung wegen der Verlegung eines (Teil-)Betriebs 17.76
Grundsätzlich gehört zur unternehmerischen Gestaltungsfreiheit auch die Entscheidung, an welchem Standort welche arbeitstechnischen Ziele verfolgt werden. Es ist nicht Sache der Arbeitsgerichte, dem Arbeitgeber eine „bessere“ oder „effizientere“ Betriebs- oder Unternehmensstruktur vorzuschreiben; vielmehr wird nur eine Missbrauchskontrolle durchgeführt3. Ob von diesem Grundsatz ausgehend im Zusammenhang mit der Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils auf einen anderen Rechtsträger betriebsbedingte Kündigungen erforderlich sind, hängt von individuellen Gegebenheiten in Bezug auf den einzelnen Arbeitnehmer und einer Bewertung der Gesamtsituation ab. Dabei ist zunächst die Frage zu stellen, ob die Arbeitnehmer überhaupt arbeitsvertraglich verpflichtet sind, der Betriebsverlagerung Folge zu leisten und ein dahingehendes Weisungsrecht des Arbeitgebers besteht4. Ist dies nicht der Fall – etwa, weil der Arbeitsort im Arbeitsvertrag festgeschrieben und auch nicht zugleich ein Versesetzungsvorbehalt vereinbart wurde –, ist losgelöst von der Frage des Vorliegens eines Betriebs(teil-)übergangs stets eine Änderungskündigung (nach § 2 KSchG) seitens des Arbeitgebers erforderlich, sofern eine einvernehmliche Lösung scheitert5. Eine derartige Änderungskündigung verstößt nicht gegen § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB. Denn sie erfolgt nicht „wegen“ des 1 Vgl. BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86, AP Nr. 67 zu § 613a BGB, Bl. 3 (Aufgabe des bisherigen Betriebszwecks). 2 Vgl. BAG v. 27.4.1995 – 8 AZR 200/94, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 83, S. 2. 3 Vgl. BAG v. 27.9.2001 – 2 AZR 246/00; BAG v. 22.11.2012 – 2 AZR 673/11, NZA 2013, 730, Rz. 16; BAG v. 29.8.2013 – 2 AZR 809/12, NZA 2014, 730, Rz. 13; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303, Rz. 72. 4 Küttner/Kreitner, Personalbuch 2020, Betriebsübergang, Rz. 89. 5 Vgl. hierzu BAG v. 20.4.1989 – 2 AZR 431/88, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 6, S. 5 f.; BAG v. 29.8.2013 – 2 AZR 809/12, NZA 2014, 730 ff.
642 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.79 § 17
Betriebs(teil-)übergangs, sondern wegen der Verlagerung des Betriebssitzes und dem Fehlen einer Pflicht zur Tätigkeit an dem neuen Betriebssitz (§ 613a Abs. 4 Satz 2 BGB)1. Vorbehaltlich einer Sozialauswahl kann von der Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung des in dem von der Verlegung betroffenen Betrieb oder Betriebsteil beschäftigten Arbeitnehmers ausgegangen werden, wenn er endgültig, also auch nicht unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung, nicht bereit ist, der Verlagerung des Betriebs oder Betriebsteils zu folgen und eine weitere Beschäftigung im Unternehmen auch unter Berücksichtigung zumutbarer Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen am bisherigen Betriebssitz oder einem anderen Ort nicht in Betracht kommt2. In diesem Fall ist auch eine etwaige Änderungskündigung mit dem Ziel, dem Arbeitnehmer eine Beschäftigung innerhalb des verlegten Betriebs oder Betriebsteils anzubieten, nicht erforderlich3. Denn es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass ein Arbeitnehmer widersprüchlich handelt, wenn er zunächst das Änderungsangebot vorbehaltlos und endgültig abgelehnt hat, sich später jedoch auf eine mögliche Änderungskündigung beruft4. In dieser individuellen Fallgestaltung ist auch eine Abgrenzung zwischen dem Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs und einer Betriebsstilllegung nicht erforderlich. Zu bedenken ist allerdings, dass die Anforderungen an eine „vorbehaltlose und endgültige Ablehnung“ im vorgenannten Sinne sehr hoch sind5, so dass im Zweifel immer eine Änderungskündigung ausgesprochen werden sollte.
17.77
In allen übrigen Fallgestaltungen kommt es stets darauf an, ob die beabsichtigte Maßnahme tatsächlich die Verlegung eines Betriebs oder Betriebsteils, nicht aber seine Stilllegung darstellt. Entscheidend dabei ist, welche Anforderungen an die Aufrechterhaltung des Betriebs oder Betriebsteils trotz seiner Verlegung gestellt werden. Werden die Anforderungen an die Aufrechterhaltung erfüllt, steht der Annahme des Übergangs eines Betriebs oder Betriebsteils nichts entgegen. Insoweit kann also auf die entsprechenden Feststellungen zur Kennzeichnung des Betriebs(teil-)übergangs nach § 613a BGB (vgl. Rz. 4.47 ff.) verwiesen werden. Liegt ein solcher Übergang vor, kommt dann auch das besondere Kündigungsverbot aus § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB, § 324 UmwG zum Tragen. Werden die Anforderungen nicht erreicht, muss die Verlegung als Stilllegung qualifiziert werden. In diesem Fall sind dann betriebsbedingte Kündigungen schon durch den Umstand gerechtfertigt, dass mit der Übertragung der Arbeitsplatz beim bisherigen Inhaber entfällt.
17.78
Nach den Feststellungen des BAG in einem Urteil vom 12.2.19876 liegt eine Betriebsstilllegung vor, wenn der bisherige Betriebszweck weiterverfolgt, aber eine nicht unerhebliche räumliche Verlegung des Betriebs vorgenommen wird, die alte Betriebsgemeinschaft tatsächlich aufgelöst und der Aufbau einer im Wesentlichen neuen Betriebsgemeinschaft erfolgt7. Die erhebliche räumliche Entfernung allein ist jedoch nicht geeignet, um die Wahrung der Identität von vorn-
17.79
1 B. Gaul, AktuellAR 2011, 571; Wisskirchen/Goebel, DB 2004, 1937, 1938 f. 2 So schon Hillebrecht, NZA 1989 Beil. 4, S. 10, 15. 3 So auch BAG v. 20.4.1989 – 2 AZR 431/88, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 61, S. 4 ff., wobei der 2. Senat in diesem Fall den „wechselunwilligen“ Arbeitnehmer demjenigen gleichsetzt, der dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses i.S.d. § 613a Abs. 6 BGB widerspricht (krit. hierzu: B. Gaul, AktuellAR 2011, 571 f.). 4 BAG v. 21.4.2005 – 2 AZR 132/04, NZA 2005, 1289, 1293; BAG v. 3.4.2008 – 2 AZR 500/06, NZA 2008, 812, Rz. 17; Hessisches LAG v. 21.3.2013 – 5 Sa 1751/11. 5 Vgl. hierzu BAG v. 21.4.2005 – 2 AZR 244/04, NZA 2005, 1294 ff.; ArbG Berlin v. 12.4.2013 – 28 Ca 1028/13. 6 BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86, AP Nr. 67 zu § 613a BGB, Bl. 3, 4. 7 Ebenso Hassenpflug, Kündigung von Betriebsratsmitgliedern, S. 29, 35 f.
Niklas | 643
§ 17 Rz. 17.79 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
herein auszuschließen und damit eine Betriebsstilllegung zu bejahen. Selbst bei einer Verlagerung ins Ausland kann insoweit eine Betriebsverlegung und damit ein Betriebsübergang i.S.v. § 613a BGB anzunehmen sein. Entscheidend ist, ob der Funktions- und Zweckzusammenhang zwischen den übertragenen materiellen und immateriellen Betriebsmitteln sowie den sonstigen Produktionsfaktoren, wie etwa den Kunden- und Lieferantenbeziehungen oder den Fertigungsmethoden, beibehalten wird, und dies dem Erwerber gestattet, die verknüpften Produktionsfaktoren zur Verfolgung einer bestimmten wirtschaftlichen Tätigkeit zu nutzen; auf die Beibehaltung der bisherigen Organisationsstruktur kommt es hierbei nicht entscheidend an (vgl. Rz. 4.203 f., Rz. 8.30 f.).
17.80
Das LAG Düsseldorf hat in einer Entscheidung vom 16.2.19951 ausgeführt, dass die Organisation des Betriebs und seine Funktionsfähigkeit weitgehend von dem quantitativen und qualitativen Personalbestand abhänge, wobei entweder einzelne Arbeitnehmer aufgrund ihres besonderen Know-hows, fachspezifischer Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen, Leistungsstärke und Zuverlässigkeit oder Gruppen von Arbeitnehmern (eingespielte Teams) oder die (Stamm)-Belegschaft den Betrieb tragen könnten. Stünden diese Arbeitnehmer nicht am neuen Ort zur Verfügung, müsse der Erwerber um die übernommenen Produktionsmittel eine neue Betriebsorganisation mit wesentlich anderer Personalstruktur aufbauen. In diesem Fall sei weder von einem Betriebsübergang noch einer Betriebsverlegung, sondern – bezogen auf den übertragenden Rechtsträger – von einer Betriebsstilllegung auszugehen. Wenngleich diese Feststellungen insbesondere mit Blick auf Dienstleistungsbetriebe überzeugen, können sie nicht als genereller Maßstab für die Abgrenzung zwischen einer Betriebsverlegung bzw. einem Betriebsübergang und einer Betriebsstilllegung herangezogen werden. Vielmehr hat das BAG wiederholt zutreffend darauf hingewiesen, dass im Falle betriebsmittelintensiver Betriebe ein Betriebs(teil-)übergang gerade nicht stets davon abhängig ist, ob auch Personal übernommen wurde2. Die Übernahme der Belegschaft oder wesentlicher Teile hiervon ist insoweit lediglich ein Kriterium unter anderen für die Annahme eines Betriebs(teil-)übergangs. Entscheidend ist die Gesamtbetrachtung des Betriebs und der von ihm zu erfüllenden arbeitstechnischen Zwecke (vgl. Rz. 4.19).
17.81
Auf dieser Grundlage hat das BAG den Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils abgelehnt, wenn zum Zeitpunkt der Betriebsmittelveräußerung tatsächlich keine Arbeitsverhältnisse mehr bestanden3. Umgekehrt hat es in seiner Entscheidung vom 26.5.20014 die Verlegung eines Betriebsteils und keine Betriebs(teil)stilllegung angenommen, bei welcher der übertragene Betriebsteil an einen 59 km entfernten Ort verlagert worden war, der in einer knappen Autostunde erreicht werden konnte. In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt waren nicht nur die wesentlichen Betriebsmittel, die Kundschaft, die laufenden Projekte sowie alle Verträge und die Lieferanten eines Produktionsbetriebs übernommen, sondern auch die gesamte Fertigungslinie unverändert und ohne Unterbrechung der Tätigkeit fortgeführt worden. Wird die Verlegung vom ursprünglichen Arbeitgeber vorgenommen, führt dies nicht zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen. Der Betriebserwerber erwirbt dann den verlegten Betrieb am neuen Ort. Verzichtet der übertragende Rechtsträger auf die Verlegung, kann die 1 LAG Düsseldorf v. 16.2.1995 – 12 Sa 1925/94, NZA-RR 1996, 241 f.; Ebenso LAG Hamm v. 28.1.1997 – 4 Sa 141/96. 2 Vgl. etwa BAG v. 22.7.2004 – 8 AZR 350/03, NZA 2004, 1383, 1386; BAG v. 6.4.2006 – 8 AZR 249/04, NZA 2006, 1039, Rz. 16; BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 648/13, NZA 2015, 167, Rz. 19; ArbG Berlin v. 29.11.2018 – 41 Ca 2670/18. 3 BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86, AP Nr. 67 zu § 613a BGB, Bl. 3. 4 BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, NZA 2011, 1143, Rz. 36.
644 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.85 § 17
Maßnahme erst durch den Erwerber erfolgen. Dies gilt auch für Änderungskündigungen, die – wie dargelegt – erforderlich sind, falls die mit dem übertragenden Rechtsträger abgeschlossenen Arbeitsverträge einen Einsatz am neuen Ort allein auf der Grundlage des Direktionsrechts nicht zulassen1. Der Standort des Betriebs vermag nur dann etwas an der unveränderten Fortführung des arbeitstechnischen Zwecks zu ändern, wenn er an einen bestimmten Standort gebunden ist (z.B. Steinbruch, Kino, unter Umständen auch Einzelhandelsgeschäft)2. Nicht zu überzeugen vermag nach alledem, wenn das LAG Nürnberg in einem Urteil vom 26.8.19963 die Ansicht vertritt, dass bereits eine Verlegung des Betriebssitzes um rund 25 km eine so wesentliche Änderung darstelle, dass trotz gleich bleibender Tätigkeit eine Identität zwischen der beim bisherigen Arbeitgeber bestehenden Einheit und der durch einen Dritten am neuen Betriebssitz betriebenen Einheit nicht mehr gegeben sei. Hier sei – so das LAG Nürnberg – von einer Betriebsstilllegung auszugehen, die betriebsbedingte Kündigungen rechtfertige. Ob der übernehmende Rechtsträger materielle und/oder immaterielle Betriebsmittel übernommen habe, spiele – wenn es nicht auch zu einer Übernahme der Arbeitnehmer gekommen sei – unter diesen Voraussetzungen keine Rolle.
17.82
Mit dieser Entscheidung unterstellt das LAG Nürnberg nicht nur eine lebensfremde Unbeweglichkeit von Arbeitnehmern. Es übersieht auch den Umstand, dass § 613a BGB eine Aufrechterhaltung des Betriebs sichern will. Andernfalls könnte eine Mehrheit der Arbeitnehmer eines Betriebs oder Betriebsteils, der von einer Übertragung auf einen anderen Rechtsträger betroffen ist, zu Lasten einer Minderheit den Übergang des Arbeitsverhältnisses unter Wahrung des mit § 613a BGB verbundenen Besitzstandes dadurch verhindern, dass sie dem Übergang widerspricht. Ein solcher Widerspruch gemäß § 613a Abs. 6 BGB kann indes nur dann zur Ablehnung eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs führen, wenn es sich um eine (betriebsmittelarme) Dienstleistung handelt, deren Übergang die Einstellung des nach Zahl oder Sachkunde wesentlichen Personals notwendig macht. Betriebsmittel haben in dieser Fallkonstellation keine bzw. eine allenfalls untergeordnete Bedeutung. Die Betrachtungsweise des LAG Nürnberg würde im Übrigen auch dazu führen, dass die Betriebsänderung in Form der Stilllegung (§ 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG) kaum noch Raum für eine Betriebsänderung in Form der Verlegung (§ 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG) eines Betriebs oder wesentlichen Betriebsteils ließe.
17.83
Wird nur ein Betriebsteil übertragen, gelten die gleichen Grundsätze. Da die räumliche Lage einer Betriebsstätte bei der Kennzeichnung des kündigungsschutzrechtlichen Betriebs unerheblich ist (vgl. Rz. 15.11), muss hier allerdings zusätzlich geprüft werden, ob die bisherigen Einheiten trotz ihrer Übertragung und Verlegung als gemeinsamer Betrieb der beteiligten Rechtsträger fortbestehen. Die damit verbundenen Rechtsfolgen werden an anderer Stelle behandelt (vgl. Rz. 17.118 ff.).
17.84
5. Kündigung im Zusammenhang mit Outsourcing und Auftragsnachfolge Gerade im Zusammenhang mit der Entscheidung, bestimmte Aufgaben eines Unternehmens extern – also an einen anderen Rechtsträger – zu vergeben (Outsourcing), ist in den vergangenen Jahren vermehrt die Frage diskutiert worden, ob und inwieweit der Rechtsträger, der sich zur Fremdvergabe entschlossen hat, die derzeit mit den betroffenen Aufgaben beschäftigten 1 BAG v. 20.4.1989 – 2 AZR 431/88, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 6, S. 5 f. 2 BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86, AP Nr. 67 zu § 613a BGB, Bl. 3, 4; BAG v. 2.12.1999 – 8 AZR 796/98, NZA 2000, 369, 371. 3 LAG Nürnberg v. 26.8.1996 – 7 Sa 981/95, LAGE § 613a BGB Nr. 5, S. 9.
Niklas | 645
17.85
§ 17 Rz. 17.85 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
Arbeitnehmer kündigen kann. Die gleiche Frage wird – losgelöst von der Frage einer ggf. damit einhergehenden Betriebs- oder Unternehmensspaltung – dann aktuell, wenn ein Vertrag über die Vornahme einer Dienst- oder Werkleistung endet und an einen anderen Unternehmer vergeben wird (Auftragsnachfolge).
17.86
Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, ob der entsprechende Vorgang als Betriebs- oder Betriebsteilübergang i.S.d. § 613a BGB anzusehen ist. Denn nur dann kommt überhaupt das besondere Verbot einer Kündigung wegen des Betriebs(teil-)übergangs in Betracht.
17.87
Bei der Kennzeichnung des Betriebs(teil-)übergangs im Zusammenhang mit Outsourcing und Auftragsnachfolge gelten die allgemeinen Kriterien, die an anderer Stelle eingehend dargestellt wurden (vgl. Rz. 4.89 ff.).
17.88
Erforderlich ist damit zunächst einmal, dass der von der Vergabe betroffene Bereich als organisatorisch abgrenzbare Einheit geführt wurde. Aufgaben, die bislang übergreifend in verschiedenen Abteilungen oder in verschiedenen Standorten organisiert waren, können nicht Gegenstand eines Betriebs(teil-)übergangs sein (z.B. EDV-Fachleute in jeder Abteilung). Das Gleiche gilt dann, wenn lediglich Aufgaben, die bislang innerhalb einer Abteilung verrichtet wurden (z.B. Lohn- und Gehaltsabrechnung innerhalb der Personalabteilung), outgesourct werden. Unerheblich ist, ob der Rechtsträger, der diese Arbeiten übernimmt, wesentliche Betriebsmittel erhält oder Arbeitnehmer übernimmt, die bislang mit diesen Aufgaben beschäftigt wurden. Unerheblich ist auch, wenn er die mit diesen Aufgaben beschäftigten Arbeitnehmer und Betriebsmittel in Form eines eigenständigen Betriebs oder Betriebsteils organisiert. Denn die organisatorische Einheit, die Gegenstand von § 613a BGB sein soll, muss bereits vor ihrer Übertragung bestanden haben (vgl. Rz. 4.73 ff.).
17.89
Wenn eine organisatorische Einheit gegeben war, die von der Fremdvergabe betroffen ist, setzt die Anwendbarkeit von § 613a BGB voraus, dass diese Einheit übertragen wird. Bei der Feststellung eines Übergangs sind alle Umstände des Einzelfalls im Rahmen einer Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Ein Übergang liegt insbesondere dann vor, wenn materielle oder immaterielle Betriebsmittel, die für die Einheit von wesentlicher Bedeutung sind, auf den potenziellen Erwerber mit dem Ziel übertragen werden, diesem die beabsichtigte Fortsetzung der Tätigkeit zu ermöglichen. In Branchen, in denen die menschliche Arbeitskraft eine hervorgehobene Bedeutung besitzt, kann ein solcher Übergang auch dadurch bewirkt werden, dass der potenzielle Erwerber Arbeitnehmer einstellt, die nach Zahl und/oder Sachkunde für die Teileinheit wesentlich sind, in der sie durch einen anderen Rechtsträger – den potenziellen Veräußerer – bislang eingesetzt wurden, und mit diesen die gleiche oder gleichartige Tätigkeit tatsächlich fortsetzt (vgl. Rz. 4.18 ff). Eine bloße Funktionsnachfolge, bei der weder Arbeitnehmer noch Betriebsmittel übergeleitet werden, genügt für die Anwendung von § 613a BGB nicht (vgl. Rz. 4.89 f.).
17.90
Wenn ein Betriebs(teil-)übergang vorliegt, darf dieser allein nicht zum Anlass genommen werden, Arbeitnehmer zu kündigen. Der Umstand, dass der übertragende Rechtsträger die fremdvergebene Aufgabe selbst nicht mehr verrichtet, stellt also keinen Grund für eine betriebsbedingte Kündigung dar. Denn damit würde der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses beim übernehmenden Rechtsträger, letztlich also auch der Bestandsschutz aus § 613a BGB, vereitelt. Voraussetzung ist, dass – wie eingangs ausgeführt (vgl. Rz. 17.36 ff.) – ein Konzept für eine Umstrukturierung und Aufgabenneuverteilung vorliegt, die auch die Zeit nach dem Übergang der Teileinheit auf den anderen Rechtsträger umfasst. Es müssen also Rationalisierungsmaßnahmen geplant sein, die trotz der Fortführung des Betriebs oder Betriebsteils durch den anderen Rechtsträger umgesetzt werden sollen. Dann erst kann von einem Wegfall des Ar646 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.94 § 17
beitsplatzes ausgegangen werden. Wenn darüber hinaus keine Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung gegeben ist und die Vorgaben zur Sozialauswahl beachtet werden, ist die Kündigung sozial gerechtfertigt. Liegt kein Betriebs- oder Betriebsteilübergang vor, begründet bereits die unternehmerische Entscheidung, die in Rede stehenden Arbeiten selbst nicht mehr zu verrichten, einen Wegfall des Arbeitsplatzes. Wenn dann die weitergehenden Anforderungen aus § 1 Abs. 2, 3 KSchG beachtet werden, ist die Kündigung sozial gerechtfertigt.
17.91
6. Besonderer Kündigungsschutz bei der Spaltung oder Teilübertragung gemäß § 323 Abs. 1 UmwG a) Unmittelbarer Anwendungsbereich Kündigungsrechtlich für den Fall der Umwandlung in Form der Spaltung oder Teilübertragung1 bedeutsam ist § 323 Abs. 1 UmwG. Dort wird bestimmt:
17.92
Die kündigungsrechtliche Stellung eines Arbeitnehmers, der vor dem Wirksamwerden einer Spaltung oder Teilübertragung nach dem Dritten oder Vierten Buch zu dem übertragenden Rechtsträger in einem Arbeitsverhältnis steht, verschlechtert sich aufgrund der Spaltung oder Teilübertragung für die Dauer von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens nicht.
aa) Persönlicher Geltungsbereich Einvernehmen besteht zunächst einmal darüber, dass die gesetzliche Regelung nur solche Arbeitnehmer begünstigt, die vor der Spaltung oder der Teilübertragung bei dem übertragenden Rechtsträger beschäftigt waren. Arbeitnehmer, die der übernehmende Rechtsträger zu diesem Zeitpunkt bereits beschäftigte, können sich auf den gesetzlichen Bestandsschutz nicht berufen2. Richtigerweise wird man darüber hinaus, auch wenn dies durch den Gesetzgeber wohl nicht so gesehen wurde, auch die beim übertragenden Rechtsträger verbleibenden Arbeitnehmer in den persönlichen Geltungsbereich von § 323 Abs. 1 UmwG aufnehmen müssen3. Voraussetzung ist lediglich, dass das Arbeitsverhältnis vor dem Wirksamwerden der Spaltung oder Teilübertragung mit dem übertragenden Rechtsträger bestanden hat4, wobei entscheidend der Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags und nicht die tatsächliche Arbeitsaufnahme ist5.
17.93
bb) Sachlicher Geltungsbereich Hinsichtlich des sachlichen Geltungsbereichs von § 323 Abs. 1 UmwG besteht zwar Einigkeit darüber, dass solche kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften ausgegrenzt werden, die von subjektiven Voraussetzungen des Geschützten abhängen, soweit diese Voraussetzungen nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses entfallen sind (z.B. Mutterschutz, Elternzeit)6. Im Üb-
1 Für eine analoge Anwendung des § 323 Abs. 1 UmwG auf Verschmelzungen: APS/Steffan, § 323 UmwG Rz. 17. 2 KR/Spilger, §§ 322-324 UmwG Rz. 48; Semler/Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 4. 3 APS/Steffan, § 323 UmwG Rz. 3; KR/Spilger, §§ 322-324 UmwG Rz. 48; Mengel, Umwandlungen, S. 264; Schmitt/Hörtnagl/Langner, § 323 UmwG Rz. 5; Semler/Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 4. 4 Schmitt/Hörtnagl/Langner, § 323 UmwG Rz. 5. 5 Schmitt/Hörtnagl/Langner, § 323 UmwG Rz. 5; Semler/Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 4. 6 Schaub, FS Wlotzke, S. 103, 110.
Niklas | 647
17.94
§ 17 Rz. 17.94 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
rigen aber wird nach wie vor kontrovers diskutiert, wie der Begriff der „kündigungsrechtlichen Stellung“ auszulegen ist.
17.95
Ein Teil des Schrifttums1 geht im Rahmen einer engen Auslegung davon aus, dass mit § 323 Abs. 1 UmwG nur der rechtliche Status quo geschützt wird. Gewährleistet werde danach, dass sich die Arbeitnehmer etwa auf die Anwendung des KSchG berufen könnten, selbst wenn die Schwellenwerte des § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG nicht (mehr) erreicht würden. Voraussetzung sei lediglich, dass in dem Betrieb vor der Umwandlung die für eine Geltung des KSchG erforderliche Arbeitnehmerzahl beschäftigt gewesen sei. Auf die Beibehaltung des faktischen kündigungsrechtlichen Umfelds könnten sich die Arbeitnehmer demgegenüber nicht berufen.
17.96
Ein anderer Teil des Schrifttums2 nimmt eine weite Auslegung vor. Diese kommt zu dem Ergebnis, dass § 323 Abs. 1 UmwG den von einer Spaltung oder Teilübertragung betroffenen Arbeitnehmer so stellen soll, wie er vor dem Wirksamwerden der Umwandlung gestanden hat. Damit werde nicht nur das Überschreiten der Schwellenwerte für die Anwendung des KSchG (§ 23 KSchG) für zwei Jahre gesichert. Auch im Hinblick auf den aus § 1 KSchG folgenden Kündigungsschutz solle für diese Zeit eine Gleichstellung erreicht werden. Gesichert werden solle somit neben dem rechtlichen auch der faktische Status quo. Konsequenz dieser Bewertung ist nicht nur, dass freie Arbeitsplätze des übertragenden Rechtsträgers und des übernehmenden Rechtsträgers bzw. – falls es mehrere übernehmende Rechtsträger gibt – sämtlicher übernehmender Rechtsträger, soweit sie durch Übertragung aus dem bisherigen Rechtsträger entstanden sind, bei der Frage einer Weiterbeschäftigung einbezogen werden. Auch die Sozialauswahl wird nach dieser Bewertung übergreifend so vorgenommen, dass die beim übertragenden Rechtsträger verbleibenden und die auf andere Rechtsträger übergeleiteten Arbeitnehmer – Vergleichbarkeit der Tätigkeit vorausgesetzt (vgl. Rz. 15.21) – in die Abwägung nach § 1 Abs. 3 KSchG einbezogen werden.
17.97
Unproblematisch ist das unterschiedliche Auslegungsergebnis dann, wenn der Betrieb im Anschluss an die Umwandlung als gemeinsamer Betrieb der beteiligten Rechtsträger fortgeführt wird und die Rechtsträger nur in diesem Betrieb Arbeitnehmer beschäftigen. Denn hier wird der Status quo bereits durch die Rechtsfolgen eines Gemeinschaftsbetriebs gewährleistet. Ein Rückgriff auf § 323 Abs. 1 UmwG ist in diesem Fall, insbesondere mit Blick auf § 322 UmwG, überflüssig. Kallmeyer3 empfiehlt deshalb sogar, für die Dauer von zwei Jahren einen gemeinsamen Betrieb zu bilden.
17.98
Wenn die beteiligten Rechtsträger aber auch andere, kündigungsschutzrechtlich selbstständige Betriebsstätten haben und/oder der von der Spaltung oder Teilübertragung betroffene Betrieb im Zusammenhang mit der Umwandlung – jedenfalls vor Ablauf der Zwei-Jahres-Frist – tatsächlich in mehrere selbstständige Einheiten aufgespalten und in kündigungsschutzrechtlich 1 So Boecken/Düwell/Diller/Hanau/Boecken, § 323 UmwG Rz. 14; Kreßel, BB 1995, 925, 928;.Semler/Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 6; Willemsen, NZA 1996, 791, 800. 2 So Bachner, NJW 1995, 2881, 2884; Boecken Unternehmensumwandlungen, Rz. 275; Däubler, RdA 1995, 136, 143; Düwell, NZA 1996, 393, 397; Kallmeyer, ZIP 1994, 1746, 1757; Mengel, Umwandlungen, S. 267 ff.; einschränkend KR/Spilger, §§ 322-324 UmwG Rz. 41 f., wonach es zumindest im Hinblick auf die Weiterbeschäftigungspflicht auf die Verhältnisse im Betrieb vor der Spaltung oder Teilübertragung ankommen soll; bestünde im Betrieb ohne Spaltung oder Teilübertragung eine Weiterbeschäftigungs- oder Versetzungsmöglichkeit, sei die Kündigung für zwei Jahre ausgeschlossen. 3 Kallmeyer, ZIP 1994, 1746 ff.
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Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.101 § 17
eigenständigen Betrieben der einzelnen Rechtsträger fortgeführt wird, führen die Auslegungsmöglichkeiten zu völlig verschiedenen Ergebnissen. Mit einem Urteil vom 22.9.20051 hat sich das BAG erfreulicherweise der ersten Auffassung angeschlossen. Danach führt die Regelung des § 323 Abs. 1 UmwG nicht dazu, dass hinsichtlich der Sozialauswahl auf die Verhältnisse vor dem Wirksamwerden der Spaltung abzustellen ist. Bloße indirekte bzw. reflexartige Vorteile, die sich allein aus der tatsächlichen Situation im Ursprungsbetrieb ergäben, beträfen – so der 6. Senat – nicht die rechtliche Stellung des Arbeitnehmers. Um einen derartigen indirekten Vorteil handele es sich aber, wenn der gekündigte Arbeitnehmer bezogen auf den Ursprungsbetrieb mit weiteren Arbeitnehmern vergleichbar wäre und eine hierauf bezogene Sozialauswahl zu seinen Gunsten ausfiele. Ob in einem Betrieb mehr oder weniger schutzbedürftige Arbeitnehmer beschäftigt würden, sei eine die Tatsachenebene betreffende Frage, die nur anhand der konkreten Gegebenheiten im jeweiligen Betrieb beurteilt werden könne. Eine rechtliche Stellung i.S.v. § 323 Abs. 1 UmwG werde hierdurch nicht begründet. Hierfür spreche auch die Systematik des § 1 Abs. 3 KSchG. Die Sozialauswahl diene dazu, den Arbeitnehmer herauszufinden, hinsichtlich dessen ein Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung aufgrund einer Unternehmerentscheidung entfallen sei. Von einer im abgespaltenen Unternehmen getroffenen Unternehmerentscheidung würden die im Ursprungsunternehmen verbliebenen Arbeitnehmer nicht berührt. Die in dessen Betrieb bestehenden Beschäftigungsmöglichkeiten würden hierdurch nicht beeinträchtigt. Eine Sozialauswahl scheitere zudem daran, dass ein Austausch zwischen Arbeitnehmern des Ursprungsbetriebs und des Betriebs des abgespaltenen Unternehmens ohne Änderung des Arbeitsvertrags regelmäßig nicht möglich sei. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass der Rechtsträger des abgespaltenen Unternehmens Arbeitnehmern des Ursprungsbetriebs in der Regel nicht kündigen könne. Eine Sozialauswahl zwischen Arbeitnehmern des Betriebs des abgespalteten Unternehmens und des Ursprungsbetriebs finde daher nur dann statt, wenn die Unternehmen nach der Spaltung weiterhin einen gemeinsamen Betrieb führten und dieser zum Zeitpunkt der Kündigung noch bestehe2.
17.99
Diesen Feststellungen ist uneingeschränkt zuzustimmen. Denn schon der Gesetzgeber spricht in der Begründung nur von einer Absicherung der für eine Anwendung von § 1 KSchG maßgeblichen Beschäftigungszahl3. Darüber hinaus wäre § 322 UmwG, wenn die weite Auslegung von § 323 Abs. 1 UmwG der zweiten Auffassung zuträfe, überflüssig. Denn die Arbeitnehmer würden dann so behandelt, als würden sie in einem einheitlichen Betrieb der beteiligten Rechtsträger beschäftigt, selbst wenn die beteiligten Rechtsträger den Betrieb im Anschluss an die Spaltung oder Teilübertragung nicht gemeinsam führen. Der bisherige Status in Bezug auf die Frage der Weiterbeschäftigung und der Sozialauswahl bliebe aufrechterhalten, ohne dass eine Notwendigkeit gegeben wäre, die gemeinsame Führung darzulegen und ggf. zu beweisen4.
17.100
Nach der Entscheidung des BAG vom 22.9.20055 sichert die gesetzliche Regelung somit die Fortgeltung der Anwendung des KSchG, selbst wenn in der nach der Umwandlung bestehenden Einheit die Schwellenwerte des § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG nicht erreicht werden. Weitergehende Verpflichtungen in Bezug auf eine unternehmensübergreifende Anwendbar-
17.101
1 2 3 4 5
BAG v. 22.9.2005 – 6 AZR 526/04, NZA 2006, 658 ff. BAG v. 22.9.2005 – 6 AZR 526/04, NZA 2006, 658, Rz. 28. Vgl. BR-Drucks. 75/94, S. 174 f. So auch Brinkmann, Spaltung von Rechtsträgern, S. 308 f.; Heinze, ZfA 1997, 1, 13 f. BAG v. 22.9.2005 – 6 AZR 526/04, NZA 2006, 658 ff.
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§ 17 Rz. 17.101 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
keit von § 1 KSchG werden nicht begründet. Die kündigungsrechtliche Stellung i.S.d. § 323 Abs. 1 BGB ist allerdings nicht auf die Anwendbarkeit des KSchG beschränkt1. Vielmehr betrifft das Verschlechterungsverbot die gesamte kündigungsrechtliche Stellung2. Anderenfalls wäre nicht erklärbar, warum der Gesetzgeber einerseits von „Kündigungsschutzrecht“ (§ 322 UmwG) – was mit Blick auf den gemeinsamen Betrieb sinnvoll ist – und andererseits von „Kündigungsrechtliche Stellung“ (§ 323 Abs. 1 UmwG) spricht, was eine von § 1 KSchG losgelöste Betrachtungsweise nahelegt. Auch die Begründung des Gesetzesentwurfs macht deutlich, dass die Anwendbarkeit des KSchG nur ein Anwendungsbereich von § 323 Abs. 1 UmwG ist3. Der Sonderkündigungsschutz besonders geschützter Personen wird mithin ebenso aufrechterhalten, soweit er, wie z.B. nach § 15 KSchG Abs. 1 Satz 2 KSchG, individuell aufrechterhalten werden kann. Allerdings wird dieser Schutz für Arbeitnehmervertreter, die als Folge der Betriebsspaltung ihr Mandat verlieren, aufgrund von § 323 Abs. 1 UmwG für zwei Jahre festgeschrieben, d.h. der einjährige Schutz wird verdoppelt4. Ferner soll § 323 Abs. 1 UmwG auch die befristete Fortgeltung solcher Kollektivregelungen zum Kündigungsschutz sichern, die an sich nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den übernehmenden Rechtsträger nach Maßgabe von § 613a Abs. 1 Satz 3, 4 BGB abgelöst wurden5. Als Beispiel sei hier nur auf kollektive Regelungen zu Kündigungsfristen und einen tarifvertraglichen Sonderkündigungsschutz hingewiesen. Entsprechendes gilt für kündigungsrechtliche Zusagen in einem betrieblichen Bündnis für Arbeit, sofern dieses den Schranken aus § 4 Abs. 3 TVG, § 77 Abs. 3 BetrVG Rechnung trägt. Für einzelvertragliche Regelungen (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB) ist eine solche Gewährleistung nicht erforderlich. Bei kollektivvertraglichen Regelungen, die als Bestandteil des Arbeitsvertrags fortgelten, gilt nur die Modifizierung, dass die Ein-Jahres-Frist des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB auf zwei Jahre ausgedehnt wird6. § 323 Abs. 1 UmwG ist insoweit lex specialis zu § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB7. Eine Fortgeltung betriebsbezogener Vorschriften, die lediglich mittelbar auch die Situation des Arbeitnehmers verbessern können (z.B. § 17 KSchG, §§ 102, 111, 112 BetrVG), kann nicht mit § 323 Abs. 1 UmwG begründet
1 So aber Bauer/Lingemann, NZA 1994, 1057, 1060 f.; ebenso – wenn auch nicht ganz eindeutig – Kreßel, BB 1995, 925, 928. 2 Ebenso APS/Steffan, § 323 UmwG Rz. 8; KR/Spilger, §§ 322-324 UmwG Rz. 46; Schmitt/Hörtnagl/ Langner, § 323 UmwG Rz. 6; Semler/Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 7; WHSS/Willemsen/Sittard, Umstrukturierung, H Rz. 155; Wlotzke, DB 1995, 40, 44. 3 BT-Drucks. 12/6699, S. 175: „dies betrifft insbesondere § 23 Abs. 1 KSchG.“ 4 APS/Steffan, § 323 UmwG Rz. 13; Henssler/Strohn/Moll, § 323 UmwG Rz. 8; KR/Spilger, §§ 322324 UmwG Rz. 52; Schmitt/Hörtnagl/Langner, § 323 UmwG Rz. 7a; Semler/Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 12; WHSS/Willemsen/Sittard, Umstrukturierung, H Rz. 153. 5 KR/Spilger, §§ 322-324 UmwG Rz. 42; Schmitt/Hörtnagl/Langner, § 323 UmwG Rz. 8; abl. Semler/ Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 16 und WHSS/Willemsen/Sittard, Umstrukturierung, H Rz. 156, die bei Kollektivvereinbarungen einen Vorrang von § 613a Abs. 1 Satz 2, 3 BGB gegenüber § 323 Abs. 1 UmwG annehmen. Ausgehend davon, dass § 323 Abs. 1 UmwG die gegenüber §§ 324 UmwG, 613a Abs. 1 Satz 2, 3 BGB speziellere Regelung trifft, erscheint dies aber nicht richtig. 6 Ebenso APS/Steffan, § 323 UmwG Rz. 11; Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 303; abl. Brinkmann, Spaltung von Rechtsträgern, S. 319 f. und Heinze, ZfA 1997, 1, 14, deren Begründung, eine Fortgeltung der kündigungsschutzrechtlichen Regelungen eines Tarifvertrags sei mit der Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) nicht vereinbar, indes übersieht, dass auch die Koalitionsfreiheit unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlich geschützten Interessen der Arbeitnehmer (Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG) eingeschränkt werden kann. Von dieser Möglichkeit hat der Gesetzgeber durch § 323 Abs. 1 UmwG Gebrauch gemacht. 7 Ebenso KR/Spilger, §§ 322-324 UmwG Rz. 42; Schalle, Bestandsschutz, S. 266 f.; Wlotzke, DB 1995, 40, 44.
650 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.104 § 17
werden1. Entsprechendes gilt für § 103 BetrVG, sobald das Übergangsmandat gemäß § 21a BetrVG beendet ist2. Im Übrigen würde die Weitergeltung betriebsverfassungsrechtlicher Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte auf der Grundlage von § 323 Abs. 1 UmwG die Regelungen zum Übergangsmandat (§ 21a BetrVG) bzw. zu etwaigen Vereinbarungen über die Fortgeltung von Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechten des Betriebsrats (§ 325 Abs. 2 UmwG), die diese Fragen spezialgesetzlich regeln, weitgehend überflüssig machen3. Kündigungsschutz über die Beteiligung des Betriebsrats wird im Anschluss an eine Spaltung deshalb allein durch die Regelungen zum Übergangsmandat gewährleistet. Dass mit der Fortgeltung der kündigungsschutzrechtlichen Regelungen eines Tarifvertrags oder einer Betriebsvereinbarung insbesondere dann, wenn diese ein Verbot der ordentlichen Kündbarkeit von Arbeitnehmern enthalten, im Betrieb des übernehmenden Rechtsträgers die Gefahr einer „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ begründet wird, muss, da es sich um eine gesetzlich bestimmte Spezialregelung zu den allgemeinen Vorgaben aus § 1 Abs. 3 KSchG handelt, hingenommen werden. Voraussetzung ist allerdings, dass die beim übertragenden Rechtsträger geltende Einschränkung der Kündigungsbefugnis des Arbeitgebers überhaupt wirksam war. Dies ist, wie an anderer Stelle erörtert wird (vgl. Rz. 17.170 ff.), nicht der Fall, wenn schon beim übertragenden Rechtsträger durch solche Regelungen bewirkt wurde, dass – entgegen den Vorgaben in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG – sozial schutzwürdigere Arbeitnehmer anstelle der Arbeitnehmer mit entsprechendem Sonderkündigungsschutz gekündigt werden konnten.
17.102
b) Anwendbarkeit außerhalb einer Umwandlung Angesichts der Diskussion um die analoge Anwendbarkeit der § 321 UmwG a.F., § 21a BetrVG stellt sich auch im Hinblick auf § 323 Abs. 1 UmwG die Frage einer möglichen Analogie oder eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes bei solchen Übertragungsvorgängen, die außerhalb des UmwG vorgenommen werden4.
17.103
Sowohl eine Analogie als auch das Vorliegen eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes sind jedoch abzulehnen5. Eine Analogie scheitert am Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke. Zwar ist die Problematik, dass die Ausgliederung von Kleinbetrieben zur Umgehung des Kündigungsschutzes genutzt werden könnte, bei der Diskussion über die Kleinbetriebsklausel vor dem Inkrafttreten des Umwandlungsbereinigungsgesetzes nicht erwähnt worden6. Im Gesetzgebungsverfahren ist sie aber ausdrücklich angesprochen worden7. Insoweit ist § 323 Abs. 1
17.104
1 APS/Steffan, § 323 UmwG Rz. 15; Bauer/Lingemann, NZA 1994, 1057, 1060; Henssler/Strohn/Moll, § 323 UmwG Rz. 10; Schmitt/Hörtnagl/Langner, § 323 UmwG Rz. 9; Semler/Stengel/Simon, § 323 UmwG Rz. 15 f.; abw. Heinze, ZfA 1997, 1, 13 f., der einerseits eine Ausweitung auf § 17 KSchG vornimmt, andererseits aber eine Einbeziehung der in §§ 99, 111 ff. BetrVG enthaltenen Vorgaben in den Anwendungsbereich von § 323 Abs. 1 UmwG ablehnt. A.A. Däubler, RdA 1995, 136, 144; Herbst, AiB 1995, 5, 12. 2 Vgl. WHSS/Willemsen/Sittard, Umstrukturierung, H Rz. 153. 3 Vgl. Brinkmann, Spaltung von Rechtsträgern, S. 300 f.; Müller-Ehlen, Übergang von Arbeitsverhältnissen, S. 159 f. 4 Für die Annahme einer solchen Analogie bzgl. eines solchen Rechtsgedankens: Däubler, RdA 1995, 136, 146; Schalle, Bestandsschutz, S. 324 f. 5 Brinkmann, Spaltung von Rechtsträgern, S. 315 f. (die aber zu Recht auf Ausnahmen bei einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten verweist); KR/Spilger, §§ 322-324 UmwG Rz. 43; Mengel, Umwandlungen, S. 451 f.; Willemsen, NZA 1996, 791, 800. 6 Vgl. nur Ramm, AuR 1991, 257 ff.; Weber, AuR 1995, 113 ff. 7 Vgl. BR-Drucks. 75/99, S. 179 f.
Niklas | 651
§ 17 Rz. 17.104 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
UmwG gerade die Reaktion des Gesetzgebers auf eine Problematik, die im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens deutlich geworden ist.
17.105
Wenn der Gesetzgeber aber eine Regelung allein für die Fälle der Spaltung oder Teilübertragung nach §§ 123 ff., 174 ff. UmwG vornimmt, also auf eine allgemeine Regelung im KSchG verzichtet, ist das Fehlen von Regelungen für Übertragungsvorgänge außerhalb des UmwG nicht als Versehen zu charakterisieren. Im Gegenteil: Der Gesetzgeber wollte ausweislich der Gesetzesbegründung mit der Regelung des § 323 Abs. 1 UmwG eine besondere arbeitsrechtliche Schutzvorschrift allein für die umwandlungsrechtliche Spaltung und Teilübertragung schaffen1.
17.106
Mit der Entscheidung vom 15.2.20072 hat sich der 8. Senat dieser Auffassung angeschlossen und eine analoge Anwendung von § 323 Abs. 1 UmwG auf Fälle außerhalb des Umwandlungsrechts abgelehnt. Neben der Tatsache, dass der Gesetzgeber mit § 323 Abs. 1 eine besondere arbeitsrechtliche Schutzvorschrift allein für das Umwandlungsrecht habe schaffen wollen, ergebe sich dies auch daraus, dass der Gesetzgeber von einer offenbar weitgehend generellen Geltung des § 613a BGB im Umwandlungsrecht ausgegangen sei, für die Spaltung und die Teilübertragung jedoch darüber hinausgehende Sondervorschriften mit den §§ 321 ff. UmwG schaffen wollte. Vor allem aber sei ihm bewusst gewesen, dass er dabei über das Schutzniveau des ebenfalls in die Überlegungen einbezogenen § 613a BGB hinausgehe. Auch der Hinweis der eine analoge Anwendung befürwortenden Auffassung auf die allgemein anerkannte analoge Anwendung des früheren § 321 UmwG auf Fälle außerhalb des Umwandlungsrechts greife nicht. Denn hier habe der Gesetzgeber mit der Schaffung des am 28.7.2001 in Kraft getretenen § 21a BetrVG auf die offenbar als planwidrig empfundene Regelungslücke reagiert und ein allgemeines betriebsverfassungsrechtliches Übergangsmandat geschaffen. Eine Ergänzung des allgemeinen Kündigungsschutzrechts um eine dem § 323 Abs. 1 UmwG entsprechende Vorschrift sei jedoch nicht erfolgt, obwohl er erkannt habe, dass auch außerhalb des Umwandlungsrechts ein Bedürfnis nach allgemeinen Vorschriften bezüglich der Folgen von Betriebsteilungen bestehe. Vielmehr sei er lediglich im Betriebsverfassungsrecht normativ tätig geworden. Mit der Normierung der Verpflichtung zur Unterrichtung der Arbeitnehmer über die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs in § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB habe der Gesetzgeber signalisiert, dass eine Folge des Übergangs des Arbeitsverhältnisses nach § 613a Abs. 1 BGB eine Änderung des Kündigungsschutzes sein könne. Eine analoge Anwendung des § 323 Abs. 1 UmwG komme damit nicht in Betracht3.
17.107
Aus der vorstehend dargelegten Diskussion um die Rechtsfolgen einer Umstrukturierung, die zu einem Unterschreiten der Schwellenwerte in den neuentstehenden Betriebseinheiten führt, folgt auch die Ablehnung des Vorliegens eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes. Voraussetzung hierfür wäre gewesen, dass sich aus § 323 Abs. 1 UmwG allgemeine Grundsätze herausziehen lassen, die über den dort ausdrücklich geregelten Tatbestand hinaus auf der Grundlage allgemeiner Bewertungen auch in anderen Fallgestaltungen zur Anwendung kommen sollen. Dies aber ist, wie schon die Diskussion in Rechtsprechung und Literatur deutlich macht, nicht der Fall. 1 Vgl. BT-Drucks. 12/6699, S. 174: „Die §§ 321 bis 323 sehen arbeitsrechtliche Sondervorschriften für den Fall der Spaltung oder Teilübertragung eines Rechtsträgers nach dem Dritten und Vierten Buch vor. Diese Vorschriften sind notwendig, um den Besonderheiten der neuen Rechtsinstitute der Spaltung und Teilübertragung auch arbeitsrechtlich Rechnung zu tragen“. 2 BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 397/06, NZA 2007, 739 ff. 3 BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 397/06, NZA 2007, 739, Rz. 50.
652 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.110 § 17
Nur bei einer Spaltung oder Teilübertragung, die vom unmittelbaren Anwendungsbereich des § 323 Abs. 1 UmwG erfasst wird, bleibt also die kündigungsrechtliche Stellung für die Dauer von zwei Jahren aufrechterhalten. In den übrigen Tatbeständen einer Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen bleibt es bei den allgemeinen Vorgaben aus § 613a Abs. 1 Satz 1, 4 BGB, § 324 UmwG. Dies gilt insbesondere für den Fortbestand tariflicher Regelungen zum Sonderkündigungsschutz.
17.108
7. Kündigung nach Widerspruch des Arbeitnehmers Widerspricht der von einem Betriebs(teil-)übergang oder einer Umwandlung betroffene Arbeitnehmer gemäß § 613 Abs. 6 BGB dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses (vgl. Rz. 11.156 ff.), bleibt dieses mit ex-tunc-Wirkung beim früheren Arbeitgeber bestehen. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der übertragende Rechtsträger in Folge der Umwandlung erlischt. In den Fällen der umwandlungsrechtlichen Aufspaltung, Verschmelzung oder vollständigen Vermögensübertragung ist ein Widerspruch daher ausgeschlossen1 (vgl. Rz. 11.165 ff.). Ein gleichwohl erklärter Wiederspruch kann auch weder in eine Kündigungserklärung noch in ein Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags umgedeutet werden2 (vgl. Rz. 11.170).
17.109
Da § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB nur vor einer Kündigung wegen des Übergangs des Arbeitsverhältnisses auf einen anderen Rechtsträger schützt, bleibt der übertragende Rechtsträger als ultima ratio allerdings im Anschluss an den Widerspruch zur betriebsbedingten Kündigung berechtigt, wenn keine Möglichkeit besteht, den Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen (§ 1 Abs. 2 KSchG)3. Schließlich kann der Arbeitnehmer durch § 613a BGB nicht auch noch davor geschützt werden, dass der bisherige Arbeitgeber nach dem Betriebs(teil-)übergang keine oder nur noch eine eingeschränkte Beschäftigungsmöglichkeit für den widersprechenden Arbeitnehmer hat4. Der Arbeitgeber ist überdies grundsätzlich nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer dieses Risiko dadurch zu nehmen, dass er ihn in einen anderen Betrieb seines Unternehmens versetzt. Dies gilt nach einem Urteil des 8. Senats vom 21.2.20135 jedenfalls dann, wenn er den anderen Betrieb ebenfalls bereits an einen Betriebserwerber veräußert hat und er diesem – nach Abschluss der Übernahmevereinbarungen – einen zusätzlich zu übernehmenden Arbeitnehmer „verschaffen“ würde. Eine Berechtigung zur Kündigung der widersprechenden Arbeitnehmer besteht auch für den Öffentlichen Dienst, wenn nach der privatisierenden Übertragung einzelner Bereiche auf externe Rechtsträger eine Dienststelle aufgelöst wird und keine Möglichkeit besteht, den widersprechenden Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen6. Soweit Woeller7 vorschlägt, der Arbeitnehmer solle den Widerspruch mit der Bedingung verbinden, dass der Betriebsveräußerer ihn weiter beschäftigen könne, so ist dies wegen des rechtsgestaltenden Charakters des Widerspruchsrechts unzulässig (vgl. Rz. 11.189).
17.110
1 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815, Rz. 20. 2 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815, Rz. 29. 3 BAG v. 21.3.1996 – 2 AZR 559/95, AP Nr. 81 zu § 102 BetrVG 1972, Bl. 4; BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 190/98, NZA 1999, 870, 871; APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 225; Bauer/Lingemann, NZA 1994, 1057, 1061; ErfK/Preis, § 613a BGB, Rz. 106; KR/Treber, § 613a BGB Rz. 79. 4 BAG v. 19.3.1998 – 8 AZR 139/97, EzA § 613a BGB Nr. 163, S. 4; BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/ 11, NZA 2013, 617, 622. 5 BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617, Rz. 48. 6 BAG v. 22.8.1996 – 2 AZR 5/96, ZTR 1997, 190; vgl. zu Privatisierungen, deren Rahmen und Rechtsfolgen Mückl/Fuhlrott/Niklas/Otto/Schwab/Niklas, Arbeitsrecht in der Umstrukturierung, 5. Kapitel, Rz. 162 ff. 7 Woeller, AiB 1994, 598 f.
Niklas | 653
§ 17 Rz. 17.111 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
17.111
Grundsätzlich müssen indes auch bei einer Kündigung nach einem Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses die allgemeinen Schranken aus § 1 KSchG berücksichtigt werden. Uneingeschränkt gilt dies für die unternehmensbezogene Überprüfung der Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung auf freien Arbeitsplätzen1. Dabei ist der übertragende Rechtsträger nach einem Urteil des BAG vom 15.8.20022 sogar verpflichtet, zumindest bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB zumutbare freie Arbeitsplätze freizuhalten, wenn er mit dem Widerspruch des Arbeitnehmers rechnen muss. Jedenfalls ab dem Zeitpunkt, in dem er den Arbeitnehmer gemäß § 613a Abs. 5 BGB über den bevorstehenden Betriebsübergang unterrichtet habe, müsse er – so der 2. Senat – mit dem Widerspruch rechnen. Losgelöst hiervon sind auch solche Arbeitsplätze einzubeziehen, die im Rahmen der Kündigungsfrist nach Ausspruch der Kündigung z.B. durch die Kündigung anderer Arbeitnehmer oder deren Ausscheiden durch Aufhebungsvertrag oder nach Erreichen der Altersgrenze frei werden. Allerdings muss eine solche Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bereits zum Zeitpunkt der Kündigung für den Arbeitgeber bekannt gewesen sein3. Nur ausnahmsweise können Arbeitsplätze, die nach Ablauf der Kündigungsfrist frei werden, einbezogen werden4. Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten, die erst nach Ausspruch der Kündigung erkennbar werden, können allenfalls einen Wiedereinstellungsanspruch auslösen (vgl. Rz. 17.218 ff.). Ein Anspruch darauf, im Wege der Arbeitnehmerüberlassung in dem von einem anderen Rechtsträger übernommenen Betrieb oder Betriebsteil eingesetzt zu werden, besteht nicht. Die unternehmerische Entscheidung, sich auch im Wege der Arbeitnehmerüberlassung zu betätigen, obliegt allein dem übertragenden Rechtsträger5. Dies gilt insbesondere deshalb, weil freie Arbeitsplätze nicht neu geschaffen werden müssen. Im Übrigen ist § 1 Abs. 2 KSchG auf die Beschäftigung im Unternehmen beschränkt6.
17.112
Im Gegensatz zu der von einem Teil des Schrifttums vertretenen Ansicht7 ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BAG davon auszugehen, dass an sich auch bei einer betriebsbedingten Kündigung nach einem Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses im Zusammenhang mit einem Betriebsteilübergang bzw. einer Umwandlung eine ordnungsgemäße Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) durchzuführen ist8. Auf diese Weise wird
1 Bauer, DB 1983, 713, 714; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 106; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 357. 2 BAG v. 15.8.2002 – 2 AZR 195/01, NZA 2003, 430, 431; krit. hierzu: Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 330. 3 BAG v. 15.12.1994 – 2 AZR 327/94, NZA 1995, 521, 525. 4 Vgl. BAG v. 15.12.1994 – 2 AZR 327/94, NZA 1995, 521, 525. 5 BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366, Rz. 44; a.A. Plander, NZA 2002, 69, 72 ff. 6 A.A. Silberberger, Veränderungsprozesse, S. 58, der einen konzerndimensionalen Weiterbeschäftigungsanspruch zugrunde legt. 7 Vgl. Bauer, DB 1983, 714 f.; Helpertz, DB 1990, 1562 f.; Ingelfinger, ZfA 1996, 591, 605 ff.; Lipinski, DB 2002, 1214, 1216; Pauly, ZTR 2009, 63, 64; zumindest zweifelnd Nicolai, BB 2006, 1162, 1165. 8 So schon für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003: BAG v. 7.4.1993 – 2 AZR 449/91, DB 1993, 1877, 1878 f.; BAG v. 21.3.1996 – 2 AZR 559/95, AP Nr. 81 zu § 102 BetrVG 1972, Bl. 5; BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 190/98, NZA 1999, 870, 871 f.; D. Gaul, ZfA 1990, 87, 95; Künzel, ZTR 1996, 385, 392; Lunk, NZA 1995, 711, 712; Moll, NJW 1993, 2016, 2017; für die Zeit nach dem Inkrafttreten des Gesetzes: BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33, Rz. 50; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 108; Eylert/Spinner, BB 2008, 50, 52 f.; B. Gaul, NZA 2005, 730, 731; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 358; Lunk/Möller, NZA 2004, 9, 13; Meyer, NZA 2005, 9, 12.
654 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.113 § 17
auch dem Maßregelungsverbot in § 612a BGB Rechnung getragen1. Der Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer ist dabei nicht auf die Arbeitnehmer begrenzt, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprochen haben. Eine solche Begrenzung, die vor allem von Pietzko2 gefordert worden war, lässt sich weder dem Wortlaut noch der Entstehungsgeschichte von § 613a BGB entnehmen. Vielmehr haben die dem Übergang widersprechenden Arbeitnehmer, da sie – wie von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorausgesetzt – aufgrund einer betriebsbezogenen Maßnahme des Arbeitgebers vom Wegfall ihres Arbeitsplatzes betroffen sind, einen Anspruch darauf, dass in die Sozialauswahl auch die vergleichbaren Arbeitnehmer des Restbetriebs einbezogen werden. Nach den allgemeinen Grundsätzen (vgl. Rz. 15.21) sind alle Arbeitnehmer vergleichbar, die auf einem Arbeitsplatz beschäftigt sind, auf dem der Arbeitgeber den ursprünglich von einer Überleitung seines Arbeitsverhältnisses betroffenen Arbeitnehmer kraft seines Direktionsrechts einsetzen kann3. Eine unternehmensbezogene Sozialauswahl ist – entsprechend der ständigen Rechtsprechung4 – auch in diesem Zusammenhang abzulehnen. Daraus folgt, dass eine Sozialauswahl lediglich dann entfällt, wenn ein gesamter Betrieb übertragen wird und der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widerspricht5. Da die Wirksamkeit des Widerspruchs nicht an das Vorliegen eines besonderen Grundes geknüpft ist6, wurde indes lange Zeit überwiegend verlangt, dass die Gründe für den Widerspruch im Rahmen der Sozialauswahl Berücksichtigung finden7. Schließlich müsse – so das BAG – bei der Prüfung der sozialen Schutzwürdigkeit aller vergleichbaren Arbeitnehmer die Tatsache berücksichtigt werden, dass der Arbeitnehmer mit dem Widerspruch die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung aufgegeben habe und erst dadurch ein dringendes betriebliches Erfordernis für die Kündigung geschaffen wurde. Insoweit könne der soziale Besitzstand des gekündigten Arbeitnehmers nicht unabhängig von den Gründen beurteilt werden, aus denen er die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit einem anderen Arbeitgeber ablehne. Solle statt seiner ein anderer Arbeitnehmer gekündigt werden, der die Möglichkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht habe, müssten „berechtigte Gründe“ des Arbeitnehmers vorliegen, der sich auf die soziale Auswahl zu Lasten des Arbeitskollegen berufe8.
1 LAG Hamm v. 19.7.1994 – 6 Sa 30/94, DB 1994, 2242, 2243; B. Gaul, NZA 2005, 730, 733; Nägele, ArbRB 2004, 312, 314; Schumacher-Mohr/Urban, NZA 2008, 513, 515; Soweit Helpertz (DB 1990, 1562, 1563) aus § 612a BGB die Verpflichtung ableitet, auf jede Einschränkung der Sozialauswahl zu Lasten des widersprechenden Arbeitnehmers zu verzichten, kann dem nicht gefolgt werden. Die Möglichkeit, auch im Rahmen von § 612a BGB aus sachlichem Grund Differenzierungen vorzunehmen, bleibt unberücksichtigt. 2 Tatbestand des § 613a BGB, S. 307. 3 BAG v. 15.8.2002 – 2 AZR 195/01, NZA 2003, 430, 432; BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33, Rz. 49.; Eylert/Spinner, BB 2008, 50, 52 f.; Meyer, NZA 2005, 9, 12. 4 Vgl. zuletzt etwa BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 38/19, NZA 2019, 1427, Rz. 26. 5 Vgl. ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 107; D. Gaul, ZfA 1990, 87, 94 f.; Lunk, NZA 1995, 711, 715. 6 BAG v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, NZA 2005, 43, 46; BAG v. 19.2.2009 – 8 AZR 176/08, NZA 2009, 1095, Rz. 24; BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279, Rz. 79; KR/Treber, § 613a BGB Rz. 71; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 308. 7 BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 190/98, NZA 1999, 870, 871 f.; BAG v. 24.2.2000 – 8 AZR 167/99; NZA 2000, 764, 766; BAG v. 22.4.2004 – 2 AZR 244/03, NZA 2004, 1389, 1391; a.A. Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 89; Helpertz, DB 1990, 1562, 1563 f. und Hüper, Betrieb im Unternehmerzugriff, S. 89, die jede Berücksichtigung des Widerspruchs abgelehnt haben. 8 So ausdrücklich BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 190/98, NZA 1999, 870, 872, und BAG v. 24.2.2000 – 8 AZR 167/99; NZA 2000, 764, 766; ebenso Bauer, DB 1983, 714.
Niklas | 655
17.113
§ 17 Rz. 17.114 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
17.114
Mit dem Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 wurde § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG (wieder) dahingehend geändert, dass der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers im Rahmen der Sozialauswahl nicht mehr „soziale Gesichtspunkte“, sondern „lediglich“ die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers ausreichend zu berücksichtigen hat. Da diese vier Sozialkriterien als abschließend zu betrachten sind, ist für eine Berücksichtigung der Gründe für den Widerspruch gegen den Betriebs(teil-)übergang im Rahmen der Sozialauswahl grundsätzlich kein Raum mehr1. Folgerichtig hat auch das BAG mit Urteil vom 31.5.20072 seine vorangegangene Rechtsprechung zur Berücksichtigung der Widerspruchsgründe im Rahmen der Sozialauswahl aufgegeben. Dieser Rechtsprechungsänderung stehe das Regelungsziel des § 1 Abs. 3 KSchG nicht entgegen, nämlich zu einer gerechten Verteilung der verbliebenen Arbeitsplätze unter den Arbeitnehmern beizutragen. Denn der Gesetzgeber habe durch die Begrenzung der Sozialauswahl auf vier Kriterien diese rechtssicher ausgestalten wollen. Dieser gesetzgeberische Wille würde durch den Rückgriff auf vermeintlich allgemeine Wertungen bei der Sozialauswahl aber konterkariert. Die Gründe für den Widerspruch des Arbeitnehmers gegen einen Betriebs(teil)übergang könnten – so der 2. Senat – grundsätzlich auch nicht über § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG Berücksichtigung finden3. Die danach gegebene Möglichkeit, einzelne Arbeitnehmer in die Sozialauswahl nicht einzubeziehen, wenn ihre Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt, stelle regelmäßig keine Möglichkeit dar, alle Arbeitnehmer, die vom Betriebs(teil)übergang nicht betroffen waren, nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen und damit letztlich den Kreis der für eine Kündigung in Betracht zu ziehenden Arbeitnehmer auf die widersprechenden zu beschränken. Eine solche Nichtberücksichtigung dieser Arbeitnehmer könne insbesondere nicht auf die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur gestützt werden. Allenfalls dann, wenn durch den Widerspruch etwa einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern gegen einen Betriebsteilübergang und der in der Folge vom Arbeitgeber durchzuführenden Sozialauswahl tiefgreifende Umorganisationen notwendig würden, die zu schweren betrieblichen Ablaufstörungen führen könnten, könnten ggf. über § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG Teile der vom Betriebsteilübergang nicht betroffenen Arbeitnehmer von der Sozialauswahl ausgenommen sein4.
1 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 108; Eylert/Spinner, BB 2008, 50, 52 f.; B. Gaul, NZA 2005, 730, 731; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 358; KR/Treber, § 613a BGB Rz. 80; einschränkend Lunk/ Möller (NZA 2004, 9, 13) und Meyer (NZA 2005, 9, 12), die für den Fall des Widerspruchs gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses ohne sachlichen Grund annehmen, dass ein „sonstiges berechtigtes betriebliches Bedürfnis“ i.S.d. § 1 Abs. 3, 2 KSchG vorliege, welches die Herausnahme der nicht von dem Betriebsteilübergang betroffenen Arbeitnehmer rechtfertige; Quecke (ZIP 2007, 1846, 1848) und Schumacher-Mohr/Urban (NZA 2008, 513, 516 f.) sprechen sich für eine teleologische Reduktion des Widerspruchsrechts nach § 613a Abs. 6 BGB aus; ebenso einschränkend APS/ Steffan, § 613a BGB Rz. 228 und Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 331, die zwar einerseits davon ausgehen, dass die bisherige Rechtsprechung zur Berücksichtigung des Widerspruchsgrundes bei der Sozialauswahl aufgrund des neu gefassten § 1 Abs. 3 KSchG zum 1.1.2004 nicht mehr aufrecht zu erhalten gewesen sei, andererseits jedoch die Auffassung vertreten, dass nur dann in eine Sozialauswahl einzutreten sei – dann aber in vollem Umfang –, wenn ein sachlicher Grund für den Widerspruch vorliege, er also unter dem Gesichtspunkt der sozialen Sicherung gerechtfertigt und durch den Betriebs(teil-)übergang provoziert worden sei. 2 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33, Rz. 51. 3 So aber Lunk/Möller, NZA 2004, 9, 13 f.; Meyer, NZA 2005, 9, 12. 4 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33, Rz. 59 f.
656 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.118 § 17
Diesen Feststellungen des 2. Senats ist uneingeschränkt zuzustimmen. Denn lässt man die Möglichkeit der Herausnahme einzelner Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG einmal außer Acht, enthält das KSchG keinerlei Anhaltspunkte mehr für die Rechtfertigung einer Einschränkung der Sozialauswahl zum Nachteil der Arbeitnehmer, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprochen haben. Im Gegenteil: § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG begrenzt das Ermessen des Arbeitgebers auf die Berücksichtigung von vier Kriterien, die allesamt keinerlei Bezug zu den Gründen eines Widerspruchs haben1.
17.115
8. Kündigung bei Fortbestand als gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen Denkbar ist, dass der von der Übertragung eines Teils seines Vermögens betroffene Betrieb im Anschluss an den Übertragungsvorgang als gemeinsamer Betrieb der an der Übertragung beteiligten Rechtsträger fortbesteht.
17.116
Wichtig ist allerdings, dass die Übertragung eines Betriebsteils auf eine Mutter- oder Tochtergesellschaft noch nicht die Annahme eines gemeinsamen Betriebs rechtfertigt. Insofern ist zwischen der Zusammenarbeit der Unternehmen auf der gesellschaftsrechtlichen Ebene und der Zusammenarbeit im Rahmen eines gemeinsamen Betriebs – also auf der arbeitsorganisatorischen Ebene – zu unterscheiden. Wie das BAG in seinem Urteil vom 24.5.20122 nochmals ausgeführt hat, ist die Annahme einer Vereinbarung über die Führung eines gemeinsamen Betriebs deshalb nicht schon dann gerechtfertigt, wenn Unternehmen auf der Grundlage von Organ- und Beherrschungsverträgen zusammenarbeiten. Vielmehr muss die Vereinbarung auf eine einheitliche Leitung für die Aufgaben gerichtet sein, die vollzogen werden müssen, um die in der organisatorischen Einheit zu verfolgenden arbeitstechnischen Zwecke erfüllen zu können. Dabei ist zwischen konzernrechtlicher Weisungsbefugnis und betrieblichem Leitungsapparat zu unterscheiden. Die Annahme eines Gemeinschaftsbetriebs setzt einen einheitlichen, rechtlich gesicherten betriebsbezogenen Leitungsapparat voraus. Adressat von konzernrechtlichen Weisungen ist hingegen allein der Vorstand bzw. die Geschäftsführung der abhängigen Tochtergesellschaft. Selbst wenn sich dies bis auf die betriebliche Ebene durchschlagen kann, wird dadurch noch kein betriebsbezogener Leitungsapparat geschaffen. Damit kommt ein gemeinsamer Betrieb auch nicht schon dadurch zustande, dass die herrschende Gesellschaft die abhängige Gesellschaft anweist, bestimmte Dienstleistungen – auch solche in Personalfragen (z.B. Abrechnung, Vertragscontrolling) – zu übernehmen3. Die Vereinbarung muss vielmehr darauf gerichtet sein, Aufgaben, die auch verschieden sein können, innerhalb einer gemeinsamen organisatorischen Einheit zu verfolgen.
17.117
a) Rechtsfolgen eines gemeinsamen Betriebs Der Fortbestand eines Betriebs als gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen bewirkt, dass die in diesem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer – bezogen auf den betriebsbezogenen Kündigungsschutz – so behandelt werden, als handele es sich um einen einheitlichen Betrieb eines Rechtsträgers. Unerheblich ist, dass nunmehr Arbeitsverträge zu verschiedenen Rechtsträgern bestehen.
1 B. Gaul, NZA 2005, 730, 732; Nägele, ArbRB 2004, 312, 314. 2 BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277 ff. 3 BAG v. 29.4.1999 – 2 AZR 352/98, NZA 1999, 932 f.
Niklas | 657
17.118
§ 17 Rz. 17.119 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
17.119
Schon bei der Berechnung des Schwellenwerts für die Geltung des KSchG nach § 23 Abs. 1 KSchG sind damit (weiterhin) alle Arbeitnehmer einzubeziehen, die im gemeinsamen Betrieb beschäftigt werden1. Unter Berücksichtigung der Grundsätze zur verfassungskonformen Auslegung und Anwendung der Vorschrift2 sind darüber hinaus ggf. die Arbeitnehmer zu berücksichtigen, die der jeweilige Arbeitgeber, zu dem eine arbeitsvertragliche Bindung besteht, in anderen Betriebsstätten beschäftigt. Darlegungs- und beweispflichtig für die Zahl der jeweils Beschäftigten ist der Arbeitnehmer, für den jedoch eine abgestufte Darlegungslast zum Tragen kommt3.
17.120
Bei der Frage der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nach § 1 Abs. 2 KSchG sind alle freien Arbeitsplätze im gemeinsamen Betrieb sowie in den anderen Betrieben des Arbeitgebers einzubeziehen, zu dem eine arbeitsvertragliche Bindung gegeben ist. Freie Arbeitsplätze in anderen Betrieben der übrigen Rechtsträger, die am gemeinsamen Betrieb beteiligt sind, werden berechtigterweise nicht mit einbezogen4. Die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG ist auf den gemeinsamen Betrieb der beteiligten Unternehmen in seiner Gesamtheit zu beziehen5. Ist ein vergleichbarer Arbeitnehmer des anderen Rechtsträgers sozial weniger schutzwürdig, muss dieser anstelle des Arbeitnehmers gekündigt werden, dessen Arbeitsplatz entfällt. Damit ist indes kein Arbeitgeberwechsel verbunden. Der verbleibende Arbeitnehmer wird durch seinen Arbeitgeber auf dem Arbeitsplatz eingesetzt, den der andere Arbeitgeber in den gemeinsamen Betrieb „eingebracht“ hat. Die Arbeitssteuerung erfolgt ohnehin einheitlich.
17.121
Beendet werden kann der übergreifende Kündigungsschutz dadurch, dass die einheitliche Leitung des Betriebs aufgegeben wird. Dass dies vor allem unter dem Gesichtspunkt der Betriebsspaltung nach § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG Beteiligungsrechte des Betriebsrats auslösen kann (vgl. Rz. 25.141 ff.), ist kündigungsschutzrechtlich unbeachtlich. Wenn die Kündigung ausgesprochen wird, nachdem der gemeinsame Betrieb aufgelöst bzw. die Einheit, innerhalb derer der Arbeitnehmer beschäftigt wird, aus dem gemeinsamen Betrieb herausgenommen wurde, ist die Einheit – bezogen auf die Situation des jeweiligen Arbeitgebers – ohne Rücksicht auf die übrigen Rechtsträger, die am gemeinsamen Betrieb beteiligt waren, zu beurteilen. Darin liegt selbst dann im Zweifel kein rechtsmissbräuchliches Verhalten, wenn die Auflösung bzw. Ausgliederung mit Blick auf die Kündigung vorgenommen worden ist6. Gleiches gilt aber auch, wenn am Tag des Zugangs der Kündigung bereits feststeht, dass die einheitliche Leitung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist aufgegeben wird. Denn auch in diesem Fall besteht für den Arbeitgeber keine Möglichkeit, den Arbeitnehmer über die Kündigungs1 BAG v. 9.10.1997 – 2 AZR 64/97, NZA 1998, 141, 142; BAG v. 24.1.2013 – 2 AZR 140/12, NZA 2013, 726, Rz. 14; BAG v. 23.5.2013 – 2 AZR 54/12, NZA 2013, 1197, Rz. 28; Niklas/Schauß, BB 2014, 2805, 2810; abl. Preis, RdA 2000, 257, 262. 2 Vgl. BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BvL 22/93, NZA 1998, 469 f.; BAG v. 26.8.1971 – 2 AZR 233/70, BB 1971, 1507, 1508; BAG v. 28.10.2010 – 2 AZR 392/08, AP Nr. 48 zu § 23 KSchG 1969, Rz. 21; BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, NZA 2017, 859, Rz. 27. 3 BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 131/07, AP Nr. 43 zu § 23 KSchG 1969, Rz. 29 f.; Linck/Krause/Bayreuther/Bayreuther, § 23 KSchG Rz. 33; a.A. KR/Bader, § 23 KSchG Rz. 80 ff. m.w.N., wonach der Arbeitgeber die Beweislast trage. 4 Vgl. Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 296; WHSS/Willemsen/Sittard, Umstrukturierung, H Rz. 149; offen Zöllner, FS Semler, S. 995, 999. 5 BAG v. 13.6.1985 – 2 AZR 452/84, NZA 1986, 600, 602, BAG v. 5.5.1994 – 2 AZR 917/93, AP Nr. 23 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, Bl. 3; BAG v. 29.11.2007 – 2 AZR 763/06, AP Nr. 95 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, Rz. 23; Niklas/Schauß, BB 2014, 2805, 2810; abl. Annuß, NZA Sonderheft 2001, S. 12, 23 f. 6 BAG v. 13.9.1995 – 2 AZR 954/94, NZA 1996, 307.
658 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.122 § 17
frist hinaus weiterzubeschäftigen1. Schließlich ist der Arbeitgeber dann mangels gemeinsamer Leitungsstruktur rechtlich nicht mehr in der Lage, eine Weiterbeschäftigung im anderen Unternehmens durchzusetzen. b) Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines gemeinsamen Betriebs aa) Grundsatz Entsprechend der Handhabe zur Darlegungslast in Bezug auf die Anwendbarkeit des KSchG2 obliegt es grundsätzlich dem Arbeitnehmer, im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens darzulegen und ggf. zu beweisen, dass mehrere Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb bilden3. Die Rechtsprechung hat insoweit indes eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast entwickelt. Danach muss der Arbeitnehmer nur Tatsachen darlegen und ggf. beweisen, die als äußere Umstände auf das Vorliegen einer einheitlichen Leitung in den wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten schließen lassen4. Folgende Umstände sind dabei Indizien für das Vorliegen eines gemeinsamen Betriebs i.S.d. Kündigungsschutzrechts: – personelle und organisatorische Verknüpfung von Arbeitsabläufen5, insbesondere zur Wahrnehmung der sich aus dem Direktionsrecht des Arbeitgebers ergebenden Weisungsbefugnisse6, – Austausch von Arbeitnehmern für Arbeitsvorgänge, die hinsichtlich ihrer Abrechnung im Außenverhältnis unterschiedlichen Unternehmen zugerechnet werden, – übergreifendes Personalmanagement bei Fehlzeiten (z.B. Krankheit und Urlaub), – Personenidentität der Geschäftsführung7, die allerdings über die einzelfallbezogene Zusammenarbeit von (Konzern-)Unternehmen hinausgehen muss8, – gemeinsame Nutzung von Betriebsmitteln9, – gemeinsame räumliche Unterbringung10 oder – technische Verknüpfung von Arbeitsabläufen11.
1 BAG v. 23.3.2006 – 2 AZR 162/05, NZA 2007, 30, Rz. 35; BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 38/19, NZA 2019, 1427, Rz. 26. 2 Vgl. BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, NZA 2001, 831, 832; BAG v. 24.1.2013 – 2 AZR 140/12, NZA 2013, 726, Rz. 27; LAG Rheinland-Pfalz v. 8.9.2020 – 8 Sa 411/19. 3 BAG v. 13.6.1985 – 2 AZR 452/84, NZA 1986, 600, 603; BAG v. 24.10.2013 – 2 AZR 1057/12, NZA 2014, 725, Rz. 52. 4 BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 355/89, NZA 1990, 977, 978; BAG v. 18.10.2006 – 2 AZR 434/05, NZA 2007, 552, Rz. 49; BAG v. 24.10.2013 – 2 AZR 1057/12, NZA 2014, 725, Rz. 52. 5 BAG v. 13.6.1985 – 2 AZR 452/84, NZA 1986, 600, 603. 6 BAG v. 13.6.1985 – 2 AZR 452/84, NZA 1986, 600, 603; KR/Bader, § 23 KSchG Rz. 73. 7 BAG v. 13.6.1985 – 2 AZR 452/84, NZA 1986, 600, 603; Hessisches LAG v. 16.10.2006 – 19/3 Sa 199/06; LAG Düsseldorf v. 19.8.2014 – 17 Sa 67/14, LAGE § 111 BetrVG 2001 Nr. 13, S. 11. 8 Vgl. BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 355/89, NZA 1990, 977, 979. 9 BAG v. 13.6.1985 – 2 AZR 452/84, NZA 1986, 600, 603; Hessisches LAG v. 16.10.2006 – 19/3 Sa 199/06; KR/Bader, § 23 KSchG Rz. 73. 10 BAG v. 13.6.1985 – 2 AZR 452/84, NZA 1986, 600, 603; Hessisches LAG v. 16.10.2006 – 19/3 Sa 199/06; LAG Düsseldorf v. 19.8.2014 – 17 Sa 67/14, LAGE § 111 BetrVG 2001 Nr. 13, S. 11; LAG Rheinland-Pfalz v. 10.3.2016 – 2 Sa 58/15; KR/Bader, § 23 KSchG Rz. 73. 11 So KR/Bader, § 23 KSchG Rz. 73.
Niklas | 659
17.122
§ 17 Rz. 17.123 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
17.123
Berücksichtigt man, dass auch ohne räumliche Nähe ein gemeinsamer Betrieb vorliegen kann, können ergänzend die Umstände herangezogen werden, die mit Blick auf den gemeinsamen Betrieb i.S.d. BetrVG erörtert werden (vgl. Rz. 22.128 ff.). Soll allerdings trotz räumlicher Trennung das Vorliegen eines gemeinsamen Betriebs geltend gemacht werden, sind an die Darlegung der übrigen für einen Gemeinschaftsbetrieb sprechenden Umstände erhöhte Anforderungen zu stellen1.
17.124
Steht aufgrund solcher Indizien zu vermuten, dass ein gemeinsamer Betrieb vorliegt, obliegt es dem Arbeitgeber im Rahmen der abgestuften Verteilung der Darlegungs- und Beweislast sodann, nach § 138 Abs. 2 ZPO Tatsachen darzulegen und ggf. zu beweisen, aufgrund derer vom Fehlen einer einheitlichen Leitungsstruktur auszugehen ist (z.B. durch Vorlage von Vereinbarungen der Rechtsträger über konkrete Dienst- oder Werkleistungen)2. Hierzu kann auch die Feststellung gehören, dass der „personellen Verflechtung“ der beteiligten Unternehmen eine Vereinbarung zur Arbeitnehmerüberlassung zugrunde liegt. Denn Arbeitnehmerüberlassung und gemeinsamer Betrieb schließen sich aus. bb) Gesetzliche Fiktion bei Unternehmensspaltung (§ 322 UmwG)
17.125
Über diesen Grundsatz hinausgehend hat der Gesetzgeber in § 322 UmwG folgende Fiktion („gilt“) festgelegt: Führen an einer Spaltung oder an einer Teilübertragung nach dem Dritten oder Vierten Buch beteiligte Rechtsträger nach dem Wirksamwerden der Spaltung oder Teilübertragung einen Betrieb gemeinsam, gilt dieser als Betrieb i.S.d. Kündigungsschutzrechts.
17.126
Zu begrüßen ist insoweit zunächst einmal, dass der Gesetzgeber hier – entsprechend der in der auf das BetrVG bezogenen Vermutung in § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG – nicht mehr von dem „gespaltenen Betrieb“ spricht. Diesen Wortlaut hatte noch § 322 Abs. 1 UmwG a.F. Vielmehr geht § 322 UmwG nur davon aus, dass das einem Betrieb zuzuordnende Vermögen im Wege der Spaltung oder Teilübertragung nach §§ 123 ff., 174 ff. UmwG auf verschiedene Rechtsträger verteilt wird, der Betrieb in arbeitsrechtlicher Hinsicht indes weiter gemeinsam geführt wird.
17.127
Dennoch ist auch der Sinn von § 322 UmwG unklar. Voraussetzung für den Eintritt der gesetzlichen Fiktion ist der Nachweis, dass die beteiligten Unternehmen den von der Spaltung oder Teilübertragung betroffenen Betrieb gemeinsam führen. Die Anknüpfung an die tatsächlichen Gegebenheiten („führen“) macht deutlich, dass nicht die entsprechende Führungsvereinbarung, sondern die einheitliche tatsächliche Ausübung der Leitungsmacht in den wesentlichen personellen und sozialen Fragen dargelegt und ggf. bewiesen werden muss3. Bestand die Einheit vor der Umwandlung als Betrieb i.S.d. KSchG, genügt hierfür wiederum, die Beibehaltung der bisherigen Organisation darzulegen. Daraus kann dann auf die gemeinsame Leitungsstruktur geschlossen werden. Trotz völlig unterschiedlicher Wortfassung sind die Tatsachen, die nach der Überzeugung des Gerichts für den Eintritt der gesetzlichen Fiktion in § 322 UmwG vorliegen müssen, damit identisch mit den Tatsachen, die für die Annahme einer widerlegbaren Vermutung in § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG verlangt werden. Da die Rechtsprechung schon vor dem Inkrafttreten von § 322 UmwG im Rahmen der allgemeinen Grundsätze 1 BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 355/89, NZA 1990, 977, 978; LAG Köln v. 21.7.2000 – 11 Sa 420/00, NZA-RR 2001, 245; Thüringer LAG v. 7.9.2004 – 7 Sa 542/03. 2 BAG v. 13.6.1985 – 2 AZR 452/84, NZA 1986, 600, 603. 3 Heinze, ZfA 1997, 1, 12.
660 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.132 § 17
zum Anscheinsbeweis angenommen hat, dass bei einem unveränderten Fortbestand der Betriebsorganisation im Anschluss an die Übertragung eines Betriebsteils auf einen anderen Rechtsträger davon auszugehen ist, dass Erwerber und Veräußerer den Betrieb gemeinsam führen (vgl. Rz. 22.129)1, ist die gesetzliche Fiktion an dieser Stelle an sich überflüssig2. Die Unterscheidung des Gesetzgebers zwischen gesetzlicher Vermutung (BetrVG) und Fiktion (KSchG) ist lediglich insoweit sinnvoll, als es ohnehin nicht möglich ist, bei einer gemeinsamen Führung der den verschiedenen Rechtsträgern zugeordneten Einheiten das Vorliegen eines gemeinsamen Betriebs auszuschließen. Denn die räumliche Trennung, die wegen § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG in Bezug auf den betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff von Bedeutung ist und deshalb dort zu einer Widerlegung der tatsächlichen Vermutung führen kann (vgl. Rz. 22.25), spielt für den kündigungsschutzrechtlichen Betriebsbegriff keine Rolle (vgl. Rz. 15.11). Wenn mehrere Einheiten hinsichtlich der wesentlichen Fragen in personellen und sozialen Angelegenheiten einheitlich geführt werden, bilden sie einen Betrieb i.S.d. KSchG. Auch hier spiegelt die Fiktion also nur das wider, was bereits aufgrund allgemeiner Grundsätze gilt.
17.128
Der Unterschied in Bezug auf den unmittelbaren Anwendungsbereich zwischen § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG und § 322 UmwG liegt letztlich nur darin, dass § 322 UmwG nach seinem Wortlaut auch solche Fallgestaltungen erfasst, in denen die Einheiten, die nach der Umwandlung gemeinsam geführt werden, bis zur Umwandlung jeweils selbstständige Betriebe gebildet haben. Der gemeinsame Betrieb mehrerer Unternehmen muss also bis zur Umwandlung nicht schon als einheitlicher Betrieb eines Rechtsträgers bestanden haben. Denn die Fiktion knüpft an einen Zustand an, der nach dem Wirksamwerden der Umwandlung gegeben ist. Es wird – entgegen der Systematik in § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG – kein Bezug zu einer betrieblichen Organisation hergestellt, die bis zur Umwandlung bestanden hat. Ob der Gesetzgeber diese Rechtsfolge bedacht hat, kann den Gesetzesmaterialien indes nicht entnommen werden.
17.129
Eine prozessuale Erleichterung hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast zugunsten der betroffenen Arbeitnehmer ist mit der Neuregelung des § 322 UmwG indes nicht verbunden3. Sie müssen weiterhin – mit abgestuften Anforderungen – das Vorliegen einer gemeinsamen Führung durch die beteiligten Rechtsträger darlegen und ggf. beweisen4. Erst wenn ihnen dies gelingt, greift – wenn dies dann auch wertlos erscheint – die Fiktion.
17.130
In ihrer Wirkungsdauer ist die gesetzliche Fiktion – vergleichbar mit der Wirkungsdauer der Vermutung nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG – auf die Zeitspanne begrenzt, für die eine gemeinsame Führung der von der Umwandlung betroffenen Betriebsteile dargelegt und bewiesen werden kann. Wenn diese Führung nicht mehr gegeben ist, entfällt wegen der fehlenden Tatbestandsvoraussetzungen auch die gesetzliche Fiktion.
17.131
cc) Anwendbarkeit von § 322 UmwG auf sonstige Übertragungsvorgänge Obwohl § 322 UmwG nur auf die Spaltung und Teilübertragung nach dem Dritten und Vierten Buch des UmwG verweist, stellt sich die Frage, ob die gesetzliche Fiktion auch auf andere
1 Vgl. BAG v. 13.6.1985 – 2 AZR 452/84, EzA § 1 KSchG Nr. 41, S. 168 f.; BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 355/89; EzA § 23 KSchG Nr. 9, S. 4 f. 2 Ebenso Wlotzke, DB 1995, 40, 44. 3 Ebenso Baumann, DStR 1995, 888, 891; Henssler, FS Kraft, S. 219, 228. 4 Bauer/Lingemann, NZA 1994, 1057, 1060.
Niklas | 661
17.132
§ 17 Rz. 17.132 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
Fallgestaltungen übertragbar ist. Im Mittelpunkt steht dabei natürlich eine Anwendbarkeit des Gesetzes auf die Übertragung von Betriebsteilen im Wege der Einzelrechtsnachfolge.
17.133
In diesem Zusammenhang erscheint es zunächst einmal ausgeschlossen, § 322 UmwG auf Übertragungsvorgänge anzuwenden, die nicht durch das Dritte und Vierte Buch des UmwG erfasst werden. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber durch § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG eine solche Verallgemeinerung für den betriebsverfassungsrechtlichen Betrieb, die bis dahin in § 322 Abs. 1 UmwG a.F. vorgesehen war, festgelegt hat, die kündigungsrechtliche Regelung in § 322 UmwG indes nicht veränderte. Es fehlt mithin an einer planwidrigen Regelungslücke1.
17.134
Auszuschließen ist allerdings auch, in § 322 UmwG einen allgemeinen Rechtsgedanken zu sehen, der über den unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus zum Vorliegen eines gemeinsamen Betriebs führt. Entschieden gegen eine solche Bewertung spricht der Umstand, dass eine gesetzliche Fiktion gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass sie eine bestimmte Rechtsfolge auch für solche Fallgestaltungen bestimmt, in denen an sich die Voraussetzungen für diese Rechtsfolge nicht vorliegen. Würde man nun eine gesetzliche Rechtsfolge auf einen Fall anwenden, der nach den allgemeinen Grundsätzen, die Gesetzgeber und Rechtsprechung zu einer bestimmten Frage entwickelt haben, anderweitig zu beurteilen ist, so stünde dies im Widerspruch zu den Voraussetzungen für das Vorliegen eines allgemeinen Rechtsgedankens. Dieser setzt nämlich voraus, dass Übereinstimmung bei den beteiligten Rechtsträgern besteht, dass ein Sachverhalt stets in einer bestimmten Weise behandelt wird. Das ist vorliegend nicht der Fall. Das Fehlen dieser Übereinstimmung würde durch die gesetzliche Fiktion also gerade überspielt.
17.135
Für die Praxis hat die Ablehnung eines allgemeinen Rechtsgedankens aber keine Bedeutung. Denn wenn dargelegt und ggf. bewiesen wurde, dass verschiedene Einheiten nach der Übertragung auf einen anderen Rechtsträger gemeinsam geführt werden, kann kündigungsschutzrechtlich auch ohne eine solche Fiktion von einem gemeinsamen Betrieb ausgegangen werden2.
9. Kündigung nach Abspaltung und Übertragung von Kleinbetrieben 17.136
Werden die von einer Übertragung betroffenen Betriebsteile durch den übernehmenden Rechtsträger als Kleinbetrieb mit in der Regel nicht mehr als zehn Arbeitnehmern – bzw. fünf „Alt-Arbeitnehmern“ – fortgeführt, findet das KSchG keine Anwendung (§ 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG). Besonderheiten können sich allerdings für den Fall der Spaltung oder Vermögensteilübertragung aus § 323 Abs. 1 UmwG ergeben (vgl. Rz. 17.92 ff.).
10. Konsequenzen eines Zusammenschlusses von Betrieben und Betriebsteilen beim übernehmenden Rechtsträger 17.137
Wie § 21a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BetrVG im Zusammenhang mit dem Übergangsmandat des Betriebsrats zum Ausdruck bringt, kann der von einer Übertragung betroffene Betrieb oder Betriebsteil im Anschluss an die Übertragung beim übernehmenden Rechtsträger in einen bereits bestehenden Betrieb oder Betriebsteil eingegliedert bzw. mit diesem zusammengeschlossen werden. Geht man davon aus, dass die am Zusammenschluss beteiligten Einheiten im An1 A.A. Brinkmann, Spaltung von Rechtsträgern, S. 284 ff., allerdings noch zu § 322 UmwG a.F. 2 Vgl. BAG v. 7.8.1986 – 6 ABR 57/85, AP Nr. 5 zu § 1 BetrVG 1972, Bl. 2 f.; Mengel, Umwandlungen, S. 450.
662 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.140 § 17
schluss daran als kündigungsschutzrechtlich eigenständiger Betrieb fortgeführt werden, ist eine Unterscheidung der verschiedenen Formen eines Zusammenschlusses (vgl. Rz. 2.3 ff.) aus kündigungsrechtlicher Sicht unbeachtlich. Bedeutung hat die Unterscheidung nur in Bezug auf die betriebsverfassungsrechtlichen Folgen, auf die an anderer Stelle eingegangen wird (vgl. Rz. 22.67 ff.). Kündigungsrechtlich ist der Zusammenschluss von Betrieben und Betriebsteilen insoweit von Bedeutung, als er den Kreis der Arbeitnehmer beeinflusst, die in die Sozialauswahl einzubeziehen sind. Wird der Zusammenschluss vor Ablauf der Kündigungsfrist wirksam, müssen – abweichend von einer zum Teil vertretenen Ansicht1 – alle Arbeitnehmer einbezogen werden, die – ausgehend von ihrer Vergleichbarkeit (vgl. Rz. 15.21) – in der dann neu entstehenden Einheit beschäftigt werden. Direktionsklauseln, die in den Arbeitsverträgen beim übertragenden Rechtsträger vereinbart wurden, besitzen in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung. Ob die Gründe der Betriebsänderung im Betrieb des übertragenden Rechtsträgers oder – bei einer Eingliederung in einen Betrieb des übernehmenden Rechtsträgers – in der dort vorhandenen Organisationsstruktur zu suchen sind, ist unerheblich. Schließlich muss der Arbeitgeber bei seiner Beurteilung alle Veränderungen berücksichtigen, die – ausgehend von seiner Prognose am Tag des Zugangs der Kündigung – bis zum Ablauf der Kündigungsfrist eintreten2. Hierzu gehören nicht nur aktuell freie Arbeitsplätze; diese sind nach Maßgabe des BAG vielmehr sogar dann einzubeziehen, wenn sie nach den am Tag des Zugangs der Kündigung erkennbaren Gegebenheiten erst „alsbald“ nach Ablauf der Kündigungsfrist frei werden3. Der Arbeitgeber muss dementsprechend auch erkennbare Entwicklungen in Bezug auf den Kreis der auf vergleichbaren Arbeitsplätzen beschäftigten Arbeitnehmer berücksichtigen, falls dies das Ergebnis der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG beeinflussen könnte.
17.138
Wenn die Sozialauswahl auf die Arbeitnehmer der Einheit begrenzt werden soll, die von dem Übergang auf einen anderen Rechtsträger betroffen sind, muss der Zusammenschluss der Betriebe oder Betriebsteile beim übernehmenden Rechtsträger folglich jedenfalls so lange aufgeschoben werden, bis die Kündigungsfristen abgelaufen sind. Ausgehend davon, dass man nach der vorgenannten Rechtsprechung sogar solche Arbeitsplätze berücksichtigen muss, die unmittelbar oder zumindest alsbald nach Ablauf der Kündigungsfrist frei werden, ist es aber ratsam, zwischen dem Ablauf der Kündigungsfrist und dem Zusammenschluss noch eine gewisse Zeit verstreichen zu lassen. Entscheidend ist letztlich wiederum – wie beim unternehmensinternen Zusammenschluss (vgl. Rz. 15.20) – ob die Kündigungen gemäß dem unternehmerischen Konzept aus Anlass des Zusammenschlusses erfolgen; in diesem Fall ist die Sozialauswahl bereits vorher auf den Gesamtbetrieb zu erstrecken. Falls die Entstehung der Synergieeffekte aber gerade einen Zusammenschluss der beiden Betriebe oder Betriebsteile erforderlich macht, muss eine übergreifende Sozialauswahl hingenommen werden.
17.139
11. Besonderheiten bei der Vereinbarung einer Konzerndirektionsklausel Häufig enthalten Arbeitsverträge Direktionsklauseln, die den Arbeitgeber berechtigen, Mitarbeiter auch in anderen Konzerngesellschaften einzusetzen. Die Einzelheiten, wie dieser Einsatz durchgeführt werden soll, werden dabei unterschiedlich ausgestaltet. Zum Teil ist der Ein1 So Loritz, RdA 1987, 65, 84; Vossen, BB 1984, 1557, 1560. 2 Abw. WHSS/Willemsen/Sittard, Umstrukturierung, H Rz. 81 f., der offenbar allein auf die Verhältnisse am Tag des Zugangs der Kündigung abstellt, ohne die zukünftigen Änderungen der Betriebsstruktur zu berücksichtigen. 3 BAG v. 15.12.1994 – 2 AZR 327/94, NZA 1995, 521, 525.
Niklas | 663
17.140
§ 17 Rz. 17.140 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
satz auf eine vorübergehende Entsendung begrenzt. Dagegen bestehen keine Bedenken, zumal gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG regelmäßig keine Erlaubnispflicht besteht1. Insbesondere mit Blick auf § 307, § 308 Nr. 4 BGB erscheint es jedoch problematisch, wenn der Arbeitnehmer zu einem dauerhaften Einsatz in einem anderen Konzernunternehmen verpflichtet werden soll. Unzulässig dürfte dabei eine solche Regelung sein, durch die der Arbeitnehmer verpflichtet wird, auf Verlangen seines Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis zu beenden und zu einer Konzerngesellschaft zu wechseln. Der Parteiwechsel kann nur kraft Gesetzes (§ 613a BGB) oder kraft gesonderter Vereinbarung zwischen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und dem anderen Konzernunternehmen herbeigeführt werden. Andernfalls bliebe auch die Verpflichtung zur persönlichen Leistungserbringung (§ 613 BGB) unberücksichtigt2.
17.141
Geht man allerdings von der Zulässigkeit solcher Klauseln aus3, ergeben sich daraus gewichtige Einschränkungen der Kündigungsbefugnis. Sie betreffen zwar nicht die Sozialauswahl4. Entfällt der Arbeitsplatz des mit einer Konzerndirektionsklausel eingestellten Mitarbeiters, bleibt sie auf den Betrieb, in dem er beschäftigt ist, begrenzt. Allerdings kann der Arbeitgeber damit verpflichtet werden, nicht nur unternehmensbezogen freie Arbeitsplätze für eine Weiterbeschäftigung anzubieten. Vielmehr kann die Konzerndirektionsklausel den Arbeitgeber verpflichten, zur Vermeidung eines endgültigen Arbeitsplatzverlustes zu überprüfen, ob ein anderweitiger Einsatz innerhalb des Konzerns – entsprechend der Direktionsklausel – möglich ist5. Das setzt aber voraus, dass dort ein entsprechender Arbeitsplatz frei ist und die Übernahme durch das andere Unternehmen auf Veranlassung des Arbeitgebers rechtlich und tatsächlich problemlos vollzogen werden kann. Insoweit muss also eine Einwirkungsmöglichkeit des Arbeitgebers bestehen, kraft derer er eine Weiterbeschäftigung in dem anderen Unternehmen durchsetzen kann6. Die Entscheidung über eine Weiterbeschäftigung darf grundsätzlich nicht dem zur Übernahme bereiten Unternehmen vorbehalten sein7. Dabei spielt es allerdings keine Rolle, ob die Möglichkeit der Einflussnahme aufgrund eindeutiger rechtlicher Regelungen (z.B. einem Beherrschungsvertrag) oder aus eher nur faktischen Gründen besteht8. Liegen diese Voraussetzungen vor, muss ggf. ein Einsatz im Rahmen konzerninterner Arbeitnehmerüberlassung erfolgen9. Angesichts des ständigen Stellenangebots, das innerhalb eines Konzerns 1 Preis/Preis, Der Arbeitsvertrag, D 30 Rz. 221. 2 Eingehend zur Zulässigkeit von Konzerndirektionsklauseln vgl. Preis/Preis, Der Arbeitsvertrag, D 30 Rz. 211 ff. Zum Kündigungsschutz im Konzern vgl. Bayreuther, NZA 2006, 819 ff.; Rid, NZA 2011, 1121 ff.; Wisskirchen/Bissels, DB 2007, 340 ff. 3 So offenbar das BAG v. 14.10.1982 – 2 AZR 568/80, NJW 1984, 381, 382; BAG v. 23.3.2006 – 2 AZR 162/05, NZA 2007, 30, Rz. 21; BAG v. 18.10.2012 – 6 AZR 41/11, NZA 2013, 1007, Rz. 57; BAG v. 22.11.2012 – 2 AZR 673/11, NZA 2013, 730, Rz. 39; allerdings hat der 9. Senat in dem Urteil vom 13.4.2010 (9 AZR 36/09, NZA 2011, 64 ff.) ausdrücklich offengelassen, ob eine formularmäßig vereinbarte Konzernversetzungsklausel einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB standhält. 4 A.A. Kukat, BB 2000, 1242, 1243, der allerdings von einer fehlerhaften Wiedergabe der Rechtsprechung des BAG auszugehen scheint. 5 BAG v. 18.10.2012 – 6 AZR 41/11, NZA 2013, 1007, Rz. 57; BAG v. 22.11.2012 – 2 AZR 673/11, NZA 2013, 730, Rz. 39; krit. zum Durchsetzungskriterium: Bayreuther, NZA 2006, NZA 2006, 819, 820 ff. 6 BAG v. 18.10.2012 – 6 AZR 41/11, NZA 2013, 1007, Rz. 57; BAG v. 22.11.2012 – 2 AZR 673/11, NZA 2013, 730, Rz. 39; Rid, NZA 2011, 1121, 1123. 7 BAG v. 26.6.2008 – 2 AZR 1109/06, NZA-RR 2009, 205, Rz. 34; BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277, Rz. 27. 8 BAG v. 23.11.2004 – 2 AZR 24/04, NZA 2005, 929, 932; BAG v. 26.6.2008 – 2 AZR 1109/06, NZARR 2009, 205, Rz. 34. 9 BAG v. 17.9.1998 – 2 AZR 419/97, EzA § 626 BGB Unkündbarkeit Nr. 3, S. 13 f.
664 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.144 § 17
auch auf vergleichbaren Arbeitsplätzen besteht, hat die skizzierte Rechtsprechung zur Folge, dass Arbeitnehmer mit derartigen Vertragsklauseln jedenfalls bei einer Anstellung durch die Konzernobergesellschaft betriebsbedingt nahezu unkündbar werden. Das macht sich auch im Kündigungsschutzprozess bemerkbar. Schließlich trägt der Arbeitgeber aufgrund der geringeren Erkenntnismöglichkeiten des Arbeitnehmers eine gesteigerte und der Arbeitnehmer eine geringere Darlegungspflicht hinsichtlich der fehlenden Übernahmemöglichkeiten in anderen konzernangehörigen Unternehmen. Nichtsdestotrotz hat der Arbeitnehmer zunächst einmal darzulegen, wie und auf welchem freien Arbeitsplatz er sich eine Beschäftigung in einem anderen Konzernunternehmen vorstellt1.
12. Rechtsfolgen von Punkteschemata und Namenslisten nach § 1 Abs. 4, 5 KSchG Nach § 1 Abs. 4 KSchG kann in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 BetrVG oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt werden, wie die sozialen Gesichtspunkte nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG im Verhältnis zueinander zu bewerten sind. Ist dies erfolgt, ist die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfbar. In der Praxis werden entsprechende Auswahlrichtlinien regelmäßig in Form eines Punkteschemas verwendet, d.h. durch die Vergabe von Punkten werden die vier Sozialdaten i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG bewertet und sodann bei einer Zusammenschau aller vergleichbaren Arbeitnehmer gegenüber denjenigen mit den wenigsten Punkten Kündigungen ausgesprochen2. Die Betriebsparteien sind dabei im Wesentlichen frei, welche in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG genannten Kriterien sie wie stark bewerten möchten, solange der gewählte Maßstab nicht dazu führt, dass einem Kriterium keine bzw. kaum noch Berücksichtigung zukommt3.
17.142
Ergänzend bzw. alternativ zu dem Abschluss einer Auswahlrichtlinie i.S.d. § 1 Abs. 4 KSchG können die Betriebsparteien im Rahmen einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG auch einen Interessenausgleich mit Namensliste abschließen. Kommt ein solcher Interessenausgleich zustande, sind die Rechtsschutzmöglichkeiten der gekündigten Arbeitnehmer in einem anschließenden Kündigungsschutzprozess erheblich gemindert, da sodann nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG zum einen vermutet wird, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist. Zum anderen kann die Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden, § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG. Dies ist auch der Grund, warum der Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste i.S.d. § 1 Abs. 5 KSchG zumeist an der Bereitschaft der Arbeitnehmervertretung scheitert, einen solchen gemeinsam mit dem Arbeitgeber zu vereinbaren. Der eingeschränkte Prüfungsmaßstab gilt insoweit nicht nur für die Auswahlkriterien und deren relative Gewichtung selbst, sondern auch für die Bildung der auswahlrelevanten Arbeitnehmergruppen4.
17.143
Die Sozialauswahl ist grob fehlerhaft, wenn eine evidente, massive Abweichung von den Grundsätzen des § 1 Abs. 3 KSchG vorliegt und der Interessenausgleich jede soziale Ausge-
17.144
1 2 3 4
BAG v. 10.5.2007 – 2 AZR 626/05, NZA 2007, 1278, Rz. 46; KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 577. Fuhlrott, ArbRAktuell 2012, 108, 110. Fuhlrott, ArbRAktuell 2012, 108, 110. BAG v. 12.5.2010 – 2 AZR 551/08, NZA 2011, 114, 116; BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 386/11, NZA 2013, 333, Rz. 42; BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 478/13, NZA 2015, 1122, Rz. 24.
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§ 17 Rz. 17.144 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
wogenheit vermissen lässt1. Dabei muss sich die getroffene Auswahl gerade mit Blick auf den klagenden Arbeitnehmer im Ergebnis als grob fehlerhaft erweisen. Nicht entscheidend ist, ob das gewählte Auswahlverfahren als solches Anlass zu Beanstandungen ergibt2. Die Würdigung des Gerichts, die Sozialauswahl sei grob fehlerhaft, setzt die Feststellung voraus, dass der vom Arbeitnehmer gerügte Auswahlfehler tatsächlich vorliegt, also ein bestimmter, mit dem gekündigten vergleichbarer Arbeitnehmer in dem nach dem Gesetz erforderlichen Maß weniger schutzbedürftig ist3. Wie der 2. Senat in seiner Entscheidung vom 26.3.20154 festgestellt hat, hat insoweit auch eine nach Altersgruppen durchgeführte Sozialauswahl (vgl. Rz. 15.25) im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG streng proportional zu erfolgen. Beteiligt der Arbeitgeber die Altersgruppen mit einem proportional unterschiedlich starken Personalabfall, führt dies zu einer Veränderung der vorhandenen Altersstruktur und damit zu einer groben Fehlerhaftigkeit i.S.d. § 1 Abs. 5 KSchG5. Nur im Rahmen einer Insolvenz kann dementsprechend durch den Insolvenzverwalter nicht nur ein Erhalt der Personalstruktur, sondern gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO ebenso auch eine Verbesserung der Personalstruktur herbeigeführt werden.
V. Arbeitnehmer mit Sonderkündigungsschutz 1. Mitglieder des Betriebsrats/Schwerbehindertenvertreter 17.145
Nachfolgend werden zunächst einmal die Besonderheiten im Zusammenhang mit der Kündigung von Betriebsratsmitgliedern aufgezeigt. Die Ausführungen gelten entsprechend für Mitglieder der Schwerbehindertenvertretung (Vertrauenspersonen) – was durch § 179 Abs. 3, § 180 Abs. 7 SGB IX festgelegt wird – und sonstige Arbeitnehmervertreter, die durch § 15 KSchG besonders geschützt werden (z.B. Wahlbewerber, Jugend- und Auszubildendenvertreter)6. Auf sie wird allerdings nicht gesondert eingegangen. a) Grundsatz
17.146
Der Kündigungsschutz von Betriebsratsmitgliedern im Zusammenhang mit Betriebs- oder Unternehmensspaltungen bzw. -zusammenschlüssen hängt zunächst einmal davon ab, ob der Betriebsrat und die Mitgliedschaft im Betriebsrat fortbestehen. Ausreichend hierfür ist auch eine Tätigkeit im Betriebsrat auf der Grundlage eines Rest- (vgl. Rz. 24.77 ff.) oder Übergangsmandats (vgl. Rz. 24.25 ff.). In diesem Fall kommt der „volle“ Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG zum Tragen7. Eine Änderungs- oder Beendigungskündigung ist also nur dann statthaft, wenn ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 BGB gegeben ist und der Betriebsrat der Kündigung gemäß § 103 KSchG zugestimmt hat. Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass die Kündigung nicht im Zusammenhang mit einer behaupteten Amtspflichtverletzung steht.
1 BAG v. 12.3.2009 – 2 AZR 418/07, NZA 2009, 1023, Rz. 32; BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 386/11, NZA 2013, 333, Rz. 42. 2 BAG v. 18.10.2006 – 2 AZR 473/05, NZA 2007, 504, Rz. 22; BAG v. 10.6.2010 – 2 AZR 420/09, NZA 2010, 1352, Rz. 19. 3 BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 483/11, NZA 2013, 94, Rz. 25; BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 478/13, NJW 2015, 3116, Rz. 27. 4 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 478/13, NJW 2015, 3116 ff. 5 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 478/13, NJW 2015, 3116, Rz. 23. 6 Vgl. hierzu BAG v. 7.7.2011 – 2 AZR 377/10, NZA 2012, 107 ff.; BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 989/ 11, NZA 2013, 143 ff.; BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 505/13, NZA 2015, 245 ff. 7 Linck/Krause/Bayreuther/Bayreuther, § 15 KSchG Rz. 58.
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Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.148 § 17
Wird der Betriebsrat aufgelöst bzw. endet die Amtszeit des Betriebsratsmitglieds im Anschluss an ein etwaiges Rest- oder Übergangsmandat als Folge der Verselbstständigung eines Betriebsteils oder aufgrund der Zusammenlegung von Betriebsteilen oder Betrieben, kann dieser weitgehende Kündigungsschutz entfallen. Lässt man die betriebsbedingte Kündigung nach Widerspruch eines Betriebsratsmitgliedes gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses, der gesondert behandelt wird (vgl. Rz. 17.149 ff.), hier einmal unberücksichtigt, spielt es keine Rolle, ob diese Änderungen hinsichtlich der betriebsverfassungsrechtlichen Situation mit einem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen anderen Rechtsträger verbunden sind. Sie können auch bei der unternehmensinternen Spaltung oder dem unternehmensinternen Zusammenschluss erfolgen. In allen Fällen richtet sich die Möglichkeit einer Kündigung, obwohl es keine ausdrückliche gesetzliche Regelung gibt, nach § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG1. Ohne Rücksicht auf einen etwaigen Arbeitgeberwechsel ist eine Kündigung des früheren Betriebsratsmitglieds damit innerhalb eines Jahres unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung der Kündigungsfrist berechtigen (§ 626 Abs. 1 BGB). Da § 15 KSchG nicht nach dem Grund für die Beendigung der Amtszeit differenziert, war es richtig, auf eine entsprechende Ergänzung des Gesetzes, wie im Vorfeld der Ergänzung von § 613a BGB im Jahr 1980 erörtert2, zu verzichten.
17.147
Entgegen den Feststellungen des LAG Sachsen-Anhalt in einem Urteil vom 16.3.19993 besteht allerdings keine generelle Verpflichtung des übertragenden Rechtsträgers, ein Mitglied des Betriebsrats dem auf einen anderen Rechtsträger übertragenen Betriebsteil zuzuordnen, um für den Fall einer Stilllegung des beim übertragenden Rechtsträgers verbleibenden Restbetriebs eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu verhindern. Diese Verpflichtung hat das LAG Sachsen-Anhalt aus § 15 Abs. 5 KSchG abgeleitet. Weitergehend war es sogar davon ausgegangen, dass das Arbeitsverhältnis des geschützten Funktionsträgers in erweiternder Auslegung von § 613a BGB gleichwohl auf den Erwerber übergehe, falls der Veräußerer seiner Verpflichtung zur entsprechenden Zuordnung des Betriebsratsmitglieds bis zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs nicht nachkomme. Ein Übergang des Arbeitsverhältnisses könne in diesen Fallgestaltungen nur durch das Betriebsratsmitglied im Wege eines Widerspruchs verhindert werden. Eine solche Verpflichtung des übertragenden Rechtsträgers analog § 15 Abs. 5 KSchG erscheint – entsprechend den nachfolgenden Feststellungen zu Besonderheiten im Anschluss an einen Widerspruch des Betriebsratsmitglieds – nur dann gerechtfertigt, wenn der Betrieb unter Wahrung seiner Identität auf einen anderen Rechtsträger übertragen wird, also der beim übertragenden Rechtsträger verbleibende Teil nur eine untergeordnete Bedeutung besitzt und nach dem Wirksamwerden des Übertragungsvorgangs stillgelegt werden soll4. Denn in diesem Fall geht der Betriebsrat als Organ mit dem Betrieb auf den übernehmenden Rechtsträger über (vgl. Rz. 24.5). Hier erscheint es durchaus geboten, auch die personenidentische Besetzung des Betriebsrats zu schützen.
17.148
1 Vgl. Bachner, AiB 1996, 291, 301; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 130; KR/Etzel, § 15 KSchG Rz. 80; Linck/Krause/Bayreuther/Bayreuther, § 15 KSchG Rz. 88. 2 BT-Drucks. 8/3317, S. 5, 11. 3 LAG Sachsen-Anhalt v. 16.3.1999 – 8 Sa 589/98, NZA-RR 1999, 574 ff. 4 Vgl. BAG v. 14.2.2002 – 8 AZR 175/01, NZA 2002, 1027, 1028 f., das eine entsprechende Verpflichtung in Bezug auf einen Wahlbewerber indes wegen Beendigung des besonderen Kündigungsschutzes sechs Monate nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses abgelehnt hat.
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§ 17 Rz. 17.149 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
b) Rechtslage nach Widerspruch gegen den Betriebs(teil-)übergang oder die Umwandlung
17.149
Auch das Betriebsratsmitglied, das in dem von einer Übertragung betroffenen Betrieb oder Betriebsteil beschäftigt wird, kann – wenn keine umwandlungsrechtliche Aufspaltung, Verschmelzung oder vollständige Vermögensübertragung vorliegt – ohne Rücksicht auf das Vorliegen eines sachlichen Grundes gemäß § 613a Abs. 5 BGB dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen. Der Widerspruch bewirkt, dass das Arbeitsverhältnis beim übertragenden Rechtsträger fortbesteht (vgl. Rz. 11.242).
17.150
Der übertragende Rechtsträger muss im Anschluss an den Widerspruch überprüfen, ob eine Weiterbeschäftigung des Betriebsratsmitglieds möglich ist. Dies gilt auch dann, wenn der Betrieb in seiner Gesamtheit bzw. – für den Fall des Betriebsteilübergangs – in seiner wesentlichen Gestalt auf den anderen Rechtsträger übertragen wurde und der Betriebsrat dort als Organ fortbesteht (vgl. Rz. 24.5). Denn selbst dann, wenn das Betriebsratsmitglied durch den Widerspruch aus dem beim anderen Rechtsträger fortbestehenden Betriebsrat ausscheidet, besteht jedenfalls der einjährige Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG fort1. Die Auffassung, nach der der Sonderkündigungsschutz durch einen Widerspruch ohne sachlichen Grund verwirkt werde2, ist abzulehnen. Es entfällt nur die Notwendigkeit einer Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 BetrVG3. Stattdessen verbleibt es bei der normalen Beteiligung nach § 102 BetrVG, die allerdings entfällt, wenn der Betriebsrat als Organ mit dem Betrieb auf den anderen Rechtsträger übertragen wird. Eine „Auffangzuständigkeit“ des Gesamtbetriebsrats besteht nicht4.
17.151
Besteht die Möglichkeit, das (frühere) Betriebsratsmitglied auf einem freien Arbeitsplatz im Betrieb oder Unternehmen einzusetzen, ist eine betriebsbedingte Kündigung ausgeschlossen. Dies folgt bereits aus den allgemeinen Vorgaben aus § 1 Abs. 2 KSchG, der neben § 15 Abs. 4, 5 KSchG anwendbar ist5.
17.152
Schwierigkeiten entstehen dann, wenn nach der Übertragung des Betriebs oder Betriebsteils keine oder keine freien Arbeitsplätze mehr vorhanden sind. Gerade weil die Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils wegen des damit verbundenen Fortbestands der Einheit nicht als Stilllegung eines Betriebs oder Betriebsteils gekennzeichnet werden kann, ist umstritten, ob der Arbeitgeber hier von der besonderen Kündigungsmöglichkeit eines Betriebsratsmit-
1 LAG Düsseldorf v. 25.11.1997 – 8 Sa 1358/97, NZA-RR 1998, 539 f.; KR/Kreft, § 15 KSchG Rz. 80; Linck/Krause/Bayreuther/Bayreuther, § 15 KSchG Rz. 88; a.A. Henssler, NZA 1994, 913, 921, und WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 165, die eine uneingeschränkte Anwendbarkeit von § 15 KSchG verneinen, wenn ein sachlicher Grund für den Widerspruch gegen den Betriebsübergang nicht gegeben war. Ebenso Feudner, DB 1994, 1570, 1572, der das Interesse an einem Fortbestand der Mitgliedschaft im Betriebsrat nicht als sachlichen Grund für den Widerspruch anerkennt. 2 So Kreitner, Kündigungsrechtliche Probleme, S. 169 f.; WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 165; unklar insoweit: Fitting, § 103 BetrVG Rz. 17. 3 Vgl. APS/Linck, § 103 BetrVG Rz. 3; HWK/Ricken, § 103 BetrVG Rz. 7. 4 Vgl. BAG v. 21.3.1996 – 2 AZR 559/95, NZA 1996, 974, 975 f.; Annuß, DB 1999, 798 Fn. 13. 5 Vgl. BAG v. 22.9.2005 – 2 AZR 544/04, NZA 2006, 558, Rz. 33; Linck/Krause/Bayreuther/Bayreuther, § 15 KSchG Rz. 163; im Ergebnis ebenso, wenn auch über den „Umweg“ einer ergänzenden Auslegung von § 15 Abs. 4, 5 KSchG: BAG v. 13.8.1992 – 2 AZR 22/92, NZA 1993, 224 ff. und KR/Kreft, § 15 KSchG Rz. 118.
668 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.152 § 17
glieds nach § 15 Abs. 4, 5 KSchG Gebrauch machen kann1. Nach diesen Regelungen ist die ordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds für den Fall der Stilllegung einer Betriebsabteilung zulässig, wenn es aus betrieblichen Gründen nicht möglich ist, den vom Wegfall seines Arbeitsplatzes betroffenen Arbeitnehmervertreter zum Zweck der Weiterbeschäftigung in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen2. Als Betriebsabteilung wird dabei ein räumlich und organisatorisch abgegrenzter Teil eines Betriebs oder Betriebsteils verstanden, der eine personelle Einheit erfordert, dem eigene technische Betriebsmittel zur Verfügung stehen und der eigene Betriebszwecke verfolgt, die Teil des arbeitstechnischen Zwecks des Gesamtbetriebs sind oder in einem bloßen Hilfszweck für den arbeitstechnischen Zweck des Gesamtbetriebs stehen können3. Eine Verpflichtung zur Übernahme des Mandatsträgers in eine andere Betriebsabteilung besteht insoweit selbst dann, wenn die für eine Weiterbeschäftigung in Betracht kommenden Arbeitsplätze besetzt sind. Hier muss zur Vermeidung einer Kündigung des (ehemaligen) Mandatsträgers notfalls die (betriebsbedingte) Kündigung eines anderen, auch sozial schutzwürdigeren Mitarbeiters erfolgen, der keinen derartigen Kündigungsschutz genießt4. Nach allgemeinen Grundsätzen kann insoweit sogar die Verpflichtung des Arbeitgebers begründet werden, einen geringwertigeren Arbeitsplatz zugunsten einer Weiterbeschäftigung des Betriebsratsmitglieds freizukündigen5. Umstritten ist lediglich, ob der Sonderkündigungsschutz des einzelnen Betriebsratsmitglieds gegenüber dem allgemeinen Kündigungsschutz der anderen Arbeitnehmer absoluten Vorrang genießt6, oder ob die sozialen Belange des von der ggf. erforderlichen Kündigung betroffenen Arbeitnehmers und berechtigte betriebliche Interessen an seiner Weiterbeschäftigung einerseits mit den Interessen der Belegschaft an einer kontinuierlichen Besetzung des Betriebsrats und das Interesse des durch § 15 KSchG geschützten Funktionsträgers an seiner Weiterbeschäftigung andererseits abgewogen werden müssen7. Letztere Sichtweise ist überzeugender, zumal sie eine konsequente Berücksichtigung eines etwaigen Sonderkündigungsschutzes auch der Arbeitnehmer erlaubt, die
1 Abl. Wickler, Arbeitgeberkündigung beim Betriebsinhaberwechsel, S. 123 f., der den übertragenden Rechtsträger verpflichten will, das widersprechende Betriebsratsmitglied – wenn nicht die Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung vorliegen – bis zum Ende der Amtszeit weiterzubeschäftigen. Dies ist mit Blick auf die nachfolgenden Ausführungen abzulehnen. Entgegengesetzt hierzu lehnt Feudner, DB 1994, 1570, 1571 f., eine Anwendbarkeit von § 15 KSchG nach Widerspruch des Betriebsratsmitglieds generell ab. Auch eine Sozialauswahl soll, wenn der Widerspruch allein durch das Interesse an einem Mandatsfortbestand motiviert war, ausgeschlossen sein. 2 Eingehend hierzu Hassenpflug, Kündigung von Betriebsratsmitgliedern, S. 41 ff., 72 ff. m.w.N. 3 BAG v. 24.2.1976 – 1 ABR 62/75, EzA § 4 BetrVG 1972 Nr. 1, S. 4; BAG v. 12.3.2009 – 2 AZR 47/ 08, NZA 2009, 1264, Rz. 21; BAG v. 23.2.2010 – 2 AZR 656/08, NZA 2010, 1288, Rz. 29; LAG Köln v. 7.8.2020 – 4 Sa 122/20; Hassenpflug, Kündigung von Betriebsratsmitgliedern, S. 201 ff., 237; KR/Kreft, § 15 KSchG Rz. 147. 4 BAG v. 18.10.2000 – 2 AZR 494/99, NZA 2001, 321, 322 f.; BAG v. 23.2.2010 – 2 AZR 656/08, NZA 2010, 1288, Rz. 37; BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 38/19, NZA 2019, 1427, Rz. 27; mit Blick auf Wahlbewerber: BAG v. 12.3.2009 – 2 AZR 47/08, NZA 2009, 1264, Rz. 27; KR/Kreft, § 15 KSchG, Rz. 153; Linck/Krause/Bayreuther/Bayreuther, § 15 KSchG Rz. 177; a.A. Leuchten, NZA 2007, 585, 587 f.; Schleusener, DB 1998, 2368, 2369 ff., die eine Verpflichtung zur Freikündigung ablehnen. 5 BAG v. 23.2.2010 – 2 AZR 656/08, NZA 2010, 1288, Rz. 37; KR/Kreft, § 15 KSchG Rz. 156; Linck/ Krause/Bayreuther/Bayreuther, § 15 KSchG Rz. 174. 6 So ArbG Mainz v. 4.12.1985 – 4 Ca 1747/85, DB 1986, 754; Breschendorf, BB 2007, 661, 663; Fischer, DB 2004, 2752, 2753 f.; Matthes, DB 1980, 1165, 1168 f.; Peter, AiB 2007, 590, 593. 7 So LAG Düsseldorf v. 25.11.1997 – 8 Sa 1358/97, NZA-RR 1998, 539, 542; LAG Düsseldorf v. 15.9.2005 – 11 Sa 788/0759; Bröhl, RdA 2010, 170, 174, Fitting, § 103 BetrVG, Rz. 21; Horcher, NZA-RR 2006, 393, 397 f.; KR/Kreft, § 15 KSchG Rz. 153; Linck/Krause/Bayreuther/Bayreuther, § 15 KSchG Rz. 177; Stahlhacke/Preis/Vossen/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz, Rz. 1715.
Niklas | 669
§ 17 Rz. 17.152 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
zum Schutz des Betriebsratsmitglieds gekündigt werden sollen (z.B. schwerbehinderte Menschen, tarifvertraglich ordentlich unkündbare Mitarbeiter). Sicher erscheint nur, dass eine Sozialauswahl analog § 1 Abs. 3 KSchG jedenfalls dann vorgenommen werden muss, wenn auf den fortbestehenden Arbeitsplätzen nur solche Arbeitnehmer beschäftigt werden, die ebenfalls den Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 bis 3a KSchG genießen, wobei den aktiven Mandatsträgern zur Sicherung der Stetigkeit der Betriebsratsarbeit bei der Besetzung der Stellen der Vorrang vor dem im Nachwirkungszeitraum sonderkündigungsgeschützten Personenkreis (Wahlbewerber, Ersatzmitglieder etc.) einzuräumen ist1.
17.153
In jedem Fall kann die Kündigung eines Mandatsträgers, dessen Weiterbeschäftigung im Betrieb nach der Stilllegung eines Betriebs oder einer Betriebsabteilung aus betrieblichen Gründen nicht möglich ist, frühestens zum Zeitpunkt der Stilllegung des Betriebs oder der Betriebsabteilung erfolgen2. Ausnahmen gelten nach § 15 Abs. 4 KSchG nur dann, wenn die Kündigung zu einem früheren Zeitpunkt durch zwingende betriebliche Gründe bedingt ist. Unerheblich ist, wenn über den Tag der Stilllegung des Betriebs oder Betriebsteils hinausgehend andere Arbeitnehmer noch in einem – ggf. sogar ungekündigten – Arbeitsverhältnis stehen, sofern die Beendigung des Vertragsverhältnisses wegen der Länge der Kündigungsfrist oder der etwaig erforderlichen Zustimmung einer Behörde zur Kündigung noch nicht bewirkt werden konnte. Ebenso können unter bestimmten Voraussetzungen sogar andere Arbeitnehmer über den Stilllegungszeitpunkt hinaus mit Abwicklungsarbeiten beschäftigt werden, sofern deren Arbeit nicht durch das Betriebsratsmitglied übernommen werden kann3.
17.154
Nach teilweiser Auffassung sollen die vorangehend skizzierten Grundsätze des § 15 Abs. 4, 5 KSchG auch dann unmittelbar anwendbar sein, wenn ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang beim übertragenden Rechtsträger zum Wegfall einer Beschäftigungsmöglichkeit führt und der Mandatsträger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses ungeachtet dessen widerspricht4. Kreft5, der – bezogen auf den betroffenen Betrieb oder Betriebsteil – noch eine gesonderte Stilllegungsentscheidung verlangt, kommt zum gleichen Ergebnis. Demgegenüber gehen ein anderer Teil der Literatur und die Rechtsprechung von einer analogen Anwendbarkeit von § 15 Abs. 4, 5 KSchG aus6. Für die analoge Anwendbarkeit spricht, dass ein Betrieb oder Betriebsteil nicht einerseits übertragen und beim übernehmenden Rechtsträger fortgeführt werden, andererseits aber – insbesondere für den Fall des Widerspruchs einer größeren Zahl von Mitarbeitern – beim übertragenden Rechtsträger fortbestehen und dort wegen fehlender Beschäftigungsmöglichkeit stillgelegt werden kann. Die Berechtigung zur Analogie folgt daraus, dass dem Gesetzgeber bei der Schaffung von § 15 KSchG weder § 613a BGB noch das – seit dem 1.4.2002 auch gesetzlich – anerkannte Widerspruchsrecht bekannt waren7.
17.155
Schlussendlich kann eine Entscheidung über die Form der Anwendbarkeit von § 15 KSchG dahinstehen. Sämtliche Bewertungsansätze gehen nämlich zunächst einmal davon aus, dass BAG v. 2.3.2006 – 2 AZR 83/05, NZA 2006, 988, Rz. 21. Fitting, § 103 BetrVG, Rz. 19; KR/Kreft, § 15 KSchG Rz. 161. BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 137/00, NZA 2002, 212, 215. So Annuß, DB 1999, 798, 799; APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 139; Hillebrandt, NZA 1997, 465, 468; Linck/Krause/Bayreuther/Bayreuther, § 15 KSchG Rz. 88. 5 KR/Kreft, § 15 KSchG Rz. 152. 6 So BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 416/99, NZA 2000, 1115, 1118 (noch ausdrücklich offenlassend: BAG v. 18.9.1997 – 2 ABR 15/97, NZA 1998, 189, 192); LAG Düsseldorf v. 25.11.1997 – 8 Sa 1358/ 97, NZA-RR 1998, 539 ff.; Feudner, DB 1994, 1570 f.; Gerauer, BB 1990, 1127 f. 7 Vgl. LAG Düsseldorf v. 25.11.1997 – 8 Sa 1358/97, NZA-RR 1998, 539, 540; Gerauer, BB 1990, 1127, 1128. 1 2 3 4
670 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.157 § 17
der allgemeine Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 KSchG fortbesteht. Auf dieser Basis kommen sie dann zu der Zulässigkeit einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses, wenn im Betrieb kein Arbeitsplatz vorhanden ist, auf dem der Mandatsträger, notfalls zu Lasten derzeit dort beschäftigter Arbeitnehmer, zur Vermeidung einer Kündigung weiter beschäftigt werden könnte. Entsprechend der allgemeinen Zielsetzung von § 15 Abs. 4, 5 KSchG wird auf diese Weise vermieden, dass der Arbeitgeber im Anschluss an einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang verpflichtet wird, die Arbeitsverhältnisse mit einem Betriebsratsmitglied auch ohne eine Beschäftigungsmöglichkeit „sinnentleert“ fortzusetzen. Eine solche Verpflichtung würde, wie entsprechende Feststellungen des BAG im Hinblick auf den tarifvertraglichen Sonderkündigungsschutz zeigen, einen unangemessenen Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit darstellen1. Ob ein sachlicher Grund für den Widerspruch vorlag, ist für die Anwendbarkeit des besonderen Kündigungsschutzes aus § 15 KSchG wiederum unerheblich. Bezugspunkt ist für die Frage einer Weiterbeschäftigung auf einem besetzten Arbeitsplatz der Restbetrieb, wie er beim übertragenden Rechtsträger verblieben ist. Wird der gesamte Betrieb übertragen, entfällt der Anspruch auf Weiterbeschäftigung in dieser Einheit zwangsläufig. Wird nur ein Teil übertragen, ist der verbleibende Restbetrieb maßgeblich. Eine Ausnahme gilt nur für den Fall, dass der bisherige Betriebsinhaber den Betrieb im Anschluss an den Übergang eines Betriebsteils als gemeinsamen Betrieb der beteiligten Rechtsträger fortführt. Entsprechend den allgemeinen Ausführungen zur Sozialauswahl im gemeinsamen Betrieb (vgl. Rz. 17.118 ff.) ist hier der gesamte Betrieb – wie bis zum Übertragungsvorgang – für die Frage einer Weiterbeschäftigung des Mandatsträgers gemäß § 15 Abs. 4, 5 KSchG heranzuziehen.
17.156
Soweit es um die Weiterbeschäftigung auf einem bereits anderweitig besetzten Arbeitsplatz im Betrieb des übertragenden Rechtsträgers geht, muss, bevor der dort ohne besonderen Kündigungsschutz beschäftigte Arbeitnehmer gekündigt wird, eine Interessenabwägung durchgeführt werden. Dabei sind die sozialen Belange des betroffenen Arbeitnehmers und die betrieblichen Belange an seiner Weiterbeschäftigung mit den Interessen der Belegschaft und des durch § 15 KSchG geschützten Personenkreises gegeneinander abzuwägen2. Damit ist jedoch keine Sozialauswahl i.S.d. § 1 Abs. 3 KSchG gemeint. Eine Sozialauswahl ist im Zusammenhang mit der Kündigung von Betriebsratsmitgliedern nur dann vorzunehmen, wenn auch die Arbeitnehmer, die auf den anderen verbliebenen Arbeitsplätzen im Betrieb beschäftigt werden, einen besonderen Kündigungsschutz nach § 15 KSchG genießen. In diesem Fall ist der Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer also auf Mandatsträger i.S.d. § 15 KSchG begrenzt. Bei der hier vorzunehmenden Interessenabwägung geht es vielmehr darum, ein Interesse außerhalb der Sozialkriterien, nämlich dem kollektiv geprägten Interesse an der Kontinuität des Betriebsratsamtes, mit der sozialen Stellung des freizukündigenden Arbeitnehmers insgesamt abzuwägen3. Bei vergleichbaren Arbeitsplätzen dürfte die Abwägung im Regelfall zugunsten des Mandatsträgers ausgehen, um dem besonderen Schutzzweck von § 15 KSchG Rechnung zu tragen. Allerdings kann die Interessenabwägung auch zur Folge haben, dass einem sozial deutlich schutzwürdigeren ordentlich kündbaren Arbeitnehmer der Vorzug gegenüber einem
17.157
1 Vgl. BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771, 775; BAG v. 17.9.1998 – 2 AZR 419/97, EzA § 626 BGB Unkündbarkeit Nr. 3, S. 8. 2 LAG Düsseldorf v. 15.9.2005 – 11 Sa 788/05; Fitting, § 103 BetrVG, Rz. 21; KR/Kreft, § 15 KSchG Rz. 153; Stahlhacke/Preis/Vossen/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz, Rz. 1715. 3 Horcher, NZA-RR 2006, 393, 397.
Niklas | 671
§ 17 Rz. 17.157 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
Mandatsträger zu geben ist, wenn dessen Schutz mit Gewissheit bald ausläuft1. Bei einem geringwertigeren Arbeitsplatz wird man regelmäßig besonders schutzwürdige Individualinteressen des Mandatsträgers verlangen müssen, die über sein Interesse, auch in Zukunft als Betriebsratsmitglied tätig zu werden, hinausgehen und die Interessen des anderen Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes überwiegen. Schließlich besteht der Betriebsrat auch bei einer Kündigung des Betriebsratsmitglieds als Organ fort; das Interesse an einem Mandatsfortbestand des einzelnen Betriebsratsmitglieds kann also nicht generell die Interessen anderer Arbeitnehmer überwiegen. Ob diese Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, muss jeweils individuell geprüft werden.
17.158
Die Gründe für den Widerspruch des Betriebsratsmitglieds können im Rahmen der Interessenabwägung letztlich keine Rolle mehr spielen2. Denn wie das BAG mit dem Urteil vom 31.5.20073 im Zusammenhang mit der Novellierung des § 1 Abs. 3 KSchG zutreffend festgestellt hat, kann die Rechtsprechung, nach der die Gründe für den Widerspruch bei der Abwägung der sozialen Auswahlkriterien zu berücksichtigen sind, unter der Geltung des § 1 Abs. 3 KSchG in der seit dem 1.1.2004 geltenden Fassung nicht mehr aufrechterhalten werden. Genau unter Berufung auf diese frühere Rechtsprechung hat jedoch das LAG Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 25.11.1997 noch zur alten Rechtslage seine Feststellungen dahingehend getroffen, dass auch die Weiterführung des Betriebsratsamtes als sachlicher Grund für den Widerspruch anzusehen sei4. Es würde indes einen Wertungswiderspruch darstellen, wenn man die Gründe des Widerspruchs bei dem nach § 15 Abs. 1 bis 3a KSchG besonders geschützten Mandatsträger beachten würde, während sie bei Arbeitnehmern ohne entsprechenden Schutz nunmehr unberücksichtigt bleiben müssen.
17.159
Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats sind zunächst einmal davon abhängig, wann die Kündigung ausgesprochen wird. Erfolgt der Widerspruch bis zum Betriebs- oder Betriebsteilübergang, ändert sich an den normalen Gegebenheiten nichts. Ob der Betriebsrat gemäß § 103 BetrVG der Kündigung zuzustimmen hat, hängt insoweit davon ab, ob im Anschluss an den Betriebs- oder Betriebsteilübergang eine ordentliche oder eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses möglich ist. Kommt nach § 15 Abs. 4, 5 KSchG eine ordentliche Kündigung in Betracht, ist eine Zustimmung des Betriebsrats trotz des an sich uneingeschränkt gefassten Wortlauts des Gesetzes nicht erforderlich5. Dies gilt selbst dann, wenn das Betriebsratsmitglied auch tarifvertraglich ordentlich unkündbar ist6. Widerspricht das Betriebsratsmitglied erst nach dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses, so kann es passieren, dass beim übertragenden Rechtsträger kein Betriebsrat (mehr) besteht. Dies ist nicht nur bei der Übertragung des Betriebs in seiner Gesamtheit, sondern auch dann der Fall, wenn der Betrieb unter Wahrung seiner Identität übertragen wird, beim übertragenden Rechtsträger aber noch
1 Dahin tendierend BAG v. 12.3.2009 – 2 AZR 47/08, NZA 2009, 1264, Rz. 34. 2 So aber noch LAG Düsseldorf v. 25.11.1997 – 8 Sa 1358/97, NZA-RR 1998, 539, 541 f.; ebenso offenbar noch Fitting, § 103 BetrVG Rz. 17, wenn auch unter Verweis auf die Rechtsprechung zur Rechtslage vor der Novellierung des § 1 Abs. 3 KSchG. 3 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33, Rz. 51. 4 LAG Düsseldorf v. 25.11.1997 – 8 Sa 1358/97, NZA 1998, 539, 541 f. 5 BAG v. 29.3.1977 – 1 AZR 46/75, AP Nr. 11 zu § 102 BetrVG 1972, Bl. 2; BAG v. 28.5.2009 – 8 AZR 273/08, NZA 2009, 1267, Rz. 67; BAG v. 23.2.2010 – 2 AZR 656/08, NZA 2010, 1288, Rz. 20; BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 276/16, NZA 2017, 175, Rz. 67; Fitting, § 103 BetrVG, Rz. 14; a.A. Belling, NZA 1985, 481 ff.; Hassenpflug, Kündigung von Betriebsratsmitgliedern, S. 153 ff. 6 BAG v. 18.9.1997 – 2 ABR 15/97, NZA 1998, 189, 190 f.; Fitting, § 103 BetrVG, Rz. 14; HWK/Ricken, § 103 BetrVG Rz. 10; KR/Kreft, § 15 KSchG Rz. 76, 101.
672 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.161 § 17
ein Betriebsteil verbleibt. In diesem Fall entfällt, sobald das Übergangsmandat endet, jede Beteiligung nach §§ 102, 103 BetrVG. Eine Auffangzuständigkeit des Gesamtbetriebsrats besteht nicht1. Hat der Arbeitgeber nicht erkannt, dass wegen der Anwendbarkeit von § 15 Abs. 4, 5 KSchG eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses möglich und deshalb auch keine Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung nach § 103 BetrVG erforderlich war, spricht das Arbeitsgericht in einem entsprechenden Beschlussverfahren die Feststellung aus, dass eine Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung entbehrlich ist. Nach den Feststellungen des BAG im Beschluss vom 18.9.19972 präjudiziert diese Entscheidung auch für ein nachfolgendes Kündigungsschutzverfahren, dass es einer Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung nicht bedurfte, wenn der Arbeitnehmer am Beschlussverfahren beteiligt wurde. Selbstverständlich sind dann aber die materiell-rechtlichen Voraussetzungen aus § 1 KSchG noch einmal gesondert zu prüfen. Leitet der Arbeitgeber ein gerichtliches Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG ein, ohne hierzu verpflichtet zu sein, könnte dies dazu führen, dass die Kündigung gemäß § 626 Abs. 2 BGB verfristet ist. Dies könnte etwa dann anzunehmen sein, wenn die Voraussetzungen für eine ordentliche Kündigung nicht vorliegen, der Arbeitgeber jedoch irrtümlich angenommen hat, der Arbeitnehmer zähle zu dem von § 103 BetrVG geschützten Personenkreis und in der Folge ein – überflüssiges – gerichtliches Zustimmungsersetzungsverfahren einleitet, anstatt innerhalb der Zwei-Wochen-Frist die Kündigung zu erklären. Dies ist jedoch unschädlich, sofern der Arbeitgeber mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, dass der Arbeitnehmer unter den nach § 103 BetrVG geschützten Personenkreis fällt3. In diesem Fall kann er den rechtskräftigen Abschluss des Zustimmungsersetzungsverfahrens abwarten und muss sodann – ebenso wie bei einer zustimmenden Entscheidung – unverzüglich nach Eintritt der Rechtskraft die Kündigung erklären.
17.160
c) Freigestellte Betriebsratsmitglieder Die voranstehend skizzierten Grundsätze gelten auch dann, wenn ein freigestelltes Betriebsratsmitglied dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprochen hat. Auch wenn der Arbeitgeber wegen der Freistellung an sich bis zum Ablauf der Amtszeit nicht mehr erwarten durfte, dass die arbeitsvertraglichen Pflichten erfüllt werden, handelt es sich nicht um eine „freischwebende“ Beschäftigungsform. Vielmehr muss auch beim freigestellten Betriebsratsmitglied überprüft werden, ob – unterstellt man seine Arbeitspflicht – eine Beschäftigungsmöglichkeit gegeben wäre. Schließlich besteht auch der Arbeitsvertrag mit einem Betriebsratsmitglied – so das BAG im Beschluss vom 18.9.19974 – „im Hinblick auf die Erfüllung einer arbeitsvertraglich bestimmten Arbeitsleistung, nicht zur Ausübung seines Betriebsratsmandats“. Zwar dürfte im Regelfall der ursprüngliche Arbeitsplatz des Betriebsratsmitglieds nach seiner Freistellung mit einem anderen Arbeitnehmer besetzt werden, so dass damit ein konkretes Beschäftigungsbedürfnis für das freigestellte Betriebsratsmitglied – jedenfalls zeitweilig – nicht mehr besteht. Dies besagt aber nicht, dass nicht zumindest eine theoretische Beschäftigungsmöglichkeit vorhanden sein muss, zumal auch ein vorzeitiges Erlöschen des Betriebsratsamts in Betracht kommen kann (§ 24 BetrVG). Deutlich wird dies insbesondere dann, 1 Vgl. BAG v. 21.3.1996 – 2 AZR 559/95, NZA 1996, 974, 975 f.; Annuß, DB 1999, 798 Fn. 13. 2 BAG v. 18.9.1997 – 2 ABR 15/97, NZA 1998, 189, 193; ebenso LAG Rheinland-Pfalz v. 18.10.2018 – 5 TaBV 9/18. 3 Vgl. BAG v. 27.3.1991 – 2 AZR 418/90; BAG v. 27.1.2011 − 2 ABR 114/09, NZA-RR 2011, 348, Rz. 30. 4 BAG v. 18.9.1997 – 2 ABR 15/97, NZA 1998, 189, 192.
Niklas | 673
17.161
§ 17 Rz. 17.161 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
wenn der Betriebsrat nach dem Übergang des Betriebs in seiner Gesamtheit beim übernehmenden Rechtsträger fortbesteht und dort, wenn weiterhin die Schwellenwerte des § 38 BetrVG erreicht werden, ein anderes Betriebsratsmitglied freigestellt wird.
2. Schwerbehinderte Menschen 17.162
Vor der Kündigung von schwerbehinderten oder diesen gleichgestellten Menschen ist an die frühzeitige Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung, der in § 176 SGB IX genannten Vertreter und des Integrationsamtes (in manchen Bundesländern auch als „Inklusionsamt“ bezeichnet) zu denken, mit denen gemäß § 167 Abs. 1 SGB IX möglichst frühzeitig alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen erörtert werden sollen, um zu versuchen, eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden. Vergleichbare Pflichten begründet § 241 Abs. 2 BGB i.V.m. der UN-Behindertenrechtskonvention (UNBRK) bei Arbeitnehmern in den ersten sechs Monaten ihres Arbeitsverhältnisses1. Dies gilt umso mehr, als Kündigungen, die wegen der Schwerbehinderung ausgesprochen werden, schon gemäß § 134 BGB i.V.m. § 7 Abs. 1, §§ 1 und 3 AGG unwirksam sind2. Ergänzend ist das Erfordernis eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) nach § 167 Abs. 2 SGB IX zu beachten, wodurch ebenfalls einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses aus gesundheitlichen Gründen möglichst frühzeitig vorgebeugt werden soll3.
17.163
Lässt sich der Ausspruch einer Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten oder diesem gleichgestellten Menschen im Rahmen einer Umstrukturierung nicht vermeiden, ist unverzüglich die Schwerbehindertenvertretung zu unterrichten und anzuhören, § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Diese Verpflichtung besteht unabhängig davon, ob eine Beendigungs- oder Änderungskündigung ausgesprochen werden soll und ob sich der Mitarbeiter noch in der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG befindet4. Eine ohne Beteiligung im Sinne des § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ausgesprochene Kündigung ist unwirksam, § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX. Voraussetzung der Beteiligungspflicht ist jedoch, dass dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung, Gleichstellung oder zumindest die Beantragung derselben durch den Arbeitnehmer bekannt ist oder innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung bekanntgemacht wird; insoweit gelten die nachfolgenden Erläuterungen zur Zustimmungspflicht des Integrationsamtes entsprechend (vgl. Rz. 17.164 ff.)5. Für die Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung selbst gelten im Übrigen die gleichen Grundsätze wie für die Unterrichtung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG (vgl. hierzu Rz. 19.1 ff.); die Schwerbehindertenvertretung muss mithin mittels einer umfassenden – nicht nur schwerbehindertenspezifischen – Unterrichtung und Anhörung in die Lage versetzt werden, die Willensbildung des Arbeitgebers zu beeinflussen6. An einer ordnungsgemäßen Beteiligung i.S.d. § 178 Abs. 2 Satz1 SGB IX mangelt es
1 Vgl. zu den Auswirkungen mangelnder Vorkehrungen zur Gewährleistung der Anwendung des Gleichbehandlungsbrundsatzes EuGH v. 11.4.2013 – C-335/11, C-337/11, NZA 2013, 553 ff. – HK Danmark/Dansk almennyttigt Boligselskab und HK Danmark/Dansk Arbejdsgiverforening. 2 Vgl. für den Kleinbetrieb BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372, 374 ff.; aber auch dann, wenn das KSchG anwendbar ist, dürfte hiervon stets auszugehen sein, wenn die Behinderung der einzige Grund für die Kündigung ist; die Regelung des § 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht entgegen, vgl. BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, NZA 2009, 361, 363 ff.; BAG v. 22.10.2009 – 8 AZR 642/08, NZA 2010, 280, Rz. 15. 3 BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, NZA 2008, 173, Rz. 36. 4 BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 378/18, NZA 2019, 305, Rz. 12. 5 Ebenso Lingemann/Steinhauser, NJW 2017, 1369, 1370. 6 BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 378/18, NZA 2019, 305, Rz. 15, 21.
674 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.165 § 17
nicht nur bei einer nicht ausreichenden Unterrichtung, sondern auch dann, wenn die Schwerbehindertenvertretung zwar ausreichend unterrichtet worden ist, aber keine genügende Gelegenheit zur Stellungnahme hatte1. Insoweit wird auch die Regelung des § 102 Abs. 2 BetrVG analog angewandt, d.h. die Schwerbehindertenvertretung hat eine Woche Zeit, um sich zu der beabsichtigten Kündigung zu äußern2. Ungeachtet der notwendigen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung muss das Integrationsamt um Zustimmung zur Kündigung gebeten werden (§§ 168 ff. SGB IX). Allerdings findet das Zustimmungserfordernis nach § 173 Abs. 3 SGB IX dann keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch bzw. Gleichgestellter nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 152 Abs. 1 Satz 3 SGB IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte. Das Eingreifen des Sonderkündigungsschutzes setzt damit grundsätzlich voraus, dass im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung entweder die Schwerbehinderung bereits anerkannt (oder eine Gleichstellung erfolgt) ist oder die Stellung des Antrags auf Anerkennung der Schwerbehinderung (bzw. auf Gleichstellung) mindestens drei Wochen zurückliegt3. Bei Unkenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung bzw. der Antragstellung trifft den Arbeitnehmer aber die Obliegenheit, innerhalb einer angemessenen Frist – die in der Regel drei Wochen beträgt – auf den besonderen Kündigungsschutz hinzuweisen4. Unterlässt der Arbeitnehmer die entsprechende Mitteilung, so hat er den besonderen Kündigungsschutz in der Regel verwirkt. Keinen Vertrauensschutz genießt der Arbeitgeber insoweit nur dann, wenn er die Schwerbehinderung oder den Antrag vor Ausspruch der Kündigung kannte und deshalb mit dem Zustimmungserfordernis rechnen musste oder die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers offenkundig war5. Eine etwaige Kenntnis des übertragenden Rechtsträgers über die Schwerbehinderung oder den Antrag muss sich der übernehmende Rechtsträger nach einer Entscheidung des BAG vom 11.12.20086 zurechnen lassen. Der vollständige Eintritt des Betriebsübernehmers in die Rechte und Pflichten des bisherigen Arbeitgebers bedeute nämlich – so der 2. Senat – nicht nur eine Nachfolge in rechtlichen Beziehungen, der Übernehmer müsse sich vielmehr auch Gegebenheiten zurechnen lassen, die als Tatbestandsmerkmale für spätere Rechtsfolgen von Bedeutung seien. Im Übrigen aber gelten an sich keine Besonderheiten (zur Kündigung von Mitgliedern der Schwerbehindertenvertretung vgl. Rz. 17.145 ff.).
17.164
Allerdings kann die Einschränkung der Ermessensentscheidung aus § 172 SGB IX zum Tragen kommen. Danach hat das Integrationsamt die Zustimmung zu erteilen bei Kündigungen in Betrieben und Dienststellen, die nicht nur vorübergehend eingestellt oder aufgelöst werden, wenn zwischen dem Tag der Kündigung und dem Tag, bis zu dem Gehalt oder Lohn gezahlt wird, mindestens drei Monate liegen (§ 172 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Hinsichtlich der Voraussetzungen für die Stilllegung bzw. – bezogen auf den öffentlichen Dienst – die Auflösung,
17.165
1 BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 378/18, NZA 2019, 305, Rz. 22. ff. 2 BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 378/18, NZA 2019, 305, Rz. 23. 3 BAG v. 29.11.2007 – 2 AZR 613/06, NZA 2008, 361, Rz. 15, BAG v. 9.6.2011 – 2 AZR 703/09, NZA-RR 2011, 516, Rz. 18. 4 BAG v. 23.2.2010 – 2 AZR 659/08, NZA 2011, 411, Rz. 16; BAG v. 9.6.2011 – 2 AZR 703/09, NZARR 2011, 516, Rz. 22. 5 BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 324/06, NZA 2008, 407, Rz. 25; BAG v. 9.6.2011 – 2 AZR 703/09, NZARR 2011, 516, Rz. 25. 6 BAG v. 11.12.2008 – 2 AZR 395/07, NZA 2009, 556, Rz. 18.
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§ 17 Rz. 17.165 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
kann auf § 15 Abs. 4 KSchG, § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG abgestellt werden1. Unter der gleichen Voraussetzung soll es die Zustimmung auch bei Kündigungen in Betrieben und Dienststellen erteilen, die nicht nur vorübergehend wesentlich eingeschränkt werden, wenn die Gesamtzahl der weiterhin beschäftigten schwerbehinderten Menschen zur Erfüllung der Beschäftigungspflicht nach § 154 SGB IX ausreicht. Dies gilt allerdings nicht, wenn eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz desselben Betriebes oder derselben Dienststelle oder auf einem freien Arbeitsplatz in einem anderen Betrieb oder einer anderen Dienststelle desselben Arbeitgebers mit Einverständnis des schwerbehinderten bzw. diesem gleichgestellten Menschen möglich und für den Arbeitgeber zumutbar ist. Wenn diese Weiterbeschäftigung als Folge eines Übergangs des Betriebs- oder Betriebsteils beim übernehmenden Rechtsträger denkbar ist, ist auch insoweit keine Einschränkung der Ermessensentscheidung gerechtfertigt. Der Betriebsübergang ist keine Betriebsstilllegung, die eine Zustimmung rechtfertigt2.
17.166
Besteht Streit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ob eine Stilllegung oder ein Übergang des Betriebs vorliegt, steht dies einer Zustimmung des Integrationsamtes nicht entgegen. Vielmehr kann – entsprechend den Feststellungen des OVG Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 21.3.20003 zu der entsprechenden Problematik bei der Kündigung von Arbeitnehmern in Elternzeit – eine Abgrenzung der beiden Fallgestaltungen – offensichtliche Fälle ausgenommen – nur durch die Arbeitsgerichte erfolgen, die im Anschluss an den Ausspruch der Kündigung angerufen werden können. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Maßnahme schon vollzogen ist. Bleiben Zweifel, kann eine etwaige Zustimmung mit der auflösenden Bedingung versehen werden, dass kein Betriebs- oder Betriebsteilübergang vorgenommen wird4. Umgekehrt kann aber wiederum eine Kündigung durch den übertragenden Rechtsträger analog § 172 SGB IX zu gestatten sein, wenn der schwerbehinderte oder ein ihm gleichgestellter Arbeitnehmer bei der Übertragung des Betriebs in seiner Gesamtheit dem Übergang des Arbeitsverhältnisses widerspricht und beim bisherigen Arbeitgeber keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr besteht5.
3. Arbeitnehmer in Mutterschutz, Eltern-, Pflege- und Familienpflegezeit 17.167
Keine Besonderheiten ergeben sich an sich auch hinsichtlich der besonderen Verfahren zur Kündigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Mutterschutz und Elternzeit aus § 17 MuSchG, § 18 BEEG. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des besonderen Kündigungsschutzes für (werdende) Mütter nach § 17 MuSchG ist allerdings, dass dem jeweils kündigenden Rechtsträger zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft oder Entbindung bekannt war oder innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird; das Überschreiten dieser Frist ist indes unschädlich, wenn es auf einem von der Frau nicht zu vertretenden Grund beruht und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird. Wie die Kenntnis von einer etwaigen Schwerbehinderung muss sich der übernehmende Rechtsträger bei einem Betriebs(teil-)übergang nach § 613a BGB oder einer Umwandlung auch die Kenntnis des Betriebsveräußerers über den Zustand der übergehenden Arbeitnehmerin zurechnen lassen6. 1 Vgl. LAG München v. 7.8.2013 – 11 Sa 56/13; APS/Vossen, § 172 SGB IX Rz. 6; ErfK/Rolfs, § 172 SGB IX Rz. 8. 2 Vgl. BAG v. 25.6.2009 – 8 AZR 258/08, NZA 2009, 1412, Rz. 25; APS/Vossen, § 172 SGB IX Rz. 6a. 3 OVG Nordrhein-Westfalen v. 21.3.2000 – 22 A 5137/99, EzA § 18 BErzGG Nr. 5, S. 2 ff. 4 Bauer, DB 1983, 713, 716. 5 Vgl. Kreitner, Kündigungsrechtliche Probleme, S. 170. 6 Vgl. BAG v. 11.12.2008 – 2 AZR 395/07, NZA 2009, 556, Rz. 18, hinsichtlich der Kenntnis von einer Schwerbehinderung.
676 | Niklas
Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.169 § 17
Eine erneute Unterrichtung des übernehmenden Rechtsträgers durch die Arbeitnehmerin über die Schwangerschaft oder Entbindung muss mithin nicht erfolgen1. Zwar vermag § 17 MuSchG einen Teil seines Schutzzwecks, nämlich schon den Ausspruch bzw. den Zugang der Kündigung gegenüber einer nach dieser Vorschrift geschützten Arbeitnehmerin zu verhindern, nicht zu erfüllen, wenn dem Betriebserwerber die Kenntnis von Schwangerschaft oder Entbindung fehlt2. Diese Einschränkung ergibt sich jedoch schon aus § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG selbst, da nach dieser Vorschrift eine Mitteilung bis zu zwei Wochen nach der Kündigung ausreicht3. Gleiches gilt für den besonderen Kündigungsschutz bei Inanspruchnahme von Pflege- oder Familienpflegezeit nach § 5 PflegeZG bzw. § 2 Abs. 3 FPfZG i.V.m. § 5 PflegeZG. Auch insoweit geht der Sonderkündigungsschutz aus den vorgenannten Gründen im Rahmen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs oder einer Umwandlung auf den übernehmenden Rechtsträger über, ohne dass eine erneute Mitteilung erforderlich wäre. Sehr zu begrüßen ist die mit Wirkung zum 1.1.2015 erfolgte Ergänzung des § 5 Abs. 1 PflegeZG um eine Ankündigungsfrist. Damit kann auch der Sonderkündigungsschutz höchstens zwölf Wochen vor dem angekündigten Beginn der Pflege- oder Familienpflegezeit entstehen. Diese Frist gab es zuvor nicht, so dass Pflege- und Familienpflegezeit insbesondere im Rahmen von Umstrukturierungen dazu genutzt werden konnten, sich durch Ankündigung der Inanspruchnahme von Pflege- oder Familienpflegezeit einen Vorteil gegenüber den Arbeitnehmern ohne Sonderkündigungsschutz zu verschaffen. Zu diesem Zweck wurde eine Inanspruchnahme schon unzählige Monate oder gar ein oder zwei Jahre im Voraus angekündigt. Wenngleich nach der herrschenden Auffassung anerkannt war, dass es Arbeitnehmern im Falle der rechtsmissbräuchlichen Ankündigung verwehrt sein sollte, sich auf den Sonderkündigungsschutz zu berufen4, war völlig unklar, ab welchem Zeitraum insoweit von einem Rechtsmissbrauch auszugehen war.
17.168
Bei einer Entscheidung über den Antrag des Arbeitgebers, eine Kündigung in den Fällen des Mutterschutzes, der Elternzeit oder der Pflege- bzw. Familienpflegezeit für zulässig zu erklären, ist die Stilllegung eines Betriebs stets als besonderer Umstand anzusehen, bei dem ausnahmsweise eine Kündigung zulässig ist. Hiervon wird man auch im Falle eines Betriebsübergangs ausgehen können, wenn der übertragende Rechtsträger nach einem Widerspruch der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers mit besonderem Kündigungsschutz nach § 17 MuSchG, § 18 BEEG, § 5 PflegeZG oder 2 Abs. 3 FPfZG i.V.m. § 5 PflegeZG gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses kündigen will, weil er nach dem Übergang des einzigen Betriebs auf einen anderen Rechtsträger selbst keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr hat. Liegt allerdings nur eine Rationalisierung oder eine Teilbetriebsstilllegung vor oder gibt es beim Arbeitgeber weitere Betriebe, in denen zum Ablauf des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit oder der Pflege- bzw. Familienpflegezeit freie Arbeitsplätze eine Weiterbeschäftigung ermöglichen könnten, wird die oberste Landesbehörde die Zustimmung zur Kündigung berechtigterweise verweigern. Angesichts des Schutzzwecks der gesetzlichen Vorschriften ist dies vertretbar, auch wenn damit eine Besserstellung gegenüber den Arbeitnehmern ohne Sonderkündigungsschutz erreicht wird, bei denen die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung auf freien Arbeits-
17.169
1 Ebenso HWK/C.W. Hergenröder, § 17 MuSchG Rz. 8; KR/Gallner, § 17 MuSchG Rz. 61; a.A. Bauer, DB 1983, 713, 715; Brose/Weth/Volk/Volk, § 17 MuSchG Rz. 55; Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, § 17 MuSchG Rz. 10. 2 Brose/Weth/Volk/Volk, § 17 MuSchG Rz. 55. 3 APS/Rolfs, § 17 MuSchG Rz. 53. 4 Vgl. etwa Thüringer LAG v. 2.10.2014 – 6 Sa 345/13; Linck, BB 2008, 2738, 2743; Preis/Nehring, NZA 2008, 729, 735; Oberthür/Becker, ArbRB 2009, 77, 80.
Niklas | 677
§ 17 Rz. 17.169 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
plätzen nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist geprüft wird. Bei Streit über die Abgrenzung zwischen Betriebsübergang und -stilllegung muss die zuständige Behörde indes eine Entscheidung – Einzelfälle ausgenommen – treffen und die diesbezügliche Bewertung den Arbeitsgerichten im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens überlassen1.
4. (Tarif-)Vertraglich ordentlich unkündbare Arbeitnehmer a) Grundsatz: Kündigung nur noch aus wichtigem Grund
17.170
In einer ganzen Reihe von Tarifverträgen oder Rationalisierungsschutzabkommen ist vorgesehen, dass Arbeitnehmer nach Erreichen eines bestimmten Lebensalters und einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit ordentlich unkündbar sind bzw. nur noch aus bestimmten (wichtigen) Gründen heraus kündbar sind („Orlando-Kündigung“). Nach Maßgabe der Rechtsprechung führen jedenfalls kollektivrechtliche Vereinbarungen dieser Art dazu, dass die anspruchsberechtigten Arbeitnehmer in der Regel nicht in eine Sozialauswahl einbezogen werden, falls die Voraussetzungen bei Zugang der Kündigung erfüllt sind2. Solange es also vergleichbare Arbeitnehmer gibt, die an ihrer Stelle wegen des Wegfalls von Arbeitsplätzen gekündigt werden können, sind die Arbeitnehmer mit Sonderkündigungsschutz vor allem vor ordentlichen betriebsbedingten Kündigungen geschützt3. Einschränkungen werden lediglich im Hinblick auf individualrechtliche Vereinbarungen über die ordentliche Kündbarkeit von Arbeitnehmern anerkannt4.
17.171
Damit bewirken individual- und kollektivrechtliche Vereinbarungen über die ordentliche Unkündbarkeit von Arbeitnehmern letztlich eine Einschränkung des Kündigungsschutzes zu Lasten derjenigen Arbeitnehmer, die anstelle der ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer gekündigt werden. Bereits in der Zeit bis zur Einführung des AGG zum 1.1.2006 war die Rechtswirksamkeit solcher Regelungen nicht unkritisch. Denn wie schon der 7. Senat des BAG in einem Urteil vom 11.6.19975 zutreffend ausgeführt hat, steht der gesetzliche Kündigungsschutz über die Möglichkeit eines Punkteschemas nach § 1 Abs. 4 KSchG hinaus nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien. Schließlich fehlt im KSchG – abweichend von den Regelungen bspw. im TzBfG, im BUrlG oder im EFZG – eine Regelung, nach der es den Tarifvertragsparteien ausdrücklich vorbehalten bleibt, Abweichungen von den in § 1 Abs. 3 KSchG genannten Vorgaben festzulegen. Um solche Vorgaben handelt es sich hier, auch wenn die nichtbegünstigten Arbeitnehmer nur im Wege eines Umkehrschlusses benachteiligt werden6. Da aber auch die Ausgrenzung aus einer begünstigenden Regelung eine unmittelbare Benach1 Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen v. 21.3.2000 – 22 a 5137/99, EzA § 18 BErzGG Nr. 5, S. 2 ff. 2 BAG v. 17.5.1984 – 2 AZR 161/83, AP Nr. 3 zu § 55 BAT, Bl. 5; LAG Brandenburg v. 29.10.1998 – 3 Sa 229/98, NZA-RR 1999, 360, 362; offengelassen für die Regelung des § 4.4 MTV Metall- und Elektroindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden: BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 907/06, NZA 2008, 1120, Rz. 30; a.A. ArbG Cottbus v. 17.5.2000 – 6 Ca 38/00, NZA 2000, 580, 581 ff. 3 Ebenso APS/Kiel, § 1 KSchG, Rz. 625; Kania/Kramer, RdA 1995, 287, 288 ff.; KR/Rachor § 1 KSchG Rz. 724; Stahlhacke/Preis/Vossen/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz, Rz. 1065; krit.: Linck/ Krause/Bayreuther/Krause, § 1 KSchG Rz. 913 ff. 4 Vgl. Bröhl, RdA 2010, 1070, 1071; KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 724; Kania/Kramer, RdA 1995, 287, 288 ff.; Linck/Krause/Bayreuther/Krause, § 1 KSchG, Rz. 921; abw. Stahlhacke/Preis/Vossen/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz, Rz. 1065, der nicht zwischen tariflicher und individualvertraglicher Unkündbarkeit unterscheidet. 5 BAG v. 11.6.1997 – 7 AZR 186/96, EzA § 620 BGB Altersgrenze Nr. 6, S. 7. 6 Ebenso Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rz. 1971 ff.; a.A. Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 49, 50, die zur Begründung allerdings nur auf die Verhältnismäßigkeit des damit verbundenen Eingriffs in die unter-
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Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.172 § 17
teiligung darstellt, wie schon die zutreffenden Überlegungen zu § 612a BGB deutlich machen1, kann nicht davon gesprochen werden, dass die Rechtsposition der ausgegrenzten Arbeitnehmer lediglich als „rechtlich unbeachtlicher Reflex“ tangiert werde2. Schließlich ist es auch das Ziel solcher Vereinbarungen, den begünstigten Personenkreis besser zu schützen als andere Arbeitnehmer. Dass damit nicht die Voraussetzungen eines „klassischen“ Vertrags zu Lasten Dritter erfüllt werden, sei dahingestellt. Da dem Gesetzgeber die Möglichkeit von Öffnungsklauseln zugunsten der Tarifvertragsparteien, die solche Vereinbarungen zugelassen hätten, bekannt sind, liegt angesichts des Fehlens solcher Klauseln im KSchG aber schon unabhängig von den Vorgaben des AGG der Schluss nahe, dass auch die Tarifvertragsparteien keine solchen Vorgaben treffen können. Denn anders als bei einer bloßen Auswahlrichtlinie nach § 1 Abs. 4 KSchG wird damit das Gewicht von Alter und Betriebszugehörigkeit der begünstigten Personen mit einem Sonderkündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer regelmäßig unangemessen verstärkt. Besonderheiten wird man allenfalls für solche Kündigungsverbote gestatten müssen, die (auch) durch Gesetz (Verordnung) gewährleistet werden3. Zweifel an der Wirksamkeit eines tarif- oder individualrechtlich eingeräumten Sonderkündigungsschutzes ergeben sich denn auch vor allem aufgrund der vielfach damit einhergehenden Benachteiligung wegen des Alters. Führt man sich etwa die Regelung des § 4.4 Manteltarifvertrag für Beschäftigte zum ERA-Tarifvertag Metall- und Elektroindustrie Nordwürttemberg/ Nordbaden vom 14.6.2005 vor Augen, die Gegenstand der Entscheidung des 2. Senats vom 5.6.20084 war, ist eine solche Benachteiligung evident. Danach kann einem Beschäftigten, der das 53., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet hat und dem Betrieb mindestens drei Jahre angehört, nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Dies bedeutet, dass im Extremfall einem (nur) 50-jährigen Arbeitnehmer, der 25 Jahre im Betrieb gearbeitet hat und mehreren Personen gegenüber unterhaltspflichtig ist, anstelle eines 53-jährigen Arbeitnehmers, der erst seit drei Jahren im Betrieb beschäftigt ist und keine Unterhaltspflichten hat, gekündigt werden müsste. Wie das BAG in seinem Urteil vom 20.6.20135 zu der inhaltlich identischen Regelung des § 4.4 Manteltarifvertrag für Beschäftigte zum ERA-Tarifvertrag Metall- und Elektroindustrie Südwürttemberg-Hohenzollern vom 14.6.2005 daher völlig zutreffend festgestellt hat, ist diese Regelung an den Vorschriften des AGG zu messen. Zwar liege mit den vorstehend genannten Tarifverträgen eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters i.S.d. § 3 Abs. 1 AGG vor. Diese könne aber verfassungskonform durch ein legitimes Ziel i.S.d. § 10 AGG gerechtfertigt werden, sofern die eingesetzten Mittel zur Erreichung des Ziels verhältnismäßig seien. Hiervon ist nach Auffassung des 2. Senats in der vorgenannten Entscheidung auszugehen. Die Grenze sei jedoch dort erreicht, wo der tariflich eingeräumte Sonderkündigungsschutz im Ergebnis zu einer grob fehlerhaften Sozialauswahl führe. Denn
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nehmerische Entscheidungsfreiheit verweisen, den Benachteiligungsaspekt und die Modifikation der gesetzlichen Regelung zur Sozialauswahl aber nicht berücksichtigen. Vgl. BAG v. 12.6.2002 – 10 AZR 340/01, NZA 2002, 1389 ff. So aber LAG Brandenburg v. 29.10.1998 – 3 Sa 229/98, NZA-RR 1999, 360, 362; Kania/Kramer, RdA 1995, 287, 288; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 724; Stahlhacke/Preis/Vossen/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz, Rz. 1065. Ein solcher Fall lag der Entscheidung des LAG Brandenburg v. 29.10.1998 (3 Sa 229/98, NZA-RR 1999, 360 ff.) zugrunde. Dort war durch öffentlich-rechtlichen Vertrag und Rechtsverordnung festgelegt worden, dass die Mitarbeiter eines Unternehmens der Braunkohleindustrie betriebsbedingt ordentlich unkündbar waren, wenn sie in einer Ortschaft wohnten, die als Folge des Braunkohleabbaus verlegt werden musste („Kausche-Vertrag“). BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 907/06, NZA 2008, 1120 ff. BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 295/12, NZA 2014, 208, Rz. 36.
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17.172
§ 17 Rz. 17.172 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
Wirkungen wie in dem beschriebenen Extremfall (Kündigung eines Arbeitnehmers gegenüber einem an sich deutlich weniger schutzwürdigen Arbeitnehmer) seien mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben zur Sozialauswahl in § 1 Abs. 3 bis 5 KSchG sachlich nicht zu rechtfertigen. Sie führten zu einer unverhältnismäßigen Verkürzung des Kündigungsschutzes der von der Tarifregelung nicht erfassten Arbeitnehmer. Soweit in Fällen betrieblich bedingter Kündigungen unter mehreren Arbeitnehmern eine Auswahl zu treffen sei, gebiete überdies Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme. Ausgehend hiervon sei § 4.4 des Manteltarifvertrags für Beschäftigte zum ERA-Tarifvertrag Metall- und Elektroindustrie Südwürttemberg-Hohenzollern dahingehend auszulegen, dass der Ausschluss der ordentlichen Kündigung dann nicht gelte, wenn die damit verbundene Begünstigung des geschützten Personenkreises im Einzelfall zu einem i.S.v. § 1 Abs. 4 KSchG grob fehlerhaften Auswahlergebnis führe1.
17.173
Geht man – zumindest unter Berücksichtigung der Einschränkungen der Entscheidung des BAG v. vom 20.6.20132 – von der Wirksamkeit kollektiv- und individualrechtlicher Regelungen zum Sonderkündigungsschutz aus, ergeben sich im Hinblick auf eine Kündigung im Zusammenhang mit Betriebs- oder Unternehmensspaltungen bzw. Betriebs- oder Unternehmenszusammenschlüssen grundsätzlich keine Besonderheiten. Eine Kündigung wegen des Übergangs des Arbeitsverhältnisses auf einen anderen Rechtsträger ist gemäß § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB, § 324 UmwG unwirksam. Eine Kündigung aus anderen Gründen ist, allerdings nur soweit sie im Tarifvertrag zugelassen wird, statthaft3.
17.174
Die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses kann durch Tarifvertrag nicht rechtswirksam ausgeschlossen werden4. Allerdings ist eine außerordentliche Kündigung aus betrieblichen Gründen auch bei einem Ausschluss der ordentlichen Kündigung nur in eng umrissenen Ausnahmefällen statthaft. Voraussetzung hierfür ist, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer andernfalls trotz Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit noch für Jahre bis zum ursprünglich vereinbarten Vertragsende – auf das im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB abgestellt werden muss5 – vergüten müsste, ohne dass dem eine entsprechende Arbeitsleistung gegenüberstünde6. Der 2. Senat hat insoweit einmal angenommen, dass bei einer noch verbleibenden Vertragsbindung „von deutlich unter fünf Jahren“ regelmäßig nicht von einer unzumutbar langen Bindung ausgegangen werden könne; die in dem streitgegenständlichen Fall in Rede stehenden drei Jahre Vergütungszahlung ohne entsprechende Arbeitsleistung wurden dementsprechend nicht als unzumutbar angesehen7. Der Arbeitgeber ist wegen des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung zudem in einem besondeBAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 295/12, NZA 2014, 208, Rz. 49. BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 295/12, NZA 2014, 208 ff. Vgl. BAG v. 27.9.2001 – 6 AZR 404/00, EzA Nr. 44 zu § 1 TVG, S. 6 ff. Vgl. nur Hanau/Thüsing, ZTR 2001, 49 f. und Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rz. 1955, jeweils m.w.N.; a.A. ArbG Bremen v. 5.4.2000 – 5 Ca 5172/99, AiB 2001, 303 f. m. zust. Anm. Grimberg S. 305 für Verbands- und Firmentarifvertrag gleichermaßen. 5 Vgl. BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 30/00, EzA Nr. 7 zu § 626 BGB Unkündbarkeit, S. 15; BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 379/12, NZA 2014, 139, Rz. 13; BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 50/19, NZA 2019, 1345, Rz. 12. 6 BAG v. 10.5.2007 – 2 AZR 626/05, NZA 2007, 1278, Rz. 25; BAG v. 18.3.2010 – 2 AZR 337/08, NZA-RR 2011, 18, Rz. 17; BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 379/12, NZA 2014, 139, Rz. 15; BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 50/19, NZA 2019, 1345, Rz. 13. 7 BAG v. 6.10.2005 – 2 AZR 362/04, NZA-RR 2006, 416, Rz. 39; in diese Richtung ebenso BAG v. 23.1.2014 – 2 AZR 372/13, NZA 2014, 895, Rz. 20, wo allerdings auch nur ein Jahr Vergütungszahlung ohne Gegenleistung zu zahlen war.
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Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.178 § 17
ren Maß verpflichtet, zu versuchen, die Kündigung durch geeignete andere Maßnahmen zu vermeiden. Besteht irgendeine Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis sinnvoll fortzusetzen, wird er den Arbeitnehmer in der Regel entsprechend einzusetzen haben. Erst wenn alle denkbaren Alternativen ausscheiden, kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegen1. Eine längere Einarbeitung in ein völlig neues Sachgebiet kann indes – so das BAG – für den Arbeitgeber unzumutbar sein, wenn sich der Arbeitnehmer noch nicht entschieden hat, ob er schon in absehbarer Zeit oder erst in einigen Jahren altersbedingt aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden will2. b) Kündigungs- und Kündigungserklärungsfrist Wenn materiell-rechtlich eine entsprechende Kündigung zulässig ist, ist – trotz außerordentlicher Kündigung – nach der ständigen Rechtsprechung des BAG die bei einer ordentlichen Kündigung geltende Kündigungsfrist zugrunde zu legen3. Die Zwei-Wochen-Frist findet, da es sich um einen betriebsbedingten Dauertatbestand handelt, keine Anwendung4.
17.175
c) Kündigung nach Widerspruch gegen den Betriebs(teil-)übergang Unter Berücksichtigung der Feststellungen des BAG in einem Urteil vom 17.9.19985 gelten die voranstehenden Feststellungen zur Kündbarkeit tarifvertraglich ordentlich „unkündbarer“ Arbeitnehmer auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis kraft Widerspruchs gegen den Betriebsübergang beim übertragenden Rechtsträger fortbesteht. Damit ist der übertragende Rechtsträger verpflichtet, zunächst einmal die ordentlich kündbaren Arbeitnehmer auf vergleichbaren Arbeitsplätzen zu entlassen, selbst wenn diese an sich nicht vom Betriebs- oder Betriebsteilübergang betroffen waren. Der widersprechende Arbeitnehmer kann sich darauf berufen, dass er nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen ist6.
17.176
Eine Sozialauswahl unter Einbindung des (tarif-)vertraglich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers kommt im Anschluss an einen Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses nur dann in Betracht, wenn die Arbeitnehmer, die auf vergleichbaren Arbeitsplätzen im Betrieb beschäftigt werden, ebenfalls (tarif-)vertraglichen Sonderkündigungsschutz genießen.
17.177
Wenn nach dem Widerspruch gegen einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang beim übertragenden Rechtsträger trotz Ausschöpfung aller zumutbaren Mittel keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr besteht, ist zunächst einmal zu prüfen, ob ggf. nach den (tarif-)vertraglichen Regelungen eine Beendigungs- oder Änderungskündigung zulässig ist7. Stellen die (tarif-)vertraglichen Regelungen zum Sonderkündigungsschutz für betriebsbedingte Kündigungsgründe bereits entsprechende Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung, hat der Arbeitgeber insoweit primär von diesen tariflichen Möglichkeiten Gebrauch zu machen8. Sind diese Regelungen nicht
17.178
1 BAG v. 18.3.2010 – 2 AZR 337/08, NZA-RR 2011, 18, Rz. 17; BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 379/12, NZA 2014, 139, Rz. 15; BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 50/19, NZA 2019, 1345, Rz. 13. 2 BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771, 774. 3 Vgl. BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 379/12, NZA 2014, 139, Rz. 17. 4 BAG v. 22.11.2012 – 2 AZR 673/11, NZA 2013, 730, Rz. 28; BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 379/12, NZA 2014, 139, Rz. 32. 5 BAG v. 17.9.1998 – 2 AZR 419/97, EzA § 626 BGB Unkündbarkeit Nr. 3, S. 10 ff. 6 Ebenso Schipp, NZA 1994, 865, 867; abl. Commandeur, NJW 1996, 2537, 2544. 7 Vgl. hierzu BAG v. 8.4.2003 – 2 AZR 355/02, NZA 2003, 856, 858. 8 BAG v. 8.4.2003 – 2 AZR 355/02, NZA 2003, 856, 858.
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§ 17 Rz. 17.178 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
einschlägig oder fehlen gänzlich, ist unter Berücksichtigung der vorangehenden Feststellungen wiederum von einer Berechtigung des Arbeitgebers zur einseitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund auszugehen, sofern der Arbeitgeber anderenfalls zu einer mehrjährigen Vergütungsfortzahlung verpflichtet wäre, ohne hierfür in Form von Arbeitsleistung eine Gegenleistung zu erhalten. d) Beteiligungsrechte des Betriebsrats
17.179
Die Betriebsratsanhörung ist – entsprechend den Grundsätzen zur ordentlichen Kündigung – mit Blick auf die Ein-Wochen-Frist des § 102 Abs. 2 BetrVG durchzuführen. Der Betriebsrat hat also, obwohl die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses gegeben ist, eine längere Frist zur Stellungnahme1. Er ist auch berechtigt, der Kündigung gemäß § 102 Abs. 5 BetrVG mit der Folge zu widersprechen, dass der Arbeitnehmer im Rahmen der Kündigungsschutzklage trotz außerordentlicher Kündigung den dort geregelten Weiterbeschäftigungsanspruch geltend machen kann2.
17.180
Entsprechend den allgemeinen Grundsätzen zur Beteiligung des Betriebsrats (vgl. Rz. 19.1 ff.) entfällt die Notwendigkeit einer Anhörung gemäß § 102 BetrVG, wenn der Arbeitnehmer mit tarifvertraglichem Sonderkündigungsschutz dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widerspricht und beim übertragenden Rechtsträger wegen des Übergangs des Betriebs in seiner Gesamtheit kein Betriebsrat mehr besteht3. Gleiches gilt dann, wenn der beim übertragenden Rechtsträger verbleibende Betriebsteil keine Arbeitnehmervertretung mehr hat, weil diese mit dem Restbetrieb auf einen anderen Rechtsträger übergegangen ist und das Übergangsmandat ohne neue Betriebsratswahlen abgelaufen ist. e) Besonderheiten bei der Darlegungs- und Beweislast
17.181
Wichtig für die Durchführung der Kündigungsschutzklage sind allerdings die geänderten Vorgaben, die – abweichend von den allgemeinen Grundsätzen für den Kündigungsschutzprozess (vgl. Rz. 20.33 ff.) – nach Maßgabe des BAG im Hinblick auf die Verteilung der Darlegungsund Beweislast zum Tragen kommen. Sie sind bereits im Vorfeld bei der Anhörung des Betriebsrats zu berücksichtigen.
17.182
Nach diesen Vorgaben, die grundlegend in der Entscheidung vom 17.9.19984 festgehalten worden sind, obliegt es dem Arbeitgeber, substantiiert unter Darlegung der Personalplanung einschließlich der Pflicht zur Vorlegung von Stellenplänen darzulegen und ggf. zu beweisen, dass auch unter Berücksichtigung zumutbarer Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen keine Möglichkeit der Weiterbeschäftigung des widersprechenden Arbeitnehmers gegeben ist. Der Arbeitgeber hat mithin von sich aus im Einzelnen darzutun, dass keinerlei Möglichkeit besteht, das Arbeitsverhältnis sinnvoll fortzusetzen. Das Fehlen jeglicher Beschäftigungsmöglichkeit zählt bei der außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung nämlich zum „wichti-
1 BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771, 775; BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 242/05, AP Nr. 13 zu § 626 BGB Krankheit, Bl. 2 f. 2 BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771, 775; Stahlhacke/Preis/Vossen/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz, Rz. 781. 3 BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366, Rz. 61. 4 BAG v. 17.9.1998 – 2 AZR 419/97, EzA § 626 BGB Unkündbarkeit Nr. 3, S. 11 ff. m.w.N.
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Beendigung durch Arbeitgeberkündigung | Rz. 17.185 § 17
gen Grund“, so dass es vom Arbeitgeber darzulegen ist1. Dies gilt auch für die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG. Der gekündigte Arbeitnehmer genügt demgegenüber seiner Darlegungslast, wenn er vorträgt, an welchen Betrieb er denkt und welche Beschäftigung gemeint ist. Jedenfalls der unkündbare Arbeitnehmer müsse – so der 2. Senat in seiner Entscheidung vom 17.9.19982 – keinen konkreten freien Arbeitsplatz benennen. Der Arbeitgeber habe in diesem Fall demgegenüber auch solche Arbeitsplätze zu berücksichtigen, deren Freiwerden innerhalb der dem Arbeitnehmer zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs einzuräumenden Auslauffrist aufgrund üblicher Fluktuation zu erwarten sei. Für die außerordentliche Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers müssten insoweit verschärfte Anforderungen an die Pflicht des Arbeitgebers gestellt werden, mit allen zumutbaren Mitteln, ggf. auch durch eine entsprechende Umorganisation und das Freimachen geeigneter gleichwertiger Arbeitsplätze, eine Weiterbeschäftigung im Betrieb bzw. im Unternehmen zu versuchen3. Der Arbeitgeber habe, wenn der ordentlich „unkündbare“ Arbeitnehmer entsprechende Vorstellungen für seine Weiterbeschäftigung entwickelt hätte, substantiiert darzulegen, weshalb trotz dieser verschärften Anforderungen eine Weiterbeschäftigung nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen sein solle.
5. Auszubildende Soweit einem Auszubildenden im Rahmen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs oder einer Umwandlung gekündigt werden soll, ergeben sich regelmäßig keine Besonderheiten. Der Sonderkündigungsschutz des § 22 BBiG geht auf den übernehmenden Rechtsträger über, sofern das Ausbildungsverhältnis nicht zuvor zum Abschluss gebracht wurde4. Widerspricht der Auszubildende indes dem Übergang seines Ausbildungsverhältnisses und besteht beim übertragenden Rechtsträger aufgrund der Übertragung seines einzigen Betriebs kein Beschäftigungsbedarf mehr, ist ein wichtiger Grund i.S.d. § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG anzunehmen. Wichtig und in der Praxis nicht selten übersehen wird die Tatsache, dass die Kündigung nicht nur schriftlich, sondern auch unter Angabe des Kündigungsgrundes erfolgen muss. Die Kündigung eines Ausbildungsverhältnisses ohne entsprechende Angabe von Gründen ist nichtig5.
17.183
6. Sonstige Personengruppen Soweit ein besonderer Kündigungsschutz sonstiger Personengruppen nicht unmittelbar mit dem Fortbestand des Betriebs bzw. dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bei einem bestimmten Unternehmen verknüpft ist, bewirkt der Übergang des Arbeitsverhältnisses im Anschluss an einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang keine Änderungen. Beispielhaft sei hier nur auf den Sonderkündigungsschutz für Gemeindevertreter hingewiesen.
17.184
Dies gilt auch für einen Betriebsarzt, der wegen der Entscheidung des übernehmenden Rechtsträgers, diese Aufgaben zukünftig durch einen externen Arzt oder einen überbetrieblichen Dienst i.S.d. § 19 ASiG erfüllen zu lassen, gekündigt wird. Neben den allgemeinen Erfordernissen an die Rechtswirksamkeit der Kündigung, also insbesondere § 1 KSchG, § 102 BetrVG, müssen allerdings auch die besonderen Beteiligungsrechte des Betriebsrats wegen der damit
17.185
1 BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 379/12, NZA 2014, 139, Rz. 36; BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 50/19, NZA 2019, 1345, Rz. 14. 2 BAG v. 17.9.1998 – 2 AZR 419/97, EzA § 626 BGB Unkündbarkeit Nr. 3, S. 11 ff. m.w.N. 3 Ähnlich bereits BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771, 773. 4 Vgl. BAG v. 11.12.2008 – 2 AZR 395/07, NZA 2009, 556, Rz. 20. 5 Vgl. BAG v. 25.8.1977 – 3 AZR 705/75, AP Nr. 1 zu § 54 BMT-G II.
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§ 17 Rz. 17.185 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
einhergehenden Abberufung des Betriebsarztes nach § 9 Abs. 3 ASiG beachtet werden. Nach den Feststellungen des LAG Bremen sind insoweit die Voraussetzungen für einen Betriebsübergang selbst dann nicht erfüllt, wenn der Arbeitgeber im Anschluss an die Kündigung einen externen Arzt beauftragt, der die Räume und Geräte des Arbeitgebers benutzt und mit den vom Arbeitgeber für die betriebsärztliche Stelle eingestellten Krankenschwestern zusammenarbeitet. Jedenfalls aber sei keine Kündigung wegen des Betriebsübergangs gemäß § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB gegeben, wenn der Arbeitgeber den Antrag nach § 9 ASiG mit einer erheblichen Kosteneinsparung und einer Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen Betriebsrat und Betriebsarzt begründe1.
17.186
Für den Datenschutzbeauftragten hat das LAG Berlin-Brandenburg in einem Urteil vom 15.10.20132 zutreffend entschieden, dass die Ausgliederung eines Betriebsteils im Wege eines Betriebs(teil-)übergangs nicht dazu führt, dass der betriebliche Datenschutzbeauftragte nunmehr der Datenschutzbeauftragte im ausgegliederten Teil ist. Denn die Bestellung zum Datenschutzbeauftragten als solche stelle weder ein Recht noch eine Pflicht aus einem Arbeitsverhältnis dar. Nur in solche trete der Betriebs(teil-)erwerber jedoch gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ein. Wenngleich diese Entscheidung noch zur Vorgängerregelung des § 38 Abs. 1 BDSG (§ 4f Abs. 1 Satz 1 BDSG a. F.) ergangen ist3, können diese Feststellungen unverändert herangezogen und auf entsprechende Funktionen übertragen werden. Dies gilt insbesondere für den Abfallbeauftragten gemäß § 59 KrWG4, die Fachkraft für Arbeitssicherheit (§ 5 ASiG), den Gefahrgutbeauftragten (§§ 1 ff. GbV), den Immissionsschutzbeauftragten (§ 53 BImSchG), den Sicherheitsbeauftragten (§ 22 SGB VII), den Strahlenschutzbeauftragten (§ 43 StrlSchV), den Störfallbeauftragten (§ 58a BImSchG) und den Beauftragten für biologische Sicherheit (§ 29 GenTSV) (vgl. Rz. 9.156 f.). Gehen deren Arbeitsverhältnisse im Rahmen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs i.S.d. § 613a BGB auf einen Erwerber über, erlischt zugleich die jeweilige Amtsstellung und damit der damit einhergehende besondere Schutz vor Kündigungen und Benachteiligungen. Der beim Datenschutzbeauftragten, beim Abfallbeauftragten und beim Immissionsschutzbeauftragten vorgesehene nachwirkgende Kündigungsschutz von einem Jahr ist in diesem Fall nicht einschlägig, da er jeweils eine Abberufung voraussetzt5. Beim Betriebs(teil-)übergang erlischt die Amtsstellung der Beauftragten jedoch aus den genannten Gründen automatisch.
C. Sonstige Beendigungstatbestände I. Anfechtung 17.187
Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Anfechtung, insbesondere wegen einer Täuschung im Zusammenhang mit der Einstellung, ist nach den allgemeinen Vorgaben zulässig. 1 LAG Bremen v. 7.11.1997 – 4 Sa 11/97, NZA-RR 1998, 250, 254. 2 LAG Berlin-Brandenburg v. 15.10.2013 – 3 Sa 567/13, ZD 2016, 31, Rz. 36 ff.; i.E. ebenso im Zusammenhang mit einer Fusion zweier Krankenkassen bereits BAG v. 29.9.2010 – 10 AZR 588/09, NZA 2011, 151, Rz. 23. 3 Vgl. zur Rolle des Datenschutzbeauftragten und den wesentlichen Neuerungen nach Inkrafttreten der DS-DVO eingehend Niklas/Faas, NZA 2017, 1091 ff. 4 Vgl. hierzu eingehend Bergwitz, NZA 2021, 542 ff. 5 Vgl. BAG v. 22.7.1992 – 2 AZR 85/92, NZA 1993, 557 ff., wo der 2. Senat den nachlaufenden besonderen Kündigungsschutz eines Immissionsschutzbeauftragten, der sein Amt niedergelegt hatte, verneint hat.
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Sonstige Beendigungstatbestände | Rz. 17.190 § 17
Allerdings muss sich der übernehmende Rechtsträger die Kenntnis des übertragenden Rechtsträgers von dem Grund der Anfechtung, der für den Fristbeginn nach §§ 121, 124 BGB maßgeblich ist, entsprechend den Überlegungen zur Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB (vgl. Rz. 17.20) zurechnen lassen1.
II. Gerichtliche Auflösung gemäß §§ 9, 10 KSchG Unter den allgemeinen Voraussetzungen kann losgelöst von einem Betriebs(teil-)übergang bzw. der Umwandlung eines Rechtsträgers die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses beantragt werden. Nach §§ 9, 10 KSchG ist sie damit verbunden, dass der Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung verurteilt wird. Aus Sicht des Arbeitnehmers setzt ein solcher Antrag voraus, dass das Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung des Arbeitgebers nicht aufgelöst wird, ihm jedoch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Erforderlich ist dabei in jedem Fall, dass die Kündigung des Arbeitgebers wegen fehlender sozialer Rechtfertigung gemäß § 1 KSchG unwirksam ist. Unschädlich ist, wenn darüber hinaus weitere Gründe für die Unwirksamkeit der Kündigung – bspw. ein Verstoß gegen § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB – vorliegen2. Für den Arbeitgeber setzt die Begründetheit eines entsprechenden Antrags voraus, dass Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Anders als bei einem Auflösungsantrag des Arbeitnehmers darf die Kündigung bei einem entsprechenden Antrag des Arbeitgebers ausschließlich wegen fehlender sozialer Rechtfertigung gemäß § 1 KSchG unwirksam sein; ist die Kündigung auch aus weiteren Gründen unwirksam – etwa aufgrund der nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG –, scheidet ein Auflösungsantrag des Arbeitgebers aus3. Dies gilt auch bei der (arbeitgeberseitigen) Kündigung von Geschäftsführern, Betriebsleitern und ähnlichen leitenden Angestellten i.S.d. § 14 Abs. 1 KSchG4. Bei diesem Personenkreis bedarf der Antrag des Arbeitgebers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses jedoch keiner Begründung (§ 14 Abs. 2 KSchG), sodass sich deren Kündigungsschutz im Ergebnis auf einen Abfindungsschutz reduziert.
17.188
Beide Parteien – also Arbeitnehmer und Arbeitgeber – können den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen. Eine Entscheidung des Arbeitsgerichts gemäß § 9 KSchG bewirkt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu dem Zeitpunkt, an dem es bei einer sozial gerechtfertigten Kündigung geendet hätte. Die Höhe der Abfindung bestimmt sich nach § 10 KSchG.
17.189
Problematisch bei einer gerichtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist die prozessuale Durchsetzung allerdings dann, wenn das Arbeitsverhältnis noch vor der Entscheidung des Gerichts gemäß § 613a BGB, § 324 UmwG auf einen anderen Rechtsträger übergeht. Gleiches gilt dann, wenn der Übergang des Arbeitsverhältnisses bereits eingetreten ist, bevor überhaupt
17.190
1 Schaub, ZIP 1984, 272, 277. 2 Vgl. BAG v. 29.1.1981 – 2 AZR 1055/78, AP Nr. 6 zu § 9 KSchG 1969, Bl. 4; BAG v. 20.3.1997 – 8 AZR 769/95, NZA 1997, 937, 938; Sieweke, NZA 2011, 1324, 1325. 3 BAG v. 24.11.2011 − 2 AZR 429/10, NZA 2012, 610, Rz. 19; BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 378/18, NZA 2019, 305, Rz. 35; einschränkend APS/Biebl, § 9 KSchG, Rz. 11 und KR/Spilger, § 9 KSchG Rz. 34, wonach der Auflösungsantrag des Arbeitgebers nur dann unzulässig sein soll, wenn sich der Arbeitnehmer nicht auf die Sozialwidrigkeit der Kündigung beruft, sondern seine Klage allein auf andere Unwirksamkeitsgründe stützt. 4 Zur Kennzeichnung des leitenden Angestellten i.S.d. § 14 Abs. 2 KSchG vgl. BAG v. 14.4.2011 – 2 AZR 167/10, DB 2011, 2496 f.; Horn, NZA 2012, 186 ff.
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§ 17 Rz. 17.190 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
ein Auflösungsantrag anhängig gemacht wurde. Wie an anderer Stelle ausgeführt wird, hat der Übergang des Arbeitsverhältnisses nämlich im Hinblick auf den Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG einen Wechsel der Passivlegitimation auf Beklagtenseite zur Folge. Wird dieser Wechsel nicht beachtet, ist der Antrag losgelöst von den materiell-rechtlichen Voraussetzungen unbegründet (vgl. Rz. 20.84). Zu beachten ist weiter, dass auch die materielle Begründetheit in diesen Fällen nur noch auf den übernehmenden Rechtsträger und sein Verhältnis zu dem Arbeitnehmer abstellt. Wird der Auflösungsantrag etwa mit einem persönlichen Konflikt zu einer Führungskraft beim Veräußerer begründet, deren Arbeitsverhältnis nicht auf den Erwerber übergeht, wird der Auflösungsantrag durch den Erwerber ohne weitere Gründe kaum Aussicht auf Erfolg haben.
III. Aufhebungsvertrag 17.191
§ 613a Abs. 4 Satz 1 BGB hat zwar zwingenden Charakter. Mit Blick auf die Berufs- und Vertragsfreiheit (Art. 12, Art. 2 Abs. 1 GG) können sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer aber auch ohne sachlichen Grund jederzeit verständigen, das Arbeitsverhältnis aufzuheben. Es genügt, wenn die allgemeinen Formalien beachtet werden (vgl. nur § 623 BGB, § 175 SGB IX). Ein allgemeines Widerrufsrecht nach § 355 BGB besteht ebenfalls nicht, und zwar unabhängig vom Ort seines Abschlusses. Ein Aufhebungsvertrag kann dementsprechend selbst dann nicht widerrufen werden, wenn er nicht am Arbeitsplatz, sondern in der Wohnung des Arbeitnehmers geschlossen worden ist. Denn der Anwendungsbereich für § 312g Abs. 1 BGB und § 312b BGB ist gemäß § 312 Abs. 1 BGB nicht einschlägig1. Nach der Rechtsprechung des BAG kann der Gefahr einer möglichen Überrumpelung des Arbeitnehmers bei Vertragsverhandlungen – etwa, weil diese zu ungewöhnlichen Zeiten oder an ungewöhnlichen Orten stattfinden – jedoch mit dem Gebot fairen Verhandelns begegnet werden2. Dieses Gebot wird nach Auffassung des 6. Senats verletzt, wenn eine Seite eine psychische Drucksituation schafft oder ausnutzt, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags erheblich erschwert oder unmöglich macht (z.B. durch Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichender Sprachkenntnisse)3. Um dies zu vermeiden, sollte der Abschluss eines Aufhebungsvertrags nicht nur regelmäßig in den Geschäftsräumen des Arbeitgebers erfolgen, sondern den betroffenen Arberitnehmern auch Bedenkzeit eingeräumt werden. Der unfair behandelte Vertragspartner ist in der Folge so zu stellen, als hätte er den Vertrag nicht geschlossen (§ 249 Abs. 1 BGB). Kommt eine Partei den Verpflichtungen aus einem Aufhebungsvertrag nicht nach, kann dies schließlich nach § 323 BGB zum Rücktritt berechtigen4.
17.192
Der Arbeitnehmer kann die Vereinbarung mit dem übertragenden oder übernehmenden Rechtsträger abschließen, je nachdem, ob sie noch vor dem Wirksamwerden des Betriebsoder Betriebsteilübergangs (dann mit dem übertragenden Rechtsträger) oder im Anschluss daran (dann mit dem übernehmenden Rechtsträger) vereinbart wird5. Ein Aufhebungsvertrag 1 BAG v. 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, NZA 2019, 688, Rz. 13 ff. 2 BAG v. 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, NZA 2019, 688, Rz. 31; krit. hierzu: Bauer/Romero, ZfA 2019, 608, 618 3 BAG v. 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, NZA 2019, 688, Rz. 34. 4 BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 716/14, NZA 2016, 716, Rz. 36. 5 Vgl. BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 654/97, NZA 1999, 262, 263; BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, NZA 1999, 422, 424; BAG v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145, Rz. 28; APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 196; Bauer/Krieger/Arnold, Aufhebungsverträge, E. Rz. 120; Moll, NJW 1993, 2016, 2022.
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Sonstige Beendigungstatbestände | Rz. 17.195 § 17
ist grundsätzlich auch dann wirksam, wenn der jeweils beteiligte Arbeitgeber eine Abfindung zusagt. Schließlich steht es dem Arbeitnehmer frei, zugunsten eines Zahlungsanspruchs auf den Bestandsschutz zu verzichten. Selbstverständlich bleiben hierbei nicht nur die sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen zu beachten (z.B. etwaige Sperrzeiten gemäß § 159 SGB III, Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs nach § 158 SGB III), sondern auch eine Verkürzung des Arbeitslosengeldanspruchs (§ 148 SGB III) zu Lasten des Arbeitnehmers. Bei der Abfindung einer Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung sind darüber hinaus die in § 3 BetrAVG geregelten Schranken zu berücksichtigen. Für die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrags ist es unerheblich, ob der übertragende Rechtsträger, der übernehmende Rechtsträger oder der Arbeitnehmer die Beendigung des Arbeitsverhältnisses veranlasst haben. Schließlich darf auch im Zusammenhang mit einem rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang die Eigenverantwortlichkeit des Arbeitnehmers nicht außer Acht gelassen werden. Ohne seine Bereitschaft, den Vertrag aufzuheben, würde das Arbeitsverhältnis fortbestehen. Würde er dann von seinem Widerspruchsrecht keinen Gebrauch machen, wäre auch ein Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den übernehmenden Rechtsträger von Arbeitgeberseite nicht zu verhindern.
17.193
Nur ausnahmsweise ist ein Aufhebungsvertrag als Geschäft zur Umgehung des Schutzzwecks von § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB1 bzw. – was wegen des Bestandsschutzcharakters näher liegt – § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB2 anzusehen. Ein solches Geschäft ist – wie an anderer Stelle unter Bezugnahme auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) eingehend aufgezeigt wird (vgl. Rz. 17.215 f.) – unwirksam3.
17.194
Von einer solchen Umgehung kann nach der verstetigten Rechtsprechung des BAG immer dann ausgegangen werden, wenn der Aufhebungsvertrag nicht auf das endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb gerichtet ist4. Denn hier soll mit dem Aufhebungsvertrag nur den Vorgaben zum Inhaltsschutz aus § 613a Abs. 1 BGB, § 324 UmwG und dem aus § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB, § 324 UmwG folgenden Verbot einer Kündigung wegen des Betriebs(teil-)übergangs oder der Umwandlung ausgewichen werden5. Eine solche Absicht liegt insbesondere dann vor, wenn die betroffenen Arbeitnehmer auf Veranlassung des Arbeitgebers im Anschluss an einen Aufhebungsvertrag mit dem Veräußerer ein Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber begründen oder ein neues Arbeitsverhältnis zumindest verbindlich in Aussicht gestellt wird („Lemgoer Modell“). Wenn im Anschluss an solche Aufhebungsverträge durch den potenziellen Betriebserwerber nur ein Teil der bisherigen Mitarbeiter eingestellt wird, liegt darin nicht nur der Versuch einer „personellen Sanierung“6, der mit dem Schutz-
17.195
1 So Hillebrecht, NZA 1989 Beil. 4, S. 10, 11. 2 So Hanau, ZIP 1998, 1816, 1821. 3 Vgl. BAG v. 27.4.1988 – 5 AZR 358/87, DB 1988, 1653, 1654; BAG v. 15.2.1995 – 7 AZR 680/94, NZA 1995, 987, 988; BAG v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145, Rz. 27; BAG v. 21.5.2008 – 8 AZR 481/07, NZA 2009, 144, Rz. 41; BAG v. 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152, Rz. 31; BAG v. 27.9.2012 – 8 AZR 826/11, NZA 2013, 961, Rz. 34, die jeweils eine Anknüpfung an § 134 BGB vornehmen; abl. im Hinblick auf die Anwendbarkeit von § 134 BGB ist Heinze, Anm. zu LAG Düsseldorf v. 28.4.1997 – Sa 1534/96, LAGE § 613a BGB Nr. 61, S. 11 f., der unmittelbar auf § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB zurückgreift. 4 BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, NZA 1999, 422, 424; BAG v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145, Rz. 27 f.; BAG v. 21.5.2008 – 8 AZR 481/07, NZA 2009, 144, Rz. 41; BAG v. 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152, Rz. 32; BAG v. 27.9.2012 – 8 AZR 826/11, NZA 2013, 961, Rz. 36. 5 So schon Schmalenberg, NZA 1989 Beil. 3, S. 14. 6 So LAG Düsseldorf v. 28.4.1997 – 10 Sa 1534/96, LAGE § 613a BGB Nr. 61, S. 7.
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§ 17 Rz. 17.195 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
zweck von § 613a BGB nicht vereinbar ist. Der Aufhebungsvertrag selbst ist vielmehr als ein Mittel anzusehen, um den Arbeitnehmer im Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf der Grundlage veränderter Arbeitsbedingungen (z.B. fehlende Anrechnung der Betriebszugehörigkeit, Wegfall kollektivrechtlicher Ansprüche entgegen § 613 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB) weiter zu beschäftigen1. Insofern ist der Aufhebungsvertrag im Ergebnis wie ein Vertrag zur Änderung von Arbeitsbedingungen zu behandeln. Solche Verträge sind, wie nachfolgend gesondert ausgeführt wird (vgl. Rz. 18.16 ff.), generell unwirksam, wenn der Arbeitnehmer im Unklaren über den durch § 613a BGB gewährleisteten Bestandsschutz gelassen wird. Ein besonderer Nachweis, dass der Aufhebungsvertrag auf Initiative des übernehmenden Rechtsträgers abgeschlossen wurde, ist nicht erforderlich. Entgegen der Differenzierung durch Hillebrecht2 wird man hiervon immer dann ausgehen können, wenn das Arbeitsverhältnis beim übernehmenden Rechtsträger ohne Unterbrechung fortgesetzt wird. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn Arbeitnehmer und übertragender Rechtsträger beim Abschluss des Aufhebungsvertrags davon ausgingen, dass es im Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zu einer Weiterarbeit des Arbeitnehmers im Betrieb kommen würde. Wenn insoweit die Absicht des endgültigen Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Betrieb bestanden hat, können nachträglich eintretende Umstände, mit denen die Vertragsparteien bei Abschluss des Aufhebungsvertrags nicht gerechnet haben, nicht noch nachträglich zu einer Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags bzw. zu einem Anspruch auf Anpassung des neuen Arbeitsvertrags beim übernehmenden Rechtsträger im Hinblick auf die Vorgaben zum Inhaltsschutz aus § 613a Abs. 1 BGB geltend gemacht werden. Unabhängig davon wird man eine Absicht zur Umgehung des Schutzzwecks von § 613a BGB jedoch immer dann annehmen müssen, wenn der übertragende Rechtsträger unbegründet mit dem Ausspruch einer Kündigung droht oder die Überleitung, den Bestand oder den Inhalt des Arbeitsverhältnisses – entgegen der tatsächlichen Rechtslage – ernsthaft in Frage stellt3.
17.196
Aus der Unwirksamkeit entsprechender Vereinbarungen folgt, dass durch solche Vereinbarungen die durch § 613a Abs. 2 BGB und die Regeln zur Umwandlung, insbesondere §§ 133 ff. UmwG, abgesicherte Haftung der beteiligten Rechtsträger nicht verhindert werden kann. Ebenfalls ausgeschlossen ist es damit, auf der Grundlage entsprechender Vereinbarungen einen vorübergehenden Verlust des Kündigungsschutzes (§ 1 Abs. 1 KSchG), eine dauerhafte Abschwächung der Rechtsstellung im Rahmen einer Interessenabwägung nach § 1 Abs. 2 KSchG bzw. in der Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) oder sogar den Verlust der bestehenden Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung anzunehmen4.
17.197
Weist der Arbeitgeber die betroffenen Arbeitnehmer aber – losgelöst von etwaigen Aufklärungspflichten hinsichtlich der betriebsrentenrechtlichen5, der steuerrechtlichen6 und sozial-
1 Vgl. BAG v. 28.4.1987 – 3 AZR 75/86, DB 1988, 400; BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 654/95, NZA 1999, 262, 263; BAG v. 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152, Rz. 32; BAG v. 27.9.2012 – 8 AZR 826/11, NZA 2013, 961, Rz. 36; Bauer/Krieger/Arnold, Aufhebungsverträge, E. Rz. 121; Kreitner, Kündigungsrechtliche Probleme, S. 145 ff. 2 NZA 1989 Beil. 4, S. 10, 11. 3 Vgl. BAG v. 28.4.1987 – 3 AZR 75/86, EzA § 613a BGB Nr. 67, S. 5 f.; BAG v. 29.11.1988 – 3 AZR 250/87, BB 1989, 558, 559. 4 Vgl. BAG v. 28.4.1987 – 3 AZR 75/86, NZA 1988, 198, 199; BAG v. 12.5.1992 – 3 AZR 247/91, NZA 1992, 1080, 1081. 5 Vgl. BAG v. 17.10.2000 – 3 AZR 605/99, NZA 2001, 206 ff.; BAG v. 11.12.2001 – 3 AZR 339/00, NZA 2002, 1150 ff.; ArbG Karlsruhe v. 6.12.2007 – 8 Ca 295/07. 6 Vgl. hierzu LAG Berlin v. 18.1.1999 – 9 Sa 107/98, NZA-RR 1999, 179, 181.
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Sonstige Beendigungstatbestände | Rz. 17.197 § 17
versicherungsrechtlichen1 Folgen eines Aufhebungsvertrags – auf das Kündigungsverbot und die aus § 613a BGB resultierenden Rechtsfolgen hin und werden mit dem Rechtsnachfolger keine neuen Arbeitsverträge geschlossen, sind die Aufhebungsverträge wirksam. Für den Fall des Übergangs in eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (Transfergesellschaft) gilt dies selbst dann, wenn den betroffenen Mitarbeitern beim Abschluss des Aufhebungsvertrags vor ihrem Eintritt in die Transfergesellschaft bekannt war, dass der Versuch gemacht werden würde, einen Teil der Belegschaft in eine Auffanggesellschaft zu übernehmen, die mit Betriebsmitteln des übertragenden Arbeitgebers den Betrieb oder einen Teil des Betriebs fortsetzen soll2. Erforderlich ist aber, dass hinsichtlich des Versuchs noch keine Gewissheit darüber besteht, ob und ggf. wann ein Wechsel aus der Beschäftigungsgesellschaft in die Auffanggesellschaft möglich ist. Zwar liegt in der Einstellung der Mitarbeiter durch die Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft regelmäßig die Übernahme des nach seiner Zahl und Sachkunde wesentlichen Personals. Da in der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft indes im Regelfall nur „Kurzarbeit Null“ betrieben, Orientierungs-, Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen angeboten sowie Arbeitnehmerüberlassung organisiert, also die bisherige Betriebstätigkeit nicht fortgesetzt wird, ist auch unter Berücksichtigung der geänderten Bewertung des Anwendungsbereichs von § 613a BGB nicht von einem Betriebs(teil-)übergang auszugehen. Nur der Abschluss von Aufhebungsverträgen mit dem Ziel, nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem bisherigen Arbeitgeber unmittelbar ein Arbeitsverhältnis mit der Auffanggesellschaft abzuschließen, wäre als Umgehungsgeschäft unwirksam. Denn in der Fortsetzung der Betriebstätigkeit durch die Auffanggesellschaft liegt regelmäßig ein rechtsgeschäftlicher Betriebsübergang nach § 613a BGB3. Von einem Umgehungsgeschäft im vorgenannten Sinne ist nach der „Lotterie-Entscheidung“ des BAG vom 18.8.20114 etwa dann auszugehen, wenn ein Losentscheid für die Auswahl der Arbeitnehmer maßgeblich sein soll und eine überwiegende Chance für eine Übernahme in die Auffanggesellschaft besteht. Eine Chance von 352 zu 452 bedeute schließlich – so der 8. Senat – mehr als „in Aussicht stellen“. Das Angebot sei vielmehr „verbindlich“, weil sich auch der Erwerber zu diesem Zeitpunkt bereits an den Losentscheid gebunden habe5. In der vorgenannten Entscheidung wurde eine Umgehung des § 613a Abs. 1 BGB überdies schon deshalb angenommen, weil das Arbeitsverhältnis mit der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft lediglich 24 Stunden angedauert hatte. Ein Umgehungsgeschäft liegt nach Auffassung des BAG auch dann vor, wenn dem Arbeitnehmer gleichzeitig mit dem Angebot zum Wechsel in eine Transfergesellschaft ein Arbeitsvertrag mit der Auffanggesellschaft vorgelegt
1 Vgl. hierzu Bauer/Krieger/Arnold, Aufhebungsverträge, A. Rz. 177 f. 2 BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, NZA 1999, 422, 424; bestätigt durch BAG v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145, Rz. 34 ff.; abw. noch LAG Düsseldorf v. 28.4.1997 – 10 Sa 1534/96, LAGE § 613a BGB Nr. 61, S. 4 ff., das den Wechsel in die Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft insoweit nur als Zwischenschritt im Hinblick auf den Wechsel in die Auffanggesellschaft bewertet hat, dabei aber nicht ausreichend berücksichtigt, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrags keine individuell konkretisierbare Planung bestand, den Betrieb des alten Arbeitgebers auf die Auffanggesellschaft zu übertragen. Es mussten, dies war bekannt, die Rahmenbedingungen (z.B. Zeitpunkt, Umfang der übertragenden Betriebsmittel, Art der fortgesetzten Tätigkeit, Zahl der benötigten Arbeitnehmer) geklärt werden, zumal der alte Arbeitgeber kurz vor der Eröffnung des Konkursverfahrens stand. Insoweit wurde ein späterer Wechsel in die Auffanggesellschaft nicht angeboten, sondern nur als Chance unverbindlich in Aussicht gestellt. Wäre hier aber von einer weitergehenden Planung auszugehen, käme § 613a BGB zur Anwendung. 3 LAG Düsseldorf v. 28.4.1997 – 10 Sa 1534/96, LAGE § 613a BGB Nr. 61, S. 5. 4 BAG v. 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152, Rz. 35. 5 Krit.: Willemsen, NZA 2013, 242, 243.
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§ 17 Rz. 17.197 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
wird, dessen Annahme sich diese Gesellschaft zwar vorbehält, es sich aber aus den Umständen ergibt, dass der Erwerber den Vertrag annehmen wird1. Der Abschluss von Aufhebungsverträgen und die Neubegründung von Arbeitsverträgen verfolgt hier nur das Ziel, den Inhaltsschutz des § 613a BGB zu umgehen. Folgerichtig gilt das Gleiche auch dann, wenn ein wesentlicher Teil der Belegschaft die Zusicherung erhält, nach einem kurzen Übergang in die Transfergesellschaft wieder mit dem Ziel einer Betriebsfortführung zum bisherigen Arbeitgeber zurückzukehren2. Dies gilt jedenfalls dann, wenn damit der Betrieb nur für eine unwesentliche Zeitspanne eingestellt wird.
17.198
Rechtswirksam sind Aufhebungsverträge grundsätzlich auch dann, wenn sie nach dem Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und übertragendem Rechtsträger abgeschlossen werden. Schließlich besteht das Arbeitsverhältnis – die Aufspaltung nach § 123 Abs. 1 UmwG, die Verschmelzung nach § 2 UmwG und die vollständige Vermögensübertragung nach § 174 Abs. 1 UmwG ausgenommen – als Folge des Widerspruchs beim übertragenden Rechtsträger zunächst einmal fort (vgl. Rz. 11.242). Ist es dem übertragenden Rechtsträger nicht mehr möglich, den widersprechenden Arbeitnehmer zu beschäftigen, so wäre – nach Durchführung einer Sozialauswahl – eine betriebsbedingte Kündigung statthaft3. Verzichtet der Arbeitgeber auf diese Kündigung, so ist der stattdessen abgeschlossene Aufhebungsvertrag wirksam. Er dient wegen des zuvor ausgesprochenen Widerspruchs gegen den Betriebsübergang nicht mehr einer Umgehung von § 613a BGB. Allerdings läge wiederum ein unwirksames Rechtsgeschäft zur Umgehung von § 613a BGB vor, wenn – sozusagen als „Modifizierung des Lemgoer Modells“ – im Anschluss an diesen Aufhebungsvertrag mit dem übertragenden Rechtsträger (erneut) ein Arbeitsverhältnis mit dem übernehmenden Rechtsträger abgeschlossen würde, dann allerdings ohne den durch § 613a BGB gewährleisteten Inhalts- und Bestandsschutz4.
17.199
Täuscht der Arbeitgeber den Arbeitnehmer arglistig z.B. über den Umfang der betrieblichen Umstrukturierung, das Vorliegen eines Betriebs(teil-)übergangs oder einer Umwandlung, die rechtlichen Konsequenzen einer Überleitung seines Arbeitsverhältnisses oder das Vorliegen eines dringenden betrieblichen Erfordernisses für den Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung, ist der Vertrag zwar wirksam5. Der Arbeitnehmer kann den Aufhebungsvertrag aber gemäß § 123 Abs. 1 BGB anfechten6. Dabei muss sich der Arbeitgeber das Handeln des Personalleiters oder sonstiger Vertreter als eigenes zurechnen lassen. Eine Anfechtung führt nach § 142 Abs. 1 BGB rückwirkend zur Nichtigkeit des Vertrags. Das Arbeitsverhältnis bleibt damit bestehen. Haben zwischenzeitlich ein Betriebsübergang oder eine Umwandlung stattgefunden, tritt der Rechtsnachfolger mit dem Zeitpunkt der Überleitung als Arbeitgeber in diese Rechtsbeziehung ein7.
17.200
Das Gleiche gilt gemäß § 123 BGB dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch eine widerrechtliche Drohung dazu bewegt hat, den Vertrag abzuschließen. Dabei genügt Zeit-
BAG v. 25.10.2012 – 8 AZR 575/11 – NZA 2013, 203, Rz. 35. Vgl. Stahlhacke/Preis/Vossen/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz, Rz. 966. Vgl. BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33, Rz. 13. I.E. ebenso Ende, NZA 1994, 494, 495, die allerdings bereits die Ausübung des Widerspruchsrechts als unzulässige Umgehung des gesetzlichen Schutzzwecks qualifizieren will. 5 A.A. Fischer, DB 2001, 331, 332, der in der Täuschung schon eine Gesetzesumgehung sieht, die zur Unwirksamkeit des Vertrags führe. 6 Vgl. BAG v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866, Rz. 32. 7 Vgl. Bauer/Krieger/Arnold, Aufhebungsverträge, E. Rz. 120.
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Sonstige Beendigungstatbestände | Rz. 17.202 § 17
druck allein indes nicht, um von einer Drohung oder einem rechtsmissbräuchlichen Überrumpelungsversuch sprechen zu können1. In Betracht kommt allerdings, dass die fehlende Bedenkzeit tarifvertraglichen Regelungen zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags widerspricht. Hat der Arbeitnehmer, was – abhängig vom Tarifvertrag – statthaft sein kann, nicht auf die Bedenkzeit verzichtet, führt dieser Verstoß zur Unwirksamkeit des Vertrags2. Losgelöst von § 123 BGB können nach § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 BGB Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers entstehen, wenn der Arbeitgeber durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung den Vertragsabschluss bewirkt hat3.
17.201
Kommt es nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags wegen einer Stilllegung überraschend zur Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils, der durch den übernehmenden Rechtsträger fortgeführt wird, ist eine Anfechtung ausgeschlossen. In Betracht kommt, dass der Arbeitnehmer unter Bezugnahme auf die Grundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) eine Wiedereinstellung gegenüber dem übertragenden oder übernehmenden Rechtsträger geltend macht4. Für einen solchen Anspruch besteht im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags jedoch regelmäßig kein Raum. Denn ein Wegfall der Geschäftsgrundlage liegt regelmäßig nur vor, wenn eine Veränderung der außerhalb des abgeschlossenen Vertrags liegenden Vertragsgrundlage die Situation für eine Partei unzumutbar verändert hat5. War eine solche Veränderung voraussehbar, so ist der Nachteil jedoch aufgrund der regelmäßig beabsichtigten Risikoverteilung grundsätzlich von der belasteten Partei zu tragen; ein derart schwerwiegender Eingriff in das Vertragsgefüge, wie ihn § 313 BGB vorsieht, wäre in den hier in Rede stehenden Fällen nicht interessengerecht6. Eine dauerhafte Stilllegung des Betriebs wäre z.B. hiernach nur Motiv des Arbeitnehmers, nicht dessen rechtserhebliche Grundlage. In tatsächlicher Hinsicht stellt sich zudem das Problem, dass der Kläger für den Umstand, dass dem Vertragsschluss bestimmte beiderseitige Vorstellungen zugrunde lagen, vollumfänglich darlegungs- und beweisbelastet ist7. In einer Vielzahl von Fällen findet sich indes bloß ein pauschaler Verweis auf eine irgendwie geartete Geschäftsgrundlage; eine konkrete Bezeichnung der Umstände ist in den meisten Fällen nicht möglich8. Zudem wird dem Arbeitnehmer im Fall des Abschlusses eines Aufhebungsvertrags aus betrieblichen Gründen i.d.R. auch eine Abfindung gewährt, die entsprechend der gesetzgeberischen Wertung in den §§ 9, 10 KSchG, § 113 BetrVG das Festhalten an der entsprechenden Vereinbarung für den Arbeitnehmer tragbar macht. Losgelöst hiervon ist der vorbehaltlose Abschluss eines Auf-
17.202
1 BAG v. 30.9.1993 – 2 AZR 268/93, NZA 1994, 209, 211; BAG v. 14.2.1996 – 2 AZR 234/95, NZA 1996, 811, 812; BAG v. 27.11.2003 – 2 AZR 135/03, NZA 2004, 597, 603; BAG v. 9.6.2011 – 2 AZR 418/10, NZA-RR 2012, 129, Rz. 17; Ehrich, NZA 1994, 438, 440; a.A. LAG Hamburg v. 3.7.1991 – 5 Sa 20/91, LAGE § 611 BGB Aufhebungsvertrag Nr. 6, S. 5 f. m. abl. Anm. Bengelsdorf S. 11 ff.; ArbG Freiburg v. 20.6.1991 – 2 Ca 145/91, DB 1991, 2600. 2 LAG Hamburg v. 3.7.1991 – 5 Sa 20/91, NZA 1992, 309, 310 f.; ähnlich LAG Düsseldorf v. 26.1.1993 – 16 Sa 1037/92, NZA 1993, 702, 703; Bauer, NZA 1992, 1015, 1017; abl. BAG v. 30.9.1993 – 2 AZR 268/93, NZA 1994, 209 f.; offen gelassen von BAG v. 16.1.1992 – 2 AZR 412/91, NZA 1992, 1023. 3 Vgl. hierzu im Einzelnen Bauer/Krieger/Arnold, Aufhebungsverträge, A. Rz. 231 ff. 4 Vgl. BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757, 759; BAG v. 4.12.1997, NZA 1998, 701, 703; Oberhofer, RdA 2006, 92, 95. 5 Bonanni/Niklas, DB 2010, 1826, 1829. 6 Vgl. BAG v. 15.9.2004 – 4 AZR 9/04, NZA 2005, 691, 693. 7 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 761. 8 Vgl. BAG v. 15.9.2004 – 4 AZR 9/04, NZA 2005, 691, 693; BAG v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866, Rz. 22.
Niklas | 691
§ 17 Rz. 17.202 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
hebungsvertrags nach einer Beurteilung vom objektiven Empfängerhorizont gemäß §§ 133, 157 BGB gerade Ausdruck eines Verzichts auf einen Wiedereinstellungsanspruch1.
17.203
Um Zweifel bei der Auslegung von Aufhebungsverträgen zu vermeiden, ist es in der Praxis trotz des vorstehenden Ergebnisses zu empfehlen, den Wiedereinstellungsanspruch ausdrücklich auszuschließen. Offen ist zwar, ob der Ausschluss des Wiedereinstellungsanspruchs im Rahmen eines Aufhebungsvertrags ohne eine arbeitgeberseitige Kompensation (etwa in Bezug auf den Beendigungszeitpunkt, die Beendigungsart, die Zahlung einer Entlassungsentschädigung, den Verzicht auf eigene Ersatzansprüche etc.) eine unangemessene Benachteiligung i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB darstellt2. Gleichwohl sollte auch in diesen, in der Praxis eher seltenen Fällen – Aufhebung ohne Gegenleistung –, ein Ausschluss vereinbart werden. Denn die Erfahrung hat gezeigt, dass entsprechende Klauseln in der Praxis „funktionieren“ (eingehend zum Wiedereinstellungsanspruch vgl. Rz. 17.208 ff.).
IV. Eigenkündigung des Arbeitnehmers 17.204
Für die Zulässigkeit einer Eigenkündigung gelten die zum Aufhebungsvertrag entwickelten Kriterien. Liegt in einer Eigenkündigung keine Umgehung des gesetzlichen Schutzzwecks, indem der Arbeitnehmer im Anschluss daran beim Rechtsnachfolger weiterarbeitet3, bestehen gegen die Wirksamkeit der Kündigung durch den Arbeitnehmer keine Bedenken4.
V. Bedingung oder Befristung 17.205
Ob die vor einem Betriebs(teil-)übergang bzw. einer Umwandlung vereinbarte Befristung zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt, bestimmt sich nach den allgemeinen Kriterien, insbesondere also nach § 14 TzBfG, § 21 BEEG5. Damit kann die Befristung zwar nicht mit einem bevorstehenden Betriebs(teil-)übergang bzw. einer Umwandlung gerechtfertigt werden. Hier fehlt es an der nur vorübergehenden Beschäftigungsmöglichkeit, die Voraussetzung für eine sachliche Rechtfertigung nach § 14 Abs. 1 TzBfG ist6. Zulässig wäre es aber, in diesem Fall eine Befristung ohne sachlichen Grund vorzunehmen. Lässt man die Sonderregelungen für ältere Arbeitnehmer in § 14 Abs. 3 TzBfG unberücksichtigt, setzt dies voraus, dass der Arbeitnehmer nicht zuvor schon einmal in einem befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnis bei demselben Arbeitgeber beschäftigt war (§ 14 Abs. 2 TzBfG). In einem für die betriebliche Praxis äußerst begrüßenswerten Urteil vom 6.4.20117 hatte das BAG insoweit zwischenzeitlich entschieden, dass eine Zuvor-Beschäftigung i.S.d. § 14 Abs. 2 TzBfG nicht 1 Bonanni/Niklas, DB 2010, 1826, 1829; Ertl, DStR 2001, 442, 448 f. 2 Vgl. für den Fall einer Klageverzichtserklärung BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 722/06, NZA 2008, 219, Rz. 34. 3 Vgl. LAG Düsseldorf v. 13.12.1985 – 9 Sa 781/85, LAGE § 613a BGB Nr. 4, S. 9 f.; Hillebrecht, NZA 1989 Beil. 4, S. 10, 11 f. 4 Vgl. BAG v. 12.5.1992 – 3 AZR 247/91, NZA 1992, 1080, 1081; BAG v. 11.2.1992 – 3 AZR 117/91, NZA 1993, 20, 21; BAG v. 27.9.2012 – 8 AZR 826/11, NZA 2013, 961, Rz. 36; Hillebrecht, NZA 1989 Beil. 4, S. 10, 11; abw. Bauer, Unternehmensveräußerung und Arbeitsrecht, S. 52, 91. 5 Vgl. bereits BAG v. 15.2.1995 – 7 AZR 680/94, NZA 1995, 987, 988; BAG v. 2.12.1998 – 7 AZR 579/97, NZA 1999, 926 ff.; Fuhlrott in Tschöpe, Arbeitsrecht, Teil 2 G Rz. 333; Willemsen, ZIP 1983, 411, 413. 6 So bereits vor dem Inkrafttreten des TzBfG: BAG v. 28.4.1988 – 2 AZR 623/87, AP Nr. 74 zu § 613a BGB, Bl. 8; RGRK/Dörner, § 620 BGB Rz. 75. 7 BAG v. 6.4.2011 – 7 AZR 716/09, NZA 2011, 905, 906 ff.; bestätigt durch BAG v. 21.9.2011 – 7 AZR 375/10, NZA 2012, 255, 257 ff.
692 | Niklas
Sonstige Beendigungstatbestände | Rz. 17.206 § 17
(mehr) vorliege, wenn das Ende des früheren Arbeitsverhältnisses mehr als drei Jahre zurückliege. Diese Rechtsprechung wurde nach einer Entscheidung des BVerfG vom 6.6.20181 jedoch mittlerweile wieder aufgegeben2. Danach können auch länger zurückliegende Arbeitsverhältnisse (wieder) als Zuvor-Beschäftigung i.S.d. § 14 Abs. 2 TzBfG qualifiziert werden. Allerdings ist die Vorschrift verfassungskonform auszulegen. Ein Verbot der sachgrundlosen Befristung bei nochmaliger Einstellung bei demselben Arbeitgeber kann danach unzumutbar sein, soweit eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht besteht und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich ist, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten3. Dies kommt etwa dann in Betracht, wenn die Vorbeschäftigung sehr lang zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist4. Während eine Zuvor-Beschäftigung bei einem zeitlichen Abstand von acht5, neun6 und sogar 15 Jahren7 zwischen dem Ende des früheren Arbeitsverhältnisses und dem Beginn des erneuten Arbeitsverhältnisses bejaht wurde, hat das BAG sie bei einer fast 22 Jahre zurückliegenden Beschäftigung verneint8. Für die Praxis ist diese Rechtsprechung mit einer großen Rechtsunsicherheit verbunden und führt dazu, dass von Einstellungen (jemals) zuvor beschäftigter Arbeitnehmer vielfach gänzlich abgesehen wird. Endet ein rechtswirksam befristetes Arbeitsverhältnis wegen Zeitablaufs (z.B. Vertretung während Mutterschaft oder Elternzeit) oder Zweckerreichung (z.B. Auslandsaufenthalt, Projektarbeit), bewirkt eine zeitgleich stattfindende Umwandlung des Unternehmens oder Überleitung des Betriebs oder Betriebsteils jedenfalls keinen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Vielmehr geht das Arbeitsverhältnis – wie Art. 2 Satz 2 lit. b Richtlinie 2001/23/EG klarstellt – mit der Befristung auf den Rechtsnachfolger über und endet dort, ohne dass es einer Kündigung bedarf, mit Zeitablauf bzw. Zweckerreichung. Wenn die Befristung eines Arbeitsverhältnisses erst im Anschluss an das Wirksamwerden eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs bzw. einer Umwandlung vereinbart werden soll, bestehen, wenn ein sachlicher Grund vorliegt, keine Besonderheiten. Wenn die Befristung indes auf der Grundlage von § 14 Abs. 2 TzBfG für die Dauer von bis zu 24 Monaten vorgenommen werden soll, setzt dies voraus, dass ein etwaig mit dem übertragenden Rechtsträger bestehender Arbeitsvertrag vor dem Übertragungsvorgang beendet wurde. In diesem Fall muss sich der übernehmende Rechtsträger die frühere Beschäftigung beim übertragenden Rechtsträger nicht anrechnen lassen. Da § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB, § 324 UmwG nur die zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse erfasst, liegt insoweit keine Rechtsnachfolge vor9. Dies ist selbst dann anzunehmen, wenn sich das befristete Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber zeitlich unmittelbar an das Ende des befristeten Arbeitsverhältnisses mit dem Veräußerer anschließt, solange das Arbeitsverhältnis zum Zeitpnkt des Übergangs zumindest für eine juristische Sekunde beendet war. Etwas anderes würde unter dem Blickwinkel der rechtsmiss1 BVerfG v. 6.6.2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14, NZA 2018, 774 ff. 2 Vgl. BAG v. 21.8.2019 – 7 AZR 452/17, NZA 2020, 40 ff. 3 BVerfG v. 6.6.2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14, NZA 2018, 774, Rz. 62; BAG v. 21.8.2019 – 7 AZR 452/17, NZA 2020, 40, Rz. 20. 4 BVerfG v. 6.6.2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14, NZA 2018, 774, Rz. 63; BAG v. 21.8.2019 – 7 AZR 452/17, NZA 2020, 40, Rz. 20. 5 BAG v. 23.1.2019 – 7 AZR 733/16, NZA 2019, 700, Rz. 26. 6 BAG v. 12.6.2019 – 7 AZR 429/17, NZA 2019, 1563, Rz. 26. 7 BAG v. 17.4.2019 – 7 AZR 323/17, NZA 2019, 1271, Rz. 24. 8 BAG v. 21.8.2019 – 7 AZR 452/17, NZA 2020, 40, Rz. 24. 9 BAG v. 10.11.2004 – 7 AZR 101/04, NZA 2005, 514, 516; BAG v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145, Rz. 22; BAG v. 25.10.2012 – 8 AZR 572/11, AP Nr. 436 zu § 613a BGB, Rz. 29.
Niklas | 693
17.206
§ 17 Rz. 17.206 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
bräuchlichen Umgehung von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nur dann gelten, wenn der Arbeitsvertrag in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken der beteiligten Rechtsträger zum Zeitpunkt des Übergangs beendet worden ist, um dann – vergleichbar mit der Diskussion über das „Lemgoer Modell“ beim Aufhebungsvertrag – zu neuen Bedingungen beim übernehmenden Rechtsträger fortgeführt zu werden1. Hier muss sich der übernehmende Rechtsträger das vorangehende Arbeitsverhältnis beim übertragenden Rechtsträger anrechnen lassen. Insofern kommt eine erneute Befristung in Form einer Verlängerung, wenn kein sachlicher Grund vorliegt, nur dann in Betracht, wenn die vorangehende Befristung ohne sachlichen Grund vereinbart wurde2, die Vereinbarung über das Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts noch vor Abschluss der Laufzeit des bisherigen Vertrags in schriftlicher Form vereinbart wird und der Vertragsinhalt ansonsten unverändert bleibt3. Die Parteien können anlässlich der Verlängerung lediglich Anpassungen des Vertragstextes an die zum Zeitpunkt der Verlängerung geltende Rechtslage vornehmen oder Arbeitsbedingungen vereinbaren, auf die der befristet beschäftigte Arbeitnehmer einen Anspruch hat4. Anderenfalls liegt bei der Vereinbarung von gegenüber dem Ausgangsvertrag geänderten Arbeitsbedingungen keine Verlängerung vor, sondern der Neuabschluss eines befristeten Arbeitsvertrags i.S.d. § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG, der nach § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG nur mit Sachgrund zulässig ist5. Liegen die vorgenannten Voraussetzungen indes vor, ist gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG eine dreimalige Verlängerung bis zu einer Gesamtdauer von bis zu 24 Monaten möglich.
17.207
Da sich die Zulässigkeit der Vereinbarung einer auflösenden Bedingung im Wesentlichen nach den Kriterien der Befristung bestimmt (§ 21 TzBfG), gelten hier die gleichen Maßstäbe. Der Schutzzweck von § 613a BGB steht damit solchen Vereinbarungen entgegen, bei denen durch den Abschluss der Bedingung nur ein Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den übernehmenden Rechtsträger verhindert werden soll. Hiervon ist bspw. dann auszugehen, wenn der Bestand eines Arbeitsverhältnisses an die Dauer des Pachtvertrags für einen Betrieb geknüpft wird6. Zu beachten ist, dass dies auch für den Kleinbetrieb gilt. Schließlich findet das Kündigungsverbot aus § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB auch in solchen Betrieben Anwendung, die den Schwellenwert des § 23 KSchG nicht überschreiten7. Sonstige Bedingungen – z.B. ein bestimmtes Ergebnis einer ärztlichen Einstellungsuntersuchung – können indes ohne Verstoß gegen § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB wirksam vereinbart werden. Es genügt, wenn die allgemeinen Grenzen (vgl. nur §§ 14, 15, 21 TzBfG) eingehalten werden. Unter den Voraussetzungen des § 41 SGB VI gilt dies bspw. für eine Altersgrenzenvereinbarung8. 1 Vgl. BAG v. 25.4.2001 – 7 AZR 376/00, NZA 2001, 1384, 1386; BAG v. 15.5.2013 – 7 AZR 525/11, NZA 2013, 1214, Rz. 17. 2 Vgl. BAG v. 26.7.2000 – 7 AZR 51/99, AP Nr. 4 zu § 1 BeschFG 1996, Bl. 2; BAG v. 25.10.2000 – 7 AZR 483/99, BB 2001, 526, 527; ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG Rz. 90. 3 BAG v. 18.1.2006 – 7 AZR 178/05, NZA 2006, 605, Rz. 10; BAG v. 23.8.2006 – 7 AZR 12/06, NZA 2007, 204, Rz. 10; BAG v. 20.2.2008 – 7 AZR 786/06, NZA 2008, 883, Rz. 9; ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG Rz. 88. 4 BAG v. 23.8.2006 – 7 AZR 12/06, NZA 2007, 204, Rz. 10; BAG v. 20.2.2008 – 7 AZR 786/06, NZA 2008, 883, Rz. 9. 5 BAG v. 18.1.2006 – 7 AZR 178/05, NZA 2006, 605, Rz. 10; BAG v. 23.8.2006 – 7 AZR 12/06, NZA 2007, 204, Rz. 10; BAG v. 20.2.2008 – 7 AZR 786/06, NZA 2008, 883, Rz. 9. 6 Liessem, Betriebsverpachtung, S. 108. 7 Vgl. BAG v. 31.1.1985 – 2 AZR 530/83, NJW 1986, 87, 89; LAG Schleswig-Holstein v. 17.9.2008 – 6 Sa 58/08; Belling/Müsgen, NZA 1991 Beil. 1, S. 7, 17; Hanau, ZIP 1984, 141; a.A. Bauer, DB 1983, 713. 8 Vgl. aber zur (Un-)Wirksamkeit von Höchstaltersgrenzen BAG v. 23.6.2010 – 7 AZR 1021/08, NZA 2010, 1248 ff. (Flugbegleiter); BAG v. 18.1.2012 – 7 AZR 112/08, NZA 2012, 575 ff. (Piloten);
694 | Niklas
Wiedereinstellungs-/Fortsetzungsanspruch | Rz. 17.210 § 17
D. Wiedereinstellungs- bzw. Fortsetzungsanspruch bei überraschendem Betriebs(teil-)übergang oder überraschender Fortführung statt Stilllegung Maßgeblich für die Rechtswirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich der Zeitpunkt, an dem der Arbeitnehmer die Kündigung erhält. Zu diesem Zeitpunkt muss aufgrund objektiver – gerichtlich nachprüfbarer – Tatsachen feststehen, dass mit großer Wahrscheinlichkeit aus Gründen im Verhalten oder der Person des Arbeitnehmers oder aufgrund dringender betrieblicher Erfordernisse mit Ablauf der Kündigungsfrist keine Möglichkeit mehr besteht, den Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen1. Grundlage der Kündigung ist also eine Zukunftsprognose. Da jede Zukunftsprognose falsch sein kann, ist schon in der Vergangenheit diskutiert worden, welche Rechtsfolgen bei einem nachträglichen Wegfall des Kündigungsgrundes eintreten. In Betracht kommt eine solche Fallgestaltung in dem hier in Rede stehenden Zusammenhang insbesondere dann, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil, der stillgelegt werden sollte, nach Ausspruch der Kündigungen überraschend übertragen und durch einen anderen Rechtsträger fortgeführt wird. Entsprechende Fragen stellen sich dann, wenn bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags bzw. eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleichs die Stilllegung eines Betriebs oder Betriebsteils angenommen wird.
17.208
I. Anerkennung des Anspruchs auf Wiedereinstellung In der Vergangenheit ist nur vereinzelt angenommen worden, dass der Wegfall des Kündigungsgrundes zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung führt2. Das Risiko einer solchen Betrachtungsweise liegt vor allem in dem Umstand begründet, dass der Arbeitgeber – ggf. auch der übernehmende Rechtsträger – vom Tag des Ablaufs der Kündigungsfrist an in Annahmeverzug gerät, wenn der Arbeitnehmer – ggf. im Rahmen einer Kündigungsschutzklage – seine Beschäftigung auch über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus geltend macht. Schließlich besteht das Arbeitsverhältnis bei einer Rechtsunwirksamkeit der Kündigung fort.
17.209
Überwiegend ist deshalb angenommen worden, dass die Kündigung rechtswirksam bleibt. Insoweit haben es das BAG und die h.M. im Schrifttum als ausreichend angesehen, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung arbeitgeberseitig aufgrund objektiver – gerichtlich nachprüfbarer – Tatsachen feststeht, dass wegen der Stilllegung des Betriebs nach Ablauf der Kündigungsfrist keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit mehr gegeben ist. Nachträglich eintretende Umstände, die zum Zeitpunkt der Kündigung nicht erkennbar waren, sind danach für die Rechtswirksamkeit der Kündigung unbeachtlich. Dies galt auch für den Fall, dass der Betrieb – ohne dass zuvor entsprechende Anhaltspunkte bestanden – noch während der Kündigungsfrist veräußert und durch den Erwerber fortgeführt wurde3. Selbst wenn zu diesem Zweck die bisherigen Arbeitnehmer übernommen wurden, sollte § 613a BGB nicht zur Anwendung kommen4. Allerdings oblag es dem Arbeitgeber in diesem Fall, substantiiert darzulegen und ggf. zu be-
17.210
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weitergehend zur Regelung von Altersgrenzen sowie zur Neuregelung des § 41 Satz 3 SGB VI: Giesen, ZfA 2014, 217 ff.; Grimm, ArbRB 2015, 92 ff.; Groeger, ZTR 2015, 115 ff. Vgl. BAG v. 23.2.2010 – 2 AZR 268/08, NZA 2010, 944, Rz. 18; BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465, Rz. 40; BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303, Rz. 70 f.; Bonanni/Niklas, DB 2010, 1826; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 91; KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 588. So LAG Düsseldorf v. 28.11.1995 – 6 Sa 858/95, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 35, S. 2 ff. BAG v. 19.6.1991 – 2 AZR 127/91, NZA 1991, 891, 893; BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, DB 1998, 316; D. Gaul, Betriebsübergang, S. 345 f. BAG v. 22.5.1985 – 5 AZR 30/84, NZA 1985, 775, 777; Richardi, NZA 1991, 289, 292.
Niklas | 695
§ 17 Rz. 17.210 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
weisen, dass keine Anhaltspunkte für die Möglichkeit einer Veräußerung und Fortführung bestanden, als er die Kündigungen der Arbeitsverhältnisse aussprach1.
17.211
Im Gegensatz zu einem anderen Teil des Schrifttums2 und einigen Instanzgerichten3, die bereits in der Vergangenheit bei einem Wegfall des Kündigungsgrundes bis zum Ablauf der Kündigungsfrist einen Weiterbeschäftigungs- bzw. Wiedereinstellungsanspruch angenommen hatten, ist ein solcher Wiedereinstellungsanspruch durch das BAG jedoch lange Zeit allein für den Fall einer Verdachtskündigung angenommen worden. Voraussetzung war hier, dass sich nach Zugang der Kündigung die Unschuld des gekündigten Arbeitnehmers herausgestellt hatte oder zumindest nachträglich Umstände bekannt wurden, die den bestehenden Verdacht beseitigten4. Im Allgemeinen wurde ein Wiedereinstellungsanspruch abgelehnt5.
17.212
Mit guten Gründen hatte allerdings bereits Willemsen6 angemerkt, dass den gekündigten Arbeitnehmern ein Anspruch auf Wiedereinstellung zuerkannt werden sollte, der gemäß § 613a BGB auch gegen den Betriebserwerber geltend gemacht werden könne, wenn Arbeitsverhältnisse zulässigerweise „vorsorglich“ wegen einer Betriebsstilllegung gekündigt würden und es dann vor Durchführung dieser Stilllegung doch noch zu einer Betriebsübernahme käme. Scheiterten dagegen sämtliche Übernahmeverhandlungen, bliebe es bei dem Stilllegungstermin und den zu diesem Zeitpunkt ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigungen.
17.213
Mit entsprechenden Überlegungen hat das BAG in seinem Urteil vom 27.2.19977 seine ablehnende Haltung aufgegeben und erstmals einen allgemeinen Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers bei einem Wegfall des Kündigungsgrundes bis zum Ablauf der Kündigungsfrist angenommen und in nachfolgenden Entscheidungen unterschiedlicher Senate bestätigt8. So führt das BAG in der vorgenannten Entscheidung aus: „Beruht eine betriebsbedingte Kündigung auf der Prognose des Arbeitgebers, bei Ablauf der Kündigungsfrist könne er den Arbeitnehmer (z.B. wegen Betriebsstilllegung) nicht mehr weiter beschäftigen, und erweist sich die Prognose noch während des Laufs der Kündigungsfrist als falsch (z.B. weil es
1 BAG v. 19.6.1991 – 2 AZR 127/91, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 70, S. 6; D. Gaul, Betriebsübergang, S. 345 f.; Richardi, NZA 1991, 289, 292. 2 So Bram/Rühl, NZA 1990, 753 ff.; Hambitzer, Wiedereinstellungsanspruch, S. 89 ff., S. 131 ff.; Loritz, RdA, 65, 71; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 3; v. Stein, RdA 1991, 85, 87 f.; 49 ff.; Willemsen, ZIP 1986, 477, 483. 3 So LAG Berlin v. 1.3.1983 – 3 Sa 94/82, ZIP 1983, 1116, 1117; LAG Köln v. 10.1.1989 – 4/2 Sa 860/ 88, LAGE § 611 BGB Einstellungsanspruch Nr. 1, S. 6 ff. m. insoweit zust. Anm. Preis S. 15, 19 ff.; LAG Hamburg v. 26.4.1990 – 2 Sa 90/89, LAGE § 611 BGB Einstellungsanspruch Nr. 2, S. 6 ff. 4 BAG v. 20.8.1997 – 2 AZR 620/96, BB 1997, 2484 ff. 5 Berkowsky (DB 1983, 2683, 2688 f.) hat das Problem des fehlenden Wiedereinstellungsanspruchs dadurch zu lösen versucht, dass der Arbeitnehmer bei einem überraschenden Betriebsübergang eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage gemäß § 5 KSchG beantragen könne. Dieser Bewertung ist aber, wie die nachfolgenden Ausführungen zum Wiedereinstellungsanspruch deutlich machen sollen, im Hinblick auf die insoweit überzeugende Rechtsprechung des BAG nicht zu folgen. 6 Willemsen, ZIP 1986, 477, 484. 7 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757 ff. 8 BAG v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, NZA 1998, 254, 255; BAG v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, NZA 1998, 701, 704; BAG v. 29.9.2005 – 8 AZR 647/04, NZA 2006, 720, Rz. 24; BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357, Rz. 19.; BAG v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, NZA-RR 2009, 469, Rz. 33; BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 197/11, NZA-RR 2013, 179, Rz. 37; BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 845/ 15, NZA 2018, 436, Rz. 15.
696 | Niklas
Wiedereinstellungs-/Fortsetzungsanspruch | Rz. 17.216 § 17 doch zu einem Betriebsübergang kommt), so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, wenn der Arbeitgeber mit Rücksicht auf die Wirksamkeit der Kündigung noch keine Dispositionen getroffen hat und ihm die unveränderte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist.“
In überzeugender Weise hat das BAG damit den Wiedereinstellungsanspruch nicht mit der vom LAG Düsseldorf in dem Urteil vom 28.11.19951 vertretenen Ansicht gerechtfertigt, nach der auch eine „endgültige Stilllegungsabsicht“ des Arbeitgebers bei „vernünftiger betriebswirtschaftlicher Betrachtungsweise“ bis zu ihrem tatsächlichen Vollzug unter dem Vorbehalt stehe, dass keine Möglichkeit einer Veräußerung gegeben sei2. Ein solcher Einwand wird in der Regel „ins Blaue“ behauptet. Er ist kündigungsschutzrechtlich ohne Bedeutung3.
17.214
Grundlage des Wiedereinstellungsanspruchs (bei Einstellung durch den übertragenden Rechtsträger) ist der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Die vertragliche Nebenpflicht zum erneuten Abschluss eines Arbeitsvertrags konkretisiert insoweit die Pflicht, auf die berechtigten Interessen des Vertragspartners Rücksicht zu nehmen4.
17.215
Diese Bewertung hat der 8. Senat des BAG auf der Grundlage einer richtlinienkonformen Interpretation von § 613a BGB auf den Fall übertragen, dass der Kündigungsgrund als Folge eines Betriebsübergangs nachträglich entfallen ist5. Ein solcher Anspruch wird auch durch den EuGH anerkannt6. Hier habe der von der Kündigung betroffene Arbeitnehmer gegenüber dem Erwerber einen Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Wahrung des durch § 613a BGB gesicherten Besitzstandes. Unerheblich für diesen Fortsetzungsanspruch ist, ob der Betriebsübergang durch Übernahme der nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Belegschaft des übertragenden Rechtsträgers oder durch Übertragung der wesentlichen Betriebsmittel verursacht wurde. Ein Wiedereinstellungsanspruch kommt dabei grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn der bisherige Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis kündigt und zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Neuausschreibung eines Auftrags zwar feststeht, dass die von dem Arbeitnehmer bisher verrichteten Tätigkeiten auch künftig anfallen werden, aber nicht klar ist, wer aufgrund der erfolgten Ausschreibung künftig die Aufgaben durchführen wird. Handelt es sich jedoch lediglich um eine reine Funktions- bzw. Auftragsnachfolge, scheidet
17.216
1 LAG Düsseldorf v. 28.11.1995 – 6 Sa 858/95, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 35, S. 2. 2 Ähnlich Birkholz, Betriebsübergang in der Insolvenz, S. 84 ff., 88, der die Kündigung an die Bedingung knüpft, dass tatsächlich eine Stilllegung, kein Übergang auf einen anderen Rechtsträger stattfinde. Zur Begründung verweist er auf eine Analogie zu § 15 Abs. 4 KSchG. 3 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757, 758. 4 Vgl. Raab, RdA 2000, 147, 149 ff., der in seiner eingehenden Auseinandersetzung mit den dogmatischen Grundlagen indes unter Ablehnung einer Anknüpfung an § 242 BGB eine Begründung in dem Ziel sucht, Wertentscheidungen des KSchG zu verwirklichen. Eine Übersicht über andere, neben der Herleitung aus der vertraglichen Nebenpflicht, vertretene Ansätze gibt es bei Elz, Wiedereinstellungsanspruch, S. 31 ff.; Boewer, NZA 1999, 1121, 1125 ff.; Oberhofer, RdA 2006, 92 f. 5 Vgl. BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, NZA 1998, 251; seither st. Rspr., vgl. etwa BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357, Rz. 24; BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 197/11, NZA-RR 2013, 179, Rz. 37; BAG v. 19.10.2017 (8 AZR 845/15), NZA 2018, 436, Rz. 16; nach letztgenannter Entscheidung ist in Ausnahmefällen sogar ein Wiedereinstellungsanspruch in Kleinbetrieben denkbar. Krit. hingegen Raab, RdA 2000, 147, 159, der zur Begründung unmittelbar auf den Schutzzweck von § 613a BGB zurückgreifen will. 6 EuGH v. 12.3.1998 – C-319/94, NZA 1998, 529, Rz. 39.
Niklas | 697
§ 17 Rz. 17.216 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
ein Wiedereinstellungsanspruch aus1. Für den Fall des Betriebs- oder Betriebsteilübergangs im Rahmen der Insolvenz kann ebenfalls ein Wiedereinstellungs- oder Fortsetzungsanspruch abzulehnen sein (vgl. Rz. 35.163)2. Generell abzulehnen scheint der 8. Senat den Wiedereinstellungs- oder Fortsetzungsanspruch schließlich, wenn die Vertragsbeendigung durch Aufhebungsvertrag in Kenntnis eines möglichen Betriebsübergangs vereinbart wird3. Da das Fehlen eines Betriebsübergangs bei einer solchen Ausgangslage auch nicht Geschäftsgrundlage des Aufhebungsvertrags gewesen sein kann, ist dieser Ausgrenzung zuzustimmen.
17.217
Wichtig ist bei allen Ausführungen zum Wiedereinstellungs- und Fortsetzungsanspruch allerdings, dass das BAG4 in Übereinstimmung mit dem überwiegenden Schrifttum5 weiterhin von der Rechtswirksamkeit einer Kündigung ausgeht, wenn die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nach der durch Tatsachen begründeten Prognose des Arbeitgebers am Tag des Zugangs der Kündigung vorlagen; spätere unvorhergesehen eintretende Umstände sind für die Wirksamkeit der Kündigung unbeachtlich6. Das BAG lehnt daher auch eine unzulässige Rechtsausübung ab, wenn sich der Arbeitgeber auf diese Rechtswirksamkeit der Kündigung beruft. Das Arbeitsverhältnis mit dem von einer solchen Kündigung betroffenen Arbeitnehmer geht also in einem gekündigten Zustand auf den übernehmenden Rechtsträger über7. Schließen die Arbeitsvertragsparteien nach Ausspruch der Kündigung innerhalb der Kündigungsfrist einen Vergleich oder beenden sie das Arbeitsverhältnis einvernehmlich durch Aufhebungsvertrag, ist hierdurch nach der Rechtsprechung ein Wiedereinstellungsanspruch nicht ausgeschlossen8. Wie der 8. Senat in seinem Urteil vom 23.11.20069 erfreulicherweise noch einmal deutlich gemacht hat, ist ein Einstellungs-(Fortsetzungs-)Anspruch gegen den Betriebsübernehmer im Falle des Ausscheidens mittels eines Aufhebungsvertrags aber zu verneinen, solange die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrags nicht wegen Anfechtung, Wegfalls der Geschäftsgrundlage oder aus einem anderen Grunde beseitigt worden ist. Wie an anderer Stelle ausgeführt (vgl. Rz. 17.203), empfiehlt sich in der Praxis insoweit, den Wiedereinstellungsanspruch in dem Aufhebungsvertrag oder einem gerichtlichen Vergleich ausdrücklich auszuschließen.
II. Entscheidungserheblicher Zeitpunkt für den Wegfall des Kündigungsgrundes bzw. des Grundes für die vereinbarte Aufhebung 17.218
Nach den Feststellungen des BAG setzt der aus § 242 BGB bzw. einer richtlinienkonformen Auslegung von § 613a BGB folgende Wiedereinstellungsanspruch grundsätzlich voraus, dass
1 2 3 4 5 6 7 8 9
BAG v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, NZA-RR 2009, 469, Rz. 36. BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, NZA 1999, 422, 425. BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, NZA 1999, 422, 425. BAG v. 19.5.1988 – 2 AZR 596/87, NZA 1989, 461; BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757, 758; BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, EzA § 613a BGB Nr. 154, S. 4 f.; BAG v. 12.11.1998 – 8 AZR 265/97, NZA 1999, 311, 313. APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 741; Hillebrecht, NZA 1989 Beil. 4, S. 10 ff.; KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 823; Wank, Anm. zu BAG v. 15.3.1984 – 2 AZR 24/83, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, Bl. 4 ff. BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757, 758. Vgl. nur BAG v. 28.8.1996 – 10 AZR 886/95, DB 1997, 100 f. Vgl. BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757, 759; BAG v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, DB 1998, 1087; BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, RdA 2001, 243, 246 f. m. insoweit abl. Anm. Raab, 252. BAG v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866, Rz. 32.
698 | Niklas
Wiedereinstellungs-/Fortsetzungsanspruch | Rz. 17.220 § 17
noch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ein Wegfall des Kündigungsgrundes gegeben ist1. Arbeitnehmer sind mithin grundsätzlich nur dann berechtigt, vom übernehmenden Rechtsträger eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu verlangen, wenn noch während der Kündigungsfrist eine Übertragung des Betriebs- oder Betriebsteils auf diesen Rechtsträger vorgenommen wird2. Entsprechendes gilt für die Vertragsbeendigung durch Aufhebungsvertrag oder Vergleich3. Wenn die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung erst durch eine neue Kausalkette nach Ablauf der Kündigungsfrist bzw. dem vereinbarten Vertragsende geschaffen wird, ist ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung oder Fortsetzung demgegenüber in der Regel ausgeschlossen4. Nur in Ausnahmefällen kann ein Wiedereinstellungsanspruch auch dann angenommen werden, wenn die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit erst nach Ablauf der Kündigungsfrist entsteht. Ein solcher Ausnahmefall kann auf der Grundlage von § 242 BGB jedenfalls in Fällen des offensichtlichen Rechtsmissbrauchs angenommen werden5. Hat etwa der Arbeitgeber einen Entschluss zur Stilllegung seines Betriebs gegenüber der Belegschaft nur vorgetäuscht, während in Wahrheit ein Betriebsübergang für die Zeit nach dem Ablauf der letzten Kündigungsfrist bereits vereinbart wurde, ist auch ein Wiedereinstellungsanspruch nach Ablauf der Kündigungsfrist anzunehmen.
