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German Pages 314 Year 2014
Annemarie Matzke Arbeit am Theater
Theater | Band 48
Annemarie Matzke ist Professorin für Experimentelle Formen des Gegenwartstheaters an der Universität Hildesheim. Als Mitglied der Gruppe »She She Pop« erarbeitet sie seit 1994 freie Theaterproduktionen (u.a. »Warum tanzt ihr nicht?«, »Die Relevanz-Show« und »Testament«).
Annemarie Matzke
Arbeit am Theater Eine Diskursgeschichte der Probe
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Inhalt
Einleitung: Arbeit am Theater | 9 Am Anfang | 14 Zum Begriff der Arbeit | 17 Theater-Arbeit | 18 Das Wissen der Proben | 19 Am Probenbeginn | 20 Geschichten des Probens: Methodische Überlegungen | 23 Vorgehen | 27
1 Arbeiten | 33 Zur Merkwürdigkeit der Arbeit: Eine kurze Begriffsgeschichte | 34 Prozesse des Produzierens | 39 Das Andere der Arbeit: Spielen und Müßiggang | 42 Arbeit als andere Form des Schauspiels (Jean-Jacques Rousseau) | 45 Adam Smith und das Problem mit dem Theater | 51 Die Warenform des Theaters (Karl Marx) | 55 Jenseits der Arbeit: Verausgabung und Transgression (Georges Bataille) | 60 Arbeit, Herstellen, Handeln (Hannah Arendt) | 66 2 Kunst und Arbeit | 71 Der Künstler als Vorbild | 73 Die Kunst, jenseits der Arbeit zu stehen | 77 Kampf um Legitimation: Die Kunstform ›Theater‹ | 83
3 Proben als Arbeit am Theater | 87 Das Trauma: Die vergessene Probe | 88 Proben, répéter, to rehearse: Begriffsgeschichte der Probe | 94 Performance: Die Leistung des Theaters | 98 Probe, Inszenierung, Aufführung | 100 Proben im Kontext der Theaterwissenschaft | 103 Die Polyperspektivität des Probens | 113
4 Gespielte Proben: Zur Inszenierung der Probe | 117 »Hard-handed men that work« – Shakespeares A Midsummer Night’s Dream | 121 Der doppelte Charakter des Probens: L’impromptu de Versailles | 124
5 Am Anfang der Proben: Theaterpraxis um 1800 (Weimarer Hoftheater) | 129 Probenszenarien | 133 Die Arbeit jenseits der Bühne und vor den Proben | 138 Die Verfassung der Proben | 145
6 Systeme des Probens | 157 Das »complicirte Geschäft« der Inszenierung | 159 Ökonomien des Inszenierens | 164 Die Arbeit an sich selbst: Zur Ethik des Probens bei Stanislawski | 169 Proben/Modelle: Bertolt Brechts Katzgraben-Notate | 175
7 Verfahren und Techniken | 185 Was vor der Probe liegt: Inszenierungen des Anfangens | 185 Prozesse des Imaginierens | 186 Arbeit am Tisch: Konzeptions- und Leseproben | 189 Der Text als Monstranz | 191 Die Einheit im Lesen aus dem Geist der Musik | 194 Leseprobleme | 198 Der Geschmack der Worte auf der Zunge | 199 Work the room: Bauproben | 201 Topos des leeren Raums | 204 Die Technik der Probe | 206 Arbeitstechnik | 207 Proben improvisieren | 216 Überraschungsszenarien | 220 Improvisieren üben | 225 Proben üben | 227 Techniken der Distanzierung: Der mediale Blick von außen | 233
8 Probenzeit und Arbeitsraum | 237 Arbeitszeit | 238 Zeit-Ökonomien | 239 Zur Frage des Timings | 242 Unterbrechen: Wiederholen als Überholen | 246 Topografien der Probe | 251 Das Theater als Arbeitsraum | 252 Das Theater als Labor | 261
9 Kollektive Kreativität: Tun und Lassen | 265 Proben als »Inseln der Unordnung« (Heiner Müller) | 267 Création collective | 270
Zum Schluss: An den Rändern der Probe | 281 Eine Frage der Verabredung | 283 Arbeit aufführen oder das ›Als ob‹ der Arbeit | 286
Bibliografie | 291 Siglen | 291 Literatur | 291 Filmografie | 309 Verzeichnis der Aufführungen | 309 Abbildungsverzeichnis | 309
Dank | 310
Einleitung: Arbeit am Theater
»Die Theaterleute üben einfach im Theater ihr Gewerbe aus, so wie Bäcker das ihre in der Bäckerei ausüben.«1 Wenn es so einfach wäre, wie es Bertolt Brecht hier beschreibt, wenn die Künstler im Theater genauso wie Bäcker arbeiteten, dann gäbe es keinen Anlass zu dieser Untersuchung. Aber allein die Tatsache, dass Brecht diesen Vergleich heranzieht und unter dem Titel Theatermachen als eine unter verschiedenen Formen der öffentlichen Äußerung veröffentlicht, zeigt, dass sich das Verhältnis des ›Theatermachens‹ zu anderen Arbeitsformen komplexer darstellt. Die Arbeit des Bäckers und desjenigen, der Theater macht, wird gemeinhin durchaus unterschiedlich bewertet und beschrieben. Das Theater ist keine Werkstatt, keine Backstube, in der aus verschiedenen Materialien durch tradierte Techniken verkaufbare Produkte hergestellt werden. Die künstlerische Praxis wird nicht auf die gleiche Weise weitergegeben wie das Handwerk ›Backen‹. Schauspieler und Regisseurin, Autor und Musikerin sind nur bedingt Handwerker: Ihr Tun scheint nicht (allein) über die Weitergabe von Techniken erlernbar. Aber auch der Zuschauer betritt mit anderen Erwartungen ein Theater als eine Bäckerei. Von Brötchen erwarten wir, dass sie gut schmecken, genauso gut wie beim letzten Mal. Die Erwartungen an eine Theateraufführung sind meist durchaus höher: Sie soll etwas Neues, Unerwartetes, Verblüffendes zeigen, soll bilden, aufklären, kritisieren oder auch unterhalten. Die Position der Zuschauer verweist auch auf das Theatermachen als öffentliche Tätigkeit: So ist der Produktionsprozess mit der Aufführung nicht abgeschlossen, sondern vor den Augen der Zuschauer entsteht die Aufführung jeden Abend aufs Neue. Anders als beim Backen endet der Vorbereitungsprozess nicht in einem (fassbaren) Produkt. Beim genauen Lesen des Zitats wird aber auch deutlich, dass es Brecht nicht um die Techniken des Theatermachens geht, nicht um die Frage einer vermittelbaren Tradition, sondern um eine andere Ebene: das Theatermachen als Beruf und Gewerbe. Das Theater sei ein Gewerbe wie andere auch, so profan 1 | Bertolt Brecht: »Über eine nichtaristotelische Dramatik«. In: ders.: Gesammelte Werke [GW = Gesammelte Werke]. Frankfurt a.M. 1967. Bd. 15, S. 254.
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wie das Backen von Brötchen. Aber damit auch nicht weniger wichtig als die Herstellung des täglichen Brots. Das Kunstmachen wird zur anthropologischen Konstante: Der Mensch muss Kunst produzieren genauso wie Lebensmittel. Als Gewerbe wird das Theater dabei in einen ökonomischen Kontext gestellt. Das Tun am Theater wird zur Arbeit als ›Broterwerb‹, dem Schauspieler, Regisseurinnen und Bühnentechniker nachgehen wie der Bäcker seiner Profession. Auch am Theater wird gearbeitet, um den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Und damit eröffnen sich hier genau die gleichen Probleme und Fragen wie in einer Bäckerei: nach der Bezahlung, den Arbeitszeiten, nach Motivation, Zusammenarbeit und möglicher Entfremdung. Es ist der Status der künstlerischen Praxis und damit die gesellschaftliche Vorstellung des Verhältnisses Kunst versus Arbeit, die hier in Frage gestellt wird. Der Vergleich Brechts wirft damit eine Reihe von Fragen und Problemen auf, die den Horizont dieser Untersuchung bilden: Fragen nach dem Verhältnis des Theatermachens zu anderen Formen nichtkünstlerischer Arbeit; nach dem Theater als Gewerbe und als Kunstform, der Problematik des Produzierens und den Effekten, Wirkungen und Produkten, die dabei entstehen; nach der Position des Konsumenten bzw. Zuschauers als Teil des Produktionsprozesses und schließlich nach den Künstlerbildern, die dabei verhandelt werden. Im Folgenden wird es um das Verhältnis von Theater und Arbeit in ästhetischer, ökonomischer, anthropologischer und sozialer Hinsicht gehen. »Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit«2, dieser Ausspruch von Karl Valentin, der in besonderer Weise für das Theater gilt, löst ein Schmunzeln aus. Aber warum eigentlich? Warum ist es komisch, wenn die Kunst mit der Kategorie der Arbeit bemessen wird? Wenn ihre ›Schönheit‹ Resultat einer Arbeit ist? Die Komik des Spruchs verweist auf ein ambivalentes Verhältnis von Kunst und Arbeit, das bereits im Brecht-Zitat angeklungen ist, das aber vor allem in der zeitgenössischen Diskussion um eine Veränderung der Arbeitsgesellschaft an Brisanz gewonnen hat. Kaum ein Thema beherrscht die künstlerischen Diskurse so sehr wie die Arbeit. Die Frage, ob die Kunst als Arbeit bewertet werden kann oder Arbeit zu Kunst wird, wurde in letzter Zeit zum Gegenstand zahlreicher künstlerischer Projekte wie auch wissenschaftlicher Reflexionen. Verschiedene Theaterinszenierungen, Dramen und Kunstinstallationen greifen das Thema der ›Arbeit‹ auf, stellen Arbeitsvorgänge aus, fragen nach der Position des Arbeitenden oder versuchen die eigene Arbeit in einem größeren ökonomischen Zusammenhang zu präsentieren. Das Thema der Arbeit und ihrer Transformationen wird in zahlreichen Dramen diskutiert. Sei es in Kathrin Rögglas Drama wir schlafen nicht (2004), Falk Richters Unter Eis (2004) oder in Fritz Katers 3 von 5 Millionen (2005), aber auch in den Inszenierun2 | Karl Valentin als Zirkusdirektor in Die verkaufte Braut. Regie: Max Ophüls. Deutschland 1932.
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gen René Polleschs, der die prekären Beschäftigungsverhältnisse einer neuen »kreativen Klasse«3 auf der Bühne verhandeln lässt. Bis hin zu den Projekten von Rimini Protokoll, die Experten verschiedener Berufe im Theater aus ihrem Arbeitsleben erzählen lassen.4 Aber auch in der bildenden Kunst wird Arbeit in Installationen aufgeführt, beispielsweise wenn das Künstlerduo Elmgreen & Dragset die Baustelle des Züricher Kunstvereins als Ausstellung inszeniert.5 Diese Dramen und Inszenierungen spielen mit den gesellschaftlichen Vorstellungen von Arbeit, indem sie selbst Arbeit aufführen.6 Mit diesen verschiedenen Projekten nehmen die Künstler eine aktuelle Diskussion um die Veränderungen der Arbeitswelt auf. Unter dem Begriff der postfordistischen oder postindustriellen Gesellschaft wird in der momentanen Diskussion ein grundlegender Wandel der Arbeitsgesellschaft zusammengefasst. 3 | Unter dem Begriff der creative class, die Künstler wie Wissenschaftler umfasst, wird das Konzept einer Avantgarde zur Erneuerung des hochqualifizierten Beschäftigungssektors diskutiert. Vgl. Richard Florida: The Rise of the Creative Class. New York 2002. Das Phänomen, wie Künste und Kultur als Modell für das Wirtschaftswachstum gesehen werden können, untersucht auch Angela McRobbie. Sie zeigt allerdings, wie die Figur des Künstlers zum Prototyp neoliberaler Anforderungen erklärt wird und Kunst immer mehr innerhalb der ökonomischen Kontexte eingeordnet wird. Kreativität wird zum neuen Imperativ der Arbeitsgesellschaft. Angela McRobbie: »›Jeder ist kreativ‹. Künstler als Pioniere der New Economy?«. In: Jörg Huber (Hg.): Singularitäten – Allianzen. Interventionen 11. Wien/New York 2002, S.37-60, Marion von Osten (Hg.): Norm der Abweichung. Zürich 2003 sowie Ulrich Bröckling: Das unternehmerische Selbst. Frankfurt a.M. 2007. 4 | Als paradigmatisches Beispiel ließe sich hier die Theaterinszenierung Sabenation – Go Home & Follow the News (2004) von Rimini Protokoll nennen, in der die Geschichte des Konkurses der Fluggesellschaft Sabena erzählt und deren ehemalige Mitarbeiter und jetzige Arbeitslose auf die Bühne gestellt werden. 5 | Die Künstler Michael Elmgreen und Ingar Dragset inszenieren im musealen Raum Arbeitsszenarien. Beispielsweise in der Installation Taking Place (2001), in der sie die Renovierung der Züricher Kunsthalle zu einer Aufführung von Bauarbeiten machten. Vgl. Taking Place. Katalog der Kunsthalle Zürich. Ostfildern 2002. 6 | Zugleich wird damit aber das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft reflektiert. Franziska Schössler und Christine Bähr beispielsweise sehen einen Zusammenhang zwischen einer zunehmenden Ökonomisierung und Rationalisierung des Kunstfeldes – im Besonderen in der Institution Theater – und der Thematisierung von Arbeitssubjekten auf der Bühne: »Dramentexte, Inszenierungen und Performances spüren sowohl den (theatralen) Strukturen des wirtschaftlichen Diskurses nach […] als auch den ökonomischen Bedingungen des Theaters.« In: Franziska Schössler/Christine Bähr (Hg.): »Die Entdeckung der ›Wirklichkeit‹. Ökonomie, Politik und Soziales im zeitgenössischen Theater«. In: dies.(Hg.): Ökonomie im Theater der Gegenwart. Bielefeld 2009. S. 9-20. Siehe dazu auch Katharina Pewny: Das Drama des Prekären. Bielefeld 2011.
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Vom »Ende der Arbeit«7 (Rifkin) ist reißerisch die Rede, beschrieben wird eine Krise der Arbeitsgesellschaft in der Phase der Globalisierung. Umstrukturierungen stellen neue Anforderungen an den Arbeitenden, regulierte Beschäftigungsverhältnisse verschwinden, eine Aufwertung von Selbstständigkeit und Dienstleistungssektor ist zu verzeichnen. Der Arbeitsbegriff des Industriezeitalters taugt immer weniger dafür, das neue Verhältnis von Arbeit und Arbeitendem zu beschreiben. Dazu gehört vor allem auch ein verändertes zeitliches Konzept der Arbeit. Die klare Trennung von Arbeit und Freizeit lässt sich nicht mehr aufrechterhalten. Zudem werden lebenslange Arbeitsverhältnisse von gemeinsamer Projektarbeit über einen kürzeren Zeitraum abgelöst. Alle diese Veränderungen machen die Notwendigkeit neuer Konzepte von Arbeit deutlich. Auf der Suche nach einem Modell für diesen zu vollziehenden Wandel des Arbeitsbegriffs scheint die Kunst für viele Theoretiker eine Lösung zu bieten. Sie wird zum Modell für die Formulierung eines anderen Konzepts von Arbeit. Formen ästhetischer Praxis wird eine Vorbildfunktion zugewiesen. Sie werden im Gegensatz zu bekannten Formen der Arbeit als besonders innovativ hinsichtlich unternehmerischer Initiative, Kompetenzen der Selbstvermarktung, des Zeitmanagements sowie auch der Wissensproduktion erklärt. Die Kreativität des Künstlers wird zur Leitfigur bei der Umgestaltung von der Arbeitsgesellschaft in eine »Kulturgesellschaft«.8 Die künstlerische Praxis wird als Vorbild und Zukunft einer veränderten Form der Arbeit gefeiert. Aus dem Blick gerät dabei leicht, dass sich künstlerische Praktiken sowohl innerhalb der verschiedenen Kunstformen als auch in ihrem jeweiligen historischen Kontext unterscheiden. Verallgemeinernd werden ›der‹ Kunst bestimmte Tätigkeiten und Eigenschaften zugeordnet, und oft ist es ›der‹ Künstler, der zum Vorbild wird. Meist ist dabei der bildende Künstler gemeint. Die künstlerischen Praktiken am Theater und in der bildenden Kunst unterscheiden sich jedoch grundlegend. Der Maler, der in seinem Atelier ein Bild malt, scheint von der organisationsbedürftigen Kunstform ›Theater‹, bei der an der Arbeit zu einer Inszenierung unzählige Beteiligte mitwirken, meilenweit entfernt. Wenn vom Verhältnis von Arbeit und Kunst die Rede ist, so müssen die Besonderheiten der jeweiligen Kunstform untersucht werden. Kunst wie Arbeit sind historisch genau zu differenzierende Begriffe. Deshalb sollen hier am Beispiel des Theaters die historischen Diskurse über künstlerische Praktiken dahingehend 7 | Jeremy Rifkin: Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft. Frankfurt a.M. 2001. 8 | »Die Kulturgesellschaft zielt auf das Wechselspiel ab, das zwischen dem einzelnen Individuum und der regelgebenden Instanz, dem Staat, belebt werden muß. Es geht um die Möglichkeiten […] der Künste […] diese experimentellen Selbstverhältnisse (das Erfinden, Verwerfen, Umweggehen, Neuzusammensetzen, Vorwegnehmen …) für den gesellschaftlichen Gebrauch zu öffnen.« Adrienne Goehler: Verflüssigungen. Berlin 2006. S. 60.
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untersucht werden, welche Konzepte von Arbeit und Theater darin verhandelt werden: als ›Arbeit am Theater‹. Dabei wird das Tun am Theater als eine Form künstlerischer Praxis untersucht. ›Künstlerische Praxis‹ meint in diesem Kontext alle Tätigkeiten der Theatermacher, die auf das Hervorbringen von Theater zielen – Theater verstanden im Sinne einer Aufführungspraxis wie auch als Institution. Der Fokus auf die ›Praxis der Künstler‹ bedeutet nicht, ›künstlerische Praxis‹ als einen Vorgang zu bestimmen, der allein auf das Produzieren einer Inszenierung zielt. Zur Arbeit am Theater gehört damit das Zuschauen wie das Zeigen. Die Perspektive der Theatermacher auf diesen Vorgang einzunehmen, bedeutet auch gerade, die Prozesse der Rezeption während der Arbeit am Theater herauszustellen. Die künstlerische Arbeit zum Untersuchungsgegenstand zu machen, heißt auch, wie das Valentin-Zitat zeigt, nach ihrem Verhältnis zu anderen Formen menschlicher Arbeit zu fragen. Wie können die verschiedenen Tätigkeiten, die zur künstlerischen Praxis ›Theater‹ gehören, bestimmt werden, wie ist ihr Verhältnis zueinander und wie verhalten sie sich zu anderen Tätigkeiten? Damit zielt diese Untersuchung darauf ab, genauer zu verstehen, was wir tun, wenn wir ›Theater machen‹. Vor allem aber kann ein Blick zurück in die Theatergeschichte auch eine neue Perspektive auf die gegenwärtigen Vorstellungen eröffnen, was genau die theatrale Praxis ausmacht. Kunst als Arbeit zu begreifen, ist eine Strategie, die sich vor allem in den Programmatiken verschiedener Theaterpraktiker des beginnenden 20. Jahrhunderts findet. Anders als in der idealistischen Kunstauffassung bedeutet dies, die Hervorbringungen der Kunst von ihrem Herstellungsprozess her zu begreifen, diesen als analysierbar und durchschaubar zu verstehen. Es geht um eine ›Entzauberung des Theaters‹9 durch das Offenlegen der Konstruktionen. Im Zuge der Diskussion um den Vorbildcharakter der Kunst in postfordistischen Arbeitszusammenhängen wird eine andere Geschichte erzählt. Nicht mehr das Ausstellen der Konstruktion – das bereits selbst zur rhetorischen Figur geworden ist, die sich in unzähligen Theateraufführungen findet –, sondern die künstlerischen Arbeitsprinzipien werden zum Modell für andere Tätigkeiten jenseits des Theaters erklärt. Es findet eine Umkehrung statt: Über die künstlerische Praxis soll eine neue Perspektive auf die Arbeitswelt und ihre Potenziale eröffnet werden. Dies verweist auf eine Frage, die seit der Trennung der Bereiche von Kunst und Arbeit immer wieder diskutiert wurde: Ist die schöpferische Tätigkeit eine Arbeit im eigentlichen Sinne, und lassen sich ihre Methoden und Organisa9 | Im Sinne von Max Webers These der »Entzauberung der Welt«. Vgl. Max Weber: Wissenschaft als Beruf. Stuttgart 2006. S. 19. Nicht nur die künstlerische Praxis, auch das Konzept der Arbeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts war von der Idee der Analysierbarkeit geprägt.
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tionsformen auf andere Bereiche übertragen? Oder entzieht sich die künstlerische Praxis der Arbeitsorganisation, ihren Regulationen und Kontrollen, so dass die kreativ-schöpferische Tätigkeit aus dem Rahmen der Arbeitsdefinitionen herausfällt und vielleicht sogar ihr Gegenteil markiert?
A M A NFANG Am Anfang liegt ein leeres Feld in der Sonne. Unbestellt. Nichts als die nackte Erde. Der Blick schweift bis zum Horizont. Ein Mann kommt den Feldweg entlang, geht auf den Acker, in der Hand einen vierzinkigen Rechen aus Holz, und beginnt den Boden aufzulockern. Dann zieht er mit einer Hacke eine Furche in den Boden. Endlos lang über das ganze Feld. Bald teilt die Linie das Feld in zwei Hälften. Am Rand des Feldes angekommen, fängt er mit der nächsten Linie an. Auf dem Acker ist ein Muster von parallelen Linien auszumachen. Er geht fort und kommt mit einer Tasche voll Kartoffelsetzlingen vor dem Bauch wieder. Eine Kartoffel nach der anderen legt er in den Boden und scharrt Erde darüber. Ist eine Reihe geschafft, nimmt er sich die nächste vor. Dies macht er jeden Tag. Nach drei Wochen ist der Acker bestellt. Wenig später sind die ersten Kartoffelkeime sichtbar, die aus dem Boden sprießen. Der Mann, der hier wie ein Bauer den Acker bestellt, ist der amerikanische Schauspieler David Barlow. Seine Arbeit findet innerhalb eines Theaterprojekts statt. Barlow spielt dabei die Figur des Flint aus Heiner Müllers Stück Die Umsiedlerin in einem »Land Art Project« mit dem Titel Bauerntheater unter der Regie des amerikanischen Künstlers David Levine.10 Die Arbeit auf dem Feld ist Teil einer Theaterinszenierung. Von Anfang bis Ende Mai 2007 baut Barlow auf einem Acker in der brandenburgischen Schorfheide Kartoffeln an. Das Feld wird zur Bühne erklärt und die Zuschauer schauen von überdachten Sitzbänken am Rande aus zu. Sie beobachten den Schauspieler bei seiner Arbeit. Mit der Hand zieht er Furche um Furche, setzt jede einzelne Kartoffel. Alles unter 10 | Das Projekt, das neben der Aufführung auch eine Ausstellung, Diskussionsveranstaltungen und einen abschließenden Dokumentarfilm umfasst, wurde von der Kulturstiftung des Bundes im Rahmen ihrer Initiative »Zukunft der Arbeit« gefördert und fand vom 05.05.-28.05.2007 in Joachimsthal statt. Nicht ohne Grund wählten die Projektmacher mit der Schorfheide eine Region, in der hohe Arbeitslosigkeit herrscht und viele Bauernhöfe aufgegeben werden. Vgl. zur Frage der schauspielerischen Arbeit des Projekts den Aufsatz von Christel Weiler, dem diese Arbeit zahlreiche wertvolle Anregungen verdankt. Christel Weiler: »Schauspielerische Arbeit als Übung«. In: dies./Jens Roselt (Hg.): Schauspielen Heute. Bielefeld 2011. S. 95-108. Siehe ebenso Marvin Carlson: »David Levine’s ›Bauerntheater‹. The Return of the Matrix«. In: TDR (The Drama Review) 52:3 (T 199) Fall 2008. S. 34-42.
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den Augen der Zuschauer. Nichts anderes ist zu sehen als sein mühevolles Tun. 5 Tage die Woche, 14 Stunden lang. Tag für Tag. Seine Arbeit macht Barlow allerdings auch dann, wenn niemand zuschaut. Das Projekt präsentiert die Arbeit des Schauspielers als Arbeit auf dem Feld, als Beackern und Bestellen. Gezeigt wird ein realer Arbeitsprozess, dessen zeitlichen Rahmen die Natur vorgibt.11 Die körperliche Arbeit wird vor den Augen des Publikums nicht nur vorgeführt, sondern auch ausgeführt. Zum besonderen »Realitätseffekt« (Barthes) werden die ›echten‹ Kartoffeln am Ende dieses Prozesses. Ihre Ernte findet nach der Aufführung statt und bleibt doch Teil des Projekts. Das Projekt spielt mit der Überlagerung zweier Ebenen von Arbeit. Der Feldarbeiter ist zugleich Darsteller einer dramatischen Figur, auch wenn er keine Zeile des Textes spricht. In der angegliederten Ausstellung ist zu erfahren, dass sich Barlow in Proben in einem New Yorker Atelier mehrere Wochen auf seine Darstellung vorbereitet hat. Im Zentrum dieses Probenprozesses steht die Erarbeitung der Figur des Flint, der in Müllers Stück Die Umsiedlerin12 für die Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR streitet. Um diese Figur darzustellen, hat Barlow verschiedene Arbeitstechniken erlernt, wie beispielsweise den Umgang mit dem Pflug. Dabei hat er sich wiederum einer besonderen Schauspieltechnik bedient: des Method-Acting. Wenn gemeinhin mit dem Konzept des Method-Acting verbunden wird, dass die Schauspieler in der außertheatralen Realität nach Erfahrungen suchen sollen, die sie dann im Moment der Aufführung abrufen können, dann wird hier dieser Prozess umgedreht. In der von der Alltagswelt abgeschirmten Wirklichkeit des Probenraums erarbeitet sich der Schauspieler Arbeitstechniken wie die des Kartoffelanbaus, derer er sich dann bei der Aufführung auf dem Feld, jenseits der Rahmung durch einen Theaterbau, bedient. So sind diese Arbeitstechniken zugleich Strategien der Darstellung. Wenn das Ziel des Method-Acting ist, jede sichtbare Differenz zwischen Rolle und Schauspieler aufzulösen, physisches und psychisches Erleben in eins fallen zu lassen – Lee Strassberg spricht in diesem Zusammenhang von »fusion«13 –, dann wäre in diesem Sin11 | Die Aufführung des Schauspielers ist beendet, wenn alle Setzlinge unter der Erde sind. Allerdings ist nun ein anderes ›Schauspiel‹ zu betrachten: das Wachsen der Kartoffeln und damit ebenfalls ein beobachtbarer Prozess. 12 | Dass die Aufführung der Komödie 1961 für Müller mit einem Berufsverbot endete und damit mit dem Verbot, als Schriftsteller öffentlich zu arbeiten, eröffnet eine weitere Ebene des Projekts. Der Darstellung von Arbeit im Drama folgt das Ende einer anderen Arbeit: der künstlerischen Arbeit des Schriftstellers. Vgl. dazu Heiner Müller: Krieg ohne Schlacht. Leben in zwei Diktaturen. Köln 1992. 13 | Vgl. Lee Strassberg: Schauspielen und das Training des Schauspielers. Berlin 1994.
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ne eine geglückte schauspielerische Darstellung die sichtbare Kompetenz im Kartoffelanbau. Ausgestellt wird hier schauspielerisches Tun als ein Erlernen von körperlichen Techniken als »Arbeit an sich« wie auch »Arbeit an der Rolle« (Stanislawski). Die Darstellung der Figur beschränkt sich allerdings allein auf den Arbeitsprozess, der in seiner Zeitlichkeit und als körperlicher Prozess mit all seinen Anstrengungen ausgestellt wird. Damit taucht die Frage auf, inwieweit körperliche Tätigkeiten als schauspielerische Arbeit wahrgenommen werden können. Das Zeigen der Arbeit und der Arbeitsprozess auf dem Feld selbst können nicht über die Form der Tätigkeit voneinander differenziert werden. In der Überlagerung von beidem wird deutlich, dass es letztlich eine Frage der Zuschauerperspektive ist, ob eine Tätigkeit als bäuerliche oder schauspielerische Arbeit bezeichnet wird. Als Schauspieler macht Barlow zwei Dinge zugleich: Er stellt etwas her, und dieses Produzieren ist zugleich nicht das, was es zu sein vorgibt. Es dient nicht dem üblichen Zweck und doch wird erst dadurch die Arbeit für ein Publikum sichtbar. Auch der Titel Bauerntheater spielt ironisch mit der Überlagerung verschiedener Ebenen. Denn zu sehen ist ein Schauspieler, der einen Bauern bei seiner Arbeit zeigt. Zugleich verweist der Titel auf die Form des Bauerntheaters: eine Form des Laienspiels, die in Mundart Komödien aus der Welt der Bauern aufführt. Bauern spielen Theater als Unterbrechung ihres Arbeitsalltags. Hier jedoch ist es der Schauspieler, der den Bauern nicht nur spielt, sondern dessen Arbeitsalltag zu seiner Aufführung macht. Im Spiel mit den Überlagerungen verschiedener Arbeitskonzepte eröffnet sich damit ein weiterer Problemhorizont für die Beziehung von Theater und Arbeit, der auf eine gesellschaftliche Dimension verweist. Erst durch die Anwesenheit der Zuschauer, dem Zuweisen von Plätzen zum Schauen, die Einladung zur Aufführung wird die Tätigkeit als Kunstaktion gerahmt. Als Inszenierung wird die Arbeit des Pflanzens zu etwas anderem, das über den Prozess des Pflanzens hinausweist und in den Bereich des Spektakels eintritt. So wirbt das Projekt auf seinen Plakaten auch mit dem Slogan »Arbeit als Attraktion!«. Einer der Bauern, die als Experten die Aufführung des Schauspielers beratend begleiten, erklärt in einem Interview, dass er sich gar nicht vorstellen konnte, »dass man so was wie Kartoffeln pflanzen als Theater, also als Stück machen kann, das ist doch erst mal Arbeit«14 . Indem das Projekt Bauerntheater hier die Arbeit als Spektakel vorführt, sie in den Kontext eines spezifisch theatralen Produktionsprozesses stellt, wird das Feld für eine Reflexion des Begriffs der Arbeit eröffnet. Inwieweit lassen sich Theater und Arbeit als zwei voneinander abgegrenzte Bereiche unterscheiden? Welche gesellschaftliche Funktion hat in der jeweiligen historischen Konstella14 | Vgl. Foyer. 3sat. Ausstrahlung am 19.05.2007.
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tion diese Abgrenzung? Wenn Theater selbst immer auch Arbeit ist, im Sinne eines körperlichen Tuns, gibt es dann noch etwas anderes, das über den Bereich der Arbeitswelt hinausweist und nicht in der Arbeit aufgeht?
Z UM B EGRIFF DER A RBEIT Nach der Arbeit am Theater zu fragen, bedeutet auch, einen Begriff in den Blick zu nehmen, der sich durch Überlagerungen und Transformationen einer genauen Bestimmung zu entziehen scheint. Wohl kaum ein Begriff ist so mit Bedeutung überladen, historisch immer wieder neu definiert und damit so schwer zu fassen wie der Begriff der Arbeit. Nicht der Mangel an Definitionen, sondern ihr Überfluss lässt unklar werden, was unter Arbeit zu verstehen ist. Dies zeigt sich beispielsweise an der Widersprüchlichkeit der Bestimmungen. Mit Arbeit wird sowohl Würde, Leben, Produktion, Freiheit verbunden als auch Mühe, Strafe, Leid und Unterjochung.15 Arbeit kann damit nicht jenseits von Gut und Böse gedacht werden. Auffällig ist, dass alle Bestimmungen Arbeit immer in einem Spannungsfeld beschreiben, das zugleich eine Bewertung vornimmt: zwischen praxis und poiesis, zwischen körperlicher und geistiger Arbeit, »produktiver« und »unproduktiver Arbeit«16, routinierter und kreativer, zwischen gelernter und ungelernter, freiwilliger Arbeit und Zwangsarbeit. Jedes Sprechen über Arbeit schließt notwendigerweise diese Widersprüche und Differenzierungen wie auch historische Transformationen mit ein. Auch die Arbeit am Theater, wie am Projekt Bauerntheater gezeigt, bewegt sich zwischen diesen Differenzierungen: zwischen der konzeptuellen Arbeit und dem konkreten, körperlichen Ausführen, zwischen dem Training mit dem Ziel der Automatisierung körperlicher Vorgänge, und der kreativen Suche nach Neuem, zwischen Wiederholung und Neuerschaffung, zwischen der Theorie des Konzepts und dem praktischen Tun. Gerade aus der Unbestimmtheit des Arbeitsbegriffs eröffnen sich für die Auseinandersetzung mit der Arbeit am Theater neue Möglichkeiten. Indem Arbeit nur als Differenz zu denken ist, kann die Komplexität künstlerischer Praktiken beschrieben werden. Die Frage nach der Arbeit am Theater ist dabei eine Frage nach dem Konzept von Theater als etwas zu Erarbeitendem, verbunden mit einer Form der Arbeitsteilung und der Ausrichtung auf die Verwirklichung eines Projekts in der Zukunft. Für das Verständnis des Projekts Bauerntheater scheint der Dis15 | Zu diesem Bedeutungsfeld von Arbeit vgl. Jacques Derrida: Die unbedingte Universität. Frankfurt a.M. 2001. S. 53ff. 16 | Diese Unterscheidung trifft Adam Smith in Wohlstand der Nationen. Sie wurde später von Marx wieder aufgenommen. Vgl. Adam Smith: Wohlstand der Nationen [1776]. München 1978. S. 272ff.
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kurs um die Darstellung von Arbeit wesentlich. Thematisiert werden müssen die Vor-Arbeit, die Auswahl des Heiner-Müller-Textes und die Arbeit mit Schauspieltechniken, um das Konzept des Projekts zu verstehen. Die (Selbst-)Reflexion des Dargestellten ist konstitutiv für die Inszenierung. Nicht ohne Grund waren die ›Rahmenveranstaltungen‹ – Podiumsdiskussionen, Pressekonferenzen, die spätere Dokumentation – ein wesentlicher Bestandteil des Projekts. Nicht die Darstellung der Arbeit auf dem Feld, sondern die Diskussion über die Implikationen dieser Arbeit und ihrer Beobachtung wird damit zum Gegenstand der Inszenierung. Die Reflexion über Arbeit ist hier immer auch eine Reflexion über die Arbeit am Theater als Vor-Arbeit, Probenarbeit und Arbeit an der Darstellung. Der Status des theatralen Tuns als Kunst wird verhandelt. Das hier beschriebene besondere Verhältnis von Vorbereitung, Proben und Aufführung ist ein Ansatzpunkt meiner Überlegungen. Nicht die Aufführung von Arbeit, nicht die Versuche ihrer Darstellung, sondern Konzepte von Arbeit am Theater als einer Arbeit an der Konstitution des Theaters, an verschiedenen Konzepten von Theater sollen untersucht werden. Es sind die künstlerischen Praktiken, die das Zustandekommen von Theater erst ermöglichen. Praktiken der Vorbereitung, des Organisierens, des Probens, Erarbeitens oder Entwerfens sind Gegenstand der Untersuchung. Mit ihnen wird am Theater gearbeitet – als Arbeit an der Aufführung und als Arbeit an der Institution ›Theater‹.
THE ATER -A RBEIT Die Formulierung »arbeiten an« rückt den Gegenstand der Arbeit in den Fokus: das, woran gearbeitet wird.17 Der Blick fällt auf den Akt des Produzierens selbst und weniger auf das mögliche Ergebnis dieses Prozesses. Arbeiten am Theater meint die konkrete Tätigkeit wie auch das Hervorbringen von Vorstellungen und Konzepten von Theater. Als Arbeit am Theater werden im Folgenden künstlerische Praktiken im Kontext des Theaters untersucht. Gemeinhin ist, wenn von Arbeiten im Kontext des Theaters die Rede ist, der Probenprozess gemeint. So gibt es in Wahrigs Wörterbuch zwar einen Eintrag zur Probenarbeit als »Arbeit bei den Proben für ein Theaterstück«18, aber keinen zur Aufführungsarbeit. Interessant ist, dass hier Probe und Arbeit erneut differenziert werden – so wird die Probe nicht als Arbeit an einem Stück definiert. Das bedeutet nicht, dass der Akt der Aufführung keine Arbeit sei, genauso wenig wie die Aufführung im Sinne eines Produkts als Ergebnis des Probenprozesses definiert werden soll. Im Probenprozess verdichten sich – stärker als in der Aufführung – bestimmte Fragen zu Arbeit am Theater: das Verhältnis 17 | Vgl. dazu Hans Blumenberg: Arbeit am Mythos. Frankfurt a.M. 1979. 18 | Wahrig. Wörterbuch der Deutschen Sprache. München 2006.
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von Material und Wiederholung, die Ausdifferenzierung verschiedener Berufsfelder und Tätigkeiten, die Verortung des Theaters im Spannungsfeld zwischen produktiver und reproduktiver Kunst und der zeitliche Prozess. Zugleich ist der Begriff ›Arbeit am Theater‹ weiter gefasst als beispielsweise Pavis’ Definition der travail théâtral, die er in Bezug auf Brechts Terminus der »TheaterArbeit« als alle Tätigkeiten der Hervorbringung der Inszenierung definiert.19 Ausgeklammert bleiben dabei Fragen danach, wie die Arbeit am Theater als eine Form der Organisation auch die Institution ›Theater‹ – als ökonomisches Modell, als Arbeitsplatz oder Organisationsform – in Szene setzt. Wenn also nach der Arbeit am Theater gefragt wird, dann geht es um jene Tätigkeiten, die das Theater als Institution, als Inszenierung und Aufführung hervorbringen. Wie beschreiben Theaterkünstler, Schauspieler, Regisseure, Autoren, Dramaturgen, Intendanten, Techniker ihr Tun im Theater und wie definieren sie es im Verhältnis zu einer außertheatralen Arbeitswelt? Es ist also nicht die Aufführung selbst, sondern es sind die Prozesse des Produzierens, die Formen künstlerischer Praxis jenseits der Aufführungssituation, die hier untersucht werden. Für die Theaterwissenschaftlerin bedeutet dies, den Platz im Zuschauerraum zu verlassen und sich auch hinter die Bühne zu begeben, um die Vorkehrungen und Praktiken zu betrachten, die Voraussetzung jeder Aufführung sind.
D AS W ISSEN DER P ROBEN In den Proben wird nicht nur eine Aufführung vorbereitet, werden nicht nur Abläufe eingeübt, in der Probenarbeit wird auch ein spezifisches Wissen generiert. Als Prozess der Wissensgenerierung trifft sich im Begriff des Probens das Theater mit der Wissenschaft. Der Begriff der Probe leitet sich von proba ab, als Versuch oder Experiment. Im Wörterbuch finden sich zwei Hauptbedeutungen des Experimentierens, zu dessen Begriffsfeld auch die Probe gezählt wird: »1. wissenschaftlicher Versuch, durch den etwas entdeckt, bestätigt oder gezeigt werden soll; 2. (gewagter) Versuch, Wagnis, unsicheres Unternehmen.«20
19 | »Ce terme […] non [évoque] seulement le strict travail des répétitions et de l’apprentissage du texte par le comédien, mais aussi l’analyse dramaturgique, la traduction et de l’adaptation, les improvisations gestuelles, la recherche du gestus, de la fable ou l’ouverture du texte à une pluralité de sens, la mise en place des acteurs, la mise au point des costumes, des décors, des éclairages etc.« Patrice Pavis: Dictionnaire du théâtre. Paris 1980. S. 393. 20 | Duden. Fremdwörterbuch. Mannheim 1997. S. 257.
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Das wissenschaftliche Experiment wie auch die Theaterprobe zielen auf Generierung und Sicherung von Wissen. Sei es in der Bestätigung von Bekanntem oder der Herstellung von neuem Wissen in der Wissenschaft. Genauso zielt die Probe auf das Hervorbringen eines Wissens um die Form einer möglichen Aufführung. In beiden Fällen bewegt sich der Versuch an der Grenze von Wissen und Nicht-Wissen. Daher ist die zweite Bedeutung von der ersten nicht zu trennen: Die Suche im Unbekannten gehört zum wissenschaftlichen Experiment wie zur theatralen Praxis. Beide Begriffsfelder bezeichnen einen Prozess des Suchens, der noch nicht abgeschlossen ist. Zugleich besteht jedes Experiment aus Wiederholungen, und das Ziel wissenschaftlichen Experimentierens lässt sich durch die Wiederholbarkeit eines Verfahrens bestimmen. Auch die Probe als der Aufführung vorgängiger Prozess hat eine Wiederholung zum Ziel: Das, was in ihr erarbeitet wird, soll in der Aufführung wiederholt werden. Die theatrale Praxis des Probens bewegt sich im Spannungsfeld von Wiederholung und forschendem Suchen im Unbekannten. Gerade vor dem Hintergrund der Diskussion um die Veränderungen unserer Wissensgesellschaft hat die Beschäftigung mit Probenprozessen als eine Form der Wissensgenerierung eine besondere Aktualität.
A M P ROBENBEGINN Ausgangspunkt meiner Untersuchungen ist die Umbruchsituation um 1800: die Entdeckung der Arbeit am Theater als einem kollektiven Vorbereitungsprozess. Dass am Theater geprobt wird und dies als Arbeit verstanden wird, ist eine relativ junge Entwicklung. So bemerkt der Schauspieler Iffland 1784 über die Proben am Mannheimer Nationaltheater: »[…] Die häufigen Proben thun, besonders von ganz alten Stücken, der Ordnung und Rundung mehr Schaden als Vortheil. Wenn daher ein ganz altes Stück wiederholt wird, sollte diese als unnütz künftig gehoben sein. Weit nützlicher wird alsdann ein Stück, das bei erster Aufführung nicht wohl gelernt ist, ohne Jemand zu nennen, aufgehoben werden können. Mit mehreren Eifer wird Jedermann der ersten Probe sich annehmen, wenn er weiß, daß im widrigen Fall bei Wiederholung die Proben fortgesetzt werden. Bei den immerwährenden Proben ist Nachlässigkeit und Sicherheit meines Bedünkens nicht vermeidlich, da diese sonst nützliche Einrichtung ebendadurch ihren Ernst verliert, da sie zur Erreichung des Zwecks Jedermann nicht unumgänglich erscheinen muss.« 21 21 | Max Martersteig: Die Protokolle des Mannheimer Nationaltheaters unter Dalberg aus den Jahren 1781 bis 1789. Mannheim 1890. Nachdruck in: Schriften der Dramaturgischen Gesellschaft. Berlin 1980. Bd. 14, S. 280.
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Wenn Iffland hier das Proben als Arbeit an der Aufführung in Zweifel zieht, ja sogar Nachteile in den Proben sieht, weil ihre Notwendigkeit nicht gegeben ist, dann zeigt sich hier eine Idee von Theater, in der die gemeinsame Arbeit fast keine Bedeutung hat. Iffland beklagt dabei auch die fehlende Ernsthaftigkeit, ein fehlendes Arbeitsethos der Schauspieler jenseits der Proben. Denn wenn sie allein ihren Text lernen würden, dann würden die Proben überflüssig. Ja, das Proben soll sogar als Strafe verstanden zur Disziplinierungsmaßnahme für die Schauspieler werden. Und noch etwas erstaunt: Iffland nennt »Nachlässigkeit« und »Sicherheit« in einem Zug als nachteiliges Ergebnis der Proben. Zielt heute ein Großteil der Probenpraxis darauf, dem Schauspieler ›Sicherheit‹ zu verleihen, jeden Abend aufs neue die erarbeitete Darstellung zu zeigen, wird ein solches Ziel innerhalb der Diskussionen um 1800 kritisch hinterfragt. Wie Iffland bemerkt, ist jene ›Sicherheit‹ nicht unbedingt von Vorteil für die Aufführung: Der Schauspieler wird nachlässig im Moment der Aufführung, weil er ja weiß, was zu tun ist. Nicht das wiederholende Moment der Re-Präsentation der Inszenierung steht im Vordergrund, sondern die Aufführung selbst. Nicht die Wiederholung des Erarbeiteten, sondern das fortwährende Arbeiten an der Aufführung ist sein Ziel (ohne dass er hier bereits von Arbeit spricht). Ein solches Konzept des Theaters verweist auf ein anderes Verständnis von Selbstdisziplin und Kontrolle, von Wissen und Arbeit. Dass nicht die einzelne Darstellung des individuellen Schauspielers, dass nicht der dramatische Text, sondern die gemeinsame Erarbeitung der Aufführung konstitutiv für die Kunstform ›Theater‹ sei, kommt in dieser Konzeption nicht vor. Von einer Inszenierung wird erst im 19. Jahrhundert gesprochen. Die These dieser Untersuchung ist, dass sich um 1800 die Vorstellung des Theaters als etwas zu Erarbeitendem entwickelt. Mit der Veränderung der Darstellungspraxis im 18. Jahrhundert, wie sie bereits grundlegend von der Theaterwissenschaft untersucht wurde,22 setzt um 1800 eine Diskussion ein, die auch die Vorbereitung, die Proben und die Arbeit am Theater in den Blick nimmt. Auch wenn eine wirkliche Veränderung der Probenpraxis erst im Laufe des 19. Jahrhunderts stattfindet, wird um 1800 die Arbeit am Theater als Problem formuliert. Im Zuge einer Professionalisierung und Institutionalisierung muss sich das Theater legitimieren gegen den Vorwurf, in erster Linie der Unterhal-
22 | Vgl. dazu die wegweisenden Untersuchungen zum 18. Jahrhundert: Erika FischerLichte/Jörg Schönert (Hg.): Theater im Kulturwandel des 18. Jahrhunderts. Inszenierung und Wahrnehmung von Körper-Musik-Sprache. Göttingen 1999 und Günther Heeg: Das Phantasma der natürlichen Gestalt. Körper, Sprache und Bild im Theater des 18. Jahrhunderts. Basel 2000 sowie Wolfgang Bender (Hg.): Schauspielkunst im 18. Jahrhundert. Grundlagen, Praxis, Autoren. Stuttgart 1992.
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tung und dem Vergnügen zu dienen.23 Damit einher geht ein grundlegender Wandel der Probenpraxis am Theater. Während Ende des 18. Jahrhunderts die Erarbeitung eines Stücks sich oft auf drei Proben beschränkte, etablieren sich spätestens Anfang des 20. Jahrhunderts Arbeitsformen, die eine Probenzeit von mehreren Monaten fordern. Innerhalb eines Jahrhunderts hat sich die Art und Weise, wie eine Aufführung vorbereitet wird, radikal verändert. Diesen Veränderungen mit ihren Widersprüchen, Aporien und Brüchen werde ich im Folgenden nachgehen. Ziel ist, sie in den Kontext der Transformationen des Arbeitsbegriffs zu stellen. Denn auch die Vorstellung von Arbeit ist um 1800 einem grundlegenden Wandel unterworfen, der zentral für das ökonomische Denken wird. ›Arbeit‹, ›Produkt‹ ›Arbeitskraft‹, ›Produktion‹ – mit diesen Begriffen wird das Feld abgesteckt, in dem der ökonomische Mensch als Arbeitender auftritt. Es ist die »Geburt des ökonomischen Menschen, die Geburt eines begehrenden, arbeitenden, produzierenden und konsumierenden Subjekts«24 . Und noch eine dritte Entwicklung ist um 1800 für die Frage nach dem Verhältnis von Arbeit und Theater bedeutsam: die Ausdifferenzierung des Kunstsystems. Erst seit dem 17. Jahrhundert wird zwischen Kunst und Handwerk im Sinne einer Herstellungspraxis unterschieden. Mit der Vorstellung einer Autonomie der Kunst und dem Konzept des Genies wird eine Grenze zwischen Kunst und Arbeitswelt gezogen. Die Definition eines Bereichs der Kunst jenseits der Arbeitswelt wird entlang eines Künstlerbegriffs formuliert, der sich am Maler oder Bildhauer orientiert. Dagegen ist die Sonderrolle des Theaters zu betrachten, das sich seinen Platz als gleichwertige ›schöne Kunst‹ neben Poesie, Malerei und Musik gegen viele Anfeindungen erkämpfen muss. Das Theater ist damit zwei Legitimierungsdiskursen unterworfen: Einerseits muss es sich im Kontext einer sich entwickelnden Arbeitsethik als sinnvolle Tätigkeit jenseits des bloßen Vergnügens darstellen, andererseits versucht es, eine Position innerhalb eines sich entwickelnden Kunstsystems einzuklagen, das sich gerade über eine Abgrenzung zur Arbeitswelt definiert. Das Tun des Künstlers soll sich von anderen Formen der Arbeit unterscheiden, ohne allerdings mit dieser Sonderstellung auch seine Position innerhalb der Gesellschaft zu diskreditieren, wie es für die Theater über weite Teile des 18. Jahrhunderts galt. Die Arbeit am Theater wird also ausgehend von dieser historischen Konstellation untersucht werden, im Wechselverhältnis und in den Transformationen von Arbeit, Theater und dem gesellschaftlichen Status der Kunst.
23 | Vgl. zum Funktionswandel des Theaters im 18. Jahrhundert: Rainer Ruppert: Labor der Seele und der Emotionen. Berlin 1995. 24 | Joseph Vogl: Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen. Zürich 2004. S. 17.
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G ESCHICHTEN DES P ROBENS : M E THODISCHE Ü BERLEGUNGEN Im November 1791, kurz nach der Übernahme der Theaterleitung durch Goethe, fanden in Weimar die Proben zu Shakespeares Leben und Tod des König Johan statt. Die Rolle des Knaben Arthur wurde mit der 13-jährigen Schauspielerin Christiane Neumann besetzt.25 Die junge Schauspielerin hatte Schwierigkeiten mit der Szene, in der Arthur geblendet werden soll, wie Anton Genast in seinen Erinnerungen in folgender Anekdote erzählt: »Bei der Hauptprobe zeigte Christiane nicht genug Entsetzen vor dem glühenden Eisen; ungeduldig hierüber riss Goethe dem Darsteller des Hubert das Eisen aus der Hand und stürzte mit solch grimmigem Blick auf das Mädchen zu, dass diese entsetzt und zitternd zurückwich und ohnmächtig zu Boden sank. Erschrocken kniete nun Goethe vor ihr nieder, nahm sie in seine Arme und rief nach Wasser. Als sie die Augen wieder aufschlug, lächelte sie ihm zu, küsste seine Hand und bot ihm dann den Mund; eine schöne, eine rührende Offenbarung der väterlichen und kindlichen Neigung beider zueinander.« 26
Die Szene schildert ein konkretes Darstellungsproblem: Wie können Angst und Entsetzen dargestellt werden, wenn keine realen Konsequenzen der vorgespielten Blendung zu fürchten sind? In diese Szene bricht nun Goethe ein, indem er aus seiner Rolle als Beobachter ausbricht. Seine Ungeduld, sein Blick, die Heftigkeit seiner Bewegungen gepaart mit dem Feuer auf der Bühne, das nun auf einmal durchaus zur Bedrohung zu werden scheint, überrumpeln die Darstellerin. Ihr Ausweg ist eine Unterbrechung des Darstellens, indem sie ohnmächtig wird. Der Einbruch Goethes in die Ordnung der Szene führt nicht nur zum ›authentischen Gefühl‹, in der Übersteigerung ist dieses Gefühl auch nicht mehr darstellbar. Die Überwältigung durch die Autorität des Theaterleiters, durch seine Präsenz auf der Bühne und das ›Feuer‹ seiner künstlerischen Leidenschaft führen zum Aussetzen der Darstellung – in der Ohnmacht. Das Sprengen des theatralen Rahmens in der Ohnmacht – durch die spontane, unkontrollierte und damit scheinbar ›authentische‹ Reaktion des Körpers – markiert damit zugleich ein Kippmoment. Denn nicht nur die Schauspielerin steigt aus ihrer Darstellung aus, auch Goethes Haltung ändert sich mit der Ohnmacht. Aus dem grimmigen Regisseur und überwältigenden Künstler wird der besorgte Theaterleiter, dessen Sorge der Schauspielerin gilt. Es überlagern sich zwei Rollen – der geniale und besessene Künstler ist zugleich sorgender Patriarch. 25 | Vgl. zur Praxis der Gegenbesetzung bei Goethe: Birgit Wiens: »Grammatik« der Schauspielkunst. Tübingen 2000. 26 | Eduard Genast: Aus dem Tagebuch eines alten Schauspielers. Leipzig 1862-1866. Bd. I, S. 83.
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Und noch eine dritte Rolle kommt hinzu. Denn die Schauspielerin reagiert nicht etwa verschreckt, als sie aus ihrer Ohnmacht erwacht, sondern ihre Bewusstlosigkeit, ihr Niedersinken, wird wiederum durch ihr Verhalten Goethe gegenüber kommentiert. Sie reicht ihm nicht nur ihre Hand zum Kuss, sondern bietet ihm auch ihren Mund. Die Schauspielerin bietet sich selbst dar: der dargebotene Mund als Geste der Hingebung.27 Betrachtet man die Szene aus der Perspektive der Probenarbeit, dann ist diese nicht sonderlich erfolgreich – jedenfalls nicht in dieser konkreten Probe. Die Arbeit an der Aufführung, die Hauptprobe, muss abgebrochen werden, weil die Schauspielerin bewusstlos auf der Bühne liegt. Ob sie die Szene in der erneuten Wiederholung besser spielt, davon ist nichts zu lesen. Was von der Probenarbeit erwähnenswert ist, was hervorgehoben wird, ist eine Ausnahmesituation, um nicht zu sagen eine Krisensituation, denn immerhin ist eine Schauspielerin unfähig, weiterzuarbeiten. Weniger eine konkrete Probentechnik ist erzählenswert, sondern das Verhältnis von Theaterdirektor und Schauspielerin steht im Vordergrund: im Spannungsfeld von Autorität und Unterwerfung. Der situationale Aspekt der Probe, ihr zeitlicher und räumlicher Rahmen wie auch das Ereignis der Unterbrechung werden ausgestellt. Die Probe bekommt ihren Erzählwert aus dem Moment des Unkonventionellen und der unkonventionellen Lösung. Nicht die systematische Probenarbeit, sondern die Krise, als das, was sich der Ordnung entzieht, wird erzählt. Da Goethe später diese Szene in seinem berühmten Gedicht zum Tod Christiane Neumanns Euphrosyne28 aufgreift und beschreibt, kommt kaum eine Untersuchung zur Theaterpraxis am Weimarer Hoftheater ohne diese Szene aus. Sie wird zum Sinnbild für das ›ideale Verhältnis‹ Goethes zu seinen Schauspielern erklärt. Die Anekdote, als »kleine Erzählung« im Sinne Lyotards,29 lässt sich aber auch ganz anders lesen – als Verdichtung verschiedenster Aspekte der Arbeit am Theater: dem Verhältnis von Regisseur und Schauspielerin, 27 | Eine erotische Komponente, die Genast sofort wieder abschwächt, allerdings zahlreiche Theaterhistoriker zu der Beteuerung veranlasst, dass Goethe kein Verhältnis mit Christiane Neumann gehabt hätte: »Künstlerische und persönliche Neigung vermischten sich und hätten dem frühreifen erst vierzehnjährigen Mädchen gefährlich werden können, wenn Goethe sich nicht zurückgehalten hätte und zwar prinzipiell.« Willi Flemming: Goethe und das Theater seiner Zeit. Stuttgart 1968. S. 176. Dass die TheaterArbeit durch vielfache Abhängigkeitsverhältnisse gekennzeichnet ist, die wiederum den professionellen Kontext in Frage stellen, zeigt sich nicht nur in einer solchen Leseweise des Verhältnisses. 28 | Johann Wolfgang von Goethe: »Euphrosyne«. In: ders.: Goethes Werke. Hamburger Ausgabe [HA = Hamburger Ausgabe]. 14 Bde. Hamburg 1948ff. Bd. 1, S. 190ff. 29 | Jean-François Lyotard: »Randbemerkungen zu den Erzählungen«. In: Peter Engelmann (Hg.): Postmoderne und Dekonstruktion. Stuttgart 1990. S. 49-53
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der präsentierten Künstlerbilder, der Konstituierung von Geschlechterbildern in Arbeitszusammenhängen,30 der Rahmung der Probe und dem Blick von Außen, dem Verhältnis von Improvisation und Vorbereitung, den Darstellungstechniken und der Inszenierung von Authentizität. Jede Theatergeschichtsschreibung, jede Dokumentation der Probenpraxis greift auch auf Anekdoten zurück: Kurze Erzählungen merkwürdiger und konkreter Details der Probenarbeit, in denen die Besonderheit der Arbeit ›aufblitzt‹, bezeugt durch die Anwesenheit des Erzählers auf der Probe, die sich den Blicken der Öffentlichkeit entzieht. Im Rückblick werden Geschichten der Probenpraxis erzählt, mit dem Verweis, etwas bisher nicht Veröffentlichtes ans Licht zu bringen, als eine nachträgliche Dokumentation einer Arbeit, die sich der Öffentlichkeit entzieht.31 Dabei besteht die Gefahr, die Anekdote im Kontext der Probenarbeit in die Erzählung einer Künstlerlegende einzugliedern:32 Mit dem Blick auf das später veröffentlichte Werk oder die Aufführung wird anhand der Erzählung, wie ›es‹ der Regisseur oder die Schauspielerin gemacht haben, an der (Re-)Konstruktion eines individuellen, autonomen Künstlersubjekts gearbeitet. Die textanalytischen Verfahren des New Historicism eröffnen einen anderen Umgang mit der Anekdote, der sich gerade für die Probenarbeit anbietet. Die Anekdote als das per definitionem Nicht-Veröffentlichte steht zur Öffentlichkeit der Aufführung in einem Spannungsverhältnis. Mit der Anekdote werden Geschichten über die Probe nach außen getragen, ohne dass diese in eine lineare Erzählung des Produktionsprozesses, der in der späteren Aufführung endet, 30 | Die Geschichte der Probenpraxis des Weimarer Hoftheaters beispielsweise ließe sich als ein Aushandeln von Geschlechternormen im künstlerischen Arbeiten schreiben. In der Theatergeschichtsschreibung wird die hingebungsvolle Christiane Neumann gegen die widerspenstige Karoline Jagemann gesetzt, deren Opposition letztlich zu Goethes Rückzug aus dem Theater geführt habe. Um 1800 ist eine Besonderheit des Theaters im Gegensatz zu anderen Kunstformen, dass hier im konkreten Produzieren Frauen und Männer gemeinsam arbeiten. Die interaktive Form des Arbeitens im Theater – nur im Tanz stehen auch Frauen und Männer gemeinsam auf der Bühne – eröffnet gerade für die Konstituierung von Konzepten weiblicher und männlicher Arbeit und den damit verbundenen Rollenbilder ein besonderes Untersuchungsfeld. 31 | Die oben zitierte Anekdote ist Teil der Erinnerungen eines alten Schauspielers: 1866 veröffentlicht Anton Genast diese Lebenserinnerungen seines Vaters, des Schauspielers Eduard Genast. In den Erzählungen vermischen sich die Erinnerungen von Vater und Sohn. Das Jahr der Veröffentlichung, immerhin 74 Jahre nach der Inszenierung des König Johan und 34 Jahre nach Goethes Tod, verweist auf den Abstand der Erinnerungen zur eigentlichen Probenpraxis und macht den Status des Erzählten fragwürdig. 32 | Vgl. dazu Ernst Kris/Otto Kurz: Die Legende vom Künstler. Ein geschichtlicher Versuch. Frankfurt a.M. 1980.
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eingebunden würden. Die Anekdote markiert so eine Bruchstelle, bedeutet einen Einbruch, eine Unterbrechung der linearen Erzählung des Produzierens, die auf einer Abfolge von Ereignissen beruht.33 Es eröffnet sich der Blick auf andere Formen der Erzählung der Probenarbeit: nicht als lineare (Erfolgs-)Geschichte der Entstehung einer Aufführung, sondern als Erzählungen der Brüche, Unterbrechungen, Krisen und Ausfälle, die das Produzieren am Theater immer auch ausmachen. Als Miniaturerzählung, die sich nicht in die große Geschichte eingliedern lässt und doch auf diese Bezug nimmt, problematisiert die Anekdote damit auch die Theatergeschichtsschreibung als Erzählung und führt diese vor: indem sie als diskursive Form eine Vorstellung von dem, was als ›historische Wirklichkeit‹ der Probenarbeit verstanden wird, hervorbringt, die sozialen Inszenierungen und Ritualisierungen der Arbeitssituationen ausstellt. Die Anekdote ist aber zugleich auch das, was von der flüchtigen Arbeit am Theater übrig bleibt. Als eine Art der »Geisterbeschwörung« wird sie »zum narrativen Behältnis des Ephemeren der Performance«34 , wie es Gabriele Brandstetter beschreibt – in diesem Fall der Probe. Wie jede historische Auseinandersetzung mit den Proben sich notwendigerweise auch mit Anekdoten beschäftigen muss, verweisen diese »kleinen Erzählungen« auch auf ein Misstrauen hinsichtlich des Projekts ›einer‹ Geschichte des Probens. Längst sind in der Geschichtswissenschaft, aber auch in der Theaterhistoriografie Konzepte einer einheitlichen und chronologischen Geschichtsschreibung in Frage gestellt worden. »Der Komplexität gesellschaftlicher Prozesse ist mit den Verzeitlichungsstrategien und Bewegungsstrukturen der einen Geschichte heute nicht mehr beizukommen«35, konstatiert Burkhart Steinwachs und stellt damit auch Kategorien wie Kontinuierlichkeit und Linearität auf den Prüfstand. Zugleich wird der Konstruktionscharakter der Ge33 | »In formal terms, my thesis is the following: that the anecdote is the literary form that uniquely lets history happen by virtue of the way it introduces an opening into the teleological, and therefore timeless, narration of beginning, middle, and end. The anecdote produces the effect of the real, the occurrence of the contingency, by establishing an event as an event within and yet without the framing context of the historical successivity, i.e. it does so only in so far as its narration both comprises and refracts the narration it reports.« Joel Fineman: »The History of the Anecdote: Fiction and Fiction«. In: H. Aram Veeser: The New Historicism. New York/London 1989. S. 49-76. S. 61. 34 |Gabriele Brandstetter: »Die Szene des Virtuosen. Zu einem Topos von Theatralität«. In: Hofmannsthal-Jahrbuch 10 (2002). S. 213-243. S. 242. 35 | Burkhart Steinwachs: »Was leisten (literarische) Epochenbegriffe? Forderungen und Folgerungen«. In: Hans-Ulrich Gumbrecht/Ursula Link-Heer (Hg.): Epochenschwellen und Epochenstrukturen im Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie. Frankfurt a.M. 1985. S. 312-323. S. 317.
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schichtserzählungen ausgestellt.36 An einer Geschichte des Probens zu schreiben, heißt damit nicht, nach Homogenität der Erzählungen zu suchen, sondern auch nach Differenzen, nach Kontingenz, Pluralität und Diskontinuitäten zu fragen. Es sind verschiedene Probengeschichten zu erzählen, die immer wieder um ähnliche Fragestellungen kreisen, ohne dass sie in eine Geschichte überführt werden können. Es gilt also nicht, nach der Linearität der Geschichte zu suchen, sondern vielmehr, verschiedene Bezugsrahmen zu eröffnen, in denen die Komplexität der Arbeit am Theater in den Blick genommen wird.
V ORGEHEN Die Untersuchung beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Theater und Arbeit im Zeitraum vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Dieser große Zeitraum ist Herausforderung und Problem zugleich. Ausgehend von der gegenwärtigen Diskussion des Arbeitsbegriffs, die um das Feld von Projektarbeit, immaterieller und affektiver Arbeit, Prekarisierung und Virtuosität kreist, wird ein Blick auf die Entstehung des neuzeitlichen Arbeitsbegriffes sowie der Differenzierung von Arbeit und Theater geworfen. Gerade wenn sich in der gegenwärtigen Diskussion die Konzepte von Arbeit verschieben, mag es sinnvoll sein, die historische Vergegenwärtigung mit einer gegenwartsdiagnostischen Perspektive zu verbinden. Das Verhältnis von Theater und Arbeit aus historischer Perspektive wie gegenwartsbezogener Analyse heraus zu betrachten, zielt darauf, besser zu verstehen, was wir tun, wenn wir arbeiten – im Theater und in anderen Kontexten. Um sich der Arbeit am Theater zu nähern, wird in einem ersten Schritt der Arbeitsbegriff selbst in den Blick genommen. Anhand einer kurzen Begriffsgeschichte der Arbeit werden jene Eigenschaften und Phänomene des Arbeitens bestimmt, die für die Diskussion um die Arbeit am Theater wichtig sind. Im ersten Teil der Untersuchung wird dabei anhand wesentlicher theoretischer Positionen, die sich keineswegs ausschließlich auf das Theater beziehen, das Verhältnis von Theater und Arbeit aus ökonomischer, philosophischer und anthropologischer Perspektive betrachtet. Die künstlerische Praxis im Sinne einer Arbeit am Theater zu beschreiben, stellt damit nicht nur die Frage nach der Funktion von Kunst innerhalb einer Arbeitsgesellschaft, sondern eröffnet im Umkehrschluss auch eine neue Perspektive auf jene politischen, philosophischen, ökonomischen oder soziologischen Theorien, die über den Vergleich mit dem Theater – in Form einer Abgrenzung bzw. Ablehnung bis hin zur Zuschrei36 | Vgl. Reinhart Koselleck: »Geschichte, Geschichten und formale Zeitstrukturen«. In: ders./Wolf-Dieter Stempel (Hg.): Geschichte – Ereignis und Erzählung. München 1973. S. 211-222.
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bung eines Vorbildcharakters – einen spezifischen Arbeitsbegriff entwerfen. Mit der Re-Lektüre dieser Theorien aus der Perspektive der Theaterwissenschaftlerin wird nicht nur ein bisher nicht erforschtes Feld für die Theaterwissenschaft erschlossen, sondern der Begriff der Arbeit auch im Kontext einer Theorie des Performativen reflektiert. Dabei stellt sich auch die Frage nach der Position der künstlerischen Praxis ›Theater‹: Welcher Status wird dem Tun am Theater gegenüber den künstlerischen Praktiken anderer Kunstformen zugeschrieben? Hier wird auf die Sonderrolle des Theaters – und anderer performativer Künste – als organisationsbedürftiger Kunst eingegangen. Gerade anhand der Kunstform Theater lassen sich die Widersprüche der Abgrenzung der Bereiche Kunst und Arbeit aufzeigen. Den Schwerpunkt dieser Untersuchung bilden die exemplarischen Analysen des Diskurses über Proben und theatrale Arbeitsweisen vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Ausgehend von einem Arbeitsbegriff, der von Zweideutigkeiten überladen ist und immer nur in einem Feld des Dazwischen verortet werden kann, wird der Diskurs im Spannungsfeld von Ausstellen und Verbergen, Organisation und Kreativität, Disziplin und Freiheit, Kollektivität und Autorschaft erforscht.37 In den Blick genommen werden dabei die jeweiligen Diskursformationen. Das „Diskursfeld über die Probe“ ist, wie Hajo Kurzenberger bemerkt, »heterogener«, »widersprüchlicher« und »zuweilen undurchschaubar, schon aufgrund der Tatsache, dass der verbale und szenische Diskurs, Reden und Tun sich fortwährend verschränken«.38 Will man sich dieser »Unüberschaubarkeit« stellen, ergeben sich konkrete Fragen: Anhand welcher Quellen lassen sich Geschichten theatraler Produktionsweisen schreiben? Wer spricht über Probe und aus welchem Grund? Was wird im Diskurs über die Probenpraxis ausgeklammert? Auch wenn die Theatertheorien einzelner Regisseure analysiert werden, verlässt die Untersuchung eine autor- und subjektorientierte Perspektive. Im Sinne Foucaults werden Theaterkünstler wie Johann Wolfgang von Goethe, Konstantin Stanislawski und Bertolt Brecht als »Diskursivitätsbegründer« untersucht. Sie stehen jeweils für eine bestimmte Diskurspraxis.39 Untersuchungsgegen37 | Unter Diskurs wird hier im Sinne Foucaults eine Vielheit diskursiver Manifestationen verstanden, über die Wissen über die Probe produziert und kodifiziert wird. Dabei geht es auch darum, nach den Verfahren und Regeln zu fragen, nach denen sich ein historischer Diskurszusammenhang ›Probe‹ ausbildet. Vgl. dazu Michel Foucault: Archäologie des Wissens. Frankfurt a.M. 1981. 38 | Hajo Kurzenberger: »Der Aufführungsdiskurs. Zum Beispiel Sebastian Nüblings Basler Inszenierung von Ibsens John Gabriel Borkman«. In: ders./Annemarie Matzke (Hg.): TheorieTheaterPraxis. Berlin 2004. S. 77-89. S. 84. 39 | »Das Besondere an diesen Autoren ist, daß sie nicht nur Autoren ihrer Werke, ihrer Bücher sind. Sie haben noch mehr geschaffen: die Möglichkeiten und Bildungsgesetze
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stand sind verschiedene Arbeitskonstellationen, die Fragen an die Arbeit des Theaters und am Theater offenlegen. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Verfahren und Techniken der Probenarbeit und ihr Verhältnis zu anderen Konzepten der Arbeit. Vertieft wird diese Fragestellung anhand der Untersuchung zweier zentraler Aspekte der Probenarbeit: der Arbeitszeit und dem Raum der Arbeit. Mit der Fragestellung der kollektiven Kreativität werden bereits angerissene Problematiken verdichtet: als Frage nach Konzepten künstlerischer Praxis jenseits der Anbindung an ein individuelles Künstlersubjekt. Auch wenn sich innerhalb der Kapitel eine zeitliche Chronologie feststellen lässt, so gliedert die Untersuchung die komplexe Thematik nicht historisch. Stattdessen wird eine konfigurative Gliederung vorgenommen, die einzelne Aspekte der Fragestellung beschreibt und einkreist, ohne eine lineare Struktur zu Grunde zu legen. Nicht die Geschichte theatraler Praktiken soll hier geschrieben werden, sondern es soll der Diskurs über die Arbeit am Theater anhand verschiedener narrativer Strukturen betrachtet werden. Es wird um eine Verknüpfung und Konfrontation von literarischen, (theater-)wissenschaftlichen, philosophischen wie politisch-ökonomischen Texten gehen, um die verschiedenen Aussagen aufeinander zu beziehen und darin einen gemeinsamen Wissenszusammenhang zu erkennen. Die Untersuchung behauptet damit bewusst keine Linearität in der Erzählung der Probengeschichten, versucht aber – indem Zusammenhänge über verschiedene Epochen hergestellt werden – den Blick für die Historizität unserer Begriffe von Arbeit und Theater zu schärfen. In der theaterwissenschaftlichen Forschung gibt es bisher keine systematischen Untersuchungen zur Probenpraxis, zu Formen der Organisation theatraler Arbeit, ebenso wenig zum Zusammenhang von Theaterstruktur im Sinne einer Arbeitsorganisation und theatraler Ästhetik. Auch eine grundlegende Untersuchung zur Geschichte des Probens fehlt. Wie von den Herausgebern des Lexikon der Theatertheorie im Vorwort bemerkt: Die Probe entzieht sich bisher einer theoretischen Bestimmung.40 In Christopher Balmes Einführung in die Theaterwissenschaft sucht man produktionsästhetische Fragestellungen vergeb-
für andere Texte […]. Sie haben eine unbegrenzte Möglichkeit zum Diskurs geschaffen.« Michel Foucault: »Was ist ein Autor«. In: ders.: Schriften zur Literatur. München 1974. S. 24. 40 | Erika Fischer-Lichte/Doris Kolesch/Matthias Warstat (Hg.): Metzler Lexikon Theatertheorie. Stuttgart 2005. S. V. Einen ähnlichen Schluss ziehen auch die Herausgeber des Bands Chaos und Konzept: »Trotz dieser zentralen ästhetischen und gesellschaftlichen Funktion fristet die Theaterprobe in historiographischer, theoretischer wie analytischer Hinsicht ein Schattendasein«. Melanie Hinz/Jens Roselt (Hg.): Chaos und Konzept. Proben und Probieren im Theater. Berlin 2011. S. 9.
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lich.41 Mit einer Kritik an einer Produktionsästhetik, die auf eine Ermittlung von Intentionen und Wirkungsabsichten zielt, wird die Erforschung des kreativen Prozesses selbst aus dem Fokus des wissenschaftlichen Interesses gerückt.42 Dies ist erstaunlich hinsichtlich der Neubestimmung kultureller Prozesse im Verhältnis zur Werkästhetik, wie sie in den letzten Jahren innerhalb der Kulturwissenschaften vorgenommen wurde. Seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts lässt sich ein Wechsel in der Forschungsperspektive konstatieren: »Das Interesse verlagerte sich nun stärker auf die Tätigkeiten des Herstellens, Produzierens, Machens und auf die Handlungen, Austauschprozesse, Veränderungen und Dynamiken, durch die sich bestehende Strukturen auflösen und herausbilden.« 43
An die Stelle des »linguistic turn« – die Kultur wurde als Text untersucht – tritt der hier von Fischer-Lichte beschriebene »performative turn«. »Kultur als Performance« zu untersuchen, heißt nicht, sich von den linguistischen und strukturalistischen Verfahren abzusetzen, sondern die Perspektive zu erweitern: den Blick auf die Performativität kultureller Prozesse zu richten. Indem der Betrachter selbst als Produzent kultureller Prozesse beschrieben wird, verschiebt sich das Verhältnis von Rezeption und Produktion künstlerischer Praxis. Mit dem Fokus auf die Prozesse der Wahrnehmung rückt die Arbeit als Vorbereitung der Aufführung aus dem Blickfeld. Nach der künstlerischen Arbeit im Theater jenseits der Aufführung zu fragen, verweist in diesem Zusammenhang sogar auf eine spezifische Problematik. Behauptet die Abgrenzung von Probe und Aufführung doch eine Trennung von Produktion und Rezeption, welche die Prozessualität theatraler Praxis in Frage stellt. Indem die Probe der Aufführung vorgelagert und als Herstellungsprozess der Aufführung bestimmt wird, wird der Aufführung selbst wiederum ein Produktstatus zugeschrieben, der im Zuge des »performative turn« gerade in Frage gestellt wurde. Vor dem Hintergrund der Performativität kultureller Prozesse lässt sich allerdings eine andere Perspektive auf die Probe formulieren: als Inszenierung eines theatralen Arbeits41 | Christopher Balme: Einführung in die Theaterwissenschaft. Berlin 2003. Für einen ausführlichen Überblick über Ansätze der Probenanalyse in der Theaterwissenschaft siehe Kapitel »Proben im Kontext der Theaterwissenschaft«. 42 | Die Fokussierung auf die Inszenierungsanalyse wird beispielsweise in einem solchen Argumentationszusammenhang begründet: »So wird verhindert, in der Beschreibung der Proben die ›Intention der hervorbringenden Subjekte‹ auf das ästhetische Produkt hin zu lesen.« Hans-Thies Lehmann: »Die Inszenierung: Probleme ihrer Analyse«. In: Zeitschrift für Semiotik. Bd. 11/1 (1989), S. 29-49. S. 46. 43 | Erika Fischer-Lichte: »Vom ›Text‹ zur ›Performance‹. Der ›performative turn‹ in den Kulturwissenschaften«. In: Kunstform International: Kunst ohne Werk. Bd. 152 (Oktober-Dezember 2000), S. 61-63. S. 61.
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zusammenhangs. Die Probe wird damit nicht als etwas der Aufführung Vorausliegendes untersucht, sondern als eigene Form der Inszenierung von Arbeit betrachtet. Die vorliegende Untersuchung wendet sich somit diesem in der Theaterwissenschaft lange Zeit vernachlässigten Bereich zu und entwirft, indem sie den Diskurs über die Probenpraxis unter der Fragestellung des Verhältnisses von Theater und Arbeit erforscht, ein Modell einer anderen Produktionsästhetik. Die künstlerische Praxis wird nicht mehr vom Künstlersubjekt aus beschrieben, sondern in ihrer besonderen Diskursivität betrachtet. Texte über künstlerische Praktiken des Probens werden als Selbstreflexion theatraler Produktion untersucht. Ziel ist es, eine neue Perspektive auf die Produktionsästhetik zu formulieren im Kontext einer Theorie des Performativen: als einer Ästhetik des Produzierens. In den Fokus rücken damit Prozesse des Herstellens – die Techniken, Methoden und Verfahren des Probens, die Inszenierung von Arbeitskontexten, aber auch die Momente des Geschehenlassens, die sich einer intentionalen Ausrichtung des Tuns entziehen. Zu fragen ist, wie der Vorgang der Arbeit selbst hervorgebracht wird.
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Am Theater wird gearbeitet, und am Theater wird Kunst gemacht. Diese Differenzierung verweist auf den unterschiedlichen Status der am künstlerischen Prozess Beteiligten, verschiedene Formen der Arbeit und ihre Abgrenzung gegenüber einer Form der künstlerischen Praxis. Ist von der Arbeit einer Schauspielerin, eines Souffleurs oder einer Lichttechnikerin die Rede, dann ist damit meist ihr professioneller Status gemeint. Arbeit meint hier Erwerbstätigkeit, aber auch die konkrete Tätigkeit innerhalb eines Projekts, meistens einer Inszenierung, und schließt ein vertraglich definiertes Beschäftigungsverhältnis mit ein. Dies umfasst die Techniker wie auch Schauspieler und Regisseurinnen. Ein solcher Arbeitsbegriff verweist auf eine gesellschaftliche Definition der Arbeit, die reguliert und kontrolliert, was als Arbeit zu gelten hat. Über den Begriff der Arbeit wird das Verhältnis von Personen zu Sachen bestimmt, werden Handlungen und deren Wert festgelegt, Tätigkeiten und ihre Beziehung zu Dingen geordnet. Über Verträge werden Arbeitszeiten mit Vereinbarungen zu Tätigkeitsbereichen und Einkommen, zu Befugnissen und Weisungsgebundenheit geregelt. Und als Gegenteil der Arbeit gilt die Freizeit. Theater, als künstlerische Praxis verstanden, entzieht sich diesen Definitionen. Die Arbeit an der Inszenierung ist weiter gefasst als die geregelten Probenzeiten. Arbeitet die Regisseurin nicht auch abends in der Kneipe beim Konzeptionsgespräch? Oder beginnt die Arbeit des Schauspielers nicht längst vor der konkreten Probenarbeit, vor seinem Engagement am Theater, beispielsweise an der Schauspielschule? Arbeitet er nicht auch, wenn er beginnt, seine Stimme und seinen Körper auszubilden: eine Form der Arbeit an sich selbst? Das Tun des Künstlers ist nicht über feste Arbeitszeiten, Hierarchien, Organisationsformen oder vertraglich gesicherte Beschäftigungsverhältnisse geregelt. Seine Tätigkeiten werden mit anderen Attributen beschrieben: Kreativität, Offenheit des Prozesses, Selbstverwirklichung. Ihm wird ein Arbeitsethos zugeschrieben, in dem es keine Pause, kein Ende des Arbeitens gibt. Der Künstler arbeitet zu jeder Zeit, und alles wird ihm zu Arbeit: an sich selbst, an seinen Ideen oder der konkreten Aufführung. Das Theatermachen hört für den Regisseur, den Schau-
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spieler, die Kostümbildnerin weder am Abend noch mit der Premierenvorstellung auf.1 Die Diskurse über die Arbeit am Theater bewegen sich im widersprüchlichen Feld zwischen einem solchen Verständnis der künstlerischen Praxis und der Arbeit im Sinne von Regulierung und Wertzuweisung. Ein Großteil der künstlerischen Praxis am Theater ist wie Arbeit organisiert: über Verträge, feste Arbeitszeiten, definierte Aufträge. Als künstlerische Praxis scheint sie sich aber auch der Planung und Kontrolle zu entziehen. Dieses Paradox der Tätigkeit des Theatermachens stellt Ästhetik wie ökonomische Theorien vor ein besonderes Problem: Wie ist die Arbeit am Theater innerhalb einer ›Arbeitsgesellschaft‹ zu beschreiben? Inwieweit kann die künstlerische Arbeit und die Arbeit am Theater im Besonderen zum Modell oder Gegenmodell für die Formulierung dessen dienen, was in der Gesellschaft als Arbeit zu gelten hat? Wie wird die Arbeit am Theater innerhalb ökonomischer Theorien bewertet? Welche Formen und Konzepte von Arbeit werden dabei verhandelt? Welche Bilder des Arbeitenden, Tätigen, werden dabei gezeichnet? Um diese Fragen zu beantworten, erscheint es sinnvoll, die historische Entwicklung des neuzeitlichen Arbeitsbegriffs wie auch die Entstehung des Kunstsystems um 1800 kurz zu beleuchten. Konzepte von Arbeit und künstlerischer Praxis sollen in Verbindung gebracht und in ihren Widersprüchen und Aporien untersucht werden. Dabei wird deutlich werden, dass die Arbeit nie ohne die Kunst und die Kunst nicht ohne die Arbeit gedacht wird.
Z UR M ERK WÜRDIGKEIT DER A RBEIT : E INE KURZE B EGRIFFSGESCHICHTE Wohl kaum ein Begriff ist so eng an das menschliche Handeln gebunden und wird in so vielen verschiedenen Kontexten gebraucht wie der Begriff der Arbeit. Nicht nur unter den Tätigkeiten zum Verdienen des Unterhalts verstehen wir Arbeit: Ich kann auch ein Buch durcharbeiten, an meiner Beziehung arbeiten oder meine Trauer verarbeiten. Und wenn ich wütend bin, arbeitet es in mir. Ich kann an etwas außerhalb von mir, mit etwas oder auch an mir selbst arbeiten; mit jemandem arbeiten oder gegen ihn. Ein Computer kann arbeiten, wie auch die Zeit für jemanden arbeiten kann. Dinge und Orte, Bewegungen und 1 | Jenseits des formulierten Arbeitsethos des Künstlers zeigen Fragen der Arbeitszeit die Komplexität der verschiedenen Beschäftigungsverhältnisse am Theater: Für Schauspieler, Orchestermitglieder und Techniker sind Arbeits- und Ruhezeiten jeweils anders geregelt. Bis 2003 existierten an den Theatern fünf verschiedene Tarifverträge nebeneinander, die erst dann in den Normalvertrag Bühne überführt wurden. Vgl. dazu Christoph Nix (Hg.): Normalvertrag Bühne. Baden-Baden 2008.
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Richtungen der Arbeit lassen sich in unserem Sprachgebrauch unendlich viele finden. Arbeit bezieht sich auf konkretes Tun wie es auch in unzähligen Kontexten metaphorisch gebraucht wird. Von Arbeit zu sprechen, bedeutet damit auch immer eine Arbeit an der Sprache selbst, bedeutet, ihre Prozesse und Veränderungen zu reflektieren. Arbeit ist damit eine Schlüsselkategorie für die Selbstbeschreibung von Gesellschaft. Der arbeitende Mensch gilt als zentrale anthropologische Figur. So treffen sich in der Frage nach der Arbeit verschiedene Diskurse von der Ökonomie über Anthropologie, Philosophie und Soziologie bis hin zur Politik. Aber gerade die Fülle der Definitionen macht es schwer, den Begriff der Arbeit zu fassen. Durch die verschiedensten historischen Bedeutungsfelder und ihre ständigen Transformationen entzieht sich die Arbeit der Definition. Eine knappe Skizze der Begriffsgeschichte seit dem 18. Jahrhundert gibt einen Einblick in ein sich wandelndes Verständnis der Arbeit und ihre widersprüchlichen Bedeutungsfelder. So wird bereits im Grimm’schen Wörterbuch angemerkt: »Arbeit […], ein uraltes, viel merkwürdige seiten darbietendes wort.«2 Diese merkwürdigen Seiten reichen von der mühevollen Arbeit über die Arbeit als Disziplinierungsinstrument, das Moment der Selbstverwirklichung durch die Arbeit bis hin zur Problematik der Entfremdung. Etymologisch hat Arbeit verschiedene Wurzeln, die alle eine sprachhistorische Nähe zum Begriffsfeld Mühe, Not, Qual, Schicksal oder Zwang zeigen.3 Der Stamm des Wortes ist »ag«, was »treiben« oder »ziehen« bedeutet. Das französische travail geht auf das vulgär-lateinische tripalare zurück mit der Bedeutung »quälen« oder »pfählen«.4 Johann Christoph Adelung definiert in seinem Wörterbuch Arbeit in diesem Sinne als »die angestrengte Anwendung der Leibes- und Seelenkräfte […]. Es bedeutet also [die] Anwendung seiner Kräfte, so fern sie mit Anstrengung verbunden ist.«5 Für Arbeit wird eine bestimmte Energie gebraucht, es bedarf einer spezifischen Anstrengung. Sie geht nicht ›leicht von der Hand‹. Dieser negative Aspekt überwiegt im gesamten älteren, deutschen Sprachzusammenhang. Arbeit ist immer auch Not in dem Sinne, als sie eine Notwendigkeit ist, um zu überleben. Dazu gehört auch die Verbindung mit Knechtschaft und Unterwerfung, wie sie sich im russischen rabota6 findet. 2 | Jacob und Wilhelm Grimm: »Arbeit«. In: dies.: Deutsches Wörterbuch. 16 Bde. Leipzig 1854-1960. Bd. 1, Sp. 538. 3 | »[D]ie vorstellung der arbeit wird an einzelne zustände geknüpft, die anhaltende anstrengung oder naturthätigkeit zu erkennen geben.« Ebd., Sp. 542. 4 | Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin/New York 1999. S. 50. 5 | Johann Christoph Adelung: »Arbeit«. In: ders: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. Wien 1811. Bd.1, S. 419. 6 | Kluge: Etymologisches Wörterbuch. S. 50.
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Eine andere Seite der Arbeit bezieht sich auf Tätigkeit und Werk, die von der Konnotation ›Arbeit und Mühe‹ zu unterscheiden sind. Auch wenn es in der Antike noch keinen Begriff von Arbeit in unserem Sinne gab, eröffnet die aristotelische Unterscheidung zwischen poiesis, als Hervorbringen, und praxis7, als Handeln, grundlegende Fragen an das Konzept vom »tätigen Menschen« (Arendt). Poiesis und praxis unterscheiden sich durch das Ziel, das sie verfolgen: Wenn Tätigkeiten als Mittel zur Erreichung von äußerlichen Zwecken aufgefasst werden, spricht Aristoteles von Herstellungshandlungen. Dieses Tun wird durch ein Fachwissen (téchne) geleitet. Für das Handeln als praxis dagegen ist entscheidend, dass der Zweck der Handlung kein anderer ist als die Handlung selbst: Sie wird um ihrer selbst willen ausgeführt. Während Aristoteles noch die praxis über die poiesis stellt, dreht sich diese Wertung in der Neuzeit um. Diese Konnotation des Arbeitsbegriffs im Sinne eines Hervorbringens findet sich seit dem 18. Jahrhundert. Während noch in Zedlers Universal-Lexicon 1731 Arbeit im religiösen Zusammenhang von Schuld und Sünde ausschließlich als »Mühe und Anstrengung«8 definiert wird, ist bei Adelung 1793 der Begriff auch auf »dasjenige, das von der Arbeit hervorgebracht wird«9 bezogen. Die Arbeit meint nun auch einen Herstellungsvorgang, der materielle Produkte hervorbringt. Dabei findet sich in fast allen europäischen Sprachen eine Differenzierung zwischen Arbeit und Herstellen. Neben der aristotelischen Unterscheidung von poeises und praxis wurde in der Antike auch bereits zwischen ponos (Mühe, Last, Pein) und ergon (als Werk vollbrachter Leistung) differenziert. Diese Aufspaltung des Arbeitsbegriffs hat sich bis in die Gegenwart erhalten. Im Französischen unterscheidet man zwischen travail und œuvre, das Englische unterscheidet zwischen labour und work. Im deutschen Sprachraum gibt es auch die Unterscheidung zwischen »arbeiten« und »herstellen« oder »werken«. Durchgesetzt als übergeordneter Begriff hat sich hier aber die Arbeit. In der deutschen Doppelbedeutung der Arbeit als Tätigkeit wie auch als Ergebnis dieses Tuns zeigt sich die umfassende Ausweitung des Begriffs. Mit der Herstellung eines Produkts tritt die Arbeit als eine Form der Wertschöpfung auf. Leistung wird zu einer Kategorie, mit der Arbeit bemessen wird. Damit wird die Arbeit um 1800 zur Leitkategorie der sich entwickelnden ökonomischen Theorien, und die Vorstellung des arbeitenden Menschen als historischem Wesen, das immer auch Wandlungen unterworfen ist, entsteht. Über
7 | Vgl. Aristoteles: Nikomachische Ethik. Stuttgart 1969. S. 157f. 8 | Johann Heinrich Zedler: »Arbeit«. In: ders.: Großes vollständiges Universallexikon. Leipzig/Halle 1744. Bd. 1, Sp. 1148. 9 | Adelung: »Arbeit«. S. 419.
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Arbeit wird das Verhältnis zwischen Waren, Geld, Eigentum und Verhalten in einen Zusammenhang gebracht. Es entsteht die (National-)Ökonomie.10 Jedoch bleibt die Arbeit nicht auf die materielle Produktion beschränkt. Ende des 18. Jahrhunderts weitet sich der Arbeitsbegriff auch auf Formen geistiger Arbeit aus. Arbeit ist damit weder reine Mühe oder Leistung, noch geht sie im Herstellen oder in der Produktion auf. Ihr wird eine spezifische Bildungsfunktion zugeschrieben, und sie bekommt damit auch eine anthropologische Seite. Der Mensch formt nicht nur arbeitend seine Welt, sondern die Arbeit formt auch den Menschen. So unterscheidet Herders Konversationslexikon von 1854 die Funktion der geistigen Arbeit als »Förderung geistiger Interessen«11 von der produktiven Arbeit, die auf eine Befriedigung menschlicher Bedürfnisse zielt. Der Mensch arbeitet auch immer an sich selbst. Im Arbeiten strebt der Mensch nach Selbstverwirklichung. Hegel beispielsweise verschränkt Tun, Tätigkeit und Werk. In einem idealisierten Arbeitsbegriff kann der Mensch nur über die Arbeit zu sich finden.12 Mit der Arbeit an sich selbst bekommen aber auch die Aspekte von Disziplin und Pflichtausübung in den Arbeitsdefinitionen eine größere Bedeutung.13 Und damit wird mit der Funktion der Selbstbildung zugleich die Schattenseite der Arbeit als Form der Entfremdung formuliert.14 So wie der Mensch sich in der Arbeit selbst verwirklichen kann, so kann eine zu große Arbeitsteilung, fehlende Kreativität oder Herausforderung zur Abstumpfung führen. Die Form der Arbeit, ihre Effizienz und Leistung wird zum Problem. So wird die Arbeit um 1900 in neuen Bereichen diskutiert und verortet. Der in der Physik formulierte Begriff der »physikalischen Arbeit«, mit der damit verbundenen Kategorie der Leistung, wird zum Leitmodell.15 Mit dem Begriff »Psychotechnik« überträgt Hugo Münsterberg psychologische Erkenntnisse 10 | Vgl. Joseph Vogl: Kalkül und Leidenschaft. Zur Geburt des ökonomischen Menschen. Zürich 2004. 11 | Herder Konversationslexikon. 1. Auflage. Freiburg i.Br. 1854. Bd. 1, S. 232. Diese Bedeutung findet sich auch im Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon von 1837. 12 | Georg Wilhelm Friedrich Hegel: »Phänomenologie des Geistes«. In: ders.: Werke. Frankfurt a.M. 1986. Bd. 3. Dabei definiert Hegel die Arbeit als »Negativität«, als dialektisches Herr- und Knechtverhältnis: Der Mensch akzeptiert die Voraussetzungen seines eigenen Schaffens nicht, auf die er doch angewiesen ist. Vgl. dazu auch Jacques Derrida: »Von der beschränkten zur allgemeinen Ökonomie: Ein rückhaltloser Hegelianismus«. In: ders.: Die Schrift und die Differenz. Frankfurt a.M. 1972. 13 | Grimm: »Arbeit«. Sp. 540. 14 | Karl Marx: »Ökonomisch-Philosophische Manuskripte«. In: ders./Friedrich Engels: Marx Engels Werke. Berlin 1968. Ergänzungsband I, S. 519f. 15 | Die physikalische Gleichung Leistung = Arbeit/Zeit führt die Arbeit als Variable ein, die es hinsichtlich ihrer Organisation in der Zeit zu optimieren gelte. Dies wird in
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auf Arbeitsvorgänge.16 Die Organisation von Arbeit bekommt eine neue Bedeutung. Der arbeitende Mensch, sowohl sein Körper als auch seine Psyche, gerät unter das Diktat der Optimierung seiner Leistung. In diesem Zusammenhang entwickeln sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts neue wissenschaftliche Disziplinen wie die Arbeitswissenschaft, die Rationalisierung und Optimierbarkeit der menschlichen Arbeit zum Programm macht.17 Die Arbeit selbst wird zum Forschungsgegenstand. Die technische und organisatorische Komponente der Arbeit tritt in den Vordergrund. In der gegenwärtigen Diskussion um die Veränderungen der Arbeit in der postfordistischen Gesellschaft, jenseits des Paradigmas industrieller Produktion, wird die Auflösung tradierter Konzepte von Arbeit – Ablösung der Arbeit von einem festen Ort, von festgelegten Arbeitszeiten sowie von institutionalisierten Organisationsformen – mit neuen Begrifflichkeiten umschrieben, deren Nähe zu künstlerischen Formen und im Besonderen zum Theater auffällig ist: Von virtueller, immaterieller und affektiver Arbeit ist die Rede,18 von Virtuosität,19 von Improvisation,20 dem unternehmerischen Selbst21 und von Projektarbeit.22 Diese Verschiebungen in den Koordinatensystemen der Arbeit – zwischen der Arbeit des Menschen und dem Menschen der Arbeit – machen deutlich, wie eine Diagnose des gegenwärtigen Arbeitsbegriffs immer vor dem Horizont historischer Vergegenwärtigung von Arbeitskonzepten stattfinden muss. Für die Frage, wie sich Konzepte von Arbeit am Theater entwickelt haben, eröffnet die Ausdifferenzierung und Verschiebung des Arbeitsbegriffs einen spannungsreichen Problemhorizont, der auch in verschiedenen politischen und ökonomischen Theorien verhandelt wird. Theater als eine Kunstform ohne Werk entzieht sich einem Konzept der Produktion, das sich über die hervorverschiedenen Theaterkonzepten Anfang des Jahrhunderts zum Thema, beispielsweise in der Biomechanik Meyerholds. 16 | Hugo Münsterberg: Grundzüge der Psychotechnik. Leipzig 1914. 17 | Frederik W. Taylor: Principles of Scientific Management. New York 1934. 18 | Michael Hardt/Antonio Negri: Empire. Die neue Weltordnung. Frankfurt a.M. 2002. 19 | Paolo Virno: Grammatik der Multitude. Wien 2005; Kai van Eikels: »Das Virtuosenproletariat«. In: Der Bund. 27.01.2007. S. 4-5. 20 | Kai van Eikels: »Collective Virtuosity, Co-Competition, Attention Economy. Postfordismus und der Wert des Improvisierens.« In: Hans-Friedrich Bormann/Gabriele Brandstetter/Annemarie Matzke: Improvisieren. Paradoxien des Unvorhersehbaren. Bielefeld 2010. S. 125-160. 21 | Ulrich Bröckling: »Diktat des Komparativs. Zur Anthropologie des ›unternehmerischen Selbst‹«. In: ders./Eva Horn (Hg.): Anthropologie der Arbeit. Tübingen 2002. S. 157-173. 22 | Heiner Minssen (Hg.): Begrenzte Entgrenzungen – Wandlungen von Organisation und Arbeit. Berlin 2000.
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gebrachten Gegenstände definiert. Im Theater treffen sich geistige wie körperliche Arbeit. Schließlich lässt sich anhand der Bildungsfunktion der Arbeit eine spezifische Anforderung an die Schauspieler ablesen. Und als organisationsbedürftige Kunst, die kollektiv produziert wird und den einzelnen beteiligten Künstler in ein spezifisches Abhängigkeitsverhältnis stellt, wohnt der Theaterpraxis oft auch ein Moment der Entfremdung inne. Ebenso durchziehen den schauspieltheoretischen Diskurs wie auch die theaterprogrammatischen Schriften Fragen nach einer Optimierung schauspielerischer Darstellung und nach Formen der Organisation der Zusammenarbeit. Bevor diese einzelnen Aspekte genauer betrachtet werden, sollen zwei Aspekte, die mit dem Bedeutungsfeld von Arbeit verbunden sind und für das Konzept einer Arbeit am Theater spezifische Fragen aufwerfen, näher betrachtet werden: die Arbeit als Produktion und ihr Verhältnis zur Nicht-Arbeit.
P ROZESSE DES P RODUZIERENS Auf einem schwarzen Podest in einer Galerie steht ein kleiner quadratischer Holzkasten. Nichts Besonderes: eine kleine Box aus hellem Holz, nach außen abgeschlossen. Kein Einblick wird gewährt, nichts anderes ist zu sehen als die glatten Seiten. Aus dem Inneren heraus ist allerdings etwas anderes zu hören: erst ein Sägen, dann das Einschlagen von Nägeln, schließlich das Raspeln von Holz. 1961 stellt der bildende Künstler und Tänzer Robert Morris eine besondere Skulptur aus: ihr Titel: Box with the sound of its own making. Beim Bauen der Box, einem dreistündigen Arbeitsprozess, nahm Morris mit einem Rekorder alle Geräusche auf. Der Rekorder wurde im Inneren platziert und die aufgenommen Geräusche werden abgespielt. Während das Kunstwerk einen Raum abschließt, als räumliche Setzung ausgestellt wird, verliert sich der Klang des Produzierens im Raum. Die Geräusche der Box zeigen die profane Seite der künstlerischen Arbeit – die sich hier akustisch als ein Stück Schreinerarbeit vorstellt. Die akustische Ebene hebt die zeitliche Abgeschlossenheit des Kunstwerks auf und verweist – auf einer anderen Ebene als das eingangs beschriebene Projekt Bauerntheater – auf die Frage der künstlerischen Produktion. Nicht der Arbeitende macht sein Tun zur Aufführung, sondern das Kunstwerk führt (akustisch) die Arbeit vor, durch die es hervorgebracht wurde. Das Werk ist kein abgeschlossener Gegenstand, sondern ein Produkt im strengen Sinn als Ergebnis eines Prozesses, das nur unter dem Aspekt des Werdens einer in ihm arbeitenden Zeit erscheint. Das Produzieren ist ausgestellt als ein zeitlicher Vorgang, der nur im Vollzug erfahrbar ist: im Hören. Die Installation situiert sich damit im Spannungsfeld zwischen der Idee eines in sich geschlossenen Kunstwerks und einer ästhetischen Praxis, die immer nur als Prozess zu denken ist.
