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German Pages 184 [186] Year 2006
MARIANNE HAAG/BIRGIT ROHLOFF (HRSG.)
ARBEITEN BEI ELSA GINDLER NOTIZEN ELSA GINDLERS UND BERICHTE EINER TEILNEHMERIN
SCHRIFTENREIHE
DER
HEINRICH JACOBY
BAND2/3
MARIANNE HAAG/BIRGIT
ROHLOFF (HRSG.)
ARBEITEN BEI ElSA GINDLER NOTIZEN ELSA GINDLERS UND BERICHTE EINER TEILNEHMERIN
MARIANNE HAAG/BIRGIT ROHLOFF (HRSG.)
ARBEITEN BEI ELSA GINDLER NOTIZEN ELSA GINDLERS UND BERICHTE EINER TEILNEHMERIN MIT EINEM NACHWORT VON MARIANNE HAAG UND MARTIN HOPPE
SCHRIFTENREIHE DER HEINRICH-JACOBY /ElSA-GINDLER-STIFTUNG BAND 2/3
'
HEINRICH JACOBY
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BERLIN 2006
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:/ /dnb.ddb.be abrufbar. ISBN 3-00-019867-9
© Heinrich-Jacoby/Elsa-Gindler-Stiftung, Berlin 2006 Alle Rechte vorbehalten Die Bildrechte wurden unbeschadet der Rechte Dritter genutzt. Trotz größter Sorgfalt konnten die Urheber nicht in allen Fällen ermittelt werden. Es wird gegebenenfalls um Mitteilung gebeten. Redaktion und Produktion: Katrin Oberländer, Köln Gestaltung: Silvia Langhoff, Köln Druck: Z.B.!, Köln
INHALT
FERIENARBEITSGEMEINSCHAFT HINDELANG,
24.8.-12.9.1953
13
FERIENARBEITSGEMEINSCHAFT HINDELANG,
23-8.-11.9.1954
31
FERIENARBEITSGEMEINSCHAFT HINDELANG,
15.8.-3.9.1955
61
FERIENARBEITSGEMEINSCHAFT BERLIN,
29.7.-17.8.1957
81
FERIENARBEITSGEMEINSCHAFT BERLIN,
28-7--16.8.1958
107
FERIENARBEITSGEMEINSCHAFT BERLIN,
13.7.-1.8.1959
129
NACHWORT
155
ÜBER DIE HERAUSGEBERINNEN
165
ABBILDUNGEN
167
BILDNACHWEIS
183
VORWORT i
Eisa Gindler ( 1885-1961) ist vor mehr als 40 Jahren gestorben. Ihre Arbeit hat viele Menschen tief bewegt, doch es sind kaum Zeugnisse erhalten. Nur wenige Teilnehmende ihrer Arbeitsgemeinschaften, die von ihrem Wirken erzählt haben, leben heute noch. Aufzeichnungen, Fotos oder Filmaufnahmen, mit denen Eisa Gindler ihre Arbeit dokumentieren und manches auch sichtbar werden lassen wollte, sind zum überwiegenden Teil im Zweiten Weltkrieg vernichtet worden. Daher stehen heute im Wesentlichen Dokumente aus der Nachkriegszeit zur Verfügung, darunter Notizen Eisa Gindlers zu ihren Kursen sowie Briefe und schriftliche Stellungnahmen von Kursteilnehmenden. Aus diesen Quellen schöpft der vorliegende Band der Schriftenreihe
der Heinrich-Jacoby /Elsa-Gindler-Stiftung,
der zu sechs
Ferienarbeitsgemeinschaften Eisa Gindlers aus den Jahren 1953 bis 1959 Notizen Eisa Gindlers und Berichte und Briefe einer Kursteilnehmerin einander zuordnet. Die Kursteilnehmerin, die hier anonymisierend als A. E. bezeichnet wird, war spät Gymnastiklehrerin geworden. Sie war eine Frau, die sich schon in schwieriger Zeit den an sie gerichteten Forderungen ernsthaft gestellt hatte. Durch Kolleginnen hatte sie von der Arbeit Eisa Gindlers erfahren. Nach dem ersten Kurs 1953 schrieb sie: ,,Ich bin berührt davon, dass es hier um etwas geht, das man nicht machen, das man nur geschehen lassen kann." Es war ein Anfang. Die Berichte zeigen, wie sich ihre Auseinandersetzung entwickelt und in ihrem Leben ausgewirkt hat. Bei der Lektüre lassen sich Etappen eines Erarbeitungsprozesses erleben. Oft berichtet A. E. zuerst von einzelnen Versuchen, das heißt Arbeitsaufgaben Eisa Gindlers. Im weiteren Verlauf fügen sich ihre Erfahrungen zunehmend in zusammenhänge ein und werden dadurch verständlicher. A. E. verändert sich durch ihre Auseinandersetzung und ihre Erfahrungen im Leben, und so eröffnen sich ihr neue Möglichkeiten der Erkenntnis. Was
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sie schreibt, ist nicht stets als „letzte Wahrheit" zu lesen, vielmehr als Stand der jeweils aktuellen Erfahrungen und dessen, wozu sie zum jeweiligen Zeitpunkt Zugang hat. Das Lesen der Berichte mag deshalb zuweilen Verwunderung auslösen oder zu Fragen führen. Wer sich beim Weiterlesen an frühere Aussagen von A. E. erinnert, vergegenwärtige sich, was sie
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inzwischen erfahren hat, was also zu etwa veränderter Sichtweise geführt haben mag. Es wird verständlich, dass Versuche in einzelnen Etappen immer nur das Gewicht haben können, das die vorhandenen Erfahrungen erlauben. Auch wenn A. E. schreibt, dass es ihr (noch) nicht gelinge, etwas zutreffend zu sagen, kann vermutet werden, dass ihr Erfahrungen noch deutlicher werden mussten. Die Berichte zeigen, dass Sichverständigen ein Prozess ist. In dessen Verlauf können auch Umwege, Irrtümer und Missverständnisse gehören. Ihre Aufdeckung fordert zu weiterer Klärung heraus. In Eisa Gindlers Notizen wird spürbar, wie wach sie miterlebt hat, um immer wieder die im Moment weiterführenden Erfahrgelegenheiten zu schaffen. Die vor einer Arbeitsgemeinschaft
erwünschten Berichte über Versuche
und Erfahrungen seit dem letzten gemeinsamen Arbeiten dienten sowohl den Schreibenden als auch Eisa Gindler dazu, eingestellt zu werden auf die gemeinsame Arbeit. In den Arbeitsgemeinschaften wurden Zwischenberichte, ,,Resümees", verabredet, die den Verfassenden Gelegenheit boten, Erfahrenes sich wieder gegenwärtig werden zu lassen, es vielleicht sogar erst nachträglich in seiner Bedeutung zu spüren, mehr zu begreifen. ,,Hat das Resümee ihnen ein bisschen dazu verholfen, dass sie in den Aufgaben der letzten Wochen Fragen erkannt haben, die von morgens bis abends im Alltag akut sind?", notierte Eisa Gindler am 4.8.1958. Für sie waren die Berichte notwendige Hinweise dafür, wie sich die weitere Arbeit gestalten konnte oder sollte. Die ersten drei hier dokumentierten Ferienarbeitsgemeinschaften,
Kurse sind zwei- bis dreiwöchige
die in Hindelang (Allgäu) in der dortigen
Turnhalle stattfanden. Die Teilnehmenden waren also von beruflicher Bean-
spruchung frei. Arbeitszeiten waren zumeist die Vormittagsstunden. Die gemeinsamen Erfahrungen konnten anschließend in jedem weiterwirken, sei es in eigenem weiteren Versuchen, durch „Resümieren" des Erlebten oder auf einem Spaziergang. Die Erfahrungen aller am Nachmittag waren wesentlich für die gemeinsame Weiterarbeit. Gelegentlich regte Eisa Gindler zudem an, dass sich die Teilnehmenden am Nachmittag ohne sie trafen, um einzelnen Fragestellungen miteinander weiter nachzugehen. Das stellte alle Beteiligten vor neue Schwierigkeiten. An Lichtbilderabenden zeigte Eisa Gindler Dias, damit einzelne Fragen noch deutlichere Gestalt annehmen konnten. In den Arbeitsgemeinschaften war es eine wichtige Hilfe zur gemeinsamen Klärung, dass Einzelne versuchten und die andern schauten, was sie dabei erkennen konnten. Das war für die „Probierer'' oft eine Herausforderung. Aber wie A. E. in ihrem Brief an Eisa Gindler am 2.8.1959 schreibt: ,,Ich bin doch sehr froh, dass ich gesprochen habe bzw. dass Sie mich zum Sprechen gebracht haben. Meine Situation ist die gleiche, und doch kann ich sie jetzt besser annehmen, weil sie mir, dank Ihrer Hilfe, Aufgaben stellt." Wie ein Versuch verlaufen war, gab Eisa Gindler auch wichtige Hinweise für die Weiterarbeit. In den Hindelanger Arbeitsgemeinschaften trugen besonders die Teilnehmenden aus Deutschland noch spürbar an den Folgen des Zweiten Weltkriegs. Auch Eisa Gindlers Gesundheit war geschwächt. Gleichwohl hat sie gefreut, dass sich 1954 wieder „eine Gruppe von Menschen [... ]" treffen konnte, ,,die in den letzten Jahren oder im letzten Jahr sich mit unseren Arbeitsproblemen auseinandergesetzt hat" (Notiz vom 23.8.1954). Solche Kontinuität war zuvor nur schwer möglich gewesen. Die späteren Berliner Ferienarbeitsgemeinschaften fanden in Eisa Gindlers Räumen wieder unter stabilisierteren Bedingungen statt. Sie bestanden zumeist aus zwölf Mitarbeitenden. Die Menschen hatten neue Perspektiven gewonnen, und es zeigten sich andere Schwierigkeiten, stellten sich neue Aufgaben.
Eisa Gindlers
Gesundheitszustand
war weiterhin
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geschwächt, doch ihr Arbeiten wurde immer klarer und weiter, blieb voll warmer Anteilnahme und größter Sachlichkeit. Eisa Gindlers Kräfte mobilisierte, wie viel bei den Menschen, mit denen sie arbeitete, im Gange war: „Sie sind bewegt, und ich muss noch daran arbeiten, dass sie sich besser verstehen, damit sie mehr realisieren können." 1 Die hier vorgelegten Notizen Eisa Gindlers lassen auch das Reifen ihrer Arbeit in den letzten Jahren ihres Lebens erfahren. Den lesenden wird durch die Berichte die Arbeit bei Eisa Gindler konkreter, in der Verbindung mit den Kursnotizen bekommt sie deutlichere Gestalt. Weder Eisa Gindler noch A. E. haben beim Schreiben an eine Veröffentlichung gedacht. Dies sollte bei der Lektüre gegenwärtig sein. Manche Fragen bleiben beim Lesen offen, mitunter finden sich im Weiteren Hinweise für eine Antwort. Manchmal wäre es vermessen, eine sich nur ahnungsweise abzeichnende Situation genauer zu definieren. Der vorliegende Band versammelt alle vorhandenen Kursnotizen Eisa Gindlers und Berichte A. E.s aus den Ferienarbeitsgemeinschaften
von 1953
bis 1959. Nicht zu jedem Kurstag sind Notizen und Berichte vorhanden. Die Dokumente sind chronologisch geordnet und entstammen sämtlich dem Archiv der Heinrich-Jacoby /Elsa-Gindler-Stiftung.
Alle Namen von Kurs-
teilnehmenden wurden durch Abkürzungen anonymisiert, in den Berichten A. E.s wurden zur Anonymisierung geringfügige Kürzungen vorgenommen. Die Unterstreichungen finden sich in den Originalen, die Rechtschreibung wurde vereinheitlicht und der neuen deutschen Recht-schreibung angepasst. Notizen Eisa Gindlers sind von Berichten A. E.s durch Unterlegung abgesetzt, Anmerkungen der Herausgeberinnen kursiv gesetzt. Dem dokumentarischen Teil ist ein Nachwort angefügt, das auch auf die Bedeutung der Arbeit Eisa Gindlers für die Gegenwart hinweist. Abbildungen neueren Datums lassen Fragen aus der Arbeit Eisa Gindlers deutlich werden. Der vorliegende Band, der im Rahmen der Schriftenreihe der Heinrich-JacoBrief an Sophie Ludwig, 28.7.1960.Abgedruckt in: Ludwig, Sophie (2002): EisaGindler.Von ihrem Leben und Wirken. Hamburg: Christians, S.80.
by/Elsa-Gindler-Stiftung
erscheint, wendet sich zunächst an diejenigen,
denen die Arbeit Eisa Gindlers zumindest in Grundzügen vertraut ist. Die hier dokumentierte Begegnung mit dem Arbeiten Eisa Gindlers und einer dadurch angeregten Auseinandersetzung
könnte manche Erinnerung
wachrufen und Erfahrenes neu beleuchten. Sie könnte ermutigen, bisher nur schlummernde Fragen nun akut werden zu lassen und sie (wieder) ernst zu nehmen. Die Dokumente laden ein zum eigenen Überprüfen und Erproben. Letzteres erfordern sie sogar, denn die hier zu lesenden Notizen und Berichte erschließen sich tiefer aufgrund von Erfahrenem, das bewusst wird. Es ist aber zudem Hoffnung und Wunsch der Stiftungsorgane und der Herausgeberinnen, dass auch lesende, die nicht über solche Vorerfahrungen verfügen, durch die Lektüre für diese Arbeit interessiert werden. Marianne Haag
Birgit Rohloff
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FERIENARBEITSGEMEINSCHAFT ANMELDUNG A.
HINDELANG,
24.8.-12.9.1953
E.s
2.4.1953 Sehr geehrte Frau Gindler, ich melde mich hiermit zu der Ferienarbeitsgemeinschaft in Hindelang/ Allgäu vom 23. August bis 12. September 1953 an. Ich bin Gymnastiklehrerin. Zwecks Zimmerbestellung habe ich mich an die Kurverwaltung Hindelang gewandt. Die Zahlung des Honorars werde ich auf Ihr Postscheckkonto vornehmen. Mit freundlichen Grüßen
A.E.
24.4.1953 Sehr geehrte Frau Gindler, ich habe mich vor einiger Zeit zu der Ferienarbeitsgemeinschaft in Hindelang angemeldet. Bitte, entschuldigen Sie, dass ich mich so ohne weiteres angemeldet habe. Ich erfahre erst jetzt, dass Sie nur persönliche Einladungen verschickt haben. Frau E. hat mir die Einladung gegeben, und ich habe angenommen, dass es sich um eine offizielle Sache handelt. Darf ich nachträglich noch anfragen, ob ich an dieser Arbeitsgemeinschaft
teilnehmen kann? Von Ihren Bedenken gegen eine
Teilnahme von Gymnastiklehrerinnen habe ich durch Frau E. und Frau B. gehört. Ich glaube aber, dass ich durch die Ausbildung, die sich ja nicht in erster Linie an das Außen gewandt hat, für Ihre Arbeit, die ich ja nicht kenne, von der ich nur etwas ahnen kann, nicht verdorben bin, sondern mich bereit und empfänglich dazu einstellen möchte. Ich würde mich darum sehr freuen, wenn Sie mich trotz Ihrer Bedenken, die ich verstehen kann, an der Arbeitsgemeinschaft teilnehmen lassen könnten. Wenn Sie anders entscheiden müssen, würde ich darum bitten, mir das bald mitzuteilen, damit ich meine Anmeldung bei der Kurverwaltung, die bereits erfolgt ist, rückgängig machen kann. Mit freundlichen Grüßen
A.E
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25.4.1953 Sehr geehrtes Fräulein E.! Haben Sie Dank für Ihr Schreiben vom 2.4., und ich bitte Sie zu entschuldigen, wenn ich erst heute antworte. Ich war vier Wochen verreist und bin erst jetzt wieder mit meiner Berliner Arbeit tätig. Darf ich Sie bitten, bevor Sie sich endgültig anmelden, doch
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noch einmal mit Ihrer Kollegin A. B. zu sprechen und sich die Bedenken sagen zu lassen, die ich gegen die Teilnahme von Gymnastiklehrerinnen an meinen Arbeitsgemeinschaften habe. Falls Sie sich trotzdem entschließen, werde ich Ihnen einen Fragebogen zugehen lassen, der nur für mich bestimmt ist und, wie ich schon A. B. schrieb, im Falle meines Ablebens mit meinen persönlichen Dingen verbrannt wird. Es wäre mir dann wichtig zu erfahren, mit welchem Problemkreis Sie sich in der Arbeit auseinandersetzen möchten. Mit freundlichen Grüßen
Eisa Gindler
NOTIZEN ElsA GINDLERS
25.8.1953
2.Tag
Versuch anzukommen - ist er ihnen auch täglich begegnet? Einige kommen heute zu spät. Es ist erwünscht, dass etwas dazwischenkommt, damit die Situation lebensähnlicher wird. Wie ziele ich? Wie plane ich? Säuglingserwachen
2
ist von allen probiert worden. Ich lasse es auch
praktisch versuchen, und morgen sollen sie es einzeln versuchen. Still, gelassen werden. Augen schließen lassen und sich dafür interessieren, was sich verändern will, wenn man die Schauabsicht aufgeben soll. Augen von selbst aufgehen lassen. Aufgabe:
a)
Etwas anglotzen - was erkennt man?
b)
Still werden, Schauabsicht aufgeben - sehen wir auf dieselbe Weise?
Was ist ihnen aufgefallen bei ihrem Verhalten beim Ausscheiden? Frage und Versuch: Wie geschieht Erwachen bei Säuglingen, wenn sie nicht gestört werden?
Versuch, sich für das Verhalten bei der Ausscheidung zu interessieren sollen Notizen machen. Routine. Machen - geschehen lassen. Was orientiert uns in der Leiblichkeit? Propriozeptivität. Wann sprechen wir von Probieren? Verhalten vor Beginn. Versuch, die Publikumshaltung aufzugeben. Mittwoch, 26.8.1953
3. Tag
Bin ich nicht zum Aufschreiben gekommen. Akzeptieren. Ja sagen. Praktischer Versuch, die Beine für Tätigkeiten zu benützen. Armig, handig. Probieren immer abzubrechen, wenn wir steif werden. Donnerstag, den 27.8.1953
4. Tag
Erfahrungen mit Säuglingserwachen. F.S.: Steife Schulter: Massage oder Anbieten des Versuchs heranzukommen? P.S.: Oberteil ohne Leib und Beine beim Erwachen. Versuche, sich die Beine als Bewegungsorgane zu erobern. Einzelversuch A. I.: Schreiben mit den Füßen. Schneiden (Stoff3) gab die Gelegenheit, die Verwandlung zuzulassen. 1.R.: Tür aufmachen. Einzelversuch. Stehen, um die Tür aufzumachen; Stehen als Versuch an sich. Verhalten beim Schauen. N. H.: Arbeit an den Augen. - Schauen, Erkennen ist Anwesenheit des ganzen Menschen. A. I.: Nun habe ich versucht mit den Füßen, und die sind noch kalt. Wärme - Kälte. Akzeptieren der Kälte. Ist die Zusammenziehung zweckmäßig? Zusammenrollen ist etwas anderes. Bericht von den Soldaten aus dem Felde, denen die Glieder nicht erfroren sind. Die Tatsache, dass fast alle Leute über 50 Beinleiden haben. Eroberung der Beine. Einsatz! Für unsere Beine interessiert sich niemand außer uns! Nur wir können uns unsere Wünsche erfüllen. Stoff im Unterschied zu Funktion: Eine Funktionsmöglichkeit (hier: die Beine als Bewegungsorgane gebrauchen) ist an verschiedenen Stoffen zu erfahren (hier z.B. Tür öffnen, schneiden).