17.219
Nach den zutreffenden Feststellungen des 8. Senats kann ein Ausnahmefall im vorgenannten Sinne aber grundsätzlich auch dann anzunehmen sein, wenn der Betrieb oder Betriebsteil, dem der Arbeitnehmer zugeordnet war, gemäß § 613a BGB auf einen Betriebserwerber übergeht6. Auch in diesem Fall verhalte sich der Arbeitgeber rechtsmissbräuchlich, wenn er den geänderten Umständen nicht Rechnung trage und dem Arbeitnehmer nicht die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses anbiete bzw. sich dem Vertragsangebot des Arbeitnehmers widersetze7. So hat der Senat einen Wiedereinstellungsanspruch in Form eines Fortsetzungsanspruchs des Arbeitnehmers dann bejaht, wenn der Betriebsübergang zwar erst am Tag nach Ablauf der Kündigungsfrist stattgefunden hat, die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit jedoch schon während des Laufs der Kündigungsfrist entstanden und die ursprünglich bei Ausspruch der Kündigung anzustellende Prognose dadurch während des Laufs der Kündigungsfrist unzutref-
17.220
1 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757, 759; BAG v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, DB 1998, 423; BAG v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, DB 1998, 1087; BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357, Rz. 19; BAG v. 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29, Rz. 57; BAG v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, NZA-RR 2009, 469, Rz. 33; BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 845/15, NZA 2018, 436, Rz. 15. 2 Vgl. auch EuGH v. 12.3.1998 – C-319/94, NZA 1998, 529 ff.; BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, EzA § 613a BGB Nr. 154, S. 4 f.; BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357, Rz. 19.; BAG v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, NZA-RR 2009, 469, Rz. 33; BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 845/15, NZA 2018, 436, Rz. 16; Bonanni/Niklas, DB 2010, 1826; Loritz, RdA 1987, 65, 71. 3 Vgl. hierzu Bonanni/Niklas, DB 2010, 1826, 1828 f. 4 Vgl. Annuß, BB 1998, 1582, 1587; Krieger/Willemsen, NZA 2011, 1128, 1130. 5 Ebenso Meyer, NZA 2000, 297, 300 f., der einen Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem übernehmenden Rechtsträger nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses anerkennt, wenn eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit gegeben ist und der bisherige Arbeitgeber – bspw. durch wahrheitswidrige Versicherungen im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags – einen besonderen Tatbestand geschaffen hat. 6 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357, Rz. 19 ff.; BAG v. 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29, Rz. 57; BAG v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, NZA-RR 2009, 469, Rz. 33. 7 APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 181.
Niklas | 699
§ 17 Rz. 17.220 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
fend geworden war1. Dies wird man jedenfalls dann annehmen müssen, wenn von einer ununterbrochenen Fortsetzung ausgegangen werden kann (Beispiel: Beendigung am 31.3. durch übertragenden Rechtsträger, Wiederaufnahme am 1.4. durch potenziellen Erwerber)2. Dass der Wortlaut des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB von einem Eintritt in die im Zeitpunkt des Übergangs „bestehenden“ Arbeitsverhältnisse spricht, steht der Anerkennung des Fortsetzungsanspruchs in dieser Fallkonstellation nicht entgegen3. Denn der Übergang muss spätestens am 31.3. 24.00 Uhr beginnen, und am 1.4. 0.00 Uhr abgeschlossen zu sein. Damit besteht das Arbeitsverhältnis „im“ Zeitpunkt des Übergangs, oder – wie Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 2001/23/EG formuliert – „zum“ Zeitpunkt des Übergangs. Andernfalls wäre es für die beteiligten Rechtsträger im Übrigen ohne Weiteres möglich, durch eine Übernahme erst in der juristischen Sekunde nach Beendigung der Arbeitsverhältnisse eine Anwendung von § 613a BGB auszuschließen. Solange diese Übernahme zum Zeitpunkt der Kündigung nicht bekannt war, läge darin auch kein Verstoß gegen § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB.
17.221
Selbst wenn zwischen dem Ablauf der Kündigungsfrist und dem Betriebs(teil-)übergang kein nahtloser zeitlicher Übergang besteht, kann ein Wiedereinstellungsanspruch angenommen werden4. Denn entscheidend ist nicht der Zeitpunkt des Betriebs- oder Betriebsteilübergangs, sondern dass sich noch während der Kündigungsfrist die Vorstellungen des Arbeitgebers über die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nachträglich als unzutreffend herausgestellt haben5. Wenn während des Laufs der Kündigungsfrist der Betriebs(teil-)übergang zwar beschlossen, aber erst Tage oder Wochen nach Ablauf der Kündigungsfrist vollzogen wird, ist dies daher für das Bestehen des Wiedereinstellungsanspruchs ohne Belang6. Hierfür sprechen auch die Überlegungen des 2. Senats in seinem Urteil vom 4.12.19977. Danach hätte die generelle Ablehnung eines Wiedereinstellungsanspruchs nach Ablauf der Kündigungsfrist bzw. – sofern man einen Wiedereinstellungsanspruch nach Ablauf der Kündigungsfrist ausnahmsweise akzeptiert – das Erfordernis eines nahtlosen zeitlichen Übergangs zur Folge, dass der Arbeitgeber bei einer Massenkündigung wegen Betriebsstilllegung, wenn er sich später doch zur Fortführung des Betriebs entschließe, nur die Arbeitnehmer wiedereinzustellen hätte, deren Kündigungsfrist im Zeitpunkt der Änderung seines Entschlusses noch nicht abgelaufen war. Konsequenz dieser Annahme wäre, dass ein Betriebsübernehmer nach Ablauf der Kündigungsfristen aufgrund einer geplanten Stilllegung und damit verfolgter „personeller Sanierung“ nicht zur Wiedereinstellung verpflichtet wäre. 1 BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, EzA § 613a BGB Nr. 154, S. 5 f.; BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357, Rz. 24. 2 So für den Fall einer Kündigung zum 30.9. und der Fortsetzung am 1.10. vgl. BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, EzA § 613a BGB Nr. 154, S. 5 f. m. insoweit krit. Anm. Peters/Thüsing S. 9 f. 3 A.A. Peters/Thüsing, Anm. zu BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, EzA § 613a BGB Nr. 154, S. 9 f., die darin den bloßen Übergang eines Wiedereinstellungsanspruchs sehen. 4 Missverständlich sind insoweit die Ausführungen des 8. Senats in der Entscheidung v. 25.10.2007 (8 AZR 989/06, NZA 2008, 357, Rz. 24), wo ausgeführt wird, dass der Senat in dem Urteil v. 13.5.2004 (8 AZR 198/03, AP Nr. 264 zu § 613a BGB) im Fall einer Insolvenzkündigung einen Wiedereinstellungsanspruch in Folge eines vier Tage nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgten Betriebsübergangs abgelehnt habe. Die zwischen dem Ablauf der Kündigungsfrist und dem Betriebsübergang liegende Zeitspanne war für die Ablehnung jedoch nicht maßgeblich. Vielmehr hat der 8. Senat die generelle Ablehnung eines Wiedereinstellungsanspruchs bei Betriebsübergangen nach Ablauf der Frist einer insolvenzbedingten Kündigung mit insolvenzrechtlichen Erwägungen begründet. 5 Vgl. BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357, Rz. 19. 6 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 845/15, NZA 2018, 436, Rz. 16. 7 BAG v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, DB 1998, 1087 ff.
700 | Niklas
Wiedereinstellungs-/Fortsetzungsanspruch | Rz. 17.224 § 17
Berücksichtigt man, dass ein rechtsgeschäftlicher Betriebs(teil-)übergang mit den damit verbundenen Konsequenzen auch bei einer vorübergehenden Unterbrechung der Betriebstätigkeit vorliegen kann (vgl. Rz. 4.188 ff.), spricht bereits dieser Umstand dafür, einen Anspruch auf Wiedereinstellung oder Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem übernehmenden Rechtsträger auch dann anzunehmen, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Übergangs des Betriebs- oder Betriebsteils bereits beendet war1. Schließlich hat der potenziell verpflichtete Rechtsträger trotz einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Arbeitnehmers, der einen Anspruch auf Wiedereinstellung bzw. Fortsetzung geltend macht, einen Betrieb oder Betriebsteil übernommen2. Dass § 613a BGB seinem Wortlaut nach von den bestehenden Arbeitsverhältnissen spricht, was bei einem Übergang nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr der Fall ist, verhindert zwar eine Anspruchsbegründung allein auf der Grundlage von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB3. Berücksichtigt man aber, dass § 613a BGB ohne Rücksicht auf das Wissen der beteiligten Rechtsträger kraft Gesetzes einen Übergang der Arbeitsverhältnisse sicherstellen soll, wenn die Beschäftigungsmöglichkeit auf einen anderen Rechtsträger übergegangen ist, ist es erforderlich, diesem Zweck des Gesetzes jedenfalls über den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zur Anerkennung zu verhelfen. Denn der Erfolg, trotz Betriebsübernahme keine Arbeitnehmer beschäftigen zu müssen, widerspricht dem Zweck von § 613a BGB bzw. den entsprechenden Vorgaben der Richtlinie 2001/23/EG4. Auf eine Absicht der beteiligten Rechtsträger zur Umgehung von § 613a BGB kommt es nicht an.
17.222
Absolut ausgeschlossen ist ein Wiedereinstellungsanspruch nach Ablauf der Kündigungsfrist bei insolvenzbedingten Kündigungen (vgl. Rz. 35.164).
17.223
III. Inhalt des Anspruchs auf Wiedereinstellung Inhaltlich ist der Wiedereinstellungsanspruch auf Abschluss eines Arbeitsvertrags zu den bisherigen Arbeitsbedingungen unter Anerkennung des bis zur betriebsbedingten Beendigung des vorangehenden Arbeitsverhältnisses erworbenen Besitzstandes gerichtet. Berechtigterweise hatte es das BAG dabei in seiner früheren Rechtsprechung abgelehnt, die Wiedereinstellung rückwirkend vorzunehmen5. Denn ein hierauf gerichteter Vertrag war nach § 306 BGB a.F. unwirksam, sofern man nicht die Ansicht vertrat, dass in der rückwirkenden Begründung des Arbeitsverhältnisses nur die Vereinbarung liege, den Arbeitnehmer wirtschaftlich bzw. hinsichtlich der Rechtsfolgen so zu stellen, als sei unmittelbar nach Wegfall des Kündigungsgrundes eine Wiedereinstellung erfolgt6. Seit dem Inkrafttreten der Regelung des § 311a Abs. 1 BGB durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz zum 1.1.2002 kann der Arbeitgeber bei fehlender Zustimmung zur Einstellung durch eine entsprechende Klage aber auch zu einem rückwirkenden Abschluss eines Arbeitsvertrags verurteilt werden7. Etwas anderes ergibt sich
1 So auch Ascheid, FS Dieterich, S. 9, 26 f.; Loritz, RdA 1987, 65, 71; Raab, RdA 2000, 147, 161 f. 2 Zutr. Langenbucher, ZfA 1999, 299, 310 f. 3 Insoweit kann der Kritik von Peters/Thüsing, Anm. zu BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, EzA § 613a BGB Nr. 154, S. 9 f. zugestimmt werden. 4 Vgl. auch Krause, ZfA 2001, 67, 97 ff.; Raab Anm. zu BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, RdA 2001, 243, 250 f. 5 Vgl. BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, RdA 2001, 234, 245 m. insoweit abl. Anm. Raab S. 248 f.; Boewer, NZA 1999, 1177, 1182; a.A. Oetker, ZIP 2000, 1787 f.; Raab, RdA 2000, 147, 158. 6 So Raab Anm. zu BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, RdA 2001, 243, 248 f. 7 BAG v. 27.7.2005 – 7 AZR 488/04, NZA 2006, 539, Rz. 17; BAG v. 9.11.2006 – 2 AZR 509/05, DB 2007, 861, 862; BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357, Rz. 25; BAG v. 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29, Rz. 61; HWK/Quecke, § 1 KSchG Rz. 87.
Niklas | 701
17.224
§ 17 Rz. 17.224 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
nach der Rechtsprechung des BAG auch nicht aus § 894 ZPO, wonach die Willenserklärung erst mit Rechtskraft des Urteils als abgegeben gilt. Zu welchem Zeitpunkt die fingierte Abgabe wirkt, beurteilt sich nach materiellem Recht. Beim Wiedereinstellungsanspruch ist es der Zeitpunkt, zu dem der Arbeitnehmer berechtigt war, den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags vom Arbeitgeber zu verlangen. Ein Anspruch auf Wiedereinstellung im unmittelbaren Anschluss an das betriebsbedingt beendete Vorarbeitsverhältnis ist insoweit nur dann gerechtfertigt, wenn der Betriebsübergang zu diesem Zeitpunkt bereits vollzogen ist. Wenn er erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt, was ausnahmsweise denkbar ist, kann eine Wiedereinstellung unter Berücksichtigung der nachfolgenden Feststellungen erst zu diesem Zeitpunkt verlangt werden. Hat der Arbeitgeber keinen Grund, dem Arbeitnehmer den Abschluss zu verweigern, so ist er ab dem Zeitpunkt, ab dem der Arbeitnehmer den Abschluss des neuen Arbeitsvertrags verlangen kann, verpflichtet, das Angebot des Arbeitnehmers anzunehmen und ihm einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen1. Unterlässt er dies, so ergeben sich die Rechtsfolgen aus den allgemeinen Vorschriften, etwa aus § 280 Abs. 1, 2, § 286 BGB2.
17.225
Zu beachten ist, dass der Wiedereinstellungsanspruch jedoch nicht im Rahmen des auf Feststellung der Unwirksamkeit einer bestimmten Kündigung gerichteten Antrags zu prüfen ist3. Vielmehr bedarf es eines eigenständigen Antrags auf Abgabe einer Willenserklärung auf Annahme eines Angebots zum Abschluss eines Arbeitsvertrags zu den bisherigen Bedingungen. Die Wiedereinstellungsklage muss dementsprechend als Hilfsantrag zur Kündigungsschutzklage erhoben werden. Das BAG hat in dem Klageantrag auf „Weiterbeschäftigung“ bzw. „Wiedereinstellung“ das Angebot auf Abschluss eines neuen Vertrags gesehen4. Diese Auslegung ist im Hinblick auf die nach § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderliche Bestimmtheit des Antrags jedoch nicht unproblematisch5. Ungeachtet dessen hat der 8. Senat des BAG diese weite Auslegungspraxis fortgesetzt und im Rahmen eines vermeintlichen Betriebsübergangs einen Klageantrag, das Arbeitsverhältnis zu den ursprünglichen Bedingungen „fortzusetzen“, als Antrag zur Verurteilung des beklagten – vermeintlich den Betrieb erwerbenden – Arbeitgebers zur Annahme des Angebots des Klägers auf Abschluss eines Arbeitsvertrags zu den ursprünglichen Bedingungen ausgelegt6. Demgegenüber hat der 9. Senat in einer Entscheidung vom 17.3.20157 in nachvollziehbarer Weise einen Antrag auf Weiterbeschäftigung „zu den bisherigen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses“ als nicht ausreichend erachtet. Vielmehr begehre der Arbeitnehmer mit einem solchen Antrag die tatsächliche Beschäftigung im Rahmen eines (fort-)bestehenden Vertragsverhältnisses. Es sei indes nicht möglich, ein und denselben Antrag zunächst entsprechend seinem Wortlaut als (Weiter-)Beschäftigungsanspruch im laufenden Arbeitsverhältnis zu verstehen und anschließend „hilfsweise“ als Wiedereinstellungsanspruch auszulegen. Beide Ansprüche seien wesentlich verschieden und müssten gesondert geltend gemacht werden.
1 BAG v. 9.11.2006 – 2 AZR 509/05, DB 2007, 861, Rz. 69; BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357, Rz. 26. 2 BAG v. 9.11.2006 – 2 AZR 509/05, DB 2007, 861, Rz. 69; BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357, Rz. 26. 3 BAG v. 19.9.2001 – 7 AZR 574/00, AiB 2002, 637, 638; APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 757. 4 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757, 760. 5 Ebenso: APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 757; Oberhofer, RdA 2006, 92, 97. 6 BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 197/11, NZA-RR 2013, 179, Rz. 30. 7 BAG 17.3.2015 – 9 AZR 702/13, NZA 2016, 124, Rz. 21.
702 | Niklas
Wiedereinstellungs-/Fortsetzungsanspruch | Rz. 17.227 § 17
IV. Adressat des Anspruchs auf Wiedereinstellung Wichtig ist, dass der Wiedereinstellungsanspruch in Form des Fortsetzungsverlangens im Fall eines Betriebsübergangs grundsätzlich unmittelbar gegen den Betriebserwerber zu richten ist1. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es erst nach Beendigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses zu einem Betriebsübergang kommt. Aber auch dann, wenn es während der Kündigungsfrist zu einem Betriebsübergang kommt, richtet sich der Wiedereinstellungsanspruch gegen den Betriebserwerber. Gleiches gilt, wenn während des Laufs der Kündigungsfrist der Betriebsübergang zwar beschlossen, aber noch nicht vollzogen ist. In diesem Fall entsteht noch während des Bestands des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Wiedereinstellung, der ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs gemäß § 613a Abs. 1 BGB gegen den Erwerber gerichtet ist2. Wegen der prozessualen Geltendmachung vgl. Rz. 20.74 ff.
17.226
V. Einflussnahmemöglichkeit im Rahmen der Interessenabwägung Die Begründung des Wiedereinstellungsanspruchs aus § 242 BGB bewirkt, dass die tatsächlichen Gegebenheiten bei einer überraschenden Betriebsveräußerung auch zu einer Begrenzung der weiter zu beschäftigenden Arbeitnehmer bzw. zu einer Änderung der Art ihrer Tätigkeit führen können. Anknüpfungspunkt ist dabei die Interessenabwägung, die im Rahmen von § 242 BGB durchzuführen ist3. So führt das BAG bereits in dem Urteil vom 27.2.19974 aus: „Einen Anspruch auf unveränderte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer allerdings nur, wenn unter Berücksichtigung des Einzelfalls seine schutzwerten Interessen wirklich das Interesse des Arbeitgebers überwiegen, es beim Ergebnis der Kündigung, also der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu belassen. Ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann anzunehmen sein, wenn der Arbeitgeber im Hinblick auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Kündigung bereits Dispositionen getroffen hat, etwa bei einer krankheitsbedingten Kündigung in gutem Glauben an die Wirksamkeit der Kündigung den Arbeitsplatz neu besetzt hat5. Ebenso kann bei einer im Kündigungszeitpunkt beabsichtigten Betriebsstilllegung die spätere Chance, den Betrieb zu veräußern, davon abhängen, dass der Erwerber den Kauf von der vorherigen Durchführung von Rationalisierungsmaßnahmen oder der Änderung der Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer abhängig macht. Dann wird es dem Arbeitgeber regelmäßig unzumutbar sein, den wirksam gekündigten Arbeitnehmern die Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses zumindest zu den bisherigen Arbeitsbedingungen anzubieten, denn ohne die Rationalisierung würde der Verkauf scheitern und es müsste deshalb zu der von Anfang an geplanten Betriebsstilllegung kommen. Insoweit kann es dem Arbeitgeber gegebenenfalls zumutbar sein, den Arbeitnehmern die Weiterbeschäftigung zu Arbeitsbedingungen anzubieten, unter denen ein Interessent zum Betriebserwerb bereit ist.“
1 BAG v. 12.11.1998 – 8 AZR 265/97, NZA 1999, 311, 313; BAG v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, NZARR 2009, 469, Rz. 33; LAG Rheinland-Pfalz v. 9.11.2006 – 11 Sa 400/06; Oberhofer, RdA 2006, 92, 94; LAG Baden-Württemberg v. 24.5.2018 – 17 Sa 105/17. 2 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357, Rz. 24; BAG v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, NZA-RR 2009, 469, Rz. 33. 3 So bereits LAG Köln v. 10.1.1989 – 12 Sa 860/88, LAGE § 611 BGB Einstellungsanspruch Nr. 1, S. 7 ff. 4 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757, 760. 5 Entsprechendes gilt in den Grenzen tarifwidrigen Verhaltens bei einer betriebsbedingten Kündigung (vgl. BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, RdA 2001, 243, 246 f. und BAG v. 4.5.2006 – 8 AZR 299/05, NZA 2006, 1096, Rz. 38).
Niklas | 703
17.227
§ 17 Rz. 17.228 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
17.228
Von diesen Grundsätzen ausgehend, können insbesondere zwischenzeitlich erfolgte anderweitige Dispositionen einem Wiedereinstellungsanspruch entgegenstehen, etwa wenn der Arbeitgeber den frei gewordenen Arbeitsplatz im Vertrauen auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses schon wieder mit einem anderen Arbeitnehmer besetzt hat1. Gleiches ist anzunehmen, wenn eine sich nach dem Ausspruch der Kündigung unerwartet ergebende Möglichkeit, den Betrieb zu veräußern, vom Erwerber davon abhängig gemacht wird, dass die Rationalisierungsmaßnahmen durchgeführt werden2. Ein Wiedereinstellungsanspruch wäre dem Arbeitgeber in diesen Fällen unzumutbar. Eine Ausnahme besteht aber dann, wenn der Arbeitgeber den erneuten Wegfall der in Betracht kommenden Beschäftigungsmöglichkeit treuwidrig, etwa durch anderweitige Besetzung des Arbeitsplatzes in Kenntnis des berechtigten Wiedereinstellungsanspruchs, herbeigeführt hat3. Dies folgt aus dem in § 162 BGB normierten allgemeinen Rechtsgedanken, nach dem niemand aus einem von ihm selbst treuwidrig herbeigeführten Ereignis Vorteile ziehen darf4. In diesem Fall kann der Arbeitgeber sogar zur Freikündigung eines Arbeitsplatzes gezwungen sein5.
17.229
Des Weiteren kann auch das Anforderungsprofil des neuen Arbeitsplatzes bei einer überraschenden Betriebsveräußerung einem Wiedereinstellungsanspruch entgegenstehen. Denn nur dann, wenn der Arbeitnehmer nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten in der Lage ist, die Tätigkeit auszuüben, kann die arbeitgeberseitige Fürsorgepflicht eine Wiedereinstellung rechtfertigen. Dabei unterliegt es grundsätzlich der freien unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers, das Anforderungsprofil für einen eingerichteten Arbeitsplatz festzulegen6. Die Entscheidung des Arbeitgebers, bestimmte Tätigkeiten nur von Arbeitnehmern mit bestimmten Qualifikationen ausführen zu lassen, ist von den Arbeitsgerichten jedenfalls dann zu respektieren, wenn die Qualifikationsmerkmale einen nachvollziehbaren Bezug zur Organisation der auszuführenden Arbeiten haben7. Denkbar ist allerdings, dass hier zumutbare Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen entsprechend § 1 Abs. 2 Satz 3 KSchG vorzunehmen sind8. Hinsichtlich des Umfangs solcher Maßnahmen ist auf den Zeitraum abzustellen, der zwischen dem Wegfall des Kündigungsgrunds und dem Ablauf der Kündigungsfrist liegt. Nicht mehr entscheidend ist, welche Zeitspanne zwischen dem Zugang der Kündigung und dem Ablauf der Kündigungsfrist zur Verfügung gestanden hätte.
17.230
Kein Wiedereinstellungsanspruch dürfte außerdem dann bestehen, wenn der freie Arbeitsplatz als hierarchisch übergeordnete Tätigkeit anzusehen ist und die Wiedereinstellung somit eine Beförderung zur Folge hätte. Denn auch der Wiedereinstellungsanspruch kann sich als erweiterter Bestandteil des Kündigungsschutzrechts nur auf einen Bestandsschutz bezie-
1 BAG v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, NZA 1998, 701, 703; BAG v. 4.5.2006 – 8 AZR 299/05, NZA 2006, 1096, Rz. 38; BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357, Rz. 35; HWK/Quecke, § 1 KSchG Rz. 83. 2 Linck/Krause/Bayreuther/Krause, § 1 KSchG Rz. 230. 3 BAG v. 4.5.2006 – 8 AZR 299/05, NZA 2006, 1096, Rz. 38; BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357, Rz. 35; Elz, Wiedereinstellungsanspruch, S. 126. 4 BAG v. 4.5.2006 – 8 AZR 299/05, NZA 2006, 1096, Rz. 38; BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357, Rz. 35. 5 APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 752. 6 BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 399/04, NZA 2006, 266, Rz. 32; BAG v. 4.5.2006 – 8 AZR 299/05, NZA 2006, 1096, Rz. 38; BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 546/16, AP Nr. 171 zu § 2 KSchG 1969, Rz. 23. 7 BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 399/04, NZA 2006, 266, Rz. 32; BAG v. 4.5.2006 – 8 AZR 299/05, NZA 2006, 1096, Rz. 38; BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 546/16, AP Nr. 171 zu § 2 KSchG 1969, Rz. 23. 8 Abl. Raab Anm. zu BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, RdA 2001, 243, 248, 251.
704 | Niklas
Wiedereinstellungs-/Fortsetzungsanspruch | Rz. 17.233 § 17
hen. Der Status quo, wie er im gekündigten Arbeitsverhältnis bestanden hat, kann auf diese Weise nicht verbessert werden.
VI. Unternehmensweiter Wiedereinstellungsanspruch Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers bezieht sich auf alle Arbeitsplätze, die beim übertragenden bzw. – nach dem Übergang des Betriebs oder Betriebsteils – beim übernehmenden Rechtsträger bestehen1. Insoweit sind die Maßstäbe anzulegen, wie sie in § 1 Abs. 2 KSchG im Hinblick auf die Möglichkeit einer betriebsbedingten Kündigung festgelegt sind (vgl. Rz. 17.33 ff.). Ein konzernbezogener Anspruch auf Wiedereinstellung besteht deshalb nicht. Ausnahmen sind allenfalls im gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen, der auch im Konzern gebildet werden kann, oder bei Fällen des Rechtsmissbrauchs denkbar2.
17.231
VII. Auswahlentscheidung unter Berücksichtigung der Sozialdaten Ist nach dem neuen Arbeitgeberkonzept keine Wiedereinstellung aller Arbeitnehmer möglich, deren Arbeitsverhältnis gekündigt wurde, muss eine Auswahlentscheidung getroffen werden. Dabei muss zwar keine Sozialauswahl analog § 1 Abs. 3 KSchG vorgenommen werden3. Das BAG hat allerdings zutreffend darauf hingewiesen, dass der Arbeitgeber selbst dann, wenn man keine entsprechende Anwendbarkeit von § 1 Abs. 3 KSchG zulässt, in seiner Auswahlentscheidung nicht völlig frei sei. Er ist vielmehr verpflichtet, soziale Belange der betroffenen Arbeitnehmer mit zu berücksichtigen. Die Auswahl sei deshalb jedenfalls entsprechend § 315 Abs. 1 BGB nach billigem Ermessen zu treffen und müsse, um nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu verstoßen, ohne einen Vorrang betrieblicher Interessen auch die sozialen Belange angemessen berücksichtigen4.
17.232
Einer solchen Anwendbarkeit von § 315 BGB im Hinblick auf die Auswahlentscheidung des Arbeitgebers ist zuzustimmen. Angesichts der langjährigen Diskussion über den Wiedereinstellungsanspruch würde eine analoge Anwendbarkeit von § 1 Abs. 3 KSchG das Erfordernis einer planwidrigen Regelungslücke missachten. Losgelöst hiervon ist eine Übertragung der in § 1 Abs. 3 KSchG enthaltenen Grundsätze der Sozialauswahl schon deshalb nicht ohne Weiteres möglich, da es beim Wiedereinstellungsanspruch – anders als bei § 1 Abs. 3 KSchG – nicht darum geht, wem gegenüber die einseitige rechtsgestaltende Kündigungserklärung abzugeben bzw. zu unterlassen ist, sondern mit welchem Arbeitnehmer ein Vertrag zu schließen ist. Dieser setzt nicht nur eine Willenserklärung des Arbeitgebers, sondern auch die des Arbeitnehmers voraus. Daher kommen für die Auswahlentscheidung grundsätzlich nur die Arbeitneh-
17.233
1 Vgl. LAG Köln v. 10.1.1989 – 4/2 Sa 860/88, LAGE § 611 BGB Einstellungsanspruch Nr. 1, S. 12; abl. Raab, RdA 2000, 147, 154, 156 f.; Raab, Anm. zu BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, RdA 2001, 243, 251. 2 LAG Köln v. 10.1.1989 – 4/2 Sa 860/88, LAGE § 611 BGB Einstellungsanspruch Nr. 1, S. 12 ff. 3 Vgl. BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 907/98, RdA 2000, 243, 247 m. insoweit zust. Anm. Raab, 252; BAG v. 4.5.2006 – 8 AZR 299/05, NZA 2006, 1096, Rz. 38; a.A. Hambitzer, NJW 1985, 2239, 2241 f.; Preis, Anm. zu LAG Köln v. 10.1.1989 – 4/2 Sa 860/88, LAGE § 611 Einstellungsanspruch Nr. 1, S. 31. 4 BAG v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, DB 1998, 1087 f.; BAG v. 4.5.2006 – 8 AZR 299/05, NZA 2006, 1096, Rz. 38; ebenso Bonanni/Niklas, DB 2010, 1826, 1827 f.; Krieger/Willemsen, NZA 2011, 1128, 1131; Raab, RdA 2000, 147, 157, 163, der allerdings bei einer Wiedereinstellung durch den übernehmenden Rechtsträger von einer Entscheidung im Rahmen „freien Ermessens“ ausgehen will.
Niklas | 705
§ 17 Rz. 17.233 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
mer in Betracht, die ihren Willen zur Wiedereinstellung bekundet haben1. Überdies lässt sich die Frage, ob aus der Interessenwahrungspflicht des Arbeitgebers die Verpflichtung zur Wiedereinstellung gerade eines bestimmten Arbeitnehmers folgt, nach Auffassung des 7. Senats nicht allein nach den Kriterien des § 1 Abs. 3 KSchG, sondern gemäß § 242 BGB nur unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls beantworten.
17.234
Aus Arbeitgebersicht ist Vorteil einer Auswahlentscheidung auf der Grundlage von §§ 242, 315 BGB, dass neben den in § 1 Abs. 3 KSchG genannten sozialen Aspekten auch unternehmensinterne Gesichtspunkte wie Einsatzmöglichkeiten und die Qualifikation der wieder einzustellenden Arbeitnehmer bei der Auswahlentscheidung berücksichtigt werden können2. Ferner wird man auch die Alters- und Leistungsstruktur des jeweils betroffenen Kreises der vergleichbaren Arbeitnehmer einbeziehen können.
17.235
Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Wegfalls des Grundes für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit anderen Mitarbeitern noch nicht gekündigt wurde, müssen allerdings nicht gekündigt werden, um eine Wiedereinstellung der ggf. sogar sozial schutzwürdigeren (gekündigten) Arbeitnehmer umzusetzen3.
VIII. Frist für die Geltendmachung der Wiedereinstellung 17.236
Ob ein Arbeitnehmer von seinem Recht auf Fortsetzung der Beschäftigung in Form des Wiedereinstellungsanspruchs Gebrauch macht, unterliegt der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit4. Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus Annahmeverzug kann deshalb nach Ablauf der Kündigungsfrist erst dann entstehen, wenn der Wiedereinstellungsanspruch beim bisherigen Arbeitgeber bzw. seinem Rechtsnachfolger geltend gemacht wurde (vgl. Rz. 9.129).
17.237
Mit überzeugender Begründung hat das BAG allerdings bereits in dem Urteil vom 12.11.19985 festgestellt, dass der Anspruch auf Wiedereinstellung bzw. Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht ohne zeitliche Schranke gegenüber den beteiligten Rechtsträgern geltend gemacht werden könne6. Ausgehend von der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung bestehenden Rechtslage vertrat der 8. Senat insoweit die Auffassung, dass der Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zwar noch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bzw. dem durch Aufhebungsvertrag oder Vergleich vereinbarten Vertragsende geltend gemacht werden könne. Damit waren mit Ausnahme des Zeitpunkts der Vertragsbeendigung keine Fristen zu beachten. In Übereinstimmung mit der früheren Rechtsprechung zur Ausübung des Widerspruchsrechts sollte der Arbeitnehmer indes in der Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verpflichtet sein, den Anspruch auf Wiedereinstellung bzw. Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unver-
1 BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097, 1101. 2 So bereits LAG Köln v. 10.1.1989 – 4/2 Sa 860/88, LAGE § 611 BGB Einstellungsanspruch Nr. 1, S. 10 f.; Meyer, BB 2000, 1032, 1035, und Strathmann, DB 2003, 2438, 2440, scheinen hingegen trotz einer Auswahlentscheidung nach § 315 BGB nur einen Rückgriff auf § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG für möglich zu halten. 3 BAG v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, DB 1998, 1087, 1088 f.; Boewer, NZA 1999, 1177, 1179; Günzel, DB 2000, 1227, 1228. 4 EuGH v. 16.12.1992 – C-132/91, 138/91 und 139/91, AP Nr. 97 zu § 613a BGB, Rz. 32; BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, DB 1998, 316, 317. 5 BAG v. 12.11.1998 – 8 AZR 265/97, NJW 1999, 1132, 1134. 6 Abw. Raab, RdA 2000, 147 ff., der einerseits nur auf den Gesichtspunkt der Verwirkung zurückgreifen (S. 154), andererseits aber die Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG anwenden will (S. 156).
706 | Niklas
Wiedereinstellungs-/Fortsetzungsanspruch | Rz. 17.238 § 17
züglich geltend zu machen, nachdem er vom Übergang des Betriebs- oder Betriebsteils Kenntnis erlangt hat. In der Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses sollte der Arbeitnehmer deshalb verpflichtet sein, die an den übernehmenden Rechtsträger gerichtete Erklärung hinsichtlich der Wiedereinstellung bzw. Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses innerhalb einer Frist von höchstens drei Wochen abzugeben. Insoweit wurde also auch hier an den Rechtsgedanken in §§ 4, 7 KSchG, § 17 TzBfG, § 113 Abs. 2 InsO a.F. angeknüpft1. In Fortführung dieser Rechtsprechung, aber unter Berücksichtigung der Änderungen in § 613a BGB zum 1.4.2002, hat der 8. Senat für den Wiedereinstellungsanspruch sowie das Fortsetzungsverlangen mit Blick auf § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB zwischenzeitlich wiederholt eine Erklärungsfrist von einem Monat nach Kenntniserlangung von den den Betriebs(teil-)übergang ausmachenden tatsächlichen Umständen festgelegt, da der Zweck des Bestandsschutzes Phasen vermeidbarer Ungewissheit über das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertige2. Von besonderer Bedeutung ist dabei der Umstand, dass das BAG für den Beginn der Monatsfrist hinsichtlich der Geltendmachung eines Fortsetzungsverlangens die gleichen Grundsätze zugrundelegt wie mit Blick auf einen möglichen Widerspruch. Werde – so der 8. Senat – gegen die Informationspflicht des § 613a Abs. 5 BGB dergestalt verstoßen, dass über einen erfolgenden oder bereits erfolgten Betriebs(teil-)übergang überhaupt nicht unterrichtet worden sei, so könne auch für ein Fortsetzungsverlangen eine Frist nicht zu laufen beginnen3. Auf die Frage, ob der Arbeitnehmer ggf. auf andere Weise Kenntnis von den erforderlichen Tatsachen erlangt hat, kommt es mithin nicht an. Ausgehend hiervon können Arbeitnehmer mitunter noch Monate oder gar Jahre später ein Fortsetzungsverlangen mit Erfolg geltend machen. Die Grenze ist in diesem Fall lediglich eine mögliche Verwirkung4. Voraussetzung hierfür ist, dass der von einem Betriebs(teil-)übergang betroffene Arbeitnehmer nicht nur über einen längeren Zeitraum hinweg dieses Fortsetzungsverlangen nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment). Erforderlich ist darüber hinaus, dass durch sein sonstiges Verhalten gegenüber dem Betriebsveräußerer oder -erwerber der Eindruck entsteht, dass auf seiner Seite kein Interesse an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erwerber besteht und deshalb das dort bestehende Vertrauen, ein Fortsetzungsverlangen werde nicht mehr erhoben, schutzwürdig ist (Umstandsmoment). Das Ziel, mit der Anwendung der Monatsfrist des § 613a BGB Phasen der Ungewissheit über das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zu vermeiden, wird damit in der Praxis jedenfalls verfehlt. Denn insbesondere Arbeitnehmer, die seitens des potenziellen Betriebserwerbers an sich nicht eingestellt werden sollten5, werden in der Regel nicht nach § 613a Abs. 5 BGB unterrichtet. Ob die Verknüpfung der Monatsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB mit der Unterrichtungspflicht des § 613a Abs. 5 BGB (vgl. Rz. 11.1 ff.) auch für einen Wiedereinstellungsanspruch gilt, wurde bislang – soweit ersichtlich – noch nicht gerichtlich entschieden. Allerdings sind keine Anhaltspunkte ersicht-
1 Vgl. Edenfeld, AuA 1998, 161, 165; Meyer, NZA 2000, 297, 301; Preis/Steffan, DB 1998, 309, 310; Schiefer, NZA 1998, 1095, 1099. 2 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357, Rz. 33; BAG v. 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29, Rz. 64; BAG v. 27.1.2011 – 8 AZR 326/09, NZA 2011, 1162, Rz. 36. 3 BAG v. 27.1.2011 – 8 AZR 326/09, NZA 2011, 1162, Rz. 37. 4 Vgl. BAG v. 27.1.2011 – 8 AZR 326/09, NZA 2011, 1162, Rz. 42, wonach ein Zeitraum von fünf Monaten mangels Verwirklichung des Umstandsmoments als nicht hinreichend für die Annahme der Verwirkung erachtet wurde. Nach BAG v. 28.2.2019 (8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279, Rz. 82) führt die bloße Weiterarbeit regelmäßig erst nach sieben Jahren zur Verwirklichung des Umstandsmoments. 5 Vgl. Preis/Steffan, DB 1998, 309, 311.
Niklas | 707
17.238
§ 17 Rz. 17.238 | Beendigung von ArbVerh – Betriebs(teil-)übergang/Umwandlung
lich, die eine von den Feststellungen des 8. Senats zum Fortsetzungsverlangen abweichende Einschätzung begründen könnten. Vielmehr liegt der Schluss nahe, dass auch im Falle des Wiedereinstellungsanspruchs nur eine ordnungsgemäße Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB die Monatsfrist für dessen Geltendmachung in Gang setzt1.
17.239
Zur Wahrung der Frist ist weder eine dem § 4 KSchG entsprechende Klageerhebung noch eine andere Prozesshandlung erforderlich, da auch das Widerspruchsrecht des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB lediglich eine schriftliche Geltendmachung verlangt2. Sofern das LAG Hamm ein persönliches Vorsprechen beim Arbeitgeber zur Einhaltung der Frist für geboten hält3, kann dies allein auf praktischen Erwägungen beruhen. Wird die Wiedereinstellung nur klageweise geltend gemacht, erfolgt die Zustellung der Klage aber nach Ablauf der Monatsfrist, ist der Anspruch – eine ordnungsgemäße Unterrichtung i.S.d. § 613a Abs. 5 BGB vorausgesetzt – untergegangen. § 167 ZPO findet keine Anwendung4.
IX. Vereinbarung eines Wiedereinstellungsanspruchs 17.240
Nicht selten enthalten Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen Regelungen, nach denen Arbeitnehmer einen Anspruch auf Abschluss eines Arbeitsvertrags gegenüber dem übertragenden Rechtsträger haben, wenn eine Beschäftigung aus betrieblichen Gründen bei dem übernehmenden Rechtsträger nicht (mehr) möglich ist. Wie das BAG zuletzt in der Entscheidung vom 24.4.20135 festgestellt hat, verstößt die Regelung einer solchen Wiedereinstellungszusage in einer Betriebsvereinbarung nicht gegen kollektivrechtliche Vorschriften, insbesondere nicht gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall hatten der Arbeitgeber und der bei ihm bestehende Betriebsrat anlässlich einer Ausgliederung eines Betriebsteils auf eine Konzerntochter eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, welche u. a. folgende Regelung vorsah: „Die B-AG garantiert den am 1.1.1987 in die neue Gesellschaft überwechselnden Mitarbeitern ein Rückkehrrecht auf einen adäquaten Arbeitsplatz in der B-AG, sofern eine Weiterbeschäftigung innerhalb der neuen Gesellschaft aus betrieblichen Gründen nicht mehr möglich ist.“
17.241
Nach der Entscheidung des 7. Senats war die Wiedereinstellungszusage dahingehend auszulegen, dass der Wiedereinstellungsanspruch weder unter dem (ungeschriebenen) Vorbehalt der Zugehörigkeit der Erwerbergesellschaft zum Konzernverbund der veräußernden Gesellschaft (B-AG) stehe noch mit dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf ein anderes Unternehmen erlösche. Vielmehr werde – so der 7. Senat – das Rückkehrrecht durch den Übergang eines Betriebs bzw. Betriebsteils weder ausgelöst noch gehe es dadurch verloren. Dies gelte jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer der Überleitung seines Arbeitsverhältnisses nicht widerspreche6. Vor diesem Hintergrund ist es in der betrieblichen Praxis von besonderer Wichtigkeit, Wiedereinstellungszusagen so konkret zu fassen bzw. inhaltlich und zeitlich zu begrenzen, dass mitunter Jahrzehnte später erfolgende Inanspruchnahmen vermieden werden können.
1 So auch Krieger/Willemsen, NZA 2011, 1128, 1132. 2 Bonanni/Niklas, DB 2010, 1826, 1828; Oberhofer, RdA 2006, 92, 97; Worzalla, NZA 2002, 353, 356 f.; a.A. Strathmann, DB 2003, 2438, 2441. 3 LAG Hamm v. 11.5.2000 – 4 Sa 1469/99, BB 2000, 1630. 4 Vgl. noch zur Vorgängerregelung des § 270 Abs. 3 ZPO LAG Hamm v. 11.5.2000 – 4 Sa 1469/99. 5 BAG v. 24.4.2013 – 7 AZR 523/11, NZA-RR 2014, 532, Rz. 22 ff. 6 BAG v. 24.4.2013 – 7 AZR 523/11, NZA-RR 2014, 532, Rz. 34 ff.
708 | Niklas
Änderung von Arbeitsverträgen bei Betriebsübergang/Umwandlung | § 18
X. Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats Ob der Betriebsrat nach § 99 BetrVG wegen einer Einstellung zu beteiligen ist, wenn der Arbeitnehmer eine Wiedereinstellung bzw. Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses geltend macht, wird unterschiedlich bewertet1. Richtigerweise dürfte darauf abzustellen sein, ob dem Arbeitgeber hinsichtlich des Einsatzes des Arbeitnehmers ein Entscheidungsspielraum zukommt. Ist dies der Fall, liegt eine Einstellung i.S.d. § 99 BetrVG vor, mit der Folge, dass der Betriebsrat zu beteiligen ist2.
17.242
XI. Lohn- und Gehaltsfortzahlungsansprüche der betroffenen Arbeitnehmer Im Hinblick auf die Frage, ob die Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Wiedereinstellung auch Lohn- und Gehaltsansprüche für die Zeit zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses beim übertragenden Rechtsträger und der Wiedereinstellung durch den übernehmenden Rechtsträger geltend machen können, wird auf die allgemeinen Ausführungen zum Annahmeverzug an anderer Stelle hingewiesen (vgl. Rz. 9.127 ff.). Hier macht sich dann auch bemerkbar, dass bereits kraft Gesetzes eine Verpflichtung der beteiligten Rechtsträger zur Unterrichtung über den Betriebs(teil-)übergang bzw. die Umwandlung besteht (§ 613a Abs. 5 BGB, § 324 UmwG)3.
§ 18 Änderung von Arbeitsverträgen im Zusammenhang mit Betriebsübergang/Umwandlung
A. Änderung des Arbeitsverhältnisses . B. Änderung des Arbeitsvertrags durch Änderungskündigung I. Grundsatz: Keine Kündigung wegen des Übergangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Änderung individualrechtlicher Regelungen aus sonstigen Gründen . . . III. Änderung kollektivrechtlicher Regelungen aus sonstigen Gründen . . .
18.1
18.2 18.4
1. Änderungen in der Ein-JahresFrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.6 2. Änderungen nach Ablauf der Ein-Jahres-Frist . . . . . . . . . . . . . . 18.9 C. Einvernehmliche Änderung des Arbeitsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.16 D. Änderung einzelvertraglicher Abreden durch Betriebsvereinbarung . . . 18.27
18.5
Schrifttum: Annuß, Der Betriebsübergang in der Insolvenz – § 613a BGB als Sanierungshindernis, ZInsO 2001, 49; Bachner, Der Betriebsübergang nach § 613a BGB, AiB 1996, 291; Bauer, Beendigung von Arbeitsverhältnissen beim Betriebsübergang, DB 1983, 713; Bauer/Günther, Kurzarbeit zur Kri1 Abl. Beckschulze, DB 1998, 417, 420 f.; z.B. Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 758; Furier, AiB 1999, 246, 249; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 745; Langer, NZA 1991 Beil. 3, S. 23, 29. 2 So auch BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 580/99, NZA 2001, 893, 895 f.; Fitting, § 99 BetrVG, Rz. 46 ff. 3 Zur früheren Rechtslage im Zusammenhang mit dem Wiedereinstellungsanspruch vgl. Oetker, ZIP 2000, 1786, 1788 f.; Raab, Anm. zu BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, RdA 2001, 243, 248, 251 f.
Niklas | 709
17.243
Änderung von Arbeitsverträgen bei Betriebsübergang/Umwandlung | § 18
X. Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats Ob der Betriebsrat nach § 99 BetrVG wegen einer Einstellung zu beteiligen ist, wenn der Arbeitnehmer eine Wiedereinstellung bzw. Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses geltend macht, wird unterschiedlich bewertet1. Richtigerweise dürfte darauf abzustellen sein, ob dem Arbeitgeber hinsichtlich des Einsatzes des Arbeitnehmers ein Entscheidungsspielraum zukommt. Ist dies der Fall, liegt eine Einstellung i.S.d. § 99 BetrVG vor, mit der Folge, dass der Betriebsrat zu beteiligen ist2.
17.242
XI. Lohn- und Gehaltsfortzahlungsansprüche der betroffenen Arbeitnehmer Im Hinblick auf die Frage, ob die Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Wiedereinstellung auch Lohn- und Gehaltsansprüche für die Zeit zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses beim übertragenden Rechtsträger und der Wiedereinstellung durch den übernehmenden Rechtsträger geltend machen können, wird auf die allgemeinen Ausführungen zum Annahmeverzug an anderer Stelle hingewiesen (vgl. Rz. 9.127 ff.). Hier macht sich dann auch bemerkbar, dass bereits kraft Gesetzes eine Verpflichtung der beteiligten Rechtsträger zur Unterrichtung über den Betriebs(teil-)übergang bzw. die Umwandlung besteht (§ 613a Abs. 5 BGB, § 324 UmwG)3.
§ 18 Änderung von Arbeitsverträgen im Zusammenhang mit Betriebsübergang/Umwandlung
A. Änderung des Arbeitsverhältnisses . B. Änderung des Arbeitsvertrags durch Änderungskündigung I. Grundsatz: Keine Kündigung wegen des Übergangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Änderung individualrechtlicher Regelungen aus sonstigen Gründen . . . III. Änderung kollektivrechtlicher Regelungen aus sonstigen Gründen . . .
18.1
18.2 18.4
1. Änderungen in der Ein-JahresFrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.6 2. Änderungen nach Ablauf der Ein-Jahres-Frist . . . . . . . . . . . . . . 18.9 C. Einvernehmliche Änderung des Arbeitsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.16 D. Änderung einzelvertraglicher Abreden durch Betriebsvereinbarung . . . 18.27
18.5
Schrifttum: Annuß, Der Betriebsübergang in der Insolvenz – § 613a BGB als Sanierungshindernis, ZInsO 2001, 49; Bachner, Der Betriebsübergang nach § 613a BGB, AiB 1996, 291; Bauer, Beendigung von Arbeitsverhältnissen beim Betriebsübergang, DB 1983, 713; Bauer/Günther, Kurzarbeit zur Kri1 Abl. Beckschulze, DB 1998, 417, 420 f.; z.B. Bram/Rühl, NZA 1990, 753, 758; Furier, AiB 1999, 246, 249; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rz. 745; Langer, NZA 1991 Beil. 3, S. 23, 29. 2 So auch BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 580/99, NZA 2001, 893, 895 f.; Fitting, § 99 BetrVG, Rz. 46 ff. 3 Zur früheren Rechtslage im Zusammenhang mit dem Wiedereinstellungsanspruch vgl. Oetker, ZIP 2000, 1786, 1788 f.; Raab, Anm. zu BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, RdA 2001, 243, 248, 251 f.
Niklas | 709
17.243
§ 18 Rz. 18.1 | Änderung von Arbeitsverträgen bei Betriebsübergang/Umwandlung senbewältigung – Einführung durch Änderungskündigung?, NZA 2020, 419; Bayreuther, Möglichkeiten und Grenzen der Änderung von Arbeitsbedingungen, NZA 2019, 735; Bunte, Nichtigkeit eines Erlassvertrages zur Umgehung der Rechtsfolgen des § 613a I 1 BGB, NZA 2010, 319; Creutzfeld, Die konkludente Vereinbarung einer „Betriebsvereinbarungsoffenheit“ von Arbeitsverträgen, NZA 2018, 1111; Dzida/Wagner, Vertragsänderungen nach Betriebsübergang, NZA 2008, 571; Feudner, Deutsches Arbeitsrecht und Standort Deutschland – Zum Schutzzweck des § 613a BGB, DB 1996, 830; Fischer, Annahmeverzug bei Ablehnung einer Änderungskündigung und Widerspruch gegen einen Betriebsübergang, Festschrift für Wolfgang Hromadka, 2008, S. 83; Fröhlich, Harmonisierung von Arbeitsbedingungen nach Betriebsübergang, ArbRB 2012, 317; Fuchs, Betriebliche Sozialleistungen beim Betriebsübergang: Unter besonderer Berücksichtigung unternehmensspezifischer Sozialleistungen, 2000 (zugl. Diss. Freiburg/Breisgau 1999); B. Gaul, Gestaltungsspielraum bei Sozialplanabfindungen, DB 1998, 1513; Greiner, Zur Unwirksamkeit eines im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang abgeschlossenen Erlassvertrages, EWiR 2009, 709; Hanau, Perversion und Prävention bei § 613a BGB, ZIP 1998, 1817; Hertzfeld, Gleiches gleich – Hindernisse bei der Harmonisierung von Arbeitsbedingungen (insbesondere nach Betriebsübergängen), NZA-RR 2010, 169; Hoffmann/Köllmann, Die „betriebsvereinbarungsoffene“ Vertragsgestaltung – Grenzen kollektiver Einflussnahme auf individualvertragliche Regelungen, NJW 2019, 3545; Hromadka, Möglichkeiten und Grenzen der Änderungskündigung, NZA 1996, 1; Hüper, Der Betrieb im Unternehmerzugriff – Arbeitnehmerinteresse und Mitbestimmung bei Betriebsübergang, Betriebsaufspaltung und Betriebsparzellierung, 1986; Jacobs, Fortgeltung und Änderungen von Tarif- und Arbeitsbedingungen bei der Umstrukturierung von Unternehmen, NZA 2009, 45; Jung, Die Weitergeltung kollektivvertraglicher Regelungen (Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen) bei einem Betriebsinhaberwechsel, RdA 1981, 360; Kania, Tarifeinheit bei Betriebsübergang?, DB 1994, 529; Kleinebrink, In der Krise: Arbeitsrechtliche Möglichkeiten zur Verringerung des Volumens der Arbeitszeit, DB 2009, 342; Kraft, Betriebsübergang und Arbeitsverhältnis in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, Festschrift 25 Jahre BAG, 1979, S. 299; Kraus, Reaktionsmöglichkeiten des öffentlichen Arbeitgebers bei betriebsbedingtem Änderungsbedarf in bestehenden Arbeitsverhältnissen, öAT 2019, 136; Krause, Die Änderungskündigung zum Zweck der Entgeltreduzierung, DB 1975, 574; Kreitner, Kündigungsschutzrechtliche Probleme beim Betriebsinhaberwechsel, 1989 (zugl. Diss. Köln 1989); Krieger/Arnold/Zeh, Betriebsvereinbarungsoffene Arbeitsverträge – Gestaltungsmöglichkeiten und Grenzen in der Praxis, NZA 2020, 81; Löwisch, Die Änderung von Arbeitsbedingungen auf individualrechtlichem Wege, insbesondere durch Änderungskündigung, NZA 1988, 633; Meyer, Arbeitsvertragsänderungen bei Betriebsübergang, NZA 2002, 246; Meyer, Erlassvertrag bei Betriebsübergang, SAE 2010, 105; Moll, Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers nach einem Betriebsübergang, NJW 1993, 2016; Moll, Kollektivvertragliche Arbeitsbedingungen nach einem Betriebsübergang, RdA 1996, 275; Niklas, Abänderung einzelvertraglicher Regelungen durch Betriebsvereinbarung – Ein Überblick über die aktuelle Rechtsprechungsentwicklung, ArbRB 2019, 179; Pohr, Ablösung, Änderung, Anpassung – Die Möglichkeiten des Erwerbers zur Schaffung einheitlicher Arbeitsbedingungen nach einem Betriebsübergang, 2014 (zugl. Diss. Tübingen 2014); Schaub, Rechtsprobleme des Betriebsüberganges, ZIP 1984, 272; Schiefer/Worzalla, Betriebsübergang (§ 613a BGB) – Fragen über Fragen, DB 2008, 1566; Ubber/Massig, Die Betriebsvereinbarungsoffenheit Allgemeiner Geschäftsbedingungen – ein Ausweg aus der „Ewigkeitsbindung“ durch Bezugnahmeklauseln?, BB 2017, 2230; Vossen, Die betriebsbedingte Kündigung durch den bisherigen Arbeitgeber aus Anlass des Betriebsübergangs, BB 1984, 1557; Wickler, Die Arbeitgeberkündigung beim rechtsgeschäftlichen Betriebsinhaberwechsel – Zur Problematik des § 613a Abs. 4 BGB, 1985; Willemsen, Europäisches und deutsches Arbeitsrecht im Widerstreit? Aktuelle „Baustellen“ im Recht des Betriebsübergangs, NZABeil. 2008, 155.
A. Änderung des Arbeitsverhältnisses 18.1
Im Anschluss an die Beendigung von Arbeitsverhältnissen soll nachfolgend aufgezeigt werden, unter welchen Voraussetzungen – einseitig oder einvernehmlich – eine Änderung von Arbeits-
710 | Niklas
Änderung des Arbeitsvertrags durch Änderungskündigung | Rz. 18.4 § 18
verhältnissen im Zusammenhang mit dem Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils im Wege der Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge möglich ist.
B. Änderung des Arbeitsvertrags durch Änderungskündigung I. Grundsatz: Keine Kündigung wegen des Übergangs Gemäß § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB, § 324 UmwG ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den übertragenden oder übernehmenden Rechtsträger wegen der Umwandlung bzw. des Übergangs eines Betriebs oder Betriebsteils unwirksam. § 613a Abs. 4 BGB verwendet – wie § 102 BetrVG – den Begriff „Kündigung“, sodass das Verbot auch die Änderungskündigung als zu qualifizierende Beendigungskündigung mit Fortsetzungsangebot erfasst1. Hierfür spricht neben dem Wortlaut auch der systematische Zusammenhang, in dem die Beendigung und Änderung von Arbeitsverhältnissen in Art. 4, 5 Richtlinie 2001/23/EG geregelt sind. Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 77/187/EWG, der dem heutigen Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2001/23/EG entspricht, war Grundlage der Einfügung von § 613a Abs. 4 BGB im Jahr 1980. Damit darf also auch die Änderung von Arbeitsbedingungen durch Kündigung nicht mit der Umwandlung bzw. dem Übergang eines Betriebs- oder Betriebsteils begründet werden2.
18.2
Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Änderungskündigung wegen des Übergangs bestimmen sich nach den bereits an anderer Stelle dargelegten Kriterien (vgl. Rz. 17.7 ff.). Unberührt hiervon bleibt das Recht zur Änderungskündigung aus anderen Gründen. Soweit das KSchG anwendbar ist, bedarf es damit einer sozialen Rechtfertigung gemäß §§ 1, 2 KSchG3. Daneben sind der besondere Kündigungsschutz einzelner Personengruppen, die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG und – sofern erforderlich – der Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX sowie etwaige Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei Änderungen im Bereich der sozialen Mitbestimmung aus § 87 BetrVG (z.B. Arbeitszeit, Arbeitsentgelt)4 zu beachten. Bei einer Spaltung oder Teilübertragung nach dem Dritten und Vierten Buch des UmwG ist ergänzend der besondere Schutz der kündigungsrechtlichen Stellung des Arbeitnehmers aus §§ 322, 323 Abs. 1 UmwG zu berücksichtigen (vgl. hierzu Rz. 17.92 ff.; 17.125 ff.).
18.3
II. Änderung individualrechtlicher Regelungen aus sonstigen Gründen Die vorstehend dargelegten Grundsätze zur Wirksamkeit einer Änderungskündigung gelten uneingeschränkt für individualrechtliche Ansprüche, die gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Rechtsnachfolger übergegangen sind. Insbesondere findet die einjährige Änderungssperre des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB keine Anwendung.
1 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 153; KR/Treber, § 613a BGB Rz. 87; WHSS/Willemsen/Sittard, Umstrukturierung, H Rz. 91. 2 Vgl. EuGH v. 12.11.1992 – C-209/91, NZA 1995, 475 (LS); BAG v. 13.6.1986 – 7 AZR 623/84, DB 1987, 335; D. Gaul, Betriebsübergang, S. 139; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 309; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 187 f.; KR/Treber, § 613a BGB Rz. 87. 3 Vgl. B. Gaul, DB 1998, 1913 ff. im Hinblick auf Änderungen von Arbeitszeit und Arbeitsentgelt; WHSS/Willemsen/Sittard, Umstrukturierung, H Rz. 91. 4 Vgl. BAG v. 17.6.1998 – 2 AZR 336/97, NZA 1998, 1225, 1229; LAG Berlin-Brandenburg v. 21.5.2010 – 13 Sa 407/10.
Niklas | 711
18.4
§ 18 Rz. 18.5 | Änderung von Arbeitsverträgen bei Betriebsübergang/Umwandlung
III. Änderung kollektivrechtlicher Regelungen aus sonstigen Gründen 18.5
Mit Blick auf die besonderen Bestimmungen zur Fortgeltung kollektivrechtlicher Regelungen in § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB kann der vorstehende Grundsatz zur Zulässigkeit von Änderungskündigungen in diesem Bereich nur eingeschränkt Geltung beanspruchen.
1. Änderungen in der Ein-Jahres-Frist 18.6
Uneingeschränkt unzulässig sind Änderungskündigungen zum Nachteil der Arbeitnehmer zunächst einmal während der Dauer der (transformierten) Fortgeltung von Kollektivvereinbarungen nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, regelmäßig also ein Jahr nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses1. Hierfür spricht, dass nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB Rechte und Pflichten, die bis zur Betriebsspaltung oder dem Betriebszusammenschluss bzw. dem Übergang des Arbeitsverhältnisses durch Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag geregelt waren, für die Dauer eines Jahres nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer geändert werden können. Eine Ablösung bzw. Abänderung ist hier – wie an anderer Stelle erörtert (vgl. Rz. 18.27 ff.; Rz. 21.61 ff.; Rz. 22.88 ff.) – nur durch Kollektivvereinbarung oder Bezugnahme auf eine solche Kollektivvereinbarung möglich (§ 613a Abs. 1 Satz 3, 4 BGB). Von diesem Wortlaut der Regelung ausgehend schränkt § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB auch die Befugnis ein, individualrechtlich fortgeltende Ansprüche aus früheren Kollektivvereinbarungen einseitig abzuändern. Für eine solche Auslegung und die damit verbundene Einschränkung für die Dauer eines Jahres spricht zudem, dass auf diese Weise das in § 4 Abs. 3 TVG normierte und auch im Zusammenhang mit § 77 Abs. 4 BetrVG zu beachtende Günstigkeitsprinzip für die Dauer eines Jahres gesichert bleibt. Denn auch bei einer kollektivrechtlichen Fortgeltung der Ansprüche wäre es dem Arbeitgeber verwehrt geblieben, hier zum Nachteil der Arbeitnehmer Änderungen herbeizuführen. Dies gilt auch dann, wenn Änderungen zwischen Arbeitnehmer und übernehmendem Rechtsträger beschlossen werden.
18.7
Entscheidend für die Unzulässigkeit des Ausspruchs einer Änderungskündigung während der Dauer der Fortgeltung von Kollektivvereinbarungen nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ist allerdings nicht der Tag des Zugangs der Änderungskündigung. Vielmehr begründet § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nur eine materielle Einschränkung dahingehend, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen auf der Grundlage der Änderungskündigung erst nach Ablauf der Ein-JahresFrist eintritt. Unter Berücksichtigung der Dauer der individuellen Kündigungsfrist kann eine Kündigung – wenn die allgemeinen Voraussetzungen erfüllt sind – damit auch schon während der Ein-Jahres-Frist ausgesprochen werden2.
18.8
Ausnahmsweise ist bei kollektivrechtlichen Ansprüchen, die nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses fortgelten, bereits vor Ablauf der Ein-Jahres-Frist durch Vereinbarung oder Änderungskündigung eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen durchsetzbar, wenn der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung vor Ablauf der Frist beendet würde (§ 613a Abs. 1 Satz 4 Var. 1 BGB). Unerheblich ist, auf welche Weise diese Been1 So auch APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 128; WHSS/Willemsen/Sittard, Umstrukturierung, H Rz. 91; Wickler, Arbeitgeberkündigung beim Betriebsinhaberwechsel, S. 109 f.; i.E. ebenso ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 119; Fröhlich, ArbRB 2012, 317, 318; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 136. 2 Vgl. Bauer, Unternehmensveräußerung, S. 108; Jung, RdA 1981, 360, 363; in Bezug auf Änderungsvereinbarungen: HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 267; abl. Hüper, Betrieb im Unternehmerzugriff, S. 65 f., der auf den Zugang der Kündigung abstellt, und MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 136, jedoch ohne weitere Begründung; krit. auch Bepler, RdA 2009, 65, 69.
712 | Niklas
Änderung des Arbeitsvertrags durch Änderungskündigung | Rz. 18.11 § 18
digung herbeigeführt wird (z.B. Befristung, Kündigung). Ungeachtet der Ein-Jahres-Frist sind Änderungen schließlich auch dann einvernehmlich oder durch Kündigung durchsetzbar, wenn die Kollektivvereinbarung bereits im Nachwirkungsstadium (§ 77 Abs. 6 BetrVG, § 4 Abs. 5 TVG) übergeht1.
2. Änderungen nach Ablauf der Ein-Jahres-Frist Ohne Rücksicht darauf, ob der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung auch über die Dauer eines Jahres hinaus fortgegolten hätten, hat der Gesetzgeber das Verbot ungünstigerer Vereinbarungen aus § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB entsprechend Art. 3 Abs. 3 Richtlinie 2001/23/EG (früher: Art. 3 Abs. 2 Richtlinie 77/187/EWG) auf die Dauer eines Jahres begrenzt. Nach Ablauf der Ein-Jahres-Frist können damit, wenn die allgemeinen Grundsätze zur Wirksamkeit einer Änderungskündigung beachtet werden, Arbeitsbedingungen auch gegen den Willen der Arbeitnehmer durch den übernehmenden Rechtsträger geändert werden. Sofern individuelle Kündigungsfristen die Jahresfrist übersteigen, ist auch der übertragende Rechtsträger zur Kündigung berechtigt. Entsprechend den Überlegungen zu Beendigungskündigungen, die im Hinblick auf Maßnahmen dargelegt wurden, die erst der übernehmende Rechtsträger im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses beabsichtigt (vgl. Rz. 17.35 ff.), kann der übertragende Rechtsträger der Prognose beim Ausspruch der Kündigung nämlich auch die Gegebenheiten beim übernehmenden Rechtsträger zugrunde legen. Eine Sperrwirkung hinsichtlich der individualrechtlichen Änderung von Arbeitsbedingungen kann sich nach Ablauf der Ein-Jahres-Frist aus den früheren Regelungen eines Tarifvertrags und einer Betriebsvereinbarung nur dann ergeben, wenn diese – entsprechend § 613a Abs. 3 BGB – durch neue Kollektivvereinbarungen beim übernehmenden Rechtsträger abgelöst wurden. Denn hier gilt wieder das in § 4 Abs. 3 TVG normierte bzw. auch im Zusammenhang mit § 77 Abs. 4 BetrVG zu beachtende Günstigkeitsprinzip.
18.9
Jede Änderungskündigung bedarf eines anzuerkennenden Anlasses. Bei einer Änderungskündigung zum Zwecke der Herabsetzung der Arbeitszeit genügt es, wenn eine unternehmerische Entscheidung getroffen wurde, kraft derer die vorhandene Arbeit zur Vermeidung von Beendigungskündigungen im Rahmen einer verminderten Arbeitszeit verrichtet werden soll. Eine solche Entscheidung des Arbeitgebers zur Errichtung von Teilzeitarbeitsplätzen kann nach Maßgabe der Rechtsprechung nur darauf überprüft werden, ob sie offenbar unvernünftig oder willkürlich ist2.
18.10
Eine Änderungskündigung mit dem Ziel einer Entgeltreduzierung setzt demgegenüber entsprechend den allgemeinen Grundsätzen3 voraus, dass die Unrentabilität bei unveränderter Vergütung zur Stilllegung des Betriebs oder eines Betriebsteils führen würde und andere Maßnahmen zur Kostenreduzierung nicht zur Verfügung stehen4. Der Arbeitgeber muss insoweit einen umfassenden Sanierungsplan erstellen, der alle gegenüber der Änderungskündigung
18.11
1 APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 130; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 121; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 252; Jacobs, NZA 2009, 45, 49. 2 BAG v. 24.4.1997 – 2 AZR 352/96, NZA 1997, 1047, 1048; BAG v. 3.12.1998 – 2 AZR 341/98, NZA 1999, 431, 433; BAG v. 22.4.2004 – 2 AZR 385/03, NZA 2004, 1158, 1159; BAG v. 26.11.2009 – 2 AZR 658/08, NJOZ 2010, 1533 Rz. 18; BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 546/16, NZA 2017, 905 Rz. 23; LAG Hamm v. 22.3.1996 – 10 Sa 141/95, LAGE § 2 KSchG Nr. 19, S. 8. 3 Vgl. hierzu B. Gaul, DB 1998, 1913 ff. 4 BAG v. 26.6.2008 – 2 AZR 139/07, NZA 2008, 1182 Rz. 19; BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 396/12, NZA 2013, 1409 Rz. 31; KR/Kreft, § 2 KSchG Rz. 178.
Niklas | 713
§ 18 Rz. 18.11 | Änderung von Arbeitsverträgen bei Betriebsübergang/Umwandlung
milderen Mittel ausschöpft. In diesem Rahmen sind die Finanzlage des Betriebs, der Anteil der Personalkosten, die Auswirkung der erstrebten Kostensenkung für den Betrieb oder Betriebsteil und für die Arbeitnehmer darzustellen und zu verdeutlichen, warum andere Maßnahmen nicht in Betracht kommen1. Mit Blick auf die gebotene Dringlichkeit muss insbesondere geprüft werden, ob eine Kosteneinsparung nicht auch durch Kurzarbeit, den Abbau von Überstunden oder die verminderte Beschäftigung von Leiharbeitnehmern erreicht werden kann2. Wird erkennbar, dass das Kosteneinsparungskonzept den Verlust eines Unternehmens in einen Gewinn des Unternehmens verkehrt, ist die Änderungskündigung zur Absenkung der Personalkosten unwirksam, da in diesem Fall die beabsichtigten Einschnitte nicht erforderlich sind3. Den Arbeitsgerichten ist es insoweit verwehrt, nachzubessern und das Einsparpotenzial anders zu verteilen. Insbesondere können die Arbeitsgerichte, selbst wenn es rechnerisch denkbar wäre, keine anteilige Reduzierung der vom Arbeitgeber vorgenommenen Entgeltkürzung vornehmen. Es liegt nämlich nicht in der Kompetenz der Gerichte, dem Arbeitgeber die Art und Weise der Kostenersparnis vorzuschreiben4. Nicht erforderlich ist, dass das Unternehmen allein durch die Entgeltkürzung saniert wird, doch muss die Anpassung auf die Sanierung abzielen und der Betrieb sanierungsfähig sein5. Wird ein Betriebsteil auf einen anderen Rechtsträger übertragen und in einen bereits beim übernehmenden Rechtsträger bestehenden Betrieb eingegliedert, ist auf die wirtschaftliche Situation im gesamten Betrieb abzustellen6. Schließlich wäre es sonst möglich, durch die Bildung immer kleinerer Einheiten stets die wirtschaftlichen Voraussetzungen einer betriebsbedingten Änderungskündigung herbeizuführen. Eine Ausnahme von dem Gebot einer Gesamtbetrachtung gilt nur dann, wenn der übernommene Betriebsteil anderenfalls geschlossen würde und andere Maßnahmen der Kosteneinsparung – bezogen auf den übernehmenden Rechtsträger – nicht möglich sind. Der Entschluss, die Vergütung zu senken, ist dabei für sich genommen noch keine der gerichtlichen Überprüfung entzogene unternehmerische Entscheidung7. Vielmehr ist dies erst dann der Fall, wenn der Arbeitgeber aufgrund des Motivs, Lohnkosten einzusparen, konkrete Maßnahmen im betrieblichen Bereich beschließt8.
18.12
Auch das Ziel einer Vereinheitlichung des Vergütungsgefüges beim übernehmenden Rechtsträger rechtfertigt aus sich heraus noch keine Herabsetzung des Arbeitsentgelts. Denn es handelt sich letztlich nur um den Wunsch, die Vergütung zu senken. Es fehlt mithin an einer unternehmerischen Entscheidung, deren Umsetzung die Entgeltminderung bedingt9. Insbeson1 BAG v. 26.6.2008 – 2 AZR 138/07, NZA 2008, 1182 Rz. 20; BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 396/12, NZA 2013, 1409 Rz. 31; LAG Köln v. 12.6.2014 – 7 Sa 997/13. 2 Vgl. BAG v. 11.10.1989 – 2 AZR 61/89, NZA 1990, 607, 608; LAG Köln v. 12.10.1995 – 5 Sa 749/ 95, NZA-RR 1996, 327, 328; Hromadka, NZA 1996, 1, 7, 10, 13; KR/Kreft, § 2 KSchG Rz. 180. 3 BAG v. 12.12.1996 – 2 AZR 879/95, EzA § 2 KSchG Nr. 32, S. 7 f. 4 BAG v. 9.5.1996 – 2 AZR 438/95, NZA 1996, 1145, 1150; BAG v. 12.12.1996 – 2 AZR 879/95, EzA § 2 KSchG Nr. 32, S. 7 f.; Schrader/Schubert, NZA-RR 2004, 393, 395. 5 Hromadka, NZA 1996, 1, 10; Nerlich/Römermann/Hamacher, § 113 InsO Rz. 167. 6 Vgl. BAG v. 11.10.1989 – 2 AZR 61/89, AP Nr. 47 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Bl. 3; LAG Berlin v. 30.6.1997 – 9 Sa 56/97, LAGE § 2 KSchG Nr. 27, S. 3; allgemein: APS/Künzl, § 2 KSchG Rz. 260; KR/Kreft, § 2 KSchG Rz. 179. 7 Vgl. BAG v. 20.3.1986 – 2 AZR 294/85, NZA 1986, 824, 825; LAG Baden-Württemberg v. 24.4.1995 – 15 Sa 162/94; LAG Rheinland-Pfalz v. 30.6.2010 – 7 Sa 48/10; KR/Kreft, § 2 KSchG Rz. 180; Nerlich/Römermann/Hamacher, § 113 InsO Rz. 166. 8 BAG v. 20.3.1986 – 2 AZR 294/85, NZA 1986, 824, 825; LAG Baden-Württemberg v. 24.4.1995 – 15 Sa 162/94; LAG Rheinland-Pfalz v. 30.6.2010 – 7 Sa 48/10. 9 LAG Köln v. 9.8.1996 – 11 Sa 483/96; vgl. BAG v. 8.10.2009 – 2 AZR 235/08, NZA 2010, 465 Rz. 27; BAG v. 29.9.2011 – 2 AZR 523/10, NZA 2012, 628 Rz. 40.
714 | Niklas
Änderung des Arbeitsvertrags durch Änderungskündigung | Rz. 18.15 § 18
dere der Gleichbehandlungsgrundsatz rechtfertigt auch im Zusammenhang mit § 613a BGB keine Änderungskündigung (vgl. Rz. 9.163 ff.). Folgerichtig bedarf auch die Änderungskündigung, die mit dem Ziel ausgesprochen wird, die Bezugnahme auf einen anderen Tarifvertrag entsprechend § 613a Abs. 1 Satz 4 Var. 2 BGB zu erreichen, einer sozialen Rechtfertigung, sofern das KSchG anwendbar ist1. Davon ist auch das BAG in einem Urteil vom 1.7.19992 ausgegangen, auch wenn dort Erleichterungen für Unternehmen aufgezeigt werden, die aus öffentlichen Mitteln gefördert werden. Eine soziale Rechtfertigung ist zudem dann erforderlich, wenn bei der Eingruppierung von Arbeitnehmern beim übertragenden Rechtsträger eine unterschiedliche Praxis gehandhabt wurde. Eine Änderungskündigung zur Änderung einer Eingruppierung richtet sich nach den vorstehend genannten Voraussetzungen. Mit Blick auf das Urteil des LAG Köln vom 12.10.19953 stellt sich allerdings die Frage, ob aus § 613a BGB darüber hinausgehende Einschränkungen für eine Änderung der Arbeitsbedingungen folgen. In dem zugrunde liegenden Fall ging es um die Übernahme der Küche in einem Krankenhaus durch ein Fremdunternehmen. Ziel der Übernahme war, die bisherigen Arbeiten kostengünstiger anzubieten. Hierzu gehörte es auch, dass das Gehalt der in der Küche beschäftigten Arbeitnehmer an die tariflichen Regelungen für das Gaststätten- und Hotelgewerbe angepasst werden sollte. Da eine Ablösung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB nicht zustande kam, sprach der Betriebserwerber nach Ablauf der Ein-Jahres-Frist gegenüber den in der Küche beschäftigten Arbeitnehmern eine Änderungskündigung aus. Im Rahmen dieser Änderungskündigung unterbreitete er das Angebot, die betroffenen Arbeitnehmer auf der Grundlage der Gehaltsregelungen im Gaststätten- und Hotelgewerbe weiter zu beschäftigen. Für die Klägerin stellte dies eine Herabsetzung ihres Gehalts von 60 % dar. Aus diesem Grund erhob sie Änderungskündigungsschutzklage.
18.13
Nach den Feststellungen des LAG Köln war die beabsichtigte Gehaltsminderung der betroffenen Arbeitnehmerin vor allem aufgrund ihres Alters und der langjährigen Betriebszugehörigkeit (16 Jahre) unzumutbar. Im Ergebnis hat das LAG Köln insoweit eine Interessenabwägung vorgenommen4. Dies vermag jedoch nicht zu überzeugen. Denn im Rahmen betriebsbedingter Kündigungen findet eine Interessenabwägung in der Regel nicht statt. Solche Überlegungen gehören vielmehr zur verhaltens- oder personenbedingten Kündigung; bei der betriebsbedingten Kündigung werden sie durch die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG verdrängt5.
18.14
Ebenso wenig überzeugt die Ansicht des LAG Köln, nach der wegen § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB auch nach Ablauf der Ein-Jahres-Frist des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB eine Änderungskündigung unzulässig sei, wenn der Arbeitgeber die damit verbundene Senkung der Personalkosten schon bei der Übernahme des Betriebsteils eingeplant habe. Denn bei einer solchen Auslegung bleibt nicht nur § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB unberücksichtigt. Danach ist sogar eine Beendigungskündigung statthaft, wenn die allgemeinen Voraussetzungen – insbesondere § 1 KSchG – erfüllt sind. Im Übrigen bleibt § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB unberücksichtigt. Denn wenn der Gesetzgeber dort festlegt, dass bis zum Ablauf der Ein-Jahres-Frist eine Änderung von Ar-
18.15
1 Vgl. BAG v. 20.1.2000 – 2 ABR 40/99, BB 2000, 981 f.; BAG v. 30.8.2017 – 4 AZR 95/14, NZA 2018, 255 Rz. 50; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 120; Kania, DB 1994, 529, 531; MünchKommBGB/MüllerGlöge, § 613a BGB Rz. 136; Seiter, Betriebsinhaberwechsel, S. 96. 2 BAG v. 1.7.1999 – 2 AZR 826/98, BB 1999, 2562 ff. 3 LAG Köln v. 12.10.1995 – 5 Sa 749/95, NZA-RR 1996, 327, 328. 4 LAG Köln v. 12.10.1995 – 5 Sa 749/95, NZA-RR 1996, 327, 328. 5 BAG v. 16.6.2005 – 6 AZR 476/04, NZA 2006, 270, 272: Interessenabwägung allenfalls im „Härtefall“; ausf.: APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 591.
Niklas | 715
§ 18 Rz. 18.15 | Änderung von Arbeitsverträgen bei Betriebsübergang/Umwandlung
beitsbedingungen zum Nachteil der betroffenen Arbeitnehmer nicht zulässig ist, folgt daraus im Umkehrschluss, dass – soweit die übrigen allgemeinen Voraussetzungen erfüllt sind – nach Ablauf dieser Frist einvernehmlich oder einseitig die Änderung von Arbeitsbedingungen zum Nachteil der betroffenen Arbeitnehmer statthaft ist, sofern die sonstigen Voraussetzungen, also insbesondere §§ 1, 2 KSchG, eingehalten werden. Dies gilt ohne Rücksicht darauf, ob es sich um ursprünglich kollektivrechtlich begründete Ansprüche handelt, die im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, § 324 UmwG als Bestandteil des Arbeitsvertrags fortgelten. Die letztgenannten Ansprüche werden allerdings gesondert behandelt (vgl. Rz. 21.28 ff.; Rz. 22.3 ff.; Rz. 23.2 ff.).
C. Einvernehmliche Änderung des Arbeitsvertrags 18.16
Selbstverständlich ist es nicht möglich, allein durch eine Vereinbarung zwischen den beteiligten Arbeitgebern eine inhaltliche Änderung von Arbeitsverträgen zum Nachteil der betroffenen Arbeitnehmer vorzunehmen1. Dabei handelt es sich um einen Vertrag zu Lasten Dritter, der unwirksam ist. Die einzelvertragliche Änderung solcher Ansprüche, die bis zum Betriebs- oder Betriebsteilübergang bzw. der Umwandlung durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung geregelt waren, wird zudem unter besondere Vorbehalte gestellt (§ 613a Abs. 1 Satz 2 und 4 Var. 2 BGB). Die Änderung solcher zwingenden Arbeitsbedingungen ist binnen Jahresfrist auf individualrechtlicher Ebene zum Nachteil des Arbeitnehmers nur durch Bezugnahme auf Tarifvertrag gemäß § 613a BGB Abs. 1 Satz 4 Var. 2 BGB, nicht aber durch eine völlig eigenständige Regelung im Arbeitsvertrag möglich2, sofern nicht ausnahmsweise eine Zustimmung der Kollektivrechtsparteien gegeben ist3. Möglich und zu empfehlen ist allein, bereits im Rahmen des Übergangs des Arbeitsverhältnisses einzelvertraglich schlechtere Bedingungen zu vereinbaren, die aber erst nach Ablauf der Ein-Jahres-Frist wirksam werden4.
18.17
Lässt man – die Möglichkeit einer Änderung kraft Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt, die auch nach einem Betriebs(teil-)übergang oder einer Umwandlung fortgelten5, – die Möglichkeit einer Ablösung von Rechten und Pflichten einer früheren Kollektivvereinbarung durch eine neue Kollektivvereinbarung (vgl. Rz. 21.61 ff.; Rz. 22.88 ff.) sowie – die Besonderheiten im Hinblick auf betriebliche Altersversorgung, auf die an anderer Stelle eingegangen wird (vgl. Rz. 34.212 ff.), an dieser Stelle einmal unberücksichtigt, differenziert das BAG bei Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Änderung einzelvertraglich begründeter Ansprüche,
1 BAG v. 14.7.1981 – 3 AZR 517/80, AP Nr. 27 zu § 613a BGB, Bl. 1. 2 BAG v. 22.10.2008 – 4 AZR 793/07, NZA 2009, 323 Rz. 40; APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 128; Dzida/Wagner, NZA 2008, 571, 572; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 119; Hertzfeld, NZA-RR 2010, 169, 170; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 136; diese Sperrwirkung übersieht Annuß, ZInsO 2001, 49, 57 f., wenn er hier die Änderung ohne sachlichen Grund zulassen will. 3 Meyer, NZA 2002, 246, 249 f. 4 So auch HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 267; a.A. MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 136. 5 Vgl. WHSS/Schweibert, Umstrukturierung, I Rz. 10 ff.
716 | Niklas
Einvernehmliche Änderung des Arbeitsvertrags | Rz. 18.20 § 18
die der EuGH nach Maßgabe der nationalen Vorschriften ohne Weiteres für zulässig erachtet, wie folgt: Im Anschluss an einen Betriebs(teil-)übergang können die Arbeitsvertragsparteien nach der zutreffenden Entscheidung des BAG vom 7.11.20071 Regelungen frei vereinbaren, sofern daraus resultierende Ansprüche erst in der Zukunft entstehen und zwingende gesetzliche Regelungen nicht entgegenstehen2. Damit ist auch eine einvernehmlich vereinbarte Gehaltsreduzierung für die Zukunft möglich3. Zur Begründung führt das BAG an, dass § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB zwar einen einzelvertraglichen Inhaltsschutz bezwecke. Dieser unterliege allerdings der Disposition der Arbeitsvertragsparteien, da insofern die gleiche Vertragsfreiheit herrsche wie beim Veräußerer4.
18.18
Im Hinblick auf die Zulässigkeit einer Vereinbarung, die den Erlass bereits entstandener Ansprüche zum Gegenstand hat, ist nach der ständigen Rechtsprechung des BAG demgegenüber ein sachlicher Grund erforderlich5. Mit der Entscheidung vom 19.3.20096 hat der 8. Senat diese Rechtsprechung nochmals bestätigt und das Vorliegen eines Sachgrundes verneint, wenn der Erlass bereits entstandener Ansprüche als Voraussetzung dafür gemacht wird, dass ein Betriebs(teil-)übergang überhaupt stattfindet. Denn eine Vereinbarung zwischen dem Arbeitnehmer und dem Betriebsveräußerer oder mit dem in Aussicht genommenen Betriebserwerber sei – so das BAG – unwirksam, wenn es Grund und Ziel der Vereinbarung sei, zu verhindern, dass der künftige Betriebserwerber in sämtliche bestehende Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis eintrete7. Dies widerspreche dem gesetzlichen Schutzzweck des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB8.
18.19
Bereits in seinen Entscheidungen vom 18.8.19769 und vom 26.1.197710 hatte das BAG festgestellt, dass der sachliche Grund für eine solche Vereinbarung nicht bereits in dem Übergang selbst liegen dürfe. Erforderlich sei vielmehr, dass sich bspw. der Betrieb in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befinde, sodass seine Übernahme und der Erhalt des Betriebs und damit die (dauerhafte) Erhaltung der Arbeitsplätze gefährdet seien. In diesem Fall sei auch ein Verzicht auf (rückständige) Vergütungsansprüche für mehrere Monate oder die Kürzung betrieblicher Sozialleistungen statthaft, wenn und soweit dadurch nicht zwingende Bestimmungen in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen verletzt würden11. Auch ein Verzicht auf die Haftung für Ansprüche des Arbeitnehmers gegenüber dem Betriebsveräußerer könne –
18.20
1 BAG v. 7.11.2007 – 5 AZR 1007/06, NZA 2008, 530 ff. 2 Ebenso LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 11.3.2015 – 3 Sa 128/14. 3 BAG v. 7.11.2007 – 5 AZR 1007/06, NZA 2008, 530 Rz. 11, 14 ff.; Schiefer/Worzalla, DB 2008, 1566, 1570; a.A. LAG Brandenburg v. 22.7.1999 – 8 Sa 102/99. 4 BAG v. 7.11.2007 – 5 AZR 1007/06, NZA 2008, 530 Rz. 15. 5 Vgl. BAG v. 27.4.1988 – 5 AZR 358/87, NZA 1988, 655, 657; BAG v. 4.3.1993 – 2 AZR 507/92, NZA 1994, 260, 262; ebenso LAG Brandenburg v. 22.7.1999 – 8 Sa 102/99, LAGE § 613a BGB Nr. 77, S. 4 f.; Hanau, ZIP 1998, 1817, 1821 f.; der 5. Senat hat diese Frage demgegenüber in der Entscheidung vom 7.11.2007 – 5 AZR 1007/06, NZA 2008, 530 Rz. 17, ausdrücklich offengelassen. 6 BAG v. 19.3.2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091 Rz. 26; s. dazu Bunte, NZA 2010, 319 ff. 7 BAG v. 19.3.2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091 Rz. 27. 8 BAG v. 12.5.1992 – 3 AZR 247/91, NZA 1992, 1080, 1081; BAG v. 19.3.2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091 Rz. 26 f. 9 BAG v. 18.8.1976 – 5 AZR 95/75, DB 1977, 310 f. 10 BAG v. 26.1.1977 – 5 AZR 302/75, DB 1977, 1192 f. 11 Zust. BAG v. 29.10.1980 – 3 AZR 485/83, DB 1986, 1779, 1780; BAG v. 12.5.1992 – 3 AZR 247/ 91, NZA 1992, 1080, 1081.
Niklas | 717
§ 18 Rz. 18.20 | Änderung von Arbeitsverträgen bei Betriebsübergang/Umwandlung
bei Anlegung eines strengen Maßstabs – sachlich gerechtfertigt sein1. Diese grundsätzlichen Überlegungen wird man auch auf die besondere Haftung für den Fall der Spaltung eines Unternehmens gemäß §§ 133, 134 UmwG übertragen können.
18.21
Gegen das Ergebnis dieser Entscheidungen bestehen jedoch aus unterschiedlichen Gesichtspunkten heraus Bedenken: Zunächst einmal sei darauf hingewiesen, dass die Beteiligten – jedenfalls auf Arbeitnehmerseite – in den Fallgestaltungen, die 1976 und 1977 entschieden wurden, offenbar keine Kenntnis von der Anwendbarkeit des § 613a BGB hatten. Gleichwohl ließ es der 5. Senat des BAG ausreichen, dass den wechselseitigen Erklärungen objektiv (§§ 133, 157 BGB) ein Verzichtswille zu entnehmen war. Eine solche Bewertung trägt dem gesetzlichen Schutzzweck nicht ausreichend Rechnung. Soll eine Einschränkung des zwingenden Schutzzwecks erfolgen, muss dies in Kenntnis des Umfangs des Rechtsverlusts erfolgen. Deshalb wird man jedenfalls die Kenntnis der betroffenen Arbeitnehmer von den Rechtsfolgen aus § 613a BGB voraussetzen müssen, um eine Änderung der Arbeitsbedingungen nicht als Umgehung des Schutzzwecks zu bewerten. Schließlich hat § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB zwingenden Charakter2. Ggf. sollte eine entsprechende Aufklärung des Arbeitnehmers zu Beweiszwecken im Rahmen entsprechender Vereinbarungen festgehalten werden.
18.22
Unabhängig davon erscheint es nicht überzeugend, dass die vorstehend genannte Rechtsprechung zum einen zwischen einer Vereinbarung über künftige Ansprüche und den Erlass bereits entstandener Ansprüche differenziert und zum anderen den übertragenden und übernehmenden Rechtsträger unterschiedlich behandelt. Ebenso wie § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB die Zulässigkeit einer Kündigung für beide Seiten einheitlich regelt, muss auch eine Änderungsvereinbarung nach den gleichen Maßstäben bewertet werden. Klarheit besteht an dieser Stelle nur insofern, als ein nach einem Betriebs(teil-)übergang erklärter einzelvertraglicher Verzicht auf einen bereits entstandenen tariflichen Anspruch wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG unabhängig davon unwirksam ist, ob er gegenüber dem Veräußerer oder dem Erwerber erklärt wird3.
18.23
Entgegen der Rechtsprechung des BAG erscheint es zulässig, auch ohne das Vorliegen eines sachlichen Grundes einvernehmlich im Zusammenhang mit einem Betriebs(teil-)übergang bzw. einer Umwandlung nicht nur erst künftig entstehende individualrechtlich begründete Ansprüche abzuändern, sondern auch auf bereits entstandene Ansprüche zu verzichten4. Dies gilt für Vereinbarungen mit dem Betriebsveräußerer und Betriebserwerber gleichermaßen. Hierfür spricht nicht nur der Umstand, dass die vom BAG angenommenen Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise auch die einvernehmliche Abänderung von Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang zulässig sein soll, nicht genau eingegrenzt werden können. Dies gilt – worauf Feudner5 bereits aufmerksam gemacht hat – vor allem für die zeitliche Eingrenzung einer „aus Anlass des Betriebsübergangs und im zeitlichen Zusammenhang mit diesem“ vorgenommenen Änderung. Nicht erkennbar ist auch, wann materiell von einer „dauerhaften Erhaltung von Arbeitsplätzen“ ausgegangen werden kann, die zur Rechtfertigung der vorgenommenen Änderung notwendig sein soll. Letztlich 1 BAG v. 27.4.1988 – 5 AZR 358/87, NZA 1988, 655, 657. 2 Vgl. EuGH v. 10.2.1988 – 324/86, EAS RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 4 LS 4; EuGH v. 6.11.2003 – C-4/ 01 Martin, NZA 2003, 1325 Rz. 39; BAG v. 12.5 1992 – 3 AZR 247/91, NZA 1992, 1080, 1081. 3 BAG v. 12.2.2014 – 4 AZR 317/12, NZA 2014, 613 Rz. 23. 4 So auch Feudner, DB 1996, 830, 832 f.; Fuchs, Sozialleistungen, S. 195 ff.; Kreitner, Kündigungsrechtliche Probleme, S. 190 ff.; WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 193 ff. 5 Feudner, DB 1996, 830, 832.
718 | Niklas
Einvernehmliche Änderung des Arbeitsvertrags | Rz. 18.25 § 18
aber spricht für die Entbehrlichkeit eines sachlichen Grundes der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Dieser gilt, wie die Feststellungen des EuGH in den Entscheidungen vom 14.9.20001 und 6.11.20032 deutlich machen, auch im Zusammenhang mit Betriebsübergang und Umwandlung. Die Richtlinie 2001/23/EG zum Betriebs- und Unternehmensübergang steht einer mit dem neuen Unternehmensinhaber vereinbarten Änderung des Arbeitsverhältnisses auch zum Nachteil des Arbeitnehmers nicht entgegen, wenn das anwendbare innerstaatliche Recht eine solche Änderung unabhängig von einem Unternehmensübergang zulässt. Schließlich soll – so der EuGH – die Richtlinie kein für die gesamte Gemeinschaft aufgrund gemeinsamer Kriterien einheitliches Schutzniveau schaffen. Vielmehr sei der Arbeitnehmer nach einem Übergang des Arbeitsverhältnisses nicht stärker zu schützen, als wenn das Arbeitsverhältnis weiterhin zum Veräußerer fortbestünde3. Geht man davon aus, dass § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB, § 324 UmwG nur gewährleisten sollen, dass die beteiligten Rechtsträger aus Anlass des Übergangs von Arbeitsverhältnissen keine Verschlechterungen zum Nachteil der Arbeitnehmer herbeiführen können4, schließt dies die Freiheit des Arbeitnehmers nicht aus, Änderungen seines Arbeitsvertrags zuzustimmen. Voraussetzung ist lediglich, dass die allgemeinen Grenzen der Vertragsfreiheit, also insbesondere § 138 BGB, § 25 BBiG, § 17 Abs. 3 BetrAVG i.V.m. den Regeln zur Unverfallbarkeit (§ 1b BetrAVG), der Abfindung (§ 3 BetrAVG) oder der Übertragung (§ 4 BetrAVG) von Ansprüchen auf betriebliche Altersversorgung beachtet werden5. Andernfalls würde die Änderung des Arbeitsvertrags an strengere Anforderungen geknüpft, als die vollständige Aufhebung durch Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer6. Für eine solche Gleichstellung spricht auch § 613a Abs. 1 BGB. Nur die einzelvertragliche Änderung solcher Ansprüche, die bis zum Betriebs- oder Betriebsteilübergang bzw. der Umwandlung durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung geregelt waren, wird dort unter besondere Vorbehalte gestellt (§ 613a Abs. 1 Satz 2 und 4 Var. 2 BGB).
18.24
Hinsichtlich der Änderung von Arbeitsbedingungen, die bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses individualrechtlich geregelt waren, lässt sich dem Gesetz keine Einschränkung entnehmen. Für Fälle, in denen aus den vertraglichen Regelungen noch keine Ansprüche erwachsen sind, hat dies in der Zwischenzeit auch die geschilderte Rechtsprechung anerkannt7. Gleiches gilt für die Fälle, in denen mangels gesetzlicher Tarifbindung durch einzelvertragliche
18.25
1 EuGH v. 14.9.2000 – C-343/98, NZA 2000, 1279 Rz. 52 (noch zur Richtlinie 77/187/EWG). 2 EuGH v. 6.11.2003 – C-4/01 – Martin, NZA 2003, 1325 Rz. 42. 3 EuGH v. 6.11.2003 – C-4/01 – Martin, NZA 2003, 1325 Rz. 41; EuGH v. 27.11.2008 – C-396/07 – Mirja Juuri/Fazer Amica Oy, EuZW 2009, 47 Rz. 23; B. Gaul, AktuellAR, 2009, 630, 633; Meyer, NZA 2002, 246, 248. 4 BAG v. 29.10.1985 – 3 AZR 485/83, DB 1986, 1779 f.; D. Gaul, Betriebsübergang, S. 32. 5 Vgl. BAG v. 29.10.1985 – 3 AZR 485/83, DB 1986, 1779; Beisel/Klumpp, Unternehmenskauf, Rz. 558 ff. 6 Vgl. Kraft, FS 25 Jahre BAG, S. 299, 312 f.; ähnlich Mayer-Maly, Anm. zu BAG v. 18.8.1976 – 5 AZR 95/75, AP Nr. 4 zu § 613a BGB, Bl. 3; allerdings ist ein Aufhebungsvertrag als Umgehungsgeschäft dann unwirksam, wenn er nicht auf das endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers gerichtet ist, sondern gleichzeitig der Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags mit dem Erwerber in Aussicht gestellt oder vereinbart wird, dass mit dem Erwerber ein neuer Arbeitsvertrag geschlossen wird, vgl. BAG v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145 Rz. 27; BAG v. 25.10.2012 – 8 AZR 575/11, NZA 2013, 203 Rz. 35. 7 BAG v. 7.11.2007 – 5 AZR 1007/06, NZA 2008, 530 Rz. 15; LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 11.3.2015 – 3 Sa 128/14.
Niklas | 719
§ 18 Rz. 18.25 | Änderung von Arbeitsverträgen bei Betriebsübergang/Umwandlung
Bezugnahmeklausel eine Anwendbarkeit von Tarifverträgen bewirkt wurde, die nun geändert werden soll1.
18.26
Abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des BAG wird man nach alledem auch die Vereinbarung eines Erlasses bereits entstandener Ansprüche zwischen den an einem Betriebs(teil-)übergang bzw. einer Umwandlung beteiligten Rechtsträgern einerseits und dem Arbeitnehmer andererseits auch ohne das Vorliegen eines sachlichen Grundes anerkennen können2. Da keine Verbesserung des Rechtszustands ohne Betriebs(teil-)übergang bzw. Umwandlung erreicht werden soll, ist auch eine Überprüfung der Änderungsvereinbarung anhand der Kriterien einer Änderungskündigung nach § 2 KSchG ausgeschlossen3. Voraussetzung ist lediglich, dass die allgemeinen Schranken über die Änderung von Arbeitsbedingungen beachtet werden. Soweit es um die Abänderung individualrechtlich fortgeltender Ansprüche geht, die bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung geregelt waren, sind darüber hinaus die aus § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB folgenden Schranken zu berücksichtigen (vgl. Rz. 21.28 ff.; Rz. 22.3 ff.). Außerdem wird man eine Verpflichtung des Arbeitgebers annehmen müssen, den Arbeitnehmer vor Unterzeichnung der Änderungsvereinbarung bzw. des neuen Arbeitsvertrags beim übernehmenden Rechtsträger über den Inhaltsschutz des § 613a BGB aufzuklären. Lediglich dann, wenn – wie vom BAG zuletzt in dem Urteil vom 19.3.20094 entschieden – der Vertrag allein als Voraussetzung dafür abgeschlossen wird, dass der Betriebs(teil-)übergang überhaupt erfolgt, kann eine Unwirksamkeit mit Blick auf den Schutzzweck des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB angenommen werden.
D. Änderung einzelvertraglicher Abreden durch Betriebsvereinbarung 18.27
Wie vorangehend erläutert, können einzelvertragliche Abreden im Zusammenhang mit einem Betriebs(teil-)übergang oder einer Umwandlung in der Regel nur durch sozial gerechtfertigte Änderungskündigung oder im Einvernehmen mit den Arbeitnehmern vereinheitlicht oder geändert werden. Dies gilt auch für Ansprüche aufgrund von betrieblichen Einheitsregelungen, Gesamtzusagen und betrieblicher Übung. Beide Wege sind in der Praxis für Arbeitgeber jedoch vielfach schwierig. Ein Sonderfall ist zwar der Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB). Dieser ist jedoch selten anzunehmen und daher in der Praxis regelmäßig nicht geeignet, das gewünschte Ziel zu erreichen5. Ein vergleichsweise einfacher Weg, um einzelvertragliche Abreden einheitlich abzuändern, ist dagegen der Abschluss einer Betriebsvereinbarung. In der Praxis stellt sich jedoch immer wieder die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine solche Vorgehensweise zulässig ist.
18.28
Grundsätzlich gilt im Verhältnis von vertraglich begründeten Ansprüchen und anspruchsbegründenden Normen einer Betriebsvereinbarung das individuelle Günstigkeitsprinzip6. 1 BAG v. 22.10.2008 – 4 AZR 793/07, NZA 2009, 323 Rz. 24; APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 128; Meyer, NZA 2002, 246, 249. 2 Ebenso Annuß, ZInsO 2001, 49, 57 f.; B. Gaul, AktuellAR, 2009, 630, 633; WHSS/Willemsen/Müller-Bonanni, Umstrukturierung, G Rz. 193 ff. 3 Ebenso Moll, NJW 1993, 2016, 2022. 4 BAG v. 19.3.2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091 Rz. 27. 5 Vgl. hierzu BAG v. 16.9.1986 – GS 1/82, NZA 1987, 168, 171. 6 Vgl. BAG v. 16.9.1986 – GS 1/82, NZA 1987, 168, 169 ff.; BAG v. 19.11.2019 – 3 AZR 336/18, NZA 2020, 522 Rz. 46; ErfK/Kania, § 77 BetrVG Rz. 68; Hoffmann/Köllmann, NZA 2020, 914, 917.
720 | Niklas
Änderung einzelvertraglicher Abreden durch Betriebsvereinbarung | Rz. 18.30 § 18
Danach treten die nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unmittelbar und zwingend geltenden Normen einer Betriebsvereinbarung hinter für den Arbeitnehmer günstigere einzelvertragliche Vereinbarungen zurück. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des individuellen Günstigkeitsprinzips ist „lediglich“, dass überhaupt eine Kollision besteht1. Ist die Regelung in der Betriebsvereinbarung günstiger, führt dies aber grds. weder zur Unwirksamkeit noch zur endgültigen Ablösung der arbeitsvertraglichen Vereinbarung. Vielmehr kommt diese lediglich für die Dauer der Geltung der Betriebsvereinbarung nicht zur Anwendung2. Dies gilt unabhängig davon, ob die arbeitsvertragliche Vereinbarung vor oder nach Abschluss der Betriebsvereinbarung getroffen worden ist3. Gleiches gilt dann, wenn die Arbeitsvertragsparteien ihre individualvertraglichen Abreden „betriebsvereinbarungsoffen“ gestaltet haben. In diesem Fall wird die individualvertragliche Abrede durch die Regelungen einer später abgeschlossenen Betriebsvereinbarung verdrängt, selbst wenn diese Betriebsvereinbarung für den Arbeitnehmer ungünstiger ist4. Betriebsvereinbarungsoffen ist eine individualvertragliche Absprache dann, wenn diese einer Betriebsvereinbarung den Vorrang einräumt. Dies kann ausdrücklich oder – bei entsprechenden Begleitumständen – konkludent erfolgen5. Ob individualvertragliche Absprachen betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet sind, ist durch Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB zu ermitteln.
18.29
Das BAG hat sich in der Vergangenheit wiederholt mit der Auslegung einzelvertraglicher Regelungen vor dem Hintergrund einer möglichen Betriebsvereinbarungsoffenheit befasst. Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer erkennen kann, dass die Regelung einer kollektiven, möglicherweise auch verschlechternden Veränderung zugänglich sein soll. Ein solcher Vorbehalt muss mithin den gesetzlichen Transparenzerfordernissen (§ 305c Abs. 2, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) genügen. Von einer Betriebsvereinbarungsoffenheit ist danach beispielsweise auszugehen, wenn
18.30
– die vertraglichen Absprachen auf die jeweils geltenden Betriebsvereinbarungen Bezug nehmen6, – die vertragliche Regelung in Abstimmung mit der jeweils zuständigen Arbeitnehmervertretung zustande gekommen ist oder Änderungen in der Vergangenheit unter Beteiligung des Betriebsrats vorgenommen wurden7,
1 Fitting, § 77 BetrVG Rz. 196a; Hoffmann/Köllmann, NZA 2020, 914, 918; Wißmann/Krämer, Anm. zu BAG v. 25.2.2015 – 5 AZR 481/13, AP Nr. 129 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag. 2 BAG v. 19.7.2016 – 3 AZR 134/15, NZA 2016, 1475 Rz. 60; a.A. GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rz. 255: zwingende Geltung führt zur Unwirksamkeit (Nichtigkeit) betriebsvereinbarungswidriger (ungünstigerer) Vertragsabreden. 3 BAG v. 28.3.2000 – 1 AZR 366/99, NZA 2001, 49, 51; BAG v. 19.7.2016 – 3 AZR 134/15, NZA 2016, 1475 Rz. 60. 4 ErfK/Kania, § 77 BetrVG Rz. 68; Fitting, § 77 BetrVG Rz. 198; Hoffmann/Köllmann, NJW 2019, 3545, 3546; für eine vollständige Ablösung der einzelvertraglichen Abrede durch die nachfolgende Betriebsvereinbarung in solchen Fällen offenbar BAG v. 17.7.2012 – 1 AZR 476/11, NZA 2013, 338 Rz. 32; ebenso Benkert, NJW Spezial 2020,562, 563; Hromadka, NZA-Beil. 2014, 136, 142. 5 BAG v. 16.11.2011 − 10 AZR 60/11, NZA 2012, 349 Rz. 16; ErfK/Kania, § 77 BetrVG Rz. 79; Hoffmann/Köllmann, NJW 2019, 3545, 3546. 6 BAG v. 20.11.1987 – 2 AZR 284/86, NZA 1988, 617, 620. 7 BAG v. 17.7.2012 – 1 AZR 476/11, NZA 2013, 338 Rz. 29; BAG v. 30.9.2014 – 3 AZR 998/12, NZA 2015, 750 Rz. 51; BAG v. 17.2.2015 – 1 AZR 599/13, AP Nr. 65 zu § 77 BetrVG 1972 Betriebsvereinbarung, Rz. 27.
Niklas | 721
§ 18 Rz. 18.30 | Änderung von Arbeitsverträgen bei Betriebsübergang/Umwandlung
– Leistungen (hier: der betrieblichen Altersversorgung) auf einen längeren, unbestimmten Zeitraum angelegt sind1 oder – im Vorstellungsgespräch mündlich auf eine bestimmte Betriebsvereinbarung (hier: 14. Monatsgehalt) Bezug genommen wird2. Folgt demgegenüber aus dem Wortlaut des Arbeitsvertrags, dass die betrieblichen Regelungen, sofern sie günstiger sind, nur nachrangig (bspw. „i.Ü.“ oder nur „soweit keine anderen Vereinbarungen getroffen worden sind“) Anwendung finden sollen, ist die konkludente Vereinbarung einer Betriebsvereinbarungsoffenheit ausgeschlossen3.
18.31
Am 5.3.20134 hat der 1. Senat des BAG in einer viel beachteten Entscheidung festgestellt, dass von einer konkludenten Betriebsvereinbarungsoffenheit auszugehen ist, wenn der Vertragsgegenstand in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) enthalten ist und einen kollektiven Bezug hat. In dem zugrundeliegenden Fall regelte eine Betriebsvereinbarung, dass das Arbeitsverhältnis mit Erreichen der Regelaltersgrenze endet. Nach Auffassung des 1. Senats wurde mit dem Abschluss dieser Betriebsvereinbarung die individualvertragliche Abrede, die keine Altersgrenze enthielt, verdrängt. Zur Begründung führte der Senat aus, dass der Arbeitgeber mit der Verwendung von AGB für den Arbeitnehmer erkennbar deutlich mache, dass im Betrieb einheitliche Vertragsbedingungen gelten sollten. Eine betriebsvereinbarungsfeste Gestaltung der Arbeitsbedingungen stünde dem entgegen. Die Änderung und Umgestaltung von betriebseinheitlich gewährten Leistungen sei anderenfalls nur durch Änderungskündigungen möglich. Der Abschluss von betriebsvereinbarungsfesten Abreden würde zudem den Gestaltungsraum der Betriebsparteien für zukünftige Anpassungen von Arbeitsbedingungen mit kollektivem Bezug einschränken. Etwas anderes gelte nur dann, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausdrücklich Vertragsbedingungen vereinbarten, die unabhängig von einer für den Betrieb geltenden normativen Regelung Anwendung finden sollten5. Nach der Entscheidung des 1. Senats sind damit schlussendlich nahezu alle individualvertraglichen Regelungen durch eine Betriebsvereinbarung abänderbar, da arbeitsvertragliche Regelungen regelmäßig als AGB zu qualifizieren sind.
18.32
Diese Rechtsprechung wird in der Literatur heftig kritisiert6. Zudem hatte nicht nur der 10. Senat noch im Jahr 2009 im Hinblick auf § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeführt, dass ein durchschnittlicher, verständiger Arbeitnehmer die Betriebsvereinbarungsoffenheit der Leistung einer Sonderzahlung gerade nicht erkennen könne, wenn der Arbeitgeber diese nicht hinreichend klar und verständlich zum Ausdruck gebracht habe7. Vielmehr hat auch der 4. Senat des BAG in einer Entscheidung vom 11.4.20188 festgestellt, dass eine dynamische Bezugnahme auf eine tarifliche Vergütung durch eine Betriebsvereinbarung nicht zu Lasten des Arbeitnehmers abgeändert werden könne. Zur Begründung führt der 4. Senat aus, dass die arbeits-
BAG v. 23.2.2016 – 3 AZR 44/14, NZA 2016, 961 Rz. 48 ff. BAG v. 23.5.2007 – 10 AZR 295/06, NZA 2007, 940 Rz. 20. BAG v. 11.4.2018 – 4 AZR 119/17, NZA 2018, 1273 Rz. 59. BAG v. 5.3.2013 – 1 AZR 417/12, NZA 2013, 916 Rz. 60 f. BAG v. 5.3.2013 – 1 AZR 417/12, NZA 2013, 916 Rz. 60. Vgl. etwa Creutzfeldt, NZA 2018, 1111, 1113 ff.; Preis/Ulber, NZA 2014, 6, 8 ff.; Waltermann, RdA 2016, 296, 301 f.; kritisch auch HWK/B. Gaul, § 77 BetrVG Rz. 61; Neufeld/Flockenhaus, BB 2016, 2357, 2360 ff.; zustimmend hingegen etwa Fitting, § 77 BetrVG Rz. 198a; Linsenmaier, RdA 2014, 336, 343 f.; Ubber/Massig, BB 2017, 2230, 2233 f. 7 Vgl. BAG v. 5.8.2009 – 10 AZR 483/08, NZA 2009, 1105 Rz. 15. 8 BAG v. 11.4.2018 – 4 AZR 119/17, NZA 2018, 1273 Rz. 58. 1 2 3 4 5 6
722 | Niklas
Änderung einzelvertraglicher Abreden durch Betriebsvereinbarung | Rz. 18.34 § 18
vertragliche Vergütungsabrede in Form der tariflichen Inbezugnahme schon deshalb nicht der Abänderung durch eine kollektivrechtliche Regelung unterlegen habe, weil es sich bei der Vereinbarung der Vergütung nicht um AGB handele. Vielmehr stelle diese eine individuell vereinbarte Regelung der Hauptleistungspflicht dar. In einem obiter dictum legt der 4. Senat sodann jedoch im Widerspruch zu der genannten Entscheidung des 1. Senats dar, warum die pauschale Abänderbarkeit von AGB durch Betriebsvereinbarung höchst problematisch und damit im Ergebnis aus seiner Sicht im Zweifel abzulehnen ist1. Ungeachtet der vorgenannten Kritik aus der Literatur und zumindest des 4. Senats wurde die Entscheidung vom 5.3.2013 zwischenzeitlich wiederholt vom 1. Senat und weiteren Senaten bestätigt2. Ausgehend hiervon kann man – aller Kritik zum Trotz – von einer gefestigten Rechtsprechung ausgehen, auf deren Grundlage einzelvertragliche Abreden in der Praxis nun deutlich einfacher vereinheitlicht oder abgeändert werden können. Ungeachtet dessen sollte man bei der Vertragsgestaltung das Verhältnis des Arbeitsvertrags zu Betriebsvereinbarungen – gleich in welche Richtung – ausdrücklich regeln, um Auslegungsschwierigkeiten von vornherein zu vermeiden. Zu beachten ist im Übrigen, dass die Betriebsvereinbarungen nicht nur mit höherrangigem Recht vereinbar sein müssen, sondern auch stets die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG zu beachten ist3. Ob der im Zusammenhang mit einem Betriebs(teil-) übergang oder einer Umwandlung erfolgte Abschluss entsprechender Betriebsvereinbarungen noch durch den Veräußerer oder erst durch den Erwerber erfolgt, spielt demgegenüber grundsätzlich keine Rolle. Etwas anderes wäre nur dann anzunehmen, wenn die Betriebsparteien beim Veräußerer Rechte und Pflichten des Erwerbers begründen würden. Denn in diesem Fall wäre ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter anzunehmen4.
18.33
Für freiwillige Sozialleistungen, die auf der Grundlage betrieblicher Einheitsregelungen, Gesamtzusage oder betrieblicher Übung gewährt werden, hat das BAG bereits seit dem Beschluss des Großen Senats vom 16.9.19865 die Möglichkeit einer Abänderung durch eine „umstrukturierende Betriebsvereinbarung“ angenommen, und zwar unabhängig von einer etwaigen Betriebsvereinbarungsoffenheit. Danach können Inhaltsnormen einer nachfolgenden Betriebsvereinbarung entsprechende vertraglich begründete Ansprüche zum Nachteil der Arbeitnehmer ersetzen (nicht nur verdrängen), wenn die Neuregelung insgesamt bei kollektiver Betrachtung keine Nachteile für die Belegschaft zur Folge hat (Prinzip der „kollektiven Günstigkeit“). Dass einzelne Arbeitnehmer oder Teile der Belegschaft hierdurch möglicherweise schlechter gestellt werden, ist unschädlich. Voraussetzung ist „lediglich“, dass die gewährten Leistungen in einem Bezug zueinanderstehen und die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes gewahrt werden. Die Vereinbarkeit des Prinzips der „kollektiven Günstigkeit“ mit dem Transparenzgebot ist jedoch fraglich6. Des Weiteren ist nach der Ent-
18.34
1 BAG v. 11.4.2018 – 4 AZR 119/17, NZA 2018, 1273 Rz. 51 ff. 2 Vgl. etwa BAG v. 21.8.2013 – 5 AZR 581/11, NZA 2014, 271 Rz. 47; BAG v. 25.5.2016 – 5 AZR 135/16, NZA 2016, 1327 Rz. 52; BAG v. 24.10.2017 – 1 AZR 846/15, NJOZ 2018, 1278 Rz. 18; BAG v. 30.1.2019 –5 AZR 450/17, NZA 2019, 1065 Rz. 60 ff.; BAG v. 11.7.2019 – 6 AZR 40/17, NZA-RR 2019, 590 Rz. 21; BAG v. 23.6.2020 – 3 AZN 442/20, NZA 2020, 1025 Rz. 11. 3 Vgl. BAG v. 18.3.2020 – 5 AZR 36/19, NZA 2020, 868 Rz. 19 ff. 4 BAG v. 11.1.2011 – 1 AZR 375/09, NJOZ 2011, 1190 Rz. 16. 5 BAG v. 16.9.1986 – GS 1/82, NZA 1987, 168, 175; vgl. hierzu auch BAG v. 18.3.2003 – 3 AZR 101/ 02, NZA 2004, 1099, 1102; BAG v. 6.11.2007 – 1 AZR 862/06, AP Nr. 337 zu § 613a BGB, Rz. 23. 6 HWK/B. Gaul, § 77 BetrVG Rz. 63; generell kritisch gegenüber dem Prinzip der „kollektiven Günstigkeit“: Richardi/Richardi, § 77 BetrVG Rz. 168.
Niklas | 723
§ 18 Rz. 18.34 | Änderung von Arbeitsverträgen bei Betriebsübergang/Umwandlung
scheidung des 1. Senats vom 5.3.2013 letztlich jede vertragliche Regelung als betriebsvereinbarungsoffen anzusehen, sofern es sich nicht um die Vereinbarung der Hauptleistungspflichten handelt. Daher verbleibt für die Anwendbarkeit des modifizierten Günstigkeitsprinzips aktuell kaum Raum.
§ 19 Beteiligung des Betriebsrats bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen
A. Anhörung zur Kündigung nach § 102 BetrVG I. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1 II. Abgrenzung zu § 111 BetrVG . . . . . 19.4 III. Abgrenzung zur Massenentlassung – § 17 KSchG . . . . . . . . . . . . . . 19.5 IV. Abgrenzung zur Unterrichtung wegen des Betriebsübergangs – § 613a Abs. 5 BGB . . . . . . . . . . . . . . 19.8 V. Abgrenzung zu §§ 323, 324 UmwG 19.9 VI. Adressat und Inhalt der Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG 1. Zuständigkeit und Adressat a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . 19.10 b) Kündigung des Erwerbers bzw. Übernehmers . . . . . . . 19.12
B. I. II. III. IV.
c) Kündigung nach Widerspruch gegen den Betriebsübergang . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhalt der Anhörung . . . . . . . . . 3. Darlegungslast . . . . . . . . . . . . . . Kündigung von Betriebsratsmitgliedern Anwendung des § 15 KSchG . . . . . . Teilbetriebsübergang . . . . . . . . . . . . Widerspruch gegen den Betriebsoder Betriebsteilübergang . . . . . . . . Kündigungsrechtliche Stellung bei Umwandlungen i.S.d. § 323 Absatz 1 UmwG . . . . . . . . . . . . . . . .
19.14 19.23 19.25
19.26 19.28 19.30
19.32
A. Anhörung zur Kündigung nach § 102 BetrVG I. Grundsatz 19.1
Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG ist die Anhörung des Betriebsrats Wirksamkeitsvoraussetzung für jede Kündigung durch den Arbeitgeber. Kündigungen im Zusammenhang mit Betriebsübergängen sind hiervon nicht ausgenommen. Allerdings kann es durch den Betriebsübergang im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang zu Unklarheiten über Adressat, Inhalt und Umfang der Unterrichtung kommen. Insbesondere bei den geschützten Mandatsträger nach § 15 KSchG ist besondere Sorgfalt geboten.
19.2
Der Betriebsübergang an sich löst keine Beteiligung nach § 102 Abs. 1 BetrVG aus1. Der Betriebsrat ist nur vor einer Kündigung zu hören. Der Betriebsübergang an sich führt zwar zum Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen neuen Arbeitgeber und damit zum Vertragsende
1 KR/Rinck, § 102 BetrVG Rz. 52; APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 36.
724 | Niklas und Roloff
§ 18 Rz. 18.34 | Änderung von Arbeitsverträgen bei Betriebsübergang/Umwandlung
scheidung des 1. Senats vom 5.3.2013 letztlich jede vertragliche Regelung als betriebsvereinbarungsoffen anzusehen, sofern es sich nicht um die Vereinbarung der Hauptleistungspflichten handelt. Daher verbleibt für die Anwendbarkeit des modifizierten Günstigkeitsprinzips aktuell kaum Raum.
§ 19 Beteiligung des Betriebsrats bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen
A. Anhörung zur Kündigung nach § 102 BetrVG I. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1 II. Abgrenzung zu § 111 BetrVG . . . . . 19.4 III. Abgrenzung zur Massenentlassung – § 17 KSchG . . . . . . . . . . . . . . 19.5 IV. Abgrenzung zur Unterrichtung wegen des Betriebsübergangs – § 613a Abs. 5 BGB . . . . . . . . . . . . . . 19.8 V. Abgrenzung zu §§ 323, 324 UmwG 19.9 VI. Adressat und Inhalt der Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG 1. Zuständigkeit und Adressat a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . 19.10 b) Kündigung des Erwerbers bzw. Übernehmers . . . . . . . 19.12
B. I. II. III. IV.
c) Kündigung nach Widerspruch gegen den Betriebsübergang . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhalt der Anhörung . . . . . . . . . 3. Darlegungslast . . . . . . . . . . . . . . Kündigung von Betriebsratsmitgliedern Anwendung des § 15 KSchG . . . . . . Teilbetriebsübergang . . . . . . . . . . . . Widerspruch gegen den Betriebsoder Betriebsteilübergang . . . . . . . . Kündigungsrechtliche Stellung bei Umwandlungen i.S.d. § 323 Absatz 1 UmwG . . . . . . . . . . . . . . . .
19.14 19.23 19.25
19.26 19.28 19.30
19.32
A. Anhörung zur Kündigung nach § 102 BetrVG I. Grundsatz 19.1
Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG ist die Anhörung des Betriebsrats Wirksamkeitsvoraussetzung für jede Kündigung durch den Arbeitgeber. Kündigungen im Zusammenhang mit Betriebsübergängen sind hiervon nicht ausgenommen. Allerdings kann es durch den Betriebsübergang im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang zu Unklarheiten über Adressat, Inhalt und Umfang der Unterrichtung kommen. Insbesondere bei den geschützten Mandatsträger nach § 15 KSchG ist besondere Sorgfalt geboten.
19.2
Der Betriebsübergang an sich löst keine Beteiligung nach § 102 Abs. 1 BetrVG aus1. Der Betriebsrat ist nur vor einer Kündigung zu hören. Der Betriebsübergang an sich führt zwar zum Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen neuen Arbeitgeber und damit zum Vertragsende
1 KR/Rinck, § 102 BetrVG Rz. 52; APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 36.
724 | Niklas und Roloff
Anhörung zur Kündigung nach § 102 BetrVG | Rz. 19.5 § 19
mit dem bisherigen Arbeitgeber. Dieser Übergang vollzieht sich nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB aber kraft Gesetzes und bedarf keiner Kündigung oder Änderungskündigung. Das Arbeitsverhältnis besteht zudem kraft Gesetzes fort, § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB. Der Beteiligungspflicht unterliegt allerdings eine Kündigung, die im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang entweder vom alten Arbeitgeber oder vom Betriebserwerber ausgesprochen wird1. Anzuhören ist der Betriebsrat des Betriebs, dem der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Kündigung zugeordnet ist bzw. angehört2.
19.3
II. Abgrenzung zu § 111 BetrVG Die Beteiligung des Betriebsrats im Rahmen einer Betriebsänderung, § 111 BetrVG (vgl. hierzu Rz. 25.69 ff.), ist nicht mit der Anhörung nach § 102 BetrVG zu verwechseln oder gleichzusetzen. Das wird besonders daran deutlich, dass der Betriebsübergang die Beteiligung nach § 111 Abs. 1 BetrVG, nicht aber die nach § 102 BetrVG auslösen kann. Treffen aber Betriebsübergang und durch Betriebsänderung bedingte – also betriebsbedingte – Kündigungen zusammen, ist die Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 BetrVG für den Arbeitgeber etwas vereinfacht. Der Arbeitgeber muss die dem Wegfall des Arbeitsplatzes und der Sozialauswahl zugrunde liegenden Tatsachen, die dem Betriebsrat bereits aus den Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs bekannt sind, im Anhörungsverfahren nicht erneut mitteilen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn zwischen den Verhandlungen über den Interessenausgleich und der Anhörung ein überschaubarer Zeitraum liegt3 und der nach § 102 BetrVG zuständige Betriebsrat auch für die Verhandlungen über die Betriebsänderung zuständig war.
19.4
III. Abgrenzung zur Massenentlassung – § 17 KSchG Der gesetzliche Übergang von Arbeitsverhältnissen nach § 613a Abs. 1 BGB, auch wenn die Schwellenwerte des § 17 KSchG bei der Anzahl der Arbeitnehmer überschritten werden, erfüllt nicht die Voraussetzungen der Massenentlassung. Die Arbeitsverhältnisse enden nicht aufgrund des Betriebsübergangs, sie bestehen in der wirtschaftlichen Einheit mit einem anderen Arbeitgeber fort. Eine übermäßige Belastung des Arbeitsmarkts – die § 17 KSchG verhindern will – ist wegen der nahtlosen Fortsetzung der Arbeitsverhältnisse ausgeschlossen. Allerdings löst § 17 KSchG auch die Anforderungen des § 111 BetrVG aus – mit den dort bereits dargestellten Folgen. Zwar ist die Konsultationspflicht der Sache nach regelmäßig erfüllt, wenn der Arbeitgeber bei einer Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG, soweit mit ihr ein anzeigepflichtiger Personalabbau verbunden ist oder sie allein in einem solchen besteht, einen Interessenausgleich abschließt und dann erst kündigt4. Soweit die ihm obliegenden Pflichten aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG mit denen nach § 111 Satz 1 BetrVG übereinstimmen, kann der Arbeitgeber sie gleichzeitig erfüllen. Dabei muss der Betriebsrat allerdings klar erkennen kön-
1 APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 36. 2 BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12, NZA 2015, 889 Rz. 31; BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277 Rz. 42. 3 BAG v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02, AP BetrVG 1972 § 112 Namensliste Nr. 1; BAG v. 5.11.2009 – 2 AZR 676/08, NZA 2010, 457 Rz. 37; s. auch BAG v. 23.2.2012 – 2 AZR 773/10, NZA 2012, 992 Rz. 32. 4 BAG v. 9.6.2016 – 6 AZR 405/15, NZA 2016, 1198 Rz. 21; BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 752/11, AP KSchG 1969 § 17 Nr. 44; BAG v. 18.9.2003 – 2 AZR 79/02, NZA 2004, 375, 380.
Roloff | 725
19.5
§ 19 Rz. 19.5 | Beteiligung des Betriebsrats
nen, dass die stattfindenden Beratungen (auch) der Erfüllung der Konsultationspflicht des Arbeitgebers aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG dienen sollen (vgl. Rz. 25.517)1.
19.6
Wenn die für eine Massenentlassung in § 17 Abs. 1 KSchG genannten Schwellenwerte als Folge von Kündigungen im Zusammenhang mit einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang überschritten werden, ist der Arbeitgeber verpflichtet, die jeweils zuständige Arbeitnehmervertretung – in der Regel den Betriebsrat – rechtzeitig gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG zu unterrichten und nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG insbesondere über die Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern (vgl. Rz. 25.521 ff.).
19.7
Ist der Betrieb durch einen Betriebsübergang nach § 613a BGB auf einen anderen Inhaber übergegangen, gilt eine vom Betriebsveräußerer erstattete Massenentlassungsanzeige auch für den Erwerber, soweit die Entlassungen durch den Veräußerer aufgrund eines Erwerberkonzepts durchgeführt und durch den Erwerber in Form von Kündigungen oder Aufhebungsverträgen umgesetzt werden2. Zuständig ist dabei der Betriebsrat, in dessen Betrieb die Entlassung erfolgen soll. Dabei ist allerdings zu beachten, dass sich die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG und die Angaben nach § 17 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 5, 6 KSchG auf den unionsrechtlichen Betriebsbegriff der Richtlinie 98/59/EG beziehen, der weder mit dem betriebsverfassungsrechtlichen noch mit dem für §§ 1, 23 KSchG maßgeblichen Betriebsbegriff übereinstimmen muss (vgl. Rz. 25.495 ff.)3. Soweit der Betriebsrat wegen der Unterschiede zwischen dem für § 17 KSchG maßgeblichen Betriebsbegriff und dem betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff (vgl. Rz. 25.499 ff.) nur für einen Teil des für § 17 KSchG maßgeblichen Betriebs gebildet wurde, kommt eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats in Betracht. Ist er für mehrere der für § 17 KSchG maßgeblichen Betriebe gebildet worden, was als Folge eines Tarifvertrags nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG der Fall sein kann (vgl. Rz. 25.147 ff.), bleibt es bei seiner Zuständigkeit4. Denkbar ist, dass weitere Arbeitnehmervertreter eine parallele Zuständigkeit für einen Teil der Mitarbeiter dieses Betriebs i.S.d. § 17 KSchG haben, die nicht in die Zuständigkeit des Betriebsrats fallen. Beispielsweise kann dies eine Bordvertretung nach § 117 BetrVG sein (vgl. Rz. 25.506). Da eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige nur dann möglich ist, wenn zuvor auch der Betriebsrat ordnungsgemäß beteiligt wurde und seine Stellungnahme der Anzeige beigefügt wird5, kann die fehlende Beteiligung des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 KSchG auch zur Unwirksamkeit der beabsichtigten Kündigungen führen (vgl. Rz. 25.552 ff.). Diese Unwirksamkeit muss auch in der Drei-Wochen-Frist der §§ 4, 7 KSchG geltend gemacht werden.
IV. Abgrenzung zur Unterrichtung wegen des Betriebsübergangs – § 613a Abs. 5 BGB 19.8
Die Unterrichtungspflicht nach § 613a Abs. 5 BGB ist eine individualvertragliche und keine kollektivrechtliche Pflicht der am Betriebsübergang beteiligten Arbeitgeber6. Der deutsche Ge1 Vgl. BAG v. 9.6.2016 – 6 AZR 405/15, NZA 2016, 1198 Rz. 21; BAG v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, NZA 2015, 881 Rz. 17; BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 155/11, NZA 2013, 32 Rz. 47; BAG v. 18.1.2012 – 6 AZR 407/10, NZA 2012, 817 Rz. 34. 2 BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 306/98; MünchKommBGB/Hergenröder, § 17 KSchG Rz. 272, 733. 3 BAG v. 13.2.2020 – 6 AZR 146/19, NZA 2020, 1006 Rz. 32. 4 Jares/Fuchs, NZA 2020, 1071, 1075; Spelge, RdA 2018, 297, 300; ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rz. 6; a.A. Busch, DB 1992, 1474, 1476 f. 5 BAG v. 13.6.2019 – 6 AZR 459/18, NZA 2019, 1638 Rz. 40. 6 APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 202.
726 | Roloff
Anhörung zur Kündigung nach § 102 BetrVG | Rz. 19.11 § 19
setzgeber hat sich entschieden, die unionsrechtlich begründete kollektive Unterrichtungspflicht nach Art. 7 RL 2001/23/EG durch § 111 BetrVG als abgedeckt anzusehen. Das ist nicht unproblematisch1. Allerdings ist damit auch klar und anerkannt, dass jedenfalls nicht § 102 Abs. 1 BetrVG, sondern allenfalls § 111 BetrVG und § 17 KSchG insoweit anzupassen oder richtlinienkonform auszulegen wären (vgl. Rz. 25.179)2.
V. Abgrenzung zu §§ 323, 324 UmwG § 323 Abs. 1 UmwG führt zu keiner Perpetuierung betriebsverfassungsrechtlicher Bestimmungen, die sich im BetrVG mit der Kündigung befassen, etwa § 102 BetrVG oder § 111 BetrVG3. Der Wortlaut des § 323 Abs. 1 UmwG, der auf die individuelle kündigungs- und damit kündigungsschutzrechtliche Stellung eines Arbeitnehmers im weiteren Sinne abstellt, spricht bereits dagegen4. Die abweichende Sichtweise begegnet systematischen Einwänden wegen § 325 Abs. 2 UmwG, der diese Fragen für Spaltung und Teilübertragung ausdrücklich – und das nur fakultativ – den Betriebsparteien ermöglicht. Danach können durch Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag die Fortgeltung der Beteiligungsrechte auch nach § 102 BetrVG5 vereinbart werden, wenn die Spaltung oder Teilübertragung eines Rechtsträgers die Spaltung eines Betriebs zur Folge hat und für die aus der Spaltung hervorgegangenen Betriebe Rechte oder Beteiligungsrechte des Betriebsrats entfallen.
19.9
VI. Adressat und Inhalt der Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG 1. Zuständigkeit und Adressat a) Grundsätze Die Pflicht zur Beteiligung des zuständigen Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist zunächst vom Betriebsübergang unabhängig. Es bleibt grundsätzlich bei der Zuständigkeit des Betriebsrats. Der Gesamtbetriebsrat wird insbesondere nicht zuständig, wenn ein Arbeitnehmer einem Betriebsübergang widerspricht und vom Arbeitgeber bis zum Kündigungsausspruch in keinen anderen Betrieb des Unternehmens (tatsächlich) eingegliedert wird6. Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats kann aber kraft Delegation nach § 50 Abs. 2 BetrVG begründet werden7. Der Betriebsrat des Betriebserwerbers hat nach §§ 99 ff. BetrVG kein Mitbestimmungsrecht8.
19.10
Fällt der Kündigungsentschluss vor dem Übergang der Arbeitsverhältnisse und soll die Kündigung vor dem Betriebsübergang ausgesprochen werden, muss die Anhörung des Betriebsrats beim übertragenden Rechtsträger erfolgen. Der Arbeitgeber muss das für ihn zuständige Gremium über seine Gründe für die Kündigung unterrichten. Geht die Kündigungserklärung dann erst nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer zu, ist dies unerheblich für die Frage der Beteiligung. Soll die Kündigung im Anschluss an den Übergang
19.11
1 Vgl. ausführlich Grau/Hartmann in Preis/Sagan, Rz. 15.205 ff. 2 Vgl. zur unionsrechtlichen Konsultationspflicht BAG v. 12.2.2019 – 1 AZR 279/17, NZA 2019, 719. 3 HWK/Willemsen, § 323 UmwG Rz. 14. 4 HWK/Willemsen, § 323 UmwG Rz. 2, 14. 5 HWK/Willemsen, § 325 UmwG Rz. 13. 6 BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12, NZA 2015, 889 Rz. 30 ff.; Niklas, DB 2015, 685, 686. 7 APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 73. 8 BAG v. 7.11.1975 – 1 ABR 78/74, AP BetrVG 1972 § 99 Nr. 3.
Roloff | 727
§ 19 Rz. 19.11 | Beteiligung des Betriebsrats
des Arbeitsverhältnisses erfolgen, müssen grundsätzlich die Beteiligungsrechte des dort zuständigen Betriebsrats durch den übernehmenden Rechtsträger gewahrt werden. Das ist schwierig, wenn nicht geklärt ist, wer für die übernommenen Arbeitnehmer zuständig ist. Eine ohne Anhörung bzw. ohne ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam, § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG. b) Kündigung des Erwerbers bzw. Übernehmers
19.12
Will der Erwerber kündigen, stellt sich für ihn u.U. das Problem, wen er anhört. Bei einem eingliedernden Betriebsübergang ist ohne Weiteres der Betriebsrat beim Erwerber zuständig. Ein den Betrieb erhaltender Betriebsübergang führt i.d.R. nicht zur Auflösung des Betriebsrats (vgl. Rz. 24.5). Der Wechsel des Betriebsinhabers ist ohne Bedeutung für die betriebsverfassungsrechtliche Stellung des für diesen Betrieb gewählten Betriebsrats1. Für die Rechtsstellung des Betriebsrats ist es ohne Belang, ob der Betrieb infolge eines Rechtsgeschäfts oder einer Umwandlung oder Gesamtrechtsnachfolge auf den Betriebsübernehmer übergeht, solange nur die Identität des Betriebs fortbesteht. Das Gleiche gilt, wenn ein selbständiger Betriebsteil (§ 4 BetrVG), für den ein eigener Betriebsrat gewählt ist, auf einen Erwerber übergeht, solange der übergehende Betriebsteil nur eine wirtschaftliche Einheit i.S.d. § 613a Abs. 1 BGB bildet und als solche fortbesteht2. Fällt der Betrieb nach der Betriebsübernahme nicht mehr unter den Geltungsbereich des BetrVG (Übernahme durch einen kirchlichen Träger, Absinken der Arbeitnehmerzahl), endet mit der Übernahme der Leitungsmacht des Betriebserwerbers das Betriebsratsamt3. In diesem Fall kommt aber das Bestehen eines Restmandats des Betriebsrats in Betracht, § 21b BetrVG (vgl. Rz. 24.77 ff.)4.
19.13
Wenn die Kündigung im Rahmen einer tatsächlichen Betriebsspaltung i.S.d. § 21a BetrVG erfolgen soll, muss differenziert werden, da in diesem Fall der Betriebsrat des ursprünglichen Betriebs im Amt bleibt und die Geschäfte für die ihm bislang zugeordneten Betriebsteile weiterführt, soweit sie die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erfüllen und nicht in einen Betrieb eingegliedert werden, in dem ein Betriebsrat besteht: Solange das Übergangsmandat des § 21a BetrVG zum Tragen kommt, ist der bisherige Betriebsrat weiterhin auch nach § 102 Abs. 1 BetrVG zuständig (vgl. Rz. 24.25 ff.)5. Dies gilt selbst dann, wenn die Kündigung durch den übernehmenden Rechtsträger ausgesprochen werden soll und der Betriebsrat aber beim übertragenden Rechtsträger fortbesteht. Seine Zuständigkeit endet, wenn der übertragene Betriebsteil in einen Betrieb eingegliedert wird, in dem ein Betriebsrat besteht, und die Beteiligung des Betriebsrats erst nach dieser Eingliederung erfolgt. Sie endet auch dann, wenn in den neu gebildeten Einheiten ein Betriebsrat gewählt und das Wahlergebnis bekannt gegeben wurde, spätestens aber nach 6 bzw. 12 Monaten (§ 21a Abs. 1 Satz 3, 4 BetrVG). Entsprechendes gilt bei der unternehmensinternen Betriebsspaltung oder der Spaltung eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen (vgl. Rz. 24.35 f.).
1 BAG v. 11.10.1995 – 7 ABR 17/95, AP BetrVG 1972 § 21 Nr. 2; BAG v. 27.7.1994 – 7 ABR 37/93, NZA 1995, 222, 225; BAG v. 28.9.1988 – 1 ABR 37/87, NZA 1989, 188, 189. 2 Vgl. BAG v. 25.2.2020 – 1 ABR 39/18 – NZA 2020, 875. 3 BAG 9.2.1982 – 1 ABR 36/80, AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 24. 4 APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 55. 5 Fitting, § 21a BetrVG Rz. 20.
728 | Roloff
Anhörung zur Kündigung nach § 102 BetrVG | Rz. 19.18 § 19
c) Kündigung nach Widerspruch gegen den Betriebsübergang Widerspricht der von einem Betriebsübergang bzw. einer Umwandlung nach § 324 UmwG i.V.m. § 613a Abs. 1 BGB betroffene Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses, besteht dieses beim übertragenden Rechtsträger fort. Soweit dieser zur Kündigung des widersprechenden Arbeitnehmers oder anderer Arbeitnehmer berechtigt ist und beim Veräußerer noch ein Betriebsrat besteht, ist grundsätzlich auch § 102 BetrVG zu berücksichtigen.
19.14
Widerspricht ein Arbeitnehmer allerdings dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses, wenn der Betrieb als Ganzes gemäß § 613a BGB durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Arbeitgeber übergeht, endet seine Zugehörigkeit zu dem auf den Erwerber übergegangenen Betrieb. Eine nach Betriebsübergang durch den Betriebsveräußerer erklärte Kündigung des Arbeitsverhältnisses bedarf daher nicht der Anhörung des im übergegangenen Betrieb fortbestehenden Betriebsrats. Dieser besitzt weder ein Übergangsmandat (§ 21a BetrVG) noch ein Restmandat (§ 21b BetrVG). Deren Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Betriebsrat behält allein das ihm durch Wahl übertragene Vollmandat zur Vertretung der dem Betrieb zugehörigen Arbeitnehmer zur Wahrung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben1.
19.15
Gemäß § 21b BetrVG bleibt der Betriebsrat in Fällen, in denen der Betrieb durch Stilllegung, Spaltung oder Zusammenlegung untergeht, so lange im Amt, wie dies zur Wahrnehmung der damit in Zusammenhang stehenden Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte erforderlich ist. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn der Betrieb unter Wahrung seiner Identität auf den Betriebserwerber übergeht. In diesen Fällen behält der Betriebsrat uneingeschränkt das ihm durch Wahl übertragene Vollmandat zur Vertretung der dem Betrieb zugehörigen Arbeitnehmer und zur Wahrung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben (vgl. Rz. 24.5)2. Widersprechen einzelne Arbeitnehmer dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber, ist dies für sich genommen kein Vorgang, an den ein Restmandat anknüpfen könnte. Insbesondere wird der Betrieb aufgrund solcher Erklärungen nicht „gespalten“3.
19.16
Wenn ein erheblicher Teil der Belegschaft vom Widerspruchsrecht Gebrauch macht, wird nichts anderes gelten. Die Zuständigkeit des Betriebsrats knüpft an den Betrieb und nicht isoliert an die dort beschäftigten Arbeitnehmer an4. Eine Ausnahme kann nur dann gelten, wenn durch den kollektiven Widerspruch der Betriebsübergang rückwirkend – etwa in betriebsmittelarmen Bereichen – ausscheidet und der Betrieb daher beim übertragenden Rechtsträger fortbesteht.
19.17
Der „übergegangene“ Betriebsrat besitzt auch kein Übergangsmandat i.S.v. § 21a BetrVG (vgl. Rz. 24.28)5. Ein Übergangsmandat setzt nach dem Wortlaut des Gesetzes eine Spaltung des Betriebs (§ 21a Abs. 1 BetrVG) oder die Zusammenfassung von Betrieben oder Betriebsteilen zu einem Betrieb (§ 21a Abs. 2 BetrVG) und damit gleichfalls eine Veränderung in der Be-
19.18
1 BAG v. 24.9.2015 – AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 64 ff.; BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12, NZA 2015, 889 Rz. 36. 2 Vgl. BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12, NZA 2015, 889 Rz. 36; BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277 Rz. 49; BAG v. 11.10.1995 – 7 ABR 17/95, NZA 1996, 495; BAG v. 28.9.1988 – 1 ABR 37/87, NZA 1989, 188, 189. 3 BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 66; BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12, NZA 2015, 889 Rz. 37; zustimmend Hidalgo/Kobler, NZA 2014, 290, 291; von Medem, GWR 2013, 99; s. auch Fuhlrott/Oltmanns, BB 2015, 1013, 1014. 4 Hidalgo/Kobler, NZA 2014, 290, 292. 5 BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12, NZA 2015, 889 Rz. 38 ff.
Roloff | 729
§ 19 Rz. 19.18 | Beteiligung des Betriebsrats
triebsorganisation voraus. Daran fehlt es bei der Übertragung des ganzen Betriebs auf einen anderen Rechtsträger. Sinn und Zweck des Übergangsmandats gebieten kein anderes Normverständnis. Das Übergangsmandat soll im Fall einer betrieblichen Umstrukturierung die Beteiligungsrechte des Betriebsrats erhalten und bis zur Neuwahl eines Betriebsrats in der/den neu gebildeten Einheit(en) eine betriebsratslose Zeit vermeiden1. Für ein Übergangsmandat besteht deshalb kein Bedarf, soweit der Betriebsrat nach allgemeinen Regeln für den gesamten Betrieb regulär im Amt bleibt2.
19.19
Das gilt auch, wenn einzelne Arbeitnehmer wirksam dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprechen und ihr Arbeitsverhältnis aufgrund dessen zum bisherigen Betriebsinhaber fortbesteht3. Für eine – entsprechende – Anwendung von § 21a BetrVG ist in einem solchen Fall kein Raum4. Der Annahme einer unbeabsichtigten Regelungslücke steht entgegen, dass der Gesetzgeber die Entstehung eines Übergangs- und eines Restmandats an tatbestandlich klar umgrenzte Änderungen in der Betriebsorganisation gebunden hat. Zudem setzt das Übergangsmandat voraus, dass der aus einer Spaltung hervorgegangene Betrieb oder Betriebsteil die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erfüllt. Die Einheit, für die das Übergangsmandat besteht, muss betriebsratsfähig sein. Dazu muss es sich bei ihr, unabhängig von der Beschäftigtenzahl, um einen Betrieb handeln. Eine Gruppe von Arbeitnehmern, die einem Betriebsübergang widersprochen haben, stellt für sich allein noch keinen Betrieb dar5. Das Ergebnis ist nach Auffassung des 2. Senats mit Art. 6 Nr. 1 der Richtlinie 2001/12/EG vereinbar. Das Unionsrecht verlangt nicht nach der voraussetzungslosen Anerkennung eines Übergangs- oder Restmandats des Betriebsrats für die Beteiligung an Kündigungen von Arbeitnehmern, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang widersprochen und dadurch selbst ihre Zugehörigkeit zu der fortbestehenden betrieblichen Einheit aufgehoben haben6.
19.20
Das BAG hat es auch abgelehnt, in diesem Fall eine Zuständigkeit des eventuell beim Arbeitgeber bestehenden Gesamtbetriebsrats anzunehmen. Diese Rechtsprechung ist zutreffend, denn der Arbeitnehmer ist hier nicht einem Betrieb zugeordnet, der keinen Betriebsrat hat, sondern keinem Betrieb; schon daher ist sein Kündigungsschutz keine „Angelegenheit, die mehrere Betriebe betrifft“7.
19.21
Kommt es vor dem Betriebsübergang zu einer Spaltung, fehlt es an dem für die Anwendung von § 21b BetrVG erforderlichen Zusammenhang der Kündigung mit der Aufspaltung eines Betriebs. Das Restmandat ist kein Vollmandat, sondern lediglich ein nachwirkendes Teilmandat. Es soll bei Eingreifen eines der in § 21b BetrVG beschriebenen Tatbestände gewährleisten, dass die zur Abwicklung nötigen betrieblichen Regelungen noch getroffen werden können. Es setzt daher einen funktionalen Bezug zu den durch die Stilllegung, Spaltung oder Zusammenlegung ausgelösten Aufgaben des Betriebsrats voraus. § 21b BetrVG begründet kein allgemeines Mandat für alle im Zeitpunkt der betrieblichen Umstrukturierung noch nicht erledigten Betriebsratsaufgaben. Ebenso wenig erstreckt sich das Restmandat auf Aufgaben, die erst nach einer Betriebsspaltung in den durch sie geschaffenen neuen Einheiten anfallen. Solche Auf-
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BT-Drucks. 14/5741, S. 39. ErfK/Koch, § 21a BetrVG Rz. 3; Fitting, § 21a BetrVg Rz. 7; Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 5. Wlotzke/Preis/Kreft/Wlotzke, § 21a BetrVG Rz. 4; Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 20. BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12, NZA 2015, 889 Rz. 41. BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12, NZA 2015, 889 Rz. 42. BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12, NZA 2015, 889 Rz. 43. Richardi/Thüsing, § 102 BetrVG Rz. 40.
730 | Roloff
Anhörung zur Kündigung nach § 102 BetrVG | Rz. 19.23 § 19
gaben können allenfalls Gegenstand eines Übergangsmandats sein1. Die Erklärung des Widerspruchs gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses ist ihrerseits kein Vorgang, an den ein Restmandat anknüpfen könnte. Ob etwas anderes in einem betriebsmittelarmen Betrieb zu gelten hat, wenn ein erheblicher Teil der Belegschaft vom Widerspruchsrecht Gebrauch macht, hat der 2. Senat zuletzt offengelassen2. Das Gleiche gilt, wenn der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses im Zusammenhang mit einer Auflösung seines Betriebs – wenn insoweit § 613a Abs. 1 BGB zur Anwendung kommt – widerspricht, die zeitgleich mit einem Übertragungsvorgang erfolgt und zur Folge hat, dass alle dem Betrieb bislang zugeordneten Betriebsteile unterschiedlichen Rechtsträgern als Erwerber zugeordnet werden, ohne dass beim übertragenden Rechtsträger und bisherigen Betriebsinhaber noch ein Betriebsteil verbleibt. Die Kündigung eines Arbeitnehmers, dessen Arbeitsverhältnis als Folge des Widerspruchs beim Veräußerer verbleibt, bedarf daher nicht der Anhörung des bei einem Erwerber fortbestehenden Betriebsrats, unabhängig davon, ob es sich dabei um ein Vollmandat handelt, weil die Betriebsteile als gemeinsamer Betrieb der übernehmenden Rechtsträger fortgeführt werden, oder ob das Mandat als Übergangsmandat nach § 21a Abs. 1 BetrVG im größten Betriebsteil besteht. Der Betriebsrat hat nur ein Mandat für die weiterhin im Betrieb bzw. in den früher dem Betrieb zugeordneten Betriebsteilen beschäftigten Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis beim Veräußerer fortbesteht, gehört nach Wirksamwerden des Widerspruchs keinem Betrieb oder Betriebsteil (mehr) an. Eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG vor der Kündigung entfällt daher. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn mehrere Arbeitnehmer dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprechen.
19.22
2. Inhalt der Anhörung Bei der Anhörung nach § 102 BetrVG sind die subjektiv determinierten Gründe des Arbeitgebers für die Kündigung mitzuteilen. Erfolgt die Kündigung im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang oder Umwandlung, muss der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht über die gesellschaftsrechtlichen und wirtschaftlichen Hintergründe für den Wechsel des Betriebsinhabers informieren3. Allerdings wird er den Betriebsrat über die Umstände unterrichten müssen, die dazu führen, dass die Kündigung nicht wegen des Betriebsübergangs ausgesprochen wird (§ 613a Abs. 4 Satz 1 BGB). Auch wenn die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG grundsätzlich nicht so weit wie seine Darlegungslast im Prozess reicht4, dürfte dies dem durch Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2001/23/EG gebotenen Schutz des Arbeitnehmers vor Kündigungen wegen des Betriebsübergangs entsprechen5. Das betrifft vor allem die soziale Rechtfertigung aus § 1 KSchG sowie den Grund für die außerordentliche Kündigung aus § 626 Abs. 1 BGB. Angaben zur Kündigungsfrist, zur Kündigungserklärungsfrist oder zu tarifvertraglichem Sonderkündigungsschutz, die nicht zu den „Gründen für die Kündigung“ gehören, müssen nicht erfolgen6. Hält der Arbeitgeber eine Sozialauswahl – etwa BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 64. BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 66. BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 493/05, n.v. Rz. 36; APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 109. BAG v. 7.5.2020 – 2 AZR 678/19, NZA 2020, 1110 Rz. 15. Vgl. BAG v. 27.2.2020 – 8 AZR 215/19, NZA 2020, 1303 Rz. 168, das die Frage stellt, ob es nicht unionsrechtlich geboten sei, dem Arbeitgeber die Darlegungslast für das Fehlen einer Kündigung wegen Betriebsübergangs aufzuerlegen; abw. noch BAG v. 22.6.2011 – 8 AZR 107/10, NZA-RR 2012, 119 Rz. 32 f. 6 BAG v. 7.5.2020 – 2 AZR 678/19, NZA 2020, 1110 Rz. 17.
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Roloff | 731
19.23
§ 19 Rz. 19.23 | Beteiligung des Betriebsrats
wegen Widerspruchs des Arbeitnehmers gegen einen Betriebsübergang – nicht für erforderlich, müssen die sozialen Gesichtspunkte vergleichbarer Arbeitnehmer nicht mitgeteilt werden1.
19.24
Eine wirksame Anhörung des Betriebsrats erfordert, dass der Arbeitgeber bei Einleitung des Anhörungsverfahrens einen aktuellen Kündigungsentschluss gefasst hat und den Betriebsrat zu einer bestimmten beabsichtigten Kündigung anhört. Der ist auch gegeben, wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Einleitung des Anhörungsverfahrens seine Entscheidung, ob er eine Beendigungskündigung oder eine Änderungskündigung erklären will, davon abhängig macht, ob der zu kündigende Arbeitnehmer einem Betriebsübergang widerspricht2. Ist die Kündigung bloßes Scenario möglichen Handelns, das so oder auch anders ausfallen kann, dann ist eine Stellungnahme des Betriebsrats erschwert, ggf. unmöglich3. Folglich ist eine solche Anhörung als Vorratsanhörung unzulässig4.
3. Darlegungslast 19.25
Im Prozess ist es Sache des Arbeitnehmers, die für ihn günstige Tatsache darzulegen und ggf. zu beweisen, dass § 102 BetrVG zur Anwendung kommt. Ist ihm dies gelungen, trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine ordnungsgemäße Anhörung erfolgt ist5.
B. Kündigung von Betriebsratsmitgliedern I. Anwendung des § 15 KSchG 19.26
Auch die Arbeitsverhältnisse der Betriebsratsmitglieder gehen nach einem Betriebsübergang kraft Gesetzes auf den Erwerber nach § 613a Abs. 1 BGB über. Da das Arbeitsverhältnis durch den Betriebsübergang nicht beendet wird, greift auch § 15 KSchG nicht ein. Bleibt der Betrieb unverändert bestehen, behält das Betriebsratsmitglied sein Mandat und zudem seinen Schutz nach § 15 KSchG6.
19.27
Ist zunächst eine Stilllegung vom Arbeitgeber geplant, kündigt er dem Betriebsratsmitglied nach § 15 Abs. 4 oder 5 KSchG und findet dann ein Betriebsübergang statt, sollen die Anforderungen des Arbeitgebers an seine Darlegungslast hinsichtlich der Stilllegungsentscheidung verschärft werden7. Bei alsbaldiger Wiedereröffnung soll zudem eine starke Vermutung gegen
1 BAG v. 24.2.2000 – 8 AZR 167/99, AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 47; ErfK/Kania, § 102 BetrVG Rz. 9. 2 BAG v. 22.4.2010 – 2 AZR 991/08, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 163; Annuß, Festschrift Buchner, 2009, S. 3. 3 Richardi/Thüsing, § 102 BetrVG Rz. 126. 4 BAG v. 19.1.1983 – 7 AZR 514/80, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 28. 5 BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12, NZA 2015, 889 Rz. 32; BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277 Rz. 43; BAG v. 23.6.2005 – 2 AZR 193/04, NZA 2005, 1233, 1234. 6 APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 21; Eylert/Sänger, RdA 2010, 24, 25; MünchKommBGB/Hergenröder, § 15 KSchG Rz. 85. 7 MünchKommBGB/Hergenröder, § 1 KSchG Rz. 391 unter Bezugnahme auf BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465.
732 | Roloff
Kündigung von Betriebsratsmitgliedern | Rz. 19.29 § 19
die Stilllegungsabsicht sprechen1. Der Arbeitnehmer kann die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses verlangen.
II. Teilbetriebsübergang Wenn nur ein Betriebsteil – und mit ihm ein nach § 613a Abs. 1 BGB zugeordnetes Betriebsratsmitglied – auf einen Erwerber mit eigenem Betriebsrat übergeht, während der Betriebsrat in dem beim Veräußerer verbleibenden Restbetrieb fortbesteht, beginnt für diesen Arbeitnehmer gegenüber dem Erwerber der nachwirkende Kündigungsschutz gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG2. Denn beim Übergang eines Betriebsteils auf einen Betrieb mit Betriebsrat endet das Betriebsratsamt eines in diesem Teil beschäftigten Arbeitnehmers, § 24 Nr. 3 BetrVG; für dieses Betriebsratsmitglied beginnt mit dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs gegenüber dem Erwerber der nachwirkende Kündigungsschutz. Der Zweck einer kontinuierlichen Arbeitnehmervertretung und die Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen können und müssen mangels Amt beim Erwerber des Betriebsteils nicht mehr geschützt werden. Von einer Vereitelung des Schutzzwecks der Norm kann nicht gesprochen werden3. Das muss auch für § 103 BetrVG gelten, da der Betriebsrat beim Veräußerer fortbesteht. Eine Zustimmung des Betriebsrats ist bei einer Kündigung durch den übernehmenden Rechtsträger nicht erforderlich.
19.28
Besteht beim Erwerber kein Betriebsrat, erhält der ursprüngliche Betriebsrat für regelmäßig längstens sechs Monate ein Übergangsmandat, wenn der abgespaltene Betriebsteil grundsätzlich dem BetrVG unterfallen würde (§ 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Das übergehende Betriebsratsmitglied behält dann seinen Sonderkündigungsschutz auch nach § 103 BetrVG, da die Mitglieder des Betriebsrats auch während der Ausübung des Übergangsmandats besonderen Kündigungsschutz genießen müssen. Dies gilt, obwohl Mandat und Arbeitsverhältnis nach einer unternehmensübergreifenden Umstrukturierung auseinanderfallen (vgl. Rz. 19.13). Wird ein von zwei Unternehmen geführter Gemeinschaftsbetrieb aufgelöst, weil eines der beiden Unternehmen seine betriebliche Tätigkeit – also einen Betriebsteil – auf einen Erwerber überträgt, führt dies grundsätzlich nicht zur Beendigung der Amtszeit des für den Gemeinschaftsbetrieb gewählten Betriebsrats. Dieser nimmt für die verbleibenden Arbeitnehmer des anderen Unternehmens weiterhin die ihm nach dem Betriebsverfassungsgesetz zustehenden Rechte und Pflichten wahr4. Führt die Auflösung des Gemeinschaftsbetriebs dazu, dass die Belegschaftsstärke innerhalb von 24 Monaten nach der Betriebsratswahl um die Hälfte, mindestens aber um 50 Arbeitnehmer sinkt oder dass die Gesamtzahl der Betriebsratsmitglieder einschließlich der Ersatzmitglieder unter die gesetzlich vorgeschriebene Zahl sinkt, ist nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BetrVG ein neuer Betriebsrat zu wählen. Unterbleibt dies, führt der bisherige Betriebsrat nach § 22 BetrVG die Geschäfte bis zum Ablauf der regelmäßigen Amtszeit nach § 21 Satz 3 BetrVG weiter. Dies gilt auch, wenn nur noch eines von sieben Betriebsratsmitgliedern im Amt ist5.
19.29
1 BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465 Rz. 40; BAG v. 27.9.1984 – 2 AZR 309/83, NZA 1985, 493, 495. 2 BAG v. 14.2.2002 – 8 AZR 175/01, NZA 2002, 1027, 1028. 3 BAG v. 14.2.2002 – 8 AZR 175/01, NZA 2002, 1027, 1028. 4 BAG v. 19.11.2003 – 7 AZR 11/03, NZA 2004, 435, 437. 5 BAG v. 19.11.2003 – 7 AZR 11/03, NZA 2004, 435, 437.
Roloff | 733
§ 19 Rz. 19.30 | Beteiligung des Betriebsrats
III. Widerspruch gegen den Betriebs- oder Betriebsteilübergang 19.30
Widerspricht das Betriebsratsmitglied dem Betriebsübergang gemäß § 613 a Abs. 6 BGB, besteht zwar das Arbeitsverhältnis fort. Das Betriebsratsamt endet allerdings aufgrund des Widerspruchs, wenn der Betrieb insgesamt mitsamt Betriebsrat auf den Erwerber übergegangen ist. Denn das Mitglied ist nicht mehr Arbeitnehmer des Erwerberbetriebs und nicht mehr Betriebsangehöriger. Mitglieder des Vertretungsorgans können nur solche Personen sein, die Arbeitnehmer des Betriebsinhabers sind und dem Betrieb angehören1. Wenn also der Betrieb und der Betriebsrat übergegangen sind, genießt der Arbeitnehmer bei seinem bisherigen Arbeitgeber nur den nachwirkenden Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG.2 Geht der gesamte Betrieb über, wird darin zudem eine Stilllegung i.S.d. § 15 Abs. 4 KSchG gesehen, die den Veräußerer zur Kündigung berechtigt3. Zwar liegt keine Stilllegung eines Betriebs im eigentlichen Wortsinn vor. § 15 Abs. 4 KSchG findet aber entsprechende Anwendung auf den Fall des Betriebsübergangs, wenn der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widerspricht4 .
19.31
Für den Übergang einer Betriebsabteilung oder eines Betriebsteils gilt § 15 Abs. 5 KSchG entsprechend, wenn der dort beschäftigte Betriebsrat dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widerspricht. Auch in diesem Falle entfällt auf Dauer jede Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer in der betreffenden Betriebsabteilung. Nach Satz 1 gilt jedoch: Wird eine der geschützten Personen in einer Betriebsabteilung beschäftigt, die stillgelegt wird, so ist sie in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen. Ist dies aus betrieblichen Gründen nicht möglich, ist die Kündigung nach dem Widerspruch gegen den Betriebsteilübergang entsprechend § 15 Abs. 4 KSchG zulässig5. Auch hier scheidet eine Anwendung des § 103 BetrVG aus, wenn beim Erwerberbetrieb ein Betriebsrat gebildet ist (vgl. Rz. 19.28).
IV. Kündigungsrechtliche Stellung bei Umwandlungen i.S.d. § 323 Absatz 1 UmwG 19.32
Mit der Spaltung oder Teilübertragung eines Betriebs iSd. § 323 Abs. 1 UmwG und dem Übergang der Arbeitsverhältnisse nach § 324 UmwG i.V.m. § 613a Abs. 1 BGB gelten die bereits dargestellten allgemeinen Grundsätze. Es kann auch hier die betriebsverfassungsrechtliche Identität des Betriebs verlorengehen6 und das Amt des Betriebsratsmitglieds enden. Eine Anwendung des § 103 BetrVG kann dann ebenfalls ausscheiden (vgl. Rz. 19.28)7. Allerdings soll § 323 Abs. 1 BGB den nach § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG bestehenden individualrechtlichen nachwirkenden Kündigungsschutz für die Dauer von zwei Jahren ab der Eintragung der Umwandlung im Register fortbestehen lassen8. Eine allein auf § 323 Abs. 1 UmwG beruhende Anwendung des § 103 BetrVG wird wegen § 325 Abs. 2 UmwG überwiegend verneint9.
BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 416/99, NZA 2000, 1115, 1118. APS/Linck, § 15 KSchG Rz. 21. Linck/Krause/Bayreuther/Bayreuther, § 15 KSchG Rz. 88. BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 416/99, NZA 2000, 1115, 1118. BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 416/99, NZA 2000, 1115, 1118. Vgl. BAG v. 18.10.2000 – 2 AZR 494/99, NZA 2001, 321, 324. HWK/Willemsen, § 323 UmwG Rz. 13. Offengelassen BAG 18.10.2000 – 2 AZR 494/99, NZA 2001, 321; bejahend APS/Steffan, § 323 UmwG Rz. 13 m.w.N.; ErfK/Oetker, § 323 UmwG Rz. 3; a.A. KR/Friedrich/Spilger, §§ 322–324 UmwG Rz. 46. 9 ErfK/Oetker, § 323 UmwG Rz. 3 m.w.N.
1 2 3 4 5 6 7 8
734 | Roloff
Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten | § 20
Geht das Arbeitsverhältnis bei der Umwandlung kraft Zustimmung des Arbeitnehmers und Betriebsrats im Rahmen der Umwandlung – ohne das Vorliegen der Voraussetzungen des § 613a Abs. 1 BGB – auf den neuen Arbeitgeber über1, gelten die vorgenannten Grundsätze ebenfalls entsprechend. Zwar kann der Arbeitnehmer diesem Übergang des Arbeitsverhältnisses nicht widersprechen, allerdings wird er mit der Zustimmung zum Arbeitgeberwechsel nicht auf den besonderen Schutz nach § 15 KSchG verzichten. Das gilt auch und gerade, wenn er infolge der Ausübung seines Wahlrechts nach fehlerhafter Zuordnung aufgrund § 323 Abs. 2 BGB2 sein Arbeitsverhältnis bei einem an der Spaltung oder Verschmelzung beteiligten Arbeitgeber fortsetzt.
§ 20 Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten
A. Klagegegenstand und Klagegegner I. Typische Streitgegenstände . . . . . . . II. Betriebsübergang und prozessuale Stellung 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die erweiterte Bindungswirkung nach § 265 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . 3. Folgen dieses Ansatzes . . . . . . . . 4. Streitgenossenschaft . . . . . . . . . . 5. Ansätze des 2. und des 8. Senats des BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Parteierweiterung in der Berufungsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . III. Prozessuale Konstellationen 1. Fortbestehensantrag gegen den Erwerber – „Betriebsübergangsfeststellungsklage“ . . . . . . . . . . . . 2. Fortbestehensantrag gegen den Veräußerer nach Widerspruch gegen den Betriebsübergang und bei streitigem Betriebsübergang . 3. Kündigungsschutzklage – Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . .
20.1
20.6 20.8 20.12 20.16 20.17 20.25
20.27
4. 5. 6.
20.30 7. 20.33
b) Kündigungsschutzklage nach der Kündigung des bisherigen Arbeitgebers aa) Betriebsübergang nach An- bzw. Rechtshängigkeit der Kündigungsschutzklage . . . . . . . . . . bb) Betriebsübergang vor Anhängigkeit des Kündigungsschutzprozesses c) Kündigung des Erwerbers nach dem Betriebsübergang d) Kündigung des Veräußerers nach Betriebsübergang . . . . e) Ergänzender Feststellungsantrag gegen den Erwerber . Entfristungsklage . . . . . . . . . . . . Streitwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterbeschäftigungsantrag a) Betriebsübergang nach dem Ablauf der Kündigungsfrist b) Betriebsübergang vor dem Ablauf der Kündigungsfrist Klage auf Wiedereinstellung/ Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20.38 20.50 20.58 20.62 20.66 20.68 20.69
20.70 20.71
20.74
1 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, NZA 2018, 370. 2 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, NZA 2018, 370.
Roloff | 735
19.33
Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten | § 20
Geht das Arbeitsverhältnis bei der Umwandlung kraft Zustimmung des Arbeitnehmers und Betriebsrats im Rahmen der Umwandlung – ohne das Vorliegen der Voraussetzungen des § 613a Abs. 1 BGB – auf den neuen Arbeitgeber über1, gelten die vorgenannten Grundsätze ebenfalls entsprechend. Zwar kann der Arbeitnehmer diesem Übergang des Arbeitsverhältnisses nicht widersprechen, allerdings wird er mit der Zustimmung zum Arbeitgeberwechsel nicht auf den besonderen Schutz nach § 15 KSchG verzichten. Das gilt auch und gerade, wenn er infolge der Ausübung seines Wahlrechts nach fehlerhafter Zuordnung aufgrund § 323 Abs. 2 BGB2 sein Arbeitsverhältnis bei einem an der Spaltung oder Verschmelzung beteiligten Arbeitgeber fortsetzt.
§ 20 Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten
A. Klagegegenstand und Klagegegner I. Typische Streitgegenstände . . . . . . . II. Betriebsübergang und prozessuale Stellung 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die erweiterte Bindungswirkung nach § 265 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . 3. Folgen dieses Ansatzes . . . . . . . . 4. Streitgenossenschaft . . . . . . . . . . 5. Ansätze des 2. und des 8. Senats des BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Parteierweiterung in der Berufungsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . III. Prozessuale Konstellationen 1. Fortbestehensantrag gegen den Erwerber – „Betriebsübergangsfeststellungsklage“ . . . . . . . . . . . . 2. Fortbestehensantrag gegen den Veräußerer nach Widerspruch gegen den Betriebsübergang und bei streitigem Betriebsübergang . 3. Kündigungsschutzklage – Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . .
20.1
20.6 20.8 20.12 20.16 20.17 20.25
20.27
4. 5. 6.
20.30 7. 20.33
b) Kündigungsschutzklage nach der Kündigung des bisherigen Arbeitgebers aa) Betriebsübergang nach An- bzw. Rechtshängigkeit der Kündigungsschutzklage . . . . . . . . . . bb) Betriebsübergang vor Anhängigkeit des Kündigungsschutzprozesses c) Kündigung des Erwerbers nach dem Betriebsübergang d) Kündigung des Veräußerers nach Betriebsübergang . . . . e) Ergänzender Feststellungsantrag gegen den Erwerber . Entfristungsklage . . . . . . . . . . . . Streitwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterbeschäftigungsantrag a) Betriebsübergang nach dem Ablauf der Kündigungsfrist b) Betriebsübergang vor dem Ablauf der Kündigungsfrist Klage auf Wiedereinstellung/ Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20.38 20.50 20.58 20.62 20.66 20.68 20.69
20.70 20.71
20.74
1 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, NZA 2018, 370. 2 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, NZA 2018, 370.
Roloff | 735
19.33
§ 20 Rz. 20.1 | Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten 8. Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG a) Antrag des Arbeitnehmers bei Betriebsübergang nach dem Ablauf der Kündigungsfrist . . . . . . . . . . . . . . 20.83 b) Antrag des Arbeitnehmers bei Betriebsübergang vor dem Ablauf der Kündigungsfrist . . . . . . . . . . . . . . 20.84 c) Antrag des Arbeitgebers bei Betriebsübergang nach dem Ablauf der Kündigungsfrist . . . . . . . . . . . . . . 20.85
d) Antrag des Arbeitgebers und des Erwerbers bei Betriebsübergang vor dem Ablauf der Kündigungsfrist e) Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Auflösungsantrags . 9. Klage auf Auskunft über die Informationen nach § 613a Abs. 5 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Darlegungs- und Beweislast . . . . IV. Besonderheiten bei Umwandlungen B. Gerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Organmitglieder . . . . . . . . . . . . . . .
20.86 20.88
20.89 20.91 20.92 20.95 20.97
A. Klagegegenstand und Klagegegner I. Typische Streitgegenstände 20.1
Bei Beendigungstatbeständen im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang oder einer Umwandlung kommen verschiedene Streitgegenstände in Betracht. Der erste – und vielleicht auch logischste – Fall ist der bereits rechtshängige Prozess zwischen dem Veräußerer und dem Arbeitnehmer, in dem – unabhängig vom Betriebsübergang oder von der Umwandlung – über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gestritten wird. Hier sind i.d.R. Fragen des Parteiwechsels und der Bindungswirkung zu erörtern.
20.2
Der zweite – eher problematische – Fall betrifft das Fortsetzungsverlangen gegenüber dem potentiellen Betriebserwerber. Hier geht es um die mögliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum bisherigen Arbeitgeber und seine Fortsetzung. Zu diesem Streit kann es kommen, wenn der bisherige Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mitteilt, sein Arbeitsverhältnis sei auf einen Erwerber nach § 613a BGB übergegangen, der Erwerber den Übergang der Arbeitsverhältnisse aber in Abrede stellt (Fortsetzungsverlangen). Dieser Sachverhalt ist leicht abzuwandeln, wenn der Arbeitnehmer den Betriebsübergang bestreitet und die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem bisherigen Arbeitgeber verlangt.
20.3
In der dritten Konstellation ist in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Betriebsübergang eine Kündigung ausgesprochen worden – entweder vom Veräußerer oder vom Erwerber. Hier stellen sich verschiedene Probleme, etwa die Wahrung der Klagefrist gegenüber dem richtigen Arbeitgeber, die richtige Antragstellung, das Stellen von Folgeanträgen – etwa dem Weiterbeschäftigungsantrag oder dem Auflösungsantrag sowie das Verbot der Kündigung wegen des Betriebsübergangs. Hier können verschiedene Abwandlungen gebildet werden – abhängig davon, wann die Kündigung im Verhältnis zum Betriebsübergang ausgesprochen wurde und ob der Betriebsübergang streitig ist oder nicht. Eine weitere Variante entsteht, wenn der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber widerspricht. Weitere Schwierigkeiten entstehen, wenn die Parteistellung zwischen den Instanzen ausgewechselt werden muss. Auch in Umwandlungskonstellationen können Fragen auftauchen, wobei die Umwandlung als solche wegen ihrer Publizität nicht dieselben Fragen aufwirft wie der Betriebsübergang. Hier kann aber die Besonderheit eintreten, dass der übertragende Rechts-
736 | Roloff
Klagegegenstand und Klagegegner | Rz. 20.8 § 20
träger, der Partei des Rechtsstreits war, mit dem Wirksamwerden der Umwandlung erlischt (Aufspaltung/Verschmelzung). Gleiches gilt für die Anwachsung. In der vierten Konstellation geht es um die Frage, gegenüber wem und mit welchem Erfolg der Arbeitnehmer einen Wiedereinstellungsantrag stellen kann, wenn der Betriebsübergang zwar die Kündigung nicht berührt, aber einen Anspruch auf Wiedereinstellung begründet.
20.4
In der fünften Konstellation kommt es zu Prozessvergleichen im Beendigungsprozess zwischen dem Arbeitnehmer und dem Veräußerer oder dem Erwerber und der Arbeitnehmer strebt einen neuen Prozess gegen den anderen an. Hier wird es auch um Fragen der Verwirkung und der Disposition gehen. Diese Konstellationen können stets durch die Kernfrage des Vorliegens eines Betriebsübergangs angereichert werden. Dann gesellt sich i.d.R. ein weiterer Streitgenosse in das Verfahren, der den Prozessausgang erheblich beeinflussen kann. Klagegegenstand und Klagegegner beeinflussen sich wechselseitig.
20.5
II. Betriebsübergang und prozessuale Stellung 1. Grundsätze Abhängig von den vorgenannten Konstellationen wird der Arbeitnehmer den Veräußerer oder den Erwerber oder beide gemeinsam gerichtlich in Anspruch nehmen. Dabei ist festzuhalten, dass der Betriebsübergang, der keine Gesamtrechtsnachfolge darstellt, wesentlich mehr prozessuale Probleme aufwirft als Fälle der universellen Gesamtrechtsnachfolge – etwa bei der Verschmelzung zur Aufnahme, bei der die Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG – unabhängig von § 613a BGB – auf den Gesamtrechtsnachfolger übergehen1. Bei anderen Umwandlungen, die bloß zu einer partiellen Gesamtrechtsnachfolge führen – wie bei der Spaltung – kommt grundsätzlich § 613a BGB i.V.m. § 324 UmwG im selben Umfang zur Anwendung wie bei § 613a BGB unmittelbar. Kommt es in diesen Fällen nicht zu einem Betriebsübergang und damit einem gesetzlichen Übergang der Arbeitsverhältnisse, bedarf es der Zustimmung des Arbeitnehmers zum Arbeitgeberwechsel2. Fehlt es hieran und an den Voraussetzungen des § 613a BGB, hat der Arbeitnehmer ein Wahlrecht, mit welchem der an der Spaltung beteiligten Arbeitgeber sein Arbeitsverhältnis fortsetzen will3. Hier können sich allenfalls Streitigkeiten über den richtigen Arbeitgeber ergeben. Umwandlungen mit einer universellen Gesamtrechtsnachfolge und ihre Besonderheiten gegenüber dem Betriebsübergang sollen gesondert dargestellt werden (vgl. Rz. 20.92).
20.6
Das prozessuale Vorgehen hat erhebliche Auswirkungen auf den Ausgang des Verfahrens. Verklagt der Arbeitnehmer einen der beiden zu Unrecht nicht, kann er den Prozess ganz oder teilweise verlieren. Außerdem trägt er insoweit ein u.U. erhebliches Kostenrisiko und führt eine Partei in das Verfahren ein, die seinem eigentlichen Begehren durch weiteren Sachvortrag schaden kann.
20.7
2. Die erweiterte Bindungswirkung nach § 265 Abs. 2 ZPO Der 5. Senat des BAG hat in seinem Urteil vom 15.12.19764 angenommen, dass ein Schuldnerwechsel nach der Rechtshängigkeit der Klage keinen Einfluss auf den Rechtsstreit habe. Das 1 2 3 4
BAG v. 6.8.2002 – 1 AZR 247/01, NZA 2003, 449. BAG v. 9.10.2017 – 8 AZR 63/16, NZA 2018, 370. BAG v. 9.10.2017 – 8 AZR 63/16, NZA 2018, 370. BAG v. 15.12.1976 – 5 AZR 600/75, AP ZPO § 325 Nr. 1.
Roloff | 737
20.8
§ 20 Rz. 20.8 | Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten
ergebe sich aus § 265 Abs. 2 ZPO analog. Zwar ist es streitig, ob § 265 Abs. 2 ZPO nur Fälle der Veränderung der Berechtigung und nicht auch der Verpflichtung betrifft. Der Arbeitnehmer bleibt aber unabhängig vom Wechsel des Arbeitgebers Inhaber der Klageforderung; es liegt ein Schuldnerwechsel vor. Das BAG hat zwar in diesem Zusammenhang bislang offengelassen, welchem Standpunkt letztlich zu folgen wäre. Es ist aber der Ansicht, dass jedenfalls dann, wenn die Schuldnerstellung durch einen Rechtsübergang nach § 613a BGB verändert wird, § 265 Abs. 2 ZPO entsprechend anzuwenden sei. Schon vom Sinn und Zweck des § 613a BGB her erscheine es geboten, den seine Ansprüche verfolgenden Arbeitnehmer davor zu schützen, dass er sich nach der Betriebsveräußerung auf einen Prozess mit dem neuen Arbeitgeber einlassen müsse. Erwägungen des BGH stehen dieser Annahme aus Sicht des BAG nicht entgegen. Der BGH verlange zwar im Fall der befreienden Schuldübernahme, dass der Gläubiger entweder den neuen Schuldner anstelle des bisherigen Schuldners im Wege des gewillkürten Parteiwechsels in den Rechtsstreit hineinziehe oder dass der Gläubiger die Klage zurücknehme oder die Hauptsache für erledigt erkläre. Mit einem solchen Fall ist – so das BAG – der Schuldnerwechsel beim Betriebsübergang indes nicht vergleichbar. Der BGH habe es nämlich als wesentlich angesehen, dass der Gläubiger selbst durch Vereinbarung mit dem neuen Schuldner oder durch Genehmigung der zwischen den beiden Schuldnern vereinbarten Schuldübernahme (§ 414 bzw. § 415 BGB) den Schuldnerwechsel erst ermöglicht habe. Da ohne Mitwirkung des Gläubigers eine befreiende Schuldübernahme nicht möglich sei, bedürfe dieser Gläubiger wegen des schwebenden Rechtsstreits keines Schutzes1. Gerade hierin unterscheide sich aber der Fall des Betriebsübergangs: Das Arbeitsverhältnis gehe hier kraft Gesetzes auf den neuen Arbeitgeber über. Der Schuldner habe praktisch keine Möglichkeit, in einem Fall des vollständigen Betriebsübergangs diesem Betriebsinhaberwechsel und damit dem Übergang des Arbeitsverhältnisses zu widersprechen, wenn er nicht seinen bisherigen Arbeitsplatz riskieren wolle2.
20.9
Dieser Sichtweise ist Leipold früh entgegengetreten. Es müsse dem Kläger überlassen werden, ob er nach wie vor den bisherigen Beklagten in Anspruch nehme. Dann müsse über diese Rechtsbehauptung auch entschieden werden. Aus der Schuldnachfolge des § 613a BGB sei abzuleiten, dass der neue Schuldner der Einbeziehung in den Prozess nicht widersprechen könne und dass er – vor allem – an die bisherigen Prozessergebnisse gebunden sei. Der Vorteil dieser Lösung wäre, dass einerseits die Verpflichtung des neuen Schuldners in vollem Umfang zu prüfen sei (also einschließlich der Voraussetzungen der Schuldnachfolge), dass aber dafür andererseits der neue Schuldner die Möglichkeit habe, zu dieser Frage und – soweit es der Verfahrensstand gestatte – auch noch zu der Frage nach dem ursprünglichen Bestehen der Forderung seinen eigenen Standpunkt vorzutragen (ohne die bei einer Nebenintervention aus § 265 Abs. 2 Satz 3, § 67 ZPO folgende Begrenzung durch Prozesshandlungen der Hauptpartei). Was die kostenrechtlichen Fragen angeht, so könnte man für die Kosten des ausscheidenden Beklagten wohl § 91a ZPO analog anwenden3.
20.10
Nach der hier vertretenen Auffassung begibt sich die Lösung von Leipold nicht auf einen abweichenden, sondern einen ergänzenden Weg, der grundsätzlich zu begrüßen ist. Gerade der oft auch mögliche Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses erfordert gewisse Modifikationen bei der Anwendung des § 265 Abs. 2 ZPO. Hinzu kommt, dass die Möglichkeit der Titelumschreibung nach § 727 ZPO in aller Regel schwierig 1 BGH v. 12.7.1973 – VII ZR 170/71, NJW 1973, 1700. 2 BAG v. 15.12.1976 – 5 AZR 600/75, AP ZPO § 325 Nr. 1; zustimmend BAG v. 4.3.1993 – 2 AZR 507/92, NZA 1994, 260, 261; BAG v. 20.3.1997 – 8 AZR 769/95, NZA 1997, 937, 939. 3 Leipold, Anm. zu BAG v. 15.12.1976 – 5 AZR 600/75, AP ZPO § 325 Nr. 1.
738 | Roloff
Klagegegenstand und Klagegegner | Rz. 20.14 § 20
bis unmöglich ist und der Arbeitnehmer dann doch einen Folgeprozess gegen den Erwerber führen muss1. Die Streitverkündung allein ist auch kein probates Mittel, da sie nur den Folgeprozess determinieren kann – und das auch nur in den Grenzen der §§ 68, 74 ZPO. Streiten die Parteien also nur über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, dürfte es zu empfehlen sein, auch den Erwerber in eine Parteistellung zu führen. Unabhängig davon greift die erweiterte Bindungswirkung bei einem Schuldnerwechsel nach Rechtshängigkeit ohnehin nur bei einer gegen den Betriebsveräußerer gerichteten Klage des Arbeitnehmers. Im umgekehrten Fall – einem Rechtstreit und hiernach ergehenden Urteil gegen den (vermeintlichen) neuen Inhaber, durch das das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses des klagenden Arbeitnehmers zum neuen Inhaber festgestellt wird – entfaltet das Urteil seine materielle Rechtskraftwirkung gemäß § 325 ZPO in jedem Fall nur zwischen den Prozessparteien. Für eine Ausweitung auf den (vermeintlichen) Betriebsveräußerer besteht hier kein Anlass2.
20.11
3. Folgen dieses Ansatzes Der Betriebsübergang bleibt nicht ohne Folge auf den Prozess: Nach § 265 ZPO schließt die Rechtshängigkeit zwar das Recht der einen oder der anderen Partei nicht aus, die in Streit befangene Sache zu veräußern oder den geltend gemachten Anspruch abzutreten. Die Veräußerung oder Abtretung hat insoweit auf den Prozess keinen Einfluss. Der Rechtsnachfolger ist allerdings nicht berechtigt, ohne Zustimmung des Gegners den Prozess als Hauptpartei an Stelle des Rechtsvorgängers zu übernehmen oder eine Hauptintervention zu erheben. Der Prozess wird zudem nicht unterbrochen. Der Veräußerer bleibt weiterhin in der Parteistellung. Er führt den Prozess nicht als Vertreter des Erwerbers, sondern mit eigener Prozessführungsbefugnis, also im eigenen Namen weiter. § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist ein Fall gesetzlicher Prozessstandschaft3.
20.12
Diese Grundsätze werden überwiegend auch auf den Betriebsübergang angewandt. Vorrangig ist hierbei an § 325 ZPO zu denken, der den Arbeitnehmer davor zu schützen soll, nach dem Betriebsübergang erneut gegen den neuen Arbeitgeber prozessieren zu müssen. Allerdings helfen diese Konsequenzen dem Arbeitnehmer nur in dem Fall, dass der Betriebsübergang unstreitig ist. Daher wird die Möglichkeit der Titelumschreibung nach § 727 ZPO nur selten dem Rechtsschutzbedürfnis genügen, da die Rechtsnachfolge nicht nachgewiesen werden kann. Eine zweite Klage ist daher zulässig. Problematisch ist ohnehin, dass die Bestandsstreitigkeiten in aller Regel als Feststellungsklagen geführt werden. Der Arbeitnehmer gewinnt durch die Rechtskrafterstreckung nur wenig. Soweit die Rechtskraft allerdings in einem Zweitprozess mit dem Rechtsnachfolger präjudiziell ist, besteht eine Bindung an die rechtskräftige Feststellung4.
20.13
Dennoch ist das Konstrukt zu hinterfragen. Denn die scheinbar vorteilhafte Anwendung der §§ 265, 325 ZPO birgt erhebliche Risiken für den Arbeitnehmer. Da bei einem Betriebsübergang selten die formellen Anforderungen des § 727 ZPO erfüllt sind, ist der Folgeprozess programmiert. Der Arbeitnehmer verliert durch den ersten Prozess wertvolle Zeit. Außerdem wird er gegenüber Veräußerer und Erwerber teilweise unterschiedliche Ziele verfolgen. Hinzu
20.14
1 2 3 4
Vgl. zu diesen Bedenken Düwell, NZA 2012, 761, 764 f. BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 30. MünchKommZPO/Becker-Eberhard, § 265 ZPO Rz. 69. MünchKommZPO/Gottwald, § 325 ZPO Rz. 17.
Roloff | 739
§ 20 Rz. 20.14 | Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten
tritt das Risiko, dass die Anforderungen des § 265 ZPO wegen eines Betriebsübergangs vor Anhängigkeit schon nicht erfüllt sind und damit auch eine Rechtskrafterstreckung scheitert. Insbesondere der erweiterte punktuelle Streitgegenstand macht es deshalb erforderlich, den Erwerber ins prozessuale Boot zu holen. Will der Arbeitnehmer Folgekündigungen des Erwerbers mit seinem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG – oder etwa auch nach § 256 ZPO – abfangen, wird er nicht mehr sicher von § 265 ZPO profitieren. Der bisherige Arbeitgeber ist insoweit nicht mehr der gesetzliche Prozessstandschafter des potentiell neuen Arbeitgebers.
20.15
Die verwinkelte Parteistellung wird besonders deutlich, wenn der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer einen Auflösungsantrag stellen wollen (ausführlich Rz. 20.83 ff.). Ein Arbeitgeber, der eine Kündigung vor einem Betriebsübergang ausgesprochen hat, soll trotz des Verlustes der Arbeitgeberstellung durch einen Betriebsübergang befugt sein, einen Auflösungsantrag zu stellen. Dies gilt zumindest dann, wenn der Auflösungszeitpunkt zeitlich vor dem Betriebsübergang liegt1. Der 8. Senat hat hingegen entschieden, dass der Arbeitnehmer bei einem Betriebsübergang vor dem Auflösungszeitpunkt einen bislang noch nicht gestellten Auflösungsantrag mit Erfolg nur in einem Prozess gegen den ihm bekannten Betriebserwerber stellen kann2. Die Passivlegitimation des Arbeitgebers für den Auflösungsantrag folge nicht automatisch dem bereits erhobenen Kündigungsschutzantrag. Der Auflösungsantrag stelle einen selbständigen Antrag und ein eigenständiges prozessuales Institut des Kündigungsrechts dar, so dass auch bei entsprechender Anwendung der §§ 265, 325 ZPO keine Prozessführungsbefugnis des Veräußerers für den Erwerber gegeben sei. Ebenso wenig gebiete es der Schutzzweck des § 613a BGB, den Auflösungsantrag eines Arbeitnehmers mit Wirkung gegenüber dem Erwerber zuzulassen. Der Arbeitnehmer könne den Übergang des Arbeitsverhältnisses hinnehmen und abwarten, ob der Betriebserwerber eine Kündigung ausspreche und dann ggf. die Auflösung beantragen. Wolle er die Auflösung zugleich betreiben, müsse er den neuen Arbeitgeber in den Prozess einbeziehen oder dem Übergang des Arbeitsverhältnisses widersprechen.
4. Streitgenossenschaft 20.16
Der Arbeitnehmer kann zur Vermeidung der Probleme grundsätzlich Veräußerer und Erwerber gemeinsam als Streitgenossen verklagen. Eine unbedingte subjektive Klagehäufung ist z.B. in Fällen zulässig, in denen unklar bzw. streitig ist, ob es zu einem Betriebsübergang gekommen ist3. Allerdings ist eine bedingte subjektive Klagehäufung, die die Einbeziehung eines oder mehrerer weiterer Beklagter davon abhängig macht, dass eine außerprozessuale Bedingung eintritt oder eingetreten ist, nach bisherigem Verständnis unzulässig4. Hilfsanträge sind nur zulässig, wenn sie unter einer innerprozessualen Bedingung stehen. Das ist bei einer eventuellen subjektiven Klagehäufung nicht der Fall. Es darf nicht bis zum Ende des Rechtsstreits in der Schwebe bleiben, ob gegen einen von mehreren Beklagten überhaupt Klage erhoben wird. Daher ist es unzulässig, die Klage gegen einen weiteren Beklagten von dem Ausgang des Rechtsstreits gegen einen anderen Beklagten abhängig zu machen. Es darf nicht von einer Be-
1 BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 246/04, NZA 2005, 1178, 1180 f. 2 BAG v. 20.3.1997 – 8 AZR 769/95, NZA 1997, 937, 939. 3 Vgl. BAG v. 24.6.2004 – 2 AZR 215/03, AP BGB § 613a Nr. 278; BAG v. 25.4.1996 – 5 AS 1/96, NZA 1996, 1062. 4 Vgl. BAG v. 23.2.2010 – 2 AZR 959/08, AP KSchG 1969 § 18 Nr. 6 Rz. 35; BAG v. 24.6.2004 – 2 AZR 215/03, AP BGB § 613a Nr. 278; BAG v. 31.3.1993 – 2 AZR 467/92, NZA 1994, 237, 240.
740 | Roloff
Klagegegenstand und Klagegegner | Rz. 20.18 § 20
dingung abhängen, ob zu einer Partei ein Prozessrechtsverhältnis begründet wird oder nicht1. Zulässig sind lediglich innerprozessuale Bedingungen2. Bei einer eindeutig unbedingten Antragstellung ist wegen der Rechtskunde des Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers in aller Regel eine Auslegung ausgeschlossen, nach der tatsächlich eine eventuelle subjektive Klagehäufung beabsichtigt war3. Zwischen Veräußerer und Erwerber besteht weder eine notwendige Streitgenossenschaft aus prozessualen Gründen (§ 62 Abs. 1 Alt. 1 ZPO) noch eine solche aus materiell-rechtlichen Gründen (§ 62 Abs. 1 Alt. 2 ZPO)4.
5. Ansätze des 2. und des 8. Senats des BAG Der 2. Senat des BAG erwägt eine sog. „Betriebsübergangs-Feststellungsklage“ nach § 256 ZPO und insofern eine notwendige Streitgenossenschaft i.S.v. § 62 ZPO zwischen den beklagten „Arbeitgebern“. In der führenden Entscheidung vom 24.9.20155 erwägt er zunächst eine Klage des Arbeitnehmers gegen den kündigenden Arbeitgeber als Betriebsveräußerer mit einem Hauptantrag auf Feststellung, dass zu ihm im Kündigungszeitpunkt kein Arbeitsverhältnis mehr bestanden habe, um sodann mit einem – objektiv bedingten – Hilfsantrag Kündigungsschutzklage gegen ihn zu führen. Daneben könne der Arbeitnehmer den weiteren – potenziellen – Arbeitgeber als Betriebserwerber auf die Feststellung verklagen, dass zwischen ihnen ein – ungekündigtes – Arbeitsverhältnis bestehe6. Dieser Vorschlag hat nach Auffassung des 2. Senats vieles für sich. Der Arbeitnehmer bringe den von ihm zuvorderst eingenommenen Standpunkt rechtssicher und kostenschonend „in Antragsform“. Er vermeide eine in subjektiver Hinsicht bedingte Klagehäufung und müsse den von ihm „eigentlich“ für unbegründet erachteten Kündigungsschutzantrag nicht als unbedingten Antrag stellen. Die „Vorschaltung“ des negativen Feststellungsantrags beeinträchtige auch nicht das durch § 4 Satz 1 KSchG i.V.m. § 61a ArbGG anerkannte dringende Entscheidungsinteresse des kündigenden Arbeitgebers7. Es werde eine „Vorfrage“ des Antrags nach § 4 Satz 1 KSchG – das Bestehen des Arbeitsverhältnisses bei Zugang der Kündigung – innerhalb des „richtigen“ Prozessrechtsverhältnisses beantwortet und damit das Prüfprogramm des Kündigungsschutzantrags – so er anfallen sollte – verringert8.
20.17
Gegen den vorgenannten Ansatz wendet der 2. Senat allerdings ein, dass die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen bestehen bleibe, etwa wenn die Klageanträge, die nach §§ 59, 60 ZPO in selbständigen, bloß äußerlich zu einem Rechtsstreit verbundenen Prozessrechtsverhältnissen gestellt würden, während des Verfahrens „auseinanderlaufen“. Wenn das Arbeitsgericht beiden allgemeinen Feststellungsklagen stattgäbe, weil es einen Übergang des Arbeitsverhältnisses annehme, auf die – alleinige – Berufung des vermeintlichen Erwerbers aber die gegen ihn gerichtete Klage abgewiesen würde, stünde der Arbeitnehmer gleichsam „ohne Arbeitsverhältnis“ da. Wegen der Präjudizialität der Entscheidung über seine negative Feststel-
20.18
1 Vgl. BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 348/11, NZA 2013, 669 Rz. 37; BAG v. 11.9.1980 – 3 AZR 544/79, AP BetrAVG § 7 Nr. 9. 2 Vgl. BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 348/11, NZA 2013, 669 Rz. 37; BAG v. 8.12.1988 – 2 AZR 294/88. 3 Vgl. BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 348/11, NZA 2013, 669 Rz. 39. 4 BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 30, 35. 5 BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 19 ff. 6 HaKo-KSchG/Wemheuer, § 613a BGB Rz. 209. 7 Vgl. auch Bakker, Anm. EzA KSchG § 4 nF Nr. 46; Lüke, JuS 1996, 969, 970. 8 Vgl. auch Reiche, Die prozessualen Folgen eines Betriebsübergangs nach § 613a BGB, 2009, S. 199 f.
Roloff | 741
§ 20 Rz. 20.18 | Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten
lungsklage könnte er nicht einmal eine erfolgversprechende – neue – Kündigungsschutzklage gegen den „Veräußerer“ erheben1.
20.19
Der 2. Senat erwägt daher einen anderen Ansatz: Die Auslegung könne ergeben, dass der scheinbar allein den Erwerber betreffende Antrag festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis – aufgrund eines Betriebsübergangs – zu diesem besteht, zugleich gegen den Veräußerer gerichtet sei, wenn dieser sich einer gegenteiligen Rechtsposition berühme. Dann sei die für den Fall des Unterliegens mit dem allgemeinen Feststellungsantrag gegen den Veräußerer erhobene Kündigungsschutzklage in zulässiger Weise allein in objektiver Hinsicht bedingt. Man könnte eine sog. „Betriebsübergangs-Feststellungsklage“ für zulässig halten und insofern eine notwendige Streitgenossenschaft i.S.v. § 62 ZPO zwischen den beklagten „Arbeitgebern“ annehmen2. Im Leitsatz verstärkt er diesen Ansatz: Habe nach dem möglichen Betriebsübergang der Veräußerer das Arbeitsverhältnis gekündigt und habe der Arbeitnehmer deshalb gegen ihn hilfsweise Kündigungsschutzklage erhoben, handelt es sich bei dieser in einem solchen Fall um eine objektive Eventualklage innerhalb eines zum Veräußerer bereits unbedingt bestehenden Prozessrechtsverhältnisses. Eine in subjektiver Hinsicht bedingte – unzulässige – Klagehäufung liege dann nicht vor3. Dieser Ansatz ist freilich schon vielfach erörtert und verworfen worden: Denn der „Übergang“ des Arbeitsverhältnisses als solcher ist kein Rechtsverhältnis i.S.v. § 256 Abs. 1 ZPO und kann nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein4.
20.20
Die Entscheidung über den zwingend gegen beide „Arbeitgeber“ gemeinsam zu richtenden Antrag „festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis vor Zugang der Kündigung von der Beklagten zu 1. auf die Beklagte zu 2. übergegangen ist“, dürfte aus Gründen des materiellen Rechts nur einheitlich gegenüber beiden Beklagten ergehen. Bei dem Übergang eines Arbeitsverhältnisses nach § 613a BGB fällt der „Beendigungstatbestand“ gegenüber dem Veräußerer mit dem „Begründungstatbestand“ gegenüber dem Erwerber zusammen. Fehlt es an dem einen, mangelt es auch an dem anderen. Der Antrag wäre auch dann insgesamt abzuweisen, wenn das Gericht annehmen sollte, das Arbeitsverhältnis sei zwar übergegangen, dies jedoch auf einen anderen Arbeitgeber als den Zweitbeklagten. Würde dem Antrag stattgegeben, stünde zweierlei fest: Die Kündigung des Veräußerers ging „ins Leere“ und das Arbeitsverhältnis des Klägers bestand für eine juristische Sekunde zum Erwerber. Hingegen wäre die Klage insoweit allein gegen den Erwerber gerichtet, wenn auch der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit ihm festgestellt werden soll5.
20.21
Der 2. Senat stellt indes auch eine weitere Möglichkeit dar: Eine in subjektiver Hinsicht bedingt erhobene Klage sei zwar grundsätzlich unzulässig. Der Kläger könne eine subjektive Eventualklage allerdings „bescheidungsfähig“ machen, indem er sie in eine unbedingte Klage „umstellt“, also die unzulässige außerprozessuale Bedingung nachträglich fallen lasse. In dem „Erstarken“ zum Hauptantrag wird allerdings eine Klageerweiterung liegen, die den diesbezüglichen prozessualen Beschränkungen unterworfen ist. Ob die Klageänderung im Berufungsverfahren die Voraussetzungen des § 533 ZPO erfüllt, ist vom Revisionsgericht analog § 268 ZPO nicht zu überprüfen6.
1 2 3 4 5 6
BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 22. BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 22. BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 16 f. MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 206. BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 22. BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 23.
742 | Roloff
Klagegegenstand und Klagegegner | Rz. 20.23 § 20
Aus dieser Annahme ergeben sich verschiedene Folgerungen: Der 2. Senat konnte die Frage offen lassen, ob die subjektive Eventualklage die Frist des § 4 Satz 1 KSchG wahren kann – die Klage im entscheidenden Fall war ohnehin unbegründet wegen Vorliegens eines wichtigen Grunds zur Kündigung1. Der Senat führt allerdings aus, dass die Frist des § 4 Satz 1 KSchG ohne Weiteres gewahrt werde, wenn der Kläger den Kündigungsschutzantrag „nur“ in objektiver Hinsicht bedingt gestellt habe2. Insofern dürfte nichts anderes gelten als bei mehreren in – wenn auch unechten – Hilfsverhältnissen stehenden Kündigungsschutzanträgen3. Der Ansatz des 2. Senats hat aber darüber hinaus erhebliche Folgerungen. Er ermöglicht es dem Arbeitnehmer wohl künftig, in verschiedenen Konstellationen Veräußerer und Erwerber gemeinsam in Anspruch zu nehmen, um den Bestand des Arbeitsverhältnisses im Einzelnen klären zu lassen. Allerdings begibt er sich in erheblichen Widerspruch zur bislang anerkannten Annahme der unzulässigen negativen „Betriebsübergangs-Feststellungsklage“.
20.22
Dieser Rechtsprechung ist der 8. Senat des BAG entgegengetreten4. So hatte der 8. Senat wiederholt entschieden, dass eine Klage auf Feststellung, dass (k)ein Übergang des Arbeitsverhältnisses infolge eines Betriebsübergangs auf den Erwerber erfolgt sei, unzulässig ist. Denn nach § 256 Abs. 1 ZPO könne Klage nur auf Feststellung eines Rechtsverhältnisses erhoben werden. Unter einem Rechtsverhältnis sei die aus einem vorgetragenen Sachverhalt abgeleitete rechtliche Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder Sache zu verstehen. Bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses könnten selbst dann nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein, wenn sie für das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs oder einer Verpflichtung Bedeutung haben. Das aber ist bei einer „negativen Betriebsübergangs-Feststellungsklage“ der Fall. Denn bei der Frage des Übergangs des Arbeitsverhältnisses gehe es lediglich um die Feststellung einer Rechtsfolge. Nach Lage der Dinge käme als feststellbares Rechtsverhältnis nur der Bestand des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und dem Erwerber oder zum Veräußerer zu einem bestimmten Termin als klärungsfähiges Rechtsverhältnis in Betracht5. Dieser Beurteilung stehen nach Auffassung des 8. Senats auch die Wertungen aus § 62 Abs. 1 ZPO nicht entgegen6. Denn zwischen Veräußerer und Erwerber bestehe weder eine notwendige Streitgenossenschaft aus prozessualen Gründen (§ 62 Abs. 1 Alt. 1 ZPO) noch eine solche aus materiell-rechtlichen Gründen (§ 62 Abs. 1 Alt. 2 ZPO). Eine notwendige Streitgenossenschaft aus prozessualen Gründen würde etwa voraussetzen, dass gesetzliche Vorschriften die Rechtskraft des gegenüber einem Streitgenossen ergangenen Urteils auf den anderen Streitgenossen erstrecken. Es fehlt in dem hier in Rede stehenden Zusammenhang an einer gesetzlichen Bestimmung, die die materielle Rechtskraft einer Entscheidung über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses mit dem Erwerber als Folge eines Betriebsübergangs auch auf den Veräußerer erstrecken würde7. Eine notwendige Streitgenossenschaft aus materiellrechtlichen Gründen wäre an die Bedingung geknüpft, dass das streitgegenständliche Rechtsverhältnis nur von mehreren Berechtigten oder gegen mehrere Verpflichtete gemeinsam ausgeübt werden darf, die Klage einzelner oder gegen einzelne Streitgenossen mithin wegen feh-
20.23
1 BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 26 f. 2 BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 26; BAG v. 27.5.2015 – 5 AZR 88/14, NZA 2015, 1053 Rz. 24. 3 BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 26. 4 BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933; in diesem Sinne ebenfalls Göttling, Festschrift Willemsen, 2018, S. 133, 143, die auf eine Lösung de lege ferenda abstellt. 5 BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 24; BAG v. 16.5.2002 – 8 AZR 320/01, AP InsO § 113 Nr. 9; HaKo-KSchG/Wemheuer, § 613a BGB Rz. 209. 6 BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 31 ff. 7 BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 30, 35.
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§ 20 Rz. 20.23 | Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten
lender Prozessführungsbefugnis als unzulässig abgewiesen werden müsste1. Das ist vorliegend nicht der Fall. Nicht ausreichend ist dabei der Umstand, dass eine einheitliche Entscheidung aus Gründen der Logik notwendig oder zur Vermeidung etwaiger Folgeprobleme wünschenswert ist2.
20.24
Zwar ist der Ansatz des 2. Senats zu begrüßen, dass der Arbeitnehmer im Ergebnis nicht nach langwierigen Prozessen ohne Arbeitsverhältnis dastehen darf. Allerdings kann dies durchaus das Ergebnis unterschiedlicher, rechtskräftig gewordener Entscheidungen sein, wenn der Arbeitnehmer nicht das Mittel der Streitverkündung nutzt. Die Anforderungen an das feststellungsfähige Rechtsverhältnis dürfen zudem nicht vorschnell aufgegeben werden. Es sind zudem Erwägungen zu ähnlichen Konstellationen anzustellen, in denen der Arbeitnehmer im Unklaren darüber ist, wer eigentlich sein Arbeitgeber ist. In diesen Fällen könnten auch durch eine erweiterte Anfall- und Bindungswirkung in der Berufungs- und Revisionsinstanz sachgerechte Ergebnisse erzielt werden3. Weiterhin ist davon auszugehen, dass die unzulässig subjektiv bedingte Klage die Frist des § 4 Satz 1 KSchG wahrt4. Der potentielle Arbeitgeber weiß dann davon, dass der Arbeitnehmer die Kündigung angreift. Da seit dem 1.1.2021 der 8. Senat des BAG nach dem Geschäftsverteilungsplan nicht mehr für den Übergang von Arbeitsverhältnissen zuständig ist, sondern der 2. Senat, muss die Frage weiter als offen bezeichnet werden.
6. Parteierweiterung in der Berufungsinstanz 20.25
Ergibt sich der Betriebsübergang erst im Lauf des Berufungsverfahrens, kann dieser Umstand unschwer prozessual berücksichtigt werden: Die entsprechende Klageerweiterung auf einen weiteren Beklagten in der Berufungsinstanz ist nach den § 533, § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zulässig. Bei der Erweiterung der Klage auf einen weiteren Beklagten handelt es sich um eine Klageänderung, deren Zulässigkeit im Berufungsrechtszug nach § 533 ZPO zu prüfen ist. Danach ist eine Klageänderung zulässig, wenn der Gegner einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält und diese auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat. Bei den zur Begründung seines Feststellungsantrags vorgetragenen Tatsachen handelt es sich dann zwar um neue Tatsachen i.S.v. § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO kann aber auch in die Berufungsinstanz neu eingeführt werden, was ohne Nachlässigkeit der Parteien der ersten Instanz nicht vorgetragen wurde. Dazu gehören die erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz entstandenen oder bekannt gewordenen Umstände5. Der spätere Betriebsübergang ist ein solcher Fall. Hierzu zählt auch die Möglichkeit der nachträglichen Auflösung der bedingten Parteierweiterung. Der Wegfall der Bedingung führt zu einer Klageänderung6.
1 Vgl. BGH v. 3.11.2016 – I ZR 101/15, GRUR 2017, 520 Rz. 17. 2 BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 37; BGH v. 4.4.2014 – V ZR 110/13, NZARR 2014, 903 Rz. 11. 3 Zur Klageerweiterung in der Berufungsinstanz durch eine Anschlussberufung BAG v. 10.12.2020 – 2 AZR 308/20, NZA 2021, 293. 4 Vgl. zu den Anforderungen an eine die Frist des § 4 Satz 1 KSchG wahrende Klage BAG v. 1.10.2020 – 2 AZR 247/20, NZA 2021, 75. 5 BAG v. 27.9.2007 – 8 AZR 941/06, NZA 2008, 1130 Rz. 45. 6 BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 23.
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Klagegegenstand und Klagegegner | Rz. 20.28 § 20
Spannend ist überdies die Frage, ob der Betriebserwerber ein eigenständiges Rechtsmittel einlegen kann – also unabhängig vom ursprünglich beklagten Veräußerer. Wegen der partiellen Rechtsnachfolge wird er nicht Partei kraft Amtes, so dass er nicht einfach an die Stelle des Veräußerers tritt. Er kann damit grundsätzlich auch kein Rechtsmittel einlegen. Allerdings wird sein „Rechtsmittel“ stets als Streitbeitritt auf Seiten des Veräußerers mit der Folge zu sehen sein, dass er als streitgenössischer Nebenintervenient ein eigenständiges Rechtsmittel einlegen darf (§§ 69, 66 Abs. 2 ZPO)1. Auch dieser Weg führt damit über die Instanzen zu einem gewillkürten Parteiwechsel2. Der streitgenössische Nebenintervenient kann den Rechtsstreit auch gegen den vermeintlichen Veräußerer als fortbestehende Partei fortführen, wenn sich diese über den Übergang des Arbeitsverhältnisses streiten, § 67 ZPO.
20.26
III. Prozessuale Konstellationen 1. Fortbestehensantrag gegen den Erwerber – „Betriebsübergangsfeststellungsklage“ Macht der Arbeitnehmer geltend, sein Arbeitsverhältnis sei im Wege des Betriebsübergangs auf einen neuen Arbeitgeber übergegangen, kann er dies im Streitfall gerichtlich geltend machen. Er kann allerdings wohl nicht die Feststellung verlangen, das Arbeitsverhältnis sei auf den neuen Arbeitgeber „übergegangen“. Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage nur auf Feststellung eines Rechtsverhältnisses erhoben werden. Unter einem Rechtsverhältnis ist die aus einem vorgetragenen Sachverhalt abgeleitete rechtliche Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder Sache zu verstehen. Elemente eines Rechtsverhältnisses können nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein3. Bei dieser Frage ginge es lediglich um die Feststellung einer Rechtsfolge. Zwar ergeben sich aus der Rechtsprechung des 2. Senats Anhaltspunkte, dass dieser Antrag zulässig werden könnte4. Dem ist der 8. Senat des BAG jedoch mit den bereits genannten Argumenten entgegengetreten (vgl. Rz. 20.23)5. Die Rechtslage muss dennoch wegen der Änderung des Geschäftsverteilungsplans des BAG als offen bezeichnet werden (vgl. Rz. 20.24).
20.27
Unbenommen bleibt dem Arbeitnehmer der Antrag auf Feststellung, dass zwischen ihm und dem Erwerber ein Arbeitsverhältnis (fort-)besteht. Hierbei handelt es sich um ein feststellbares Rechtsverhältnis6. Obwohl aus dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit heraus an sich ein Vorrang der Leistungsklage besteht, erkennt die Rechtsprechung ein berechtigtes Interesse an einer solchen Feststellung an7. Schließlich ist das Arbeitsverhältnis Grundlage einer ganzen Reihe von Ansprüchen. Wenn der Arbeitnehmer stets unmittelbar Klage auf eine entsprechende Leistung (z.B. Beschäftigung, Lohn, Gehalt und Urlaub) erheben würde, müsste jeweils als Vorfrage der Übergang des Arbeitsverhältnisses und damit auch das Bestehen eines
20.28
1 BAG v. 21.6.2011 – 9 AZR 236/10, NZA 2011, 1274 Rz. 18. 2 Düwell, NZA 2012, 761, 764. 3 BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 24; BAG v. 16.5.2002 – 8 AZR 320/01, AP InsO § 113 Nr. 9. 4 BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 22; ausdrücklich offengelassen BAG v. 25.8.2016 – 8 AZR 53/15, NZA-RR 2017, 123 Rz. 22. 5 BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 22 ff. 6 BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 24; BAG v. 25.8.2016 – 8 AZR 53/15 Rz. 22; BAG v. 16.5.2002 – 8 AZR 320/01, AP InsO § 113 Nr. 9. 7 BAG v. 25.8.2016 – 8 AZR 53/15, NZA-RR 2017, 123 Rz. 23; BAG v. 2.12.1999 – 8 AZR 796/98, DB 2000, 622; vgl. BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, NZA 1998, 534.
Roloff | 745
§ 20 Rz. 20.28 | Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten
Arbeitsverhältnisses geprüft werden, ohne dass dieses Ergebnis in Rechtskraft erwachsen würde. Dieser Streit kann – auch i.S.d. Prozessökonomie – bereits durch eine eigenständige Feststellungsklage nach § 256 ZPO gelöst werden1. Nicht erforderlich ist deshalb, dass der potenzielle Betriebserwerber grundsätzlich leistungsbereit ist und nur Streit über die Höhe etwaiger Ansprüche (z.B. wegen der Anrechnung der früheren Betriebszugehörigkeit) besteht2. Der Kläger muss nicht erst abwarten, bis derartige Ansprüche zwischen ihm und dem übernehmenden Rechtsträger streitig werden3. Insofern kann sogar Klage durch die Arbeitnehmer erhoben werden, die sich zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bzw. der Umwandlung (noch) in einem ruhenden Arbeitsverhältnis befinden (z.B. Elternzeit)4. Häufig wird auch die Feststellung des „unveränderten Fortbestands“ des Arbeitsverhältnisses seit einem bestimmten Datum verlangt. Dieser Antrag ist dahin auszulegen, dass der Arbeitnehmer das Bestehen seines ursprünglich mit dem Veräußerer begründeten Arbeitsverhältnisses festgestellt wissen will. Sollte (daneben) Streit über bestimmte Inhalte des übergegangenen Arbeitsverhältnisses entstehen – etwa wegen § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB –, kann der Arbeitnehmer diese Inhalte ebenfalls einer zulässigen Feststellungsklage zuführen, wenn ihre Bezifferung noch nicht im Einzelnen möglich ist oder eine Vielzahl von Ansprüchen betroffen ist.
20.29
Allerdings könnte eine Feststellungsklage nachrangig anzusehen sein, wenn zwischen dem Arbeitnehmer und dem übernehmenden Rechtsträger bereits Streit über die Rechtswirksamkeit einer von ihm ausgesprochenen Kündigung besteht. Hier wird man eine Kündigungsschutzklage gegen den Erwerber zunächst als ausreichend ansehen können, weil für eine Entscheidung über die Frage, ob die Kündigung das Arbeitsverhältnis aufgelöst hat, die Vorfrage geklärt werden muss, ob überhaupt ein durch die Kündigung auflösbares Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien (hier: Arbeitnehmer und übernehmender Rechtsträger) besteht5. Entsteht jedoch Streit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses aufgrund Betriebsübergangs, sollte der Arbeitnehmer für die Zeit bis zum Zugang der Kündigung die Feststellung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses mit dem Erwerber beantragen (vgl. Rz. 20.28). Wehrt sich der Arbeitnehmer gleichzeitig gegen eine Kündigung des Veräußerers, die in aller Regel zeitlich vor dem Betriebsübergang ausgesprochen wurde, kann der allgemeine Feststellungsantrag nicht ohne Weiteres gestellt werden. Problematisch ist hier, dass der punktuelle Streitgegenstand einer Kündigungsschutzklage die Frage umfasst, ob das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung aufgelöst wird (vgl. § 4 Satz 1 KSchG). Etwaige Feststellungen des Gerichts im Hinblick auf das Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs können insoweit nicht in Rechtskraft erwachsen6. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich aus Sicht des Arbeitnehmers, eine etwaige Klage wegen der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses mit einer Klage gegen den übernehmenden Rechtsträger auf Feststellung zu verbinden, nach der das Arbeitsverhältnis mit diesem fortbesteht7. Tritt hier noch eine Kündigung des Erwerbers hinzu, kann der Arbeitnehmer aus seinem allgemeinen Feststellungsantrag einen Kündigungsschutzantrag nach § 6 Satz 1 KSchG entsprechend herauslösen und diesen zusätzlich stellen. Denn Voraussetzung der Kündigungsschutzklage ist das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Vgl. BAG v. 4.3.1993 – 2 AZR 507/92, NZA 1994, 260, 262. Abw. LAG Bremen v. 14.6.1990 – 3 Sa 139/89, LAGE § 613a BGB Nr. 20 S. 2 f. BAG v. 4.3.1993 – 2 AZR 507/92, NZA 1994, 260, 262. BAG v. 3.12.1999 – 8 AZR 796/98, DB 2000, 622 f. BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 306/98, NZA 1999, 706, 707. LAG Düsseldorf v. 10.1.1997 – 10 Sa 1205/96, LAGE § 613a BGB Nr. 57 S. 5; Hillebrecht, NZA 1989 Beil. 4, 10, 19. 7 Vgl. BAG v. 5.12.1985 – 2 AZR 3/85, NZA 1986, 522, 523. 1 2 3 4 5 6
746 | Roloff
Klagegegenstand und Klagegegner | Rz. 20.32 § 20
2. Fortbestehensantrag gegen den Veräußerer nach Widerspruch gegen den Betriebsübergang und bei streitigem Betriebsübergang Der Arbeitnehmer kann und wird sich nach einem Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses an seinen bisherigen Arbeitgeber wenden. Auch hier kann er zulässig die Feststellung des Fortbestehens seines Arbeitsverhältnisses mit seinem bisherigen Arbeitgeber verlangen. Grundsätzlich kann der Arbeitnehmer zwar nur binnen Monatsfrist nach seiner Unterrichtung dem Übergang des Arbeitsverhältnisses widersprechen, § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB. Allerdings läuft die Frist nicht bei fehlerhafter Unterrichtung1 (vgl. Rz. 11.195). In diesem Fall wird sich im Prozess gegen den alten Arbeitgeber die Frage der materiellen Verwirkung stellen. Die Fragen sind mannigfach, sollen hier daher nur für den Fall einer hinzugetretenen Kündigung des Erwerbers problematisiert werden:
20.30
Als ein Umstand, der nach der bisherigen Rechtsprechung des 8. Senats in einer für die Annahme einer Verwirkung relevanten Weise (vgl. Rz. 11.209 ff.) das Vertrauen des bisherigen Arbeitgebers in die Nichtausübung des Widerspruchsrechts nach § 613a Abs. 6 BGB rechtfertigen kann bzw. die Ausübung des Widerspruchsrechts in einer solchen Situation – unabhängig von einem Zeitmoment – wegen widersprüchlichen Verhaltens nach § 242 BGB als treuwidrig erscheinen lassen kann2, muss gelten, wenn der Arbeitnehmer über die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses dadurch disponiert hat, dass er einen Aufhebungsvertrag mit dem Betriebserwerber geschlossen oder eine von diesem nach dem Betriebsübergang erklärte Kündigung hingenommen hat3. Das Umstandsmoment im Sinne der Verwirkung ist durch die Nichterhebung einer Kündigungsschutzklage nach der bisherigen Rechtsprechung des 8. Senats indes nicht erfüllt, wenn der Arbeitnehmer binnen der Dreiwochenfrist des Kündigungsschutzgesetzes den Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses infolge des Betriebsübergangs erklärt. Dadurch lässt der Arbeitnehmer die von der Betriebserwerberin ausgesprochene Kündigung zu einem Zeitpunkt ins Leere gehen, als noch die Möglichkeit zu einer gegen die Betriebserwerberin zu richtenden Kündigungsschutzklage besteht4. Schließt der Arbeitnehmer mit dem Erwerber im Kündigungsschutzprozess einen Vergleich ab, ist der Widerspruch in aller Regel ausgeschlossen (vgl. Rz. 11.217). Wird durch den Vergleich das Arbeitsverhältnis beendet, disponiert der Arbeitnehmer über sein bestehendes Arbeitsverhältnis. Auch eine Zahlung im Zusammenhang mit diesem Streitgegenstand, auch wenn sie nicht als „Abfindung“ bezeichnet wurde, kann plausibel und ohne Verstoß gegen Denkgesetze nur damit erklärt werden, dass das vom Kläger angestrengte Prozessrisiko, also der Bestand eines Arbeitsverhältnisses, abgewendet werden sollte (vgl. Rz. 11.217)5.
20.31
Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Arbeitnehmer geltend macht, es sei zu keinem Betriebsübergang gekommen, das Arbeitsverhältnis bestehe mit dem vermeintlichen Veräußerer fort6. Dieser kann nicht mit Erfolg einwenden, der Arbeitnehmer hätte in Reaktion auf die Unterrichtung einen Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses erklären und damit sein Klageziel auf einfacherem Wege erreichen können. Dieses Klageziel könnte er in keinem Fall allein durch einen Widerspruch gem. § 613a Abs. 6 BGB gegen den
20.32
1 BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, AP BGB § 613a Nr. 449 Rz. 32. 2 BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, BAGE 166, 54 Rz. 76; BAG v. 24.8.2017 – 8 AZR 265/16 Rz. 50, BAGE 160, 70. 3 BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, NZA 2014, 774 Rz. 31. 4 BAG v. 9.12.2010 – 8 AZR 152/08, AP BGB § 613a Nr. 395 Rz. 22. 5 BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, NZA 2014, 774 Rz. 32. 6 BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 27.
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§ 20 Rz. 20.32 | Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten
Übergang seines Arbeitsverhältnisses in Folge eines (vermeintlichen) Betriebsübergangs erreichen. Sollte es zu einem Betriebsübergang gekommen sein, wäre die wirksame Ausübung des Widerspruchsrechts Voraussetzung für die Feststellung, mithin eine materiell-rechtliche Vorfrage und schon deshalb kein einfacherer Weg, um das Klageziel zu erreichen. Sollte es hingegen nicht zu einem Übergang des Betriebs gekommen sein, ginge ein etwaiger Widerspruch vor dem Hintergrund, dass das Widerspruchsrecht ein Gestaltungsrecht ist, dessen Ausübung bewirkt, dass die Rechtsfolgen des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nicht eintreten, von vornherein ins Leere1. Das entsprechende Klagerecht kann der Arbeitnehmer prozessual nur dann verwirken, wenn das Interesse des Berechtigten an der sachlichen Prüfung des von ihm behaupteten Anspruchs derart überwiegt, dass dem Gegner die Einlassung auf die nicht innerhalb angemessener Frist erhobene Klage nicht mehr zumutbar ist2. Die Kündigungsschutzklage gegen eine Kündigung des vermeintlichen Erwerbers und das Absehen von einer Klage gegen den ursprünglichen Arbeitgeber begründet insoweit kein überwiegendes Interesse des ursprünglichen Arbeitgebers. Solange noch nicht abschließend geklärt ist, ob es zu einem Betriebsübergang gekommen ist, muss der Arbeitnehmer – auch um sich ein Widerspruchsrecht gegen einen etwaigen Übergang seines Arbeitsverhältnisses zu erhalten und sich nicht dem Vorwurf einer unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) aufgrund einer Disposition über sein Arbeitsverhältnis auszusetzen – abwarten3. Die Geltendmachung ist auch nicht entsprechend § 613a Abs. 6 BGB zeitlich begrenzt. Die Norm ist nicht analog in den Fällen anwendbar, in denen der vermeintliche Veräußerer und/oder der vermeintliche neue Inhaber den Arbeitnehmer über einen rechtsirrig angenommenen Betriebsübergang unterrichtet haben. Darauf, ob der Irrtum vermeidbar war, kommt es nicht an. Die Interessenlage ist in keiner Weise vergleichbar und es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke4.
3. Kündigungsschutzklage – Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG a) Grundsätze
20.33
Der Arbeitnehmer muss Kündigungen mit einem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach dem Zugang der schriftlichen Kündigung gerichtlich angreifen. Den Anforderungen von § 4 Satz 1 KSchG ist genügt, wenn die (wirksame) Klage dem Arbeitgeber fristgerecht Klarheit verschafft, ob der Arbeitnehmer eine bestimmte Kündigung hinnimmt oder ihre Unwirksamkeit gerichtlich geltend machen will. Danach ist die Dreiwochenfrist, ohne dass es auf eine rückwirkende Heilung gem. § 295 ZPO oder eine nachträgliche Klagezulassung nach § 5 KSchG ankäme, von vornherein gewahrt, wenn die rechtzeitig eingereichte Klageschrift von einer postulationsfähigen Person unterzeichnet ist, die sie – als solche und nicht als bloßen Entwurf – verantwortet (§ 253 Abs. 4 i.V.m. § 130 Nr. 6 ZPO), und aus ihr die Parteien (§ 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), die angefochtene Kündigung (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) sowie der Wille des Arbeitnehmers, die Unwirksamkeit dieser Kündigung gerichtlich feststellen zu lassen, ersichtlich sind5. Greift er die Kündigung nicht fristgerecht an und widerspricht nicht dem Betriebsübergang, gilt die Kündigung als von Anfang an wirksam, § 7 KSchG – wohl auch mit Wirkung gegenüber allen am Betriebsübergang beteiligten Arbeitgebern6. Au-
1 2 3 4 5 6
BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 27. BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 42. BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 43. BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 63. BAG v. 1.10.2020 – 2 AZR 247/20, NZA 2021, 75, NZA 2021, 75 Rz. 31 HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 368a.
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Klagegegenstand und Klagegegner | Rz. 20.38 § 20
ßerdem kann der Arbeitnehmer auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage verzichten1, was – mithilfe des § 242 BGB – wohl auch gegenüber allen am Betriebsübergang beteiligten Arbeitgebern wirkt. In diesen Fällen disponiert der Arbeitnehmer über den Bestand seines Arbeitsverhältnisses, so dass er sich widersprüchlich verhielte, würde er dennoch den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend machen2. Der Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG erfasst nahezu sämtliche Unwirksamkeitsgründe, wie der Wortlaut auch schon nahelegt, wenn sie entsprechend § 6 Satz 1 KSchG geltend gemacht werden. Er erfasst damit insbesondere auch die fehlende soziale Rechtfertigung der betriebsbedingten Kündigung (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG), den fehlenden wichtigen Grund für eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung der tariflich unkündbaren Beschäftigten, die Nichtbeachtung des § 17 KSchG und die unwirksame Kündigung wegen des Betriebsübergangs (§ 613a Abs. 4 Satz 1 BGB). Nicht erfasst von § 4 Satz 1 KSchG sind etwa die fehlende Schriftform oder die fehlende Geschäftsfähigkeit des Kündigenden. Der Arbeitnehmer muss hier nicht binnen drei Wochen nach Zugang der Erklärung klagen, er kann das Klagerecht nur verwirken.
20.34
Gerade bei Umstrukturierungen mit Betriebsübergängen und in diesem Zusammenhang ausgesprochenen Kündigungen stellen sich bei der Kündigungsschutzklage verschiedene Fragen etwa nach der Klagefrist, dem Klagegegner, dem Streitgegenstand und der Bindungswirkung. Wegen § 6 Satz 1 KSchG ist zunächst zu unterstreichen, dass das Gericht Unwirksamkeitsgründe nicht von Amts wegen ermittelt, sondern der Kläger sie in das Verfahren einbringen muss. Er muss sich hierauf „berufen“. In welchem Umfang er die Gründe im Verfahren erläutern muss, ist eine Frage der Darlegungs- und Beweislast3.
20.35
Auch der Streitgegenstand wirft Fragen auf. Grundsätzlich setzt er an drei Punkten an:
20.36
– Bestand ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung? – War die Kündigung als Rechtsgeschäft wirksam? – Bestand das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber noch im Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist – also des Kündigungstermins? Der Wechsel des Arbeitgebers kann hier an verschiedenen Stellen Fragen aufwerfen – abhängig von seinem Zeitpunkt.
20.37
b) Kündigungsschutzklage nach der Kündigung des bisherigen Arbeitgebers aa) Betriebsübergang nach An- bzw. Rechtshängigkeit der Kündigungsschutzklage Der kündigende bisherige Arbeitgeber ist passivlegitimiert, und zwar unabhängig davon, ob nach dem Ausspruch der Kündigung und der fristgerechten Erhebung einer Kündigungsschutzklage ein Betriebsübergang stattgefunden hat oder nicht. Der Arbeitgeber, der das Ar-
1 BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 347/14, NZA 2016, 351 Rz. 15. 2 BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 76. 3 Vgl. BAG v. 20.1.2016 – 6 AZR 601/14, NZA 2016, 490 Rz. 14.
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20.38
§ 20 Rz. 20.38 | Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten
beitsverhältnis vor einem Betriebsübergang gekündigt hat, ist für die gerichtliche Klärung der Wirksamkeit der Kündigung auch nach einem Betriebsübergang zuständig1.
20.39
Kündigt der ursprüngliche Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis und geht das Arbeitsverhältnis nach der Erhebung der Kündigungsschutzklage – also nach der Zustellung der Klage an den Veräußerer und damit ihrer Rechtshängigkeit – auf einen Erwerber über, ist der ursprüngliche Arbeitgeber weiter befugt, den Rechtsstreit zu führen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG bleibt der seinen Betrieb veräußernde Arbeitgeber, der das Arbeitsverhältnis vor dem Betriebsübergang gekündigt hat, für die gerichtliche Klärung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung auch nach dem Betriebsübergang passiv legitimiert; §§ 265, 325 ZPO sind in einem solchen Fall entsprechend anzuwenden2. Das gilt auch, wenn die Zustellung der Kündigungsschutzklage nicht vor dem Betriebsübergang erfolgt ist, sie also nur anhängig geworden ist vor dem Betriebsübergang3. Dieser Grundsatz greift jedenfalls dann, wenn die Kündigungsfrist vor dem Betriebsübergang abgelaufen ist.
20.40
Grundsätzlich ist das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt des streitbefangenen Beendigungstermins grundsätzlich Voraussetzung für den Erfolg einer Kündigungsschutzklage, denn der in § 4 Satz 1 KSchG vorgesehene Klageantrag richtet sich auf die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung zu einem bestimmten Termin nicht beendet ist4. Dieses Merkmal wird besonders problematisch, wenn der Betriebsübergang vor dem Ablaufen der Kündigungsfrist erfolgt ist. Von einem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG ist regelmäßig auch das Begehren umfasst festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis bis zum vorgesehenen Auflösungszeitpunkt noch bestanden hat. Zwar ist Gegenstand und Ziel einer Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die bestimmte, mit der Klage angegriffene Kündigung zu dem vom Arbeitgeber vorgesehenen Termin nicht aufgelöst worden ist. Falls der Klage stattgegeben wird, steht aber zugleich fest, dass das Arbeitsverhältnis vor oder bis zu diesem Termin auch nicht aufgrund irgendeines anderen Umstands sein Ende gefunden hat5. Die einem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG stattgebende Entscheidung enthält zugleich die Feststellung, dass zum vorgesehenen Auflösungszeitpunkt ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien noch bestanden hat (sog. erweiterter punktueller Streitgegenstandsbegriff). Mit Rechtskraft einer solchen Entscheidung steht fest, dass das Arbeitsverhältnis bis zu dem vorgesehenen Auflösungstermin auch nicht durch mögliche andere Beendigungstatbestände aufgelöst worden ist, selbst wenn diese von keiner Seite in den Prozess eingeführt wurden6. Ein Verständnis, wonach Gegenstand des Antrags nach § 4 Satz 1 KSchG lediglich – rein punktuell – die Wirksamkeit der angegriffenen Kündigung ist, würde dem weitergehenden Wortlaut des Gesetzes nicht gerecht und könnte das Ziel der Rechtskraft, Rechtsfrieden herzustellen und Rechtsgewissheit zu schaffen, nicht erreichen. Etwas anderes gilt, wenn der Kläger selbst den Gegenstand eines Kündigungsschutzantrags in dieser Weise (konkludent) begrenzt hat und das Gericht auf die Unwirksamkeit einer später
1 Vgl. BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 188 Rz. 33; BAG v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, NZA 2003, 93, 96; Göttling, Festschrift Willemsen, 2018, S. 133, 134. 2 BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 30. 3 BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, NZA 2014, 46, Rz. 14 m.w.N.; BAG v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/ 10, NZA 2012, 1029, 1031 Rz. 21. 4 So jetzt ausdrücklich zur Entfristungsklage BAG v. 23.7.2014 – 7 AZR 853/12, NJW 2014, 3806, Rz. 24 f. 5 BAG v. 18.2.2021 – 6 AZR 92/19, NZA 2021, 446 Rz. 7. 6 BAG v. 18.2.2021 – 6 AZR 92/19, NZA 2021, 446 Rz. 7.
750 | Roloff
Klagegegenstand und Klagegegner | Rz. 20.42 § 20
wirkenden Kündigung erkennt, ohne dass der Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer früher wirkenden Kündigung bereits rechtskräftig entschieden wäre – sog. Ausklammerung1. Nach der in Literatur2 und Rechtsprechung3 vertretenen Ansicht muss die Kündigungsschutzklage auch dann gegen den übertragenden Rechtsträger – also gegen den alten Arbeitgeber – gerichtet werden, wenn die Kündigung erst nach dem im Streit stehenden Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen anderen Rechtsträger zu einer Vertragsbeendigung führen soll, aber die Klage noch vor dem Wirksamwerden des Betriebsübergangs anhängig gemacht wird. In diesem Fall bleibt der alte Arbeitgeber analog § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO auch dann passivlegitimiert, wenn der Betrieb nach Anhängigkeit der Klage übertragen wird4. Entsprechend § 167 ZPO gilt dies auch dann, wenn die Klage dem übertragenden Rechtsträger erst nach dem Betriebsübergang oder der Umwandlung zugestellt wird. Auf diese Weise wird nicht nur dem Schutzzweck von § 613a BGB5 und der in Art. 9 Richtlinie 2001/23/EG festgeschriebenen Garantie eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung getragen, die dann eingeschränkt würden, wenn der Arbeitnehmer im Anschluss an den Betriebsübergang bzw. die Umwandlung eine erneute Klage gegen den übernehmenden Rechtsträger erheben müsste. Dass § 265 Abs. 2 ZPO den Fall der kumulativen Schuldübernahme, wie er durch § 613a Abs. 2 BGB, §§ 133, 134 UmwG vorgesehen ist, an sich nicht erfasst6, spielt angesichts dieses Schutzzwecks keine Rolle7. Allerdings führt der übertragende Rechtsträger den Prozess dann im eigenen Namen in Prozessstandschaft für den übernehmenden Rechtsträger weiter. Ein Wechsel auf Beklagtenseite kann nur im Einverständnis mit dem übernehmenden Rechtsträger herbeigeführt werden8.
20.41
Das Urteil, das in einer prozessualen Auseinandersetzung zwischen Arbeitnehmer und übertragendem Rechtsträger getroffen wird, wirkt gemäß § 325 Abs. 1 ZPO für und gegen den Erwerber, wenn der Betriebsübergang nach Klageerhebung erfolgt ist9. Dies gilt selbst dann, wenn Ansprüche im Zusammenhang mit der Kündigung nur noch durch den übernehmenden Rechtsträger, der am Prozess nicht beteiligt war, erfüllt werden können. Eine Absicherung des übernehmenden Rechtsträgers kann durch Vereinbarung mit dem übertragenden Rechtsträger oder – insbesondere wegen des Fehlens einer rechtsgeschäftlichen Beziehung zwischen dem übertragenden und dem übernehmenden Rechtsträger bei einem Betriebsübergang in-
20.42
1 BAG v. 18.2.2021 – 6 AZR 92/19, NZA 2021, 446 Rz. 7; BAG v. 18.12.2014 – 2 AZR 163/14, NZA 2015, 635 Rz. 22. 2 Göttling, Festschrift Willemsen, 2018, S. 133, 134 f.; Hillebrecht, NZA 1989 Beil. 4, 10, 18 f.; Müller-Glöge, NZA 1999, 449, 456. 3 BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, NZA 2014, 46 Rz. 14; BAG v. 4.3.1993 – 2 AZR 507/92, NZA 1994, 260, 261; BAG v. 21.3.1991 – 2 AZR 577/90, NZA 1991, 726; BAG v. 15.12.1976 – 5 AZR 600/5, AP ZPO § 325 Bl. 2 Nr. 1 m. Anm. Leipold Bl. 2 ff. 4 BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 30; BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, NZA 2014, 46 Rz. 14; BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 306/98, NZA 1999, 706. 5 So BAG v. 14.2.1978 – AZR 154/76, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 60 Bl. 5 f. 6 Vgl. Zöller/Greger, § 265 ZPO Rz. 5 f.; Zeuner, Festschrift Schwab, 1990, S. 575, 579 f. 7 Vgl. Zeuner, Festschrift Schwab, 1990, S. 575, 579 ff., 584 f., 588 f., der von einer analogen Anwendbarkeit von § 265 Abs. 2 ZPO indes nur in solchen Fällen ausgehen will, wo der mit der Klage geltend gemachte Anspruch der Gestalt betriebsbezogen sei, dass er allein vom jeweiligen Inhaber des Betriebs erfüllt werden könne. Nur unter dieser Voraussetzung sei eine Rechtskraftwirkung gemäß § 325 Abs. 1 ZPO zu Lasten des übernehmenden Rechtsträgers gerechtfertigt. 8 BAG v. 4.3.1993 – 2 AZR 507/92, NZA 1994, 260, 261. 9 Vgl. BAG v. 19.11.2014 – 4 AZR 761/12, NZA 2015, 950 Rz. 23; BAG v. 5.2.1991 – 1 ABR 32/90, NZA 1991, 639, 640 f.
Roloff | 751
§ 20 Rz. 20.42 | Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten
nerhalb einer Dreiecksbeziehung (z.B. Pächterwechsel, Auftragsnachfolge) – durch Vereinbarung mit dem eigenen Vertragspartner bzw. die Einbindung des übertragenden Rechtsträgers als Nebenintervenient erfolgen.
20.43
Teilweise wurde in Literatur und Rechtsprechung die Ansicht vertreten, dass jede Klage wegen der Rechtswirksamkeit einer Kündigung, die vor dem Übergang des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen wurde, wie sonstige Rechtsstreite zwischen Arbeitnehmer und übertragendem Rechtsträger auf der Grundlage einer entsprechenden Anwendung von §§ 239, 242 ZPO kraft gesetzlichen Parteiwechsels mit dem übernehmenden Rechtsträger fortzusetzen seien1. Dem kann nicht gefolgt werden. Zutreffenderweise wird von einem automatischen Eintritt des übernehmenden Rechtsträgers in einen zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bereits bestehenden Rechtsstreit nur für den Fall eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens in einer Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz ausgegangen, bei dem richtigerweise nur der jeweilige Inhaber des Betriebs passivlegitimiert sein kann2.
20.44
Für diese Einschränkung der Passivlegitimation des übertragenden Rechtsträgers spricht zwar der Umstand, dass etwaige Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis im Anschluss an dessen Übergang durch eine bloße Klage gegen den übertragenden Rechtsträger, die auf die Feststellung gerichtet ist, dass dessen Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat, nicht durchgesetzt werden können. Auch ist selbst eine stattgebende Entscheidung noch nicht mit der (rechtskräftigen) Feststellung verbunden, dass von einem Übergang des Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a BGB bzw. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB, § 324 UmwG auszugehen ist. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der übernehmende Rechtsträger entsprechend §§ 265, 325 ZPO an die gerichtliche Entscheidung gebunden ist. Eine solche Bindung in Bezug auf das Vorliegen eines Betriebsübergangs bzw. einer Umwandlung kann nur dadurch erreicht werden, dass die gegen die Kündigung gerichtete Klage mit einer weiteren Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis mit dem übernehmenden Rechtsträger fortbesteht, verbunden wird3.
20.45
Trotz dieses Erfordernisses einer Klagehäufung sprechen die besseren Gründe dafür, eine Klageerhebung bzw. Fortsetzung des Rechtsstreits gegen den übertragenden Rechtsträger wegen der Unwirksamkeit einer Kündigung, die vor dem – ggf. streitigen – Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen anderen Rechtsträger ausgesprochen wurde, zuzulassen. Es erscheint nicht interessengerecht, dass bei einer Klage wegen einer Kündigung, die noch vor dem Betriebsübergang bzw. der Umwandlung zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen soll, eine Entscheidung über die Frage, ob das Arbeitsverhältnis auf einen anderen Rechtsträger übergegangen ist, erst nach einer rechtskräftigen Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung zugelassen werden kann. Auf diese Weise wäre das Arbeitsgericht, wenn die zweite Frage und die daraus für den Arbeitnehmer folgenden Zahlungsansprüche geltend gemacht würden, gehalten, das entsprechende Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage wegen der Kündigung des Arbeitsverhältnisses auszusetzen. Damit könnten unter Umständen über Jahre hinweg keine Ansprüche aus dem übergegangenen Ar-
1 LAG Hamm v. 22.3.2001 – 4 Sa 579/00, NZA-RR 2002, 82, 85; LAG Hamm v. 12.12.1996 – 4 Sa 1258/94, LAGE § 613a BGB Nr. 60 S. 2 ff.; Leipold, Anm. zu BAG v. 15.12.1976 – 5 AZR 600/75, AP ZPO § 325 Nr. 1. 2 BAG v. 20.8.2014 – 7 ABR 60/12, NZA 2015, 1530 Rz. 17; BAG v. 23.6.2010 – 7 ABR 3/09, NZA 2010, 1361 Rz. 15; Zeuner, Festschrift Schwab, 1990, S. 575, 593 f. 3 LAG Bremen v. 15.12.1995 – 4 Sa 91/95, LAGE § 613a BGB Nr. 46 S. 1.
752 | Roloff
Klagegegenstand und Klagegegner | Rz. 20.47 § 20
beitsverhältnis gegen den übernehmenden Rechtsträger durchgesetzt werden1. Insoweit müsste man jedenfalls parallel eine Klage gegen den übernehmenden Rechtsträger gestatten, selbst wenn dies die Gefahr divergierender Bewertungen über das Vorliegen eines Betriebsübergangs bzw. einer Kündigung wegen Betriebsübergang begründete. Soweit der gesetzliche Parteiwechsel entsprechend §§ 239, 242 ZPO mit den Konsequenzen einer Vollstreckung für den übernehmenden Rechtsträger aus einer gerichtlichen Entscheidung, die Ergebnis einer Auseinandersetzung zwischen Arbeitnehmer und übertragende Rechtsträger ist, begründet wird2, so kann auch dies die Vorgehensweise der überwiegend vertretenen Meinung letztlich nicht in Frage stellen. Zunächst einmal ist zu berücksichtigen, dass derartige Rechtsfolgen allein aus einer Feststellungsklage nicht resultieren. Sollte das Arbeitsgericht im Hinblick auf § 1 KSchG die Feststellung treffen, dass die Kündigung wegen fehlender sozialer Rechtfertigung das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat, ist damit deshalb auch inzident nicht die Feststellung verbunden, dass ein Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den übernehmenden Rechtsträger erfolgt ist. Eine darüber hinausgehende Feststellung, wonach das Arbeitsverhältnis auch über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus fortbesteht, kann jedenfalls im Tenor den übernehmenden Rechtsträger nicht einbeziehen. Für eine solche Feststellung besteht bei einer Klage gegen den übertragenden Rechtsträger kein Feststellungsinteresse, wenn der Übergang des Arbeitsverhältnisses gemäß §§ 324 UmwG, 613a BGB noch vor Ablauf der Kündigungsfrist erfolgt ist. Sie kann nur dann getroffen werden, wenn – wie vorangehend bereits aufgezeigt – eine entsprechende Feststellung in einer Klage gegen den übernehmenden Rechtsträger beantragt wird.
20.46
Unabhängig davon können aber Ansprüche aus dem fortbestehenden Arbeitsverhältnis (z.B. Lohn/Gehalt, Urlaub, Beschäftigung) mit einer Klage gegen den übertragenden Rechtsträger verknüpft werden. Soweit einer solchen Klage stattgegeben wird, ist der übernehmende Rechtsträger entsprechend §§ 265, 325 ZPO an die Entscheidung gebunden, ohne den Prozess selbst geführt zu haben3. Das ist allerdings nicht ganz unproblematisch für den allgemeinen Weiterbeschäftigungsantrag. Schließlich wird er an dem Vorprozess, wenn der Kläger keinem Parteiwechsel auf Beklagtenseite zustimmt, nur als einfacher Nebenintervenient beteiligt (§ 265 Abs. 2 Satz 2, 3 ZPO), der sich nicht in Widerspruch zur Hauptpartei stellen darf (§ 67 ZPO). Gleichwohl ist der übernehmende Rechtsträger solchen Klagen nicht schutzlos ausgeliefert. Zunächst einmal wird man davon ausgehen können, dass sich der übertragende Rechtsträger gegen eigene Verpflichtungen mit der Begründung zur Wehr setzt, dass das Arbeitsverhältnis auf einen anderen Rechtsträger übergegangen ist. Folgt das Gericht dieser Darlegung, ist die Klage materiell-rechtlich nur bis zum Zeitpunkt des Übergangs begründet. Dies gilt für alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, also insbesondere den Anspruch auf Vergütung und Beschäftigung. Insoweit ist auch eine Verurteilung des übertragenden Rechtsträgers zur Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens ausgeschlossen. Falls dies – wie häufig – beantragt wird, muss die Klage im Hinblick auf die Zeit nach dem Betriebsübergang bzw. der Umwandlung abgewiesen werden4. Schon deshalb dürfte die Besorgnis, der Arbeitnehmer könne im Falle des Obsiegens Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einleiten, obgleich die Schuldnerstellung des übertragenden Rechtsträgers
20.47
1 Abl. auch LAG Köln v. 24.11.1997 – 4 Ta 343/97, LAGE § 148 ZPO Nr. 32 S. 1 f. 2 So LAG Hamm v. 22.3.2001 – 4 Sa 579/00, NZA-RR 2002, 82, 85; LAG Hamm v. 12.12.1996 – 4 Sa 1258/94, LAGE § 613a BGB Nr. 60 S. 6. 3 BAG v. 15.12.1976 – 5 AZR 600/75, AP § 325 ZPO Nr. 1. 4 LAG Düsseldorf v. 12.3.2001 – 5 Sa 230/00.
Roloff | 753
§ 20 Rz. 20.47 | Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten
entfallen sei1, nicht in allen Fallgestaltungen Wirklichkeit werden. Entscheidend ist aber letztlich, dass auch bei einer gegenteiligen Entscheidung des Gerichts, die die Zeit nach dem Betriebsübergang einbezieht, eine Umschreibung des Titels zur Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den übernehmenden Rechtsträger nur auf der Grundlage einer stattgebenden Entscheidung über die Klage auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel nach §§ 729, 731 ZPO erfolgen kann2. Da es sich insoweit um eine prozessuale Feststellungsklage handelt, kann der potenzielle Schuldner alle Einwände geltend machen, die der Annahme einer Rechtsnachfolge und der daraus folgenden Haftung nach § 613a Abs. 1, 2 BGB entgegenstehen3. Das Einzige, was nicht mehr möglich ist, ist die Geltendmachung von Einwendungen gegen die Ansprüche, die Gegenstand des Vorprozesses mit dem übertragenden Rechtsträger waren. Diese Konsequenz hat der Gesetzgeber allerdings mit §§ 265, 325 ZPO ganz bewusst auch für andere Fallgestaltungen hingenommen. Da der Übergang der Arbeitsverhältnisse im Zusammenhang mit dem Betriebsinhaberwechsel durch Rechtsgeschäft, also mit Willen des übernehmenden Rechtsträgers, erfolgt, obliegt es diesem, sich durch Vereinbarung mit dem vorangehenden Betriebsinhaber bzw. – wenn ein Erwerb im Dreiecksverhältnis erfolgt (z.B. Pächterwechsel) – mit seinem Vertragspartner im Innenverhältnis abzusichern.
20.48
Dass die voranstehend vertretene Sichtweise zu einer Belastung des übertragenden Rechtsträgers mit den gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens führt, die sich insbesondere im Insolvenzfall bemerkbar machen, ist letztlich eine Folge der arbeitsgerichtlichen Kostenteilungsregelung. Eine Kostenbelastung würde schließlich auch dann eintreten, wenn der Arbeitnehmer allein aus Gründen der äußersten Vorsorge auch den übertragenden Rechtsträger verklagen würde. Dies wäre bspw. dann bereits im Hinblick auf die gesetzliche Fiktion in § 7 KSchG geboten, wenn Zweifel hinsichtlich des Vorliegens eines Betriebsübergangs gegeben sind. Denn wenn hier allein Klage gegen den übernehmenden Rechtsträger erhoben würde, könnte nach Ablauf der 3-Wochen-Frist nicht mehr die fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung gemäß § 1 KSchG durch Klage gegen den übertragenden Rechtsträger geltend gemacht werden. Schon dieses Risiko dürfte für den Arbeitnehmer Grund genug sein, jedenfalls auch den übertragenden Rechtsträger zu verklagen.
20.49
Insoweit wird das Dogma des 8. Senats des BAG fragwürdig, dass der Arbeitnehmer die Kündigung des Veräußerers trotz eines Betriebsübergangs während der Kündigungsfrist weiter angreifen kann – auch ohne den Erwerber in den Prozess einzubeziehen und dass es eine Betriebsübergangsfeststellungsklage nicht gibt (vgl. Rz. 20.23). Wenn der erweiterte punktuelle Streitgegenstand auch Bindungswirkung in Bezug auf den Beendigungstermin entfaltet, wird der Arbeitnehmer seine Kündigungsschutzklage deshalb hiervon abweichend auch gegen Veräußerer und Erwerber gemeinsam richten wollen. Der 2. Senat des BAG hat dieses Vorgehen gebilligt: Kündige der bisherige Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis und sei unklar, ob ein Betriebsübergang vorliegt, so könne der Arbeitnehmer die Kündigungsschutzklage zugleich gegen den alten Arbeitgeber und gegen den mutmaßlichen Betriebserwerber richten. Diese seien dann – einfache – Streitgenossen4. Diesem Bedürfnis wurde in der Vergangenheit auch mit dem allgemeinen Feststellungsantrag gegen den Erwerber Rechnung getragen5. Allerdings dürfte es sich nach dem punktuell erweiterten Streitgegenstand anbieten, den Kündigungs1 So LAG Hamm v. 28.1.1997 – 4 Sa 141/96, LAGE § 91a ZPO Nr. 6. 2 Vgl. BAG v. 15.12.1976 – 5 AZR 600/75, AP ZPO § 325 Nr. 1; LAG Düsseldorf v. 10.7.1995 – 10 Sa 508/95, NZA-RR 1996, 242, 243. 3 Vgl. Hillebrecht, NZA 1989 Beil. 4, 10, 19. 4 BAG v. 24.6.2004 – 2 AZR 215/03, AP BGB § 613a Nr. 278. 5 BAG v. 25.4.1996 – 5 AS 1/96, NZA 1996, 1062.
754 | Roloff
Klagegegenstand und Klagegegner | Rz. 20.51 § 20
schutzantrag gegen beide zu richten. Dadurch würde auch ein anderes Problem gelöst: Die Rechtskraftwirkung erstreckt sich nach allgemeiner Ansicht bei einem obsiegenden Kündigungsschutzurteil gegen den bisherigen Arbeitgeber nicht auf das Vorliegen eines Betriebsübergangs. Das Urteil bindet den (vermeintlich) neuen Arbeitgeber auch dann nicht im Hinblick auf das Vorliegen eines Betriebsübergangs, wenn die Kündigung nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB für unwirksam erklärt wurde. Streitgegenstand ist lediglich die Frage der Unwirksamkeit der Kündigung, nicht des Übergangs des Arbeitsverhältnisses1. Dieses Ergebnis ist zu hinterfragen. Denn der punktuell erweiterte Streitgegenstand würde sonst konterkariert. Es bietet sich folgender Antrag an: Es wird festgestellt, dass das ursprünglich mit der Beklagten zu 1. bestehende und am 1.1.2015 auf die Beklagte zu 2. übergangene Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Beklagten zu 1. vom 15.12.2015 nicht aufgelöst worden ist.
bb) Betriebsübergang vor Anhängigkeit des Kündigungsschutzprozesses Wenn der Betriebsübergang vor Anhängigkeit des Kündigungsschutzprozesses erfolgt, bleibt der bisherige Arbeitgeber Klagegegner2. Ist einem Arbeitnehmer vor Betriebsübergang gekündigt worden, so ist der bisherige Arbeitgeber, der gekündigt hat, passiv legitimiert. Das Arbeitsverhältnis geht nämlich so auf den Erwerber über, wie es im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestanden hat. Ist die Kündigung des Veräußerers unwirksam gewesen, geht das Arbeitsverhältnis ungekündigt auf den Erwerber über. Diese Frage kann nur in einem Rechtsstreit zwischen Arbeitnehmer und bisherigem Arbeitgeber geklärt werden3. Es wäre bedenklich, beim Vollzug des Betriebsübergangs im Zeitraum zwischen Zugang der Kündigung und Eintritt der Rechtshängigkeit der Kündigungsschutzklage anzunehmen, die Klage müsse unabhängig von einem Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den alten Arbeitgeber gerichtet werden4.
20.50
Umstritten ist die Passivlegitimation allerdings dann, wenn die Klage wegen einer Kündigung, die durch den alten Arbeitgeber noch vor dem Betriebsübergang erklärt wurde, erst nach dem Übergang des Betriebs oder Betriebsteils erhoben wurde. Überwiegend wird hier die Ansicht vertreten, dass die Klage auch im Anschluss an einen Betriebsübergang gegen den Rechtsträger erhoben werden müsse, der die Kündigung ausgesprochen habe5. Dass eine solche Klage, da Rechtshängigkeit erst nach dem Betriebsübergang eingetreten ist, keine Bindungswirkung für den übernehmenden Rechtsträger entfalten kann, weil §§ 265, 325 ZPO weder unmittelbar noch analog Anwendung finden6, wird hingenommen. Teilweise wird wegen des punktuell erweiterten Streitgegenstandsbegriffs eine (doppelt) analoge Anwendung der §§ 265, 325 ZPO vorgeschlagen7. Nur ein kleiner Teil des Schrifttums vertritt die Ansicht, dass allein der über-
20.51
1 HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 369. 2 Göttling, Festschrift Willemsen, 2018, S. 133, 135 f. 3 BAG v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, AP BGB § 613a Nr. 34; BAG v. 22.2.1978 – 5 AZR 800/76, AP BGB § 613a Nr. 11; Seiter, Betriebsinhaberwechsel, S. 133. 4 Müller-Glöge, NZA 1999, 449, 456. 5 Vgl. BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 306/98, NZA 1999, 706, 708; BAG v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, AP BGB § 613a Nr. 34 Bl. 2 m. Anm. Grunsky Bl. 6 ff.; BAG v. 14.2.1978 – 1 AZR 154/76, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 60 Bl. 5 m. Anm. Konzen Bl. 12; Seiter, Betriebsinhaberwechsel, S. 133; Hillebrecht, NZA 1989 Beil. 4, 10, 19. 6 BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 306/98, NZA 1999, 706, 708; BAG v. 18.2.1999 – 8 AZR 485/97, NZA 1999, 648, 650. 7 Göttling, Festschrift Willemsen, 2018, S. 133, 137.
Roloff | 755
§ 20 Rz. 20.51 | Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten
nehmende Rechtsträger passivlegitimiert sei1. Zur Begründung wird insoweit darauf verwiesen, dass aktiv- und passivlegitimiert nur diejenigen seien, die Rechte und Pflichten aus der wirksamen oder unwirksamen Ausübung des Gestaltungsrechts ableiteten. Das sei, sogar mit Rückwirkung für die Zeit vor dem Betriebsübergang, allein der übernehmende Rechtsträger2.
20.52
Der letztgenannten Ansicht ist zuzugestehen, dass eine Klage gegen den (potenziellen) Erwerber dem eigentlichen Klageziel, das in der Regel verfolgt wird, eher gerecht wird, nämlich eine Sicherung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses3. Da wegen der fehlenden Anwendbarkeit von §§ 265, 325 ZPO keine Bindung des übernehmenden Rechtsträgers erreicht wird, kann diesem Ziel aber nur durch eine eigenständige Klage gegen den übertragenden Rechtsträger Rechnung getragen werden4. Daher erscheint die überwiegend angenommene Zulässigkeit einer Klage gegen den übertragenden Rechtsträger richtig, weil nur so der Grundsatz der Parteimaxime, der den Klagegegner und das Klageziel umfasst, ausreichend Berücksichtigung findet. Zu beachten ist nämlich, dass die bloße Klage auf Feststellung, dass die Kündigung des bisherigen Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat, nach dem punktuellen Streitgegenstandsbegriff gar nicht zum Ziel hat, weitere Rechte aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu sichern. Dies gilt ohne Rücksicht darauf, ob sie gegen den übertragenden oder den übernehmenden Rechtsträger erhoben wird. Für die Verwirklichung dieses Ziels müsste die Kündigungsschutzklage mit einer allgemeinen Feststellungsklage hinsichtlich des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus und/oder einer Klage auf bestimmte Leistungen aus dem Arbeitsverhältnis verbunden werden. Dass eine solche Klage gegen den übernehmenden Rechtsträger sogar notwendig ist, falls im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses ein Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß §§ 9, 10 KSchG gestellt wird (vgl. Rz. 20.83 ff.), spielt, da es sich insoweit um einen eigenständigen Streitgegenstand handelt, für die Passivlegitimation bei der Klage wegen einer Kündigung keine entscheidende Rolle. Löwisch/Neumann5 ist allerdings zuzugestehen, dass der Gesetzgeber in § 9 KSchG offenbar davon ausgegangen ist, dass die Kündigungsschutzklage gegen den Rechtsträger erhoben wird, der zugleich auch die Passivlegitimation für einen Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses besitzt. Schließlich kann über den Antrag nach § 9 KSchG erst entschieden werden, wenn das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Insoweit muss über diese Frage vorab entschieden werden.