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Anders als in der bildenden Kunst gibt es im Theater keine Box, kein materielles Kunstwerk, das sich selbst zur Aufführung bringen könnte. Dennoch wird auch hier von einem Ergebnis des Herstellungsvorgangs ausgegangen. Wenn davon die Rede ist, dass eine Regisseurin ihre Arbeit zeigt, dann ist damit meist eine Inszenierung gemeint: das Resultat eines Probenprozesses, verstanden als Kunstwerk, das der Regisseurin als Autorin zugeschrieben wird. Es eröffnet sich damit ein weiteres Bedeutungsfeld der Arbeit, das in den Definitionen schon angeklungen ist und gerade für die Arbeit am Theater Fragen aufwirft: die Produktion. Historisch wird der Begriff der Produktion innerhalb der künstlerischen Praxis meist mit einem Werk gleichgesetzt: als Produkt des künstlerischen Prozesses, das einem Schöpfer zugeschrieben werden kann, abgeschlossen ist und weitergegeben werden kann.23 Dabei ist klar zu unterscheiden zwischen Künstler und Werk – zwischen Maler und Bild, Autor und Text. Für die Arbeit am Theater verweist die Frage nach dem Produkt des künstlerischen Prozesses aber auf spezifische Widersprüche. Was wird in dieser Arbeit produziert? Auf den ersten Blick ließe sich damit im Theaterkontext die Aufführung fassen. Die Arbeit am Theater wäre demnach unterteilt in einen Vorbereitungsprozess zur Herstellung und die Aufführungen als Ergebnis des Produzierens. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit der Aufführung, wenn sie als Ergebnis des Vorbereitungsprozesses gefasst wird, der Status eines Produkts zugeschrieben wird. Ist die Aufführung das Produkt der Proben, wie das Bild zu einem Produkt des Malprozesses erklärt werden kann? Ein solches Verhältnis von Aufführung und Vorbereitung verkennt die Besonderheit theatraler Praxis, geht es doch von einem in sich abgeschlossenen Ergebnis des Produzierens aus und behauptet damit ein Ende des Prozesses. Doch auch die Aufführung wird jeden Abend neu produziert. Der Probenprozess geht nicht in der Herstellung einer Aufführung auf.24 Beide Seiten können nicht voneinander getrennt werden. Der Vorbereitungsprozess findet mit der Aufführung kein Ende. Hier zeigt sich die Problematik eines solches Begriffes der Produktion, der scheinbar immer die Idee eines herzustellenden Produkts impliziert und damit kaum geeignet ist, ästhetische Prozesse zu beschreiben, auch solche jenseits des Theaters – Morris’ Installation spielt ironisch mit der Situation, dass jede künstlerische Praxis immer nur als Prozess zu denken ist. Auch das Bild ist nicht von seiner Rezeption zu trennen. Auch ein Text zeichnet sich durch 23 | Vgl. Karlheinz Stierle: Ästhetische Rationalität. Kunstwerk und Werkbegriff. München 1996; Wolfgang Thierse: »›Das Ganze aber ist das, was Anfang, Mitte, Ende hat.‹ Problemgeschichtliche Beobachtungen zur Geschichte des Werkbegriffs«. In: Weimarer Beiträge 36.1. (1990). S. 240-264. 24 | Zu genauerem Verhältnis von Aufführung, Inszenierung und Werkbegriff siehe Kapitel »Proben als Arbeit am Theater«.
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eine Produktivität aus, die sich nicht im abgeschlossenen Werk fassen lässt. Im Gegensatz zum Theater ist es hier die zeitliche Differenz von Hervorbringen und Rezipieren, die es erlaubt, dem Bild eher Produktcharakter zuschreiben zu lassen als der Aufführung. Das Theater produziert, ohne stabile Produkte zu hinterlassen.25 Dieses fehlende Produkt markiert damit auch immer das Unverfügbare der Arbeit am Theater, die sich nur im Tun konstituiert. ›Das‹ Theater gibt es nicht, sondern nur die Arbeit an ihm: dies gilt für die Aufführung wie für die Institution ›Theater‹. Statt von ›Produktion‹ bietet es sich an, von ›Prozessen des Produzierens‹ zu sprechen, um damit nicht auf ein Produkt eines Vorbereitungsprozesses zu verweisen, sondern vielmehr auf die bildenden und organisatorischen Prozesse, in denen sich das Theater selbst konstituiert. Anders als das Substantiv der Produktion, das einen feststehenden Sachverhalt impliziert, verweist der Begriff ›Prozess des Produzierens‹ auf die Offenheit des Vorgangs, dessen mitlaufende Bedingungen nicht festgeschrieben, sondern flüchtig sind, für dessen Gelingen es keine Garantie gibt, der sich permanent re-organisiert und verändert. Die Verbalisierung des Begriffs unterstreicht, dass es hier um Tätigkeiten, Handlungen, Operationen geht. Es geht nicht um die Arbeit als abgeschlossenes Werk, das einem Künstler als Schöpfer zugeschrieben werden kann, sondern um ein Arbeiten in seiner Prozesshaftigkeit, Unabgeschlossenheit und Ergebnisoffenheit. »Produzieren fügt der Handlung, etwas herzustellen, eine Handlung hinzu, die etwas sichtbar macht, und definiert so ein neues Verhältnis zwischen tun und sehen.« 26
Dies erklärt der französische Philosoph Jacques Rancière und bedient sich des Theaters als Modell, um zu zeigen, wie die Kunst an der Verschiebung von Sichtbarkeiten arbeitet. Das Produzieren des Theaters macht die Arbeit überhaupt erst sichtbar: Es entzieht die Arbeit damit dem privaten Bereich des Produzierenden und bringt sie selbst zur Aufführung. Nach der Arbeit am Theater zu fragen, heißt damit auch immer, jene gesellschaftliche Dimension der Arbeit – in Form ihrer ›Veröffentlichung‹ vor anderen – mit in den Blick zu nehmen.
25 | Vgl. Erika Fischer-Lichte: »Einleitende Thesen zum Aufführungsbegriff«. In: dies./ Clemens Risi/Jens Roselt (Hg.): Die Kunst der Aufführung – Die Aufführung der Kunst. Berlin 2004. S. 11-26. Vor allem S. 22f. 26 | Jacques Rancière: Die Aufteilung des Sinnlichen. Berlin 2006. S. 69.
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D AS A NDERE DER A RBEIT : S PIELEN UND M ÜSSIGGANG Bei den Definitionen des Arbeitsbegriffs wird oft auch die Opposition zur Arbeit bestimmt: das Spiel, der Müßiggang und später die Freizeit. Arbeit ist das, was Mühe macht. Das Spiel beispielsweise wird als außerhalb der Arbeitswelt, als frei von Zwängen und Notwendigkeiten gegen die Arbeit gesetzt, die auf eine Befriedigung von Bedürfnissen zielt. Der Kulturhistoriker Johan Huizinga beispielsweise definiert das Spiel als »freie Handlung«, die »außerhalb des gewöhnlichen Lebens« steht, mit der »kein […] Interesse geknüpft ist und mit der kein Nutzen erworben wird«.27 Im Gegensatz zum selbstgenügsamen, freien Spiel wird die Arbeit als zweckgerichtet und nützlich bestimmt. Spiel und Arbeit stehen sich scheinbar unversöhnlich gegenüber. Und gerade dem Spiel wird ein utopisches Moment innerhalb eines sich ausbreitenden Arbeitsbegriffs zugeschrieben.28 Indem es gerade keine Arbeit ist, kann es eine reflexive, kritische Position einnehmen. Spielend, so die These, könne der Mensch die Entfremdungserfahrungen der Arbeit überwinden. Als Unterbrechung der Arbeit diene das Spiel dem Ausgleich. Jedoch bleibt das Spiel damit immer auf die Arbeit bezogen, während die Arbeit nicht über das Spiel definiert wird.29 Vergessen wird dabei auch leicht, dass auch das Spiel historischen Veränderungen unterworfen ist. So sind Arbeit und Spiel in ihrem jeweiligen Kontext neu zu bestimmen.30 Der Begriff des Spiels ist eng mit dem Theater verbunden, was sich schon in Begriffen wie ›Schau-Spiel‹ oder ›Schau-Spielen‹ zeigt. Der Schauspieler spielt seine Rolle, und er scheint dabei nicht im oben genannten Sinne zu arbeiten. Dass die Abgrenzung von Spiel und Arbeit gerade hinsichtlich des Theaters und
27 | Johan Huizinga: Homo Ludens. Reinbek bei Hamburg 1956. S. 20. 28 | Vgl. hierzu Friedrich Schiller: »Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen«. In: ders.: Schillers Werke. Nationalausgabe [NA = Nationalausgabe]. Weimar 1962. Bd. 20, S. 304-412. 29 | Dies zeigt sich beispielsweise an der Frage der Nützlichkeit, die ja eng mit dem Arbeitsbegriff verbunden ist. Nicht die Mühe oder der Fleiß, sondern allein der Zweck und die Nützlichkeit machen somit eine Tätigkeit zur Arbeit: »Auch ist es keine Arbeit, sondern nur Spielerei, wenn Jemand, wäre es auch mit dem größten Fleiße und der geübtesten Kunstfertigkeit Dinge treibt, die keinen Nutzen bringen, den Geist nicht fördern und überhaupt nicht zur Erreichung der Zwecke beitragen, welche die Bestimmung der Menschen sind, wie dies bei Seiltänzern, Taschenspielern und Leuten ähnlicher Art der Fall ist.« Lemma »Spiel«. In: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon. Leipzig 1837. S. 108. 30 | Vgl. Gunter Gebauer: »Das Spiel in der Arbeitswelt. Über den Wandel des Verhältnisses von Arbeit und Spiel«. In: Christoph Wulf (Hg.): Leben als Arbeit? Paragrana 6/1996. Heft 2, S. 23-39.
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des Schauspielens nicht ohne Widersprüche ist, zeigt folgender Eintrag zum Lemma ›Spiel‹ in Grimms Deutschem Wörterbuch: »[der] begriff der schaustellung wird in anderen fällen zur hauptsache, wenn nämlich der zweck des spiels allein die unterhaltung der zuschauer ist. solches spiel ist für die ausübenden eigentlich eine arbeit, zumal wenn es gewerbsmäßig betrieben wird, und es heiszt spiel im hinblick auf die zuschauer, denen es vergnügen und zeitvertreib aber keinen nutzen bringt.« 31
»Eigentlich« ist das Spiel der Schauspieler vor den Zuschauern Arbeit, so heißt es im Grimm’schen Wörterbuch. Was bedeutet es, wenn ein Spiel »eigentlich« Arbeit ist? Dieses »eigentlich« markiert eine besondere Ambivalenz im Verhältnis von Arbeit und Spiel im Theater. Denn je nachdem, aus welcher Perspektive, unter welchen Prämissen das Tun auf der Bühne betrachtet wird, ist es Arbeit oder Spiel. Zu unterscheiden ist damit einerseits der Spielrahmen ›Theater‹, als ein Moment des konsequenzverminderten Handelns, als gemeinsames Spiel von Zuschauer und Darstellern. Dieser Rahmen weist auch den Zuschauern eine Rolle zu, mit bekannten Verhaltensvorgaben. Es ist ein Spiel von Zuschauern und Akteuren. Der Status der Schauspieler als ›professionelle‹ Spieler verweist wiederum auf den Rahmen ›Theater‹ innerhalb eines ökonomischen Systems, in dem das Tun für den einzelnen Schauspieler durchaus reale Konsequenzen hat. Während das spielerische Handeln einen eigenen Spielrahmen setzt, verweist diese Ebene auf die außertheatrale Wirklichkeit: die ökonomische Situation der Schauspieler. Wenn das Spiel auf die Unterhaltung der Zuschauer zielt, bekommt es durchaus einen Zweck, und mit dem Eintrittsgeld wird ein ›Nutzen‹ erworben. Das Spiel vor anderen für Geld wird somit zur Arbeit. Schließlich ist die künstlerische Praxis des Spielens, als Mimesis, als Fähigkeit zur Rollenübernahme, Voraussetzung jeder Form der schauspielerischen Darstellung. Der Schauspieler ist in diesem Sinne ein professioneller Rollenspieler. Er arbeitet daran, eine Rolle vor anderen zu spielen. Es überlagern sich beim Theater verschiedene Formen des Spiels und der Arbeit. Mit dem Blick auf die Frage nach der Arbeit am Theater können die drei Aspekte auch in eine zeitliche Abfolge gesetzt werden: In den Proben nähert sich der Schauspieler spielerisch seiner Rolle, probiert verschiedene Möglichkeiten aus. In der Aufführung selbst reproduziert er diese erspielte Darstellung: »[D]er ›eigentliche‹ Spieler im Theater wäre danach nicht der Schauspieler, sondern der Zuschauer, zumindest wenn er sich wirklich auf das Spiel als Spiel einlässt – der Schau-
31 | Lemma »Spiel«. In: Grimm: Deutsches Wörterbuch. Sp. 2292.
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Auch Klaus Schwind führt in seine Bestimmung der Spiele im Theater ein »eigentlich« ein: Wer der ›eigentliche‹ Spieler in der Situation der Aufführung ist, bestimmt die Perspektive des Betrachters wie auch die Haltung des Akteurs. Die Tätigkeit des Spielens unterscheidet sich damit allein durch die Bestimmung des Spielrahmens von der Arbeit. Für die Frage nach der Arbeit am Theater ist aber vor allem jener »andere Spielprozess« der Vorbereitung von Interesse. Er verweist auf einen Unterschied der künstlerischen Praxis in den Proben und auf der Bühne. Spielt der Schauspieler in den Proben ein anderes Spiel als in der Aufführung? Hier rückt ein anderer Begriff des Spiels in den Vordergrund, der nicht mehr über einen Gegensatz zur Arbeit, sondern als eine spezifische Form der Tätigkeit innerhalb einer beruflichen Praxis gefasst wird. Der Psychologe Erik H. Erikson beispielsweise erkennt ausgehend vom Kinderspiel, das Modellsituationen schafft und durchspielt, ähnliche Formen des Spiels auch in der Arbeitswelt: »im Laboratorium, auf der Bühne oder auf dem Skizzenbrett«33 . Diese »professionellen Spiele« sind anders zu betrachten als jene Spiele, die die Arbeit unterbrechen und einem »Wieder-Herstellen«, der »Re-Kreation« dienen.34 Hier überlagern sich Spiel und Arbeitswelt, denn einerseits findet dieses Spielen innerhalb eines ökonomischen Kontextes statt und soll zur Wertsteigerung beitragen, andererseits verhält sich der professionelle Spieler »im Labor« oder »auf der Bühne« wie ein Kind: er probiert verschiedene Möglichkeiten aus, er experimentiert und improvisiert. In diesem spielerischen Handeln geht es immer auch darum, Abstand zu nehmen und »über den Bereich seiner Erfahrung hinaus [zu planen]«.35 Ein solches Konzept des Spiels, das sich an einem spezifischen Spielbegriff orientiert, denkt Spiel und Arbeit nicht als Gegensatz. Zum Spiel wird das Tun durch die spezifische Einstellung des Arbeitenden, als einer Form der Produk32 | Klaus Schwind: »Theater im Spiel – Spiel im Theater. Überlegungen zu einer theaterwissenschaftlichen Heuristik.« In: Weimarer Beiträge 43 (1997). S. 419- 443. S. 432f. Dies lässt sich an der Differenzierung des Spielbegriffs von Roger Caillois verdeutlichen. Roger Caillois unterscheidet in seiner Systematik von Spielen vier Grundkategorien von Spielen: Agon (Wettkampf), Alea (Zufall), Mimikry (Nachahmung) und Ilinx (Rausch). Während das Spiel der Zuschauer auf der Ebene des Rausches anzusiedeln ist, gehört das Spiel des Schauspielers zur Ebene der Mimikry. Vgl. Roger Callois: Die Spiele und die Menschen. Maske und Rausch. Frankfurt a.M. 1982. 33 | Erik H. Erikson: Kindheit und Gesellschaft. Stuttgart 1971. S. 217. 34 | Ebd., S. 208. 35 | Ebd., S. 216.
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tionsstrategie, die sich die ›Freiheit‹ des Spiels zu Nutze macht. Dabei muss er allerdings bestimmte Vorgaben seiner Arbeit, wie beispielsweise einen Erfolgsdruck, ausblenden, um frei spielen zu können. In diesem Sinne tut der Arbeitende nur so, als ob er spielte. Für die Arbeit am Theater wird das Spiel jedoch zum grundlegenden Moment: beim Tun, als ob man spiele, wie im Spielen selbst. Jene Freiheit des Spiels ist es aber auch, die das Theater aus der Sicht der Arbeit fragwürdig erscheinen lässt: Wenn die Arbeit ein Spiel ist, kann sie dann noch Arbeit sein? Ausgangspunkt meiner Überlegungen war die These, dass die Arbeit als ein historisch zu verortender Begriff betrachtet werden muss. Um diesen Begriff zu konturieren, bieten sich gerade verschiedene Definitionen seines Verhältnisses zum Theater an. Das Verhältnis von Arbeit und Theater – beispielhaft an der Frage der Produktion oder in der Abgrenzung des Theaters als Spiel – wird dabei für verschiedene Theorien eine besondere Herausforderung. Es ist ein Blick von außen auf das Theater, der Versuch, es in ein ökonomisches oder politisches System einzupassen. Wie wird Theater als Arbeit beschrieben oder gegen die Arbeit abgrenzt?
A RBEIT ALS ANDERE F ORM DES S CHAUSPIELS (J E AN -J ACQUES R OUSSE AU) Die These, dass das Theater auch eine Bedrohung für eine sich über Arbeit konstituierende Gesellschaft sei, vertritt im 18. Jahrhundert vehement JeanJacques Rousseau. Seine Theaterkritik entwickelt er dabei anhand eines spezifischen Konzepts von Arbeit. Formuliert wird diese Kritik in seiner Replik auf den 1757 in der Encyclopédie erschienen Artikel von Jean LeRond d’Alembert über die Stadt Genf. Dieser hatte in seinem Artikel bemerkt, dass Genf über kein Theater verfüge, vermutlich aus der Angst der Genfer Bürger vor der »Putzsucht, Verschwendung und Zügellosigkeit« der Schauspieler. Aus der calvinistischen Tradition der Stadt ließe sich dies leicht erklären. Allerdings sieht d’Alembert keinen Grund, das Theater zu fürchten: In einem tugendhaften Umfeld und durch Gesetze diszipliniert, könne gerade in einer Stadt wie Genf das Theater »den Geschmack der Bürger bilden und ihnen eine Feinheit des Takts, eine Zartheit des Empfindens verleihen, die ohne diese Hilfe sehr schwer zu erlangen sind«36. Durch das Theater werde die intellektuelle Entwicklung der Bürger gefördert und zugleich Unterhaltung für Besucher gewährleistet. 36 | Jean LeRond d’Alembert zitiert nach Jean-Jacques Rousseau: »Brief an Herrn d’Alembert über seinen Artikel ›Genf‹ im VII. Band der Enzyklopädie und insbesondere über den Plan, ein Schauspielhaus in dieser Stadt zu errichten.« In: ders.: Schriften. Hg. Henning Ritter. München 1978. Bd. 1, S. 336.
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Dieser erzieherischen Funktion des Theaters widerspricht Rousseau grundsätzlich. Nicht nur, weil das Theater immer vom Publikumsgeschmack abhängig sei und deshalb zu gefallen versuche, statt den Zuschauer zu kritisieren, sondern auch, weil die Daseinsform der Genfer bereits seinem gesellschaftlichen Ideal entspreche. In einer solchen Umgebung würde das Theater schaden und nicht nutzen. Rousseau argumentiert dabei mit dem Gegensatz von Arbeit und Müßiggang. Er setzt gegen das theaterverliebte und deshalb verdorbene Paris die arbeitsame Bevölkerung Genfs: »Das Volk von Genf erhält sich nur kraft seiner Arbeit und hat das Notwendige nur, wenn es auf alles Überflüssige verzichtet.«37 Damit erübrigt sich auch die Notwendigkeit eines Theaters, da die Einwohner von Genf, betriebsam in ihre Arbeit vertieft, für den Betrachter selbst zum Schauspiel werden: »Alles ist beschäftigt und in Bewegung, alles geht seiner Arbeit und seinen Geschäften nach. Ich glaube nicht, daß irgendeine andere kleine Stadt der Welt ein ähnliches Schauspiel bietet. Besuchen Sie das Viertel St. Gervais: die gesamte Uhrmacherei Europas scheint hier versammelt. Gehen Sie den Molard und die unteren Straßen entlang: der große kaufmännische Aufwand, Haufen von Ballen, durcheinanderliegende Fässer, ein Duft von Indien und nach Gewürzhandel lassen einen denken, man sei in einer Hafenstadt. In Pâquais und in Eaux-Vives scheint Sie der Lärm und der Anblick der Fabriken von bedrucktem Kattun und Leinentuch nach Zürich zu versetzen. Die Stadt vervielfacht sich gewissermaßen durch die Arbeiten, die in ihr verrichtet werden; […].« 38
Die Betrachtung produktiver Arbeit schickt den Zuschauer auf eine imaginäre Reise.39 Im Arbeiten weist die Stadt über sich hinaus und genügt sich zugleich. Weder die Darstellung fremder Orte, der Handel mit Waren ferner Länder, die über ihre Herkunft erzählen, noch das Reisen dorthin sind mehr notwendig. Im geschäftigen Treiben wird die kleine Stadt Genf autonom: Sie schafft sich in der Arbeit ihr eigenes Schauspiel. Rousseau gibt damit seine Antwort auf d’Alemberts Forderung nach einem Theater als Unterhaltung für Besucher. Wenn die Arbeit aber selbst die Möglichkeit der Imagination, der Vervielfältigung, bietet, warum sollte dann noch ein Theater für die Stadt notwendig sein?40 Rousseaus 37 | Rousseau: »Brief an Herrn d’Alembert«. S. 428. 38 | Ebd., S. 428ff. 39 | Auch zwischen der Arbeit und der Reise gibt es eine Verbindung, wie das Deutsche Wörterbuch anmerkt: »namentlich heiszt reise eine arbeit, das franz. travail hat im engl. travel geradezu diesen sinn übernommen.« Grimm: Deutsches Wörterbuch. S. 542. 40 | Das Theater als Reiseersatz zu begreifen, findet sich als Konzept in verschiedenen Schriften zum Theater der Renaissance. Nach Rousseau kann die Arbeit auch diese Funktion des Theaters übernehmen. Vgl. dazu Stefan Hulfeld: Theatergeschichtsschreibung als kulturelle Praxis. Zürich 2007. S. 18ff.
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Antwort darauf ist eindeutig: Das Theater würde genau jene arbeitsame Produktivität gefährden und damit für die Stadt Genf als republikanisches, wohlhabendes Gemeinwesen den Untergang bedeuten, weil der positive Zustand arbeitsamer Produktivität nicht an sich gegeben ist, sondern permanent bedroht ist in sein Gegenteil umzuschlagen: den Müßiggang. Aus diesem Grund lehnt Rousseau das Theater nicht generell ab, sondern beurteilt seine Wirkung aus den Tätigkeiten, die es unterbricht. Theater setzt Rousseau mit Ablenkung und Vergnügen gleich. Je nachdem in welchem Umfeld sich der Mensch befindet, kann das Theater als Ablenkung positive oder negative Folgen haben. Städten wie Paris, die sich in besonderen Maße durch Vergnügungen auszeichnen, kann das Theater von Nutzen sein: Es bringt Devisen, schafft Ablenkung von anderen Lastern, zieht Fremde an und kann das Volk von seinem Elend ablenken. In der kleinen Stadt Genf, in der es keine Ungleichheit zwischen den Menschen gibt, die sich selbst genügt, in der jeder auf seine Weise arbeitet, bedarf es eines solchen nicht. Im Gegenteil: Erst durch das Theater wird der arbeitsame Mensch mit einer Form des Müßiggangs bekannt gemacht, die ihm das Arbeiten selbst verleidet. Theater als Zeitvertreib hat keine Besserungsfunktion, sondern ist vor allem Ablenkung: Es lässt den Lasterhaften seine Neigungen vergessen wie den Strebsamen und Fleißigen seine Arbeit. Rousseaus Schlussfolgerung für die Situation in Genf fällt deshalb auch drastisch aus: »Ohne Rücksicht auf die Art des Schauspiels und seine sittlichen Wirkungen halte ich mich allein an das, was Arbeit und Gewinn betrifft, und zeige, wie ich glaube, durch klare Schlußfolgerungen, daß ein wohlhabendes Volk, das seinen Wohlstand seinem Fleiß verdankt, sobald es die Wirklichkeit gegen den Schein vertauscht, sich in dem Augenblick zugrunde richtet, in dem es sich hervortun möchte.« 41
Das Verhältnis von Theater und Arbeit, das Rousseau hier formuliert, erscheint widersprüchlich: Einerseits ist der Mensch glücklich in seiner Arbeit, andererseits ist er ständig in Gefahr, von ihr abgelenkt zu werden und durch das Theater einem Zustand des Müßiggangs zu verfallen. Dieser Widerspruch lässt sich nur im Zusammenhang mit Rousseaus Zivilisationskritik und seinem dort entwickelten Konzept von Arbeit verstehen. In seiner Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen42 beschreibt er, wie der Mensch sich aus einem arbeitsfreien Naturzustand zu einem arbeitenden und gesellschaftlichen Wesen entwickelt. Arbeit ist nach Rousseau immer gesellschaftlich konstituiert. Im Naturzustand arbeitet der Mensch nicht, er jagt allein 41 | Rousseau: »Brief an Herrn d’Alembert«. S. 398. 42 | Jean-Jacques Rousseau: »Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen«. In: ders.: Schriften. Bd. 1, S. 165-302.
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aus einem Selbsterhaltungstrieb heraus und nur, wenn es notwendig ist. Die Tätigkeit wird zur Arbeit, wenn sie auf mehr als nur die individuelle Bedürfnisbefriedigung zielt und damit eine Form der Organisation notwendig macht.43 Damit setzt eine Form der Entfremdung ein, die den arbeitenden Menschen vom Naturmenschen unterscheidet: »Jener [der wilde Mensch] sehnt sich nur nach Ruhe und Freiheit, er will nur leben und untätig bleiben. […] Der immer tätige Bürger hingegen schwitzt, arbeitet und quält sich unaufhörlich, um sich noch mühsamere Beschäftigungen zu verschaffen. Er arbeitet sich tot, um leben zu können, oder nimmt sich das Leben, um unsterblich zu werden.« 44
Wie der Naturmensch von sich aus nicht arbeitet, sondern nur auf seine Selbsterhaltung aus ist, so arbeitet der Mensch nicht von Natur aus gerne. Allerdings entwickelt er eine positive Einstellung zur Arbeit, solange er autonom über den Herstellungsvorgang bestimmen kann und niemanden zur Unterstützung braucht. So beschreibt Rousseau den Idealzustand des Menschen als eine Phase von Gemeinschaft, die »zwischen der Faulheit des ursprünglichen Zustands und der törichten Wirksamkeit unserer Eigenliebe die wahre Mitte hält«45 , bevor Eigentum und Arbeitsteilung einsetzen.46 Notwendige Produktivitätssteigerung, die eine zunehmende Arbeitsteilung erforderte, wie auch der Beginn eines geselligen Lebens, in dem der Eindruck, den der Einzelne auf die anderen macht, zu einem eigenen Wert wurde, haben die Menschen aus diesem Idealzustand vertrieben. Resultat ist eine zunehmende Abhängigkeit und Entfremdung, die den Wilden vom zivilisierten Menschen unterscheidet: »Der wilde Mensch lebt in sich, der gesellige ist hingegen immer außer sich und lebt nur in der Meinung, die andere von ihm haben.«47 Für dieses Leben »außer sich« steht nach Rousseau wie keine andere Tätigkeit das Theater. Dies gilt sowohl für den Zuschauer als auch für den Schauspieler. Wie in der ursprünglichen Gesellschaft durch die Entstehung von Tanz und Spiel die »öffentliche Hochachtung« zu einem »Wert«48 wird, verdienen 43 | Rousseau: »Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen«. S. 239. 44 | Ebd., S. 264. 45 | Rousseau: »Brief an Herrn d’Alembert«. S. 238. 46 | Locke beschreibt als erster die normative Dimension der Arbeit. Für ihn begründet die Arbeit das Recht an Eigentum, wie beispielsweise an Grund und Boden. Sie gibt damit den Dingen ihren Wert. Rousseau sieht gerade in diesem Recht auf Eigentum und der Bedeutung der Arbeit einen Grund für die Entfremdung des Menschen. Vgl. John Locke: Über die Regierung. Stuttgart 1983. 47 | Rousseau: »Brief an Herrn d’Alembert«. S. 264. 48 | Ebd., S. 236f.
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Schauspieler ihr Geld damit, anderen zu gefallen. Daraus resultiert der geringe gesellschaftliche Status der Schauspieler. Sie werden dafür bezahlt, dass sie als Objekte des Vergnügens fungieren: »Was ist der Beruf des Schauspielers? Ein Gewerbe, bei dem er sich für Geld selbst zur Schau stellt, bei dem er sich der Schande und den Beleidigungen aussetzt, die auszusprechen man sich das Recht erkauft, und bei dem er seine Person öffentlich zum Verkauf anbietet.«49
Schauspielen wird nach Rousseau dann unehrenhaft, wenn die Schauspieler für ihre Darstellungen Geld bekommen und damit einen Handel eingehen, in dem sie selbst Handelsware sind: Schauspielen wird in diesem Sinne zur Prostitution. Damit wird auch die Position des Zuschauers zum Theater problematisch: In der Figur des Schauspielers delegiert der Zuschauer seine Aktivität an einen anderen, er bezahlt ihn dafür, dass er zuschauen kann. Was Rousseau anhand Arbeitsteilung als Ursprung der Ungleichheit als Problem beschreibt, zeigt sich im Besonderen im Theater: Der Mensch wird vom Schauspieler abhängig, weil er ihn für sein Vergnügen braucht, ebenso wie der Schauspieler vom Beifall des Zuschauers abhängig ist. Nicht das Theater als Form überhaupt ist schädlich für einen arbeitsamen Bürger, sondern die Form des Berufstheaters, in dem der Schauspieler für die Verstellung bezahlt wird. Die eigene Tätigkeit und nicht die Arbeit anderer soll zum Vergnügen und zum Ausgleich der Arbeit dienen. Denn gerade in der Passivität des Betrachters liegt nach Rousseau die trennende und entfremdete Wirkung des Theaters. Der Zuschauer sitzt im Dunkeln und identifiziert sich mit der Figur auf der Bühne, nicht Gemeinschaft, sondern Vereinzelung ist das Resultat. Dem Theater selbst ist mit seiner Trennung von Bühne und Zuschauerraum schon ein Moment der Ungleichheit eingeschrieben, das sich in der Unterteilung der Sitze in Parkett und Logen fortsetzt.50 Gegen diese Unterteilung in Akteure und Zuschauer setzt Rousseau eine andere Form des Schauspiels, die »nichts« darstellt und damit auch niemanden zu beeindrucken versucht.51 Da der Mensch von Natur aus nicht gerne arbeitet, bedarf es durchaus des Vergnügens, um ihn zum Arbeiten zu motivieren.52 49 | Rousseau: »Brief an Herrn d’Alembert«. S. 414. 50 | Ebenso spricht sich Rousseau gegen eine Form des Virtuosentums aus, das Ungleichheit schafft. Nicht der Berufskünstler, der sich aufgrund seiner Fähigkeiten von anderen absetzt, ist sein Ideal, sondern eine Form der Selbstbildung, wie er sie anhand von Schweizer Bauern beschreibt: »Die Künste werden ihnen nicht von Meistern beigebracht, sondern sozusagen von Tradition überliefert.« Ebd., S. 392. 51 | Ebd., S. 462. 52 | »Es genügt nicht, daß das Volk zu essen und zu leben hat, es muß auch angenehm leben, damit es seine Pflichten besser erfüllt, sich weniger bemüht, sich ihnen zu ent-
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Nicht die Ablenkung an sich, sondern das passive Zuschauen als »unnützer Zeitvertreib«53 verurteilt Rousseau. Er spricht sich für eine andere Form der Schauspiele aus: Volksfeste, Sportwettkämpfe und Bälle im Winter. Im Gegensatz zum Theater, das in einem abgegrenzten Raum und damit den Blicken der Öffentlichkeit entzogen stattfindet, zeichnen sich diese Formen durch eine spezifische Öffentlichkeit aus: Jeder wird von jedem gesehen. So fordert Rousseau: »[S]tellt die Zuschauer zur Schau, macht sie selbst zu Darstellern, sorgt dafür, daß ein jeder sich im andern erkennt und liebt, daß alle besser miteinander verbunden sind.«54 Gegen die trennende Wirkung des repräsentativen Theaters wird die gemeinschaftsbildende Funktion des gemeinsamen Tanzes gesetzt.55 Gegen die Unsichtbarkeit des Theaters, das hinter Mauern verborgen ist, wird die Sichtbarkeit der Feste gesetzt. Gegen die Passivität des Schauens wird die Aktivität der gemeinsamen Bewegung gesetzt, die wiederum zum Vorbild für die Arbeit wird: »Alles ist beschäftigt und in Bewegung.«56 Rousseaus Ablehnung gilt auch für die Stadt Genf nicht dem Theater allgemein, sondern einer Form des repräsentativen und professionellen Theaters. Eines Theaters, das etwas vorspielt, in dem der Schauspieler behauptet, etwas anderes zu sein. Eines Theaters, das selbst zur Arbeit wird und damit innerhalb des ökonomischen Systems seinen Platz hat und sucht. Was Rousseau ablehnt, ist, dass das Vergnügen selbst in das System der Arbeit und Wertschöpfung eintritt. Sobald Theater als Arbeit betrachtet wird, stellt es die Arbeit selbst in Frage. Nicht die Arbeit entfremdet den Menschen von sich, sondern das erkaufte Vergnügen. Nur das Theater verstanden als gemeinsames Spiel, als Ritual
ziehen, damit die öffentliche Ordnung sicherer besteht. […] Die Abneigung gegen die Arbeit belastet die Unglücklichen mehr als die Arbeit selbst. Wollt ihr ein Volk tätig und fleißig machen? Gebt ihm Feste, bietet ihm Vergnügungen […]. Die so verlorenen Tage werden den Wert der anderen steigern. Lenkt seine Freuden, um sie zu veredeln. Das ist das richtige Mittel, um seine Arbeiten zu beleben.« Ebd., S. 463. Rousseau wertet hier das Verhältnis von Vergnügen und Arbeit in einem Wertesystem. Der Zeitvertreib ist verlorene Arbeit, während die Zeit der Arbeit an sich einen Wert hat. Auf diesen Zusammenhang zwischen Arbeit und Zeit weist auch Max Weber in seiner protestantischen Ethik hin. Vgl. Max Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. München 2004. 53 | Rousseau: »Brief an Herrn d’Alembert«. S. 348. 54 | Ebd., S. 462f. 55 | Auch Formen des Arbeitens selbst, die nicht dem Broterwerb dienen, können so zum Vergnügen werden. Rousseau beschreibt die Zeitvertreibe der Bewohner eines Bergdorfs, die in den Wintermonaten zum Vergnügen kunsthandwerkliche Gegenstände anfertigen. Vgl. Ebd., S. 463. 56 | Ebd., S. 428.
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jenseits der Trennung, kann ein Leben ›bei sich‹ gewähren, das nach Rousseau ein Leben in Arbeit ist.57
A DAM S MITH UND DAS P ROBLEM MIT DEM THE ATER »Die Arbeitsteilung dürfte die produktiven Kräfte der Arbeit mehr als alles andere fördern und verbessern.«58 Mit diesem Satz beginnt das erste Kapitel von Wohlstand der Nationen (1776), in dem Adam Smith ein Konzept der Arbeit anhand einer Wertetheorie entwirft und welches als Grundlage der ökonomischen Wissenschaft gilt. Smith führt die Arbeit als grundlegende Kategorie der Wertbildung ein und schreibt ihr eine besondere Produktivität zu. Seine Theorie basiert auf dem zentralen Prinzip, das Wachsen des Marktes an die Arbeitsteilung zu koppeln: Hier werden Arbeiter und Produkt voneinander getrennt, und der Arbeit wird mit der Manufaktur ein eigener Ort zugewiesen.59 Als anschauliches Beispiel für dieses Modell wählt Smith eine Nadelfabrik. Im Gegensatz zu einem Arbeiter, der alles selbst herstelle und damit pro Tag ein paar hundert Nadeln produziert, kämen in einer Fabrik, die auf Arbeitsteilung beruhe, auf den einzelnen Nadelmacher umgerechnet 4800 Nadeln.60 Smith folgert daraus, dass »[s]obald […] Teilung der Arbeit in einem Gewerbe möglich ist, […] sie zu einer entsprechenden Steigerung ihrer Produktivität [ führt].«61 Die Ware, das Produkt ist nicht mehr direktes Ergebnis des Arbeitsvorgangs, sondern Arbeiter, Arbeit, Produktion und Produkt werden voneinander getrennt. Foucault verweist darauf, dass in einem solchen System sich nicht die »Arbeit verändert«, sondern »die Beziehung der Arbeit zur Produktion«:
57 | Oder die Arbeit macht die Notwendigkeit des Theaters überflüssig, wie es Heinrich Laube anhand des Deutschen Nationaltheaters in Hamburg zeigt: »Ob [das Publicum] vorhanden sei für ernstes Schauspiel in einer Handelsstadt, welche bis in den späten Abend hinein arbeitet, und dann nur leichter Unterhaltung bedürftig ist, das haben die zahlreichen neuen Directionen des Hamburger Stadttheaters bis jetzt sämmtlich verneint.« Heinrich Laube: Das Norddeutsche Theater. Leipzig 1872. S. 9. 58 | Adam Smith: Der Wohlstand der Nationen. München 1974. S. 9. 59 | Ebd., S. 10. Drei Faktoren der Arbeitsteilung beschreibt Smith als maßgeblich für die Steigerung der Produktivität: 1. »größere Geschicklichkeit jedes einzelnen Arbeiters«; 2. »Ersparnis an Zeit« und 3. die »Erfindung einer Reihe von Maschinen«. Ebd., S. 12. Was Smith für das 18. Jahrhundert anhand der Nadelfabrik beschreibt, brauchte eine Weile, um sich durchzusetzen. Dieses Modell der Arbeitsteilung wurde beispielsweise erst 1910 in der Automobilindustrie mit der ersten Fabrik Henry Fords umgesetzt. 60 | Ebd., S. 9ff. 61 | Ebd., S. 10.
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A RBEIT AM T HEATER »Die Arbeit als Tagewerk, Mühe, Erschöpfung begriffen, ist ein fester Nenner, allein der Zähler (die Zahl der produzierten Gegenstände) ist Veränderungen unterworfen. […] Die Arbeit hat in Beziehung zu den Dingen nicht abgenommen. Die Dinge haben sich in Beziehung zur Arbeitseinheit gewissermaßen zusammengezogen.« 62
In diesem Sinne formuliert Smith ein neues Ordnungssystem, das auf dem Prinzip der Arbeit als zerlegbare und messbare Einheit beruht, wie Foucault anmerkt: »[Smith] bringt die Arbeit ans Licht, das heißt: die Mühe und die Zeit, jenen Tag, der das Leben eines Menschen gleichzeitig zerteilt und verbraucht.«63 Infolge einer solchen Konzeption wird die Organisation der Arbeit wichtig: die Aufteilung von Produktionsprozessen, die Arbeitszeiten, die Anpassung der menschlichen Arbeit an die Vorgaben der Produktionsbedingungen in der Rationalisierung von Bewegung. Die Arbeit wird als etwas zu Organisierendes begriffen.64 Problematisch wird dabei das Maß des Wertes: Indem die Arbeit selbst zur Ware wird, wird der Wert dieser Ware von außen auferlegt durch die Art der Produktion oder der Arbeitsteilung, die den Wert ganz anders ausfallen lassen. Zwar ist die Arbeit im Gegensatz zu den Bedürfnissen der Menschen eine objektivierbare Basis der Wertbildung, als Maßstab bleibt sie aber schwankend und unzuverlässig. Dies zeigt sich vor allem in den Formen von Tätigkeiten, die aus diesem Ordnungssystem, das sich auf ein besonderes Verhältnis von Arbeit, Waren und Wert stützt, herausfallen und es damit vor ein Problem stellen. Diese Formen von Arbeit definiert Smith als unproduktiv: »Es gibt eine Art Arbeit, die den Wert eines Gegenstandes, auf den sie verwandt wird, erhöht, und es gibt eine andere, die diese Wirkung nicht hat. Jene kann als produktiv bezeichnet werden, da sie einen Wert hervorbringt, diese hingegen als unproduktiv. […] [D]ie Arbeit eines Dienstboten [wird] nirgends sichtbar, weder in einem Werkstück 62 | Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Frankfurt a.M. 1974. S. 277. 63 | Ebd., S. 278. 64 | Dass Smith kein unkritischer Verfechter der Industrialisierung war, zeigt sich in seinen Beschreibungen der Abgründe der Arbeitsteilung in der Mechanisierung von Bewegungen und Arbeitsabläufen: Der Arbeiter in der Fabrik ist zu Rhythmus und Routine verdammt. Von ihm wird keinerlei Kreativität beispielsweise in der Problemlösung verlangt. Er kann seine Arbeit nicht kontrollieren, sondern ist ihr ausgeliefert. Nach Smith stumpft die Routine der Arbeitsteilung das Mitgefühl mit dem anderen ab. Adam Smith betont den Charakter, der sich durch die Geschichte und ihre wandelnden sozialen Bedingungen formt. Einerseits sieht Smith die Vorteile des freien Marktes, lobt den Charakter des Händlers, der spontan auf die verschiedenen Veränderungen des Augenblicks reagieren kann. Andererseits legt er aber auch die Abgründe der Arbeitsteilung offen: die unkreative, abstumpfende Arbeit. Smith: Wohlstand der Nationen. S. 662.
1 A RBEITEN noch in einem käuflichen Gut. Im allgemeinen geht seine Leistung im selben Augenblick unter, in dem er sie vollbringt, ohne eine Spur oder einen Wert zu hinterlassen, mit dem man später wieder eine entsprechende Leistung kaufen könnte. Auch die Arbeit einiger angesehener Berufsstände in einer Gesellschaft ist […] unproduktiv […]: Zum einen Geistliche, Rechtsanwälte, Ärzte und Schriftsteller aller Art, zum anderen Schauspieler, Clowns, Musiker, Opernsänger und Operntänzer. Zweifellos hat selbst die Tätigkeit des Geringsten unter ihnen einen gewissen Wert, der sich nach genau den gleichen Grundsätzen beimißt wie der jeder anderen Arbeit. Und dennoch vermag selbst der Ehrenwerteste und Nützlichste unter ihnen nicht zu liefern, womit man später einen gleichen Dienst kaufen oder besorgen könnte. Wie die Deklamation eines Schauspielers, die feierliche Ansprache eines Redners oder der Ton eines Musikers, so geht auch die Arbeit der anderen in dem Augenblick unter, in dem sie entsteht.« 65
Smiths Theorie stellt diese unproduktiven Arbeiten vor ein besonderes Problem. Nach Smith erhöht Arbeit den Wert des Gegenstandes, auf den sie verwandt wird. Das Problem der unproduktiven Arbeit ist, dass es weder einen Gegenstand gibt, auf den sie verwandt wird, noch ein Endprodukt. Arbeit kann nach Smith erst sichtbar und damit als Größe zerlegbar werden, wenn sie sich in einem Produkt zeigt. Die unproduktive Arbeit verschwindet mit dem Tun und hinterlässt keine Spur. So schaffen die Arbeiten durchaus Werte, diese Werte haben aber keinen Bestand, sie können nicht gehandelt und weiterverkauft werden. Ein Mehr im Sinne von Produktivität kann die Arbeit nur in einem Produkt schaffen, das weiterverkauft werden kann. Die Vergänglichkeit der Dienstleistungen macht diese unsichtbar innerhalb des Verwertungszusammenhangs. Nur im Moment ihres Vollzugs erlangt die Arbeit Sichtbarkeit und löst sich zugleich als Wert auf. Smiths Ziel, die Arbeit zu einer festen Bewertungsgröße innerhalb des ökonomischen Systems zu machen, wird von solchen Formen unterlaufen. Für die Wirtschaft eines Landes sind solche Formen der Arbeit wertlos: »Unproduktive Arbeiter leben ebenso vom Einkommen anderer wie jene, die überhaupt nichts tun.«66 Die »unproduktive Arbeit« muss nach anderen Kategorien bemessen werden als die produktive Arbeit. Denn nach Smith schafft sie durchaus Werte, jedoch können diese nicht innerhalb seines Systems bestimmt werden. Der Widerspruch zeigt, dass sich hier verschiedene Ebenen überlagern: Für die Gesellschaft haben diese Tätigkeiten einen Nutzen und eine Funktion, jedoch innerhalb der ökonomischen Theorie, die auf Wertbildung basiert, sind sie wertlos. Der Wert dieser Formen von Arbeit muss über andere Kategorien bestimmt werden: ethische oder soziale. Smiths Problem ist, dass hier ein neuer Wertbe-
65 | Smith: Wohlstand der Nationen. S. 272f. 66 | Ebd., S. 274.
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griff eingeführt werden muss, der sich nicht mit seinem ökonomischen Projekt verträgt. Was aus heutiger Sicht erstaunt, ist, dass Smith nicht zwischen einer künstlerischen Praxis, wie dem Schauspiel oder der Oper, und anderen Formen der unproduktiven Arbeit, beispielsweise in der Medizin, differenziert. Denn während der Status der künstlerischen Praxis durchaus umstritten ist, steht die Notwendigkeit und Nützlichkeit der anderen Professionen außer Frage. Für Smith ist das Ausschlusskriterium allein das fehlende Produkt der Arbeit. Dies deutet einerseits auf einen anderen Begriff von künstlerischer Praxis hin, der diese noch nicht als einen eigenen, von anderen Tätigkeiten abgetrennten Bereich versteht. Andererseits zeigt es aber auch aus heutiger Perspektive – jenseits der Abwertung der Arbeit als unproduktiv – eine Gemeinsamkeit der theatralen Praxis des Schauspielens und anderer Arbeitsformen. Für die Frage nach der Arbeit am Theater im Kontext des Performativen ist vor allem interessant, dass Smith neben Schauspielern und Sängern auch jene Berufe aufruft, deren Tätigkeit sich durch eine besondere Performativität auszeichnet: Geistliche und Redner. Alle diese Tätigkeitsformen zeichnen sich nicht nur über ein fehlendes Produkt, sondern auch durch den Aufführungscharakter des Tuns aus. Es sind Tätigkeiten, die vor anderen ausgeführt werden. So führt Smith eine weitere Perspektive ein: die des Zuschauers (oder Konsumenten) der Arbeit, der diese anerkennen muss. Die Autorität von Geistlichen oder Rechtsanwälten muss durch Regeln und Rituale festgelegt werden, die wiederum anerkannt werden müssen, damit ihre Arbeit ein Resultat zeitigen kann. Auch die Arbeit des Schauspielers oder Sängers bekommt ihren ökonomischen Wert nur durch ein Gegenüber, das bereit ist, dafür zu bezahlen. Es bedarf des Rahmens ›Theater‹, damit die Arbeit der Schauspieler und Sänger als solche betrachtet werden kann. Da die Arbeit direkt an die Anerkennung durch den Konsumenten gebunden ist, sie nur in Relation zu diesem zur Arbeit wird, ist es schwierig, ihren Wert unabhängig von diesem Verhältnis zu bestimmen. Damit eröffnet sich für Smith hinsichtlich des Theaters noch auf einer anderen Ebene ein Problem: Das Einkommen, das mit der Arbeit erzielt wird. Nach Smith soll sich Entlohnung für eine Arbeit nach dem Aufwand der Ausbildung rechtfertigen. Deshalb solle die Entlohnung für »Freie Berufe« und Künste wie Maler und Bildhauer oder Juristen und Ärzte höher ausfallen, als in anderen Bereichen.67 Doch neben der Dauer der Ausbildung kommen im Theater zwei weitere Kategorien hinzu: die Begabung des Schauspielers und das gesellschaftliche Ansehen des Schauspielberufs. Das Verhältnis von Begabung und Bezahlung in den darstellenden Künsten sieht er als Widerspruch. Schauspielerische Talente beispielsweise erregen zwar Bewunderung, sie jedoch zum Beruf zu machen und damit mit ihnen Geld zu verdienen, wird gesellschaftlich als »Art 67 | Smith: Wohlstand der Nationen. S. 88.
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der öffentlichen Prostitution«68 gesehen: Der Widerspruch liegt darin, dass die Künstler als Menschen gering angesehen würden, andererseits sie deshalb über Geldwert entschädigt würden. Dieses Verhältnis bestimmt Smith als veränderlich: Er vermutet, wenn sich das öffentliche Ansehen dieser Berufe änderte, gäbe es mehr Menschen, die sich ihnen zuwenden würden, womit auch die Bezahlung sänke. Nicht das Ansehen einer Arbeit macht die Bezahlung aus, sondern über die Bezahlung soll das mangelnde Ansehen ausgeglichen werden. Hier schlägt Smith am Beispiel des Theaters eine andere Form der Wertbildung vor: Sie wird über die Beziehung zum Zuschauer bestimmt. Der Wert der Arbeit des Schauspielers ist damit keine objektive Größe, wie Smith es anhand der Arbeitsteilung zu beschreiben versucht, sondern ist veränderbar. Er bestimmt sich über eine Form der Anerkennung, der Leistung. In das Verhältnis von Arbeit, Wert und Produktion wird eine neue Figur eingeführt: der Zuschauer.
D IE W ARENFORM DES THE ATERS (K ARL M AR X) Das Verhältnis von Schauspieler, Institution ›Theater‹ und Zuschauer macht auch Karl Marx zur Grundlage seiner Überlegungen zum Theater, die er unter anderem innerhalb seiner Theorien über den Mehrwert anstellt. In seiner Kritik an der Smith’schen Unterscheidung zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit dreht er dessen Bewertungen um. Es ist nicht mehr das hergestellte Produkt oder eine Tätigkeit, die eine Arbeit produktiv macht. Mehrwert erzeugt eine Tätigkeit, wenn sie als »Arbeitsvermögen« im kapitalistischen System gehandelt wird: »Eine Sängerin, die auf ihre eigene Faust ihren Gesang verkauft, ist ein unproduktiver Arbeiter. Aber dieselbe Sängerin, von einem Unternehmer engagiert, der sie singen lässt, um Geld zu machen, ist ein produktiver Arbeiter; denn sie produziert Kapital.« 69
Da die Schauspieler und Sänger sich selbst, ihre Dienste, verkaufen und diese vom Kapitalisten weiterverkauft werden, gibt es eine strukturelle Ähnlichkeit mit der Prostitution: »Schauspielhäuser« und »Bordelle«, »Huren« und »Schauspieler« werden auf eine Stufe gestellt.70 Wie bei Rousseau wird das 68 | »So lassen sich die ungewöhnlich hohen Gagen der Schauspieler, Opernsänger und Tänzer allein aus Seltenheit und Reiz einer Begabung erklären, ferner aus der Geringschätzung, weil sie derart zur Schau gestellt werden.« Smith: Wohlstand der Nationen. S. 92. 69 | Karl Marx: »Theorien über den Mehrwert«. In: ders./Friedrich Engels: Marx Engels Werke [MEW = Marx Engels Werke]. Berlin 1963. Bd. 23.1, S. 377. 70 | Ebd., S. 136.
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Theater über eine Handelsbeziehung bestimmt (wenn auch nicht in dessen Sinne verurteilt): Das Arbeitsvermögen wird zur Handelsware und damit die direkte Beziehung von Produkt, Ware und Wert aufgehoben. Marx geht es um eine Aufhebung jeder moralischen Bewertung und jeder gesellschaftlichen Hierarchie zwischen verschiedenen Formen der Arbeit und so auch darum, die ›gespenstische Seite‹ des kapitalistischen Warentauschs offenzulegen.71 Sein Ziel ist, zu zeigen, dass jede Tätigkeit zur produktiven Arbeit wird, solange sie in einem kapitalistischen System gehandelt wird. Damit weist Marx auf den Doppelcharakter der Arbeit hin: Sie ist einerseits konkrete Tätigkeit, andererseits abstrakte Arbeit, die den Wert bestimmt.72 Die Ablösung vom Produkt bedeutet für die Bestimmung der Arbeit auch, dass sich der Wert der Ware weder über die Art der Tätigkeit noch über das produzierte Produkt bestimmt. Ausgehend von seiner Definition der Arbeit als »Produktion des materiellen Lebens selbst«73 , weitet er den Begriff der Produktion auf alle Lebensbereiche aus. Und dies gilt auch für die Formen künstlerischer Praxis: »Religion, Familie, Staat, Recht, Moral, Wissenschaft, Kunst etc. sind nur besondere Weisen der Produktion und fallen unter ihr allgemeines Gesetz.«74 Aber auch in seinem System stellen die künstlerischen Formen des Produzierens ein besonderes Problem dar. Dabei unterscheidet er einerseits zwischen den Praktiken der verschiedenen Künste, andererseits zwischen der künstlerischen Praxis selbst und ihren Produktionsbedingungen. In beiden Fällen ist es das Theater, das eine Sonderstellung einnimmt. Was Smith als unproduktive Arbeit beschreibt, taucht in einer Umkehrung bei Marx auf einer anderen Ebene wieder auf. So spricht er von einer »nichtmateriellen Produktion«75 und 71 | Für die oben gestellte Frage nach der Produktion des Theaters sind Marx’ Überlegungen noch aus einer anderen Perspektive interessant. Ihm geht es nicht um die Darstellung einer rationalen Analyse der Produktionsverhältnisse, sondern er versucht die Widersprüche, das ›Verrückte‹ an der Logik des kapitalistischen Warentauschs zu zeigen. Derrida hat darauf hingewiesen, dass sich Marx für die Beschreibung der Produktionsprozesse dabei immer wieder der Begrifflichkeiten aus dem Theater bedient hat. Die kapitalistische Produktion erscheint selbst als Inszenierung in der Aufführung ihrer Waren. Vgl. Jacques Derrida: Marx’ Gespenster. Frankfurt a.M. 2004. 72 | Karl Marx: »Das Kapital«. Bd. 1. In: MEW. Bd. 23, S. 56-61. 73 | Karl Marx/Friedrich Engels: »Die Deutsche Ideologie«. In: MEW. Bd. 3, S. 28. 74 | Karl Marx: »Nationalökonomie und Philosophie«. In: MEW. Ergänzungsband I, S. 537. Marx denkt den Begriff der Produktion auch nicht mehr an materielle Ware gekoppelt, sondern als solche Arbeit, »die für den Arbeiter nur den vorher bestimmten Wert seines Arbeitsvermögens reproduziert, dagegen als wertschaffende Tätigkeit das Kapital verwertet, oder die von ihr geschaffenen Werte dem Arbeiter selbst entgegensetzt.« Marx: »Theorien über den Mehrwert«. S. 373. 75 | Ebd., S. 385.
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führt die unproduktive Arbeit als »geistige Arbeit« auf einer anderen Ebene wieder ein. Auf der einen Seite gibt es solche Produktionen, die in »Waren, Gebrauchswerten [resultieren], die eine von den Produzenten und Konsumenten verschiedene selbständige Gestalt besitzen, also in einem Intervall zwischen Produktion und Konsumtion bestehen können, als verkäufliche Waren in diesem Intervall zirkulieren können, wie bei Büchern, Gemälden, kurz, allen Kunstprodukten, die von der Kunstleistung des ausübenden Künstlers verschieden sind«76. Davon zu unterscheiden sind Formen der Produktion, die »nicht trennbar [sind] von dem Akt des Produzierens wie bei allen exekutiven Künstlern, Rednern, Schauspielern, Lehrern, Ärzten, Pfaffen etc«77. Marx nimmt damit die Smith’sche Unterscheidung auf der Ebene von produktiver und unproduktiver Arbeit als materieller und nichtmaterieller Arbeit wieder auf und fügt dabei ein zeitliches Moment ein. Zwischen der Produktion der Waren und ihrer Konsumation liegt bei den performativen Tätigkeiten kein zeitlicher Abstand. Produktion und Konsumation fallen in eins. Dass er beide Formen als »unbedeutend« für die Analyse des Kapitalismus bezeichnet und davon spricht, dass hier die »kapitalistische Produktionsweise nur in geringem Umfang [stattfindet]«78, zeigt auch sein Problem mit diesen Formen. Denn einerseits kritisiert er Smiths Unterscheidung, indem er dessen (moralische) Bewertung »produktiver« und »unproduktiver« Arbeit in Frage stellt, und führt mit dem »Mehrwert« eine neue Kategorie in das Verhältnis von Arbeit und Produktion ein. Zugleich muss auch er einräumen, dass es Tätigkeiten gibt, die zwar auch als Ware innerhalb des kapitalistischen Systems gehandelt werden können, deren Warenförmigkeit aber durch die besondere Beziehung vom Konsumenten – als Rezipient – und dem Produzenten zugleich in Frage gestellt wird. Damit zeichnet sich die Position des Schauspielers, dessen Arbeit im Marx’schen System zu den dienstleistenden Berufen zählt, durch Widersprüchlichkeit aus. »Dem Publikum verhält sich hier der Schauspieler gegenüber als Künstler, aber seinem Unternehmer gegenüber ist er produktiver Arbeiter.«79 Marx beschreibt eine Doppelung des Schauspielers als eine widersprüchliche Position zwischen dem produktiven Arbeiter im kapitalistischen System, der im Sinne Marx’ seiner Arbeit gegenüber entfremdet ist, und dem Künstler auf der anderen Seite. Als »Dienstleister« produziert er für den kapitalistischen Theaterleiter »Mehrwert«, als Künstler erzeugt er etwas, das im Moment des Produzierens konsumiert werden muss. Dass beide im Moment der 76 | Marx: »Theorien über den Mehrwert«.. S. 385 77 | Ebd. S. 386. 78 | Ebd. 79 | Ebd.
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Aufführung nicht voneinander getrennt werden können, macht auch für Marx das Besondere der Arbeit am Theater aus. Somit wird die Figur des Schauspielers zum Paradigma der Entfremdung. Dem Schauspieler wird nicht nur seine Arbeit zur Ware und damit entfremdet. Diese Arbeit ist an ihn selbst, seinen Körper, gebunden: Er wird (sich) selbst zur Ware. So ist es nicht verwunderlich, dass Marx für seinen utopischen Entwurf der »freien Arbeit«, jenseits der Entfremdung und des kapitalistischen Produktionszusammenhangs, nicht die Kunstform Theater zum Modell nimmt. Nicht das kollektive Produzieren am Theater, nicht die schauspielerische Arbeit mit ihrer direkten Anbindung an den Rezipienten sind das Vorbild, sondern die einsame Tätigkeit des Komponisten. Denn nur, wenn die Tätigkeit selbstbestimmt ist und damit keinerlei Abhängigkeiten unterliegt, kann sie alle Ebenen der Entfremdung aufheben: die Entfremdung im Arbeiten, vom Produkt ihrer Arbeit, vom Mitproduzenten und von sich selbst. Frei wird die Arbeit, wenn ihr Zweck vom Arbeitenden selbst gesetzt ist und sie sich jeder Spezialisierung entzieht.80 Die freie Arbeit zielt damit auf eine Umdeutung des Arbeitsbegriffs, nicht auf seine Abschaffung. Es gelte, das Konzept der Arbeit als Opfer aufzulösen, ohne die Kategorie der Arbeit selbst zu verabschieden: »[…] damit die Arbeit travail attractif, Selbstverwirklichung des Individuums sei, was keineswegs meint, daß sie bloßer Spaß sei, bloßes amusement […]. Wirklich freie Arbeiten, z.B. Komponieren ist gerade zugleich verdammtester Ernst, intensivste Anstrengung.« 81
Marx grenzt damit die freie Arbeit explizit vom Spiel ab. Nicht das Spiel, sondern die Selbstverwirklichung steht im Mittelpunkt. Und diese bedarf durchaus der Anstrengung.82 Der spielerische Charakter des Theaters scheint jener planvollen und konzeptuellen Arbeit des Komponierens entgegengesetzt. 80 | In der kommunistischen Gesellschaft hat nicht jeder einen »ausschließlichen Kreis von Tätigkeiten«, wo »die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies und morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu betreiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirte oder Kritiker zu werden«. Damit verabschiedet Marx auch das Konzept des Berufs: »In einer kommunistischen Gesellschaft gibt es keine Maler, sondern höchstens Menschen, die unter anderem auch malen.« Karl Marx: »Deutsche Ideologie«. In: MEW. Bd. 3, S. 33; S. 379. 81 | Karl Marx: »Grundrisse«. In: MEW. Bd. 42, S. 505. 82 | »Not Playboy but Promotheus was Marx’s model: a herioc individual engaged in a variety of challenging, self-directed activities of social value, which, taken together allowed the full utilization of mental and physical powers and the development of a total personality«. Joan Campbell: Joy in Work, German Work: The national Debate, 18001945. Princeton 1989. S. 22.
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Indem Marx die künstlerische Produktion zum Vorbild der freien Arbeit macht und dabei gleichzeitig das Konzept der Arbeitsteilung und Spezialisierung aufhebt, negiert er bestimmte Kriterien der künstlerischen Produktion, wie einen individuellen Ansatz oder Unterscheidbarkeit. Mit der Absage an das Berufskonzept versucht Marx Konkurrenz und Ungleichheit zu umgehen, verabschiedet damit aber andere Paradigmen künstlerischer Praxis wie Individualität und Originalität. In seinem Konzept beschränkt sich die künstlerische Produktion allein auf das Tun und nicht auf die Veröffentlichung ihrer Resultate. Kunstproduktion wird eine Tätigkeit unter anderen. Sie wird allein vom Produzierenden aus gedacht, und die Rezeptionssituation wird ausgeklammert. Das Theater, dessen Arbeit immer an eine Veröffentlichung gebunden ist, stellt genau jene Selbstbestimmtheit der Arbeit in Frage: In der Ausrichtung auf einen anderen hat die Arbeit am Theater immer ein Ziel. Dies bedeutet auch, dass der Schauspieler dem ›Warencharakter‹ seiner Arbeit nicht entkommen kann, allerdings – und darauf zielen die vielen Vergleiche, die Marx anführt – kann er sich der Bedingungen seines Produzierens bewusst werden und damit auch den ideologischen Implikationen einer Mystifizierung künstlerischen Schaffens. Wie es Brecht vom Schauspieler fordert: »Ich spreche zunächst von deiner Profession, dem Schauspielbetrieb, das Gewerbe, in das du gegangen bist, gleichviel aus welchen Gründen, hoffentlich den besten. Gleichgültig nämlich, was du dort anstellen solltest, musst du wissen, was dort mit dir angestellt werden wird. Die Theater verkaufen Unterhaltung, einige in Form von Bildung. Du wirst entlohnt (und beschäftigt), je nachdem was du dem Besitzer einbringst, an Geld oder an Ansehen, das er in Geld umsetzen kann. In den staatlichen Theatern werden Dienste entlohnt, welche den herrschenden Ideen, d.h. den Ideen der Herrschenden geleistet werden – aus den Steuergeldern der Beherrschten. Es ist gut für dich zu wissen, daß du eine Angestellte bist wie andere Angestellte, etwa wie jemand, der angestellt ist, Getränke zu servieren, aber natürlich ist das nicht alles. Die Geknechteten, die es wissen, können etwas gegen ihre Knechtschaft tun.« 83
83 | Bertolt Brecht: Große kommentierte Berliner und Frankfurter Werkausgabe [= GA]. Berlin/Weimar/Frankfurt a.M. 1988. Bd. 23, S. 53f.
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J ENSEITS DER A RBEIT : V ER AUSGABUNG UND TR ANSGRESSION (G EORGES B ATAILLE) »Theater ist Verschwendung. Theater rechnet sich nicht. Wenn es gezwungen wird, sich zu rechnen, dann muß es unter sein Niveau gehen […]. Aber diese Zivilisation, in der wir leben, ist orientiert auf Ökonomie und eben nicht auf Luxus und Verschwendung. Luxus ist eher etwas Heimliches.« 84
Ende des 20. Jahrhunderts wirft der Schriftsteller Heiner Müller einen ganz anderen Blick auf das Verhältnis von Theater und Produzieren. Keine Einordnung in das ökonomische System, kein Ausschluss im Sinne einer unproduktiven Tätigkeit wird versucht, sondern das Theater wird zu einer Form der Verschwendung erklärt, die sich der Logik der Verwertung widersetzt. Gerade weil das Theater innerhalb eines ökonomischen Denkens, das an Funktionalität und Rationalität ausgerichtet ist, nicht zu funktionieren scheint, nimmt es eine widerständige Position ein. Das, was Rousseau als Gefahr für Genf angeklagt hat, wird hier als ›andere‹ Position des Theaters innerhalb des ökonomischen Systems entworfen: der Ausbruch aus dem rationalen Denken der Arbeitsgesellschaft. Dabei bezieht sich Müller auf seine Lektüre der Aufhebung der Ökonomie von Georges Bataille. Doch Bataille geht es nicht um eine »Aufhebung der Ökonomie«85 , wie es im deutschen Titel anklingt. Sein Augenmerk gilt dem, was innerhalb der industriellen Gesellschaft ausgeschlossen wird. Es gelte, die »Verfemung« von Luxus und Verschwendung aufzuheben. Dies wird vor allem an Batailles Konzept der Arbeit deutlich, die Grundlage einer auf dem Nützlichkeitsprinzip ausgelegten Ökonomie ist. Wie für Marx ist auch für Bataille die Arbeit eine zentrale Kategorie des profanen Alltagslebens. Über die Arbeit unterscheidet sich der Mensch vom Tier. Indem er seine animalischen Triebe unterdrückt, um sich einer vernunftbasierten Ordnung zu unterwerfen, bestimmt er sein Menschsein. Mit der Arbeit als Produktion richtet er sich damit an der Zukunft aus und unterwirft sich einem zu erreichenden Ziel. Allerdings wird der arbeitende Mensch damit jeder Gegenwärtigkeit beraubt und nähert sich den Dingen an, die er produziert: »Der, der den Weizen anbaut, ist kein Mensch: er ist der Pflug 84 | Heiner Müller: »Theater ist Krise. Heiner Müller im Gespräch, 16. Oktober 1995«. In: Joachim Fiebach (Hg.): Manifeste europäischen Theaters. Berlin 2003. S. 330-371. S. 331. 85 | Die deutsche Ausgabe mit dem Titel Die Aufhebung der Ökonomie (München 1985) umfasst zwei Teile: »Verausgabung« und »Der verfemte Teil«. Beide Teile sind zuerst unabhängig voneinander veröffentlicht worden: Georges Bataille: »La notion de la dépense«. In: La critique sociale. Nr. 7. Januar 1933. S. 7-15. Sowie: ders.: La part maudite. Paris 1949.
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dessen, der das Brot ißt. Und sogar der Akt des Essens selbst ist letztlich bereits die Feldarbeit, der sie Energie liefert.«86 Wie der Schauspieler im eingangs beschriebenen Projekt Bauerntheater als Person und Figur hinter der Tätigkeit des Pflügens verschwindet, wird der arbeitende Mensch nach Bataille selbst zum Ding. Jedes Tun richtet sich am Produktionsprozess aus und wird damit immer auf einen Zweck und eine Zukunft hin gedacht: »Durch die Einführung der Arbeit trat an die Stelle der Intimität, der Tiefe der Begierde und ihrer freien Entfesselung von Anfang an die rationale Verkettung, bei der es nicht mehr auf die Wahrheit des Augenblicks ankommt, sondern auf das Endresultat der Operationen. Die Arbeit begründete die Welt der Dinge, der im Allgemeinen die profane Welt der Alten entsprach. Seit der Setzung der Welt der Dinge wurde der Mensch selbst zu einem der Dinge dieser Welt, zumindest für die Zeit, da er arbeitet. Diesem Schicksal versucht der Mensch zu allen Zeiten zu entkommen.« 87
Die Arbeit, die sich immer an der Zukunft orientiert, führt zu einer Erfahrung von Entfremdung, die dem Menschen sein Begehren fremd werden lässt.88 Der Mensch leidet nicht nur unter der Entfremdung: Auch wenn sie sein Leben und seine Arbeit bestimmt, sucht er nach Formen, ihr zu entgehen. Es ist diese Suche, die Bataille interessiert. Eine Möglichkeit, der Entfremdung zu entgehen, sieht er darin, aus dem Prinzip der Nützlichkeit auszubrechen, das alles umfasst. In diesem Sinne entwirft Bataille an anderer Stelle das Modell einer »allgemeinen Grundlagen der Ökonomie«89, die auf dem Prinzip der Verausgabung beruht. Anders als die »beschränkte Ökonomie« stellt sie nicht den Mangel und seine Beseitigung, nicht den Nutzen und den Zweck der Produktion in den Mittelpunkt, sondern macht den Luxus und damit die Verschwendung zum »Grundproblem«90. 86 | Georges Bataille: Theorie der Religion. München 1997. S. 38. 87 | Georges Bataille: Die Aufhebung der Ökonomie. München 1985. S. 87f. 88 | Foucault erkennt bei seiner Bataille-Lektüre in dessen Vorstellung vom arbeitenden Menschen eine »einfache Anthropologie«: »[D]er Mensch verlor die Wahrheit seiner unmittelbaren Bedürfnisse mit den Gebärden seiner Arbeit und den Gegenständen, die er mit den Händen schuf, aber gerade da konnte er auch sein Wesen und die grenzenlose Befriedigung seiner Bedürfnisse finden […]; sicher hat das Bedürfnis ein ganz anderes Statut, oder wenigstens gehorcht es einem Ordnungsprinzip, dessen Gesetze nicht auf die Dialektik der Produktion zurückgeführt werden können.« Bataille sucht nun nach Formen, in denen dieses Begehren Ausdruck findet, beispielsweise in der Sexualität. Michel Foucault: »Zum Begriff der Übertretung«. In: ders.: Schriften zur Literatur. München 1974. S. 86. 89 | Bataille: Die Aufhebung der Ökonomie. S. 43. 90 | Ebd., S. 38.
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Grundlage eines solchen Denkens ist es, dass die Welt nicht vom Mangel, sondern vom Überfluss bestimmt sei. Am Beispiel der Sonnenenergie zeigt Bataille, dass es immer einen Überschuss an Energie gibt. In jeder Form der Produktion wird mehr Energie erzeugt, als im Herstellungsprozess verbraucht werden kann. Dieser Überschuss an Energie kann nicht über die Zeit gespeichert, gespart und aufgehoben werden. Er kann nur umgelenkt oder muss verschwendet werden. Diese Verschwendung ist die Grundlage von Batailles ökonomischem Modell. Mit dem Prinzip der »unproduktiven Verausgabung«91 – und in der Umkehrung von Smiths und Marx’ Konzept der »produktiven Arbeit« – kritisiert er damit jede Form einer Ökonomie, die auf das Prinzip von Zweck und Nützlichkeit ausgerichtet ist. Es geht ihm um eine »Umkehrung des Denkens und der Moral«.92 Da es immer einen Überschuss an Energie gibt, steht der Mensch vor der Frage, wie diese verschwendet wird: In der industriellen Arbeitsgesellschaft würde, wie es auch Smith und Marx beschreiben, der Überschuss vor allem in Dienstleistungen und in die Künste investiert.93 Anders als Smith und Marx differenziert Bataille aber zwischen der »produktiven Verausgabung«, die weiterhin nach dem Prinzip der Nützlichkeit funktioniert, und der unproduktiven Form der Verausgabung, die immer auf einen Verlust zielt. Als Modell für dieses Prinzip der Verausgabung dient ihm Marcel Mauss’ Konzept der Gabe94, als eine Form des Gebens ohne Gegenleistung. Dieses Konzept der Gabe wird vor allem innerhalb einer besonderen Inszenierung deutlich, in einem Ritual, dem Potlach: »[Der Potlach] schließt jedes Feilschen aus und besteht im allgemeinen in einem beträchtlichen Geschenk von Reichtümern, das ostentativ gemacht wird mit dem Ziel, einen Rivalen zu demütigen, herauszufordern und zu verpflichten. Der Tauschwert des Geschenks ergibt sich daraus, daß der Beschenkte, um die Demütigung aufzuheben und die Herausforderung zu erwidern, der mit der Annahme des Geschenks eingegangenen Verpflichtung nachkommen muß, sich durch ein noch größeres Geschenk zu revanchieren, das heißt, es mit Zinsen zurückzuzahlen.« 95
An die Stelle der Ware tritt die Gabe, die das Prinzip des Handels als einer Form des Ausgleichs mit dem Ziel einer »ausgeglichenen Zahlenbilanz«96 am Ende 91 | Bataille: Die Aufhebung der Ökonomie. S. 38. 92 | Ebd., S. 50. 93 | Vgl. ebd., S. 48. 94 | Marcel Mauss: »Die Gabe«. In: ders.: Soziologie und Anthropologie. Frankfurt a.M. 1989. Bd. 2, S. 59-93. 95 | Bataille: Die Aufhebung der Ökonomie. S. 17f. 96 | Ebd., S. 13.
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durchbricht. An die Stelle des Handelns tritt die Verausgabung als Form einer permanenten Steigerung, die niemals ausgeglichen werden kann. Bis hin zur Zerstörung des Reichtums vor den Augen des anderen: als Inszenierung von Überfluss und gleichzeitigem Verlust. Zwei Punkte sind dabei für die Frage nach der Arbeit am Theater interessant. Erstens: Wenn Bataille beschreibt, dass der arbeitende Mensch sich in der Produktion selbst entfremdet, dann eröffnet das Moment der Verausgabung dem Schenkenden eine andere Position. Denn im Gegensatz zum Konzept des Warentauschs – bei dem ja nach Marx auch die Arbeitskraft als Ware gehandelt wird – ist das Prinzip der unproduktiven Verausgabung nicht auf Selbsterhaltung ausgerichtet, sondern zielt auf eine »Souveränität« des Schenkenden: »Im Geschenk vermag sich das schenkende Subjekt zu überschreiten, aber im Austausch gegen den verschenkten Gegenstand eignet sich das Subjekt die Überschreitung an: es betrachtet diese Fähigkeit, zu der es die Kraft gehabt hat, als Reichtum, als eine Macht, die es von jetzt an besitzt.« 97
Erst in der Verausgabung kann sich der arbeitende Mensch vom Ding lösen und ist nicht mehr den Dingen unterworfen. Und erst in dieser Loslösung von der Arbeit und dem Produkt, im Moment der Verschwendung, kommt der Mensch zur Intimität mit sich: als einem Zustand, in dem die Gegensätze von Subjekt und Objekt sich auflösen. Der zweite Aspekt verbindet diese Überlegungen mit einer theatralen Praxis. Die oben genannten Formen der Verausgabung müssen immer inszeniert werden. Es ist eine besondere Situation erforderlich, ein Fest, ein Ritual, das die Verschwendung inszeniert, aufführt, vor Augen führt. Zu dieser Situation gehören eine klare Rollenverteilung und die Kenntnis der Regeln des Rituals. Anders als in der industriellen Arbeitsgesellschaft, in der der Luxus verschleiert wird und damit »heimlich« ist, wie Müller sagt, werden hier der Verlust, die Verschwendung und Verausgabung bewusst ausgestellt. Um zur Souveränität des Subjekts zu gelangen, bedarf es einer anderen Form einer »gloriosen« und damit sichtbaren Verschwendung jenseits des Luxus‹ der industriellen Arbeitsgesellschaft. Es sind damit andere Formen »unproduktiver Verausgabungen« als Dienstleistungen, die für Bataille zum Modell werden, und das Theater ist eine davon, aber auch »Trauerzeremonien, Kriege, Kulte, die Errichtung von Prachtbauten, Spiele, […] Künste oder die perverse (d.h. von der Genitalität losgelöste) Sexualität«.98 Sie alle haben ihren »Zweck in sich selbst«, das heißt sie sind weder auf ein Produkt noch auf ein in der Zukunft zu erreichendes Ziel ausgerichtet. Was sie auszeichnet, ist das Prinzip des Verlusts, der sinnlosen 97 | Bataille: Die Aufhebung der Ökonomie. S. 100. 98 | Ebd., S. 12.
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und zweckfreien Verausgabung und ein Moment der Gegenwärtigkeit. Indem Bataille das Theater zu einem Ort der Überschreitung erklärt, verschiebt er die Perspektive auf die Frage nach der Arbeit am Theater. Das Theater ist keine Bedrohung für eine arbeitsame Welt, nicht Teil eines auf Rationalität aufgebauten ökonomischen Systems, wird nicht als Ware gehandelt, sondern es eröffnet eine Möglichkeit, sich über das Prinzip der Arbeit und der Vernunft hinwegzusetzen. Doch was für ein Konzept von Theater wird dabei entworfen? Das Theater wird hier als Fest und als Ritual gedacht, das Möglichkeit zur »Entstauung«99 von Energie bietet, allerdings nicht als Freizeit und Entspannung und damit als Ausgleich und Unterbrechung der Arbeit mit dem Ziel größerer Produktivität. Wenn Rousseau die Feste der Stadt Genf als eine Aufführung von Gemeinschaft bestimmt, auch im Sinne einer Affirmation der Arbeitsgesellschaft, dann zeichnet Bataille ein anderes Bild des Theaters als Fest im Verhältnis zur Arbeit. Es ist das Moment der Unterbrechung und Überschreitung der profanen Arbeitswelt, die Betonung der Gegenwärtigkeit und Flüchtigkeit, die das Theater zum Modell für die unproduktive Verausgabung werden lässt. Denn im ökonomischen Sinne bedeutet jede Aufführung auch immer einen Verlust von Arbeitskraft, die nicht in verwertbare Produkte transformiert wird. Jedoch gilt mein Augenmerk der Frage nach dem Verhältnis von Theater und Arbeit. Die Arbeit am Theater scheint genau das zu sein, was sich dem Ritual entzieht. Sie fragt nach dem, was vor dem Moment der Aufführung, dem Fest, der Durchführung des Rituals liegt, als Vorbereitung und Arbeit, die den Ereignissen des Verschwendens vorausgeht. Wie also verhält sich diese Arbeit, die ja durchaus auf ein zu erreichendes Ziel – die Aufführung – ausgerichtet ist, zum »Prinzip der Verschwendung«? Bataille merkt an, dass die künstlerische Praxis hinsichtlich des Verhältnisses von Produktion und Verausgabung widersprüchlich bestimmt ist. Beides ist im Alltag nicht voneinander zu trennen. »[P]roduktive Verausgabung« – als Investition in etwas Kommendes – und »unproduktive Verausgabung« – als reine Verschwendung – überlagern sich.100 In jeder Form der künstlerischen Praxis entsteht etwas. Eine Form der Verausgabung jenseits von Produktion scheint nicht denkbar. Diese widersprüchliche Position erkennt Bataille in seinem eigenen Schreiben. Auf der einen Seite zielt er mit seiner Theorie darauf, durch seine Erkenntnisse »die Summe der menschlichen Reserven zu vergrößern«. Zugleich ist eine seiner Thesen, dass »Energie letztlich nur vergeudet werden kann«. So bezeichnet er seine Theorie als Buch, »das der Verfasser nicht geschrieben hätte, wenn er seiner Lehre wörtlich gefolgt wäre«.101 Seine Schreib99 | Bataille: Die Aufhebung der Ökonomie. S. 48. 100 | Ebd., S. 38. 101 | Ebd., S. 37.
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praxis bewegt sich in einem Paradox, das für jede künstlerische Tätigkeit gilt: Um die Verausgabung sichtbar zu machen, sie mitzuteilen, bedarf es einer Form der Produktion. Aber in der Verausgabung selbst werden diese Produktion, ihr Charakter und ihre Eigenschaften sichtbar. Damit kann ein solches Verständnis von künstlerischer Praxis mit dem Modell der Transgression umschrieben werden, wie es Bataille entwirft: die Transgression als eine Geste, die das Wechselverhältnis von Regelhaftigkeit und Überschreitung sichtbar macht. Auch für die Arbeit am Theater, als einer Arbeit an einer Aufführung, die im Sinne eines auf Objekte orientierten Produktionsbegriffs immer als eine Arbeit am Verlust beschrieben werden muss, heißt dies, nach der widersprüchlichen Position zwischen Verausgaben und Produzieren zu fragen. Wenn Joseph Vogl für die Entwicklung des ökonomischen Menschen als Mensch der Arbeit am Ende des 18. Jahrhunderts konstatiert, dass die »›Arbeit‹ der Nationalökonomie […] eine in sich unbegrenzte, endlose Tätigkeit [ist], die sich notwendigerweise über ihr eigenes Telos täuscht«102 , dann macht die Arbeit am Theater diese Endlosigkeit sichtbar und überschreitet sie zugleich. Denn da diese Arbeit kein Ende kennt, nie im Produkt aufgeht, ist das Ende dieser Arbeit immer als Setzung offensichtlich, als ein Moment der Unterbrechung. Dies wirft auch ein anderes Licht auf die Diskussionen um den Vorbildcharakter der Kunst für die Veränderungen der postindustriellen Arbeitsgesellschaft. Auch hier wird ein Moment der Verausgabung beschrieben. Die Unproduktivität des Theaters ergibt sich durch die tatsächlich notwendigen Ausgaben. In eine Aufführung wird investiert – Geld und menschliche Arbeit –, ohne dass davon ein bleibender Wert, ein Produkt, übrig bliebe. Dieses Defizit des Theaters wird in der zeitgenössischen Diskussion oft mit dem Argument zu entkräften versucht, Kultur und insbesondere das Theater produziere eine andere Form des »Mehrwerts«. Kultur wird als Standortfaktor ausgestellt und aufgewertet, in ökonomische Rechenmodelle miteinbezogen. Allerdings bleibt eine solche Argumentation innerhalb eines ökonomischen Denkens verhaftet, das sich auf Nützlichkeit und Verwertbarkeit bezieht. Bataille geht es gerade darum, dieses Denken umzukehren. Und diesen Gedanken nimmt Heiner Müller auf: Nur indem das Theater Verschwendung bleibt, sich der Logik der Arbeit widersetzt – der Ausrichtung auf ein zu erfüllendes Ziel, von Disziplinierung und Ausrichtung auf das Produkt der Aufführung – kann es zur »Gabe« im Sinne Batailles werden, als Verausgabung ohne Zweck und Ziel.
102 | Joseph Vogl: »Fausts Arbeit«. In: Ulrich Horn/Eva Bröckling (Hg.): Die Anthropologie der Arbeit. Tübingen 2002. S. 17-34. S. 26.
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A RBEIT, H ERSTELLEN , H ANDELN (H ANNAH A RENDT) »Was tun wir, wenn wir tätig sind«, fragt Hannah Arendt und führt in ihre Überlegungen zum Verhältnis von Mensch und Arbeit einen Handlungsbegriff ein, den sie direkt vom Theater und dem Akt des Aufführens ableitet.103 Ihre Ausgangsfrage führt sie zu einer Differenzierung des menschlichen Tuns in Arbeiten, Herstellen und Handeln, die sie über die Aspekte Dauer und Wirkung voneinander abgrenzt. Arbeit (labor) ist für sie an körperliche Prozesse gebunden. Sie sichert das »Am-Leben-Bleiben des Individuums« und ist durch eine immer fortdauernde Wiederholung gekennzeichnet.104 Herstellen (work) zeichnet sich durch die Erzeugung von Gegenständen aus als äußerliche Manifestationen des Prozesses, der einen klaren Anfang und ein klares Ende hat. Schließlich führt sie einen weiteren Begriff ein, das Handeln (action), bei dem sich in besonderem Maße das Verhältnis von Dauer und Wirksamkeit zeigt. Dabei bringt sie mit dem englischen Begriff action und dem Bezug auf das Verb to act eine Bedeutungsfacette ins Spiel, die das deutsche Handeln nicht hat: die Darstellung auf einer Bühne. Das Handeln vollzieht sich vor den Augen anderer, braucht deren Gegenwart. Seine Wirkung liegt »im Vollzug« selbst, wie sie anhand der Virtuosität des Tanzens oder Theaterspielens zeigt: »[D]as ›Endresultat‹ [ fällt] mit dem Vollzug seiner Hervorbringung zusammen[…].«105 Dieser performative Aspekt ist mit einem spezifischen Zeitkonzept verbunden: »Handeln kann zwar einen genau bestimmten Anfang haben, es hat aber, wie wir sehen, ein nie voraussagbares Ende.«106 Da ihre Wirkung im Vollzug liegt, sind Handlungsprozesse auch »unumkehrbar«107, und ihre Resultate können nie vollständig geplant werden. Zum Handeln gehört damit immer auch ein Moment des ›Neuanfangs‹ und des »etwas in Bewegung setzen[s]«108. Für die Frage nach der Arbeit am Theater bieten diese Überlegungen zwei wichtige Anknüpfungspunkte: erstens das Handeln als ein Moment der Virtuosität und zweitens die Frage danach, was genau im Prozess des Handelns erzeugt wird.
103 | Hannah Arendt: Vita Activa oder Vom Tätigen Leben. München 2002. 104 | »Das Arbeiten, gefangen in den Kreislauf des Körpers, hat weder Anfang noch Ende.« Ebd., S. 170. 105 | Ebd., S. 262f. 106 | Hannah Arendt: »Arbeit, Herstellen, Handeln«. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. 1998/6. S. 997-1009. S. 1004. Interessant ist, dass Arendt bereits im Titel (allerdings unkommentiert) sich auf die Verbformen des Handelns und Herstellens bezieht, während nicht vom Arbeiten die Rede ist. Dies entspricht ihrem Konzept, dass Arbeit Notwendigkeit ist und der Mensch keine autonome Haltung zu ihr einnehmen kann. 107 | Ebd., S. 1009. 108 | Ebd., S. 1007.
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Hannah Arendts Modell des Theaters entwickelt sie entlang des Begriffs des Virtuosen, im Sinne von »Vortrefflichkeit«109 als ein »Sich-Auszeichnen« vor anderen.110 Die Gegenwart und Zeugenschaft von anderen, die Anwesenheit von Zuschauern, die Pluralität ist konstitutiv für Arendts Handlungsbegriff. Mit Virtuosität ist immer ein Aspekt des Öffentlichen verbunden: ein eigens für die Aufführung definierter Raum mit eigenen Regeln, das theatron als Ort des Schauens. Ebenso ist der zeitliche Aspekt der Aufführung von Bedeutung. Der Virtuose führt sich im Moment der Aufführung auf. Seine Vortrefflichkeit ist an den Moment der Aufführung gebunden. Für meine Überlegungen ist interessant, dass die Arbeit des Virtuosen als Moment der Vorbereitung ausgeklammert wird. Zur Figur des Virtuosen gehört – wie Gabriele Brandstetter beschreibt – gerade die widersprüchliche Position zwischen »Können« und »Wunder«, die gerade auch nach der Ausbildung von Körpertechniken zur Selbstperfektionierung fragt.111 Die Selbstinszenierung des Virtuosen als »Objekt des Staunens« verweist auf die »Grenze des Machbaren« und damit auch auf das, was durch Techniken hervorgebracht werden kann und was diese überschreitet. Für meine Frage nach der Arbeit am Theater und den Prozessen, die das Theater konstituieren, ist weniger die Aufführungssituation selbst von Bedeutung als vielmehr genau jene Tätigkeiten und Techniken, die ihr vorausgehen. Anders gefragt: Wie wird der Virtuose zum Virtuosen, und wie ist sein Verhältnis zur Arbeit? Arendt bestimmt dagegen Theater über den Moment der Aufführung, als ein Handeln vor anderen und damit einer Form der »wiederholenden Nachahmung«. Welche Voraussetzungen dieses Handeln hat und was diesem Handlungsprozess vorausliegt wird nicht anhand des Theaters selbst diskutiert. Allerdings fragt Arendt nach den Voraussetzungen des Handelns auf einer anderen Ebene. So betrachtet sie neben dem Handeln auch das Sprechen und Denken, die sie im Anschluss an Smith als »unproduktive Tätigkeiten« definiert.112 Um dieses Tun vom Herstellen abzugrenzen, bieten sich in besonde109 | Arendt: Vita Activa, S. 61. 110 | Ebd., S. 247. 111 | Vgl. Gabriele Brandstetter: »Die Szene des Virtuosen. Zu einem Topos von Theatralität«. In: Hofmannsthal-Jahrbuch 10 (2002). S. 213-243. Zum Verhältnis von Virtuosität und Arbeit sind vor allem die Forschungen des Teilprojekts »Die Szene des Virtuosen« im SFB 447 »Kulturen des Performativen« hervorzuheben, denen diese Untersuchung grundlegende Anregungen verdankt. 112 | Arendt geht es um eine Neubewertung der Virtuosität des Handelns und damit um eine Abgrenzung zu Smith. Während er sie zu den »niedersten, unproduktivsten Arbeiten rechnet« und sie den »Haushalts- und Gesindediensten« zuschlägt, sieht Arendt dieses Handeln, mit Rückgriff auf dessen antike Bedeutung, als zu den »höchsten und
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rem Maße künstlerische Praktiken an, als ein anderes Moment des Produzierens. Arendt bezieht sich dabei vor allem auf die Literatur (die im Theater als Drama für Arendt die Voraussetzung für die Aufführungssituation ist113). Jeder künstlerischen Manifestation geht ein Denkprozess voraus, der wie das Handeln und Sprechen als »Tätigkeit« so »flüchtig wie das Leben selbst« ist.114 Erst wenn diese Tätigkeiten »gesehen, gehört, erinnert und dann verwandelt werden«, können sie »Gegenstandscharakter« erlangen.115 Die Tätigkeit, ›Gedanken hervorzubringen‹, unterscheidet Arendt von denen, derer es bedarf, um ihnen Dauer zu verleihen. Diese Tätigkeiten sind immer an eine Öffentlichkeit gebunden, sie brauchen eine ›Bühne‹, und diese findet Arendt im Theater. Erst mit Hilfe der Beobachterposition kann ein Resultat dieses Tuns entstehen. In diesem Sinne nimmt die Arbeit am Theater als poiesis der Aufführung eine Zwischenposition innerhalb der Arendt’schen Begriffe von Herstellen und Handeln ein. Anders als das Handeln und eher wie das Herstellen ist dieses Tun auf einen Zweck ausgerichtet, ist sein Ziel das Resultat, die Planung und letztlich ein Ende des Prozesses, in dem das Tun in etwas anderes als die Arbeit, größten des Menschen« gehörig. Arendt: Vita Activa. S. 263. Allerdings tut Arendt hier Smith unrecht, wenn sie sich allein auf dessen Modell der ›unproduktiven‹ Arbeit im Wohlstand der Nationen beruft. In seiner Theorie der ethischen Gefühle ist es gerade die Zuschauerposition, durch die das menschliche Zusammenleben bestimmt ist. Siehe dazu Eleonore Kalisch: Von der Ökonomie der Leidenschaften zur Leidenschaft der Ökonomie. Berlin 2006. S. 391f. 113 | Arendts Theaterbegriff ist eng an das Drama gebunden. So spricht sie teilweise von der »Kunstform Drama«, obwohl sie dann die Aufführungssituation selbst als »So-und-nicht-anders-Sein« des Schauspielers hervorhebt. Schauspieltechnik oder Probenarbeit werden dabei als Voraussetzungen für diese Darstellung nicht diskutiert. Künstlerische Praxis als Prozess des Hervorbringens wird vor allem anhand der Literatur diskutiert. Wie das hier entstandene Drama zur Aufführung kommen kann, welcher Voraussetzungen der Schauspieler bedarf, fragt sie nicht. Vgl. Arendt: Vita Activa. S. 233. 114 | Ebd., S. 113. 115 | Ebd. Dabei unterscheidet Arendt zwischen den verschiedenen Kunstformen anhand des Materials, mit dem gearbeitet wird: »Es gibt keine Kunsterzeugnisse, die nicht in diesem Sinne unlebendig wären, und ihre Leblosigkeit zeigt den Abstand an, der zwischen der Quelle des Denkens und Sinnens im Herzen oder Hirn des Menschen besteht und der Welt, in die das Gedachte und Ersonnene schließlich entlassen wird. Aber diese Leblosigkeit ist nicht allen Künsten in gleichem Maße zu eigen; sie ist dort am schwächsten, wo die herstellende Verdinglichung am wenigsten an Material im eigentlichen Sinne gebunden ist, also in der Musik und Dichtung, deren ›Material‹ Worte und Töne sind, mit denen umzugehen ein Minimum an Materialkenntnis und Werkerfahrung erfordert.« Dichtung ist die »menschlichste und unweltlichste« der Künste. Sie bleibt dem Denken, das sie inspiriert, am nächsten. Ebd., S. 204f.
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nämlich in die Aufführung, transformiert wird. (Auch wenn sich das konkrete Tun in den Aktionen und Texten in den Proben und in der Aufführung nicht unterscheidet.) Anders aber als beim Herstellen entsteht kein dauerhaftes Produkt, hinterlässt das Tun nichts »Greifbares«116. Wenn sich der Herstellungsprozess dadurch auszeichnet, dass sein Ende erreicht ist, »wenn das Ding fertig gestellt und dieser Prozess […] nicht wiederholt [zu] werden [braucht]«117, dann ist für die Arbeit am Theater die Wiederholung als ein permanentes Neu-Anfangen konstitutiv. Somit ist es weniger Arendts Konzept der Virtuosität des Handelns als vielmehr dessen Abgrenzung zum Herstellen, die für die Frage nach der Arbeit am Theater von Bedeutung ist. Es gilt, nach der widersprüchlichen Situation von Hervorbringen und Handeln, von instrumentellem Tun und kommunikativem Vorgang zu fragen. Im Spannungsfeld der verschiedenen Theorien eröffnen sich damit diverse Aspekte für die Frage nach dem Verhältnis von Theater und Arbeit: das Theater als Bedrohung und Unterbrechung von Arbeit; als Moment der Analysierbarkeit und Zerlegbarkeit von Arbeitsvorgängen; dem performativen Moment der Aufführung jenseits der Produktion verwertbarer Produkte; die Frage nach der Entfremdung in den Arbeitsvorgängen: in Form der Produktionsverhältnisse oder der Ausrichtung auf andere oder die Zukunft; nach der Bedeutung der Bezeugung von Arbeit durch den Zuschauer oder das Theater als Moment der Verschwendung und Überschreitung. In den Blick rückt dabei die Frage nach der Ökonomie des Theaters. Unter Ökonomie wird meist in einem engeren Sinne der Zusammenhang zwischen privatwirtschaftlichen Besitzverhältnissen, Mehrwertprodukten, Warentausch, Geldzirkulation und unternehmerischem Handeln verstanden. In einem solchen Kontext lässt sich das Theater – vor dem Hintergrund ökonomischer Theorien, wie sie Marx oder Smith entwerfen – als arbeitsteiliges Produktions- wie Distributionsunternehmen definieren. Doch nicht nur die kulturelle Praxis Theater, auch der Begriff der Ökonomie sprengt eine solche wirtschaftswissenschaftliche Fassung. Mit Blick auf kulturelle oder gesellschaftliche Phänomene lassen sich mit dem Begriff eine Reihe von heterogenen Prozessen fassen, ohne dass sie nach der Logik der Wirtschaftswissenschaften vereinheitlicht werden müssten: Zirkulation, Verknappung und Verschwendung, Wert und Tausch können für die Modellierung kultureller Sachverhalte und ästhetischer Praxen genutzt werden. Nach den Ökonomien des Probens oder des Theaters zu fragen, heißt damit, das analytische Potenzial des Begriffs zu nutzen. Dabei geht es weder darum, das Theater einfach als ›Geschäft‹ zu betrachten und damit eine Dominanz des Ökonomischen zu behaupten, noch die Kunst als schützenswerten Bereich einer Gegenökonomie zu 116 | Arendt: Vita Activa. S. 104. 117 | Arendt: »Arbeit, Herstellen, Handeln«. S. 1003.
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fassen. Im Gegenteil: Es gilt, nach den Heterogenitäten, Vervielfältigungen und Effekten des Ökonomischen zu fragen, die für jede theatrale Praxis konstitutiv sind. Die kulturelle Praxis Theater und die ihr eigene Form des Produzierens – in der Gleichzeitigkeit von Produzieren und Rezipieren – fordert nicht nur unsere Vorstellungen von Arbeit heraus. Anhand der Probleme, die das Theater den ökonomischen und philosophischen Theorien zur Arbeit bereitet, wie an einigen Beispielen exemplarisch gezeigt, lässt sich eine erste Idee einer anderen Form der Arbeit formulieren: einer Arbeit jenseits des Produkts, die sich durch eine besondere Zeitlichkeit und die Anwesenheit anderer auszeichnet, die in ihrem Vollzug ein Ergebnis zeitigt und ihr eigenes Ende setzt. Um diese Idee der Arbeit am Theater genauer zu bestimmen, ist aber ein Blick auf die künstlerische Praxis ›Theater‹ selbst notwendig. Bisher stand vor allem die Frage im Mittelpunkt, ob und wie Theater als Arbeit bezeichnet werden kann. Ausgehend von Problemen und Fragestellungen der Arbeitswelt wurde auf das Theater geschaut. Welches (Selbst-)Verständnis der Arbeit am Theater findet sich aber in den Schriften, die sich explizit als ästhetische Theorien verstehen? Wie wird das Verhältnis von Theater und Arbeit in den Schriften der Theatermacher selbst bestimmt? Nach dem (Selbst-)Verständnis von Theater als Arbeit zu fragen, bedeutet aber auch, das Verhältnis von künstlerischem Handeln und anderen Tätigkeiten jenseits der Kunst in den Fokus zu rücken. Aus dieser Perspektive eröffnen sich neue Fragen und Probleme. Liegt nicht bereits im Ausgangspunkt, ›Theater als Arbeit‹ zu betrachten, die Gefahr, notwendige Differenzen von Kunst und Alltagshandeln zu negieren? Ist es nicht gerade diese Gleichsetzung von Arbeit und Kunst, die beispielsweise Bataille in seinem Konzept der Verausgabung kritisiert? Eröffnet nicht die künstlerische Praxis einen Bereich jenseits der Arbeit, dessen Autonomie gerade in unserer von Arbeit bestimmten Gesellschaft ein utopisches Moment darstellt? Um dies zu beantworten, scheint ein Blick auf die historische Ausdifferenzierung des Kunstbegriffs sinnvoll. Denn so wie sich unser Verständnis von Arbeit im 18. Jahrhundert entwickelt, grenzt sich die Kunst im gleichen Zeitraum als eigenständiger Bereich von anderen Tätigkeitsfeldern ab. Sie wird somit erst über die Abgrenzung zur Arbeit definiert.