Die Verschiedenheit der Qualität der Sinneseindrücke: Hängt sie vom Verhalten ab? Freitag, 28.8.1953
5. Tag
Anschluss. 4 Wenn wir um acht Uhr im Büro oder in der Schule sind, sind
-
wir zu spät da und werden von den Forderungen überfallen. Das Ankommen, das Aufnehmen der Forderungen, die Wahl des zu erst Vorzunehmenden kann nicht in der Gelassenheit geschehen, wie sie bei einem bewussten Ankommen möglich ist. Wir jagen den ganzen Tag hinter den versäumten zehn Minuten her. Ankommen für Essen. Ankommen für einen Menschen. Ankommen für einen Brief etc. etc. Wir könnten den ganzen Tag am Ankommen probieren. Erschöpfungszustände in der Arbeit können durchaus mit verursacht sein durch das ewige Jagen, können unsere Überzeugung des „Unzulänglichseins" noch mehr verstärken. Was tun wir mit Kindern? Was verlangen wir von ihnen? Ohne es selbst zu können. Das Nach-außen-gerichtet-Sein beim Sprechen. langsam - schnell (A. I.) - Das Tempo spielt keine Rolle. Bilder von Armlosen gezeigt. Zeichnen lassen mit den Füßen. Interessieren für den falschen Einsatz (Krampf im Bauch, Steifwerden oder Steifbleiben der Beine). Erfahren, dass auch viel Arbeit im Rumpf notwendig wird, wenn man sich die Beine erobern will. Deutlich werden lassen, welcher Einsatz geleistet werden muss, wenn man sich seine Beine erobern will. Unthan 5 : Freude, wenn er wieder etwas allein konnte. Kurz Arbeit am „Gang" gestreift! Sie sollen überall probieren, beim
Anschluss bekommen meint: Erinnernd zu einem Gehalt in Beziehung kommen, ihn wieder gegenwärtig werden lassen. Unthan, C. H. ( 1925): Das Pediskript. Aufzeichnungen aus dem Leben eines Armlosen. 3. Auflage, Stuttgart.
Gehen, Steigen etc. Interessieren, ob nicht bei allen Handlungen auch so ein unzweckmäßiger Arbeitseinsatz da ist wie bei der Beinbewegung? Verhalten beim Schauen. Aufgabe: drei Versuche 6 und morgen berichten. Verwandlung gestreift. liegen! An dem Bisherigen sollten sie weiter arbeiten. Nächste Woche: Verhalten bei einer Tätigkeit. Sonnabend, 29.8.1953
6. Tag
Wir haben es sehr schwer in der Turnhalle bei dem kalten Wetter, und ich überlege sehr, ob wir die Arbeit nicht aufgeben müssen, da ein großer Teil der Teilnehmer sehr elend ist. (Außer der Kälte gibt's noch Darmstörungen etc.) Ich will hören, ob es überhaupt eine Heizmöglichkeit gibt. (Leider nein, der Ofen raucht im Sommer.) Sie wollen es aber weiter versuchen. Montag, Dienstag, 31.8. und 1.9.1953 Armheben -
Turnen 7;
7. und 8. Tag
Kopfdrehen - Turnen; Bücken - Turnen; Fersenhe-
ben - Turnen. Versuch, dieselben Bewegungen durch eine Lebensforderung kommen zu lassen. ,,Gang" und Gehen. Besprechen der abgelieferten Arbeiten über das Verhalten beim Schauen. - Es sind keine „Sehversuche". Bin immer wieder interessiert für ihren Einsatz vor Beginn der Arbeitsgemeinschaft. Wann akzeptiere ich den eigenen Einsatz? Mittwoch, 2.9.1953
9. Tag
Sehr eingehend über Bereitwerden, Ankommen für eine Sache gesprochen. (Zehn Minuten 8 ; zu spät, auch wenn wir zur Zeit ankommen!)
S. die Aufgabe vom 25.8.1953: a) glotzen, b) Schauabsicht aufgeben. Mit „Turnen" meint Eisa Gindler mechanisches Tun im Unterschied zu dem, was sie als lebendiges Sichbewegen versteht. Zehn Minuten vor der Uhrzeit am Ort sein, um anzukommen, siehe Notiz vom 28.8.1953.
-
-
Essen. Verhalten beim Essen - mit verbundenen Augen probiert! Erst einen Zwieback wie üblich heruntergewürgt und dann auf Entdeckungsreisen gegangen. liegen - Ruhen. Bilder ausgelegt: Bose9
-
Mimose. Regeneration.
Praktischer Versuch, sich den Zustand des Ruhens anzubieten. Alle haben sehr interessiert und wach probiert. Donnerstag, 3.9.1953
10. Tag
liegen - Ruhen. Sie versuchen alle vor Beginn, aber sie legen sich auf die Erde, ohne vorher eine Verabredung mit sich zu treffen. In den letzten Tagen haben wir uns öfter mit der Vorstellung
10 beschäf-
tigt. Heute wird das Verhalten beim Sprechen akut. Ich umreiße das Problem, und einige Teilnehmer probieren. Das „Richtigmachen-Wollen" als Störfaktor! Tricks anstatt munter werden. Das Problem des „Absoluten" statt forschend, erfahrend zu werden, was in dieser Etappe 11 möglich ist. Eine Teilnehmerin versucht, beim liegen zuzulassen, was in dieser Etappe möglich ist, meint aber, dass dies nichts ist, weil es ihr in Hals/Kopf und in den Beinen noch nicht gelingt. Ich versuche, deutlich werden zu lassen (am Beispiel des Steins, den ich von der Wiese fortnehme), dass das Gras Zeit braucht, bis es sich aufrichten kann und grün wird, dass auch bei uns manchmal Zeit ohne neue Störungen notwendig wird, um den Organismus störungsfreier funktionieren zu lassen. Widerstand - Hemmung. Zum Schluss probiere ich, den Kopf einer Teilnehmerin in die Hände zu nehmen, sie mit der Haut tasten zu lassen. Lasse sie den Kopf hochzie1.C. Bose ( 1928): Die Pflanzenschrift. Zürich. Auf das Beispiel der Mimose geht Eisa Gindler auch in einem Vortrag von 1931 ein, abgedruckt in: Ludwig, Sophie (2002): Eisa Gindler. Von ihrem Leben und Wirken. Hamburg: Christians, S. 117-120. 10
11
Das Sichvorstellen in der Arbeitsgemeinschaft. Der Geschichte eines Menschen und dem Stand seiner Erfahrungen entsprechend geschieht Entwicklung in Etappen. Es gilt jeweils zu begreifen, welche Versuche zu einem Zeitpunkt möglich sind.
hen und durch die Anziehungskraft zurückkehren. Betaste den Brustkorb, und allmählich tritt eine solche Verwandlung ein, dass wir alle berührt sind, wie aufgeschlossen und jung sie plötzlich wird. - Am Sonnabend (Freitag Feiertag) werden wir gemeinsam weiter daran arbeiten. 11. Tag
Sonnabend, 5.9. 1953
Auseinandersetzung mit dem Äußern: Beobachten - bewerten. Aufgeschlossensein für den andern. Nicht die Mitteilung darf uns bei dieser Auseinandersetzung interessieren.
12
Ausreden lassen? Angst vor Widerstand. Hemmung. Vorstellung.
13
Um-
setzung der Worte. 14 Was muss vor dem Hinlegen geschehen, wenn ich das Phänomen ,,Ruhen" studieren will? Einzelversuche. Spannen des Beckenbodens - Schließmuskeln. Gehen mit verspanntem 15 Becken. Gang! Schwere, Anziehungskraft. Morgen: Auseinandersetzung mit Last - Ladung - Entlastung. Sonntag, 6. 9. 1953
12. Tag
Schwerkraft, Anziehungskraft, Last. Kontakt mit der Last. Ladung. Ablauf 16 im Kontakt mit der Last. Erschlaffen. Säckchen - Zug erleben. 17 Kopflast hochziehen. Einzelversuch. Interesse an den Veränderungen, die vor sich gehen müssen. Ausdehnen des Halses, Lösung zwischen Hals und Kopf. Veränderung im Brustkorb, Schlund, ehe ich die Kopflast 12
Nicht die Mitteilung darf uns interessieren, sondern wie wir uns erfahren beim Hören oder Sprechen.
13
S. Fußnote 10.
14
Hörend das Gesprochene konkret werden, in der Person des Hörenden Gestalt annehmen lassen.
15
„Verspannt" meint hier mit unzweckmäßiger Spannung und dadurch nicht bewegungsbereit.
16
Im Bewegungsablauf im Kontakt mit der Last bleiben.
17
Den Zug der Anziehungskraft auf die Masse eines Sandsäckchens erleben.
-
abziehen 18 kann. Armlast, Unterschenkellast. Kein Körperproblem. Verhaltensproblem erster Ordnung. 19 Säckchen auf dem Kopf. Stehen mit tastbereiten Füßen. Sollen viel bis morgen probieren.
-
Zugang zu den Armen beim liegen. Interesse an den Vorgängen im Rumpf bei der Bewegung. Montag, 7.9.1953
13. Tag
Schwerkraft, Anziehungskraft. Magnet - Kugel. Anziehungskraft erleben. „Das Gewicht eines Körpers ist die Kraft, mit der seine Masse von der Erde angezogen wird." Last. Um eine Last bewegen zu können, muss Energie entstehen. Ich kann sie am erlebten Widerstand entstehen lassen oder ich muss, wenn mir die Kräfte nicht zuwachsen, den Widerstand mit Druck oder Krampf überwinden. Einzelversuch: Kopflast aus der Rückenlage hochziehen. Was muss alles geschehen, ehe das möglich ist? Die Ausdehnung des Halses und des Brustkorbs in der Länge und Weite zwischen den Armen, auch in der Bauchlage. Es war wunderbar zu sehen, wie mit dem Mehr-erleben-Können sich der Organismus veränderte. Was haben diese Versuche mit unserer Auseinandersetzung mit Last, Schwer- oder Anziehungskraft zu tun? Dienstag, 8.9.1953
14. Tag
Was haben ihnen die Vorgänge gestern gesagt (die beiden Einzelversuche)? Ist es deutlicher geworden, dass das, was man üblicherweise mit ,,Entspannung" meint, den Kern nicht trifft? Die nicht abgelaufenen Bewegungen. 20
10
Von der Unterlage wegziehen.
19
Ein Verhalten von Sichanstrengen, Sichzusammenziehen verhindert das Empfinden der Last.
20
Nicht im Kontakt mit der Last zu Ende gekommene Bewegungen, s. Fußnote 16.
Ich kann das, was ich normalerweise nicht wahrnehme, deutlicher empfinden, wenn ich versuche, Kontakt mit der Last zu bekommen. Klärung, dass ich gleich viel wiege, wenn ich starr und wenn ich gelöst bin. Appell an den Zustand statt an den Körper. Praktische Versuche mit Belastung des Beines - gute Erfolge. Panikstudien im Wasser.21 Einzelversuche. Morgen auf die Leblosigkeit der Arme hinweisen. Man kann sich doch nicht die eigenen Arme und Beine bei lebendigem Leibe absterben lassen. 15. Tag
Mittwoch, 9.9.1953
Studium des Atemprozesses. Was orientiert uns? Masse im Raum. Bewegung. Abgasung. Abends Lichtbilder. Nicht notiert. Donnerstag, 10.9. 1953
16. Tag
Festtag Viehseheide
Vormittags Klärung darüber, was wir „eigentlich" gestern versucht haben. Nachmittags: Praktische Versuche zum Studium des Atemprozesses. Kontrollen des Zustands, Verhalten bei praktischem Arbeiten. Sich erfahren beim Tun! Morgen weiter! Beim Klopfen, Tauchen, beim Waschen, Rumpf-hängen-Lassen, Sitzen etc. r:~ ABSCHLUSSBERICHT A.
E.s
27. September 1953 Liebe Eisa Gindler, darf ich so sagen? Vor einer Woche habe ich mir Notizen zu diesem Brief gemacht. Jetzt sind die vierzehn Tage schon um, und ich muss mich beeilen, um nicht noch zu spät zu kommen. Erst wollte ich Sie schon bitten, mir noch eine Woche zu geben, weil A. B. 21
Die Studien bestanden z.B. im Tauchen des Gesichtes in eine Schüssel mit Wasser.
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erkrankt ist und dadurch unerwartete Arbeit zusätzlich getan werden muss. Aber es ist mir doch nicht recht, gleich zu kapitulieren, darum schreibe ich doch, so gut es geht. Ich erzähle zuerst noch etwas aus der Zeit vor Hindelang. Was ich jetzt schreibe, war mir vorher nicht so klar.
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Ich kann nicht sagen, dass ich mit meinem Leben vorher gerade unzufrieden war, aber es war so etwas wie ein Stillstand da. Ich erfüllte meine Aufgaben mehr oder minder gut, aber etwas in mir blieb unerfüllt. Seit ich mich zu Ihrer Ferienarbeitsgemeinschaft angemeldet hatte, lebte ich in der Erwartung, mit Hindelang müsse sich etwas in meinem Leben ändern. Ich hatte dafür zwar keinen Anhaltspunkt. Weiter habe ich darüber nicht nachgedacht, mir nur diese unbegründete Hoffnung auszureden versucht, aber eine heimliche Erwartung blieb dennoch. Allerdings muss ich dazu sagen, dass Ihre Reaktion auf meine Anmeldung mich hat aufhorchen lassen. Ich witterte etwas, das mich diese Zeit in Hindelang herbeisehnen ließ. Gleichzeitig hatte ich aber auch Angst, ich könnte in Hindelang enttäuscht werden und alles müsste so weitergehen wie bisher. Zum Schluss war mir dann so zumute, dass ich am liebsten nur in die Berge gefahren wäre, ohne diese Verquickung mit der Arbeitsgemeinschaft. Das war aber schon nach der ersten Begegnung anders, und ich war froh, dass ich nichts mehr hatte rückgängig machen können. Die Arbeit fand ich ungewöhnlich, und ich war immer wieder erstaunt, was Sie aus einer Frage, einer Bemerkung alles herausholen konnten. Was Sie sagten, leuchtete so ein, und irgendwie war es mir vertraut. Ich hörte Antworten auf Fragen, die ich mir zum Teil bewusst noch nie gestellt hatte, die aber verworren schon manchmal aufgetaucht waren, um dann wieder in der Versenkung zu verschwinden. Jetzt waren sie wieder da, als hätten sie nur darauf gewartet. Wie gern hätte ich alles, was Sie gesagt haben, festgehalten und schwarz auf weiß mitgenommen, wenn ich auch verstehen kann, dass Sie Ihre Gründe dafür haben, es so zu handhaben. 22 22
Es sollten während der Kursstunden keine Notizen gemacht werden.
In den ersten Tagen hat mir das zu schaffen gemacht, weil ich nicht aufs Aufschreiben verzichten wollte. Ich hatte Sorge, es könnte mir alles verloren gehen. Als ich dann mit meinen Versuchen am Nachmittag nicht zurechtkam, gab mir das zu denken. Ich wollte schon versuchen, aber es blieb mir nach dem Aufschreiben nicht die Zeit, und ich hatte nicht die Ruhe, die nötig gewesen wäre, wenigstens für den Anfang des Versuchens. Dieses Missverhältnis von Aufschreiben und Versuchen wurde mir mit jedem Tag deutlicher, weil Sie doch Fragen haben wollten, die sich beim Versuchen ergeben haben müssten. Das war mir ein höchst unangenehmer Auftakt am Morgen, bis ich allmählich dahinterkam, dass Ihr Fragen am Morgen nicht nur notwendig, sondern auch ganz nützlich war. Bald wurde mir auch das Aufschreiben an sich fraglich, weil ich sehr „drücken" musste, um das am Vormittag Gesagte so einigermaßen wieder zusammen zu bekommen. Das brachte mir manchmal sogar Kopfschmerzen. Und als ich dann, mit großer Überwindung zuerst, mit den Versuchen begann anstatt mit dem Aufschreiben, erlebte ich, dass die Fragen des Vormittags zwischendurch ganz von selbst und dazu ganz mühelos wieder auftauchten. Das war mir eine wichtige Erfahrung, und ich erkannte etwas wieder, was mir auch sonst im Leben Schwierigkeiten macht. Von allem, was getan sein will, erledige ich zuerst das, was schnell geht. Nach allem Muss bleibt dann oft keine Zeit mehr für das, was ich möchte; und für das, woran mir besonders lag, wollte ich viel Zeit haben, das mochte ich nicht so zwischendurch tun. Diese falsche Rangordnung ist mir wohl oft schmerzlich bewusst geworden, aber ich konnte mich trotz schlechter Erfahrung nicht da herauslösen. In Hindelang war ich genötigt umzuschalten, wenn ich überhaupt mitkommen wollte. Jetzt zu Hause muss ich mich auch entscheiden, entweder ich versuche oft mit wenig Zeit und eben mal zwischendurch, oder es wird nichts daraus. Da gibt es kein Ausweichen mehr. Es ist mir in den zwei Wochen jetzt auch schon ein paarmal gelungen, mich gegen diese einge-
fleischte Vorstellung durchzusetzen, ,,mit wenig Zeit geht es nicht", und ich bin überrascht, was sich in wenig Zeit doch ausrichten lässt. Ob diese Erfahrung weiterhilft? Das Leben wartet nicht, bis ich so weit bin; immer auf das Ziel gerichtet sein - das ist mir auch wichtig fürs eigene Versuchen.