20.53
Wenn der Kläger es aber trotz dieser Überlegungen bei der bloßen Kündigungsschutzklage belässt, muss diese Begrenzung des Klageziels akzeptiert werden. Will der Arbeitnehmer eine Erweiterung auf den übernehmenden Rechtsträger, kann dies jederzeit durch parallele Klage oder Klageerweiterung gegen diesen Rechtsträger erfolgen6. Denkbar ist allein, dass insoweit über das Vorliegen des nach § 256 ZPO für die allgemeine Feststellungsklage wegen einer Verletzung von § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB erforderliche Feststellungsinteresse nachgedacht wird.
1 Löwisch/Neumann, DB 1996, 474, 475; Müller-Glöge, NZA 1999, 449, 456; Zeuner, Festschrift Schwab, 1990, S. 575, 585 ff.; Fischer, DB 2001, 331, 335. 2 Löwisch/Neumann, DB 1996, 474; Fischer, DB 2001, 331, 335. 3 So LAG Hamm v. 28.1.1997 – 4 Sa 141/96, LAGE § 91a ZPO Nr. 6; Zeuner, Festschrift Schwab, 1990, S. 575, 586 f. 4 So die Kritik von Zeuner, Festschrift Schwab, 1990, S. 575, 585 ff.; Löwisch/Neumann, DB 1996, 474. 5 Löwisch/Neumann, DB 1996, 474, 475. 6 MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a Rz. 206; vgl. auch Zeuner, Festschrift Schwab, 1990, S. 575, 592 f.
756 | Roloff
Klagegegenstand und Klagegegner | Rz. 20.55 § 20
Dabei wird man die Darlegung besonderer Interessen seitens des Klägers verlangen müssen1. Hierfür spricht bspw., wenn der Arbeitnehmer dem Übergang des Arbeitsverhältnisses widersprochen hat. Nur für die Kündigungsschutzklage wird man das Feststellungsinteresse mit Blick auf die allgemeinen Vorgaben in §§ 4, 7 KSchG generell als gegeben ansehen können. Vorteil einer solchen Konzeption ist, dass der übertragende Rechtsträger im Rahmen eines prozessbeendenden Vergleichs auch solche Fragen aus dem zu ihm bestehenden Arbeitsverhältnis einbeziehen kann, die die Zeit bis zum Übergang betreffen (z.B. Schadensersatzansprüche). Daran wäre der übernehmende Rechtsträger gehindert, der in die Zeit bis zum Übergang nur im Wege der Gesamtschuldnerschaft nicht aber der -gläubigerschaft einbezogen wird. Darüber hinaus würde die aus Sicht von Zeuner2 erforderliche Einschränkung vermieden, nach der der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage gegen beide Rechtsträger erheben soll, falls es auch um die Erhaltung von Ansprüchen gegen den übertragenden Rechtsträger aus der Zeit bis zum Betriebsübergang geht. Auch hier wird das Klageziel der Kündigungsschutzklage letztlich zu weit gefasst, denn auch gegen den übertragenden Rechtsträger können einzelne Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nur im Wege einer gesonderten Leistungsklage durchgesetzt werden, die die Diskussion um die Passivlegitimation bei der Kündigungsschutzklage nicht berührt. Allerdings finden §§ 265, 325 ZPO im Verhältnis zum Erwerber weder unmittelbare noch entsprechende Anwendung, wenn der Betrieb bereits vor Eintritt der Rechtshängigkeit vollzogen wurde3. Wenn ein Betriebsübergang angenommen wird, geht das unwirksam gekündigte Arbeitsverhältnis gemäß § 613a Abs. 1 BGB über. Dies ergibt sich bei verständiger Auslegung des Tenors und der Entscheidungsgründe in Verbindung mit der Rechtsprechung des BAG zur Bestimmung des Streitgegenstands einer Kündigungsschutzklage gemäß § 4 KSchG. Danach ist Streitgegenstand einer Kündigungsschutzklage nicht nur die bloße Wirksamkeit der angegriffenen Kündigung ungeachtet des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses, sondern die Frage, ob überhaupt ein durch die Kündigung auflösbares Arbeitsverhältnis bestanden hat. Somit kann die Klageabweisung durchaus auch damit begründet werden, es habe kein Arbeitsverhältnis (mehr) bestanden.
20.54
Es soll festgestellt werden, dass das von der A GmbH auf die B AG übergegangene Arbeitsverhältnis des Klägers durch die vom Beklagten am [Datum] erklärte Kündigung nicht zum [Datum] aufgelöst worden ist4.
Dieser Ansatz ist kritisch zu hinterfragen. Den Übergang eines Arbeitsverhältnisses auf einen nicht am Prozess beteiligten Dritten im Tenor auszusprechen, dürfte unzulässig sein. Jedenfalls entfaltet der Ausspruch in Bezug auf den Dritten keinerlei Bindungswirkung, denn diese ist auf die am Prozess beteiligten Parteien begrenzt. Eine Erstreckung auf andere Personen, die folglich auch keine Möglichkeit hatten, auf das Verfahren Einfluss zu nehmen, ist nur in gesetzlich geregelten Sonderfällen möglich (§§ 325 bis 327 ZPO)5. Ein Folgegericht wäre demnach in der Lage, diese Frage trotz des bereits angenommenen Betriebsübergangs abweichend zu würdigen. Der Ausgangsprozess würde mit Bindungswirkung feststellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht mehr besteht. Und im Folgeprozess könnte der Betriebsübergang verneint werden. 1 Vgl. Hillebrecht, NZA 1989 Beil. 4, 10, 19. 2 Zeuner, Festschrift Schwab, 1990, S. 575, 588. 3 BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 306/98, NZA 1999, 706, 708; BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, NZA 2014, 46 Rz. 14 äußert sich herzu nicht – a.A. Göttling, Festschrift Willemsen, 2018, S. 133, 137. 4 BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 306/98, NZA 1999, 706. 5 Saenger, § 322 ZPO Rz. 26.
Roloff | 757
20.55
§ 20 Rz. 20.56 | Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten
20.56
Der Arbeitgeber, der das Arbeitsverhältnis gekündigt hat, ist für die gerichtliche Klärung der Wirksamkeit der Kündigung auch nach einem Betriebs(teil)übergang passivlegitimiert1. Überwiegend wird hier auch das Wort „ausschließlich“ eingefügt2. Die begehrte Feststellung erfordert nach dem Wortlaut von § 4 KSchG eine Entscheidung über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt der Kündigung. Mit der Rechtskraft des der Klage stattgebenden Urteils steht deshalb fest, dass jedenfalls im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zwischen den streitenden Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden hat3. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ist Voraussetzung für die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst wurde4. Für die Feststellung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses mit dem Erwerber bietet sich zusätzlich eine eigenständige Feststellungsklage an, mit der der Erwerber in den Prozess einbezogen werden kann (Rz. 20.27).
20.57
Diese Fragen können anders zu beurteilen sein, wenn infolge des Übergangs der kündigende bisherige Rechtsträger etwa infolge seiner Umwandlung seine Rechtspersönlichkeit verliert und damit nicht mehr Partei eines Prozesses sein kann5. So hat der 2. Senat des BAG im Fall der Insolvenzeröffnung vor Anhängigkeit eine Kündigungsschutzklage als verfristet angesehen. Denn die Kündigungsschutzklage sei gegen den Insolvenzverwalter in seiner Eigenschaft als Partei kraft Amtes zu erheben. Eine Klage gegen die Schuldnerin wahre nicht die Klagefrist. Die Parteien eines Prozesses seien bei nicht eindeutiger Bezeichnung in der Klageschrift zwar durch Auslegung zu ermitteln. Eine ungenaue oder erkennbar falsche Parteibezeichnung sei unschädlich und könne jederzeit von Amts wegen richtiggestellt werden. Enthalte die Klageschrift aber keinen Hinweis auf ein eröffnetes Insolvenzverfahren und die Bestellung des Insolvenzverwalters und werde vielmehr die Schuldnerin eindeutig als Beklagte bezeichnet, könne die Klageschrift nur dahin aufgefasst und ausgelegt werden, dass sich die Klage allein gegen die Schuldnerin richten soll6. Auch die Rechtsprechung des 2. Senats zum NATO-Truppenstatut hilft hier wenig. Denn auch dort verlangt der 2. Senat, dass aus der Klageschrift oder ihren Anlagen deutlich hervorgeht, dass der klagende Arbeitnehmer „zivile Arbeitskraft“ i.S.v. Art. 56 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut ist. Dann kann als die wahre Beklagte einer gegen den Entsendestaat als Arbeitgeber gerichteten Klage nur die Bundesrepublik Deutschland als Prozessstandschafterin anzusehen sein7. c) Kündigung des Erwerbers nach dem Betriebsübergang
20.58
In keinem Fall ist der übertragende Rechtsträger passivlegitimiert, wenn eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses erst im Anschluss an den Betriebsübergang bzw. die Umwandlung durch den übernehmenden Rechtsträger erklärt wird8. Nur mit diesem bestand zum Zeitpunkt der Kündigung ein Arbeitsverhältnis9. Würde die Klage gegen den alten Arbeitgeber erhoben, 1 Vgl. BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 188 Rz. 33. 2 Vgl. HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 369. 3 BAG v. 27.1.2011 – 2 AZR 826/09, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 73 Rz. 13; BAG v. 26.3.2009 – 2 AZR 633/07, NZA 2001, 166 Rz. 16. 4 Vgl. BAG v. 24.10.2013 – 2 AZR 1078/12, NZA 2014, 540 Rz. 20. 5 BAG v. 21.9.2006 – 2 AZR 573/05, NZA 2007, 404. 6 BAG v. 21.9.2006 – 2 AZR 573/05, NZA 2007, 404 Rz. 24 ff. 7 BAG v. 20.2.2014 – 2 AZR 248/13, NZA-RR 2015, 380 Rz. 19 ff. 8 Göttling, Festschrift Willemsen, 2018, S. 133, 145. 9 LAG Köln v. 18.3.1994 – 13 Sa 924/93, NZA 1994, 815, 816.
758 | Roloff
Klagegegenstand und Klagegegner | Rz. 20.61 § 20
müsste sie bereits deshalb abgewiesen werden, weil kein durch Kündigung auflösbares Arbeitsverhältnis (mehr) bestanden hat1. Denkbar erscheint allenfalls, eine Feststellungsklage als nachrangig anzusehen, wenn zwischen dem Arbeitnehmer und dem übernehmenden Rechtsträger auch Streit über die Rechtswirksamkeit einer vom übernehmenden Rechtsträger ausgesprochenen Kündigung besteht. Hier wird man eine Kündigungsschutzklage gegen den Erwerber zunächst einmal als ausreichend ansehen können, weil für eine Entscheidung über die Frage, ob die Kündigung das Arbeitsverhältnis aufgelöst hat, die Vorfrage geklärt werden muss, ob überhaupt ein durch die Kündigung auflösbares Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien (hier: Arbeitnehmer und übernehmender Rechtsträger) besteht2.
20.59
Problematisch daran ist freilich, dass der punktuelle Streitgegenstand einer Kündigungsschutzklage – auch wenn sie in ihrer Begründung auf einen Verstoß gegen § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB gestützt wird – nur die Frage umfasst, ob das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Erwerbers aufgelöst wird (vgl. § 4 KSchG). Etwaige Feststellungen des Gerichts im Hinblick auf das Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs können deshalb nicht in Rechtskraft erwachsen3. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich aus Sicht des Arbeitnehmers, eine etwaige Klage wegen der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses mit einer Klage gegen den übernehmenden Rechtsträger auf Feststellung zu verbinden, dass das Arbeitsverhältnis bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden hat und mit diesem über den in der Kündigung genannten Zeitpunkt hinaus fortbesteht4.
20.60
Kündigt der neue Arbeitgeber nach dem Betriebsübergang das Arbeitsverhältnis, richtet sich die Kündigungsschutzklage allein gegen ihn. Hier sind Streitgegenstand und Arbeitgeberstellung kongruent. Bestreitet der Arbeitnehmer allerdings mit seinem Hauptantrag das Vorliegen eines Betriebsübergangs und erhebt vorsorglich Kündigungsschutzklage gegen den kündigenden Erwerber, wird er sich das Verteidigungsvorbringen des Kündigenden, ein Betriebsübergang habe stattgefunden, wenigstens hilfsweise zu Eigen machen und seine Klage auch hierauf stützen. Dann ist die Klage zwar nach dem Hauptvorbringen unschlüssig, nach dem Hilfsvorbringen jedoch schlüssig5. Das folgt auch aus einem weiteren Gedanken. Der Kündigungsschutzantrag ist zwar nicht prozessual bedingt. Allerdings wird der Arbeitnehmer ihn nur dann verfolgen, wenn er mit seinem Antrag gegen den bisherigen Arbeitgeber wegen eines Betriebsübergangs unterliegt. Die Frist nach § 4 KSchG kann auch durch eine hilfsweise gegen den richtigen Arbeitgeber erhobene Kündigungsschutzklage gewahrt werden, obwohl
20.61
1 BAG v. 15.12.2005 – 8 AZR 202/05, NZA 2006, 597 Rz. 37; vgl. BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 306/98, NZA 1999, 706, 707; abw. geht das LAG Hamm v. 28.5.1998 – 8 Sa 2257/97, NZA-RR 1999, 71,72, davon aus, dass die Klage auch gegen den übertragenden Rechtsträger gerichtet werden könne. Sie sei schlüssig, da im Wege der Auslegung erkennbar werde, dass mit dem Einwand der fehlenden Arbeitgeberstellung die Feststellung begehrt werde, dass im Kündigungszeitpunkt kein Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten mehr bestanden habe und dieser deshalb auch nicht mehr zur Kündigung berechtigt gewesen sei. 2 BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 306/98, NZA 1999, 706, 707; LAG Bremen v. 14.6.1990 – 3 Sa 139/89, LAGE § 613a BGB Nr. 20 S. 2 f. 3 LAG Düsseldorf v. 10.1.1997 – 10 Sa 1205/96, LAGE § 613a BGB Nr. 57 S. 5; Hillebrecht, NZA 1989 Beil. 4, 10, 19. 4 Vgl. BAG v. 5.12.1985 – 2 AZR 3/85, NZA 1986, 522, 523. 5 Vgl. zum umgekehrten Fall BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 692/10, NZA-RR 2012, 570 Rz. 20.
Roloff | 759
§ 20 Rz. 20.61 | Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten
eine eventuelle subjektive Klagehäufung unzulässig ist1. Diese Grundsätze gelten auch, wenn der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widerspricht. Auch dann geht die Kündigung des Erwerbers zwar ins Leere, der Arbeitnehmer kann sich indes mit der Kündigungsschutzklage gegen diese wehren. Daneben kann er nach den Grundsätzen (Rz. 20.30) den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit dem alten Arbeitgeber geltend machen. Dieser kann die Kündigung des Erwerbers nicht für sich in Anspruch nehmen2. Geht das Arbeitsverhältnis bereits vom Veräußerer gekündigt auf den Erwerber über, endet es mit dem Ablauf der Kündigungsfrist beim Erwerber, wenn der Arbeitnehmer sie nicht in der Frist des § 4 Satz 1 KSchG angreift (zum Betriebsübergang vor Anhängigkeit siehe Rz. 20.50 f.). d) Kündigung des Veräußerers nach Betriebsübergang
20.62
Wird die Kündigung durch den bisherigen Betriebsinhaber nach einem Betriebsübergang ausgesprochen, kann diese Kündigung das auf den neuen Betriebsinhaber übergegangene Arbeitsverhältnis zwar nicht auflösen; eine gegen den bisherigen Betriebsinhaber gerichtete Kündigungsschutzklage ist aber unschlüssig, weil nach der punktuellen Streitgegenstandstheorie das Bestehen des Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt der Kündigung Voraussetzung für eine schlüssige Kündigungsschutzklage ist. Lässt sich der Betriebsveräußerer allerdings dahingehend ein, es habe gar keinen Betriebsübergang gegeben, kann der Arbeitnehmer sich diesen Vortrag hilfsweise zu Eigen machen und seine Klage hierauf stützen. Im Übrigen bleibt gegen den kündigenden (Nicht)Arbeitgeber nur die Möglichkeit einer negativen Feststellungsklage nach § 256 ZPO auf Feststellung, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nicht bestanden hat3.
20.63
Deshalb kann einer Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG nur stattgegeben werden, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht bereits aufgrund anderer Beendigungstatbestände aufgelöst ist. Eine Kündigungsschutzklage ist auch unschlüssig, wenn der Arbeitnehmer behauptet, der Kündigende habe den Betrieb bereits vor Ausspruch der Kündigung veräußert4. Bei einer ohne Vollmacht oder von einem Nichtberechtigten erklärten Kündigung liegt jedoch keine Kündigung des Arbeitgebers vor. Eine ohne Billigung (Vollmacht) des Arbeitgebers ausgesprochene Kündigung ist dem Arbeitgeber erst durch eine (nachträglich) erteilte Genehmigung zurechenbar. Die dreiwöchige Klagefrist kann deshalb frühestens mit Zugang der Genehmigung zu laufen beginnen5.
20.64
Der übertragende Rechtsträger wäre nur dann passivlegitimiert, wenn der Arbeitnehmer noch vor Ausspruch der Kündigung – aber nach dem Betriebsübergang bzw. der Umwandlung – dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses wirksam widersprochen hätte. Denn dieser Widerspruch hätte zur Folge, dass das Arbeitsverhältnis ex tunc beim übertragenden Rechtsträger fortbestünde, also davon auszugehen wäre, dass zu keinem Zeitpunkt ein Arbeitsver-
1 BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 23, 26; BAG v. 31.3.1993 – 2 AZR 467/92, NZA 1994, 237, 239 f. 2 Vgl. Göttling, Festschrift Willemsen, 2018, S. 133, 145. 3 HaKo-KSchG/Wemheuer, § 613a BGB Rz. 202. 4 Vgl. BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 692/10, NZA-RR 2012, 570 Rz. 20. 5 KR/Friedrich/Treber, § 13 KSchG Rz. 232; HWK/Quecke, § 4 KSchG Rz. 7; Raab, RdA 2004, 321, 324; Bender/Schmidt, NZA 2004, 358, 362; Hanau, ZIP 2004, 1169, 1175; Ulrici, DB 2004, 250, 251; BAG v. 6.9.2012 – 2 AZR 858/11, NZA 2013, 524 Rz. 14, 28; BAG v. 26.3.2009 – 2 AZR 403/ 07, NZA 2009, 1146 Rz. 21.
760 | Roloff
Klagegegenstand und Klagegegner | Rz. 20.68 § 20
hältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Betriebserwerber zustande gekommen wäre (vgl. Rz. 17.109 ff.). Es wird daher bei unklarem Betriebsübergang empfohlen, einen allgemeinen Feststellungsantrag eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses gegen den alten Arbeitgeber zu richten und hilfsweise gegen ihn einen Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG zu stellen, um die Klagefrist zu wahren1.
20.65
e) Ergänzender Feststellungsantrag gegen den Erwerber Der Antrag ist auf die Feststellung des Bestands eines Arbeitsverhältnisses gerichtet. Es handelt sich um einen nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässigen Feststellungsantrag; das festzustellende Arbeitsverhältnis ist ein Rechtsverhältnis i.S.v. § 256 Abs. 1 ZPO. Der Arbeitnehmer hat auch das notwendige gegenwärtige Feststellungsinteresse, wenn der Erwerber eine rechtliche Beziehung oder den genauen Beginn und damit seine Passivlegitimation leugnet2.
20.66
Dieser Antrag wird häufig mit dem Antrag gegen eine ausgesprochene Kündigung kombiniert werden. Allerdings wird hier oft ein Hilfsantrag erwogen werden. Dieser wird wegen des Verbots der bedingten Parteierweiterung für unzulässig gehalten. Der nur hilfsweise Beklagte wisse nicht, ob er Partei sei oder nicht. Diese Bedenken greifen allerdings nicht. Wird § 265 ZPO wirklich analog angewandt, stehen dem Erwerber prozessuale Rechte zu. Er kann nach § 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO mit Zustimmung des Klägers an der Stelle des Rechtsvorgängers den Rechtsstreit übernehmen oder eine Hauptintervention erheben. Außerdem kann er ohne die Folgen der Parteistellung Nebenintervenient werden (§ 265 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Schließlich kann der Kläger dem Erwerber den Streit verkünden (§ 72 ZPO). Bei erheblichem Zeitablauf ist auf eine mögliche Prozessverwirkung zu achten3, wenn dem Gegner die Einlassung auf die nicht innerhalb angemessener Frist erhobenen Klage nicht mehr zumutbar erscheint.
20.67
4. Entfristungsklage Für eine zulässigerweise bereits vor dem vereinbarten Fristende erhobene Befristungskontrollklage und einen späteren Betriebsübergang gilt nichts anderes. Der Arbeitnehmer kann seinen bisherigen Arbeitgeber auch dann in Anspruch nehmen, wenn das Arbeitsverhältnis nach dem Befristungsende übergegangen ist. Das gilt auch, wenn der Betriebsübergang vor dem Befristungsende erfolgt. Auch wenn das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt des streitbefangenen Beendigungstermins grundsätzlich Voraussetzung für den Erfolg einer Befristungskontrollklage ist, spricht nach Auffassung des 7. Senats des BAG viel dafür, dass für eine zulässigerweise bereits vor dem vereinbarten Fristende erhobene Befristungskontrollklage der bisherige Arbeitgeber passiv legitimiert bleibt, wenn zwischen der Erhebung der Befristungskontrollklage und dem Beendigungstermin ein Betriebsübergang erfolgt4. Denn der in § 17 Satz 1 TzBfG vorgesehene Klageantrag richtet sich auf die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Befristung nicht in Bezug auf die vor dem Wirksamwerden des Übertragungsvorgangs mit dem übertragenden Rechtsträger vereinbarte Befristung beendet wird5. Allerdings ließe sich das Problem mit den gleichen Ansätzen wie 1 2 3 4 5
Vossen, Festschrift Leinemann, 2006, S. 267, 275. Vgl. BAG v. 10.5.2012 – 8 AZR 434/11, NZA 2021, 1161 Rz. 21. BAG v. 20.4.2011 – 4 AZR 368/09, NZA-RR 2011, 609 Rz. 23. BAG v. 23.7.2014 – 7 AZR 853/12, NJW 2014, 3806 Rz. 24 f. BAG v. 23.7.2014 – 7 AZR 853/12, NJW 2014, 3806 Rz. 24 f.
Roloff | 761
20.68
§ 20 Rz. 20.68 | Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten
beim Kündigungsschutzverfahren lösen (vgl. Rz. 20.45). Im Zweifel sollten Veräußerer und Erwerber verklagt werden.
5. Streitwerte 20.69
Der Streitwertkatalog der Streitwertkommission vom 9.2.2018 enthält unter I Nr. 13 einen eigenen Tatbestand für den Betriebsübergang. Bei Bestandsschutzklagen gegen Veräußerer und Feststellungs- bzw. Bestandsschutzklage gegen den Erwerber soll allein die Bewertung der Beendigungstatbestände nach I Nrn. 11, 20 und 21 des Streitwertkatalogs erfolgen, eine Erhöhung nur wegen subjektiver Klagehäufung soll unterbleiben (also z.B. bei Klage gegen eine Kündigung des Veräußerers und Feststellungsklage gegen Erwerber im selben Verfahren: Vergütung für ein Vierteljahr).
6. Weiterbeschäftigungsantrag a) Betriebsübergang nach dem Ablauf der Kündigungsfrist
20.70
Bei einem Betriebsübergang nach der Rechtshängigkeit der Kündigungsschutzklage kann der Beschäftigungsanspruch nach § 265 ZPO mit der Kündigungsschutzklage weiterhin gegen den bisherigen Arbeitgeber gerichtet werden1. Eine Vollstreckung ist nach § 325 i.V.m. § 727 ZPO auch gegen den neuen Arbeitgeber möglich, falls der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht widersprochen hat2. Allerdings wird es naheliegen, den Weiterbeschäftigungsantrag ab dem Betriebsübergang, der schlüssig darzulegen ist, auch direkt gegen den Erwerber zu richten. b) Betriebsübergang vor dem Ablauf der Kündigungsfrist
20.71
Der Antrag kann auch in dieser Konstellation zulässig auf eine vorläufige Weiterbeschäftigung gegen den Erwerber gerichtet werden. Will der Arbeitnehmer beim Betriebserwerber weiterbeschäftigt werden, ist der Weiterbeschäftigungsantrag gegen diesen zu richten. Geht der Betrieb im Verlauf des Rechtsstreits auf den Betriebserwerber über, ist der ursprünglich gegen den Betriebsveräußerer gerichtete Antrag nach Wirksamwerden des Betriebsübergangs nunmehr gegen den Betriebserwerber zu richten3. Dies gilt insbesondere dann, wenn unstreitig ein Betriebsübergang erfolgt ist4. Der bisherige Inhaber ist insoweit auch nicht analog § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO prozessführungsbefugt, auch dann nicht, wenn im Zeitpunkt des Betriebsübergangs der Weiterbeschäftigungsantrag schon rechtshängig war5. Nur bei Bestandstreitigkeiten ist der den Kündigungsschutz Suchende an §§ 4, 7 KSchG, die eine Geltendmachung der Unwirksamkeit der Kündigung gegenüber dem kündigenden Veräußerer verlangen, gebunden6. In dem Zusammenhang wird der Arbeitnehmer allerdings klarstellen müssen, dass er von seinem Widerspruchsrecht keinen Gebrauch machen wird7. Außerdem wird der Arbeitnehmer darauf achten müssen, seinen Weiterbeschäftigungsantrag nicht allein vom Obsie-
LAG Bremen v. 2.2.1982 – 4 Sa 392/81, AP BGB § 613a Nr. 30. BAG v. 15.12.1976 – 5 AZR 600/75, AP ZPO § 325 Nr. 1; APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 244. APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 244. LAG Düsseldorf v. 27.4.2011 – 12 Sa 75/11 n.v. Rz. 34; LAG Hamm v. 9.6.2006 – 19 Sa 879/06 n.v. Rz. 32. 5 LAG Baden-Württemberg v. 24.5.2018 – 17 Sa 105/17 n.v. Rz. 123 ff. 6 LAG Baden-Württemberg v. 24.5.2018 – 17 Sa 105/17 n.v. Rz. 135. 7 APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 244. 1 2 3 4
762 | Roloff
Klagegegenstand und Klagegegner | Rz. 20.75 § 20
gen gegen die Kündigung abhängig zu machen, sondern auch vom Obsiegen gegen den Betriebserwerber – also vom Übergang des Arbeitsverhältnisses. Hat der Arbeitnehmer in zulässiger Weise sein Widerspruchsrecht ausgeübt, kommt nur eine Weiterbeschäftigung beim Betriebsveräußerer in Betracht. Gegen diesen ist dann der Weiterbeschäftigungsantrag zu richten.
20.72
Der Arbeitnehmer kann seinen Weiterbeschäftigungstitel gegen den übertragenden Arbeitgeber nicht ohne Weiteres gegen den Erwerber vollstrecken. Möglich ist allerdings die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung nach den §§ 727, 731 ZPO gegen den Betriebserwerber als Rechtsnachfolger des Betriebsveräußerers1. Er muss den Titel also umschreiben lassen2.
20.73
7. Klage auf Wiedereinstellung/Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses Da eine Kündigung rechtswirksam bleibt, wenn am Tage ihres Zugangs nach der Prognose des Arbeitgebers jedenfalls nach Ablauf der Kündigungsfrist keine Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung mehr bestand, ist es erforderlich, den Anspruch auf Wiedereinstellung für eine doch erfolgende Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit durch eine gesonderte Klage geltend zu machen3. Neben einer erhobenen Kündigungsschutzklage ist dies ein Hilfsantrag. Denn die Unwirksamkeit der Kündigung und das Vorliegen eines Wiedereinstellungsanspruchs schließen sich aus. Hauptantrag ist deshalb der Antrag nach § 4 KSchG, verknüpft für den Fall des Obsiegens mit dem Anspruch auf Weiterbeschäftigung. Der Hilfsantrag in Bezug auf die Wiedereinstellung muss sodann an die Bedingung geknüpft werden, dass der Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG abgewiesen wird. Schon wegen der abweichenden Zielsetzung ist deshalb die Annahme richtig, dass ein Wiedereinstellungsantrag nicht bereits im Wege der Auslegung aus einer Kündigungsschutzklage entnommen werden kann4. Andernfalls würde der Arbeitgeber das gesamte Prozessrisiko tragen, dass sich aus einer Änderung der der Kündigung zugrunde liegenden Umstände bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ergäbe5.
20.74
Entgegen der Ansicht von Hambitzer6 kann man die Drei-Wochen-Frist der §§ 4, 7 KSchG, § 17 TzBfG auf den Wiedereinstellungsanspruch nicht übertragen7. Entsprechendes gilt bei Insolvenz; auch § 113 Abs. 2 InsO ist insoweit nicht anwendbar8. Auch wenn dies rechtspolitisch sinnvoll wäre, bedarf es hierfür eines Handelns des Gesetzgebers. Materiell-rechtlich genügt es, den Anspruch analog § 613a Abs. 6 BGB binnen Monatsfrist nach Kenntnis vom Betriebsübergang geltend zu machen. Das Wiedereinstellungs- oder Fortsetzungsverlangen ist verwirkt, wenn es nicht binnen einer Frist von einem Monat nach Kenntniserlangung von den den Betriebsübergang ausmachenden tatsächlichen Umständen gegenüber dem Arbeit-
20.75
1 BAG v. 15.12.1976 – 5 AZR 600/75, AP ZPO § 325 Nr. 1. 2 Zu weit daher LAG Köln v. 9.3.2006 – 14 Sa 146/06. 3 Nach BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 845/15, NZA 2018, 436 Rz. 14 ff. sind die zum Wiedereinstellungsanspruch nach betriebsbedingter Kündigung entwickelten Grundsätze bei Kleinbetrieben i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 2 bis 4 KSchG hingegen nicht anwendbar; ob sich ein Wiedereinstellungsanspruch darüber hinaus aus § 242 BGB ergeben kann, wurde offengelassen. 4 So Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 349. 5 Preis, Anm. zu LAG Köln LAGE § 611 BGB Einstellungsanspruch Nr. 1 S. 33. 6 Hambitzer, NJW 1985, 2239, 2242. 7 Offen in Bezug auf die Geltung einer bestimmten Frist BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, NZA 1998, 251. 8 A.A. Schubert, ZIP 2002, 554, 557 (analoge Anwendbarkeit).
Roloff | 763
§ 20 Rz. 20.75 | Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten
geber bzw. nach erfolgtem Betriebsübergang gegenüber dem Betriebserwerber geltend gemacht worden ist1. Daneben kann der Arbeitnehmer einen Antrag nach § 5 KSchG stellen2.
20.76
Grundsätzlich muss der Anspruch auf Wiedereinstellung durch eine Klage auf Abgabe einer Willenserklärung, gerichtet auf eine Annahme des Angebots zum Abschluss eines Arbeitsverhältnisses zu alten Arbeitsbedingungen mit altem Besitzstand, geltend gemacht werden3. Mit Rechtskraft des dem Klageantrag stattgebenden Urteils (§ 894 Abs. 1 ZPO) gilt die Willenserklärung als abgegeben und das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien – die Annahme unterstellt – zum ursprünglichen Zeitpunkt als abgeschlossen gelten4.
20.77
Obwohl nur eine solche Klage den materiell-rechtlichen Gegebenheiten entsprechen würde, hält es der 2. Senat des BAG für ebenso statthaft, wenn unmittelbar Klage auf Wiedereinstellung erhoben wird. Unerheblich sei dabei, ob der geltend gemachte Anspruch als „Weiterbeschäftigungs-“, „Fortsetzungs-“ oder „Wiedereinstellungsanspruch“ bezeichnet werde. Voraussetzung sei lediglich, dass es für den Kläger jedenfalls auch darum gehe, durch einen neuen Vertrag die Hauptleistungspflichten aus dem fortbestehenden Arbeitsverhältnis geltend zu machen. In diesem Fall sei dann auch der Umweg einer Vollstreckung nach § 894 ZPO nicht erforderlich5. Ein Feststellungsantrag, der die Rechtslage nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den übernehmenden Rechtsträger betrifft, ist wegen des Nachrangs zur Leistungsklage nur im Ausnahmefall zulässig6.
20.78
Im Hinblick auf den prozessualen Bestimmtheitsgrundsatz7 muss – vergleichbar mit den Überlegungen zum allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch – auch bei der Klage auf Wiedereinstellung bzw. Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bereits im Antrag deutlich gemacht werden, welche Tätigkeit zu welchen Arbeitsbedingungen bei einer obsiegenden Entscheidung ausgeübt werden soll8. Wenn eine solche Beschäftigung dann wegen geänderter Umstände und/ oder eines veränderten Anforderungsprofils aus Sicht des Arbeitgebers ausgeschlossen und/ oder nur noch zu geänderten Arbeitsbedingungen erfolgen kann, handelt es sich nicht mehr um eine Frage der Bestimmtheit. Vielmehr geht es um die Begründetheit der Klage. Hier muss die Notwendigkeit entsprechender Ausführungen unter Berücksichtigung der wechselseitigen Darlegungs- und Beweislast bewertet werden.
20.79
Die Bestimmtheit des Klageantrags ist auch deshalb so wichtig, weil hiervon auch die Möglichkeit abhängt, den Anspruch im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzen. Auch aus diesem Grunde muss der Inhalt der Tätigkeit, die im Anschluss an die Wiedereinstellung ausgeübt werden soll, im Klageantrag und seiner Begründung hinreichend bestimmt dargelegt werden. Wird, wovon im Regelfall auszugehen ist, eine unveränderte Tätigkeit im Anschluss an den Betriebsübergang angestrebt, genügt es, im Antrag und seiner Begründung den Inhalt des bisherigen Arbeitsvertrags und etwaig abweichende Arbeitsbedingungen darzustellen. Erst dem
1 BAG v. 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29 Rz. 64. 2 NK-Ga/Roloff, § 5 KSchG Rz. 78. 3 Vgl. BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757, 760; Preis, Anm. zu LAG Köln LAGE § 611 BGB Einstellungsanspruch Nr. 1 S. 32. 4 BAG v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, NZA 1998, 254, 255; Boewer, RdA 2001, 380, 403. 5 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757, 760. 6 Vgl. BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757. 7 Vgl. zur Auslegung des Klageantrags in Abgrenzung zum Weiterbeschäftigungsantrag BAG v. 17.3.2015 – 9 AZR 702/13, NZA 2016, 124 Rz. 11 ff. 8 Boewer, RdA 2001, 380, 403.
764 | Roloff
Klagegegenstand und Klagegegner | Rz. 20.81 § 20
Arbeitgeber obliegt es dann, etwaige Umstände, die sich nach Zugang der Kündigung ergeben haben, im Einzelnen darzulegen. Denn von dieser Darlegung hängt es ab, ob es möglich ist, den Arbeitnehmer zu geänderten Arbeitsbedingungen, ggf. auch auf einem anderen Arbeitsplatz, weiter zu beschäftigen. Diese Befugnis der Zuweisung einer anderweitigen (vertragsgemäßen) Beschäftigung auf der Grundlage des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts besteht auch dann, wenn eine bestimmte Tätigkeit im konkreten Vollstreckungstitel benannt wird1. Wenn die Einschränkung bereits im Titel erkennbar werden soll, bleibt der Arbeitgeber für die Frage darlegungs- und beweispflichtig, dass eine Wiedereinstellung trotz vorhandener Arbeitsplätze auf dem bisherigen Arbeitsplatz nicht möglich bzw. unzumutbar ist2. Bei einer Klage auf Wiedereinstellung bzw. Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bestimmt sich die Passivlegitimation danach, ob der Übergang des Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a BGB bereits stattgefunden hat. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der übertragende Rechtsträger passivlegitimiert. Vom Tage des Betriebsübergangs bzw. der Umwandlung an muss die Klage gegen den übernehmenden Rechtsträger gerichtet werden3. Nur er kann eine Wiedereinstellung bzw. Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses durchführen. Deutlich wird dies jedenfalls dann, wenn man berücksichtigt, dass die Klage an sich auf die Abgabe einer Willenserklärung über den Abschluss eines Arbeitsverhältnisses gerichtet sein muss4. Falls zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bereits eine Klage gegen den übertragenden Rechtsträger auf Wiedereinstellung erhoben wurde, kommt eine analoge Anwendbarkeit von § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO – wie beim Weiterbeschäftigungsantrag (vgl. Rz. 20.71) – nicht in Betracht5. Führt zunächst die kündigende Arbeitgeberin den Betrieb länger fort als ursprünglich geplant, muss der Arbeitnehmer seinen Wiedereinstellungs-/Fortsetzungsanspruchs gegenüber der ursprünglichen Arbeitgeberin verfolgen. Wird seine gegen die vormalige Arbeitgeberin gerichtete Klage, mit der er von dieser die Annahme seines Angebots auf Abschluss eines Arbeitsvertrags zu den ursprünglichen Bedingungen verlangt hatte, indes rechtskräftig abgewiesen, kann er sich nicht mehr auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit der Erwerberin berufen6.
20.80
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Anspruchs auf Wiedereinstellung bzw. Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses liegt – geht man von allgemeinen Grundsätzen aus – zwar an sich beim Arbeitnehmer. Er muss die anspruchsbegründenden Tatsachen darlegen und ggf. auch beweisen7. Entgegen der Ansicht von Beckschulze8 ist allerdings von einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast auszugehen, soweit die Korrektur der der Arbeitgeberkündigung zugrundeliegenden Prognose in den Risikobereich des Arbeitgebers fällt9. Danach obliegt es dem Arbeitnehmer, Umstände vorzutragen, aus denen sich zunächst einmal ein Anspruch auf Wiedereinstellung ergibt. Erforderlich ist also, dass der Arbeitnehmer greifbare Anhaltspunkte dafür vorträgt, dass bei einem betriebsbedingten Kündigungsgrund ein Prognoseirrtum des
20.81
1 Vgl. BAG v. 5.2.2020 – 10 AZB 31/19, NZA 2020, 542 Rz. 27; BAG v. 21.3.2018 – 10 AZR 560/16, NZA 2018, 1071 Rz. 30 ff. 2 Vgl. BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757, 760. 3 Boewer, RdA 2001, 380, 403. 4 Müller-Glöge, NZA 1999, 449, 456. 5 Vgl. LAG Baden-Württemberg v. 24.5.2018 – 17 Sa 105/17 n.v. Rz. 123 ff.; LAG Düsseldorf v. 27.4.2011 – 12 Sa 75/11 n.v. Rz. 34. 6 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 845/15, NZA 2018, 436 Rz. 23. 7 Boewer, RdA 2001, 380, 403 f. 8 Beckschulze, DB 1998, 417, 420. 9 Boewer, RdA 2001, 380, 403 f.
Roloff | 765
§ 20 Rz. 20.81 | Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten
Arbeitgebers gegeben ist1. Dem Arbeitgeber obliegt es dann, darzulegen und ggf. zu beweisen, dass er bei dem bisherigen Arbeitsplatz des Arbeitnehmers nach Wegfall des Kündigungsgrundes bereits disponiert hat oder eben aus sonstigen Gründen unzumutbar ist, das Angebot des Arbeitnehmers auf Wiedereinstellung anzunehmen (vgl. Rz. 17.227 ff.). Lehnt der Arbeitgeber mit Blick auf die Wiedereinstellung anderer Arbeitnehmer die Beschäftigung des Klägers ab, obliegt es ihm, die seiner Auswahlentscheidung zugrunde liegenden Tatsachen darzulegen und ggf. zu beweisen2.
20.82
Von einer eingeschränkten Überprüfbarkeit durch die Arbeitsgerichte entsprechend § 1 Abs. 4 KSchG („grobe Fehlerhaftigkeit“) wird man beim Wiedereinstellungsanspruch nicht ausgehen können3. Allerdings wird man aus einer Namensliste nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO schließen können, dass die Vermutung hinsichtlich des Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit auch die Vermutung begründet, dass keine Möglichkeit der Wiedereinstellung durch den Erwerber eines Betriebs oder Betriebsteils gegeben ist. Andernfalls hätte die Ausdehnung der Vermutungswirkung auf das Fehlen einer Kündigung wegen des Betriebsübergangs (§ 128 Abs. 2 InsO) keinen Sinn. Hier obliegt es dann dem Arbeitnehmer kraft Gesetzes – als Verstärkung der durch Richterrecht entwickelten Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast, die anspruchsbegründenden Tatsachen vorzutragen und ggf. zu beweisen4. Gelingt ihm dies, muss der Arbeitgeber die Gründe benennen, die trotz Wegfalls des Kündigungsgrundes bzw. des Aufhebungsvertrags oder Vergleichs einer Wiedereinstellung entgegenstehen5. Hierzu kann es gehören, auf das veränderte Anforderungsprofil, das nunmehr mit dem Arbeitsplatz verbunden ist, hinzuweisen. Wenn der Arbeitnehmer auch unter Berücksichtigung zumutbarer Fortund Weiterbildungsmaßnahmen die danach erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht beibringen kann, ist eine Wiedereinstellung ausgeschlossen.
8. Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG a) Antrag des Arbeitnehmers bei Betriebsübergang nach dem Ablauf der Kündigungsfrist
20.83
Das Arbeitsverhältnis wird durch den Auflösungsantrag zum Ablauf der Kündigungsfrist aufgelöst (§ 9 Abs. 2 KSchG). Soll das Arbeitsverhältnis vor dem Betriebsübergang – der nach dem Ablauf der Kündigungsfrist liegen muss – durch einen Auflösungsantrag des Arbeitnehmers beendet werden, ist der Antrag gegen den bisherigen Arbeitgeber zu richten6. Materiell tritt der Erwerber in das Arbeitsverhältnis ein, wie es beim Betriebsübergang bestand. Ist es vorher beendet, tritt er gar nicht ein. Die Auflösungsgründe können allerdings durch den Betriebsübergang relativiert werden, wenn wegen der Zukunftsprognose vom Wegfall der Auflösungsgründe ausgegangen werden kann. Das kann etwa nach einem Ausscheiden maßgeblicher Personen der Fall sein.
1 Zutreffend Boewer, RdA 2001, 380, 403, der auch einen Auskunftsanspruch analog § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KSchG für denkbar hält; a.A. Aszmons/Beck, NZA 2015, 1098, 1104. 2 LAG Bremen v. 30.1.1998 – 4 Sa 114/97 und 117/97, AuR 1998, 249 (LS); Boewer, RdA 2001, 380, 403 f. 3 So aber Beckschulze, DB 1998, 417, 420. 4 LAG Bremen v. 30.1.1998 – 4 Sa 114/97 und 117/97, AuR 1998, 249 (LS). 5 BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757, 760. 6 Vgl. für den Antrag des Arbeitgebers BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 246/04, NZA 2005, 1178, 1180 f.
766 | Roloff
Klagegegenstand und Klagegegner | Rz. 20.86 § 20
b) Antrag des Arbeitnehmers bei Betriebsübergang vor dem Ablauf der Kündigungsfrist Hat der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber, der ihm gekündigt hat, eine Kündigungsschutzklage erhoben und wird nach deren Rechtshängigkeit und vor dem Ablauf der Kündigungsfrist der Betrieb veräußert, kann der Arbeitnehmer einen bisher nicht gestellten Auflösungsantrag mit Erfolg nur in einem Prozess gegen den ihm bekannten Betriebserwerber stellen1. Der frühere Arbeitgeber ist für den Auflösungsantrag nicht mehr passiv legitimiert. Es soll das Arbeitsverhältnis zu dem neuen Arbeitgeber aufgelöst werden. Für diesen Streit besteht keine Sachbefugnis des früheren Arbeitgebers. Daran ändert die Tatsache nichts, dass das Arbeitsverhältnis so auf den Erwerber übergeht, wie es beim Betriebsübergang bestanden hat. Die Fortsetzung des (alten) Arbeitsverhältnisses mit einem anderen Arbeitgeber kann deshalb nicht genügen. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des 2. Senats des BAG könnte indes die Einbeziehung des Übergangs des aufzulösenden Arbeitsverhältnisses in den Auflösungsantrag erwogen werden, um auf diese Weise divergierende Entscheidungen zu vermeiden. Die Arbeitgeber würden dadurch notwendige Streitgenossen; die Auflösung könnte nur einheitlich entschieden werden. Hiergegen ist jedoch mit der Rechtsprechung des 8. Senats des BAG einzuwenden, dass die Voraussetzungen der notwendigen Streitgenossenschaft nicht vorliegen (vgl. Rz. 20.23). Weder sind gesetzliche Vorschriften ersichtlich, die die Rechtskraft des gegenüber einem Streitgenossen ergangenen Urteils auf den anderen Streitgenossen erstrecken (Streitgenossenschaft aus prozessualen Gründen)2 noch geht es vorliegend um ein Recht, das aus materiell-rechtlichen Gründen nur von mehreren Berechtigten oder gegen mehrere Verpflichtete gemeinsam ausgeübt werden darf (Streitgenossenschaft aus materiell-rechtlichen Gründen)3. Allein der Wunsch nach einer einheitlichen Entscheidung zur Vermeidung etwaiger Folgeprobleme dürfte auch hier nicht ausreichend sein4.
20.84
c) Antrag des Arbeitgebers bei Betriebsübergang nach dem Ablauf der Kündigungsfrist Soll das Arbeitsverhältnis vor dem Betriebsübergang – der nach dem Ablauf der Kündigungsfrist liegen muss – durch einen Auflösungsantrag der Arbeitgeber beendet werden, ist der Antrag vom bisherigen Arbeitgeber zu stellen5. Allerdings kann der Arbeitnehmer auch hier für den Fall des Obsiegens mit der Kündigungsschutzklage den Erwerber mit in den Prozess einbeziehen. Ob er dann auch am Stellen des Auflösungsantrags gehindert wäre, ist fragwürdig. Denn der Veräußerer hat möglicherweise weder an der Wirksamkeit seiner Kündigung noch an einem begründeten Auflösungsantrag Interesse. In dieser Situation leuchtete es wenig ein, dem Erwerber den Antrag vorzuenthalten.
20.85
d) Antrag des Arbeitgebers und des Erwerbers bei Betriebsübergang vor dem Ablauf der Kündigungsfrist Ein Arbeitgeber, der eine Kündigung vor einem Betriebsübergang ausgesprochen hat, kann aufgrund des Verlusts der Arbeitgeberstellung einen Auflösungsantrag nicht mehr stellen, wenn BAG v. 20.3.1997 – 8 AZR 769/95, NZA 1995, 937, 939. Vgl. BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 30, 35. Vgl. BGH v. 3.11.2016 – I ZR 101/15, GRUR 2017, 520 Rz. 17. Vgl. BAG v. 25.1.2018 – 8 AZR 309/16, NZA 2018, 933 Rz. 37; BGH v. 4.4.2014 – V ZR 110/13, NZA-RR 2014, 903 Rz. 6. 5 BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 246/04, NZA 2005, 1178, 1180.
1 2 3 4
Roloff | 767
20.86
§ 20 Rz. 20.86 | Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten
der Auflösungszeitpunkt zeitlich nach dem Betriebsübergang liegt1. Wenn der Erwerber bereits Partei im Prozess ist und der Betriebsübergang vor dem Ablauf der Kündigungsfrist erfolgt, kann er die Auflösung des Arbeitsverhältnisses beantragen2. Ob der Erwerber in dem Fall, in dem der Betriebsveräußerer kündigt und noch während des Kündigungsrechtsstreits mit ihm, aber noch vor Ablauf der Kündigungsfrist, ein Betriebsübergang stattfindet, als Partei oder Nebenintervenient beitreten kann, ist indes offen. Für einen solchen Parteibeitritt spricht die Sonderregel des § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG, die dem Erwerber die Arbeitgeberstellung einräumt und eine Zustimmung des Arbeitnehmers zur Ausdehnung des Rechtsstreits auf eine weitere Partei entsprechend der allgemeinen Anforderungen an einen Parteiwechsel gemäß §§ 263, 264 i.V.m. § 533 ZPO obsolet mache könnte3. Denn damit würde dem Veräußerer für Auflösungsanträge mit einem Auflösungszeitpunkt nach dem Betriebsübergang im Fall der Antragstellung des Arbeitnehmers die Passivlegitimation fehlen4. Einen solchen Antrag könnte dann nur der Erwerber als Partei im Prozess stellen5. Dafür spricht auch, dass der Betriebserwerber in diesem Fall nicht die Rechte des Veräußerers, sondern die Auflösung des Arbeitsverhältnisses, das zum Beendigungstermin mit ihm bestehen würde, verfolgt6. Dementsprechend hat der 8. Senat des BAG für die gegenteilige Situation das Antragsrecht des Arbeitnehmers nur gegenüber dem Erwerber anerkannt7. Es soll nämlich das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers zu dem neuen Arbeitgeber aufgelöst werden; ihm muss die weitere Fortsetzung unzumutbar sein. Dabei sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz maßgeblich8. Für diesen Streit besteht keine Sachbefugnis des früheren Arbeitgebers. Daran ändert die Tatsache nichts, dass das Arbeitsverhältnis so auf den Erwerber übergeht, wie es beim Betriebsübergang bestanden hat. Zudem kann der Erwerber dem Rechtsstreit als Nebenintervenient (auch noch in der Berufungsinstanz) auf Seiten des Veräußerers beitreten und auf der Grundlage des so zum Kläger entstehenden objektiv unbedingten Prozessrechtsverhältnisses einen Auflösungsantrag stellen. Dies ist selbst dann zulässig, wenn dies gegen den Willen des Veräußerers geschieht. Denn das durch § 67 ZPO statuierte Verbot widersprüchlicher Erklärungen und Handlungen bezieht sich ausschließlich auf den jeweiligen Streitgegenstand. Der Auflösungsantrag stellt aber – auch gegenüber dem Kündigungsschutzantrag – einen eigenen Streitgegenstand dar9.
20.87
Nach anderer – letztlich nicht überzeugender – Ansicht soll der Prozessbeitritt des Erwerbers – jedenfalls gegen den Willen des Arbeitnehmers – eine unzulässige subjektive Klagehäufung darstellen10. Gegen einen Beitritt spräche auch der Rechtsgedanke des § 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO11. Hiervon ausgehend wäre der Erwerber lediglich als Nebenintervenient berechtigt, die Hauptpartei zu unterstützen. Ein eigener Auflösungsantrag, der unabhängig von dem Auflösungsantrag des Veräußerers das Arbeitsverhältnis beenden soll, könnte durch den Erwerber
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
LAG Baden-Württemberg v. 24.5.2018 – 17 Sa 105/17 LAGE § 9 KSchG Nr. 54. LAG Köln v. 1.3.2016 – 12 Sa 835/15, NZA-RR 2016, 485. LAG Düsseldorf v. 3.7.2018 – 3 Sa 553/17 BeckRS 2018, 32834 Rz. 49 f. BAG v. 20.3.1997 – 8 AZR 769/95, NZA 1995, 937, 939. LAG Köln v. 1.3.2016 – 12 Sa 835/15, NZA-RR 2016, 485. Vgl. BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 246/04, NZA 2005, 1178 Rz. 31. BAG v. 20.3.1997 – 8 AZR 769/95, NZA 1997, 937, 939. BAG v. 29.8.2013 – 2 AZR 419/12, NZA 2014, 660 Rz. 20. Faulenbach, jurisPR-ArbR 11/2019 Anm. 6. LAG Baden-Württemberg v. 24.5.2018 – 17 Sa 105/17, LAGE § 9 KSchG Nr. 54. LAG Baden-Württemberg v. 24.5.2018 – 17 Sa 105/17, LAGE § 9 KSchG Nr. 54.
768 | Roloff
Klagegegenstand und Klagegegner | Rz. 20.91 § 20
bei dieser Sichtweise nicht gestellt werden. Andernfalls würden ihm im Gesetz nicht vorgesehene Rechte eingeräumt1. e) Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Auflösungsantrags Für die vorgenannten Konstellationen dürfte es unerheblich sein, wann die Rechtshängigkeit des Auflösungsantrags eintritt. Das Gegenteil verstieße gegen die ausdrücklich in § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG vorgesehene Möglichkeit der rückwirkenden Antragstellung.
20.88
9. Klage auf Auskunft über die Informationen nach § 613a Abs. 5 BGB Die von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer haben gegenüber den beteiligten Rechtsträgern einen Anspruch auf Auskunft über
20.89
– den Zeitpunkt bzw. den geplanten Zeitpunkt des Übergangs, – den Grund für den Übergang, – die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und – die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen. Dieser Anspruch wird durch § 613a Abs. 5 BGB ausdrücklich festgeschrieben und kann im Klagewege geltend gemacht werden2. Um zu verhindern, dass ein etwaiger Wiedereinstellungs- bzw. Fortsetzungsanspruch gegenüber dem Erwerber nicht rechtzeitig geltend gemacht wird, empfiehlt es sich, die Klage auf Wiedereinstellung/Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses trotz des damit verbundenen Prozessrisikos unmittelbar mit der Klage auf Auskunft zu verbinden. Mit Blick auf den zeitlichen Ablauf kann es allerdings möglich sein, dass die Klage auf Wiedereinstellung bzw. Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nur (noch) gegen den übernehmenden Rechtsträger gerichtet wird. Die Klage aus Auskunft kann gegen beide Rechtsträger gerichtet sein.
20.90
10. Darlegungs- und Beweislast Im Rahmen des § 613a BGB gelten die allgemeinen Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast, d.h., der Anspruchssteller trägt die Darlegungs- und Beweislast für die rechtsbegründenden, der Anspruchsgegner trägt sie für die rechtsvernichtenden, rechtshindernden und rechtshemmenden Tatbestandsmerkmale3: Jede Partei muss die Voraussetzungen der ihr günstigen Norm darlegen und ggf. beweisen4. Nimmt der Arbeitnehmer den vermeintlichen Betriebsübernehmer in Anspruch, muss er die Voraussetzungen eines Betriebs(teil)übergangs einschließlich seiner organisatorischen Zuordnung zum übergegangenen Betrieb oder Betriebsteil darlegen und ggf. beweisen5. Macht der in Anspruch genommene Arbeitgeber geltend, er
1 LAG Baden-Württemberg v. 24.5.2018 – 17 Sa 105/17, LAGE § 9 KSchG Nr. 54. 2 Vgl. Preis/Steffan, DB 1998, 309, 310; Boewer, NZA 1999, 1177, 1180; Meyer, NZA 2000, 297, 302. 3 Vgl. BAG v. 27.9.2012 – 8 AZR 826/11, NZA 2013, 961 Rz. 22; Zöller/Greger, Vor § 284 ZPO Rz. 17a; APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 257. 4 Vgl. ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 177; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 373. 5 Vgl. BAG v. 10.5.2012 – 8 AZR 434/11, NZA 2012, 1161 Rz. 28; BAG v. 16.5.2002 – 8 AZR 320/01, AP InsO § 113 Nr. 9.
Roloff | 769
20.91
§ 20 Rz. 20.91 | Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten
habe die Arbeitgeberstellung im Wege des Betriebsübergangs verloren, trägt er für die Voraussetzungen des Betriebsübergangs die Darlegungs- und Beweislast1.
IV. Besonderheiten bei Umwandlungen 20.92
Bei der Verschmelzung (§ 20 Nr. 1, 2 UmwG), die keinen bloßen Formwechsel zur Folge hat2, gelten prozessuale Besonderheiten: Der übernehmende Rechtsträger tritt bei der Verschmelzung deshalb als universeller Gesamtrechtsnachfolger ipso jure kraft Gesetzes in laufende Prozesse ein. Gleichzeitig tritt infolge der Verschmelzung eine prozessuale Unterbrechung des Verfahrens ein (§§ 246, 239 ZPO)3. Entsprechendes gilt für die Anwachsung4. Zwar tritt der Nachfolger unmittelbar in den Prozess ein, das Verfahren ist allerdings durch bestimmenden Schriftsatz aufzunehmen, um den Parteien die Möglichkeit zu eröffnen, sich über die Berechtigung der Forderung Kenntnis zu verschaffen. Für Aufspaltungen gilt dies nicht ohne Weiteres, da es nur zu einer partiellen Universalsukzession in Bezug auf die Arbeitsverhältnisse kommt5. In diesen Fällen geht das Arbeitsverhältnis entweder durch Zustimmung des Arbeitnehmers über. Dann stellen sich die vorgenannten Probleme nicht, die Zuordnung des Arbeitsverhältnisses ist unproblematisch. Oder es geht nach § 324 UmwG i.V.m. § 613a Abs. 1 BGB über, dann stellen sich die Fragen wie bei § 613a BGB. Macht der Arbeitnehmer mangels ausreichender Zuordnung (vgl. Rz. 10.198 ff.), fehlender Zustimmung und fehlenden Betriebsübergangs von seinem Wahlrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG Gebrauch, kann er gerichtlich die Feststellung geltend machen, mit welchem der an der Aufspaltung beteiligten Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fortbesteht6. Dieser Antrag entspricht dem Fortbestehensantrag gegenüber dem alten oder dem neuen Arbeitgeber (vgl. Rz. 20.27 ff.).
20.93
Losgelöst davon sollte bereits im Spaltungsvertrag bzw. -plan festgelegt werden, wer innerhalb des Prozessrechtsverhältnisses Rechtsnachfolger wird7. Der so bestimmte Rechtsträger tritt dann unmittelbar als Partei in den Rechtsstreit ein. Wurde keine Zuordnung vorgenommen, wird man, um entsprechend Art. 9 Richtlinie 2001/23/EG einen wirksamen Rechtsschutz zu gewährleisten, einen Eintritt aller übernehmenden Rechtsträger als Rechtsnachfolger in den Prozess annehmen müssen.
20.94
Bei der Abspaltung, Ausgliederung und Teilübertragung tritt keine Unterbrechung ein. Insoweit ist § 324 UmwG einschlägig, der ausdrücklich klarstellt, für welche Umwandlungsarten die Anwendung von § 613a BGB in Betracht kommt. Diesen Fällen ist gemeinsam, dass durch die Umwandlung Vermögen, wozu auch ein Betrieb oder Betriebsteil gehören kann, von einem Rechtsträger auf einen anderen Rechtsträger übergeht. Es liegt allerdings keine Gesamtrechtsnachfolge vor (vgl. Rz. 5.55 zum Streitstand)8, so dass hier die allgemeinen vorgenann-
1 Vgl. BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18, NZA 2019, 1279 Rz. 32; BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 917/ 06, NZA-RR 2008, 367 Rz. 47; BAG v. 15.12.2005 – 8 AZR 202/05, NZA 2006, 597 Rz. 58. 2 BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 416/99, AP BGB § 613a Nr. 209; MünchKommZPO/Stackmann, § 239 Rz. 20. 3 Düwell, NZA 2012, 761, 762. 4 BeckOK ZPO/Jaspersen, § 239 Rz. 8. 5 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, NJW 2018, 885 Rz. 26 ff. 6 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, NJW 2018, 885 Rz. 26 ff. 7 Schmitt/Hörtnagl/Hörtnagl, § 126 UmwG Rz. 102; Semler/Stengel/Schröer, § 126 UmwG Rz. 78. 8 Düwell, NZA 2012, 761, 763.
770 | Roloff
Organmitglieder | Rz. 20.97 § 20
ten prozessualen Grundsätze zum Betriebsübergang gelten, unabhängig davon ob tatsächlich ein Betriebsübergang vorliegt1.
B. Gerichtsstand Die Festlegung des Gerichtsstands bei Klagen wegen der Änderung oder Beendigung von Arbeitsverhältnissen im Zusammenhang mit Betriebsübergang und Umwandlung bestimmt sich nach den allgemeinen Vorgaben in § 46 Abs. 2 Satz 1, § 48 Abs. 1a ArbGG, §§ 12 ff. ZPO. Bedeutsam wird die Frage des Gerichtsstands, wenn in demselben Rechtsstreit übernehmender und übertragender Rechtsträger verklagt werden. Eine solche Klage ist nicht nur zulässig, sie kann sogar empfehlenswert sein. Maßgeblich für die Frage der örtlichen Zuständigkeit ist hier § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Das zuständige Gericht wird durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt, wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist. Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen des BAG im Beschluss vom 25.4.19962 bei Fragen des Betriebsübergangs erfüllt.
20.95
Ausreichend für § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist bereits die einfache Streitgenossenschaft. Es genügt, dass die „als Streitgenossen“ in Anspruch genommenen Parteien einem gemeinschaftlichen Gegner gegenüberstehen3. Allerdings kann ein gemeinsamer Gerichtsstand für einen Rechtsstreit gegen den übernehmenden und den übertragenden Rechtsträger nach § 36 Nr. 1 ZPO nicht mehr bestimmt werden, wenn der Rechtsstreit gegen einen der Beteiligten durch bindenden Beschluss an ein anderes Gericht verwiesen worden ist. Lediglich eine offensichtlich gesetzeswidrige Verweisung kann keine Bindungswirkung entfalten4.
20.96
C. Organmitglieder Die Klagen von Organmitgliedern gegen die Beendigung ihres Vertragsverhältnisses sind grundsätzlich der Zuständigkeit der Arbeitsgerichte entzogen (§ 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG). Allerdings hat die Rechtsprechung des BAG die Möglichkeit von Klagen vor den Arbeitsgerichten für Organmitglieder erheblich erweitert. Die Arbeitsgerichte sind nunmehr auch zuständig, wenn die Organstellung erst nach An- oder Rechtshängigkeit der Klage entfällt5. Hinzu kommt, dass das Organ auch dann die Zuständigkeit erwirken kann, wenn es sein Amt niederlegt6. Der Weg zu den Arbeitsgerichten ist den Organen damit nach der Beendigung des organschaftlichen Verhältnisses in der Regel eröffnet. Zur Begründung führt der 10. Senat aus, dass das ausschließliche Abstellen auf den Zeitpunkt der Klageerhebung die Möglichkeit einer Manipulation eröffnete. Käme es allein auf diesen Zeitpunkt an, hätten es die Gesell1 2 3 4
Überzeugend Düwell, NZA 2012, 761, 764. BAG v. 25.4.1996 – 5 AS 1/96, NZA 1996, 1062. Ebenso BGH v. 19.11.1991 – X ARZ 10/91, NJW 1992, 981. BAG v. 16.6.2015 – 10 AS 2/15, NJW 2015, 2523 Rz. 4; BAG v. 13.11.1996 – 5 AS 11/96, NZA 1997, 227. 5 BAG v. 8.9.2015 – 9 AZB 21/15, NZA 2015, 1342 Rz. 17; BAG v. 3.12.2014 – 10 AZB 98/14, NZA 2015, 180 Rz. 21 ff.; BAG v. 22.10.2014 – 10 AZB 46/14, NZA 2015, 60 Rz. 28. 6 BAG v. 3.12.2014 – 10 AZB 98/14, NZA 2015, 180 Rz. 21.
Roloff | 771
20.97
§ 20 Rz. 20.97 | Prozessuale Aspekte bei Bestandsstreitigkeiten
schafter nach einer Kündigung in der Hand, durch ein Hinausschieben der Abberufungsentscheidung eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte auch in den Fällen auszuschließen, in denen unzweifelhaft ein Arbeitsverhältnis vorliegt. Der Arbeitnehmer hat in einem solchen Fall gem. § 4 Satz 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage zu erheben, um den Eintritt der Fiktionswirkung des § 7 KSchG zu verhindern. Die nachträgliche Berücksichtigung von Umständen, welche die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs erst begründen, verhindert im Übrigen bei mehreren nacheinander erklärten Kündigungen regelmäßig auch eine Aufspaltung der Zuständigkeit in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Abberufung des Geschäftsführers1.
20.98
Allerdings kann die Kündigungsschutzklage materiell nur Erfolg haben, wenn es dem Organ gelingt, ein bestehendes – oder wiederauflebendes – Arbeitsverhältnis zu behaupten und sein Vorliegen ggf. beweisen, das der Kündigung durch den bisherigen oder den neuen Arbeitgeber unterworfen werden sollte. Ansonsten bleibt die Kündigungsschutzklage erfolglos (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG). Es wird dann nur darum gehen, ob die Kündigung des Dienst- oder sonstigen Vertrags wirksam ist (vgl. Rz. 14.22).
1 BAG v. 22.10.2014 – 10 AZB 46/14, NZA 2015, 60 Rz. 28.
772 | Roloff
Teil 7 Kollektivvertragliche Konsequenzen
§ 21 Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
A. Rechtsfolgen für Tarifverträge bei Umstrukturierungsmaßnahmen . . B. Tarifverträge bei der Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen auf andere Rechtsträger . . . . . . . . . I. Konsequenzen für Verbandstarifverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. (Fort-)Geltung kraft Verbandsmitgliedschaft des übernehmenden Rechtsträgers . . . . . . . . . . . 2. (Fort-)Geltung kraft Allgemeinverbindlicherklärung . . . . . . . . . 3. Fehlende Anwendbarkeit von § 3 Abs. 3 TVG oder § 4 Abs. 5 TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Tarifvertrag zur Überleitung . . . 5. Fortgeltung des Verbandstarifvertrags gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB a) Normative Tarifbindung als Voraussetzung der gesetzlichen Fortgeltung . . . . b) Grundsatz: Transformation in das Arbeitsverhältnis gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsnatur und Änderungsmöglichkeiten nach Transformation . bb) Gegenstand der Transformation . . . . . . . . . . cc) Grundsatz der statischen Transformation . dd) Einjährige Sperrfrist für Verschlechterungen (1) Wirkungsweise in Bezug auf individualoder kollektivrechtliche Regelungen . . . . . .
21.1
21.4 21.5
21.6 21.15
21.17 21.20
21.28
21.35 21.36 21.41 21.49
(2) Praktische Durchführung des notwendigen Günstigkeitsvergleichs . . . . . . . . . . . . . c) Ablösung durch Tarifvertrag des übernehmenden Rechtsträgers . . . . . . . . . . . d) Schranken einer Ablösung aus Art. 3 Richtlinie 2001/ 23/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ablösung durch Betriebsvereinbarung des übernehmenden Rechtsträgers . . . . f) Ablösung durch Bezugnahme auf anderen Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Ablösung durch Änderungskündigung oder Änderungsvereinbarung . . h) Rechtsfolgen einer Beendigung des Tarifvertrags . . . . i) Rechtsfolgen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung . . . . . . . . . . . . . II. Konsequenzen für Firmentarifverträge 1. Kennzeichnung des Firmentarifvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übergang durch Einzelrechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen beim Übergang durch Gesamtrechtsnachfolge . a) Umwandlung im Wege der Verschmelzung aa) Grundsatz . . . . . . . . . . bb) Übernahme durch Rechtsträger ohne Tarifbindung . . . . . . . .
21.56 21.61 21.75 21.82 21.86 21.91 21.95 21.97
21.98 21.101 21.107 21.108 21.111
21.52
Gaul/Mengel/Beck | 773
§ 21 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen cc) Übernehmender Rechtsträger mit eigener Tarifbindung . . . . b) Umwandlung im Wege der Spaltung . . . . . . . . . . . c) Übertragung im Wege der Anwachsung . . . . . . . . . . . d) Formwechselnde Umwandlung . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsfolgen für Arbeitnehmer mit Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Form, Inhalt und Zweck einer einzelvertraglichen Bezugnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung einer AGB-Kontrolle von Bezugnahmeklauseln . . . 3. Grundsatz: Übergang gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB . . . . . 4. Einzelne Rechtsfolgen . . . . . . . . a) Rechtsfolgen bei fehlender Tarifbindung des übertragenden und des übernehmenden Rechtsträgers . . .
21.114 21.117 21.121 21.122
21.123 C. 21.124 21.134 21.142 21.147
D.
I.
II. 21.149
b) Rechtsfolgen bei fehlender Tarifbindung des übernehmenden Rechtsträgers . . . c) Rechtsfolgen bei identischer Tarifbindung von übertragendem und übernehmendem Rechtsträger d) Besonderheiten bei einer anderen Tarifbindung auf Seiten des übernehmenden Rechtsträgers (Tarifwechsel) . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen für Tarifverträge bei unternehmensinternen Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen für Tarifverträge bei Veränderungen im gemeinsamen Betrieb Übertragung eines Betriebsteils unter Bildung eines gemeinsamen Betriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auflösung oder Spaltung des gemeinsamen Betriebs . . . . . . . . .
21.150
21.160
21.162
21.169
21.180 21.185
Schrifttum: Annuß, Schutz der Gewerkschaften vor tarifwidrigem Handeln der Betriebsparteien, RdA 2000, 287; Annuß, Die einzelvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge, BB 1999, 2558; Bange, Fortgeltung von Kollektivverträgen bei Unternehmensumstrukturierung durch Umwandlung, 2001 (zugl. Diss. Frankfurt/M. 2000); Bauer/Günther, Bezugnahmeklauseln bei Verbandswechsel und Betriebsübergang – Ein Irrgarten?, NZA 2008, 6; Bayreuther, Vorbehaltlose dynamische Bezugnahmeklauseln nach einem Betriebsübergang – Neues vom EuGH, NJW 2017, 2158; Blanke, Die Weitergeltung von Tarifvereinbarungen und das Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses bei Privatisierungen, PersR 1995, 463; Braner, Die Geltung von Tarifverträgen im gemeinsamen Betrieb, NZA 2007, 596; Busch/Gerlach, Dynamische Verweisung auf Tarifverträge vs. unternehmerische Freiheit nach Betriebsübergang, BB 2017, 2356; Däubler, Tarifliche Regelung des Betriebsübergangs?, ZTR 2000, 241; Denke, Tarifvertrag und Betriebsübergang, 2020 (zugl. Diss. Trier 2020); Eylert/Schinz, Dynamische Bezugnahmeklauseln beim Betriebsübergang im Spannungsfeld zwischen nationalen und europäischen Regelungen; Flockenhaus, Alles bleibt anders – Dynamische Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang nach Asklepios, RdA 2017, 316; B. Gaul, Betriebsübergang: Grenzen der Unterrichtungspflicht in Bezug auf Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen, RdA 2015, 206; B. Gaul, Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag – Rechtsfolgen einer Bezugnahmeklausel bei Betriebsübergang und Umwandlung, ArbRB 2001, 49; B. Gaul, Das Schicksal von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen bei der Umwandlung von Unternehmen, NZA 1995, 717; B. Gaul/Otto, Konsequenzen einer Spaltung nach § 123 UmwG für Firmentarifverträge, BB 2014, 500; D. Gaul, Die kollektivrechtlichen Auswirkungen eines rechtsgeschäftlich begründeten Betriebsübergangs, ZTR 1989, 3; Gerhards, Tarifgebundenheit beim Verbandswechsel des Arbeitgebers, BB 1995, 1290; Giesen, Bezugnahmeklauseln – Auslegung, Formulierung und Änderung, NZA 2006, 625; Gräf, Tarifpluralität und Betriebs(teil)übergang – Das Zusammenspiel von § 4a TVG und § 613a BGB, NZA 2016, 327; Grau/Fischer, Anwendung „transformierter“ Kollektivbedingungen nach Kettenbetriebsübergang – Besprechung von BAG, Urt. v. 12.6.2019 – 1 AZR 154/17, NZA 2019, 1203, NZA 2019, 1469; Greiner, Das Tarifeinheitsgesetz – Dogmatik und Praxis der gesetzlichen Tarifeinheit, NZA 2015, 769; Gussen/
774 | Gaul/Mengel/Beck
Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen | § 21 Dauck, Die Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen bei Betriebsübergang und Umwandlung, 2. Aufl. 1997; Hanau, Die Rechtsprechung des BAG zur arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf Tarifverträge – wem sie nützt, wem sie schadet und wie man das ändern kann, NZA 2005, 489; Hanau/Vossen, Die Auswirkungen des Betriebsinhaberwechsels auf Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge, in Festschrift für Marie Luise Hilger und Hermann Stumpf, 1983, S. 271; Hartmann, Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu dynamischen Bezugnahmeklauseln im Betriebsübergang, EuZA 2015, 203; Henssler, Unternehmensstrukturierung und Tarifrecht, in Festschrift für Günter Schaub, 1998, S. 311; Hermann, Der gemeinsame Betrieb mehrerer Unternehmen, 1993 (zugl. Diss. Konstanz 1993); Hohenstatt, Nach "Asklepios": Sechs Thesen zum Schicksal von Bezugnahmeklauseln beim Betriebsübergang, in Festschrift für Heinz Josef Willemsen, 2018, S. 187; Hohenstatt/Günther-Gräff, Schicksal von Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen bei Unternehmenskauf und Umstrukturierung, DStR 2001, 1980; Hohenstatt/Schuster, Auswirkungen des Tarifeinheitsgesetzes auf Umstrukturierungen, ZIP 2016, 5; Hromadka, Die ablösende Betriebsvereinbarung ist wieder da!, NZA 2013, 1061; Hromadka, Tarifvertrag und Arbeitsvertrag bei der Ausgründung von Betriebsteilen, DB 1996, 1872; Jacobs, Fortgeltung und Änderung von Tarif- und Arbeitsbedingungen bei der Umstrukturierung von Unternehmen, NZA-Beilage 1/2009, 45; Jacobs/Frieling, Keine dynamische Weitergeltung von kleinen dynamischen Bezugnahmeklauseln nach Betriebsübergängen, EuZW 2013, 737; Kainer, Gerechter Interessenausgleich und unternehmerische Freiheit: Ende der Dynamik von Bezugnahmeklauseln bei Betriebsübergängen nach Alemo-Herron?, EuZA 2014, 230; Kamlah, Bestandschutz und Ablösung von Kollektivverträgen bei Betriebsübergang, 1998 (zugl. Diss. Bonn 1995); Kania, Tarifbindung bei Ausgliederung und Aufspaltung eines Betriebs, DB 1995, 625; Kania, Tarifeinheit bei Betriebsübergang?, DB 1994, 529; Kempen, Betriebsübergang und Tarifvertrag, BB 1991, 2006; Klein, Das Schicksal dynamischer Bezugnahmeklauseln bei Betriebsübergang – Korrekturmöglichkeit des EuGH, NZA 2016, 410; Klengel, Kollektivverträge im EU-Betriebsübergangsrecht, 2020 (zugl. Diss. Frankfurt/Oder 2020); Konzen/Schliemann, Der Regierungsentwurf des Tarifeinheitsgesetzes, RdA 2015, 1; Kreßel, Kollektivrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten beim Betriebsübergang – Zugleich eine Besprechung von BAG v. 13.8.2019 – BAG 1 AZR 213/18, NZA 2020, 49, NZA 2020, 279; Latzel, Trotz geschickter Vorlage: Dynamik von Bezungnahmeklauseln nach Betriebsübergang bleibt unklar - Anmerkung zu EuGH v. 27.4.2017 – C-680/15 u. a. (Asklepios), GPR 2017, 301; Latzel, Unternehmerische Freiheit als Grenze des Arbeitnehmerschutzes – vom Ende dynamischer Bezugnahmen nach Betriebsübergang – zugleich Besprechung des EuGH-Urteils vom 18.7.2013 – Rs.C-426/11 – Alemo-Herron u.a., RdA 2014, 110; Lobinger, EuGH zur dynamischen Bezugnahme von Tarifverträgen beim Betriebsübergang – Rechtsprechung des BAG erneut zu korrigieren, NZA 2013, 945; Meyer, Aktuelle Gestaltungsfragen beim Betriebsübergang, NZA-RR 2013, 225; Meyer, Modifikation von Tarifrecht durch Betriebsvereinbarungen beim Betriebsübergang, NZA 2001, 751; Moll, Auswirkungen betrieblicher Umstrukturierungen auf Kollektivvereinbarungen, in Preis/Willemsen (Hrsg.), Umstrukturierung von Betrieb und Unternehmen im Arbeitsrecht, 1999, S. 129; Moll, Kollektivvertragliche Arbeitsbedingungen nach einem Betriebsübergang, RdA 1996, 275; Moll, Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers nach einem Betriebsübergang, NJW, 1993, 2016; Möller, Die Verweisung auf einen Tarifvertrag beim Betriebsübergang im Lichte des europäischen Rechts, 2018 (zugl. 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Senats des BAG vom 5.3.2013 (NZA 2013, 916), NZA 2014, 6; Reinecke, Die Sicherung der Tarifgeltung beim Betriebsübergang, 2016 (zugl. Diss Mannheim 2016); Reufels, Neues zur Weitergeltung zeitdynamischer Bezugnahmeklauseln nach einem Betriebsübergang? – Zu den Auswirkungen der „Asklepios“-Entscheidung des EuGH auf das deutsche Recht, ArbRB 2017, 222; Richardi, Systemwidrigkeit des Tarifeinheitsgesetzes
Gaul/Mengel/Beck | 775
§ 21 Rz. 21.1 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen als Quelle der Rechtsunsicherheit, NZA 2015, 915; Rinck, Kollision von fortwirkenden Tarifnormen und Bezugnahmeklauseln und Betriebsübergang, RdA 2010, 216; Röder, Die Fortgeltung von Kollektivnormen bei Betriebsübergang gemäß § 613a BGB in der Fassung vom 13.8.1980, DB 1981, 1980; Sagan, Die Ablösung von Tarifverträgen nach einem Betriebsübergang, ZESAR 2019, 407; Sagan, Die kollektive Fortgeltung von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen nach § 613a Abs. 1 Sätze 2–4 BGB, RdA 2011, 163; Scharff, Auswirkungen eines Betriebsübergangs auf arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, DB 2016, 1315; Schaub, Wege und Irrwege aus dem Flächentarifvertrag, NZA 1998, 617; Schaub, Die Tarifverträge bei Umwandlung von Unternehmen, ZTR 1997, 245; Schipp, Arbeitsrechtliche Probleme bei der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen, NZA 1994, 865; Schliemann, Fragen zum Tarifeinheitsgesetz, NZA 2014, 1250; Schneider, Die Wirkung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln nach einem Betriebsübergang i.S.d. § 613a BGB, 2017 (zugl. Diss. Würzburg 2017); Schubert, Die Bindung des Erwerbers an kleine dynamische Bezugnahmeklauseln beim Betriebsübergang und ihre Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht, ZESAR 2018, 8; Seel, Die Fortgeltung von Tarifverträgen beim Betriebsübergang, öAT 2015, 26; Seiter, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen beim Betriebsinhaberwechsel – Zur bevorstehenden Novellierung des § 613a BGB durch das „Arbeitsrechtliche EG Anpassungsgesetz“, DB 1980, 877; Seitz/Werner, Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln bei Unternehmensumstrukturierungen, NZA 2000, 1257; Siegfanz-Strauß, Tarifrecht im Betriebsübergang, Baden-Baden 2017 (zugl. Diss. Köln 2015); Sittard/Flockenhaus, „Scattalon“ und die Folgen für die Ablösung von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen nach einem Betriebsübergang, NZA 2013, 652; Sowka/Weiss, Gesamtbetriebsvereinbarung und Tarifvertrag bei Aufnahme eines neuen Betriebs in das Unternehmen, DB 1991, 1518; Steffan, Neues vom EuGH zum Betriebsübergang: Was folgt aus „Scattalon“?, NZA 2012, 473; von Steinau-Steinrück, Neues vom EuGH zum Betriebsübergang, NJW-Spezial 2012, 434; Tiedemann, Die Weitergeltung zeitdynamischer Bezugnahmeklauseln nach einem Betriebsübergang – Bleibt alles beim Alten oder kippt der EuGH die deutsche Rechtsprechung?, ArbRB 2016, 83; Waas, Tarifrechtliche Probleme beim Gemeinschaftsbetrieb mehrerer Unternehmen, NZA 1999, 841; Waas, Tarifvertrag und Betriebsübergang: Die Fortgeltung tarifvertraglicher Regelungen im Falle des Betriebsübergangs gem. § 613a Abs. 1 S. 2–4 BGB, 1999; Wahlig/Brune, Entdynamisierung von Bezugnahmeklauseln nach Betriebsübergang, NZA 2018, 221; Wank, Die Geltung von Kollektivvereinbarungen nach einem Betriebsübergang, NZA 1987, 505; Weber, Tarifentwicklungen nach einem Betriebsübergang, 2019 (zugl. Diss. Mannheim 2018); Wellenhofer-Klein, Tarifwechsel durch Unternehmensumstrukturierung, ZfA 1999, 239; Willemsen, Aktuelle Rechtsprechung des EuGH zum Arbeits- und Sozialrecht – Befristung, Betriebsübergang, RdA 2012, 291; Willemsen, Arbeitsrechtliche Aspekte der Reform des Umwandlungsrechts, RdA 1993, 133; Willemsen/Grau, Zurück in die Zukunft – Das europäische Aus für dynamische Bezugnahmen nach Betriebsübergang?, NJW 2014, 12; Willemsen/Krois/Mehrens, Entdynamisierung von Tarifverträgen nach einem Betriebsübergang – Kommunikationsprobleme zwischen Luxemburg und Erfurt –, RdA 2018, 151; Winter, Betriebsübergang und Tarifvertragsersetzung – was ergibt sich aus dem Urteil Scattalon?, RdA 2013, 36; Witschen, Die Ablösung normativ wirkender Kollektivverträge beim Betriebsübergang – Keine vernünftigen Zweifel nach Scattolon und Unionen?, NZA 2019, 1180; Zöllner, Veränderung und Angleichung tarifvertraglich geregelter Arbeitsbedingungen nach Betriebsübergang, DB 1995, 1401.
A. Rechtsfolgen für Tarifverträge bei Umstrukturierungsmaßnahmen 21.1
Die Spaltung eines Betriebs oder Unternehmens kann auch die tariflichen Rechte und Pflichten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern beeinflussen. Ob und inwieweit dies der Fall ist, hängt nicht nur davon ab, ob die Umstrukturierung mit der Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils auf einen anderen Rechtsträger verbunden ist (Rz. 21.4 ff.), ob sie nur unternehmensintern erfolgt (Rz. 21.169 ff.) oder – hier ist dann eine Sondersituation gegeben – ob ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen zusammengeschlossen oder gespalten wird (Rz. 21.180 ff.). Bedeutsam ist auch, ob die Rechte und Pflichten bis zum Übergang des Ar776 | Gaul/Mengel/Beck und Gaul/Mengel
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.4 § 21
beitsverhältnisses durch Verbands- oder Firmen- bzw. Haustarifvertragswerke geregelt sind. Haus-/Firmentarifverträge werden nachfolgend nur unter der Bezeichnung Firmentarifvertrag gleichbedeutend als Tarifverträge behandelt, die ein einzelner Arbeitgeber für einzelne Betriebe oder das gesamte Unternehmen – ggf. auf einen persönlichen, fachlichen oder örtlichen Geltungsbereich beschränkt – abgeschlossen hat1. Wichtig ist hierbei, dass der Vertragsabschluss beim Firmentarifvertrag durch den Arbeitgeber selbst oder einen Vertreter erfolgt. Im Unterschied dazu liegt ein Verbandstarifvertrag vor, wenn der Arbeitgeberverband bei einem Tarifvertrag nicht als Vertreter nach §§ 164 ff. BGB auftritt, sondern als Arbeitgeberverband tätig und der Tarifvertrag im Rahmen des Geltungsbereichs auf das Unternehmen des einzelnen Verbandsmitglieds beschränkt wird2. Von einem solchen „firmenbezogenen Verbandstarifvertrag3 ist auszugehen, falls nicht im Rubrum ausdrücklich auf die gesonderte Vertretung außerhalb der Verbandsmitgliedschaft hingewiesen wird4. Von einem Verbandstarifvertrag ist auch dann auszugehen, wenn mehrere Unternehmen gemeinsam einen Tarifvertrag abschließen. Ohne Rücksicht darauf, ob der damit verbundene Zusammenschluss der Unternehmen als Arbeitgeberverband zu qualifizieren ist, gelten im Hinblick auf die Möglichkeit, aus diesem Zusammenschluss auszutreten bzw. den Zusammenschluss in seiner Gesamtheit aufzulösen, die gesetzlichen Kriterien einer Tarifbindung durch Arbeitgeberverbandsmitgliedschaft5. Losgelöst von den vorstehenden Überlegungen zur gesetzlichen Tarifbindung ist im Zusammenhang mit Umstrukturierungsmaßnahmen zu berücksichtigen, ob neben der gesetzlichen Tarifbindung, die auf Arbeitnehmerseite durch Mitgliedschaft in der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft oder durch Allgemeinverbindlichkeit begründet wird, vor oder nach der unternehmerischen Maßnahme einzelvertraglich eine Bezugnahme auf einen Tarifvertrag vereinbart wird. Denn hier ist zu klären, ob die vertragliche zu einem anderen Ergebnis führt als die gesetzliche Tarifbindung und ob die daraus folgenden Rechte und Pflichten für das Arbeitsverhältnis verbindlich sind (vgl. Rz. 21.123 ff.). Konsequenzen können darüber hinaus dadurch ausgelöst werden, dass ein Betrieb oder Unternehmen durch die Umstrukturierung aus dem fachlichen oder räumlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrags herauswächst.
21.2
Ob und unter welchen Voraussetzungen die Gewerkschaft berechtigt ist, tarifvertragliche Ansprüche der von einer der vorgenannten Umstrukturierung betroffenen Arbeitnehmern durchzusetzen bzw. gegenteiligen Maßnahmen der beteiligten Rechtsträger mit einem Unterlassungsanspruch zu begegnen, wird gesondert behandelt (vgl. Rz. 24.178 ff.).
21.3
B. Tarifverträge bei der Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen auf andere Rechtsträger Für die Untersuchung der Rechtsfolgen der Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Rechtsträger für die Rechte und Pflichten aus einem Tarifvertrag ist wiederum in verschiedener Hinsicht zu unterscheiden: Zunächst muss zwischen einer normativen bzw. gesetzlichen Geltung von Tarifwerken einerseits (Rz. 21.5 ff. und Rz. 21.98 ff.) und einer lediglich
1 Vgl. Wiedemann/Thüsing, Einl. Rz. 60, § 1 TVG Rz. 180 ff. 2 Vgl. hierzu Henssler, ZfA 1998, 517, 537; Lieb, DB 1999, 2058, 2063 f., der allerdings Einschränkungen hinsichtlich der arbeitskampfrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten für erforderlich hält. 3 So die Bezeichnung von Henssler, ZfA 1998, 517, 537 ff. 4 Wiedemann/Oetker, § 2 TVG Rz. 227. 5 Vgl. Wiedemann/Oetker, § 3 TVG Rz. 52 ff.; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rz. 133 ff.
Gaul/Mengel | 777
21.4
§ 21 Rz. 21.4 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
arbeitsvertraglich basierten Anwendung aufgrund von Bezugnahmeklauseln (Rz. 21.123 ff.) andererseits differenziert werden. Außerdem muss insbesondere zur normativen Geltung von Tarifwerken zwischen den Rechtsfolgen bei Verbandstarifverträgen (Rz. 21.5 ff.) und Firmentarifverträgen (Rz. 21.98 ff.) unterschieden werden. Wesentliche Unterschiede ergeben sich in diesem Zusammenhang vor allem aus der rechtlichen Art des Übertragungsvorgangs; eine Einzelrechtsnachfolge kann in Bezug auf die tariflichen Regelungen zu anderen Ergebnissen als eine Verschmelzung, Spaltung oder eine sonstige Form der Gesamtrechtsnachfolge führen (vgl. Rz. 21.107 ff.). Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, ob der Übertragungsvorgang mit der Spaltung oder dem Zusammenschluss eines Betriebs verbunden ist. Dies kann zur Folge haben, dass die bei den beteiligten Rechtsträgern im Anschluss an die Umstrukturierung bestehenden Betriebe nicht mehr in den Geltungsbereich des bislang geltenden Tarifvertrags fallen (vgl. Rz. 21.120 f.).
I. Konsequenzen für Verbandstarifverträge 21.5
Grundsätzlich setzt die normative Bindung an einen Verbandstarifvertrag voraus, dass der Tarifvertrag zwischen einem Arbeitgeberverband und der bzw. den jeweils satzungsmäßig für den Geltungsbereich des Tarifvertrags zuständigen Gewerkschaft/en für die jeweiligen Mitglieder der Vereinigungen geschlossen werden. Die Tarifbindung resultiert arbeitgeberseitig aus der Mitgliedschaft im tarifschließenden Arbeitgeberverband gemäß § 3 Abs. 1 Alt. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Alt. 2 TVG. Für die Rechtsfolgen normativ geltender Verbandstarifverträge bei der Übertragung eines Betriebes oder Betriebsteils auf einen anderen Rechtsträger gelten eine Reihe von arbeitsrechtlichen Regelungen, zu denen auch die allgemeinen Vorgaben des TVG gehören. § 613a BGB ist dabei nur subsidiär einschlägig (vgl. dazu Rz. 21.28 ff.), was wesentlich für das systematische Grundverständnis der Folgen für die tarifvertraglich geregelten Rechte und Pflichten bei einem Unternehmensübergang ist. Nachfolgend werden daher zunächst die allgemeinen und ggf. vorrangigen Regelungen untersucht und erst im Anschluss daran auf die Rechtsfolgen aus § 613a BGB hingewiesen. Wichtig ist, diese Reihenfolge auch mit Blick auf die Rechtsfolgen für die arbeitsvertragliche Tarifbindung einzuhalten. Denn die Rechtsfolgen einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel wird jedenfalls in Bezug auf die sogenannten Altverträge, also Arbeitsverträge mit Abschluss bis zum Wirksamwerden der Schuldrechtsmodernisierung am 1.1.2002, maßgeblich durch die Frage bestimmt, welche Rechtsfolgen der Übertragungsvorgang für die normative Tarifbindung hat (vgl. Rz. 21.153).
1. (Fort-)Geltung kraft Verbandsmitgliedschaft des übernehmenden Rechtsträgers 21.6
Da die normative Geltung eines Verbandstarifwerks auf der Arbeitgeberseite auf der Mitgliedschaft des übertragenden Rechtsträgers in dem tarifschließenden Arbeitgeberverband beruht, richtet sich die Fortgeltung des Verbandstarifwerks bei der Übertragung eines Betriebes/Betriebsteils im Ausgangspunkt nach dem Vereinsrecht. Entscheidend dabei ist, dass die Mitgliedschaft in einem privaten Verein – wie auch einem Arbeitgeberverband – nach zwingendem Vereinsrecht des BGB (grundsätzlich) nicht übertragbar ist (§ 38 BGB). Davon ist trotz der Streichung von § 132 UmwG a.F., der die Einschränkung ausdrücklich anordnete, auszugehen1.
1 BGBl. I 2007, S. 542 ff.; BT-Drucks. 16/2919, S. 19.
778 | Gaul/Mengel
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.8 § 21
Zwar können (theoretisch) in der Satzung des Vereins gemäß § 40 BGB Ausnahmeregelungen geschaffen werden; dies ist aber in der Praxis bisher nicht relevant geworden. Deshalb können die an der Übertragung beteiligten Unternehmen i.d.R. die durch Mitgliedschaft begründete Rechtsposition des übertragenden Rechtsträgers zur Bindung an die Verbandstarifverträge nicht aufgrund bilateraler Vereinbarung übertragen; dies gilt sowohl für die Einzelrechts- als auch die Gesamtrechtsnachfolge, insbesondere im Zusammenhang mit Umwandlungen oder einer Anwachsung. Die Vereinsmitgliedschaft ist ein höchstpersönliches und deshalb nach § 38 BGB (grundsätzlich) nicht übertragbares Recht1. Jedes Ergebnis dahingehend, die Verbandsmitgliedschaft bei der Betriebsübertragung (automatisch) mit zu übertragen, wäre mit der negativen Koalitionsfreiheit des übernehmenden Arbeitgebers unvereinbar2. Nach der Rechtsprechung des BAG verstößt sogar die vertragliche Selbstverpflichtung des übernehmenden Rechtsträgers, nach dem Wechsel des Rechtsträgers selbst Mitglied im Arbeitgeberverband zu werden, gegen Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG und ist nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG nichtig3.
21.7
Die „Fortgeltung“ des bisherigen Tarifvertrags kann allerdings auch ohne Übertragung der Verbandsmitgliedschaft dadurch bewirkt werden, dass der übernehmende Rechtsträger als Folge einer eigenen Mitgliedschaft in dem vertragsschließenden Arbeitgeberverband selbst normativ an das selbe Verbandstarifwerk gebunden ist. Diese Mitgliedschaft kann bereits vor dem Wirksamwerden der Einzel- und Gesamtrechtsnachfolge bewirkt werden4. Handelt es sich bei dem übernehmenden Rechtsträger um eine Personengesellschaft, kann diese – ggf. noch als eine GbR5 – Mitglied des Arbeitgeberverbands werden. Da der Übergang von der GbR in die OHG oder KG nur als Formwechsel anzusehen ist, der mit Zweckänderung eintritt6, bleibt die jeweilige Gesellschaft – nunmehr in der Rechtsform einer OHG bzw. KG – weiterhin Mitglied im Arbeitgeberverband7. Handelt es sich bei dem übernehmenden Rechtsträger um eine Kapitalgesellschaft, kann schon die Vorgesellschaft Mitglied im Arbeitgeberverband werden8. Eine solche Vorgesellschaft entsteht mit Abschluss des Gesellschaftsvertrags (vgl. Rz. 5.35) bzw. mit dem Beschluss der Anteilsinhaber über den Verschmelzungs- bzw. Spaltungsplan oder -vertrag (vgl. Rz. 3.30 ff., 3.76). Mit dem Übergang von der Vorgesellschaft in die Kapitalgesellschaft, der als Gesamtrechtsnachfolge qualifiziert werden muss, tritt diese in die Rechtsstellung als Verbandsmitglied ein9. Obgleich eine solche Rechtsnachfolge wegen der Höchstpersönlichkeit einer Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband nach Maßgabe von § 38 BGB an sich ausgeschlossen ist10, wird man bei dem Eintritt einer Gesellschaft im Gründungsstadium grundsätzlich auch dann, wenn satzungsrechtliche Vorgaben hinsichtlich der Rechtsfolgen eines Beitritts im Gründungsstadium nicht vorliegen, von einer konkludenten
21.8
1 Vgl. nur BAG v. 13.7.1994 – 4 AZR 555/93, NZA 1995, 479, 480; BAG v. 24. 6. 1998 – 4 AZR 208/97, NZA 1998, 1346, 1347 f.; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 205; kritisch dazu wegen der Gefahr der Tarifflucht: Bachner/Köstler/Matthießen/Trittin, § 5 Rz. 63. 2 Vgl. MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 140. 3 BAG v. 19.9.2006 – 1 ABR 2/06, NZA 2007, 277 Rz. 15. 4 Vgl. auch WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 116. 5 Vgl. zur Rechtsfähigkeit BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, DB 2001, 423 Rz. 12 ff. bzw. § 705 Abs. 2 BGB i.d.F. des MoPeG (BT-Drucks. 19/27635). 6 MünchKomm/P. Ulmer, vor § 705 BGB Rz. 12; GK-HGB/Ensthaler, vor §§ 105 ff. Rz. 7 ff. 7 Vgl. BAG v. 24.1.2001 - 4 ABR 4/00, NZA 2001, 1149, 1150 f. 8 Quander, Betriebsinhaberwechsel bei Gesamtrechtsnachfolge S. 159, Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rz. 459. 9 Quander, Betriebsinhaberwechsel bei Gesamtrechtsnachfolge S. 157 f. 10 Vgl. BAG v. 10.11.1993 – 4 AZR 375/92, NZA 1994, 948, 950; BAG v. 24. 6. 1998 - 4 AZR 208/97, NZA 1998, 1346, 1347 f.
Gaul/Mengel | 779
§ 21 Rz. 21.8 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
Vereinbarung über die Übertragung der Mitgliedschaft ausgehen können1. Sollte der übernehmende Rechtsträger zum Zeitpunkt des Verbandsbeitritts noch keine Arbeitnehmer beschäftigen, spielt dies, da eine solche Beschäftigung vorgesehen ist, für die Tarifbindung keine Rolle2. Ausgehend davon, dass die Gewerkschaftsmitglieder unter der übergehenden Belegschaft des Betriebes oder Betriebsteils in der Regel weder vor, noch mit oder nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses ihre Mitgliedschaft in der Gewerkschaft beenden, bleiben die Arbeitsverhältnisse der übergehenden Gewerkschaftsmitglieder auch nach dem Wirksamwerden des Übertragungsvorgangs kraft Gesetzes tarifgebunden3.
21.9
Voraussetzung für eine solche Fortgeltung des Tarifvertrags ist, dass der Betrieb oder Betriebsteil auch beim übernehmenden Rechtsträger in den sachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags fällt. Damit betrifft diese Art der Fortgeltung im Zweifel „brancheninterne Übertragungsvorgänge“. Denn die normative Bindung an den Tarifvertrag setzt neben der kongruenten Tarifbindung beider Arbeitsvertragsparteien nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG voraus, dass das Arbeitsverhältnis auch nach dem Arbeitgeberwechsel in den Geltungsbereich des Tarifvertrags fällt. Wenn der Geltungsbereich des Tarifvertrags auf den Schwerpunkt der betrieblichen Tätigkeit abstellt, was in der Regel der Fall ist, kann eine solche Situation beispielsweise dann eintreten, wenn der von der Übertragung betroffene Betrieb oder Betriebsteil beim Erwerber mit einem dort bereits bestehenden Betrieb zusammengeschlossen wird oder der von der Übertragung betroffene Betriebsteil beim Erwerber als eigenständiger Betriebsteil fortgeführt wird und die in diesem Betrieb überwiegend ausgeübte Tätigkeit nicht mehr den Schwerpunkt hat, an den im Tarifvertrag geknüpft wird. Knüpft der Geltungsbereich des Tarifvertrags an den Schwerpunkt der im Unternehmen ausgeübten Tätigkeit an, kann die vergleichbare Rechtsfolge eintreten, wenn trotz der Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils überwiegend eine andere als die im Tarifvertrag genannte Tätigkeit ausgeübt wird.
21.10
In diesen Sachverhalten kommt es nicht nur zu einer Fortgeltung der Inhalts-, Abschlussund Beendigungsnormen, sondern auch der Normen des Tarifvertrags über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen (§ 3 Abs. 2 TVG). Das unterscheidet diese Form der Fortgeltung von der Geltung der Rechte und Pflichten eines Tarifvertrags nach § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB. Damit gelten auch die Regelungen über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien ohne Veränderung fort. Eine Anwendbarkeit von § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB kommt in diesen Fällen nicht in Betracht. Denn die Norm hat insoweit nur Auffangfunktion und ist nur anwendbar, wenn es nicht zu einer kollektivrechtlichen Weitergeltung kraft normativer Tarifbindung kommt, im Übrigen „subsidiär“ und aufgrund teleologischer Reduktion (vgl. Rz. 21.28 ff.).4
21.11
Gelten bei dem übernehmenden Rechtsträger zusätzlich zu „demselben“ Verbandstarifvertrag auch noch andere Tarifverträge kraft gesetzlicher Tarifbindung, zum Beispiel ein Firmentarifvertrag oder ein Verbandstarifvertrag mit einer anderen Gewerkschaft, ist das Verhältnis dieser Tarifverträge in Bezug auf die kraft Gesetzes tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse nach den allgemeinen Grundsätzen zur Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität aufzulösen. Han-
1 I. E. ebenso Quander, Betriebsinhaberwechsel bei Gesamtrechtsnachfolge S. 159. 2 BAG v. 24.6.1998 - 4 AZR 208/97, NZA 1998, 2180, 2182 m. zust. Anm. Rieble. 3 Vgl. nur MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 129; Semler/Stengel/Leonard/Simon, § 20 UmwG Rz. 42. 4 Vgl. BAG v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00, NZA 2001, 1318, 1321 ff.; BAG v. 19.9.2007 – 4 AZR 711/ 06, NZA 2008, 241 Rz. 18; BAG v. 26. 8. 2009 – 4 AZR 280/08, NZA 2010, 238 Rz. 29; KR/Steffan, § 324 UmwG Rz. 11; Semler/Stengel/Leonard/Simon, § 324 UmwG Rz. 20.
780 | Gaul/Mengel
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.13 § 21
delt es sich um Tarifverträge derselben Gewerkschaft, kommt es also grundsätzlich darauf an, welcher Tarifvertrag zu demselben („identischen“) Regelungsgegenstand die speziellere Regelung trifft1. Dieser Tarifvertrag hat dann Vorrang gegenüber dem Tarifvertrag, der eine allgemeiner Regelung trifft. Ausnahmen kommen nur dort in Betracht, wo ein Tarifvertrag durch „beredtes“ Schweigen eine Frage ganz bewusst nicht regelt und – weil er zu den übrigen Gegenständen die speziellere Regelung trifft – damit auch ohne eine eigenständige Regelung Sperrwirkung entfaltet2. So ist gerade bei Zusammentreffen von Verbands- und Firmentarifvertrag mit derselben Gewerkschaft und für denselben Geltungsbereich eine „Verdrängung“ des Verbandstarifwerks durch das speziellere Firmentarifwerk denkbar. Dabei handelt es sich allerdings im Ergebnis nicht um eine rechtliche Fortgeltung des Tarifwerks des bisherigen Betriebsinhabers, sondern um eine eigenständige „zufällig identische“ Tarifbindung; rechtlich muss das Spezialitätsverhältnis zwischen Verbands- und Firmentarifvertrag auch zuvor bereits bei dem übernehmenden Rechtsträger vorliegen. Ist dagegen bei dem neuen Betriebsinhaber nach dem Betriebsübergang ein (speziellerer) Firmentarifvertrag (mit derselben Gewerkschaft) ohne (gleichzeitige) normative Anwendbarkeit des Verbandstarifvertrages anwendbar, liegt eine Konstellation vor, in der eine Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB in Betracht kommt (vgl. dazu noch Rz. 21.61 ff.). Handelt es sich um Tarifverträge einer anderen Gewerkschaft, sind die Grundsätze zur Tarifpluralität in § 4a Abs. 2 TVG maßgeblich3. Damit sind, soweit sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden (kollidierende Tarifverträge), im Betrieb des Erwerbers nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat (Mehrheitstarifvertrag); wurden beim Zustandekommen des Mehrheitstarifvertrags die Interessen von Arbeitnehmergruppen, die auch von dem nach dem ersten Halbsatz nicht anzuwendenden Tarifvertrag erfasst werden, nicht ernsthaft und wirksam berücksichtigt, sind auch die Rechtsnormen dieses Tarifvertrags anwendbar. Kollidieren die Tarifverträge erst zu einem späteren Zeitpunkt, ist dieser für die Mehrheitsfeststellung maßgeblich. Als Betriebe gelten auch ein Betrieb nach § 1 Abs. 1 Satz 2 BetrVG und ein durch Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG errichteter Betrieb, es sei denn, dies steht den Zielen des § 4a Abs. 1 TVG offensichtlich entgegen (vgl. Rz. 24.175 ff.). Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Betriebe von Tarifvertragsparteien unterschiedlichen Wirtschaftszweigen oder deren Wertschöpfungsketten zugeordnet worden sind. Für Rechtsnormen eines Tarifvertrags über eine betriebsverfassungsrechtliche Frage nach § 3 Abs. 1, § 117 Abs. 2 BetrVG gilt § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG indes nur, wenn diese betriebsverfassungsrechtliche Frage bereits durch Tarifvertrag einer anderen Gewerkschaft geregelt ist (§ 4a Abs. 3 TVG).
21.12
Abweichende Rechtsfolgen können als Konsequenz von Umstrukturierungsmaßnahmen eintreten, die im Anschluss an die Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils beim übernehmenden Rechtsträger erfolgen. Im Mittelpunkt stehen dabei in der Regel Zusammenschlüsse mit anderen Betrieben, weitere Betriebe oder der Fall, dass der von der Übertragung betroffene Betriebsteil im Anschluss an den Übertragungsvorgang als eigenständiger Betrieb fortgeführt wird. Die Folgen sind dann allerdings nicht mehr unmittelbare Konsequenzen der Über-
21.13
1 Vgl. zur Tarifkonkurrenz allgemein ErfK/Franzen, § 4a TVG Rz. 29 ff.; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder, § 4 TVG Rz. 196 ff.; Löwisch/Rieble, § 4a TVG Rz. 336 ff. 2 Vgl. KR/Steffan, § 613a BGB Rz. 139; Bepler, RdA 2009, 65, 70. 3 Vgl. Gräf, NZA 2016, 327; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 133a.
Gaul/Mengel | 781
§ 21 Rz. 21.13 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
tragung, also des Wechsels auf der Unternehmensebene, sondern werden durch die weitergehenden Veränderungen auf der Betriebsebene ausgelöst. Denn in der rechtlichen Sekunde der Übertragung auf einen neuen Rechtsträger (Inhaber) kommt es nur zu einer Übertragung der Leitungsmacht des Betriebes/Betriebsteils, nicht (automatisch) zu weiteren Zusammenschlüssen auf betrieblicher Ebene. Diese können zwar zeitnah zu der Übertragung erfolgen, erfordern aber stets einen eigenständigen Impuls und eine rechtlich unabhängige Maßnahme. Daran anknüpfend ist auf der Grundlage des Geltungsbereichs der jeweiligen Tarifverträge nicht nur festzustellen, von welchem Tarifvertrag die Arbeitsverhältnisse im Anschluss an den Übertragungsvorgang erfasst werden (vgl. Rz. 21.9). Sind es mehrere Tarifverträge, die kraft Gesetzes Geltung beanspruchen, gelten dann auch die Grundsätze, wie sie auf Grundlage der Grundsätze der Tarifkonkurrenz und -pluralität im Zusammenhang mit unternehmensinternen Umstrukturierungen aufgezeigt werden (vgl. Rz. 21.11).
21.14
Diese Regeln gelten gleichermaßen für Übertragungen von Betrieben oder Betriebsteilen im Wege der Einzelrechtsnachfolge wie auch Spaltung, Verschmelzung und andere Formen der Gesamtrechtsnachfolge. Soweit die Satzung des maßgeblichen Arbeitgeberverbands auf der Grundlage der allgemeinen Regelungen in §§ 38, 40 BGB die Übertragung der Verbandsmitgliedschaft zulässt und die Rechtsnachfolge in die Verbandsmitgliedschaft zwischen den an der Übertragung beteiligten Unternehmen vereinbart oder durch Zuordnung im Spaltungsplan festgelegt wird, gewährleistet dies zwar die normative Bindung an den Tarifvertrag im Anschluss an den Übertragungsvorgang. Zu beachten ist aber, dass nach der Übertragung weiterhin nur ein einziger Rechtsträger die Mitgliedschaft innehat. Andernfalls käme es zu einer unzulässigen „Vervielfältigung“ von zuvor nur einer Verbandsmitgliedschaft. Erforderlich für eine solche Übertragung ist freilich, dass es nicht genügt, wenn in der Satzung des betreffenden Arbeitgeberverbandes die Möglichkeit der Übertragung vorgesehen ist. Von dieser Möglichkeit muss auch durch Rechtsgeschäft Gebrauch gemacht werden1.
2. (Fort-)Geltung kraft Allgemeinverbindlicherklärung 21.15
Die zweite praxisrelevante Konstellation einer (scheinbaren) „Fortgeltung“ eines Verbandstarifwerks nach einer Übertragung eines Betriebes/Betriebsteils ergibt sich ebenfalls bei einem „brancheninternen“ Übertragungsvorgang, wenn der einschlägige Tarifvertrag allgemeinverbindlich erklärt worden ist. Werden die Arbeitsverhältnisse sowohl vor als auch nach dem Übergang von dem Geltungsbereich eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags erfasst, bewirkt die Allgemeinverbindlicherklärung über § 5 Abs. 4 TVG, § 4 Abs. 1 AEntG eine unveränderte (Fort-)Geltung desselben Verbandstarifwerks für die vom Übertragungsvorgang betroffenen Arbeitsverhältnisse. Entsprechendes gilt für die Bindung aus einer Rechtsverordnung gemäß §§ 7, 7a AEntG2.
21.16
Auch bei dieser „Fortgeltung“ ist es unerheblich, ob der Übergang im Wege einer Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge stattfindet3.
1 LAG Baden-Württemberg v. 24.10.2000 – 10 TaBV 2/99, BB 2001, 257; Semler/Stengel/Leonard/Simon, § 20 UmwG Fn. 144; APS/Steffan, § 324 UmwG Rz. 12; MAHArbR/Cohnen, § 54 Rz. 66. 2 Vgl. nur ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 113a; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 129; APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 111; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 262. 3 Vgl. APS/Steffan, § 324 UmwG Rz. 12; Däubler/Lorenz, § 3 TVG Rz. 167; Kempen/Zachert/Kempen, § 3 TVG Rz. 132.
782 | Gaul/Mengel
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.19 § 21
3. Fehlende Anwendbarkeit von § 3 Abs. 3 TVG oder § 4 Abs. 5 TVG In den Fällen, in denen sich keine (Fort-)Geltung des vor der Übertragung anwendbaren Verbandstarifvertrags durch eine Verbandsmitgliedschaft des übernehmenden Arbeitgebers oder durch Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags ergibt, fehlte in der Vergangenheit eine ausdrückliche Regelung zu einer Fortgeltung der im übertragenden Betrieb oder Betriebsteil normativ anwendbaren Verbandstarifverträge. Das galt für Einzel- und Gesamtrechtnachfolge gleichermaßen.
21.17
Dieses Regelungsvakuum sollte nach einer Ansicht der Literatur durch eine analoge Anwendung von § 3 Abs. 3 TVG überwunden werden1. Danach sollte die Bindung an den Verbandstarifvertrag für die vom Übergang betroffenen Arbeitsverhältnisse bei dem übernehmenden Rechtsträger fortbestehen, bis der Tarifvertrag endet. Dabei wurde darauf verwiesen, dass § 3 Abs. 3 TVG davon ausgehe, dass ein Arbeitgeber die normative Bindung an den Tarifvertrag durch seine frühere Mitgliedschaft in dem tarifvertragsschließenden Arbeitgeberverband bewirkt habe2. So, wie der Arbeitgeber diese selbst begründete Tarifbindung nach dem Zweck von § 3 Abs. 3 TVG nicht ohne Weiteres dadurch beenden könne, dass er aus dem tarifschließenden Verband austrete3, müsse durch eine Tarifbindung des Erwerbers verhindert werden, dass der bisherige Arbeitgeber durch Übertragung des tarifunterworfenen Betriebs aus dem Arbeitgeberverband austreten könne4. Gegen diese Rechtsfolge spricht nach dem Inkrafttreten von § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB nicht nur der Umstand, dass keine planwidrige Regelungslücke mehr gegeben ist. Davon dürfte – abweichend von einem Teil der Literatur – auch für den Bereich der Umwandlung auszugehen sein, wie bereits § 324 UmwG deutlich macht. Hinzu kommt, dass die Annahme einer gesetzlichen Tarifbindung angesichts der fehlenden Vorgabe des Gesetzgebers auch im Widerspruch zum Grundrecht der (negativen) Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) stünde5. § 3 Abs. 3 TVG ist daher weder bei einer Einzelrechtsnachfolge6 noch bei einer Gesamtrechtsnachfolge7 anwendbar, um – direkt noch analog – die Folgen für einen Verbandstarifvertrag zu lösen, wenn sich nicht bereits aus den allgemeinen gesetzlichen Vorgaben aus § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 4 TVG, § 4 Abs. 1, §§ 7, 7a AEntG eine entsprechende Tarifbindung folgt.
21.18
Nach einer anderen Ansicht sollte die Regelungslücke unter Heranziehung der Regelung zur Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG geschlossen werden8. Nach § 4 Abs. 5 TVG gelten die Rechtsnormen eines Tarifvertrags nach seinem Ablauf weiter, bis sie durch eine andere Abma-
21.19
1 Vgl. dazu Martens, SAE 1976, 81, 83 ff.; Birk, ZGR 1984, 23, 35. 2 BAG v. 14.6.1994 – 9 AZR 89/93, NZA 1995, 231, 232; Kempen/Zachert/Kempen, § 3 TVG Rz. 50. 3 BAG v. 10.12.1997 – 4 AZR 247/96, NZA 1998, 484, 486; BAG v. 17.5.2000 – 4 AZR 363/99, NZA 2001, 453, 456; Kempen/Zachert/Kempen, § 3 TVG Rz. 45; siehe bereits Kania, DB 1995, 625, 629. 4 So Kempen/Zachert/Kempen, § 3 TVG Rz. 59 ff., der § 3 Abs. 3 TVG bei Umwandlungen anwenden will; ebenso Däubler/Lorenz, § 3 TVG Rz. 175, der § 3 Abs. 3 TVG zumindest bei der Abspaltung und Ausgliederung anwenden will, nicht aber bei Verschmelzung und Aufspaltung. 5 Vgl. BAG v. 15.10.1986 – 4 AZR 289/85, NZA 1987, 246, 247; BAG v. 5.10.1993 – 3 AZR 586/92, NZA 1994, 848, 849 f. 6 Kempen/Zachert/Kempen, § 3 TVG Rz. 133. 7 APS/Steffan, § 324 UmwG Rz. 12; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rz. 250; Wiedemann/Oetker, § 3 TVG Rz. 61, 210. 8 Vgl. BAG v. 13.7.1994 – 4 AZR 555/93, NZA 1995, 497 zu einer Gesamtrechtnachfolge nach altem Recht.
Gaul/Mengel | 783
§ 21 Rz. 21.19 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
chung (Tarifvertrag1, Betriebsvereinbarung in den Grenzen von § 77 Abs. 3 BetrVG oder arbeitsvertragliche Vereinbarung2) ersetzt werden3. In der Wirkung dem Erlass gleich stehen Verträge, die Forderungen des Arbeitnehmers zwar unberührt lassen, ihnen aber die Durchsetzbarkeit nehmen4. Grundsätzlich läuft ein Tarifvertrag ab, wenn die normative Wirkung durch Ablauf der Kündigungsfrist im Fall der Kündigung eines Tarifvertrages, durch Zeitablauf bei Befristung oder durch Aufhebungsvertrag der Tarifvertragsparteien endet5. Daran anknüpfend soll eine Nachwirkung auch dann eintreten, wenn die Tarifgeltung anderweitig nicht mehr gegeben ist. Hiervon ausgehend soll § 4 Abs. 5 TVG – lässt man Besonderheiten im Hinblick auf Tarifverträge über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien außer Acht6 – in allen Fallgestaltungen, in denen außerhalb des Anwendungsbereichs von § 3 Abs. 3 TVG eine Tarifgeltung entfällt, zumindest analog zur Anwendung kommen7. Dagegen spricht aber bereits, dass mit § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB eine planwidrige Regelungslücke nicht mehr gegeben ist. Auch § 4 Abs. 5 TVG kann daher in Bezug auf die Rechtsfolgen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs für Rechte und Pflichten eines Tarifvertrags nicht (mehr) nutzbar gemacht werden8. Der Gesetzgeber hat die Regelungslücke auf der Basis entsprechender Vorgaben der EU-Richtlinie 77/187/EWG bereits im Jahr 1980 geschlossen9.
4. Tarifvertrag zur Überleitung 21.20
Insbesondere bei Privatisierungen oder konzerninternen Übertragungsvorgängen hat sich in der betrieblichen Praxis der Überleitungstarifvertrag als ein privatautonomes Mittel zur Gewährleistung der fortbestehenden (gesetzlichen) Tarifbindung herausgebildet. Dabei sind verschiedene Regelungsgegenstände und -ziele zu unterscheiden, die durch die Parteien im Rahmen der Tarifautonomie weitestgehend frei gestaltet werden können.
21.21
Zunächst einmal kann ein Überleitungstarifvertrag ausnahmsweise die Überleitung einer Verbandsmitgliedschaft zum wesentlichen Gegenstand haben, soweit diese vereinsrechtlich zulässig ist (vgl. dazu Rz. 21.6 ff.). Zwar ist für eine solche Überleitung nicht die Beteiligung der zuständigen Gewerkschaft, sondern nur das Einverständnis der beteiligten Unternehmen erforderlich. Die Mitzeichnung der Gewerkschaft, die politische Bedeutung besitzt, wäre unschädlich. Regelmäßig bewirkt der Überleitungstarifvertrag indes eine materiell-rechtliche Fortgeltung der bisherigen Tarifverträge, einfach herstellbar durch eine (dynamische) Anerkennung der bisher geltenden Tarifverträge. Sie kann uneingeschränkt erfolgen oder Änderungen bzw. Übergangsregelungen enthalten, die beispielsweise einem Branchenwechsel Rech1 Vgl. BAG v. 17.1.2006 – 9 AZR 41/05, NZA 2006, 923 Rz. 24; BAG v. 23.8.2016 – 1 ABR 15/14, NZA 2017, 74 Rz. 24. 2 Diese kann auch in den Grenzen von §§ 1, 2 KSchG im Wege der Änderungskündigung durchgesetzt werden, vgl. BAG v. 27.9.2001 – 2 AZR 236/00, NZA 2002, 750. 3 Eingehend ErfK/Franzen, § 4 TVG Rz. 61; HWK/Henssler, § 4 TVG Rz. 11. 4 Löwisch/Rieble, § 4 TVG Rz. 692. 5 ErfK/Franzen, § 1 TVG Rz. 30. 6 Vgl. hierzu nur BAG v. 9.11.1999 – 3 AZR 690/98, NZA 2000, 776; Wiedemann/Wank, § 4 TVG Rz. 349 f. 7 Vgl. BAG v. 10.12.1997 – 4 AZR 193/97, NZA 1998, 488 zum Fall, dass das Arbeitsverhältnis nicht mehr vom Geltungsbereich des Tarifvertrags erfasst wird; ErfK/Franzen, § 4 TVG Rz. 60. 8 Vgl. nur APS/Steffan, § 324 UmwG Rz. 12; BAG v. 13.7.1994 – 4 AZR 555/93, NZA 1995, 479, 481 f., das von einer analogen Anwendung von § 4 Abs. 5 TVG bei einer Gesamtrechtsnachfolge nur ausgegangen war, weil und soweit die Tarifbindung entfalle und keine anderweitige Regelung gelte. 9 Vgl. dazu BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 77 ff.; Mengel, Umwandlungen im Arbeitsrecht, S. 178 f.; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rz. 251.
784 | Gaul/Mengel
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.24 § 21
nung tragen1. Auf diese Weise erhalten die Regelungen des bisherigen Tarifvertrags normative Verbindlichkeit auch nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses. Regelmäßig handelt es sich bei dem Überleitungstarifvertrag um einen Firmentarifvertrag oder einen firmenbezogenen Verbandstarifvertrag. Betrifft die Umstrukturierung eine Reihe von Unternehmen, kann der Verbandstarifvertrag in seinem Geltungsbereich auch auf die Unternehmensgruppe in ihrer Gesamtheit bezogen werden. Im Wesentlichen handelt es sich damit um einen Tarifvertrag zwischen der zuständigen Gewerkschaft und dem neuen Betriebsinhaber, denn die Tarifmacht des übertragenden Rechtsträger für die übergehenden Arbeitsverhältnisse endet mit dem Wirksamwerden des Übertragungsvorgangs (vgl. Rz. 5.6 ff., 5.72 ff.)2.
21.22
Ein Tarifvertrag, den nur der bisherige Betriebsinhaber mit der Gewerkschaft abschlösse, könnte nach der Übertragung nicht mehr normativ auf die Arbeitsverhältnisse wirken. Wenn der Überleitungstarifvertrag noch vor dem Wirksamwerden des Übertragungsvorgangs abgeschlossen würde, könnten seine Rechte und Pflichten allenfalls nach § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB Geltung für die beim übernehmenden Rechtsträger fortbestehenden Arbeitsverhältnisse entfalten. Denkbar wäre auch, dass in der Vereinbarung zwischen Gewerkschaft und übertragenden Rechtsträger ein schuldrechtlicher Vertrag zugunsten der vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer zu sehen wäre, in den der Erwerber nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB eintritt, kraft dessen der Arbeitnehmer das Angebot zum Abschluss einer Vereinbarung über die (weitere) Anwendung der bisherigen Tarifverträge geltend machen kann3. Das aber setzte voraus, dass darin kein Vertrag zu Lasten Dritter zu sehen wäre4. Denn darin läge eine unzulässige Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit (Art. 16 GRC), wenn sie durch den Erwerber nicht änderbar sind, wie der EuGH in seinen Grundsatzentscheidungen zu den arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln im Zusammenhang mit Betriebsübergängen im Anwendungsbereich von § 613a BGB zum Ausdruck gebracht hat (vgl. Rz. 21.123 ff.)5. Die Rechtsprechung der deutschen Arbeitsgerichte im Anschluss an die Asklepios-Entscheidung des EuGH hält diese Schranken bislang aber wegen der (theoretischen) Möglichkeit des Erwerbers zur Änderungsvereinbarung oder Änderungskündigung in der Regel für unerheblich6.
21.23
Voraussetzung für eine Fortgeltung der gesetzlichen Tarifbindung durch einen Überleitungstarifvertrag ist, dass die beteiligte(n) Gewerkschaft(en) satzungsmäßig vor und nach dem Wirksamwerden des Übertragungsvorgangs zuständig ist bzw. sind. Wird der Überleitungstarifvertrag nur mit dem übernehmenden Rechtsträger abgeschlossen, ist die Zuständigkeit in Bezug auf die dort bestehenden Arbeitsverhältnisse maßgeblich7. Werden die Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit dem Übertragungsvorgang durch getrennte Tarifverträge gestaltet, muss die jeweils unterzeichnende Gewerkschaft für den Geltungsbereich des eigenen Tarifvertrags zuständig sein. Dabei kann insbesondere zwischen dem übertragenden und dem
21.24
1 Vgl. Kempen/Zachert/Schubert/Zachert, § 1 TVG Rz. 70. 2 Vgl. auch Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rz. 509. 3 So BAG v. 23.2.2011 − 4 AZR 439/09, NZA-RR 2012, 253 Rz. 20 ff.; Sächsisches LAG v. 24.3.2015 – 1 Sa 541/14, NZA-RR 2015, 286, 289 f. 4 Vgl. BAG v. 23.2.2011 − 4 AZR 439/09, NZA-RR 2012, 253 Rz. 24. 5 Vgl. EuGH v. 18.7.2013 – C-426/11, NZA 2013, 835 Rz. 28, 33-35 – Alemo Herron; EuGH v. 27.4.2017 – C-680/15 und C-681/15, NZA 2017, 571 Rz. 29 – Asklepios. 6 Vgl. BAG v. 17.6.2015 – 4 AZR 61/14 (A), NZA 2016, 373 Rz. 45; BAG v. 30.8.2017 - 4 AZR 61/14, Rz. 44 ff.; Sächsisches LAG v. 24.3.2015 – 1 Sa 541/14, NZA-RR 2015, 286, 289 f.; krit. Willemsen/ Grau, NJW 2014, 12. 7 Vgl. Kempen/Zachert/Kempen, § 3 TVG Rz. 145.
Gaul/Mengel | 785
§ 21 Rz. 21.24 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
übernehmenden Rechtsträger oder zwischen einzelnen Arbeitnehmergruppen (z.B. Ärzte vs. sonstiges Krankenhauspersonal), Betrieben oder Regionen unterschieden werden.
21.25
§ 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB steht Überleitungstarifverträgen dieser Art nicht entgegen, da die Regelungen nur subsidiär anwendbar sind im Verhältnis zu Firmen- oder Verbandstarifverträgen, die nach der Übertragung (weiterhin) normativ anwendbar sind. Halten die Tarifvertragspartner bei Abschluss eines Überleitungstarifvertrages die allgemeinen tarifrechtlichen Regeln ein, gehen die Regelungen des Überleitungstarifvertrags den allgemeinen Regeln aus § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB vor.
21.26
Unzulässig ist es, den übernehmenden Rechtsträger durch den Überleitungstarifvertrag zu verpflichten, Mitglied des Arbeitgeberverbandes zu werden. Eine solche Regelung missachtet die negative Koalitionsfreiheit und ist nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG nichtig1. Zulässig wäre es aber, den übernehmenden Rechtsträger unmittelbar als Partei in den Tarifvertrag einzubeziehen. Der Tarifvertrag hätte insoweit den Charakter eines Firmentarifvertrags.
21.27
Soweit die Rechtsprechung zugelassen hat, dass die an einem Übertragungsvorgang beteiligten Rechtsträger im Rahmen eines Personalüberleitungsvertrags vereinbaren, dass der übernehmende Rechtsträger verpflichtet ist, die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Arbeitnehmer (weiterhin) zeitdynamisch nach Maßgabe der bisherigen Tarifverträge abzuwickeln, handelt es sich allerdings nicht um einen Überleitungstarifvertrag. Es fehlt die Einbeziehung einer zuständigen Gewerkschaft, die Voraussetzung für die Begründung eines normativen Anspruchs aus § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG ist. Mit einer entsprechenden Vereinbarung zwischen den beteiligten Unternehmen kann aber durch den Erwerber als Partei dieser Vereinbarung eine individualrechtliche Zusage zugunsten Dritter (hier: Arbeitnehmer) begründet werden. Die Zusage begründet nach § 328 Abs. 1 BGB einen Anspruch der vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer, mit dem Erwerber eine Vereinbarung abzuschließen, die auf einzelvertraglicher Ebene die im Personalüberleitungsvertrag genannten Tarifverträge zum Bestandteil des Arbeitsverhältnisses zu machen. Der Erwerber ist also schuldrechtlich verpflichtet, eine zeitdynamische Bezugnahme auf diese Tarifverträge zu vereinbaren, wenn der Arbeitnehmer dies verlangt2. Dabei spielt es im Zweifel keine Rolle, ob der Erwerber zum Zeitpunkt dieser Vereinbarung selbst Mitglied eines Arbeitgeberverbands oder Partei eines Tarifvertrags ist. Ebenso ist unerheblich ist, ob der Arbeitnehmer Mitglied der Gewerkschaft ist, die den in Rede stehenden Tarifvertrag abgeschlossen hat. Gegenteiliges müsste deutlich erkennbar werden. Schließlich geht es (nur) um eine vertragliche Tarifbindung3. Da es der Arbeitnehmer in der Hand hat, diesen Anspruch geltend zu machen („Optionsrecht“)4, liegt darin auch kein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 Satz 2 BGB5.
1 Vgl. BAG v. 19.9.2006 – 1 ABR 2/06, NZA 2007, 277 Rz. 13; BAG v. 26.8.2009 – 4 AZR 290/08, NZA 2010, 891 Rz. 37. 2 Vgl. Sächsisches LAG 24.3.2015 – 1 Sa 541/14, NZA-RR 2015, 286, 288. 3 Vgl. Sächsisches LAG v. 24.3.2015 – 1 Sa 541/14, NZA-RR 2015, 286, 288. 4 Vgl. BAG v. 23.2.2011 – 4 AZR 439/09, NZA-RR 2012, 253, 256; Müller-Bonanni/Mehrens, NZA 2012, 195, 197. 5 Vgl. BAG v. 23.2.2011 – 4 AZR 439/09, NZA-RR 2012, 253 Rz. 57; BAG 22.4.2009 – 4 ABR 14/08, NZA 2009, 1286 Rz. 73.
786 | Gaul/Mengel
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.32 § 21
5. Fortgeltung des Verbandstarifvertrags gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB a) Normative Tarifbindung als Voraussetzung der gesetzlichen Fortgeltung Die zentrale Norm für die arbeitsrechtlichen Rechtsfolgen einer Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils, sei es in Form einer Einzelrechtsnachfolge oder einer Gesamtrechtsnachfolge ist § 613a Abs. 1 BGB. Bei Umwandlungen bestimmt sich ihre Anwendbarkeit nach § 324 UmwG (vgl. Rz. 5.55, 5.82, 5.77). Allerdings sind die besonderen Regelungen in § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB für Rechte und Pflichten aus Verbandstarifverträge, die vor der Übertragung in dem übertragenden Betrieb oder Betriebsteil normativ galten, nur subsidiär anwendbar, wenn und soweit sich nicht aus allgemeinen arbeitsrechtlichen (kollektivrechtlichen) Regeln bereits eine „Fortgeltung“ ergibt (vgl. Rz. 21.6 ff. und Rz. 21.28 ff.). Findet der Verbandstarifvertrag auch nach der Übertragung des Betriebs oder Betriebsteils auf der Grundlage allgemeiner Grundsätze normativ Anwendung, ist ein Rückgriff auf die Regelungen in § 613a Abs. 1 Satz 2–4 BGB nach allgemeiner Ansicht nicht erforderlich1. Bei Firmentarifverträgen kann sich eine vorrangige Fortgeltung darüber hinaus durch die Besonderheiten der Gesamtrechtsnachfolge (vgl. Rz. 21.107 ff.) oder einen Beitritt des übernehmenden Rechtsträgers (vgl. Rz. 21.109 ff.) ergeben. Darauf wird gesondert eingegangen.
21.28
Die Regelungen in § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB gelten nur für (normativ) tarifgebundene Arbeitsverhältnisse, die vom Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils auf einen anderen Rechtsträger betroffen sind. Dazu gehören eine gesetzliche Tarifbindung kraft Mitgliedschaft in Gewerkschaft und Arbeitgeberverband oder Abschluss eines Tarifvertrags (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG), eine Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 Abs. 4 TVG, § 3 AEntG oder eine Verbindlichkeit kraft Rechtsverordnung gemäß §§ 7, 7a AEntG2.
21.29
Die normative Bindung des von der Übertragung betroffenen Arbeitsverhältnisses muss spätestens im Zeitpunkt des Betriebsübergangs vorliegen. Zu diesem Zeitpunkt muss der Verbandstarifvertrag also bereits in Kraft getreten sein; der bloße vorherige Abschluss genügt nicht3. Ist der Arbeitgeber vor dem Übertragungsvorgang aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten oder in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung gewechselt (OT-Mitgliedschaft), bleibt § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB anwendbar, wenn und soweit zum Zeitpunkt des Übergangs noch von einer Fortgeltung gemäß § 3 Abs. 3, § 4 Abs. 1 TVG auszugehen ist4.
21.30
Richtigerweise werden auch Regelungen eines beendeten Tarifvertrags, die sich in der Nachwirkung befinden, gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB transformiert5. In diesem Fall kommt die Jahresfrist des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB allerdings nicht zur Anwendung (vgl. Rz. 21.95).
21.31
Schließlich werden auch solche Tarifverträge von § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB erfasst, die beim übertragenden Rechtsträger nach den Grundsätzen zur Tarifkonkurrenz oder Tarifpluralität (§ 4a TVG) verdrängt werden6. Der Umstand, dass sie durch einen anderen Tarifvertrag verdrängt werden, bewirkt aber, dass ihre Fortgeltung auf der Grundlage von § 613a Abs. 1
21.32
1 Vgl. BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 64; BAG v. 26.8.2009 – 4 AZR 280/08, NZA 2010, 238 Rz. 28; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 129. 2 Vgl. ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 113a; WHSS/Hohenstatt, E Rz. 137. 3 BAG v. 16.5.2012 – 4 AZR 321/10, NZA 2012, 923 Rz. 27 f. 4 Kempen/Zachert/Kempen, § 3 TVG Rz. 118. 5 Vgl. BAG v. 27.11.1991 – 4 AZR 211/91, NZA 1992, 800; BAG v. 12.12.2007 – 4 AZR 996/06, NZA 2008, 892 Rz. 25. 6 Ebenso BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 86 ff.; Schaub/Ahrendt, Arbeitsrechts-Handbuch, § 119 Rz. 7.
Gaul/Mengel | 787
§ 21 Rz. 21.32 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
Satz 2 BGB erst relevant wird, wenn der vorrangige Tarifvertrag, dessen Vorrang auch im Rahmen von § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB gilt, ohne Nachwirkung beendet und nicht durch einen anderen Tarifvertrag ersetzt wird, der wiederum nach den Grundsätzen der Tarifkonkurrenz oder -pluralität (§ 4a TVG) Vorrang genießt1.
21.33
Die Regelungssystematik von § 613a Abs. 1 Satz 2–4 BGB ist nicht auf den ersten Blick leicht durchschaubar, so dass sich in der Praxis drei Prüfungsschritte anbieten: – In einem ersten Schritt ist zu prüfen, welche Tarifverträge beim bisherigen Arbeitgeber kraft Gesetzes gelten. Gerade in Branchen mit Allgemeinverbindlicherklärung ist es denkbar, dass nur ein Teil der Tarifverträge allgemeinverbindlich erklärt wurde und deshalb normativ auch für nicht tarifgebundene Arbeitgeber gilt. Dieser Teil gilt auf der Grundlage von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB grundsätzlich als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses fort, wenn nicht eine Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB greift; dies kann ggf. vorrangig zu prüfen sein. Wenn der Arbeitgeber nicht im Arbeitgeberverband ist oder keinen Firmentarifvertrag abgeschlossen und/oder der Arbeitnehmer nicht Mitglied der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft ist, kommt eine Anwendung der übrigen Tarifverträge allenfalls auf der Grundlage einer einzelvertraglichen Zusage, insbesondere also einer Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag, die ausdrücklich oder konkludent erfolgen kann, in Betracht. Die Rechtsfolgen dieser vertraglichen Tarifbindung bestimmt sich dann aber nicht mehr nach § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB, sondern ausschließlich nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB, da es dann um arbeitsvertragliche Rechte und Pflichten geht (vgl. Rz. 21.142 ff.). – In einem zweiten Schritt – oder ggf. auch zuerst – ist zu prüfen, ob es in Bezug auf die Tarifverträge, die bis zum Wirksamwerden des Übertragungsvorgangs normativ Anwendung fanden, nicht (ausnahmsweise) nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB zu einer Ablösung des bislang geltenden Verbandstarifvertrags kommt. Denn ausweislich des Wortlauts der Normen („Satz 2 gilt nicht, wenn …“) verdrängt Satz 3 als Spezialnorm die Grundregelung aus Satz 2. Voraussetzung ist aber, dass der beim Erwerber verbindliche Tarifvertrag (1) denselben („identischen“) Sachgegenstand regelt und (2) für das Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes gilt. Das wiederum ist gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG daran geknüpft, dass auch beim übernehmenden Rechtsträger eine beiderseitige Bindung an einen Firmen- oder Verbandstarifvertrag besteht (Mitgliedschaft in der Gewerkschaft sowie Arbeitgeberverbandsmitgliedschaft oder eigener Abschluss eines Firmentarifvertrags) und das Arbeitsverhältnis in den Geltungsbereich des neuen Firmen- oder Verbandstarifvertrags fällt (vgl. Rz. 21.61 ff., 21.82 ff.). – Wenn und soweit § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB nicht zur Anwendung kommt, ist in einem dritten Schritt zu prüfen, ob der an sich als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses (nach der sog. „Transformation“) fortgeltende Tarifvertrag nicht aus anderen Gründen endet (vgl. Rz. 21.91 ff.) oder im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags durch eine Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und übernehmenden Rechtsträger über die Anwendung des anderen Tarifvertrags gemäß § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB abgelöst wird (vgl. Rz. 21.86 ff.).
21.34
Kommt es nicht zur Anwendung der Ausnahmeregelungen in § 613a Abs. 1 Satz 3 oder 4 BGB, bleibt es bei dem Grundfall nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, dessen konkrete Folgen nachfolgend aufzuzeigen sind (vgl. Rz. 21.35 ff.).
1 Vgl. BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 90 f.; Schaub/Ahrendt, ArbeitsrechtsHandbuch, § 119 Rz. 7.
788 | Gaul/Mengel
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.36 § 21
b) Grundsatz: Transformation in das Arbeitsverhältnis gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB Nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, der – wie an anderer Stelle ausgeführt (vgl. Rz. 5.55 ff., 7.7) – jedenfalls für Verbandstarifverträge ohne Einschränkung auch bei Übertragungsvorgängen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge, insbesondere also bei Verschmelzung und Spaltung nach §§ 1 f., 123 UmwG zur Anwendung kommt, werden Rechte und Pflichten, die zum Zeitpunkt des Übergangs normativ durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags geregelt sind, Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und dem übernehmenden Rechtsträger. Diese transformierten Inhalte unterliegen einer speziellen Regelung zu ihrer Änderung und Ablösung. Denn sie können grundsätzlich vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil der Arbeitnehmer nicht geändert werden. Ausnahmen ergeben sich allerdings bei Rechten und Pflichten, die vor dem Übergang des Arbeitsverhältnisses in die Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG getreten sind oder ohne einen Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb der Jahresfrist getreten wären (vgl. Rz. 21.95 f.).
21.35
aa) Rechtsnatur und Änderungsmöglichkeiten nach Transformation § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB sieht vor, dass die tariflichen Rechte und Pflichten nach dem Übergang der Arbeitsverhältnisse auf den neuen Betriebsinhaber „Inhalt des Arbeitsverhältnisses“ sind. Diese im deutschen Arbeitsrecht im Übrigen unbekannte „Transformation“ ist dogmatisch nicht leicht einzuordnen und hat seit 1980 zu unterschiedlichen Bewertungen in Literatur und Rechtsprechung geführt. Nach einer Ansicht der Literatur und der früheren Rechtsprechung verlieren die tariflichen Rechte und Pflichten gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ihren kollektivrechtlichen Charakter und werden individualrechtlicher Bestandteil des Arbeitsvertrags; ihre weitere Änderung oder Beendigung bestimmt sich dann nach den Mitteln des Individualarbeitsrechts, soweit nicht in § 613a Abs. 1 Satz 3, 4 BGB abweichende Regelungen getroffen werden1. In seiner jüngeren Rechtsprechung hat das BAG die hiervon abweichende Ansicht vertreten, nach der § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB zwar eine Transformation der Tarifvertragsinhalte in das Arbeitsverhältnis anordne, allerdings unter Beibehaltung des kollektivrechtlichen Charakters der Rechte und Pflichten des früheren Tarifvertrags2. Die einjährige Bindung des nicht tarifgebundenen Erwerbers an die transformierten Inhalte wird dabei mit der Wirkung der Fortgeltung aus § 3 Abs. 3 TVG bei einem Verbandsaustritt gleichgesetzt. Soweit nicht die Ausnahmen in § 613a Abs. 1 Satz 3, 4 BGB zur Anwendung kommen, wird der übernehmende Rechtsträger damit für die Dauer eines Jahres zeitlich begrenzt im Hinblick auf die übernommenen Arbeitnehmer so gestellt, als sei er wie der übertragende Rechtsträger gemäß § 3 Abs. 1, 3, § 4 Abs. 1 TVG kraft Gesetzes an den normativen Teil des Tarifvertrags gebunden3. Auf diese Weise sollen in Übereinstimmung mit Art. 3 Abs. 3 Richtlinie 2001/23/EG die kollektivrechtlich begründeten, normativen Rechte und Pflichten gesichert werden4. Gleichzeitig soll damit dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Wortlaut von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nur die Fortgeltung der Rechte und Pflichten „im Arbeitsverhältnis“, nicht etwa „im Arbeitsvertrag“ anordne5.
1 BAG v. 20.4.1994 – 4 AZR 342/93, NZA 1994, 1140, 1141. 2 Vgl. nur BAG v. 3.7.2013 – 4 AZR 961/11, NZA-RR 2014, 80 Rz. 17; BAG v. 13.8.2019 – 1 AZR 213/18, NZA 2020, 49 Rz. 34. 3 BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 61; BAG v. 26.8.2009 – 5 AZR 969/08, NZA 2010, 173 Rz. 20. 4 BAG v. 16.5.2012 – 4 AZR 321/10, NZA 2012, 923 Rz. 22. 5 BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 56 ff.
Gaul/Mengel | 789
21.36
§ 21 Rz. 21.37 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
21.37
Der EuGH hat zwar bisher nicht ausdrücklich zu der Transformation von Kollektivnormen nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB entschieden. Er sieht jedoch die kollektivrechtlichen Verpflichtungen auf den Erwerber übergehen1. Damit folgt der EuGH wohl einem „Sukzessionsmodell“, das keine Transformation kollektiven Rechts, sondern eine Rechtsnachfolge des Erwerbers in die kollektivrechtlichen Bindungen des Veräußerers stattfindet2.
21.38
Die dogmatische Sichtweise des BAG zu den Rechtsfolgen einer Transformation der Rechte und Pflichten eines Tarifvertrags gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB überzeugt3. Der Anerkennung des Fortbestands des kollektivrechtlichen Charakters der Regelungen eines Tarifvertrags entspricht nicht nur unionsrechtlichen Vorgaben (Art. 3 Abs. 3 RL 2001/223/EG). Die Sichtweise trägt auch dem Umstand Rechnung, dass die Regelungen der Richtlinie 2001/23/EG4 ebenso wie § 613a Abs. 1 BGB5 nur den Status quo gewährleisten und keine Veränderung in Bezug auf Inhalt und Rechtsnatur der bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses bestehenden Arbeitsbedingungen zur Folge haben sollen (vgl. Rz. 4.71). Daran ist insbesondere bei der Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB (vgl. Rz. 11.1 ff.), den Angaben im Verschmelzungsoder Spaltungsvertrag (vgl. Rz. 26.2 ff., 26.225 ff.) oder Maßnahmen anzuknüpfen, die eine Änderung oder Beendigung der Rechte oder Pflichten eines Tarifvertrags im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses bewirken sollen.
21.39
Das zeigt sich insbesondere mit Blick auf etwaige Änderungen der Rechte und Pflichten eines Tarifvertrags, dessen Geltung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in Rede steht. Denn die Annahme einer kollektiv-rechtlichen Fortgeltung seiner Regelungen erlaubt nicht nur eine Ablösung dieser Regelungen nach den allgemeinen kollektivrechtlichen Regeln anzunehmen, ohne dabei notwendigerweise auf § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB zurückzugreifen. Diese Rechtsfolgen können allerdings durch die Wirkungsweise von Bezugnahmeklauseln modifiziert werden, deren Fortgeltung durch § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB bestimmt wird (vgl. Rz. 21.97 ff.). Entscheidend ist, dass damit auch die Wirkungsweise einer Beendigung erklärt werden kann. Sie erfolgt unter Berücksichtigung von § 4 Abs. 5 TVG, was bedeutet, dass der normative Teil des Tarifvertrags zwar mit seiner Beendigung seine zwingende Wirkung verliert, grundsätzlich aber in die Nachwirkung tritt. Diese Nachwirkung bestimmt auch die kollektivrechtliche Fortgeltung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB. Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Nachwirkung kraft Vereinbarung oder kraft Rechtsnatur der streitgegenständlichen Regelung ausgeschlossen ist. In diesem Fall endet auch die weitere Geltung als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses (§ 613a Abs. 1 Satz 4 BGB).
21.40
Problematisch erscheint allerdings die Annahme, dass der von einer kollektivrechtlichen Fortgeltung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nach Auffassung des BAG auch nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses noch durch die früheren Parteien gekündigt werden kann. Diese Kündigung soll auch nach dem Wirksamwerden des Betriebs- oder Betriebsteilübergangs bzw. der Umwandlung gegenüber der alten Tarifvertragspartei erklärt werden und dann nicht
1 Vgl. EuGH v. 4.6.2002 – C-164/99, NZA 2002, 729 Rz. 38 – Portugaia Construções; EuGH v. 6.11.2003 – C-4/01, NZA 2003, 1325 Rz. 29 – Martin. 2 Vgl. dazu ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 112; Sagan, RdA 2011, 163,168. 3 Zustimmend auch Schaub/Ahrendt, Arbeitsrechts-Handbuch, § 119 Rz. 5; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 131. 4 Vgl. EuGH v. 12.11.1998 – C-399/96, AP EWG-Richtlinie Nr. 77/187 Nr. 26 Rz. 37 – Europièces; EuGH v. 9.3.2006 – C-499/04, NZA 2006, 376 Rz. 25 – Werhof. 5 Vgl. BAG v. 19.3.2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091 Rz. 26.
790 | Gaul/Mengel
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.40 § 21
nur für die Arbeitsverhältnisse maßgeblich sein, die beim übertragenden Rechtsträger verblieben sind und (weiterhin) unter den Tarifvertrag fallen. Vielmehr soll die Kündigung auch die Rechte und Pflichten betreffen, die zum Zeitpunkt der Kündigung bereits als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und übernehmenden Rechtsträger gelten, der seinerseits nicht Partei des Tarifvertrags ist1. Das BAG nimmt dazu an, dass das schuldrechtliche Verhältnis der Tarifvertragsparteien, das auch das Recht zur Kündigung umfasse, durch den Wegfall der normativen Bindung an den Tarifvertrag als Folge des Betriebs- oder Betriebsteilübergangs nicht berührt werde2. Schon dieser Rückschluss erscheint fraglich, weil er nicht berücksichtigt, dass § 613a BGB keinen Fortbestand der Rechtsstellung als Partei des Tarifvertrags bzw. Mitglied eines tarifvertragsschließenden Arbeitgeberverbandes bewirkt. Das wäre ohnehin nur bei Firmentarifverträgen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge denkbar (vgl. Rz. 21.107 ff.). Vielmehr bewirkt die Transformation in das Arbeitsverhältnis nur einen inhaltlichen Schutz der vom Übergang betroffenen Arbeitsverhältnisse, der schon mit Blick auf den Schutz der negativen Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) keine eigenständige Tarifbindung zur Folge hat. Dieser Schutz ist – wie an anderer Stelle ausgeführt wird (vgl. Rz. 21.49) – statisch, soweit sich nicht aus § 613a Abs. 1 Satz 3, 4 BGB etwas anderes ergibt. Folgerichtig haben Änderungen des Tarifvertrags, die erst nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses durch die Parteien dieses Tarifvertrags vereinbart werden, auch keine Auswirkungen auf die zu diesem Zeitpunkt bereits beim übernehmenden Rechtsträger bestehenden Arbeitsverhältnisse, wenn der übernehmende Rechtsträger nicht bereits selbst gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 4 TVG, §§ 3, 7, 7a AEntG an diesen Tarifvertrag gebunden ist. Darüber hinaus ist die Sichtweise des BAG nicht konsequent. Denn das BAG erkennt zwar das Recht zur Kündigung durch die Parteien des Tarifvertrags an, wie er vor dem Übertragungsvorgang beim übertragenden Rechtsträger Geltung beansprucht hat. Dieses Recht würde man auch dem bisherigen Arbeitgeber bzw. dem Arbeitgeberverband zugestehen müssen, um z.B. dem Erwerber die Änderung der Arbeitsbedingungen bereits vor Ablauf der Jahresfrist zu ermöglichen3. Eine Kündigung durch den Erwerber, der durch eine solche Kündigung unmittelbar betroffen wäre, soll aus Sicht des BAG aber ausgeschlossen sein. Denn er sei trotz des Fortbestands der Regelungen des Tarifvertrags als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses (§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB) nicht Partei des Tarifvertrags geworden. Da die Kündigung aber nur „inter pares“ erfolgen könne, stehe ihm dieses Gestaltungsrecht nicht zu4. Überzeugender erscheint es daher anzunehmen, dass Änderungen des Tarifvertrags, nachdem er Bestandteil des Arbeitsverhältnisses geworden ist, keine Bedeutung mehr haben. Der Tarifvertrag gilt nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB mit dem Stand fort, den er zum Zeitpunkt des Übergangs gehabt hat. Auch eine Beendigung, die nicht bereits durch Kündigung oder Befristung vor dem Übergang des Arbeitsverhältnisses bewirkt wird, hat für die Arbeitsverhältnisse nach dem Wirksamwerden der Übertragung keine Bedeutung.
1 BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 56 ff.; BAG v. 26.8.2009 – 4 AZR 280/08, NZA 2010, 238 Rz. 24. 2 BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 58. 3 Bauer, Anm. zu BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41; Meyer, NZA-RR 2013, 225, 227. 4 BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 59; BAG v. 26.8.2009 – 4 AZR 280/08, NZA 2010, 238 Rz. 25; krit. Meyer, NZA-RR 2013, 225, 227.
Gaul/Mengel | 791
§ 21 Rz. 21.41 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
bb) Gegenstand der Transformation
21.41
§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB gilt nur für die unmittelbar (normativ) wirkenden Inhalts- und Beendigungsnormen eines Verbandstarifvertrags gemäß § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG, nicht für den schuldrechtlichen Teil1.
21.42
Inhaltsnormen i.e.S. sind normative Vorgaben zur Kennzeichnung der Haupt- und Nebenleistungspflichten in dem Arbeitsverhältnis. Inhaltsnormen können diese Pflichten unmittelbar festlegen oder Arbeitgeber bzw. Arbeitnehmer ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht einräumen. Hierzu gehören z.B. Regelungen über die Art der Arbeitsleistung, die Dauer der Arbeitszeit, Regelungen zur Altersteilzeit, etwaige Vorgaben zur Höchstarbeitszeit, zum Urlaub, Krankheit oder anderen Leistungsstörungen und Verpflichtungen des Arbeitgebers in Bezug auf laufende oder einmalige Zuwendungen (z.B. Lohn- und Gehalt, Nebenentgelte wie Zuschläge, Sonderzahlungen, Gratifikationen) sowie beiderseitige Nebenpflichten (z.B. Aufklärungs- und Mitteilungspflichten)2. Denkbar ist auch, dass in Inhaltsnormen das rechtliche Schicksal der daraus folgenden Ansprüche geregelt wird, indem sie befristet oder mit einer Verjährung bzw. Ausschlussfrist verknüpft werden3.
21.43
Beendigungsnormen, die auch Inhaltsnormen sind, enthalten Vorgaben zur Zulässigkeit und Art der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Hierzu zählen z.B. Formvorschriften für Kündigung und Aufhebungsvertrag, besondere tarifliche Kündigungsschutzregelungen, Altersgrenzen, Vorgaben für die Befristung eines Arbeitsverhältnisses sowie Bedenkzeiten und Widerrufsrechte, insbesondere im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags4.
21.44
Im Gegensatz dazu werden Abschlussnormen, die das „Ob“ und „Wie“ der Begründung eines Arbeitsverhältnisses regeln5, grundsätzlich nicht transformiert. Dies folgt bereits daraus, dass § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ein (bereits) bestehendes Arbeitsverhältnis voraussetzt und solche Arbeitnehmer nicht erfasst, die erst nach dem Übergang des Betriebs- oder Betriebsteils bzw. dem Wirksamwerden der Umwandlung eingestellt werden. Eine Ausnahme ist hier nur insoweit gerechtfertigt, als tarifvertraglich Vorgaben zum Abschluss von Vereinbarungen auch bestehende Arbeitsverhältnisse erfassen. Dabei kann es sich um Regelungen zur Verlängerung befristeter Arbeitsverhältnisse oder den Abschluss von Nebenabreden handeln (z.B. vorübergehende Übertragung einer höherwertigeren Funktion, Anspruch auf Abschluss einer (Alters)Teilzeitvereinbarung)6. Entsprechendes gilt bei tarifvertraglichen Wiedereinstellungszusagen, falls das Arbeitsverhältnis erst nach dem Übergang beendet wird. Denn diese Vorgaben haben auch für die übergehenden Arbeitsverhältnisse Bedeutung7.
21.45
Auch Betriebsnormen, mithin Normen über betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Fragen, werden von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht erfasst; sie sind von einer Fortgeltung als
1 Vgl. nur BAG v. 24.8.2011 – 4 AZR 566/09, NJOZ 2012, 690 Rz. 20; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 264. 2 Eingehend Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rz. 242 ff.; Kempen/Zachert/Schubert/Zachert, § 1 TVG Rz. 73 ff.; Thüsing/Braun/Wißmann, Tarifrecht, 4. Kap. Rz. 11 ff. 3 Vgl. Kempen/Zachert/Schubert/Zachert, § 1 TVG Rz. 73; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rz. 286. 4 Vgl. ErfK/Franzen, § 1 TVG Rz. 44; Thüsing/Braun/Wißmann, Tarifrecht, 4. Kap. Rz. 81 ff. 5 Vgl. Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rz. 342 ff.; Thüsing/Braun/Wißmann, Tarifrecht, 4. Kap. Rz. 70 ff. 6 Vgl. Henssler, FS Schaub, S. 311, 318; Waas, Tarifvertrag und Betriebsübergang S. 33. 7 Vgl. MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 135; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 264.
792 | Gaul/Mengel
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.47 § 21
Bestandteil des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen1. Diese Beschränkungen sind auch mit den Vorgaben des Art. 3 Abs. 3 Richtlinie 2001/23/EG vereinbar, weil danach nur „Arbeitsbedingungen“ fortgeführt werden sollen2. Für Betriebsnormen oder Normen über betriebsverfassungsrechtliche Fragen, die zu § 613a BGB zunächst einmal einheitlich behandelt werden können, folgt die Nichtanwendung daraus, dass § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nur die Rechtsposition des einzelnen Arbeitnehmers erhalten soll3. Betriebsnormen aber betreffen Regelungsgegenstände, die nach der Rechtsprechung nur einheitlich im Betrieb gelten können4. Ihre Regelung im Individualvertrag wäre nach der Rechtsprechung zwar nicht im naturwissenschaftlichen Sinne unmöglich, sie würde aber wegen „sachlogischer Unzweckmäßigkeit ausscheiden“, weil eine einheitliche Regelung auf betrieblicher Ebene unerlässlich ist. Mit Blick auf § 3 Abs. 2 TVG gehören hierzu nach Maßgabe dieser Rechtsprechung nicht die Fragen, die im weitesten Sinne durch die Existenz des Betriebs und durch die besonderen Bedingungen der betrieblichen Zusammenarbeit entstehen könnten, sondern nur solche Fragen, die unmittelbar die Organisation und Gestaltung des Betriebs, somit die Betriebsmittel und die Belegschaft betreffen5. Insbesondere wird man hierzu also Vereinbarungen nach § 3 Abs. 1 BetrVG rechnen müssen6. Außerdem fallen Regelungen bezüglich der Organisation der Arbeitszeit, Regelungen über die Anzahl von Arbeitnehmern mit Vereinbarungen zur Arbeitszeitverlängerungen (40-Stunden-Verträge) oder mit Altersteilzeitvereinbarungen, Quoten für den Einsatz von Leiharbeitnehmern, Besetzungsregelungen in der Druckindustrie, Regelungen zu Fragen der Ordnung des Betriebes, zu Sozialeinrichtungen wie Kantine oder Aufenthaltsräume oder zu Beteiligungsrechten des Betriebsrats7 darunter. Ebenfalls erfasst werden betriebsbezogene Regelungen zum Arbeitsschutz, selbst wenn sie auch individualschützenden Charakter haben (z.B. Rauchverbote)8. Betriebsnormen regeln das betriebliche Rechtsverhältnis zwischen dem Arbeitgeber und der Belegschaft als Kollektiv, nicht aber die Rechtsverhältnisse zwischen dem Arbeitgeber und einzelnen Arbeitnehmern, die keine individuellen Rechte ableiten können und allenfalls mittelbar betroffen sind9. Daraus folgt, dass mit der Zuordnung einer Tarifvertragsnorm zu den Betriebsnormen ein geringerer Bestandsschutz verbunden ist als bei Inhalts- oder Beendigungsnormen, die durch eine Transformation in das Arbeitsverhältnis abgesichert sind. Der Umstand, dass in Übereinstimmung mit dem BAG von einer kollektivrechtlichen Fortgeltung der Tarifnormen im Rahmen von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB auszugehen ist, ändert an diesem Ergebnis nichts10.
21.46
Ausgeschlossen ist auch eine Übernahme tarifvertraglicher Regelungen über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien i.S.v. § 4 Abs. 2 TVG (z.B. Urlaubs- und Lohnausgleichs-
21.47
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Vgl. Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 216245. Vgl. D. Gaul, ZTR 1989, 432, 433; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 264. Vgl. ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 118; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 135. BAG v. 8.12.2010 – 7 ABR 98/09, NZA 2011, 751 Rz. 37; BAG v. 22.2.2012 – 4 AZR 527/10, AP § 3 TVG Nr. 52 Rz. 33; krit. dazu Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rz. 395 ff. BAG v. 17.6.1997 – 1 ABR 3/97, NZA 1998, 213, 214; BAG v. 26.1.2011 – 5 AZR 159/09, NZA 2011, 808 Rz. 24. HWK/B. Gaul, § 3 BetrVG Rz. 41. Vgl. BAG v. 20.1.2021 – 4 AZR 283/20, NZA 2021, 792 Rz. 25; BAG v. 20.1.2021 – 4 AZR 286/20, NZA 2021, 798 Rz. 25; Thüsing/Braun/Wißmann, Tarifrecht, 4. Kap. Rz. 103 ff., 108. Vgl. Boecken, Unternehmensumwandlungen Rz. 191; a.A. Wiedemann/Oetker, § 3 TVG Rz. 199. BAG v. 17.6.1997 – 1 ABR 3/97, NZA 1998, 213, 214; BAG v. 26.1.2011 – 5 AZR 159/09, NZA 2011, 808 Rz. 24; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rz. 395 ff. Vgl. BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 64.
Gaul/Mengel | 793
§ 21 Rz. 21.47 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
kasse der Bauwirtschaft, Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes AG). In das Arbeitsverhältnis kann nur die Pflicht des Erwerbers eingehen, die Leistungen zu gewähren, die über die gemeinsame Einrichtung abgewickelt werden sollen. Ein solcher Verschaffungsanspruch muss im Tarifvertrag für den Arbeitgeber unabhängig von der Leistungsabwicklung der gemeinsamen Einrichtungen bestehen und kann dann auch den Erwerber treffen1.
21.48
Rechte und Pflichten, die sich unmittelbar zwischen den Tarifvertragsparteien als Bestandteil des schuldrechtlichen Teils eines Tarifvertrags ergeben, werden von § 613a BGB nicht erfasst2. Schließlich handelt es sich dabei nicht um Regelungen, die im Arbeitsverhältnis Geltung beanspruchen. Vielmehr betreffen sie das Verhältnis zwischen Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberverband einerseits und Gewerkschaft andererseits (z.B. Friedenspflicht, Verhandlungspflichten). So sind weder der neue Arbeitgeber noch die Gewerkschaft im Anschluss an die Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils an diese Pflichten gebunden. Damit kann die Gewerkschaft den Umstand, dass tarifliche Rechte und Pflichten (nur) nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgelten, zum Anlass nehmen, Tarifvertragsverhandlungen einschließlich etwaiger Arbeitskampfmaßnahmen einzuleiten. cc) Grundsatz der statischen Transformation
21.49
Die Transformation der Rechte und Pflichten aus einem Verbandstarifvertrags erfolgt nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB statisch3. Nur die Inhalte, die im Zeitpunkt des Übergangs des Arbeitsverhältnisses bei dem alten Betriebsinhaber gegolten haben, gelten auch bei dem übernehmenden Rechtsträger fort. Wegen des Zeitpunkts des Übergangs vgl. § 6. Ist ein Tarifvertrag zu diesem Zeitpunkt zwar bereits unterschrieben, aber noch nicht in Kraft getreten, werden seine Regelungen auch nicht transformiert4. Folgerichtig haben auch späterer Neuabschluss oder die nachträgliche Änderung bestehender Tarifverträge keine Auswirkungen auf die transformierten Inhalte5. Dies gilt selbst dann, wenn sie rückwirkend auf einen Zeitpunkt vor Betriebsübergang in Kraft gesetzt werden6. Entgegen der durch das BAG vertretenen Auffassung ist deshalb auch eine Kündigung, die erst nach dem Übergang der Arbeitsverhältnisse durch die Parteien des transformierten Tarifvertrags erklärt wird, für das bereits übergegangene Arbeitsverhältnis ohne Bedeutung (vgl. Rz. 21.40). Erst recht scheidet eine dynamische Fortgeltung von tariflichen Inhalten nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB aus; diese kann sich aber aus arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln ergeben, wenn diese unabhängig von der konkreten (gesetzlichen) Tarifbindung des Arbeitgebers eine Anwendung des jeweils gültigen Tarifvertrags zum Inhalt haben (vgl. dazu Rz. 21.123 ff.). Dies entspricht auch dem
1 Vgl. BAG v. 18.9.2001 – 3 AZR 689/00, NZA 2002, 1391; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 216; krit. MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 135. 2 BAG v. 26.8.2008 – 4 AZR 280/08, NZA 2010, 238 Rz. 31; BAG v. 24.8.2011 – 4 AZR 566/09, NJOZ 2012, 690 Rz. 20. 3 Vgl. BAG v. 12.9.2013 – 6 AZR 512/12, NZA-RR 2014, 154 Rz. 28; BAG v. 13.8.2019 – 1 AZR 213/ 18, NZA 2020, 49 Rz. 34. 4 BAG v. 16.5.2012 – 4 AZR 321/10, NZA 2012, 923 Rz. 27 f. 5 Vgl. BAG v. 13.11.1985 – 4 AZR 309/84, NZA 1986, 422 f.; BAG v. 3.7.2013 – 4 AZR 961/11, NZA-RR 2014, 80 Rz. 16. 6 BAG v. 13.9.1994 – 3 AZR 148/94, NZA 1995, 740 f.; BAG v. 16.5.2012 – 4 AZR 321/10, NZA 2012, 923 Rz. 27.
794 | Gaul/Mengel
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.51 § 21
Grundsatz, dass Art. 3 Richtlinie 2001/23/EG ebenso wie § 613a BGB das Ziel verfolgen, die am Tag des Übergangs bestehenden Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer zu wahren1. Wenn etwaige Änderungen nicht erst nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses vereinbart werden, sondern bereits in dem Tarifvertrag angelegt sind, dessen Transformation nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in Rede steht, können diese Änderungen als Bestandteil des vom Übergang betroffenen Inhalt des Arbeitsverhältnisses auch noch nach dem Übergang wirksam werden. Dies gilt nicht nur für Änderungen des Tarifvertrags, die bereits vor dem Übergang zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbart wurden, aber erst im Anschluss an den Übergang wirksam werden sollen. Beispielhaft sei auf die im Tarifvertrag bereits für einen bestimmten Stichtag in der Zukunft vereinbarte Tarifentgelterhöhung verwiesen. Das gleiche gilt dann, wenn sich die Änderung der Arbeitsbedingungen aus unveränderten Regelungen eines Tarifvertrags erst im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses ergibt. Beispielhaft sei auf Beschäftigungsjahressprünge, den Wegfall einer befristeten Zulage oder eine höhere Jahressonderleistung bzw. eine Anhebung der Urlaubsdauer wegen längerer Betriebszugehörigkeit hingewiesen. Gleiches gilt, wenn der in einem Tarifvertrag bereits festgelegte Sonderkündigungsschutz erst durch weitere Lebensjahre und/oder Jahre der Betriebszugehörigkeit im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses erworben wird. Denn in diesem Fall enthält der der transformierte Tarifvertrag bereits verbindliche und abschließende Regelungen über eine zeitlich gestufte Veränderung der Arbeitsbedingungen. Diese Veränderungen treten zu dem jeweils festgelegten Zeitpunkt bzw. bei Eintritt der vereinbarten Bedingungen auch nach dem Betriebsübergang bei dem übernehmenden Rechtsträger in Kraft2. Hiervon ist auch dann auszugehen, wenn der Tarifvertrag – wie dies bei einem Anerkenntnistarifvertrag der Fall ist – eine Blankett-Verweisung auf einen anderen Tarifvertrag enthält und die Änderung dort bereits angelegt war3. Allerdings bleibt die Dynamik der Verweisung selbst bei einem Übergang der Regelungen des Anerkenntnistarifvertrags in das Arbeitsverhältnis nicht erhalten. Die Inhalts-, Abschluss- und Beendigungsnormen des Tarifvertrags, auf die verwiesen wird, werden also in ihrem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Zustand als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses transformiert4. Bereits vereinbarte Abschmelzungen gehen ebenso über wie bereits vereinbarte Erhöhungen, auflösende oder aufschiebende Bedingungen von Rechten und Pflichten und Anwartschaften5. Erst recht kann ein Arbeitnehmer auch erst nach Betriebsübergang einen tariflichen Tatbestand erfüllen, der davor angelegt war, und erwirbt damit den tariflichen Anspruch6.
21.50
Zeitlicher Anknüpfungspunkt für die Transformation der Rechte und Pflichten aus dem Verbandstarifvertrag ist das Wirksamwerden des Übergangs der Arbeitsverhältnisse (vgl. Rz. 6.1 ff.). Erst mit dem Wegfall des bisherigen Arbeitgebers als Vertragspartner, kommt eine Transformation gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in Betracht. Bei der Übertragung eines Betriebs oder
21.51
1 Vgl. nur EuGH v. 9.3.2006 – C-499/04, NZA 2006, 376 Rz. 29 – Werhof; EuGH v. 27.4.2017 – C680/15 u.a., NZA 2017, 571 Rz. 18 – Asklepios; Reinecke, BB 2006, 2637, 2641; Willemsen/Krois/ Mehrens, RdA 2018, 151, 159. 2 Vgl. z.B. BAG v. 14.11.2007 – 4 AZR 828/06, NZA 2008, 420 Rz. 17; BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 84 ff. 3 BAG v. 19.9.2007 – 4 AZR 711/06, NZA 2008, 241 Rz. 16; BAG v. 14.11.2007 – 4 AZR 828/06, NZA 2008, 420 Rz. 17. 4 BAG v. 20.6.2001 – 4 AZR 295/00, NZA 2002, 517, 519. 5 BAG v. 14.11.2007 – 4 AZR 828/06, NZA 2008, 420 Rz. 17; BAG v. 26.1.2021 – 3 AZR 139/17, AP BetrAVG § 7 NR. 125 Rz. 34. 6 Zur Tatbestandsdynamik vgl. BAG v. 21.4.2010 – 4 AZR 768/08, DB 2010, 1998 Rz. 50.
Gaul/Mengel | 795
§ 21 Rz. 21.51 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
Betriebsteils im Wege der Einzelrechtsnachfolge kommt es darauf an, wann der übernehmende Rechtsträger tatsächlich die Leitungsmacht über die übertragene Einheit übernommen hat, nicht dagegen, ob bereits die vermögensrechtliche Übertragung erfolgt ist (vgl. Rz. 5.84, 6.3). Bei einer Umwandlung oder der sonstigen Form der Gesamtrechtsnachfolge kommt es auf das Wirksamwerden der Umwandlung an, die in der Regel abhängig ist von der Eintragung im Handelsregister (vgl. Rz. 5.63). Allerdings kann auch bei einer Umwandlung vereinbart werden, dass der Übergang des Arbeitsverhältnisses als Folge eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs zu einem Zeitpunkt erfolgt, der durch den Wechsel in der Leitungsmacht unabhängig von der Eintragung im Handelsregister ausgelöst wird (vgl. Rz. 6.21 ff.). dd) Einjährige Sperrfrist für Verschlechterungen (1) Wirkungsweise in Bezug auf individual- oder kollektivrechtliche Regelungen
21.52
Nach der Transformation der Inhalte des vor der Übertragung geltenden Verbandstarifvertrags bleibt der neue Betriebsinhaber an die transformierten Inhalte (zunächst) einmal zwingend für die Dauer von einem Jahr gebunden1. Innerhalb dieser Sperrfrist können die transformierten Rechte und Pflichten einzelvertraglich nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer geändert werden. Insofern stellen die transformierten Tarifinhalte Mindestarbeitsbedingungen dar2. Änderungen zum Nachteil des Arbeitnehmers innerhalb dieser Jahresfrist können grundsätzlich nur durch Tarifvertrag (§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB) oder Bezugnahme auf Tarifvertrag (§ 613a Abs. 1 Satz 4 BGB) bewirkt werden. Weitergehende Änderungen sind auch mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien nicht erlaubt; § 4 Abs. 4 TVG findet insoweit keine Anwendung.
21.53
Die befristete Verschlechterungssperre gilt auch für eine Änderungskündigung des neuen Arbeitgebers in Bezug auf solche Rechte, die bei dem übertragenden Rechtsträger durch einen kraft Gesetzes geltenden Tarifvertrag geregelt waren3. Nur eine Beendigungskündigung, die nicht wegen des Betriebs- oder Betriebsteilübergangs erklärt wird (§ 613a Abs. 4 Satz 2 BGB, § 324 UmwG), könnte zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses und damit auch zum Wegfall eines tarifvertraglichen Anspruchs führen. Die Wirksamkeit einer Beendigungskündigung (vor oder nach einem Betriebsübergang) bestimmt sich allein nach den Regeln zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz (vgl. Rz. 19.11 ff.). Bedeutung kann die Transformation der tarifvertraglichen Regelungen gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB aber dadurch entfalten, als besondere Kündigungsregelungen aus dem bisherigen Tarifvertrag (z.B. Sonderkündigungsschutz, Kündigungsfristen und -verbote, Wiedereinstellungsansprüche, Auskunftsansprüche, Abfindungsansprüche) als Beendigungsnormen auch auf den übernehmenden Rechtsträger übergehen und dort als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses fortgelten4. Denn dann ist auch der übernehmende Rechtsträger an diese Schranken gebunden. Bei einer Spaltung sind darüber hinaus die Schranken gemäß §§ 322, 323 Abs. 1 UmwG zu beachten5.
21.54
Soweit der Tarifvertrag selbst eine Öffnungsklausel i.S.d. § 4 Abs. 3 TVG enthält, findet diese natürlich auch im Anschluss an die Transformation weiterhin Anwendung. Dies gilt für Ab-
1 BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 63; BAG v. 15.12.2020 – 1 AZR 499/18, NZA 2021, 512 Rz. 18. 2 MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 131. 3 Vgl. Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rz. 456; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 136. 4 Vgl. ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 118; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rz. 404. 5 Vgl. KR/Friedrich, §§ 322–324 UmwG Rz. 36 ff.
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Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.58 § 21
weichungen durch Betriebsvereinbarung und Arbeitsvertrag gleichermaßen. Ebenso wäre ein Widerruf tariflicher Leistungen durch den übernehmenden Rechtsträger zulässig, wenn der transformierte Tarifvertrag bereits vor dem Übergang des Arbeitsverhältnisses selbst mit einem Widerrufsvorbehalt verknüpft war. Beendet wird die Sperrfrist nicht nur durch eine Ablösung durch Tarifvertrag (§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB) bzw. Bezugnahme auf Tarifvertrag (§ 613a Abs. 1 Satz 4 2. Alt. BGB), die jeweils auch innerhalb der Jahresfrist erfolgen kann (vgl. Rz. 21.63, 21.86). Die Veränderungssperre entfällt außerdem, wenn die unmittelbare und zwingende Wirkung des Tarifvertrags bereits vor der Übertragung entfallen war und sich der Tarifvertrag gemäß § 4 Abs. 5 TVG in Nachwirkung befand1. Wäre diese Rechtsfolge ohne Übergang des Arbeitsverhältnisses während der Jahresfrist eingetreten, endet die Veränderungssperre zu dem Zeitpunkt, zu dem die Nachwirkung ohne Arbeitgeberwechsel eingetreten wäre. Andernfalls stünde der Arbeitnehmer besser als er ohne den Übergang des Arbeitsverhältnisses gestanden hätte2. In beiden Fällen sind mit Wegfall der Veränderungssperre nicht nur Änderungen auf der kollektivrechtlichen Ebene zulässig. Vielmehr können die Rechte und Pflichten des früheren Tarifvertrags auch durch individualvertragliche Änderungsvereinbarung oder Änderungskündigung ausgelöst werden. Ergänzend hierzu endet die Sperrwirkung vor Ablauf der Jahresfrist, wenn der Tarifvertrag nicht mehr gilt. (vgl. Rz. 21.96).
21.55
(2) Praktische Durchführung des notwendigen Günstigkeitsvergleichs Da § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nur Änderungen zum Nachteil der Arbeitnehmer verbietet, stellt sich die Frage, ob ggf. Änderungsvereinbarungen zulässig sind, die einzeln genommen oder in ihrer Gesamtheit rechtlich neutral sind. Aus Art. 3 Abs. 3 Richtlinie 2001/23/EG ergibt sich, dass die tariflichen Arbeitsbedingungen bei dem neuen Betriebsinhaber „in gleichem Maße“ aufrechtzuerhalten sind, wie sie im Kollektivvertrag für den alten Betriebsinhaber galten. Hiervon ausgehend verpflichtet das Unionsrecht zu gewährleisten, dass Änderungen – wie dies vor dem Übergang des Arbeitsverhältnisses nach § 4 Abs. 3 TVG in Bezug auf die unmittelbar und zwingenden Normen eines Tarifvertrags der Fall war – nur zu Gunsten der betroffenen Arbeitnehmer erfolgen3. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ist entsprechend unionsrechtskonform auszulegen4.
21.56
Eine individualvertragliche Veränderung zum Vorteil der Arbeitnehmer ist jederzeit, auch innerhalb der Jahresfrist möglich. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB löst also eine einseitig-zwingende Wirkung der in das Arbeitsverhältnis transformierten Regelungen eines Tarifvertrags aus5.
21.57
Der Günstigkeitsvergleich hat aus der Sicht eines vernünftigen, objektiven Arbeitnehmers zu erfolgen. Die subjektive Sicht des konkreten Mitarbeiters ist irrelevant, denn Mindestarbeitsbedingungen gelten zum Schutz des Arbeitnehmers gegen sich selbst und vor individueller Beeinflussung durch den Arbeitgeber6. Dabei ist von einem Sachgruppenvergleich auszuge-
21.58
1 HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 282; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 121. 2 Vgl. Bepler, RdA 2009, 65, 66, 71; APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 130. 3 Vgl. auch BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 32; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 119. 4 Vgl. EuArbRK/Winter, Art. 3 Richtlinie 2001/23/EG Rz. 57. 5 BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 33. 6 Vgl. BAG v. 17.6.2015 – 4 AZR 61/14, NZA 2016, 373 Rz. 33; Annuß, RdA 2000, 287, 296.
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§ 21 Rz. 21.58 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
hen1. Insofern können nur funktional äquivalente Leistungen miteinander verglichen werden. Ein Günstigkeitsvergleich scheidet daher aus, wenn die zu vergleichenden Leistungen mit unterschiedlichen Gegenleistungen verbunden sind2. Auf diese Weise können beispielsweise Regelungen über zu zahlende Zuschläge zum Stundenlohn für die Arbeitsleistung zu bestimmten Zeiten und die zu Grunde liegenden Stundenlöhne3; über den Grundlohn und tarifliche Lohnzuschläge für Überstunden und bestimmte Mindeststundenzahlen4; Regelungen zum Urlaub (Urlaubsdauer, Länge der Wartezeit, Höhe des Urlaubsgeldes)5 oder zum Kündigungsschutz in einen Vergleich einbezogen werden6. Bei Kündigungen sind Kündigungsfristen und -termine, die eine Einheit bilden, in einen abstrakten Günstigkeitsvergleich bezogen auf das gesamte Kalenderjahr einzubeziehen7.
21.59
Das BAG hat außerdem anerkannt, dass Arbeitszeit und Arbeitsentgelt eine übergreifende Sachgruppe bilden. Dabei seien alle Entgeltbestandteile von Bedeutung, die sich als Gegenleistung zu der zu erbringenden Arbeitsleistung darstellen8. Arbeitszeit und Vergütung können nicht isoliert betrachtet und unabhängig voneinander in einen Vergleich einbezogen werden, sondern sind als einheitliche Sachgruppe zu betrachten9. Ist dabei nach den tariflichen Vereinbarungen sowohl die Arbeitszeit als auch das entsprechende Arbeitsentgelt höher, ist die einzelvertragliche Abweichung mit einem höheren Stundenlohn nicht zweifelsfrei günstiger10. Um eine Abweichung zu erlauben, muss die abweichende Vereinbarung aber (zweifelsfrei) und damit auch in jedem Einzelfall objektiv günstiger sein. Dabei sind die abstrakten Regelungen maßgebend, nicht das Ergebnis ihrer Anwendung im konkreten Einzelfall. Hängt es von dessen Umständen ab, ob die betreffende Regelung günstiger ist oder nicht (ambivalente Regelung), liegt keine „Günstigkeit“ i.S.d. § 4 Abs. 3 TVG vor11.
21.60
Im Einzelfall muss daher stets durch Auslegung des in Rede stehenden Tarifvertrags und der damit korrespondierenden Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und übernehmenden Rechtsträger festgestellt werden, welche Regelungen konkret in einem sachlichen Zusammenhang stehen und miteinander verglichen werden können. Dabei geht die Rechtsprechung bislang davon aus, dass Regelungen zu Arbeitszeit und Arbeitsentgelt einerseits und eine Beschäfti-
1 Vgl. BAG v. 20.4.1999 – 1 ABR 72/98, NZA 1999, 887, 893; BAG v. 15.4.2015 – 4 AZR 587/13, NZA 2015, 1274 Rz. 28. 2 BAG v. 27.1.2004 – 1 AZR 148/03, NZA 2004, 667; BAG v. 22.8.2018 – 5 AZR 551/17, NZA 2019, 51 Rz. 14 f. 3 BAG v. 17.4.2013 – 4 AZR 592/11, NJOZ 2015, 1070 Rz. 13 ff. 4 BAG v. 17.4.2002 – 5 AZR 644/00. NZA 2002, 1340, 1342. 5 BAG v. 20.7.1961 – 5 AZR 343/60, NJW 1961, 2229 f. 6 BAG v. 29.1.2015 – 2 AZR 280/14, NZA 2015, 673 Rz. 13 ff. 7 LAG Berlin-Brandenburg v. 5.3.2014 – 15 Sa 1552/13 und 15 Sa 1628/13 n v.; offen in Bezug auf den Zeitraum BAG v. 4.7.2001 – 2 AZR 469/00, NZA 2002, 380, 382. 8 Vgl. BAG v. 15.4.2015 – 4 AZR 587/13, NZA 2015, 1274 Rz. 34 ff.; LAG Baden-Württemberg v. 30.9.2013 – 9 Sa 118/12, NZA-RR 2014, 23, 26. 9 BAG v. 15.4.2015 – 4 AZR 587/13, NZA 2015, 1274 Rz. 34 ff.; BAG v. 12.12.2018 – 4 AZR 123/ 18, NZA 2019, 543 Rz. 37. 10 BAG v. 15.4.2015 – 4 AZR 587/13, NZA 2015, 1274 Rz. 37 f.; LAG Baden-Württemberg v. 30.9.2013 – 9 Sa 118/12, NZA- RR 2014, 23, 26. 11 BAG v. 15.4.2015 – 4 AZR 587/13, NZA 2015, 1274 Rz. 27 ff.; BAG 12.12.2018 – 4 AZR 123/18, NZA 2019, 543 Rz. 34.
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Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.64 § 21
gungs-/Standortgarantie andererseits in einem Sanierungstarifvertrag nicht in einen Sachgruppenvergleich oder eine Gesamtabwägung einbezogen werden dürfen1. c) Ablösung durch Tarifvertrag des übernehmenden Rechtsträgers Die Transformation der vor der Übertragung des Betriebes/Betriebsteils normativ anwendbaren Verbandstarifverträge in Inhalte des Arbeitsverhältnisses mit dem neuen Betriebsinhaber gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB tritt nach ausdrücklicher Anordnung durch § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB nicht ein, wenn die tariflichen Rechte und Pflichten bei dem übernehmenden Rechtsträger durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags oder durch eine Betriebsvereinbarung (vgl. Rz. 21.82 ff.) geregelt werden. Voraussetzung dabei ist, dass (1) eine kongruente gesetzliche Tarifbindung vorliegt (vgl. Rz. 21.66 f.), (2) Regelungsidentität zwischen den bisherigen Rechten und Pflichten und dem ablösenden Tarifvertrag gegeben ist (vgl. Rz. 21.69 ff.) und (3) die allgemeinen Schranken des Unionsrechts in Bezug auf die Ablösung von Kollektivvereinbarungen eingehalten werden (vgl. Rz. 21.75 ff.).
21.61
Eine arbeitsvertragliche Bezugnahme genügt für eine Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB nicht, selbst wenn der neue Betriebsinhaber tarifgebunden ist. Hier kommt nur eine Ablösung unter den Voraussetzungen des § 613a Abs. 1 Satz 4 Alt. 2 BGB in Betracht (vgl. Rz. 21.86 ff.)2.
21.62
Die Ablösung kann durch Verbandstarifverträge und Firmentarifverträge erfolgen, die bei dem übernehmenden Rechtsträger gelten3. Unerheblich ist, ob der ablösende Firmen- oder Verbandstarifvertrag bereits im Zeitpunkt des Betriebsübergangs für den Betrieb des Übernehmers gilt oder erst später abgeschlossen wurde4. Ebenso ist es hinreichend für die Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB, wenn die Tarifbindung erst im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses dadurch ausgelöst wird, dass der Erwerber in einen Arbeitgeberverband eintritt oder eine Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags bewirkt wird5. Da § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB keine zeitliche Begrenzung enthält, ist die Ablösung so lange möglich, wie die transformierte Regelung noch gilt. Die einjährige Sperrfrist hat also für die Möglichkeit der Ablösung keine Bedeutung6.
21.63
In allen Varianten bestimmen sich die Rechte und Pflichten in den übergegangenen Arbeitsverhältnissen unmittelbar aus dem ablösenden Tarifvertrag, denn mit der Ablösungsregelung in § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB soll einer einheitlichen Behandlung aller Arbeitnehmer im Erwerberbetrieb grundsätzlich Vorrang vor der Bestandsschutzregelung in § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB eingeräumt werden7. Schließlich bedarf es keiner Absicherung des Arbeitnehmers durch den bisherigen Tarifvertrag (mehr), wenn bei oder nach dem Übergang des Arbeitsverhältnis-
21.64
1 BAG v. 20.4.1999 – 1 ABR 72/98, NZA 1999, 887, 893; BAG v. 1.7.2009 – 4 AZR 262/08, NZA 2010, 53 Rz. 60. 2 Vgl. nur BAG v. 20.6.2012 – 4 AZR 656/10 n.v. Rz. 22; BAG v. 23.11.2017 – 6 AZR 739/15, NZA 2018, 301 Rz. 31. 3 Vgl. Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rz. 425; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 169. 4 BAG v. 11.5.2005 – 4 AZR 315/04, NZA 2005, 1362, 1365; BAG v. 13.8.2019 – 1 AZR 213/18, NZA 2020, 49 Rz. 34; Moll, RdA 2007, 47, 48; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 139. 5 BAG v. 16.5.2012 – 4 AZR 321/10, NZA 2012, 923 Rz. 41; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 125. 6 BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 73; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rz. 434. 7 Vgl. BT-Drucks. 8/3317, S. 11; BAG v. 29.8.2001 – 4 AZR 352/00, NZA 2002, 863, 865.
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§ 21 Rz. 21.64 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
ses ein für das übergegangene Arbeitsverhältnis zwingend geltender Tarifvertrag einen neuen Mindeststandard regelt1. Auf die Günstigkeit kommt es dabei nicht an.
21.65
Diese Mechanismen eines Tarifwechsels im Zusammenhang mit einer unternehmensübergreifenden Umstrukturierung können in der Praxis auch bewusst ausgelöst werden, um die bei dem bisherigen Betriebsinhaber geltenden Tarifverträge durch Regelungen eines anderen Tarifvertrags abzulösen. Wenn die allgemeinen Schranken des Unionsrechts eingehalten werden (vgl. Rz. 21.75 ff.), liegt darin kein Rechtsmissbrauch. Dies gilt nicht nur dann, wenn eine Tarifbindung auf Seiten des übernehmenden Rechtsträgers bei Abschluss der Vereinbarungen zur Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils bereits besteht. Denkbar ist auch, dass eine solche Bindung an einen Firmen- oder Verbandstarifvertrag erst mit Blick auf einen Betriebsübergang oder eine Umwandlung herbeigeführt wird, damit der Übertragungsvorgang mit einer Ablösung des bisherigen Tarifvertrags verbunden ist2. Solche Maßnahmen sind auch dann zulässig, wenn der übernehmende Rechtsträger zum Zeitpunkt des Verbandsbeitritts noch keine Arbeitnehmer beschäftigt3. Aus Arbeitgebersicht ist eine solche Ablösung vor allem interessant, wenn auf diese Weise ein Verbandstarifvertrag durch einen attraktiveren oder jedenfalls spezielleren Firmentarifvertrag oder den Tarifvertrag einer anderen Branche, der den Wettbewerb und die Anforderungen an die Beschäftigung der Arbeitnehmer besser abbildet, abgelöst werden kann.
21.66
Gerade der Firmentarifvertrag, der firmenbezogene Verbandstarifvertrag oder der auf eine bestimmte Unternehmensgruppe bezogene (Verbands-)Tarifvertrag sind hierfür in besonderer Weise geeignet. Dabei hängt die Ablösung der Rechte und Pflichten des bisherigen Tarifvertrags im Zweifel allerdings davon ab, dass es gelingt, dieselbe Gewerkschaft, die bereits beim übertragenden Rechtsträger für die Tarifbindung verantwortlich war, zu überzeugen, einen entsprechenden Tarifvertrag abzuschließen, an den der Erwerber gebunden ist. Schließlich setzt § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB voraus, dass nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses eine beiderseitige (kongruente) Tarifbindung vorliegt4 und das Arbeitsverhältnis von dem persönlichen, fachlichen und räumlichen Geltungsbereich des ablösenden Tarifvertrags erfasst wird. Das folgt bereits aus dem Wortlaut von Satz 2 („geregelt sind“) und Satz 3 („geregelt werden“)5. Auch wenn der Zweck des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB, mit dem eine Vereinheitlichung von Arbeitsbedingungen im Anschluss an die Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils erleichtert werden soll, damit erschwert wird6, kann sich das Erfordernis einer kongruenten Tarifbindung zu Recht auch auf den verfassungsrechtlichen Vorrang der (negativen) Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG berufen7.
21.67
Diese kongruente Tarifbindung liegt aber in der Regel nicht vor, wenn die Tarifverträge beim übertragenden und beim übernehmenden Rechtsträger durch unterschiedliche Gewerkschaf1 Vgl. ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 123. 2 Vgl. BAG v. 24.1.2001 – 4 ABR 4/00, NZA 2001, 1149; Däubler/Lorenz, § 3 TVG Rz. 33; Löwisch/ Rieble, § 2 TVG Rz. 496; Semler/Stengel/Leonard/Schwanna, § 190 UmwG Rz. 4. 3 Löwisch/Rieble, § 2 TVG Rz. 494; BAG v. 24.6.1998 – 4 AZR 208/97, NZA 1998, 1346. 4 Vgl. nur BAG v. 7.7.2010 – 4 AZR 1023/08, NZA-RR 2011, 30 Rz. 29 ff.; BAG v. 23.1.2019 – 4 AZR 445/17, NZA 2019, 922 Rz. 24. 5 Vgl. nur BAG v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00, NZA 2001, 1318, 1321; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 141; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 229, a.A. Seitz, NZA 2000, 1257, 1267 f.; Henssler, FS Schaub, S. 311, 320 f. 6 So die Kritik von Henssler, FS Schaub, S. 311, 320 f.; Wieland, Firmentarifverträge, Rz. 275; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 181 ff.; Zöllner, DB 1995, 1401, 1404. 7 Vgl. Kania, DB 1994, 529, 530.
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Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.69 § 21
ten abgeschlossen sind. Das bedeutet konkret, dass nicht nur der neue Betriebsinhaber über eine Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband an das ablösende Verbandstarifwerk oder als Partei des ablösenden Firmentarifvertrages tarifgebunden sein muss1. Selbst wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, funktioniert die Ablösung nur für die Arbeitsverhältnisse, bei denen der Arbeitnehmer über seine Gewerkschaftsmitgliedschaft an eben denselben ablösenden Tarifvertag gebunden ist2. Dabei ist es nicht genügend, wenn das abzulösende und das ablösende Tarifwerk jeweils mit einer DGB-Gewerkschaft abgeschlossen ist und der Arbeitnehmer Mitglied einer der beiden Gewerkschaften ist3. Da aber die Arbeitnehmer in aller Regel nicht „wegen“ des Betriebsübergangs bzw. einer Umwandlung oder auch nur in zeitlicher Nähe zu einer unternehmensübergreifenden Restrukturierung ihre Gewerkschaftsmitgliedschaft wechseln, erst recht nicht, um eine Bindung an einen für sie ungünstigeren Tarifvertrag zu erreichen, kann die Ablösung durch ein anderes Verbandstarifwerk branchenübergreifend im Zweifel nur in den Konstellationen funktionieren, in denen eine Gewerkschaft satzungsmäßig sowohl vor als auch nach der branchenwechselnden Übertragung zuständig ist und für verschiedene Branchen auch unterschiedliche Verbandstarifvertragswerke abgeschlossen hat. Das gilt vor allem für die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di4. Eine andere Ausnahmekonstellation liegt vor, wenn bei dem übernehmenden Rechtsträger ein allgemeinverbindlicher Verbandstarifvertrag gilt5, da die Allgemeinverbindlicherklärung die privatautonome (kongruente) Tarifbindung überflüssig macht. Die Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB muss nicht alle Regelungen des früheren Tarifvertrags erfassen. Denkbar ist, dass beim übernehmenden Rechtsträger nur für einzelne Sachgruppen ein Firmen- oder Verbandstarifvertrag besteht, an den der Arbeitnehmer gebunden ist. In diesem Fall bleibt es in Bezug auf die sonstigen Rechte und Pflichten des beim übertragenden Rechtsträgers verbindlichen Tarifvertrags bei den Rechtsfolgen aus § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB. Diese beschränkte Ablösung kann auch bewusst durch einen Sanierungs-, Integrations- oder Überleitungstarifvertrag bewirkt werden, wenn unterschiedliche Arbeitsbedingungen verschiedener Unternehmen oder Konzerne im Anschluss an eine Übernahme vereinheitlicht werden („Post-Merger-Integration“). Wichtig ist aber, dass auch insoweit auf die satzungsmäßige Zuständigkeit der Gewerkschaft geachtet werden muss, was gerade bei branchenübergreifenden Übertragungsvorgängen einer Ablösung durch Abschluss eines Sanierungstarifvertrags jedenfalls auf Seiten des Erwerbers entgegenstehen kann. Hier bietet es sich im Einzelfall aber an, die Sanierung bereits beim übertragenden Rechtsträger einzuleiten, für den die bisherige Gewerkschaft noch zuständig ist. Die Regelungen des Sanierungstarifvertrags gelten dann als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses fort (§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB), ohne dass es eines neuen Tarifvertrags durch den Erwerber und einer Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB bedarf.
21.68
Neben der kongruenten Tarifbindung setzt die Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB auch eine Regelungsidentität zwischen den nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB als Bestandteil des Ar-
21.69
1 Abw. Bauer, FS Schaub, S. 19, 39; Kania, DB 1996, 5; Hanau, ARdGgW 34 (1997), 21, 29; Henssler, FS Schaub, S. 311, 319 ff.; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 140; Zöllner, DB 1995, 1401, 1403. 2 Vgl. ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 124; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 268. 3 So aber noch LAG Schleswig-Holstein v. 4.3.1993 – 2 Sa 456/97, NZA 1999, 251, 253; LAG Köln v. 30.9.1999 – 6 (9) Sa 740/99, NZA-RR 2000, 179, 179 f. 4 Vgl. BAG v. 11.5.2005 – 4 AZR 315/04, NZA 2005, 1362. 5 BAG v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00, NZA 2001, 1318, 1319; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 268.
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§ 21 Rz. 21.69 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
beitsverhältnisses geltenden Rechten und Pflichten des beim übertragenden Rechtsträgers verbindlichen Tarifvertrags und den Regelungen des neuen Tarifvertrags voraus, die an ihre Stelle treten sollen1. Dabei ist eine identische Bezeichnung der Tarifverträge (z.B. Mantel- oder Rahmentarifvertrag) oder eine inhaltliche Übereinstimmung aller Regelungsgegenstände nicht erforderlich. Es ist aber erforderlich, dass der jeweilige „Gegenstand“, mithin das tarifliche Recht oder die tarifliche Pflicht, das/die bei dem übertragenden Rechtsträger in einem Tarifvertrag erfasst war, auch bei dem übernehmenden Rechtsträger durch Tarifvertrag geregelt wird2. Dabei kann auf die Rechtsprechung zum Sachgruppenvergleich abgestellt werden, die vorstehend bereits dargestellt wurde (vgl. Rz. 21.58 ff.). Das kann zur Folge haben, dass die Rechte und Pflichten eines Tarifvertrags nicht insgesamt, sondern nur in Bezug auf einzelne Regelungsgegenstände abgelöst werden. Für die übrigen Regelungen verbleibt es dann bei § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB. Dabei ist in der Praxis ein sorgfältiger Abgleich zu den einzelnen Regelungsgegenständen vorzunehmen, um festzustellen, ob nach den Grundsätzen des Sachgruppenvergleichs eine Identität der Regelungsgegenstände gegeben ist3. Soweit ein Firmentarifvertag ggf. gezielt zur Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB verhandelt und geschlossen wird, ist eine entsprechend sorgfältige Formulierung und Gestaltung des ablösenden Tarifvertrags in der Praxis deshalb sehr wichtig4. Denkbar ist, dass dabei Regelungen unterschiedlicher Tarifverträge in eine übergreifende Bewertung eingebunden werden. So können Regelungen zur Urlaubsdauer und zum Urlaubsgeld beim übertragenden Rechtsträger in zwei unterschiedlichen Tarifverträgen geregelt sein (z.B. Manteltarifvertrag und TV Urlaubsgeld), wohingegen diese Gegenstände beim übernehmenden Rechtsträger nur in einem einzigen Tarifvertrag behandelt werden (z.B. TV Urlaub).
21.70
Schwierigkeiten entstehen vor allem dann, wenn die Tarifverträge des übernehmenden Rechtsträgers bestimmte Regelungsgegenstände nach ihrem Wortlaut nicht enthalten. Denkbar ist dies z.B. bei Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung, zu vermögenswirksamen Leistungen oder bei Rationalisierungsschutzabkommen, die Abfindungsregelungen für den Fall einer Betriebsänderung vorsehen. Denkbar ist auch, dass sie nur einen Teil der Rechte und Pflichten enthalten, die beim übertragenden Rechtsträger Gegenstand tarifvertraglicher Regelungen waren. So könnten beim übernehmenden Rechtsträger zwar Urlaubsregelungen vorhanden sein, aber – anders als beim übertragenden Rechtsträger - kein Urlaubsgeld im Tarifvertrag zugesagt werden. Gerade für ältere Arbeitnehmer könnte sich die Situation beim übernehmenden Rechtsträger potenziell dadurch verschlechtern, dass zwar Kündigungsfristen einschließlich einer etwaiger Ausgleichsregelungen für den Fall der Beendigung des Beendigungsarbeitsverhältnisses im neuen Tarifvertrag vorgesehen ist, aber das Verbot einer ordentlichen Kündigung, das bislang an Alter und Betriebszugehörigkeit geknüpft ist, in diesen Tarifverträgen nicht mehr enthalten ist.
21.71
Vorbehaltlich der unionsrechtlichen Schranken, die gesondert behandelt werden (vgl. Rz. 21.75 ff.), können Tarifverträge des übernehmenden Rechtsträgers in allen vorgenannten Fallgestaltungen eine ablösende Wirkung nur dann entfalten, wenn sie auch in Bezug auf den nicht ausdrücklich geregelten Gegenstand einen abschließenden Charakter besitzen. Soweit der Sachgegenstand in Bezug auf einzelne Fragen geregelt ist, kann von dem abschließenden 1 Vgl. BAG v. 11.5.2005 – 4 AZR 315/04, NZA 2005, 1362, 1364; BAG v. 23.1.2008 – 4 AZR 602/06, ZTR 2008, 665 Rz. 34. 2 Moll, RdA 2007, 47, 49; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 125. 3 Vgl. BAG v. 23.1.2008 – 4 AZR 602/06, ZTR 2008, 665 Rz. 34; Moll, RdA 2007, 47, 49; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 142. 4 Vgl. dazu als eindrucksvolles Beispiel: BAG v. 22.1.2003 – 10 AZR 227/02, NJOZ 2003, 1863 ff.
802 | Gaul/Mengel
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.72 § 21
Charakter ausgegangen werden. Denn hier dokumentiert der Tarifvertrag selbst, dass sich die Parteien mit dem Gegenstand geregelt haben, aber im Rahmen der Tarifautonomie abweichend geregelt haben. Ob für Einschränkungen, die mit dem neuen Tarifvertrag im Vergleich zu den früheren Tarifverträgen verbunden sind, in Bezug auf andere Regelungsgegenstände Kompensationsleistungen verbunden sind, spielt keine Rolle. Art. 9 Abs. 3 GG rechtfertigt keine Inhaltskontrolle bei der Ablösung tarifvertraglicher Regelungen. Wenn der Regelungsgegenstand im Tarifvertrag des übernehmenden Rechtsträgers nicht ausdrücklich erfasst ist, ist im Wege der Auslegung zu klären, ob darin eine bewusste Nicht-Regelung (Negativ- oder Nullregelung) liegt. Eine solche ablösende „bewusste Nicht-Regelung“ ist nach der Rechtsprechung abzugrenzen von einem bloßen Schweigen der Tarifpartner zu der Materie1. Voraussetzung für eine bewusste Nicht-Regelung, die auch ohne konkrete Alternative die bislang geltenden Regelungen eines Tarifvertrags nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB ablösen kann, ist, dass im Wortlaut, dem Gesamtzusammenhang oder etwaigen Protokollnotizen des Tarifvertrags der entsprechende Wille der Tarifvertragsparteien im Tarifvertrag zum Ausdruck kommt2. Das folgt aus dem Schriftformerfordernis in § 1 Abs. 2 TVG, das verlangt, dass der Regelungswille in Bezug auf normative Vorgaben eines Tarifvertrags im Tarifvertrag selbst erkennbar werden. Umgekehrt folgt daraus aber auch: Fehlen entsprechende Anhaltspunkte für eine bewusste Nicht-Regelung und sind im Tarifvertrag keine Regelungen zu einem bestimmten Gegenstand enthalten, bleibt es bei der Transformation der Rechte und Pflichten des bis zum Übertragungsvorgang maßgeblichen Tarifvertrag nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB für die übergegangenen Arbeitsverhältnisse3. Soweit Regelungen beim übernehmenden Rechtsträger zwar aufgrund kongruenter Tarifbindung kraft Gesetzes Geltung beanspruchen, aber keine ablösende Wirkung haben, stehen sie neben den Rechten und Pflichten des beim übertragenden Rechtsträgers noch maßgeblichen Tarifvertrags, die als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgelten. Ein Vorrang im Wege der Spezialität, wie er aus den Grundsätzen der Tarifkonkurrenz folgen könnte, scheitert an der fehlenden Regelungsidentität. Soweit Tarifverträgen unterschiedlicher Gewerkschaften in Rede stehen, scheitert ein Vorrang eines der beiden Tarifverträge an der fehlenden Anwendbarkeit von § 4a TVG. Zwar liegen kollidierende Tarifverträge bereits dann vor, wenn der Arbeitgeber an mehrere Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften gebunden ist (§ 4a Abs. 2 Satz 1 TVG). Folgt man § 4a Abs. 2 Satz 2, 3 TVG, verdrängt der Mehrheitstarifvertrag den Tarifvertrag der Minderheitsgewerkschaft grundsätzlich auch dann, wenn es nicht um den gleichen Regelungsgegenstand geht. Im Verhältnis zu § 4a TVG wird man § 613a Abs. 1 Satz 2, 3 BGB aber als spezialgesetzliche Regelung verstehen müssen4, die (ebenfalls) dem Ordnungsinteresse des Erwerbers Rechnung trägt und Kollisionslagen zugunsten der bei ihm geltenden Kollektivverträge auflösen soll5. § 613a Abs. 1 Satz 2, 3 BGB genießen dabei Vorrang vor den Regelungen in § 4a TVG. Andernfalls käme es doch noch zu der gerade wegen fehlender Regelungsidentität abgelehnten Ablösung des bis 1 Vgl. BAG v. 20.4.1994 – 4 AZR 342/93, NZA 1994, 1140, 1142; APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 139. 2 Vgl. BAG v. 17.12.1992 – 10 AZR 427/91, NZA 1993, 464; BAG v. 20.4.1994 – 4 AZR 342/93, NZA 1994, 1140, 1142; BAG v. 22.1.2003 – 10 AZR 227/02, ZTR 2003, 292, wonach selbst eine Protokollnotiz, erst in einem späteren Tarifvertrag eine Regelung treffen zu wollen, die Annahme einer bewussten Nicht-Regelung nicht rechtfertigt. 3 BAG v. 22.1.2003 – 10 AZR 227/02, ZTR 2003, 292; BAG v. 23.1.2008 – 4 AZR 602/06, ZTR 2008, 665 Rz. 34; kritisch dazu Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rz. 418. 4 Vgl. auch BAG v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00, NZA 2001, 1318, 1322; Gräf, NZA 2016, 327, 332; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 124. 5 Vgl. nur Jacobs, NZA-Beil. 2009, 45, 47; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rz. 425.
Gaul/Mengel | 803
21.72
§ 21 Rz. 21.72 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
zum Übergang des Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes geltenden Verbandstarifvertrages. Eine Auflösung der praktischen Konkurrenz der Tarifverträge, die parallel Geltung beanspruchen, kann daher nur über das (tarifliche) Günstigkeitsprinzip erfolgen1, das allgemein auch Ausnahmen zum Rang- und Ordnungsprinzip zulässt. Die Gruppe der übergegangenen Arbeitnehmer wird deshalb im Zweifel nach Sachgruppen getrennt von einer parallelen Anwendung beider Tarifwerke profitieren, da es wohl regelmäßig eine Mischung „identischer Regelungsgegenstände“ mit Ablösung und „nicht-identischer Regelungsgegenstände“ mit Anwendung nach Günstigkeitsprinzip gibt.
21.73
Keine Voraussetzung für die Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB ist die Günstigkeit des ablösenden Tarifvertrags. Liegt eine Regelungsidentität zu einem bestimmten Regelungsgegenstand vor und kommt es somit zu einer Ablösung der Rechte und Pflichten des alten Tarifvertrags durch den „anderen“ (neuen) Tarifvertrag, gilt allein das Ablösungsprinzip (lex posterior derogat legi priori)2.
21.74
Von diesen Grundsätzen ausgehend kann der Tarifwechsel über § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB auch zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen führen. Dabei kann es sich auch um einen Überleitungstarifvertrag handeln, der in Form eines ablösenden Firmentarifvertrages an die Stelle der bisherigen tariflichen Rechte und Pflichten der übergehenden Arbeitnehmer tritt. Dies kann auch ein Sanierungstarifvertrag sein. Umgekehrt kann der Überleitungstarifvertrag auch eine Besserstellung der vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer gegenüber den anderen Arbeitnehmern des übernehmenden Rechtsträgers bewirken, indem besitzstandsichernde Regelungen getroffen werden3. Diese Differenzierung ist Ergebnis des Gestaltungsspielraums im Rahmen der Tarifautonomie und durch die unterschiedliche Historie der Arbeitsverhältnisse gerechtfertigt4. Eine Pflicht zur Gleichbehandlung besteht auch bei einer längeren Fortsetzung der Arbeitsverhältnisse beim übernehmenden Rechtsträger nicht. Abweichende Überlegungen, die der 3. Senat des BAG im Bereich der betrieblichen Altersversorgung mit dem Ziel einer schrittweisen Gleichstellung zum Ausdruck gebracht hat5, können unabhängig von grundsätzlichen Bedenken in Bezug auf diesen Ansatz jedenfalls auf das Tarifrecht nicht übertragen werden. Allerdings sind neue Maßnahmen, die im Anschluss an den Übergang durch den Erwerber unabhängig von dem Betriebs- oder Betriebsteilübergang bzw. der Umwandlung getroffen werden, am Gleichbehandlungsgebot zu messen. Hier kommt es dann darauf an, ob eine sachliche Differenzierung weiterhin zulässig6. d) Schranken einer Ablösung aus Art. 3 Richtlinie 2001/23/EG
21.75
Losgelöst von den Voraussetzungen einer Ablösung tarifvertraglicher Regelungen aus § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB durch Tarifvertrag wird man allerdings die unionsrechtlichen Schranken aus Art. 3 RL 2001/23/EG im Auge behalten müssen, die der EuGH in der Scattalon-Entschei-
1 Vgl. auch BAG v. 15.4.2015 – 4 AZR 587/13, NZA 2015, 1274 Rz. 28; BAG v. 19.8.2007 – 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 Rz. 20. 2 Vgl. nur BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08; NZA 2010, 41 Rz. 64; BAG v. 7.7.2010 – 4 AZR 1023/ 08, NZA-RR 2011, 30 Rz. 32. 3 Vgl. nur BAG v. 29.8.2001 – 4 AZR 352/00, NZA 2002, 863, 867; Däubler, ZTR 2000, 241, 242 ff. 4 BAG v. 29.8.2001 – 4 AZR 352/00, NZA 2002, 863, 865 f. 5 Vgl. BAG v. 11.7.2017 – 3 AZR 691/16, NZA 2017, 1388 Rz. 29; BAG v. 14.11.2017 – 3 AZR 515/ 16, NZA 2018, 367 Rz. 21. 6 Vgl. BAG v. 22.1.2003 – 10 AZR 227/02, ZTR 2003, 292; APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 139a.
804 | Gaul/Mengel
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.77 § 21
dung vom 6.9.20111 aufgezeigt hat2. Denn der EuGH hatte – noch unter Bezugnahme auf die Richtlinie 77/187/EWG – klargestellt, dass es mit dem Unionsrecht nicht vereinbar sei, wenn Arbeitnehmer im Anschluss an einen Betriebsübergang eine erhebliche Kürzung ihres Arbeitsentgelts hinnehmen müssten, weil ihr Dienstalter, das sie beim Veräußerer erreicht hätten und das dem Dienstalter entspreche, das beim Erwerber beschäftigte Arbeitnehmer erreicht hatten, auf der Grundlage einer neuen Kollektivvereinbarung bei der Bestimmung ihres Anfangsgehalts nicht berücksichtigt werde. Damit verbunden hatte er ausgeführt, dass bei der Ablösung einer Kollektivvereinbarung darauf geachtet werden müsse, dass die Höhe des von den Arbeitnehmern bezogenen Arbeitsentgelts „in etwa“ beibehalten würde. Ausgangspunkt dabei war die Annahme, dass im Zusammenhang mit einem Übergang des Arbeitsverhältnisses zwar durchaus eine Ablösung von Kollektivvereinbarungen erfolgen könne. Die Ablösung der bislang geltenden Kollektivvereinbarung dürfe aber nicht zum Ziel oder zur Folge haben, dass den Arbeitnehmern insgesamt schlechtere Arbeitsbedingungen als die vor dem Übergang geltenden auferlegt würden. Insofern solle die Richtlinie verhindern, dass Arbeitnehmer „allein wegen der Übernahme“ durch einen anderen Arbeitgeber schlechter als vorher gestellt würden. Obwohl der Sachverhalt einen speziellen Fall des Betriebsübergangs im öffentlichen Sektor in Italien betraf und zugleich „gewisse Unterschiede“ zwischen der Entlohnung der übergegangenen Arbeitnehmer und der Entlohnung der zum Zeitpunkt des Übergangs bereits beim Erwerber Beschäftigten durch den EuGH ausdrücklich zugelassen wurden3, ist darin zum Teil die Grundlage für eine Missbrauchskontrolle gesehen worden, die zu einer Einschränkung der Ablösung von Kollektivvereinbarungen nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB führen könne. Dies gelte jedenfalls dann, wenn sich tatsächlich einmal eine „Verschlechterung auf ganzer Linie“ und ohne ersichtliche Rechtfertigung ergebe. Dabei blieb aber umstritten, ob insoweit ein Sachgruppenvergleich oder ein Gesamtvergleich vorgenommen werden müsse4.
21.76
In seinen Urteilen vom 23.1.20195 und vom 12.6.20196 hat das BAG diese einschränkende Sichtweise abgelehnt und deutlich gemacht, dass aus den Feststellungen des EuGH kein Verbot abgeleitet werden kann, die beim bisherigen Betriebsinhaber geltende Kollektivvereinbarung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB durch eine beim neuen Betriebsinhaber geltende Kollektivvereinbarung, die normative Geltung für das Arbeitsverhältnis beansprucht, abzulösen. Dies gelte sowohl für Regelungen einer Betriebsvereinbarung als auch für Rechte und Pflichten, die durch Tarifvertrag geregelt werden. Dem ist auch unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben zuzustimmen. Vielmehr genüge es, wenn bei der Ablösung solcher Kollektivvereinbarungen die bereits im Betriebsverfassungs- und Tarifrecht entwickelten Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes beachtet würden7. Den ge-
21.77
1 EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10, NZA 2011, 1077 Rz. 66, 83 – Scattolon; EuGH v. 6.4.2017 – C-336/ 15, NZA 2017, 585 Rz. 6, 19, 28, 31 – Unionen. 2 Vgl. nur Krüger, ZESAR 2019, 475, 476 f.; Sagan, ZESAR 2019, 407, 408 ff.; Witschen, NZA 2019, 1180, 1183; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 125; Schaub/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 119 Rz. 10; Steffan, NZA 2012, 473, 477; Willemsen, RdA 2012, 291, 302. 3 EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10, NZA 2011, 1077 Rz. 77 – Scattolon. 4 Vgl. HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 271270; Steffan, NZA 2012, 473, 477; a.A. Winter, RdA 2013, 36, 38 f. 5 BAG v. 23.1.2019 – 4 AZR 445/17, NZA 2019, 922 Rz. 34 ff. 6 BAG v. 12.6.2019 – 1 AZR 154/17, NZA 2019, 1203 Rz. 46 ff., 51 ff., 91 ff.; dazu auch Conradi, DB 2019, 2694 ff.; Grau/Fischer, NZA 2019, 1469, 1472. 7 B. Gaul, AktuellAR 2019, II.
Gaul/Mengel | 805
§ 21 Rz. 21.77 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
genteiligen Auffassungen, die aus den Feststellungen des EuGH noch ein generelles Verschlechterungsverbot für den Fall eines Betriebsübergangs abgeleitet hatten1, ist das BAG damit in Übereinstimmung mit der ganz überwiegenden Auffassung der Literatur nicht gefolgt2.
21.78
In der weiteren Begründung seiner Entscheidung hat das BAG zunächst einmal auf Art. 3 Richtlinie 2001/23/EG verwiesen. Danach hält der Erwerber die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen bis zur Kündigung oder zum Ablauf des Kollektivvertrags bzw. bis zum Inkrafttreten oder bis zur Anwendung eines anderen Kollektivvertrags in dem gleichen Maße aufrecht, wie sie in dem Kollektivvertrag für den Veräußerer vorgesehen waren. Die beim Erwerber geltenden Kollektivverträge können allerdings unmittelbar nach dem Betriebsübergang angewendet werden, wenn einer dieser Fälle – Kündigung oder Ablauf des Kollektivvertrags bzw. Inkrafttreten oder Anwendung eines anderen Kollektivvertrags – eintritt3. Da das Ziel der Richtlinie nach der Rechtsprechung des EuGH freilich auch darin liege, einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitnehmer einerseits und denen des Erwerbers andererseits zu gewährleisten, könne daraus kein allgemeines Verschlechterungsverbot hinsichtlich der Arbeitsbedingungen abgeleitet werden. Vielmehr müsse der Erwerber in der Lage sein, die für die Fortsetzung seiner Tätigkeit erforderlichen Anpassungen vorzunehmen4.
21.79
Auch aus der Entscheidung des EuGH vom 6.9.20115 folge kein anderes Ergebnis. Denn der EuGH habe bestätigt, dass der Erwerber die nach dem bei ihm geltenden Kollektivvertrag maßgeblichen Arbeitsbedingungen ab dem Zeitpunkt des Übergangs anwenden dürfe. Andernfalls wären auch die übergegangenen Arbeitnehmer beim Erwerber besser gestellt als zuvor bei dem Veräußerer; denn ohne Betriebsübergang müssten sie dort auch Verschlechterungen des alten Tarifvertrags durch Abschluss eines neuen ablösenden Tarifvertrages hinnehmen6. Eine solche Verbesserung der Rechtsposition eines Arbeitnehmers durch den Betriebsübergang ist aber ausdrücklich nicht Ziel der Richtlinie 2001/23/EG7. Daran anknüpfend nimmt auch das BAG an, dass das Unionsrecht nicht mit Erfolg herangezogen werden könne, um beim Übergang von Unternehmen eine Verbesserung des Arbeitsentgelts oder anderer Arbeitsbedingungen zu erwirken. Vielmehr lasse die Richtlinie 2001/23/EG dem Erwerber und den anderen Vertragsparteien einen Spielraum zur Gestaltung der Integration der übergegangenen Arbeitnehmer in die beim Erwerber bestehende Lohn- und Gehaltsstruktur. Die Inanspruchnahme dieses „Spielraums“ nur nicht zum Ziel oder zur Folge haben, dass den übergegangenen Arbeitnehmern insgesamt schlechtere Arbeitsbedingungen als die vor dem Übergang geltenden auferlegt würden. Die Lage der übergegangenen Arbeitnehmer dürfe sich also nicht allein aufgrund des Betriebsübergangs verschlechtern8.
1 Vgl. nur Sagan, EuZA 2012, 247, 251 f.; Steffan, NZA 2012, 473, 475. 2 Vgl. nur EuArbRK/Winter, Art. 3 Richtlinie 2001/23/EG Rz. 67; Preis/Sagan/Grau/Hartmann, Europäisches Arbeitsrecht, § 11 Rz. 124; Junker, EuZA 2016, 428, 439; Sittard/Flockenhaus, NZA 2013, 652, 654 f.; offen Mückl, ZIP 2012, 2373, 2375. 3 Vgl. EuGH v. 27.11.2008 – C-396/07, NZA 2008, 1405 Rz. 34 – Juuri; EuGH v. 6.9.2011 – C-108/ 10, NZA 2011, 1077 Rz. 73 ff. – Scattolon. 4 EuGH v. 11.9.2014 – C-328/13, NZA 2014, 1092 Rz. 29 – Österreichischer Gewerkschaftsbund; EuGH v. 6.4.2017 – C-336/15, NZA 2017, 585 Rz. 19 – Unionen; BAG v. 23.1.2019 – 4 AZR 445/ 17, NZA 2019, 922 Rz. 38 f. 5 EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10, NZA 2011, 1077 – Scattolon. 6 Steffan, NZA 2012, 473, 476; von Steinau-Steinrück, NJW-Spezial 2012, 434, 435. 7 EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10, NZA 2011, 1077 Rz. 77 – Scattolon. 8 EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10, NZA 2011, 1077 Rz. 75 f., 81, 83 – Scattolon.
806 | Gaul/Mengel
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.82 § 21
Von diesen Grundsätzen ausgehend ist auch ein Verschlechterungsverbot im Zusammenhang mit einer Ablösung von Kollektivvereinbarungen abzulehnen1. Schließlich hat der EuGH nicht nur die grundsätzliche Möglichkeit der Ablösung der beim Veräußerer geltenden Kollektivvereinbarung durch eine ungünstigere Kollektivvereinbarung des Erwerbers bestätigt. Er hat auch deutlich gemacht, dass der Erwerber die Möglichkeit habe, auf der Grundlage von Kollektivvereinbarungen Anpassungen vorzunehmen. Dabei spiele auch die Jahresfrist, wie sie bei einzelvertraglichen Änderungen gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB zu beachten ist, keine Rolle2. Diese Grundsätze gelten, wenn die allgemeinen Schranken des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit beachtet werden, auch im Bereich der betrieblichen Altersversorgung im Anschluss an einen Betriebsübergang bzw. eine Umwandlung3. Hiervon ausgehend ist es zulässig, dass Arbeitnehmer im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses in den Geltungsbereich eines neuen Tarifvertrags fallen, dessen Geltung über § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen führt, sofern es sich dabei um die für die Arbeitnehmer des übernehmendenden Rechtsträgers geltenden Arbeitsbedingungen handelt, jedenfalls aber gegenüber diesen Bedingungen keine Verschlechterungen zu Lasten der vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer vereinbart wurden. Denn diese Ablösung entspricht der Regelungsbefugnis außerhalb von § 613a BGB, bei der als Ergebnis tarifautonomer Verhandlungen auch Verschlechterungen vereinbart werden können, die dann für die kongruent Tarifgebundenen im Geltungsbereich dieser Vereinbarungen verbindlich sind. Umgekehrt liegt es nahe, von einer Missachtung der Schranken aus Art. 3 RL 2001/23/EG auszugehen, wenn die Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB durch einen Überleitungstarifvertrag bewirkt wird, dessen einziges Ziel eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer ist und damit auch eine Benachteiligung gegenüber solchen Arbeitnehmern bewirkt wird, die in einer im Übrigen vergleichbaren Lage bereits beim übernehmenden Rechtsträger beschäftigt sind4.
21.80
Dass das BAG auf eine erneute Vorlage an den EuGH verzichtet hat, erscheint vertretbar. Denn die bereits vorliegenden Entscheidungen des EuGH ermöglichen, ein abschließendes Bild von der Zulässigkeit und den Grenzen der Ablösung einer Kollektivvereinbarung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB zu machen. Hiervon kann deshalb auch in der betrieblichen Praxis in der Zukunft ausgegangen werden, wenn im Anschluss an einen Betriebsübergang neue Tarifverträge zur Anwendung gebracht werden sollen und damit eine Harmonisierung der Arbeitsbedingungen erreicht wird.
21.81
e) Ablösung durch Betriebsvereinbarung des übernehmenden Rechtsträgers Folgt man dem Wortlaut von § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB, kann die Ablösung von Rechten und Pflichten eines bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses verbindlichen Tarifvertrags auch durch eine Betriebsvereinbarung des neuen Betriebsinhabers erfolgen. Es kann somit eine sogenannte Überkreuz-Ablösung eines Verbandstarifvertrages durch eine Betriebsvereinbarung des Erwerbers geben. Praxisrelevant ist dies angesichts der Tarifsperren nach § 77 Abs. 3 und
1 BAG v. 23.1.2019 – 4 AZR 445/17, NZA 2019, 922 Rz. 45 f.; BAG v. 12.6.2019 – 1 AZR 154/17, NZA 2019, 1203 Rz. 78 ff 2 EuGH v. 6.4.2017 – C-336/15, NZA 2017, 585 Rz. 6, 19, 28, 31 – Unionen; BAG v. 23.1.2019 – 4 AZR 445/17, NZA 2019, 922 Rz. 46 f. 3 BAG v. 12.6.2019 – 1 AZR 154/17, NZA 2019, 1203 Rz. 83 ff. 4 Vgl. nur Sagan, EuZA 2012, 247, 255; Sittard/Flockenhaus, NZA 2013, 652, 654 f.; Steffan, NZA 2012, 473, 476; Willemsen, RdA 2012, 291, 302 f.; Witschen, NZA 2019, 1180, 1182 f.
Gaul/Mengel | 807
21.82
§ 21 Rz. 21.82 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
§ 87 Abs. 1 BetrVG vor allem im Bereich der freiwilligen Sonderleistungen i.S.v. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, konkret bei Jahressonderleistungen und – bei Privatsierungen – auch im Bereich der betrieblichen Altersversorgung.
21.83
Trotz des weitreichenden Wortlauts schränkt das BAG die Möglichkeit einer Überkreuz-Ablösung durch eine Betriebsvereinbarung im Rahmen von § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB inzwischen weitgehend ein. Danach können Rechte und Pflichten eines nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgeltenden Tarifvertrags bei einem nicht-tarifgebundenen Betriebserwerber nicht durch eine Betriebsvereinbarung abgelöst werden, wenn die Betriebsvereinbarung nicht auf einem erzwingbaren Mitbestimmungsrecht beruht, sondern nur eine freiwillige oder jedenfalls nur teilmitbestimmte Betriebsvereinbarung in Rede steht1. Anlass für diese Einschränkung der Überkreuz-Ablösung durch Betriebsvereinbarungen waren Fälle von privatisierenden Betriebsübergängen, bei denen die bis zum Übergang durch Tarifvertrag gewährleistete Altersversorgung des öffentlichen Dienstes bei dem neuen Betriebsinhaber durch eine nur sehr geringe betriebliche Altersversorgung in Form einer einmaligen Kapitalleistung abgelöst werden sollte2.
21.84
Es erscheint zwar richtig, dass das BAG in den seinen Entscheidungen zugrunde liegenden Fällen die Möglichkeiten der Ablösung sehr kritisch bewertet hat. Ungeachtet dessen stellt sich auch unter Berücksichtigung der Gefahr missbräuchlicher Gestaltungen die Frage, ob dies bereits rechtfertigt, eine im Gesetz ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit der Ablösung abzulehnen3. Denn schlussendlich erlauben § 4 Abs. 5 TVG, § 77 Abs. 3, § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG auch außerhalb von Betriebsübergang und Umwandlung, ablösende Regelungen durch Betriebsvereinbarungen zu treffen. Entsprechendes gilt für einen Spruch der Einigungsstelle, wenn er die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt (§ 87 Abs. 2 BetrVG). Davon ist der Bereich der betrieblichen Altersversorgung nicht ausgenommen. Diese Gestaltungsoption, die dem Arbeitgeber außerhalb eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs bzw. der Umwandlung eingeräumt wird, darf richtigerweise durch § 613a BGB nicht genommen werden. Voraussetzung für die Wirksamkeit einer entsprechenden Überkreuz-Ablösung ist aber, dass die besonderen Schranken, die aus den allgemeinen Grundsätzen zu Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit entwickelt wurden, auch insoweit zur Anwendung kommen4. Da sich die Betriebsparteien insoweit nicht auf den Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien berufen können, sollte dabei das dreistufige Prüfungsschema maßgeblich sein, dass auch bei der Ablösung von Betriebsvereinbarungen durch Betriebsvereinbarungen im Rahmen von § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB zur Anwendung kommt (vgl. Rz. 34.222, 34.120 ff.).
21.85
Unter Berücksichtigung dieser Schranken für den Gestaltungsspielraum der Betriebsparteien ist auch ausgeschlossen, die nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgeltende Regelungen eines Tarifvertrags beim übernehmenden Rechtsträger durch eine Betriebsvereinbarung abzulösen, mit der auf einen Tarifvertrag des übernehmenden Rechtsträgers verwiesen wird. Darin läge
1 BAG v. 6.11.2007 – 1 AZR 862/06, NZA 2008, 542 Rz. 32; BAG v. 13.11.2007 – 3 AZR 191/06, NZA 2008, 600 Rz. 29 ff.; BAG v. 21.4.2010 – 4 AZR 768/08, DB 2010, 1998 Rz. 44 ff. 2 BAG v. 13.11.2007 – 3 AZR 191/06, NZA 2008, 600 Rz. 26. 3 Kritisch auch Döring/Grau, BB 2009, 158, 158 ff.; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 274; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rz. 496 ff. 4 Vgl. nur Däubler, ZTR 2000, 241, 241 f.; Heinze, NZA Sonderheft 2001, 75, 79; Kania, DB 1995, 625, 626; Meyer, NZA 2001, 751, 751 ff.
808 | Gaul/Mengel
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.87 § 21
auch eine Missachtung der negativen Koalitionsfreiheit1. Andernfalls würden Tarifaußenseiter durch die normative Kraft der Betriebsvereinbarung gezwungen, tarifliche Vorgaben anzuwenden. Das hierfür erforderliche Einverständnis der tariflichen Außenseiter kann auch nicht durch eine Öffnungsklausel im Tarifvertrag ersetzt werden, ohne die die Betriebsvereinbarung ohnehin unwirksam wäre (§ 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG)2. Vielmehr bedarf es hier einer einzelvertraglichen Abrede, die die Schranken aus § 613a Abs. 1 Satz 2, 4 BGB zu beachten hat. Wenn die Bezugnahme auf den Tarifvertrag dynamisch wirken sollte, läge in der entsprechenden Betriebsvereinbarung auch ein unzulässiger Verzicht des Betriebsrats auf die eigenständige Wahrnehmung der Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte. Dies ist mit seinen gesetzlichen Aufgaben, wie das BAG in Bezug auf Vereinbarungen zu Überstunden3 und vorsorgliche Sozialpläne4 aufgezeigt hat, unvereinbar5. f) Ablösung durch Bezugnahme auf anderen Tarifvertrag § 613a Abs. 1 Satz 4 Alt. 2 BGB erlaubt eine Ablösung der an sich nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgeltenden Regelungen eines Tarifvertrags, wenn zwischen dem übergegangenen Arbeitnehmer und dem neuen Betriebsinhaber die Anwendung eines bei dem Erwerber nach fachlichem, persönlichem, zeitlichem und räumlichem Geltungsbereich einschlägigen Tarifvertrags individualvertraglich vereinbart wird. Diese Vereinbarung kann unmittelbar nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses, innerhalb der Jahresfrist oder zu einem späteren Zeitpunkt wirksam werden. Das arbeitsvertraglich in Bezug genommene Tarifwerk löst dann die nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB übergegangen Tarifnormen ab und kann dabei die Arbeitsbedingungen auch verschlechtern; das Günstigkeitsprinzip gilt insoweit nicht6. Voraussetzung ist, dass insoweit Regelungsidentität gegeben ist (vgl. Rz. 21.69 ff.).
21.86
Für die Vereinbarung zur Bezugnahme sind die allgemeinen Regeln über wirksame Bezugnahmen auf Tarifverträge zu beachten, insbesondere die allgemeinen Maßstäbe der Inhaltskontrolle von Standardarbeitsvertragsbedingungen (vgl. Rz. 21.134 ff.). Diese erlauben zwar auch eine Bezugnahme auf branchenfremde Tarifverträge oder die Bezugnahme auf einen Teil der Regelungen eines Tarifvertrags. In diesen Fällen fehlt der Vereinbarung aber die dem Tarifvertrag eigene Richtigkeitsgewähr, was zur Folge hat, dass bereits im Bereich des AGBRechts eine vollständige Inhaltskontrolle erfolgt7. Wenn man sich vor Augen führt, dass die Ablösung durch Bezugnahme auf einen Tarifvertrag an die Stelle der unmittelbaren Ablösung durch den Tarifvertrag selbst treten soll, wird man diesen Grundgedanken auf § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB übertragen und verlangen müssen, dass eine Ablösung nur durch eine vollständige Bezugnahme auf den gesamten Tarifvertrag bzw. die gesamten Regelungen eines Tarifvertrags zu einer bestimmten Sachgruppe erfolgen kann. Eine teilweise bzw. sachgruppenbezogen unvollständige Bezugnahme auf einen Tarifvertrag ist zwar individualvertraglich zulässig und kann auch unter Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze der AGB-Kontrolle zur Anwendung ausgewählter Regelungen des Tarifvertrags führen. Die Vereinbarung bewirkt aber keine Ablösung der nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgeltenden Rechte und Pflichten des
21.87
1 LAG Hamburg v. 7.6.1995 – 4 Sa 115/94, AuR 1996, 75, 77; Schaub, ZIP 1984, 272, 279; a.A. Soergel/Raab, § 613a BGB Rz. 128; Heinze, NZA Sonderheft 2001, 75, 79. 2 Vgl. LAG Niedersachsen v. 11.2.1998 – 15 TaBV 8/95 n.v.; a.A. Kania, DB 1995, 625, 626 ff. 3 Vgl. BAG v. 11.11.1998 – 4 ABR 40/97, NZA 1999, 1059. 4 Vgl. BAG v. 26.8.1997 – 3 AZR 183/96, DB 1998, 265. 5 Ebenso LAG Hamburg v. 7.6.1995 – 4 Sa 115/94, AuR 1996, 75, 76. 6 Vgl. ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 122; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 283. 7 Vgl. BAG v. 25.4.2007 – 10 AZR 634/06 Rz. 22; ErfK/Preis, BGB §§ 305–310 Rz. 80a.
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§ 21 Rz. 21.87 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
beim Veräußerer maßgeblichen Tarifvertrags, selbst wenn das Arbeitsverhältnis in den Geltungsbereich dieser zum Teil einbezogenen Regelungen des Tarifvertrags fällt. Die Anerkennung einer bloßen Bezugnahme auf einzelne Regelungen oder Regelungskomplexe eines beim übernehmenden Rechtsträger geltenden Tarifvertrags im Rahmen von § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB würde das Gleichgewicht stören, das für den Tarifvertrag in seiner Gesamtheit als Folge der Tarifautonomie anzunehmen ist und Grundlage seiner Richtigkeitsgewähr ist1.
21.88
§ 613a Abs. 1 Satz 4 Alt. 2 BGB erfasst nicht nur den Fall der beiderseits fehlenden Tarifbindung. Da die Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 Alt. 1 BGB nur für den Fall der kongruenten beiderseitigen Tarifbindung in Betracht kommt, werden in die Ablösung durch Bezugnahme auf den beim übernehmenden Rechtsträger geltenden Tarifvertrag auch solche Fallgestaltungen einbezogen, in denen nur eine der beiden Arbeitsvertragsparteien nach dem Betriebsübergang tarifgebunden ist2.
21.89
Unproblematisch genügen ausdrückliche Vereinbarungen über die Anwendung des beim Erwerber maßgeblichen Tarifvertrags. Schriftform ist hierfür nicht erforderlich; allerdings sind die Nachweispflichten aus § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10, Abs. 3, § 3 Satz 1 NachwG zu beachten. Zulässig im Rahmen von § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB sind auch Vereinbarungen über die Anwendbarkeit eines Tarifvertrags zwischen dem Veräußerer und dem Erwerber, sofern der hiervon betroffene Arbeitnehmer dieser Vereinbarung zustimmt. Eine einseitige Erklärung des übernehmenden Rechtsträgers, dass nach dem Betriebsübergang neue Tarifverträge zur Anwendung kommen, genügt dagegen nicht3. In solchen Fällen wird man aber eine konkludente Zustimmung prüfen müssen4, die insbesondere dann denkbar erscheint, wenn Leistungen auf der Grundlage des neuen Tarifvertrags widerspruchslos entgegen genommen werden.
21.90
§ 613a Abs. 1 Satz 4 BGB erfasst auch Vereinbarungen über die Anwendung eines Tarifvertrags, die bereits vor dem Betriebs- oder Betriebsteilübergang bzw. der Umwandlung zwischen Arbeitnehmer und übertragendem Rechtsträger getroffen werden. Dabei geht es vor allem um Bezugnahmeklauseln, die bereits im Arbeitsvertrag enthalten sind und sinngemäß auf den für den Arbeitgeber kraft Gesetzes verbindlichen Tarifvertrag in seiner jeweils gültigen Fassung verweisen (große dynamische Bezugnahmeklausel). Im Zweifel ist eine Auslegung vorzunehmen (vgl. Rz. 21.130). Solche Tarifwechselklauseln werden nicht nur auf der Grundlage von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB Bestandteil des Arbeitsverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Erwerber. Sie fallen auch in den Anwendungsbereich von § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB. Wenn mit der Bezugnahmeklausel die Anwendung des gesamten Tarifvertrags bewirkt wird, in dessen Geltungsbereich das Arbeitsverhältnis nach dem Übergang fällt, ersetzen seine Regelungen deshalb auch die Rechte und Pflichten eines Tarifvertrags zum gleichen Regelungsgegenstand, der an sich von der Fortgeltung als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB betroffen war5. Einzelheiten hierzu werden gesondert dargestellt (vgl. Rz. 21.167).
1 Vgl. nur ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 122; Däubler/Lorenz, § 3 TVG Rz. 210; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 283; Kempen/Zachert/Kempen, § 3 TVG Rz. 140. 2 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 122; Kempen/Zachert/Kempen, § 3 TVG Rz. 140; MünchKommBGB/ Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 138; a.A. Däubler/Lorenz, § 3 TVG Rz. 212; Zöllner, DB 1995, 1401, 1404. 3 Vgl. LAG Niedersachen v. 11.2.1998 – 15 TaBV 8/95 n.v. 4 Vgl. BAG v. 1.8.2001 – 4 AZR 129/00, NZA 2003, 924, 927. 5 Ebenso Bauer/Günther, NZA 2008, 6, 11; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rz. 491; Rinck, RdA 2010, 216, 223; a.A. ErfK/Franzen, § 3 TVG Rz. 41a; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 138; offen BAG v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00; NZA 2001, 1318, 1324.
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Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.95 § 21
g) Ablösung durch Änderungskündigung oder Änderungsvereinbarung Die Regelungen zur Sperrfrist in § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB verbieten eine arbeitsvertragliche Vereinbarung zur Änderung der transformierten Rechte und Pflichten eines Tarifvertrags bei dem neuen Betriebsinhaber, soweit die Änderungen für den Arbeitnehmer nicht günstiger ist (vgl. Rz. 21.52).
21.91
Eine Änderungskündigung ist zwar gemäß §§ 1, 2 KSchG, § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB auch nach einem Betriebsübergang und unabhängig von der Sperrfrist jederzeit zulässig, wenn sie nicht allein wegen des Betriebsübergangs erfolgt. Allerdings ist bereits die betriebsbedingte Kündigung zur Verschlechterung des Arbeitsentgelts nach der Rechtsprechung mit so hohen Anforderungen versehen, dass sie in der Praxis als Gestaltungsmittel fast immer ausscheidet. Dies gilt auch hier, selbst wenn die theoretische Aussage zutreffend ist, dass eine Änderungskündigung des neuen Betriebsinhabers zur Ablösung der transformierten Tarifinhalte sozial gerechtfertigt sein kann, wenn die Unterwerfung unter den ablösenden Tarifvertrag bei Abwägung der Interessen des übernommenen Arbeitnehmer und des Erwerbers angemessen und billigenswert ist1. Wegen der Einzelheiten vgl. Rz. 18.5 ff.).
21.92
Nach Ablauf der Sperrfrist tritt zwar die volle vertragliche Dispositivität der transformierten Normen ein2. Auch dann können Änderungen aber nur einvernehmlich oder durch Änderungskündigung herbeigeführt werden. Damit kommen auch im Anschluss an die Jahresfrist die allgemeinen Voraussetzungen einer sozialen Rechtfertigung aus §§ 1, 2 KSchG zur Anwendung, die mit dem bloßen Vereinheitlichungsinteresse des Erwerbers oder dem Ziel einer Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht erfüllt werden3. In der Praxis ist daher allein eine Änderungsvereinbarung eine realistische Perspektive. Zulässig ist, deren Abschluss mit Anreizen zu verbinden (Beispiel: Sonderzahlung). Das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB ist nicht verletzt, wenn das Vorenthalten einer Begünstigung im Verhältnis zu solchen Arbeitnehmern, die einer Vertragsänderung nicht zustimmen wollen, durch das Ziel einer Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen begründet ist4. Wegen der Einzelheiten vgl. Rz. 18.16 ff.
21.93
§ 613a Abs. 1 Satz 4 BGB erlaubt, eine Änderungsvereinbarung vor dem Betriebs- oder Betriebsteilübergang oder im Anschluss daran noch während der Sperrfrist zu treffen. Voraussetzung für die Wirksamkeit ist allerdings, dass die Änderungen zum Nachteil des Arbeitnehmers erst nach Ablauf der Jahresfrist wirksam werden5. Dies entspricht § 4 Abs. 5 TVG. Denn auch in der Phase der normativen Wirkung des Tarifvertrags sind bereits abweichende arbeitsvertragliche Vereinbarungen im Vorgriff auf die Nachwirkung zulässig6.
21.94
h) Rechtsfolgen einer Beendigung des Tarifvertrags Endet ein Tarifvertrag – z.B. aufgrund Kündigung oder Befristung – vor dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den anderen Rechtsträger, setzt eine Transformation der Tarifinhalte nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB voraus, dass der Tarifvertrag Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG besitzt. Wenn der Tarifvertrag ohne Nachwirkung endet, ist eine Transformation aus-
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ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 122; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 138. BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 75. Jacobs, NZA-Beil. 2009, 45, 49; KR/Rost/Kreft, § 2 KSchG Rz. 108. Vgl. BAG v. 14.3.2007 – 5 AZR 420/06, NZA 2007, 862 Rz. 27. HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 267. BAG v. 20.10.2010 – 4 AZR 552/08 n.v.
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21.95
§ 21 Rz. 21.95 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
geschlossen, denn der Tarifvertrag muss am Tage des Übergangs des Arbeitsverhältnisses normative – wenn auch nicht zwingende – Wirkung entfalten. Liegt eine Nachwirkung vor, wirken die im Nachwirkungszeitraum dispositiven Tarifnormen nach der Transformation im Arbeitsverhältnis dispositiv fort. Daher gilt in diesem Fall die Verschlechterungssperre nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB von Anfang an nicht und der neue Betriebsinhaber könnte sogleich einzelvertraglich Änderungen auch zu Lasten der Arbeitnehmer vereinbaren1. Andernfalls würde der Betriebsübergang und die Transformation zu einer Besserstellung der übergehenden Arbeitnehmer führen, die nicht geboten ist, denn sowohl § 613a Abs. 1 BGB als auch die europäische Richtlinie sollen nur gegen Verschlechterungen durch Betriebsübergang schützen2.
21.96
Erfolgt eine solche Beendigung des beim übertragenden Rechtsträger geltenden Tarifvertrags erst im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen anderen Rechtsträger, bleibt es zunächst einmal bei der in § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB bestimmten Rechtsfolge. Der Tarifvertrag wird kollektivrechtlicher Bestandteil des Arbeitsverhältnisses und darf auf individualrechtlicher Ebene nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers verändert werden (vgl. Rz. 21.35 ff., 21.52). Die zwingende Wirkung endet aber nicht nach einem Jahr, sondern wegen § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB vorzeitig dann, wenn der Tarifvertrag beendet wird. Dies ist der Fall, wenn er ohne den Übertragungsvorgang seine unmittelbare und zwingende Wirkung auf das Arbeitsverhältnis verloren hätte bzw. – soweit der übertragende Rechtsträger noch besteht – dort keine unmittelbare und zwingende Wirkung mehr beansprucht3. Für den neuen Betriebsinhaber fällt zu demselben Zeitpunkt die Sperrfrist weg; ist eine Nachwirkung vereinbart worden, gelten die Regelungen noch dispositiv weiter. Wurde eine Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG ausgeschlossen, entfallen die Regelungen von dem Tag der Beendigung ersatzlos und es gelten nur noch die gesetzlichen Vorschriften4. i) Rechtsfolgen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung
21.97
Besonderheiten für Tarifverträge im Bereich der betrieblichen Altersversorgung werden an anderer Stelle behandelt (vgl. Rz. 34.103 ff., 34.217 ff., 34.235 ff.).
II. Konsequenzen für Firmentarifverträge 1. Kennzeichnung des Firmentarifvertrags 21.98
Grundsätzlich finden die vorstehenden Regelungen in Bezug auf das Schicksal von Rechten und Pflichten, die bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses im Wege eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs, einer Umwandlung oder einer sonstigen Form der Gesamtrechtsnachfolge durch Verbandstarifvertrag geregelt waren, auch für Rechte und Pflichten Anwendung, die bis zum Wirksamwerden des Übertragungsvorgangs durch Firmentarifvertrag geregelt waren. Dies gilt ohne Einschränkung jedenfalls für alle Übertragungsvorgänge im Wege der Einzelrechtsnachfolge (vgl. Rz. 21.101). Besonderheiten können sich aber bei der Gesamtrechtsnachfolge durch den Umstand ergeben, dass der Firmentarifvertrag als Bestandteil der Verträge und damit des Vermögens des übertragenden Rechtsträgers auf einen übernehmen-
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BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 65. Vgl. auch EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10, NZA 2011, 1077 Rz. 75 – Scattolon. Vgl. BAG v. 27.11.1991 – 4 AZR 211/91, BB 1992, 1559, 1561. BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 69 ff.
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Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.101 § 21
den Rechtsträger übergehen kann1. Damit kann es bei der Gesamtrechtsnachfolge zu einem unmittelbaren Eintritt des übernehmenden Rechtsträgers in den Firmentarifvertrag als Partei kommen (vgl. Rz. 21.107). Als Firmentarifvertrag werden nachfolgend alle Haus- und Firmentarifverträge behandelt, die ein einzelner Arbeitgeber für einzelne Betriebe oder das gesamte Unternehmen – ggf. auf einen persönlichen, fachlichen oder örtlichen Geltungsbereich beschränkt – abgeschlossen hat2. Diese Berechtigung haben auch verbandsangehörige Arbeitgeber (§ 2 Abs. 1 TVG)3. Grundlage für den gesetzlichen Geltungsanspruch sind § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG. Wichtig ist, dass der Firmentarifvertrag durch den Arbeitgeber selbst oder durch einen Vertreter erfolgt. Schließt die Konzernobergesellschaft einen Tarifvertrag ab, handelt es sich deshalb nur dann um einen (mehrgliedrigen) Tarifvertrag auch der verbundenen Unternehmen, wenn das Vertretungsverhältnis für jedes einzelne Konzernunternehmen jeweils im Tarifvertrag selbst erkennbar wird. Das verlangt das Schriftformerfordernis aus § 1 Abs. 2 TVG4. Das gilt insbesondere, wenn der Arbeitgeberverband tätig wird. Fehlt ein Hinweis darauf, dass der Arbeitgeberverband als Vertreter des Arbeitgebers tätig wird, der seinerseits Partei des Tarifvertrags ist, ist zu vermuten, dass der Arbeitgeberverband selbst als Partei tätig wird (§ 164 Abs. 2 BGB) und ein firmenbezogener Verbandstarifvertrag gewollt ist5.
21.99
Schließen mehrere Unternehmen gemeinsam einen Tarifvertrag ab, ist sorgsam abzugrenzen und auszulegen, ob es sich um eine bloße Tarifgemeinschaft handelt, die durch Verbindung mehrerer firmentariffähiger Arbeitgeber zur gemeinsamen Nutzung ihrer eigenen Tariffähigkeit einen mehrgliedrigen Firmentarifvertrag abschließt6 oder ob es sich um einen korporativen Zusammenschluss mit eigener Tariffähigkeit handelt und ein Verbandstarifvertrag vorliegt7.
21.100
2. Übergang durch Einzelrechtsnachfolge Für die Einzelrechtsnachfolge gelten beim Firmentarifvertrag die allgemeinen Grundsätze. Da die Einzelrechtsnachfolge über § 613a BGB nur mit dem Übergang der Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsverhältnis, nicht aber der Überleitung sonstiger Rechte und Pflichten aus anderen Verträgen verbunden ist, kommt ein unmittelbarer Eintritt des Erwerbers in den Firmentarifvertrag als Tarifvertragspartei nicht in Betracht8. Der Übergang der Rechte und Pflichten erfolgt in allen Fallgestaltungen gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB9. Dies gilt unabhängig davon, dass bei einem Firmentarifvertrag das Erwerberunternehmen regelmäßig andere Bedingungen aufweist oder ein Branchenwechsel stattgefunden hat10. Damit ist auch 1 Vgl. BAG v. 4.7.2007 – 4 AZR 491/06, NZA 2008, 307 Rz. 39 ff.; BAG v. 15.6.2016 – 4 AZR 805/ 145, NZA 2017, 326 Rz. 37. 2 Vgl. Kempen/Zachert/Schubert, § 1 TVG Rz. 39. 3 BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, NZA 2003, 734, 737 f. 4 BAG v. 18.11.2009 – 4 AZR 491/08, NZA 2010, 835 Rz. 16 ff. 5 Vgl. BAG v. 29.6.2004 – 1 AZR 143/03, ZTR 2005, 141 Rz. 55; BAG v. 18.11.2009 – 4 AZR 491/ 08, NZA 2010, 835 Rz. 16 ff; Kempen/Zachert/Schubert, § 4 TVG Rz. 531. 6 Löwisch/Rieble, § 2 TVG Rz. 531. 7 Löwisch/Rieble, § 2 TVG Rz. 526; zur Anforderung an einen Arbeitgeberverband: Kempen/Zachert/Stein, § 2 TVG Rz. 112 ff. 8 MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 130. 9 BAG v. 20.6.2001 – 4 AZR 295/00, NZA 2002, 517; BAG v. 25.9.2002 – 4 AZR 294/01, NZA 2003, 807, 808 f.; BAG v. 13.8.2019 – 1 AZR 213/18, NZA 2020, 49 Rz. 33 ff. 10 BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 51.
Gaul/Mengel | 813
21.101
§ 21 Rz. 21.101 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
eine kollektivrechtliche Fortgeltung eines Firmentarifvertrags gemäß § 3 Abs. 3 TVG oder § 4 Abs. 5 TVG – unmittelbar oder analog – spätestens seit der klaren gesetzlichen Regelung in § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB obsolet. Es bleibt bei den allgemeinen Grundsätzen (vgl. Rz. 21.6 ff.) und der Auffanglösung durch § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB (vgl. Rz. 21.28).
21.102
Änderungen, die nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses in Bezug auf den beim übertragenden Rechtsträger möglicherweise fortgeltenden Firmentarifvertrag vorgenommen werden, haben keine Konsequenzen für die nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgeltenden Regelungen. Auch bei einem Firmentarifvertrag erfolgt der Übergang der Rechte und Pflichten statisch auf der Grundlage des zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Regelbestands1. Das betrifft Inhalts- und Beendigungsnormen sowie – eingeschränkt – auch Abschlussnormen; Betriebsnormen, Normen über betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheiten sowie Regelungen zu gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien werden auch bei einer Regelung über Firmentarifverträge von der Fortgeltung auf der Grundlage von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht erfasst (vgl. Rz. 21.41 ff.).
21.103
Auch bei einer Fortgeltung der Rechte und Pflichten eines Firmentarifvertrags bleiben freilich solche Änderungen, die bereits in dem Firmentarifvertrag angelegt sind (z.B. Beschäftigungsjahressprung, Tarifentgelterhöhung), in ihrer Dynamik erhalten und müssen als Bestandteil der kollektivrechtlich fortgeltenden Rechte und Pflichten beim übernehmenden Rechtsträger beachtet werden (vgl. Rz. 21.50)2. Die Dynamik ist allerdings ausgeschlossen, wenn im Firmentarifvertrag dynamisch auf die jeweils geltenden Regelungen eines Verbandstarifvertrags verwiesen wurde. In diesem Fall geht auch das im Firmentarifvertrag in Bezug genommene Tarifwerk (nur) in der zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Arbeitgeberwechsels bestehenden Fassung über3. Insofern gelten also die gleichen Grundsätze wie bei der Beendigung eines Anerkennungstarifvertrags4.
21.104
Damit kommt eine kollektivrechtliche Fortgeltung des Firmentarifvertrags außerhalb des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nur dann in Betracht, wenn der übernehmende Rechtsträger mit demselben Vertragspartner auf Gewerkschaftsseite eine (dreiseitige) Übernahme vereinbart5 oder einen inhaltsgleichen neuen Firmentarifvertrag abschließt6. In diesem Fall ist ein Rückgriff auf die Auffanglösung in § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nach den auch bei Verbandstarifverträgen vertretenen Grundsätzen des BAG dem Schutzzweck der Normen nach nicht erforderlich und scheidet aus (vgl. Rz. 21.6). Denn beide Vereinbarungen sind als Tarifvertrag zu qualifizieren, der eine unmittelbare und zwingende Geltung der darin geregelten Bedingungen zur Folge hat. In diesem Fall werden auch Abschlussnormen, Betriebsnormen, Normen über betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheiten sowie Regelungen zu gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien übernommen.
21.105
Die Beendigung des Firmentarifvertrags im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses hat bei der Einzelrechtsnachfolge keine Bedeutung. Wie bereits an anderer Stelle aufgezeigt, bleibt es bei der statischen Übernahme der zum Zeitpunkt des Übergangs geltenden 1 MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 133. 2 BAG v. 19.9.2007 – 4 AZR 711/06, NZA 2008, 241 Rz. 24; BAG v. 14.11.2007 – 4 AZR 828/06, NZA 2008, 420 Rz. 17. 3 BAG v. 20.6.2001 – 4 AZR 295/00, NZA 2002, 517; BAG v. 26.8.2009 – 5 AZR 969/08, NZA 2010, 173 Rz. 21. 4 BAG v. 22.3.2017 – 4 AZR 462/16, NZA 2017, 587 Rz. 18 ff. 5 Däubler/Lorenz, § 3 TVG Rz. 176. 6 BAG v. 26.8.2009 – 4 AZR 280/08, NZA 2010, 238 Rz. 29.
814 | Gaul/Mengel
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.107 § 21
Rechte und Pflichten. Selbst wenn die Parteien des Firmentarifvertrags als solche zu diesem Zeitpunkt noch bestehen und deshalb auch Änderungen oder eine Beendigung veranlassen können, hat diese für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis bereits auf eine anderen Rechtsträger übergegangen ist, im Rahmen der Fortgeltung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB keine Bedeutung. Die gegenteilige Sichtweise des BAG in seinen Urteilen vom 22.4.20091 und vom 26.8.20092 überzeugt nicht (vgl. Rz. 21.40). Da der Erwerber bei dem Übergang von Arbeitsverhältnissen im Wege der Einzelrechtsnachfolge auch nicht Partei des Tarifvertrags wird, ist auch ein Recht des Erwerbers, den noch beim übertragenden Firmentarifvertrag mit der Gewerkschaft zu ändern oder eine Kündigung auszusprechen, abzulehnen3. Der schuldrechtliche Teil des Tarifvertrags, der die Rechtsbeziehung der Tarifvertragsparteien regelt, ist von einer Fortgeltung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen4. Endet der Tarifvertrag bereits vor dem Übergang des Arbeitsverhältnisses, sind verschiedene Rechtsfolgen denkbar. Wirkt der Tarifvertrag nach, bleibt es bei der Anwendbarkeit von § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB. Lediglich die einjährige Sperrwirkung greift nicht. Ist eine Nachwirkung ausgeschlossen, schließt dies bereits einen Übergang der Rechte und Pflichten des beendeten Tarifvertrags nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB aus. Denn es gibt keine Regelungen mehr, die Gegenstand einer solchen Übertragung sein können (vgl. Rz. 21.95). Endet der Tarifvertrag als Folge einer Kündigung, einer Bedingung, einer Befristung oder einer vor dem Übergang des Arbeitsverhältnisses getroffenen Vereinbarung erst nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses, verkürzt dies die Jahresfrist, wenn im Übrigen von einer Nachwirkung des Firmentarifvertrags auszugehen wäre. Ist eine Nachwirkung ausgeschlossen, enden die Rechte und Pflichten nach § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB zum Zeitpunkt der Beendigung des Tarifvertrags auch mit Wirkung für das beim übernehmenden Rechtsträger bestehende Arbeitsverhältnis (vgl. Rz. 21.96).
21.106
3. Rechtsfolgen beim Übergang durch Gesamtrechtsnachfolge Abweichend von den Rechtsfolgen der Übertragung eines Betriebs oder Teilbetriebs im Wege der Einzelrechtsnachfolge kann es bei einer Umwandlung zu einer kollektivrechtlichen Fortgeltung des Firmentarifvertrags auf Seiten des übernehmenden Rechtsträgers und damit auch zu einer Rechtsnachfolge als Partei des Tarifvertrags kommen. Da es sich bei der Rechtsstellung als Firmentarifpartei anders als bei der Verbandsmitgliedschaft nicht um eine höchstpersönliche Verpflichtung des Rechtsvorgängers handelt, kann der Rechtsnachfolger unmittelbar in die tarifvertragliche Position des Vorgängers gemäß § 3 Abs. 1 TVG eintreten. Denn der Firmentarifvertrag ist Teil der Verbindlichkeiten des übertragenden Rechtsträgers und kann deshalb als Folge einer Umwandlung auf einen übernehmenden Rechtsträger übergehen5. Entsprechendes gilt für die Anwachsung6. Geht das gesamte Vermögen über, was bei Verschmelzung oder Anwachsung der Fall ist, betrifft dies auch den Firmentarifvertrag. Geht bei der partiellen Gesamtrechtsnachfolge nur ein Teil des Vermögens über oder wird das Ver1 BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 61 ff. 2 BAG v. 26.8.2009 – 4 AZR 280/08, NZA 2010, 238 Rz. 28 ff. 3 Ebenso BAG v. 26.8.2009 – 4 AZR 280/08, NZA 2010, 238 Rz. 28 ff.; a.A. ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 113b; Sagan, RdA 2011, 163, 170 f.; Willemsen/Grau, NJW 2014, 12, 17. 4 Vgl. BAG v. 26.8.2009 – 4 AZR 280/08, NZA 2010, 238 Rz. 28 ff. 5 Vgl. BAG v. 4.7.2007 – 4 AZR 491/06, NZA 2008, 307 Rz. 39 ff.; BAG v. 15.6.2016 – 4 AZR 805/ 14, NZA 2017, 326 Rz. 37; Jacobs, NZA-Beil. 2009, 45, 46; HWK/Henssler, § 3 TVG Rz. 47; KR/ Friedrich, §§ 322–324 UmwG Rz. 32a. 6 Mückl, GWR 2012, 72, 72.