2 Kunst und Arbeit
»Wenn ich nicht als Tänzer arbeite, mache ich andere Jobs. Und diese Jobs bekomme ich nicht, weil ich mich als Tänzer bewerbe. Deshalb muss ich mir eine andere berufliche Identität entwerfen, wenn ich nicht als Tänzer arbeiten will. Also bewege ich mich anders, spreche anders und kleide mich anders. Genau das gleiche mache ich auch, wenn ich auf der Bühne stehe und als Tänzer arbeite. Verkäufer bewegen, sprechen und kleiden sich auch anders, wenn sie arbeiten. Sie performen wie ich auch ihre Jobs, aber nicht als Tänzer. Im Gegensatz zu ihnen performe ich das Performen von Jobs, weil mein Job eigentlich Tänzer und nicht Verkäufer ist.«1
Wie verhält sich das künstlerische Tun auf der Bühne zu anderen Tätigkeiten? Inwieweit überlagern sich die Anforderungen an eine theatrale Praxis des Schauspielers oder Tänzers mit denen an andere Formen der Arbeit? Gibt es einen Unterschied zwischen dem Beruf des Tänzers/Schauspielers und anderen beruflichen Tätigkeiten? Dies sind Fragen, die der Choreograf und Tänzer Jochen Roller in seinem 2002 entstandenen Solo stellt – Titel: Perform Performing, Untertitel: Über den Sinn und Unsinn, Tanz als Arbeit zu betrachten. Roller inszeniert sich selbst als arbeitenden Künstler: Er erklärt die Produktionsbedingungen seiner Inszenierung, vergleicht seine Arbeit als Tänzer mit anderen Jobs, die er macht, um Geld zu verdienen. Er präsentiert sich zugleich als Tänzer und als Kleinunternehmer, der seine Choreografien auf einem hart umkämpften Markt verkaufen muss. Fragen nach den gesellschaftlichen Bewertungskriterien für Kunst, nach ihrer Legitimierung innerhalb der Gesellschaft werden genauso gestellt, wie der soziale Status des Tänzers ironisch gebrochen wird: Roller führt die Technik des Hemden-Faltens bei H&M vor, die jedem Mitarbeiter vorgegeben ist. Jeder Handgriff der Patentfaltung wird gezeigt. Präsentiert mit Musik, wird aus dem vorgegebenen, rationalisierten Bewegungsablauf
1 | Jochen Roller zitiert nach der Aufführung No Money, no Love. Erster Teil der Trilogie Perform Performing. Über den Sinn und Unsinn, Tanz als Arbeit zu betrachten. Premiere 27.11.2002. Podewil Berlin.
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im Rahmen der Bühne eine Choreografie. Alles kann zum Tanz werden, auch die entfremdete Arbeit des Verkäufers. Perform Performing nimmt verschiedene Aspekte der Arbeit auf, wie sie von den Theoretikern seit dem 18. Jahrhundert beschrieben wurden: Arbeitsteilung und Rationalisierung, Entfremdung als Reaktion auf die Produktionsverhältnisse, Verwertbarkeit einer Aufführung jenseits eines fassbaren Produkts, ein Leben »außer sich« gemäß den Anforderungen, die von außen herangetragen werden, Funktion der Kunst in der Gesellschaft. Vor allem liegt der Witz der Aufführung darin, zwei Bereiche aufeinander zu beziehen – die Kunst und die Arbeit –, die gemeinhin als voneinander getrennt betrachtet werden. Roller präsentiert sich als Künstler und als Arbeiter zugleich. Wie im eingangs zitierten Bonmot von Karl Valentin entsteht die Komik durch die unterschiedlichen Bewertungskriterien beider Bereiche, und das, obwohl, wie Roller zeigt, die konkrete Tätigkeit auf der Bühne und bei der Arbeit die gleiche sein kann. Oft scheint es »Unsinn«, das künstlerische Tun als Arbeit zu betrachten: beispielsweise wenn Roller vorrechnet, wie viel Geld und Zeit er in eine Minute eines seiner Stücke investiert hat, und er diese Zeit und Arbeitsleistung mit einem Job bei einer Plattenfirma vergleicht. Die »ausgeglichene Zahlenbilanz«, die Bataille kritisiert, wird hier mit Ernsthaftigkeit vorgerechnet und behauptet. Der Wert der künstlerischen Tätigkeit, die zwar auch entlohnt wird, deren Entlohnung sich aber nach anderen Gesetzmäßigkeiten als bei anderen Formen von Arbeit richten soll, wird hinterfragt. Warum ist eine Minute Tanzen weniger wert, als die stupide Arbeit bei der Plattenfirma?, fragt Roller. Warum muss er für das Produzieren einer Minute Choreografie so viel Arbeitszeit in der Plattenfirma investieren? So ergeben gerade diese scheinbar schiefen Vergleiche einen Sinn, verweisen sie doch auf eine bestimmte Vorstellung von Kunst als einem von anderen Tätigkeiten abgetrennten und nach eigenen Regeln funktionierenden Bereich und zeigen die darin liegenden Widersprüche auf. Gefragt wird, wie durch Arbeit Wert generiert wird: im alltäglichen Arbeitsleben wie auf der Bühne. Auch der Künstler steht nicht jenseits der ökonomischen Bedingungen seines Produzierens. Wenn Roller ironisch die ›Selbstopferung des Künstlers‹ und dessen Idealismus gegen ein materialistisches Denken ausspielt, dann fragt er nach den politischen Implikationen eines solchen Künstlerbildes – und verweist zugleich auf die aktuelle Diskussion um die Veränderungen der Arbeitswelt, die im Künstler keinen Außenseiter, sondern ein Vorbild für ein anderes Arbeiten erkennen.
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D ER K ÜNSTLER ALS V ORBILD Der Weg des Künstlers2 heißt ein seit Jahren erfolgreiches Buch der Ratgeberliteratur. Versprochen werden neue Wege in die Kreativität und zum Abbau von Blockaden. »Nicht nur der Künstler ist kreativ!« ist der Leitsatz, mit dem jeder zu einem selbstbestimmten und (auch ökonomisch) erfolgreichen Leben gelangen soll. Dieses Glücks- und Profitversprechen durch künstlerische Praxis erklärt den Künstler zum Vorbild und Stellvertreter für ein selbstbestimmtes Leben. Kreativität wird als grundlegende Ressource der erfolgreichen Selbstverwirklichung bestimmt, an der es permanent zu arbeiten gelte. Der Lebensentwurf ›Künstler‹ wird zum universal anzuwendenden Lebensmodell erklärt. Auch innerhalb der Diskussionen um die Veränderung der Arbeitswelt in der postindustriellen Gesellschaft wird auf die Vorreiterrolle künstlerischer Praxis für eine Neuorientierung verwiesen.3 Techniken und Charakteristika, die mit künstlerischer Arbeit assoziiert werden – Spiel, Improvisation, atypisches Verhalten, kreative Anarchie sowie auch projektbezogene Arbeit und Selbstvermarktung –, werden auf andere Produktionsbereiche übertragen. Geforderte Eigenschaften für Arbeitsformen, die sich durch zeitliche und räumliche Flexibilität auszeichnen, durch die Auflösung stabiler Institutionen und Hierarchien und die Ablösung mechanischer Arbeitsvorgänge.4 Das Ausnahmesubjekt der Moderne, der Künstler, wird zum role model erklärt. Nicht nur die Vorstellung eines autonomen Künstlersubjekts – jenseits bestehender gesellschaftlicher Normen –, sondern auch der damit verbundene Lebensentwurf wird zum Vorbild. Arbeitsbiografien zeichnen sich immer weniger durch in sich geschlossene Erzählungen aus und sind von Brüchen und Diskontinuitäten bestimmt.5 Jobverlust und Arbeitslosigkeit markieren 2 | Julia Cameron: Der Weg des Künstlers. München 2000. 3 | Vgl. beispielhaft die Rede von Bundespräsident Horst Köhler vor dem Stifterverband der deutschen Wirtschaft am 22.05.2007. http://www.bundes-praesident.de/ dokumente/-,2.637549/Rede/dokument.htm [Zugriff am 20.07.2008]. 4 | Vgl. dazu Tom Peters: Jenseits der Hierarchien. Liberation Management. New York 1992 sowie Ulrich Bröckling: »Bakunin Consulting, Inc.: Anarchismus, Management und die Kunst, nicht regiert zu werden.« In: Marion von Osten: Norm der Abweichung. Zürich 2003. S. 19-38. Deutlich wird dabei, dass das künstlerische Tun nicht generell zum Vorbild für Arbeit wird, sondern nur für bestimmte Leitungsfunktionen. Es sind die Manager, die sich den Künstlern angleichen sollen: in der Brechung bestehender Normen wie im kreativen Schaffen vom etwas Neuem. 5 | Für Richard Sennett gleichen sich diese Biografien damit immer mehr experimentellen Erzählformen an. Richard Sennett: »Die Arbeit und ihre Erzählung«. In: Stefanie Carp (Hg.): Alles Kunst? Wie arbeitet der Mensch im neuen Jahrtausend und was tut er in der übrigen Zeit. Reinbek bei Hamburg 2001. S. 11-35. S. 14
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Einschnitte, die in die Konstruktion der Erzählung der Lebensgeschichte integriert werden müssen. Für den Einzelnen wird es zunehmend schwieriger, sich als Autor und Erzähler der eigenen Berufsbiografie zu empfinden. Gerade die künstlerische Praxis und der Lebensentwurf ›Künstler‹ scheinen hier ein Modell für eine Neuorientierung des Arbeitskonzepts zu bieten. Der Künstler muss individuelle Ressourcen einbringen: eigene Ideen, oft auch die eigenen Produktionsmittel. Er agiert nicht auf einem vorher definierten Feld, sondern seine Aufgabe ist es, sich selbst Probleme und Aufgaben zu suchen und für die Bearbeitung jeweils neue Methoden zu finden. Als Initiator seiner Projekte gibt es für den Künstler keine Arbeitslosigkeit. Organisationstheorien sehen im Künstlersubjekt eine historische Avantgarde der Ich-AG. Der Künstler wird zum vorbildlichen Unternehmer erklärt, der Neues verkauft, für das er selbst die Nachfrage erst schaffen muss. Der Umgang mit dem Unvorhergesehenen wird dabei zum Paradigma künstlerischer Produktion: Die Figur des Künstlers wird zum »Spezialisten für Übergänge, Zwischengewissheiten und Laboratorien« erklärt und damit zum »natürliche[n] Feind des Verharrens im Bestehenden«.6 Die bewusste Entscheidung, sich unvorhergesehenen Situationen auszusetzen, und der Zwang, im Moment selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen, lässt beispielsweise die künstlerische Technik des Improvisierens zum Vorbild für eine andere Form des Managements werden.7 Der Künstler wird zum Spieler mit dem Ungewissen erklärt, der sich nicht nur seine eigenen Spielregeln entwirft, sondern diese auch immer wieder verändert. Künstlerisches Produzieren wird unter das Postulat des permanenten Wandels gestellt: Fragen nach Tradierung künstlerischer Techniken, nach Ausbildung und Übung treten in den Hintergrund. Der Imperativ »Sei kreativ!«, der sich durch die Diskussion zieht, zielt auf eine permanente Neuerfindung der eigenen Arbeitsformen und Lebensverhältnisse. So wird vor allem das Verhältnis von Lebens- und Arbeitszeit anhand des Vorbilds des Künstlersubjekts neu bestimmt. Der Arbeitsethos des Künstlers, dessen kreative Arbeit keine Zeit kennt, sondern der immer an seinen Projek6 | Adrienne Goehler: Verflüssigungen. Berlin 2006. S. 12. Die Beschreibungen der künstlerischen Praxis erinnern dabei an das Konzept der »schöpferischen Zerstörung«, das der Nationalökonom Joseph Schumpeter beschreibt. Dabei geht er in seiner Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung vom »schöpferischen Unternehmer« aus, der durch eine kreative Form der Zerstörung die Innovation eines Unternehmens vorantreibt. Schumpeter macht dabei die idealistische Vorstellung des genialen Künstlersubjekts zur Grundlage der Figur des Unternehmers. Vgl. Joseph Schumpeter: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Leipzig 1926. 7 | Dirk Baecker: »Freiheitsspielräume der Unbestimmtheit: X-Organisationen: postklassische Theorie und postheroisches Management«. In: changeX, 20. Mai 2005. http://www.changex.de/d_a01933.html [Zugriff am 20.04.2008].
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ten wie an sich selbst arbeitet, wird zum Modell erklärt,8 der Künstler als Autor seiner Arbeitsbiografie entworfen, der mit den oben beschriebenen Unsicherheiten kreativ umzugehen weiß: »Künstler sind die Avantgarde im Umgang mit Knappheit und Unsicherheit.«9 Wenn Jochen Roller in seiner Inszenierung ein Call-Center der Deutschen Bahn beschreibt, in dem die angestellten Tänzer ihre Choreografien entwickeln, während sie ihrer ›eigentlichen‹ Arbeit nachgehen – dem Erteilen von Auskünften –, dann spielt er ironisch mit einem solchen Künstlerbild: als Tänzer, der jede Möglichkeit zur Produktion nutzt, der effizient an sich und seiner Kunst arbeitet, unabhängig von den äußeren Bedingungen. Verbunden mit einem solchen Künstlerbild ist die Vorstellung, dass die künstlerische Arbeit nie aufhört, unabhängig von Bezahlung oder Erfolg. In einem solchen Konzept verändert sich das Verhältnis von Arbeit und künstlerischer Praxis radikal. Die Ausnahmestellung der Kunst liegt nicht mehr in dem Außen, in dem sie sich den Kategorien der Arbeit entzieht, nicht in der Kritik der kapitalistischen Produktionsweise oder der Verweigerung von Rationalität und Effizienz, sondern in ihrem Vorbildstatus; als Avantgarde eines ›anderen‹ Arbeitens, dessen Aporien und Widersprüche dabei oft übergangen werden. Problematisch ist dabei, dass von einem schematischen Bild des Künstlers jenseits der Beschreibung konkreter künstlerischer Praktiken und deren Kontextualisierung innerhalb einer künstlerischen Tradition ausgegangen wird. Im Zentrum steht meist das individuelle Künstlersubjekt, das sich und seine Ressourcen für die künstlerische Arbeit einsetzt. Dass die künstlerische Arbeit über die Suche im Unbekannten und das kreative Spiel hinausgeht, dass sie genauso verkauft und gehandelt werden muss wie andere Formen der Arbeit auch, wird dabei oft übersehen. Jochen Roller beispielsweise stellt in seiner Inszenierung beide Positionen nebeneinander: So präsentiert er sein selbstfinanziertes Solo Being Christina Aguilera neben einer Choreografie einer dänischen Compagnie mit dem Titel Parfaitement Moi, für die er als Tänzer engagiert war. Er tanzt beide Sequenzen vor und kommentiert den jeweiligen ›Wert‹, den sie für ihn in seinem Berufsleben erbracht haben. Während er für seine eigene Choreografie Geld investieren musste, verdiente er mit dem Tanzen der fremden Choreografie mehr Geld als in seinem Job bei der Plattenfirma. Nicht nur die Titel der beiden Stücke spielen ironisch mit der Frage nach Identität, nach dem Verhältnis von Tänzer und Tanz, sondern auch der Zuschauer beginnt, das Gezeigte zu überprüfen: Sind die Bewegungen des Solos authentischer als die der vermeintlich fremden 8 | Eine kritische Reflexion dieses Vorgangs findet sich bei Jan Verwoert: Die Ich-Ressource. Zur Kultur der Selbstverwertung. München 2003 sowie bei Ulrich Bröckling: Das unternehmerische Selbst. Frankfurt a.M. 2007. 9 | Jörg Lau: »Avantgardisten des Mangels«. In: Die Zeit vom 29.06.2006.
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Choreografie? Zeigt sich das Verhältnis des Tänzers zu den verschiedenen Bewegungsabfolgen im Tanz selbst? Zeigt sich die Entfremdung des angestellten Tänzers im Verhältnis zum selbstentworfenen Solo? Welches Verhältnis zur Arbeit hat er als Tänzer des eigenen, unterfinanzierten Solos oder der gut bezahlten Arbeit in der Compagnie? Dass viele Formen künstlerischer Arbeit nicht nur durch Arbeitsteilung – beispielsweise in der Trennung von Choreograf und Tänzer –, sondern auch durch institutionalisierte Vertragsverhältnisse gekennzeichnet sind, unterläuft das Konzept des individuellen, selbstverantwortlichen Künstlers. Das Bild des Künstlers, der in einem ungeteilten und selbstbestimmten Arbeitsprozess seine eigenen Methoden entwickelt und entwirft, muss im Kontext der szenischen Künste komplexer gedacht werden.10 Auch hier vermarktet sich der Künstler selbst, jedoch innerhalb spezifischer Produktionsstrukturen. Hier zeigt sich gerade die Besonderheit der theatralen Praxis: der Schauspieler oder Regisseur am Theater ist auch Angestellter. Was Marx als Moment der Entfremdung in der theatralen Arbeit beschreibt, verweist auf die Schwierigkeit des Theaters, sich außerhalb der Mechanismen einer ökonomisch orientierten Arbeitsgesellschaft zu stellen. Theater ist immer Organisation und Planung, es bedarf einer Form der Institutionalisierung, zugleich aber gehört das Moment des Unvorhergesehenen – beispielsweise in Techniken des Improvisierens – zu seiner Praxis grundlegend dazu. Die künstlerische Praxis des Theaters ist selbst von Widersprüchen durchzogen. Deutlich wird, dass eine vorschnelle Zuweisung einer Vorbildfunktion der Kunst schematische Vorstellungen von dem festschreibt, was darunter zu verstehen ist, ohne die Komplexität ästhetischer Praxis und verschiedener Kunstformen zu berücksichtigen. Wie unsere Vorstellungen von Arbeit sind auch die Vorstellungen von Kunst historisch bedingt. Und wie Roller in der Selbstreflexion einen distanzierten Blick auf das wirft, was wir als ›Kunst‹ verstehen, so soll die Betrachtung der historischen Entwicklung des Kunstbegriffs bestimmte Vorurteile und Verstellungen unseres Blicks auf Kunst verdeutlichen und damit
10 | Beispielsweise der Aufsatz von Andreas Reckwitz »Zur Normalisierung kreativer Prozesse« differenziert sehr genau verschiedene Kreativitätsregime und zeigt am Beispiel Jackson Pollocks wie die künstlerische Arbeit selbst zur Performance wird. Dabei wird deutlich, dass das Kreativsubjekt immer als singuläres gedacht wird. Arbeitsteilige Prozesse wie im Theater tauchen in diesen Konzepten nicht auf. Vor diesem Hintergrund lässt sich erklären, warum allein die Position der Regie mit der eines schöpfenden Künstlers gleichgesetzt wird. Andreas Reckwitz: »Zur Normalisierung kreativer Prozesse. Der Beitrag des Kunstfeldes zur Genese des Kreativsubjekts.« In: Christoph Menke/ Juliane Rebentisch (Hg.): Kreation und Depression. Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus. Berlin 2010. S. 98-117
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die Frage nach dem Status der Kunst – und im Besonderen des Theaters – in unserer durch Arbeit bestimmten Gesellschaft erhellen.
D IE K UNST, JENSEITS DER A RBEIT ZU STEHEN Dass das Verhältnis von Arbeit und Theater von Widersprüchen, Aporien und Überlagerungen geprägt ist, zeigt sich nicht nur darin, wie das Theater zum Modell für Arbeit oder zu ihrem Gegenteil erklärt wird, sondern auch in der Geschichte der Entwicklung des Theaters als Kunstform. »Die Auffassung von Theater als autonome, als ›schöne Kunst‹, treibt gravierende Widersprüche hervor«11, konstatiert Helmar Schramm und erkennt im fehlenden Werk, in der »Verbindung zu medialen Strukturen der Öffentlichkeit« und in der Abhängigkeit vom Zuschauer Gründe für den problematischen Status des Theaters als Kunstform. Aus der Perspektive der Arbeit am Theater gefragt, sind es dabei die Prozesse der künstlerischen Praxis selbst, die in den Blick rücken: das Erarbeiten und Vorbereiten der Aufführung. Wo zeigen sich hier die Schwierigkeiten im Verhältnis zu den anderen Künsten? Zur Beantwortung dieser Frage ist ein Blick zurück notwendig: auf die historische Trennung von Kunst und Arbeit und das damit verbundene Streben der ›schönen Künste‹ nach Autonomie. Die Trennung von Arbeit und künstlerischem Tun gibt es erst seit der Neuzeit. Bis dahin sind beide im Handwerk miteinander verbunden. Erst die Industrialisierung trennt beides voneinander. Die mechanische, industriell geprägte Arbeit wird in Opposition zu einer ›freien‹ schöpferischen Tätigkeit gesetzt.12 Ist die antike Bedeutung immer mit einem spezifischen Können, das erlernt werden kann, verbunden, so setzt sich der Begriff der ›schönen Kunst‹ genau von jeder Erlernbarkeit des Tuns ab. Während die antike Bedeutung ars ein breites Spektrum umfasst – von der Fertigkeit und Geschicklichkeit über das Gewerbe, die Kunst und die Wissenschaft bis hin zu Theorie, Verhalten oder
11 | Helmar Schramm: »Theatralität und Öffentlichkeit. Vorstudien zur Begriffsgeschichte von ›Theater‹«. In: Karlheinz Barck/Martin Fontius/Wolfgang Thierse (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Studien zu einem historischen Wörterbuch. Berlin 1990. S. 202-242. S. 230. 12 | Zwei Entwicklungen sind dabei von Bedeutung: In der Renaissance werden die drei bildenden Künste vom Handwerk abgegrenzt und im 17. Jahrhundert emanzipieren sich die Naturwissenschaften. Resultat ist eine klarere Trennung von Wissenschaft und Kunst. Die Ausdifferenzierung eines Systems der ›schönen Künste‹ im 18. Jahrhundert ist vor dem Hintergrund dieser Entwicklung zu sehen. Vgl. Paul O. Kristeller: »Das moderne System der Künste«. In: ders.: Humanismus und Renaissance. München 1976. Bd. 2, S. 167-207. S. 205.
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Mittel13 –, wird der Begriff der Kunst seit dem 18. Jahrhundert für einen immer spezifischeren Tätigkeitszusammenhang gebraucht. Verweist er zuerst allgemein auf ein spezielles Können oder Wissen, die weltliche Wissenschaft und deren Disziplinen und kann auch menschliche Eigenschaften wie Gelehrsamkeit bezeichnen,14 so wird um 1800 Kunst zum Synonym für das Tun des Künstlers. Damit verändern sich auch die Vorstellungen und die Auffassung vom künstlerischen Prozess – die Frage, welcher Wert ihm zugeschrieben wird und wie er verläuft. Der Bruch um 1800 durch die Veränderungen im sozialen, politischen wie geistigen Leben im Zuge der französischen Aufklärung und als zweiter Schub deren Reflexion im Deutschland der Goethezeit und der frühen Romantik führen auch zu einem Aufbrechen der Referenzrahmen der Kunst. Die alten Bezugsgrößen wie das Prinzip der imitatio, das Regelsystem der Rhetorik, werden verabschiedet, die künstlerische Praxis wird selbst zum Gegenstand der Reflexion, die feudalen Produktions- und Auftragsstrukturen lösen sich auf. Die Kunst gründet sich nicht mehr auf politische oder religiöse Vorgaben. Im Gegenzug verändert sich das Verständnis vom Künstler und dessen Werk: Als selbstbestimmtes Subjekt schafft er etwas, das es vorher so noch nicht gab. In den Blick rückt das Kunstwerk als Darstellungsmedium des künstlerischen Schaffens. Dabei lassen sich die Entwürfe der Autonomieästhetik um 1800 als Abgrenzung zu den Entwicklungen einer zunehmend industriell geprägten Arbeitsgesellschaft lesen. Karl Philipp Moritz beispielsweise formuliert sein Konzept einer Totalität des Kunstwerks als »in sich vollendetes Ganzes«15 entlang einer Kritik der Entfremdungsphänomene der frühkapitalistischen Arbeitswelt. Das Prinzip des »Nützlichen«, das Streben nach ökonomischer Verwertbarkeit, wie auch die Trennung von Kopf- und Handarbeit werden abgelehnt und gegen die Entfremdungserfahrungen durch Arbeitsteilung und Mechanisierung der Arbeit wird ein Konzept der Kunst als autonomer Praxis etabliert, die eine umfassende Entfaltung der Persönlichkeit ermöglichen soll.16 Dieses spannungsvolle Verhältnis von Kunst und Arbeit wird im Besonderen über eine spezifische Künstlerfigur verhandelt: das Genie. Die Neuformu-
13 | Der kleine Stowasser. Wien 1972. S. 72. 14 | Grimm: Wörterbuch der Deutschen Sprache. Bd. 11, Sp. 2670. 15 | Karl Philipp Moritz: »Über die Allegorie«. In: ders.: Werke. Berlin/Weimar 1973. Bd. 1, S. 301. 16 | Der Arbeiter, so Moritz, »arbeitet also zu einem Zweck, der nicht in seinem, sondern in dem Kopfe eines anderen existiert. [Er] entäußert sich eine Weile seiner Denkkraft und wird bloß Hand und Fuß.« Karl Philipp Moritz: »Einheit – Mehrheit – menschliche Kraft«. In: ders.: Werke. Bd. 1, S. 249f.
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lierung des Geniebegriffs17 in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts weist dem Künstler gegenüber der Arbeitswelt eine Sonderstellung zu: als jemand, der außerhalb der Nötigungen der Arbeitswelt steht und dennoch Außergewöhnliches leistet. Doch zeigt beispielsweise Kants Bestimmung des Geniebegriffs, dass auch das Schaffen des genialen Künstlers nicht jenseits der Arbeit steht – an die Stelle der Disziplinierungsprozesse der Industrialisierung tritt hier ein anderes Konzept der Arbeit. Kant geht es in seiner Ästhetik der Urteilskraft unter anderem um die Unterscheidung zwischen den »Lohnkünsten« und den »freien Künsten«. Mit dem Entwurf eines Systems der Künste versucht er, die Kunst von der Arbeit abzugrenzen, und so dem, was wir heute unter Kunst verstehen, einen eigenständigen Bereich zuzuweisen. Beide – freie Künste wie Lohnkünste – unterscheiden sich in ihren Motiven: Die freie Kunst wird mit dem »Spiel« gleichgesetzt, als »Beschäftigung, die für sich selbst angenehm ist«, dagegen wird Lohnkunst mit »Arbeit« verbunden, eine »Beschäftigung, die für sich selbst unangenehm […], und nur durch ihre Wirkung (z.B. Lohn) anlockend ist«.18 Sie ist mit Zwang verbunden und hat immer ein konkretes Ziel für den Arbeitenden. Die Verortung der Kunst im Spiel, jenseits eines konkreten Zweckes, hat auch Auswirkungen auf den Status des Künstlers: Er soll unabhängig von äußeren Zwängen schaffen, damit darf sein Tun aber auch nicht mehr Arbeit mit dem Ziel des Broterwerbs sein. In der Distanzierung von der Lohnarbeit soll der Künstler auch keinen außerästhetischen Nutzen mehr mit seinem Tun verfolgen. Beispielhaft beschreibt dies Kant anhand der Figur des Genies: Sein Schaffen zielt nicht auf ein verwertbares Produkt. Über den Begriff des Genies bestimmt Kant eine andere Beziehung zwischen Künstler und Werk: »Genie ist das Talent (Naturgabe), welches der Kunst die Regel gibt.«19 Die Fähigkeit, Kunst zu produzieren, das Talent dazu, ist angeboren und damit nicht erlernbar. Der Künstler als Genie wird zum Schöpfer eines Werkes, das sich ihm selbst entzieht: »Daß es [das Genie, A.M.], wie es sein Produkt zu Stande bringe, selbst nicht beschreiben, oder wissenschaftlich anzeigen könne, sondern daß es als Natur die Regel gebe; und daher der Urheber eines Produkts, welches er seinem Genie verdankt, selbst nicht 17 | In der frühen Neuzeit dient der Geniebegriff als Kategorie für eine gott- oder naturgegebene Fähigkeit des Individuums. Bis ins 18. Jahrhundert ist vom Genie auch in den Handwerkskünsten die Rede. Vgl. dazu Eberhard Ortland: »Genie«. In: Karlheinz Barck et al.: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch. Stuttgart 2001. Bd. 2, S. 661-709. 18 | Immanuel Kant: »Kritik der Urteilskraft«. In: ders.: Werke. Hg. Wilhelm Weischedel. 12 Bde. Frankfurt a.M. 1974. Bd. X, S. 238. 19 | Ebd., S. 241.
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A RBEIT AM T HEATER weiß, wie sich ihm die Ideen dazu herbei finden, auch es nicht in seiner Gewalt hat, dergleichen nach Belieben oder planmäßig auszudenken, und anderen in solchen Vorschriften mitzuteilen, die sie in Stand setzen, gleichmäßige Produkte hervorzubringen.« 20
Kant beschreibt eine paradoxe Situation: Der Künstler soll zwar sein Werk nach Regeln hervorbringen, doch weder kann er diese Regeln beschreiben noch kann das Werk aus diesen Regeln heraus verstanden werden. Nach vorgegebenen Regeln sind Kunstwerke damit nicht mehr zu beurteilen, da das Kunstwerk selbst die Regel setzt. Das Künstlergenie kann nicht autonom über sein Können herrschen, es nicht beliebig ›abrufen‹. Kant macht also die Regel vom Genie abhängig, ohne dass dieses die Regel beherrschen würde. Das, was geschaffen wird, bleibt an das individuelle Talent des Genies gebunden. Damit ist das Schaffen des Genies nicht nur ›unnachahmlich‹, es kann auch niemals Vorbild für ein anderes künstlerisches Schaffen sein. Dennoch entstehen nach diesen Regeln ›Muster‹ und ›Vorstellungen‹ von Kunst, die sich nachträglich ableiten lassen. An diesen Regeln, die niemals Vor-Schrift des Produzierens, sondern nur Nachtrag sein können, muss sich das, was Kunst sein will, messen lassen, ohne dabei allerdings wieder die gleichen Regeln zu befolgen. Der künstlerische Prozess wird aufgewertet, indem er als individueller und je singulärer Akt gedacht wird, jenseits normierbarer Regeln. Kants Geniedefinition scheint damit in direkter Opposition zu dem zu stehen, was mit Arbeit verbunden wird: die Einteilung in Einheiten und Einzelheiten, die Arbeitsteilung, die jedem seine Stelle zuweist, ohne diese durch individuelle Eigenheiten zu begründen. Ein Konzept industrieller Arbeit, wie es beispielsweise Adam Smith beschreibt, ist gekennzeichnet durch Planung und Arbeitsteilung. Eine solche Form der Arbeit ist gerade kein Ausdruck von Individualität. Sie kann geplant, geteilt, delegiert werden. Dagegen setzt Kant das individuelle Künstlergenie, dessen Tun nicht quantifizierbar ist, nicht planbar, nicht austauschbar. An die Stelle der Mühe und des Zwangs der Arbeit wird ein Moment der Freiheit gegenüber fremden Regeln und vorbestimmten Aufgaben gesetzt. Damit setzt er das Genie in maximale Opposition zur Sphäre der Arbeit und distanziert das künstlerische Tun von den Nötigungen der Arbeit. Im künstlerischen Tun scheint ein Moment der Freiheit im Unterschied zu den Funktionalisierungen der entstehenden Arbeitsgesellschaft auf. Jedoch bleibt auch das Genie für Kant nicht von der Arbeit verschont. Wenn Genie angeborenes Talent ist, dann reicht dies noch nicht zur Hervorbringung von Kunstwerken aus. Die »Einbildung« allein mache noch keine ›schöne Kunst‹ aus, sondern bringe nichts als »Unsinn« hervor.21 Denn auch wenn Kunstwerke der freien Künste »Hervorbringungen durch Freiheit« sind, ist hier ein Moment 20 | Kant: »Kritik der Urteilskraft«. S. 242f. 21 | Ebd., S. 257.
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der Arbeit notwendig: etwas »Zwangmäßiges, oder wie man es nennt, ein Mechanismus […] ohne welchen der Geist, der in der Kunst frei sein muß und allein das Werk belebt, gar keinen Körper haben und gänzlich verdunsten würde«.22 Auch der geniale Künstler muss Techniken ausbilden, muss professionell arbeiten. Das künstlerische Tun steht nicht außerhalb der Arbeit, im Gegenteil: »[…] so gibt es doch keine schöne Kunst, in welcher nicht etwas Mechanisches, welches nach Regeln gefaßt und befolgt werden kann. […] Denn etwas muß dabei als Zweck gedacht werden, sonst kann man ihr Produkt gar keiner Kunst zuschreiben; es wäre ein bloßes Produkt des Zufalls.«23
Auch die ›schöne Kunst‹ bedarf, um zu entstehen, eines Plans. Jedes künstlerische Tun verfolgt einen Zweck, der allerdings nicht durch äußere Funktionsbestimmungen definiert ist. Das, was das Genie schafft, jenseits seiner bewussten Kontrolle, bedarf, um »Form« zu werden, der »Verarbeitung«24 , einer »langsamen und gar peinlichen Nachbesserung«25 . Die Arbeit des Genies bewegt sich damit zwischen der bewussten Planung im Vorfeld, der Konzeption, dem Entwurf und der Überarbeitung oder Ausarbeitung des Entworfenen. Für die Frage nach Formen künstlerischer Praxis verweist das Paradox der Kant’schen Bestimmung der ›schönen Künste‹ auf eine besondere Verbindung von Planvollem und Zufälligem. Die Überlagerung von Produktion und Verausgabung, die Bataille beschrieben hat, tritt hier in einer anderen Form hervor: als zeitliches Nacheinander von unkontrollierter Eingebung und planvoller Arbeit. Damit etwas als Kunst erfasst werden kann, müssen sich nach Kant im Werk beide Aspekte miteinander vereinigen. Für das Theater stellt diese Abfolge von Unkontrolliertheit und Überarbeitung ein besonderes Problem dar, ist doch das Tun des Schauspielers an den Moment der Aufführung gebunden. Was Kant als Prozess der Abfolge beschreibt, müsste hier also im Moment der Aufführung zusammenfallen. Oder aber die künstlerische Produktion müsste von der Aufführung getrennt gedacht werden. Geniales Schöpfertum und Verarbeitung der Form wären damit eine Vorbereitung der Aufführung, die beides nur reproduziert. Für Kant stellen sich diese Fragen nicht in der Weise, weil er die Schauspielkunst in seinem System nicht als eigenständige Kunstform begreift. Dennoch ist es auch in seinem System die Gegenwärtigkeit der Aufführung, die den Status des Theaters als Kunstform fragwürdig erscheinen lässt. Für Kant treffen sich in der Schauspielkunst die »Kunst der Beredsamkeit« mit »einer male22 | Kant: »Kritik der Urteilskraft«. S. 238. 23 | Ebd., S. 245. 24 | Ebd. 25 | Ebd., S. 248.
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rischen Darstellung ihrer Subjekte«.26 Weil im Theater verschiedene Künste miteinander verbunden werden, wird der Kunstcharakter fraglich. Vor allem die Verortung in der Rhetorik, als Kunst der Beredsamkeit, stellt die Kunstform ›Theater‹ in Frage. Gerade die Kunst des Redners muss sich auf besondere Weise von anderen Formen der Arbeit abgrenzen. Von der Position des Betrachters aus muss sie »unabsichtlich« erscheinen und »sich von selbst so zu fügen scheinen«, um zu den schönen Künsten zu gehören: »Daher alles Gesuchte und Peinliche darin vermieden werden muß; denn schöne Kunst muß in doppelter Bedeutung freie Kunst sein: sowohl daß sie nicht als Lohngeschäft eine Arbeit sei, deren Größe sich nach einem bestimmten Maßstabe beurteilen, erzwingen oder bezahlen läßt; sondern auch, daß das Gemüt sich zwar beschäftigt, aber dabei doch, ohne auf einen anderen Zweck hinauszusehen (unabhängig vom Lohne), befriedigt und erweckt fühlt.«27
Es ist die Abhängigkeit vom Zuschauer, ihre Ausrichtung auf Effekte, die der Beredsamkeit ihren Status als Kunstform streitig machen. Wenn die ›schöne Kunst‹ sich nach Kant allein durch die sich ihr eigenen Qualitäten auszeichnet, deren Hervorbringungen zwar den Regeln der Natur folgen, die aber nicht kommunizierbar sind, dann stellt die Aufführungssituation der performativen Künste, und allen voran der Schauspielkunst, diese Bestimmung in Frage. Zeichnet sich das Genie durch die Unabhängigkeit des Künstlers von fremden Regeln aus, dann ist es gerade die theatrale Kunst, der Moment der Aufführung, der einem solchen Anspruch zuwiderläuft. Nicht nur, dass der Schauspieler für seine Darstellungen direkt bezahlt wird und es damit im Marx’schen Sinne zwischen Produktion und Konsumtion kein zeitliches Intervall gibt. In der Aufführungssituation ist der Schauspieler auch in besonderem Maße von den Reaktionen des Publikums abhängig. Gerade weil diese Abhängigkeit offensichtlich ist, weil der Schauspieler selbst Zeuge der Wirkungen seines Tuns ist, dürfen diese Wirkungen nicht als ›geplant‹ erscheinen. In der schauspielerischen Darstellung darf sich die Besonderheit der theatralen Produktion – die Gegenwärtigkeit des Moments, die Überlagerung von realer Person und Figur – nicht zeigen. Das, was die Besonderheit des Theaters ausmacht, muss versteckt werden. Dies ist der Preis, der zu zahlen ist, damit das Theater als schöne Kunst anerkannt werden kann.
26 | Kant: »Kritik der Urteilskraft«. S. 264. 27 | Ebd., S. 259.
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K AMPF UM L EGITIMATION : D IE K UNSTFORM ›THE ATER‹ Anders als die bildende Kunst oder die Dichtkunst hat es die Schauspielkunst28 schwer, sich als Kunstform zu etablieren: »Das Schauspielen hat keinen Grund und Boden, es ist nichts Selbstständiges, nichts für sich Bestehendes, sondern ein durch das Dichtwerk Bedingtes, und mit seiner Erscheinung zugleich Erlöschendes«29, erklärt der Philosoph Wilhelm Hebenstreit noch Mitte des 19. Jahrhunderts und weist der Schauspielkunst nur den Status einer »sogenannten Kunst« zu. Das Theater als ›flüchtige Kunst‹ kann sich nicht auf die Autonomie eines Werkes berufen, das jenseits des Hervorbringens, jenseits der Rezeption durch den Zuschauer besteht. Noch kann es weitergegeben werden. Die Aufführung hat keinen »Grund und Boden«: Sie kann nicht zum Eigentum werden, kann von niemand besessen, eingezäumt und beherrscht werden. Betrachtet man die verschiedenen Versuche um 1800, das Theater als Kunstform zu legitimieren, so setzen sie an dieser – ja auch von Kant beschriebenen – Abhängigkeit an. Dabei dreht sich die Diskussion vor allem um zwei Probleme: die mangelnde gesellschaftliche Anerkennung des Schauspielers, und damit seine Infragestellung als Künstler, sowie die Medialität der Aufführung, die keine notierbaren und tradierbaren Werke hervorbringt. Die Konstitution der schauspielerischen Darstellung als Selbstausstellung vor anderen stellt das Theater als künstlerische Praxis unter den Generalverdacht der Prostitution – von Rousseau als einem der prominentesten Theaterfeinde formuliert und als Denkfigur von Marx übernommen –, und stellt damit auch zugleich den Status des Schauspielers als Künstler in Frage. Als Reaktion darauf hat der Anspruch von Theatertheoretikern das Theater nicht als soziale Praxis zu begreifen, sondern es als Kunstform zu legitimieren wie auch die Abgrenzung des Theaters vom Handwerk zu betreiben auch handfeste politische und ökonomische Gründe: die Sicherung von Einkommen und Arbeitsmöglichkeiten.30 Dem Theater einen ›Grund‹ zu geben, ist deshalb das Anliegen zahlreicher Schriften im ausgehenden 18. Jahrhundert, die über die Reflexion der Theaterpraxis eine Theoretisierung der Schauspielkunst voranzutreiben 28 | Der Begriff Theater als übergeordnete Bezeichnung für die Kunstform löst die Bezeichnung Schauspielkunst erst relativ spät ab. Vgl. dazu: Schramm: »Theatralität und Öffentlichkeit«. 29 | Wilhelm Hebenstreit: Das Schauspielwesen. Dargestellt auf dem Standpunkte der Kunst, der Gesetzgebung und des Bürgerthums. Wien 1843. S. 36. 30 | Das Theater im 18. Jahrhundert ist durch die Überlagerung verschiedener Formen der Abhängigkeit geprägt. Die Theatertruppen sind zeitweilig an den Hoftheatern engagiert, dann wiederum auf Wanderschaft. Dabei waren sie nicht nur einem dortigen bürgerlichen Publikum verpflichtet, sondern in der Beantragung von Spielerlaubnissen auch von Politik, Kirche und Zensur abhängig.
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versuchen, um so durch (Selbst-)Bildung der Schauspieler eine Anerkennung des Schauspielens als Künstler zu erreichen: Sei es in Christlob Mylius »Versuch eines Beweises, das die Schauspielkunst eine freye Kunst sei«31 oder in Johann Jakob Engels Ideen zur Mimik.32 Auch die Gründung einer »SchauspielerAkademie« durch den Schauspiel-Prinzipal Konrad Ekhof in Schwerin zielt auf die Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung des Schauspielers. Mit einer eigenen Satzung ausgestattet, sollte in regelmäßigen Sitzungen über schauspielerische Praxis reflektiert werden. In seiner Rede über die »Gramatik [!] der Schauspielkunst« bei der Sitzung vom 30.06.1753 fordert Ekhof: »Lassen Sie uns also, meine Herrn und Damen, die Gramatik [!] der Schauspielkunst studieren, wenn ich so sagen darf, und uns mit den Mitteln bekannter machen, durch deren Anwendung wir zu der Fähigkeit gelangen, die Ursachen von allem einzusehen, nichts ohne hinlänglichen Grund zu reden noch zu thun, und den Namen eines Freykünstlers mit Recht zu verdienen.« 33
In der Selbstreflexion des eigenen Tuns als einer Form der Selbstbildung sieht Ekhof die Möglichkeit, die Schauspielkunst den anderen Künsten gleichzustellen: Ein verbindliches Regelsystem soll an die Stelle der individuellen und subjektiven Darstellungstechniken des einzelnen Schauspielers treten. Ziel ist dabei, nicht nur eine Objektivierung der Schauspielpraxis zu erreichen, sondern zugleich auch ein neues Bewusstsein der Schauspieler, von denen Ekhof fordert, »vor anderen in seinem Leben ein ehrbares, gesetztes und vernünftiges Wesen« zu zeigen, »um die Vorurtheile zu erstiken, die diesen Stand so häufig verfolgen«.34 So beziehen sich die in der Satzung formulierten Regeln nur zum Teil auf die künstlerische Praxis, zu den Themen der Sitzungen gehören auch »bescheiden[e] Anmerkungen über unsere Pflichten im gemeinen Leben«35. Die Bestimmung der künstlerischen Praxis ›Theater‹ ist somit zugleich verbunden mit einem Programm der Selbstdisziplinierung. Der Schauspieler muss 31 | Christlob Mylius: »Versuch eines Beweises, dass die Schauspielkunst eine freye Kunst sey«. In: Beyträge zur Historie und Aufnahme des Theaters. Hg. Gottfried Ephraim Lessing/Christlob Mylius. Erstes Stück. Stuttgart 1750 (Reprint Leipzig 1976). S. 1-13. 32 | Johann Jakob Engel: Ideen zur Mimik. Zwei Theile. Berlin 1785/86 (Reprint Darmstadt 1968). Notwendig wird für Engel der Entwurf eines Regelsystems für die Schauspielkunst, weil dort »die Verachtung der Kunst immer zugleich die Person streift«. S. 30. 33 | Conrad Ekhof: Journal der Academie der Schönemannischen Gesellschaft. Wortgetreuer Abdruck in Heinz Kindermann: Conrad Ekhofs Schauspieler-Akademie. Wien 1956. S. 21. Vgl. dazu auch Wolfgang Bender: Schauspielkunst im 18. Jahrhundert. Stuttgart 1992. 34 | Ekhof: Journal. S. 32. 35 | Ebd., S. 13.
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in diesem Sinne an zweierlei arbeiten: an sich selbst und seinem Auftreten als sozialer Person wie auch an der Form seiner Darstellung selbst. Beidem gilt es, nach Ekhof, Regeln zu geben. Wenn Friedrich Hegel in seinen Vorlesungen über die Ästhetik Anfang des 19. Jahrhunderts erklärt: »[m]an heißt jetzt die Schauspieler Künstler und zollt ihnen die ganze Ehre eines künstlerischen Berufs; ein Schauspieler zu sein, ist unserer heutigen Gesinnung nach weder ein moralischer noch ein gesellschaftlicher Makel. Und zwar mit Recht […]«36, dann scheinen die Bestrebungen Ekhofs Früchte getragen zu haben. Zur Kunst wird auch für Hegel das Schauspielen aber erst vor dem Hintergrund harter Arbeit, weil es »viel Talent, Verstand, Ausdauer, Fleiß, Übung, Kenntnis, ja auf dem Gipfelpunkte, selbst einen reichbegabten Genius fordert«37. Anders aber als andere Künstler agiert auch für Hegel der Schauspieler nicht autonom. Er definiert den Schauspieler als »ausübenden Künstler« und weist dem Theater den Status einer »reproduktiven Kunst« zu, »in welcher der ganze Mensch das vom Menschen produzierte Kunstwerk reproduzierend darstellt«.38 Das Schöpferische der schauspielerischen Darstellung liegt in der Auseinandersetzung mit dem Drama. Der Schauspieler soll nicht nur in die »Rolle eindringen«, sondern »soll mit eigener Persönlichkeit in vielen Punkten ergänzen, Lücken ausfüllen, Übergänge finden, insofern er alle geheimen Intentionen und tiefer liegenden Meisterzüge desselben zu lebendiger Gegenwart sichtbar herausführt und fassbar macht«.39 Die schauspielerische Arbeit wird vor allem als geistige Arbeit verstanden, die etwas Eigenes produziert, jedoch immer den dramatischen Text zum Ausgangspunkt hat. Die Verpflichtung auf die dramatische Dichtung ist die Voraussetzung für die Aufnahme in den Rang einer ›schönen Kunst‹. Während sich also auf der einen Seite das System der Künste ausdifferenziert, mit Entwicklung der Ästhetik eine Reflexion über die verschiedenen Kunstformen einsetzt, mit der Ausformulierung eines autonomen Kunstbegriffs und der Genieästhetik sich die Kunst von der Arbeit abgrenzt, wird zugleich der Status des Theaters als eigenständige Kunstform in Frage gestellt. Die Abhängigkeit des Schauspielers von der Situation der Aufführung, dem Zuschauer, vom dramatischen Text, den Vorstellungen des Autors, die Anbindung der Darstellung an den Körper des Schauspielers, das Fehlen eines materiellen Werks – was bereits im Verhältnis von Theater und Arbeit als problematisch bestimmt wurde, wird nun auch für das Theater als Kunstform zum Problem. 36 | Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik. Frankfurt a.M. 1993. Bd. III, S. 515. 37 | Ebd. 38 | Ebd., S. 589. 39 | Ebd., S. 515.
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Als Antwort wird eine Objektivierung der Schauspielkunst angestrebt: in der Verpflichtung auf den dramatischen Text und den Anspruch an den Schauspieler, an der schauspielerischen Darstellung sowie an sich selbst zu arbeiten. Um das Theater in diesem Sinne als Kunstform zu legitimieren, wird deshalb eine besondere Form der Arbeit am Theater eingeführt beziehungsweise aufgewertet: die Probe. Wenn also der Diskurs über die theatrale Praxis um 1800 von Bestrebungen nach gesellschaftlicher Anerkennung und der Ausrichtung auf das Drama geprägt ist, stellt sich vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen die Frage, wie sich die Arbeit am Theater als Theater-Arbeit und damit eigenständige künstlerische Praxis emanzipiert. Dieser Fragestellung soll anhand der historischen Entwicklung der Theaterprobe nachgegangen werden.
3 Proben als Arbeit am Theater
Die Arbeit am Theater und damit die Tätigkeiten, die der Aufführung vorausgehen und als spezifisch künstlerische Praxis dem Theater zugerechnet werden, wird meist unter dem Begriff der Probe gefasst. Jemand, der an einer Aufführung arbeitet, probt, probiert, versucht. Dabei werden verschiedene andere Tätigkeiten, die im Vorfeld einer Aufführung nötig sind, ausgeklammert: das Schreiben eines Dramas oder das Erstellen eines Konzepts für eine Performance, das Entwerfen von Kostümen und Bühnenbild, das Bauen und Schneidern, das Komponieren der Musik oder das Schreiben des Programmbuchs. Alle diese Tätigkeiten sind aber nicht exklusiv der Arbeit am Theater zugeordnet: Sie enden in etwas anderem als der Aufführung, auch wenn sie Teil der Aufführung sind. Diejenige Tätigkeit, die allein in den Bereich des Theaters gehört, ist das Proben. Fragt man nach dem Verhältnis von Theater und Arbeit, so drängt sich der Blick auf die Probe als spezifisch theatrale Arbeitssituation auf. Durch welche Eigenschaften zeichnet sich die Probe – und im Besonderen die Probe am Theater – aus? Ein Blick auf die Semantik des Probenbegriffs zeigt, dass sich hier ein viel weiteres Feld öffnet als das des Theaters. Wir sprechen davon, dass wir einen Menschen ›auf Probe einstellen‹. Wir fahren ein Auto ›zur Probe‹. Wir probieren ein Kleidungsstück, lassen die Maschine ›zur Probe‹ laufen. Dies alles sind Handlungen, die vor der eigentlichen Handlung liegen, vor dem Vertrag, vor dem Kauf oder bevor die Maschine unter realen Bedingungen funktionieren muss. Die Formulierung »auf Probe« beinhaltet immer eine gewisse Vorläufigkeit, beschreibt einen Prozess, der mit der endgültigen Entscheidung für ein Auto, einen neuen Mitarbeiter, ein Kleidungsstück abgeschlossen ist. Proben bezeichnet damit einen Zeitraum, in dem die einzelne Handlung eingeschränkte Konsequenzen hat – ich gebe noch kein Geld aus, kann aber durchaus den zur Probe geliehenen Wagen zu Schrott fahren. In der Probe testen wir Möglichkeiten, suchen nach Schwachstellen oder probieren Interaktionsformen mit einem Menschen, ohne uns direkt verpflichten zu müssen. Es ist das Durchspielen eines Vorgangs unter möglichst realen Bedingungen, aber mit beschränkter Haftung. Damit gehört zur Probe auch immer ein Moment der Freiheit, sich
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doch anders entscheiden zu können, einen Aspekt zu finden, den man nicht vermutet hat. Sie ist immer auch Möglichkeitsraum. Nun gelten alle diese Aussagen über die Probe auch für das Theater. Auch hier werden innerhalb eines definierten Rahmens Situationen durchgespielt und findet eine besondere Form der Interaktion statt. Auch der Theaterrahmen ist über den Status des konsequenzverminderten Handelns definiert. Was ist also das Besondere der Probe auf dem Theater? Wenn ich nicht aus der Perspektive des Zuschauers auf die Aufführung schaue, sondern aus der Perspektive der Theaterpraktikerin, dann hat die Aufführung für den einzelnen Beteiligten durchaus reale Konsequenzen. Es erscheinen Kritiken, Zuschauer bezahlen Geld. Vom Erfolg ist die weitere künstlerische Laufbahn abhängig. Dagegen eröffnet das Proben die Möglichkeit, Theaterformen auszuprobieren, ohne an diese Konsequenzen denken zu müssen. Die Probebühne ist damit immer auch ein Schutzraum. Die Probe ist das Theater vor dem eigentlichen Theater: der Aufführung. Ein Theater, das nur vorübergehend da ist, das auf seine eigentliche Bestimmung – die Aufführung – wartet. Die Probe ist der Ort, an dem die Aufführung konzipiert und ihre Modelle durchgespielt werden. Proben beschreibt damit einen spezifischen Prozess des Produzierens wie auch eine besondere Beobachtungssituation, eine Form kollektiver Kreativität. In diesem Spannungsfeld zwischen Produzieren, Beobachten und Interagieren lässt sich eine neue Perspektive auf Fragen der künstlerischen Praxis – als einer Ästhetik des Produzierens – werfen. Bevor aber der Probenbegriff genauer differenziert wird, möchte ich zu Beginn meiner Überlegungen die Probenpraxis in einen historischen Zusammenhang stellen: Mit Hilfe der Erzählung einer ›vergessenen Probe‹.
D AS TR AUMA : D IE VERGESSENE P ROBE Der junge Wilhelm Meister besucht seine Angebetete, die Schauspielerin Mariane. Ausgehend von einem Gespräch über das Theater wird er von ihrer Bediensteten gefragt, »wie [seine] Liebhaberei zum Schauspiele nach und nach gewachsen sei«1 . Wilhelm antwortet mit der Erzählung eines Kindheitserlebnisses. Gelangweilt vom Spiel mit den Nachbarsjungen sei ihm der Epos Das befreite Jerusalem in die Hände gefallen. Wilhelm verschlingt den Text, völlig begeistert von dem Gedicht entsteht bei ihm der Wunsch, »es auf irgendeine Weise vorzustellen«:
1 | Johann Wolfgang von Goethe: »Wilhelm Meisters Lehrjahre«. In: ders.: HA. Bd. 7, S. 25.
3 P ROBEN ALS A RBEIT AM T HEATER »Ich wollte Tankreden und Reinalden spielen, und fand dazu zwei Rüstungen ganz bereit, die ich schon gefertigt hatte. Die eine, von dunkelgrauem Papier mit Schuppen, sollte den ersten Tankred, die andere, von Silber- und Goldpapier den glänzenden Reinald zieren. In der Lebhaftigkeit meiner Vorstellung erzählte ich alles meinen Gespanen, die davon ganz entzückt wurden, und nur nicht wohl begreifen konnten, daß das alles aufgeführt, und zwar von ihnen aufgeführt werden sollte. Diesen Zweifeln half ich mit vieler Leichtigkeit ab. Ich disponierte gleich über ein paar Zimmer in eines benachbarten Gespielen Haus, ohne zu berechnen, daß die alte Tante sie nimmermehr hergeben würde; ebenso war es mit dem Theater, wovon ich auch keine bestimmte Idee hatte, außer daß man es auf Balken setzt, die Kulissen von geteilten spanischen Wänden hinstellen und zum Grund ein großes Tuch nehmen müsse. Woher aber die Materialien und Gerätschaften kommen sollten, hatte ich nicht bedacht. Für den Wald fanden wir eine gute Auskunft: wir gaben einem alten Bedienten aus einem der Häuser, der nun Förster geworden war, gute Worte, daß er uns junge Birken und Fichten schaffen möchte, die auch wirklich geschwinder, als wir hoffen konnten, herbeigebracht wurden. Nun aber fand man sich in großer Verlegenheit, wie man das Stück, eh’ die Bäume verdorrten, zu Stande bringen könne. Da war guter Rat teuer, es fehlte an Platz, am Theater, an Vorhängen. Die spanischen Wände waren das einzige, was wir hatten. In dieser Verlegenheit gingen wir wieder den Lieutenant an, dem wir eine weitläufige Beschreibung von der Herrlichkeit machten, die es geben sollte. So wenig er uns begriff, so behülflich war er, schob in eine kleine Stube, was sich von Tischen im Hause und Nachbarschaft nur finden wollte, aneinander, stellte die Wände darauf, machte eine hintere Aussicht von grünen Vorhängen, die Bäume wurden auch gleich mit in die Reihe gestellt. Indessen war es Abend geworden, man hatte die Lichter angezündet, die Mägde und Kinder saßen auf ihren Plätzen, das Stück sollte angehn, die ganze Heldenschar war angezogen; nun spürte aber jeder zum erstenmal, daß er nicht wisse, was er zu sagen habe. In der Hitze der Empfindung, da ich ganz von meinem Gegenstande durchdrungen war, hatte ich vergessen, daß doch jeder wissen müsse, was und wo er es zu sagen habe, und in der Lebhaftigkeit der Ausführung war es den anderen auch nicht eingefallen; sie glaubten, sie würden sich leicht als Helden darstellen, leicht so handeln und reden können wie die Personen, in deren Welt ich sie versetzt hatte. Sie standen alle erstaunt, fragten sich einander, was zuerst kommen sollte? und ich, der ich mich als Tranced vorne an gedacht hatte, fing, allein auftretend, einige Verse aus dem Heldengedichte herzusagen. Weil aber die Stelle gar zu bald ins Erzählende überging, und ich in meiner eignen Rede endlich als dritte Person vorkam, auch der Gottfried, von dem die Sprache war, nicht herauskommen wollte, so mußte ich unter großem Gelächter meiner Zuschauer eben wieder abziehen, ein Unfall, der mich tief in der Seele kränkte.« 2
2 | Goethe: »Wilhelm Meisters Lehrjahre«. S. 27ff.
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Wilhelm erzählt die Geschichte eines Scheiterns. Völlig gebannt von seinem Lektüreerlebnis versucht er sich an einer Aufführung des Gedichts. Er möchte seine Erlebnisse vermitteln, an seine Freunde wie an die Zuschauer, und vergisst darüber das Proben als Voraussetzung des Vermittlungsprozesses. Keiner der Mitspieler kennt seine Rolle, keiner weiß seinen Text. Wilhelms imaginäre Vorstellung der Darstellung und ihre konkrete szenische Umsetzung, Text und Aktion bleiben voneinander getrennt. Wilhelm gelingt es nicht, seine Vorstellungen auf der Bühne zu realisieren: Er scheitert am eigenen Anspruch. Dieses Scheitern lässt sich anhand von vier Fehlern analysieren. Erster Fehler: Wilhelm versucht ein »Stück« aufzuführen, »das nicht existiert[]«: »Ich war völlig überzeugt, daß alles, was in der Erzählung ergötzte, vorgestellt eine viel größere Wirkung tun müsse; alles sollte vor meinen Augen, alles auf der Bühne vorgehen.«3 Er verkennt die Problematik der Transformation der Prozesse der Imagination in der individuellen Lektüre in eine szenische Darstellung. Ebenso wird die Besonderheit des dramatischen Textes von Wilhelm ignoriert. Wilhelm vergisst, dass ein episches Gedicht keine Dialoge kennt. Die Theaterform, die ihm vorschwebt, passt nicht zur Form des Materials, das er für die Aufführung wählt. Wilhelm scheitert daran, dass er die Voraussetzungen und konstitutiven Charakteristika des jeweiligen Materials und Mediums ignoriert. Er negiert die Differenz zwischen der Medialität des Textes und der Aufführung. Zweiter Fehler: Wilhelm weiß zwar verschiedene Bekannte und Bedienstete in den Dienst der Theateraufführung zu stellen, kann aber weder seine Vorstellung den anderen Beteiligten vermitteln, noch gelingt es ihm, den Prozess des Produzierens angemessen zu organisieren. Beispielhaft deutlich wird dies am profanen Umstand, dass die Äste und Zweige zu schnell geliefert werden und zu verdorren drohen. Ihre Haltbarkeit gibt damit den viel zu nahen Endpunkt des Probenprozesses vor. Der zeitliche Rahmen wird nicht durch die notwendige Vorbereitung im Sinne eines Probens der Abläufe bestimmt, sondern durch den vergänglichen Charakter des Bühnenbildes. Wilhelm scheitert an der Organisation des Vorbereitungsprozesses. Es fehlen ein Konzept zur Umsetzung und ein zeitlicher Plan, der sein Vorgehen regelt. Dritter Fehler: Wilhelm vergisst, seinen Freunden Handlungsanweisungen zu geben, den Text und die Abläufe durchzuspielen. Er vergisst zu proben. Vorbereitet werden nur der Raum und die Kostüme. Die szenische Darstellung, die nicht durch einen konkreten Herstellungsprozess im Sinne des Produzierens einer Sache (wie eines Kostüms) bestimmt ist, liegt als zu erarbeitender Vorgang außerhalb der Vorstellungskraft Wilhelms. Wilhelm verkennt, dass jede Aufführung eine Interaktion der Beteiligten einschließt, dass es eine Verständigung über den Rahmen, die Form, die Funktion jedes Einzelnen geben muss. 3 | Goethe: »Wilhelm Meisters Lehrjahre«. S. 30.
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Vierter Fehler: Die Aufführung scheitert damit auch an der fehlenden Darstellungspraxis der Darsteller. Gerade weil die Aufführung nicht vorbereitet wurde, weil sie keine Wiederholung eines erarbeiteten Prozesses ist, muss sie scheitern. Wilhelm erkennt nicht, dass im Akt der Wiederholung eine Sicherung von Wissen liegt. Durch die Simulation der Aufführung in der Probe hätten die Darsteller ihre Texte gelernt und in der Aufführung wiederholen können. So aber wird die Szene zu einer unfreiwilligen Improvisation, über die weder Wilhelm noch die einzelnen Darsteller Kontrolle haben. Anhand dieser vier Fehler im Vorbereitungsprozess lassen sich die wichtigsten Parameter einer möglichen Probenpraxis herausarbeiten: Prozesse des Imaginierens und deren Transformation, Organisation und Interaktion, Überprüfung und Wiederholung. Weil Wilhelm in seinem ersten Versuch, Theater zu machen, keinen dieser Aspekte berücksichtigt, scheitert er: »Verunglückt war die Expedition.«4 Das Wagnis, eine Reise ins Neue zu unternehmen, das mit jeder Theateraufführung verbunden ist, misslingt. Dieses Scheitern der Aufführung wird vor allem durch die Position der Zuschauer belegt, die in ihren Erwartungen enttäuscht sind: »[…] die Zuschauer saßen da und wollten etwas sehen. Gekleidet waren wir; ich raffte mich zusammen und entschloß mich kurz und gut, David und Goliath zu spielen. Einige der Gesellschaft hatten ehemals das Puppenspiel mit mir aufgeführt […]; man teilte die Rollen aus, es versprach jeder sein Bestes zu tun, und ein kleiner drolliger Junge malte sich einen schwarzen Bart, um, wenn ja eine Lücke einfallen sollte, sie als Hanswurst mit einer Posse auszufüllen, eine Anstalt, die ich, als dem Ernste des Stücks zuwider, sehr ungern geschehen ließ. Doch schwur ich mir, wenn ich nur einmal aus dieser Verlegenheit gerettet wäre, mich nie, als mit der größten Überlegung, an die Vorstellung eines Stücks zu wagen.« 5
Der Rückgriff auf ein bekanntes Stück – David und Goliath ist das erste Stück, das Wilhelm als Kind gesehen hat – und auf eine andere Theaterform, das Extemporieren, unterstreicht Wilhelms Scheitern auf einer weiteren Ebene. In seiner Not greift er zur Wiederholung von Bekanntem. Vor allem die Figur des Hanswurst und sein improvisiertes Spiel unterstreichen das Scheitern des Projekts. Der Hanswurst orientiert sich an den Publikumsreaktionen und nicht an der Vorgabe des Textes – dessen Lektüre ja der Ausgangspunkt des theatralen Unternehmens war. Mit dem Auftritt des Hanswurst wird aber noch eine weitere Unkalkulierbarkeit des theatralen Unternehmens offensichtlich. Denn was Wilhelm als Scheitern seines Projekts erscheint, ist in den Augen der sich unterhaltenden 4 | Goethe: »Wilhelm Meisters Lehrjahre«. S. 29. 5 | Ebd.
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Zuschauer durchaus erfolgreich: Sie finden Gefallen am Spiel des Hanswurst. Das Scheitern manifestiert sich im Anspruch an eine spezifische Form des Theaters und stellt auch den einen möglichen Probenprozess zur Vorbereitung in Frage. Selbst wenn Wilhelm über Proben seine Vorstellung der Aufführung umzusetzen gewusst hätte, wäre ihm damit der Erfolg noch nicht gewiss gewesen: Auch die genaue und sorgsame Planung kann keine beim Publikum erfolgreiche Aufführung gewährleisten. Es gibt immer noch etwas, das sich der Kontrolle entzieht: die Reaktion der Zuschauer. Diese Schlüsselstelle des Romans findet sich sowohl in Wilhelm Meisters theatralischer Sendung (in der dritten Person erzählt) wie auch in den zwanzig Jahre später erschienenen Lehrjahren6. Die vergessene Probe wird zum Trauma und Ausgangspunkt für die Suche und Sehnsucht Wilhelms nach dem Theater. Dass die erste theaterpraktische Erfahrung Wilhelms mit einem Scheitern beginnt, verweist auf eine Form der Problematisierung der Theaterpraxis, die sich durch den gesamten Roman zieht. Jeder Versuch, jedes neue Unterfangen der Etablierung einer Theatergruppe, der Erarbeitung einer Aufführung oder auch Wilhelms Theaterlaufbahn selbst: Jeder neue Versuch steht letztlich am Rande des Scheiterns. Zum Teil ist dieses Scheitern selbst verschuldet, beispielsweise in der Selbstüberschätzung, oft aber auch Zufällen geschuldet, wie dem Diebstahl der Requisiten. Das ›Unternehmen‹ Theater scheint immer gefährdet – von inneren wie äußeren Anfechtungen. Was die Arbeit am Theater hervorbringt, scheint sich der Kontrolle der Beteiligten letztlich zu entziehen. Die Forschungsliteratur hat den Roman als Auseinandersetzung mit den Veränderungen der frühkapitalistischen Arbeitsgesellschaft7, dem Entstehen einer bürgerlichen Öffentlichkeit8 oder als Entwurf eines Konzepts des homo oecomicus9 bestimmt. Dass diese Fragen auch anhand der Theaterpraxis verhandelt werden, eröffnet nicht nur die Perspektive auf das Theater als Modell und Metapher für Veränderungen in der Arbeitsgesellschaft, sondern stellt den Roman auch als Zeugnis der Veränderungen der Arbeit am Theater selbst aus, weniger als ein Beleg oder Dokument der Probenpraxis Goethes,10 sondern 6 | Während in Wilhelm Meisters theatralische Sendung noch das Theater im Mittelpunkt steht, wird in der zwanzigjährigen Umarbeitungszeit zu den Lehrjahren der Bildungsgang des Protagonisten wichtig. Wilhelms Theaterleidenschaft ist nur eine Stufe auf dem Weg zu einem besseren, tätigen Leben, das mit Bildung und Erziehung verbunden wird. 7 | Georg Lukács: »Wilhelm Meisters Lehrjahre«. In: ders: Schriften zur Literatursoziologie. Neuwied/Darmstadt/Berlin 1961. S. 383-402. S. 386. 8 | Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Frankfurt a.M. 1990. 9 | Joseph Vogl: Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen. Zürich 2004. 10 | Gerade die Probenprozesse werden im Sinne einer positivistischen Theatergeschichtsschreibung als Programmatik der Probenarbeit Goethes gelesen. So spricht
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vielmehr als eine Auseinandersetzung mit Konzepten theatraler Praxis. Ausgehandelt wird, wie die Arbeit am Theater zu organisieren sei: als kollektive Probenarbeit oder als dramaturgisch-konzeptionelle Arbeit – in Wilhelms Lektüre des Hamlet-Monologs.11 Sie wird in ihrer Abhängigkeit von Auftraggebern oder dem Publikum, im Verhältnis von Dramatiker und Aufführung betrachtet. Ihre ökonomischen Bedingungen rücken ins Blickfeld. Formen kollektiver Kreativität werden diskutiert. Dabei wird die Arbeit am Theater immer in einem Spannungsfeld bestimmt: zwischen dem Theater als sozialer Praxis, dem Theatermachen als Spiel und Unterhaltung (Wilhelm hat beim Improvisieren mit den anderen Schauspielern Spaß), der theatralen Praxis als ernsthafter künstlerischer Arbeit, die dialogisch oder individuell zu verrichten ist (und von der Geselligkeit der Schauspieltruppe immer wieder in Frage gestellt wird) und schließlich der Arbeit des Bürgers jenseits der Kunstausübung. Die Arbeit am Theater ist widersprüchlich, gefährdet, verführt zu Müßiggang und bedarf dennoch der Ausdauer und Disziplin. Sie muss im Spiel aufgehen und zugleich Arbeit bleiben. Dass dabei die vergessene Probe am Anfang steht, macht sie zum Trauma und das Proben selbst zur Gründungsfigur einer anderen Vorstellung von Theater: Mit der Probe wird ein Konzept des Arbeitens in die Theaterpraxis eingeführt, das Planbarkeit und Sicherheit des theatralen Prozesses gewährleisten soll – auch wenn die Bedingungen des Produzierens dieser Kalkulierbarkeit widersprechen. Indem ich Wilhelms Geschichte an den Beginn meiner Überlegungen stelle, möchte ich auf den Beginn des Probendiskurses blicken, auf das Wechselverhältnis von Ökonomie und ästhetischem Diskurs, von Arbeitskonzepten und künstlerischer Praxis, von den Formen der Organisation kreativer Momente und den Bedingungen des Produzierens in einer historischen Perspektive. Außerdem soll mit dem Topos der vergessenen Probe auch die Besonderheit des theatralen Produzierens hervorgehoben werden: Das Theater braucht, um stattzufinden, nicht zwingend gemeinsame Proben. Als soziale Praxis findet Theater in der Versammlung statt, jenseits erarbeiteter und geprobter szenischer Konzepte. Der Auftritt des Hanswursts verweist auf ein gemeinsames Wissen von Schauspieler und Zuschauern um Vorstellungen von Theater. Und dennoch wird in der Geschichte eine Notwendigkeit und ein Bedürfnis zu Proben formuliert: als Generierung und Sicherung von Wissen der theatralen Praxis. Ohne Probe, ohne festen Text, ohne Sicherheit auf eine Bühne gestellt zu werden, ist ein Albtraum, der sich nicht nur durch viele Schauspielerbiografien zieht. In diesem Trauma spiegelt sich auch eine spezifische ErFriedrich Ludwig Schmidt von einem »Katechismus für Schauspieler«. Zitiert nach Julius Wahle: Das Weimarer Hoftheater unter Goethes Leitung. Weimar 1898. S. 78. 11 | Vgl. Wilhelms ›Dramaturgische Sitzungen‹ mit Serlo in »Wilhelm Meisters Lehrjahre«. In: Goethe: HA. Bd. 7, S. 293ff.
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wartungshaltung der Zuschauer wie des Darstellers wider: die Erwartung, dass derjenige, der auftritt, weiß, was er tut; dass sein Tun überlegt ist und er Verantwortung für das Dargestellte übernimmt. Vor allem aber ist mit der Probenarbeit die Erwartung verbunden, dass etwas gezeigt wird, das bisher den Zuschauern nicht bekannt ist und möglicherweise jenseits der Arbeit im Proben auch nicht darstellbar wäre. Notwendig wird die Probenarbeit erst dann, wenn in der Aufführung nicht mehr auf vorhandenes und allgemein bekanntes Material zurückgegriffen werden kann und soll.
P ROBEN , RÉPÉ TER , TO REHE ARSE : B EGRIFFSGESCHICHTE DER P ROBE Vergleicht man die Begriffe für den Herstellungsprozess einer Inszenierung im europäischen Kontext, so fällt auf, dass sich zwei Begriffsfelder gegenüberstehen. Auf der einen Seite der Aspekt des Versuchs und der Prüfung, wie er sich im deutschen proben, im italienischen fare le prove oder im spanischen ensayer findet. Andererseits der Aspekt der Wiederholung, der im französischen répéter betont wird. Auch der englische Begriff rehearsal verweist auf die Wiederholung.12 Gerade im Kontext des zeitgenössischen Theaters wie auch der Theaterreformen um 1900 scheint das Konzept des Versuchens den Herstellungsprozess besser zu fassen, wie Patrice Pavis mit Verweis auf Peter Brook anmerkt: »L’allemand Probe (›essayage‹) rend beaucoup mieux l’idée d’une expérimentation et d’un tâtonnement avant l’adaption de la solution définitive.«13 Auch wenn die répétition als Wiederholung, wie auch Brook und Pavis unterstreichen, unabdingbarer Bestandteil der Probenarbeit sei, betone sie dennoch das Mechanische und das Wiederkehrende.14 Dagegen wird der deutsche Begriff der Probe im Bereich des Experimentellen verortet: als eine Form des Suchprozesses. Der Topos des Theaters als Experiment wird bereits im Probenbegriff aufgerufen. 12 | Jedoch eröffnet seine ursprüngliche Bedeutung ein anderes Bild, mit dem der Probenprozess umschrieben werden kann. Etymologisch entstammt er vom mittelenglischen rehercen und dem altfranzösischen rehercer, was »wiederholen« meint, ursprünglich wurde damit der Vorgang des »Wieder-Eggens« bezeichnet. Die Egge wie der Pflug bereiten den Boden für die Saat vor. Mit ihr werden die im Pflügen entstandenen Erdschollen zerkleinert. Wie im Projekt Bauerntheater die Aufführung selbst eine Vorbereitung für ein Resultat ist, das selbst nicht mehr zur Aufführung gehört, so ist das Eggen eine Technik zur Vorbereitung. Vgl. Donald M. Murray: »Rehearsing Rehearsing«. In: Rhetoric Review. Vol. 5, No. 1 (Autumn 1986). S. 50-56. 13 | Patrice Pavis: »Répétition«. In: ders.: Dictionnaire du théâtre. Paris 1980. S. 301. 14 | Vgl. dazu auch Peter Brook: Der leere Raum. Berlin 1988. S. 203.
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Das Offene und die Suche, die Pavis im Begriff der Probe findet, ist jedoch nur eine seiner Konnotationen. Betrachtet man die historische Entwicklung des Begriffs und damit die Anfänge einer Probenpraxis in Deutschland, dann schiebt sich eine andere Bedeutung in den Vordergrund. Seinen Ursprung hat der Begriff im lateinischen probare »prüfen« bzw. in probatio »Prüfung« oder »Beweis«15 . In Zedlers Universal-Lexikon wird Probe vor allem als Beweis und Akt der Überprüfung von Gegenständen definiert.16 Im Kontext des Handwerks wird aber auch die Meisterprüfung als Probe bezeichnet. Dabei bekommt der Aufführungsaspekt eine besondere Bedeutung: »Probe und Schau (auf). Der einiges Handwercks Meister werden will, muß seiner Kunst eine Probe beweisen, und solche durch Beständige besehen, und darüber urtheilen lassen, zu manchen Ende nicht bey manchen Handwercken nicht beständige Schätzer und Schauer bestellet zu seyn pflegen, so nicht nur die Meisterstücke, sondern eines Compen Arbeit schätzen und schauen müssen […], und also alles auf Probe und Schau fertigen muss.«17
Mit Probe wird damit auch die Vorführung seines Könnens mit Ziel der Beurteilung bezeichnet. Dass nicht nur das hergestellte Produkt, sondern der Arbeitsprozess selbst beurteilt wird, spricht für eine Abkoppelung des Arbeitsprozesses vom Produkt: Aus dem Produkt allein lässt sich der Wert der Arbeit nicht ermessen. Die Leistung der Arbeit als eine Vorführung des Könnens wird zu einem eigenen zu beurteilenden Aspekt. In einem ähnlichen Zusammenhang taucht der Begriff der Probe das erste Mal im Kontext des Theaters auf, wenn Adelung eine Bedeutung der Probe folgendermaßen definiert: »Zur Probe singen, spielen u.s.f. wofür man auch sagt, die Probe singen oder spielen, da es denn zur folgenden Bedeutung gehöret. Die Probe halten oder aushalten, in einem solchen Versuche gut befunden werden. «18
15 | Probatio ist vor allem im juristischen Kontext zu finden, mit dem Begriff werden verschiedene Formen des Beweises in einer Gerichtsverhandlung bezeichnet. 16 | »Probe, […] ist insgemein ein Versuch oder Untersuchung so man von einer Sache nimmt, zu erkennen, wie sie beschaffen, und ob sie ihre gehörige Güte und Richtigkeit habe.« Die erste nachgewiesene Verwendung ist die Münzprobe, die versuchte, den Wert einer Münze zu bestimmen. Vgl. Johannes Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Halle 1732-1754. Sp. 637. 17 | Ebd., Sp. 644. 18 | Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. Wien 1811. Bd. 1, Sp. 1811.
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In der Probe wird also eine spezifische darstellerische Leistung bewertet. Die Probe ist in diesem Sinne zuerst eine Form des Vorspielens oder Vorsingens, des Castings, in dem der Schauspieler seine darstellerischen Qualitäten präsentiert. Dabei ist die Probe immer auf einen Zuschauer ausgerichtet, der diese Bewertung vornimmt. Da der Schauspieler kein Werk vorlegen kann, ist die Aufführung seiner Fähigkeiten notwendig. Anders als der Handwerker hat er kein Produkt, aus dem sein Können ersichtlich wäre. Insofern bedarf es für die Probe seines Könnens einer besonderen Aufführungssituation, die zugleich Prüfung ist. Die Probe verweist aber noch auf einen anderen Aspekt: Über eine Probe kann die Beschaffenheit eines Gegenstandes bestimmt werden, ohne diesen Gegenstand in seiner Gesamtheit in den Blick zu nehmen. Über Stoffproben werden Gardinen ausgesucht, ohne diese im Ganzen vor das Fenster hängen zu müssen. Eine Schriftprobe gibt Auskunft über Art und Weise, wie ein Mensch schreibt, ohne dass er alle Buchstaben des Alphabets schreiben müsste: »Jemanden eine Probe von etwas geben, ihm einen Theil eines körperlichen Ganzen geben, das letztere daraus zu beurtheilen. Als auch von Handlungen, so fern sie Erkenntnißquellen der Beschaffenheit der handelnden Person sind.«19
Wobei die Probe immer nur einen Einblick geben kann. In der Probe wird nur ein Teil gezeigt, aus dem dann Rückschlüsse auf das Ganze gezogen werden.20 Dieser Aspekt findet sich auch im Begriff des Probierens21, der oft synonym zum Begriff des Probens verwendet wird. Anders als die Probe betont das Probieren die Perspektive des Aufführenden und weniger des Zuschauers: 19 | Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch. Sp. 1811. 20 | Diese Bedeutung der Probe als Test findet sich auch in der englischen Theaterpraxis der Renaissance. Hier wurden die ersten Vorstellungen zur besonderen Prüfung (wie in Deutschland im 18. Jahrhundert die Hauptprobe): »In fact, in the time of Shakespeare (and later), first days were separated from other days by the use of legal terminology: the play was ›tried‹ and the audience was the judge, ›trial‹ clearly being a trial of the play itself, as prologues and epilogues make clear when they played for leniency towards the playwright, generally depicted as trembling behind the curtains to await the audience’s decision.« Tiffany Stern: Rehearsal from Shakespeare to Sheridan. Oxford 2000. S. 113. Das Stück wurde dem Publikum als Probe vorgeführt, und je nachdem, wie die Zuschauer reagierten, wurde es in den Spielplan aufgenommen. Diese Praxis entspricht den heutigen Previews im Kino oder auch amerikanischer Broadwayproduktionen, die vor ihrer Aufführung in New York Testaufführungen in der Provinz zu bestehen haben. 21 | Während im späten 18. Jahrhundert der Begriff des Probierens gebräuchlich war, hat sich heute der Begriff des Probens durchgesetzt. Vgl. dazu auch Urs Hermelin: Die Fachsprache des Theaters. Düsseldorf 1969. S. 426.
3 P ROBEN ALS A RBEIT AM T HEATER »1) Die Möglichkeit und Beschaffenheit einer Sache aus Erfahrung oder eigner Empfindung zu erkennen suchen. […] Ich will es probieren, versuchen, ob die Sache möglich, oder thunlich ist. Probiere es nur.« 22
Das Tun und die eigene Erfahrung wird in diesem Sinne notwendig, um über die Eigenschaft einer Sache urteilen zu können. Ein Aspekt, den Wilhelm Meister bei der oben beschriebenen gescheiterten Aufführung vergessen hatte. Dabei kommt auch ein Möglichkeitsaspekt mit hinein: In der Probe können verschiedene Möglichkeiten durchgespielt werden, es wird geprüft, was möglich ist. Im Probieren kann somit Wissen über einen Gegenstand, einen Menschen oder die eigenen Fähigkeiten erlangt werden. Verbunden ist damit eine Offenheit des Vorgangs, mit der die Probe als etwas Vorläufiges markiert und ihr eine Stellvertreterfunktion zugeschrieben wird. Über das Probieren werden Erfahrungen gemacht, die dann jenseits der Probe angewendet werden können. Das Durchspielen von Möglichkeiten scheint auf den zweiten Bedeutungskomplex der Probe zu verweisen: den Versuch. Er bildet sich Ende des 18. Jahrhunderts heraus und bezeichnet die Arbeit an der Aufführung. Erst im Deutschen Wörterbuch findet sich der Begriff der Theaterprobe: »der lese-, spiel-, gesangversuch eines theatralischen oder musikalischen werkes vor der aufführung desselben.«23 In dieser Formulierung wird kein Probenprozess bezeichnet, kein zeitlicher Ablauf verschiedener Proben, sondern die einzelne Probe als Versuch, aus dem die Beschaffenheit der Aufführung erkannt werden soll. In der Formulierung haben die Künstler keine Position: Nicht ihre Arbeit, sondern der Versuch eines Werkes steht im Mittelpunkt. Es wird von einem Werk als fester Größe ausgegangen – orientiert am Drama –, das versucht, ausprobiert, überprüft werden kann. Die Probe ist also nicht die Arbeit am Werk, sondern seine Überprüfung. Wichtig ist allein die zeitliche Komponente: Das Werk wird vor der Aufführung versucht, dieser Versuch unterscheidet sich von der eigentlichen Aufführung. Eine der ersten Definitionen der Probe im Kontext des Theaters findet sich im Allgemeinen Theater-Lexikon von 1846. Auch hier wird der Aufführungsaspekt und weniger der Herstellungsprozess in den Mittelpunkt gestellt: »Probe […], im Allgemeinen die Aufführung eines dram. Gedichts ohne Kostüm, ohne vollständige Beleuchtung und vor allen Dingen ohne Publikum – also die Einübung desselben zum Zweck der öffentlichen Darstellung. Die Proben sind dazu bestimmt, das
22 | Adelung: Grammatisch-Kritisches Wörterbuch. Sp. 842. 23 | Grimm: Deutsches Wörterbuch. Sp. 1811.
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Hier wird die Probe als Aufführung bestimmt, die allerdings unter anderen Bedingungen stattfindet als die Aufführung vor Publikum. Sie unterscheidet sich von anderen Aufführungen dadurch, dass sie ohne Publikum stattfindet. Der Zweck dieser Aufführung ist nicht der Versuch, sondern die Einübung als Vorbereitung auf die öffentliche Aufführung. Zugleich gibt es auch hier die Konnotation der Prüfung: indem die Probe nicht nur zur Einstudierung, sondern auch zur Überprüfung des Einstudierten, der Darstellung selbst dient. Die Einübung wie auch die Überprüfung zielen darauf, die richtige Relation einzelner Komponenten zueinander zu erreichen. Es geht also darum, eine in sich geschlossene Darstellung zu erlangen: im Sinne einer »Zusammengehörigkeit«. In den verschiedenen Definitionen zeichnet sich ein besonderes Verhältnis von Aufführung, Werk und Probe ab. Die Probe bewegt sich damit in einem Spannungsfeld zwischen Prüfen und Versuchen, zwischen dem Erproben von Möglichkeiten und der Aufführung einer Leistung, zwischen einer individuellen Praxis und dem Hervorbringen einer szenischen Darstellung. Im Kontext der Arbeit am Theater ergeben sich daraus zwei Problemfelder: Erstens ist zu untersuchen, wie dieser Begriff der Leistung, die in der Probe erbracht wird, im Verhältnis zu einem Begriff der künstlerischen Praxis zu definieren ist. Zweitens eröffnet sich ein noch näher zu bestimmendes Feld zwischen Probe, Aufführung und Inszenierung. Wenn jede Probenpraxis immer auch Aufführungssituationen beinhaltet und zugleich an dem Hervorbringen einer Inszenierung arbeitet, wie können diese drei Begriffe dann voneinander differenziert werden?
P ERFORMANCE : D IE L EISTUNG DES THE ATERS Der Begriff der Arbeit innerhalb eines ökonomischen Systems ist mit der Vorstellung verbunden, dass die Arbeitsleistung messbar, berechenbar und kalkulierbar sei. Seit der Industrialisierung und den damit verbundenen ökonomischen Konzepten zählen Arbeitsstunden, die produzierte Menge und die in der Arbeit hergestellten Produkte. Dass sich für das Theater gerade ein solcher auf messbarer Leistung beruhender Arbeitsbegriff nicht anwenden lässt, hat schon Adam Smith mit seinem Konzept der unproduktiven Arbeit erkannt.
24 | Karl Herloßsohn/Hermann Marggraf (Hg.): Allgemeines Theater-Lexikon oder Encyklopädie alles Wissenswerthen für Bühnenkünstler, Dilettanten und Theaterfreunde. Altenburg/Leipzig 1846. S. 125.
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Wenn Max Herrmann angesichts einer zu entwickelnden Wissenschaft des Theaters vom »Fluch des Nur-Transitorischen, dem die Theaterkunst im Gegensatz zu der normalen Leistung anderer Künste unterliegt«25 spricht und dem Theater damit ein Leistungsdefizit zuschreibt, scheint er es auf den ersten Blick in einem ökonomischen, auf messbarer Leistung beruhenden System zu verorten. So sei es die Aufgabe der Theaterwissenschaft, »verloren gegangene Leistungen«26 zu rekonstruieren. Mit dem Begriff der Leistung fragt Herrmann nach dem Verhältnis des Theaters als performativer Kunstform zu anderen Formen der künstlerischen Praxis, in denen materielle Artefakte hervorgebracht werden. In einem ökonomischen System, das auf Verwertung von Objekten ausgerichtet ist, muss die Leistung des Theaters neu bestimmt werden. Hier rückt eine weitere Bedeutungsebene des Leistungsbegriffs in den Blick: seine englische Bedeutung als performance.27 To perform meint nicht nur das Vollziehen von Handlungen. Auch eine Entwicklung oder Leistung wird als Performance bezeichnet. Die Rede ist von der Performance eines Aktienkurses, eines Autos oder eines Fußballers. Wenn also von einer Performance gesprochen wird, dann ist nicht nur der Vollzug einer Tätigkeit gemeint, sondern auch die Form des Tuns, die als dynamisch erfahren wird und sich nicht in Zahlen ausdrücken lässt. Die Performance des Fußballers lässt sich nicht in den geschossenen Toren fassen, sondern verweist auch darauf, wie er diese Tore geschossen, wie er sich während des Spiels gezeigt hat. Für den Begriff der Arbeit bedeutet dies, dass nicht nur das, was hervorgebracht wird, sondern auch die besondere Form des Hervorbringens als Leistung bewertet wird. Zu untersuchen ist die künstlerische Praxis als performance im Sinne von Technik und Leistung, ohne sie über das Prinzip der Effizienz zu legitimieren.28 Seine Frage nach der Leistung des Theaters beantwortet Max Herrmann, indem er das Verständnis künstlerischer Praxis im Theater auch auf den Zuschauer erweitert. Nicht allein der Künstler produziert, sondern auch das Publikum ist »Schöpfer der Theaterkunst«29. Damit wird nicht nur die besondere Medialität der Aufführung in den Fokus gerückt, sondern auch das Paradigma eines autonomen künstlerischen Subjekts als Autor und damit Urheber der Produktion in 25 | Max Herrmann: Die Entstehung der berufsmäßigen Schauspielkunst. Berlin 1962. S. 13. 26 | Max Herrmann: Forschungen zur Theatergeschichte. Berlin 1914. S. 7. 27 | Vgl. John L. Austin: Zur Theorie der Sprechakte. Stuttgart 1979 sowie Erika Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen. Frankfurt a.M. 2004. 28 | Jean-François Lyotard: La condition postmoderne. Paris 1979. S. 131f. 29 | Max Herrmann: »Über die Aufgaben eines theaterwissenschaftlichen Institutes«. In: Helmar Klier (Hg.): Theaterwissenschaft im deutschsprachigen Raum: Texte zum Selbstverständnis. Darmstadt 1981. S. 15-24. S. 19.
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Frage gestellt. Die theatrale Arbeit ist nicht jenseits einer Position der Zuschauer zu denken. Da die Leistung sich in keinem anderen Produkt als der Aufführung niederschlägt und für die Aufführung die Zuschauer konstitutiv sind, ist Theater immer eine Gemeinschaftsleistung – auch wenn es nur ein einzelner Zuschauer ist. Und so braucht die Probe als Überprüfung immer auch den Zuschauer, der die Leistung bezeugt. Der Begriff der performance eröffnet damit auf zweifache Weise einen Blick auf das theatrale Produzieren jenseits der Vorstellung als ein herzustellendens Produkt: in einem Konzept der Leistung als dynamischem Prozess wie auch im spezifischen Verhältnis von Produzieren und Rezipieren.
P ROBE , I NSZENIERUNG , A UFFÜHRUNG In den bisherigen Überlegungen – vor dem Hintergrund eines über die Produktion bestimmten Arbeitsbegriffs – wurde immer wieder die Besonderheit und Problematik des Theaters als ›Kunst ohne Werk‹ formuliert. Doch wie bereits erwähnt, wird durchaus von der Arbeit einer Regisseurin gesprochen, die mit der Inszenierung – als Endresultat des Probenprozesses – gleichgesetzt wird. Auch wenn in den Proben kein dauerhaftes Produkt hergestellt wird, enden die Probenprozesse meist mit dem Termin der Premiere. Der Regisseur reist ab, die Inszenierung wird als abgeschlossen betrachtet, die Schauspieler treffen sich nicht mehr täglich, um zu proben. Zwar werden eventuell einzelne Dinge überarbeitet, gibt es Durchlauf- oder Umbesetzungsproben vor Wiederaufnahmen, aber der Probenprozess gilt mit der Premiere als beendet. Die Aufführungen werden als etwas anderes, eine andere Tätigkeit als die Proben betrachtet. Wie ist das Verhältnis von Proben und Aufführungen zu beschreiben? Und welche Bedeutung bekommt dabei der Begriff der Inszenierung? Dass alle drei Begriffe eng aufeinander bezogen sind, zeigt sich darin, dass sie im 19. Jahrhundert oft in direktem Bezug gebraucht wurden. Beispielsweise wird im Allgemeinen Theater-Lexikon die Probe als »Aufführung eines dramatischen Gedichts […] ohne Zuschauer«30 bestimmt, oder der Schauspieler, Intendant und Publizist August Lewald spricht davon, dass das »In-die-Scene-Setzen« in »Proben geordnet und vorbereitet«31 werde. In den Definitionen des 20. Jahrhunderts wird die Probe streng von der Aufführung getrennt: Mit Proben wird nun ein zeitlicher Vorbereitungsprozess beschrieben, während eine Aufführung immer der Zuschauer bedarf. Zwischen beiden Feldern findet sich der Begriff der Inszenierung. Erst seit dem begin30 | Herloßsohn/Marggraf (Hg.): Allgemeines Theater-Lexikon. S. 127. 31 | August Lewald: »In die Scene Setzen«. In: ders.: Allgemeine Theater-Revue. Stuttgart/Tübingen 1838. S. 249-308. S. 255.
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nenden 19. Jahrhundert wird dieser Begriff für die Beschreibung von Arbeitsprozessen mit dem Ziel einer Aufführung gebraucht.32 Mit der Ausdifferenzierung des Berufsfelds Regisseur wird der Begriff zunehmend als Synonym für eine künstlerische Praxis verwandt und bezeichnet zugleich das Resultat dieses Prozesses. Die Inszenierung wird in einem solchen Verständnis zum Werk des Regisseurs. Er wird als Autor des szenischen Geschehens begriffen. Insofern ist der Begriff der Inszenierung einerseits auf die Probenarbeit bezogen, andererseits auf die Aufführung. Tritt mit dem Begriff der Inszenierung eine Kategorie auf, die letztlich eine Werkkategorie in die ›Kunst ohne Werk‹ einführt? In seinem Text Inszenierung als Erscheinenlassen versucht Martin Seel eine Bestimmung des Verhältnisses von Vorbereitung und Aufführung anhand des Inszenierungsbegriffs: »Jede Inszenierung ist das Ergebnis eines komplexen intentionalen Prozesses, aber jede ist auch selbst ein komplexer und keineswegs durchgängig intentionaler (oder auch nur: intendierter) Prozeß. […] Das gilt auch dort, wo wir von einer Inszenierung im Sinne eines Resultats sprechen – wie etwa im Fall einer Theaterinszenierung (dem Resultat einer Inszenierungsarbeit). Das Resultat ist auch hier ein Bühnenereignis, das sich jeweils im hier und jetzt vollzieht.« 33
Seel unterscheidet dabei nicht zwischen dem zielgerichteten Inszenierungsprozess und dem Resultat dieses Prozesses. Inszenierung meint sowohl den Herstellungsprozess als auch sein Ergebnis. Die Theaterinszenierung ist außerdem sowohl das Ergebnis einer Inszenierungsarbeit als auch das Bühnenereignis selbst. In ihrer Ästhetik des Performativen weist Fischer-Lichte auf die fehlende Unterscheidung zwischen Aufführung und Inszenierung in Seels Argumentation hin: Sie impliziere ein Konzept einer Aufführung, die jeden Abend wiederholbar sei und den Aspekt des Zuschauers als Koproduzenten der Aufführung außer Acht lasse. Dagegen grenzt Fischer-Lichte Aufführung und Inszenierung voneinander ab. Die Inszenierung ist ein der Aufführung vorausgehender Vorgang: »Ich definiere daher Inszenierung als den Vorgang der Planung, Erprobung und Festlegung von Strategien, nach denen die Materialität der Aufführung performativ hervor32 | Einen genauen Überblick über die historische Entwicklung des Inszenierungsbegriffs gerade als Paradigma für die Probenarbeit gibt Erika Fischer-Lichte in ihrer Ästhetik des Performativen. S. 318f. 33 | Martin Seel: »Inszenierung als Erscheinenlassen. Thesen über die Reichweite eines Begriffs«. In: Josef Früchtl/Jörg Zimmermann: Ästhetik der Inszenierung. Frankfurt a.M. 2001. S. 48-62. 49f.
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A RBEIT AM T HEATER gebracht werden soll, wodurch zum einen die materiellen Elemente als gegenwärtige, in ihrem phänomenalen Sein in Erscheinung treten können, und zum anderen eine Situation geschaffen wird, die Frei- und Spielräume für nicht-geplante, nicht-inszenierte Handlungen, Verhaltensweisen und Ereignisse öffnet.« 34
Mit dem Akt der Inszenierung ist damit immer auch ein strategisches Vorgehen bezeichnet, das auf das Ziel der Aufführung zusteuert, ohne dass die Inszenierung als fixierbares Ergebnis in der Aufführung gezeigt würde. Durch die Betonung des Inszenierungsprozesses im Verhältnis zur Aufführung – das, wie Fischer-Lichte zeigt, bereits von Max Herrmann hervorgehoben wird – verschiebt sich die Betonung vom Werkbegriff zum Ereignisbegriff: »[D]ie Aufführung ereignet sich zwischen Akteuren und Zuschauern, wird von ihnen gemeinsam hervorgebracht.«35 Inszenierung und Aufführung sind also voneinander zu trennen, die Aufführung ist nicht als Produkt eines Inszenierungsprozesses noch die Inszenierung selbst als unveränderliches Werk zu begreifen. Wie verhält sich aber die Inszenierung zur Probe, wenn die Inszenierung im Sinne Fischer-Lichtes als »Prozess« begriffen wird, »in dem ausprobiert, festgelegt – und nach der Aufführung häufig wieder verändert – wird«?36 Sind beide Prozesse miteinander identisch? Eine Unterscheidung lässt sich an der Gegenüberstellung der beiden Verben »proben« und »inszenieren« vornehmen: Während der erste Begriff alle Teilnehmenden umfasst, bezieht sich der zweite Begriff auf eine Außenposition mit der Funktion, die verschiedenen szenischen Elemente in ein Verhältnis zu setzen und Darstellungsstrategien zu erarbeiten. Die Inszenierung als »Erzeugungsstrategie«37 zielt immer auf die Aufführung, während der Begriff des Probens weiter gefasst ist. Er umschließt alle Formen von Interaktion, Techniken wie auch Herangehensweisen des Vorbereitungsprozesses. Damit wird die Organisation des Vorbereitungsprozesses in den Vordergrund gestellt. Dies impliziert auch Fragen nach ökonomischen Prozessen. Proben ist immer auch Inszenieren – und hier liegt die Betonung auf dem ›auch‹, denn es ist auch Organisieren, Vorbereiten, Überprüfen, Wiederholen. Diese Untersuchung zielt nicht nur darauf, »den Vorgang der Planung, Erprobung und Festlegung von Strategien« zu analysieren, den Inszenierungsprozess, sondern darüber hinaus den Kontext zu untersuchen, in dem dieser Prozess stattfindet. Damit sind alle Vorgänge am Theater Untersuchungsgegenstand, die nicht in den Bereich der Aufführung fallen.38 34 | Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen. S. 327. 35 | Ebd., S. 47. 36 | Ebd., S. 325. 37 | Ebd. 38 | Allerdings hört die Arbeit am Theater nicht mit der Aufführung auf. Bei vielen Inszenierungen finden auch nach der Premiere Proben statt. Es gibt zahlreiche Regisseure,
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Die Probe bewegt sich in diesem Sinne im Spannungsfeld zwischen der Aristotelischen Unterscheidung von poiesis und praxis, zwischen dem durch eine Technik angeleiteten Herstellen und Hervorbringen und dem Handeln, dessen Vollzug im Ziel selbst liegt: Die Probe stellt etwas her, ohne dass dies im Produkt gefasst werden könnte. Nicht nur für die ökonomischen Theorien von Smith bis Marx stellt diese Überlagerung ein Problem dar. Auch für die theaterwissenschaftliche Analyse von Produktionsprozessen wird das ambivalente Verhältnis von Probe, Inszenierung und Aufführung zur Herausforderung.