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„Etwas ruhen lassen können" - das war in Hindelang, ist aber auch sonst in meinem Leben akut. Dort tauchte es in der Arbeitsgemeinschaft auf. Ich habe immer Angst, ich könnte etwas vergessen, darum kann ich nicht davon lassen. Warum sollte ich es denn nicht vergessen, frage ich mich jetzt. Ist es denn so wichtig, was ich beizusteuern habe? Genauso kann mich aber auch jede unerledigte Aufgabe beunruhigen, auch schon, wenn ich sie noch gar nicht in Angriff nehmen kann. Es ist immer Angst da, Angst vor dem „Muss", Angst davor, nicht zu dem zu kommen, was mir wichtig ist. Da habe ich noch viel zu schaffen und weiß noch nicht recht wie. Vom Wissen und vom Bild her war mir schon etwas vertraut von dem, was ich in Hindelang erlebte. Am Ende unserer Gymnastikstunden ist es häufig so, dass es sichtbar ist, dass mit den Menschen eine Veränderung vorgegangen ist. Sie wirken ruhiger, gelöster, freier. Das empfinden sie auch selbst. Einern Menschen ist es anzusehen, ob er nur nachahmt, wenn er sich bewegt, oder ob er innerlich beteiligt ist. Dann wirkt die Bewegung natürlich, lebendig. Es muss doch an dem Wie unserer Arbeit liegen, dass der Mensch durch den Stoff, den der Lehrer (der ja auch nur flüchtig in dem Zustand ist) an ihn heranbringt bzw. aus ihm herausholt, dahin gebracht wird, den Einsatz zu leisten, der eine an dieser, der andere an jener Stelle. Wir sagen dann, er ist hereingekommen. Ich kenne das auch aus eigener Erfahrung. Ich mache in einer Unterrichtsstunde mit, bin zunächst noch halb dabei, mit den Gedanken z. B. noch woanders. Dann kann es passieren, dass ich plötzlich da bin und selbst nicht recht weiß wodurch. Das habe ich bisher am häufigsten beim
Tanzen erlebt. Ich fühlte mich dann wohl, hatte ein Glücksgefühl und hätte nie aufhören mögen, so zu sein. Ob solche Veränderung nicht auch auf einen geleisteten Einsatz zurückzuführen ist? Nach Schluss des Unterrichts konnte dann schon wieder alles weg sein, und wenn es manchmal gar bis zum andern Tag dauerte, habe ich es dankbar hingenommen. Sonst konnte ich aber nichts anderes tun, als aufs nächste Mal warten, dass es sich dann vielleicht wieder einstellte. Da können Sie sich denken, wie aufregend und zugleich beglückend es für mich gewesen ist, in Hindelang zu erfahren, dass es eine Möglichkeit gibt, diesen Zustand bewusst herbeizuführen und dazu noch auf einem so elementaren und nüchternen Wege. Es kommt mir so vor, als habe ich durch Hindelang einen anderen Standort bezogen, von wo aus mir das Leben als verlockend schönes Ziel erscheint, wenn ich so weit komme, es aufzunehmen anstatt es zu erfassen. Ich verspüre eine freudige Ungeduld mitzutun. Dies ist nur meine Grundstimmung, aber ich habe sie trotzdem. In Hindelang hat es mich ziemlich mutlos gemacht, wenn auch nur für eine verhältnismäßig kurze Zeit, dass ich mit der Einsicht noch so wenig fürs Tun gewonnen hatte. Darauf bin ich bisher noch nicht bewusst gestoßen. Ich habe immer geglaubt, wenn ich etwas erkenne, kann ich es auch tun, und wenn es nicht geht, liegt es nur daran, dass ich nicht wirklich will, dass ich zu bequem bin oder sonst ein Grund mich abhält. Jetzt denke ich: Wahrscheinlich ist es bisher so gewesen, dass ich einen Weg nie konsequent zu Ende gegangen bin und deshalb nicht an diesen Punkt gekommen bin. In Hindelang bemühte ich mich auf meine Weise sehr, den Einsatz zu leisten, aber ich blieb „draußen"; nichts wollte sich in mir ordnen, nichts verwandeln. Und ich denke auch jetzt noch, kein Tun, und wenn es auch noch so viel Überwindung kostet, verlangt so viel wie dieser kurze Augen-
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blick vor Beginn. Hier habe ich noch viel in mir umzustimmen, und allzu leicht geschieht es noch „als ob". Sehr schwer wird es mir auch, meine Störungen zu akzeptieren. Immer wieder ertappe ich mich dabei, dass ich es „richtig" machen will und dass ich die Störung, kaum gemerkt, sofort „abwürge". Diese ausrottende Hal-
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tung zu meinen Störungen sitzt so tief, genau wie „das schlechte Gewissen"23, und ich weiß noch gar nicht recht, wie ich das umschalten soll. Das wenige, was mir in Hindelang darin an Umstellung gelungen ist, lässt mich ahnen, welch wunderbar unbelastetes Lebensgefühl es schaffen müsste, wenn man so leben könnte. Ich bin so froh, mit Ihrer Arbeit in Berührung gekommen zu sein, und im Grunde kann ich Ihnen erst heute die Antwort geben, die ich Ihnen bei meiner Vorstellung schuldig geblieben bin: Ich bin berührt davon, dass es hier um etwas geht, das man nicht machen, das man nur geschehen lassen kann; dass man nicht vom Zufall abhängig ist, sondern dass man einen Zustand, in dem man sich wohl fühlt, bewusst herbeiführen kann; dass jeder nur das bekommt, was er einsetzt; und dass der Erfolg ausbleibt, wenn man nur etwas für sich erhofft. Darin liegt doch eine wunderbare Gerechtigkeit und etwas sehr Tröstliches. Niemand bekommt etwas unverdient; jedem widerfährt das, was ihm zukommt. ,,Ich würde es auch nicht ändern, selbst wenn ich's könnte", das klingt mir immer noch in den Ohren, und immer noch finden diese Worte meine ungeteilte Zustimmung. Ich ahne, dass eine solche Haltung. zum Leben eine gute Atmosphäre im Zusammenleben mit Menschen schaffen muss. Wunderbar ist auch das Einheitliche, das alles Umfassende an dieser Arbeit (das passt gar nicht, aber ich weiß nicht, wie ich's nennen soll); dass in einem sozusagen alles liegt.
23
Das „schlechte Gewissen", sagte Eisa Gindler, sei eigentlich ein „gutes", denn es weise darauf hin, dass etwas nicht stimme.
Dass, wenn man an einer Stelle anfängt so zu leben, es immer mehr nach sich zieht; dass es kein Abschließen und sich Bewahren gibt, dass das ganze Leben eingeschlossen und erobert sein will. Sie sprachen von der Unruhe, die entstehen wird. Sonst wünsche ich mir sehnlichst, von Unruhe verschont zu bleiben; aber von dieser Unruhe wünsche ich mir, wenn auch mit klopfendem Herzen, gepackt zu werden. Es war mir immer sehr schwer, ein Vielerlei nebeneinander zu bewältigen. Es war mir so, als müsste ich mich fortwährend teilen. Wenn aber alles so zusammenhängt und sich eins aus dem andern ergibt, fällt vielleicht dieses Gefühl des Zerrissenseins weg, das es mir immer schwer gemacht hat, mich vielen Lebensgebieten zuzuwenden, auch wenn ich die Notwendigkeit einsah. Das sage ich sehr mit Vorsicht, denn ich weiß ja gar nicht, ob es so ist. Wichtig und Mut machend, gleichzeitig auch beruhigend, war mir die Einstellung zur Kraft. Mir war immer etwas unbehaglich dabei, wenn ich so abwägend und vorsichtig wurde, wenn es darum ging, noch etwas auf mich zu nehmen, weil ich doch mit meinen Kräften haushalten muss. - Kraft entfaltet sich an der Überwindung des Widerstandes - das weckt Unternehmungsgeist. Nun noch etwas zum Anfang und zum Ende der Hindelanger Zeit. Ich fand es sehr dürftig, was die „Älteren" am Anfang zu berichten und zu wünschen hatten. Jetzt sehe ich es anders, und ich sage verstehend aus meiner bisher kurzen eigenen Erfahrung: Es kann wohl nicht anders sein bei diesen Versuchen, ,,richtig zu leben". Zumal man sich dabei auch nichts einreden und vormachen kann. Darüber hinaus will mir scheinen, dass man sehr bescheiden wird, wenn man so zu leben versucht, nicht in seinen Ansprüchen, aber in dem, was man von Menschen erwartet. Der nüchterne schmucklose Abschied der Hindelanger Arbeit hat mir gut gefallen. Er war sicher nicht zufällig. Es war wohltuend zu erleben, dass Menschen so miteinander stehen, dass sie sich solchen Abschluss leisten können.
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Ich bin glücklich, da gewesen zu sein; selbst die vierzehn Tage Alltag mit all seinen Widerständen vermochten das, was mir in Hindelang geworden ist, nicht zu übertönen. Ich bin noch genau so begeistert von allem, was ich dort erfahren, gesehen und gehört habe, und kann mir nicht vorstellen, dass das bei mir je wieder untertauchen könnte.
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Die Erfahrungen mit meinen eigenen Versuchen sind das Nachhaltigste von dieser Zeit. Davon zu trennen ist aber nicht, was ich bei Ihnen gesehen und vernommen habe. Ich bin auch sonst im Leben immer nur da warm geworden, wo der Mensch und das gesprochene Wort miteinander harmonisierten. Das einmal in solchem Maße zu erleben, das war mir sehr beglückend. Der zweite Lichtbilder-Abend war für mich der Höhepunkt der Hindelanger Arbeitszeit. Wie sehr war da Ihr Anliegen zu spüren: ein großartiges Ziel, um das sich der schwerste Einsatz wohl lohnen muss. Davon war ich noch bis in den Schlaf hinein stark bewegt, und von diesem Augenblick an war mir alles, was getan und gesagt wurde, noch näher. Auf meiner „Reise" werden mich Ihre Abschiedsworte begleiten. Ich habe sie nicht als zufällig an mich gerichtet empfunden. Sie sind mir Aufruf und Zuspruch und haben großen Wert für mich. Ich danke Ihnen sehr, sehr dafür und auch für die ganze Zeit, und alles Weitere wird ja bei mir liegen. A. E.
21.11.53 Liebe A. E.! Haben Sie Dank für Ihren Brief und Ihr Resümee, das mit dem von T. H. als erster Nachhall der Hindelanger Zeit bei mir ankam. Es ist mir recht warm geworden bei Ihrem Bericht und hat mir rechten Mut gegeben, auch in Berlin wieder anzufangen. Hoffentlich ist's weitergegangen und Sie können schon manchmal ein bisschen ernten? Sie können es sicher jetzt besser verstehen, dass auch ich beunruhigt bin, Menschen mit den Problemen der Arbeit vertraut werden zu lassen! Aber die Möglichkeit, sein eigenes Werden, die eigene Entfaltung nicht dem Zufall überlassen zu müssen, scheint mir doch eine heilsame Beunruhigung.
Liebe A. E., ich wünsche Ihnen sehr, dass Sie und Ihre Arbeit weiter wachsen, und grüße Sie sehr herzlich als Ihre
Eisa Gindler
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FERIENARBEITSGEMEINSCHAFT
HINDELANG,
23.8.-11.9.1954
2. August 1954 Liebe Eisa Gindler, es tut mir Leid, dass ich mit meinem Bericht zu spät komme und dazu nicht einmal etwas Rechtes zu berichten habe. Ich war wieder krank, womit ich mich nicht entschuldigen will, zumal es ja nur die letzten drei Wochen angeht. Bis dahin hätte ich wenigstens noch sagen können, seit Hindelang ist kein Tag vergangen, an dem nicht irgendetwas aus dieser Zeit aufgetaucht wäre, wenn ich auch in letzter Zeit (obwohl ich immer wieder mal einen Anlauf dazu machte) seltener dazu kam, feste Versuchszeiten einzuhalten, was mir anfangs häufiger gelang. Es hat mich erschreckt, dass ich bei all meiner Begeisterung für diese Arbeit dennoch so wenig getan habe. Wenn mich die Anforderungen des Lebens bedrängen, dann beginne ich zu schieben und tröste mich damit, dass es mir ja nicht davonläuft. So habe ich im laufe des Jahres immer wieder etwas freiere Zeiten erwartet, die dann aber in dieser Hinsicht auch nicht so wurden, wie ich es mir gewünscht hatte. Vielleicht könnte in Hindelang etwas darüber ausgetauscht werden, wie die Einzelnen es fertig bringen, sich die notwendige
Zeit zum Versuchen zu verschaffen.
Ich habe erfahren, dass solche Versuchszeiten eine große Hilfe sind. Noch längere Zeit danach war ich wacher, merkte die Störungen besser und hatte mehr Spannung, etwas zu ändern. Im Ganzen habe ich das Gefühl, etwas mehr Sicherheit und Freiheit im Umgang mit Menschen bekommen zu haben. Ob's ein Ergebnis der Hindelanger Zeit ist? Im letzten Jahr sprachen Sie davon, dass Menschen, die sich im normalen Leben nie oder nur selten zum Versuchen entschließen können, dann schließlich in einer Notlage doch danach greifen (siehe Kälte im Krieg). Mir ist es so ergangen, dass gerade dann, wenn ich's am nötigsten hätte brauchen können, es mir am schwersten war, zum Versuchen zu kommen, zum
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Beispiel beim Kranksein. Mit dem Gesundwerden stellte sich dann zwar ganz von selbst wieder etwas ein, was mir dann auch schneller auf die Beine half. Am besten ging es im laufe des Jahres mit den Versuchen, die mir schon in Hindelang etwas vertrauter waren. Das ist mir ein wichtiger Fingerzeig für die Einstellung zur diesjährigen Arbeitsgemeinschaft. Was ich in Hindelang durch Erfahrung erlebte, war leichter weiterzuführen; alles im Gedränge des Alltags Begonnene blieb im ersten Versuch stecken. Das Dehnen am Morgen ist mir ein Bedürfnis geworden. Wenn ich sehr müde bin, sträube ich mich zunächst gegen jedes Bewegen, dann möchte ich mich am liebsten nicht rühren. Dann glaube ich nicht daran, dass mich außer Schlaf überhaupt irgendetwas aus diesem benommenen Zustand befreien könnte. Inzwischen habe ich erfahren, dass man auch in solchen müden Zeiten wach werden kann, dass es dann nur längerer Zeit bedarf. Diese Erfahrung hat mir etwas von der Angst genommen, dass man mit wenig Schlaf nicht auskommt und dann nicht leistungsfähig ist. Es macht für mein Lebensgefühl sehr viel aus, wenn ich mich nicht so abhängig von der Schlafmenge fühle. Mit Freude habe ich einige Male entdeckt, dass auch bei irgendeiner Bewegung etwas von dem Wohlgefühl sein kann, das ich beim Wachwerden empfinde. Es wird mir auch nicht mehr so schwer, mich gegen meine Unlustgefühle zu stellen, weil ich weiß, dass es hilft. Es ist schwer, Ihnen zu berichten. Während ich dies schreibe, höre ich: „Alles, was gut geht, das interessiert mich nicht; das ist nicht Gegenstand unseres Versuchens. Mir ist wichtig, was nicht geht, wo Grenzen sind und Fragen kommen." Da stocke ich schon im Weiterschreiben. Ob ich bisher überhaupt richtig versucht habe? Denn es ist mir nicht bewusst geworden, was noch nicht geht. Da müsste ich sicher noch lange Zeit allein versuchen. Ich stehe wohl noch ganz am Anfang und beginne erst zu begreifen, was diese Arbeit für den Menschen bedeuten könnte, wenn In Hindelang habe ich erlebt, wie viel mehr in einer Arbeitsgemeinschaft möglich ist; und wie kläglich ist es dann im laufe des Jahres weitergegangen.
Zu den einzelnen Versuchen: Arbeit strengt mich noch immer an. Nach vorherigen Versuchen merkte ich wohl eher, wenn sie wieder zu einer atemberaubenden Beschäftigung wurde; nur war ich dann meist zu spannungslos, um etwas zu ändern. Ich tröste mich dann damit, dass es ja nicht so zu bleiben braucht, dass sich etwas ändern lässt, wenn ich mich dazu bringen könnte, das Notwendige dafür einzusetzen. Aber im Grunde ist mir diese Geduld gar nicht recht: Zutiefst wünsche ich mir, dass es mich brennte, dass mich die Unruhe, etwas zu versäumen, immer wieder zum Versuchen drängte. Zehn Minuten früher da sein: Richtig ankommen. Das ist bei meinem Stundenplan sehr schwer zu verwirklichen. Ich muss am Tag zu mehreren Arbeitsplätzen, und da jedesmal zehn Minuten dazu zu tun, dazu habe ich mich bisher nicht entschließen können. Da ich aber gemerkt habe, wie anders ich bin und wie viel besser eine Arbeit wird, wenn ich mich trotz dieser Zeitfrage dazu bekommen kann, möchte ich mich nicht mit dem augenblicklichen Stand zufrieden geben,
sondern
noch
nach
anderen
Möglichkeiten
suchen.
Beim Sitzen habe ich es nicht so weit gebracht, dass ich für längere Zeit ohne Ermüdung sitzen kann. Am Boden geht es noch schwerer, weil die Beine nicht recht zum Ruhen kommen . .t:J..®gjgeFüße und armige Beine: Hierin habe ich oft Versuche gemacht (äußerlich), aber richtig (nämlich ohne Störung) bisher wohl selten. Nur bei kleinen Bewegungen war das bisher möglich. Das gilt bei mir aber für meine Füße und Hände in gleicher Weise. Versuche mit der Schwerkraft: Kopf und Unterschenkel vom Boden abziehen. Damit habe ich sehr oft versucht. Besonders das Erste hat mir geholfen, den Aufwachprozess zu verkürzen. Ich kam von daher schneller zum Leben. Mein Rumpf hat dabei auch an Beweglichkeit gewonnen. Das Abziehen des Unterschenkels von der Erde hat meine Mitte verändert, sie lebendiger gemacht, vorübergehend.
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Mit dem „Häuschen"-Versuch ging es mir sehr wechselnd. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich den Prozess24 störe, weil ich, wenn es schwer geht, nur selten das notwendige Vertrauen aufbringe. Bei diesem Versuch habe ich das Gefühl, dass ich weiß, wie es sich anfühlen muss, wenn dieser Prozess ohne Einmischen verlaufen soll. Die Schauabsicht aufgeben: Diesen Versuch habe ich zunächst immer vertagt; er hatte am meisten vom „als ob" 25• Es lag wohl mit daran, dass ich zu sehr aufs Sehenwollen aus war. Ich war zu ungeduldig zu warten, bis die Augen aufgehen wollten. Einmal habe ich etwas anderes erfahren: Ich hatte mir Zeit genommen nur für diesen einzigen Versuch. Ich versuchte das Sehenwollen abzustellen. Immer wieder, wenn sich diese Absicht vordrängen wollte, habe ich die Augen wieder zugehen lassen und sie dazu noch mit den Händen verdunkelt. Nach langer, langer Zeit spürte ich, wie die Augen feucht wurden und aufgingen (ich erinnerte mich an den gleichen Vorgang am Morgen, das Vorzeichen für das Aufgehen der Augen). Alles um mich herum lag da klar vor mir, es kamen Laute und Geräusche zu mir, die ich vorher nicht gehört hatte. Nichts brauchte ich mir besonders heranzuholen; es war einfach da. So blieb es längere Zeit, und ich fühlte mich ausgesprochen wohl. Masse spüren: Das war bisher noch recht selten Gegenstand meines Versuchens. Ich komme damit noch nicht zurecht; das kann auch wohl nicht anders sein bei dem wenigen Versuchen. Es kommt mir dabei immer so vor, als bilde ich mir ein, dass ich etwas spüre. Darum möchte ich lieber erst an das gehen, was mir klarer ist. Tauchen: Mit dem Tauchen 26 habe ich begonnen, wenn ich Zeit zum Versuchen zur Verfügung hatte, weil ich durchs Tauchen frisch wurde und es mit anderen Versuchen danach meist besser ging. Mehr als das Wasser hat mich bei 24
Gemeint ist der Prozess des Ausscheidens.