Gaul/Mengel | 815
21.107
§ 21 Rz. 21.107 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
mögen auf mehrere übernehmende Rechtsträger verteilt, was insbesondere bei der Spaltung von der gewählten Form abhängig ist, setzt der Übergang des Firmentarifvertrags auf einen der übernehmenden Rechtsträger seine entsprechende Zuordnung im Spaltungsvertrag oder -plan voraus. In diesem Fall scheidet auch ein Rückgriff auf § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB, § 324 UmwG aus. Denn diese Regelungen kommen nur dann zur Anwendung, wenn sich nicht aus den allgemeinen oder spezifischen Rechtsfolgen der Gesamtrechtsnachfolge etwas anderes ergibt1. a) Umwandlung im Wege der Verschmelzung aa) Grundsatz
21.108
Die Verschmelzung ist mit dem Übergang des gesamten Vermögens des übertragenden Rechtsträgers bzw. der übertragenden Rechtsträger auf einen übernehmenden Rechtsträger verbunden. Dieser Rechtsträger kann zum Zeitpunkt der Verschmelzung bereits bestehen oder durch die Verschmelzung neu gegründet werden (vgl. Rz. 3.12 f.). Da der Firmentarifvertrag als Verbindlichkeit zum Vermögen des übertragenden Rechtsträgers gehört, geht er nach § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG mit Wirksamwerden der Umwandlung auf den Erwerber über2. Das betrifft nicht nur den normativen Teil des Tarifvertrags. Der übernehmende Rechtsträger ist auch an die schuldrechtliche Rechte und Pflichten aus dem Tarifvertrag gebunden (z.B. Friedenspflicht, Maßregelungsverbot)3. Gleichzeitig endet mit der Auflösung des übertragenden Rechtsträgers auch seine Stellung als Partei. § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB, § 324 UmwG kommen nicht zur Anwendung4.
21.109
Im Gegensatz zu § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, der eine Fortgeltung des Tarifvertrags nur für den unmittelbar vom Übergang des Arbeitsverhältnisses betroffenen Arbeitnehmer zur Folge hat, kann der Eintritt des übernehmenden Rechtsträgers in den bestehenden Firmentarifvertrag Auswirkungen für alle Arbeitnehmer haben, die beim übernehmenden Rechtsträger beschäftigt werden. Dabei ist zwischen der Verschmelzung auf einen Rechtsträger ohne Tarifbindung (vgl. Rz. 21.111 ff.) und einen Rechtsträger mit Tarifbindung (vgl. Rz. 21.114 ff.) zu unterscheiden. Letztgenannte Fallgestaltung kommt naturgemäß vor allem bei Verschmelzungen zur Aufnahme in Betracht; bei Verschmelzungen zur Neugründung ist in der Regel bei Wirksamwerden der Umwandlung noch keine eigene Tarifbindung gegeben, auch wenn dies möglich wäre (vgl. Rz. 21.113).
21.110
Wichtig ist es, im Vorfeld einer etwaigen Verschmelzung diese Rechtsfolgen im Auge zu behalten, wenn Firmentarifverträge bestehen. Denn sie können die Entscheidung des Arbeitgebers beeinflussen, in welche Richtung die Verschmelzung erfolgt, welcher Rechtsträger also übertragender und welcher Rechtsträger übernehmender Rechtsträger wird.
1 Vgl. BAG v. 10.6.2009 – 4 ABR 21/08, NZA 2010, 51 Rz. 27; BAG v. 15.6.2016 – 4 AZR 805/14, NZA 2017, 326 Rz. 33 ff.; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 262; HWK/Henssler, § 3 TVG Rz. 47. 2 BAG v. 4.7.2007 – 4 AZR 491/06, NZA 2008, 307 Rz. 38 ff.; BAG v. 15.6.2016 – 4 AZR 805/14, NZA 2017, 326 Rz. 33 ff. 3 BAG v. 15.6.2016 – 4 AZR 805/14, NZA 2017, 326 Rz. 36 f.; ErfK/Oetker, § 20 UmwG Rz. 4. 4 BAG v. 24.6.1998 – 4 AZR 208/97, NZA 1998, 1346; BAG v. 20.6.2001 – 4 AZR 295/00, NZA 2002, 517; BAG v. 29.8.2001 – 4 AZR 332/00, NZA 2002, 513, 514.
816 | Gaul/Mengel
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.112 § 21
bb) Übernahme durch Rechtsträger ohne Tarifbindung Wenn der übernehmende Rechtsträger bis zum Wirksamwerden der Verschmelzung nicht an einen Tarifvertrag gebunden war, ändert sich dies mit Wirksamwerden der Verschmelzung jedenfalls in Bezug auf die Arbeitsverhältnisse, die im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übernommen wurden. Denn es ist davon auszugehen, dass der Geltungsbereich des Firmentarifvertrags diese Arbeitsverhältnisse weiter erfasst. Dabei geht es nicht nur um die Geltung von Inhalts-, Abschluss- und Beendigungsnormen auf der Grundlage von § 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG1. Vielmehr gelten auch Betriebsnormen, Regelungen zu betriebsverfassungsrechtlichen Fragen und gemeinsamen Einrichtungen der Tarifparteien nach § 3 Abs. 2, § 4 Abs. 2 TVG auch für die Arbeitnehmer, die bislang beim übernehmenden Rechtsträger ohne Tarifbindung beschäftigt wurden2. Denn sie erfassen alle Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden ist. Eine Beendigung der betrieblichen oder betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen kommt nur dort in Betracht, wo die betrieblichen Strukturen als Grundlage dieser Normen im Anschluss an die Verschmelzung entfallen sind. Das kann dann beispielsweise auch zur Beendigung von Tarifverträgen nach § 3 Abs. 1 BetrVG führen3.
21.111
Erhebliche Auswirkungen für die arbeitsrechtlichen Folgen einer Verschmelzung hat die Frage, ob auch die Inhalts-, Abschluss- und Beendigungsnormen des Firmentarifvertrags für solche Arbeitnehmer gelten, die beim übernehmenden Rechtsträger bis zum Wirksamwerden der Verschmelzung ohne Tarifbindung beschäftigt wurden4. Zwar geht ein großer Teil der Literatur5 und ein Teil der Rechtsprechung6 davon aus, dass sich die Geltung eines Firmentarifvertrags, der im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übergeht, grundsätzlich auf die Arbeitnehmer beschränkt, die bislang von seinem Geltungsbereich erfasst wurden. Zu Recht hat das LAG Nürnberg diese Sichtweise aber abgelehnt und deutlich gemacht, dass sich die Einbeziehung der beim übernehmenden Rechtsträger beschäftigten Arbeitnehmer auf der Grundlage der allgemeinen Vorgaben des Tarifrechts danach bestimmt, ob (1) eine kongruente Tarifbindung beider Arbeitsvertragsparteien gegeben ist und (2) das Arbeitsverhältnis in den Geltungsbereich des Firmentarifvertrags fällt7. Darin liegt auch keine Ausweitung des Tarifvertrags. Vielmehr muss im Wege einer Auslegung des Firmentarifvertrags einzelfallbezogen geklärt werden, ob die Arbeitnehmer in den fachlichen, sachlichen, räumlichen oder personellen Geltungsbereich des übergehenden Firmentarifvertrags fallen8. Bezieht sich dieser nur auf die vom Übergang betroffenen Betriebe oder knüpft er an eine bestimmte Tätigkeit an (z.B. Vertrieb, Flugpersonal), werden Arbeitnehmer, die in anderen Betrieben oder mit anderen Tätigkeiten beim übernehmenden Rechtsträger eingesetzt werden, nicht erfasst. Soll der Firmentarifvertrag nach seinem Geltungsbereich für alle Arbeitnehmer des Unternehmens gelten, erfasst er nach dem Wirksamwerden der Verschmelzung auch die bereits beim übernehmenden
21.112
BAG v. 15.6.2016 – 4 AZR 805/14, NZA 2017, 326 Rz. 36 f. BAG v. 15.6.2016 – 4 AZR 805/14, NZA 2017, 326 Rz. 36 f. HWK/B. Gaul, § 3 BetrVG Rz. 39 ff. Offen noch BAG v. 4.7.2007 – 4 AZR 491/06, NZA 2008, 307 Rz. 30. Vgl. Böcken, SAE 2000, 162, 165; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 191; Picot/Schnitker, Arbeitsrecht bei Unternehmenskauf und Restrukturierung, Teil I Rz. 310; Däubler/Lorenz, § 3 TVG Rz. 180; Kallmeyer/Willemsen, § 324 UmwG Rz. 24; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 118; Lutter/Sagan, § 324 UmwG Rz. 23; Wiedemann/Oetker, § 3 TVG Rz. 194. 6 Vgl. LAG Baden-Württemberg v. 5.8.2005 – 7 TaBV 2/05 n.v.; LAG Baden-Württemberg v. 15.9.2005 – 21 TaBV 7/04 n.v. 7 LAG Nürnberg v. 13.4.2010 – 6 Sa 9/10 n.v. 8 Vgl. nur Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 205; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 118. 1 2 3 4 5
Gaul/Mengel | 817
§ 21 Rz. 21.112 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
Rechtsträger beschäftigten Arbeitnehmer. Dies gilt auch dann, wenn im Geltungsbereich namentlich der alte Arbeitgeber genannt war. In Übereinstimmung mit den Feststellungen des BAG im Urteil vom 15.6.20151 sind solche Regelungen im Geltungsbereich typischerweise darauf gerichtet, nicht nur die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrags beim Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer einzubeziehen, sondern neben späteren Neueinstellungen auch die Arbeitnehmer später hinzukommender Betriebe des Arbeitgebers erfassen sollen2. Eine hiervon abweichende Auslegung hat – so das BAG – nur dann Vorrang, wenn die Begrenzung auf eine bestimmte Arbeitnehmergruppe und/oder einen Betrieb im Wortlaut des Tarifvertrags erkennbar wird.
21.113
Auf der Grundlage der vorstehenden Betrachtungsweise ist auch eine Unterscheidung zwischen einer Verschmelzung zur Neugründung und einer Verschmelzung zur Aufnahme abzulehnen. In beiden Fallgestaltungen hängt die Antwort auf die Frage, ob Arbeitnehmer, die beim übernehmenden Rechtsträger bereits beschäftigt sind oder im Anschluss an die Verschmelzung neu eingestellt werden, davon ab, ob der Geltungsbereich des Firmentarifvertrags, der im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übernommen wird, auch diese Arbeitnehmer erfasst. Ergibt die Auslegung, dass er bereits beim übertragenden Rechtsträger Geltung für alle Arbeitnehmer beanspruchte, tritt der übernehmende Rechtsträger ohne Veränderung in diesen Geltungsbereich ein3. Die Gesamtrechtsnachfolge führt zu einem Übergang von Verträgen und Verbindlichkeiten, ohne dabei auf die rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse beim übernehmenden Rechtsträger abzustellen. Er tritt unverändert in die beim übertragenden Rechtsträger abgeschlossenen Vereinbarungen ein. Einer etwaigen Schutzbedürftigkeit des übernehmenden Rechtsträgers kann nach Ansicht des BAG in Ausnahmefällen mit § 21 UmwG Rechnung getragen werden. Diese Regelung greife die dort real anzutreffenden Folgeprobleme einer Universalsukzession auf und sehe für bestimmte „unvereinbare“ Verpflichtungen oder bei einer „schweren Unbilligkeit“ eine Neubestimmung der Verpflichtungen des aufnehmenden Unternehmens vor4. cc) Übernehmender Rechtsträger mit eigener Tarifbindung
21.114
Die vorstehenden Fragen stellen sich auch dann, wenn der übernehmende Rechtsträger bereits an einen anderen Firmen- oder Verbandstarifvertrag gebunden war.
21.115
Ergibt die Auslegung, dass nur die übergegangenen Arbeitsverhältnisse erfasst werden, hat die Verschmelzung zwar keine Auswirkungen für die bereits beim übernehmenden Rechtsträger beschäftigten Arbeitnehmer. Auch künftige Neueinstellungen werden nicht erfasst. Zu klären ist aber im Wege der Auslegung, ob der beim übernehmenden Rechtsträger bereits bestehende Tarifvertrag von seinem Geltungsbereich auch die übernommenen Arbeitnehmer erfasst. Ist dies nicht der Fall, gelten beide Tarifverträge nebeneinander. Die Arbeitnehmer des übernehmenden Rechtsträgers werden dann nach unterschiedlichen Tarifverträgen behandelt. Erfasst der bereits beim übernehmenden Rechtsträger bestehende Tarifvertrag auch die übernommenen Arbeitsverhältnisse, kann dies zu einer gesetzlichen Bindung der übergegangenen Arbeitsverhältnisse an zwei verschiedene Tarifverträge kommen. Diese mehrfache Tarifbindung ist nach den allgemeinen Grundsätzen der Tarifkonkurrenz oder Tarifpluralität aufzulö1 BAG v. 15.6.2015 – 4 AZR 805/14, NZA 2017, 326 Rz. 38 ff. 2 So auch B. Gaul/Otto, BB 2014, 500, 504. 3 BAG v. 15.6.2016 – 4 AZR 805/14, NZA 2017, 326 Rz. 46 ff.; Widmann/Mayer/Wälzholz, Vorbem. zu §§ 321 ff. UmwG Rz. 29. 4 BAG v. 15.6.2016 – 4 AZR 805/14, NZA 2017, 326 Rz. 52 ff., 67.
818 | Gaul/Mengel
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.118 § 21
sen. Bestehen mehrere Tarifverträge, die gleichermaßen für ein Arbeitsverhältnis Geltung beanspruchen, muss dies, wenn sie durch die gleiche Gewerkschaft abgeschlossen wurden, hat damit der speziellere Tarifvertrag Vorrang. Im Verhältnis zwischen Firmen- und Verbandstarifvertrag ist dies im Zweifel der Firmentarifvertrag1. Geht es um Tarifverträge, die durch verschiedene Gewerkschaft abgeschlossen wurden, ist § 4a TVG maßgeblich Firmentarifvertrag oder Verbandstarifvertrag des aufnehmenden Rechtsträgers. Es kann somit zu einer Tarifpluralität im Betrieb kommen. Diese ist nun nach Einführung des Tarifeinheitsgesetzes gemäß § 4a Abs. 2 TVG aufzulösen2. Wenn der Firmentarifvertrag, in den der übernehmende Rechtsträger im Wege der Verschmelzung eintritt, auch die beim übernehmenden Rechtsträger bereits beschäftigten Arbeitnehmer sowie künftige Neueinstellungen erfasst, kann dies für alle Arbeitnehmer eine gesetzliche Tarifbindung zur Folge haben. Sie ist dann in entsprechender Weise nach den allgemeinen Grundsätzen zur Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität mit dem Ziel aufzulösen, dass nur ein Tarifvertrag zur Anwendung kommt.
21.116
b) Umwandlung im Wege der Spaltung Bei einer Spaltung muss zwischen den verschiedenen Arten der Spaltung nach § 123 UmwG unterschieden werden, die jeweils im Wege der Aufnahme oder Neugründung erfolgen können. Bei allen Spaltungen ist zu entscheiden, welchem Rechtsträger der beim übernehmenden Rechtsträger bestehende Firmentarifvertrag zugeordnet wird. Dabei kann der Firmentarifvertrag nur einem einzigen Rechtsträger zugeordnet werden. Wenn der Firmentarifvertrag nach der Spaltung für mehrere Rechtsträger verbindlich sein soll, müssen durch die Rechtsträger, denen der Firmentarifvertrag nicht zugeordnet wurde, inhaltsgleiche (neue) Tarifverträge abgeschlossen werden. Eine Vervielfältigung des bislang zweiseitigen Vertragsverhältnisses dadurch, dass der Firmentarifvertrag im Spaltungsvertrag oder -plan mehreren Rechtsträgern zugeordnet wird und die übernehmenden Rechtsträger die tarifvertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten (z.B. Kündigung) im Anschluss an das Wirksamwerden der Umwandlung unabhängig voneinander ausüben können, ist aus Gründen der Rechtssicherheit abzulehnen3. Sie widerspräche nicht nur dem Grundsatz der partiellen Gesamtrechtsnachfolge, der an sich nur einen Übergang bereits bestehender Verbindlichkeiten zum Inhalt hat4. Sie bewirkte auch, dass durch eine (bloße) Zuordnung im Rahmen des Spaltungsvertrags eine Bindungswirkung auf die bereits einem aufnehmenden Rechtsträger beschäftigten Arbeitnehmer bewirkt werden könnte, ohne dass dies durch die Gewerkschaft bei Abschluss des Tarifvertrags bedacht worden ist. Auch wenn die gleiche Rechtsfolge bei einer Verschmelzung eintreten kann, erscheint es überzeugender, bei der Verschmelzung diesen Gestaltungspielraum abzulehnen5.
21.117
Fehlt eine solche Zuordnung, ist bei Abspaltung nach § 123 Abs. 2 UmwG und der Ausgliederung nach § 123 Abs. 3 UmwG von einem Fortbestand des Firmentarifvertrags beim übertragenden Rechtsträger auszugehen6. Für die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis auf einen
21.118
1 Vgl. nur BAG v. 16.5.2001 – 10 AZR 357/00 n.v. Rz. 54; BAG v. 4.7.2007 – 4 AZR 491/06, NZA 2008, 307 Rz. 81 f. 2 Vgl. Jacobs, NZA-Beil. 2009, 45, 46; Däubler/Lorenz, § 3 TVG Rz. 182. 3 BAG v. 21.11.2012 – 4 AZR 85/11, NZA 2013, 512 Rz. 25; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 128; a.A. B. Gaul/B. Otto, BB 2014, 500, 504 f. 4 Ebenso Müller-Bonanni/Mehrens, ZIP 2012, 1217, 1220. 5 Abw. B. Gaul/B. Otto, BB 2014, 500, 504 f. 6 BAG v. 21.11.2012 – 4 AZR 85/11, NZA 2013, 512 Rz. 25.
Gaul/Mengel | 819
§ 21 Rz. 21.118 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
anderen Rechtsträger übergeht, gelten die Rechte und Pflichten dieses Tarifvertrags damit (nur) nach § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB, § 324 UmwG fort1. Insoweit kann also auf die Darstellungen zu den Rechtsfolgen für Verbandstarifverträge verwiesen werden (vgl. Rz. 21.28 ff.). Abzulehnen ist es, eine kollektivrechtliche Fortgeltung des Firmentarifvertrags für die Rechtsträger, denen die entsprechenden Verbindlichkeiten nicht zugewiesen worden sind, analog § 3 Abs. 3 TVG anzunehmen2.
21.119
Bei der Aufspaltung nach § 123 Abs. 1 Nr. 2 UmwG erlischt der übertragende Rechtsträger und mit ihm auch seine Tarifbindung. Hier kommt es zwangsläufig zu einer Rechtsnachfolge in Bezug auf den Firmentarifvertrag3. Im Spaltungsvertrag oder -plan ist deshalb festzulegen, welcher der übernehmenden Rechtsträger als Partei in den Firmentarifvertrag eintreten soll. Fehlt eine solche Festlegung, endet der Firmentarifvertrag mit dem Wirksamwerden der Spaltung. Die Fortgeltung der Rechte und Pflichten, die bis dahin durch den Firmentarifvertrag geregelt waren, bestimmt sich nach § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB. Andernfalls käme es zu einer Vervielfältigung des Tarifvertrags, die abgelehnt wird (vgl. Rz. 21.117)4.
21.120
Voraussetzung einer Verbindlichkeit des Firmentarifvertrags für ein Arbeitsverhältnis im Anschluss an das Wirksamwerden der Spaltung ist allerdings in allen Fallgestaltungen, dass das Arbeitsverhältnis vom Geltungsbereich dieses Tarifvertrags erfasst wird. Das betrifft – vergleichbar mit der Situation bei der Verschmelzung (vgl. Rz. 21.109 ff.) – die vom Übergang betroffenen Arbeitsverhältnisse ebenso wie die beim übertragenden Rechtsträger verbleibenden Arbeitsverhältnisse und die Arbeitsverhältnisse, die vor dem Wirksamwerden der Umwandlung bereits beim übernehmenden Rechtsträger bestanden haben. Denn gerade bei einer Spaltung, bei der nur einzelne Betriebe oder Betriebsteile auf einen anderen Rechtsträger übergehen oder auf mehrere Rechtsträger verteilt werden, können die Veränderungen auf der betrieblichen Ebene zur Folge haben, dass ein Betrieb, der durch den Rechtsträger fortgeführt wird, dem der Firmentarifvertrag zugeordnet wurde, nicht mehr in den Geltungsbereich des Tarifvertrags fällt. Damit ist dort eine normative Bindung des Arbeitsverhältnisses an den Firmentarifvertrag gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG ausgeschlossen, auch wenn beide Parteien kongruent tarifgebunden sind. Wenn es sich bei dem Arbeitgeber um einen der übernehmenden Rechtsträger handelt, greifen dort die Rechtsfolgen aus § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB, § 324 UmwG5. Wegen der weiteren Einzelheiten vgl. Rz. 21.28 ff. Handelt es sich um den übertragenden Rechtsträger, tritt der Tarifvertrag in die Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG analog, sofern diese nicht für den Fall der Beendigung ausgeschlossen ist6. Er gilt damit weiter, hat aber keine zwingende Wirkung mehr.
1 HWK/Willemsen/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 262. 2 HWK/Henssler, § 3 TVG Rz. 47; Wiedemann/Oetker, § 3 TVG Rz. 197 f.; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 129, der allerdings § 3 Abs. 3 TVG für den übertragenden Rechtsträger anwenden will. 3 Vgl. HWK/Henssler, § 3 TVG Rz. 47. 4 Ebenso i.E. Lutter/Sagan, § 324 UmwG Rz. 20, 25, der allerdings abweichend von der hier vertretenen Auffassung auch bei Firmentarifverträgen generell von einer Fortgeltung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ausgehen will. 5 Kempen/Zachert/Kempen, § 3 TVG Rz. 121; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 130. 6 Abw. WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 129, der § 3 Abs. 3 TVG analog für den übertragenden Rechtsträger anwenden will.
820 | Gaul/Mengel
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.125 § 21
c) Übertragung im Wege der Anwachsung Wenn der Übergang im Wege der Anwachsung erfolgt, gelten die zur Verschmelzung aufgezeigten Rechtsfolgen entsprechend (Rz. 21.108 ff.). Im Zweifel kann dabei von einer fehlenden Tarifbindung des übernehmenden Rechtsträgers ausgegangen werden (vgl. Rz. 21.111 ff.).
21.121
d) Formwechselnde Umwandlung Bei der formwechselnden Umwandlung bestehen die Arbeitsverhältnisse unverändert mit demselben Rechtsträger fort, weil es zu keiner Vermögensübertragung zwischen zwei Rechtsträgern kommt. Eine etwaig bestehende Tarifbindung des Rechtsträgers bleibt von diesem reinen Rechtsformwechsel durch Umwandlung ebenfalls unberührt1.
21.122
III. Rechtsfolgen für Arbeitnehmer mit Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag Die Bindung an einen Tarifvertrag kann beim übertragenden Rechtsträger auch durch individualrechtliche Bezugnahme herbeigeführt worden sein. Folge dieser Bezugnahme ist ein einzelvertraglicher Anspruch2. Bei nichtorganisierten Arbeitnehmern oder fehlender Allgemeinverbindlichkeit ist dies die einzige Form der Tarifbindung. Bei organisierten Arbeitnehmern oder Allgemeinverbindlichkeit tritt die Tarifbindung durch einzelverbindliche Bezugnahme neben die normative Geltung des Tarifvertrags gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 5 TVG. Welche Besonderheiten sich daraus im Zusammenhang mit dem Übergang eines Arbeitsverhältnisses ergeben können, soll nachfolgend aufgezeigt werden.
21.123
1. Form, Inhalt und Zweck einer einzelvertraglichen Bezugnahme Eine einzelvertragliche Bezugnahmeklausel kann ausdrücklich im (Formular-)Arbeitsvertrag enthalten sein. Grundsätzlich ist eine Bezugnahme aber formfrei möglich. Daher kann die Anwendung des Tarifvertrags auch durch konkludentes (schlüssiges) Handeln vereinbart werden3 oder aufgrund einer Gesamtzusage oder einer betrieblichen Übung eintreten4. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG hat der Arbeitgeber zwar dem Arbeitnehmer die wesentlichen Vertragsbedingungen in schriftlicher Form auszuhändigen. Dazu reicht aber nach § 2 Abs. 3 NachwG ein Hinweis auf die für das Arbeitsverhältnis geltenden Tarifverträge aus. Die Verpflichtung entfällt, wenn die erforderlichen Angaben in einem schriftlichen Arbeitsvertrag enthalten sind (§ 2 Abs. 4 NachwG). Ein Verstoß lässt die Wirksamkeit der Regelung unberührt5. Die Aushändigung eines schriftlichen Arbeitsvertrages mit den erforderlichen Angaben nach § 2 Abs. 4 NachwG inklusive schriftlicher Bezugnahme ist aber zu empfehlen6.
21.124
Wichtiger ist bei der konkludenten Bezugnahme die Frage, ob und ggf. wann daraus eine betriebliche Übung entstehen kann7. Wendet ein tarifgebundener Arbeitgeber die für ihn einschlägigen Tarifverträge mehrfach nicht nur auf die organisierten, sondern auch auf die nicht-
21.125
1 HWK/Henssler, § 3 TVG Rz. 46. 2 ErfK/Franzen, § 3 TVG Rz. 32. 3 BAG v. 1.8.2001 – 4 AZR 129/00, EzA § 315 BGB Nr. 50, S. 8 f.; BAG v. 25.10.2001 – 4 AZR 506/ 99, DB 2001, 1891. 4 BAG v. 19.1.1999 – 1 AZR 606/98, NZA 1999, 879; Annuß, BB 1999, 2558, 2562. 5 Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rz. 675. 6 ErfK/Franzen, § 3 TVG Rz. 31. 7 Hierzu BAG v. 16.1.2002 – 5 AZR 715/00, NZA 2002, 632; BAG v. 17.4.2002 – 5 AZR 89/01, NZA 2002, 1096.
Gaul/Mengel und Beck | 821
§ 21 Rz. 21.125 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
organisierten Arbeitnehmer an, kann dies eine betriebliche Übung begründen, also eine vertragliche Verpflichtung des Arbeitgebers zur dynamischen Anwendung der entsprechenden Tarifverträge wie gegenüber den organisierten Arbeitnehmern. Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber wiederholt eine Erhöhung der Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet gewährt und dass anhand der tatsächlichen Umstände deutliche Anhaltspunkte im Verhalten des Arbeitgebers dafür sprechen, dass er den Tarifvertrag und seine künftigen Entwicklungen – in Übereinstimmung mit seiner Verhaltensweise gegenüber organisierten Arbeitnehmern – auch ohne das Bestehen einer normativen Verpflichtung künftig – also auf Dauer – auch gegenüber den nicht organisierten Arbeitnehmern übernehmen will1. Wendet ein Arbeitgeber ohne eine gesetzliche Tarifbindung den jeweils gültigen Tarifvertrag an, lehnt das BAG einen Anspruch aus betrieblicher Übung auf eine Anwendung des jeweils gültigen Tarifvertrags (bislang) selbst dann ab, wenn der Arbeitgeber die Anpassung der Arbeitsbedingungen ohne einen Vorbehalt jeweils anlässlich einer jeden Änderung des Tarifvertrags vorgenommen hat2. Ohne Hinzutreten besonderer Umstände entsteht in der Regel nur ein Anspruch auf die statische Anwendung des Tarifvertrages, nicht aber eine Verpflichtung des Arbeitgebers, auch künftige Tarifentgelterhöhungen weiterzugeben. Ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber will sich – für die Arbeitnehmer erkennbar – grundsätzlich nicht für die Zukunft der Regelungsmacht der Verbände unterwerfen3.
21.126
Dem Entstehen einer Tarifbindung kraft betrieblicher Übung kann eine doppelte Schriftformklausel im Arbeitsvertrag entgegenwirken. Eine doppelte Schriftformklausel regelt, dass Ergänzungen des Arbeitsvertrags der Schriftform bedürfen und die mündliche Abbedingung der Schriftformklausel nichtig ist. Dies steht dem Entstehen einer betrieblichen Übung entgegen. Das gilt auch, wenn die Klausel in allgemeinen Vertragsbedingungen enthalten ist4. Voraussetzung ist, dass die doppelte Schriftformklausel nach den §§ 305 ff. BGB wirksam ist, wobei das BAG Klauseln verwirft, die beim Arbeitnehmer den Eindruck erwecken könnten, auch mündliche Individualabreden seien durch das Schriftformerfordernis ausgeschlossen5.
21.127
Problematisch bei der Auslegung von Bezugnahmeklauseln kann bisweilen sein, ob der Tarifvertrag in seiner Gesamtheit oder nur in Teilbereichen zur Anwendung kommen soll. Insoweit kann zunächst einmal nur von einer Bezugnahme auf die tariflichen Regelungen zu Lohn und Gehalt ausgegangen werden, wenn bei der Einstellung das tarifvertraglich festgelegte Gehalt vereinbart und die Änderung des Lohn- und Gehaltstarifvertrags auch ohne Tarifbindung fortlaufend umgesetzt wird6. Wird allerdings darüber hinaus auch entsprechend den jeweils aktuellen Regelungen des Tarifvertrags zur Arbeitszeit und Erholungsurlaub verfahren, muss beim tarifgebundenen Arbeitgeber von einer Bezugnahme auf den Tarifvertrag in seiner Gesamtheit ausgegangen werden7.
1 BAG v. 9.5.2007 – 4 AZR 319/06, NJOZ 2010, 178 Rz. 32; BAG v. 24.2.2016 – 4 AZR 990/13, NZA 2016, 557 Rz. 21, 23. 2 Vgl. BAG v. 24.2.2016 – 4 AZR 990/13, NZA 2016, 557 Rz. 22; BAG v. 27.2.2019 – 5 AZR 354/18, NZA 2019, 989 Rz. 17; krit. Waltermann, RdA 2006, 257, 266. 3 BAG v. 24.2.2016 – 4 AZR 990/13, NZA 2016, 557 Rz. 22. 4 BAG v. 24.6.2003 – 9 AZR 302/02, NZA 2003, 1145. 5 BAG v. 20.5.2008 – 9 AZR 382/07, NZA 2008, 1233, Rz. 29; Lingemann/Gotham, NJW 2009, 268, 270. 6 Vgl. BAG v. 16.1.2002 – 5 AZR 715/00, NZA 2002, 632. 7 Vgl. BAG v. 19.1.1999 – 1 AZR 606/98, NZA 1999, 879; Hanau/Kania, FS Schaub, S. 239, 258 ff.; Schaub, ZTR 2000, 259, 262; Seitz/Werner, NZA 2000, 1257, 1258.
822 | Beck
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.130 § 21
Abzulehnen ist eine betriebliche Übung hinsichtlich der Anwendung eines Tarifvertrags allerdings dann, wenn der Arbeitgeber mit seiner Anwendung nur der Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags Rechnung getragen hat1. In gleicher Weise ist eine betriebliche Übung als eigenständige Rechtsgrundlage ausgeschlossen, wenn schon im Arbeitsvertrag selbst eine konkrete Bezugnahme enthalten ist2. Die betriebliche Übung setzt eine Leistung des Arbeitgebers in einem sonst nicht geregelten Bereich voraus. Wegen Art. 9 Abs. 3 GG (negative Koalitionsfreiheit) und § 77 Abs. 3 BetrVG (Tarifvorbehalt) ist es darüber hinaus unzulässig, im Rahmen einer Betriebsvereinbarung die (dynamische) Geltung eines Tarifvertrages zu vereinbaren3.
21.128
Hinsichtlich des Inhalts einer einzelvertraglichen Bezugnahme besteht weitgehende Gestaltungsfreiheit. Die Vereinbarung kann Tarifverträge vollständig oder nur teilweise (z.B. Lohn und Gehalt, Sonderleistungen, Erholungsurlaub, Kündigungsfristen) einbeziehen, alle Tarifverträge eines Tarifwerks oder nur bestimmte4 und einzelne Fragen individualvertraglich abweichend regeln5. Die nicht tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien können jeden beliebigen – also auch einen nicht einschlägigen, z.B. branchenfremden oder abgelaufenen – Tarifvertrag in Bezug nehmen6.
21.129
Durch Vereinbarung kann statisch auf einen ganz konkreten Tarifvertrag oder eine bestimmte Regelung in einem Tarifvertrag verwiesen werden. Die Klausel kann dabei auf einen bestimmten zu einem bestimmten Datum geltenden Tarifvertrag – also ohne künftige Änderungen („statische Verweisung“) oder auf die jeweils geltende Fassung eines bestimmten Tarifvertrages oder der Tarifverträge einer bestimmten Branche („kleine dynamische Klausel“) verweisen. Die Dynamik hat in zeitlicher Hinsicht zum Inhalt, dass sich künftige Änderungen des Tarifvertrags – auch eine Verschlechterung – unmittelbar auf das Arbeitsverhältnis auswirken7. Ob eine zeitlich dynamische Bezugnahme gewollt ist, also spätere Anpassungen des in Bezug genommenen Tarifvertrags einbezogen werden sollen, muss im Einzelfall durch Auslegung festgestellt werden. Eine Auslegungsregel, wonach im Zweifel in zeitlicher Hinsicht eine dynamische Bezugnahme gewollt ist, gibt es nach Auffassung des BAG nicht (mehr)8. In zeitlicher Hinsicht statische Verweisungen sind in der Praxis jedoch selten. Zum einen liegt in der Regel die „automatische“ Übernahme der Tarifentwicklung im Interesse der Parteien. Zum anderen stellt sich bei tarifgebundenen Arbeitgebern das Problem, dass für organisierte Arbeitnehmer der dynamisch sich entwickelnde Tarifvertrag normativ gilt, sofern er günstiger als der statisch in Bezug genommene Tarifvertrag ist. Die Bezugnahmeklausel wäre als abweichende Abmachung i.S.v. § 4 Abs. 3 TVG insoweit unwirksam. Der Günstigkeitsvergleich kann dabei erhebliche Schwierigkeiten aufwerfen, da bei jeder Änderung die in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehenden Teilkomplexe verglichen werden müssen (sog. Sach-
21.130
1 BAG v. 1.4.1987 – 4 AZR 77/86, EzA § 613a BGB Nr. 63; BAG v. 9.11.1999 – 3 AZR 690/98, NZA 2000, 730. 2 LAG Schleswig-Holstein v. 16.10.2000 – 4 Sa 75/00, ZMV 2001, 98. 3 So auch BAG v. 23.6.1992 – 1 ABR 9/92, NZA 1993, 229; BAG v. 20.10.2017 – 1 AZR 12/01, Rz. 37; Wiedemann/Oetker, § 3 TVG Rz. 475; Kempen/Zachert/Stein, § 3 TVG Rz. 215; Fitting, § 77 Rz. 98; Henssler/Moll/Bepler/Henssler, Teil 10 Rz. 124; a.A. Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 77 BetrVG Rz. 116; Ehmann/Schmidt, NZA 1995, 193, 196. 4 BAG v. 9.5.2007 – 4 AZR 319/06, AP Nr. 8 zu § 305c BGB. 5 Vgl. BAG v. 21.2.2001 – 5 AZR 96/99, EzA § 3 TVG Nr. 14 Rz. 39. 6 BAG v. 21.9.2011 – 5 AZR 520/10, NZA 2012, 31, Rz. 23; BAG v. 20.6.2013, NZA 2014, 384, Rz. 30. 7 Vgl. BAG v. 28.6.2001 – 6 AZR 114/00, NZA 2002, 331. 8 BAG v. 19.9.2007 – 4 AZR 710/06, AP Nr. 54 zu § 133 BGB Rz. 22. Zur Auslegung von sog. Gleichstellungsklauseln vgl. unten Rz. 21.139.
Beck | 823
§ 21 Rz. 21.130 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
gruppenvergleich)1. Im Ergebnis kann dies dazu führen, dass der Arbeitgeber auf organisierte Arbeitnehmer Teilkomplexe verschiedener Tarifverträge anwenden muss. Bei Klauseln, die nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum 1.1.2002 vereinbart wurden, orientiert sich das BAG in erster Linie am Wortlaut und nimmt im Zweifel eine dynamische Geltung an2.
21.131
Neben der zeitlichen Dynamik kann die Vereinbarung darüber hinaus in fachlicher bzw. räumlicher Hinsicht insoweit dynamischen Charakter besitzen, als sie auf den jeweils für den Betrieb, bei betriebsübergreifender Tätigkeit für den Arbeitgeber am Unternehmenssitz, kraft Gesetzes geltenden Tarifvertrag Bezug nimmt, sog. „große dynamische Klausel“. Durch eine solche Dynamik kann dann auch der Möglichkeit eines Tarifwechsels Rechnung getragen werden, etwa wenn der Arbeitgeber die Branche und/oder den Verband wechselt oder der Arbeitgeber kraft Gesetzes an einen Firmentarifvertrag statt – wie bisher – an einen Verbandstarifvertrag gebunden ist. Das Günstigkeitsprinzip kommt dann nicht zur Anwendung3. Denkbar ist auch, dass mit einer solchen Klausel Tarifverträge erfasst werden, an die der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Vereinbarung noch gar nicht gebunden ist4. Auf diese Weise stellt die Bezugnahme erstmals eine (vertragliche) Tarifbindung her.
21.132
Zum Zweck der Bezugnahme: In der Regel soll durch die einzelvertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag, die der tarifgebundene Arbeitgeber vereinbart, erreicht werden, dass nichtorganisierte und gewerkschaftsangehörige Mitarbeiter im Betrieb zu gleichen Arbeitsbedingungen beschäftigt werden. Die nicht oder anders organisierten Arbeitnehmer sollen so behandelt werden, als wäre eine Tarifbindung gegeben, um eine Zweiteilung der Belegschaft zu vermeiden, sog. Gleichstellung5. Die Klausel ersetzt in diesem Fall nur die fehlende Mitgliedschaft des Arbeitnehmers in der Gewerkschaft und soll widerspiegeln, was tarifrechtlich bei diesem Arbeitgeber gilt, sie fungiert also als Gleichstellungsabrede6.
21.133
Darüber hinaus verfolgt die Bezugnahme auf einen Tarifvertrag das Ziel, die tarifvertraglich geregelten Rechte und Pflichten in das Arbeitsverhältnis einzubeziehen, ohne den Tarifvertrag in seinem vollständigen Wortlaut im Arbeitsvertrag übernehmen zu müssen7. Unabhängig davon, dass eine solche Übernahme die Arbeitsverträge ganz erheblich aufblähen würde, bliebe die Problematik bestehen, bei einer dynamischen Bezugnahme nachträgliche Änderungen im Tarifvertrag durch eine Änderung des Arbeitsvertrags umsetzen zu müssen, sofern eine dynamische Anwendung gewollt ist. Der Gesetzgeber hat diesen Zweck durch § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10, Abs. 3 Satz 1, § 3 Satz 2 NachwG ausdrücklich anerkannt. Der Vorteil einer einzelvertraglichen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag liegt außerdem darin, dass dadurch vom Gesetz abweichende Regelungen eines Tarifvertrags – beispielsweise in Bezug auf Arbeitszeit (§§ 7, 12 ArbZG), Altersteilzeit (§ 2 Abs. 2 Satz 2 ATG), Urlaub (§ 13 BUrlG), Entgeltfortzahlung 1 BAG v. 15.4.2015 – 4 AZR 587/13, NZA 2015, 1274, Rz. 27 f.; a.A. für einen Gesamtvergleich ErfK/Franzen, § 4 TVG Rz. 37, wenn die Bezugnahmeklausel auf einen Tarifvertrag in seiner Gesamtheit (und nicht nur einen Teil) verweist und ein anderer Tarifvertrag normativ wirkt. 2 BAG v. 22.10.2008 – 4 AZR 793/07, NZA 2009, 323, Rz. 12; BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NZA 2006, 607, Rz. 19. 3 BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, BB 2001, 782, 783; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 144 ff.; Giesen, NZA 2006, 625, 625 f. 4 Vgl. BAG v. 22.4.2009 – 4 ABR 14/08, NZA 2009, 1286 Rz. 27; BAG v. 13.5.2020 – 4 AZR 528/19, NZA 2020, 1420 Rz. 14. 5 BAG v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634. 6 Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rz. 514. 7 Säcker/Oetker, ZfA 1993, 1, 14; Löwisch/Rieble, FS Schaub, S. 457, 467.
824 | Beck
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.136 § 21
(§ 4 Abs. 4 EFZG) oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen (Kündigungsfristen gemäß § 622 Abs. 4 BGB) – auch ohne eine unmittelbare Tarifbindung gemäß § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 4 TVG Bestandteil des Arbeitsvertrags werden. Obgleich es sich bei der Bezugnahmeklausel um eine individualrechtliche Absprache handelt, eröffnet sie den an sich nur den Tarifvertragsparteien zugestandenen Gestaltungsspielraum auch für ein nicht kraft Gesetzes tarifunterworfenes Arbeitsverhältnis.
2. Bedeutung einer AGB-Kontrolle von Bezugnahmeklauseln Der Tarifvertrag selbst ist einer Inhaltskontrolle nach AGB-Recht entzogen, da nach § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB Tarifverträge Rechtsvorschriften i.S.v. § 307 Abs. 3 BGB gleichstehen und bei diesen eine Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2, §§ 308, 309 BGB nicht stattfindet1. Die in einem Formulararbeitsvertrag geregelte Bezugnahmeklausel auf einen Tarifvertrag unterliegt jedoch als solche der AGB-Kontrolle2. Davon zu trennen ist die Frage der Inhaltskontrolle der in Bezug genommenen Tarifnormen. In vorformulierten Arbeitsverträgen ist bei einer globalen Bezugnahme auf einen (auch nachwirkenden) Tarifvertrag die Inhaltskontrolle der in Bezug genommenen Regelungen des Tarifvertrags regelmäßig ausgeschlossen3. Diese Beschränkung der Inhaltkontrolle dient der Vermeidung der mittelbaren Tarifzensur, da der einbezogene Tarifvertrag der Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien unterliegt. Insoweit gilt dieselbe Richtigkeits- und Angemessenheitsvermutung wie bei einem normativ geltenden Tarifvertrag4. Nach richtiger Ansicht des BAG findet – entgegen einer Literaturmeinung5 – jedenfalls im Fall der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers und der Verweisung auf den einschlägigen Tarifvertrag auch keine Transparenzkontrolle der Tarifregelungen nach § 307 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 307 Abs. 1 Satz 2, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB statt6.
21.134
Wird nur ein unvollständiger Teil eines Tarifvertrages oder ein nicht einschlägiger Tarifvertrag in Bezug genommen, kommt eine Inhaltskontrolle in Betracht, da es an der Richtigkeitsgewähr des auf Geben und Nehmen beruhenden Tarifvertrages fehlt7. Dasselbe gilt bei Bezugnahmeklauseln, welche die tarifliche Regelung ergänzen oder von ihr abweichen, vgl. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB. Verweist die Bezugnahmeklausel hingegen auf einen in sich geschlossenen Regelungskomplex (z.B. Urlaub), sind die entsprechenden Tarifbestimmungen von der Inhaltskontrolle ausgenommen8. Ein Minderheitstarifvertrag i.S.v. § 4a Abs. 2 TVG ist ebenfalls fachlich einschlägig und bei einer Bezugnahme von der Inhaltskontrolle ausgeschlossen, wenn er im betreffenden Betrieb wegen einer Kollision nicht angewendet wird9.
21.135
Die Bezugnahmeklausel an sich unterliegt jedoch der Transparenzkontrolle10. Eine Verweisung auf Tarifnormen ist nicht ungewöhnlich oder überraschend und führt nicht zur Intransparenz, auch wenn der Arbeitnehmer nur eine erschwerte Möglichkeit hat, die betreffende Re-
21.136
1 BAG v. 18.9.2012 – 9 AZR 1/11, NZA 2013, 216, Rz. 24. 2 BAG v. 9.11.2005 – 5 AZR 128/05, NZA 2006, 202, Rz. 15 f.; Gaul/Ludwig, BB 2010, 55; zur Gestaltung von Bezugnahmeklauseln vgl. Gaul/Naumann, DB 2007, 2594. 3 BAG v. 18.9.2012 – 9 AZR 1/11, NZA 2013, 216, Rz. 24. 4 ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rz. 13 f.; Henssler/Moll/Bepler/Henssler, Teil 10 Rz. 42. 5 ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rz. 15, Henssler/Moll/Bepler/Henssler, Teil 10 Rz. 37. 6 BAG v. 28.6.2007 – 6 AZR 750/06, NZA 2007, 1049, Rz. 22. 7 BAG v. 6.5.2009 – 10 AZR 390/08, NZA-RR 2009, 593, Rz. 29. 8 BAG v. 6.5.2009 – 10 AZR 390/08, NZA-RR 2009, 593, Rz. 29 f. 9 HWK/Henssler, § 3 TVG Rz. 18. 10 HWK/Henssler, § 3 TVG Rz. 18a.
Beck | 825
§ 21 Rz. 21.136 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
gelung zu verstehen1. Arbeitsvertragliche Verweisungen auf nicht immer einfach zugängliche Tarifverträge sind im tarifdispositiven Gesetzesrecht allgemein zulässig (vgl. z.B. § 622 Abs. 4 BGB, § 13 Abs. 1 Satz 2 BUrlG, § 4 Abs. 4 Satz 2 EFZG). Auch nach dem Nachweisgesetz genügt der bloße allgemeine Hinweis auf Tarifverträge (§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG)2. Erst wenn die Gefahr besteht, dass der Arbeitnehmer wegen unklar abgefasster Allgemeiner Geschäftsbedingungen seine Rechte nicht wahrnimmt, liegt eine unangemessene Benachteiligung vor3.
21.137
Auch an das Bestimmtheitsgebot sind keine übersteigerten Anforderungen zu stellen. Aus der Bezugnahmeklausel sollte allerdings deutlich hervorgehen, welcher Tarifvertrag in welcher Fassung zur Anwendung kommen soll. Bei dynamischen Verweisungen ergibt sich das Problem, dass die zukünftige Tarifentwicklung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch gar nicht vorhersehbar ist. Insofern genügt es dem Transparenzgebot, wenn die Bezugnahmeklausel so ausgestaltet wird, dass die Tarifverträge zukünftig zu jedem Zeitpunkt ihrer Anwendung bestimmbar sind4. Bei einer Bezugnahme auf mehrgliedrige Tarifverträge, also mehrere eigenständige Tarifverträge unterschiedlicher Vertragsparteien, die in einer Urkunde zusammengefasst sind5, bedarf es einer Kollisionsregel, die bestimmt, welches der in Bezug genommenen Regelwerke bei sich widersprechenden Regelungen den Vorrang haben soll. Sonst ist nicht zu jedem Zeitpunkt bestimmbar, welcher der in Bezug genommen Tarifverträge sich durchsetzen und gelten soll6.
21.138
Voraussetzung für ein Eingreifen des Verbots einer überraschenden Klausel ist, dass die Regelung objektiv ungewöhnlich ist und der Arbeitnehmer mit ihr nicht zu rechnen braucht. Entscheidend ist dabei die Erwartungshaltung eines durchschnittlichen Arbeitnehmers, dem der Inhalt der Vertragsverhandlungen im Zusammenhang mit der Einstellung vertraut gemacht worden ist7. Dynamische Verweisungen auf einschlägige Tarifverträge sind im Arbeitsleben als Gestaltungsinstrument so verbreitet, dass ihre Aufnahme in Formularverträge nicht überraschend ist8. Dies gilt auch für eine Tarifwechselklausel9. Überraschend kann eine Bezugnahmeklausel sein, wenn in einer für die einschlägige Branche untypischen Weise auf einen orts- oder branchenfremden Tarifvertrag verwiesen wird. Eine überraschende Klausel kann auch dann anzunehmen sein, wenn die Bezugnahme auf einen Tarifvertrag erfolgt, der seinerseits auf andere Tarifverträge verweist, ohne dass dies in der Bezugnahmeklausel deutlich gemacht wird. Auch die konkrete vertragliche Gestaltung oder die besonderen Umstände des Vertragsschlusses können den Überraschungseffekt erzeugen10. 1 BAG v. 24.9.2008 – 6 AZR 76/07, NZA 2009, 154; BAG v. 13.5.2020 – 4 AZR 528/19, NZA 2020, 1420, Rz. 14. 2 BAG v. 24.9.2008 – 6 AZR 76/07, NZA 2009, 154, Rz. 31. 3 BAG v. 24.9.2008 – 6 AZR 76/07, NZA 2009, 154, Rz. 30. 4 Vgl. BAG v. 24.9.2008 – 6 AZR 76/07, NZA 2009, 154, Rz. 32; BAG v. 13.3.2013 – 5 AZR 954/11, NZA 2013, 680, Rz. 31. 5 Vgl. BAG v. 8.11.2006 – 4 AZR 590/05, NZA 2007, 576, Rz. 22; BAG v. 16.12.2020 – 5 AZR 143/ 19 (A), NZA 2020, 800, Rz. 19 ff. 6 BAG v. 13.3.2013 – 5 AZR 954/11, NZA 2013, 680, Rz. 30; zu den CGZP-Tarifverträgen; HWK/ Henssler, § 3 TVG Rz. 18b; Gaul/Ludwig, ArbRB 2012, 282, 285. 7 BAG v. 16.4.2008 – 7 AZR 132/07, NJW 2008, 2279, Rz. 16. 8 BAG v. 24.9.2008 – 6 AZR 76/07, NZA 2009, 154, Rz. 20. 9 BAG v. 21.11.2012 – 4 AZR 85/11, NZA 2013, 512, Rz. 33. 10 BAG v. 9.5.2007 – 4 AZR 319/06, AP Nr. 8 zu § 305c BGB, Rz. 21 ff. (fehlende drucktechnische Hervorhebung einer Änderung der Bezugnahmeklausel bei gleichzeitiger Hervorhebung anderer Änderungen, Überrumpelung bei Vertragsschluss).
826 | Beck
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.142 § 21
Nach der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB obliegt es dem Verwender von AGB, diese hinreichend klar und unmissverständlich zu formulieren. Voraussetzung der Anwendung der Unklarheitenregel ist, dass nach Ausschöpfung der anerkannten Auslegungsmethoden nicht behebbare Zweifel bleiben und keine der Auslegungen den klaren Vorzug verdient. In diesem Fall gehen die Zweifel zu Lasten des Verwenders. Sowohl die Art der Bezugnahme als auch das Bezugsobjekt müssen aus der Klausel hervorgehen1. An der Unklarheitenregelung scheiterte die frühere BAG-Rechtsprechung zur Auslegung von kleinen dynamischen Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabreden bei Tarifgebundenheit des Arbeitgebers. Geht aus der Klausel nicht klar und unmissverständlich hervor, dass die Dynamik aufschiebend bedingt enden soll mit dem Ende der normativen Tarifbindung des Arbeitgebers, kann bei einem Betriebsübergang nicht entgegen dem Wortlaut der Klausel eine nur noch statische Bezugnahme zum Zwecke der Gleichstellung mit tarifgebundenen Arbeitnehmern angenommen werden2. Die dynamische Bezugnahmeklausel wirkt ohne entsprechenden Hinweis vielmehr konstitutiv und verschafft den Arbeitnehmern auch nach Wegfall Tarifgebundenheit des Arbeitgebers einen Anspruch auf Weitergabe der Tarifänderungen, vorbehaltlich etwaiger europarechtlicher Bedenken in Bezug auf einen Fortbestand dieser Dynamik nach Betriebsübergang3.
21.139
Grundsätzlich liegt bei der dynamischen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag auch kein unwirksamer Änderungsvorbehalt i.S.v. § 308 Nr. 4 BGB vor, weil sie dem Arbeitgeber keine Möglichkeit zum einseitigen Eingriff gibt4. Eine Änderung des Inhalts des Arbeitsvertrags kann sich ohne Zustimmung des Arbeitnehmers nur durch eine Änderung der in Bezug genommenen Tarifregelungen ergeben, die der Arbeitgeber nicht einseitig vornehmen kann.
21.140
Es obliegt mithin dem Arbeitgeber, die Bezugnahmeklauseln auslegungsfest zu gestalten, so dass alle möglicherweise erwünschten Konstellationen, also Betriebsübergänge und Restrukturierungen, mögliche Tarifpluralität, Verbandsaustritte oder -wechsel klar geregelt sind. Dazu sollte eine Analyse der Interessenlage stattfinden und geprüft werden, welche Konsequenzen mit der Klausel intendiert werden. Daran anknüpfend ist zu entscheiden, ob eine „kleine (ggf. dynamische) Bezugnahmeklausel“ oder eine „große dynamische Bezugnahmeklausel“ den arbeitgeberseitigen Interessen mit Blick auf die gewünschte Flexibilität Rechnung trägt.
21.141
3. Grundsatz: Übergang gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB Findet ein Tarifvertrag auf der Grundlage einer einzelvertraglichen Bezugnahme Anwendung, kommt die Transformation gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht zum Tragen, da dieser eine normative Geltung des Tarifvertrages vor dem Betriebsübergang voraussetzt5. Maßgeblich ist nur § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB. Danach tritt der übernehmende Rechtsträger ohne Einschränkung in die einzelvertraglich begründete Rechtsposition des übertragenden Rechtsträgers ein. Zu dieser gehört auch die individualrechtliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag6. Auch Bezugnahmeklauseln auf kirchliche Arbeitsrechtsregelungen gelten nach neuerer Rechtsprechung des BAG beim Übergang des Betriebs auf einen nichtkirchlichen Erwerber gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB weiter7.
1 2 3 4 5 6 7
BAG v. 9.11.2005 – 5 AZR 128/05, NZA 2006, 202, Rz. 16 ff. BAG v. 22.10.2008 – 4 AZR 793/07, NZA 2009, 323, 326. Preis, NZA 2010, 361, 363. BAG v. 21.11.2012 – 4 AZR 85/11, NZA 2013, 512, Rz. 43. BAG v. 6.7.2011 – 4 AZR 501/09, NJOZ 2012, 587, Rz. 55. BAG v. 23.9.2009 – 4 AZR 331/08, NZA 2010, 513, Rz. 16. BAG v. 11.7.2019 – 6 AZR 40/17, NZA-RR 2019, 590, Rz. 19.
Beck | 827
21.142
§ 21 Rz. 21.143 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
21.143
Nach älterer gefestigter Rechtsprechung des BAG war eine nachteilige Änderung ohne Sachgrund unzulässig1. Daran hält das BAG aber nach seiner Entscheidung vom 7.11.2007 nicht mehr fest und schließt sich somit der bereits in der Vorauflage vertretenen Auffassung an. Einvernehmliche Änderungen der Arbeitsbedingungen beim übernehmenden Rechtsträger (nach dem Betriebsübergang) sind damit ohne Rücksicht auf die einjährige Sperrfrist statthaft und können nach den allgemeinen Regeln der Vertragsfreiheit auch zu Verschlechterungen der bisherigen Arbeitsbedingungen führen2. Dies ermöglicht eine Harmonisierung der Arbeitsvertragsbedingungen mit jenen des Erwerberunternehmens oder die Umsetzung eines Restrukturierungsbedarfs des übernommenen Betriebs, womit ein Betriebsübergang in der Praxis stehen und fallen kann. Offengelassen hat das BAG in seiner Entscheidung vom 7.11.2007 allerdings, ob der Erwerber ohne sachlichen Grund mit den Arbeitnehmern den Erlass bereits entstandener Ansprüche vereinbaren kann und inwiefern die Anwartschaften der übergehenden Arbeitnehmer auf betriebliche Altersversorgung verschlechtert werden können3. Insofern ist die Entwicklung der Rechtsprechung abzuwarten. Es ist jedoch nicht erkennbar, weshalb Arbeitnehmer nach einem Betriebsübergang nicht auf dieselbe Weise auf vertragliche Ansprüche verzichten können sollen wie andere Arbeitnehmer (oder dieselben Arbeitnehmer gegenüber dem vorherigen Betriebsinhaber vor dem Betriebsübergang), wenn auch nach Auffassung des BAG „grundsätzlich die gleiche Vertragsfreiheit (herrscht), wie sie im Veräußererbetrieb bestanden hat“4. Sollte das BAG für diesen Bereich am Erfordernis eines sachlichen Grundes festhalten, wären die Anforderungen an einen solchen Grund für die Praxis von wesentlichem Interesse. In der Vergangenheit hatte das BAG hierzu vertreten, dass ein sachlicher Grund insbesondere dann vorliege, wenn die Maßnahme dem Erhalt von Arbeitsplätzen dient5. Ein sachlicher Grund dürfte aber auch in dem Ziel der Harmonisierung der Arbeitsbedingungen beim Betriebserwerber liegen, da dies mit der Wertung des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB übereinstimmt, der individualvertragliche Änderungen der nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgeltenden Kollektivnormen nach Ablauf der Sperrfrist ermöglicht.
21.144
Ein Verzicht auf oder eine Abfindung von unverfallbaren Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung, die im Zusammenhang mit der Änderung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag der betrieblichen Altersversorgung vereinbart ist, ist im laufenden Arbeitsverhältnis grundsätzlich zulässig (§ 3 Abs. 1 BetrAVG)6. Hinsichtlich einer entsprechenden Abfindung von Versorgungsanwartschaften in zeitlichem Zusammenhang mit einem Betriebsübergang hat der für betriebliche Altersversorgung zuständige 3. Senat bisher nur entschieden, dass diese zulässig ist, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist7. Das Urteil des 5. Senats vom 7.11.2007 hat der 3. Senat bisher noch nicht für die betriebliche Altersversorgung nachvollzogen. Im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang ist ein Erlass daher aufgrund der ungeklärten Rechtslage problematisch. Der Betriebserwerber sollte
1 BAG v. 4.3.1993 – 2 AZR 507/92, NZA 1994, 260; BAG v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866, Rz. 23. 2 Vgl. BAG v. 7.11.2007 – 5 AZR 1007/06, NZA 2008, 530, Rz. 15; dazu Willemsen, NZA-Beil. 2008, 155, 162 f. 3 BAG v. 7.11.2007 – 5 AZR 1007/06, NZA 2008, 530, Rz. 17. 4 BAG v. 7.11.2007 – 5 AZR 1007/06, NZA 2008, 530, Rz. 15. 5 BAG v. 26.1.1977 – 5 AZR 302/75, NJW 1977, 1470. 6 Blomeyer/Rolfs/Otto/Rolfs, BetrAVG, 7. Aufl. 2018, § 3 Rz. 22 ff. 7 BAG v. 29.10.1985 – 3 AZR 485/83, AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung; ebenso auch für den Verzicht gegenüber dem Betriebsveräußerer BAG v. 12.5.1992 – 3 AZR 247/91, NZA 1992, 1080.
828 | Beck
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.147 § 21
sich daher im Kaufvertrag entsprechend absichern oder das Risiko der Unwirksamkeit der Erlassverträge bei der Kaufpreisberechnung bewerten, einschließlich der eventuell bei Renteneintritt der übernommenen Arbeitnehmer zu führenden langwierigen Arbeitsgerichtsprozesse. Bei einer Vertragsänderung mit dem bisherigen Arbeitgeber durch den eine ausdrückliche oder konkludente Bezugnahme auf einen Tarifvertrag aufgehoben oder abgeändert wird, liegen die Probleme ähnlich. So soll ein Erlassvertrag nach Auffassung des 8. Senats wegen einer Umgehung des § 613a Abs. 1 Satz 1, § 134 BGB nichtig sein, wenn er unter der Bedingung eines künftigen Betriebsübergangs geschlossen wird1. Der 8. Senat lässt dabei offen, wie seine Rechtsprechung mit dem o.g. Urteil des 5. Senats vom 7.11.2007 vereinbar ist2. Wichtig für die Vorbereitung entsprechender Maßnahmen im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang ist jedoch, dass dieser Fall nicht verallgemeinerungsfähig ist, da der bisherige Arbeitgeber den Erlass unter die Bedingung des Betriebsübergangs gestellt hatte. Wäre ihm der Erlass auch ohne Betriebsübergang zugutegekommen, hätte dieser wirksam sein müssen3. Denn auch ohne Aussicht auf einen Betriebsübergang können Arbeitnehmer zur Unterstützung einer Restrukturierung in der Krise des Arbeitgeberunternehmens auf Ansprüche (entstandene oder künftige) verzichten. Zudem ist es im Hinblick auf die Entscheidung vom 7.11.2007 nicht nachvollziehbar, weshalb ein Arbeitnehmer nach dem Betriebsübergang auf Ansprüche verzichten können soll, nicht aber davor zur Ermöglichung eines solchen Betriebsübergangs.
21.145
Kommt keine einvernehmliche Vertragsänderung mit dem übernommenen Arbeitnehmer zustande, sind Änderungen nur im Wege der Änderungskündigung (§§ 1, 2 KSchG) umsetzbar. Die Voraussetzungen der Änderungskündigung zur Beseitigung bzw. Veränderung der Bezugnahmeklausel liegen jedoch in der Regel nicht vor. Das Festhalten an vereinbarten Vertragsbedingungen stellt nämlich keinen verhaltens- oder personenbedingten Kündigungsgrund dar4. Auch die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zwischen im Wege des Betriebsübergangs übernommenen Mitarbeitern und der Stammbelegschaft rechtfertigt nach Auffassung des BAG keine betriebsbedingte Änderungskündigung zur Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen5. Die Voraussetzungen einer betriebsbedingten Änderungskündigung sind im Zweifel nicht darlegbar (vgl. zur Änderungskündigung bei dynamischen Bezugnahmeklauseln Rz. 21.159)6.
21.146
4. Einzelne Rechtsfolgen Der übernehmende Rechtsträger tritt gem. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB in die einzelvertraglich geltende Bezugnahmeklausel ein7. Dies ist das Grundprinzip. Es kommt daher nicht zu der individualvertraglichen Transformation des Tarifvertrages und der Änderungssperre gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB. Dementsprechend unterbleibt bei der einzelvertraglichen Anwendung eines Tarifvertrages auch die Ablösung durch einen beim Betriebserwerber geltenden Ta-
BAG v. 19.3.2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091, Rz. 26 f.; dazu Bunte, NZA 2010, 319. BAG v. 19.3.2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091, Rz. 29. So auch WHSS/Willemsen, Umstrukturierung, G Rz. 195. Vgl. BAG v. 25.10.2001 – 2 AZR 216/00, EzA § 626 BGB Änderungskündigung Nr. 2. BAG v. 28.4.1982 – 7 AZR 1139/79, AP Nr. 3 zu § 2 KSchG 1969. ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 120; Dzida/Wagner, NZA 2008, 571, 572; MünchKommBGB/MüllerGlöge, § 613a BGB Rz. 136. 7 BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364, Rz. 12; Jacobs, NZA-Beil. 2009, 45, 50.
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Beck | 829
21.147
§ 21 Rz. 21.147 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
rifvertrag gemäß § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB, da dies nur für transformierte Tarifverträge i.S.v. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB gilt. Auch eine analoge Anwendung kommt nicht in Betracht1.
21.148
Die Auswirkungen von Bezugnahmeklauseln bei einem Betriebsübergang werden im Folgenden anhand der einzelnen Tarifkonstellationen bei übertragendem und übernehmendem Rechtsträger dargestellt. a) Rechtsfolgen bei fehlender Tarifbindung des übertragenden und des übernehmenden Rechtsträgers
21.149
Wenn weder der bisherige Arbeitgeber noch der Betriebserwerber tarifgebunden sind, ändert sich durch den Betriebsübergang an der Bezugnahme auf die Tarifverträge nichts. Der übernehmende Rechtsträger tritt nach den allgemeinen Grundsätzen gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB in diese Vertragsklausel ein. Danach gelten die bislang in Bezug genommenen Regelungen im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses fort. Die Reichweite der zukünftigen Bindung des Erwerbers hängt von der Ausgestaltung der Bezugnahmeklausel ab. Hat sie in zeitbezogener Hinsicht dynamischen Charakter, muss der Erwerber die künftigen Änderungen des in Bezug genommenen Tarifvertrags weitergeben. b) Rechtsfolgen bei fehlender Tarifbindung des übernehmenden Rechtsträgers
21.150
Bestand vor Betriebsübergang neben der einzelvertraglichen Bezugnahme auch eine normative Tarifgebundenheit des bisherigen Arbeitgebers und ist der Erwerber nicht tarifgebunden, tritt die Rechtsfolge aus § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB neben die aus § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, bei der nur eine statische Weitergeltung der Tarifnormen im Arbeitsverhältnis zwischen Erwerber und Arbeitnehmer erfolgt, und geht im Umfang ggf. weiter als diese.
21.151
Das BAG hat in seiner früheren Rechtsprechung2 im Zweifel kleine dynamische Bezugnahmeklauseln entgegen ihrem Wortlaut als bloße Gleichstellungsabreden ausgelegt und eine nur noch statische Wirkung der Bezugnahme angenommen, wenn nach einem Betriebsübergang auch die normativ gebundenen Arbeitnehmer nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nur noch statisch dem Tarifvertrag unterfielen, weil der Erwerber nicht tarifgebunden ist. Mit einer Rechtsprechungsänderung im Jahr 2005 hat das BAG diese Rechtsprechung aufgegeben3. Es stützt sich dabei in erster Linie auf die durch die Schuldrechtsreform eingeführten Anforderungen an die Inhaltskontrolle von Formulararbeitsverträgen, namentlich die Unklarheitenregel des § 305c BGB und das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Für dynamische Verweisungen auf einschlägige Tarifverträge gelte nicht mehr die Auslegungsregel, dass sie stets als bloße Gleichstellungsklauseln zu verstehen sind, wenn es keine besonderen Anhaltspunkte dafür gibt. Das bedeutet: Sieht die Bezugnahmeklausel eine nicht ausdrücklich durch das Ende der Tarifbindung des Arbeitgebers auflösend bedingte zeitliche Dynamik vor, so ändert auch ein Betriebsübergang auf einen nicht tarifgebundenen Arbeitgeber daran nichts; die Dynamik bleibt in Form einer „unbedingten zeitdynamischen Verweisung“ erhalten. Gleichstellungs-
1 BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364, Rz. 19; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 216; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 127. 2 BAG v. 20.2.2002 – 4 AZR 123/01, NZA 2003, 933; BAG v. 16.10.2002 – 4 AZR 467/01, NZA 2003, 390. 3 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04; NZA 2006, 607, Rz. 19.
830 | Beck
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.153 § 21
abreden sind mithin nicht ausgeschlossen, müssen aber hinreichend transparent und eindeutig gestaltet sein1. Die dynamische Fortgeltung des Tarifvertrages auf der Grundlage von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB gilt im Übrigen auch für tarifgebundene Arbeitnehmer, obwohl hier § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB an sich die statische Fortgeltung anordnet, wenn auch die Arbeitsverträge dieser Mitarbeiter – wie in der Praxis üblich – eine dynamische Bezugnahmeklausel enthalten2. Eine Unterscheidung der Arbeitsverträge nach organisierten und nicht organisierten Arbeitnehmern ist in der Regel ausgeschlossen, da dem Arbeitgeber die Gewerkschaftszugehörigkeit nicht bekannt sein wird und er auch nicht das Recht hat, den Arbeitnehmer bei der Einstellung danach zu fragen3. Entgegen einer älteren Auffassung, bei beiderseitiger Tarifbindung komme der Bezugnahme nur deklaratorische Bedeutung zu4, ist der Bezugnahme auf einen Tarifvertrag nach der jüngeren Rechtsprechung stets konstitutiver Charakter zuzumessen5.
21.152
Aus Vertrauensschutzgründen wendet das BAG die neue Rechtsprechung nur auf ab dem 1.1.2002 (Inkrafttreten der Schuldrechtsreform) geschlossene Arbeitsverträge an6. Dies kann eine Teilung der übergehenden Belegschaft zur Folge haben in (1) Mitarbeiter mit Altverträgen mit der bisher üblichen dynamischen Bezugnahmeklausel, (2) Mitarbeiter mit Neuverträgen mit derselben Klausel und (3) Mitarbeiter mit an die neue Rechtsprechung angepassten Gleichstellungsklauseln. Bei einem Betriebsübergang kommt es für die Gruppen (1) und (3) zu einer statischen Fortgeltung des Tarifvertrages, für die Gruppe (2) zu einer dynamischen Fortgeltung. Wird ein vor dem 1.1.2002 geschlossener Arbeitsvertrag im weiteren Verlauf des Arbeitsverhältnisses geändert, stellt sich die Frage, ob er nach wie vor dem Vertrauensschutz unterliegt oder zu einem „Neuvertrag“ wird. Nach Auffassung des BAG kommt es für die Qualifikation als „Neu- oder Altvertrag“ maßgebend darauf an, ob bei der Vertragsänderung auch die ursprüngliche Bezugnahme zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung gemacht wurde. Sei dies der Fall, handele es sich um einen Neuvertrag7. Dazu soll es schon ausreichen, wenn der Änderungsvertrag die Erklärung enthält, dass „alle anderen Regelungen des Arbeitsvertrags unverändert fortgelten“8 oder „unberührt bleiben“9. Beim Abschluss von Änderungsverträgen sollte daher die Gelegenheit genutzt werden, eine der engen Rechtsprechung des BAG entsprechende Bezugnahmeklausel aufzunehmen. Alternativ kann die bisherige Klausel, die dem Vertrauensschutz unterliegt, aufrechterhalten werden, indem die Bezugnahmeklausel nicht zum Gegenstand der Änderungsvereinbarung gemacht wird10. Klarstellende – schriftliche oder mündliche – Hinweise zur unveränderten Fortgeltung der übrigen Arbeitsbedingungen sind dann zu vermeiden.
21.153
1 Vgl. z.B. das Formulierungsbeispiel bei WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 244. 2 BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364, Rz. 13; Hohenstatt/Kuhnke, RdA 2009, 107, 108. 3 HWK/Henssler, § 3 TVG Rz. 16. 4 Schwab, BB 1994, 781, 783; Hanau, NZA 2005, 489, 490. 5 BAG v. 17.1.2006 – 9 AZR 41/05, NZA 2006, 923, Rz. 27 f.; ausdrücklich auch nach der Rechtsprechungsänderung: BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965, Rz. 26. 6 BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965, LS 2; Gaul/Jares, DStR 2013, 658. 7 BAG v. 7.12.2016 – 4 AZR 414/14, NZA 2017, 597 Rz. 31; BAG v. 3.7.2019 – 4 AZR 312/18, NZA 2019, 1529 Rz. 18 ff. 8 BAG v. 21.10.2015 – 4 AZR 649/14, AP § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 134, Rz. 33; BAG v. 3.7.2019 – 4 AZR 312/18, NZA 2019, 1592, Rz. 19 ff.; Gaul/Ludwig, ArbRB 2012, 282, 284. 9 Vgl. BAG v. 7.12.2016 – 4 AZR 414/14, NZA 2017, 597 Rz. 31. 10 Gaul/Ludwig, ArbRB 2012, 282, 284.
Beck | 831
§ 21 Rz. 21.154 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
21.154
In dem Werhof-Urteil aus dem Jahr 2006 hatte der EuGH festgestellt, dass der Erwerber, der nicht Partei eines den Veräußerer bindenden Kollektivvertrags ist, auf den der Arbeitsvertrag verweist, durch dem Betriebsübergang nachfolgende Tarifverträge nicht gebunden ist1. Damit erkannte der EuGH die frühere Rechtsprechung des 4. Senats als europarechtlich nicht zu beanstanden an, wonach die Dynamik der Klausel im Falle eines Betriebsübergangs auf einen nicht tarifgebundenen Erwerber zur Gleichstellung mit den unter § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fallenden organisierten Arbeitnehmern zu einer statischen Bezugnahme wurde2. Dieses Urteil wurde teilweise dahingehend verstanden, dass eine nach Betriebsübergang fortbestehende Dynamik der Verweisung auf einen Tarifvertrag den nicht tarifgebundenen Erwerber in seiner negativen Koalitionsfreiheit verletze und daher auf eine statische Bezugnahme zu reduzieren sei3. Das BAG reagierte darauf mit der Feststellung, dass die Bindung des nicht tarifgebundenen Erwerbers an die Dynamik einer Bezugnahme auf einen Tarifvertrag nicht seine negative Koalitionsfreiheit verletzt und ihrerseits weder verfassungs- noch gemeinschaftsrechtlichen Bedenken begegnet4. In seiner Auseinandersetzung mit der abweichenden Literaturansicht beruft sich das BAG zurecht darauf, dass die individualrechtliche dynamische Bezugnahme auf Tarifverträge Ausdruck der privatautonomen Gestaltungsmacht der Vertragsparteien sei und weder die negative Koalitionsfreiheit des bisherigen Arbeitgebers noch des Erwerbers beeinträchtigt5.
21.155
Der EuGH verfolgte seine Linie weiter, indem er im Alemo-Herron-Urteil im Jahr 2013 entschied, dass dynamische Bezugnahmeklauseln auf nach dem Betriebsübergang verhandelte und abgeschlossene Kollektivverträge gegenüber dem Erwerber nicht durchsetzbar sein dürfen, wenn dieser nicht die Möglichkeit hat, an den Verhandlungen über diese Kollektivverträge teilzunehmen6.
21.156
Die Bewertung der Konsequenzen dieser Entscheidung für das deutsche Recht war uneinheitlich. Einige Stimmen vertraten auch bezüglich dieser Entscheidung, dass sie die Rechtsprechung des BAG zur Fortgeltung der Dynamik einer arbeitsvertraglichen Bezugnahme bei Betriebsübergang grundlegend in Frage stelle7. Kleine dynamische Bezugnahmeklauseln könnten nach einem Betriebsübergang lediglich statisch fortgelten. Im zugrundeliegenden Sachverhalt hatte ein Betriebsübergang von einem öffentlichen auf einen privaten Arbeitgeber stattgefunden. Der Erwerber konnte dem tarifschließenden Verband öffentlicher Arbeitgeber nicht beitreten. Insofern dürfte die Argumentation nicht auf Fälle übertragbar sein, in denen es dem Erwerber freisteht, sich dem entsprechenden Arbeitgeberverband anzuschließen.
21.157
Diverse Instanzentscheidungen haben sich ebenfalls mit der Frage der Übertragbarkeit der EuGH-Entscheidung auf den jeweiligen Sachverhalt befasst. Das Hessische LAG entschied, dass der Erwerber nach einem Betriebsübergang an eine kleine dynamische Bezugnahme auf einen Tarifvertrag (des öffentlichen Dienstes) gebunden sei, auch wenn er keinen Einfluss auf
1 EuGH v. 9.3.2006 – C-499/04, NZA 2006, 376, Rz. 37. 2 Lobinger, NZA 2013, 945, 945. 3 Meinel/Herms, DB 2006, 1429, 1430; Melot de Beauregard, NJW 2006, 2522, 2525; Simon/Kock/ Halbsguth, ZIP 2006, 726, 727 f. 4 BAG v. 23.9.2009 – 4 AZR 331/08, NJW 2010, 1831, Rz. 19; vgl. auch BAG v. 24.2.2010 – 4 AZR 691/08, NZA-RR 2010, 530, Rz. 49. 5 BAG v. 21.10.2009 – 4 AZR 396/08, NZA-RR 2010, 361, Rz. 36 ff. 6 EuGH v. 18.7.2013 – C-426/11, NZA 2013, 835. 7 So Lobinger, NZA 2013, 945, 947; Willemsen/Grau, NJW 2014, 12, 15 f.; Naber/Krois, BB 2015, 1600; a.A. Jacobs/Frieling, EuZW 2013, 737, 739.
832 | Beck
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.159 § 21
die Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes nehmen könne1. Das Alemo-Herron-Urteil stehe dem nicht entgegen, da es sich auf kollektivrechtlich begründete Rechte und Pflichten beziehe, nicht aber auf die hier in Rede stehende individualvertraglich vereinbarte dynamische Anwendbarkeit des Tarifvertrages. Deswegen sei mangels kollektiven Bezugs auch kein Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit gegeben2. Es stehe dem Erwerber frei, mit den Arbeitnehmern Änderungsverträge zu schließen oder eine Änderungskündigung auszusprechen, sodass die unternehmerische Freiheit ausreichend geschützt sei3. Das LAG Berlin-Brandenburg4, das LAG Mecklenburg-Vorpommern5 und das Sächsische LAG6 entschieden ähnlich. Der EuGH hat sich auf das vom BAG eingeleitete Vorabentscheidungsverfahren hin7 mittlerweile in der Rechtssache Asklepios zu der Frage geäußert, allerdings keine abschließende Klärung herbeigeführt. Im Rahmen der Vertragsfreiheit zwischen Veräußerer und Arbeitnehmer vereinbarte dynamische Bezugnahmeklauseln sollen danach grundsätzlich dynamisch fortgelten. Wenn der Betriebserwerber in der Lage sei, nach dem Übergang die für die Fortsetzung seiner Tätigkeit erforderlichen Anpassungen vorzunehmen, stünden seiner Bindung an eine dynamische Bezugnahmeklausel infolge von § 613a Abs. 1 BGB unionsrechtliche Vorschriften nicht entgegen8. Gleich den zitierten Entscheidungen der Landgerichte hält der EuGH es dabei für ausreichend, dass der Betriebserwerber Änderungsvereinbarungen schließen und Änderungskündigungen aussprechen könne – allerdings ohne diese Frage des nationalen Rechts näher zu prüfen9. Dass dem Erwerber tatsächlich Mittel für eine einseitige Änderung einer dynamischen Bezugnahmeklausel zur Verfügung stehen, ist jedoch mehr als zweifelhaft. Diese Bedenken gelten unabhängig davon, dass das BAG in seinen folgenden Urteilen Änderungsvereinbarung und Änderungskündigung als ausreichende Anpassungsinstrumente im Sinne der EuGH-Rechtsprechung gebilligt hat10.
21.158
Unter welchen Voraussetzungen eine Änderungskündigung zum Zwecke der „Entdynamisierung“ einer Bezugnahmeklausel sozial gerechtfertigt ist, hat das BAG bisher nämlich offengelassen11. Ungeklärt ist auch, ob und unter welchen Umständen Kostensteigerungen, die der Erwerber bei seiner Entscheidung, einen Betrieb zu übernehmen, nicht einkalkuliert hat, zu einer Störung der Geschäftsgrundlage führen können oder Teil des von ihm zu tragenden unternehmerischen Risikos bleiben. Auch ob die Rechtsprechung des BGH übertragbar sei, wonach eine Störung der Geschäftsgrundlage im Dauerschuldverhältnis bei einer dauerhaften,
21.159
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11
Hessisches LAG v. 10.12.2013 – 8 Sa 537/13, juris Rz. 105. Hessisches LAG v. 10.12.2013 – 8 Sa 537/13, juris Rz. 108. Hessisches LAG v. 10.12.2013 – 8 Sa 537/13, juris Rz. 115 ff. LAG Berlin-Brandenburg v. 3.12.2014 – 24 Sa 1126/14, juris. LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 20.11.2014 – 5 Sa 96/14, juris, Bezug nehmend auf BAG v. 22.10.2008 – 4 AZR 784/07, NZA 2009, 151, Rz. 22. Sächsisches LAG v. 24.3.2015 – 1 Sa 541/14, NZA-RR 2015, 286; abweichend davon früher bereits die 3. Kammer: Sächsisches LAG v. 25.7.2014 – 3 Sa 128/14, juris. BAG v. 17.6.2015 – 4 AZR 61/14 (A), BB 2016, 570. EuGH v. 27.4.2017 – C-680/15, NZA 2017, 571. EuGH v. 27.4.2017 – C-680/15, NZA 2017, 571, Rz. 24 ff. BAG v. 30.8.2017 - 4 AZR 95/14, NZA 2018, 255, Rz. 50; BAG v. 23.11.2017 - 6 AZR 683/16, NZA 2018, 311, Rz. 29; BAG v. 16.5.2018 - 4 AZR 209/15, NZA 2018, 1489, Rz. 37; zustimmend Bayreuther, NJW 2017, 2158, 2159; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 127c; Eylert/Schinz, RdA 2017, 140, 145; ablehnend HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 280a; Busch/Gerlach, BB 2018, 1780, 1781 f.; Willemsen/Krois/Mehrens, RdA 2018, 151, 162 f. BAG v. 23.11.2017 - 6 AZR 683/16, NZA 2018, 311, Rz. 31.
Beck | 833
§ 21 Rz. 21.159 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
auf billigerweise nicht vorauszusehenden Umständen beruhenden Verlustsituation vorliegen könne1, hat das BAG dahinstehen lassen2. Ein „gesteigertes Anpassungsinteresse“ im Fall des Übergangs eines Betriebs, für dessen Arbeitnehmer die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes vertraglich in Bezug genommen waren, auf einen dem Privatsektor zugehörigen Erwerber, besteht laut BAG jedenfalls nicht3. Zwar sollen laut BAG im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung des § 2 Abs. 1 KSchG an die Änderungskündigung zur Beendigung der dynamischen Tarifbindung durch Bezugnahmeklausel nicht dieselben strengen Anforderungen zu stellen sein wie an eine Änderungskündigung zur Entgeltabsenkung4. Denn es gehe bei der Entdynamisierung einer Bezugnahmeklausel nicht um Entgeltabsenkung, sondern um die Aufrechterhaltung des bereits bestehenden Entgeltniveaus5. Ob aber selbst im Fall der Änderungskündigung allein zur Entdynamisierung das Harmonisierungsinteresse des Erwerbers ein dringendes betriebliches Erfordernis darstellt6, das den Erwerber zur Änderungskündigung berechtigt, dürfte weiterhin zweifelhaft bleiben. c) Rechtsfolgen bei identischer Tarifbindung von übertragendem und übernehmendem Rechtsträger
21.160
Sind der übertragende und der übernehmende Rechtsträger identisch tarifgebunden, ändert sich durch den Betriebsübergang nichts. Für die organisierten Arbeitnehmer gelten die Verbandstarifverträge bereits kollektivrechtlich fort, für die nicht organisierten und organisierten Arbeitnehmer mit entsprechenden Arbeitsverträgen aufgrund der jeweiligen Bezugnahmeklausel.
21.161
Ist die identische Tarifbindung im Rahmen eines Betriebsübergangs erwünscht, sollte darauf geachtet werden, dass der übernehmende Rechtsträger bereits im Zeitpunkt des Betriebsübergangs Verbandsmitglied ist. Andernfalls kann eine Zwischenphase eintreten, in der für vor dem 1.1.2002 eingestellte nicht organisierte Arbeitnehmer, die unter die Vertrauensschutz-Rechtsprechung des BAG fallen, die Tarifverträge lediglich statisch fortgelten. Dasselbe gilt für nach dem 1.1.2002 eingestellte Arbeitnehmer, mit denen eine der geänderten Rechtsprechung des BAG entsprechende Gleichstellungsabrede vereinbart wurde (siehe Rz. 21.162). d) Besonderheiten bei einer anderen Tarifbindung auf Seiten des übernehmenden Rechtsträgers (Tarifwechsel)
21.162
Schwierigkeiten werden durch eine einzelvertragliche Bezugnahmeklausel in der Betriebspraxis auch dann ausgelöst, wenn der übernehmende Rechtsträger an einen eigenen Firmentarifvertrag oder an andere Verbandstarifverträge als der übertragende Rechtsträger gebunden ist. Diese Tarifverträge können auf die Arbeitsverhältnisse der übernommenen Arbeitnehmer gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB zur Anwendung kommen, wenn sie mit derselben Gewerkschaft geschlossen sind wie die beim Veräußerer geltenden Tarifverträge (vgl. Rz. 21.61 ff.).
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BGH v. 19.4.1978 – VIII ZR 182/76, NJW 1978, 2390. BAG v. 23.11.2017 - 6 AZR 683/16, NZA 2018, 311, Rz. 31. BAG v. 16.5.2018 - 4 AZR 209/15, NZA 2018, 1489, Rz. 38 ff. BAG v. 30.8.2017 - 4 AZR 95/14, NZA 2018, 255, Rz. 54 f. BAG v. 30.8.2017 - 4 AZR 95/14, NZA 2018, 255, Rz. 57. Dagegen Willemsen/Krois/Mehrens, RdA 2018, 151, 163; dafür Wahlig/Brune, NZA 2018, 221, 226; für eine europarechtskonforme Spezifizierung der Voraussetzungen der Änderungskündigung sprechen sich aus Greiner/Pionteck, RdA 2020, 169, 178.
834 | Beck
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.163 § 21
Bei einer Allgemeinverbindlichkeit dieser Tarifverträge kommt es nicht einmal darauf an, ob die vom Übergang ihres Arbeitsverhältnisses betroffenen Arbeitnehmer Mitglied der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft sind (vgl. Rz. 21.67). Obwohl damit – was die normative Tarifbindung betrifft – ein Tarifwechsel eingetreten ist, kann eine einzelvertragliche Bezugnahmeklausel dazu führen, dass – statisch oder in zeitlicher Hinsicht dynamisch – auch nach dem Übergang darüber hinaus die Tarifverträge des übertragenden Rechtsträgers Geltung beanspruchen. Bei nicht organisierten Arbeitnehmern kann es dann kraft der einzelvertraglichen Bezugnahme bei dem bisherigen Tarifvertrag bleiben, während die organisierten Arbeitnehmer normativ an den beim Erwerber geltenden Tarifvertrag gebunden sind. Als Lösungsansätze für dieses unbefriedigende Auseinanderfallen der Tarifbindung wurden in der Vergangenheit die Störung der Geschäftsgrundlage, eine analoge Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB und die Auslegung der Bezugnahmeklausel diskutiert. Der Meinungsstand wurde in der Vorauflage ausführlich dargestellt mit einer Präferenz für die seinerzeit herrschende Auslegungslösung. Nach diesem Ansatz wurde die dynamische Bezugnahmeklausel auf die beim Veräußerer geltenden Tarifverträge als Gleichstellungsabrede ausgelegt mit der Folge, dass auch für die nicht organisierten Arbeitnehmer ein Tarifwechsel eintrat. Diese Auslegung ist nach der Rechtsprechungsänderung des BAG vom 14.12.2005 allerdings neu zu bewerten1. Die Auslegung muss sich nunmehr am Wortlaut orientieren, nicht am Gleichstellungszweck der Klausel2. Dabei ist zu beachten, dass das BAG bei der Auslegung einer dynamischen Bezugnahme- als Tarifwechselklausel keinen Vertrauensschutz bzgl. seiner früheren Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede gewährt3. Das BAG wendet den Vertrauensschutz nur an, wenn es um die zeitliche Dynamisierung der Fortgeltung des Tarifvertrages nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB beim Erwerber geht, nicht aber bei einem Tarifwechsel. Der Vertrauensschutz rechtfertigt also keinen Wechsel des Tarifvertrags; vielmehr bleibt kraft Bezugnahmeklausel der dort genannte Tarifvertrag auch im Anschluss an das Wirksamwerden des Übertragungsvorgangs anwendbar. Lässt sich dem Wortlaut entnehmen, dass alle Tarifverträge einer bestimmten Branche in Bezug genommen werden, kann dies auch einen Firmentarifvertrag des Erwerbers mit derselben Gewerkschaft, die den beim Veräußerer geltenden Verbandstarifvertrag geschlossen hat, umfassen. Für organisierte Arbeitnehmer gilt der Firmentarifvertrag in diesem Falle kollektivrechtlich. Nach der früheren Rechtsprechung des BAG umfasste die Bezugnahmeklausel in diesem Fall im Zweifel auch den Firmentarifvertrag, um eine Gleichstellung von organisierten und nicht organisierten Arbeitnehmern zu erzeugen4. Nach der neuen Rechtsprechung kommt es hingegen auf die Auslegung des Wortlauts der Klausel an5. Nimmt der Arbeitsvertrag etwa ausdrücklich nur Verbandstarifverträge in Bezug, werden Firmentarifverträge nicht von der Verweisung erfasst sein. Etwas anderes kann gelten, wenn weitere Umstände hinzutreten, die für die Einbeziehung von Tarifverträgen sprechen, welche die Verbandstarifverträge ändern oder (teilweise) ersetzen. Hier ist im Rahmen der Vertragsgestaltung besonderes Augenmerk 1 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NZA 2006, 607; BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 253/06, NZA 2007, 1455. 2 Vgl. BAG v. 17.11.2010 – 4 AZR 391/09, NZA 2011, 356, Rz. 31; Gaul/Jares, DStR 2013, 658. Eine analoge Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB lehnt das BAG weiterhin ab, BAG v. 16.5.2018 – 4 AZR 209/15, NZA 2018, 1489, Rz. 42 ff. 3 BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 765/06, AP Nr. 62 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag, Rz. 30 ff.; kritisch dazu Hohenstatt/Kuhnke, RdA 2009, 107, 109. 4 BAG v. 14.12.2005 – 10 AZR 296/05, NZA 2006, 744, Rz. 17. 5 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NZA 2006, 607, Rz. 20 f.; BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 253/06, NZA 2007, 1455.
Beck | 835
21.163
§ 21 Rz. 21.163 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
auf die Formulierung der Bezugnahmeklausel im Sinne einer eindeutigen Tarifwechselklausel zu richten1.
21.164
Eine kleine dynamische Bezugnahmeklausel kann in der Regel nicht über ihren Wortlaut hinaus als große dynamische Verweisung ausgelegt werden. Dies ist nach dem BAG nur möglich, wenn besondere Umstände belegen, dass die Arbeitsvertragsparteien den Arbeitsvertrag auch anderen, nicht benannten Tarifverträgen im Falle eines Wechsels unterwerfen wollten. Die Vertragsparteien hätten es in der Hand, die Rechtsfolgen eines Tarifwechsels ausdrücklich zu regeln2. Das BAG hielt es dafür für ausreichend, wenn der Vertrag die „jeweils für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträge“ in Bezug nahm3.
21.165
Lässt sich die Bezugnahmeklausel nicht im Sinne einer Tarifwechselklausel auslegen und bleibt es insoweit bei dem Verweis auf den beim Erwerber geltenden Tarifvertrag, schließt sich für die organisierten Arbeitnehmer eine entscheidende Frage an: Verdrängt die vertragliche Tarifbindung die normative Tarifbindung, wenn der bisher beim Veräußerer geltende und einzelvertraglich in Bezug genommene Tarifvertrag für ihn günstiger ist als der neue Tarifvertrag des Erwerbers? Nach der alten Rechtsprechung des BAG hätte sich hier die normative Tarifgeltung durchgesetzt. Nach der Abkehr des BAG von der Auslegung als Gleichstellungsabrede ist die Situation jedoch nach dem Prinzip des Günstigkeitsvergleichs gemäß § 4 Abs. 3 TVG aufzulösen4. Der bisherige Tarifvertrag des Veräußerers kann sich also durchaus gegen den neuen Tarifvertrag durchsetzen, wenn er günstiger für die Arbeitnehmer ist. Dass dies zu einer Tarifpluralität im Unternehmen des Erwerbers führen kann, nimmt das BAG ausdrücklich hin. Voraussetzung ist freilich, dass diese Günstigkeit in allen Anwendungsfällen gegeben ist. Führt der Sachgruppenvergleich zu einem ambivalenten Ergebnis, ist der in Bezug genommene Tarifvertrag also in einzelnen Fällen nicht günstiger, kommt die Bezugnahme wegen § 4 Abs. 3 TVG, § 134 BGB nicht zur Anwendung. Sie ist unwirksam (vgl. Rz. 21.58 f.). Ein Tarifwechsel auf einen für den Arbeitgeber günstigeren Tarifvertrag ist damit im Rahmen der Ausgliederung von Betriebsteilen erheblich erschwert und setzt eine korrekt gestaltete Tarifwechselklausel voraus.
21.166
Ist der Erwerber an einen mit einer anderen Gewerkschaft geschlossenen Tarifvertrag gebunden, kommt es für die organisierten Arbeitnehmer nicht zu einer Geltung des neuen Tarifvertrages, da sie einer anderen (der bisher beim Veräußerer zuständigen) Gewerkschaft angehören, sofern sie nicht die Gewerkschaft wechseln. Denn der beim Erwerber geltende Tarifvertrag kann den bisherigen Tarifvertrag mangels kongruenter Bindung nicht gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB ablösen (vgl. Rz. 21.66 ff.). Soweit der Arbeitnehmer vor dem Übergang des Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes an den bisherigen Tarifvertrag gebunden war, bleibt es bei der statischen Fortgeltung dieses Tarifvertrages nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB. In diesem Fall tritt auch keine im Sinne einer Tarifeinheit aufzulösende Tarifpluralität gemäß dem durch das Tarifeinheitsgesetz eingeführten § 4a TVG ein, da diese eine normative Bindung an Tarifverträge
1 Vgl. z.B. Formulierungsvorschläge bei Bauer/Lingemann/Diller/Haußmann/Lingemann, Anwaltsformularbuch Arbeitsrecht, M 2.2; Maschmann/Sieg/Göpfert/Holthausen, Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, C.240 Rz. 43 f.; Preis/Greiner, Der Arbeitsvertrag, II V 40 Rz. 41 ff. 2 BAG v. 22.10.2008 – 4 AZR 184/07, NZA 2009, 151, Rz. 20 f.; BAG v. 17.11.2010 – 4 AZR 391/09, NZA 2011, 356, Rz. 25. 3 BAG v. 21.11.2012 – 4 AZR 85/11, NZA 2013, 512, Rz. 30. 4 BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364, Rz. 20; BAG v. 7.7.2010 – 4 AZR 1023/08, NZA-RR 2011, 30, Rz. 30; Gaul/Jares, DStR 2013, 658; vgl. zu der früheren Rspr. des BAG Lingemann, FS 25 Jahre ARGE Arbeitsrecht im DAV, 2006, 71, 82.
836 | Beck
Tarifverträge bei der Übertragung auf andere Rechtsträger | Rz. 21.168 § 21
mehrerer Gewerkschaften nach § 3 TVG voraussetzt1. Vielmehr führt auch die Bezugnahmeklausel weiterhin zu einer Bindung an den bisherigen Tarifvertrag. Wenn nach dem Betriebsübergang jedenfalls auf der Grundlage des Arbeitsvertrags die Tarifverträge der anderen Gewerkschaft/Branche gelten sollen, bedarf es hierzu einer Tarifwechselklausel („große dynamische Bezugnahmeklausel“) in den Arbeitsverträgen2. Folge einer Tarifwechselklausel ist dann regelmäßig, dass für organisierte und nicht organisierte Arbeitnehmer kraft Bezugnahme der neue Tarifvertrag einzelvertraglich gilt, sofern der Erwerber durch Verbandsmitgliedschaft oder Abschluss eines Firmentarifvertrages kraft Gesetzes an diesen Tarifvertrag gebunden ist und es somit einen „einschlägigen“ oder „geltenden“ Tarifvertrag gibt3. Für die bisher beim Veräußerer organisierten Arbeitnehmer kommt es allerdings zusätzlich zu einer statischen Fortgeltung des bisherigen Tarifvertrages gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB. Es liegt dann nah, in der Tarifwechselklausel eine anderweitige Vereinbarung i.S.v. § 613a Abs. 1 Satz 4 Alt. 2 BGB zu sehen, wonach bei einem statisch transformierten Tarifvertrag (§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB) bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags dessen Anwendung vereinbart werden kann. Der kraft Vereinbarung geltende Tarifvertrag ersetzt dann den bisherigen (vgl. Rz. 21.86 ff.). Es spricht viel dafür, dass auch die Tarifwechselklausel eine solche Vereinbarung darstellt, auch wenn sie bereits vor dem Betriebsübergang und mit dem Veräußerer und nicht dem Erwerber getroffen wurde (vgl. Rz. 21.90)4. Dann wäre auch für bislang organisierte Arbeitnehmer der beim Erwerber geltende Tarifvertrag dynamisch anwendbar, selbst wenn sie nach dem Betriebsübergang nicht Mitglied in der „richtigen“ – der tarifvertragsschließenden – Gewerkschaft sind. Dies ist höchstrichterlich jedoch noch nicht entschieden5. Lehnte das BAG die vorzeitige Ablösung des bisherigen, statisch fortgeltenden Tarifvertrages durch die Tarifwechselklausel ab, teilte sich die im Wege des Betriebsübergangs übergehende Belegschaft in bislang nicht organisierte Arbeitnehmer, die aufgrund der Tarifwechselklausel unter den neuen Tarifvertrag fallen, und die bislang organisierten Arbeitnehmer, deren Arbeitsbedingungen sich – wenn und soweit sie im Rahmen eines Sachgruppenvergleichs günstiger sind – auch nach dem bisherigen, statisch fortgeltenden Tarifvertrag richten. Organisierte Arbeitnehmer, bei denen der nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgeltende Tarifvertrag neben die nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB fortgeltende Bezugnahme träte, wären dann bessergestellt trotz identischer Tarifwechselklausel.
21.167
Hat die Tarifwechselklausel hingegen von vornherein auf einen fachfremden Tarifvertrag verwiesen, gilt dies auch nach einem Betriebsübergang, da die Arbeitsvertragsparteien genau diesen Tarifvertrag anwenden wollten, unabhängig von der Tarifbindung der Parteien. Die einzelvertragliche Verweisung gilt daher nach dem Betriebsübergang mit dem bisherigen Inhalt fort6.
21.168
1 HWK/Willemsen/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 250, 269; Konzen/Schliemann, RdA 2015, 1, 8. 2 Vgl. Grobys/Panzer/Panzer-Heemeier, Stichw. Bezugnahmeklausel, Rz. 9. 3 BAG v. 16.2.2002 – 4 AZR 467/01, NZA 2003, 390; BAG v. 13.5.2020 – 4 AZR 528/19, NZA 2020, 1420, Rz. 14. 4 Bauer/Günther, NZA 2008, 6, 11; Haußmann, FS Bauer, 2010, 411, 413 f.; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 235; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 280b, 283; Meyer, NZA 2003, 1126, 1129; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 122; Hanau, NZA 2005, 489, 492; a.A. Jacobs, Anm. zu BAG v. 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung unter III.; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 138. 5 Offen BAG v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00, NZA 2001, 1318. 6 WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 200.
Beck | 837
§ 21 Rz. 21.169 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
C. Rechtsfolgen für Tarifverträge bei unternehmensinternen Veränderungen 21.169
Auch unternehmensinterne Restrukturierungen können Auswirkungen auf die Tarifgeltung haben. Diese unterscheiden sich kaum von der Situation bei unternehmensübergreifenden Umstrukturierungen, wenn sie schlussendlich zu einem Wechsel des Rechtsträgers führen. Insoweit sei auf die Ausführungen oben in Abschnitt A. verwiesen. Besteht die Restrukturierung jedoch etwa aus einem unternehmensinternen Zusammenschluss von Betrieben oder der Spaltung eines Betriebes, können sich im Hinblick auf dort geltende Tarifverträge Besonderheiten ergeben. Unternehmensinterne Restrukturierungen finden häufig im Vorfeld oder nach Abschluss einer unternehmensübergreifenden Umstrukturierung im Anwendungsbereich des § 613a BGB statt und sind insoweit in das Gesamtkonzept der Maßnahme einzubinden.
21.170
Der Zusammenschluss zweier Betriebe desselben Unternehmens kann infolge einer räumlichen Zusammenlegung der Betriebe eintreten, sofern in dem zusammengelegten Betrieb eine einheitliche Leitung installiert wird. Aber auch ohne eine räumliche Verbindung kann der Arbeitgeber die Leitungsorganisation der bisher selbstständigen Betriebe in der Weise zusammenfassen, dass ein einheitlicher Betrieb entsteht (vgl. Rz. 2.3 ff.). Dies kann etwa im Zusammenhang mit der Zusammenfassung von Betrieben durch einen Tarifvertrag gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b BetrVG der Fall sein. In diesem Fall ist für die Tarifgeltung maßgeblich, ob der Geltungsbereich des Tarifvertrages an den Betrieb oder das Unternehmen anknüpft. Wenn er an den Betrieb anknüpft, ist zu klären, ob damit nur der betriebsverfassungsrechtliche oder auch der durch Tarifvertrag nach § 3 BetrVG gebildete Betrieb gemeint ist. Nach § 3 Abs. 5 BetrVG gilt die gesetzliche Fiktion zunächst nur für das BetrVG. Die Tarifparteien sind allerdings frei darin, den Geltungsbereich des Tarifvertrages festzulegen, und können daher auch nach § 3 BetrVG gebildete Betriebe einbeziehen. Dies ist im Einzelfall durch Auslegung festzustellen. Ein Anhaltspunkt für die Anknüpfung an den Betriebsbegriff des § 3 Abs. 5 BetrVG auch im Tarifvertrag kann § 4a Abs. 2 Satz 4 TVG sein, wonach ein Betrieb i.S. der Vorschrift auch ein durch Tarifvertrag nach § 3 BetrVG errichteter Betrieb sein kann. Ein Zusammenschluss von Betrieben kann Konsequenzen für die Tarifgeltung haben, wenn eine Voraussetzung der Tarifwirkung entfällt. Ist der Zusammenschluss beispielsweise mit einer räumlichen Verlegung des einen Betriebs verbunden, kann er auf diese Weise aus dem räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags herausfallen. Haben beide Betriebe unterschiedliche Betriebszwecke, kann der Zusammenschluss das Herauswachsen aus dem fachlichen Geltungsbereich des bisher geltenden Tarifvertrages bewirken. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der in dem einen Betrieb bislang geltende Tarifvertrag bei der Kennzeichnung des fachlichen Geltungsbereichs auf die im Betrieb (überwiegend) ausgeübte Tätigkeit abstellt, nach dem Zusammenschluss aber ein anderer Schwerpunkt besteht. So kann die Verbindung einzelner Produktionsbereiche z.B. einen Wechsel aus dem Metall- in den Chemiebereich zur Folge haben. Ebenso kann der Zusammenschluss z.B. eines Produktionsbetriebs von Spezialgeräten mit einem Ladengeschäft zur Folge haben, dass der Betrieb nunmehr statt in den Geltungsbereich des Metalltarifvertrags in jenen des Tarifvertrages für den Groß- und Außenhandel fällt. Entsprechende Wirkungen in Bezug auf den Geltungsbereich eines Tarifvertrags können eintreten, wenn Betriebsteile abgespalten werden und sich damit der Schwerpunkt der im verbleibenden Betrieb ausgeübten Tätigkeit ändert. Unerheblich ist dabei, ob der Teil, der aus einem Betrieb herausgelöst wird, auf einen anderen Rechtsträger übertragen, ob er im gleichen Unternehmen als eigenständiger Betrieb fortgeführt oder mit einem anderen Betrieb zusammengeschlossen wird.
838 | Beck
Rechtsfolgen für Tarifverträge bei unternehmensinternen Veränderungen | Rz. 21.175 § 21
Bei einer solchen Beendigung der Tarifbindung kommt eine Fortgeltung gemäß § 3 Abs. 3 TVG (wie bei einem Verbandsausstritt des Arbeitgebers) nicht in Betracht1. Zweck des § 3 Abs. 3 TVG ist es, für eine Übergangszeit die fehlende Verbandsmitgliedschaft des Arbeitgebers zu ersetzen. Dadurch soll ihm der Anreiz genommen werden, aus dem Arbeitgeberverband auszutreten, um von diesem Zeitpunkt an missliebigen Tarifverträgen zu entgehen. Wie das BAG ausgeführt hat, soll dadurch aber keine Bindung geschaffen werden, die auch bei einer fortbestehenden Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband nicht mehr gegeben wäre, weil der Betrieb des Arbeitgebers nicht mehr dem fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags unterfällt. § 3 Abs. 3 TVG ersetzt nur das Merkmal der Tarifgebundenheit, nicht aber die übrigen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit eines Tarifvertrags. Fehlt es an der satzungsmäßigen Zuständigkeit oder unterfällt ein Betrieb nicht dem Geltungsbereich eines Tarifvertrags, kann dieser keine Wirkung für den Betrieb entfalten. Wächst der Arbeitgeber also durch eine Änderung des Betriebszwecks oder eine Verlagerung aus dem fachlichen oder räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags heraus, muss dieser seine zwingende Wirkung auf das Arbeitsverhältnis verlieren2.
21.171
Folglich spielt es keine Rolle, ob der Arbeitgeber parallel zu den Entwicklungen auf betrieblicher Ebene auch aus dem Arbeitgeberverband austritt. Wächst der Betrieb aus dem Geltungsbereich des Tarifvertrages heraus, greift § 3 Abs. 3 TVG nicht ein, unabhängig von der Verbandszugehörigkeit des Arbeitgebers3.
21.172
Dennoch tritt für die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nicht mehr dem Geltungsbereich des bisherigen Tarifvertrags unterfällt, kein Regelungsvakuum ein. In diesem Fall greift die Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG im Rahmen einer Analogie ein4. Diese Vorschrift wird dabei als Auffangtatbestand für den Fall angewendet, dass die Tarifbindung eines Arbeitsverhältnisses entfallen ist, ohne dass § 3 Abs. 3 TVG oder § 613a BGB zur Anwendung kommen. Zu diesen Fallgestaltungen gehört auch das Herauswachsen aus dem Geltungsbereich eines Tarifvertrags. Aus welchen Gründen die Arbeitsverhältnisse Gefahr laufen, in ein Regelungsvakuum zu treten, kann nach Auffassung des BAG zumindest dann nicht erheblich sein, wenn ursprünglich ein Tarifvertrag unmittelbar anwendbar gewesen sei und es die Arbeitsvertragsparteien deshalb unterlassen hätten, Vorsorge durch eigenständige Regelungen zu treffen5.
21.173
Die Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG analog gilt indes nur für Arbeitsverhältnisse, die bereits vor dem Herauswachsen aus dem fachlichen Geltungsbereich der gesetzlichen Tarifbindung unterworfen waren, entweder durch Mitgliedschaft des jeweiligen Beschäftigten in der tarifschließenden Gewerkschaft oder durch Allgemeinverbindlichkeit. Eine Anwendung auf später (also im vorliegenden Zusammenhang nach dem Zusammenschluss der Betriebe oder der Abspaltung eines Betriebsteils) begründete Arbeitsverhältnisse oder Arbeitnehmer, die erst danach in die Gewerkschaft eintreten, kommt nicht in Betracht6.
21.174
Für den Arbeitgeber ergibt sich insofern ein erweiterter Handlungsspielraum, als er durch den Zusammenschluss eines der Tarifbindung unterliegenden Betriebs mit einem anderen Be-
21.175
1 2 3 4 5 6
BAG v. 10.12.1997 – 4 AZR 247/96, NZA 1998, 484, 486. BAG v. 10.12.1997 – 4 AZR 247/96, NZA 1998, 484, 486. BAG v. 10.12.1997 – 4 AZR 247/96, NZA 1998, 484, 486. BAG v. 10.12.1997 – 4 AZR 247/96, NZA 1998, 484, 486; Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rz. 466. BAG v. 10.12.1997 – 4 AZR 247/96, NZA 1998, 484, 487. BAG v. 10.12.1997 – 4 AZR 247/96, NZA 1998, 484, 486.
Beck | 839
§ 21 Rz. 21.175 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
trieb die bloße Nachwirkung des geltenden Tarifvertrages – im Gegensatz zur Fortwirkung im Falle eines Verbandsaustritts – erreichen kann. Denn bei einer Nachwirkung gem. § 4 Abs. 5 TVG analog kann eine einzelvertragliche Abrede auch in Bezug auf die Arbeitnehmer, die bis zur unternehmensinternen Umstrukturierung einer normativen Tarifbindung unterworfen waren, jederzeit die Tarifvertragsnormen ablösen.
21.176
Umgekehrt kann der Zusammenschluss mehrerer Betriebe auch dazu führen, dass für einen der Betriebe damit erst die Tarifbindung einsetzt, weil er nunmehr in den Geltungsbereich eines Tarifvertrages fällt, der in dem anderen Betrieb anwendbar ist. Gleiches gilt, wenn durch die Abspaltung eines Betriebsteils die im Betrieb überwiegend verbleibende Tätigkeit zur Folge hat, dass der Betrieb erstmals in den Geltungsbereich eines (anderen) Tarifvertrags fällt. In diesem Fall bestimmt sich die gesetzliche Tarifbindung nach den allgemeinen Grundsätzen (§§ 3, 4 TVG bzw. bei Allgemeinverbindlichkeit § 5 Abs. 4 TVG oder § 3 AEntG).
21.177
Sind die an einem Zusammenschluss beteiligten Betriebe unterschiedlich tarifgebunden, können in dem zusammengeschlossenen Betrieb mehrere Tarifverträge gelten, falls der durch den Zusammenschluss entstandene Betrieb weiterhin in den Geltungsbereich dieser Tarfverträge fällt. Denkbar ist dies z.B. dann, wenn der eine Tarifvertrag in seinem Geltungsbereich auf die im Betrieb überwiegend ausgeübte Tätigkeit abstellt und der andere Tarifvertrag das Unternehmen als Bezugspunkt gewählt hat. Dieser Fall ist hinsichtlich der kraft Gesetzes tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse nach den Grundsätzen der Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität aufzulösen. Bei Tarifverträgen derselben Gewerkschaft hat derjenige Vorrang, der in Bezug auf das jeweils betroffene Arbeitsverhältnis zu demselben Regelungsgegenstand die spezielleren Regelungen trifft (vgl. Rz. 21.11). Bei Tarifverträgen verschiedener Gewerkschaften gelten die Grundsätze der Tarifpluralität gemäß § 4a Abs. 2 TVG. Das bedeutet, dass bei einer Kollision zweier nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft vorgeht, die im Betrieb die meisten Mitglieder hat. Abweichend von den Grundsätzen zur Tarifkonkurrenz endet damit die normative Bindung auch solcher Tarifverträge der Minderheitsgewerkschaft, für die in den Tarifverträgen der Mehrheitsgewerkschaft keine Regelung getroffen wurde (vgl. Rz. 21.12).
21.178
Wird ein Betrieb unternehmensintern, also ohne Übertragung auf einen anderen Rechtsträger, gespalten, gelten dieselben Grundsätze. Löst der Arbeitgeber also einen Teil des Betriebs heraus – sei es durch räumliche Verlagerung oder eine Änderung der Leitungsstruktur, ggf. in Verbindung mit dem Abschluss, der Beendigung oder der Änderung eines Tarifvertrages nach § 3 Abs. 1 BetrVG – und führt ihn anschließend unternehmensintern als eigenständigen Betrieb, kann sich dies nicht nur auf die tarifliche Situation der Arbeitnehmer auswirken, die im Restbetrieb verbleiben (vgl. Rz. 21.170 ff.). Zu klären ist auch die Tarifbindung der Arbeitnehmer, die durch den bisherigen Arbeitgeber in dem herausgelösten Teil des Betriebs beschäftigt werden. Wird dieser Teil unternehmensintern als eigenständiger Betrieb fortgeführt, besteht eine normative Bindung an den bisherigen Tarifvertrag fort, wenn der Betrieb weiterhin in den Geltungsbereich fällt. Bei unternehmensbezogenen Geltungsbereichen ist dies immer der Fall. Bei einer betriebsbezogenen Kennzeichnung kommt es auf den Einzelfall und die überwiegende Tätigkeit an. Entsprechendes gilt, wenn der Betriebsteil mit einem anderen Betrieb oder Betriebsteil zusammengeschlossen wird. Wird der neue eigenständige Betrieb beispielsweise an einen anderen Ort verlegt, kann dies zu einem Herauswachsen aus dem räumlichen Geltungsbereich des bisher anwendbaren Tarifvertrages führen. Gleiches gilt, wenn die im herausgelösten Teil überwiegend ausgeübte Tätigkeit nicht mehr vom Geltungsbereich des bisherigen Tarifvertrags erfasst wird. Dies führt zu der oben beschriebenen Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG analog (Rz. 21.173). Zu prüfen ist allerdings, ob anstelle des bisherigen Tarif840 | Beck
Rechtsfolgen für Tarifverträge bei Veränderungen im gemeinsamen Betrieb | Rz. 21.181 § 21
vertrags für den nun eigenständigen Betrieb innerhalb des Unternehmens der Geltungsbereich eines räumlich oder fachlich einschlägigen Tarifvertrages eröffnet ist mit der Folge, dass für die Arbeitsverhältnisse im herausgelösten Betriebsteil eine neue (andere) gesetzliche Tarifbindung besteht (§§ 3, 4 TVG bzw. bei Allgemeinverbindlichkeit § 5 Abs. 4 TVG oder § 3 AEntG) (Rz. 21.176). Die beschriebenen unternehmensinternen Restrukturierungen können selbstverständlich auch im Zusammenhang mit einem Übertragungsvorgang im Anwendungsbereich des § 613a BGB stattfinden. Wird ein Betrieb etwa erst unternehmensintern mit einem anderen Betrieb zusammengeschlossen mit der Folge der Nachwirkung eines Tarifvertrages in Analogie zu § 4 Abs. 5 TVG (vgl. Rz. 21.173) und der neu gebildete Betrieb dann im Wege des Betriebsübergangs auf einen Erwerber übertragen, gelten die Tarifnormen nach der Transformation in das Arbeitsverhältnis dispositiv fort. In diesem Fall gilt aufgrund der Nachwirkung die Verschlechterungssperre des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht (vgl. dazu Rz. 21.95). Denn der Tarifvertrag hatte in diesem Fall bereits vor dem Betriebsübergang keine zwingende Wirkung mehr. Wird ein Betrieb zunächst auf einen Erwerber übertragen und anschließend gespalten oder mit einem Betrieb des Erwerbers zusammengeschlossen, bleibt es zunächst bei den Rechtsfolgen des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB. Der Tarifvertrag wird in das Arbeitsverhältnis transformiert und die Verschlechterungssperre des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB greift. Die zwingende Wirkung endet aber nicht erst nach einem Jahr, sondern ggf. vorzeitig mit der Beendigung des Tarifvertrages durch die Spaltung oder den Zusammenschluss beim Erwerber. Im Falle einer Nachwirkung gelten die Regelungen des Tarifvertrages dann dispositiv fort (vgl. dazu Rz. 21.96).
21.179
D. Rechtsfolgen für Tarifverträge bei Veränderungen im gemeinsamen Betrieb I. Übertragung eines Betriebsteils unter Bildung eines gemeinsamen Betriebs Ein wichtiges Mittel der Umstrukturierung mit dem Zweck der Rationalisierung und Kostensenkung kann die unternehmensübergreifende Zusammenfassung von Organisationseinheiten, also Betrieben oder Betriebsteilen sein. So ist es zum Beispiel möglich, dass ein Betrieb oder Teil eines Betriebs zwar auf einen anderen Rechtsträger übertragen wird, dass dieser Rechtsträger aber mit dem übertragenden Rechtsträger den bisherigen Betrieb als gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen fortführt (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG). Obwohl damit der bisherige Betrieb als Einheit nicht zwangsläufig verändert wird, kann die tarifvertragliche Situation der von dem Wechsel des Arbeitgebers betroffenen Arbeitsverhältnisse eine andere sein.
21.180
Ein gemeinsamer Betrieb setzt die einheitliche Nutzung der materiellen und immateriellen Betriebsmittel zu einem arbeitstechnischen Zwecke und die einheitlich gesteuerte Wahrnehmung der Leitungsmacht in den wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten auf der Grundlage einer ausdrücklichen oder konkludenten Vereinbarung, sog. Führungsvereinbarung, zwischen den beteiligten Unternehmen voraus (vgl. Rz. 7.3)1. Durch die Zusammenarbeit der an einem Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Arbeitgeber entsteht bei Fehlen ander-
21.181
1 BAG v. 11.2.2004 – 7 ABR 27/03, NZA 2004, 618; BAG v. 13.8.2008 – 7 ABR 21/07, NZA-RR 2009, 255, Rz. 20; vgl. auch § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG.
Beck | 841
§ 21 Rz. 21.181 | Rechte und Pflichten aus Tarifverträgen
weitiger Anhaltspunkte regelmäßig eine GbR1. Die Führungsvereinbarung kann dabei auch konkludent zustande kommen.
21.182
Für das Bestehen der normativen Tarifbindung (also ohne Berücksichtigung einzelvertraglicher Bezugnahmen auf einen Tarifvertrag) nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG muss geprüft werden, ob der jeweilige Arbeitgeber überhaupt eine Tarifbindung besitzt. Ist dies – durch Verbands- oder Firmentarifvertrag – der Fall, ist auch der Arbeitnehmer gebunden, wenn seinerseits die allgemeinen Voraussetzungen, also die Mitgliedschaft in der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft, erfüllt sind und das Arbeitsverhältnis in den Geltungsbereich des Tarifvertrages fällt. Bilden zwei oder mehrere Unternehmen einen Gemeinschaftsbetrieb aus jeweils abgespaltenen Betriebsteilen oder legen sie mehrere Betriebe ohne eine Übertragung dieser Bereiche auf das jeweils andere Unternehmen zusammen, so kann innerhalb des gemeinsamen Betriebs dieser Unternehmen bezogen auf die Arbeitnehmer der verschiedenen Unternehmen eine unterschiedliche Tarifbindung bezüglich der Inhalts-, Abschluss- und Beendigungsnormen gegeben sein. Eine Tarifkollision, die nach den allgemeinen Grundsätzen zur Tarifkonkurrenz (mehrere Tarifverträge der gleichen Gewerkschaft) oder der Tarifpluralität gemäß § 4a TVG (mehrere Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften) mit dem Ziel einer Tarifeinheit aufgelöst werden sollte, tritt nicht ein, solange jedes beteiligte Unternehmen als Arbeitgeber für sich genommen an nur einen Tarifvertrag gebunden ist. Bezogen auf den Betrieb bleibt es insofern bei Tarifpluralität2. Würde man hiervon abweichend zwischen den unterschiedlichen der am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen eine Kollision annehmen, hätte dies zur Folge, dass die bei den anderen beteiligten Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer in die Prüfung einbezogen würden, obwohl der Tarifvertrag für sie nicht gelten kann, wenn dort die entsprechende Tarifgebundenheit fehlt3. Eine Tarifkollision tritt aber nur ein, wenn ein und derselbe Arbeitgeber an verschiedene Tarifverträge mit der gleichen oder einer anderen Gewerkschaft gebunden ist4. Handelt es sich um Tarifverträge mehrerer Gewerkschaften, ist für den Rahmen der Mehrheitsbetrachtung nach § 4a Abs. 2 Satz 4 TVG ausnahmsweise auf den gemeinsamen Betrieb abzustellen, falls dies nicht dem Zweck der Regelungen zur Auflösung einer Tarifpluralität entgegensteht, nämlich einer Sicherung der Schutzfunktion, Verteilungsfunktion, Befriedungs- sowie Ordnungsfunktion von Rechtsnormen eines Tarifvertrags5.
21.183
Für die Geltung von tarifvertraglichen Normen über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen (Betriebsnormen, § 3 Abs. 2 TVG) kommt es nur auf die Tarifbindung des Arbeitgebers an6. Ihre Besonderheit liegt darin, dass sie nur einheitlich im Betrieb gelten können, insoweit also nach wie vor der Grundsatz der Tarifeinheit (unabhängig von § 4a TVG) gilt, den das BAG im Übrigen aufgegeben hat7. Nach wohl herrschender Meinung müssen im
1 BAG v. 16.4.2008 – 7 ABR 4/07, NZA-RR 2008, 583, Rz. 30. 2 HWK/Henssler, § 4a TVG Rz. 27; Löwisch/Rieble, § 4a TVG 219; ErfK/Franzen, § 4a TVG Rz. 20; a.A. BeckOKArbR/Giesen, § 4a TVG Rz. 15. Vgl. zur Rechtslage nach der alten Rspr. des BAG v. zur Tarifeinheit: Braner, NZA 2007, 596, 598; BAG v. 5.3.1990 – 4 AZR 59/90, NZA 1991, 201; BAG v. 19.11.1992 – 10 AZR 290/91, NZA 1993, 405. 3 Löwisch/Rieble, § 4a TVG Rz. 99. 4 Löwisch/Rieble, § 4a TVG Rz. 98 f. 5 Löwisch/Rieble, § 4a TVG Rz. 98 f.; Greiner, NZA 2015, 769, 772; ErfK/Franzen, § 4a TVG Rz. 20. 6 HWK/Henssler, § 3 TVG Rz. 34 f.; a.A. ErfK/Franzen, § 3 TVG Rz. 17, demzufolge zumindest ein Gewerkschaftsmitglied beschäftigt werden muss. 7 ErfK/Franzen, § 3 TVG Rz. 16; Grobys/Panzer/Wahlig, Gemeinsamer Betrieb, Rz. 31; BAG v. 7.7.2010 – 4 AZR 549/08, NZA 2010, 1068, Rz. 40 f.
842 | Beck
Rechtsfolgen für Tarifverträge bei Veränderungen im gemeinsamen Betrieb | Rz. 21.186 § 21
Gemeinschaftsbetrieb aber alle beteiligten Arbeitgeber an den betreffenden Tarifvertrag gebunden sein, damit er auf den Gemeinschaftsbetrieb insgesamt Anwendung findet1. Alternativ müssen die Unternehmen, die den Gemeinschaftsbetrieb bilden, als GbR mit derselben Wirkung selbst Verbandsmitglied sein2. In diesem Fall tritt keine Konkurrenz unterschiedlicher Betriebsnormen ein; die Einheitlichkeit ist durch Geltung nur eines oder gar keines Tarifvertrages gewahrt. Denn wenn nur ein Teil der beteiligten Arbeitgeber an Tarifverträge mit Betriebsnormen gebunden wären, wären diese im Gemeinschaftsbetrieb nicht anwendbar3. Geht man hingegen entgegen der hier vertretenen Ansicht davon aus, dass die beteiligten Unternehmen an verschiedene Tarifverträge mit unterschiedlichen Betriebsnormen gebunden sein können, ist eine einheitliche Anwendung eines Tarifvertrages auf alle Arbeitnehmer herzustellen. § 4a Abs. 2 TVG gilt aus den oben dargestellten Gründen nicht (vgl. Rz. 21.182). Diskutiert wird allerdings dann eine Auflösung nach den Grundsätzen der Tarifkonkurrenz oder wie in Mischbetrieben nach dem überwiegenden Betriebszweck4.
21.184
II. Auflösung oder Spaltung des gemeinsamen Betriebs Wird nun der gemeinsame Betrieb aufgelöst oder wird er, weil nur einzelne Betriebe ihre Einbindung in den gemeinsamen Betrieb aufgeben, gespalten, kann dies zu Veränderungen der Tarifbindung führen, wenn dies beispielweise dazu führt, dass sich der fachliche Schwerpunkt des abgespaltenen oder des verbleibenden Betriebs ändert und die Arbeitsverhältnisse damit aus dem Geltungsbereich des Tarifvertrages herauswachsen. Dies führt zu der oben beschriebenen Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG analog (Rz. 21.178). Ebenso kann für den nun eigenständigen Betrieb der Geltungsbereich eines räumlich einschlägigen Tarifvertrages eröffnet sein mit der Folge einer neuen Tarifbindung (§§ 3, 4 TVG bzw. bei Allgemeinverbindlichkeit § 5 Abs. 4 TVG oder § 3 AEntG) (Rz. 21.176).
21.185
Dabei besteht das Arbeitsverhältnis zu dem bisherigen Arbeitgeber mit der bisherigen Tarifbindung im Übrigen fort. Hinsichtlich der Betriebsnormen kann es zu einem Tarifwechsel kommen, denn in den ausgegliederten Einheiten finden nunmehr die nach der Tarifbindung des jeweiligen Arbeitgebers maßgeblichen Tarifverträge Anwendung (§ 3 Abs. 2 TVG). Dies müssen – wie in Rz. 21.183 dargestellt – nicht die Regelungen sein, die im Gemeinschaftsbetrieb zur Anwendung kamen.
21.186
1 HWK/Henssler, § 3 TVG Rz. 35; ErfK/Franzen, § 3 TVG Rz. 16; a.A. Däubler/Lorenz, § 3 TVG Rz. 68, der vertritt, dass die Tarifgebundenheit nur eines beteiligten Unternehmens ausreicht, um eine Tarifgeltung für den Gemeinschaftsbetrieb zu bewirken. 2 ErfK/Franzen, § 3 TVG Rz. 16; Löwisch/Rieble vertreten, dass nur die Tarifbindung durch GbR-Mitgliedschaft möglich ist, Löwisch/Rieble, § 3 TVG Rz. 98 f.; so auch Waas, NZA 1999, 841, 843 f. 3 A.A. Grobys/Panzer/Wahlig, Gemeinsamer Betrieb, Rz. 31, der die Anwendung der verschiedenen Betriebsnormen der beteiligten Arbeitgeber jeweils für ihren Bereich vertritt, was aber dem hier geltenden Grundsatz der Tarifeinheit widerspricht. 4 Vgl. die Darstellung bei Braner, NZA 2007, 596, 599; Grobys/Panzer/Wahlig, Gemeinsamer Betrieb, Rz. 31; Däubler/Lorenz, § 3 TVG Rz. 68.
Beck | 843
§ 22 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
§ 22 Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
A. Reichweite der Restrukturierung . B. Unternehmensübergreifende Restrukturierungen I. Bedeutung von § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB 1. Frühere Sichtweise a) „Individualrechtliche Fortgeltung“ . . . . . . . . . . . . . . . b) Kollektive Fortgeltung bei Wahrung der Betriebsidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Heutige Sichtweise a) Weitgehende kollektivrechtliche Fortgeltung . . . . b) Verständnis und Bedeutung der Identitätstheorie . II. Begriff der Betriebsidentität 1. Betriebsverfassungsrechtliche Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Teilidentität . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unabhängigkeit vom Betriebsinhaber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bedeutung einzelner Kriterien . 5. Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . III. Übertragung eines Betriebs unter Wahrung seiner Identität 1. Folgen für Betriebsvereinbarungen a) Fortgeltung ohne Rücksicht auf § 613a BGB . . . . . b) Inhalt und Reichweite kollektivrechtlicher Fortgeltung . . . . . . . . . . . . . . . c) Ablösung der Betriebsvereinbarung durch Gesamtoder Konzernbetriebsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . d) Ablösung der Betriebsvereinbarung durch Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Besonderheiten bei Betriebsvereinbarungen über Sozialeinrichtungen . . . . . 2. Folgen für Gesamtbetriebsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgen für Konzernbetriebsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . .
844 | Steffan
22.1
22.3 22.4
22.5 22.10
22.14 22.15 22.16 22.17 22.26
22.28 22.31
22.37 22.42 22.43 22.44 22.50
IV. Übertragung eines Betriebs unter Verlust seiner Identität 1. Übertragung eines Betriebsteils und selbständiger Fortbestand beim Erwerber a) Folge für Betriebsvereinbarungen aa) Übertragener Betriebsteil . . . . . . . . . bb) Verbleibender Betriebsteil . . . . . . . . . b) Folge für Gesamtbetriebsvereinbarungen . . . . . . . . . c) Folge für Konzernbetriebsvereinbarungen . . . . . . . . . 2. Zusammenfassung eines Betriebs(teils) mit einem Betrieb oder Betriebsteil des Erwerbers a) Möglichkeiten der Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . b) Eingliederung in einen bestehenden Betrieb aa) Kennzeichnung der Eingliederung . . . . . . . bb) Möglichkeiten der Eingliederung . . . . . . . c) Zusammenschluss von Betrieben und/oder Betriebsteilen . . . . . . . . . . d) Folge für Betriebsvereinbarungen aa) Eingliederung . . . . . . . bb) Zusammenschluss . . . (1) Zusammenschluss übernommener Betriebe oder Betriebsteile . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zusammenschluss mit Betrieben oder Betriebsteilen des Erwerbers . . . . . . . . . . e) Folge für Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . 3. Reichweite der Weitergeltung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB a) Inhaltliche Weitergeltung .
22.53 22.54 22.55 22.58
22.59
22.60 22.65 22.66 22.67 22.72
22.73
22.75 22.76
22.77
Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung | § 22
C. I.
II. III.
b) Änderungssperre aa) Grundsatz (§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB) . . . bb) Ausnahmen (§ 613a Abs. 1 Satz 4 BGB) . . . c) Ausschluss der Weitergeltung (§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verdrängung durch Betriebs-, Gesamtund Konzernbetriebsvereinbarungen . . . . . . bb) Verdrängung durch Tarifverträge . . . . . . . . cc) Verdrängung durch Bezugnahme auf Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . . dd) Inhaltliche Reichweite der Verdrängung . . . . . d) Verdrängung in Bezug genommener Betriebsvereinbarungen? . . . . . . . . . . . . . e) Kündigung der nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB transformierten Rechte und Pflichten . . . . . . . . . . . Unternehmensinterne Restrukturierungen Grundsätze und Wertungsfragen/ Keine direkte Anwendung von § 613a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Restrukturierung unter Beibehaltung der Betriebsidentität . . . . . . . Restrukturierung unter Verlust der Betriebsidentität 1. Betriebsstilllegung . . . . . . . . . . . 2. Betriebsspaltung und Verselbständigung des abgespaltenen Betriebsteils a) Aufspaltung und Abspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Folgen für Betriebsvereinbarungen aa) Fortgeltung als Betriebsvereinbarung . . . bb) Analoge Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB . . . . . . . . .
22.83 22.85 22.88
22.89 22.92 D. 22.93
I.
22.95 22.98
22.100
II. III. E.
22.102 I. 22.103 II. 22.104
22.106 III. 22.109
F.
cc) Folge der analogen Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eingliederung oder Zusammenschluss a) Betriebsvereinbarungen selbständiger Betriebe . . . . b) Betriebsvereinbarungen von Betriebsteilen . . . . . . . c) Mischformen . . . . . . . . . . . 4. Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Folgen für Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen . . . Betriebsvereinbarungen in Gemeinschaftsbetrieben Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Übertragung eines Betriebsteils und Fortbestand des Betriebs als Gemeinschaftsbetrieb . . . . . 2. Zusammenschluss mehrerer Betriebe oder Betriebsteile zu einem Gemeinschaftsbetrieb . . Auflösung eines Gemeinschaftsbetriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herauslösung einzelner Teile aus dem Gemeinschaftsbetriebs . . . . . . Betriebs(rats)strukturen gem. § 3 BetrVG Gründe für „gewillkürte“ Betriebsstrukturen . . . . . . . . . . . . . Folge für Betriebsvereinbarungen 1. Bildung eines Betriebs nach § 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Änderungen während des Bestands eines Betriebs nach § 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auflösung eines Betriebs nach § 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . Folge für Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen . . . . . . . . . Besonderheiten bei Übertragung auf kirchliche oder öffentlichrechtliche Träger . . . . . . . . . . . . . . .
22.115
22.118 22.122 22.123 22.124 22.125
22.128
22.129
22.131 22.134 22.136
22.139
22.142
22.146 22.148 22.149
22.150
22.111
Schrifttum: (ab 2002) Ahrendt, Fortgeltung kollektivrechtlicher Regelungen nach Betriebsübergang, BAG v. 13.03.2012 – 1 AZR 659/10, jurisPR-ArbR 34/2012 Anm. 2; Bachner, Betriebsvereinbarungen
Steffan | 845
§ 22 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung bei Betriebsübergang und Unternehmensumwandlung, AiB 2012, 725–729; Bachner, Neues zum Schicksal von Betriebsvereinbarung und Tarifvertrag, AiB 2007, 153; Bachner, Fortgeltung von Gesamt- und Einzelbetriebsvereinbarungen nach Betriebsübergang, NJW 2003, 2861; Bauer/von Medem, Betriebsübergang: Beschränkt kollektivrechtliche Fortgeltung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, DB 2010, 2560; Beack/Winzer, Anpassung von Betriebsvereinbarungen trotz Betriebsübergangs, NZA 2021, 305; Becker, Schicksal von Gesamtbetriebsvereinbarungen bei Betriebsübergang, jurisPR-ArbR 2/2003 Anm. 2; Bepler, Tarifverträge im Betriebsübergang, RdA 2009, 65; Berthold, Dynamische Geltung von Kollektivnormen nach Betriebsübergang, EuZA 2010, 119; Beseler, Wie werden Betriebsvereinbarungen bei Betriebsübergang Arbeitsvertragsinhalt?, AA 2009, 59; Boigs, Fortgeltung einer Konzernbetriebsvereinbarung als Einzelbetriebsvereinbarung nach Austritt eines Unternehmens aus dem Konzern und späterem Betriebsteilübergang, BAG v. 25.02.2020 – 1 ABR 39/18, jurisPR-ArbR 43/ 2020 Anm. 4; Boigs, Anwendung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB bei mehreren Betriebsübergängen, BAG v. 12.06.2019 – 1 AZR 154/17, jurisPR-ArbR 49/2019 Anm. 5; Boigs, Fortgeltung einer Gesamtbetriebsvereinbarung als Einzelbetriebsvereinbarung nach Betriebsübergang, LArbG Berlin-Brandenburg v. 24.05.2018 – 5 Sa 54/18, jurisPR-ArbR 37/2018 Anm. 2; Boigs, Keine kollektivrechtliche Fortgeltung einer Gesamtbetriebsvereinbarung nach einem Betriebsübergang bei unternehmensbezogenen Regelungen, LArbG Berlin-Brandenburg v. 19.03.2015 – 14 TaBV 1813/14, jurisPR-ArbR 3/ 2016 Anm. 6; Braun, Ablösung einer Betriebsvereinbarung über Entlohnungsgrundsätze durch eine Regelungsabrede, ArbRB 2019, 107; Braun, Das Schicksal der Konzernbetriebsvereinbarung bei Restrukturierung, ArbRB 2004, 118; Braun/Rütz, Kollektivrechtliche Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen nach einem Betriebsübergang, ArbRB 2013, 27; Brune/Schmitz-Scholemann, Die Fortgeltung einer Gesamtbetriebsvereinbarung als Einzelbetriebsvereinbarung nach einem Betriebsübergang – Überlegungen zum Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 24. Januar 2017, Arbeitsrecht bei Änderung der Unternehmensstruktur, 2018, 65; Cisch/Hock, Konzernbetriebsvereinbarungen zur betrieblichen Altersversorgung im Lichte eines Share Deal, BB 2012, 2113; Conradi, Verschlechternde Ablösung einer Betriebsvereinbarung nach mehreren Betriebsübergängen, DB 2019, 2694; Däubler, Dynamische Verweisung in Firmentarifvertrag auf Flächentarifverträge vor Betriebsübergang, RdA 2002, 303; Döring/Grau, Überkreuz mit der Überkreuzablösung – Kein Vorrang von Betriebsvereinbarungen gegenüber „transformierten“ tariflichen Ansprüchen beim Betriebsübergang?, BB 2009, 158; Edenfeld, Fortführung einer Betriebs- als Dienstvereinbarung, PersV 2013, 368; Frank, Der Schutz von Versorgungsanwartschaften im Betriebsübergang, BB 2020, 628; Fröhlich, Harmonisierung von Arbeitsbedingungen nach Betriebsübergang, ArbRB 2012, 317; Fuhlrott/Fabritius, Das Schicksal arbeitgebergebundener Rechtspositionen beim Betriebsübergang, BB 2013, 1592; B. Gaul, Ablösung einer Betriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung beim Betriebsübergang, ArbRB 2015, 181; B. Gaul/Hiebert, Das Phantom lebt, ArbRB 2012, 183; B. Gaul/Naumann, Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs für unternehmens- und konzernspezifische Sonderleistungen, NZA 2011, 121; B. Gaul/Pitzer, Beendigung von Betriebsvereinbarungen nach einem Betriebsübergang, AbRB 2020, 318; Grobys, Fortgeltung von Gesamtbetriebsvereinbarungen nach Betriebsübergang, BB 2003, 1391; Fortgeltung von Gesamtbetriebsvereinbarungen nach Betriebsübergang – Insolvenz – Verfahrensunterbrechung – unwirksame Zustellung eines Berufungsurteils – Heilung, AP Nr. 66 zu § 77 BetrVG 1972 Betriebsvereinbarung; Gussen, Zur Weitergeltung von Vereinbarungen des Konzernbetriebsrates beim Betriebsübergang nach § 613a BGB, in Festschrift für Wolfgang Leinemann zum 70. Geburtstag, 2006, S. 207; Gussen, Betriebsübergang; Betriebsvereinbarung als ablösende Regelung, AP Nr. 225 zu § 613a BGB; Hergenröder, Anmerkung zum Urteil des BAG vom 5.5.2015, Az. 1 AZR 763/13 – Zur Fortgeltung einer Gesamtbetriebsvereinbarung nach Betriebsübergang, EWiR 2015, 653; Hergenröder, Fortgeltung von Gesamtbetriebsvereinbarungen nach Betriebsübergang, AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972 Betriebsvereinbarung; Hertzfeld, Freiwillige Betriebsvereinbarungen nach dem Betriebsübergang, DB 2006, 2177; Hohenstatt, Die Fortgeltung von Tarifnormen nach § 613a I 2 BGB, NZA 2010, 23; Hohenstatt/Müller-Bonanni, Auswirkungen eines Betriebsinhaberwechsels auf Gesamtbetriebsrat und Gesamtbetriebsvereinbarung, NZA 2003, 766; Holthausen, Ablösung von Betriebsvereinbarungen, ArbR 2010, 593; Hromadka, Die ablösende Betriebsvereinbarung ist wieder da!, NZA 2013, 1061; Jacobs, Fortgeltung und Änderung von Tarif- und Arbeitsbedingungen bei der Umstrukturierung von Unternehmen, NZA Beilage 2009, Nr. 1, 45; Jacobs, Gesamtbetriebsvereinbarung und Betriebsübergang, in Festschrift für Horst Konzen zum 70. Geburtstag, 2006, S. 345; Kern, Störfälle im Anwen-
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Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung | § 22 dungsbereich von Konzernbetriebsvereinbarungen, NZA 2009, 1313; Klein, Die Weitergeltung von kollektivvertraglichen Normen nach der Betriebsübergangsrichtlinie, EuZA 2014, 325; Kleinebrink, Betriebsvereinbarungen und Gesamtbetriebsvereinbarungen beim Betriebsübergang – Schicksal und Gestaltungsmöglichkeiten, ArbRB 2004, 184; Klemm/Frank, Betriebsrentenrechtliche Fallstricke bei M&A-Transaktionen, BB 2013, 2741; Köhler, Anmerkung zum Urteil des LArbG Stuttgart vom 8.2.2017, Az. 4 Sa 34/16 – Zur Frage der kollektivrechtlichen Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen nach Unternehmensspaltung, EWiR 2017, 511; Kreft, Normative Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen nach einem Betriebsübergang, Arbeitsrecht im sozialen Dialog, in Festschrift für Hellmut Wißmann zum 65. Geburtstag, 2005, S. 347; Kreutz, Normative Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen nach einem Betriebsteilübergang, 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, 2004, S. 993; Lambrich, Weitergeltung und Ablösung von Tarifverträgen nach Betriebsübergang, Tradition und Moderne, in Festschrift für Horst Ehmann zum 70. Geburtstag, 2005, S. 169; Lange, Die Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen bei Umstrukturierung, NZA 2017, 288; Langohr-Plato, Ablösung einer tarifvertraglichen Altersversorgung durch eine nach einem Betriebsübergang beim Erwerber abgeschlossene Betriebsvereinbarung, BAG v. 13.11.2007 – 3 AZR 191/06, jurisPR-ArbR 31/2008 Anm. 6; Lindemann/Simon, Ablösung und Bestandsschutz von Altersversorgungsregelungen beim Betriebsübergang, BB 2003, 2510; Linsenmaier, Arbeitsvertrag und Betriebsvereinbarung – Kompetenz und Konkurrenz, RdA 2014, 336; Löw, BBKommentar: Ablösung von Versorgungszusagen beim Betriebsübergang, BB 2020, 512; Marquardt, Ablösung transformierter Tarifregelungen, BAG v. 21.04.2010 – 4 AZR 768/08, ArbRB 2010, 339; Maschmann, Betriebsrat und Betriebsvereinbarung nach einer Umstrukturierung, NZA Beilage 2009, Nr. 1, 32; Matthes, Ablösende Betriebsvereinbarung über Provisionen, BAG v. 28.06.2005 – 1 AZR 213/04, jurisPR-ArbR 51/2005 Anm. 1; Meyer, Neue betriebsverfassungsrechtliche Fragen zum TeilBetriebsübergang, NZA 2018, 900; Meyer, Normative Fortgeltung einer Gesamtbetriebsvereinbarung bei Betriebsübergang, NZA 2016, 749; Meyer, Kollektivierung der Rechtsfolgen im Betriebsübergangsrecht, ZfA 2015, 385; Meyer, Aktuelle Gestaltungsfragen beim Betriebsübergang, NZA-RR 2013, 225; Meyer, Betriebsübergang: Neues zur Transformation gem. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, DB 2010, 1404; Meyer, Das Schicksal von Konzernbetriebsvereinbarungen beim Betriebsübergang, BB-Special 2005, Nr. 14, 5; Meyer, Regelungsidentität beim Betriebsübergang nach § 613a BGB, DB 2004, 1886; Meyer, Gestaltungsfragen kollektiver Weitergeltung von Gesamtbetriebsvereinbarungen bei Betriebsübergang – wider ein betriebsverfassungsrechtliches Interregnum!, ZIP 2004, 545; Meyer, Weitergeltung von Gesamtbetriebsvereinbarungen nach Betriebsübergang, SAE 2003, 310; Mohnke/Betz, Unterrichtung der Mitarbeiter über die Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen bei einem Betriebs(teil)übergang, BB 2008, 498; Monz, Transformierende Überleitungsvereinbarungen als kollektiv-rechtliches Gestaltungsmittel beim Betriebsteilübergang, BB 2012, 1923; Müller/Krenz, Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen beim Wegfall des Betriebsrats, FA 2005, 4; Müller-Bonanni/Mehrens, Ablösung der tariflichen Vergütungsordnung nach Betriebsübergang auf einen nicht tarifgebundenen Erwerber, NZA 2012, 1194; Mues, Das rechtliche Schicksal einer Betriebsvereinbarung nach dem Übergang eines Betriebsteils, ArbRB 2009, 245; Mues, Ablösende verschlechternde Betriebsvereinbarung nach Verschmelzung, BAG v. 28.06.2005 1 – AZR 213/04, ArbRB 2006, 11; Mues, Bestandsschutz und Änderbarkeit von Betriebsvereinbarungen nach Betriebsübergang und Betriebsteilübergang, DB 2003, 1273; Naber/ Krois, EuGH zum Schicksal von Bezugnahmeklauseln bei Betriebsübergang, ZESAR 2014, 121; Oetter, Ablösung einer Betriebsvereinbarung durch Tarifvertrag – Tarifvorrang, BAG v. 13.03.2012 – 1 AZR 659/10, ArbRB 2012, 272; Paul/Daub, Die betriebliche Altersversorgung im Rahmen von M&A-Deals, BB 2011, 1525; Preis/Richter, Grenzen der normativen Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen beim Betriebsübergang, ZIP 2004, 925; Preis/Ulber, Die Wiederbelebung des Ablösungs- und Ordnungsprinzips? Zwischenruf zur Entscheidung des 1. Senats des BAG vom 5.3.2013 (NZA 2013, 916), NZA 2014, 6; Reichel/Böhm, Überkreuzablösung kollektivrechtlich begründeter Pensionszusagen bei einem Betriebsübergang, BetrAV 2008, 359; Reichold, Keine kollektive Ablösung kirchlicher AVR nach Betriebsübergang durch Betriebsvereinbarung, RdA 2020, 126; Reichold, Betriebsübergang – Ablösung einer Betriebsvereinbarung – Kürzung einer Jahressonderzahlung, SAE 2002, 268; Reufels, Neues zur Weitergeltung zeitdynamischer Bezugnahmeklauseln nach einem Betriebsübergang?, ArbRB 2017, 222; Rieble, Betriebsverfassungsrechtliche Folgen der Betriebs- und Unternehmensumstrukturierung, NZA 2003, Sonderbeilage zu Heft 16, 62; Rieble/Gutzeit, Betriebsvereinbarungen nach Unternehmensumstrukturierung, NZA 2003, 233; Sagan, Das Verschlechterungsverbot bei Ablösung von Kollektiv-
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§ 22 Rz. 22.1 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung verträgen nach einem Betriebsübergang, EuZA 2012 247; Sagan, Die kollektive Fortgeltung von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen nach § 613a Abs. 1 Sätze 2–4 BGB, RdA 2011, 163; Salamon, Die Konzernbetriebsvereinbarung nach Verlassen des Konzernverbundes, NZA 2020, 1457; Salamon, Wegfall der Geschäftsgrundlage und Auflösung von Konkurrenzen bei Gesamtbetriebsvereinbarungen, RdA 2009, 175; Salamon, Die Konzernbetriebsvereinbarung beim Betriebsübergang, NZA 2009, 471; Salamon, Die Fortgeltung von Gesamtbetriebsvereinbarungen beim Betriebsübergang, RdA 2007, 103; Salamon, Die kollektivrechtliche Geltung von Betriebsvereinbarungen beim Betriebsübergang unter Berücksichtigung der neueren BAG-Rechtsprechung, RdA 2007, 153; Salamon/Hoppe, Kollektivrechtliche Fragestellungen zur Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang nach § 613a BGB (Teil 1), ArbR 2014, 144; Salamon/Hoppe; Kollektivrechtliche Fragestellungen zur Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang nach § 613a BGB (Teil 2), ArbR 2014, 172; Schiefer, Fortgeltung kollektivrechtlicher Regelungen im Falle des Betriebsübergangs gem. § 613a BGB, 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, 2004, S. 859; Schiefer/Pogge, Betriebsübergang und dessen Folgen – Tatbestandsvoraussetzungen des § 613a BGB und Fortgeltung kollektiv-rechtlicher Regelungen, NJW 2003, 3734; Schlüter, Betriebsvereinbarungen ohne Betriebsrat – Zum rechtlichen Schicksal von Betriebsvereinbarungen in betriebsratslos gewordenen Betrieben, in Festschrift für Peter Schwerdtner zum 65. Geburtstag, 2003, S. 341; Schmitz, Weitergeltung von Dienstvereinbarungen nach Betriebsübergang, ZMV 2016, 139; Schnitker/Grau, Arbeitsrechtliche Aspekte von Unternehmensumstrukturierungen durch Anwachsung von Gesellschaftsanteilen, ZIP 2008, 394; Schönhöft/Brahmstaedt, Betriebsvereinbarungen und Gemeinschaftsbetrieb, NZA 2010, 851; Schulenburg/Lüder, Die Übertragung von Pensionsverpflichtungen im Rahmen von Unternehmenstransaktionen, DB 2017, 1157, 1217; Sittard/Flockenhaus, „Scattolon“ und die Folgen für die Ablösung von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen nach einem Betriebsübergang, NZA 2013, 652; Steffan, (Konzern-)Betriebsvereinbarungen und Betriebsübergang, ArbRB 2020, 286; Steffan, Dynamik einer Verweisungsklausel nach einem Betriebsübergang, ArbRB 2018, 67; Steffan, Fortgeltung dynamischer Verweisungsklauseln beim Betriebsübergang, ArbRB 2017, 135; Steffan, Neues vom EuGH zum Betriebsübergang: Was folgt aus „Scattolon“?, NZA 2012, 473; von SteinauSteinrück, Zur Transformation von nachwirkenden Tarifnormen beim Betriebsübergang, EWiR 2002, 513; Thüsing, Anmerkung zum Urteil des BAG vom 25.2.2020 – Az. 1 ABR 39/18 – Zur Weitergeltung einer Konzernbetriebsvereinbarung als Einzelbetriebsvereinbarung nach Ausscheiden des Unternehmens aus dem Konzern, EWiR 2020, 411; Thüsing, Folgen einer Umstrukturierung für Betriebsrat und Betriebsvereinbarung, DB 2004, 2474; von Tiling, Die Übernahme eines weltlichen Betriebs durch einen kirchlichen Rechtsträger, ZAT 2018, 162; Trappehl/Nussbaum, Auswirkungen einer Verschmelzung auf den Bestand von Gesamtbetriebsvereinbarungen, BB 2011, 2869; Völksen, Beendigung fortgeltender freiwilliger Betriebsvereinbarungen nach einem Betriebsübergang, NZA 2013, 1182; Waltermann, Altersgrenze durch Betriebsvereinbarung und Betriebsvereinbarungsoffenheit von Arbeitsverträgen, Besprechungsaufsatz zum BAG-Urteil vom 5.3.2013 – 1 AZR 417/12, SAE 2013, 94; Willemsen, Aktuelle Rechtsprechung des EuGH zum Arbeits- und Sozialrecht, Befristung, Betriebsübergang, RdA 2012, 291; Witschen, Die Ablösung von Betriebsvereinbarungen zur betrieblichen Altersversorgung im Zusammenhang mit Betriebsübergängen, RdA 2020, 370.
A. Reichweite der Restrukturierung 22.1
Die Auswirkungen einer Restrukturierung auf Betriebsvereinbarungen hängen im Wesentlichen von zwei Faktoren ab: Erstens davon, ob die Restrukturierung unternehmensintern oder unternehmensübergreifend erfolgt. Wird die Unternehmensgrenze überschritten, hält § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB eine Regelung für das Schicksal von Betriebsvereinbarungen (genauer: der Rechte und Pflichten aus einer Betriebsvereinbarung) bereit. Treffen sie auf inhaltsgleiche Regelungen beim Erwerber, werden sie verdrängt. Andernfalls werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Erwerber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Betriebsübergang zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert 848 | Steffan
Unternehmensübergreifende Restrukturierungen | Rz. 22.3 § 22
werden. Für Restrukturierungen innerhalb des Unternehmens fehlt eine solche Regelung, sodass teilweise eine weitgehende entsprechende Anwendung der Regelungen des § 613a BGB favorisiert wird (vgl. Rz. 22.102, 22.111 ff.). Unabhängig von der spezialgesetzlichen Regelung bleibt jedoch grundsätzlich festzustellen, dass der Wechsel des Betriebsinhabers für sich alleine keinen Einfluss auf den Bestand einer Betriebsvereinbarung hat1. Eine geltende Betriebsvereinbarung bindet einen nachfolgenden Betriebsrat ebenso wie sie einen nachfolgenden Betriebsinhaber bindet. Die Betriebsvereinbarung gilt für den Betrieb, nicht für das Unternehmen. Das war bereits vor der Schaffung des § 613a BGB unbestritten und dessen Einführung hat daran nichts geändert2. Anerkanntermaßen stellt die gesetzliche Regelung des § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB nur eine Auffangregelung für den Fall dar, dass die Betriebsvereinbarung nicht bereits normativ in ihrer bisherigen Rechtsnatur fortgilt. Wann dies der Fall ist, ist umstritten und letztlich nicht geklärt. Einigkeit besteht nach allen vertretenen Meinungen nur darin, dass die Betriebsvereinbarung kollektivrechtlich und normativ fortgilt, wenn der Betrieb als Ganzes auf den Erwerber übergeht und der bisherige Betriebsrat im Amt bleibt. Weit wichtiger als der Bezugspunkt des Unternehmens ist die Struktur des Betriebs selbst. Bleibt die betriebsverfassungsrechtliche Identität des Betriebs infolge der Restrukturierung unverändert, gilt dies auch für die Betriebsvereinbarung. Sie gilt auch nach der Restrukturierung in ihrer Rechtsform als Betriebsvereinbarung weiter. Das gilt bei der unternehmensinternen Restrukturierung ebenso wie bei der unternehmensübergreifenden. Eines Rückgriffs auf § 613a BGB bedarf es in diesem Fall schon nicht. Geht hingegen die Identität des Betriebes verloren, kann dies Auswirkungen für die Fortgeltung der Betriebsvereinbarung haben. Nach Aufgabe der sog. Identitätstheorie durch das BAG – oder jedenfalls nach einem geänderten Verständnis – ist dies jedoch nicht stets der Fall3. Ob der Identitätsverlust als unmittelbare Folge eines gezielten Betriebsübergangs oder als mittelbare Folge einer Umwandlung nach dem UmwG eintritt, ist dagegen unerheblich; § 613a BGB findet auch dann aufgrund der Rechtsgrundverweisung in § 324 UmwG Anwendung (vgl. Rz. 5.55 ff.). Es macht auch keinen Unterschied, ob ein Betrieb eines Unternehmens oder ein Betrieb mehrerer Unternehmen betroffen ist. Auch muss der Identitätsverlust nicht durch einen Eingriff ist die Substanz des bisherigen Betriebs herbeigeführt werden. Es genügt, wenn die ausgegliederte Einheit im Anschluss an eine Übertragung mit einer anderen Einheit zusammengeführt wird (z.B. Eingliederung in den Betrieb des Erwerbers). Besonderheiten gelten sodann für Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen.
22.2
B. Unternehmensübergreifende Restrukturierungen I. Bedeutung von § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB 1. Frühere Sichtweise a) „Individualrechtliche Fortgeltung“ Nach der spezialgesetzlichen Regelung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB werden „Rechte und Pflichten“, die vor dem Betriebsübergang durch eine Betriebsvereinbarung geregelt waren, „Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer“4. Fol1 2 3 4
Richardi, § 77 BetrVG Rz. 213. Thüsing, DB 2004, 2474, 2477. Vgl. BAG v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670 sowie ausführlich unter Rz. 22.53. Zur Entwicklung der Regelung siehe APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 108.
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22.3
§ 22 Rz. 22.3 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
ge dieser als „Transformationsmodell“ bezeichnete Regelung1 war nach früher überwiegender Ansicht, dass die beim Veräußerer geltenden Betriebsvereinbarungen ihren kollektivrechtlichen Charakter verlieren und damit auch ihre unmittelbare und zwingende Wirkung, die ihnen nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG beim ehemaligen Betriebsinhaber zukam. Die Regelung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB wurde demnach häufig als „individualrechtliche Fortgeltung“ bezeichnet2. Von der individualrechtlichen Fortgeltung erfasst werden nur die in der Betriebsvereinbarung geregelten „Rechte und Pflichten“ der Arbeitnehmer; außen vor bleiben schuldrechtliche Teile einer BV oder schuldrechtliche Absprachen (Regelungsabreden) ebenso wie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Regelungen. b) Kollektive Fortgeltung bei Wahrung der Betriebsidentität
22.4
Bereits nach der früheren Ansicht war mit der angeordneten Transformation von Rechten und Pflichten aus der Betriebsvereinbarung in das Arbeitsverhältnis eine kollektivrechtliche Fortgeltung nicht ausgeschlossen. Anerkannt war und ist, dass § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nur eine Auffangvorschrift zum Schutz der Arbeitnehmer für den Fall darstellt, dass der neue Betriebsinhaber kollektivrechtlich nicht gebunden ist3. Für die kollektivrechtliche Bindung des Betriebserwerbers an eine bestehende Betriebsvereinbarung ist entscheidend, dass er betriebsverfassungsrechtlich in die Pflichten des ehemaligen Betriebsinhabers eintritt. Dies wurde überwiegend (nur) dann angenommen, wenn die Betriebsidentität im Wesentlichen bei dem neuen Inhaber erhalten bleibt, sog. Identitätstheorie4. In diesem Fall besteht der Betriebsrat auch nach dem Betriebsinhaberwechsel fort. Daraus folgt, dass der neue Betriebsinhaber nicht nur als Vertragspartner der übernommenen Arbeitnehmer auftritt, sondern auch als Betriebspartner des fortbestehenden Betriebsrats. So wie der neue Betriebsinhaber in die zwischen dem ehemaligen Betriebsinhaber und den übernommenen Arbeitnehmern bestehenden Arbeitsverhältnisse eintritt, tritt er auch in die zwischen dem ehemaligen Betriebsinhaber und dem Betriebsrat vereinbarten Betriebsvereinbarungen ein. Er wird Arbeitgeber i.S.d. Betriebsverfassung5.
2. Heutige Sichtweise a) Weitgehende kollektivrechtliche Fortgeltung
22.5
Die Sichtweise der individualrechtlichen Fortgeltung bei Verlust der Betriebsidentität war und ist bestritten. Für die Kritik maßgeblich sind zwei Strukturelemente von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB. Zum einen die Anordnung, dass die ins Arbeitsverhältnis transportierten Rechte und Pflichten aus einer Betriebsvereinbarung vor Ablauf eines Jahres nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden können. Diese gesetzlich angeordnete „Veränderungssperre“ 1 Zum Transformationsmodell vgl. Sagan, RdA 2011, 163 ff. 2 Hanau/Vossen, Festschrift Hilger/Stumpf, S. 271, 276, Henssler, Festschrift Schaub, S. 311, 317; BAG v. 13.9.1994 – 3 AZR 148/94, NZA 1995, 740; BAG v. 16.5.1995 – 3 AZR 535/94, NZA 1995, 1166. 3 BAG v. 27.7.1994 – 7 ABR 37/93, NZA 1995, 222; BAG v. 29.8.2001 – 4 AZR 332/00, NZA 2002, 513; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 199; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 129. 4 BAG v. 5.2.1991 – 1 ABR 32/90, NZA 1991, 639; BAG v. 27.7.1994 – 7 ABR 37/93, AP BGB § 613a Nr. 118 m. Anm. Gussen = NZA 1995, 222; Soergel/Raab, BGB, § 613a Rz. 118; Sieg/Maschmann, Umstrukturierung, Rz. 407; MünchArbR/Wank, 2. Aufl., § 102 Rz. 180; HaKo-BetrVG/Lorenz, § 77 Rz. 93; ausführlich dazu GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rz. 385 ff. 5 Soergel/Raab, § 613a BGB Rz. 118.
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Unternehmensübergreifende Restrukturierungen | Rz. 22.7 § 22
passt systematisch nicht in eine privatautonome individuelle Lösung, bei der es der Autonomie der Vertragspartner unterfällt, eine zwischen Ihnen geltende Regelung zu ändern1. Zur Bezeichnung dieser Konstellation wurde deshalb z.B. von einer „beschränkt normativen Fortgeltung"2 oder einer „Fortgeltungsanordnung sui generis“3 gesprochen. Zum anderen ist auch das Verhältnis von fortgeltendem Individualrecht zu ablösendem Kollektivrecht systematisch verfehlt. § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB ordnet hier eine Ablösung der ins Arbeitsverhältnis transportierten Rechten und Pflichten einer Betriebsvereinbarung an, wenn sie auf eine inhaltsgleiche Betriebsvereinbarung beim Erwerber treffen. Die Ablösung von Individualrecht durch Kollektivrecht stimmt nicht mit dem sonstigen Verhältnis beider Rechtsmaterien überein, das durch das Günstigkeitsprinzip bestimmt wird4. Dem Verständnis einer individualrechtlichen Fortgeltung ist auch der 4. Senat des BAG in seiner Entscheidung vom 22.4.2009 jedenfalls für Tarifverträge entgegen getreten5. Danach gehen gem. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB die transformierten Normen des bis zum Betriebsübergang normativ geltenden Tarifvertrages zwar in das Arbeitsverhältnis zwischen Erwerber und Arbeitnehmer ein. Dies führt aber nicht zu einer „individualrechtlichen Fortgeltung“, sondern zu einer Fortgeltung, die der Nachbindung des aus einem tarifschließenden Arbeitgeberverband ausgetretenen Arbeitgebers gemäß § 3 Abs. 3 TVG weitgehend entspricht, allerdings zeitlich begrenzt auf eine Höchstdauer von einem Jahr. Dabei entspricht das Ende der Sperrfrist nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB dem Ende des nachbindenden Tarifvertrages. Nach Ablauf der Jahresfrist ist die Fortgeltung des Tarifvertrags dann mit der Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG vergleichbar6. Im Kern behalten also die nach § 613a Abs. 1 Satz 2 transformierten Normen ihren kollektivrechtlichen Charakter und wandeln sich nicht in der Weise um, dass aus Kollektivrecht Vertragsinhalt wird7. Abweichend von dieser kollektivrechtlichen Sichtweise spricht der 1. Senat des BAG gleichwohl im Zuge des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB von der „Transformation in Individualarbeitsrecht.“8
22.6
Der Ansicht des 4. Senats steht jedenfalls der Wortlaut von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht entgegen9, der nur bestimmt, dass die Normen eines Tarifvertrages oder einer Betriebsvereinbarung Inhalt des Arbeitsverhältnisses werden, nicht jedoch zwingend Inhalt des Arbeitsvertrags. Dies sind „zwei Paar Schuhe“, denn zum Arbeitsverhältnis gehören auch die „von außen einwirkenden“ Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen, nicht dagegen zum Arbeitsvertrag10. Allerdings ist die Frage des „kollektivrechtlichen“ bzw. „individualrechtlichen“ Charakters eher dogmatischer Natur. An den Rechtsfolgen ändert sich durch diese Sichtweise wenig. Soweit erkennbar, macht es sich allenfalls bei einer notwendigen Auslegung eines fortwir-
22.7
1 2 3 4 5 6 7
8 9 10
Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 197. Zöller, DB 1995, 1401, 1402. HWK//Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 250. So auch WHSS/Willemsen, Umstrukturierung, E Rz. 123. BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41; dazu ausführlich Sagan, RdA 2011, 163 ff. BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 Rz. 61; Hohenstatt, NZA 2010, 23, 25; HWK// Müller-Bonnani, § 613a BGB Rz. 250. BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 198; Zöllner, DB 1995, 1401; HWK/Müller-Bonnani, § 613a BGB Rz. 250; Hohenstatt, NZA 2010, 20, 26; skeptisch Meyer, DB 2010, 1404, 105 f.; a.A. MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 131; Hanau/Vossen, Festschrift Hilger/Stumpf, S. 271, 272; MünchArbR/Wank, 2. Aufl., § 102 Rz. 169. BAG v. 13.3.2012 – 1 AZR 659/10, NZA 2012, 990 Rz. 17. Der Wortlaut wird denn auch als missverständlich oder irreführend bezeichnet, vgl. HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 250; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 197. Zur Differenzierung siehe auch APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 107.
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§ 22 Rz. 22.7 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
kenden Tarifvertrags oder einer fortwirkenden Betriebsvereinbarung bemerkbar, da nun die Grundsätze der Gesetzesauslegung greifen müssten und nicht diejenigen der Vertragsauslegung. Entscheidender als die Frage der Dogmatik ist vielmehr, ob die Betriebsvereinbarung im Rahmen des Betriebsübergangs ihre Rechtsnatur als Betriebsvereinbarung behält oder nicht. Im ersteren Fall geht die Betriebsvereinbarung mit allen Regelungsgegenständen (also unter Einschluss schuldrechtlicher sowie betrieblicher oder betriebsverfassungsrechtlicher Normen)1 auf den Erwerber über. Dort erfasst sie nicht nur die übernommenen Arbeitnehmer, sondern alle Arbeitnehmer des Betriebes, insbesondere die neu hinzukommenden. Verliert sie hingegen beim Betriebsübergang ihre Rechtsnatur, transportieren sich nur die für die Arbeitnehmer geregelten „Rechte und Pflichten“; diese werden nach der Regelung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB „Inhalt des Arbeitsverhältnisses“. Damit bleibt die Wirkung der fortgeltenden Bestimmungen auf die übergegangenen Arbeitnehmer (korrekterweise: deren Arbeitsverhältnisse) begrenzt, unabhängig davon, ob diese Wirkung „individualrechtlich“ oder „kollektivrechtlich“ oder „sui generis“ eintritt. Für neu in den Betrieb eintretende Mitarbeiter gilt die „übernommene“ BV nicht. Dieser Unterschied hat insbesondere im Recht der betrieblichen Altersversorgung bereits eine hohe Bedeutung erlangt (dazu unter Rz. 34.103 ff.).
22.8
Zu einer Kombination beider Rechtsfolgen gelangen dagegen die Vertreter des sog. Sukzessionsmodells, die davon ausgehen, dass nach der Regelung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB die Betriebsvereinbarung als solche beim Erwerber fortgilt, jedoch statisch und begrenzt auf die übergegangenen Mitarbeiter2. Das charmante Ergebnis der Sukzessionstheorie ist, dass sie offensichtlich alle „Ungereimtheiten“ der individualrechtlichen Fortgeltung löst, allerdings um den Preis einer weiteren Ungereimtheit, die darin besteht, dass § 613a BGB Abs. 1 Satz 2 BGB ausdrücklich nur die Transformation der „Rechte und Pflichten“ einer BV anordnet, nicht eine Transformation einer Betriebsvereinbarung selbst. Die Bestimmung wird damit als Rechtsfolge – und sei es auch nur in einer Funktion als Auffangtatbestand – ausgeschaltet.
22.9
Für die Praxis ist empfehlenswert, nicht zwischen einer „kollektivrechtlichen“ oder einer „individualrechtlichen“ Fortgeltung zu unterschieden, sondern danach, ob die Betriebsvereinbarung in ihrer Rechtsnatur als Betriebsvereinbarung weitergilt oder „Inhalt des Arbeitsverhältnisses“ wird. Richtigerweise führt nämlich auch die kollektivrechtliche Sichtweise zu § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht dazu, dass die Betriebsvereinbarung unter Aufrechterhaltung Ihrer Rechtsnatur fortgilt3. Deshalb rückt der neue Inhaber nicht in die kollektivrechtliche Rechtsstellung des Veräußerers ein4. Letztlich handelt es sich bei der Regelung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB um eine Fiktion zur Aufrechterhaltung des kollektivvertraglichen Status quo, ohne dass damit die Rechtsnatur der Kollektivvereinbarung transportiert wird. Deutlich wird
1 Für eine Weitergeltung der Betriebsvereinbarung das sog. Sukzessionsmodell, Sagan, RdA 2011, 163, 167; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 112. 2 Sagan, RdA 2011, 163, 167; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 112; Henssler/Moll/Bepler/Grau, Teil 15 Rz. 49. 3 So wohl auch BAG v. 5.5.2015 – 1 AZR 763/13, NZA 2015, 1331 in Rz. 48: „Der Wortlaut von § 613a Abs. 1 BGB steht dem nicht entgegen. Dieser regelt das Fortbestehen von vertraglichen Vereinbarungen (Satz 1) sowie die Transformation der kollektiven Regelungen, soweit diese nicht normativ fortgelten (Satz 2 und Satz 3). Zu der vorgelagerten Frage, unter welchen Voraussetzungen die bisher in der übergehenden Einheit bestehenden Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen ihren normativen Charakter behalten, verhält sich § 613a Abs. 1 BGB nicht.“; a.A. wohl Staudinger/ Annuß, § 613a BGB Rz. 198 sowie die Befürworter der Sukzessionstheorie, ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 112 und Sagan, RdA 2011, 163, 167. 4 WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 36.
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Unternehmensübergreifende Restrukturierungen | Rz. 22.10 § 22
dies etwa beim Tarifvertrag. Auch wenn dieser beim Erwerber nach der neueren Rechtsprechung im Rahmen des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB kollektivrechtlich fortgilt, tritt keine Tarifbindung des Erwerbers an den Tarifvertrag des Veräußerers ein1. Gerade dies wollte die Bestimmung verhindern. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB enthält vielmehr eine eigenständige Fortgeltungsanordnung für die dort geregelten Inhaltsnormen der vormaligen Kollektivvereinbarung2. Art. 3 Abs. 3 der „Betriebsübergangsrichtlinie“ (RL/2001/23 EG) steht dem nicht entgegen. Danach muss der Erwerber die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen bis zu dessen Ablauf oder zu dessen Ablösung in dem gleichen Maße aufrechterhalten wie sie beim Vorgänger vorgesehen war. Dabei bedeutet „im gleichen Maße“ jedoch nicht in der gleichen Rechtsnatur, sondern erfordert nur, die kollektivvertraglichen Rechte und Pflichten im Arbeitsverhältnis so aufrecht zu erhalten, als wären sie weiterhin normativ und damit zwingend auf das Arbeitsverhältnis anwendbar3. Anderes folgt auch nicht aus einer neueren Entscheidung des BAG, wonach sich die Rechtsnatur eines entstandenen tarifvertraglichen Anspruchs nicht durch ein Betriebsübergang ändert4. Gemeint war die Rechtsnatur des Anspruchs, der als tariflich begründeter Anspruch normativ fortbestand. Damit ist nicht gesagt, dass der Tarifvertrag selbst in seiner bisherigen Rechtsnatur fortgilt. b) Verständnis und Bedeutung der Identitätstheorie Ob eine Betriebsvereinbarung in Ihrer Rechtsnatur als Betriebsvereinbarung fortgilt oder Inhalt des Arbeitsverhältnisses wird, hängt von dem Schicksal des übergehenden Betriebs ab. Zur kollektivrechtlichen Fortgeltung in der Rechtsnatur als Betriebsvereinbarung kommt es insbesondere dann, wenn der bisherige Betrieb nach dem Übergang seine betriebsverfassungsrechtliche Identität bewahrt5. In diesem Fall bleibt die Organfunktion des Betriebsrats erhalten mit der Folge, dass der bisherige Betriebsrat auch gegenüber dem Erwerber als neuem Arbeitgeber als Vertragspartner auftritt6. Allerdings ist umstritten, ob und inwieweit der Fortbestand der – so verstandenen – Betriebsidentität – für die kollektivrechtliche Fortgeltung einer Betriebsvereinbarung erforderlich ist. Das BAG folgt diesem Verständnis jedenfalls seit der Entscheidung vom 18.9.20027 nicht mehr. In der Entscheidung nahm das BAG bekanntlich an, dass jedenfalls Gesamtbetriebsvereinbarungen auch dann kollektivrechtlich fortgelten können, wenn nur ein Betriebsteil übertragen wird und dem bisherigen Betriebsrat ein Übergangsmandat nach § 21a BetrVG zukommt. Für Betriebsvereinbarungen dürfte danach nichts anderes gelten. Ob mit der Entscheidung eine Abkehr von der bisherigen Identitätslehre verbunden ist oder lediglich eine Präzisierung des Identitätsbegriffs i.S. einer „Teilidentität“ (vgl. Rz. 22.15), ist unklar8. Eine neuere Entscheidung des BAG lässt eher darauf schließen, dass sich das Gericht von der Identitätstheorie gänzlich verabschiedet hat9. Dass es bei der Fortfüh-
1 Henssler/Moll/Bepler/Grau, Teil 15 Rz. 50; Hanau/Strauß, Festschrift Bepler, S. 199, 204. 2 Henssler/Moll/Bepler/Grau, Teil 15 Rz. 50; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 250. 3 EuGH v. 11.9.2014 – C-328/13 – Österreichischer Gewerkschaftsbund, NZA 2014, 1092 Rz. 7; Henssler/Moll/Bepler/Grau, Teil 15 Rz. 50; EUArbR/Winter, RL 2001/23/EG Art. 3 Rz. 54 ff.; anders wohl BeckOK/Gussen, § 613a BGB, Rz. 194; HaKo-BetrVG/Lorenz, § 77 Rz. 78. 4 BAG v. 12.2.2014 – 4 AZR 317/12, AP TVG § 4 Nr. 36 = NZA 2014, 613 Rz. 22.b. 5 Staudinger/Annuß, BGB, § 613a Rz. 203. 6 BeckOK/Gussen, § 613a BGB Rz. 193. 7 BAG v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670. 8 Ebenso Jakobs, Festschrift Konzen, S. 345, 349. 9 BAG v. 22.5.2020 – 1 ABR 39/18, NZA 2020, 875; dazu Steffan, ArbRB 2020, 286; Steffan, Festschrift für Ulrich Preis, 2021, S. 1279, 1280 f.; Boigs, jurisPR-ArbR 43/2020 Anm. 4.
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22.10
§ 22 Rz. 22.10 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
rung eines Betriebsteils an dem fortbestehenden Betriebsrat mangelt, lässt das BAG nicht gelten, weil der bisherige Betriebsrat nach § 21a BetrVG im Amt bleibe1. In Konsequenz dieser Ansicht hat der 1. Senat des BAG deutlich gemacht, dass sich an der normativen Fortgeltung einer Betriebsvereinbarung auch dann nichts ändere, wenn der Betrieb nach Ablauf des Übergangsmandats betriebsratslos werde, weil auch sonst der vorübergehende oder endgültige Wegfall des Betriebsrats eine bestehende Betriebsvereinbarung unberührt lasse. Die unmittelbare und zwingende Wirkung einer Betriebsvereinbarung hänge nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG nicht vom Fortbestand einer Arbeitnehmervertretung im Betrieb ab2. Dabei bleibt allerdings unerwähnt, dass § 21a BetrVG nur dem Übergang auf einen neuen Betriebsrat dient, der nie Vertragspartner der fortgeltenden Betriebsvereinbarung war. Im Übrigen kommt ein Übergangsmandat gerade dann in Betracht, wenn der Betrieb seine Identität verliert3. Das Übergangsmandat gleichzeitig zur Begründung der kollektivrechtlichen Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen heranzuziehen, passt nicht recht.
22.11
Nach weitergehender Ansicht führt generell der Verlust der Betriebsidentität nicht zum Ende der normativen Wirkung einer Betriebsvereinbarung. Es sei vielmehr danach zu unterscheiden, ob die Betriebsvereinbarung hinsichtlich ihres Regelungsgehalts auf den Betrieb als Organisation bezogen sei oder nicht. Nur im ersten Fall soll die Betriebsvereinbarung wegen Zweckerreichung enden; im Übrigen soll sie normativ fortgeltend. Entscheidend für die Abgrenzung sei die Auslegung der Vereinbarung4. Begründet wird die Ansicht mit dem Vergleich zur normativen Fortwirkung des Sozialplans trotz Wegfalls des Betriebs, die der Gesetzgeber ausdrücklich gewollt habe und die von der Rechtsprechung anerkannte normative Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen zur betrieblichen Altersversorgung, die unabhängig von der Identität oder den Bestand des Betriebes mit ihrer Zweckerreichung enden und ansonsten fortgelten5.
22.12
Umgekehrt wird vereinzelt trotz Fortbestand der Betriebsidentität eine kollektivrechtliche/ normative Fortgeltung einer Betriebsvereinbarung bei einem Betriebsübergang abgelehnt. Wechsele der Betriebsinhaber, müsse berücksichtigt werden, dass auf Arbeitgeberseite eine neue Vertragspartei eintrete. Hier könne eine normative Wirkung nicht angenommen werden (wie § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB bestätige), sondern es müsse wie beim funktionell verwandten Haustarifvertrag entschieden werden, bei dem die Rechtsprechung zu Recht eine normative Fortgeltung ablehne. Die Betriebsvereinbarung beziehe sich auf die Regelung der vormals bestehenden Arbeitsorganisation, deren Regelungsmacht durch den Wechsel eines Vertragspartners entfallen sei6. Dem ist zu Recht entgegengehalten worden, dass ebenso wie beim Arbeitsvertrag (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB) auch beim Kollektivvertrag ein Austausch stattfinden könne, ohne dass sich die Vertragswirkungen ändern7. Der Vergleich zum Haustarifvertrag passt nicht durchgängig, weil Grund für die Absage der kollektiven Fortwirkung ein besonderes
1 BAG v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670; ebenso Staudinger/Annuß, BGB, § 613a Rz. 203; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rz. 386; kritisch Sieg/Maschmann, Umstrukturierung, Rz. 412; a.A. Hohenstatt/Müller-Bonanni, NZA 2003, 766, 770; HWK/Müller-Bonanni, Rz. 256; HaKo-BetrVG/Lorenz, § 77 Rz. 98. 2 BAG v. 12.6.2019 – 1 AZR 154/17, ZIP 2019, 1340 Rz. 34. 3 Thüsing, DB 2004, 2474, 2475. 4 GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rz. 375. 5 Insbesondere GK-BetrVG/Kreutz, § 1 Rz. 438 ff., 441; in Grenzen HWK/B. Gaul, § 77 BetrVG Rz. 73; Fitting, § 77 BetrVG Rz. 174. 6 Rieble/Gutzeit, NZA 2003, 233. 7 Thüsing, DB 2004, 2474, 2477.
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Unternehmensübergreifende Restrukturierungen | Rz. 22.14 § 22
Verständnis der negativen Koalitionsfreiheit ist1. Ordnet das Gesetz die (partielle) Gesamtrechtsnachfolge an (etwa bei Umwandlungen nach dem UmwG), rückt der Arbeitgeber dagegen in die Vertragspartnerstellung des Haustarifvertrags ein, ohne dass die negative Koalitionsfreiheit die kollektive Fortgeltung hindert. Die besseren Gründe sprechen dafür, es bei dem Erfordernis der Betriebsidentität zu belassen2. Die Betriebsvereinbarung ist das Recht des Betriebs und damit an dessen Existenz geknüpft. Endet der Betrieb, endet auch die Betriebsvereinbarung. Der Notwendigkeit der Betriebsidentität steht auch die abweichende Wirkung beim Sozialplan nicht entgegen. Dort findet die gesetzgeberische Anordnung ihre Legitimation im Sonderfall der Abwicklung des Betriebs, der nicht verallgemeinerungsfähig ist. Die spezielle Regelung für einen sachlich (Betriebsschließung) und inhaltlich (Sozialplanregelungen) begrenzten Sonderfall spricht eher für einen Gegenschluss denn einen Parallelschluss bei den häufig vorkommenden Organisationsänderungen3. Die notwendige Betriebsidentität kann unabhängig von den handelnden Personen auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite bestehen bleiben. Ändert sich die natürliche oder juristische Person des Betriebsinhabers, ist dies für sich allein irrelevant für den Fortbestand der Betriebsvereinbarung. Dasselbe gilt bei personellen Änderungen des Betriebsrats. Maßgeblich ist der Fortbestand oder das Ende der betriebsverfassungsrechtlichen Identität. Daran geknüpft ist der Bestand des Betriebsrats als Institution. Endet die betriebsverfassungsrechtliche Identität, endet auch der Betriebsrat. Endet der Betriebsrat, endet auch die Betriebsvereinbarung. Für die Spaltung eines Betriebs dazu, dass in einem Teil des ehemals einheitlichen Betriebs die Identität erhalten bleibt, während sie in einem anderen Teil verloren geht, bleibt die Betriebsvereinbarung in dem identischen Teil normativ erhalten, während sie in dem anderen Teil jedenfalls in ihrer Rechtsnatur als Betriebsvereinbarung endet. Eine „Zellteilung“ der Betriebsvereinbarung findet nicht statt4.
22.13
II. Begriff der Betriebsidentität 1. Betriebsverfassungsrechtliche Identität Voraussetzung für die kollektivrechtliche Fortgeltung der Betriebsvereinbarung ist der Fortbestand des Betriebs in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Identität. Nicht maßgeblich ist der Betriebsbegriff des § 613a BGB. Ausgangspunkt der Überlegungen zur Charakterisierung des Betriebs im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne ist in der Regel zunächst einmal der „allgemeine Betriebsbegriff“ (Rz. 1.3 ff.). Die Grundlage unseres Betriebsverständnisses bietet noch immer der nunmehr fast 100 Jahre alte Begriff von Jacobi5. In Anlehnung an dessen Erkenntnis wird der Betrieb heutzutage überwiegend definiert als die organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Arbeitgeber allein oder mit seinen Arbeitnehmern durch Einsatz technischer und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen6. Was diese organisatorische Einheit ausmacht, ist anhand bestimmter Kriterien zu bestimmen. Dasselbe gilt für die Frage, ob die Einheit ihre Identität behalten oder verloren hat.
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Kritisch dazu Thüsing, DB 2004, 2474, 2477; Moll, RdA 1996, 275; Däubler, RdA 2002, 303. Ebenso Thüsing, DB 2004, 2474, 2477. Zutreffend Thüsing, DB 2004, 2474, 2477. So richtig Hohenstatt/Müller-Bonanni, NZA 2003, 766, 770; Thüsing, DB 2004, 2474, 2476. Jacobi, Betrieb und Unternehmen als Rechtsbegriffe, Leipzig 1926 (Festschrift für Victor Ehrenberg). 6 MünchArbR/Richter, § 24 Rz. 5 mwN.
Steffan | 855
22.14
§ 22 Rz. 22.15 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
2. Teilidentität 22.15
Im Anschluss an die Entscheidung vom 18.9.2002 hat im Wesentlichen B. Kreft – der zum Zeitpunkt der Entscheidung Mitglied des 1. Senats war – die Ansicht vertreten, für den normativen Fortbestand einer Betriebsvereinbarung genüge eine Teilidentität, weil in dem abgespaltenen Betriebsteil weniger, aber nicht andere Arbeitnehmer beschäftigt seien. Zwar sei die ursprüngliche Einheit nach einer Betriebsspaltung nicht mehr vorhanden, die entstandenen Teileinheiten seien aber jedenfalls so lange teilidentisch mit dem Ursprungsbetrieb, wie sie die Kriterien des Betriebsteils erfüllten und selbständig weitergeführt würden1. Mit dem Begriff der Identität hat dieses Verständnis allerdings nicht mehr viel gemein2. Unabhängig von der Frage, ob das BAG hier nur über die Rechtsnatur der Fortgeltung entschieden hat oder von einem besonderen betriebsverfassungsrechtlichen Verständnis der Betriebsidentität ausgegangen ist, liegt sachlogisch betrachtet keine Betriebsidentität mehr vor. Wird aus einer bisherigen organisatorischen Einheit ein Teil abgetrennt, ist sie nicht mehr dieselbe wie bisher. Wird der übertragene Betriebsteil als selbständiger Betrieb fortgeführt, entsteht eine neue betriebsverfassungsrechtliche Einheit3.Für ein besonderes Verständnis der Betriebsidentität spricht hingegen die Entscheidung des 1. Senats des BAG vom 25.5.20204. Dabei ging es um das Ausscheiden eines Unternehmens aus dem Konzernverbund im Rahmen eines Share Deals (also kein Betriebsübergang) mit einem nachfolgendem Betriebs(teil)übergang. In beiden Fällen nahm das BAG die normative Fortgeltung einer Konzernbetriebsvereinbarung an. Dafür sei es ausreichend, dass der bisherige Betriebsteil bei dem Erwerber als eigenständiger Betrieb fortgeführt werde. Der bisherigen Identitätstheorie erteilt das Gericht eine eindeutige Absage, indem es feststellt: Einer – wie auch immer gearteten – weiteren betriebsverfassungsrechtlichen „Teilidentität“ der vom Veräußerer übernommenen wirtschaftlichen Einheit bedürfe es nicht5.
3. Unabhängigkeit vom Betriebsinhaber 22.16
Unabhängig von der Feststellung, dass eine Teilidentität nicht ausreicht, bleibt die Frage, was die Identität des Betriebs ausmacht. Wann besteht der Betrieb als „derselbe“ fort und wann ist von einem „anderen“ Betrieb auszugehen. Die Lösungsansätze dazu sind vielfältig. Aus der organisatorischen Betrachtung des allgemeinen Betriebsbegriffs folgt, dass es auf die Frage, welchem Arbeitgeber (Unternehmen) die betriebliche Organisation zugeordnet ist, nicht ankommt. Wechselt also der Betriebsinhaber als Folge eines Betriebsübergangs, hat dieser Vorgang für sich allein keine Auswirkung auf die Betriebsidentität, solange damit keine Eingriffe in die Betriebsorganisation verbunden sind. Auch wenn ein Betrieb als gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen geführt wird, berührt allein die Tatsache mehrere unterschiedliche Arbeitgeber die Betriebsidentität nicht.
1 B. Kreft, Festschrift Wissmann, 2005, S. 347, 353; vgl. dazu die Kritik bei WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 21. 2 So zutreffend Salamon, RdA 2007, 153; Hohenstatt/Müller-Bonanni, NZA 2003, 766, 770. 3 Zutreffend HWK/Müller-Bonnani, § 613a BGB Rz. 256; Thüsing, DB 2004, 2474, 2477 f. 4 BAG v. 22.5.2020 – 1 ABR 39/18, NZA 2020, 875; dazu Steffan, ArbRB 2020, 286; Steffan, Festschrift für Ulrich Preis, 2021, S. 1279, 1280 f.; Boigs, jurisPR-ArbR 43/2020 Anm. 4; Salamon, NZA 2020, 1457. 5 BAG v. 22.5.2020 – 1 ABR 39/18, NZA 2020, 875 Rz. 35.
856 | Steffan
Unternehmensübergreifende Restrukturierungen | Rz. 22.20 § 22
4. Bedeutung einzelner Kriterien Bei der organisatorischen Betrachtung ist die Aufrechterhaltung des Betriebszwecks für sich allein für den Fortbestand einer betriebsverfassungsrechtlichen Einheit nicht maßgeblich. Er ist allenfalls als negative Abgrenzung tauglich. Nur wenn kein Betriebszweck mehr verfolgt wird, wird man von einer Stilllegung des Betriebs ausgehen dürfen mit der Folge, dass die Betriebsidentität erlischt. Nur wenn mindestens ein abgrenzbarer Zweck verfolgt wird, kann eine Einheit überhaupt als Betrieb oder Betriebsteil gekennzeichnet werden. Ändert sich hingegen der Betriebszweck, hat dies keine zwangsläufige Auswirkung auf die Betriebsidentität. Das gilt selbst dann, wenn es zu einer grundlegenden Änderung des Betriebszwecks im Sinne des § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG kommt1. Die Betriebsidentität wird auch nicht dadurch berührt, dass mehrere Betriebszwecke verfolgt werden2.
22.17
Das Vorliegen oder Fehlen materieller oder immaterieller Betriebsmittel sagt über die Identitätswahrung des Betriebs nichts aus. Dies folgt schon daraus, dass in „betriebsmittelarmen und dienstleistungsorientierten“ Branchen der Betrieb allein aus den Arbeitnehmern in ihrer organisatorischen Verbundenheit und der gemeinsam ausgeübten Tätigkeit bestehen kann3. Daran ändert auch § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG nichts, da die dort geregelte Vermutung eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen daran geknüpft ist, dass die Betriebsmittel und Arbeitnehmer von den beteiligten Unternehmen gemeinsam eingesetzt werden. Die Steuerung des Einsatzes ist entscheidend, nicht die Betriebsmittel, was durch den Vergleich mit § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG deutlich wird.
22.18
Soweit auf die Verbundenheit der Arbeitnehmer innerhalb des Betriebs abgestellt wird, ist daran so viel richtig, dass der Belegschaft als wesentlicher Bestandteil des Betriebs im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne besondere Bedeutung zukommt. Doch ist zu unterscheiden zwischen einer rein zahlenmäßigen Veränderung der Belegschaft und einem teilweisen Austausch. Allein das Unterschreiten des Schwellenwertes gem. § 13 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG berührt die Identität nicht4. Zwar ist der Betriebsrat neu zu wählen, aber er verliert nicht seine Zuständigkeit, sondern bleibt im Amt, bis ein neuer Betriebsrat gewählt ist. Im Ergebnis ist die Situation dieselbe wie bei den turnusmäßigen Betriebsratswahlen, die auf die Identität des Betriebs ebenfalls keinen Einfluss haben. Dagegen kann ein Austausch oder ein Wechsel der Belegschaft auf die Identität des Betriebes entscheidenden Einfluss haben. Deutlich wird dies etwa bei der Eingliederung eines Betriebes in einen anderen. Ist die Arbeitnehmerzahl des aufnehmenden Betriebs wesentlich höher als die des einzugliedernden Betriebs, verliert der einzugliedernde Betriebs seine Identität, während der aufnehmende sie behält5. Denkbar ist indes auch der umgekehrte Fall. Im Ergebnis führt ein Austausch oder ein Wechsel der Belegschaft auch zu einer Änderung in der Betriebsorganisation und dem Betriebszweck, weil sich damit in aller Regel die Betriebsaufgaben verändern. Diese werden entweder aufgegeben oder neu übernommen, eingeschränkt oder erweitert.
22.19
Besondere Bedeutung für die Betriebsidentität kommt der Organisations- und Leitungsstruktur des Betriebes zu. Dabei ist jedoch nicht auf einzelne Aspekte, sondern eine Gesamtbetrachtung abzustellen. Entscheidend für die Identität des Betriebes ist das Vorhandensein
22.20
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Ebenso Thüsing, DB 2004, 2474. Salamon, RdA 2007, 153, 154. St. Rechtsprechung seit BAG v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, NZA 1997, 1050. Salamon, RdA 2007, 153, 154; a.A. Rieble/Gutzeit, NZA 2003, 233, 234. Thüsing, DB 2004, 2474.
Steffan | 857
§ 22 Rz. 22.20 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
eines einheitlichen Leitungsapparats, durch den die in einer Arbeitsstätte vorhanden materiellen und immateriellen Betriebsmittel gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft gesteuert wird1. Hierbei muss sich die einheitliche Leitung insbesondere auch auf die wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in sozialen und personellen Angelegenheiten erstrecken2. Gerade für die Kennzeichnung des Betriebs im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne kommt vor allem darauf an, dass die maßgeblichen Arbeitgeberfunktionen im sozialen und personellen Bereich zentral gesteuert werden. In diesen Bereichen hat der Gesetzgeber dem Betriebsrat durch §§ 92 ff., 99, 102 f. BetrVG einerseits und §§ 87 f. BetrVG andererseits umfassende Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte zuerkannt. Wenn diese Beteiligungsrechte tatsächlich Wirkung zeigen sollen, müssen sie an einer Stelle ansetzen, die die hierfür maßgeblichen Entscheidungen trifft bzw. ihre Umsetzung zu verantworten hat. Dass diese Stelle in den Organisationsformen moderner Unternehmen – etwa bei Matrixstrukturen oder in der agilen Organisation – oftmals nur schwer auszumachen ist, ändert daran nichts3. Selbstverständlich macht die einheitliche Ausübung der Leitungsmacht keine Konzentration dieser Befugnis in einer einzigen Person erforderlich. Anders wäre ein wirkungsvolles HR-Management in größeren Betrieben auch angesichts der Notwendigkeit, in Fachfragen jeweils eine kompetenzbezogene Zuständigkeit auch für solche Angelegenheiten aufzubauen, die mit Beteiligungsrechten des Betriebsrats verbunden sind, nicht zu realisieren. Es genügt, dass die Entscheidungsbefugnis von einem einheitlichen Leitungsapparat abgeleitet und die Gesamtheit der insoweit zum Teil auch dezentral wahrgenommenen Kompetenzen in den wesentlichen personellen und sozialen Fragen von diesem einheitlichen Leitungsapparat aus gesteuert werden. Dem Betriebsrat können durchaus unterschiedliche Verhandlungspartner gegenüberstehen, ohne dass ein einheitlicher Leitungsapparat damit ausgeschlossen wäre .4 Voraussetzung ist allerdings, dass die Verhandlungspartner mit der notwendigen Entscheidungskompetenz ausgestattet sind. Im Ergebnis muss jedoch für den Betriebsrat die zentrale Leitung erkennbar sein, die die maßgeblichen betriebsverfassungsrechtlich Entscheidungen trifft und die einheitliche Arbeitgeberfunktion etwa bei den sog. Monatsgesprächen nach § 74 Abs. 1 BetrVG wahrnimmt. Ein Betrieb ohne eine einheitliche Leitung der personellen, sächlichen und immateriellen Mittel ist nicht möglich5.
22.21
Dagegen kommt der Leitungsmacht in wirtschaftlichen Angelegenheiten, also vor allem in den für §§ 106, 111 ff. BetrVG relevanten Fragen, für das Vorliegen eines Betriebs keine entscheidende Bedeutung zu6. Unerheblich ist auch, wo kaufmännische Entscheidungen (z.B. Marketing, Verkauf) getroffen werden7. Dagegen spricht nicht nur, dass nicht der Arbeitgeber (§ 87 Abs. 2 BetrVG), sondern der Unternehmer in §§ 106 ff. BetrVG als Ansprechpartner der Arbeitnehmervertreter genannt wird. Maßgeblich ist letztlich, dass die Entscheidungen in wirtschaftlichen und kaufmännischen Angelegenheiten einer gestaltenden Mitbestimmung 1 BAG v. 11.2.2004 – 1 ABR 27/03, NZA 2004, 618; BAG v. 22.6.2005 – 7 ABR 54/04, NZA 2005, 1248; Fitting, § 1 BetrVG Rz. 71 m.w.N. 2 BAG v. 11.2.2004 – 1 ABR 27/03, NZA 2004, 618; BAG v. 22.6.2005 – 7 ABR 54/04, NZA 2005, 1248. 3 Dazu DKW/Trümner, § 1 BetrVG Rz. 81. 4 HWK/B. Gaul, § 1 BetrVG Rz. 7; DKW/Trümner, § 1 BetrVG Rz. 82. 5 Zutreffend B. Gaul, Vorauflage, § 25 Rz. 36. 6 BAG v. 23.9.1982 – 6 ABR 42/81, AP Nr. 3 zu § 4 BetrVG 1972 Bl. 2; BAG v. 29.1.1987 – 6 ABR 23/85, AP Nr. 6 zu § 1 BetrVG 1972 Bl. 3; B. Gaul, Vorauflage, § 25 Rz. 38; DKW/Trümner, § 1 BetrVG Rz. 68; abw. LAG Düsseldorf v. 17.1.1995 – 3 TaBV 97/94, LAGE § 4 BetrVG 1972 Nr. 7 S. 2. 7 Vgl. BAG v. 23.9.1982 – 6 ABR 42/81, AP Nr. 3 zu § 4 BetrVG 1972 Bl. 2.
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Unternehmensübergreifende Restrukturierungen | Rz. 22.25 § 22
des Betriebsrats weitgehend entzogen sind1. Führt man sich die Bedeutung der Mitbestimmung in personellen und sozialen Angelegenheiten einerseits und der Mitwirkung in wirtschaftlichen Angelegenheiten vor Augen, muss der Ausübung der Arbeitgeberrechte in den erstgenannten Angelegenheiten bei der Kennzeichnung des Betriebs in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Identität aber das entscheidende Gewicht eingeräumt werden2. Die einheitliche Leitungsmacht bestimmt die Betriebsorganisation, die insoweit als bestimmendes Kriterium für die Identität des Betriebs in Betracht kommt. Dabei entscheidend ist die Aufbauorganisation, nicht die Ablauforganisation. Wie die Betriebsmittel oder die Arbeitnehmer in die Arbeitsabläufe zur Erreichung des Betriebszwecks integriert sind, ist für die einheitliche Wahrnehmung sozialer und personeller Angelegenheiten unerheblich. Dagegen entscheidet die Aufbauorganisation darüber, welche und wie viele betriebsverfassungsrechtliche Einheiten und damit Betriebsräte es in einem Unternehmen gibt. Ist das Unternehmen zentral organisiert, kann es für mehrere oder alle Betriebsstätten einen Betriebsrat geben. Bestätigt wird die Bedeutung der Leitungsmacht durch die Regelung des § 4 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, der bei ortsübergreifender Betriebsorganisation einen Betrieb i.S.v. § 1 BetrVG fingiert. Ob die Betriebsorganisation über die notwendige Eigenständigkeit verfügt, ist abhängig von der einheitlichen Leitungsmacht in sozialen und personellen Angelegenheiten3. Sind Betriebe und/oder Betriebsräte nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG gebildet, kommt die gewillkürte Betriebs (rats)struktur als Basis für die Frage der Betriebsidentität in Betracht. Bei dezentraler Unternehmensorganisation wird es regelmäßig mehrere betriebsverfassungsrechtliche Betriebe geben, die ihrerseits wiederum nach der gesetzlichen Grundkonstruktion oder durch Zusammenfassung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b BetrVG gebildet sein können.
22.22
Die betriebsverfassungsrechtliche Identität kann auch unabhängig von der organisatorischen Aufbauorganisation bestehen. Beispiel dafür sind Regionalbetriebe, die für bestimmte Regionen oder Standorte auf der Basis von § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b BetrVG unterschiedliche Organisationsteile zu einem Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn zusammenfassen, soweit dies die Bildung von Betriebsräten erleichtert oder einer sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer dient. Die einheitliche Leitung in sozialen und personalen Angelegenheiten ist auch hier unabdingbare Voraussetzung zur Definition des Betriebs, wenn auch die Praxis gelegentlich zeigt, dass die Suche nach „dem Arbeitgeber“ in solchen Strukturen Schwierigkeiten bereitet. Ist ein Regionalbetrieb gebildet, ist für den Fortbestand der Betriebsvereinbarungen die Identität des Regionalbetriebs maßgeblich.
22.23
Eine einheitliche technische Leitung ist für die Identität des Betriebs jedenfalls dann kein maßgebliches Kriterium, wenn in einer Betriebsstätte mehrere arbeitstechnische Zwecke verfolgt werden4.
22.24
Die räumliche Einheit oder jedenfalls die räumliche Nähe von Arbeitsplätzen kann zwar im Einzelfall ein Indiz für einen einheitlichen Betrieb sein, ihr kommt aber keine eigenständige Identität prägende Bedeutung zu. Der Betrieb i.S.d. BetrVG wird nicht räumlich definiert5. Dafür spricht bereits § 4 BetrVG, der davon ausgeht, dass auch Betriebsteile außerhalb des Betriebs zu diesem gehören. Nur wenn sie räumlich weit entfernt sind oder durch Aufgaben-
22.25
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Vgl. BAG v. 23.9.1982 – 6 ABR 42/81, AP Nr. 3 zu § 4 BetrVG 1972 Bl. 2. Vgl. BAG v. 23.9.1982 – 6 ABR 42/81, AP Nr. 3 zu § 4 BetrVG 1972 Bl. 2 f. Fitting, § 4 BetrVG Rz. 25. Fitting, § 1 BetrVG Rz. 73. BAG v. 19.6.2001 – 1 ABR 43/00, NZA 2001, 1263.
Steffan | 859
§ 22 Rz. 22.25 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
bereich und Organisation eigenständig, gelten sie als selbständige Betriebe. Selbst räumlich weit entfernte Einheiten können Teile des Hauptbetriebs sein, wenn sie nicht die für ein Betriebsteil im Sinne von § 4 Abs. 1 BetrVG erforderliche relative Selbständigkeit besitzen, weil alle mitbestimmungspflichtigen Entscheidungen in der Zentrale fallen1. Wie zudem § 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG deutlich macht, kann allein aus der Veränderung der räumlichen Lage einer Betriebsstätte noch nicht auf die Auflösung des Betriebs in seiner Identität geschlossen werden2. Anderenfalls hätte § 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG neben § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG keine Bedeutung. Entscheidend für Auswirkungen auf den Betrieb in seiner Identität ist, ob über die räumliche Entfernung bzw. ihre Veränderung hinaus eine Änderung in Bezug auf die organisatorische Verbundenheit eintritt3. Um dies festzustellen, sind weitergehende Kriterien maßgeblich4.
5. Gesamtbetrachtung 22.26
Die hier aufgeführten – nicht abschließenden – Kriterien haben unterschiedliches Gewicht; sie können im Einzelfall für und gegen das Vorliegen eines einheitlichen Betriebs sprechen. Die Frage, ob „derselbe“ Betrieb fortbesteht, kann nur durch eine Einzelfallbetrachtung beantwortet werden. Der individuelle Betrieb zeichnet sich durch eine Vielzahl von Merkmalen aus, von deren Fortbestand und Bedeutung es abhängt, ob derselbe Betrieb fortbesteht oder ein neuer Betrieb errichtet wird. Im Ergebnis ist die Identität kein definitionsfähiger Begriff, sondern typologisch zu bestimmen anhand des Gesamteindrucks der organisatorischen Einheit vorher und nachher5. Ein wichtiges – wenn nicht gar das wichtigste – Indiz dürfte die Kontinuität der Belegschaft sein. Besteht zumindest die überwiegende Belegschaft fort, bedarf es besonders gewichtiger anderer Umstände, um die betriebsverfassungsrechtliche Identität des Betriebs auszuschließen6. Dagegen liegt nach richtiger Ansicht keine Identität (mehr) vor, wenn im Falle der Eingliederung die Arbeitnehmerzahl des aufnehmenden Betriebs wesentlich höher ist als die Zahl des einzugliedernden Betriebs7. Im umgekehrten Fall ist ggf. zu unterscheiden: Wird ein Großteil des Betriebs stillgelegt, bleibt der bisherige Betriebsrat für den verbleibenden Restbetrieb im Amt. Die bloße Stilllegung eines Betriebsteils oder eine Betriebseinschränkung haben grundsätzlich keinen Einfluss auf die Betriebsidentität, weil die betrieblichen Strukturen dadurch nicht verändert werden. Der Betriebsrat nimmt für die verbleibenden Arbeitnehmer weiterhin die ihm nach dem BetrVG zustehenden Rechte und Pflichten wahr. So hat das BAG angenommen, dass eine Zurückführung auf ein Zehntel der Belegschaft nicht zum Identitätsverlust des Betriebs führe8. Dem wird man allenfalls unter dem Blickwinkel, dass es künftig nur noch einen Betrieb gibt, zustimmen können. Anders ist es dagegen bei einer Abspaltung des wesentlichen Betriebsteils. Werden neun Zehntel eines Betriebs abgespalten und danach verselbständigt, ist das verbleibende Zehntel nicht mehr identisch mit 1 Fitting, § 1 BetrVG Rz. 74. 2 Richardi/Richardi, § 1 BetrVG Rz. 85; Salamon, RdA 2007, 153, 155. 3 Vgl. BAG v. 23.9.1982 – 6 ABR 42/81, AP Nr. 3 zu § 4 BetrVG Bl. 2 f.; Hanau, ZfA 1990, 115, 118; GK-BetrVG/Kraft, § 4 Rz. 17. 4 So stellt das BAG in seiner Entscheidung v. 12.2.1987 (2 AZR 247/86, AP Nr. 67 zu § 613a BGB Bl. 3) darauf ab, dass nicht nur eine Verlegung des Betriebs um etwa 300 km erfolgt, sondern die alte Betriebsgemeinschaft auch tatsächlich aufgelöst und der Aufbau einer im Wesentlichen neuen Betriebsgemeinschaft erfolgt sei. 5 Thüsing, DB 2004, 2474; Salamon, RdA 2007, 153, 155. 6 Thüsing, DB 2004, 2474; Salamon, RdA 2007, 153, 155. 7 So auch Thüsing, DB 2004, 2474. 8 BAG v. 19.11.2003 – 7 AZR 11/03, NZA 2004, 435.
860 | Steffan
Unternehmensübergreifende Restrukturierungen | Rz. 22.28 § 22
dem vorangegangenen Betrieb1. Hier kann man nicht mehr von der betrieblichen Organisationseinheit sprechen, für die der Betriebsrat gewählt ist2. Deren Identität besteht vielmehr in den verselbständigten neun Zehnteln fort mit der Folge, dass dort der Betriebsrat und die Betriebsvereinbarungen fortbestehen. Ebenso wesentlich wie die Belegschaft dürfte die einheitliche Leitung des Betriebs sein. Dabei ist es unerheblich, ob sich die einheitliche Leitung in personeller Hinsicht teilweise oder gar gänzlich ändert. Entscheidend ist, ob sich sachlich die einheitliche Entscheidungskompetenz in sozialen und personellen Mitbestimmungsangelegenheiten für die organisatorische Einheit des Betriebs und/oder die Zuständigkeit des hierfür gebildeten Betriebsrats verändert hat. Ist der bisherige Betriebsrat als Organ nicht mehr originär für den Betrieb zuständig, mangelt es an der Identität3; auf einen personellen Wechsel innerhalb desselben Gremiums kommt es dagegen nicht an. Nicht ausreichend für die Betriebsidentität ist ein möglicherweise bestehendes Übergangsmandat nach § 21a BetrVG4. Hierbei handelt es sich nicht mehr um die originäre Zuständigkeit, sondern um eine lediglich vorübergehende Zuständigkeit bis zur Wahl eines neuen Betriebsrats oder für den maximalen Zeitraum von 12 Monaten nach dem Zeitpunkt der Übertragung. Richtigerweise trägt das Übergangsmandat dem Verlust der Betriebsidentität gerade dadurch Rechnung, dass es (nur) für den abgespaltenen Betriebsteil gilt, nicht dagegen für den (identisch fortbestehenden) Restbetrieb. Dort bestehen die bisherigen Betriebsvereinbarungen in ihrer bisherigen Rechtsnatur fort. An diesem grundsätzlichen Verständnis sollte zur Vermeidung von Abgrenzungsproblemen festgehalten werden, unabhängig davon, was daraus für die Rechtsnatur der Fortgeltung der bisher geltenden Betriebs-, Gesamtbetriebs- und Konzernbetriebsvereinbarungen folgt. Für ein modifiziertes Identitätsverständnis besteht auch deshalb kein Bedürfnis, weil das BAG der Fortgeltungsanordnung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB neuerdings keine individualrechtliche Wirkung beimisst, sondern eine kollektivrechtliche.
22.27
III. Übertragung eines Betriebs unter Wahrung seiner Identität 1. Folgen für Betriebsvereinbarungen a) Fortgeltung ohne Rücksicht auf § 613a BGB Wird ein Betrieb in seiner Gesamtheit unter Wahrung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Identität auf einen anderen Rechtsträger übertragen und dort fortgeführt, gelten nach allgemeiner Meinung Betriebsvereinbarungen kollektivrechtlich weiter, ohne dass es eines Rückgriffs auf § 613a BGB bedarf. Dabei ist es unerheblich, ob der Übergang der Arbeitsverhältnisse im Wege der Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge erfolgt. Unerheblich ist deshalb, ob die Übertragung des Betriebs im Wege des Asset Deal oder der Universalsukzession (Verschmelzung, Vermögensübertragung nach §§ 20, 174 UmwG, Anwachsung) oder der partiellen Gesamtrechtsnachfolge (Auf-/Abspaltung oder Ausgliederung nach §§ 126 ff. UmwG) erfolgt. Entscheidend ist alleine, ob der Betrieb seine Identität behält. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist es unerheblich, welchem Rechtsträger das im Betrieb gebundene Vermögen zuzuordnen ist. Erforderlich für die Identitätswahrung des Betriebs ist, dass er auch beim Erwerber als eigenständiger Betrieb fortgeführt wird. In diesem Fall wirkt die Betriebsvereinbarung in ihrer 1 2 3 4
Zutreffend Thüsing, DB 2004, 2474. Nach BAG v. 19.11.2003 – 7 AZR 11/03, NZA 2004, 435, 437, das maßgebliche Kriterium. So im Ansatz auch BAG v. 19.11.2003 – 7 AZR 11/03, NZA 2004, 435. So auch Thüsing, DB 2004, 2474, 2477 und WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 21; a.A. BAG v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670.
Steffan | 861
22.28
§ 22 Rz. 22.28 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
Rechtsnatur als Betriebsvereinbarung weiter. Führt somit eine Aufspaltung des Unternehmens oder eine Abspaltung von einem Unternehmen dazu, dass ein gesamter Betrieb als Bestandteil der Vermögensmasse auf einen Erwerber übertragen wird, gelten Betriebsvereinbarungen kollektivrechtlich als Betriebsvereinbarungen fort. Dass die Arbeitsverhältnisse nach § 613a BGB, § 324 UmwG übergegangen sind, ändert daran nichts. § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB, der insoweit nur Auffangcharakter hat, findet bei der vorstehenden Fallgestaltung keine Anwendung1. Auch ein Rückgriff auf Art. 3 Abs. 3 Richtlinie 2001/23/EG, der die gleiche Rechtsfolge vorsieht, ist nicht erforderlich.
22.29
Weil es ausschließlich auf die Identitätswahrung des Betriebs ankommt gelten Betriebsvereinbarungen auch dann kollektivrechtlich fort, wenn kein rechtsgeschäftlicher Betriebsübergang vorliegt, wie etwa beim Erbfall (§ 1922 BGB), beim Anteilskauf (Share Deal) oder beim Formwechsel.
22.30
Die kollektivrechtliche Fortgeltung gilt auch für den Sozialplan – und zwar unabhängig von der fortbestehenden Identität des Betriebs. Dasselbe gilt für Betriebsvereinbarungen zur betrieblichen Altersversorgung. Werden sie gekündigt, wirken sie für die bis dahin geleisteten Betriebszugehörigkeiten als Anspruchsgrundlage kollektivrechtlich fort2. b) Inhalt und Reichweite kollektivrechtlicher Fortgeltung
22.31
Bleibt die Rechtsnatur der Betriebsvereinbarung unangetastet, gelten nicht nur die Rechte und Pflichten aus dem normativen Teil einer Betriebsvereinbarung fort. Die Fortgeltung erfasst grundsätzlich alle Regelungen. Es gibt keine Unterscheidung zwischen Inhalts-, Abschlussoder Beendigungsnormen bzw. Normen über betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Fragen. Folgerichtig tritt der Erwerber auch in den Teil der Betriebsvereinbarung ein, der zwischen – vergleichbar mit dem schuldrechtlichen Teil eines Tarifvertrags – Arbeitgeber und Betriebsrat z.B. die Möglichkeit einer Kündigung oder die Notwendigkeit von Verhandlungen regelt.
22.32
Zuständig für etwaige Änderungen der Betriebsvereinbarung bzw. für den Empfang oder den Anspruch einer etwaigen Kündigung ist der im übertragenen Betrieb ebenfalls fortbestehende Betriebsrat. Es gilt das allgemeine Betriebsverfassungsrecht; § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB findet infolge seines Auffangcharakters keine Anwendung. Abweichende Vereinbarungen auf individualrechtlicher Ebene müssen deshalb während der Geltungsdauer der Betriebsvereinbarung das Günstigkeitsprinzip in § 77 Abs. 4 BetrVG beachten.
22.33
Wird die Betriebsvereinbarung noch vor der Überleitung des Betriebs gekündigt, tritt sie – sofern nach allgemeinen Grundsätzen keine Nachwirkung anzunehmen ist – mit Ablauf der Kündigungsfrist außer Kraft. Das Gleiche gilt für den Fall einer Kündigung nach dem Betriebsübergang. Einer besonderen Vereinbarung bedarf es nicht. Wegen der unveränderten Fortgeltung als Betriebsvereinbarung resultiert dies aus § 77 Abs. 6 BetrVG. Weil hier Rechte und Pflichten einer Betriebsvereinbarung gerade nicht Inhalte der Arbeitsverhältnisse zwischen dem neuen Inhabern und dem Arbeitnehmer werden, spielt die Ein-Jahres-Frist des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB keine Rolle. 1 BAG v. 27.7.1994 – 7 ABR 37/93, NZA 1995, 222, 223; Hanau, ZGR 1990, 548, 555; Jung, RdA 1981, 360, 362; Wank, NZA 1987, 505, 507; a.A. Junker, RdA 1993, 203, 205; Röder, DB 1981, 1980, 1981; Falkenberg, DB 1980, 783, 785. 2 HWK/B. Gaul, § 77 BetrVG Rz. 56.
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Unternehmensübergreifende Restrukturierungen | Rz. 22.37 § 22
Eine Ausnahme von der unveränderten Fortgeltung ist jedoch dann anzunehmen, wenn eine Betriebsvereinbarung unternehmensbezogene Regelungen enthält, die nicht problemlos in das neue Unternehmen übertragen werden können. Hierzu gehören z.B. besondere Formen der Vermögensbeteiligung, insbesondere ein Aktien-Options-Plan, den der neue Arbeitgeber nicht erfüllen kann. Hier muss unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls, ggf. unter Rückgriff auf die Grundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage, eine Anpassung vorgenommen werden1. Diese Grundsätze gelten wegen der übergreifenden Bedeutung von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch für Betriebsvereinbarungen2. Im Zweifel entfällt damit der Anspruch auf entsprechende Leistungen3. Allerdings kann der Arbeitgeber verpflichtet sein, für die Restlaufzeit der ursprünglichen Vereinbarung eine wertgleiche Leistung zu erbringen.
22.34
Eine kollektivrechtliche Fortgeltung ist ausgeschlossen, wenn der Betriebserwerber dem öffentlichen Dienst angehört4.
22.35
Gilt die Betriebsvereinbarung in ihrer Rechtsnatur als Betriebsvereinbarung beim Erwerber weiter, erfasst sie auch alle nach dem Betriebsübergang in den Betrieb eintretenden Arbeitnehmer. Dies ist insbesondere bedeutsam für finanzielle Verpflichtungen, die beim Erwerber ansonsten nicht bestehen (Jubiläumsleistungen, besondere Zulagen, betriebliche Altersversorgung etc.). Deutlich geworden ist dies etwa in dem Sachverhalt, der der Entscheidung des BAG vom 5.5.20155, zugrunde lag. Weil der Erwerber von einer begrenzten Fortgeltung der Betriebsvereinbarung für die übernommenen Mitarbeiter nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ausging, hatte er nicht berücksichtigt, dass nach dem Erwerb des Betriebsteils eingestellte Mitarbeiter ebenfalls von einer – nach Sicht des BAG kollektivrechtlich fortgeltenden – Betriebsvereinbarung erfasst wurden, was im Ergebnis zur Insolvenz des Unternehmens führte.
22.36
c) Ablösung der Betriebsvereinbarung durch Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung Da Betriebsvereinbarungen anderer Betriebe für den unter Wahrung seiner Identität übertragenen Betrieb keine Geltung besitzen, kommt insoweit eine Ablösung nicht in Betracht6. Trotz der Wahrung der Betriebsidentität ist die Fortgeltung der im übertragenen Betrieb geltenden Betriebsvereinbarung ausgeschlossen, wenn bei dem Erwerber eine Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung besteht, die ihrem Geltungsbereich nach auch den übernommenen Betrieb erfasst und den gleichen Gegenstand regelt7. Eine von dem Gesamt- und Konzernbetriebsrat im Rahmen seiner originären Zuständigkeit (§ 50 Abs. 1, § 58 Abs. 1 BetrVG) abgeschlossene Betriebsvereinbarung (sog. Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung) verdrängt die Zuständigkeit des Betriebsrats und die von diesem abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen. Das Vorrangprinzip entspricht dem Ziel des Gesetzgebers, eine Fortgeltung der bisherigen Kollektivordnung im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang oder einer Umwandlung nur dann festzuschreiben, wenn diese Ordnung nicht durch eine neue Ordnung,
1 APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 91; B. Gaul/Naumann, NZA 2011, 121 ff. 2 BAG v. 10.8.1994 – 10 ABR 61/93, EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 76 S. 10 f.; BAG v. 28.8.1996 – 10 AZR 886/97, EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 87 S. 6 f.; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rz. 168, 319. 3 Siehe nur MünchKommBGB/Schaub, § 613a BGB Rz. 145; Hanau/Vossen, Festschrift Hilger/ Stumpf, S. 271, 273 f. 4 Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 207. 5 BAG v. 5.5.2015 – 1 AZR 763/13, NZA 2015, 1331. 6 Vgl. BAG v. 1.8.2001 – 4 AZR 82/00, BB 2002, 203, 205 f. 7 Vgl. WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 13.
Steffan | 863
22.37
§ 22 Rz. 22.37 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
die beim Erwerber bereits besteht, ersetzt wird. Das zeigt § 613a Abs. 1 Satz 3, 4 BGB. Die Fortgeltung einer inhaltsgleichen Betriebsvereinbarung kommt allerdings dann in Betracht, wenn die entsprechende Gesamtbetriebsvereinbarung eine entsprechende Öffnungsklausel zu Gunsten von Vereinbarung der einzelnen Betriebsräte erhält1.
22.38
Auf die Günstigkeit der in der Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung getroffenen Regelungen oder die daraus folgenden Aufwendungen des übernehmenden Rechtsträgers kommt es nicht an. Da die Betriebsvereinbarung in ihrer bisherigen Rechtsnatur normativ fortgilt, findet § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB keine Anwendung, es gelten ausschließlich die betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätze der Zuständigkeit des Betriebsrats, Gesamt- oder Konzernbetriebsrats.
22.39
Die auch verschlechternde Ablösemöglichkeit gilt jedoch nur für die Zukunft; in bereits bestehende Anwartschaften kann auch das neue Kollektivrecht nicht eingreifen. Bereits unverfallbare Versorgungsanwartschaften bleiben in ihrem bis zum Betriebsübergang erarbeiteten Umfang erhalten, unabhängig davon, ob das aufnehmende Unternehmen überhaupt keine oder eine schlechtere Altersversorgung hat2. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der bis zum Betriebsübergang erdiente Besitzstand vom Betriebsübernehmer stets zusätzlich zu einer bei ihm erdienten Altersversorgung geschuldet wäre. Die gebotene Besitzstandswahrung führt grundsätzlich nur insoweit zu einem erhöhten Versorgungsanspruch, wie die Ansprüche aus der Neuregelung im Versorgungsfall hinter dem zurückbleiben, was bis zum Betriebsübergang erdient war3. Unter Berücksichtigung der Entscheidung des 3. Senats des BAG v. 22.10.20194 muss sich die Ablösung jedoch an den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit und damit letztlich an der vom 3. Senat entwickelten Drei-Stufen-Theorie messen lassen (Rz. 34.223).
22.40
Unerheblich ist auch, ob die ablösende Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung zum Zeitpunkt des Übergangs bereits besteht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt abgeschlossen wird oder durch Spruch der Einigungsstelle zustande kommt. Auf die Veränderungssperre des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB kommt es schon deshalb nicht an, weil die Regelung bei der Fortgeltung der Betriebsvereinbarung aufgrund fortbestehender Betriebsidentität keine Anwendung findet. Will der neue Arbeitgeber die Erstreckung der bei ihm geltenden Gesamtbetriebsvereinbarung verhindern, muss dies dort im Hinblick auf den räumlichen, persönlichen und/oder zeitlichen Geltungsbereich geregelt werden. Eine generelle Feststellung, wonach Gesamtbetriebsvereinbarungen nur für diejenigen Betriebe Geltung beanspruchen, die zum Zeitpunkt ihres Abschlusses im Unternehmen bestanden haben5, ist abzulehnen6. Nur wenn die Gesamtbetriebsvereinbarung für einzelne Betriebe abgeschlossen ist, erfasst sie im Zweifel nicht die hinzukommenden Betriebe. Enthält die Gesamtbetriebsvereinbarung keine ausdrückliche Regelung dieser Frage, muss im Wege der Auslegung festgestellt werden, ob die
1 WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 13. 2 Hanau/Vossen, Festschrift Hilger/Stumpf, S. 278; zu den Folgen siehe BAG v. 24.7.2001 – 3 AZR 660/00, NZA 2002, 520. 3 BAG v. 24.7.2001 – 3 AZR 660/00, NZA 2002, 520. 4 BAG v. 22.10.2019 – 3 AZR 429/18, ZIP 2020, 571; dazu Steffan, ArbRB 2020, 68. 5 So Sowka/Weiss, DB 1991, 1518, 1520; HWGNRH/Glock, § 50 BetrVG Rz. 59. 6 Gussen/Dauck, Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge, Rz. 100; Schiefer, NJW 1998, 1817, 1821; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 14; Fitting, § 50 BetrVG Rz. 76.
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Unternehmensübergreifende Restrukturierungen | Rz. 22.43 § 22
Parteien dieser Vereinbarung auch solche Betriebe oder Betriebsteile erfassen wollten, die im Zusammenhang mit späteren Übertragungsvorgängen aufgenommen werden1. Lässt sich auch im Wege der Auslegung keine Begrenzung der Gesamtbetriebsvereinbarung beim übernehmenden Rechtsträger erreichen, muss die Vereinbarung beseitigt oder – was zum Teil im Bereich der Altersversorgung geschieht (vgl. Rz. 34.253) – für neueintretende Arbeitnehmer geschlossen werden. Im Anschluss an den Betriebsübergang kann, wenn nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage entsprechend § 313 BGB gegeben sind, eine Anpassung der Gesamtbetriebsvereinbarung allenfalls einvernehmlich oder im Anschluss an ihre Kündigung durchgesetzt werden.
22.41
d) Ablösung der Betriebsvereinbarung durch Tarifvertrag Die beim übertragenden Rechtsträger bestehende Betriebsvereinbarung kann auch dadurch abgelöst werden, dass die darin bislang geregelten Arbeitsbedingungen beim Erwerber durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden2. Geht man insoweit von dem durch das BAG seit der Entscheidung des Großen Senats vom 3.12.19913 vertretenen „Vorrangtheorie“ aus4, führt, wenn der Regelungsgegenstand nicht von § 87 BetrVG erfasst wird, hier § 77 Abs. 3 BetrVG zur Unwirksamkeit der alten Betriebsvereinbarung. Unerheblich ist, ob und inwieweit einzelne Arbeitnehmer durch Mitgliedschaft in der richtigen Gewerkschaft an diesen Tarifvertrag gebunden sind. Ansprüche, die bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses erworben wurden, bleiben allerdings bestehen5. Darüber hinaus muss im Einzelfall geprüft werden, ob nicht im Wege einer Umdeutung der nichtigen Betriebsvereinbarung – insbesondere bei einem entsprechenden Verhalten des Erwerbers in Kenntnis der Nichtigkeit – eine Gesamtzusage gleichen Inhalts angenommen werden kann6. Der dafür notwendige Rechtsbindungswille des Arbeitgebers kann jedoch nur in Ausnahmefällen angenommen werden. Er muss sich aus außerhalb der Betriebsvereinbarung liegenden Umständen ergeben und auf einen Verpflichtungswillen des Arbeitgebers losgelöst von der Betriebsvereinbarung und gegenüber allen oder einer Gruppe von Arbeitnehmern gerichtet sein7. Wenn es sich um einen Regelungsgegenstand handelt, der von § 87 Abs. 1 BetrVG erfasst wird, tritt die Betriebsvereinbarung indes nur insoweit zurück, als der Arbeitgeber tatsächlich an einen Tarifvertrag gebunden ist, der diese Frage abweichend regelt. Andernfalls bleibt es bei der kollektivrechtlichen Fortgeltung der Betriebsvereinbarung. Auf § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB kommt es auch in diesem Zusammenhang nicht an.
22.42
e) Besonderheiten bei Betriebsvereinbarungen über Sozialeinrichtungen Lässt man die Besonderheiten im Bereich der betrieblichen Altersversorgung, die an anderer Stelle behandelt werden (vgl. Rz. 34.222 ff.), einmal unberücksichtigt, wird man bei Betriebsvereinbarungen über den Betrieb einer Sozialeinrichtung (z.B. Sterbekasse, Kantine) entspre1 2 3 4 5 6
Vgl. Sowka/Weiss, DB 1991, 1518, 1526. Zur tarifvertraglichen Gestaltung der Betriebsverfassung vgl. Heither, Festschrift Schaub, S. 295 ff. BAG v. 3.12.1991 – GS 2/90, NZA 1992, 749 ff. Ebenso Fitting, § 77 BetrVG Rz. 67 ff., 109. Gussen/Dauck, Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge, Rz. 111 ff., 164 ff. Vgl. zu einer solchen Umdeutung von Betriebsvereinbarung BAG v. 24.1.1996 – 1 AZR 597/95, EzA § 77 BetrVG Nr. 55 S. 6 ff.; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 BetrVG Rz. 105 f.; DKK/Berg, § 77 BetrVG Rz. 65. 7 BAG v. 23.1.2018 – 1 AZR 65/17, NZA 2018, 871 Rz. 27.
Steffan | 865
22.43
§ 22 Rz. 22.43 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
chend den Überlegungen zu gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien keinen Übergang der Rechte und Pflichten in den Arbeitsvertrag annehmen können. Die Sozialeinrichtung ist an den Betrieb bzw. den übertragenden Rechtsträger als Unternehmen gebunden, so dass der Erwerber allenfalls dann zu ihrer Fortführung verpflichtet ist, wenn die Sozialeinrichtung betriebsbezogen errichtet wird und der Betrieb unter Wahrung seiner Identität übertragen wird. Da die Betriebsvereinbarung hier aber kollektivrechtlich fortgilt, kann der Erwerber allerdings eine Schließung der Sozialeinrichtung durchsetzen, wenn die allgemeinen Voraussetzungen aus § 77 BetrVG beachtet werden und nicht schon der übertragende Rechtsträger eine solche Schließung – ggf. zum Tag des Übergangs – vorgenommen hat. In den übrigen Fällen, insbesondere also bei dem Betriebsteilübergang, besteht die Sozialeinrichtung beim übertragenden Rechtsträger fort. Die vom Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse betroffenen Arbeitnehmer verlieren entsprechende Ansprüche1. Ob der übernehmende Rechtsträger selbst eine solche Einrichtung schafft, unterliegt seiner freien Entscheidung. Darüber hinaus wird man eine Pflicht zur Fortführung der betrieblichen Sozialeinrichtung auch dann nicht annehmen können, wenn sie hinsichtlich ihres (Fort-)Bestandes unmittelbar mit den Gegebenheiten beim bisherigen Betriebsinhaber verbunden ist (z.B. Betriebssport auf der firmeneigenen Sportanlage).
2. Folgen für Gesamtbetriebsvereinbarungen 22.44
Gesamtbetriebsvereinbarungen werden zwischen Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat in Bezug auf Angelegenheiten abgeschlossen, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können (§ 50 Abs. 1 BetrVG). Unabhängig davon kann der Gesamtbetriebsrat auch dann tätig werden, wenn er durch den einzelnen Betriebsrat mit der Wahrnehmung einer konkreten Angelegenheit beauftragt wird (§ 50 Abs. 2 BetrVG). Schon die unterschiedliche Begründung der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats bewirkt, dass die Frage, ob die im Hinblick auf die Rechtsfolgen einer Unternehmensumstrukturierung für Betriebsvereinbarungen entwickelten Grundsätze auf das Schicksal von Gesamtbetriebsvereinbarungen übertragen werden können, unterschiedlich beurteilt wird. Dies gilt umso mehr, als der Gesamtbetriebsrat nach der gesetzlichen Neuregelung im Rahmen der originären Zuständigkeit auch Vereinbarungen für betriebsratslose Betriebe abschließen kann (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BetrVG). Hinzu kommt, dass die für Betriebsübergang und Umwandlung in § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB, § 324 UmwG getroffenen Regelungen dem Wortlaut nach nur Vorgaben für Betriebsvereinbarungen enthalten.
22.45
Werden alle Betriebe, für die eine Gesamtbetriebsvereinbarung gilt, in ihrer Gesamtheit auf einen Erwerber übergehen und dort in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Identität fortgeführt, gilt die Gesamtbetriebsvereinbarung beim Erwerber in ihrer Rechtsnatur als Gesamtbetriebsvereinbarung (kollektivrechtlich) fort. Voraussetzung hierfür ist aber, dass der Übergang nicht zu einer Ausweitung des Geltungsbereichs führt. Das wiederum setzt voraus, dass das aufnehmende Unternehmen – z.B. bei einer Spaltung zur Neugründung, bei der sämtliche Betriebe auf eine Betriebsgesellschaft übertragen werden – zum Zeitpunkt der Übernahme keinen eigenen Betrieb hat2. In diesem Fall bleibt der Gesamtbetriebsrat im Amt und tritt als
1 So auch von Hoyningen-Huene/Windbichler, RdA 1977, 329, 336. 2 Ebenso WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 48; generell abl. Boecken, Unternehmensumwandlungen Rz. 160; wohl auch Thüsing, DB 2004, 2474, 2479.
866 | Steffan
Unternehmensübergreifende Restrukturierungen | Rz. 22.47 § 22
Vertragspartner des Erwerbers für die von ihm abgeschlossenen Gesamtbetriebsvereinbarungen auf. Damit bleibt der originär zuständige Gesamtbetriebsrat auch weiterhin zuständig. Streitig ist, ob Gesamtbetriebsvereinbarungen kollektivrechtlich fortgelten, wenn nicht alle Betriebe des Unternehmens vom Erwerber übernommen werden1. Teilweise soll die normative Weitergeltung einer Gesamtbetriebsvereinbarung nur dann ausscheiden, wenn lediglich ein Betrieb übertragen wird2. Das BAG hat sich seit 2002 für die umfassende kollektivrechtliche Fortgeltung von Gesamtbetriebsvereinbarungen entschieden3. Danach gilt eine Gesamtbetriebsvereinbarung als Einzelbetriebsvereinbarung kollektivrechtlich weiter, wenn nur ein Betrieb übernommen wird. Die Übernahme aller oder mehrerer Betriebe soll dazu führen, dass die sie erfassenden Gesamtbetriebsvereinbarungen beim Erwerber als Gesamtbetriebsvereinbarung bestehen bleiben (jedenfalls, wenn der Erwerber zuvor noch keine Betriebe hatte). Dasselbe soll gelten, wenn lediglich Betriebsteile übernommen werden und beim Erwerber als selbständige Betriebe fortgeführt werden4. In diesem Fall soll eine „Teilidentität“ zum verbleibenden Betriebsteil vorliegen (vgl. Rz. 22.15), die zur Annahme der normativen Fortgeltung einer Betriebs- und Gesamtbetriebsvereinbarung ausreiche5.
22.46
Dass der Unternehmensbezug entfällt, wenn nicht sämtliche Betriebe des Unternehmens übertragen werden, stellt für das BAG kein Hinderungsgrund für eine kollektivrechtliche Fortgeltung einer Gesamtbetriebsvereinbarung dar. Nach Ansicht des Gerichts entfalten Gesamtbetriebsvereinbarung ihre Rechtswirkungen auf der betrieblichen Ebene und nicht auf der Ebene des Unternehmens. Deshalb soll es auf den möglichen Verlust der Identität des Unternehmens nicht ankommen6. Für eine kollektivrechtliche Weitergeltung spricht, dass auch Gesamtbetriebsvereinbarungen eine normative Ordnungsfunktion für einzelne Betriebe begründen können, die auch nach einem Unternehmenswechsel fortbestehen kann, sofern nicht unternehmensspezifische Besonderheiten geregelt sind7. Allerdings geht es zu weit, Gesamtbetriebsvereinbarungen eine Ordnungsfunktion für das Unternehmen abzusprechen8. Auch wenn Gesamtbetriebsvereinbarungen in den Betrieben gelten, ist doch der Bezugspunkt das Unternehmen. Ansonsten wäre die originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats nach § 50 Abs. 1 BetrVG (und insbesondere die Rechtsprechung zur „rechtlichen Unmöglichkeit“) unverständlich und es genügte die „Auftragszuständigkeit“ des § 50 Abs. 2 BetrVG. Entgegen der Ansicht des BAG gibt es neben der Betriebsidentität auch eine Unternehmensidentität, was freilich wiederum die Frage auslöst, ob eine „Teilidentität“ zur kollektivrechtlichen Fort-
22.47
1 So Hanau, Das Arbeitsrecht der Gegenwart 34 (1996), S. 21, 32; Hanau/Vossen, Festschrift Hilger/ Stumpf, S. 275 f.; C. Meyer, DB 2000, 1174, 1176; a.A. ArbRBGB/Ascheid, Rz. 104; Müller, RdA 1996, 287, 292; KR/Treber, Rz. 166; WHSS/Willemsen/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 48. 2 Soergel/Raab, § 613a BGB Rz. 119; MünchArbR/Wank, § 102 Rz. 183; a.A. etwa BeckOK/Gussen, § 613a BGB Rz. 211. 3 BAG v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670; bestätigt durch BAG v. 5.5.2015 – 1 AZR 763/ 13, NZA 2015, 1331. 4 BAG v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670 Rz. 56; ebenso LAG Berlin-Brandenburg v. 24.5.2018 – 5 Sa 54/18, ZIP 2018, 1510 Rz. 21, wonach ein Betriebsteil identitätswahrend beim Erwerber als eigenständiger Betrieb fortbesteht. 5 So insbesondere B. Kreft, Festschrift Wissmann, 2005, S. 347, 353. 6 Ebenso Thüsing, DB 2004, 2474, 2479; a.A. Schönhoft/Brahmstedt, NZA 2010, 851, 855; Preis/Richter, ZIP 2004, 925; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 61. 7 Hanau, Das Arbeitsrecht der Gegenwart 34 (1996), S. 21, 32; a.A. Boecken, Rz. 160. 8 So wohl BAG v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670; a.A. Bauer/Hausmann/Krieger, Umstrukturierung, Teil 4 C Rz. 14.
Steffan | 867
§ 22 Rz. 22.47 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
geltung der Gesamtbetriebsvereinbarung ausreicht1. Werden nicht alle Betriebe auf ein bisher betriebsratsloses Unternehmen übertragen, tritt der abschließende Gesamtbetriebsrat gegenüber dem neuen Rechtsträger – anders als der fortbestehende Betriebsrat – in diesen Fällen nicht mehr als Vertragspartner auf2. Dasselbe gilt, wenn das übernehmende Unternehmen bereits einen oder mehrere Betriebe hat und sich die betrieblichen Strukturen im übernehmenden Unternehmen durch Integration der neuen Betriebe in das Unternehmen entsprechend ändern3. Hält man die Kontinuität des zuständigen Betriebsrats als abschließendes Organ für notwendig, scheidet jedenfalls eine kollektivrechtliche Fortgeltung von Gesamtbetriebsvereinbarungen als Gesamtbetriebsvereinbarungen aus. Ob in diesem Fall die Regelungen der GBV nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgelten, hängt einmal mehr von der Identität der übergehenden Betriebe ab4. Werden lediglich Betriebsteile übertragen, mangelt es an der Betriebsidentität und § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB greift ein. Die Weitergeltung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB hat ferner den Vorteil klarer Konkurrenzverhältnisse5. Regeln Betriebs- oder Gesamtbetriebsvereinbarungen beim Erwerber dieselben Sachverhalte wie Gesamtbetriebsvereinbarungen des Veräußerers, scheidet eine Weitergeltung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB aus und es gilt die bestehende Regelung des Erwerbers nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB. Hält man die normative Fortgeltung einer Gesamtbetriebsvereinbarung auch dann für denkbar, wenn im Unternehmen des Erwerbers bereits mehrere Betriebe und Gesamtbetriebsvereinbarungen bestehen6, kann eine normativ weitergeltende Gesamtbetriebsvereinbarung des übernommenen Betriebs mit einer Gesamtbetriebsvereinbarung des Erwerbers kollidieren. Hierbei wird erstere (anders als eine normativ weitergeltende Einzelbetriebsvereinbarung) nicht ohne weiteres verdrängt. Eine Vereinheitlichung kann nur durch eine neue Regelung des Gesamtbetriebsrats des Erwerberunternehmens erfolgen, sofern man nicht eine beschränkte Geltung nur auf die übernommenen Betriebe oder Betriebsteile annimmt7. Diese Frage brauchte das BAG nicht zu entscheiden, weil das Erwerberunternehmen vor der Übernahme noch keinen eigenen Betrieb besaß.
22.48
Behalten die übergehenden Betriebe jeweils ihre Identität, kommt die Fortgeltung einer Gesamtbetriebsvereinbarung als Einzelbetriebsvereinbarung in Betracht8. Dafür spricht9, dass mit der Aufrechterhaltung der Betriebsidentität der Betriebsrat erhalten bleibt, der (jedenfalls mittelbar) an der Entstehung der Gesamtbetriebsvereinbarung beteiligt war und dem Erwerber als Verhandlungspartner dieser Betriebsvereinbarung zur Verfügung steht. Begründet wird diese Ansicht mit dem Zweck von § 613a BGB, der verlange, bei der Übertragung eines Betriebs unter Fortbestand seiner betriebsverfassungsrechtlichen Identität von einer kollektivrechtlichen Fortgeltung der Gesamtbetriebsvereinbarung auszugehen. Wenn auch nach dem Übergang des Betriebs eine Arbeitnehmervertretung gegeben ist und der Betrieb in seiner bisherigen Identität fortbesteht, bestehen keine Bedenken, den bis zum Übergang bestehenden
1 2 3 4 5 6
Ebenso WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 61. Dazu BAG v. 5.6.2002 – 7 ABR 17/01, NZA 2003, 336 Rz. 21. Zutreffend BAG v. 5.6.2002 – 7 ABR 17/01, NZA 2003, 336 Rz. 21. So auch Thüsing, DB 2004, 2474, 2480. So auch Rieble/Gutzeit, NZA 2003, 233 237; Sieg/Maschmann, Rz. 424. Ebenso WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 63; offengelassen von BAG v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670. 7 So HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 258; Salamon, RdA 2007, 103; Sagan RdA 2011, 163, 173; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 115. 8 Thüsing, DB 2004, 2474, 2480; a.A. (Transformation nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB) WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 62. 9 So etwa B. Gaul, Vorauflage, § 25 Rz. 219.
868 | Steffan
Unternehmensübergreifende Restrukturierungen | Rz. 22.50 § 22
Zustand aufrechtzuerhalten. Dieser Zustand war nämlich auch dadurch geprägt, dass die Gesamtbetriebsvereinbarung mit den Mitteln des Kollektivarbeitsrechts, ggf. also durch Kündigung ohne sachlichen Grund, beendet und durch Vereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat geändert werden konnte. Wirkt die Gesamtbetriebsvereinbarung kollektivrechtlich als Betriebsvereinbarung fort, bleiben dem übernehmenden Rechtsträger diese Rechte erhalten. Eine Änderung tritt nur insoweit ein, als nicht mehr der Gesamtbetriebsrat, sondern der im übertragenden Betrieb fortbestehende Betriebsrat zuständig ist. In Bezug auf die wechselseitigen Gestaltungsmöglichkeiten werden Arbeitnehmer und übernehmender Rechtsträger so gestellt, wie sie stehen würden, wenn der Wechsel auf Arbeitgeberseite nicht erfolgt wäre. Auch bei dieser Ansicht entfällt die kollektivrechtliche Fortgeltung, wenn der Regelungsgehalt einer Gesamtbetriebsvereinbarung so sehr auf das Unternehmen als solches abstellt, dass eine unveränderte Überleitung unmöglich ist (z.B. Betriebsvereinbarungen, die sich auf Betriebsunterstützungskassen, Vermögensbeteiligungen usw. beziehen sowie Aktienoptionen, Tantiemen, unternehmensspezifische Begünstigungen, Deputate u.ä.)1. In dieselbe Richtung geht die Ansicht des BAG, wonach eine Fortgeltung der Gesamtbetriebsvereinbarung „als solche“ als auch in der Form einer Einzelbetriebsvereinbarung im Einzelfall daran scheitern kann, dass die betreffende Regelung nach ihrem Inhalt die Zugehörigkeit zum bisherigen Unternehmen zwingend voraussetzt und nach dem Betriebsübergang gegenstandslos ist2. Die Anpassung oder der Entfall derart unternehmensspezifischer Leistungen richtet sich nach § 313 BGB3. Unterstützt wird diese Sichtweise durch die Überlegung, dass das BetrVG weder Gesamtnoch Konzernbetriebsvereinbarungen kennt; das Gesetz spricht nur von Betriebsvereinbarungen. Das ist zutreffend, weil Regelungsobjekt und Regelungssubstrat einer „Gesamtbetriebsvereinbarungen“ – auch bei Anerkennung eines Unternehmensbezugs – nicht das Unternehmen ist, sondern die Betriebe eines Unternehmens4. Auf jeden Fall kollektivrechtlich weiter gelten Gesamtbetriebsvereinbarungen, die der Gesamtbetriebsrat für den vom Betriebsübergang betroffenen Betrieb nach § 50 Abs. 2 BetrVG abgeschlossen hat5, weil diese der Sache nach keine Gesamt-, sondern Einzelbetriebsvereinbarungen darstellen6. Voraussetzung ist jedoch stets, dass der übergehende Betrieb seine Identität behalten hat.
22.49
3. Folgen für Konzernbetriebsvereinbarungen Mittlerweile hat das BAG seine zur Fortgeltung von Gesamtbetriebsvereinbarungen entwickelten Grundsätze auch für Konzernbetriebsvereinbarungen bestätigt7. Gegenstand der Entscheidung war zunächst das Ausscheiden eines Unternehmens aus dem Konzernverbund im Rahmen eines Share Deals (also kein Betriebsübergang) mit nachfolgendem Betriebsübergang. In beiden Fällen nahm das BAG die normative Fortgeltung einer Konzernbetriebsvereinbarung an. Unterhalte das aus dem Konzern ausscheidende Unternehmen mehrere Betriebe, gelte die Konzernbetriebsvereinbarung nach dem Ausscheiden des Unternehmens aus 1 B. Gaul, Vorauflage, § 25 Rz. 218, 219; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 67. 2 BAG v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670, 674; BAG v. 5.5.2015 – 1 AZR 763/13, NZA 2015, 1331. 3 Dazu APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 91. 4 Ebenso Thüsing, DB 2004, 2474, 2480. 5 So etwa Schaub, Festschrift Wiese, S. 535, 541 f. 6 Vgl. BAG v. 12.11.1997 – 7 ABR 78/96; NZA 1998, 497; Fitting, § 50 Rz. 73; BeckOK/Gussen, § 613a BGB Rz. 209, 215. 7 BAG v. 25.5.2020 – 1 ABR 39/18, NZA 2020, 875; dazu Steffan, ArbRB 2020, 286.
Steffan | 869
22.50
§ 22 Rz. 22.50 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
dem Konzern als Gesamtbetriebsvereinbarung fort. Werde hingegen nur ein Betriebsteil übernommen und von dem Erwerber als eigenständiger Betrieb fortgeführt, gelte die Konzernbetriebsvereinbarung als Einzelbetriebsvereinbarung weiter. Dass die normativ fortgeltende Konzernbetriebsvereinbarung zugleich in Betrieben anderer Unternehmen gelte, ändere an ihrer organisationsbezogenen Normwirkung nichts1. Das BetrVG unterscheide nicht zwischen Einzel-, Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen. Deren Bezugsobjekte seien immer die einzelnen Betriebe. Nach vormals h.M. gelten Konzernbetriebsvereinbarungen kollektivrechtlich nur dann weiter, wenn der Betriebsübergang konzernintern erfolgt2. Erfolgt der Betriebsübergang außerhalb des Konzerns, gelten die Konzernbetriebsvereinbarungen nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB weiter3. Allerdings wird auch im Schrifttum eine Fortgeltung als Gesamtbetriebsvereinbarung in Betracht gezogen, wenn ein gesamtes Unternehmen aus dem Konzern ausgegliedert wird und der Gesamtbetriebsrat fortbesteht4. Ausnahmsweise wird auch eine Fortgeltung als Konzernbetriebsvereinbarung favorisiert, wenn bei fortbestehendem Betrieb die Gestaltungsaufgabe der Konzernbetriebsvereinbarungen bestehen bleibt5. Dass der Konzernbetriebsrat anders als der Gesamtbetriebsrat nicht zwingend zu errichten ist, dürfte letztlich kein Grund für eine abweichende Bewertung darstellen6.
22.51
Ist die Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils mit einem Ausscheiden aus dem Konzern verbunden, muss – entsprechend den Überlegungen zu Gesamtbetriebsvereinbarungen – differenziert werden: Wird ein Betrieb unter Wahrung seiner Identität übertragen, gilt die Konzernbetriebsvereinbarung wegen ihrer Betriebsbezogenheit als Betriebsvereinbarung in dem vom Übergang betroffenen Betrieb normativ fort. Verliert der Betrieb seine Identität, greift § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ein. Werden sämtliche Betriebe eines Unternehmens auf ein anderes Unternehmen übertragen, das bis dahin betriebslos ist, kommt auch eine Geltung der Konzernbetriebsvereinbarung als Gesamtbetriebsvereinbarung in Betracht. Voraussetzung ist jedoch, dass die Betriebe als maßgebliche Bezugspunkte (auch einer Konzernbetriebsvereinbarung) ihre Identität behalten; ansonsten greift wieder § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ein. Unter denselben Voraussetzungen ist eine Fortgeltung als Gesamtbetriebsvereinbarung auch denkbar, wenn zwar mehrere – aber nicht alle – Betriebe eines Unternehmens übertragen werden. Zwar bleibt dann der bisherige Gesamtbetriebsrat nicht im Amt, aber es ist zwingend ein neuer zu bilden, der sich aufgrund der Entsendung aus den – identisch gebliebenen – bisherigen Betrieben zusammensetzt. Durch eine Weitergeltung als Gesamtbetriebsvereinbarung werden zwei Funktionen erfüllt: Erstens die Ordnungsfunktion auf Betriebsebene, die auch einer Gesamtbetriebsvereinbarung zweifelsohne zukommt; zweitens der Unternehmensbezug, der in diesen Fällen auch beim Erwerber unverändert bleibt, weil das Erwerberunternehmen ausschließlich aus Betrieben des bisherigen Betriebsinhabers besteht. Aus diesen Gründen ist auch eine Fortgeltung als Konzernbetriebsvereinbarung denkbar, wenn mehrere Unternehmen übertragen werden und einen neuen Konzern bilden. Bei einer „Eingliederung“ in einen
1 BAG v. 25.5.2020 – 1 ABR 39/18, NZA 2020, 875; dazu Steffan, ArbRB 2020, 286. 2 Mengel, Umwandlungen im Arbeitsrecht, S. 198; Boecken, Unternehmensumwandlungen und Arbeitsrecht, Rz. 160; KDHZ/Zwanziger, Rz. 114; a.A. C. Meyer, DB 2000, 1174, 1176. 3 Vgl. Mengel, Umwandlungen im Arbeitsrecht, S. 194 ff.; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, Rz. 70; Bernsau/Dreher/Hauck, BetrVG Rz. 73; Bauer/Hausmann/Krieger, Umstrukturierung, Teil 4 C Rz. 17. 4 Sieg/Maschmann, Unternehmensumstrukturierung, Rz. 445. 5 So wohl Salamon, NZA 2009,471 ff. 6 Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 206; Salamon, NZA 2009, 471, 475; C. Meyer, BB-Special 2005, 5, 8.
870 | Steffan
Unternehmensübergreifende Restrukturierungen | Rz. 22.53 § 22
bestehenden Konzern kommt dagegen nur eine Fortgeltung als Gesamtbetriebsvereinbarung in Betracht. Dieselben Grundsätze gelten, wenn ein Unternehmen im Wege der Anteilsübertragung (Share Deal) aus dem Konzernverbund ausscheidet. Hier bleibt das Unternehmen als Arbeitgeber bestehen und der Betrieb behält seine Identität; die Konzernbetriebsvereinbarung gilt als Betriebsvereinbarung weiter1. Besteht das ausscheidende Unternehmen aus mehreren Betrieben, gilt die Konzernbetriebsvereinbarung gilt als Gesamtbetriebsvereinbarung weiter.
22.52
IV. Übertragung eines Betriebs unter Verlust seiner Identität 1. Übertragung eines Betriebsteils und selbständiger Fortbestand beim Erwerber a) Folge für Betriebsvereinbarungen aa) Übertragener Betriebsteil Nach der hier vertretenen Ansicht ist die betriebsverfassungsrechtliche Identität für den normativen Fortbestand einer Betriebsvereinbarung entscheidend. In aller Regel endet die betriebsverfassungsrechtliche Identität, wenn der bisherige Betriebsrat nicht mehr originär für den Betrieb zuständig ist (vgl. dazu Rz. 22.26). Dies ist dann der Fall, wenn ein Betriebsteil übertragen und beim Erwerber als selbständige Einheit fortgeführt wird2. Mit dem Verlust der Betriebsidentität endet die Betriebsvereinbarung für den übertragenen Betriebsteil und die Rechtsfolge des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB tritt ein. Dagegen geht die mittlerweile wohl h.A. in diesem – häufig vorkommenden – Fall vom normativen Fortbestand der Betriebsvereinbarung aus. Für das BAG ist maßgeblich, dass mit dem Übergangsmandat der bisherige Betriebsrat im Amt bleibe (zur Kritik siehe Rz. 22.10). Die Betriebsvereinbarung gilt nach dieser Ansicht sowohl im verbleibenden (Rest-)betrieb des Veräußerers als auch im verselbständigten Betriebsteil des Erwerbers normativ in ihrer Rechtsnatur als Betriebsvereinbarung. Hohenstatt hat zutreffend darauf hingewiesen, dass nach den Grundprinzipien der Rechtsgeschäftslehre die Betriebsvereinbarung nicht in einer Art Zellteilung vervielfältigt werden kann.3 Nur wenn der Betriebsrat der jeweiligen Betriebsvereinbarung in seiner bisherigen Zuständigkeit beim Erwerber fortbesteht, ist eine normative Weitergeltung sachgerecht4. Dies erfordert regelmäßig den Übergang des gesamten Betriebs; nur in Ausnahmefällen kann auch ein Betriebsteil genügen, wenn der verbleibenden Restbetrieb im Vergleich zum übertragenen Betriebsteil unbedeutend wird. Ist dies nicht der Fall, müssen Betriebsvereinbarungen beim Erwerber mit dem zuständigen Betriebsrat vereinbart werden. Das kann auch der Übergangsbetriebsrat nach § 21a BetrVG sein, der dann aber in Wahrnehmung seines „Vollmandats“ für die neue betriebsverfassungsrechtliche Einheit handelt. Damit ist gewährleistet, dass Betriebsvereinbarungen (jedenfalls in ihrer Rechtsnatur als Betriebsvereinbarung) nicht für irgendeinen Betrieb gelten, sondern für den Betrieb, für den sie abgeschlossen wurden5. Dies ist im
1 Für eine analoge Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in diesem Fall WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 72; a.A. Rieble, NZA 2003, Sonderbeilage zu Heft 16, 62, 70. 2 Ebenso HWK/Müller-Bonnani, § 613a BGB Rz. 255; Sieg/Maschmann, Unternehmensumstrukturierung, Rz. 412; Preis/Richter, ZIP 2004, 935; Rieble/Gutzeit, NZA 2003, 233; Thüsing, DB 2004, 2478. 3 HWSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 23. 4 Zustimmend Thüsing, DB 2004, 2478. 5 Salamon, RdA 2007, 153.
Steffan | 871
22.53
§ 22 Rz. 22.53 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
Fall des Betriebsteilübergangs in aller Regel der Betrieb des Veräußerers (sofern nicht der beim Veräußerer verbleibende Betriebsteil unbedeutend im Vergleich zu dem übergegangenen Betriebsteil ist). bb) Verbleibender Betriebsteil
22.54
Mit der Übertragung eines Betriebsteils geht regelmäßig eine Spaltung des Ursprungsbetriebs einher, wobei es keinen Unterschied macht, ob die Spaltung durch die Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge entsteht oder infolge einer (partiellen) Gesamtrechtsnachfolge nach dem UmwG. Für den beim Veräußerer verbleibenden Restbetrieb ist ebenfalls die Frage der Betriebsidentität entscheidend. Lässt man eine Teilidentität genügen, gelten die Betriebsvereinbarungen kollektivrechtlich weiter, solange der verbleibende Restbetrieb die Voraussetzungen des § 1 BetrVG erfüllt. Hält man hingegen eine „echte“ Identität für erforderlich, ist zu prüfen, wann der Restbetrieb seine Identität behält bzw. verliert. Die allgemeine Formel, dass bei einer Abspaltung der Restbetrieb seine Identität behält, während er sie bei einer Aufspaltung verliert1, greift zu kurz. Für die betriebsverfassungsrechtliche Identität ist entscheidend, ob der originäre Betriebsrat im Amt bleibt. Dafür wiederum ist erforderlich, dass in dem durch die Abtrennung des Betriebsteils verkleinerten Restbetrieb die Betriebsorganisation keine wesentliche Veränderung erfährt. Dies ist dann der Fall, wenn nach der allgemeinen Bestimmung des Betriebsgriffs die Struktur des Leitungsapparats zur Steuerung der wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten unverändert bleibt (dazu Rz. 22.20)2. Damit verliert jedenfalls der Betrieb seine Identität mit der Aufspaltung und der Übertragung der aufgespaltenen Betriebsteile auf jeweils neue Inhaber3. Dagegen wird es bei der Abspaltung überwiegend so sein, dass abgesehen von der Verkleinerung des Betriebs eine weitere Strukturveränderung, die mit einer Änderung in der betriebsverfassungsrechtlichen Leitungsmacht einhergeht, regelmäßig nicht verbunden sein wird (vgl. dazu auch Rz. 2.19). Dann behält der Betrieb seine Identität und die Betriebsvereinbarungen gelten in dem Restbetrieb kollektivrechtlich weiter. Zwingend ist dies indes nicht. Verbleibt ein nicht identischer Restbetrieb beim Veräußerer, ist jedenfalls § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB direkt nicht anwendbar, weil es an einem Betriebsübergang für den verbleibenden Restbetrieb mangelt. In diesem Fall wird erwogen, zum Schutze der Arbeitnehmer entweder § 77 Abs. 6 BetrVG4 oder § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB analog5 anzuwenden. Gegen die Nachwirkung spricht, dass sie der Sicherung der erzwingbaren Mitbestimmung im fortbestehenden Betrieb dient. Sie stellt sicher, dass nach der Kündigung einer Betriebsvereinbarung und dem Ablauf der Kündigungsfrist neue Regelungen nur gemeinsam zwischen Arbeitnehmer und Betriebsrat getroffen werden. Dieser Sachverhalt ist nicht ohne weiteres auf den Fall zu übertragen, dass eine Betriebsvereinbarung durch den Verlust der Betriebsidentität als Folge der Umstrukturierung endet6. Näher liegt eine (analoge) Anwendbarkeit des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, auch wenn sie auf dogmatische Schwierigkeiten stößt7. Dies gilt jedenfalls, wenn der Restbetrieb als eigenständiger Betrieb bestehen bleibt oder einen selbständigen Betriebsteil iSv. § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG bildet. Ob dies auch gilt,
1 2 3 4 5 6 7
So wohl Bauer/Hausmann/Krieger, Teil 4C Rz. 6, 8. Insoweit ähnlich Fitting, § 1 BetrVG Rz. 101 ff.; a.A. insbesondere Salamon, RdA 2007, 153. Bauer/Hausmann/Krieger, Umstrukturierung, Teil 4 C Rz. 8. Rieble/Gutzeit, NZA 2003, 233. Hanau, RdA 1989, 207, 211. Thüsing, DB 2004, 2474, 2478. Dazu Thüsing, DB 2004, 2474, 2478.