P ROBEN IM K ONTE X T DER THE ATERWISSENSCHAF T In der Theaterwissenschaft fehlt eine grundlegende Untersuchung zum Verhältnis von Theater und Arbeit, zu Probenprozessen wie auch zur Geschichte des Probens. Nicht dass produktionsästhetische Fragen keinen Platz in der theaterwissenschaftlichen Reflexion hätten. Der fehlenden theoretischen Beschäftigung mit der Theaterprobe steht eine unüberschaubare Anzahl an Texten über die Arbeit des Schauspielers und die Regiepraxis einzelner Regisseure gegenüber. Der Fokus liegt dabei auf dem Verhältnis von Regisseur und Schauspieler bzw. dem Verhältnis von Regisseur und dramatischem Text. Die Auseinandersetzung mit der Probe reduziert sich oft auf eine Reflexion schauspieltheoretischer Fragen. So bleibt die Beschäftigung mit dem Probenprozess vor allem auf die Ebene schauspielerischer Praxis – in Form von Schauspieltheorien39 – beschränkt, oder sie dient bei der Auseinandersetzung mit der Ästhetik eines die ihre Inszenierungen während der Aufführungen noch umarbeiten. Ein Beispiel dafür, dass die Arbeit am Theater nicht endet, sind die Logbücher des Berliner Ensembles unter der Leitung Brechts, die sich im Bertolt-Brecht-Archiv befinden. Über die Aufführungen des Berliner Ensembles wurde genauestens Buch geführt. Dazu gehörten Angaben, die wievielte Aufführung es ist, wo sie stattfindet, der Abendzettel mit eventuellen Umbesetzungen, die Aufzählung von Musikern, Technikern, Souffleuse und Statisten, die genauen Anfangs- und Endzeiten der Aufführung (bis auf die Minute angegeben) und die Anzahl der Vorhänge. In den Bemerkungen notierte die Abendregie Unfälle, Krankheiten oder technische Probleme. Dass mit den Proben die Arbeit an der Aufführung nicht aufhört bzw. dass diese Arbeit sich nicht auf die schauspielerische Arbeit der Reproduktion des in der Probe Erarbeiteten beschränkt, zeigen diese Logbücher. Gerade die genaue Buchführung über die Fehler zeigt den fragilen Charakter der Aufführungen, den Wunsch nach Kontrolle und die gleichzeitige Furcht vor Kontrollverlust. (Im Bestand des BertoltBrecht-Archivs ohne Signatur.) 39 | In der Untersuchung Systems of Rehearsal beispielsweise schreibt Shomit Mitter letztlich nicht über Proben, sondern vergleicht verschiedene Schauspieltheorien miteinander. Wie geprobt wird und wie diese schauspieltheoretischen Überlegungen im Probenprozess umge-
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Regisseurs vor allem der Annäherung an den schöpferischen Inszenierungsprozess. Diese Fokussierung auf den Probenprozess als künstlerischer Arbeit eines individuellen Regisseurs führt in den interaktiven Arbeitsprozess eine Hierarchisierung ein. Was sich in der Arbeit zeige, sei vor allem die ›Handschrift‹ des Regisseurs. Dass der Probenprozess nicht nur durch die Interaktion verschiedener Künstler, sondern auch durch ökonomische oder soziale Fragen und Probleme beeinflusst wird, ist dabei meist kein Thema. Die wenigen Ausnahmen an Untersuchungen, die den Probenprozess als solchen in den Mittelpunkt stellen, fokussieren den Blick auf das 20. Jahrhundert.40 Anhand von Aufsätzen zur Arbeitsweise einzelner Regisseure wird über die Probenarbeit reflektiert. Es finden sich vereinzelte Ansätze zu einer Theorie des Probens, an denen deutlich wird, dass für eine differenzierte Analyse von Probenprozessen sowohl Methoden wie auch Begrifflichkeiten oft gerade hinsichtlich einer historiografischen Perspektive auf das Proben fehlen. Das Offenlegen des Verborgenen ist ein wiederkehrender Topos bei der Beschäftigung mit Probenprozessen. »A Hidden World«41 nennt Susan Letzler Cole ihre Untersuchung zur Probenpraxis amerikanischer Regisseure. Es ist die ›versteckte Arbeit‹ des Theaters, die hier sichtbar gemacht wird. Das Geheimnis des künstlerischen Produzierens soll offengelegt und dem Zuschauer damit eine andere Perspektive auch auf die Aufführung ermöglicht werden. Dabei spielt aber der ›Blick hinter die Kulissen‹ mit der Vorstellung eines vermeintlichen Geheimnisses, das hier zu entdecken wäre. Die Gefahr besteht dabei darin, die künstlerische Arbeit zu mythologisieren und damit nicht nur ihre
setzt werden, ist nicht Gegenstand der Überlegungen. Shomit Mitter: Systems of Rehearsal. Stanislavsky, Brecht, Grotowski and Brook. London/New York 1992. 40 | Zur Frage der Theaterprobe liegen drei Sammelbände vor: Melanie Hinz/Jens Roselt: Chaos und Konzept. Proben und Probieren im Theater. Berlin 2011, Jen Harvie/ Andy Lavender: Making Contemporary Theatre. Manchester/New York 2010 sowie George Banu: Les Répétitions. Un siècle de mise en scène. Paris 2005. Der letzte Band ist vor dem Hintergrund der französischen Theaterwissenschaft zu lesen. Dort entstand in den 1970er Jahren ein großes Interesse am Produktionsprozess, das sich auch in der Gründung verschiedener Zeitschriften manifestierte. Neben der Zeitschrift Les Voies de la Création théâtrale erscheint seit 1971 die Zeitschrift travail théâtral, deren Titel sich bewusst auf die Modellbücher von Bertolt Brecht bezieht, die in Teilen unter dem Titel Theaterarbeit von Helene Weigel 1952 veröffentlicht wurden. Helene Weigel/Berliner Ensemble (Hg.): Theaterarbeit. Düsseldorf 1952. Zu einer Theoretisierung der Theaterprobe aus Perspektive der Theaterpraxis ist in jüngerer Zeit auch der Band von Thomas Oberender: Leben auf Probe. Wie die Bühne zur Welt wird. München 2009, erschienen. 41 | Susan Letzler Cole: A Hidden World: Directors in Rehearsal. London/New York 1992.
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Analysierbarkeit, sondern auch die ökonomischen, sozialen und politischen Bedingungen ihres Produzierens aus dem Blick zu verlieren. Nicht die fehlende Öffentlichkeit ist es, die das Schreiben über Proben erschwert, sondern deren besondere Medialität als Aufführung. Eine Probensituation ist immer auch eine Aufführung: Jemand spielt, während ein anderer zuschaut. Das Nachdenken über die Leerstelle der immer bereits vergangenen Aufführung ist ein zentrales Thema der Theaterwissenschaft. Jede wissenschaftliche Reflexion über eine Aufführung muss sich mit deren Abwesenheit auseinandersetzen. Nach der Arbeit am Theater, nach den Prozessen des Probens zu fragen, bedeutet eine Potenzierung dieser Situation. Ist das transitorische Moment der Aufführung, die Vergänglichkeit und Fülle des analysierenden Materials zugleich Grenze und Herausforderung der theaterwissenschaftlichen Aufführungsanalyse, dann ist die Probe als Aufführung vor der Aufführung noch schwieriger zu fassen. Der Probenprozess zieht sich über einen langen Zeitraum hin und kann nicht als momentaner künstlerischer Akt beschrieben werden. Wochen, Monate, manchmal Jahre vergehen zwischen der ersten Idee oder einer Konzeption und den letzten technischen Durchlaufproben. Während dieser gesamten Zeitspanne wird die künstlerische Produktion immer auch von personellen Fragen oder Problemen, ökonomischen oder zeitlichen Beschränkungen bestimmt. (Wobei es keine Form der künstlerischen Praxis gibt, die davon nicht beeinflusst wäre. Das Theater als Unternehmen und Organisationsform ist davon nur in besonderem Maße betroffen.) Der Probenprozess ist also nur als Serie von Aufführungen zu fassen und stellt damit noch stärker als die Aufführung die Frage nach der Dokumentierbarkeit. Für den Theaterwissenschaftler, der einen Probenprozess begleitet, ergeben sich spezifische Schwierigkeiten. Durch die Dauer des Probenprozesses, durch das Fehlen eines klar gesetzten Rahmens potenziert sich die Problematik der Auswahl des Materials. Aber auch der soziale Prozess stellt eine begleitende Analyse in Frage. Die Proben beschränken sich nicht darauf, Aufführungen zu sein. Viele Entscheidungen werden außerhalb des Probenraums getroffen. Noch stärker als in der Aufführung ist der Analysierende mit dem Problem konfrontiert, etwas zu verpassen und niemals einen umfassenden Blick auf den Prozess zu bekommen. Wie die Aufführung ist der Probenprozess in seiner Vollständigkeit unbeschreibbar. So konstatiert David Richard Jones – wiederum mit dem Fokus auf den Regisseur –: »The director’s world is confusing to casual observers and resistant to coherent intellectual or critical treatement.«42 Problematisch an einer solchen Sicht ist, dass der Arbeit ein eigener, nicht zu reflektierender Bereich zugewiesen wird und sie sich damit auch dem analysierenden Blick des Betrachters verbirgt. Will die Theaterwissenschaft nicht jene Mythologisie42 | Richard David Jones: Great Directors at Work. Berkely/Los Angeles/London 1986. S. 6.
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rung der künstlerischen Arbeit weiterschreiben, gilt es, eigene Methoden für die Analyse der Arbeit am Theater in den Probenprozessen zu finden. Wie mit der fehlenden Kohärenz des Probenprozesses umgehen? Welche Fragen sind an Probenprozesse zu stellen, und mit welchen Methoden können diese beantwortet werden? Welche anderen analytischen Perspektiven eröffnet gerade die Heterogenität des Materials (wie Biografien, Theatertheorien, Notate, Berichte, Film-Dokumentationen und wissenschaftliche Arbeiten), das gerade keine einheitliche Perspektive auf den Probenprozess für sich reklamieren kann? Die wenigen methodischen Auseinandersetzungen in der Theaterwissenschaft mit der Probenpraxis lassen sich in einen aufführungsanalytischen, ethnologischen und literaturhistorischen Zugang differenzieren.43 Josette Féral entwirft ein Modell der Analyse von Inszenierungsprozessen als »analyse génétique de la mise en scène«.44 Ausgehend von einer Kritik an den Methoden der Aufführungsanalyse, die allein das Ereignis der Aufführung zum Untersuchungsgegenstand machen und damit nach Féral die besondere Prozessualität theatralen Produzierens verkennen, schlägt sie ein Analysemodell vor, das auch die Vorbereitungsprozesse mit einbezieht, dokumentiert durch Probennotate, Interviews oder Regiebücher: »Il s’agit donc de tenter d’introduire une généalogie de l’œuvre afin d’éclairer le travail final de l’artiste.«45 In den Blick rückt sie dabei die Entscheidungen des Regisseurs – als eine Form des praktischen Wissens –, die in die Analyse einfließen sollen. Féral bezieht sich dabei auf das Verfahren der critique génétique, wie sie in der Literaturwissenschaft seit Ende der 1960er Jahre entwickelt wurde. Ausgehend von der editionsphilologischen Frage, wie in Werkausgaben mit Skizzen, Entwürfen, Notaten oder Randnotizen umgegangen werden sollte, entsteht vor dem Hintergrund der strukturalistischen Textkonzepte, in denen die Kategorien von ›Werk‹ und ›Autor‹ analytisch aufgelöst und ein dynamisches Verhältnis von Text und Sprache bestimmt werden, ein Verfahren, das nicht den Text, sondern die Textualität und damit die »Produktion gegenüber dem Produkt, das Schreiben gegenüber dem Geschriebenen, […] das Dynamische gegenüber der Struktur«46 in das Interesse der Analyse stellt. Die ›Abfallprodukte‹ des Schreibens – die Skizzen oder Entwürfe –, die bisher nur am Rande und im Hinblick 43 | Vgl. dazu auch das Sonderheft der Zeitschrift Theatre Research International, das unter dem Titel Genetics of Performance Fragen zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit Proben diskutiert. Theatre Research Internationl. Vol. 33. No. 3 (2008). 44 | Josette Féral: »Pour une étude génétique de la mise en scène«. In: Théâtre/Public. Automne 1998. Nr. 144. S. 54-59. 45 | »Es geht also darum, eine Genealogie des Werks einzuführen, um die Arbeit des Künstlers zu erhellen.« (Übers. A.M.) Ebd., S. 56. 46 | Almuth Gréssillon: Literarische Handschriften. Einführung in die ›critique génétique‹. Bern/Berlin 1995. S. 15.
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auf das Endprodukt betrachtet wurden, werden als eigenständige Texte analysiert. Alles, was als Arbeit am Text erfassbar ist, wird in den Interpretationsprozess einbezogen, um die kreativen Prozesse zu rekonstruieren. Auch für die performativen Künste wird ein solches Vorgehen entworfen. Der Theatertext wird als per definitionem unvollendet begriffen: »[D]er Begriff der Genese [ist] in all diesen Werken weiter zu fassen. […] Bühnenbild, Kostüme, Gesten, Stimmen, kurz: alles, was zur Inszenierung gehört, kann im Laufe der Proben, bzw. nach der Erstaufführung zur Umformulierung des Textes führen und so das Archivmaterial bereichern.« 47
Wenn in den Verfahren der critique génétique ein dossier génétique erstellt wird, in dem die einzelnen Dokumente der Textarbeit lokalisiert und datiert vorliegen, das Geschriebene ebenso untersucht wird wie die Schreibwerkzeuge untersucht werden, dann entspricht dies dem Ansatz der Inszenierungsdokumentationen, wie sie seit 1967 vom Verband der Theaterschaffenden der DDR in Auftrag gegeben wurden.48 Alles Material, das von einer Aufführung existiert, wird gesammelt.49 Die Dokumentation Theaterarbeit des Berliner Ensembles wird dabei zum Vorbild. Es geht um eine systematische Erfassung und Sammlung von Materialien zur Erarbeitung wie auch zur Rezeption der Aufführung. Dazu gehören Kritiken und Textbuch genauso wie Dokumente zur Probenarbeit: »Voraussetzung für das Erstellen von Dokumentationen [ist] das schriftliche, auditive und visuelle Fixieren von Arbeitsvorgängen.«50 Die Dokumentation zielt dabei ursprünglich weniger auf Theaterwissenschaftler als auf andere Theaterleute. Sie soll eine »praktische Inszenierungs47 | Gréssillon: Literarische Handschriften. S. 284. 48 | Im Archiv der Akademie der Künste in Berlin finden sich über 1300 Dokumentationen von Inszenierungen im deutschsprachigen Theater. Seit 1990 wird die Aufgabe der Dokumentation für das gesamte deutsche Theater von der Akademie vorgenommen. Die Praxis der Dokumentation des Inszenierungsprozesses findet sich allerdings bereits bei den Regisseuren der russischen Avantgarde Anfang des 20. Jahrhunderts. So lässt beispielsweise Meyerhold seine Proben mitprotokollieren und führt selbst Buch beim Proben. Vgl. zum Verhältnis von Probe und deren Archivierung Béatrice Picon-Vallin: »Répétitions en Russie-URRS: du côté de chez Meyerhold«. In: Georges Banu: Les Répétitions. Un siècle de mise en scène. Paris 2005. S. 63-89. 49 | Angela Kuberski: »Aus der Praxis – für die Praxis. Ein Arbeitsbericht«. In: Liselotte Homering: Theatersammlung und Öffentlichkeit. Bericht von der 17. SIBMAS-Konferenz. Mannheim 1990. S. 122-126. Motivation für diese Arbeit ist die Unzufriedenheit mit der Zufälligkeit des Materials – wie Programmbuch oder Kritiken –, das von vergangenen Inszenierungen vorliegt. 50 | Ebd., S. 123.
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hilfe« darstellen, durch den »kritischen Umgang mit den Erfahrungen anderer Theater« wie auch ein »Kommunikationsangebot, das die eigene Kreativität freisetzt« bieten.51 Für eine Inszenierung eines bestimmten Dramas können sich die Theater diese Dokumentationen ausleihen, um selbst damit weiterzuarbeiten. Damit wird die einzelne Inszenierung weniger als genuiner künstlerischer Schöpfungsakt verstanden, sondern die Möglichkeit eröffnet, auf den Erfahrungen, Problemen und Konzepten anderer aufzubauen. Nicht das Copyright einer Aufführung, verbunden mit dem Konzept einer individuellen und originären Handschrift des Regisseurs, wird hier in den Vordergrund gestellt, sondern die systematische Bearbeitung der Vorlage dient als Material und Stimulanz künstlerischer Praxis.52 Für die wissenschaftliche Analyse stellen sich allerdings andere Fragen. Wenn John Fuegi hinsichtlich der zahlreichen Quellen zu Bertolt Brechts Inszenierung des Kaukasischen Kreidekreises (1954) schwärmt: »it became possible to reconstruct much of the rehearsal process itself […], we can piece together virtually every moment of the rehearsal«53, dann wird hier die Utopie einer vollständigen Dokumentation des Arbeitsprozesses verhandelt. Behauptet wird, über das Material der Dokumentation eine Leerstelle füllen zu können und einen direkten Zugang zum schöpferischen Prozess des Regisseurs zu ermöglichen: die Probendokumentation als Annäherung an den künstlerischen Prozess, dessen »Wieder-Geburt«54 der Wissenschaftler miterlebt (und inszeniert). Férals Konzept setzt sich von solchen Vorstellungen einer »Totalität des Werkes« ab, wenn sie betont, dass mit dem Blick auf die Prozesshaftigkeit des Produzierens jede Analyse sich ihrer Begrenzung und Setzung bewusst sein muss.55 Ihr Ansatz ist, gerade die Prozessualität des theatralen Produzierens, das niemals mit der Premiere abgeschlossen ist, für die Analyse produktiv zu machen. Im Wechselverhältnis von Probenprozess und Aufführungspraxis lässt sich damit analysieren, wie eine Inszenierung hervorgebracht wird.
51 | Kuberski: »Aus der Praxis – für die Praxis«. S. 122. 52 | Zur Problematik des Probenprozesses als Modellentwurf für andere Inszenierungsprozesse vgl. den Abschnitt »Proben/Modelle« in Kapitel 6. 53 | John Fuegi: Bertolt Brecht. Chaos, According to Plan. Cambridge 1987. S. 132. 54 | Gréssillon beschreibt so den »genetischen Kritiker«, der seiner Leidenschaft nachgeht, »einem Text so nahe zu sein, da man ja gewissermaßen seiner Wieder-Geburt beiwohnt«. Gréssillion: Literarische Handschriften. S. 23. 55 | »Toute analyse n’est donc qu’un moment d’une continuité, un instanté qui s’inscrit dans la durée et qu’il faut nécessairement lire comme tel.« Féral: »Pour une étude génétique de la mise en scène.« S. 55. (»Jede Analyse ist nicht mehr als ein Moment in einem Kontinuum, ein Augenblick, der sich in die Dauer einschreibt, und der notwendigerweise als solcher zu lesen ist.« Übers. A.M.).
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Doch genau hier zeigen sich auch die Probleme der vorgeschlagenen Methode. Féral differenziert zum einen nicht zwischen der Aufführung und dem Inszenierungsprozess, zum anderen soll aber die Rezeption der Aufführung Ausgangspunkt ihrer Analyse sein. Auch wenn sie die Prozessualität des Produzierens hervorhebt, klammert sie zugleich die besondere Medialität der Aufführung – und damit auch die Zuschauer als deren Mitproduzenten – aus. Damit fällt auch aus dem Blick, dass, anders als in der Literatur, sich jede ›genetische Analyse‹ immer auch um die Leerstelle der Aufführung bewegt und damit in einem Spannungsfeld zu den materiellen Überresten des Probenprozesses, die in der Schrift des Regiebuchs, dem Text des Interviews fixiert sind. Für meine Frage nach der Arbeit am Theater ergeben sich aus einem solchen Vorgehen zwei Probleme: 1. Die Überlagerung verschiedener Beobachter- und Analyseperspektiven. Je nachdem, ob ich es mit einem Regiebuch, mit meiner eigenen Beobachtung einer Aufführung, mit dem Interview mit einem Schauspieler zu tun habe, verschiebt sich die Perspektive auf die Proben und das Gesehene. Die nachträgliche Reflexion über einen Probenprozess durch die Theaterpraktiker unterscheidet sich grundlegend von der Beobachtung der Arbeit im Moment des Probens. Diese Heterogenität des Materials muss in den Blick genommen, verschiedene Interaktionsebenen miteinander in Beziehung gesetzt werden. 2. Die Frage nach der Analyse historischer Probenformen. Generell schlägt Féral vor, sich ausgehend von der Aufführung mit den Prozessen vor der Aufführung zu beschäftigen. Die Gefahr eines solches Ansatzes liegt in einer Maschinerie der Selbstbestätigung: Nach dem, was in der Aufführung beobachtet wurde, wird im Material über die Probe gesucht, und die Aufführung wird unter der Perspektive der Beobachtungen der Proben angeschaut. Die Verschaltung von Aufführungsbeobachtung und Probenprozess wird vor allem dort problematisch, wo die Aufführung und der Probenprozess bereits vergangen sind und sich der Rezeption entziehen: das Probenmaterial wird zur Grundlage einer Suche nach einer vergangenen Aufführung. Dennoch kann ein solches Vorgehen für die Analyse von historischen Probenprozessen sinnvoll sein, nämlich dann, wenn sich der Blick von der Perspektive der Aufführung löst,56 das heißt, die Aufführung aus der Betrachtung 56 | Wenn Patrice Pavis den Probenprozess aus der Aufführungsanalyse ausklammert, um die Beobachtungssituation des Wissenschaftlers von den formulierten Intentionen der Künstler zu trennen (»Il faut soigneusement distinguer ce qui est l’ordre des intentions ou des déclarations des artistes et ce qui est le résultat artistique, le produit final livré au public, qui doit seul devrait retentir notre attention.«), dann schlage ich ein umgekehrtes Vorgehen vor, die Aufführung wird aus der Betrachtung des Probendiskurses ausgeklammert und damit auch die Frage eines Gelingens künstlerischer Praxis. Patrice Pavis: L’analyse du spectacle. Paris 1996.
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des Probenprozesses auszuklammern. In den Fokus der Aufmerksamkeit gerät dann – durch die Heterogenität des Materials eines Inszenierungsprozesses und im Spannungsverhältnis zum ›Verlust‹ der Aufführung – nicht nur die kollektive Form des Produzierens. Vielmehr kann anhand der Selbstbeobachtung der Theaterpraktiker nach dem gefragt werden, was von den Proben übrig bleibt: als Reflexionen der künstlerischen Praxis, deren Phasen Schritt für Schritt zu entfalten sind. Zu fragen ist nach den Phasen des Konzeptionierens, Konstruierens und Überarbeitens, nach Prozessen der Beschleunigung und Verlangsamung wie auch nach dem Wechselverhältnis der Bedingungen der Produktion zu den kreativen Praktiken. Und zwar ohne dass sie direkt auf eine Aufführung bezogen werden und ausgehend von dieser bewertet werden. Während Féral in ihrem Konzept die Position des Beobachters der Proben eher am Rande problematisiert, thematisiert das Modell der »analytischen Dokumentation«57, das Claudia Dickhoff im Kontext des Forschungsprojekts »Theatrale Produktion und Rezeption im Labor der Theaterwissenschaft«58 entwickelt, genau jene Position. Unter exakten wissenschaftlichen Bedingungen soll ein Probenprozess erforscht werden. Dazu wird eine Inszenierung zu Versuchszwecken in Auftrag gegeben. Hinter einer undurchsichtigen Glasscheibe in einer schalldichten Box, unsichtbar für Schauspieler und Regieteam, beobachten die Wissenschaftler die Proben und zeichnen diese auf Video auf. Keine Reaktion der Beobachtenden soll das Forschungsergebnis ›verfälschen‹. Das erklärte Ziel der »Einbeziehung des gesamten künstlerischen Prozesses in den Werkbegriff« versucht die Transformation des dramatischen Textes in die Aufführung mit Hilfe mathematisch-quantitativer Methoden zu fassen. Dramatischer Text und Aufführung werden als »strukturierter Satz an Informationen« und als »Fixpunkte«59 verstanden, die es anhand des Probenprozesses zu vergleichen gilt. Beispielsweise durch den Vergleich der Probenzeit einer Szene zu ihrer Dauer in der Aufführung oder die exakte Erfassung der Interaktionen der Figuren im Vergleich mit den Vorgaben des dramatischen Textes. Die Werte dieser Vergleiche überträgt Dickhoff in Grafiken und Tabellen. Als deren Ergebnis präsentiert sie die »best- und schlechtestplatzierten Beziehungen«60 der Figuren untereinander, sieht eine »unausgeglichene Verhältnismäßigkeit von Proben- und Aufführungszeit« oder die »Verminderung der sprachlichen 57 | Claudia Dickhoff: Probenarbeit. Dokumentation und Analyse eines künstlerischen Prozesses. Dargestellt am Beispiel der Münchener Inszenierung von Niccolò Machiavellis ›Mandragola‹. München 1984. 58 | Das Forschungsprojekt findet von 1978 bis 1981 an der Universität München statt. Vgl. dazu Wilfried Passow: »Projekte. Theatrale Produktion und Rezeption im Labor der Theaterwissenschaft.« In: Zeitschrift für Semiotik 1 (1979). Heft 2/3, S. 255-258. 59 | Dickhoff: Probenarbeit. S. 7. 60 | Ebd., S. 177.
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gegenüber einer Erweiterung der szenischen Personendarstellung«.61 Vor dem Hintergrund heutiger Forschungsansätze befremdet und belustigt die Akribie, mit der Dickhoff hier Daten zusammenträgt und vergleicht, ebenso wie die Schlüsse, die sie daraus zieht. Sichtbarkeit, Effizienz und Verhältnismäßigkeit sind die Kategorien, mit denen sie den Probenprozess bewertet. Der Versuch, die theaterwissenschaftliche Analyse an einer quantitativ-empirischen Methode auszurichten, scheitert in der Banalität der Ergebnisse der Analyse, die auch durch die Betrachtung der Aufführung und aus einer Lektüre des Dramentextes hätten gewonnen werden können. Auffällig für meine Frage ist, dass Dickhoff letztlich kaum die Probenarbeit beschreibt. Die Besonderheit ästhetischer Praxis rückt völlig aus dem Fokus. Die Spielweise der Schauspieler wird am Ende ihrer Analyse kurz innerhalb von drei Seiten abgehandelt. Zwar teilt sie die Proben in verschiedene Typen ein, skizziert in einer Grafik den Verlauf und die Bedeutung der einzelnen Probenform, wie aber genau gearbeitet wurde, ist kein Thema und lässt sich mit ihrer Methode nicht erfassen. Für die Erkenntnis, dass der Regisseur einen improvisatorischen Arbeitsstil bevorzuge, ist kein solch aufwendiger Versuchsaufbau notwendig. Der Probenprozess fällt – obwohl in unendlich vielen Daten erfasst – durch die Raster ihrer Analyse. Der vermeintlich objektive Blick des Wissenschaftlers, die Forderung nach der Ausblendung jeder subjektiven Perspektive, sucht nach quantifizierbaren Ergebnissen der Arbeit am Theater, deren Prozessualität sich einem solchen Zugang aber gerade widersetzt. Die Analyse offenbart keine objektiven Resultate des Probens, sondern die Unmöglichkeit, den Prozess in aussagekräftige – und damit im Sinne der Analyse ›verwertbare‹ – Daten zu überführen. Sich selbst als Beobachtende des Probenprozesses thematisiert dagegen die australische Theaterwissenschaftlerin Gay McAuley.62 Die Position des Wissenschaftlers, der eine Probe beobachtet, beschreibt sie als die eines Ethnografen. So würde der Wissenschaftler zum »teilnehmenden Beobachter« im Sinne einer kritischen Ethnologie, wie sie Clifford Geertz entworfen hat. Danach muss der Wissenschaftler immer auch seine eigene Position im Blick haben und selbst am Diskurs des Probenprozesses beteiligt sein: »The relationship between observer and observed involves complex an subtle issues of power and presence.«63 Die Macht des Analysierenden liegt in der Überführung des Gesehenen in eine Geschichte des Probenprozesses, die Deutungen und Zuschreibungen vornimmt, Dinge oder Personen in den Vordergrund rückt und andere ausklammert. Mc Auley plädiert im Sinne der ethnografischen Forschung für 61 | Dickhoff: Probenarbeit, S. 274. 62 | Gay McAuley: »Towards an ethnography of rehearsal«. In: New Theatre Quarterly 53 (1998). S. 75-85. 63 | Ebd., S. 77.
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einen bewussten Umgang mit dieser Form des Erzählens, die immer nur eine Perspektive auf den Prozess darstellen kann. Für meine Fragestellung des Diskurses über Theater ist diese Perspektive interessant, da sie nach der Position des Beschreibenden fragt. Gerade Regiebücher oder Probenprotokolle sind mit einer spezifischen Intention verfasst worden und haben oft eine besondere Editionsgeschichte, die in der Analyse berücksichtigt werden muss. Beispiel für eine solche Erzählung eines Probenprozesses ist die 1982 veröffentlichte Dokumentation des Schriftstellers David Selbourne über den Probenprozess zur Inszenierung des Sommernachtstraum unter der Regie von Peter Brook. Überschrieben mit dem Titel »an eye-witness account […] from first rehearsal to first night«64 beschreibt Selbourne nicht nur den Probenprozess, sondern auch seine Position als fremder Beobachter: Die Frage, ob er stört, wird genauso thematisiert wie die Erwartungen an die Arbeit Brooks, die Selbournes Blick auf die Probe prägen. Er unterstreicht, viele Vorgänge nicht zu verstehen, markiert seine Distanz zu Brook und den Schauspielern, die er nur mit den Namen der dramatischen Figuren benennt. Sein Anliegen ist weniger eine Rekonstruktion des Probenprozesses als der Versuch, seine »ersten Eindrücke« wiederzugeben, geprägt durch den »fremden Blick« eines Außenstehenden. Durch die teilweise Anbindung der Erzählung an seinen Alltag außerhalb der Proben (er beschreibt An- und Abfahrten), durch seine Zweifel am Gesehenen, die Thematisierung seiner Gefühle und Widerstände wie auch das Infragestellen seiner eigenen Aufrichtigkeit im Gespräch mit Brook wird immer wieder seine eigene Position zum Thema der Erzählung deutlich. Betont wird die Authentizität seiner Zeugenschaft, die ihm einen unverstellten Blick auf die Probe mit allen Widersprüchlichkeiten ermöglicht. Während Dickhoff durch ihre Methode den »›größtmöglichen‹ Ausschluß der Subjektivität«65 zu erlangen versucht, stellt Selbourne – auch aus der Perspektive des Schriftstellers – die persönliche Erfahrung in den Mittelpunkt. In beiden Fällen bleiben die Aussagen über den Prozess vage, vor allem deshalb, weil beide den gesamten Probenprozess abzubilden versuchen. Beide analysieren nicht die künstlerischen Praktiken, die sie beobachten, suchen nicht nach Strukturen und Organisationen der kreativen Prozesse. Aus dem Blick gerät auch, was sich der linearen Erzählung des Probenprozesses, die immer auf die Aufführung hinsteuert, entzieht, ebenso wie das Wechselverhältnis von Probenprozess und den Bedingungen der Produktion. Auch wenn der Probenprozess einer eigenen Dramaturgie folgt, die sich in eine Erzählung überführen lässt, ist ihre ›Mise en intrigue‹ durch Wiederholungen und Redundanzen geprägt, wie sie in der Natur der Probe und des
64 | David Selbourne: The Making of ›A Midsummer Night’s Dream‹. An eye-witness account of Peter Brook’s production from first rehearsal to first night. London 1982. 65 | Dickhoff: Probenarbeit. S. 11. [Unterstreichung im Original]
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Arbeitens liegen. Der Probenprozess als Geschichte und Erzählung ist damit für den Leser immer auch langweilig. Dass aber gerade aus historischer Perspektive die Beschäftigung mit Probenprozessen den Blick für andere Lesarten theatraler Praxis schärfen kann, zeigt eine der wenigen historiografischen Analysen der Probenpraxis. Tiffany Sterns Monografien zur Probenpraxis in England66 – allen voran die Probenformen Shakespeares – im Zeitraum vom 16. bis zum 18. Jahrhundert zeigen, dass mit den Produktionsformen nicht nur ein jeweils spezifisches Konzept von Theater verbunden ist, sondern dass die Probenpraxis auch den dramatischen Text grundlegend beeinflusst. Im Nachdenken über eine Probenpraxis eröffnet sich nach Stern eine neue Perspektive auf das Drama. Stern beschreibt den Dreischritt vom Drama über den Inszenierungsprozess zur Aufführungspraxis nicht als linearen Prozess, sondern reflektiert die Wechselwirkungen der verschiedenen künstlerischen Praxen in ihrem jeweiligen historischen Kontext. Damit problematisiert sie den Werkbegriff des Dramas vom Prozess der Proben aus. Als Literaturwissenschaftlerin leitet sie die Probenkonzepte dabei vor allem aus der Analyse der Dramentexte ab. Für mich als Theaterwissenschaftlerin stellt sich aber die Frage, wie mit jenen Probenprozessen umzugehen ist, die sich nicht auf einen dramatischen Text beziehen. Welche Quellen zur Probenpraxis gibt es jenseits der Niederschrift im Text?
D IE P OLYPERSPEK TIVITÄT DES P ROBENS Die beschriebenen Methoden in all ihrer Unterschiedlichkeit werfen zwei grundlegende Probleme bei der Analyse von Probenprozessen auf: zum einen das Verhältnis der Gegenwart des Prozesses und der Nachträglichkeit der Beschreibung – die immer Auswahl und Ausschluss beinhaltet. Zum anderen die Ausrichtung auf die Aufführung, die den Probenprozess hinsichtlich eines Produkts, das er hervorbringt, perspektiviert und damit Gefahr läuft, die Formen künstlerischer Praxis bezogen auf eine mögliche Intention des Regisseurs zu lesen. Der Aufführungsbegriff eröffnet aber noch eine andere Perspektive auf die Proben als Arbeit am Theater. Betrachtet man die Beschreibungen von Proben, beispielsweise in Schauspielerbiografien anhand der Anekdoten und Geschichten, die erzählt werden, dann wird deutlich, dass hier spezifische Aufführungssituationen inszeniert werden. Von der Leseprobe, die dem Einzelnen einen genauen Platz zuweist, über die Position des Regisseurs als demjenigen, der zuschaut, bis hin zur Frage nach der Exklusivität der Proben. Das heißt, 66 | Tiffany Stern: Rehearsals from Shakespeare to Sheridan. Oxford 2000.
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die Proben sind nicht nur Aufführung als ein Vor-Spiel, ein Vor-Scheinen der ›eigentlichen‹, der ›folgenden‹ Aufführung, sondern sie sind Aufführungen von Arbeitsinszenierungen. Als Inszenierung eines bestimmten Arbeitsvorgangs arbeiten sie mit Festlegungen: Wer schaut von wo aus zu? Wem ist welcher Raum zugewiesen? Welche Rollen innerhalb des Prozesses werden übernommen, welche Aufgaben ausgeführt? Einer Probe beizuwohnen – als Regisseurin, Schauspieler oder auch Theaterwissenschaftlerin – heißt, Zuschauer und Teilnehmer einer Aufführung zu sein. Im Mittelpunkt meiner Untersuchung steht nun die Frage, wie in verschiedenen Arbeitskonstellationen diese Aufführungssituation inszeniert wird. Was das heißt, möchte ich kurz an einem Beispiel zeigen. 1965 entsteht ein Dokumentarfilm zu Fritz Kortners Inszenierung von Kabale und Liebe an den Münchner Kammerspielen unter dem Titel Fünfter Akt, Siebte Szene von Hans-Jürgen Syberberg.67 Der Film reduziert sich völlig auf die Probe dieser finalen Szene des Stücks und auf die Arbeit des Regisseurs mit seinen beiden Schauspielern: Christiane Hörbiger als Luise und Helmut Lohner als Ferdinand. Der Regietisch ist im Zuschauerraum positioniert, nur wenige Meter von der Bühne entfernt. Syberberg scheint allein die Arbeit mit den Schauspielern zu interessieren. Dies unterstreichen die beiden gewählten Einstellungen: einmal der Blick Kortners vom Zuschauerraum auf die Bühne. Zum anderen eine Nahe seines Gesichts, man sieht und hört seine Kommentare, ohne aber die Darstellung auf der Bühne verfolgen zu können. Es ist ein Theater der Blicke: des Regisseurs auf die Schauspieler wie der Schauspieler auf den Regisseur, die Probe als ausgestellte Kommunikationssituation, die keinen objektiven und außen stehenden Beobachter kennt. Dieses Spiel der Blicke kreist dabei um verschiedene Leerstellen, wie die Kamera sich entscheiden muss, entweder das Spiel der Darsteller oder den reflektierenden Blick des Regisseurs zu zeigen, so kann der Analysierende niemals beides in den Blick bekommen. Wie jede Probendokumentation sich also entscheiden muss, ob sie die szenische Darstellung der Probe oder deren Reflexion im Blick auf das Spiel zeigen möchte, muss sich auch der Theaterwissenschaftler entscheiden, wohin sein Blick geht. Jede Form der künstlerischen Praxis verbindet Produzieren und Rezipieren miteinander. Sei es der Maler, der von einem Bild zurücktritt, um es zu betrachten, oder der Schriftsteller, der seinen Text liest, ehe er seinen Schreibprozess fortsetzt. Aber nicht nur im ›Zurücktreten‹ setzt ein Prozess der Reflexion ein. Denn auch während des Schreibens beobachtet sich der Schreibende selbst, sieht der Maler, was er malt. Niklas Luhmann schlägt deshalb vor, den Dualismus von Herstellen und Betrachten aufzulösen, als »rollenorientierte Auf-
67 | Fünfter Akt, Siebte Szene. Fritz Kortner probt Kabale und Liebe. Regie: Hans-Jürgen Syberberg. Deutschland 1965.
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fassung, die zwischen der Produktion und Rezeption eines Kunstwerks unterscheidet«. Dagegen setzt er das Begriffspaar »Operation« und »Beobachtung«: »[…] jedenfalls findet Operieren und Beobachten (also: auf Grund einer Unterscheidung etwas Bezeichnen) sowohl beim Herstellen als auch beim Betrachten des Kunstwerks statt. Auch ein Künstler kann sein Herstellen nur durch ein Beobachten steuern, er muss sich vom entstehenden Werk gewissermaßen zeigen lassen, was geschehen ist und was weiterhin geschehen kann. Ein klassischer Ort der Erörterung dieses Sachverhalts ist die Theorie der Skizzen. Ein Maler muss mehrere Skizzen anfertigen, um Einfälle festzuhalten und um sehen zu können, welche sich am besten eignen. Dies kann natürlich auch in eine schnellere Sequenz des Malens und Zurücktretens und Beobachtens zusammengezogen werden. Auch ein Schriftsteller ist immer zugleich Leser – wie anders könnte er schreiben?« 68
Nicht ohne Grund bezieht sich Luhmann hier nicht auf das Theater. Denn im Theater, im Sinne von theatron als Ort zum Schauen, überlagern sich verschiedenste Beobachtungsperspektiven. Die Aufführung ist ohne die Position der Zuschauer nicht zu denken, aber bereits im Probenprozess überlagern sich verschiedene Beobachtungspositionen: der Regisseur, mit seiner Position des idealen Zuschauerblicks, der Schauspieler, der seine Mitspieler beobachtet und die Selbstbeobachtung des Schauspielers im Machen – die wiederum eine notwendigerweise andere Perspektive ist, als die des Zuschauers. (Und zugleich ist der Schauspieler immer auch Beobachter seiner Darstellung, wie verschiedene Schauspieltheorien seit Diderot deutlich gemacht haben.) Die direkte Verschaltung von Selbst- und Fremdbeobachtung macht das Besondere des theatralen Probenprozesses aus. Die Probe konstituiert sich über das Verhältnis der am Prozess Beteiligten: zwischen Szene und Zuschauerposition. Wenn Jens Roselt in seiner Phänomenologie des Theaters die Theateraufführung als »dialogisches Zwischengeschehen« definiert, das »Krisensituationen zwischen den Teilnehmern stiftet« und damit zugleich die produktive und kreative Dimension des Zuschauens unterstreicht, dann gilt dies in besonderem Maß für die Aufführungssituation der Probe.69 Diese besondere Verschränkung von Produzieren und Rezipieren, die Medialität der Probe, ist damit aber nicht nur Herausforderung für die Analyse einer gegenwärtigen Probenpraxis. Jede Auseinandersetzung mit dem Probenprozess, auch aus historiografischer Perspektive, muss jene Medialität der Probe mit in den Blick nehmen und sich der Schwierigkeit stellen, dass es nicht einen Blick auf die Proben gibt, sondern dass sich das Proben immer durch eine Polyperspektivität auszeichnet. In diesem Sinne ist es mein Ziel, die verschiede68 | Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt a.M. 1995. S. 67f. 69 | Jens Roselt: Phänomenologie des Theaters. München 2008. S. 194 sowie S. 363ff.
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nen Perspektiven auf das Proben und im Proben zu untersuchen. Es geht damit nicht darum, die Intentionen eines Regisseurs oder Schauspielers nachzuvollziehen. Meine Beschäftigung mit produktionsästhetischen Fragen behauptet keine machtvolle Position, will keine Einblicke in eine versteckte Welt geben, sondern fragt, welche Probenszenarien beschrieben werden. Was ist vom Probenprozess übrig geblieben? Aus welchen Gründen werden Probenprozesse dokumentiert, und wie reflektieren diese Dokumente kreative Prozesse? Es lassen sich zwei Textformen unterscheiden: Erstens die Nacherzählungen von Probenprozessen durch Regisseure und Schauspieler, die ihre Erfahrungen im Rückblick beschreiben, und zweitens die Vor-Schriften für Proben, die Programmatiken und Anleitungen, die versuchen, Vorgaben für einen (gelungenen) Probenprozess zu formulieren. Schon anhand dieser beiden Textformen wird deutlich, dass mein Schreiben über die Probe niemals den Moment des Probens selbst fassen kann, sondern in dem Feld zwischen Vorausschau und Rückblick das Besondere des Probenprozesses zu finden versucht. Über die Proben zu schreiben, heißt dabei auch, die Beschränktheit der eigenen Perspektive hinsichtlich theatraler Prozesse anzuerkennen und sie produktiv nutzbar zu machen. Den Blick auf den Diskurs über die Probenpraxis zu lenken, bedeutet auch, zwei Perspektiven miteinander zu verschränken: einerseits den Blick auf das Theater als Produktionszusammenhang, aber auch den Blick hinaus, als Selbstreflexion der Praktiker. Kein Blick ›hinter die Kulissen‹, sondern ein Blick aus dem Theater heraus: als eine Standortbestimmung theatraler künstlerischer Praxis in einer sich formierenden Arbeitsgesellschaft. Daraus ergeben sich spezifische Fragen: nach dem Status des Schreibenden, dem Kontext der Veröffentlichung der Texte über die Probenpraxis, nach dem Verhältnis des Schreibens über Theater und der Theaterpraxis selbst wie auch nach Prozessen der Legitimation – wie bereits an den Diskussionen über die Kunstform Theater gezeigt. Nach dem, was von der Probenarbeit übrig bleibt, zu fragen, heißt auch, danach zu fragen, wie in der Theaterpraxis Wissen generiert wird und wie dieses Wissen weitergegeben werden kann. Mit der Frage, was über die Proben veröffentlicht wird, wird auch das Wechselverhältnis von kreativen Praktiken am Theater und den Bedingungen des Produzierens untersucht, denn im Schreiben über das Proben werden auch immer Vorstellungen vom Theater als Kunst- und Organisationsform entworfen.
4 Gespielte Proben: Zur Inszenierung der Probe
»Wer da?« Ein Schauspieler springt auf die Bühne und ruft: »Qui est là?« Ein anderer schaut von unten vor der Bühne zu, schüttelt den Kopf. Seine Antwort: »Non ce n’est pas ça.« Der erste versucht es ein zweites Mal, tritt diesmal langsamer auf, fragt: »Qui est là?«, und wieder schüttelt der andere den Kopf, nein, das sei es nicht. Dasselbe Spiel noch einmal. Es ist still im Zuschauerraum, der Einsatz einer Trommel ist zu hören. Die Stimme des Schauspielers verändert sich mit der Atmosphäre, vorsichtig betritt er die Bühne: »Qui est là?«, flüstert er diesmal, und das Drama Hamlets beginnt. Der erste Schauspieler ist David Bennent, der sich selbst spielt oder die Figur Bernado, beziehungsweise sich selbst beim Proben der Darstellung der Figur aus der ersten Szene des Hamlet. Der erste Satz des Dramas macht bereits Probleme, wird wiederholt, verändert: ein stotternder Beginn. Präsentiert wird ein Anfang als Probe, als Suchen und Verwerfen. »Non ce n’est pa ça«: Nein, das ist es nicht, noch nicht. Aber wann ist es etwas, wann ist die Darstellung stimmig, und woher weiß der Schauspieler, ob er das ›Richtige‹ gefunden hat? Dies sind Fragen, die jedes Proben stellt und die hier auf der Bühne in der gespielten Probe selbst verhandelt werden. »Qui est là?« Vorausgegangen ist ein anderer Auftritt. Zu Beginn ist die Bühne leer, das abgerissene Portal ist zu sehen, zwei Leuchter und einige Stühle sind alles, was das Bühnenbild umfasst. Zwei Männer treten auf, sprechen über den Raum des Theaters. Ein anderer kommt dazu und verweist auf das Publikum. Wer spricht? Zu Wort kommen Theaterreformer, die wie keine anderen den Diskurs über das Theater geprägt haben: Eduard Craig trifft auf Wsewolod Meyerhold und Zeami Motokiyo, den Urvater des japanischen Nô-Theaters. Später werden sich noch Brecht, Artaud und Stanislawski zu ihnen gesellen. Am Ende dieses ersten Dialogs stellt Craig die Frage: »From a practical point of view, if you had to advice a young man who want to direct Shakespeare, how
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would you set about it?« Wie soll man Shakespeare inszenieren, ganz praktisch, jenseits programmatischer Statements? 1995 inszeniert Peter Brook am Pariser Theater Bouffes du Nord seine Version eines Hamlet-Fragments unter dem Titel Qui est là? und nennt das Unternehmen »une recherche théâtrale«. Nicht nur Fragmente aus dem Drama Hamlet – die fünfundzwanzig Sprechrollen werden von acht Schauspielern übernommen – werden gezeigt. Brook rahmt und unterbricht das Spiel immer wieder mit Text-Kommentaren der Theaterreformer, zitiert den theatralen Diskurs und konfrontiert ihn mit der Ausstellung schauspielerischer Übungen, lässt Figurendarstellung auf die Selbstdarstellung der Schauspieler treffen. Auch wenn der Kommentar in das Spiel hereinbricht, wird er nicht als übermächtige Stimme des Kritikers inszeniert, sondern Brook lässt die dramatischen Figuren die Texte als ihre eigenen Überlegungen sprechen. Das eigene Spiel wird reflektiert und zugleich in einen historischen Kontext gestellt. Dabei wird die ausgestellte Recherche immer auch als Probe präsentiert: Das szenische Spiel kippt in eine Probe und aus der Probe entsteht eine dramatische Szene. Bruce Meyer stirbt beispielsweise als Polonius auf der Bühne. Als er erdolcht wird, lässt er einen Vorhang über sich gleiten, den er vorher (als Versteck) hochgehalten hat. Er steht wieder auf und erklärt, dass im japanischen Theater die Schauspieler bei ihrem Bühnentod mit einem Tuch abgedeckt würden, damit sie schnell von der Bühne verschwinden können. Später demonstriert er eine andere Version des Sterbens, zeitgenössisch, »very primitive naturalism«, um schließlich wieder aufzustehen und eine dritte, eine chinesische Version vorzuführen: »The actor threw his body in the air like a tightrope artist and only allowed himself to collapse in a heap of the stage after this joking about – which is quite appropriate to the theatre«.1 Inszeniert wird ein Probe-Spiel des Zeigens und Kommentierens, das mit der mehrfachen Re-Inszenierung des Bühnentods – dem eigentlichen Endpunkt jeder Darstellung – die Parameter des theatralen Spiels selbst an die Grenzen bringt. In der direkten Verschaltung von Reflexion und szenischem Spiel wird ein Diskurs über theatrale Praktiken und das Proben im Besonderen inszeniert. Die Inszenierung des theatralen Produzierens, der Arbeit am Theater auf der Bühne, präsentiert sich als Probe verschiedener Darstellungsformen und Dar1 | Zitiert nach der Textfassung: Peter Brook/Marie-Hélène Estienne/Jean-Claude Carrière: Qui est là? Theatrale Recherche. Paris/Berlin 1996. Der geprobte Bühnentod ist ein wiederkehrendes Motiv der Formen des Spiels im Spiel. In der Inszenierung Spectacular (2008) von Forced Entertainment führt die Performerin Claire Marshall immer wieder neue Varianten des Sterbens vor, kommentiert und kritisiert von ihrem Kollegen. Am gespielten Sterben, dem Paradox der schauspielerischen Darstellung schlechthin, werden Darstellungskonventionen ausgestellt, ironisiert und kommentiert als Szene der Überprüfung der ›ultimativen‹ Performanceleistung des Darstellers.
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stellungstraditionen. Der Diskurs um die Praktiken des Theaters wird als vielsprachig (die Schauspieler sprechen zeitweilig ihre Muttersprache: Französisch, Englisch, Deutsch, Japanisch und Afrikanisch-Brambara sind zu hören) und vielstimmig (zwischen die Stimmen der verschiedenen Theaterreformer mischen sich auch Erfahrungsberichte der Schauspieler) ausgestellt. Es ist ein Produzieren, das regional und national geprägt zu sein scheint, dessen Fragen – wie die des Bühnentods – aber universell sind. Das Archiv theatraler Praktiken und theatraler Diskurse wird auf der Bühne durchgespielt. Jede Technik, jede Darstellungsform wird in ihren historischen Kontext gestellt. Gefragt wird nach der Form des Wissens um theatrale Praktiken, nach Überlieferung und Tradierung, nach den Diskursen, die über jene Praktiken geführt werden. Schon der Prolog der drei Theatermacher zeigt, dass die Inszenierung lange vor der eigentlichen Probenarbeit begonnen hat, dass jeder Inszenierung bereits unendlich viele andere vorausgegangen sind und jede künstlerische Praxis, auch wenn sie sich auf die Suche nach etwas Neuem macht, immer durch ihren historischen und sozialen Kontext bestimmt ist. Die Bühne ist in diesem Sinne von Geistern bewohnt, deren Werke mit der Flüchtigkeit der Aufführung vergangen sind, deren Wissen aber immer schon mit der zeitgenössischen Praxis verwoben ist. »I have long wanted to find a way of dramatizing the search and struggle within rehearsal«2 , erklärt Brook die Ausgangsidee der Inszenierung und räumt selbst ein, dass der Probenprozess sich eigentlich der Darstellbarkeit entziehe, zu lang, zu chaotisch, zu ziellos sei. So spielt er mit den Formen der Probe, nutzt Probentechniken als Moment der Selbstreflexion des Theaters, macht durch das Inszenieren von Probensituationen das Verhältnis des Schauspielers zu seiner Figur und der Schauspieler untereinander deutlich. Indem er die Aufführung selbst als Probe inszeniert, als Spiel im Spiel, greift er auf jenes dramaturgische Element zurück, das in der Tragödie des Hamlet selbst das Zentrum und den Höhepunkt bedeutet. Hamlet ist vielleicht das bekannteste Beispiel für das Spiel mit der Probe auf der Bühne. Aber es ist längst nicht das einzige. Das Motiv des ›Theaters auf dem Theater‹ organisiert sich häufig um die Arbeit am Theater, das heißt das Proben. Anders als beim ›Spiel im Spiel‹, in dem auf der Bühne eine zweite Aufführungssituation installiert und damit innerhalb der Fiktion eine weitere fiktionale Ebene etabliert wird – zur Entlarvung der Fiktionalität und der Konventionen des Bühnengeschehens – zielt die Probe weniger auf eine Parodie des Wirklichkeitseindrucks des szenischen Geschehens. Die vorgespielte Probe thematisiert die Bedingungen der theatralen Situation und führt zusätzlich deren Produzieren auf. Im Vorspielen, Unterbrechen, Korrigieren und Verwer2 | Peter Brook zitiert nach Alan Riding: »For Peter Brook, ›Hamlet‹ as a Starting Point.« In: New York Times. 16.01.1996.
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fen wird das Theater als Möglichkeitsraum ausgestellt. Die Dopplung der Zuschauer – die nicht nur Beobachter des szenischen Geschehens, sondern auch der gespielten Probe sind – eröffnet hier, anders als in den Formen des ›Spiel im Spiel‹, eine weitere Perspektive: Sie macht die Zuschauer zu Zeugen einer Arbeit, von der sie normalerweise ausgeschlossen sind. Die Arbeit am Theater kehrt sich nach außen und bringt damit auch das Verhältnis von Zuschauer und Szene in Bewegung. In der Hamlet-Inszenierung von Jan Bosse3 beispielsweise nehmen die Zuschauer nicht nur mit den Schauspielern gemeinsam im Spiegelsaal Platz, sondern sie werden zu Schauspielern gemacht. Ein Casting auf offener Bühne, dem eine Probe folgt: Unter der Anleitung des Protagonisten-Regisseurs müssen sie ihren Part durchexerzieren. Nicht nur das Verhältnis von Machen und Schauen wird hier verdreht, die Zuschauer werden zu Teilnehmern, werden wie Hospitanten auf einer Probe zu Zeugen der Selbstherrlichkeit des sich selbst inszenierenden Regisseur-Protagonisten. Ebenso wird im Spiel mit der Probe auf der Bühne die Konstruktion und beständige Transformation der theatralen Situation ausgestellt. Wenn in Georges Taboris Inszenierung von Becketts Endspiel4 Gert Voss und Ignaz Kirchner am Beginn allein auf der Bühne mit einer »öffentlichen Probe« beginnen und sich über die räumliche Bühnensituation streiten, sie mit Kreidestrichen markieren und wieder verändern, sich an den Lichttechniker wenden, andere Schauspieler imitieren und vor allem sich gegenseitig im Inszenieren des jeweils anderen auf die Nerven gehen, dann wird zu Beginn der Inszenierung auch das Aushandeln der Macht über die szenische Darstellung demonstriert. Diese wird nicht als Moment des Bruchs innerhalb der theatralen Kommunikationssituation inszeniert, sondern als deren Grundkonstante. Über das Proben werden die Bedingungen theatralen Produzierens thematisiert als Suchprozess, der immer auch ganz andere Möglichkeiten zulässt, in dem verschiedene Vorstellungswelten aufeinandertreffen und es immer die Möglichkeit gibt, noch mal von vorn anzufangen und es ganz anders zu machen. Aber gerade jene Thematisierung der Produktionsbedingungen zeichnet nicht nur die Inszenierung von Probensituationen im zeitgenössischen Theater aus. Das Motiv der Probe – als Spiel im Spiel – zieht sich durch die Dramengeschichte – von Shakespeares Hamlet über Il Teatro Comico von Goldoni, Les acteurs du bonne fois von Marviaux, Pirandellos Sechs Personen suchen einen Autor 3 | Uraufführung Schauspielhaus Zürich 2007. 4 | Uraufführung Akademietheater Wien 1998. George Tabori stellt in seinen Inszenierungen nicht nur Probensituationen nach, er greift dabei auch auf unterschiedliche Probenformate zurück. Beispielsweise seine Inszenierung von Becketts Warten auf Godot (Münchner Kammerspiele 1984) beginnt mit einer Leseprobe. Ob gerade Becketts Dramen zu einer solchen Form einladen, wäre eine eigene Untersuchung wert.
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bis hin zu Becketts Catastrophe. Eine Liste, die sich noch um ein Vielfaches verlängern ließe. Das Theater stellt seine Arbeit selbstreflexiv aus, zu unterschiedlichen Zeiten und im Kontext verschiedenster Theaterformen: Die gespielten (und geschriebenen) Proben öffnen den Blick auf die Historizität jedes theatralen Produzierens.
»H ARD - HANDED MEN THAT WORK« – S HAKESPE ARES A M IDSUMMER N IGHT ’S D REAM »What would we not give for a copy of Hamlet used by Shakespeare for rehearsal, with the original stage business scrawled by the prompter’s pencil.« 5
Bernhard Shaws Wunsch nach einer Originalkopie des Hamlet aus den Händen des Autors, bezeugt durch die gekritzelten Mitschriften des Souffleurs, offenbart die Sehnsucht nach einem verbindlichen, vom Autor und Regisseur autorisierten Text, der mehr preisgibt als das, was im Drama niedergeschrieben ist: ein theatrales Wissen entstanden in der Theaterpraxis, in dem sich das Tun des Dramatikers und Regisseurs zeigt. Dieser Wunsch verweist auf die lange Tradition, nach Shakespeare als Regisseur zu forschen – ohne kritisch zu hinterfragen, ob es eine solche Position in der damaligen Theaterpraxis gab.6 Eng verbunden ist damit die Vorstellung einer besonderen Autorität des Autors über die szenischen Prozesse des Produzierens und der Glaube an eine ideale und zeitlose Aufführungspraxis der Stücke. Doch auf der Suche nach einem Wissen über die historische Probenpraxis eröffnen die Dramen Shakespeares eine andere und eigene Perspektive jenseits einer ›authentischen‹ und belegten Praxis des Probens: in den Probenszenen seiner Dramen. Das Produzieren einer Theaterinszenierung, von der Rollenverteilung über das Proben bis hin zur Aufführung, ist ein Teil der Handlung in Shakespeares A Midummer Night’s Dream. Eine Gruppe von Handwerkern erarbeitet für die Hochzeit am fürstlichen Hof eine Inszenierung – »the most lamentable comedy, and most cruell death of Pyramus and Tisbe«7 – in der Hoffnung auf gute 5 | Vorwort zu Plays Unpleasant in George Bernhard Shaw: Collected Play with their Prefaces. London 1970. S. 28. 6 | Tiffany Stern hat in ihren Forschungen zur Theaterpraxis des elisabethanischen Theaters unterstrichen, dass es nicht nur keine Position der Regie gab, sondern dass auch die Möglichkeiten zum gemeinsamen Proben der Schauspieler äußerst gering waren. Die Vorbereitung fand vor allem im individuellen Selbststudium statt. Vgl. Stern: Rehearsal from Shakespeare to Sheridan. S. 122. 7 | William Shakespeare: »A Midsummer Night’s Dream«. In: ders.: The London Shakespeare. London 1958. S. 351.
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Bezahlung. Eine Aufführungssituation, die zu Zeiten Shakespeares nicht mehr verbreitet, aber durchaus noch bekannt ist. Aber der Sommernachtstraum ist ein verwirrendes Stück, und dieser Handlungsstrang ist nur einer von vieren, die im Drama miteinander verwoben werden: die Hochzeitsvorbereitungen um das adlige Paar Theseus und Hippolyta, die Liebesqualen der athenischen Jugendlichen, die wiederum Opfer eines Zaubers des Elfenkönigs Oberon und seines Kobolds Puck werden, mit dem diese beiden eigentlich Titania bloßstellen wollen. Räumlich und zeitlich Getrenntes prallt aufeinander: das antike Griechenland und das England der Renaissance, die adlige Hofgesellschaft und die Handwerkertruppe, die Ordnung der Stadt und die Zauberwelt des Waldes. Theseus formuliert zu Beginn die Perspektive, aus der das Stück zu lesen ist – ein Drama, geschrieben für das Vergnügen einer Hofgesellschaft – und installiert damit die soziale Opposition zu den sich an der Inszenierung abmühenden Handwerkern. Somit wird die prekäre Produktionssituation ihrer theatralen Arbeit von Beginn an ausgestellt und immer wieder thematisiert.8 Nicht nur in ihrer Abhängigkeit von den Reaktionen des Publikums – ihr Produzieren ist freiwillig, ob sie bezahlt werden, wissen sie nicht. Auch ihr Status als Handwerker, die sich an etwas versuchen, das nicht ihr eigentliches Metier ist, markiert die besondere Schwierigkeit ihres theatralen Produzierens. »To show our simple skills//that is the true beginning of our end«9, heißt es im verunglückten Prolog ihrer noch verunglückteren Aufführung. In diesem Sinne verspricht der zuschauende Theseus ihnen auch, »dankbar für nichts« zu sein (»to give them thanks for nothing«).10 Schon das Proben der Truppe wird zu einer Aneinanderreihung theatraler Unfälle: Wörter werden falsch verstanden oder ausgesprochen, Stichwörter verpasst, Repliken ausgelassen. Schließlich muss die Probe abgebrochen werden, weil einer der Schauspieler in einen Esel verwandelt wurde. Wenn Wilhelm Meister an der fehlenden Probe scheitert, dann scheitern hier die Handwerker an ihrem Unwissen hinsichtlich grundlegender theatraler Konventionen, wie der Aufrechterhaltung der theatralen Situation durch den Schauspieler. Und wenn sich die Grundstruktur des Dramas durch ein beständiges Umschlagen der Spielebenen auszeichnet, dann wird dies in der gezeigten Probe noch potenziert. Nicht nur, weil im Vorspielen und der Doppelung der Zuschauerposition auf der Bühne im selbstreflexiven Bezug die Inszeniertheit des Bühnengesche8 | Dies mag auch ein Grund sein, warum in verschiedenen Bearbeitungen des Dramas die so genannte Handwerkerszene weggelassen wurde. Beispielweise in David Garricks Adaption The Fairies (1755): Die Illusion des Zauberwalds wird nicht durch das Ausstellen der theatralen Konstruktion gestört. 9 | Shakespeare: »A Midsummer Night’s Dream«. S. 402. 10 | Ebd., S. 401.
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hens selbst ausgestellt wird, sondern weil die Probe selbst sich durch einen ständigen Wechsel von Zeigen, Kommentieren, von Rolleneinstieg- und ausstieg auszeichnet. Die Probe ist die Potenzierung des Spiels im Spiel im Nebeneinander verschiedenster Spielebenen, die es den Beteiligten selbst schwer machen, zu erkennen, wer jetzt eigentlich spricht. Dieses Spiel wird bis zum Exzess betrieben als Parodie einer Arbeit am Theater. Dabei bemühen sich die Handwerker redlich, ihre selbstgestellte Aufgabe zu meistern. Doch gerade die Ernsthaftigkeit, mit der sie die Fragen theatraler Darstellung – die Doppelung des Schauspielers in der Rollenfigur, die Figuration der Szenografie – auf ihre Weise ›praktisch‹ lösen, macht sie zur Zielscheibe des Spotts. Vor allem ihr Widerstand und ihre Angst, als etwas anderes zu erscheinen, als sie sind, verdammt ihre schauspielerische Darstellung zum Scheitern und offenbart ihre Unkenntnis theatraler Konventionen. Sie erklären ihre handwerklich-technischen Problemlösungen der Darstellungsaufgaben, kommentieren die Reaktionen der Zuschauer auf offener Szene und unterlaufen damit die theatrale Situation selbst. (Ein Vorgehen, das spätestens im 20. Jahrhundert zum Kanon der Inszenierungsverfahren gehört.) Sie führen weniger ein Drama auf, als vielmehr ihre Arbeit daran. Das Ausstellen der Konstruktion – aus Angst vor Fehlinterpretationen – macht ihre Aufführung zu einer ›Probe‹ handwerklichen Könnens, dem die theatralen Anforderungen des Produzierens entgegenstehen. Das ›Handwerkerspiel‹ als Probenszenario aus dem Sommernachtstraum wird in der Forschung häufig als Indiz gewertet, dass die Probenpraxis des Elisabethanischen Theaters sich durch eine kollektive Form der Vorbereitung auszeichnete.11 Das Stück zeigt aber nicht die Probenpraxis einer professionellen Schauspielertruppe, sondern Handwerker und damit Amateurschauspieler, die zu einem besonderen Anlass aus finanziellen Interessen ein Stück einstudieren. Eine Parodie ihrer Arbeitsweise wie auch ihres Aufführungsstils im letzten Akt, die Darstellung ihrer Unbeholfenheit und ihres Nicht-Könnens ist damit im Kontext der Etablierung eines professionellen Theaters Ende des 16. Jahrhunderts zu sehen.12 Der Herzog und sein Hof zeichnen sich durch eine 11 | »Aus Schauspielerszenen wie A Midsummer Night’s Dream geht hervor, dass die Rollen erst auswendig gelernt und dann gemeinsam eingeübt wurden, nachdem der Autor das Ganze einmal vorgetragen hatte. Das Resultat dieser Probenarbeit war eine ausgesprochene Gemeinschaftsleistung der gleichberechtigten Schauspieler-Teilhaber.« Ina Schabert: Shakespeare-Handbuch. Stuttgart 200. S. 108. 12 | Siehe zu dieser Interpretation auch Stephan Greenblatt: Will in der Welt. Berlin 2004. S. 47f. Manfred Brauneck weist darauf hin, dass es zur Zeit des Elisabethanischen Theaters oft Theater spielende Handwerkertruppen sind, die sich entschließen, das Schauspielen zu ihrem Beruf zu machen. Dabei wurde die Truppe als »kommerziel-
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Kennerschaft des Theaters aus, die der Unwissenheit und Naivität der Amateurschauspieler entgegensteht.13 Diese Opposition wird anhand zweier verschiedener Formen von Arbeit vorgenommen. Als Philostrate dem Herzog das Stück vorstellt, fragt dieser nach den Schauspielern: »Hard-handed men that work in Athens here, Which never laboured in their minds till now; And now have toiled their unbreathed memories With this same play, against your nuptial.«14
Gegen die Handarbeit des Handwerkers als konkretem Vorgang wird die geistige Arbeit des Schauspielers gesetzt. Mit dem Geist muss genauso gearbeitet werden wie mit der Hand oder dem Körper. Die ausgestellte Arbeit der Handwerker markiert die Differenz zu den professionellen Schauspieltruppen, und zugleich thematisiert sie nicht nur die theatralen Strukturen, die Bedingungen des Produzierens in ihrem sozialen Kontext, sondern eröffnet auch ein Nachdenken über die Arbeit am Theater als Profession.
D ER DOPPELTE C HAR AK TER DES P ROBENS : L’IMPROMPTU DE VERSAILLES Zu Beginn ist die Bühne leer. Dann tritt der Autor auf: Allein steht er auf der Szene, und einzeln ruft er Schauspieler beim Namen, die nach und nach auf die Bühne gestolpert kommen. Es ist ein Ruf zu einer Probe, deren Ende bereits angekündigt ist: das Erscheinen des Königs in zwei Stunden und der damit gesetzte Beginn der Aufführung. So beginnt Molières Stück L’impromptu de Versailles, 1663 auf Wunsch Ludwig XIV. entstanden.15 Molière macht wie Shakespeare die besonderen Produktionsbedingungen – ein Auftragswerk des Königs, die fehlende Vorbereitungszeit, le[s]« wie »lukrative[s] Wirtschaftsunternehmen« gesehen. Manfred Brauneck: Die Welt als Bühne. Stuttgart/Weimar 1993. Bd. 1, S. 575f. 13 | Diese Opposition kann aber auch als Angriff auf die sozialen Bedingungen der Aufführungssituation selbst gelesen werden, wie dies Michael Dobson tut: »The over-archiving-joke […] must be […] against the social circumstances under which it [the play] is so badly performed, a jibe at amateur theatre per se […].« Michael Dobson: »Shakespeare as a Joke: The English Comic Tradition, A Midsummer Night’s Dream and Amateur Theatre«. In: Shakespeare Survey. Nr. 56 (2003). S. 117-125. S. 122. 14 | Shakespeare: A Midsummer Night’s Dream. S. 400. 15 | Vgl. Jean Baptiste Poquelin dit Molière: »L’ Impromptu de Versailles«. In: ders.: Œuvres Complètes. Hg. George Contou. Bd. 1. Paris 1971.
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die äußeren Produktionsbedingungen – zum Gegenstand seines Dramas. Es war Molières letztes Stück in den so genannten Querelles de L’ Ecole des Femmes, die ausgebrochen waren, nachdem Molière mit seiner Truppe aus der Provinz nach Paris gekommen war. Der große Publikumserfolg seiner Komödien schien eine Bedrohung für das konkurrierende Hôtel de Bourgogne, das als offizielles Theater des Hofes nur Tragödien zeigte. Nachdem im Hôtel de Bourgogne das Stück Le Portrait du Peintre gezeigt worden war, das Molière persönlich beleidigte, gab ihm der König den Auftrag zu einem Stück als Erwiderung: So entstand das Vorspiel von Versailles (L’impromptu de Versailles). Anders als Shakespeare zitiert Molière aber nicht eine amateurhafte Theaterform und distanziert sich von ihr, sondern er macht sich selbst zum Protagonisten des Dramas. Bereits zu Beginn des Stücks offenbart sich dessen besondere Struktur einer Selbstreflexion der theatralen Produktion: Die Schauspieler präsentieren sich als sie selbst beim Proben. Ort der Handlung ist der salle de comédie, das Privattheater des Königs, wo das Stück auch zum ersten Mal gezeigt wurde. »Wir können unsere Sätze nicht«: Dieser Ausruf der Schauspieler fasst die schwierige Ausgangslage der Molièr’schen Unternehmung zusammen, dem für die Erarbeitung keine Zeit bleibt. Die Proben kommen nicht in Gang, statt die verbleibende Zeit zu nutzen, diskutieren die Schauspieler über geplante Projekte, parodieren die Schauspieler des Hôtel de Bourgogne. Schließlich werden aber doch Rollen verteilt, und es wird damit begonnen, das aufzuführende Stück zu proben. Aber wieder kommt es zu Unterbrechungen: ein Adliger mischt sich in den Probenvorgang ein, Schauspieler weigern sich, ihre Rollen zu spielen oder stellen den Schauspielstil in Frage. Als schließlich die Ankunft des Königs gemeldet wird, findet sich die Truppe resigniert mit ihrem Schicksal ab, das Stück aus dem Stehgreif improvisieren zu müssen. Doch am Ende hat der König ein Einsehen, und aufgrund der zu kurzen Probenzeit wird die Aufführung abgesagt. Molières Position als Schauspieler-Autor-Regisseur steht im Zentrum: Sein Auftritt zu Beginn, allein auf der Bühne als derjenige, der die Schauspieler ruft, markiert ihn als Autor des Dargestellten.16 Er präsentiert sich als Gegenüber des Königs, der innerhalb des Stücks – dem Vorspielen einer Probe – jedoch als 16 | So ist die Deutung zu hinterfragen, dass aus der Personalunion von Autor und Regisseur eine besondere Autorität erwächst, wie es der Theaterwissenschaftler Gösta M. Bergman über Molière als »Personen-Regisseur« beschreibt: »Wir sehen ihn für jeden Schauspieler den Typus seiner Rolle skizzieren, so wie dieser durch Tonfall und Geste charakterisiert werden soll. Er macht auch Angaben für die Bühneneinrichtung, und wenn das Spiel in Gang ist, greift er mitunter ein und spielt auch selbst gewisse Momente der Rolle vor.« Ausgestellt wird eine Spielpraxis, in der Molière sich zwar als Initiator präsentiert, zugleich aber seine mangelnde Kontrolle über das szenische Geschehen
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abwesend inszeniert ist. Dennoch ist seine Position keine wirklich souveräne. Ausgestellt wird seine Abhängigkeit von den anderen Schauspielern, den äußeren Produktionsbedingungen, dem fehlenden Text. Inszeniert wird die Probe als Krisenszenario, das sich der Molièrschen Kontrolle – die in seinem ersten Auftritt behauptet wird – immer wieder entzieht. Molière präsentiert sich als nur scheinbarer Souverän über Stück und Truppe, ein Souverän, der an beidem scheitert. Dieses Scheitern setzt er allerdings gekonnt in Szene. Diese Überlagerung in der Figur wird durch die Situation der Proben unterstrichen: Molière spielt vor und kontrolliert zugleich das Dargestellte. Er nimmt einen Blick von außen auf die Darstellung ein und ist zugleich Teil davon. Molière macht nicht nur sich selbst als Autor und Schauspieler zum Protagonisten des Stücks. Innerhalb des aufzuführenden Dramas übernimmt er auch die Rolle des verfeindeten Schauspielers und lässt sich selbst durch einen anderen Schauspieler darstellen. Damit inszeniert er sich selbst in der Position seines Kritikers und lässt diesen von seiner gespielten Rollenfigur kritisieren: eine Travestie der Kritik, die noch dadurch potenziert wird, dass die Figur des Regisseurs Molière den Schauspieler, der im geprobten Drama die Figur Molière spielt, auf offener Bühne für seine Darstellung kritisiert. Der Auftrag einer Antwort auf die Anschuldigungen im Portrait du Peintre wird mit einem Drama der Potenzierung von Kritik und Gegenkritik erfüllt. Und so wird der König nie das geprobte Stück zu Gesicht bekommen, dessen Proben im L’Impromptu vorgespielt werden. Das Drama bewegt sich um die Leerstelle des angesetzten Stücks. Gezeigt wird die Probe einer Aufführung, die nie stattfindet. Und auch die Probe findet kein Ende. Sie droht permanent zu scheitern, die Unterbrechung wird zum konstituierenden Prinzip. Damit ist aber Abby Zanger zu widersprechen, die im L’impromptu ein Stück über eine Probe sieht, die nie stattfindet (»the play is about a rehearsal that never takes place«17). Auch wenn es zu keiner Aufführung kommt, die Probe findet statt. Es wird geprobt, dieses Proben ist aber gekennzeichnet von Störungen, Abweichungen, Unterbrechungen. Die Probe findet keine Ordnung, sondern ihre Ordnung wird immer wieder destabilisiert: durch die Überlagerung der verschiedenen Funktionen von Molière, durch Störungen von außen, durch einen Wechsel zwischen Spiel- und Reflexionsebene. Die Probe selbst zum Gegenstand des Dramas zu machen, eröffnet damit eine andere Ebene als die Strategien des ›Spiels im Spiel‹ oder des ›Theaters auf dem Theater‹. Die Markierung der Abwesenheit der Zuschauer behauptet eine Intimität der Situation, die einen Modus der Offenbarung ermöglicht. Das offenbart. Gösta M. Bergman: »Der Eintritt des Berufsregisseurs in das französische Theater«. In: Maske und Kothurn. 12 (1964). S. 431-454. S. 434. 17 | Abby Zanger: »Acting as Counteracting in Molière’s The Impromptu de Versailles«. In: Theatre Journal. Vol. 38, Nr. 2 (1986). S. 180-195. S. 180.
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Theater stellt sich in seiner Alltäglichkeit aus und offenbart sich selbst in seiner Krisenhaftigkeit. Der Charakter des Unveröffentlichten der Probe bietet eine Möglichkeit zur Kritik, ohne diese direkt zu formulieren. Die Probe wird als Spielraum und Schutzraum für das Ausprobieren verschiedener Äußerungsmöglichkeiten inszeniert. Deutlich wird, dass die Probe selbst schon eine besondere Spielsituation etabliert, die sich gerade durch Rahmenwechsel zwischen Produktion und Rezeption auszeichnet. Um die Probe als Probe auszustellen und sie damit von der Aufführung abzugrenzen, bedarf es eines Heraustretens aus der schauspielerischen Darstellung. Das heißt, ohne die Unterbrechungen wäre die Probe als solche nicht mehr erkennbar und würde zum einfachen Vorspielen der Aufführung werden. Ohne den Rahmen der Reflexion, des Zurücktretens, des Kommentars, ohne die Brüche im Spiel gleicht sich die Probe der Aufführung an und wird von ihr ununterscheidbar. Die Probe muss den Charakter des VorSpiels ausstellen, um sich als eine Arbeit am Theater konstituieren zu können. Damit verweist das Stück auf eine Grundkonstante der Arbeit am Theater: diese ist immer widersprüchlich, weil die Schauspieler sowohl als soziale Personen der Arbeiter am Theater gegenwärtig sind wie auch als Spieler ihrer Figuren. Diese Identitäten überlagern sich nicht nur, im Moment des Probens findet ein permanentes Umkippen statt: zwischen Spiel und dessen Kommentierung, Vorführen und Beobachten. In diesem Sinne bedarf jede Form der Theaterprobe einer besonderen Kommunikationssituation, die zwischen verschiedenen Ebenen wechseln muss. In der Probe zeigt sich nicht nur die Doppelung des Schauspielers im Spiel, sondern auch die des Arbeiters am Theater. Die erste deutsche Übersetzung des Stücks war mit dem Titel Vorspiel von Versailles überschrieben. Auch wenn die Übersetzung den eigentlichen Sinn nicht trifft, verweist sie auf die besondere Beziehung der Zuschauer zu diesem Vor-Spielen der Proben. Denn sie sind in zweifacher Weise ›vor‹ dem Stück: devant und avant, räumlich wie zeitlich. Sie sitzen als Zuschauer nicht nur vor der Bühne und schauen die Probe an, auch die Zeit der Aufführung liegt vor der eigentlichen Aufführung.18 Und noch auf einer weiteren Ebene wird das Drama als ›vorausliegend‹ inszeniert: impromptu lässt sich übersetzen als das ›Unvorhergesehene‹ und damit das, was jenseits des Planbaren liegt und konstitutiv für jede Probe ist. Sowohl Shakespears A Midsummer Night’s Dream als auch Molières L’impromptu thematisieren eine bestimmte Produktionssituation, die durch Abhängigkeiten gekennzeichnet ist. Die Probenarbeit wird innerhalb eines ökonomischen Kontextes verortet. Ihr Erfolg wird als von unterschiedlichen Faktoren 18 | Vgl. dazu auch Marc Fumaroli: »Microcosme comique et macrocosme solaire: Molière, Louis XIV, et L’impromptu de Versailles«. In: Revue des Sciences Humaines 37. Nr. 145 (1972). S. 106.
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abhängig ausgestellt: von den Erwartungen der Auftraggeber oder des Publikums, der sozialen Stellung und Professionalität der Spielenden, von Produktionsort und -zeit. Im Vor-Spielen der Proben zeigen sich beide Seiten der Arbeit am Theater: sie konstituiert die Theaterpraxis, durch sie werden Vorstellungen von Theater entworfen, und zugleich bleibt sie den äußeren Produktionsbedingungen unterstellt. Mit dem Ausstellen des Produktionskontexts verweisen die gespielten Proben auf einen Fragehorizont, der in meinen Überlegungen bisher ausgeklammert wurde: Inwieweit ist die Probenpraxis aus ihrem jeweiligen historischen und nationalen Kontext zu beschreiben? Die Situation im ausgehenden 18. Jahrhundert in Deutschland unterscheidet sich beispielsweise grundlegend von der Produktionssituation in Frankreich zur selben Zeit. Die Praxis des en suiteSpielens in Paris eröffnet für das Proben ganz andere Notwendigkeiten als die Repertoirepraxis in den feststehenden Bühnen der deutschen Städte, die oft nur über ein zahlenmäßig geringes Publikum verfügen. Diese Differenzen sind bei der Beschreibung der Produktionsstrukturen in ihrem Verhältnis zu den Probenformen zu unterscheiden. Dass im Theaterdiskurs diese Differenzen im Produzieren durchaus Gegenstand der Diskussion sind, zeigen die rege Reisetätigkeit deutscher Theaterpraktiker beispielsweise nach Paris und ihre Berichte über die dortige Theater-Arbeit.19 Zugleich ist die Theaterpraxis im 18. Jahrhundert durchaus ein ›internationales‹ Geschäft: Englische wie italienische Truppen gastieren in Deutschland, dramatische Texte werden übersetzt und auch die Reflexion der Theaterpraxis ist nicht auf eine ›nationale‹ Debatte beschränkt. Es gilt zum einen, die jeweils spezifischen Produktionsbedingungen in ihrem jeweiligen Kontext zu reflektieren, zugleich aber auch die gegenseitigen Beeinflussungen, die Verschiebungen und Veränderungen hinsichtlich spezifischer Theaterkulturen in den Blick zu nehmen. Zu untersuchen ist also die wechselseitige Verflechtung der Arbeit am Theater: als Spannungsfeld zwischen den Bedingungen ihres Produzierens und den Praxen, die sie hervorbringt.
19 | Nicht nur Humboldts Brief über die französische Komödie beeinflusst den Diskurs über Theater in Deutschland, auch die Berichte über die Probenpraxis zahlreicher Parisreisender, beispielsweise von Kotzebue. Vgl. Bergman: »Der Eintritt des Berufsregisseurs in das französische Theater«.
5 Am Anfang der Proben: Theaterpraxis um 1800 (Weimarer Hoftheater)
»(Dilettanten wissen sich nichts anziehenderes [!] als die Komödien Proben, Schauspieler von Metier hassen sie)«1
Diese Randbemerkung stammt aus dem Schema zum »Nutzen« und »Schaden« des Dilettantismus, das Goethe und Schiller 1799 gemeinsam entwerfen. Für jede Kunstform – von der Zeichnung über den Tanz bis hin zum Gartenbau wird eine Rechnung hinsichtlich der Vor- und Nachteile einer nichtprofessionellen künstlerischen Beschäftigung aufgestellt – für das »Subjekt«, das »Ganze« und »in Deutschland«.2 Über diese Kosten-Nutzen-Rechnung wird der professionelle Künstler von seinem dilettierenden Widerpart abgegrenzt. Dabei nimmt das Theater eine Sonderstellung ein: Der Akt des Schauspielens sei nicht vom Darstellenden zu trennen. Das falsch verstandene künstlerische Produzieren erschöpft sich hier nicht im Hervorbringen missratener Werke oder Darstellungen – da diese an den Schauspieler gebunden sind, habe es immer auch negative Effekte auf das produzierende Subjekt selbst. Vor allem eine bestimmte Art des Probens sei höchst problematisch. So führe für den nichtprofessionellen Schauspieler häufiges Proben zu einem »Zirkel in einer einförmigen, immer wiederholten und zu nichts führenden Tätigkeit«3 . In der Abwertung der Probe als wiederholendes, »mechanisches« Tun klingt das Konzept seines Gegenteils an: eines auf ein Ziel ausgerichteten Produzierens. Dass Schiller und Goethe die Probe herabsetzen, erstaunt im Kontext einer theaterwissenschaftlichen Forschung, die in der Arbeit der beiden Künstler im Weimarer Hoftheater um 1800 nicht nur die Grundsteinlegung für das litera1 | Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller: »Über den Dilettantismus«. In: ders.: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchener Ausgabe [MA = Münchener Ausgabe]. München 1986. Bd. 6.2, S. 172. 2 | Ebd. 3 | Ebd.
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risch geprägte deutsche Theatersystem sieht, sondern die Bedeutung dieses Theaters gerade in einer veränderten Form der künstlerischen Praxis festmacht, die sich auch durch eine Neubewertung der Proben auszeichnet. So wird Goethe als einer der »Erfinder des probenintensiven Regietheaters« gefeiert.4 Belegen lässt sich vor allem ein Anstieg der Probenzeiten im Verhältnis zu anderen Theatern. Wenn Goethe in einer Handschrift von 1794 die Proben zum Stück Die Geschwister auf dem Lande auf acht Tage verteilt, unterschieden in Leseprobe und Hauptprobe,5 dann ist das viel im Verhältnis zu den üblichen Probenzeiten Ende des 18. Jahrhunderts.6 Dennoch erscheint das Verhältnis zu den Proben ambivalent. Nicht nur den Schauspielern »von Metier« ist das Proben ein Übel. Schiller schreibt 1801 an Goethe: »[M]ich [schreckt] auch die schreckliche Empirie des Einlernens, des Behelfens und der Zeitverlust der Proben.«7 Die Theaterprobe ist keine erfüllende künstlerische Tätigkeit, kein gemeinsames kreatives Schaffen, sondern vor allem uneffektive Vermittlungsarbeit. Diese Ambivalenz gegenüber der Probenarbeit lässt sich anhand der Figur des Dilettanten konkretisieren, dem ja im eingangs erwähnten Zitat ein positives Verhältnis zur Probe zugeschrieben wird. Der Entwurf des »Schemas« ist Teil eines Entwurfs ästhetischer Praxis, der versucht, über die Abgrenzung vom Dilettanten Professionalisierungskriterien für das künstlerische Schaffen 4 | »Zwar war Goethe nicht der alleinige Erfinder des probenintensiven Regietheaters – Ansätze existierten dazu bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert in Paris und Wien –, doch trug er maßgeblich zu seiner Verbreitung in Deutschland bei«, schreibt Peter Huber: »Goethes praktische Theaterarbeit«. In: Bernd Witte et al. (Hg.): Goethe-Handbuch. Stuttgart 1997. Bd. 2, S. 41. Weimar sei »Goethes theatralische Sendung«, seine künstlerische Praxis zeichne sich durch »systematische Probenarbeit« aus, schreibt Ekkehard Krippendorff: Goethe – Theaterarbeit. Berlin 2005. S. 9. 5 | Johann Wolfgang Goethe: Eintheilung der Zeit und Austheilung der Stücke auf acht Tage. Weimar 14. November 1794. Goethe-Museum Düsseldorf VIII, 3. Allerdings sind in diesen acht Tagen auch Zeiten zum individuellen Textstudium enthalten. Andere Dokumente belegen eine Probenzeit von vier Tagen. Vgl. Bruno Sartori-Neumann: Die Frühzeit des weimarerischen Hoftheaters unter Goethes Leitung 1791-1798. Berlin 1922. S. 272. 6 | Noch Anfang des 19. Jahrhundert wurden die Stücke innerhalb weniger Tage auf die Bühne gebracht, wie beispielsweise die Gesetze des Coburger Hoftheaters berichten: »Die Aufführung eines jeden Stücks wird mit 3 Theaterproben vorbereitet […] welche in der Regel, am Tag vor der Aufführung, morgens um 9 Uhr und mittags um 3 Uhr, und am Tage der Aufführung um 9 Uhr morgens abgehalten werden. Die 3te Probe ist die Generalprobe.« Aus: Gesetze für das Herzogl. S. Hof-Theater zu Coburg. Coburg 1827. S. 7. 7 | Schiller an Goethe am 28.04.1801. In: Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe. Hg. Emil Staiger. Frankfurt a.M./Leipzig 2005. S. 917.
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aufzustellen. Bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert ist der Dilettant eine legitime Figur im künstlerischen Diskurs: ein Liebhaber, der sowohl rezipiert wie produziert, jemand, der über Kunst reden und (in beschränktem Maße) auch Kunst machen kann. Unterscheidungskriterium zwischen Künstler und Dilettant war die erwerbsmäßige Ausübung künstlerischen Tuns. Mit der Ausbildung des Kunstsystems als eigenständigem und von der Arbeit abgetrenntem Bereich wird der Dilettant zur Zielscheibe der Kritik: Das dilettierende Tun soll aus dem System der Kunst ausgeschlossen werden. Damit verbunden ist eine radikale Trennung von Produktion und Rezeption, von professionellen Künstlern, deren Berufung die Kunst ist, und Laien.8 Da auch das Tun des professionellen Künstlers jenseits ökonomischer Ziele verortet wurde, bedurfte es anderer Unterscheidungskriterien als der Erwerbsarbeit. Während der Dilettant das künstlerische Schaffen »als ein Spiel, als einen Zeitvertreib« begreift, das »meist noch einen Nebenzweck« hat,9 entwirft Schiller den professionellen Künstler als ernsthaften Arbeiter. So sei »ein anstrengendes und nichts weniger als reizendes Studium […] der untrügliche Probierstein […], woran man den bloßen Dilettanten von dem wahrhaften Kunstgenie unterscheiden kann«10. Damit wird deutlich, dass die Probe, indem sie dem Dilettanten zugeordnet wird, nicht als Arbeit oder Studium zählt. Wenn Schiller das »wahrhaftige Kunstgenie« über die Form der ästhetischen Arbeit abgrenzt – als Künstler, der »tief eindringen, scharf unterscheiden, vielseitig verbinden und standhaft beharren« müsse11 – dann scheint die Probe nach der obigen Bestimmung einer solchen Form der künstlerischen Arbeit zu widersprechen. Die notwendige Wiederholung, das kollektive Tun des Probens unterläuft das Pathos der ernsthaften künstlerischen Arbeit. Während der Dilettant sich in die Probe vertieft und im Üben damit die Aufführung selbst aus den Augen verliert, ist das Proben für den professionellen Schauspieler zwar Notwendigkeit, aber nicht Grundlage der künstlerischen Praxis. Die repetitive Wiederholung des Immergleichen gehört nicht zum Konzept der professionellen künstlerischen Praxis. Wenn diese sich durch eine Verbindung von Talent und Technik auszeichnet, dann ist die Probe weder Ort des einen noch des anderen. Für den Dilettanten, dem »alles
8 | Dass die Auseinandersetzung mit dem Dilettantismus immer dann stattfindet, wenn die Kunst Autonomie für sich reklamiert, zeigt Hans-Rudolf Vaget: »Der Dilettant. Eine Skizze der Wort- und Bedeutungsgeschichte«. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergemeinschaft. 14 (1970). S. 131-158. S. 131. 9 | Johann Wolfgang von Goethe/Friedrich Schiller: »Über den Dilettantismus«. In: WA. Bd. I, 47, S. 747. 10 | Friedrich Schiller: »Ueber die nothwendigen Grenzen beim Gebrauch schöner Formen«. In: NA. Bd. 21, S. 3-27. S. 20. 11 | Ebd.
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als ein Spiel«12 erscheint, der es sich im Verhältnis zum wahren Künstler zu leicht macht, mag sie angenehm sein – Goethes Probenbeschreibungen im Wilhelm Meister rufen auch immer den sozialen Charakter des Probens auf –, dem professionellen Schauspieler werden sie zum Zeitverlust, denn seine künstlerische Arbeit findet jenseits der Probe statt. Doch wenn nicht auf den Proben, wo dann wird die künstlerische Arbeit im Theater verortet? Das Weimarer Hoftheater – und im Besonderen die Zusammenarbeit von Goethe und Schiller im Zeitraum von 1796 an – öffnet für diese Frage einen besonderen Kontext, weil sich hier in einer Umbruchsituation verschiedene Theaterformen und Produktionskontexte überlagern. Während in seinen ersten Weimarer Jahren Goethe noch für die Aufführungen des Liebhabertheaters verantwortlich zeichnet, wird mit der Gründung eines festen Ensembles 1784 – zuerst unter der Leitung des Prinzipals Giuseppe Bellomo – das Theater in einen professionellen Kontext gestellt.13 (Die Abgrenzung gegenüber dem dilettierenden Schauspieler kann durchaus vor diesem Hintergrund gelesen werden.) 1791 erhält Goethe vom Herzog Carl August den Auftrag zur Übernahme der Leitung des Theaters. Der Posten des Intendanten hatte im ausgehenden 18. Jahrhundert mehr repräsentative als administrative Funktion, jenseits eines künstlerischen Anspruchs.14 Dass Goethe in seiner Position als Theaterleiter eigene ästhetische Vorstellungen mitbringt und umsetzt, ist als Ausnahme zu lesen. Durch die Zusammenarbeit mit Schiller15 entsteht ein weiterer besonde12 | Johann Wolfgang von Goethe/Friedrich Schiller: »Fragmente über den Dilettantismus«. In: Johann Wolfgang von Goethe: Weimarer Ausgabe. Weimar 1987-1919. Bd. 47, S. 302. 13 | Dass vor der Übernahme der Theaterleitung durch Goethe noch eine wandernde Schauspielertruppe unter dem Prinzipal Joseph Bellomo engagiert war, zeigt, wie sich hier verschiedene Organisationsformen von Theater überlagern bzw. wie sie in direkter Abfolge stehen. 14 | Vgl. Ute Daniel: Hoftheater: Zur Geschichte des Theaters und der Höfe im 18. und 19. Jahrhundert. Stuttgart 1995. S. 92. Einer der wenigen Intendanten im heutigen Sinn war Freiherr von Dalberg, Intendant des Mannheimer Nationaltheaters: Er verbindet Ende des 18. Jahrhunderts repräsentative Funktion und ästhetische Leitung teils auf ähnliche Weise wie Goethe. 15 | Die Zusammenarbeit der beiden findet nicht unter gleichen Bedingungen statt – auch in ökonomischer Hinsicht: Schiller hat bis zu seinem Tod kein offizielles Amt am Theater und ist auch nicht Mitglied der Theater-Commission, die organisatorische und finanzielle Fragen des Theaters berät. Goethes Vorschlag 1795, Schiller die Direktion des Theater zu übertragen, lehnt der Herzog ab. In unserem heutigen Verständnis wäre damit Schiller ein Dilettant in der Theater-Arbeit – durchaus mit Theatererfahrung, aber ohne die professionelle Institutionalisierung durch eine Anstellung. Vgl. dazu Peter-André Alt: Schiller. Leben – Werk – Zeit. München 2000. Bd. 2, S. 390.
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rer Kontext. In der Zeit von 1796 bis zu Schillers Tod arbeiten sie jeweils an der Aufführung von Dramen des anderen, besuchen gemeinsam Proben, tauschen sich in Briefen und Gesprächen über die Theater-Arbeit aus. Die Proben sind im Kontext des Weimarer Hoftheaters um 1800 kein Thema grundlegender ästhetischer Reflexionen. Im Gegenteil: Schon die Klammern der Bemerkung zu den Proben im Schema über Dilettantismus zeigen das Abseitige, das Randständige des Probendiskurses. Wer nach Dokumenten über die Probenpraxis sucht, findet weder eine systematische Darstellung noch eine ästhetische Reflexion einer idealen Probenpraxis.16 Allerdings gibt es zahlreiche Anmerkungen, Erzählungen und Notizen zu den Proben, kurze Verweise in den Regeln für Schauspieler, in den 1793 erlassenen Theatergesetzen sowie in Briefen und Tagebüchern. Die Vielzahl und Unterschiedlichkeit der Textformen zeigt, dass die Proben zur alltäglichen Praxis gehören, ohne allerdings Gegenstand ästhetischer Reflexion zu sein. Und doch stehen sie im Zusammenhang mit einem anderen ästhetischen Projekt: der Auseinandersetzung mit den Prozessen künstlerischer Praxis in den ästhetischen Schriften Schillers und Goethes. Beispielhaft deutlich wird dies im Briefwechsel: neben Probenanekdoten, Lästereien über Schauspieler und geplanten Projekten werden hier Entwürfe einer ästhetischen Praxis zum gemeinsamen Schreibprojekt. Die Arbeit am Theater wird also einerseits innerhalb des Projekts der Formulierung von Professionalitätskriterien künstlerischer Arbeit und zugleich innerhalb der Prozesse der Institutionalisierung des Hoftheaters verhandelt.
P ROBENSZENARIEN Es gibt kein anderes Theater um 1800, über dessen Probenarbeit so ausführlich berichtet wurde wie das Weimarer Hoftheater. In zahlreichen Schauspielerbiografien werden Anekdoten der Probenarbeit erzählt. Vergleicht man diese Erzählungen mit den Beschreibungen von Schauspielerinnen und Schauspielern der Wandertruppen im ausgehenden 18. Jahrhundert – beispielsweise den Lebenserinnerungen der Karoline Schulze-Kummerfeld17, von Joseph Anton 16 | Vielfach werden in der Forschungsliteratur die Probenbeschreibungen in Wilhelm Meisters Lehrjahren als die Darstellung einer idealen Probenarbeit gelesen. Übersehen wird dabei jedoch, dass diese Probenarbeit keineswegs nur erfolgreich dargestellt wird. Wilhelm und seine diversen Theaterunternehmungen scheitern, er entsagt dem Theater und wird als Dilettant ausgestellt, der sich seines eigenen Status bewusst wird. Die Probenbeschreibungen sind als Reflexion ästhetischer Arbeit zu lesen – in all ihren Facetten. 17 | Karoline Schulze-Kummerfeld: Ein fahrendes Frauenzimmer. Die Lebenserinnerungen der Komödiantin Karoline Schulze-Kummerfeld. 1745-1815. München 1994.
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Christ18 oder Johann Christian Brandes19 – dann fällt auf, dass diese kaum Proben schildern. Die Gastspieltätigkeit, Erfolge oder Misserfolge bei den Aufführungen, Schwierigkeiten mit den Mitspielern, Vertragsverhandlungen und Besetzungen sind Thema – die Probe als Arbeit am Theater wird nur am Rande erwähnt. Schulze-Kummerfeld berichtet sogar, mit welchen Tricks sie ihre Mitspieler davon überzeugen musste, das ihr unbekannte Stück mit ihr einmal vor der Aufführung durchzuspielen.20 Dagegen zeichnen sich die Erinnerungen der Weimarer Schauspieler durch zahlreiche Probenbeschreibungen aus. Erzählt wird allerdings nur von den Proben, bei denen Goethe anwesend war. Erst die Interaktion mit dem anderen Künstler, dem Genie, scheint die Arbeit erzählenswert zu machen. Verhandelt werden in den Erzählungen spezifische Arbeitsszenarios künstlerischer Praxis. »Goethe ließ in den Probestunden nie auf sich warten. Wie war man beglückt, wenn er eintrat und die ehrfurchtsvolle Begrüßung seiner Untergebenen freundlich erwiderte. Seine Gegenwart wirkte so erhebend auf seine Jünger, als stünden sie vor einem zahlreich versammelten Publikum. Ernst und feierlich verrichtete jeder die ihm angewiesene Funktion. In den Proben und Vorstellungen nahm Goethe seinen Platz in der Mitte der ersten Bank des abonnierten Parterre. Nach Errichtung der Parterrelogen wählte er die mittelste, und zwar die entfernteste von der Bühne, von wo aus die Rezitation am besten zu beurteilen ist. Wie horchte man auf, wenn er aus der Tiefe des Parterre seine Stimme erschallen ließ, das Organ der begabtesten Schauspieler an Kraft, Fülle und Wohllaut überbietend.« 21
Entworfen wird die Probe als eine spezifische Beobachtungskonstellation, die sich um Goethe als Zentrum organisiert. Im Rückgriff auf eine christliche Symbolik – die Jünger auf der sichtbaren Bühne überwacht vom unsichtbaren aber übermächtigen Künstler – wird die Probe als Szenario eines teatrum mundi entworfen. Unter dem Blick Goethes entspinnt sich ein wohlgeordnetes Spiel, dessen Rolle jeder für sich zu spielen habe und in dem jeder seinen Platz kennt. 18 | Joseph Anton Christ: Schauspielerleben im 18. Jahrhundert. München/Leipzig 1912. 19 | Johann Christian Brandes: Meine Lebensgeschichte. München 1923. 20 | »Mit ziemlichem Unwillen kam ich nach Hause. Inzwischen studierte ich an der Rolle dem Sinn gemäß, was ich zu sagen hatte. Oder lernte sie vielmehr nur vollends auswendig. Denn wie konnte ich an stummes Spiel denken, da ich nicht wusste, was die anderen zu sagen hätten? Täglich erinnerte ich an Probe oder bat nur um das Stück zum Durchlesen, weil ich nicht einmal wusste, ob meine Rolle richtig abgeschrieben war.« Schulze-Kummerfeld: Ein fahrendes Frauenzimmer. S. 85. 21 | Karl Eberwein: »Goethe als Theaterdirektor«. In: Europa 1856. Nr. 17. Zitiert nach Wilhelm Bode (Hg.): Goethes Schauspieler und Musiker. Berlin 1912. S. 28f.