2s
So tun, ,,als ob" man bei der Sache sei, nicht ankommen dafür.
26
Gemeint sind die Panikstudien, s. Notiz vom 8.9.1953 und Fußnote 21.
diesem Versuch verschockt, dass mir das Wasser in die Nase lief, wenn ich mich hinterher auf den Rücken legte. Das war mir sehr unangenehm, und ich beeilte mich, mich gründlich abzutrocknen, was dann leicht schnell und hastig wurde. Muss das Entstören 27 in der Rückenlage erfolgen? Geht es nicht in Bauchlage oder im Stehen, wenn ich z.B. im Waschbecken tauche? Meine Augen sind bisher nicht aufgegangen beim Tauchen. Später habe ich mich zu Beginn des Versuchens auf den Stab gelegt, auch in kurzer Mittagspause und abends vor dem Zubettgehen. Dabei brauchte ich weniger Zeit zum Ausruhen. Ich habe erfahren, dass ich danach gut auf hartem Boden liegen konnte; es fühlte sich an, als wäre der Rücken breiter geworden. Ich fühlte mich noch längere Zeit danach lebendiger; auch ging es mit dem Sitzen viel besser. Ich bin mit diesem Berichten nicht zufrieden, aber durch ein Überholen würde es auch nicht besser werden. Es liegt in diesem Fall wohl mehr am Leben als beim Schreiben, und ich hoffe sehr, dass ich es ein andermal besser machen werde. Und jetzt fürchte ich mich etwas vor Hindelang, aber die Freude ist doch viel größer. Herzliche Grüße
A. E.
Arbeitsgemeinschaft vom 23.8.-11. 9.1954 in Hindelang Montag, 23.8.1954
1. Tag
Begrüßung
Ich freue mich dieses Mal besonders auf die Arbeit, weil es das erste Mal ist, dass sich eine Gruppe von Menschen trifft, die in den letzten Jahren oder im letzten Jahr sich mit unseren Arbeitsproblemen auseinandergesetzt hat. Und so erhoffe ich mir von diesem Arbeitskreis, dass sie sich vorurteilslos und aufrichtig mit den Schwierigkeiten auseinander setzen werden, die ihnen im praktischen Leben bei der Realisierung begegnet sind. Dazu wäre es mir wichtig, von allen, die ihre Berichte noch nicht abgeliefert haben, sie möglichst heute im laufe des Tages zu 27
Das Abklingenlassen von Störungen.
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bekommen. Die Wochen gehen schnell vorüber, und ich möchte gern einen Überblick gewinnen, welche Probleme am dringlichsten sind. Die noch ausstehenden Berichte erbitten. Was ist von der Arbeit weitergelaufen? Was konnten sie realisieren? Was hat sich bestätigt? Worüber möchten sie mehr Klarheit gewinnen? Sind wir immer bedrängt durch das „Nicht-genügend-Zeit"-Haben? Kann man mehr als eine Sache aufs Mal tun? Dienstag, 24.8.1954
2. Tag
Zeit. Zehn Minuten vor Beginn, noch unergiebig. Fragen. Sich gefragt fühlen. Woran orientieren wir uns? An Spannungszuständen? Ist es wahr, dass alle Reize unseren Spannungszustand verändern? Ein entstandenes Missverständnis. Woran hapert es? Wir müssen es noch klarer herausarbeiten; ich bin nicht befriedigt von der Auseinandersetzung. Nach der Pause lasse ich, da es sehr kalt ist, sie sich klopfen, durchspannen und einen kleinen Dauerlauf machen - am Ort, um beim Laufen zu erleben, dass das Außer-Atem-Kommen meist die Folge einer Verzerrung ist. Als sie ein bisschen durchgearbeiteter sind, lasse ich eine Hälfte im liegen aufs Ruhen aus sein, die andere begutachten und versuchen herauszufinden, ob der Mensch in Ordnung ist oder nicht2 8 • Sie sind nicht sehr einverstanden, aber die Stellungnahme ist noch ein bisschen spärlich. Die zweite Gruppe zielt schon richtiger, aber was ist los? Ich lasse sie sich hinlegen und als zweiten Versuch probieren, so zu werden im Sitzen, dass sie ein Bedürfnis zum liegen bekommen und nachgeben, wenn es geht. 28
Ob die liegenden tatsächlich ruhen.
Sie kommen
a tempo 29 zu einer anderen
Qualität des Liegens als beim
Hinlegen. Ich lasse sie weiterprobieren auf der Erde und mit Stock 30• Und sie sind dem Überlassen schon näher. Als neues Problem fällt mir auf, dass, mit ganz wenigen Ausnahmen, fast alle nun liegen, aber nicht munter genug werden, um das, was ihnen begegnet, zu erfahren und zu lesen. Ich zeige ihnen dies an einem eigenen Versuch. Ermitteln, was einem beim Probieren widerfährt. Vergleiche vom Probieren einer Speise! Da wir vorher übers Lesen - nicht wissen, was man liest, wissen, was man liest, und verstehen, aufnehmen, was man liest - gesprochen haben, gibt es eine Analogie! Zu einer Frage vom Anfang: Müssten wir nicht, wenn wir uns mit dem Säuglingserwachen auseinandersetzen wollen, schon das Zubettgehen einbeziehen? - Nun, irgendwo müssen wir anfangen, und am Morgen ist im Bett schon allerhand zu entdecken. Unsere Vorstellung vom Ausgeschlafensein wird sich gründlich verändern, wenn wir anfangen, von dem stets wechselnden Zustand, den wir vorfinden, Kenntnis zu nehmen. Zu wenig Schlaf, gestörter Schlaf (Schmerzen, Lärm etc.) können uns doch nicht davon distanzieren, zu einer bestimmten Zeit funktionsbereit sein zu müssen. Oder ...? Und gerade hier wäre es notwendig, in dieser Phase zwischen Auftauchen und Zulassen, dass wir im Organismus den Prozess des Aufwachens, in Besitznehmens zum Tätig-werden-Können sich vollziehen lassen. Gerade wenn wir verschlafen haben, lohnt auch nur eine Minute! Wie gehen wir zu Bett? Legen wir uns hin oder versuchen wir, einen Moment zu verharren und zu spüren, wie das vor sich gehen will? Zur Frage „festhalten, was sie hier begriffen haben": So sein oder so werden? Der Zustand, in dem wir uns vorfinden, ist immer richtig! Aufgrund der Faktoren, die vorher da sind!
29
A tempo meint
30
liegend auf einer Stange sich dem Zug der Schwerkraft auf die Masse überlassen.
mit Schnelligkeit als Folge von gegenwärtigem, reagierbereitem Dasein.
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Mittwoch, 25.8.1954
3.Tag
Frage von mir, ob was weitergegangen ist? A. I.: Hat auf dem Boden am Ruhen probiert, mit und ohne Stock. Als sie ins Bett kam, war sie so munter, dass sie nicht schlafen konnte. Schlafen - Schlafbereitschaft. ,,Du willst gar nicht schlafen!", können wir
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das bei jedem Kind erkennen? Wird bejaht. Ob wir das auch bei uns erkennen können? B.: Mutter, die ums Karree lief. - Übergang, abklingen lassen, Arbeit ruhen lassen können. T. D.: Im Bett den Kopf voller Wissensinhalte. - Wie kann man es abstellen? Trick, Übung. Was denken wir, wenn uns „die Gedanken" nicht schlafen lassen? Überprüfen! Erledigen der Briefe, der Gespräche im Bett, ohne dass man es tut. Disziplinierung: Das „Mal um Mal ringen müssen" in unserer Sprache. Begreifen, wie wir werden müssen, um uns dem Schlaf und der Natur überlassen zu können. Der Mensch ist nicht nur physiologisch, ist nicht nur soziologisch bestimmt. Wenn wir in ungelösten Konflikten stecken, kann es uns passieren, dass wir völlig zusammengezogen und „verkrampft" aufwachen, auch wenn wir noch so schlafbereit und gelöst zu Bett gegangen sind. Zweiter Teil: Bilder von Ruhenden, von liegenden. Sehen wir sie uns so an, dass wir zu erfahren versuchen, wie wir uns verhalten und was bei uns geschieht bzw. geschehen müsste? Ich lasse sie wieder im liegen probieren. Das Ermitteln beim Erfahren! Dann Versuch, in den Händen so zu werden, dass der Kopf sich anvertrauen kann [...] offene Hände. Im Anfang: Aufnehmen beim Hören. Nehmen die Worte Gestalt an? Donnerstag, 26.8.1954
4. Tag
Leider nicht gleich aufgeschrieben! Versuche, sich mit der unmittelbaren Wahrnehmung der eigenen Masse im Raum auseinanderzusetzen. Erlebt man seine eigene Masse von innen in Ruhe und Bewegung? Die Andersartigkeit der Begegnung von innen als von außen durch Sehen und Begreifen. Die Undeutlichkeit! Die
Sinneseindrücke, die an Deutlichkeit gewinnen, indem man des Öfteren probiert. Wahrnehmung im Sitzen. Wahrnehmung beim Aufstehen. Wahrnehmung bei Armbewegungen im Raum. Versuche, einen Ball zur Aufgeschlossenheit zu benützen. Erfahren, dass sich eine Hand nicht in der Hand verändern kann, ohne dass auch im Gesamtorganismus Veränderungen vor sich gehen. Nun wieder zu zweit mit den Köpfen probieren lassen. Die Veränderung im Zustand beim Überlassen mitzuerfahren, auch das Wieder-starr-Werden etc. Dieser Versuch wurde sehr deutlich und bewusst erlebt. Was ist nun eigentlich geschehen? Hat das etwas mit Gewicht zu tun? Sind die Köpfe „weicher" geworden? Klärung über Bereitwerden zum Schlafen! [Zu] T. D., A. I.: Es handelt sich nicht darum, ob es uns leicht oder schwer ist oder wird, hier können wir ein Gesetz erfüllen oder immer dagegen verstoßen, die Resultate werden es aufzeigen. Wünsche ändern nichts! Arbeiten am Tage; Ruhen-lassen-Können der Arbeit, die nicht bewältigt wurde, verlangt viel von uns, es kann nicht durch Tricks bewältigt werden. Kurze Ruhezeiten, um wieder kontaktbereit zu werden. Gespräch im kleinen Raum: Haben sie so viel erfahren, dass sie selbstständig versuchen können, dem Ruhen im liegen näher zu kommen? Am Beispiel des Kopfes etwas erlebt, was bei gesunden Tieren und Kleinkindern noch spielt? Könnten sie im Rumpf, in den Beinen, Armen und Händen nun selbstständig versuchen, öfter zum Überlassen zu kommen? Es wird, wenn auch zögernd, bejaht! Sonnabend, 28.8.1954
5. Tag
Zusammenfassung über den Prozess des Erwachens. Erkennen, dass hier etwas von Natur aus läuft und wir, wenn wir es versäumen, uns um den Profit des Schlafes bringen. Hier glauben sie, selbstständig weiterarbeiten zu können. Ich werde im Verlauf der Arbeit nur darauf zurückkommen, wenn sie Fragen zu ihrer Arbeit haben.
Versuche, wirklich ernsthafte Arbeit zu leisten, um am Abend das noch nicht Getane ruhen zu lassen, um schlafbereit zu werden, werden uns noch manche Nuss zu knacken geben, aber sie glauben auch hier selbstständig versuchen zu können. Planen am Abend. Kontrolle des Plans. Was habe ich stattdessen getan?
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Würde auch dazugehören, um morgens erfahren zu können, für welche Forderungen man bereit werden müsste. Akzeptieren unangenehmer Aufgaben. liegen - Ruhen. Hier wollen sie selbstständig versuchen, auf die Reise zu gehen, und auch mit dem Rumpf, den Beinen und den Armen ähnlich wie mit dem Kopf versuchen. Verabredung eines Nachmittags, an dem sie ohne mich versuchen wollen. An der unmittelbaren Körperwahrnehmung glauben sie auch versuchen zu können. Versuche, uns mit dem Erleben der Anziehungskraft zu beschäftigen: Säckchen, Arm, Unterschenkel! - Ich bin nicht zufrieden mit dem Aufrollen dieses Problems. Sonntag, 29.8.1954
6. Tag
Klärung über Empfindung und Wahrnehmen. Organisation - Sinnesausrüstung. lnnewerden. Bewusstwerden. Empfinden, getroffen werden von Reizen ist nicht dasselbe wie wahrnehmen. Werten - bewerten. Empfinden, fühlen. Geschmacksempfindung süß, bitter, salzig, muss bei allen Menschen gleich sein; aber die Bewertung zu süß, nicht süß genug, gerade richtig wird gefühlsmäßig bewertet. Spüren - auf der Spur sein! Wenn ich also mein liegen auf Ruhen hin untersuchen will, muss ich, wenn ich gerichtet arbeiten will, bewegt von der Möglichkeit sein, die
mir beim Erleben unserer Arbeitsversuche oder beim Erleben und Wahrnehmen gesunder Tiere und Kleinkinder bewusst geworden ist. Wach- und Munterwerden. Um etwas zu ermitteln, muss sich mein Zustand in dieser Richtung ändern. T. D.: Wenn ich eine Untersuchung anstelle, kann ich nur für eine Sache da sein! Erleben der eigenen Masse in der räumlichen Ausdehnung ist zwar erfahren, aber der Kontakt mit dieser Möglichkeit ist doch noch nicht erarbeitet? Der Kontakt mit dem Erleben des Widerstands, den ich beim Bewegen jeder Masse - auch der eigenen - erfahren kann, setzt doch viel Arbeit voraus! Solange ich in der üblichen Starre bin, kann ich die eigene Masse - auch Teile meiner Masse - gar nicht als Last erleben! Versuche in der Richtung, beim Erleben des Widerstands wach und munter für die verschiedene Art der Überwindung der Widerstände zu werden. Zieht sich etwas zusammen bei mir oder entsteht eine Ladung, die zum Beispiel den Atemprozess auslöst statt ihn zu drosseln etc. Beispiel: Widerstandsversuch mit T. D. Interesse an unserer Reaktion bei Forderungen: Ziehen wir uns zusammen, wenn wir sprechen, uns bewegen sollen etc.? Lassen wir los, wenn wir etwas Unzweckmäßiges empfinden, oder versuchen wir, wahrnehmungsbereit für den Ablauf der ordnenden Prozesse zu werden? T. H.: Beim Hinabbeugen, halte ich von innen fest und ziehe von außen oder versuche ich meine Bewegungsmöglichkeiten, Gelenke zu erfahren und zur Kenntnis zu nehmen? - Sehr einleuchtend probiert? Sie haben sehr gut beim Erfahren des Widerstands mit den Säckchen probiert und sollen bis morgen mit ihrem eigenen Körper und mit den verschiedensten Gegenständen probieren. Die Eroberung der eigenen Beine; für unsere Beine können wir nur uns selbst interessieren. (Für T. H.s Beine interessiert sich nur T. H., und wenn der nicht ... ) Unzweckmäßige Fragestellung beim Versuchen (T.D.). Um mehr Beziehung zu diesen Phänomenen zu gewinnen, müssen wir viel arbeiten. Die Arbeit, die ein Konzertmeister vom Anfang bis zur Mög-
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lichkeit, im Orchester seinen Part bei der Neunten Symphonie spielen zu können, leisten muss, ist bestimmt nicht kleiner, als wenn wir unser Leben daransetzen, in den vielfältigen und verflochtenen Situationen des Lebens unsere Geige so meisterhaft zu spielen, wie es unsere Ahnungen als möglich erscheinen lassen.