872 | Steffan
Unternehmensübergreifende Restrukturierungen | Rz. 22.58 § 22
wenn der Restbetrieb in einen anderen bestehenden Betrieb beim Veräußerer eingegliedert wird, ist fraglich (Rz. 22.102 ff.). b) Folge für Gesamtbetriebsvereinbarungen Nach der Entscheidung des BAG vom 18.9.20021 gilt eine Gesamtbetriebsvereinbarung auch dann normativ in ihrer Rechtsnatur als Gesamtbetriebsvereinbarung weiter, wenn mehrere Betriebsteile übernommen und vom Erwerber als selbständige Betriebe fortgeführt werden2. Hinzukommen muss wohl, dass es beim Erwerber noch keinen Betrieb gab (so etwa bei der Abspaltung zur Neugründung)3. Ließe man genügen, dass es beim Erwerber bisher nur einen Betrieb gab, könnten aus dem Gesichtspunkt der Konkurrenz beim Erwerber die Gesamtbetriebsvereinbarungen des Veräußerers als solche fortgelten, weil es bei einem einzelnen Betrieb des Erwerbers (noch) keinen Gesamtbetriebsrat gibt. Allerdings scheint es nicht gerechtfertigt, dass über die Tatsache der Geltung in den übernommenen Betrieben der bisherige Betrieb des Erwerbers von „fremden“ Gesamtbetriebsvereinbarungen erfasst wird, denen der Bezug zum Erwerberunternehmen fehlt.
22.55
Wird dagegen nur ein Betriebsteil übertragen und als selbständiger Betrieb fortgeführt, kommt nach der Sichtweise des BAG eine Fortgeltung als Einzelbetriebsvereinbarung in Betracht. Dabei dürfte es konsequenterweise keinen Unterschied machen, ob der Erwerber bereits einen oder mehrere Betriebe hatte oder nicht.
22.56
Richtigerweise ist jedoch auch für den Fortbestand einer Gesamtbetriebsvereinbarung die Identität des Betriebs (einen Gesamtbetrieb kennt die Betriebsverfassung nicht) maßgeblich. Sie geht regelmäßig bei der Übertragung eines Betriebsteils verloren, sofern man nicht der Ansicht zur Teilidentität folgt (Rz. 22.15). Mit dem Verlust der Betriebsidentität geht das Amt des originären Betriebsrats verloren und die Gesamtbetriebsvereinbarung verliert ihre normative Wirkung; die Regelung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB greift ein. Es kommt auch keine Geltung der Gesamtbetriebsvereinbarung als Betriebsvereinbarung in Betracht, weil auch (oder gerade) dazu die Identität des Betriebs erhalten bleiben müsste (Rz. 22.48).
22.57
c) Folge für Konzernbetriebsvereinbarungen Dieselben Grundsätze gelten für Konzernbetriebsvereinbarungen. Folgt man dem BAG, gelten sie als Gesamtbetriebsvereinbarung oder als Einzelbetriebsvereinbarung weiter4. Richtigerweise kommt es auch hier auf den Fortbestand der Identität des Betriebs an. Weil diese bei der Übertragung eines Betriebsteils regelmäßig auch dann nicht in Betracht kommt, wenn der übertragene Betriebsteil als eigenständiger Betriebsteil fortgeführt wird, greift § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ein.
1 BAG v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670; bestätigt durch BAG v. 5.5.2015 – 1 AZR 763/ 13, NZA 2015, 1331. 2 Zust. HaKo-BetrVG/Lorenz, § 77 Rz. 99; a.A. LAG Hamm v. 23.5.2002 – 8 Sa 244/02, NZA-RR 2003, 369; LAG Köln v. 27.6.2013 – 6 Sa 151/13; Hohenstatt/Müller-Bonanni, NZA 2003, 766, 771; Preis/Richter, ZIP 2004, 925, 928 ff.; Sieg/Maschmann, Rz. 424 m.w.N. 3 Offengelassen von BAG v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670. 4 BAG v. 22.5.2020 – 1 ABR 39/18, NZA 2020, 875.
Steffan | 873
22.58
§ 22 Rz. 22.59 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
2. Zusammenfassung eines Betriebs(teils) mit einem Betrieb oder Betriebsteil des Erwerbers a) Möglichkeiten der Zusammenfassung
22.59
Häufig wird in der Praxis ein übertragener Betrieb oder Betriebsteil mit einem beim Erwerber bereits bestehenden Betrieb oder selbständigen Betriebsteil i.S.d. § 4 BetrVG zusammengefasst. Dabei ist zwischen der Neugründung eines Betriebs durch Zusammenschluss mehrerer Betriebe oder Betriebsteile und der Eingliederung eines Betriebs oder Betriebsteils in einen bereits bestehenden Betrieb zu unterscheiden (dazu Rz. 2.3 ff.). Im Falle der Eingliederung geht dabei regelmäßig die Identität des eingegliederten Betriebs oder Betriebsteils verloren; im Falle des Zusammenschlusses verlieren beide Betriebe oder Betriebsteile ihre Identität. Letztlich sind beide Maßnahmen des Erwerbers, die auch unabhängig vom Betriebsübergang durchgeführt werden können. Dennoch unterscheiden sich die Rechtsfolgen. Erfolgt der Zusammenschluss im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Betriebsübergang, steht die Regelung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB zur Verfügung. Bei „primär“ unternehmensinternen Zusammenschlüssen ist dies jedenfalls nicht unmittelbar der Fall (zu den Folgen Rz. 22.102). b) Eingliederung in einen bestehenden Betrieb aa) Kennzeichnung der Eingliederung
22.60
Bei einer Eingliederung wird ein ursprünglich selbständiger Betrieb oder Betriebsteil insoweit von einem anderen Betrieb aufgenommen, als die dort bereits bestehende Organisations- und Leitungsmacht nunmehr auch für die in dem eingegliederten Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern zuständig ist. Ändert sich – wie regelmäßig – in dem aufnehmenden Betrieb nichts für den Betrieb Wesentliches, besteht dieser unter Wahrung seiner Identität fort. Dagegen verliert der eingegliederte Betrieb oder Betriebsteil seine Identität1.
22.61
Bei der Frage, ob eine Eingliederung vorliegt, muss unter Berücksichtigung des Einzelfalls eine Abwägung der qualitativen und quantitativen Veränderungen in der betrieblichen Organisationsstruktur vorgenommen werden. Entscheidend ist deshalb vor allem, ob die Organisation des aufnehmenden Betriebs fortbesteht. Unerheblich ist dabei zunächst einmal, dass die Eingliederung eine Veränderung der arbeitstechnischen Leitung zur Folge hat und sich die Zahl der abgrenzbaren Bereiche des aufnehmenden Betriebs (Abteilungen, Profit-Center) erhöht. Entscheidend für die Kennzeichnung eines Betriebs oder Betriebsteils als aufnehmende Einheit ist, dass die Organisationsstrukturen, die der Ausübung der Leitungsmacht in den wesentlichen personellen und sozialen Fragen zugrunde liegen, im Wesentlichen nicht verändert werden. Indiz dafür ist, dass bei der Ausübung der Organisations- und Leitungsmacht in personellen und sozialen Angelegenheiten auf Strukturen zurückgegriffen werden kann, die im „aufnehmenden“ Betrieb bereits vorhanden sind. Hiervon kann in der Regel ausgegangen werden, wenn der Zusammenschluss Einheiten betrifft, in denen unterschiedliche arbeitstechnische Zweckbestimmungen verfolgt werden. In diesem Fall erfolgt regelmäßig nur eine horizontale Erweiterung der Organisation, aber keine Änderung der vertikalen Leitungsstrukturen innerhalb der bestehenden Organisation. Erkennbar wird dies beispielsweise daran, dass die für die vorgenannten Fragen maßgeblichen Positionen im aufnehmenden Betrieb auch nach dem Zusammenschluss identisch besetzt sind. Umgekehrt spricht für eine Änderung der bestehenden Organisation, wenn der Zusammenschluss in fachbezogen identischen Bereichen 1 BAG v. 12.6.2019 – 1 AZR 154/17, NZA 2019, 1203; Bauer/Hausmann/Krieger, Umstrukturierung, Teil 4 B Rz. 33.
874 | Steffan
Unternehmensübergreifende Restrukturierungen | Rz. 22.64 § 22
erfolgt. Denn hier muss – bezogen auf beide Einheiten – in der Regel auch innerhalb der einzelnen Bereiche eine integrationsbedingte Änderung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten einzelner Mitarbeiter veranlasst werden. Selbst wenn die allgemeine Personalplanung und die Befugnis zur Entscheidung über Einstellungen und Entlassungen bei einer bestimmten Stelle verbleibt, sind damit in der Regel Änderungen bei der Befugnis zur Entscheidung über die künftige Personaleinsatzplanung, etwaige Versetzungen, Beginn und Ende der Arbeitszeit einschließlich der Lage der Pausen und Vergütungsstrukturen, die aufeinander abgestimmt werden müssen, verbunden. Für eine Änderung der bestehenden Organisation spricht auch der Umstand, dass die in Rede stehende Einheit in der Vergangenheit als Teil eines Betriebs geführt und vor der Übertragung herausgelöst wurde. In der Regel dürfte die betriebsteilbezogene Organisation nicht so eigenständig sein, dass sie auch nach der Aufnahme einer beim übernehmenden Rechtsträger bereits bestehenden Einheit fortbesteht. Für die Frage der Eingliederung ist es unerheblich, ob in der aufnehmenden Einheit ein Betriebsrat gewählt wurde1. Ein Betrieb besteht auch ohne gewählten Betriebsrat. Wird – wie regelmäßig (vgl. aber Rz. 22.63) – der übernommene Betrieb in den bei dem Erwerber bestehenden Betrieb eingegliedert, verliert der Betriebsrat sein originäres Amt. Ist der aufnehmende Betrieb betriebsratslos, kommt dem Betriebsrat des übernommenen Betriebs ein Übergangsmandat nach § 21a BetrVG zu.
22.62
Hinsichtlich der quantitativen Bewertung ist davon auszugehen, dass es sich bei dem aufnehmenden Betrieb im Zweifel um den nach der Zahl der Arbeitnehmer größeren Betrieb handelt, weil schon vom Schutzzweck der Betriebsverfassung her dem Zahlenverhältnis eine erhebliche Bedeutung zukommen muss. Denn für die Frage, welcher Betriebsrat im Amt bleibt und welche Betriebsvereinbarung sich durchsetzt, kann es schon vom Grundsatz der demokratischen Legitimation her nicht von geringer Bedeutung sein welche Anzahl an der Belegschaft des Betriebes von dem infrage stehenden Betriebsrat bzw. den entsprechenden Betriebsvereinbarungen erfasst wird2. Als grobe Richtschnur kann man dabei von einem Zahlenverhältnis von 60 % (Mitarbeiter des aufnehmenden Betriebs) zu 40 % (Mitarbeiter des eingegliederten Betriebs) ausgehen. Weichen die Zahlen stärker auseinander, spricht dies erst recht für eine Eingliederung. Liegen die Beschäftigtenzahlen enger beieinander, wird man eher von der Neubegründung eines Betriebs durch den Zusammenschluss ausgehen können, insbesondere bei nahezu gleich großen Einheiten3. Allerdings ist die quantitative Betrachtung nach der Zahl der Arbeitnehmer nur ein Indiz, weil es letztlich entscheidend auf die Organisation und Leitungsmacht ankommt. So kann es ausnahmsweise sein, dass ein nach der Zahl der Arbeitnehmer größerer Betrieb in einen kleineren Betriebe integriert wird, wenn die Organisationsstruktur des kleineren Betriebs bewahrt wird und die Arbeitnehmer in diese Struktur eingeordnet werden4. Besonderheiten können sich zudem beim Einsatz von Teilzeitbeschäftigten und/oder Job-Sharing ergeben.
22.63
Alleine die Verlegung eines Betriebs oder Betriebsteils in die räumliche Nähe eines anderen Betriebs genügt nicht, weil die Verlegung für die betriebsverfassungsrechtliche Identität grundsätzlich unbedeutend ist (vgl. Rz. 22.25). Bezieht sich jedoch die Leitungsmacht des „aufnehmenden“ Betriebs auf den übernommenen Betriebsteil, liegt eine Eingliederung vor.
22.64
1 B. Gaul, Vorauflage, § 25 Rz. 160; a.A. Trittin, AiB 1998, 545, 547. 2 Zutreffend WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 70; im Erg. wohl auch Bauer/Hausmann/ Krieger, Umstrukturierung, Teil 4 B Rz. 34. 3 So auch WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 70. 4 Bauer/Hausmann/Krieger, Umstrukturierung, Teil 4 B Rz. 37.
Steffan | 875
§ 22 Rz. 22.65 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
bb) Möglichkeiten der Eingliederung
22.65
Die Eingliederung im Anschluss an die Übertragung eines Betriebs auf den Erwerber kann auf zwei Wegen erfolgen: Denkbar ist, dass der übertragene Betrieb in einen bereits bestehenden Betrieb eingegliedert wird. Denkbar ist aber auch, dass der übertragene Betrieb einen beim übernehmenden Rechtsträger bereits bestehenden Betrieb im Wege der Eingliederung aufnimmt. Beide Möglichkeiten sind vom Prinzip her gleich zu beurteilen, führen aber zu unterschiedlichen Rechtsfolgen, so dass sich nicht pauschal feststellen lässt, dass beim Erwerber bestehende Betriebsvereinbarungen stets solche Rechte und Pflichten ablösen, die bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses beim übertragenden Rechtsträger durch Betriebsvereinbarung geregelt waren1. In beiden Fällen einer Eingliederung wird kein neuer Betrieb gebildet. Vielmehr besteht der aufnehmende Betrieb in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Identität fort. Dasselbe kann auch für Betriebsteile gelten. Wird der weit überwiegende Teil eines Betriebs in seiner Organisations- und Leitungsmacht unverändert übertragen, kann die anschließende Eingliederung dergestalt erfolgen, dass der übertragene Betriebsteil einen Betrieb oder Betriebsteil des Erwerbers aufnimmt (eingliedert). c) Zusammenschluss von Betrieben und/oder Betriebsteilen
22.66
Mehrere Betriebe oder Betriebsteile können so zusammengefasst werden, dass keine der ehemaligen Teile seine Identität bewahrt. Hiervon ist dann auszugehen, wenn die mit der Integration verbundenen Maßnahmen zu erheblichen Veränderungen in Bezug auf die Leitungsstrukturen führen, mit deren Hilfe die wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten gesteuert werden. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn die Personalleitung neu konzipiert wird. Man wird hiervon auch dann ausgehen können, wenn die fachbezogene Personaleinsatzplanung übergreifend mit einer Veränderung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten verbunden ist. In der Regel ist dies der Fall, wenn nicht nur zwei, sondern drei und mehr Betriebe und Betriebsteile zu einer Einheit zusammengeschlossen werden. Insoweit kann auch an den Kriterien angeknüpft werden, die zur grundlegenden Änderung der Betriebsorganisation i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG entwickelt wurden. In diesem Fall besteht keiner der beteiligten Betriebe in seiner bisherigen Identität fort. Ein neuer Betrieb tritt an die Stelle der bisherigen Betriebe oder Betriebsteile2. Zum Teil wird deshalb auch von der „Verschmelzung von Betrieben“ gesprochen3. d) Folge für Betriebsvereinbarungen aa) Eingliederung
22.67
Im Fall der Eingliederung scheidet eine kollektivrechtliche Fortgeltung der Betriebsvereinbarungen des integrierten Betriebs oder Betriebsteils aus. Vielmehr werden die Betriebsvereinbarungen nach Maßgabe des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB Bestandteil der Arbeitsverhältnisse, soweit sie nicht nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB von einer beim Erwerber geltenden Betriebs-, Gesamtbetriebs- oder Konzernbetriebsvereinbarung verdrängt werden4. Dabei macht es keinen Unterschied, ob in dem aufnehmenden Betrieb ein Betriebsrat vorhanden ist oder nicht.
1 Ähnlich offenbar die Bedenken von Bauer/von Steinau-Steinrück, NZA 2000, 505, 506. 2 Trittin, AiB 1998, 545, 547 ff.; Richardi/Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 97. 3 So Henssler, NZA 1994, 913, 918; ebenso Sieg/Maschmann, Unternehmensumstrukturierung, Rz. 415; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 25. 4 Lange, NZA 2017, 288, 294.
876 | Steffan
Unternehmensübergreifende Restrukturierungen | Rz. 22.70 § 22
Nimmt der übergehende Betrieb oder Betriebsteil einen bestehenden Betrieb oder Betriebsteil des Erwerbers im Wege der Eingliederung auf, gelten für das Schicksal der Betriebsvereinbarungen im bestehenden Betrieb oder Betriebsteil des Erwerbers § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB und § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB analog. An der schlüssigen und widerspruchfreien Rechtsfolge des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ist im Gegensatz zu einer im Vordringen befindlichen Meinung festzuhalten1. Danach sollen für den Fall, dass im aufnehmenden Betrieb keine entsprechenden Betriebsvereinbarungen bestehen, die Betriebsvereinbarungen des eingegliederten Betriebs normativ weitergelten, wenn und soweit ihre Anwendung auch im aufnehmenden Betrieb möglich und sinnvoll ist. Wenn der eingegliederte Betrieb innerhalb des aufnehmenden Betriebs in räumlicher und organisatorischer Hinsicht abgrenzbar bleibe könne es durchaus sinnvoll und sachgerecht sein, organisationsbezogene Betriebsvereinbarungen des alten Betriebs weiter anzuwenden2. Unklar ist, ob diese Sichtweise auch unternehmensübergreifende Eingliederungen im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang erfasst oder lediglich für betriebsinterne Eingliederung gilt. Als Argument für die normative Fortgeltung wird angeführt, dass sich im Falle der Eingliederung bei zusätzlichen Leistungen im aufnehmenden Betrieb ein Harmonisierungsbedarf aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung ergeben könne3. Eine solche Anpassung lehnt das Bundesarbeitsgericht bei Eingliederungen im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang in aller Regel ab4. Allerdings soll nach Ansicht des 3. Senats bei der Ablösung von Betriebsvereinbarungen zur betrieblichen Altersversorgung das sog. Drei-Stufen-Modell gelten mit der Folge, dass die Regelung des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB in diesem Fall teleologisch zu reduzieren sei5.
22.68
Für die Arbeitnehmer des eingegliederten Betriebes gelten die Betriebsvereinbarungen des aufnehmenden Betriebes nach der allgemeinen Regelung des § 77 Abs. 4 BetrVG. Die Betriebsvereinbarungen des übertragenen Betriebes „gehen unter“. Enthalten die untergegangenen Betriebsvereinbarungen Regelungen, für die es im aufnehmenden Betrieb keine entsprechenden betriebsverfassungsrechtliche oder (anwendbare) tarifvertragliche Regelungen gibt, greift die „Auffanglösung“ des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ein. Sie werden Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden.
22.69
Damit gelten auch die Betriebsvereinbarungen des aufnehmenden Betriebs kollektivrechtlich und normativ fort6. Handelt es sich dabei um den beim übernehmenden Rechtsträger bereits bestehenden Betrieb, gelten die dort abgeschlossenen Vereinbarungen ohne Veränderung fort. Ist es aber der bislang beim übertragenen Rechtsträger bestehende Betrieb, der unter Wahrung seiner Identität übertragen wird und im Anschluss an den Übertragungsvorgang den beim übernehmenden Rechtsträger bestehenden Betrieb aufnimmt, so beanspruchen die bislang beim übertragenen Rechtsträger geltenden Betriebsvereinbarung normative Fortgeltung.
22.70
1 Ebenfalls WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 27. 2 So insbesondere Fitting, § 77 BetrVG Rz. 163 m.w.N.; a.A. BAG v. 7.6.2011 – 1 ABR 110/09, NZA 2012, 110, Rz. 15. 3 Fitting, § 77 BetrVG Rz. 163. 4 BAG v. 6.12.1978 – 5 AZR 545/77, AP AngestelltenkündigungsG § 2 Nr. 7 = NJW 1980, 1304; BAG v. 19.1.2010 – 3 ABR 19/08, NZA-RR 2010, 356. 5 BAG v. 22.10.2019 – 3 AZR 429/18, NZA 2020, ZIP 2020, 571; dazu Steffan, ArbRB 2020, 68. 6 WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung E Rz. 21 ff.
Steffan | 877
§ 22 Rz. 22.70 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
Andernfalls wäre es zum Beispiel möglich, die für 800 Mitarbeiter in dem von einem Übergang betroffenen Betrieb abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen ohne Rücksicht auf eine etwaige Günstigkeit durch Vereinbarungen abzulösen, die zwischen übernehmendem Rechtsträger und Betriebsrat für einen Betrieb mit etwa 20 Mitarbeitern abgeschlossen wurden. Richtigerweise wird man diesen Vorgang aber, ohne Rücksicht auf vorhandene Organisationsstrukturen, als Eingliederung des 20-Mitarbeiter-Betriebs in den 800-Mitarbeiter-Betrieb ansehen müssen.
22.71
Soweit bei einem Betriebsteilübergang der abgebende Restbetrieb beim Veräußerer identitätswahrend fortbesteht, bleiben die dort geltenden Betriebsvereinbarungen in ihrer Rechtsnatur normativ bestehen. bb) Zusammenschluss
22.72
Beim Zusammenschluss mehrerer Betriebe oder Betriebsteile entsteht ein neuer Betrieb. Die Identität der zusammengeschlossenen Einheiten geht infolge des Zusammenschlusses verloren. Konsequenz der Neugründung eines Betriebs ist, dass – wie im Fall der Eingliederung für die Arbeitnehmer der aufgenommenen Einheit – die bisherigen Rechte und Pflichten der jeweiligen Betriebsvereinbarung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses fortgelten1. Dieses Verständnis ist, wie auch im Fall der Eingliederung (vgl. Rz. 22.67 ff.), umstritten. Nach Ansicht des LAG München gelten im Falle des Zusammenschlusses im Rahmen eines Betriebsübergangs die im Altbetrieb bestehenden Betriebsvereinbarungen in ihrem bisherigen Geltungsbereich jedenfalls dann normativ fort, wenn dieser Geltungsbereich nach wie vor räumlich oder organisatorisch abgegrenzt werden könne2. Diesem Verständnis ist das BAG allerdings deutlich entgegengetreten. Maßgeblich komme es darauf an, ob trotz der erfolgten Zusammenfassung von Betrieben zu neuen Organisationseinheiten die betriebsverfassungsrechtliche Identität der zusammengefassten Einheiten unberührt geblieben sei. Die räumliche und organisatorische Abgrenzbarkeit des bisherigen Geltungsbereichs innerhalb der neuen Organisationseinheit allein sei kein taugliches Abgrenzungskriterium. Damit werde nicht genügend beachtet, dass eine Fortgeltung der Betriebsvereinbarung in diesen Fallkonstellationen nur gerechtfertigt sei, wenn die ursprüngliche organisatorische (Teil-)Einheit als betriebsverfassungsrechtlicher Bezugspunkt fortbesteht. Entscheidend sei daher, ob die Organisation der Arbeitsabläufe, der Betriebszweck und die Leitungsstruktur, welche die Betriebsidentität prägen, nach der erfolgten Zusammenfassung von Betrieben zu neuen Organisationseinheiten unverändert geblieben seien3. (1) Zusammenschluss übernommener Betriebe oder Betriebsteile
22.73
Werden mehrere im Wege eines Betriebsübergangs übernommenen Betriebe oder Betriebsteile beim Erwerber zu einem Betrieb zusammengeschlossen, gelten die Rechte und Pflichten der vormals normativen Betriebsvereinbarungen aus den „Altbetrieben“ für die Mitarbeiter im Wege des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB weiter. Sie werden Inhalt des Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebserwerber, unabhängig davon, ob man dieser Fortgeltung kollektivrechtlichen oder individualrechtlichen Charakter beimisst (vgl. Rz. 22.9). Zu einer Ablösung durch vor-
1 WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 21 f. 2 LAG München v. 11.3.2009 – 5 TaBV 6/08, Rz. 40, juris. Gegenstand der Entscheidung war ein Filialbetrieb. 3 BAG v. 7.6.2011 – 1 ABR 110/09, NZA 2012, 110 Rz. 15.
878 | Steffan
Unternehmensübergreifende Restrukturierungen | Rz. 22.76 § 22
handene Betriebsvereinbarungen nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB kann es nicht kommen, weil alle zusammengeschlossenen Betriebe und/oder Betriebsteile ihre Identität verlieren mit der Konsequenz, dass in dem durch Zusammenschluss neu entstandenen Betrieb zunächst keine normativen Betriebsvereinbarungen existieren. Auch eine sog. Teilidentität dürfte in diesem Fall nicht vorliegen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn man die Teilidentität in dem Sinne versteht, dass in dem neu entstandenen Gebilde weniger, aber nicht andere Mitarbeiter als zuvor beschäftigt sind1. Abgelöst werden können die nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB transformierten Betriebsvereinbarungen der im Wege des Betriebsübergangs übernommenen Betriebe oder Betriebsteile jedoch durch die beim Erwerber bestehenden Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen oder durch später im neuen (zusammengeschlossenen) Betrieb vereinbarte Betriebsvereinbarungen. In allen Fällen greift § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB ein.
22.74
(2) Zusammenschluss mit Betrieben oder Betriebsteilen des Erwerbers Die Rechtsfolge des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB gilt jedenfalls für die Arbeitnehmer des Betriebs oder Betriebsteils, der vor dem Zusammenschluss im Wege des Betriebsübergangs nach § 613a BGB übernommen wurde. Erfolgt ein Zusammenschluss übernommener Betriebe oder Betriebsteile mit bestehenden Betrieben oder Betriebsteilen des Erwerbers, greift § 613a BGB für letztere jedenfalls in direkter Anwendung nicht ein. Hier ist eine analoge Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB zu befürworten. Damit tritt in der Konsequenz für alle Mitarbeiter des neu geschaffenen Betriebes dieselbe Rechtsfolge ein. Die ins Arbeitsverhältnis transportierten Rechte und Pflichten können zwar unterschiedlich ausgestaltet sein, doch sind Arbeitgeber und Betriebsrat in der Lage, durch eine entsprechende Betriebsvereinbarung eine einheitliche, für alle Arbeitnehmer des zusammengefassten Betriebs geltende Regelung abzuschließen. Diese löst die ins Arbeitsverhältnis transportierten Rechte und Pflichten ab, unabhängig davon, ob die neue Betriebsvereinbarung günstiger oder ungünstiger ist. (Rz. 22.38). Besonderheiten können sich bei dieser Fallgestaltung nur dann ergeben, wenn einzelne Betriebsvereinbarungen ohne einen solchen Übertragungsvorgang bzw. den Zusammenschluss der Betriebe nicht mehr gelten würden (§ 613a Abs. 1 Satz 4 Alt. 1 BGB).
22.75
e) Folge für Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen Für Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen tritt grundsätzlich dieselbe Rechtsfolge ein wie bei Betriebsvereinbarungen. Maßgeblich ist auch hier die Identität des Betriebs, der Regelungsgegenstand einer Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung ist. Sie endet in den Fällen der Eingliederung und des Zusammenschlusses. Selbst die nach mancher Ansicht für ausreichend erachtete Teilidentität liegt in den Fällen der Eingliederung bzw. des Zusammenschlusses nicht vor. Es bleibt also für die Mitarbeiter des übernommenen Betriebs oder Betriebsteils bei der Fortgeltung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB mit der Folge, dass die weitere kollektivrechtliche Gestaltungsmacht in den Händen des Betriebsrats des neu gebildeten Betriebes liegt. Unabhängig davon gelten für alle Mitarbeiter des neuen Betriebes die Gesamtund Konzernbetriebsvereinbarungen des Erwerbers unmittelbar und zwingend gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG. Soweit deren Regelungen mit Rechten und Pflichten der ins Arbeitsverhältnis transportierten Regelungen aus Betriebs-, Gesamtbetriebs- und Konzernbetriebsvereinbarun-
1 So wohl Kreft, Festschrift Wissmann, S. 347, 354.
Steffan | 879
22.76
§ 22 Rz. 22.76 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
gen des Veräußerers kollidieren, werden die transportierten Regelungen nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB abgelöst.
3. Reichweite der Weitergeltung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB a) Inhaltliche Weitergeltung
22.77
Für die inhaltliche Reichweite der Weitergeltung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB spielt die im Wesentlichen dogmatische Frage, ob die Weitergeltung individualrechtlicher oder kollektivrechtlicher Natur ist, keine Rolle. Nach beiden Ansichten verlieren die Betriebsvereinbarungen ihre Rechtsnatur als Betriebsvereinbarungen und die übergehenden Rechte und Pflichten werden Teil der Arbeitsverhältnisse1.
22.78
Nur die Rechte und Pflichten der zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs gültigen Normen einer Betriebs-, Gesamtbetriebs- oder Konzernbetriebsvereinbarung gelten fort2. An der Weiterentwicklung der Rechte und Pflichten der Betriebsvereinbarungen seines Herkunftsbetriebs nimmt der übernommene Arbeitnehmer nicht teil3. Sind allerdings in einer zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs geltenden Betriebsvereinbarung Änderungen bereits angelegt (so etwa bei der Erhöhung von Jubiläumsleistungen abhängig von der Betriebszugehörigkeit), gelten diese Änderungen auch für die transformierten Normen der Betriebsvereinbarung beim Erwerber. Ins Arbeitsverhältnis transportiert werden die Normen auch dann noch, wenn sie lediglich gem. § 77 Abs. 6 BetrVG nachwirken4. Allerdings verlieren sie ihre zwingende Wirkung, so dass sie vor Ablauf eines Jahres zu Lasten der Arbeitnehmer einzelvertraglich abgeändert werden können5.
22.79
Auch für die gültigen Normen freiwilliger Betriebsvereinbarungen gilt die Regelung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, allerdings ohne einjährige Veränderungssperre6. Eine völlige Herausnahme freiwilliger Betriebsvereinbarungen aus der Transformationsregelung führt zu einer ungerechtfertigten Schlechterstellung gegenüber arbeitsvertraglich fortgeltenden freiwilligen Leistungen nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB und ist teleologisch nicht begründbar7. Allerdings kann die Bindungswirkung nicht weiter gehen als vor dem Betriebsübergang. Zuvor bereits gekündigte freiwillige Betriebsvereinbarungen fallen beim Erwerber nach Ablauf der Kündigungsfrist weg8. Sind sie ungekündigt übergegangen, können sie vom Erwerber mit der Frist des § 77 Abs. 5 BetrVG durch einseitige Erklärung gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern beendet werden. Dagegen kommt nach der wohl h.M. eine Kündigung gegenüber dem „aufnehmenden“ Betriebsrat (ohne Nachwirkung) in Betracht9. In beiden Fällen tritt
1 A.A. wohl Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 202 sowie die Vertreter der Sukzessionstheorie, Sagan, RdA 2011, 163, 167; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 112. 2 BAG v. 4.8.1999 – 5 AZR 642/98, AP TVG § 1 Tarifverträge: Papierindustrie Nr. 14 = NZA 2000, 154; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 117. 3 So für Tarifverträge BAG v. 13.11.1985 – 4 AZR 309/84, NZA 1986, 422; BAG v. 29.8.2001 – 4 AZR 332/00, NZA 2002, 513. 4 APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 123 m.w.N. 5 BAG v. 1.8.2001 – 4 AZR 82/00, NZA 2002, 41; Bepler, RdA 2009, 65, 66. 6 Moll, RdA 1996, 275, 284; differenzierend Bauer/von Steinau-Steinrück, NZA 2000, 505; a.A. Heinze, DB 1998, 1861; Küttner/Kreitner, Betriebsübergang, Rz. 59. 7 APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 124; a.A. Küttner/Kreitner, Betriebsübergang, Rz. 59. 8 Bauer/von Steinau-Steinrück, NZA 2000, 505, 507 f. 9 BAG v. 19.11.2019 – 1 AZR 386/18, NZA 2020, 297; ebenso LAG Hamm v. 30.5.2018 – 6 Sa 55/18, LAGE § 613a BGB 2002 Nr. 66; B. Gaul, Festschrift Bauer, 2010, S. 339, 348.
880 | Steffan
Unternehmensübergreifende Restrukturierungen | Rz. 22.82 § 22
dasselbe Ergebnis ein wie beim Veräußerer. Dass dagegen die Kündigung „mitbestimmter“ Rechte und Pflichten die einjährige Änderungssperre auslöst, ist berechtigt, weil sich der Veräußerer von einer „mitbestimmten“ Betriebsvereinbarung nicht einseitig lösen kann, sondern die Nachwirkung eintritt. Die Weitergeltung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB bezieht sich nur auf den normativen Teil einer Betriebsvereinbarung. Deren schuldrechtlicher Teil regelt lediglich das Verhältnis der Betriebspartner zueinander, so dass eine individualrechtliche Weitergeltung nicht in Betracht kommt1. Von dem normativen Teil werden nur diejenigen Rechtsnormen erfasst, die die Rechte und Pflichten des im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisses regeln.
22.80
Beim Veräußerer geltende individualrechtliche Regelungen werden von der Veränderungssperre nicht erfasst, weil sie nicht nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, sondern nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB übergehen. Dies ist regelmäßig der Fall bei in Bezug genommenen Tarifverträgen (Rz. 21.142), gilt aber auch bei in Bezug genommenen Betriebsvereinbarungen. Dies kommt etwa vor bei Konzernbetriebsvereinbarungen für außertarifliche Angestellte (etwa für Arbeitsbedingungen, betriebliche Altersversorgung oder Altersteilzeit). Sie sind vom Geltungsbereich oft für die Betriebe bestimmter (Groß-)Unternehmen beschränkt. Werden diese Regelungen vor der Betriebsübernahme von anderen Unternehmen arbeitsvertraglich in Bezug genommen, gelten sie bereits dort individualrechtlich und können nach einem Betriebsübergang während der Jahresfrist durch individualrechtliche Vereinbarung oder eine Änderungskündigung geändert werden, ohne dass es dafür – neben den allgemeinen Voraussetzungen – eines besonderen sachlichen Grundes bedarf2. Daneben kommt auch eine Ablösung der in Bezug genommenen Betriebsvereinbarung durch eine – inhaltsgleiche – Betriebsvereinbarung des Erwerbers in Betracht, soweit es sich bei der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel um eine betriebsvereinbarungsoffene Regelung handelt und deshalb das Günstigkeitsprinzip keine Anwendung findet (vgl. dazu Rz. 22.98 f.).
22.81
Die Weitergeltung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB greift auch bei einem mehrfachen Betriebsübergang ein3. Daran ändert es nichts, dass die kollektivrechtlichen Normen bei dem ersten Betriebsübergang bereits Eingang in die Arbeitsverhältnisse gefunden haben und deshalb der Wortlaut des § 613a BGB die Vermutung nahelegt, bei einem zweiten Betriebsübergang trete der Erwerber bereits nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB in die Rechte und Pflichten ein. Folge dieser Wirkung wäre uU ein Verlust der Veränderungsbeschränkung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB. Eine solche Qualitätsänderung dürfte mit der Intention des Art. 3 III der Richtlinie 2001/23/EG schwerlich vereinbar sein. Weitergeltung, Veränderung und Ablösung kollektivrechtlicher Normen unterliegen deshalb auch bei mehrfachen Betriebsübergängen den abschließenden Sonderregelungen des § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB4. Die Jahresfrist der Veränderungsbeschränkung rechnet dabei aber nur vom ersten Betriebsübergang an und beginnt nicht bei jedem folgenden neu zu laufen5.
22.82
1 2 3 4
Bernsau/Dreher/Hauck, § 613a BGB Rz. 266. Für Tarifverträge BAG v. 7.11.2007 – 5 AZR 1007/06, AP BGB § 613a Nr. 329 = NZA 2008, 530. BAG v. 12.6.2019 – 1 AZR 154/17, NZA 2019, 1203; dazu Steffan, ArbRB 2019, 228. BAG v. 12.6.2019 – 1 AZR 154/17, ZIP 2019, 1340; ebenso Moll, RdA 1996, 275, 279; noch zweifelnd in Bezug auf § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB bei mehreren Betriebsübergängen BAG v. 20.4.1994 – 4 AZR 342/93, NZA 1994, 1140. 5 APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 127; Sieg/Maschmann, Unternehmensumstrukturierung, Rz. 306; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 222; a.A. KR/Treber, § 613a BGB Rz. 161.
Steffan | 881
§ 22 Rz. 22.83 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
b) Änderungssperre aa) Grundsatz (§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB)
22.83
Sind die Rechte und Pflichten aus einer früheren Betriebsvereinbarung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB Inhalt des Arbeitsverhältnisses geworden, dürfen sie nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Betriebsübergang zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Das Änderungsverbot gilt sowohl für eine Änderungskündigung als auch für einen Änderungsvertrag1. Dies gilt jedoch nur dann, wenn den vormals kollektivvertraglichen Regelungen zwingender Charakter zukam. Zwar werden auch Regelungen einer Betriebsvereinbarung mit dispositivem Charakter in das Arbeitsverhältnis transportiert; sie können jedoch jederzeit zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden2. Will der Arbeitgeber zwingende Regelungen vor Ablauf der Jahresfrist ändern, ist dies unter den Voraussetzungen des § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB möglich (Rz. 22.85 ff.). Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, sind individualrechtliche Änderungen vor Ablauf der Jahresfrist grundsätzlich nach § 134 BGB unwirksam3.
22.84
Nach Ablauf der Jahresfrist entfällt die zwingende Wirkung der ins Arbeitsverhältnis transformierten Rechte und Pflichten einer Betriebsvereinbarung. Sie gelten dann als arbeitsvertragliche Einheitsregelungen weiter mit der Möglichkeit, sie auch zu Lasten der Arbeitnehmer kollektiv- oder einzelvertraglich zu ändern. Der Arbeitgeber kann entweder in Übereinstimmung mit dem Arbeitnehmer einen Änderungsvertrag schließen oder gegen den Willen des Arbeitnehmers eine Änderungskündigung aussprechen. Eine Änderungskündigung ist jedoch nur unter den allgemeinen Voraussetzungen zulässig. Insbesondere rechtfertigt die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes keine betriebsbedingte Änderungskündigung4, so dass (Massen-)Änderungskündigungen zur Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen regelmäßig ausscheiden werden5. Ob aus der im Nachgang zur EuGH-Entscheidung zu „Asklepios“6 ergangenen Entscheidung des BAG vom 30.8.2017 Anderes folgt, ist fraglich. Dort weist der 4. Senat darauf hin, der Arbeitgeber könne sich bei sozial gerechtfertigten Änderungen auch einseitig von den nicht gewünschten Arbeitsbedingungen lösen7. Dem Interesse des Arbeitgebers an einheitlichen Arbeitsbedingungen steht der Senat kritisch gegenüber8. Ob zur Änderung von Arbeitsbedingungen durch den Erwerber die §§ 1, 2 KSchG i.S.d. Unionsrechts ggf. teleologisch einzuschränkend auszulegen sind, musste der Senat nicht entscheiden9. bb) Ausnahmen (§ 613a Abs. 1 Satz 4 BGB)
22.85
Von dem Änderungsverbot des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB bestimmt § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB zwei Ausnahmen. Die erste betrifft den Fall, dass die Normen einer Betriebsvereinbarung keine zwingende Wirkung mehr entfalten oder die zwingende Wirkung innerhalb der Jahresfrist verlieren und deshalb nach § 77 Abs. 6 BetrVG nur noch nachwirken. Das ist der Fall, wenn die Betriebsvereinbarung beim Betriebsübergang bereits gekündigt war oder innerhalb der Jahresfrist gekündigt werden konnte; ferner dann, wenn die Betriebsvereinbarung beim
1 2 3 4 5 6 7 8 9
KR/Treber, § 613a BGB Rz. 162. Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 220. KR/Treber, § 613a BGB Rz. 162; Moll, RdA 1996, 279. Vgl. BAG v. 28.4.1982 – 7 AZR 1139/79, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 3 = NJW 1982, 2687. MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 136; Kania, DB 1994, 531. EuGH v. 27.4.2017 – C-680/15 und C-681/15, NZA 2017, 571; dazu Steffan, ArbRB 2017, 135. BAG v. 30.8.2017 – 4 AZR 95/14, NZA 2018, 255 Rz. 54 ff.; dazu Steffan, ArbRB 2018, 67. BAG v. 30.8.2017 – 4 AZR 95/14, NZA 2018, 255 Rz. 59. BAG v. 30.8.2017 – 4 AZR 95/14, NZA 2018, 255 Rz. 58.
882 | Steffan
Unternehmensübergreifende Restrukturierungen | Rz. 22.87 § 22
Betriebsübergang durch Fristablauf geendet hatte oder innerhalb der Jahresfrist enden würde. Zwar finden auch die Rechte und Pflichten nachwirkender Kollektivvereinbarungen Eingang in die Arbeitsverhältnisse, jedoch können sie vor Ablauf der Jahresfrist geändert werden. Die Regelung verdeutlicht, dass durch den Betriebsübergang die arbeitsrechtliche Stellung der Arbeitnehmer nicht verbessert wird, sondern nur in dem Umfang erhalten bleibt, wie sie bei dem ehemaligen Betriebsinhaber bestand1. Die mögliche Änderung erfolgt auch hier durch Änderungsvertrag oder Änderungskündigung2. Die zweite Ausnahme lässt eine Änderung vor Jahresfrist zu, wenn der neue Betriebsinhaber und die übernommenen Arbeitnehmer die Anwendung eines anderen Tarifvertrages, der für sie nicht schon aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit gilt, vereinbaren. Diese Regelung ermöglicht es dem Betriebserwerber, mit den übernommenen Arbeitnehmern die Anwendung des Tarifvertrages zu vereinbaren, der bereits zwischen ihm und seinen schon vorhandenen Arbeitnehmern kraft Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 1 TVG oder aufgrund einzelvertraglicher Abrede gilt. Entgegen dem missverständlichen Wortlaut besteht diese Möglichkeit auch dann, wenn nur eine Vertragspartei nicht tarifgebunden ist3. Vereinbart werden kann jedoch nur der andere Tarifvertrag insgesamt, weil nur die Geltung des tarifvertraglichen Gesamtwerks eine gewisse Richtigkeitsgewähr bietet4. Vereinbaren der Erwerber und der übernommene Arbeitnehmer den bei dem Erwerber geltenden Tarifvertrag, indem sie ihn arbeitsvertraglich in Bezug nehmen, gehen die Regelungen des in Bezug genommenen Tarifvertrags wegen des Tarifvorrangs nach § 77 Abs. 3 BetrVG i.V.m. § 613a Abs. 1 Satz 4 Alt. 2 BGB bereits vor Ablauf der Jahresfrist den deckungsgleichen Regelungen einer ins Arbeitsverhältnis transportierten Betriebsvereinbarung vor (dazu auch Rz. 22.92).
22.86
Der Arbeitnehmer ist zum Abschluss einer derartigen Vereinbarung nicht verpflichtet. Bei der Frage, ob eine dahingehende Änderungskündigung möglich ist, kommt es auf den Gesetzeszweck an, nach dem die Vorschrift zur Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen beitragen soll. Da der Gesetzgeber für den Fall der Vereinbarung eines anderen Tarifvertrags die zwingende Wirkung der in den Arbeitsvertrag transportierten Regelungen aufhebt, ist eine Änderungskündigung dann sozial gerechtfertigt, wenn die Unterwerfung unter den anderen Tarifvertrag bei Abwägung der Interessen der übernommenen Arbeitnehmer und des Betriebsnachfolgers angemessen und billigenswert ist5. Allein die Berufung auf die ansonsten bessere Stellung der übernommenen Arbeitnehmer reicht dafür nicht aus6. Eine Vereinbarung des Tarifvertrags des Erwerbers kann auch bereits mit dem Veräußerer erfolgen, wenn in dem Arbeitsvertrag eine große dynamische Bezugnahmeklausel (Tarifwechselklausel) vereinbart war7. Sie führt dazu, dass nach dem Betriebsübergang die Tarifverträge des Erwerbers Anwendung finden, die dann einen Transport deckungsgleicher Regelungen der nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ins Arbeitsverhältnis verhindern.
22.87
1 2 3 4 5
Bepler, RdA 2009, 65 f., 71; Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 93. ArbRBGB/Ascheid, § 613a BGB Rz. 114. APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 131. Seiter, Betriebsinhaberwechsel, S. 96. Seiter, Betriebsinhaberwechsel, S. 96; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 138; in der BAG-Entscheidung v. 30.8.2017 – 4 AZR 95/14, NZA 2018, 255, ging es (nur) um die Abschaffung der Dynamik, nicht um die Anwendung eines Erwerber-Tarifvertrags (Rz. 59). 6 Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 93; Kania, DB 1994, 531. 7 Dazu APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 147.
Steffan | 883
§ 22 Rz. 22.88 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
c) Ausschluss der Weitergeltung (§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB)
22.88
Nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB ist die Transformation der Rechte und Pflichten einer Betriebsvereinbarung in das Arbeitsverhältnis ausgeschlossen, wenn die Rechte und Pflichten bei dem Betriebserwerber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags oder einer anderen Betriebsvereinbarung geregelt werden. Die Regelung dient dem Zweck, normativen Verpflichtungen den Vorrang vor einer Transformation nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB einzuräumen und dadurch die Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen beim Betriebserwerber zu erleichtern1. Der Betriebsübernehmer ist deshalb zur Anwendung der bei ihm geltenden Betriebsvereinbarungen verpflichtet, soweit sie die Arbeitsverhältnisse normativ erfassen2. Dies ist bei Betriebsvereinbarungen regelmäßig der Fall, weil sie mit Ausnahme der leitenden Angestellten (zu Sprecherausschussvereinbarungen siehe Rz. 23.2 ff.) für alle Arbeitnehmer des Betriebs gelten. Im Ergebnis verhindern die für den aufnehmenden Betrieb des Erwerbers geltenden Kollektivregelungen den Transport der ehemaligen Kollektivregelungen in das Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Betriebs(teil-)erwerber, soweit sich die Regelungsbereiche decken (dazu Rz. 22.96). Verdrängt werden jedoch nur vormals kollektivrechtliche Regelungen; für arbeitsvertraglich in Bezug genommene Betriebsvereinbarungen gilt dies nicht (dazu Rz. 22.81). aa) Verdrängung durch Betriebs-, Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen
22.89
Die verdrängende Kollektivvereinbarung muss nur inhaltlich deckungsgleich sein (d.h. denselben sachlichen, persönlichen und zeitlichen Geltungsbereich haben; vgl. dazu auch Rz. 22.96), nicht jedoch in ihrer Rechtsnatur. Es macht keinen Unterschied, ob die nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB weitergeltenden Normen beim Veräußerer durch eine Betriebs-, Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung geregelt waren. Deshalb schließt auch eine bei dem Erwerber bestehende Betriebsvereinbarung die Fortgeltung von Normen einer vorherigen Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarungen aus bzw. löst sie ab.
22.90
Eine beim Erwerber bestehende Gesamtbetriebsvereinbarung schließt eine Fortgeltung der Rechte und Pflichten aus einer Betriebsvereinbarung des Veräußerers allerdings nur dann aus, wenn der Gesamtbetriebsrat des aufnehmenden Unternehmens zur Regelung der Materie originär zuständig ist. Maßgeblich dafür ist die Regelung des § 50 BetrVG, wonach der Gesamtbetriebsrat zuständig ist für Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen betreffen oder nicht durch die einzelnen Betriebsräte geregelt werden können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es der Arbeitgeber bei freiwilligen Leistungen weitgehend in der Hand hat, die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zu begründen, indem er deutlich macht, dass er die freiwillige Leistung nur unternehmenseinheitlich gewähren möchte. Bedeutung hat dies etwa im wichtigen Bereich der betrieblichen Altersvorsorge.
22.91
Auch eine beim Erwerber bestehende Konzernbetriebsvereinbarung kann die Rechte und Pflichten einer beim Veräußerer bestehenden Betriebs-, Gesamtbetriebs oder Konzernbetriebsvereinbarungen verdrängen, soweit der Konzernbetriebsrat für die Regelung der entsprechenden Materie originär zuständig ist. Dabei ist der herrschenden Meinung Folge zu leisten, dass ein zwischen der Konzernleitung und dem Konzernbetriebsrat abgeschlossen Vereinbarung unmittelbar für alle Konzernunternehmen gilt3. Die Gegenmeinung erfordert, dass die 1 BAG v. 20.4.1994 – 4 AZR 342/93, AP BGB § 613a Nr. 108 = NZA 1994, 1140. 2 Soergel/Raab, § 613a BGB Rz. 124. 3 Fitting, § 58 BetrVG Rz. 35 m.w.N.
884 | Steffan
Unternehmensübergreifende Restrukturierungen | Rz. 22.93 § 22
Konzernspitze von den einzelnen Unternehmen bevollmächtigt war oder dass die Konzernunternehmen bei dem Abschluss der Vereinbarung mitgewirkt haben1. bb) Verdrängung durch Tarifverträge Ob Normen einer Betriebsvereinbarung auch durch einen beim Erwerber bestehenden Tarifvertrag verdrängt werden können, lässt sich dem Wortlaut des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht abschließend entnehmen2. Die überwiegende Meinung bejaht dies3. Eindeutig gegen eine sog. Über-Kreuz-Ablösung hat sich das BAG im Verhältnis einer die Rechtsnormen eines Tarifvertrags ablösenden Betriebsvereinbarung ausgesprochen4. Jedenfalls außerhalb des Bereichs der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats ist danach für eine Ablösung der Rechtsnormen eines Tarifvertrages durch Regelungen einer Betriebsvereinbarung kein Raum. Das gilt auch für teilmitbestimmte Gegenstände wie etwa die betriebliche Altersversorgung5. Das BAG begründet dies im Wesentlichen mit systematischen Gründen des Tarifrechts sowie Schutzzweckgesichtspunkten des § 613a BGB und der RL 2001/23/EG6. Ungeachtet der gegen diese Ansicht sprechenden Gesichtspunkte7 gelten die Einwände des BAG nicht gegen eine Ablösung von Normen aus einer Betriebsvereinbarung durch einen Tarifvertrag8. Misst man der nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortwirkenden Betriebsvereinbarung kollektivrechtlichen Charakter bei, richtet sich die Verdrängung nach den in § 77 Abs. 3, § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG geregelten Grundsätzen des Tarifvorrangs9. Nicht anderes gilt, wenn man eine Fortwirkung auf individualrechtlicher Grundlage annimmt, weil in diesem Fall die gesetzliche Anordnung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB dazu führt, dass nicht das Günstigkeitsprinzip, sondern das Ablöseprinzip Anwendung findet. Dabei reicht es bei § 77 Abs. 3 BetrVG aus, dass eine Tarifgeltung bei dem Unternehmen besteht. Dagegen kommt es für die Frage der Verdrängung der Normen einer Betriebsvereinbarung durch einen beim Erwerber geltenden Tarifvertrag nicht darauf an, ob der betroffene Arbeitnehmer selbst tarifgebunden ist oder nicht10.
22.92
cc) Verdrängung durch Bezugnahme auf Tarifvertrag Eine Ablösung durch einzelvertragliche Vereinbarung ist zwar nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB unzulässig, wenn sie innerhalb der Ein-Jahres-Frist mit Nachteilen für den Arbeitnehmer begründet ist. Wird individualrechtlich allerdings eine Bezugnahme auf einen Tarifvertrag ver-
1 Richardi/Annuß, § 58 BetrVG Rz. 43. 2 So auch BAG v. 6.11.2007 – 1 AZR 862/06, NZA 2008, 542 Rz. 33. 3 MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 143; KR/Treber, § 613a BGB Rz. 172; Erman/ Edenfeld, § 613a BGB Rz. 87; Bernsau/Dreher/Hauck § 613a BGB Rz. 284; C. Meyer, NZA 2001, 751; HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 273; Sieg/Maschmann, Unternehmensumstrukturierung, Rz. 327; a.A. Bepler, RdA 2009, 65, 71 f.; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 229; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 126. 4 BAG v. 6.11.2007 – 1 AZR 862/06, NZA 2008, 542 Rz. 33; BAG v. 13.11.2007 – 3 AZR 191/06, NZA 2008, 600; BAG v. 21.4.2010 – 4 AZR 768/08, AP BGB § 613a Nr. 387 = DB 2010, 1998. 5 BAG v. 13.11.2007 – 3 AZR 191/06, NZA 2008, 600 Rz. 31. 6 Insbesondere BAG v. 6.11.2007 – 1 AZR 862/06, NZA 2008, 542 Rz. 33 ff. 7 Dazu APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 140; Sieg/Maschmann, Unternehmensumstrukturierung, Rz. 327 f. 8 So auch WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 55; B. Gaul, Festschrift Bauer, 2010, S. 339, 348. 9 Dazu ausführlich B. Gaul, Festschrift Bauer, 2010, S. 339, 348. 10 Braun/Wisskirchen/Thees, Konzernarbeitsrecht, Teil I, 1 A Rz. 55.
Steffan | 885
22.93
§ 22 Rz. 22.93 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
einbart, in dessen Geltungsbereich der Arbeitsvertrag nach dem Übergang fällt (vgl. etwa Rz. 22.87), führt die Bezugnahme ohne Rücksicht auf eine etwaige Günstigkeit zu einer Ablösung der bislang durch Betriebsvereinbarung geregelten Rechte und Pflichten. Dies folgt aus § 613a Abs. 1 Satz 4 Alt. 2 BGB. Wegen des Tarifvorrangs aus § 77 Abs. 3 BetrVG kommt insoweit auch das Günstigkeitsprinzip in § 77 Abs. 4 BetrVG nicht zur Anwendung. Bei Angelegenheiten, die unter § 87 BetrVG fallen, muss allerdings das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beachtet werden. Es ist insoweit Wirksamkeitsvoraussetzung.
22.94
Nicht möglich ist es, den einschlägigen Tarifvertrag durch Betriebsvereinbarung in Bezug zu nehmen, weil hierdurch die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG unterlaufen würde1. Wenn sie im Geltungsbereich eines Tarifvertrags abgeschlossen würde oder einen Bereich beträfe, in dem Regelungen des in Bezug genommenen Tarifvertrags üblicherweise ebenfalls durch Tarifvertrag geregelt werden, ohne dass § 87 BetrVG anwendbar ist, wäre die Betriebsvereinbarung auch gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam2. Die Erstreckung tariflicher Regelungen mit normativer Wirkung soll allein der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen vorbehalten bleiben3. Zudem verstieße eine solche Betriebsvereinbarung gegen das Grundrecht auf negative Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG). Wegen der zwingenden Wirkung einer Betriebsvereinbarung (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG) würde sie nämlich auch ohne Gewerkschaftsmitgliedschaft des Arbeitnehmers oder Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags zur Tarifbindung führen4. Diese Grundsätze gelten nach Ansicht das BAG nur bei dynamischer Inbezugnahme eines Tarifvertrags; eine statische Inbezugnahme soll dagegen wirksam sein5. dd) Inhaltliche Reichweite der Verdrängung
22.95
Für die Ablösung durch einen beim Erwerber geltenden Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung ist es unerheblich, ob diese schon zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs für den bereits vorhandenen Betrieb des Erwerbers gelten, aufgrund des Betriebsübergangs oder erst später abgeschlossen werden oder (im Fall eines Tarifvertrags) durch Verbandsbeitritt des Betriebserwerbers Geltung erreichen6. Dass eine bei dem Erwerber bereits bestehende Kollektivregelung die Weitergeltung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB auch dann ausschließen soll, wenn sie lediglich nachwirkt7, ist nur bei Betriebsvereinbarungen richtig. Während die nachwirkende Betriebsvereinbarung auch für die übernommenen Arbeitnehmer gilt, ist dies bei einem nachwirkenden Tarifvertrag in aller Regel nicht der Fall8. Anders ist es nur dann, wenn der übergehende Arbeitnehmer kollektivrechtlich (auch) an den beim Erwerber nachwirkenden Tarifvertrag gebunden ist9. Die Geltung des neuen Tarifvertrags oder der neuen Betriebsver-
1 MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 143; Erman/Edenfeld, BGB § 613a Rz. 93; Kania, DB 1995, 626. 2 BAG v. 20.11.2001 – 1 AZR 12/01, EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 70 = NZA 2002, 872. 3 Fitting, § 77 BetrVG Rz. 98; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rz. 150; DKW/Berg, § 77 BetrVG Rz. 136. 4 DKW/Berg, § 77 BetrVG Rz. 136; a.A. Fitting, § 77 BetrVG Rz. 98; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rz. 150. 5 BAG v. 23.10.2018 – 1 ABR 26/17, NZA 2019, 483 Rz. 21 ff.; dazu Braun, ArbRB 2019, 107. 6 BAG v. 14.8.2001 – 1 AZR 619/00, NZA 2002, 276; BAG v. 11.5.2005 – 4 AZR 315/04, NZA 2005, 1362; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 141; APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 138 m.w.N. 7 So Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 90; Picot/Schnitker, Teil I Rz. 283; ArbRBGB/Ascheid, § 613a BGB Rz. 106; a.A. MünchKommBGB/Müller-Glöge § 613a BGB Rz. 141. 8 Zutreffend HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 273. 9 Dies kann etwa bei der Mitgliedschaft in der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di der Fall sein.
886 | Steffan
Unternehmensübergreifende Restrukturierungen | Rz. 22.97 § 22
einbarung kann nicht dadurch ausgeschlossen oder beschränkt werden, dass die Betriebspartner des Veräußerers dies im Wege einer Betriebsvereinbarung festlegen1. Die Verdrängung der Weitergeltung durch kollektivrechtliche Regelungen beim Erwerber tritt jedoch nur insoweit ein, als die normativ geltenden neuen Betriebs- oder Tarifnormen denselben Regelungsgegenstand betreffen und der vom Betriebsübergang erfasste Arbeitnehmer auch im Übrigen in deren Geltungsbereich fällt2. Ob derselbe Regelungsgegenstand betroffen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei die Regelungskomplexe nicht zu eng gebildet werden dürfen3. Schweigen die Kollektivverträge zu bestimmten Punkten, liegt grundsätzlich keine Regelung vor. Soweit sich die Regelungsbereiche nicht decken, bleibt es bei der Weitergeltung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB. Dagegen ist eine Beseitigung kollektivrechtlicher Ansprüche durch eine ebenfalls kollektive „Negativregelung“ beim Erwerber grundsätzlich möglich4. Dasselbe gilt im Falle „beredten Schweigens“, dem durch Auslegung zu entnehmen ist, dass bestimmte Regelungen nicht gelten sollen5.
22.96
Bei identischer Regelungsmaterie gelten die neuen Kollektivverträge auch dann, wenn sie schlechtere Arbeitsbedingungen vorsehen6. Das Günstigkeitsprinzip findet im Verhältnis zwischen dem nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgeltenden und dem neuen Kollektivrecht beim Erwerber keine Anwendung. Es gelten vielmehr die Grundsätze der Ablösung7 mit Besonderheiten für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung (vgl. Rz. 34.221 ff.). Diese nationale Sichtweise ist durch die Entscheidung des EuGH vom 6.9.2011 „Scattolon“ in die Diskussion geraten8. Nach Ansicht des EuGH darf ein ablösender Tarifvertrag weder zum Ziel noch zur Folge haben, dass sich die Arbeitsbedingungen „insgesamt verschlechtern“9. Die Auswirkungen der Entscheidung sind unklar. Unter anderem stellt sich die Frage, ob daraus ein allgemeines Verschlechterungsgebot mit der Folge eines „kollektiven Günstigkeitsvergleichs“ folgt10. Zu Recht ist deshalb vorgeschlagen worden, dem EuGH durch eine erneute Vorlage Gelegenheit zur Klarstellung zu geben11. In zwei neueren Entscheidungen haben zunächst der 4 Senat (für Tarifverträge)12 und im Nachgang der 1. Senat (für Betriebsvereinbarungen)13 festgestellt, dass es unerheblich sei, ob der ablösende Kollektivvertrag die bisherigen Arbeitsbedingungen verbessere oder verschlechtere. Auch Art. 3 Abs. 3 der RL 2001/23/EG stehe einer Ver-
22.97
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
BAG v. 1.4.1987 – 4 AZR 77/86, NZA 1987, 593. BAG v. 11.5.2005 – 4 AZR 315/04, NZA 2005, 1362. MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a Rz. 142; APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 139 m.w.N. BAG v. 7.9.2004 – 9 AZR 631/03, NZA 2005, 941; dazu Grobys/von Steinau-Steinrück, NJW-Spezial 2005, 370 f.; zuvor bereits BAG v. 22.1.2003 – 10 AZR 227/02, AP BGB § 613a Nr. 242 = NZA 2003, 879. Bernsau/Dreher/Hauck, § 613a BGB Rz. 279. BAG v. 28.6.2005 – 1 AZR 213/04, AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 25 = NZA 2005, 1431; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 142. BAG v. 14.8.2001 – 1 AZR 619/00, NZA 2002, 276; BAG v. 11.5.2005 – 4 AZR 315/04, NZA 2005, 1362; Bepler, RdA 2009, 65, 66; Kania, DB 1994, 530; ArbRBGB/Ascheid, Rz. 112; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 142; Soergel/Raab, § 613a BGB Rz. 127. EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10, NZA 2011, 1077. Dazu Steffan, NZA 2012, 473; Sittard/Flockenhaus, NZA 2013, 652; Forst, Anm. AP Richtlinie 2001/23/EG Nr. 9; Sagan, EuZA 2012, 247. ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 125, Steffan, NZA 2012, 473, 476; Grau/Hartmann in Preis/Sagan, § 11 Rz. 124. ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 125; Willemsen, RdA 2012, 291, 303. BAG v. 23.1.2019 – 4 AZR 445/17, NZA 2019, 2106. BAG v. 12.6.2019 – 1 AZR 154/17, NZA 2019, 1203.
Steffan | 887
§ 22 Rz. 22.97 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
schlechterung der Arbeitsbedingungen durch einen ablösenden Tarifvertrag oder eine ablösende Betriebsvereinbarung nicht entgegen. Nichts anderes folge aus der „Scattolon“-Entscheidung des EuGH. Der dort getroffenen Aussage sei kein allgemeines Verschlechterungsverbot zu entnehmen, sie sei vielmehr den besonderen Umständen des Ausgangsfalles geschuldet gewesen. Zu einer Vorlage an den EuGH sahen sich weder der 4. Senat noch der 1. Senat des BAG veranlasst. d) Verdrängung in Bezug genommener Betriebsvereinbarungen?
22.98
Gilt eine Betriebs-, Gesamtbetriebs- oder Konzernbetriebsvereinbarung nicht kollektivrechtlich, sondern im Wege der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme, kommt eine Verdrängung durch eine inhaltlich deckungsgleiche Kollektivregelung beim Erwerber grundsätzlich nicht in Betracht. Praktische Beispiele hierfür sind etwa Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarungen zu den Konditionen Außertariflicher Angestellter oder zu bestimmten Sozialleistungen (z.B. betriebliche Altersversorgung). Handelt es sich um eine echte Inbezugnahme („Sie erhalten eine betriebliche Altersversorgung nach Maßgabe der Konzernbetriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung“), sind die Inhalte der jeweiligen Betriebsvereinbarungen (echtes) Individualrecht geworden mit der Konsequenz, dass im Falle eines Betriebsübergangs § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB Anwendung findet und nicht § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB. Geht eine arbeitsvertragliche Grundlage nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber über, gilt im Vergleich zur normativ geltenden Betriebsvereinbarung beim Erwerber das Günstigkeitsprinzip1. Gilt hingegen die Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung bereits kollektivrechtlich, führt auch ein zusätzlicher Hinweis im Arbeitsvertrag nicht dazu, dass es sich um eine primär arbeitsvertragliche Regelung handelt. Anders als bei der Bezugnahme auf Tarifverträge (vgl. Rz. 21.139, 21.149 ff.) wirkt die „Bezugnahme“ in diesem Fall lediglich deklaratorisch.
22.99
Dieser klare Befund zur Anwendung des Günstigkeitsprinzips wird seit geraumer Zeit erschüttert durch die Rechtsprechung des 1. Senats des BAG vom 5.3.2013 zur sog. Betriebsvereinbarungsoffenheit arbeitsvertraglicher Regelungen2. Bis zu dieser Entscheidung des 1. Senats war die Sichtweise des Großen Senats aus der Entscheidung vom 16.9.1986 maßgeblich, wonach auf das Verhältnis von vertraglich begründeten Ansprüchen zu Regelungen einer Betriebsvereinbarung grundsätzlich das Günstigkeitsprinzip anzuwenden sei3. Zur Annahme einer Betriebsvereinbarungsoffenheit bedurfte es danach entweder einer ausdrücklichen Regelung im Arbeitsvertrag oder sonstiger eindeutiger Umstände, die auf eine Änderungskompetenz der Betriebsvereinbarung hinweisen4. Demgegenüber geht der 1. Senat des BAG in seiner Entscheidung vom 5.3.2013 von einer grundsätzlichen Betriebsvereinbarungsoffenheit des Arbeitsvertrags aus. Der maßgebliche Unterschied zur Entscheidung des Großen Senats liegt in der Frage der konkludenten Annahme einer Änderungsmöglichkeit durch Kollektivvereinbarung. Verlangte der Große Senat hierfür noch das Vorliegen besonderer Umstände, nimmt der 1. Senat dies – unter zwei Voraussetzungen – regelmäßig an: Danach können die Arbeitsvertragsparteien ihre vertraglichen Absprachen ausdrücklich oder konkludent dahingehend gestalten, dass sie der Abänderung durch betriebliche Normen unterliegen. Eine solche konkludente Abrede sei regelmäßig anzunehmen, wenn der Vertragsgegenstand in allgemeinen
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B. Gaul, Vorauflage, § 24 Rz. 133. BAG v. 5.3.2013 – 1 AZR 417/12, NZA 2013, 916 Rz. 59, 60. BAG v. 16.9.1986 – GS 1/82, NZA 1987, 168 Rz. 70. BAG v. 16.9.1986 – GS 1/82, NZA 1987, 168 Rz. 53, 54.
888 | Steffan
Unternehmensübergreifende Restrukturierungen | Rz. 22.100 § 22
Geschäftsbedingungen enthalten sei und einen kollektiven Bezug habe1. Die (umstrittene)2 Entscheidung des BAG hat somit das Regel-/Ausnahmeprinzip zwischen arbeitsvertraglicher und kollektivvertraglicher Regelung umgekehrt. Folgt man der Rechtsprechung des 1. Senats des BAG, der sich mittlerweile mehrere Senate angeschlossen haben3, kann eine beim Erwerber geltende Betriebsvereinbarung eine beim Veräußerer arbeitsvertraglich in Bezug genommene Betriebsvereinbarung – bei gleichem Regelungssachverhalt – ablösen. Die vom BAG aufgestellten Voraussetzungen dürfen jedenfalls erfüllt sein. Arbeitsverträge sind in aller Regel Allgemeine Geschäftsbedingungen und Bezugnahmeklauseln (auch auf Betriebsvereinbarungen) haben einen kollektiven Bezug, weil sie für eine Vielzahl von Arbeitnehmern gelten4. e) Kündigung der nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB transformierten Rechte und Pflichten Wenn Rechte und Pflichten aus einer Betriebsvereinbarung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB Inhalt des Arbeitsverhältnisses geworden sind, spricht dies gegen eine Kündigung nach den kollektivrechtlichen Grundsätzen über die Beendigung einer Betriebsvereinbarung. Denn mit der Transformation der Betriebsvereinbarung in das Arbeitsverhältnis sind die bisherigen Vertragspartner – Betriebsrat und übertragender Rechtsträger – nicht mehr Parteien dieser Vereinbarung. An dieser Wirkung ändert weder das Übergangsmandats des Betriebsrats etwas noch die Rechtsprechung des BAG, die der Fortgeltung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB kollektivrechtlichen Charakter beimisst (Rz. 22.6). Allerdings geht das BAG davon aus, die in das Arbeitsverhältnis transformierten Inhaltsnormen (also nicht die Betriebsvereinbarung selbst) seien gegenüber dem Betriebsrat im aufnehmenden Betrieb kündbar (dazu Rz. 22.101)5. Jedenfalls kann eine Kündigung der Betriebsvereinbarung (also nicht lediglich deren fortgeltende Rechte und Pflichten) nur durch den bisherigen Arbeitgeber oder den bisherigen Betriebsrat vorgenommen werden. Die Fortgeltung einer Betriebsvereinbarung ohne Nachwirkung endet mit Ablauf der Kündigungsfrist; eine Betriebsvereinbarung mit Nachwirkung verliert zu diesem Zeitpunkt jedenfalls ihre zwingende Wirkung (§ 613a Abs. 1 Satz 4 Alt. 1 BGB)6. Die Kündigung der Betriebsvereinbarung durch die Betriebsparteien des Veräußerers kann ihre Wirkungen auch unabhängig davon entfalten, ob diese vor oder nach dem Betriebs-
1 BAG v. 5.3.2013 – 1 AZR 417/12, NZA 2013, 916 Rz. 59, 60; dem folgend BAG v. 21.8.2013 – 5 AZR 581/11, NZA 2014, 271 Rz. 47; ebenso Linsenmaier, RdA 2014, 336; Hromadka, NZA 2013, 1061; a.A. insbes. Preis/Ulber, NZA 2014, 6; Waltermann, SAE 2013, 94. 2 Vgl. die grundsätzlichen Bedenken des 4. Senats in der Entscheidung BAG v. 16.5.2018 – 4 AZR 209/15, NZA 2018, 1489 Rz. 27. 3 So etwa der 3. Senat des BAG in mehreren Entscheidungen zu Gesamtzusagen des Arbeitgebers; vgl. etwa BAG v. 10.3.2015 – 3 AZR 56/14, NZA-RR 2015, 371 und BAG v. 23.2.2016 – 3 AZR 960/13, NZA 2016, 642. Dasselbe gilt für den 5. Senat; vgl. etwa BAG v. 25.5.2016 – 5 AZR 135/16, NZA 2016, 1327 Rz. 52; BAG v. 25.2.2015 – 5 AZR 481/13, NZA 2015, 943 Rz. 30; BAG v. 30.1.2019 – 5 AZR 450/17, NZA 2019, 1065 Rz. 60; BAG v. 30.1.2019 – 5 AZR 442/17, NZA 2019, 1076 Rz. 64. Auf derselben Linie liegt auch der 9. Senat in seiner Entscheidung BAG v. 18.2.2014 – 9 AZR 821/ 12, NZA 2014, 1036 Rz. 22. 4 A.A. der 4. Senat des BAG (BAG v. 11.4.2018 – 4 AZR 119/17, NZA 2018, 1273 Rz. 57), wonach nicht von einer konkludent vereinbarten „Betriebsvereinbarungsoffenheit“ individualvertraglich geregelter Arbeitsbedingungen auszugehen sei, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausdrücklich Vertragsbedingungen vereinbarten, die unabhängig von einer für den Betrieb geltenden normativen Regelung Anwendung finden sollten. 5 BAG v. 19.11.2019 – 1 AZR 386/18, NZA 2020, 297; ebenso LAG Hamm v. 30.5.2018 – 6 Sa 55/18, LAGE § 613a BGB 2002 Nr. 66; zustimmend B. Gaul/Pitzer, ArbRB 2020, 318, 320. 6 Henssler, NZA 1994, 913, 919.
Steffan | 889
22.100
§ 22 Rz. 22.100 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
übergang erfolgt ist. So endet nach der Entscheidung des BAG vom 22.4.2009 die Wirkung eines ins Arbeitsverhältnis transportierten Tarifvertrags auch dann, wenn die Kündigung nach dem Betriebsübergang erfolgte, sofern die Kündigungsmöglichkeit im Tarifvertrag bereits angelegt war1. Für die Wirkung einer Betriebsvereinbarung soll nichts anderes gelten2. Die Berechtigung könnte sich in beiden Fällen daraus ergeben, dass sich der Arbeitnehmer durch den Betriebsübergang nicht schlechter – aber auch nicht besser – stehen soll als bei einem Verbleib beim Veräußerer. Allerdings lag der BAG-Entscheidung vom 22.4.2009 ein besonderes Kündigungsrecht zugrunde (das zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bereits angelegt war). Ob dies auch für das jeder Betriebsvereinbarung innewohnende – allgemeine – Kündigungsrecht gilt, ist fraglich. Das es zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bereits angelegt ist, steht außer Frage. Allerdings nimmt der übergegangene Arbeitnehmer, dessen Recht und Pflichten sich nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ins Arbeitsverhältnis transformieren, anerkanntermaßen an den weiteren Entwicklungen der Betriebsvereinbarung im Herkunftsbetrieb nicht mehr teil. Diese werden aber regelmäßig nicht gekündigt und damit gegenstandslos (so aber die Folge des Sonderkündigungsrechts in der Entscheidung vom 22.4.2009), sondern nach der Kündigung durch eine neue Betriebsvereinbarung ersetzt. Wirkt nun die Kündigung auch gegenüber dem übergegangenen Arbeitnehmer, nicht aber der Neuabschluss in seinem Herkunftsbetrieb, steht es sich in jedem Fall schlechter als ohne den Betriebsübergang. Dies zeigt, dass ein Sonderkündigungsrecht vielleicht doch nicht ohne weiteres auf das allgemeine Kündigungsrecht übertragen werden kann.
22.101
Ist die Betriebsvereinbarung von den ursprünglichen Betriebspartnern nicht (regelmäßig vor dem Betriebsübergang) gekündigt worden, können – solange nicht gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB von der Möglichkeit einer Ablösung dieser Regelung durch eine neue Kollektivvereinbarung Gebrauch gemacht wird (vgl. Rz. 22.88 ff.), Änderungen oder Kündigungen nach dem Übergang der Arbeitsverhältnisse nur zwischen dem Erwerber und den Arbeitnehmern erfolgen. Soweit demgegenüber die h. M. eine Kündigung zuvörderst gegenüber dem Betriebsrat favorisiert3, folgt dies aus dem Verständnis des „kollektivrechtlichen Ursprungs“ der Betriebsvereinbarung4. Allerdings führt auch das kollektivrechtliche Verständnis – sei es bezüglich des Ursprungs der Betriebsvereinbarung oder auch deren Fortgeltung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht dazu, dass diese in ihrer Rechtsnatur als Betriebsvereinbarung fortgilt. Vielmehr werden die in ihr geregelten Rechte und Pflichten Inhalt des Arbeitsverhältnisses, was dogmatisch eher für die Kompetenz der Arbeitsvertragspartner spricht. Eine entsprechende Kündigung hat gegenüber sämtlichen Arbeitnehmern zu erfolgen, bei denen die Fortgeltung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB eintritt5. Dagegen scheidet der nach dem Betriebsübergang zuständige Betriebsrat als Kündigungsberechtigter oder -adressat aus6. Eine Kündigung durch den Erwerber muss grundsätzlich die Änderungssperre des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB beachten,
1 BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41. 2 So wohl WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 56. 3 BAG v. 19.11.2019 – 1 AZR 386/18, NZA 2020, 297; LAG Hamm v. 30.5.2018 – 6 Sa 55/18, LAGE § 613a BGB 2002 Nr. 66; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 56; Bauer/von Medem, DB 2010, 2560, 2563; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 117; B. Gaul/Pitzer, ArbRB 2020, 318, 320. 4 So WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 56. 5 Hanau/Vossen, Festschrift Hilger/Stumpf, 1983, S. 271, 284; Steffan, Festschrift Ulrich Preis, 2021, S. 1279, 1286 f.: a.A. Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 227; B. Gaul, Festschrift Bauer, 2010, S. 339, 343; ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 117. 6 B. Gaul, Betriebs- und Unternehmensspaltung, § 25 Rz. 134; Meyer, DB 2000, 1174, 1178; Völksen, NZA 2013, 1182, 1185.
890 | Steffan
Unternehmensübergreifende Restrukturierungen | Rz. 22.101 § 22
soweit nicht die Voraussetzungen des § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB vorliegen (Rz. 22.83). Grundsätzlich gelten für die Kündigung transformierter Rechte und Pflichten einer Betriebsvereinbarung die allgemeinen arbeitsrechtlichen Voraussetzungen, insbesondere die soziale Rechtfertigung gem. §§ 1, 2 KSchG1. Die dagegen vorgebrachten Argumente der Besserstellung treten bei einer Kündigung gegenüber den Arbeitnehmern nicht wirklich ein2. Setzt sich der „kollektivrechtliche Charakter“ der transformierten Normen einer Betriebsvereinbarung fort, tritt bei einer Kündigungsmöglichkeit gegenüber dem „aufnehmenden“ Betriebsrat die Nachwirkung analog § 77 Abs. 6 BetrVG ein. Damit ist zunächst nichts gewonnen. Will der Erwerber die „nachwirkende“ Regelung ändern oder beseitigen, muss er zu den individualrechtlichen Gestaltungsmitteln des Änderungsvertrags oder der Änderungskündigung greifen. Im letzteren Fall gelten §§ 1, 2 KSchG – ebenso wie bei einer Kündigung der transformierten Normen gegenüber den Arbeitnehmern. Anderes kann gelten, wenn die individualrechtlich fortgeltenden Rechte und Pflichten bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung geregelt waren. Wiederum aus der Erwägung, den Mitarbeiter nach einem Betriebsübergang nicht besser zu stellen als er ohne den Übertragungsvorgang stünde, ist hier eine Änderungskündigung ohne Rücksicht auf die durch §§ 1, 2 KSchG festgeschriebenen Schranken erlaubt3. Der Erwerber kann durch einseitige Erklärung gegenüber den einzelnen Arbeitnehmern die individualrechtlich fortgeltenden Ansprüche beseitigen; einer Anhörung des Betriebsrat nach § 102 BetrVG bedarf es nicht4. Anderes gilt, wenn die Nachwirkung der Betriebsvereinbarung vereinbart wurde. In diesem Fall bleibt es bei dem Erfordernis, eine Änderungskündigung gemäß §§ 1, 2 KSchG aussprechen zu müssen5. Wurde die freiwillige Betriebsvereinbarung bereits vor dem Betriebsübergang gekündigt oder befristet, gilt die Spezialregelung gem. § 613a Abs. 1 Satz 4 Alt. 1 BGB. Voraussetzung ist ferner, dass die allgemeinen Grundsätze zur Kündigung freiwilliger Betriebsvereinbarungen, wie sie vor allem mit Blick auf § 75 BetrVG entwickelt wurden, beachtet werden. Dies gilt insbesondere im Bereich der betrieblichen Altersversorgung (dazu Rz. 34.211 ff.)6. Außerdem muss der Erwerber beim Ausspruch seiner Kündigung die in der Betriebsvereinbarung vereinbarte oder aus § 77 Abs. 5 BetrVG resultierende Kündigungsfrist einhalten7. § 622 BGB findet wegen des vormals kollektivrechtlichen Charakters dagegen keine Anwendung8.
1 A.A. BAG v. 19.11.2019 – 1 AZR 386/18, NZA 2020, 297; ebenso LAG Hamm v. 30.5.2018 – 6 Sa 55/18, LAGE § 613a BGB 2002 Nr. 66. 2 Zur angeblichen Besserstellung etwa LAG Hamm v. 30.5.2018 – 6 Sa 55/18, LAGE § 613a BGB 2002 Nr. 66 Rz. 107. 3 Vgl. Henssler, NZA 1994, 913, 919 f.; ebenso Bauer/von Steinau-Steinrück, NZA 2000, 505, 508. 4 B. Gaul, Vorauflage, § 25 Rz. 135; Bauer/von Steinau-Steinrück, NZA 2000, 505, 508. 5 B. Gaul, Vorauflage, § 25 Rz. 134; anders Bauer/von Steinau-Steinrück, NZA 2000, 505, 508 f., die auch in diesen Fällen eine Teilkündigung ohne Beschränkung aus §§ 1, 2 KSchG für zulässig halten. Die Ausübung des Kündigungsrechts durch den übernehmenden Rechtsträger soll hier lediglich einer an § 315 BGB orientierten Billigkeitskontrolle unterliegen und an das Vorliegen eines sachlichen Grundes geknüpft sein. 6 Vgl. hierzu BAG v. 11.5.1999 – 3 AZR 21/98, DB 2000, 525, 526; BAG v. 17.8.1999 – 3 ABR 55/98, BB 2000, 777, 778; Henssler, NZA 1994, 913, 920; HWK/B. Gaul, § 77 BetrVG Rz. 55; B. Gaul, ArbRB 2015, 181. 7 B. Gaul, Vorauflage, § 25 Rz. 135. 8 Bauer/von Steinau-Steinrück, NZA 2000, 505, 508; B. Gaul/Pitzer, ArbRB 2020, 318, 321.
Steffan | 891
§ 22 Rz. 22.102 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
C. Unternehmensinterne Restrukturierungen I. Grundsätze und Wertungsfragen/Keine direkte Anwendung von § 613a BGB 22.102
Für das Schicksal von Betriebsvereinbarungen ist bei unternehmensinternen Restrukturierungen ebenso wie bei unternehmensübergreifenden Restrukturierungen die betriebsverfassungsmäßige Struktur des Betriebs maßgeblich. Deshalb ändert sich an der normativen kollektivrechtlichen Fortgeltung einer Betriebsvereinbarung nichts, wenn sich die Restrukturierung nur auf der Unternehmensebene abspielt und den Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn unberührt lässt1. Das gilt etwa, wenn sich die Beteiligungsverhältnisse auf der Unternehmensebene ändern (Share Deal)2 oder die Rechtsform des Unternehmens wie etwa beim Formwechsel gemäß §§ 190 ff. UmwG3. Erfasst die unternehmensinterne Umstrukturierung auch den Betrieb, tritt wiederum die Frage der Bedeutung der Betriebsidentität auf den Plan. Um zu systematischen und stimmigen Ergebnissen zu kommen, spricht viel dafür, auch bei der unternehmensinternen Restrukturierung die Betriebsidentität zur Voraussetzung für die normative Fortgeltung einer Betriebsvereinbarung zu machen4. Allerdings geht die mittlerweile wohl h.M. davon aus, dass jedenfalls bei betriebsinternen Fällen der Eingliederung und des Zusammenschlusses die Betriebsvereinbarung normativ fortwirkt, sofern im neuen Betrieb keine entsprechende Betriebsvereinbarung in Kraft ist (die denselben Gegenstand regelt) und ihre Anwendung im aufnehmenden oder zusammengefassten Betrieb „möglich und sinnvoll ist“5. Darauf muss sich die Praxis einstellen. Folgt man der hier vertretenen Meinung, stellt sich die Frage nach dem Schicksal der (ehemals) normativen Regelung nach dem Wegfall der Betriebsvereinbarung. Der Verlust jeglicher Regelungsinhalte erscheint nicht sachgerecht6. Die „Auffangregelung“ des § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB setzt nach dem eindeutigen Wortlaut den Wechsel des Betriebsinhabers voraus und steht in direkter Anwendung jedenfalls nicht zur Verfügung. Als mögliche Lösungswege kommen eine analoge Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB7 sowie eine Nachwirkung gem. § 77 Abs. 6 BetrVG in Betracht8.
II. Restrukturierung unter Beibehaltung der Betriebsidentität 22.103
Nach der hier vertretenen Ansicht erfordert die normative Fortgeltung einer Betriebsvereinbarung die Erhaltung der Betriebsidentität. Als unternehmensinterne Restrukturierungen ohne Verlust der Betriebsidentität kommen regelmäßig nur die Verlegung des Betriebs und die Betriebseinschränkung in Betracht. Beides sind zwar Betriebsänderungen im Sinne des § 111 Satz 3 BetrVG, lassen aber das Mandat des zuständigen Betriebsrats unberührt. Die im Betrieb geltenden Betriebsvereinbarungen gelten kollektivrechtlich fort9. Das gilt selbst dann, wenn die Zahl der regelmäßig in einem Betrieb beschäftigten wahlberechtigten Arbeitnehmer auf-
1 2 3 4 5 6 7 8 9
Erfk/Kania, § 77 BetrVG Rz. 121. Sieg/Maschmann, Unternehmensumstrukturierung, Rz. 409. WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 74. Erfk/Kania, § 77 BetrVG Rz. 121; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 84f.; Salamon, RdA 2007, 153, 158. Fitting, § 77 BetrVG Rz. 163 f. m.w.N.; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 BetrVG Rz. 405; DKW/Berg, § 77 BetrVG Rz. 97; Kreft, Festschrift Wissmann, 2005, S. 348, 351. B. Gaul, Vorauflage, § 25 Rz. 181. Hanau, RdA 1989, 207, 221; B. Gaul, Vorauflage, § 25 Rz. 182, 204; ausdrücklich gegen eine Analogie Bachner, NZA 1997, 79. WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 86; in Grenzen Erfk/Kania, § 77 BetrVG Rz. 121. Ebenso Lange, NZA 2017, 288, 2.
892 | Steffan
Unternehmensinterne Restrukturierungen | Rz. 22.104 § 22
grund der Betriebseinschränkung unter fünf (§ 1 BetrVG) fällt. Dann endet zwar die Amtszeit des zuvor gewählten Betriebsrates, doch tritt an dessen Stelle kein anderer Betriebsrat. Ein Bedürfnis, Betriebsvereinbarungen nicht kollektivrechtlich fortgelten zu lassen, um Gestaltungsspielräume eines anderen Betriebsrats zu eröffnen, besteht in diesen Fällen nicht. Endet alleine die Amtszeit des Betriebsrates, gelten die vormals abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen gleichwohl in ihrer Rechtsnatur als Betriebsvereinbarung weiter1. Es tritt dieselbe Situation ein wie in dem Fall, dass die zeitlich begrenzte Amtszeit des Betriebsrats endet und trotz bestehender Betriebsratsfähigkeit kein neuer Betriebsrat gewählt wird. Ist kein handlungsfähiges Betriebsverfassungsorgan mehr vorhanden, kann der Arbeitgeber die normative Wirkung der Betriebsvereinbarung dadurch beenden, dass er einheitlich gegenüber allen betroffenen Arbeitnehmern des Betriebs die Kündigung der Betriebsvereinbarung erklärt2. In Fällen der erzwingbaren Mitbestimmung tritt die Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG ein mit der Folge, dass der Arbeitgeber diese durch individualvertragliche Vereinbarung oder notfalls im Wege der Änderungskündigung beseitigen kann3. Dagegen verliert in den Fällen der Abspaltung (Rz. 22.106 ff.) und/oder der Eingliederung (Rz. 22.118 ff.) jedenfalls ein beteiligter Betrieb oder Betriebsteil seine Identität mit der Folge, dass die vormals geltenden Betriebsvereinbarungen nach der Restrukturierung nicht mehr in ihrer bisherigen Rechtsnatur fortgelten4.
III. Restrukturierung unter Verlust der Betriebsidentität 1. Betriebsstilllegung Bei der Betriebsstilllegung wird die Betriebsgemeinschaft endgültig aufgelöst. In der Folge enden die für diesen Betrieb abgeschlossenen Regelungen; sie werden gegenstandslos5. Letzteres gilt auch für die nicht zwischen den unmittelbaren Betriebspartnern abgeschlossenen Gesamtund Konzernbetriebsvereinbarungen. Doch gilt der Grundsatz, dass mit dem Untergang des Betriebs alle ihn erfassenden Betriebsvereinbarungen gegenstandlos werden, nicht ausschließlich. So überdauern den Betrieb logischerweise solche Betriebsvereinbarungen, deren Gegenstand die Betriebsstilllegung ist und die für diesen Fall besondere Verfahrensregelungen und Ansprüche regeln. Der Sozialplan etwa, dem die Wirkung einer Betriebsvereinbarung zukommt, könnte bei einem Wegfall mit dem Zeitpunkt der Betriebsstilllegung sein vornehmliches Ziel, die Nachteile aus der Stilllegung zumindest abzumildern, nicht erreichen6. Nicht gegenstandslos werden zudem Betriebsvereinbarungen zur betrieblichen Altersversorgung oder über Werkswohnungen7. Die Beispiele verdeutlichen, dass Betriebsvereinbarungen nicht per se mit der Stilllegung des Betriebes enden, sondern nur dann, wenn sie sich wegen des Wegfalls ihrer Gestaltungsaufgabe erledigt haben8.
1 BAG v. 12.6.2019 – 1 AZR 154/17, NZA 2019, 1203 Rz. 34; BAG v. 28.7.1981 – 1 ABR 79/79, DB 1981, 2612 = AP BetrVG 1972 § 87 Urlaub Nr. 2; Fitting, § 77 BetrVG Rz. 175. 2 BAG v. 12.6.2019 – 1 AZR 154/17, NZA 2019, 1203 Rz. 35; BAG v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670; Richardi, § 77 BetrVG Rz. 209. 3 WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 81, Fitting, § 77 BetrVG Rz. 175; a.A. HSWGNR/Worzalla, § 77 BetrVG Rz. 245. 4 A.A. wohl die h.M. 5 Fitting, § 77 BetrVG Rz. 160; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 77; Richardi, § 77 BetrVG Rz. 210; Lange, NZA 2017, 288, 289. 6 GK-BetrVG/Kreutz, § 77 BetrVG Rz. 399. 7 Fitting, § 77 BetrVG Rz. 161. 8 GK-BetrVG/Kreutz, § 77 BetrVG Rz. 400.
Steffan | 893
22.104
§ 22 Rz. 22.105 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
22.105
Unklar ist, welche Rechtsnatur den über den Bestand des Betriebs hinaus fortgeltenden Betriebsvereinbarungen zukommt. Die h.M. nimmt – wie beim Wegfall des Betriebsrats – eine kollektivrechtliche Fortgeltung an1, die der Arbeitgeber ggf. gegenüber allen Arbeitnehmern kündigen kann. Ob hingegen der Betriebsrat im Rahmen seines Restmandats nach § 21b BetrVG – das kein Vollmandat ist – für alle in Betracht kommenden Betriebsvereinbarungen der richtige Adressat ist, beurteilt sich danach, ob die Kündigung der Betriebsvereinbarungen zur Abwicklung des Betriebs zu rechnen ist. Weil dies zweifelhaft und das Restmandat zeitlich begrenzt ist, wird vorsorglich die Kündigung gegenüber den Arbeitnehmern favorisiert2. Dogmatisch klarer erscheint zunächst die Anwendung der Grundsätze des § 613a Abs. 2 bis 4 BGB3, zumal den Regelungen nach der Rechtsprechung des BAG kollektivrechtlicher Charakter zukommt. Richtigerweise wird man § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB als gesetzliches Leitbild verstehen können, das bei dem Verlust der Betriebsidentität den Transport bestimmter kollektiver Regelungen ins Arbeitsverhältnis anordnet4. Deshalb ist die apodiktische Feststellung zweifelhaft, die Änderungssperre des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fände keine Anwendung, weil sie die Arbeitnehmer nur im Falle des Betriebsinhaberwechsels schützen solle5. Warum die Arbeitnehmer bei innerbetrieblichen Umstrukturierungen eines geringeren Schutzes bedürfen, erschließt sich nicht unmittelbar (Rz. 22.102). Das Schutzbedürfnis gilt, entgegen anderer Ansicht6, auch für die einjährige Veränderungssperre nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB. Es gibt keinen Rechtsgrundsatz, wonach ein Betriebserwerber häufiger nachteilige Änderungen vornimmt als der ursprüngliche Arbeitgeber bei internen Umstrukturierungen. Auch steht die Anerkennung der Änderungssperre der Stilllegung des Betriebs nicht entgegen. Dennoch dürfte die Änderungssperre sowie insgesamt die analoge Anwendung von § 613a BGB bei der Stilllegung von Betrieben ausscheiden. Es mangelt nämlich nicht nur an der Voraussetzung eines anderen Betriebsinhabers, sondern an den Grundvoraussetzungen eines Betriebsübergangs, die darin liegt, dass zumindest ein Betriebsteil, wenn auch lediglich als „Verknüpfung von Produktionsfaktoren“ fortbesteht7. Es gilt vielmehr der Grundsatz, dass Betriebsübergang und Betriebsstilllegung sich ausschließen. Handelt es sich um den einzigen Betrieb des Unternehmens, werden die Arbeitnehmer wegen der damit verbundenen Aufgabe der Geschäftstätigkeit ohnehin betriebsbedingten Kündigungen ausgesetzt sein, was § 613a BGB nicht verhindert. Bestehen dagegen noch weitere Betriebe des Unternehmens, muss der Arbeitgeber den von der Silllegung betroffenen Arbeitnehmern – soweit vorhanden – freie Plätze in seinem Unternehmen anbieten. Dass es dabei zu einem betriebsübergangsähnlichen Fortbestand der „Verknüpfung von Produktionsfaktoren“ kommt, ist unwahrscheinlich. Diese Erkenntnis steht einer analogen Anwendung von § 613a BGB bei der Stilllegung des Betriebs entgegen, sodass im Ergebnis in diesem Fall von einer Nachbindung entsprechend § 77 Abs. 6 BetrVG auszugehen ist8.
1 BAG v. 27.6.1985 – 6 AZR 392/81, NZA 1986, 401; Fitting, § 77 BetrVG Rz. 161. 2 WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 78. 3 Preis/Richter, ZIP 2004, 925, 939; Hilger, Anm. zu BAG v. 24.3.1981 – 1 AZR 805/78, AP Nr. 12 zu § 112 BetrVG. 4 Zutreffend WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 80. 5 So WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 80. 6 WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 80. 7 Vgl. EuGH v. 12.2.2009 – C-466/07 – Klarenberg, NZA 2009, 251. 8 WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 80 wendet hingegen § 77 Abs. 6 BetrVG unmittelbar an.
894 | Steffan
Unternehmensinterne Restrukturierungen | Rz. 22.109 § 22
2. Betriebsspaltung und Verselbständigung des abgespaltenen Betriebsteils a) Aufspaltung und Abspaltung Möglich ist, dass ein Betriebsteil aus dem bisherigen Betrieb herausgenommen und im Anschluss daran als Betrieb oder selbständiger Betriebsteil (§ 4 BetrVG) neben dem Rest der ursprünglichen Einheit geführt wird (Rz. 2.19). Anlass hierfür kann das Interesse des Arbeitgebers sein, den bisherigen Betrieb entsprechend den unterschiedlichen Zweckbestimmungen in jeweils eigenständige Einheiten (Sparten) zu unterteilen. Nicht notwendig ist, dass eine solche Spaltung mit dem Ziel erfolgt, eine der danach bestehenden Einheiten auf einen anderen Rechtsträger zu übertragen. Es liegt vielmehr eine unternehmensinterne Abspaltung vor, die nach der hier vertretenen Meinung zu einem Verlust der Betriebsidentität des abgespalteten Betriebsteils führt. Die h.M. dürfte hingegen im Anschluss an die BAG-Entscheidung vom 18.9.2002 von einer fortbestehenden „Teilidentität“ ausgehen. Zwar betraf die Entscheidung einen Wechsel des Rechtsträgers, doch dürften die Erkenntnisse bei der unternehmensinternen Abspaltung erst recht gelten1. Der „abgebende“ Betrieb behält dagegen in aller Regel seine Identität (Rz. 22.54).
22.106
Neben der Abspaltung eines Betriebsteils kann die Verselbständigung auch dadurch erfolgen, dass der bisherige Betrieb vollständig aufgespalten wird und die aufgespaltenen Teile des Betriebs als selbständige Betriebe fortgeführt werden. Im Unterschied zur Abspaltung verliert der bisherige Betrieb bei der Aufspaltung seine Identität, weil in aller Regel für die aus der Aufspaltung hervorgehenden Teile neue Organisations- und Leitungsstrukturen eingerichtet werden (vgl. Rz. 2.22).
22.107
Die unternehmensinterne Betriebsspaltung erfolgt nach den gleichen Voraussetzungen wie eine Spaltung mit Rechtsträgerwechsel. Erforderlich ist, dass die Leitungsmacht in Bezug auf die wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten nicht mehr zentral, sondern getrennt für die dann eigenständig geführten Einheiten ausgeübt wird. Alle aus der Spaltung hervorgegangenen Einheiten müssen nach Aufgabenbereich und Organisation selbständig sein (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG). Eine räumliche Trennung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG) ist nicht erforderlich, kann aber als Mittel zur Spaltung des bisherigen Betriebs genutzt werden.
22.108
b) Folgen für Betriebsvereinbarungen aa) Fortgeltung als Betriebsvereinbarung Die Lösungsmöglichkeiten, die im Hinblick auf die Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen „verselbständigter“ Betriebsteile diskutiert werden, sind vielfältig und führen zu völlig gegensätzlichen Ergebnissen. Die Ergebnisse reichen von einem völligen Entfall der Rechte und Pflichten aus der ursprünglichen Betriebsvereinbarung bis hin zu einer kollektiven Fortgeltung in derselben Rechtsnatur. Für die Anhänger der reinen Lehre der Betriebsidentität entfallen die Regelungen der Betriebsvereinbarung ersatzlos für den Betriebsteil, der keine Identität mit dem bis zur Spaltung bestehenden Betrieb aufweist. Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer, die in der neu entstandenen Einheit beschäftigt werden, würden sich sodann allein nach den in Gesetz, Tarifvertrag und Arbeitsvertrag getroffenen Regelungen richten2. Nach der Gegenansicht beanspruchen Betriebsvereinbarungen in allen Einheiten, die als Folge einer unter-
1 Zutreffend WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 85. 2 So MünchArbR/Matthes, 2. Aufl., § 319 Rz. 42.
Steffan | 895
22.109
§ 22 Rz. 22.109 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
nehmensinternen Spaltung entstehen, weiterhin kollektivrechtlich Geltung1, wobei sich die Begründungsansätze unterscheiden. Für die Vertreter der Teilidentität ergibt sich die kollektivrechtliche Fortgeltung der Betriebsvereinbarung daraus, dass sie in den neu entstandenen Einheiten zwar weniger, aber nicht andere Arbeitnehmer erfasst2. Nach anderer Begründung ist die Wertung des § 21a Abs. 1 BetrVG maßgeblich. Danach komme es nicht darauf an, ob und in welcher der entstehenden betrieblichen Einheiten der bisherige Betrieb sich fortsetze, sondern darauf, dass sich nach § 21a BetrVG in sämtlichen Betriebsteilen die bisherigen Repräsentationsstrukturen wertungsmäßig fortsetzten. Daraus folge, dass die Spaltung eines Betriebes die Geltung von Betriebsvereinbarungen nicht berühre, wenn die entstehenden Betriebsteile als selbständige Betriebe weitergeführt werden3. Nach einem vermittelnden Ansatz werden die Rechtsfolgen für Betriebsvereinbarungen im Anschluss an die unternehmensinterne Spaltung eines Betriebs analog § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB bestimmt. Unter Rückgriff auf § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB werden dann auch die Folgen eines Zusammenschlusses mit anderen Betrieben oder Betriebsteilen geklärt4.
22.110
Zunächst einmal überzeugt es nicht, trotz der Spaltung eines Betriebs von der kollektivrechtlichen Fortgeltung einer Betriebsvereinbarung auch in den Einheiten auszugehen, die keine Identität mehr mit dem ursprünglichen Betrieb aufweisen. Denn damit wird nicht nur der Grundsatz aufgegeben, dass die Geltung einer Betriebsvereinbarung an den Fortbestand des Betriebs geknüpft ist. Dieser Grundsatz war – neben den Vorgaben aus Art. 3 Abs. 2 Richtlinie 77/187/EWG (heute: Art. 3 Abs. 3 Richtlinie 2001/23/EG) – Anlass dafür, in § 613a Abs. 1 BGB besondere Regelungen hinsichtlich der Rechtsfolgen für Betriebsvereinbarungen festzuschreiben. Darüber hinaus führt die Annahme einer kollektivrechtlichen Fortgeltung der Betriebsvereinbarung zu weitergehenden Schwierigkeiten, wenn in der neuen Einheit kein Betriebsrat besteht5. Daran ändert auch der Hinweis auf das Übergangsmandat nach § 21a BetrVG nichts. Damit wird lediglich erreicht, dass übergangsweise der bisherige Betriebsrat zuständig bleibt, sodass schon deshalb eine Begründung für die kollektive Fortgeltung einer Betriebsvereinbarung zweifelhaft ist6. Zwar ist vornehmliche Aufgabe des “Übergangsbetriebsrats“, die Wahl eines eigenen (neuen) Betriebsrats einzuleiten. Zwingend ist die Wahl hingegen nicht. Kommt sie nicht zustande, steht nach Ablauf der in § 21a BetrVG genannten Zeitspanne kein Arbeitnehmervertreter zur Verfügung, der auf kollektivrechtlicher Ebene Ansprechpartner für eine etwaige Änderung oder Beendigung der Betriebsvereinbarung sein kann. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber gewollt hat, dass die Arbeitnehmer auch bei einer kollektivrechtlichen Fortgeltung selbst „Träger der sich aus der betreffenden Betriebsvereinbarung ergebenden kollektiven Rechte“ sind7, sind nicht erkennbar. Sinnvoller erscheint es, Arbeitnehmer nur bei einer Transformation ins Arbeitsverhältnis als Erklärungsempfänger bzw. Vertragspartner anzuerkennen.
1 So Bachner, NZA 1997, 79, 80 ff.; Richardi/Richardi, § 77 BetrVG Rz. 212; Fitting, § 77 BetrVG Rz. 166; Salamon, RdA 2007, 153, 158; Lange, NZA 2017, 288, 290. 2 So insbesondere Fitting, § 77 BetrVG Rz. 165; Kreft, Festschrift Wissmann, S. 348, 354. 3 Salamon, RdA 2007, 153, 158; im Erg. wohl auch BAG v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670, 675. 4 Hanau, ZfA 1990, 115, 124; Hanau, RdA 1989, 207, 221. 5 A.A. wohl BAG v. 7.6.2011 – 1 ABR 110/09, NZA 2012, 110 Rz. 14. 6 Zutreffend Salamon, RdA 2007, 153, 157; ebenso Jacobs, Festschrift Konzen, S. 345, 349. 7 So Bachner, NZA 1997, 79, 82.
896 | Steffan
Unternehmensinterne Restrukturierungen | Rz. 22.113 § 22
bb) Analoge Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB Ein vollständiger Wegfall der bislang durch Betriebsvereinbarung geregelten Pflichten ist indes nicht sachgerecht. Ein solches „Regelungsvakuum“ steht im Widerspruch zu der gesetzlichen Wertung, wie sie für den Fall des Betriebsübergangs in § 613a Abs. 1 BGB, § 77 Abs. 6 BetrVG getroffen wurde. Nach dieser Wertung gelten Rechte und Pflichten aus einer Betriebsvereinbarung fort, selbst wenn der Betrieb, der Bezugspunkt der Betriebsvereinbarung ist, infolge einer Betriebsspaltung im Zusammenhang mit der Übertragung des Betriebsteils auf einen anderen Rechtsträger entfallen ist, bis sie durch eine neue Vereinbarung der betrieblichen Sozialpartner ersetzt werden. Diese Wertung ist noch einmal durch § 324 UmwG bestätigt worden, durch den auch für Übertragungsvorgänge im Wege der Umwandlung die Anwendbarkeit der für Kollektivvereinbarungen in § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB getroffenen Regelungen klargestellt wird. Eine Ausnahme gilt lediglich dann, wenn die Betriebsvereinbarung – z.B. wegen einer Kündigung oder Befristung – außer Kraft tritt und keine Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG entfaltet.
22.111
Festzuhalten bleibt zunächst, dass es nicht einleuchtet, warum eine Betriebsvereinbarung bei einem Übergang auf ein anderes Unternehmen stärker geschützt werden soll als bei einer organisatorischen Veränderung innerhalb des Unternehmens1. Die Feststellung, wonach die Fortgeltung einer Betriebsvereinbarung bei unternehmensinternen Organisationsänderungen für den Arbeitgeber schon deshalb nicht unzumutbar sei, weil sich daran – anders als bei einem Betriebsübergang – der Vertragspartner der Betriebsvereinbarung und der Arbeitsverhältnis nicht ändere2, trifft häufig nicht zu. Jedenfalls der Betriebsrat als Vertragspartner ändert sich auch bei unternehmensinternen Restrukturierungen häufig. Zur Lösung dieses Wertungswiderspruchs wird eine analoge Anwendbarkeit von § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB ebenso favorisiert3 wie eine Nachwirkung der Betriebsvereinbarung im ab- oder aufgespaltenen Betriebsteil gem. § 77 Abs. 6 BetrVG4. Gegen die Nachwirkung spricht, dass sie eine normative – wenn auch nicht zwingende – Wirkung entfaltet und nach der hier vertretenen Meinung eine normative Fortgeltung an die Betriebsidentität gebunden ist (Rz. 22.28, 22.53).
22.112
Auch bei Anerkennung dogmatischer Bedenken5 scheint der Weg über die Analogie zu § 613a BGB vorzugswürdig. In der Sache unterscheidet sich die unternehmensinterne „Verselbständigung“ eines auf- oder abgespaltenen Betriebsteils nicht von derjenigen, die im Zusammenhang mit einem Betriebsteilübergang erfolgt. Dass § 613a BGB einen Inhaltsschutz an sich nur für den Fall des Arbeitgeberwechsels begründen soll, steht einer analogen Anwendung nicht entgegen. Folgt man der Grundannahme, dass § 613a Abs. 2 bis 4 BGB eine Regelung bereithält, die eingreift, wenn eine kollektivrechtliche Fortgeltung nicht in Betracht kommt, ist eine Analogie geboten, wenn im Hinblick auf die Rechtsfolgen einer unternehmensinternen Betriebsspaltung für Betriebsvereinbarungen eine planwidrige Regelungslücke besteht. Hiergegen hat Thüsing zu Recht angemerkt, dass bei dogmatisch „sauberer“ Betrachtung der Gesetzgeber hätte eine entsprechende Lösung bei innerbetrieblichen Umstrukturierungen anordnen können, zumal ihm der Unterschied bekannt gewesen sei. Es folgt indes der ebenso
22.113
1 Zutreffend Thüsing, DB 2004, 2474, 2478. 2 So ausdrücklich Fitting, § 77 BetrVG Rz. 162. 3 So auch Hanau, RdA 1989, 207, 221; Erman/Edenfeld, § 613a BGB Rz. 76; abl. D. Gaul, NZA 1986, 628, 630 f.; Schiefer, RdA 1994, 83, 85; Gussen/Dauck, Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge, Rz. 291. 4 WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 86. 5 Dazu Thüsing, DB 2004, 2474, 2478 f.
Steffan | 897
§ 22 Rz. 22.113 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
treffende Hinweis, dass inhaltlich-sachliche Argumente überzeugender scheinen als dogmatisch-formale1. Unter diesem Blickwinkel spricht für eine planwidrige Lücke, dass der Gesetzgeber bei dem Schutz von Rechten und Pflichten aus Kollektivvereinbarungen keine Eingrenzung auf die Arbeitnehmer vornehmen wollte, deren Arbeitsverhältnis auf einen anderen Rechtsträger übergeleitet wird. Obgleich anzunehmen ist, dass die Arbeitnehmer in allen Fallgestaltungen in gleicher Weise geschützt werden sollen, ist eine gesetzliche Regelung ausdrücklich nur für die Arbeitnehmer vorhanden, deren Arbeitsverhältnis übertragen wird. Dass diese Ungleichbehandlung gewollt ist, erscheint zweifelhaft, zumal sachliche Gründe für eine Differenzierung nicht erkennbar sind.
22.114
Die vergleichbare Interessenlage und der Schutzzweck von § 613a BGB sprechen dafür, die dort getroffenen Regelungen hinsichtlich der Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen über seinen unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus auch in solchen Fällen ohne Betriebsübergang zur Anwendung zu bringen. Deutlich wird dies insbesondere dann, wenn eine Betriebsspaltung zwar mit Blick auf einen möglichen Verkauf vorgenommen, solche Verkaufsabsichten aber noch nicht erkennbar gemacht werden. Hintergrund können z.B. steuerliche Überlegungen sein, insbesondere das Ziel der Schaffung eines abgrenzbaren steuerlichen Teilbetriebs. Würde man § 613a BGB hier ablehnen, wäre es einfach, den darin gewährten Inhaltsschutz dadurch zu umgehen, dass die unternehmensinterne Spaltung betrieblicher Einheiten zeitlich so vorgezogen würde, dass kein Zusammenhang mehr zur späteren Übertragung bestünde. Im Gegensatz zu der entsprechenden Regelung für Tarifverträge in § 4 Abs. 5 TVG könnte ein Schutz der betroffenen Arbeitnehmer durch § 77 Abs. 6 BetrVG nicht gewährleistet werden. Denn selbst dann, wenn man die Beendigung der Betriebsvereinbarung durch Betriebsspaltung unmittelbar in den Anwendungsbereich von § 77 Abs. 6 BetrVG einbeziehen würde, wäre die dort geregelte Nachwirkung auf Betriebsvereinbarungen in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten begrenzt. Freiwillige Betriebsvereinbarungen oder teilmitbestimmte Vereinbarungen – insbesondere also Regelungen über Sozialleistungen – werden nicht erfasst mit der Folge, dass sie im Anschluss an die Spaltung ohne jede Nachwirkung außer Kraft treten würden2. cc) Folge der analogen Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB
22.115
Als Folge der analogen Anwendbarkeit von § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB können Betriebsvereinbarungen nach der Betriebsspaltung nur noch in der Einheit als Betriebsvereinbarung fortgelten, die – wenn auch verkleinert – als mit dem bisherigen Betrieb identisch anzusehen ist. Denkbar ist dies bei der Abspaltung regelmäßig (auch hier ist anderes möglich) für den nicht abgespalteten Betriebsteil. Für den abgespaltenen und verselbständigten Betriebsteil gelten die Inhalts- und Beendigungsnormen der bisherigen Betriebsvereinbarung sowie – mit Einschränkung – die Abschlussnormen als Bestandteil des Individualarbeitsvertrags fort3. Im Falle der Aufspaltung verlieren in beiden verselbständigten Betriebsteilen die Betriebsvereinbarungen ihre Rechtsnatur und werden Bestandteil der Arbeitsverhältnisse.
22.116
Einzelvertraglich dürfen sie zum Nachteil der betroffenen Arbeitnehmer für die Dauer eines Jahres nach Vornahme der Betriebsspaltung nicht geändert werden. Normen über betriebli-
1 Thüsing, DB 2004, 2474, 2478 f. 2 B. Gaul, Vorauflage, § 25 Rz. 187; ebenso Thüsing, DB 2004, 2474, 2478. 3 Vgl. GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rz. 320 f.
898 | Steffan
Unternehmensinterne Restrukturierungen | Rz. 22.119 § 22
che oder betriebsverfassungsrechtliche Fragen gelten nicht fort1. Die Anwendung der Jahresfrist erscheint auch bei der unternehmensinternen Spaltung geboten, da sonst die Schaffung selbständiger Einheiten zum Nachteil der Arbeitnehmer missbraucht werden könnte. Die Veränderungssperre des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB beginnt mit dem Zeitpunkt der Auf- oder Abspaltung. Ob und inwieweit eine der neu geschaffenen Einheiten zu einem späteren Zeitpunkt auf ein anderes Unternehmen übertragen wird, ist unerheblich. Der Jahreszeitraum transportiert sich bei einem ggf. nachfolgenden Betriebsübergang (wie bei mehrfachen Betriebsübergängen), wobei der Zeitraum von der Auf- bzw. Abspaltung bis zum Betriebsübergang angerechnet wird2. Wenn der Übergang mehr als ein Jahr nach der Betriebsspaltung erfolgt, können Änderungen auf individualrechtlicher Ebene auch zum Nachteil der Arbeitnehmer herbeigeführt werden. Möglich ist dies allerdings nur mit den allgemeinen arbeitsrechtlichen Mitteln des Änderungsvertrags oder der Änderungskündigung (§§ 1, 2 KSchG). Ansprechpartner für entsprechende Erklärungen des Arbeitgebers sind die Arbeitnehmer, die in der neu geschaffenen Einheit arbeiten3. Die individualrechtliche Änderungssperre gilt nicht bei freiwilligen Betriebsvereinbarungen und solchen, die zum Zeitpunkt der ab- oder Aufspaltung bereits gekündigt waren (Rz. 22.79). Ansonsten können Änderungen zum Nachteil der Arbeitnehmer innerhalb der Ein-Jahres-Frist nur mit dem neu gewählten Betriebsrat in der neu geschaffenen Einheit durch Abschluss einer Betriebsvereinbarung mit demselben Regelungsgegenstand herbeigeführt werden. Bei unternehmensinternen Umstrukturierungen gilt das Ablöseprinzip ebenso wie im Fall des Betriebsübergangs. Das Günstigkeitsprinzip findet hingegen keine Anwendung. Ebenfalls können Änderungen durch den Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarungen erfolgen. Besonderheiten gelten im Bereich der betrieblichen Altersversorgung (Rz. 34.223).
22.117
3. Eingliederung oder Zusammenschluss a) Betriebsvereinbarungen selbständiger Betriebe Unternehmensinterne Umstrukturierungen können ganze (selbständige) Betriebe i.S.v. §§ 1, 4 BetrVG erfassen. Solche Betriebe können in andere (größere) Betriebe eingegliedert oder mit anderen Betrieben zusammengeschlossen werden. Zu „gewillkürten“ Betrieben nach § 3 BetrVG vgl. Rz. 22.139 ff.
22.118
Bei unternehmensinternen Eingliederungen und Zusammenschlüssen wird überwiegend eine möglichst kollektivrechtliche Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen favorisiert. Bei der Eingliederung eines Betriebes in einen anderen Betrieb soll die Betriebsvereinbarung des eigegliederten Betriebs nur gegenstandslos werden, wenn in dem aufnehmenden Betrieb eine Betriebsvereinbarung zum gleichen Regelungsgegenstand gilt4. Ansonsten könne es durchaus sinnvoll und sachgerecht sein, organisationsbezogene Betriebsvereinbarungen des alten Betriebs weiter anzuwenden, wenn der eingegliederte Betrieb innerhalb des aufnehmenden Betriebs in räumlicher und organisatorischer Hinsicht abgrenzbar bleibe5. Unklar ist, ob diese Sichtweise auch unternehmensübergreifende Eingliederungen im Zusammenhang mit einem
22.119
1 Abw. Bachner, NZA 1997, 79, 81 f., der allerdings von einer kollektivrechtlichen Fortgeltung ausgeht. 2 APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 127. 3 Vgl. D. Gaul, NZA 1986, 628, 632. 4 ErfK/Kania, § 77 BetrVG, Rz. 122; Fitting, § 77 BetrVG Rz. 163 m.w.N. 5 So insbesondere Fitting, § BetrVG 77 Rz. 163 m.w.N.; hiergegen aber BAG v. 7.6.2011 – 1 ABR 110/09, NZA 2012, 110 Rz. 15.
Steffan | 899
§ 22 Rz. 22.119 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
Betriebsübergangs erfasst1 oder lediglich für betriebsinterne Eingliederung gilt. Für die nur unternehmensinternen Sichtweise spricht, dass sich im Falle der Eingliederung bei zusätzlichen Leistungen im aufnehmenden Betrieb ein Harmonisierungsbedarf aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung ergeben könnte2, während das Bundesarbeitsgericht eine Angleichung bei Eingliederungen im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang in aller Regel ablehnt3. Als weiterer Grund wird geltend gemacht, die bisherige Betriebsvereinbarung müsse in dem aufnehmenden Betrieb als „kollektive Teilordnung“ fortgelten, um den Arbeitnehmer vor „nicht kontrollierbaren Organisationsentscheidungen des Arbeitgebers“ zu schützen4. Eine Ausnahme soll nur insoweit gemacht werden, als eine Erfüllung der aus der Betriebsvereinbarung folgenden Regelungen in der neuen Einheit aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ausgeschlossen ist5. Da die ansonsten fortgeltende Betriebsvereinbarung Bestandteil der „kollektiven Normenordnung“ des aufnehmenden Betriebs werde, könne sie durch die Betriebspartner des aufnehmenden Betriebs aufgehoben oder durch eine andere Betriebsvereinbarung ersetzt werden6.
22.120
Die Argumente zur Ablösung oder Harmonisierung von Betriebsvereinbarungen eingegliederter Betriebe sind zutreffend, doch bleibt die Frage, ob deshalb von dem klaren Grundsatz der Bindung einer Betriebsvereinbarung an die Betriebsidentität abgewichen werden muss. Sie ist zu verneinen. Auch bei der Anwendung der Grundsätze des § 613a BGB steht einer Ablösung oder Änderung nichts im Wege. Anerkanntermaßen steht das Günstigkeitsprinzip der Ablösung durch eine für den aufnehmenden Betrieb (passenden) Regelung gegenüber entsprechend § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB transformierten Regelungen grundsätzlich nicht entgegen (zu Besonderheiten im Bereich der betrieblichen Altersversorgung vgl. Rz. 34.221 ff.), Dabei macht es keinen Unterschied, ob die ablösende Regelung bereits zum Zeitpunkt der Eingliederung besteht oder erst nachträglich zwischen den Betriebspartnern des aufnehmenden Betriebs vereinbart wird7. Auch der notwendige Schutz der Arbeitnehmer erfordert keine normative Fortgeltung der Betriebsvereinbarung. Im Gegenteil: Bei konsequenter (analoger) Anwendung von § 613a BGB wird der Arbeitnehmer vor „nicht kontrollierbaren Organisationsentscheidungen des Arbeitgebers“ letztlich besser geschützt als bei der möglichst normativen Fortgeltung. Erreicht der der Arbeitgeber die beabsichtigte Änderung einer Betriebsvereinbarung nicht, kann er sie kündigen und nach Ablauf der Kündigungsfrist (regelmäßig mit der Drei-Monats-Frist des § 77 Abs. 5 BetrVG) abweichende Regelungen mit dem Arbeitnehmer erreichen. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB sieht in diesem Fall jedoch eine einjährige Änderungssperre vor, die vor jeglichen nachteiligen Änderungen (auch im Wege der Vereinbarung) schützt. Nach Ablauf der Jahresfrist können Änderungen der als Bestandteil des Arbeitsvertrags fortgeltenden Regelungen der früheren Betriebsvereinbarung mit den Mitteln der Änderungskündigung (§§ 1, 2 KSchG) oder -vereinbarung durchgesetzt werden.
22.121
Beim Zusammenschluss mehrerer Betriebe zu einem neuen Betrieb sind die Meinungen gespalten. Während nach einer Sichtweise auch in diesem Fall von einer möglichst normativen 1 So etwa LAG München v. 11.3.2009 – 5 TaBV 6/08, Rz. 40, juris. 2 Fitting, § 77 BetrVG Rz. 163. 3 BAG v. 19.1.2010 – 3 ABR 19/08, NZA-RR 2010, 356; teilweise anders für Betriebsvereinbarungen zur betrieblichen Altersversorgung wohl BAG v. 22.10.2019 – 3 AZR 429/18, ZIP 2020, 571 = AP Nr. 81 zu § 1 BetrAVG Ablösung; dazu Steffan, ArbRB 2020, 69. 4 Bachner, DB 1997, 79, 81 f. 5 Bachner, DB 1997, 79, 81 f. 6 Fitting, § 77 BetrVG Rz. 161, 163, 165, 166. 7 BAG v. 11.5.2005 – 4 AZR 315/04, NZA 2005, 1362; APS/Steffan, § 613a BGB Rz. 138 m.w.N.
900 | Steffan
Unternehmensinterne Restrukturierungen | Rz. 22.122 § 22
Fortgeltung auszugehen ist, solange ihre Anwendung im neuen Betrieb möglich und sinnvoll ist und Regelungen für den neuen Betrieb nicht geschaffen sind1, plädiert eine weitere Ansicht für eine nachwirkende Lösung bis zur Beendigung der Betriebsvereinbarung oder eine Ablösung durch eine Betriebsvereinbarung, solange und soweit die betriebliche Organisation nicht eine einheitliche Regelung erfordere2. Schwierigkeiten bereitet schon die Beantwortung der Frage, wann die Anwendung der bisherigen BV im neuen Betrieb „möglich und sinnvoll“ ist. Zur Möglichkeit mag man objektivierbar noch auf den (teil-)organisatorischen Fortbestand des früher selbständigen Betriebs als Legitimation abstellen3, zur Sinnhaftigkeit lässt sich ein objektives Kriterium nicht finden. Eher zu lösen ist hingegen die Frage, ob die neue betriebliche Organisation eine einheitliche Regelung erfordert. Dies entscheiden ohnehin alleine die Betriebspartner subjektiv für sich und klären damit gleichzeitig, welche – neue – Regelung sinnvoll ist. Indes bietet auch hier § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB die bessere Lösung. Sie sichert zunächst die Rechte und Pflichten aus den Herkunfts-Betriebsvereinbarungen für die davon erfassten Mitarbeiter, ohne prüfen zu müssen, was möglich und sinnvoll ist. Entscheidet sich die Arbeitnehmervertretung im neuen Betrieb für eine andere und/oder einheitliche Lösung, greift § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB ein und führt zur Ablösung, ohne dass die Frage der Günstigkeit entsteht. Als abschlussberechtigte Arbeitnehmer-Vertretung im neuen Betrieb kommt sowohl der neu gewählte als auch der als „Übergangsbetriebsrat“ fungierende Betriebsrat des größten Herkunftsbetriebs in Betracht. Sind die Betriebspartner hingegen der Ansicht, dass bestimmte Betriebsvereinbarungen aus den Herkunftsbetrieben im neuen und nun gemeinsamen Betrieb kollektiv fortgelten sollen, schließen sie in der Praxis eine „Übernahme-Betriebsvereinbarung“ und setzen diese Betriebsvereinbarungen im neuen Betrieb normativ in Kraft. b) Betriebsvereinbarungen von Betriebsteilen Die analoge Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 1 bis 4 BGB bietet sich auch an, wenn Betriebsteile nach der Abspaltung von ihrem bisherigen Betrieb in andere Betriebe eingegliedert oder mit anderen Betriebsteilen zusammengeschlossen werden4. Stets verlieren die eingegliederten oder zusammengeschlossenen Betriebsteile ihre Identität mit der Folge, dass die normative Geltung der bisherigen Betriebsvereinbarungen endet. Bei der Eingliederung kann § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB bereits zum Zeitpunkt der Eingliederung eingreifen, wenn in dem aufnehmenden Betrieb Betriebsvereinbarungen mit demselben Regelungsgegenstand bereits vorhanden sind. Andernfalls erfolgt die Ablösung im Nachgang durch neu abgeschlossene Betriebsvereinbarungen. Bei einem Zusammenschluss verlieren alle zusammengeschlossenen Betriebsteile ihre Identität, sodass eine Ablösung erst durch später abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen zustande kommt oder dadurch, dass der für die neue Einheit zuständige Betriebsrat im Rahmen einer „Übernahme-Betriebsvereinbarung“ bestimmten Betriebsvereinbarungen der Herkunftsbereiche normative Wirkung verleiht.
1 Fitting, § 77 BetrVG Rz. 163 f. m.w.N.; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rz. 405; DKW/Berg, § 77 BetrVG Rz. 97; Kreft, Festschrift Wissmann, 2005, S. 348, 351. 2 ErfK/Kania, § 77 BetrVG Rz. 123. 3 So Fitting, § 77 BetrVG Rz. 162. 4 A.A. die wohl h.M., vgl. Fitting, § 77 BetrVG Rz. 164; wohl auch ErfK/Kania, § 77 BetrVG Rz. 122 bis 124.
Steffan | 901
22.122
§ 22 Rz. 22.123 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
c) Mischformen
22.123
Bei Umstrukturierungen sind vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten denkbar. Nicht immer sind entweder selbständige Betriebe oder Betriebsteile Gegenstand von Eingliederungen oder Zusammenschlüssen. Praktisch relevant sind auch „Verbindungen“ von Betrieben mit Betriebsteilen. Wann in diesen Fällen eine Eingliederung oder ein Zusammenschluss vorliegt, ist bisweilen schwierig zu ermitteln. Nach den Kriterien zur Feststellung der Betriebsidentität ist zu ermitteln (Rz. 22.17 ff.), ob ein Betrieb oder Betriebsteil seine Identität behält oder ein neuer Betrieb durch Zusammenschluss entsteht1. Bei einer Eingliederung werden die Betriebsvereinbarungen der eingegliederten Betriebe oder Betriebsteile von Betriebsvereinbarungen des aufnehmenden Betriebs abgelöst, wenn identische Regelungsbereiche vorliegen. Dabei ist auch denkbar, dass ein ausgegliederter oder abgespaltener Betriebsteil seine bisherige Identität behält und dann andere Betriebe oder Betriebsteile „aufnimmt“ (Rz. 22.17 ff.). Bei unterschiedlichen Regelungsbereichen werden die Rechte und Pflichten der Betriebsvereinbarung des eingegliederten Betriebsteils analog § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in das Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmer transportiert. Bei einem Zusammenschluss entsteht insgesamt ein neues betriebsverfassungsrechtliches Gebilde mit der Folge, dass keine der bisherigen Betriebsvereinbarungen in ihrer Rechtsnatur fortgilt. Auch hier können die für den neuen Betrieb zuständigen Betriebspartner die Transformation der Betriebsvereinbarungen aus den Herkunftsbereichen dadurch beenden, dass sie neue Betriebsvereinbarungen abschließen oder bestimmte Betriebsvereinbarungen aus den Herkunftsbetrieben im Rahmen eine Übernahme-Betriebsvereinbarung normativ in Kraft setzen.
4. Sonderfälle 22.124
Ausgenommen von der Ablösung durch Betriebsvereinbarungen im aufnehmenden Betrieb sind nur solche Vereinbarungen, die im aufgenommenen Betrieb im Hinblick auf die Eingliederung abgeschlossen wurden (z.B. Sozialplan)2. Sie gelten, da die anspruchsbegründende Maßnahme vor Abschluss der Eingliederung erfolgt ist, als Anspruchsgrundlage kollektivrechtlich weiter3.
5. Folgen für Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen 22.125
Für Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen sind unternehmensinterne Umstrukturierungen ohne Auswirkung. Sie gelten für alle verbleibenden oder aus der Auf- oder Abspaltung hervorgegangenen Einheiten wie bereits vor der Spaltung kollektivrechtlich in ihrer bisherigen Rechtsnatur als Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung.
22.126
Die unternehmensinterne Betriebsspaltung hat keine Konsequenzen für Rechte und Pflichten aus einer Gesamtbetriebsvereinbarung. Sie bleibt ihrer Rechtsnatur als Gesamtbetriebsvereinbarung unangetastet und erfasst den nun selbständigen Betriebsteil. Denn der ausgegliederte oder aufgespaltene Betriebsteil fällt auch nach der internen Verselbständigung noch in den Geltungsbereich der mit dem Gesamtbetriebsrat abgeschlossenen Betriebsvereinbarung. Wenn der von der Spaltung betroffene Betrieb ursprünglich in den Geltungsbereich der Gesamtbetriebsvereinbarung fiel, fällt auch der daraus verselbständigte Teil in diesen Geltungsbereich. Auf die Frage, ob der Gesamtbetriebsrat diesen dann möglicherweise betriebsrats-
1 HWK/B. Gaul, § 77 BetrVG Rz. 77. 2 Fitting, § 77 BetrVG Rz. 163; GK-BetrVG/Kreutz, § 7 BetrVG 7 Rz. 379. 3 GK-BetrVG/Kreutz, § 77 BetrVG Rz. 378.
902 | Steffan
Betriebsvereinbarungen in Gemeinschaftsbetrieben | Rz. 22.129 § 22
losen Betrieb vertreten kann1. kommt es wegen der erweiterten Zuständigkeit auch für betriebsratslose Betriebe in § 50 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BetrVG nicht an. Werden die Teile aufoder abgespaltener Betriebe von anderen Betrieben aufgenommen, gelten dieselben Gesamtbetriebsvereinbarungen in dem aufnehmenden Betrieb normativ wie vor der Aufnahme. Konzernbetriebsvereinbarungen gelten ebenfalls wie bisher kollektivrechtlich für den aus der Spaltung hervorgegangenen Betrieb oder die in einen aufnehmenden Betrieb integrierten Betriebe oder Betriebsteile.
22.127
D. Betriebsvereinbarungen in Gemeinschaftsbetrieben I. Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs Wie aus § 1 Abs. 2 BetrVG folgt, können gemeinsame Betriebe mehrerer Unternehmen (Gemeinschaftsbetriebe) mit oder ohne den Tatbestand eines Betriebsübergangs gebildet werden. Danach wird ein Gemeinschaftsbetrieb vermutet, wenn entweder Betriebsmittel und Arbeitnehmer mehrerer Unternehmen gemeinsam eingesetzt werden oder wenn sich nach einer Unternehmensspaltung die Organisation des von der Spaltung betroffenen Betriebs oder Betriebsteils nicht wesentlich ändert. Neben der Folge einer Umwandlung können indes auch Betriebe und Betriebsteile im Wege einer Einzelrechtsnachfolge auf einen Erwerber übertragen werden und nach der Übertragung von Erwerber und Veräußerer gemeinsam geführt werden. Welche Auswirkungen die Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs auf bestehende Betriebsvereinbarungen hat, hängt einmal mehr davon ab, ob mit der Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs die Identität der bisherigen Betriebe oder Betriebsteile verloren geht.
22.128
1. Übertragung eines Betriebsteils und Fortbestand des Betriebs als Gemeinschaftsbetrieb Die betriebsverfassungsrechtliche Identität eines Betriebes bleibt dann gewahrt, wenn zwar nur ein Betriebsteil auf den Erwerber übertragen wird, Veräußerer und Erwerber jedoch nach der Übertragung des Betriebsteils den Betrieb ohne wesentliche Änderung gemeinsam führen. Dabei ist es unerheblich, ob die Übertragung des Betriebs im Rahmen einer Umwandlung erfolgt oder im Wege der Einzelrechtsnachfolge. Solange die betriebsverfassungsrechtliche Identität des Betriebs erhalten bleibt, hat dies auch dann die kollektivrechtliche Fortgeltung einer Betriebsvereinbarung zur Folge, wenn einzelne Teile des Betriebs zwischenzeitlich auf einen anderen Rechtsträger übertragen wurden2. Dass die Leitung in sozialen und personellen Angelegenheiten künftig durch zwei (oder mehrere) Arbeitgeber/Unternehmen gemeinsam wahrgenommen wird, schadet nicht, wenn sich die Leitung einheitlich auf dieselbe Einheit bezieht wie vor der Übertragung des Betriebsteils. Richtigerweise bedarf es der Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB erst gar nicht3. Vielmehr gelten die Betriebsvereinbarungen bereits auf der Grundlage der allgemeinen Vorgabe in § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unmittelbar 1 Vgl. zur früheren Diskussion über die Einbeziehung betriebsratsloser Betriebe in eine Gesamtbetriebsvereinbarung vgl. BAG v. 16.3.1983 – 1 AZR 544/91, AP Nr. 5 zu § 50 BetrVG 1972 Bl. 2 ff.; BAG v. 28.4.1992 – 1 ABR 68/91, NZA 1993, 31 ff.; GK-BetrVG/Kreutz, § 50 Rz. 34 ff. m.w.N. 2 BAG v. 5.2.1991 – 1 ABR 32/90, DB 1991, 1937, 1939; HSWNG/Hess, § 77 BetrVG Rz. 226; GKBetrVG/Kreutz, § 77 BetrVG Rz. 330; DKW/Berg, § 77 BetrVG Rz. 50; DKW/Trümner, § 1 BetrVG Rz. 175. 3 HWK/B. Gaul, § 77 BetrVG Rz. 70.
Steffan | 903
22.129
§ 22 Rz. 22.129 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
und zwingend (weiterhin) für alle Arbeitnehmer, die im gemeinsamen Betrieb beschäftigt sind. Dass die Übertragung des Betriebsteils den Übergang einzelner Arbeitsverhältnisse gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB, § 324 UmwG auf einen anderen Rechtsträger zur Folge hat, spielt keine Rolle.
22.130
Wenn auch grundsätzlich die Betriebsvereinbarungen des Gemeinschaftsbetriebs kollektivrechtlich weitergelten, so können sie doch durch Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen des Erwerbers verdrängt werden. Aufgrund der Zugehörigkeit des Gemeinschaftsbetriebs zu mehreren (in der Regel zwei) unterschiedlichen Unternehmen, entsendet der Betriebsrat des Gemeinschaftsbetriebs Mitglieder in die Gesamtbetriebsräte aller beteiligten Unternehmen. Für den Gemeinschaftsbetrieb können somit mehrere Gesamtbetriebsräte zuständig sein, wobei sich die Zuständigkeit nach der Zugehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer zum jeweiligen Unternehmen bestimmt1. Dasselbe gilt im Verhältnis zum Konzernbetriebsrat, wenn der Gemeinschaftsbetrieb zu unterschiedlichen Konzernen gehört. Erstreckt sich somit die Zuständigkeit der Gesamt- und Konzernbetriebsräte auf die Arbeitnehmer des Gemeinschaftsbetriebs, die dem jeweiligen Unternehmen bzw. Konzern angehören, so gilt für die Geltung der Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen nichts anderes. Daraus folgt, dass die kollektivrechtlich fortgeltenden Betriebsvereinbarungen des Gemeinschaftsbetriebs für diejenigen Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis im Wege des Betriebsteilübergangs auf den Erwerber übergegangen sind, durch Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen des Erwerbers verdrängt werden können2. Voraussetzung ist auch hier, dass die Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen des Erwerbers denselben Regelungsgegenstand betreffen wie die jeweilige Betriebsvereinbarung des Gesamtbetriebs und die Arbeitnehmer nach dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses in den Geltungsbereich der Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen fallen.
2. Zusammenschluss mehrerer Betriebe oder Betriebsteile zu einem Gemeinschaftsbetrieb 22.131
Regelmäßig werden Gemeinschaftsbetriebe dadurch gebildet, dass die Arbeitnehmer von Betrieben oder Betriebsteilen mehrerer Unternehmen gemeinsam gesteuert und zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels eingesetzt werden. Ein Betriebsübergang liegt nicht vor, da der bloß betriebsverfassungsrechtliche Zusammenschluss von Betrieben oder Betriebsteilen keine Auswirkung auf die Betriebsinhaberschaft hat. Es liegt jedoch strenggenommen auch keine unternehmensinterne Umstrukturierung vor, weil sich die zur Bildung des Gemeinschaftsbetriebs notwendige Zusammenschluss mit dem Betrieb oder Betriebsteil eines anderen Unternehmens vollzieht. Bei einem Zusammenschluss zu einem gemeinsamen Betrieb soll die Betriebsvereinbarung in der jeweiligen Teileinheit als Betriebsvereinbarung kollektivrechtlich fortgelten, wenn diese im gemeinsamen Betrieb nach dem Zusammenschluss noch organisatorisch abgrenzbar ist – also einen Betriebsteil des gemeinsamen Betriebs bildet. Bei der Eingliederung müsse geprüft werden, ob es sich um zusätzliche oder unternehmensspezifische Leistungen (z.B. Weihnachtsgeld, übertarifliche Zulagen, Personalrabatt) handele, weil dann die Betriebsvereinbarung weiterhin nur den Vertragsarbeitgeber verpflichten könne. Dasselbe soll bei einem Sozialplan, einer Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung eines der beteiligten Unternehmen gelten. Für die Arbeitnehmer des eingegliederten Betriebs oder Betriebsteils des anderen Unternehmens sollen die Rechte und Pflichten der Betriebsvereinbarung, die in ihrem
1 HaKo-BetrVG/Kloppenburg, § 1 BetrVG Rz. 97; ErfK/Koch, § 1 BetrVG Rz. 16. 2 Lange, NZA 2017, 288, 291.
904 | Steffan
Betriebsvereinbarungen in Gemeinschaftsbetrieben | Rz. 22.134 § 22
Betrieb oder Betriebsteil bis zum Zusammenschluss galt, für sie aber weiterhin analog § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB zur Anwendung kommen1. Näher liegt indes die Annahme, dass für beide bisherigen Betriebe oder Betriebsteile bei der Bildung des Gemeinschaftsbetriebs die Identität verloren geht. Die Verbindung zu einem Gemeinschaftsbetrieb wird regelmäßig im Wege eines Zusammenschlusses, nicht aber durch Eingliederung erfolgen. Das entspricht auch der Praxis. Eine „gemeinsame“ Betriebsführung setzt in aller Regel voraus, dass zwei – oder mehrere – Unternehmen einen Betrieb führen, bei dem beide „eingebrachten“ Betriebe oder Betriebsteile ein solche Bedeutung haben, dass durch die Bildung des Gemeinschaftsbetriebs eine neue Identität besteht. Dies folgt häufig auch bereits durch die nun gemeinsame Entscheidung in den personellen und sozialen Angelegenheiten. Liegt hingegen tatsächliche eine Eingliederung vor, bei der der aufnehmende Betrieb seine Identität behält, handelt es sich in den meisten Fällen um einen (verdeckten) Betriebsübergang, weil das Unternehmen, das den aufnehmenden Betrieb stellt, die wesentlichen Entscheidungen trifft und oft alleine im eigenen Namen nach außen auftritt. Insbesondere in Konzernverbindungen ist dies ein nicht selten anzutreffendes Phänomen. Liegt kein verdeckter Betriebsübergang vor, behält die Betriebsvereinbarung im eingliedernden Betrieb ihre Rechtsnatur, während die Rechte und Pflichten der Betriebsvereinbarung aus dem eingegliederten Betriebsteil in analoger Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ins Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmer des Betriebsteils transformiert werden. Verlieren die vorherigen Betriebe oder Betriebsteile bei der Bildung des Gemeinschaftsbetriebs ihre Identität, bestimmt sich das Schicksal der vormaligen Betriebsvereinbarungen nach § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB analog. Soweit dort unternehmensspezifische Regelungen getroffen wurden, werden sie ins Arbeitsverhältnis der jeweiligen Arbeitnehmer transportiert. Notwendige betriebseinheitliche Reglungen werden mit dem Übergangsbetriebsrat oder dem später gewählten einheitlichen Betriebsrat im Gemeinschaftsbetrieb abgeschlossen und lösen die Rechte und Pflichten entsprechender Betriebsvereinbarungen in analoger Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB ab.
22.132
Für Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen der beteiligten Unternehmen bleibt die Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs ohne Folgen. Sie gelten in den jeweiligen Unternehmen in ihrer bisherigen Rechtsnatur fort und erfassen die dem jeweiligen Unternehmen angehörigen Arbeitnehmer des Gemeinschaftsbetriebs kollektiv.
22.133
II. Auflösung eines Gemeinschaftsbetriebs Wird der Gemeinschaftsbetrieb aufgelöst, endet regelmäßig die Betriebsidentität2. Dies ist etwa dann der Fall, wenn sämtliche einzelne Teile aus der gemeinsamen Leitungsstruktur herausgenommen werden; dabei wird der Gemeinschaftsbetrieb aufgespalten. Werden die Betriebsteile im Anschluss an die Herauslösung als selbständige Betriebe oder Betriebsteile i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG geführt, entscheiden Rechtsprechung und wohl überwiegende Lehre nach den Grundsätzen der „Teilidentität“ über das Schicksal der ehemals im Gemeinschaftsbetrieb geltenden Betriebsvereinbarungen. Danach kommt es zu einer normativen Fortgeltung der im gemeinsamen Betrieb geltenden Betriebsvereinbarung in dem jeweils herausgelösten Betriebsteil, wenn dieser als selbständiger Betrieb fortgeführt wird. Nur wenn dieser nach der Herauslösung mit einem anderen Betrieb zusammengeschlossen werde, entstünde 1 HWK/B. Gaul, § 77 BetrVG Rz. 85. 2 Zutreffend BAG v. 25.4.2017 – 1 AZR 714/15, NZA 2017, 1467 Rz. 33; a.A. HWK/B. Gaul, § 77 BetrVG Rz. 85.
Steffan | 905
22.134
§ 22 Rz. 22.134 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
ein Regelungsvakuum, das den gesetzlichen Wertungen nach § 77 Abs. 6 BetrVG, § 613a BGB nicht mehr entspreche. Deshalb sei es sinnvoller, nach § 613a Abs. 1 Satz 3 oder Satz 4 BGB analog zu einer Ablösung oder Beendigung kommen1. Hält man – wie hier – eine Teilidentität für nicht ausreichend, gelten die Betriebsvereinbarungen regelmäßig nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB analog fort, wobei es keinen Unterschied macht, ob der aus dem Gemeinschaftsbetrieb herausgelöste Betriebsteil selbständig bleibt oder in einen anderen Betrieb integriert oder mit diesem zusammengefasst wird. Anderes kann gelten, wenn ein Teil des aufgelösten Gemeinschaftsbetriebs derart dominiert, dass sich dort die Betriebsidentität auch nach der Auflösung und Verselbständigung fortsetzt. Das dürfte indes ein Ausnahmefall sein.
22.135
Für Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen hat die Auflösung eines Gemeinschaftsbetriebs keine Wirkung. Sie gelten für die Arbeitnehmer der jeweiligen Unternehmen nach der Auflösung normativ in ihrer bisherigen Rechtsnatur fort. Dies gilt unabhängig davon, ob die aus dem Gemeinschaftsbetrieb herausgelösten Betriebsteile als eigenständige Betriebe fortgeführt oder in andere Betriebe des Unternehmens eingegliedert werden. Es genügt, dass die Arbeitnehmer weiterhin vom Geltungsbereich der Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen erfasst werden.
III. Herauslösung einzelner Teile aus dem Gemeinschaftsbetriebs 22.136
Veränderungen der Zusammensetzung eines Gemeinschaftsbetriebs müssen nicht zwingend zu dessen Auflösung führen. Denkbar ist auch, dass – wenn mehr als zwei Rechtsträger an einem gemeinsamen Betrieb beteiligt sind – einer der Rechtsträger mit seinen Arbeitnehmern aus dem Verbund ausscheidet. Entsprechendes gilt dann, wenn der an einem gemeinsamen Betrieb beteiligte Rechtsträger einen Teil seiner Einheit, die er „eingebracht“ hat, aus der gemeinsamen Leitungsstruktur herauslöst und im Anschluss daran als eigenständige Einheit fortführt. In beiden Varianten besteht der gemeinsame Betrieb trotz der Abtrennung eines Teils regelmäßig in seiner bisherigen Identität fort, wenn auch in verkleinerter Form. Im Ergebnis liegt hier eine Abspaltung aus dem gemeinsamen Betrieb vor. Der gemeinsame Betrieb bleibt als solcher bestehen, der dann von einer geringeren Zahl beteiligter Unternehmen geführt würde. Die abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen gelten in dem Gemeinschaftsbetrieb unverändert kollektivrechtlich fort.
22.137
Bezüglich der abgespaltenen Teile des Gemeinschaftsbetriebs kommt es nach der wohl h. M. wiederum darauf ab, ob dieser als eigenständiger Betrieb oder selbständige Betriebsteile i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG fortgeführt oder in einen anderen Betrieb integriert wird. Im ersten Fall gelten danach die Betriebsvereinbarungen stets vollständig normativ in ihrer bisherigen Rechtsnatur fort, im zweiten Fall nur insoweit, wie in dem aufnehmenden Betrieb nicht zum selben Regelungsbereich bereits Betriebsvereinbarungen bestehen; sie lösen dann die übergehenden Betriebsvereinbarungen (bzw. deren Rechte und Pflichten) insoweit ab. Nach der hier vertretenen Ansicht greift § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in analoger Anwendung ein. Die Rechte und Pflichten aus Betriebsvereinbarungen des Gemeinschaftsbetriebs werden Bestandteil der Arbeitsverhältnisse der aus dem Gemeinschaftsbetrieb herausgelösten Arbeitsverhältnisse. Wird der abgespaltene Betriebsteil des Gemeinschaftsbetriebs verselbständigt, bleibt es dabei. Mögliche Betriebsvereinbarungen, die nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BetrVG ablösen könnten, liegen in diesem Fall nicht vor. Anderes gilt bei der Eingliederung des vormaligen Betriebsteils des Gemeinschaftsbetriebs in einen anderen Betrieb des Unternehmens. Hier kommt es zur
1 So auch B. Gaul, Vorauflage, § 25 Rz. 204.
906 | Steffan
Betriebs(rats)strukturen gem. § 3 BetrVG | Rz. 22.139 § 22
Ablösung, soweit dort Betriebsvereinbarungen mit deckungsgleichem Regelungsinhalt bestehen. Eine Spaltung des gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen kann auch dadurch erfolgen, dass der einem Unternehmen zuzuordnende Betrieb stillgelegt wird1. Der bloße Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder auch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbst hat indes selbst noch keine Bedeutung für den Fortbestand bzw. die Auflösung des gemeinsamen Betriebs. Selbst wenn eine Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewirkt, dass die bis dahin bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) der beteiligten Unternehmen entfällt, setzt das Vorliegen einer betriebsverfassungsrechtlichen Spaltung voraus, dass tatsächlich eine Trennung der bislang einheitlichen Organisation vorgenommen wird2. Dies gilt selbst dann, wenn man in Übereinstimmung mit dem 2. Senat des BAG davon ausgeht, dass die für das Bestehen eines gemeinsamen Betriebs vorauszusetzende Führungsvereinbarung mit sofortiger Wirkung entfallen könne, wenn infolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gesellschafters die GbR nach § 728 BGB aufgelöst worden sei und mangels Gesellschaftsvermögens keine Auseinandersetzung nach § 730 BGB stattzufinden habe3.
22.138
E. Betriebs(rats)strukturen gem. § 3 BetrVG I. Gründe für „gewillkürte“ Betriebsstrukturen In größeren Unternehmen oder Konzernen finden sich häufig anstelle der gesetzlichen betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen nach §§ 1, 4 BetrVG gewillkürte Betriebe auf der Basis von § 3 BetrVG. Regelmäßig werden Betriebe nach § 3 BetrVG durch einen so genannten Zuordnungstarifvertrag mit der zuständigen Gewerkschaft gebildet. Zwar ist nach § 3 Abs. 2 BetrVG die Bildung von Betrieben (außer im Fall des § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG) auch durch eine Betriebsvereinbarung möglich, doch handelt es sich dabei um eine Ausnahme, die nur eingreift, wenn kein Zuordnungstarifvertrag besteht und auch ansonsten kein anderer Tarifvertrag gilt. Das Erfordernis, dass „kein anderer Tarifvertrag gilt“, ist wörtlich zu verstehen. Die Regelungssperre für eine von den Regelungen der §§ 1, 4 BetrVG abweichenden Zuordnung greift bereits dann ein, wenn im Unternehmen irgendein sonstiger Tarifvertrag gilt, wobei dessen Regelungsgegenstand unerheblich ist4. Es sperrt jeder normativ geltende Tarifvertrag, egal ob Verbands- oder Haustarifvertrag oder ein allgemeingültiger Tarifvertrag (§ 5 TVG), auch im Stadium der Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG. Dagegen reicht die Inbezugnahme von Tarifverträgen nicht aus5. Soweit danach eine Zuordnungs-Betriebsvereinbarung in Betracht kommt, ist der jeweilige Gesamtbetriebsrat zuständig6. Das dürfte selbst dann gelten, wenn es um die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebs(rats) nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a BetrVG geht, die mit der Auflösung des Gesamtbetriebsrats verbunden ist. Dabei wird man davon ausgehen müssen, dass nach der Bildung des unternehmensweiten Betriebs dessen Betriebsrat für das weitere Schicksal der „Zuordnungs-Betriebsvereinbarung“ zuständig ist. Im Gegensatz zu einer tarifvertraglichen Regelung ist eine anderweitige „Zuord1 Vgl. BAG v. 11.11.1997 – 1 ABR 6/97, NZA 1998, 723, 725. 2 BAG v. 11.11.1997 – 1 ABR 6/97, NZA 1998, 723, 725. 3 BAG v. 5.3.1987 – 2 AZR 623/85, AP Nr. 30 zu § 15 KSchG 1969 Bl. 7; offen BAG v. 30.10.1991 – 7 ABR 28/90 n.v. 4 ErfK/Koch, § 3 BetrVG Rz. 9. 5 ErfK/Koch, § 3 BetrVG Rz. 9; a.A. DKW/Trümner, § 3 BetrVG Rz. 165. 6 Fitting, § 3 BetrVG Rz. 68.
Steffan | 907
22.139
§ 22 Rz. 22.139 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
nung“ der gesetzlichen Betriebs- und Betriebsratsstrukturen durch Betriebsvereinbarung in der Praxis selten. Ihr stehen meist die unterschiedlichen Interessen der einzelnen gesetzlichen Betriebsräte entgegen. Weil als Ergebnis einer Zuordnung nach § 3 BetrVG regelmäßig weniger Betriebe und Betriebsräte als zuvor vorhanden sind, erschweren die unterschiedlichen betriebsrätlichen Interessen eine Regelung auf Betriebsebene.
22.140
Zuordnungstarifverträge werden meistens eingesetzt zur Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats oder zur Bildung von Regional- oder Spartenbetriebsräten. Dies gilt insbesondere dann, wenn Unternehmen oder Konzerne bundesweit tätig sind. Häufig sind Synergieeffekte der Grund für die Bildung gewillkürter Betriebe, so etwa bei der Zusammenfassung von Produktionslinien, Serviceleistungen, strategischer Einheiten oder Querschnittseinheiten. Mit der Bündelung der Geschäfts- und Leistungseinheiten geht oft auch eine Verbesserung der betriebsverfassungsrechtlichen Betreuungsstruktur einher, weil die Betriebsräte dann Mitarbeiter der jeweiligen homogenen Einheit sind und deren Interessen auch infolge Sachkenntnis effektiv vertreten können. Bei der Bildung reiner Regionalbetriebe steht dagegen häufig die effektive Vertretung der Mitarbeiter im Vordergrund, weil insbesondere bei stark dezentralisierten Unternehmen und Konzernen der Kontakt zwischen Mitarbeitern und Betriebsrat durch eine Regionalstruktur besser gewährleistet werden kann. Reine Regionalbetriebe stehen indes bei den im Vordringen befindlichen Matrixstrukturen größerer Unternehmen oder Konzerne, bei denen unternehmerische Entscheidungen innerhalb einer Business-Line über die jeweiligen Standorte hinweg getroffen werden, einer effektiven Arbeitnehmervertretung oft entgegen. Die Praxis hilft sich hier zum Teil mit zusätzlichen Gremien (z.B. Bereichsvertretungen), wobei die betriebsverfassungsrechtliche Einordnung und Zuständigkeitsabgrenzung nicht immer eindeutig ist. Regionalbetriebe haben zudem die Besonderheit, dass sie häufig mit dem Betriebsbegriff des § 613a BGB nicht übereinstimmen, was bei Betriebsübergängen zu (Abgrenzungs-)Schwierigkeiten führen kann.
22.141
Der durch Zuordnungstarifvertrag gebildete Betrieb gilt als Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes. Der Betrieb im Sinne von § 3 BetrVG tritt anstelle der in ihm zusammengefassten Betriebe oder Betriebsteile. Werden selbständige Betriebe in einem Betrieb nach § 3 BetrVG zusammengefasst, verliert der bisherige Betriebsrat sein Mandat. Sofern der Zuordnungstarifvertrag nichts anderes bestimmt, gilt die Struktur des gewillkürten Betriebes nach § 3 BetrVG erstmals bei der nächsten regelmäßigen Betriebsratswahl. Regelmäßig stört sich die Praxis aber nicht an dieser Regelung, sondern bestimmt in den Zuordnungstarifverträgen, dass unverzüglich Neuwahlen stattfinden, um den geänderten betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen zu entsprechen. Zuständig für die Einleitung der Betriebsratswahl ist der Betriebsrat, dem das Übergangsmandat gemäß § 21a Abs. 2 BetrVG zukommt.
II. Folge für Betriebsvereinbarungen 1. Bildung eines Betriebs nach § 3 BetrVG 22.142
Häufig wird unterstellt, der durch Zuordnungstarifverträge gebildete Betrieb sei ein Phänomen unternehmensinterner Umstrukturierung1. Daran ist nur so viel richtig, dass Zuordnungstarifverträge regelmäßig Haustarifverträge der jeweiligen Unternehmen sind und nicht etwa Verbands- oder „Konzerntarifverträge“. Deshalb fasst der Zuordnungstarifvertrag regelmäßig nur Betriebe oder Betriebsteile innerhalb eines Unternehmens zusammen. Allerdings ist der Anlass eines Zuordnungstarifvertrages nicht selten eine konzernweite Zusammenfassung bestimmter 1 So wohl auch WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 88.
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Betriebs(rats)strukturen gem. § 3 BetrVG | Rz. 22.144 § 22
Funktionen, seien sie operativer, administrativer oder strategischer Natur. Die konzernweite Zusammenfassung erfasst häufig Organisationseinheiten mehrerer Konzernunternehmen. Daraus folgt, dass die Betriebe oder Betriebsteile, die in einem Betrieb nach § 3 BetrVG zusammengefasst werden, nicht zwingend aus demselben Unternehmen kommen, sondern aus verschiedenen (Konzern-)Unternehmen. Das hat die weitere Folge, dass für das Schicksal der im früheren Betrieb oder Betriebsteil geltenden Betriebsvereinbarungen § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB Anwendung findet, wenn die Integration in den Betrieb mit einem Betriebs(teil)übergang aus einem anderen (Konzern-)Unternehmen verbunden ist. Für die Integration eines Betriebs oder Betriebsteils aus demselben Unternehmen scheidet eine unmittelbare Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB dagegen aus. Im Grundsatz gelten bei der Bildung eines Betriebs auf der Basis eines Zuordnungstarifvertrags dieselben Regeln wie bei jeder Integration oder bei jeder Zusammenlegung von Betrieben oder Betriebsteilen. Regelmäßig werden durch den Zuordnungstarifvertrag neue Betriebe gegründet, die anstelle der bisherigen Betriebe oder Betriebsteile treten. Zudem enthält der Zuordnungstarifvertrag meist eine Regelung, wonach bereits durch § 3 BetrVG gebildete Betriebe hinzukommende Betriebe oder Betriebsteile aufnehmen. In beiden Konstellationen verlieren die Betriebe und Betriebsteile, die in dem nach § 3 BetrVG gebildeten Betrieb aufgehen, regelmäßig Ihre betriebsverfassungsrechtliche Identität1. Gleichwohl sollen die in den Ausgangsbetrieben geltenden Betriebsvereinbarungen – bezogen auf die Ursprungseinheit – kollektivrechtlich fortgelten. Weil die auf Basis des § 3 BetrVG zusammengeschlossenen Betriebe nach wie vor ihre räumlich-organisatorische Eigenständigkeit bewahrten, bestehe auch im Hinblick auf die Lehre von der Betriebsidentität keine Notwendigkeit, wenn diese Betriebsvereinbarungen – bezogen auf den bisherigen Bereich – kollektivrechtlich fortgölten2.
22.143
Die Rechtsprechung geht wohl davon aus, dass sich grundsätzlich durch ein im Wege des Zuordnungstarifvertrags gebildeten Betrieb nichts ändere. Nach Ansicht des LAG München gelten die für den Herkunftsbetrieb bestehenden Betriebsvereinbarungen in ihrem bisherigen Geltungsbereich jedenfalls dann normativ fort, wenn dieser Geltungsbereich nach wie vor räumlich oder organisatorisch abgegrenzt werden kann3. Nach Ansicht des BAG lässt die bloße Zusammenfassung von Betrieben mit bis dahin eigener Arbeitnehmervertretung zu einer größeren betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheit durch Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b BetrVG die betriebsverfassungsrechtliche Identität der zusammengefassten Einheiten unberührt. Allerdings soll – insofern weitergehender als das LAG München – die räumliche und organisatorische Abgrenzbarkeit des bisherigen Geltungsbereichs innerhalb der neuen Organisationseinheit allein kein taugliches Abgrenzungskriterium sein. Dabei werde nicht genügend beachtet, dass eine Fortgeltung der Betriebsvereinbarung in diesen Fallkonstellationen nur gerechtfertigt sei, wenn die ursprüngliche organisatorische (Teil-)Einheit als betriebsverfassungsrechtlicher Bezugspunkt fortbestehe. Entscheidend sei, ob die Organisation der Arbeitsabläufe, der Betriebszweck und die Leitungsstruktur, welche die Betriebsidentität prägen, nach der erfolgten Zusammenfassung von Betrieben zu neuen Organisationseinheiten unverändert blieben4. Dabei geht das BAG davon aus, dass tatsächliche Veränderungen der bisherigen Betriebsorganisation mit einer Zusammenfassung nach § 3 BetrVG nicht notwendig einhergehen. Dementsprechend blieben, sofern nicht der Arbeitgeber den Abschluss des Zuordnungstarifvertrags zum Anlass nimmt, durch zusätzliche Maßnahmen
22.144
1 2 3 4
A.A. BAG v. 7.6.2011 – 1 ABR 110/09, NZA 2012, 110 Rz. 14. WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 88. LAG München v. 11.3.2009 – 5 TaBV 6/08, Rz. 40, juris. BAG v. 7.6.2011 – 1 ABR 110/09 – NZA 2012, 110.
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§ 22 Rz. 22.144 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
die Organisations- und Leitungsstruktur der betroffenen Betriebe auch tatsächlich zu ändern, die tariflich zusammengefassten Betriebe als organisatorisch getrennte Teileinheiten der tariflich geschaffenen größeren Organisationseinheit bestehen. Der Fortbestand der betrieblichen Einheiten habe deshalb zur Folge, dass die in ihnen geltenden Betriebsvereinbarungen im fingierten Einheitsbetrieb kollektivrechtlich und normativ fortwirken. Ihre Geltung sei auf den Betriebsteil des Einheitsbetriebs beschränkt, der ihrem bisherigen Geltungsbereich entspreche1. In der Praxis trifft eine solche Annahme freilich nicht zu. In aller Regel gehen mit der Bildung eines Betriebes durch Zuordnungstarifvertrag erhebliche Änderungen in der Organisations- und Leitungsstruktur einher. Dies ist schon deshalb erforderlich, um das unternehmerische Konzept, das hinter der Bildung eines Betriebs nach § 3 BetrVG steckt, umsetzen zu können. Das gilt etwa für die Bündelung vormals in mehreren Betrieben angesiedelten Einheiten (HR-Support, Accounting, IT-Support, Vertriebseinheiten etc.). Selbst wenn – wie bei einem Regionalbetrieb – das maßgebliche Ziel der Betriebsbildung in der Verbesserung des Kontaktes der Arbeitnehmer zum Betriebsrat dient, muss dem Betriebsrat des zusammengefassten Betriebs eine Leitung in den wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten gegenüberstehen, was ebenfalls in aller Regel Änderungen in der Organisation und Leitungsstruktur notwendig macht. Anderes gilt meist nur dann, wenn etwa Filialbetriebe zusammengefasst werden, ohne dass sich Wesentliches in der Organisations- und Leitungsstruktur ändert2.
22.145
Richtigerweise wird man darauf abstellen müssen, welcher Betrieb oder Betriebsteil im Zuge der Bildung eines Betriebes nach § 3 BetrVG seine Identität verliert. Dies sind meist alle Organisationseinheiten, die in einem neu gebildeten Betrieb aufgehen oder die in einen bereits bestehenden Betrieb im Sinne des § 3 BetrVG eingegliedert werden. Erfolgt die Aufnahme oder die Eingliederung im Zusammenhang mit einem Betriebsteilübergang, greift die Rechtsfolge des § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB ein. Für die unternehmensintern eingegliederten bzw. zusammengefassten Einheiten gilt die Bestimmung analog. In den Restbetrieben, die Betriebsteile an den nach § 3 BetrVG gebildeten Betrieb abgeben, gelten die dort bestehenden Betriebsvereinbarungen kollektivrechtlich weiter, sofern die betriebsverfassungsrechtliche Betriebsqualität erhalten bleibt. So verstanden lassen sich Abgrenzung und Konkurrenzprobleme vermeiden, die ansonsten einer effektiven Struktur des auf der Basis von § 3 BetrVG entstandenen Betriebes entgegenstehen, der – um dies nochmals zu verdeutlichen – als Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes gilt.
2. Änderungen während des Bestands eines Betriebs nach § 3 BetrVG 22.146
Wird in einen nach § 3 BetrVG gebildeten Betrieb ein neuer Betrieb oder Betriebsteil aufgenommen, sollen bei deckungsgleichen Regelungsgegenständen die Betriebsvereinbarungen des aufnehmenden Betriebs gelten, ansonsten sollen die Betriebsvereinbarungen der Herkunftsbereiche kollektivrechtlich und normativ fortgelten3. Sachgerecht dürfte dies nur in den wenigsten Fällen sein, wenn tatsächlich im Rahmen der Aufnahme in den „gewillkürten“ Betrieb nach § 3 BetrVG die bisherige Organisations- und Leitungsstruktur im Wesentlichen unangetastet bleibt. Dann aber verliert der bisherige „gewillkürte“ Betrieb seine Identität und es entsteht ein neuer „gewillkürter“ Betrieb nach § 3 BetrVG, der den bisherigen aufnimmt. Das
1 BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 3/07 – NZA 2008, 1259 Rz. 27 ff.; BAG v. 7.6.2011 – 1 ABR 110/09 – NZA 2012, 110 Rz. 14. 2 So wohl auch der Fall des BAG v. 7.6.2011 – 1 ABR 110/09, NZA 2012, 110. 3 WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 91.
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Betriebs(rats)strukturen gem. § 3 BetrVG | Rz. 22.148 § 22
hat dann jedoch zur Folge, dass die Betriebsvereinbarungen des bisherigen Betriebs nach § 3 BetrVG ins Arbeitsverhältnis der dortigen Arbeitnehmer transformiert werden – und der bisherige Betriebsrat sein Amt verliert. Regelmäßig liegt jedoch eine Eingliederung in den – bisherigen und zukünftigen – Betrieb nach § 3 BetrVG vor. Damit verliert der eingegliederte Betrieb oder Betriebsteil nach den allgemeinen Regeln seine Identität – und der bisherige Betriebsrat seine Zuständigkeit für den eingegliederten Teil (oder gar sein Amt). Dass die Betriebsvereinbarungen des bisherigen Betriebs dennoch normativ und kollektivrechtlich fortgelten sollen, lässt sich bei dem Verlust der Betriebsidentität dogmatisch kaum begründen. Es liegt auch keine „Teilidentität“ vor, weil in dem „neuen“ Betrieb nicht weniger (oder mehr?) Arbeitnehmer als im Herkunftsbetrieb vorhanden sind, sondern andere. Es bleibt nur die Erwägung, ob eine kollektivrechtliche Fortgeltung der Betriebsvereinbarung „möglich und sinnvoll“ (zur Kritik vgl. Rz. 22.102 ff.). Wird aus einem nach § 3 BetrVG gebildeten Betrieb ein Teil herausgelöst, verliert dieser Teil regelmäßig seine betriebsverfassungsrechtliche Identität. Besteht er als eigenständiger Betrieb fort, nimmt die h.M. im Anschluss an die Rechtsprechung des 1. Senats „Teilidentität“ an mit der Folge, dass die Betriebsvereinbarungen kollektivrechtlich und normativ fortgelten. Das soll sowohl für die Betriebsvereinbarungen gelten, die – mangels Verdrängung (Rz. 22.119) – bereits im Betrieb nach § 3 BetrVG kollektivrechtlich fortgalten als auch für die im Betrieb nach § 3 BetrVG abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen. Dass soll allerdings nur gelten, wenn ein „Betrieb“ aus dem Betrieb nach § 3 BetrVG herausgelöst werde; handele es sich dagegen um einen Betriebsteil, gölten die allgemeinen Regeln1. Dem steht schon entgegen, dass es einen „Betrieb im Betrieb“ nach richtiger Ansicht nicht gibt; auch nicht in einem Betrieb nach § 3 BetrVG. Überzeugender ist auch hier die direkte oder analoge Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB (je nachdem, ob mit der Herauslösung eine Betriebsteilübergang verbunden ist oder nicht). Das weitere Schicksal der Betriebsvereinbarungen aus dem Betrieb nach § 3 BetrVG richtet sich nach der anschließenden Organisation des Betriebsteils. Wird er verselbständigt oder mit einem anderen (Betrieb)steil zusammengeschlossen, bleiben die Rechte und Pflichten der vormaligen Betriebsvereinbarungen als Teil des Arbeitsverhältnisses bestehen, soweit dem nicht deckungsgleiche Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarungen entgegenstehen. Wird er integriert, kann eine Verdrängung auch durch – deckungsgleiche – Betriebsvereinbarungen des aufnehmenden Betriebs erfolgen.
22.147
3. Auflösung eines Betriebs nach § 3 BetrVG Löst sich der nach § 3 BetrVG gebildete Betrieb insgesamt auf, tritt regelmäßig der Identitätsverlust für alle daraus hervorgehenden Betriebsteile ein. Das gilt nach der hier vertretenden Meinung unabhängig davon, ob die Betriebsteile des ehemaligen Betriebs nach § 3 BetrVG im selben Unternehmen oder bei einem Erwerber eigenständig fortgeführt, mit anderen Betriebsteilen zusammengeschlossen werden oder in einem bestehenden Betrieb aufgehen. Dagegen geht die wohl h.M. davon aus, dass sich durch die Bildung eines Betriebs nach § 3 BetrVG an der Identität der Herkunftsbetrieben nichts ändere (Rz. 22.144). Deshalb sollen die Betriebsvereinbarungen der Herkunftsbetriebe, die bereits im Betrieb nach § 3 BetrVG kollektivrechtlich fortgegolten haben, nach dessen Auflösung weiterhin als Betriebsvereinbarung fortgelten2. Insofern werde lediglich die Ausgangslage wiederhergestellt. Dasselbe soll für Betriebsvereinbarungen gelten, die während des Bestandes des Betriebs nach § 3 BetrVG abgeschlos-
1 WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 91. 2 WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 89 m.w.N.
Steffan | 911
22.148
§ 22 Rz. 22.148 | Betriebsvereinbarungen in der Umstrukturierung
sen worden. Ob dies nach den Grundsätzen der „Teilidentität“ nur dann gelten soll, wenn die Teile des ehemaligen Betriebs nach § 3 BetrVG fortan als eigenständige Betriebe fortbestehen, bleibt offen. In diesem Zusammenhang wird thematisiert, ob den Tarifvertragsparteien bei der Bildung eines Betriebs nach § 3 BetrVG eine Regelungskompetenz zusteht, die auch das Schicksal der Kollektivvereinbarungen umfasse1. Darauf kommt es aber nicht an. Entscheidend ist allein, ob die Betriebe bei einer Zusammenfassung nach § 3 BetrVG ihre Identität verlieren. Dies ist entgegen der herrschenden Meinung regelmäßig anzunehmen. In diesem Fall gelten die Betriebsvereinbarungen der Herkunftsbetriebe im Betrieb nach § 3 BetrVG nach Maßgabe des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB (direkt oder analog) als Inhalt der Arbeitsverhältnisse fort (Rz. 22.144). Diese Rechtsnatur bleibt auch nach Auflösung des „gewillkürten“ Betriebs bestehen. Dasselbe gilt für die Betriebsvereinbarungen, die während des Bestands des Betriebes nach § 3 BetrVG abgeschlossen wurden. Das weitere Schicksal der Betriebsvereinbarungen richtet sich nach der zukünftigen Organisation der aus dem ehemaligen Betrieb nach § 3 BetrVG hervorgegangenen Betriebsteile. Regelmäßig gelten sie nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fort oder sie werden nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB verdrängt oder abgelöst (so etwa bei der Eingliederung). Dagegen nimmt die h.M. eine Fortgeltung als Betriebsvereinbarung an, wenn die aus dem aufgelösten Gemeinschaftsbetrieb hervorgehenden Betriebsteile als eigenständige Betriebe fortgeführt werden (Rz. 22.53, 22.106).
III. Folge für Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen 22.149
Für Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen gelten ebenfalls die bisher entwickelten Grundsätze. Für unternehmensinterner Betriebe oder Betriebsteile, die in einem durch § 3 BetrVG gebildeten Betrieb durch Integration oder Zusammenschluss aufgenommen werden, bleibt alles beim Alten. Sie werden nach wie vor kollektivrechtlich von diesen Regelungen erfasst. Für Betriebe und Betriebsteile die im Zuge eines Betriebs(teil)übergangs zu dem durch § 3 BetrVG gebildeten Betrieb stoßen, gelten die Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen ihres Herkunftsunternehmens nach Maßgabe des § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB. Dasselbe gilt bei der Auflösung des oder der Herauslösung aus dem durch § 3 BetrVG gebildeten Betrieb/s. Bleiben die Betriebsteile im Unternehmen, ändert sich an der kollektivrechtlichen Geltung der Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen nichts; gehen sie auf einen Erwerber über, greift stets § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ein, sofern man nicht mit der h.M. eine „Teilidentität“ genügen lässt und der herausgelöste Betriebsteil beim Erwerber als selbständigen Betrieb bestehen bleibt (Rz. 22.53).
F. Besonderheiten bei Übertragung auf kirchliche oder öffentlich-rechtliche Träger 22.150
Mit der Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils auf einen kirchlichen Rechtsträger bzw. einen öffentlich-rechtlichen Träger ist eine kollektivrechtliche Fortgeltung der Betriebsvereinbarung ausgeschlossen. Da § 118 Abs. 2, § 130 BetrVG generell einer Geltung des BetrVG entgegensteht, wird auch die Betriebsvereinbarung erfasst. Allerdings gelten die Rechte und Pflichten dieser Betriebsvereinbarung grundsätzlich gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fort.
1 WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, E Rz. 89.
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Sonstige Kollektivvereinbarungen in der Umstrukturierung | § 23
§ 23 Sonstige Kollektivvereinbarungen in der Umstrukturierung
A. Fehlende gesetzliche Regelung . . . . . B. Richtlinien und Vereinbarungen nach dem SprAuG . . . . . . . . . . . . . . . I. Restrukturierung unter Wahrung der Betriebsidentität 1. Betriebsübergang . . . . . . . . . . . . . 2. Unternehmensinterne Restrukturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Restrukturierung unter Verlust der Betriebsidentität 1. Betriebsübergang . . . . . . . . . . . . . 2. Unternehmensinterne Restrukturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Inklusionsvereinbarungen nach § 166 SGB IX . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Regelungsabreden I. Rechtsnatur und Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Restrukturierung unter Wahrung der Betriebsidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Restrukturierung unter Verlust der Betriebsidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Regelungsabreden auf Unternehmens- und Konzernebene . . . . . . . . . V. Unternehmensinterne Restrukturierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Besonderheiten bei Privatisierungen . E. Dienstvereinbarungen I. Betriebsübergänge innerhalb des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . .
23.1 23.2
23.4 23.7
23.8 23.11 23.12
23.14 23.16 23.17 23.22 23.23 23.24
23.25
II. Wechsel zwischen öffentlichem und privatem Recht 1. Übertragung von Dienststellen unter Wahrung ihrer Identität . . 2. Übertragung von Dienststellen unter Verlust ihrer Identität . . . . 3. Einbeziehung leitender Angestellter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Übertragung von Betrieben . . . . F. Restrukturierung unter Beteiligung kirchlicher Rechtsträger . . . . . . . . . . I. Rechtsfolgen bei einer Übernahme durch kirchliche Rechtsträger 1. Rechtsfolgen für Betriebsvereinbarungen des übertragenden Rechtsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfolgen für Tarifverträge des übertragenden Rechtsträgers 3. Ablösung von Kollektivvereinbarungen durch Tarifverträge des kirchlichen Rechtsträgers . . . . . . 4. Ablösung von Kollektivvereinbarungen durch Regelungen des Dritten Weges . . . . . . . . . . . . . . . 5. Besonderheiten bei einzelvertraglichen Bezugnahmeklauseln . . . . II. Rechtsfolgen bei einer Übernahme durch einen nicht-kirchlichen Rechtsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Einseitige Regelungen mit kollektivem Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . .
23.26 23.30 23.34 23.35 23.36
23.37 23.38
23.39
23.40 23.46
23.50 23.52
Schrifttum (ab 2002): Groeger, Kirchliche Dienstvereinbarungen im Spiegel säkularer Rechtsprechung des BAG – der Dritte Weg als archimedischer Punkt des kirchlichen Arbeitsrechts?, KuR 2014, 196; Hammer, Die Rechtsqualität kirchlicher Arbeitsvertragsordnungen im Spiegel der BAG-Rechtsprechung, AuR 2002, 49; Henssler, Tarifbindung durch betriebliche Übung, Festschrift 50 Jahre BAG, 2004, S. 683; Joussen, Kirchliche Arbeitsvertragsinhalte beim Betriebsübergang, NJW 2006, 1850; Joussen, Die normative Wirkung kirchlicher Dienstvereinbarungen nach § 36 Abs. 3 MVG.EKD und § 38 Abs. 3a MAVO, RdA 2016, 320; Klumpp, Normative Wirkung kirchlicher Dienstvereinbarungen, ZAT 2017, 172; Reichold, Regelungskompetenz und Normwirkung von Betriebs- und Dienstvereinbarungen (insbesondere in kirchlichen Einrichtungen), ZTR 2016, 295; Schliemann, Tarifvorbehalt des § 77 III BetrVG und kirchliches Arbeitsrecht, NZA 2005, 976; Thüsing, Das Arbeitsrecht in der Kirche – Ein Nachtrag der aktuellen Entwicklungen, NZA 2002, 306; Thüsing/Mathy, Anm. zu BAG v. 22.3.2018, AP Nr. 90 zu § 611 BGB Kirchenrecht; von Tiling, Die Regelungen des Dritten Weges im System des welt-
Steffan | 913
§ 23 Rz. 23.1 | Sonstige Kollektivvereinbarungen in der Umstrukturierung lichen Arbeitsrechts, NZA 2007, 78; Wollenschläger/von Harbou, Arbeitsrechtliche Fragen bei Privatisierungs- und Outsourcingmaßnahmen in öffentlichen Krankenhäusern, NZA 2005, 1081; vgl. im Übrigen Schrifttum zu § 22.
A. Fehlende gesetzliche Regelung 23.1
Für Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge hält § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB Regelungen bereit, die bei unternehmensübergreifenden Restrukturierungen unmittelbar eingreifen und bei unternehmensinternen Restrukturierungen ggf. analog anwendbar sind (vgl. Rz. 22.53 ff., 22.104 ff.). Doch gibt es neben diesen beiden „klassischen“ kollektivrechtlichen Regelungen eine Reihe weiterer Kollektivvereinbarungen, die bei einer Restrukturierung – sei es innerhalb eines Unternehmens oder unternehmensübergreifend – Fragen aufwerfen. Wie mit den Rechten und Pflichten aus sonstigen kollektiven Vereinbarungen umzugehen ist, lässt sich aus § 613a BGB nicht entnehmen und es ist auch sonst keine spezialgesetzliche Lösung erkennbar. Sachgerechte Lösungen lassen sich unter Beachtung der Rechtsnatur und der Besonderheiten dieser Vereinbarungen finden.
B. Richtlinien und Vereinbarungen nach dem SprAuG 23.2
Nach § 28 Abs. 1 SprAuG können Arbeitgeber und Sprecherausschuss schriftlich Richtlinien über den Inhalt, den Abschluss oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen der leitenden Angestellten vereinbaren. Anders als bei Betriebsvereinbarungen wirken Sprecherausschussvereinbarungen jedoch nicht ohne Weiteres normativ. Nach § 28 Abs. 2 Satz 1 SprAuG gelten der Inhalt der Richtlinien für die Arbeitsverhältnisse nur dann unmittelbar und zwingend, soweit dies zwischen Arbeitgeber und Sprecherausschuss vereinbart ist. Damit können die Parteien also – abweichend von § 77 Abs. 4 BetrVG – selbst festlegen, in welchem Umfang die Vereinbarung zwingenden Charakter besitzt. Ein Verzicht auf Rechte, die durch solche Vereinbarungen begründet werden, ist dann nur mit Zustimmung des Sprecherausschusses wirksam (§ 28 Abs. 2 Satz 3 SprAuG). In diesem Fall sind Richtlinien als Pendant zur Betriebsvereinbarung anzusehen1. Allerdings sieht § 28 SprAuG anders als § 77 Abs. 6 BetrVG keine Nachwirkung vor.
23.3
Richtlinien nach § 28 Abs. 1 SprAuG wirken dagegen nicht unmittelbar und zwingend und sind auch keine Verträge zugunsten Dritter2. Aus der Richtlinie selbst ist zunächst nur der Arbeitgeber gegenüber dem Sprecherausschuss verpflichtet, den Inhalt der Richtlinie zu beachten. Eine praktizierte Richtlinie entfaltet jedoch mittelbare Wirkungen. Leitende Angestellten dürfen nicht willkürlich von ihren Regelungen ausgeschlossen werden, da diese eine betriebliche Ordnung schaffen, die dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz unterliegt3. Ansprüche der leitenden Angestellten ergeben sich erst aus der Umsetzung der Richtlinie und gelten dann als Rechte aus dem Arbeitsvertrag. Insofern ähneln Richtlinien nach § 28 Abs. 1 SprAuG den Regelungsabreden (Rz. 23.14 ff.)4.
1 2 3 4
BeckOK ArbR/Gussen, § 613a BGB Rz. 228. ErfK/Oetker, § 28 SprAuG Rz. 7. ErfK/Oetker, § 28 SprAuG Rz. 7. BeckOK ArbR/Gussen, § 613a BGB Rz. 228.
914 | Steffan
Richtlinien und Vereinbarungen nach dem SprAuG | Rz. 23.6 § 23
I. Restrukturierung unter Wahrung der Betriebsidentität 1. Betriebsübergang Der Sprecherausschuss bleibt im Amt, wenn der gesamte Betrieb übertragen wird und bei einem Erwerber identitätswahrend fortbesteht. Dann gelten Vereinbarungen nach § 28 Abs. 2 SprAuG kollektivrechtlich ohne Rückgriff auf § 613a BGB beim Erwerber fort1. Ob dies auch für Richtlinien nach § 28 Abs. 1 SprAuG gilt, ist umstritten2. Sind sie bereits einzelvertraglich umgesetzt, wirken die getroffenen Regelungen als Teil des Arbeitsvertrags nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auch gegenüber dem Betriebserwerber3. Wird nur ein Betriebsteil übertragen und im Anschluss daran als selbständiger Betrieb fortgeführt, reicht diese „Teilidentität“ wie bei Betriebsvereinbarungen nach der hier vertretenen Ansicht für eine kollektivrechtliche Fortgeltung nicht aus (vgl. Rz. 22.15)4.
23.4
Für Richtlinien und Vereinbarungen des Gesamtsprecherausschusses gelten die Ausführungen zu Gesamtbetriebsvereinbarungen entsprechend (Rz. 22.44 ff., 22.55 ff.); Regelungen des Konzernsprecherausschusses gelten wie Konzernbetriebsvereinbarungen (Rz. 22.50 ff., 22.58 ff.) fort. Bei Vereinbarungen, die mit dem Gesamtsprecherausschuss abgeschlossen wurden, kommt eine Fortgeltung als Gesamtsprecherausschussvereinbarung nur bei der Übertragung sämtlicher Betriebe auf einen einzigen Rechtsträger in Betracht (möglich etwa bei Spaltung zur Neugründung). Ansonsten gelten sie kollektivrechtlich als (betriebliche) Sprecherausschussvereinbarungen fort. Konzernsprecherausschussvereinbarungen gelten z.B. dann kollektivrechtlich fort, wenn der Betrieb unter Wahrung seiner Identität auf einen anderen Rechtsträger innerhalb oder außerhalb des Konzerns übertragen wird. Besteht im aufnehmenden Unternehmen kein Sprecherausschuss, hindert das die kollektivrechtliche Fortgeltung nicht. Eine Kündigung hat dann gegenüber den leitenden Angestellten zu erfolgen. Dabei greift weder die Änderungssperre des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB noch die Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG ein.
23.5
Ähnliches gilt bei dem praktisch bedeutsameren Unternehmenssprecherausschuss nach § 20 Abs. 1 SprAuG. Er tritt an die Stelle des (Betriebs-)Sprecherausschusses, wenn im Unternehmen mindestens zehn leitende Angestellte beschäftigt sind. Geht hier ein Betrieb unter Wahrung seiner (betriebsverfassungsrechtlichen) Identität über, ist nicht anzunehmen, dass im übertragenen Betrieb ein Sprecherausschuss gewählt wird. Gleichwohl kommt aufgrund der maßgeblichen Betriebsidentität eine normative Fortgeltung wie bei Regelungen des Gesamtsprecherausschusses in Betracht. Teilweise wird in diesem Fall angenommen, dem Unternehmenssprecherausschuss stünde im Wege der Gesetzesanalogie zum BetrVG ein Übergangsmandat zu5. Gehen sämtliche Betriebe auf den Erwerber über, bleibt der Unternehmenssprecherausschuss im Amt und die Sprecherausschussvereinbarungen gelten in ihrer bisherigen Rechtsnatur kollektivrechtlich und normativ fort.
23.6
1 BeckOK ArbR/Gussen, § 613a BGB Rz. 229; MünchArbR/Francke, 4. Aufl. 2019, § 235, § 312 Rz. 43. 2 So Gaul, NZA 1995, 717; wohl auch Schaub/Ahrendt/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 119 Rz. 33; a.A. Oetker, ZfA 1990, 43, 85; ErfK/Oetker, § 28 SprAuG Rz. 19; Höfer, BetrAVG ART Rz. 897.6, der die kollektivrechtliche Fortgeltung nur für Vereinbarungen annimmt, bei Richtlinien aber eine individualrechtliche Fortgeltung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB annimmt. 3 ErfK/Oetker, § 28 SprAuG Rz. 19. 4 Anders die h.M., vgl. Rz. 23.53 ff. 5 So etwa BeckOK ArbR/Gussen, § 613a BGB Rz. 230.
Steffan | 915
§ 23 Rz. 23.7 | Sonstige Kollektivvereinbarungen in der Umstrukturierung
2. Unternehmensinterne Restrukturierung 23.7
Bei unternehmensinternen Restrukturierungen ist ebenfalls grundsätzlich die Identitätswahrung des Betriebs entscheidend. Liegt sie vor, gelten Richtlinien und Vereinbarungen kollektivrechtlich fort. Für Richtlinien und Vereinbarungen des Unternehmenssprecherausschusses ist die Identitätsfrage des Betriebs ohne Belang; sie gelten bei unternehmensinternen Restrukturierungen stets kollektivrechtlich fort. Dasselbe gilt für Kollektivvereinbarungen mit dem Konzernsprecherausschuss. In allen Fällen gilt, dass sich die kollektivrechtliche Bindung bei (noch) nicht umgesetzten Richtlinien auf die Vertragspartner beschränkt (Rz. 23.3).
II. Restrukturierung unter Verlust der Betriebsidentität 1. Betriebsübergang 23.8
Wird nur ein Betriebsteil veräußert, verbleibt der Sprecherausschuss regelmäßig beim Veräußerer, was zu einem Verlust der Betriebsidentität führt, sofern man nicht mit der h.M. eine „Teilidentität“ genügen lässt. Anderes kann gelten, wenn der beim Veräußerer verbleibende Betriebsteil im Vergleich zum übergehenden Betriebsteil unbedeutend ist (vgl. Rz. 22.53). Eine ausdrückliche Auffanglösung wie bei Betriebsvereinbarungen in § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB fehlt für Richtlinien und Vereinbarungen mit dem Sprecherausschuss. Eine entsprechende Anwendung der Bestimmung folgt indes aus einer richtlinienkonformen Auslegung aufgrund Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG. Damit kommt § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB für die leitenden Angestellten im übertragenen Betriebsteil zur Anwendung. Grundsätzlich wirken damit die in einer Vereinbarung nach § 28 Abs. 2 SprAuG getroffenen Regelungen entsprechend § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fort1. Für Richtlinien nach § 28 Abs. 1 SprAuG ist das streitig. Sie binden grundsätzlich nur die Vertragsparteien und begründen keine unmittelbaren Rechte und Pflichten, wie § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB voraussetzt. Sie stehen deshalb den Regelungsabreden näher. Billigt man dem Sprecherausschuss im Wege der Gesetzesanalogie ein Übergangsmandat zu2, können Richtlinien solange in ihrer bisherigen Rechtsnatur fortgelten, wie das Übergangsmandat besteht (vgl. zu Regelungsabreden Rz. 23.19). Andernfalls enden sie mit dem Betriebsübergang, wenn sie noch nicht mit Wirkung auf die Arbeitsverhältnisse umgesetzt wurden3. Nach der Umsetzung folgt die Geltung aus § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB.
23.9
Binnen der Jahres-Frist des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ist eine individualrechtliche Änderung der Vereinbarung zum Nachteil der leitenden Angestellten grundsätzlich ausgeschlossen. Für Richtlinien ohne unmittelbare und zwingende Wirkung gilt dies nicht. Denn § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB soll auch im Rahmen einer analogen Anwendung keinen stärkeren Schutz begründen, als er vor dem Übergang des Arbeitsverhältnisses bestanden hat. Unabhängig von dieser Differenzierung können Vereinbarungen und Richtlinien durch den beim Erwerber zuständigen Sprecherausschuss analog § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB abgelöst werden. Bereits umgesetzte Richtlinien, die Eingang in das Arbeitsverhältnis gefunden haben, können ohne zeitliche Veränderungssperre mit den allgemeinen Mitteln des Arbeitsrechts geändert werden.
1 Schaub/Ahrendt/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 119 Rz. 33; BeckOK ArbR/Gussen, § 613a BGB Rz. 230; ErfK/Oetker, § 28 SprAuG Rz. 19. 2 So etwa BeckOK Arbr/Gussen, § 613a BGB Rz. 230. 3 MünchArbR/Francke, 4. Aufl. 2019, § 235, § 312 Rz. 44; BeckOK ArbR/Gussen, § 613a BGB Rz. 230; ErfK/Oetker, § 28 SprAuG Rz. 19; Kramer, DB 1996, 1082, 1085; a.A. Gaul, NZA 1995, 717; Schaub/Ahrendt/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 119 Rz. 33.
916 | Steffan
Inklusionsvereinbarungen nach § 166 SGB IX | Rz. 23.13 § 23
Bei Vereinbarungen des Gesamt-, Unternehmens- oder des Konzernsprecherausschusses gelten die für Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarungen entwickelten Grundsätze entsprechend (vgl. Rz. 22.55 f., 22.58). Grundsätzlich ist also von einer Fortgeltung als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses auszugehen (§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB analog). Richtlinien enden mit dem Betriebsübergang, wenn sie noch nicht mit Wirkung auf die Arbeitsverhältnisse umgesetzt wurden. Nach der Umsetzung greift § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ein.
23.10
2. Unternehmensinterne Restrukturierung Verliert der Betrieb seine Identität, scheidet eine normative Fortgeltung der Sprecherausschussvereinbarung aus. Wie bei Betriebsvereinbarungen ist eine entsprechende Anwendung der Regelungen nach § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB sachgerecht (vgl. Rz. 22.104 ff.). Vereinbarungen des Gesamt-, Unternehmens- und Konzernsprecherausschusses bleiben von unternehmensinternen Umstrukturierungen unberührt; sie gelten wie bisher normativ für die leitenden Angestellten des Unternehmens fort. Umgesetzte Richtlinien gelten unabhängig von der Frage der Betriebsidentität als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses mit (demselben) Arbeitgeber weiter; eines Rückgriffs auf § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB bedarf es nicht. Nicht umgesetzte Richtlinien des Sprecherausschusses enden mit dem Verlust der Betriebsidentität, jedenfalls mit Ablauf des Übergangsmandats (Rz. 23.6, 23.8). Richtlinien des Gesamt-, Unternehmens- und Konzernsprecherausschusses behalten ihre Bindungswirkung innerhalb der abschließenden Parteien.
23.11
C. Inklusionsvereinbarungen nach § 166 SGB IX Nach § 166 SGB IX treffen die Arbeitgeber mit der Schwerbehindertenvertretung und den in § 176 SGB IX genannten Vertretungen (regelmäßig dem Betriebs- oder Personalrat) in Zusammenarbeit mit dem Inklusionsbeauftragten des Arbeitgebers eine verbindliche Inklusionsvereinbarung. Die Inklusionsvereinbarung enthält Regelungen im Zusammenhang mit der Eingliederung schwer behinderter Menschen, insbes. zur Personalplanung, Arbeitsplatzgestaltung, Gestaltung des Arbeitsumfeldes, Arbeitsorganisation, Arbeitszeit sowie Regelungen über die Durchführung in den Betrieben und Dienststellen (§ 166 Abs. 2 SGB IX). Partner der Vereinbarung sind der Arbeitgeber auf der einen Seite und die Schwerbehinderten- und Personalvertretung bzw. Betriebsrat auf der anderen Seite. Die Pflicht des Arbeitgebers zur Vereinbarung einer Inklusionsvereinbarung besteht unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Bildung einer Schwerbehindertenvertretung nach § 177 SGB IX (fünf schwerbehinderte Menschen). Besteht keine Schwerbehindertenvertretung, muss der Arbeitgeber auf Antrag der in § 176 SGB IX genannten Vertretungen in die Verhandlungen eintreten. Trotz der Verhandlungspflicht kann der Abschluss einer Inklusionsvereinbarung letztlich nicht erzwungen werden1.
23.12
Die Rechtsnatur der Inklusionsvereinbarung ist umstritten. Weil der Betriebs- oder Personalrat stets (auch) Partner der Vereinbarung ist und sie normativ wirkt, wird sie teilweise als „zusätzliche“ Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung angesehen2. Mangels Abschlusszwang soll ihr je-
23.13
1 Neumann/Pahlen/Winkler/Jabben/Neumann, § 166 SGB IX Rz. 4. 2 Neumann/Pahlen/Winkler/Jabben/Neumann, § 166 SGB IX Rz. 4; Hauck/Noftz/Schröder, § 83 SGB IX Rz. 21.
Steffan | 917
§ 23 Rz. 23.13 | Sonstige Kollektivvereinbarungen in der Umstrukturierung
doch nur die Qualität einer freiwilligen Betriebsvereinbarung zukommen1. Andere qualifizieren sie als mehrseitigen Kollektivvertrag eigener Art2. Für die Frage der Fortgeltung bei Restrukturierungen dürfte daraus kein Unterschied folgen. Geht man von einer Betriebsvereinbarung aus, bestimmt sich die Weitergeltung wie ansonsten auch bei einer (freiwilligen) Betriebsvereinbarung. Stets setzt die normative (kollektivrechtliche) Fortgeltung den Erhalt der Betriebsidentität voraus (vgl. Rz. 22.28 ff., 22.53 ff.). Dass der Schwerbehindertenvertretung nunmehr nach § 177 Abs. 8 SGB IX ein gesetzliches Übergangsmandat zukommt, steht dem (wie auch beim Übergangsmandat des Betriebsrats) nach der hier vertretenen Ansicht nicht entgegen3. Nimmt man hingegen einen kollektivrechtlichen Vertrag eigener Art an, wird man im Wege einer Gesetzesanalogie zum Betriebsverfassungsgesetz in diesem Fall ebenfalls eine kollektivrechtliche Weitergeltung annehmen müssen. Die Kontinuität einer Schwerbehindertenvertretung wird man im Rahmen der Restrukturierung ebenso bewerten müssen wie die Kontinuität des Betriebsrates. Deshalb gelten auch Inklusionsvereinbarungen bei Erhalt der Betriebsidentität und der Organfunktion der Schwerbehindertenvertretung kollektivrechtlich fort4. Geht die Betriebsidentität verloren, ist § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB analog anzuwenden. Damit werden (wie auch bei Betriebsvereinbarungen) nur die in der Inklusionsvereinbarung geregelten Rechte und Pflichten der schwerbehinderten Menschen Inhalt des Arbeitsverhältnisses, die aufgrund des „freiwilligen“ Charakters allerdings nicht dem einjährigen Veränderungsschutz unterliegen. Denn auch bei richtlinienkonformer Auslegung gelten nicht sämtliche in Kollektivverträgen getroffene Vereinbarungen fort, sondern lediglich die Rechte und Pflichten des einzelnen schwerbehinderten Menschen, wie etwa Vereinbarungen zur Arbeitszeit, Regelungen zur Besetzung freier oder neuer Stellen oder zur Teilzeitarbeit (vgl. auch § 166 Abs. 3 SGB IX)5.
D. Regelungsabreden I. Rechtsnatur und Erscheinungsformen 23.14
In der sachlichen Nähe der Betriebsvereinbarung ist die Regelungsabrede6 angesiedelt, die in ihrer Rechtsnatur jedoch wesentliche Unterschiede zur Betriebsvereinbarung aufweist. Regelungsabreden sind formlose Abreden, die zwischen betrieblichen Sozialpartnern abgeschlossen werden können. In der Praxis weit verbreitet sind Regelungsabreden mit dem Betriebsrat. Richtigerweise einigen sich dabei Arbeitgeber und Betriebsrat formlos über ein bestimmtes Vorgehen und der Betriebsrat fasst einen entsprechenden Beschluss; damit ist die Regelungsabrede zustande gekommen7. Eine Regelungsabrede durch konkludentes Verhalten ist ausgeschlossen8. Im Ergebnis können die Parteien auch ohne den formalen Abschluss einer Betriebsvereinbarung, einer Richtlinie oder einer Dienstvereinbarung Einvernehmen über die Handhabe einer bestimmten – nicht zwingend mitbestimmungspflichtigen – Angelegenheit erzielen. Regelungsabreden wirken nicht kraft Gesetzes auf die Arbeitsverhältnisse ein, son-
1 2 3 4 5 6 7 8
Neumann/Pahlen/Winkler/Jabben/Neumann, § 166 SGB IX Rz. 9. BeckOK SozR/Brose, § 166 SGB IX Rz. 6; LPK SGB IX/Düwell, § 83 Rz. 8. A.A. die wohl h.M. (vgl. dazu Rz. 22.53 ff.). BeckOK ArbR/Gussen, § 613a BGB Rz. 230b. BeckOK ArbR/Gussen, § 613a BGB Rz. 230b. Ausführlich zur Regelungsabrede GK-BetrVG/Kreutz, § 77 BetrVG Rz. 8 ff. ErfK/Kania, § 77 BetrVG Rz. 134. ErfK/Kania, § 77 BetrVG Rz. 134; Fitting, § 77 BetrVG Rz. 219.
918 | Steffan
Regelungsabreden | Rz. 23.16 § 23
dern binden die Betriebspartner lediglich schuldrechtlich1. Gleichwohl reicht die formlose Einigung aus, um die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats – auch im Bereich des § 87 Abs. 1 BetrVG – zu wahren2. In der Praxis sind Regelungsabreden ein häufig genutztes Mittel, um insbesondere in kurzfristigen und/oder vorübergehenden Angelegenheiten eine Verständigung zwischen den Betriebspartnern herbeizuführen. Allerdings werden Vereinbarungen oft als „Regelungsabrede“ bezeichnet, obwohl sie schriftlich festgehalten und von Arbeitgeber und Betriebsrat unterschrieben werden. Ob es sich trotz dieses „Formverstoßes“ trotzdem um Regelungsabreden handelt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Dabei geht es, ähnlich wie bei einem „qualifizierten“ Interessenausgleich darum, ob die Vertragsparteien Rechte und Pflichten für die Arbeitnehmer begründen wollten. Im Zweifel wird man annehmen müssen, dass eine Vereinbarung, die sich mit dem Inhalt der Arbeitsverhältnisse befasst, eine normativ wirkende Betriebsvereinbarung sein soll3. Liegt tatsächlich eine Regelungsabrede vor, bedarf es zur Realisierung gegenüber dem Arbeitnehmer noch der individualrechtlichen Gestaltungsmittel des Arbeitgebers wie Änderungsvereinbarung, Änderungskündigung oder Ausübung des Direktionsrechts. Regelungsabreden sind nicht beschränkt auf Vereinbarungen mit dem Betriebsrat. Sie können auch mit dem Personalrat und richtigerweise mit dem Sprecherausschuss abgeschlossen werden4. Gegen Regelungsabreden mit dem Sprecherausschuss wird bisweilen eingewandt, dieser sei lediglich teilrechtsfähig und habe folglich nur gesetzlich zugewiesene Rechte und Pflichten5. Dennoch bleibt der Sprecherausschuss Vertreter der leitenden Angestellten mit entsprechenden Kompetenzen, sodass nicht recht ersichtlich ist, warum er keine Absprachen über die in § 28 SprAuG genannten Richtlinien und Vereinbarungen hinaus soll treffen können6.
23.15
II. Restrukturierung unter Wahrung der Betriebsidentität Da es sich bei der Regelungsabrede um eine kollektivrechtliche Vereinbarung handelt, wird man ohne Rücksicht auf § 613a BGB grundsätzlich von ihrer kollektivrechtlichen Fortgeltung ausgehen können, wenn der Betrieb unter Wahrung seiner Identität übertragen wird und der neue Rechtsträger als Inhaber des Betriebs in die betriebsverfassungsrechtliche Pflichtenstellung des Veräußerers eintritt7. Hier bestehen nicht nur der Betriebsrat und der Sprecherausschuss in ihrer bisherigen Zusammensetzung als Partner der Abrede fort. Ausgehend davon, dass der übernehmende Rechtsträger als Rechtsnachfolger in die Arbeitsverhältnisse mit sämtlichen Arbeitnehmern eingetreten ist, deren Interessen durch den fortbestehenden Betriebsrat bzw. Sprecherausschuss gewahrt werden sollen, ist er ohne weiteres legitimiert, auch Vereinbarungen über die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Angelegenheiten zu treffen. Damit besteht auch die Arbeitgeberseite als Partner der Abrede fort. Berücksichtigt man, dass die Regelungsabrede häufig an die Stelle einer Betriebsvereinbarung bzw. Richtlinie tritt oder in einer Regelungsabrede ergänzende Vereinbarungen zur Handhabe solcher Kollektivvereinbarungen getroffen werden, macht es Sinn, hier schon auf der Basis allgemeiner betriebsverfassungsrechtlicher Überlegungen zu den Rechtsfolgen eines Fortbestands des Be1 2 3 4 5 6 7
ErfK/Kania, § 77 BetrVG Rz. 130. BAG v. 14.2.1991 – 2 AZR 415/90, NZA 1991, 607; ErfK/Kania, § 77 BetrVG Rz. 128. ErfK/Kania, § 77 BetrVG Rz. 139. B. Gaul, Vorauflage, § 26 Rz. 8. So insbes. ErfK/Oetker, § 28 SprAuG Rz. 2. Ebenso HWK/Annuß, § 28 SprAuG Rz. 14. BAG v. 5.2.1991 – 1 ABR 32/90, NZA 1991, 639; Schaub/Ahrendt/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 119 Rz. 32.
Steffan | 919
23.16
§ 23 Rz. 23.16 | Sonstige Kollektivvereinbarungen in der Umstrukturierung
triebs von ihrer Bindungswirkung auch im Verhältnis zwischen Arbeitnehmervertretung und übernehmenden Rechtsträger auszugehen. Auf die Form der Übertragung des Betriebs (Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge) kommt es nicht an. Es genügt, wenn die kollektive Ordnung des Betriebs, die der Regelungsabrede zugrunde lag, fortbesteht. Dasselbe gilt bei unternehmensinternen Restrukturierungen unter Beibehaltung der Betriebsidentität.
III. Restrukturierung unter Verlust der Betriebsidentität 23.17
Da Regelungsabreden keine Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer begründen, werden sie von § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB nicht erfasst1. Dass sie zum Teil wie Betriebsvereinbarungen behandelt werden (z.B. Kündbarkeit und Kündigungsfrist)2, ändert daran nichts. Auch § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB scheidet in direkter und analoger Anwendung für die Regelungsabrede als solcher aus, weil sie nicht Bestandteil des Arbeitsverhältnisses ist. Hingegen führt das Ergebnis einer durchgeführten Regelungsabrede zu einer einzelvertraglichen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses mit der Folge, dass die daraus entstandenen Rechte und Pflichten den Betriebserwerber nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB treffen3.
23.18
Denkbar ist, dass die Regelungsabrede ihre kollektivrechtliche Bindungswirkung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat auch dann fortsetzen kann, wenn die Betriebsidentität nicht erhalten bleibt. Deutlich wird dies etwa bei der Betriebsspaltung. Wird ein Teil des Betriebs ausgegliedert und eigenständig fortgeführt, besteht der Restbetrieb aber unter Wahrung der Identität fort, gilt in diesem Restbetrieb auch die Regelungsabrede in kollektivrechtlicher Form weiter. Unerheblich ist, ob der Restbetrieb beim bisherigen Arbeitgeber verblieben oder von einem anderen Rechtsträger übernommen worden ist. Insoweit besteht dieselbe Situation wie bei einer Betriebsvereinbarung.
23.19
Anders als bei der Betriebsvereinbarung kann jedoch die Regelungsabrede in dem abgespaltenen Betriebsteil, der seine Identität verliert, die Regelungsabrede ihre Bindungswirkung solange behalten, wie dem Betriebsrat für den abgespaltenen Teil ein Übergangsmandat nach § 21a Abs. 1 BetrVG zukommt4. Damit kann sich auch der übernehmende Rechtsträger auf die darin getroffene Vereinbarung über die Ausübung der Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte (z.B. Handhabe der Beteiligung bei der Anordnung von Überstunden in Eilfällen) berufen. Dies gilt auch dann, wenn die Regelungsabrede die Handhabe einer Betriebsvereinbarung betrifft, die gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nur noch als Bestandteil des Individualarbeitsvertrags Geltung beansprucht. Der Grund für die unterschiedliche Wirkung im Vergleich zur Betriebsvereinbarung liegt darin, dass die Regelungsabrede – anders als die Betriebsvereinbarung – kein „Gesetz“ des Betriebes mit normativer Wirkung für die Arbeitnehmer ist, sondern eine schuldrechtliche Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber. Diese Bindung muss sich der Erwerber eines Betriebsteils solange zurechnen lassen, wie dem Übergangsbetriebsrat die Gestaltungsmacht für den abgespaltenen Betriebsteil zukommt. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Betriebsteil als eigenständiger Betrieb fortgeführt wird. Ob dasselbe im Fall des § 21a Abs. 2 BetrVG gilt, wenn im Falle der Zusammenfassung von Be-
1 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 118; MünchKomm/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 153. 2 Vgl. BAG v. 23.6.1992 – 1 ABR 53/91, NZA 1992, 1098, 1099 f.; Peterek, Festschrift D. Gaul, 1992, S. 471, 489 ff.; Fitting, § 77 BetrVG Rz. 225; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rz. 21. 3 ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 118; ArbRBGB/Ascheid, § 613a BGB Rz. 103; ähnlich HWK/Müller-Bonanni, § 613a BGB Rz. 263. 4 So insbesondere B. Gaul, Vorauflage, § 26 Rz. 13.
920 | Steffan
Regelungsabreden | Rz. 23.24 § 23
trieben und Betriebsteilen dem Betriebsrat des größten Betriebs oder Betriebsteils das Übergangsmandat zukommt, ist hingegen fraglich. Die Bindungswirkung der Regelungsabrede endet in jedem Fall mit Ablauf des Übergangsmandats, also regelmäßig bei der Wahl eines neuen Betriebsrats mit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses. Selbstverständlich besteht auch keine Bindungswirkung, wenn der abgespaltene Betriebsteil in einen bestehenden Betrieb mit Betriebsrat eingegliedert wird. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Betrieb im Wege der Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge übertragen wird. Denn es genügt nicht, dass der übernehmende Rechtsträger bei der Gesamtrechtsnachfolge in die Rechtsstellung des übertragenden Rechtsträgers tritt. Es müssen beide Parteien, insbesondere also auch der beim übernehmenden Rechtsträger bestehende/gebildete Betriebsrat gebunden sein. Dies aber ist hier nicht der Fall. Wenn der vom Übergang betroffene Betriebsteil in einen beim übernehmenden Rechtsträger bestehenden Betrieb eingegliedert wird, also kein Übergangsmandat zum Tragen kommt, oder das Übergangsmandat durch Neuwahl oder Zeitablauf beendet wird.
23.20
Regelungsabreden mit dem Sprecherausschuss wirken nur fort, wenn der Sprecherausschuss im Amt bleibt oder ihm in einer Gesetzesanalogie zum BetrVG ein Übergangsmandat zukommt (Rz. 23.6, 23.8).
23.21
IV. Regelungsabreden auf Unternehmens- und Konzernebene Regelungsabreden, die auf Unternehmensebene getroffen wurden, treten regelmäßig außer Kraft. Eine Ausnahme kann nur für den Fall angenommen werden, dass sämtliche Betriebe eines Unternehmens auf einen anderen Rechtsträger übertragen werden, so dass von einem Fortbestand des Gesamtbetriebsrats bzw. des Unternehmenssprecherausschusses ausgegangen werden kann. Anders als bei Betriebsvereinbarungen kann eine Regelungsabrede auf Unternehmensebene wegen ihrer Abhängigkeit von den abschließenden Parteien nicht als „betriebliche“ Regelungsabrede fortgelten. Bei Regelungsabreden auf Konzernebene hängt ihre Fortgeltung ebenfalls von einem Fortbestand des Konzernbetriebsrats bzw. des Konzernsprecherausschusses ab. Das ist regelmäßig bei konzerninternen Betriebs- oder Betriebsteilübertragungen der Fall.
23.22
V. Unternehmensinterne Restrukturierungen Die vorstehenden Rechtsfolgen gelten auch bei unternehmensinternen Restrukturierungen. Sie finden auch dann Anwendung, wenn es um die Auflösung eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen geht.
23.23
VI. Besonderheiten bei Privatisierungen Wenn eine Dienststelle oder Teile einer Dienststelle auf einen privatrechtlichen Rechtsträger übertragen werden, kommt generell keine kollektivrechtliche Fortgeltung der Regelungsabrede in Betracht. Denn der Personalrat kann keine rechtsverbindlichen Vorgaben für die Wahrnehmung der Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte durch den neu gewählten Betriebsrat treffen. Ein Übergangsmandat, das eine vorübergehende Beteiligung des Personalrats sicherstellen könnte, ist abzulehnen1.
1 Ausführlich B. Gaul, Vorauflage, § 27 Rz. 163 ff.
Steffan | 921
23.24
§ 23 Rz. 23.25 | Sonstige Kollektivvereinbarungen in der Umstrukturierung
E. Dienstvereinbarungen I. Betriebsübergänge innerhalb des öffentlichen Rechts 23.25
Nach dem Wortlaut von § 613a Abs. 1 BGB werden nur Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen erfasst; über das Schicksal von Dienstvereinbarungen schweigt das Gesetz. Dass Betriebsübergänge im öffentlichen Dienst unter den Anwendungsbereich der RL 2001/23/EG fallen, folgt bereits aus deren Art. 1 Abs. 1 lit. c, wenn dort festgelegt wird, dass die Richtlinie auch für öffentliche Unternehmen gilt, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht. Weil Art. 3 Abs. 3 der RL 2001/23/EG die Wahrung der in einem Kollektivvertrag geregelten Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer bei einem Betriebsübergang unter den dort bezeichneten Voraussetzungen verlangt, ist im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB auch auf Dienstvereinbarungen anzuwenden. Findet zwischen Rechtsträgern, die dem Geltungsbereich des BPersVG bzw. der Landesvertretungsgesetze der Länder unterliegen, ein Betriebsübergang statt, gelten daher dieselben Grundsätze wie für eine Betriebsvereinbarung1.
II. Wechsel zwischen öffentlichem und privatem Recht 1. Übertragung von Dienststellen unter Wahrung ihrer Identität 23.26
Wird eine Dienststelle auf einen in privater Rechtsform organisierten Rechtsträger übertragen, findet § 613a BGB ebenfalls grundsätzlich Anwendung2. Weil jedoch im Anschluss an den Übertragungsvorgang nur noch das Betriebsverfassungsrecht gilt (§ 130 BetrVG), erlischt die Amtsfunktion des Personalrats3. Damit ist eine kollektivrechtliche Fortgeltung der Dienstvereinbarung als solcher (in der Rechtsnatur als Dienstvereinbarung) auch dann ausgeschlossen, wenn die Dienststelle ihre bisherige Identität beim Erwerber beibehält.
23.27
Denkbar ist jedoch, dass eine Dienstvereinbarung bei einem Wechsel auf einen privaten Rechtsträger als Betriebsvereinbarung kollektivrechtlich und normativ fortgilt. Dem wird entgegengehalten, dass das Gesetz einen Rechtsformwechsel der Dienst- zur Betriebsvereinbarung nicht kenne. Deshalb würden Rechte und Pflichten, die bisher in einer Dienstvereinbarung geregelt seien, nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer transportiert4. Eine kollektivrechtliche Weitergeltung einer Dienst- als Betriebsvereinbarung nach einem Betriebsübergang oder im Falle einer Umwandlung mit Betriebsübergang komme aber dann in Betracht, wenn dies gesetzlich angeordnet sei, wie etwa durch das Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute in Nordrhein-Westfalen5. Ob dies nur bei einer gesetzlichen Anordnung gilt, ist fraglich, zumal die in öffentlichrechtlicher Organisationsform betriebene Dienststelle dem Betrieb bei Wahl einer privaten Rechtsform entspricht6. Deren Identität geht jedenfalls nicht dadurch verloren, dass das Amt des Personalrats endet. Es tritt dieselbe Situation ein wie in dem Fall, dass die zeitlich begrenz1 Schaub/Ahrendt/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 119 Rz. 34; MünchKomm/Müller-Glöge, § 613a BGB Rz. 152; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 212. 2 Ausführlich dazu BAG v. 6.2.1980 – 5 AZR 275/78, AP Nr. 21 zu § 613a BGB. 3 BeckOK ArbR/Gussen, § 613a BGB Rz. 219; Wollenschläger/von Harbou, NZA 2005, 1081, 1086. 4 Schaub/Ahrendt/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 119 Rz. 34. 5 BeckOK ArbR/Gussen, § 613a BGB Rz. 219 mit Hinweis auf BAG v. 23.11.2004 – 9 AZR 639/03, NZA 2005, 833, 834. 6 So B. Gaul, Vorauflage, § 26 Rz. 22 mit Hinweis auf Schipp/Schipp, Arbeitsrecht und Privatisierung, 1996, Rz. 26, die allerdings gleichwohl davon ausgehen, dass Dienstvereinbarungen nicht kollektiv-
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Dienstvereinbarungen | Rz. 23.30 § 23
te Amtszeit des Betriebsrats endet und trotz bestehender Betriebsratsfähigkeit kein neuer Betriebsrat gewählt wird (Rz. 22.103). Darüber hinaus kommt den Regelungen einer Dienstvereinbarung wie denjenigen einer Betriebsvereinbarung normative Wirkung zu, sodass auch aus diesem Gesichtspunkt nichts gegen eine kollektivrechtliche und normative Fortwirkung spricht. Dem entsprechend sieht § 29 Abs. 6 Satz 5 BPersVG i.d.F. der Novelle v. 9.6.2021 eine zeitlich begrenzte Fortwirkung der Dienstvereinbarung als Betriebsvereinbarung vor. Anderes gilt jedoch für eine Dienstvereinbarung, die ein kirchlicher Rechtsträger mit der bei ihm gebildeten Mitarbeitervertreter geschlossen hat, weil es dieser an einer normativen Wirkung mangelt (Rz. 23.41)1. Deshalb gelten Dienstvereinbarungen in Gestalt einer Betriebsvereinbarung jedenfalls dann fort, wenn die Dienststelle als organisatorische Einheit im Zusammenhang mit dem Übertragungsvorgang nicht verändert wird2. § 29 Abs. 6 Satz 5 BPersVG i.d.F. der Novelle v. 9.6.2021 begrenzt die Fortwirkung der Dienstvereinbarung als Betriebsvereinbarung auf ein Jahr, innerhalb dessen eine neue Regelung mit dem „Übergangspersonalrat“ oder dem neu gewählten Betriebsrat geändert werden kann. Unklar ist die Rechtslage nach Ablauf des Übergangszeitraums von einem Jahr. Viel spricht dafür, dass die transformierte Betriebsvereinbarung nach 12 Monaten ersatzlos entfällt (vgl. Rz. 24.118). Alternativ wäre davon auszugehen, dass die Betriebsvereinbarung zwar entsprechend der gesetzlichen Vorgabe endet, deren Rechte und Pflichten aber kollektivrechtlich als Bestandteil der Arbeitsverhältnisse i.S.d. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortwirken. Dafür spräche die abstrakt-generelle Vorgabe des EU-Rechts, das kollektivrechtliche Ansprüche grundsätzlich in eine Fortgeltung entsprechend § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB bringt. Der Vorteil darin läge, dass Arbeitnehmer i.S.d. § 5 Abs. 1 BetrVG mit leitenden Angestellten i.S.d. § 5 Abs. 3 BetrVG gleichbehandelt würden. Wichtig ist nämlich folgende Einschränkung: Entgegen dem persönlichen Geltungsbereich einer Dienstvereinbarung, wie er durch § 4 BPersVG bestimmt wird, werden von der Betriebsvereinbarung nur Arbeitnehmer i.S.d. § 5 Abs. 1 BetrVG erfasst. Damit ist insbesondere für leitende Angestellte i.S.d. § 5 Abs. 3 BetrVG nur eine Fortgeltung analog § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB möglich.
23.28
Wird die Dienststelle bei einem Zusammenschluss mit einem anderen Betrieb als aufnehmende Einheit angesehen, bleibt die Identität ebenfalls gewahrt und die Dienstvereinbarungen gelten als Betriebsvereinbarung kollektivrechtlich fort. Arbeitnehmer des beim übernehmenden Rechtsträger bereits bestehenden Betriebs, der insoweit eingegliedert wird, können Rechte und Pflichten aus dieser Betriebsvereinbarung geltend machen. Ihre eigenen Betriebsvereinbarungen werden abgelöst, sofern sie den gleichen Gegenstand betreffen. Regeln sie einen anderen Gegenstand, gelten sie als Bestandteil des Arbeitsvertrags fort und dürfen – analog § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB – für die Dauer eines Jahres nicht zu ihrem Nachteil geändert werden.
23.29
2. Übertragung von Dienststellen unter Verlust ihrer Identität Werden Dienststellen oder Teile mehrerer Dienststellen zu einem Betrieb i.Sd. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zusammengefasst, verlieren sie ihre Identität. Nach § 29 Abs. 6 Satz 5 BPersVG gelten rechtlich als Betriebsvereinbarungen, sondern analog § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nur als Bestandteil des Individualarbeitsvertrags fortgelten (Rz. 181 f.). 1 BAG v. 24.6.2014 – 1 AZR 1044/12, AP Nr. 74 zu § 611 BGB Kirchendienst. 2 B. Gaul, Vorauflage, § 26 Rz. 21, Trümner, PersR 1993, 473, 480; Trümner, PersR 1997, 197, 204 f.; Frohner, PersR 1995, 99; B. Gaul, ZTR 1995, 344, 387, 388; Hammer, PersR 1997, 54, 59; wohl auch ErfK/Preis, § 613a BGB Rz. 115; a.A. Schipp, NZA 1994, 865, 870; Schaub/Ahrendt/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 119 Rz. 34; BeckOK ArbR/Gussen, § 613a BGB Rz. 219; Staudinger/Annuß, § 613a BGB Rz. 212.
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23.30
§ 23 Rz. 23.30 | Sonstige Kollektivvereinbarungen in der Umstrukturierung
für die Beschäftigten auch aus diesen Dienststellen die Dienstvereinbarungen längstens für zwölf Monate nach dem Zusammenschluss als Betriebsvereinbarung fort, soweit sie nicht durch eine andere Regelung ersetzt werden. Wird die Dienststelle trotz ihrer Übertragung als Gesamtheit in einen beim übernehmenden Rechtsträger bestehenden Betrieb eingegliedert, verliert sie zwar ebenfalls ihre Identität. Ob § 29 Abs. 5 Satz 5 BPersVG auch diesen Fall erfassen soll, ist unklar. Die besseren Gründe sprechen hier für eine analoge Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB1. Das Gleiche gilt, wenn die bisherige Dienststelle und der beim übernehmenden Rechtsträger bereits bestehende Betrieb einen neuen Betrieb bilden. Dies gilt nicht, wenn in dem aufnehmenden Betrieb bereits eine Betriebsvereinbarung besteht oder zu einem späteren Zeitpunkt abgeschlossen wird, die den gleichen Regelungsgegenstand betrifft. Sie verdrängt, ohne Rücksicht auf eine etwaige Günstigkeit, die bisherige Regelung (§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB analog)2.
23.31
Werden einzelne Teile einer Dienststelle, die nach den allgemeinen Grundsätzen als Betriebsteil qualifiziert werden können, auf einen anderen Rechtsträger übertragen und bestehen dort als Betrieb fort, dürfte nach der gesetzgeberischen Intention die Regelung des § 29 Abs. 6 Satz 5 BPersVG Anwendung finden. Vorzugswürdig erscheint indes eine analoge Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB3.
23.32
Zuständig für etwaige Änderungen auf kollektivrechtlicher Ebene ist der „Übergangspersonalrat“ nach § 29 Abs. 6 BPersVG oder der Betriebsrat, der in der ausgegliederten Einheit neu gewählt wird. Für den Fall der Eingliederung der Dienststelle in einen anderen Betrieb beim übernehmenden Rechtsträger können solche Vereinbarungen, deren Zulässigkeit sich vor allem nach § 75 BetrVG bestimmt, mit dem dort bereits bestehenden Betriebsrat abgeschlossen werden. Das Günstigkeitsprinzip ist bei solchen Vereinbarungen gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB unbeachtlich. Bei einer individualrechtlichen Fortgeltung können Änderungen, wenn man die Ablösung durch Kollektivvereinbarung ausgrenzt, nur durch Änderungskündigung oder -vereinbarung vorgenommen werden.
23.33
Wäre die Dienstvereinbarung auch ohne Rücksicht auf den Übertragungsvorgang bei dem übertragenden Rechtsträger außer Kraft getreten, so tritt diese Rechtsfolge auch nach dem Übergang der Arbeitsverhältnisse auf einen anderen Rechtsträger ein. Bei einem kollektivrechtlichen Fortbestand als Betriebsvereinbarung folgt dies aus § 77 Abs. 6 BetrVG. Er verdrängt, auch hinsichtlich der Nachwirkung, die für Dienstvereinbarungen geltenden Regelungen. Soweit z.B. in § 70 Abs. 4 Satz 2 PersVGNW vorgesehen ist, dass die Regelungen fortgelten, bis sie durch eine andere Vereinbarung ersetzt werden, sofern nicht eine Nachwirkung ausgeschlossen wurde, kommt dies nur dann zum Tragen, wenn es sich um eine Angelegenheit handelt, die unter die erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats fällt (z.B. § 87 BetrVG). In diesem Fall gilt die frühere Betriebsvereinbarung fort. Hier können allerdings auf individualoder kollektivrechtlicher Ebene abweichende Vereinbarungen getroffen oder durch Änderungskündigung (§§ 1, 2 KSchG) durchgesetzt werden. Wirkt die frühere Dienstvereinbarung als Bestandteil des Arbeitsvertrags fort, folgt die entsprechende Änderungsmöglichkeit aus § 613a Abs. 1 Satz 4 Alt. 1 BGB analog. Die Ein-Jahres-Frist des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB kommt während des Nachwirkungsstadiums nicht zur Anwendung. 1 So bisher Schaub/Ahrendt/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 119 Rz. 34. 2 Vgl. Schipp, NZA 1994, 865, 870. 3 So vor der Geltung der BPersVG-Novelle B. Gaul, Vorauflage, § 26 Rz. 28; Schipp, NZA 1994, 865 ff., 870; Schaub, WiB 1996, 97 ff., 100; Hammer, PersR 1997, 54, 60; ebenso Bieback, ZTR 1998, 396, 400 f., a.A. Trümner, PersR 1997, 197, 204 f., der generell von einer kollektivrechtlichen Fortgeltung ausgehen will.
924 | Steffan
Restrukturierung unter Beteiligung kirchlicher Rechtsträger | Rz. 23.37 § 23
3. Einbeziehung leitender Angestellter Sofern die Dienstvereinbarung Personen in ihrem Geltungsbereich erfasst hat, die nach Maßgabe von § 5 Abs. 3 BetrVG als leitende Angestellte qualifiziert werden müssen und deshalb nicht vom Anwendungsbereich einer Betriebsvereinbarung erfasst werden können, kommt zunächst nur eine individualrechtliche Fortgeltung analog § 613a Abs. 1 Satz 2, 4 Alt. 1 BGB in Betracht. Ein Rückgriff auf die frühere Dienstvereinbarung ist, selbst wenn sie als Betriebsvereinbarung in ihrem Wortlaut unverändert auf kollektivrechtlicher Ebene fortbesteht, im Anschluss an den Übertragungsvorgang nicht möglich. Allerdings können die bisherigen Regelungen der Dienstvereinbarung durch Vereinbarung mit dem Sprecherausschuss, sofern dieser neu gewählt wird oder auf Unternehmensebene beim übernehmenden Rechtsträger besteht, abgelöst werden (§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB analog).
23.34
4. Übertragung von Betrieben Geht im umgekehrten Fall ein Betrieb von einem privat-rechtlichen Rechtsträger auf einen öffentlich-rechtlichen Rechtsträger über, gelten die Grundsätze von § 613a Abs. 1 Satz 2–4 BGB analog, soweit nicht ein Betrieb unter Fortbestand seiner Identität übertragen wird1.
23.35
F. Restrukturierung unter Beteiligung kirchlicher Rechtsträger § 613a BGB kommt auch dann zur Anwendung, wenn Betriebe oder Betriebsteile unter Beteiligung kirchlicher Rechtsträger übertragen werden2. Dabei gelten die folgenden Besonderheiten:
23.36
I. Rechtsfolgen bei einer Übernahme durch kirchliche Rechtsträger 1. Rechtsfolgen für Betriebsvereinbarungen des übertragenden Rechtsträgers Da nach der Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils durch einen kirchlichen Rechtsträger – unbeschadet seiner Rechtsform – das BetrVG nicht zur Anwendung kommt (§ 118 Abs. 2 BetrVG)3, ist eine kollektivrechtliche Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen ausgeschlossen4. Weil aber § 613a BGB grundsätzlich Anwendung findet, gelten normative Regelungen (Rechte und Pflichten) früherer Betriebsvereinbarungen als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses weiter und dürfen für die Dauer eines Jahres durch Einzelarbeitsvertrag oder Änderungskündigung nicht zum Nachteil der betroffenen Mitarbeiter geändert werden (§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB). Unerheblich ist dabei, ob es sich um die Übertragung eines Betriebs unter Wahrung seiner Identität oder den Übergang eines Betriebsteils handelt5. Voraussetzung ist lediglich, dass die übergeleiteten Regelungen der Gestaltung des kirchlichen Dienstes und der Organisation der Kirche als kirchlicher Rechtsträger nicht entgegenstehen.
1 Im Ergebnis auch BeckOK ArbR/Gussen, § 613a BGB Rz. 219. 2 BAG v. 20.3.2002 – 4 AZR 101/01, NZA 2002, 1402 Rz. 32: Joussen, NJW 2006, 1850, 1852; vgl. auch Schaub/Ahrendt/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 119 Rz. 35. 3 BAG v. 9.2.1982 – 1 ABR 36/80, AP Nr. 24 zu § 118 BetrVG Bl. 4; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 16 Rz. 61; Weth/Wern, NZA 1998, 118, 122; Hanau/Thüsing, KuR 2000, 165, 170. 4 Hanau/Thüsing, KuR 2000, 165, 171. 5 Vgl. Gussen/Dauck, Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge, Rz. 88 f.
Steffan | 925
23.37
§ 23 Rz. 23.38 | Sonstige Kollektivvereinbarungen in der Umstrukturierung
2. Rechtsfolgen für Tarifverträge des übertragenden Rechtsträgers 23.38
Rechte und Pflichten, die bislang durch Tarifvertrag geregelt waren, gelten nur dann kollektivrechtlich fort, wenn der Tarifvertrag im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übertragen wird (vgl. Rz. 21.107 ff.) oder der übernehmende Rechtsträger selbst die entsprechende Tarifbindung eingeht. Ist dies nicht der Fall, werden die Rechte und Pflichten dieser Tarifverträge Bestandteil des Arbeitsverhältnisses der übergegangenen Arbeitnehmer und können für die Dauer eines Jahres nicht zu ihrem Nachteil geändert werden (§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB)1.
3. Ablösung von Kollektivvereinbarungen durch Tarifverträge des kirchlichen Rechtsträgers 23.39
Soweit einzelne kirchliche Rechtsträger Tarifverträge abgeschlossen haben2, kommt eine Ablösung der Rechte und Pflichten bisheriger Tarifverträge gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB in Betracht. Insoweit kann auf die allgemeinen Ausführungen an anderer Stelle verwiesen werden (vgl. Rz. 21.61 ff.).
4. Ablösung von Kollektivvereinbarungen durch Regelungen des Dritten Weges 23.40
Umstritten ist allerdings, ob die nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB als Inhalt des Arbeitsverhältnisses fortgeltenden normativen Regelungen früherer Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge auch durch Regelungen des Dritten Weges nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB abgelöst werden können.
23.41
Dagegen spricht, dass die Regelungen des Dritten Weges nach der in Literatur3 und Rechtsprechung4 vorgenommenen Bewertung nicht als Tarifverträge qualifiziert werden können. Die Unterschiedlichkeit wird bereits deutlich, wenn man sich die Diskussion über den Zweiten Weg (Regelung von Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge)5 und den Dritten Weg (Regelung von Arbeitsbedingungen auf der Grundlage eines eigenständigen kirchlichen Beteiligungsmodells)6 vor Augen führt. Regelungen des Drittes Wegs auf der Basis von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV werden ausschließlich durch einzelvertragliche Bezugnahme zum Inhalt des Anstellungsvertrags gemacht. Sie entfalteten nicht, wie mit § 4 Abs. 1 TVG durch Tarifbindung beschrieben, normative Wirkung auf die mit den Kirchengemeinden oder kirchlichen Einrichtungen abgeschlossenen Arbeitsverträge7. Deshalb wird zum Teil eine Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB auch in entsprechender Anwendung ausgeschlossen8. Ob Dienstvereinbarungen, die ein kirchlicher Rechtsträger mit der bei ihm gebil1 Hanau/Thüsing, KuR 2000, 165, 171. 2 Vgl. zu den Tarifverträgen der Nordelbischen Kirche oder der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 12 Rz. 13 ff. 3 Vgl. Richardi, Festschrift Listl, S. 481, 488; Hanau/Thüsing, KuR 2000, 165, 171; Thüsing, ZTR 2002, 56, 64 f.; Hammer, AuR 2002, 49 ff., jeweils m.w.N. 4 BAG v. 22.3.2018 – 6 AZR 835/16, NZA 2018, 1350 Rz. 29; BAG v. 23.11.2017 – 6 AZR 683/16, NZA 2018, 311 Rz. 12; BAG v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448 Rz. 107; BAG v. 22.2.2012 – 4 AZR 24/10, ZTR 2012, 438 = AP Nr. 109 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Rz. 18; BAG v. 20.3.2002 – 4 AZR 101/01, NZA 2002, 1402 Rz. 46 5 Hierzu vgl. Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 13 Rz. 10 ff. 6 Hierzu vgl. Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 13; Thüsing, RdA 1997, 163 ff.; Thüsing, ZTR 1999, 298 ff. 7 BAG v. 22.3.2018 – 6 AZR 835/16, NZA 2018, 1350 Rz. 29. 8 Schaub/Ahrendt/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 119 Rz. 35.
926 | Steffan
Restrukturierung unter Beteiligung kirchlicher Rechtsträger | Rz. 23.42 § 23
deten Mitarbeitervertretung geschlossen hat, normative Wirkung zukommt, ist umstritten1. Nimmt eine einzelvertragliche Regelung kirchliche Arbeitsvertragsregelungen oder einen kirchlichen Tarifvertrag in Bezug, erstreckt sich die Inbezugnahme auch auf die Geltung des kirchlichen Mitarbeitervertretungsrechts. Ist auf dieser Grundlage eine Dienstvereinbarung abgeschlossen worden, findet sie aufgrund der vertraglichen Inbezugnahme Anwendung (sog. dynamische Kettenverweisung)2. Im Schrifttum wird überwiegend angenommen, dass die Regelungen des Dritten Weges quasi-tariflichen Charakter besitzen3 bzw. einem Tarifvertrag rechtlich gleichgesetzt4 oder als Tarifsurrogat5 behandelt werden können, so dass Rechte und Pflichten, die bislang durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung geregelt waren, im Anschluss an die Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils durch einen kirchlichen Rechtsträger analog § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB durch diese Regelungen des Dritten Weges abgelöst werden, wenn und soweit der gleiche Regelungsgegenstand betroffen ist. Dafür spricht, dass mit den Regelungen des Dritten Weges einheitliche Arbeitsbedingungen für die durch die jeweilige Kirche beschäftigten Arbeitnehmer gesetzt werden sollen, die aber – anders als das allgemeine Tarifrecht (einschließlich Arbeitskampfrecht) – den kirchenspezifischen Besonderheiten Rechnung trägt. Berücksichtigt man die Art und Weise des Zustandekommens solcher Regelungen, insbesondere also die paritätische Besetzung, die rechtliche Unabhängigkeit der Mitglieder der arbeitsrechtlichen Kommission, die Rechtsschutzmöglichkeiten einzelner Mitglieder und die Notwendigkeit einer Zweidrittelmehrheit, wird man den Regelungen auch die materielle Angemessenheit zusprechen müssen, die in vergleichbarer Weise von Tarifverträgen in Anspruch genommen wird6. Richtigerweise sind deshalb auch die kirchlichen Regelungen zur Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse nicht mehr einer Inhaltskontrolle unterworfen7. Das gilt auch nach der grundsätzlichen Einbeziehung des Arbeitsrechts in das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Der Rechtsgedanke der Ausnahmeregelung für Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen nach § 310 Abs. 4 BGB8 gilt auch hier. Eine sog. Kettenverweisung ist deshalb weder überraschend i.S.d. § 305c BGB noch gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB intransparent9. 1 Dafür BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 340/06, NZA 2007, 1357 Rz. 41; Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 202; Kroeger, KuR 2014, 196, 202 ff.; Joussen, RdA 2016, 320 ff.; dagegen BAG v. 24.6.2014 – 1 AZR 1044/12, AP Nr. 44 zu § 611 BGB Kirchendienst; Schaub/Ahrendt/Koch, ArbeitsrechtsHandbuch, § 119 Rz. 35; Schliemann, NZA 2005, 976 ff.; Reichold, ZTR 2016, 295, 301; offengelassen von BAG v. 24.9.2014 – 5 AZR 611/12, NZA 2014, 1407 Rz. 71 und BAG v. 22.3.2018 – 6 AZR 835/16, NZA 2018, 1350 Rz. 43. 2 BAG v. 22.3.2018 – 6 AZR 835/16, NZA 2018, 1350 Rz. 48. 3 So Küttner/Kania, Personalbuch, § 243 Rz. 13. 4 So Thüsing, ZTR 1999, 298, 302; Hanau/Thüsing, KuR 2000, 165, 171 ff.; von Tiling, NZA 2007, 78 (Äquivalent zum weltlichen Tarifvertrag). 5 So Richardi, Festschrift Listl, 1999, S. 481, 488; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 5 Rz. 21 ff.; Staudinger/Richardi/Annuß, § 613a BGB Rz. 189, 192; Thüsing, ZTR 1999, 298, 300, 302; Thüsing, Anm. zu BAG v. 6.11.1996 – 5 AZR 334/95, EzA BGB § 611 Ausbildungshilfe Nr. 16 S. 16 ff. 6 Vgl. Thüsing, ZTR 1999, 298, 300; Hanau/Thüsing, ZuR 2000, 165, 172 f. Auch das LAG Hamm spricht in seinem Urteil v. 17.10.2000 (7 Sa 1122/00, LAGE § 613a BGB Nr. 80 S. 6) von einem materiellen Verhandlungsgleichgewicht, ohne daraus allerdings auf die Gleichbehandlung von Tarifvertrag und AVR schließen zu wollen; krit. Hammer, AuR 2002, 49, 53 ff. 7 Vgl. BAG v. 28.1.1998 – 4 AZR 491/96, ZevKR 44 (1999), S. 90, 94 f. m. Anm. Thüsing S. 99 ff.; Thüsing, RdA 1997, 163, 170; Hanau/Thüsing, KuR 2000, 165, 173 m. Hinweisen zur Entwicklung der Rechtsprechung. 8 Dazu etwa ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rz. 8 f. 9 BAG v. 22.3.2018 – 6 AZR 835/16, NZA 2018, 1350 Rz. 47.
Steffan | 927
23.42
§ 23 Rz. 23.43 | Sonstige Kollektivvereinbarungen in der Umstrukturierung
23.43
Dennoch ist eine allgemeine Pflicht zur Gleichbehandlung von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen einerseits mit Regelungen des Dritten Weges andererseits im Ergebnis abzulehnen1. Gegen eine solche Vergleichbarkeit im Rahmen von § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB spricht, dass danach die Ablösung durch eine andere Kollektivvereinbarung an die Voraussetzung geknüpft ist, dass diese für das Arbeitsverhältnis gilt. Daraus folgt für Tarifverträge die Notwendigkeit einer beiderseitigen Tarifbindung. Für Betriebsvereinbarungen folgt sie aus § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG, der insoweit nicht nur deklaratorischen Charakter hat. Regelungen des Dritten Weges sollen zwar einheitliche Arbeitsbedingungen für die Gesamtbelegschaft setzen, knüpfen also ganz bewusst nicht an eine Gewerkschaftsmitgliedschaft an. Die kollektive Ordnung soll aber, das spricht gegen eine Analogiefähigkeit2, die Arbeitsverhältnisse der dort beschäftigten Mitarbeiter nicht unmittelbar und zwingend gestalten3. Vielmehr sollen diese Arbeitsbedingungen nur dann für ein Arbeitsverhältnis verbindlich sein, wenn ihre Anwendung – und nicht die Anwendung eines Tarifvertrags – vereinbart worden ist4. Insoweit überzeugt es auch, ihnen keine normative Wirkung zuzumessen. Vielmehr muss ihre Geltung, um verbindliche Rechte und Pflichten zu erzeugen, einzelvertraglich vereinbart werden5. Nur in diesem Fall kommt eine Ablösung in entsprechender Anwendung des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB in Betracht6. Ansonsten handelt sich um arbeitsvertragliche Einheitsregelungen7, die in den Anwendungsbereich von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB fallen.
23.44
Ist damit eine automatische Ablösung bisheriger Kollektivvereinbarungen durch Regelungen des Dritten Wegs ausgeschlossen, bleibt, ist die Möglichkeit, ihre Anwendung durch Ergänzung des Arbeitsvertrags zu vereinbaren. Solche Vereinbarungen sind auch innerhalb der Jahresfrist wirksam. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB steht dem nicht entgegen, weil die entsprechende Änderungsbefugnis bereits aus einer Analogie zu § 613a Abs. 1 Satz 4 Alt. 2 BGB folgt. Soweit dort bestimmt ist, dass im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags dessen Anwendung mit dem Ziel einer Ablösung früherer Kollektivvereinbarungen vereinbart werden kann, gilt dies entsprechend für die Bezugnahme auf Regelungen des Dritten Weges. Denn die Vermutung der Angemessenheit eines Tarifvertrags, die den Gesetzgeber zu § 613a Abs. 1 Satz 4 Alt. 2 BGB veranlasst hat, kann auch für die Regelungen des Dritten Weges angenommen werden. Damit kommt es auf eine etwaige Günstigkeit nicht an8.
23.45
Scheitern Vereinbarungen über eine Anwendung der Regelungen des Dritten Weges, kann deren Geltung durch Änderungskündigung herbeigeführt werden, die allerdings nur eingeschränkt an den strengen Vorgaben der §§ 1, 2 KSchG zu messen ist. Insbesondere ist zu erwägen, ob nicht aufgrund der Besonderheiten des kirchlichen Arbeitsrechts die beabsichtigte Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen – anders als sonst (vgl. Rz. 21.93; 21.146; Rz. 22.84) – eine Änderungskündigung sozial rechtfertigen kann (vgl. dazu auch Rz. 23.47). 1 A.A. Hanau/Thüsing, KuR 2000, 165, 172 ff.; Thüsing, NZA 2002, 306, 311; von Tiling, NZA 2007, 79, 82. 2 A.A. Hanau/Thüsing, KuR 2000, 165, 175; von Tiling, NZA 2007, 79, 82. 3 BAG v. 20.3.2002 – 4 AZR 101/01, NZA 2002, 1402 Rz. 45 m.w.N. 4 BAG v. 20.3.2002 – 4 AZR 101/01, NZA 2002, 1402 Rz. 45. 5 Ebenso BAG v. 20.3.2002 – 4 AZR 101/01, NZA 2002, 1402 Rz. 45 m.w.N.; BAG v. 24.9.1997 – 4 AZR 452/96, AP Nr. 10 zu § 12 AVR-Caritas Bl. 3; BAG v. 28.1.1998 – 4 AZR 491/96, AP Nr. 11 zu § 12 AVR-Caritas Bl. 3; Dütz, ZevKR 1985, 83 ff.; Schaub/Ahrendt/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 119 Rz. 35; a.A. von Tiling, RdA 1979, 103, 105 f.; von Tiling, NZA 2007, 79, 82; Thüsing, NZA 2002, 306, 310 f. 6 Schaub/Ahrendt/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 119 Rz. 35. 7 Ebenso Hammer, AuR 2002, 49, 53. 8 B. Gaul, Vorauflage, § 27 Rz. 40.
928 | Steffan
Restrukturierung unter Beteiligung kirchlicher Rechtsträger | Rz. 23.49 § 23
5. Besonderheiten bei einzelvertraglichen Bezugnahmeklauseln Wegen der Rechtsfolgen einer einzelvertraglichen Bezugnahme auf Tarifverträge für den Fall, dass der Betrieb oder Betriebsteil eines nichtkirchlichen Rechtsträgers durch einen kirchlichen Rechtsträger übernommen wird, kann auf die allgemeinen Ausführungen verwiesen werden (vgl. Rz. 21.123 ff.). Grundsätzlich kommt die Bezugnahmeklausel damit auch im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses zur Anwendung (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB).
23.46
Handelt es sich um eine sachbezogen statische Bezugnahme, ist der übernehmende Rechtsträger zunächst einmal verpflichtet, auch im Anschluss an den Betriebsübergang bzw. die Umwandlung die bisherigen Tarifverträge1 bzw. die bisher in Bezug genommene AVR bzw. Regelungen des Dritten Weges2 zur Anwendung zu bringen. Änderungen können einvernehmlich oder mit dem Mittel der Änderungskündigung herbeigeführt werden. Eine Einschränkung ist mit Blick auf die verfassungsrechtliche Garantie der Kirche nur insoweit gerechtfertigt, als die in den Tarifverträgen bzw. den Regelungen des Dritten Wegs enthaltenen Regelungen als Einschränkung der speziellen Aufgaben der jeweils übernehmenden Kirche bzw. ihres Rechtsträgers angesehen werden müssen oder schon im Ausgangsvertrag eine Regelung enthalten ist, nach der eine Einschränkung oder Abänderung der allgemeinen Bezugnahmeklausel durch bestimmte Vorgaben des Arbeitgebers bzw. Dritter erfolgen kann3. Beispielhaft sei hier auf Regelungen zum Sonderkündigungsschutz hingewiesen; hier kann eine Anpassung oder sogar ein Außerkrafttreten geboten sein. Regelungen, die – wie Gehalt und etwaige Sonderleistungen – kirchenneutral ausgestaltet sind, kommen hingegen auch nach dem Wechsel des Arbeitgebers zur Anwendung.
23.47
Handelt es sich um eine sog. große dynamische Bezugnahmeklausel (sachbezogen dynamische Klausel/Tarifwechselklausel), kommen im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses die bei dem kirchlichen Rechtsträger geltenden Kollektivvereinbarungen zur Anwendung, soweit es sich dabei um Tarifverträge des Zweiten Weges handelt. Regelungen des Dritten Weges lösen demgegenüber jedenfalls dann nicht ab, wenn die arbeitsvertragliche Bezugnahme – wie regelmäßig – ausdrücklich Tarifverträge erfasst4. Dem steht der Wortlaut der Bezugnahmeklausel auch unter dem Blickwinkel des § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB entgegen. Eine Besonderheit des Arbeitsrechts ist die Inbezugnahme selbst, nicht aber die Erstreckung auf andere Kollektivvereinbarungen. Aufgrund der unterschiedlichen Rechtsbereiche liegt auch keine sog. Kettenverweisung vor (vgl. dazu Rz. 23.41 f.).
23.48
Liegt eine sog. kleine dynamische Bezugnahmeklausel (sachbezogen statische, aber zeitbezogen dynamische Fassung) vor, bleibt es unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des 4. Senats des BAG zu den Voraussetzungen einer Gleichstellungsabrede bei Arbeitsverträgen, die vor dem 1.1.2002 abgeschlossen wurden5, bei der Dynamik. Nur bei vor diesem Datum abgeschlossenen Arbeitsverträgen wird man im Wege einer Auslegung nach §§ 133, 157 BGB im Zweifel auch zu einer zeitlichen Statik gelangen. Nur dann wäre der kirchliche Rechtsträger nicht verpflichtet, bei späteren Änderungen der im Arbeitsvertrag genannten Tarifverträge eine entsprechende Anpassung bei den übernommenen Arbeitnehmern vorzunehmen.
23.49
1 2 3 4 5
So LAG Schleswig-Holstein v. 16.10.2000 – 4 Sa 75/00, ZMV 2001, 98 f. So LAG Hamm v. 17.10.2000 – 7 Sa 1122/00, LAGE § 613a BGB Nr. 80 S. 7. BAG v. 16.10.2000 – 4 Sa 75/00, ZMV 2001, 98 Rz. 42 ff. A.A. B. Gaul, Vorauflage, § 26 Rz. 44. Grundlegend BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NZA 2006, 607; vgl. dazu auch Rz. 21.151.
Steffan | 929
§ 23 Rz. 23.50 | Sonstige Kollektivvereinbarungen in der Umstrukturierung
II. Rechtsfolgen bei einer Übernahme durch einen nicht-kirchlichen Rechtsträger 23.50
Die für die Rechte und Pflichten eines Tarifvertrags oder einer Betriebsvereinbarung geltende Regelung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB gilt in entsprechender Anwendung für Regelungen, die mit der Mitarbeitervertretung getroffen wurden1. Dasselbe gilt für eine Ablösung dieser Kollektivvereinbarungen durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung soweit die neuen Regelungen für das Arbeitsverhältnis gelten (§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB). Es gelten die allgemeinen Feststellungen zur Ablösung vormals kollektivrechtlicher Regelungen (vgl. Rz. 21.61 ff.). Ein Günstigkeitsvergleich kommt nicht in Betracht2.
23.51
Soweit Rechte und Pflichten bislang kraft Bezugnahmeklausel durch die Regelungen eines beim kirchlichen Rechtsträgers geltenden Tarifvertrags oder eine Regelung des Dritten Weges bestimmt wurden, gilt diese Bezugnahmeklausel auch beim nicht-kirchlichen Rechtsträger fort (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB). Grundsätzlich gelten zum Unterschied zwischen einer großen und einer kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel auch hier die bereits genannten Voraussetzungen (Rz. 21.130 f.). Im Einzelfall kann es erforderlich werden, die Bezugnahme auch entgegen dem Wortlaut sachbezogen statisch anzuwenden, wenn es wegen der Besonderheiten des kirchlichen Arbeitsrechts und der daraus folgenden Arbeitsbedingungen erforderlich erscheint. In diesem Fall ist der übernehmende Rechtsträger verpflichtet, Inhalts- und Beendigungsnormen, wie sie in den kirchlichen Kollektivvereinbarungen vorgegeben sind, anzuwenden. Ausnahmen sind da erlaubt, wo die Übernahme nicht handhabbar ist. Beispielhaft sei hier nur auf besondere Beteiligungsrechte der Mitarbeitervertretung im Vorfeld einer Kündigung hingewiesen. Sie sind mit dem Wegfall der Arbeitnehmervertretung obsolet. Wo allerdings eine Übernahme der bisherigen Regelungen erfolgt, können Änderungen nur einzelvertraglich oder durch Änderungskündigung, die §§ 1, 2 KSchG berücksichtigen muss, herbeigeführt werden.
G. Einseitige Regelungen mit kollektivem Charakter 23.52
Einseitige Regelungen mit kollektivem Charakter wie etwa Gesamtzusage, betriebliche Übung oder vertragliche Einheitsregelungen sind keine von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB erfassten Kollektivnormen3. Sie gehen im Falle eines Betriebsübergangs als Inhalt der Arbeitsverhältnisse nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber über. Dasselbe gilt für kirchliche Ethikrichtlinien bei der Übernahme durch einen nicht-kirchlichen Rechtsträger4.
23.53
§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB greift auch dann ein, wenn eine beim Betriebsveräußerer unwirksame Betriebsvereinbarung analog § 140 BGB zum Inhalt der Arbeitsverhältnisse geworden ist5.
1 Hanau/Thüsing, KuR 2000, 165, 175. 2 Anders wohl Thüsing, ZTR 1999, 298, 302, wenn es im Fall einer Ausgliederung kirchlicher Betriebe auf nicht-kirchliche Rechtsträger zu unbilligen Verschlechterungen kommt. 3 MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 613a Rz. 153; Henssler, Festschrift 50 Jahre BAG, 2004, S. 683, 709; a.A. Feudner, DB 2001, 1250, 1253. 4 Dazu Joussen, NJW 2006, 1850. 5 Vgl. auch BAG 24.1.1996 – 1 AZR 597/95, AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 8 = NZA 1996, 948.
930 | Steffan
Teil 8 Folgen für Arbeitnehmervertreter
§ 24 Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für den Betriebsrat und andere Arbeitnehmervertretungen
A. Rechtsfolgen einer Restrukturierung für den Betriebsrat . . . . . . . . I. Das reguläre Mandat des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unveränderter Fortbestand des Betriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Spaltung des bisherigen Betriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung von Betrieben oder Betriebsteilen zu einem neuen Betrieb . . . . . . . . . . 4. Eingliederung von Betrieben oder Betriebsteilen in einen bestehenden Betrieb . . . . . . . . . 5. Stilllegung eines Betriebs . . . . . II. Das Übergangsmandat des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . 2. Anwendungsbereich a) Verlust der Betriebsidentität aufgrund betrieblicher Strukturänderung . . . . . . . aa) Die maßgeblichen Erscheinungsformen der betrieblichen Strukturänderung . . . . . . . . . . . bb) Feststellung der Betriebsgröße im Zusammenhang mit dem Übergangsmandat . . . . cc) Unternehmensinterne und Rechtsträger übergreifende Strukturveränderungen . . . . . . . . . b) Besonderheiten bei der Beteiligung betriebsratsloser Einheiten . . . . . . . . . . . . . .
24.1 24.2 24.4 24.7
24.14
24.17 24.20 24.25 24.26
24.27
24.28
24.39
24.41 24.43
aa) Bestehen eines Übergangsmandats . . . . . . . bb) Reichweite des Übergangsmandats . . . . . . . c) Betriebsratsfähigkeit der neu entstandenen Einheit . 3. Inhalt des Übergangsmandats a) Sachliche Zuständigkeit des Betriebsrats im Übergangsmandat . . . . . . . . . . . . . . . . b) Personelle Zuständigkeit des Betriebsrats im Übergangsmandat . . . . . . . . . . . c) Räumliche Zuständigkeit des Betriebsrats im Übergangsmandat . . . . . . . . . . . 4. Dauer des Übergangsmandats . 5. Personelle Zusammensetzung des Betriebsrats im Übergangsmandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abspaltung eines Betriebsteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufspaltung eines Betriebs c) Zusammenfassung von Betrieben oder Betriebsteilen 6. Rechtsfolgen für Ausschüsse und Arbeitsgruppen . . . . . . . . . 7. Kosten des Übergangsmandats III. Das Restmandat des Betriebsrats 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . 3. Inhalt des Restmandats . . . . . . 4. Dauer des Restmandats . . . . . . 5. Personelle Zusammensetzung des Betriebsrats im Restmandat 6. Kosten des Restmandats . . . . . .
24.44 24.49 24.51
24.53 24.59 24.60 24.61
24.64 24.66 24.71 24.74 24.75 24.76 24.77 24.78 24.83 24.85 24.86 24.87
Leder/Lunk | 931
§ 24 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen B. Rechtsfolgen einer Restrukturierung für andere Arbeitnehmervertretungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Betriebsbezogene Arbeitnehmervertretungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Sprecherausschuss . . . . . . . 2. Die Jugend- und Auszubildendenvertretung . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Schwerbehindertenvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Personalrat . . . . . . . . . . . . a) Übergangsmandat . . . . . . . aa) Bisherige Rechtslage . . bb) Schaffung eines Übergangsmandats durch § 29 Abs. 6 BPersVG n.F. . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bestehen des Übergangsmandats . . . . . . . (2) Inhalt des Übergangsmandats . . . . . . . . . . . (3) Fortgeltung der Dienstvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . b) Restmandat . . . . . . . . . . . . c) Stufenvertretungen, Gesamtpersonalrat, Jugendund Auszubildendenvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Wahlvorstand . . . . . . . . . . II. Unternehmensbezogene Arbeitnehmervertretungen 1. Der Gesamtbetriebsrat . . . . . . . 2. Der Wirtschaftsausschuss . . . . 3. Weitere Arbeitnehmervertretungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Konzernbezogene Arbeitnehmervertretungen 1. Der Konzernbetriebsrat . . . . . . 2. Weitere Arbeitnehmervertretungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24.88 24.89 24.90 24.95 24.96 24.102 24.103 24.104
24.108 24.109 24.116 24.117 24.119
24.120 24.121
24.122 24.133 24.140
24.142 24.149
IV. Der Europäische Betriebsrat . . . . 1. Auswirkungen von Strukturänderungen auf das reguläre Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begriff und Rechtsfolgen der wesentlichen Strukturänderung 3. Abweichende Vereinbarungen zu wesentlichen Strukturänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Veränderungen der personellen Zusammensetzung . . . . . . . . . . 5. Nachträglicher Wegfall der Anwendungsvoraussetzungen des EBRG . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Der SE Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . 1. Auswirkungen von Strukturänderungen auf das reguläre Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Veränderungen der personellen Zusammensetzung . . . . . . . . . . VI. Der SCE-Betriebsrat . . . . . . . . . . . VII. Besonderheiten beim Fortbestand als gemeinsamer Betrieb . . . . . . . . C. Besonderheiten für Arbeitnehmervertretungen gemäß § 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wechsel von den gesetzlichen Strukturen auf solche nach § 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Umstrukturierungen bei Bestehen einer Vereinbarung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . 2. Umstrukturierungen innerhalb der Organisationseinheit . . . . . 3. Herauslösen von Betrieben und Betriebsteilen aus der Organisationseinheit . . . . . . . . 4. Aufnahme von Betrieben und Betriebsteilen in die Organisationseinheit . . . . . . . . . . . . . . .