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Der lenkende Eingriff Goethes findet nur in Ausnahmefällen statt und markiert – wie in der oben zitierten Probenszene der Schauspielerin Christiane Neumann – einen Einbruch in das szenische Geschehen. Diese Topografie des Probens – als Gegenüberstellung von dunklem Zuschauerraum als Ort Goethes und der ausgestellten Bühne als Ort der Schauspieler – ist dabei ein Motiv, das immer wieder in den Erzählungen der Weimarer Schauspieler hervorgehoben wird. Aus der »dunklen, düsteren Loge«22 blickt Goethe auf die Bühne, ohne selbst gesehen zu werden. Aus der Perspektive der Schauspieler wird die Szene zum panoptischen Raum. Sie sind – der Beschreibung nach – dem Kontroll- und Strafblick Goethes ausgeliefert als einer höheren künstlerischen (und moralischen) Instanz. Goethes ›Unsichtbarkeit‹ wird noch durch die Form der Kommunikation Goethes mit den Schauspielern betont. Wiederkehrendes Motiv in den Beschreibungen der Probenarbeit ist das plötzliche Hereinbrechen der Stimme Goethes. Aus dem dunklen Zuschauerraum »donnert« sie in die Szene, bringt, wie oben beschrieben, alle zum »Aufhorchen«. Es ist eine Stimme aus dem Off, deren Körper unsichtbar bleibt, die jederzeit erhoben werden kann und mit der immer eine Kontroll- und Befehlsfunktion verbunden ist. Theaterleiter und Schauspieler halten sich in getrennten Räumen auf, zwischen denen allein die Stimme vermittelt und allein Goethe das Recht des ›Anrufs‹ zukommt. Wie über die räumliche Distanz ein Arbeitsverhältnis inszeniert wird, das sich um die Frage von sehen und gesehen werden organisiert, zeigt sich deutlich in dem Ort, der Schiller in der Probenarbeit zugewiesen wird: Er beobachtet die Szene auf der Bühne »mit untergeschlagenen Armen an die Kulisse gelehnt und dem Spiel aufmerksam folgend, das durch solche Teilnahme höhere Weihe erhielt. Von Zeit zu Zeit verließ er seinen Platz, um dem Regisseur und seinen Schauspielern seine Ansichten mitzuteilen, korrigierte Rede, Bewegung, äußere Erscheinung […].« 23
22 | Johannes Höffner: Goethe und das Weimarer Hoftheater. Weimar 1913. S. 28. 23 | Eduard von Bamberg setzt Schillers Arbeitsweise explizit gegen Goethes, der »in seiner Loge zuhörte und in olympischer Ruhe kommandierte, dann privatim, auch wohl schriftlich größere Ausstellungen machte«. Diese Differenzierung muss im Kontext ihrer Veröffentlichung gelesen werden: in der Biografie der Schauspielerin Karoline Jagemann, die als Goethes Gegenspielerin am Hoftheater stilisiert wird. Eduard von Bamberg (Hg.): Die Erinnerungen der Karoline Jagemann. Dresden 1926. S. 285ff. Im Diskurs über die Probenpraxis findet sich diese komplementäre Typisierung in vielfachen Varianten: »[D]ie beiden Dichter [waren] planmäßig Hand in Hand gegangen: Goethe hatte seine Belehrung mehr auf das Technische der Kunst gerichtet, während Schiller durch Vorträge und Gespräche, zu denen er die Mitglieder der Gesellschaft oft in sein
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Über die räumliche Konstellation werden zwei Formen der Arbeit gegenübergestellt, in denen sich ein jeweils spezifischer künstlerischer Habitus zeigt: Der unsichtbare, distanzierte, alles überblickende Künstler wird neben den auf gleicher Ebene interagierenden Künstler gestellt. Komplementär werden zwei Funktionen der Probenarbeit entworfen und in der jeweiligen Künstlerfigur verkörpert. Goethes Präsenz wird eine ordnungsstiftende Funktion im Probenszenario zugeschrieben. Die Probe ist nicht schöpferisches Tun, sondern Prüfung: Läuft sie ohne Fehler ab, wird Goethe auch nicht eingreifen. Die Notwendigkeit seiner Präsenz wird damit nur über ein Defizit – in der Ordnung oder der Umsetzung des dramatischen Ideals – erklärt. Damit wird auch ein soziales Gefälle inszeniert, und die Probe bekommt noch eine weitere Erziehungsfunktion: Durch den Umgang mit dem sozial Überlegenen sollen sich auch die sozialen Umgangsformen der Schauspieler entwickeln, nicht in einer Form der direkten Interaktion, sondern allein durch die ordnende Funktion der Anwesenheit. Dass es dabei nicht nur um die Ausrichtung der Schauspieler an einem ästhetischen Vorbild, sondern auch um deren Angleichung an einen überlegenen Habitus geht, zeigt sich darin, dass der Schauspieler Iffland der Präsenz des adligen Intendanten Dalberg eine ähnliche Funktion zuschreibt: »Da [Dalberg] auch selbst mehrentheils die Proben neuer Stücke zu besuchen pflegte, so hatten diese durch die Achtung für dessen Gegenwart sehr bald eine gewisse Anständigkeit gewonnen, welche den Vorstellungen alles Rauhe und Gemeine nahm, den Ton der bessern Welt einflößte, und manchmal sogar Eleganz darüber verbreitet hat.« 24
Während Iffland die Probe als künstlerischen Arbeitszusammenhang ablehnt – vergleichbar mit der im Dilettantismus-Schema formulierten Abwertung –, wird sie als soziale Praxis zur Einübung sozialer Praktiken aufgewertet: das Proben als pädagogisches Programm. (Wobei es im Falle Dalbergs der Habitus des Adligen und nicht des überlegenen Künstlers ist, an dem sich die Schauspieler orientieren.) Schillers Funktion wird dagegen vor allem über eine Vermittlungsposition bestimmt: Über Vorträge erläutert er den historischen Kontext, erklärt Rollenkonzeptionen, aber ebenso vermittelt er zwischen Goethe und den Schauspielern.25 Für die Struktur der Probenerzählungen dient diese Funktion aber vor allem zur Konturierung der durch Goethe verkörperten Probenform. Während Haus zog, die Auffassung zu vertiefen gestrebt hatte.« Max Martersteig: Das deutsche Theater im 19. Jahrhundert. Leipzig 1904. S. 171. 24 | August Wilhelm Iffland: Meine theatralische Laufbahn. Heilbronn 1886. S. 54. 25 | Vgl. dazu Probenbeschreibungen Anton Genasts zitiert nach Eduard Genast: Aus Weimars klassischer und nachklassischer Zeit. Erinnerungen eines alten Schauspielers. Stuttgart 1905. S. 64ff.
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zahlreiche Anekdoten das Eingreifen Goethes in die Arbeit als Ereignis in Szene setzen, wird die Form der Arbeit Schillers nur beiläufig erwähnt. Zugleich wird auch Schiller eine Distanz zum konkreten Tun auf der Bühne zugeschrieben. Auch er wendet sich in seiner Kritik nicht direkt an die Schauspieler, sondern nutzt eine Vermittlungsposition: den Regisseur. Mit der Position der Regie wird im Probenmodell ein dritter Ort markiert. Das Amt des Regisseurs an den Hoftheatern war die Aufgabe der Überwachung der Probendisziplin und hatte keine künstlerische Funktion. Dennoch übernahmen die Regisseure die Leitung eines Großteils der Proben. Dass von den Proben am Weimarer Hoftheater berichtet wird, liegt an der Besonderheit der Probenbesuche durch Goethe: Es lässt sich eine Verschiebung im Arbeitsgefüge der Probe bestimmen. Neben der disziplinierenden Position des Regisseurs eröffnet der Auftritt Goethes einen künstlerischen Blick auf die Probe. In der Topografie der Probe nimmt der Regisseur eine Zwischenposition ein – sein Ort ist sowohl die Bühne, auf der er als Schauspieler agiert, wie er auch zu Goethe in die Loge gerufen wird oder von Schiller beiseite gewunken. Während Goethes und Schillers Beobachtungspositionen als statisch beschrieben werden, kommt dem Regisseur ein dynamisches Element zu. Seine Funktion wird die der Exekutive. Sind Goethes »Befehle faßlich und eindringlich wie ein höheres Gesetz«26, so hat der Regisseur für ihre Einhaltung zu sorgen. Die Probe wird als hochkomplexes Arbeitsszenario entworfen, das sich über verschiedene Funktionszuschreibungen organisiert und nach dem Prinzip der Trennung strukturiert. Während Schiller und Goethe aus ihrer überlegenen Beobachtungsposition das Probengeschehen bewerten und ästhetische Urteile fällen, sind die Schauspieler diesen Urteilen ausgeliefert, werden sie doch nicht im direkten Kontakt verkündet, sondern von einer körperlosen Stimme oder der Zwischenposition des Regisseurs. Wie wird aber das Verhältnis der Schauspieler zu dieser Form des distanzierten und prüfenden Blicks beschrieben? Bei der Probenarbeit zu Goethes Dramatisierung seiner Erzählung Proserpina übernimmt Amalie Wolff die Hauptrolle. Eberwein zitiert, wie sie von ihren Problemen beim Proben berichtet: »Sie wissen […] wie Goethe ist. Er wirft eine Idee hin, jedoch mehr andeutend als vollständig erklärend. Schließlich murmelt er noch etwas Bezügliches, das die Unsicherheit, in der man sich befindet, noch vergrößert. […] Glücklich, wem es nach Anstrengung seiner geistigen Kräfte gelingt, sich Goethes Ideen zu bemeistern! Durch andauerndes Studium bei Tag und Nacht hoffe ich in betreff der Proserpina seinem Wunsche entsprechen zu können, bin aber dessen nicht gewiß.«27 26 | Eberwein: »Goethe als Theaterdirektor«. S. 29. 27 | Karl Eberwein: »Goethes Proserpina«. In: Weimarerisches Sonntagsblatt. 1856. Zitiert nach Bode: Goethes Schauspieler und Musiker. S. 96f.
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Wenn Kant das künstlerische Schaffen auf zwei Phasen gliedert – eine erste Idee, deren Entwurf als intuitive Praxis jenseits einer verbalen Vermittlung sowie der notwendigen Bearbeitung dieser Idee in der Ausführung –, wird es hier auf den entwerfenden Künstler und die ausführende Schauspielerin verteilt. Dies bedeutet für die Schauspielerin eine besondere Darstellungsaufgabe: die Erarbeitung und damit auch Auslegung einer künstlerischen Idee, die sie durch deren Entwurfscharakter nur erahnen kann. Ohne verlässliche Kriterien ist ihre Arbeit damit aber auch immer vom Scheitern bedroht. Für die Schauspielerin wird die Probe zu einer besonderen Prüfung: nicht nur ihrer Arbeit, sondern auch der ›richtigen‹ Auslegung der hier ›hingeworfenen‹ Darstellungsidee. Die Schauspielerin wird damit zum Ausführenden einer fremden Idee und wird nicht als autonomes künstlerisches Subjekt gedacht. Sie wird dem Blick von außen ausgeliefert, muss sich Weisungen fügen, ihr Spiel wird beurteilt und korrigiert – und soll möglichst bereits vor der Probe im ›richtigen Sinne‹ erarbeitet sein. Wenn Schauspieler von »Metier« die Probe hassen, dann bestimmt auch, weil sie weder als Form des künstlerischen Produzierens noch als soziale Praxis verstanden wird, sondern Erziehungsmittel und Prüfung ist. Was den Schauspieler Iffland zur Klage veranlasst: »Ein Jammer ist es mit den Proben. Der Einfältigen halber hält man sie, und die Einfältigen bessert es nicht.«28
D IE A RBEIT JENSEITS DER B ÜHNE UND VOR DEN P ROBEN 1803 gibt Goethe zwei jungen Schauspielern des Ensembles, Karl Franz Grüner und Pius Alexander Wolff, Schauspielunterricht: »Es meldeten sich, mit entschiedener Neigung für die Bühne, zwei junge Männer, die sich Wolff und Grüner nannten […]. Nach einiger Prüfung fand ich bald daß beide dem Theater zur besonderen Zierde gereichen würden und daß, bei unserer schon wohlbestellten Bühne, ein paar frische Subjekte von diesem Wert sich schnell heranbilden würden. Ich beschloß sie fest zu halten, und weil ich eben Zeit hatte, auch einer heitern Ruhe genoß, begann ich mit ihnen gründliche Didaskalien, indem ich auch mir die Kunst aus ihren einfachsten Elementen entwickelte und an den Fortschritten beider Lehrlinge mich nach und nach emporstudierte, so daß ich selbst klärer über ein Geschäft ward, dem ich mich bisher instinktmäßig hingegeben hatte. Die Grammatik, die ich mir ausbildete, verfolgte ich nachher mit mehreren jungen Schauspielern, einiges davon ist schriftlich übrig geblieben.« 29
28 | August Wilhelm Iffland in einem Brief an seine Schwester 1784. In: Ludwig Geiger: A.W. Ifflands Briefe an seine Schwester Louise. Berlin 1904. S. 278. 29 | Johann Wolfgang von Goethe: »Tag- und Jahres-Hefte«. In: MA. Bd. 14, S. 102.
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Diese gemeinsame Proben- und Ausbildungssituation bildet die Basis für die Regeln für Schauspieler, die posthum veröffentlicht und in der Forschung als Grundlage eines schauspielästhetischen Konzepts Goethes gefeiert, kritisiert und diskutiert werden. Doch die Erzählung ihrer Entstehung lässt sie weniger zum Gründungsdokument eines Schauspielprogramms werden als zur Auseinandersetzung mit der Frage der Hervorbringung eines Wissens um die theatrale Praxis. Die schauspielerische Ausbildung wird zur Inszenierung eines Experimentalaufbaus. Die Grundlage sind zwei begabte und vor allem nicht vorgebildete Schauspieler. Den Versuchsrahmen bilden die Ruhe und Abgeschlossenheit der privaten Arbeitsräume im Gegensatz zur Öffentlichkeit der Proben im Theater. Anhand konkreter, aber intuitiver Aufgabenstellungen werden aus dieser schauspielerischen Praxis Regeln und Verfahren der schauspielerischen Darstellung abgeleitet. Kein Fixieren eines bereits bestehenden Wissensbestands künstlerischer Praxis, sondern die Inszenierung eines »Wahrnehmungstheaters«30, das ein Erkennen erst möglich macht. Dabei geht es weniger um die Formulierung eines konkreten Programms, sondern um die performative Hervorbringung von Wissen, das sich einer verallgemeinernden Verschriftlichung zu entziehen scheint. Dies zeigt sich auch an der ambivalenten Editionsgeschichte: Die Regeln werden von Goethe diktiert und von beiden Schauspielern individuell mitgeschrieben. Aus diesen Mitschriften entsteht die spätere Form, die erst posthum veröffentlicht wird, als festes Regelwerk durch Paragrafen gegliedert. Die Zufälligkeit des Mitgeschriebenen – »einiges ist davon übrig geblieben« –, die Goethe unterstreicht, widerspricht dieser offiziellen Form.31 Nicht nur die Art der Wissensgenerierung, auch ihr Ort unterläuft das Theater als Institution. Im Kontext der Probenarbeit wird hier ein neuer Ort eröffnet, der jenseits der Bühne und vor der szenischen Darstellung liegt. Installiert wird ein anderer Probenzusammenhang, in dem die räumlichen Trennungen der offiziellen Probe aufgehoben werden. Entworfen wird ein Konzept künstlerischer 30 | Die Beschreibung des Ausbildungsprojekts lässt sich so auch im Kontext des Projekts einer »Poetologie des Wissens« lesen, wie sie Gerhard Neumann unter anderem anhand der Aphorismen in Goethes Farbenlehre herausgearbeitet hat. Vgl. Gerhard Neumann: »Naturwissenschaft und Geschichte als Literatur. Zu Goethes kulturpoetischem Projekt«. In: MLN 114.3 (1999). S. 471-502. S. 487f. 31 | Die Editionsgeschichte der Regeln führt innerhalb des Diskurses über die Theaterkonzeption Goethes immer wieder zu Diskussionen darüber, ob Goethe die Regeln ›eigentlich‹ so gemeint habe: Sie seien für den ›Hausgebrauch‹ bestimmt. Die Form der Veröffentlichung wird Eckermann angelastet und so entschuldigt. Vgl. Dieter Borchmeyer: »Saat von Göthe gesäet … Die ›Regeln für Schauspieler‹ – Ein theatergeschichtliches Gerücht.« In: Wolfgang Bender (Hg.): Schauspielkunst im 18. Jahrhundert. Stuttgart 1992. S. 261-287.
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Arbeit als Wissensprojekt, das seine Erkenntnis aus der besonderen Situation des Probens, aus der Verschaltung von Vorgeben, Zeigen, Kommentieren und Korrigieren zieht. Der distanzierende und prüfende Blick von außen, durch den sich die Probe auszeichnet, wird hier zum suchenden und entdeckenden Blick. Auch Die Regeln für Schauspieler stellen nicht das Proben, sondern die Arbeit vor der Probe ins Zentrum. In ihnen wird ein anthropologischer Ansatz zur Selbstbildung formuliert: Nur durch Arbeit an sich selbst kann der Schauspieler die Voraussetzungen für eine gelungene schauspielerische Darstellung schaffen, durch ein Übungsprogramm, das Regeln zur Sprachtechnik, zu Mimik und Gebärden vorgibt. Zugleich ist es aber auch ein Programm zur Selbstdisziplinierung: In der permanenten Übung der Regel soll sich der Schauspieler diese zu eigen machen und sie damit jederzeit anwenden können. Damit überlagert sich das künstlerische Programm zur Selbstbildung mit einem Konzept der Selbstprüfung: »§ 63 […] Man stelle sich vor einen Spiegel und spreche dasjenige, was man zu declamieren hat, nur leise oder vielmehr gar nicht, sondern denke sich nur die Worte. Dadurch wird gewonnen, daß man von der Declamation nicht hingerissen wird, sondern jede falsche Bewegung, welche das Gedachte oder leise Gesagte nicht ausdrückt, leicht bemerken, so wie auch die schönen und richtigen Gebärden auswählen und dem ganzen Gebärdenspiel eine analoge Bewegung mit dem Sinne der Wörter als Gepräge der Kunst aufdrücken kann.« 32
Entworfen wird ein Arbeitsszenario der Selbstprüfung als Soloprobe. Über den Spiegel konstituiert sich der Schauspieler als Doppel: Er ist Darsteller und Kontrolleur dieser Darstellung zugleich. Dass diese Doppelung nicht unproblematisch ist, zeigt sich im Widerstreit von Selbstaffizierung durch die eigene Stimme und der distanzierenden Funktion des Blicks. Die vorgeschlagene Lösung ist einfach: Indem nicht die eigene Stimme zu Gehör gebracht, sondern nur der Sinn der Wörter gedacht wird, behält der Schauspieler die Kontrolle über seine Gebärden und seinen Blick. Wenn die Probe notwendigerweise einen Blick von außen braucht, um das szenische Geschehen aus der Position des Zuschauers heraus zu beurteilen, dann wird hier eine Probensituation vorgeschlagen, in welcher der Schauspieler zu seinem eigenen Zuschauer werden kann. Ein Zuschauer, der niemals die Darstellung in ihrer Vollständigkeit zu Gesicht bekommen wird, denn wenn der Schauspieler agiert wie auf der Bühne, wird er zwangsläufig die Beobachtungssituation aufgeben.
32 | Johann Wolfgang von Goethe: »Regeln für Schauspieler«. In: ders.: WA I, Bd. 40, S. 161.
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Während die Soloprobe vor der Probe eine Form der Übung vorschlägt, die sich gerade von der Aufführungssituation unterscheidet, verbieten jene Regeln, die sich mit der konkreten und offiziellen Probenarbeit beschäftigen, jede Abweichung von den Bedingungen der Aufführung: »In der Probe zu beobachten § 66 Um eine leichtere und anständigere Bewegung der Füße zu erwerben, probiere man niemals in Stiefeln. § 67 Der Schauspieler, besonders der jüngere, der Liebhaber und andere leichte Rollen zu spielen hat, halte sich auf dem Theater ein Paar Pantoffeln, in denen er probiert, und er wird sehr bald die guten Folgen davon bemerken. § 68 Auch in der Probe sollte man sich nichts erlauben, was nicht im Stücke vorkommen darf. § 69 Die Frauenzimmer sollten ihre kleinen Beutel beiseite legen. § 70 Kein Schauspieler sollte im Mantel probieren, sondern die Hände und Arme wie im Stücke frei haben. Denn der Mantel hindert ihn nicht allein, die gehörigen Gebärden zu machen, sondern zwingt ihn auch, falsche anzunehmen, die er denn bei der Vorstellung unwillkürlich wiederholt. § 71 Der Schauspieler soll auch in der Probe keine Bewegung machen, die nicht zur Rolle paßt. § 72 Wer bei Proben tragischer Rollen die Hand in den Busen steckt, kommt in Gefahr, bei der Aufführung eine Öffnung im Harnisch zu suchen.« 33
Liest man die Regeln zur Probenarbeit, so scheinen die Anmerkungen seltsam profan. Nichts soll in der Probe anders sein als in der Aufführung – und deshalb sind nicht nur die Bewegungen genauso auszuführen, nichts Neues hinzuzufügen oder anderes wegzulassen, sondern es ist vor allem auf die gleiche Kleidung zu achten. Schauspielerische Probleme sollen nicht nur möglichst von den Proben ausgeschlossen werden, die Probenpraxis selbst stellt sogar eine besondere Gefährdung der schauspielerischen Darstellung dar. Die Regeln sind geprägt von der Angst einer ›falschen‹ Einübung, die nicht mehr rückgängig zu machen ist. Die Macht der Gewohnheit wird nicht als das Potenzial der Probe – als Möglichkeit, etwas durch Wiederholung nicht nur zu erlernen, sondern auch auf gleiche Weise reproduzieren zu können – begriffen, sondern als Gefahr für 33 | Goethe: »Regeln für Schauspieler«. S. 162f.
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die schauspielerische Darstellung gesehen. Die Bewegung, die einmal durch falsches Schuhwerk beeinflusst wurde, wird auch beim zweiten Mal schlampig ausgeführt werden. Die Hand, die einmal nach einer Öffnung suchte, wird es wieder tun. Die Probe hat keine Funktion der Übung der theatralen Darstellung, sondern sie ist der Aufführung im Anspruch an den Schauspieler gleichgestellt: Wie auf der Probe soll es auch in der Aufführung aussehen, und wie es in der Aufführung aussehen soll, so muss es auch in der Probe ausgeführt werden. Die Übung der richtigen Darstellung wird in anderen Situationen als denen der Probe verortet, nicht nur vor dem Spiegel im Selbststudium, sondern auch im alltäglichen Leben. So heißt es im Paragrafen 75 der Regeln: »Der Schauspieler soll auch im gemeinen Leben bedenken, daß er öffentlich zur Kunstschau stehen werde.«34 Diese Überlagerung von ästhetischer und sozialer Rolle bedeutet gerade nicht, auf Darstellungskonventionen des alltäglichen Lebens zurückzugreifen. Im Gegenteil: Eine wichtige Regel für den Schauspieler sei, »daß er sich bemühe seinen Körper, seinem Betragen, ja allen seinen übrigen Handlungen im gewöhnlichen Leben eine solche Wendung zu geben, daß er dadurch gleichsam wie in einer beständigen Übung erhalten werde«35 . Die Ausrichtung auf den Blick von außen wird bis in das Alltagsleben ausgeweitet: »[Der Schauspieler] soll sich immer einen Platz von Zuschauern vor sich denken.«36 Die schauspielerische Arbeit ist weder auf die Bühne, noch auf die Proben oder das Selbststudium beschränkt. Da der Schauspieler sich selbst zur Darstellung bringt, hört seine Arbeit nie auf. Jedes Tun ist dem Schauspieler Arbeit an sich selbst, wird ihm zur Übung. Dies stellt den professionellen Schauspieler in Gegensatz zum Dilettanten, der die Probenarbeit als ›produktive Arbeit‹ verkennt, eine Arbeit, die der Schauspieler längst geleistet haben muss, wenn er auf der Probe erscheint. Wenn der Schauspieler diesen Grundsatz der Regeln befolgt, verändert sich auch die Bedeutung des Probens. Der »Zeitverlust«, über den sich Schiller beklagt, wird im Selbststudium und in der alltäglichen Übung aufgefangen. Keine weitere Ausweitung der Probenpraxis wird angestrebt, sondern eine Rationalisierung des Probens auf der Bühne, indem sich die Schauspieler selbst kontrollieren lernen, den externen, beobachtenden Blick des Zuschauers internalisieren und die Probe somit als Moment der Prüfung und Überprüfung anerkennen. Das Weimarer Hoftheater als eine »Experimentierbühne der Klassiker«37 kann damit an den Anfang eines Diskurses über die Probenpraxis gesetzt wer-
34 | Goethe: »Regeln für Schauspieler«. S. 164. 35 | Ebd., S. 165. 36 | Ebd., S. 166. 37 | Erika Fischer-Lichte: Kurze Geschichte des deutschen Theaters. Tübingen 1983. S. 143.
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den, in welchem der Begriff der Probe Transformationen unterworfen wird.38 Ausgehandelt werden müssen Funktionen, Kommunikationsformen, räumliche Dispositionen. In den Diskursen über die Probe werden Konzepte einer Arbeit am Theater entworfen, die vor allem eine Trennung der disziplinierenden Funktion des gemeinsamen Probierens und einer individuell oder jenseits der Institution gedachten künstlerischen Praxis auszeichnen. Indem der schöpferische Prozess jenseits der Organisationsstrukturen des Theaters verortet wird, scheint er den Bedingungen des Produzierens ein Stück weit entrückt. Im Idealfall hat er bereits vor der Probe stattgefunden. (Was allerdings nicht heißt, dass in den Proben nicht durchaus auch an konkreten Darstellungsproblemen gearbeitet wird.) Diese Deplatzierung der künstlerischen Arbeit bringt das Problem mit sich, dass das Erarbeitete in einen kollektiven Aufführungszusammenhang gebracht werden muss. Es bedarf damit der Überprüfung und der Ausrichtung auf einen einheitlichen Blick – als Stellvertreter des Zuschauers. Die Probe wird eine Vor-Instanz, um sich der Wirkungen der Darstellung zu versichern, wird damit auch zu einem Moment der Selbstzensur.39 Zeichnete sich die Probenpraxis der Wandertruppen noch dadurch aus, dass es keine feste Beobachtungsinstanz gab, so wie auch der Regisseur am Hoftheater als Schauspieler auf der Bühne steht, wird in den Beschreibungen der Probenarbeit am Weimarer Hoftheater der Topos des ›Blicks von außen‹ zentral. Der Selbstbeobachtung des Schauspielers wird ein scheinbar objektiver Blick entgegengesetzt – und dem Schauspieler zugleich die Möglichkeit zur Bewertung seiner eigenen Darstellung abgesprochen. So lässt sich die Entwicklung der Probenpraxis im ausgehenden 18. Jahrhundert als Verschiebung der Position des Schauspielers lesen: Er wird als Ausführender begriffen. Verbunden ist damit auch das Verbot an die Schauspieler, jenseits ihres Auftritts während der Proben Bühne oder Zuschauerraum zu betreten. Sie haben hinter den Kulissen auf ihr Stichwort zu warten. Verweigert wird der Blick auf das Spiel der anderen und damit ein Eindruck über die Aufführung. Es ist allein der
38 | Die Fragestellungen, die sich in der Probenpraxis am Weimarer Hoftheater verdichten, lassen sich auch mit jeweils anderen Gewichtungen in anderen Theaterunternehmungen um 1800 finden, am Mannheimer Nationaltheater beispielsweise. Im Theaterdiskurs ist es jedoch vor allem die Probenpraxis des Weimarer Hoftheaters, die hervorgehoben wird. 39 | Dies eröffnet im Kontext der Geschichte des Probens eine neue Perspektive. War im Elisabethanischen Theater die Probe eine Vorstellung zur Abnahme durch die Theaterzensur, dann wird hier mit der Position des Blicks von außen eine Zensurinstanz innerhalb des ästhetischen Produktionskontextes verortet. Vgl. zur elisabethanischen Probenpraxis Tiffany Stern: Rehearsal from Shakespeare to Sheridan. Vgl. auch Kapitel 4 »Gespielte Proben«.
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Regisseur oder Theaterleiter, dem eine »Übersicht über das Ganze«40 zusteht. Der testende und prüfende Blick des Regisseurs, der alles im Blick hat, bewertet und korrigiert, wird zur Leitkategorie der Probenarbeit. Diesem Blick bleibt der Schauspieler ausgeliefert, kann er sein Tun doch nicht selbst betrachten. Die Probe unter dem ›Blick von außen‹ lässt sich mit dem Dispositiv der Prüfung bestimmen.41 Die Prüfung ist nach Foucault das »Herz« der Disziplinarordnungen. Sie verschränkt Macht und Wissen, dessen Erzeugung und Kontrolle. Es sind drei Faktoren, die sie kennzeichnen: Sie »kehrt die Ökonomie der Sichtbarkeit in der Machtausübung um«42 – der ›Blick von außen‹ aus dem Dunkel des Zuschauerraums –, sie macht »Individualität dokumentierbar« und stellt die Prüflinge in ein »Feld der Überwachung« und »ein Netz des Schreibens und der Schrift«43 – es finden sich zahlreiche Theaterakten des Weimarer Hoftheaters, in denen die Kritik an den Schauspielern fixiert wurde – und schließlich macht die Prüfung aus jedem Individuum einen »Fall«44 – dies zeigt sich an den »Konduitlisten« als schriftlichen Arbeitszeugnissen, die über jeden Schauspieler geführt wurden und auch dessen soziales Verhalten protokollierten.45 Mit der Probe als Prüfung verbunden ist auch eine spezifische Vorstellung der Aufführung. Die Prüfung testet Eigenschaften, die sie als konstant und kontinuierlich unterstellt. Diese behauptete Konstanz nimmt weder die physische Verfassung der Schauspieler noch die Reaktionen des Publikums oder die Interaktion mit den Mitspielern in den Blick. Was einmal vor dem prüfenden Blick sich gezeigt hat, wird sich auch beim zweiten zeigen – so die Annahme. Die Problematik der Flüchtigkeit der Aufführung, die sich der Reproduktion entzieht, ist Anlass zu Proben. Somit wird das Dispositiv der Prüfung noch aus einem anderen Grund wichtig: als Wunsch nach einer Beherrschbarkeit der Theaterpraxis. Dass die Probe aber noch lange kein Garant für die Wiederholbarkeit des Gezeigten ist, wird zwar als Problem erkannt, nach Lösungen für dieses Problem wird aber jenseits der Probe gesucht. 40 | Carl Hagemann: Regie. Die Kunst der szenischen Darstellung. Berlin/Leipzig 1912. S. 162. 41 | Unter Dispositiv wird im Sinne Foucaults die Verschränkung von Diskursen, Praktiken und Institutionen verstanden. Vgl. Michel Foucault: Dispositive der Macht. Berlin 1978. S. 119ff. 42 | Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Frankfurt a.M. 1976. S. 241. 43 | Ebd., S. 243. 44 | Ebd., S. 246. 45 | Vgl. dazu den Theater-Kalender auf das Jahr 1787. S. 32. Sowie die Untersuchung von Peter Heßelmann: Gereinigtes Theater? Dramaturgie und Schaubühne im Spiegel deutschsprachiger Theaterperiodika des 18. Jahrhunderts (1750-1800). Frankfurt a.M. 2002.
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D IE V ERFASSUNG DER P ROBEN Am 9. Oktober 1808 vermeldet der Regisseur Anton Genast in einem »außerordentlichen Rapport« an die »Fürstlich Sächsische zur Dirigierung des Hoftheaters gnädigst verordnete Kommission« in Weimar, dass der »Schauspieler Oels zur Probe der 5. Szene des 4. Akts aus der Garderobe gerufen werden musste. Deshalb werde ein Strafgeld von 8 Groschen fällig.« In Goethes Handschrift findet sich auf dem Dokument die Bemerkung: »Obige Strafgelder sind abzuziehen, 11. Oktober 1808.«46 Zwei Aspekte sind für die Frage nach der Arbeit am Theater an dieser Aktennotiz von Interesse. Erstens das Vergehen selbst: Der Schauspieler wird dafür bestraft, nicht zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, nicht der ihm zugeteilten Aufgabe nachgekommen zu sein und damit den Ablauf der Probe gestört zu haben. Zweitens ist es der Vorgang der Bestrafung, die Art und Weise, wie das Vergehen geahndet wird, das hier ins Auge sticht. Aus der kurzen, aber mehr oder weniger mutwillig herbeigeführten Probenunterbrechung wird ein bürokratischer Vorgang, der den ›Dienstweg‹ über drei Instanzen nimmt, nicht nur zu einer Gehaltskürzung führt, sondern auch als Vorgang dokumentiert und archiviert wird. Ein Verwaltungsvorgang, der alle Merkmale aufweist, die Max Weber für den »Bürokratismus«47 der modernen Gesellschaft herausgearbeitet hat: Unpersönlichkeit der Amtsführung, Aktenförmigkeit der Verwaltung als »Gebot der Schriftlichkeit«48, das Prinzip der Amtshierarchie sowie ein Angestelltenverhältnis über Arbeitsverträge. Was innerhalb der Probenarbeit über das Dispositiv der Prüfung als Disziplinierungsvorgang beschreibbar war, spiegelt sich hier auf der Ebene des Produktionszusammenhangs Theater, der über die Probenarbeit hinausweist: Aus dem schauspielerischen Tun wird ein aktenkundiger Fall. Grundlage dieses Vorgangs sind die Weimarer Theatergesetze49 , wie sie 1793 von den Schauspielern Goethe zur Unterzeichnung vorgelegt wurden. In einzelnen Paragrafen werden nicht nur Gebote ausgesprochen – wie das selbst46 | STAW. Generalintendanz des Deutschen Nationaltheaters Weimar GI 1416/19. Der Rapport ist faksimiliert in Ulrike Müller-Harang: Das Weimarer Theater zur Zeit Goethes. Weimar 1991. S. 57. 47 | Max Weber: »Wirtschaft und Gesellschaft.« In: ders: Max Weber Gesammelte Werke. Tübingen 2005. Bd. 22-4, S. 157f. 48 | Vgl. Dirk Baecker, der im Anschluss an Weber diesen Prozess der Verschriftlichung in der Arbeit herausstellt: »Jede relevante Entscheidung muss Schriftform annehmen.« Dirk Baecker: Organisation und Management. Frankfurt a.M. 2003. S. 25. 49 | STAW, Generalintendanz des Deutschen Nationaltheaters Weimar, GI 1/1 Bl. 1217. Abgedruckt in Jutta Lindner: Ästhetische Erziehung. Goethe und das Weimarer Hoftheater. Bonn 1990. S. 136-140.
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ständige Erscheinen zum Auftritt bei den Proben –, sondern auch die Höhe der Strafen bei Verstößen festgesetzt und der bürokratische Vorgang der Bestrafung festgelegt: von der Anzeige durch den Regisseur, dessen Funktion zur damaligen Zeit allein in der Überwachung der Probendisziplin bestand, über die mehrköpfig besetzte Kommission bis hin zum unterzeichnenden »Oberdirektor« Goethe. Das Betriebssystem des Theaters präsentiert sich als bürokratische Ordnung, streng hierarchisch gegliedert, durch Gesetze und Strafen reguliert. Das, was in den Probenanekdoten als sich selbst regulierende Ordnung beschrieben wird, in der jeder um seinen ihm zugewiesenen Platz weiß, stellt sich in der Lektüre der Theatergesetze als Szenario von Pflicht und Strafe dar. In zahlreichen theatergeschichtlichen Untersuchungen zu Goethes TheaterArbeit wird der Erlass dieser Gesetze als Geschichte einer notwendigen Disziplinierung erzählt50: notwendig zur Durchsetzung einer Arbeitsethik, im Blick nicht nur die ästhetische Arbeit, sondern auch das gesellschaftliche Ansehen der Schauspieler. Dabei wird doch meist ausgeblendet, wie Klaus Schwind anmerkt, »welches Ideal von ›Disziplin‹ im Verhältnis zu welchem Theater(betrieb)begriff hierbei als Maßstab gesetzt wurde«51 . Wie über die Gesetze ein Arbeitskontext institutionalisiert wird, der die Perspektive der Schauspieler zunehmend ausklammert, wird nicht reflektiert.52 Ebenso wenig ist Thema, welche Pflichten formuliert werden und auf welche Art und Weise gestraft wird. Durchaus lassen sich autokratische Züge in der Theaterführung Goethes feststellen. Für meine Fragestellung sind jene Aspekte vor allem vor dem Hintergrund interessant, wie hier ein System der Arbeit am Theater entworfen wird, 50 | Vgl. beispielhaft: »Trotz Theatergesetzen und Regievorschriften, trotz strengster Disziplinarstrafen, unter denen Hausarrest und Arrest auf der Hauptwache das äußerste waren, trotz der moralischen Macht von Goethes Persönlichkeit war dauernde Ruhe und innerer Friede, vollkommene Unterordnung unter den Willen der Oberleitung nicht zu erzielen, und Goethes Groll machte sich oft in heftigster Weise Luft.« Julius Wahle: Das Weimarer Hoftheater unter Goethes Leitung. Weimar 1892. S. 195f. 51 | Klaus Schwind: »›Man lache nicht‹. Goethes theatrale Spielverbote«. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 1996. Nr. 2. S. 66-112. S. 82. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Theater-Arbeit Goethes und dem dort vertretenen Konzept der Disziplinierung findet sich auch bei Rainer Ruppert: Labor der Seele und der Emotionen. Funktionen des Theaters im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Berlin 1995. 52 | Dass sich mit jener unhierarchischen und scheinbar »unordentlichen« Struktur des Theaters im 18. Jahrhundert – repräsentiert durch die Wandertruppen, wie sie Goethe im Wilhelm Meister beschreibt – andere Formen von Theater verbinden, wird erst im ausgehenden 20. Jahrhundert Gegenstand der Theatergeschichtsschreibung. Vgl. dazu: Rudolf Münz: Das ›andere‹ Theater. Studien über ein deutschsprachiges teatro dell’arte der Lessingzeit. Berlin 1979.
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das durch eine Gesetzgebung reguliert werden soll und eine Vorstellung von der Institution ›Theater‹ als zu organisierendem Betrieb entworfen wird. Die Gesetze zielen dabei auf drei Punkte: Erstens eine Regulierung des Probenprozesses – über festgesetzte Probenzeiten, das Verbot zum Rollentausch, die Differenzierung verschiedener Probenformen, die Unterteilung in einzelne Arbeitsphasen und damit verbundenen definierten Arbeitsaufgaben an die Schauspieler (wie Textlernen, Kostümentwurf oder Wiederholung ihrer Darstellung). Zweitens die Herstellung einer Einheit der Szene, nicht nur durch die Verpflichtung auf Ruhe und Konzentration, das Verbot zu lachen oder Tiere mit auf die Bühne zu bringen, sondern auch in der Festlegung einer räumlichen Ordnung. Zuschauer werden von den Proben und aus den Garderoben ausgeschlossen, den Schauspielern wird Platz zugewiesen, sie haben bis zu ihrem Auftritt in den Garderoben zu warten. (Erst durch diese Vorgabe wird das Vergehen des Schauspielers Oels möglich.) Drittens zielen die Gesetze auch auf das soziale Leben jenseits der Probenarbeit. »Trunkenheit«, »Unsittlichkeit« und »pöbelhaftes Betragen« werden genauso unter Strafe gestellt wie die Vergehen innerhalb des konkreten Arbeitskontextes. Zwischen dem Schauspieler als Arbeitnehmer und seinem sozialen Leben wird nicht getrennt. Formuliertes Ziel ist es, »Achtung zu erwerben«. Die Gesetzgebung konstituiert damit ein spezifisches Wechselverhältnis von Pflicht (niedergeschrieben und gefordert in den Gesetzen) und Ehre, in der gesellschaftlichen Anerkennung nicht nur als Schauspieler auf der Bühne, sondern auch als arbeitsamer Bürger. In diesem Kontext ist auch die Entstehung der Gesetze zu lesen. Ihre Geschichte lässt sich als Inszenierung des Bruchs mit der bisherigen Theaterpraxis beschreiben. Anderthalb Jahre nach seinem Amtsantritt am 24. Dezember 1792 (!) entlässt Goethe alle Schauspieler, die er von der Bellomoschen Gesellschaft übernommen hat. Drei Monate später legen die verbliebenen Schauspieler die Theatergesetze zur Unterzeichnung bei Goethe vor. In der »Promemoria« des Schauspielers Johann Heinrich Vohs heißt es: »Unläugbar ist es, daß bey hiesigem Theater fast jede gute Bemühung durch die so häufig eingeschlichene Unordnung rückgängig gemacht, oder doch sehr erschwert wird: die daraus richtig zu folgernde gänzliche Erschlaffung im Bestreben nach Vollkommenheit läuchtet zu klar ein, um weggeläugnet werden zu können, und das Ende wäre gänzliches Herabsinken der Kunst zum Handwerk. Traurig wärs wenn schon aller Künstlerstolz bei uns erloschen wäre, daß es uns große Aufopferung kosten sollte, einem Schlendrian zu entsagen, der doch nur der einzige Grund aller dieser Unordnung war.« 53
53 | STAW, Generalintendanz des Deutschen Nationaltheaters Weimar, GI 1/1 Bl. 10-11.
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Die Vorlage der Gesetze wird zu einer Geste der Selbstdisziplinierung. Aus der demütigen Selbstbezichtigung der »Unordnung« und des »Schlendrians« – zwei Vokabeln, die gerade Goethe im Zusammenhang mit dem Theater immer wieder gebraucht – wird die Notwendigkeit einer Neuordnung des Theaters begründet. In der Abgrenzung zum Handwerker gilt es, sich eine Ordnung zu geben, die sich an der »Beförderung der dramatischen Kunst« ausrichtet. Wird das Handwerk als erlernbare Technik gerade von der Kunst abgetrennt, folgt die Legitimierung des Schauspielers als Künstler über die Unterwerfung unter ein anderes Regelsystem: der hierarchischen Ordnung des Theaters. Das Pathos der künstlerischen Arbeit wird in der Selbstdisziplinierung der Schauspieler gegründet. Inszeniert wird diese Unterwerfung somit als freiwillig und notwendig – auch wenn ihr eine Auseinandersetzung und für die Schauspieler existenzielle Bedrohung vorausgegangen war. Nicht »Zuchtmeister« seien die Gesetze, sondern »zurechtweisender Freund«: eine Geste der Selbstdisziplinierung zu »Ordnung«, »Eifer, Fleiß und Genauigkeit in Erfüllung ihrer Pflichten«.54 Wenn zugleich die Aufrichtigkeit der Selbstkritik betont wird – »im vollen Vertrauen Ihres billigen Urteils gegenwärtigen Schritt keiner eigennützigen Neben-Absicht zuzumuthen«55 –, dann lesen sich die selbst verordneten Gesetze in einem Spannungsfeld zwischen Macht und Unterwerfung, Ordnung und (Selbst-)Disziplinierung.56 Dabei ist das Weimarer Hoftheater kein Ausnahmefall hinsichtlich der Suche nach einer Gesetzgebung der künstlerischen Arbeit am Theater. »Läßt sich für alle Bühnen Deutschlands ein allgemeines festes Gesetzbuch machen; […] und welche sind die Mittel, demselben Kraft und Gewicht zu geben?«57, fragt 1784 Freiherr von Dalberg, Intendant des Mannheimer Na54 | STAW, Generalintendanz des Deutschen Nationaltheaters Weimar, GI 1/1 Bl. 10-11. 55 | Ebd. Dass Goethe durchaus Anteil an der Formulierung der Gesetze hatte, zeigt sich beispielsweise in einem Brief an Friedrich Ludwig Schröder in Hamburg, in dem er ihn um die Übersendung der dortigen Theatergesetze bittet. Von den liberalen Hamburger Gesetzen, die auch die Rechte der Schauspieler festschreiben, findet sich in denen von Weimar allerdings wenig. Brief am 6. April 1791. In: WA. Abteilung IV, Bd. 9, S. 256. 56 | Dass diese Gesetze durchaus umgesetzt, Strafen verhängt und sogar über das Strafmaß hinaus Vergehen geahndet wurden, bis hin zum Arrest der Schauspieler, unterstreicht diese disziplinierende Seite der Probenarbeit. Dabei wurde die Position Goethes nicht nur von den Schauspielern durchaus kritisch betrachtet. Vgl. Schwind: »›Man lache nicht!‹«. S. 100f. 57 | Dalberg zitiert nach Friedrich Schiller: »Dramaturgische Preisfrage«. In: NA. Bd. 22, S. 323. Dalberg sieht sich genötigt zu erklären, warum er die Frage stellt: »Verschiedene gute Köpfe, die sich das Wohl unsers Theaters annehmen und die mancherlei Unordnungen, welche noch auf den meisten Bühnen herrschen, einsehen, haben schon öfters den Wunsch zu einem solchen Gesetzbuch gegen mich geäußert […]. Es ist auch mein Plan,
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tionaltheaters, den Theaterausschuss, ein dramaturgisches Gremium unter anderem zur Spielplangestaltung und Rollenkritik, und erwartet die Mitarbeit seiner Schauspieler und Regisseure an einer Gesetzgebung für das Theater. Die Suche nach Theatergesetzen ist nicht regional beschränkt, sondern wird zum übergeordneten Projekt – vor allem im Zuge der Idee eines ›Nationaltheaters‹.58 Die Theatergesetze entstehen zu einem Zeitpunkt, an dem das Theater sesshaft wird und sich institutionalisiert – in Form von Theatergründungen wie in Hamburg, vor allem aber durch die Einrichtung von Hoftheatern, die sich auch für das bürgerliche Publikum öffnen. An die Stelle von Wandertruppen treten die ›regelmäßigen‹ Bühnen. Theaterneubauten zeugen von der Verortung des Theaters in den Städten. Es geht darum, sich ein Haus einzurichten und eine feste Stätte zu suchen. Die Theatergesetze zielen dabei auch auf eine Konstituierung der theatralen Praxis im doppelten Wortsinn: als statuo auf die Einrichtung eines festen Hauses wie auch auf den performativen Akt der Gesetzgebung, constituo, als gemeinsame Setzung. Über die theatralen Gesetze soll nicht nur eine andere Form der Theaterpraxis hervorgebracht werden, Ziel ist auch, sie festzuschreiben. Die Theatergesetze können vor diesem Hintergrund als die Einbindung der Kunst in das Rechts- und Wirtschaftssystem gelesen werden, wie sie Foucault anhand der Entwicklung der Autorfunktion beschreibt.59 Während Foucault sich allerdings auf das Urheberrecht bezieht – das auf die Regulierung des Verhältnisses von Rezipient und Werk und damit auf die Sicherung von Besitzstand des Autors zielt –, fordern die Theatergesetze eine Veränderung des Verhaltens der Schauspieler und beziehen sich auf die künstlerische Praxis als einer Form der Selbstdisziplinierung schauspielerischer Darstellung. Eng damit verbunden ist ein weiterer Aspekt des Vertrages: Die Schauspieler unterwerfen ihre Arbeit nicht nur einer Gesetzgebung, sie findet auch in einem Angestelltenverhältnis statt. Die performativen Künste – Theater, Tanz und Musik – zeichnen sich im Gegensatz zu anderen Kunstformen dadurch aus, dass die künstlerische Praxis oft über Verträge geregelt wird: Arbeitsverträge, die Ort, Zeit und Form der Zusammenarbeit vorgeben. Anders als der bildende Künstler, der im Museum daran zu arbeiten; zugleich erwarte ich als eine Beantwortung der 6ten Frage Skizzen, Meinungen und Gedanken von Ihnen darüber.« Schiller: »Dramaturgische Preisfrage«. S. 323f. 58 | Theatergesetze wurden nicht nur an Hoftheatern wie in Mannheim, Gotha oder Weimar erlassen, sondern beispielsweise auch die Hamburger Entreprise des Nationaltheaters zeichnet sich durch eine eigene Theatergesetzgebung aus. Vgl. Heßelmann: Gereinigtes Theater? 59 | Michel Foucault: »Was ist ein Autor?«. In: ders.: Schriften zur Literatur. München 1974. S. 23.
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ausstellt, oder der Autor, der sein Buch in einem Verlag veröffentlicht und erst damit eine Vertragsbindung eingeht, quasi als Folge seines Produzierens, ist der Arbeitsvertrag in der theatralen Praxis Voraussetzung für die Möglichkeit des Produzierens. Hier setzt Marx an, wenn er die Arbeit des Schauspielers als in besonderem Maße entfremdet beschreibt. Diese vertragliche Anstellung des Künstlers am Theater unterläuft die Vorstellung eines individuellen, selbstverantwortlichen und autonomen Künstlersubjekts, und stellt damit die Frage nach der Regulierbarkeit künstlerischer Praxis auf besondere Weise. Ein Arbeitsvertrag steht in radikalem Widerspruch zum Konzept eines autonomen künstlerischen Genies: nicht der schöpferische Augenblick, sondern die klar definierte Arbeitszeit, keine autonome Position des Schauspielers als Künstler, dessen Tun von allen Zwängen und Vorgaben befreit ist, sondern die Abhängigkeit von einer übergeordneten Gesetzgebung. Während also in der Genieästhetik mit dem Konzept eines souveränen und autonomen künstlerischen Schaffens ein Gegenbild zu den Entfremdungserfahrungen der frühkapitalistischen Arbeitswelt entworfen wird – das zugleich die realen Produktionsbedingungen negiert –, lässt sich an den Theatergesetzen des ausgehenden 18. Jahrhunderts ein anderes Konzept ablesen: das schauspielerische Schaffen wird als zu organisierender Arbeitsprozess begriffen, der in ›Ordnung‹ gebracht und ›beruhigt‹ werden muss. Die Theatergesetze des ausgehenden 18. Jahrhunderts, die wie in Weimar Arbeitszeit und -ort der Proben vorgeben und auch über das soziale Verhalten der Schauspieler wachen, werden als ein »Codex der Disziplin«60 verstanden. Sie bedeuten nicht nur einen individuellen Vertrag mit dem einzelnen Schauspieler, sondern eine für die gesamte Bühne gültige Rechtsverpflichtung. Als überpersönliches Ordnungsprinzip und »Inbegriff der generellen, abstrakten
60 | Die Bedeutung der Theatergesetze zeigt sich auch darin, dass beispielsweise Wilhelm Hebenstreit in seiner Ästhetik ihnen einen eigenen Beitrag widmet: »Theatergesetze werden diejenigen Vorschriften genannt, welche eine Theaterdirektion für das ihr untergeordnete Personal des Schauspiels und der Oper zu dem Zweck aufgestellt hat, damit durch genaue Befolgung derselben die theatralische Darstellung vollendet vor sich gehe. Diese Vorschriften betreffen die Obligenheiten und Pflichten der Mitglieder überhaupt, dann die Regie, die Proben und die Darstellungen selbst, die Belohnungen und Strafen, und bilden solchergestalt den Codex der Disziplin, dessen Nothwendigkeit bei einer Versammlung und einem Verein sehr verschiedenartiger Charaktere und Talente umso mehr einleuchtet, als die Aufführung selbst in einem genau bestimmten Mechanismus sich fortbewegen muss […].« Die Verlaufsform der Aufführung selbst macht nach Hebenstreit die Disziplinierung und Ordnung der Arbeit notwendig. Wilhelm Hebenstreit: Wissenschaftlich-literarische Encyclopädie der Aesthetik. Wien 1843 (Reprint: Hildesheim/New York 1978). S. 790f.
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und permanenten Normen«61 ist es damit auch Ziel der Gesetze, dem Theater nicht nur eine Ordnung zu geben, sondern durch die Strukturierung, Normierung und Standardisierung die Arbeitsverhältnisse zu objektivieren: Nicht das persönliche Verhältnis von Theaterleitung und Schauspielern bestimmt die Arbeit, sondern die Gesetzesnorm, die für alle gleichermaßen verbindlich sein soll. Es geht um die Abgrenzung von der Organisationsstruktur der Schauspieltruppen,62 die mit Handwerkszünften verglichen werden: »Diese Männer hatten unter sich keine Gesetze, aber Übertragungen von Gebräuchen und Herkommen, auf welche sie mit Steifheit hielten. Es war alles so zunftgerecht, innungsmäßig und undurchdringlich, daß keine Macht und kein Ansehen die unbeträchtlichste Veränderung in dem geschlossenen Ganzen hätte vorbringen können.« 63
Ifflands abwertende Beschreibung eines »Aufnahmerituals« einer Schauspieltruppe – bestehend aus einer improvisierten Rede des neuen Mitglieds und dem Gelübde zu »Gehorsam, Arbeit und Demut« – kritisiert die mündliche Tradierung des theatralen Wissens.64 Die Konstitution der Ordnung über Rituale und die Anbindung an den einzelnen Schauspieler unterlaufe in ihrer Intransparenz jeden künstlerischen Fortschritt. Dagegen setzt er die Idee eines Diskurses über Theater, der sich an anderen Wissenschaften orientiert und in seiner schriftlichen Form für alle zugänglich sei. Es geht um die Objektivierung der theatralen Arbeit – auch in der Niederschrift der Theatergesetze (gegen die Iffland allerdings auch polemisiert). Verbunden sind damit drei Ziele. Erstens geht es auch den Theatergesetzen darum, das gesellschaftliche und soziale Ansehen der Schauspieler zu heben. So werden die Schauspieler auf die Gesetze ›verpflichtet‹ und müssen diese durch ihre Unterschrift anerkennen. Nicht nur Verspätungen oder Versäum-
61 | Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Frankfurt a.M. 1990. S. 118. 62 | Die Arbeitsweise der Wandertruppen wird im Rückblick durch fehlende Arbeitsteilung und eine familiäre Organisationsstruktur beschrieben, »wo der farbensinnige Heldenspieler zugleich die Kulissen malte, Frau und Töchter die Kostüme besorgten, wo der Chef, wie der alte Döbelin, die Einnahmen an der Theaterkasse fein säuberlich ins Schnupftuch band und damit in die Brasserie zog.« Das Bild, das Martersteig hier zeichnet, wird als Gegensatz zum organisierten stehenden Theater gesetzt, das sich durch Arbeit und ökonomische Betriebsführung auszeichnet. Max Martersteig: Das deutsche Theater im 19. Jahrhundert. Leipzig 1924. S. 246. 63 | August Wilhelm Iffland: »Über den Vortrag in der höheren Tragödie«. In: Almanach für Theater und Theaterfreunde auf das Jahr 1807. Berlin 1807. S. 147. 64 | Ebd., S. 144.
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nisse, sondern auch der fehlende Eifer bei der Arbeit wird unter Strafe gestellt.65 Die aufgemachte Rechnung ist einfach: Indem die künstlerische Praxis an den Normen einer Arbeitsgesellschaft – Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Ordnungssinn, Pflichtbewusstsein – ausgerichtet wird und der Schauspieler damit das bürgerliche Arbeitsethos übernimmt, gewinne er Anstand und Würde. Es ist die Ausrichtung der theatralen Arbeit an einer protestantischen Arbeitsethik, wie sie Max Weber als Form der »innerweltlichen Askese«66 beschrieben hat: Die Arbeit ist nicht mehr Mittel zur Lebenserhaltung, sondern wird selbst zum Lebenszweck als innere Berufung und verfolgt dennoch auch das Ziel einer Anerkennung des arbeitsamen Lebens in den Augen der Öffentlichkeit. Zweitens sind nicht nur die mangelnde Disziplin der Schauspieler oder die fehlende Strukturierung der Probenarbeit Angriffspunkte der Theatergesetze, sondern auch eine Theaterform, die sich der Kontrolle durch Theaterleitung und Dramatiker entzieht. Die Theatergesetze des ausgehenden 18. Jahrhunderts wenden sich explizit, mit zum Teil drakonischen Strafen, gegen die Praxis des Extemporierens – der Schauspieler erfindet, arrangiert oder verändert seine Darstellung (und seinen Text) je nach Reaktionen des Publikums. Eine Form der schauspielerischen Darstellung, die sich gerade nicht über Planung, Vorbereitung oder Übung definiert, sondern über den performativen Akt im Moment der Aufführung. In Wilhelm Meisters traumatischem Theatererlebnis tritt mit der Figur des Hanswurst das Prinzip der Improvisation auf die Bühne: Er spielt aus dem Stehgreif, braucht keinen vorgegebenen, auswendig gelernten Text, sondern agiert augenblicksbezogen gemäß den Anforderungen, die das Publikum an ihn stellt, und steht damit in direkter Opposition zum Ideal des Literaturtheaters, das sich der Logik der Schrift unterordnet. Auch deshalb markiert sein Auftritt das endgültige Scheitern von Wilhelms Theaterprojekt. Das Spiel des Hanswurst entzieht sich auf doppelte Weise einer kontrollierenden Instanz: Weder kann seine schauspielerische Darstellung kontrolliert werden noch die Reaktionen der Zuschauer. Als anarchisches Element steht er für das Unkontrollierte und Unkontrollierbare des Theaters: das, was nicht über Arbeit vorbereitet und in der Probe überprüft werden kann (von der Theater65 | »Wer auf der Scene nicht mit gehöriger Anstrengung singt, und die ihm angewiesenen Bewegungen vernachlässigt […], wer bei den Proben nicht mit allem Fleiß und Ernst den Anordnungen des […] Regisseurs Folge leistet, […] wird nach Verhältnis seines Vergehens bestraft.« Franz von Akáts: Kunst der Scenik in ästhetischer und ökonomischer Hinsicht. Wien 1841. S. 59. Akáts debütierte unter dem Namen Karl Franz Grüner 1803 bei Goethe in Weimar. Dort bekommt er gemeinsam mit dem Schauspieler Wolff von Goethe Schauspielunterricht erteilt, aus dem die Regeln für Schauspieler hervorgehen. 66 | Max Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. München 2004. S. 98f.
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leitung, dem Dramatiker oder der Zensur), sondern was erst in der Aufführung produziert wird und damit nicht vorhersehbar ist. Die bereits 1730 von Johann Christoph Gottsched in seinem Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen formulierte Forderung nach einem »regelmäßigen Drama« gegen die »pöbelhaften Fratzen und Zoten«67 wird von Joseph II. wenig später zum Gesetz erklärt: Verboten wird das »[E]xtemporieren« und damit »alles geflissentlich Zusetzen, Abändern, oder aus dem Stegreif […] an das publicum stellende Anreden, auf das schärfste«.68 Ein Verbot, das sich in der Folge auch die Theatermacher selbst auferlegen. Auf der Bühne darf nur noch gesprochen werden, was sich der Schrift des Dramas entnehmen lässt. Nicht allein auf die Kontrolle des Wortes, sondern auch auf die Form der schauspielerischen Darstellung zielen damit die Theatergesetze. In der Theatergeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts steht das Extemporieren für ein »wildes Chaos«, das »Verwüstung« anrichtet, »fallende Trümmer« nach sich zieht und zu »Zügellosigkeit« führe. Denn, so erklärt Devrient in seiner Geschichte der deutschen Schauspielkunst, die Unabhängigkeit des Schauspielers vom dramatischen Text sei eine »Selbstständigkeit auf Kosten höheren Fortschritts«.69 Wenn der Schauspieler sich selbst auf eine Stufe mit dem Autor stelle, weil er den Text im Spiel produziert, wird er sich allein auf den Zufall verlassen und die Probe missachten. Statt mit dem Zufall zu spielen, wird Planbarkeit und Steuerung zur theatralen Praxis. Dies verweist auf das dritte Ziel, das mit den Gesetzen erreicht werden soll: ein »Fortschritt«70 in der Schauspielkunst. Damit wird nicht nur die soziale Anerkennung der Schauspieler an eine bestimmte Darstellungspraxis gebunden, Fortschritt meint in diesem Zusammenhang auch eine Kalkulierbarkeit und Berechenbarkeit des Produzierens. Über Normen und Standards wird das Theater 67 | Johann Christoph Gottsched: »Der Sterbende Cato«. In: ders.: Ausgewählte Werke. Berlin 1970. Bd. 2, S. 5. 68 | Zitiert nach Beatrix Müller-Kampel: Hanswurst, Bernadon, Kasperl. Paderborn 2003. S. 229. 69 | Vgl. Eduard Devrient: Geschichte der deutschen Schauspielkunst [1848-1874]. Berlin 1967. S. 172, 182, 184. So sieht auch Martersteig das Extemporieren allein in der »Trägheit der Schauspieler« gegründet, die sich dagegen wehrten, vom »Schlendrian zu ernster Arbeit überzugehen«. Martersteig: Das deutsche Theater im 19. Jahrhundert. S. 64. Bekämpft werden soll diese Form der künstlerischen Praxis mit den Theatergesetzen, die damit vor allem ein Programm zur Disziplinierung und Verpflichtung auf ästhetische Normen darstellen. 70 | Die Theatergeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts liest die Geschichte der Schauspielkunst im 18. Jahrhundert als notwendige Disziplinierung der Schauspieler im Dienste eines »Fortschritts« des Theaters. Vgl. Devrient: Geschichte der deutschen Schauspielkunst. S. 184.
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›beruhigt‹ und im Sinne Batailles jenseits eines Prinzips der Verausgabung gedacht, sondern auf den Fortschritt und damit ein Ziel verpflichtet. Die Kalkulierbarkeit des Produzierens lässt sich somit auch in einem ökonomischen Kontext lesen: Mit der Investition in das Theater wird nun auch die Forderung nach einem reibungslosen Produktionsablauf verbunden.71 Alles, was diesen Ablauf stört, muss erkannt, definiert und bestraft werden. Was allerdings genau den Ablauf stört und wer darüber entscheidet, ist eine Frage, die innerhalb dieser Institutionalisierungsprozesse durchaus unterschiedlich bewertet wird. Während die Konstituierung der Weimarer Gesetze als Geste der Unterwerfung gelesen werden kann, formulieren die Hamburger Theatergesetze unter Schröder ein anderes Verständnis der Institution ›Theater‹: »Gesezze müssen Dämme seyn, gegen Despotie, Unordnung, Uebereilung und Heftigkeit der Direction; Dämme gegen Nachlässigkeit, Unsittlichkeit und Heftigkeit der Schauspieler« und gefordert wird »[d]ie Direction muß weder willkürlich strafen noch entschuldigen können«.72 Schröder geht es um nichts weniger als eine Verfassung des Theaters. »[K]ein Staat, keine Gesellschaft kann ohne Gesetze bestehen«73, erklärt er im Vorwort zu seinen erneuerten Gesetzen, und dasselbe gelte auch für das Theater. Mit der Staatsmetapher lenkt Schröder den Blick auf zwei Aspekte der Konstituierung über die Gesetze: Erstens als Frage der Setzung im Sinne einer Grenzziehung und Geste des Ein- und Ausschlusses. Es sind »Dämme«, die Willkür und Unordnung fern halten sollen, das Ausgeschlossene hinter dem ›Damm‹ bleibt dabei als Drohkulisse latent vorhanden. Jedes Nachlassen im Bemühen bedeutet einen Rückfall in alte Strukturen. Damit wird die Arbeit an der Ordnung nicht nur als unendlicher Prozess verstanden, sondern auch als permanent gefährdet betrachtet.
71 | Dass die Gesetze vor allem Geldstrafen verhängen, die Regulierung der Arbeit also innerhalb eines Geldsystems stattfindet, zeigt, wie die Arbeit hier in einen Zusammenhang mit sozialen und ökonomischen Steuerungsideen gebracht wird. Vgl. Joseph Vogl: »Fausts Arbeit«. In: Ulrich Horn/Eva Bröckling (Hg.): Die Anthropologie der Arbeit. Tübingen 2002. S. 17-34. S. 17. 72 | Friedrich Ludwig Schröder: »Gesetze des Hamburgischen Theaters«. Zitiert nach Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer: Friedrich Ludwig Schröder. Beitrag zur Kunde des Menschen und des Künstlers. Hamburg 1819. Bd. 2, S. 232. Damit werden auch – im Gegensatz zum Weimarer Hoftheater – Rechte des Schauspielers gegenüber der willkürlichen Entscheidungen der Theaterleitung festgeschrieben: »§ 37. Der Schauspieler hat das Recht, sich alles Gehorsams gegen die Gesetze zu entziehn, und seine Verpflichtungen für aufgehoben zu sehen, wenn er seinen [!] Gehalt nicht an jedem ersten Monatstage richtig empfängt.« Ebd., S. 240. 73 | Ebd., S. 232.
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Zugleich verweist die Staatsmetapher auf den Modus der Konstituierung, im Sinne von Rousseaus Entwurf des Contrat Social als Entäußerung der individuellen Interessen der Schauspieler an die Gemeinschaft: das Ensemble. Aus dem gemeinsamen Vertrag resultiere nach Rousseau der allgemeine Wille, der volonté générale, dessen gesetzgebender Kraft sich sämtliche Untertanen beugen können, ohne sogleich ihre Freiheit einzubüßen, eben weil sie zu gleichen Teilen am Prozess der ursprünglichen Willensbildung beteiligt waren. Auch für Schröder geht es um die Unterordnung des Schauspielers unter ein gemeinsames Ziel bei gleichzeitiger Selbstermächtigung: Die Schauspieler selbst werden zur gesetzgebenden Gewalt, die jedes neue Gesetz zu genehmigen haben.74 Auch Schröders Versuch einer Demokratisierung des Theaters kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Idee, über eine Verpflichtung auf gemeinsame Normen und Gesetze das theatrale Produzieren zu kontrollieren, mehr Projekt bleibt als Realität wird. Dies zeigen nicht nur das Scheitern des Hamburger Theaterprojekts, die Widerstände der Schauspieler gegen die Gesetzgebung – beispielhaft dokumentiert an den Anmerkungen zu den Protokollen des Mannheimer Nationaltheaters –, sondern auch die zahlreichen Verstöße, die geahndet werden, und die protokollierten Diskussionen um Beschwerden der Schauspieler. Das Aufsetzen der Vorschriften und selbst ihre Unterzeichnung durch die Schauspieler bedeutet noch lange nicht, dass die dort formulierten Normen auch in der Theaterpraxis angewendet werden. Die Gesetze werden gerade von den Schauspielern abgelehnt, und es wird heftig gegen sie polemisiert. So klagt Iffland über die Gesetzgebung am Nationaltheater in Mannheim: »[Die Theatergesetze] enthalten eine Pedanterie, einen Druck, eine Kleinlichkeit, welche mit Künstlergefühl nicht zu vereinigen ist. Sie scheinen mehr für Handwerksburschen als für Künstler entworfen. Sind freilich nur wenige Schauspieler Künstler, so gewinnt doch eine Direktion, wenn sie alle als Künstler behandelt.«75
Nicht die Verpflichtung auf das bürgerliche Arbeitsethos, sondern die Forderung nach einer Ausnahmestellung als Künstler (der sich im Falle Ifflands am Verhaltenscodex des Hofes orientierte), der im Sinne der Genieästhetik jenseits jeder Regel steht, wird zum Vorbild. Ausgehandelt wird letztlich die Frage, wer die Macht über die schauspielerische Darstellung hat: die Theaterleitung (und später der Regisseur) oder der Schauspieler selbst. Resultat ist eine permanente Neuformulierung, Ausbesserung und Veränderung der Gesetzgebung. »Mehr ein Symptom, als eine Gewähr«76 erkennt Max Martersteig deshalb im begin74 | »Kein neues Gesetz soll Kraft haben, wenn es nicht von zwei Drittheilen der Gesellschaft genehmigt wird.« Meyer: Friedrich Ludwig Schröder. S. 232. 75 | Iffland: Meine theatralische Laufbahn. S. 96. 76 | Martersteig: Das deutsche Theater im 19. Jahrhundert. S. 249.
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nenden 20. Jahrhundert in den verschiedenen Versuchen der Theatergesetzgebung und verweist damit auf die imaginäre Dimension der Gesetze: Sie geben weniger Auskunft über eine konkrete Form der Theaterpraxis als über die Ideen, wie der Arbeit am Theater eine ›Ordnung‹ zu geben sei, und damit auch über die Institution des Theaters selbst.
6 Systeme des Probens
»Von der Leseprobe zur Premiere. Ein Arbeitsbericht über die Mutter-Inszenierung Vorarbeiten fanden am 15.10.1951 statt; 26.10. Leseprobe, vom 27.10-10.01.52 fanden Stell-, Stück- und Generalprobe statt von 10-16 Uhr. Musikalische Einzel- und Chorproben lagen vor bzw. nach den Bühnenproben. Technische Proben lagen in der Zeit von 8-10 Uhr. Besprechung nach, manchmal auch während dieser Zeit. Regie führten Bertolt Brecht und Caspar Neher, drei Assistenten bildeten das Bindeglied zwischen Musik und Regie, Technik und Regie bzw. waren für die Durchführung des gesamten organisatorischen Ablaufs verantwortlich. Folgende Proben wurden durchgeführt: 1 Leseprobe 3 Stellproben 65 Stückproben 5 durchlaufende Proben (2 davon im Kostüm) 2 Hauptproben 2 Generalproben 3 geschlossene Vorstellungen 1 Pressevorstellung 1 Premiere 52 Musikproben 16 Orchesterproben 1 Bauprobe 3 Technische Proben (Einrichtung des Bühnenbilds) 1 Technische Probe (Begutachtung der Requisiten) 3 Beleuchtungsproben (zwei ohne und eine mit Darstellern) 2 Projektionsversuche 1 Technische Probe mit Film 2 Kostümbesprechungen 1 Maskenbesprechung 2 Kostümproben
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A RBEIT AM T HEATER 1 Probe in Kostüm und Maske 2 Geräuschproben«1«
Diese Liste der Proben an der Inszenierung von 1951 am Berliner Ensemble findet sich im Bertolt-Brecht-Archiv – auch hier ist der Probenprozess ein aktenkundiger Vorgang. Minutiös wird über jede Probe Protokoll geführt, werden Arbeitszeiten und Zuständigkeiten dokumentiert: ein »Arbeitsbericht« eines komplexen künstlerischen Prozesses. Insgesamt finden einschließlich der Premiere 160 Proben, technische Versuche, Besprechungen und Voraufführungen statt. Nicht nur die schauspielerische Darstellung wird geprobt, auch die Technik, das Bühnenbild, die Ausstattung und sogar die Geräuscheinspielungen. An diesem Prozess beteiligt sind neben den Regisseuren und den Schauspielern auch Techniker, Beleuchter, Musiker, Kostümbildner und Garderobieren, Maskenbildner, Bühnenarbeiter, ein Souffleur. Allein drei Assistenten sind mit der Organisation des Arbeitsablaufs beschäftigt. Liest man diesen Bericht im Wissen um die Dauer des Probenprozesses um 1800, der oft nur drei Proben umfasste, dann stellt sich die Frage, wie eine solche Zunahme der Probenzeit zu erklären ist. Wie kann sich die theatrale Praxis so grundlegend ändern, dass sie ein Vielfaches an Arbeitszeit fordert? Wenn noch 1872 der Regisseur und Intendant Heinrich Laube erklärt: »Fünf, sechs, sieben Proben sind jetzt das höchste Maß für ein schweres großes Stück, und man darf es, wie gesagt, nicht füglich weiter treiben, wenn man die Schauspieler nicht abstumpfen will«2, dann wird im Verhältnis zur Brecht’schen Probenpraxis deutlich, dass es nicht allein um ökonomische Fragestellungen bei dem Umfang der Probenzeit geht, sondern um sehr spezifische Vorstellungen dessen, was es zur Vorbereitung einer Aufführung bedarf, und damit auch um unterschiedliche Konzepte von Theater. Habe ich bisher verallgemeinernd von der Probe gesprochen, dann zeigt der zitierte Arbeitsbericht, dass es hier einer Differenzierung bedarf. Der Vorbereitungsprozess einer Aufführung setzt sich aus verschiedenen Proben zusammen – in seinem Lexikon der Fachsprache des Theaters führt Urs Mehlin allein dreizehn verschiedene Probenformen auf, von der Konzeptionsprobe bis zur Durchsprechprobe.3 Schon im Kontext des Weimarer Hoftheaters wurde zwischen verschiedenen Probenformen unterschieden, etwa die Leseprobe von der Theaterprobe getrennt, sowie der Hauptprobe eine besondere Bedeutung zugewiesen. Der Theaterpraxis selbst wurde eine organisatorische – zeitliche und räumliche – Struktur gegeben, die Probenarbeit stellte sich als ein komplexer und zu organisierender Prozess dar, der sich anderen arbeitsteiligen und 1 | Bertolt-Brecht-Archiv [= BBA] 1969/84. (Ohne Autorangabe) 2 | Heinrich Laube: Das Norddeutsche Theater. Leipzig 1872. S. 148. 3 | Urs Mehlin: Die Fachsprache des Theaters. Düsseldorf 1969. S. 421.
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organisationsbedürftigen Produktionsprozessen anzugleichen schien und einer eigenen Dramaturgie folgte. Was aber im Kontext des Weimarer Hoftheaters in Randbemerkungen, Anekdoten oder Gesetzen verhandelt wurde, wird im beginnenden 19. Jahrhundert zum Gegenstand ästhetischer Reflexion: Die Probe wird als Problem und Möglichkeit des Theaters diskutiert, ihre Organisation und Strukturierung als ästhetisches Problem ausgestellt. Welche Konzepte von (künstlerischer) Arbeit werden hier verhandelt? Und wie sind sie im Kontext zur Entwicklung der Arbeitsgesellschaft und den in diesem Kontext verhandelten Konzepten von Arbeit zu betrachten? Wie also strukturiert sich der Arbeitsablauf ›Proben‹ hinsichtlich Probenformen, Probenzeit und der Zusammenarbeit? Wie werden diese Arbeitsvorgänge in ihrem jeweiligen historischen Kontext beschrieben?
D AS » COMPLICIRTE G ESCHÄF T« 4 DER I NSZENIERUNG »Das Geschäft des Regisseurs: die Mise en scène, beginnt mit dem Vertheilen der Rollen eines neuen Stückes und endet mit dem Aufziehen des Vorhangs vor dem versammelten Publikum.« 5
Eine der ersten Schriften zum Probenprozess ist der Artikel In die Scene setzen, den der Schauspieler, Intendant und Publizist August Lewald 1838 in der von ihm herausgegebenen Allgemeinen Theater-Revue veröffentlicht. Die Inszenierung – als ›Mise en scène‹ – wird von Lewald als umfassender und durch eine klare Struktur gegliederter Arbeitsvorgang definiert, unter der Verantwortung des Regisseurs, um ein »dramatisches Werk vollständig zur Anschauung [zu] bringen, um durch äußere Mittel die Intention des Dichters zu ergänzen und die Wirkung des Dramas zu verstärken«6. Hier zeigt sich eine Neubewertung des Verhältnisses von dramatischem Text und szenischer Darstellung im Vergleich zu den Probenformen um 1800.7 Der Probenvorgang wird nicht mehr als einfache Übersetzungsleistung begrif4 | August Lewald: »In die Scene setzen«. In: ders.: Allgemeine Theater-Revue. Stuttgart/Tübingen 1838. S. 249-308. S. 253. 5 | Ebd. 6 | Ebd., S. 252. 7 | Allerdings weist bereits Goethe darauf hin, dass sich die theatrale Praxis niemals auf den dramatischen Text reduzieren lasse. Er konstatiert, dass »ein gutes Theaterstück eigentlich kaum zur Hälfte zu Papier gebracht werden kann, vielmehr der größere Teil desselben den Glanz der Bühne, der Persönlichkeit des Schauspielers, der Kraft der Stimme, der Eigentümlichkeit seiner Bewegungen, ja dem Geiste und der guten Laune des Zuschauers anheim gegeben bleibt […]«. Doch Lewald entwirft die Inszenierung als
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fen, sondern ihm wird als Prozess des »In die Scene Setzens« eine eigene Bedeutung zugesprochen, wie Fischer-Lichte ausführt: »Die Einführung des Begriffs [der Inszenierung] zeugt davon, daß dieser Transformationsprozeß [des dramatischen Textes in die Aufführung, A.M.] nicht mehr als selbstverständlich und problemlos zu vollziehen galt, sondern man sich zunehmend dessen bewusst wurde, daß er der Entwicklung bestimmter Darstellungsstrategien bedurfte.« 8
Um diese neuen Darstellungsstrategien nicht nur zu entwickeln, sondern auch umzusetzen, bedarf es nach Lewald einer genauen Planung der Probenarbeit. Notwendig wird dies vor allem durch die »Unruhe« des Inszenierungsvorgangs, aufgrund des fehlenden Wissens um die Gestalt der späteren Aufführung, der gemeinschaftlichen Form des Produzierens, des Fehlens definierter Parameter des Produzierens und damit nicht nur einer fehlenden Kontrolle über den Verlauf des Arbeitsprozesses, sondern vor allem über das Ergebnis. Der Erfolg einer Inszenierung sei so nicht kalkulierbar – weder in ästhetischer Hinsicht noch in ökonomischer.9 Durch ein »gewissenhafte[s] In Scene setzen« sei es nach Lewald möglich, genau jener »Unsicherheit« Herr zu werden. Dafür müssen verschiedene Arbeitsvorgänge organisiert und aufeinander abgestimmt werden. Aufgewertet wird damit nicht nur die Probenarbeit als Vorbereitung für die Aufführung, sondern auch die Arbeit, die den Proben auf der Bühne vorangeht. Geplant werden müssen alle Arbeitsschritte, egal, ob vor, auf oder hinter der Bühne, egal, ob sie vor oder während der Proben stattfinden. Als Gegengewicht zur »Unsicherheit« des Produktionsvorgangs, der fehlenden Kontrolle über den Erfolg der Aufführung, dem Unwissen über die endgültige Form der Inszenierung wird mit einer »Proben-Arbeit« bis ins »minutiöseste Detail«10 geplant und für Sicherheit und eine »künstlerische Ruhe« gesorgt. Wie sieht der Prozess aus, den Lewald vorschlägt? Am Beginn steht die Leseprobe zur Verständigung aller Beteiligten und mit dem Ziel einer einheitlichen Vorstellung von der späteren Aufführung. Ihr folgt eine Setzprobe als »Skizze« der späteren Aufführung. Nach einer Phase des individuellen Textstudiums eigenständigen Prozess. Goethes poetische Werke. Vollständige Ausgabe. Stuttgart 1950ff. XXI. S. 20. 8 | Erika Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen. Frankfurt a.M. 2004. S. 320. 9 | Als Bild für einen ästhetischen Misserfolg zieht Lewald immer wieder die ungewollte Reaktion des Publikums im »Auslachen« falscher Effekte heran. Im Lachen des Publikums wird das Theater in seiner Legitimation als ›ernste‹ Kunstform in Frage gestellt. Als Gegenmittel wird die gewissenhafte Arbeit gesetzt, deren Pathos jedes Auslachen verbieten soll. 10 | Lewald: »In die Scene Setzen«. S. 253.
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schließen sich Bühnenproben an, in denen jeder einzelne Akt durchgegangen, wiederholt und damit »eingeübt« wird. Während in der »Setzprobe« alles nur angedeutet wird, dienen die »Theaterproben« dazu, dem »scenischen Bild […] volles Leben« zu geben.11 Die abschließende Generalprobe fügt nun die einzelnen Szenen zusammen und wird damit zur Überprüfung der späteren Aufführung. Flankiert wird diese Arbeit nicht nur durch regelmäßige Besprechungen, sondern auch durch individuelle Arbeit – an schriftlichen Entwürfen der »Mise en scène« durch den Regisseur sowie im Selbststudium der Schauspieler. Damit unterscheidet sich die Struktur des Prozesses kaum von dem Probenablauf der eingangs zitierten Brecht-Inszenierung, allein der zeitliche Umfang ist deutlich geringer. Grob lassen sich drei Phasen des Probens unterscheiden: das Vorstellen der »Mise en scène« durch den Regisseur, der in einem »Setz-Scenario«12 bereits vor Beginn der Proben alle Stellungen, Auf- und Abgänge entworfen hat. Leseprobe und Stellprobe dienen dazu, diesen Entwurf allen Beteiligten zu vermitteln. Der zweite Schritt ist das »Studium«13 als Einübung der festgesetzten Stellungen durch das Prinzip der Wiederholung. Und die dritte Phase besteht in der »Überprüfung« des Geübten in der Generalprobe.14 Gefährdet ist dieser Prozess auf verschiedenen Ebenen: Erstens entsteht, wie bereits beschrieben, aus dem Unwissen über das Ergebnis des Probens eine »Unruhe«. Zweitens müssen die verschiedenen Arbeitsschritte nicht nur organisiert, sondern auch kommuniziert werden. Die interaktive Verfasstheit des Probens bringt besondere Probleme hervor: Missverständnisse, Enttäuschungen, gegenseitige Demütigungen, Ermüdungserscheinungen. Geschildert wird die Probenarbeit als hochkomplexer Kommunikationsprozess, der durch mangelnde Transparenz, Neid und Zurücksetzungen permanent abzubrechen droht. Drittens verfolgt der Planungsprozess theatraler Praxis ein widersprüchliches Ziel, denn zu jeder Form der schauspielerischen Darstellung gehören auch immer Anteile, die sich nicht kalkulieren lassen. Die Probensituation selbst zeichnet sich durch diese Ambivalenz aus: Es bedarf vor allem in der Aufführung eines »Eifer[s] des Spiels«, den es aber so zu steuern gilt, dass er während der Proben keine »gereizte Stimmung hervor[bringt]«.15 Weder darf das »Feuer« des Schauspielers erlöschen noch darf es zu einer allgemeinen »Gereiztheit« umschlagen, sondern muss sich erst im richtigen Augenblick, das heißt in der Aufführung, »entladen«.16 Lewald strebt nach einer Ökonomisie-
11 | Lewald: »In die Scene Setzen«. S. 281. 12 | Ebd., S. 277f. 13 | Ebd., S. 278. 14 | Ebd., S. 284. 15 | Ebd., S. 256. 16 | Ebd., S. 286.
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rung der schauspielerischen Darstellung: als Ausgleich zwischen notwendiger Anspannung und Beruhigung im Produzieren. Dieser Ausgleich soll nicht nur über die Probenarbeit, sondern vor allem über die Aufwertung der Funktion des Regisseurs garantiert werden, der zur zentralen Figur der Inszenierungsarbeit wird. Seine Aufgaben sind nicht nur der genaue Entwurf der späteren Aufführung im »Setz-Scenario«, nicht allein die Organisation von Proben, sondern vor allem eine Moderations- und Ausgleichsfunktion: Er soll »besänftigen, vorstellen, ausgleichen«,17 auf organisatorischer, kommunikativer, ökonomischer wie ästhetischer Ebene. Damit besteht seine Aufgabe darin, verschiedene Interessen abzugleichen, differente Vorstellungen von der szenischen Darstellung anzugleichen, Leidenschaft und Reflexion im Spiel der Schauspieler auszugleichen. In der Ordnung dieser widerstrebenden Kräfte entsteht die »künstlerische Ruhe«: »[Die] künstlerische Ruhe […] läßt sich neben der größten äußerlichen Beweglichkeit sehr wohl denken; es ist sowohl die Ruhe, die der Künstler darstellt, als die, welche sich des Gemüths des Zuschauers bemächtigt, und aus dessen innerster Zufriedenheit erwächst; es ist die Harmonie die im Ganzen waltet, die Übereinstimmung in der Färbung der Leidenschaft, die Sicherheit in Allem was das Auge und das Ohr des Zuschauers berührt; es ist die Besonnenheit, die selbst die leidenschaftlichsten Bewegungen leitet und den Gesetzen der Ästhetik unterordnet; diese künstlerische Ruhe läßt sich aber nur dann erringen, wenn man die Aufgabe durchdrungen, ihre Höhe erreicht hat, und nun mit der Gewalt des Meisters über dem Gebilde schwebt, sich aber nicht selbst von ihm mit fortreißen läßt.«18
Dieser Zustand kann nur durch eine unabhängige Position erreicht werden, die sowohl das einzelne Detail als auch die ganze Szene im Auge hat. Lewald findet sie im ordnenden Blick des Regisseurs. So ist hier nicht der Schauspieler der kühle Beobachter seiner selbst – wie es Diderot fordert19 –, sondern der »kalte« Blick des Regisseurs bildet den Gegenpol zum »Feuer« des Schauspielers. Resultat ist die Übertragung der Verantwortung für die schauspielerische Darstellung auf den Regisseur. Lewald stellt dabei eine einfache Rechnung auf: Mit der Planung und gewissenhaften Arbeit an der Aufführung könne auch der Erfolg beim Publikum geplant werden. Die Inszenierung wird dabei als Produkt eines spezifischen Herstellungsvorgangs begriffen – ein Produkt, dem die Zuschauer, so Lewalds 17 | Lewald: »In die Scene Setzen«. S. 263. 18 | Ebd., S. 285. 19 | Damit fügt Lewald in der Diskussion um Gefühls- und Verstandesschauspieler eine neue Position ein: Es ist der Regisseur, der das Feuer des Schauspielers kontrollieren soll.
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Hoffnung, die sorgfältige Arbeit ansehen werden und diese mit Beifall anerkennen: »Geht alles wie es seyn soll, so muß von jedem neuen Stücke, das man mit Sorgfalt auswählt und mit Fleiß in die Scene setzt, ein sicherer Erfolg zu erwarten seyn.«20 Jedoch erkennt auch Lewald, dass nicht allein die Arbeit an der Inszenierung, der Fleiß und die Sorgfalt Erfolg beim Publikum garantieren. Die Aufführung könne immer Aspekte des Unvorgesehenen beinhalten – Pannen oder Publikumsreaktionen –, die sich der Planung entziehen und die erarbeitete Ruhe gefährden. Die Lösung liegt für Lewald nicht nur in einer Neubewertung des Probenablaufs durch die Theatermacher, sondern auch in einer Sensibilisierung des Publikums für eben jenen Produktionsprozess. Lewalds Artikel wendet sich explizit an die Theaterzuschauer mit der Intention, den Blick der Zuschauer für die ›Mise en scène‹ als Produkt der ästhetischen Arbeit zu schärfen. Damit fordert er eine Abstraktionsleistung der Zuschauer. Von dem, was auf der Bühne gezeigt wird, sollen sie nur das, was geplant und vorbereitet, also inszeniert wurde, bewerten. Damit entwirft Lewald ein neues Ideal des Zuschauers: Für eine adäquate Kritik bedarf es der Kenntnis des Vorbereitungsprozesses. Während im 18. Jahrhundert noch Zuschauer bei den wenigen Proben keine Seltenheit waren, verändert sich die Probenpraxis um 1800 dahin gehend, dass die Öffentlichkeit zunehmend vom Produktionsprozess ausgeschlossen wird.21 Mit dem Ausschluss der Zuschauer von den Proben eröffnet sich ein neues Problem: Das Gezeigte muss nun allein nach dem Moment der Aufführung beurteilt werden. Die einzige Bewertungsgrundlage, die sich für den Zuschauer bietet, ist das, was er auf der Bühne sieht. Dies bedeutet aber auch, da keine Aufführung vollständig kontrolliert werden kann, dass ein möglicher Unfall, eine Unpässlichkeit eines Schauspielers der gesamten Aufführung zur Last gelegt werden können. Um die Inszenierung und nicht das einzelne Spiel der Schauspieler zu beurteilen, benötige man dagegen ein Wissen um die allgemeinen Produktionsbedingungen im Theater, ohne Einblick in den jeweils individuellen Probenvorgang zu haben. In diesem Sinne versucht Lewald nun das Verhältnis von Theaterzuschauer und Theatermacher neu auszuhandeln: Der Zuschauer soll über theoretische Schriften – und nicht über die eigene Anschauung – ein Wissen über den Produktionsprozess bekommen, um zu einem gerechten, objektiven, das heißt nicht durch Zufälle geprägten Urteil über die Aufführung zu kommen. Die Inszenierung ist nichts, was sich allein aus dem Besuch der Aufführung er20 | Lewald: »In die Scene Setzen«. S. 282. 21 | Auch Lewald beschreibt die notwendige Stille, die auf Proben zu herrschen habe, und dass diese deshalb abgeschottet von der Öffentlichkeit stattfinden müssten. Vgl. zum Verhältnis von Verstecken und Offenbaren der Probenpraxis das Kapitel »Topografien des Probens«.
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schließt, sondern als komplexer Vorgang einer Erläuterung ihrer Bedingungen bedarf.22 Im Diskurs über das Verhältnis von Arbeit und Theater entsteht somit über den Begriff der Inszenierung die Idee eines Produkts, das nicht nur wie andere Produkte hergestellt werden kann, sondern dessen »Konsumation« (Marx) auch unabhängig von der Situation der Aufführung gedacht werden soll. Behauptet wird ein Abstand zwischen dem Moment der Produktion und dem der Rezeption über die Reflexion des Produktionskontextes. Mit dem Konzept der Inszenierung (er)findet der Diskurs über die theatrale Praxis, was dem Theater gefehlt hat, um als ›Kunstform‹ anerkannt zu werden: In die »unproduktive Arbeit« des Theaters wird ein Produkt als Ergebnis eines künstlerischen Schaffensprozesses eingeführt. Dass dieses Produkt weder materiell noch notierbar oder tradierbar ist, bleibt für den Theaterdiskurs bis zum Ende des 20. Jahrhunderts ein grundlegendes Problem.
Ö KONOMIEN DES I NSZENIERENS »Der allgemeine Bedarf einer Theater-Administration zerfällt in folgende Rubriken und Konti: Gagen der Oper, des Schauspiels, des Orchesters, des Chors, des Balletts. Beleuchtung: Beleuchtungs-Personale. Bibliothek: Bibliotheks-Personale. Decorationen: Maler- und Arbeits-Personale. Garderobe: Garderobe-Personale. Extra-Gehilfen. Feuerung: Feuerungs-Personale. Ankauf von Musik. Musik-Copiatur. Rollen-Copiatur. Gratifikationen. Requisiten. Statisten. Theater-Arbeiter. Extra-Theaterarbeiter. Extra-Musik. Reise-Conto. Unkosten-Conto. 22 | Dies gilt auch für den Dramatiker. Nur aus der Kenntnis der theatralen Produktionsbedingungen kann dramatische Literatur entstehen. Lewald: »In die Scene Setzen«. S. 306.
6 S YSTEME DES P ROBENS In diesem letzten Conto werden begriffen: Interessen von Capitalien, Mieth- und Pachtzins, Schreibmaterialien, Post- und Paketporto, Extra-Anschaffungen und das Gehalt für Beamte.« 23
Diese Auflistung stammt aus dem Handbuch, die Kunst der Scenik, das Franz von Akáts 1841 veröffentlicht. Akribisch listet er jede mögliche Ausgabe auf, die es bei der Organisation eines Theaters zu bedenken gilt, überlegt, wie unnötige Ausgaben vermieden werden können und welche Investitionen für die künstlerische Praxis dagegen sinnvoll sind.24 Im beginnenden 19. Jahrhundert setzt nicht nur eine Reflexion über die Proben als zu organisierende Prozesse ein, ebenso wird die künstlerische Arbeit im Kontext ihrer ökonomischen Bedingungen diskutiert. Die künstlerische Arbeit am Theater bedarf nicht nur der Organisation – von Mitarbeitern, Arbeitszeit, der schauspielerischen Darstellung und dem Bühnenbild –, sondern sie erfordert auch materielle Voraussetzungen: Kostüme, Bühnenbild oder einen Raum zur Aufführung. Ebenso braucht die Vorbereitung einer Aufführung Arbeitszeit, die aufgebracht bzw. bezahlt werden muss. Insofern ist die Arbeit am Theater wie jede andere künstlerische Praxis immer auch eine Investition in eine ungewisse Zukunft. Material und Arbeitskraft müssen eingesetzt werden, ohne dass man weiß, wie das Ergebnis genau aussehen wird, und mit der Gefahr, die eingesetzten materiellen Aufwendungen zu verlieren. Diese Offenheit des Prozesses steht im Gegensatz zu anderen Prozessen des Produzierens in der Arbeitswelt, in denen eine Standardisierung der Arbeitsvorgänge die Herstellung eines bestimmten Produkts garantiert – wenn auch nicht dessen Absetzbarkeit am Markt. Auch wenn jede Investition ein Risiko birgt, so potenziert sich dieses Risiko am Theater aus zwei Gründen. Durch die Medialität der Aufführung ist der theatrale Arbeitsprozess auch immer auf das Publikum als Mitproduzenten angewiesen und diesem zugleich ausgesetzt. Und anders als beim bildenden Künstler oder der Schriftstellerin ist es kein individueller Künstler, der diese Investition erbringt und über sie entscheidet, sondern im Theater bedarf es sowohl handfester materieller Ressourcen wie auch dem Einsatz kreativer Arbeits-
23 | Franz von Akáts: Kunst der Scenik in ästhetischer und ökonomischer Hinsicht. Wien 1841. S. 138. 24 | So lohne sich beispielsweise die Festanstellung von Statisten, da höhere Kosten auf der einen Seite die Möglichkeit zu längeren Proben ohne größeren finanziellen Aufwand auf der anderen Seite aufwiegen würden. Vgl. Ebd., S. 45ff. Ein anderes Beispiel ist die Notwendigkeit, gute Requisiten und Maschinen zu haben, die Nachfolgekosten wie Neuanschaffungen verringern würden. Ebd., S. 6.
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zeit verschiedener Beteiligter. Ein Abwägen von Risiken und Potenzialen des Produzierens ist hier ungleich schwieriger.25 Das Verhältnis von Produktionsbedingungen und ästhetischer Praxis im Spannungsfeld von Investition, der Praxis des theatralen Produzierens und der Ausrichtung auf das Publikum versucht Akáts in seinem Handbuch zur Kunst der Scenik auszuhandeln. Schon im Titel verbindet er ökonomische mit ästhetischen Fragestellungen: Der Probenprozess muss an beiden ausgerichtet sein. Beschrieben wird ein Modell der Proben, das sowohl die Organisation des szenischen Materials – die Stellungen und Anordnungen der Statisten und Schauspieler, der Umgang mit dem Text – als auch Planung und Organisation des Personals, der Finanzen und Ausstattung in den Blick nimmt. Rationalisierung der Personalführung wird ebenso diskutiert wie die Notwendigkeit der Archivierung von Ausstattungsgegenständen, um diese wieder zu verwenden. Akribisch beschreibt Akáts auch die kleinsten Details der Arbeit: vom Material der Bühnenprospekte über die Qualität des Vorhangstoffs bis hin zur Nummerierung und Lagerung des Kostümfundus. Alles müsse unter der Oberaufsicht des »Scenir-Directors« organisiert und geplant werden, da »Ordnung und ein geregelter Geschäftsgang im Großen, wie im Kleinen, die Seele einer Theaterdirektion sind«.26 Eine Ordnung, die sowohl die ökonomische wie ästhetische Seite des Produzierens umfasst. Denn in der Arbeitsteilung des Vorgangs liegt, nach Akáts, auch die spezielle Gefährdung des künstlerischen Produzierens am Theater. Durch die »vielfache Zusammensetzung« zerfalle die Aufführung in verschiedene Teile und verliere damit ihre Wirkung. Eine »Übereinstimmung aller einzelnen Theile im Sinne des Gedichts« soll eine »zweckmäßige Anordnung« der »Scenerie«, als Arbeit am szenischen Bild, leisten.27 Die Einheit der »Scenerie« ist damit nicht bereits im dramatischen Text angelegt – dieser gibt nur den Bedarf vor –, sondern kann erst durch die Steuerung des Inszenierungsprozesses unter der Leitung des Regisseurs erreicht werden. Das Verhältnis von Rahmen und Bild wird zur übergeordneten Metapher für die Inszenierung:
25 | Zugleich aber entsteht in der gegenwärtigen Theaterpraxis für jene Theatermacher, die an einem ›festen Haus‹ arbeiten, im Verhältnis zu Malern oder Schriftstellerinnen eine größere Sicherheit: Als Angestellte der Produktion werden sie bezahlt, unabhängig von den Einspielergebnissen. Im Bereich der bildenden Kunst und der Literatur gibt es eine solche Bezahlung meist nur als Stipendium, also jenseits der Anbindung an einen konkreten Produktionsprozess. 26 | Akáts: Die Kunst der Scenik. S. 33. 27 | Ebd., S. 35.
6 S YSTEME DES P ROBENS »Man stelle ein vollkommenes und gut componirtes und gut gemaltes Bild in ein falsches Licht, umgebe es mit einem geschmacklosen Rahmen, behänge es mit widersinnigen Verzierungen, und es wird sicher seiner Wirkung beraubt sein.« 28
Die Ausrichtung der Inszenierung am Bild bedeutet einerseits eine Arbeit an den Verhältnissen innerhalb des Rahmens – in der Form des Arrangements auf der Bühne –, aber ebenso am Verhältnis von Bild und Rahmen als einer Arbeit an den Produktionsbedingungen. Ein Rahmen gibt die Grenzen eines Bildes vor, er soll zum Bild passen wie das Bild auch zu ihm. Das statische Verhältnis von Rahmen und Bild, von Vorgabe und Begrenzung setzt die Parameter des Inszenierens. Wie das dramatische Gedicht den Bedarf vorgibt, gibt die ökonomische Planung den Rahmen vor, in dem die »scenische Malerei« erst wirken kann. Es gilt, das richtige Maß zu finden, in ästhetischer wie ökonomischer Hinsicht, Kosten und Nutzen von Investitionen gegeneinander abzuwägen. Wie für die finanziellen Ausgaben gilt auch für die szenische Anordnung das Ziel einer ausgeglichenen Bilanz: »weder zuviel noch zu wenig«29 . Die »Kunst der Scenik« wird zur Kunst einer Betriebsführung, die auch das Theater als Kunstform legitimiert. Nicht allein die gelungene Aufführung überzeuge das Publikum. Die Investition in die Arbeit an der Aufführung zielt auf einen anderen Gewinn: »das Zutrauen des Publikums«.30 Die Betriebsführung durch »Ersparung unnötiger Ausgaben« und »gewissenhafte Überlegungen« wird zur Arbeit am Vertrauen des Publikums. Wie Lewald steht aber auch Akáts vor dem Problem, dass jene »zweckmäßigen Anordnungen«, dass »Fleiß« und »Umsicht« nicht notwendigerweise in der Aufführung für den Zuschauer sichtbar werden. Seine Lösung liegt in der genauen Dokumentation der Inszenierungsarbeit, als einer Form des Rechenschaftsberichts von der Buchführung bis hin zu Protokollen der Leseproben: als unerlässliche Inventur der Arbeit am Theater.