ZWISCHENBERICHT
A. E.sNACH
DER ERSTEN WOCHE
Es wird mir dieses Mal schwer, da zu sein. Oft bin ich ganz verdreht, und alles scheint mir wieder unklar. Ich wundere mich dann, dass doch immer wieder manches auftaucht und ich doch mehr verstehe, als ich zunächst denke. Aber immer wieder komme ich an einen Punkt, an dem ich nicht mehr aufnehmen kann, dann lasse ich es einfach über mich ergehen und komme mir dabei recht hilflos vor. Das, was Sie heute sagten, wirkte befreiend auf mich - dass ich mich dadurch hemme, dass ich immer mehr will, als noch da sein kann. Das ist Unbescheidenheit. Diese Erkenntnis erleichtert, wenn sie auch zugleich beschämt. Es bedrückt mich auch das Schweigen, im Grunde wohl mein Beitrag dazu, denn es kann ja wohl nicht sein, dass es nur auf noch mangelndes Aufgeschlossensein zurückzuführen ist. Je länger ich schweige, je mehr ziehe ich mich in mich zurück. Nur um überhaupt einen Anfang zu machen, möchte ich dann lieber das Dümmste sagen, wenn ich Mut hätte, als mich immer weiter aufs tote Geleise schieben zu lassen. Das Versuchen: Auch das befriedigt mich nicht. Ich vertue meine Zeit nicht, aber ich fange es offenbar nicht richtig an, dass ich nicht ausreichend zum Versuchen komme. Was mir noch ziemlich undurchdringlich ist, stelle ich meist an den Schluss, und dann bleibt es leicht unversucht; bei anderem wieder verliere ich mich, breche es nicht zeitig genug ab. Da ist wieder mein Alltag. Ich nehme mir zu allem zu viel Anlaufzeit; das
a tempo hier hat mich
zunächst sehr verwirrt. Wenn Sie eine Frage haben wollten, machte ich
gerade den Anfang anzufangen. Wenn die Aufgaben, wie jetzt wieder, mit jedem Tag mehr werden, werde ich sehr an zu Hause erinnert, wo dann noch alles andere hinzukommt. Das macht mich zunächst aktionsunfähig, und ich finde nur schwer, oft auch gar nicht, die Ruhe, mit einem zu beginnen. Ich habe viel Widerstand gegen das Vielerlei, das das Leben mit sich bringt, zu überwinden, dass mir schon allein damit viel Kraft verloren geht. Wenn nun schon Ferien mich in ähnliche Situationen bringen können, werde ich mich doch wohl entschließen müssen, es mit dem Vielen aufzunehmen, anstatt mich nur dagegen zu stellen. Der Aufwachprozess: Seitdem ich das Wort Prozess gehört habe, kommt es mir vor, als sei ich mit diesem Versuch wieder am Anfang; trotzdem bleibt es, dass ich mir auf die bisherige Weise zum Frischwerden mehr oder weniger verhelfen kann. Ich merke jetzt nachträglich, dass ich über meinen Zustand beim Aufwachen morgens immer schnell hinweg und zum Dehnen übergegangen bin. Er war auch meist sehr unerfreulich, sodass ich, wenn auch unbewusst, ihn gar nicht erst mit Bewusstsein aufnehmen wollte. Jetzt, da ich versuche, meinen Zustand wahrzunehmen: Ein dumpfes Etwas beginnt sich manchmal etwas in Richtung Massewahrnehmen zu regen, ohne mein besonderes Zutun. Ich erkenne auch etwas von Überlassen wie beim Kopf; auch, dass noch etwas nachkommen will, wenn die Bewegung zu Ende ist, wie beim Lasterlebnis. Das ist noch ziemlich vage, und ich weiß nicht sicher, ob ich auf der richtigen Fährte bin. Einmal habe ich in diesen Tagen erlebt, dass ich, nachdem ich mich abends aufs Schlafen eingestimmt hatte, nachts wach wurde und mich frisch vorfand, und noch ehe ich mir dessen recht bewusst werden konnte, dehnte es sich in mir. Das war ein wunderbares Gefühl; ich schlief bald wieder ein. Als ich dann am Morgen wach wurde, war ich wieder in dem gewohnten schlechten Zustand, und ich brauchte wieder lange, um frischer zu werden. Die Zeitfrag~ ist sehr mein Problem. (Zehn Minuten früher da sein.) Im vergangenen Jahr habe ich mich bei dieser Aufgabe sehr ans Wort geklam-
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mert. Ich war verwundert, als ich jetzt erkannte, dass man hierin den ganzen Tag unterwegs sein kann, wenn man's merkt. Damals schien mir diese Aufgabe von vollkommen anderer Art zu sein als die übrigen Versuchsaufgaben, mehr von außen. Jetzt merke ich, dass dieser Versuch nicht mit dem Willen gemacht werden kann. Wenn ich bisher mit der Zeit nicht zurechtkam, war ich oft nur dumpf unzufrieden, oder ich ärgerte mich, dass es mal wieder nicht klappen wollte. Ich habe den Grund für mein Versagen darin gesucht, dass ich eben langsamer sei als andere und mich damit abfinden müsse. In Wirklichkeit habe ich in eine verhältnismäßig kurze Zeit immer viel zu viel hineinpressen wollen, was mich dann in Eile und Hetze brachte, und ich es dann doch nicht schaffte, aber immer wieder wollte ich es zwingen. Dass ich einer Arbeit so viel Zeit (Raum) zubilligen muss, wie sie braucht, ist so einleuchtend und scheint so einfach und selbstverständlich, dass ich mich wundere, darauf nicht selbst gekommen zu sein. Ich habe mein Aufstehen hier vorverlegt, damit alles besser gehen kann. Der Versuch, den Kopf den Händen zu überlassen, war mir sehr aufschlussreich. Ich habe zum ersten Mal ein solches Wohlgefühl in meinem Kopf empfunden. Ich habe es aber noch schwer, diesen Zustand selbst herbeizuführen (ohne Partnerhände). Es gelingt bisher noch selten. Besonders vor dem Einschlafen versuche ich in dieser Richtung. Lasterlebnis bei Arm und Unterschenkel: Beim Unterschenkel muss ich längere Zeit versuchen, um wahrzunehmen, dass ich eine Last abziehe. Wenn ich zwischendurch am Tage versuchen will, vergesse ich es immer wieder. Bisher ist es selten gewesen, dass ich es noch so rechtzeitig gemerkt habe, um den Versuch nachholen zu können. Ich kann bisher während und nach dem Abziehen nur das wahrnehmen, was in der Arbeitsgemeinschaft schon gesagt worden ist. Wenn ich beim Gehen probiere, erkenne ich, dass auch dabei etwas von der Raumzeit akut wird. Meist überlasse ich dem Boden den gerade aufgesetzten Fuß nicht, weil ich es mit dem nächsten Schritt so eilig habe.
Masse empfinden: Da bin ich noch sehr am Anfang; es ist schon ein Fortschritt, dass ich damit überhaupt versuchen kann. Offene Hände 31 und Abziehen der Last: Obwohl es zwei verschiedene Versuche sind, geschieht dabei nicht das Gleiche? In beiden Fällen werden die Hände für differenzierte Arbeit bereiter. Während des Versuchs wird doch auch Ähnliches im Rumpf ausgelöst. Jetzt habe ich so viel geschrieben, aber ich habe den Eindruck, dass doch nicht sehr viel damit gesagt ist, und ich wäre damit auch einverstanden, wenn ich diese Blätter jetzt nicht abzugeben brauchte. Das Schreiben hat mir etwas geholfen, meine Situation deutlicher zu sehen, und ich habe jetzt das Gefühl, wieder neu beginnen zu können in der zweiten Woche. :T
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t -NOTIZEN ELSA GINDLERS, 30.8.-4.9.1954 >'
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7. Tag
St. fällt auf, dass sie beim Versuchen ständig abgelenkt wird, beim Denken vom Hundertsten ins Tausendste kommt. - Umdisziplinieren zum Bei-einer-Sache-sein-Können wird doch erst möglich, wenn uns dieser unwürdige Zustand auffällt. Hier könnten sie sich viele Wünsche in Bezug auf das Schneller-für-etwas-Ankommen
erfüllen.
„Mal um Mal ringen", ,,Zeit verschenken"? Aufgeschlossen, ansprechbar werden! Zum Problem sprechen oder Privatunterhaltung? Hier fehlt mir die Auseinandersetzung. Widerstand gegen Resümees! Empfohlen, Notizen zu machen. T. N.: Gespräch über seine Schwierigkeit, ein Resümee zu liefern. Im zweiten Teil haben wir wieder am Versuch probiert, Kontakt mit dem Bewegen der eigenen Last zu gewinnen. Ich habe die Versuche geführt. In Rückenlage Kopflast hochziehen; Finger-, Hand-, Armlast, Rumpflast; Beinlast; mit Stuhl-, Beckenlast. Bei allen Versuchen sollten sie erfahren, 31
Offene Hände bekommen, s. Notiz vom 26.8.1954.
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wann sie mit „ohne" und wann sie mit Ladung bewegen. Klärung darüber, dass wir unsere Kräfte nicht gegen einen Widerstand einsetzen können, wenn wir nicht die Festigkeit des Bodens benützen. Widerstandsversuch von gestern zwischen T. D. und mir. Einzelversuche: Hochziehen der Kopflast in Bauchlage, um deutlich werden zu lassen, dass sich der Rumpf erst niederlassen muss, um für das Hochziehen der Kopflast den Widerstand des Bodens ausnutzen zu können. Vorher gemeinsamer Versuch, die Kopflast hochzuziehen. Dienstag, 31.8.1954
8. Tag
Heute war mir etwas bedrückt zumute - die gestern abgelieferten Berichte würden Arbeit für ein Jahr liefern, und wir haben doch nur noch zehn Tage! Die ganze Nacht habe ich mir um die Ohren geschlagen, wie ich wieder zum Zug komme! Es ist mir selbst unbegreiflich, wie viel man in einer Woche bei den Leuten anrichten kann. Ja, und dann löste sich alles wie von selbst. Es gelang mir, die Arbeit wieder in eine natürliche Ordnung zu bringen, sie begriffen, was sich schon alles vollzogen hat. Der Wunsch, dass ich sie führe, anstatt dass sie den Wunsch haben ... Aussprache über die Arbeitsgemeinschaft. Wenn eine Frage als Frage wirklich ankommt, löst sie eine Bewegung in uns aus; in den meisten Fällen kann man gar nicht sofort antworten. Es ist ein verhängnisvoller Irrtum, wenn wir meinen, dass die Arbeitsgemeinschaft geglückt ist, wenn alle reden. Ich lese G.s Zusammenstellung vor, und sie erkennen sich beglückt wieder. Aber, hier sitzt der Irrtum. Wenn ich wirklich mitarbeiten will, muss ich so aufgeschlossen beim Hören sein können, dass die Worte Gestalt annehmen und mich bewegen. Nur dann kann eine Anmerkung, eine Stellungnahme aus meinem bisher gelebten Leben kommen; ein echter Zweifel, eine Zustimmung! Auch die Zeitfrage bekommt nun ein Gesicht und ein Gewicht. Dass wir, um durch Messen und Vergleichen eine Einsicht gewinnen zu können, dass man zum Messen, Vergleichen und Stellungnehmen zu einem anderen Grad der Munterkeit kommen muss, kommt ebenfalls
allmählich an. T. D.s Resümee hat auch viel geholfen, um Standortverschiebungen deutlicher erkennen zu können. Nicht die „Masse" nimmt wahr, sondern der Mensch, der etwas studiert! Im zweiten Teil wieder Auseinandersetzung mit dem Versuch, sich selbstständig etwas erarbeiten zu können und zu merken, dass sie selbst etwas herauskriegen können; wurde plötzlich erkannt. Die Auseinandersetzung mit dem Prozess des Erwachens wurde als notwendig erkannt, um jeden Morgen von Neuem starten zu können. Auch das Verhalten zur Nacht, das bewusste Ruhen-lassen-Können der nicht erledigten Arbeit - wodurch ein Überlassen erst möglich ist - wurde als Aufgabe erkannt, an der man ein Leben lang knabbern kann. Mittwoch, 1.9.1954
9.Tag
(erst spät abends aufgeschrieben) So werden, dass sich die Augen von selbst schließen. Interesse für das Steifwerden im Kopf und in den Augen, Hochziehen der Last etc., wenn wir „denken". Nicht eher sprechen, ehe der andere bereit wird. Versuche, den anderen anzusprechen und aufzunehmen beim Hören! Wieder Versuche am Bewegen im Kontakt mit der Last. Einzelversuche. Rumpf betrachtet. Das Aufpflegen 32 der Gewebe. Beim Herunterlassen sich für das Reagieren der Gewebe interessieren! Und ob's einem nicht behaglicher werden kann! Hinweis auf die Schwangeren! Ehe der Rumpf nicht gespannt werden kann, können sie auch die Beine nicht gebrauchen! A. I.: Rückwärts den Berg heraufgegangen. Überanstrengung statt erhoffter Erholung. Unzweckmäßige Aufgabenstellung, mitverschuldet durch mein Angebot! Ich lasse E. E. beim Rückwärtsgehen in der Turnhalle versuchen, erfahrungsbereit dafür zu werden, wie sie sich verändern muss, damit es zu einem Gehen kommt. 32
Sich so verhalten, dass die Gewebe wieder aufgehen, besser ernährt werden.
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T. N.: Auseinandersetzung mit der unzweckmäßigen Fragestellung beim Sitzen. Er kommt ans Versuchen. ,,Ich versuche mich zu spüren" anstatt zu klären, was mich oder woran ich mich beim Sitzen orientieren kann. Er spricht vom „Verlagern", hat aber nur gestoßen und gedrückt. Ich zeige mit der Flasche, was man als verlagern bezeichnen kann, und lasse sie auf der Seite probieren. Mache einen Einzelversuch mit F. Appell an unseren Richtungssinn: Kann ich erleben, wann Körper und Glieder in einer Ebene sind? Kann ich mich so verhalten, dass ich erfahren kann, wann Teile mit Masse aufgerichtet auf der Seite sind? Und kann ich erfahren, ob ich mit meiner Last auf der Seite ruhe? Lasse ich zu, dass sich die Last auf jeden neuen Millimeter Unterlage niederlässt? Es wird bei E. sehr sichtbar, besonders als mein Knie als Unterlage dazukommt, wird spürbar, wie wenig wir daran gewohnt sind, Last zu verlagern. Die Veränderungen sind erstaunlich und werden gut erlebt von allen. Sich überlassen können bedeutet im psychischen Aspekt vertrauen können! Vertrauen = wach sein. Sie probieren alle mit gutem Erfolg. Da A. I. nicht das Gleiche erlebt, sondern ein „schwammiges Gefühl" hat, mache ich auch mit ihr einen Einzelversuch. Hier wird das „Sich-nichtüberlassen-Können" besonders akut. Und umso eindrucksvoller die Versuche in der Richtung. Ich muss dann nur noch das Missverständnis klären, dass Schlaffwerden nicht Verlagern ist. Wachheit, Erfahrbereitschaft - schlaffe Masse, Asphalt. Am Sonnabend weiter zum Aufrichten der eigenen Masse auf dem Boden. Bilder vom Stehen mitnehmen. Sollen sie sich ansehen vor Beginn! Zum Vertrauen: Die meisten Menschen erleben Enttäuschungen, weil sie vom anderen bestimmte Erwartungen erfüllt haben wollen, ohne wach dafür zu werden, ob er überhaupt in der Lage ist, sie zu erfüllen! Siehe meinen Vorschlag und A. l.s Reaktion! Vertrauen, nicht Misstrauen würde bedeuten, dass ich wach bleibe!
11. Tag
Sonnabend, 4.9.1954
Eroberung der Beine durch Tätigkeiten, die wir sonst mit den Armen und Händen tun. Versuch, nicht sich für das Tun, sondern für die Veränderungs- und Verwandlungsmöglichkeiten durch die Arbeit zu interessieren. Stoff - Funktion. Herunterlassen unter Ausnützung der Schwerkraft kann Stoff sein, der zur Auslösung der Lebensprozesse führt. Sehen, schauen
Ich führe vor.
Glotzen, stieren
Erinnerung durch das Erkennen bei anderen.
Charakter. Halten von Zuständen, die ablaufen wollen (Bestrafung etc.). Um sich mit den Beinen so bewegen zu können, mit der Gelassenheit der strickenden Frau33 , ist selbstverständlich Arbeit nötig. Man muss sitzen können, um seine Beine für Bewegung freizubekommen.
~ ZWl;~~ENBE~ICHT A. E.~'NA~H ' .
DER ZWEITE.NWOCHE
Die zweite Woche habe ich unbelastet beginnen können. Ob's der geschriebene Bericht war? Vielleicht lag's auch daran, dass die Versuche mit der Last mir schon etwas vertrauter waren. Das Zusehendürfen bei einem einzelnen Versuch macht mir vieles klarer, wenn ich es auch zunächst sehr schwer mit dem Sehen (Lesen 34 ) habe. Das ist aber bei meinen eigenen Versuchen auch so: Sobald es ein anderer sagt, erkenne ich es bei mir wieder. Ich merke beim Versuchen mancherlei, aber alles ist meist noch so unklar und vage, dass ich daraus keine Frage stellen kann. Ich kann den Ansatz zum Fragen nicht finden. Sicher müsste ich da abgrenzen, aber wie fange ich das an? Hier habe ich doch offenbar etwas Entscheidendes noch nicht verstanden. Wenn ich an 33
Eisa Gindler zeigte in ihren Kursen Bilder, um Arbeitsfragen deutlicher werden zu lassen, darunter das Bild einer armlosen, mit den Füßen strickenden Frau.
34
Erkennen, verstehen, deuten dessen, was man sieht.
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zu Hause denke, würde mir an dieser Stelle etwas fehlen, ohne das ich allein kaum weiterarbeiten könnte. Die Arbeitsgemeinschaft: Obwohl sich hierin im Vergleich mit der letzten Woche kaum etwas geändert hat, empfinde ich es doch wesentlich
anders. Das Schweigen
bedrückt mich nicht mehr, aber ich wünsche mir doch sehr, dass ich mehr mitarbeiten könnte. Ich vermute, dass mein Nichtkönnen im oben Gesagten eine Ursache mit hat. Auch hat sich meine Situation mit dem Versuch „Im Leben probieren" noch nicht erwähnenswert verändert, und doch ist in meiner Einstellung dazu in dieser Woche etwas anders geworden. Es fängt hier manches an, seitdem ich einmal erfahren habe (gehört habe ich es ja oft), dass es sich lohnt, auch dann noch zu probieren, wenn etwas bereits falsch läuft. Seitdem merke ich auch etwas mehr. Hier erkenne ich etwas in meinem Leben wieder: Wenn etwas nicht so geht, wie ich es mir vorstelle, schiebe ich es lieber auf, anstatt es auch mal im Augenblick so gut zu machen, wie es geht. Es ist inzwischen auch bei mir angekommen, dass ich alles falsch machen kann und dass mir trotzdem die Chance bleibt, immer wieder neu zu versuchen. Das scheint doch so einleuchtend, aber mich konnte es bisher nicht erreichen. Je öfter ich während des Versuchs „abreise", umso häufiger habe ich Gelegenheit zurückzukommen. Seitdem ich das in mich eingelassen habe, ist es seltsamerweise so, dass ich es gar nicht mehr so schwer habe, bei der Sache zu bleiben. Der Hinweis, dass ein Probieren im Leben nicht mehr Zeit in Anspruch nehmen darf als eine Tätigkeit auch sonst braucht, war für mich ein Anstoß, häufiger zu probieren. Beim Versuchen kann eine Aufgabe zum Stoff werden. 35 Das habe ich verstanden, weil es mir ja schon oft so ergangen ist. Ich traue mir auch zu, es
35
Eine Aufgabe wird dann zum „Stoff", wenn die Orientierung am Funktionellen fehlt, etwa wenn man auf liegen (Stoff) zielt, nicht aber darauf, auf der Unterlage zum Ruhen zu kommen (Funktion).
zu erkennen, wenn es wieder so ist, aber ich weiß nicht, wie ich es verhüten kann. In dem Augenblick, in dem Sie etwas sagen, ist es mir meist so klar, dass ich es zu verstehen glaube, aber wenn ich dann beim Versuch bin, kann es schon wieder weg sein, oder es stellt sich dann heraus, dass ich's doch nicht verstanden habe. Zu den Versuchen SäugjiQg§_filwachen:Einmal in der Nacht, als ich nicht wieder einschlafen konnte, habe ich mich so verhalten können, konnte ich so werden, dass der Prozess ablaufen konnte. Ich habe mich danach so wohl gefühlt. Es war wie ein Von-innen-Empfinden, ein Aufgehen. Ich bin sicher, dass ich mich da richtig verhalten habe. Trotzdem will es mir jetzt nicht wieder gelingen. Es hängt sicher damit zusammen, dass ich in der Nacht nicht aufs Frischwerden aus war. Am Morgen kann ich mich von diesem Verlangen nicht frei machen. Es hindert mich, so zu werden, dass etwas geschehen kann. Ich erkenne, dass es mit dem Dehnen, das ich mache, nicht geht, aber weiß auch nicht weiter. Beim Rückwärtsgehen habe ich mein Hüftgelenk entdeckt. Ich fühlte es von innen; ein wunderbares leichtes Gefühl. Es ist dadurch entstanden, dass ich beim Rückwärtsgehen, bevor der Fuß zum Boden kam, die Last des Beines spürte. Seitdem kann ich's auch beim Vorwärtsgehen herstellen. Jetzt weiß ich, was ich beim Gehen versuchen kann. Ich hatte Lust, mit solchen Beinen auf die Berge zu steigen. Versuch, die Rumpflast vom Boden abzuziehen: Wenn ich an den Stellen, die noch Krampf verursachen, länger verweile, spüre ich ein leises Zittern und Unsicherheit im Niederlassen. Unterschenkel auf dem Stuhl: Kreuzschmerzen, die aber allmählich zurückgehen. Dieser Versuch schafft ein mir unbekanntes, leichtes Gefühl im Becken. Ich probiere gern; obwohl es immer noch schmerzt, aber es tut gut weh. Vom Sitzen zum Stehen kommen: Es weckt Lust; ich möchte es immer weitermachen; schon jetzt, obwohl
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ich damit sicher erst am Anfang bin. Es ist reizvoll, sich immer wieder einen andern Weg auszuprobieren, die Möglichkeiten scheinen unerschöpflich; es ist wie ein Spielen.