24.150
24.153 24.154
24.159 24.161
24.163 24.165
24.166 24.169 24.170 24.171
24.175
24.179
24.182 24.185
24.188
24.198
Schrifttum: Andelewsky/Brachmann, Arbeitsrechtliche Fragestellungen bei Fusionen von Trägern der gesetzlichen Sozialversicherung, NZA 2010, 1103; Annuß, Grundfragen des gemeinsamen Betriebs, NZA Sonderheft 2001, 12; Annuß/Kühn/Rudolph/Rupp, EBRG – Europäisches Betriebsräte-Gesetz, 2014; Auktor, Die individuelle Rechtsstellung der Betriebsratsmitglieder bei Wahrnehmung eines Restmandats, NZA 2003, 950; Bayer/Schmidt, BB-Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsreport europäisches Unternehmensrecht 2015/2016, BB 2016, 1923; Besgen/Langer, Zum Übergangsmandat des Personalrats bei der privatisierenden Umwandlung, NZA 2003, 1239; Blanke, Das Übergangsmandat der Personalräte (Anmerkung zu den Beschlüssen des LAG Köln vom 11.2. und vom 10.3.2000), PersR
932 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen | § 24 2000, 349; Däubler, Der Gemeinschaftsbetrieb im Arbeitsrecht, FS Zeuner, 1994, S. 19; Düwel, Übergangsmandat und erstrecktes Mandat im Schwerbehindertenrecht, FS Moll, 2019, S. 95; Elking, Betriebsratsanhörung bei betriebsbedingter Kündigung von dem Betriebsübergang widersprechenden Arbeitnehmern – Anmerkung zu BAG, Urteil vom 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12, BB 2015, 60; Feldhaus/ Vandscheidt, „Strukturelle Änderungen“ der Europäischen Aktiengesellschaft im Lichte von Unternehmenstransaktionen, BB 2008, 2246; Feudner, Übergangs- und Restmandate des Betriebsrats, BB 2008, 1934; Feudner, Übergangs- und Restmandate des Betriebsrats gem. §§ 21a, 21b BetrVG, DB 2003, 882; Friese, Die Bildung von Spartenbetriebsräten nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, RdA 2003, 92; Fuhlrott/Oltmanns, Das Schicksal von Betriebsräten bei Betriebs(teil)übergängen, BB 2015, 1013; B. Gaul/Mückl, Vereinbarte Betriebsverfassung – Was ist möglich, was sinnvoll?, NZA 2011, 657; Geschwandtner, Genossenschaftsrecht, 2007; Götte, Personelle Zusammensetzung der Schwerbehindertenvertretung nach Betriebsspaltung (Anmerkung zu LAG Düsseldorf v. 18.10.2017 – 12 TaBVGa 4/ 17), DB 2018, 130; Gragert, Übers Ziel hinaus? – Das Übergangsmandat nach § 21a BetrVG, NZA 2004, 289; Hanau, Die Reform der Betriebsverfassung, NJW 2001, 2513; Hanau/Becker, Privatisierung öffentlicher Dienste, 1980; Heinze, Arbeitsrechtliche Fragen bei der Übertragung und Umwandlung von Unternehmen., ZfA 1997, 1; Helm/Müller, Bildung eines Gesamtbetriebsrats in Unternehmen mit nur einem Betriebsrat, AiB 2001, 449; Hermann, Der gemeinsame Betrieb mehrerer Unternehmen, 1993; Hidalgo/Kobler, Die betriebsverfassungsrechtlichen Folgen des Widerspruchs bei einem Betriebsübergang wenn alle Arbeitnehmer widersprechen!, NZA 2014, 290; Hoffmann/Alles, Der „unternehmensübergreifende“ Gesamtbetriebsrat, NZA 2014, 757; von Hoyningen-Huene/Windbichler, Der Übergang von Betriebsteilen nach § 613a BGB, RdA 1977, 329; Jaeger/Röder/Heckelmann, Praxishandbuch Betriebsverfassungsrecht, 2003; Joost, Betrieb und Unternehmen als Grundbegriffe im Arbeitsrecht, 1988; Jung, Das Übergangsmandat des Betriebsrats, 1999; Junker, Anmerkungen zu BAG, Beschl. v. 8.12.2009 – 1 ABR 41/09, EWiR 2010, 273; Kast/Freyhuber, Privatisierung öffentlicher Arbeitgeber, DB 2004, 2530; O. 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§ 24 Rz. 24.1 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen sung 2001 – Ein Überblick über die neuen Regelungen des Betriebsverfassungs-Reformgesetzes, NZA 2001, 857; Richter/Muschler, Das Ende der Amtszeit des Betriebsrates – Auswirkungen auf anhängige Beschlussverfahren, ArbRAktuell 2016, 29; Ricken, Kontinuität des Betriebsrats als Strukturprinzip der Betriebsverfassung, FS 100 Jahre Betriebsverfassungsrecht, 2020, S. 629; Rieble, Das Übergangsmandat nach § 21a BetrVG, NZA 2002, 233; Rieble, Übergangsmandat bei Betriebsverschmelzung: Streit zwischen Betriebsräten und Durchsetzung, ZIP 2004, 693; Rieble, Betriebsverfassungsrechtliche Folgen der Betriebs- und Unternehmensumstrukturierung, NZA 2003, Sonderbeilage zu Heft 16, 62; Rieble, Schutz vor paritätischer Unternehmensmitbestimmung, BB 2006, 2018; Röder/Hausmann, Die Geltung von Gesamtbetriebsvereinbarungen nach einer Umwandlung, DB 1999, 1754; Salamon, Die Anbindung des Gesamtbetriebsrats an das Unternehmen – Insbesondere: Mitbestimmung im gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen, RdA 2008, 24; Schiefer, Arbeitsrechtliche Voraussetzungen und Folgen des Betriebsübergangs gem. § 613a BGB, FS Willemsen, 2018, S. 427; Schimanski, Das Rest- und Übergangsmandat der Schwerbehindertenvertretung, Behindertenrecht 1999, 132; Schipp, Arbeitsrechtliche Probleme bei der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen, NZA 1994, 865; Schlenker-Rehage, Das Übergangsmandat des Betriebs- und des Personalrates, 2010; Schnelle, Die Schwerbehindertenvertretung: Was ändert sich durch das Bundesteilhabegesetz?, NZA 2017, 880; Schönhöft/ Brahmstaedt, Betriebsvereinbarungen und Gemeinschaftsbetrieb, NZA 2010, 851; Schönhöft/Schönleber, Zur Frage der Reduzierung von Mitbestimmungsgremien durch einen Gemeinschaftsbetrieb, BB 2013, 2485; Schubert, Das „Restmandat“ bei Betriebsrat und Personalrat, AuR 2003, 132; Schwarzburg, Zum Restmandat und Übergangsmandat des Personalrats, öAT 2010, 79; Teusch, Organisationstarifverträge nach § 3 BetrVG, NZA 2007, 124; Thüsing, Vereinbarte Betriebsratsstrukturen – Zum Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien im Rahmen des § 3 BetrVG, ZIP 2003, 693; Thüsing, Das Übergangsmandat und das Restmandat des Betriebsrats nach § 21a und § 21b BetrVG; DB 2002, 738; Thüsing/Forst, Konzernweite Strukturierung von Organen der Betriebsverfassung – klassische und neue Fragen insb. zum Teilkonzernbetriebsrat, Konzern 2010, 1; Wolff, Europäische Betriebsräte nach dem Brexit, BB 2016, 1784; Wollenschläger, Betriebsverfassungsrechtliche Fragen des Betriebsübergangs nach § 613a BGB unter Berücksichtigung des Rechts der Europäischen Union, Festschrift Gitter, 1995, S. 1067; Wollenschläger/von Harbou, Arbeitsrechtliche Fragen bei Privatisierungs- und Outsourcingmaßnahmen in öffentlichen Krankenhäusern, NZA 2005, 1081; Wollwert, Zulässigkeit der Errichtung eines Konzernbetriebsrats durch den konzernweit einzigen Gesamtbetriebsrat, NZA 2011, 437.
A. Rechtsfolgen einer Restrukturierung für den Betriebsrat 24.1
Ein Betriebsrat wird stets für eine bestimmte betriebsverfassungsrechtliche Organisationsstruktur gewählt. In der Regel ist dies ein Betrieb i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Diese Organisationsstruktur kann sich infolge von Restrukturierungen ändern oder sogar entfallen. In solchen Fällen stellt sich die Frage, welche Auswirkungen dies auf den Bestand und das Mandat des Betriebsrats hat. Sollte das Betriebsratsamt erlöschen, stünden die Arbeitnehmer ohne Schutz da, obwohl sie insbesondere bei grundlegenden Strukturänderungen auf ihre betriebliche Interessenvertretung besonders angewiesen sind. Um Schutzlücken zu vermeiden, verhindern die Vorschriften zum Rest- und Übergangsmandat, dass eine Einheit „von heute auf morgen“ betriebsratslos wird. Das liegt häufig zugleich im Unternehmensinteresse. Dem Arbeitgeber bleibt auf diese Weise auch nach einer Umstrukturierung ein Verhandlungspartner zur Regelung kollektiver Arbeitsbedingungen erhalten.
I. Das reguläre Mandat des Betriebsrats 24.2
Beispiel 1: Die A-GmbH ist ein Automobilzulieferer. Neben Betrieben in Hamburg und Bremen existiert ein Betrieb in Ettlingen, in dem ein Betriebsrat besteht. Dort befindet sich die Forschung und die Produkti-
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Rechtsfolgen für den Betriebsrat | Rz. 24.4 § 24 on für Tanks. Da die A-GmbH aus dem Geschäft mit Tanks aussteigen möchte, verkauft und überträgt sie alle Betriebsmittel des Ettlinger Betriebs an die B-AG. Diese möchte den Betrieb unverändert als eigenständigen Betrieb fortführen. Die Arbeitnehmer der A-GmbH in Ettlingen werden informiert, dass ihre Arbeitsverhältnisse im Wege eines Betriebsübergangs von der A-GmbH auf die B-AG übergehen. Der Ettlinger Betriebsrat fragt nach seinem Schicksal.
A-GmbH
§§ 433, 929 BGB § 613a BGB
B-AG
Betrieb
Das Amt des Betriebsrats endet infolge einer Umstrukturierungsmaßnahme nur unter zwei Voraussetzungen: Die Maßnahme muss sich zunächst überhaupt auf die betriebsverfassungsrechtliche Organisationsstruktur auswirken1. Sie muss dies zudem in einer Weise tun, die zum Verlust der Identität dieser Struktur führt (zum Identitätsbegriff vgl. Rz. 22.10, 22.14 und Rz. 24.35)2. Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen, bleibt der Betriebsrat unverändert im Amt.
24.3
1. Unveränderter Fortbestand des Betriebs Umstrukturierungsmaßnahmen sind nicht notwendigerweise mit einem Eingriff in die betriebliche Organisation verbunden. So bleiben z.B. rein gesellschaftsrechtliche Maßnahmen ohne Auswirkung auf die betriebsverfassungsrechtliche Organisationsstruktur. Gemeint sind Vorgänge, die sich nur auf das Unternehmen auswirken, nicht aber auf den Betrieb als solchen. Die Änderung der Rechtsform (§§ 190 ff. UmwG), der Gesellschafterwechsel (sog. Share Deal), die Anwachsung oder die Verschmelzung von Unternehmen (§§ 2 ff. UmwG) zählen dazu. Diese Maßnahmen haben keine Auswirkungen auf das Amt des (örtlichen) Betriebsrats. Sie betreffen nur den Rechtsträger, lassen die betriebliche Organisation aber unverändert. Gleiches gilt für die Unternehmensspaltung (§§ 123 ff. UmwG), es sei denn, diese führt zugleich zur Spaltung eines Betriebs (zur Möglichkeit der Errichtung eines Gemeinschaftsbetriebs in diesen Fällen vgl. Rz. 22.129). Neuwahlen finden erst nach Ablauf der regulären Amtsperiode statt, soweit der Betriebsrat nicht ausnahmsweise zuvor nach § 13 Abs. 2 BetrVG neu zu wählen ist.
1 BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277 Rz. 23 = ArbRB 2013, 44 (Mues); ErfK/Koch, § 21a BetrVG Rz. 2. 2 BAG v. 15.10.2014 – 7 ABR 53/12, NZA 2015, 1014; BAG v. 19.11.2003 – 7 AZR 11/03, NZA 2004, 435, 436 = 2004, 108 (Braun); BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277 Rz. 48 = ArbRB 2013, 44 (Mues); Fitting, § 21a BetrVG Rz. 6 f.
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24.4
§ 24 Rz. 24.5 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
24.5
Betrifft eine Umstrukturierungsmaßnahme nicht nur das Unternehmen, sondern auch den Betrieb, ist weiter zu prüfen, ob damit Auswirkungen auf die Betriebsidentität einhergehen. Solange die Betriebsidentität fortbesteht, behält der Betriebsrat als Organ das ihm durch die Wahl übertragene Mandat zur Vertretung der Belegschaftsinteressen und zur Wahrnehmung der betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben1. Wird ein Betrieb z.B. vollständig an einen anderen Ort verlegt, bleibt seine Identität i.d.R. erhalten und der Betriebsrat im Amt. Eine Verlegung kann allerdings im Einzelfall zu einer Stilllegung und damit zum Verlust der Betriebsidentität führen. Das ist insbesondere bei großen räumlichen Entfernungen und dem Zurückbleiben der Hauptbelegschaft der Fall2. Bei der bloßen Änderung des Betriebszwecks wird man entsprechend entscheiden müssen3. Die Übertragung sämtlicher Vermögensgegenstände eines Betriebs auf einen Erwerber im Wege der Einzelrechtsnachfolge betrifft – wie im Beispiel 1 – das Organ des (örtlichen) Betriebsrats ebenfalls nicht. Ein solcher sog. Asset Deal führt zwar zu einem Betriebsübergang. Die betriebliche Struktur ändert sich dadurch jedoch nicht. Der Betriebsrat bleibt folglich im Amt.
24.6
Für einen selbständigen Betriebsteil i.S.d. § 4 Abs. 1 BetrVG, in dem ein Betriebsrat gewählt wurde, gelten die vorstehenden Grundsätze entsprechend4. Er wird wie ein eigenständiger Betrieb behandelt. Eine Ausnahme ist lediglich zu machen, wenn die Arbeitnehmer dieses Betriebsteils den Betriebsrat im Hauptbetrieb gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2, 3 BetrVG mitgewählt haben. Dann sind beide Einheiten als ein einziger Betrieb zu behandeln. Damit bewirkt die Übertragung des ursprünglich selbständigen Betriebsteils auf einen Dritten eine Betriebsspaltung. Denn es fehlt bei mindestens einer der beiden Einheiten die für den Fortbestand der betriebsbezogenen Arbeitnehmervertreter notwendige betriebsverfassungsrechtliche Identität mit dem bisherigen Betrieb. Gleiches gilt, wenn zwei selbständige Betriebe eines Unternehmens auf der Grundlage eines Tarifvertrags, einer Betriebsvereinbarung oder einer Entscheidung der Arbeitnehmer gemäß § 3 BetrVG zu einem einheitlichen Betrieb zusammengeschlossen werden und später einer der ursprünglich selbständigen Betriebe auf einen neuen Inhaber übertragen wird. Auch dieser Vorgang ist regelmäßig eine Spaltung. Denn auch hier werden die beiden Betriebe bis zum Übertragungsvorgang wie ein einziger Betrieb i.S.d. BetrVG behandelt (§ 3 Abs. 5 BetrVG), der durch die Übertragung eines der ursprünglich selbständigen Betriebe in seiner Identität verändert wird (näher dazu unter Rz. 24.188 ff.). Wird in diesem Fall nur ein Betriebsteil auf einen anderen Rechtsträger übertragen, ohne dass die betriebliche Organisation nach dem Wirksamwerden des Übertragungsvorgangs wesentlich geändert wird, besteht der bisherige Betrieb im Zweifel als gemeinsamer Betrieb der beteiligten Rechtsträger fort5. Wie an anderer Stelle gezeigt (vgl. Rz. 22.129), wird diese Vermutung durch § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 2 BetrVG ausdrücklich festgeschrieben. Damit besteht auch der Betriebsrat – jetzt als Betriebsrat des gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen – fort6.
1 BAG v. 15.10.2014 – 7 ABR 53/12, NZA 2015, 1014; Fuhlrott/Oltmanns, BB 2015, 1013. 2 Dazu näher GK/Oetker, § 111 BetrVG Rz. 133 ff.; BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, NZA 2011, 1143 = ArbRB 2011, 328 (Grimm); und BAG v. 29.8.2013 – 2 AZR 809/12, NZA 2014, 730 = ArbRB 2014, 99 (Windeln), sowie LAG Baden-Württemberg v. 2.7.2013 – 22 Sa 63/12, ArbRAktuell 2014, 60 (Klagges). 3 ErfK/Koch, § 21a BetrVG Rz. 2. 4 Fitting, § 21a BetrVG Rz. 9; von Hoyningen-Huene/Windbichler, RdA 1977, 329, 335. 5 Kallmeyer/Willemsen, § 322 UmwG Rz. 4; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 132; ähnlich Wollenschläger, FS Gitter, 1995, S. 1067, 1074. 6 WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 16; Bauer/Haußmann/Krieger, 4 B Rz. 43.
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Rechtsfolgen für den Betriebsrat | Rz. 24.8 § 24
2. Spaltung des bisherigen Betriebs Beispiel 2: Die A-GmbH (siehe Beispiel 1, Rz. 24.2) möchte die Tanks zukünftig nicht mehr selbst produzieren, sondern nur die Forschung eigenständig fortführen. Sie verkauft und überträgt deshalb die Betriebsmittel des Betriebsteils Produktion an die B-GmbH. Davon sind 120 der 150 Arbeitnehmer der AGmbH betroffen. Der Betriebsrat fragt nach seinem Schicksal.
24.7
nachher: A-GmbH
Produktion
BR
B-GmbH
Forschung
Produktion
1a § 2 VG tr Be
reg. Mandat
Forschung
A-GmbH
re M g. an da t
vorher:
BR
Eine Betriebsspaltung ist die Teilung des Betriebs in tatsächlicher Hinsicht (näher dazu Rz. 2.15 ff.)1. Aus dem bisherigen Betrieb entstehen durch Veränderung von Aufgabenbereich und Organisation neue Einheiten. Entscheidend ist die Aufhebung der bislang einheitlichen Leitungsstruktur2. Denn die organisatorische Einheit „Betrieb“ wird maßgebend durch den Leitungsapparat bestimmt. Es gibt zwei Formen der Betriebsspaltung: Die Auf- und die Abspaltung3. Die Aufspaltung führt zum Verlust der Identität des Ursprungsbetriebs. Dieser wird aufgelöst4. Damit endet das reguläre Mandat seiner Mitglieder5. Denn der Betriebsrat ist in seinem Bestand als Organ der Betriebsverfassung an einen Fortbestand des Betriebs geknüpft,
1 BAG v. 15.10.2014 – 7 ABR 53/12, NZA 2015, 1014; BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277 Rz. 48 = ArbRB 2013, 44 (Mues); BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 77/06, NZA 2008, 957 Rz. 12 = ArbRB 2008, 269 (Braun). 2 Fitting, § 21a BetrVG Rz. 10; HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 5; GK-BetrVG/Kreutz, § 21a Rz. 20 f.; Rieble, NZA 2002, 233, 233. 3 BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277 Rz. 48 = ArbRB 2013, 44 (Mues); zur Abgrenzung vgl. LAG Düsseldorf v. 11.1.2011 – 17 Sa 828/10, BeckRS 2011, 68242; LAG Hamm v. 22.10.2010 – 10 TaBVGa 19/10, BeckRS 2011, 68101; Linsenmaier, RdA 2017, 128, 129; Bauer/Haußmann/Krieger, 4 B Rz. 43. 4 BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277 Rz. 48 = ArbRB 2013, 44 (Mues); Fitting, § 21a BetrVG Rz. 9a; HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 5; ErfK/Koch, § 21a BetrVG Rz. 2. 5 BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277 Rz. 48 = ArbRB 2013, 44 (Mues); BAG v. 31.5.2000 – 7 ABR 78/98, NZA 2000, 1350, 1353; Henssler, FS Kraft, 1998 S. 219 (234 f.); Bauer/Haußmann/ Krieger, 4 B Rz. 43.
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24.8
§ 24 Rz. 24.8 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
für den er gewählt wurde1. Er behält allerdings ein Restmandat für den Ursprungsbetrieb2. Die neu entstehenden Einheiten können als eigenständige Betriebe oder selbständige Betriebsteile gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG fortgeführt werden. Für diese Einheiten können Übergangsmandate entstehen3. Der ehemalige Betriebsrat hat in diesem Fall gleichzeitig ein Restund zwei Übergangsmandate. Ersteres bezieht sich auf den Betrieb in seiner Form vor der Aufspaltung, letzteres auf die nach der Aufspaltung entstehenden Betriebe.4
24.9
Bei einer Abspaltung besteht der Ursprungsbetrieb fort5. Er behält seine Identität (vgl. Rz. 24.12 zu möglichen Ausnahmen). Der Betriebsrat bleibt somit im Amt6. Er hat unter den Voraussetzungen des § 21a BetrVG für die abgespaltenen Betriebsteile ein Übergangsmandat. Ob der Ursprungsbetrieb oder die abgespaltenen Betriebsteile auf einen anderen Rechtsträger übertragen werden, ist insoweit unerheblich. Beispiel 2 behandelt eine typische Abspaltung.
24.10
Ob nach einer Abspaltung im Ursprungsbetrieb Neuwahlen erforderlich sind, beurteilt sich nach § 13 Abs. 2 BetrVG. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich die Belegschaftsstärke infolge der Abspaltung in dem in § 13 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG vorgesehenen Ausmaß zum maßgeblichen Stichtag (24 Monate nach der letzten Betriebsratswahl) ändert. Der Betriebsrat des Ursprungsbetriebs ist auch dann neu zu wählen, wenn die Gesamtzahl der Betriebsratsmitglieder nach Eintreten sämtlicher Ersatzmitglieder im Ursprungsbetrieb nach der Abspaltung unter die vorgeschriebene Mindestzahl sinkt (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG). Dazu kann es sowohl bei Umstrukturierungen innerhalb eines Rechtsträgers kommen als auch bei Vorgängen, die mit einem Rechtsträgerwechsel verbunden sind. Letzteres ist z.B. der Fall, wenn der Ursprungsbetrieb als Restbetrieb beim übertragenden Rechtsträger fortbesteht, aber das Arbeitsverhältnis des Betriebsratsmitglieds dem abgespaltenen Betriebsteil zuzuordnen ist und daher gemäß § 613a BGB auf den übernehmenden Rechtsträger übergeht. In der Praxis erfolgt eine Neuwahl häufig auch durch Rücktritt des bisherigen Betriebsrats (§ 13 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG), um auf diesem Wege einen Betriebsrat zu wählen, der die geänderte Personalstruktur widerspiegelt.
24.11
Beispiel 3: Die Z-GmbH entwirft, produziert und verkauft Damenmode. Sie hat einen Betrieb in Berlin mit 80 Arbeitnehmern. Dort besteht ein Betriebsrat. Um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessen und um Synergieeffekte im Konzern besser zu nutzen, überträgt die Z-GmbH folgende Funktionen an verschiedene Konzernunternehmen: Administrative Aufgaben (Buchhaltung, Rechtsabteilung etc.) an die AGmbH (sieben Arbeitnehmer), die Lagerhaltung und den Versand an die B-GmbH (20 Arbeitnehmer) und die gesamte Produktion mit 35 Arbeitnehmern an eine Tochtergesellschaft C. Die Facility Ma-
1 Vgl. BAG v. 31.5.2000 – 7 ABR 78/98, NZA 2000 1350, 1352 f.; so letztlich auch Sowka, DB 1988, 1318, 1320 f.; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 51. 2 BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 77/06, NZA 2008, 957 Rz. 12 = ArbRB 2008, 269 (Braun); Linsenmaier, RdA 2017, 128, 130. 3 BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 77/06, NZA 2008, 957 Rz. 12 = ArbRB 2008, 269 (Braun); Linsenmaier, RdA 2017, 128, 130. 4 Zum Übergangsmandat Rieble, NZA 2002, 233, 235. 5 LAG Düsseldorf v. 18.10.2017 – 12 TaBVGa 4/17, BeckRS 2017, 132754 Rz. 39; BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277 Rz. 48 = ArbRB 2013, 44 (Mues); Fitting, § 21a BetrVG Rz. 9a; HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 5; ErfK/Koch, § 21a BetrVG Rz. 2. 6 LAG Düsseldorf v. 18.10.2017 – 12 TaBVGa 4/17, BeckRS 2017, 132754 Rz. 39; BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277 Rz. 48 = ArbRB 2013, 44 (Mues); Fitting, § 21a BetrVG Rz. 9a; HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 8.
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Rechtsfolgen für den Betriebsrat | Rz. 24.14 § 24 nagement Aufgaben werden an D fremdvergeben (zwei Arbeitnehmer). Es verbleiben 16 von vormals 80 Arbeitnehmern bei der Z-GmbH.
vorher:
nachher: Z
Z
A
B
C
D
80 AN
16 AN
7 AN
20 AN
35 AN
2 AN
Eine Reihe von Abspaltungen, von denen jede für sich genommen die Identität des Betriebs nicht beseitigt, kann in ihrer Summe zum Verlust der Betriebsidentität führen. Es lässt sich dann – wie in Beispiel 3 – nicht länger von einem Ursprungsbetrieb, dessen betriebliches Substrat weitgehend unverändert geblieben ist1, und daraus hervorgegangenen Einheiten sprechen2. In diesem Fall erlischt das originäre Mandat des bisherigen Betriebsrats („Atomisierung“). Eine Spaltung kann zugleich eine Betriebsänderung gemäß § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG darstellen.
24.12
Im abgespaltenen Betriebsteil kann ein neuer Betriebsrat gewählt werden, sofern der Betriebsteil eigenständig bleibt und betriebsratsfähig ist. Letzteres setzt voraus, dass es sich entweder um einen Betrieb i.S.d. § 1 Abs. 1 BetrVG handelt oder um einen als selbständig geltenden Betriebsteil gemäß § 4 Abs. 1 BetrVG. Der Betriebsrat des Ursprungsbetriebs hat im Rahmen seines Übergangsmandats unverzüglich Wahlvorstände zu bestellen. Die Eigenständigkeit geht verloren, wenn der abgespaltene Betriebsteil in einen bereits bestehenden Betrieb eingegliedert wird (hierzu näher Rz. 24.18). Besteht dort bereits ein Betriebsrat, erstreckt sich dessen Zuständigkeit fortan auch auf die Arbeitnehmer des abgespaltenen Betriebsteils. Ist der aufnehmende Betrieb betriebsratsfähig, aber betriebsratslos, ist umstritten, ob der Betriebsrat des Ursprungsbetriebs im Rahmen seines Übergangsmandats Wahlvorstände im aufnehmenden Betrieb bestellen darf (dazu näher Rz. 24.44 ff.). Wird der abgespaltene Betriebsteil mit einem anderen Betrieb oder Betriebsteil zu einem neuen Betrieb zusammengeschlossen, kann dort ebenfalls ein Betriebsrat gewählt werden, sofern die neue Einheit betriebsratsfähig ist. Der Betriebsrat des Ursprungsbetriebs nimmt dafür nach § 21a Abs. 2 BetrVG das Übergangsmandat wahr, sofern in dem abgespaltenen Betriebsteil mehr wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt werden als in dem Betrieb bzw. Betriebsteil, mit dem der abgespaltene Betriebsteil zusammengeschlossen wird (dazu näher Rz. 24.33).
24.13
3. Zusammenfassung von Betrieben oder Betriebsteilen zu einem neuen Betrieb Beispiel 4: Ein Memminger Unternehmen verlegt seinen bislang am früheren Produktionsstandort befindlichen Vertrieb (30 Arbeitnehmer) an die im neuen Industriegebiet vor einiger Zeit errichtete Produktions1 BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277 Rz. 48 = ArbRB 2013, 44 (Mues). 2 WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 51.
Leder/Lunk | 939
24.14
§ 24 Rz. 24.14 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen stätte (50 Arbeitnehmer) und richtet eine gemeinsame Leitung ein. Vertrieb und Produktionsstätte hatten bislang jeweils einen eigenen Betriebsrat. Die Betriebsräte fragen, ob und für welchen Betriebsrat ein Übergangsmandat entsteht.
24.15
24.16
Beispiel 5: Die A-GmbH stellt in ihrem Betrieb in Hamburg, für den ein Betriebsrat gewählt wurde, Produkt 1 und Produkt 2 her. Sie will sich zukünftig auf die Herstellung von Produkt 1 beschränken und verkauft deshalb den Betriebsteil „Produkt 2“ einschließlich aller Produktionsmaschinen an die Z-AG per Asset Deal. Die betreffenden Arbeitnehmer (50) gehen nach § 613a BGB auf die Z-AG über. Da die Z-AG in Hamburg ebenfalls einen Betrieb führt (70 Arbeitnehmer), integriert sie die Maschinen zur Schaffung von Synergieeffekten in ihren Betrieb. In dem Betrieb der Z-AG besteht ebenfalls ein Betriebsrat.
Einzelne Betriebe oder Betriebsteile können mit einem anderen Betrieb oder Betriebsteil zu einer neuen Einheit zusammengeschlossen werden. Dies kann, wie vorstehende Beispiele zeigen, praktisch auf unterschiedliche Weise geschehen. Die Beispielsfälle haben indes eine Gemeinsamkeit: Durch die Zusammenfassung entsteht eine neue Organisationseinheit mit neuer Leitungsstruktur. Die Zusammenfassung ist damit das Spiegelbild der Aufspaltung. Während bei der Aufspaltung ein Betrieb untergeht, entsteht bei einer Zusammenfassung ein neuer Betrieb. Die Amtszeit der Betriebsräte in den jeweiligen Ursprungsbetrieben endet daher mit Wirksamwerden der Zusammenfassung1. Ihr reguläres Mandat endet zu diesem Zeitpunkt. Der Gesetzgeber hat diese Fallgruppe in § 21a Abs. 2 BetrVG anerkannt und zugleich geregelt, dass in solchen Fällen der Betriebsrat des nach der Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer größten Betriebs oder Betriebsteils das Übergangsmandat wahrnimmt2. Im Beispiel 4 ist die Belegschaft des Produktionsbetriebs und im Beispiel 5 die des bisherigen Betriebs der Z-AG zahlenmäßig größer. Die betreffenden Betriebsräte nehmen jeweils das Übergangsmandat wahr. Das Übergangsmandat erstreckt sich dann auch auf zuvor betriebsratslose Betriebe3. Ist der größte Betrieb betriebsratslos, nimmt der Betriebsrat des nächstgrößeren Betriebs das Übergangsmandat wahr4. Die Gegenansicht, die ein Übergangsmandat in diesem Fall ablehnt5, verkennt dessen Zweck, Repräsentationslücken im Zweifel zu vermeiden.
4. Eingliederung von Betrieben oder Betriebsteilen in einen bestehenden Betrieb 24.17 24.18
Beispiel 6: wie Beispiel 5 (Rz. 24.15), jedoch beschäftigt die Z-AG in Hamburg 500 Arbeitnehmer; in diesen Betrieb werden die 50 Arbeitnehmer der A-GmbH integriert.
Eine Zusammenführung von Betrieben oder Betriebsteilen kann auch in anderer Form als durch „Zusammenfassung“ i.S.d. § 21a Abs. 2 BetrVG geschehen. Während bei der Zusammenfassung ein neuer Betrieb mit eigener Identität entsteht, sind Fälle denkbar, in denen ein Betrieb unter Beibehaltung seiner Identität einen weiteren Betrieb oder einen Betriebsteil auf-
1 HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 9; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 66; Fitting, § 21a BetrVG Rz. 11. 2 Hessisches LAG v. 23.10.2008 – 9 TaBV 155/08, BeckRS 2011, 71711. 3 Fuhlrott/Oltmanns, BB 2015, 1013, 1017; Fitting, § 21a BetrVG Rz. 11. 4 Rieble, NZA 2002, 233, 238; HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 9; Reichold, NZA 2001, 857, 859; Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 300. 5 Schönhöft/Schönleber, BB 2013, 2485, 2488.
940 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für den Betriebsrat | Rz. 24.22 § 24
nimmt. Diese Konstellationen werden (zur Abgrenzung vgl. Rz. 24.35) üblicherweise als „Eingliederung“ bezeichnet1. Dann besteht das Mandat des Betriebsrats des aufnehmenden Betriebs (im Beispiel 6: des Betriebsrats der Z-AG) ohne Änderung fort2. Beschlussverfahren, die der Betriebsrat des eingegliederten Betriebs geführt hat, werden automatisch, d.h. ohne dass es irgendwelcher Prozesshandlungen bedarf, durch den Betriebsrat des aufnehmenden Betriebs fortgeführt3. Allerdings kann eine vorzeitige Neuwahl des Betriebsrats im aufnehmenden Betrieb nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG erforderlich sein, wenn die Arbeitnehmerzahl infolge der Eingliederung entsprechend ansteigt. Das reguläre Mandat des Betriebsrats des eingegliederten Betriebs endet dagegen mit Vollzug der Eingliederung4. Der Betrieb verliert mit der Eingliederung seine Identität. Entsprechendes gilt für die Eingliederung eines Betriebsteils und die Beendigung eines etwaigen Übergangsmandats. Der Mandatsverlust ist die notwendige Konsequenz. Für die Abwicklung von Altangelegenheiten des eingegliederten Betriebs kann dessen Betriebsrat allerdings ein Restmandat zustehen. Ob ihm zusätzlich ein Übergangsmandat zusteht, hängt davon ab, ob im aufnehmenden Betrieb bereits ein Betriebsrat besteht. Ist dies der Fall, repräsentiert dieser Betriebsrat ab Vollzug der Eingliederung zugleich die Arbeitnehmer des eingegliederten Betriebs (teils). Für einen zweiten Betriebsrat besteht weder ein praktisches Bedürfnis noch eine betriebsverfassungsrechtliche Legitimation (ausdrücklich: § 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG).
24.19
5. Stilllegung eines Betriebs Beispiel 7: Die Supermarktkette T beschließt aufgrund stark gesunkener Kundenzahlen, ihre Filiale in Hamburg per Ende September zu schließen. Dort besteht ein Betriebsrat. Einige Abwicklungsarbeiten finden noch im Oktober statt. Der Betriebsrat fragt im Oktober, ob er eigentlich noch „im Amt“ sei. Beispiel 8: Die W-AG beschließt, ihren Betrieb 1 zum Jahresende zu schließen. Die Arbeitnehmer sollen in Betrieb 2 weiterbeschäftigt werden. Dieses Weiterbeschäftigungsangebot nehmen allerdings nur wenige Arbeitnehmer an. Die W-AG spricht deshalb Änderungskündigungen aus. Da die Kündigungsfristen über das Jahresende hinaus laufen, lässt die W-AG die Arbeitnehmer zu Zwecken der Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfristen weiter in Betrieb 1 arbeiten. Beispiel 9: Durch ein Großfeuer wird die Betriebsstätte Anfang des Jahres zerstört. In der Absicht die Produktion mit den bisherigen Mitarbeitern nach dem Wiederaufbau erneut aufzunehmen, kündigt der Arbeitgeber sämtlichen Arbeitnehmern. Im Laufe der Zeit stellt sich der Wiederaufbau letztlich als nicht finanzierbar dar, so dass im August vom ursprünglichen Beschluss Abstand genommen wird.
1 In Anlehnung an die Begrifflichkeiten des UmwG kann man bildlich auch von einer Spaltung zur Aufnahme sprechen, vgl. HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 7. 2 BAG v. 21.1.2003 – 1 ABR 9/02, NZA 2003, 1097, 1098 = ArbRB 2003, 267 (Braun); LAG Düsseldorf v. 22.10.2008 – 7 TaBV 85/08, BeckRS 2009, 55991; Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 6; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 64; HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 7. 3 BAG v. 21.1.2003 – 1 ABR 9/02, NZA 2003, 1097, 1098 = ArbRB 2003, 267 (Braun); LAG Köln v. 31.1.2020 – 9 TaBV 1/19, BeckRS 2020, 10700 Rz. 41. 4 BAG v. 25.9.1996 – 1 ABR 25/96, NZA 1997, 668, 669; LAG Köln v. 31.1.2020 – 9 TaBV 1/19, BeckRS 2020, 10700 Rz. 41; Bauer/Haußmann/Krieger, 4 B Rz. 36.
Leder/Lunk | 941
24.20
24.21
24.22
§ 24 Rz. 24.23 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
24.23
Unter einer Betriebsstilllegung versteht das BAG die dauerhafte oder jedenfalls für eine wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeit erfolgende Aufhebung der Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern (näher dazu Rz. 25.102 ff.)1. Zum Zeitpunkt der Stilllegung verliert der Betrieb seine Identität. Es endet das reguläre Mandat des Betriebsrats. Nach Maßgabe des § 21b BetrVG kann allerdings ein Restmandat bestehen. Der bloße Personalabbau oder die Stilllegung eines Betriebsteils oder einer Abteilung führen dagegen nicht zur Betriebsstilllegung2. Der Betriebsrat bleibt im Amt und nimmt im Rahmen seines regulären Mandats für die verbleibenden Arbeitnehmer weiterhin die ihm nach dem BetrVG zustehenden Rechte und Pflichten wahr3. Eine vorzeitige Neuwahl kann jedoch nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BetrVG erforderlich sein. Bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses führt der bisherige Betriebsrat nach § 22 BetrVG die Geschäfte weiter. Stellt eines von mehreren an einem Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen seine betriebliche Tätigkeit ein, wird hierdurch nach Ansicht des BAG die Betriebsidentität nicht berührt, sofern ein oder mehrere Unternehmen ihre bisherige betriebliche Tätigkeit fortsetzen4.
24.24
Der Betrieb in Beispiel 7 (Rz. 24.20) schloss Ende September. Die Betriebs- und Produktionsgemeinschaft wurde aufgelöst. Das Beschäftigungsbedürfnis für die Arbeitnehmer entfiel. (Vereinzelte) Abwicklungsarbeiten verschieben den Zeitpunkt der Stilllegung nicht nach hinten5. Damit endete das reguläre Betriebsratsmandat mit Ablauf des Septembers. Anders im Beispiel 8 (Rz. 24.21): Da hier nicht bloße Abwicklungsarbeiten stattfanden, kam es nicht zu einer Stilllegung zum Jahreswechsel, sondern erst mit Einstellung der Arbeit nach Ablauf der Kündigungsfristen. Bis dahin konnte der Betriebsrat weiter sein reguläres Vollmandat ausüben. Im Beispiel 9 (Rz. 24.22) kommt es erst im August zur Stilllegung. Zwar ist die Entlassung aller Arbeitnehmer ein sicheres Indiz für das Vorliegen einer Betriebsstilllegung6. Entscheidend ist aber, ob dies der dauerhaften und für unabsehbare Zeit geplanten Auflösung der Produktionsgemeinschaft dient7. Die Stilllegung erfolgte daher erst im August.
II. Das Übergangsmandat des Betriebsrats 24.25
Die Zuständigkeit des Betriebsrats ist nach der Rechtsprechung des BAG an die Identität des Betriebs geknüpft, für den er gewählt wurde8. Solange diese Identität fortbesteht, behält der Betriebsrat das ihm durch Wahl übertragene Mandat zur Vertretung von Belegschaftsinteressen und zur Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben9. Strukturelle Veränderungen des Betriebs in Form von Spaltungen, Zusammenfassungen oder Eingliederungen können jedoch zum Wegfall dieser Betriebsidentität und damit zum Ende des Betriebsratsmandats führen. In diesen Situationen vermeidet das Übergangsmandat nach § 21a BetrVG eine be-
1 BAG v. 8.4.2003 – 2 AZR 15/02, AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 40 = ArbRB 2003, 300 (Berscheid); Fitting, § 21b BetrVG Rz. 6. 2 BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277, 282 = ArbRB 2013, 44 (Mues); BAG v. 19.11.2003 – 7 AZR 11/03, NZA 2004, 435, 437 = ArbRB 2004, 108 (Braun). 3 BAG v. 19.11.2003 – 7 AZR 11/03, NZA 2004, 435, 437 = ArbRB 2004, 108 (Braun). 4 BAG v. 19.11.2003 – 7 AZR 11/03, NZA 2004, 435, 437 Rz. 15= ArbRB 2004, 108 (Braun). 5 BAG v. 18.10.2012 – 6 AZR 41/11, NZA 2013, 1007 Rz. 48. 6 BAG v. 16.6.1987 – 1 AZR 528/85, NZA 1987, 858, 859. 7 BAG v. 16.6.1987 – 1 AZR 528/85, NZA 1987, 858, 859. 8 BAG v. 19.11.2003 – 7 AZR 11/03, NZA 2004, 435, 437 = ArbRB 2004, 108 (Braun); BAG v. 31.5.2000 – 7 ABR 78/98, NZA 2000, 1350, 1352; Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 2; HaKoBetrVG/Düwell, § 21a Rz. 3. 9 BAG v. 31.5.2000 – 7 ABR 78/98, NZA 2000, 1350, 1352.
942 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für den Betriebsrat | Rz. 24.26 § 24
triebsratslose Zeit bis zur Neuwahl1. In einer Phase, in der die Belegschaft besonders schutzbedürftig ist, sollen ihr nicht die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte genommen werden2. Für den Arbeitgeber kann ein Übergangsmandat gleichfalls von Vorteil sein. Es steht ihm auf diese Weise weiterhin ein Ansprechpartner für betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheiten zur Verfügung. Betriebsvereinbarungen können so auch unmittelbar nach der Spaltung oder dem Zusammenschuss abgeschlossen, geändert oder aufgehoben werden.
1. Entstehungsgeschichte Das BAG erkannte bereits früh ein Restmandat des Betriebsrats an3. Bei der Stilllegung eines Betriebs sollte der Betriebsrat seine Zuständigkeit zur Wahrnehmung der sich in diesem Zusammenhang ergebenden Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte behalten. Eine über ein solches Restmandat hinausgehende, betriebs- oder gar unternehmensübergreifende Zuständigkeit lehnte das Gericht zunächst jedoch ab4. Infolgedessen sah der Gesetzgeber zunächst explizit Übergangsmandate in einer Reihe von Spezialgesetzen vor5. Größere Bedeutung erlangte das Übergangsmandat in der arbeitsrechtlichen Diskussion erst durch § 321 UmwG a.F.6. Das BAG nahm diese Entwicklung im Jahr 2000 zum Anlass, ein allgemeines Übergangsmandat des Betriebsrats bei Spaltungen im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung anzuerkennen7. Im Zuge der BetrVG-Novelle 2001 erfuhr das Übergangsmandat sodann in § 21a BetrVG eine normative Verankerung. Damit wollte der Gesetzgeber das bislang in Spezialvorschriften geregelte Übergangsmandat als allgemein gültigen Rechtssatz verankern8. Die Regelung diente zugleich der Umsetzung von Art. 6 Richtlinie 2001/23/EG. Dessen Abs. 1 Unterabs. 4 treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit die vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer, die vor dem Übergang vertreten wurden, auch während des Übergangs bis zum Zeitpunkt einer Neuwahl angemessen vertreten werden.
1 Vgl. BT-Drucks 14/5741, S. 39. 2 Schaub/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 219 Rz. 17. 3 Vgl. hierzu nur BAG v. 17.7.1964 – 1 ABR 3/64, AP ArbGG 1953 § 80 Nr. 3; BAG v. 30.10.1979 – 1 ABR 112/77, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 9. 4 BAG v. 28.9.1988 – 1 ABR 37/87, NZA 1989, 188, 189 f.; BAG v. 23.11.1988 – 7 AZR 121/88, NZA 1989, 433, 435. 5 Vgl. § 13 des Gesetzes über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen (SpTrUG) vom 5.4.1991, BGBl. I 1991, S. 854 ff., § 6 Abs. 9 des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (VermG), BGBl. I 1991, S. 958 ff., §§ 8, 9 des Gesetzes zur Zusammenführung und Neugliederung der Bundeseisenbahnen und § 15 des Gesetzes über die Gründung einer Deutsche Bahn AG (DBGrG) im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (ENeuOG) v. 27.12.1993, BGBl. I 1993, S. 2378 ff., § 8 des Gesetzes über die Neuordnung zentraler Einrichtungen des Gesundheitswesens vom 24.6.1994 (GNG), BGBl. I 1994, S. 1416 ff., § 15 Abs. 3 des Gesetzes über die Errichtung der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung v. 2.8.1994, BGBl. I 1994, S. 2018 ff., §§ 25, 37 des Gesetzes zum Personalrecht der Beschäftigten der früheren Deutschen Bundespost (PostPersRG), im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation v. 14.9.1994 (PTNeuOG), BGBl. I 1994, S. 2325 ff., § 14 des Gesetzes zur Umwandlung der Deutsche Genossenschaftsbank (DG-Bank UmwG) v. 13.8.1998, BGBl. I 1998, S. 2102. 6 Die Vorschrift trat als Bestandteil des Umwandlungsbereinigungsgesetzes v. 28.10.1994, BGBl. I 1994, S. 3210 ff., mit Wirkung zum 1.1.1995 in Kraft. 7 BAG v. 31.5.2000 – 7 ABR 78/98, NZA 2000, 1350, 1351. 8 BT-Drucks. 14/5741, S. 39.
Leder/Lunk | 943
24.26
§ 24 Rz. 24.27 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
2. Anwendungsbereich a) Verlust der Betriebsidentität aufgrund betrieblicher Strukturänderung
24.27
Das Gesetz knüpft das Entstehen eines Übergangsmandats an bestimmte Umstrukturierungsmaßnahmen. Es nennt positiv die Betriebsspaltung (§ 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG) und die Zusammenfassung von Betrieben oder Betriebsteilen (§ 21a Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Darüber hinaus formuliert das Gesetz negativ, dass kein Übergangsmandat entsteht, wenn der abgespaltene Betriebsteil in einen Betrieb eingegliedert wird, in dem ein Betriebsrat besteht (§ 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG a.E.). Damit hat die Eingliederung (vgl. Rz. 2.3 ff.) nur eine unvollkommene Regelung erfahren. Es bleibt nämlich offen, welche Rechtsfolge bei Eingliederung in einen Betrieb ohne Betriebsrat eintritt; darauf wird an späterer Stelle eingegangen (vgl. Rz. 24.44 ff.). aa) Die maßgeblichen Erscheinungsformen der betrieblichen Strukturänderung In allen Fällen gilt: Ein Übergangsmandat entsteht nur dort, wo ein Betrieb oder ein Betriebsteil seine Identität verliert (siehe aber Rz. 24.37)1. Andernfalls bleibt der Betriebsrat bereits nach allgemeinen Grundsätzen im Amt; für ein Übergangsmandat besteht dann keine Notwendigkeit (Auffangfunktion). Die Aufspaltung eines Betriebs führt regelmäßig zu einem solchen Identitätsverlust2. Der im Zeitpunkt der Aufspaltung bestehende Betriebsrat besteht für die Zwecke des Übergangsmandats einstweilen fort. Er übt dieses für die einzelnen, aus der Aufspaltung hervorgegangenen Betriebsteile aus. Für den gesamten ursprünglichen Betrieb kann ihm ein Restmandat zustehen: vorher:
nachher:
reg. Mandat
BR
Betrieb alt
24.29
BR
§
21
et bB
rVG
§ 21a BetrVG
24.28
Betrieb 1 neu
§2
1a
Bet
rVG
Betrieb 2 neu
Die Abspaltung von Betriebsteilen aus einem Betrieb führt bei den abgespaltenen Einheiten im Regelfall ebenfalls zum Identitätsverlust3. Etwas anderes – kein Verlust der Betriebsidentität – tritt nur dann ein, wenn die „abgespaltene“ Einheit auf einen anderen Rechtsträger übertragen und mit dem Ursprungsbetrieb weiterhin als gemeinsamer Betrieb fortgeführt wird. Begrifflich fehlt es in diesen Fällen bereits am Merkmal der Spaltung. Bei einer Abspaltung bleibt der Betriebsrat des fortbestehenden Restbetriebs somit für die ausgegliederten Einheiten vorübergehend im Rahmen eines Übergangsmandats weiter zuständig. 1 BAG v. 19.11.2003 – 7 AZR 11/03, NZA 2004, 435, 437 = ArbRB 2004, 108 (Braun); Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 5; Fitting, § 21a BetrVG Rz. 7; HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 4. 2 Vgl. HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 5; ErfK/Koch, § 21a BetrVG Rz. 2; Bauer/Haußmann/Krieger, 4 B Rz. 19. 3 Vgl. HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 5.
944 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für den Betriebsrat | Rz. 24.32 § 24
vorher:
nachher: BR
BR §2
reg. Mandat
reg. Mandat
1a
Betrieb alt
Betrieb alt
Be
trV G
Betrieb neu
Eine Zusammenfassung von Betrieben oder Betriebsteilen gemäß § 21a Abs. 2 BetrVG ist – übereinstimmend mit einem Zusammenschluss von Betrieben gemäß § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG – gegeben, wenn verschiedene Betriebe oder Betriebsteile unter Auflösung der bisherigen Organisationsstruktur zu einer neuen organisatorischen Einheit zusammengeschlossen werden, innerhalb derer der Arbeitgeber mit Hilfe der Arbeitnehmer fortgesetzt einen oder mehrere Betriebszwecke verfolgt (zum Begriff vgl. auch Rz. 2.12). Bei einer Zusammenfassung verlieren die beteiligten Ursprungsbetriebe stets ihre Identität. In diesem Fall nimmt der Betriebsrat des nach der Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer größten Betriebs oder Betriebsteils das Übergangsmandat wahr (§ 21a Abs. 2 Satz 1 BetrVG).
BR 2
BR 1
Betrieb 1 alt 200 AN
Betrieb 2 alt 230 AN
§
21b
B et
rVG
BR 2 § 21a BetrVG
BR 1
reg. Mandat
nachher:
reg. Mandat
vorher:
24.30
Betrieb neu
§ 21b BetrVG
Nach einer solchen Zusammenfassung erstreckt sich die Zuständigkeit des Betriebsrats im Übergangsmandat auf Arbeitnehmer, die ihn nicht gewählt haben – nämlich auf jene aus dem jeweils kleineren Betrieb(steil). Diese Konsequenz nimmt der Gesetzgeber in § 21a Abs. 2 Satz 1 BetrVG bewusst in Kauf. Auf diese Weise wird die Zuständigkeit zweier Betriebsräte für einen Betrieb – wenn auch für unterschiedliche Arbeitnehmer – vermieden. Beispiel 10: Die A-GmbH hat in München einen Betrieb mit 200 Arbeitnehmern. Dort ist ein Betriebsrat gewählt. Sie spaltet aus diesem Betrieb die Produktion mit 20 Arbeitnehmern ab und überträgt diese auf die BAG. Die B-AG hat 500 Arbeitnehmer und ebenfalls einen Betriebsrat. Um Synergieeffekte zu nutzen,
Leder/Lunk | 945
24.31
24.32
§ 24 Rz. 24.32 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen spaltet sie ihre Produktion mit 10 Arbeitnehmern ebenfalls ab und fasst diese mit der von der AGmbH erworbenen Produktion zu einem neuen Betrieb zusammen. Welcher Betriebsrat nimmt das Übergangsmandat wahr?
A-GmbH
490
180 reg. Mandat
A-GmbH
BR
BR
BR
180
20
10
B-AG
490
30
?
?
reg. Mandat
B-AG
reg. Mandat
nachher:
reg. Mandat
vorher:
BR
24.33
Eine Spaltung kann einer Zusammenfassung vorausgehen und zeitlich eng mit dieser zusammenfallen. Das ist – wie im Beispiel 10 (Rz. 24.32) – häufig der Fall, wenn Synergieeffekte genutzt und der neu erworbene Betriebsteil deshalb in die eigene Organisation integriert werden soll. Wird bspw. aus zwei Betrieben mit Betriebsrat jeweils ein Betriebsteil abgespalten und werden diese ausgegliederten Betriebsteile sodann zu einem neuen Betrieb zusammengeschlossen, übt der Betriebsrat desjenigen Restbetriebs das Übergangsmandat aus, von dem mehr Arbeitnehmer in der neuen Einheit beschäftigt werden. Es kommt also nicht auf die Größe der Restbetriebe an (im Beispiel 10: 180 bei der A-GmbH bzw. 490 bei der B-AG), sondern auf die Größe der Einheiten, die zu einem neuen Betrieb zusammengeschlossen worden sind1. Danach fällt das Übergangsmandat im Beispiel dem bei der A-GmbH fortbestehenden Betriebsrat zu. Es macht insofern auch keinen Unterschied, dass der neu entstandene Betrieb zur B-AG gehört und damit der Betriebsrat eines anderen Rechtsträgers zuständig ist (vgl. § 21a Abs. 3 BetrVG).
24.34
Ein abgespaltener Betriebsteil kann nicht nur mit einem Betrieb(steil) zusammengeschlossen, sondern auch in einen Betrieb eingegliedert werden (zum Begriff vgl. Rz. 2.4 ff.). Der § 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG bestimmt für diesen Fall, dass kein Übergangsmandat entsteht, wenn in dem aufnehmenden Betrieb ein Betriebsrat gewählt ist. Das Übergangsmandat hat nur eine Auffangfunktion. Es bedarf seiner nicht, wenn – wie hier – ein Betriebsrat besteht, der für die Arbeitnehmer nach der Eingliederung bereits nach allgemeinen Grundsätzen zuständig ist.
24.35
Kriterien für die Abgrenzung, ob ein neuer Betrieb unter Identitätsverlust aller beteiligter Betriebe geschaffen wird, oder ob unter Identitätsverlust nur des eingegliederten Betriebs eine Eingliederung in den „aufnehmenden“ Betrieb erfolgt, enthält das BetrVG nicht. Maßgeblich 1 BAG v. 21.1.2003 – 1 ABR 9/02, NZA 2003, 1097 = ArbRB 2003, 267 (Braun); Bauer/Haußmann/ Krieger, 4 B Rz. 29; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 81.
946 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für den Betriebsrat | Rz. 24.36 § 24
sind daher die generell für die Definition des Betriebs vorhandenen Kriterien, ob sich also der Betriebszweck ändert, es bei dem Zweck des aufnehmenden Betriebs bleibt, ob in räumlicher Hinsicht eine Belegschaft an den Ort der anderen verlegt wird (was für eine Eingliederung spräche), wessen Betriebsmittel genutzt werden, und ob eine neue Leitungsmacht und Organisation in personellen und sozialen Angelegenheit existiert1. Daher liegt eine Eingliederung vor, wenn der aufnehmende Betrieb in seiner Organisationsstruktur unverändert bleibt und der aufnehmende Betrieb lediglich größer wird, ohne zugleich tiefgreifende Veränderungen zu erfahren2. Maßgeblich ist angesichts der gesetzlichen Wertung in § 13 Abs. 2 BetrVG auch das Verhältnis der betroffenen Arbeitnehmerzahlen zueinander3. Linsenmaier4 hält gleichfalls räumliche, funktionale und strukturelle Kriterien für ausschlaggebend und vertritt einen schutzbezogenen Ansatz: Wenn eine von der Umstrukturierung betroffene Einheit anderenfalls vertretungs- und damit schutzlos würde, komme ein Übergangsmandat in Betracht; anderenfalls sei der Vorrang der Amtskontinuität des Betriebsratsamtes maßgeblich. Entscheidend dürfte eine Gesamtschau aller dieser Gesichtspunkte sein5. In der Bildung eines gemeinsamen Betriebs durch mehrere Unternehmen wird verbreitet ein Fall des § 21a Abs. 2 BetrVG gesehen6. Die Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs soll also stets zur Bildung eines neuen Betriebs und nie zur Eingliederung führen7. Die an der Zusammenfassung beteiligten Ursprungsbetriebe verlören nämlich stets ihre Identität. Auch insoweit wird man jedoch eine Gesamtschau einer apodiktischen Betrachtung vorziehen müssen8 (vgl. Rz. 2.14). Denn bspw. kann auch ein Gemeinschaftsbetrieb mehrere Betriebszwecke verfolgen9. Betriebsteile werden entsprechend behandelt, wenn sie die nach §§ 1, 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erforderliche Eigenständigkeit besitzen, so dass dort überhaupt Betriebsräte gewählt werden können, und wenn von der Möglichkeit einer Beteiligung an der Betriebsratswahl im Hauptbetrieb (§ 4 Abs. 1 Satz 2, 3 BetrVG) kein Gebrauch gemacht wurde. Sie gelten dann als „selbständige Betriebe“ und können damit Gegenstand einer Spaltung, Zusammenfassung oder Eingliederung sein. Wegen der Auswirkungen auf die gewillkürte Betriebsverfassung nach § 3 BetrVG vgl. Rz. 24.182 ff. Gleiches gilt grundsätzlich für durch Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1–3 BetrVG gebildete Organisationseinheiten. Sie sind ebenfalls Betriebe i.S.d. BetrVG (§ 3 Abs. 5 Satz 1 BetrVG), so dass die §§ 21a, 21b BetrVG Anwendung finden10.
1 GK-BetrVG/Kreutz, § 21a Rz. 61 f.; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 68 ff.; Richardi/ Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 6; Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 300. 2 LAG Düsseldorf v. 22.10.2008 – 7 TaBV 85/08, BeckRS 2009, 55991; Hessisches LAG v. 6.5.2004 – 9 TaBVGa 61/04, BeckRS 2004, 30450086; vgl. auch BAG v. 21.3.2003 – 1 ABR 9/02, NZA 2003, 1097 = ArbRB 2003, 267 (Braun). 3 Hessisches LAG v. 6.5.2004 – 9 TaBVGa 61/04, BeckRS 2004, 30450086; LAG Nürnberg v. 4.9.2007 – 6 TaBV 31/07, BeckRS 2007, 48175; so auch MünchArbR/Krois, § 292 Rz. 55 ff.; GK-BetrVG/ Kreutz, § 21a Rz. 62; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 70. 4 Linsenmaier, RdA 2017, 128, 132 ff. 5 LAG Schleswig-Holstein v. 9.7.2008 – 3 TaBV 4/08, BeckRS 2008, 57777; Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 6. 6 HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 9; Schönhöft/Schönleber, BB 2013, 2485, 2488; Rieble, NZA 2002, 233, 238; Bauer/Haußmann/Krieger, 4 B Rz. 26; vgl. auch BAG v. 22.11.2017 – 7 ABR 40/16, NZA 2018, 724 Rz. 25 ff. = ArbRB 2018, 139 (Braun). 7 Schönhöft/Brahmstaedt, NZA 2010, 851, 852. 8 Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 301. 9 Fitting, § 1 BetrVG Rz. 91. 10 BAG v. 22.8.2017 – 1 ABR 52/14, NZA 2018, 50 Rz. 13 = ArbRB 2018, 9 (Lunk).
Leder/Lunk | 947
24.36
§ 24 Rz. 24.37 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
24.37
Ungeklärt ist, ob ein Übergangsmandat nach § 21a BetrVG entsteht, wenn ein Betrieb als Ganzes unter Wahrung seiner Identität auf einen Erwerber übertragen wird und sämtliche Betriebsrats- und Ersatzmitglieder dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse auf den Erwerber widersprechen. Dann endet gemäß § 24 Nr. 3 und 4 BetrVG deren Amt und beim Erwerber ist ein neuer Betriebsrat zu wählen, § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG. Die übergehenden Mitarbeiter hätten bis zur Neuwahl eines eigenen Betriebsrats keinen Schutz durch die Wahrnehmung von Beteiligungsrechten durch einen Betriebsrat, denn diesen Fall regelt § 21a BetrVG nicht. Daher ist umstritten, ob bei dieser Konstellation trotz fortbestehender Betriebsidentität beim Erwerber ausnahmsweise entgegen dem Wortlaut des § 21a BetrVG ein Übergangsmandat anzuerkennen ist1. Es entstünde ohne Übergangsmandat in diesem Fall eine im Hinblick auf Art. 6 RL 2001/23/EG problematische Schutzlücke. Die Frage nach einem Übergangsmandat dürfte sich ohnehin nur stellen, wenn sämtliche Betriebsrats- und Ersatzmitglieder widersprechen. Sofern nämlich mindestens ein (Ersatz-)Mitglied auf den Erwerber übergeht, endet die Amtszeit des Betriebsrats gemäß § 21 Satz 5 BetrVG erst mit Bekanntgabe des Wahlergebnisses des neu gewählten Betriebsrats; bis dahin führt das verbleibende Mitglied die Geschäfte nach § 22 BetrVG weiter.
24.38
Vom Widerspruch der Mehrheit oder aller Betriebsratsmitglieder ist der Widerspruch der Belegschaft zu trennen. Widersprechen einzelne Mitarbeiter, ändert dies nichts am Übergang des Betriebs auf den Erwerber und folglich nichts am Übergang des Organs Betriebsrat auf diesen. Beim Veräußerer besteht demzufolge kein Betriebsrat mehr. Auch für die Annahme eines Übergangs- bzw. Restmandats für die aufgrund des Widerspruchs beim Veräußerer verbleibenden Arbeitnehmer besteht kein Raum (vgl. auch Rz. 24.81). In diesem Fall fehlt es an einer planwidrigen Lücke bezüglich einer analogen Anwendung der §§ 21a, 21b BetrVG2. Der Betriebsrat wäre bspw. vor Kündigungen der Widersprechenden nicht anzuhören3. Auch im Fall des Widerspruchs der gesamten Belegschaft liegen die Voraussetzungen einer planwidrigen Regelungslücke und damit einer analogen Anwendung der in Rede stehenden Normen nicht vor. Man wird freilich zunächst prüfen müssen, ob angesichts eines Massenwiderspruchs überhaupt noch von einem Betriebsübergang auszugehen ist. bb) Feststellung der Betriebsgröße im Zusammenhang mit dem Übergangsmandat
24.39
Ob eine Umstrukturierungsmaßnahme eine Ab- oder Aufspaltung bzw. Zusammenfassung oder Eingliederung darstellt, hat erhebliche praktische Konsequenzen. Die Unterscheidung hängt am Begriff der Betriebsidentität und damit auch (vgl. ausführlich Rz. 24.35) maßgeblich an der Größe4 der einzelnen, an der Umstrukturierung beteiligten Einheiten. Im Rahmen des Übergangsmandats ist ungeklärt, welcher Beurteilungszeitpunkt für die Feststellung der Betriebsgröße maßgeblich ist: der Personalstand zum Zeitpunkt der letzten Betriebsratswahl5
1 Dafür unter Hinweis auf die Betriebsübergangsrichtlinie Fitting, § 21a BetrVG Rz. 14a; a.A. Moll/ Ersfeld, DB 2011, 1108. 2 Fuhlrott/Oltmanns, BB 2015, 1013; Hidalgo/Kobler, NZA 2014, 290. 3 BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12, NZA 2015, 889 = ArbRB 2015, 13 (Oetter), offen gelassen jedoch bei zahlenmäßig erheblichen Widersprüchen in betriebsmittelarmen Betrieben. 4 Hier wird teils 50 % der Belegschaft als maßgebliche Größe herangezogen, vgl. DKW/Buschmann, § 21a BetrVG Rz. 43; LAG Nürnberg, 4.9.2007 – 6 TaBV 31/07, BeckRS 2007, 48175 Rz. 31. 5 Fitting, § 21a BetrVG Rz. 18; MünchArbR/Krois, § 292 Rz. 62; GK-BetrVG/Kreutz, § 21a Rz. 72; DKW/Buschmann, § 21a BetrVG Rz. 46.
948 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für den Betriebsrat | Rz. 24.40 § 24
oder zum Zeitpunkt des Zusammenschlusses1. Für ersteres sprechen zwar Rechtssicherheit und Rechtsklarheit2. Nur so sind Manipulationen durch entsprechende Veränderungen der Belegschaftsstärke ausgeschlossen3. Entscheidend für die Anwendung der Kollisionsregel in § 21a Abs. 2 Satz 1 BetrVG wäre damit die Anzahl eingetragener Wahlberechtigter in die Wählerliste am Tag der Stimmabgabe bei der letzten Betriebsratswahl4. Zutreffend erscheint jedoch, auf den Zeitpunkt des Zusammenschlusses abzustellen. Dies rechtfertigt sich im Wesentlichen mit dem Wortlaut5 und dem Zweck des § 21a Abs. 2 Satz 1 BetrVG6 sowie aus systematischen Erwägungen7. Das Abstellen auf den Zeitpunkt der letzten Betriebsratswahl wird bei der Zusammenfassung ganzer Betriebe dem Gedanken der demokratischen Legitimation zwar am besten gerecht. Gleichwohl überzeugt dieser Ansatz nicht, wenn keine vollständigen Betriebe, sondern nur einzelne Betriebsteile zusammenfasst werden. Gemäß § 21a Abs. 2 Satz 1 BetrVG ist in diesem Fall bei der Anwendung der Kollisionsregel auf die Größe der Betriebsteile und nicht auf die der zugehörigen Betriebe abzustellen. Dies führte bei Abstellen auf das Wahlergebnis zu dem Problem, die Größe des Betriebsteils auf den Zeitpunkt der letzten Wahl zurück zu berechnen. Das ist aber nicht sinnvoll möglich8. Bei der vergleichbaren Problematik des neuen § 29 Abs. 4 BPersVG stellt letztlich der Gesetzgeber auch auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Personalmaßnahme ab9. Verfügen die betroffenen Betriebe/Betriebsteile jeweils über eine gleich hohe Zahl wahlberechtigter Arbeitnehmer, wird teils ein Losentscheid befürwortet10, teils die Entscheidung den beteiligten Betriebsräten überlassen11. Da eine identische Zahl in der Praxis nicht auftreten wird, bleibt der Streit akademisch. Bei Ermittlung der Anzahl wahlberechtigter Arbeitnehmer sind Leiharbeitnehmer nach Maßgabe von § 7 Satz 2 BetrVG zu berücksichtigen12. Eine Ausnahme wird man, um etwaigen Manipulationen vorzubeugen, machen müssen, wenn sich ihre Anzahl im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Strukturänderung ohne sachlichen Grund erheblich ändert.
1 Dezidiert Rieble/Gutzeit, ZIP 2004, 693; s.a. Bauer/Haußmann/Krieger, 4 B Rz. 32; Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 12; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 81; BeckOK-ArbR/Besgen, § 21a BetrVG Rz. 7; HWGNRH/Worzalla, § 21a BetrVG Rz. 25; HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 16; Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 300. 2 Fitting, § 21a BetrVG Rz. 18; DKW/Buschmann, § 21a BetrVG Rz. 46. 3 Fitting, § 21a BetrVG Rz. 18. 4 GK-BetrVG/Kreutz, § 21a Rz. 71. 5 Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 12; Rieble/Gutzeit, ZIP 2004, 693, 693 f.; Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 300. 6 Rieble/Gutzeit, ZIP 2004, 693, 696 f.; Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 300. 7 Rieble/Gutzeit, ZIP 2004, 693, 694 f.; Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 300. 8 Rieble/Gutzeit, ZIP 2004, 693. 9 BT-Drucks. 19/26820, S. 96 zu § 29 Abs. 4 BPersVG. 10 Rieble, NZA 2002, 233, 237; HaKo-BetrVG/Düwell, § 21a Rz. 85; GK-BetrVG/Kreutz, § 21a Rz. 72. 11 So in Bezug auf § 321 Abs. 1 UmwG a.F. auch Boecken, Unternehmensumwandlungen, Rz. 375; Mengel, Umwandlungen, S. 304 f., die – sollte eine Einigung nicht zustande kommen – auf die Größe der ursprünglichen Betriebe abstellen will; abl. Jung, Übergangsmandat, S. 59 ff., der entsprechend § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG, § 2 Abs. 3 Satz 3 ArbPlSchG bei gleich hoher Arbeitnehmerzahl innerhalb der Arbeitnehmerzahl eine Gewichtung der Arbeitsverhältnisse nach dem Beschäftigungsumfang vornehmen will. 12 GK-BetrVG/Kreutz, § 21a Rz. 72; a.A. Löwisch/Kaiser/Löwisch, § 21a BetrVG Rz. 24.
Leder/Lunk | 949
24.40
§ 24 Rz. 24.41 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
cc) Unternehmensinterne und Rechtsträger übergreifende Strukturveränderungen
24.41
Es muss sich stets um eine betriebliche Organisationsänderung handeln1. Ob das Unternehmen selbst gespalten oder verschmolzen wurde, ist für die Anwendbarkeit von § 21a BetrVG ohne Belang. Die bloße räumliche Verlegung eines Betriebs lässt seine Identität ebenso intakt2 wie ein Wechsel des Betriebsinhabers, der Gesellschafter oder die Änderung der Rechtsform. Eine Änderung des Betriebszwecks führt ebenfalls nicht zum Übergangsmandat, es sei denn, dies geht mit einer Änderung der Betriebsorganisation einher, die ihrerseits zum Verlust der Betriebsidentität führt.
24.42
Es spielt deshalb keine Rolle, ob die Betriebsspaltung oder der Zusammenschluss im Zusammenhang mit einer Betriebsveräußerung oder einer Umwandlung nach dem Umwandlungsgesetz erfolgt (§ 21a Abs. 3 BetrVG). Ein Übergangsmandat kann also ebenso bei einer Umstrukturierung innerhalb eines Unternehmens entstehen wie bei der Übertragung eines Betriebs(teils) auf einen anderen Rechtsträger. Im letztgenannten Fall ist unerheblich, ob der Betrieb oder dessen Teil im Wege der Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge auf den anderen Rechtsträger übertragen wird. Mit § 21a BetrVG sollten Auslegungsschwierigkeiten in § 312 UmwG a.F. beseitigt werden. Der § 21a BetrVG will bewusst auch unternehmensinterne Spaltungen oder Zusammenschlüsse von Betrieben oder Betriebsteilen erfassen3. b) Besonderheiten bei der Beteiligung betriebsratsloser Einheiten
24.43
Übergangsmandate und deren Reichweite können bei der Beteiligung betriebsratsloser Einheiten Probleme bereiten. aa) Bestehen eines Übergangsmandats
24.44
Im Kern geht es vor allem darum, ob ein Übergangsmandat auch für Betriebe bestehen kann, in denen die Mehrheit der Arbeitnehmer keinen Betriebsrat gewählt hat. Praxisrelevant sind zwei Fälle: Ein Betrieb, für den ein Betriebsrat besteht, kann in einen Betrieb ohne Betriebsrat eingegliedert werden. Ist der aufnehmende Betrieb betriebsratslos, könnte eine Mehrheit der Arbeitnehmer durch einen von ihr nicht gewählten Betriebsrat repräsentiert werden. Das Gesetz regelt ausdrücklich nur den umgekehrten Fall – die Eingliederung in einen Betrieb mit Betriebsrat (§ 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG) – und schließt für diesen Fall ein Übergangsmandat aus. Was gilt, wenn der aufnehmende Betrieb im Gegensatz zum eingegliederten Betrieb betriebsratslos ist, bleibt offen.
24.45
Eine entsprechende Fragestellung ergibt sich auch bei der Zusammenfassung von Betrieben oder Betriebsteilen, wenn der jeweils größte Betrieb/Betriebsteil betriebsratslos ist, im kleineren Betrieb/Betriebsteil dagegen ein Betriebsrat besteht. Das Gesetz gibt auch für diesen Fall keine Lösung vor. In § 21a Abs. 2 Satz 1 BetrVG ist nur geregelt, dass der Betriebsrat des größten
1 Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 5; Fitting, § 21a BetrVG Rz. 7. 2 Eine Verlegung kann allerdings im Einzelfall zu einer Stilllegung und damit zum Verlust der Betriebsidentität führen. Das ist insbesondere bei großen räumlichen Entfernungen und dem Zurückbleiben der Hauptbelegschaft der Fall. S. dazu näher GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 133 ff. und BAG v. 29.8.2013 – 2 AZR 808/12, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 203, sowie LAG Baden-Württemberg v. 2.7.2013 – 22 Sa 63/12, BeckRS 2013, 74612. 3 BT-Drucks. 14/5741, S. 39.
950 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für den Betriebsrat | Rz. 24.47 § 24
Betriebs/Betriebsteils das Übergangsmandat ausübt, nicht jedoch, was passiert, wenn der größte Betrieb/Betriebsteil keinen Betriebsrat hat. Beispiel 11: Die S-GmbH hat einen Betrieb in München mit Betriebsrat. Vor einigen Jahren hatte sie von der HAG einen weiteren Betrieb in Unterföhring erworben, in dem 500 Arbeitnehmer beschäftigt sind, aber kein Betriebsrat besteht. Weil die S-GmbH ihr Neugeschäft nur noch in Unterföhring aufbaut und im Münchener Betrieb inzwischen nur noch 30 Arbeitnehmer beschäftigt, soll dieser nach Unterföhring verlegt und in den dortigen Betrieb eingegliedert werden.
vorher:
24.46
nachher: S-GmbH
BR
500 AN
530 AN § 21
bB
etrV G
§ 21a BetrVG?
reg. Mandat
30 AN
S-GmbH
BR
Die Lösung dieser Fälle (vgl. Rz. 24.48 f.) ist umstritten. Vereinzelt wird vertreten, bei Betriebsratslosigkeit der größeren Einheit entstünde kein Übergangsmandat1. Teils wird insoweit unter Betonung des Merkmals der Betriebsidentität zwischen der Eingliederung und der Zusammenfassung differenziert2. Bei der Eingliederung in einen betriebsratslosen Betrieb hätte der Betriebsrat des eingegliederten Betriebs kein Übergangsmandat, weil der aufnehmende Betrieb seine Identität nicht verliere3. Den dort herrschenden betriebsverfassungsrechtlichen Dispositionen sei Vorrang einzuräumen4. Der Mehrheit dürfe somit kein Betriebsrat aufgedrängt werden5. Bei einer Zusammenfassung von Betrieben sei dies anders, da dort ein neuer Betrieb von Anfang an mit Betriebsrat entstünde6. Die Gegenansicht bejaht in beiden Fäl-
1 Rieble, NZA 2002, 233, 238 f.; Bauer/Haußmann/Krieger, 4 B Rz. 36; für die Zusammenfassung auch HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 9; Reichold, NZA 2001, 857, 859; Maschmann, NZA Beil. 1/2009, 32, 36 f. 2 Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 10 f.; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 86 f.; i.E. ebenso GK-BetrVG/Kreutz, § 21a Rz. 63 f.; s.a. Feudner, BB 2003, 882, 882; Löwisch/Schmidt-Kessel, BB 2001, 2162; Jaeger/Röder/Heckelmann/Schuster, Kapitel 4 Rz. 29. 3 Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 13; Löwisch/Kaiser/Löwisch, § 21a BetrVG Rz. 23. 4 WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 87. 5 WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 86 („Vereinnahmung“). 6 Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 14; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 87.
Leder/Lunk | 951
24.47
§ 24 Rz. 24.47 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
len ein Übergangsmandat1. Der Konflikt von Amtskontinuität und demokratischer Legitimation entstünde bei der Zusammenfassung von Betrieben zwangsläufig; der Gesetzgeber habe diesen zugunsten des Übergangsmandats gelöst2. Der Gesetzeswortlaut erfasse zudem Zusammenfassungen mit und ohne Identitätsveränderung3. Das Entstehen eines neuen Betriebs verlange § 21a Abs. 2 BetrVG nicht4. Ein anderes Ergebnis sei zudem in Fällen, in denen sich die Zusammenfassung bzw. Eingliederung im Rahmen eines Betriebsübergangs vollziehe, nicht mit Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 2001/23/EG vereinbar5. Behält der Betrieb oder Betriebsteil seine Selbständigkeit nicht, so treffen die Mitgliedstaaten hiernach die erforderlichen Maßnahmen, damit die vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer, die vor dem Übergang vertreten wurden, auch während des Zeitraums, der für die Neubildung oder Neubenennung der Arbeitnehmervertretung erforderlich ist, weiterhin angemessen vertreten werden.
24.48
Die besseren Argumente sprechen in Übereinstimmung mit der letztgenannten Ansicht in beiden Fällen für die Anerkennung eines Übergangsmandats. Die Betriebsidentität ist kein für das Entstehen eines Übergangsmandats relevantes Differenzierungskriterium. Ihre Bedeutung besteht allein darin, einen Maßstab für den Fortbestand in organisatorischer oder materieller Hinsicht verfestigter, betriebsverfassungsrechtlicher Rechtspositionen zu liefern. Ein amtierender Betriebsrat bleibt bei fortbestehender betriebsverfassungsrechtlicher Identität im Amt und bestehende Betriebsvereinbarungen gelten weiterhin normativ. Das Nichtbestehen eines Betriebsrats im aufnehmenden Betrieb ist dagegen keine derartig verfestigte, schützenswerte Rechtsposition. Vom Standpunkt der bisher von einem Betriebsrat repräsentierten Arbeitnehmer besteht ohnehin kein Anlass, ihnen in diesen Fällen ein Übergangsmandat zu versagen. Wäre der Betriebsteil, dem sie zugeordnet sind, lediglich abgespalten worden, bestünde unstreitig ein solches Mandat. Warum sollte dies anders sein, wenn der abgespaltene Betriebsteil sodann in einen betriebsratslosen Betrieb eingegliedert wird? Der Zweck des § 21a BetrVG, die Kontinuität der Betriebsratsarbeit zu gewährleisten, besteht in beiden Fällen gleichermaßen. Die an dem Bestehen eines Übergangsmandats geäußerten Bedenken erklären sich eher vor dem Hintergrund eines vermeintlichen Legitimationsdefizits. Der Gesetzgeber nimmt dies vor dem Hintergrund der zeitlich beschränkten Überbrückungsfunktion des Übergangsmandats bewusst in Kauf, worauf bereits verschiedentlich hingewiesen wurde6. Auf diesen Umstand wird sogleich im Rahmen der personellen Reichweite des Übergangsmandats näher einzugehen sein (vgl. Rz. 24.49, 24.59). Letztlich hat sich der Gesetzgeber im Rahmen des neu geschaffenen Übergangsmandats des Personalrats aus § 29 BPersVG (Rz. 24.108 ff.) gleichfalls für das Prinzip der größtmöglichen Vermeidung von Schutzlücken entschieden7.
1 DKW/Buschmann, § 21a BetrVG Rz. 38 und 43; Fitting, § 21a BetrVG Rz. 11 f. und 19; ErfK/Koch, § 21a BetrVG Rz. 3 f.; Kallmeyer/Willemsen, Vor § 322 UmwG Rz. 28 ff.; im Grundsatz auch O. Kittner, NZA 2012, 541, 545, der allerdings den personellen Anwendungsbereich auf solche Arbeitnehmer beschränkt, die auch vor der Zusammenfassung bzw. Eingliederung von einem Betriebsrat repräsentiert waren. HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 7 (nur für die Eingliederung); zur Eingliederung ebenfalls Fischer, RdA 2005, 39, 40; Schaub/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 219 Rz. 17b f. 2 DKW/Buschmann, § 21a BetrVG Rz. 44. 3 DKW/Buschmann, § 21a BetrVG Rz. 44; Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 300. 4 Fitting, § 21a BetrVG Rz. 11a. 5 Linsenmaier, RdA 2017, 128, 136; Fitting, § 21a BetrVG Rz. 11a; Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 299 f.; Kallmeyer/Willemsen, Vor § 322 UmwG Rz. 31 f. 6 DKW/Buschmann, § 21a BetrVG Rz. 44. 7 BT Drucks. 19/26820, S. 73 zu § 29 BPersVG.
952 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für den Betriebsrat | Rz. 24.50 § 24
bb) Reichweite des Übergangsmandats Wird bei einer Eingliederung in einen Betrieb ohne Betriebsrat bzw. Zusammenfassung mit einer größeren, betriebsratslosen Einheit ein Übergangsmandat des Betriebsrats der kleineren Einheit (im Beispiel 11 (Rz. 24.46): des Münchener Betriebsrats) bejaht, stellt sich eine Folgefrage: Besteht das Übergangsmandat nur für die diesem Betriebsrat bislang zugeordneten Arbeitnehmer (im Beispiel 11: die 30 Arbeitnehmer des ehemaligen Münchener Betriebs) oder für den gesamten Betrieb (im Beispiel 11: für alle 530 Arbeitnehmer im Betrieb Unterföhring)? Letzteres ist der Fall: Das Übergangsmandat erstreckt sich auf alle Arbeitnehmer des Betriebs1. Zwar soll der Betriebsrat im Rahmen des Übergangsmandats die Geschäfte „für die ihm bislang zugeordneten Betriebsteile … weiter führen“ (§ 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Ferner soll § 21a BetrVG nur den Status quo sichern, aber keine Ausweitung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats bewirken. Eine solche Ausweitung könnte eine Beteiligung des Betriebsrats auch in solchen Angelegenheiten darstellen, die Arbeitnehmer in dem bislang betriebsratslosen Betrieb betreffen. Denn diese Arbeitnehmer haben keinen Betriebsrat gewählt, so dass dem Betriebsrat ungeachtet seines Übergangsmandats die demokratische Legitimation durch Arbeitnehmer des übernehmenden Rechtsträgers fehlt. Jedoch belegt § 13 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG, dass auch ohne eine Beteiligung von Arbeitnehmern an der Wahl eines Betriebsrats – dauerhaft oder bis zur Neuwahl des bislang bestehenden Betriebsrats – eine Vertretung durch diesen Betriebsrat zulässig ist. Der Betriebsrat hat nach allgemeinen Grundsätzen stets für die Gesamtheit der Arbeitnehmer eines Betriebs die Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte wahrzunehmen2. Ein nur für einen Teil des Betriebs zuständiger Betriebsrat ist dem Gesetz außerhalb von § 4 Abs. 1 BetrVG fremd3. Für eine Einschränkung bietet auch der Wortlaut des § 21a BetrVG keine Anhaltspunkte4. Letztlich wäre ein auf die bislang vertretenen Arbeitnehmer begrenztes Übergangsmandat nicht praktikabel, insbesondere hinsichtlich betriebsübergreifend zu regelnder Themen (z.B. Gesundheitsschutz, Arbeitszeit). Personelle Einzelmaßnahmen lassen sich nur unter Einbeziehung der Interessen aller Arbeitnehmer bewerten, da i.d.R. eine Gesamtabwägung notwendig ist (vgl. § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG). Insofern ist auch eine Differenzierung nach der Art des jeweiligen Beteiligungsrechts nicht interessengerecht.
24.49
Die übergreifende Zuständigkeit des Betriebsrats im Rahmen seines Übergangsmandats ist von der Frage der Geltung von Betriebsvereinbarungen zu trennen. Anhand des Wortlauts der im Betrieb(steil) mit einem Betriebsrat abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen ist zu prüfen, ob ihr Anwendungsbereich einer Erstreckung auf den betriebsratslosen Teil entgegensteht. Enthält sie insoweit keine Einschränkung auf einen bestimmten Arbeitnehmerkreis oder Betriebsteil, gilt sie im Zweifel auch für den zuvor betriebsratslosen Teil. Das ist insbesondere bei Betriebsvereinbarungen zur betrieblichen Altersversorgung praxisrelevant.
24.50
1 Linsenmaier, RdA 2017, 128, 130; Fitting, § 21a BetrVG Rz. 23; Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 14; DKW/Buschmann, § 21a BetrVG Rz. 43 f.; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 88; Kallmeyer/Willemsen, Vor § 322 UmwG Rz. 28; Rieble, NZA 2002, 233, 237; a.A. O. Kittner, NZA 2012, 541, 545; Sagasser/Bula/Brünger/Schmidt, Umwandlungen, § 6 Rz. 68. 2 B. Gaul, Vorauflage, § 27 Rz. 56 ff.; Rieble, NZA 2002, 233, 237; Kallmeyer/Willemsen, Vor § 322 UmwG Rz. 28; Fitting, § 21a BetrVG Rz. 23. 3 Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 14. 4 Ebenso Löwisch/Schmidt-Kessel, BB 2001, 2162, 2164; Thüsing, DB 2002, 738, 740.
Leder/Lunk | 953
§ 24 Rz. 24.51 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
c) Betriebsratsfähigkeit der neu entstandenen Einheit
24.51
Die Einheit, auf die sich das Übergangsmandat bezieht, muss betriebsratsfähig sein. Es müssen in der neu entstandenen Einheit in der Regel mindestens fünf ständig wahlberechtigte Arbeitnehmer, von denen drei wählbar sind, beschäftigt sein (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Der Kleinstbetrieb kennt somit kein Übergangsmandat. Das erklärt sich aus der Überbrückungsfunktion des Übergangsmandats. Sein primärer Zweck ist die Einleitung von Betriebsratswahlen; dieses Anliegen kann in Kleinstbetrieben nicht verwirklicht werden. Das steht im Einklang mit Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 4 Richtlinie 2001/23/EG („während des Zeitraums, der für die Neubildung oder Neubenennung der Arbeitnehmervertretung erforderlich ist“).
24.52
Für die Erreichung des Schwellenwerts ist allein die Größe der neuen Einheit maßgeblich1. Ein Übergangsmandat kann somit z.B. in Fällen entstehen, in denen in einem abgespaltenen Betriebsteil selbst weniger als fünf Arbeitnehmer beschäftigt sind. Es reicht aus, wenn dieser Betriebsteil unmittelbar, d.h. in enger zeitlicher Nähe zu seiner Abspaltung, mit einem weiteren Betrieb(steil) zusammengeschlossen wird oder in einen Betrieb eingegliedert wird und in der neuen Einheit insgesamt mindestens fünf ständig wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt werden. Auf die Größe des abgespaltenen Betriebsteils kommt es somit nicht an. Nur wenn die neu entstandene Einheit nicht betriebsratsfähig ist, scheidet ein Übergangsmandat aus2. Entsprechend kommt es bei der Zusammenfassung von Betriebsteilen zu einem neuen Betrieb nicht auf die Größe der einzelnen Betriebsteile an, sondern nur auf die Größe des neu entstandenen Betriebs.
3. Inhalt des Übergangsmandats a) Sachliche Zuständigkeit des Betriebsrats im Übergangsmandat
24.53
Für die Dauer des Übergangsmandats bleibt der Betriebsrat „im Amt und führt die Geschäfte … weiter“ (§ 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Das Übergangsmandat ist somit ein Vollmandat3. Es ist inhaltlich unbeschränkt4. Die sachliche Zuständigkeit des Betriebsrats erstreckt sich während des Übergangsmandats auf alle Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte, die sich aus dem BetrVG und ergänzenden Rechtsvorschriften (z.B. § 3 KSchG, § 9 Abs. 3 ASiG) ergeben. Anhaltspunkte für eine Begrenzung auf Mitbestimmungsrechte in personellen Angelegenheiten5 sind nicht erkennbar. Darüber hinaus ist der Betriebsrat im Rahmen des Übergangsmandats auch im Gesamt- und Konzernbetriebsrat vertreten6.
24.54
Eine Einschränkung der Beteiligungsrechte wegen eines etwaigen Konkurrenzverhältnisses zwischen den an einer Übertragung beteiligten Rechtsträgern kommt nicht in Betracht. Denn
1 GK-BetrVG/Kreutz, § 21a Rz. 26; ErfK/Koch, § 21a BetrVG Rz. 3. 2 ErfK/Koch, § 21a BetrVG Rz. 3. 3 LAG München v. 11.3.2009 – 5 TaBV 6/08, BeckRS 2010, 65917; LAG Rheinland-Pfalz v. 18.4.2005 – 2 TaBV 15/05, NZA-RR 2005, 529, 530; HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 10; GK-BetrVG/Kreutz, § 21a Rz. 78; Schiefer, FS Willemsen, 2018, S. 427 434; Meyer, NZA 2018, 900, 903. 4 GK-BetrVG/Kreutz, § 21a Rz. 37; Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 19; HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 10; Fitting, § 21a BetrVG Rz. 20; a.A. Feudner, DB 2003, 882, 883. 5 So Heinze, ZfA 1997, 1, 10 in Bezug auf § 321 UmwG a.F. 6 Fitting, § 21a BetrVG Rz. 20 (die ausdrücklich nur den GBR erwähnen); DKW/Buschmann, § 21a BetrVG Rz. 12; a.A. ErfK/Koch, § 21a BetrVG Rz. 8.
954 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für den Betriebsrat | Rz. 24.57 § 24
der Gesetzgeber hat – wie bei § 321 UmwG a.F.1 – darauf verzichtet, die bereits in § 3 Abs. 3 SpTrUG, § 6 Abs. 9 VermG, § 20 Abs. 3 DBGrG vorgesehene Einschränkung zu übernehmen. Da dem Gesetzgeber das Problem also bekannt war, kann eine Einschränkung der Beteiligungsrechte auch nicht im Wege einer Analogie begründet werden. Insofern kommen lediglich die allgemeinen Regelungen zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen zum Tragen (§§ 79, 106 Abs. 2 BetrVG). Soweit die Geltendmachung von Mitbestimmungs- oder Mitwirkungsrechten an bestimmte Schwellenwerte geknüpft ist (z.B. §§ 99, 111 BetrVG), sind die jeweiligen Verhältnisse in den neu geschaffenen Einheiten maßgeblich2. Relevant wird das vor allem bei rechtsträgerübergreifenden Restrukturierungen. Denn das BetrVG knüpft Schwellenwerte i.d.R. an das Unternehmen und nicht an den Betrieb. Der Blick auf die neue Einheit folgt aus dem Zweck des Übergangsmandats: Es soll nur eine betriebsratslose Zeit verhindern, aber keine zusätzlichen Mitbestimmungsrechte gewähren. Solche Erweiterungen können nur durch § 325 Abs. 2 UmwG, der außerhalb der dort genannten Übertragungsvorgänge nicht anwendbar ist, geschaffen werden3.
24.55
Vorrangige Aufgabe des Betriebsrats im Übergangsmandat ist die Einleitung von Betriebsratswahlen in den neu entstandenen Einheiten. Hierzu hat er „unverzüglich Wahlvorstände zu bestellen“ (§ 21a Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Insoweit muss zwischen der Auflösung des Betriebs durch Aufspaltung oder Zusammenschluss und der Abspaltung von Betriebsteilen unterschieden werden. Wenn der bisherige Betrieb – trotz der Verselbstständigung einzelner Betriebsteile – im Anschluss an die Betriebsspaltung als Restbetrieb in seiner bisherigen Identität fortbesteht, muss dort keine Betriebsratswahl erfolgen. Der Betriebsrat besteht bis zum Ablauf der regulären Amtszeit fort4. Der § 21a BetrVG, der insoweit nur Auffangcharakter hat, kommt nicht zum Zuge. Nur wenn der bisherige Betrieb durch Betriebsspaltung aufgelöst wird, muss für alle Einheiten, die im Anschluss daran bestehen, ein Wahlvorstand gebildet werden. Einzelheiten zur Bestellung des Wahlvorstandes ergeben sich aus § 16 BetrVG. Kommt der Betriebsrat dieser Pflicht nicht nach, gelten die § 16 Abs. 2 und 3 BetrVG analog. Eine Bestellung durch das Arbeitsgericht bzw. den Gesamt- oder Konzernbetriebsrat ist frühestens acht Wochen vor Ablauf des Übergangsmandats möglich5.
24.56
Aus Betriebsräten im Übergangsmandat sind Mitglieder in einen im Unternehmen bestehenden Gesamtbetriebsrat zu entsenden6. Gleiches muss für den Konzernbetriebsrat gelten7, weil das Übergangsmandat ein Vollmandat mit sämtlichen Befugnissen nach dem BetrVG ist8.
24.57
1 Diese Regelung war zwar im Gesetzentwurf von § 321 UmwG a.F. enthalten (BT-Drucks. 12/7850, S. 117), wurde im Vermittlungsausschuss aber gestrichen (BT-Drucks. 843/94 Nr. 1 lit. b). Der Rechtsausschuss hatte eine solche Streichung noch abgelehnt (BT-Drucks. 12/7850, S. 145). 2 Ebenso Fitting, § 21a BetrVG Rz. 23; HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 10; HaKo-BetrVG/Düwell, § 21a Rz. 51. 3 Ebenso Mengel, Umwandlungen, S. 298 f.; Rieble, NZA 2002, 233, 235. 4 Löwisch/Schmidt-Kessel, BB 2001, 2161, 2163; Rieble, NZA 2002, 233, 234. 5 HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 11; GK-BetrVG/Kreutz, § 21a Rz. 41; Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 26. 6 Richardi/Annuß, § 47 BetrVG Rz. 25; GK-BetrVG/Kreutz/Franzen, § 47 Rz. 6. 7 Richardi/Annuß, § 54 BetrVG Rz. 37; explizit Rieble, NZA 2002, 233, 240. 8 GK-BetrVG/Kreutz, § 21a Rz. 38; Rieble, NZA 2002, 233, 240; Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 19; ErfK/Koch, § 21a BetrVG Rz. 5.
Leder/Lunk | 955
§ 24 Rz. 24.57 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
Damit besteht zumindest mittelbar über das Entsendungsrecht aus § 55 Abs. 1 BetrVG auch Einfluss auf den Konzernbetriebsrat.
24.58
Die Führung von Beschluss- oder Einigungsstellenverfahren wird auch während des Übergangsmandats von der sachlichen Zuständigkeit des Betriebsrats erfasst1. Sind diese Verfahren bei Ablauf des Übergangsmandats nicht abgeschlossen, ist zu unterscheiden: Wurde ein neuer Betriebsrat gewählt, wird dieser automatisch Beteiligter eines anhängigen Beschlussverfahrens, wenn die Zuständigkeit zur Wahrnehmung des in dem Verfahren umstrittenen Mitbestimmungsrechts auf ihn übergeht2. Dies folgt aus dem Prinzip der Funktionsnachfolge und dem Grundgedanken der Kontinuität betriebsverfassungsrechtlicher Interessenvertretungen3. Wird kein neuer Betriebsrat gewählt, enden die Verfahren4. b) Personelle Zuständigkeit des Betriebsrats im Übergangsmandat
24.59
Die personelle Zuständigkeit des Betriebsrats bleibt nach einer Betriebsspaltung während des Übergangsmandats unverändert5. Der Betriebsrat ist weiterhin für alle Arbeitnehmer zuständig, die ihm bislang zugeordnet waren. Ausgenommen sind nur leitende Angestellte nach § 5 Abs. 3 BetrVG. Diese Grundsätze gelten auch, wenn die Betriebsspaltung im Zusammenhang mit einer Umwandlung oder einer Betriebsteilübertragung erfolgt. Dass ein Teil der Belegschaft als Folge des Übergangs ihrer Arbeitsverhältnisse arbeitsvertraglich einem anderen Rechtsträger zuzuordnen ist, hat gemäß § 21a Abs. 3 BetrVG keine Bedeutung. Die Zuständigkeit für die Arbeitnehmer, die einem der ausgegliederten Betriebsteile zugeordnet sind, endet erst mit Ablauf des Übergangsmandats. Für den Restbetrieb besteht die Zuständigkeit ohne Rücksicht darauf fort, ob dieser dem übertragenden oder dem übernehmenden Rechtsträger zugeordnet wird. Denkbar ist allerdings, dass wegen der verringerten Belegschaftsstärke Neuwahlen erforderlich sind (§ 13 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG). Bei einer Zusammenfassung von Betrieben oder Betriebsteilen erstreckt sich die Zuständigkeit des Betriebsrats im Rahmen des Übergangsmandats auch auf zuvor von ihm nicht vertretene Arbeitnehmer, nämlich jene aus den kleineren Einheiten bzw. größeren, aber betriebsratslosen Einheiten6; bei einer Eingliederung ist der Betriebsrat personell auch für die Arbeitnehmer des aufnehmenden Betriebs zuständig, sofern dieser betriebsratslos war (vgl. dazu Rz. 24.48)7. c) Räumliche Zuständigkeit des Betriebsrats im Übergangsmandat
24.60
Die räumliche Zuständigkeit des Betriebsrats endet nicht, wenn der vorübergehend betreute Betriebsteil an einen anderen Ort verlegt wird. Schließlich spielt es keine Rolle, ob die Verselbstständigung „nur“ aufgrund organisatorischer Eigenständigkeit i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1
1 Zur örtlichen Zuständigkeit vgl. LAG Berlin-Brandenburg v. 20.4.2015 – 21 SHa 462/15, NZA-RR 2015, 324, 326. 2 BAG v. 23.6.2010 – 7 ABR 3/09, NZA 2010, 1361, 1362 = ArbRB 2010, 368 (Lunk); Fitting, § 21a BetrVG Rz. 19. 3 BAG v. 24.10.2001 – 7 ABR 20/00, NZA 2003, 53, 54 = ArbRB 2002, 101 (Gaul/Kühnreich); BAG v. 23.6.2010 – 7 ABR 3/09, NZA 2010, 1361 Rz. 11 = ArbRB 2010, 368 (Lunk) m.w.N. 4 Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 19; ErfK/Koch, § 21a BetrVG Rz. 5; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 93. 5 S. auch Fitting, § 21a BetrVG Rz. 23. 6 Schaub/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 219 Rz. 17b. 7 Schaub/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 219 Rz. 17c.
956 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für den Betriebsrat | Rz. 24.62 § 24
Nr. 2 BetrVG oder auch aufgrund der räumlich weiten Entfernung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG veranlasst wird. Das Mandat würde nur enden, wenn der ausgegliederte Betriebsteil noch vor Ablauf der regulären Dauer des Übergangsmandats aufgelöst wird. Eine solche Auflösung kann im Ausnahmefall dadurch erfolgen, dass die bislang im Betriebsteil beschäftigten Arbeitnehmer einen Umzug verweigern, so dass eine neue Belegschaft aufgebaut werden muss. In diesem Fall besteht keine Identität mehr zwischen diesem Betriebsteil und dem Betriebsteil, der dem Betriebsrat in der Vergangenheit zugeordnet war. Nach § 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG bezieht sich das Übergangsmandat aber nur auf die Betriebsteile, die ihm bis zum Wirksamwerden der Maßnahme zugeordnet waren1.
4. Dauer des Übergangsmandats Das Übergangsmandat beginnt mit Vollzug der betrieblichen Strukturänderung. Maßgeblich ist nicht eine etwaige gesellschaftsrechtliche Neuordnung, sondern die tatsächliche, betriebsverfassungsrechtliche Umsetzung. Entscheidendes Kriterium ist – analog zum Betriebsübergang – der Wechsel der tatsächlichen Leitungsmacht2. Die Sechs-Monats-Frist läuft somit, sobald die betroffenen Arbeitnehmer nicht mehr der Personalleitung des Ursprungsbetriebs unterstellt sind. Die Frist soll einer Ansicht zufolge jedoch erst zu laufen beginnen, wenn der Betriebsrat ordnungsgemäß über die betriebliche Umstrukturierungsmaßnahme unterrichtet worden ist3. Dies findet keine Stütze im Gesetz. In der Praxis dürfte diese Ansicht zudem regelmäßig nicht zu Konsequenzen führen, da i.d.R. zugleich eine Betriebsänderung vorliegen wird, der Betriebsrat also ohnehin zu unterrichten ist.
24.61
Das Übergangsmandat endet mit der Eingliederung der bislang dem Betriebsrat zugeordneten Betriebsteile in einen anderen Betrieb, in dem ein Betriebsrat besteht (§ 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Falls keine Eingliederung erfolgt oder im aufnehmenden Betrieb kein Betriebsrat besteht, endet das Übergangsmandat, sobald in den betreuten Betriebsteilen ein Betriebsrat gewählt wird und das Wahlergebnis bekannt gegeben worden ist, spätestens aber, soweit keine Fristverlängerung erfolgt (s.u. Rz. 24.63), sechs Monate nach dem Wirksamwerden der Spaltung des Betriebs bzw. des Zusammenschlusses der Betriebe oder Betriebsteile (§ 21a Abs. 1 Satz 3 BetrVG). Nach Ablauf des Sechs-Monats-Zeitraums endet das Übergangsmandat auch, wenn die Betriebsparteien die Betriebsänderung und das damit verbundene Entstehen des Mandats nicht gesehen oder trotz Kenntnis um die Gegebenheiten auf ein klärendes Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG verzichtet haben bzw. dieses Verfahren noch nicht entschieden ist4. Endet das reguläre Mandat des Betriebsrats im Ursprungsbetrieb, der das Übergangsmandat ausübt, bereits vor Ablauf des Sechs-Monats-Zeitraums, erlischt auch das Übergangsmandat5. Diese Konstellation dürfte freilich selten sein. Wird – wie regelmäßig – im Ursprungsbetrieb vor Ablauf des Sechs-Monats-Zeitraums ein neuer Betriebsrat gewählt, geht das Übergangsmandat als Folge der Funktionsnachfolge auf ihn über.
24.62
1 Vgl. bereits DKW/Buschmann, § 21b BetrVG Rz. 24. 2 Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 21f.; Fitting, § 21a BetrVG Rz. 10; HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 12; ErfK/Koch, § 21a BetrVG Rz. 6; GK-BetrVG/Kreutz, § 21a Rz. 47. 3 So HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 12 unter Hinweis auf § 80 Abs. 2 BetrVG. 4 Abw. DKW/Buschmann, § 21a BetrVG Rz. 51, wonach die Frist erst mit Rechtskraft der arbeitsgerichtlichen Entscheidung beginnen soll. 5 Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 23; a.A. DKW/Buschmann, § 21a BetrVG Rz. 50.
Leder/Lunk | 957
§ 24 Rz. 24.63 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
24.63
Das Übergangsmandat kann durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung um weitere sechs Monate verlängert werden (§ 21a Abs. 1 Satz 4 BetrVG). Eine nochmalige Verlängerung nach Ablauf dieser Frist ist nicht möglich1. Ein einmal erloschenes Mandat kann nicht wiederbelebt werden. Vor Fristablauf kann das Übergangsmandat auch für weniger als sechs Monate verlängert werden2. Der Wortlaut der Vorschrift („um weitere sechs Monate“) ist nur im Sinne einer Höchstgrenze zu verstehen; kürzere Verlängerungen sind dadurch nicht ausgeschlossen3. Entsteht das Übergangsmandat im Zusammenhang mit einem Rechtsträgerwechsel, also in Fällen des Betriebsübergangs oder einer Umwandlung, kann die Zuständigkeit für den Abschluss der Verlängerungsvereinbarung zweifelhaft sein: Ist die Spaltung bzw. die Zusammenfassung bereits vollzogen und das Übergangsmandat damit entstanden, soll allein der neue Rechtsträger Verhandlungspartner für die Verlängerungsvereinbarung sein4. Eine Zustimmung des alten Rechtsträgers sei nicht erforderlich5. Denn während einer etwaigen gerichtlichen Zustimmungsersetzung müsste das Übergangsmandat ohnehin wirksam weiter bestehen. Bleibt der Restbetrieb beim Veräußerer, dürfte jedoch letzterer zuständig sein. Denn dort ist der Betriebsrat des Übergangsmandats angesiedelt. Wegen der Auswirkungen (bspw. Freistellung des „alten“ Arbeitgebers für Betriebsratstätigkeiten beim „neuen“ Arbeitgeber i.R.d. Übergangsmandats) erscheint es insgesamt sachgerecht, die Verlängerung von der Zustimmung aller betroffener Rechtsträger (aufnehmender und abgebender Betrieb) abhängig zu machen.6 Der Wortlaut des § 21a Abs. 1 Satz 4 BetrVG ist insoweit offen. Der Hinweis auf den Abschluss einer Betriebsvereinbarung, die regelmäßig nicht mit mehreren beteiligten Arbeitgebern geschlossen wird, spricht zwar eher dafür, dass der Gesetzgeber immer nur einen zuständigen Arbeitgeber für die Verlängerung vor Augen hatte. Zwingend ist das freilich nicht, denn es wird auch der Tarifvertrag als zulässiges Gestaltungsmittel erwähnt, bei dem die Beteiligung mehrerer Arbeitgeber die Regel ist. Praxisrelevant dürfte all dies angesichts der Freiwilligkeit der verlängernden Betriebsvereinbarung nicht sein.
5. Personelle Zusammensetzung des Betriebsrats im Übergangsmandat 24.64
Beispiel 12: Die A-GmbH hat einen Betrieb in Bremen mit 150 Arbeitnehmern. Ein Betriebsteil wird an die BGmbH verkauft und zu diesem Zweck werden alle zugehörigen Betriebsmittel an diese übertragen. Dem Betriebsteil gehören 20 Arbeitnehmer an, darunter drei Betriebsratsmitglieder, keiner widerspricht dem Übergang auf die B-GmbH. Als bei der A-GmbH ein neuer Arbeitnehmer eingestellt werden soll, fragen die drei nunmehr bei der B-GmbH beschäftigten (ehemaligen?) Betriebsratsmitglieder, ob sie an der Betriebsratssitzung teilnehmen dürfen.
1 Fitting, § 21a BetrVG Rz. 26; Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 23; ErfK/Koch, § 21a BetrVG Rz. 6. 2 Ebenso Fitting, § 21a BetrVG Rz. 26; Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 24. 3 Näher dazu Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 301; Fitting, § 21a BetrVG Rz. 26. 4 Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 23. 5 Anders Fitting, § 21a BetrVG Rz. 26, für den Fall, dass im Ursprungsbetrieb beschäftigte Betriebsratsmitglieder für die Zwecke der Ausübung des Übergangsmandats freigestellt werden müssen. 6 Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 301: Vertrag zu Lasten Dritter.
958 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für den Betriebsrat | Rz. 24.66 § 24
vorher:
nachher:
A-GmbH
150
20
reg. Mandat
130
reg. Mandat
ABC
B-GmbH
A-GmbH
BR
BR ABC?
§2
1
ABC
VG etr B a
Gemäß § 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG bleibt bei der Spaltung eines Betriebs „dessen Betriebsrat im Amt“. Bei einer Zusammenfassung von Betrieben oder Betriebsteilen soll entsprechend gemäß § 21a Abs. 2 Satz 1 BetrVG „der Betriebsrat“ des größten Betriebs(teils) das Übergangsmandat wahrnehmen. Fraglich ist die personelle Zusammensetzung des Betriebsrats, wenn „der Betriebsrat“ nach der Strukturänderung auf verschiedene Betriebe bzw. Betriebsteile verteilt ist. Erfolgt keine Spaltung, sondern geht der Betrieb insgesamt auf einen neuen Rechtsträger über, besteht keine Notwendigkeit für ein Übergangsmandat, da der bisherhige Betriebsrat uneingeschränkt im Amt bleibt. Widersprechen in diesem Fall einzelne Arbeitnehmer oder Betriebsratsmitglieder und gehen nicht über, ist für ein Übergangsmandat allenfalls Raum, wenn derart viele Widersprüche erfolgen, dass der abgebende Arbeitgeber mit ihnen einen betriebsratsfähigen Teilbetrieb weiterführt, nicht aber, wenn es wie üblich zu Freistellungen kommt, da es dann an der Voraussetzung einer „Spaltung“ fehlt1. Widersprechen Betriebsratsmitglieder, scheiden sie in dieser Konstellation aus dem Betriebsrat aus2. Denn es existiert weder ein Übergangsmandat noch gehören sie dem neuen Arbeitgeber an, so dass § 24 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG greift. Zum Restmandat in dieser Konstellation vgl. Rz. 24.81.
24.65
a) Abspaltung eines Betriebsteils Die Zusammensetzung des Betriebsrats während des Übergangsmandats wirft keine besonderen Fragen auf, wenn nach einer Abspaltung eines Betriebsteils alle Betriebsratsmitglieder weiterhin dem fortbestehenden Restbetrieb angehören. An der personellen Zusammenset1 Vgl. BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/121, NZA 2015, 889 Rz. 39 ff. = ArbRB 2015, 13 (Oetter); BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 61 = ArbRB 2016, 100 (Steffan); MünchArbR/ Krois, § 292 Rz. 69; HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 22; Fuhlrott/Oltmanns, BB 2015, 1013; Löwisch/Tarantino, FS Bepler, 2012, S. 403, 406; a.A. DKW/Buschmann, § 21a BetrVG Rz. 25a; Löw, AuR 2007, 194, 195. 2 Fitting, § 21a BetrVG Rz. 17; vgl. ArbG Solingen v. 27.7.2017 – 2 BVGa 3/17, BeckRS 2017, 132841 = ArbRB 2017, 308 (Einfeldt).
Leder/Lunk | 959
24.66
§ 24 Rz. 24.66 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
zung des Betriebsrats ändert sich in diesem Fall nichts. Alle Betriebsratsmitglieder bleiben in dem Betrieb, in dem der Betriebsrat besteht. Sie nehmen deshalb zugleich das reguläre Vollmandat für den Restbetrieb und das Übergangsmandat für den abgespaltenen Betriebsteil wahr. Hat sich die Belegschaftsstärke im Restbetrieb durch die Abspaltung signifikant verringert, können nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG vorzeitige Neuwahlen erforderlich sein. Bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses bleibt indes „alles beim Alten“, § 22 BetrVG. Probleme entstehen dagegen, wenn Betriebsratsmitglieder dem abgespaltenen Betriebsteil angehören. Bei wörtlicher Anwendung des Gesetzes würde ihre Mitgliedschaft im Betriebsrat des Restbetriebs gemäß § 24 Nr. 4 BetrVG enden, weil sie mit dem Ausscheiden ihre Wählbarkeit im Restbetrieb verlieren (§ 8 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Gehen die Betriebsratsmitglieder – wie im Beispiel 12 (Rz. 24.64) – auf einen anderen Rechtsträger über, führt die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zum Rechtsträger des Restbetriebs an sich zusätzlich zum Erlöschen ihrer Mitgliedschaft im Betriebsrat des Restbetriebs (§ 24 Nr. 3 BetrVG).
24.67
Eine wortgetreue Anwendung dieser Vorschriften wird indes nur vereinzelt vertreten1. Die herrschende Meinung im Schrifttum bejaht dagegen zu Recht den Verbleib der Betriebsratsmitglieder im Betriebsrat des Restbetriebs, selbst wenn diese dem abgespaltenen Betriebsteil angehören2. Die Besonderheit des Übergangsmandats verdrängt die Grundaussage des § 24 Abs. 1 Nrn. 3 und 4 BetrVG mit der Koppelung des Betriebsratsamtes an das Bestehen des Arbeitsverhältnisses. Dafür streitet zunächst der Sinn und Zweck des Übergangsmandats. Insbesondere wenn das Arbeitsverhältnis von Betriebsratsmitgliedern auf einen anderen Rechtsträger übergegangen ist, dem der kleinere Betriebsteil zuzuordnen ist, macht es Sinn, diese Mitglieder im Rahmen des Übergangsmandats in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten zu beteiligen. Sie vertreten stärker als Ersatzmitglieder aus dem verbleibenden Betriebsteil die Belange der von der Überleitung betroffenen Arbeitnehmer. Sie sind mit den tatsächlichen Gegebenheiten des auf den übernehmenden Rechtsträger übergehenden Teils vertraut. Damit repräsentieren sie besonders die Arbeitnehmer, für die der Betriebsrat sich im Rahmen des Übergangsmandats einsetzen soll. Aus diesem Grund steht ihr Verbleib im Betriebsrat des Restbetriebs zudem im Einklang mit § 24 BetrVG. Nach Sinn und Zweck der Nrn. 3 und 4 dieser Vorschrift soll die Mitgliedschaft im Betriebsrat erlöschen, wenn das Betriebsratsmitglied nicht mehr zu der vom Betriebsrat vertretenen Belegschaft zählt3. Dies ist aber nicht der Fall - jedenfalls solange der Betriebsrat im Rahmen seines Übergangsmandats tätig wird, betreffen seine Entscheidungen den abgespaltenen Betriebsteil und damit die noch vom Betriebsrat repräsentierte „Gesamtbelegschaft“. Eine teleologische Reduktion des § 24 BetrVG ist somit geboten4. Die wechselseitige Erreichbarkeit von Betriebsrat und Belegschaft, die – wie § 4 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG deutlich macht – für die Interessenvertretung von erheblicher Bedeutung ist, wird schließlich besser sichergestellt als bei Betriebsratsmitgliedern, die beim anderen Rechtsträger verblieben sind. Anders ist der Fall zu behandeln, wenn der übergehende Betriebsteil in einen Betrieb mit Betriebsrat eingegliedert wird und folglich ein Übergangsmandat nicht entsteht. Dann scheidet das übergehende Betriebsratsmitglied aus dem Arbeits-
1 GK-BetrVG/Oetker, § 24 BetrVG Rz. 48; HaKo-BetrVG/Düwell, § 21a Rz. 77 f.; LAG Düsseldorf v. 18.10.2017 – 12 TaBVGa 4/17, BeckRS 2017, 132754 Rz. 42; Götte, DB 2018, 130. 2 GK-BetrVG/Kreutz, § 21a Rz. 34; Fitting, § 21a BetrVG Rz. 16; Bauer/Haußmann/Krieger, 4 B Rz. 12; ErfK/Koch, § 21a BetrVG Rz. 7; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 95; HWGNRH/Worzalla, § 21a BetrVG Rz. 24; DKW/Buschmann, § 21a BetrVG Rz. 35. 3 Fitting, § 21a BetrVG Rz. 16 und § 24 Rz. 13 ff. 4 Ebenso ErfK/Koch, § 21a BetrVG Rz. 7.
960 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für den Betriebsrat | Rz. 24.71 § 24
verhältrnis und dem Betriebsrat des abgebenden Arbeitgebers aus1. Für eine Einschränkung des § 24 BetrVG ist kein Raum. Die personelle Zusammensetzung des Betriebsrats bleibt bei Existenz eines Übergangsmadats für dessen Ausübung somit unverändert bestehen. Sie wird auf den Zeitpunkt der Abspaltung „eingefroren“. Scheiden Betriebsratsmitglieder allerdings aus dem Restbetrieb und dem abgespaltenen Betrieb(steil) aus oder legen sie ihr Betriebsratsamt nieder, erlischt ihre Mitgliedschaft im Betriebsrat des Restbetriebs auch für die Zwecke des Übergangsmandats2. Das Nachrücken von Ersatzmitgliedern bestimmt sich dann anhand der früheren Besetzung, wie sie zum Zeitpunkt der Abspaltung bestand3.
24.68
Betriebsratsmitglieder, die dem abgespaltenen Betriebsteil angehören, dürfen auch dann ihr Mandat im Betriebsrat des Ursprungsbetriebs ohne Einschränkung wahrnehmen, wenn es dort – wie im Beispiel 12 (Rz. 24.64) – ausschließlich um Angelegenheiten des Ursprungsbetriebs geht4. Eine teleologische Reduktion des § 24 Nrn. 3 und 4 BetrVG ist geboten, weil dem BetrVG eine aufgeteilte Zuständigkeit fremd ist und der § 24 BetrVG den hier behandelten Spezialfall i.R. des Übergangsmandates noch nicht berücksichtigen konnte. Auch beim Restmandat bleibt das Ausscheiden entgegen der Wertung des § 24 Nr. 3 BetrVG folgenlos (vgl. Rz. 24.86).
24.69
Der übertragende Rechtsträger ist nicht verpflichtet, ein Betriebsratsmitglied analog § 15 Abs. 5 KSchG in anderen Betriebsteilen zu beschäftigen, um zu verhindern, dass das Betriebsratsmandat als Folge des Übergangs des Arbeitsverhältnisses beendet wird5. Es fehlt an der Voraussetzung für eine solche Analogie. Das betreffende Betriebsratsmitglied ist durch das Recht zum Widerspruch nach § 613a Abs. 6 BGB hinreichend geschützt. Grundsätzlich bewirkt der Widerspruch ein Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses beim übertragenden Rechtsträger. Allerdings kann der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Schranken aus § 15 Abs. 4, 5 KSchG dann zur betriebsbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt sein (vgl. Rz. 19.26 ff.).
24.70
b) Aufspaltung eines Betriebs Beispiel 13: Ein Betrieb mit Betriebsrat und 300 Arbeitnehmern wird in zwei Betriebe mit jeweils 150 Arbeitnehmern aufgespalten. Von den neun Betriebsratsmitgliedern gehören zwei dem neuen Betrieb A und sieben dem neuen Betrieb B an. In Betrieb B soll der Betriebsrat über eine Versetzung entscheiden. In welcher Zusammensetzung?
1 Ricken, FS 100 Jahre Betriebsverfassungsrecht, 2020, S. 629, 639. 2 Fitting, § 21a BetrVG Rz. 17; HWGNRH/Worzalla, § 21a BetrVG Rz. 24. 3 GK-BetrVG/Kreutz, § 21a Rz. 34; Löwisch/Kaiser/Löwisch, § 21a BetrVG Rz. 8; DKW/Buschmann, § 21a BetrVG Rz. 35. 4 Ebenso HaKo-BetrVG/Düwell, § 21a Rz. 79; Fitting, § 21a BetrVG Rz. 16; Rieble, Sonderbeil. NZA 2003, 62, 64; Gragert, NZA 2004, 289, 290; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 95; a.A. ErfK/Koch, § 21a BetrVG Rz. 7; GK-BetrG/Kreutz, § 21a Rz. 34; HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 15. 5 Ebenso GK-BetrVG/Oetker, § 24 Rz. 60; HWGNRH/Huke, § 24 BetrVG Rz. 28; HWK/Reichold, § 24 BetrVG Rz. 9. Für eine Versetzungspflicht dagegen Fitting, § 24 BetrVG Rz. 36; DKW/Kittner, § 24 BetrVG Rz. 29.
Leder/Lunk | 961
24.71
§ 24 Rz. 24.72 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
24.72
Bei einer Betriebsaufspaltung verliert der Ursprungsbetrieb seine Identität. Er geht unter. Nach der Aufspaltung gehören die Betriebsratsmitglieder damit zwangsläufig anderen Betrieben an, ggf. auch anderen Rechtsträgern. Um den Fortbestand des Betriebsrats für die Zwecke des Übergangsmandats zu sichern, muss der Betriebsrat deshalb personell auf den Zeitpunkt der Aufspaltung „eingefroren“ werden1. Denn es gibt kein Gremium mehr, in das Ersatzmitglieder nachrücken könnten2. Weder der Verlust der Wählbarkeit (§ 24 Nr. 4 BetrVG) noch das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis zum Inhaber des Ursprungsbetriebs (§ 24 Nr. 3 BetrVG) führt damit zum Erlöschen der Mitgliedschaft im Betriebsrat (Rz. 24.67).
24.73
Arbeitnehmer eines neuen Betriebs (im Beispiel 13 [Rz. 24.71]: aus Betrieb A) können im Rahmen des Übergangsmandats dann ggf. in Angelegenheiten eines anderen neuen Betriebs (im Beispiel 13: von Betrieb B) mitbestimmen. In diesen Fällen besteht zwar kein Gleichlauf zwischen Betriebsrats- und Belegschaftszugehörigkeit. Dennoch führt dies nicht zum Ausschluss aus dem Gremium in den belegschaftsfremden Angelegenheiten. Der Grund hierfür ist abermals, dass kein Gremium zur Verfügung steht, in das Ersatzmitglieder aus dem unmittelbar betroffenen Betrieb nachrücken könnten. c) Zusammenfassung von Betrieben oder Betriebsteilen
24.74
Bei einer Zusammenfassung von Betrieben stellt sich die Frage nach der personellen Zusammensetzung des Betriebsrats im Übergangsmandat nicht. Sofern jedoch bei mehr als nur einem Betrieb oder Betriebsteil der zusammenzufassenden Betriebe ein Betriebsrat existiert, muss geklärt werden, wem das Übergangsmandat zusteht. Dies bemisst sich nach der Kollisionsregel des § 21a Abs. 2 Satz 1 BetrVG (dazu Rz. 24.30 f.). Der Betriebsrat des größeren Betriebs(teils) nimmt das Übergangsmandat wahr und wird in seiner Zusammensetzung auf den Zeitpunkt der Zusammenfassung „eingefroren“, bis die Neuwahl des Betriebsrats abgeschlossen ist.
6. Rechtsfolgen für Ausschüsse und Arbeitsgruppen 24.75
Hat der Betriebsrat einen Betriebsausschuss oder weitere Ausschüsse gemäß §§ 27, 28 BetrVG gebildet, teilen diese das Schicksal des Betriebsrats. Sie bestehen also ebenfalls in ihrer bisherigen Personenidentität bis zum Ablauf des Übergangsmandats fort3. Bei Arbeitsgruppen, denen gemäß § 28a BetrVG bestimmte Aufgaben übertragen wurden, wird man differenzieren müssen. Arbeitsgruppen, die in ihrer Zusammensetzung und der Aufgabenstellung durch die Veränderung auf betrieblicher Ebene nicht berührt werden, bestehen fort. Sie können von den besonderen Befugnissen allerdings nur noch so lange Gebrauch machen, wie ein Betriebsrat besteht, der sein Widerrufsrecht der Übertragung der Angelegenheit ausüben kann. Bezieht sich die Aufgabe auf den in seiner Identität fortbestehenden Restbetrieb, gibt es keine zeitliche Grenze. Bezieht sich die Aufgabe auf einen der ausgegliederten Betriebsteile, endet das Mandat der Arbeitsgruppe mit der Beendigung des Übergangsmandats – jedenfalls sofern keine Neuwahl erfolgt ist. Hat eine Neuwahl stattgefunden, besteht die Arbeitsgruppe wie bei einer
1 Ebenso ErfK/Koch, § 21a BetrVG Rz. 7; s.a. HaKo-BetrVG/Düwell, § 21a Rz. 80; HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 15. 2 ErfK/Koch, § 21a BetrVG Rz. 7. 3 GK-BetrVG/Kreutz, § 21a Rz. 35. Abw. Jung, Übergangsmandat, S. 70 f., der zwar von einem Fortbestand der Ausschüsse ausgeht, aber die vom Übergang ihres Arbeitsverhältnisses betroffenen Mandatsträger bei der Besetzung nicht mehr berücksichtigen will.
962 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für den Betriebsrat | Rz. 24.77 § 24
Neuwahl ohne Betriebsspaltung fort. Der neu gewählte Betriebsrat ist also bis zu einem Widerruf der Aufgabenübertragung an die Entscheidung der vorangehenden Interessenvertretung gebunden. Erfolgt jedoch eine Spaltung, so dass sich die Mitglieder der Arbeitsgruppe auf verschieden Vertragsarbeitgeber verteilen, endet die Arbeitsgruppe mit Ende des Übergangsmandats. Denn die Bindung der Arbeitsgruppe kann nicht über Arbeitgebergrenzen hinweg bestehen und nicht weiter gehen als für den Betriebsrat selbst.
7. Kosten des Übergangsmandats Für das Übergangsmandat gelten, da es sich um ein Vollmandat handelt, die allgemeinen Freistellungs- und Kostentragungspflichten der §§ 37, 38 und 40 BetrVG1. Probleme bereiten rechtsträgerübergreifende Strukturänderungen. Dies gilt zunächst für die nach § 40 Abs. 1 BetrVG zu erstattenden Kosten. Teils wird eine Kostentrennung befürwortet: Der Inhaber des Ursprungsbetriebs trägt die in seinem Betrieb verursachten Kosten und der Inhaber des abgespaltenen Betriebsteils die dort für die Wahrnehmung des Übergangsmandats anfallenden Kosten2. Nach der Gegenansicht haften die beteiligten Arbeitgeber als Gesamtschuldner3. Praktikabler erscheint letzteres, zumal es regelmäßig im Innenverhältnis der an der Umstrukturierung betroffenen Unternehmen generelle Kostentragungsregeln geben wird. Die Anzahl der freigestellten Betriebsratsmitglieder soll während der Dauer des Übergangsmandats unverändert bleiben, ungeachtet etwaiger Vergrößerungen oder Verkleinerungen infolge von Spaltungen oder Zusammenfassungen4. Die Kosten treffen den Vertragsarbeitgeber5. Bei unternehmensübergreifenden Abspaltungen kann das zu ungleichen Kostenverteilungen führen, sofern sich – im Verhältnis zu ihrer Größe – ein überdurchschnittlich großer Anteil der freigestellten Arbeitnehmer in einer der beteiligten Einheiten befindet. Der Unternehmenskaufvertrag könnte auch dies regeln.
24.76
III. Das Restmandat des Betriebsrats 1. Entstehungsgeschichte Der Gesetzgeber verankerte mit § 21b BetrVG die bereits von der Rechtsprechung geschaffene und allgemein anerkannte Rechtsfigur des Restmandats des Betriebsrats6. Das BAG hatte das Restmandat ursprünglich im Zusammenhang mit Betriebsstilllegungen entwickelt. Ausschlaggebend war der Schutz der mit einer Auflösung der betrieblichen Organisationsstruktur verbundenen Beteiligungsrechte. Würde das Betriebsratsamt mit einer Betriebsstilllegung enden, hätte es der Arbeitgeber in der Hand, durch rasche Vollziehung dieser Maßnahme die Beteiligungsrechte zu unterlaufen7. Im Interesse der Belegschaft sollte der Betriebsrat deshalb jedenfalls bis zum Abschluss eines Sozialplans funktionsfähig bleiben.
1 HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 18. 2 ErfK/Koch, § 21a BetrVG Rz. 8. 3 ArbG Leipzig v. 5.5.2006 – 10 BV 57/05, NZA-RR 2007, 24; Fitting, § 21a BetrVG Rz. 27; Gragert, NZA 2004, 289, 291; Jung, Übergangsmandat, S. 70. 4 Fitting, § 21a BetrVG Rz. 27; HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 18; ErfK/Koch, § 21a BetrVG Rz. 8; a.A. Gragert, NZA 2004, 289, 291. 5 HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 18; ErfK/Koch, § 21a BetrVG Rz. 8. 6 BT-Drucks. 14/5741, S. 39. 7 BAG v. 30.10.1979 – 1 ABR 112/77, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 9; in diese Richtung bereits BAG v. 14.11.1978 – 6 ABR 85/75, AP KO § 59 Nr. 6.
Leder/Lunk | 963
24.77
§ 24 Rz. 24.77 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
2. Anwendungsbereich
24.79
Beispiel 14: Die C-GmbH stellt zu Ende Juli die Produktion ein und kündigt fast allen Arbeitnehmern auf dieses Datum. Einige wenige Mitarbeiter werden zunächst für Abwicklungstätigkeiten weiterbeschäftigt. Im August will die C-GmbH auch diesen Arbeitnehmern kündigen. Ist der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigungen anzuhören?
Der § 21b BetrVG dehnt das Restmandat auf die Spaltung oder Zusammenlegung von Betrieben aus. Gemeinsame Voraussetzung ist in allen Fällen der Betriebsuntergang. Bei einer vollständigen Stilllegung geht der Betrieb stets unter (zum Begriff Rz. 25.102). Gleiches gilt bei der „Zusammenlegung“ von Betrieben. Diese hat – trotz unterschiedlicher Begrifflichkeiten1 – dieselbe Bedeutung wie die „Zusammenfassung“ i.S.d. § 21a Abs. 2 Satz 1 BetrVG2. Wesentlich ist damit die Entstehung einer neuen Einheit mit eigener Identität. Die Betriebsräte der zusammengeschlossenen3 Betriebe bzw. Betriebsteile verlieren ihre regulären Mandate. Sie erlangen nach § 21b BetrVG Restmandate für die durch den Zusammenschluss untergegangenen Betriebe bzw. Betriebsteile. Für die neue, zusammengeschlossene Einheit kann ein Übergangsmandat gemäß § 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG entstehen. Bei einer Eingliederung hat der Betriebsrat des eingegliederten Betriebs ein Restmandat4.
BR 1
BR 2 reg. Mandat
nachher:
reg. Mandat
vorher:
BR 1
Betrieb 1 alt 200 AN
Betrieb 2 alt 230 AN
§
B 21b
G etrV
BR 2 § 21a BetrVG
24.78
Betrieb neu
§ 21b BetrVG
24.80
Die Spaltung eines Betriebs führt nicht zwangsläufig zum Identitätsverlust und damit zum Restmandat. Insbesondere berühren bloße Abspaltungen im Regelfall nicht die Identität des Restbetriebs. Dieser besteht vielmehr fort. Der Betriebsrat behält dann sein reguläres Mandat für den Restbetrieb und hat gemäß § 21a Abs. 1 BetrVG ein Übergangsmandat für die abgespaltene Einheit. Erst recht entsteht kein Restmandat, wenn lediglich die betriebliche Tätigkeit eines Betriebsteils endet, der (Rest)Betrieb jedoch seine Identität und Funktionsfähigkeit be-
1 Dem handwerklichen Geschick des Gesetzgebers zu Recht kritisch gegenüberstehend etwa HWK/ Reichold, § 21b BetrVG Rz. 5 („Sprachverwirrung“). 2 Linsenmaier RdA 2017, 128, 130 m.w.N. 3 Teils wird auch von „Zusammenfassung“ bzw. „zusammengefassten“ Betrieben gesprochen. 4 Im Fall einer Verschmelzung (hier § 20 Abs. 1 Nr. 2 UmwG) richtet sich das Restmandat nach deren Eintragung in das Handelsregister an den übernehmenden Rechtsträger: BAG v. 12.6.2019 – 1 AZR 154/17, NZA 2019, 1203, 1209 Rz. 74 = ArbRB 2019, 228 (Steffan).
964 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für den Betriebsrat | Rz. 24.81 § 24
hält1. Das ist bei einer Aufspaltung des Betriebs anders. Hier nimmt der Betriebsrat des Ursprungsbetriebs das Restmandat für alle ihm ursprünglich zugeordneten Betriebe bzw. Betriebsteile wahr. Ob die einzelnen Einheiten nach der Aufspaltung betriebsratsfähig sind, spielt – anders als beim Übergangsmandat – keine Rolle2.
vorher:
nachher:
Betrieb alt
BR 1 §2
VG etr bB
§2
§ 21a BetrVG
reg. Mandat
BR
Betrieb 1 neu
1a
Bet
rVG
Betrieb 2 neu
Die bloße Verlegung des Betriebs führt regelmäßig nicht zu dessen Untergang3. Etwas anderes gilt nur, wenn am neuen Standort eine völlig neue Belegschaft eingestellt wird4. Der Übergang des gesamten Betriebs nach § 613a BGB führt ebenso wenig zu einem Betriebsuntergang. Vielmehr wird der Betrieb identitätswahrend übertragen5. Ein Restmandat entsteht auch nicht, wenn einzelne Arbeitnehmer dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse widersprechen6. Es fehlt dann an der Voraussetzung einer Spaltung (Rz. 24.65). Ungeklärt ist, wie insoweit der Widerspruch aller oder eines Großteils der zum Übergang Vorgesehenen zu bewerten ist; das BAG7 ließ dies für den Fall offen, dass in einem betriebsmittelarmen Betrieb ein erheblicher Teil der Belegschaft widerspricht. Auch dann verbleibt jedoch i.d.R. kein Restbetrieb – der bloße Massenwiderspruch schafft regelmäßig keine betrieblichen Strukturen (vgl. Rz. 24.65). Somit findet § 21b BetrVG selbst im Falle eines Massenwiderspruches weder unmittelbar noch analog Anwendung8, jedenfalls solange nicht mit den Widersprechenden sodann ein neuer Betrieb erschaffen wird, wobei aber dann kein Rest-, sondern ein Übergangsmandat in Betracht käme. Das Restmandat ist auch aus unionsrechtlicher Sicht nicht zwingend erforderlich, da Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 4 RL 2001/23/EG nur die aufnehmenden
1 2 3 4 5 6
7 8
BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277 = ArbRB 2013, 44 (Mues). HWK/Reichold, § 21b BetrVG Rz. 7; ähnlich auch GK-BetrVG/Kreutz, § 21b Rz. 32. Fitting, § 21b BetrVGRz. 6; HWK/Reichold, § 21b BetrVG Rz. 3. HWK/Reichold, § 21b BetrVG Rz. 3 unter Hinweis auf ArbG Berlin v. 17.3.2004 – 7 BV 3860/04, NZA-RR 2005, 80, 81. BAG v. 5.2.1991 – 1 ABR 32/90, NZA 1991, 639; Schaub/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 219 Rz. 18a; Fuhlrott/Oltmanns, BB 2015, 1013, 1013. BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 61 ff. = ArbRB 2016, 100 (Steffan); BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12, NZA 2015, 889; dazu Elking, BB 2015, 60; MünchArbR/Krois, § 292 Rz. 87; a.A. LAG Rheinland-Pfalz v. 18.4.2005 – 2 TaBV 15/05, NZA-RR 2005, 529, 530; DKW/ Buschmann, § 21b BetrVG Rz. 18. BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12, NZA 2015, 889 = ArbRB 2015, 13 (Oetter). Fuhlrott/Oltmanns, BB 2015, 1013, 1014; Hidalgo/Kobler, NZA 2014, 290, 292; a.A. ErfK/Koch, § 21b BetrVG Rz. 2; Löwisch/Tarantino, FS Bepler, 2012, S. 403, 406.
Leder/Lunk | 965
24.81
§ 24 Rz. 24.81 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
Betriebe erfasst und nicht den abgebenden Betrieb1. Die Erklärung des Widerspruchs nach § 613a Abs. 6 BGB ist für sich genommen zudem kein Vorgang, an den ein Restmandat des Betriebsrats anknüpfen könnte2. Es handelt sich weder um eine Stilllegung noch eine Spaltung oder eine Zusammenlegung i.S.d. § 21b Satz 1 BetrVG. Der Veräußerer führt regelmäßig keinen aus den widersprechenden Arbeitnehmern bestehenden Betrieb. Kündigt er, ist kein Betriebsrat nach § 102 BetrVG anzuhören3. Kein Restmandat entsteht, wenn nach Ablauf der Amtszeit kein neuer Betriebsrat gewählt wird oder alle Betriebsrats- und Ersatzmitglieder aus dem Betrieb ausscheiden4.
24.82
Der § 21b BetrVG trägt dem Umstand Rechnung, dass eigentlich das Amt des Betriebsrats endet, wenn die betriebliche Organisation wegfällt5, für die der Betriebsrat gebildet ist. Er soll die Ausübung der noch erforderlichen Beteiligungsrechte sicherstellen. Erforderlich sind solche, die ungeachtet des Wegfalls der betrieblichen Organisation noch notwendig sind, etwa weil noch nicht alle Arbeitsverhältnisse beendet oder einzelne Arbeitnehmer noch mit Abwicklungsaufgaben beschäftigt sind6. Unerheblich für die Anerkennung eines Restmandats ist, ob die Betriebsänderung unternehmensintern, bei Veränderungen im gemeinsamen Betrieb oder im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang, einer Umwandlung oder einer sonstigen Form der Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Rechtsträger vorgenommen wird7.
3. Inhalt des Restmandats 24.83
Das Restmandat ist kein Vollmandat, sondern ein inhaltlich beschränktes Mandat8. Es ist funktionell bezogen auf alle Beteiligungsrechte, die sich im Zusammenhang mit dem Untergang des Betriebs ergeben9 und durch den Untergang des Betriebs bedingt sind10, aber aufgrund des Eintritts des Untergangs nicht mehr in der regulären Amtszeit geregelt werden können11. Das Restmandat ist somit kein allgemeines Abwicklungsmandat für unerledigt geblie-
1 Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 307. 2 BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277, 283 = ArbRB 2013, 44 (Mues); Richardi/Thüsing, § 21b BetrVG Rz. 6; Fitting, § 21b BetrVG Rz. 6; Hidalgo/Kobler, NZA 2014, 290, 291. 3 BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, NZA 2016, 366 Rz. 61 ff. = ArbRB 2016, 100 (Steffan); BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12, NZA 2015, 889; LAG Nürnberg v. 9.8.2011 – 6 Sa 230/10, BeckRS 2011, 76780 = ArbRB 2012, 12 (Grimm). 4 BAG v. 27.8.1996 – 3 ABR 21/95, NZA 1997, 623, 624. 5 BAG v. 6.12.2006 – 7 ABR 62/05, AP BetrVG 1972 § 21b Nr. 5 Rz. 23; BAG v. 14.8.2001 – 1 ABR 52/00, NZA 2002, 109, 110 = ArbRB 2001, 105 (Mues); Fitting, § 21b BetrVG Rz. 5. 6 BAG v. 6.12.2006 – 7 ABR 62/05, AP BetrVG 1972 § 21b Nr 5 Rz. 23; BAG v. 14.8.2001 – 1 ABR 52/00, NZA 2002, 109, 110 = ArbRB 2001, 105 (Mues). 7 Vgl. BAG v. 30.10.1991 – 7 ABR 28/90, BeckRS 1991, 30739163f; DKW/Buschmann, § 21b BetrVG Rz. 9 ff. und 24; Fitting, § 21b BetrVG Rz. 1. 8 Vgl. dazu BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277 Rz. 55 („nachwirkendes Mandat“) = ArbRB 2013, 44 (Mues); BAG v. 5.5.2010 – 7 AZR 728/08, NZA 2010, 1025 Rz. 17 („Das Restmandat ist die Fortsetzung des originären Mandats.“) = ArbRB 2010, 271 (Fülbier); Fitting, § 21b BetrVG Rz. 16; HWK/Reichold, § 21b BetrVG Rz. 9; Schiefer, FS Willemsen, 2018, S. 427, 434 f. 9 BAG v. 12.6.2019 – 1 AZR 154/17, NZA 2019, 1203, 1209 Rz. 72 = ArbRB 2019, 228 (Steffan); BAG v. 8.12.2009 – 1 ABR 41/09, NZA 2010, 665 Rz. 16 = ArbRB 2010,144 (Lunk); Schiefer, FS Willemsen 2018, S. 427, 434 f. 10 BAG v. 10.11.2016 – 1 ABR 51/14, NZA 2017, 68, 69 Rz. 12. 11 BAG v. 10.11.2016 – 1 ABR 51/14, NZA 2017, 68, 69 Rz. 12.
966 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für den Betriebsrat | Rz. 24.84 § 24
bene Betriebsratsaufgaben1. Es soll gewährleisten, dass die zur Abwicklung der Betriebsstilllegung erforderlichen Regelungen tatsächlich noch getroffen werden2. Das betrifft in erster Linie die Wahrnehmung der Beteiligungsrechte bei Betriebsänderungen (§§ 111–113 BetrVG)3. Ein Sozialplan kann z.B. auch nach der Stilllegung des Betriebs und Beendigung aller Arbeitsverhältnisse vom Betriebsrat noch verlangt4 oder geändert5 werden. Bei Kündigungen nach erfolgter Stilllegung ist der restmandatierte Betriebsrat zuvor nach § 102 BetrVG anzuhören6. Im Beispiel 14 (Rz. 24.78) ist eine Anhörung nach § 102 BetrVG somit erforderlich. Der Betriebsrat eines stillgelegten Betriebs ist dagegen nicht gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu beteiligten, wenn ein Arbeitnehmer erst nach erfolgter Stilllegung in einen anderen Betrieb versetzt werden soll7. Das wird z.B. relevant, wenn einzelne Arbeitnehmer über das eigentliche Stilllegungsdatum hinaus noch für Abwicklungsarbeiten herangezogen werden. Schützenswerte Kollektivinteressen sind in diesem Fall nicht tangiert. Eine Betriebsgemeinschaft, die durch die Versetzung nachteilig betroffen sein könnte, existiert im stillgelegten Betrieb nämlich nicht mehr8. Die Interessen des betroffenen Arbeitnehmers verlangen ebenfalls keine Beteiligung des restmandatierten Betriebsrats. Denn es gibt keine Einsatzmöglichkeit im stillgelegten Betrieb, die der Betriebsrat aufgrund seiner Zustimmungsverweigerung durchsetzen könnte9. Auch betriebsverfassungswidriges Verhalten, insb. verletzte Mitbestimmungsrechte, im Vorfeld des Untergangs des Betriebs führt zu keinem Restmandat, da dessen Zweck nicht die Sanktionierung des Arbeitgebers ist10. Im Rahmen der Wahrnehmung der durch § 21b BetrVG abgesicherten Aufgaben darf der Betriebsrat auch Beschlussverfahren einleiten bzw. sich daran beteiligen11. Die Beteiligtenfähigkeit endet allerdings, sobald die Angelegenheit wegen der vollzogenen Betriebsänderung nicht mehr umgesetzt werden kann (z.B. Neuregelung der Arbeitszeit nach Betriebsstilllegung)12. In diesem Fall können nur noch Kostenerstattungsansprüche geltend gemacht werden13. Der Betriebsrat hat ebenfalls kein Feststellungsinteresse für einen Antrag, mit dem allein festgestellt werden soll, dass das Amt eines Betriebsrats zur Wahrnehmung eines Restmandats fortbesteht. Dies ist eine Vorfrage, die im Rahmen eines Rechtsstreits über das Bestehen eines im
1 Richardi/Thüsing, § 21b BetrVG Rz. 9; ErfK/Koch, § 21 b BetrVG Rz. 3; Schiefer, FS Willemsen, 2018, S. 427, 434 f.; LAG Köln v. 14.8.2007 – 9 TaBV 27/07, BeckRS 2008, 50521; a.A. DKW/Buschmann, § 21b BetrVG Rz. 23; Schaub/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 219 Rz. 18a. 2 BAG v. 14.8.2001 – 1 ABR 52/00, NZA 2002, 109, 110 = ArbRB 2001, 105 (Mues). 3 BAG v. 8.12.2009 – 1 ABR 41/09, NZA 2010, 665 Rz. 26 = ArbRB 2010, 144 (Lunk); BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 917/06, NZA-RR 2008, 367 Rz. 49; BAG v. 26.7.2007 – 8 AZR 769/06, NZA 2008, 112 Rz. 61 = ArbRB 2008, 40 (Lunk). 4 BAG v. 26.5.2009 – 1 ABR 12/08, NZA-RR 2009, 588 Rz. 13 = ArbRB 2009, 364 (Oetter). 5 BAG v. 5.10.2001 – AZR 48/00, NZA 2001, 849, 851 = ArbRB 2009, 364 (Oetter). 6 BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 917/06, NZA-RR 2008, 367 Rz. 49; BAG v. 26.7.2007 – 8 AZR 769/ 06, NZA 2008, 112 Rz. 61 = ArbRB 2008, 40 (Lunk); Hessisches LAG v. 13.7.2015 – 16 TaBVGa 165/14 Rz. 22, BeckRS 2016, 65758. 7 BAG v. 8.12.2009 – 1 ABR 41/09, NZA 2010, 665 Rz. 24 = ArbRB 2010, 144 (Lunk). 8 BAG v. 8.12.2009 – 1 ABR 41/09, NZA 2010, 665 Rz. 25 = ArbRB 2010, 144 (Lunk). 9 BAG v. 8.12.2009 – 1 ABR 41/09, NZA 2010, 665 Rz. 26 = ArbRB 2010, 144 (Lunk). 10 BAG v. 10.11.2016 – 1 ABR 51/14, NZA 2017, 68, 69 Rz. 12; Schiefer, FS Willemsen, 2018, S. 427, 434 f. 11 Vgl. DKW/Buschmann, § 21b BetrVG Rz. 21; Richter/Muschler, ArbRAktuell 2016, 29, 32. 12 Vgl. BAG v. 19.6.2001 – 1 ABR 48/00, NZA 2002, 756, 757 es fehlt hier am Rechtsschutzbedürfnis, weil eine Entscheidung auf ein bloßes Rechtsgutachten hinausliefe; DKW/Buschmann, § 21 BetrVG Rz. 23. 13 Richardi/Thüsing, § 21b BetrVG Rz. 5; DKW/Buschmann, § 21b BetrVG Rz. 23.
Leder/Lunk | 967
24.84
§ 24 Rz. 24.84 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
Rahmen eines Restmandats wahrzunehmenden Mitbestimmungsrechts zu klären ist1. Die Mitglieder des im Restmandat befindlichen Betriebsrats haben ein auf die Dauer des Restmandats begrenztes Zugangsrecht zu den Betriebsräumen sowie elektronischen Zugang zum Firmennetzwerk in der Weise, wie er im Vollmandat bestand2.
4. Dauer des Restmandats 24.85
Das Restmandat entsteht mit dem Wegfall der betrieblichen Organisation3. Es hat keine vordefinierte Dauer und kann über das Ende der regulären Amtszeit hinaus fortbestehen4. Hat die reguläre Amtszeit allerdings geendet, bevor die Stilllegung vollzogen war, und wurde sodann kein neuer Betriebsrat gewählt, entsteht bei der folgenden Stilllegung kein Restmandat5. Das Restmandat erlischt, wenn alle Mitglieder und Ersatzmitglieder ihr Amt niedergelegt haben6 (Rz. 24.86); es kann nicht wieder aufleben7. Es erlischt ferner mit Wegfall des Regelungsbedarfs. Dafür kommt es darauf an, ob noch Mitwirkungs- oder Mitbestimmungsrechte im Zusammenhang mit der Betriebsstilllegung bestehen8. Dies ist nicht ohne Weiteres bestimmbar. Allein der Abschluss des Interessenausgleichs und Sozialplans reicht nicht aus. Denn diese Vereinbarungen können, solange sie nicht erfüllt worden sind, noch geändert werden. Auch solche nachträglichen Änderungen unterfallen dem Restmandat9. Es endet erst mit Umsetzung des Interessenausgleichs und Sozialplans und Begleichung sämtlicher Kostenerstattungsansprüche des Betriebsrats nach § 40 BetrVG10. Das Restmandat besteht auch noch im Verhältnis zum Insolvenzverwalter11.
5. Personelle Zusammensetzung des Betriebsrats im Restmandat 24.86
Die Betriebsratsmitglieder, die bei Entstehung des Restmandats, d.h. zum Zeitpunkt der Stilllegung, Spaltung oder Zusammenlegung, im Amt sind, üben auch das Restmandat aus12. Die
1 BAG v. 27.5.2015 – 7 ABR 20/13, Rz. 22. 2 Hessisches LAG v. 13.7.2015 – 16 TaBVGa 165/14, Rz. 22, BeckRS 2016, 65758 = ArbRAktuell 2016, 100 (Lerch). 3 BAG v. 5.5.2010 – 7 AZR 728/08, NZA 2010, 1025 Rz. 17 = ArbRB 2010, 271 (Fülbier); BAG v. 6.12.2006 – 7 ABR 62/05, AP BetrVG 1972 § 21b Nr. 5 Rz. 25; so im Ergebnis auch BAG v. 14.8.2001 – 1 ABR 52/00, NZA 2002 109, 110 = ArbRB 2001, 105 (Mues); Schaub/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 219 Rz. 18a; Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 302. 4 BAG v. 5.5.2010 – 7 AZR 728/08, NZA 2010, 1025 Rz. 17 = ArbRB 2010, 271 (Fülbier); BAG v. 1.4.1998 – 10 ABR 17/97, NZA 1998, 768, 769; Hessisches LAG v. 13.7.2015 – 16 TaBVGa 165/14 Rz. 20, BeckRS 2016, 65758 = ArbRAktuell 2016, 100 (Lerch); Löwisch/Schmidt-Kessel, BB 2001, 2162, 2165; ErfK/Koch, § 21b BetrVG Rz. 5; Fitting, § 21b BetrVG Rz. 19. 5 Richardi/Thüsing, § 21b BetrVG Rz. 11. 6 Richardi/Thüsing, § 21b BetrVG Rz. 13; Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 302. 7 BAG v. 6.12.2006 – 7 ABR 62/05, AP BetrVG 1972 § 21b Nr. 5 Rz. 26. 8 BAG v. 6.12.2006 – 7 ABR 62/05, AP BetrVG 1972 § 21b Nr. 5; BAG v. 12.1.2000 – 7 ABR 61/98, NZA 2000, 669, 670; Richardi/Thüsing, § 21b BetrVG Rz. 14. 9 BAG v. 14.8.2001 – 1 ABR 52/00, NZA 2002, 109, 110 = ArbRB 2001, 105 (Mues); Thüsing, DB 2002, 738, 742. 10 Richardi/Thüsing, § 21b BetrVG Rz. 14; HWK/Reichold, § 21b BetrVG Rz. 14. 11 BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 10/14, NZA 2016, 969 Rz. 24 = ArbRB 2016, 234 (Braun). 12 BAG v. 5.5.2010 – 7 AZR 728/08, NZA 2010, 1025 Rz. 17 = ArbRB 2010, 271 (Fülbier); BAG v. 6.12.2006 – 7 ABR 62/05, AP BetrVG 1972 § 21b Nr. 5 Rz. 13; Richardi/Thüsing, § 21b BetrVG Rz. 16; Fitting, § 21b BetrVG Rz. 14; Schaub/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 219 Rz. 18b.
968 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für den Betriebsrat | Rz. 24.87 § 24
personelle Zusammensetzung des Betriebsrats wird auf diesen Zeitpunkt „eingefroren“. Ereignisse, die im regulären Mandat zum Erlöschen der Mitgliedschaft im Betriebsrat führen (§ 24 BetrVG), haben diese Wirkung während des Restmandats nicht automatisch. Insbesondere führt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zur Beendigung der Mitgliedschaft im restmandatierten Betriebsrat. Denn § 24 Nr. 3 BetrVG findet in den Fällen des § 21b BetrVG keine Anwendung1. Aus welchen Gründen das Arbeitsverhältnis endet, ist unerheblich. Selbst wenn die Beendigung in keinem Zusammenhang mit der Stilllegung steht, sondern z.B. auf dem Erreichen der Altersgrenze oder Ablauf einer Befristung beruht, bleibt der Arbeitnehmer weiterhin Betriebsratsmitglied2. Ferner endet das Betriebsratsamt nicht dadurch, dass die Betriebsratsmitglieder bei einer Betriebsspaltung dem Betriebsteil zuzuordnen sind, der von einem anderen Rechtsträger übernommen wird. Sie gehen in diesem Fall zwar auf den übernehmenden Rechtsträger über. Im Rahmen des Restmandats dürfen sie aber weiterhin in dem beim übertragenden Rechtsträger fortbestehenden Betriebsrat tätig werden3. Der Ablauf der regulären Amtszeit (§ 24 Nr. 1 BetrVG) oder der Verlust der Wählbarkeit (§ 24 Nr. 4 BetrVG) führt gleichfalls nicht zum Erlöschen der Mitgliedschaft4. Ein Betriebsratsmitglied muss sein Amt jedoch nicht gegen seinen Willen fortführen und darf es deshalb auch während des Restmandats niederlegen (§ 24 Nr. 2 BetrVG)5.
6. Kosten des Restmandats Der Arbeitgeber des Ursprungsbetriebs trägt während des Restmandats die Kosten für die Betriebsratstätigkeit gemäß § 40 BetrVG, also z.B. Fahrtkosten zum Sitzungsort. Betriebsratsmitglieder verfügen auch im Restmandat über einen Anspruch auf Vergütung für ihre aufgewendete Zeit. Solange das Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsinhaber noch besteht, sind sie für erforderliche Betriebsratstätigkeit während ihrer Arbeitszeit unter Vergütungsfortzahlung freizustellen (§ 37 Abs. 2 BetrVG). Wenn die Betriebsratstätigkeit aus betriebsbedingten Gründen außerhalb ihrer Arbeitszeit stattzufinden hat, ist ihnen vorrangig Freizeitausgleich, subsidiär Vergütung dafür zu gewähren (§ 37 Abs. 3 BetrVG). Ist ein Betriebsratsmitglied dagegen aus dem Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsinhaber ausgeschieden, muss zwischen den Ansprüchen gegenüber dem ehemaligen und dem neuen Arbeitgeber differenziert werden: Für Freizeitopfer, die nicht mit einem Entgeltausfall oder einem sonstigen Vermögensopfer verbunden sind, kann das Betriebsratsmitglied keine Vergütung von seinem ehemaligen Arbeitgeber verlangen6. § 37 Abs. 3 Satz 3 BetrVG ist nicht analog anzuwenden7. Dies betrifft Fälle, in denen sich das Betriebsratsmitglied in keinem Anschlussarbeitsverhältnis mehr befindet oder die Betriebsratstätigkeit außerhalb seiner Arbeitszeit bei seinem neuen Arbeitgeber
1 BAG v. 5.5.2010 – 7 AZR 728/08, NZA 2010, 1025 Rz. 18= ArbRB 2010, 271 (Fülbier); ErfK/Koch, § 21b BetrVG Rz. 4. 2 BAG v. 5.5.2010 – 7 AZR 728/08, NZA 2010, 1025 Rz. 18= ArbRB 2010, 271 (Fülbier). 3 BAG v. 1.4.1998 – 10 ABR 17/97, NZA 1998, 768, 769; BAG v. 16.6.1987 – 1 AZR 528/85, NZA 1987, 858, 869; DKW/Däubler, § 21b BetrVG Rz. 6; ErfK/Koch, § 21b BetrVG Rz. 4. 4 BAG v. 5.5.2010 – 7 AZR 728/08, NZA 2010, 1025 Rz. 19 = ArbRB 2010, 271 (Fülbier). 5 BAG v. 5.5.2010 – 7 AZR 728/08, NZA 2010, 1025 Rz. 19 = ArbRB 2010, 271 (Fülbier); BAG v. 12.1.2000 – 7 ABR 61/98, NZA 2000, 669, 670; ErfK/Koch, § 21b BetrVG Rz. 4; Fitting, § 21b BetrVG Rz. 15; a.A. Hanau, NJW 2001, 2513, 2515. 6 BAG v. 5.5.2010 – 7 AZR 728/08, NZA 2010, 1025 Rz. 23 ff. = ArbRB 2010, 271 (Fülbier). 7 BAG v. 5.5.2010 – 7 AZR 728/08, NZA 2010, 1025 Rz. 25 ff. = ArbRB 2010, 271 (Fülbier).
Leder/Lunk | 969
24.87
§ 24 Rz. 24.87 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
leistet. Das BAG ließ allerdings offen, ob Mitglieder eines Betriebsrats im Restmandat einen Ausgleich für Vermögensopfer verlangen können, die entstehen, wenn sie von einem neuen Arbeitgeber unbezahlt für Tätigkeiten im restmandatierten Betriebsrat freigestellt werden1. Das wird teils bejaht2 und ist vor dem Hintergrund des Benachteiligungsverbots in § 78 Satz 2 BetrVG sachgerecht. Erfolgt die Tätigkeit jedoch während der Freizeit, entsteht mangels Anspruchsgrundlage keine Vergütungspflicht. Gegenüber dem neuen Arbeitgeber soll analog § 37 Abs. 2 BetrVG ein Anspruch auf unbezahlte Freistellung3 bestehen. Dies erscheint problematisch4. Zwar setzt die Schaffung des Restmandats einen handlungsfähigen Betriebsrat voraus. Wie die Wertung aus § 37 Abs. 1 und 3 BetrVG ergibt, ist dem Gesetz jedoch eine Betriebsratstätigkeit innerhalb der persönlichen Freizeit nicht fremd; es gilt zudem das Ehrenamtsprinzip. Soweit § 37 Abs. 2 BetrVG einen Freistellungsanspruch für die Durchführung erforderlicher Betriebsratsarbeit postuliert, richtet sich dieser an den betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitgeber, also denjenigen des Restbetriebs. Selbst bei Erstreckung dieser Pflicht auf den neuen Arbeitgeber ist das Prinzip der Erforderlichkeit zu berücksichtigen. Insgesamt erscheint kaum eine Konstellation denkbar, wo eine Arbeitsbefreiung beim neuen Arbeitgeber für die Ausübung des Restmandats bei alten Arbeitgeber erforderlich ist, zumal der neue Arbeitgeber die Erforderlichkeit regelmäßig nicht wird überprüfen können5. Ein automatischer Freistellungsanspruch gegenüber dem neuen Arbeitgeber ist abzulehnen, zumal § 21b BetrVG diese Problematik nicht regelt, was angesichts der anderenfalls vorliegenden Durchbrechung allgemeiner Prinzipen (einseitiger Dispens von der Arbeitspflicht) erforderlich gewesen wäre. Im Einzelfall (z.B. umfassende Sozialplanverhandlungen) mag sich ein solcher Freistellungsanspruch zwar aus § 37 Abs. 2 BetrVG, § 242 BGB auch gegenüber dem neuen Arbeitgeber ergeben; dies gewährt jedoch kein Recht zur eigenmächtigen Abwesenheit.
B. Rechtsfolgen einer Restrukturierung für andere Arbeitnehmervertretungen 24.88
Umstrukturierungen können nicht nur den Betriebsrat betreffen, sondern auch Auswirkungen auf sonstige Arbeitnehmervertretungen und ihre Mitglieder haben. In Betracht kommen nicht nur Organe der Betriebsverfassung, also Gesamt- und Konzernbetriebsrat, Jugend- und Auszubildendenvertretung oder Wirtschaftsausschuss, sondern auch Arbeitnehmervertreter nach anderen Vorschriften, insbesondere die Vertreter der schwerbehinderten Menschen, Sprecherausschüsse und Personalräte. Entsprechendes gilt für den SE-, SCE-, und Europäischen Betriebsrat.
I. Betriebsbezogene Arbeitnehmervertretungen 24.89
Für betriebsbezogene Arbeitnehmervertretungen gilt im Grundsatz das zum Betriebsrat Gesagte entsprechend: Solange die Identität des Betriebs unverändert bleibt, besteht das Mandat der jeweiligen Arbeitnehmervertretung fort.
1 BAG v. 5.5.2010 – 7 AZR 728/08, NZA 2010, 1025 Rz. 33 = ArbRB 2010, 271 (Fülbier). 2 ErfK/Koch, § 21b BetrVG Rz. 5; HWK/Reichold, § 21b BetrVG Rz. 15; Fitting, § 21b BetrVG Rz. 20; Auktor, NZA 2003, 950, 951, einschränkend auf Betriebe desselben Unternehmens oder Konzerns. 3 ErfK/Koch, § 21b BetrVG Rz. 5; Fitting, § 21b BetrVG Rz. 20; Richardi/Thüsing, § 21b BetrVG Rz. 18. 4 Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 303. 5 Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 303.
970 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für andere Arbeitnehmervertretungen | Rz. 24.92 § 24
1. Der Sprecherausschuss Beispiel 15: Die Z-GmbH hat einen Betrieb in Berlin mit 650 Arbeitnehmern, darunter 24 leitende Angestellte. Es besteht ein Sprecherausschuss mit drei Mitgliedern. Die Z-GmbH möchte sich zukünftig auf andere Geschäftsfelder konzentrieren. Sie verkauft und überträgt deshalb alle Betriebsmittel des Betriebsteils „Generika“ mit 100 Arbeitnehmern auf die X-AG, die diesen als eigenen Betrieb fortführt. Auch zwei Mitglieder des Sprecherausschusses und dessen sämtliche Ersatzmitglieder gehen nach § 613a BGB auf die X-AG über. Zehn leitende Angestellte verbleiben bei der Z-GmbH, von denen einem ohne Anhörung des Sprecherausschusses betriebsbedingt gekündigt wird.
24.90
In Betrieben mit in der Regel mindestens zehn leitenden Angestellten können nach § 1 Abs. 1 SprAuG Sprecherausschüsse gebildet werden1. Ein einmal errichteter Sprecherausschuss bleibt – im Grundsatz parallel zur Situation beim Betriebsrat – solange im Amt, wie die Betriebsidentität fortbesteht2. Die Übertragung eines Betriebs auf einen anderen Rechtsträger hat damit keine Auswirkung auf den Sprecherausschuss. Eine Ausnahme gilt jedoch, wenn beim aufnehmenden Rechtsträger ein Unternehmenssprecherausschuss (§ 20 Abs. 1 SprAuG) besteht. Der Unternehmenssprecherausschuss ist nämlich – im Gegensatz zum Gesamt- und Konzernsprecherausschuss – keine zusätzliche Interessenvertretung der leitenden Angestellten, sondern ein alternatives Gremium. In einem Unternehmen können entweder Sprecherausschüsse auf betrieblicher Ebene oder ein Unternehmenssprecherausschuss auf Unternehmensebene bestehen (vgl. § 20 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 4 SprAuG). Deshalb führt die Übertragung eines Betriebs auf ein Unternehmen mit Unternehmenssprecherausschuss zum Wegfall des beim übertragenden Betrieb bestehenden Sprecherausschusses3. Dessen leitende Angestellte werden nach der Übertragung durch den Unternehmenssprecherausschuss mitvertreten. Solange ein Unternehmenssprecherausschuss existiert, kann in dem Betrieb kein neuer betrieblicher Sprecherausschuss gewählt werden; das folgt aus dem Prinzip der Ausschließlichkeit beider Gremien4.
24.91
Wird ein Betrieb aufgespalten oder werden einzelne Betriebe zu einem neuen Betrieb zusammengeschlossen, verliert der Sprecherausschuss mangels fortbestehender Betriebsidentität sein Amt. Gleiches gilt, wenn ein Betrieb mit Sprecherausschuss in einen anderen Betrieb eingegliedert wird. Bei einer Abspaltung bleibt der Sprecherausschuss des Ursprungsbetriebs dagegen im Amt, sofern dort weiterhin mindestens zehn leitende Angestellte beschäftigt werden (§ 1 Abs. 1 SprAuG). Da im Beispiel 15 (Rz. 24.90) die Betriebsidentität gewahrt wird, bleibt der Sprecherausschuss bei der Z-GmbH im Amt. Jedoch reduziert sich seine Zahl von drei auf das eine verbliebene Mitglied. Mangels Anhörung ist die Kündigung demnach nach § 31 Abs. 3 Satz 3 SprAuG unwirksam. In den neu entstandenen Einheiten können neue Sprecherausschüsse errichtet werden, sofern dort der Schwellenwert erreicht wird und kein Unternehmenssprecherausschuss existiert. Wird der Schwellenwert nicht erreicht, ist die Rechtslage
24.92
1 Zur Frage, ob in selbstständigen Betriebsteilen nach § 4 Abs. 1 BetrVG Sprecherausschüsse errichtet werden können, vgl. ErfK/Oetker, § 1 SprAuG Rz. 4 und HWK/Annuß, § 1 SprAuG Rz. 8 jeweils m.w.N. 2 HWK/Annuß, §8 SprAuG Rz. 16; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 205; s.a. ErfK/Oetker, 17. Aufl. 2017, §§ 3–8 SprAuG Rz. 7; MünchArbR/Francke, § 311 Rz. 45 und Hromadka/Sieg, § 5 SprAuG Rz. 30 für den Fall des Betriebsübergangs. 3 Hromadka/Sieg, § 5 SprAuG Rz. 30; ErfK/Oetker, 17. Aufl. 2017, §§ 3–8 SprAuG Rz. 8; HWK/Annuß, §8 SprAuG Rz. 16. 4 ErfK/Oetker, 17. Aufl. 2017, §§ 3–8 SprAuG Rz. 8; MünchArbR/Francke, § 311 Rz. 134 („statt“).
Leder/Lunk | 971
§ 24 Rz. 24.92 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
offen. Die leitenden Angestellten des betreffenden Betriebs könnten dem räumlich nächstgelegenen Betrieb des Unternehmens zugerechnet werden, in dem seinerseits mindestens zehn leitende Angestellte beschäftigt werden, sofern die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 SprAuG vorliegen.
24.93
Die Spaltung oder Zusammenfassung von Betrieben kann die Zahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer verändern. Dies kann bei signifikanten Erhöhungen oder Verringerungen zu vorgezogenen Betriebsratswahlen führen (§ 13 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG) und damit zu einem vorzeitigen Ende des regulären Betriebsratsmandats. Eine Parallelvorschrift fehlt in § 5 Abs. 2 SprAuG. Ein Anstieg oder Absinken der Zahl leitender Angestellter im Betrieb berührt damit das Mandat des Sprecherausschusses nicht. Ebenso führt – abermals im Gegensatz zur Rechtslage beim Betriebsrat (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG) – ein Absinken der Gesamtzahl der Mitglieder des Sprecherausschusses unter die nach § 4 SprAuG vorgeschriebene Mitgliederzahl nicht zur vorzeitigen Neuwahl und damit zur Auflösung des Gremiums. Scheidet die Mehrzahl der Sprecherausschussmitglieder – wie im Beispiel 15 – in Folge einer Abspaltung ihres Betriebsteils und Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse auf einen neuen Arbeitgeber aus dem Sprecherausschuss gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 3 und 4 SprAuG aus, bleibt der Sprecherausschuss dennoch solange im Amt, wie noch ein Mitglied in dem Betrieb existiert und dieser insgesamt mindestens zehn leitende Angestellte beschäftigt1.
24.94
Ein Rest- oder Übergangsmandat analog §§ 21a und 21b BetrVG steht dem Sprecherausschuss nach h.M. nicht zu2. Dem ist zunächst angesichts der fehlenden Rechtsgrundlage ungeachtet der Schaffung der §§ 21a, 21b BetrVG zuzustimmen. Zwar spricht auf den ersten Blick die zwischenzeitliche Schaffung eines Übergangsmandats auch für die Schwerbehindertenvertretung (vgl. Rz. 24.98) für eine entsprechende generelle Gesetzes- oder Gesamtanalogie. Dagegen lässt sich freilich einwenden, dass die Nicht-Schaffung des Übergangsmandates im Rahmen des SprAuG in Kenntnis der Problematik spätestens jetzt gegen eine Planwidrigkeit der Lücke spricht3. Entscheidend dürften aber einmal mehr unionsrechtliche Gesichtspunkte sein, insbesondere gestützt auf Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 4 RL 2001/23/EG4. Die Vorschrift will Schutzlücken vermeiden. Für den Sprecherausschuss entstehen sie jedoch bei Verneinung des Übergangsmandates jedenfalls insoweit, als keine „Auffang-Repräsentanz“ durch einen Betriebsrat besteht, was bspw. das Fehlen des Übergangsmandates bei anderen Gremien (z.B. Gesamt- oder Konzernbetriebsrat) auch unionsrechtlich als unproblematisch erscheinen lässt. Ein unter die Betriebsübergangsrichtlinie 2001/23/EG fallender Sachverhalt könnte daher für leitende Angestellte zu Schutzlücken führen. Liegt somit auch kein Fall vor, in dem ein Unternehmenssprecherausschuss nach der Umstrukturierung die Leitenden repräsentiert, ist von einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 4 RL 2001/23/EG auszugehen. Er ist durch eine Gesamtanalogie zu lösen5. Sie existiert jedoch nicht generell, sondern nur in den Fällen eines Betriebsübergangs, in denen anderenfalls Leitende im Zuge einer Umstrukturierung ihre bisherige Repräsentanz durch ein nach dem SprAuG vorgesehenes Gremium verlieren würden.
1 Vgl. HWK/Annuß, §8 SprAuG Rz. 8; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 206. 2 Zum Übergangsmandat HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 22; Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 33; BeckOK-ArbR/Besgen, § 21a BetrVG Rz. 10; a.A. tendenziell Oetker/Busche, NZA 1991, Beilage Nr. 1, S. 18, 23 und Hromadka/Sieg, § 5 SprAuG Rz. 33 f.; ähnlich HaKo-BetrVG/Düwell, § 21a Rz. 41. 3 Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 307. 4 EUArbR/Winter, Art. 6 RL 2001/23/EG Rz. 27; ErfK/Oetker, 17. Aufl. 2017, §§ 3–8 SprAuG Rz. 8; Schlenker-Rehage, Übergangmandat, S. 169 f. 5 Lunk, FS Willemsen 2018, S. 299, 308.
972 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für andere Arbeitnehmervertretungen | Rz. 24.97 § 24
2. Die Jugend- und Auszubildendenvertretung Eine Jugend- und Auszubildendenvertretung ist obligatorisch zu errichten in Betrieben mit in der Regel mindestens fünf Arbeitnehmern, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder die zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind und das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (§ 60 Abs. 1 BetrVG). Sie nimmt die besonderen Belange dieser Personengruppe gegenüber dem Betriebsrat wahr. Das Amt der Jugend- und Auszubildendenvertretung ist an das Amt des Betriebsrats geknüpft. Sein „Untergang“ führt zum Wegfall der Jugend- und Auszubildendenvertretung. Solange die Betriebsidentität erhalten bleibt, besteht das Mandat der Jugend- und Auszubildendenvertretung fort1. Ihre Amtszeit endet jedoch, wenn der zu ihrer Errichtung notwendige Schwellenwert nicht mehr erreicht wird2. Ein Übergangs-3 oder Restmandat besteht bei Untergang der Jugend- und Auszubildendenvertretung nicht4. Auch insoweit kommt mangels planwidriger Gesetzeslücke keine Analogie zu den §§ 21a, 21b BetrVG in Betracht. Das ist im Gegensatz zum Sprecherausschuss auch unionsrechtlich unproblematisch, weil bei Fortfall der Jugend- und Auszubildendenvertretung eine Repräsentanz durch den Betriebsrat durch dessen Übergangsmandat gewährleistet bleibt.
24.95
3. Die Schwerbehindertenvertretung Beispiel 16: Die V-GmbH hat drei Betriebe A, B und C. In jedem Betrieb besteht jeweils ein Betriebsrat und eine Schwerbehindertenvertretung. Ein Gesamtbetriebsrat und eine Gesamtschwerbehindertenvertretung sind ebenfalls errichtet. Betrieb A wird aufgespalten, um einen Teil auf einen Käufer zu übertragen. Im verbleibenden Betriebsteil A soll für die schwerbehinderte Frau Y nach längerer Krankheit ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt werden. Ist eine Schwerbehindertenvertretung zu beteiligen?
Das Mandat der Schwerbehindertenvertretung ist an den Fortbestand der Betriebsidentität geknüpft5. Es gelten insoweit die gleichen Grundsätze wie beim Betriebsrat. Verliert der Betrieb seine Identität, endet somit zugleich das Mandat der Schwerbehindertenvertretung. Das bedeutet – im Gegensatz zur Rechtslage beim Betriebsrat – allerdings nicht, dass damit die lokale Repräsentanz der schwerbehinderten Menschen entfällt. Das SGB IX sieht für diesen Fall vielmehr eine ersatzweise Vertretung durch die Gesamt-6 bzw. Konzernschwerbehindertenvertretung7 vor (§ 180 Abs. 6 SGB IX). Hieran hat die Einführung des Übergangsman-
1 HWGNRH/Rose, § 64 BetrVG Rz. 19; vgl. auch Fitting, § 64 BetrVG Rz. 12 f.; GK-BetrVG/Oetker, § 64 Rz. 26 f. 2 GK-BetrVG/Oetker, § 64 Rz. 25; DKW/Wenckebach, § 64 BetrVG Rz. 11; HWGNRH/Rose, § 64 BetrVG Rz. 18. 3 GK-BetrVG/Kreutz, § 21a Rz. 9; GK-BetrVG/Oetker, § 64 Rz. 27; HWGNRH/Rose, § 64 BetrVG Rz. 19; Rieble, NZA 2002, 233, 240; wohl auch HaKo-BetrVG/Düwell, § 21a Rz. 42; a.A. DKKW/ Trittin, 16. Aufl. 2018, § 64 BetrVG Rz. 11, § 73a BetrVG Rz. 6; Fitting, § 64 BetrVG Rz. 13. 4 Fitting, § 21b BetrVG Rz. 3, § 64 Rz. 13; GK-BetrVG/Kreutz, § 21b Rz. 4; HWGNRH/Rose, § 64 BetrVG Rz. 19. 5 Knittel, § 94 SGB IX Rz. 184, 188; dies gilt entsprechend für das Übergangsmandat: LAG Düsseldorf v. 18.10.2017 – 12 TaBVGa 4/17, BeckRS 2017, 132754 Rz. 40 = ArbRAktuell 2017, 602 (Hermann). 6 HaKo-BetrVG/Düwell, § 21a Rz. 44; S.a. Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Jabben/Pahlen, § 180 SGB IX Rz. 2 ff. 7 Dau/Düwell/Joussen/Düwell, § 180 SGB IX Rz. 48.
Leder/Lunk | 973
24.96
24.97
§ 24 Rz. 24.97 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
dates durch § 177 Abs. 8 SGB IX nichts geändert1. Das entsprechende Gremium nimmt – sofern es besteht – alle Befugnisse einer Schwerbehindertenvertretung wahr. Es kann damit z.B. auch an den Sitzungen der örtlichen Betriebs- und Personalräte teilnehmen und muss bei einem Eingliederungsmanagement (§ 167 Abs. 2 SGB IX) beteiligt werden2. Im Beispiel 16 (Rz. 24.96) wäre daher die Gesamtschwerbehindertenvertretung zu beteiligen. Das ist in der Betriebsverfassung anders. Selbst wenn in einem Unternehmen ein Gesamtbetriebsrat besteht, übernimmt dieser nicht die Rolle eines Ersatzbetriebsrats, sollte ein Betrieb aufgrund einer Restrukturierungsmaßnahme betriebsratslos werden3. Etwas anderes gilt nur bei den Angelegenheiten, die in seine originäre Zuständigkeit nach § 50 Abs. 1 BetrVG fallen.
24.98
Ein Rest- oder Übergangsmandat der Schwerbehindertenvertretung wurde überwiegend verneint4. Das Bundesteilhabegesetz5 hat jedoch seit dem 1.1.2018 in § 177 Abs. 8 SGB IX ausdrücklich ein Übergangsmandat verankert. Danach gilt für die Schwerbehindertenvertretung in Betrieben § 21a BetrVG entsprechend. Das wurde für das Übergangsmandat teils bereits zuvor so gesehen6. Der Gesetzgeber habe das Problem im Rahmen der BetrVG-Reform nur übersehen und die Schaffung bzw. Annahme eines Übergangsmandats sei auch für die Schwerbehindertenvertretung ein Gebot des Gemeinschaftsrechts7. Ein Bedürfnis für ein Übergangsmandat existierte zwar bei Bestehen einer Gesamt- bzw. Konzernschwerbehindertenvertretung nicht. Denn diese übernimmt im Rahmen ihres Aufgabenbereichs die Vertretung schwerbehinderter Arbeitnehmer auch in vertretungslosen Betrieben (§ 180 Abs. 6 SGB IX). Der Gesetzgeber hat sich jedoch anders entschieden, so dass die bisherige Streitfrage zumindest für das Übergangsmandat gelöst ist. Für das Übergangsmandat gelten die gleichen Grundsätze wie beim Betriebsrat8.
24.99
Sofern das SGB IX keine Umsetzung von Unionsrecht darstellt9, ist eine unionsrechtskonforme Ergänzung auf kirchliche oder öffentliche Betriebe, die von den Gewerkschaften im Gesetzgebungsverfahren gefordert wurde, nicht geboten. Fällt der Arbeitgeber nicht unter das Betriebsverfassungsgesetz, existiert kein Übergangsmandat10. Die Neufassung stellt ausdrücklich auf Schwerbehindertenvertretungen in „Betrieben“ ab11.
1 Düwell, FS Moll, 2019, S. 95, 100. 2 Deinert/Welti/Däubler, Stichwortkommentar Behindertenrecht, Stichwort: Schwerbehindertenvertretung auf höherer Ebene, Rz. 11. 3 HWK/Hohenstatt/Dzida, § 50 BetrVG Rz. 16; ErfK/Koch, § 50 BetrVG Rz. 2; Richardi/Annuß, § 50 BetrVG Rz. 51; ähnlich auch DKW/Deinert, § 50 BetrVG Rz. 56; Fitting, § 50 BetrVG Rz. 32. 4 BeckOK-ArbR/Besgen, § 21a BetrVG Rz. 10; NK-ArbR/Bergwitz/Stoffels, § 21a BetrVG Rz. 2; Rieble, NZA 2002, 233, 240. S.a. Richardi/Thüsing, § 21 a BetrVG Rz. 33. A.A. etwa HaKo-BetrVG/ Düwell, BetrVG § 21a Rz. 43. 5 S.a. Schnelle, NZA 2017, 880; Pauken, ArbRAktuell 2016, 494; Kleinebrink, DB 2017, 126, 127 6 Mit Einschränkungen Dau/Düwell/Joussen/Düwell, § 177 SGB IX Rz. 104; HaKo-BetrVG/Düwell, § 21a Rz. 43 f.; ohne jede Einschränkung nimmt Schimansky, Behindertenrecht 1999, 129, 132, 135 ein Übergangsmandat an; ablehnend Rieble, NZA 2002, 233, 240. 7 Dau/Düwell/Joussen/Düwell, § 177 SGB IX Rz. 104; Düwell, FS Moll, 2019, S. 95, 95 f. 8 Vgl. LAG Düsseldorf v. 18.10.2017 – 2 TaBVGa 4/17, BeckRS 2017, 130462; Düwell, FS Moll, 2019, S. 95, 98 ff. 9 OLG Düsseldorf v. 18.10.2002 – I-6 U 47/12, ArbRB 2013, 77 (Lunk). 10 BT-Drucks. 18/9522, S. 315; Schnelle, NZA 2017, 880, 883; Kleinebrink, DB 2017, 126, 127; BeckOK SozR/Brose, § 177 SGB IX Rz. 35. 11 Kritisch zu der Schutzlücke aus unionsrechtlichen Gründen EUArbR/Winter, Art. 6 RL 2001/23/ EG Rz. 27.
974 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für andere Arbeitnehmervertretungen | Rz. 24.102 § 24
Ein Restmandat ist nunmehr aufgrund des eindeutigen Wortlauts in § 177 Abs. 8 SGB IX, der lediglich auf § 21a BetrVG verweist, abzulehnen. Auch eine analoge Anwendung scheidet mangels planwidriger Regelungslücke aus, da der Gesetzgeber in Kenntnis der fehlenden Regelung nicht tätig geworden ist1.
24.100
Zu Problemen könnte der seit 1.1.2018 geltende § 180 Abs. 7 SGB IX n.F. führen2, der dem bis dahin gültigen § 97 SGB IX a.F. entsprechen soll. § 180 Abs. 7 SGB IX sieht für die Konzern-, Gesamt-, Bezirks- und Hauptschwerbehindertenvertretungen die entsprechende Anwendung einer Reihe von Normen vor, u.a. des § 177 Abs. 8 SGB IX, der wie erwähnt nunmehr das Übergangsmandat für die Schwerbehindertenvertretung postuliert. Somit wurde im Zuge der Umgestaltung des SGB IX zwischen dem 1.1. und 31.12.2017 „plötzlich“ ein Übergangsmandat auch für die vorgenannten Gremien durch Inbezugnahme des Absatzes 8 des § 177 SGB IX in § 180 Abs. 7 SGB IX geschaffen. Dieser Verweis überrascht, zumal ein solches Mandat nicht einmal für den Gesamt- und Konzernbetriebsrat gesetzlich vorgesehen ist. Es dürfte von einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers auszugehen sein, der hinsichtlich des § 180 SGB IX n.F. offenbar davon ausging, er entspräche § 97 SGB IX in der Übergangsfassung3, was aber nicht der Fall ist4. § 180 Abs. 7 SGB IX verkennt jedenfalls zum einen das fehlende Bedürfnis für ein Übergangsmandat für diese Gremien5. Zum anderen widerspricht es deren Charakter als Dauereinrichtungen. Da es sich somit um ein offenkundiges Redaktionsversehen (Inbezugnahme der Abs. 3 bis 8 statt 3 bis 7) handelt, ist auch nach dem 1.1.2018 weiterhin nicht von der Existenz eines Übergangsmandates für die Konzern-, Gesamt-, Bezirksund Hauptschwerbehindertenvertretungen auszugehen6.
24.101
4. Der Personalrat Der Personalrat besteht grundsätzlich nicht als Organ fort, wenn die ihm zugeordnete Dienststelle auf einen privatrechtlich organisierten Rechtsträger übertragen wird. Denn insoweit endet die Geltung des Bundes- oder Landespersonalvertretungsrechts. Dies gilt auch, wenn nur Teile der Dienststelle auf einen privatrechtlich organisierten Rechtsträger übertragen werden und die bisherige Einheit als gemeinsamer Betrieb des öffentlich- und privatrechtlichen Rechtsträgers fortbesteht. Dann findet in der gesamten Einheit das BetrVG Anwendung7. Ein automatischer Fortbestand des Personalrats als Betriebsrat ist – sofern keine gesetzliche Sonderregelung geschaffen wird (z.B. § 15 Abs. 1 Satz 2 DBGrG) – ausgeschlossen8.
1 Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 307. 2 BGBl. I 2016, S. 3234, 3290 (Nr. 66). 3 BT-Drucks. 18/9522, S. 308; auch in der Beschlussempfehlung zum BTHG wurden insoweit keine Änderungen vorgenommen, vgl. BT-Drucks. 18/10523, S. 7. 4 § 97 Abs. 7 SGB IX a.F. ordnet die entsprechende Anwendung von § 94 Abs. 3 bis 7 SGB IX a.F. an. § 180 Abs. 7 SGB IX n.F. jedoch die entsprechende Anwendung von § 177 Abs. 3 bis 8 SGB IX n.F. 5 Ausführlich hierzu Dau/Düwell/Joussen/Düwell, § 177 SGB IX Rz. 110 ff.; HaKo/Düwell, § 21a BetrVG Rz. 44. 6 Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 307. 7 BAG v. 7.11.1975 – 1 AZR 74/74, AP BetrVG 1972 § 130 Nr. 1; BAG v. 24.1.1996 – 7 ABR 10/95, NZA 1996, 1110, 1112 f.; BVerwG v. 13.6.2001 – 6 P 8/00, NZA 2003, 115, 118; a.A. Annuß, NZA Sonderheft 2001, 12, 21. 8 Hanau/Becker, Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, S. 112 f.; Schipp, NZA 1994, 865, 869.
Leder/Lunk | 975
24.102
§ 24 Rz. 24.103 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
a) Übergangsmandat
24.103
Praxisrelevant ist das Übergangsmandat des Personalrats. Die Personalvertretungsgesetze verfügten bislang über keine Regelungen zum Übergangs- oder Restmandat. Im Geltungsbereich des BPersVG wurde dies jüngest geändert. Im Geltungsbereich der Landespersonalvertretungsgesetze verbleibt es dagegen bei der bisherigen Rechtslage. Den Landesgesetzgebern fehlt die Gesetzgebungskompetenz, wie nun in § 29 Abs. 6 Satz 3 BPersVG geschehen, zu regeln, dass ein nach Landesrecht gebildeter Personalrat die Aufgaben des nach Bundesrecht gebildeten Betriebsrats wahrzunehmen habe1. aa) Bisherige Rechtslage Zur alten Gesetzeslage nach § 321 UmwG a.F. hatte das BAG eine analoge Anwendung offen gelassen2. Den seitdem ergangenen Entscheidungen lag jeweils ein durch Gesetze außerhalb des BetrVG eingeräumtes Übergangsmandat zugrunde3. Auf eine Entscheidung über die analoge Anwendung der §§ 21a f. BetrVG kam es also nicht an. Das BAG ließ es weiterhin offen4. Insbesondere bei Privatisierungen kommt es regelmäßig vor, dass dem (Bundes- oder Landes)Personalvertretungsrecht unterfallende Dienststellen auf privatrechtlich organisierte und damit dem BetrVG unterliegende Dritte übergehen. Gewährt man in der Übergangsphase dem Personalrat kein Übergangsmandat, stehen die übergehenden Arbeitnehmer zumindest solange ohne Repräsentationsorgan da, bis sie einen eigenen Betriebsrat etabliert haben. Dies gilt jedenfalls, soweit bei der aufnehmenden Gesellschaft nicht bereits ein auch formal zuständiger Betriebsrat besteht.
24.104
Ob nach der BetrVG-Novelle mit Blick auf die Richtlinie 2001/23/EG ein Übergangsmandat anzunehmen war, wird unterschiedlich beurteilt. Das LAG Schleswig-Holstein5 bejaht es für den Fall der Privatisierung. Dies sei nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 4 Richtlinie 2001/23/EG, die nach ihrem Art. 11 Abs. 1c auch öffentlich-rechtliche Unternehmen erfasse, welche eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, geboten, weil ein Betriebsübergang sowohl Rechtsstellung als auch Funktion der Arbeitnehmervertretung unberührt lasse. Soweit gesetzlich kein Übergangsmandat vorgesehen sei, handele es sich um eine planwidrige Regelungslücke, die durch richtlinienkonforme analoge Anwendung des § 21a BetrVG geschlossen werden müsse. Ohne auf diese Streitfrage einzugehen, erkennt das LAG Sachsen-Anhalt indirekt ebenfalls ein Übergangsmandat für Personalräte an, zumindest aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung6.
24.105
Abgelehnt wurde ein Übergangsmandat hingegen durch das ArbG Dessau-Roßlau7, das LAG Köln8 und das LAG Düsseldorf9. Eine analoge Anwendung sei mangels planwidriger Regelungslücke nicht möglich. Auch aus der Richtlinie 2001/23/EG folge weder unmittelbar noch 1 Großzügiger das BAG, vgl. Urteil v. 23.11.2004 - 9 AZR 639/03, NZA 2005, 833, 834. 2 BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 416/99, NZA 2000, 1115. 3 BAG v. 23.11.2004 – 9 AZR 639/03, NZA 2005, 833 = ArbRB 2005, 240 (Groeger); BAG v. 15.7.2008 – 3 AZR 1059/06, BeckRS 2011, 78730; BAG v. 15.7.2008 – 3 AZR 623/06, BeckRS 2011, 78870; BAG v. 15.7.2008 – 3 AZR 172/07, NZA-RR 2009, 506. 4 BAG v. 26.1.2011 – 4 AZR 159/09, NZA 2011, 808, 811 = ArbRB 2011, 269 (Oetter). 5 LAG Schleswig-Holstein v. 18.5.2006 – 4 TaBV 49/05, BeckRS 2006, 42945 Rz. 41 ff.; so auch Schaub/ Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 265 Rz. 43. 6 LAG Sachsen-Anhalt v. 17.6.2008 – 8 TaBVGa 10/08, NZA-RR 2009, 536 f. 7 ArbG Dessau-Roßlau v. 7.4.2009 – 6 Ca 181/08, jedoch mit relativ dünner Begründung. 8 LAG Köln v. 10.3.2000 – 13 TaBV 9/00, NZA-RR 2001, 423. 9 LAG Düsseldorf v. 16.12.2012 – 14 TaBV 83/11, BeckRS 2012, 66471.
976 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für andere Arbeitnehmervertretungen | Rz. 24.106 § 24
mittelbar ein Übergangsmandat. Das Judikat des LAG Düsseldorf erging zu einem nicht wirtschaftlich tätigen öffentlichen Unternehmen, weshalb es außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie steht. Zu einem Übergangsmandat für Personalräte von wirtschaftlich tätigen öffentlichen Unternehmen äußerte sich das Gericht nicht. Das ArbG Berlin1 ließ die Frage offen, verneinte aber die Befugnis eines Personalrats, im Rahmen einer Privatisierung zur Konstituierung eines Gesamtbetriebsrats einzuladen. Die Literatur lehnt überwiegend ein Übergangsmandat ab2. Dem ist zuzustimmen. Ein automatischer Fortbestand des Personalrats als Betriebsrat ist – wenn keine gesetzliche Sonderregelung geschaffen wird (z.B. § 15 Abs. 1 Satz 2 DBGrG) – ausgeschlossen3. Dies gilt auch, wenn nur Teile der Dienststelle auf einen privatrechtlichen Rechtsträger übertragen werden und die bisherige Einheit als gemeinsamer Betrieb des öffentlich- und privatrechtlichen Rechtsträgers fortbesteht. Denn auch dann gilt in der gesamten Einheit das BetrVG4. Der § 130 BetrVG postuliert eine strikte Trennung der Regelungssysteme, so dass ein mit einer Privatisierung verbundenes Wechseln von einem System in das andere ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung nicht möglich ist. Zudem führt eine analoge Anwendung zu schwer lösbaren Folgefragen5. Eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie scheidet mangels hinreichender inhaltlicher Bestimmtheit aus6. In Betracht kommt jedoch auch hier eine Gesamtoder Gesetzesanalogie7. Angesichts des im Personalvertretungs-, im Gegensatz zum Betriebsverfassungsrecht bestehenden Stufenprinzips8 wäre zunächst aber zu klären, ob eine Vertretungslücke, die Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 4 RL 2001/23/EG vermeiden will, überhaupt vorliegt. Selbst sofern das der Fall ist, stellt sich angesichts der seit langem bekannten Streitfrage, die der Gesetzgeber bislang bewusst ohne Zuerkennung eines Übergangsmandats bestehen ließ, das Problem der methodischen Zulässigkeit einer Gesamtanalogie. Während dies wegen der Vergleichbarkeit der Fälle zum BetrVG beim SprAuG grundsätzlich zulässig erscheint, läge hier ein Systemwechsel vom Personalvertretungs- und damit öffentlichen Recht zum BetrVG vor. Da zudem Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 RL 2001/23/EG auch Behörden als Normadressaten vorsieht und im maßgeblichen Unterabs. 4 nur von Unternehmen und Betrieben die Rede ist, spricht mehr gegen eine Analogie. Befürwortete man die Analogie, wäre ferner zu klären, ob der Personalrat im Rahmen des Übergangsmandats Personalvertretungs- oder Betriebsverfassungsrecht anzuwenden hätte. Sowohl die Anwendung von Betriebsverfassungsrecht durch ei1 ArbG Berlin v. 19.2.2001 – 60 BVGa 4065/01, NZA-RR 2002, 92. 2 Besgen/Langner, NZA 2003, 1239; BeckOK-ArbR/Besgen, § 21a BetrVG Rz. 10; Kast/Freyhuber, DB 2004, 2530; Pawlak/Leydecker, ZTR 2008, 74; Andelewski/Brachmann, NZA 2010, 1103; WHSS/Willemsen, Umstrukturierung, B Rz. 87c; Schwarzburg, öAT 2010, 79; a.A. Fitting, § 130 BetrVG Rz. 15 ff.; DKW/Trümner, § 130 BetrVG Rz. 14; Schaub/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 265 Rz. 43; in diese Richtung noch mit Blick auf die RL 98/50/EG bereits Blanke, PersR 2000, 349, 352. 3 Hanau/Becker, Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, S. 112 f.; Schipp, NZA 1994, 865, 869. 4 BAG v. 7.11.1975 – 1 AZR 74/74, AP BetrVG 1972 § 130 Nr. 1; BAG v. 24.1.1996 – 7 ABR 10/95, NZA 1996, 1110, 1112 f.; BVerwG v. 13.6.2001 – 6 P 8/00, NZA 2003, 115, 118; a.A. Annuß, NZA Sonderheft 2001, 12, 21, der bereits die Annahme eines solchen öffentlich-privatrechtlichen gemeinsamen Betriebs ablehnt. 5 Schwarzburg, öAT 2010, 79, 80; in diese Richtung auch Andelewsky/Brachmann, NZA 2010, 1103, 1108; sowie Lepper, RNotZ 2006, 313, 329; in diese Richtung auch Wollenschläger/von Harbou, NZA 2005, 1081, 1090. 6 Besgen/Langner, NZA 2003, 1239, 1242. 7 Für eine Gesamtanalogie wegen der Vielzahl der mittlerweile bestehenden Übergangsmandate auf Basis des Art 6 I Unterabs. 4 der RL 2001/23/EG, jedenfalls sofern eine Schutzlücke entstünde Fitting, § 130 BetrVG Rz. 15 ff.; EUArbR/Winter, Art. 6 RL 2001/23/EG Rz. 28. 8 Schaub/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 264 Rz. 23.
Leder/Lunk | 977
24.106
§ 24 Rz. 24.106 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
nen Personalrat als auch erst recht die Anwendung von Personalvertretungsrecht bei einem privatrechtlich organisierten Übernehmer erscheint nicht handhabbar. Ein Übergangsmandat des Personalrats bestand daher bis zur Novellierung des BPersVG im Jahre 2021 nicht.
24.107
Auch durch Tarifvertrag darf dem Personalrat dessen Fortexistenz oder ein Übergangsmandat nicht eingeräumt werden. Denn § 3 BetrVG berechtigt die Tarifparteien nur innerhalb des Anwendungsbereichs des BetrVG, vom Gesetz abweichende Regelungen über die Bildung von Arbeitnehmervertretungen zu schaffen. Ein tarifvertragliches Übergangsmandat verstieße gegen den Numerus Clausus der Arbeitnehmervertretungen nach dem BetrVG1. bb) Schaffung eines Übergangsmandats durch § 29 Abs. 6 BPersVG n.F.
24.108
Erstmals seit 1974 wurde das BPersVG mit Gesetz vom 9.6.2021 grundlegend novelliert2. Die Novelle bezeichnet die Vermeidung personalvertretungsloser Zeiten als einen ihrer Schwerpunkte3. Zu diesem Zweck statuiert die Neuregelung erstmalig ein Übergangs- und Restmandat des Personalrats bei verwaltungsinternen Umstrukturierungsmaßnahmen (§ 29 Abs. 1–4 BPersVG). Die Regelung orientiert sich erkennbar an § 21a BetrVG, ohne diesem jedoch vollkommen zu entsprechen. Umstrukturierungsmaßnahmen innerhalb öffentlich-rechtlicher Körperschaften regelt § 29 Abs. 1 BPersVG. Sie bleiben im Gegensatz zu Sachverhalten, bei denen Arbeitnehmer zu einem privatrechtlichen Rechtsträger wechseln, hier unkommentiert. § 29 Abs. 5 BPersVG regelt – analog § 21b BetrVG – ein Restmandat des Personalrats bei Auflösung der Dienststelle. Privatisierungen erfahren eine Sonderregelung in Abs. 6 der Vorschrift. Dort ist geregelt, unter welchen Voraussetzungen ein Übergangsmandat bei Privatisierungsmaßnahmen entsteht und welchen Inhalt dieses hat. Die in den bisherigen Dienststellen bestehenden Dienstvereinbarungen sollen für die Beschäftigten aus diesen Dienststellen längstens für zwölf Monate nach Wirksamwerden der Privatisierungsmaßnahme als Betriebsvereinbarung fortgelten, soweit sie nicht durch eine andere Regelung ersetzt werden. § 29 BPersVG – und damit insbesondere auch die Regelungen betreffend das Übergangsmandat – gilt nur für Dienststellen im Anwendungsbereich des BPersVG. Erfasst sind somit vor allem Verwaltungen des Bundes und die bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts (§ 1 Abs. 1 BPersVG). Für Personalräte, die nach den Vorschriften der jeweiligen Personalvertretungsgesetze der Bundesländer errichtet sind, ändert sich durch die BPersVG-Novelle nichts; es bleibt bei der bisherigen Rechtslage. (1) Bestehen des Übergangsmandats
24.109
Ein Übergangsmandat bei Privatisierungsmaßnahmen kommt in unterschiedlichen Konstellationen in Betracht. Satz 1 des § 29 Abs. 6 BPersVG bestimmt zunächst, dass der Personalrat im Amt bleibt, wenn eine Dienststelle durch Umwandlung oder eine anderweitige Privatisierungsmaßnahme in eine Rechtsform des Privatrechts übergeht, sofern die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erfüllt sind und kein Betriebsrat besteht. Der Wortlaut („bleibt im Amt“) ist erkennbar an § 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG und die dortige Definition des Über1 LAG Köln v. 10.3.2000 – 13 TaBV 9/00, NZA-RR 2001, 423; Pawlak/Leydecker, ZTR 2008, 74, 78; ebenfalls zweifelnd WHSS/Willemsen, Umstrukturierung, B Rz. 87d; a.A. Wollenschläger/von Harbou, NZA 2005, 1081, 1091. 2 BGBl. I 2021, S. 1614. Damit wird zugleich einer Zielsetzung des Koalitionsvertrages für die 19. Legislaturperiode entsprochen, s. dort S. 128 („Das Bundespersonalvertretungsrecht wird novelliert“). 3 BR-Drucks. 14/21, S. 2.
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Rechtsfolgen für andere Arbeitnehmervertretungen | Rz. 24.112 § 24
gangsmandats angelehnt. § 29 Abs. 6 Satz 1 BPersVG unterscheidet nicht danach, ob bei dem privatrechtlichen Rechtsträger vor dem Übergang der Dienststelle überhaupt ein Betrieb bestand. An einem bestehenden, dem Betriebsverfassungsrecht unterliegenden Betrieb fehlt es z.B. bei einer Privatisierung öffentlicher Rechtsträger im Wege eines Formwechsels nach den §§ 301 ff. UmwG. Die Frage, ob sich in einer solchen Konstellation die Identität der Dienststelle überhaupt ändert – was nach betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätzen die Entstehung eines Übergangsmandats erst bedingt – oder das BPersVG den Fortbestand des Personalrats als Betriebsrat aufgrund des Systemswechsels in das Betriebsverfassungsrecht schlichtweg fingiert, dürfte rein akademischer Natur sein. In jedem Fall ist das Mandat des Personalrats selbst bei einem vollständigen Übergang der Dienststelle und ihrem unveränderten Fortbestand bei dem privatrechtlichen Rechtsträger als Betrieb zeitlich begrenzt. Der Personalrat hat unverzüglich einen Wahlvorstand zur Einleitung der Betriebsratswahl zu bestellen (§ 29 Abs. 6 Satz 3 BPersVG). Ein Übergangsmandat kraft Übergangs der Dienststelle auf einen privatrechtlichen Rechtsträger kann auch entstehen, wenn die Dienststelle mit einem dort bereits bestehenden Betrieb (steil) zusammengefasst wird. Durch die Zusammenfassung entsteht eine neue Organisationseinheit mit neuer Leitungsstruktur. Diese unterliegt ausschließlich dem Betriebsverfassungsrecht. Der Gesetzgeber dürfte insbesondere diese Fälle bei der Schaffung des Übergangsmandats vor Augen gehabt haben; der Zusatz „und ein Betriebsrat nicht besteht“ in § 29 Abs. 6 Satz 1 BPersVG spricht dafür. Ein Übergangsmandat des Personalrats ist in solchen Fällen unproblematisch zu bejahen, wenn in der Dienststelle vor dem Übergang mehr Arbeitnehmer beschäftigt waren als in dem Betrieb(steil), mit dem die Dienststelle zusammengefasst wird. Selbst wenn in einem betriebsratslosen Betriebs(teil) genauso viele oder mehr Arbeitnehmer beschäftigt sind als in der übergehenden Dienststelle, steht dem Personalrat nach unserer Auffassung ein Übergangsmandat zu. Der Zweck des § 29 BPersVG, vertretungslose Zeiten zu vermeiden, gebietet dies (vgl. zur Parallelproblematik Rz. 24.44 ff.). Der persönliche Geltungsbereich dieses Übergangsmandats erfasst sämtliche Arbeitnehmer des zusammengefassten Betriebs und nicht etwa nur diejenigen, die vormals in der übergehenden Dienststelle beschäftigt und bis dato bereits durch den Personalrat vertreten waren. Denn ein nur für einen Teil des Betriebs zuständiger Betriebsrat ist dem BetrVG im Grundsatz fremd und auch inhaltlich, etwa bei Themen, die denknotwendig nur betriebsweit geregelt werden können, nicht sinnvoll (s. dazu Rz. 24.49).
24.110
Wird die Dienststelle dagegen mit einem Betrieb(steil) zusammengefasst, für den bereits vor dem Übergang der Dienststelle ein Betriebrat errichtet worden ist, scheidet angesichts des klaren Wortlauts von § 29 Abs. 6 Satz 1 BPersVG ein Übergangsmandat des Personalrats aus. Ein Rückgriff auf § 29 Abs. 2 BPersVG, wonach bei einer Zusammenfassung von Dienststellen der Personalrat derjenigen Dienststelle, aus der die meisten Beschäftigten zu der neuen Dienststelle übergegangen sind, das Übergangsmandat wahrnimmt, kommt nicht in Betracht. Denn § 29 Abs. 6 BPersVG regelt als lex specialis das Übergangsmandat des Personalrats bei Privatisierungsmaßnahmen abschließend. Die Dienststelle wird nach ihrem Übergang auf den privatrechtlichen Rechtsträger damit einem Betrieb(steil) ohne Betriebsrat gleichgestellt. Nach der hier vertretenen Auffassung folgt daraus: Die der vormaligen Dienststelle zugehörigen Arbeitnehmer werden nach der Zusammenfassung mit dem bestehenden Betrieb(steil) durch den dort gewählten Betriebsrat mit repräsentiert. Das gilt selbst dann, wenn in der übergehenden Dienststelle mehr Arbeitnehmer als in dem Betrieb(steil) beschäftigt waren (dazu Rz. 24.48).
24.111
Ein Übergangsmandat kraft Übergangs der Dienststelle auf einen privatrechtlichen Rechtsträger kommt auch bei einer Eingliederung der Dienststelle in einen betriebsratslosen Betrieb(s-
24.112
Leder/Lunk | 979
§ 24 Rz. 24.112 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
teil) des privatrechtlichen Rechtsträgers in Betracht. Der Begriff kennzeichnet zum einen Fälle, in denen ein bei dem privatrechtlichen Rechtsträger bereits bestehender Betrieb(steil) unter Beibehaltung seiner Identität die übergehende Dienststelle aufnimmt. Besteht dort bereits ein Betriebsrat, repräsentiert dieser die Arbeitnehmer der übergegangenen Dienststelle mit. Für ein zusätzliches Übergangsmandat des ehemaligen Personalrats ist kein Raum (ausdrücklich § 29 Abs. 6 Satz 1 BPersVG). Die Abwicklung noch laufender personalvertretungsrechtlicher Angelegenheiten der ehemaligen Dienststelle hat der Personalrat im Rahmen seines Restmandats (Rz. 24.119) wahrzunehmen.
24.113
Zum anderen kann sich die Eingliederung – spiegelbildlich – auf die Weise vollziehen, dass die übergehende Dienststelle den bereits bestehenden Betrieb(steil) aufnimmt. Ob diese Konstellation mit dem Begriff der Eingliederung im hergebrachten, betriebsverfassungsrechtlichen Sinn zutreffend erfasst wird, mag im Ergebnis dahinstehen. Begrifflich scheint zweifelhaft, ob die Identiät der Dienststelle aufgrund des mit dem Wechsel in das Betriebsverfassungsrecht verbundenen Systemwechsels in solchen Fällen unverändert erhalten bleibt. Eben dies – der Fortbestand der Identität eines, nämlich des aufnehmenden Betrieb(steils) – kennzeichnet die Eingliederung (vgl. Rz. 24.18). Allerdings schlägt selbst in diesen Fällen der Schutzzweck der Neuregelung, die Vermeidung vertretungsloser Zeiten, durch und führt zum Entstehen eines Übergangsmandats des Personalrats. Dieses Übergangsmandat erstreckt sich auf sämtliche Arbeitnehmer der neu geschaffenen Organisationseinheit. Auch Arbeitnehmer des vormaligen Betrieb(steils) werden somit durch den Personalrat im Übergangsmandat in betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheit mitrepräsentiert (zur Begründung vgl. auch Rz. 24.49).
24.114
Über den Gesetzeswortlaut des § 29 Abs. 6 Satz 1 BPersVG hinaus („Geht eine Dienststelle […] über“) ist es sachgerecht, ein Übergangsmandat gleichsam beim Übergang lediglich eines Teils einer Dienststelle auf einen privatrechtlichen Rechtsträger anzunehmen, sofern dieser nach dem Übergang als eigenständiger Betrieb(steil) fortgeführt wird. Diese Fälle entsprechen der Abspaltung i.S.d. § 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG bzw. der Ausgliederung nach § 29 Abs. 1 Satz 1 BPersVG. Der Personalrat hat in diesen Fällen eine Doppelstellung: Für den beim öffentlichen Rechtsträger verbleibenden Teil der Dienststelle nimmt er unverändert Aufgaben nach dem BPersVG im Vollmandat und kraft Übergangsmandats die Aufgaben eines Betriebsrats nach dem BetrVG für Arbeitnehmer des übergegangenen Teils der Dienststelle wahr.
24.115
Werden im Zuge einer Privatierungsmaßnahme Dienststellen oder Teile mehrerer Dienststellen zu einem Betrieb i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zusammengefasst, bestimmt sich der das Übergangsmandat wahrnehmende Personalrat gemäß § 29 Abs. 6 Satz 2 BPersVG in entsprechender Anwendung des Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes. Dort ist bestimmt, dass bei einer Zusammenlegung von (Teilen von) Dienststellen zu einer neuen Dienststelle der Personalrat derjenigen Dienststelle das Übergangsmandat wahrnimmt, aus der die meisten Beschäftigten zu der neuen Dienststelle übergegangen sind. Dieser Regelung verdrängt bei Privatisierungsmaßnahmen § 21a Abs. 2 BetrVG. Wird die zu einem neuen Betrieb zusammengefasste Dienststelle sodann ihrerseits mit einem Betrieb des privatrechtlichen Rechtsträgers zusammengefasst oder in diesen eingegliedert, findet § 21a BetrVG Anwendung. (2) Inhalt des Übergangsmandats
24.116
Das Übergangsmandat des Personalrats ist ein Vollmandat. Der Personalrat nimmt nach § 29 Abs. 6 Satz 1 BPersVG die Aufgaben eines Betriebsrats nach dem BetrVG mit allen Rechten und Pflichten wahr. Ihm stehen nicht nur die im BetrVG geregelten Mitbestimmungsrechte und sonstigen Befugnisse zu (z.B. gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG oder § 80 Abs. 1 und 2 BetrVG). 980 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für andere Arbeitnehmervertretungen | Rz. 24.117 § 24
Die Rechte und Pflichten der Mitglieder des (ehemaligen) Personalrats als Betriebsratsmitglieder bemessen sich nach dem Übergang gleichfalls nach dem BetrVG; hierzu zählen beispielsweise die §§ 37, 38, 78 BetrVG. Ob langjährige Personalräte „über Nacht“ in der Lage sein werden, Beteiligungsrechte des BetrVG ausüben zu können, mag die Praxis zeigen. Der einzige Unterschied zu einem regulären Betriebsratsmandat besteht in der Dauer. Der Personalrat im Übergangsmandat hat unverzüglich den Wahlvorstand zur Einleitung der Betriebsratswahl zu bestellen. Das Übergangsmandat endet analog § 21a Abs. 1 Satz 3 BetrVG, sobald ein neuer Betriebsrat gewählt und das Wahlergebnis bekanntgegeben ist, spätestens jedoch sechs Monate nach Wirksamwerden der Privatisierungsmaßnahme. Eine Verlängerung des Übergangsmandats um bis zu weitere sechs Monate ist entsprechend § 21a Abs. 1 Satz 4 BetrVG durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung zulässig. Ausweislich des Wortlauts des § 29 Abs. 1 Satz 4 BPersVG muss eine solche Verlängerung mit der neuen Dienststelle erfolgen, so dass die Verlängerung nicht bereits vor dem Wirksamwerden der Privatisierung mit der abgebenden Dienststelle wirksam vereinbart werden darf. Auf die bis zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Privatisierungsmaßnahme eingeleiteten Beteiligungsverfahren, Verfahren vor der Einigungsstelle und den Verwaltungsgerichten sind unverändert die Bestimmungen des BPersVG anzuwenden (§ 29 Abs. 6 Satz 5 BPersVG). Dabei findet weiterhin das BPersVG Anwendung, wenn der entscheidungserhebliche Zeitpunkt in der Vergangenheit liegt (z.B. Wirksamkeit der Änderung einer Dienstvereinbarung). Wenn es aber um die (zukunftsgerichtete) Geltendmachung von Beteiligungsrechten geht, ist das Verfahren nach der Privatisierung auf der materiell-rechtlichen Grundlage des BetrVG fortzuführen. (3) Fortgeltung der Dienstvereinbarungen Das Anliegen der BPersVG-Novelle, vertretungslose Zeiten im Zusammenhang mit Privatisierungsmaßnahmen zu vermeiden, soll nicht allein durch eine Gewährleistung der Kontinuität der Mitarbeitervertretung umgesetzt werden. Die in den bisherigen Dienststellen bestehenden Dienstvereinbarungen gelten nach der Neuregelung für die Beschäftigten aus diesen Dienststellen längstens für zwölf Monate nach Wirksamwerden der Privatisierungsmaßnahme als Betriebsvereinbarung fort, soweit sie nicht durch eine andere Regelung ersetzt werden (§ 29 Abs. 6 Satz 6 BPersVG). Damit will der Gesetzgeber sicherstellen, dass die von der Privatisierung betroffenen Beschäftigten nicht schutzlos gestellt werden, weil sämtliche bislang für sie geltenden Dienstvereinbarungen mit dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Privatisierungsmaßnahme entfallen1. Dadurch wird eine Regelungslücke geschlossen. Die Möglichkeit einer kollektivrechtlichen Weitergeltung von Dienstvereinbarungen als Betriebsvereinbarungen wurde bislang ganz überwiegend – zu Recht – abgelehnt2. Eine Ausnahme war lediglich zulässig, sofern die Privatisierung auf Grundlage eines gesonderten Privatisierungsgesetzes vollzogen wurde und es die Fortgeltung der Dienstvereinbarungen als Betriebsvereinbarungen explizit vorsah3. Im Übrigen konnten Dienstvereinbarungen bislang allenfalls analog § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB individualrechtlich weitergelten, wenn die Privatisierungsmaßnahme mit einem Betriebsübergang einherging. Aufgrund der nunmehr gesetzlich angeordneten kollektivrechtlichen Fortgeltung dürfen vormalige Dienstvereinbarungen innerhalb von zwölf Monaten nach Wirksamwerden der Privatisierungsmaßnahme nur mit dem Personalrat im Rahmen des Übergangsmandats geändert werden – oder mit einem Betriebs-, Gesamt- oder Kon-
1 Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BR-Drucks. 14/21, S. 107. 2 Vgl. etwa Lambrecht/Vollmöller in Huster/Kaltenborn, Krankenhausrecht, 2. Aufl. 2017, § 16 Rz. 64. 3 BAG v. 23. 11. 2004 – 9 AZR 639/03, NZA 2005, 833, 834.
Leder/Lunk | 981
24.117
§ 24 Rz. 24.117 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
zernbetriebsrat, der neu gewählt oder anderweitig zuständig wird. Eine Ausnahme gilt nur dort, wo die Betriebsvereinbarung in den Geltungsbereich einer Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung fällt, die durch den Gesamt- oder Konzernbetriebsrat im Rahmen der originären Zuständigkeit vereinbart wurde. Hier löst die beim übernehmenden Rechtsträger bestehende Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung die Regelungen zum gleichen Gegenstand in der früheren Dienstvereinbarung bereits innerhalb der Jahresfrist ab, ohne dass ein Günstigkeitsvergleich vorzunehmen ist. Auch insoweit gelten dann nämlich die vom Personalrat anzuwendenden Grundsätze des BetrVG.
24.118
Unklar ist die Rechtslage nach Ablauf der Jahresfrist. Der Wortlaut des § 29 Abs. 6 Satz 6 BPersVG (gelten „längstens für zwölf Monate nach Wirksamwerden der Privatiserungsmaßnahme als Betriebsvereinbarungen fort“) spricht für eine automatische Beendigung, sofern es nicht zu abweichenden Regelungen kommt. Das scheint eine bewusste Abkehr von Prinzip des § 613a Abs. 1 Satz 2–4 BGB zu sein. Gemäß Art. 3.2 letzter Satz der Betriebsübergangsrichtlinie RL 2001/23/EG dürfen die Mitgliedstaaten den Zeitraum der Aufrechterhaltung der Arbeitsbedingungen anlässlich eines Betriebsüberganges auch begrenzen, allerdings auf nicht weniger als ein Jahr. Die vom Wortlaut nahe gelegte Beschränkung auf ein Jahr mit einem im Anschluss automatischen Ende der Vereinbarungen wäre also unionsrechtskonform. Gleichwohl bleibt fraglich, ob der Gesetzgeber bewusst eine Schlechterstellung gegenüber der sich aus § 613a Abs. 1 Satz 2–4 BGB ergebenden Rechtslage herbeiführen wollte. Da Dienstvereinbarungen letztlich aus dem Bereich des öffentlichen Rechts stammen und daher eine unbeschränkte Transformation in die Dogmatik der Betriebsvereinbarung zu Problemenm führen kann, erscheint die Lösung des automatischen Endes der Dienstvereinbarungen nach Ablauf der Jahresfrist vorzugswürdig, zudem der Gesetzgeber die abweichende Regelung in § 613a Abs. 1 Satz 2–4 BGB kannte und gleichwohl eine verdrängende Spezialnorm für die entsprechenden Sachverhalte schuf. b) Restmandat
24.119
Ein Restmandat – funktional beschränkt auf alle in Zusammenhang mit der Stilllegung einer Dienststelle stehenden personalvertretungsrechtlichen Beteiligungsrechte – ist in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte1 und der Literatur anerkannt2. Zu einem Systembruch und schwer lösbaren Abgrenzungsfragen führe die Annahme eines Restmandats (anders als beim Übergangsmandat) nicht3. Da sich das Restmandat – anders als das Übergangsmandat – noch auf die Dienststelle erstreckt, ist dem zuzustimmen. Im Anwendungsbereich des BPersVG regelt nunmehr § 29 Abs. 5 BPersVG seit der Novelle im Jahr 2021 explizit ein Restmandat des Personalrats bei Auflösung einer Dienststelle. Gehen einzelne Arbeitnehmer der stillgelegten Dienststelle auf einen privatrechtlichen Rechtsträger über, bleibt der Personalrat zur Abwicklung personalvertretungsrechtlicher Angelegenheiten für diese zuständig. Im Zweifel gelten die zu § 21b BetrVG entwickelten Grundsätze (Rz. 24.77 ff.), da sich § 29 Abs. 5 BPersVG „eng an § 21b BetrVG orientiert“4.
1 BVerwG v. 21.9.2005 – 2 A 5/04; VGH Baden-Württemberg v. 20.12.2011 – PB 15 S 2128/11, NZS 2012, 381, 382 mit zahlreichen weiteren Fundstellen. 2 Schwarzburg, öAT 2010, 79, 80; Pawlak/Leydecker, ZTR 2008, 74, 79; a.A. noch Schubert, AuR 2003, 133, 134 in Übereinstimmung mit der früheren Rechtsprechung des BVerwG. 3 Schwarzburg, öAT 2010, 79, 80. 4 BT Drucks. 19/26820, S. 96 zu § 29 Abs. 5 BPersVG.
982 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für andere Arbeitnehmervertretungen | Rz. 24.125 § 24
c) Stufenvertretungen, Gesamtpersonalrat, Jugend- und Auszubildendenvertretung Über die Verweise in den §§ 90, 94 und 102 Abs. 4 BPersVG gelten die Regelungen über das Rest- sowie das Übergangsmandat entsprechend für die Stufenvertretungen, den Gesamtpersonalrat und die Jugend- und Auszubildendenvertretungen.
24.120
5. Der Wahlvorstand Der Betriebsrat bestellt spätestens zehn Wochen vor Ablauf seiner Amtszeit einen Wahlvorstand (§ 16 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Diesem obliegt die Leitung der Wahl (§ 1 Abs. 1 WO). Das Amt des Wahlvorstands erlischt mit der Einberufung des Betriebsrates zur konstituierenden Sitzung1. Es endet ferner mit Auflösung des Betriebs, für den er bestellt ist. Das gilt auch, wenn einer von mehreren Arbeitgebern den bisherigen Gemeinschaftsbetrieb allein weiterführt.
24.121
II. Unternehmensbezogene Arbeitnehmervertretungen 1. Der Gesamtbetriebsrat Beispiel 17: Die X-AG hat Betriebe in München, Augsburg und Ingolstadt. In jedem Betrieb ist ein Betriebsrat gewählt. Ein Gesamtbetriebsrat wurde errichtet. Der Betrieb in Ingolstadt wird an einen Käufer übertragen. Beispiel 18: Die A-GmbH hat einen Betrieb mit 200 Arbeitnehmern, in dem ein Betriebsrat besteht. Eine Einheit mit 10 Arbeitnehmern wird abgespalten und als selbständiger Betrieb fortgeführt. Der bislang bei A bestehende Betriebsrat nimmt das Übergangsmandat gemäß § 21a BetrVG für die ausgegliederte Einheit wahr. Betriebsratswahlen wurden bislang nicht eingeleitet. Beispiel 19: Die X-AG (Beispiel 17, Rz. 24.122) ist insolvent. Die D-OHG will den Geschäftsbetrieb der X-AG fortführen. Sie gründet zu diesem Zweck die F-GmbH, die wiederum im Wege der Einzelrechtsnachfolge (Asset Deal) sämtliche Vermögensgegenstände der X-AG erwirbt und die drei Betriebe in München, Augsburg und Ingolstadt fortführt. Die Arbeitnehmer der X-AG werden über den Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse nach § 613a BGB unterrichtet.
Ein Gesamtbetriebsrat ist nach § 47 Abs. 1 BetrVG zu errichten, wenn in einem Unternehmen mehrere Betriebsräte bestehen. Seine Bildung ist zwingend. Er ist – im Gegensatz zum Betriebsrat – eine Dauereinrichtung ohne feste Amtszeit2. Seine Mitglieder werden von den einzelnen Betriebsräten entsandt. Werden einzelne Betriebe auf einen anderen Rechtsträger übertragen, bleibt der beim übertragenden Rechtsträger errichtete Gesamtbetriebsrat bestehen, solange – wie in Beispiel 17 (Rz. 24.117) – dort mindestens zwei Betriebe verbleiben, in de-
1 BAG v. 14.11.1975 – 1 ABR 61/75, AP Nr. 1 zu § 18 BetrVG 1972; Fitting, § 16 BetrVG Rz. 83; a.A. ErfK/Koch, § 16 BetrVG Rz. 10 (mit der Wahl des Wahlleiters für die Wahl des Betriebsratsvorsitzenden). 2 BAG v. 15.10.2014 – 7 ABR 53/12, NZA 2015, 1014, Rz. 33; BAG v. 22.6.2005 – 7 ABR 30/04, BeckRS 2005, 30804497; BAG v. 9.2.2011 – 7 ABR 11/10, NZA 2011, 866, 870 = ArbRB 201, 268 (Grimm/Strauf).
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24.122
24.123
24.124
24.125
§ 24 Rz. 24.125 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
nen jeweils ein Betriebsrat gewählt wurde1. Es verändert sich allerdings die Zusammensetzung des Gesamtbetriebsrats. Denn die Betriebsratsmitglieder, welche die von der Übertragung auf einen anderen Rechtsträger betroffenen Betriebe repräsentiert hatten, scheiden aus dem Gesamtbetriebsrat aus. Ein Fortbestand des Gesamtbetriebsrats in alter Besetzung kommt nur in Betracht, wenn zwar Betriebsteile auf andere Rechtsträger übertragen werden, aber die hiervon betroffenen Betriebe als gemeinsamer Betrieb der beteiligten Unternehmen fortbestehen. Denn im Gesamtbetriebsrat des übertragenden Rechtsträgers dürfen in diesem Fall auch solche Arbeitnehmer vertreten sein, die in keinem Arbeitsverhältnis (mehr) zu diesem Unternehmen stehen2. Grundsätzlich darf ein Gesamtbetriebsrat jedoch nicht unternehmensüberschreitend gebildet werden3. Bestehen beim übernehmenden Rechtsträger mehrere – ggf. gemeinsame – Betriebe, muss dort ein eigener Gesamtbetriebsrat gebildet werden.
24.126
Verbleibt in dem Unternehmen nach der Übertragung nur ein Betrieb mit Betriebsrat, kann dort kein Gesamtbetriebsrat mehr gebildet werden. Das Amt des Gesamtbetriebsrats endet sodann „automatisch“ mit dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Übertragung4. Das gilt auch dann, wenn beim übertragenden Rechtsträger weitere betriebsratsfähige Betriebe oder selbständige Betriebsteile bestehen, in denen aber kein Betriebsrat gewählt ist. Ein Gesamtbetriebsrat darf erst wieder gebildet werden, wenn ein weiterer Betriebsrat gewählt wurde. Das BAG geht allerdings davon aus, dass der Gesamtbetriebsrat fortbesteht, wenn der Betriebsrat eines Betriebs nur vorübergehend entfällt5. Diese Lösung ist zwar praxisorientiert, aus dogmatischer Sicht allerdings bedenklich. Denn es gibt hierfür keine Rechtfertigung im Gesetz und eine Schutzlücke entsteht durch den Fortbestand des Betriebsrats allenfalls für betriebsratslose Betriebe im Rahmen des § 47 Abs. 1 BetrVG. Zudem lassen sich die Konstellationen auf das dauerhafte Nichtbestehen eines Betriebsrats bzw. den Fall, dass noch keine Betriebsratswahl eingeleitet worden ist, nicht übertragen6. Ein Betriebsrat „besteht“ i.S.v. § 47 Abs. 1 BetrVG allerdings bereits dann, wenn für eine betriebsratsfähige Einheit der Betriebsrat eines anderen Betriebs ein Übergangsmandat nach § 21a BetrVG wahrnimmt7. In Beispiel 18 (Rz. 24.123) wäre danach zwar grundsätzlich ein Gesamtbetriebsrat bereits unmittelbar nach Vollzug der Betriebsspaltung zu errichten. Da sich der Gesamtbetriebsrat in diesem Fall jedoch jeweils aus den identischen Personen zusammensetzen würde – nämlich dem Betriebsrat und in identischer Zusammensetzung dem Betriebsrat als übergangsmandatiertes Gremium 1 Fitting, § 47 BetrVG Rz. 17; HWGNRH/Glock, § 47 BetrVG Rz. 85; s.a. BAG v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670, 674 = ArbRB 2003, 170 (Mues). 2 HaKo-BetrVG/Tautphäus, § 47 BetrVG Rz. 53; Fitting, § 47 BetrVG Rz. 81; DKKW/Trittin, 16. Aufl. 2018, § 47 BetrVG Rz. 157, 160; GK-BetrVG/Kreutz/Franzen, § 47 Rz. 117; a.A. Richardi/Annuß, § 47 BetrVG Rz. 77; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 117; Annuß, NZA Sonderheft 2001, 12, 19. 3 BAG v. 13.2.2007 – 1 AZR 184/06, NZA 2007, 825 = ArbRB 2007, 200 (Lunk); BAG v. 17.4.2012 – 3 AZR 401/10 Rz. 39, BeckRS 2012, 73018. 4 BAG v. 5.6.2002 – 7 ABR 17/01, NZA 2003, 336 = ArbRB 2003, 73 (Lunk); Richardi/Annuß, § 47 BetrVG Rz. 27. 5 BAG v. 15.10.2014 – 7 ABR 53/12, NZA 2015, 1014 1016. Dieser Ansicht auch DKKW/Trittin, 16. Aufl. 2018, § 47 BetrVG Rz. 41 und 62; Fitting, § 47 BetrVG Rz. 27; HWGNRH/Glock, § 47 BetrVG Rz. 85; a.A. Richardi/Annuß, § 47 BetrVG Rz. 27. 6 HWGNRH/Glock, § 47 BetrVG Rz. 17; a.A. wohl DKKW/Trittin, 16. Aufl. 2018, § 47 BetrVG Rz. 35; Fischer, AiB 2001, 565, 566 f.; Helm/Müller, AiB 2001, 449, 450 f., deren Begründung aber im Wesentlichen von dem Bestreben geprägt ist, die „weißen Flecken“ der betriebsratslosen Betriebe zu verringern. 7 GK-BetrVG/Kreutz/Franzen, § 47 Rz. 6; HWGNRH/Glock, § 47 BetrVG Rz. 17; a.A. Feudner, BB 1996, 1934, 1936; Kreßel, BB 1995, 925, 927 (jeweils zu § 321 UmwG).
984 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für andere Arbeitnehmervertretungen | Rz. 24.129 § 24
für die abgespaltene Einheit –, kann erst ein Gesamtbetriebsrat gebildet werden, wenn sich entweder im abgespaltenen Betriebsteil ein eigener Betriebsrat etabliert hat, oder es einen weiteren Betrieb mit Betriebsrat gibt. Dies folgt aus einer Sinn- und Zweckbetrachtung der Regeln über den Gesamtbetriebsrat. Wird – spiegelbildlich – ein zusätzlicher Betrieb mit Betriebsrat auf den Rechtsträger übertragen, entsendet dieser Betriebsrat ab dem Zeitpunkt der Übertragung ebenfalls Mitglieder in den Gesamtbetriebsrat des übernehmenden Rechtsträgers1. Die Zusammenfassung von Betrieben berührt das Amt des Gesamtbetriebsrats nur, wenn nach der Zusammenfassung nicht mehr mindestens zwei Betriebe mit Betriebsräten im Unternehmen bestehen. Andernfalls ändert sich lediglich die personelle Zusammensetzung des Gesamtbetriebsrats. Auf- und Abspaltungen von Betrieben können, wenn in den neu entstehenden Einheiten Betriebsräte gewählt werden oder wenn die neuen Einheiten betriebsratsfähig sind, zur erstmaligen Errichtung eines Gesamtbetriebsrats führen.
24.127
Werden aus einem Unternehmen, in dem ein Gesamtbetriebsrat besteht, einzelne Betriebe auf einen neuen Rechtsträger übertragen, verliert der – nach obigen Grundsätzen bei dem übertragenden Rechtsträger fortbestehende – Gesamtbetriebsrat seine Zuständigkeit für die übertragenden Betriebe. Der Gesamtbetriebsrat geht somit nicht mit über. Stattdessen muss beim aufnehmenden Rechtsträger ein Gesamtbetriebsrat neu gebildet werden, wenn dieser nach der Übertragung erstmals über mindestens zwei Betriebe verfügt, in denen Betriebsräte bestehen2. Sofern bei dem aufnehmenden Rechtsträger bereits ein Gesamtbetriebsrat bestand, sind die Betriebsräte der übertragenen Betriebe nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BetrVG berechtigt, ebenfalls Mitglieder in diesen fortbestehenden Gesamtbetriebsrat zu entsenden3.
24.128
Ob der Gesamtbetriebsrat beim aufnehmenden Rechtsträger ausnahmsweise fortbesteht, wenn sämtliche Betriebe unverändert übertragen werden und der aufnehmende Rechtsträger nicht über eigene Betriebe verfügt, ist nicht abschließend geklärt. Der 7. Senat des BAG ließ das bislang dahinstehen4. Laut dem 1. Senat ist es zumindest „nicht auszuschließen“, dass der Gesamtbetriebsrat dann im Amt bliebe5. Zwar könnten in einem solchen Fall vergleichbare Gründe wie bei einem Inhaberwechsel bei einem Betrieb dafür sprechen, vom Fortbestand nicht nur der einzelnen Betriebsräte, sondern auch des Gesamtbetriebsrats auszugehen. Ein Fortbestand des Gesamtbetriebsrats komme jedoch, so der Senat, nicht in Betracht, wenn entweder nicht sämtliche Betriebe eines Unternehmens auf den neuen Inhaber übertragen werden oder das übernehmende Unternehmen bereits einen oder mehrere Betriebe habe und sich die betrieblichen Strukturen im übernehmenden Unternehmen durch die Integration der neuen Betriebe in das Unternehmen entsprechend ändern. In diesem Fall müsse beim aufnehmenden Rechtsträger ein neuer Gesamtbetriebsrat errichtet werden.
24.129
1 DKKW/Trittin, 16. Aufl. 2018, § 47 BetrG Rz. 39. 2 BAG v. 5.6.2002 – 7 ABR 17/01, NZA 2003, 336, 337 = ArbRB 2003, 73 (Lunk); BAG v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670, 675 = ArbRB 2003, 170 (Mues); Fitting, § 47 BetrVG Rz. 17. 3 BAG v. 16.3.2005 – 7 ABR 37/04, NZA 2005, 1069, 1071 = ArbRB 2005, 269 (Oetter); Fitting, § 47 BetrVG Rz. 17. 4 BAG v. 5.6.2002 – 7 ABR 17/01, NZA 2003, 336, 337 = ArbRB 2003, 73 (Lunk); ErfK/Koch, § 47 BetrVG Rz. 11; BAG v. 18.9.2001 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670, 674 = ArbRB 2003, 170 (Mues). 5 BAG v. 18.9.2001 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670, 674 = ArbRB 2003, 170 (Mues).
Leder/Lunk | 985
§ 24 Rz. 24.130 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
24.130
Richtigerweise ist in solchen Fällen von einem Fortbestand des Gesamtbetriebsrats auszugehen1. Relevant wird dies nicht nur bei einer Spaltung zur Neugründung (§§ 135 ff. UmwG), sondern kann auch im Zusammenhang mit einer Betriebsaufspaltung (Aufteilung in eine Besitz- bzw. Anlagengesellschaft und eine Betriebsgesellschaft) virulent werden. Die Konstellation ist weiterhin denkbar, wenn es sich bei dem übernehmenden Rechtsträger um eine ausländische Gesellschaft handelt, deren Betriebsstätten im Inland sich auf die übertragenen Betriebe und Betriebsteile beschränken. Denn hier führt bereits die territoriale Begrenzung des BetrVG dazu, dass der fortbestehende Gesamtbetriebsrat weiterhin nur für die Betriebe und selbständigen Betriebsteile i.S.d. § 4 BetrVG zuständig ist, auf die sich seine Zuständigkeit beim übertragenden Rechtsträger erstreckt2. Die Frage kann sich überdies – wie in Beispiel 19 (Rz. 24.124) – bei übertragenden Sanierungen in der Insolvenz stellen.
24.131
Würde man bei solchen Fallgestaltungen von einem Untergang des Gesamtbetriebsrats ausgehen, wäre dies allenfalls aus formalen Gründen nachvollziehbar, da sich das Unternehmen als Anknüpfung für den Gesamtbetriebsrat ändert. Zwingend ist die Rechtsfolge freilich nicht. Denn durch die Übernahme der Betriebe und selbständigen Betriebsteile i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG bestehen die dort gebildeten Betriebsräte in ihrer bisherigen Zusammensetzung fort. Zweckbezogene Gründe, bei dieser unveränderten Ausgangssituation eine Neubildung des Gesamtbetriebsrats durch diese Betriebsräte durchzuführen, sind nicht erkennbar. Schließlich hat sich auch der Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich des Gesamtbetriebsrats im Anschluss an den Übertragungsvorgang nicht geändert. Die praktischen Konsequenzen dieser Zweifelsfrage sind allerdings begrenzt, wenn man auf Grundlage der Rechtsprechung des BAG die Fortgeltung von Gesamtbetriebsvereinbarungen nicht vom Fortbestand des Gesamtbetriebsrats als solchen abhängig macht (s. dazu näher Rz. 11.63, 22.44 ff.)3.
24.132
Ein Rest-4 oder Übergangsmandat5 des Gesamtbetriebsrats ist abzulehnen6. Eine analoge Anwendung der §§ 21a und 21b BetrVG scheidet mangels planwidriger Regelungslücke sowie mangels vergleichbarer Interessenlage aus. Dem Gesetzgeber war bei der Verabschiedung dieser Vorschriften der Streit um die Ausdehnung des Rest- und Übergangsmandats auf den Gesamtbetriebsrat bekannt. Dennoch hat er keine entsprechende Regelung für den Gesamtbetriebsrat geschaffen. Ein praktisches Bedürfnis für eine Analogie ist zudem nicht auszuma-
1 Ebenso Fitting, § 47 BetrVG Rz. 17; ErfK/Koch, § 47 BetrVG Rz. 5; DKW/Deinert, § 47 BetrVG Rz. 68; Salamon, RdA 2008, 24, 28; Fuhlrott/Oltmanns, BB 2015, 1013, 1017; a.A. Richardi/Annuß, § 47 BetrVG Rz. 27; Bauer/Haußmann/Krieger, Umstrukturierung, Teil 4 B Rz. 48; GK-BetrVG/ Kreutz/Franzen, § 47 Rz. 55. 2 Vgl. zur Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats bei Unternehmen mit Sitz im Ausland Fitting, § 47 BetrvG Rz. 22; Richardi/Thüsing, § 47 BetrVG Rz. 21. 3 BAG v. 24.1.2017 – 1 ABR 24/15; NZA-RR 2017, 413 = ArbRB 2017, 209 (Lunk); BAG v. 5.5.2015 – 1 AZR 763/13, NZA 2015, 1331, Rz. 46 ff. = ArbRB 2015, 292 (Mues); BAG v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670, 674 f. = ArbRB 2003, 170 (Mues); zu „politischen“ Auswirkungen einer Neuerrichtung des Gesamtbetriebsrats vgl. WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 102 f. 4 Fitting, § 21b BetrVG Rz. 3; HaKo-BetrVG/Düwell, § 21a Rz. 93; Feudner, DB 2003, 882, 886. 5 Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 33; GK-BetrVG/Kreutz, § 21a Rz. 11; HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 22; HaKo-BetrVG/Düwell, § 21a Rz. 39; Meyer/Rabe, NZA 2016, 78, 83; BeckOKArbR/Besgen, § 21a BetrVG Rz. 10. 6 Fitting, § 21b BetrVG Rz. 3; DKW/Deinert, § 47 BetrVG Rz. 69; a.A. DKKW/Trittin, 16. Aufl. 2018, § 47 BetrVG Rz. 49. Kreutz vertritt eine analoge Anwendung des § 21b BetrVG, wenn der Gesamtbetriebsrat bei Stilllegung aller Betriebe eines Unternehmens für einen Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 111, 112 BetrVG zuständig ist, GK-BetrVG/Kreutz, § 21b Rz. 5.
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Rechtsfolgen für andere Arbeitnehmervertretungen | Rz. 24.135 § 24
chen1. Eine vertretungslose Zeit wird durch die lokalen Betriebsräte im Rahmen ihrer Restund Übergangsmandate vermieden2, so dass auch unionsrechtlich (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 4 RL 2001/23/EG) mangels bestehender Schutzlücke keine Analogie nötig ist3. Ein Gesamtbetriebsrat kann zudem kurzfristig neu gebildet werden4.
2. Der Wirtschaftsausschuss Beispiel 20: Die B-GmbH hat sechs Betriebe, in denen jeweils ein Betriebsrat besteht. Ein Gesamtbetriebsrat und ein Wirtschaftsausschuss wurden errichtet. Im Rahmen eines Restrukturierungsprogramms fasst die B-GmbH drei Betriebe, die örtlich nahe beieinander liegen, nach entsprechender Betriebsratsbeteiligung zu einem neuen Betrieb zusammen.
24.133
In Unternehmen mit i.d.R. mehr als 100 ständig beschäftigten Arbeitnehmern ist kraft Gesetzes ein Wirtschaftsausschuss zu bilden (§ 106 BetrVG). Er hat wirtschaftliche Angelegenheiten mit dem Unternehmer zu beraten und den Betriebsrat zu unterrichten. Die Amtszeit des Wirtschaftsausschusses ist mit dem Schicksal seines Bestellungsorgans verknüpft. Die Bestellung obliegt in erster Linie dem Betriebsrat (§ 107 Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Nur wenn in dem Unternehmen ein Gesamtbetriebsrat besteht, ist dieser zuständig (§ 107 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Ein Wirtschaftsausschuss ist auch zu errichten, wenn mehrere Unternehmen einen Gemeinschaftsbetrieb führen, die jeweils für sich allein in der Regel nicht mehr als 100 Arbeitnehmer ständig beschäftigen5. Es ist in diesem Fall ein Wirtschaftsausschuss bei den am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen zu bilden. Genießt eines der beteiligten Unternehmen Tendenzschutz, kann der Betriebsrat des Gemeinschaftsbetriebs einen Wirtschaftsausschuss bilden, wenn das andere Unternehmen tendenzfrei ist und die Tendenzeigenschaft im Gemeinschaftsbetrieb nicht überwiegt6, wobei dem Wirtschaftsausschuss dann aber gegenüber dem Tendenzunternehmen keine Rechte zustehen7. Besteht der Gemeinschaftsbetrieb zwischen einem herrschenden Unternehmen sowie einem in seinem alleinigen Eigentum stehenden abhängigen Unternehmen und liegen die Voraussetzungen zur Bildung eines Wirtschaftsausschusses allein beim herrschenden Unternehmen vor, ist nur dort der Wirtschaftsausschuss zu errichten8.
24.134
Wurde der Wirtschaftsausschuss vom Betriebsrat bestellt, weil das Unternehmen keine weiteren Betriebsräte hat, und wird der Betrieb, für den der Betriebsrat gewählt wurde, auf einen anderen Rechtsträger übertragen, hat der übertragende Rechtsträger mit Vollzug der Übertragung keinen Wirtschaftsausschuss mehr. Existieren zwei Betriebsräte und ein Gesamtbetriebsrat, führt die Übertragung eines Betriebs ebenfalls zum Erlöschen des Wirtschaftsausschusses. Denn der Gesamtbetriebsrat, der den Wirtschaftsausschuss bestellt hat, verliert mit der Übertragung des Betriebs sein Amt. Damit entfallen die Errichtungsvoraussetzungen für
24.135
1 Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 33. 2 GK-BetrVG/Kreutz, § 21a Rz. 11; Feudner, DB 2003, 882; Rieble, NZA 2002, 233, 240; Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 304. 3 Lunk, FS Willemsen 2018, S. 299, 304. 4 GK-BetrVG/Kreutz, § 21a Rz. 11. 5 BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 10/14, NZA 2016, 969, 970 = ArbRB 2016, 234 (Braun); BAG, 1.8.1990 – 7 ABR 91/88, NZA 1991, 643, 644. 6 BAG v. 19.11.2019 – 7 ABR 3/18, NZA 2020, 598 = ArbRB 2020, 140 (Lunk). 7 BAG v. 26.2.2020 – 7 ABR 20/18, NZA 2020, 960. 8 BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 10/14, NZA 2016, 969, 970 = ArbRB 2016, 234 (Braun).
Leder/Lunk | 987
§ 24 Rz. 24.135 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
den Wirtschaftsausschuss durch den Gesamtbetriebsrat nachträglich. Allerdings ist – da ein Betrieb mit Betriebsrat beim übertragenden Rechtsträger fortbesteht – dort ein neuer Wirtschaftsausschuss durch den verbleibenden Betriebsrat zu errichten.
24.136
Solange beim übertragenden Rechtsträger nach der Übertragung eines oder mehrerer Betriebe auf einen anderen Rechtsträger noch mindestens zwei Betriebsräte fortbestehen, führt die Übertragung nicht zum Wegfall des Gesamtbetriebsrats. Damit besteht im Grundsatz auch der dort gebildete Wirtschaftsausschuss fort. So liegt es auch in dem Beispiel 20 (Rz. 24.133). Allerdings ist § 107 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG zu beachten. Danach endet die Amtszeit der Mitglieder des Wirtschaftsausschusses, wenn die Amtszeit der Mehrheit der Mitglieder des Gesamtbetriebsrats, die an der Bestellung des Wirtschaftsausschusses mitzuwirken berechtigt waren, abgelaufen ist1. Der Wortlaut des Gesetzes ist missverständlich: Entscheidend ist nicht, wann die Amtszeit eines bestimmten Mitglieds endet, sondern wann die Amtszeit desjenigen Betriebsrats endet, der das Mitglied in den Gesamtbetriebsrat entsandt hat2. Im Beispiel 20 ist deshalb zu fragen, ob die Mehrheit der bei der B-GmbH bestehenden Betriebsräte ihr Amt verloren haben. Das ist nicht der Fall: Durch die Zusammenfassung haben nur drei von sechs Betrieben ihre Identität verloren und damit keine Mehrheit. Somit bleibt der Wirtschaftsausschuss im Amt.
24.137
Sofern der Wirtschaftsausschuss nach den vorgenannten Grundsätzen an sich fortbesteht, muss zusätzlich der Schwellenwert von in der Regel mehr als 100 ständig beschäftigten Arbeitnehmern beim übertragenden Rechtsträger unverändert erreicht sein. Denn die Amtszeit der Mitglieder des in einem Unternehmen gebildeten Wirtschaftsausschusses endet, wenn die Belegschaftsstärke des Unternehmens nicht nur vorübergehend auf weniger als 101 in der Regel beschäftigte Arbeitnehmer absinkt3. Dies gilt auch, wenn die Amtszeit des Betriebsrats, der den Wirtschaftsausschuss bestellt hat, noch nicht beendet ist4.
24.138
Die Spaltung oder Zusammenfassung von Betrieben hat solange keine Auswirkungen auf den Wirtschaftsausschuss, wie das Bestellungsorgan fortbesteht. In Bezug auf den Betriebsrat ist daher zu fragen, ob dieser seine Identität behält und damit die Amtszeit fortdauert. Da der Gesamtbetriebsrat als Dauereinrichtung keine feste Amtszeit hat, knüpft das Gesetz an die Amtszeit seiner Mitglieder an (§ 107 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG). Ferner kann sich bei betrieblichen Strukturveränderungen die personelle Zusammensetzung des Wirtschaftsausschusses ändern: Verliert (z.B. im Zuge einer Umstrukturierung) ein Betriebsratsmitglied sein Amt, ist umstritten, ob damit zugleich die Mitgliedschaft im Wirtschaftsausschuss endet. Das soll erst der Fall sein, wenn kein Mitglied des Betriebsrats mehr zugleich Mitglied des Wirtschaftsausschusses ist; solange also noch mindestens eine Person zugleich Mitglied im Betriebsrat und Wirtschaftsausschuss ist, soll es keine Auswirkungen auf die Mitgliedschaft im Wirtschaftsausschuss haben, wenn diese Person den Betriebsrat verlässt5. Eine Beendigung 1 Näher dazu GK-BetrVG/Oetker, § 107 Rz. 31; DKW/Däubler, § 107 BetrVG Rz. 23. 2 Fitting, § 107 BetrVG Rz. 19; GK-BetrVG/Oetker, § 107 Rz. 31; Richardi/Annuß, § 107 BetrVG Rz. 18. 3 BAG v. 7.4.2004 – 7 ABR 41/03, NZA 2005, 311, 313 = ArbRB 2004, 267 (Braun); GK-BetrVG/Oetker, § 107 Rz. 30; a.A. DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 14. 4 BAG v. 7.4.2004 – 7 ABR 41/03, NZA 2005, 311, 313 = ArbRB 2004, 267 (Braun). 5 MünchArbR/Stamer, § 307 Rz. 106 f.; Richardi/Annuß, § 107 BetrVG Rz. 23; DKW/Däubler, § 107 BetrVG Rz. 28; abweichend einerseits Fitting, § 107 BetrVG Rz. 9, 14, wonach die Amtszeit im Wirtschaftsausschuss immer mit Ausscheiden aus dem Betriebsrat endet; andererseits GKBetrVG/Oetker, § 107 Rz. 35, demzufolge das Ausscheiden aus dem Betriebsrat nie zum Ausscheiden aus dem Wirtschaftsausschuss führt.
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Rechtsfolgen für andere Arbeitnehmervertretungen | Rz. 24.139 § 24
tritt jedenfalls ein, wenn das Mitglied auch aus dem Unternehmen ausscheidet. Die Mitgliedschaft im Wirtschaftsausschuss soll während der Dauer eines Übergangsmandats nach § 21a BetrVG fortbestehen1. Ob dies auch für das Restmandat nach § 21b BetrVG gilt, ist unklar. Dagegen spricht der Normzweck des § 21b BetrVG, der insbesondere die Sicherstellung der Beteiligungsrechte aus §§ 111 ff. BetrVG zum Gegenstand hat2. Der Wirtschaftsausschuss selbst ist nämlich kein Träger dieser Rechte3. Jedoch bedarf der Betriebsrat besonders in der Phase des Restmandats Unterstützung in wirtschaftlichen Angelegenheiten durch den Wirtschaftsausschuss. Dies spricht für die Existenz des Wirtschaftsausschusses während des Restmandats4. Hinsichtlich der Folgeprobleme, also etwaiger Vergütungs- und Freistellungansprüche der Mitglieder des Wirtschaftsausschusses, wird auf die Parallelproblematik zum Betriebsrat oben verwiesen (Rz. 24.87). Zudem bleibt der Wirtschaftsausschuss ohnehin im Amt, wenn im abgebenden Unternehmen die Voraussetzungen für dessen Existenz erhalten bleiben, weil bspw. nur ein Betrieb des Unternehmens stillgelegt wird. Dann sind keine Gründe ersichtlich, warum der Wirtschaftsausschuss diesem Betriebsrat nicht im Rahmen des Restmandats zur Seite stehen soll5. Ist der Wirtschaftsausschuss vom Betriebsrat errichtet und wird der Betrieb, für den dieser Betriebsrat gewählt ist, identitätswahrend auf einen anderen Rechtsträger übertragen, bestehen beim aufnehmenden Rechtsträger Betriebsrat und Wirtschaftsausschuss fort. Im Grundsatz gilt: Die Amtszeit des Wirtschaftsausschusses entspricht jener des Betriebsrats. Endet also das Amt des Betriebsrats vorzeitig, bspw. weil der Betrieb in einen anderen Betrieb eingegliedert oder mit einem solchen zusammengeschlossen wird, endet auch das Amt des Wirtschaftsausschusses6. Letzterer wird ebenfalls aufgelöst, wenn der Betrieb im Zuge der Übertragung zwar seine Identität behält, aber die Voraussetzungen für seine Errichtung bei dem übernehmenden Rechtsträger entfallen7, also wenn dort mehrere Betriebsräte bestehen und somit der Gesamtbetriebsrat für die Bildung des Wirtschaftsausschusses zuständig ist. Es macht in diesem Fall keinen Unterschied, ob beim übernehmenden Rechtsträger bereits vor der Übertragung ein Gesamtbetriebsrat bestand (der bereits einen Wirtschaftsausschuss gebildet hatte) oder aufgrund der Übertragung des neuen Betriebs erstmals ein solcher zu errichten ist (der dann den Wirtschaftsausschuss zu bilden hat). In beiden Fällen hat der Betriebsrat des übergehenden Betriebs kraft § 107 Abs. 2 BetrVG nachträglich seine Zuständigkeit für die Errichtung des Wirtschaftsausschusses verloren. Damit erlischt dieser8. Im Übrigen gilt auch beim aufnehmenden Rechtsträger, dass ein Wirtschaftsausschuss dort nur bei Erreichen des Schwellenwerts fortbestehen kann. Spiegelbildlich kann beim aufnehmenden Rechtsträger erstmalig ein Wirtschaftsausschuss zu bilden sein, wenn der Schwellenwert dort bisher nicht erreicht wurde. Ein eigenes Rest- oder Übergangsmandat analog §§ 21a, 21b BetrVG steht dem Wirtschaftsausschuss nicht zu9. Es fehlt auch insoweit an einer planwidrigen Regelungslücke und einer zum Fortbestand des Betriebsrats vergleichbaren Interessenlage. Da es bei der Repräsen-
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WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 215. Wlotzke/Preis/Kreft/Wlotzke, § 21b BetrVG Rz. 1. HaKo-BetrVG/Düwell, § 21b Rz. 4. LAG Berlin-Brandenburg v. 23.7.2015 – 26 TaBV 857/15, ArbRAktuell 2015, 587 (Kalck) = BeckRS 2015, 72882 Rz. 25 f. Dazu Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 304. Vgl. GK-BetrVG/Oetker, § 107 Rz. 30; DKW/Däubler, § 107 BetrVG Rz. 22. Vgl. BAG v. 7.4.2004 – 7 ABR 41/03, NZA 2005, 311, 312 f = ArbRB 2004, 267 (Braun). Ebenso WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 216. Zum Übergangsmandat HaKo-BetrVG/Düwell, § 21a Rz. 45; BeckOK-ArbR/Besgen, § 21a BetrVG Rz. 10; Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 33; Rieble, NZA 2002, 233, 240.
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§ 24 Rz. 24.139 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
tanz der betroffenen Arbeitnehmer durch den Betriebsrat im Rahmen seines Übergangsmandats bleibt, also keine Repräsentationslücke entsteht, sind auch keine unionsrechtlichen Gründe (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 4 RL 2001/23/EG) ersichtlich, die ein Übergangsmandat notwendig erscheinen ließen. Jedoch bleibt der Wirtschaftsausschuss wie gezeigt (Rz. 24.138) für die Dauer des Restmandates eines Betriebsrats im Amt, was faktisch einem eigenen Restmandat gleichkommt.
3. Weitere Arbeitnehmervertretungen 24.140
Da der Gesamt- oder Unternehmenssprecherausschuss sowie die betriebsübergreifende Jugend- und Auszubildendenvertretung gemäß §§ 72 f. BetrVG nach den gleichen Grundsätzen gebildet werden, ist der Übertragungsvorgang dort mit den entsprechenden Ergebnissen verbunden. Sie bleiben bei Veräußerern solange im Amt, wie dort noch die Errichtungsvoraussetzungen gegeben sind1. Eine Neuwahl wird nur notwendig, wenn keines der Unternehmenssprecherausschuss oder -ersatzmitglieder im Unternehmen verbleibt2. Für die Gesamt-Schwerbehindertenvertretung (§ 180 SGB IX) gelten hingegen Besonderheiten. Sie wird durch die einzelnen Schwerbehindertenvertretungen verpflichtend auf vier Jahre3 gewählt, wenn ein Gesamtbetriebsrat errichtet ist (§ 180 SGB IX)4, und ist an die Errichtung, nicht aber an die Existenz eines Gesamtbetriebsrats gekoppelt. Entfällt daher der Gesamtbetriebsrat im Laufe der Amtszeit der Gesamtschwerbehindertenvertretung vorübergehend, bleibt diese weiterhin im Amt5. Sie kann nicht wieder abgewählt werden. Das vorzeitige Ende der Amtszeit kann nur im Wege eines Beschlusses des Widerspruchsausschusses des Integrationsamtes herbeigeführt werden6. Kommt es infolge von Umstrukturierungen zur Bildung eines Gesamtbetriebsrats, besteht aber nur in einem Betrieb eine Schwerbehindertenvertretung, nimmt diese die Aufgaben der Gesamtschwerbehindertenvertretung war (§ 180 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Sie vertritt zugleich die schwerbehinderten Arbeitnehmer in Betrieben ohne Schwerbehindertenvertretung (§ 180 Abs. 6 Satz 1 SGB IX)7. Durch Umstrukturierungen kann es zu einem vorzeitigen Ende der Amtszeit nur kommen, wenn die Gesamt-Vertrauensperson aus dem Unternehmen ausscheidet, da es sich nur um eine Person nebst Stellvertreter handelt8. Soweit – nach diesseitiger Ansicht fälschlich durch eine Redaktionsversehen – seit dem 1.1.2018 gemäß § 180 Abs. 7, § 177 Abs. 8 SGB IX ein Übergangsmandat auch für die Konzern-, Gesamt-, Bezirks-, und Hauptschwerbehindertenvertretungen geschaffen wurde, ist dies abzulehnen (vgl. Rz. 24.101).
24.141
Überwiegend wird vertreten, ein Fortbestand der unternehmensbezogenen Arbeitnehmervertretungen des übertragenden Rechtsträgers beim übernehmenden Rechtsträger sei grundsätzlich ausgeschlossen. Wenn ein Gesamtbetriebsrat, eine Gesamtjugend- und Auszubildenden-
1 Löwisch, BB 1990, 1698, 1698; zum Gesamtsprecherausschuss WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 208; zur Gesamt-Jugend-und Auszubildendenvertretung DKW/Wenckebach, § 72 BetrVG Rz. 18.; Richardi/Annuß, § 72 BetrVG Rz. 8 f.; GK-BetrVG/Oetker, § 72 Rz. 15; HWGNRH/Rose, § 72 BetrVG 12; Fitting, § 72 BetrVG Rz. 13. 2 Löwisch, BB 1990, 1698, 1698. 3 Dau/Düwell/Joussen/Düwell, § 180 SGB IX Rz. 6. 4 BeckOK-SozR/Brose, § 180 SGB IX Rz. 1. 5 Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Jabben//Pahlen, § 180 SGB IX Rz. 2. 6 Dau/Düwell/Joussen/Düwell, § 180 SGB IX Rz. 6; Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Jabben//Pahlen, § 180 SGB IX Rz. 13. 7 BAG v. 4.11.2015 – 7 ABR 62/13, NZA-RR 2016, 191 Rz. 17 = ArbRB 2016, 105 (Esser). 8 Kossens/von der Heide/Maaß/Kossens, § 97 SGB IX Rz. 4.
990 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für andere Arbeitnehmervertretungen | Rz. 24.143 § 24
vertretung, ein Unternehmens- oder Gesamtsprecherausschuss oder eine Gesamtschwerbehindertenvertretung nach § 180 SGB IX beim übernehmenden Rechtsträger noch nicht bestehen (z.B. bei einer Spaltung zur Neugründung), müssten diese Organe neu errichtet werden. Sofern sie bereits bestünden, müsste eine Einbeziehung der auf betrieblicher Ebene gewählten Arbeitnehmervertreter in die unternehmensbezogenen Organe vorgenommen werden, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür gegeben seien1. Ohne Rücksicht darauf, ob solche unternehmensbezogenen Arbeitnehmervertretungsorgane beim übertragenden Rechtsträger – wenn auch in verkleinerter Form – fortbestehen, ende damit das Mandat der Mitglieder, die auf individualrechtlicher Ebene durch den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses von dem Übertragungsvorgang betroffen sind. Zur Begründung wird auf den Unternehmensbezug dieser Arbeitnehmervertretungen verwiesen. Da nach dem Übertragungsvorgang keine Identität des Unternehmens gegeben sei, könne auch nicht von einem Fortbestand ausgegangen werden2. Voraussetzung für den Fortbestand des Mandats ist ein Arbeitsvertrag zwischen dem Mitglied der Arbeitnehmervertretung und dem übertragenden Rechtsträger. Mangels fester Amtszeiten sind Übergangs- und Restmandat für diese Gremien abzulehnen3. Hinsichtlich des Gesamtbetriebsrats gehen jedoch auch wir von dessen Fortbestand bei Übertragung aller Betriebe eines Unternehmens auf einen neuen Rechtsträger ohne eigene Betriebe aus (vgl. Rz. 24.130). Folgerichtig müssen bei einer vergleichbaren Konstellation auch der Gesamt- und Unternehmenssprecherausschuss sowie die Gesamtjugend- und Auszubildendenvertretung fortbestehen. Ändert sich jedoch das Anknüpfungssubjekt im Zuge der Umstrukturierung, bleibt für eine Fortgeltung kein Raum. Die entsprechenden Gremien müssen sich dann neu konstituieren.