28 | Akáts: Die Kunst der Scenik. S. IXf. 29 | Ebd., S. IX. Der Rückgriff auf das richtige Verhältnis von Rahmen und Bild ist eine Metapher, die sich im beginnenden 19. Jahrhundert häufig findet. »Unter das größte Unglück, welches das moderne allgemeine europäische Theaterwesen am Halse hat, gehört vor allem das betrübte Vorurteil der Dekorationen. Ohne Blüte und Frucht ist das Theater gänzlich ins Kraut geschossen, und ganz zur Luxussache geworden; ohne alle innere Heiligkeit und Lebendigkeit und Würde, liefert es eine fortlaufende Galerie mittelmäßiger und schlechter Gemälde in den prächtigsten vergoldeten Rahmen, eine Bibliothek von Makulatur und kostbarsten Einbänden.« Ausgehend vom dramatischen Text gelte es, das »richtige Maß« zu finden. Clemens von Brentano: »Über das moderne Theaterwesen« [1815]. In: ders: Werke. München 1963. Bd. 2, S. 1130. 30 | Akáts: Kunst der Scenik. S. 34.
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Akáts wie Lewald strukturieren in ihren Überlegungen den Probenprozess, weisen auf die Bedeutung der Organisation, die Bedingungen der Produktion hin, richten die Arbeit am Konzept einer »einheitlichen Inszenierung« aus. Außerdem schlagen sie auch eine Neubewertung der Arbeitsstrukturen zwischen den Beteiligten vor: Während Lewald vor allem um die Schauspieler besorgt ist – Ruhezeiten diskutiert, Vorschläge zur Bekämpfung von Unsicherheiten macht –, ist die schauspielerische Darstellung selbst für Akáts kein Thema. Wie die Betriebsführung, so sind auch die Schauspieler vor allem zu ordnen, die Position ›Schauspieler‹ wird allein anhand der Stellungen auf der Bühne diskutiert. Für beide aber gilt gleichermaßen, dass dem Regisseur die Verantwortung für die Inszenierung übertragen wird. Der individuelle Schauspieler wird damit der Inszenierung untergeordnet, er verliert seine Autonomie über seine Darstellung. Innerhalb des gegliederten Arbeitsablaufs kommt ihm nicht die Position eines selbstständig agierenden Künstlers zu, sondern er wird zum Ausführenden des Konzepts der ›Mise en scène‹. Zugleich wird die Zuarbeit der technischen Abteilungen für die Gestaltung der Inszenierung betont. Beispielhaft lässt sich die Verschiebung am Kostümbild zeigen: Während am Weimarer Hoftheater die Schauspieler ihren eigenen Entwurf dem Regisseur zur Prüfung vorstellten,31 ist der Entwurf des Kostüms nun Teil eines übergeordneten Inszenierungskonzepts. Was auf der einen Seite zu einer Vereinheitlichung führt, bedeutet zugleich die Eingrenzung der Entscheidungsmöglichkeiten des Schauspielers hinsichtlich seiner Arbeit. Die Arbeit am Theater versucht sich in ihrer Organisation an industriellen Arbeitsabläufen und deren Standardisierung zu orientieren: Der Produktionsprozess wird aufgeteilt in verschiedene Arbeitsschritte, die koordiniert und gesteuert werden müssen, das Tun des Einzelnen wird reduziert auf eine klar strukturierte und definierte Arbeitsaufgabe, die unter der Aufsicht des Regisseurs oder »Scenir-Directors« auszuführen ist. Auch wenn weder Lewald noch Akáts den Regisseur als künstlerisch Verantwortlichen entwerfen, sondern dessen administrative Funktion unterstreichen, deutet sich in ihren Konzepten bereits eine Verschiebung hin zu einem Regietheater an, wie es sich um 1900 herausbildet. Während die Regisseure und Theaterleiter, die im Sinne Lewalds und Akáts agieren, beispielsweise Karl Immermann in Düsseldorf, Heinrich Laube in Wien oder Eduard Devrient in Dresden, ihre theatrale Praxis durchaus in theoretischen Schriften reflektieren und sie in einen historischen Kontext stellen, findet sich innerhalb dieser Reflexionen keine systematische Beschäftigung mit der Probenarbeit.32 Ein Epochen31 | Vgl. Weimarer Theater-Gesetze. STAW. GI 1/1. 32 | Eduard Devrient setzt sich nach seiner Paris-Reise mit der im Verhältnis zum französischen Theater geringen Probenpraxis in Deutschland auseinander. Vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen führt er Arrangierproben ein und hinterfragt die Praxis des individuellen Textlernens. Vor allem in seinen Tagebüchern wird die Problematik der
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bruch lässt sich um 1900 feststellen: Unter der Herrschaft des Regisseurs wird der Inszenierungsprozess als die eigentlich künstlerische Arbeit am Theater bestimmt.33 Zugleich wird in den Schriften von Regisseuren wie Eduard Gordon Craig oder Adolph Appia eine radikale Neubestimmung der theatralen Praxis gesucht: Das Theater emanzipiert sich von der Vorherrschaft des Dramas. Der Regisseur wird als künstlerisch für die Inszenierung verantwortlich erklärt. Ausgehend von einer solchen Position des Regisseurs werden auch zwei der für den Probendiskurs im 20. Jahrhundert bestimmenden Konzepte theatraler Arbeit entworfen: Stanislawskis »Psychotechnik« und Brechts Konzept eines »Epischen Theaters«.
D IE A RBEIT AN SICH SELBST : Z UR E THIK DES P ROBENS BEI S TANISL AWSKI Mit dem Konzept der Inszenierung verschiebt sich der Fokus der Reflexion von der schauspielerischen Darstellung auf die szenische Darstellung als herzustellendes Ganzes und deren Erarbeitung. Die Probenarbeit wird als komplexer, durch Arbeitsteilung bestimmter Transformationsprozess entworfen. Allerdings ist auch dieser Transformationsprozess an den Körper und die Stimme des Schauspielers gebunden, die Konstitution der schauspielerischen Darsteltäglichen Probenpraxis deutlich. Eduard Devrient: Briefe aus Paris. Berlin 1840 sowie ders.: Aus meinen Tagebüchern. Weimar 1864. Heinrich Laube beschreibt die Schwierigkeiten einer Theatergründung und den damit verbundenen Versuch einer Neubestimmung der Theaterpraxis: ders.: Das Wiener Stadt-Theater. Leipzig 1895 sowie ders.: Das Norddeutsche Theater. Leipzig 1872. Auch Karl Immermann reflektiert in seinen Theater-Briefen die eigene Probearbeit. Am Düsseldorfer Theater arbeitete er an so genannten »Mustervorstellungen«, bei denen die Zuschauer im Vorhinein in die Erarbeitung der Inszenierung investierten: »Mein Gedanke war, ein Experiment anzustellen. Die Rose bricht auf, wenn wir sie zu erziehen wissen, das Haus muß gebaut werden, damit es stehe, die Kunst kehrt zurück, wenn Kunstwerke nicht anbefohlen, sondern geliefert werden. Von dieser Praxis in meinen Gedanken ausgehend, entstand mir der Vorsatz, mit den Schauspielern eine Reihe von Aufgaben an bedeutenden Werken praktisch zu lösen, so vollkommen, als es möglich sey.« Karl Immermann: »Düsseldorfer Anfänge«. In: ders.: Werke. Frankfurt a.M./Wiesbaden 1971-1977. 3. Bd., S. 65. 33 | Als eines der ersten Theater, das seine Probenpraxis radikal ausweitet und damit einen Übergang zu einer veränderten Regieposition bildet, gelten die Inszenierungen des Hoftheaters Meiningen unter Georg II. und dem Spielleiter Ludwig Chronegk. Sehr anschauliche Schilderungen der rigiden Probenarbeit gibt der Schauspieler Alois Wohlmuth. Ders.: Ein Schauspielerleben. Ungeschminkte Selbstschilderungen von Alois Wohlmuth. München 1928.
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lung rückt vielleicht in den Hintergrund, deshalb werden die Fragen ihrer Erarbeitung aber nicht weniger zentral. Wenn der Probenprozess als kollektiver Arbeitsprozess, als ein Szenario des Ausgleichs von Vorstellungen, Interessen und Energien beschrieben wird, bleibt doch die Position des Schauspielers innerhalb dieses Zusammenhangs eine besondere, denn seine Arbeit an der Szene ist notwendigerweise auch immer eine Arbeit an sich selbst, seinem Körper, seiner Stimme. In Konstantin Stanislawskis Nachlass findet sich das Fragment eines »unvollendeten pädagogischen Romans« mit dem Titel »Die Geschichte einer Inszenierung«.34 Erzählt wird von der Probenarbeit an der Inszenierung des Dramas Verstand schafft Leiden aus zwei Perspektiven: Auf der einen Seite wird die Arbeit des Regisseurs Remeßlow (dessen Name soviel wie Handwerker bedeutet) geschildert, dem der Oberspielleiter Tworzow (in dessen Namen die Bedeutung Schöpfer steckt) die Inszenierungsarbeit übertragen hat. Remeßlow macht sich voller Eifer an die Arbeit, hält Leseproben ab, lädt Literaturwissenschaftler ein, den Kontext des Stückes zu erklären, verlangt von den Schauspielern in den ersten Proben einen Vorschlag für die Rollengestaltung. Im Ensemble stößt dieses pragmatische und direkt auf die Aufführung ausgerichtete Vorgehen auf Protest – es kommt zu Diskussionen über die richtige Art und Weise der Annäherung an eine Rollendarstellung, die Formen des Probens und die notwendige Probenanzahl. Parallel dazu wird aus der Perspektive des Schauspielers Fantassow (hier klingt schon die Bedeutung des Fantasten und Schwärmers mit an) dessen künstlerische Krise erzählt. Plötzlich brechen über ihn Zweifel an seinem Tun herein, die es ihm unmöglich machen, auf der Bühne aufzutreten – auch konturiert durch seinen Gegenspieler, dessen Schauspielpraxis sich durch das Fehlen jeder Reflexion auszeichnet. In der Auseinandersetzung mit seinen Ängsten wird Fantassow die Notwendigkeit bewusst, seinen Beruf noch einmal neu zu erlernen. An diesem Punkt bricht der Roman ab, ohne (wie ursprünglich von Stanislawski geplant) die erfolgreiche Inszenierungsarbeit nach der Methode Torzows zu schildern. »Die Geschichte der Inszenierung« bricht da ab, wo die eigentliche Arbeit an ihr beginnen würde: Erzählt wird damit vor allem die Geschichte ihres Scheiterns. Das überraschende Ende des Romans und die damit ausgesparte Probenarbeit steht allerdings nicht allein in Stanislawskis zahlreichen schauspielprogrammatischen Schriften. Alle kreisen um eine Leerstelle: die konkrete Organisation der Probenarbeit. Zwar beschreibt Stanislawski zahlreiche Probensituationen, doch das Bild bleibt unvollständig, einzelne Ereignisse und Vorkommnisse werden geschildert, ein Regieplan für Othello präsentiert: Der Probenprozess als ganzer entzieht sich aber der Darstellung. Was Stanislawski 34 | Konstantin Stanislawski: »Geschichte einer Inszenierung«. In: ders.: Ausgewählte Schriften 1885-1924. Berlin 1988. Bd. 1, S. 417-488.
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jedoch entwirft, ist das ebenfalls nicht vollendete System einer Schauspielausbildung: jenes schauspielerische Studium, das im Roman von Fantassow gefordert wird. Nicht das gemeinsame Proben, sondern die individuelle Arbeit des Schauspielers wird für ihn Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Mit Blick auf den Diskurs der Proben ist auch die Darstellungsform der Probenreflexion von Interesse, die sich von den Textformen, die Lewald oder Akáts wählen, deutlich unterscheidet. Weder eine Beschreibung der konkreten eigenen Probenarbeit noch eine Anleitung zum Tun, sondern der Beginn des Probenprozesses als Roman mit einer komplexen Erzählstruktur, die mit Rückblenden arbeitet und zwischen verschiedenen Erzählperspektiven wechselt. Der Roman ist Teil eines umfassenden Erzählprojekts zur schauspielerischen Arbeit, ihrer Ethik, ihrem Produktionskontext und dem Produzieren von Theater allgemein. Stanislawskis »Systematik« präsentiert sich in Form eines fiktiven Tagebuchs: Erzählt wird aus der Perspektive eines jungen Schauspielschülers. Der Diskurs über die Arbeit am Theater gibt sich auf der Suche nach einer anderen Perspektive auf das theatrale Wissen eine fiktionale Rahmung. Die Theorie einer Schauspielkunst wird präsentiert als literarisches Erzählprojekt, das sich gerade einer Systematisierung entzieht. Immer andere Anordnungen der Schriften werden diskutiert, Versuche überarbeitet und verändert: Arbeitsprozess und Schreibprozess überlagern sich. So wie die theatrale Praxis der ständigen Veränderung unterworfen ist, gleicht sich auch das Schreiben diesen Veränderungen an. In der Reflexion über sein Schreiben spricht Stanislawski nicht nur von den Zweifeln über die gewählte Darstellungsform, sondern auch von dem, was er gestrichen habe, um den Umfang eines noch publizierbaren Buches nicht zu überschreiten: die Biografien der einzelnen Schauspielschüler, ihre Aufnahme in die Schule, ihre Erfahrungen zu Hause. Sein Projekt, das Wissen über die schauspielerische Darstellung zu fixieren, sprengt die Grenzen des Darstellbaren und verweist zugleich auf ein Konzept der theatralen Arbeit, welche weder auf die Bühne beschränkt noch vom sozialen Leben des Schauspielers zu trennen ist und damit in ihrer Komplexität undarstellbar ist: die Systematisierung der Arbeit am Theater offenbart sich als Fiktion. Umso deutlicher tritt aber jenes Motiv hervor, um das Stanislawskis Schreiben immer wieder kreist: die Arbeit des Schauspielers. Nicht nur die Titel der ersten Bände seiner Schauspieltheorie – »Die Arbeit des Schauspielers an sich selbst im schöpferischen Prozess des Erlebens«35 oder »Die Arbeit des Schauspielers an der Rolle«36 – machen den Begriff der Arbeit zur Grundlage des Nachdenkens über die schauspielerische Darstellung, sondern der Begriff 35 | Konstantin Stanislawski: Die Arbeit des Schauspielers an sich selbst im schöpferischen Prozess des Erlebens. Berlin 1986. 2 Bde. 36 | Konstantin Stanislawski: Die Arbeit des Schauspielers an der Rolle. Berlin 1986.
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taucht geradezu inflationär immer wieder in den Schriften auf. Dabei werden meist gegensätzliche Formen der Arbeit gegenübergestellt: »innere und äußere«, »geistige und körperliche«, »bewusste und unbewusste«, »schöpferische und Handwerksarbeit«. Die Arbeit ist weder auf bewusstes Tun noch auf den Körper beschränkt, sondern wird zur anthropologischen Konstante, die sich durch alle Bereiche des Lebens zieht. Arbeiten hat immer auch den Aspekt der Anstrengung: Für den Schauspieler bedeutet dies, sich bewusst zu machen, »daß die Arbeit des Schauspielers in der Praxis nicht immer leicht, angenehm und schön ist«.37 Konturiert wird der Begriff vor allem durch die Abgrenzung von anderen Formen künstlerischen Schaffens: der »Handwerkelei«38 und dem »Dilettantismus«39 . Wird die erste über stereotype Wiederholungen schon bekannter und erprobter Formen als »Mache« charakterisiert, zeichnet sich die zweite durch den Glauben an die Möglichkeit schauspielerischer Darstellung jenseits der Arbeit aus. Es geht um eine besondere Form der Arbeit: nicht als Reproduktion, sondern als Suche nach Methoden und Verfahren, um in einen Prozess des künstlerischen Schaffens einzutreten. Bleibt der Handwerker bei der Reproduktion der Verfahren stecken, so negiert der Dilettant die Notwendigkeit der Erarbeitung von Techniken. Wie umfassend der Arbeitsbegriff verwendet wird – und damit auch widersprüchlich – zeigt sich darin, dass jenes nicht kontrollierbare künstlerische Schaffen auch als ›Arbeit‹ definiert ist: als »schöpferische« oder »unbewusste« Arbeit.40 Eine Arbeit, die der Schauspieler nicht selbst steuern kann, die aber sein Ziel sein muss und in der die »wahrhaftige Darstellung« produziert werde. Differenziert wird diese Form der Arbeit von der Vorarbeit des Schauspielers, die er leistet, um sie in Gang zu setzen. Dafür steht das Bild des Schöpfungsprozesses, die »organisch schöpferische Natur«.41 Im Verhältnis zu Kants Ent37 | Stanislawski zitiert nach Dieter Hoffmeier: »Die Regiebücher Stanislavskijs«. In: Günter Ahrends: Konstantin Stanislawski. Tübingen 1992. S. 11-26. S. 21. 38 | Konstantin Stanislawski: Ausgewählte Schriften. Berlin 1988. Bd. 1, S. 9. 39 | Konstantin Stanislawski: Die Arbeit des Schauspielers an sich selbst. Berlin 1986. Bd. 1, S. 15. 40 | Vgl. ebd., S. 25; Stanislawski: Ausgewählte Schriften. Bd. 1, S. 385f. 41 | Während die Arbeit des Schauspielers an sich selbst als »Psychotechnik« durch Sprachbilder wie dem des ›in Gang setzen‹ (des schöpferischen Prozesses) sich an einem Bildvokabular des Maschinellen bedient, greift Stanislawski für den ›eigentlich‹ künstlerischen Schaffensprozess auf eine Metaphorik des Organischen zurück, die eng mit der Genieästhetik verbunden ist. Vgl. zum Verhältnis der Dichotomie von Natur/Kultur in Konzepten künstlerischer Praxis: Christian Begemann/David E. Wellbery (Hg.): Kunst – Zeugung – Geburt. Theorien und Metaphern ästhetischer Produktion in der Neuzeit. Freiburg 2002.
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wurf des künstlerischen Schaffens des Genies kommt es zu einer Umwertung innerhalb des künstlerischen Prozesses: Erst über eine Arbeit an sich selbst kann überhaupt die Grundlage für das künstlerische Tun geschaffen werden, um dann zu einem ›schöpferischen Produzieren‹ zu gelangen, das sich allen Regeln entzieht. Damit tritt die anthropologische Dimension der Arbeit in den Vordergrund: Am Beginn der schauspielerischen Arbeit, in der Ausbildung wie in den Proben, steht die Arbeit des Schauspielers an sich selbst im Mittelpunkt als Form der Selbstbildung. Es gilt dabei, nicht nur den Körper als Arbeitsmittel zu begreifen, um so die Voraussetzungen für schöpferische Arbeit zu schaffen, sondern ebenso die Psyche zu bearbeiten, im Besonderen das Gedächtnis. Bevor sich der Schauspieler mit der Darstellung der Figur beschäftigt, muss er sich selbst gestaltend in Form bringen. Die Beschäftigung mit sich selbst wird analog zur Beschäftigung mit der Rolle gesetzt. Die Psychotechnik, die Stanislawski entwickelt, versucht, durch eine Reihe funktionaler Elemente (Körperübungen, Erinnerungsübungen), dem Schauspieler Zugang zu sich selbst zu verschaffen.42 Voraussetzung ist die permanente Arbeit an den eigenen Darstellungsmitteln, die nicht nur nie abgeschlossen sein kann, sondern auch als permanent gefährdet beschrieben wird. Jede Ablenkung, jede Beeinflussung führe zu Störungen. In diesem Kontext wird die Probenarbeit selbst abgewertet: Nicht nur in der Gefahr, über die Vorgaben des Regisseurs zu einer ›falschen‹ Auffassung der Darstellung zu gelangen – wie in der eingangs zitierten »Geschichte einer Inszenierung« –, zeigt sich die Problematik der Proben. Nach Stanislawski offenbart sich dem Schauspieler (und dem Regisseur) auf den Proben vor allem das, woran noch zu Hause gearbeitet werden muss.43 Die Arbeit am Theater – und mit ihr die Probenarbeit – wird ganz dem individuellen, zugleich vom Regisseur gelenkten Tun des einzelnen Schauspielers untergeordnet. Daraus ergibt sich eine besondere Anforderung an den Schauspieler. Da seine individuelle Arbeit an sich selbst Grundlage und Voraussetzung jeder weiteren gemeinsamen Arbeit ist, bekommt er eine besondere Verantwortung für sein Tun. Diese ethische Dimension des Arbeitens ist direkt an die anthropologische Dimension gebunden. Beispielhaft führt dies Stanislawski in einer anderen Erzählung vor: Am Beginn ihrer ersten richtigen Probenarbeit, am ersten Tag des Probens und damit an ihrem ersten Tag im Theater, werden die jungen Schauspielschüler durch das gesamte Gebäude geführt; beginnend im Foyer, vorbei an Werkstätten, Büro, Arbeitsräumen, der Kantine, der Bibliothek, der Wäscherei, zu Lagern der Technik, auf den Schnürboden und die Unterbühne, hin zu den Pro42 | Vgl. dazu das Kapitel »Verfahren und Techniken«. 43 | So bekommt Fantassow im Roman »Urlaub von den Proben«, nicht um sich zu erholen, sondern um noch konzentrierter zu arbeiten.
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benräumen bis auf die Bühne, um dort einen Vortrag über ihre speziellen Aufgaben als Schauspieler zu hören. Bei dieser Führung wird der Theaterbetrieb als hochkomplexes Arbeitsszenario entworfen, eine »Maschine«, die nur über das Verantwortungsbewusstsein jedes Einzelnen am Laufen gehalten wird: ein »komplizierter und gewaltiger Apparat«.44 Jeder kenne seinen Platz und seine Funktion. Im Mittelpunkt stehe aber der Schauspieler und seine Arbeit an sich selbst – denn ohne diese kann auch die Arbeit der anderen nicht zum Erfolg geführt werden. Selbstdisziplin meint hier auch das Anerkennen der eigenen Verantwortung für die Arbeit der anderen. Stanislawski stellt zwei Arbeitssysteme nebeneinander: erstens das Theater als Produktionsbetrieb, die »Maschine«, das Proben und daneben zweitens die Arbeit des Schauspielers an sich selbst und der Rolle. Beide fordern eine spezifische Form des Arbeitens, verbunden über die gleichen ethischen Grundsätze. Beide sind nicht getrennt zu denken, sondern bedingen und gefährden einander zugleich. In der Überlagerung der Anforderungen des Schauspielers an sich selbst und den Anforderungen, die das Theater, die Zuschauer, der Regisseur wie auch die Rolle an ihn stellen, liegt das Besondere der theatralen Arbeit, die zum »Opfer«45 an die Kunst wird. In der Gegenüberstellung der verschiedenen Formen der Arbeit innerhalb des theatralen Produzierens zeigt sich ein grundlegender Widerspruch. Einerseits geht es darum, dass der Schauspieler einen individuellen Zugang zur Rolle findet, der zwar von der Auffassung des Autors vorgegeben ist, aufgrund seiner besonderen Verfasstheit aber nur ein spezifisch singulärer sein kann: die »für ihn notwendige Inszenierungsform«46. Zugleich findet dieser Prozess aber innerhalb eines komplexen kollektiven Vorgangs statt, in dem verschiedenste Ansprüche und Auffassungen aufeinandertreffen und zugleich eine Einheit der Aufführung hergestellt werden soll. Ein Ausgleich zwischen diesen widersprüchlichen Forderungen wird über die Ausformulierung einer schauspieleri44 | Stanislawski: Die Arbeit des Schauspielers an sich selbst. Bd. 2, S. 203. 45 | »Der Schauspieler arbeitet am Tag und selbst in der Nacht, wenn alle Leute sich ausruhen. Ihm fehlen Luft und Licht, er isst nicht genügend, spielt, obwohl er krank ist, und überanstrengt sich. Seine Arbeit ist Nervensache. Von ihm verlangt man nicht selten Unmögliches, er ist der Ungerechtigkeit von Presse und Publikum wehrlos ausgesetzt. Er hat seine Ideale in der Kunst und bringt ihr große Opfer.« Stanislawski: Ausgewählte Schriften. Bd. 1, S. 168. 46 | »Bedenken Sie bitte, daß der Regieplan der ›Möwe‹ auf den alten völlig verworfenen Methoden aufbaut, bei denen wir unsere eigenen, persönlichen Gefühle dem Schauspieler mit Gewalt aufdrängten, wogegen wir uns heute zunächst mit dem Schauspieler, seinen Qualitäten, (als) dem Material für die Rolle beschäftigen, um danach die ihm entsprechende und für ihn notwendige Inszenierungsform zu finden.« Konstantin Stanislawski: Briefe 1886-1938. Berlin 1975. S. 538.
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schen Ethik verfolgt, der sich jeder unterordnen müsse. Zwar arbeitet jeder individuell, aber diese Arbeitsform unterliegt einem klar formulierten moralischen Kodex, der alle auf das gleiche Ziel verpflichtet. Die fehlende Darstellung der Probenarbeit bedeutet nicht, dass Stanislawski dieser keinen Wert beimessen würde. Im Gegenteil: Er fordert extrem lange Probenzeiten. Und es gibt zahlreiche Probenbeschreibungen von seinen Schauspielern47 und Regieschülern48. Aber auch diese Berichte lesen sich eher als Verschiebung des Erzählprojekts: Statt der fiktiven Figuren werden nun Schauspieler und Regisseur beim Namen genannt und in diversen Lehrsituationen gezeigt. Keine Systematisierung des Probenprozesses, sondern ein Aufzeigen verschiedener Problemstellungen und deren geniale Lösung durch den Regisseur Stanislawski.49 Der Diskurs über das Proben präsentiert sich vor allem als eines: als pädagogisches Projekt. Während sich die Disziplinierungsprozesse im 18. Jahrhundert durch eine äußerliche Gesetzgebung auszeichnen, Fragen von Macht und Kontrolle zwischen Theaterleitung, Regie und Schauspielern ausgehandelt werden, verschiebt sich im Laufe des 19. Jahrhunderts der Fokus der Disziplinierung nach innen. Der prüfende und testende Blick von außen wird zunehmend internalisiert: Die Arbeit des Schauspielers wird zu einer Arbeit an sich selbst. Dadurch wird der Schauspieler zum Vorbild und das Theater wird zu einem ›Laboratorium‹ des menschlichen Handelns.
P ROBEN /M ODELLE : B ERTOLT B RECHTS K ATZGRABEN -N OTATE Ab 1930 publiziert Brecht seine Arbeiten – Stücke, Materialien und Anmerkungen, Gedichte, theoretische Schriften und erzählende Prosa – in einer Reihe großformatiger Hefte, die mit dem Titel »Versuche« überschrieben sind: »Die Publikation der ›Versuche‹ erfolgt zu einem Zeitpunkt, wo gewisse Arbeiten nicht mehr so sehr individuelle Erlebnisse sein (Werkcharakter haben) sollen, sondern mehr auf die Benutzung (Umgestaltung) bestimmter Institute und Institutionen gerichtet sind (Experimentcharakter haben), und zu dem Zweck, die einzelnen sehr verzweigten Unternehmungen kontinuierlich aus ihrem Zusammenhang zu erklären.« 50
47 | Die wohl bekannteste ist der Bericht von Vasilij Toporkov: Stanislawski bei der Probe. Berlin 1997. 48 | Nicolai Gortschakow: Regie. Unterricht bei Stanislawski. Berlin 1959. 49 | Vgl. dazu die Kapitel »Verfahren und Techniken« sowie »Leseprobe«. 50 | Bertolt Brecht: Versuche 1-12. Berlin 1963. (Ohne Seitenangaben.)
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Das Experiment wird zum Vorbild für die künstlerische Praxis, die nicht nur ihre eigenen Bedingungen reflektiert, sondern in ihrem Vorbildcharakter auch zu einer Veränderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit führen soll. Für die Arbeit am Theater heißt dies, nicht nur die eigenen Verfahren und Methoden zu reflektieren, sondern auch an der Veränderung der Bedingungen der Produktion zu arbeiten. Was Brecht als Prämisse für sein Schreiben vorgibt und als Form der ästhetischen Praxis theoretisch formuliert, versucht er in seiner Theater-Arbeit mit dem Berliner Ensemble, das er 1949 als Intendant übernimmt, konkret umzusetzen. Hier entstehen seine so genannten Modell-Inszenierungen, in denen er seine theoretischen Überlegungen zu einer neuen Ästhetik des Theaters austestet und vorstellt. Die Theater-Arbeit wird als experimenteller Prozess verstanden und dabei selbst zum Untersuchungsgegenstand. Theoretisch hat Brecht sein Theaterkonzept bereits 1948 im Kleinen Organon formuliert. Dort erklärt er sein Theater zu einem des »wissenschaftlichen Zeitalters«51 und fordert, dass für das Theater »so etwas wie Experimentierbedingungen geschaffen werden, das heißt, daß jeweils ein Gegenexperiment denkbar ist.«52 . Das Theater als »Lehr- und Produktionsstätte […]«53 wird als Ort des Experimentierens und die Probe als Versuchsaufbau gedacht. Die Probenarbeit soll nicht möglichst reibungslos und effizient auf das ›Produkt‹ Aufführung hinarbeiten, sondern als Experiment einen Prozess des Suchens initiieren. Letztlich ist das Theater in diesem Sinne nicht Produktionsstätte, keine »Bäckerei«, wie im Eingangszitat behauptet, sondern ein Labor. Das Theater wird zur Produktionsstätte eines »zukünftigen Theaters«. Dazu gehört auch, den Prozess der künstlerischen Praxis selbst transparent zu machen. In der Arbeit mit dem Berliner Ensemble soll der forschende Prozess der Theater-Arbeit zur Grundlage einer Theorie werden, soll aus Berichten, Notaten, Protokollen eine Ästhetik des Theaters in und aus der Praxis entstehen. In diesem Sinne verstanden konstituiert Theater-Arbeit damit in der wechselseitigen Verzahnung von Reflexion und praktischem Tun ihre eigene Theorie. Beispielhaft zeigt Brecht diesen Ansatz in den Dokumentationen zu seinen Modell-Inszenierungen (Antigonemodell [1948], Couragemodell [1958]) oder im Band Theaterarbeit54 , in dem anhand von Fotografien, Aufführungs- wie Probenbeschreibungen die Arbeitsweisen des Berliner Ensembles vorgestellt und diskutiert werden. Als Modelle werden diese Dokumentationen zur verbindlichen künstlerischen Praxis erklärt: Sie sollen neben dem dramatischen Text als Vorlage für weitere Inszenierungen an anderen Theatern dienen. Während die 51 | Bertolt Brecht: »Kleines Organon für das Theater«. In: ders.: GW. Bd. 16, S. 671. 52 | Ebd., S. 686. 53 | Ebd., S. 672. 54 | Helene Weigel/Berliner Ensemble (Hg.): Theaterarbeit. Düsseldorf 1952.
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Dokumentationen aus der Perspektive der Aufführung über die künstlerische Praxis berichten, macht ein anders Projekt die Proben selbst zum Thema. Die Katzgraben-Notate (1953) sind »der erste und einzige Versuch [Brechts], einen Probenprozess darzustellen«55 . Anders als Lewald oder Akáts entwirft Brecht kein Modell für einen Probenprozess, noch bindet er seine Überlegungen in ein Erzählprojekt ein, wie es Stanislawski tut, sondern er dokumentiert einen konkreten Probenprozess. Anlass für diese Dokumentation war unter anderem Brechts Beschäftigung mit Stanislawski: »Das Studium von Schilderungen Stanislawskischer Proben scheint mir besonders ergiebig. Seine Konzeptionen sind oft bewundernswert, die Durchführungen fast immer erstaunlich.«56 Die Probenkonzeptionen des anderen werden zum Ausgangspunkt des eigenen Schreibens, die Reflexion der eigenen Probenarbeit wird in der Lektüre einer anderen Praxis gegründet. Allerdings erfolgt Brechts Auseinandersetzung mit Stanislawski nicht freiwillig. Brecht stand in der Kritik: In der so genannten »Formalismus-Diskus-
55 | Bertolt Brecht: »Katzgraben-Notate«. In: GA. Bd. 25, S. 545. Während der Proben zu Strittmatters Stück Katzgraben hält Brecht die Arbeit in Notaten fest und beauftragt auch seine Mitarbeiter, den Probenprozess zu beschreiben. Brecht überarbeitet die Texte, fügt neue hinzu und erstellt ein erstes Manuskript 1953, das er Elisabeth Hauptmann zur Durchsicht übergibt. Jedoch wird die Inszenierung ein Misserfolg für das Berliner Ensemble. Vermutlich werden die Notate deshalb auch nicht zu Brechts Lebzeiten veröffentlicht. Mit einer zweiten Zusammenstellung wird der Student Wolfgang Pintzka 1955 beauftragt, der, ohne die erste Fassung zu kennen, Notate auswählt und sie durch Aufführungsdokumente ergänzt. Auch diese Zusammenstellung wird nicht veröffentlicht. Vgl. zur besonderen Editionsgeschichte Brecht: »Katzgraben-Notate«. In: GA. Bd. 25, S. 542f. Die Notate können nicht unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Entstehung gelesen werden: kurz nach Gründung der DDR stand das Berliner Ensemble unter Druck, sich zur offiziellen Kulturpolitik der DDR zu verhalten. Die Beschäftigung mit Proben ist immer auch eine Auseinandersetzung mit dem geschichtlichen Kontext, der in besonderer Weise in die Alltagspraxis des Theaters, in die Probendokumente eingeschrieben ist. Dies wird vor allem auch durch die Thematik des Stückes deutlich: Katzgraben ist eine Komödie von Erwin Strittmatter, verfasst in Reimen, die sich mit der Entwicklung und dem Kampf um eine sozialistische Gesellschaftsordnung auseinandersetzt. Im BrechtArchiv finden sich verschiedene Entwürfe der Notate, so wird teils aus diesem unveröffentlichten Material zitiert, wenn sie von der Fassung in den Werkausgaben abweichen. 56 | Bertolt Brecht: »Stanislawski-Studien«. In: GW. Bd. 16, S. 857. Einige Texte der Katzgraben-Notate ziehen eine direkte Verbindung zwischen den Proben und den Konzepten Stanislawskis (beispielsweise »Die Wahrheit«, »Viele Proben«, »Einfühlung«). Interessant ist dabei, dass Brecht sich weniger mit dem geschriebenen System Stanislawskis als vielmehr mit den Probenbeschreibungen dessen Schülers Toporkov befasst.
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sion« wurde seine Arbeitsweise als »dekadent« und »formalistisch« kritisiert.57 Die Proben zur Katzgraben-Inszenierung finden parallel zu den Vorbereitungen zur Stanislawski-Konferenz an der Akademie der Künste statt: für Brecht Aufforderung, seine Theaterästhetik zu rechtfertigen. Vor diesem Hintergrund werden die Probenbeschreibungen auf doppelte Weise interessant: als Auseinandersetzung mit einer fremden Arbeitsweise und in ihrer Einbindung in den konkreten historischen Kontext. Damit bekommt auch die Entscheidung, den Probenprozess zu dokumentieren, besondere Bedeutung. »Probenweise Geprobt wurde vormittags von zehn bis zwei Uhr, in vollem Tageslicht und im Beisein von Interessenten verschiedener Art […]. Brecht rief seine Anweisungen meist von seinem Stuhl aus, der gute zehn Meter von der Bühne entfernt stand, den Schauspielern zu. Die immer sehr kurzen Beratungen am Regietisch wurden protokolliert. Gab es zwei Auffassungen, wurden beide probiert.« 58
Ganz profan wird in diesem kurzen Abschnitt die tägliche Probenarbeit beschrieben. Tageslicht und die Anwesenheit von Interessenten weisen auf eine spezifische Form der Öffentlichkeit hin: Die Außenwelt ist nicht von der Arbeit ausgeschlossen. Die Arbeit ist zeitlich und räumlich klar strukturiert. Die Betonung der kurzen Diskussion verweist auf das Primat des Probierens, der Praxis. Deutlich markiert wird der kollektive Ansatz: Nicht die Umsetzung einer künstlerischen Vision steht im Mittelpunkt, sondern das Ausprobieren verschiedener Vorschläge. Diese Rahmung ist allerdings eines der wenigen vermittelten Elemente innerhalb der heterogenen Struktur der Notate. Auch wenn die Notate durch eine grobe zeitliche Struktur der einzelnen Akte gegliedert sind, einer kohärenten Beschreibung des Prozesses verweigern sie sich. Unterschiedlichste Textformen werden nebeneinandergestellt: Brechts Überlegungen zum Stück, die Angaben der äußeren Probenbedingungen wie Zeitraum, Ort und Häufigkeit, Überlegungen zur Besetzung, Abhandlungen einzelner Fragen zur Darstellungsform in Form eines Dialogs von Brecht mit seinen Assistenten, Beschreibungen der Arbeitsweise Brechts in einem Probenbericht, Diskussionen zum Bühnenmodell, Vorstellung der Figurenkonzeption bis hin zu Protokollen der Diskussion mit Zuschauern nach der Voraufführung. Trotz dieser Heterogenität des Materials lassen sich bestimmte Aspekte der Brecht’schen Schauspielästhetik herausarbeiten, die er bereits in anderen theatertheoretischen Schriften ausgearbeitet hat – etwa die Bedeutung der Fabel, die 57 | Vgl. Werner Hecht: »Grund der Empörung über eine ›ganz unerträgliche Behandlung‹«. In: Maske und Kothurn 33/1987 (Heft 3-4). S. 75-87. 58 | Brecht: »Katzgraben-Notate«. S. 404.
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an den Beginn der Dokumentation gestellt wird und auf die Brecht immer wieder zurückkommt: Ihre Erzählung und keine Leseprobe des gesamten Stücks mit verteilten Rollen steht am Beginn der Arbeit. Den Schwerpunkt bildet die Arbeit am »Arrangement« als Suche nach »prägnanten Vorgängen«.59 Die schauspielerische Arbeit an der Darstellung der Figur zeichnet sich durch einen phasenhaften Aufbau aus, beispielhaft am Umgang mit Text und Sprache erkennbar: Von der Nacherzählung der Vorgänge über das Sprechen in eigenen Worten wird erst in der letzten Probenphase mit dem dramatischen Text in Versform gearbeitet. Beispielhaft lässt sich das Konzept der theatralen Praxis an drei kurzen Abschnitten zur Schauspielerin Helene Weigel zeigen, die im Stück die Rolle der Großbäuerin spielt. Unter der Überschrift »Tagesablauf« wird von ihrer Schwierigkeit berichtet, »den Charakter ihrer Figur aufzubauen«. Brecht macht ihr den Vorschlag, sich einen fiktiven Tagesablauf zu entwerfen, um die Darstellung zu strukturieren. Helene Weigel lehnt dies mit der Begründung ab, dass die zeitliche Struktur des Stückes dem widerspreche: Es sei nach Jahresabläufen gegliedert, daraus entstehe ihr Problem. Auf die Frage des Regisseurs: »Was wird Ihnen helfen?«, antwortet sie, »[d]aß ich das Stücke mitbaue, nur das«. Der nächste Eintrag unter der Überschrift »Die Weigel« gibt einen kurzen Dialog wieder: Brecht fragt nach ihrer Entscheidung, die Figur mit »schiefe[r] Schulter« zu spielen. Daraufhin erklärt Helene Weigel: »Das zeigt, er hat sie ihres Geldes wegen geheiratet. Und hätte ich nicht Geld im Hof stecken, würde er sich mein Herumregieren nicht gefallen lassen. Ich selbst käme nicht darauf, herumzuregieren ohne dieses Geld, da ich religiös erzogen bin und ›dem Manne untertan‹. Diese Vorgeschichte hilft auch [den anderen Figuren]: ihre Männer stehen anders zu ihnen.« 60
Ein dritter Abschnitt ist mit »Genie« überschrieben: »B. Eine geniale Schauspielerin, die Weigel. X. Was ist Genie? B. Genie ist Interesse.« 61
Nicht das individuelle Verhältnis von Brecht und Weigel in der Probenarbeit – dessen Betrachtung sicherlich auch interessant wäre – soll hier herausgehoben werden, sondern wie in diesen kurzen Textfragmenten, die für die KatzgrabenNotate charakteristisch sind, sowohl ein schauspieltheoretisches Programm, eine spezifische Form der Probenarbeit und eine Konzeption künstlerischer 59 | BBA 1331/02. 60 | Brecht: »Katzgraben-Notate«. S. 464. 61 | Ebd.
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Praxis anhand eines konkreten Arbeitskontextes entworfen werden. Die Probenarbeit wird als Dialog zwischen Regisseur und Schauspielerin ausgestellt. Dem Regisseur wird die Rolle des Fragenden und Ratgebers zugewiesen. Am Beginn steht die Krise, die nicht über eine individuelle Auseinandersetzung mit der Rolle (wie sie beispielsweise Stanislawski fordert) gelöst werden kann, sondern nur im Kontext des gesamten Stücks. Die Schauspielerin ist sich nicht nur ihrer Probleme bewusst, sie reflektiert ihre Darstellung auch in einem gesellschaftlichen Zusammenhang und konzipiert ihren Teil der Darstellung immer mit dem Blick auf die Gesamtstruktur des Dramas. Dabei kann sie jede ihrer Entscheidungen erklären: Dem Regisseur kommt ›nur‹ noch die Aufgabe zu, die richtigen Fragen zu stellen. Kommentiert wird dieses Konzept der schauspielerischen Praxis im letzten Textabschnitt: Genial ist nicht der singuläre, kreative Akt, sondern die Auseinandersetzung mit dem Stück, den Mitspielern, dem Regisseur und dem gesellschaftlichen Kontext. An die Stelle der Inspiration tritt das Interesse. In den kurzen Probenbeschreibungen verdichten sich im Sinne eines »prägnanten Vorgangs« grundlegende Fragen zur Konzeption der theatralen Arbeit: dem Verhältnis von Regisseur und Schauspielerin, dem Verhältnis der Schauspielerin zu Rolle und Drama, der Einbindung und Anbindung der künstlerischen Arbeit an einen gesellschaftlichen Kontext. Zugleich formuliert sich darin eine Absage an eine Genieästhetik, die den individuellen kreativen Akt in den Vordergrund stellt. In der Dokumentation der Probenarbeit wird ein Konzept künstlerischer Praxis entworfen. Brecht spricht in den Katzgraben-Notaten von einem »schichtweisen« Arbeiten, dem »Bau« der Inszenierung. Die Inszenierung setzt sich aus verschiedenen Phasen zusammen, die zwar aufeinanderfolgen, aber getrennt gedacht werden. Jede dieser Phasen folgt ihrer eigenen Arbeitsweise, die mitunter sogar der nächsten Phase widersprechen kann und nicht notwendigerweise aus der vorherigen »erwächst«: Brecht weist sich selbst die Funktion eines Monteurs anstelle eines Gärtners zu.62 Dieses »schichtweise Arbeiten« entspricht dem, was Brecht an anderer Stelle als »induktives Vorgehen« beschrieben hat, abgeleitet von der wissenschaftli62 | Unter dem Titel »Verfremdung« findet sich folgender Dialog mit Palitzsch: »B.: […] Das Aufbauen einer Aufführung darf nicht betrachtet werden wie ein Wachstum, sondern wie eine Montage. P.: Es ist keine Montage. Das Stück wächst ja organisch, oder es ist gar nichts. B.: Gut, sagen wir: Es lohnt sich, mich beim Aufbauen einer Aufführung eher wie einen Monteur als wie einen Gärtner zu betrachten.« Das »schichtweise Arbeiten« ist weder Montage im Sinne der Zusammensetzung sich widersprechender Elemente noch ist es ein einheitlicher Arbeitsgang. Es ist als Folge verschiedener Arbeitsschritte gedacht, wie bei der Montage eines Autos, bei dem zusammengesetzt durchaus noch die einzelnen Teile erkennbar sind, diese jedoch nur miteinander funktionieren. Brecht: »Katzgraben-Notate«. S. 429.
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chen Methode, vom Einzelnen zum Allgemeinen zu kommen. Dem Regisseur, den er in Texten mitunter als »Probenleiter« bezeichnet, ihn also fast wieder zu seiner ursprünglichen Funktion degradiert, wird jede individuelle künstlerische Vision abgesprochen. Es gelte nicht, Visionen umzusetzen, sondern die »Produktivität der Schauspieler (Musiker und Maler und so weiter) zu wecken und zu organisieren«.63 Der Regisseur wird zum Organisator eines kollektiven kreativen Prozesses, der zwischen den einzelnen Beteiligten und ihren Fähigkeiten und Vorstellungen vermitteln muss, der den Probenprozess strukturiert, Fragen stellt und vorschnelle Lösungen verhindern soll. In diesem Sinne ist der Regisseur nicht Förderer eines reibungslosen Produktionsprozesses, sondern Verhinderer: »Er muß Krisen entfesseln.«64 Das Proben selbst ist als ein »Ausprobieren« verschiedener Möglichkeiten konzipiert, wobei der Regisseur keine Lösungen liefern soll. Im Gegenteil: Seine Aufgabe ist allein, »herauszubringen, was keine Lösung ist«65 . Entscheidungen werden damit nach dem Ausschlussprinzip getroffen, das nicht von der einen richtigen Darstellungsmöglichkeit ausgeht, sondern durch das Erkennen und Aussortieren der schlechten die richtige erst findet. Doch zeigt sich die Besonderheit der Probenpraxis nicht allein in den Techniken und theoretischen Reflexionen – die Brecht bereits an anderer Stelle geleistet hat –, sondern in der Form, wie über die Proben berichtet wird. Jenes phasenhafte Aufbauen, das Gegeneinandersetzen von widersprüchlichem Material, lässt sich auch in der Textform der Notate finden. Auffällig ist der Wechsel von Beschreibungen zu Dialogen zwischen B. (vermutlich Brecht) und verschiedenen Schauspielern oder Mitarbeitern. Vor allem Fragen an Brecht und dessen Antwort greifen eine Textform des Dialogs auf, die bereits für den Messingkauf bezeichnend war und sich auch durch die Schriften Stanislawskis zieht. Dialog wird als Grundlage für die Zusammenarbeit vorgestellt,66 der Probenprozess in seiner Diskursivität gezeigt. Der Autor des Notats wird nicht genannt, denn nicht die Beschreibung selbst wird als subjektiv betont, sondern die Position in der Diskussion. Die Notate werden als Textsammlung eines kollektiven Arbeitsprozesses vorgestellt, der zwischen verschiedenen Perspektiven und Textformen wechselt. Wie sehr die Notate sich einer systematischen Beschreibung verweigern, fällt im Vergleich zu anderen Zusammenstellungen von Beschreibungen auf, 63 | Bertolt Brecht: »Haltung des Probenleiters (bei induktivem Vorgehen)«. In: ders: GW. Bd. 15, S. 420. 64 | Ebd. 65 | Ebd., S. 421. 66 | Dass diese Form selbst als Abbildung der Praxis verstanden wird, zeigt die Bemerkung Pintzkas im Vorwort seines Manuskripts: Der Überarbeitung bedürfen vor allem die »Entdialogisierungen« einzelner Notate. Vgl. Pintzka BBA 1331/03.
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die zwar in Auszügen in Brechts Manuskript übernommen wurden, deren Form aber verändert wurde. Im Bertolt-Brecht-Archiv finden sich Mappen mit Notaten von Carl Weber und Käte Rülicke.67 Ihre Mitschriften sind nach einem einheitlichen Prinzip geordnet. Rülicke ordnet ihre Notate nach Szenen und Bildern, die jedes für sich beschrieben werden, Änderungen bei Proben sind notiert. Szenenfotos geben die Arrangements wieder. Weber dagegen geht chronologisch vor, neben der Beschreibung von Arrangement und Details einzelner Probenüberlegungen sind bei ihm auch theoretische Überlegungen eingestreut. Beide, Weber wie Rülicke, suchen allerdings, durch Gliederung über Probentage oder genaue Spezifizierung der Szenen, den Probenprozess in seiner zeitlichen Abfolge nachvollziehbar zu machen, das Datum wirkt als Moment der Authentifizierung. In dem von Brecht zusammengestellten Manuskript wird jede Vereinheitlichung unterlaufen. Auffällig ist gerade die Heterogenität der Textformen, die fehlende Systematik ihrer Anordnung. Die Notate geben zwar einen Einblick in die Fragen, die auf den Proben behandelt wurden, allerdings ohne eine Dokumentation des Prozesses zu behaupten. Bewusst werden verschiedene Kontexte (die Figurencharakterisierungen, Anmerkungen zur Probenarbeit, Auseinandersetzungen mit Stanislawski, Interpretationen des Dramas, technische Probleme) miteinander konfrontiert, ohne sie in direkte Verbindung zu bringen. Jeder einheitliche Blick wird verweigert. Die Probendokumentation wird als kollektiver Schreibprozess ausgestellt: Wie eine Inszenierung nicht auf eine individuelle künstlerische Position zurückgeführt werden kann, so ist auch die Reflexion über das Proben Teil eines kollektiven Prozesses. Die Notate sind als Teil eines ästhetischen Programms zu lesen, das an die Stelle des einzelnen Werks das Modell setzt.68 Verbunden ist damit ein Entwurf der künstlerischen Arbeit jenseits der individuellen Position des Künstlers. Orientiert am Modell der »modernen Arbeitsteilung« wird aus dem »Schöpfungsakt […] ein kollektiver Prozess«.69 Die Organisation der Arbeit außerhalb des Theaters wird damit auch zum Vorbild für die künstlerische Praxis. Das Modell ist 67 | BBA 1513 und BBA 1897. 68 | Das Konzept der Modellinszenierung zeichnet sich durch einen grundlegenden Widerspruch aus: Da Brecht mit den Modellen eine konkrete Form der Inszenierung vorgibt, grenzt er die Gestaltungsmöglichkeiten des Regisseurs ein und setzt sich in eine doppelte Autorfunktion: des Dramas wie der Inszenierung. Zugleich aber entwirft er anhand des Modells eine theoretische Position künstlerischer Praxis, die jede individuelle Künstlerschaft unterlaufen soll. Allerdings ist er es, der diese Form der Praxis gründet und damit ihr Autor und der Rechteinhaber bleibt: »Der Stückeschreiber, um ein allzu freies Herumschöpfen mit seinen Stücken zu verhindern, griff tatsächlich zu sanfter Erpressung.« Bertolt Brecht: »Über die Benutzung von Modellen«. In: GW. Bd. 16, S. 712. 69 | Bertolt Brecht/Kaspar Neher: Das Antigonemodell. Berlin 1948. S. 7.
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für Brecht genauso Hilfsmittel, wie es auch darüber hinaus ein Konzept künstlerischer Praxis formuliert: ein künstlerisches Produzieren, das seine eigenen Bedingungen erforscht. Es gilt, in der Inszenierung nicht hinter einen einmal erreichten »technischen Standard« zurückzufallen, sich über Verfahren und Methoden klar zu werden. Die Wissenschaft wird dabei zum Vorbild für die Kunst: »Die Wissenschaften haben ihren gemeinsamen Standard, ihr gemeinsames Vokabular, ihre Kontinuität. […] Solange das Theater als eine Stätte aufgefasst wurde, wo sich nur künstlerische Persönlichkeiten ausdrückten, war es kaum möglich, von einem technischen Standard der Theaterkunst anders als in bezug auf einige mechanische Neuerungen […] zu sprechen. […] Ganz anders hatten die Wissenschaften überindividuelle Aufgaben und objektive Kriterien. Sie konnten jederzeit von der Materie aus, die sie zu meistern sich bemühten, beurteilt werden.«70
Auch wenn die Modellinszenierung einen Standard setzt, ist der Ablauf der Erarbeitung jedoch nie als reibungslos beschrieben. Die »Störung« und das »Problem« sind zentrale Momente des Arbeitsprozesses. Brecht spricht in diesem Zusammenhang von Sprengungen, »[…] die bei der Erarbeitung der Vorlage selbst passiert sind […]«. Die Aufgabe desjenigen, der mit dem Modell arbeitet, besteht nun darin, »die Balance heraus[zufühlen], in welcher die unversöhnliche Wahrheit sich als Störungsfaktor, als etwas nicht ins Konzept Passendes ankündigt, das man gerne wegließe, weil es die Linie schädigt«.71 Der Unfall, der Fehler, die Sprengungen sind damit notwendig und unvermeidbar. Nicht die »isolierte künstlerische Erfindung«72 ist Basis der Theaterproduktion, die jedes Mal wieder neu anfängt, sondern das Ziel ist ein Fortschreiten der künstlerischen Arbeit, das einem anderen zeitlichen Konzept folgt. Nicht der zufällige, unbeherrschbare individuelle Akt, sondern ein Produzieren im Bewusstsein des Vorangegangenen; kein linearer, kontinuierlicher Entwicklungsprozess, sondern eine Veränderung in »Schritten« und »Sprüngen«. Mit dem Modell verschiebt sich dabei auch das Konzept des Produzierens: Anders als die Idee eines Produkts, dass einen Endpunkt setzt, wird das Modell auf eine Zukunft hin entworfen. Die Schichten und Phasen der Probenarbeit an einer konkreten Inszenierung gelten auch für die Arbeit am Theater generell. Ausgehend vom Gewesenen muss man seine eigenen Standards überholen als »Negation von Vorhandenem«73 . Die Kunst schreitet in einem solchen Denken zu einer immer besseren Spielweise fort. 70 | Bertolt Brecht: »Über eine nicht-aristotelische Dramatik«. In: GW. Bd. 15, S. 305f. 71 | Klaus-Detlef Müller (Hg.): Brechts Mutter Courage und ihre Kinder. Frankfurt a.M. 1982. S. 201. 72 | Brecht/Neher: Das Antigonemodell. S. 7. 73 | Weigel/Berliner Ensemble (Hg.): Theaterarbeit. S. 312.
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»Produktion ist immer das Unvorhersehbare«, zitiert Walter Benjamin Brecht, »[m]an weiß nie, was bei ihr rauskommt.«74 Innerhalb der verschiedenen Konzepte des Probenprozesses lässt sich eine Verschiebung hinsichtlich der Bewertung jener Offenheit des (theatralen) Produzierens feststellen: Geht es Lewald und Akáts darum, den Prozess zu kontrollieren und damit die Offenheit des Produzierens so weit wie möglich einzuschränken, wertet Stanislawski das Unkontrollierbare des Prozesses als »schöpferische Arbeit« auf, versucht dies aber zugleich durch Techniken wieder beherrschbar zu machen. Brecht dagegen schlägt eine Form der künstlerischen Praxis vor, in der die Offenheit des Prozesses nicht als ein Erfinden, als inventio, begriffen wird, sondern als Verschieben des schon Gewesenen. Gearbeitet wird nicht mehr am einzelnen Kunstwerk, im Falle des Theaters an der einzelnen Inszenierung, sondern das künstlerische Schaffen richtet seinen Fokus auf die Formen des Produzierens selbst: Geöffnet werden die Möglichkeiten und Verfahren des Produzierens – so dass man nicht mehr weiß, was dabei herauskommt: ein Akt der Überschreitung. Die Probe wird nicht als Prüfung verstanden, sondern als Experiment, das auf die Hervorbringung von Wissen zielt. Allerdings muss der Vergleich mit dem Experiment der Naturwissenschaften auch kritisch hinterfragt werden. Ein naturwissenschaftlicher Versuch arbeitet meist daran, herauszubekommen, »was herauskommt«, und dies festzulegen: als Hervorbringen eines normierten Wissens, das in einer späteren Versuchsreihe überprüft werden kann. Das Wissen, an dem das künstlerische Experiment arbeitet, so wie es Brecht beschreibt, unterscheidet sich grundlegend davon, ist es doch an Prozesse des Produzierens angebunden, die nicht vollständig planbar sein können und vor allem sein sollen – dies ist der grundlegende Unterschied zu vielen naturwissenschaftlichen Forschungsszenarien. Um diese Differenz an konkreten Probensituationen herauszuarbeiten, soll nach jenen Techniken und Verfahren gefragt werden, die im Prozess des Probens entworfen und angewandt werden: Wie kann dieses »performative Wissen«75 gefasst werden? So wenig der Probenprozess sich in seiner Gesamtheit planbar, steuerbar, darstellbar präsentiert, umso mehr lässt sich aus den verschiedenen Praktiken, den entwickelten Verfahren etwas über seine Konstitution ablesen.
74 | Walter Benjamin: »Versuche über Brecht.« In: ders.: Gesammelte Werke. Bd. 6, S. 132. 75 | Diesen Begriff führt Richard Schechner ein und nimmt dabei eine Polarisierung von schriftlich und mündlich übertragenem Wissen vor. Das »performative Wissen« wird durch nonverbale Ausdrucksweisen weitergegeben und zielt auf ein »Lernen mit dem Körper« und zwar durch »direkte Manipulation des Körpers«. Richard Schechner: Theateranthropologie. Reinbek bei Hamburg 1990. S. 35.
7 Verfahren und Techniken
Wie sich der Probenprozess in verschiedene Probenformen differenziert, so zahlreich sind die Verfahren und Techniken des Probierens. Im Folgenden sollen Probenformen und Techniken des Probens untersucht, soll nach Problemstellungen und wiederkehrenden Arbeitsprinzipien gefragt werden.
W AS VOR DER P ROBE LIEGT : I NSZENIERUNGEN DES A NFANGENS Der Prozess des Produzierens im Theater beginnt nicht mit der ersten Probe auf der Bühne, der Konzeptionsprobe am Tisch oder der ersten Besprechung von Bühnenbildner und Regisseur. Ihm ist immer schon etwas anderes vorausgegangen: eine erste Konzeptidee, die Lektüre eines Dramentextes, der Regieauftrag eines Theaters. Die Arbeit am Theater beginnt lange vor der konkreten Probenarbeit auf der Bühne: Konzepte werden geschrieben, Besetzungspläne gemacht, Strichfassungen erstellt, Bühnenbildentwürfe erarbeitet. Wenn theatrale Praxis als Handeln im Sinne Hannah Arendts verstanden heißt, immer auch »etwas in Bewegung zu setzen«1, dann institutionalisiert die Probenarbeit diesen dynamischen Prozess des Handelns: Sie gibt ihm Ort und Zeit. Doch zugleich umfasst dieses Handeln immer auch andere Prozesse jenseits dieser Institutionalisierung: Prozesse des Imaginierens, des Entwerfens. So eröffnet die Frage nach dem Anfang ein anderes Feld, das eng mit Konzepten künstlerischer Praxis und der Frage nach kreativen Prozessen verbunden ist: Wie entsteht etwas, das es vorher (so) noch nicht gab? Was liegt vor der Probe? Die Frage verweist auch auf die Setzung des Probenanfangs, der ja immer bereits geplant und vorbereitet wurde. Beginnt der Probenprozess mit einer gemeinsamen Besprechung, lesend am Tisch, mit einem Reclamheft in der Hand oder einer bereits vorbereiteten Strichfassung des dramatischen Textes? Wird am Anfang erst einmal ein Lied gesungen, wie von Marthaler-Proben berichtet 1 | Hannah Arendt: »Arbeit, Herstellen, Handeln«. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. 1998/6. S. 997-1009. S. 1007. Siehe dazu auch Kapitel »Arbeit, Herstellen, Handeln«.
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wird?2 Oder kommt der Regisseur mit einem Regiebuch auf die Probe, einem »Setz-Scenario«3, wie es Lewald vorschlägt, in dem jede Stellung im Vorfeld festgelegt wird? Beginnt der Probenprozess mit einer Umsetzung der »Composition«4 im Sinne Akáts, erarbeitet aus zwei Lektüren des dramatischen Textes: einer intuitiven und einer dramaturgischen, die den Text in seinem weiteren historischen Kontext betrachtet? Jeder dieser Anfänge verweist auf die bereits geleistete Arbeit, auf im Vorfeld getroffene Entscheidungen, und gibt zugleich einen Weg für die zukünftigen Proben vor, fragt nach der Setzung eines möglichen Anfangs des Produzierens, nach der »Beginnlosigkeit« (Botho Strauß) jedes Inszenierens.
Prozesse des Imaginierens Mit der Entwicklung des Konzepts der Inszenierung und der Position des Regisseurs als künstlerisch Verantwortlichem wird auch dessen kreativer Prozess im Verlauf der Inszenierung zum Gegenstand der Reflexion. Während Lewald und Akáts diesen Prozess vor allem technisch beschreiben – als Planung und Organisation konkret benennbarer Parameter –, tritt spätestens Anfang des 20. Jahrhunderts der Regisseur als genuiner ›Schöpfer‹ der Inszenierung auf den Plan, der die spätere Aufführung vor Augen hat. Werden mit Kreativität und Schöpfertum im Sinne der Genieästhetik auch Originalität, Erfindung und Spontaneität verbunden,5 dann eröffnet sich für den kreativen Prozess der Arbeit des Regisseurs im Rahmen des Literaturtheaters ein besonderer Widerspruch: Der Regisseur kann sich nicht als originärer Autor der Inszenierung behaupten, da seinem Schöpfertum immer bereits ein anderer Schaffensprozess vorausgegangen ist. Wie also wird dieses spannungsvolle Verhältnis zwischen Lektüre und künstlerischer Produktivität, zwischen Rezipieren und Erfinden beschrieben? »Man liest ein Stück. Manchmal zündet es sogleich. Man muß vor Aufregung innehalten beim Lesen. Die Visionen überstürzen sich. Manchmal muß man mehrfach lesen, ehe sich ein Weg zeigt. Manchmal zeigt sich keiner.»Arbeit, Herstellen, Handeln« 6 2 | Vgl. Klaus Dermutz: Christoph Marthaler. Wien/Salzburg 2000. 3 | August Lewald: »In die Scene Setzen«. In: ders.: Allgemeine Theater-Revue. Stuttgart/Tübingen 1838. S. 249-308 S. 277. 4 | Franz von Akáts: Die Kunst der Scenik in ästhetischer und ökonomischer Hinsicht. Wien 1841. S. 38f. 5 | Vgl. zur Begriffsgeschichte der Kreativität: W. Matthäus: »Kreativität«. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Basel 1971. S. 1194-1204. 6 | Max Reinhardt: Aufzeichnungen: Das Regiebuch. Suny Binghampton, Max Reinhardt-Archive, R 5083 (O). Zitiert nach Edda Fuhrich/Gisela Prossnitz (Hg.): Max Reinhardt. Die Träume des Magiers. Salzburg 1963. S. 62.
7 V ERFAHREN UND T ECHNIKEN
Auf der subjektiven Bühne des individuellen Lesers, in diesem Falle des Regisseurs Max Reinhardt, entstehen Vorstellungen des Dramas, mentale Bilder, die er vor seinem ›inneren Auge‹ sieht. Ob und wie die Lektüre einen solchen Prozess des Imaginierens in Gang setzt, entzieht sich seiner Kontrolle: Er ist nicht Herr seines kreativen Aktes. Aus dem Moment der Inspiration wird ein Prozess der Kreation, es entsteht eine »vollkommene optische und akustische Vision« der szenischen Vorgänge: »Man sieht jeden Schritt, jedes Möbel, das Licht, man hört den Tonfall, jede Steigerung, die Musikalität der Redewendungen, die verschiedenen Tempi. Man fühlt jede innere Regung, weiß, wie sie zu verbergen und wann sie zu enthüllen ist, man hört jedes Schluchzen, jeden Atemzug.«7
Der Regisseur durchlebt die Inszenierung in all ihren Facetten, ist zugleich Schauspieler und Zuschauer und wird zu ihrem Autor. Die mentale Vorstellung wird in einem Schreibprozess notiert: »Und dann schreibt man es nieder […] wie eine Partitur. Man kann kaum nachkommen, so mächtig drängt es an, eigentlich geheimnisvoll, ohne Überlegung, ohne Arbeit. Begründungen findet man später. Man schreibt hauptsächlich für sich. Man weiß gar nicht, warum man das so oder anders hört und sieht. Schwer aufzuschreiben. Keine Noten für Sprechen. Erfindet seine eigenen Zeichen. Der gute Schauspieler, den man kennt, steht vor einem. Man komponiert in ihn hinein, weiß, was er machen kann und wie, und was er nicht kann. Man spielt alle Rollen.« 8
Aufgerufen werden Merkmale einer künstlerischen Produktion im Sinne der Genieästhetik: Produzieren jenseits der Reflexion, der Entzug der Kontrolle über den Entwurf, die Nachträglichkeit von Begründungen. Zugleich markiert die Notwendigkeit des Notierens eine Lücke: ein Defizit in der Übertragung.9 In der Überlagerung von Lesen, Vorstellen und Notieren wird das Schreiben nicht als konzeptionell-dramaturgisch reflektierte Arbeit bestimmt, sondern als Praxis eines Künstlers, der im Tun überwältigt wird: ein dynamischer Prozess, 7 | Reinhardt: Aufzeichnungen: Das Regiebuch. S. 62. 8 | Ebd. 9 | Reinhardts Reflexion seiner künstlerischen Schreibpraxis kann in diesem Sinne auch vor dem Hintergrund der Sprach- und Wahrnehmungskrise um 1900 gelesen werden, wie sie Gabriele Brandstetter herausgearbeitet hat, als »Ausdruck einer komplexen kognitiven Problematik, in deren Wirkungshorizont die Strukturen sinnlicher Erfahrung und ihre symbolische Repräsentation als Sinn-Erfahrung nicht mehr selbstverständlich vermittelbar scheinen«. Gabriele Brandstetter: Tanz-Lektüren. Frankfurt a.M. 1995. S. 18.
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dem sich der Künstler nicht entziehen kann, der seine eigene Sprache suchen muss. Das ›Vor-Schreiben‹ des szenischen Textes der späteren Inszenierung weist dem Regisseur den Status eines Autors im theatralen Produktionsprozess zu. Er wird zum produzierenden Künstler, dessen kreativer Prozess sich autonom und individuell vollzieht, mit eigenen Krisen und Lösungen, jenseits der Vermittlungsprozesse der Bühne, nachlesbar und konservierbar im veröffentlichten Regiebuch. Allerdings ist dieses Schaffen nicht als ›absoluter Anfang‹, als ›genuine Schöpfung‹ inszeniert: Reinhardt ist abhängig vom vorliegenden Dramentext. Aber sein kreatives Tun tritt neben das des Dramatikers, nicht als Reproduktion, sondern als eigenständiger kreativer Akt, der sowohl Übersetzung als auch Neuschöpfung ist. Dessen souveräne Setzung aber innerhalb des Probenprozesses selbst wiederum in Frage gestellt wird. Nicht nur, dass er zeitweise das Proben einem Assistenten überlässt, um bewusst Distanz zum Entworfenen herzustellen,10 nach Reinhardt wird es auch zwangsläufig während der Übersetzung der Notationen im Regiebuch in Darstellungsvorgänge auf der Bühne zu Veränderungen kommen: durch die kreative Inszenierungsarbeit des Regisseurs, durch die Arbeit mit den Schauspielern. Über die Setzung als Schöpfer des Anfangs der Inszenierung weist sich Reinhardt einen Autorenstatus zu, erklärt das Regiebuch zu seinem Werk. Er ist damit Autor eines Werks, das in der Inszenierung refiguriert und transformiert wird, der sich damit zugleich den Unvorhersehbarkeiten des Probenprozesses unterworfen darstellt. Entwirft Reinhardt seine Schreibpraxis anhand des Topos eines individuellen »schöpferischen Augenblicks«, dann lassen sich Mitte des 20. Jahrhunderts andere Motive des »in Bewegung setzen[s]« des kreativen Prozesses finden. Nicht die »vollständige Vision« als gestochen ›scharfes Bild‹ der Inszenierung, sondern ein offener Prozess, der auf Ideen aufbaut, die weder entzifferbar noch beschreibbar sind: »Beginnt man mit einer Theaterarbeit, gleich welcher Art, weiß man, daß man nach einer einfachen, klaren und richtigen Form strebt. Aber es gibt niemanden, der erklären könnte, was dies heißen soll. Alles, was man weiß, ist, daß man eine noch nicht definierte Idee hat. Es ist, als ob Sie ein Foto machten: Sie entwickeln es auf weißem Papier und sehen die sich bildenden Flecken. Sie können noch nicht die Logik dieser Flecken verstehen, aber sicher ahnen Sie bereits, daß hinter diesen ersten verschwommenen Eindrücken ein klares Bild steht.«11
10 | Reinhardt: Aufzeichnungen: Regiebuch. S. 63. 11 | Peter Brook: »Afrika und Les Iks«. In: Joachim Fiebach/Helmar Schramm (Hg.): Kreativität und Dialog. Berlin 1983. S. 124.
7 V ERFAHREN UND T ECHNIKEN
Mit der Metapher der Fotografie beschreibt Peter Brook hier eine ambivalente Position des Regisseurs, der die Proben als Medium braucht, um seine Ideen auch sich selbst zur vollständigen Ansicht zu bringen. Der Verweis auf das Fotografieren verweist auf einen nichtintentionalen Aspekt des Schaffens: Eine Fotografie ermöglicht eine zufällige Beschreibung eines Sachverhalts, da sie nie das vom Fotografen Gesehene abbildet, sondern ein Negativ der Realität. Im Hintergrund können Dinge erscheinen, die der Fotograf nicht abbilden wollte oder gar nicht wahrgenommen hat. Für den Regisseur impliziert ein solches Konzept kein Nicht-Wissen um die Form der Darstellung, sondern ein ›NochNicht-Sehen‹. So sind, gemäß Brook, in der ersten Probe alle blind.12 Im Proben findet kein Abgleich mit einer ›ursprünglichen Vision‹ statt, sondern eine Arbeit an dem, was in der ersten Idee zum »Vorschein« (Bloch) kommt, ohne sich ganz zu zeigen. Wird das Proben bei Max Reinhardt als Prozess der Übertragung und Neuschöpfung – von der Lektüre in die Vision des Regisseurs in die szenische Darstellung – begriffen, beschreibt Brook das allmähliche Herausbilden der Kontur als Entwicklungsprozess. Wird im ersten Fall ein Großteil der kreativen Arbeit bereits vor den Proben verortet, abgetrennt vom szenischen Geschehen, liegt die besondere Produktivität des Probens im Fall Brooks darin, die Idee des Künstlers erst sichtbar zu machen jenseits eines linearen oder intentionalen Prozesses. Die beiden widerstreitenden Positionen markieren ein Spannungsfeld, in dem sich jeder Probenprozess bewegt: zwischen Vorgeben und Suchen, zwischen Vorstellen und Finden.
A RBEIT AM TISCH : K ONZEP TIONS - UND L ESEPROBEN »Ich arbeite fünf Wochen nur am Tisch, ich bin nur in den letzen zehn Tagen vor der Premiere auf der Originalbühne, das treibt meine Bühnenbildnerin Barbara Ehnes zur Verzweiflung.«13
So beschreibt Regisseur Stefan Pucher seine Probenarbeit zur Inszenierung von Fritz Langs M – eine Stadt sucht den Mörder (2008) am Berliner Gorki-Theater. Die Arbeit am Tisch – das Lesen und Sprechen des Textes – wird gegen die Proben auf der Bühne gesetzt. Entworfen wird ein Arbeitsszenario, welches das Einüben der szenischen Aktion dem Lesen und Diskutieren des Textes nachordnet, die Imagination szenischer Aktionen vor das konkrete Ausprobieren stellt, vor die körperliche Umsetzung in einen Bewegungsablauf im Bühnenraum. 12 | »Die erste Probe ist immer bis zu einem gewissen Grad der Blinde, der die Blinden führt.« Peter Brook: Der leere Raum. Berlin 1988. S. 154. 13 | Stefan Pucher: »Ich denke jedesmal, ich kann nichts«. In: tagesspiegel vom 30.04.2008.
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Verbunden ist mit einer solchen Arbeitsweise, dass bestimmte Entscheidungen – beispielsweise Gänge der Schauspieler, ihre räumliche Anordnung zueinander auf der Bühne – erst sehr spät fallen, Probleme mit Kostüm- oder Bühnenbild sich erst in den letzten Probentagen zeigen können. Dieses Offenhalten des Prozesses wird von Pucher als bewusste Strategie beschrieben, der Konflikt mit der Bühnenbildnerin in Kauf genommen: Das immer neue Lesen des Textes wie auch die konzeptionellen Gespräche am Tisch werden zur Vorarbeit, zur Vorbereitung für einen durch den Zeitdruck notwendigerweise schnellen Prozess der szenischen Umsetzung auf der Bühne, der Entscheidungen erzwingt.14 Wenn in der Tabelle des Arbeitsberichts der Brecht-Inszenierung nur eine Leseprobe gegenüber 65 Bühnenproben steht, dann zeigt sich, dass die Bedeutung des Lesens und der Arbeit am Tisch im Verhältnis zur Probe auf der Bühne durchaus unterschiedlich bewertet wird. Neben dem Insistieren auf der Notwendigkeit einer Arbeit jenseits der Bühne wie bei Pucher steht ihre radikalen Ablehnung: »Das Theater wird auf der Bühne gemacht«, wird beispielsweise Giorgio Strehlers Kommentar zur Leseprobe zitiert.15 Die Diskussionen und Konflikte um das Proben am Tisch eröffnen Fragen an die Praxis jener Probenform: nach der räumlichen Situation des Probens als Inszenierung eines Produktionskontextes, der Bedeutung des dramatischen Textes im Verhältnis zu anderen Elementen der Inszenierung, dem Verhältnis von Schauspieler und Rolle, dem Verhältnis von Lesen und Textualität. Die Leseprobe steht meist am Beginn der Proben. Die Versammlung am Tisch markiert – auch unabhängig vom Lesen, beispielsweise in den Konzeptionsproben – ein räumlich definiertes Arbeitsszenario, das einen Arbeitsraum des Theaters jenseits der Bühne eröffnet. Nach Kant hat jede »Tischgesellschaft« auch die »Absicht, sich selbst zu genießen«16: Der Tisch konstituiert die Gesellschaft, die sich an ihm versammelt, lädt ein, Platz zu nehmen, und gibt 14 | Im Kontext der Theaterästhetik Stefan Puchers ließe sich hier diskutieren, ob jene bildhafte Umsetzung von der schauspielerischen Darstellung auf die Ebene der medialen Projektionen delegiert wird. Die Probenarbeit wird getrennt in eine Arbeit am Tisch mit den Schauspielern und eine Arbeit an der Videoprojektion, beides wird in den Endproben zusammengeführt. Vgl. zum Verhältnis von dramatischem Text und Medien in den Inszenierungen Stefan Puchers auch: Hajo Kurzenberger: »›Literaturtheater‹ mit der Videokamera? Zu Stefan Puchers Inszenierung von Shakespeares ›Othello‹ am Hamburger Schauspielhaus.« In: Henri Schoenemakers et al. (Hg.): Theater und Medien. Bielefeld 2008. S. 431-438. 15 | »Le théâtre […] se fait et s’invente sur la scène«. Giorgio Strehler zitiert nach Myriam Tanant: »Giorgio Strehler: La Prova Inifinita«. In: Georges Banu: Les Répétitions. Un siècle de mise en scène. Paris 2005. S. 162. 16 | Immanuel Kant: »Anthropologie in pragmatischer Hinsicht«. In: ders.: Werke. Frankfurt a.M. 1968. Bd. 7, S. 567.
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im Sitzen eine spezifische Form der Körperlichkeit vor, suggeriert eine Konversationsordnung. Im Sitzen am Tisch konstituiert die Versammlung eine substanzielle Form der Gemeinsamkeit, grundsätzlich unterschieden vom Szenario der Trennung in Aktion und Beobachtung bei der Bühnenprobe: Am Tisch sehen sich alle Beteiligten auf gleicher Augenhöhe. Mit dieser ersten Probe am Tisch wird immer ein Arbeitskontext gesetzt. Egal ob Leseprobe des Textes in verteilten Rollen, Erläuterung einer ersten Rollenkonzeption, inhaltliche Analyse des Textes, Diskussion möglicher Interpretationen oder Vorstellung des Grundkonzepts der Inszenierung – immer geht es auch um ein Aushandeln von Deutungshoheit über den folgenden Prozess des Inszenierens und um die Etablierung einer Form der Zusammenarbeit. Es geht um Fragen von Autorität über den Text wie auch über den theatralen Prozess des Produzierens. Wie also wird die Leseprobe als Szenario der Vorstellung, Verständigung und Zusammenkunft inszeniert?
Der Text als Monstranz Die Einführung der Leseprobe im ausgehenden 18. Jahrhundert zeugt von einem veränderten Verständnis des Verhältnisses von dramatischem Text und szenischer Darstellung.17 Die dramatischen Texte werden bis dahin vor allem als Spielvorlagen angesehen und in wenigen Tagen ohne konzeptuelle dramaturgische Reflexionen auf die Bühne gebracht. Je nach Spielanlass wird dabei der Text wegen spezifischer räumlicher Anforderungen oder auch der Nachfrage des Publikums teils rigide verändert. Die Schauspieler bekommen, auch aus finanziellen Gründen, nur ihre Rolle abgeschrieben, wodurch sich ihre Textkenntnis auch darauf beschränkte. Die ersten Leseproben unter den Prinzipalen Ekhof und Schröder haben den Zweck, den Schauspielern statt nur den Ausschnitt ihrer Rolle die Gesamtheit des Dramas zu vermitteln. Mit dem Verbot des Extemporierens – und der damit verbundenen Ablehnung von Rollenfächern und ihren bereits fixierten Darstellungskonventionen – wird im Zuge der Literarisierung des Theaters eine andere Auseinandersetzung des Schauspielers mit seiner für jedes Stück neu anzueignenden Rolle gefordert.18 Der Dramentext wird als in sich geschlossene Einheit, die es ohne Veränderungen 17 | In den Theatergeschichten des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wird immer wieder Conrad Ekhof als Erfinder der Leseprobe gefeiert. Der Artikel 15 seiner Schweriner Verfassung der Theaterakademie vom 5. Mai 1753 legt fest, dass die Akademie-Sitzungen vor allem in »Vorlesungen« der zu spielenden Stücke und in der »gründlichen und genauen Untersuchung der Charactere und Rollen solcher Stücke« bestehen. Vgl. Heinz Kindermann: Conrad Ekhofs Schauspieler-Akademie. Wien 1956. S. 13. 18 | Vgl. zum Verhältnis von Leseprobe und Literarisierung des Theaters Ruedi Graf: Das Theater im Literaturstaat. Tübingen 1992. S. 145f.
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auf die Bühne zu bringen gilt, begriffen. Die Arbeit am Theater wird zu einer Arbeit am Text. »Da ich in dem Stück beschäftigt war, so wurde mir die Gelegenheit, zum ersten Mal bei einer Goethschen Leseprobe, die bei großen Werken stets in seinem Hause abgehalten wurde, beizuwohnen, und ich konnte mich persönlich von der Wahrheit dessen überzeugen, was ich darüber gehört hatte. Ein langer, grünbehangener Tisch stand in der Mitte von Goethes Empfangszimmer. Obenan nahm er seinen Platz; ihm gegenüber am Ende der Tafel der Regisseur. Zur Rechten von Goethe saß die Wolff, zur Linken Oels, die übrigen reihten sich der Ordnung gemäß an; der junge Nachwuchs bildete den Schluß. […] Vier Exemplare lagen auf dem Tisch, wovon eines Goethe, ein zweites mein Vater und die beiden anderen, die Wolff und Oels in Besitz nahmen. Mein Vater flüsterte mir zu: ›Nimm Dich zusammen!‹ Du lieber Gott! Was braucht ich mich denn da zusammenzunehmen, ich hatte ja nur ein paar Worte zu sagen, und diese wußte ich bereits auswendig. Goethe las nun die Namen der handelnden Personen, dann gab er mit einem Schlüssel, womit er auf den Tisch klopfte, das Zeichen zum Beginn, und Oels fing an zu lesen; auf ein abermaliges Klopfen las Madame Wolff weiter, und Oels gab sein Buch an seinen Nachbarn; Gleiches tat dann die Wolff. So gingen die Bücher von Hand zu Hand. Nun war mir klar, was der Herr Papa mit dem ›Nimm Dich zusammen!‹ gemeint hatte; nun sah ich erst, welch kitzlich Sache es ist, Calderonsche Werke korrekt vom Blatt zu lesen und dabei einigen Ausdruck hineinzulegen. Zum Glück hatte ich das Stück auf meines Vaters Pult vorgefunden und bereits für mich gelesen; der Rhythmus und das Tempo wurden mir durch Oels und die Wolff trefflich angegeben, und so sah ich denn mit einiger Ruhe dem Zeitpunkt entgegen, wo das Klopfen des Schlüssels mich aufrufen würde.«19
Diesen Bericht gibt der junge Schauspieler Anton Genast, Sohn des Regisseurs am Weimarer Hoftheater Eduard Genast – innerhalb der von ihm aufgezeichneten Lebenserinnerungen seines Vaters. Erzählt wird eine Initiation in ein Ritual: die Leseprobe als Abendmahl, statt Wein und Brot wird der dramatische Text wie eine heilige Schrift herumgereicht. Im Vordergrund steht das Zeremoniell mit festgesetzten Regeln, das ganz auf den Text und die Sprache ausgerichtet ist, sich zugleich jeder sprachlichen Vermittlung entzieht. Nichts wird erklärt, allein durch Klopfzeichen Goethes wird der Vorgang geregelt. Das Sprechen gilt allein dem dramatischen Text. Schon der Ort der Probe, nicht die Bühne im Theater, sondern Goethes Empfangszimmer – vom Erzähler besonders hervorgehoben und mit dem Hinweis, Einblick in bisher Verborgenes zu bekommen, versehen – weist die Besonderheit der Situation aus. Der Dichter und »Theater-Director« lädt zu sich. Die Leseprobe findet in der Konzentration des Privathauses statt, ist den Blicken der Öffentlich19 | Eduard Genast: »Lese- und Theaterproben Goethes«. In: Die Schaubühne. 7. Jahrgang/Nummer 49 (07.12.1911). S. 582-584. S. 582.
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keit entzogen. Am ›grünen Tisch‹ – Sinnbild für herrschaftliche Entscheidungspraxis jenseits des Alltags – fernab von den technischen Anforderungen der Bühne, versammelt sich das Ensemble. Die Sitzordnung markiert die Hierarchien. Jeder kennt seinen Platz und reiht sich »der Ordnung gemäß ein«20: Goethe am Kopf, in der Position, alles überblicken zu können, ihm gegenüber der Regisseur, zu seiner Linken und Rechten die verdienten Schauspieler und Schauspielerinnen. Nicht als »Tischgesellschaft« von Gleichen wird die Situation inszeniert, sondern die Sitzordnung repräsentiert die Hierarchie der Arbeitssituation. Der Text und das laute Lesen werden zur Aufgabe – einer Aufgabe, die nicht mehr an die Rolle gebunden ist, sondern die jeden jederzeit treffen kann. Es geht weniger um die gemeinsame Erarbeitung als wiederum um ein Prüfungsszenario. Getestet wird der junge Schauspieler hinsichtlich seines Umgangs mit dem Text: »Jede Lese-Probe muß mit der äußersten Stille und acourateße gehalten werden. Der Schauspieler ist verbunden seine Rolle mit gehörigem Ton und accent zu lesen; damit man überzeugt werde, ob er den Geist derselben verstehe […].«21
Neben Konzentration und Genauigkeit in der Aussprache wird der Schauspieler auf den »Geist des Dramas« verpflichtet. Oberste Autorität hat das geschriebene Wort, in dem sich die Intention des Dichters zeigt und dem damit auch das richtige Verständnis bereits eingeschrieben sei. Es gelte zu verhindern, dass der Schauspieler »verführt wird, die Rollen in eine fremde Art und Weise gegen die offenbare Intention des Dichters hinüber zu ziehen«.22 Die Intention des Dichters wird als das dem Text Eigene definiert, die gegen alles Fremde wie beispielsweise das individuelle Spiel des Schauspielers verteidigt werden muss.23 Sein 20 | Genast: »Lese- und Theaterproben Goethes«. S. 582. Wie bei der Proben-Beschreibung Eberweins wird auch hier auf die festen Plätze im Arbeitszusammenhang hingewiesen. Dass diese Plätze durchaus auch verhandelt waren, zeigt beispielsweise der häufige Wechsel der Regieposition. 21 | Weimarer Theatergesetze. STAW, GI, 1/1, Bl. 12. Während Genasts Schilderung nicht auf mögliche Korrekturen eingeht, stellt Gotthardi die prüfende Funktion Goethes aus: Gotthardi beschreibt die Genauigkeit, mit der Goethe das Lesen der Schauspieler überwachte, der »nicht die geringste Fahrlässigkeit zugab, nicht den geringsten Fehler vorbeigehen ließ« und selbst »seinen Eleven ganze Partien der dramatischen Dichtung [vorlas] und mitunter auch einzelne Rollen [sprach].« W.G. Gotthardi: Weimarerische Theaterbilder aus Goethes Zeit. Jena/Leipzig 1865. Bd. 1, S. 85. 22 | Goethe: »Ludwig Tiecks dramaturgische Blättern.« Goethe: WA, Abteilung I, Bd. 40, S. 180f. 23 | Erst die dritte Probe dient dem individuellen Textstudium: »Bei der zweiten Leseprobe wurden die Rollen kollationiert, und bei der dritten im Charakter gelesen.« Genast: »Lese- und Theaterproben Goethes«. S. 582.
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Spiel wird dem dramatischen Werk als einem ihm gegenüberstehenden Produkt untergeordnet. Nach den Regeln und Gesetzen des Textes hat der Schauspieler seine Darstellung auszurichten: Die individuelle Darstellungsleistung wird abgewertet.24 Das Verhältnis von Schauspieler und Text konstituiert sich nicht über eine aktive, diskursive Auseinandersetzung, sondern zeichnet sich durch ein anderes Konzept der Rezeption aus: Die Schauspieler nehmen den Text aus Goethes Händen entgegen. Die Leseprobe wird als Ritual des »Empfangens der Dichtung«25 in Szene gesetzt.
Die Einheit im Lesen aus dem Geist der Musik In der Theater-Arbeit um 1800 wird die Leseprobe oben angestellt, nicht nur im zeitlichen Sinne als Beginn der Proben, sondern auch in der Hierarchie der Probenformen. So erklärt beispielsweise Johann Jacob Engel in seinen Ideen zu einer Mimik: »Ohne diesen sorgfältigen Rückblick auf das Ganze, ohne diese richtige Schätzung des Antheils, den die einzelne Rolle an dem Totaleindrucke hat, ohne diese freywillige bescheidene Unterordnung, wird die Wirkung, wo nicht vernichtet, doch wenigstens gestört und gehindert.« 26
Die ordnungsstiftende Funktion der Leseprobe wird zum Programm eines sich über den dramatischen Text definierenden Theaters. Gegen den kollektiven Prozess des Produzierens am Theater, der immer verschiedene Stimmen beinhaltet, zielt die Leseprobe auf eine Vereinheitlichung: ein Konzept der Aufführung als in sich geschlossenem Werk. Hergestellt werden soll diese ›Einheit‹ auch durch eine Verpflichtung der individuellen schauspielerischen Darstellung auf eine gemeinsame Form des Ensemblespiels. Die Versammlung am Tisch weist alle als Teil dieses Ensembles aus. Nicht ohne Grund fordern verschiedene Theatergesetze um 1800, dass kein Schauspieler der Probe fernbleiben dürfe,
24 | Nicht ohne Grund zieht sich der Vergleich mit der Marionette als Utopie des idealen Schauspielers durch die Theatergeschichte seit Beginn des 19. Jahrhunderts: vom Gleichnis des Theaterdirektors bei Brentano, der in seinem Puppenspiel das ideale Ensemble, das sich dem Text unterordnet, entdeckt, bis hin zu Craigs Konzept der Übermarionette. Hier ist es nicht mehr der dramatische Text, sondern die szenische Vision des Regisseurs, welcher der Schauspieler unterworfen ist. 25 | Das Allgemeine Theater-Lexikon definiert Mitte des 19. Jahrhunderts die Funktion der Leseprobe als »geistiges Einlernen und Empfangen der Dichtung«. S. 125. 26 | Johann Jakob Engel: Ideen zu einer Mimik. Erster Theil. Reutlingen 1804. (Nachdruck Wuppenau 1994). S. 128.
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wie unbedeutend seine Rolle auch sei.27 Neben dem Wissen um den Ablauf der Handlung, die Kenntnis der anderen Rollen, geht es dabei auch um eine Abstimmung und Angleichung der individuellen Spielpraxis. Wie in der beschriebenen Probeszene am Weimarer Hoftheater stehen dabei die rhetorisch-poetischen Mittel der Sprache des Dramas im Mittelpunkt, die verstanden und erarbeitet werden sollen. Reimstrukturen, Vers- und Silbenmaße, Rhythmus der Sprache sind zu studieren. Gearbeitet wird an einer Normierung der Sprache des Schauspielers. In der Suche nach objektiven Kriterien für diese Arbeit wird die Musik zum Vorbild, wie Clemens von Brentano schreibt: »Jedes Schauspiel ist wie eine Musik auf Noten geschrieben; die Musik aber wird elend, wenn jeder aus einer andern Tonart spielt und einige forte sind, wenn der andere piano ist. Der höchste Beweis, wie viel weiter die Musik als die Schauspielkunst ist, geht daraus hervor, daß alle Musiker dirigiert werden, die Schauspieler alle aber ad libitum spielen.«28
In der Partitur des Notentextes erscheinen die Intentionen des Komponisten eindeutiger notiert, und die richtige Form des Vortrags zu finden, scheint weniger problematisch. Zugleich gibt es bei musikalischen Darbietungen mit der Position des Dirigenten im Moment der Aufführung eine Leitungsinstanz, die das harmonische Zusammenspiel kontrolliert. Eine Kontrollfunktion, die nun auch auf das Theater übertragen und in der Leseprobe angewendet wird: »Die Weise, wie Goethe eine dramatische Dichtung auf die Bühne brachte, war ganz die eines Kapellmeisters, und er liebte es bei allen Regeln, die er festsetzte, die Musik zum Vorbilde zu nehmen und gleichnißweise von ihr bei allen seinen Anordnungen zu sprechen. Der Vortrag wurde von ihm auf den Proben ganz in der Art geleitet, wie eine Oper eingeübt wird. Die Tempis, die Fortes und Pianos, das Crescendo und Diminuendo usw. wurden von ihm bestimmt und mit der sorgfältigsten Strenge bewacht […].« 29
Der Theaterleiter Goethe liest den dramatischen Text wie ein Dirigent die Partitur und dirigiert die Stimmen seiner Schauspieler wie ein Orchester.30 Nicht der 27 | Vgl. beispielsweise die Gesetze des Mannheimer Nationaltheaters. In: Die Protokolle des Mannheimer Nationaltheaters unter Dalberg aus den Jahren 1781 bis 1789. Mannheim 1890. S. 232f. 28 | Clemens von Brentano: »Theaterrezensionen« (1813/1814). In: ders.: Werke. München 1963. Bd. 2, S. 1112. 29 | Pius Alexander Wolff: »Über den Vortrag im Trauerspiel.« In: Die Schaubühne. Emsdetten 1950. Bd. 36, S. 82. 30 | Immer wieder wird Goethe als »Dirigent« oder »Kapellmeister« beschrieben. Ein Dirigent, der den Körper des Schauspielers nicht nur metaphorisch als Instrument be-
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Ausdruck eines individuellen Charakters oder der Sinn eines einzelnen Verses stehen im Vordergrund, sondern das schauspielerische Ensemble als einheitlicher ›Klangkörper‹ – als Zusammenspiel aller Stimmen, ihrem Aufeinanderfolgen, Zusammenklang und ihrer gegenseitigen Ergänzung. Über die Metapher des Orchesters vermittelt sich die Vorstellung einer Konzertierung der Stimmen jenseits ihrer Anbindung an die handelnden Personen. Der ›Geist‹ des Dramas liegt in der Relation der Rollen zueinander, festgelegt in der Komposition des Dramas, die nicht über eine Handlung, sondern als musikalische Struktur begriffen wird. Das Bild des Theaterleiters als Dirigent nimmt die Konzeption eines Regisseurs vorweg, der sowohl für die Gesamtkonzeption und das Zusammenspiel wie auch für Kontrolle und Disziplinierung verantwortlich ist. »Die Regieleistung ist eine orchestrale Leistung«31 , konstatiert Carl Hagemann im beginnenden 20. Jahrhundert. In Anlehnung an die Techniken der musikalischen Praxis wird eine Neubestimmung der Arbeit am Theater vorgenommen: die präzise Umsetzung einer fixierten Notation. Vor dem Hintergrund einer als defizitär verstandenen theatralen Praxis, deren Produzieren sich nicht fixieren und notieren lässt, wird die sprachliche Arbeit des Schauspielers an einer musikalischen Praxis ausgerichtet: Die Arbeit am Theater wird zu einer Arbeit im Orchester. Während um 1800 vor allem die Textherrschaft eine einheitliche Darstellung gewähren soll und die Leseprobe zur Durchsetzung dieser Herrschaft funktionalisiert wird, zeichnet sich ein anderes Verständnis der Leseprobe in den Schriften zur Probenpraxis seit Mitte des 19. Jahrhunderts ab. Wenn Carl Hagemann in seiner Theorie der Regie im beginnenden 20. Jahrhunderts die nutzt: »Und so schwerer war es, dem Rhythmus sein Recht zu verschaffen, daß Goethe im Eifer des Demonstrierens soweit gebracht wurde, eine der ersten und hochbegünstigten Künstlerinnen beim Arme zu greifen, ihn im Jambentakt hin und her zu zerren und durch das Accompagnement eines ingrimmig akzentuierten Ächzens den Rhythmus begreiflich zu machen.« Eduard Devrient: Geschichte der deutschen Schauspielkunst.Berlin 1967. S. 625. Rhythmus und Versmaß zwingen den Schauspieler unter die Vorgaben der Schriftsprache. Ihre Funktion ist die der Vereinheitlichung: »Der Rhythmus leistet bei einer dramatischen Production noch dieses Große und Bedeutende, daß er alle Charaktere und alle Situationen nach einem Gesetz behandelt und sie, trotz ihres inneren Unterschiedes in einer Form ausführt, er dadurch den Dichter und seinen Leser nöthigt, von allem noch so characteristisch-verschiedenem, etwas Allgemeines, rein menschliches zu verlangen. Alles soll sich in dem Geschlechtsbegriff des Poetischen vereinen, und diesem Gesetz dient der Rhythmus sowohl zum Repräsentanten als zum Werkzeug, da er alles unter Seinem Gesetze begreift.« Schiller an Goethe am 24.11.1797. In: Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe. S. 497f. 31 | Carl Hagemann: Regie. Die Kunst der szenischen Darstellung. Berlin/Leipzig 1912. S. 149.
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Leseprobe zum »Ort« erklärt, »wo die Auffassungen geregelt, einander angeglichen und zusammengeschlossen werden können«32 , dann schreibt er ihr eine ausgleichende Funktion zu, die bereits bei Lewald entworfen wird.33 Als ein solches Szenario des Ausgleichs entwirft auch der Philosoph und Schauspieltheoretiker Heinrich Theodor Rötscher die Leseprobe. Für Rötscher ist die Leseprobe der Ort, wo »das Einzelne in ein richtiges Verhältnis zum Ganzen« gesetzt wird.34 In den Blick genommen wird die problematische Situation zu Beginn einer Inszenierung: das fehlende Wissen um die spätere Form der Aufführung durch die Offenheit des Prozesses. Anerkannt wird dabei, dass es durchaus unterschiedliche Lesarten und Bewertungen des Textes geben kann. Weiterhin ist die ›Einheit‹ das Ziel, jedoch von einem anderen Ausgangspunkt aus: dem Aufeinanderprallen verschiedener Lektüren des Textes. Um diese Lesarten zu einer einheitlichen Auffassung des Textes zu überführen, bedarf es der Autorität eines Textgelehrten, den Rötscher nicht im Regisseur, sondern im Dramaturgen bestimmt. Allerdings soll nicht über dessen Machtposition, sondern in der »freien Diskussion« sich das »volle, richtige Verständnis« des Dramas entwickeln.35 Die Leseprobe wird zu einem pädagogischen Programm für den Schauspieler, der sich durch die »Macht der Intelligenz und die Wirkung des überlegenen Geistes«36 überzeugen lässt. Die »kohärenzstiftende Funktion des Autors«, wie sie Foucault bestimmt hat,37 wird auf den Dramaturgen als dessen Stellvertreter übertragen, der die Bildung der Schauspieler übernimmt. Entworfen wird ein widersprüchliches Bild der Leseprobe: Nicht über Konfrontation oder Unterordnung soll eine gemeinsame Haltung zum Text entwickelt werden, sondern diskursiv in der Anerkennung der verschiedenen am Prozess beteiligten Stimmen; zugleich bleibt aber mit der Autorität des Dramaturgen oder Regisseurs als Textgelehrtem die Position einer ›richtigen Lesart‹ vorgegeben.
32 | Hagemann: Regie. S. 338. 33 | Nach Lewald entsteht aus dieser Unsicherheit und Offenheit der Situation eine »Unruhe« bei allen Beteiligten, die es durch die Leseprobe zu beruhigen gilt. Im individuellen Lesen entstehe eine »unverdaute Ansicht« des Stücks: Die Leseprobe ermöglicht eine gemeinsame Aneignung. Lewald: »In die Scene setzen«. S. 267. 34 | Heinrich Theodor Rötscher: Die Kunst der dramatischen Darstellung. In ihrem organischen Zusammenhange. Berlin 1841. S. 414. 35 | Ebd., S. 416. 36 | Ebd. 37 | Michel Foucault: »Was ist ein Autor?«. In: ders.: Schriften zur Literatur. München 1974. S. 29.