NOTIZEN ELSA GINDLERS, 5.9.-10.9.1954
Sonntag, 5.9.1954
12. Tag
Auseinandersetzung mit Aufrichten der eigenen Last. Erfahren des Bodens, auf dem Last aufgerichtet werden soll. Richtungsempfinden. Kontakt mit der Last. Verlagern. Notwendig werden des Lösens, des ZuEnde-Laufens von Bewegungen bis zum Überlassen. Solange wir nicht überlassen können, können wir den Boden nicht zum Stützen benützen. Starr an den Knickstellen (Kniekehle, Fußgelenke, Leiste). Verhinderung des Falls. Knien und erleben, wie unmöglich ein Aufrichten ist, solange unser Becken so eingeklemmt ist. Zeit lassen für den Prozess des Ausgleichs im liegen! Wie viele solcher Bewegungen im Gewebe müssten wir geschehen lassen, bis es wirklich „gesund" würde? Zu Beginn der heutigen Arbeit: Damit unsere Gewebe und Gelenke gesund bleiben, wäre es nötig, dass unsere Glieder nach beendeter Arbeit - ähnlich wie bei gesunden Tiere - in die Ruhelage zurückkehrten, sich der Anziehungskraft überlassen könnten! Umwandlung! Wenn Tiere oder Kinder erschlaffen, wissen wir, dass sie krank sind. Diese Bewegung bis zum Überlassenkönnen ist notwendig für die Gesundung der Gewebe - wie auch die Prozesse beim Gebrauch, die Überwindung von Widerstand notwendig ist für die Gesundheit! Montag, 6.9.1954
13. Tag
Zur Frage Aufrichten, Stehen das Skelettbein gezeigt, um verständlich werden zu lassen, weshalb wir so ungeheuerliche Versteifungen in den Leisten, der Kniegegend und im Fußgelenk vorfinden. Wenn sie sich nicht so gegen die Fallwirkung versteifen würden, müsste der Körper immer zusammenbrechen.
Lehnen - Stehen. Versteifungen beim Lehnen. Aufrichten wäre doch Bewegung von Masse im Kontakt mit der Unterlage. Knien auf einem Knie und Versuch, ein Bein zu bewegen. Verstärkung einer Spannung, um eine erlebbare Lösung herbeizuführen. Akute Verspannung wird deutlicher empfunden als die chronische. Und, wenn wir die akute Spannung abklingen lassen, geht es immer weiter, ab nun bis zur Ausgangssituation. T. N.: Der Abschleppdienst beim Versuch von zwei Knien auf eines zu kommen, Masse mit der Mitte über die Unterstützungsfläche zu verlagern! Dienstag, 7.9.1954
14. Tag
Zusammenfassung: Wir „müssen" nicht, wir „können" unsere täglichen Arbeiten (mechanische, routinierte, automatische) dazu benützen, aufgeschlossener, anwesender dafür zu werden. Wenn wir von den Tausenden Verrichtungen, aus denen jeder Tag besteht, auch nur drei auswählen, würde es schon zu gewaltigen Veränderungen führen. Es macht nichts, wenn wir es öfter vergessen, es macht nichts, wenn wir es nicht tun - es geht auch so! Aber ich kann nicht erst am Krankenbett versuchen und Erfolg haben wollen, wenn ich den übrigen Teil meines Lebens immer aushäusig bin. (Schauspieler 20 Uhr 15.) Zum Stehen auf beiden Knien muss unsere Masse gleichmäßig über den Unterstützungsflächen sein. Verlagere ich auf ein Knie, so muss ich wieder mit der Mitte der Masse über die Unterstützungsfläche kommen. Erst wenn die Oberschenkel sich aufrichten, können die Unterschenkel sich legen. Stehen auf zwei Stäben: Versuch, die Ferse zum Übertragen von Last zu benützen. Knickfuß! T. N. allein probieren lassen, und auf der Leiter. Im ersten Teil nochmals: Die Entstehung von latenter Energie hängt vom Zu-Ende-Gehen einer Bewegung bis zum Überlassen ab. Kontakt mit der Last statt erschlaffen sichert die Zwerchfellspannung statt Erschlaffung. So wichtig, wie die Erarbeitung des Kontakts mit diesem Vorgang ist, so
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wichtig ist die Erarbeitung eines echten Kontakts zur Bewegung. Alles, was nicht bewegt wird, muss kümmern. Rümpfe, Beine, Füße werden nicht entwickelt. Allerdings: Bewegung im Kontakt mit der Last! Oder mit dem Widerstand!
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Mittwoch, 8.9.1954
15. Tag
D. A.: Im Knien Gewicht verlagern. - Verlagern. Erinnern an unsere Auseinandersetzung über Gewicht und Last. Verlagern auf der Seite: Gewicht bleibt dasselbe - unser Zustand kann sich auf jedem neuen Ort verändern. Versuche: Sprechen, Ansprechen, Vernehmen! Spiel. Unterhaltung zwischen lebender Masse und Boden. Ich lasse sie mit dem Stab auf dem Boden spielen. Versuche, sie für das Spiel im Organismus zu interessieren, das beim Verlagern beginnen könnte. Zeige ihnen Bilder: Von dem Jungen auf den Stühlen. 36 Erst in der Verstörtheit, dann beim Probieren. Von den tauchenden Kindern. Tauchen als Möglichkeit, sein Gelassenwerden zu überprüfen. Von Sophies 37 Kindern. Erfahrend werden, auf Gelassenwerden aus sein beim Tauchen. Und lasse sie versuchen: Erst Einzelversuche, dann gemeinsam. Die Versuche verliefen ungewöhnlich eindrucksvoll. Donnerstag, 9.9.1954
16. Tag
Tauchversuche, einzeln. Vorher: Fragen. Aber was war? Ich schreibe abends und weiß es nicht. Sich für seinen Zustand beim Sprechen interessieren. Die Vorstellung von Aufgeschlossenheit und Gelassenheit revidieren. Vertrauen können. Freitag, 10.9.1954
17. Tag
Wieder Tauchversuche. Interesse am Zustand. Könnten wir schwimmen? Vorstellung. Wahrnehmungsversuch: Raum, Richtung, Last, Aufrichten. 36
Fotos von Elfriede Hengstenberg aus ihrer Arbeit mit Kindern.
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Fotos von Sophie Ludwig aus ihrer Arbeit mit Kindern.
Zusammenfassung: Einstellwirkung für die Nachtruhe. Vorher: Überlassen können. Erwachensprozess. Das Sich-überlassen-Können am Tauchen überprüft. Stehen, Gleichgewicht. Stehen, Aufstehen, Hinsetzen. Erleben der Entlastung beim Niederlassen. Arbeit am Äußern. lauschend werden. Still werden, dass sich die Augen schließen. Verhalten beim Hören (sich bewusst versteifen). Vorlesen. Sich so verhalten, dass die Worte die Dinge und Ereignisse hervorrufen, Gestalt annehmen. Probleme des Erarbeitens. Gedichte. Purzelbaum: Wahrnehmen. Gesundung der Gelenke. Gelenkräume. Wahrnehmungsversuche. Zustandsveränderungen. ll"l"llt>•_,~-,c,
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; ABSCHLUSSBERICHT A.
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21. September 1954 Liebe Eisa Gindler, ob mein Bericht Sie noch in Italien erreicht? Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie eine gute Zeit dort haben. Es ist mir in diesem Jahr in Hindelang vieles deutlicher geworden, und ich werde im laufe der nächsten Zeit besser versuchen können, als es mir im Vorjahr möglich war. Andererseits ist aber auch sichtbar geworden, wie endlos der Weg ist, den ich gehen möchte. In der ersten Woche in Hindelang wurde mir recht bang zumute, und ich war ziemlich mutlos. Ich hatte das Gefühl, nicht einmal einen Anfang gemacht zu haben, und so ist es ja wohl auch, wenn ich das Versuchen meine, wie ich es jetzt nach der diesjährigen Arbeitsgemeinschaft
auffasse.
Ich glaube, es ist ganz nützlich, sich einmal vor die .Frage zu stellen: Will ich denn diesen Weg überhaupt gehen, den ich jetzt ein wenig besser über-
sehe? Im Grunde habe ich gar nicht mehr die Wahl. Schon bei dem Wenigen, das ich bisher erlebt habe, spüre ich: Hier ist das Leben! Und davon kann ich nicht mehr lassen. Alle Angst, ob es mir gelingen wird, die notwendige Umwandlung in mir zu vollziehen, tritt dahinter zurück, und im Grund bin ich ganz zuversichtlich.
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Ich muss also weiter, so gut und so schlecht wie es jetzt gehen kann. Meine Begeisterung wagt sich nicht mehr so hervor. Ich bin diesmal sehr nüchtern zurückgekommen: Realisieren? Da ist außerdem nicht viel anderes, wovon ich schreiben möchte. Damals war es die erste Begegnung mit einer Sache, von der ich nicht einmal gewusst habe, dass es sie überhaupt gibt, die ein beglückendes Hochgefühl in mir ausgelöst hat. Ich habe meinen vorjährigen Bericht noch einmal gelesen und gemerkt, dass ich die Nöte und schwachen Punkte in meinem Leben, die ich damals nur dumpf empfand, heute deutlich erkennen kann. Wenn sich auch praktisch noch kaum etwas geändert hat, so ist in meiner Vorstellung und Einstellung dazu doch manches anders geworden, und das gibt mir das Gefühl, als wäre ich schon ein Stückchen weitergekommen. Das „Erledigen" ist wie eine Krankheit, der ich immer wieder verfalle. Aus dieser bloßen Pflichterfüllung habe ich Befriedigung bezogen. ,,Während man etwas erledigt, lebt man nicht", das habe ich unbewusst immer empfunden. Mein Leben bestand aus zwei Teilen: Aus dem „Muss", das ich schnell hinter mich brachte, und aus dem, was mir Herzenswunsch war und mir Freude machte. Das wollte ich ganz tun und mit meinem Wesen dabei sein. Was ich mir da zurechtgelegt hatte, ging in Wirklichkeit nicht auf. Ich konnte nämlich nicht plötzlich anders sein, wenn ich vom „Erledigen" zu dem überging, was ich mit Herz und Seele tun wollte; und so kam es, dass ich auch das andere nur mit dem so gut geübten Willen tun konnte und darum wohl nie eine wirkliche Beziehung dazu fand. Ich bin in diesem Jahr mit der Erfahrung in die Hindelanger Arbeitsgemeinschaft gegangen, dass es sehr darauf ankommt, schon an Ort und Stelle viel zu versuchen und es nicht auf zu Hause zu verschieben. Es ist
mir auch schon besser gelungen. Wenn ich mir von dem Notizen machte, was am Tag war, habe ich mich so eingestellt, nur das aufzuschreiben, was von selbst auftauchte, anstatt mich mit Anstrengung zu erinnern. Es war mir wichtig zu erkennen, dass es auf diese Weise nicht einmal schlechter wurde. Ich hatte mir gewünscht, mit den Kursteilnehmern auszutauschen, wie man es anfängt, feste Versuchszeiten in sein Leben einzubauen. Es muss mir aber doch wohl nicht so wichtig gewesen sein, sonst hätte ich etwas mehr in dieser Hinsicht unternommen. Und es muss hierin auch wohl jeder selbst experimentieren, weil das Leben bei jedem anders aussieht. Wenn wir dazu gekommen wären bzw. wenn wir Ihren Vorschlag, einmal allein untereinander zu versuchen, aufgegriffen hätten, wäre sicher etwas von meinem Wunsch erfüllt worden. Ganz abgesehen von der Austauschfrage habe ich es als Mangel empfunden, so wenig Gelegenheit gesucht zu haben, mit den übrigen Kursteilnehmern Kontakt zu bekommen. In letzter Zeit kommt es mir immer wieder: Wie wenig kenne ich mich doch noch selbst. Ich hab's schon in meinem Wochenbericht geschrieben, dass ich so unzufrieden war, keine Fragen zu haben. Im ersten Jahr war ich viel unbekümmerter. Wenn ich jetzt etwas sagen wollte, erkannte ich selbst, dass das Aussprechen mich der Sache nicht näher bringen würde, weil es keine wirkliche Frage war. Manchmal war ich auch davon überzeugt, dass ich mehr Zeit brauchte, um zum Fragen zu kommen. Jetzt bin ich überrascht zu merken, dass ich auch zu Hause angefangen habe, wieder so zu versuchen, dass keine Fragen kommen können. Ich begnüge mich schon damit, dass sich etwas verändert, oder mit dem Wohlgefühl, das sich beim Versuchen einstellt. Ich müsste dahin kommen, das Gewohnte loszulassen; immer noch halte ich mich irgendwo fest, und das hindert mich, den entscheidenden Schritt ins „Ungewohnte" zu tun. Damit werde ich wohl noch sehr zu tun haben. Dabei spüre ich, dass ich zu echtem Versuchen mehr kommen werde, wenn ich dieses Verlangen nach sicher, richtig usw. auf-
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geben kann, nämlich praktisch. Wie einleuchtend ist es z. B. auch, ,, nicht am Stoff kleben zu bleiben"; aber, wie weit ist der Weg wohl von der Einsicht bis zum Tun? Und man merkt es erst, wenn man überhaupt einmal anfängt. Warum macht man es sich so schwer, das Einfache zu tun? Das ist fast komisch, solange man es nur denkt. Erst wenn man mit dem Versuchen beginnt, beginnt es, verständlich zu werden. Es ist eine Art von Tun gefordert, die unserer gewohnten so entgegen ist, dass man selbst bei bestem Wollen immer wieder an einem toten Punkt endet, wo es sich selbstständig macht und keine Verbindung mehr zu dem hat, worauf es letztlich ankommt. Als A. I. sagte: ,,Wenn ich etwas wirklich will, muss ich es doch auch schaffen können", konnte ich nicht verstehen, dass sie immer noch nicht begreift, dass hier mit dem Willen nichts zu machen ist, dass es sich nicht zwingen lässt. Heute erkenne ich, dass A. l.s Frage auch meine ist. Ich weiß zwar aus eigener Erfahrung, dass es die falsche Leitung 38 ist, was aber nicht verhindern kann, dass ich beim Versuchen in den meisten Fällen dennoch dahin abrutsche. „So werden, dass es kann", das fordert Vertrauen zu etwas, was man noch nicht kennt; ein Sich-überlassen-Können anstatt herumzustrampeln. Aber damit, dass man es einsieht, dass es anders nicht zu haben ist, und es auch gerne so möchte, ist man noch nicht auf dem Wege. Es geht also nur über Versuchen und Irren. Ich beginne erst jetzt langsam zu verstehen, was damit von mir gewollt ist. Es kommt mir so vor, als wollte ich alles lieber tun als gerade das, was unausweichlich getan werden müsste. Als machte ich immerfort einen Versuch, auf anderem Weg zum gleichen Ziel zu kommen; auf einem Weg, der meiner bisherigen Lebensweise vertrauter ist.
38
Wer etwas erzwingt, ist nicht offen für die Forderungen der Aufgabe, kann sich nicht daran orientieren. Er ist auf der falschen (Orientierungs-)Leitung.