III. Konzernbezogene Arbeitnehmervertretungen 1. Der Konzernbetriebsrat Beispiel 21: Ein europaweit tätiger Konzern mit mehreren Tochterunternehmen nimmt Strukturveränderungen vor. Unter anderem wird Tochter T1 auf Tochter T2 verschmolzen, welche ihren einzigen Betrieb B zusätzlich zu ihren zwei bestehenden Betrieben übernimmt. Wer vertritt die Arbeitnehmer des Betriebs B jetzt im Konzernbetriebsrat?
In einem Konzern nach § 18 Abs. 1 AktG kann durch die Beschlüsse der einzelnen Gesamtbetriebsräte ein Konzernbetriebsrat errichtet werden (§ 54 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Besteht in einem Unternehmen nur ein Betriebsrat, tritt dieser an die Stelle des Gesamtbetriebsrats (§ 54 Abs. 2 BetrVG). Ob das Bestehen von mindestens zwei (Gesamt-)Betriebsräten im Konzern zwingende Errichtungsvoraussetzung ist oder dafür ein (Gesamt-)Betriebsrat genügt, ist umstritten4, aber kaum praxisrelevant. In jedem Fall erfordert die Errichtung die Zustimmung der (Gesamt-)Betriebsräte, die insgesamt mehr als 50 % der Arbeitnehmer des Konzerns ver-
1 GK-BetrVG/Kreutz/Franzen, § 47 Rz. 53; DKKW/Trittin, 16. Aufl. 2018, § 47 BetrVG Rz. 47; Röder/Haußmann, DB 1999, 1754, 1754; Löwisch, BB 1990, 1698, 1698. 2 Vgl. LAG Hamburg v. 7.6.1995 – 4 Sa 115/94, AuR 1996, 75, 77 = BeckRS 1995, 30755143. 3 Zur Gesamt- sowie Konzern-, Jugend- und Auszubildendenvertretung Fitting, § BetrVG 21b Rz. 3; wohl auch HaKo-BetrVG/Düwell, § 21a Rz. 94. 4 Ein (Gesamt-)Betriebsrat genügt nach Fitting, § 54 BetrVG Rz. 39, 43; ErfK/Koch, § 54 BetrVG Rz. 6; MünchArbR/Nebendahl, § 302 Rz. 37; Kreutz, NZA 2008, 259, 262 ff.; GK-BetrVG/Franzen, § 54 Rz. 50; DKW/Wenckebach, § 54 BetrVG Rz. 9. Mindestens zwei (Gesamt-)Betriebsräte verlangen Richardi/Annuß, § 54 BetrVG Rz. 32, 41; HWGNRH/Glock, § 54 BetrVG Rz. 24; Wlotzke/Preis/
Leder/Lunk | 991
24.142
24.143
§ 24 Rz. 24.143 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
treten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Mit dieser Mehrheit können die (Gesamt-)Betriebsräte jederzeit auch wieder die Auflösung des Konzernbetriebsrats beschließen1.
24.144
Der Konzernbetriebsrat ist wie der Gesamtbetriebsrat eine Dauereinrichtung ohne feste Amtszeit. Das bloße Hinzukommen oder Wegfallen von Konzernunternehmen lässt seinen Bestand deshalb grundsätzlich unberührt2. Das Amt des Konzernbetriebsrats endet allerdings mit dauerhaftem Wegfall seiner Errichtungsvoraussetzungen3. Das ist der Fall, wenn nach dem Ausscheiden eines Unternehmens entweder kein Konzern mehr besteht4 oder alle verbliebenen (Gesamt-)Betriebsräte des Konzerns gemeinsam nicht länger mehr als 50 % der Arbeitnehmerschaft repräsentieren5. Ob die (Gesamt-)Betriebsräte, die ursprünglich für die Errichtung des Konzernbetriebsrats gestimmt haben, unverändert mehr als 50 % aller Arbeitnehmer beschäftigen, spielt dagegen keine Rolle. Dieses Quorum muss nur im Zeitpunkt der Errichtung des Konzernbetriebsrats erfüllt sein; es ist keine Dauervoraussetzung6.
24.145
Wird – wie im Beispiel 21 (Rz. 24.142) – ein Betrieb auf ein anderes Konzernunternehmen übertragen, werden die betroffenen Arbeitnehmer weiter durch den bisherigen Konzernbetriebsrat im Rahmen von dessen gesetzlicher Zuständigkeit (§ 58 BetrVG) vertreten. In der Regel ist dies bei einer Ausgliederung nach § 123 Abs. 3 UmwG der Fall. Allerdings kann sich durch solche konzerninterne Übertragungsvorgänge die personelle Zusammensetzung des Konzernbetriebsrats ändern. Insoweit muss geprüft werden, ob bei den beteiligten Rechtsträgern jeweils das gleiche Gremium für die Entsendung von Mitgliedern in den Konzernbetriebsrat zuständig ist. Ist der Betriebsrat in beiden Fällen für diese Entscheidung zuständig, besteht das Mandat beim übernehmenden Rechtsträger fort. Entsprechendes gilt, wenn beim übertragenden Rechtsträger ein Gesamtbetriebsrat bestand und dieser als Organ übergeht. Trifft die Entscheidung über die Entsendung von Mitgliedern in den Konzernbetriebsrat im Anschluss an den Übertragungsvorgang der beim übernehmenden Rechtsträger bestehende Gesamtbetriebsrat, der nicht mit dem bisherigen Gesamtbetriebsrat identisch ist, endet das Mandat der vom Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse betroffenen Mitglieder des Konzernbetriebsrats. Ob sie erneut in den Konzernbetriebsrat entsandt werden, hängt von der Entscheidung des Gesamtbetriebsrats ab. Entsprechendes gilt, wenn bislang der Betriebsrat über die Entsendung entscheiden konnte, die Entscheidung beim übernehmenden Rechtsträger aber in die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats fällt. Im Beispiel 21 (Rz. 24.142) werden die Arbeitnehmer des Betriebs B jetzt durch den Gesamtbetriebsrat von Tochter T2, in welchen der Betriebsrat entsendet, im Konzernbetriebsrat repräsentiert und nicht mehr durch Mitglieder des eigenen Betriebsrats.
24.146
Wird ein Betrieb oder Unternehmen auf einen Rechtsträger übertragen, der keine Konzernbindung besitzt, endet die Vertretung im Konzernbetriebsrat7. Diese Rechtsfolge kann nicht nur bei einer Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge eintreten. Auch die Spaltung
1 2 3 4 5 6 7
Kreft/Roloff, § 54 BetrVG Rz. 12; Wollwert, NZA 2011, 437, 438 f.; vgl. auch BAG v. 13.10.2004 – 7 ABR 56/03, NZA 2005, 647, 651 = ArbRB 2005, 170 (Marquardt). Fitting, § 54 BetrVG Rz. 52; ErfK/Koch, § 54 BetrVG Rz. 9. BAG v. 23.8.2006 – 7 ABR 51/05, AP BetrVG 1972 § 54 Nr. 12 Rz. 47; Fitting, § 54 BetrVG Rz. 51 und § 57 Rz. 7; MünchArbR/Nebendahl, § 302 Rz. 83; Richardi/Annuß, § 54 BetrVG Rz. 51. BAG v. 23.8.2006 – 7 ABR 51/05, AP BetrVG 1972 § 54 Nr. 12 Rz. 47; Fitting, § 54 BetrVG Rz. 51. BAG v. 23.8.2006 – 7 ABR 51/05, AP BetrVG 1972 § 54 Nr. 12 Rz. 47; Fitting, § 54 BetrVG Rz. 51; MünchArbR/Nebendahl, § 302 Rz. 83; Richardi/Annuß, § 54 BetrVG Rz. 49. Richardi/Annuß, § 54 BetrVG Rz. 53. Richardi/Annuß, § 54 BetrVG Rz. 53. BAG v. 14.2.2007 – 7 ABR 26/06, NZA 2007, 999 Rz. 41, 43 = ArbRB 2007, 266 (Ohle).
992 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für andere Arbeitnehmervertretungen | Rz. 24.149 § 24
zur Aufnahme nach § 123 UmwG kann, wenn die dem übertragenden Rechtsträger bzw. den Anteilsinhabern des übertragenden Rechtsträgers gewährten Geschäftsanteile – bezogen auf den übernehmenden Rechtsträger – nur eine Minderheitsbeteiligung darstellen, zum Wegfall der Konzernbindung führen. Denkbar ist aber, dass mit Blick auf die Einbindung des übernehmenden Rechtsträgers in einen eigenen Konzern eine Entsendung in den dort bestehenden Konzernbetriebsrat erfolgt. Unter Umständen führt die Übertragung eines Betriebs oder Unternehmens auf einen anderen Rechtsträger dort zur erstmaligen Errichtung eines Konzernbetriebsrats. Nach herrschender Ansicht erlischt der Konzernbetriebsrat nicht automatisch, wenn der Konzern, für den er errichtet wurde, in einen anderen Konzern eingegliedert und als Konzern erhalten wird (sog. Konzern im Konzern)1. Zwar lässt sich der Wortlaut des § 54 Abs. 1 BetrVG derart verstehen, dass für einen Konzern auch nur ein Konzernbetriebsrat zu bilden sei2. Auch das gesellschaftsrechtliche Schrifttum lehnt das Konstrukt eines Konzerns im Konzern überwiegend ab3. Indes sprechen weder der Wortlaut des § 54 Abs. 1 BetrVG noch gesellschaftsrechtliche Wertungen zwingend gegen die Annahme eines betriebsverfassungsrechtlichen Konzerns im Konzern. Vielmehr ist ein betriebsverfassungsrechtlicher Konzern im Konzern jedenfalls dann zulässig, wenn dem Unterkonzern in betriebsverfassungsrechtlich relevanten Bereichen (z.B. personale oder soziale Angelegenheiten) ein eigenständiger Entscheidungsspielraum verbleibt. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer an den entscheidungsrelevanten Stellen leerlaufen4.
24.147
Dem Konzernbetriebsrat steht kein Rest- oder Übergangsmandat analog §§ 21a, 21b BetrVG zu5. Es fehlt an den Voraussetzungen für eine Analogie. Eine planwidrige Regelungslücke liegt nach Schaffung der §§ 21a und 21b BetrVG nicht vor. Zum Schutz der Arbeitnehmerinteressen ist zudem eine Wahrnehmung der Beteiligungsrechte durch den Betriebsrat (ggf. im Restoder Übergangsmandat) ausreichend. Vor diesem Hintergrund der ausreichenden Repräsentation durch den Betriebsrat und dessen Übergangsmandat ist auch aus unionsrechtlichen Gründen, insbesondere aus Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 4 RL 2001/23/EG, keine andere Sichtweise erforderlich6.
24.148
2. Weitere Arbeitnehmervertretungen Die Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung (§ 73a BetrVG) sowie der KonzernSprecherausschuss (§ 21 Abs. 1 SprAuG) sind fakultative Gremien7. Sie können errichtet wer1 BAG v. 16.5.2007 – 7 ABR 63/06, AP ArbGG 1979 § 96a Nr. 3; Fitting, § 54 BetrVG Rz. 32 f.; GKBetrVG/Franzen, § 54 Rz. 34 ff.; MünchArbR/Nebendahl, § 302 Rz. 13; a.A. Richardi/Annuß, § 54 BetrVG Rz. 11 ff. 2 HWK/Hohenstatt/Dzida, § 54 BetrVG Rz. 8. 3 MünchKommAktG/Bayer, § 18 AktG Rz. 40 ff. m.w.N.; vgl. auch Richardi/Annuß, § 54 BetrVG Rz. 16. 4 Fitting, § 54 BetrVG Rz. 32 f.; DKW/Wenckebach, Vor § 54 BetrVG Rz. 17.; a.A. Richardi/Annuß, § 54 BetrVG Rz. 11 ff. 5 LAG Stuttgart v. 23.6.2015 – 22 Sa 61/14, ZIP 2016, 232, 235; Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 33; HWK/Reichold, § 21a BetrVG Rz. 22; Fitting, § 21b BetrVG Rz. 3; HWGNRH/Worzalla, § 21a BetrVG Rz. 27; BeckOK-ArbR/Besgen, § 21a BetrVG Rz. 10; Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 302. 6 Lunk, FS Willemsen, 2018, S. 299, 305. 7 Richardi/Annuß, § 73a BetrVG Rz. 8; Hromadka/Sieg, § 21 SprAuG Rz. 2; MünchArbR/Francke, § 311 Rz. 148 ff.; Schaub/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 250 Rz. 5.
Leder/Lunk | 993
24.149
§ 24 Rz. 24.149 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
den, wenn in einem Konzern mindestens zwei Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretungen bzw. Gesamt-Sprecherausschüsse existieren1. Ob die Existenz eines Konzernbetriebsrats für die Errichtung einer Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung notwendig ist, wird nicht einheitlich bewertet2. Beide Gremien sind Dauereinrichtungen ohne feste Amtszeit, die ohne Weiteres aufhören zu existieren, wenn die Voraussetzungen für die Errichtung nicht mehr gegeben sind3. Bezüglich der Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung ist das der Fall, wenn der Konzern aufgelöst wird4 bzw. nur noch eine Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung im Konzern existiert. Entsprechendes muss für den Konzernsprecherausschuss gelten. Ein Übergangs- oder Restmandat ist für die Konzern-Jugend-und Auszubildendenvertretung abzulehnen5. Dies gilt – mit Blick auf den Konzernbetriebsrat – auch für den Konzernsprecherausschuss und ergibt sich aus dem abschließenden Wortlaut der §§ 21a, 21b BetrVG. Auch Sinn und Zweck dieser Norm oder die erwähnten unionsrechtlichen Gesichtspunkte erfordern keine Ausweitung auf die in Rede stehenden Gremien. Die Wahl einer Konzern-Schwerbehindertenvertretung ist obligatorisch6, sofern im Konzern ein Konzernbetriebsrat errichtet wurde. Die regelmäßige Amtszeit beträgt ebenfalls vier Jahre7. Entsteht infolge von Umstrukturierungen erstmals ein Konzern, nimmt – anders als im Falle der Gesamtschwerbehindertenvertretung (Rz. 24.140) – die einzige im Konzern bestehende (Gesamt-)Schwerbehindertenvertretung nicht die Aufgaben der Konzernschwerbehindertenvertretung wahr. Eine entsprechende gesetzliche Anordnung fehlt und eine analoge Anwendung des § 180 Abs. 1 Satz 2 SGB IX ist nicht geboten8. Das Ausscheiden einzelner Unternehmen ändert nichts am Bestand der Konzern-Schwerbehinderten-Vertreterung. Kommen eines oder mehrere Unternehmen mit (Gesamt-) Schwerbehindertenvertretungen im Laufe der vierjährigen Amtszeit hinzu, entfällt der Konzernbetriebsrat. Folglich muss dann auch die KonzernSchwerbehindertenvertretung entfallen.
IV. Der Europäische Betriebsrat 24.150
Beispiel 22: Die A-AG ist herrschendes Unternehmen der gemeinschaftsweit tätigen A-Unternehmensgruppe. Bei ihr sind ein Europäischer Betriebsrat kraft Gesetzes und ein Konzernbetriebsrat gebildet. In Deutschland hat A zwei Unternehmen, die B-GmbH mit 2000 Arbeitnehmern und die C-GmbH mit 250 Arbeitnehmern. Daneben besteht in Frankreich die D S.A. (250 Arbeitnehmer) und die E S.r.l. in Italien (500 Arbeitnehmer). Die B-GmbH spaltet einen Geschäftsbereich mit 1000 Arbeitnehmern auf die CGmbH ab.
1 Hromadka/Sieg, § 21 SprAuG Rz. 24; MünchArbR/Francke, § 311 Rz. 147 ff. 2 Dafür HWGNRH/Rose, § 73a BetrVG Rz. 7 ff.; a.A. Richardi/Annuß, § 73a BetrVG Rz. 7; GKBetrVG/Oetker, § 73a Rz. 16; Fitting, § 73a BetrVG Rz. 7. 3 Richardi/Annuß, § 73a BetrVG Rz. 11, 13; GK-BetrVG/Oetker, § 72 Rz. 19; Fitting, § 73a BetrVG Rz. 23; so letztlich auch HWGNRH/Rose, § 73a BetrVG Rz. 7 ff.; DKW/Wenckebach, § 73a BetrVG Rz. 31; Hromadka/Sieg, § 21 SprAuG Rz. 33; letztlich so auch WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 212; Richardi/Richardi, § 5 BetrVG Rz. 305. 4 Richardi/Annuß, § 73a BetrVG Rz. 11, 13; HWGNRH/Rose, § 73a BetrVG Rz. 16. 5 Fitting, § 21b BetrVG Rz. 3. 6 BAG v. 4.11.2015 – 7 ABR 62/13, juris Rz. 22; a.A. GK-SGB/Christians, § 180 SGB IX Rz. 23. 7 GK-SGB/Christians, § 180 SGB IX Rz. 52. 8 Dezidiert BAG v. 4.11.2015 – 7 ABR 62/13, NZA-RR 2016, 191 Rz. 18 ff. = ArbRB 2016, 105 (Esser).
994 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für andere Arbeitnehmervertretungen | Rz. 24.152 § 24
E-BR
A-AG
KBR
C-GmbH 250 AN
B-GmbH 2000 AN
D S.A. 250 AN
E S.r.l. 500 AN
Abspaltung
Beispiel 23: Die in Deutschland ansässige Z-GmbH beschäftigt 555 Arbeitnehmer in München, 145 Arbeitnehmer in Rom und 400 Arbeitnehmer in Paris. Aus Deutschland werden bisher fünf Arbeitnehmer in den Europäischen Betriebsrat kraft Gesetzes entsendet, da dort 50,5 % aller gemeinschaftsweit tätigen Arbeitnehmer beschäftigt werden. Die Z-GmbH beschließt, zur Effizienzsteigerung die Entwicklungsabteilung mit 10 Arbeitnehmern auf ein anderes Unternehmen abzuspalten. In München verbleiben damit 545 Arbeitnehmer (= 49,5 % aller gemeinschaftsweit tätigen Arbeitnehmer).
E-BR
Abspaltung
München 555 AN
24.151
Z-GmbH
Paris 400 AN
Rom 145 AN
Ein Europäischer Betriebsrat (EBR) kann in Unternehmen oder Unternehmensgruppen errichtet werden, die gemeinschaftsweit tätig sind. Letzteres ist der Fall, wenn sie mindestens 1000 Arbeitnehmer in den EU/EWG Mitgliedstaaten beschäftigen, davon in mindestens zwei Mitgliedstaaten jeweils mindestens 150 Arbeitnehmer1. Seine Errichtung ist fakultativ; sie kann von Arbeitnehmerseite allerdings erzwungen werden. Hat das Unternehmen – bzw. bei Unternehmensgruppen: das herrschende Unternehmen – seinen Sitz in Deutschland, unter-
1 Zu den Folgen des Brexit für Europäische Betriebsräte Krieger/Rudnik, EuZW-Sonderausgabe 1/2020, 20.
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24.152
§ 24 Rz. 24.152 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
liegt der Europäische Betriebsrat dem Regelungsregime des EBRG. Dieses kennt nicht einen „Europäischen Betriebsrat“, sondern (im Wesentlichen) drei Erscheinungsformen. Die größte Bedeutung haben aufgrund von „Altvereinbarungen“ errichtete Europäische Betriebsräte (§ 41 EBRG). Diese Vereinbarungen mussten bis zu einem Stichtag in der Vergangenheit abgeschlossen werden und gewissen Mindestanforderungen genügen1. Sie können unbefristet fortgelten. Solange sie dies tun, verdrängen sie im Grundsatz die Vorschriften des EBRG. Die damit einhergehende Gestaltungsfreiheit macht sie vor allem aus Unternehmersicht attraktiv. Von den 1005 im März 2021 bestehenden Europäischen Betriebsräten in der EU/EWG beruhten noch 288 auf Altvereinbarungen2. Unter Geltung des EBRG soll ein Europäischer Betriebsrat nach Möglichkeit durch freiwillige Vereinbarung errichtet werden („Europäischer Betriebsrat kraft Vereinbarung“, §§ 17–19 EBRG)3. Einen solchen hatten gemeinschaftsweit 612 Unternehmen im März 2021 errichtet4. Kommt keine freiwillige Vereinbarung zustande, wird ein „Europäischer Betriebsrat kraft Gesetzes“ errichtet (§ 21 EBRG). Seine Befugnisse ergeben sich aus dem EBRG.
1. Auswirkungen von Strukturänderungen auf das reguläre Mandat 24.153
Bei wesentlichen Änderungen in der Unternehmensstruktur geht das EBRG vom „Untergang“ des Europäischen Betriebsrats aus. Das Gesetz regelt deshalb ein Verfahren zur Errichtung eines neuen Europäischen Betriebsrats und gewährt dem bestehenden EBR durch § 37 Abs. 3 EBRG bis dahin ein Übergangsmandat (vgl. Rz. 24.157). Dadurch soll die Kontinuität der Beteiligungsrechte in der entscheidenden Phase einer Strukturänderung gewahrt werden5. Etwas anderes – kein automatischer Untergang des Europäischen Betriebsrats – soll nur bei einer abweichenden Vereinbarung gelten (§ 37 Abs. 1 Satz 1 EBRG). Der § 37 EBRG gilt unmittelbar nur für den Europäischen Betriebsrat kraft Gesetzes, kraft Verweisung aber zugleich für den Europäischen Betriebsrat kraft Vereinbarung (§ 18 Abs. 2 EBRG) sowie für Altvereinbarungen (§ 41 Abs. 1 EBRG). Vergleichbare Neuverhandlungsvorschriften existieren für den SE-Betriebsrat (§ 18 Abs. 3 SEBG) und den SCE-Betriebsrat (§ 18 Abs. 3 SCEBG).
2. Begriff und Rechtsfolgen der wesentlichen Strukturänderung 24.154
Der deutsche Gesetzgeber hat – anders als der Richtliniengeber – in das EBRG einen (nicht abschließenden6: „insbesondere“) Katalog wesentlicher Strukturänderungen aufgenommen (§ 37 Abs. 1 Satz 2 EBRG). Als wesentliche Strukturänderungen gelten insbesondere der Zusammenschluss (Nr. 1), die Spaltung (Nr. 2) oder die Stilllegung von Unternehmen oder Unternehmensgruppen bzw. deren Verlegung in einen anderen Mitgliedstaat oder Drittstaat
1 Der Stichtag ist im Regelfall der 22.9.1996. Zur Frage, ob auch Vereinbarungen fortgelten, die bis zum 31.10.1996 abgeschlossen wurden, vgl. GK-BetrVG/Oetker, § 41 EBRG Rz. 2 ff. m.w.N. War das EBRG erstmals aufgrund der Berücksichtigung von in Großbritannien belegenden Unternehmen oder Betrieben anwendbar, ist gemäß § 41 Abs. 7 Satz 1 EBRG der 15.12.1999 maßgeblicher Stichtag. 2 Betriebsräte i.S.v. Art. 13 der RL 94/45/EG, vgl. Statistik des Europäischen Gewerkschaftsinstituts, einsehbar unter http://www.ewcdb.eu/stats-and-graphs, zuletzt abgerufen am 3.3.2021. 3 Welche Fassung des EBRG auf diese Vereinbarungen anzuwenden ist, bestimmt sich nach dem Zeitpunkt ihres Abschlusses, vgl. im Einzelnen § 41 Abs. 8 EBRG. 4 Betriebsräte i.S.v. Art. 6 der RL 2009/38/EG, vgl. die Statistik des Europäischen Gewerkschaftsinstituts, einsehbar unter http://www.ewcdb.eu/stats-and-graphs, zuletzt abgerufen am 3.3.2021. 5 BT-Drucks. 17/4808, S. 12. 6 MünchArbR/Grau, § 355 Rz. 110.
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Rechtsfolgen für andere Arbeitnehmervertretungen | Rz. 24.156 § 24
(Nr. 3). Gleiches gilt für die Verlegung oder Stilllegung von Betrieben, soweit sie Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Europäischen Betriebsrats haben können (Nr. 4). Dieser Beispielkatalog ist misslungen. Er greift zu weit. Insbesondere die in den ersten drei Ziffern beschriebenen Restrukturierungen haben oftmals keine Auswirkungen auf die Arbeit des Europäischen Betriebsrats. Um seinen Fortbestand zu ermöglichen, ist der Begriff der wesentlichen Strukturänderung einschränkend auszulegen. Insgesamt ist es sachgerecht, die zusätzliche Voraussetzung der Nr. 4 („Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Europäischen Betriebsrats“) zur zwingenden Voraussetzung aller wesentlichen Strukturänderungen zu erklären1. Darüber hinaus reicht eine bloß hypothetische Auswirkung auf die Zusammensetzung des Europäischen Betriebsrats („haben können“) nicht aus. Die Strukturänderung muss vielmehr die konkrete Zusammensetzung des Europäischen Betriebsrats tatsächlich verändern. Dies ist eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für den Entfall des Europäischen Betriebsrats (vgl. dazu sogleich Rz. 24.156). Zu keinen wesentlichen Strukturänderungen in diesem Sinne führt der Brexit, da er nicht mit einer Änderung von Unternehmensstrukturen in dem o.g. Sinne verbunden ist2. Ob die konkrete Zusammensetzung des Gremiums betroffen ist, bestimmt sich für den Europäischen Betriebsrat kraft Gesetzes nach § 22 Abs. 2 EBRG. Danach wird „pro angebrochener“ 10 % der in einem Mitgliedstaat beschäftigten Arbeitnehmer ein Mitglied aus diesem Mitgliedstaat in den Europäischen Betriebsrat entsandt. Führt die Abspaltung eines Betriebsoder Unternehmensteils z.B. dazu, dass der abgebende Rechtsträger statt 45 % zukünftig nur noch 39 % der gemeinschaftsweit tätigen Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigt, verringert sich die Anzahl der deutschen Mitglieder im Europäischen Betriebsrat von fünf auf vier. Wechseln Arbeitnehmer dagegen nur innerhalb des deutschen Konzernteils – wie in Beispiel 22 (Rz. 24.150) – von einer Tochtergesellschaft zu einer anderen, stellt dies entgegen § 37 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EBRG keine wesentliche Strukturänderung dar. Beim Europäischen Betriebsrat kraft Vereinbarung beurteilt sich die Frage, ob die Zusammensetzung des Gremiums betroffen ist, anhand der zugrundeliegenden Vereinbarung. Gleiches gilt für Altvereinbarungen.
24.155
Die bloße Veränderung in der personellen Zusammensetzung des Europäischen Betriebsrats führt dagegen – ohne gleichzeitige wesentliche Strukturänderung – nicht zum Untergang des Gremiums. Das folgt aus § 32 Abs. 2 EBRG. Danach hat die zentrale Leitung alle zwei Jahre, vom Tage der konstituierenden Sitzung an gerechnet, zu prüfen, ob sich die Arbeitnehmerzahlen in den einzelnen Mitgliedstaaten derart geändert haben, dass sich eine andere Zusammensetzung des Europäischen Betriebsrats nach § 22 Abs. 2 EBRG errechnet. Ist dies der Fall, sind die Mitglieder des Europäischen Betriebsrats in den Mitgliedstaaten neu zu bestellen, in denen sich eine gegenüber dem vorhergehenden Zeitraum abweichende Anzahl der Arbeitnehmervertreter ergibt. Entnimmt man dieser Vorschrift den Grundsatz, dass bloße Veränderungen der Arbeitnehmerzahlen nur die Zusammensetzung, nicht aber das Mandat des Europäischen Betriebsrats beeinflussen sollen, ist nicht ersichtlich, weshalb etwas anderes gelten soll, wenn das Ansteigen oder Absinken der Arbeitnehmeranzahl auf einer Restrukturierungsmaßnahme gemäß § 37 Abs. 2 EBRG beruht3. Sachgerecht erscheint deshalb, zusätzlich – angelehnt an die Rechtslage zum Fortbestand des Betriebsrats (s. dazu Rz. 24.27 ff.) –
24.156
1 Ebenso HWK/Giesen, EBRG Rz. 77; im Ergebnis mittels teleologischer Reduktion auch GKBetrVG/Oetker, § 37 EBRG Rz. 5 f.; s. dazu auch AKRR/Rudolph, § 37 EBRG Rz. 7 ff.; a.A. HaKoBetrVG/Hayen, § 37 EBRG Rz. 4. 2 HWK/Giesen, EBRG Rz. 5a; Wolff, BB 2016, 1784. 3 Gegen eine rein quantitative Betrachtung zu Recht auch AKRR/Rudolph, § 37 EBRG Rz. 10; a.A. GK-BetrVG/Oetker, § 37 EBRG Rz. 6.
Leder/Lunk | 997
§ 24 Rz. 24.156 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
einen Identitätsverlust des Unternehmens bzw. der Unternehmensgruppe zur Annahme einer wesentlichen Strukturänderung zu verlangen. Wann er eintritt, ist eine Wertungsfrage. Das Unternehmen muss sich einem objektiven Betrachter nach der Strukturänderung als „ein anderes“ darstellen. In Beispiel 23 (Rz. 24.151) liegt diese Annahme fern. Zwar erfolgt dort eine Unternehmensspaltung (§ 37 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EBRG), die aufgrund des gesunkenen Anteils an den gemeinschaftsweit tätigen Arbeitnehmern in Deutschland die Zusammensetzung des Europäischen Betriebsrats gemäß § 22 Abs. 2 EBRG beeinflusst (ein Absinken von 50,5 % auf 49,5 % entspricht einem Rückgang von sechs auf fünf Mitgliedern). Allerdings sind von der Spaltung insgesamt nur ca. 1 % aller Arbeitnehmer des Unternehmens betroffen. Ein Identitätsverlust ist nicht gegeben. Der Europäische Betriebsrat besteht fort Lediglich seine Zusammensetzung ist an den nach § 32 Abs. 2 Satz 1 EBRG maßgeblichen Stichtag anzupassen.
24.157
Jeder von einer wesentlichen Strukturänderung betroffene Europäische Betriebsrat hat ein Übergangsmandat bis zur Errichtung eines neuen Europäischen Betriebsrats (§ 37 Abs. 3 Satz 1 EBRG). Das Übergangsmandat beginnt mit Vollzug der wesentlichen Strukturänderung und nicht erst, wie der Wortlaut der Vorschrift jedoch nahelegt, mit Verhandlungsbeginn1. Inhaltlich handelt es sich um ein Vollmandat. Der Europäische Betriebsrat bleibt „im Amt“. Das Übergangsmandat endet entweder mit Errichtung eines neuen Europäischen Betriebsrats2 – und nicht bereits mit Abschluss der Verhandlungen3 – oder wenn das besondere Verhandlungsgremium beschließt, die Verhandlungen zu beenden (§ 15 Abs. 1 EBRG)4. Eine nähere Ausgestaltung des Übergangsmandats kann durch Vereinbarung erfolgen (§ 37 Abs. 3 Satz 2 EBRG).
24.158
Kein Fall des Übergangsmandats nach § 37 EBRG liegt vor, wenn die Geltungsdauer einer Vereinbarung zur Errichtung eines Europäischen Betriebsrats gemäß § 18 oder § 19 EBRG endet.5 In diesem Fall greift vorrangig die in der Vereinbarung enthaltene Übergangsregelung (§ 18 Abs. 1 Nr. 7, § 20 Satz 4 EBRG). Fehlt eine solche, gilt die bestehende Vereinbarung bis zur Errichtung eines neuen Europäischen Betriebsrats fort, vorausgesetzt, vor ihrer Beendigung wurde das Antrags- oder Initiativrecht nach § 9 Abs. 1 EBRG ausgeübt. Andernfalls endet die Vereinbarung mit ihrem Ablauf.
3. Abweichende Vereinbarungen zu wesentlichen Strukturänderungen 24.159
Der automatische Untergang des Europäischen Betriebsrats und die damit verbundene Pflicht, über seine erneute Errichtung zu verhandeln, greift nicht, wenn die zugrundeliegende Vereinbarung bereits Regelungen über die Rechtsfolgen wesentlicher Strukturänderungen enthält. Eine solche Anpassungsklausel ist der Praxis dringend zu empfehlen. Dies gilt nicht nur wegen der mit dem Begriff der „wesentlichen Strukturänderung“ verbundenen Rechtsunsicherheit. Insbesondere bei Altvereinbarungen ist eine solche Anpassungsklausel die einzige Mög-
1 HWK/Giesen, EBRG Rz. 84; GK-BetrVG/Oetker, § 37 EBRG Rz. 11; AKRR/Rudolph, § 37 EBRG Rz. 30. 2 AKRR/Rudolph, § 37 EBRG Rz. 30; MünchArbR/Grau, § 355 Rz. 112. 3 Dafür jedoch HWK/Giesen, EBRG Rz. 84; wie hier GK-BetrVG/Oetker, § 37 EBRG Rz. 11; AKRR/ Rudolph, § 37 EBRG Rz. 30. 4 AKRR/Rudolph, § 37 EBRG Rz. 30; MünchArbR/Grau, § 355 Rz. 112. 5 HWK/Giesen, EBRG Rz. 74.
998 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für andere Arbeitnehmervertretungen | Rz. 24.161 § 24
lichkeit, trotz einer wesentlichen Strukturänderung1 einen Europäischen Betriebsrat zu behalten, der nicht an die Vorschriften des EBRG gebunden ist. Ohne Anpassungsklausel ginge dieses Privileg dagegen verloren; auf den neu zu errichtenden Europäischen Betriebsrat fände das EBRG Anwendung. Bei Altvereinbarungen kann eine solche Regelung auch im Nachhinein, d.h. nach dem maßgeblichen Stichtag, getroffen werden. Dies ergibt sich bereits aus der Verweisung in § 41 EBRG auf § 37 EBRG insgesamt und damit auch auf die Zulässigkeit abweichender Vereinbarungen nach § 37 Abs. 1 Satz 1 EBRG. Eine Anpassungsklausel2 muss weder ausdrücklich als solche bezeichnet werden noch auf § 37 EBRG Bezug nehmen. Es reicht aus, wenn sie die Umstände, die zur Annahme einer wesentlichen Strukturänderung führen, adressiert und ihre Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Europäischen Betriebsrats regelt. Ein Mechanismus zur Bewältigung von Änderungen der Arbeitnehmerzahl durch das Hinzukommen oder Wegfallen von Betrieben oder Unternehmen empfiehlt sich. Ebenfalls sollte eine Kollisionsregel für den Zusammenschluss mehrerer Unternehmen(-sgruppen), die jeweils über eigene Europäische Betriebsräte verfügen, vorgesehen werden. In dieser Fallkonstellation genügen bloße, parallele Anpassungsklauseln in den jeweiligen Vereinbarungen nicht, sofern diese nicht zugleich regeln, welcher der beiden Vereinbarungen der Vorzug gebühren soll. Hierfür kann bspw. an die Arbeitnehmerzahl in den EU/EWG Mitgliedstaaten angeknüpft und bestimmt werden, dass dasjenige Gremium, welches gemeinschaftsweit die meisten Arbeitnehmer repräsentiert, nach dem Zusammenschluss fortbestehen soll.
24.160
4. Veränderungen der personellen Zusammensetzung Der Europäische Betriebsrat ist eine Dauereinrichtung ohne feste Amtszeit3. Das Ausscheiden einzelner Mitglieder hat damit auf seinen Bestand keine Auswirkung. Endet das Arbeitsverhältnis eines Europäischen Betriebsratsmitglieds mit dem Unternehmen, für welches es in den Europäischen Betriebsrat entsandt worden ist, scheidet es automatisch aus einem kraft Gesetzes gebildeten Europäischen Betriebsrat aus4. Gleiches gilt bei Unternehmensgruppen, wenn das Betriebsratsmitglied die Unternehmensgruppe verlässt. Das folgt aus § 22 Abs. 1 Satz 1 EBRG. Danach können nur unternehmens(gruppen)-angehörige Arbeitnehmer Mitglied im Europäischen Betriebsrat sein. Wurde für das ausscheidende Mitglied ein Ersatzmitglied bestellt, rückt dieses nach. Andernfalls ist ein neues Mitglied gemäß § 23 EBRG zu bestellen. Auf das Amt des Europäischen Betriebsrats an sich hat die personelle Veränderung keine Auswirkungen. Bei einem Europäischen Betriebsrat kraft Vereinbarung bzw. bei einer Altvereinbarung kann frei geregelt werden, ob das Ende des Arbeitsverhältnisses zum automatischen Ausscheiden führen soll. Zwingend ist das nicht: Beiden Gremien können auch unternehmens(gruppen)-fremde Personen angehören. Fehlt es an einer expliziten Regelung, wird allerdings auch in diesen Fällen im Zweifel anzunehmen sein, dass ein Gleichlauf von Arbeitsverhältnis und Mitgliedschaft im Europäischen Betriebsrat gewollt war.
1 Zur Frage, ob der Brexit zu einer solchen wesentlichen Strukturänderung führen könnte, vgl. HWK/Giesen, EBRG Rz. 5a; Wolff, BB 2016, 1784. 2 Dazu MünchArbR/Grau, § 355 Rz. 106 ff. 3 Fitting, BetrVG, EBRG Rz. 76; GK-BetrVG/Oetker, § 32 EBRG Rz. 2; MünchArbR/Grau, § 356 Rz. 72; AKRR/Kühn, § 32 EBRG Rz. 1. 4 Fitting, BetrVG, EBRG Rz. 76; AKRR/Kühn, § 32 EBRG Rz. 6; a.A. HWK/Giesen, EBRG Rz. 102.
Leder/Lunk | 999
24.161
§ 24 Rz. 24.162 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
24.162
Verlangt man, dass die Mitglieder des Europäischen Betriebsrats kraft Gesetzes überdies ihrem nach § 23 EBRG zu bestimmenden Bestellungsorgan angehören1, führt das Ausscheiden aus dem (Gesamt-, Konzern-) Betriebsrat ebenfalls zur Beendigung ihrer Mitgliedschaft im Europäischen Betriebsrat.
5. Nachträglicher Wegfall der Anwendungsvoraussetzungen des EBRG 24.163
Entfallen die Anwendungsvoraussetzungen des EBRG im Nachhinein, erlischt ein Europäischer Betriebsrat kraft Gesetzes automatisch2. Auf das Vorliegen einer wesentlichen Strukturänderung i.S.d. § 37 EBRG kommt es nicht an. Das ist insbesondere der Fall, wenn das Unternehmen oder die Unternehmensgruppe nicht mehr gemeinschaftsweit tätig ist (§ 3 EBRG). Das Gleiche gilt, wenn das herrschende Unternehmen seinen herrschenden Einfluss verliert. Nach einer Gegenauffassung ist dagegen § 32 Abs. 2 EBRG analog anzuwenden3. Die Vorschrift bezwecke eine „gebündelte“ Überprüfung der maßgeblichen Arbeitnehmerzahlen durch die zentrale Leitung in einem vorgegebenen Zweijahresturnus. Diese Überprüfung solle sich über den Wortlaut der Norm hinaus nicht nur auf die Zusammensetzung des Europäischen Betriebsrats gemäß § 22 Abs. 2 EBRG, sondern wegen der aufwendigen Bildung des Europäischen Betriebsrats auch auf dessen Errichtungsvoraussetzungen gemäß § 3 Abs. 1 EBRG beziehen. Diese Auffassung ist abzulehnen. Zwar spricht nichts dagegen, wenn die zentrale Leitung in ihrem Zweijahresturnus neben der ordnungsgemäßen Zusammensetzung des Europäischen Betriebsrats gemäß § 22 Abs. 2 EBRG auch dessen Errichtungsvoraussetzungen überprüft4. Hiervon kann die Existenz des Europäischen Betriebsrats jedoch nicht abhängen. Diese ist vielmehr nach der gesetzlichen Konzeption des EBRG an die Errichtungsvoraussetzungen nach § 3 Abs. 1 EBRG gekoppelt. Für einen Europäischen Betriebsrat ohne Vorliegen der maßgeblichen Errichtungsvoraussetzungen besteht auch dann kein Bedürfnis, wenn die Schwellenwerte erst- oder einmalig unterschritten werden5. Davon zu trennen ist, welche Folgen eine unterlassene Unterrichtung und Anhörung bezüglich solcher Maßnahmen hat, die zum Wegfall der Anwendungsvoraussetzungen des EBRG führen. In diesem Fall besteht der Europäische Betriebsrat solange fort, bis er seine Beteiligungsrechte wahrnehmen kann6.
24.164
Bei einem Europäischen Betriebsrat kraft Vereinbarung oder beim Bestehen einer Altvereinbarung erscheint dagegen die Annahme eines fristlosen Sonderkündigungsrechts der zentralen Leitung vorzugswürdig7. Damit wird der freiwilligen Errichtung des Europäischen Betriebsrats besser Rechnung getragen und den Parteien ermöglicht, diesen fortbestehen zu lassen. Ein Übergangsmandat nach § 37 Abs. 3 Satz 1 EBRG (analog) existiert in diesem Fall nicht8.
1 Dafür: GK-BetrVG/Oetker, § 22 EBRG Rz. 6; MünchArbR/Grau, § 356 Rz. 72; dagegen: DKW/ Bachner, § 22 EBRG Rz. 1; AKRR/Kühn, § 32 EBRG Rz. 9. 2 Fitting, BetrVG, EBRG Rz. 79; HWK/Giesen, EBRG Rz. 118; GK-BetrVG/Oetker, § 32 EBRG Rz. 2. 3 WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 248. 4 Vgl. HaKo-BetrVG/ Kunz, § 32 EBRG Rz. 3. 5 A.A. WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 248. 6 HWK/Giesen, EBRG Rz. 118. 7 Ebenso HWK/Giesen, EBRG Rz. 86. 8 HWK/Giesen, EBRG Rz. 118.
1000 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für andere Arbeitnehmervertretungen | Rz. 24.166 § 24
V. Der SE Betriebsrat Die Europäische Gesellschaft (Societas Europaea, SE) existiert auf europäischer Ebene seit dem Jahre 20011, seit 2004 ist sie im deutschen Recht verankert2. Die SE ist eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, deren Kapital in Aktien ausgegeben ist. Sie muss in mindestens zwei Mitgliedstaaten tätig sein. Die Beteiligung ihrer Arbeitnehmer an Unternehmensentscheidungen sichert das SE-Beteiligungsgesetz (SEBG). Es regelt – anders als das BetrVG oder das EBRG – die Mitbestimmung nicht auf Betriebs-, sondern zugleich auf Unternehmensebene. Es gilt ebenso wie beim EBR das Primat der Verhandlungslösung. Über die Beteiligung der Arbeitnehmer soll vorrangig eine Vereinbarung abgeschlossen werden (§ 21 SEBG). Kommt es dazu nicht, wird ein SE-Betriebsrat kraft Gesetzes etabliert (§§ 22–33 SEBG); die Parteien können seine Errichtung aber auch von vornherein vereinbaren (§ 22 Abs. 1 Nr. 1 SEBG). Der SE-Betriebsrat kraft Vereinbarung ist – vergleichbar mit dem Europäischen Betriebsrat – in zwei Varianten denkbar: Einerseits als zentraler SE-Betriebsrat (§ 21 Abs. 1 SEBG), andererseits als dezentrales Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung (§ 21 Abs. 2 SEBG)3. Im März 2021 existierten in Deutschland insgesamt 180 solcher SE-Betriebsräte4.
24.165
1. Auswirkungen von Strukturänderungen auf das reguläre Mandat Sind strukturelle Änderungen der SE geplant, die geeignet sind, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern, findet auf Veranlassung der Leitung der SE oder des SE-Betriebsrats die Wiederaufnahme von Verhandlungen über die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer der SE statt (§ 18 Abs. 3 SEBG). Für die Dauer der Verhandlungen bleibt der bisherige SE-Betriebsrat im Amt. Werden Verhandlungen aufgenommen, aber keine Einigung erzielt, wird ein SE-Betriebsrat kraft Gesetzes errichtet bzw. dieser – falls ein solcher schon vor der strukturellen Änderung bestand – an die neuen Gegebenheiten angepasst5. Ergreift dagegen keine Seite, d.h. weder die Leitung noch der SE-Betriebsrat, die Initiative zu Verhandlungen, bleibt der SE-Betriebsrat in seiner bisherigen Form bestehen6.
1 VO (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft, ABl. Nr. L 294 S. 1 und RL 2001/86/EG des Rates vom 8.10.2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABl. Nr. L 294 S. 22. 2 Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SE-Beteiligungsgesetz – SEBG) v. 22.12.2004, BGBl. I 2004, S. 3675 und Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (SE-Ausführungsgesetz – SEAG), BGBl. I 2004, S. 3675. 3 Dazu näher Thüsing/Forst, Konzern 2010, 1, 11. 4 Statistik des Europäischen Gewerkschaftsinstituts, einsehbar unter http://www.ewcdb.eu/stats-andgraphs, zuletzt abgerufen am 3.3.2021. 5 AKRR/Rudolph, § 18 SEBG Rz. 30; HWK/Hohenstatt/Dzida, SEBG Rz. 33 („sinnvoll“); MünchKommAktG/Jacobs, § 18 SEBG Rz. 24. 6 AKRR/Rudolph, § 18 SEBG Rz. 26; Lutter/Hommelhoff/Teichmann/Oetker, § 18 SEGB Rz. 28; MünchKommAktG/Jacobs, § 18 SEBG Rz. 21; Habersack/Henssler/Henssler, § 18 SEBG Rz. 24.
Leder/Lunk | 1001
24.166
§ 24 Rz. 24.167 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
24.167
Eine Definition der strukturellen Änderung enthält weder das SEBG noch die zugrundeliegende Richtlinie. Dieser Begriff ist eng auszulegen1. Das folgt aus der Gleichstellung der strukturellen Änderung mit der Neugründung einer SE in § 1 Abs. 4 SEBG. Der Gesetzgeber möchte damit einer Umgehung der grundsätzlich auf den Gründungszeitpunkt bezogenen Errichtungsvorschriften des SE-Betriebsrats durch nachfolgende strukturelle Änderungen vorbeugen. Der § 18 Abs. 3 SEBG ist damit eine Ausprägung des in § 43 Satz 1 SEBG normierten Missbrauchsverbots2. Deshalb werden überwiegend Änderungen, die mit einer Neugründung vergleichbar sind, als erfasst angesehen („gründungsähnlicher Charakter“)3. Dies wird zumeist nur bei korporativen Akten4 bejaht – also etwa bei der Verschmelzung eines Unternehmens auf die SE. Die bloße Änderung der Arbeitnehmerzahlen reicht damit nicht zur Annahme einer strukturellen Änderung aus5. Gleiches gilt für Änderungen auf Betriebs- statt Unternehmensebene6. Angesichts der vom Gesetz vorgegebenen Gleichstellung einer strukturellen Änderung mit einer Neugründung in § 1 Abs. 4 SEBG einerseits und der mit erheblichen Belastungen verbundenen Rechtsfolge des § 18 Abs. 3 SEBG andererseits käme eine solche extensive Auslegung allenfalls in seltenen Ausnahmefällen in Betracht7.
24.168
Die strukturelle Änderung muss darüber hinaus geeignet sein, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern. Beteiligungsrechte sind nach § 2 Abs. 9 SEBG alle Rechte, die den Arbeitnehmern und ihren Vertretern im Bereich der Unterrichtung, Anhörung, Mitbestimmung und der sonstigen Beteiligung zustehen. Den Arbeitnehmern müssen nach der strukturellen Änderung weniger derartige Rechte als vor der Umstrukturierung zustehen. Eine relevante Minderung von Beteiligungsrechten kann zudem bei Arbeitnehmern außerhalb der SE – etwa bei den „neu hinzukommenden“ Arbeitnehmern – eintreten8, etwa wenn ein mitbestimmtes Unternehmen auf eine mitbestimmungsfreie SE verschmolzen wird9.
1 So die h.L. vgl. etwa KK/Feuerborn, § 18 SEBG Rz. 20; MünchKommAktG/Jacobs, § 18 SEBG Rz. 12; Feldhaus/Vanscheidt, BB 2008, 2246, 2247; MünchArbR/Grau, § 357 Rz. 159; a.A. Lutter/Hommelhoff/Teichmann/Oetker, § 18 SEBG Rz. 16 und 21, der ein „extensives Verständnis“ und eine Orientierung an § 37 Abs. 1 Satz 2 EBRG befürwortet. 2 MünchKommAktG/Jacobs, § 18 SEBG Rz. 8; s.a. Nagel, NZG 2004, 833, 839 und KK/Feuerborn, § 18 SEBG Rz. 16. 3 AKRR/Rudolph, § 18 SEBG Rz. 10; MünchKommAktG/Jacobs, § 18 SEBG Rz. 12; KK/Feuerborn, § 18 SEBG Rz. 24; Habersack/Henssler/Henssler, § 18 SEBG Rz. 8 f. 4 AKRR/Rudolph, § 18 SEBG Rz. 10; MünchKommAktG/Jacobs, § 18 SEBG Rz. 12; HWK/Hohenstatt/Dzida, SEBG Rz. 32; Habersack/Henssler/Henssler, § 18 SEBG Rz. 9; Rieble, BB 2006, 2018, 2022; a.A. Lutter/Hommelhoff/Teichmann/Oetker, § 18 SEBG Rz. 17; KK/Feuerborn, § 18 SEBG Rz. 26. 5 Etwa KK/Feuerborn, § 18 SEBG Rz. 23; in diese Richtung auch Krause, BB 2005, 1221, 1227; a.A. wohl Lutter/Hommelhoff/Teichmann/Oetker, § 18 SEBG Rz. 17. 6 AKRR/Rudolph, § 18 SEBG Rz. 10; Habersack/Henssler/Henssler, § 18 SEBG Rz. 18; a.A. Lutter/ Hommelhoff/Teichmann/Oetker, § 18 SEGB Rz. 17; KK/Feuerborn, § 18 SEBG Rz. 26 f. 7 AKRR/Rudolph, § 18 SEBG Rz. 10; Habersack/Henssler/Henssler, § 18 SEBG Rz. 8. 8 Lutter/Hommelhoff/Teichmann/Oetker, § 18 SEBG Rz. 20; KK/Feuerborn, § 18 SEBG Rz. 30. 9 AKRR/Rudolph, § 18 SEBG Rz. 16; MünchKommAktG/Jacobs, § 18 SEBG Rz. 16 ff. jeweils mit weiteren Beispielsfällen.
1002 | Leder/Lunk
Rechtsfolgen für andere Arbeitnehmervertretungen | Rz. 24.171 § 24
2. Veränderungen der personellen Zusammensetzung Der SE-Betriebsrat ist eine Dauereinrichtung1. Die Mitgliedschaft im SE-Betriebsrat kraft Gesetzes ist auf vier Jahre begrenzt, § 23 Abs. 1 Satz 6 SEBG. Sie endet vorzeitig mit Niederlegung oder Abberufung. Da Mitglieder des SE-Betriebsrats kraft Gesetzes nur Arbeitnehmer der SE oder ihrer Tochtergesellschaften bzw. Gewerkschaftsvertreter sein können, § 23 Abs. 1 Satz 2 SEBG, führt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ebenfalls zum Ausscheiden aus dem Gremium2. Die Leitung der SE hat darüber hinaus alle zwei Jahre zu prüfen, ob eine Veränderung der Arbeitnehmerzahlen in den einzelnen Mitgliedstaaten eine andere Zusammensetzung des SE-Betriebsrats erforderlich macht, § 25 Satz 1 SEBG.
24.169
VI. Der SCE-Betriebsrat Neben der SE existiert die Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea, SCE), eingeführt durch die VO 1435/2003/EG3. Die Arbeitnehmerbeteiligung, die auch die Gründung von Betriebsräten vorsieht, ist in der RL 2003/72/EG angelegt. Deutschland schuf die Grundlage der SCE und damit die deren Betriebsrats im Jahr 2006 durch die Einführung von SCEAG und SCEBG4. In Deutschland existiert aktuell nur ein SCE-Betriebsrat.5 Ihre praktische Relevanz ist somit bislang äußerst gering. Das SCEBG entspricht weitgehend dem SEBG6: Es gilt das Primat der Verhandlungslösung, §§ 11 ff. i.V.m. § 21 SCEBG; der SCEBetriebsrat kraft Vereinbarung ist entweder als zentrales Gremium (§ 21 Abs. 1 SCEBG) oder im Wege eines dezentralen Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung errichtbar (§ 21 Abs. 2 SCEBG). Zum SCE-Betriebsrat kraft Gesetzes kommt es nur, wenn die Verhandlungslösung scheitert oder die Parteien einen Betriebsrat kraft Gesetzes vereinbaren (§ 22 Abs. 1 SECBG). Auch bei der SCE lösen geplante strukturelle Änderungen, die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer mindern könnten, auf Veranlassung entweder von Leitung der SCE oder SCE-Betriebsrats die Wiederaufnahme von Verhandlungen über die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer aus, § 18 Abs. 3 SCEBG. Die Regelung entspricht wortgleich § 18 Abs. 3 SEBG, weshalb auf die hierzu gemachten Ausführungen verwiesen wird (vgl. Rz. 24.166 f.).
24.170
VII. Besonderheiten beim Fortbestand als gemeinsamer Betrieb Beispiel 24: Die A-AG und die Z-GmbH haben zwei gemeinsame Betriebe in München und Nürnberg. Dort sind jeweils Betriebsräte gewählt. Der Nürnberger Betriebsrat fragt, ob und wo ein Gesamtbetriebsrat errichtet werden müsse und wie sich dieser zusammensetzt.
1 2 3 4
MünchArbR/Grau, § 357 Rz. 178. AKRR/Kühn, § 23 SEBG Rz. 16. Ausführlich zur SCE siehe Lutter/Bayer/Schmidt, § 42 sowie Geschwandtner, § 13 Rz. 9 ff. Bt.-Drs. 16/1025; näher AKRR/Kühn/Rupp, Vorbemerkung SCEBG Rz. 6; Lutter/Bayer/Schmidt, § 42 Rz. 4; Geschwandtner, § 13 Rz. 5. 5 Statistik des Europäischen Gewerkschaftsinstituts, einsehbar unter http://www.ewcdb.eu/stats-andgraphs, zuletzt abgerufen am 3.3.2021 6 Zu den konkreten Unterschieden hinsichtlich der Arbeitnehmerbeteiligung Lutter/Bayer/Schmidt, § 42 Rz. 114.
Leder/Lunk | 1003
24.171
§ 24 Rz. 24.171 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
24.172
A-AG
Z-GmbH
München
Nürnberg
BR
BR
Wird nur ein Betriebsteil übertragen, ohne dass die betriebliche Organisation wesentlich geändert wird, besteht der bisherige Betrieb im Zweifel als gemeinsamer Betrieb der beteiligten Rechtsträger fort (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG). Damit ist auch von einem Fortbestand der Mitgliedschaft des aus diesem Betrieb in die unternehmens- und konzernbezogenen Arbeitnehmervertretungsorgane entsandten Mitarbeiters auszugehen. Ausgangspunkt ist zunächst der Grundsatz, dass auch ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen bei der Bildung und Zusammensetzung eines Gesamt-1 oder Konzernbetriebsrats2 und des Wirtschaftsausschusses3 zu berücksichtigen ist. Ein Gesamtbetriebsrat kann allerdings selbst dann nicht unternehmensübergreifend errichtet werden, wenn die verschiedenen Trägerunternehmen – wie im Beispiel 24 (Rz. 24.171) – ausschließlich Gemeinschaftsbetriebe unterhalten4. Die Betriebsräte der Gemeinschaftsbetriebe in München und Nürnberg müssen vielmehr Mitglieder in die jeweils bei der A-AG und Z-GmbH zu errichtenden Gesamtbetriebsräte entsenden (§ 47 Abs. 9 BetrVG)5. Ob der Betriebsrat des Gemeinschaftsbetriebs nur solche Mitglieder in den Gesamtbetriebsrat des jeweiligen Trägerunternehmens entsenden darf, die mit dem Trägerunternehmen in einem Arbeitsverhältnis stehen, ist umstritten6. Nach unserer Ansicht ist das zu verneinen. Das Gesetz enthält für eine solche Einschränkung keinen Anhaltspunkt. Betriebsratsmitglieder des Münchener Betriebs, die bei der A-AG angestellt sind, dürfen somit auch in den bei der Z-GmbH gebildeten Gesamtbetriebsrat entsendet werden. 1 Vgl. § 47 Abs. 9 BetrVG. S.a. Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 264; Herrmann, Gemeinsamer Betrieb, S. 138 ff., 143 f.; HWK/Gaul, § 1 BetrVG Rz. 26; ErfK/Koch, § 1 BetrVG Rz. 16 und § 47 BetrVG Rz. 5. 2 Vgl. § 55 Abs. 4 Satz 2 BetrVG i.V.m. § 47 Abs. 9 BetrVG analog. S. auch Herrmann, Gemeinsamer Betrieb, S. 154; HWK/Gaul, § 1 BetrVG Rz. 26. 3 Däubler, FS Zeuner, 1994, S. 19, 29. 4 BAG v. 17.3.2010 – 7 AZR 706/08, AP Nr. 18 zu § 47 BetrVG Rz. 18 = ArbRB 2010, 242 (Grimm). 5 Vgl. dazu BAG v. 17.3.2010 – 7 AZR 706/08, AP Nr. 18 zu § 47 BetrVG Rz. 18 = ArbRB 2010, 242 (Grimm); BAG v. 13.2.2007 – 1 AZR 184/06, NZA 2007, 825 Rz. 19 = ArbRB 2007, 200 (Lunk); Fitting, § 47 BetrVG Rz. 80; ErfK/Koch, § 47 BetrVG Rz. 5. 6 Dafür Richardi/Annuß, § 47 BetrVG Rz. 77; Hoffmann/Alles, NZA 2014, 757, 758. Dagegen: Fitting, § 47 BetrVG Rz. 80; GK-BetrVG/Kreutz/Franzen, § 47 Rz. 114.
1004 | Leder/Lunk
Besonderheiten für Arbeitnehmervertretungen gemäß § 3 BetrVG | Rz. 24.175 § 24
Diese Bewertung wird man auf den Konzern-, Gesamt- oder Unternehmenssprecherausschuss1, die Gesamt- und Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung nach §§ 72 ff. BetrVG2 sowie die Gesamt- oder Konzernschwerbehindertenvertretung nach § 180 SGB IX übertragen müssen. Dies legt bereits § 170 Abs. 1 Satz 2 SGB IX nahe, wonach sich der Begriff des Betriebs i.S.d. SGB IX nach dem des BetrVG bestimmt. Solange der Rechtsträger, dem der Betrieb bislang allein zugeordnet war, an dem gemeinsamen Betrieb beteiligt ist, besteht die unternehmens- bzw. konzernbezogene Arbeitnehmervertretung in unveränderter Form fort. Auch das Mandat der Mitglieder der Arbeitnehmervertretung besteht fort. Dies gilt selbst dann, wenn das Arbeitsverhältnis mit dem betroffenen Mitglied gemäß § 613a BGB, § 324 UmwG auf einen anderen Rechtsträger übertragen wird. Denn die Bildung und Zusammensetzung der Arbeitnehmervertretung hängt wegen der unternehmensübergreifenden Bildung eines Betriebs ausnahmsweise nicht von der arbeitsvertraglichen Bindung der Mitglieder des jeweiligen Vertretungsorgans ab.
24.173
Diese Konsequenz der Bildung eines gemeinsamen Betriebs im Anschluss an Umstrukturierungen ist unternehmens- und mitarbeiterbezogen problematisch, wenn man die unterschiedlichen Interessen der beteiligten Unternehmen bedenkt, mit denen über den Betriebsrat des gemeinsamen Betriebs im Gesamt- oder Konzernbetriebsrat auch Arbeitnehmer des jeweils anderen Unternehmens betroffen sind. Bedeutsam im Hinblick auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse wird dies insbesondere, wenn Konkurrenzunternehmen an dem Übertragungsvorgang beteiligt sind. Mit Schaffung des § 47 Abs. 9 BetrVG brachte der Gesetzgeber jedoch zum Ausdruck, diese potenzielle Konfliktsituation sei hinzunehmen. Danach können abweichende Regelungen zu den Stimmrechten nur durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung festgelegt werden. Eine darüber hinausgehende Verpflichtung, aus einem Gemeinschaftsbetrieb nur die auch arbeitsvertraglich dem betreffenden Unternehmen zuzuordnenden Arbeitnehmer in die den einzelnen Unternehmen bzw. Konzernen zugeordneten Vertretungsorgane zu entsenden, lässt sich – zumal die Entscheidungen dieser Rechtsträger Auswirkungen auf alle Arbeitnehmer besitzen können3 – auch aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG nicht begründen.
24.174
C. Besonderheiten für Arbeitnehmervertretungen gemäß § 3 BetrVG Nach § 3 BetrVG dürfen unter den dort genannten Voraussetzungen Arbeitnehmervertretungen gebildet werden, die vom Grundtypus des BetrVG – Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat, Konzernbetriebsrat – abweichen4. Die Vorschrift gestattet zunächst die Bildung alternativer Vertretungsformen5. Der § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bietet insoweit zwei Gestaltungsvarianten: Er ermöglicht Unternehmen mit mehreren Betrieben zum einen die Errichtung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats. Die Wahl eines gemeinsamen Betriebsrats kann zum anderen auch auf bestimmte Betriebe beschränkt werden (sog. Zusammenfassung von Betrieben).
1 Für den Gesamtsprecherausschuss ebenso WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 207; offen HWK/Annuß, § 19 SprAuG Rz. 2 („zweifelhaft“). 2 Vgl. § 72 Abs. 8 BetrVG sowie § 73a Abs. 4 BetrVG. S.a. GK-BetrVG/Oetker, § 72 Rz. 22. 3 Zutreffend Däubler, FS Zeuner, 1994, S. 19, 29. 4 Dazu etwa Gaul/Mückl, NZA 2011, 657; WHSS/Hohenstatt, D Rz. 152 ff.; Fitting, § 3 BetrVG Rz. 2, 12; Richardi/Richardi, § 3 BetrVG Rz. 15 ff. 5 Zu der Diskussion, ob die Arbeitnehmervertretungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1–3 BetrVG neben den gesetzlichen Betriebsräten errichtet werden können, vgl. etwa Fitting, § 3 BetrVG Rz. 52.
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24.175
§ 24 Rz. 24.175 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
Letzteres kann für Filialunternehmen sinnvoll sein. Die Arbeitnehmervertretung kann dort über Regionalbetriebsräte organisiert werden. Als gemeinsame Voraussetzung muss die neue Struktur in beiden Fällen die Bildung von Betriebsräten erleichtern oder der sachgerechten Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen dienen. Unternehmensübergreifende Repräsentationseinheiten sind nach dieser Bestimmung dagegen nicht möglich1. Gleiches gilt für die Aufteilung von Betrieben. Die Wahl eines Betriebsrats für nur einen Teil eines Betriebs ist nach dieser Vorschrift deshalb unzulässig2.
24.176
Der § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG bietet mehr Flexibilität, indem er Spartenbetriebsräte ermöglicht. Unter einer Sparte versteht das Gesetz einen produkt- oder projektbezogenen Geschäftsbereich. Ist ein Betrieb nach solchen Sparten organisiert, dürfen unter den in Nr. 2 genannten Voraussetzungen eigenständige Betriebsräte gewählt werden. Das kann betriebs-, unternehmens- oder konzernbezogen erfolgen3. Im ersten Fall wird ein Betrieb entsprechend den Sparten in Organisationseinheiten gegliedert, für die jeweils ein eigenständiger Betriebsrat gewählt wird. Aus einem größeren einheitlichen Betrieb werden damit mehrere kleinere selbständige Betriebe. Die einzelnen Spartenbetriebsräte müssen einen Gesamtbetriebsrat bilden, sofern ein solcher bis dato nicht bestanden hat4. Die Errichtung von Sparten ist jedoch nicht auf den Betrieb beschränkt. Sparten können ebenfalls betriebs- oder sogar unternehmensübergreifend zu einem Betrieb zusammengeschlossen werden. Dies führt zur Entstehung von betriebsbzw. unternehmensübergreifenden Spartenbetriebsräten. Die Errichtung von speziellen (ggf. unternehmensüberschreitenden) Spartengesamtbetriebsräten ist im Grundsatz zulässig, die genauen Grenzen sind aber nicht abschließend geklärt5. Die Bildung eines Konzern-Spartenbetriebsrats, d.h. mehrerer nebeneinander bestehender Konzernbetriebsräte bzw. eines Konzernbetriebsrats für nur einen Teil des Konzerns, ist dagegen unzulässig6, weil nach der gesetzlichen Konzeption des § 54 Abs. 1 BetrVG für einen Konzern nur ein Konzernbetriebsrat gebildet werden kann.
24.177
Die Vereinbarung „anderer Arbeitnehmervertretungsstrukturen“ ist in Nr. 3 vorgesehen. Als Beispiele werden in der Gesetzesbegründung z.B. die Just-in-Time Produktionskette und das Shop-in-Shop Konzept genannt7. Außerdem soll in kleineren Konzernen anstelle einer dreistufigen eine zwei- oder einstufige Arbeitnehmervertretungsstruktur möglich sein8. Die vereinbarte Struktur muss jedoch stets einen Bezug zu den organisatorischen, kooperativen oder ähnlichen Rahmenbedingungen der betreffenden Unternehmen aufweisen9 und besser zur Vertretung der Arbeitnehmerinteressen geeignet sein als die gesetzliche Struktur10. Zwar können durch die Vereinbarung auch solche Interessenvertretungen etabliert werden, die sich – ähnlich dem Gesamtbetriebsrat – aus den jeweils gewählten Repräsentationseinheiten zu1 BAG v. 13.3.2013 – 7 ABR 70/11, NZA 2013, 738, 742 Rz. 35 = ArbRB 2013, 173 (Braun); s.a. BAG v. 10.11.2004 – 7 ABR 17/04, AP BetrVG 1972 § 3 Nr. 4. 2 Fitting, § 3 BetrVG Rz. 36. 3 HWK/Gaul, § 3 BetrVG Rz. 11; Fitting, § 3 BetrVG Rz. 37. 4 Fitting, § 3 BetrVG Rz. 45. 5 BAG v. 16.5.2007 – 7 AZN 34/07, BeckRS 2011, 69152 (im Ergebnis zulässig); s.a. BAG v. 17.4.2012 – 1 ABR 84/10, NZA 2013, 230 Rz. 11; a.A. Fitting, § 3 BetrVG Rz. 45; Richardi/Richardi, § 3 BetrVG Rz. 30; DKW/Trümner, § 3 BetrVG Rz. 80. 6 BAG v. 9.2.2011 – 7 ABR 11/10, NZA 2011, 866 Rz. 36 = ArbRB 2011, 268 (Grimm/Strauf); Fitting, § 3 BetrVG Rz. 45. 7 BT-Drucks. 14/5741, S. 34. 8 BT-Drucks. 14/5741, S. 34. 9 BAG v. 13.3.2013 – 7 ABR 70/11, NZA 2013, 738 Rz. 43 = ArbRB 2013, 173 (Braun). 10 BAG v. 13.3.2013 – 7 ABR 70/11, NZA 2013, 738 Rz. 38 = ArbRB 2013, 173 (Braun).
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Besonderheiten für Arbeitnehmervertretungen gemäß § 3 BetrVG | Rz. 24.180 § 24
sammensetzen. Einem solchen nicht direkt gewählten Gremium dürfen durch die tarifliche Vereinbarung jedoch keine Zuständigkeiten für die Ausübung der Beteiligungsrechte übertragen werden1. Der § 3 BetrVG schafft darüber hinaus die Möglichkeit zur Errichtung zusätzlicher Gremien und Vertretungen. Arbeitsgemeinschaften, die der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit von Arbeitnehmervertretungen dienen, können nach Nr. 4 etabliert werden. Die Nr. 5 sieht die Bildung zusätzlicher betriebsverfassungsrechtlicher Vertretungen vor, wenn diese die Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Arbeitnehmern erleichtern. Im Gegensatz zu Nr. 4 ermöglicht Nr. 5 echte Vertretungsorgane der Arbeitnehmer. Die Gestaltungsoptionen nach Nrn. 4 und 5 bleiben im Folgenden außer Betracht.
24.178
I. Wechsel von den gesetzlichen Strukturen auf solche nach § 3 BetrVG Die nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG vereinbarten Betriebsratsstrukturen werden im Regelfall erstmals bei der nächsten regulären Betriebsratswahl eingeführt (§ 3 Abs. 4 Satz 1 BetrVG). Abweichendes kann allerdings im zugrundeliegenden Tarifvertrag bzw. in der betreffenden Betriebsvereinbarung geregelt werden. Mit der Errichtung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats (Nr. 1a) endet das Amt der bis dato in dem Unternehmen bestehenden Einzelbetriebsräte. Ein Übergangsmandat nach § 21a BetrVG steht den ehemaligen Betriebsräten nicht zu. Die Voraussetzungen der Vorschrift liegen nicht vor. Insbesondere fehlt es an einer Zusammenfassung von Betrieben i.S.d. § 21a Abs. 2 BetrVG. Denn allein durch die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats ändert sich nicht die betriebsverfassungsrechtliche Identität der einzelnen Betriebe2. Die zusammengeschlossenen Betriebe bleiben daher als organisatorisch getrennte Teileinheiten der geschaffenen größeren Organisationseinheit bestehen3. Auch wenn die Betriebe nach der ersten Betriebsratswahl in der neuen Einheit keine eigenständigen Arbeitnehmervertretungen mehr haben, behalten sie regelmäßig ihre Leitungs- und Organisationsstruktur bei. Für ein Übergangsmandat besteht auch dann kein Bedürfnis. Der neu errichtete unternehmenseinheitliche Betriebsrat vertritt die bisher von den lokalen Betriebsräten repräsentierten Arbeitnehmer4. Ein vormals in dem Unternehmen bestehender Gesamtbetriebsrat verliert mit der Errichtung des unternehmenseinheitlichen Betriebsrats ebenfalls sein Amt, weil in dem Unternehmen fortan nur noch ein einziger Betriebsrat besteht5.
24.179
Für die Zusammenfassung von Betrieben gilt das Gesagte entsprechend. Allerdings führt diese Struktur nicht notwendig zum Erlöschen des Gesamtbetriebsrats. Solange in dem Unternehmen noch mindestens zwei Betriebe bestehen, bleibt dieser – wenn auch in geänderter Zusammensetzung – im Amt. Geht man davon aus, dass Spartenbetriebsräte notwendigerweise
24.180
1 BAG v. 18.11.2014 – 1 ABR 21/13, NZA 2015, 694 Rz. 16 ff. = ArbRB 2015, 139 (Mues). 2 HWK/Gaul, § 3 BetrVG Rz. 8; DKW/Trümner, § 3 BetrVG Rz. 190; Fitting, § 3 BetrVG Rz. 33; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 190; Ludwig/Glau, BB 2019, 309, 310. 3 BAG v. 7.6.2011 – 1 ABR 110/09, NZA 2012, 110 Rz. 14 = ArbRB 2011, 370 (Müller-Mundt); BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 3/07, NZA 2008, 1259 Rz. 24 = ArbRB 2008, 336 (Oetter). 4 Zum Aspekt der Funktionsnachfolge vgl. BAG v. 24.8.2011 – 7 ABR 8/10, NZA 2012, 223 Rz. 15 = ArbRB 2012, 79 (Lunk); BAG v. 8.12.2010 – 7 ABR 69/09, NZA 2011, 362; LAG Köln v. 31.1.2020 – 9 TaBV 1/19, BeckRS 2020, 10700 Rz. 42. 5 Fitting, § 3 BetrVG Rz. 32.
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§ 24 Rz. 24.180 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
die gesetzlichen Arbeitnehmervertretungen ersetzen1, endet das Mandat der Einzelbetriebsräte mit der Errichtung des Spartenbetriebsrats automatisch. Mit der Bildung „anderer Arbeitnehmervertretungsstrukturen“ endet ebenfalls das Mandat der bisherigen Vertretungen.
24.181
Die neu gebildete Organisationsstruktur ist darüber hinaus bei der Bildung der Jugend- und Auszubildendenvertretung2 und des Sprecherausschusses zugrunde zu legen3. Die Schwerbehindertenvertretung ist ebenfalls innerhalb der nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG errichteten Einheit zu wählen4. Sie ist auch Betrieb i.S.d. § 170 Abs. 1 Satz 2 SGB IX.
II. Umstrukturierungen bei Bestehen einer Vereinbarung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG 1. Grundsätzliches 24.182
Die nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG aufgrund eines Tarifvertrags oder einer Betriebsvereinbarung gebildeten Organisationseinheiten gelten als Betriebe i.S.d. BetrVG (§ 3 Abs. 5 Satz 1 BetrVG). Überwiegend wird daher die Anwendbarkeit des § 21a BetrVG für den Bereich der gewillkürten Betriebsverfassung angenommen5. Das BAG6 hält es grundsätzlich für möglich, dass auch im Rahmen einer gewillkürten Betriebsverfassung die ursprünglichen Betriebe organisatorisch mit der Konsequenz selbstständig bleiben, dass ungeachtet der Schaffung einer neuen Einheit i.S.v. § 3 BetrVG die bisherigen Betriebsvereinbarungen kollektiv weiter gelten. Dann ist es folgerichtig, auch Übergangsmandate bei Umstrukturierungen zuzulassen. Es ist jedoch zu differenzieren7, ob die Umstrukturierungen sich innerhalb des gemäß § 3 BetrVG gebildeten Betriebs abspielen, oder ob sie „Außenwirkung“ haben. Erfolgen die Umstrukturierungen intern, beispielsweise weil eine der am gewillkürten Betrieb beteiligten organisatorischen Einheiten, die laut BAG wie erwähnt weiter existieren, einen Teil an einen anderen, am gewillkürten Betrieb beteiligten Dritten überträgt, kommt ein Übergangsmandat im Zweifel nicht in Betracht. Denn es entstünde keine Schutzlücke. Der nach § 3 BetrVG etablierte Betriebsrat bliebe weiterhin Repräsentant aller von der Umstrukturierung betroffener Arbeitnehmer. Werden jedoch Betriebsteile an außerhalb des gewillkürten Betriebs stehende Dritte übertragen, kommt ein Übergangsmandat in Betracht, wenn nach den allgemeinen Kriterien beim aufnehmenden Betrieb kein Betriebsrat zuständig wäre. Abzustellen ist in diesem Zusammenhang auf die von den an der maßgeblichen Kollektivvereinbarung beteiligten Parteien ggf. getroffenen Regelungen; sie könnten Vorgaben erhalten, ob und wann eine organisatorische Veränderung eine zum Übergangsmandat führende Umstrukturierung 1 Ebenso: Thüsing, ZIP 2003, 693, 702; Teusch, NZA 2007, 124, 126; Fitting, § 3 BetrVG Rz. 52; a.A. Friese, RdA 2003, 92, 96 f.; Richardi/Richardi, § 3 BetrVG Rz. 36. 2 HWK/Gaul, § 3 BetrVG Rz. 2; Fitting, § 3 BetrVG Rz. 79; DKW/Trümner, § 3 BetrVG Rz. 200; wohl auch HaKo-BetrVG/Kloppenburg, § 3 Rz. 90. 3 HWK/Gaul, § 3 BetrVG Rz. 2; Fitting, § 3 BetrVG Rz. 79; DKW/Trümner, § 3 BetrVG Rz. 200; a.A. HWGNRH/Rose, § 3 BetrVG Rz. 105. 4 BAG v. 10.11.2004, 7 ABR 17/04, AP BetrVG 1972 § 3 Nr. 4; HWK/Gaul, § 3 BetrVG Rz. 2; Fitting, § 3 BetrVG Rz. 79; DKW/Trümner, § 3 BetrVG Rz. 200; HaKo-BetrVG/Kloppenburg, § 3 BetrVG Rz. 91; HWGNRH/Rose, § 3 BetrVG Rz. 104. 5 Fitting, § 21a BetrVG Rz. 4 und § 3 BetrVG Rz. 82 ff.; GK-BetrVG/Kreutz/Franzen, § 21a Rz. 17; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 192, 197; vgl. auch BAG v. 22.8.2017 – 1 ABR 52/14, NZA 2018, 50 Rz. 13 = ArbRB 2018, 9 (Lunk). 6 BAG v. 7.6.2011 – 1 ABR 110/09, NZA 2012, 110 = ArbRB 2011, 370 (Müller-Mundt). 7 Ausführlich zu den verschiedenen Konstellationen im Hinblick auf § 21a BetrVG Linsenmaier, RdA 2017, 128, 136 ff.
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Besonderheiten für Arbeitnehmervertretungen gemäß § 3 BetrVG | Rz. 24.185 § 24
sein soll. Nimmt der gewillkürte Betrieb einen Betrieb(steil) neu auf, dürften regelmäßig die Voraussetzungen für eine unmittelbare Repräsentanz auch der neu hinzu gekommenen Belegschaft durch den Betriebsrat des gewillkürten Betriebs vorliegen. Für ein Übergangsmandat dürfte dann regelmäßig kein Anwendungsbereich verbleiben. Entsteht jedoch ein neuer Betrieb durch Zusammenschluss und liegt keine Eingliederung vor, ist auch insoweit § 21a Abs. 2 BetrVG einschlägig. Endet die Kollektivvereinbarung als „Klammer“ für die gewillkürte Betriebsverfassung, dürfte regelmäßig eine Betriebsspaltung vorliegen. Es gelten dann die hierfür entwickelten Grundsätze. Daraus folgt: Bei Umstrukturierungen muss zunächst geprüft werden, ob sich erstens die jeweilige Maßnahme auf die Organisationseinheit selbst auswirkt (und nicht nur auf den Rechtsträger), und zweitens, ob die Identität der Einheit betroffen ist. Bleibt die Identität erhalten, behält der nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG gebildete Betriebsrat sein Amt1. Es gelten die allgemeinen Grundsätze (s. dazu Rz. 24.27 ff.), wobei bei der Betrachtung der Betriebsidentität lediglich noch auf die durch Vereinbarung gebildete neue Organisationsstruktur abzustellen ist2. Dies gilt selbst dann, wenn die von einer Übertragung betroffenen Einheiten als solche nicht verändert werden und – entsprechend der Situation vor Abschluss der Vereinbarung nach § 3 BetrVG – als Betrieb oder selbstständiger Betriebsteil i.S.d. §§ 1, 4 BetrVG angesehen werden können. Denn diese Strukturen werden durch das Wirksamwerden einer Vereinbarung gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG unbeachtlich. Hiervon wird man, obgleich der Gesetzgeber in § 3 Abs. 5 BetrVG nur von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen spricht, auch dann ausgehen können, wenn die unternehmenseinheitliche Bildung eines Betriebsrats auf der Grundlage eines Beschlusses der Arbeitnehmer nach § 3 Abs. 3 BetrVG erfolgt ist.
24.183
Die Rechtsfolgen einer Umstrukturierung richten sich im Übrigen danach, ob mit entsprechenden Vereinbarungen – bezogen auf die ursprüngliche Betriebsstruktur nach §§ 1, 4 BetrVG – betriebsinterne, unternehmensinterne oder unternehmensübergreifende Arbeitnehmervertretungen geschaffen wurden. Bei einer Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Rechtsträger ist überdies zu prüfen, ob und inwieweit die Vereinbarung nach § 3 BetrVG auch den übernehmenden Rechtsträger binden. Entscheidend ist nicht nur, ob die Vereinbarung durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung getroffen wurde, sondern auch, ob der Übergang im Wege der Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge erfolgt. Wenn die Bildung der Arbeitnehmervertretung durch Beschluss der Arbeitnehmer gemäß § 3 Abs. 3 BetrVG erfolgt ist, kann eine Bindung des übernehmenden Rechtsträgers nicht erfolgen.
24.184
2. Umstrukturierungen innerhalb der Organisationseinheit Allein der Umstand, dass der Arbeitgeber eine Organisationeinheit nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG errichtet hat, hindert ihn nicht, diese umzustrukturieren. Der Arbeitgeber kann z.B. Teile der Einheit zusammenlegen, spalten oder stilllegen. Es können etwa zwei Sparten zusammengeschlossen oder ein Teil aus einem Betrieb abgespalten werden, für den ein unternehmenseinheitlicher Betriebsrat errichtet worden ist. Dabei sind jedoch die üblichen Beteiligungsrechte des Betriebsrats – insbesondere aus §§ 111, 112 BetrVG – zu wahren. Es ist zudem möglich, neue Einheiten in den gewillkürten Betrieb einzubeziehen. Ob nach einer derartigen Maßnahme die bisherige Organisationseinheit fortbesteht, richtet sich danach, ob ihre
1 GK-BetrVG/Franzen, § 3 Rz. 63; Fitting, § 3 BetrVG Rz. 86a. 2 Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG Rz. 34.
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24.185
§ 24 Rz. 24.185 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
Betriebsidentität erhalten bleibt1. Dafür spielt es eine maßgebliche Rolle, nach welchen Kriterien der zugrundeliegende Tarifvertrag oder die einschlägige Betriebsvereinbarung die Einheit errichtet hat2.
24.186
Die Betriebsidentität und deren Fortbestand wird im Bereich gewillkürter Interessenvertretungen maßgeblich durch den Parteiwillen bestimmt. So hatte das BAG einen Zuordnungstarifvertrag auszulegen, durch den der Arbeitgeber bundesweit auf Ebene der Bezirksleitungen Betriebsräte errichtet und sodann den Zuschnitt der Bezirke mehrfach tarifvertraglich geändert hatte3. Die Auslegung ergab, für die Errichtung von Betriebsräten sollten nicht statisch bestimmte geographische Grenzen maßgeblich sein, sondern dynamisch die jeweiligen, aufgrund der Entscheidungen des Arbeitgebers geschaffenen Regionen der Bezirksleitungen. Damit bleibt der Tarifvertrag ungeachtet der organisatorischen Änderungen taugliche Grundlage für die gebildete Organisationseinheit. Der Parteiwille gilt aber nicht absolut. Wenn infolge der Umstrukturierung die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 BetrVG nicht mehr vorliegen – z.B. weil die Organisation nach Sparten aufgegeben wird – verliert der Betriebsrat sein Amt4.
24.187
Im Ergebnis tritt die nach § 3 BetrVG geschaffene Einheit an die Stelle des bisherigen Vertretungsorgans. „Repräsentationslücken“ können daher nicht entstehen, sofern die Umstrukturierungen die Identität des gewillkürten Betriebs nicht verändern. Folglich besteht für ein Übergangsmandat dann keine Notwendigkeit. Kommt es bei deren Ende zum Verlust der Betriebsidentität, endet das Mandat der nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG gebildeten Arbeitnehmervertretung. Dann kann ein Übergangs- bzw. Restmandat nach Maßgabe der § 3 Abs. 5, §§ 21a und 21b BetrVG zum Tragen kommen. Allerdings darf für das Übergangsmandat dann nicht wieder die gesetzliche Betriebsvertretung an die Stelle der gewillkürten treten. Denn dann läge keine „Repräsentationslücke“ vor. Man wird die Vereinbarungen gemäß § 3 BetrVG hierauf zu untersuchen haben. Wird ein gewillkürter Betrieb stillgelegt, kann ihm ein Restmandat analog § 21b BetrVG zustehen.
3. Herauslösen von Betrieben und Betriebsteilen aus der Organisationseinheit 24.188
Betriebsinterne Arbeitnehmervertretungen: Möglich ist, dass eine Umstrukturierung Außenwirkung erlangt, weil ein Teil des gewillkürten Betriebs aus dem Geltungsbereich der zugrunde liegenden Kollektivvereinbarung veräußert wird. Dann liegt regelmäßig eine Betriebsspaltung vor. Je nachdem, ob eine Auf- oder Abspaltung vorliegt, sind die auch für den Betriebsrat hierzu dargestellten Optionen einschlägig (vgl. Rz. 24.28 ff.). Bleibt – wie wohl regelmäßig – die Identität des gewillkürten Betriebs erhalten, liegt eine Abspaltung vor; der gewillkürte Betriebsrat bleibt im Amt und erhält bezüglich des abgespaltenen Teils regelmäßig ein Übergangsmandat5 Wenn z.B. gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG für einen einzelnen Betrieb i.S.d. §§ 1, 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG durch Betriebsvereinbarung die Bildung mehrerer Spartenbetriebsräte vereinbart wird, gilt diese Vereinbarung auch beim übernehmenden Rechtsträger fort, sofern dieser die Betriebe unter Wahrung der durch die Vereinbarung gekennzeichneten
1 BAG v. 21.9.2011 – 7 ABR 54/10, NZA-RR 2012, 186 Rz. 48 = ArbRB 2012, 112 (Grimm). 2 Fitting, § 3 BetrVG Rz. 86a; Linsenmaier, RdA 2017, 128, 137; ähnlich GK-BetrVG/Franzen, § 3 Rz. 63. 3 BAG v. 21.9.2011 – 7 ABR 54/101, NZA-RR 2012, 186 = ArbRB 2012, 112 (Grimm). 4 Linsenmaier, RdA 2017, 128, 137 f. 5 Linsenmaier, RdA 2017, 128, 138 f.
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Besonderheiten für Arbeitnehmervertretungen gemäß § 3 BetrVG | Rz. 24.192 § 24
Identität aufrechterhält, also keine wesentlichen Organisationsänderungen erfolgen1. Ein Rückgriff auf § 613a BGB ist – entsprechend den Überlegungen zum kollektivrechtlichen Fortbestand einer Gesamtbetriebsvereinbarung bei der Übertragung eines Betriebs – nicht erforderlich. Denn die Betriebsvereinbarung gilt hier in dem durch Vereinbarung verselbstständigten Betriebsteil kollektivrechtlich fort. Wird eine entsprechende Vereinbarung gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 BetrVG durch Firmentarifvertrag umgesetzt, findet die Regelung beim übernehmenden Rechtsträger nur Anwendung, wenn die Übertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge vorgenommen wurde und die sonstigen Voraussetzungen eines Eintritts in den Firmentarifvertrag erfüllt sind2. Zudem müssen die tatsächlichen Gegebenheiten weiterhin eine Anwendbarkeit des Tarifvertrags zulassen. Werden nur Teile der einer betriebsorganisatorischen Einheit zugeordneten Bereiche übertragen, bewirkt dies den Wegfall der tariflichen Vorgaben. Bei einer Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge kommt ein Eintritt in den Firmentarifvertrag nur aufgrund gesonderter Vereinbarung zwischen Gewerkschaft und übernehmendem Rechtsträger in Betracht3. Dies gilt auch dann, wenn die Regelung durch firmenbezogenen Verbandstarifvertrag getroffen wurde. Im Übrigen aber entfällt die entsprechende Regelung. Denn § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB erfasst nur Inhalts- und Beendigungsnormen, nicht aber Regelungen über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen4. Allerdings kommt bei den nach § 3 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG gebildeten Arbeitnehmervertretungen auf betrieblicher Ebene ein Übergangsmandat gemäß § 3 Abs. 5, § 21a BetrVG (vgl. Rz. 24.182) zur Anwendung.
24.189
Werden die durch Vereinbarung gebildeten Betriebe im Zusammenhang mit dem Übertragungsvorgang in ihrer Identität so maßgeblich verändert, insbesondere aufgelöst, dass nicht mehr von einer Abspaltung auszugehen ist, schliesst das einen Fortbestand des Betriebsrats aus5. Dann kommt ein Übergangsmandat nach § 3 Abs. 5, § 21a BetrVG in Betracht, soweit Arbeitnehmervertretungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG betroffen sind.
24.190
Die Errichtung einer gewillkürten Organisationseinheit kann zu einer (unbeabsichtigten) Stärkung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats führen. Bildet ein Arbeitgeber z.B. für zwei selbständige Betriebe einen einheitlichen Betriebsrat gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1b BetrVG und soll sodann einer dieser Betriebe auf einen Käufer übertragen werden, handelt es sich um eine interessenausgleichspflichtige Betriebsspaltung (§ 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG). Zwar ist grundsätzlich die Veräußerung und Übertragung eines gesamten Betriebs mitbestimmungsfrei möglich. Die Betriebsspaltung in diesem Sonderfall ist aber die notwendige Konsequenz aus § 3 Abs. 5 Satz 1 BetrVG. Danach gilt der zusammengeschlossene Betrieb als „ein“ Betrieb i.S.d. BetrVG. Dieser wird gespalten.
24.191
Unternehmensbezogene Arbeitnehmervertretungen: Die vorstehenden Überlegungen lassen sich auf den Fall übertragen, dass Betriebe oder selbständige Betriebsteile durch Vereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat bzw. der Gewerkschaft zu einem einzigen Betrieb zusammengeschlossen worden sind (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 2 BetrVG). Werden diese Einheiten unter Wahrung
24.192
1 A.A. GK-BetrVG/Franzen, § 3 Rz. 66, der verlangt, dass der übernehmende Rechtsträger ausdrücklich in die Betriebsvereinbarung eintritt oder diese mit ihm neu abgeschlossen wird. 2 S. etwa BAG v. 18.1.2012 – 7 ABR 72/10, NZA-RR 2013, 133 Rz. 46; HWK/Gaul, § 3 BetrVG Rz. 43; GK-BetrVG/Franzen, § 3 Rz. 66. 3 BAG v. 18.1.2012 – 7 ABR 72/10, NZA-RR 2013, 133 Rz. 44 f. Vgl. z.B. auch BAG v. 23.9.2003 – 1 ABR 35/02, NZA 2004, 800, 802 = ArbRB 2004, 14 (Lunk). 4 HWK/Gaul, § 3 BetrVG Rz. 41. 5 HWK/Gaul, § 3 BetrVG Rz. 44.
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§ 24 Rz. 24.192 | Rechtsfolgen einer Umstrukturierung für Arbeitnehmervertretungen
ihrer Identität auf einen anderen Rechtsträger übertragen, gilt die aufgrund Gesamtbetriebsvereinbarung getroffene Regelung kollektivrechtlich fort. Wie an anderer Stelle aufgezeigt, ist ein Rückgriff auf § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht erforderlich.
24.193
Erfolgte die Regelung jedoch durch Tarifvertrag, kommt eine Fortgeltung entsprechender Vereinbarungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG nur bei einer Übertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in Betracht. Liegen die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht vor, endet die Vereinbarung für die vom Übergang betroffenen Einheiten mit dem Wirksamwerden des Übertragungsvorgangs. Eine Fortgeltung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ist ausgeschlossen. Beim übernehmenden Rechtsträger gelten also, bis eine neue Vereinbarung gemäß § 3 BetrVG abgeschlossen wird, zunächst die gesetzlichen Regelungen zur Bildung einer Arbeitnehmervertretung. Soweit bis zur Neuwahl eines Betriebsrats keine Arbeitnehmervertretung besteht, wird man wegen § 3 Abs. 5 BetrVG ein Übergangsmandat § 21a BetrVG annehmen müssen.
24.194
Ob beim übertragenden Rechtsträger eine betriebsübergreifende Arbeitnehmervertretung fortbesteht, hängt auch hier vom Inhalt der Vereinbarung und den tatsächlichen Gegebenheiten ab.
24.195
Unternehmensübergreifende Arbeitnehmervertretungen: Sofern durch Vereinbarung mit dem Konzernbetriebsrat gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG Regelungen zur Bildung unternehmensübergreifender Arbeitnehmervertretungen abgeschlossen werden, bestehen diese Vereinbarungen und die daran anknüpfend gebildeten Organe fort, wenn die Übertragung im Konzern erfolgt und die Einheiten in ihrer Identität, wie sie durch die Vereinbarung definiert wird, nicht berührt werden.
24.196
Werden Betriebe und Betriebsteile auf Rechtsträger außerhalb des Konzerns übertragen, findet die konzernbezogene Betriebsvereinbarung keine Anwendung mehr. Dies gilt auch beim Firmentarifvertrag, sofern nicht ausnahmsweise eine Übertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge veranlasst worden ist. In allen anderen Fällen kann die bisherige Vereinbarung keine Bindungswirkung für den übernehmenden Rechtsträger erzeugen. Soll die bisherige Arbeitnehmervertretung fortbestehen, muss also eine entsprechende Vereinbarung unter Einbeziehung des übernehmenden Rechtsträgers neu abgeschlossen werden. Der § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB kann die Fortgeltung eines Tarifvertrags jedenfalls nicht begründen. Ist diese Rechtsfolge bei Arbeitnehmervertretungen i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG mit einem Wegfall der betriebsbezogenen Interessenvertretung verbunden, kommt das Übergangsmandat gemäß § 21a BetrVG zur Anwendung. Es greift lediglich dann nicht, wenn die Übertragung mit dem Wegfall von Arbeitnehmervertretern verbunden ist, die gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG – anstelle eines Gesamtbetriebsrats – auf überbetrieblicher Ebene neben den Betriebsräten gebildet worden sind.
24.197
Ob und inwieweit eine unternehmensübergreifende Arbeitnehmervertretung unter Einbeziehung des übertragenden Rechtsträgers fortbesteht, hängt von dem Inhalt der Vereinbarung und den tatsächlichen Gegebenheiten beim übertragenden Rechtsträger nach dem Übergang der Betriebe und Betriebsteile ab.
4. Aufnahme von Betrieben und Betriebsteilen in die Organisationseinheit 24.198
Kommen neue Betriebe oder Betriebsteile hinzu – etwa zu einem Unternehmen, das einen unternehmenseinheitlichen Betriebsrat gebildet hat – werden diese nicht zwangsläufig in die bestehende, gewillkürte Arbeitnehmervertretung einbezogen. Ihr Schicksal richtet sich in ers1012 | Leder/Lunk
Besonderheiten für Arbeitnehmervertretungen gemäß § 3 BetrVG | Rz. 24.199 § 24
ter Linie nach dem Inhalt der Vereinbarung gemäß § 3 BetrVG1. Sieht diese die Integration neuer Einheiten in die bestehende Vertretungsstruktur vor, ist allerdings weiter zu prüfen, ob diese Regelung den Anforderungen des § 3 BetrVG genügt. Zwar haben die Betriebsparteien einen Einschätzungsspielraum hinsichtlich des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen sowie einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Vereinbarung2. Er ist aber nicht grenzenlos, sondern unterliegt gerichtlicher Kontrolle. Hat der Arbeitgeber z.B. den unternehmenseinheitlichen Betriebsrat für verschiedene Betriebe im Raum München gebildet und erwirbt das Unternehmen nunmehr einen größeren Betrieb in Hamburg, dient es kaum der „sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer“ (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) aus Hamburg, durch den Münchener Betriebsrat mit repräsentiert zu werden. Der Grundsatz der Ortsnähe3 gebietet in diesem Fall vielmehr, die betriebsverfassungsrechtliche Eigenständigkeit des Hamburger Betriebs zu erhalten. Der dort bestehende Betriebsrat bliebe folglich im Amt oder wäre, falls er bis dahin nicht bestanden hat, wählbar. Der bislang existierende unternehmenseinheitliche Betriebsrat behielte sein Mandat, allerdings ohne fortan für das gesamte Unternehmen zuständig zu sein. Dies wäre, wie § 3 Abs. 1 Nr. 1b BetrVG zeigt, zulässig. Zudem wäre ein Gesamtbetriebsrat zu errichten. Entsprechend ist zu entscheiden, wenn die Vereinbarung keine Regelung zur Aufnahme der neuen Einheit getroffen hat. Liegen die Voraussetzungen vor, von einer zulässigen Eingliederung in die nach § 3 BetrVG geschaffene Struktur auszugehen, kommt ein Übergangsmandat nicht in Betracht. Denn es entsteht keine Repräsentationslücke. Der Betriebsrat der aufgenommenen Einheit erlischt. Ergibt die Auslegung der § 3 BetrVG zugrunde liegenden Kollektivvereinbarung, ein Hinzukommen weiterer Betriebe sei nicht gewollt, führt die gleichwohl durchgeführte Umstrukturierung zu einer Auflösung des gewillkürten Betriebs. Es entsteht ein Übergangs- und ein Restmandat4.
1 LAG Schleswig-Holstein v. 9.7.2008 – 3 TaBV 4/08, BeckRS 2008, 57777; Linsenmaier, RdA 2017, 128, 139; GK-BetrVG/Franzen, § 3 Rz. 65; WHSS/Hohenstatt, Umstrukturierung, D Rz. 198. 2 BAG v. 24.4.2013 – 7 ABR 71/11, AP BetrVG 1972 § 3 Nr. 11 Rz. 31 = ArbRB 2013, 272 (Braun); zu den Tarifparteien vgl. BAG v. 18.11.2014 – 1 ABR 21/13, NZA 2015, 694 Rz. 27 = ArbRB 2015, 139 (Mues). 3 Vgl. dazu ebenfalls BAG v. 24.4.2013 – 7 ABR 71/11, AP BetrVG 1972 § 3 Nr. 11 = ArbRB 2013, 272 (Braun). 4 Linsenmaier, RdA 2017, 128, 139.
Leder/Lunk | 1013
24.199
Teil 9 Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertretungen im Zusammenhang mit einer Umstrukturierung
§ 25 Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
A. Unterrichtungs- und Beratungsanspruch des Wirtschaftsausschusses nach § 106 BetrVG I. Anwendungsbereich der Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzung für die Errichtung III. Wirtschaftliche Angelegenheiten 1. Wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens (§ 106 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG) . . . . . . . . 2. Produktions- und Absatzlage (§ 106 Abs. 3 Nr. 2 BetrVG) . . 3. Produktions- und Investitionsprogramm (§ 106 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rationalisierungsvorhaben (§ 106 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG) . . 5. Fabrikations- und Arbeitsmethoden (§ 106 Abs. 3 Nr. 5 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Fragen des betrieblichen Umweltschutzes (§ 106 Abs. 3 Nr. 5a BetrVG) . . . . . . . . . . . . 7. Einschränkung oder Stilllegung von Betrieben oder Betriebsteilen (§ 106 Abs. 3 Nr. 6 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . 8. Verlegung von Betrieben oder Betriebsteilen (§ 106 Abs. 3 Nr. 7 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . 9. Zusammenschluss oder Spaltung von Unternehmen oder Betrieben (§ 106 Abs. 3 Nr. 8 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Änderung der Betriebsorganisation oder des Betriebszwecks (§ 106 Abs. 3 Nr. 9 BetrVG) . .
25.1 25.6 25.11
IV.
25.14 25.17
25.18
V.
25.21
VI. VII.
25.22
VIII. B.
25.24 I. 25.25
25.26
25.27
25.28
11. Unternehmensübernahme mit Kontrollerwerb (§ 106 Abs. 3 Nr. 9a BetrVG) . . . . . . . . . . . . 12. Sonstige für die Arbeitnehmer bedeutsame Vorgänge und Vorhaben (§ 106 Abs. 3 Nr. 10 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Art und Weise der Unterrichtung und Beratung 1. Begriffe der Unterrichtung und Beratung . . . . . . . . . . . . . 2. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . 3. Zeitpunkt der Unterrichtung und Beratung . . . . . . . . . . . . . Umfang der Unterrichtung und Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäftsgeheimnisse . . . . . . . . . . Berichtspflicht des Wirtschaftsausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . Streitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterrichtungs- und Beratungsanspruch des Betriebsrats wegen einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG Voraussetzungen und Systematik der Beteiligungsrechte aus §§ 111 ff. BetrVG 1. Bestehen eines Betriebsrats . . . 2. Unternehmensgröße . . . . . . . . 3. Ablauf des Beteiligungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Art und Weise der Unterrichtung und Beratung a) Begriffe der Unterrichtung und Beratung . . . . . . . . . . . b) Zuständigkeit . . . . . . . . . . .
25.29
25.33
25.36 25.37 25.38 25.50 25.60 25.63 25.64
25.69 25.72 25.76
25.79 25.80
Gaul/Ludwig/A. Otto | 1015
§ 25 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte c) Zeitpunkt der Unterrichtung und Beratung . . . . . . d) Umfang der Unterrichtung und Beratung . . . . . . . . . . 5. Hinzuziehung eines Beraters . 6. Unterrichtung und Beratung bei Tendenzbetrieben . . . . . . . II. Kennzeichnung einer Betriebsänderung 1. Verhältnis von § 111 Satz 1 BetrVG zu § 111 Satz 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen (§ 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG) a) Stilllegung des Betriebs . . . b) Stilllegung eines wesentlichen Betriebsteils . . . . . . . c) Einschränkung des Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen . . . . . . . . . . d) Betriebseinschränkung durch Personalabbau . . . . e) Einschränkung und Stilllegung bei gewillkürten Betriebsratsstrukturen nach § 3 BetrVG . . . . . . . . 3. Verlegung des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen (§ 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder die Spaltung von Betrieben (§ 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG) a) Zusammenschluss mit anderen Betrieben . . . . . . . b) Spaltung von Betrieben . . c) Zusammenschluss und Spaltung bei gewillkürten Betriebsratsstrukturen nach § 3 BetrVG . . . . . . . . aa) Die Bildung/Beendigung gewillkürter Betriebsratsstrukturen als Betriebsänderung . . . . bb) Zusammenschluss und Spaltung im Rahmen gewillkürter Betriebsratsstrukturen . . . . . . .
1016 | Gaul/Ludwig/A. Otto
25.82 25.86 25.91 25.96
25.97
III. 25.102 C. 25.110 I. 25.111 25.112
25.121
25.125
25.132 25.141
25.147
25.149
25.152
II.
5. Grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen, § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG a) Grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation . . b) Grundlegende Änderungen des Betriebszwecks . . . . . . c) Grundlegende Änderungen der Betriebsanlagen . . . . . . 6. Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren (§ 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG) . . Betriebsinhaberwechsel als Betriebsänderung . . . . . . . . . . . . . . . Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG Verhandlungen über einen Interessenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gegenstand des Interessenausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Versuch eines Interessenausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schriftformerfordernis als Wirksamkeitsvoraussetzung . 4. Rechtsnatur des Interessenausgleichs/Anspruch auf Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . 5. Abschluss des Interessenausgleichs als Betriebsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bindungswirkung des Interessenausgleichs bei Betriebsübergängen . . . . . . . . . . . . . . . Vereinbarung eines Sozialplans 1. Grundsatz und Verfahren . . . 2. Befreiung von der Sozialplanpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Betriebseinschränkung durch Entlassungen . . . . . b) Betriebsänderung nach Neugründung . . . . . . . . . . 3. Wirtschaftliche Nachteile gemäß § 112 BetrVG . . . . . . . . . 4. Gestaltungsspielraum im Sozialplan a) Zweck von Sozialplanleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ermessensgrenzen der betrieblichen Sozialpartner
25.156 25.163 25.168
25.173 25.177
25.184 25.185 25.191 25.197
25.204
25.209
25.211 25.215 25.220 25.221 25.228 25.237
25.246
Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte | § 25 aa) Allgemeine Ermessensgrenzen . . . . . . . . . . . . bb) Begrenzung durch Diskriminierungsverbote der §§ 1, 7 AGG . . . . . cc) Begrenzung durch § 112 Abs. 5 BetrVG . . c) Einzelfälle aa) Stichtagsregelungen . . bb) Klageverzichtsprämien cc) Wegfall der Sozialplanabfindung bei Ablehnung eines zumutbaren Ersatzarbeitsplatzes . . . dd) Verknüpfung zwischen Sozialplanabfindung und Aufhebungsvertrag ee) Wegfall oder Rückzahlung von Abfindungen bei Wiedereinstellung oder Anschlussbeschäftigung . . . . . . . . . . . . . ff) Höchstbetragsklauseln gg) Transferregelungen . . . hh) Qualifizierungsregelungen (sog. „Qualifizierungssozialplan“) . . d) Besonderheiten bei Sozialplanabfindungen im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang und anderen Übertragungsvorgängen . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anrechnung der Betriebszugehörigkeit bei einem Rechtsvorgänger . . . . . . . . . . . . . bb) Ausgrenzung der Arbeitnehmer nach Widerspruch gegen Betriebsübergang/Umwandlung . . . . . . . . . . e) Das Sozialplanvolumen aa) Grundsatz . . . . . . . . . . bb) Bedeutung einer Konzernbindung für das Sozialplanvolumen . . . cc) Bedeutung des Zeitpunkts der Betriebsänderung . . . . . . . . . . . dd) Besonderheiten bei der Spaltung eines gemeinsamen Betriebs . . . . . .
25.250 25.258 25.273 25.281 25.286
25.290 25.295
25.296 25.299 25.304 25.315
25.325
25.326
III. D. I.
25.330 25.336 25.351 25.367 25.371
II.
ee) Regelungen zur Besteuerung von Sozialplanleistungen . . . . . . 5. Erzwingbarkeit eines Transfersozialplans? . . . . . . . . . . . . . . . 6. Vorsorglicher Sozialplan . . . . . 7. Sozialplan für betriebsratslose Betriebe? . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Sozialplan wegen Betriebsstilllegung trotz Betriebsübergangs a) Fehlerhafte Bewertung eines Betriebsübergangs als Betriebsstilllegung . . . . . . . b) Überraschende Betriebsveräußerung statt Betriebsstilllegung . . . . . . . . . . . . . 9. Bindungswirkung eines Sozialplans für den übernehmenden Rechtsträger . . . . . . . 10. Haftung des übertragenden Rechtsträgers für Sozialplanansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Übertragung zur Stilllegung – Haftung wegen Rechtsmissbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Gerichtliche Überprüfbarkeit von Sozialplanregelungen . . . . 13. Nachträgliche Beseitigung etwaiger Unklarheiten eines Sozialplans . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Verhältnis zu einem Tarifsozialplan . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. Verhältnis zu gesetzlichen Nachteilsausgleichsansprüchen Das Einigungsstellenverfahren . . Die Beteiligung des Betriebsrats wegen einer Massenentlassung Übersicht zum Ablauf des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kennzeichnung der Massenentlassung 1. Entlassung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einbeziehung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Sonderkündigungsschutz wegen Mutterschutz, Elternzeit und Schwerbehinderung . 3. Einbeziehung von Leiharbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Maßgeblichkeit des 30-TagesZeitraums . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Entlassungswellen . . . . . . . . . .
25.372 25.374 25.383 25.392
25.394 25.398
25.406
25.416
25.420 25.422
25.426 25.432 25.448 25.452
25.469
25.480
25.484 25.485 25.486 25.491
Gaul/Ludwig/A. Otto | 1017
§ 25 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte III. Kennzeichnung des Betriebs i.S.d. § 17 KSchG 1. Betriebsbegriff . . . . . . . . . . . . 2. Ablehnung eines berufsgruppenbezogenen Betriebsbegriffs 3. Ablehnung einer Anknüpfung an Vorgaben des nationalen Kündigungs- oder Betriebsverfassungsrechts . . . . . . . . . . 4. Unionsrechtliche Kriterien des Betriebs nach § 17 KSchG . . . 5. Konsequenzen für kleinere Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtsfolge bei fehlerhaftem Betriebsbegriff . . . . . . . . . . . . IV. Zuständige Arbeitnehmervertretung für Konsultation nach § 17 Abs. 2 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zeitpunkt der Unterrichtungsund Beratungspflicht 1. Rechtzeitigkeit der Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verknüpfung der Beteiligung nach § 17 Abs. 2 BetrVG mit §§ 111, 112 BetrVG . . . . . . . . VI. Besonderheiten einer Restrukturierung im Konzern . . . . . . . . . . . VII. Umfang der Unterrichtungsund Beratungspflicht 1. Unterrichtung a) Inhalt, Adressat und Zweckbestimmung der Information . . . . . . . . . . . . b) Schrittweise und wiederholte Unterrichtung . . . . . 2. Beratung a) Inhaltliche und personelle Ausgestaltung . . . . . . . . . . b) Dauer der Beratungen . . . c) Abschluss der Beratungen 3. Wiederholung des Konsultationsverfahrens . . . . . . . . . . . . VIII. Verfahren zur Erstattung einer Massenentlassungsanzeige . . . . . 1. Zeitpunkt, Form und Inhalt der Anzeige . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme des Betriebsrats oder hilfsweise Erklärung des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . 3. Erneute Anzeigepflicht nach Ablauf der 90-Tages-Frist . . . .
1018 | Gaul/Ludwig/A. Otto
25.495 25.497
25.498 25.499 25.503 25.504
25.505
25.513
25.516 25.519
25.521 25.524
25.526 25.528 25.529 25.532 25.533 25.534
25.540 25.546
IX. Kündigung nach Eingang der Massenentlassungsanzeige . . . . . X. Entlassungssperre und Kurzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Rechtsfolgen bei Fehlern im Konsultations- und Anzeigeverfahren 1. Unwirksamkeit der Entlassung 2. Möglichkeit einer Heilung etwaiger Fehler . . . . . . . . . . . . 3. Unterlassungsanspruch des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . E. Vorschläge des Betriebsrats zur Beschäftigungssicherung I. Beteiligungsrechte aus § 92a BetrVG 1. Inhalt des Vorschlagsrechts . . 2. Beratung und Begründung . . 3. Streitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . II. Vorschläge für die Einführung einer Personalplanung und ihre Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff der Personalplanung . 2. Unterrichtungspflicht aus § 92 Abs. 1 BetrVG . . . . . . . . . 3. Vorschlagsrecht des Betriebsrats aus § 92 Abs. 2 BetrVG . . 4. Streitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . III. Beteiligung bei der Berufsbildung 1. Förderung der Berufsbildung 2. Einrichtungen und Maßnahmen der Berufsbildung a) Beratung nach § 97 Abs. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . b) Echtes Mitbestimmungsrecht aus § 97 Abs. 2 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . c) Echtes Mitbestimmungsrecht aus § 98 BetrVG . . . F. Beteiligungsrechte des Betriebsrats wegen personeller Einzelmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei der Veränderung von Vergütungsregelungen . . . . . . . . . I. Umfang der Beteiligungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG 1. Entgeltleistung als Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . . . . 2. Betriebliche Lohngestaltung . II. Möglichkeiten mitbestimmungsfreier Veränderungen . . . . . . . . .
25.547 25.549
25.552 25.558 25.560
25.561 25.565 25.569
25.573 25.574 25.575 25.578 25.581 25.582 25.583
25.584 25.585 25.591
25.592
25.596
25.597 25.599 25.603
Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte | § 25 III. Risiken fehlender Beteiligung des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsfolgen und Gestaltungsmöglichkeiten beim Betriebsübergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Abgrenzung der Zuständigkeit von Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat, Konzernbetriebsrat, Europäischem Betriebsrat und SE-Betriebsrat/SCE-Betriebsrat I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zuständigkeit im Rahmen des BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zuständigkeit im Rahmen des EBRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zuständigkeit im Rahmen des SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zuständigkeit im Rahmen des SCEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Vorgehen bei Streitigkeiten 1. Streitigkeiten im Anwendungsbereich des BetrVG . . . . . . . . . 2. Streitigkeiten im Anwendungsbereich des EBRG . . . . . . . . . . 3. Streitigkeiten im Anwendungsbereich von SEBG und SCEBG I. Vereinbarungen über die Fortgeltung betriebsverfassungsrechtlicher Mitbestimmungsrechte nach § 325 Abs. 2 UmwG . . . . . . . J. Sanktionsmöglichkeiten bei Nichtbeachtung der Mitwirkungsrechte in wirtschaftlichen Angelegenheiten I. Kollektivrechtliche Sanktionsmöglichkeiten 1. Anspruch auf die Vornahme oder die Unterlassung einer Handlung nach § 23 Abs. 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einstweilige Verfügung wegen des Anspruchs auf Unterrichtung und Beratung . . . . . . . . .
25.606
25.607 II.
25.609 25.610 25.625 25.633 25.635
25.637 25.641 25.643 III. K. 25.646 I. II.
25.652 III.
3. Einstweilige Verfügung zur Durchsetzung von Interessenausgleichsverhandlungen . . . . 4. Einstweilige Verfügung auf Unterlassung . . . . . . . . . . . . . . Individualrechtliche Sanktionsmöglichkeiten 1. Anspruch auf Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG a) Abweichen von einem abgeschlossenen Interessenausgleich . . . . . . . . . . . . b) Umsetzung der Betriebsänderung ohne den Versuch des Interessenausgleichs . . c) Andere wirtschaftliche Nachteile (§ 113 Abs. 2 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . d) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . e) Inhalt des Nachteilsausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Auflösung eines gemeinsamen Betriebes . . . . . . . . g) Besonderheiten im Tendenzbetrieb . . . . . . . . . . . . 2. Unwirksamkeit einzelvertraglicher Maßnahmen . . . . . . . . . Geldbuße nach § 121 BetrVG . . . Die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei Restrukturierungen nach § 178 SGB IX Bildung der Schwerbehindertenvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Art und Weise der Beteiligung 1. Allgemeines Recht auf Unterrichtung und Anhörung . . . . . 2. Beteiligung bei Kündigungen . 3. Verhältnis zu den Beteiligungsrechten aus §§ 111 ff. BetrVG . 4. Verhältnis zu den Beteiligungsrechten aus § 17 KSchG . . . . . Streitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . .
25.658 25.662
25.672 25.677 25.678 25.679 25.680 25.684 25.685 25.686 25.687
25.689
25.690 25.693 25.696 25.700 25.701
25.656
Schrifttum: Adomeit, Der Betriebsrat – ein Volkstribun?, NJW 1995, 1004; Ahrendt, Zum Bemessungsdurchgriff beim Sozialplan, RdA 2012, 340; Annuß/Kühn/Rudolph/Rupp (Hrsg.), EBRG – Europäisches Betriebsrätegesetz, 2014; Annuß, Grundfragen des gemeinsamen Betriebs, NZA Sonderheft 2001, 12; Bachner, Der Betriebsübergang nach § 613a BGB, AiB 1996, 291; Bauer, EU-Richtlinienvorschlag zum Betriebsübergang, DB 1994, 1979; Bauer, Neues Spiel bei der Betriebsänderung und der
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§ 25 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte 2017, 891; Salamon, Strategien im Zusammenhang mit der Zuständigkeitsverteilung zwischen Betriebs-, Gesamtbetriebs- sowie Konzernbetriebsrat, NZA 2013, 708; Salamon/von Stechow, Planung und Durchführung einer Betriebsänderung während der Beteiligung des Betriebsrats, NZA 2016, 85; Schäder, Betriebsrentenanpassung – Berechnungsdurchgriff im Konzern, ArbRB 2013, 179; Schalle, Der Bestandsschutz der Arbeitsverhältnisse bei Unternehmensumwandlung: Eine Untersuchung arbeitsrechtlicher Konsequenzen der Unternehmensorganisationsänderung nach dem UmwG, 1999 (zugl. Diss. Rostock 1998); Scharff, Beteiligungsrechte von Arbeitnehmervertretungen bei Umstrukturierungen auf Unternehmens- und Betriebsebene, BB 2016, 437; Schaub, Fragen zur Haftung bei Betriebs- und Unternehmensaufspaltung, NZA 1989, 5; Schaub, Der Interessenausgleich, in: Festschrift für Wolfgang Däubler, 1999, S. 347; Schiefer, Gesetzentwurf eines Gesetzes zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes, NZA 2001, 351; Schipp/Aberle, Freiwilligenprogramme als Alternative zu betriebsbedingten Kündigungen, ArbRB 2015, 212; Schlewing, Die Aktuelle Rechtsprechung des BAG zur Anpassung der Betriebsrenten an den Kaufkraftverlust, RdA 2010, 364; Scholz, Dotierung eines Sozialplans durch die Einigungsstelle, BB 2006, 1498; Schrader, Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz im Sozialplan, DB 1997, 1714; Schramm/Kuhnke, Das Zusammenspiel von Interessenausgleichs- und Massenentlassungsanzeigeverfahren, NZA 2011, 1071; Schröder, § 613a BGB und nichtiges Erwerbsgeschäft, NZA 1986, 286; Schröder/Falter, Die Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses bei Unternehmensübernahmen nach Inkrafttreten des Risikobegrenzungsgesetzes, NZA 2008, 1097; Schulz, Betriebsänderungen während einer Betriebsratswahl, BB 2017, 949; Schulze, „Sozialplandotierung und Durchgriff bei Betriebsstilllegung im Konzern“, jurisPR-ArbR 12/2019 Anm. 7; Semler, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 1999; Siemes, Die Selbstbindung der Betriebspartner an den Interessenausgleich gemäß § 112 Abs. 1 S. 1 BetrVG, ZfA 1998, 183; Simon/Dobel, Das Risikobegrenzungsgesetz – neue Unterrichtungspflichten bei Unternehmensübernahmen, BB 2008, 1955; Sowka, Betriebsverfassungsrechtliche Probleme der Betriebsaufspaltung, DB 1988, 1318; Steffan, Die Rechtsprechung des BAG zur Mitbestimmung bei Betriebsänderungen nach §§ 111 ff. BetrVG, NZA-RR 2000, 337; Thannheiser, Sozialplanregelungen und ihre tatsächlichen Auswirkungen, AiB 1998, 130, 254; Thannheiser, Moderne Sozialplangestaltung mit Hilfe des SGB III, AiB 1999, 89, 153; Thannheiser, Sozialplanabfindungen, AiB 2000, 460; Thüsing, Beteiligungsrechte von Wirtschaftsausschuss und Betriebsrat bei Unternehmensübernahmen, ZIP 2008, 106; Thüsing/Wege, Freiwilliger Interessenausgleich und Sozialauswahl, BB 2005, 213; Torgan, Wirtschaftliche Vertretbarkeit von Sozialplänen, AuA 1993, 42; Trebeck/Kania, Betriebsspaltungen nach §§ 111, 112 BetrVG im Geltungsbereich eines Strukturtarifvertrages nach § 3 BetrVG, BB 2014, 1595; Trittin, Betriebsübergang: Informationsanspruch des Betriebsrats, AiB 1994, 462; Trittin, Die Verschmelzung von Unternehmen, AiB 1998, 545; Uhl/Polloczek, Sozialplandotierung im Konzern – Adieu Berechnungsdurchgriff?, DStR 2010, 1481; Vogt/Bedkowski, Risikobegrenzungsgesetz – Arbeitsrechtliche Auswirkungen auf M&ATransaktionen, NZG 2008, 725; Wank, Aktuelle Probleme des Arbeitskampfrechts – Unterstützungsstreik, Streik um Tarifsozialplan, Schadensersatz und einstweilige Verfügung, RdA 2009, 1; Weimar/ Alfes, Einstandspflicht der Treuhandanstalt für Sozialpläne ihrer Beteiligungsunternehmen, ZIP 1991, 1529; Weimar/Bartsch, Treuhandanstalt und Konzernrecht, ZIP 1991, 69; Weinmann, Praktische Probleme der Mitbestimmung bei Betriebsänderung und Betriebsübergang, ZfA 1991, 73; WendelingSchröder, Mitwirkungsrechte und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei Betriebsaufspaltung und Unternehmensaufspaltungen?, AiB 1983, 58; Wendeling-Schröder/Welkoborsky, Beschäftigungssicherung und Transfersozialplan – Neue Handlungsfelder auf Grund BetrVG-Novelle und EG-Recht, NZA 2002, 1370; Wenning-Morgenthaler, Die Einigungstelle, 7. Aufl. 2017; Wickler, Die Arbeitgeberkündigung beim rechtsgeschäftlichen Betriebsinhaberwechsel – Zur Problematik des § 613a Abs. 4 BGB, 1985; Willemsen, Arbeitsrechtliche Aspekte der Reform des Umwandlungsrechts, RdA 1993, 133; Willemsen, Arbeitsrecht im Umwandlungsgesetz – Zehn Fragen aus der Sicht der Praxis, NZA 1996, 791; Willemsen/Annuß, Neue Betriebsübergangsrichtlinie – Anpassungsbedarf in deutschem Recht?, NJW 1999, 2073; Willemsen/Hohenstatt, Erstreckung des Übergangsmandats (§ 321 UmwG) auf bislang betriebsratslose Einheit?, DB 1997, 2609; Willemsen/Stammer, Erstreikbarkeit tariflicher Sozialpläne: Die Wiederherstellung der Arbeitskampfparität, NZA 2007, 413; Windbichler, Arbeitsrechtler und andere Laien in der Baugrube des Gesellschaftsrechts – Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung, in: Festschrift für Otto Rudolf Kissel, 1994, S. 1287; Wisskirchen, Die steuerliche Behandlung von Entlassungsentschädigungen ab 1999, NZA 1999, 405; Wißmann, Die Suche nach dem
1024 | Gaul/Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch des Wirtschaftsausschusses | Rz. 25.3 § 25 Arbeitgeber in der Betriebsverfassung, NZA 2001, 409; Wißmann Probleme bei der Umsetzung der EG-Richtlinie über Massenentlassungen in deutsches Recht, RdA 1998, 221; Wlotzke, Arbeitsrechtliche Aspekte des neuen Umwandlungsrechts, DB 1995, 40; Woeller, Zum Unterlassungsanspruch des Betriebsrates bei beabsichtigten Betriebsänderungen, AiB 1997, 317; Wolff, Personalanpassung durch „Transfer Sozialplan“, Neues Konzept der Arbeitgeber der chemischen Industrie, NZA 1999, 622; Wollenschläger, Betriebsverfassungsrechtliche Fragen des Betriebsüberganges nach § 613a BGB unter Berücksichtigung des Rechtes der Europäischen Union, in: Festschrift für Wolfgang Gitter, 1995, S. 1067; Worzalla/Will, Das neue Betriebsverfassungsrecht, 2002; Zartmann, Die Betriebsaufspaltung – eine attraktive Gestaltungsform wirtschaftlich, handelsrechtlich, steuerlich, 1980; Zöllner, Die Anpassung von Betriebsrenten im Konzern, AG 1994, 285; Zöllner, Gemeinsame Betriebsnutzung, in: Festschrift für Johannes Semler, 1993, S. 593; Zwanziger, Der Interessenausgleich – Betriebliches Regelungsinstrument oder Muster ohne kollektiven Wert?, BB 1998, 477.
A. Unterrichtungs- und Beratungsanspruch des Wirtschaftsausschusses nach § 106 BetrVG I. Anwendungsbereich der Vorschrift In allen Unternehmen mit in der Regel mehr als einhundert ständig beschäftigten Arbeitnehmern ist ein Wirtschaftsausschuss zu bilden. Der Wirtschaftsausschuss hat die Aufgabe, wirtschaftliche Angelegenheiten mit dem Unternehmer zu beraten und den Betriebsrat bzw. Gesamtbetriebsrat zu unterrichten (§ 106 Abs. 1 BetrVG). Der Unternehmer hat den Wirtschaftsausschuss daher rechtzeitig und umfassend über die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens (vgl. Rz. 25.11 ff.) unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu unterrichten, soweit dadurch nicht die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens gefährdet werden (§ 106 Abs. 2 BetrVG) (vgl. Rz. 25.60 ff.). Eine Verletzung dieser Pflichten des Unternehmers stellt eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 121 BetrVG).
25.1
Der Wirtschaftsausschuss ist ein Hilfsorgan des Betriebsrats bzw. Gesamtbetriebsrats1. Er wird für das Unternehmen gebildet, nicht für einen oder mehrere Betriebe2. Die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses werden vom Betriebsrat bzw. Gesamtbetriebsrat für die Dauer seiner Amtszeit bestimmt. Sie müssen dem Unternehmen angehören. Ein Mitglied muss Betriebsrat sein. Die Mitglieder können jederzeit abberufen werden (§ 107 Abs. 2 BetrVG). Auch wenn es sich in der betrieblichen Praxis bei den Mitgliedern des Wirtschaftsausschusses häufig um Betriebsräte handelt, sind Betriebsrat und Wirtschaftsausschuss unterschiedliche Gremien mit unterschiedlicher Zusammensetzung und unterschiedlichen Aufgaben. Der Wirtschaftsausschuss ist auch in Bezug auf solche Angelegenheiten zu beteiligen, die auch oder nur Betriebe betreffen, in denen kein Betriebsrat gewählt ist3. Der Arbeitgeber kann Verpflichtungen gegenüber dem Betriebsrat nicht gegenüber dem Wirtschaftsausschuss erfüllen4.
25.2
Endet die Amtszeit des Betriebs- oder Gesamtbetriebsrats, entfällt auch der Wirtschaftsausschuss. Sinkt die Zahl der in der Regel im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer unter
25.3
1 BAG v. 1.8.1990 – 7 ABR 91/88; Fitting, § 106 BetrVG Rz. 2; Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 4; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 11; DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 2; HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 10; ErfK/Kania, § 106 BetrVG Rz. 1; HWGNRH/Hess, § 106 BetrVG Rz. 24. 2 Fitting, § 106 BetrVG Rz. 4; Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 6; DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 5; ErfK/Kania, § 106 BetrVG Rz. 2. 3 BAG v. 9.5.1995 – 1 ABR 61/94. 4 BAG v. 26.2.2015 – 2 AZR 371/14.
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§ 25 Rz. 25.3 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
101, so endet die Amtszeit des Wirtschaftsausschusses auch dann, wenn die Amtszeit des Betriebs- oder Gesamtbetriebsrats noch fortbesteht1.
25.4
Obgleich § 106 BetrVG wie die übrigen Regelungen im Bereich der wirtschaftlichen Mitbestimmung vom Unternehmer spricht, trifft die dort genannte Verpflichtung den Rechtsträger des Betriebs und damit den Arbeitgeber2. Dies gilt auch dann, wenn das Unternehmen seinen Sitz im Ausland hat3. Die unterschiedliche Bezeichnung bringt lediglich zum Ausdruck, dass der Arbeitgeber hier in seiner Funktion als Unternehmer – also in wirtschaftlichen Angelegenheiten – betroffen ist. Adressat der Verpflichtung sind mithin die gesetzlichen Vertreter des Unternehmens, bei juristischen Personen also die Geschäftsführung bzw. der Vorstand, die sich in der Regel durch den Personalbereich vertreten lassen. Ansprüche auf Unterrichtung und Beratung gegenüber den Gesellschaftern des Unternehmens bestehen nicht4. Dies folgt bereits aus dem eindeutigen Wortlaut von § 106 Abs. 1 Satz 2 BetrVG.
25.5
Der Wirtschaftsausschuss hat im Ergebnis keine Möglichkeiten, eine unternehmerische Entscheidung zu verhindern. Er hat lediglich einen Anspruch auf Unterrichtung und Beratung und die Pflicht, dem Betriebsrat über jede Sitzung unverzüglich und vollständig zu berichten (§ 108 Abs. 4 BetrVG).
II. Voraussetzung für die Errichtung 25.6
Voraussetzung für die Errichtung eines Wirtschaftsausschusses ist, dass in einem Unternehmen in der Regel mehr als einhundert Arbeitnehmer ständig beschäftigt werden und zumindest in einem Betrieb des Unternehmens ein Betriebsrat gebildet ist. Für die Feststellung, ob in einem Unternehmen in der Regel mehr als einhundert Arbeitnehmer ständig beschäftigt werden, gilt der betriebsverfassungsrechtliche Arbeitnehmerbegriff. Die in § 5 Abs. 2 BetrVG genannten Personen sowie leitende Angestellte zählen damit nicht mit5. Zu berücksichtigen sind dabei seit der am 1.4.2017 in Kraft getretenen Novelle des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes auch Leiharbeitnehmer, wenn die Einsatzdauer sechs Monate übersteigt (§ 14 Abs. 2 Satz 4 AÜG). Auf den Streit, ob sie nur dann zu berücksichtigen sind, solange die Leiharbeitnehmer einen ständigen Arbeitsplatz („Dauerarbeitsplatz“) besetzen, kommt es damit nicht mehr an6. Gezählt werden nur die „in der Regel […] ständig beschäftigten“ Arbeitnehmer. In der Regel ständig beschäftigt sind jedenfalls solche Arbeitnehmer, die auf unbestimmte Zeit eingestellt sind. Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nur auf eine bestimmte Zeit eingegangen ist, sind nach der Rechtsprechung „in der Regel ständig“ beschäftigt, wenn sie normalerweise während des größten Teils eines Jahres, das heißt länger als sechs Monate eingesetzt werden7. Für Leiharbeitnehmer ändert hieran auch die neue Fassung des § 14 Abs. 2
1 BAG v. 7.4.2004 – 7 ABR 41/03; Fitting, § 106 BetrVG Rz. 14; a.A. DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 14. 2 BAG v. 14.4.2015 – 1 AZR 794/13. 3 Fitting, § 106 BetrVG Rz. 20; Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 14; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 24 f.; DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 29; HWGNRH/Hess, § 106 BetrVG Rz. 9. 4 Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 57; HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 31. 5 Fitting, § 106 BetrVG Rz. 15; Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 11; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 35; ErfK/Kania, § 106 BetrVG Rz. 2; HWGNRH/Hess, § 106 BetrVG Rz. 19. 6 Vgl. Fitting, § 106 BetrVG Rz. 15; Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 11; DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 12. 7 BAG v. 2.8.2017 – 7 ABR 51/15; BAG v. 18.1.2017 – 7 ABR 60/15; BAG v. 18.10.2011 – 1 AZR 335/10.
1026 | Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch des Wirtschaftsausschusses | Rz. 25.7 § 25
Satz 4 AÜG nichts, denn die Gesetzesbegründung stellt klar, dass die Regelung zwar bewirkt, dass Leiharbeitnehmer bei der Berechnung der betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerte grundsätzlich zu berücksichtigen sind; das Vorliegen der gegebenenfalls in der jeweiligen Norm enthaltenen weiteren Voraussetzungen wie zum Beispiel eine Beschränkung auf „in der Regel“ Beschäftigte wird jedoch gerade nicht fingiert1. Das BAG hat diese Begründung aufgegriffen und klargestellt, dass auch künftig Leiharbeitnehmer nur dann i.S.d. § 14 Abs. 2 Satz 4 AÜG für die Schwellenwerte des BetrVG zu berücksichtigen sind, wenn gleichzeitig die weiteren Voraussetzungen der jeweiligen Norm des BetrVG erfüllt sind2. Für den Schwellenwert des § 106 Abs. 1 BetrVG sind folglich auch unter der neuen Fassung des AÜG entsprechend § 14 Abs. 2 Satz 6 AÜG nur diejenigen Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen, deren Einsatzdauer sechs Monate übersteigt. Hat ein Unternehmen mehrere Betriebe, werden die Arbeitnehmer aller Betriebe zusammengezählt. Auf die Größe der einzelnen Betriebe und darauf, ob alle einen Betriebsrat haben, kommt es nicht an3. Betreiben mehrere Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb mit in der Regel mehr als einhundert ständig beschäftigten Arbeitnehmern, so ist ein Wirtschaftsausschuss für jedes der beteiligten Unternehmen auch dann zu bilden, wenn keines der beteiligten Unternehmen für sich allein diese Beschäftigtenzahl erreicht4. Es überzeugt nicht, das Recht zur Errichtung eines Wirtschaftsausschusses nur deshalb zu versagen, weil die gesellschaftsrechtliche Struktur in einer Weise gestaltet ist, dass mehrere selbständige Rechtsträger jeweils nicht mehr als einhundert Arbeitnehmer beschäftigen, der Gemeinschaftsbetrieb indes die Voraussetzungen erfüllt5. In diesem Fall ist von einer Gesetzeslücke auszugehen. Eine solche Gesetzeslücke erblickt das BAG mit überzeugender Begründung allerdings dann nicht, wenn ein Gemeinschaftsbetrieb von einem herrschenden Unternehmen sowie einem in dessen alleinigen Eigentum stehenden, abhängigen Unternehmen geführt wird und die Voraussetzungen zur Bildung eines Wirtschaftsausschusses allein beim herrschenden Unternehmen vorliegen6. Da die Muttergesellschaft bestimmenden Einfluss auch auf die Tochtergesellschaft hat, sei über den Wirtschaftsausschuss bei der Muttergesellschaft zugleich der Informationsanspruch der Tochtergesellschaft gewährleistet. Entsprechendes muss gelten, wenn nicht bei der Muttergesellschaft, sondern nur bei der Tochtergesellschaft die Voraussetzungen für die Bildung eines Wirtschaftsausschusses vorliegen. In diesem Fall ist der Wirtschaftsausschuss nur bei der Tochtergesellschaft zu bilden, denn über den Wirtschaftsausschuss bei der Tochtergesellschaft ist der Informationsanspruch der Muttergesellschaft durch deren bestimmenden Einfluss auf die Tochtergesellschaft gewährleistet. Das BAG hat jüngst die Bildung eines Wirtschaftsausschusses in einem gemeinsamen Betrieb abgelehnt, an dem ein Tendenzunternehmen beteiligt war und das tendenzfreie Unternehmen in dem Betrieb weniger als 100 Arbeitnehmer beschäftigt hat7.
1 BT-Drucks. 18/9232, S. 29. 2 BAG v. 2.8.2017 – 7 ABR 51/15. 3 Fitting, § 106 BetrVG Rz. 16; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 34; DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 8 HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 19. 4 BAG v. 1.8.1990 – 7 ABR 91/88; Fitting, § 106 BetrVG Rz. 18; DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 21; HWGNRH/Hess, § 106 BetrVG Rz. 14; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 39; eher ablehnend: HWK/ Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 27; a.A. Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 12. 5 So bislang auch BAG v. 1.8.1990 – 7 ABR 91/88. 6 BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 10/14. 7 BAG v. 19.11.2019 – 7 ABR 3/18.
Ludwig/A. Otto | 1027
25.7
§ 25 Rz. 25.8 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
25.8
Hat ein Unternehmen Betriebe im Inland und im Ausland, zählen die im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer nicht mit1.
25.9
Für die Feststellung, ob der maßgebliche Schwellenwert erreicht ist, kommt es nicht darauf an, wie viele Arbeitnehmer in dem Unternehmen an einem bestimmten Stichtag beschäftigt werden, sondern darauf, wie viele Arbeitnehmer ein Unternehmen in der Vergangenheit beschäftigt hat und in der Zukunft voraussichtlich beschäftigen wird2. Es ist mithin eine Prognose anzustellen. Dies folgt aus dem Tatbestandsmerkmal „in der Regel ständig beschäftigt“. Ist somit absehbar, dass die Beschäftigtenzahl in absehbarer Zeit dauerhaft unter 101 Arbeitnehmer sinkt, ist kein Wirtschaftsausschuss zu bilden. Als Referenzzeitraum wird man in Anlehnung an die Schwellenwerte bei der unternehmerischen Mitbestimmung von einem Zeitraum von 18 bis 24 Monaten ausgehen müssen3.
25.10
§ 106 Abs. 1 BetrVG ist zwingend. Die Norm ist auf kleinere Unternehmen auch nicht entsprechend anwendbar4. Dies bedeutet aber nicht, dass in kleineren Unternehmen der Betriebsrat unter bestimmten Voraussetzungen nicht auch über wirtschaftliche Angelegenheiten unterrichtet werden müsste. Nach Maßgabe von § 80 Abs. 2 BetrVG hat der Betriebsrat Anspruch auf Unterrichtung auch in wirtschaftlichen Angelegenheiten, sofern dies zur Durchführung konkreter Aufgaben (z.B. §§ 92, 111, 112 BetrVG) erforderlich ist. Letzteres muss der Betriebsrat darlegen. Die beiden Anspruchsgrundlagen aus § 106 Abs. 1 BetrVG und § 80 Abs. 2 BetrVG stehen nebeneinander5. Der Betriebsrat tritt indes nicht an die Stelle eines nicht bestehenden Wirtschaftsausschusses, da die Beteiligungsrechte des Wirtschaftsausschusses nur im Falle einer bestimmten Unternehmensgröße bestehen sollen6. Auf der Ebene des Konzernbetriebsrats kann außerhalb von § 3 BetrVG kein Wirtschaftsausschuss errichtet werden. Das heißt, es gibt keinen „Konzernwirtschaftsausschuss“ des Konzernbetriebsrats7. Der Konzernbetriebsrat kann allerdings einen eigenständigen Ausschuss für wirtschaftliche Angelegenheiten im Konzern bilden, wenngleich einem solchen Ausschuss die Rechte aus §§ 106 ff. BetrVG nicht zustehen. Informationen kann ein solcher Ausschuss nur auf der Grundlage von § 80 Abs. 2 BetrVG verlangen. Nach zutreffender Auffassung ist es aber möglich, auf der Grundlage von § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG einen Konzernwirtschaftsausschuss durch Tarifvertrag bzw. durch Konzernbetriebsvereinbarung zu bilden8. Schließlich kann ein Wirtschaftsausschuss auf Ebene einer Konzernobergesellschaft gebildet werden, wenn diese in der Regel mehr als einhundert Arbeitnehmer ständig beschäftigt9.
1 Fitting, § 106 BetrVG Rz. 19; HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 27; ErfK/Kania, § 106 BetrVG Rz. 2; a.A. DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 28. 2 DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 8 ff.; HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 21. 3 OLG Düsseldorf v. 9.12.1994 – 19 W 2/94; HWK/Seibt, § 1 DrittelbG Rz. 11. 4 BAG v. 7.4.2004 – 7 ABR 41/03; ErfK/Kania, § 106 BetrVG Rz. 2. 5 BAG v. 5.2.1991 – 1 ABR 24/90; Fitting, § 106 BetrVG Rz. 22; Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 16. 6 Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 16; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 44; DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 26. 7 BAG v. 23.8.1989 – 7 ABR 39/88; Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 9; wohl a.A. DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 18. 8 GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 30. 9 BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 10/14.
1028 | Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch des Wirtschaftsausschusses | Rz. 25.15 § 25
III. Wirtschaftliche Angelegenheiten § 106 Abs. 2 BetrVG verpflichtet den Unternehmer nicht nur, den Wirtschaftsausschuss umfassend über die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens zu unterrichten, sondern auch, die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Personalplanung1 darzustellen. Hiervon erfasst ist die Planung des Personalbedarfs, der Personalbeschaffung, des Personaleinsatzes sowie der Personalentwicklung2.
25.11
Die in § 106 Abs. 3 BetrVG genannten wirtschaftlichen Angelegenheiten sind nicht abschließend, was durch die Einleitung der Aufzählung mit dem Wort „insbesondere“ und durch die Generalklausel in § 106 Abs. 3 Nr. 10 BetrVG erkennbar wird, wonach zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten auch sonstige Vorgänge und Vorhaben gehören, welche die Interessen der Arbeitnehmer des Unternehmens wesentlich berühren können.
25.12
Über die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens wird der Wirtschaftsausschuss häufig in den regelmäßig stattfindenden Wirtschaftsausschusssitzungen unterrichtet. Bei geplanten Restrukturierungsvorhaben bieten sich außerordentliche Wirtschaftsausschusssitzungen an.
25.13
1. Wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens (§ 106 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG) Die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens i.S.d. § 106 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG erfasst die Vermögens- und Kreditlage des Unternehmens, d.h. insbesondere Verluste, Gewinne, die Versorgungslage, Außenstände, steuerliche Belastung, Personalkosten3, konjunkturelle Entwicklung, nicht hingegen die privaten finanziellen Verhältnisse des Unternehmers4. Nach Maßgabe von § 108 Abs. 5 BetrVG ist dem Wirtschaftsausschuss der Jahresabschluss zu erläutern. Der Jahresabschluss umfasst die Jahresbilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung. Zu den vorzulegenden Unterlagen gehört auch der Wirtschaftsprüfungsbericht des Abschlussprüfers5. Nicht überzeugend ist hingegen, dass in konzerngebundenen Unternehmen auch der Konzernabschluss vorzulegen ist6. Dies folgt daraus, dass die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens betroffen sind und das Gesetz das Konstrukt eines Konzernwirtschaftsausschusses gerade nicht kennt.
25.14
In der betrieblichen Praxis kommt es immer wieder vor, dass Arbeitnehmervertreter bemüht sind, die Höhe der Rückstellungen in Erfahrung zu bringen, um den entsprechenden Betrag bspw. schon als angebotenes Sozialplanvolumen zu deklarieren, was natürlich fernliegend ist. Nichtsdestotrotz bilden Anhaltspunkte zu den Faktoren mit Einfluss auf die wirtschaftliche Lage des Unternehmens die nach § 266 HGB in die Bilanz aufzunehmenden Posten. Hierzu gehören auch die sonstigen Rückstellungen und damit auch Rückstellungen für Restrukturierungskosten. Da Rückstellungen künftigen Verpflichtungen Rechnung tragen sollen, deren Erfüllung die wirtschaftliche Lage des Unternehmens beeinflussen wird, wird man ein entsprechendes Informationsrecht bejahen müssen. Will man diesem nicht nachkommen, bleibt
25.15
1 2 3 4
Vgl. zur Personalplanung Fitting, § 92 BetrVG. BAG v. 6.11.1990 – 1 ABR 60/89; Fitting, § 106 BetrVG Rz. 37. Zur Entwicklung des Personalstands LAG Köln v. 10.3.2017 – 9 TaBV 17/16. Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 40; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 65 ff.; HWK/Willemsen/ Lembke, § 106 BetrVG Rz. 57. 5 BAG v. 8.8.1989 – 1 ABR 61/88. 6 So aber LAG Berlin-Brandenburg v. 19.7.2018 – 21 TaBV 33/18.
Ludwig/A. Otto | 1029
§ 25 Rz. 25.15 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
nur die Berufung auf Geschäftsgeheimnisse und der Gang in die Einigungsstelle nach § 109 Satz 1 BetrVG. Auch das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) steht dem nicht entgegen. Das GeschGehG lässt gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 4, 2. Var. GeschGehG die Rechte der Arbeitnehmervertretungen unberührt. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3, Var. 2 GeschGehG darf ein Geschäftsgeheminis durch Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertretung erlangt werden. Korrespondierend dazu stellt die Gesetzesbegründung klar, dass arbeitsrechtliche Geheimhaltungsverpflichtungen durch das Gesetz unberührt bleiben sollen1.
25.16
Unter Umständen können auch Berichte einer Unternehmensberatung vorzulegen sein, wenn Ergebnisse aus diesen in die Unternehmenspraxis übertragen worden sind2.
2. Produktions- und Absatzlage (§ 106 Abs. 3 Nr. 2 BetrVG) 25.17
Die Produktionslage beschreibt die Relation zwischen Kapazität, also der möglichen Erzeugnismenge und tatsächlicher Auslastung; der Unternehmer hat den Wirtschaftsausschuss über die durchgeführte Produktion sowie erbrachten Dienstleistungen zu unterrichten, aber auch etwa über den Bedarf an Betriebsmitteln und Rohstoffen, gewerbliche Auflagen und drohende Hemmnisse, wie Streiks oder höhere Gewalt3. Die Absatzlage bezieht sich auf alle Gegebenheiten, die für den Vertrieb, den Umsatz und den Verkauf der Produkte des Unternehmens von Bedeutung sind4. Die Unterrichtungspflicht erstreckt sich daher z.B. auf monatliche Erfolgsrechnungen oder Betriebsabrechnungsbögen im Hinblick auf Umsätze und Kosten5.
3. Produktions- und Investitionsprogramm (§ 106 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG) 25.18
Unter dem Produktionsprogramm ist die Planung der Art und des Umfangs der Erzeugung von Gütern und Dienstleistungen zu verstehen6. Das Programm legt bspw. fest, welche Waren hergestellt werden sollen oder ob zu einem anderen Produkttyp oder einer anderen Dienstleistung übergegangen werden soll.
25.19
Im Investitionsprogramm wird demgegenüber festgelegt, welche Investitionsprogramme oder Einzelinvestitionen durchgeführt werden sollen. Hierzu zählen bspw. die Anschaffung von Maschinen oder der Erwerb eines Grundstücks zur Erweiterung einer Produktionshalle7.
25.20
Zu den im Rahmen von § 106 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG vorzulegenden Unterlagen gehören z.B. Haushalts-, Business-, Finanzierungs-, oder Werbeaktionspläne8.
1 BT-Drucks. 19/4724, S. 26: „Hiervon unabhängig können jedoch arbeitsrechtliche Geheimhaltungspflichten bestehen“. 2 Hessisches LAG v. 1.9.1988 – 12 TaBV 46/88. 3 Fitting, § 106 BetrVG Rz. 56; Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 42; HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 60. 4 Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 42; HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 61. 5 BAG v. 17.9.1991 – 1 ABR 74/90. 6 Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 43; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 72. 7 Fitting, § 106 BetrVG Rz. 58; Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 44. 8 HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 65.
1030 | Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch des Wirtschaftsausschusses | Rz. 25.25 § 25
4. Rationalisierungsvorhaben (§ 106 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG) Die Rationalisierung i.S.d. § 106 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG bezieht sich auf die Gestaltung der Arbeitsvorgänge mit dem Ziel, die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens zu steigern1, etwa durch Einführung effizienterer Arbeits- und Fabrikationsmethoden, eine stärkere Automatisierung oder durch Straffung der Betriebsorganisation2.
25.21
5. Fabrikations- und Arbeitsmethoden (§ 106 Abs. 3 Nr. 5 BetrVG) Unter Fabrikationsmethoden sind die technischen Vorgehensweisen bei der Gestaltung der Produktion im weitesten Sinne zu verstehen. Hierunter fallen zum Beispiel die Entscheidung, ob in Einzel- oder Massenfertigung produziert werden soll oder in welchem Maße Maschinen zum Einsatz kommen sollen3.
25.22
Arbeitsmethoden bezeichnen dagegen die Art und Weise, wie die menschliche Arbeitskraft zur Erzeugung von Gütern bzw. zur Ausübung von Dienstleistungen eingesetzt wird4. Hierunter fällt etwa die Frage, ob in Einzel- oder Gruppenarbeit („agiles Arbeiten“) oder in Telearbeit gearbeitet wird. Einzubeziehen sein können auch Änderungen der Arbeitszeitstruktur5.
25.23
6. Fragen des betrieblichen Umweltschutzes (§ 106 Abs. 3 Nr. 5a BetrVG) Der Unternehmer hat den Wirtschaftsausschuss auch in Fragen des betrieblichen Umweltschutzes zu unterrichten. Was unter betrieblichem Umweltschutz zu verstehen ist, ergibt sich teilweise aus § 89 Abs. 3 BetrVG6. Hiernach sind unter dem betrieblichen Umweltschutz alle personellen und organisatorischen Maßnahmen sowie alle die betrieblichen Bauten, Räume, technische Anlagen, Arbeitsverfahren, Arbeitsabläufe und Arbeitsplätze betreffenden Maßnahmen zu verstehen, die dem Umweltschutz dienen. Die Norm enthält indes nur eine Definition des Wortes „betrieblich“. Eine Definition des Begriffes „Umweltschutz“ fehlt hingegen. Nach allgemeinem Sprachverständnis dürfte unter Umweltschutz jede Handlung zu verstehen sein, die den vorhandenen Bestand an Sachgütern, Naturgütern (Boden, Wasser, Luft, Klima, Tiere, Pflanzen, Menschen), Kulturgütern, an Landschaft und Naturhaushalt sowie das zwischen ihnen bestehende Wirkungsgefüge stärkt7.
25.24
7. Einschränkung oder Stilllegung von Betrieben oder Betriebsteilen (§ 106 Abs. 3 Nr. 6 BetrVG) Der Tatbestand „Einschränkungen oder Stilllegungen von Betrieben oder Betriebsteilen“ des § 106 Abs. 3 Nr. 6 BetrVG entspricht dem des § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG (vgl. Rz. 25.102 ff.). Der Wirtschaftsausschuss ist allerdings auch über Veränderungen bei kleineren (nicht wesentlichen) Betriebsteilen zu unterrichten8. Auf für die Arbeitnehmer befürchtete Nachteile
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GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 74; HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 66. HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 66. Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 46; HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 68. Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 47; HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 68. HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 68. HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 70. HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 70. Fitting, § 106 BetrVG Rz. 67; Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 50; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 81.
Ludwig/A. Otto | 1031
25.25
§ 25 Rz. 25.25 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
kommt es nicht an. Der Wirtschaftsausschuss ist auch zu unterrichten, wenn ein betriebsratsloser Betrieb stillgelegt wird1.
8. Verlegung von Betrieben oder Betriebsteilen (§ 106 Abs. 3 Nr. 7 BetrVG) 25.26
Der Tatbestand der „Verlegung von Betrieben oder Betriebsteilen“ gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 7 BetrVG entspricht dem des § 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG (vgl. Rz. 25.125 ff.). Auch hier besteht der Unterschied darin, dass der Wirtschaftsausschuss auch über die Verlegung kleinerer (nicht wesentlicher) Betriebsteile zu unterrichten ist und es nicht auf für die Arbeitnehmer befürchteten Nachteile ankommt2.
9. Zusammenschluss oder Spaltung von Unternehmen oder Betrieben (§ 106 Abs. 3 Nr. 8 BetrVG) 25.27
Der Tatbestand „Zusammenschluss oder Spaltung von Unternehmen oder Betrieben“ nach § 106 Abs. 3 Nr. 8 BetrVG entspricht dem des § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG (vgl. Rz. 25.132 ff.), mit dem Unterschied, dass sich § 106 Abs. 3 Nr. 8 BetrVG nicht nur auf Betriebe sondern auch auf Unternehmen erstreckt3. Der Zusammenschluss von Unternehmen umfasst hierbei die Verschmelzung (§§ 2 ff. UmwG), die grenzüberschreitende Verschmelzung (§§ 122a ff. UmwG) und die Vermögensübertragung in Form der Vollübertragung (§ 174 Abs.1 UmwG), die Spaltung von Unternehmen umfasst die Aufspaltung, die Abspaltung oder die Ausgliederung (§§ 123 ff. UmwG)4 und die Vermögensübertragung in Form der Teilübertragung (§ 174 Abs. 2 UmwG). Der Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG) wird hingegen nicht umfasst; insoweit kann aber § 106 Abs. 3 Nr. 10 BetrVG eingreifen5.
10. Änderung der Betriebsorganisation oder des Betriebszwecks (§ 106 Abs. 3 Nr. 9 BetrVG) 25.28
Der Tatbestand der „Änderung der Betriebsorganisation oder des Betriebszwecks“ gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 9 BetrVG entspricht dem des § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG (vgl. Rz. 25.156 ff.). Anders als § 106 Abs. 3 Nr. 9 BetrVG umfasst § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG zwar darüber hinaus noch Änderungen der Betriebsanlagen. Letztere werden aber regelmäßig unter § 106 Abs. 3 Nr. 10 BetrVG fallen6. Der Wirtschaftsausschuss ist abweichend von § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG allerdings auch bei nicht „grundlegenden“ Änderungen der Betriebsorganisation oder des Betriebszwecks zu beteiligen.
11. Unternehmensübernahme mit Kontrollerwerb (§ 106 Abs. 3 Nr. 9a BetrVG) 25.29
Gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 9 lit. a BetrVG zählt zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten die Übernahme des Unternehmens, wenn hiermit der Erwerb der Kontrolle verbunden ist. Die Norm setzt kumulativ erstens die Übernahme eines Unternehmens und zweites einen Kontrollerwerb voraus. Sowohl der – indirekte – Kontrollerwerb ohne Übernahme des Unterneh1 BAG v. 9.5.1995 – 1 ABR 61/94; HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 75. 2 Fitting, § 106 BetrVG Rz. 68; Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 51; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 83; HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 76. 3 Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 52. 4 Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 53 GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 85 f. 5 Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 53; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 87. 6 HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 81.
1032 | Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch des Wirtschaftsausschusses | Rz. 25.33 § 25
mens als auch die Übernahme des Unternehmens ohne Kontrollerwerb sind also nicht ausreichend. Veränderungen auf Gesellschafterebene, die nicht mit einem Kontrollerwerb verbunden sind, können aber unter die Generalklausel in § 106 Abs. 3 Nr. 10 BetrVG fallen. Die „Übernahme des Unternehmens“ setzt voraus, dass der Erwerber eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung (Share Deal) am Unternehmen erlangt; die Übernahme im Wege eines Asset Deals reicht demgegenüber nicht aus1.
25.30
Wann ein Kontrollerwerb i.S.v. § 106 Abs. 3 Nr. 9 lit. a BetrVG vorliegt, ist gesetzlich nicht geregelt. Bei börsennotierten Gesellschaften wird man den Schwellenwert des § 29 Abs. 2 WpÜG heranziehen können, sodass ein Kontrollerwerb beim Erwerb von mindestens 30 % der Stimmrechte gegeben ist2. Bei nicht-börsennotieren Gesellschaften ist mit der h.M.3 indes davon auszugehen, dass ein Kontrollerwerb erst bei Erwerb von mehr als 50 % der Anteile an dem Unternehmen vorliegt. Ein indirekter Kontrollerwerb, bspw. der Erwerb einer Konzernobergesellschaft, ist von dem Wortlaut der Norm nicht erfasst4. Allerdings wird man einen Unterrichtungsanspruch des Wirtschaftsausschusses auf der Grundlage der Generalklausel in § 106 Abs. 3 Nr. 10 BetrVG auch schon dann bejahen können, wenn eine Anteilsübertragung nicht mit einem Kontrollerwerb verknüpft ist. Dies kann sich z.B. aus der mit einer solchen Übertragung möglicherweise verbundenen Änderung der Geschäftspolitik ergeben5. Mitzuteilen sind in diesem Fall die Tatsache der Veräußerung, der Name des neuen Erwerbers und eventuelle Planungen über die künftige Unternehmenspolitik.
25.31
Bei börsennotierten Gesellschaften sind bei Veränderungen auf Gesellschafterebene zusätzlich die Besonderheiten des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes („WpÜG“) zu beachten (vgl. auch § 31). Gemäß § 10 Abs. 5 Satz 2 WpÜG muss der Vorstand des Zielunternehmens den Betriebsrat unverzüglich über die Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Angebots informieren. Sofern kein Betriebsrat gebildet ist, sind die Arbeitnehmer direkt zu informieren. Ferner muss der Vorstand die Angebotsunterlagen des Bieters an den Betriebsrat bzw. die Arbeitnehmer weiterleiten (§ 14 Abs. 4 Satz 2 WpÜG).
25.32
12. Sonstige für die Arbeitnehmer bedeutsame Vorgänge und Vorhaben (§ 106 Abs. 3 Nr. 10 BetrVG) § 106 Abs. 3 Nr. 10 BetrVG enthält eine beschränkte Generalklausel. Unter „Sonstige Vorgänge und Vorhaben“ sind alle wirtschaftlichen Angelegenheiten zu verstehen, die nicht bereits durch die Nrn. 1–9a umfasst sind6. Da die Formulierung „Vorgänge und Vorhaben“ als solche uferlos ist7, verlangt der Gesetzgeber als Korrektiv, dass die Vorgänge und Vorhaben 1 HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 81b. 2 Fitting, § 106 BetrVG Rz. 82 ff.; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 96; HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 81d. 3 Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 55a; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 97; DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 88; weitergehend HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 81d, die einen beherrschenden Einfluss i.S.d. § 290 Abs. 2 HGB verlangen; a.A. Fitting, § 106 BetrVG Rz. 86, der auch für nicht börsennotierte Unternehmen die Schwelle von 30 % nach § 29 Abs. 2 WpÜG genügen lässt. 4 Fitting, § 106 BetrVG Rz. 89. 5 BAG v. 22.1.1991 – 1 ABR 38/89. 6 BAG v. 11.7.2000 – 1 ABR 43/99; BAG v. 22.1.1991 – 1 ABR 38/89; Fitting, § 106 BetrVG Rz. 130; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 102. 7 GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 102.
Ludwig/A. Otto | 1033
25.33
§ 25 Rz. 25.33 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
„die Interessen der Arbeitnehmer des Unternehmens wesentlich berühren können“ müssen. Zwischen den Vorgängen und Vorhaben einerseits und der rechtlichen bzw. tatsächlichen Stellung der Arbeitnehmer andererseits muss demnach ein Zusammenhang bestehen. Wie aus dem Wort „können“ hervorgeht, müssen dafür die Interessen der Arbeitnehmer nicht tatsächlich berührt sein; ausreichend ist die Möglichkeit1. Die Interessen der Arbeitnehmer müssen wesentlich berührt werden können, das heißt, sie müssen unter Umständen von bedeutungsvoller sozialer Auswirkung sein2. Ob diese Wesentlichkeitsschwelle überschritten ist, hängt stets vom Einzelfall ab und kann nur aus der Sicht des betroffenen Unternehmens heraus entschieden werden3.
25.34
Vor diesem Hintergrund können Auskünfte zum Beispiel zu erteilen sein über: – die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen ohne Kontrollerwerb nach Nr. 9a. Dies kann jedenfalls dann gelten, wenn der neue Gesellschafter oder eine neue Konzernobergesellschaft maßgeblichen Einfluss auf die Unternehmensführung ausüben können4; – einen Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG)5 oder die Umwandlung in eine SE oder SCE; – ein Outsourcing-Pilotprojekt und die damit verbundenen Kosten, sofern dieses geeignet ist, erhebliche Auswirkungen auch auf die künftige Personalplanung zu entfalten6; – monatliche Benchmarkdaten, deren Auswertung Rückschlüsse auf die Personalkosten zulassen und die Auswirkungen auf die Personalplanung des Unternehmens haben kann7; – einen geplanten Börsengang8.
25.35
Auch wenn sich die Katalogtatbestände in § 106 Abs. 3 BetrVG und § 111 Satz 3 BetrVG damit ähneln, so sind sie nicht identisch. Insbesondere kommt es für den Unterrichtungsanspruch aus § 106 Abs. 3 BetrVG nicht auf Kriterien wir „grundlegend“ oder „wesentlich“ an, wie dies bei § 111 Satz 3 BetrVG der Fall ist. Unabhängig davon ist das Wesentlichkeitskriterium des § 106 Abs. 3 Nr. 10 BetrVG nicht auf die Nrn. 1–9a zu übertragen9. Die Formulierung der Generalklausel in Nr. 10 „Vorgänge und Vorhaben“ ist derart weit gefasst, dass hierunter schlichtweg alles gefasst werden könnte10. Aus diesem Grunde hat der Gesetzgeber als entscheidendes Korrektiv und zusätzliche Schwelle das Wesentlichkeitskriterium eingeführt11. Der Anwendungsbereich der Nrn. 1–9a ist demgegenüber hinreichend klar konturiert.
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DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 89; HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 82. Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 56. HWGNRH/Hess, § 106 BetrVG Rz. 72. GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 108; HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 83. Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 53; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 87. BAG v. 11.7.2000 – 1 ABR 43/99. LAG Köln v. 5.10.2011 – 9 TaBV 94/10. HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 83; ErfK/Kania, § 106 BetrVG Rz. 17. Fitting, § 106 BetrVG Rz. 48; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 58; a.A. Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 38. 10 GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 102. 11 GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 107 ff.
1034 | Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch des Wirtschaftsausschusses | Rz. 25.39 § 25
IV. Art und Weise der Unterrichtung und Beratung 1. Begriffe der Unterrichtung und Beratung Neben der Pflicht zur Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses über wirtschaftliche Angelegenheiten (§ 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG), trifft den Unternehmer auch die Pflicht zur Beratung (§ 106 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Die Begriffe Unterrichtung und Beratung sind in § 106 BetrVG nicht näher definiert. Insofern kann die Richtlinie 2002/14/EG1 zur Orientierung herangezogen werden. Hiernach ist die Unterrichtung die „Übermittlung von Informationen durch den Arbeitgeber an die Arbeitnehmervertreter, um ihnen Gelegenheit zur Kenntnisnahme und Prüfung der behandelten Fragen zu geben“ (Art. 2 lit. f Richtlinie 2002/14/EG). Die Anhörung, d.h. die Beratung, ist demgegenüber „die Durchführung eines Meinungsaustauschs und eines Dialogs zwischen Arbeitnehmervertretung und Arbeitgeber“ (Art. 2 lit. g Richtlinie 2002/14/EG).
25.36
2. Zuständigkeit Während es bei der Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses letztlich irrelevant ist, wer bzw. welche Leitungsebene auf Arbeitgeberseite den Wirtschaftsausschuss unterrichtet, soweit die Unterrichtung umfassend und rechtzeitig erfolgt, stellt sich die Frage der Zuständigkeit auf Arbeitgeberseite allerdings für die Beratungen. Hier folgt aus Art. 4 Abs. 4 lit b Richtlinie 2002/14/EG, dass die je nach behandeltem Thema verantwortliche Leitungs- bzw. Vertretungsebene des Arbeitgebers zuständig ist. Adressat des Unterrichtungs- und Beratungsanspruchs nach § 106 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 BetrVG ist der Unternehmer, also der Arbeitgeber und im Falle einer juristischen Person der Geschäftsführer oder der Vorstand, nicht jedoch der Gesellschafter des Unternehmens2.
25.37
3. Zeitpunkt der Unterrichtung und Beratung Der Wirtschaftsausschuss ist rechtzeitig zu unterrichten. Dies verlangt, dass der Unternehmer den Wirtschaftsausschuss vor dem Entschluss über die (künftige) Umsetzung geplanter unternehmerischer Entscheidungen informiert. Der Wirtschaftsausschuss muss auf die Planung noch Einfluss nehmen können3. Der Wirtschaftsausschuss soll also nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Beteiligung des Betriebsrats nach § 111 BetrVG. Der Wirtschaftsausschuss als Hilfsorgan des Betriebsrats kann diese Funktion nur erfüllen, wenn es ihm möglich ist, in betriebswirtschaftlich sinnvoller Weise auf den Entschluss des Arbeitgebers einzuwirken4.
25.38
Bloße Gedankenspiele (etwa die Erarbeitung von Diskussionsmodellen) und damit erste Vorüberlegungen, bezüglich derer sich noch keine gangbaren Handlungsalternativen herausgebildet haben, reichen allerdings nicht aus, um die Unterrichtungsplicht des Wirtschaftsausschusses auszulösen5. Denkbar ist nämlich, dass letztlich sämtliche Maßnahmen verworfen werden und es beim status quo verbleibt. Das folgt bereits aus den Begriffen „unterrichten“
25.39
1 Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft. 2 HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 31. 3 BAG v. 11.7.2000 – 1 ABR 43/99; DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 43 ff.; HWGNRH/Hess, § 106 BetrVG Rz. 28. 4 Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 24; DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 44 m.w.N. 5 HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 34.
Ludwig/A. Otto | 1035
§ 25 Rz. 25.39 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
und „beraten“, die erkennbar machen, dass dem Wirtschaftsausschuss nur solche Vorgänge mitzuteilen sind, über die der Unternehmer bereits selbst reflektiert hat. Eine ernsthafte Beratung über bloße Gedankenspiele ist nicht möglich1. Die Unterrichtungspflicht des Unternehmers setzt demnach dann ein, wenn der Unternehmer einen Entschluss über das „Ob“ der wirtschaftlichen Angelegenheit bzw. Maßnahme grundsätzlich, aber noch nicht unumkehrbar (d.h. vorbehaltlich der Beratungen mit den Arbeitnehmervertretungen und sonstigen zuständigen Organen, Gremien und Stellen), gefasst hat und sich die Willensbildung hinsichtlich des „Wie“ zu konkreten Handlungsoptionen und -konzeptionen dergestalt verdichtet, dass eine Vorauswahl realistischer Handlungsalternativen getroffen wurde2. Die Geschäftsleitung des Unternehmens kann daher zunächst für sich die Durchführbarkeit der ins Auge gefassten Maßnahme prüfen und den Wirtschaftsausschuss erst dann unterrichten, wenn sich mögliche Handlungsalternativen herausgebildet haben3. Da der Unternehmer Adressat der Unterrichtungspflicht ist, lösen etwaige Überlegungen über wirtschaftliche Angelegenheiten seitens der Gesellschafter keine Unterrichtungspflicht aus. Der Unternehmer hat auch keine Pflicht analog § 17 Abs. 3a KSchG sich bei Gesellschaftern oder einem beherrschenden Unternehmen über etwaige Planungen oder Vorüberlegungen zu informieren. Beauftragt der Unternehmer intern ein Projektteam mit der Entwicklung und Bewertung von Maßnahmen, die eine wirtschaftliche Angelegenheit darstellen, besteht die Pflicht zur Unterrichtung erst, wenn sich der Unternehmer die Planungen zu eigen macht und damit über das „Ob“ der Maßnahme einen Entschluss fasst.
25.40
Liegen wirtschaftliche Angelegenheiten i.S.d. § 106 Abs. 3 BetrVG vor, wird häufig nicht nur der Wirtschaftsausschuss nach § 106 Abs. 1 BetrVG einen Anspruch auf Unterrichtung und Beratung haben. In der Regel entsteht gleichzeitig ein Informationsrecht des Betriebsrates – etwa nach § 80 Abs. 2 BetrVG oder § 111 Satz 1 BetrVG. Nach der gesetzlichen Konzeption setzt die Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses allerdings früher an als die des Betriebsrates. Das ergibt sich einerseits aus der Berichtspflicht des Wirtschaftsausschusses gegenüber dem Betriebsrat nach § 108 Abs. 4 BetrVG4 und andererseits – für das Verhältnis von § 106 BetrVG zu § 111 BetrVG – daraus, dass § 111 BetrVG die Unterrichtung über eine „geplante“ Betriebsänderung verlangt, die neben dem Abschluss von Vorüberlegungen auch die Entscheidungen für einen bestimmten Plan voraussetzt5. § 106 BetrVG setzt demgegenüber bereits dann an, wenn zwar ein Entschluss über das „Ob“ der wirtschaftlichen Maßnahme gefasst wurde, eine konkrete Umsetzungsoption aber noch nicht ausgewählt wurde. Die Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses muss somit in der Regel früher erfolgen als die Unterrichtung des Betriebsrats.
25.41
Eine Unterrichtung von Wirtschaftsausschuss und Betriebsrat am selben Tag ist damit aber nicht per se ausgeschlossen und zwar, wenn der Unternehmer den Betriebsrat freiwillig früher als nach § 111 BetrVG erforderlich unterrichtet6. Aus formalen Gründen (§ 108 Abs. 4 BetrVG) sollte allerdings die Unterrichtung und Beratung mit dem Wirtschaftsausschuss vor jener mit dem Betriebsrat erfolgen. Hier bietet sich z.B. eine Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses am Vormittag und die des Betriebsrats am Nachmittag an.
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HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 34. HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 34. HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 34. HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 12. BAG v. 18.7.2017 – 1 AZR 546/15. HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 34.
1036 | Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch des Wirtschaftsausschusses | Rz. 25.45 § 25
Die Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses erfolgt in der betrieblichen Praxis aber häufig auch zeitgleich mit der Unterrichtung des Betriebsrats. Dies bietet sich dann an, wenn Personenidentität mit Blick auf die Besetzung der Gremien besteht. Es wäre bloßer Formalismus, in diesem Fall eine zeitversetzte Unterrichtung zu verlangen1.
25.42
Ist die Erstinformation über eine geplante Restrukturierung erfolgt, stehen die Beteiligungsverfahren gemäß § 106 BetrVG und § 111 BetrVG bzw. § 17 Abs. 2 KSchG nebeneinander. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, zunächst sämtliche Fragen des Wirtschaftsausschusses abzuarbeiten und die Beratungen mit diesem abzuschließen, bevor er in die Unterrichtung und Beratung auf der Grundlage von § 111 Satz 1 BetrVG oder § 17 Abs. 2 KSchG eintritt. Im Hinblick auf die Pflicht des Wirtschaftsausschusses zur Unterrichtung des Betriebsrates gemäß § 108 Abs. 4 BetrVG ist es bei einer gleichzeitigen Unterrichtung von Wirtschaftsausschuss und Betriebsrat aber erforderlich, dass die Ergebnisse der Beratungen mit dem Wirtschaftsausschuss noch in das Beteiligungsverfahren zwischen Unternehmer und Betriebsrat einfließen können2. Demgemäß können Wirtschaftsausschuss und Betriebsrat zwar gleichzeitig unterrichtet werden. Die Beratungen mit dem Betriebsrat dürfen aber erst abgeschlossen werden, wenn das Beteiligungsverfahren mit dem Wirtschaftsausschuss abgeschlossen ist und dieser seine Ergebnisse an den Betriebsrat weitergeleitet hat. Verweigert der Betriebsrat die Bereitschaft zu Gesprächen, kann schon dieses Verhalten im Rahmen von §§ 111, 112 BetrVG Anlass für die Anrufung der Einigungsstelle (vgl. Rz. 25.456) sein.
25.43
Die Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses hat unaufgefordert zu erfolgen. Der Wirtschaftsausschuss muss seine Rechte nicht ausdrücklich geltend machen3.
25.44
Bei der Veräußerung von Gesellschaftsanteilen entsteht die Unterrichtungspflicht erst in dem Zeitpunkt, in dem verbindliche Angebote für den Anteilserwerb abgegeben werden. Sofern die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen mit einem Kontrollerwerb einhergeht (§ 106 Abs. 3 Nr. 9a BetrVG), ergibt sich der Unterrichtungszeitpunkt zum einen mittelbar aus § 106 Abs. 2 Satz 2 BetrVG und zum anderen aus dem Zweck des Risikobegrenzungsgesetzes, mittels dessen unter anderem der Satz 2 in § 106 Abs. 2 BetrVG sowie § 106 Abs. 3 Nr. 9a BetrVG eingefügt worden sind. § 106 Abs. 2 Satz 2 BetrVG bestimmt, dass zu den im Rahmen von § 106 Abs. 3 Nr. 9a BetrVG vorzulegenden Unterlagen auch Angaben über den „potentiellen Erwerber“ gehören. Schon nach allgemeinem Wortverständnis ist der „potentieller Erwerber“ nicht gleichzusetzen mit einem „Interessenten“ oder „Bieter“, sodass die Unterrichtungspflicht erst mit der Abgabe eines verbindlichen Angebotes entsteht4 und nicht bereits mit der Abgabe von Interessenbekundungen5 bzw. unverbindlicher Angebote, der Versendung von Informationsmemoranden, der Einsicht in Unternehmensunterlagen oder der Teilnahme an einer Due Diligence6. In diesen Fällen ist in aller Regel noch offen, ob der Interessent auch zum potentiellen Erwerber wird. Auch aus dem Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundes-
25.45
1 HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 34; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 117; a.A. wohl Fitting, § 106 BetrVG Rz. 30; DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 43. 2 GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 117. 3 Fitting, § 106 BetrVG Rz. 29; Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 23. 4 Frahm/Schmeisser, ArbRAktuell 2014, 456, 458; Simon/Dobel, BB 2008, 1955, 1957; GK-BetrVG/ Oetker, § 106 Rz. 119. 5 A.A. DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 88, der die Interessenbekundung als maßgeblichen Zeitpunkt ansieht. 6 Für den Abschluss einer Due Diligence als maßgeblichen Zeitpunkt allerdings: Löw, DB 2008, 758, 760; ErfK/Kania, § 106 BetrVG Rz. 20.
Ludwig/A. Otto | 1037
§ 25 Rz. 25.45 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
tages zum Entwurf des Risikobegrenzungsgesetzes ergibt sich, dass der Gesetzgeber mit dem Begriff des „potentiellen Erwerbers“ nur denjenigen meint, der ein verbindliches Angebot abgibt1. Dass der für die Unterrichtung maßgebliche Zeitpunkt erst derjenige ist, in dem verbindliche Angebote abgegeben werden, ergibt sich schließlich auch aus dem Zweck des Risikobegrenzungsgesetzes. Die Gesetzesbegründung stellt klar, dass die Belegschaft nicht börsennotierter Unternehmen durch § 106 Abs. 3 Nr. 9a BetrVG „in gleicher Weise“ über einen Kontrollerwerb informiert werden soll wie die Belegschaft börsennotierter Unternehmen2. Aus § 14 Abs. 4 WpÜG i.V.m. § 11 Abs. 1 WpÜG ergibt sich, dass börsennotierte Unternehmen dem Betriebsrat Unterlagen vorzulegen haben, in denen das bindende Angebot bereits enthalten sein muss. Für nicht börsennotierte Unternehmen kann insofern nichts anderes gelten3.
25.46
Zu spät ist die Unterrichtung jedenfalls, wenn sie erst bei Vorliegen eines endverhandelten Kaufvertrages erfolgt4. Dies ist zu einem mit dem Begriff des „potentiellen Erwerbers“ unvereinbar (denn bei einem endverhandelten Kaufvertrag steht der Erwerb ja bereits final fest). Zum anderen könnte der Wirtschaftsausschuss zu diesem Zeitpunkt keinerlei Einflussnahme mehr auf das Vorhaben nehmen.
25.47
Soweit die Veräußerung von Geschäftsanteilen nicht mit einem Kontrollerwerb einhergeht, ein Unterrichtungsanspruch des Wirtschaftsausschusses aber auf Grundlage der Generalklausel des § 106 Abs. 3 Nr. 10 BetrVG besteht, ergibt sich für den richtigen Zeitpunkt der Unterrichtung kein Unterschied gegenüber den Fällen des § 106 Abs. 3 Nr. 9a BetrVG: Die Unterrichtungspflicht entsteht bei Abgabe eines verbindlichen Angebotes.
25.48
Soweit der Unternehmer – wie es regelmäßig der Fall sein dürfte – von der Veräußerung der Geschäftsanteile keine detaillierte Kenntnis hat, weil der potentielle Erwerber nicht mit der Unternehmensleitung der Zielgesellschaft, sondern direkt mit deren Anteilseignern verhandelt, besteht auch keine Unterrichtungspflicht. Ein sog. Informationsbeschaffungsanspruch, d.h. ein Anspruch des Wirtschaftsausschusses gegen den Unternehmer, darauf gerichtet, dass dieser sich die gewünschten Informationen von Dritten, etwa dem Gesellschafter oder dem beherrschenden Unternehmen beschafft, besteht nicht5. Der Zweck des § 106 BetrVG besteht in der Sicherstellung der Informationsparität zwischen dem Unternehmer und dem Wirtschaftsausschuss6. Die Geschäftsführung muss daher nur solche Informationen weitergeben, über die sie selbst verfügt. Hat der Unternehmer von einer Anteilsveräußerung keine Kenntnis, teilt der Wirtschaftsausschuss dieses Schicksal. Schließlich fehlt für einen solchen Anspruch die gesetzliche Grundlage. Der für den Europäischen Betriebsrat in § 5 Abs. 3 EBRG ausdrücklich geregelte Informationsbeschaffungsanspruch oder auch § 17 Abs. 3a KSchG, wonach der Unternehmer sich bei Massenentlassungen nicht darauf berufen kann, dass das herrschenden Unternehmen notwendige Auskünfte nicht übermittelt hat, machen erkennbar, dass es zwischen Gesellschafter bzw. potentiellem Erwerber einerseits und dem Wirtschaftsausschuss andererseits ein Informationsgefälle geben kann. Dass der Gesetzgeber es dennoch –
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BT-Drucks. 16/9821, S. 8. BT-Drucks. 16/7438, S. 9. Frahm/Schmeisser, ArbRAktuell 2014, 456, 458; Simon/Dobel, BB 2008, 1955, 1957. Frahm/Schmeisser, ArbRAktuell 2014, 456, 458; Liebers/Erren/Weiß, NZA 2009, 1063, 1066; HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 47b; a.A. Schröder/Falter, NZA 2008, 1097, 1098. 5 BAG v. 17.12.2019 – 1 ABR 35/18; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 147 ff.; Fleischer, ZfA 2009, 787, 794 ff.; Diller/Powietzka, DB 2001, 1034, 1035; a.A. Fitting, § 106 BetrVG Rz. 31a; Lerch/Weinbrenner, NZA 2013, 355, 357, wohl auch LAG Nürnberg v. 22.1.2002 – 6 TaBV 19/01. 6 Simon/Dobel, BB 2008 1955, 1956; Fleischer, ZfA 2009, 787, 798.
1038 | Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch des Wirtschaftsausschusses | Rz. 25.52 § 25
selbst im Zuge der Beratung des Risikobegrenzungsgesetzes1 – unterlassen hat, eine entsprechende Regelung in das BetrVG aufzunehmen, zeigt, dass dies eine bewusste Entscheidung war. Die Herausbildung eines eigenständigen Informationsbeschaffungsanspruchs würde daher die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung überschreiten2. Aus den gleichen Gründen ist ein sog. Informationsdurchgriff, d.h. ein direkter Informationsanspruch des Wirtschaftsausschusses gegenüber dem oder den Gesellschaftern abzulehnen3. Insbesondere ist auch für diesen keine Rechtsgrundlage ersichtlich, denn zwischen dem Wirtschaftsausschuss und dem Gesellschafter bzw. dem herrschenden Unternehmen oder dem Bieter besteht kein Rechtsverhältnis, auf das ein Durchgriff gestützt werden könnte4. Der Zeitpunkt der Beratung ergibt sich mittelbar aus dem Zeitpunkt der rechtzeitigen Unterrichtung. Der Zeitpunkt für die Beratung ist so zu bestimmen, dass dem Wirtschaftsausschuss vor Beginn der Beratung so viel Zeit zu gewähren ist, dass dieser die im Wege der Unterrichtung erlangten Informationen angemessen prüfen kann und sich auf die Beratung vorbereiten kann (Art. 4 Abs. 3 Richtlinie 2002/14/EG).
25.49
V. Umfang der Unterrichtung und Beratung Sinn und Zweck des § 106 BetrVG ist, dass der Wirtschaftsausschuss gleichgewichtig und gleichberechtigt mit dem Unternehmer über die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens berät. Aus diesem Grund ist der Wirtschaftsausschuss nicht nur rechtzeitig, sondern auch umfassend zu unterrichten5.
25.50
Die umfassende Unterrichtung verlangt, dass der Wirtschaftsausschuss – soweit wirtschaftliche Angelegenheiten betroffen sind – über den gleichen Wissens- und Kenntnisstand verfügt, wie der Unternehmer. Der Wirtschaftsausschuss soll letztlich in die Lage versetzt werden, sich ein eigenes Urteil zu bilden und über den Gegenstand nach erschöpfender Information umfassend beraten zu können. Dieser „Grundsatz der Informationsparität“6 erfährt indes eine Einschränkung, soweit Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens (vgl. nachstehend) betroffen sind.
25.51
Als Bestandteil der Unterrichtung sind dem Wirtschaftsausschuss die erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Nach überwiegender Auffassung7 folgt aus der Pflicht zur Vorlage der Unterlagen nicht nur die Verpflichtung des Unternehmers, dem Wirtschaftsausschuss Einsichtnahme zu gewähren, sondern auch, diesem die Unterlagen (dauerhaft) zur Verfügung zu stellen. Das überzeugt allerdings nicht. Richtigerweise wird man unter Berücksichtigung des Wortlauts von § 108 Abs. 3 BetrVG lediglich von einem Einsichtnahmerecht des Wirtschaftsausschusses ausgehen können. Hierfür spricht maßgeblich der Vergleich zu § 80 Abs. 2 BetrVG. Der Gesetzgeber hat mit dem Begriff der „Vorlage“ den Wortlaut von § 106 Abs. 2 BetrVG
25.52
1 Stellungnahmen von Sachverständigen im Finanzausschuss zeigen, dass dem Gesetzgeber das Problem während des Gesetzgebungsverfahrens bekannt war, Fleischer, ZfA 2009, 787, 798 m.w.N. 2 In Bezug auf einen Informationsdurchgriff: GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 151. 3 Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 57; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 150 ff.; Fleischer, ZfA 2009, 787, 807; a.A. DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 91. 4 GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 151. 5 BAG v. 11.7.2000 – 1 ABR 43/99; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 121; DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 47. 6 Fitting, § 106 BetrVG Rz. 34; DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 47. 7 Dem BAG v. 20.11.1984 – 1 ABR 64/82 folgend: Fitting, § 106 BetrVG Rz. 41; Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 30; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 135; DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 49.
Ludwig/A. Otto | 1039
§ 25 Rz. 25.52 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
bewusst enger gefasst als in § 80 Abs. 2 BetrVG, in dem von „zur Verfügung zu stellen“ die Rede ist. Auch der Zweck der Regelung steht dem hier vertretenen Verständnis nicht entgegen: Die „Vorlage“ der Unterlagen dient den Mitgliedern des Wirtschaftsausschusses dazu, sich auf dessen Sitzungen vorzubereiten. Diesem Zweck wird bereits durch die Gewährung der Einsichtnahme ausreichend Rechnung getragen. Es ist nicht erkennbar, wieso es darüber hinaus einer (dauerhaften) Zurverfügungstellung bedürfen soll. Das BAG vertritt indes eine vermittelnde Auffassung und bejaht einen Anspruch auf (vorübergehende) Überlassung der Unterlagen z.B. bei schwer zu beurteilenden Entwicklungen1. In diesen Fällen sei es dem Wirtschaftsausschuss nicht zuzumuten, die Unterlagen nur in Gegenwart des Arbeitgebers einsehen zu können. Nach Auffassung des BAG soll der Wirtschaftsausschuss im Einzelfall sogar auch einen Anspruch darauf haben, dass ihm die Unterlagen bereits vor der Wirtschaftsausschusssitzung zur Verfügung gestellt werden, damit eine entsprechend gründliche Vorbereitung erfolgen kann2. Dem ist nicht zu folgen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb eine Einsichtnahme in die Unterlagen in den Räumen des Arbeitgebers und ohne dessen Anwesenheit nicht ausreichend sein soll für eine gründliche Vorbereitung der Wirtschaftsausschusssitzung3. Das BAG hat in vorgenannter Entscheidung indes auch klargestellt, dass der Wirtschaftsausschuss nicht berechtigt ist, von den zur Verfügung gestellten Unterlagen Abschriften oder Ablichtungen zu fertigen und diese damit zu vervielfältigen. Da der Unternehmer in der betrieblichen Praxis aber in der Regel ohnehin ein Interesse daran hat, dass die Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses zügig und reibungslos erfolgt, dürfte sich der Streit indes auflösen. Die (dauerhafte) Überlassung von Unterlagen schon vor der Wirtschaftsausschusssitzung zwecks Vorbereitung wird regelmäßig sogar zielführend sein. In jedem Fall hat der Wirtschaftsausschuss keinen Anspruch auf Zurverfügungstellung der Unterlagen in bearbeitungsfähiger, elektronischer Form. Jedenfalls dann, wenn es sich um einen überschaubaren Informationsgehalt handelt, genügt – wollte man Unterlagen überlassen – eine Zurverfügungstellung in Papierform4.
25.53
Ob zu unterrichten ist und inwieweit Unterlagen jeweils vorzulegen sind, ist eine Frage der Erforderlichkeit und der Geheimhaltungsbedürftigkeit, über die im Einzelfall durch das Unternehmen durch Ermessensausübung zu entscheiden ist5.
25.54
Der Wirtschaftsausschuss kann keine Konzernkennziffern beanspruchen. Dies gilt auch innerhalb von unternehmensübergreifenden Matrixstrukturen. Der eindeutige Wortlaut des § 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG begrenzt die Unterrichtung auf wirtschaftliche Angelegenheiten des Unternehmens und nicht des Konzerns6. Zudem hat sich der Gesetzgeber bewusst gegen einen Konzernwirtschaftsausschuss entschieden7 (vgl. Rz. 25.10). Schließlich muss das Unternehmen den Wirtschaftsausschuss auch nur über ihm bekannte Umstände unterrichten. Eine Informationsbeschaffungspflicht besteht nicht8 (vgl. Rz. 25.48). Über wirtschaftliche Angele-
1 BAG v. 20.11.1984 – 1 ABR 64/82. 2 BAG v. 20.11.1984 – 1 ABR 64/82. 3 Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 30; MünchArbR/Joost, § 231 Rz. 53; a.A. Fitting, § 106 BetrVG Rz. 41; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 136; DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 49. 4 LAG Köln v. 10.3.2017 – 9 TaBV 17/16. 5 BAG v. 17.9.1991 – 1 ABR 74/90; Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 29; HWGNRH/Hess, § 106 BetrVG Rz. 30. 6 BAG v. 17.12.2019 – 1 ABR 35/18; vgl. auch BAG v. 23.8.1989 – 7 ABR 39/88. 7 Vgl. Schiefer, NZA 2001, 351, 357. 8 GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 147.; a.A. Fitting, § 106 BetrVG Rz. 31a, der eine Informationsbeschaffungspflicht des Konzernunternehmens in Bezug auf Entscheidungen der Konzernspitze bejaht.
1040 | Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch des Wirtschaftsausschusses | Rz. 25.58 § 25
genheiten des Konzerns ist der Wirtschaftsausschuss nur zu informieren, wenn es sich zugleich um wirtschaftliche Angelegenheiten des Unternehmens handelt1. Als Unterlagen, die einen Bezug zu den in § 106 Abs. 3 BetrVG genannten wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens haben, kommen z.B. Berichte, Pläne, Statistiken, Schaubilder, Gutachten, Analysen, Organisationsmodelle, Rentabilitätsberechnungen, Vorschläge, Zeichnungen, Tabellen und Geschäftsbücher in Betracht2. Der Wirtschaftsausschuss hat hierbei Anspruch auf eine überschaubare und verständliche Information3. Bei fremdsprachigen Unterlagen kann ggf. ein Anspruch auf Übersetzung bestehen4. Das Unternehmen ist indes nicht verpflichtet, auf Verlangen des Wirtschaftsausschusses bestimmte Unterlagen erst zu erstellen bzw. Berechnungen vorzunehmen. Dies gilt erst recht für begehrte Informationen, die mit den geplanten Maßnahmen in keinerlei Zusammenhang stehen.
25.55
Für Unterlagen Dritter ist anerkannt, dass es für die Pflicht des Unternehmers, Unterlagen vorzulegen, unerheblich ist, wer diese angefertigt hat. Der Unternehmer hat also all diejenigen Unterlagen vorzulegen, die bei ihm vorhanden sind, nicht nur diejenigen, die er selbst angefertigt hat5. Hierzu zählen daher auch Wirtschaftsprüfungsberichte6 oder Berichte einer Unternehmensberatung7, nicht hingegen die mit einer Unternehmensberatung oder sonstigen Restrukturierungsberatern abgeschlossenen Verträge. Diese Forderung wird in der betrieblichen Praxis immer wieder erhoben. Ein Anspruch besteht jedenfalls solange nicht, als kein Scheindienstvertrag in Rede steht und sich der Überlassungsanspruch nicht aus § 80 Abs. 2 BetrVG ergibt.
25.56
In der Praxis bieten sich für die Unterrichtung im Falle von Restrukturierungsmaßnahmen die Unterlagen (regelmäßig Präsentationen) an, die im Project Management Office zwecks Information der Unternehmensleitung ohnehin erstellt werden. Wichtig ist, dass frühzeitig mit der Erstellung der Informationsunterlagen für Wirtschaftsausschuss, Betriebsrat, Führungskräfte und Belegschaft begonnen wird. Die schriftliche Beantwortung ergänzender Fragen des Wirtschaftsausschusses und deren Überlassung bereits im Vorfeld einer ggf. weiteren außerordentlichen Sitzung in Bezug auf die geplante Restrukturierung haben sich hierbei in der Praxis bewährt.
25.57
Abstrakt-generell ist in Übereinstimmung mit dem BAG davon auszugehen, dass Vereinbarungen über die Übertragung von Geschäftsanteilen (Share Deal) nicht erfasst werden8. Denn hierbei handelt es sich um keine Unterlage des Unternehmens. Demgegenüber sind Vermögensübertragungsverträge (Asset Deal) oder umwandlungsrechtliche Spaltungsverträge, die mit einer Spaltung des Betriebs und/oder Unternehmens i.S.v. § 106 Abs. 3 Nr. 8 BetrVG
25.58
1 Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 20. 2 BAG v. 17.9.1991 – 1 ABR 74/90; vgl. auch DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 52; HWGNRH/Hess, § 106 BetrVG Rz. 32. 3 Vgl. für den Betriebsrat BAG v. 17.3.1987 – 1 ABR 59/85; Fitting, § 106 BetrVG Rz. 34; Richardi/ Annuß, § 106 BetrVG Rz. 26; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 126; DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 48. 4 GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 126. 5 Fitting, § 106 BetrVG Rz. 39; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 129. 6 So BAG v. 8.9.1989 – 1 ABR 61/88; Fitting, § 106 BetrVG Rz. 37; Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 28; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 131; DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 52; ablehnend: HWGNRH/Hess, § 106 BetrVG Rz. 37; Hommelhoff, ZIP 1990, 218, 219. 7 LAG Frankfurt 1.9.1988 – 12 TaBV 46/88. 8 BAG v. 22.1.1991 – 1 ABR 38/89; LAG Baden-Württemberg v. 9.10.2013 – 10 TaBV 2/13.
Ludwig/A. Otto | 1041
§ 25 Rz. 25.58 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
(und damit u.U. auch einem Betriebsübergang gemäß § 613a BGB) verknüpft sind, vorzulegen. Im Falle der Umwandlung zählt zu den nach § 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG erforderlichen Unterlagen im Hinblick auf § 106 Abs. 3 Nr. 8 BetrVG auch der – vollständige – Verschmelzungsvertrag, soweit dieser Auskunft über die vorgesehenen Maßnahmen und die daraus entstehenden Folgen für die Arbeitnehmer und deren Vertretungen gibt (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 UmwG). Das gilt entsprechend bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften (§ 122c Abs. 2 Nr. 4 UmwG) bzw. bei einer Spaltung hinsichtlich des Spaltungsund Übernahmevertrages (§ 126 Abs. 1 Nr. 11 UmwG)1 oder aber des Spaltungsplans2.
25.59
Jedenfalls in den Fällen, in denen eine Unternehmensübernahme mit einem Kontrollerwerb i.S.d. § 106 Abs. 3 Nr. 9a BetrVG einhergeht, richtet sich der Umfang der vorzulegenden Unterlagen nach § 106 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. Die Unterrichtungspflicht gilt gleichermaßen für börsennotierte wie für nicht börsennotierte Unternehmen3. Das Unternehmen hat den Wirtschaftsausschuss über den potentiellen Erwerber (Name) zu unterrichten und dessen Absichten bzgl. künftiger Geschäftstätigkeit des Unternehmens sowie die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Arbeitnehmer. Diese Pflicht besteht auch, wenn ein Bieterverfahren durchgeführt wird (§ 106 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG). Zu den potentiellen Erwerbern zählen beim Bieterverfahren nur diejenigen Interessenten, die ein verbindliches Angebot abgegeben haben4 (vgl. Rz. 25.47).
VI. Geschäftsgeheimnisse 25.60
Sofern Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens gefährdet werden, besteht keine Pflicht zur Unterrichtung und zur Vorlage der erforderlichen Unterlagen (§ 106 Abs. 2 BetrVG). Der Unternehmer hat nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob durch die begehrte Auskunft ein Geschäftsgeheimnis gefährdet wird5. Allerdings kommt eine Einschränkung der Unterrichtungs- und Vorlageverpflichtung nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht. Voraussetzung ist, dass konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass solche Geheimnisse durch ein Mitglied des Wirtschaftsausschusses entgegen der gesetzlichen Verschwiegenheitsverpflichtung (vgl. § 79 Abs. 2 BetrVG) an Dritte weitergegeben und dadurch berechtigte wirtschaftliche Interessen des Unternehmens verletzt werden. Die bloße Behauptung, es handele sich um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, begründet kein Zurückbehaltungsrecht des Unternehmers6.
25.61
Sofern der Arbeitgeber dem Wirtschaftsausschuss Informationen zur Verfügung stellt, die Geschäftsgeheimnisse enthalten, empfiehlt es sich, diese nach Maßgabe von § 79 Abs. 1 BetrVG als geheimhaltungsbedürftig zu kennzeichnen. Die Verletzung von Geheimnissen ist gemäß § 120 Abs. 1 BetrVG strafbewehrt. Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings, dass nicht sämtliche Informationen über eine betriebsändernde Restrukturierungsmaßnahme (bis zum Abschluss der Interessenausgleichsverhandlungen) unter den Begriff des Geschäftsgeheimnisses i.S.v. § 79 BetrVG fallen7. Aus diesem Grund sollten zur Verfügung gestellte Informations-
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GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 133. GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 131; HWGNRH/Hess, § 106 BetrVG Rz. 32. HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 47a. GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 134; HWK/Willemsen/Lebmke, § 106 BetrVG Rz. 47b. Fitting, § 106 BetrVG Rz. 44; Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 35; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 144. 6 BAG v. 11.7.2000 – 1 ABR 43/99; DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 60. 7 Vgl. LAG Schleswig-Holstein v. 20.5.2015 – 3 Ta BV 35/14.
1042 | Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch des Wirtschaftsausschusses | Rz. 25.63 § 25
unterlagen auch nicht pauschal als geheimhaltungsbedürftig deklariert werden. Vielmehr ist es erforderlich, die jeweiligen Geschäftsgeheimnisse konkret als solche zu kennzeichnen1. Dies kann zur Folge haben, dass nur ein Teil der Informationen von § 106 Abs. 2 BetrVG erfasst wird und – ggf. vorübergehend – dem Wirtschaftsausschuss vorenthalten werden darf. Umstritten ist, ob eine Unterrichtung aufgrund börsenrechtlicher Besonderheiten unter Hinweis auf das Vorliegen von Insiderinformationen (§ 13 WpHG) verweigert werden kann. Zum Teil wird angenommen, die Unterrichtungspflicht des § 106 Abs. 2 BetrVG erstrecke sich nicht auf Insiderinformationen i.S.d. § 13 WpHG, weil anderenfalls die vom WpHG intendierte Bekämpfung des Insiderhandels geschwächt würde2. Eine Geheimhaltung von Insiderinformationen sei faktisch nicht mehr zu gewährleisten, wenn sämtlichen Mitgliedern des Wirtschaftsausschusses die Informationen zugänglich gemacht würden3. Allerdings ist die Mitteilung von Insiderinformationen nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG nicht verboten, sofern sie nicht „unbefugt“ erfolgt. Eine Mitteilungsbefugnis folgt dabei nach überzeugender Auffassung aus § 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG4, sodass Insiderinformationen nicht per se aus der Unterrichtungspflicht ausgenommen sind. Auch bei Insiderinformationen kann die Pflicht zur Unterrichtung damit nur unter den strengen Voraussetzungen des § 106 Abs. 2 BetrVG entfallen.
25.62
VII. Berichtspflicht des Wirtschaftsausschusses Die in § 106 Abs. 1 Satz 2 BetrVG benannte Aufgabe des Wirtschaftsausschusses, den Betriebsrat über die Unterrichtung durch den bzw. die Beratung mit dem Unternehmer zu informieren, wird durch § 108 Abs. 4 BetrVG konkretisiert. Hiernach hat der Wirtschaftsausschuss dem Betriebsrat unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 BGB)5, und vollständig über jede Sitzung des Wirtschaftsausschusses zu berichten. Besteht im Unternehmen ein Gesamtbetriebsrat, so ist der Wirtschaftsausschuss ausschließlich diesem gegenüber zum Bericht verpflichtet6. Ein vollständiger Bericht liegt nur vor, wenn der Wirtschaftsausschuss dem Betriebsrat alle Beratungsgegenstände der jeweiligen Sitzung mitteilt und angibt, welche Auskünfte der Unternehmer hierzu gegeben hat7. Grundsätzlich wird eine mündliche Berichterstattung zweckmäßig sein. Eine rein schriftliche Berichterstattung ist aber nicht ausgeschlossen8. Nicht ausreichend ist jedoch die bloße Übersendung der Sitzungsniederschrift9. Geschäftsgeheimnisse müssen und dürfen dem Betriebsrat nicht verschwiegen werden; dies stellt keinen Verstoß gegen die Geheimhaltungspflichten dar, weil der Betriebsrat seinerseits nach
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Vgl. LAG Schleswig-Holstein v. 20.5.2015 – 3 Ta BV 35/14. Röder/Merten, NZA 2005, 268, 271 f. Röder/Merten, NZA 2005, 268, 272. Fitting, § 106 BetrVG Rz. 35; Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 32; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 122; DKW/Däubler, § 106 BetrVG Rz. 59; HWK/Willemsen/Lembke, § 106 BetrVG Rz. 32. Richardi/Annuß, § 108 BetrVG Rz. 34; GK-BetrVG/Oetker, § 108 Rz. 56; HWK/Willemsen/Lembke, § 108 BetrVG Rz. 33; HWGNRH/Hess, § 108 BetrVG Rz. 26. GK-BetrVG/Oetker, § 108 Rz. 59; DKW/Däubler, § 108 BetrVG Rz. 59; a.A. Fitting, § 108 BetrVG Rz. 26, der auch einen Bericht ggü. den lokalen Betriebsräten verlangt; HWK/Willemsen/Lembke, § 108 BetrVG Rz. 34, die nach der Zuständigkeit für die zu berichtende Angelegenheit differenzieren. GK-BetrVG/Oetker, § 108 Rz. 57. GK-BetrVG/Oetker, § 108 Rz. 58; HWK/Willemsen/Lembke, § 108 BetrVG Rz. 33. Fitting, § 108 BetrVG Rz. 26; GK-BetrVG/Oetker, § 108 Rz. 58; HWK/Willemsen/Lembke, § 108 BetrVG Rz. 33; ErfK/Kania, § 108 BetrVG Rz. 11; a.A. HWGNRH/Hess, § 108 BetrVG Rz. 43.
Ludwig/A. Otto | 1043
25.63
§ 25 Rz. 25.63 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
§ 79 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zur Geheimhaltung verpflichtet ist1. Der Wirtschaftsausschuss hat den Betriebsrat jedoch vor seinem Bericht auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit hinzuweisen, damit sich seine Mitglieder entsprechend verhalten können2.
VIII. Streitigkeiten 25.64
Bei Meinungsverschiedenheiten über die Auskunftspflicht des Unternehmens in wirtschaftlichen Angelegenheiten und den Umfang der vorzulegenden Unterlagen entscheidet die Einigungsstelle (§ 109 Satz 1 BetrVG). Sie ist auch zuständig mit Blick auf Streitigkeiten über die Art und Weise der Erteilung von Auskünften, etwa, ob sie in elektronischer Form zu übermitteln sind3. Sie ist gegenüber einem arbeitsgerichtlichen Verfahren primär zuständig4. Über die Frage, ob das Verlangen des Wirtschaftsausschusses im Rahmen seiner Zuständigkeit liegt und damit darüber, ob die Einigungsstelle zuständig ist, entscheidet das Arbeitsgericht im Beschlussverfahren5.
25.65
Antragsberechtigt mit Blick auf die Anrufung der Einigungsstelle ist nicht der Wirtschaftsausschuss, sondern der Betriebsrat bzw. Gesamtbetriebsrat und der Arbeitgeber, wobei die Anrufung regelmäßig durch den Betriebsrat erfolgt. Voraussetzung für die Anrufung ist ferner, dass zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat (bzw. Gesamtbetriebsrat) zuvor keine Einigung zustande gekommen ist (§ 109 Satz 1 BetrVG). In formeller Hinsicht muss indes zunächst der Wirtschaftsausschuss zu dem Begehren konkreter Auskünfte und Unterlagen über bestimmte wirtschaftliche Auskünfte einen Beschluss fassen, der sich nach den Regeln der Beschlussfassung des Betriebsrats richtet. Fehlt ein solcher Beschluss des Wirtschaftsausschusses, ist die von dem Betriebsrat angerufene Einigungsstelle offensichtlich unzuständig6. Darüber hinaus ist die Einigungsstelle nur dann zuständig, wenn vor Anrufung der Einigungsstelle auch der Betriebsrat bzw. der Gesamtbetriebsrat einen vergeblichen Einigungsversuch mit dem Unternehmer unternommen hat7. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut von § 109 Satz 1 BetrVG.
25.66
Kommt der Arbeitgeber Verpflichtungen aus einer in der Einigungsstelle getroffenen Vereinbarung oder aber aus einem Spruch der Einigungsstelle nicht nach, bedarf es zur Durchsetzung des Auskunftsbegehrens zunächst eines Beschlusses des Arbeitsgerichts, welcher dann vollstreckbar ist8. In Eilfällen kann der Betriebsrat die von der Einigungsstelle nach § 109 BetrVG gefällte Entscheidung im Wege der einstweiligen Verfügung im Beschlussverfahren durchsetzen, sofern der Unternehmer den im Spruch festgelegten Unterrichtungs-, Beratungs-, oder Vorlagepflichten nicht nachkommt9. Vor Abschluss des Einigungsstellenverfah1 Fitting, § 108 BetrVG Rz. 26; GK-BetrVG/Oetker, § 108 Rz. 57; HWK/Willemsen/Lembke, § 108 BetrVG Rz. 35. 2 Fitting, § 108 BetrVG Rz. 26; GK-BetrVG/Oetker, § 108 Rz. 57; HWK/Willemsen/Lembke, § 108 BetrVG Rz. 35. 3 BAG v. 12.2.2019 – 1 ABR 37/17. 4 LAG Köln v. 10.3.2017 – 9 TaBV 17/16. 5 BAG v. 11.7.2000 – 1 ABR 43/99; Fitting, § 106 BetrVG Rz. 133; Richardi/Annuß, § 106 BetrVG Rz. 58; GK-BetrVG/Oetker, § 106 Rz. 154. 6 LAG Schleswig-Holstein v. 24.11.2016 – 4 TaBV 40/16. 7 LAG Hamburg v. 12.6.2013 – 6 TaBV 9/13. 8 Vgl. BAG v. 8.8.1989 – 1 ABR 61/88; Richardi/Annuß, § 109 BetrVG Rz. 22; GK-BetrVG/Oetker, § 109 Rz. 42; ErfK/Kania, § 109 BetrVG Rz. 6. 9 DKW/Däubler, § 109 BetrVG Rz. 16; HWK/Willemsen/Lembke, § 109 BetrVG Rz. 17; ErfK/Kania, § 109 BetrVG Rz. 8.
1044 | Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch wegen Betriebsänderung | Rz. 25.69 § 25
rens scheidet eine einstweilige Verfügung hingegen aus, da sie dem Einigungsstellenspruch vorgreifen und so den Gesetzeszweck des § 109 BetrVG vereiteln würde1. Der Spruch der Einigungsstelle unterliegt in vollem Umfang der gerichtlichen Rechtskontrolle2. Er kann inhaltlich sowie im Hinblick auf die Beachtung des vorgeschriebenen Verfahrens überprüft werden. Hat die Einigungsstelle – wie etwa vorliegend bei Streitigkeiten über die Auskunftspflicht des Unternehmens gegenüber dem Wirtschaftsausschuss nach § 109 Satz 2 BetrVG – die Kompetenz zur Zwangsschlichtung, hat sie nach § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG ihre Beschlüsse unter angemessener Berücksichtigung der Belange der Betriebs und der betroffenen Arbeitnehmer nach billigem Ermessen zu fassen. Etwaige Ermessensfehler können durch den Arbeitgeber oder den Betriebsrat nur binnen einer Frist von zwei Wochen ab dem Tage der Zuleitung des Beschlusses beim Arbeitsgericht geltend gemacht werden, § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG. Eine Anfechtung eines Einigungsstellenspruchs kommt danach bspw. dann in Betracht, wenn der Spruch die Arbeitgeberin zur Unterrichtung über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verpflichtet hat3.
25.67
Soweit der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen nicht, nicht rechtzeitig oder nicht umfassend nachkommt, kann es sich um eine Pflichtverletzung handeln, die durch die Arbeitsgerichte nach Maßgabe von § 23 Abs. 3 BetrVG geahndet werden kann4.
25.68
B. Unterrichtungs- und Beratungsanspruch des Betriebsrats wegen einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG I. Voraussetzungen und Systematik der Beteiligungsrechte aus §§ 111 ff. BetrVG 1. Bestehen eines Betriebsrats Die Beteiligungsrechte aus §§ 111 ff. BetrVG verlangen, dass zum Zeitpunkt der unternehmerischen Entscheidung über die Durchführung einer Betriebsänderung ein Betriebsrat gebildet ist5. Wird ein Betriebsrat erst im Anschluss an die unternehmerische Entscheidung gewählt, kann er weder den Versuch eines Interessenausgleichs noch die Aufstellung eines Sozialplans mit Blick auf die beschlossene Betriebsänderung verlangen. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber Kenntnis von einer bevorstehenden Betriebsratswahl hatte. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, mit der Verwirklichung einer geplanten Betriebsänderung zu warten, bis die Belegschaft einen Betriebsrat gewählt hat6. Dass der Versuch eines Interessenausgleichs und der Abschluss eines Sozialplans jedenfalls nach Beginn der Umsetzung einer Betriebsänderung nicht mehr verlangt werden kann, entspricht höchstrichterlicher Rechtsprechung des BAG7. Das BAG begründet dies maßgeblich damit, dass der Betriebsrat eine schon im 1 ArbG Wetzlar 28.2.1989 – 1 BVGa 4/89; GK-BetrVG/Oetker, § 109 Rz. 4; a.A. DKW/Däubler, § 109 BetrVG Rz. 16; ErfK/Kania, § 109 BetrVG Rz. 8. 2 Richardi/Maschmann, § 76 BetrVG Rz. 114. 3 Vgl. insofern LAG Köln v. 5.10.2011 – 9 TaBV 94/10. 4 Vgl. LAG Berlin-Brandenburg v. 30.3.2012 – 10 TaBV 2362/11. 5 Fitting, § 111 BetrVG Rz. 33 f.; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 27; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 35; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 143; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 9; ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rz. 6; HWGNRH/Hess, § 111 BetrVG Rz. 2. 6 BAG v. 20.4.1982 – 1 ABR 3/80. 7 BAG v. 20.4.1982 – 1 ABR 3/80; BAG v. 22.10.1991 – 1 ABR 17/91.
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25.69
§ 25 Rz. 25.69 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
Vollzug begriffene Betriebsänderung nicht mehr beeinflussen kann. Da die Pflicht zum Versuch eines Interessenausgleichs mit dem Betriebsrat und die erzwingbare Aufstellung eines Sozialplans nach § 112 BetrVG in einem systematischen und auch funktionalen Zusammenhang stünden, diente auch der Sozialplan dazu, auf die unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers einzuwirken. Dieser Zweck könne allerdings nur dann erfüllt werden, wenn der Sozialplan aufgestellt werde, bevor die Betriebsänderung umgesetzt werde1. Dem ist zuzustimmen. Losgelöst davon hat das BAG zutreffend darauf hingewiesen, dass auch der Unternehmer ein berechtigtes und schützenswertes Interesse daran hat, zu wissen, welche finanziellen Auswirkungen ein Sozialplan mit sich bringt, bevor er sich endgültig für die Umsetzung der Betriebsänderung entscheidet2. Soweit in diesen Fällen einige Instanzgerichte3 entgegen der Rechtsprechung des BAG für die Sozialplanpflichtigkeit eine entsprechende Anwendung von § 1923 BGB vorbringen („Erbe kann nur werden, wer zur Zeit des Erbfalls lebt. Wer zur Zeit des Erbfalls noch nicht lebte, aber bereits gezeugt war, gilt als vor dem Erbfall geboren.“), ist dies mangels Vergleichbarkeit der Sachverhalte nicht überzeugend4. Genauso wenig überzeugt das Argument, dass eine finanzielle Planbarkeit des Sozialplanvolumens daraus resultierte, dass sich in der Praxis für die Bestimmung dessen Höhe gewisse Faustformeln herausgebildet hätten. Denn selbst wenn die finanziellen Auswirkungen eines Sozialplans kalkulierbar wären, bleibt für den Unternehmer das Risiko der nicht vorauszusehenden Dauer der Konstituierung des Betriebsrats. Vor diesem Hintergrund ist nicht einzusehen, weshalb abweichend von der Rechtsprechung des BAG der systematische Zusammenhang zwischen Interessenausgleich und Sozialplan aufgelöst werden sollte5.
25.70
Richtigerweise müssen die vorstehenden Grundsätze auch dann gelten, wenn zwischen Entschluss über die Durchführung einer Betriebsänderung und dem Beginn der Umsetzung ein Zeitraum liegt, innerhalb dessen ein Betriebsrat gewählt wird. Maßgeblich muss es auch dann auf den Zeitpunkt des Entschlusses über die Durchführung einer Betriebsänderung ankommen. Der Entschluss der Unternehmensleitung ist nämlich unter Berücksichtigung dessen gefasst worden, dass der Versuch eines Interessenausgleichs über das Ob, Wann, Wo und Wie der Maßnahme gerade nicht erforderlich ist und dementsprechend auch keine erzwingbaren Sozialplankosten für die Überlegungen zu berücksichtigen waren6. Vorsorglich sollte in diesem Fall aus Dokumentationsgründen den Arbeitnehmern der Entschluss aber bekannt gegeben werden, wenn er sich nicht bereits schon konkludent aus den Umsetzungsmaßnahmen ergibt. Von einem Beteiligungsrecht des Betriebsrats wird man allerdings dann ausgehen müssen, wenn dieser noch während der Planungsphase einer Betriebsänderung gewählt wird7.
25.71
Ist für einen Betrieb kein Betriebsrat gebildet, besteht im Unternehmen allerdings ein Gesamtbetriebsrat, ist der Arbeitgeber im Falle einer geplanten auf den betriebsratslosen Betrieb bezogenen Betriebsänderung nicht verpflichtet, den Gesamtbetriebsrat zu beteiligen. Anders verhält es sich allerdings, wenn eine geplante Betriebsänderung originär in die Zuständigkeit
BAG v. 20.4.1982 – 1 ABR 3/80. Zur Kritik an der Rechtsprechung des BAG vgl. LAG Köln v. 5.3.2007 – 2 TaBV 10/07. ArbG Reutlingen v. 29.10.1998 – 3 (1) BV 7/98; LAG Saarland v. 14.5.2003 – 2 TaBV 7/03. Schulz, BB 2017, 949, 951. Zutreffend: Schulz, BB 2017, 949, 951. So auch: Fitting, § 111 BetrVG Rz. 33 f.; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 27; HWK/Hohenstatt/ Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 9. 7 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 27; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 35; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 154. 1 2 3 4 5 6
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Unterrichtungs- und Beratungsanspruch wegen Betriebsänderung | Rz. 25.74 § 25
des Gesamtbetriebsrats fällt. Dessen Zuständigkeit erstreckt sich dann auch auf Betriebe ohne Betriebsrat (vgl. § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG).
2. Unternehmensgröße Die Beteiligung des Betriebsrats wegen einer Betriebsänderung setzt nach § 111 Satz 1 BetrVG voraus, dass in dem betroffenen Unternehmen in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt werden. Bezugsgröße ist damit das Unternehmen. Eine Zurechnung von in anderen Konzernunternehmen beschäftigten Arbeitnehmern – sei es im Inland oder im Ausland – („Berechnungsdurchgriff im Konzern“) erfolgt nicht1. Auch eine Einbeziehung der durch das Unternehmen im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer ist abzulehnen2.
25.72
Betreiben mehrere Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern, beschäftigt aber keines dieser Unternehmen allein mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer, so ist umstritten, ob dem für den gemeinsamen Betrieb gebildeten Betriebsrat Beteiligungsrechte nach §§ 111 ff. BetrVG zustehen3. Mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG wird man auch in dieser Konstellation von einer Anwendbarkeit des § 111 BetrVG ausgehen müssen. Da die beteiligten Unternehmen die als Betriebsänderung zu qualifizierende Maßnahme in der Regel4 auch gemeinsam geplant haben, also in ihrer Gesamtheit als Unternehmer auftreten, kann der Betriebsrat auch zugunsten derjenigen Arbeitnehmer die Beteiligungsrechte aus §§ 111, 112 BetrVG geltend machen, deren Arbeitgeber selbst weniger als 20 Arbeitnehmer beschäftigt5. Eine Unterscheidung zwischen den am gemeinsamen Betrieb beteiligten Unternehmen dahingehend, dass die Rechte aus §§ 111, 112 BetrVG nur zugunsten der Arbeitnehmer des gemeinsamen Betriebs wahrgenommen werden können, die aus Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 Arbeitnehmern stammen6, überzeugt nicht. Beteiligungsrechte aus §§ 111, 112 BetrVG wird man – vorbehaltlich etwaiger Fälle des Rechtsmissbrauchs – berechtigterweise nur dann ausschließen können, wenn die am gemeinsamen Betrieb beteiligten Unternehmen insgesamt nicht mehr als in der Regel 20 Arbeitnehmer beschäftigen.
25.73
Arbeitnehmer sind die in § 5 Abs. 1 BetrVG genannten Personen. Da die Berechnung des Schwellenwertes nach Kopfzahlen erfolgt, ist es unerheblich, ob diese in Teil- oder Vollzeit beschäftigt sind. Da es auf die Anzahl der Arbeitsplätze ankommt, zählen befristet Beschäftigte nur mit, wenn die von ihnen besetzten Arbeitsplätze die regelmäßige Größe des Unternehmens prägen7. Arbeitnehmer, die sich in Elternzeit befinden oder zur Betreuung eines Kindes freigestellt wurden, sind nicht mitzuzählen, wenn für sie ein Vertreter eingestellt ist, es sei denn der Vertreter ist seinerseits nicht mitzuzählen (§ 21 Abs. 7 BEEG). Die in § 5 Abs. 2
25.74
1 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 23; a.A. DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 34. 2 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 23; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 22. 3 So GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 15; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 33; differenzierend nach dem jeweiligen Gegenstand des Beteiligungsrechts: Fitting, § 111 BetrVG Rz. 23; ablehnend: Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 26; ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rz. 5. 4 Der gemeinsame Betrieb verlangt zwar nur eine gemeinsame Wahrnehmung in personellen und sozialen Angelegenheiten. Allerdings dürfte eine Zusammenarbeit auch in wirtschaftlichen Angelegenheiten die Regel sein. 5 A.A Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 26; ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rz. 5; HWGNRH/Hess, § 111 BetrVG Rz. 35. 6 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 26; ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rz. 5; HWGNRH/Hess, § 111 BetrVG Rz. 35. Dies dürfte sich auch nicht aus BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 10/14 ergeben. 7 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 23.
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§ 25 Rz. 25.74 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
BetrVG genannten Personen zählen ebenso wie leitende Angestellte (§ 5 Abs. 3 BetrVG) nicht zu Arbeitnehmern i.S.v. § 111 BetrVG1. Die Arbeitnehmer müssen i.S.v. § 7 BetrVG wahlberechtigt sein. Bei Leiharbeitnehmern kommt es für die Ermittlung des Schwellenwertes darauf an, ob sie zu den „in der Regel“ Beschäftigten gehören, da sie nicht ständig, sondern lediglich zeitweise beim Entleiher beschäftigt sind. Sie müssen nach Auffassung des BAG normalerweise während des größten Teils eines Jahres, d.h. entsprechend § 14 Abs. 2 Satz 6 AÜG länger als sechs Monate beschäftigt werden2. An der Sechs-Monats-Regel ändert sich auch durch die Neufassung von § 14 Abs. 2 AÜG nichts. Freie Mitarbeiter und auf der Grundlage von Werk- Dienstverträgen tätiges Fremdpersonal sind dagegen nicht mitzuzählen.
25.75
Es müssen „in der Regel“ mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt werden. Hierbei ist von dem Zeitpunkt auszugehen, in dem die fraglichen Beteiligungsrechte entstehen. Das ist im Fall der Betriebsstilllegung oder Betriebseinschränkung der Zeitpunkt des Entschlusses des Arbeitgebers3. Mit Blick auf die Beschäftigtenzahl ist auf die Personalstärke abzustellen, die für den Betrieb im Allgemeinen kennzeichnend ist. Dies erfordert sowohl einen Rückblick als auch eine Prognose der weiteren Entwicklung. Als Referenzzeitraum wird man in Anlehnung an die Schwellenwerte bei der unternehmerischen Mitbestimmung von einem Zeitraum von 18 bis 24 Monaten ausgehen müssen4. Auf einen Referenzzeitraum kommt es allerdings nur dann an, wenn der Schwellenwert bereits einmal überschritten worden ist. Wenn noch nie mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt worden sind, kommt es auf das Prognoseprinzip nicht an5. Im Fall der Betriebsstilllegung oder Betriebseinschränkung kann naturgemäß nur ein Rückblick auf die bisherige Belegschaftsstärke in Betracht kommen6. Bei einer schrittweise vollzogenen Betriebseinschränkung oder Betriebsstilllegung ist zu differenzieren: Sind die schrittweisen Einschränkungen/Stilllegungen auf eine einheitliche unternehmerische Entscheidung zurückzuführen, genügt es, wenn der Schwellenwert einmalig vor der ersten Maßnahme überschritten worden ist. Bei Folgemaßnahmen (die auf dieselbe unternehmerische Entscheidung zurückgehen) kommt es dann auf den Schwellenwert nicht mehr an7. Fehlt eine solche einheitliche unternehmerische Entscheidung, entfällt das Beteiligungsrecht des Betriebsrats, nachdem die Beschäftigtenzahl dauerhaft den Schwellenwert unterschritten hat8.
3. Ablauf des Beteiligungsverfahrens 25.76
Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus §§ 111, 112 BetrVG, die insoweit auch unabhängig von der Beratung des Unternehmers mit dem Wirtschaftsausschuss gemäß § 106 BetrVG wahrgenommen werden können9, vollziehen sich in zwei Schritten. Zunächst einmal muss der Unternehmer den Betriebsrat über eine geplante Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG
1 Fitting, § 111 BetrVG Rz. 25; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 25; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 36; HWGNRH/Hess, § 111 BetrVG Rz. 40. 2 BAG v. 18.10.2011 – 1 AZR 335/10. 3 BAG v. 16.11.2004 – 1 AZR 642/03; BAG v. 18.10.2011 – 1 AZR 335/10; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 29. 4 OLG Düsseldorf v. 9.12.1994 – 19 W 2/94; HWK/Seibt, § 1 DrittelbG Rz. 11. 5 Jannott/Frodermann/Kienast, Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft, 13. Kap. Rz. 59. 6 BAG v. 16.11.2004 – 1 AZR 642/03; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 30; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 30. 7 BAG v. 16.11.2004 – 1 AZR 642/03; BAG v. 9.5.1995 – 1 ABR 51/94; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 30; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 24; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 32. 8 BAG v. 16.11.2004 – 1 AZR 642/03; BAG v. 9.5.1995 – 1 ABR 51/94; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 32; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 38. 9 Fitting, § 111 BetrVG Rz. 10.
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Unterrichtungs- und Beratungsanspruch wegen Betriebsänderung | Rz. 25.79 § 25
rechtzeitig und umfassend unterrichten und die geplanten Änderungen mit dem Betriebsrat beraten. Hierfür muss im Vorfeld geklärt werden, ob die jeweils in Rede stehende Maßnahme als Betriebsänderung qualifiziert werden kann (vgl. Rz. 25.97 ff.). Wenn dies der Fall ist, umfasst die Unterrichtungs- und Beratungspflicht, wie § 111 Satz 1 BetrVG i.V.m. § 112 Abs. 1 BetrVG deutlich macht, auch etwaige Nachteile, die mit einer Betriebsänderung verbunden sind, sowie diesbezüglich geplante Ausgleichsmaßnahmen. Die Unterrichtung und Beratung wird in der betrieblichen Praxis auch häufig als Informationsphase bezeichnet, wenngleich das Gesetz eine solche nicht kennt und man aus Sicht des Arbeitgebers gut beraten ist, das Beteiligungsverfahren nicht künstlich in Phasen aufzuteilen, da die Einigungsstelle erst dann angerufen werden kann, wenn der Versuch eines Interessenausgleichs auf betrieblicher Ebene gescheitert ist. Im Anschluss an die Unterrichtung und Beratung gemäß § 111 BetrVG müssen Verhandlungen über den Versuch eines Interessenausgleichs geführt werden (vgl. Rz. 25.191), wobei der Übergang häufig fließend ist. Gegenstand des Interessenausgleichs ist die Frage, ob, wann, wo und wie der Unternehmer die geplanten Maßnahmen tatsächlich durchführt. Ziel des Betriebsrats ist es dabei, unter Berücksichtigung der betrieblichen Belange zu versuchen, die tatsächliche Ausgestaltung der geplanten Maßnahmen an den Interessen der Arbeitnehmer auszurichten, um Nachteile so weit als möglich zu vermeiden. Eine Einigung über den Interessenausgleich ist indes nicht erzwingbar. Löst die Betriebsänderung tatsächlich wirtschaftliche Nachteile aus, kann der Betriebsrat verlangen, darüber hinaus Verhandlungen über einen Sozialplan zu führen (vgl. Rz. 25.215 ff.). Der Sozialplan hat zum Ziel, wirtschaftliche Nachteile auszugleichen oder zu mildern (§ 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG). Anders als der Interessenausgleich kann der Sozialplan, wenn nicht die in § 112a BetrVG genannten Ausnahmetatbestände erfüllt sind (vgl. Rz. 25.220), im Wege des Einigungsstellenverfahrens erzwungen werden.
25.77
Weicht der Unternehmer von einem Interessensausgleich über die geplante Betriebsänderung ohne zwingenden Grund ab, können die hiervon betroffenen Arbeitnehmer beim Arbeitsgericht beantragen, den Arbeitgeber zu einem Nachteilsausgleich zu verurteilen (vgl. Rz. 25.672 ff.). Entsprechendes gilt dann, wenn der Unternehmer eine geplante Betriebsänderung durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben und infolge der Maßnahme Arbeitnehmer entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden (§ 113 BetrVG). Wegen der Durchsetzung der Regelungen eines Interessenausgleichs vgl. im Übrigen Rz. 25.205.
25.78
4. Art und Weise der Unterrichtung und Beratung a) Begriffe der Unterrichtung und Beratung Der Unternehmer hat den Betriebsrat über die geplante Betriebsänderung einerseits zu unterrichten und diese andererseits mit ihm zu beraten. Unternehmer ist dabei der Rechtsträger des Betriebs. Dies gilt auch in Konzernstrukturen1. Die Begriffe Unterrichtung und Beratung sind in § 111 BetrVG nicht näher definiert. Hier kann – wie bei § 106 BetrVG – insofern die Richtlinie 2002/14/EG2 als Auslegungshilfe herangezogen werden. Hiernach ist die Unterrichtung die „Übermittlung von Informationen durch den Arbeitgeber an die Arbeitnehmervertreter, um ihnen Gelegenheit zur Kenntnisnahme und Prüfung der behandelten Fragen zu ge-
1 BAG v. 14.4.2015 – 1 AZR 794/13. 2 Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft.
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25.79
§ 25 Rz. 25.79 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
ben“ (Art. 2 lit. f Richtlinie 2002/14/EG). Die Anhörung, d.h. die Beratung, ist demgegenüber „die Durchführung eines Meinungsaustauschs und eines Dialogs zwischen Arbeitnehmervertretung und Arbeitgeber“ (Art. 2 lit. g Richtlinie 2002/14/EG). b) Zuständigkeit
25.80
Die Zuständigkeitsverteilung auf Betriebsratsseite, also zwischen Betriebsrat, Gesamt- und Konzernbetriebsrat bestimmt sich nach den § 50 Abs. 1, § 58 Abs. 1 BetrVG (vgl. hierzu im Einzelnen Rz. 25.610 ff.).
25.81
Auf Arbeitgeberseite ist für die Wahrnehmung der Pflichten aus §§ 111 ff. BetrVG stets der Rechtsträger zuständig, der die Maßnahme vollziehen will. c) Zeitpunkt der Unterrichtung und Beratung
25.82
Unterrichtungs- und Beratungsrechte des Betriebsrats nach § 111 BetrVG knüpfen daran an, dass eine Betriebsänderung geplant ist. Eine Maßnahme ist geplant, wenn der Arbeitgeber in seiner Funktion als Unternehmer entschlossen ist, vorbehaltlich der Beratung mit dem Betriebsrat eine von § 111 BetrVG erfasste Maßnahme durchzuführen.
25.83
Entscheidungen, die in einer Konzernobergesellschaft getroffen werden, sind grundsätzlich für § 111 BetrVG ohne Bedeutung. Schließlich wird dort auf die Planung durch das Unternehmen selbst, dessen Betrieb eine Änderung erfahren soll, abgestellt. Die Pflicht zur Information und Beteiligung im Rahmen des § 111 Satz 1 BetrVG trifft folglich ausschließlich den Inhaber des Betriebs und zwar auch dann, wenn ein herrschendes Unternehmen die unternehmerische Entscheidung trifft, die zur Betriebsänderung führt1. Sofern angenommen wird, dass bereits die Obergesellschaft eine Beteiligungspflicht trifft, ist das mit der gesetzlichen Konzeption nicht vereinbar2. Aus denselben Gründen wie bei den Beteiligungsrechten des Wirtschaftsausschusses im Rahmen des § 106 BetrVG hat auch der Betriebsrat im Rahmen des § 111 BetrVG weder einen Informationsbeschaffungsanspruch gegenüber dem Unternehmer noch ist ein sogenannter Informationsdurchgriff gegen die Obergesellschaft anzuerkennen (vgl. hierzu Rz. 25.48). Erst wenn die Entscheidung der Konzernobergesellschaft – ggf. als Weisung an die Geschäftsführung – das Unternehmen erreicht, in dem letztlich eine Betriebsänderung durchgeführt werden soll, und dort zum Inhalt einer eigenen Entscheidung der Geschäftsführung gemacht wird, werden die Beteiligungsrechte aus § 111 BetrVG ausgelöst3. Dieser Grundsatz wird lediglich in zwei Fällen durchbrochen, die allerdings nur mittelbar mit der Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG in Zusammenhang stehen. Zum einen kann sich der Unternehmer bei Massenentlassungen i.S.d. § 17 Abs. 1 KSchG nicht darauf berufen, dass das herrschende Unternehmen notwendige Auskünfte nicht übermittelt hat. Das ergibt sich aus § 17 Abs. 3a KSchG, mit dem der Gesetzgeber die Vorgaben aus Art. 2 Abs. 4 der Massenentlassungsrichtlinie (RL 98/59/EG) umgesetzt hat. Soweit die Betriebsänderung mit einem Betriebs(teil)übergang einhergeht, wird sich der Unternehmer im Wege einer europarechtskonformen Auslegung von § 111 Satz 1 BetrVG zum anderen nicht darauf berufen können, dass das herrschenden Unternehmen notwendige Auskünfte nicht übermittelt hat. Dies ist nämlich nach
1 Fitting, § 111 BetrVG Rz. 104; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 246. 2 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 146. 3 Wohl auch Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 146.
1050 | Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch wegen Betriebsänderung | Rz. 25.86 § 25
Art. 7 Abs. 4 der Betriebsübergangrichtlinie (RL 2001/23/EG) ausgeschlossen, wenngleich die Norm nicht in nationales Recht umgesetzt worden ist. In beiden Fällen betreffen die unionsrechtlichen Vorgaben aber nur den Umfang, nicht aber den Zeitpunkt der Unterrichtungspflicht. Diese wird auch in dem durch § 17 Abs. 3a KSchG, Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2001/ 23/EG beschriebenen Umfang erst ausgelöst, wenn die Geschäftsleitung als Inhaber des betroffenen Betriebes selbst die Entscheidung trifft, eine Betriebsänderung durchzuführen. Bloße Gedankenspiele und Vorüberlegungen lösen noch kein Beteiligungsrecht aus1. Die Unterrichtungs- und Beteiligungsrechte setzen eine hinreichend bestimmte, in Einzelheiten bereits absehbare Maßnahme voraus, deren Durchführung der Arbeitgeber beabsichtigt. Dazu müssen Art und Umfang der Betriebsänderung bekannt sein2 (vgl. hierzu Rz. 25.40). Hierbei ist allerdings denkbar, dass die Entscheidung des Arbeitgebers mehrere Planvarianten enthält, von denen je nach Entwicklung der weiteren Verhältnisse eine durchgeführt werden soll. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats werden in diesem Fall ebenso ausgelöst, wie in dem Fall, in dem die Umsetzung noch von bestimmten Bedingungen (z.B. Umsatzrückgängen, Annahme des Angebots zur Übernahme eines Betriebsteils durch Dritte, Zustimmung des Aufsichtsrats) abhängig gemacht wird.
25.84
Die Unterrichtung muss rechtzeitig erfolgen (§ 111 Satz 1 BetrVG). Der Begriff der Rechtzeitigkeit bestimmt sich nach dem Zweck des Beteiligungsrechts3. Die rechtzeitige Unterrichtung und Beratung des Betriebsrats verlangt daher, dass dem Betriebsrat die Möglichkeit gegeben wird, auf den Willensbildungsprozess des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen. Die Maßnahmen dürfen in ihrer inhaltlichen und zeitlichen Ausgestaltung also noch nicht unabänderbar festgelegt sein4. Die Unterrichtung erfolgt insofern jedenfalls nicht mehr rechtzeitig, wenn der Unternehmer mit der Durchführung der Betriebsänderung bereits (teilweise) begonnen und er hierdurch unumkehrbare Fakten geschaffen hat5. Im Zweifel kann insoweit auf die Kriterien an die Umsetzung einer Betriebsänderung abgestellt werden (vgl. Rz. 25.670). Etwaige Zugeständnisse an Dritte müssen stets mit dem Vorbehalt einer Beteiligung des Betriebsrats nach § 111 BetrVG erfolgen.
25.85
d) Umfang der Unterrichtung und Beratung Gemäß § 111 Satz 1 BetrVG hat der Unternehmer den Betriebsrat „umfassend“ zu unterrichten und die geplanten Betriebsänderungen mit dem Betriebsrat zu beraten. Obwohl § 111 BetrVG nur von einer Unterrichtung des Betriebsrats spricht, insoweit also keine Formerfordernisse begründet, ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Betriebsrat die für eine Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Hinblick auf seine Beteiligungsrechte erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Ob sich dieser Anspruch im Wege einer teleologischen Interpretati-
1 BAG v. 20.10.1992 – 10 ABR 75/71; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 108; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 197 f.; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 140; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 60; ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rz. 22; HWGNRH/Hess, § 111 BetrVG Rz. 69. 2 BAG v. 18.7.2017 – 1 AZR 546/15. 3 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 148; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 195. 4 Fitting, § 111 BetrVG Rz. 109; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 148; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 195; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 162; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 61; HWGNRH/Hess, § 111 BetrVG Rz. 70 ff. 5 Fitting, § 111 BetrVG Rz. 110; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 197.
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25.86
§ 25 Rz. 25.86 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
on des § 111 Satz 1 BetrVG oder aber aus § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ergibt1, kann offenbleiben.
25.87
Die Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers wird man insbesondere beziehen müssen auf: – Beschreibung der geplanten Maßnahme; – Gründe für die geplante Maßnahme; – Zeitplan; – Kennzeichnung der betroffenen Arbeitnehmer; – Auswirkungen auf die Betriebs- und Arbeitsorganisation; – Konsequenzen für Betriebsvereinbarungen, Gesamtbetriebsvereinbarungen und Konzernbetriebsvereinbarungen; – Rechtsfolgen für Tarifverträge, etwa wenn Veränderungen des Betriebszwecks auch eine Veränderung der Tarifbindung zur Folge haben, weil ein anderer Tarifvertrag zur Anwendung kommt; – Personalplanung der beteiligten Rechtsträger; – beabsichtigte Maßnahmen für den Fall eines Widerspruchs gegen den Übergang von Arbeitsverhältnissen.
25.88
Die Unterrichtungspflicht ist hierbei allerdings auf die Rechtsfolgen einer Betriebsänderung begrenzt und erstreckt sich nicht auch auf die Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs, der häufig mit einer Betriebsspaltung einhergeht. Dies folgt schon daraus, dass ein Betriebsübergang nach § 613a BGB keine Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG darstellt2 (vgl. Rz. 25.178). In der betrieblichen Praxis verwischt diese Trennung häufig, was aber auch nachvollziehbar ist, als der Betriebsrat regelmäßig wissen will, wer der neue Arbeitgeber ist und welche Arbeitsbedingungen dort herrschen.
25.89
Grundsätzlich sind dem Betriebsrat sämtliche Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die zur Durchführung der in §§ 111, 112 BetrVG vorgesehenen Aufgaben erforderlich sind3. Qualitativ müssen die Unterlagen und die ergänzende Information des Arbeitgebers den Betriebsrat in die Lage versetzen, den Umfang der geplanten Maßnahmen und ihre Auswirkungen auf die Arbeitnehmer erkennen und ggf. alternative Vorschläge entwickeln zu können. Vor diesem Hintergrund wird man zu den Unterlagen, die dem Betriebsrat zu übergeben sind, regelmäßig Gutachten, Wirtschaftsprüferberichte und Marktanalysen, Vereinbarungen über die Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen auf andere Rechtsträger, also insbesondere Kauf- oder Pachtverträge und einen Verschmelzungs- bzw. Spaltungsvertrag oder -plan bzw. seinen Entwurf, auch wenn das Umwandlungsrecht insoweit gesonderte Vorlageverpflichtungen begründet, rechnen können. Verträge mit Unternehmensberatern oder sonstigen Restrukturierungsberatern müssen demgegenüber nicht vorgelegt werden. Ein Anspruch besteht allenfalls, 1 Nach der herrschenden Auffassung ergibt sich der Anspruch aus § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG: Fitting, § 111 BetrVG Rz. 113; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 151; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 194; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 164; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 62; ErfK/ Kania, § 111 BetrVG Rz. 23; HWGNRH/Hess, § 111 BetrVG Rz. 78. 2 BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 692/10; BAG v. 25.1.2000 – 1 ABR 1/99; BAG v. 10.12.1996 – 1 ABR 32/96; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 50; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 124. 3 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 151.
1052 | Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch wegen Betriebsänderung | Rz. 25.92 § 25
wenn Berater in die betrieblichen Abläufe des Unternehmers derart eingebunden sind, dass sich der Anspruch aus § 80 Abs. 2 Satz 3 BetrVG ergibt. Eine abschließende Entscheidung kann aber letztlich nur einzelfallbezogen getroffen werden. Dies gilt auch für die Frage, ob vor der Weitergabe solcher Unterlagen an den Betriebsrat Schwärzungen oder Streichungen vorgenommen werden können und/oder ob die Unterrichtungspflicht auch durch Weitergabe von Zusammenfassungen erfüllt wird. Dies wird man jedenfalls dann bejahen müssen, wenn die Unterlagen auch Informationen enthalten, die nicht erforderlich i.S.v. § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG sind. Dem Betriebsrat sind auch solche Unterlagen vorzulegen, die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthalten, sofern diese zum Verständnis oder zum Zweck der Beratungen erforderlich sind1. Die Unterrichtungspflicht in § 111 BetrVG kennt – anders als § 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG – gerade keinen Geheimnisvorbehalt2 (vgl. hierzu Rz. 25.60 ff.). Schwärzungen oder Streichungen kommen im Hinblick auf solche Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse daher nicht in Betracht. Zum Schutz der Betriebsund Geschäftsgeheimnisse sollten entsprechende Unterlagen bzw. Passagen nach § 79 Abs. 1 BetrVG aber ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet werden; eine etwaige Offenbarung durch den Betriebsrat ist dann nach § 120 BetrVG strafbewehrt.
25.90
5. Hinzuziehung eines Beraters Gemäß § 111 Satz 2 BetrVG kann der Betriebsrat in Unternehmen mit mehr als 300 Arbeitnehmern zu seiner Unterstützung einen Berater hinzuziehen. Anders als in § 80 Abs. 3 BetrVG ist hierfür eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber nicht erforderlich. Nicht abschließend geklärt ist, ob das Recht auf Hinzuziehung eines Beraters sich nur auf die Betriebsänderung erstreckt oder aber, ob der Berater auch in Bezug auf einen Sozialplan hinzugezogen werden kann3. Zwar spricht die systematische Stellung von § 111 Satz 2 BetrVG zunächst einmal dafür, das Recht des Betriebsrats auf die Betriebsänderung und den Versuch eines Interessenausgleichs zu beschränken4. Mit Blick auf den funktionalen Zusammenhang zwischen Interessenausgleich und Sozialplan wird man allerdings davon ausgehen müssen, dass sich das Recht des Betriebsrats auf Hinzuziehung des Beraters zumindest auch auf die Beratung als Sachverständiger im Rahmen einer etwaigen Einigungsstelle erstreckt, die regelmäßig mit Blick auf den Versuch eines Interessenausgleichs und den Sozialplan gebildet wird5. Daneben hat der Betriebsrat aber stets auch die Möglichkeit nach § 80 Abs. 3 BetrVG einen Sachverständigen im Rahmen der Einigungsstelle hinzuzuziehen6. Hierzu ist aber – anders als bei § 111 Satz 2 BetrVG – eine Einigung mit dem Arbeitgeber erforderlich.
25.91
Die Reichweite der § 80 Abs. 3 und § 111 Satz 2 BetrVG beschränkt sich auf die Tätigkeit eines Dritten in seiner Eigenschaft als Sachverständiger, also auf die materielle Beratung mit dem
25.92
1 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 152; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 192; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 164; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 63. 2 HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 63. 3 Dafür: DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 171; dagegen: Fitting, § 111 BetrVG Rz. 119; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 52; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 227; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 66. 4 Fitting, § 111 BetrVG Rz. 119. 5 DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 171; a.A. GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 225; HWGNRH/Hess, § 111 BetrVG Rz. 80. 6 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 55.
Ludwig/A. Otto | 1053
§ 25 Rz. 25.92 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
Ziel, fehlendes Fachwissen beim Betriebsrat zu ersetzen1. Sofern der Dritte – zumeist ein Rechtsanwalt – allerdings mit der Führung von Verhandlungen mit dem Arbeitgeber betraut wird, sei es im Beschlussverfahren, im Einigungsstellenverfahren oder allgemein in Verhandlungen mit dem Arbeitgeber, sind die § 80 Abs. 3 und § 111 Satz 2 BetrVG nicht anwendbar, da es sich hierbei nicht um eine Sachverständigenleistung handelt, sondern der Rechtsanwalt die Funktion eines Vertreters einnimmt2. Der Arbeitgeber kann nach Auffassung des BAG gleichwohl nach § 40 Abs. 1 BetrVG verpflichtet sein, die Kosten für einen Rechtsanwalt in der Funktion eines Vertreters zu tragen, sofern sie erforderlich sind3.
25.93
Da in § 111 BetrVG keine Regelung über die Kostentragung getroffen ist, gilt § 40 Abs. 1 BetrVG. Demnach hat der Arbeitgeber die Beraterkosten zu tragen, solange sie erforderlich und verhältnismäßig sind4. Die Beraterkosten sind erforderlich, soweit die Heranziehung eines Beraters für den Betriebsrat zur Erfüllung seiner Aufgaben im Rahmen von § 111 BetrVG notwendig ist5. Gegen die Erforderlichkeit kann insbesondere der Umstand sprechen, dass der Betriebsrat die Möglichkeit hat, unternehmensangehörige sachkundige Arbeitnehmer als Berater heranzuziehen6, oder die Möglichkeit besteht, eine ebenso geeignete, jedoch gegenüber dem Berater kostengünstigere Erkenntnisquelle zu nutzen7. Verhältnismäßig sind die Beraterkosten, sofern sie zum einen in einem vertretbaren und angemessenen Verhältnis zu den betrieblichen Gegebenheiten stehen8 und zum anderen, soweit sie im Verhältnis zum Umfang der Beratungstätigkeit des Beraters angemessen sind9. Sofern für die Beratertätigkeit Gebührenordnungen existieren, sind Beraterkosten nur in dem von der Gebührenordnung festgelegten Rahmen verhältnismäßig10. Der Gegenstandswert ist bei Betriebsänderungen von den Gerichten nach billigem Ermessen im Rahmen des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG zu bestimmen11. Bei der Beauftragung eines Rechtsanwaltes darf der Betriebsrat die Vereinbarung eines Stundenhonorars, die zu höheren als den gesetzlichen Gebühren führt, daher grundsätzlich nicht für erforderlich halten12. Etwas anders kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, etwa wenn der Arbeitgeber mit der Honorarvereinbarung einverstanden ist oder sie in der Vergangenheit stets akzeptiert hat13. Ein Ausnahmefall kann auch vorliegen, wenn der Verhandlungsgegenstand eine derart spezielle Rechtsmaterie betrifft, dass ein über entsprechende Spezialkenntnisse verfügender Rechtsanwalt nur bei Vereinbarung eines Zeithonorars zur Übernahme des Mandates bereit ist und sich keine vergleichbar qualifizierten Anwälte zu günstigeren 1 2 3 4 5 6
7 8 9 10 11 12 13
BAG v. 14.12.2016 – 7 ABR 8/15. BAG v. 14.12.2016 – 7 ABR 8/15. BAG v. 14.12.2016 – 7 ABR 8/15. Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 53; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 230; Natzel, NZA 2001, 872; a.A. DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 172, der davon ausgeht, dass die Erforderlichkeit des Beraters vom Gesetz vorausgesetzt wird. Fitting, § 111 BetrVG Rz. 122; Kleinebrink, ArbRB 2003, 212, 214. HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 70; Kleinebrink, ArbRB 2003, 212, 214; Natzel, NZA 2001, 872, 873; in Bezug auf § 80 Abs. 3 BetrVG: BAG v. 25.6.2014 – 7 ABR 70/12; a.A: Fitting, § 111 BetrVG Rz. 123; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 53; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 222. Fitting, § 111 BetrVG Rz. 123. Kleinebrink, ArbRB 2003, 212, 215. BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 231. Fitting, § 111 BetrVG Rz. 123; BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 231; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 70; Kleinebrink, ArbRB 2003, 212, 215. BAG v. 14.12.2016 – 7 ABR 8/15. BAG v. 14.12.2016 – 7 ABR 8/15. BAG v. 14.12.2016 – 7 ABR 8/15.
1054 | Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch wegen Betriebsänderung | Rz. 25.96 § 25
Konditionen finden lassen1. Ist ausnahmsweise eine Honorarvereinbarung gegenüber einer Abrechnung nach der Gebührenordnung die günstigere Alternative, wird man vom Betriebsrat im Hinblick auf den Grundsatz, dass unter mehreren gleich geeigneten Möglichkeiten die für den Arbeitgeber kostengünstigerer auszuwählen ist2, verlangen können, dass dieser versucht, mit dem Berater ein Stundenhonorar zu vereinbaren. Bei alldem ist aber zu berücksichtigen, dass Auseinandersetzungen über die Kostentragung den Beginn der Verhandlungen und damit den Zeitplan erheblich beeinflussen können. Nicht abschließend geklärt ist ferner, ob § 111 Satz 2 BetrVG den Betriebsrat zur Hinzuziehung mehrerer Berater berechtigt. Für die Einbeziehung eines einzigen Beraters spricht zunächst einmal der Wortlaut3. Allerdings wird man dem Betriebsrat für eine umfassende Wahrnehmung seiner Rechte bei Betriebsänderungen in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit auch die Hinzuziehung mehrerer Berater gestatten müssen. Dies gilt jedenfalls, sofern ein juristischer Berater und ein betriebswirtschaftlicher Berater hinzugezogen werden sollen. Letztlich wird durch § 111 Satz 2 BetrVG aber ohnehin klargestellt, dass § 80 Abs. 3 BetrVG unberührt bleibt. Daher kann der Betriebsrat das Recht auf Hinzuziehung eines Beraters auch auf diese Norm stützen, wenngleich hierbei eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber erforderlich ist.
25.94
Empfehlenswert ist in der betrieblichen Praxis immer, den Umfang der Beratungsleistung und die hierbei anfallenden Kosten im Vorfeld mit dem Betriebsrat bzw. dem Berater abzustimmen, um Streitigkeiten hierüber zu einem späteren Zeitpunkt zu vermeiden.
25.95
6. Unterrichtung und Beratung bei Tendenzbetrieben In Tendenzunternehmen und für Religionsgemeinschaften sind bei Betriebsänderungen die §§ 111 bis 113 BetrVG nur insoweit anzuwenden, als sie den Ausgleich oder die Milderung wirtschaftlicher Nachteile für Arbeitnehmer regeln (§ 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Tendenzbetriebe und Religionsgemeinschaften sind Unternehmen und Betriebe, die unmittelbar und überwiegend politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen oder Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung, auf die Art. 5 Abs. 2 Satz 2 GG Anwendung findet, dienen (§ 118 Abs. 1 BetrVG). Gleichwohl gilt für diese Unternehmen und Betriebe auch eine Unterrichtungs- und Beratungspflicht, da es bei der Unterrichtung und Beratung nach § 111 BetrVG notwendigerweise auch um die etwaigen durch die Betriebsänderung auf die Arbeitnehmer zukommenden Nachteile geht4. Auch in Tendenzunternehmen müssen Unterrichtung und Beratung vor der Durchführung der Betriebsänderung erfolgen, um den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, sein Mitbestimmungsrecht bezüglich des Sozialplans durchsetzen zu können5. Der Unternehmer ist allerdings nicht verpflichtet, einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat zu versuchen6. Keine Anwendung findet deshalb auch § 113 BetrVG, da diese
BAG v. 14.12.2016 – 7 ABR 8/15. BAG v. 14.12.2016 – 7 ABR 8/15 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 54; ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rz. 25. BAG v. 30.3.2004 – 1 AZR 7/03; Fitting, § 118 BetrVG Rz. 46 f.; Richardi/Thüsing, § 118 BetrVG Rz. 170; GK-BetrVG/Weber, § 118 Rz. 153; HWGNRH/Hess, § 118 BetrVG Rz. 124. 5 BAG v. 18.11.2003 – 1 AZR 637/02; Fitting, § 118 BetrVG Rz. 47; Richardi/Thüsing, § 118 BetrVG Rz. 170; a.A. GK-BetrVG/Weber, § 118 Rz. 154. 6 Fitting, § 118 BetrVG Rz. 47; Richardi/Thüsing, § 118 BetrVG Rz. 171; ErfK/Kania, § 118 BetrVG Rz. 18; a.A. DKW/Wedde, § 118 BetrVG Rz. 70.
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Ludwig/A. Otto | 1055
25.96
§ 25 Rz. 25.96 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
Vorschrift auf den Interessenausgleich abstellt. Das gilt selbst für § 113 Abs. 3 BetrVG, da der Unternehmer gegenüber dem Betriebsrat eines Tendenzunternehmens ja gerade nicht zum Versuch eines Interessenausgleichs verpflichtet ist1. Die Beteiligungspflichten aus § 17 Abs. 2 KSchG bleiben hiervon aber unberührt (vgl. Rz. 25.521 ff.).
II. Kennzeichnung einer Betriebsänderung 1. Verhältnis von § 111 Satz 1 BetrVG zu § 111 Satz 3 BetrVG 25.97
Nicht jede Betriebsänderung löst die Verpflichtung aus, den Betriebsrat zu beteiligen. § 111 Satz 1 BetrVG begrenzt die Beteiligungsrechte auf Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können. Hierbei wird nicht auf die Unternehmens-, sondern auf die Betriebsebene abgestellt2.
25.98
Als Betriebsänderungen i.S.d. Satzes 1 gelten nach Satz 3 – Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen, – Verlegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen, – Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder die Spaltung von Betrieben, – grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen, – Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren.
25.99
§ 111 Satz 3 BetrVG nennt also Maßnahmen, die als Betriebsänderungen anzusehen sind. Die wesentlichen Nachteile für die Belegschaft oder Teile davon werden bei Vorliegen der in Satz 3 genannten Beispiele nach der Auffassung des BAG fingiert3. Diese Auffassung überzeugt indes in dieser Absolutheit nicht. Richtigerweise wird man die in § 111 Satz 3 BetrVG genannten Tatbestände als Regelbeispiele verstehen müssen, sodass im Rahmen der Prüfung des Vorliegens einer Betriebsänderung stets auch § 111 Satz 1 BetrVG als Interpretationsleitlinie zu berücksichtigen ist4. Es kommt also darauf an, ob und inwieweit die geplanten Maßnahmen tatsächlich wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft auslösen können. Anderenfalls ließe es sich nicht begründen, bspw. geringfügige Betriebsverlegungen oder Bagatellspaltungen von dem Anwendungsbereich des § 111 BetrVG auszunehmen (vgl. Rz. 25.144). Letztlich scheint auch das BAG diese Auffassung zu vertreten. So erkennt es beispielsweise an, dass nur geringfügige Betriebsverlegungen nicht von dem Anwendungsbereich des § 111 BetrVG erfasst werden5. In § 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG ist indes das Kriterium der Erheblichkeit bzw. Geringfügigkeit nicht als Abgrenzungsmerkmal für eine Verlegung genannt. Auch das BAG setzt sich deshalb mit der Frage auseinander, inwieweit
1 Richardi/Thüsing, § 118 BetrVG Rz. 172; GK-BetrVG/Weber, § 118 Rz. 157; HWGNRH/Hess, § 118 BetrVG Rz. 126; nach a.A. findet zumindest § 113 Abs. 3 BetrVG Anwendung: BAG v. 30.3.2004 – 1 AZR 7/03; Fitting BetrVG, § 118 Rz. 47; DKW/Wedde, § 118 BetrVG Rz. 72. 2 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 38; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 17; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 19. 3 BAG v. 9.11.2010 – 1 AZR 708/09; BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 77/06; 17.8.1982 – 1 ABR 40/80; vgl. hierzu a.A. Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 47 ff. 4 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 47; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 64; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 21. 5 BAG v. 17.8.1982 – 1 ABR 40/80; vgl. auch LAG Köln v. 27.10.2016 – 7 TaBV 54/16.
1056 | Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch wegen Betriebsänderung | Rz. 25.104 § 25
durch die Verlegung Nachteile für die Belegschaft in Rede stehen können und zieht somit § 111 Satz 1 BetrVG heran. § 111 Satz 1 BetrVG kann als Auffangtatbestand ferner immer dann Anwendung finden, wenn betriebsbezogene Maßnahmen nicht in den Anwendungsbereich des § 111 Satz 3 BetrVG fallen1.
25.100
§ 111 Satz 3 BetrVG enthält keine Legaldefinition der dort verwendeten Begriffe. Wann insbesondere eine Stilllegung oder Spaltung, ein wesentlicher Betriebsteil oder eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation vorliegen, ist deshalb aus dem Wortlaut des Gesetzes, der Gesamtsystematik der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gemäß § 111 ff. BetrVG, der Entstehungsgeschichte und dem Zweck der Regelung zu ermitteln (vgl. Rz. 25.76).
25.101
2. Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen (§ 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG) a) Stilllegung des Betriebs Unter einer Betriebsstilllegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, die Verfolgung des bisherigen Betriebszweckes dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne, nicht weiter zu verfolgen2. Insoweit gelten die auch kündigungsrechtlich relevanten Merkmale (vgl. § 19).
25.102
Stillgelegt wird der Betrieb, d.h. die arbeitstechnische Organisationseinheit, für die der Betriebsrat gewählt ist3.
25.103
Erforderlich für die Annahme einer geplanten Betriebsstilllegung ist lediglich der Wille des Unternehmers, die betriebliche Organisation aufzulösen. Die Stilllegungsabsicht erfordert bei einer juristischen Person bzw. einer Kommanditgesellschaft keinen formell gültigen Beschluss des zuständigen Organs4. Auch der Geschäftsführer allein kann die Entscheidung zur Stilllegung eines Betriebs bzw. aller Betriebe der Gesellschaft treffen und durchführen. Nach Auffassung des BAG ist es nämlich kündigungsrechtlich nicht entscheidend, ob der Geschäftsführer die Entscheidung zur Stilllegung gesellschaftsrechtlich ohne wirksamen Beschluss des zu ständigen Organs überhaupt treffen durfte. Maßgeblich ist lediglich, ob er diese Entscheidung getroffen hat und ob im Zeitpunkt der auf diese Entscheidung gestützten Kündigungen die Prognose gerechtfertigt war, dass es planmäßig zur Stilllegung kommen wird, etwa weil die Gesellschafter das Vorgehen des Geschäftsführers im Nachhinein billigen5.
25.104
1 LAG Baden-Württemberg v. 16.6.1987 – 8 (14) TaBV 21/86; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 56; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 45 f.; a.A. Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 41 f.; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 20. 2 BAG v. 21.5.2015 – 8 AZR 409/13; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 65; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 49. 3 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 58. 4 BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 696/99; BAG v. 11.3.1998 – 2 AZR 414/97; LAG Hamm v. 20.5.2020 – 18 Sa 1615/19; LAG Düsseldorf v. 19.2.2013 – 16 Sa 1652/12; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 65; Richardi/ Annuß, § 111 BetrVG Rz. 59; a.A. DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 49. 5 BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 696/99; LAG Hamm v. 20.5.2020 – 18 Sa 1615/19.
Ludwig/A. Otto | 1057
§ 25 Rz. 25.105 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
25.105
Eine beabsichtigte Produktionseinstellung bedeutet noch keine Betriebsstilllegung. Hinzukommen muss noch der Wille zur Auflösung der dem Betriebszweck dienenden konkreten Betriebsorganisation1. Der Unternehmer kann nämlich die Produktion einstellen und zugleich die Absicht haben, den Betrieb zu veräußern. Betriebsveräußerung/Betriebsübergang und Betriebsstilllegung schließen sich indes systematisch aus (vgl. Rz. 25.177 ff.)2.