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Leseprobleme »Die ersten Eindrücke, ob sie nun gut oder schlecht sind, prägen sich, weil sie überraschend und ursprünglich sind, fest in das Gedächtnis des Künstlers ein und sind die Keime seines schöpferischen Gefühls«38, erklärt der Schauspiellehrer in Stanislawskis Arbeit des Schauspielers an sich selbst und entwirft, wie bereits beschrieben, die Leseprobe als besonderes Krisenszenario: als nichtkontrollierbare Wechselwirkung von Schauspieler und dramatischem Text, als offenen Prozess, der jederzeit fehl- und umschlagen kann. Das Verhältnis von Schauspieler und dramatischem Text wird als komplexer, über mehrere Stufen sich erstreckender Annäherungsprozess beschrieben, den die Leseprobe genauso unterstützen wie gefährden kann. Das Misstrauen gilt dabei vor allem dem konkreten Rollentext in seiner Buchstäblichkeit, dessen Übermacht den individuellen Zugang des Schauspielers zu seiner Rolle einschränken könnte. Dennoch bedarf es einer Leseprobe, einer ersten Setzung zu Probenbeginn. Um den Schauspieler auf möglichst ›neutrale‹ Weise mit dem Stück bekannt zu machen, soll er es aber nicht selbst lesen. Vorgeschlagen wird eine besondere Form des Vorlesens: Distanziert wird der Text vorgestellt und kontextualisiert.39 Es gelte, die richtige ›Auffassung des Dichters‹ zu vermitteln, nichts zu zeigen, was nicht bereits im Text liege, weder im Positiven noch im Negativen. Stanislawski inszeniert dieses erste ›Vorlesen‹ als Versuchsaufbau durch die Ausschaltung aller ablenkenden oder störenden Einflüsse, um somit größtmögliche Neutralität hinsichtlich des dramatischen Textes zu gewährleisten. Darin offenbart sich ein widersprüchliches Verhältnis zum Text: Einerseits gilt es, einen individuellen Zugang zu finden, andererseits ein Verständnis des Textes gemäß der Auffassung des Dichters zu entwickeln. Dies geschieht, indem der Schauspieler selbst zum Co-Autor seines Textes wird: An das Vorlesen des Stücks schließt sich kein Textlernen an, sondern ein improvisiertes Sprechen in und über die Rolle, eine Nacherzählung der Handlungsstränge, das Herausarbeiten einer »Überaufgabe«. Erst wenn der Schauspieler seinen Zugang gefunden habe, beginnt das Lernen des Textes. Das Lesen des Textes verschiebt sich in der Dramaturgie des Probenprozesses nach hinten. Erst wenn die Schauspieler ihren »Ton und ihr Tempo« gefunden haben, »Pausen« und »Beschleunigungen« festgelegt sind, der »Aufbau des Stücks« bestätigt ist, sind Leseproben als eine Form der Korrekturarbeit an »unreine[n] Stellen beim Ausfeilen der Rollen« und für eine »Säuberung des Stücks« sinnvoll:40 38 | Konstantin Stanislawski: Die Arbeit des Schauspielers an der Rolle. Berlin 1986. S. 14. 39 | Ebd., S. 15f. 40 | Konstantin Stanislawski: Ausgewählte Schriften. Berlin 1988. Bd. 1, S. 84f.
7 V ERFAHREN UND T ECHNIKEN »Eine Probe ist immer Arbeit, aktive Handlung. Wir sagen: Eine Probe findet ›am Tisch‹ statt, um zu betonen, daß der Schauspieler sich auf die innere Handlung konzentrieren soll, und nicht, um seinen Willen zur Handlung zu schwächen.« 41
Mit der Arbeit am Tisch, dem nochmaligen Lesen des Stücks, der Wiedervorlage des Stücktextes wird eine Reduktion angestrebt: die Utopie, zum ›Wesentlichen‹ und ›Eigentlichen‹ der Darstellung zu gelangen. Gilt es zu Beginn, den Zugang für den Schauspieler möglichst ›weit‹ zu öffnen, findet nun ein Prozess der Schließung statt: Das Lesen wird zu einer Technik der Distanzierung und Konzentration, einem von der körperlichen Darstellung abgetrennten Prozess, einer ›inneren Arbeit‹.
Der Geschmack der Worte auf der Zunge »Angaben zur ›Methode‹: 2.12.1960 (Probenbeginn) Leseprobe: ›Zweimaliges Lesen jeder Szene, dann deren stellungsmäßige Ausführung mit Wiederholung. Angestrebt wurde ein möglichst unverkrampftes, innerlich befreiendes Lesen, bei dem die geistige Wirklichkeit der Worte sozusagen auf der Zunge geschmeckt werden sollte. Dieses Lesen sollte sich notwendig und folgerichtig in ein räumliches Gefühl spannen, welchem die folgende Stellprobe die angestrebte Disposition gab. Ziel war eine höhere Synthese von Lese- und Stellprobe, um den Schauspielern von vorneherein ein größtmögliches Maß an innerer und äußerer Sicherheit zu vermitteln.‹« 42
Nicht die Distanz zu Text und Bühne wird hier vom Regisseur Erwin Piscator gefordert, sondern eine Synthese von körperlich-bewegter Darstellung im Raum und sprachlicher Darstellung. Das Lesen ist für ihn eine körperliche Aneignung des Textes, jenseits der intellektuellen Reflexion. Nicht allein nach dem Sinn der Worte, sondern nach ihrer ›Sinnlichkeit‹ – ihrem Geschmack – wird gesucht. Eine Suche, die sich nicht nur im Text, sondern auch im Raum vollzieht. Dabei geht es im Moment der Wiederholung einerseits um eine Automatisierung des Sprechens, andererseits – in der direkten Übertragung auf den Bühnenraum – um die Verbindung zur Bewegung. Aus der Überlagerung von intellektueller Auseinandersetzung, Einübung des Textes und räumlicher Vorstellung soll eine Sicherheit erwachsen, die auf zweierlei zielt: innere Sicherheit (als Körperwissen) und äußere Sicherheit (als Textkenntnis).
41 | Nicolai Gortschakow: Regie. Unterricht bei Stanislawski. Berlin 1959. S. 316. 42 | Erwin Piscator: Arbeitsnotizen und Unterlagen zur Regie von Becket oder die Ehre Gottes. Essen 1961. Archiv der Akademie der Künste: Nachlass Piscator/11.
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Piscators Ziel der Synthese verweist auf die grundsätzliche Problematik der Arbeit am Tisch, wenn ihr Tun als ein anderes als in der Aufführung begriffen wird. In der hier behaupteten Differenz körperlich-bewegter Darstellung und rhetorisch-konzeptueller Arbeit wird eine Dichotomie zwischen Körperlichkeit und Textualität aufgemacht. Dabei wird leicht übersehen, dass jedes Lesen immer auch ein körperlicher Vorgang ist, einer eigenen Form der Bewegung bedarf und Bewegtheit hervorbringt.43 Während Piscators Zweiteilung in Lesen am Tisch und Stellprobe weiterhin eine Trennung zwischen Bewegung und Lesen vorschreibt, versuchen andere Probenkonzepte, Text und Bewegung direkt miteinander zu verflechten. Luk Perceval formuliert ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber dem gemeinsamen Lesen am Tisch, wenn er fragt: »Wie kommt es nur immer, daß beim ersten Lesen eines Stücks so viele Bilder, Assoziationen, Gedanken, Charaktereigenschaften, Ticks, Situation und so weiter vor einem aufgehen und daß im Laufe der Proben dieser Spiel-Raum immer schmaler wird, um schließlich in einem unbefriedigenden Kompromiß zu enden?« 44
Um eben jene Produktivität der Lektüre in die Proben zu übertragen, lehnt Perceval nicht nur das gemeinsame Lesen am Tisch ab, sondern auch das lesende Lernen des Textes. Inszeniert wird eine andere Probensituation: Die Schauspieler sprechen ihren Text beispielsweise beim Federballspielen. Diese Spiele werden täglich wiederholt. Wie bei Stanislawski wird die gemeinsame Analyse des Textes als ›Schließung‹ jener Produktivität verstanden, anders als Stanislawski geht es ihm dabei nicht um den individuellen Zugang zum Text, sondern um eine Aufmerksamkeit für die Situation auf der Bühne: die Koppelung von Text und Bewegung als Konzentrationsübung. Ziel ist, den Text zu einem »direkten Werkzeug« zu machen, das intuitiv benutzt werden kann.45 Wenn der Philosoph Michel de Certeau ein Konzept der Lektüre entwirft, das »durch Angriffe und Rückzüge, durch Taktiken und Spiele mit dem Text«46 gekennzeichnet ist, als eine »Kunst des Lesens«, dann versucht Perceval, im »gemeinsamen Spielen mit Text« jene Produktivität der Lektüre in der Probe aufzuführen und damit auch sichtbar zu machen. 43 | So erklärt Roland Barthes: »Die Lust am Text, das ist jener Moment, wo mein Körper seinen eigenen Ideen folgt – denn mein Körper hat nicht die gleichen Ideen wie ich.« Ders.: Die Lust am Text. Frankfurt a.M. 1974. S. 26. Zum Verhältnis von Lesen und Bewegung als doppelter Figur von movens und movere siehe auch den Aufsatz von Bettina Brandl-Risi: »Effekte virtuoser Dynamisierungen des Lesens«. In: dies./Gabriele Brandstetter/Kai van Eikels (Hg.): Schwarm(E)Motion. Tübingen 2007. S. 301-328. 44 | Luk Perceval: Theater und Ritual. Hg. Thomas Irmer. Berlin 2005. S. 55. 45 | Ebd., S. 56. 46 | Michel de Certeau: Die Kunst des Handelns. Berlin 1988. S. 309.
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In den verschiedenen Konzeptionen und Bewertungen des Lesens, in der Konstituierung des Arbeitskontextes am Tisch, im Verhältnis von Bewegung und Text wird auch die besondere Bedeutung der räumlichen Arbeitssituation deutlich. Jedes Proben braucht einen Raum. Jede Inszenierung ist auch immer mit einem Raumentwurf verbunden, der eine eigene Probe bekommt: die Bauprobe.
W ORK THE ROOM : B AUPROBEN
Abbildung 1: Konzeptionsprobe zur Inszenierung LOHNDRÜCKER unter der Regie von Heiner Müller am Deutschen Theater 1987. Eine Versammlung auf der Bühne oder im Probenraum – im Hintergrund sind Kulissenteile zu sehen. Konzentrierte Stimmung. Fast alle Blicke sind auf eine schwarze Box gerichtet. Der Bühnenbildner, ganz rechts, beugt sich über sie, schaut mit ernster Miene hinein. Auch die anderen schauen gespannt, angespannt. Nur zwei sind nicht von der Box gebannt, schauen sich gegenseitig an – und der Regisseur sie. Der fotografische Ausschnitt aus den Proben als Inszenierung von Blickkonstellationen. Was erregt die Aufmerksamkeit der Blicke? Was ist zu sehen? Der Bildausschnitt verwehrt dem Betrachter der Fotografie den Einblick in den Kasten. Er kann nur vermuten, was gezeigt wird: ein Modell des Bühnenbilds, das hier von Bühnenbildner und Regisseur vorgeführt wird. Die Konzeptionsprobe ist eine der ersten Aufführungen im Probenprozess: Der Bühnenbildner führt seinen
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Entwurf auf, indem er dessen Möglichkeiten durchspielt. Er macht die anderen Beteiligten zu den ersten Zuschauern eines imaginären Inszenierungsprozesses am Modell. Die Fotografie inszeniert die Arbeitssituation ›Bauprobe‹ auf besondere Weise: Nicht das Modell als Produkt, sondern der Betrachter wird betrachtet. Die Leerstelle des Bildes, das, was in der Box zu sehen, aber nicht für den Betrachter sichtbar ist, verweist zugleich auf die Problematik dieser Aufführungssituation. Denn was hier betrachtet wird, ist der Entwurf eines Raumes, in den hinein die Inszenierung entworfen werden soll. Aus Sicht der Aufführung ist es der ›leere Raum‹. Was hier stattfinden wird, ist noch nicht sichtbar, ist das, was erarbeitet wird in den nächsten Wochen und Monaten. Und doch zeigt sich in den Blicken der Beteiligten der Versuch, in der Box bereits etwas zu sehen, das dort stattfinden könnte. Gegeben wird ein Einblick in das, was sein könnte. Die Bauprobe ist ein Akt der Imagination möglicher Räume, der sich an dem Modell entzündet: Projektionen in eine räumliche Zukunft. »Bühnenkunst ist Raumkunst«47, definiert Max Herrmann und stellt das Wechselverhältnis von Zuschauer und Schauspieler als Raumerlebnis in den Mittelpunkt seiner Theaterkonzeption. Er unterscheidet den konkreten, materiellen Bühnenraum vom erlebten Raum. Während der materielle Theaterraum statisch ist – als Architektur des Theatergebäudes oder Anordnung von Bühne und Zuschauerraum – wird der erlebte Raum dynamisch geschaffen: »ein Kunstraum, der erst durch eine mehr oder weniger große innerliche Verwandlung des tatsächlichen Raums zustande kommt«48. Auch wenn Herrmann vor allem das Verhältnis von Zuschauern und Schauspielern als »theatrale Raumgemeinschaft« in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt, Regisseur wie auch Bühnenbildner die Funktion von Zuarbeitern zuweist und die Notwendigkeit eines Bühnenbilds hinterfragt, ist für meine Fragestellung interessant, dass er zwischen verschiedenen Raumerlebnissen differenziert: denen des Dramatikers, des Regisseurs, des Schauspielers wie auch des Zuschauers. Nicht der Entwurf eines konkreten Bühnenbilds noch räumliche Anordnung der Inszenierung durch den Regisseur oder das Raumerleben von Schauspieler und Zuschauer allein machen die Besonderheit theatralen Produzierens aus, sondern die Überlagerung verschiedener Raumvorstellungen und Transformationsprozesse. Als räumliche Praxis gehört zur Arbeit am Theater somit auch immer der Entwurf verschiedener Raumkonzepte: der Raum des Szenenbildes, bedingt durch die technischen Gegebenheiten der Bühne, der Bewegungsraum der Schauspieler, der performative Raum der Aufführung. In der Überlagerung dieser Raumkonzepte lässt sich der Probenprozess als Transformation imagi47 | Max Herrmann: »Das theatrale Raumerlebnis« [1931]. In: Jörg Dünne/Stephan Günzel (Hg.): Raumtheorie. Frankfurt a.M. 2006. S. 501. 48 | Ebd., S. 502.
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nierter Räume in den konkreten materiellen Raum der Bühne, in den Raum der Schauspieler und der Aktualisierung der Vorstellung im performativen Raum der Aufführung definieren.49 Ein erster Schritt in diesem Prozess der Transformation ist die Bauprobe.50 Ihr geht der Entwurf des Bühnenbilds voraus, meist auch die Anfertigung eines Modells. Bei der Bauprobe werden die Elemente des Bühnenbilds auf der Bühne markiert wie auch die technischen Anforderungen des Bühnenbildentwurfs überprüft. In diesem Sinne ist die Bauprobe die Probe des Bühnenbilds: eine Überprüfung des Umsetzbaren als Arbeit am Raum. Hier sollen die Möglichkeiten, die im kleinen Modell, in Skizzen und Zeichnungen entworfen wurden, in realer Größe getestet werden, bevor sie umgesetzt, erarbeitet werden. Es ist eine Raumbegehung, die den zukünftigen Raum abschreitet und zugleich Parameter der Probe festlegt: notwendig für die weitere Arbeit, zugleich aber abgetrennt von der szenischen Arbeit auf der Bühne.51 Der Raum der Raumkunst ›Theater‹ entsteht jenseits der schauspielerischen Darstellung. Wie wichtig jedoch die Arbeit mit Raumkonzepten ist, zeigt sich in der Arbeit am Bühnenbildmodell. Der Bühnenbildner entwirft am Reißbrett ein erstes räumliches Konzept, übersetzt es in ein Modell, das ihm An- und Übersicht des Raumes ermöglichen soll. Die Arbeit am Modell und vor allem mit dem Modell geht der Probenarbeit oft voraus: Das, was nicht planbar scheint, wird in kleinem Maßstab ausprobiert. Regisseur und Bühnenbildner entwerfen gemeinsam einen Raum, probieren Abläufe in diesem Raumentwurf aus, legen diese fest als Vorbereitung und Planung der konkreten Aktionen auf der Bühne.52 Der Blick auf 49 | In der Probengeschichte wird die Bedeutung des Entwerfens theatraler Räume durchaus unterschiedlich bewertet: Die Probenpraxis das 19. Jahrhunderts begreift das Proben vor allem als Arbeit am ›Arrangement‹: Die Bühne wird als Bild gedacht, auf dem die Schauspieler angeordnet werden. Erst mit dem Regietheater und der Emanzipation des Theaters von der Vorherrschaft des dramatischen Textes wird das Theater auch als Raumkunst begriffen und die Bedeutung der Probenarbeit im und am Raum unterstrichen. 50 | Den Beginn der Regiearbeit bestimmt beispielsweise Carl Hagemann mit der Konzeption des Bühnenbilds: »[D]ie praktische Arbeit beginnt […] mit der vollständigen Herrichtung des Bühnenbilds, des Rahmens.« Hagemann: Regie. S. 236. 51 | Mit den Festlegungen der Bauprobe werden zugleich die Möglichkeiten der Arbeit auch begrenzt, weshalb die Praxis, die Bauprobe aus pragmatischen Gründen lange vor Probenbeginn anzusetzen, oft den Bedürfnissen der Probenarbeit zuwiderläuft. 52 | Beispielsweise der Regisseur Felsenstein beschreibt den Beginn seiner Arbeit als Transformationsprozess folgendermaßen: »Während ich das wörtlich genommene Werk erarbeite, wird der Wunsch immer dringender, es in einen bestimmten dramatischen Raum zu übertragen, also den Raum in meiner Phantasie mitspielen zu lassen. Daher ist der erste Mitarbeiter, den ich zu mir bitte […], der Bühnenbildner. Ich kann nicht auf die
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das Modell soll die gegenständlichen Bedingungen des Theaterraums und die Möglichkeiten des Ablaufs vorstellbar und en miniature planbar machen. Mit Figuren und Requisiten wird das Geschehen imaginiert. Wie die Arbeit am Tisch dient das Modell einer Distanzierung und zugleich der Offenbarung und Sichtbarmachung der Arbeit des Bühnenbildners. Es ist eine Strategie, sich dem Geschehen auf der Bühne anzunähern. Der Raumentwurf wird zur Voraussetzung für eine Arbeit im Raum.
Topos des leeren Raums Für die Raumkunst ›Theater‹ wird dabei aber nicht nur der konkrete Raum der Bühne, als Entwurf einer Szenerie, konstitutiv für die Proben. Jede Form des Probens konstituiert sich über ein besonderes Verhältnis zum Raum. Der Blick in den leeren Bühnenraum markiert beispielsweise den Probenbeginn: »Wenn einer seine Idee für ein Stück beschreibt, kann man den anderen dabei zusehen, wie sie fragend auf den leeren Boden gucken. ›Könnte so was hier stattfinden?‹ oder ›Käme das gut, wenn das hier stattfindet?‹ nicht so sehr, ob die Idee in der eigenen Vorstellung funktionieren könnte, sondern dort im tatsächlichen Raum. Schwer zu sagen, aber da wir anfangen, indem wir hinsehen und noch nicht wissen, was wir sehen wollen, scheint es auf eine Art sinnvoll zu sein, einen leeren Raum zu betrachten.« 53
Im gemeinsamen Gespräch, im Beschreiben der Vorstellungen der zukünftigen Performance werden diese in den leeren Raum projiziert. Wie das leere Blatt für den Maler oder Schriftsteller den Anfang markiert, setzt der leere Raum einen Anfangspunkt der Arbeit. Das Produktionskollektiv, das sich hier vor dem Entwurf des Bühnenbilds trifft – eine Form des Treffens, beispielsweise zwischen Dramaturg, Regisseur und Bühnenbildner, das dem oben beschriebenen Modellentwurf vorausgegangen ist –, setzt sich bewusst einer Situation des Nicht-Wissens aus als Startpunkt für gemeinsame Entwürfe. Der leere Raum wird zum Ausdruck für die Offenheit des Prozesses, für seinen Anfang, der scheinbar in jede mögliche Richtung weisen kann. Dass diese Offenheit vielleicht auch nur eine Strategie oder ein Trick ist, schränkt Etchells gleich wieder ein: Der Raum sei nämlich niemals leer. Dort fänden sich immer Reste früherer Probe gehen […], wenn ich nicht genau weiß, wie das Bühnenbild aussehen wird.« Walter Felsenstein: Die Pflicht die Wahrheit zu finden. Frankfurt a.M. 1997. S. 143. Der Bühnenbildner Reinhart Zimmermann beschreibt den Probenprozess als eine gemeinsame Arbeit am Modell: Szene für Szene wird durchgespielt. 53 | Tim Etchells: »In den stillen Momenten. Ein Text mit vielen Abschweifungen und 43 Fußnoten darüber, wie man Stücke macht.« In: Albrecht Hirche/Kathrin Krumbein (Hg.): Der freie Fall. Positionen von Performern. Essen 2006. S. 57-63. S. 57.
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Inszenierungen, abgelegte oder aussortierte Kostüme, verworfene Dekorationsteile, archivierte Bühnenbildelemente (auch auf dem obigen Foto sieht man im Hintergrund Bühnenteile). Jedes Betreten der Bühne – auch in Gedanken – konfrontiert unweigerlich mit dem, was dort bereits geschehen ist: einem Fundus ehemaliger Inszenierungen, abgestellter Formen, verworfener Ideen. Jedes Theater ist so immer auch das Archiv seiner Geschichte, versammelt den Bestand von Konventionen, Dramaturgien, ist ein Arsenal gegenwärtiger wie ehemaliger künstlerischer Praktiken. Jeder Beginn, jeder Blick auf die Bühne hat sich dieser Vergangenheit – selbst wenn sie negiert wird – zu stellen. Und wie der leere Raum zum Bild für eine Offenheit des Entwerfens wird, verweisen diese Reste auch als Archiv früherer Inszenierungen auf die Beschränkungen dieses Entwurfs, der immer auch Refiguration, Zitieren und Arrangieren des bereits Vorhandenen bedeutet. Wenn die Blackbox im Theater oder der Bühnenraum oft als Container54 aufgefasst wird, der in den Probenprozessen immer wieder neu gefüllt würde – mit dem Entwurf der Szenerie, mit den Bewegungsabläufen der Schauspieler –, dann eröffnet sich hier ein weitaus komplexeres Bild der Proben als Raumentwurf. Der Raumentwurf wird als kollektiver Akt der Verständigung und Vorstellung präsentiert. Wenn das Modell wie oben beschrieben ein Versuch ist, sich den Raum und seine Vorstellungen von ihm gefügig zu machen, dann wird in der beschriebenen Probe von Forced Entertainment, der Gruppe, mit der Etchells arbeitet, eine andere Strategie der Raumaneignung praktiziert: Im »Abschreiten« der Bühnenfläche. Vergleichbar mit »Tieren im Käfig« oder »Gefangenen« setzen sich die Schauspieler dem ›leeren Raum‹ aus.55 Die Bewegung auf der Bühne und das Bewegen auf der Bühne werden von Etchells als doppelte Strategie beschrieben: als Sichtbarmachung von Bewegungen im Raum – wie sieht es aus, wenn jemand wirklich da ist – und als Technik, durch die Bewegung einen mentalen Denkprozess zu stimulieren.56 Es entsteht ein »performativer Raum« – in der Bewegung auf der Bühne wie auch durch deren Wahrnehmung durch die zuschauenden Performer. Jede theatrale Praxis ist auch ein räumliches Entwerfen, ein Produzieren von Räumen: imaginären Räumen wie dem realen Bühnenraum, dem Raum des Schauspielers wie dem des Zuschauers – auf der Probe wie in der Aufführung.
54 | Zur Frage nach dem Verhältnis von dem Container als »geometrischem Raum« und dem »performativen Raum«: Erika Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen. Frankfurt a.M. 2004. S. 187. 55 | Etchells: »In den stillen Momenten«. S. 58. 56 | Die Funktion der Bewegung als Stimulanz für »Einfälle« in wissenschaftlichen wie künstlerischen Prozessen des Produzierens beschreibt auch Max Weber: Wissenschaft als Beruf. S. 14.
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D IE TECHNIK DER P ROBE »Häufig verachtet der Künstler den Techniker. […] In dem Dramatic Workshop waren einmal drei Schriftsteller eingeteilt, die Drehbühne zu drehen. Als der Punkt kam, drehte sie sich nicht. Ich hörte stattdessen ein Dumpfes, dreifaches Schnarchen. Ich stürzte auf die Bühne und finde meine drei Drehscheiben-Schriftsteller-Bühnenarbeiter schlafend wie die Jünger am Ölberg. Darauf versammelte ich die Schauspieler um sie und erklärte den Aufgeweckten, was eine Pause bedeutet. Ich lasse sie Stichworte sagen und zähle rhythmisch bis zwölf. Stichwort, Drehen, Zählen, wieder Stichwort. Hand anlegen an die Drehscheibe ist Handlung, und das Begreifen einer rhythmischen Pause in einem dramatischen Aufbau ist Theaterschriftstellerei. Von da an drehte sich die Scheibe so großartig, daß ich begann, auch die Bühnenarbeiter rhythmisch zu erziehen. Hier wird der ›Bühnenarbeiter zum Schauspieler und manchmal natürlicher und besser‹.« 57
Erwin Piscator umreißt mit seiner Probenanekdote ein besonderes Arbeitsszenario kollektiver Kreativität: in der Gleichstellung von künstlerischen Techniken der Schauspielkunst, des Schreibens und der Bedienung der Bühnentechnik. Im gemeinsamen Hervorbringen der (Probe-)Aufführung verschränken sich die nur scheinbar differenten (künstlerischen) Techniken, die an der Lösung des gleichen Darstellungsproblems arbeiten: einer Rhythmisierung der Aufführung. Das Tun des Schauspielers, Technikers oder Schriftstellers unterscheidet sich dabei im Medium seiner Darstellung, nicht aber in den Techniken der Hervorbringung. Spricht man von ›Probentechnik‹ im Kontext des Theaterbetriebs, dann ist meist die technische Ausstattung der Probenarbeit gemeint – und damit auch die Frage, inwieweit bereits für die Probe Lichttechnik, Soundanlage oder Videoprojektoren zur Verfügung gestellt werden, und ob auch mit ›Technik‹, das heißt technischem Personal, geprobt wird. Die Geschichte Piscators eröffnet dagegen den Blick auf eine weitere Dimension der (Proben-)Technik: als Frage danach, wie auf der Probe Wissen generiert wird. Denn nicht nur der Schauspieler erarbeitet in den Proben ein spezifisches Wissen, auch der Techniker bringt sein Wissen ein, erarbeitet im kollektiven Prozess spezielle Techniken und Verfahren für seine Arbeit an der Inszenierung – wie zum Beispiel das Proben im Bühnenlicht58 eine spezifische szenische Darstellung hervorbringt. Die 57 | Erwin Piscator: »Technik – eine künstlerische Notwendigkeit des modernen Theaters«. In: ders.: Theater Film Politik. Berlin 1980. S. 331-351. S. 347. 58 | Dies zeigt sich beispielsweise in der Arbeit mit Licht während der Proben, dessen Bedeutung als eigene Technik des Produzierens gemäß dem Regisseur Heiner Goebbels unterschätzt wird: »Daß Licht auch ein eigenes Mittel ist, mit dem man Theater erfinden kann: Diesen Eindruck habe ich selten. Und auch wenn ich mit anderen Regisseuren gearbeitet habe, war meine Erfahrung immer so, daß im Grund ohne Licht probiert wird,
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Entscheidung für oder gegen die Arbeit mit der Technik oder dem Techniker ist damit immer auch eine ästhetische. Fragt man nach den Techniken des Probens, so rückt eine zweite Bedeutungsebene in den Blick, jene künstlerischen oder listigen Handgriffe des Hervorbringens, die Grundlage jeder künstlerischen Praxis sind. ›Techniken‹ verstanden als »die Art und Weise, etwas durchzusetzen, zu erreichen, zu bewerkstelligen«59, im antiken Sinne der Verschränkung von techne/episteme gedacht als Zusammenhang von Kunst und Wissen.60 Der Probendiskurs, in einem solchen Sinne gelesen, gibt damit »Einsicht in die Verfahrensweise bei der Lösung des technischen Arbeitsproblems, das die Hervorbringung (Produktion) eines Werkes immer auch ist«61 . Nach den Techniken der Proben zu fragen, bedeutet damit, nach den Voraussetzungen für die Arbeit am Theater zu suchen, nicht im Sinne eines festgelegten Regelwerks, sondern als hervorzubringende Technik, als einer ›Praxis im Werden‹, die sich nie in der Anwendung vorhandener Mittel erschöpft. Im Folgenden wird die Probe als »technisches Arbeitsproblem« in diesem Sinne betrachtet: Welche Verfahren zur Problemlösung werden innerhalb des Diskurses über die Probe entwickelt, wie werden sie reflektiert?
Arbeitstechnik Die Frage der Technik ist eng mit dem Komplex der Arbeit verbunden. Im eingangs beschriebenen Projekt Bauerntheater setzt sich der Schauspieler mit der Technik des Pflügens auseinander, als Voraussetzung jeder Feldarbeit. Seine schauspielerische Arbeit des Probens besteht im Erlernen einer anderen und man hinterher das, was man hat, schön beleuchtet. [….] Man arbeitet nicht so […], daß man von Anfang an das Licht dabei hat, teilweise vom Licht her erfindet, vom Licht aus denkt, vom Licht her Sachen möglich macht.« »›Dass es Verwandlungen gibt.‹ Heiner Goebbels im Gespräch mit Hans-Thies Lehmann.« In: http://www.heinergoebbels.com/ small.htm [Zugriff am 10.05.2008]. 59 | Georgi Schischkoff: »Technik«. In: ders./Heinrich Schmidt: Philosophisches Wörterbuch. Stuttgart 1991. S. 715. 60 | Das bereits angerissene Bedeutungsfeld von praxis und poiesis – als Tun und Hervorbringen – erfährt durch den Technikbegriff bei Aristoteles noch eine weitere Differenzierung, wenn er ihm ein zusätzliches Begriffspaar zuordnet: Die arete als Tüchtigkeit wird dem Bereich der praxis zugeschlagen, die techne als produktive Fähigkeit und spezifische Form des Wissen der poiesis. Die Probenarbeit bewegt sich innerhalb dieses Begriffsfelds, in der Überlagerung von Tun und Hervorbringen, im Anspruch permanenter Arbeit ohne Ende auf der einen Seite und dem Hervorbringen eines spezifischen Wissens auf der anderen. Vgl. Aristoteles: Nikomachische Ethik. Stuttgart 1969. 61 | Umberto Eco: Nachschrift zum ›Namen der Rose‹. München 1984. S. 17.
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Arbeitstechnik, vermittelt über ein Beschreiben und Vorzeigen der Technik durch die Bauern: ein Prozess der Tradierung von Wissen jenseits festgeschriebener Regeln. Mit der Genieästhetik wird genau jener Bereich der Weitergabe des Technischen aus der Reflexion über die künstlerische Praxis ausgeklammert. Die Frage, wie Kunst geschaffen wird, ist allein an das ästhetische Subjekt des Künstlers gebunden. Daraus ergibt sich eine Aufspaltung von künstlerischem Tun und Arbeit in Ursprünglichkeit und Spontaneität der Inspiration auf der einen Seite und eine Reduktion auf Erlernbarkeit von Fertigkeiten auf der anderen.62 Im Bestreben, die künstlerische Praxis vom Handwerk abzugrenzen, wird der techné-Begriff abgewertet – um so das handwerkliche Tun aus dem Bereich der Kunst auszuklammern. Ein Epochenbruch lässt sich um 1900 feststellen.63 Dass der Begriff der Technik im Diskurs über die Proben eine neue Prominenz erlangt – angefangen von Gustav Freytags »Technik des Dramas«64 zu Stanislawskis Konzept der »Psychotechnik« und Adolf Winds »Technik der Schauspielkunst«65 – verweist vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Industrialisierung auf eine Verschiebung des Verhältnisses von Theater und Arbeit. In den Blick rücken dabei vor allem Entwürfe der Avantgardebewegungen, die sich über die Neubestimmung der Kunst als Arbeit von tradierten Kunstkonzepten abzusetzen versuchen. Die Ausweitung der Arbeit auf die künstlerische Praxis ist eine utopische Figur, die sich in den Avantgarden des beginnenden 20. Jahrhunderts häufig findet:
62 | Vgl. Friedrich Kittler: »Techniken, künstlerische«. In: Karlheinz Barck et al. (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch. Bd. 6, S. 15-23. 63 | Dieser Bruch im Verhältnis von Arbeit und Theater lässt sich anhand verschiedener Faktoren beschreiben. Neue technische Verfahren treiben eine Rationalisierung und zunehmende Mechanisierung der Arbeit voran. Mit der Entwicklung von Fotografie und Film verändern sich Zeit- und Raumwahrnehmung. Mit dem Entwurf der Thermodynamik durch Hermann von Helmholtz (1855) erlangt um 1900 der Energiebegriff eine neue Prominenz. Begriffe wie Energie, Mechanisierung, Segmentierung werden für die Diskussion der künstlerischen Praxis im Theater grundlegend. Vgl. Gabriele Brandstetter: »Unter-Brechung. Intermedialität und Disjunktion in den Bewegungs-Konzepten von Tanz und Theater der Avantgarde.« In: dies.: Bild-Sprung. Berlin 2005. S. 160-181. 64 | Gustav Freytag: Die Technik des Dramas. [Nachdruck] Darmstadt 1969. 65 | Adolf Winds: Technik der Schauspielkunst. Minden ohne Jahr [ca. 1904]. Vgl. auch Hanna Hansen: Beiträge zur Technik der Bühnen-Regie-Kunst. Berlin 1919 und Brechts Neubestimmung in »Neue Technik der Schauspielkunst«. In: GW. Bd. 16, S. 710-771.
7 V ERFAHREN UND T ECHNIKEN »Je mehr sich die Technik entwickelt, je weiter sich die Industrialisierung auf dem Erdball ausbreitet, je größer die Zahl der Maschinen ist, die den Arbeitsplatz der Menschen umgibt, um so mehr Raum wird sich das Theater erobern […].« 66
Die Ausbreitung der Industrialisierung und die Entwicklung des Theaters bedingen sich gegenseitig. Diese Diagnose des russischen Regisseurs Wsewolod Meyerhold ist als Teil eines utopischen Projekts zu lesen, das auf die Auflösung der Trennung von Arbeit und Kunst zielt.67 Dies bedeutet nicht nur eine Gleichstellung von Künstler und Arbeiter; Kunsttheoretiker wie Boris Arvatov kritisieren damit das Konzept des autonom schöpfenden künstlerischen Subjekts, dessen isolierte Stellung den Anschluss der künstlerischen Praxis an den technischen Fortschritt verhindere – und damit auch den Fortschritt der Kunst. Arvatovs Forderung zielt auch auf eine direkte Verschaltung von Arbeits- und künstlerischen Prozessen:
66 | Wsewolod Meyerhold: Theateroktober. Frankfurt a.M. 1972. S. 148f. 67 | Verschiedenste Konzepte der Avantgarde entwerfen ein ähnliches Programm, wobei sich jedoch die Ideen zur Verwirklichung grundlegend unterscheiden. Dies zeigt sich beispielhaft an den Theaterformen, die dem historischen Rückblick und zugleich als utopische Perspektive dienen. Auch Ernst Jünger erklärt in seinem Essay Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt den »Niedergang« des bürgerlichen Theaters an der Stellung des Schauspielers als bürgerliches Individuum und setzt an dessen Stelle den Arbeiter als Leitfigur. Durch »Auflösung des Individuums« und das »Eindringen der Technik« (S. 218f.) solle der Künstler zum Arbeiter werden. Gegen die Genieästhetik und die Idee eines Theaters als bürgerlicher Öffentlichkeit erklärt Jünger das klassische französische Drama, in dem der »absolute Fürst, dessen sichtbare Gegenwart den Mittelpunkt bildet, der die innere Einheit des Vorgangs garantiert« zum Ideal wird. Ernst Jünger: Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt. Stuttgart 1982. S. 130. Meyerhold dagegen bezieht sich auf die populäre Tradition der Commedia dell’Arte, wobei er das Bild eines mächtigen Schauspielers unter der Maske der Rollendarstellung entwirft: »Harlekin ist ein einfältiger, schlichter Mensch, ein durchtriebener Diener, der immer fröhlich wirkt. Doch sehen Sie, was sich unter seiner Maske verbirgt? Harlekin ist ein mächtiger Magier, ein Zauberer, Harlekin ist ein Vertreter infernalischer Kräfte … Wie wird dem Zuschauer die riesige Vielfalt seines Charakters gezeigt? Mit Hilfe der Maske. Der Schauspieler, der die Kunst der Geste und der Bewegungen beherrscht (darin liegt seine Stärke!) dreht seine Maske so, dass der Zuschauer immer deutlich spürt, wen er vor sich hat: den Einfaltspinsel aus Bergamo oder den Teufel.« Wsewolod Meyerhold: Schriften. Berlin 1979. Bd. 1, S. 198. Während der eine das ideale Theater ausgehend von der Position einer totalitären Überwachungsposition eines allmächtigen Herrschers entwirft, steht beim anderen die Selbstermächtigung des Schauspielers in Mittelpunkt.
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A RBEIT AM T HEATER »[Die] kämpferische, revolutionäre Aufgabe der proletarischen Kunst [ist] die Beherrschung aller Arten der hochentwickelten Technik mit ihren Werkzeugen, mit ihrer Arbeitsteilung, mit ihrer kollektivierenden Tendenz, mit ihrer Planmäßigkeit. Eine entsprechende ›Elektrifizierung‹ der Kunst, des Ingenieurismus in der künstlerischen Arbeit – das ist das Ziel der gegenwärtigen proletarischen Praxis.« 68
Gegen das Konzept eines genialen Künstlers, dessen Tun sich der Kontrolle entzieht, wird die künstlerische Praxis als industriell organisierte Tätigkeit gesetzt. Ziel ist damit nicht nur, das künstlerische Tun zu rationalisieren und zu entmystifizieren, sondern die Kunst bekommt innerhalb des Arbeitskontextes auch eine neue Funktion: in der experimentellen Erforschung der künstlerischen Praxis, die am Fortschritt der Arbeitsprozesse mitarbeitet. Die Ablehnung der Isolierung des Künstlers und die Forderung nach Einführung der Arbeitsteilung in der Kunst machen das Theater zum idealen Modell für ein solches Projekt. Nicht nur das kollektive Produzieren grenzt das Theater von den anderen Kunstformen ab, auch die Form der schauspielerischen Darstellung. Der eigene Körper ist für den Schauspieler genauso Voraussetzung für das Produzieren wie für den industriellen Arbeiter. Nicht nur das Theater soll sich an den Arbeitsprozessen orientieren, diese werden auch als Kunst verstanden: »Die Arbeit eines erfahrenen Arbeiters erinnert stets an einen Tanz«, erklärt Meyerhold.69 Nicht nur das künstlerische Schaffen soll entmystifiziert werden, es geht zugleich um eine Nobilitierung und Glorifizierung des Arbeiters: Als ›Held der Arbeit‹ soll er mit der gleichen Wertschätzung betrachtet werden wie die schauspielerischen Genies oder die virtuosen Tänzer.70 Während Stanislawski sein Konzept der Arbeit ethisch begründet, als Verpflichtung des Schauspielers gegenüber dem Zuschauer und sich selbst, steht mit 68 | Boris Arvatov: »Die Kunst im System der proletarischen Kultur« (1926). In: ders.: Kunst und Produktion. München 1972. S. 14. 69 | Wsewolod Meyerhold: »Der Schauspieler der Zukunft und die Biomechanik«. In: ders: Schriften. Berlin 1979. Bd. 2, S. 479. 70 | Mit einer veränderten gesellschaftlichen Bedeutung des Theaters wird auch das Konzept des professionellen Schauspielers obsolet, wie es vor allem der Führer des Proletkult Kershenzew in seinen Überlegungen zum Massentheater formuliert. Der Schauspieler ist nicht mehr stellvertretender Arbeiter, sondern das Theater bekommt eine »lebenswichtige Funktion«: »Die Arbeit des Schauspielers als eine Produktion […], die für die richtige Arbeitsorganisation aller Bürger notwendig ist.« In der Konsequenz wird damit auch die Aufhebung der beruflichen Spezialisierung gefordert, jede Form des Berufstheaters abgelehnt und ein »Amateurschauspieler« verlangt, »der dabei jedoch professioneller Arbeiter« bleibt. Das Theatermachen wird als eine Form der »freien Arbeit« entworfen, wie Marx sie beschrieben hat. Platon Kershenzew zitiert nach: Oksana Bulgakowa: FEKS. Die Fabrik des Exzentrischen Schauspielers. Berlin 1996. S. 25.
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der angestrebten Aufhebung der Trennung von Kunst und Arbeit nicht mehr die Frage im Raum, ob gearbeitet wird, sondern wie diese Arbeit im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Utopie effektiv eingesetzt werden kann. Was ein solches Denkmodell für die Theaterpraxis und damit auch die Probenarbeit bedeuten könnte, entwirft Meyerhold anhand seines Konzepts der Biomechanik: als Versuch, Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Analyse industrieller Arbeitsprozesse auf die Theaterpraxis zu übertragen. Schon der Titel des 1922 von Meyerhold gehaltenen Vortrags – »Der Schauspieler der Zukunft und die Biomechanik« – bezieht sich auf die Forschungen des Moskauer Zentralinstituts für Arbeit (CIT). Unter der Leitung von Aleksej Gastev wurde dort an der Analyse industrieller Arbeitsvorgänge gearbeitet, um diese zu optimieren und zu normieren.71 Vorbild ist das amerikanische scientific management. Grundlage sind die von Frederick Winslow Taylor entwickelten Verfahren zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität durch Funktionalisierung von Arbeitsbewegungen – beispielsweise am Fließband – und ihre zeitliche Taktung mit dem Ziel eines effektiveren Arbeitseinsatzes, bekannt geworden unter dem Begriff des Taylorismus. Die Bewegungen der Arbeiter werden gemäß der Logik der Maschinen organisiert. Ausgehend von der Frage, wie der Schauspieler lernen kann, seine Bewegungen nicht nur zu kontrollieren, sondern auch effizient einzusetzen, entwickelt Meyerhold das »Trainingsprogramm« der Biomechanik. Effizient heißt in diesem Kontext, mit möglichst geringem Energieaufwand und in möglichst kurzer Zeit eine möglichst große Reaktion beim Publikum zu erreichen. Das Theater wird der »Ökonomie der Zeit« verpflichtet: Weil im Arbeitsplan der Werktätigen für das Theater nur eine bestimmte Zeit vorgesehen ist, gilt es, »diese Zeit optimal zu nutzen«.72 Nicht Arbeit, sondern Training und Organisation sind die Schlagworte seiner Schauspielkonzeption: Der Schauspieler wird zum Organisator seiner selbst – als »Konstrukteur« befiehlt er seinem Körper Aufgaben. Der Schauspieler ist »Arbeitskraft«, die sich »bei der Erfüllung seines Auftrags als Maschine begreift«73 .
71 | Ziel ist nicht nur die Entwicklung neuer, rationalisierter Arbeitsformen, sondern deren Übernahme auch in anderen Bereichen: »Es ist nicht richtig zu glauben, daß die Arbeitsorganisation nur in den Betrieben Platz hat. Wir möchten, daß die Leiter einer solchen Arbeitsorganisation durch ihre ganze Wesensart und die Schärfe ihrer Initiative allgemein vorbildlich würden.« Aleksej Gastev: »Die wissenschaftliche Organisation der Betriebe und der Armee«. Zitiert nach Franziska Baumgarten: Arbeitswissenschaft und Psychotechnik in Russland. München/Berlin 1924. S. 14. 72 | Meyerhold: »Der Schauspieler der Zukunft und die Biomechanik«. S. 479. 73 | Meyerhold: Schriften. Bd. 2, S. 124.
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An die Stelle der individuellen Erarbeitung einer psychologischen Rollendarstellung tritt das Konzept der »reflektorischen Erregbarkeit« des Schauspielers: Jede Bewegung wird als rein äußerlicher Reflex gedacht. Die Biomechanik schult die Fähigkeit, »Empfindung, Bewegungen und Worte den von außen ergangenen Auftrag [gemäß] zu reproduzieren«.74 Nicht Produktion, sondern Reproduktion wird zum Paradigma. Diese äußerlichen und reflexartigen Bewegungen gelte es nun durch das System der Biomechanik zu kontrollieren und hinsichtlich Energieaufwand und zeitlicher Organisation zu optimieren. Die konkreten Übungen der Biomechanik lassen sich anhand dreier grundlegender Prinzipien fassen: Segmentierung, Automatisierung und Dynamisierung. Jede der Übungen – entlehnt beispielsweise aus dem Bereich des Sports oder des Zirkus – besteht aus vielfachen einzelnen Bewegungen wie Drehungen, Sprüngen oder Gewichtsverlagerungen, die wiederum in einen Bewegungsfluss gebracht und durch ständige Wiederholung automatisiert werden sollen. Trotz der Segmentierung der Bewegungsabläufe ist jede Bewegung immer ein Reflex auf eine andere und wird als Gegenbewegung zur vorangegangenen gedacht. Die Idee ist, eine Bewegung in die andere zu übertragen, als unendliche Kette von Bewegungssequenzen, so dass keine Energie verschwendet werde, sondern die Energie der einen Bewegung Impuls für die nächste ist. Entworfen wird das Ideal eines ununterbrochenen Produktionsflusses: eine Ökonomie der Bewegung, die sich nicht durch »Verausgabung« auszeichnet, sondern durch ein »Zurückhalten« der Energie. Mit dem Resultat, dass für den Zuschauer die »nicht ausgenutzten Reserven« als Potenzial immer sichtbar bleiben.75 Für den Schauspieler bedeutet dies ein Programm zur Selbstermächtigung durch Training, das als eine Vorstufe zur Arbeit der Proben gedacht ist. Das Konzept bleibt aber nicht auf die schauspielerische Arbeit beschränkt. Auch vom Regisseur fordert Meyerhold ein »permanentes Training«,76 nicht der Bewegungen, sondern der »Phantasie«. Anders als bei den biomechanischen Übungen fehlt hier eine genaue Anleitung – gerade weil hier scheinbar weniger die körperlichen Prozesse im Vordergrund stehen. Doch zeigt ein solches Konzept, dass es nicht allein um eine Körpertechnik im Sinne der Optimierung von Bewegungsfunktionen geht, sondern um eine generelle Neubestimmung der künstlerischen Praxis als Arbeit: Die Inszenierung ist allein »Resultat einer hartnäckigen Arbeit der Phantasie«77. Wenn das Training als Vorstufe betrachtet wird, was bedeutet dieses Konzept des »Schauspielers der Zukunft« dann aber für die konkrete Probenarbeit
74 | Meyerhold: Schriften. Bd. 2, S. 512. 75 | Ebd. 76 | Ebd., S. 448. 77 | Ebd., S. 452.
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Meyerholds?78 Liest man die Probendokumentationen, die seit 1926 gewissenhaft von seinen Inszenierungsarbeiten angelegt wurden, dann scheint vieles dem biomechanischen Konzept eines auf Effizienz angelegten Produzierens zu widersprechen: extrem lange Probenzeiten, ständige Veränderungen der Konzeption, Konflikte und Diskussionen mit Schauspielern. Kein homogener und geordneter Probenverlauf, sondern ein langwieriger Prozess, der permanenten Veränderungen unterworfen ist.79 Allerdings lassen sich Aspekte des Konzepts der Biomechanik in den Probentechniken finden, beispielsweise in der Arbeit mit Segmentierung. So überlagern sich bei den Probenbeschreibungen zwei teils widersprüchliche Motive des Produzierens: Organisation und Selbstbeschränkung auf der einen, Entgrenzung, Dynamik, Übersteigerung auf der anderen Seite. Die Inszenierungsarbeit wird zur »Organisationssache«. Aufgabe des Regisseurs, dem »Ingenieur der Produktion«80, ist es, diesen Prozess des Organisierens zu konzeptionieren, initiieren und zu kontrollieren. Dazu gehören die Formierung einer Gruppe, die Einberufung und Leitung von Produktionsgesprächen, die genaue Planung der Probenabläufe und die Etablierung einer Probenkultur ebenso wie Buchführung oder die medizinische Betreuung bei möglichen Arbeitsunfällen. Konzept ist eine klar gegliederte Arbeitsteilung: 1922 entwirft Meyerhold das Modell eines »Regiestabs«81 mit Chefregisseur und Laboranten, zuständig für die individuelle Arbeit mit den Schauspielern, und einem ›Kopierregisseur‹, der die Anweisungen des Chefregisseurs haargenau zu übersetzen weiß. Jede Position bedarf einer eigenen Form des Probens, der Prozess selbst ist zeitlich in einzelne voneinander getrennte Arbeitsschritte unterteilt, die auch die Pausen der Schauspieler umfassen. »Kontrolle« und »Maßhalten«82 sind die Vokabeln, die den Arbeitsprozess bestimmen, nicht nur auf der Ebene der Arbeitsteilung, auch in den konkreten 78 | Auch wenn das Konzept der Biomechanik vor dem historischen Hintergrund seines Entstehens zu lesen ist, als Teil der so genannten »agitatorischen Phase« Meyerholds, finden sich in seinen späteren Schriften durchaus ähnliche Motive. Vgl. Joachim Paech: Das Theater der russischen Revolution. Theorie und Praxis des proletarisch-kulturrevolutionären Theaters in Rußland 1917-1924. Kronberg 1974. 79 | Vgl. die Probenbeschreibungen zur Inszenierung Revisor (1926) Mejerhold repetirut, hier zitiert nach Béatrice Picon-Vallin: »Répétitions en Russie-URRS: du côté de chez Meyerhold«. In: Georges Banu: Les Répétitions. Un siècle de mise en scène. Paris 2005. S. 63-89. S. 78f. Sowie Aleksandr Gladkov: Meyerhold Speaks, Meyerhold Rehearses. Amsterdam 1997. 80 | Meyerhold: Schriften. Bd. 2, S. 445. 81 | Protokoll vom Regie-Unterricht zitiert nach Picon-Vallin: »Répétitions en RussieURRS: du côté de chez Meyerhold«. S. 67. 82 | Meyerhold: Schriften. Bd. 2, S. 145.
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Techniken des Inszenierens. Dies zeigt sich beispielsweise im angewendeten Prinzip der zeitlichen Segmentierung: »[D]as Wichtigste ist, die Vorstellung in der angemessenen Zeit unterzubringen, sie zu chronometrieren, sie in Fragmente aufzuteilen, die mit bestimmten Zeitabschnitten zusammenfallen.«83 Das japanische Theater wird zum Vorbild, jeder Darstellungsabschnitt wird durch Klopfzeichen markiert. Ebenso wird mit Musik geprobt, deren Rhythmus eine zeitliche Begrenzung vorgibt. Ziel ist, dass die Schauspieler eine »Selbstbeschränkung« in der Zeit erlernen.84 Das Prinzip der Segmentierung bestimmt aber auch die Dramaturgie der Proben hinsichtlich des dramatischen Textes: Die Szenen werden nicht in der zeitlichen Chronologie des Handlungsablaufs des Dramas geprobt, sondern in Einheiten unabhängig von ihrer Abfolge im Stück. Diskontinuität und ein permanentes Rearrangieren werden zum Arbeitsprinzip, die Inszenierung wird zur Montage.85 Dies verweist auf das zweite Motiv, das sich durch die Beschreibungen zieht: das Proben als dynamischer Prozess. Seinen bildlichen Ausdruck findet es in den Fotografien, die Meyerhold beim Proben zeigen: Nicht von einem festen und statischen Platz im Zuschauerraum aus betrachtet Meyerhold die Proben, sondern sein Platz ist auf der Bühne, in Bewegung, mit Gesten erklärend, mitspielend, vormachend. »Meyerhold zeigt« ist ein Motiv, das sich durch die Probenbeschreibungen zieht.86 Zahlreiche Fotos zeigen Meyerhold beim Inszenieren in Bewegung, versehen mit der Bemerkung, er habe sich die Hemdsärmel hochgekrempelt. Dieses In-Bewegung-Sein wird jedoch nicht mit einer ordnungsstiftenden Funktion verbunden. Im Gegenteil, in den Beschreibungen der Probenarbeit lässt sich ein Prinzip der permanenten Bewegungen und Veränderung herauslesen. Meyerhold ändert von einem auf den anderen Tag seine Ideen, gibt widersprüchliche Anweisungen, die Rollenbesetzung wird erst während der Arbeit festgelegt, Rollen werden doppelt besetzt, die Schauspieler proben mehrere Rollen. Zahlreiche Varianten einer Szene werden ausprobiert.87
83 | Meyerhold: Schriften. Bd. 2, S. 145. 84 | Gladkov: Meyerhold Speaks. Meyerhold Rehearses. S. 203. 85 | Segmentierung und die Idee einer »filmischen Montage« tauchen als Konzepte immer wieder in Meyerholds Schriften auf. In der Probenarbeit selbst wird mit diesem Prinzip auf unterschiedlichste Weise experimentiert – auch abhängig vom jeweiligen dramatischen Text. In Frage steht, wann und wie diese einzelnen Abschnitte zusammengefügt werden. Meyerhold problematisiert dabei das Verhältnis des einzelnen Fragments zum Ganzen, auch als Ökonomie von Arbeitsaufwand und Resultat. Die Arbeit an der Szene entzieht sich der industriellen Standardisierung. 86 | Picon-Vallin: »Répétitions en Russie-URRS«. S. 68. 87 | Vgl. Gladkov: Meyerhold Speaks. Meyerhold Rehearses. S. 200ff. sowie Picon-Vallin: »Répétitions en Russie-URRS«. S. 75f.
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Sucht Stanislawski nach dem Aufbau der Figur und der Darstellung in der Probenarbeit mit Hilfe einer Abfolge getrennter Arbeitsschritte, so wird in Meyerholds Probenarbeit ein anderes zeitliches Prinzip verfolgt: die Gleichzeitigkeit verschiedener Arbeitsschritte in der direkten Verschaltung von Tun und Reagieren, ›Bewegung‹ und ›Gegenbewegung‹, die keiner Logik einer sich fortschreitenden Entwicklung folgt. Dieses Prinzip lässt sich noch auf einer andere Ebene der Probenarbeit finden: Meyerholds Arbeit wird als konfliktreich und konfrontativ beschrieben, geprägt durch ein »Funkeln von Widersprüchen«88. Meyerhold selbst hebt die Notwendigkeit von Konflikten zwischen Regisseur und Schauspielern hervor: »Unruhe, die Erregung [ist] der beste und wichtigste Motor« in der Probenarbeit, es gelte, die Schauspieler zu »entzünden«. Diese Unruhe entstehe, wenn die »Perspektive« aufgezeigt, die Arbeit an der Zukunft ausgerichtet werde.89 Das Proben wird nicht als streng organisierter Produktionsablauf begriffen, gefasst in Regeln, wie es die Biomechanik auf den ersten Blick vorgibt, sondern als dynamischer und krisenhafter Prozess, der stetige Bewegung und permanenten Wandel bedeutet. Die Produktivität des Probens wird in dieser Veränderung selbst gesehen, nicht im Ziel eines hervorzubringenden Produkts. Hier zeigt sich eine starke Verschiebung zu den Probenkonzepten des 19. Jahrhunderts: Lewalds größte Sorge beispielsweise ist eine künstlerische »Unruhe« in den Proben, die sich auch auf den Zuschauer übertragen werde. Die Ordnung der Proben soll zu einer Beruhigung führen. Meyerhold bestimmt dagegen die Unruhe als energetisches Prinzip und sieht darin die besondere Produktivität. Im Verhältnis von Probenarbeit und Programm der biomechanischen Übungen, im Verhältnis von Organisation und Chaos der Probe eröffnet sich ein Spannungsfeld, in dem sich nicht nur die Probenarbeit von Meyerhold bewegt: zwischen Offenheit des Prozesses und Disziplinierung der künstlerischen Arbeit, Chaos und Planung. So sind Konzeption und Funktion der Übungen der Biomechanik in sich paradox: Sie zwingen den Schauspieler dazu, sich und seinen Körper einem Konzept der Rationalisierung zu unterwerfen, in der Hoffnung, ihm damit neue Möglichkeiten der Darstellung für oft widersprüchliche Arbeitsaufgaben während der Probe zu eröffnen. Während die vorbereitende Arbeit durch die bis ins kleinste Detail vorgeschriebenen Übungen bestimmt ist, orientiert sich die Arbeitsweise der Probe am Prinzip der Improvisation – beides steht für Meyerhold in einem (paradoxen) Wechselverhältnis: »Im Kern des Theaters liegt das völlige Fehlen von Freiheit und die völlige Freiheit der
88 | »[S]parkls of opposition«. Konstantin Rudnitsky: Meyerhold the Director. Ann Arbor 1981. S. 248. 89 | Wsewolod Meyerhold: »Vortrag über Regiekunst«. In: ders.: Schriften. Bd. 2, S. 454.
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Improvisation.«90 Dieses paradoxe Verhältnis von Zwang und Freiheit ist nicht nur für Meyerhold grundlegend für die Frage der Improvisation und ihrem Verhältnis zur Übung.
P ROBEN IMPROVISIEREN Die Arbeit am Theater ist unkalkulierbar, sie entzieht sich festen Regeln, ihr Ergebnis ist unvorhersehbar. Ein Prinzip, diese Offenheit der Prozesse theatralen Produzierens produktiv zu machen, ist das Improvisieren. Die Improvisation ist eine Technik, auf der Probe etwas herzustellen, ohne auf einen fixierten Text zurückzugreifen oder einen vorgefertigten Plan umzusetzen. Improvisierend wird eine Inszenierung jenseits einer dramatischen Vorlage entwickelt, wie auch ein Schauspieler ein Figurenkonzept, Sprech- und Bewegungsmodi in der Auseinandersetzung mit der fixierten Vorgabe des dramatischen Textes in der Improvisation entwirft. Dabei wird – vor allem im 20. Jahrhundert – die besondere Produktivität der Improvisation im Kontext der Probenarbeit hervorgehoben.91 Sie wird definiert als der »originäre und eigentlich elementare schöpferische Produktionsakt des Schauspielers«92 , als »spontane Erfindung von Darstellung«93 oder als eine Technik für den Schauspieler, »etwas Unvorhergesehenes, nicht im voraus Vorbereitetes [zu spielen]«94 . Improvisieren in Abgrenzung zur Vorlage des dramatischen Textes wird dabei als genuin theatrale Praxis beschrieben, die über die
90 | Meyerhold zitiert nach Jörg Bochow: Das Theater Meyerholds und die Biomechanik. Berlin 1997. S. 80. 91 | Die Diskussion um das Verhältnis von Improvisation und dramatischem Text, zwischen dem Entwurf im Moment und dem Wiedergeben von etwas Fixiertem, zieht sich durch die gesamte Theatergeschichte. In der Diskussion um die Improvisation wird diese im 20. Jahrhundert meist auch als eine Wiederentdeckung eines ›anderen‹ und ›ursprünglichen‹ Theaters gefeiert: im Rückgriff auf die Commedia dell’Arte oder den antiken Mimus beispielsweise, in dessen Wiederentdeckung in der Theaterwissenschaft im beginnenden 20. Jahrhundert. Siehe dazu Gerhard Ebert: Improvisation und Schauspielkunst. Berlin 1976. Sowie zum Topos des Mimus siehe auch Hans-Christian von Herrman: Das Archiv der Bühne. München 2005. S. 263f. 92 | Ebert: Improvisation und Schauspielkunst. S. 41. 93 | »[S]pontaneous Invention of Performance«. Paul Allain: »Improvisation«. In: ders.: The Routledge Companion to Theatre and Performance. London 2006. S. 161. 94 | »Technique de l’acteur qui joue quelque chose d’imprévu, non préparé à l’avance.« Patrice Pavis: Dictionnaire du théâtre. Paris 1980 S. 171.
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›Reproduktion‹ des dramatischen Textes hinausgeht.95 Die Spezifik der Arbeit am Theater wird, über das Prinzip der Improvisation bestimmt, gekennzeichnet durch Kreativität, Spontaneität und Originalität. Wenn das Improvisieren als »schauspielerischer Produktionsakt« definiert wird, der sich gerade dadurch auszeichnet, auf etwas ›Unvorhergesehenes‹ – all’ improviso – zu zielen, dann deutet sich hier ein komplexer Zusammenhang zwischen Planung, Vorbereitung und Aufführung an. Im Besonderen, wenn es nicht um eine improvisierte Performance geht, in der das Improvisieren selbst aufgeführt wird, sondern wenn die Improvisation als Arbeitsweise in den Proben einer Inszenierung eingesetzt und damit Teil eines Vorgangs der Planung und Festlegung ist. Das Improvisieren stellt die Arbeit am Theater vor ein spezifisches Problem. Geschaffen wird eine Situation, in der die Schauspieler etwas nicht Geplantes und Unvorbereitetes zeigen sollen. Etwas, das zum ersten Mal gezeigt wird, das im Moment erfunden wird. Dieser Topos des Neuen und der Spontaneität, mit der das Improvisieren verbunden ist, widerspricht einem anderen Konzept der Probenarbeit als Einstudierung szenischer Vorgänge, um diese wiederholbar zu machen. Es zeigt sich ein Widerspruch zwischen einer Vorbereitung, die sich auf das Prinzip des Unvorhergesehenen stützt, und einer Aufführungspraxis, die sich nach dem Prinzip der Wiederholbarkeit richtet und damit das Unvorhergesehene soweit wie möglich ausgrenzen will. In diesem Spannungsfeld zwischen Offenheit und Fixieren eröffnen sich eigene Fragen: Wie verhält sich die Improvisation als ›erstes Mal‹ zum Konzept einer Probenarbeit als Form von Wiederholungen? Wie hält man etwas fest und macht es wiederholbar, das auf der Probe beim Improvisieren entstanden ist? Wie wird aus dem ›Unvorhergesehenen‹ etwas ›Vorhersehbares‹, und was bedeutet dies für die theatrale Darstellung? Im Kontext der Frage nach der Arbeit am Theater heißt das auch, nach dem Ziel einer Optimierung der Darstellung, der Verbesserung des Entstandenen zu fragen. Folgt der Improvisation notwendigerweise eine Überprüfung, Verbesserung und Fixierung des Entstandenen, um es reproduzierbar zu machen? Oder muss der Improvisation selbst eine Form der Arbeit vorausgegangen sein: als ein Erlernen und Erarbeiten von Techniken, um den Schauspieler überhaupt erst zum Improvisieren zu befähigen? Ein Blick in die Theatergeschichte zeigt, dass das Prinzip der Improvisation keineswegs unumstritten ist. Allerdings wird sie nicht nur verdammt, wie in den bereits beschriebenen Theaterreformen des 18. Jahrhunderts. So nimmt beispielsweise des Allgemeine Theater-Lexikon von 1846 eine ambivalente Position zur Improvisation ein: einerseits ist sie zu verwerfen, wenn sie der Selbst95 | Improvisiert wird in allen Künsten, wobei vor allem anhand der performativen Künste – Tanz, Musik, Theater und Performance Art – das Prinzip der Improvisation als Kategorie des Produzierens diskutiert wird. Für den Probendiskurs sind dabei auch immer Tanz und Musik wichtige Vorbilder.
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inszenierung des Darstellers dient und nur auf Effekte ausgerichtet ist, andererseits zeichnen sich aber extemporierte Darstellungen durch »Lebhaftigkeit und Augenblicklichkeit« sowie durch den »Reiz des Neuen«96 aus. Um mit diesem Widerspruch umzugehen, ist ein Lösungsvorschlag, nicht mehr auf der Bühne zu improvisieren, sondern die Vorteile improvisierten Handelns in der Probenarbeit zu nutzen.97 So wird das Improvisieren seit Ende des 19. Jahrhunderts als eine Form des theatralen Produzierens wiederentdeckt und gefeiert.98 Diese Wiederentdeckung feiert dabei eine Theaterform, die als Urform des Improvisierens gilt: die Commedia dell’Arte. Bereits im Kontext der Commedia dell’Arte werden die notwendigen Voraussetzungen einer ›guten‹ und ›gelungenen‹ Commedia all’improviso diskutiert. Luigi Riccoboni gilt als einer der ersten Theatermacher, die sich theoretisch mit der Improvisation auseinandergesetzt haben. Er hebt in seiner Schrift L’histoire du théâtre italien99 die besonderen Vorzüge eines improvisierten Spiels hervor: Variabilität und Flexibilität der theatralen Darstellung, etwas, das sie von anderen Künsten unterscheidet. Das Stück kann in verschiedenen Variationen 96 | Karl Herloßsohn/Hermann Marggraf (Hg.): Allgemeines Theater-Lexikon oder Encyklopädie alles Wissenswerthen für Bühnenkünstler, Dilettanten und Theaterfreunde. Altenburg/Leipzig 1846. S. 216ff. 97 | Die Problematik, dass mit der Verbannung der Improvisation auch eine bestimmte Qualität der schauspielerischen Darstellung verloren ging, wird von Goethe bereits in Wilhelm Meisters theatralischer Sendung thematisiert: »›Wie leid ist es mir‹, sagte sie [Mme Reti], ›daß wir um das Extemporieren gebracht sind […]; nicht dass man hätte die alten Unschicklichkeiten beibehalten und gute Stücke nicht darneben aufführen sollen. Wenn man nur einmal die Woche extemporiert hätte, so wäre der Akteur in der Übung […]. Das Extemporieren war die Schule und der Probierstein des Akteurs.« Goethe: »Wilhelm Meisters theatralische Sendung«. S. 128. Goethe thematisiert auch in den Wanderjahren immer wieder die Produktivität der Improvisation. 98 | Das Improvisieren wird dabei zur Utopie eines ursprünglichen Theaters. Beispielhaft lässt sich das am Projekt des Théâtre de Nohant von Maurice Sand zeigen. In dessen Kontext träumt George Sand von einem »Theater der freien Improvisation« als Verbindung von vergangenem und zukünftigem Theater: »[...] je garderai toujours la conviction qu’il y a, dans le passé, l’ébauche d’un théâtre que l’avenir realisera.« George Sand: »Le Théâtre et L’Acteur«. In: dies.: Œuvres autobiographiques. Paris 1971. Bd. 2, S. 1241. 99 | Riccobonis Histoire du théâtre italien entsteht aus dem Anliegen, die eigene Theaterform zu legitimieren. Als Immigrant in Paris, der dort eine Schauspieltruppe der Commedia dell’Arte leitet, versucht Riccoboni (gegen die Angriffe von einem auf die Rhetorik und den dramatischen Text bezogenen französischen Theater), die Bedeutung und das Potenzial des teatro all improviso zu erklären: der Versuch einer Legitimation eines Theaters jenseits des Dramentextes.
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gespielt und der Situation und dem Ort angepasst werden.100 Vor allem aber sei es eine spezifische Qualität der Darstellung, die sie auszeichne: Es entsteht der Eindruck einer besonderen Gegenwärtigkeit durch das Moment der Überraschung, verbunden mit einem Eindruck von Authentizität des Schauspielers. Da er sich seine Rede nicht ›leiht‹, wie es im Spiel mit einem dramatischen Text der Fall wäre, sondern in seinen ›eigenen‹ Worten spricht und selbst Entscheidungen treffen muss, ist ihm die Darstellung ›näher‹, er fühlt ›besser‹.101 Statt sich eine fremde Rolle anzueignen als eine Form der Erarbeitung von etwas außerhalb seiner selbst Liegendem und damit verbunden mit einem Moment der Distanzierung von sich selbst, sind es bereits erarbeitete Darstellungsmöglichkeiten des Schauspielers, aus denen heraus er die Rolle gestaltet. Nicht der Schauspieler arbeitet an der Rolle, sondern die Rolle wird dem Schauspieler gemäß bearbeitet. Den Vorteilen des Improvisierens stehen, nach Riccoboni, nicht geringe Nachteile gegenüber: Der improvisierende Schauspieler muss nicht nur die Fähigkeiten desjenigen haben, der in einem geprobten und auf einem dramatischen Text basierenden Stück spielt, seine Fähigkeiten müssen darüber hinausgehen. Improvisieren ist ein kollektiver Vorgang, der eine Abhängigkeit vom Mitspieler mit einschließt. Es bedarf präziser Entscheidungen hinsichtlich der Dramaturgie des Gezeigten: nicht nur als Fähigkeit zur Erfindung im konkreten Moment, sondern auch in einer notwendigen Technik, diese Erfindung der Situation gemäß und in der Interaktion mit dem Mitspieler zu zeigen. Improvisation umfasst damit nicht nur, sich selbst der Offenheit einer nicht festgelegten Darstellung auszusetzen, sondern auch den unvorhersehbaren Vorgaben und Reaktionen des Mitspielers. Die Kollektivität des Spiels konstituiert eine besondere Form der Abhängigkeit: nicht nur der einzelne Schauspieler, sondern jeder Schauspieler muss alle Fähigkeiten haben, da sonst auch die Darstellung des ›guten‹ Improvisators durch die Fehler des Mitspielers beeinträchtigt wird. Improvisieren wird in diesem Sinne als Technik begriffen, die gut oder schlecht beherrscht werden kann. Denn der ›schlechte‹ Schauspieler wird die Freiheit des Improvisierens immer mehr einschränken. Das heißt, er wird Texte oder 100 | Die Technik, das Stück je nach Aufführungssituation anzupassen, entsteht aus den besonderen Produktionsbedingungen. Die Truppen hatten keinerlei feste Aufführungsorte. Italien war in viele kleine Staaten unterteilt, in denen verschiedenste Dialekte gesprochen wurden; die Truppen traten sowohl vor adligen Hofgesellschaften als auch auf Plätzen in den Städten auf. Die Improvisation war damit eine Möglichkeit, auf diese unterschiedlichen Anforderungen zu reagieren. 101 | »L’acteur qui joue à l’impromptue, joue plus vivement et plus naturellement que celui qui joue un rôle appris: on sent mieux et, par conséquent, on dit mieux ce que l’on emprunte sa parole des autres par les secours de la mémoire.« Luigi Riccoboni: Histoire du théâtre italien. Paris 1928. S. 62.
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erfolgreiche Darstellungen wiederholen, sich auf Bekanntes verlassen. Damit verliert aber die Aufführung genau jenes Potenzial der Improvisation, das sie gegenüber anderen Darstellungsformen auszeichnet. Riccobonis Fazit fällt damit auch nüchtern aus: Wenn das improvisierte Theater nicht erreichbar ist, weil die Schauspieler nicht die genannten Fähigkeiten mitbringen, bedarf es der Sicherheit des fixierten Textes, auf den der Schauspieler zurückgreifen kann. Die Improvisation wird in diesem Sinne eine Utopie der theatralen Praxis. Utopisch, weil die Bedingungen der Verwirklichung – Interaktion, die Möglichkeit und der Zwang zur Entscheidung im Moment, die Offenheit der Situation, das Spiel mit der Überraschung und dem Unvorgesehenen – zugleich auch die Unmöglichkeit dieser Verwirklichung offenlegen.
Überraschungsszenarien Das Improvisieren als Suche nach etwas ›Unvorhersehbarem‹, nicht Geplantem, zielt auch auf ein Moment der (Selbst-)Überraschung. In der Improvisation zeigt sich auch für den Improvisierenden etwas Neues. Einer der ersten, der es für notwendig erachtet, bei der Suche nach dem »Erleben« im schauspielerischen Prozess systematisch mit Improvisation umzugehen, ist Stanislawski. Grundlegend für seine Probenarbeit sind die so genannten »Etüden«, Übungen und Improvisationsaufgaben, die den Schauspielern dabei helfen sollen, einen glaubhaften Figurenentwurf zu entwickeln. Diese Aufgaben zielen auf ein spezifisch theatrales Handeln des Schauspielers: »Stanislawski sagte einmal: ›Sie fahren in großer Gesellschaft auf einem Dampfer irgendwohin. Da sitzen Sie nun auf Deck und nehmen Ihr Mittagsmahl ein. Sie essen, Sie trinken, schwatzen und flirten mit den Damen. All das machen Sie sehr gut. Aber ist das Kunst? Nein. Das ist Leben. Jetzt stellen Sie sich einmal einen anderen Fall vor! Sie sind zur Probe ins Theater gekommen. Auf der Bühne wird ein Deck errichtet und der Tisch gedeckt. Sie treten auf und sagen sich: ›Wenn wir in lustiger Gesellschaft Dampfer führen und zu Mittag äßen, was würden wir da tun?‹ Und mit diesem Augenblick setzt Ihre schöpferische Tätigkeit ein.«102
Es zeigt sich die Paradoxie improvisatorischen Handelns auf der Bühne. Da sich Sprache, Aktionen und Bewegungen nicht von denen der Alltagspraxis unterscheiden und somit ›Material‹ und ›Form‹ der Improvisation im Theater die gleichen sind wie im alltäglichen Handeln, braucht die Improvisation eine besondere Rahmung, eine Darstellungsaufgabe. Erst durch diese Rahmung bekommt das Handeln den Status eines künstlerischen Tuns. Grundlegend bleibt dabei das Durchspielen verschiedener Möglichkeiten – sei es real auf der Bühne 102 | Vasilij Toporkov: Stanislawski bei der Probe. Berlin 1997. S. 197.
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oder im Probenraum, sei es gedanklich mit der Formel »was wäre wenn« gefasst. Die Produktivität der Improvisation liegt nach Stanislawski in der Potenzierung der Darstellungsmöglichkeiten. Dabei umschließt die improvisatorische Aufgabe auch immer die Position der Beobachtung: Indem sich die Schauspieler einer Aufgabe stellen, deren Ausgang offen ist und nicht vorgegeben, entsteht eine Überlagerung von Produzieren und Rezipieren. Wer improvisiert, beobachtet sich selbst bei seinem Tun, sucht danach, sich dem Unvorhergesehenen der Darstellungsaufgabe, aber auch seines Handelns selbst auszusetzen, sich überraschen zu lassen vom eigenen Tun, das damit immer auch zu etwas Fremdem wird. Diese Entfremdung vom eigenen Tun in der Improvisation wird oft als komischer Aspekt des Probens ausgestellt. Der Film Actrices (2008) von der italienischen Schauspielerin und Regisseurin Valeria Bruni Tedeschi zeigt die Protagonistin, eine Schauspielerin, bei der Probe. Sie scheitert an der einfachen Aufgabe, eine Tür zu öffnen – unter den Augen des Regieteams. Immer wieder beginnt sie, bremst kurz vor der Klinke ab, hält sie in der Hand, ohne sie herunterzudrücken, geht noch mal weg, probiert es wieder, bricht ab, nimmt den Ellenbogen zur Hilfe. Schließlich weiß sie nicht mehr, ob sie Links- oder Rechtshänderin ist. Der Anspruch an die Improvisation, dass das Spiel der Figur einen besonderen Eindruck von Authentizität in der Handlung vermittelt, überlagert die alltäglich ausgeführte Geste. Die Selbstbeobachtung lässt die routinierte Aufgabe des Türöffnens fremd werden: Die Schauspielerin weiß nicht mehr, wie man diese ›einfach‹ ausführt. Die Tür bleibt letztlich geschlossen. Die Probensituation als Improvisation hebt jede Handlung hervor, sei sie auch noch so alltäglich, und führt diese auf. Das, was im Alltag automatisch passiert, wird zu einer hervorgehobenen Handlung, bei der der Schauspieler nicht nur beobachtet wird, sondern sich auch selbst beobachtet: Die Offenheit der Aufgabe, die Möglichkeit, es auch anders zu tun, die zwangsläufige Bewertung seines Vorgehens führen zu einer Form der Entfremdung von der eigenen Handlung. Problematisch wird der Aspekt der Selbstbeobachtung, wenn er zu einer Form der ›Selbstzensur‹103 führt, wie in der oben beschriebenen Filmszene, und somit die Darstellungsmöglichkeiten der Schauspieler nicht potenziert werden, sondern zusammenbrechen. Der prüfende Blick von außen wird vom 103 | Die Frage einer ›Selbstzensur‹ wird im Kontext der Proben als Beobachtungssituation, der Selbst- und Fremdbeobachtung, immer wieder von Schauspielern problematisiert. Exemplarisch sei hier Ulrich Matthes zitiert: »Ich versuche auf der Probe, den ersten Impuls so wenig wie möglich zu zensieren. Es dauert lange, bis man dahin kommt. Als Anfänger zensiert man sich ununterbrochen, man denkt: Das kommt nicht an, das kann ich jetzt nicht machen. Im Grunde besteht ein großer Teil des Erwachsenwerdens als Schauspieler darin, sich nicht zu zensieren.« »Es geht immer ums Weglassen. Ulrich Matthes im Gespräch mit Peter Kümmel«. In: Die Zeit. 13/2006.
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Schauspieler bereits vorweggenommen: An die Stelle der Prüfung tritt eine Selbstkontrolle. Das Problem der Selbstbeobachtung beim Proben und der daraus erwachsenden Selbstentfremdung thematisiert auch Stanislawski – beispielsweise das Gehen auf der Bühne. Er löst dieses Problem, indem er den Schauspielern eine zweite (schwierigere) Aufgabe stellt, und die intellektuelle Anstrengung der zweiten Aufgabe den Schauspieler dann von der Selbstbeobachtung beim Ausführen der ersten, alltäglichen, ablenkt.104 Die Probenarbeit sucht also auch immer, der Selbstentfremdung entgegenzuarbeiten. Stanislawski spricht in diesem Zusammenhang von »Tricks«105 . Als Trick wird das Schaffen von Situationen bezeichnet, in denen die Schauspieler überrascht werden. Sie wissen zwar um die Improvisationssituation, was aber genau passieren wird, entzieht sich ihrem Wissen. Indem sie beim Improvisieren überrascht werden, werden sie zum ›glaubhaften‹ Handeln gezwungen. In der Überraschung bricht die Aufführungssituation der Probe ein Stück weit zusammen: Der Schauspieler vergisst für einen Moment die Selbst- und Fremdbeobachtung seines Tuns, weil er unmittelbar agieren muss. Bei der Probe zur Inszenierung Die Schwestern Gerard inszeniert Stanislawski ein solches Überraschungsszenario. Die Schauspielerin Moltachanova hat Probleme bei der Darstellung einer blinden Figur. Nach einem kurzen Gespräch über die möglichen Lösungen für das Problem lässt Stanislawski plötzlich die Lichter im gesamten Bühnen- und Zuschauerraum löschen. Er ruft die Schauspielerin zu sich, die im Dunkeln nichts sehen kann. Sie irrt im dunklen Zuschauerraum herum, nicht wissend, wo sie sich hinbewegen soll: »›Hier ist niemand‹, fuhr sie fort, als sie das äußerste Ende des Saales erreicht hatte. ›Konstantin Sergejewitsch, wo sind Sie denn?‹ Keine Antwort. Selbst wir Zuschauer waren betroffen. […] Die Moltachanowa wanderte in der Dunkelheit weiter durch ein Chaos von Gegenständen. Die einfachsten Worte und Ausrufe der Schauspielerin klangen jetzt sehr intensiv und wurden höchst eindrucksvoll.«106
Schließlich bricht sie zusammen, schluchzend ruft sie nach ihrer Schwester im Stück. Stanislawski gibt die Anweisung, das Licht wieder einzuschalten, und bemerkt: »Jetzt wissen Sie, was Blindheit ist.«107 Die Schauspielerin wird der Improvisation auf mehrfacher Ebene ausgesetzt. Aus der individuellen Erfahrung der Schauspielerin entsteht im »Erleben« der Situation, um im Vokabular Stanislawskis zu bleiben, die Darstellung 104 | Stanislawski: Ausgewählte Schriften. Bd. 1, S. 111. 105 | Gortschakow: Regie. Unterricht bei Stanislawski. S. 431f. 106 | Ebd., S. 446. 107 | Ebd.
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der Figur jenseits des »Verstandes«. Das Löschen des Lichts markiert dabei das Aussetzen der Beobachtung. Weder die Regie noch die anderen Anwesenden oder die Darstellerin selbst ›sehen‹ in dem Moment. Ihre ›Blindheit‹, und damit die Aufhebung der Beobachtungssituation, eröffnet die Möglichkeit zu einer anderen Form der künstlerischen Kreativität. Entworfen wird eine Situation, die einen Moment des Unerwarteten bewusst mitinszeniert. An die Stelle der reflexiven Selbstbeobachtung tritt eine Form der Erfahrung, die durch eine spezifische Situation hervorgerufen wird und den Schauspieler damit zu einem authentischen Handeln zwingt, einem Handeln, das nicht intellektuell kontrolliert ist. Dieses »emotionale Erleben« ist für Stanislawski notwendige ästhetische Praxis der Schauspielerarbeit und kann nicht bewusst hergestellt werden. Im Gegenteil: »Durch Täuschung muß man die schöpferische Phantasie der Schauspieler anregen.«108 Die Probe wird zur Inszenierung von »Zwangssituationen« und »Überraschungsmomenten« benutzt, um eine spezifische, authentische Qualität der Darstellung zu erlangen. Ein »wahrhaftiges Erleben« im Moment des Improvisierens ist damit nur als (Selbst-)Überlistung zu haben. Um den Schauspieler aber überlisten zu können und ihm ein ›authentisches‹ Überraschtsein zu ermöglichen, müssen die Schauspieler gezielt im Unwissen über die Vorstellungen des Regisseurs und auch dessen Konzeption der Inszenierung gelassen werden. Sich der Improvisation auszusetzen, bedeutet, nicht zu wissen, was kommen wird, im ›Dunkeln zu tappen‹ wie die Schauspielerin in obiger Szene. Das Improvisieren zielt darauf, ›etwas geschehen zu lassen‹, allerdings unter der Kontrolle und bewussten Steuerung des Regisseurs. Denn Stanislawski geht durchaus davon aus, dass der Regisseur sein Konzept hinsichtlich des Stücks geplant hat und mit der Improvisation ein konkretes Ziel verfolgt: Indem er den Rahmen der Improvisation setzt, hat er eine Vorstellung davon, was in der Darstellung entstehen wird. Es zeigt sich ein Widerspruch in diesem Spiel um Wissen und Unwissen: Die Schauspieler sollen sich auf das Moment des Unerwarteten einlassen. Sie wissen, dass etwas in den Proben passieren wird, bleiben aber im bewusst inszenierten Unwissen darüber, wann und wie. Was auf der Probe geschieht, ist für sie unvorhersehbar, aber nicht »unerwartbar«109 . Die Probenimprovisationen gleichen dem Besuch einer Geisterbahn: Man erwartet gespannt, dass etwas passiert, weiß aber nicht was. Der Regisseur bleibt zugleich aus dem Überraschungsszenario ausgespart, für ihn ist das Handeln des Schauspielers nicht unvorhersehbar, im Gegenteil, er hat es bewusst geplant, vielleicht nicht im Detail, aber in Auswahl und Setzung der Darstellungsaufgabe. Es deutet sich ein
108 | Gortschakow: Regie. Unterricht bei Stanislawski. S. 176. 109 | Vgl. zu Differenzierung von Unvorhersehbarem und Unerwartbarem Bernhard Waldenfels: Phänomenologie der Aufmerksamkeit. Frankfurt a.M. 2004. S. 91f.
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Konzept an: Am Ende führt die ›richtige‹ Form der Improvisation zur ›richtigen Vorstellung‹ der Rolle.110 Diese Improvisation ist aber nur eine Vorstufe zur eigentlichen schauspielerischen Darstellung. Die Schauspielerin muss auch im Licht der Aufführung blind spielen. In der Probenpraxis eines Theaters, das auf eine wiederholbare Inszenierung zielt, steht das Improvisieren vor einem spezifischen Problem: Wie kann das, was in den Proben entworfen wurde, Teil der Inszenierung und damit festgelegt, fixiert und wiederholbar werden? Wenn sich das improvisierte Spiel durch besondere Eigenschaften auszeichnet, die es von der Darstellung eines dramatischen und damit fixierten Textes unterscheiden, wie kann diese Qualität erhalten bleiben, innerhalb eines festgelegten und vorhersehbaren Spiels? Stanislawski antwortet auf diese Fragen, indem er gar nicht erst fordert, das Improvisierte wiederholen zu lassen. Was gespielt worden ist, kann nicht »festgehalten werden«, es ist »unwiederholbar«: »Festhalten kann man nur eben jene Wege, die Sie zu diesem Ergebnis geführt haben.«111 Das Improvisieren zielt damit nicht auf die Darstellung selbst, und die Darstellung kann auch nie fixiert werden. Nicht das Hervorbringen einer szenischen Darstellung steht im Vordergrund – in der beschriebenen Szene ist letztlich für niemanden etwas zu sehen –, sondern die Erfahrung der Schauspielerin. Die Schauspielerin darf ihre Arbeit damit nicht allein im Produzieren theatraler Darstellung begreifen, sondern in der Bereitschaft, sich der unerwarteten Situation auszusetzen, Erfahrungen zuzulassen als Voraussetzung für einen Arbeitsprozess. Die Probenarbeit wird nicht als gradliniger und fortschreitender Prozess an der konkreten Darstellung verstanden – Umwege sind nötig. Nach der Improvisation setzt eine andere darstellerische Arbeit ein. In der Theorie des »emotionalen Gedächtnisses«112 soll der Schauspieler mit Hilfe von Erinnerungstechniken erlernen, jene unwillkürlichen und nach Stanislawski unbewussten Darstellungsmittel des »emotionalen Erlebens« bewusst einzusetzen. Die in der Improvisation ausgelösten Affekte sollen für den Darsteller 110 | Zu viel Wissen um das Regiekonzept erstickt nach Stanislawski die künstlerische Phantasie: »Der Regisseur beging die Unvorsichtigkeit, seine Karten aufzudecken und sein Endziel, das die Schauspieler anstrebten, auszuplaudern. Durch diesen Lapsus stockte bei den Schauspielern sofort die innere affektive Arbeit, die ihnen bisher selber noch unklar war, und ihre Energie richtete sich auf die Oberfläche, das heißt auf die äußere Ruhe. Sie erstarrten innerlich und äußerlich.« Stanislawski: Ausgewählte Schriften. Bd. 1, S. 193. 111 | Toporkov: Stanislawski bei der Probe. S. 233. 112 | Stanislawski spricht in seinen frühen Schriften noch von einem »affektiven Gedächtnis«. Später ersetzt er den Begriff durch den des »emotionalen Gedächtnisses«. Vgl. Stanislawski: Ausgewählte Schriften. Bd. 2, S. 398.
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reproduzierbar sein, ohne für den Zuschauer ihre Qualität zu verändern. Somit muss an anderen Dingen gearbeitet werden: an sich selbst und dem emotionalen Erleben, um die Voraussetzungen für eine ästhetische Praxis zu schaffen, die sich gerade den Kategorien der Arbeit entzieht. Die Aneignung der Technik ist dabei Voraussetzung für die schauspielerische Arbeit, eine Garantie für das Gelingen der Darstellung kann auch sie nicht geben. Bei Stanislawski deutet sich ein Verständnis von Improvisation als Vorbereitung der Aufführung an, die der Improvisation gerade nicht den Status von Kunst zuschreibt. Indem das Improvisieren von der Bühne in den Probenprozess verlegt wird, wird sie zu einer Art ›Vor-Kunst‹. Das, was improvisiert wird, liegt vor der ›eigentlichen‹ Darstellung, die in der Improvisation zwar zum Vorschein kommt, ohne sich allerdings ganz zu zeigen. Um zu einer künstlerischen Darstellung zu werden, bedarf es einer weiteren Form der Bearbeitung durch den Schauspieler wie auch durch den Regisseur. In der Probenarbeit Stanislawskis lassen sich zwei Formen des Improvisierens unterscheiden: zum einen die Rahmung durch eine Darstellungsaufgabe, die den Darsteller dazu bringen soll, so zu spielen, als sei er in der Situation, und zum anderen das Aussetzen der Darstellungssituation als Überrumpelung und Konfrontation des Schauspielers mit dem Unbekannten. Geht es im ersten Fall um ein Durchspielen durchaus bekannter Darstellungsmöglichkeiten, sucht die zweite Strategie nach einem Durchbrechen der Darstellungskonventionen.
Improvisieren üben Das Improvisieren als Strategie zum Aufbrechen von Darstellungsmustern wird seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem wichtigen Topos der Probenarbeit. Wenn Patrice Pavis erklärt, dass beim Improvisieren etwas »im Feuer der Aktion entwickelt wird«113, dann geht es um das Moment des Unvorhergesehenen, des Unerwarteten und Nichtkontrollierten. Während Stanislawski diesen Kontrollverlust als ›Trick‹ einsetzt, um etwas anderes zu erreichen, wird er für verschiedene Probenkonzepte zum grundlegenden Prinzip der theatralen Arbeit. Während der Proben zu A Midsummer Night’s Dream stellt Peter Brook seinen Schauspielern folgende Improvisationsaufgabe: »[d]ie Aufteilung eines Shakespeare-Monologs in drei Stimmen wie bei einem Kanon, den dann die Schauspieler mit halsbrecherischer Geschwindigkeit immer und immer wieder
113 | »[…] quelque chose d’ imprévu, […] ›inventé‹ dans le feu de l’action.« Pavis: Dictionnaire du théâtre. S. 171.
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rezitieren müssen«114 . Brook fügt hinzu: »Take it like a jazz improvisation.«115 Der Text wird zum lautlichen Material, mit dem jenseits seiner inhaltlichen Bedeutung gespielt wird. Noch stärker als bei Stanislawski wird die Improvisation durch eng gesetzte Spielregeln beschränkt. Der Handlungsrahmen, in dem sich die Schauspieler bewegen können, ist stark begrenzt. Mit der Forderung nach ›Geschwindigkeit‹ wird zugleich ein Moment der Überforderung eingeführt, es wird nach einer Situation gesucht, in der die Schauspieler nicht mehr bewusst ihr Sprechen steuern können. Die Überforderung, die Geschwindigkeit, macht es dem Schauspieler unmöglich, sein »normales expressives Instrumentarium« zu gebrauchen: »Dann durchbricht er plötzlich eine Schranke und erfährt, wieviel Freiheit innerhalb der engsten Disziplin gewährt sein kann.«116 Konzipiert wird ein paradoxes Verhältnis von Offenheit und Begrenzung: Die Improvisation eröffnet die Grenzüberschreitung in dem Maße, wie sie sich Regeln setzt. Gekoppelt ist dies mit einem anderen Prinzip: dem der Wiederholung. Im Wiederholen einer Aufgabe liegt nicht nur die Möglichkeit des Ausprobierens verschiedener Möglichkeiten, sie kann auch als Arbeit am Widerstand verstanden werden, mit dem Ziel einer produktiven Abweichung. In der Konzeption der Übung als Kanon kommt eine weitere Ebene des Improvisierens hinzu: Nicht allein für sich arbeitet der Schauspieler, sondern als Kollektiv, in dem immer auch eine Reaktion auf den anderen erforderlich ist. Die Regeln des Aufbaus sind für alle klar, die Worte, mit denen gearbeitet wird, sind bekannt: Innerhalb dieses begrenzten Rahmens geht es um ein Austesten von Möglichkeiten und zugleich um ein Austesten des Partners. Improvisieren wird zum permanenten Neu-Arrangieren und Verschieben des vorgegebenen Materials. Das Unerwartete liegt in der neuen Verknüpfung von bereits Bekanntem. Improvisieren präsentiert sich hier nicht als Technik individueller schöpferischer Erfindung, sondern als ein Finden und Neu-Erfinden von bereits Dage114 | Brook: Der leere Raum. S. 167. David Selbourne beschreibt in seinem Probenbericht die Szene ausführlich: Es geht um die kurze Strophe »Over hill, over dale«, den Beginn des zweiten Aktes. »As an initial step, Brook asks that its lines to be spoken in alternation by two actors; then that each line be divided in half between two actors; than each word of each line be spoken in alternation by two actors. The same exercise is repeated, using four actors, the allocation of lines and parts of lines being made by the actors themselves on quick impulse. In a second step, the reading of the lines consists of alternation between one actor speaking his line, part-line or word alone – and two or three of the other actors speaking their allotted line, part-line or word simultaneously, in chorus.« David Selbourne: The Making of ›A Midsummer Night’s Dream‹. An Eye-Witness Account of Peter Brook’s Production From First Rehearsal to First Night. London 1982. S. 25. 115 | Ebd. 116 | Brook: Der leere Raum. S. 167.
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wesenem, als Spiel mit der Unsicherheit und Offenheit des Prozesses, das eine klare Rahmung und eindeutige Aufgabenstellung braucht. Es gilt, sich in der Improvisation Aufgaben, Situationen und Mitspielern auszusetzen. So zeichnet sich das Improvisieren durch eine besondere Ambivalenz aus. Nach Brook bewegt sie sich zwischen »Unschuld und Erfahrung«, wie auch zwischen »Spontaneität und Wissen«.117 Nur wenn sich der Schauspieler in die Unsicherheit der Situation begibt, das heißt, sich der Überforderung und Interaktion mit den anderen aussetzt – jenseits einer bewussten Steuerung durch einen eigenen Plan oder den Blick von außen –, kann er an die »Grenzen seiner Möglichkeiten« und zu einem »tieferen und schöpferischen Impuls« gelangen.118 Entscheidend ist, dass dieser Impuls keinen Grund hat – weder in der Vorstellung einer ursprünglichen Kreativität des Schauspielers noch im Konzept des Regisseurs: Im Improvisieren wird vielmehr ein System geschaffen, in dem Dinge geschehen, jenseits der Intention eines individuellen schöpferischen Subjekts. Die Freiheit der Improvisation liegt in der Koppelung mit dem wiederholenden Tun, eingebettet in ein kollektives Szenario von Aktion und Reaktion, in dem Hervorbringen eines nichtintentionalen Funktionierens. Sei es, wie in der oben beschriebenen Aufgabe, dass die Improvisation als Rearrangieren von Material begriffen wird. Sei es, dass über die körperliche Übung im Wiederholen gleicher Bewegungsabläufe eine Bewegungskompetenz des Darstellers erreicht werden soll, die es ihm ermöglicht, auf verschiedenste Weise auf Unerwartetes in der szenischen Arbeit zu reagieren, wie es in Meyerholds Konzept der Biomechanik anklingt. Es zeichnet sich ein komplexes Wechselverhältnis von Proben, Improvisation und Wiederholung ab, als Frage nach dem Verhältnis von Kreation und Reproduktion, von Offenheit und Planung.
P ROBEN ÜBEN Die Übung ist nach Foucault »eine Technik, mit der man dem Körper Aufgaben stellt, die sich durch Wiederholung […] auszeichnen«119 . Das Üben ist damit in zweifacher Weise konstitutiv für die Arbeit am Theater: als Arbeit des Schauspielers an sich selbst, der übend Techniken der Darstellung erlernt – wie in Meyerholds Biomechanik oder in Stanislawskis Etüden –, wie auch in der Ein117 | Brook: Der leere Raum. S. 163. 118 | Ebd., S. 165. 119 | In der Ausrichtung auf einen Endzustand, in der Form der Stetigkeit gewährleistet die Übung sowohl Steigerung wie Qualifizierung. Vgl. Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Frankfurt a.M. 1976. S. 207f. Wie Michel Foucault anmerkt, gehörte die Übung zu Praktiken der Theaterprobe, bevor sie ihre disziplinierende Form annahm. Vgl. ebd., S. 208.
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übung der beispielsweise in der Improvisation entwickelten Vorgänge. Mit der Probe – im Sinne der répétition –, mit der Fixierung und Festlegung szenischer Vorgänge und ihrem Durchspielen, wird die Wiederholbarkeit genau jener Vorgänge garantiert. Um selbst wiederholbar zu werden, bedarf die Aufführung der vorbereitenden Wiederholung. Oder andersherum gesagt: Nur über die Wiederholung kann sich die Aufführung dem Ideal der Wiederholbarkeit annähern. Zur Wiederholung gehört damit auch der Versuch einer Sicherung von Wissen: Das, was bereits erarbeitet worden ist, soll durch ein Wiederholen gespeichert und damit abrufbar werden. Doch mit der Sicherung ist zugleich die Gefahr verbunden, genau das, was wiederholt werden soll, zu verlieren. Denn jede Wiederholung eines formal Identischen weicht notwendigerweise von der Vorlage ab, ohne allerdings etwas Neues zu konstituieren. Diese notwendige Differenz kann weniger als Veränderung denn als Verschiebung definiert werden.120 Für die Probenarbeit, die darauf zielt, das, was erarbeitet wurde, in der Aufführung zu zeigen, entsteht ein unentrinnbares Dilemma, das Gilles Deuleuze mit dem Paradox bestimmt, »Unwiederbringliches« zu wiederholen121 . Ein Paradox, das noch dadurch potenziert wird, dass die Wiederholung des Geprobten in der Aufführung nicht wie eine Wiederholung wirken soll. Wie also wird in verschiedenen Probenkonzeptionen die Struktur der Wiederholung, die jedem Proben eingeschrieben ist, bewertet, produktiv gemacht oder auch verworfen: »Der Dichter arbeitet mit seinen Schauspielern sechs Monate lang, zusammen und einzeln. Und wann, glauben Sie, daß die Truppe zu spielen anfängt, sich zu verstehen und sich dem Grad der Vollendung zu nähern beginnt, den er fordert? Wenn die Schauspieler erschöpft sind von den vielen Proben, wir würden sagen: abgestumpft. Von diesem Augenblick an sind die Fortschritte überraschend, jeder identifiziert sich mit seiner Rolle, 120 | Diese Verschiebung lässt sich mit Derridas Begriff des supplements deutlich machen, den er aus der Interpretation von Texten ableitet. Es gibt keinen ersten Text, genauso wenig wie es einen Autor als Textursprung gibt. Jede Interpretation eines Textes ist auch eine Wiederholung des Interpretierten, gleichzeitig weicht sie aber zwangsläufig vom Interpretierten ab. Die Abweichung macht sie dem Interpretierten gegenüber zur Zugabe, zu einem supplement. Dieses supplement, das die Interpretation jeweils erzeugt, verschafft ihr den Status einer Singularität in der Relation, das heißt sie ist kein Originaltext, sondern nur eine jeweilige Abweichung des Derivats in Bezug auf das Wiederholte, das wiederum eine abweichende Wiederholung darstellt. Vgl. dazu Jacques Derrida: »Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen«. In: ders.: Die Schrift und die Differenz. Frankfurt a.M. 1972. S. 422-442. 121 | »Besteht das Paradox der Wiederholung nicht darin, daß man von Wiederholung nur auf Grund der Differenz oder Veränderung sprechen kann, die sie in den Geist einführt, der sie betrachtet? Auf Grund einer Differenz, die der Geist der Wiederholung entlockt?« Gilles Deleuze: Differenz und Wiederholung. München 1992. S. 99.