Solange ich noch auf den Erfolg aus bin, werde ich die allein mögliche Haltung zum Versuchen nicht aufbringen können. Dienen - ohne auf Verdienst aus zu sein. Für mich ist das, was ich geschrieben habe, trotzdem praktisch, weil mir jetzt klarer ist, an welcher Stelle ich beim Versuchen an eine Grenze komme. Trotz des besten Willens ist etwas in mir doch nicht willig genug, in meiner Haltung eine Wandlung zu vollziehen, die zum echten Versuchen notwendig ist. Ich könnte in diesem Jahr ein Stückchen weiterarbeiten, und ich habe sogar große Lust dazu, wenigstens noch jetzt. Hoffentlich enttäusche ich mich nicht selbst. Ich danke Ihnen herzlich, dass ich in diesem Jahr wieder dabei sein durfte, und wenn ich beim Versuchen einmal an einer Stelle sicher sein werde, lasse ich von mir hören. Ich habe in diesen Tagen öfter auf Fragen hin von Ihrer Arbeit erzählt. Dabei werde ich mir des Glückes so recht bewusst, daran teilhaben zu dürfen. Wenn Sie hätten hören können, was dann aus mir heraufsteigt, würde es Sie sicher erfreut haben. Mit herzlichen Grüßen
A. E.
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HINDELANG,
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15. August 1955 Liebe Eisa Gindler, bitte entschuldigen Sie, dass ich meinen Bericht nicht rechtzeitig gemacht habe. Ich habe nicht gewusst, dass er jedes Jahr gegeben werden muss. Ich bin mit reinem Gewissen heute erschienen. Aber, als ich anfing, mich auf die neue Arbeitsgemeinschaft
zu richten,
merkte ich wohl, dass es schlecht ging, ohne sich diese Rechenschaft gegeben zu haben. Dennoch war ich froh, nicht schreiben zu müssen. Um einen Bericht über das vergangene Jahr zu schreiben, brauchte ich mehr Zeit, als mir jetzt zur Verfügung steht. Ich kann darum nur Einzelnes herausgreifen, von dem ich glaube, dass da meine Schwierigkeiten liegen. Z. B. das Wahrnehmen des eigenen Zustandes und auch der Veränderungen, die sich beim Versuchen doch einstellen sollten, ist so undeutlich und oft sogar verschwommen, sodass ich keine rechte Vergleichsmöglichkeit habe. Ich glaube gar nicht, dass ich so „schwerhörig" bin; das merke ich doch daran, wenn etwas ausgesprochen oder manchmal nur angedeutet wird, dass es dann bei mir gleich da ist. Es ist fast so, als wäre da eine Fähigkeit in mir verkümmert, es allein feststellen zu können. Vielleicht kommt es daher, dass es mir widerstrebt hat, so jeder Regung nachzugehen und zu geben. Denn ich wusste ja früher nicht, dass da zweierlei im Menschen ist: die Wünsche und etwas, das man nicht überhören darf, wenn es sich meldet. Wohl kann ich es jetzt unterscheiden, aber es gelingt mir nur selten, es bewusst zu erkennen. Vielleicht liegt darin auch der Grund dafür, dass ich beim Sprechen so im Allgemeinen bleibe, anstatt vom Konkreten, von der Wirklichkeit auszugehen. Ich weiß es nicht. Es kommt mir manchmal so vor, als suche ich nach dem Komplizierten und für das Einfache, das nahe liegende, sei ich blind. Jetzt denke ich, wie konnte ich nur erwarten, dass sich Fragen bei meinem
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Versuchen ergeben, dass sich Probleme einstellen würden, da ich doch bereits auf der ersten Stufe beim Versuchen nicht weiter kam, beim Wahrnehmen. Wie ist es mir im letzten Jahr mit dem Versuchen ergangen? In den letzten zwei Jahren, nach jeder Hindelanger Arbeitsgemeinschaft,
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habe ich erfahren, dass ich anders geworden bin; dass sich mein Gesamtzustand verändert hat; dass ich fähiger geworden bin, die Aufgaben, die das Leben mir stellt, zu erfüllen. (Z. B.: Ich bin freier geworden im Umgang mit Menschen; habe mich im Ganzen wohler gefühlt als sonst; habe besser behalten können, was mitunter sehr schlecht bei mir ist.) Solche Erfahrungen sind mir dann noch lange Zeit danach Anreiz gewesen, weiter zu versuchen; dieses Jahr hat es sogar lange gedauert, bis der Alltag mit all seinem Drum und Dran sich wieder vordrängte. Das Versuchen im Leben ist bei mir noch immer ein trübes Kapitel; eher kann ich mich, auch bei größter Bedrängnis, dazu überwinden, noch Zeit zum Versuchen zu erübrigen. Es ist mir da etwas im Wege, das ich noch nicht sehen kann. Ich bringe eine Arbeit hinter mich; bin noch zu sehr aufs Fertigwerden aus, obwohl ich weiß und es auch spüre, ich lebe dabei nicht. In meinem Leben ändert sich nur so viel, als aus den Versuchszeiten von selbst hineinfließt; und allmählich merke ich auch häufiger, wenn es nicht stimmt. Manchmal werde ich auch von einer andern Seite her zum Versuchen gedrängt: Immer wenn ich mit Menschen zusammenkomme, denen gegenüber ich besondere Verantwortung habe, empfinde ich es quälend, wenn ich so lahm bin, wenn alles nur so mühevoll geht, wenn ich oft schon bei Beginn denke: ,,Hättest Du es nur erst hinter Dir." Das beunruhigt mich, und es kann mir sehr zu schaffen machen. Aus solchem Unglücklichsein komme ich auch zum Versuchen. Im letzten Jahr habe ich zwar öfter längere Zeit hindurch regelmäßig ver-
sucht, aber ich komme allein nur ganz selten in einen so gesammelten Zustand, wie ich ihn von den Arbeitsgemeinschaften her kenne. Es ist nicht die gleiche Qualität. Ich bin dann befriedigt, dass ich mich dazu überwunden habe, und fühle mich auch wohl, aber ich spüre deutlich, dass etwas Entscheidendes fehlt; und kann doch nicht sagen, was es ist. Im Grunde bin ich doch oft recht traurig, dass ich nicht noch mehr einsetze, weil ich ahne, dass es hierbei um Größeres geht als um mein persönliches Wohlergehen, und ich spüre, dass mich das doppelt verpflichtet. Dabei muss ich sehen, dass ich recht schwach bin, und von daher wünsche ich mir oft, ich könnte in Berlin mitarbeiten, um ab und zu einen Anstoß zu bekommen, denn ein Jahr ist so lang, wenn es gilt durchzuhalten, und so kurz, wenn es ums Versuchen geht. Aber während ich es schreibe, merke ich schon, dass auch das keine Lösung wäre.
A. E.
Arbeitsgemeinschaft Hindelang vom 15.8.-3.9.1955 Vorstellung: Name, Beruf, Wohnort, warum sie gekommen sind und was sie sich dieses Mal holen wollen? Das Vorstellen und Berichten nahm heute sehr viel Raum ein, sodass um ein Uhr erst 13 sich gemeldet hatten. Ich hatte es leider nicht in der Hand, die Zeit abzukürzen. Immerhin wurden als wesentliche Arbeitsaufgaben gestellt: die Wahrnehmungsfrage, Kontaktprobleme, mehr Klarheit über die Erhaltung des kindlichen produktiven Verhaltens vom Kleinkinderstadium bis zum Drei- bis 15jährigen, Äußerungsfragen, Verhalten im Leben, Zusammenhänge erkennen können, Einsatz leisten für die Gesundheit, ,,möchte gezwungen werden zu Versuchen". Initiative zu einem anderen Einsatz kann nur von der Wirklichkeit kommen. ,,Es geht auch so!" Geht es so?
Aufgaben: 1) Zehn Minuten vor Beginn. Mitglied einer Arbeitsgemeinschaft werden, in der man selbst einen Einsatz leistet. 2) Säuglingserwachen Wünsche sind begreiflicherweise darauf gerichtet, dass ich mit ihnen arbeite - ich täte es gern, wenn's ihnen für die praktische Auseinandersetzung mit dem Leben nützen würde. Wir können uns durchs Waschen, Anziehen, Frühstücken schon umbringen. Ich werde ihnen also Aufgaben stellen und sie überprüfen. Wer also nicht versucht, hat nichts zu berichten und versteht auch nichts beim Zuhören! Denn ich kann von keinem Bericht profitieren, wenn ich nicht selbst versucht habe, also keine Vergleichsmöglichkeiten habe! Dienstag, 16.8.1955
2.Tag
Am Dienstag stellten sich noch fünf Teilnehmer vor, erzählten von ihren Sorgen, und ich versuchte, diese persönlichen Nöte einzuordnen. Leider kam ich nicht zum Aufschreiben, obwohl es wichtig gewesen wäre. Aufgabe: Zehn Minuten vor Beginn da zu sein und zu versuchen, von sich aus Anschluss an die Mitarbeit zu gewinnen und sich für den Ablauf des Erwachensprozesses zu interessieren. Vorher versuchte ich, sie dahin zu führen, dass sie aus den vielen Nöten, die sie gehört haben, einen Arbeitsansatz finden könnten. Von H. D. kam der Vorschlag, sich mit unserer Wahrnehmungsfähigkeit zu beschäftigen. Sinnesausrüstung. Unzweckmäßiger Gebrauch. Wie müssen wir uns verhalten, um uns durch die Umwelt orientieren zu lassen? Können wir schalten? Ein-, aus- und umschalten? Woran orientieren wir uns? Die Bedeutung des eigenen Zustands und des Verhaltens für die Qualität der Leistung. Mittwoch, den 17.8.1955
3. Tag
Zehn Minuten vor Beginn. - Was unternehmen Sie in den zehn Minuten,
um selbst etwas dazu beizutragen, dass die Arbeit weiter läuft? Genügt es, wenn ich versuche, ,,bei mir anzukommen", ,,zur Ruhe zu kommen" etc.? Bedeutung der Mitarbeit, bzw. wie werden wir eine Arbeitsgemeinschaft? Hiermit bin ich heute offensichtlich bei ihnen angekommen. Es gelang mir, deutlich werden zu lassen, dass das Bereitwerden zur Mitarbeit jedes Mal andere Voraussetzungen schaffen muss: Ob ich um halb neun Uhr laufbereit werden will, ob ich flöten will, ob ich an Klärungsprozessen über meine Existenz mitarbeiten will. Ich ließ jeden einen Lauf starten, wie es gewöhnlich vor sich geht, wenn wir unvorbereitet sind, und stellte ihnen die Aufgabe, morgen um halb neun Uhr wieder zu versuchen. Dann überprüften sie jedes Mal, ob sie in der Erinnerung auftauchen lassen können, wie jeder gelaufen ist. Später überprüften wir den Erwachensprozess in Richtung „laufbereit werden". Sie registrierten gut, wenn die Einzelnen nicht bereit wurden zu liegen. Dann verabredeten wir den Freitag als freien Tag und Sonnabendabend für Lichtbilder.
1.D. hatte am Dienstag als Arbeitsansatz „Gesundwerden" vorgeschlagen. Aber was ist Gesundheit, und wie kann man daran arbeiten? Ich bat alle, sich mit der Frage „Gesundheit - Krankheit" zu beschäftigen. Gesund sind wir doch, im üblichen Sinne, wenn wir unserer Berufsarbeit noch nachgehen können. Was tun wir, wenn wir die Ursachen der Störung beseitigen wollen? Zweckmäßig, unzweckmäßig? Verhalten bei den Ausscheidungen? Empfohlen, täglich Notizen zu machen! Ist es so, dass sie alle hier in der Arbeit eindeutig erfahren haben, dass sie, wenn sie sich so verhalten, ,,dass die Natur kann", sie alle erlebt haben, dass alle Körperfunktionen ungestörter verlaufen und eine Regeneration auch bei uns noch möglich ist? Alle melden sich, bis auf A. D. und 0. R., was richtig ist. Vielleicht morgen: Schwere, Anziehungskraft.
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Donnerstag, 18.8.1955
4. Tag
Zehn Minuten vor Beginn starten auf Laufbereitschaft. Es ist viel lebendiger als der Start für die Fortführung der Arbeitsgemeinschaft und für das Mobilwerden für die eigene Mitarbeit. Ich lasse einige einzeln am Laufen probieren. Besonders bei E. U. ist sehr viel Ordnung. A. S. und 0. R. zielen noch zu sehr aufs Mechanische. E. St.: Einbeziehen des Wegs zum Start! A. R., C. Y. erleben noch nicht die Versteifung, den Fall beim Start 39 , und die anderen sehen es noch nicht genug. Sonst ist die allgemeine Beteiligung gut, und sie erleben die Leitung des „Denken" statt Erfahrens 40 gut mit. Verabredung, sich morgen, am freien Tag, nicht umzubringen. Sonnenschutz usw. Verabredung für den Lichtbildabend Sonnabend acht Uhr. Ich zeige ihnen noch Start- und Laufbilder. Und: Haben sie die Aufgabe zu laufen akzeptiert? Sonnabend, 20.8.1955
5. Tag
Überprüfung der eigenen Mitarbeitsbereitschaft.
Ist nicht so wie vor drei
Tagen, wenn auch munterer als in den ersten beiden Tagen. Es genügt nicht, wenn man einmal eine Aufgabe akzeptiert hat - sie muss immer von Neuem akzeptiert werden. Pünktlichkeit oder Bereitwerden. W. R.: Kann man bereit sein? Oder immer nur von Neuem werden? Erfahrbereit werden. Ist „Spüren" dasselbe? Die Aufgabe, ein Läufer zu werden, mit dem Versuch zu untersuchen, auf welche Weise man sich verändern muss, [das] kann natürlich bei jeder anderen Aufgabe auch versucht werden.
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Laufen ist eine Vorwärtsbewegung, bei der die Beine abwechselnd stützen. Wer mit der Gesamtlast vorkippt, bevor die neue Stütze bereit ist, weil er „im Kopf" schon da ist, wo er hinwill, muss sich halten, um nicht zu fallen.
•o
Denken ist ein organisches Geschehen. Wer dagegen nur „im Kopf hat" statt unmittelbar zu erfahren und auf die Situation zu reagieren, ist nicht auf der (Orientierungs-)Leitung.
Sie berichten gemeinsam, dass sie alle gestern beim Wandern und Steigen ganz anders versuchen konnten, und haben zum Teil die Beglückung erlebt, die eintritt, wenn man dem Anwesendwerden näher kommt. E. R.: Laboratoriumsarbeit
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oder die Lebensaufgaben benützen zum
Mehr-so-Werden, wie es die Situation zulässt und wir schon bewegbar sind? - Ich gebe einige Beispiele aus der Arbeit des Winters im Vernehmenkönnen und Sprechen und lasse A. D. probieren am unmittelbaren Sprechen. Wenn ich zu einem wirklichen Können kommen will, genügt es nicht, nur „im Leben" gelegentlich zu probieren, obwohl allerhand dabei herauskommen kann. Aber wenn ich auch nur ein Läufer werden will, was für ein anderer Kontakt mit dem Körper muss erst erarbeitet werden, damit er spielend funktioniert. Part im Orchester! Wenn ich zum Montag ein Resümee erbitte, hätte ich auch gern Notizen zur Frage, was sie sich unter Gesundheit vorstellen. Wenn sie morgens den Erwachensprozess nicht ablaufen lassen und so, wie sie sind, tätig werden, üben sie doch die Störungen und Schädigungen. Beim Anziehen, Waschen, Frühstücken etc., jedes Mal, wenn sie erfahrbereit bei einer Verrichtung werden, geschieht doch etwas im Organismus, was die Störungen vermindert und oft sogar eine Funktionsweise herbeiführt, die das Gefühl von Gesundwerden hervorruft. Wir haben Schwierigkeiten damit, uns bewusst so zu verhalten, dass uns die Natur orientieren kann. Wenn ich also morgen zur Arbeit übergehe, uns so verhalten zu können, dass ich die eigene Masse unmittelbar wahrnehmen kann, so hoffe ich, dass nicht wieder so eine Art Edelgymnastik daraus wird, Übung zum Wohlerwerden. Und, wenn wir uns der Auseinandersetzung mit der Anziehungskraft zuwenden, auch dort ein Kontakt erarbeitet wird, der zwar angenehm zu erleben ist, aber nicht als Übung zum Selbstzweck werden sollte. Erfahrungen, an denen ich neue Erfahrungen messen kann! 41
Versuche in einer eigens dafür vorgesehenen Zeit.
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Sonntag, 21.8.1955
6. Tag
Es ist heute ein „Engadiner Tag", und so schicke ich die Leute um 10.30 Uhr fort, damit sie das gute Wetter genießen können. Gestern Abend haben wir uns Lichtbilder angesehen: Ganzheit. Mutter und Kind - Kinderbilder - Tierbilder - Menschen mit ungewöhnlichen Leistungen. Studiert wurde besonders das Verhalten der Kinder beim Erforschen der Umwelt, um vor allem die Identität dieses „Sich-so-verhalten-Könnens" und dem Verhalten der Menschen mit ungewöhnlichen Leistungen zu erkennen. Heute fruchtbares Gespräch über die Veränderung unseres Weltbildes, wenn sich die Wahrheit dieser Auseinandersetzung erweisen sollte. Vision davon, was der Mensch eigentlich sein könnte. Erziehungsaufgaben der Mütter und der Schulen. Die Erhaltung dieser Ungestörtheit bei der Auseinandersetzung im Unbekannten bei den Kleinkindern. Die Wiedergewinnung dieser Wahrheit bei den gestörten Kindern. Einordnung in ein soziales Gefüge. Begabung!
ERSTER WOCHENBERICHT
A. E.s,
21.
8. 1955
Ich habe im Gehen versucht, so zu werden, dass mir etwas einfallen konnte; aber bis auf den Punkt, der sich mir ganz von selbst aufdrängt, weil ich hier festsitze, wollte nichts aufsteigen. Darum bin ich wieder in mein Zimmer geflüchtet und will meinen Bericht sitzend schreiben: Ich kann mich schon mehr so verhalten, dass es beim Versuchen kann, und ich probiere auch, wenn auch noch selten, sogar im Leben. Jedoch das Entscheidende, auf das es ja im Grunde ankommt, und was ich gestern Abend bei den Bildern auch vernehmen konnte, das weiß ich zunächst nur. Vormittags in der Turnhalle glaube ich es zu verstehen, was von mir an Einsatz gewollt ist; und wenn ich dann nachmittags versuche, bleibt mir der Zugang verschlossen. Z. B.: Beim Versuch, so zu werden, dass ich ein Läufer werden kann. Beim
Laufen selbst, wenn ich nicht besinnungslos bin, kann ich erfahren, ob ich mich anstrenge, ob ich steif werde, ob ich mich vorwärts stoße. Aber beim Vorher (vor Beginn) fühle ich mich hilflos, obwohl ich weiß, dass davon alles Weitere abhängt, dass es notwendig ist für die Qualität der Arbeit, dass hier das Eingangstor zum Leben ist. Wenn das, was das Leben von mir verlangt, nicht nur äußere Aktion in mir hervorrufen soll, sondern einen Prozess in Gang bringen, der ablaufen will, dann geht es nur über diesen Einsatz. Das weiß ich wohl, aber es hilft mir nicht weiter. Erlebbar ist mir dieser Vorgang bisher nur beim Verdauungsprozess. Bei jedem anderen Stoff ist dieser Augenblick vor Beginn leer. Ich kann noch nicht erkennen, woran ich mich wenden muss, damit ich z. B. ein Läufer werden kann. Das ist doch seltsam: Die Notwendigkeit des Einsatzes schien mir doch schon nach der ersten Arbeitsgemeinschaft
selbstverständlich,
und erst
jetzt wird es mir so dringlich, dass ich Zugang dazu bekomme, dass mich ein Versuchen, wie es mir bisher genügt, nicht mehr befriedigen kann. Darum kann ich auch nicht mitarbeiten, weil ich selbst noch nicht in die Auseinandersetzung
eingetreten bin. Ich bin also wieder, oder besser:
noch, am Anfang. Darum habe ich auch nicht den Mut, mich zur Überprüfung42 zu melden, weil bei mir in dieser Hinsicht noch nichts los ist; ich habe nichts zu melden. Vielleicht ist etwas Wichtiges bei mir noch nicht so angekommen, dass ich es umsetzen könnte. Ich wähne mich immer ganz in der Nähe dessen, was bei mir geschehen müsste, und wenn ich mich auf den Weg mache, bleibe ich doch draußen. Oder sagt mir das, dass ich noch zu stumpf bin, dass ich erst noch viel mehr arbeiten müsste, um mein Instrument zu stimmen, damit es kann? Gegenüber dieser Frage (es ist ja keine konkrete) tritt für mich alles andere, was ich sicher auch noch nicht verstehe, zurück. Sein und Werden, das hat mich erreicht. Beim Versuchen von dem ausge42
Eisa Gindler hat immer wieder aufgefordert, einen Versuch in der Runde zum gemeinsamen Überprüfen vorzustellen, wenn jemand empfand, dass etwas klarer geworden ist oder noch klarer werden könnte. Wer sich meldete, versuchte dann allein, und die andern schauten.