25.106
Eine Betriebsstilllegung liegt nur dann vor, wenn die wirtschaftliche Betätigung dauerhaft bzw. für eine nicht unerhebliche Zeitspanne eingestellt wird. Wird die Produktionsgemeinschaft nach den Planungen des Unternehmers nur für kurze Dauer eingestellt, handelt es sich lediglich um eine Betriebspause, die keine Betriebsstilllegung darstellt. Eine Betriebsstilllegung ist beispielsweise auch dann nicht anzunehmen, wenn der Arbeitgeber nach einer Betriebsstörung im Betrieb von der Möglichkeit Gebrauch macht, allen Arbeitnehmern unter Einräumung eines Anspruchs auf Wiedereinstellung für die Zeit nach Beseitigung der Störung fristlos zu kündigen3. Die Einführung von Kurzarbeit dürfte regelmäßig der Annahme eines Willens zur Auflösung der Betriebsorganisation entgegenstehen, da die Einführung von Kurzarbeit auf die vorübergehende wirtschaftliche Entlastung des Betriebs durch Senkung der Personalkosten bei gleichzeitigem Erhalt der Arbeitsplätze abzielt.
25.107
Höchstrichterlich nicht entschieden ist, ob von einer Betriebsstilllegung auch dann auszugehen ist, wenn der Betrieb von Beginn an nur für eine zeitlich begrenzte Aufgabe errichtet worden ist und der Betrieb nach Erreichung des Betriebszwecks geschlossen wird. In diesen Fällen wird man mit Blick auf die fehlende Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer eine Interessenausgleichs- und Sozialplanpflicht ablehnen müssen4. Entsprechendes gilt bei sogenannten Saisonbetrieben, die beispielsweise im Winter bzw. zu bestimmten Jahreszeiten schließen5.
25.108
Liegt eine Betriebsstilllegung vor, sind regelmäßig wesentliche Nachteile für die Belegschaft i.S.v. § 111 Satz 1 BetrVG indiziert, da die Arbeitsplätze der Arbeitnehmer des Betriebs entfallen.
25.109
Die Betriebsstilllegung ist von anderen Formen der Betriebsänderung und insbesondere von der Betriebsveräußerung/dem Betriebsübergang gemäß § 613a BGB abzugrenzen. Gleichwohl kann auch die Betriebs(teil)veräußerung mit einer Betriebsänderung einhergehen. In Rede steht hierbei im Falle der Veräußerung lediglich eines Betriebsteils regelmäßig die Betriebsspaltung, sofern es sich nicht um eine Bagatellspaltung handelt und nicht ein gemeinsamer Betrieb von Veräußerer und Erwerber gebildet wird. Die Verlegung des Betriebes stellt keine Betriebsstilllegung dar, da die Identität des Betriebs gewahrt bleibt. Wird allerdings die bisherige Betriebsorganisation tatsächlich aufgelöst und der Betrieb lediglich an einem anderen Ort mit einer im Wesentlichen anderen Belegschaft und Organisationsstruktur neu errichtet, so wird man von einer Betriebsstilllegung ausgehen müssen6. Auch die Änderung des 1 BAG v. 3.7.1986 – 2 AZR 68/85; vgl. auch BAG v. 21.5.2015 – 8 AZR 409/13; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 60; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 65; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 23. 2 BAG v. 21.5.2015 – 8 AZR 409/13; BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10; LAG Hamm v. 20.5.2020 – 18 Sa 1615/19. 3 BAG v. 16.6.1987 – 1 AZR 528/85; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 61. 4 LAG München v. 15.2.1989 – 7 TaBV 34/88; LAG Hamm v. 1.2.1977 – 3 TaBV 38/76; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 66; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 63; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 135. 5 Fitting, § 111 BetrVG Rz. 66; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 62; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 79; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 135; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 23. 6 BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 68; ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rz. 14.
1058 | Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch wegen Betriebsänderung | Rz. 25.111 § 25
Betriebszwecks stellt keine Betriebsstilllegung dar, da sie zunächst einmal nichts an dem Erhalt der Betriebsorganisation ändert. b) Stilllegung eines wesentlichen Betriebsteils Auch ein wesentlicher Betriebsteil kann stillgelegt werden. Erforderlich ist, dass eine abgrenzbare Organisationseinheit innerhalb des Betriebes, die für den ganzen Betrieb wesentlich sein muss, stillgelegt wird. Wesentlich ist der Betriebsteil dann, wenn in ihm ein erheblicher Teil der Gesamtbelegschaft beschäftigt wird (quantitative Betrachtung)1. Maßgeblich sind hierbei die Schwellenwerte des § 17 KSchG2. Ob für die Beurteilung der Wesentlichkeit eines Betriebsteils auch eine qualitative Betrachtung derart erfolgen kann, dass unabhängig von der Zahl der in diesem Betriebsteil beschäftigten Arbeitnehmer andere Umstände, insbesondere seine Bedeutung für den Gesamtbetrieb, berücksichtigt werden können, hat das BAG bislang ausdrücklich offengelassen3. Es ließe sich zwar vertreten, dass ein Betriebsteil bereits schon dann wesentlich ist, wenn er rein qualitativ von herausgehobener Bedeutung für den Gesamtbetrieb ist. Allerdings stellt sich die Frage, nach welchen objektivierbaren Kriterien eine solch qualitative Abgrenzung vorgenommen werden soll. Sind auch reine Supportbereiche wesentlich? Letztlich wird nahezu jeder Betriebsteil einen Beitrag für die Erlangung der Betriebszwecke leisten. Aus Gründen der Rechtsicherheit und Praktikabilität ist es daher überzeugend, für die Beurteilung des wesentlichen Betriebsteils ausschließlich auf eine quantitative Betrachtung abzustellen. Nur wenn die maßgeblichen Schwellenwerte überschritten werden, wird das Vorliegen einer Betriebsänderung fingiert. Ist dies der Fall, wird man regelmäßig auch davon ausgehen können, dass die Stilllegung mit wesentlichen Nachteilen für erhebliche Teile der Belegschaft i.S.v. § 111 Satz 1 BetrVG verknüpft ist4, da deren Arbeitsplätze entfallen.
25.110
c) Einschränkung des Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen Bei der Einschränkung des Betriebes wird dessen Leistungsfähigkeit auf Dauer herabgesetzt. Der Betrieb als Organisationseinheit bleibt bestehen. Eine Herabsetzung der Leistungsfähigkeit liegt beispielsweise vor, wenn Betriebsanlagen stillgelegt oder veräußert werden. Eine geringere Ausnutzung der Betriebsanlagen oder aber eine Verkürzung der Arbeitszeit genügen nicht. Auch hier wird man als Korrektiv eine beteiligungspflichtige Betriebsänderung nur dann annehmen können, wenn die Herabsetzung der Leistungsfähigkeit mit wesentlichen Nachteilen für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft einhergeht. Dies ist bei der bloßen Stilllegung von einzelnen Betriebsanlagen oder aber bei deren Veräußerung regelmäßig alleine noch nicht erkennbar. Es müssen weitere Maßnahmen, bspw. die Entlassung von Arbeitnehmern, hinzutreten5.
1 Fitting, § 111 BetrVG Rz. 69; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 25; ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rz. 11; differenzierend: Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 84 ff.; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 111 ff.; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 63 ff. 2 BAG v. 5.6.2014 – 2 AZR 418/13; BAG v. 9.11.2010 – 1 AZR 708/09; BAG v. 27.6.2002 – 2 AZR 489/01; BAG v. 7.8.1990 – 1 AZR 445/89; s. auch LAG Düsseldorf v. 20.4.2016 – 4 TaBV 70/15. 3 Vgl. BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 77/06; BAG v. 7.8.1990 – 1 AZR 445/89; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 70. 4 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 85. 5 Vgl. Fitting, § 111 BetrVG Rz. 72.
Ludwig/A. Otto | 1059
25.111
§ 25 Rz. 25.112 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
d) Betriebseinschränkung durch Personalabbau
25.112
Eine Betriebseinschränkung i.S.v. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG kann auch in einem reinen Personalabbau liegen. Die Einschränkungen in § 112a Abs. 1 BetrVG (Sozialplanpflicht bei der Entlassung von Arbeitnehmern) finden in Bezug auf die Beteiligungspflicht des Betriebsrats aus § 111 BetrVG keine Anwendung. Ob somit wegen § 112a BetrVG ein Sozialplan nicht erzwingbar ist, spielt bei der Kennzeichnung des Beteiligungsrechts aus § 111 BetrVG keine Rolle.
25.113
Für die Beurteilung, ob eine Betriebseinschränkung durch Personalabbau in Rede steht, kommt es darauf an, wie viele eigene Arbeitnehmer des Betriebsinhabers (zu Leiharbeitnehmern vgl. auch nachstehend Rz. 25.116) entlassen werden sollen. Unerheblich ist dabei zunächst, wie der Personalabbau tatsächlich umgesetzt wird. Dies müssen nicht zwingend betriebsbedingte Kündigungen sein. In Betracht kommt auch eine Umsetzung durch den Abschluss von Aufhebungsverträgen oder aber die Veranlassung von Eigenkündigungen1. Auch wenn betriebsbedingte Kündigungen von Anfang an nicht geplant oder ausgeschlossen sind, kann eine Betriebsänderung vorliegen. Nicht zu berücksichtigen sind allerdings Arbeitnehmer, die aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen entlassen werden sollen oder deren Arbeitsverhältnis durch Befristung endet2. Für die Beurteilung einer Betriebseinschränkung sind auch solche Entlassungen zu berücksichtigen, die nach Ausübung von Widerspruchsrechten im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang mangels Weiterbeschäftigungsmöglichkeit erfolgen3. Bei einem Übergang des gesamten Betriebs gibt es zwar nach Widerspruch keinen Betriebsrat mehr, der Beteiligungsrechte geltend machen könnte4. Zu beachten ist aber, dass zwischen der Unterrichtung der Arbeitnehmer nach § 613a Abs. 5 BGB und dem Betriebsübergang der Betriebsrat des – zu diesem Zeitpunkt noch beim Veräußerer bestehenden – Betriebs Beteiligungsrechte nach §§ 111 ff. BetrVG geltend machen kann, u.U. mit dem Ziel, den Betriebsübergang zu verhindern oder zu verzögern. Dies käme dann in Betracht, wenn Widersprüche bereits vor dem Übergangsstichtag erklärt werden und ein Kündigungsentschluss zu diesem Zeitpunkt bereits gefasst ist.
1 Vgl. BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 516/11, das die Art des Auflösungstatbestandes für die Qualifizierung als Betriebsänderung als irrelevant eingestuft hat, solange das Ausscheiden durch den Arbeitgeber veranlasst worden ist; ausdrücklich mit Bezug auf die Veranlassung von Eigenkündigungen sowie den Abschluss von Aufhebungsverträgen siehe BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11; BAG v. 28.10.1992 – 10 AZR 406/91; BAG v. 4.7.1989 – 1 ABR 35/88; LAG Sachsen-Anhalt v. 21.6.2013 – 6 Sa 444/11; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 77; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 31; ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rz. 11. 2 Fitting, § 111 BetrVG Rz. 80; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 78; ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rz. 11; HWGNRH/Hess, § 111 BetrVG Rz. 128; differenzierend: DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 80. 3 BAG v. 10.12.1996 – 1 AZR 290/96; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 78; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 79; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 31; ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rz. 11. 4 LAG München v. 17.10.2007 – 11 TaBV 73/07.
1060 | Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch wegen Betriebsänderung | Rz. 25.116 § 25
Eine Betriebsänderung in Form der Betriebseinschränkung liegt nur dann vor, wenn eine größere Anzahl von Arbeitnehmern betroffen ist. Hierbei kommt es maßgeblich auf die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG an1. Ursprünglich für „Großbetriebe“ mit mehr als 1000 Arbeitnehmern entwickelt2, nimmt das BAG allerdings inzwischen als allgemeine Mindestgrenze eine Modifizierung der Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG dahingehend vor, dass von dem Personalabbau mindestens 5 % der Belegschaft des Betriebes betroffen sein müssen3. Ob die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG auch geringfügig unterschritten werden können, hat das BAG bislang offengelassen. Dafür könnte zwar sprechen, dass das BAG in der Entscheidung vom 7.8.1990 auf § 17 Abs. 1 KSchG „als Richtschnur“ abgestellt hat4. Im Interesse der Rechtssicherheit ist indes von einer Betriebsänderung nur dann auszugehen, wenn die maßgeblichen Schwellenwerte auch tatsächlich erreicht werden5. Somit stellt nicht jeder Personalabbau eine beteiligungspflichtige Betriebsänderung dar. Für die Berechnung der Schwellenwerte ist der Grad der Beschäftigung der betroffenen Arbeitnehmer indes unerheblich. Auch ein in Teilzeit beschäftigter Arbeitnehmer ist daher voll mitzuzählen6.
25.114
In kleinen Betrieben mit bis zu 20 Arbeitnehmern kann nicht ohne weiteres auf die Zahlengrenzen des § 17 Abs. 1 KSchG zurückgegriffen werden. Diese Bestimmung setzt nämlich voraus, dass im Betrieb mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt werden. In kleinen Betrieben mit bis zu 20 Arbeitnehmern ist eine Betriebsänderung in Form des Personalabbaus daher nur dann anzunehmen, wenn die Mindestzahl des § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG – das heißt sechs Arbeitnehmer – erreicht wird7.
25.115
Zwar stellt die neue Fassung des § 14 Abs. 2 Satz 4 AÜG inzwischen klar, dass Leiharbeitnehmer für die betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerte – etwa in § 111 BetrVG – mit zu berücksichtigten sind. Die Norm bezieht sich aber nicht auf kündigungsrechtliche Schwellenwerte und lässt daher offen, ob Leiharbeitnehmer auch für die Schwellenwerte des § 17 KSchG mitzählen8. § 17 KSchG stellt auf zwei Schwellenwerte ab: Die Zahl der zu entlassenen und die Zahl der regelmäßig im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer. Hinsichtlich der Zahl der zu entlassenen Arbeitnehmer wird man Leiharbeitnehmer nicht mitzählen können. § 17 KSchG hat
25.116
1 BAG v. 5.6.2014 – 2 AZR 418/13; BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 516/11; vgl. auch LAG Hamm v. 5.1.2018 – 16 Sa 1410/16; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 74; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 94; DKW/ Däubler, § 111 BetrVG Rz. 69; ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rz. 11; krit.: Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 78. 2 BAG v. 22.1.1980 – 1 ABR 28/78. 3 BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11; BAG v. 9.11.2010 – 1 AZR 708/09; BAG v. 7.8.1990 – 1 AZR 445/89; vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung zu den Schwellenwerten auch Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 73. 4 BAG v. 7.8.1990 – 1 AZR 445/89; so auch DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 69. 5 So auch HWGNRH/Hess, § 111 BetrVG Rz. 125 f., der zu Recht darauf hinweist, dass das BAG in jüngeren Entscheidungen (BAG v. 9.11.2010 – 1 AZR 708/09; BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 254/06) § 17 Abs. 1 KSchG nicht mehr als „Richtschnur“, sondern als „maßgebend“ bezeichnet hat. 6 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 76; MünchArbR/Matthes, § 268 Rz. 21. 7 BAG v. 9.11.2010 – 1 AZR 708/09; vgl. auch LAG Berlin-Brandenburg v. 25.10.2012 – 5 TaBV 1168/12; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 75a; a.A. Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 74; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 30: mindestens 30 % nach Kopfzahlen; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 99: mindestens drei Arbeitnehmer; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 72: ein Drittel. 8 Bissels, jurisPR-ArbR 13/2017 Anm. 2; LAG Düsseldorf v. 8.9.2016 – 11 Sa 705/15.
Ludwig/A. Otto | 1061
§ 25 Rz. 25.116 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
den arbeitsmarktpolitischen Zweck, die Arbeitsverwaltung durch die Anzeige der beabsichtigten Entlassungen in die Lage zu versetzen, sich auf die zu treffenden Maßnahmen vorzubereiten; dies gebietet nicht die Einbeziehung von Leiharbeitnehmern, da deren Arbeitsverhältnis beim Personalabbau im Entleiherbetrieb gerade nicht beendet wird, sondern im Verhältnis zum Verleiher weiter besteht1. Hierfür spricht auch die Wertung des § 111 Satz 1 BetrVG, der wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft verlangt. Diese sind bei der Beendigung von Leiharbeitsverhältnissen nicht erkennbar. Die Arbeitsverhältnisse der Leiharbeitnehmer mit dem Verleiher bestehen fort. Hinzu kommt, dass § 1 Abs. 1b AÜG die Höchstüberlassungsdauer auf 18 Monate beschränkt. Der Entleiher ist daher schon aus gesetzlichen Gründen verpflichtet, zu einem bestimmten Zeitpunkt Leiharbeitsverhältnisse zu beenden. Wollte man verlangen, erst das Beteiligungsverfahren nach § 111 BetrVG zu durchlaufen, liefe der Entleiher Gefahr, die Höchstüberlassungsdauer zu überschreiten, was die entsprechenden Sanktionen auslösen würde. Dies würde zu systemfremden Ergebnissen führen. Schließlich ist es Kern eines flexiblen Personaleinsatzes, Leiharbeitnehmer kurzfristig zu beschäftigen bzw. entlassen zu können, wenn der Beschäftigungsbedarf nicht mehr besteht. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats werden dabei hinreichend durch § 99 BetrVG gewahrt. Zuletzt folgt dies auch aus § 14 Abs. 2 Satz 4 AÜG, der § 112a BetrVG explizit ausnimmt. Wenn daher Leiharbeitnehmer für die Schwellenwerte eines erzwingbaren Sozialplans nicht zu berücksichtigen sind, kommt darin der gesetzgeberische Wille zum Ausdruck, die Beendigung von Leiharbeitsverhältnissen im Entleiherbetrieb im Rahmen von §§ 111 ff. BetrVG unberücksichtigt zu lassen. Die bloße Beendigung von Leiharbeitsverhältnissen stellt daher keine Betriebsänderung bzw. die Umsetzung einer Einschränkung des Betriebs durch Personalabbau dar. Dies hat auch das BAG mit Beschluss vom 16.11.20172 nunmehr eindeutig entschieden. Daneben stellt sich die Frage, ob Leiharbeitnehmer zu den in der Regel im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern i.S.d. § 17 KSchG zählen. Im Beschluss vom 16.11.2017 hat das BAG dem EuGH diese Frage zur Klärung vorgelegt. Zur Entscheidung des EuGH ist es wegen Erledigung allerdings nicht gekommen. Die Frage bleibt daher vorerst weiterhin höchstrichterlicher ungeklärt – hier wird man abwarten müssen. Da die Schwellenwerte in § 17 KSchG hinsichtlich der im Betrieb in der Regel Beschäftigten allerdings an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Betriebs anknüpfen, wird man Leiharbeitnehmer zu den in der Regel Beschäftigten hinzuzählen müssen. Denn für die Bewertung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist es ohne Bedeutung, ob Stammarbeitnehmer oder Leiharbeitnehmer eingesetzt werden.
25.117
Für die Bewertung, ob eine Betriebsänderung vorliegt, ist es unerheblich, ob die Entlassungen innerhalb von 30 Kalendertagen erfolgen sollen. Diese Grenze in § 17 Abs. 1 KSchG ist im Rahmen von § 111 BetrVG unbeachtlich3. Maßgeblich ist die einheitliche unternehmerische Entscheidung, das unternehmerische Konzept. Die unternehmerische Entscheidung kann z.B. auch einen Personalabbau in mehreren Entlassungswellen vorsehen4. Plant der Arbeitgeber, die maßgeblichen Schwellenwerte zur Betriebsänderung zunächst zu unterschreiten,
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LAG Düsseldorf v. 8.9.2016 – 11 Sa 705/15. BAG v. 16.11.2017 – 2 AZR 90/17. BAG v. 28.6.2012 – 6 AZR 682/10; BAG v. 8.6.1999 – 1 AZR 696/98. BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 76; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 75; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 28; HWGNRH/Hess, § 111 BetrVG Rz. 122.
1062 | Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch wegen Betriebsänderung | Rz. 25.119 § 25
liegt auch dann keine Betriebseinschränkung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG vor, wenn der Arbeitgeber zu einem späteren Zeitpunkt eine neue unternehmerische Entscheidung trifft, die einen weiteren Personalabbau vorsieht, der abermals die maßgeblichen Schwellenwerte unterschreitet. In diesem Fall liegt keine rechtswidrige Umgehung der Rechte des Betriebsrats aus § 111 BetrVG vor1. Maßgeblich für das Mitbestimmungsrecht bleibt die unternehmerische Entscheidung, aus der sich ergibt, wie viele Arbeitnehmer voraussichtlich insgesamt entlassen werden. Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen mehreren Entlassungswellen ist dabei allerdings ein wesentliches Indiz für eine von Anfang an einheitliche Planung2. Zwingend ist dies jedoch nicht. Eine spätere Entlassungswelle kann auch das Ergebnis einer neuen Planung sein. Dies gilt insbesondere, wenn nach der ersten Entlassungswelle neue, vom Arbeitgeber ursprünglich nicht vorgesehene und ungeplante Umstände eingetreten sind. Eine beteiligungspflichtige Betriebsänderung liegt indes dann vor, wenn der Arbeitgeber zunächst nur Entlassungen plant, die nach ihrer Zahl noch keine Betriebseinschränkung darstellen, und er vor Umsetzung der Maßnahme seine Planung ändert und nun weitere Entlassungen beabsichtigt, die unter Zusammenrechnung mit den bereits geplanten, aber noch nicht umgesetzten Entlassungen die Grenzwerte des § 17 Abs. 1 KSchG überschreiten3. Hat der Unternehmer allerdings über eine bestimmte Größe des Stellenabbaus entschieden, ohne dass für die einzelnen Maßnahmen der Betriebsänderung an sich ein konkreter Zeitplan besteht, ist diese Anzahl der geplanten Entlassungen maßgeblich für die rechtliche Bewertung ungeachtet des tatsächlichen späteren Zeitplans und Umsetzungszeitraums4. Denn auch in diesem Fall kommt es für die Auslösung der Beteiligungsrechte nach §§ 111, 112 BetrVG auf die „geplante“ Betriebsänderung an. Für die Frage, welches Betriebsratsgremium zuständiger Verhandlungspartner ist, kommt es entscheidend auf die Planung des Arbeitgebers und die Betroffenheit der Betriebe an. Vgl. insoweit Rz. 25.610.
25.118
Wann das Beteiligungsrecht des Betriebsrats bei einer Betriebseinschränkung durch Personalabbau betroffen ist, ergibt sich schematisch aus nachstehender Übersicht.
25.119
1 A.A. DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 86. 2 BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15; BAG v. 28.3.2006 – 1 ABR 5/05; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 76; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 102; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 28; ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rz. 10; HWGNRH/Hess, § 111 BetrVG Rz. 122. 3 BAG v. 28.3.2006 – 1 ABR 5/05. 4 DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 86.
Ludwig/A. Otto | 1063
1064 | Ludwig/A. Otto
Mindestens 6 AN betroffen
keine Pflicht zum Versuch eines IA oder zur Verhandlung eines SP
Weniger als 6 AN betroffen
Betriebe mit weniger als 21 AN
Schwellenwerte des § 112a I 1 BetrVG überschritten
Schwellenwerte des § 112a I 1 BetrVG nicht überschritten
Pflicht zum Versuch eines IA, aber kein erzwingbarer SP
> § 17 I KSchG, mind. aber 5% der Belegschaft
Betriebe mit mehr als 20 AN
< § 17 I KSchG
reiner Personalabbau
Pflicht zum Versuch eines IA und erzwingbarer SP
Personalabbau mit begleitender Betriebsänderung (z.B. Betriebsstilllegung)
25.120
Beteiligung des Betriebsrats bei Betriebseinschränkung durch Personalabbau
§ 25 Rz. 25.120 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
Beteiligung des Betriebsrats bei Betriebseinschränkung durch Personalabbau
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch wegen Betriebsänderung | Rz. 25.125 § 25
e) Einschränkung und Stilllegung bei gewillkürten Betriebsratsstrukturen nach § 3 BetrVG Bei gewillkürten Betriebsratsstrukturen nach § 3 BetrVG stellt sich die Frage, welcher „Betrieb“ Anknüpfungspunkt für die Beurteilung einer Stilllegung bzw. Einschränkung i.S.v. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG ist.
25.121
Nach § 3 Abs. 5 BetrVG gelten die aufgrund eines Tarifvertrags oder einer Betriebsvereinbarung gebildeten betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten als Betriebe i.S.d. BetrVG. Es handelt sich dabei um eine gesetzliche Fiktion1. Richtigerweise wird es daher auch im Rahmen von § 111 BetrVG auf den nach § 3 Abs. 5 BetrVG fingierten Betrieb ankommen müssen2. Hierfür spricht maßgeblich der Wortlaut in § 3 Abs. 5 BetrVG, wonach der fingierte Betrieb als Betrieb i.S.d. BetrVG gilt. Auch das BAG hat in der Entscheidung vom 15.12.20113 für die Frage, ob eine Anzeigepflicht nach § 17 Abs. 1 KSchG ausgelöst wird, auf den fingierten Betrieb i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG abgestellt, wenngleich für die Massenentlassung inzwischen der unionsrechtliche Betriebsbegriff zu berücksichtigen ist4. Diese Überlegungen lassen sich ohne weiteres auf den fingierten Betrieb nach § 3 Abs. 5 BetrVG übertragen.
25.122
Das bedeutet, dass von einer Betriebsstilllegung dann auszugehen ist, wenn der Unternehmer die Stilllegung eines (ganzen) fingierten Betriebes plant. Regelmäßig wird wohl die Stilllegung eines Betriebsteils innerhalb des fingierten Betriebs in Rede stehen. Für diesen müsste dann wiederum festgestellt werden, ob er „wesentlich“ ist, was sich anhand der vorstehend beschriebenen Kriterien (vgl. Rz. 25.110) bemisst. Für die Beurteilung, ob eine Betriebseinschränkung durch Personalabbau in Rede steht, ist konsequenterweise auch hier Anknüpfungspunkt der fingierte Betrieb i.S.d. § 3 Abs. 5 BetrVG. Das BAG vertritt vor diesem Hintergrund die Auffassung, dass bei einem Betriebsteil, der nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG als selbständig gilt, die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG in eben diesem Betriebsteil – also im fingierten Betrieb – überschritten sein müssen, um die Anzeigepflicht auszulösen5. Für fingerte Betriebe nach § 3 Abs. 5 BetrVG kann nichts anderes gelten6. Die Schwellenwerte müssen daher bezogen auf den fingierten Betrieb erreicht werden7.
25.123
Zur Frage, ob die Bildung bzw. Beendigung von gewillkürten Betriebsratsstrukturen nach § 3 BetrVG eine Betriebsänderung darstellt, vgl. Rz. 25.149 f.
25.124
3. Verlegung des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen (§ 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG) Eine Verlegung ist jede nicht nur geringfügige Veränderung der örtlichen Lage des Betriebes8. Dies gilt allerdings nur für solche Betriebe, die ortsgebunden sind. Betriebe, die ihrer Art
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Trebeck/Kania, BB 2014, 1595. HWK/B. Gaul, § 3 BetrVG Rz. 31. BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 692/10. BAG v. 13.2.2020 – 6 AZR 146/19. BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 692/10. Mückl, DB 2010, 2615, 2618; HWK/Molkenbur, § 17 KSchG Rz. 7. Krit.: Bauer, NZA-Beil. 2009, 5, 7. BAG v. 17.8.1982 – 1 ABR 40/80; vgl. LAG Köln v. 27.10.2016 – 7 TaBV 54/16; vgl. LAG Schleswig-Holstein v. 13.10.2011 – 5 TaBV 29/11; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 92; GK-BetrVG/
Ludwig/A. Otto | 1065
25.125
§ 25 Rz. 25.125 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
nach auf einen ständigen Ortswechsel angelegt sind, sind von dem Anwendungsbereich der Vorschrift ausgenommen1, z.B. Zirkus- oder Jahrmarktsunternehmen2.
25.126
Die Betriebsverlegung ist von der Betriebsstilllegung abzugrenzen. Eine Stilllegung mit anschließender Neugründung liegt dann vor, wenn der bisherige Betrieb aufgelöst und am neuen Standort eine im Wesentlichen neue Betriebsgemeinschaft aufgebaut wird3. Ob es sich um eine Betriebsstilllegung oder um eine Betriebsverlegung handelt, ist zwar für das Beteiligungsrecht des Betriebsrats aus § 111 BetrVG nicht entscheidend. Von Bedeutung ist die Abgrenzung indes für den Fortbestand des Betriebsrats und für die Frage, welche wirtschaftlichen Nachteile es im Rahmen eines Sozialplans auszugleichen gilt.
25.127
Die Verlegung darf nicht nur geringfügig4 sein. Diese Einschränkung lässt sich damit begründen, dass § 111 Satz 1 BetrVG als Interpretationsleitlinie im Rahmen von § 111 Satz 3 BetrVG zu berücksichtigen ist und eine Betriebsänderung nur dann vorliegt, wenn wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft in Rede stehen5. In jedem Fall wird man nur geringfügige Veränderungen des Standortes, wie zum Beispiel den bloßen Wechsel der Straßenseite, den Umzug in ein in der Nähe gelegenes Gebäude oder aber den Umzug innerhalb desselben Bürokomplexes/Werksgeländes nicht als Betriebsänderung qualifizieren können6. Aber auch eine örtliche Veränderung von mehreren Kilometern ist nicht zwangsläufig mit einer Betriebsänderung verknüpft. Maßgeblich ist, welche Nachteile die Veränderung für die betroffenen Arbeitnehmer zeitigt. Entscheidend ist somit z.B., wie die Verkehrsanbindung an dem neuen Standort ist oder ob die Verlegung (auch) mit wirtschaftlichen Nachteilen wie z.B. erhöhten Fahrtkosten verknüpft ist7. Der bloße Umzug innerhalb einer Stadtgrenze mag zwar dazu führen, dass für einzelne Arbeitnehmer die Anfahrtswege zum neuen Standort länger sind. Dies wird sich in der Regel indes ausgleichen, da sich für andere Arbeitnehmer der Anfahrtsweg verkürzen dürfte. Etwas anderes kann allerdings dann gelten, wenn durch die Verlegung die Anfahrtswege im Mittel zwar nicht länger werden, die Erreichbarkeit des neuen Standortes durch den öffentlichen Personennahverkehr aber schwieriger wird, etwa weil der neue Standort keine gut erreichbare Haltestelle hat oder die Verlegung dazu führt, dass wesentliche Teile der Belegschaft künftig über die Grenzen eines Tarifgebietes hinweg den öffentlichen Personennahverkehr benutzen müssen und in der Folge höhere Kosten für den Arbeitsweg haben.
25.128
Eine Verlegung des Betriebes an einen Standort, der mehr als 4,3 km vom bisherigen Betriebsort entfernt liegt, ist nach der Rechtsprechung des BAG keine geringfügige Verlegung des
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Oetker, § 111 Rz. 126 ff.; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 87; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 35. Fitting, § 111 BetrVG Rz. 81; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 92. Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 94. BAG v. 21.5.2015 – 8 AZR 409/13; BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 34. BAG v. 17.8.1982 – 1 ABR 40/80; vgl. LAG Köln v. 27.10.2016 – 7 TaBV 54/16; vgl. LAG Schleswig-Holstein v. 13.10.2011 – 5 TaBV 29/11; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 81; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 92. Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 92. HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 35; ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rz. 14. Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 92; auch auf die Verkehrsanbindung abstellend HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 35.
1066 | Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch wegen Betriebsänderung | Rz. 25.132 § 25
Standortes mehr1. Hierbei hat das BAG insbesondere das Argument nicht gelten lassen, dass an dem neuen Betriebsstandort die Infrastruktur ebenso gut ist wie an dem bisherigen Standort, die Erreichbarkeit also gleichermaßen gewährleistet ist. Dies überzeugt nach dem vorstehend Gesagten allerdings nicht. Eine Betriebsänderung liegt auch dann vor, wenn wesentliche Teile eines Betriebes verlegt werden. Für die Frage, ob es sich um einen wesentlichen Betriebsteil handelt, stellt das BAG eine quantitative Betrachtung derart an, ob in dem Betriebsteil ein erheblicher Teil der Arbeitnehmer des Gesamtbetriebes beschäftigt ist. Insoweit gelten dieselben Maßstäbe wie bei der Einschränkung und Stilllegung eines wesentlichen Betriebsteils i.S.v. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG (vgl. Rz. 25.110)2.
25.129
Auch die Verlegung in das Ausland kann eine Betriebsänderung auslösen. Dies gilt selbst vor dem Hintergrund, dass das BetrVG nur in Deutschland Anwendung findet3. Zum Teil wird angenommen, dass es sich in diesem Fall um eine Betriebsstilllegung handelt4. Dies vermag indes nicht zu überzeugen, da der Betrieb außerhalb der Grenzen Deutschlands fortgeführt wird. Gegen die Annahme einer Betriebsstilllegung spricht ferner, dass eine Veräußerung in das Ausland mit einem Betriebsübergang einhergehen könnte (vgl. hierzu Rz. 8.1 ff.). Betriebsstilllegung und Betriebsübergang schließen sich indes aus5.
25.130
Bei gewillkürten Betriebsratsstrukturen i.S.v. § 3 BetrVG kann bei Erreichen der maßgeblichen Schwellenwerte in der Regel lediglich die Verlegung eines wesentlichen Betriebsteils des fingierten Einheitsbetriebs in Rede stehen.
25.131
4. Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder die Spaltung von Betrieben (§ 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG) a) Zusammenschluss mit anderen Betrieben Wie bereits aus dem Gesetzeswortlaut hervorgeht, betrifft der Zusammenschluss von Betrieben i.S.v. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG lediglich Veränderungen auf betrieblicher Ebene. Nicht erfasst sind Veränderungen auf Unternehmensebene, wie beispielsweise die Verschmelzung nach Maßgabe des Umwandlungsgesetzes6. Erforderlich sind Maßnahmen, die sich auf die betriebliche Organisation auswirken7. Veränderungen auf Unternehmensebene können aller1 BAG v. 17.8.1982 – 1 ABR 40/80; vgl. auch LAG Köln v. 27.10.2016 – 7 TaBV 54/16, das in dem zugrundeliegenden Fall die Einsetzung einer Einigungsstelle auch bei einer Betriebsverlegung um ca. 350 Meter nicht für offensichtlich unzuständig gehalten hat. In der Entscheidung v. 27.6.2006 (1 ABR 35/05) hatte sich das BAG mit der Frage zu befassen, ob eine örtliche Veränderung von 3 km zu einer Versetzung i.S.v. § 99 BetrVG führt; vgl. auch LAG Schleswig-Holstein v. 13.10.2011 – 5 TaBV 29/11, das in der räumlichen Verlagerung innerhalb eines Einkaufscentrums keine Verlegung i.S.v. § 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG gesehen hat. 2 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 93; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 132; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 88. 3 DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 92; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 36. 4 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 95. 5 BAG v. 21.5.2015 – 8 AZR 409/13; BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10; LAG Hamm v. 20.5.2020 – 18 Sa 1615/19; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 67; vgl. hierzu auch unter Rz. 25.394. 6 Fitting, § 111 BetrVG Rz. 83; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 98; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 135; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 95; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 37; HWGNRH/Hess, § 111 BetrVG Rz. 167. 7 HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 37.
Ludwig/A. Otto | 1067
25.132
§ 25 Rz. 25.132 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
dings im Rahmen von Restrukturierungen auch mit Veränderungen auf betrieblicher Ebene einhergehen. Dies ist häufig dann der Fall, wenn durch einen Zusammenschluss von Unternehmen zugleich Synergien gehoben werden sollen. Dies ist oftmals nur dann möglich, wenn zugleich Änderungen der Arbeitsorganisation getroffen werden.
25.133
Organisatorisch liegt ein Zusammenschluss immer dann vor, wenn die bislang getrennten organisatorischen Einheiten derart zusammengefasst werden, dass sie einer einheitlichen Leitung in den wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten unterstellt werden1. Entscheidend ist die Entstehung eines einheitlichen Leitungsapparates. Ist dieser implementiert, ist der Zusammenschluss vollzogen.
25.134
Ein Zusammenschluss von Betrieben kann entweder als Zusammenschluss durch Neugründung erfolgen, also dergestalt, dass zwei Betriebe einen neuen Betrieb bilden, oder als Zusammenschluss durch Eingliederung. Letzteres bewirkt, dass ein Betrieb bestehen bleibt und den anderen aufnimmt. Danach kommen folgende drei Konstellationen in Betracht: Betrieb A kann in den Betrieb B eingegliedert werden, sodass Betrieb A seine Identität verliert und der aufnehmende Betrieb B seine Identität wahrt. Gleichermaßen ist die umgekehrte Konstellation denkbar, nach der Betrieb B in den Betrieb A eingegliedert wird und Betrieb A identitätswahrend bestehen bleibt. Schließlich ist denkbar, dass die Betriebe A und B unter Verlust ihrer bisherigen Identität einen neuen Betrieb bilden. Nach wie vor umstritten ist, in welchen Fällen von einem Zusammenschluss durch Eingliederung und in welchen Fällen von einem Zusammenschluss durch Neugründung auszugehen ist. Diese Frage ist insbesondere für die Rechtsfolgen des Zusammenschlusses für Betriebsvereinbarungen und für den Betriebsrat von Bedeutung. Sie spielt indes keine Rolle für die Beurteilung, ob eine Betriebsänderung in Rede steht oder nicht. Beide Formen des Zusammenschlusses können eine Betriebsänderung darstellen. Es wird daher auf die weiterführenden Ausführungen unter § 22 und § 24 verwiesen.
25.135
Da der Gesetzeswortlaut von einem „Zusammenschluss mit anderen Betrieben“ spricht, was die Existenz zweier Betriebe verlangt, liegt eine Betriebsänderung durch Zusammenschluss i.S.v. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG dann nicht vor, wenn ein Betrieb mit einem abgespaltenen, i.S.d. § 4 Abs. 2 BetrVG unselbständigen, Betriebsteil (z.B. im Anschluss an einen Betriebsübergang auf Seiten des Erwerbers) zusammengeschlossen wird2. Oftmals wird man in diesem Fall allerdings von einer grundlegenden Änderung der Betriebsorganisation i.S.v. § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG ausgehen können. Entsprechendes gilt, wenn mehrere i.S.d. § 4 Abs. 2 BetrVG unselbständige Betriebsteile unterschiedlicher Betriebe z.B. nach einer Spaltung zu einem (neuen) Betrieb zusammengeschlossen werden. In diesem Fall kann lediglich (jeweils) eine Betriebsspaltung vorliegen. Auch die bloß betriebsinterne Veränderung der Organisationsstrukturen durch den Zusammenschluss zweier Betriebsteile kann allenfalls eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation bewirken.
25.136
Von § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG ist schließlich nach zutreffender Auffassung auch der Zusammenschluss von selbständigen Betriebsteilen i.S.v. § 4 BetrVG umfasst3. Dies gilt jedenfalls mit Blick auf solche Betriebsteile, die aufgrund ihrer organisatorischen Eigenständigkeit als selbstständige Betriebe i.S.v. § 4 Abs. 1 Nr. 2 Betriebe gelten. Ein Zusammenschluss i.S.v.
1 HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 38. 2 Fitting, § 111 BetrVG Rz. 85; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 145; ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rz. 15. 3 Fitting, § 111 BetrVG Rz. 85; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 105; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 134; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 93; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 43; ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rz. 15; HWGNRH/Hess, § 111 BetrVG Rz. 166.
1068 | Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch wegen Betriebsänderung | Rz. 25.137 § 25
§ 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG kann daher auch dann vorliegen, wenn Betriebsteile, die nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG als selbstständig gelten, mit dem Hauptbetrieb zusammengeschlossen werden. Voraussetzung ist allerdings eine unternehmerische Maßnahme, die zum Verlust der Voraussetzungen in § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG führt. Wird der selbstständige Betriebsteil örtlich verlegt, sodass er räumlich nicht mehr weit vom Hauptbetrieb entfernt ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG), verliert er seine rechtliche Selbstständigkeit und wird dadurch mit dem Hauptbetrieb zusammengeschlossen. Gleichzeitig besteht eine Betriebsänderung auch unter dem Gesichtspunkt der Verlegung (§ 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG)1. Ist der selbstständige Betriebsteil infolge der unternehmerischen Maßnahme nicht mehr durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG), verliert er ebenfalls seine rechtliche Selbstständigkeit und wird daher mit dem Hauptbetrieb zusammengeschlossen. Gleichzeitig steht hier regelmäßig eine Betriebsänderung in Form der grundlegenden Änderung der Betriebsorganisation (§ 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG) in Rede. Sofern indes ein selbständiger Betriebsteil i.S.v. § 4 BetrVG die Anforderungen von § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nicht mehr erfüllt und infolge dessen dieser Betriebsteil dem Hauptbetrieb zuzuordnen ist (§ 4 Abs. 2 BetrVG), liegt hierin keine Betriebsänderung in Form des Zusammenschlusses von Betrieben. Denn in dem Zeitpunkt, in dem der gemäß § 4 Abs. 1 BetrVG selbstständige Betrieb die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nicht mehr erfüllt, fehlt es schon an der für einen Zusammenschluss nach § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG notwendigen Existenz zweier Betriebe. Bei der Beurteilung, ob ein Zusammenschluss als Betriebsänderung zu qualifizieren ist, ist nach hier vertretener Auffassung auch zu ermitteln, ob wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft in Rede stehen. Dies ist nicht zwangsläufig der Fall. Nachteile für die Belegschaft drängen sich zum Beispiel auf den ersten Blick dann nicht auf, wenn ein Zusammenschluss durch Neugründung erfolgt und zunächst einmal die bisherigen Arbeitsbedingungen für die betroffenen Arbeitnehmer fortgelten. In diesem Fall kann es nämlich nicht wie bei der Eingliederung zu einer Ablösung kollektivrechtlicher Regelungen kommen (vgl. Rz. 22.60; 22.118). Die Tatsache, dass der zusammengeschlossene Betrieb schlicht größer ist als die jeweiligen Ursprungsbetriebe, ist per se kein Nachteil. Im Gegenteil: Das Betriebsverfassungsrecht knüpft an die Größe des Betriebs auch objektiv Vorteile aus Sicht der Arbeitnehmerseite, so z.B. mit Blick auf die Freistellungen in § 38 BetrVG. Aber auch bei einem Zusammenschluss durch Eingliederung zum Beispiel eines Betriebes mit 100 Arbeitnehmern (Betrieb A) und einem Betrieb, in dem lediglich fünf Arbeitnehmer beschäftigt werden (Betrieb B), bestehen Zweifel, ob dieser Zusammenschluss mit wesentlichen Nachteilen für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft verbunden ist. In Betracht käme ohnehin nur letztere Variante. Von einem erheblichen Teil der Belegschaft wird man indes bei fünf von 105 Arbeitnehmern nicht ausgehen können. In diesem Fall läge mithin ein „Bagatellzusammenschluss“ vor, der für sich genommen keine Betriebsänderung darstellt. Nicht ausgeschlossen ist dabei allerdings, dass der Zusammenschluss mit weiteren organisatorischen Veränderungen bezogen auf den gesamten zusammengeschlossenen Betrieb einhergeht, was wiederum eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation nach § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG darstellen könnte. Die Beurteilung, wann bei einem Betriebszusammenschluss Nachteile für einen erheblichen Teil der Belegschaft i.S.v. § 111 Satz 1 BetrVG in Rede stehen, wird einzelfallbezogen erfolgen müssen. Anknüpfungspunkt muss dabei die Gesamtzahl der in dem zusammengeschlossenen Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer sein. Je eindeutiger man unter Berücksichtigung der Zahlenverhältnisse von einem Zusammenschluss durch Eingliederung ausgehen kann (vgl. Rz. 22.60), desto leichter wird man
1 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 105.
Ludwig/A. Otto | 1069
25.137
§ 25 Rz. 25.137 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
im Ergebnis auch einen Bagatellzusammenschluss bejahen können, der keine Pflicht zum Versuch eines Interessenausgleichs auslöst. Das BAG hat sich soweit ersichtlich mit dieser Problematik allerdings noch nicht befasst.
25.138
Ein Zusammenschluss von Betrieben kann auch über Unternehmensgrenzen hinweg erfolgen. In diesem Fall würde ein Gemeinschaftsbetrieb i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gebildet werden.
25.139
Der bloße Betriebsinhaberwechsel stellt indes keine Betriebsänderung dar. Ein Betriebsübergang gemäß § 613a BGB verlangt nicht den Versuch eines Interessenausgleichs1.
25.140
Zur Frage des Zusammenschlusses von Betrieben bei gewillkürten Betriebsratsstrukturen nach § 3 BetrVG (vgl. Rz. 25.147 ff.). Wegen der Folgen für Betriebsvereinbarungen (vgl. § 22) und die in den betroffenen Einheiten gebildeten Betriebsräte (vgl. hierzu § 24) sei auf die Ausführungen an anderer Stelle verwiesen. Zur Zuständigkeit für die Verhandlungen im Falle des Zusammenschlusses von Betrieben (vgl. Rz. 25.612 ff.). b) Spaltung von Betrieben
25.141
Schon der Wortlaut des Gesetzes zeigt, dass § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG an die Spaltung des Betriebes als organisatorische Einheit anknüpft. Die geplante Maßnahme muss also unmittelbar die Identität des Betriebes im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne betreffen. Aus dieser Anknüpfung an die tatsächliche Organisationsform folgt zunächst einmal, dass die Betriebsspaltung auch unternehmensintern erfolgen kann. Ein Rechtsträgerwechsel ist nicht erforderlich2. Veränderungen in Bezug auf die rechtliche Zuordnung des Vermögens sind für den Begriff der Betriebsspaltung unerheblich. Zutreffend ist deshalb auch, dass die bloße Übertragung des Betriebes im Wege der Einzel- und Gesamtrechtsnachfolge, insbesondere also die Abwendbarkeit des § 613a BGB, noch keine Betriebsspaltung darstellt3. Dies gilt auch für den Fall einer Spaltung in Besitz- und Produktionsgesellschaft. Denn die beiden nach der Unternehmensspaltung bzw. der Vermögensübertragung bestehenden Unternehmen können den bisherigen Betrieb auch als gemeinsamen Betrieb beider Unternehmen fortführen4. Ein gemeinsamer Betrieb wird in der Praxis häufig genutzt, um eine Unternehmensspaltung und einen ggf. damit einhergehenden Betriebsteilübergang gemäß § 613a BGB zu bewirken, bevor die Beteiligung des Betriebsrats nach §§ 111, 112 BetrVG abgeschlossen ist. Hierbei hilft, dass ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG vermutet wird, wenn die Spaltung eines Unternehmens zur Folge hat, dass von einem Betrieb ein oder mehrere Betriebsteile einem an der Spaltung beteiligten anderen Unternehmen zugeordnet werden, ohne dass sich dabei die Organisation des betroffenen Betriebes wesentlich ändert.
25.142
Eine Betriebsspaltung i.S.v. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG setzt voraus, dass zumindest zwei Einheiten mit zwei unterschiedlichen Leitungsapparaten entstehen, wobei es genügt, wenn ein Betriebsteil eines Betriebs einer eigenständigen Leitung in den wesentlichen personellen und
1 BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 692/10: Ein Betriebsübergang stellt keine Betriebsänderung dar; siehe auch LAG Berlin-Brandenburg v. 8.12.2017 – 6 TaBVGa 1484/17. 2 GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 139; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 39. 3 GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 141. 4 Fitting, § 111 BetrVG Rz. 88; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 138; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 98 f.; ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rz. 16.
1070 | Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch wegen Betriebsänderung | Rz. 25.144 § 25
sozialen Angelegenheiten unterstellt wird1. Dieses Erfordernis ist auch erfüllt, wenn ein abgespaltener Betriebsteil anschließend mit einem anderen Betrieb – desselben Arbeitgebers oder eines Betriebsteilerwerbers – zusammengeschlossen wird2. Eine Spaltung i.S.v. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG kann sowohl durch eine Aufspaltung des Betriebs als auch durch eine Abspaltung von Betriebsteilen erfolgen. In Fällen der Aufspaltung wird der Ursprungsbetrieb aufgelöst3. Er verliert seine Identität. Die Frage, ob ein Übergangsmandat gem. § 21a BetrVG entsteht, hängt maßgeblich davon ab, ob die Spaltprodukte durch Zusammenschluss in andere Betriebe eingegliedert werden (vgl. Rz. 24.25). Keine Spaltung liegt vor, wenn sich die Maßnahme darin erschöpft, die betriebliche Tätigkeit eines Betriebsteils zu beenden, ohne dass dessen Substrat erhalten bliebe. Dann kann es sich um eine Stilllegung dieses Betriebsteils handeln, nicht jedoch um eine Spaltung des Betriebs4. Die Betriebsspaltung ist in dem Moment vollzogen, in dem die Leitungsmacht nicht mehr einheitlich, sondern getrennt ausgeübt wird. Auch ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen kann gespalten werden5. Hier sind verschiedene Varianten der Spaltung denkbar: Zum einen kommt die Auflösung des gemeinsamen Betriebs in Betracht. Die Auflösung erfolgt durch die Beendigung der einheitlichen Steuerung in den wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten. An die Stelle des gemeinsamen Betriebes treten jeweils die den beteiligten Unternehmen zugeordneten Organisationseinheiten. Des Weiteren kommt eine Teilauflösung derart in Betracht, dass ein ursprünglich von drei oder mehr Unternehmen gebildeter gemeinsamer Betrieb nur noch unter Beteiligung von zwei oder mehr Unternehmen fortgeführt wird. Schließlich kann aus dem gemeinsamen Betrieb auch nur ein Betriebsteil herausgelöst und eigenständig als gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen oder als eigener Betrieb eines der beteiligten Unternehmen fortgeführt werden.
25.143
Welche Größe und/oder Bedeutung der von einer Spaltung betroffene Betriebsteil haben muss – mit welcher Intensität also in die betriebliche Organisation eingegriffen werden muss, um von einer Betriebsspaltung i.S.d. § 111 BetrVG ausgehen zu können, lässt sich dem Wortlaut von § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG nicht entnehmen. Umstritten ist daher, ob auch sogenannte „Bagatellausgliederungen“ oder „Bagatellspaltungen“, d.h. die Herauslösung von mit Blick auf die Anzahl der Arbeitnehmer zahlenmäßig geringfügigen Organisationeinheiten, eine Betriebsänderung i.S.v. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG darstellt. Ausgangspunkt der Überlegungen ist dabei, dass anders als bei der Einschränkung, Stilllegung oder Verlegung der Wortlaut in § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG nicht auf die Spaltung wesentlicher Betriebsteile beschränkt ist. Der Wortlaut in Satz 3 Nr. 3 würde als solcher zunächst einmal auch solche Fälle als Betriebsänderung qualifizieren, in denen das herausgelöste Spaltprodukt unwesentlich ist. Ob die Herauslösung unwesentlicher Spaltprodukte von § 111 BetrVG ausgenommen ist, hat das BAG in den Entscheidungen vom 10.12.19966 und vom 18.3.20087 offengelassen. In bei-
25.144
1 BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 77/06; LAG Schleswig-Holstein v. 7.7.2016 – 5 Sa 414/15; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 86; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 101; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 139; HWGNRH/Hess, § 111 BetrVG Rz. 168. 2 BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 77/06. 3 BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 77/06. 4 BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 77/06; BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 100. 5 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 101; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 40. 6 BAG v. 10.12.1996 – 1 ABR 32/96. 7 BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 77/06.
Ludwig/A. Otto | 1071
§ 25 Rz. 25.144 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
den Entscheidungen klingt indes an, dass das BAG für das Vorliegen einer Betriebsänderung bei einer Spaltung verlangt, dass das Spaltprodukt eine gewisse Bagatellgrenze überschreitet. Das BAG spricht davon, dass das Spaltprodukt „eine veräußerungsfähige Einheit“ darstellen muss, was „regelmäßig erst bei einer wirtschaftlich relevanten Größenordnung und einer abgrenzbaren, eigenständigen Struktur gegeben“ sei. Wo diese Bagatellgrenze konkret anzusiedeln ist, hat das BAG indes nicht weiter ausgeführt. Das BAG1 stellt allerdings klar, dass es sich bei dem Spaltprodukt – anders etwa als bei der Stilllegung nach § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG – nicht um einen wesentlichen Teil eines Betriebes handeln muss. Die Bagatellgrenze liegt nach Auffassung des BAG also unterhalb der Wesentlichkeitsschwelle, die für § 111 Satz 3 Nr. 1 und 2 BetrVG gefordert wird. Konsequenterweise geht das BAG in der Entscheidung vom 18.3.20082 daher auch davon aus, dass die Bagatellgrenze sich nicht an den Schwellenwerten des § 17 KSchG orientiert, sondern unterhalb dieser liegt. Die Instanzrechtsprechung hat sich dem BAG in dieser Bewertung weit überwiegend angeschlossen und sieht Betriebsspaltungen auch in den Fällen als mitbestimmungspflichtig an, in denen die Schwellenwerte des § 17 KSchG (deutlich) unterschritten werden3. Auch die wohl herrschende Literaturmeinung lässt ein Unterschreiten der Schwellenwerte des § 17 KSchG zu4. Hierbei wird teilweise vertreten, dass eine Bagatellspaltung beim Unterschreiten der Zahlenwerte des § 1 Abs. 1 BetrVG vorläge, also wenn das Spaltprodukt weniger als fünf Arbeitnehmer hat5. Ein Teil der Literatur zieht demgegenüber § 17 KSchG weiterhin als Bagatellgrenze heran6. Dies wird mit der Notwendigkeit von Rechtssicherheit für die betriebliche Praxis begründet7. Dieser Ansicht ist nicht zuzustimmen, denn der Tatbestand des § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG setzt gerade nicht voraus, dass das Spaltprodukt „wesentlich“ ist. Eine Bagatellspaltung wird man jedenfalls annehmen können, wenn das Spaltprodukt weniger als fünf Arbeitnehmer hat. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG bietet hierfür insofern einen Anhaltspunkt, als die Spaltung von Betrieben im Zusammenhang mit dem Zusammenschluss von Betrieben genannt wird. Ein Zusammenschluss von Betrieben ist nur möglich bei Betrieben i.S.v. § 1 Abs. 1 BetrVG bzw. § 4 Abs. 1 BetrVG, nicht jedoch bei Kleinstbetrieben i.S.d. § 4 Abs. 2 BetrVG. Sowohl Betriebe i.S.d. § 1 Abs. 1 BetrVG als auch selbstständige Betriebsteile nach § 4 Abs. 1 BetrVG verlangen aber jeweils die Beschäftigung von mindestens fünf Arbeitnehmern, wie sich e contrario aus § 4 Abs. 2 BetrVG ergibt. Danach sind Kleinstbetriebe betriebsverfassungsrechtlich nicht relevant. Es wäre ein Wertungswiderspruch, diese Bagatellgrenze nicht auch gleichermaßen für die Spaltung anzunehmen. Auf der anderen Seite führt aber nicht jedes Spaltprodukt mit fünf oder mehr Arbeitnehmern notwendigerweise zum Vorliegen einer Spaltung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG. Vielmehr ist einzelfallbezogen zu prüfen, ob gemäß § 111 Satz 1 BetrVG unter Berücksichtigung der Anzahl der Gesamtbelegschaft des Betriebs von Nachteilen für einen erheblichen Teil der Belegschaft ausgegangen werden kann (entsprechend für den Bagatellzusammenschluss vgl. Rz. 25.137). Je größer der Betrieb, desto mehr Arbeitnehmer müssen im Verhältnis von der Spaltung betroffen sein. 1 BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 77/06; BAG v. 10.12.1996 – 1 ABR 32/96. 2 BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 77/06. 3 LAG Bremen 21.10.2004 – 3 Sa 77/04; LAG Baden-Württemberg v. 4.12.2003 – 10 TaBV 2/03; LAG Hamm v. 28.8.2003 – 13 TaBV 127/03; a.A. LAG Rheinland-Pfalz v. 10.9.2009 – 11 TaBV 13/ 09; ArbG Karlsruhe 22.7.2003 – 6 BVGa 2/03. 4 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 102a; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 143 ff.; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 100; ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rz. 16; Kleinebrink/Commandeur, NZA 2007, 113, 117. 5 ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rz. 16; Kleinebrink/Commandeur, NZA 2007, 113, 117. 6 Moll, RdA 2003, 129, 135; Meyer/Röger, BB 2009, 894, 896. 7 Meyer/Röger, BB 2009, 894, 896.
1072 | Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch wegen Betriebsänderung | Rz. 25.149 § 25
Die Spaltung eines Betriebsteils stellt keine Betriebsänderung dar. Etwas anderes gilt jedoch für Betriebsteile, die nach Maßgabe von § 4 BetrVG als selbständige Betriebe gelten1. Die Spaltung von Betriebsteilen kann jedoch eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation i.S.v. § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG darstellen.
25.145
Für die Spaltung bei gewillkürten Betriebsratsstrukturen nach § 3 BetrVG vgl. nachstehend Rz. 25.147 ff.). Mit Blick auf die Folgen der Betriebsspaltung für Betriebsvereinbarungen und den Betriebsrat bzw. das mit dieser einhergehende Übergangsmandat des Betriebsrats gemäß § 21a BetrVG sei auf die Ausführungen an anderer Stelle verwiesen (vgl. §§ 22, 24).
25.146
c) Zusammenschluss und Spaltung bei gewillkürten Betriebsratsstrukturen nach § 3 BetrVG Gewillkürte Betriebsratsstrukturen nach § 3 BetrVG verlangen eine gesonderte Bewertung, ob ein Zusammenschluss von Betrieben oder eine Spaltung von Betrieben in Rede steht. Dies gilt unabhängig davon, ob die gewillkürte Struktur auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung oder eines Tarifvertrags geschaffen ist. Von besonderer Relevanz in der betrieblichen Praxis ist hierbei die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 lit. a BetrVG, die Zusammenfassung von Betrieben nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 lit. b BetrVG sowie die Bildung von Spartenbetriebsräten nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG.
25.147
Die Frage, ob eine Betriebsänderung in Rede steht, stellt sich dabei einerseits zum Zeitpunkt der Bildung bzw. Beendigung gewillkürter Betriebsratsstrukturen, andererseits aber auch, wenn es während des zeitlichen Geltungsbereichs einer solchen Betriebsratsstruktur zu organisatorischen Veränderungen kommt.
25.148
aa) Die Bildung/Beendigung gewillkürter Betriebsratsstrukturen als Betriebsänderung Die Schaffung von gewillkürten Betriebsratsstrukturen nach § 3 BetrVG führt für sich genommen nicht zum Verlust der betriebsverfassungsrechtlichen Identität der zusammengeschlossenen Einheiten2 und stellt mithin auch keinen Zusammenschluss i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG dar. Denn die originären Betriebe bestehen trotz der Schaffung von Strukturen nach § 3 BetrVG als solche unverändert fort3. Dies wird bereits aus § 3 Abs. 4 BetrVG erkennbar, wonach Regelungen nach § 3 Abs. 1 BetrVG grundsätzlich erstmals bei der nächsten regulären Betriebsratswahl anzuwenden sind. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass bis dahin die Betriebsräte in den zusammengefassten Betrieben im Amt bleiben. Wenn allein die Schaffung von Strukturen nach § 3 BetrVG bereits den Zusammenschluss von Betrieben bewirken würde, stünde § 3 Abs. 4 BetrVG allerdings in einem Widerspruch zu § 21a Abs. 2 BetrVG, der ein Übergangsmandat anordnet4. Lediglich die Veränderung des Vertretungsorgans bei ansonsten unveränderten betrieblichen Strukturen stellt keine Betriebsänderung dar5. Der Versuch eines Interessenausgleichs ist daher nicht erforderlich, wenngleich sich der Streit in der betrieblichen Praxis selten stellen wird, da gewillkürte Betriebsratsstrukturen gegen den Wil1 Fitting, § 111 BetrVG Rz. 85; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 105; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 134; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 93; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 43. 2 BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 3/07; GK-BetrVG/Franzen, § 3 Rz. 60; Trebeck/Kania, BB 2014, 1595, 1598; a.A. HWK/B. Gaul, § 3 BetrVG Rz. 39. 3 BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 3/07. 4 BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 3/07. 5 BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 3/07.
Ludwig/A. Otto | 1073
25.149
§ 25 Rz. 25.149 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
len von Betriebsräten nur selten durchgesetzt werden dürften. Etwas anderes gilt allenfalls dann, wenn es anlässlich des Abschlusses einer entsprechenden Kollektivvereinbarung zu weiteren betriebsändernden Maßnahmen kommt.
25.150
Auch die Beendigung einer gewillkürten Betriebsratsstruktur stellt nach überzeugender Auffassung keine Betriebsspaltung und damit keine Betriebsänderung dar1. Dies ist nur konsequent. Es wäre ein Wertungswiderspruch, wenn man in der Schaffung gewillkürter Strukturen keine Betriebsänderung erblicken würde, in deren Beendigung indes doch. Darüber hinaus bleiben die betrieblichen Strukturen auch zum Zeitpunkt der Beendigung der gewillkürten Struktur unverändert.
25.151
Plant der Unternehmer, von einer Variante von gewillkürten Strukturen des § 3 BetrVG zu einer anderen zu wechseln, also etwa aus einer Struktur von zusammengefassten Betrieben nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 lit. b BetrVG einen unternehmenseinheitlichen Betriebsrat nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 lit. a BetrVG zu bilden, stellt auch dies keine Betriebsänderung dar. Ein solcher Vorgang wäre nämlich letztlich nichts anderes als die Beendigung der alten gewillkürten Struktur und die Schaffung einer Neuen. Beide Vorgänge stellen aber für sich genommen schon keine Betriebsänderung dar. bb) Zusammenschluss und Spaltung im Rahmen gewillkürter Betriebsratsstrukturen
25.152
Da die aufgrund eines Tarifvertrags oder einer Betriebsvereinbarung gebildeten betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten nach § 3 Abs. 5 BetrVG als Betriebe i.S.d. BetrVG gelten, stellt sich die Frage, ob für die Beurteilung einer Betriebsänderung i.S.v. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG auf den/die fingierten Betrieb(e) oder aber auf den/die originären Betrieb(e) abzustellen ist. Richtigerweise wird es auf den nach § 3 Abs. 5 BetrVG fingierten Betrieb ankommen müssen. Hierfür spricht maßgeblich der Wortlaut in § 3 Abs. 5 BetrVG, wonach der fingierte Betrieb als Betrieb i.S.d. BetrVG gilt. Dies schließt § 111 BetrVG mit ein2.
25.153
Plant der Unternehmer somit den Zusammenschluss zweier Organisationseinheiten, die beide Teile eines nach § 3 Abs. 5 bereits fingierten Betriebes sind, stellt dies keinen Zusammenschluss von Betrieben i.S.v. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG dar. Ein Zusammenschluss i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG kann bei fingierten Betrieben allenfalls dann vorliegen, wenn eine Maßnahme Auswirkungen auf die Struktur des fingierten Betriebs selbst bewirkt. Er muss also um einen oder mehrere Betriebe anwachsen. Dies kann geschehen, wenn der Rechtsträger der gewillkürten Struktur einen Betrieb erwirbt und dieser dem Geltungsbereich des Tarifvertrages oder der Betriebsvereinbarung unterfällt. Der Zusammenschluss erfolgt hierbei in der Regel durch den Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung, sofern diese dynamisch ausgestaltet ist und neu hinzutretende Organisationseinheiten einschließt. In diesem Fall wird man von einer Betriebsänderung ausgehen müssen, sofern kein Bagatellzusammenschluss vorliegt (vgl. Rz. 25.137). Etwaige Überlegungen dahingehend, dass in der dynamischen Ausgestaltung der Kollektivvereinbarung bereits eine Zustimmung zu der (künftigen) Organisationsveränderung liegen könnte, werden nicht tragen. Im Falle eines Strukturtarifvertrags mangelte es schon an der erforderlichen Beteiligung des zuständigen Betriebsrats. Aber auch in einer Strukturbetriebsvereinbarung wird man eine ordnungsgemäße Beteiligung des zuständigen Betriebsrats nicht er-
1 DKW/Trümner, § 3 BetrVG Rz. 208; GK-BetrVG/Franzen, § 3 Rz. 60; Trebeck/Kania, BB 2014, 1595, 1598. 2 HWK/B. Gaul, § 3 BetrVG Rz. 31.
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Unterrichtungs- und Beratungsanspruch wegen Betriebsänderung | Rz. 25.157 § 25
blicken können, zumal vorsorgliche Zustimmungen zu künftigen betriebsändernden Maßnahmen auf „Vorrat“ nach einhelliger und zutreffender Auffassung unwirksam sind1. Keinen Betriebszusammenschluss stellt jedoch die Zusammenlegung von fingierten Betrieben dar. Eine solche kann nämlich nur durch Änderung der der gewillkürten Struktur zugrundeliegenden Kollektivvereinbarung geschehen. Eine solche Änderung ist letztlich nichts anderes als die Beendigung der bisherigen gewillkürten Struktur und die sich anschließende Schaffung einer neuen gewillkürten Struktur. Sowohl die Beendigung als auch die Schaffung von Strukturen nach § 3 BetrVG stellen aber keine Betriebsänderung dar. Ein Zusammenschluss im Zusammenhang mit einem fingierten Betrieb kommt daher letztlich nur dann in Betracht, wenn der Rechtsträger der gewillkürten Struktur einen Betrieb erwirbt und dieser in der Folge mit einem fingierten Betrieb zusammengeschlossen wird.
25.154
Vorstehende Überlegungen zur Frage der Betriebsänderung lassen sich auf die Beurteilung einer Betriebsspaltung übertragen. Die organisatorische Spaltung von ursprünglichen Betrieben innerhalb des nach § 3 Abs. 5 BetrVG fingierten Betriebs stellt keine Betriebsänderung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG dar2. Solange sich die Spaltung ursprünglicher Betriebe also in den Grenzen des fingierten Betriebs nach § 3 BetrVG vollzieht, erfährt dieser fiktive und für § 111 BetrVG maßgebliche Betrieb keine Änderung. Eine Spaltung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG kann bei einem fingierten Betrieb nur dann vorliegen, wenn diese Auswirkungen auf die Struktur des nach § 3 Abs. 5 fingierten Betrieb selbst hat. Es müssen also Organisationseinheiten aus dem fingierten Betrieb nach § 3 BetrVG herausgelöst werden3. Dies geschieht, wenn der Rechtsträger des fingierten Betriebes Organisationseinheiten des fingierten Betriebs dem Geltungsbereich des Tarifvertrages oder der Betriebsvereinbarung entzieht, also durch Übertragung auf einen Dritten. Eine Betriebsänderung wird man allerdings auch in diesem Fall nur annehmen können, wenn es sich nicht um eine Bagatelle handelt (vgl. Rz. 25.144).
25.155
5. Grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen, § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG a) Grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation Eine Änderung der Betriebsorganisation liegt vor, wenn der Betriebsaufbau, insbesondere hinsichtlich Zuständigkeiten und Verantwortung, umgewandelt wird4. Von der Betriebsorganisation nicht erfasst ist die reine Arbeitsplatzgestaltung5.
25.156
Eine Umwandlung des Betriebsaufbaus ist in der Regel dann gegeben, wenn die Organisationsstruktur des Betriebs geändert wird, beispielsweise durch die Auflösung/Änderung von Hierarchieebenen, die Veränderung/Zuordnung von Organisationseinheiten wie Bereichen und Abteilungen, wenn damit zugleich eine Veränderung von Zuständigkeiten und Verantwortung einhergeht. Dies wird man regelmäßig auch bei der Einführung einer unternehmensübergreifenden Matrixstruktur annehmen müssen. In diesem Fall kommt es zu einer Veränderung von Zuständigkeiten und Verantwortung insoweit, als fachliche und disziplinarische Weisungsrechte auseinanderfallen und (neue) Matrixmanager die Arbeitnehmer fachlich steuern. Aber auch die Einführung einer unternehmensinternen, künftig betriebsübergreifen-
25.157
1 2 3 4 5
Krieger/Terhorst, NZA 2014, 689, 691 f.; ErfK/Kania, § 112 BetrVG Rz. 4. Trebeck/Kania, BB 2014, 1595, 1596; HWK/B. Gaul, § 3 BetrVG Rz. 31. GK-BetrVG/Franzen, § 3 Rz. 61; Trebeck/Kania, BB 2014, 1595, 1597. BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 12/14. Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 108; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 149.
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§ 25 Rz. 25.157 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
den neuen Führungsstruktur („betriebsübergreifende Matrix“) stellt eine Umwandlung des Betriebsaufbaus hinsichtlich Zuständigkeiten und Verantwortung dar. In der Regel wird dies auch für die Einführung von agilen Organisationsstrukturen gelten, sofern sie sich von der bloßen „herkömmlichen“ Projektarbeit abhebt.
25.158
Erforderlich ist ferner, dass die Änderung grundlegend ist. Grundlegend ist die Änderung, wenn sie sich auf den Betriebsablauf in erheblicher Weise auswirkt. Maßgeblich dafür ist der Grad der Veränderung. Es kommt entscheidend darauf an, ob die Änderung einschneidende Auswirkungen auf den Betriebsablauf, die Arbeitsweise oder die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer hat. Die Änderung muss in ihrer Gesamtschau von erheblicher Bedeutung für den gesamten Betriebsablauf sein1. Dies ist beispielsweise dann nicht der Fall, wenn ein Unternehmensbereich künftig in die Verantwortung eines anderen Geschäftsführers bzw. Vorstands fällt. Eine grundlegende Änderung liegt ferner dann nicht vor, wenn z.B. ein nur unwesentlicher Betriebsteil stillgelegt wird, durch diese Maßnahme aber der Betriebsablauf im Übrigen nicht betroffen ist2. Auch bei einer vorstehend bereits erwähnten Umwandlung des Betriebsaufbaus z.B. durch Änderung von Hierarchieebenen und Organisationseinheiten muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die Änderung von erheblicher Bedeutung für den gesamten Betriebsablauf ist. Dies wird man bei nur geringfügigen Änderungen, die nur einen geringen Anteil der Belegschaft des Betriebs betreffen (z.B. Zusammenlegung von zwei Organisationseinheiten bei einer Vielzahl weiterer Organisationseinheiten in einem Betrieb) ablehnen müssen. Die Abgrenzung ist hier im Einzelfall allerdings schwierig. Von einer grundlegenden Änderung wird man bei der Einführung von Matrixstrukturen regelmäßig jedenfalls dann ausgehen müssen, wenn diese nicht nur eine Sparte oder einen Teilbereich eines Betriebs betrifft, sondern – wie regelmäßig – die Matrix bezogen auf sämtliche Unternehmens- und Betriebsbereiche implementiert werden soll3. Einschneidende Auswirkungen auf den Betriebsablauf, die Arbeitsweise oder die Arbeitsbedingungen liegen umgekehrt dann nicht vor, wenn in einem Betrieb ein standardisiertes System zur Strukturierung und Optimierung von Arbeitsabläufen eingeführt wird, konkrete Maßnahmen indes noch nicht abgeleitet worden sind4.
25.159
In folgenden Fällen hat die Rechtsprechung eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation bejaht: – das Outsourcing von Zimmerreinigungsleistungen aus einem Hotelbetrieb, da durch Vergabe von Primärfunktionen der Kernbereich der Betriebsorganisation in einem Hotelbetrieb verändert werde5; – die Aufgabe der durch eigene Außendienstmitarbeiter geleisteten Vermittlung von Versicherungsverträgen und Bankprodukten und die Übertragung dieser Aufgaben auf freie Handelsvertreter, da durch die Aufgabe des eigenen Vertriebs eine grundlegend andere Dienstleistung angeboten werde6; – die vollständige Beseitigung einer Zwischenebene in der Hierarchie (Regionalleiter) und die damit verbundene unmittelbare Unterstellung der Außendienstmitarbeiter unter einen
1 BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 12/14; BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 77/06. 2 BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 77/06. 3 Müller-Bonanni/Mehrens, ZIP 2010, 2228, 2230; im Ergebnis so auch HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 46; Kort, NZA 2013, 1318, 1326. 4 BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 12/14. 5 ArbG München v. 22.2.2000 – 23 BV 19/00. 6 BAG v. 8.6.1999 – 1 AZR 831/98.
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Unterrichtungs- und Beratungsanspruch wegen Betriebsänderung | Rz. 25.163 § 25
Außendienstleiter, da die Änderung deshalb grundlegend gewesen sei, weil durch die Neuordnung der hierarchischen Ebene einerseits die Regionalleiter ihre bisherige Beschäftigungsmöglichkeit verloren und andererseits die Außendienstmitarbeiter keinen zentralen Ansprechpartner mehr hätten1; – die zusätzliche Einrichtung einer sog. „Internetfiliale“ in einer Bank2. Demgegenüber hat die Rechtsprechung eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation in folgenden Fällen abgelehnt:
25.160
– Ausgliederung einer einem Supermarkt angeschlossenen Gaststätte, da der Supermarkt selbst der wesentliche Teil des Betriebs sei und dieser in seiner Organisation durch Abtrennung der Gaststätte nicht berührt worden sei3; – Vergabe von Laborleistungen an ein Fremdlabor anstatt an das hauseigene Labor eines Krankenhauses, denn nach Auffassung des Gerichts waren die Änderungen im Arbeitsablauf des Krankenhauses, die dadurch entstanden, dass nunmehr die Laborproben anstatt an das hauseigene Labor an das Fremdlabor geschickt wurden, als unwesentlich anzusehen4; – Schließung der Werkstatt in einem Speditionsunternehmen, da nicht ersichtlich gewesen sei, dass die Schließung der Werkstatt sich auf den Betriebsablauf der Spedition gravierend auswirke5; – Übertragung der technischen Anzeigenproduktion (Satzherstellung) eines Zeitungsverlages auf ein externes Unternehmen6. Lässt sich eine grundlegende Änderung bejahen, wird man regelmäßig auch davon ausgehen können, dass wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft in Rede stehen. Auch wenn eine Veränderung von Verantwortung und Zuständigkeit nicht objektiv, sondern nur subjektiv aus Sicht der Arbeitnehmer mit einem Nachteil verbunden sein kann, genügt dies, da der Wortlaut in § 111 Satz 1 BetrVG die (auch subjektive) Möglichkeit eines Nachteils ausreichen lässt.
25.161
Bei gewillkürten Betriebsratsstrukturen kommt es nach § 3 Abs. 5 BetrVG auf den fingierten Betrieb an. Hierfür spricht maßgeblich der Wortlaut in § 3 Abs. 5 BetrVG, wonach der fingierte Betrieb als Betrieb i.S.d. BetrVG gilt. Dies schließt § 111 BetrVG mit ein7.
25.162
b) Grundlegende Änderungen des Betriebszwecks Mit dem Betriebszweck i.S.v. § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG ist der arbeitstechnische Zweck eines Betriebs gemeint8. Eine Änderung des Betriebszwecks setzt voraus, dass die arbeitstechnische
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BAG v. 26.10.2004 – 1 AZR 493/03. LAG Hamm v. 6.9.2010 – 10 TaBV 51/10. BAG v. 21.10.1980 – 1 AZR 145/79. BAG v. 27.6.2002 – 2 AZR 489/01. LAG Hamm v. 30.12.2011 – 13 TaBVGa 14/11. BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 77/06. HWK/B. Gaul, § 3 BetrVG Rz. 31. BAG v. 16.6.1987 – 1 ABR 41/85; LAG Düsseldorf v. 20.4.2016 – 4 TaBV 70/15; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 93; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 110; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 150; DKW/
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25.163
§ 25 Rz. 25.163 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
Zweckverfolgung modifiziert wird. Dabei kommen drei Fallgestaltungen in Betracht1: Erstens kann die Änderung darin bestehen, dass der bisherige Betriebszweck durch einen anderen ersetzt wird2. Zweitens ist denkbar, dass der bisherige Betriebszweck durch einen weiteren Betriebszweck ergänzt wird3. Schließlich kann eine Änderung des Betriebszwecks auch dann vorliegen, wenn von mehreren bisherigen arbeitstechnischen Zwecken im Betrieb ein oder mehrere Zwecke aufgegeben bzw. nicht mehr verfolgt werden4. Im Hinblick auf die letztgenannte Fallvariante zeigt sich also, dass eine Änderung des Betriebszwecks nicht notwendig voraussetzt, dass ein Betriebszweck völlig aufgegeben und an seiner Stelle ein neuer Betriebszweck verfolgt wird5.
25.164
Die Änderungen müssen dabei stets von grundlegender Bedeutung sein. Wenngleich Unklarheit darüber herrscht, wie der Maßstab „grundlegend“ zu bestimmen ist, steht fest, dass jedenfalls solche Änderungen ausscheiden, die sich nur geringfügig auf den Betriebszweck auswirken. Die bloße Weiterentwicklung bzw. Einschränkung des bestehenden Produkt- bzw. Dienstleistungsportfolios stellt daher keine Betriebsänderung dar6. Eine grundlegende Änderung des Betriebszwecks hat die Rechtsprechung etwa auch für den Fall verneint, dass in einem Schlachtbetrieb, in dem bisher Schweine, Rinder und Kälber geschlachtet wurden, nunmehr nur noch Schweine geschlachtet werden7. Auf der anderen Seite soll eine grundlegende Änderung des Betriebszwecks darin zu sehen sein, dass eine Spielbank, die bisher nur ein Angebot von herkömmlichen Glückspielen an Spieltischen (Roulette, Poker etc.) hatte, nun in einem separaten Saal mit eigenem Zugang zusätzlich Glückspielautomaten betreibt8. Ergänzend wird man auch hier die Schwellenwerte aus § 17 KSchG hinzuziehen müssen9.
25.165
Letztlich wird vor diesem Hintergrund etwa im produzierenden Gewerbe eine grundlegende Änderung des Betriebszwecks erst dann anzunehmen sein, wenn entweder im Vergleich zu den bisherigen Produkten völlig neue hinzukommen bzw. anstelle der bisherigen Produkttypen gänzlich andere hergestellt werden oder aber wenn die Herstellung eines Produktes, das im Vergleich zu den übrigen produzierten Produkten wesentlich anders ist, aufgegeben wird. Dies ist etwa der Fall, wenn von der Automobilproduktion auf die Produktion von Motorrädern umgestellt wird. Nicht ausreichend wäre demgegenüber die bloße Produktionsumstellung auf ein neues Modelljahr bzw. eine neue Baureihe10. Bei einem Dienstleistungsbetrieb wäre der Betriebszweck grundlegend geändert, wenn gänzlich neue zu den bisher angebotenen Dienstleistungen hinzukommen bzw. diese ersetzen, oder wenn eine Dienstleistung aufgegeben wird, die im Vergleich zu den ansonsten angebotenen wesentlich anders ist. Dies ist
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Däubler, § 111 BetrVG Rz. 106; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 48; HWGNRH/ Hess, § 111 BetrVG Rz. 174. GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 152. Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 110; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 152; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 106. BAG v. 17.12.1985 – 1 ABR 78/83; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 110; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 152; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 106. BAG v. 16.6.1987 – 1 ABR 41/85; Hessisches LAG v. 27.6.2007 – 4 TaBVGa 137/07; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 93; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 110; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 152; DKW/ Däubler, § 111 BetrVG Rz. 106; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 48. BAG v. 17.12.1985 – 1 ABR 78/83. HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 48. BAG v. 28.4.1993 – 10 AZR 38/92. BAG v. 17.12.1985 – 1 ABR 78/83. LAG Düsseldorf v. 20.4.2016 – 4 TaBV 70/15. ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rz. 18.
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Unterrichtungs- und Beratungsanspruch wegen Betriebsänderung | Rz. 25.170 § 25
etwa in dem oben genannten Beispiel der Spielbank der Fall, die bisher nur ein Angebot von herkömmlichen Glückspielen an Spieltischen (Roulette, Poker etc.) hatte und nun in einem separaten Saal mit eigenem Zugang zusätzlich Glückspielautomaten betreibt1. Denkbar ist dies aber auch im Bankwesen, wenn zusätzlich zu klassischen Bankprodukten künftig auch Versicherungen vermittelt werden sollen. Nach Auffassung des LAG Düsseldorf stellt die Einstellung der Forschungs- und Entwicklunsabteilung eine Änderung des Betriebszwecks dar2. Zweifelhaft ist, ob eine Änderung des Betriebszwecks dann bejaht werden kann, wenn Dienstleistungen, die bislang analog erbracht worden sind, künftig durch IT-Systeme automatisiert werden. Die zunehmende Digitalisierung stellt keine Veränderung der Zweckverfolgung des Betriebs, sondern lediglich eine Anpassung an den technologischen Fortschritt dar. Häufig gehen solche Automatisierungen allerdings mit einer Betriebseinschränkung durch Personalabbau oder die grundlegende Änderung der Betriebsanlagen einher, sodass die Bewertung im Einzelfall offenbleiben kann. Zwingend ist dies allerdings nicht. Eine grundlegende Änderung des Betriebszwecks wird regelmäßig (zumindest unter Berücksichtigung eines subjektiven Maßstabs der Arbeitnehmer) mit Nachteilen i.S.v. § 111 Satz 1 BetrVG für die Belegschaft verknüpft sein, weil sich Arbeitsinhalte ändern, die neue oder andere Fertigkeiten verlangen und Fortbildungs- bzw. Schulungsbedarfe auslösen.
25.166
Bei gewillkürten Betriebsratsstrukturen ist Maßstab für die Beurteilung der nach § 3 Abs. 5 BetrVG fingierte Betrieb.
25.167
c) Grundlegende Änderungen der Betriebsanlagen Unter Betriebsanlagen i.S.v. § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG sind nicht nur Anlagen in der Produktion zu verstehen, sondern allgemein solche, die dem arbeitstechnischen Produktions- und Leistungsprozess dienen3. Zu den Betriebsanlagen zählen mithin alle Gegenstände, die nicht zur Veräußerung bestimmt sind. Eine Begrenzung des Anlagenbegriffs auf Einrichtungen in der Produktion des Betriebs und damit einer Außerachtlassung von Veränderungen in anderen Betriebsbereichen würde dem Zweck von § 111 BetrVG widersprechen4.
25.168
Die Änderung muss nicht die Gesamtheit der Betriebsanlagen erfassen. Auch die Änderung einzelner Betriebsanlagen kann unter § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG fallen5.
25.169
Wann eine Änderung der Betriebsanlagen grundlegend ist, ist nicht abschließend beantwortet. Mit Blick auf die Änderung der Betriebsorganisation hat das BAG in der Entscheidung vom 18.3.20086 auf die Bedeutung für den gesamten Betriebsablauf abgestellt. Hierbei ist es erforderlich, darauf abzustellen, ob ein erheblicher Teil der Belegschaft von der Änderung betroffen ist7. Sofern ein erheblicher Teil der Belegschaft von der Änderung betroffen ist, spricht dies indiziell auch für deren grundlegenden Charakter. Diese Einschränkung steht letztlich auch im Einklang mit § 111 Satz 1 BetrVG, der als Interpretationsmaßstab für die
25.170
1 BAG v. 17.12.1985 – 1 ABR 78/83. 2 LAG Düsseldorf v. 20.4.2016 – 4 TaBV 70/15. 3 BAG v. 26.10.1982 – 1 ABR 11/81; LAG Schlewsig-Holstein v. 22.1.2014 – 3 TaBV 38/13; GKBetrVG/Oetker, § 111 Rz. 155. 4 BAG v. 26.10.1982 – 1 ABR 11/81. 5 BAG v. 26.10.1982 – 1 ABR 11/81. 6 BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 77/06. 7 Vgl. auch BAG v. 26.10.1982 – 1 ABR 11/81.
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§ 25 Rz. 25.170 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
Auslegung der in § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG genannten unbestimmten Rechtsbegriffe heranzuziehen ist1.
25.171
In folgenden Fällen hat die Rechtsprechung eine grundlegende Änderung von Betriebsanlagen bejaht: – Einsatz einer neuen Rotationsdruckmaschine in einem Druck- und Verlagshaus, die eine um 50 % höhere Druckgeschwindigkeit hat2; – Umflottung einer Airline auf andere Flugzeugmuster3.
25.172
Demgegenüber hat die Rechtsprechung eine grundlegende Änderung von Betriebsanlagen in folgenden Fällen abgelehnt: – Ergänzung der bisherigen Software um ein neues Tool zur Unterstützung der Arbeitsabläufe4; – Beschränkung von Schweine- und Rinderschlachtung in einem Schlachtbetrieb auf nunmehr ausschließlich Schweineschlachtung5.
6. Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren (§ 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG) 25.173
Während die Tatbestände des § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG in erster Linie die betriebliche Organisation und die sächlichen Arbeitsmittel erfassen, beziehen sich die Tatbestände des § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG auf die Frage, wie die menschliche Arbeitskraft zur Verfolgung arbeitstechnischer Zwecke eingesetzt wird6. Die Tatbestände von Nr. 4 und Nr. 5 überschneiden sich zu einem erheblichen Teil7 und dürften in aller Regel beide gleichermaßen erfüllt (oder nicht erfüllt) sein, da zumeist mit veränderten Arbeitsmitteln auch veränderte Arbeitsinhalte einhergehen und andererseits selten grundlegend neue Arbeitsmethoden entstehen, ohne dass sich gleichzeitig die äußeren Bedingungen in Form der sächlichen Arbeitsmittel bzw. der betrieblichen Organisation ändern8. Im Hinblick auf die identischen Rechtsfolgen ist dieser Umstand allerdings unproblematisch9.
25.174
Unter Arbeitsmethode ist die Art und Weise zu verstehen, wie die menschliche Arbeit zur Erfüllung des Betriebszwecks arbeitstechnisch eingesetzt wird10. Zur Arbeitsmethode gehört insofern die Frage, ob und wie technische Hilfsmittel (etwa Datensichtgeräte11) zur Erledi1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 118; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 50. ArbG Gießen 23.11.2011 – 6 BV 6/11. LAG Hamm v. 9.2.2009 – 10 TaBV 3/09. LAG Niedersachsen v. 8.6.2007 – 1 TaBV 27/07. BAG v. 28.4.1993 – 10 AZR 38/92. Vgl. BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 12/14; LAG Schleswig-Holstein v. 22.1.2014 – 3 TaBV 38/13; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 97; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 119; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 112. Fitting, § 111 BetrVG Rz. 97; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 119; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 112; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 51. DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 112. DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 112. Vgl. BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 12/14; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 120; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 169; HWGNRH/Hess, § 111 BetrVG Rz. 184. BAG v. 6.12.1983 – 1 ABR 43/81.
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Unterrichtungs- und Beratungsanspruch wegen Betriebsänderung | Rz. 25.176 § 25
gung der Arbeitsaufgabe herangezogen werden. Der Begriff der Arbeitsmethode umfasst ebenso die organisatorische Gestaltung der Arbeit1 und deshalb auch die erstmalige Einführung von Gruppenarbeit2. Hierunter wird man auch die Einführung agiler Organisationsstrukturen fassen müssen, sofern – wie bei der Gruppenarbeit – Leitungsstrukturen aufgehoben und innerhalb einer agilen Organisationseinheit eigenverantwortlich Entscheidungen getroffen werden. Sofern indes die herkömmliche Organisationsstruktur beibehalten und lediglich – wie bei der klassischen Projektarbeit – agile Arbeitsweisen innerhalb der Projektstruktur angwendet werden, wird man eine Betriebsänderung auf Grundlage von § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG ablehnen müssen. Die in Rede stehende Maßnahme muss sich ferner stets auf den Arbeitsablauf auswirken, sodass bspw. Entlohnungsmethoden nicht zu den Arbeitsmethoden zählen3. Der Begriff des Fertigungsverfahrens erfasst demgegenüber die technischen Verfahren bei der Erzeugung von Produktionsgütern, also Fabrikationsmethoden und Arbeitsabläufe4. Der Begriff ist identisch mit dem der Fabrikationsmethode in § 106 Abs. 3 Nr. 5 BetrVG5 (vgl. Rz. 25.22).
25.175
Eine Betriebsänderung nach § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG setzt voraus, dass grundlegende neue Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren eingeführt werden. Ob eine Arbeitsmethode oder ein Fertigungsverfahren neu ist, bestimmt sich nicht abstrakt, sondern vielmehr nach den konkreten Verhältnissen im jeweiligen Betrieb bzw. der Betriebsabteilung6. Dabei muss die einzuführende neue Methode die bisherige ersetzen oder neben dieser zusätzlich eingesetzt werden. Eine bloße Veränderung bereits vorhandener Methoden – etwa in Form einer routinemäßigen Verbesserung7 – genügt nicht8. Die Veränderungen durch Einführung neuer Arbeitsmethoden oder Fertigungsverfahren müssen grundlegend sein. Dabei bezieht sich der „grundlegende“ Charakter der Veränderung systematisch auf die Neuheit der Arbeitsmethode oder des Fertigungsverfahrens9. Für die Feststellung ob die Veränderung Einführung neuer Arbeitsmethoden oder Fertigungsverfahren grundlegend ist, ist eine qualitative Wertung in Form eines wertenden Vergleichs zwischen den bislang vorhandenen und den geplanten neuen Methoden erforderlich10. Darüber hinaus ist – kumulativ – aber auch eine quantitative Betrachtung erforderlich. Hierbei ist darauf abzustellen, ob ein erheblicher Teil der Belegschaft von der Änderung betroffen ist11.
25.176
1 Fitting, § 111 BetrVG Rz. 98; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 120; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 167. 2 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 120; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 167; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 113. 3 GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 168. 4 Fitting, § 111 BetrVG Rz. 99; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 121; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 169; HWGNRH/Hess, § 111 BetrVG Rz. 187. 5 BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 12/14; Fitting, § 111 BetrVG Rz. 99; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 121; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 169. 6 GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 170; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 52; ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rz. 20; HWGNRH/Hess, § 111 BetrVG Rz. 186. 7 DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 114. 8 Fitting, § 111 BetrVG Rz. 100; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 170; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 114. 9 GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 170. 10 Fitting, § 111 BetrVG Rz. 101; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 123; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 171. 11 Vgl. auch BAG v. 26.10.1982 – 1 ABR 11/81.
Ludwig/A. Otto | 1081
§ 25 Rz. 25.177 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
III. Betriebsinhaberwechsel als Betriebsänderung 25.177
Der Betriebsinhaberwechsel stellt einen Betriebsübergang gemäß § 613a BGB dar, der für den Arbeitgeber Unterrichtungspflichten begründet und der den betroffenen Arbeitnehmern das Recht gibt, dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber zu widersprechen (vgl. § 11). § 613a BGB kann nach Maßgabe von § 324 UmwG auch dann Anwendung finden, wenn der Betriebsinhaberwechsel Folge einer umwandlungsrechtlichen Maßnahme ist (vgl. Rz. 5.55 ff.).
25.178
Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung1 und Literatur2 ist der bloße Betriebsinhaberwechsel – also der Betriebsübergang – für sich genommen keine Betriebsänderung, die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats auslöst. Dies wird zutreffend damit begründet, dass eine Änderung der rechtlichen Zuordnung des Betriebes nicht zu Veränderungen auf betrieblicher Ebene führt. Der reine Betriebsübergang verwirklicht zunächst keines der Regelbeispiele in § 111 Satz 3 BetrVG. Auch ein Rückgriff auf die Generalklausel in § 111 Satz 1 BetrVG (vgl. Rz. 25.97) führt zu keinem anderen Ergebnis. Auch § 111 Satz 1 BetrVG verlangt nämlich, dass eine unternehmerische Maßnahme sich unmittelbar auf die Betriebsorganisation auswirkt. Nur dann kann von einer Betriebsänderung gesprochen werden3. Darüber hinaus verlangt § 111 Satz 1 BetrVG, dass die Maßnahme wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben kann. Der Betriebsübergang als solches wirkt sich auf die Organisation des Betriebs allerdings nicht aus. Selbst wenn der Betriebsübergang eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen aufgrund ablösender Tarifverträge oder ablösender Betriebsvereinbarungen zur Folge hat (§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB), genügt dies nicht. Es fehlt weiterhin an der Veränderung auf betrieblicher Ebene.
25.179
Gegen dieses Ergebnis sprechen auch keine unionsrechtlichen Bedenken. Zum Teil wird angenommen, dass sich aus Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 Richtlinie 2001/23/EG ergebe, dass bei jedem Betriebsübergang eine Unterrichtung und Konsultationen der Arbeitnehmervertreter zu erfolgen habe und dieser Vorgabe nur das Verfahren nach § 111 ff. BetrVG gerecht werde4. Diese Schlussfolgerung findet in der Richtlinie indes keinen Anknüpfungspunkt. Entsprechendes folgt insbesondere nicht aus Art. 4 Abs. 2 lit. c Richtlinie 2002/14/EG. Hiernach sind die Arbeitnehmervertretungen bei Entscheidungen zu unterrichten und anzuhören, die wesentliche Veränderungen der Arbeitsverträge mit sich bringen. Zum Teil wird daher davon ausgegangen, dass § 111 Satz 1 BetrVG dahingehend richtlinienkonformen auszulegen sei, dass eine Betriebsänderung schon bei wesentlichen Veränderungen der Arbeitsverträge vorläge5. Damit hätte das Tatbestandsmerkmal der „Betriebsänderung“ in § 111 Satz 1 BetrVG neben dem Tatbestandsmerkmal der „wesentlichen Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft“ faktisch keine eigene Bedeutung mehr. Gleichzeitig wäre der Anwendungsbereich des § 111 Satz 1 BetrVG uferlos, weil jeder wesentliche Nachteil für Arbeitnehmer schon eine Betriebsänderung darstellte, ohne dass es auf Änderungen der betrieblichen Identität ankäme. Eine solche Umdeutung des Begriffes der Betriebsänderung ist indes
1 BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 692/10; BAG v. 25.1.2000 – 1 ABR 1/99; BAG v. 10.12.1996 – 1 ABR 32/96. 2 Fitting, § 111 BetrVG Rz. 50; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 124; GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 175; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 53; ErfK/Kania, § 111 BetrVG Rz. 10; HWGNRH/Hess, § 111 BetrVG Rz. 138; a.A. DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 125. 3 BAG v. 17.2.1981 – 1 ABR 101/78. 4 DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 126. 5 Reichold, NZA 2003, 289, 298.
1082 | Ludwig/A. Otto
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch wegen Betriebsänderung | Rz. 25.183 § 25
unionsrechtlich nicht geboten. Art. 4 Abs. 2 lit. c Richtlinie 2002/14/EG soll die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertretungen über die Pflichten der Betriebsübergangsrichtlinie (RL 2001/23/EG) hinaus nicht erweitern. Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2002/14/EG sieht gerade vor, dass die dortigen Vorgaben unberührt bleiben. Die Einschränkung des Art. 7 Abs. 3 Richtlinie 2001/23/EG, von der Deutschland Gebrauch gemacht hat, strahlt insofern auf Art. 4 Abs. 2 lit. c Richtlinie 2002/14/EG aus und wird durch diesen nicht überwunden1. Auch auf der Grundlage europarechtlichen Erwägungen ergibt sich daher nicht, dass ein Betriebsübergang eine Betriebsänderung darstellt. Ungeachtet dessen kann ein Betriebsübergang mit einer Betriebsänderung verknüpft sein. Dies ist häufig dann der Fall, wenn lediglich ein Betriebsteil übertragen wird. Sofern nicht die Bildung eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen (zwischen Veräußerer und Erwerber) geplant ist, wird die Betriebsteilübertragung in der Regel mit der Spaltung des Betriebs des Veräußerers einhergehen. Diese stellt jedenfalls dann eine Betriebsänderung dar, wenn es sich nicht um eine Bagatellspaltung handelt (vgl. Rz. 25.144). Häufig kommt es auch zu einem Zusammenschluss mit Betrieben auf Seiten des Erwerbers.
25.180
Eine Betriebsänderung kann aber auch dann vorliegen, wenn der Veräußerer vor der Übertragung des Betriebs Maßnahmen, wie beispielsweise einen Personalabbau, plant, ohne die der Erwerber den Betrieb nicht übernehmen würde. In diesem Fall trifft die Beteiligungspflicht zunächst einmal den Veräußerer. Das gilt selbst dann, wenn die Betriebsänderung vom zukünftigen Erwerber zur Bedingung der Übernahme gemacht worden ist und eine inhaltliche Einflussnahme durch ein Erwerberkonzept erfolgt2. Kommt es während der Planungs- bzw. Verhandlungsphase mit dem Betriebsrat zu einem Betriebsübergang und werden die Planungen des Veräußerers durch den Erwerber unverändert aufrechterhalten, so tritt der Erwerber in die bereits vom Veräußerer geschaffene Situation ein. Die Pflichten aus §§ 111 ff. BetrVG treffen dann den Erwerber3. Der Betriebserwerber kann ebenfalls Adressat einer Beteiligungspflicht aus § 111 BetrVG sein, wenn er bspw. plant, den Betrieb mit einem anderen Betrieb seines Unternehmens – für den ein Betriebsrat gebildet ist – zusammenzuschließen oder aber die Betriebsorganisation nach dem Inhaberwechsel grundlegend zu ändern.
25.181
Keine Betriebsänderung liegt vor, wenn die einem Betriebsübergang widersprechenden Arbeitnehmer allesamt betriebsbedingt gekündigt werden, sofern der gesamte Betrieb bereits auf den Erwerber übergangen ist und Widersprüche erst nach diesem Zeitpunkt erfolgen und erst infolgedessen ein Kündigungsentschluss auf Seiten des Veräußerers gefasst wird. In diesem Fall existiert beim Veräußerer schon gar kein Betrieb mehr, der Anknüpfungspunkt einer Betriebsänderung sein könnte4. Stand der Kündigungsentschluss wegen fehlender Weiterbeschäftigungsmöglichkeit schon vor dem Inhaberwechsel fest, so ist demgegenüber bei Erreichen der entsprechenden Schwellenwerte von einer Betriebsänderung auszugehen.
25.182
Im Fall eines Betriebsteilübergangs kommt eine Betriebsänderung in Betracht, wenn der Veräußerer (in der Regel nach Ablauf der Widerspruchsfrist) plant, Arbeitnehmern, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprechen, nach Widerspruch gegen den Betriebsteilübergang zu kündigen. Erforderlich ist aber auch dann, dass eine Betriebseinschränkung
25.183
1 GK-BetrVG/Oetker, § 111 Rz. 176. 2 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 130, 131; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 54. 3 Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 130, 131; DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 128; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 54. 4 LAG München v. 17.10.2007 – 11 TaBV 73/07.
Ludwig/A. Otto | 1083
§ 25 Rz. 25.183 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
in Form eines Personalabbaus vorliegt, insbesondere also die maßgeblichen Schwellenwerte überschritten werden (vgl. Rz. 25.113). Sofern der Veräußerer lediglich einen Teil des Betriebes übertragen will, wird er diesen zunächst spalten müssen, was in der Regel eine Betriebsänderung darstellt, sodass er mit dem Betriebsrat Verhandlungen über Interessenausgleich und Sozialplan führen muss, bevor es zur Veräußerung kommt. Widersprechen diesem Betriebsteilübergang allerdings eine Anzahl von Arbeitnehmern, die die maßgeblichen Schwellenwerte überschreitet, und kündigt der Veräußerer den Widersprechenden bzw. mit ihnen im Wege der Sozialauswahl vergleichbaren, weniger schutzwürdigen Arbeitnehmern, stellt dies sogleich wieder eine Betriebsänderung in Form einer Betriebseinschränkung durch Personalabbau dar. Der Veräußerer wäre erneut gezwungen mit dem Betriebsrat über Interessenausgleich und Sozialplan zu verhandeln. In der betrieblichen Praxis empfiehlt es sich daher, das Risiko widersprechender Arbeitnehmer frühzeitig in die Überlegungen einzubeziehen. Steht zu befürchten, dass eine die Schwellenwerte überschreitende Anzahl von Arbeitnehmer widerspricht, könnte es ratsam sein, einen Personalabbau infolge Widerspruchs und einen Sozialplan bereits vor dem Inhaberwechsel zu vereinbaren. Zulässig wäre es nämlich, widersprechende Arbeitnehmer in diesem Sozialplan nach Kündigung von Sozialplanabfindungen auszunehmen (vgl. Rz. 25.330 ff.). Der Veräußerer kann auf diese Weise erneute kosten- und zeitintensive Verhandlungen mit dem Betriebsrat vermeiden und schafft für die vom Betriebsteilübergang betroffenen Arbeitnehmern gleichzeitig einen Anreiz, dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses nicht zu widersprechen. Die Herausnahme widersprechender Arbeitnehmer aus dem Sozialplan kann zwar auch nach dem Betriebsübergang noch vereinbart werden; indes ist zweifelhaft, ob der Betriebsrat oder eine etwaige Einigungsstelle zu einem späteren Zeitpunkt einer solchen Regelung noch zustimmen würde. Eine Regelung der Kostentragung erfolgt dabei üblicherweise in dem zwischen Veräußerer und Erwerber geschlossenen Vertrag. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Formulierung einer etwaigen Klausel zur Kostentragung für Personalabbaumaßnahmen zu legen. Hier gilt es nicht nur, eindeutig zu erfassen, welche konkreten Kosten von wem getragen werden. Zu beachten sind auch kündigungsschutzrechtliche Aspekte wie z.B. das Erfordernis der Sozialauswahl. Bei einem Betriebsteilübergang trifft eine betriebsbedingte Kündigung nicht zwingend den Arbeitnehmer, der dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprochen hat. Zulässig und möglich wäre es aber, bereits im Vorfeld des Betriebsübergangs die Arbeitnehmer organisatorisch in einem eigenständigen Betrieb zu bündeln und diesen Betrieb sodann zu übertragen, um eine übergreifende Sozialauswahl bei Kündigungen nach Widerspruch zu vermeiden. Allerdings stellt auch diese vorangehende Spaltung im Zweifel eine Betriebsänderung dar.
C. Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG I. Verhandlungen über einen Interessenausgleich 25.184
Liegt eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG vor, muss der Arbeitgeber versuchen, mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich zu vereinbaren. Das gilt ohne Rücksicht auf das Vorliegen wirtschaftlicher Nachteile der Betriebsänderung. Eine dahingehende Verhandlungspflicht besteht auch dann, wenn ein Sozialplan nicht notwendig ist oder nicht erzwungen werden kann1. Ein Anspruch auf einen Interessenausgleich besteht allerdings nicht; er ist also
1 BAG v. 8.11.1988 – 1 AZR 687/87; Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 12; ErfK/Kania, § 112a BetrVG Rz. 4.
1084 | Ludwig/A. Otto
Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG | Rz. 25.188 § 25
nicht erzwingbar. Ob ein Sozialplan notwendig ist, hängt davon ab, ob und inwieweit als Folge der Maßnahme tatsächlich wirtschaftliche Nachteile eintreten (§ 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG).
1. Gegenstand des Interessenausgleichs Der Interessenausgleich regelt, ob, wann, wo und wie eine arbeitgeberseitig geplante Betriebsänderung umgesetzt wird1. Dem Betriebsrat soll auf diese Weise die Möglichkeit gegeben werden, auf die endgültige Entscheidung des Unternehmens im Interesse der von der geplanten Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer einzuwirken, bevor vollendete Tatsachen geschaffen werden2.
25.185
Nicht zum Interessenausgleich zählen Bestimmungen über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der Betriebsänderung entstehen. Sie bilden den Sozialplan3 (vgl. Rz. 25.215).
25.186
Auswahlrichtlinien z.B. mit Blick auf die Besetzung anderweitiger freier Arbeitsplätze oder aber Sozialauswahlkriterien sind in der betrieblichen Praxis häufig Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten der Betriebspartner. Auswahlrichtlinien i.S.v. § 95 Abs. 1 BetrvG sind allerdings nicht zwingend Gegenstand eines Interessenausgleichs. Natürlich können sie freiwillig in einen solchen eingebunden werden, zumal dem Betriebsrat in den Fällen des § 95 Abs. 1 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht zukommt. Der Unternehmer ist allerdings zunächst einmal frei darin, z.B. Versetzungen ohne die Zugrundelegung abstrakt-genereller Grundsätze vorzunehmen4. Die Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen verlangt nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ebenfalls nicht, dass der Arbeitgeber ein festes Punkteschema anwendet. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist erst dann betroffen, wenn der Arbeitgeber die Besetzung freier Stellen auf der Grundlage abstrakt-genereller Kriterien plant. Ein Initiativrecht des Betriebsrats besteht nach § 95 Abs. 2 BetrVG wiederum nur in Betrieben mit mehr als 500 Arbeitnehmern. Ein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 2 BetrVG besteht nach überzeugender Auffassung nicht, wenn der Betriebsrat von seinem Initiativrecht Gebrauch gemacht hat und der Arbeitgeber die Maßnahmen (z.B. Versetzungen) vorher umsetzt, ohne das Ergebnis des Beteiligungsverfahrens abzuwarten. Ein Zustimmungsverweigerungsrecht kommt nur bei einem Verstoß gegen eine bestehende Auswahlrichtlinie in Betracht5. Dies folgt schon aus dem Wortlaut in § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG.
25.187
Der Interessenausgleich kann in der Zustimmung des Betriebsrats zu der geplanten Betriebsänderung bestehen. Arbeitgeber und Betriebsrat können sich auch darauf einigen, dass die Betriebsänderung unterbleibt. In diesem Fall entfällt das Erfordernis eines Sozialplans6. Regelmäßig wird es indes darum gehen, dass der Betriebsrat auf eine Modifizierung der geplanten
25.188
1 BAG v. 20.4.1994 – 10 AZR 186/93; Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 13; Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rz. 18; GK-BetrVG/Oetker, §§ 112, 112a Rz. 10; DKW/Däubler, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 21; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 112 BetrVG Rz. 4. 2 BAG v. 9.7.1985 – 1 AZR 323/83; BAG v. 14.9.1976 – 1 AZR 784/75. 3 Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rz. 14. 4 Zur Frage, wann eine Auswahlrichtlinie vorliegt, vgl. BAG v. 26.7.2005 – 1 ABR 29/04. 5 GK-BetrVG/Raab § 99 Rz. 182. 6 Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 17; Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rz. 20.
Ludwig/A. Otto | 1085
§ 25 Rz. 25.188 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
Maßnahmen hinwirkt. Diese kann z.B. vorsehen, dass die Zahl der Entlassungen im Rahmen einer Betriebsänderung verringert oder der Zeitplan gestreckt wird. Denkbar ist auch, dass als Ergebnis der Interessenausgleichsverhandlungen alternativ zu den ursprünglichen Planungen des Arbeitgebers abweichende Maßnahmen beschlossen werden. Schließlich können in dem Interessenausgleich auch Regelungen dazu getroffen werden, wie die geplanten Maßnahmen umgesetzt werden. Denkbar wäre beispielsweise, dass Kündigungsverbote bzw. Kündigungsbeschränkungen vereinbart werden. Derartige Regelungen bilden nicht den Inhalt des erzwingbaren Sozialplans, sondern gehören zum Interessenausgleich, weil durch sie Einfluss auf die Art und Weise der Umsetzung einer Betriebsänderung genommen wird und der Eintritt wirtschaftlicher Nachteile verhindert werden soll1. Hier kommt auch der Tarifvorrang aus § 77 Abs. 3 BetrVG nicht zur Anwendung.
25.189
Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats hinsichtlich der Frage, ob bei der Restrukturierung auf die Gestaltungsmöglichkeiten des Umwandlungsgesetzes zurückgegriffen oder auf solche Gestaltungsmöglichkeiten verzichtet wird, besteht allerdings nicht.
25.190
Eine darüberhinausgehende Bedeutung hat der Interessenausgleich inzwischen durch § 1 Abs. 5 KSchG, §§ 125, 128 Abs. 2 InsO, § 323 Abs. 2 UmwG erfahren. Sind bei einer Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet (sogenannten „Namensliste“), so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist (vgl. Rz. 25.200). Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann in diesem Fall nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Diese in § 1 Abs. 5 KSchG enthaltene Regelung gilt entsprechend, wenn der Interessenausgleich zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat geschlossen wird. Nach § 323 Abs. 2 UmwG kann das Arbeitsgericht für den Fall, dass die Umwandlung eines Unternehmens zur Spaltung eines Betriebs führt, die Zuordnung der Arbeitnehmer zu den einzelnen Teilen nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfen, wenn die Zuordnung im Interessenausgleich erfolgt ist (vgl. Rz. 10.206). Hierbei sind allerdings die Einschränkungen zu berücksichtigen, die das BAG in seiner Entscheidung vom 19.10.20172 aufgestellt hat.
2. Versuch eines Interessenausgleichs 25.191
Wenngleich der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich abzuschließen, ist er zur Vermeidung einer Nachteilsausgleichspflicht nach § 113 Abs. 3 BetrVG zum Versuch eines solchen Interessenausgleichs verpflichtet. Ein solcher Versuch setzt voraus, dass der Arbeitgeber das Verfahren des § 112 BetrVG vollständig durchgeführt hat3.
25.192
Erforderlich ist hierfür zunächst einmal, dass Verhandlungen über den Interessenausgleich allein zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat geführt werden. Kommt unmittelbar zwischen den beiden betrieblichen Sozialpartnern keine Einigung zustande, können beide Seiten den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit um Vermittlung ersuchen bzw. die Einigungsstelle an-
1 BAG v. 17.9.1991 – 1 ABR 23/91; Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rz. 21. 2 BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16. 3 Richardi/Annuß, § 113 BetrVG Rz. 29.
1086 | Ludwig/A. Otto
Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG | Rz. 25.193 § 25
rufen (§ 112 Abs. 2 BetrVG). Die Inanspruchnahme der Beratung der Bundesagentur für Arbeit kann insbesondere sinnvoll sein, wenn die Betriebsparteien eine finanzielle Förderung von Transfermaßnahmen begehren (vgl. hierzu Rz. 25.311). Eine Pflicht, die Bundesagentur für Arbeit um Vermittlung zu ersuchen, besteht nicht1. Sie kommt in der betrieblichen Praxis auch nur selten vor. Die Anrufung der Einigungsstelle stellt für den Arbeitgeber demgegenüber zwar keine Pflicht, gleichwohl aber eine Obliegenheit dar. Ohne Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens hat der Arbeitgeber keinen ausreichenden Versuch i.S.d. § 113 Abs. 3 BertVG unternommen und wäre bei einer Umsetzung der Betriebsänderung zum Nachteilsausgleich verpflichtet2. Der Versuch eines Interessenausgleichs kann daher erst dann für gescheitert erklärt werden, wenn bei Ausbleiben einer innerbetrieblichen Einigung die Einigungsstelle angerufen worden ist und die Verhandlungen über den Interessenausgleich dort zu einem Abschluss geführt haben oder gescheitert sind. Anderenfalls wäre das Einigungsstellenverfahren im Zusammenhang mit den Verhandlungen über den Interessenausgleich sinnlos. Nur wenn offensichtlich keine Betriebsänderung vorliegt und nach Maßgabe von § 100 Abs. 1 ArbGG keine Zuständigkeit der Einigungsstelle begründbar ist, kann im Anschluss an die Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, die dann allerdings als freiwillig gekennzeichnet werden sollten, auf die Anrufung der Einigungsstelle verzichtet werden. Ein Abbruch der Interessenausgleichsverhandlungen ohne Anrufung der Einigungsstelle löst ausnahmsweise und allenfalls dann nicht die Rechtsfolgen des § 113 Abs. 3 BetrVG aus, wenn der Betriebsrat bereits in den innerbetrieblichen Verhandlungen zu erkennen gibt, dass er auch im Rahmen der von § 112 Abs. 2 und 3 BetrVG zur Verfügung gestellten Verfahren nicht zu einem Interessenausgleich bereit sein wird3. Grundsätzlich besteht ein Rechtsschutzinteresse für die Anrufung der Einigungsstelle erst dann, wenn eine Partei geltend macht, dass entweder die Gegenseite Verhandlungen über das Regelungsverlangen ausdrücklich oder konkludent verweigert hat, oder dass mit Verständigungswillen geführte Verhandlungen gescheitert sind4. Wann Letzteres der Fall ist, wird man nicht einheitlich beantworten können. Üblicherweise wird der Betriebsrat zunächst einmal für sich reklamieren, Informationen zu benötigen, bevor überhaupt Verhandlungen über einen Interessenausgleich geführt werden können. Der Arbeitgeber ist daher gut beraten, entsprechende Unterlagen frühzeitig zusammenzustellen und potentielle Fragen des Betriebsrats zu antizipieren, um entsprechende Antworten vorzubereiten. Von Verhandlungen wird man daher regelmäßig erst dann sprechen können, wenn zumindest über die geplante Betriebsänderung als solche auf Grundlage des Entwurfs eines Interessenausgleichs gesprochen worden ist. Eine Betriebsspaltung wird dabei regelmäßig zügiger behandelt sein, als eine Betriebsstilllegung oder eine Betriebseinschränkung in Form eines Personalabbaus. Selbst wenn aber
1 Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 29; Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rz. 219; GK-BetrVG/Oetker, §§ 112, 112a Rz. 294; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 112 BetrVG Rz. 17; HWGNRH/Hess, § 112 BetrVG Rz. 215. 2 BAG v. 20.11.2001 – 1 AZR 97/01; BAG v. 9.7.1985 – 1 AZR 323/83; BAG v. 18.12.1984 – 1 AZR 176/82. 3 ArbG Solingen 24.4.2012 – 1 Ca 1520/11; GK-BetrVG/Oetker, § 113 Rz. 55; a.A. Richardi/Annuß, § 113 BetrVG Rz. 30. 4 BAG v. 18.3.2015 – 7 ABR 4/13; Fitting, § 76 BetrVG Rz. 28b; GK-Kreutz/Jacobs, § 76 Rz. 66.
Ludwig/A. Otto | 1087
25.193
§ 25 Rz. 25.193 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
zu befürchten steht, dass das Arbeitsgericht die begehrte Einigungsstelle als Folge fehlender Verhandlungen mangels Rechtsschutzinteresses nicht einsetzt, können die Voraussetzungen hierfür zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren gegeben sein. Prozessual wäre dies ausreichend, weil das Rechtsschutzinteresse für die Anrufung der Einigungsstelle als Prozessvoraussetzung erst im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung vorliegen muss. Dies folgt aus § 559 ZPO1. In der Zwischenzeit müssten allerdings mit Verständigungswillen geführte Verhandlungen gescheitert sein. Ob von einem Scheitern gesprochen werden kann, wird davon abhängen, wie sich der Betriebsrat positioniert. Verweigert er allerdings weitere Verhandlungen unter Berufung auf das laufende Einigungsstelleneinsetzungsverfahren, wird man von einer Verhandlungsverweigerung und damit von einem Scheitern sprechen können (vgl. hierzu auch Rz. 25.456).
25.194
Von einem Scheitern des Versuchs eines Interessenausgleichs spätestens in der Einigungsstelle wird man dann ausgehen können, wenn in der Einigungsstelle der Informationsbedarf des Betriebsrats beantwortet ist, etwaige Alternativkonzepte des Betriebsrats behandelt worden sind, wechselseitig hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist, alle wesentlichen Argumente diskutiert worden sind2 und eine Einigung über das Ob, Wann und Wie der Maßnahme gleichwohl nicht erzielt werden kann. Dabei muss mit dem ernsthaften Willen zur Einigung verhandelt worden sein; der Unternehmer und Betriebsrat müssen sich also jedenfalls um den Abschluss eines Interessenausgleichs bemühen3. Für einen Versuch i.S.d. § 113 BetrVG ist es erforderlich, dass mindestens einmal in der Einigungsstelle verhandelt worden ist4. Hierbei gibt es keine Vorgaben, wie bspw. eine Mindestanzahl an durchgeführten Terminen. Für das Scheitern ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig.
25.195
Zum Teil wird angenommen, dass es für das Scheitern des Versuchs eines Spruchs der Einigungsstelle bedürfe5. Diese Ansicht berücksichtigt indes nicht hinreichend, dass ein etwaiges Feststellen des Scheiterns der Verhandlungen durch die Einigungsstelle ohnehin nur deklaratorischen Charakter hätte. Zu Recht geht die herrschende Meinung6 daher davon aus, dass das Scheitern des Versuchs eines Interessenausgleichs auch einseitig durch den Arbeitgeber festgestellt werden kann. Ebenso wenig wie ein etwaiger Spruch der Einigungsstelle entfaltet eine solche einseitige Parteierklärung allerdings Bindungswirkung, sodass die Frage, ob die Verhandlungen – nicht nur aus Sicht der jeweiligen Partei(en) bzw. der Einigungsstelle – sondern im materiell-rechtlichen Sinne tatsächlich gescheitert sind, in einem etwaigen Gerichtsfahren – ggf. als Vorfrage – zu klären wäre7 (vgl. hierzu auch Rz. 25.464).
25.196
Der Ablauf des Versuchs eines Interessenausgleichs ergibt sich aus nachstehender schematischer Übersicht.
BGH 8.1.1955 – I ZR 201/53. ErfK/Kania, § 112a BetrVG Rz. 8. GK-BetrVG/Oetker, § 113 Rz. 54; ErfK/Kania, § 112a BetrVG Rz. 8. Richardi/Annuß, § 113 BetrVG Rz. 29. Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 42; DKW/Däubler, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 15. BAG v. 16.8.2011 – 1 AZR 44/10; Richardi/Annuß, § 113 BetrVG Rz. 29; GK-BetrVG/Oetker, § 113 Rz. 54; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 112 BetrVG Rz. 24; ErfK/Kania, § 112a BetrVG Rz. 8. 7 ErfK/Kania, § 112a BetrVG Rz. 8.
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1088 | Ludwig/A. Otto
Konsequenz: Achtung:
Gütliche Einigung in der Einigungsstelle.
kein IA
Scheitern der Verhandlungen
Umsetzung der Betriebsänderung Der BR kann die Umsetzung der Betriebsänderung nicht verhindern. Aber: Wenn der Arbeitgeber den Abschluss eines IA nicht versucht, kann die Umsetzung in bestimmten Arbeitsgerichtsbezirken durch einstweilige Verfügung verzögert werden und es entstehen Mehrkosten durch sog. Nachteilsausgleichs- und Weiterbeschäftigungsansprüche.
Abschluss des IA
Einigung mit dem BR kommt nicht oder nicht rechtzeitig zustande.
Anrufung der Einigungsstelle 1. Bestellung der Einigungsstelle a) Ca. 2–4 Wochen bis zum ersten Zusammentreten, wenn Bestellung einvernehmlich erfolgt. b) Ca. 4–16 Wochen bis zum ersten Zusammentreten, wenn Betriebspartner sich auf Person des Vorsitzenden/Anzahl der Beisitzer nicht einigen können und deshalb gerichtliche Bestellung erforderlich wird. 2. Verhandlung in der Einigungsstelle ca. 1–3 Tage Beratungszeit
Verhandlungen mit dem BR über das „Ob“, „Wann“, „Was“ und „Wie“ der Betriebsänderung.
Einigung mit dem BR.
BR lehnt den vorgeschlagenen IA grundsätzlich und ohne jede Verhandlungsbereitschaft ab.
BR signalisiert Bereitschaft, über den vorgeschlagenen IA zu verhandeln.
Weiteres Vorgehen hängt von der Verhandlungsbereitschaft des BR ab.
BR stimmt Entwurf des IA nicht zu.
Übergabe des Entwurfs eines IA an den BR unmittelbar nach der Information des BR über die geplante Betriebsänderung
BR stimmt Entwurf des IA zu.
Aufgabe: Zeitpunkt:
Versuch eines Interessenausgleichs (Ablauf)
Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG | Rz. 25.196 § 25
Versuch eines Interessenausgleichs (Ablauf)
Ludwig/A. Otto | 1089
§ 25 Rz. 25.197 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
3. Schriftformerfordernis als Wirksamkeitsvoraussetzung 25.197
Eine etwaige Einigung über einen Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat muss schriftlich niedergelegt und durch die Verhandlungspartner – in der Einigungsstelle auch durch den Vorsitzenden – unterzeichnet werden (§ 112 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 3 BetrVG). Für das Schriftformerfordernis gilt § 126 BGB. Die Unterschrift ist für den Betriebsrat durch seinen Vorsitzenden und im Falle der Verhinderung durch den Stellvertreter zu leisten (§ 26 Abs. 2 BetrVG). Auf Arbeitgeberseite ist darauf zu achten, dass der Vorsitzende des Betriebsrats oder sein Vertreter durch Beschluss des Betriebsrats zum Abschluss eines Interessenausgleichs entsprechend bevollmächtigt ist.
25.198
Die Wahrung der Schriftform ist Wirksamkeitsvoraussetzung für den Interessenausgleich1. Die bloße mündliche Einigung zwischen den Betriebsparteien reicht daher nicht aus. Dies gilt auch, soweit zwischen Unternehmer und Betriebsrat Einvernehmen darüber erlangt wird, bestimmte Maßnahmen bereits vorzeitig umzusetzen, etwa ein Freiwilligenprogramm, einzelne Personalmaßnahmen, wie Versetzungen oder die Vorbereitung der Verlagerung von Betriebsanlagen. Auch eine solche Einigung muss schriftlich erfolgen, wenngleich sie nicht als Teil-Interessenausgleich bezeichnet werden muss. Weigert sich der Betriebsrat, die Einigung schriftlich festzuhalten, ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Einigungsstelle anzurufen. Erst dann kann er die Betriebsänderung umsetzen, ohne Gefahr zu laufen, einen Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG leisten zu müssen2. Ob eine Umsetzung tatsächlich mit auszugleichenden Nachteilen verbunden wäre, ist dabei eine andere Frage. In der betrieblichen Praxis werden Freiwilligenprogramme zum Beispiel häufig durch den Betriebsrat lediglich geduldet, ohne dass er eine Betriebsvereinbarung hierüber mit dem Arbeitgeber abschließt.
25.199
Zwar ist es nicht erforderlich, die Einigung ausdrücklich als Interessenausgleich zu bezeichnen3. Denkbar ist beispielsweise, den Interessenausgleich in einer Urkunde mit dem Sozialplan zusammenzufassen. Wird auf eine ausdrückliche Bezeichnung indes verzichtet, besteht allerdings das Risiko, dass der Interessenausgleich als Betriebsvereinbarung bewertet wird. In diesem Fall käme dem Inhalt des Interessenausgleiches gemäß § 77 Abs. 4, § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG normative Wirkung zu (vgl. Rz. 25.204 ff.).
25.200
Das Schriftformerfordernis erstreckt sich auch auf eine Namensliste i.S.v. § 1 Abs. 5 KSchG. Nach § 1 Abs. 5 KSchG wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist, wenn die Arbeitnehmer, denen aufgrund einer Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet sind. Die Tatsachen, an die die Vermutung anknüpft, sind vom Arbeitgeber darzulegen und ggf. zu beweisen.
25.201
Dem Schriftformerfordernis mit Blick auf die Namensliste wird Genüge getan, wenn die Namensliste zwar nicht in dem Interessenausgleich selbst, sondern in einer Anlage enthalten ist, Interessenausgleich und Namensliste aber eine einheitliche Urkunde bilden. Dies ist dann der Fall, wenn Interessenausgleich und Namensliste von Anfang an – also vor Unterschrift – 1 BAG v. 26.10.2004 – 1 AZR 493/03; BAG v. 20.4.1994 – 10 AZR 186/93; Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 24; Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rz. 27; DKW/Däubler, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 17; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 112 BetrVG Rz. 12; HWGNRH/Hess, § 112 BetrVG Rz. 26. 2 BAG v. 26.10.2004 – 1 AZR 493/03. 3 BAG v. 20.4.1994 – 10 AZR 186/93; Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 24; Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rz. 30; GK-BetrVG/Oetker, §§ 112, 112a Rz. 55; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 112 BetrVG Rz. 13.
1090 | Ludwig/A. Otto
Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG | Rz. 25.202 § 25
körperlich miteinander verbunden waren1. Erforderlich ist daher, Interessenausgleich und Namensliste schon vor Unterschrift fest miteinander zu verbinden, beispielsweise durch „Tackern“. Eine einheitliche Urkunde liegt nach der Rechtsprechung des BAG auch dann vor, wenn Interessenausgleich und Namensliste zwar nicht körperlich miteinander verbunden sind, aber wechselseitig eindeutig aufeinander Bezug nehmen und sowohl Interessenausgleich als auch Namensliste von den Betriebsparteien unterschrieben worden sind2. Es ist nicht erforderlich, dass Interessenausgleich und Namensliste gleichzeitig unterschrieben werden. Um die Wirkungen des § 1 Abs. 5 KSchG auszulösen, reicht es aus, wenn der Interessenausgleich nach seinem Abschluss zeitnah um eine – ihrerseits gesondert unterschriebene – Namensliste ergänzt wird3. Das BAG hält jedenfalls die Ergänzung des Interessenausgleichs um eine Namensliste etwa sechs Wochen nach Unterzeichnung des Interessenausgleichs noch für zeitnah4. Wenngleich das BAG damit nicht ausgeschlossen hat, dass auch eine noch längere zeitliche Zäsur als zeitnahe begriffen werden kann, ist die Orientierung an dem Sechs-WochenZeitraum aus Gründen der Rechtssicherheit ratsam. Auch in diesem Fall müssen zur Wahrung des Schriftformerfordernisses Interessenausgleich und Namensliste aber in jedem Fall eine einheitliche Urkunde bilden, das heißt wechselseitig aufeinander Bezug nehmen5. Beim Abschluss des Interessenausgleichs sollte insofern bereits auf die noch zu erstellende Namensliste Bezug genommen werden. Ob die Wirkungen des § 1 Abs. 5 KSchG nur dann eintreten, wenn die einer Kündigung zugrunde liegende Betriebsänderung vollumfänglich Gegenstand einer Verständigung der Betriebsparteien war, oder ob auch ein Interessenausgleich nur über Teile einer Betriebsänderung mit einer korrespondierende Teil-Namensliste ausreichend ist, war lange in der Literatur umstritten6. Auch das BAG hatte die Frage offengelassen7. In einer jüngeren Entscheidung8 hat das BAG nun klargestellt, dass eine Teil-Namensliste keine ausreichende Vermutungsgrundlage i.S.d. § 1 Abs. 5 KSchG darstellt. Zwar schließe der Wortlaut des § 1 Abs. 5 KSchG das Verständnis nicht aus, dass auch ein nur über Teile von Betriebsänderungen geschlossener Interessenausgleich und eine entsprechende Teil-Namensliste ausreichen könnten. Eine Teil-Namensliste widerspreche aber dem Zweck des § 1 Abs. 5 KSchG. Die Regelungen der § 1 Abs. 5 Satz 1 und 2 KSchG beruhten auf der gesetzgeberischen Erwägung, dass von einer zwischen den Betriebsparteien einvernehmlich erstellten Namensliste im Rahmen eines Interessensausgleichs eine hohe Gewähr für deren Richtigkeit ausgehe9. Das BAG nimmt daher an, dass die durch § 1 Abs. 5 KSchG bewirkten Folgen der Namensliste für die kündigungsrechtliche Stellung der Arbeitnehmer verfassungsrechtlich nur durch die Einflussnahmemöglichkeit des Betriebsrats auf die gesamte unternehmerische Maßnahme und ihre Folgen für die davon betroffenen Arbeitnehmer zu rechtfertigen ist10. Anderenfalls könnte der Unternehmer in Bezug auf einen Teil der Betriebsänderung einen Interessenausgleich mit entsprechender Teil-Namensliste abschließen und für den weiteren Teil der Betriebsänderung den Abschluss eines Interessensausgleichs und insofern einer weiteren Teil-Namensliste ver1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 386/11; GK-BetrVG/Oetker, §§ 112, 112a Rz. 54, 63. BAG v. 12.5.2010 – 2 AZR 551/08; BAG v. 6.7.2006 – 2 AZR 520/05. BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11. BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11; BAG v. 26.3.2009 – 2 AZR 296/07. ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 361. Vgl. zum Streit Richter/Lioba, NZA 2011, 1254; BAG v. 26.3.2009 – 2 AZR 296/07. BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 516/11; BAG v. 26.3.2009 – 2 AZR 296/07. BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15. BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15. BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15.
Ludwig/A. Otto | 1091
25.202
§ 25 Rz. 25.202 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
weigern. In diesem Fall kann von der ersten Teil-Namensliste, die der Betriebsrat regelmäßig in der Erwartung abschließt, dass auch bezüglich der durch den weiteren Teil der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer eine weitere Teil-Namensliste erstellt wird, keine Richtigkeitsgewähr ausgehen.
25.203
Etwas anderes gilt allerdings, sofern eine Betriebsänderung in mehreren Wellen geplant ist. Beruht die gestaffelte Betriebsänderung auf einer einheitlichen Planung, ist es für die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 KSchG nicht erforderlich, dass die Namen der zu kündigenden Arbeitnehmer in einer einheitlichen Namensliste zusammengefasst sind. Unternehmen und Betriebsrat können vielmehr zeitlich gestaffelt entsprechend der geplanten Entlassungswellen jeweils eine vollständige Namensliste aufstellen1.
4. Rechtsnatur des Interessenausgleichs/Anspruch auf Durchsetzung 25.204
Gerade wenn im Interessenausgleich Regelungen auch zu Gunsten der Arbeitnehmer enthalten sind, stellt sich in der betrieblichen Praxis die Frage, ob und inwieweit betroffene Arbeitnehmer und/oder der Betriebsrat einen Anspruch auf Einhaltung der in dem Interessenausgleich getroffenen Regelungen besitzen. Dieser kann dabei nicht nur Regelungen mit Blick auf das Ob, Wann, Wo und Wie einer Betriebsänderung enthalten, sondern auch zusätzliche Beteiligungsrechte des Betriebsrats oder aber Kündigungsbeschränkungen. Die Beantwortung dieser Frage hängt maßgeblich davon ab, welche Rechtsnatur der Interessenausgleich hat, was in Rechtsprechung und Literatur umstritten ist.
25.205
Die §§ 106 ff. BetrVG lassen einen Anspruch der Arbeitnehmer und/oder des Betriebsrats auf Durchsetzung eines Interessenausgleichs nicht erkennen. Im Gegenteil: Schon in § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG wird lediglich festgestellt, dass der Sozialplan die Wirkung einer Betriebsvereinbarung hat. Da eine entsprechende Regelung für den Interessenausgleich fehlt, wird überwiegend angenommen, dass der Interessenausgleich – sofern er nicht in Form einer freiwilligen Betriebsvereinbarung i.S.d. § 88 BetrVG abgeschlossen wird – keine Betriebsvereinbarung darstellt, also auch keine normative Wirkung entfaltet2. Die herrschende Meinung geht daher davon aus, dass der Interessenausgleich eine Naturalobligation3 bzw. eine Kollektivvereinbarung „eigener Art“4 ist. Beides ist richtig. Dies folgt bereits aus § 113 BetrVG, der keine Vorgaben enthält, die auf eine Durchsetzbarkeit der im Interessenausgleich getroffenen Vereinbarungen hindeuten. Vielmehr ist dort lediglich festgelegt, dass die von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer nur einen Anspruch auf einen Nachteilsausgleich haben, wenn der Arbeitgeber von einem Interessenausgleich abweicht. Deshalb unterliegt der Interessenausgleich auch den Auslegungsregeln für Vereinbarungen und Verträge entsprechend §§ 133, 157 BGB, nicht aber den Regeln für Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen5.
1 BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15; BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11. 2 BAG v. 14.11.2006 – 1 AZR 40/06; Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 46; GK-BetrVG/Oetker, §§ 112, 112a Rz. 74; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 112 BetrVG Rz. 25; ErfK/Kania, § 112a BetrVG Rz. 9; HWGNRH/Hess, § 112 BetrVG Rz. 15. 3 BAG v. 28.8.1991 – 7 ABR 72/90; HWGNRH/Hess, § 112 BetrVG Rz. 16. 4 Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 44; ErfK/Kania, § 112a BetrVG Rz. 9; GK-BetrVG/Oetker, §§ 112, 112a Rz. 72; HWGNRH/Hess, § 112 BetrVG Rz. 15. 5 BAG v. 20.4.1994 – 10 AZR 186/93.
1092 | Ludwig/A. Otto
Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG | Rz. 25.207 § 25
Gleichwohl nimmt ein Teil der Literatur an, dass sowohl Arbeitnehmer1 als auch der Betriebsrat2 gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch auf Einhaltung des Interessenausgleichs haben (so genannter „Durchführungsanspruch“). Ungeachtet der Rechtsnatur des Interessenausgleichs hat die Rechtsprechung3 in Übereinstimmung mit der wohl überwiegend in der Literatur vertretenen Ansicht4 aber einen solchen Anspruch des Betriebsrats auf Einhaltung des Interessenausgleichs zu Recht abgelehnt. Zum einen ergibt sich aus § 113 Abs. 1 und 2 BetrVG, dass der Unternehmer bei einer Abweichung vom Interessenausgleich zum Nachteilsausgleich verpflichtet ist. Diese spezielle Regelung wäre überflüssig, wenn der Betriebsrat einen Anspruch auf Durchführung des Interessenausgleichs hätte. Zum anderen widerspricht die generelle Bejahung des Durchführungsanspruchs dem in § 113 Abs. 1 BetrVG klar niedergelegten Vorbehalt, dass der Nachteilsausgleich nicht geschuldet ist, wenn für die Abweichung vom Interessenausgleich ein zwingender Grund besteht5. Es gibt also eine eingeschränkte Berechtigung zur Abweichung. Für den Fall, dass die Betriebsänderung mit einem Betriebsübergang einhergeht, ergibt sich auch nichts anderes aus Art. 7 Abs. 2 Richtlinie 2001/23/EG, der den Erwerber bzw. den Veräußerer verpflichtet, hinsichtlich der anlässlich des Betriebsübergangs geplanten Betriebsänderung eine Übereinkunft mit den Arbeitnehmervertretern anzustreben. Bereits die Bezeichnung als „Übereinkunft“ verlangt keine rechtliche bindende Vereinbarung6. Auch die Arbeitnehmer können aus einem Interessenausgleich keine Ansprüche ableiten7. Daraus folgt, dass Arbeitnehmer bei einem Abweichen des Arbeitgebers von den Regelungen eines Interessenausgleichs lediglich Ansprüche auf Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG haben können. Ein Verstoß gegen die in dem Interessenausgleich enthaltene Kündigungsbeschränkungen würde damit also nicht die Unwirksamkeit einer solchen Kündigung nach sich ziehen. In entsprechender Weise können auch keine Erfüllungsansprüche begründet werden, wenn im Interessenausgleich ein bestimmtes Handeln des Arbeitgebers (z.B. Fortführung des Betriebs, Vornahme von Investitionen) vereinbart wurde.
25.206
Das Fehlen eines Erfüllungsanspruchs betrifft auch die Betriebsänderung selbst. Verzichtet der Arbeitgeber auf die Umsetzung der Betriebsänderung oder aber auf Teile davon, wird man daraus im Zweifel auch auf den Wegfall sämtlicher Regelungen schließen müssen, die im Interessenausgleich mit der Umsetzung verknüpft waren. Insofern wird die Auslegung des Interessenausgleichs regelmäßig dazu führen, dass auch zu Gunsten der Arbeitnehmer getroffene Kündigungs- oder sonstige Restrukturierungsbeschränkungen keine Gültigkeit mehr haben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese erkennbar als Gegenleistung für die Umsetzung der Maßnahmen seitens des Arbeitgebers gewährt worden sind. Es empfiehlt sich aber, diese Verknüpfung klarstellend im Interessenausgleich festzuhalten.
25.207
1 DKW/Däubler, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 25. 2 DKW/Däubler, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 25. 3 BAG v. 28.8.1991 – 7 ABR 72/90; LAG Düsseldorf v. 16.12.1996 – 18 TaBV 75/96; a.A. jedoch LAG München v. 30.7.1997 – 9 TaBV 54/97. 4 Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rz. 47; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 112 BetrVG Rz. 26; ErfK/ Kania, § 112a BetrVG Rz. 9; HWGNRH/Hess, § 112 BetrVG Rz. 16; differenzierend: Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 45; GK-BetrVG/Oetker, §§ 112, 112a Rz. 89 ff. 5 GK-BetrVG/Oetker, §§ 112, 112a Rz. 89. 6 A.A. Oetker, NZA 1998, 1193, 1195. 7 ErfK/Kania, § 112a BetrVG Rz. 9.
Ludwig/A. Otto | 1093
§ 25 Rz. 25.208 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
25.208
Enthält der Interessenausgleich keine besonderen Anhaltspunkte, so ist regelmäßig von einem Fehlen einer rechtlichen Bindungswirkung des Interessenausgleichs auszugehen1. Etwas anderes gilt in jedem Fall allerdings dann, wenn der Interessenausgleich als freiwillige Betriebsvereinbarung abgeschlossen wird (vgl. Rz. 25.209).
5. Abschluss des Interessenausgleichs als Betriebsvereinbarung 25.209
Wenn der Betriebsrat die vorstehend genannten Rechtsfolgen eines Interessenausgleichs nicht hinnehmen will, müssen – vorbehaltlich der Zulässigkeit nach § 77 Abs. 3 BetrVG – entsprechende Abreden im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung als freiwillige Betriebsvereinbarung nach § 88 BetrVG abgeschlossen werden. In diesem Fall haben die Regelungen unmittelbaren und zwingenden Charakter (§ 77 Abs. 4 BetrVG). Ihre Einhaltung kann sowohl durch den Betriebsrat als auch durch die Arbeitnehmer erzwungen werden, wenngleich Abweichungen zugunsten der Arbeitnehmer jederzeit möglich sind. Das bedeutet, dass sowohl Betriebsrat als auch Arbeitnehmer gerichtlich die Durchführung von vereinbarten Maßnahmen/Zusagen durchsetzen könnten, ggf. auch im Wege der einstweiligen Verfügung. Das betrifft jedes Tun oder Unterlassen des Arbeitgebers, zu dem er sich im Interessenausgleich verpflichtet hat. Hierzu gehört auch ein Unterlassungsanspruch, mit dem der Verzicht auf den Anspruch von Kündigungen durchgesetzt wird. Eine trotz eines Kündigungsverbots ausgesprochene Kündigung wäre im Gegensatz zu der Konstellation, in der ein Interessenausgleich keine normative Wirkung entfaltet, unwirksam.
25.210
Mit Blick auf diese Rechtsfolgen eines als Betriebsvereinbarung abgeschlossenen Interessenausgleichs ist es wichtig, den Interessenausgleich zu befristen, Kündigungsmöglichkeiten vorzusehen oder aber die Beendigung des Interessenausgleichs an den Eintritt einer Bedingung zu knüpfen, z.B. die Umsetzung der Maßnahmen. Ein bloßer Verzicht auf eine Umsetzung der darin enthaltenen Vereinbarungen wäre gegen den Willen des Betriebsrats bzw. der Arbeitnehmer nicht möglich. Im Falle der Kündigung würden die Regelungen des Interessenausgleichs allerdings nicht nachwirken, da es sich um eine freiwillige Betriebsvereinbarung handelt.
6. Bindungswirkung des Interessenausgleichs bei Betriebsübergängen 25.211
Bleibt bei einem Betriebsübergang die Betriebs- bzw. Betriebsteilidentität erhalten, kommt grundsätzlich eine Bindung des Betriebserwerbers an den beim Veräußerer abgeschlossenen Interessenausgleich in Betracht. Hier ist je nach Fallgestaltung zu unterscheiden: Wenn der Veräußerer, etwa im Rahmen eines Erwerberkonzeptes, eine Betriebsänderung noch vor dem Betriebsübergang durchführt, um die wirtschaftliche Attraktivität für den Erwerber zu erhöhen, kommt regelmäßig keine Bindung des Erwerbers an den Interessenausgleich in Betracht. Ist die Betriebsänderung vor dem Betriebsübergang bereits abgeschlossen, wird ein anlässlich dieser Betriebsänderung vereinbarter Interessenausgleich in der Regel wegen Zweckerreichung beim Erwerber schon keine Wirkung mehr entfalten2.
25.212
Hat der Betriebsveräußerer eine Betriebsänderung geplant und die diesbezüglichen Interessenausgleichsverhandlungen mit seinem Betriebsrat abgeschlossen, die Betriebsänderung vor 1 LAG Rheinland-Pfalz v. 7.5.2001 – 7 TaBV 1028/00; Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 45; Richardi/ Annuß, § 112 BetrVG Rz. 46; insoweit genau andersherum: GK-BetrVG/Oetker, §§ 112, 112a Rz. 73. 2 Meyer, NZA-RR 2013, 225, 230.
1094 | Ludwig/A. Otto
Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG | Rz. 25.215 § 25
dem Betriebsübergang allerdings noch nicht begonnen, rückt der Erwerber, wenn der Betrieb beim Übergang seine Betriebsidentität wahrt, betriebsverfassungsrechtlich in die Stellung des Arbeitgebers und ist insofern grundsätzlich an den bei dem Veräußerer geschlossenen Interessenausgleich gebunden. Da der Interessenausgleich nicht die Qualität einer Betriebsvereinbarung hat und ihm insofern weder erzwingbare Bindungswirkung noch normative Wirkung zukommt, kann der Erwerber allerdings von der Betriebsänderung wieder Abstand nehmen. Genauso wie der Veräußerer, also demjenigen, der die Betriebsänderung geplant hat, ist er nicht gezwungen, diese letztlich umzusetzen. Verzichtet der Erwerber auf die Durchführung, ist er an den Interessenausgleich nicht mehr gebunden1. Gleiches gilt, sofern der Veräußerer mit der Betriebsänderung schon begonnen hat und der Erwerber sich entschließt, die Betriebsänderung nicht fortzuführen und die bisher ergriffenen Maßnahmen rückgängig macht. Sofern der Erwerber sich entschließt, die vom Veräußerer geplante Betriebsänderung um weitere Maßnahmen zu ergänzen, die ihrerseits die Qualität einer Betriebsänderung haben, so muss er mit seinem eigenen Betriebsrat erneut Interessenausgleichsverhandlungen führen. Wenn der Betrieb im Wege des Betriebsübergangs seine Identität nicht wahrt, kommt eine Fortgeltung des Interessenausgleichs beim Erwerber qua Wahrung der Betriebsidentität schon nicht in Betracht. Auch eine Transformation des Inhalts des Interessenausgleichs nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB kommt nicht in Betracht, weil der Interessenausgleich keine normative Wirkung besitzt2. Etwas anderes gilt nur, wenn der Veräußerer und dessen Betriebsrat den Interessenausgleich ausdrücklich als Betriebsvereinbarung abgeschlossen haben, ihm also die unmittelbare und zwingende Wirkung nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG beigemessen haben. Dann kommt auch für den Fall des nicht identitätswahrenden Betriebsübergangs eine Bindungswirkung des Interessenausgleichs für den Erwerber nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in Betracht3.
25.213
Sofern im Falle einer Betriebsspaltung mit Betriebsübergang im Zuge der Interessenausgleichverhandlungen bereits dem Erwerber Zusagen – bspw. Kündigungsbeschränkungen für den Zeitraum nach Betriebsübergang – „abgerungen“ werden sollen, könnten entsprechende Zusagen des Erwerbers durch Gesamtzusage oder durch einen Vertrag zugunsten Dritter getroffen werden. Hierfür bieten sich eine eigene Vereinbarung zwischen Erwerber und Betriebsrat oder aber die Mitunterzeichnung des Interessenausgleichs durch den Erwerber an. Einen Anspruch hierauf hat der Betriebsrat des Veräußerers freilich nicht.
25.214
II. Vereinbarung eines Sozialplans 1. Grundsatz und Verfahren Treten als Folge der Betriebsänderung wirtschaftliche Nachteile ein, hat der Betriebsrat einen Anspruch, über einen Sozialplan zu verhandeln, um diese Folgen auszugleichen oder zu mildern. Immaterielle Nachteile und Nachteile aufgrund von Maßnahmen außerhalb der Betriebsänderung werden im Sozialplan nicht erfasst4. Abgesehen von den Fällen des § 112a
1 Meyer, NZA-RR 2013, 225, 230. 2 Vgl. BAG v. 14.11.2006 – 1 AZR 40/06; Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 46; GK-BetrVG/Oetker, §§ 112, 112a Rz. 74; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 112 BetrVG Rz. 25; ErfK/Kania, § 112a BetrVG Rz. 9; HWGNRH/Hess, § 112 BetrVG Rz. 15. 3 Meyer, NZA-RR 2013, 225, 231. 4 ErfK/Kania, § 112 BetrVG Rz. 12; Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 118; Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rz. 84.
Ludwig/A. Otto | 1095
25.215
§ 25 Rz. 25.215 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
BetrVG (vgl. dazu Rz. 25.221) ist ein Sozialplan bei jeder Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG, ggf. über eine Einigungsstelle, erzwingbar. Die Erzwingbarkeit betrifft allerdings nur Regelungen über den Ausgleich oder die Milderung der durch die konkrete Betriebsänderung entstehenden Nachteile. Die Einigungsstelle ist nicht zuständig für darüber hinaus gehende Maßnahmen wie etwa die Aufstellung von Rahmensozialplänen (vgl. Rz. 25.391). Entsprechende Rahmenvereinbarungen können freiwillig vereinbart werden. Sie sind aber dem Spruch der Einigungsstelle entzogen, denn Voraussetzung für die Erzwingbarkeit ist stets das Vorliegen einer konkreten Betriebsänderung1.
25.216
Wird zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat keine Einigung über den Sozialplan erzielt, kann der Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit um Ermittlung ersucht werden. Anstelle des Vorsitzenden bzw. bei einem Scheitern seiner Vermittlung kann die Einigungsstelle angerufen werden2. Scheitert auch dort eine Einigung kann sie unter Berücksichtigung der Ermessensvorgaben in § 112 Abs. 5 BetrVG entscheiden3. Ihr Spruch ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat hat also den Charakter eines Sozialplans bzw. einer Betriebsvereinbarung4. Auf diese Weise ist der Sozialplan also erzwingbar. Eine Erzwingbarkeit ist nur unter den besonderen, in § 112a BetrVG genannten Voraussetzungen ausgeschlossen (vgl. Rz. 25.221).
25.217
Die Verhandlungen über den Sozialplan werden regelmäßig mit den Verhandlungen über den Interessenausgleich verknüpft, soweit ein solcher nicht ausnahmsweise (wie in Tendenzbetrieben nach § 118 BetrVG) entbehrlich ist. Abweichungen im Verfahrensverlauf ergeben sich allerdings bereits daraus, dass der Interessenausgleich nur „versucht“ und anders als der Sozialplan nicht tatsächlich abgeschlossen werden muss. Da die Betriebsänderung nach dem Willen des Gesetzgebers umgesetzt werden kann, sobald eine Einigung über den Interessenausgleich erzielt bzw. die dahingehenden Verhandlungen gescheitert sind, ist es denkbar, dass der Sozialplan wegen der Dauer der Verhandlungen erst im Anschluss an die Durchführung einer Betriebsänderung aufgestellt wird5.
25.218
Sollte bei Abschluss des Sozialplans bereits ein Teil der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer auf einen anderen Rechtsträger übergegangen sein, bleibt der übertragende Rechtsträger zu den Verhandlungen über den Sozialplan verpflichtet. Allerdings muss – vergleichbar mit den Überlegungen zur Bindungswirkung eines Interessenausgleichs (vgl. Rz. 25.198) – bei der inhaltlichen Ausgestaltung berücksichtigt werden, dass Verbindlichkeiten grundsätzlich nur zu Lasten des übertragenden Rechtsträgers geschaffen werden können. Wenn Pflichten auch zu Lasten des Erwerbers begründet werden sollen, muss er ausdrücklich einbezogen werden (vgl. Rz. 25.406).
25.219
Etwas anderes gilt allenfalls für den Fall einer Spaltung nach § 123 UmwG. Hier kann die Verhandlungspflicht nämlich einem der übernehmenden Rechtsträger zugeordnet werden6. Wird der übertragende Rechtsträger vor Abschluss des Sozialplans als Folge einer Aufspaltung aufgelöst, sind alle Rechtsträger als Gesamtschuldner zu den Verhandlungen über den Sozialplan 1 BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 12/14, NZA 2016, 894; Fitting § 112 BetrVG Rz. 97 ff. m.w.N; ErfK/ Kania § 112 BetrVG Rz. 21. 2 ErfK/Kania, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 21; vgl. GK-BetrVG/Oetker, §§ 112, 112a Rz. 272 ff. 3 Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 252. 4 ErfK/Kania, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 21. 5 BAG v. 16.6.1987 – 1 ABR 41/85, NZA 1987, 671 Rz. 15; BAG v. 23.4.1985 – 1 ABR 3/81, NZA 1985, 628 Rz. 47; ErfK/Kania, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 21; Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 98. 6 Vgl. BAG v. 6.8.2002 – 1 AZR 247/01, NZA 2003, 449 Rz. 69.
1096 | Ludwig/A. Otto
Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG | Rz. 25.222 § 25
verpflichtet1. Die Frage, „Ob“ ein Sozialplan überhaupt abzuschließen ist, richtet sich allerdings auch in diesen Fällen danach, ob es infolge der Betriebsänderung zu Nachteilen kommt. Dies ist anhand des Einzelfalls zu prüfen.
2. Befreiung von der Sozialplanpflicht § 112a BetrVG regelt zwei Tatbestände, in denen der Sozialplan nicht durch Spruch der Einigungsstelle festgesetzt werden kann. Kommt auch nach der Errichtung einer Einigungsstelle durch Vermittlung des/der Vorsitzenden keine Einigung zwischen den betrieblichen Sozialpartnern zustande, kann damit in diesen Fällen kein Anspruch auf Leistungen zum Ausgleich bzw. zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile einer Betriebsänderung entstehen. § 112 Abs. 4, 5 BetrVG findet in diesen Fällen keine Anwendung.
25.220
a) Betriebseinschränkung durch Entlassungen Nach § 112a Abs. 1 BetrVG ist eine Betriebsänderung von der Sozialplanpflicht befreit, wenn sie allein in der Entlassung von Arbeitnehmern besteht und insoweit
25.221
– in Betrieben mit in der Regel weniger als 60 Arbeitnehmern 20 % der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer, aber mindestens 6 Arbeitnehmer, – in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 250 Arbeitnehmern 20 % der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer, aber mindestens 37 Arbeitnehmer, – in Betrieben mit in der Regel mindestens 250 und weniger als 500 Arbeitnehmern 15 % der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer, aber mindestens 60 Arbeitnehmer, – in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern 10 % der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer, aber mindestens 60 Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen entlassen werden sollen. Werden bei einem reinen Personalabbau die Schwellenwerte des § 112a BetrVG nicht erreicht, ist ein Sozialplan nicht durch Spruch der Einigungsstelle erzwingbar. Als Entlassung gilt nach § 112a Abs. 1 Satz 2 BetrVG ausdrücklich auch das vom Arbeitgeber aus Gründen der Betriebsänderung veranlasste Ausscheiden von Arbeitnehmern aufgrund von Aufhebungsverträgen. Entsprechendes wird man für seitens des Arbeitgebers veranlasste Eigenkündigungen annehmen müssen2 sowie für gerichtliche Vergleiche, die infolge betriebsbedingter Kündigungen abgeschlossen werden. Anders als im Rahmen des § 17 Abs. 1 KSchG kommt es bei der Ermittlung der Schwellenwerte des § 112a BetrVG auf den Kündigungsgrund an. Kündigungen aus verhaltens- oder personenbedingten Gründen sind daher nicht zu berücksichtigen. Leiharbeitnehmer sind bei der Ermittlung der Schwellenwerte des § 112a BetrVG Abs. 1 BetrVG ebenfalls nicht zu berücksichtigen. Dies regelt § 14 Abs. 2 Satz 4 AÜG für § 112a BetrVG nunmehr ausdrücklich, so dass es anders bei der Feststellung der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer i.S.d. § 17 Abs. 1 KSchG im Rahmen des § 112a Abs. 1 Satz 2 BetrVG auf die Dauer ihres Einsatzes nicht ankommt. Entsprechendes gilt bei der Feststellung der zu entlassenden Arbeitnehmer. Die in Bezug auf die Schwellenwerte des § 17 1 BAG v. 15.3.2011 – 1 ABR 97/09, NZA 2011, 1112 Rz. 24; Richardi/Annuß, § 111 BetrVG Rz. 125; a.A. DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 128. 2 Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 104; vgl. BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, NZA 2006, 1273 Rz. 18; BAG v. 23.8.1988 – 1 AZR 276/87, NZA 1989, 31 Rz. 39.
Ludwig/A. Otto | 1097
25.222
§ 25 Rz. 25.222 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
Abs. 1 KSchG sowie damit mittelbar auch im Rahmen des § 111 BetrVG relevante und weiterhin offene Frage, ob Leiharbeitnehmer bei der Ermittlung der zu entlassenden Arbeitnehmer mitzählen, hat der Gesetzgeber in § 14 Abs. 2 Satz 4 AÜG für § 112a BetrVG abschließend geregelt (vgl. zur Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern im Rahmen von Betriebsänderungen Rz. 25.116).
25.223
Maßgeblich ist auch im Rahmen des § 112a BetrVG der Umfang des vom Arbeitgeber im Rahmen der Betriebsänderung angestrebten Personalabbaus1. Bei einem stufenweisen Personalabbau ist der Plan maßgeblich, der im Rahmen einer einheitlichen Unternehmensentscheidung getroffen wurde2. Auf die 30-Tages-Frist des § 17 Abs. 1 KSchG kommt es hierbei nicht an. Ein enger zeitlicher Zusammenhang kann aber wie auch im Rahmen des § 111 BetrVG ein Indiz für eine einheitliche Planung sein (vgl. Rz. 25.117). Nachträgliche Änderungen bzw. Entscheidungen zu neuen Maßnahmen aufgrund neuer Gegebenheiten müssen eigenständig bewertet werden3.
25.224
Da es bei §§ 111 bis 112a BetrVG um die Kennzeichnung der betriebsbezogenen Auswirkungen unternehmerischer Maßnahmen ankommt, war es richtig, dass auch nach den Änderungen in § 111 BetrVG im Rahmen von § 112a Abs. 1 BetrVG weiterhin auf den Betrieb zur Feststellung der Schwellenwerte für die Erheblichkeit der vorgesehenen Änderungen abgestellt wird4.
25.225
Die Ausnahmeregelung des § 112a Abs. 1 BetrVG ist auch anwendbar, wenn zu dem Personalabbau weitere Maßnahmen des Arbeitgebers hinzukommen. Unanwendbar ist sie nach der Rechtsprechung des BAG erst, wenn die sonstigen Maßnahmen als solche, oder zusammen mit dem Personalabbau eine Betriebsänderung i.S. von § 111 BetrVG darstellen. Dann ist ein Sozialplan erzwingbar5. Daher führt nicht jeder Personalabbau, der aufgrund des Überschreitens der Schwellenwerte eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG darstellt, zu einer Sozialplanpflicht. Entscheidend ist, ob und welche weiteren Maßnahmen hinzutreten. Richtigerweise ist damit etwa eine Betriebsspaltung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG, die mit Kündigungen beim übertragenden Rechtsträger verbunden wird, als sozialplanpflichtige Maßnahme anzusehen. Denn dann liegt eine andere Form der Betriebsänderung vor, die von § 112a BetrVG nicht erfasst wird.
25.226
Dieses Verständnis entspricht, wie das BAG in seiner Entscheidung vom 28.3.20066 zutreffend festgehalten hat, dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Denn Ziel des im Jahr 1985 eingefügten § 112a BetrVG war es, den vom BAG aufgestellten Grundsatz zu ändern, „dass auch ein bloßer Personalabbau unter Beibehaltung der sächlichen Betriebsmittel eine sozialplanpflichtige Betriebsänderung sein kann“7. Es sollte in Abweichung von der Rechtsprechung danach künftig in Fällen bloßen Personalabbaus ein Sozialplan über die Einigungsstelle nur noch bei Entlassungen erzwingbar sein, die zwischen 10 und 29 % der Belegschaft – gestaffelt nach der 1 Vgl. Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 101. 2 BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, NZA 2016, 1072 Rz. 30. 3 BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, NZA 2016, 1072 Rz. 30; BAG v. 28.3.2006 – 1 ABR 5/05, NZA 2006, 932 Rz. 19; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 112 BetrVG Rz. 83. 4 Richardi/Annuß, § 112a BetrVG Rz. 10; a.A. U. Preis, RdA 2000, 257, 272, der die Schwellenwerte auf das Unternehmen beziehen will. 5 BAG v. 28.3.2006 – 1 ABR 5/05, NZA 2006, 932 Rz. 31; ebenso Richardi/Annuß, § 112a BetrVG, Rz. 5; differenzierend: DKW/Däubler, § 111 BetrVG Rz. 125 ff. 6 BAG v. 28.3.2006 – 1 ABR 5/05, NZA 2006, 932; ebenso Richardi/Annuß, § 112a BetrVG, Rz. 5. 7 BT-Drucks. 10/2102, S. 18.
1098 | Ludwig/A. Otto
Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG | Rz. 25.231 § 25
Betriebsgröße – betreffen1. Der Arbeitgeber sollte damit in den Fällen von der Sozialplanpflicht entbunden werden, in denen in dem geplanten Personalabbau zwar eine Betriebsänderung i.S.v. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG liegt, die Zahlenwerte des § 112a Abs. 1 Satz 1 BetrVG aber noch nicht erreicht sind. In Fällen, in denen bereits aus anderen Gründen als dem bloßen Personalabbau eine Betriebsänderung vorliegt, sollte es bei der Sozialplanpflichtigkeit bleiben. Demgemäß findet § 112a BetrVG nach seinem Sinn und Zweck stets dann Anwendung, wenn ohne den Personalabbau keine Betriebsänderung vorläge. Entsteht in solchen Fällen Streit über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 112a Abs. 1 BetrVG, soll nach einer zum Teil vertretenen Auffassung, eine Zuständigkeit der Einigungsstelle für den Sozialplan gegeben sein2. Da diese allerdings nicht durch Spruch entscheiden kann, erscheint dies kein geeigneter Weg. Richtigerweise ist eine teleologische Reduktion vorzunehmen, mit der Folge, dass die Einigungsstelle nur im Hinblick auf den Interessenausgleich angerufen werden kann3.
25.227
b) Betriebsänderung nach Neugründung Nach § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG sind Betriebe eines Unternehmens in den ersten vier Jahren nach dessen Gründung von der Sozialplanpflicht befreit. Dies gilt für alle Formen der Betriebsänderung nach § 111 BetrVG bis hin zur Stilllegung4.
25.228
Maßgeblich für den Zeitpunkt der Gründung ist dabei die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, die nach § 138 AO binnen Monatsfrist dem Finanzamt mitzuteilen ist (§ 112a Abs. 2 Satz 3 BetrVG). Wenn ein Unternehmen gegründet wird, aber – z.B. als sogenannte „Vorratsgesellschaft“ – zunächst keiner werbenden Tätigkeit nachgeht, wird der Beginn des Vier-JahresZeitraums indes aufgeschoben. In diesem Fall ist nämlich eine Mitteilung gemäß § 138 AO nicht erforderlich. Voraussetzung für die dort genannte Aufnahme der Erwerbstätigkeit ist, dass ein Betrieb eröffnet bzw. eine freiberufliche Tätigkeit ausgeübt wird. Dies kann auch durch Übernahme eines Betriebs im Wege der Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge erfolgen5. Bloße (tatsächliche) Vorbereitungshandlungen sind irrelevant6.
25.229
Umstritten ist, ob für die Wahrung der Vier-Jahres-Frist der Entschluss oder die Durchführung der Betriebsänderung maßgeblich ist. Zum Teil wird auch auf den (hypothetischen) Spruch der Einigungsstelle abgestellt7. Nach zutreffender Ansicht ist auf den Beginn der Durchführung der Betriebsänderung abzustellen, die ein objektivierbares Kriterium darstellt8.
25.230
Für die Anwendbarkeit des § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG kommt es auf das Alter des Unternehmens an, nicht des Betriebs. Das folgt – wie das BAG in seiner Entscheidung vom 27.6.2006 zutreffend festgestellt hat – entgegen der zum Teil im Schrifttum vertretenen An-
25.231
1 2 3 4 5 6
BT-Drucks. 10/2102, S. 18. Vgl. ErfK/Kania, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 16 m.w.N. Vgl. HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 112a BetrVG Rz. 2 m.w.N. Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 106. Richardi/Annuß, § 112a BetrVG Rz. 14 ff. BFH 13.4.2017 – IV R 49/15, n.v. Rz. 19; BFH 12.5.2016 – IV R 1/13, DB 2016, 2580 Rz. 36; BAG v. 30.8.2012 – IV R 54/10, DB 2012, 2433 Rz. 21. 7 GK-BetrVG/Oetker, § 112a Rz. 329; ablehnend Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 113 m.w.N. 8 Ebenso Fuhlrott, ArbRAktuell 11, 109; Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 113.
Ludwig/A. Otto | 1099
§ 25 Rz. 25.231 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
sicht – bereits aus Wortlaut und Syntax von § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG1. Ein neu gegründetes Unternehmen ist danach in den ersten vier Jahren nach seiner Gründung auch dann von der Sozialplanpflicht für eine Betriebsänderung befreit, wenn diese Betriebsänderung in einem Betrieb erfolgt, den das Unternehmen übernommen hat und der selbst schon länger als vier Jahre besteht2. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist mit Blick auf § 242 BGB (Rechtsmissbrauch) lediglich dann zu machen, wenn die Übertragung auf das neugegründete Unternehmen allein mit dem Ziel erfolgt, dort ohne Sozialplanpflicht eine Betriebsänderung vorzunehmen. Dies hat das BAG etwa für den Fall angenommen, dass ein Betrieb in der Weise stillgelegt wird, dass er zunächst auf ein neu gegründetes Unternehmen übertragen und dann von diesem aufgelöst wird3.
25.232
Das Sozialplanprivileg bei Neugründungen soll Unternehmen in der schwierigen Phase des Aufbaus schützen. Es soll nach dem Willen des Gesetzgebers allerdings nicht dadurch umgangen werden können, dass ein Unternehmen/Konzern ein Unternehmen nur formal neu gründet, um – in Kenntnis der wirtschaftlichen Risiken – im Rahmen einer Betriebsänderung abgrenzbare unternehmerische Aktivitäten, die im Unternehmen/Konzern bereits betrieben wurden, auf dieses Unternehmen zu übertragen4. Eine "Flucht aus dem Sozialplan", bezogen auf die bereits vor der Umstrukturierung im Unternehmen oder Konzern beschäftigten Arbeitnehmer durch Rechtsgeschäft soll hierdurch ausgeschlossen werden5. Deshalb können sich nach § 112a Abs. 2 Satz 2 BetrVG ausdrücklich trotz Neugründung solche Unternehmen nicht auf das Sozialplanprivileg berufen, die im Zusammenhang mit der rechtlichen Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen entstehen. Nach den Gesetzesmaterialien gehören zu solchen Neugründungen insbesondere der Fall einer Verschmelzung bestehender Unternehmen auf ein neu gegründetes Unternehmen, die Auflösung eines bestehenden Unternehmens unter Übertragung seines Vermögens auf ein neu gegründetes Unternehmen, die Aufspaltung eines bestehenden Unternehmens auf mehrere neu gegründete Unternehmen und die Abspaltung von bestehenden Unternehmensteilen auf neu gegründete Tochtergesellschaften6. Diese Aufzählung ist nur beispielhaft und nicht abschließend7. Voraussetzung für die Annahme einer rechtlichen Umstrukturierung in diesem Sinen ist dabei nicht die Änderung der Struktur bereits bestehender Unternehmen. Das macht gerade die genannte Abspaltung von bestehenden Unternehmensteilen auf Tochtergesellschaft deutlich. Es sollten danach auch Fälle erfasst werden, in denen bestehende Unternehmen in ihrer rechtlichen Struktur unverändert bleiben. Die Abspaltung bezieht sich hiernach auf abgrenzbare unternehmerische
1 BAG v. 27.6.2006 – 1 ABR 18/05, NZA 2007, 106 Rz. 18; BAG v. 13.6.1989 – 1 ABR 14/88, NZA 1989, 974 Rz. 18; ErfK/Kania §§ 112, 112a BetrVG Rz. 17; Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 107; GK – Oetker, §§ 112, 112a Rz. 323; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 112a BetrVG Rz. 7; Richardi/ Annuß, § 112a BetrVG Rz. 13. 2 BAG v. 27.6.2006 – 1 ABR 18/05, NZA 2007, 106 Rz. 19; BAG v. 13.6.1989 – 1 ABR 14/88, NZA 1989, 974 Rz. 23; Richardi/Annuß, § 112a BetrVG Rz. 15. 3 BAG v. 27.6.2006 – 1 ABR 18/05, NZA 2007, 106. 4 Vgl. BT-Drucks. 10/2102, S. 28; Richardi/Annuß, § 112a BetrVG Rz. 18; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 112a BetrVG Rz. 8; BAG v. 22.2.1995 – 10 ABR 21/94, NZA 1995, 699 Rz. 24; BAG v. 22.2.1995 – 10 ABR 23/94, NZA 1995, 697 Rz. 24; Willemsen, DB 1990, 1405, 1408. 5 Vgl. BAG v. 22.2.1995 – 10 ABR 21/94 Rz. 23 m.w.N. 6 BT-Drucks. 10/2102, S. 28. 7 Vgl. BAG v. 12.6.2019 – 7 AZR 317/17 Rz. 19; BAG 22.2.1995 – 10 ABR 21/94 Rz. 23.
1100 | Ludwig/A. Otto
Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG | Rz. 25.236 § 25
Aktivitäten, deren Wahrnehmung von einer rechtlichen Einheit in eine andere verlagert wird1. Wird ein bereits bisher verfolgtes unternehmerisches Engagement nur in einer neuen Rechtsform, wenn auch mit erweiterter Zielsetzung, aufrechterhalten, besteht hiernach kein Fall, der aufgrund eines nicht abschätzbaren wirtschaftlichen Risikos eine Befreiung von der Sozialplanpflicht nach § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG rechtfertigt2. Regelmäßig tritt daher keine Befreiung von der Sozialplanpflicht ein, wenn die Neugründung bzw. Übertragung im Zusammenhang mit einer Spaltung nach § 123 UmwG erfolgt3.
25.233
Das BAG hat auch dann eine Befreiung von der Sozialplanpflicht abgelehnt, wenn zwei Unternehmen einzelne Betriebe einem neu gegründeten Unternehmen übertragen und der bisherige Unternehmenszweck der übertragenden Unternehmen – wenn auch in erweiterter Form – nunmehr in einer neuen Rechtsform durch das neugegründete Unternehmen fortgeführt wird4. Auch hier ist das wirtschaftliche Risiko weitgehend abschätzbar. Denn die jeweilige Erweiterung ist gerade das Ziel der unternehmerischen Umstrukturierung. Sie wurde im Wesentlichen dadurch erreicht, dass einzelne Betriebe der beteiligten Gesellschaften zusammengeführt wurden und dadurch einen Unternehmenszweck verwirklichen konnten, der sich von den bisher getrennt liegenden Tätigkeiten unterschied5. Voraussetzung ist freilich, dass auch hier eine Konzernbindung zwischen dem übertragenden Rechtsträger und dem Unternehmen besteht, das eine Betriebsänderung durchführen will. Folgt man dabei der Bewertung des BAG, genügt eine Beteiligung von 50 %6.
25.234
Von diesen Grundsätzen ausgehend bleibt die Befreiung von der Sozialplanpflicht hingegen erhalten, wenn ein im Konzern neugegründetes Unternehmen einen Betrieb übernimmt, der bislang von einem Unternehmen außerhalb des Konzerns geführt wurde. Hier übernimmt das neugegründete Unternehmen ein im Unternehmen/Konzern bislang unbekanntes Risiko. Es ist deshalb wie ein außerhalb eines Konzernverbunds stehendes Unternehmen zu behandeln und wird – auch bei einer etwaigen Verlustübernahmeverpflichtung der Konzernmutter – in den ersten vier Jahren von der Sozialplanpflicht befreit7.
25.235
Einer Befreiung von der Sozialplanpflicht kann auch die personelle Verflechtung der beteiligten Unternehmen entgegenstehen. Hiervon ist das BAG z.B. ausgegangen, wenn der Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Komplementär-GmbH einer KG unter Einbeziehung einer Holding-GmbH eine Tochter-GmbH gründet, deren Aufgabe darin besteht, einen wesentlichen Teil des Betriebsvermögens der KG (dort: Nahverkehrsbetrieb) zu übernehmen und nach dem Eintritt in die bestehenden Verträge „wie bisher“ fortzuführen. Hier genüge es, wenn wirtschaftliche Aktivitäten auf ein anderes Unternehmen, das auch eine natürliche Per-
25.236
1 BAG 12.6.2019 – 7 AZR 317/17 Rz. 19 f.; BAG v. 22.2.1995 – 10 ABR 21/94, NZA 1995, 699 Rz. 24; LAG Niedersachsen v. 24.9.2009 – 4 TaBV 44/08, ZIP 2010, 442 Rz. 39; Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 114. 2 BAG v. 22.2.1995 – 10 ABR 23/94, NZA 1995, 697. 3 BT-Drucks. 10/2102, S. 28; Richardi/Annuß, § 112a BetrVG Rz. 18; Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 112; Fuhlrott, ArbRAktuell 2011, 109. 4 BAG v. 22.2.1995 – 10 ABR 23/94, NZA 1995, 697; Richardi/Annuß, § 112a BetrVG Rz. 18; GKBetrVG/Oetker, §§ 112, 112a Rz. 330. 5 BAG v. 22.2.1995 – 10 ABR 23/94, NZA 1995, 697 Rz. 27; Richardi/Annuß, § 112a BetrVG Rz. 18. 6 BAG v. 22.2.1995 – 10 ABR 23/94, NZA 1995, 697 Rz. 27. 7 BAG v. 27.6.2006 – 1 ABR 18/05, NZA 2007, 106 Rz. 44; Dross, Sozialplan im Konzern, S. 45 ff.; Richardi/Annuß, § 112a BetrVG Rz. 18; GK-BetrVG/Oetker, §§ 112, 112a Rz. 334; a.A. Willemsen, Anm. zu BAG v. 13.6.1989 – 1 ABR 14/88.
Ludwig/A. Otto | 1101
§ 25 Rz. 25.236 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
son sein könne, übertragen werden, dessen Alleingesellschafter oder herrschender Gesellschafter kraft Vereinbarung oder aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten (z.B. Beteiligung, Treuhandverhältnis) bestimmenden Einfluss auf die wirtschaftlichen Aktivitäten des übernehmenden Unternehmens ausüben könne1.
3. Wirtschaftliche Nachteile gemäß § 112 BetrVG 25.237
Im Mittelpunkt der Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat steht natürlich die Frage, welche wirtschaftlichen Nachteile tatsächlich eintreten und ob und inwieweit ein Ausgleich erfolgt. Verständlicherweise haben diese Verhandlungen für den Betriebsrat in der Praxis häufig einen höheren Stellenwert als Verhandlungen über einen Interessenausgleich. Die Betriebsänderung kann wegen der fehlenden Erzwingbarkeit eines Interessenausgleichs nicht verhindert werden. Eine Einigung über den Sozialplan, der wirtschaftliche Ausgleichszahlungen vorsieht, kann aber ggf. über die Einigungsstelle bewirkt werden (vgl. zum Sozialplanvolumen Rz. 25.336 ff.).
25.238
Ein wirtschaftlicher Nachteil liegt vor, wenn der Nachteil sich vermögensrechtlich auswirkt und somit bezifferbar ist2. Immaterielle Nachteile werden nicht erfasst3. Der wirtschaftliche Nachteil muss unmittelbar, also – tatsächlich oder rechtlich – als Folge der Betriebsänderung eintreten. Insoweit haben die Betriebsparteien bei der Bestimmung der ihrer Meinung nach ausgleichbedürftigen Nachteile einen Beurteilungsspielraum, wobei hierbei eine Prognose durchzuführen ist4. Die für erzwingbare Sozialpläne geltenden Grundsätze (§ 112 Abs. 5 BetrVG) können als Orientierung herangezogen werden. Das BAG geht insoweit von einer Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion des Sozialplans aus5. Maßgeblich ist hierbei eine vorausschauende Betrachtungsweise mit Blick auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Sozialplans6; Änderungen bis zum Abschluss des Sozialplans können aber berücksichtigt werden7.
25.239
Typischerweise gehören die mit der arbeitgeberseitig veranlassten Beendigung eines Arbeitsverhältnisses verbundenen Nachteile zu den Folgen einer Betriebsänderung, die Gegenstand eines Sozialplans sind. Dies gilt auch dann, wenn betriebsbedingte Kündigungen bzw. Aufhebungsverträge im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang oder einer Umwandlung ausgesprochen werden. Werden die betriebsbedingten Kündigungen durch einen Widerspruch einzelner Arbeitnehmer gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses ausgelöst, hängt die Frage, ob ein sozialplanpflichtiger Nachteil vorliegt bzw. ein Sozialplan abzuschließen ist, davon ab, ob die Voraussetzungen für eine Betriebsänderung gegeben sind (vgl. dazu Rz. 25.69 ff. zu den Voraussetzungen einer Betriebsänderung) und davon, ob die widerspre1 BAG v. 22.2.1995 – 10 ABR 21/94, NZA 1995, 699 Rz. 24 ff.; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 112a BetrVG Rz. 8. 2 Vgl. LAG Sachsen-Anhalt v. 29.7.2016 – 2 Sa 53/14, n.v. Rz. 157; Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rz. 84. 3 Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 118; Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rz. 84; DKW/Däubler, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 80. 4 BAG v. 12.4.2011 – 1 AZR 764/09, NZA 2011, 988 Rz. 22; BAG v. 11.11.2008 – 1 AZR 475/07, NZA 2009, 210 Rz. 21. 5 Ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BAG v. 14.8.2001 – 1 AZR 760/00, NZA 2002, 451 – 453 AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 142, EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 108; BAG v. 24.8.2004 – 1 ABR 23/03, NZA 05, 302; BAG v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997–1001; Fitting §§ 112, 112a BetrVG Rz. 121 m.w.N. 6 Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 136. 7 GK-BetrVG/Oetker, §§ 112, 112a Rz. 145 ff.
1102 | Ludwig/A. Otto
Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG | Rz. 25.242 § 25
chenden Arbeitnehmer von den Regelungen des Sozialplans erfasst werden1 (vgl. zur Frage einer Sozialplanpflicht trotz Betriebsübergangs Rz. 25.394). Nachteile, die sich erst bei künftigen Maßnahmen realisieren, insoweit also auch nicht zwingend als Folge der Betriebsänderung eintreten, werden nicht erfasst2.
25.240
Wirtschaftliche Nachteile, die sich allein aus gesellschaftsrechtlichen Veränderungen ergeben, sind für § 112 BetrVG ebenfalls ohne Bedeutung. Dementsprechend ist etwa bei einer Betriebsspaltung nach § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG zwischen spaltungsbedingten Nachteilen und Nachteilen, die auf den Betriebsteilübergang nach § 613a BGB zurückzuführen sind, zu unterscheiden3. Letztere sind keine sozialplanpflichtigen Nachteile. Der 1. Senat des BAG begründet diese Einschränkung vor allem damit, dass die Betriebsspaltung auch ohne einen Rechtsträgerwechsel erfolgen könne. Nur Nachteile, die sich unmittelbar aus einer Veränderung der betrieblichen Organisation ergeben, seien indes im Rahmen von § 112 BetrVG ausgleichspflichtig. Unerheblich sei insofern auch, wenn beide Vorgänge zeitlich zusammenfallen. Nachteile, die durch § 613a BGB abschließend geregelt seien, gehörten nicht zu denjenigen Nachteilen, die bei einem Zusammentreffen von Betriebsübergang und Betriebsänderung zu berücksichtigen seien.
25.241
Von diesen Grundsätzen ausgehend ist – so das BAG – sogar der Übergang des Arbeitsverhältnisses auf ein Unternehmen, das gemäß § 112a Abs. 2 BetrVG von der Sozialplanpflicht ausgenommen ist, nicht als ausgleichpflichtiger Nachteil anzusehen4. Dem ist zuzustimmen. Hierfür spricht nicht nur die erforderliche Differenzierung zwischen spaltungsbedingten Nachteilen und solchen, die auf dem mit einem Betriebsteilübergang verbundenen Schuldnerwechsel beruhen5. Auch der Umstand, dass die Haftungsmasse des neuen Arbeitgebers die des alten Arbeitgebers unterschreitet, stellt keinen wirtschaftlichen Nachteil i.S.d. § 112 Abs. 1 BetrVG dar6. Denn nach § 112 Abs. 1 BetrVG soll der Sozialplan solche Nachteile abmildern, die in der Folge der geplanten Betriebsänderung entstehen. Damit kann auch eine „geringere Bonität“ des übernehmenden Rechtsträgers keine Berücksichtigung finden7. Diese Nachteile sind Folge der Übertragung des Betriebs oder Betriebsteils auf einen anderen Rechtsträger, nicht Folge der Betriebsänderung8. Die Konsequenzen dieser Übertragung treten erst dann ein, wenn der Erwerber konkret eine an sich sozialplanpflichtige Betriebsänderung plant, die weiterführende Nachteile der von der Übertragung betroffenen Arbeitnehmer zur Folge hät-
25.242
1 Vgl. LAG Hamburg v. 22.6.2020 – 5 Sa 44/19 Rz. 107. 2 HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 112 BetrVG Rz. 36; Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rz. 87; BAG v. 25.1.2000 – 1 ABR 1/99, NZA 2000, 1069 Rz. 30; BAG v. 10.12.1996 – 1 ABR 32/96, NZA 1997, 898 Rz. 28 f. 3 BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 77/06, NZA 2008, 957 Rz. 16; BAG v. 25.1.2000 – 1 ABR 1/99, NZA 2000, 1069 Rz. 34; ebenso bereits BAG v. 10.12.1996 – 1 ABR 32/96, NZA 1997, 898 Rz. 29 f.; vgl. dazu BT-Drucks. 17/13476, S. 2; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 112 BetrVG Rz. 36. 4 BAG v. 5.2.1997 – 10 AZR 553/96, NZA 1998, 158 Rz. 34; HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 112a BetrVG Rz. 7; Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rz. 87; a.A. DKW/Däubler, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 75. 5 BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 77/06, NZA 2008, 957 Rz. 18. 6 BAG v. 25.1.2000 – 1 ABR 1/99, NZA 2000, 1069 Rz. 34; Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rz. 87; a.A. DKW/Däubler, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 75; Hanau, FS Gaul 1992, S. 295. 7 Ebenso HWK/Hohenstatt/Willemsen, § 112 BetrVG Rz. 36. 8 Vgl. DKW/Däubler, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 177; BAG v. 10.12.1996 – 1 ABR 32/96, NZA 1997, 898 Rz. 32; krit. Hanau, FS Gaul, S. 287, 295.
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§ 25 Rz. 25.242 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
te1. Es fehlt also an einer unmittelbaren Kausalbindung zwischen Betriebsänderung und Nachteil. Dass die Regelungen in § 613a Abs. 2 BGB, §§ 133 f. UmwG einen Ausgleich für Bonitätsrisiken vorsehen, spielt dabei keine Rolle. Damit kann eine Garantie oder Ausfallhaftung des übertragenden Rechtsträgers für den Fall, dass innerhalb eines bestimmten Zeitraums beim übernehmenden Rechtsträger Betriebsänderungen mit wirtschaftlichen Nachteilen für die betroffenen Arbeitnehmer durchgeführt werden, in einem Sozialplan nicht erzwungen werden2.
25.243
Kein wirtschaftlicher Nachteil i.S.d. § 112 Abs. 1 BetrVG ist auch darin zu sehen, dass nach einer Spaltung im neu entstandenen Betrieb oder Betriebsteil kein Betriebsrat besteht.
25.244
Ob wirtschaftliche Nachteile entstehen, bestimmt sich auch in Fällen eines Betriebs(teil)übergangs nach den zu § 112 BetrVG entwickelten Kriterien. Dass dabei der Schutz der bestehenden Arbeitsbedingungen durch § 613a Abs. 1 BGB Berücksichtigung findet, ist selbstverständlich. Es obliegt dann den betrieblichen Sozialpartnern, darüber zu entscheiden, ob und inwieweit diese Nachteile über § 613a BGB hinaus auf freiwilliger Ebene im Rahmen des Sozialplans ausgeglichen werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn durch einen Tarifwechsel oder die Eingliederung in einen beim übernehmenden Rechtsträger bestehenden Betrieb eine Verbesserung der kollektivrechtlich geregelten Rechte und Pflichten bewirkt wird. Erzwingbar ist ein solcher Ausgleich indes nicht.
25.245
Dies führt zu einem differenzierten Ergebnis: Ausgleichspflichtige Nachteile können im Zusammenhang mit Betriebsteilübergängen bzw. einer damit einhergehenden Betriebsspaltung insbesondere durch – die Beendigung von Arbeitsverhältnissen als Folge einer Rationalisierung im Zusammenhang mit Betriebsübergang oder Umwandlung, – etwaige Versetzungen sowie in der Folge ggf. längere Anfahrtswege3, den Wegfall der Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel oder schlechtere Möglichkeiten zur Bildung von Fahrgemeinschaften4, – eine Einschränkung oder den Wegfall innerbetrieblicher Aus- und Fortbildungsmaßnahmen als Folge einer veränderten Betriebsgröße5, eintreten6. Bei dieser Bewertung sind alle Arbeitnehmer des von einer Spaltung betroffenen Betriebs, also nicht nur die vom Betriebsteilübergang betroffenen Mitarbeiter, einzubeziehen7. Allein der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis als Folge des Betriebsübergangs bzw. der Umwandlung beendet wird, stellt angesichts des damit einhergehenden Übergangs auf den Erwerber indes noch keinen wirtschaftlichen Nachteil i.S.d. § 112 Abs. 1 BetrVG dar. Eine Sozi-
1 Vgl. Hessisches LAG 12.2.1985 – 4 TaBV 70/83, DB 1985, 1999. 2 Ebenso Hessisches LAG 12.2.1985 – 4 TaBV 70/83, DB 1985, 1999; Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rz. 87; WHSS/Schweibert, Umstrukturierung, C Rz. 232; a.A. LAG Baden-Württemberg v. 11.10.1978 – 9 TaBV 4/78, DB 1979, 114; DKW/Däubler, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 169. 3 Vgl. ErfK/Kania, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 29. 4 BAG v. 16.6.1987 – 1 ABR 41/85, NZA 1987, 671 Rz. 28. 5 BAG v. 16.6.1987 – 1 ABR 41/85, NZA 1987, 671 Rz. 28; Hanau, ZfA 1990, 115, 124. 6 Zusammenfassend bereits DKW/Däubler, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 169 ff.; Hanau, ZfA 1974, 89, 100 ff. 7 BAG v. 16.6.1987 – 1 ABR 41/85, NZA 1987, 671 Rz. 29.
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Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG | Rz. 25.248 § 25
alplanpflicht wird also allein hierdurch noch nicht ausgelöst. Hier greift zunächst einmal der Schutz durch § 613a BGB1.
4. Gestaltungsspielraum im Sozialplan a) Zweck von Sozialplanleistungen Durch den Sozialplan soll versucht werden, wirtschaftliche Nachteile, die Arbeitnehmer infolge der geplanten Betriebsänderung hinnehmen müssen, auszugleichen oder zu mildern (§ 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Sozialplanabfindungen stellen insoweit einen unmittelbaren wirtschaftlichen Ausgleich bzw. Teilausgleich dar. Ob dabei an den tatsächlichen Nachteilen angeknüpft wird oder ob pauschale Festbeträge vereinbart werden, spielt keine Rolle. Denkbar ist auch, dass die Nachteile typisiert nach Maßgabe eines bestimmten Punkteschemas ausgeglichen werden2.
25.246
Sozialplanabfindungen dienen aber nur zum Ausgleich oder zur Milderung zukünftig zu erwartender Nachteile. Insoweit haben sie eine Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion bis zur Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses oder bis zum Bezug der gesetzlichen Altersrente3.
25.247
Entgegen einer zum Teil vertretenen Ansicht4 sind sie keine Entschädigung für den Verlust des im Betrieb erworbenen Besitzstandes und keine Belohnung der dem Unternehmen erwiesenen Leistungen oder der in der Vergangenheit erwiesenen Betriebszugehörigkeit5. Insoweit kann neben dem Alter, etwaigen Unterhaltspflichten, Kenntnissen, Fähigkeiten und der jeweiligen Ausbildung, der Arbeitsmarktsituation, dem örtlichen Bezug des Arbeitnehmers und sonstigen Nachteilen aus der Betriebsänderung zwar auch die Betriebszugehörigkeit bei der Berechnung von Sozialplanabfindungen Berücksichtigung finden (vgl. dazu Rz. 25.336). Entsprechende Klauseln sind in der Praxis üblich und trotz der zukunftsbezogenen Ausgleichsfunktion des Sozialplans auch zulässig. Denn es liegt nach zutreffender Ansicht des BAG innerhalb des Beurteilungsspielraums der Betriebsparteien, durch die Anknüpfung an die Betriebszugehörigkeit typisierend davon auszugehen, dass sich mit der Dauer der Betriebszugehörigkeit die Qualifikation des Arbeitnehmers zunehmend auf die spezifischen Bedürfnisse des bisherigen Beschäftigungsbetriebs verengt und damit seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt abnehmen6. Arbeitgeber und Betriebsrat sind allerdings ebenso berechtigt, ganz oder teilweise von einer Berücksichtigung der erwiesenen Betriebszugehörigkeit bei der Berech-
25.248
1 BAG v. 16.6.1987 – 1 ABR 41/85, NZA 1987, 671 Rz. 28; BAG v. 25.1.2000 – 1 ABR 1/99, NZA 2000, 1069 ff. 2 Vgl. eingehend Thannheiser, AiB 2000, 460 ff. 3 BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 102/13, NZA 2015, 365 Rz. 23; BAG v. 20.1.2009 – 1 AZR 740/07, NZA 2009, 495 Rz. 23; Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 122; Gaul, DB 2004, 1498. 4 Vgl. BAG GS v. 13.12.1978 – GS 1/77, DB 1979, 261 = AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972, Bl. 5; BAG v. 23.4.1985 – 1 ABR 3/81, DB 1985, 1593 = AP Nr. 26 zu § 112 BetrVG 1972, Bl. 2; sowohl für eine Entschädigungs- als auch Überbrückungsfunktion: BAG v. 23.8.2007 – 10 AZR 719/05, NZA 2007, 1066 Rz. 25. 5 BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 102/13, NZA 2015, 365 Rz. 23; BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 102/13, NZA 2015, 365 ff. m.w.N.; BAG v. 20.1.2009 – 1 AZR 740/07, NZA 2009, 495 Rz. 13; BAG v. 11.11.2008 – 1 AZR 475/07, NZA 2009, 210 Rz. 19; Willemsen, ZIP 1981, 1058, 1059. 6 BAG v. 21.7.2009 – 1 AZR 566/08, NZA 2009, 1107 Rz. 18; BAG v. 13.3.2007 – 1 AZR 262/06, NZA 2008, 190 Rz. 18.
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§ 25 Rz. 25.248 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
nung von Sozialplanabfindungen abzusehen. Entscheidend ist, ob und in welcher Weise nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Nachteile zu erwarten sind1.
25.249
In jedem Fall steht aber bei der Vereinbarung eines Sozialplans das Ziel im Vordergrund, die Voraussetzungen für einen Übergang der von Entlassungen betroffenen Arbeitnehmer aus Arbeit in Arbeit zu fördern2. Mit den Vorgaben zur Förderung der in einem Sozialplan vorgesehenen Transfermaßnahmen und den Regelungen zum Transferkurzarbeitergeld in §§ 110, 111 SGB III hat der Gesetzgeber sinnvolle Instrumente geschaffen, die eine Arbeitslosigkeit verhindern sollen3 und von denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen profitieren können (vgl. zur Frage der Erzwingbarkeit einer Transfergesellschaft durch Spruch der Einigungsstelle Rz. 25.374; zu sonstigen Transferregelungen vgl. Rz. 25.304 ff. sowie Rz. 25.315 zu Qualifizierungsregelungen). b) Ermessensgrenzen der betrieblichen Sozialpartner aa) Allgemeine Ermessensgrenzen
25.250
Betriebsvereinbarungen und insbesondere Sozialpläne unterliegen nach ständiger Rechtsprechung einer gerichtlichen Kontrolle. Insbesondere wird überprüft, ob die getroffene Regelung den Grundsätzen von Recht und Billigkeit i.S.d. § 75 BetrVG genügen4. Im Vordergrund steht dabei die Frage, ob der Grundsatz der Gleichbehandlung beachtet wird5. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet sowohl die sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage als auch die sachfremde Differenzierung zwischen Arbeitnehmern in einer bestimmten Ordnung. Unzulässig ist dabei nicht nur eine Missachtung der in § 75 BetrVG ausdrücklich genannten Differenzierungsverbote. So ist eine unterschiedliche Behandlung von Personen wegen ihrer Abstammung, Religion, Nationalität, Herkunft, politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts nicht statthaft.
25.251
Maßgeblich für das Vorliegen eines die Bildung unterschiedlicher Gruppen rechtfertigenden Sachgrunds ist vor allem der mit der Regelung verfolgte Zweck. So dürfen Arbeitnehmer zwar grundsätzlich nicht wegen der Über- oder Unterschreitung bestimmter Altersstufen benachteiligt werden6. Unter Berücksichtigung des Zwecks der Regelung (z.B. Berücksichtigung der Arbeitsmarktchancen und damit typischerweise höhere bzw. geringere Nachteile durch eine zu erwartende Arbeitslosigkeit) kann aber eine Rechtfertigung gesucht werden7 (vgl. zu nach Alter gestaffelten Abfindungen Rz. 25.259). Als willkürlich gilt eine Ungleichbehandlung allgemein dann, wenn sie dazu führt, dass im Wesentlichen gleichliegende Fälle aus unsachlichen oder sachfremden Gründen verschieden behandelt werden. Maßgeblich ist dabei der 1 Vgl. Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 137 m.w.N.; BAG v. 26.3.2013 – 1 AZR 813/11, NZA 2013, 921 Rz. 24; BAG v. 11.11.2008 – 1 AZR 475/07, NZA 2009, 210 Rz. 23. 2 Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rz. 117. 3 Vgl. hierzu auch HWK/Peters-Lange, § 111a SGB III Rz. 1 ff.; Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rz. 117; WHSS/Schweibert, Umstrukturierung, C Rz. 261. 4 BAG v. 30.9.2008 – 1 AZR 684/07, NZA 2009, 386 Rz. 32; BAG v. 5.10.2000 – 1 AZR 48/00, NZA 2001, 849 Rz. 56. 5 Gaul/Mückl, ArbRB 2009, 45; eingehend Schrader, DB 1997, 1714 ff. 6 Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 145; BAG v. 19.10.1999 – 1 AZR 838/98, NZA 2000, 732 Rz. 27; Hessisches LAG v. 23.10.2007 – 4/11 Sa 2089/06, n.v. Rz. 48. 7 BAG v. 26.5.2009 – 1 AZR 212/08, n.v. Rz. 12; BAG v. 5.10.2000 – 1 AZR 48/00, NZA 2001, 849 Rz. 58.
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Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG | Rz. 25.254 § 25
Zweck der in Rede stehenden Leistungen1. Es kommt damit darauf an, ob die benachteiligten Arbeitnehmer dieselben Gründe für sich in Anspruch nehmen können, die für die Leistung an die begünstigten Arbeitnehmer maßgeblich sind2. Vor diesem Hintergrund ist es z.B. zulässig, eine Teilzeitbeschäftigung bei der Gewährung von Sozialplanabfindungen anteilig anspruchsmindernd zu berücksichtigen3. Allerdings ist durch einen geeigneten Bezugszeitraum sicherzustellen, dass Teilzeitbeschäftigte nicht wegen der Teilzeit oder mittelbar wegen des Geschlechts benachteiligt werden4.
25.252
Wichtig ist insoweit zweierlei: Einerseits sind Arbeitnehmer zwar auch dann in die Überlegungen zur Gleichbehandlung einzubeziehen, wenn ihr Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Vereinbarung des Sozialplans bereits beendet wurde. Wenn die Entlassung im Rahmen der Betriebsänderung erfolgt ist, die durch den Sozialplan erfasst werden soll, ist eine Schlechterstellung der bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmer nur aus sachlichem Grund zulässig5. Damit sind grundsätzlich auch solche Arbeitnehmer einzubeziehen, die aufgrund eines arbeitgeberseitig veranlassten Aufhebungsvertrags bzw. einer derart veranlassten Eigenkündigung im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung ausscheiden (vgl. Rz. 25.282)6, wobei richtigerweise davon auszugehen ist, dass der Arbeitnehmer in einem solchen Fall hinreichend konkret dazu vorgetragen muss, auf Grund welcher Darstellungen des Arbeitgebers bei ihm die berechtigte Annahme hervorgerufen wurde, ihm drohe eine betriebsbedingte Kündigung7.
25.253
Andererseits sind die betrieblichen Sozialpartner, wie das BAG im Urteil vom 7.5.20198 nochmals bestätigt hat, in ihrer Entscheidung grundsätzlich frei, welche Nachteile der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer in welchem Umfang ausgeglichen oder gemildert werden sollen. Arbeitgeber und Betriebsrat können hierbei von einem generellen Ausgleich etwaiger Nachteile absehen und im Rahmen des Sozialplans nach der Vermeidbarkeit der Nachteile unterscheiden9. Es müssen nicht alle denkbaren Nachteile entschädigt werden. Insoweit können einzelne Arbeitnehmer auch gänzlich von Leistungen des Sozialplans ausgenommen werden10. Ebenso wenig bestehe eine Verpflichtung, alle denkbaren Nachteile zu entschädigen. Hiervon ausgehend sei der durch die Einigungsstelle festgesetzte Sozialplan auch nicht allein deswegen ermessensfehlerhaft, weil er nicht sämtliche der mit der Betriebs-
25.254
1 BAG v. 26.5.2009 – 1 AZR 198/08, NZA 2009, 849 Rz. 23; BAG v. 20.1.2009 – 1 AZR 740/07, NZA 2009, 495 Rz. 12; Hohenstatt, NZA 2016, 1446 ff. 2 BAG v. 23.1.2001 – 1 AZR 235/00, NZA 2001, 849 Rz. 59. 3 BAG v. 14.8.2001 – 1 AZR 760/00, NZA 2002, 451 Rz. 26; BAG v. 13.2.2007 – 9 AZR 729/05, NZA 2007, 860 ff. 4 BAG v. 24.5.2018 – 6 AZR 215/17 – NZA 2015, NZA 2015, 306. 5 BAG v. 11.2.1998 – 10 AZR 22/97, NZA 1998, 895 Rz. 27. 6 Vgl. BAG v. 19.2.2008 – 1 AZR 1004/06, NZA 2008, 719 Rz. 26; BAG v. 19.7.1995 – 10 AZR 885/ 94, NZA 1996, 271 Rz. 40; LAG Nürnberg 27.10.2020 – 7 Sa 157/20 Rz. 60; LAG Köln v. 12.1.2001 – 11 (10) Sa 866/00, NZA-RR 2001, 372 Rz. 23; DKW/Däubler, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 89; Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rz. 76. 7 LAG Nürnberg v. 27.10.2020 – 7 Sa 157/20 Rz. 5f ff. 8 BAG v. 26.3.2013 – 1 AZR 813/11, NZA 2013, 921 Rz. 33; BAG v. 11.11.2008 – 1 AZR 475/07, NZA 2009, 210 Rz. 23; bestätigt durch BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 102/13, NZA 2015, 365 Rz. 23. 9 BAG v. 7.5.2019 – 1 ABR 54/17, NZA 2019, 1295 Rz. 20 f.; BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 102/13, NZA 2015, 365 Rz. 23; BAG v. 30.9.2008 – 1 AZR 684/07, NZA 2009, 386 Rz. 32; Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rz. 101; Schrader, DB 1997, 1714, 1719. 10 BAG v. 31.7.1996 – 10 AZR 45/96, NZA 1997, 165 Rz. 20; Gaul/Schmidt DB 2014, 300 m.w.N.
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§ 25 Rz. 25.254 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
änderung verbundenen Nachteile der Arbeitnehmer vollständig ausgleiche, obwohl dies dem Unternehmen wirtschaftlich möglich wäre. Allerdings dürfe er nicht den Normzweck des § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG verfehlen, nachdem die wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer jedenfalls gemildert werden müssten1. Eine feste Grenze, die durch Spruch der Einigungsstelle in Bezug auf einen Sozialplan als Untergrenze erreicht werden müsse, besteht nicht. Vielmehr muss diese Untergrenze – so das BAG – mit Rücksicht auf die Verhältnisse im Einzelfall – insbesondere das Gewicht der die Arbeitnehmer treffenden Nachteile – festgestellt werden (vgl. zu einer Ober- bzw. Untergrenze des Sozialplans bei Festlegungen durch Spruch der Einigungsstelle Rz. 25.336 ff.)2.
25.255
So ist es nicht zu beanstanden, wenn die Betriebsparteien in einem Sozialplan die Reduzierung oder gar den völligen Ausschluss von Leistungen bei den Arbeitnehmern vorsehen, die eine vorgezogene gesetzliche Altersrente in Anspruch nehmen können, soweit es sich nicht um eine vorgezogene gesetzliche Altersrente aufgrund einer Schwerbehinderung handelt (vgl. dazu nachstehend Rz. 25.258). Schließlich soll vor allem bei einer Begrenzung des Sozialplanvolumens versucht werden, den betroffenen Arbeitnehmern eine verteilungsgerechte Überbrückungshilfe zu gewähren3.
25.256
Die Unwirksamkeit einer Sozialplanregelung kann sich, wenn sie durch Spruch der Einigungsstelle getroffen wird, auch daraus ergeben, dass sie den Umfang der erzwingbaren Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats verkennt. Denn der Einigungsstelle ist es verwehrt, gegen den Willen des Arbeitgebers Regelungen über einen Gegenstand zu treffen, der nicht der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats unterfällt4.
25.257
Zur wirtschaftlichen Vertretbarkeit des Sozialplanvolumens als Ermessengrenze sowie Besonderheiten im Konzern vgl. Rz. 25.336). bb) Begrenzung durch Diskriminierungsverbote der §§ 1, 7 AGG
25.258
Neben den Vorgaben, die sich aus der Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ergeben sind bei Abschluss eines Sozialplans auch die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)5 zu beachten. Nach § 7 Abs. 1 AGG ist die Benachteiligung von Beschäftigten wegen eines der in § 1 AGG genannten Gründe verboten. Das gilt für Benachteiligungen wegen der Rasse, der ethischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität. Diese Kriterien decken sich weitestgehend mit den Verboten des § 75 Abs. 1 BetrVG (vgl. dazu vorstehend Rz. 25.250). Der Begriff der Benachteiligung bestimmt sich nach § 3 AGG. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Regelungen, die zu einer entsprechenden Benachteiligung von Beschäftigten führen und damit gegen das Diskriminie-
1 Ebenso BAG v. 24.8.2004 – 1 ABR 23/03, NZA 2005, 302 Rz. 27 2 BAG v. 7.5.2019 – 1 ABR 54/17, NZA 2019, 1295 Rz. 21; BAG v. 24.8.2004 – 1 ABR 23/03, NZA 2005, 302 Rz. 30 3 BAG v. 30.9.2008 – 1 AZR 684/07, NZA 2009, 386 Rz. 38; BAG v. 19.7.1995 – 10 AZR 885/94, NZA 1997, 165 Rz. 20. 4 BAG v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997–1001. 5 In Kraft getreten zum 18.8.2006, BGBl. I S. 1897.
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Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG | Rz. 25.261 § 25
rungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstoßen, sind nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Das schließt auch Kollektivvereinbarungen ein1. § 10 AGG benennt ausdrücklich das Lebensalter sowie in diesem Zusammenhang auch die Betriebszugehörigkeit und die Rentennähe als Anknüpfungspunkte für Regelungen in Sozialplänen, bei denen eine Differenzierung gerechtfertigt sein kann. Ungeachtet der Regelung in § 8 AGG ist danach eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist (§ 10 Satz 1 AGG). Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein (§ 10 Satz 2 AGG). Derartige unterschiedliche Behandlungen können insbesondere die in Satz 3 des § 10 AGG genannten Umstände einschließen. So sind gemäß § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG Differenzierungen von Leistungen in Sozialplänen i.S.d. Betriebsverfassungsgesetzes zulässig, wenn die Parteien eine nach Alter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung geschaffen haben, in der die wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters erkennbar berücksichtigt worden sind, oder Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausgeschlossen haben, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind2.
25.259
Die hiernach grundsätzlich bestehende Zulässigkeit der in § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG genannten Maßnahmen macht allerdings eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall nicht entbehrlich. Dies folgt bereits aus § 10 Satz 2 AGG, der nach den Feststellungen des BAG alle Mittel zur Verfolgung legitimer Zwecke gleichermaßen unterwirft3. Die zur Rechtfertigung einer solchen Ungleichbehandlung herangezogenen Tatsachen und Erwägungen müssen zudem einer Nachprüfung zugänglich sein. Bloße Vermutungen und Einschätzungen genügen nicht4. Außerdem ist eine Abwägung zwischen dem Schutz vor Ungleichbehandlung und dem verfolgten Ziel vorzunehmen. Die Ungleichbehandlung muss durch das verfolgte Ziel sachlich gerechtfertigt sein. Zudem müssen die eingesetzten Mittel zur Erreichung des Ziels verhältnismäßig sein5 und die von den Parteien vereinbarte Regelung geeignet sein, das verfolgte Ziel tatsächlich zu erreichen6.
25.260
Regelungen in Sozialplänen, die bei Ansprüchen auf eine Betriebsrente einen generellen Anspruchsausschluss vorsehen, sind aufgrund der darin liegenden Altersdiskriminierung unwirksam. Dies hat der EuGH in seinem Urteil vom 19.4.20167 klargestellt. Ein Anspruch auf eine Betriebsrente genügt damit nicht, um einen Arbeitnehmer von der Zahlung einer Abfindung wegen der betriebsbedingten Beendigung eines Arbeitsverhältnisses auszunehmen. In dem zugrundeliegenden Fall war der Kläger im Alter von 60 Jahren betriebsbedingt aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden und hatte eine Anschlussbeschäftigung aufgenommen. Da er zu diesem Zeitpunkt mehr als 25 Jahre im Dienst des Arbeitgebers gestanden hatte, bestimmte
25.261
1 Vgl. zur Unzulässigkeit tariflicher Höchstaltersgrenzen für Piloten BAG v. 8.12.2010 – 7 ABR 98/ 09, NZA 2011, 751 ff. 2 EuGH v. 6.12.2012 – C-152/11 – Odar Rz. 54, NZA 2012, 1435; BVerfG v. 25.3.2015 NZA 2015, 1248; BAG v. 23.3.2010 NZA 2010, 774; BAG v. 12.4.2011 NZA 2011, 985; BAG v. 26.3.2013 – 1 AZR 813/11, NZA 2013, 921 ff.; ErfK/Schlachter, § 10 AGG Rz. 16. 3 Vgl. ErfK/Schlachter, § 10 AGG Rz. 6. 4 Vgl. BAG v. 22.1.2009 – 8 AZR 906/07, NZA 2009, 945 Rz. 55 m.w.N. 5 Vgl. BAG v. 22.1.2009 – 8 AZR 906/07, NZA 2009, 945 Rz. 55 m.w.N. 6 BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 102/13, NZA 15, 365, 367 Rz. 25. 7 EuGH v. 19.4.2016 – C-441/14, NZA 2016, 537 Rz. 21 ff., 27 – Dansk Industri.
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§ 25 Rz. 25.261 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
das insoweit maßgebliche dänische Gesetz an sich, dass ihm eine Entlassungsabfindung in Höhe von drei Monatsgehältern gezahlt werden sollte. Die hierzu ergangene Rechtsprechung sah allerdings vor, dass keine Abfindung gezahlt wurde, wenn der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt seines Ausscheidens das 60. Lebensjahr vollendet hatte und Anspruch auf die vom Arbeitgeber nach einem Rentensystem, dem der Arbeitnehmer vor Vollendung des 50. Lebensjahres beigetreten war, geschuldete Altersrente besaß. Nach Auffassung des Gerichts lag in dieser Auslegung und Anwendung des dänischen Gesetzes zur Gewährung einer Entlassungsentschädigung eine unzulässige Altersdiskriminierung. Denn eine Rechtfertigung, dem Kläger diese Unterstützung in Bezug auf den Versuch der Wiederaufnahme seiner beruflichen Tätigkeit vorzuenthalten, war nicht erkennbar. Unerheblich war dabei aus Sicht des Gerichts, ob sich die betroffenen Arbeitnehmer entschieden hatten, auf dem Arbeitsmarkt zu verbleiben oder in Rente zu gehen. Konsequenz dieser Rechtsprechung ist, dass nur die ungekürzte gesetzliche – nicht aber die betriebliche – Altersrente rechtfertigt, einen Ausschluss bzw. die Kürzung von Sozialplanansprüchen vorzusehen.
25.262
Unzulässig sind auch Regelungen in Sozialplänen, die eine an die (vorgezogene) Rentenberechtigung aufgrund einer Schwerbehinderung anknüpfende Pauschalierung der Sozialplanabfindung vorsehen und dadurch zu einer Verringerung der Abfindungsansprüche schwerbehinderter Arbeitnehmer im Vergleich zu den Ansprüchen nicht schwerbehinderter Arbeitnehmer führen. Dies hat das BAG in seinem Urteil vom 17.11.20151 deutlich gemacht. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall war der schwerbehinderte Kläger von einer betriebsbedingten Beendigung seines Arbeitsverhältnisses wegen der Stilllegung einer Betriebsabteilung betroffen. In dem hierzu abgeschlossenen Sozialplan hatten Arbeitgeber und Betriebsrat zwar zunächst einmal eine allgemeine Abfindungsformel vereinbart, nach der sich die Höhe der Abfindung unter Berücksichtigung der Dauer der Betriebszugehörigkeit, des individuellen Monatsentgelts und eines Altersfaktors ergeben sollte. Der maximale Abfindungsbetrag war dabei auf 65.000 € (brutto) begrenzt. Abweichend hiervon hatten die Parteien allerdings vereinbart, dass Mitarbeiter, die aufgrund einer Schwerbehinderung zu Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Rente in Anspruch nehmen können, keinen Anspruch auf Abfindung nach der vereinbarten Faktor-Regelung haben sollten, sondern an Stelle dieser Abfindung eine Abfindung in Höhe von 10.000,00 € brutto sowie einen Zuschlag zur Abfindung in Höhe von 1.000,00 € (brutto) erhalten sollten. Zu Recht hat der Kläger die darin liegende Minderung des Abfindungsanspruchs wegen seiner Schwerbehinderung für unzulässig gehalten. Grundsätzlich verbietet § 75 Abs. 1 BetrVG Vereinbarungen, durch die Arbeitnehmer aufgrund der dort aufgeführten Merkmale benachteiligt werden. Differenziert ein Sozialplan über die Berechnung einer Abfindung zwischen unterschiedlichen Arbeitnehmergruppen, muss deshalb auch hierbei eine Benachteiligung wegen einer Behinderung unterbleiben. Maßstab sind dabei die Grundsätze, wie sie zur Benachteiligung in § 3 AGG bestimmt werden. Hiervon ausgehend enthält die in einem Sozialplan getroffene Sonderregelung für schwerbehinderte Arbeitnehmer, die unmittelbar an das Merkmal der Schwerbehinderung geknüpft ist und in der Folge zu einer Verringerung der Abfindungszahlung führt, eine unzulässige Benachteiligung. Denn ebenso wie nicht schwerbehinderten Arbeitnehmern verliert er – so das BAG – infolge der Betriebsänderung und dem damit verbundenen Verlust seines Arbeitsplatzes einen Anspruch auf das bisher gewährte Arbeitsentgelt. Er befindet sich damit in Bezug auf seine durch die Betriebsänderung verursachten wirtschaftlichen Nachteile in einer vergleichbaren Situation. Dass er als Folge seiner Schwerbehinderung die Möglichkeit hat, zu ei-
1 BAG v. 17.11.2015 – 1 AZR 938/13, NZA 2016, 501.
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Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG | Rz. 25.266 § 25
nem früheren Zeitpunkt (ungekürzte) gesetzliche Altersrente in Anspruch zu nehmen, ändert daran nichts. Entsprechendes gilt bei Vorruhestandsvereinbarungen. Regelungen über die Laufzeit eines Vorruhestandsverhältnisses in einer Vorruhestandsvereinbarung sind nach der Entscheidung des BAG vom 21.11.20171 insoweit unwirksam, als sie für einen schwerbehinderten Arbeitnehmer, der nach § 236a Abs. 1 Satz 2 SGB VI vorzeitige Altersrente in Anspruch nehmen kann, zu einer gegenüber nicht schwerbehinderten Menschen kürzeren Laufzeit führen. Die Rechtsfolge der unzulässigen Ungleichbehandlung besteht in solchen Fällen nach Ansicht des BAG darin, dass das Vorruhestandsverhältnis wie bei einem vergleichbaren nicht schwerbehinderten Arbeitnehmer fortbesteht. Der finanzielle Vorteil, der einem schwerbehinderten Arbeitnehmer aus dem früheren Rentenbeginn erwächst, rechtfertigt hiernach keine Ungleichbehandlung2.
25.263
Auf die Unzulässigkeit von Abfindungsregelungen, die unmittelbar an die Schwerbehinderung anknüpfen und in der Folge zu einer Verringerung der Abfindungszahlung führen, hatte bereits der EuGH in seinem Urteil vom 6.12.20123 hingewiesen. Rechtsfolge der jetzt geltenden Rechtslage ist, dass ein schwerbehinderter Arbeitnehmer verlangen kann, wie ein nicht schwerbehinderter Arbeitnehmer behandelt zu werden4. Konsequenz daraus war in dem der Entscheidung des BAG vom 17.11.2015 zugrunde liegenden Fall, dass dem Kläger – wie auch den übrigen Mitarbeitern – eine Abfindung nach Maßgabe der allgemeinen Abfindungsformel (für jüngere Arbeitnehmer) gezahlt werden musste.
25.264
Letzteres kann allerdings nicht in jedem Fall verlangt werden. So werden die vorstehenden Grundsätze zwar durch die Entscheidung des BAG vom 16.7.20195 bestätigt. Das BAG hat in diesem Fall jedoch richtigerweise einen Anspruch auf eine Abfindung nach Maßgabe der allgemeinen Abfindungsformel (für jüngerer Arbeitnehmer) abgelehnt. In dem zugrundeliegenden Fall enthielt der Sozialtarifvertrag sowohl Regelungen für Arbeitnehmer, deren Abfindung – entweder ausschließlich oder zumindest wahlweise – in Abhängigkeit von Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Bruttomonatseinkommen zu ermitteln ist, und Arbeitnehmern, deren Abfindung unter Anrechnung von Arbeitslosengeld I und etwaigen Bezügen aus einer Altersversorgung eine 80%ige Nettoabsicherung nach Beendigung der Beschäftigung in der Transfergesellschaft bis zum frühestmöglichen Wechsel in die gesetzliche Rente gewährleisten sollte. Ein solcher in der Praxis üblicher Systemwechsel bei der Berechnung der Abfindung und die damit einhergehende unterschiedliche Behandlung wegen des Alters ist zwar – dies hat das BAG klargestellt – grundsätzlich nach § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG gerechtfertigt. Denn diese Regelungen sollen bei älteren Arbeitnehmern eine stärker an den tatsächlich durch den bevorstehenden Arbeitsplatzverlust und eine darauf zurückgehende Arbeitslosigkeit eintretenden wirtschaftlichen Nachteilen orientierte Berechnung der Sozialplanabfindung ermöglichen.
25.265
Da die konkrete Regelung im zugrundeliegenden Fall allerdings bei dem für die Abfindungsregelung für ältere Arbeitnehmer (60+) maßgeblichen Umfang der Nettoabsicherung auf den Zeitraum bis zum frühestmöglichen Wechsel der Arbeitnehmer in die gesetzliche Rente abstellte, war die Regelung insoweit dennoch unwirksam. Eine solche Regelung enthält nach den
25.266
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BAG v. 21.11.2017 – 9 AZR 141/17, NZA 2018, 786 ff. BAG v. 21.11.2017 – 9 AZR 141/17, NZA 2018, 786 Rz. 29. EuGH v. 6.12.2012 – C-152/11, NZA 2012, 1435 Rz. 62 – Odar. BAG v. 17.11.2015 – 1 AZR 938/13, NZA 2016, 501 Rz. 34. BAG v. 16.7.2019 – 1 AZR 842/16, NZA 2019, 1432.
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§ 25 Rz. 25.266 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
Feststellungen des BAG eine mittelbar auf dem Kriterium der Behinderung beruhende Ungleichbehandlung. Denn Schwerbehinderte können nach § 236a Abs. 1 Satz 2 SGB VI bereits mit 60 Jahren eine vorgezogene Altersrente in Anspruch nehmen, während dies für nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer frühestens mit Vollendung des 63. Lebensjahrs möglich ist – sofern sie die Voraussetzungen einer Altersrente für langjährig Versicherte nach § 236 Abs. 1 Satz 2 SGB VI erfüllen. Daher fällt ihre Nettoabsicherung und damit ihre Bruttoabfindung nach dieser Regelung typischerweise niedriger aus als dies bei älteren Arbeitnehmern ohne Schwerbehinderung der Fall ist. Die durch diese Regelung bedingte Benachteiligung Schwerbehinderter ist – so das BAG – nicht gerechtfertigt, da sie über das zur Erreichung eines legitimen Ziels Erforderliche hinausgeht. Durch das undifferenzierte Abstellen auf den „frühestmöglichen Wechsel“ in die gesetzliche Rente wird die durch dieses neutrale Kriterium bewirkte Ungleichbehandlung zum einen nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt, die nichts mit der Behinderung zu tun haben. Zum anderen führt dieses Tatbestandsmerkmal zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der schwerbehinderten Arbeitnehmer, da die Betriebsparteien damit zur Begrenzung der Höhe der diesen Arbeitnehmern zu zahlenden Abfindung an einen sozialversicherungsrechtlichen Vorteil anknüpfen, der gerade den Schwierigkeiten und den besonderen Risiken Rechnung tragen soll, mit denen schwerbehinderte Arbeitnehmer konfrontiert sind1.
25.267
Die Regelungen des Sozialtarifvertrags waren in der Konsequenz so anzuwenden wie sie für vergleichbare nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer gegolten hätten. Damit rechtfertigte die mittelbare Diskriminierung Schwerbehinderter nicht die – von den Vorinstanzen zugesprochene – Zahlung einer nach den für jüngere Arbeitnehmer berechneten Abfindung auf Basis der allgemeinen Abfindungsformel, sondern nur einer Abfindung, bei deren Berechnung der frühestmögliche Renteneintritt zugrunde zu legen ist, der für den Kläger gälte, wenn er nicht schwerbehindert wäre. Diesen Umfang der "Anpassung nach oben" hat das BAG in seiner Entscheidung vom 28.7.2020 bestätigt und zugleich klargestellt, dass die vorstehenden Grundsätze auch für Entscheidungen durch die Einigungsstelle gelten2. Soweit insofern durch die Ausführungen des EuGH in früheren Entscheidungen wie etwa der Andersen-Entscheidung des EuGH vom 12.10.20103 Unsicherheit in Bezug auf diesen Punkt verblieben war, sind diese Unsicherheiten nun beseitigt.
25.268
Wichtig ist daher für die Praxis, das vorstehende Differenzierungsverbot bei der Ausgestaltung betrieblicher Sozialplanregelungen zu berücksichtigen. Wenn und soweit Sozialplanregelungen Ausschlusstatbestände oder Kürzungsregelungen enthalten, die an die Möglichkeit einer Inanspruchnahme von (ungekürzter) gesetzlicher Altersrente anknüpfen, ist dies zwar mit Blick auf die Regelaltersrente, die Altersrente langjährig Versicherter oder die Altersrente besonders langjährig Versicherter zulässig. Klarstellend sollte in entsprechenden Sozialplanregelungen allerdings festgehalten werden, dass eine Altersrente wegen Schwerbehinderung in diesem Zusammenhang keine Berücksichtigung findet.
25.269
Während das BAG in einer Entscheidung vom 12.3.1997 festgestellt hat, dass Arbeitgeber und Betriebsrat aus Gründen der Praktikabilität einen Kinderzuschlag davon abhängig machen
1 BAG v. 16.7.2019 – 1 AZR 842/16, NZA 2019, 1432. 2 BAG v. 28.7.2020 – 1 AZR 590/18 Rz. 11 ff, 22 ff. 3 EuGH v. 12.10.2010 – C-499/08, NZA 2010, 1341 – Andersen; vgl. auch EuGH v. 26.2.2015 – C-515/13, NZA 2015, 473 – Landin; EuGH v. 1.10.2015 – C-432/14, NZA 2015, 1309 – Sarl.
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Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG | Rz. 25.271 § 25
dürfen, dass für das Kind ein Kinderfreibetrag auf der Lohnsteuerkarte eingetragen ist1, sind solche Regelungen nach Ansicht des Hessischen LAG in seiner Entscheidung vom 28.10.2020 unzulässig2. Das Interesse der Betriebsparteien daran, im Vorfeld zu wissen, wie viele Arbeitnehmer in den Genuss des Kinderzuschlags kommen, sei – so das LAG – zwar grundsätzlich legitim. Es sei aber unklar, ob man hierfür an den Kinderfreibetrag anknüpfen müsse. Ebenso gut sei es möglich, die Zahl der Arbeitnehmer mit unterhaltsberechtigten Kindern auf andere Art und Weise zu ermitteln oder notfalls zu schätzen. Die Anknüpfung an den Kinderfreibetrag wertete das Hessische LAG in der Folge als eine verbotene mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts (§§ 1, 3 AGG und § 75 BetrVG). Zwar sei eine Sozialplanklausel, die den Kinderzuschlag von einem Kinderfreibetrag abhängig mache, ihrem Wortlaut nach eine neutrale Vorschrift, die für Männer ebenso wie für Frauen gelte. In der Praxis benachteilige sie aber fast ausschließlich Frauen, weil es weit überwiegend Frauen seien, die die Lohnsteuerklasse V wählten, bei der es keinen Kinderfreibetrag gebe. Deshalb seien es fast ausschließlich Frauen, denen der Kinderzuschlag allein wegen der Wahl einer ungünstigen Steuerklasse vorenthalten werde. Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt, so das abzuwarten ist, ob das BAG an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält. Vorsorglich empfiehlt es sich in der Praxis, ergänzend die Möglichkeit vorzusehen, etwaige dort nicht oder unrichtig erfasste Kinder innerhalb einer bestimmten Frist nachzumelden. Ebenfalls unzulässig sind Regelungen in Sozialplänen, die eine Bestimmung der Höhe einer Sozialplanabfindung unter Berücksichtigung von Betriebszugehörigkeitszeiten vorsieht, durch die eine Ausgrenzung der Elternzeit erfolgt3. Problematisch wird es zudem, wenn die Sozialplanabfindung die Höhe des Arbeitsentgeltanspruchs bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses berücksichtigt und der hiervon betroffene Arbeitnehmer eine Teilzeitbeschäftigung während der Elternzeit ausübt. Bereits mit Urteil vom 22.10.20094 hatte der EuGH deutlich gemacht, dass ein Verstoß gegen die Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub, die im Anhang der Richtlinie 96/34/EG zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub in der durch die Richtlinie 97/75/EG geänderten Fassung enthalten ist, vorliegt, wenn die wegen einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlte Entschädigung als Folge der während der Elternzeit wahrgenommenen Teilzeitbeschäftigung reduziert wird. Lediglich dann, wenn die betrieblichen Sozialpartner in Bezug auf die Höhe des für die Sozialplanabfindung maßgeblichen Entgelts einen Bezugszeitraum bestimmen, der deutlich über die Dauer der Elternzeit hinausgeht (hier: fünf Jahre), war eine Berücksichtigung der Teilzeitbeschäftigung bei der Festsetzung einer Sozialplanabfindung bislang für zulässig gehalten worden. Auf den Grund oder Anlass der Teilzeitbeschäftigung komme es – so das BAG im Urteil vom 22.9.20095 – nicht an.
25.270
Unter Berücksichtigung der Feststellungen des EuGH im Urteil vom 27.2.20146 dürfte nun allerdings im Zweifel nur noch ein geringer Gestaltungsspielraum bei Elternzeitlern anzuerkennen sein. Hiervon ist zutreffend auch das BAG ausgegangen7. So steht es nach den Fest-
25.271
1 BAG v. 12.3.1997 – 10 AZR 648/96 Rz. 20 ff., NZA 1997, 1058; ebenso LAG Nürnberg v. 18.8.20207 – Sa 354/19 Rz. 34. 2 Hessisches LAG v. 18.10.2020 – 18 Sa 22/20. 3 BAG v. 20.4.2010 – 3 AZR 370/08, NZA 2010, 2734 Rz. 33; BAG v. 12.11.2002 – 1 AZR 58/02, DB 2003, 1635 Rz. 20. 4 EuGH v. 22.10.2009 – C-116/08, NZA 2010, 129 Rz. 34 – Meerts. 5 BAG v. 22.9.2009 – 1 AZR 316/08, DB 2009, 2664 Rz. 20 6 EuGH v. 27.2.2014 – C-588/12, NZA 2014, 359 Rz. 39 f., 47 f. – Lyreco Belgium. 7 BAG v. 5.5.2015 – 1 AZR 826/13, ArbR 2015, 479.
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§ 25 Rz. 25.271 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
stellungen des EuGH im Widerspruch zu der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub im Anhang der Richtlinie 96/34/EG zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub in der durch die Richtlinie 97/75/EG geänderten Fassung, wenn eine Entschädigung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Arbeitnehmern, die während der Elternzeit eine Teilzeitbeschäftigung wahrnehmen, auf der Grundlage des gekürzten Gehalts berechnet wird. Denn damit würden solche Arbeitnehmer schlechter behandelt als Arbeitnehmer, die während der Elternzeit gar keiner Beschäftigung nachgehen, da in einem solchen Fall im Zweifel auf die Vollzeitbeschäftigung abgestellt wird, die vor der Elternzeit ausgeübt wurde. In den Gründen seiner Entscheidung verweist der EuGH auf den Umstand, dass die Richtlinie nicht nur den Arbeitnehmer in Teilzeitbeschäftigung in Bezug auf den Bestand seines Arbeitsverhältnisses schützen wolle. Durch die Richtlinie soll gerade die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefördert werden, das gilt insbesondere für die Regelungen über die Möglichkeit einer Reduzierung der Arbeitszeit während der Elternzeit. Eine Minderung einer Abfindung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses könnte Arbeitnehmer daran hindern, Elternzeit in Anspruch zu nehmen, falls deshalb eine Minderung etwaiger Abfindungen wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Elternzeit droht. Der soziale Schutz von Arbeitnehmern in Elternzeit würde damit verfehlt. Dass dieser Schutzzweck eine unterschiedliche Behandlung von Teilzeitbeschäftigten und Elternzeitbeschäftigten rechtfertigen kann, hat auch das BAG in seinem Urteil vom 5.5.2015 festgehalten1.
25.272
Hiervon ausgehend wird man in der Praxis wohl davon ausgehen müssen, dass es generell unzulässig ist, bei der Berechnung der Sozialplanabfindung an das Teilzeitarbeitsentgelt anzuknüpfen, wenn diese Teilzeitbeschäftigung nur während der Elternzeit ausgeübt wird. Solche Regelungen stehen im Widerspruch zu den vorrangigen Vorgaben in der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub. Hier sollte die bisherige Regelung um den Zusatz ergänzt werden, dass bei einer Beendigung während der Elternzeit generell auf das Arbeitsentgelt vor der Elternzeit abgestellt wird. cc) Begrenzung durch § 112 Abs. 5 BetrVG
25.273
Eine über § 75 BetrVG hinausgehende betriebsverfassungsrechtliche Regelung, die konkrete Vorgaben für die Ausübung des Ermessens der betrieblichen Sozialpartner enthält, findet sich letztlich nur in § 112 Abs. 5 BetrVG. Danach hat die Einigungsstelle bei ihrer Entscheidung über die Aufstellung eines Sozialplans sowohl die sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen als auch auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit ihrer Entscheidung für das Unternehmen zu achten. Wichtig dabei ist, dass sich der Ausgleichs- und Milderungsbedarf ausschließlich nach den Nachteilen bemisst, die den betroffenen Arbeitnehmern entstehen und nicht nach der Wirtschaftskraft des Unternehmens (vgl. Rz. 25.336). Der wirtschaftlichen Vertretbarkeit des Sozialplans für den Arbeitgeber kommt – wie § 112 Abs. 5 Satz 1 BetrVG zeigt – lediglich eine Korrekturfunktion zu2 (vgl. dazu ausführlich Rz. 25.336 ff.).
25.274
Bei ihrer Entscheidung muss die Einigungsstelle sich im Rahmen billigen Ermessens nach § 112 Abs. 5 Satz 2 BetrVG insbesondere von folgenden Grundsätzen leiten lassen: 1. Sie soll beim Ausgleich oder bei der Milderung wirtschaftlicher Nachteile, insbesondere durch Einkommensminderung, Wegfall von Sonderleistungen oder Verlust von Anwart1 BAG v. 5.5.2015 – 1 AZR 826/13, ArbR 2015, 479. 2 BAG v. 7.5.2019 – 1 ABR 54/17, NZA 2019, 1295 Rz. 19; BAG v. 24.8.2004 – 1 ABR 23/03, NZA 2005, 302 Rz. 31 ff.
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Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG | Rz. 25.277 § 25
schaften auf betriebliche Altersversorgung, Umzugskosten oder erhöhte Fahrtkosten, Leistungen vorsehen, die in der Regel den Gegebenheiten des Einzelfalles Rechnung tragen. 2. Sie hat die Aussichten der betroffenen Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen. Sie soll Arbeitnehmer von Leistungen ausschließen, die in einem zumutbaren Arbeitsverhältnis im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens oder eines zum Konzern gehörenden Unternehmens weiterbeschäftigt werden können und die Weiterbeschäftigung ablehnen; die mögliche Weiterbeschäftigung an einem anderen Ort begründet für sich allein nicht die Unzumutbarkeit. 2a.Sie soll insbesondere die im Dritten Buch des Sozialgesetzbuches vorgesehenen Förderungsmöglichkeiten zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit berücksichtigen. 3. Sie hat bei der Bemessung des Gesamtbetrages der Sozialplanleistungen darauf zu achten, dass der Fortbestand des Unternehmens oder die nach Durchführung der Betriebsänderung verbleibenden Arbeitsplätze nicht gefährdet werden. Grundsätzlich gelten die Verpflichtungen des § 112 Abs. 5 BetrVG nur für die Einigungsstelle, wenn ihre Entscheidung die Einigung der Betriebsparteien gemäß § 112 Abs. 4 BetrVG ersetzt. Missachtet die Einigungsstelle die Grundsätze, die in § 112 Abs. 5 BetrVG festgehalten werden, ist der Spruch der Einigungsstelle ermessensfehlerhaft und der Sozialplan anfechtbar.
25.275
Eine ermessenfehlerhafte Entscheidung kann etwa dann anzunehmen sein, wenn die Einigungsstelle unter Außerachtlassung des Gebots der Berücksichtigung der Gegebenheiten des Einzelfalles pauschal für alle infolge einer Betriebsänderung entlassenen Arbeitnehmer ohne Unterschied Abfindungen festsetzt, deren Höhe sich allein nach dem Monatseinkommen und der Dauer der Betriebszugehörigkeit bemisst. Dies hat das BAG in einem Fall bejaht, in dem die Einigungsstelle pauschal für jeden Beschäftigten, dessen Arbeitsverhältnis wegen der Rationalisierungsmaßnahme aufgelöst wurde, eine Abfindung in Höhe von 75 % des Bruttomonatsgehalts pro Beschäftigungsjahr vorgesehen hatte, sie sich also nicht „um den Ausgleich feststellbarer oder zu erwartender materieller Einbußen des Arbeitnehmers“ bemüht hatte1. Nach Ansicht des BAG hätte es insbesondere einer Berücksichtigung des Umstands bedurft, dass die mehr als 30 betroffenen Arbeitnehmer „nach ihrer typischen individuellen Situation, wie z.B. ihrem Lebensalter, den familiären Belastungen, besonderen sozialen Umständen, evtl. besonderen persönlichen Eigenschaften wie Schwerbehinderteneigenschaften, usw.“ unterschiedlich von der Betriebsänderung betroffen seien. Zudem sei zu Unrecht unberücksichtigt geblieben, dass die Mehrzahl der Arbeitnehmer (25 von 32) bereits neue Arbeitsplätze gefunden hatte und die Chancen auf dem Arbeitsmarkt (Nr. 2) mithin gut waren2.
25.276
Die Einigungsstelle muss deshalb grundsätzlich den einzelnen Sonderfall berücksichtigen und insbesondere nach Schwerbehinderung, Alter, familiären Belastungen etc. differenzieren. Allerdings sind pauschalierende Bewertungen der drohenden Nachteile nicht ausgeschlossen. Die Einigungsstelle muss nicht abwarten, bis feststeht, welche Nachteile für die jeweiligen Fallgruppen tatsächlich eingetreten sind. Vielmehr ist es im Interesse einer zügigen Abwicklung des Sozialplans ausreichend, entsprechende Nachteile pauschalierend vorherzusagen3. Entscheidend ist, dass solche Nachteile zu erwarten sind und anhand der Umstände des jeweiligen Falles ermittelt werden (vgl. dazu Rz. 25.336 ff.).
25.277
1 BAG v. 14.9.1994 – 10 ABR 7/94, BAGE 78, 30–39. 2 BAG v. 14.9.1994 – 10 ABR 7/94, BAGE 78, 30–39. 3 Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rz. 151 m.w.N.
Ludwig/A. Otto | 1115
§ 25 Rz. 25.278 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
25.278
Der Umstand, dass die Einigungsstelle nach § 112 Abs. 5 Nr. 2 BetrVG die Aussichten der betroffenen Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen hat, ist ein wichtiger Aspekt, der regelmäßig zu berücksichtigen ist. Wichtig für die betriebliche Praxis ist hierbei, dass bereits nach der gesetzgeberischen Wertung insbesondere Arbeitnehmer von Leistungen ausgeschlossen werden sollen, die in einem zumutbaren Arbeitsverhältnis im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens oder eines zum Konzern gehörenden Unternehmens weiterbeschäftigt werden können und die Weiterbeschäftigung ablehnen. Die mögliche Weiterbeschäftigung an einem anderen Ort begründet – dies wird von den zuständigen Betriebsräten in der Praxis häufig anders gesehen – nach der gesetzgeberischen Wertung für sich allein gerade nicht die Unzumutbarkeit (§ 112 Abs. 5 Nr. 2 BetrVG). Diese Vorgaben beziehen sich zum einen auf Arbeitnehmer, die infolge einer Betriebsänderung ihren Arbeitsplatz verlieren und keinen zumutbaren Arbeitsplatz innerhalb des Konzerns angeboten bekommen (Satz 1), zum anderen auf Arbeitnehmer, die zwar im Betrieb, Unternehmen oder Konzern weiterbeschäftigt werden können, dies aber ablehnen (Satz 2; vgl. Rz. 25.290)1. Vor diesem Hintergrund kann, je nach Situation auch die Festsetzung eines Sozialplans „Null“ geboten sein. So wird man – auch wenn das BAG diese Frage bislang offengelassen hat – die Festsetzung von Abfindungen etwa dann, wenn allen Arbeitnehmern eine zumutbare Weiterbeschäftigung im Unternehmen angeboten werden kann, für ermessenfehlerhaft halten müssen. Nachteile, die durch eine Abfindung auszugleichen wären, dürften in einem solchen Fall nicht gegeben sein2.
25.279
Mit der Regelung in § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2a BetrVG, wonach die im Dritten Buch des Sozialgesetzbuches vorgesehenen Förderungsmöglichkeiten zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit zu berücksichtigen sind, wollte der Gesetzgeber zum Ausdruck bringen, dass „der Sozialplan nicht mehr wie bisher als reines Abfindungsinstrument, sondern vorrangig als Mittel für die Schaffung neuer Beschäftigungsperspektiven genutzt werden soll“3. Dafür stünden „der Einigungsstelle, aber auch den Betriebspartnern, eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Verfügung, die von der inner- oder außerbetrieblichen Qualifizierung, der Förderung der Anschlusstätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber bis hin zu Leistungen, die der Vorbereitung einer selbständigen Existenz des Arbeitnehmers dienen, reichen“ (vgl. zu Transferregelungen in Sozialplänen Rz. 25.304, 25.315, 25.374 sowie zu § 97 Abs. 2 BetrVG Rz. 25.585, 25.589)4.
25.280
Die in § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG getroffene Regelung, wonach die Einigungsstelle bei der Bemessung des Gesamtbetrages der Sozialplanleistungen darauf zu achten, dass der Fortbestand des Unternehmens oder die nach Durchführung der Betriebsänderung verbleibenden Arbeitsplätze nicht gefährdet werden, konkretisiert die Regelung in § 112 Abs. 5 Satz1 BetrVG, wonach die Einigungsstelle bei ihrer Entscheidung über die Aufstellung eines Sozialplans sowohl die sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen als auch auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit ihrer Entscheidung für das Unternehmen zu achten (vgl. dazu ausf. Rz. 25.336 ff.).
1 Vgl. ErfK/Kania § 112a BetrVG Rz. 33 f. 2 Vgl. ebenso Ludwig/Hinze, NZA 2020, 1657, 1659; offengelassen in BAG v. 26.5.2009 – 1 ABR 12/ 08, NZA-RR 2009, 588. 3 Begr. RegE BT-Drucks. 14/5741, S. 52. 4 Begr. RegE BT-Drucks. 14/5741, S. 52.
1116 | Ludwig/A. Otto
Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG | Rz. 25.283 § 25
c) Einzelfälle aa) Stichtagsregelungen Die Betriebsparteien können Stichtagsregelungen in Sozialplänen vorsehen. Sie sind häufig in Sozialplänen enthalten und grundsätzlich zulässig1. Erforderlich ist aber, dass die Festlegung des Stichtags und die darin liegende zeitbezogene Differenzierung mit Blick auf den Zweck der Sozialplanabfindung sachlich gerechtfertigt ist, der darin besteht, die durch eine Betriebsänderung den Arbeitnehmern drohenden wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen oder abzumildern2.
25.281
Zulässig können daher insbesondere Regelungen in Sozialplänen sein, die dem Zweck dienen, die Leistungen auf diejenigen Arbeitnehmer zu beschränken, die von der Betriebsänderung betroffen sind und durch diese Nachteile zu besorgen haben3. Folgerichtig können Sozialpläne Stichtagsregelungen für „vorzeitige“ Eigenkündigungen vorsehen. Das wird man zumindest dann annehmen können, wenn sie Ausdruck der typisierenden Betrachtungsweise der Betriebsparteien sind, dass Arbeitnehmer, die frühzeitig (etwa vor Abschluss des Interessenausgleichs) selbst kündigen, typischerweise deswegen kündigen, weil sie beabsichtigen, eine Anschlussbeschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber aufzunehmen und daher geringere oder gar keine wirtschaftlichen Nachteile zu besorgen haben4.
25.282
Soweit der Sozialplan Regelungen für den Fall von Eigenkündigungen vorsieht, bleibt es damit grundsätzlich dabei, dass dann, wenn die Eigenkündigungen vom Arbeitgeber veranlasst wurden, Arbeitnehmer, die solche Eigenkündigungen aussprechen grundsätzlich nicht anders zu behandeln sind, als Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis durch den Arbeitgeber gekündigt worden ist5. Ursache für das Ausscheiden muss die vom Arbeitgeber vorgenommene Betriebsänderung sein. Eine arbeitgeberseitige Veranlassung ist daher dann zu bejahen, wenn der Arbeitgeber bei dem Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einer konkret geplanten Betriebsänderung die berechtigte Annahme hervorgerufen hat, er komme mit der Kündigung bzw. dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags einer sonst notwendig werdenden betriebsbedingten Kündigung nur zuvor6. Die entsprechenden Umstände hat der Arbeitnehmer darzulegen und zu beweisen7. Nicht mehr von einer Betriebsänderung veranlasst ist die Eigenkündigung eines Arbeitnehmers in der Regel dann, wenn der Arbeitgeber die Durchführung einer zunächst beabsichtigten Betriebsänderung vollständig oder jedenfalls hinsichtlich des diesen Arbeitnehmer betreffenden Teils endgültig aufgegeben und den Arbeitnehmer hiervon in Kenntnis gesetzt hat. In einem solchen Fall hat der Arbeitnehmer regelmäßig nicht mehr die wirtschaftlichen Nachteile zu besorgen, die der Sozialplan ausgleichen oder abmildern soll. Dies ist nicht von einer schriftlichen Bekanntgabe abhängig. Ob der Arbeitnehmer befürchten muss, trotz gegenteiliger mündlicher Mitteilung des Arbeitgebers doch noch von der Betriebs-
25.283
1 BAG v. 19.2.2008 – 1 AZR 1004/06, NZA 08, 719 NZA 2008, 719–712; BAG v. 16.10.2996 – 10 AZR 276/96. 2 Vgl. BAG v. 6.11.2007 – 1 AZR 960/06, NZA 2008, 232 Rz. 12; BAG v. 19.2.2008 – 1 AZR 1004/06, NZA 2008, 719 Rz. 25; BAG v. 22.9.2009 – 1 AZR 316/08, DB 2009, 2664 Rz. 24. 3 BAG v. 24.8.2004 – 1 ABR 23/03, BAGE 111, 335, NZA 2005, 302–308. 4 BAG v. 19.2.2008 – 1 AZR 1004/06, NZA 2008, 719. 5 Vgl. etwa BAG v. 29.10.2002 – 1 AZR 80/02, NZA 2003, 879. 6 BAG v. 22.7.2003 – 1 AZR 575/02 7 Vgl. LAG Nürnberg v. 27.10.2020 – 7 Sa 157/20 Rz. 55 ff.
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§ 25 Rz. 25.283 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
änderung betroffen zu sein und seinen Arbeitsplatz zu verlieren, ist vielmehr eine Frage der konkreten Umstände des Einzelfalls1.
25.284
Auch können die Betriebsparteien zur Herstellung von Rechtssicherheit über die Frage, ob eine Eigenkündigung des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber veranlasst war, Regelungen vorsehen, wonach der Arbeitgeber der Kündigung des Arbeitnehmers widersprechen und ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses anbieten kann2.
25.285
Betriebliche Interessen, die personelle Zusammensetzung der Belegschaft bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu sichern (etwa Motivationsprämien), sind nach der Entscheidung des BAG vom 19.2.2008 hingegen grundsätzlich nicht geeignet, Differenzierungen bei der Höhe von Sozialplanabfindungen zu rechtfertigen. Ihnen kann nur durch andere zusätzliche Leistungen im Rahmen freiwilliger Betriebsvereinbarungen Rechnung getragen werden3. bb) Klageverzichtsprämien
25.286
Die Zahlung einer Sozialplanabfindung darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass keine Kündigungsschutzklage erhoben wird bzw. eine bereits erhobene Klage wieder zurück genommen wird4 (sog. Klageverzichtsprämie). Wird eine solche Regelung in einem Sozialplan getroffen, verstößt sie gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 BetrVG5. Denn eine „Bereinigungsfunktion“ zur Herbeiführung von Planungssicherheit kommt einem Sozialplan nicht zu. Er dient nicht dazu, die individualrechtlichen Risiken des Arbeitgebers bei der Durchführung der Betriebsänderung zu reduzieren oder gar zu beseitigen. Wird ein Sozialplan gleichwohl so ausgestaltet, verfehlt er seine Funktion6. Eine derartige Bedingung hat nichts mit den wirtschaftlichen Nachteilen zu tun, die den betroffenen Arbeitnehmern durch die Betriebsänderung entstehen und kann die mit der Gewährung der Prämie einhergehende Ungleichbehandlung daher nicht rechtfertigen. In diesem Fall besteht das Risiko, dass auch Arbeitnehmer, die durch vom Anwendungsbereich der Prämie ausgenommen sind, diese Leistung beanspruchen können.
25.287
Möglich und in der Praxis auch verbreitet ist aber, eine freiwillige Betriebsvereinbarung neben dem Sozialplan abzuschließen, die eine Sonderprämie unter anderem für solche Arbeitnehmer vorsieht, die keine Klage gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses erheben (sog. „Klageverzichtsprämie“)7. Ein solcher Verzicht auf die Kündigungsschutzklage, zu dem die freiwillige Leistung des Arbeitgebers einen Anreiz darstellen soll, dient der raschen Beendigung der mit dem Ausspruch von Kündigungen verbundenen rechtlichen und wirtschaftli-
BAG v. 26.10.2004 – 1 AZR 503/03, NZA 2005, 1264. BAG v. 26.10.2004 – 1 AZR 503/03, NZA 2005, 1264. BAG v. 19.2.2008 – 1 AZR 1004/06, NZA 2008, 719–723. St. Rpsr., vgl. etwa BAG v. 19.7.2016 – 2 AZR 536/15, NZA 2017, 296 Rz. 21; BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 146/13, NZA 2015, 438 Rz. 39; BAG v. 20.12.1983 – 1 AZR 442/82, NZA 1984, 53 Rz. 13; BAG v. 20.6.1985 – 2 AZR 427/84, NZA 1986, 258 Rz. 27. 5 BAG v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997. 6 BAG v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997. 7 Vgl. BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 146/13, NZA 2015, 438 Rz. 39; BAG v. 13.2.2007 – 1 AZR 163/06, NZA 2007, 756 Rz. 169; BAG v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997 Rz. 23; ebenso BAG v. 18.5.2010 – 1 AZR 187/09, NZA 2010, 1304 Rz. 18 f.; BAG v. 8.12.2015 – 1 AZR 595/14, NZA 2016, 767 Rz. 38; Moll/Liebers, § 58 Rz. 84; Annuß, RdA 2006, 378, 380; Gaul/Otto, ArbRB 2005, 344– 347
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Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG | Rz. 25.290 § 25
chen Unsicherheit und – so auch das BAG – der Herstellung von Planungssicherheit und ist daher sachlich gerechtfertigt1. Das Verbot, Sozialplanleistungen von einem entsprechenden Verzicht abhängig zu machen, darf dadurch allerdings nicht umgangen werden2. Eine solche Umgehung kann nach Ansicht des BAG etwa dann vorliegen, wenn der Sozialplan selbst keine „angemessene“ Abmilderung der wirtschaftlichen Nachteile vorsieht3 oder wenn „greifbare Anhaltspunkte“ für die Annahme bestehen, dem „an sich“ für den Sozialplan zur Verfügung stehenden Finanzvolumen seien zum Nachteil der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer Mittel entzogen und funktionswidrig im „Bereinigungsinteresse“ des Arbeitgebers eingesetzt worden4.
25.288
Die Beurteilung der Frage, wann eine solche Umgehung vorliegt, ist nach der Rechtsprechung des BAG eine Einzelfallfrage. Nicht zu beanstanden war nach Ansicht des BAG in dem der Entscheidung vom 31.5.2005 zugrundeliegenden Fall, dass die Betriebsparteien in einer freiwilligen Betriebsvereinbarung den Anspruch auf die Teilnahme an einem Outplacement-Programm oder wahlweise eine Erhöhung der Abfindung um ein Bruttomonatsgehalt, von einem Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig gemacht haben. Dies begründete das BAG, dass Zweck der Betriebsvereinbarung zum einen die weitere Abmilderung von Nachteilen für die gekündigten Arbeitnehmer durch die Möglichkeit der Teilnahme an einem Outplacement-Programm sei, das sie bei ihren Bemühungen um einen neuen Arbeitsplatz unterstützen soll. Diese Möglichkeit an den Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage zu knüpfen, sei sachangemessen, da dies dazu diene, eine sinnvolle, zeitnahe und in ihrer Motivation nicht durch ein Kündigungsschutzverfahren belastete Teilnahme an einem solchen Programm zu gewährleisten. Auch das unabhängig von einer Teilnahme am Outplacement-Programm verfolgte Ziel der Planungssicherheit durch die alsbaldige „Bereinigung“ der mit Kündigungsschutzklagen verbundenen Unsicherheit, sei nicht zu beanstanden. Folge einer Unwirksamkeit der Verzichtsregelung wäre – so das BAG in der Entscheidung von 2005 – nicht, dass der betroffene Arbeitnehmer aus der Betriebsvereinbarung einen Anspruch auf die zusätzliche Abfindung gehabt hätte. Diese nach Ansicht des BAG wäre vielmehr insgesamt als unwirksam anzusehen gewesen, da mit diesem Erfordernis ein zentrales Element der gesamten Betriebsvereinbarung entfallen wäre5. Auch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz lässt sich in einem solchen Fall kein Anspruch auf beide Leistungen ableiten, da kein Anspruch auf Gleichbehandlung im Irrtum bestehe.
25.289
cc) Wegfall der Sozialplanabfindung bei Ablehnung eines zumutbaren Ersatzarbeitsplatzes Bereits aus § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG folgt, dass Arbeitnehmer von Sozialplanleistungen ausgenommen werden können, die in einem zumutbaren Arbeitsverhältnis im selben Betrieb, einem anderen Betrieb des Unternehmens oder eines zum Konzern gehörenden Unter-
1 BAG v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997 2 BAG v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04 Rz. 23, NZA 2005, 997. 3 Vgl. BAG v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997 Rz. 32 unter Verweis auf die Ausführungen des BAG zur „Mindestdotierung“ eines Sozialplans in BAG v. 24.8.2004 – 1 ABR 23/03, NZA 2005, 302. 4 BAG v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997 Rz. 32; vgl. ErfK/Kania, § 112a BetrVG Rz. 23. 5 BAG v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997.
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25.290
§ 25 Rz. 25.290 | Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte
nehmens weiterbeschäftigt werden können und die Weiterbeschäftigung ablehnen1. Dabei begründet die mögliche Weiterbeschäftigung an einem anderen Ort für sich allein nach der ausdrücklichen Regelung in § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG noch keine Unzumutbarkeit.
25.291
Im Hinblick darauf ist es zulässig, im Sozialplan Arbeitnehmer von Abfindungsansprüchen auszuschließen, die einen zumutbaren Ersatzarbeitsplatz im Unternehmen bzw. Konzern ablehnen. Wichtig ist dabei allerdings, dass die Zumutbarkeit, die sich grundsätzlich aus § 242 BGB ergibt, von den betrieblichen Sozialpartnern im Rahmen des Sozialplans definiert wird2. Regelmäßig wird dabei als Voraussetzung der Zumutbarkeit eines Ersatzarbeitsplatzes verlangt, dass er den Kenntnissen und Fähigkeiten des Arbeitnehmers im Wesentlichen entspricht3. Dabei kennzeichnet der Begriff der Kenntnisse das tätigkeitsbezogene Sach- und Erfahrungswissen. Der Begriff der Fähigkeiten umfasst die körperliche und geistige Eignung zur Erfüllung der Anforderungen einer bestimmten Tätigkeit4. Eine solche Kennzeichnung der „Kenntnisse“ und „Fähigkeiten“ hat entscheidende Bedeutung. Sie schließt nach Maßgabe des BAG aus, dass sich der Arbeitnehmer auf persönliche oder familiäre Gründe berufen kann, wenn er den angebotenen Ersatzarbeitsplatz ablehnen will. Ohne Bedeutung ist deshalb – so das BAG – ob der Arbeitnehmer beispielsweise Angehörige zu betreuen hat oder ob er auf öffentliche Verkehrsmittel bei seiner Anfahrt zur Arbeitsstelle angewiesen ist. Dies gelte sogar dann, wenn das Erfordernis einer arbeitstäglichen Bahnfahrt einen Umzug des Arbeitnehmers notwendig mache5. Wenn die betrieblichen Sozialpartner hier Einschränkungen vornehmen wollen, müssen die besonderen Kriterien (z.B. die Entfernung zum neuen Arbeitsort) bei der Kennzeichnung des zumutbaren Ersatzarbeitsplatzes unmittelbar im Sozialplan berücksichtigt werden. Das folgt aus dem gesetzlichen Schriftformerfordernis in § 112 Abs. 1, § 77 Abs. 2 BetrVG.
25.292
Regelmäßig wird darüber hinaus verlangt, dass der Ersatzarbeitsplatz mit dem bisherigen gleichwertig ist. Dies ist insoweit von Bedeutung, als im Rahmen der allgemeinen Zumutbarkeitsabwägung nach § 242 BGB auch solche Arbeitsplätze einbezogen werden könnten, die im Hinblick auf Arbeitszeit und Entgelt als geringwertiger gegenüber der bisherigen Beschäftigung angesehen werden können6. Wenn die betrieblichen Sozialpartner hier eine Klarstellung vornehmen wollen, sollte eine prozentuale Anknüpfung an den bisherigen Lohn bzw. das bisherige Gehalt oder die (tarifvertragliche) Entgeltgruppe vorgenommen werden.
25.293
Denkbar ist auch, dass in die Regelungen des Sozialplans die Grundsätze übernommen werden, die der Gesetzgeber in § 140 SGB III für die Kennzeichnung einer zumutbaren Beschäftigung im Bereich des Arbeitsförderungsrechts niedergelegt hat7. Danach sind zunächst einmal alle der Arbeitsfähigkeit entsprechenden Beschäftigungen zumutbar, soweit allgemeine 1 BAG v. 8.12.2015 – 1 AZR 779/14 Rz. 30; BAG v. 6.11.2007 – 1 AZR 960/06, NZA 2008, 232 Rz. 18; BAG v. 5.2.1997 – 10 AZR 553/96, NZA 1998, 158 Rz. 38; BAG v. 28.9.1988 – 1 ABR 23/87, NZA 89, 186 Rz. 24; Fitting, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 158 m.w.N. 2 Vgl. auch WHSS/Schweibert, Umstrukturierung, C Rz. 298. 3 BAG v. 26.10.1996 – 10 AZR 23/96, NZA 1997, 562. 4 BAG v. 17.11.2016 – 6 AZR 48/16, ZTR 2017, 170 Rz. 46; BAG v. 21.4.2005 – 6 AZR 361/04, ZTR 2006, 36 Rz. 23; BAG v. 18.4.1996 – 6 AZR 607/95, NZA 1997, 553 Rz. 20; BAG v. 26.10.1995 – 6 AZR 928/94, NZA 1996, 547 Rz. 14 ff. 5 BAG v. 26.10.1995 – 6 AZR 928/94, NZA 1996, 547 Rz. 16 ff.; vgl. BAG v. 21.4.2005 – 6 AZR 361/ 04, ZTR 2006, 36 Rz. 23; ebenso: Richardi/Annuß, § 112 BetrVG Rz. 156. 6 BAG v. 21.4.2005 – 6 AZR 361/04, ZTR 2006, 36 Rz. 23; BAG v. 18.4.1996 – 6 AZR 607/95, NZA 1997, 553 Rz. 22. 7 Vgl. Kraushaar, BB 2000, 1622, 1623 zu § 121 SGB III a.F.
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Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG | Rz. 25.296 § 25
oder personenbezogene Gründe der Zumutbarkeit einer Beschäftigung im Einzelfall nicht entgegenstehen. Dabei wird es als zumutbar angesehen, eine Entgeltminderung von bis zu 20 % hinzunehmen (vgl. § 140 Abs. 3 SGB III). Als unverhältnismäßig lang sind nach § 140 Abs. 4 SGB III im Regelfall Pendelzeiten von insgesamt mehr als zweieinhalb Stunden bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden und Pendelzeiten von mehr als zwei Stunden bei einer Arbeitszeit von sechs Stunden und weniger anzusehen. Fehlt dem Sozialplan eine Bezugnahme auf § 140 SGB III, sind die dort zur Zumutbarkeit getroffenen Regelungen unerheblich1. Das folgt bereits aus den unterschiedlichen Normzielen2. Über den Wortlaut von § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG hinaus können bei Regelungen über die Weiterbeschäftigung aber nicht nur Arbeitsplätze bei anderen Konzernunternehmen einbezogen werden. Wie das BAG bereits in seinem Urteil vom 19.6.19963 deutlich gemacht hat, kann ein Sozialplan auch vorsehen, dass Arbeitnehmer keine Abfindung erhalten, wenn sie durch „Vermittlung“ des Arbeitgebers Dritten, d.h. bei nicht konzernmäßig verbundenen Unternehmen einen neuen Arbeitsplatz erhalten. Dabei versteht das BAG als Vermittlung jedes Handeln des Arbeitgebers, das Auswirkungen auf einer Anschlussbeschäftigung zeitigt. Die Unterstützung muss nicht alleinursächlich sein.
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dd) Verknüpfung zwischen Sozialplanabfindung und Aufhebungsvertrag Unzulässig ist es, die Zahlung einer Abfindung in einem Sozialplan im Zusammenhang mit dem Übergang eines Arbeitsverhäl