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hen, was ich im Augenblick bin. Das ist so einleuchtend, aber das, was tatsächlich ist und was ich sein möchte, das ist oft so verwischt, dass es für mich noch nicht klar erkennbar ist. Durch die Aufgabe bereit werden, anstatt sich für die Aufgabe bereit machen. Daran möchte ich mich halten, weil mir das etwas deutlicher macht für den Zugang zur Aufgabe. Viele Fragen sind in diesen Tagen beantwortet worden, die auch meine waren. Aber da ich in diesem Jahr kaum Notizen gemacht habe, weil ich alle Zeit fürs Versuchen einräumen möchte, muss ich darauf vertrauen (das ist noch sehr zaghaft), dass wieder auftaucht, was gebraucht wird. Schon am ersten Tag wurde durch Ihr Eingreifen fast bei allen Berichten etwas sichtbar, was nicht nur den Einzelnen vor eine wichtige Aufgabe in seinem Leben stellt, teilweise sogar vor seine Aufgabe überhaupt, sondern darüber hinaus hatte das Herausgestellte allen viel zu sagen. Jeder sah sich nach Abstrich bestimmter Theorien und gewissen Beiwerks seiner Wirklichkeit gegenübergestellt. Das ist sehr viel, wenn man bedenkt, wie viel man sich oft verschleiert, sodass man allein kaum einen Angriffspunkt mehr findet. Wenn Sie unsere Arbeit in einen größeren Zusammenhang einordnen oder uns darauf hinweisen, was wir in uns vollziehen müssen, damit unser Wissen um die Kopernikanische Wendung 43 nicht nur ein Kopfwissen bleibt, dann hat das für mich immer etwas Befreiendes, weil es mich auf meinen Platz rückt. Ich weiß wohl, was wir im Großen verehren, ist auch im Kleinsten vorhanden, aber auf meiner Stufe geht das noch so leicht verloren. Gesundheit. Gesundheit gibt es doch nicht. Menschen sind doch nicht gesund, wenn siez. B. fast immer müde sind; wenn sie am Morgen schon den Abend her43
„Kopernikanische Wendung" meint die grundsätzliche Veränderung des Verhaltens, die notwendig wird, um sich den biologischen Gegebenheiten des Organismus entsprechend zu verhalten. Worin sie besteht, beschreibt etwa der Ausdruck „antennige Struktur" unserer Sinnesausrüstung, d. h. nicht auf etwas aus sein müssen, ,.die Ohren spitzen", sondern sich wie eine Antenne erreichen lassen von dem, was sich mitteilt.
beiwünschen, weil sie sich nur mühsam durch den Tag schleppen; die immer Angst haben müssen, über ihre Kräfte hinauszugehen; die nicht mehr tun, als sie unbedingt müssen; die so wenig mobil sind und nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen; die nicht leben können, weil sie keine wirkliche Beziehung zur Welt, zum Mitmenschen, zur Natur, zum eigenen Organismus haben. Indem sie gegen eine bestehende Gesetzmäßigkeit, gleich auf welchem Gebiete, verstoßen, sind sie (wir) schon auf dem Wege, krank zu werden; nur dass es nicht gleich sichtbar wird. Ich habe es schon bei eigener Krankheit erlebt, dass ich mich rückläufig erinnern konnte, wann und womit es angefangen hat. Ich hätte die Krankheit (nicht immer) in den meisten Fällen verhindern können, wenn ich nicht alles Mahnen und Warnen der Natur beharrlich überhört hätte. Was wir Krankheit nennen, ist, in den meisten Fällen, das Ende des Krankwerdens, der Zusammenbruch. Und dann ist es doch meistens (oder sehr oft) zu spät. Mir fällt gerade ein, was wir heute morgen von Schule und Erziehung sagten. Müssten wir nicht auch auf diesem Gebiet anders denken und dementsprechend anders handeln? Es wäre doch sinnvoller und zweckmäßiger, aufbauender, alles fürs Gesundwerden (bzw. -bleiben) zu tun, auch in den gesellschaftlichen Einrichtungen, anstatt zu warten, bis Krankheiten zu bekämpfen sind.
Montag, 22.8.1955
A. E.
7. Tag
Alle liefern ihre Resümees ab - sind zum größten Teil nicht befriedigt davon. Haben sie es akzeptiert? Oder als Aufgabe, die ich ihnen stellte, erledigt? Hätten sie, wenn sie nach der Beendigung ihres Versuchs es noch einmal gemacht hätten, es zutreffender gestalten können? Haben sie selbst empfunden, dass jeder Versuch in die Richtung klärend
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wirkt? - Ich brauchte nur so zu fragen, und vieles wurde verständlicher. Wir gehen heute das Problem der unmittelbaren Wahrnehmung an. - So werden, dass die Augen sich von selbst schließen, nicht um zu schlafen, sondern um besser vernehmen zu können. - Versuche, die (nicht bewusste) Schauabsicht zu erkennen und, so weit es möglich ist, sie aufzu-
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geben. Was muss sich ändern in unserem Zustand, damit es dazu kommt? (Meldungen: Stauung zwischen Hinterkopf und Hals, gestörte Atmung, Schlaffheit, Starrheit etc.) Ich lasse sie sich öfter durchspannen, klopfen, bis zum nächsten Versuch. Versuch, die eigene Masse zu erfahren - Ausdehnung im Raum, Gliedmaßen etc. Glückt, und die jedesmalige Veränderung des Zustandes wird gut erlebt. Als ich sie einen Laufversuch in der Turnhalle probieren ließ, haben sie alle von der richtigen Leitung Gebrauch gemacht. Aufgabe: Öfter einmal zu versuchen, so weit zu kommen, dass die Augen sich von selbst schließen und man so gelassen wird, dass auch die Augen still werden. Vorher registrieren, was einem von der Umwelt bewusst wird, und nachher dieselbe Umwelt zur Kenntnis nehmen. Unmittelbare Körperwahrnehmung - Propriozeptivität - der sechste Sinn. Richtungsempfinden wurde heute auch akut! Mittwoch, 24.8.1955
9.Tag
Was wollen wir uns jetzt vornehmen, um die Erfahrbereitschaft bei Tätigkeiten auszuprobieren? Ich versuche, es sie selbst entscheiden zu lassen. Vorschläge: a) bei der praktischen Arbeit b) Auseinandersetzung in der Bewegung, Studium der Auswirkungen der Anziehungskraft c) Purzelbaum d) Lauf, Stehen Sie entscheiden sich nach vielem Hin und Her für das Studium der Aus-
wirkungen der Anziehungskraft. Ich lasse nach der Pause noch einmal Einzelversuche im Lauf machen. (Erfahrbereitschaft beim Laufen!) Dann Purzelbaum: Hieran eine zweckmäßige Fragestellung erarbeiten.
Notizen Eisa Gindlerszu Themenund Fragenaus den Wochenberichten, auf die sie eingehen möchte: ,,Ist eine lange Arbeit notwendig, um nur in die Nähe zu kommen?" Panikproblem: ,,Es ist, als ob sich etwas in mir verwirrt." - ,,Dass sich mein Zustand völlig verändert, sowohl psychisch als auch körperlich!?" „Wenn ich diese innere Unabhängigkeit mir erarbeiten könnte, dass ich kann, wenn ich möchte, wäre ich ein ungeheures Stück weitergekommen." ,,Dass wir fast immer zu früh anfangen?" - Jeder Mensch hat ein „gesundes Nervensystem"? - Erkennen von Störungen. - ,,Was ist ,Akzeptieren'? Ich muss bemerken, dass ich es noch wenig verstehe, diesen Vorgang, den Sie mit ,Akzeptieren' bezeichnen, herbeizuführen." - Säuglingserwachen - ,,Mangel an Intelligenz"? - A. E.: Verhalten vor Beginn (persönlich durchsprechen) und am Lauf probieren lassen. Beachtlich, was sie über „Gesundheit" sagt. „Kann steigen, wandern ohne arthritische Beschwerden, und doch sagt jeder, dass ich steif ginge_." Donnerstag, 25.8.1955
10. Tag
Bereitwerden für Mitarbeit in der Arbeitsgemeinschaft für nur einen Teil (Laufen, Purzelbaum)? Einordnung der Aufgabe: Purzelbaum? Bisheriger Standort: Training, Abpressen. Zweckmäßige Fragestellung - zweckmäßiges Verhalten. Einige Einzelversuche. Frage F.E.: Aufgeschlossen werden? Am Beispiel des Halses gezeigt, dass Auseinanderziehen etwas anderes bewirkt als der Versuch, sich
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durch die Anziehungskraft verwandeln zu lassen. Alle versuchen, den Purzelbaum für eine Veränderung des Zustandes auszunützen. H. D.s Versuch auf dem Pferd: Bedeutung des „Sich-stützen-Könnens". Wir sehen ein, dass eine Vorarbeit am Kontakt mit dem Bewegen von Masse nützlich und notwendig ist, und wollen morgen herangehen. Noch einmal versucht, den Purzelbaum für uns auszunützen. Das Reagieren auf den Zug und das Verpassen des Kontaktbekommens mit dem sich verändernden Zustand als Lebensgefühl. Gelassen werden, Angstverminderung - Vertrauensbereitschaft. Freitag, 26.8.1955
11. Tag
Klärung über Masse - Erde. Mensch als Masse, die zur Erde gehört. Bewegung von Masse. Zug - Widerstand. Eroberung des Standorts. Einige wollten im Gehen die Verlagerung erfahren. - Hier müsste in der Etappe viel Laboratoriumsarbeit getan werden, um sich am Studium von Teilprozessen einen Zugang zu erobern: Ich lasse D. P. in Bauchlage versuchen. Sie erfährt nicht einmal, dass ihr starres Bein (im Hüftgelenk erschlafft) auf der Seite liegt, und es braucht lange Zeit, bis sie es mehr überlassen kann, sodass der Zug auf die Masse erlebbar werden kann. Mimose - nicht abgelaufene Bewegung. Bewegungsbereitschaft. Reagierbereitschaft. Stehen - Aufrichten. Niederlassenwollen bei einem nicht aufgerichteten Stützgerüst würde doch Fall bedeuten, wenn wir nicht durch Gegenkräfte halten würden. Auftrag, zu zweit am Erleben des Zugs zu arbeiten. D. P.: Unterschenkel ist fühlbar verändert, und sie erlebt auch im Stehen die größere Möglichkeit des Sich-tragen-Lassens
vom Boden.
Die statische Mentalität verhindert das Erleben der immer wirkenden Kräfte! Heute Abend Bilder.
Sonnabend, 27.8.1955
12. Tag
Nicht aufgeschrieben
In der vergangenen Woche ist mir etwas mehr vom Zusammenhang der verschiedenen Versuche deutlich geworden. Obwohl jedes in jedem enthalten ist, war es mir fürs Alleinarbeiten wichtig, z. B. beim Purzelbaum zu erfahren, dass kein Verlagern und nur ein Verschieben der Rumpfmasse möglich ist, solange meine Unterschenkelmasse sich nicht niederlassen kann; und dass ich mir hierzu erst die Voraussetzung erarbeiten muss. Das Gleiche gilt für die Hals-, Brust- und Beckengegend. Es wird mir eine große Hilfe sein zu wissen, dass beim Versuchen zu beachten ist, dass ich den richtigen Standort einnehme, dass ich lernen muss, mich zweckmäßig zu verhalten, und dass ich zu einer zweckmäßigen Fragestellung zu kommen versuchen muss; dass ich das Vor- und Nachher miteinander vergleiche. Dass ich mich vor dem Versuchen fragen muss, was ich beim Versuchen ermitteln will, das ist so einleuchtend, und doch habe ich bisher so versucht, als könne ein Wunder geschehen; denn ich hoffte immer, dass mir beim Versuchen Fragen kommen müssten. Wie entscheidend wichtig die Fragestellung ist, wurde auch aus dem Buch von Dr. Jackson 44 ersichtlich; sie brachte ihn dazu, sein Leben zu verändern. Es scheint fast so, als wäre in einer guten Frage schon fast die Antwort enthalten. Das Erlebnis, dass das Gewebe aufgehen (sich verwandeln) kann, ist mir bei meinen Versuchen jetzt wie ein Maßstab. Ich kann daran die Qualität meines Versuchs messen. Und die Verwandlung mit Behagen wahrnehmen, das war mir fürs Versuchen ein wichtiger Hinweis. 44
Jackson,Robert G. (1951): Nie mehr krank sein. Das Geheimnisdes langen Lebens. Rüschlikon: Müller.
Bei der Auseinandersetzung mit der Schwerkraft verstehe ich jetzt besser, worauf es ankommt. Beim Versuch mit dem Sandsack empfinde ich die Veränderung im Arm viel stärker, die entsteht, wenn ich die Last wieder an den Boden abgegeben habe, als ich sie im Unterschenkel erfahren kann. Ob das damit zusam-
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menhängt, dass ich hier schon beim Abziehen vom Boden nicht den wirklichen Widerstand ermitteln kann? Heute nach längerem Gehen habe ich beim gleichen Versuchen einen größeren Widerstand ermitteln können. Darüber war ich so erstaunt, dass ich leider das Überprüfen vergessen habe. Wenn ich die Unterschenkellast zum Boden zurückkehren lasse, geschieht das Auflegen des Fußes meist so zögernd, dass ich dann leicht dazu komme, diesen Vorgang durch leichten Druck des Fußrückens gegen den Boden zu beschleunigen, wobei ich dann auch den Unterschenkel etwas festhalte. Das haben wir beim Versuchen zu zweit herausgefunden; allein wäre ich sicher noch lange nicht darauf gekommen. Zu zweit ist man auch genötigt, das Überprüfen exakter durchzuführen. Kontakt zu einer Aufgabe finden, auch wenn die gegebene Situation ungünstig zu sein scheint, das muss ich noch lernen zu bewältigen. Wahrnehmen der eigenen Masse: Obwohl ich spüre, dass es hier um etwas Entscheidendes geht (auch Schauabsicht aufgeben können, nicht „schalten wollen"), werde ich sehr auf der Hut sein müssen, dass Versuche dieser Art nicht zu kurz bei mir kommen. Beim Säuglingserwachen habe ich davon etwas wiedererkannt:
Ich war
mehr aufs Zulassen gerichtet, und die Ausscheidungsprozesse
kamen
mehr in Gang als beim gewollten Dehnen sonst.
A. E.
NOTIZEN ElSA GINDLERS,
Montag, 29.8.1955
29.8.-2.9.1955 13. Tag
Anziehungskraft: Kann ich so werden, dass ich sie beim Bewegen der
eigenen oder fremder Masse als Widerstand erlebe und mir die Energie zur Überwindung desselben zuwachsen lasse? - Mit Druck und Aussetzung der Atmung den Widerstand überwinden? Sonnabend und Montag am Beginn und Schluss Purzelbaumversuche! Erarbeiten von Teilprozessen notwendig; kennen lernen des Organismus vom Funktionellen her. Sie sollen und haben sich zu zweit verabredet, um an der gegenseitigen Kontrolle zu lernen. Heute haben wieder alle die Wochenresümees abgeliefert, und sie sind zum Teil so erfreulich, dass ich Lust bekomme, auch am Nachmittag mit ihnen zu probieren. Heute ließ ich in zwei Gruppen arbeiten und das Verhalten beim Purzelbaum und später beim Hochziehen der Unterschenkelmasse studieren. Arbeitsgemeinschaft - Erarbeitungsgemeinschaft. Die Füße als Arbeitsorgane statt der Hand benützen. Nicht tun, sondern die Aufgabe fürs Sichverwandeln benützen. Es wird viel Arbeit geben, bis sie sich einen Bewegungskontakt erarbeitet haben. Sich bewegen lassen und sich bewegen können statt zu drücken und zu stoßen oder zu erschlaffen, ist schon eine interessante Aufgabe. Im Stehen Murmeln mit einem Fuß bewegen. Dienstag, 30.8.1955
14. Tag
Besprechung der Fragen, die durch die Resümees kommen. - Nicht der Organismus fühlt, denkt freier, angstloser, sondern der Mensch als Ganzes kann angstloser und freier denken, wenn [...) (Resümee E. I.) Bewusstwerden als Prozess, ,,mit dem Bewusstsein". - Machen geschehen lassen. - Akzeptieren und bewusst herbeiführen. - Auch JaSagen akzeptieren. Resignieren. Hier kommt es zu einem Verständnis, was wohl wirksam werden wird. Nach der Pause: Purzelbaum probiert. Was wird nötig? Einmal: So werden, dass man wahrnehmen kann, also trotz Panik versucht (A. G.). Und
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zum andern noch mehr daran arbeiten, überhaupt zu verstehen, was in den Beinen vorgehen muss. Versuch, im Sitzen die Beine zum Ruhen zu bekommen.
Notizen Eisa Gindlerszu Themenund Fragenaus den Wochenberichten, auf die sie eingehenmöchte: „Akzeptieren ist ein Vorgang, den ich nicht ,bewusst' herbeiführen kann"? Nicht machen kann. - ,,Kontakt zu einer Aufgabe finden, auch wenn die Situation ungünstig ist [... ]" - ,, Hochziehen der Kopfmasse. Fragestellung?" - Noch einmal zweckmäßige Fragestellung. - Akzeptieren ist nicht Ja-Sagen. Mittwoch, 31.8.1955
15. Tag
Wahrnehmungsversuche der eigenen Masse - Raum. Atmung. Bewegung. Das „Aufpflegen" der Rumpf-Materie. Versuche, beim Überlassen des Kopfes, Halses und Rumpfes zum Hängen, sich für die Auslösung der Lebensprozesse zu interessieren. Nach der Pause: Versuch, so zu werden, dass sich die Augen von selbst schließen, um etwas ermitteln zu können. Einzelversuche kontrolliert. Schmecken, Riechen, Hören! Donnerstag, 1.9.1955
16. Tag
Verhalten bei der täglichen praktischen Arbeit: kämmen, Fenster putzen, Schirm öffnen, Koffer und Eimer heben und tragen, Tür öffnen, Strumpf anziehen. Versuche, sich so zu verhalten wie immer und [zu] versuchen, durch Erfahren des Widerstands die Lebensprozesse auszulösen. Hier sind wir wirklich weitergekommen. Das Absorbiertsein durch eine Tätigkeit - nicht auf die Tätigkeit aus sein. 45 •s
Nicht eine Tätigkeit machen, erzwingen wollen, sondern bereit sein, sich von ihr verwandeln zu lassen, sich zu erfahren dabei. Wer auf etwas aus ist, ist besetzt davon, nicht frei zum Erfahren.
Wenn sie zu Hause arbeiten, ist es wichtig, dass sie nichts vermeiden wollen, etwa schlaff werden, starr bleiben etc. Erst wenn sie darauf stoßen, können sie doch merken, dass sie selbst bei sich erfahren können, was stimmt und was weniger stimmt, und werden selbstständig. Nach der Pause: Vorgelesen von den Taubstummblinden. Freitag, 2.9.1955
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17. Tag
Tauchen. Interesse am Zustand. Bilder der Kinder.47 Einzelversuche. Sie können gut versuchen und ich zeige ihnen, dass sie nicht den Atem anzuhalten brauchen. Luft entweichen lassen, aufgehen im Brustkorb ist durchaus möglich.
46
Text unbekannt.
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S. Notiz vom 8.9.1954.
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FERIENARBEITSGEMEINSCHAFT ,:.
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