7 V ERFAHREN UND T ECHNIKEN und nach der mühsamen Vorbereitung beginnen die Vorstellungen und werden sechs Monate hindurch weitergeführt, und der Herrscher und seine Untertanen genießen das größte Vergnügen, das man durch die theatralische Illusion empfangen kann.«122
Im Paradoxe sur le comédien stellt der französische Philosoph Denis Diderot neben dem meistdiskutierten – nämlich, dass der Schauspieler ein kühler Beobachter sein müsse, um leidenschaftlich spielen zu können – ein weiteres Paradox auf, das Paradox der Probe: Dann, wenn die Schauspieler vom Proben abgekämpft und abgestumpft sind, entsteht eine besondere Qualität der Darstellung. Dann, wenn ihr Spiel reine Routine ist, wird es ihnen möglich, so zu spielen, als ob sie nicht arbeiteten, in einer vollkommenen theatralen Illusion. Die Probe wird für Diderot zur Übung, zum Exerzitium, das der Schauspieler zu durchlaufen habe bis an den Rand der Belastbarkeit und Verausgabung – um so zu einer anderen Form der Produktivität zu gelangen. Ein »geschulte[r] Kämpfer« sei der ideale Schauspieler, weil er »sich beherrscht und die Lehren der Gymnastik befolgt«.123 Ziel der Probe ist damit aber nicht nur, Wiederholbarkeit zu erreichen, sondern das Üben wird als Arbeit an den körperlichen Widerständen begriffen, als Chance, sich in der Wiederholung stetig zu verbessern hin zur Selbstbeherrschung. Genau genommen zielt damit das Proben nicht auf Wiederholbarkeit, sondern im übenden Wiederholen auf eine Steigerung der Darstellungsqualität.124 Der Begriff der ›Übung‹, den Diderot hier in die schauspieltheoretischen Überlegungen einführt, ist eng mit dem Konzept von Arbeit und Disziplinierung verbunden. Stetigkeit, Ausdauer, Wiederholung und Steigerung sind die Parameter, an denen sich das Üben orientiert. Als »Medium der Spezialisie122 | Denis Diderot: Paradox über den Schauspieler. Frankfurt a.M. 1964. S. 54. »[L’auteur] exerce ses acteurs pendant six mois, ensemble et séparément. Et quand imaginez-vous que la troupe commence à jouer, à s’entendre, à s’acheminer vers le point de perfection qu’il exige? C’est lorsque les acteurs sont épuisés de la fatigue de ces répétitions multipliées, ce que nous appelons blasés. De cet instant les progrès sont surprenants, chacun s’identifie avec son personnage; et c’est de à la suite de ce pénible exercice que des représentations commencent et se continuent pendant six autres mois de suite, et que le souverain et ses sujets jouissent du plus grand plaisir qu’on puisse recevoir de l’illusion théâtrale.« Denis Diderot: »Paradoxe sur le comédien«. In: ders.: Œuvres esthetiques. Paris 1965. S. 365. 123 | Denis Diderot: Ästhetische Schriften. 2 Bde. Frankfurt a.M. 1968. Bd. 2, S. 493. 124 | Dieses Konzept zieht sich auch durch die Auseinandersetzung mit den Mechanischen Künsten im Enzyklopädie-Projekt von Diderot. In den Abbildungen zur Papierfabrik in L’Anglée wird auf die Routine der Tätigkeiten hingewiesen, die keine rein mechanischen Wiederholungen sind. Erst in der Wiederholung werde es möglich, Aktivitäten zu verändern.
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rung« (Menke) im Dienste einer Disziplinierung, wie es sich von Foucault beschrieben im 18. Jahrhundert ausbildet: Es geht um eine Kontrolle des Körpers, »der unterworfen werden kann, der ausgenutzt werden kann, der umgeformt und vervollkommnet werden kann«. Durch Übung und Training wird Zwang auf den Körper ausgeübt. Das Üben schließt jeden Teil des Körpers ein, um ihn zu kontrollieren und ökonomisch effizient zu machen: »eine Politik der Zwänge, die am Körper arbeite[t]«126. In seinen Schriften zu den Technologien des Selbst unterstreicht Foucault aber noch einen anderen Aspekt der Übung: als »Medien der Subjektivierung« und »Erweiterung des Selbstbezugs«, wie es Christoph Menke in seiner Foucault-Lektüre ausführt.127 Das Üben ist immer auch eine Form der Selbstbildung: Übend konstituiert das Subjekt ein Verhältnis zu sich selbst. Für die Frage des Probens und Trainierens ist von Bedeutung, dass dieses Üben immer auch einen Modus des Testens impliziert. Übend wird »das Subjekt in eine Situation versetzt […], in der es überprüfen kann, ob es mit Ereignissen fertig zu werden […] vermag«128 . Spezialisierung und Disziplinierung, Selbsterweiterung und Selbstprüfung bilden das Spannungsfeld, in dem sich das Proben als Üben konstituiert. Allerdings bleibt immer noch die Frage, wie sich dieses Üben auch als Wiederholung zu dem Konzept der Improvisation als einem unvorhergesehenen Tun verhält. »Jeder kann improvisieren. Die Schwierigkeit besteht darin, die Improvisation genau zu wiederholen, in ihren kleinsten Details, Aktion und Reaktion, Rhythmus und Spannung, die auch nach hundert Wiederholungen die gleiche Frische und Kraft haben müssen wie beim ersten Mal.«129
Das erklärt der Regisseur Eugenio Barba und fügt hinzu, dass die »Kraft einer Improvisation« nicht von ihrer »Dramatizität« abhänge, »sondern von ihrer Präzision«.130 Wie also etwas wiederholen, das im Improvisieren ›unvorhergesehen‹ entstand? Barbas Vorschlag ist einfach: Üben. Er ruft ein »Zeitalter
125 | Foucault: Überwachen und Strafen. S. 175. 126 | Ebd., S. 176. 127 | Christoph Menke: »Zweierlei Übung. Zum Verhältnis von sozialer Disziplinierung und ästhetischer Existenz«. In: Axel Honneth/Martin Saar (Hg.): Michel Foucault. Zwischenbilanz einer Rezeption. Frankfurter Foucault-Konferenz 2001. Frankfurt a.M. 2003. S. 283-299. S. 288. 128 | Michel Foucault: »Technologien des Selbst«. In: ders./Luther Martin (Hg.): Technologien des Selbst. Frankfurt a.M. 1993. S. 47. 129 | Eugenio Barba: Bemerkungen zum Schweigen der Schrift. Schwerdte 1983. S. 46. 130 | Ebd., S. 51.
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der Übung«131 aus und entwirft ein Konzept der Arbeit am Theater, in dem die Übung gleichberechtigt neben der Probe steht: Die Übung wird zur »Probe für die Probe«132 . Eine Übung ist für Barba eine »Handlung, die man lernt und die man wiederholt«133 und die sich über kleinste physische Aktionen konstituiert. Isolation und Konzentration von körperlichen Aktionen sind das Prinzip des Übens. Für den Schauspieler gelte es, eine Übung wie ein Vokabular zu lernen, übend lernt der Schauspieler, die Aktionen nicht nur mechanisch zu wiederholen, sondern sie so weit zu automatisieren, dass sie »von allein kommen«: Die Übung wird zur puren Form, zu einem Vorgang jenseits seiner intentionalen Steuerung. Wenn Diderot den Umschlagpunkt von Ermüdung durch das Üben hin zu einer anderen Verfasstheit der Darstellung auf den Premierentermin legt, dann zielt Barba darauf, mit seinen Übungen diesen Punkt zu überschreiten – mit dem Ziel des Weitermachens ›ohne Abstumpfung‹, dem beständigen Verschieben von Material. Das Training wird zu einer Übung, über Momente der Erschöpfung hinauszugehen, zur Übung von Selbstdisziplin. Barba bestimmt dies als eine Methode der »Negation«:134 kein Produzieren, sondern ein Offenlegen innerer Vorgänge. Anders als Meyerhold, der seine Übungen an konkreten Vorbildern der Arbeitswelt orientiert, sie zum verbindlichen Programm erklärt, gelte es nach Barba, eine individuelle Form des Trainings zu entwerfen. Nicht Effizienz oder Steigerung der Produktivität, wie noch bei Meyerhold, sind das Ziel des Übens, sondern die schauspielerische Arbeit als dynamischen Prozess zu denken, der gerade in der Negation des Produzierens eine andere Ökonomie der Verausgabung, auch in Differenz zu Bataille, entwirft: Nicht im Modell der Verschwendung liegt das Moment der Transgression, sondern in der Wiederholung. Barba entwirft so ein Arbeitsmodell, in dem die Probe als Katalysator zwischen den Prozessen des Übens und denen der Aufführung wirkt. Erst das Proben macht das im Training Erfahrene vermittelbar, macht aus dem selbstbezüglichen Akt eine theatrale Praxis. So geht es letztlich doch um ein Produzieren, denn Theater »produziert nicht nur Aufführung, sondern auch Beziehungen«135 . Allerdings bleibt zwischen Improvisieren und Üben eine Leerstelle: jener Prozess der Wiederholung und Präzisierung des Improvisierten, von dem Barba 131 | »The Age of Exercises«, nennt Barba das zwanzigste Jahrhundert. Eugenio Barba: »An Amulet Made of Memory. The Significane of Exercises in the Actor’s Dramaturgy«. In: TDR 41, 4 (1997). S. 127-132. S. 128. 132 | Eugenio Barba: Jenseits der schwimmenden Inseln. Reinbek bei Hamburg 1985. S. 74. 133 | Ebd., S. 103. 134 | »I believe the method is one of negation: not to impede the development of one’s inner life.« Barba: »An Amulet Made of Memory«. S. 128. 135 | Barba: Jenseits der schwimmenden Inseln. S. 217.
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eingangs sprach. Wie lässt sich der Wechsel zwischen Improvisieren als Erfinden und Üben/Wiederholen als Wieder-Finden fassen? Ian Watson beschreibt eine Workshop-Demonstration Barbas, die das Arbeiten an einer Improvisation vor- und aufführen soll: »Eugenio begins to work on Gretchen’s mad scene in Faust. He asks Iben [Rasmussen] to sing Gretchens song and develop a physical improvisation on it. He then asks her to improvise fragments of action based on several words from the song. […] Several images are repeated: lifting and flapping her skirt […], taking several Steps […]. Using a combination of the initial improvisation and these images, she selects segments of action […] [and] fixes elements of the improvisation. […] She strings these elements together into a single improvisation about two minutes long, which she repeats many times to learn. Once she can repeat the improvisation […] Eugenio begins to work with her. He first marks out a square meter on the floor and then asks her to limit her improvisation within the square. […] When Iben seems to be comfortable with this reduction Eugenio asks her to rearrange the order of several elements […].«136
Improvisation und Wiederholung, Erfinden und Üben überlagern sich in dieser Aufgabenstellung. In immer neuen Aufgabenstellungen wird das Material bearbeitet: im Wechsel zwischen verschiedenen Geschwindigkeiten, im Auslassen bestimmter Sequenzen, in einer anderen Ausrichtung im Raum, im Wechsel zwischen Statik und Bewegung durch das Einfügen von Standbildern oder durch das Verändern der Darstellungsqualität in der Aufgabe, sich wie im Nebel zu bewegen. Das Verhältnis von Improvisation und Wiederholung ist nicht als Umschlagpunkt zwischen Offenheit und Festlegung zu denken, sondern als permanentes Verschieben der Möglichkeiten des Improvisierenden. Jeder dieser Schritte wird auf zweifache Weise zu fixieren versucht: im wiederholenden Üben der Schauspieler, als Sicherung eines ›performativen Wissens‹ und durch die Beobachtenden als Mitschriften in Form von Notationen. Das Improvisieren und Üben wird zu einer Aufgabe, Material zu produzieren, das dann in der weiteren Probenarbeit bearbeitet, neu zusammengesetzt, montiert wird, »wie Filmstreifen«, die man »schneiden kann«.137 Ein Material, das nur dann weiter bearbeitet werden kann, wenn es der Schauspieler beherrscht. Improvisation wie Übung zielen damit beide auf ein Moment der Selbstüberschreitung. Der Schauspieler ist gefordert, sich auszusetzen: sei es der Offenheit der Situation, sei es der Überprüfung der Möglichkeiten seiner selbst.
136 | Ian Watson: Towards a Third Theatre. Eugenio Barba and the Odin Theatre. London/New York 1993. S. 81f. 137 | Barba: Jenseits der schwimmenden Inseln. S. 119.
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TECHNIKEN DER D ISTANZIERUNG : D ER MEDIALE B LICK VON AUSSEN Zur Improvisation wie zur Übung gehört immer auch eine Position der (Selbst-) Beobachtung. Dass durch die Überraschung, Überforderung oder Ermüdung versucht wird dieses reflexive Moment auszusetzen, zeugt von der (vergeblichen) Sehnsucht nach einer unvermittelten Darstellung. Geht es in verschiedenen Techniken also um ein Ausblenden jenes reflexiven Blicks, dann suchen andere Techniken, diesen Blick zu objektivieren. Ein wichtiger Topos des Probendiskurses ist die Suche nach dem ›unverbrauchten‹ Blick. Auch wenn die Position der Regie, wie bereits beschrieben, den Blick der Zuschauer auf die Szene stellvertretend übernimmt, so unterscheidet sich beider Situation doch grundlegend. Nicht die einzelne Aufführung, sondern zahlreiche Versuche bieten sich dem Blick des Regisseurs, der reflektieren, kommentieren und bewerten muss. Manfred Wekwerth spricht mit Blick auf die Probenpraxis des Berliner Ensembles (in der Nachfolge Brechts) von einer »Kunst des Vergessens«, die der Regisseur beherrschen muss: Es gelte, immer die Rolle des »kritischen Zuschauers« zu übernehmen und damit »nur das zu sehen, was wirklich vorhanden ist«138 . Das Wissen über die Art und Weise, wie etwas erarbeitet wurde, soll ausgeblendet werden. Beschrieben wird eine paradoxe Situation: Einerseits ist der Regisseur verantwortlich für die Arbeit, trifft Entscheidungen, macht Vorgaben oder stellt Aufgaben, zugleich soll er bei der Betrachtung des szenischen Geschehens genau diesen Prozess, sein Wissen und seinen Anteil daran wieder ausblenden, einen ›unbeteiligten Blick‹ behaupten. Dass diese Forderung sich nicht so einfach umsetzen lässt, zeigt die Theaterpraxis am Berliner Ensemble selbst: »Brecht überzeugte sich gern durch Fotos, ob er seine virtuellen Ansichten hatte verwirklichen können.«139 Im Bertolt-Brecht-Archiv finden sich zu fast allen Inszenierungen Modellbücher, die in zahlreichen Einzelaufnahmen die Inszenierung dokumentieren. Erst das ›Stillstellen‹ des Arrangements in der Fotografie, scheint eine Überprüfbarkeit zu gewährleisten. Im Mediensprung, der eine Konzentration und Reduktion der szenischen Darstellung beinhaltet, eröffnet sich die Möglichkeit der Distanzierung. Der eigene Blick wird an den scheinbar ›objektiven Blick der Kamera‹ delegiert.
138 | Manfred Wekwerth zitiert nach dem Dokumentarfilm Portraits: Manfred Wekwerth – Chefregisseur am Berliner Ensemble (Fernsehen der DDR 1964). Im Bestand des Brecht-Archivs. 139 | Angelika Hurwicz: Brecht inszeniert. Der kaukasische Kreidekreis. Hannover 1964. (Ohne Seitenangaben.)
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Gerade in der zeitgenössischen Praxis wird häufig Medientechnologie im Probenprozess eingesetzt. Sei es, dass der Regisseur Christoph Schlingensief verschiedene Improvisationen und Szenenentwürfe aufnehmen lässt, zu Hause am Schneidetisch montiert und so die Dramaturgie der Inszenierung entwirft,140 oder dass in den Proben von Forced Entertainment die improvisierte Aneinanderreihung von Szenen gefilmt wird und dieser Mitschnitt zur Vorlage für die dramatische Struktur wird, von dem aus weitergearbeitet wird.141 Die Arbeit an der Dramaturgie wird eine Arbeit am und mit dem Film, ausgerichtet am Konzept der Montage. Aber nicht nur in Inszenierungen, die jenseits eines dramatischen Textes arbeiten, bekommt die Kamera eine eigene Rolle in der Probenarbeit. Auch der Zusammenarbeit von Schauspielern und Regie wird über die Zwischenschaltung des filmischen Blicks eine weitere Ebene hinzugefügt. Indem das filmische Material auch den Schauspielern den Blick auf die eigene Arbeit ermöglicht, verschiebt sich die Bedeutung des beobachtenden Blicks des Regisseurs. Beispielhaft für den Einsatz der Kamera in der Probenarbeit sind die Inszenierungen von Luk Perceval. Perceval selbst führt die Videokamera während der Proben, dabei nimmt er nicht nur die Schauspieler vom Zuschauerraum aus auf, sondern bewegt sich auch mit ihnen auf der Bühne. Wie die Schauspieler sich über verschiedene Techniken im Proben der szenischen Darstellung annähern, unterscheidet Perceval verschiedene Formen des Filmens: die Imitation des Zuschauerblicks – er filmt nur das, was »überhaupt interessant ist«, und ermöglicht damit den Schauspielern ein Gefühl dafür, wohin der Zuschauerblick gerichtet wird – oder ein Filmen jenseits des »gerichteten Blicks«, »ganz spontan« und aus nächster Nähe, das die Bewegungen der Schauspieler aufnimmt. Das aufgenommene Material wird von ihm analysiert, geschnitten und schließlich den Schauspielern vorgeführt. Der Einsatz der Kamera wird mit einem Defizit in der Probenarbeit begründet: »Wenn man mit Sprache kommuniziert, gibt es immer die Lücke der Interpretation.«142 Dagegen scheint über die Videomitschnitte eine »präzisiere« Kommunikation möglich: »Mit der Kamera aber ist es viel einfacher, etwas zu zeigen, was ein Schauspieler gemacht hat, und auch das, was mich an ihm wirklich und konkret fasziniert hat.«143 Zwischen die Szene und den Regisseur tritt das Auge der Kamera.
140 | Interview mit Christoph Schlingensief: »Ein riesenarroganter Mist«. In: taz vom 01.07.1996. 141 | Interview mit Tim Etchells und Richard London. In: Nick Kaye: Art Into the Theatre. Harwood 1996. S. 241. 142 | Luk Perceval: Theater und Ritual. Hg. Thomas Irmer. Berlin 2005. S. 134. 143 | Ebd.
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Indem sich Perceval mit seiner Kamera über die Bühne bewegt, soll in der Verschiebung von Beobachtungsperspektiven auch das hierarchische Verhältnis von Außenblick und Innenperspektive in Bewegung gebracht werden. Aus den verschiedenen Perspektiven auf die Arbeit entstehe bei den Schauspielern ein Gefühl für die »Gesamtarbeit«. Ziel und Wunsch des Kameraeinsatzes ist damit nicht nur die Autorität, sondern auch die Singularität des Regieblicks aufzuheben. Für die Schauspieler bedeutet dieser Blick auf sich selbst ein Moment der Entfremdung. Es entsteht ein Spannungsfeld zwischen Selbst- und Fremdbeobachtung, das das Proben zu einem besonderen Test macht. Die Proben mit und vor der Kamera machen aus dem Theaterschauspieler einen Filmschauspieler, der sich auf den Blick der Kamera hin inszeniert. Damit verändert sich sowohl der Darstellungsprozess als auch die Darstellungsanforderung: »Die Apparatur, die die Leistung des Filmdarstellers vor das Publikum bringt, ist nicht gehalten, diese Leistung als Totalität zu respektieren. Sie nimmt unter Führung des Kameramannes laufend zu dieser Leistung Stellung. […] [Der Film] umfaßt eine gewisse Anzahl von Bewegungsmomenten, die als solche der Kamera erkannt werden müssen – von Spezialeinstellungen wie Großaufnahmen zu schweigen. So wird die Leistung des Darstellers einer Reihe von optischen Tests unterworfen.«144
Nicht mehr der Darsteller führt etwas vor, sondern die audiovisuellen Medien führen ihn vor: »Dem Film kommt es viel weniger darauf an, daß der Darsteller dem Publikum einen anderen, als daß er der Apparatur sich selbst darstellt.«145 Der Blick der Kamera imitiert den Zuschauerblick, ohne allerdings auf die Aktionen des Darstellers zu reagieren. Die Interaktion zwischen Schauspieler und Zuschauer – das Verhältnis zwischen dem, der die Leistung vollbringt, und dem, der sie testet – verschiebt sich. Aus der Prüfungssituation der Probe unter der Beobachtung des Regisseurs wird der anonyme Test. Der Kamerablick bekommt eine doppelte Funktion als Inszenierungs- und Kontrollinstanz. Diese Besonderheit des Filmschauspiels entsteht gerade aus der (zeitlichen) Trennung von Produktionsprozess und Rezeption. Diese Trennung macht sich die Probenarbeit zu Nutze, indem sie Schauspieler wie Regisseur eine neue Position zuweist. Der Regisseur hat gegenüber dem Schauspieler nicht mehr den rezeptiven Part, sondern wird selbst zum 144 | Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt 1963. S. 24. Benjamin selbst vergleicht diesen testenden Blick mit dem Blick in den Spiegel: »Das Befremden des Darstellers vor der Apparatur […] ist von Haus aus von der gleichen Art wie das Befremden des Menschen vor seiner Erscheinung im Spiegel.« Ebd., S. 27. 145 | Ebd., S. 24f.
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Produzenten einer Videoaufzeichnung, die er gemeinsam mit dem Schauspieler rezipiert. Die Trennung zwischen Beobachten und Darstellen soll damit aufgehoben werden, in der gemeinsamen Betrachtung der Aufnahme wird das Blickregime demokratisiert, indem es zwar weiterhin an den Regisseur gebunden bleibt, jedoch dem Schauspieler – so weit wie möglich – sichtbar gemacht wird. Doch weist der testende Blick auch auf die Grenzen eines solchen Konzepts. Der Blick der Kamera kann den Zuschauerblick vielleicht imitieren, was sich aber in der Betrachtung der Aufzeichnung zeigt, ist etwas anderes als das in der Aufführung. Innerhalb der verschiedenen Arbeitskonzepte und Probenerzählungen präsentiert sich die Probe als komplexes Arbeitsszenario, das sich zwischen Planung und einem Moment des Geschehenlassens bewegt, das sowohl auf die Erfindung überraschender szenischer Möglichkeiten zielt wie auch auf die Wiederholbarkeit des einmal Probierten. Improvisation und Wiederholung, Freiheit und Zwang, Vorstellung und Überraschung sind die Spannungsfelder, die in den verschiedenen historischen Probenkonzepten jeweils neu zueinander in Beziehung gesetzt und bewertet werden. Dabei lässt sich im 20. Jahrhundert nicht nur eine Diversifizierung von Probentechniken feststellen, sondern vor allem eine Neubestimmung des Probenprozesses als dynamisches Prinzip, welches am Freisetzen und Verschieben von Energien arbeitet. Nicht mehr Disziplinierung, sondern das Verfügbarmachen von Energien wird mit dem Üben der Probe verbunden. Nicht Ordnen und Systematisieren stehen im Vordergrund, sondern ein permanentes Wechseln zwischen Öffnen – in der Improvisation oder der Selbstermächtigung der Übung – und Schließen der Möglichkeiten der theatralen Darstellung – als Einübung oder Festlegung. Mit der Betonung der Dynamik des Prozesses bekommt aber auch die zeitliche Dimension der Probenarbeit eine neue Bedeutung: als Arbeitszeit wie auch Arbeit an der Zeit der Aufführung.
8 Probenzeit und Arbeitsraum
1967 beschreibt Carl Weber, einer der Assistenten und Dramaturgen Bertolt Brechts, in einem Vortrag seinen ersten Probenbesuch am Berliner Ensemble. Geprobt wurde Faust: »I walked into the rehearsal and it was obvious that they were taking a break. Brecht was sitting in a chair smoking a cigar, the director of the production, Egon Monk, and two or three assistants were sitting with him, some of the actors were on stage and some were standing around Brecht, joking, making funny movements and laughing about them. Then one actor went up on the stage and tried about 30 ways of falling from a table. They talked a little about the Urfaust-scene ›In Auerbachs Keller‹ […]. Another actor tried the table, the results were compared, with a lot of laughing and a lot more of horse-play. This went on and on, and someone ate a sandwich, and I thought, my god this is a long break. So I sat naively and waited, and just before Monk said, ›Well, now we are finished, let’s go home‹, I realised that this was rehearsal.«1
Die Probe als Pause und die Pause als Probe. Gelächter, Gespräche, Bewegungen vom Regietisch auf die Bühne, das Essen von Pausenbroten verwirren den jungen Hospitanten und verweisen zugleich auf die Fragen nach der Rahmung der Arbeitszeit. Wann wird die Probe zur Arbeit? Bedarf es einer besonderen Konzentration, einer spezifisch räumlichen Anordnung, eines klaren Verhältnisses von agierendem Schauspieler und beobachtendem Regisseur? In welcher zeitlichen Abfolge stehen verschiedene Handlungsformen des Probens – das Vorspielen, der Kommentar, das gemeinsame Gespräch? Wie verhält sich der kreative Moment – verbunden mit einem Konzept der Spontaneität – zur gemeinsam verabredeten Arbeit? »We are finished«, stellt auch die Frage nach dem Ende: Wie kann ein solches Arbeiten sein Ende finden, jenseits einer willkürlichen Setzung durch den zeitlichen Rahmen? Im Proben überlagern sich verschiedene Zeitkonzepte. Zum einen ist da der äußere Rahmen der Probenzeit – bei Beginn der Probe ist das Ende des Prozes1 | Carl Weber: »Brecht as Director«. In: TDR 12 (1967-1968). No. 1. S. 101-107. S. 102f.
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ses bereits terminiert – als vertraglich fixierte und geregelte Arbeitszeit. Anders als in der bildenden Kunst oder der Literatur bedarf Theater einer Zeitorganisation. Es ist nicht nur aufgrund der Aufführungsstruktur eine »Zeitkunst«, sondern auch seine Vorbereitung braucht eine »Zeit«, die unter den Beteiligten verhandelt und verabredet werden muss. Doch auch die Proben selbst unterliegen einer Zeitdramaturgie. Nicht nur in der Zeit wird gearbeitet, jedes Proben bedeutet auch immer ein Arbeiten mit der Zeit: als eine Arbeit am Timing der Aufführung, mit Beschleunigung oder Verlangsamung, mit Wiederholung und Unterbrechung. Zu fragen ist, in welchem Verhältnis die Dramaturgie der Probenzeit zu jener Dramaturgie der Probe steht: Welche Zeit-Ökonomien finden sich im Proben?
Arbeitszeit Wohl kaum etwas hat sich so stark durch die Industrialisierung verändert wie das Verhältnis der Menschen zu ihrer Zeit. Die Umwandlung von Zeit in Arbeitszeit ist grundlegendes Merkmal der Entwicklung der industriellen Gesellschaft. Dies zeigt sich schon in den Begrifflichkeiten: Wir ›nutzen‹ und ›gebrauchen‹, ja ›verbrauchen‹ unsere Zeit, die nie genug scheint. »Die Zeit der Menschen muss dem Produktionsapparat zur Verfügung stehen; der Produktionsapparat muss die Lebenszeit der Menschen nutzen können«2: Mit der Einführung von Maschinen muss auch der Arbeitsprozess synchronisiert werden, und damit nimmt die Bedeutung der Zeit zu. Die Zeit der Arbeiter muss in Gleichklang gebracht werden, sie wird gemessen und zerteilt. Aus der Arbeitszeit wird eine Ware, die, wie Smith beschreibt, ihren eigenen Wert hat: Aus Zeit wird Geld. Die Theatergesetze zeigen, wie auch die Arbeit am Theater seit der Mitte des 18. Jahrhunderts unter das »Diktat der Pünktlichkeit«3 gestellt wird. In den Wandertruppen, die gemeinsam von Ort zu Ort ziehen, verbringen die Mitglieder notgedrungen ihre Zeit miteinander. Mit der Institutionalisierung der Theater, der Verortung an einem festen Platz und der damit verbundenen Trennung von Kompetenzbereichen wird die Zeit der Schauspieler als Arbeitszeit unter Beobachtung von Theaterleitung und Regie gestellt, sie wird reguliert und reglementiert. Nicht das Selbststudium, nicht mehr der fließende Übergang von Geselligkeit und Vorbereitung, sondern die festgelegte Arbeitszeit wird zur Grundlage der Arbeit am Theater, die mit Uhren gemessen und durch Gesetze festgelegt wird. Getrennt wird nun zwischen der Zeit des Theaterleiters als Unternehmer und der individuellen Zeit der Schauspieler außerhalb des Thea2 | Michel Foucault: Die Wahrheit und die juristischen Formen. Frankfurt a.M. 2003. S. 114. 3 | Heinz Steinert/Hubert Treiber (Hg.): Die Fabrikation des zuverlässigen Menschen. München 1980. S. 29.
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ters.4 Der Arbeitsrhythmus ist damit nicht mehr selbstbestimmt, sondern wird von den Notwendigkeiten der Produktionsbedingungen vorgegeben. Ein solches Konzept der Arbeitszeit, dessen Ähnlichkeiten zu industriellen Formen des Arbeitens nicht zu übersehen sind, steht jedoch im eklatanten Widerspruch zu einem Zeitkonzept, das mit dem kreativen Schaffen verbunden wird. Kreative Akte ereignen sich – oder auch nicht. Sie an eine konkrete Arbeitszeit zu binden, ist ein schwieriges Unterfangen. Der Einfall kommt, »wenn es ihm, nicht wenn es uns beliebt«5, wie Max Weber konstatiert. Dies schließt nicht aus, dass auch das künstlerische Schaffen des individuellen Künstlers einem rigorosen Zeitregime unterworfen ist – gerade Max Weber hebt die Bedeutung der »harten Arbeit« hervor, um den Einfall zu locken. Denn eng mit dem Topos der Spontaneität ist das Bild des Künstlers als »unermüdlich Schaffendem«6 verbunden, der sich seinem Tun ›rastlos‹ und ›obsessiv‹ verschreibt – der jederzeit bereit ist, sich von seinem künstlerischen Einfall überraschen zu lassen. Jedoch ist dieses Zeitregime selbst gewählt und nicht mit anderen Beteiligten ausgehandelt. Die Theaterpraxis verlangt die Aufgabe jener Autonomie über die kreative Zeit und stellt die Theatermacher vor eine paradoxe Situation: Sie müssen sich auf feste Arbeitszeiten einigen und können doch nicht garantieren, dass das, was sie vorhaben, innerhalb dieser Arbeitszeiten stattfinden wird. Wenn Stanislawski eine der größten Schwierigkeiten des schauspielerischen Schaffens darin sieht, dass der kreative Akt an einen konkreten Moment in der Aufführung oder der Probe gebunden ist und nicht an die individuelle Zeit des schöpfenden Künstlers, dann geht es ihm um eben jenen Widerspruch. Die Arbeit am Theater bewegt sich damit in einem Widerspruch zwischen der Notwendigkeit ihrer zeitlichen Organisation, die auf Verabredungen und Verträgen beruht, und einer anderen Zeitlichkeit des kreativen Schaffens, die sich scheinbar nicht kontrollieren lässt.
Zeit-Ökonomien Aus der Notwendigkeit, die Probenzeit zu organisieren und zu strukturieren, entstehen verschiedene Konzepte zum Umgang mit der Probenzeit. Die Pro-
4 | Dass diese Trennung den Schauspielern nicht wirklich einen Freiraum ließ, zeigt sich daran, dass auch für ihr Verhalten jenseits der Bühne Gesetze formuliert wurden. 5 | Max Weber: Wissenschaft als Beruf. Stuttgart 2006. S. 13f. 6 | Dieter Hoffmann-Axthelm: Theorie der künstlerischen Arbeit. Eine Untersuchung anhand der Lage der bildenden Kunst in den kapitalistischen Ländern. Frankfurt a.M. 1974. S. 12. Es ist jenes Verhältnis zur Arbeitszeit, die in den Modellen der postfordistischen Arbeit den Künstler zum Vorbild werden lässt.
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bendauer wird zur Verhandlungssache.7 Stanislawski sieht eine »Notwendigkeit von zweihundert Proben«8, begründet dies mit der experimentellen Praxis seines Probens, die sich einem zielgerichteten Produzieren widersetzt. Die »Umwege« des Probierens erscheinen aus ökonomischer Sicht als Zeitverschwendung: In seinen Übungen und Etüden, in den Proben wird mehr und anderes produziert, als in der Aufführung gezeigt wird. Stanislawski räumt die Effizienz des »Festlegens« von Aktionen ein, stellt dagegen aber die »Klarheit«, die der Schauspieler im langwierigen Prozess des Suchens erlangt.9 Dennoch geht es Stanislawski nicht darum, das Produktionsparadigma selbst zu kritisieren. Wenn er die langen Proben über ein zu erzielendes Ergebnis legitimiert, dann situiert er seine Argumentation innerhalb eines ökonomischen Modells, das auf Produkte zielt. Nur über andauernde Arbeit könne dem ephemeren Charakter der Aufführung entgegengewirkt werden und damit der Bedrohung, dass das, was erarbeitet wird, nicht jederzeit und ständig wiederholbar bleibt. Stanislawski stellt die einfache Formel auf: Je länger gearbeitet würde, umso länger bleibt das, was erarbeitet wird, erhalten. »Es ist schlecht, wenn Sie Ihre Arbeit nur auf eine Spielzeit berechnen. Der Künstler muß so arbeiten, daß sein Werk Jahrhunderte lebt. Wollen Sie das Stück zweihundertmal spielen?«10 Die Theaterinszenierung wird wie andere Kunstwerke auf Dauerhaftigkeit ausgerichtet. Allerdings muss Stanislawski einräumen, dass, aufgrund der besonderen Eigenschaften der schauspielerischen Darstellung, die Arbeit kein Ende finden wird. Durch die körperliche Verfasstheit des Schauspielers, die Interaktionen mit Mitspielern und Publikum wird die Inszenierung immer Veränderungen erfahren. Über eine lange, vorbereitende Probendauer kann nur die Form der Veränderungen beeinflusst werden. So wird in den Proben nach dem »Richtigen« gesucht und dieses zum »Gewohnten« gemacht. Erst in den Aufführungen kann es zum »Selbstverständlichen« werden, um in der permanenten Arbeit des Schauspielers an sich selbst und aus der Übung des Spiels in den Aufführungen zum »Schönen« zu werden, das in der letzten Konsequenz aber niemals dauerhaft erreicht werden kann (wie bei Diderot kann erst aus der Übung eine andere Qualität der Darstellung entstehen). Im Sinne Stanislawskis Arbeits-
7 | Die Dauer des Probenprozesses wird zunehmend als Problem beschrieben. So wie der Probenprozess zu kurz sein und deshalb scheitern kann, wird mit dem Begriff des »Überprobens« das Gegenteil beschrieben. Die Fiktion eines optimalen Verhältnisses von Probe und Aufführung ist Thema verschiedenster Texte. 8 | Konstantin Stanislawski: »Bemerkungen zur Theaterkritik« [1909]. In: ders: Ausgewählte Schriften. Berlin 1988. Bd. 1, S. 180. 9 | Nikolai Gortschakow: Regie. Unterricht bei Stenislawski. Berlin 1959. S. 342. 10 | Ebd., S. 59.
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ethik geht die Arbeit über die Proben hinaus als permanente Annäherung und zugleich permanentes Verfehlen eines Endpunkts der Arbeit. Wie Stanislawskis Probenkonzeption zeichnet sich auch Brechts Probenarbeit durch eine Form der ›Verschwendung‹ der Probenzeit aus. Seine Theater-Arbeit hat etwas Maßloses an sich, sowohl vom zeitlichen, ökonomischen wie personellen Aufwand. Bis zu 60 Bühnenproben sind keine Seltenheit. Die Probenarbeit, durchaus begriffen als »Investition« und »Luxus«11 , wird darüber legitimiert, dass andere von ihr profitieren können: durch die Erstellung von Modellbüchern, die Verschriftlichung des Arbeitsprozesses. Die Zeitverschwendung der einen wird mit der Zeitersparnis der anderen verrechnet.12 Das Berliner Ensemble als ›Forschungsabteilung‹ fordert und rechtfertigt mit seinem Modellcharakter andere Bedingungen des Probens, die aber kein Modell für alle sein können. Forschende Arbeit, so wird argumentiert, sei nur möglich, wenn jeder Zeitdruck vermieden werde. Wenn sich die Arbeitswelt durch Limitierung und Rationalisierung der Produktionszeit auszeichnet, dann soll sich die Probenarbeit genau jenen Zeit-Ökonomien entziehen. »Will man etwas Schweres bewältigen, muß man es sich leicht machen«13 – dieses Paradox bestimmt das Proben. Sei es, dass Brecht Proben abbricht, weil es zu keiner Lösung kommt,14 sei es in der Offenheit der Proben, wie sie Carl Weber beschreibt, sei es in den Probenmitschnitten, die lange Gespräche auch jenseits der konkreten Probenfragen dokumentieren. Die Arbeit soll von jedem äußeren Zwang und jeder Anstrengung befreit werden. Nur so entstehe die Offenheit, alternative Formen zu entwickeln. Denkbar wird damit ein Modell einer permanenten Suche nach Formen des Theaters, befreit von jedem Zeitdruck. Allerdings, das zeigen die Dokumentationen der Proben, findet dieser verschwenderische Umgang mit der Zeit innerhalb eines klar definierten Zeitrahmens statt. Innerhalb des gesamten Probenprozesses lassen sich zwei Phasen abgrenzen: die offene Suche der Bühnenproben und das zielgerichtete Arbeiten auf die Premiere hin. Zu unterscheiden sind zwei verschiedene Ökonomien 11 | Werner Hecht: Aufsätze über Brecht. Berlin 1970. S. 99. 12 | Die gleiche Argumentation findet sich in verschiedenen Konzepten zur Erarbeitung von Modellinszenierungen wie beispielsweise Stanislawskis Plan zur »Gründung einer Aktionsgesellschaft für Provinztheater«. Indem einzelne Inszenierungen exemplarisch mit hohen zeitlichen wie finanziellen Vorgaben erarbeitet werden, wird in einer Form der »Re-Inszenierung« Zeit und Geld gespart. Ein solches Modell unterläuft explizit das Konzept der Originalität und Einmaligkeit künstlerischer Praxis und weist zugleich auf die Besonderheit theatralen Produzierens, die jede Kopie einer Inszenierung unmöglich macht. 13 | Helene Weigel/Berliner Ensemble (Hg.): Theaterarbeit. Düsseldorf 1952. S. 383. 14 | Hurwicz: Brecht inszeniert. Der kaukasische Kreidekreis. Hannover 1964. (Ohne Seitenangaben.)
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der Zeit: einer forschenden, die sich durch Sprünge, Pausen, Unterbrechungen auszeichnet, und einer linearen, die die Aufführung im Blick, darauf zielt, den Ablauf »zusammen zu reißen«, »mehr Tempo zu bekommen«.15 Mit Hannah Arendt kann man die beiden Phasen als Handeln, im Sinne von in Bewegung Setzen und Neuanfangen, sowie Herstellen, das ein definitives Ende hat, voneinander abgrenzen. Der Umschlagpunkt zwischen beiden wird allerdings nicht aus der Form der Arbeit begründet, sondern ebenfalls durch die festgesetzten Produktionsstrukturen.
Zur Frage des Timings
Abbildung 2: Bertolt Brecht Archiv 1508/20. Die Proben zur Katzgraben-Inszenierung 1954 am Berliner Ensemble: In den letzten Durchläufen vor der Premiere messen die Regieassistenten die Zeit der Aufführung. Die Stoppuhr zieht in den Bereich des Theaters ein: Sekundengenau werden Unterschiede zwischen einzelnen Szenen notiert, jede Umbauzeit festgehalten. Die gestoppten Zeiten werden mit den Daten der vorherigen Abläufe verglichen, jede Veränderung im Zeitablauf wird in eine Tabelle16 übertragen im Vergleich mit dem vorherigen Durchlauf. 15 | Katzgraben-Notate (ohne Autor) BBA 1897/287. 16 | Im Archiv finden sich Tabellen, in denen nicht die Veränderung von einem zum anderen Durchlauf, sondern auch mehrere Zeitmessungen nebeneinander gestellt werden.
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Mit jedem der Probendurchläufe, die auf die Premiere zusteuern, verkürzt sich die Aufführungszeit: die Aufführung im Prozess der Beschleunigung. Das Zeitnehmen als ›Stoppen‹ der Zeit denkt den Prozess des Produzierens als Steigerung: Die Beschleunigung geht von einem Fortschritt der Darstellung aus. Ein Fortschritt, der mit der gemessenen Zeit dokumentiert wird und belegbar ist. Die Tabelle wird zum Ausdruck der Suche nach dem richtigen und exakten Timing der Aufführung – gemessen über die Stoppuhr wird es als fixierbare (und in den Protokollen fixierte) zeitliche Bezugsgröße verstanden, die es immer wieder zu erreichen gilt. Die Zeiten verweisen darauf, dass sich die szenischen Vorgänge ›einspielen‹. Zugleich täuscht aber die scheinbar abstrakte Zeit, die gemessen und protokolliert wird, über andere Formen der Zeitwahrnehmung hinweg: der Zeitdramaturgie der Aufführung, ihrer Dynamik, dem Spiel mit Brüchen, Pausen und Diskontinuitäten. Die Tabellen lassen leicht vergessen, dass es hier nicht um Akkordarbeit geht, nicht um die Einstellung einer Maschine oder um Sportler, die eine neue Bestzeit aufstellen wollen, sondern um den Ablauf einer Inszenierung, die einer ganz eigenen Zeitdramaturgie folgt. Das genaue Protokollieren, das Stoppen der Sekunden, der permanente Vergleich und die Suche nach einer Steigerung befremden, auch hinsichtlich des Umstandes, dass keine Aufführung in der exakt gleichen Zeit ablaufen wird. Sicher gibt es zeitliche Festlegungen, aber nicht nur die unterschiedliche Tageskonstitution der Schauspieler, auch die Reaktionen des Publikums, die Interaktion wird die Zeit der Aufführung verschieben. Was hinsichtlich anderer Arbeitsformen als Rationalisierung der Arbeit in der Beschleunigung der Vorgänge durch solche Tabellen beschreibbar wäre, verweist in der Probenarbeit auf die besondere zeitliche Dimension des Arbeitens – dass sie gerade nicht gemessen werden kann (genauso wenig wie die Beschleunigung allein etwas über eine verbesserte Qualität des Gezeigten aussagt). Das Protokoll belegt – im Spannungsfeld zwischen der akribischen Dokumentation der Zeit und dem, was es nicht fixieren kann – die Schwierigkeit der Erarbeitung der zeitlichen Struktur einer Inszenierung in den Proben. Die bewusste Zeitgestaltung als timing17 ist eine grundlegende Aufgabe jeder Inszenierungsarbeit, wie bereits Carl Hagemann in seiner Theorie der Regie betont:
Das Resultat ist, dass sich die Aufführungszeit verkürzt: Das Spiel wird immer schneller. Vgl. BBA 1508/21. 17 | Im Englischen wird mit timing die Wahl des richtigen Zeitpunkts definiert. Im Bereich der Musik wird mit timing auch die Fähigkeit des Musikers umschrieben, ein gewähltes Tempo beizubehalten.
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A RBEIT AM T HEATER »Das Kunstwerk der Bühne steht […] in jedem Augenblick seines Ablaufs im Raum und zieht optisch und akustisch vermittelt in einer bestimmten, seinem immanenten Rhythmus entsprechenden Zeit und zeitlichen Gliederung vorüber.«18
Dieser »immanente Rhythmus« und die »zeitliche Gliederung« lassen sich nicht mit der Dauer – als abstrakte Zeit durch die Uhr gemessen – fassen. Dass die Aufführung ihren eigenen Rhythmus hat, der auch im Wechselspiel mit den Zuschauern hervorgebracht wird, ist in jüngster Zeit in den Forschungen zur Aufführungsanalyse beschrieben worden. Ausgehend von der Beobachtung, dass sich im Rhythmus die Ebenen der Produktion und der Rezeption überlagern, eröffnet sich eine neue Perspektive auf die zeitliche Dimension der Aufführung. Der Rhythmus ist dabei nicht nur als »stetige Wiederholung struktureller Ähnlichkeiten« zu fassen, sondern er ist durch »Prozessualität gekennzeichnet«, die auch »Störung, Bruch, Pause, Differenz und Diskontinuität« impliziert, und »zwar im Wechselspiel, in der gegenseitigen Bezugnahme«.19 Als »Organisationsprinzip von Aufführungen« haben rhythmische Prozesse auch immer eine soziale Dimension als »wechselseitiges ›Einschwingen‹ in den Rhythmus anderer und in diesem Sinne durch unmittelbares wechselseitiges körperliches Einwirken von Akteuren und Zuschauern«.20 Was hier im Hinblick auf das individuelle oder gemeinsame Erleben der Zuschauer beschrieben wird, verweist auf eine besondere Problematik der Probensituation. Wenn von Seiten der Aufführungsanalyse zwischen dem »inszenierten Rhythmus« und »Körperrhythmus« als individuellem Rhythmus des Rezipienten differenziert wird, aus dem sich erst der »Rhythmus der Aufführung«21 ergibt, dann wirft dies für die Probenpraxis eigene Fragen auf. Denn einerseits gilt es, hier am »inszenierten Rhythmus« zu arbeiten, am gemeinsamen Timing, diese Arbeit wird aber immer auch bestimmt vom individuellen Körperrhythmus der Schauspieler, von den Zeitempfindungen des Regisseurs, von der individuellen Verfasstheit bei den Proben. Wenn der Rhythmus der Aufführung also keine objektiv messbare Größe ist, dann ergeben sich daraus konkrete Arbeitsaufgaben, die in den Proben zu lösen sind. Wird dieses Problem im Kontext eines am literarischen Text orientierten Theaters vor allem als Frage nach dem Rhythmus des Dramas, den sich der 18 | Carl Hagemann: Regie. Die Kunst der szenischen Darstellung. Berlin/Leipzig 1912. S. 199. 19 | Clemens Risi: »Rhythmus«. In: Fischer-Lichte/Kolesch/Warstat (Hg.): Metzler Lexikon Theatertheorie. S. 272f. 20 | Erika Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen. Frankfurt a.M. S. 239. 21 | Christa Brüstle/Nadia Ghattas/Clemens Risi/Sabine Schouten: »Zur Einleitung: Rhythmus im Prozess«. In: dies. (Hg.): Aus dem Takt. Rhythmus in Kunst, Kultur und Natur. Bielefeld 2005. S. 9-32. S. 13.
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Schauspieler zu eigen machen muss, problematisiert, dann verschiebt sich die Problematik grundlegend mit dem Aufkommen eines Regietheaterkonzepts Anfang des 20. Jahrhunderts, das die Inszenierung als eigenständig neben dem dramatischen Text begreift. Die Suche nach einem gemeinsamen Timing aller am Aufführungsprozess Beteiligten schließt dabei nicht nur die Schauspieler ein, auch die Einsätze von Musik und Licht gehören zur zeitlichen Dimension einer Aufführung. Durch welche Techniken kann also ein gemeinsames Gefühl für die Dynamiken einer Inszenierung entwickelt werden? Erstens gibt es Verfahren, die auf eine Objektivierung der Zeiterfahrung zielen und dem Einzelnen ein notiertes rhythmisches System vorgeben, in dem er sich orientieren kann und dem er sich unterordnen muss. Beispielhaft lassen sich hier die Inszenierungen des amerikanischen Regisseurs Robert Wilson nennen. Die Probenarbeit als Arbeit am Rhythmus wird exemplarisch an der Inszenierung Dantons Tod (1992) dokumentiert.22 In einer ersten Probenphase legt Wilson das fest, was er das »visual book« nennt: Bewegung und Text in Raum und Zeit. Die Schauspieler Wilsons erarbeiten sich daraus ihre Bewegungsabläufe wie eine musikalische Partitur.23 Einzelne Bewegungsabfolgen werden festgelegt, mit Wörtern des Sprechtexts gekoppelt, innerhalb eines Zählsystems verortet und auf Zuruf ausgeführt. Das individuelle Zeitgefühl wird objektiviert in einem von außen vorgegebenen Rhythmus: »Painfully listen all the time«24 , fordert Wilson. Wie in den Leseproben um 1900 wird das Proben zur Arbeit an einer musikalisch verstandenen Struktur, der sich der einzelne Schauspieler unterzuordnen hat. Konträr dazu zielen die bereits beschriebenen Probendurchläufe à l’italienne, mit denen Luk Perceval arbeitet und in denen alle Abläufe in doppelter Schnelligkeit ausgeführt werden, auf ein anderes Verhältnis zur Zeitlichkeit. In erster Linie dient eine solche Probenform einer Automatisierung der Abläufe wie auch der Arbeit an einer gemeinsamen Vorstellung von einer möglichen zeitlichen Struktur der Aufführung. Die zeitliche Strukturierung wird mitgespielt – Pause, Verlangsamungen, Steigerungen – aber in Zeitraffung: Ziel ist, dass diese als bewusste Setzungen im Bewegungsfluss wahrgenommen werden. 22 | Ellen Halprin-Rover: »Robert Wilson and the Actor: Performing Danton’s Death.« In: Theatre Topics. 8.1. (1998). S. 73-91. 23 | Thomas Derrah, einer von Wilsons Performern, beschreibt die damit verbundenen Anforderungen an die Schauspieler: »[…] he said walk across the floor in 59 and sit down in a chair at 42, put your hand in your had in 12 then your had down to your lap […]. There were 6 or 7 moves. And when I got done he said, ›Yes, you’re the only one who can count‹.« Zitiert nach Ellen Halprin-Rover. Ebd., S. 78. 24 | Robert Wilson zitiert nach The Theater of Robert Wilson. Eine Fernsehdokumentation der BBC (1985). Regie: Harold Brookner.
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Brechts Konzept des Durchlaufs als »Stummfilm« zielt auf ein ähnliches Ergebnis. In der Lichtprobe wird die Aufführung durchgespielt, allerdings ohne den Text zu sprechen, dafür mit einer übertriebenen Gestik des Stummfilms. Die Abspaltung einer Darstellungsebene von den anderen eröffnet den Schauspielern eine neue Perspektive auf die zeitliche Abfolge der Aufführung: Sie nehmen Lichtwechsel auch als Impulse für ihr Spiel war, werden sich der »Drehpunkte«25 ihres Spiels bewusst, jenseits ihres gesprochenen Textes. Über unterschiedlichste Techniken gilt es, ein Wissen über die verschiedenen Rhythmen der Aufführung zu erlangen: den Rhythmus der Lichteinsätze, der Bewegungsabfolge, der Mimik. Die verschiedenen theatralen Mittel – Text, Musik, Gestik – werden getrennt bearbeitet, um sie dann im szenischen Ablauf wieder zusammenzusetzen. Das Konzept der Trennung beinhaltet dabei immer zweierlei: Automatisierung durch Steigerung der Anforderungen einer spezifischen Darstellungsebene, zugleich, in der Perspektivverschiebung, eine Ebene der Reflexion über die Form der eigenen Darstellung. Geht es in diesen Verfahren um die zeitliche Dramaturgie der Inszenierung, den Ablauf als Bewegungsfluss, der probiert werden muss, ist ein dem entgegengesetztes zeitliches Prinzip ebenso charakteristisch für die Probenarbeit: die Unterbrechung.
Unterbrechen: Wiederholen als Überholen Die Probe grenzt sich gegenüber der Aufführung nicht nur durch die fehlenden Zuschauer ab, sondern auch durch das zeitliche Moment der Unterbrechung. Nicht nur bei der Probe einzelner Szenen, auch bei den Durchläufen ist es möglich, oft auch notwendig oder Teil der Arbeit, das Spiel zu unterbrechen. Die Unterbrechung markiert das Moment der Arbeit: als Korrektur oder Veränderung des Gezeigten. Selbst die Generalprobe – die sich durch das Verbot der Unterbrechung während des Durchlaufs zur möglichst perfekten Simulation der Aufführung auszeichnet – wird am Schluss unterbrochen: generell wird der Applaus gesondert probiert, um die Differenz zur Aufführung zu markieren. Alles andere würde Unglück bringen, sagt der Aberglaube. Die Unterbrechung beim Proben und die damit verbundene Kritik oder Kommentierung des Gesehenen impliziert im Theater aber auch immer ein Wieder-Anfangen: Szenische Aktionen, Bewegungsabläufe oder der gesprochene Text werden unterbrochen, kommentiert und kritisiert, um dann in neuer Form wieder gezeigt zu werden. Auch wenn sich diese neue Form von der ersten grundlegend unterscheiden mag, ist sie doch immer auch eine Wiederholung, bietet eine andere Lösung der gleichen Darstellungsaufgabe. Fassen lässt sich dieses Verhältnis von Unterbrechung und Wiederholung über eine zeitliche Struktur. Im Verweis auf das vergangene Gezeigte wird in der Gegenwart 25 | BBA 948/132 (Katzgraben-Notate).
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der Unterbrechung ein Bild des zukünftigen Zeigens entworfen. Mit dem Kommentar »nicht so, sondern so« ist die Wiederholung damit auch ein Abgleich des bereits Getanen mit den Möglichkeiten einer zukünftigen Darstellung auf der Bühne. Die besondere Produktivität dieses Verhältnisses von Unterbrechung und Wiederholung zeigt sich in Syberbergs Probendokumentation zu Kortners Inszenierung von Kabale und Liebe. Der Film stellt, wie bereits beschrieben, mit seiner Konzentration auf die Sterbeszene zwischen Luise und Ferdinand die intime Probensituation aus und rückt damit das Zusammenspiel des Regisseurs mit seinen beiden Schauspielern in den Mittelpunkt. Die gemeinsame Probenarbeit ist dabei charakterisiert durch permanente Unterbrechungen und Wiederholungen: Kurze dramaturgische Erläuterungen von Kortner, Handlungsweisungen und deren Umsetzung im szenischen Spiel der Schauspieler, die Kommentierung und Korrektur durch den Regisseur und die korrigierte Wiederholung des zuerst Gezeigten bestimmen die gemeinsame Arbeit. Doch was sich hier als scheinbar lineare Abfolge liest, ist in der konkreten Probenarbeit durch Überlagerungen, Brüche, Wiederholungen und Lücken gekennzeichnet. Zwar lassen sich die verschiedenen Handlungsformen differenzieren, ohne dass sie allerdings in eine zeitliche Abfolge gestellt werden könnten. Eine kurze Mitschrift aus den Proben zeigt, wie sich hier verschiedene Sprechebenen und Sprecherpositionen überlagern (Christiane Hörbigers Text ist kursiv gesetzt): »Jetzt fangen Sie an zu reden – Wollen Sie … – Das ist sehr rührend, daß sie versucht Honneurs zu machen – Wollen Sie – Nicht jammern, nur spielen, den Versuch spielen, beide versuchen nur, sie haben noch keine Position, ist ja auch schwer, wenn einer kommt, der einen vergiften will (Hörbiger lacht), und sie Angst vor ihm hat, es ist der Versuch, eine gesellschaftliche Position zu finden, normales Leben herzustellen – Wollen Sie mich akkompagnieren, Herr von Walter, so mach ich einen Gang auf dem Fortepiano – (sie geht auf der Bühne nach hinten) – Versuchen sie nicht innig zu sein – ja, ja – einen gesellschaftlichen Ton, es bleibt dann noch genug – ja, ja – gar nicht hinschauen zu ihm – Wollen Sie mich nicht – Können sie das nicht lustiger sagen, ›wollen Sie mich nicht akkompagnieren?‹ – Wollen Sie – daß es nicht so tragisch anfängt, ›da mach ich einen kleinen Gang …‹ und sie steht auf und macht drei, vier Töne. Jetzt kommen Sie mit einem anderen Vorschlag. – Sie sind mir auch noch eine Revanche auf dem Schachbrett schuldig – ›Sie sind mir Revanche schuldig‹, ohne jeden Vorwurf, so wie Sie jemandem sagen, wollen Sie Tee oder Kaffee – Sie sind mir Revanche – ›Revanche‹ – Revanche schuldig – (im Chor mit Hörbiger) ›Revanche schuldig‹ und jetzt holen Sie das Schachbrett.« 26
26 | Fritz Kortner und Christiane Hörbiger zitiert nach Fünfter Akt, siebte Szene. Fritz Kortner inszeniert Kabale und Liebe. Regie: Hans-Jürgen Syberberg (1965).
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Die ersten sechs Zeilen der Szene – kein Satz wird von der Schauspielerin zu Ende gesprochen, ohne von Kortner unterbrochen zu werden. Was sich kaum im Schriftbild darstellen lässt, sind die zeitlichen Überlagerungen (ebenso wenig wie das Spiel der Blicke zwischen beiden): Handlungsanweisungen überlagern sich mit dem Sprechen des Textes, einem Gang oder einer Geste, das Sprechen eines Wortes mit dem korrigierenden Vorgeben des Regisseurs, mit der Wiederholung der Schauspielerin, teils sprechen sie im Chor, teils wartet sie seine Erklärungen ab, dann unterbricht sie seine Rede mit dem scheinbar zustimmenden und drängenden »ja, ja«. Ein Spiel mit verschiedenen Widerständen: dem Text und seiner Umsetzung in die gesprochene Sprache, dem Widerstand des Regisseurs als Herausforderung an die Schauspielerin durch die Unterbrechung und ihr Widerstand gegen seine Vorschläge. Was beim Betrachten der Probenszene erstaunt, ist, dass durch permanente Unterbrechungen, Wiederholungen und Überlagerungen kein zusammenhängender Eindruck der Sequenz entsteht, wie sie möglicherweise in der späteren Aufführung gezeigt würde. Jeder inhaltliche oder auch darstellerische Zusammenhang löst sich auf. Das szenische Spiel wird durch die Unterbrechungen und Wiederholungen in kleinste zeitliche Segmente unterteilt. Der Text scheint ins Stottern zu kommen. Es stellt sich damit die Frage, wie diese vielen Anmerkungen, Unterbrechungen, Verschiebungen von den Schauspielern erinnert werden können. Wie kann bei der gemeinsamen Arbeit am Detail ein Wissen um die Form der Darstellung entstehen? Hier zeigt sich ein besonderes Modell der Probenarbeit: weniger Vorführen, Überprüfen und Üben der Darstellung als vielmehr ein gemeinsames mimetisches Hervorbringen der Darstellung von Schauspielerin und Regisseur. Wenn die Unterbrechung im schauspielerischen Zeigen auf den Proben notwendigerweise ein zeitliches Intervall einfügt, um etwas wiederholbar zu machen, dann wird dieses Intervall hier in der Überlagerung, mit chorischem Mitsprechen, in der Verweigerung einer Rahmung des Kommentars27 scheinbar zum Verschwinden gebracht. Über diese spezifische zeitliche Struktur lässt sich auch das Verhältnis von Schauspielern und Regisseur bestimmen. Wie die Mitschrift zeigt, entsteht ein fortlaufender Probentext im gegenseitigen Vor- und Nachsprechen, im Kommentieren und Mitsprechen.
27 | Vergleicht man beispielsweise Probenmitschnitte Brechts, so beginnt er seine Kommentare und Unterbrechungen mit einleitenden Worten wie »Entschuldigung« oder »Bitte«. Kortner verweigert jede Rahmung, allein die Schauspieler müssen entscheiden, ob es sich um das Vorsprechen eines einzelnen Wortes, um einen dramaturgischen Kommentar oder eine Bestätigung des Gezeigten handelt, die gerade keine Unterbrechung sein soll. Vgl. Bertolt Brecht: An die Nachgeborenen. Tondokumente. München 1997.
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Dieser Text kann einerseits als soufflierte Rede des Regisseurs gelesen werden, bei der Sprechweise, Ton und Haltung bis ins Detail vorgegeben werden. Die Position der Darsteller macht sie auch zu Zuhörern auf der Szene. Ihr Spiel entwickelt sich mimetisch aus der Vorgabe und deren Übersetzung. Die ständigen Unterbrechungen verweigern dem Sprechen der Schauspieler jeden Respekt: Es gilt, ihre Sprechweise den Vorstellungen und Vorgaben Kortners anzugleichen. Doch lässt sich auch eine dialogische Struktur herauslesen: Jeder Blick, jede Geste, jedes Wort wird an den anderen gerichtet und erwartet eine Antwort. Wenn Kortner Lohner immer wieder das Wort »Mörder« wiederholen lässt, schreiend, klagend, und selbst das Wort herausschreit, beide sich im chorischen Schreien des Wortes hochsteigern und Kortner bei jeder Wiederholung der Sequenz wiederum mitschreit, dann geht es nicht mehr um das mimetische Abnehmen des Tons, kein Soufflieren als Vorgabe und Setzung, der sich der Schauspieler unterzuordnen hat, sondern um ein gemeinsames Sprechen, das nach den Möglichkeiten der Darstellung sucht. Im Zusammenfallen von Zeigen und Kommentierung, Bestätigung und Vorführen, Vor- und Nachsprechen präsentiert sich die Probenarbeit als kollektiver und dialogischer Prozess, der sowohl Widerstände wie Möglichkeiten im Spiel zeigt. Die Szene wird in solchen Momenten nur noch scheinbar von Kortner beherrscht. Das Verhältnis von Regisseur und Schauspieler ist nicht mehr in einem Nacheinander von Vorzeigen und Korrigieren, von Vorsprechen und Nachmachen zu fassen, sondern in der zeitlichen Überlagerung entsteht ein Moment der »Responsivität«28: ein Dialog als »Zwischenreich«, im Sinne Waldenfels, in dem zwischen Regisseur und Schauspielern etwas zustande kommt, »was keiner für sich zustande brächte«.29 Ein solcher Dialog, der von der gegenseitigen Aufmerksamkeit als Form des Antwortens geprägt ist, geht nicht in der Ordnung von Vorgeben und Nachmachen auf. In der Überlagerung, in der Lücke, im wechselseitigen Fragen und Antworten entstehen vielmehr Spielräume. Damit öffnet sich auch ein anderes Konzept des Improvisierens: Nicht nur die Darsteller improvisieren, auch der Regisseur improvisiert im Proben seinen Text. Das Nichtgeplante, Unvorhergesehene der Proben entsteht nicht allein durch die gesetzte Improvisationsaufgabe, sondern der Rahmen der Probe selbst gibt die Aufgabe zu improvisieren vor. 28 | Bernhard Waldenfels erkennt in der Responsivität des Menschen einen »Grundzug allen Reden und Tuns«, verbunden ist damit ein Konzept des Antwortens als Eingehen auf den Anspruch einer anderen Person – im sprachlichen wie im nichtsprachlichen Bereich. Was immer wir tun oder sagen, wir antworten damit auf das Handeln eines anderen. Responsivität kann somit als Sphäre bestimmt werden, »die weder in subjektiven Intentionen noch in transsubjektiven Koordinationen zu ihrem Recht kommt«. Bernhard Waldenfels: Antwortregister. Frankfurt a.M. 1994. S. 327 sowie S. 332. 29 | Bernhard Waldenfels: Das Zwischenreich des Dialogs. Den Haag 1971. S. XI.
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Aber die »Responsivität« der beschriebenen Probe ermöglicht auch den Blick auf eine Modifizierung der Probe als Wiederholung. Anders als in den Konzepten des Übens, die auf eine Automatisierung der Vorgänge zielen, wird hier explizit auf die Verschiebung hingearbeitet, die für jede Wiederholung konstitutiv ist. Weniger um ein Wiederholen als um ein Überholen geht es: als einer Steigerung zum Vorhergehenden. Man lässt sich ein Stück zurückfallen, um Schwung zu holen, neue Energie aufzuwenden, und dann weiter vorne zu landen. In diesem Sinne ist die Probe nicht répétition, sondern dépassement: In einem beständigen Prozess des Verschiebens gilt es, alte Möglichkeiten hinter sich zu lassen. Dies zeigt sich auch in der englischen Bedeutung des Überholens to outmode, übersetzbar mit »veralten lassen«, »alt aussehen lassen«. Ein solches Konzept gilt auch für die Wiederholung als Übung: Der Schauspieler trainiert darauf, sich selbst zu überholen. Somit lässt sich das Konzept der Probe als Wiederholung in einem Spannungsfeld zwischen Üben und Überholen fassen, das je nach Ziel des Probens – als Sicherung von Wissen oder als Hervorbringen einer Darstellung – unterschiedlich zu fassen ist. In Syberbergs Film beispielsweise bleibt der zweite Schritt des Probens ausgeklammert, der der dokumentierten Probe notwendig folgen wird: eine übende Wiederholung zur Sicherung des Wissens. Die Arbeitsweise des ›Überholens‹ ist verbunden mit einem Konzept des Fortschreitens in der Zeit: Das Proben bewegt sich auf ein Ziel zu. Zugleich ist die Probe als Wiederholung aber auch immer eine Auseinandersetzung mit dem bereits Getanen. Die Proben schreiben und haben ihre eigene Geschichte. Die Probe bewegt sich damit in einer dreidimensionalen Zeitstruktur: zwischen Vergangenheit – als Bezug zu dem, was bereits gewesen ist und wiederholbar sein soll –, der Jetzt-Zeit des Probens, die sich durch eine besondere Ereignishaftigkeit auszeichnet, und einer noch zu erfüllenden Zukunft – in der Verwirklichung der in der Probe entworfenen Konzepte in der Aufführung.30 Was gestern war, was jetzt möglich ist und wie alles sein soll – das sind die Fragen, die jede Probenarbeit begleiten. Damit entsprechen sie im Besonderen dem Konzept des Projekts, das schon Diderot als »Plan [….], als Arrangement von Mitteln, welche eine Absicht [Synonym für Projekt] ausführbar machen sollen«31, bestimmt. Entscheidend für das Projekt bleibt dabei eine enge Verbindung zu 30 | In diesem Sinne sieht Jens Roselt das Verhältnis von Probe und Aufführung als wechselseitig: »Die Probe weist auf die Aufführung, die aus ihr hervorgehen soll, wie in der gegenwärtig bleibt, dass sie das vorläufige Ergebnis eines Prozesses ist.« Jens Roselt: »Zukunft probieren«. In: Melanie Hinz/ders. (Hg.): Chaos und Konzept. Berlin 2011. S. 16-37. S. 35. 31 | »Le projet est un plan, ou un arrangement de moyens pour l’execution d’un dessein.« Denis Diderot/Jean d’Alembert: »Projet«. In: dies. (Hg.): Encyclopédie. Paris 1751-1780. Bd. 14, S. 441.
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den Organisationsbedingungen: »Das Projekt limitiert sich, indem es nicht nur abstrakt sein Ziel bestimmt, sondern zugleich die Bedingungen, unter denen es erreicht wird.«32 Für die Probenarbeit bedeutet dies nicht nur, eigene Techniken und Verfahren des Entwerfens, Wiederholens und Übens zu entwickeln, sondern auch, ihren zeitlichen Verlauf zu strukturieren. Aber wie sich die Proben ihre Zeit geben müssen, so müssen sie sich auch ihren eigenen Raum nehmen.
TOPOGR AFIEN DER P ROBE Die Arbeit am Theater beschränkt sich selten auf einen Raum: Die Proben finden auf der Bühne wie in den Probenräumen statt, Besprechungen in ›Konversationszimmern‹ der Theater wie im Gespräch in der Kantine. Jeder dieser Orte stellt die Arbeit in ihrer Inszenierung im Raum aus: im Gegenüber von Regieposition und Bühne oder in der Versammlung am Tisch. Die räumliche Anordnung gibt nicht nur Perspektiven vor, sie definiert auch Positionen und Verantwortungsbereiche. In der Probenpraxis konstituieren sich aber nicht nur spezifische Arbeitsräume, Proben ist auch immer ein Arbeiten an verschiedenen Raumentwürfen – wie am Beispiel der Bauprobe gezeigt. Der Arbeitsraum und das Entwerfen von Räumen sind dabei nicht unabhängig voneinander zu denken. Der reale, physische Raum des Probens setzt in seiner Struktur, in seinen Begrenzungen und Möglichkeiten auch einen Rahmen für die Entwürfe der theatralen Räume: Je nach Größe des Arbeitsraums sind unterschiedliche Bewegungsformen oder ein Spiel mit Distanzen möglich, kann ein Text geflüstert werden oder bedarf es großer Gestik. Theater als Raumkunst wird für einen Raum entworfen. Dieser Raum gibt die Bedingungen der theatralen Darstellung vor: die Blickrichtungen, das Verhältnis von Auditorium und Bühne. Hier zeigt sich allerdings auch der Widerspruch, dass in der Praxis in einem Raum jenseits der Bühne geprobt wird. Die Probebühne kann die Bedingungen des Bühnenraums nur andeuten, aber niemals nachstellen. Die Raumkunst ›Theater‹ wird in einem anderen Raum entworfen, in den der Bühnenraum (virtuell) projiziert werden muss. Dies schafft für die Arbeit besondere Schwierigkeiten – das, was im Probenraum erarbeitet wurde, muss für die Bühne angepasst, überarbeitet werden. Jeder Gang, jeder Schritt muss dem neuen Raum entsprechend überprüft werden. Die Transformation von einem in den anderen Raum ist daher mit der Angst behaftet, das Erarbeitete zu verlieren. Die »technischen Proben« als erste Proben auf der Bühne, im englischen Sprachgebrauch 32 | Georg Stanitzek: »Der Projektmacher. Projektionen auf eine ›unmögliche‹ moderne Kategorie«. In: Markus Krajewski (Hg.): Projektemacher. Zur Produktion von Wissen in der Vorform des Scheiterns. Berlin 2004. S. 29-48. S. 34.
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auch als spacing bezeichnet, werden deshalb oft als besondere Krisenszenarien beschrieben: Der erarbeitete Rhythmus muss dem anderen Raum angepasst werden.33 Aber die Arbeit auf der Bühne wirft auch Probleme auf, die wiederum die Arbeit im Probenraum aufwerten. Die Bühnensituation gibt klare Blickrichtungen vor, das Auditorium ist jederzeit im Bewusstsein der Schauspieler. Der Probenraum, abgetrennt von der Bühne, wird im Gegensatz dazu als Schutzraum verstanden, der Konzentration ermöglicht, als Arbeitsraum, der allein den Theaterpraktikern vorbehalten ist und vor allem keine räumlich zementierte Trennung zwischen Auditorium und Bühnenraum kennt. Dadurch markiert er eine Distanz zur Ausrichtung der Arbeit auf den Blick des Publikums und somit auf die Aufführung als ›Endprodukt‹ der Proben. Nicht nur seine Positionierung innerhalb des Theaterbaus, auch seine Einrichtung verweisen auf ein spezifisches Konzept theatralen Produzierens.34 Wie also sucht die Arbeit am Theater ihren Raum bzw. welcher Raum wird ihr in der Theatergeschichte zugewiesen?
Das Theater als Arbeitsraum Wer ein Stadt- oder Staatstheater in Deutschland (oft Ende des 19. Jahrhunderts erbaut) durch den Bühneneingang betritt – der als solcher oft kaum erkennbar ist – und sich zu orientieren versucht, ist meist hoffnungslos verloren. Flure, Treppenhäuser, Durchgänge, Feuertüren: Der Bau der Theater, von außen klar gegliedert, offenbart sich im Inneren als unübersichtliches Labyrinth. Ganz anders der Empfang als zahlender Zuschauer: Der Eintritt erfolgt oft über eine Freitreppe, die sich zur Stadt hin öffnet. Der Besucher betritt ein Foyer, durch Fenster mit der äußeren Stadt verbunden: Einladend, klar strukturiert präsentiert sich der Bau, offen nach außen. 33 | Dies kann, wie es David Selbourne anhand der Probenpraxis Peter Brooks beschreibt, auch einen notwendigen Umschlagpunkt in den Proben bedeuten. Wurde vorher vor allem improvisiert, wird im Probenprozess von Brooks Sommernachtstraum mit dem Umzug auf die Bühne eine neue Phase gesetzt: eine genaue Festlegung der Bewegungen im Raum. David Selbourne: The Making of ›A Midsummer Night’s Dream‹. An Eye-Witness Account of Peter Brook’s Production From First Rehearsal to First Night. London 1982. S. 169. 34 | Der Probenraum ist niemals einfach »neutral«, betont die Theaterwissenschaftlerin Gay McAuley: »The rehearsal space […] is likely to imprint aspects of its own reality on both the fictional world that is being created and even on the physical reality of the set that will ultimately replace the mock-up so carefully indicated within its confines by means to gaffer tape on the floor und bits and pieces of furniture.« Gay McAuley: Space in Performance. Making Meaning in the Theatre. Ann Abor 2006. S. 74.
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Diese zwei unterschiedlichen ›Gesichter des Theaters‹ – der repräsentative Zuschauerbereich und die versteckten Arbeitsräume, treffen sich im Bühnenraum. Die Rampe wird gleichsam zur Demarkationslinie, die von keiner Seite überschritten werden darf, sie trennt das ›Theater der Repräsentation‹ vom Bereich hinter der Bühne: dem ›Theater der Arbeit‹ – den Werkstätten, Büros und Probenräumen. Diese architektonische Trennung verweist im Kontext meiner Überlegungen nicht nur auf die Frage, wie sich das Theater als Arbeitsraum organisiert, sondern auch, welcher Ort der theatralen Praxis im Verhältnis zu einer theatralen Öffentlichkeit, dem Publikum, zugewiesen wird. Theatergebäude verkörpern in ihrer Struktur Hinweise auf die Praktiken, die sie beherbergen: Die Anordnung des Auditoriums und der Foyers verweist auf das soziale Ereignis des Theaterbesuchs, die Bühnenbilder und Dekorationen implizieren ein bestimmtes Weltbild, die Anordnung der Werkstätten, im Besonderen der Garderoben und Probenräume, zeigt, wie die Arbeit im Verhältnis zur Aufführung gedacht wird. Der Entwurf eines Theaterbaus spiegelt dabei immer auch die jeweils historischen Vorstellungen von Theater und die Konzepte theatraler Praxis wider.35 In diesem Sinne findet auch die Ausweitung der Probenpraxis und der Neubestimmung der Arbeit am Theater um 1800 ihren Niederschlag in der Theaterarchitektur. Die Institutionalisierung der Theater und vor allem die Öffnung der Hoftheater für ein bürgerliches Publikum zeitigt als »Nebenereignis einen neuen, veränderten Schlosstheatertypus«: Es »fallen die Bereiche Kunstproduktion und der Konsumtion räumlich auseinander«.36 Dazu gehört auch die Einrichtung eigener Eingänge für Schauspieler und Mitarbeiter einerseits und Zuschauer anderseits, wodurch eine bis dahin nicht übliche Trennung dieser beiden Gruppen ermöglicht wird. Auch die Probenarbeit bekommt einen eigenen Raum jenseits der Bühne: 1797 wird von Architekturtheoretiker Christian Ludwig Stieglitz explizit ein Probenraum gefordert.37 Generell werden zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert die Nebenräume der Bühne – Werkstätten, Probenräume, Garderoben – kontinuierlich erweitert. 35 | Aus der Sicht heutiger Theaterpraktiker heißt dies oft, in Gebäuden zu arbeiten, die für ein anderes Theaterkonzept entworfen wurden und die so Teil der gegenwärtigen Inszenierung werden. Momentan zeigt sich dies wohl am besten am Hebbel-Theater in Berlin, dessen inzwischen 100-jähriger Theaterbau mit Guckkastenbühne der ästhetischen Ausrichtung des HAU kaum entspricht und das deshalb oft auf unkonventionelle Weise bespielt wird: Gespielt wird auf der Hinterbühne, Führungen durch das Gebäude werden inszeniert, die Zuschauerplätze abmontiert. 36 | Hans Lange: Vom Tribunal zum Tempel. Zur Architektur und Geschichte Deutscher Hoftheater zwischen Vormärz und Restauration. Marburg 1985. S. 15; S. 78. 37 | Vgl. Christian Ludwig Stieglitz: »Schauspiel-Haus« zitiert nach Jochen Meyer: Theaterbautheorien zwischen Kunst und Wissenschaft. Berlin 1998. S. 243ff.
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Allerdings wird die Frage nach den Arbeitsräumen in der Theaterbautheorie des 18. und 19. Jahrhunderts als Nebensache abgehandelt. Die Entwürfe der Theaterbauten orientieren sich an dessen repräsentativer Funktion, nicht an den Erfordernissen der Theaterpraxis.38 Noch 1900 schreibt der Architekt Heinrich Seelig, dass die »lichte Weite« des Bühnenportals maßgebend für die Dimensionierung der Arbeitsräume sei.39 Der Raum der theatralen Arbeit leitet sich aus der Größe der Bühne ab, nicht die Form der Bühne aus der theatralen Praxis. Das Theater wird in zwei Räume geteilt, die unterschiedlich geplant, organisiert und auch gewertet werden. Diese Aufteilung in einen inneren und einen äußeren Bereich stellt die Frage nach der Sichtbarkeit der Arbeit: Es scheint in der Theaterbautheorie weniger darum zu gehen, einen Raum für die Arbeit zu schaffen, als vielmehr ein Gebäude zu konstruieren, das die Arbeit unsichtbar macht. In den Blick rückt das Verhältnis von Zuschauern und Probenarbeit. 38 | So möchte Johann Friedrich Penther in seiner Theaterbautheorie Garderoben, Fundus und Werkstätten zusammenlegen und hält es nicht für nötig, diese Räume überhaupt in seiner Zeichnung zu vermerken: »Auch ist es gut, wenn einige Behältnisse vor Theatri Mahler und Tischler vorhanden. Zwar habe bey meinem Dessein darzu keinen Platz angedeutet, es könnten aber schon die Acteurs mit den zwey Zimmern […] zu Anund Auskleidung […] sich behelffen,und die Zimmer s. und p. dem Mahler und Tischler überlassen.« Johann Friedrich Penther zitiert nach Harald Zielske: »Die Anfänge der Theaterbautheorie in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert«. In: ders./Rolf Badenhausen (Hg.): Bühnenform – Bühnenräume – Bühnendekorationen. Berlin 1974. S. 2863. S. 57. Im Verhältnis zur Erweiterung von Bühne und Foyer werden die Bühnenräume in ihrem Umfang reduziert. Dass die Theaterpraxis andere Anforderungen setzt, zeigt sich darin, dass »die beengten Raumverhältnisse im Bühnenhaus der ständige neuralgische Punkt am Berliner Opernhaus [waren], der schließlich zum Anlaß für höchst entstellende Um- und Erweiterungsbauten wurde«. Ebd., S. 53. Zielske nimmt diese Konzeption als einen Hinweis auf die mangelnde Kenntnis des Theaterbetriebs. Zugleich ist aber auch anzumerken, dass sich die Theaterpraxis dahin gehend verändert hat, dass immer mehr Arbeitsräume jenseits der Bühne gebraucht werden. Es gibt kein Stadttheater aus dem 18. oder 19. Jahrhundert, das nicht im Laufe des 20. Jahrhunderts Erweiterungsbauten, Umbauten oder Auslagerungen erfahren hätte. Die Arbeit weitet sich aus: nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich. Eine erweiterte Ausstattung braucht mehr und größere Werkstätten, Probenräume jenseits des Bühnenraums. Neue technische Möglichkeiten beispielsweise bei der Beleuchtung bedürfen auch der Lagerung von Scheinwerfern und technischem Equipment. All dies bringt zudem größere administrative Aufgaben hervor: Auch für Dramaturgie, Öffentlichkeitsarbeit oder Betriebsbüro werden Räume gefordert, die in den Bauten des 19. Jahrhunderts nicht vorgesehen waren, weil jene Tätigkeiten noch nicht als zur Arbeit am Theater zugehörig empfunden wurden. 39 | Ebd., S. 42.
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Dass die Theaterproben unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, ist eine historische Entwicklung. Wenn beispielsweise in Molières L’impromptu de Versailles die Gegenwart des Marquis de la Thorillière beim Proben zwar stört, aber niemanden erstaunt, dann zeigt sich eine Probenpraxis, die nicht von den Zuschauern abgetrennt ist. Die Proben finden auf der Bühne statt, für (ausgewählte) Zuschauer zugänglich, nicht abgeschottet von einem Pförtner. Die Zuschauer sind sogar oft mit einer Korrektivposition in das Arbeitsszenario integriert.40 Ein Grund für die Abtrennung von Theater-Arbeit und Aufführungspraxis ist sicherlich in den Verschiebungen der Sichtbarkeit von Arbeit generell zu sehen. Während in der ständischen Organisation die Arbeit direkt an den Haushalt angeschlossen war und es damit keine Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Bereich gab, verändert sich diese Raumordnung mit der einsetzenden Industrialisierung. Die Arbeit wird aus dem Zusammenhang des privaten Wohnens herausgelöst. Diese Trennung ist für Adam Smith die wichtigste Voraussetzung für die Arbeitsteilung. Der Arbeit wird ein eigener Ort zugewiesen, der in allem so organisiert ist, dass eine größtmögliche Produktivität erreicht wird. Arbeit wird zu einer eigenständigen Größe, mit eigenem Wert und Zeiteinheiten wie auch einem eigenen Ort.41 Die innerhalb des Probendiskurses wiederkehrende Metapher des Theaters als »Maschine« oder »Fabrik«42 nimmt das Konzept industrieller Arbeitsräume auf: Das Produzieren der Maschine soll unsichtbar, verborgen und reibungslos ablaufen. Übernommen werden dabei Raumordnungen anderer Arbeitsformen. Taylors Leitsatz – »the right man in the right place« – formuliert räumliche Ordnungsstrukturen der Proben, wie sie sich seit Ende des 18. Jahrhunderts entwickeln und durch die Theatergesetze festgeschrieben werden: Funktionen werden transparent gemacht (in der Mitte die Regie, ihr zur Seite und hinter ihr die Assistenz), Kompetenzen werden getrennt (auf der Hinterbühne warten die Schauspieler auf ihren Auftritt; nur die Schauspieler, deren Szene geprobt wird, sind auf den Proben anwesend). Verfolgt wird ein dirigistisches Prinzip: Jeder kennt seinen Ort, an dem er sich aufzuhalten hat. Um diesen Ablauf nicht
40 | Vgl. dazu Gösta M. Bergman: »Der Eintritt des Berufsregisseurs in das französische Theater«. In: Maske und Kothurn. 12 (1964). S. 431-454 Goethe beschreibt auch im Wilhelm Meister die Anwesenheit zweier »Theaterliebhaber«, die für Wilhelm Korrektivposition übernehmen. Auch in verschiedenen Schauspielerbiografien werden Proben als öffentlich beschrieben. 41 | Vgl. zur Entwicklung des Arbeitsplatzes Jürgen Kocka: »Last und Lust. Arbeit im Wandel«. In: Gerhard Kilger/Hans-Jürgen Bieneck (Hg.): Neue Qualität der Arbeit. Wie wir morgen arbeiten werden. Frankfurt a.M./New York 2002. S. 251-257. 42 | Erinnert sei an Stanislawskis Beschreibung des Theaters als Betrieb. Vgl. auch Michel Pruner: La fabrique du théâtre. Paris 2000.
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zu stören, ist jeder, der nicht eine konkrete Funktion besitzt, von den Proben ausgeschlossen. Legitimiert wird die Ausgrenzung der Zuschauer mit einer möglichen Gefährdung des Probenprozesses. Das Publikum wird als gefährliche Kraft begriffen, die jederzeit die Arbeit der Künstler unterlaufen, stören und zerstören kann. Der Einfluss der Zuschauer auf die Arbeit am Theater soll so gering wie möglich gehalten werden, indem man sie von den Herstellungsvorgängen fernhält und als schweigende Masse im dunklen Raum des Auditoriums festsetzt. Für die Probenpraxis entstehen aus diesem Einschließen und Abgrenzen der Arbeit aber neue, technische Probleme. Gehört zum theatralen Produzieren konstitutiv die Zuschauerposition, so ist diese in den von der Öffentlichkeit abgeschlossenen Proben neu zu definieren: Der Regisseur wird zum Stellvertreter des Zuschauers erklärt. Sein (professioneller) ›Blick von außen‹ wird zum wichtigen Topos in der Theaterpraxis. Die Position, von der aus der Regisseur blickt, ist (meist) gegenüber dem Fluchtpunkt der Bühne verortet – damit übernimmt der Regisseur die Position des Fürsten im Barocktheater. Behauptet wird ein Zentrum, von dem aus die Darstellung geordnet wird: der ideale Zuschauerblick.43 Verbunden ist damit nicht nur ein Moment der Distanzierung vom Tun auf der Bühne, sondern auch eine Form der Arbeitsteilung. Waren bei den Wandertruppen die Prinzipale nicht selten auch mit auf der Bühne, oder übernahmen in den Hoftheatern des 18. Jahrhunderts die Schauspieler die Position der Regie, wird im Laufe des 19. Jahrhunderts mit der Entwicklung einer Position des Regisseurs, der zunehmend Verantwortung – erst administrativ und schließlich künstlerisch – für die Inszenierung übernimmt, die Bedeutung des distanzierten Blicks auf die Bühne hervorgehoben: »So besteht denn ganz von selbst, wie schon erwähnt, eine wesentliche Aufgabe des Regisseurs darin, sich in ein richtiges Verhältnis zu seinem Publikum zu setzen – selbst gleichsam ein konzentriertes Publikum zu sein«, erklärt Carl Hagemann zu Beginn des 20. Jahrhunderts.44 Die Position des Regisseurs potenziert die der Zuschauer: Er wird zum Stellvertreter für das gesamte Publikum. Kritisiert wird dabei zugleich eine Personalunion von Schauspieler und Regisseur. Das Ideal einer 43 | Die Konstituierung des Theaters als visueller Apparat und die damit verbundene Trennung von Bühnen- und Zuschauerraum ist ebenfalls als historisches Phänomen zu beschreiben. Vgl. Ulrike Haß: Das Drama des Sehens. München 2005. 44 | Hagemann: Regie. S. 139. Hagemann kritisiert die Spielverpflichtung für den Regisseur, dem damit die »Übersicht des Ganzen« verloren gehen kann. »Er kann das Bühnenbild nicht restlos überwachen, also seine Aufgabe gar nicht leisten, wenn er selbst drinsteckt. Abgesehen davon, daß dem Darsteller sein Regisseur fehlt. Denn keiner kann sein eigener Regisseur sein. Und doch braucht auch der genialste Schauspieler unter allen Umständen einen Regisseur.« Ebd., S. 162.
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in sich geschlossenen Inszenierung – als geordnetes Verhältnis der theatralen Mittel zueinander – ist nur durch Arbeitsteilung zu erlangen. Diese Form der Spezialisierung legitimiert sich auch über ein grundlegendes Problem jeder schauspielerischen Darstellung: Der Schauspieler sieht sich nicht beim Darstellen. Er kann den Blick des Zuschauers auf sich selbst nicht nachvollziehen. Gespiegelt wird ihm der Zuschauerblick durch den Regisseur und verweist damit auch auf den ›blinden Fleck‹ im eigenen Sehen. Der Schauspieler bleibt seinem eigenen Tun gegenüber blind und somit abhängig von dem, was der Regisseur ihm widerspiegelt. Der ›Blick von außen‹ lässt sich damit auf zwei verschiedenen Ebenen betrachten: als Form einer künstlerischen Praxis, bei der das Hervorbringen immer mit einer Ebene der Reflexion und Beobachtung verschaltet ist, wie auch auf der Ebene der Konstituierung eines Arbeitszusammenhangs, der eine Hierarchie im Blickregime installiert. Aus der Perspektive der Zuschauer geht es bei der Trennung der TheaterArbeit von der Aufführung aber noch um etwas anderes. Die Einheit der Szene, maßgebend für eine Neubestimmung des Theaters um 1800, bedarf der Ausgrenzung der Arbeit. Der Zuschauer schaut aus dem Auditorium auf eine geschlossene Welt, das Bühnengeschehen wird als virtuelle Realität begriffen. Alles, was von der Arbeit sichtbar bleibt und damit diese Abgeschlossenheit in Frage stellt, muss ausgegrenzt werden: Umbauten, Auftritte, aber auch Arbeitsräume wie Garderoben, Werkstätten werden versteckt. Damit entwickelt sich aber auch die Suche nach den Vorgängen hinter der Bühne zu einem eigenen Topos. Der Bereich der Theaterpraxis wird geheimnisvoll aufgeladen und romantisch verklärt. »Das Theater ist finster und weit: der tiefste Vorhang ist gewöhnlich herunter gelassen und es herrscht Stille und Reinlichkeit auf der Scene; alle Arbeiter haben sich entfernt, um den Künstlern das Reich zu überlassen. […] Ich liebe diese Stille sehr und bin streng dafür, daß die Arbeiter so wie jeder Überflüssige von den Proben entfernt gehalten werde. Der Regisseur sey mit den darstellenden Künstlern im vertraulichen tête-à-tête, und nur der Souffleur dränge sich hinein, der bei dieser Probe die Hauptrolle spielt.« 45
Die Probenpraxis konstituiert einen Arbeitsraum, der sich durch Intimität auszeichnet und sich zugleich von der Arbeit am Theater jenseits der künstlerischen Praxis abgrenzt. Die Abtrennung wird verbildlicht durch den heruntergelassenen Vorhang: Die Bühne ist vom Auditorium abgeschlossen und für 45 | August Lewald: »In die Scene Setzen«. In: ders.: Allgemeine Theater-Revue. Stuttgart/Tübingen 1838. S. 249-308. S. 276. Die »Vertraulichkeit«, die Lewald fordert, steht in direkter Opposition zu jenem räumlichen Dispositiv der Überwachungsfunktion der Probe als Prüfung. Nicht die Überprüfung, sondern die Ermöglichung theatralen Produzierens steht im Vordergrund.
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niemanden einsichtig.46 Verhandelt wird dabei auch das Motiv der Korruption der schauspielerischen Arbeit durch den Zuschauer. Im Sinne einer als autonom verstandenen Kunstpraxis darf nicht für ihn produziert, muss sein Blick auf die Darstellung explizit ausgeschlossen werden: Das Publikum wird zur anonymen Größe. Die künstlerische Praxis findet versteckt statt, abgetrennt von den Blicken der Öffentlichkeit, für die sie bestimmt ist. Diese Abtrennung der künstlerischen Praxis seit Ende des 18. Jahrhunderts ist ein Topos, der sich nicht nur im Theater findet. So führen Atelierbilder aus dem 19. Jahrhundert den Maler einsam in seinem Arbeitsraum und in sein Tun versunken vor. Verbunden wird damit das individualistische Konzept des Künstlers als Außenseiter – verbildlicht im abgeschiedenen Arbeitsraum. Die Arbeit wird als Geheimnis inszeniert und konstituiert damit zugleich ein spezifisches Interesse der Zuschauer an der Praxis, von der sie ausgeschlossen werden: Der Blick hinter die Kulissen wird zum zentralen Topos des Diskurses über die Proben.47 Der Ausschluss der Zuschauer aus dem Theater bedeutet nicht nur eine Professionalisierung der Theaterpraxis und eine zunehmende Spezialisierung, damit verbunden ist auch der Verlust des Wissens der Zuschauer um die Techniken zur Hervorbringung einer Aufführung. Akáts, Lewald oder Laube veröffentlichen ihre Arbeiten zur Probenpraxis auch mit dem Ziel, um Verständnis für die Schwierigkeiten des theatralen Produzierens zu werben. Erst wird dem Zuschauer der direkte Einblick in die Betriebsgeheimnisse des Theaters verwehrt, um ihm dann über andere Formen der Vermittlung – beispielsweise Bücher oder Memoiren von Schauspielern – wieder einen Blick auf die künstlerische Produktion zu ermöglichen. Erst über die Ausgrenzung und den damit verbundenen gewährten Einblick lässt sich eine Ausnahmestellung des künstlerischen Produzierens behaupten. Ausgestellt wird die Fiktion eines exklusiven und privilegierten Einblicks: das Schauspiel der theatralen Arbeit selbst. Mit einer veränderten Konzeption der Arbeit am Theater – wie sie beispielsweise Brecht oder Meyerhold fordern – wird auch genau jenes ambivalente Verhältnis von Verstecken und Offenbaren der Arbeit zum Kritikpunkt. Gegen die Mystifizierung künstlerischer Praxis wird das Offenlegen der Konstruktion gesetzt: als Mittel der Desillusionierung und Verfremdung. Arbeitsvorgänge 46 | Auch in den Proben Stanislawskis wird die Intimität der räumlichen Probensituation hervorgehoben: »Der Regisseur soll allein im leeren Zuschauerraum sitzen.« Gortschakow: Regie. Unterricht bei Stanislawski. S. 202. 47 | Vgl. zu diesem Topos: Stefanie Diekmann: Backstage-Konstellationen von Theater und Kino. Habilitationsschrift. Typoskript 2007. In ihrer Studie zum Verhältnis von Geheimnis und Neugierde verweisen Aleida und Jan Assman auf das Wechselverhältnis von Verdecken und Offenlegen: »[S]ie konstituieren sich erst im Blick der Neugierde, den sie zugleich provozieren.« Aleida und Jan Assmann: »Geheimnis und Neugierde«. In: dies. (Hg.): Schleier und Schwelle. München 1999. Bd. 3, S. 7.
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werden auf der Bühne ausgestellt. Verbunden mit der Abschaffung des Vorhangs fordert Brecht von den Bühnenarbeitern: Lasst den Zuschauer »gewahren//Daß ihr nicht zaubert, sondern//Arbeitet, Freunde«48. Die Raumutopien der klassischen Avantgarden verbinden Arbeits- und Bühnenraum: Im Entwurf des »Totaltheaters« von Piscator und Gropius beispielsweise soll die Trennung von theatraler Arbeit und Aufführungspraxis überwunden, die Theatertechnik in den Bühnenraum integriert werden.49 Diese historischen Verschiebungen in der Dialektik von Innen und Außen, von Verstecken und Offenlegen, von Intimität und Kollektivität des Produzierens lässt sich anhand der Bewertung des Probenlichts nachzeichnen. Vor der Elektrifizierung verbot sich ein Proben bei voller Beleuchtung aufgrund hoher Materialkosten. Die ersten Probendefinitionen heben daher auch die besondere Form der Beleuchtung hervor, die Probe als »Aufführung […] ohne vollständige Beleuchtung«50 oder das »Halbdunkel der Bühne«51 , in dem die Proben stattfinden. Die Probe findet im 19. Jahrhundert in der Verschwiegenheit des abgedunkelten Bühnenraums statt, die Arbeit kommt nicht ›ans Licht‹ – wie es beispielsweise Lewald zum Probenprinzip erhebt. Erst im beginnenden 20. Jahrhundert – auch als Folge der Einführung des elektrischen Lichts – wird eine volle Beleuchtung der Proben gefordert: »Licht regt an«, und an diese Anregung müsse sich der Schauspieler nach Meyerhold erst gewöhnen.52 Für Brecht ist nun genau dieses künstliche Licht Teil des theatralen Illusionsapparats, dessen Konstruktionen er offenzulegen trachtet. »Die Probenarbeit wird in unsern Theatern schon dadurch erschwert, daß sie bei künstlichem Licht stattfindet. Die Theater, die Kirchen, die Brauereikeller sind Gebäude ohne Fenster. Das Tageslicht wäre, weil es nüchtern erhält, jedem künstlichen Licht vorzuziehen.« 53
48 | Bertolt Brecht: »Die Vorhänge«. In: GW. Bd. 9, S. 794. 49 | Vgl. dazu Silke Koneffke: Theater-Raum. Hamburg 1999. 50 | Karl Herloßsohn/Hermann Marggraff (Hg.): Allgemeines Theater–Lexikon oder Encyklopädie alles Wissenswerthen für Bühnenkünstler, Dilettanten und Theaterfreunde. Altenburg/Leipzig 1846. S. 125 51 | »La scène, à peu près nue, ne contient que les accessoires indispensables, et n’est éclairée que par trois ou quatre becs de gaz. C’est dans cette quasi-obscurité, faiblement combattue par quelques percées lointaines de jours, mais à laquelle l’œil s’habitue, qu’on procède au premier travail scénique.« Arthur Pougin: Dictionnaire du théâtre. Paris 1886. S. 648 52 | Wsewolod Meyerhold: »Aus Reden auf Sitzungen der Regiesektion der Gesamtrussischen Theatergesellschaft (1938/1939)«. In: ders: Schriften. Bd. 2, S. 434. 53 | Bertolt Brecht: »Der Weg zum zeitgenössischen Theater«. In: GW. Bd. 15, S. 192.
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Gegen jenes Halbdunkel, das Lewald als Moment der Konzentration hervorhebt, wird der vollständig ausgeleuchtete Raum gesetzt, in dem alles sichtbar ist, auch der Regisseur. Bei Tageslicht sind nicht nur alle gleich sichtbar, auch der szenischen Darstellung wird eine Rahmung durch die Beleuchtung verweigert. Jede Differenz zwischen schauspielerischer und alltäglicher Darstellung soll vermieden werden: Alles soll aussehen ›wie in echt‹. Das Tageslicht wird zum Ideal der Arbeit, die nicht verborgen vor den Blicken der Öffentlichkeit stattfindet. Wenn Rousseau am Theater die dunklen Räume kritisiert, die nach dem Prinzip der Trennung organisiert sind, und dagegen eine Öffentlichkeit der gemeinsamen Feste setzt, dann verfolgt Brechts Öffnung ein anderes Programm der Aufhebung der Trennung, nämlich in der Angleichung des theatralen Produzierens an eine andere Form der Arbeit: »Brecht öffnete die dunklen Probenräume und probte am liebsten bei Tageslicht, und genauso öffnete er das Theater […].«54 In den Theaterexperimenten der 1960er Jahre wird diese Öffnung der Theater in der bewussten Nachfolge Brechts zum Programm. Die Öffnung des Theaters zielt aber vor allem auf ein verändertes Verhältnis zum Publikum. Nicht ausgewählte Zuschauer werden zu den Proben zugelassen wie bei Brecht, sondern die Probenarbeit sucht sich ihr eigenes Publikum. 1973 probt die Performance Group in New York unter der Leitung des Regisseurs und Theatertheoretikers Richard Schechner Mutter Courage – auch beim Proben ist der Einfluss Brechts zu finden: »Wenn es das Wetter erlaubte, zogen wir die große Vordertür der Performing-Garage hoch, um den Leuten von der Straße, Studenten und Freunden das Hereinkommen zu erleichtern. […] Die Proben vermittelten ein Gefühl von ›stop and go‹, bei dem aber nichts darauf hinauslief, sich dem Publikum in irgendeiner Weise anzupassen. Trotzdem war ein Unterschied spürbar: Das Spiel erhielt einen öffentlich sozialen Kern und die Arbeit den Charakter einer Demonstration, auf eine bestimmte Art zu arbeiten.« 55
Auf den ersten Blick scheint das Theater wieder an eine Praxis anzuknüpfen, die es am Beginn der Probenpraxis mit Mühe und über Gesetze abgeschafft hat – die Öffnung der Proben für ein Publikum. Allerdings werden die Zuschauer nicht als Mitproduzenten des Arbeitens verstanden – anders als bei Molière haben ihre Kommentare keinen Platz. Im Gegenteil: Schechner verneint jede Beeinflussung durch das Publikum, auch er fürchtet eine Korruption des künstlerischen Prozesses durch die Reaktionen des Publikums. Weiterhin wird ein 54 | Manfred Wekwerth zitiert nach Portraits: Manfred Wekwerth – Chefregisseur am Berliner Ensemble, Fernsehen der DDR 1964. Im Bestand des Brecht-Archivs. 55 | Richard Schechner: Theater-Anthropologie. Reinbek bei Hamburg 1990. S. 91f. Auch die Wooster Group sucht sich einen spezifischen Ort für ihre Arbeit: eine Garage.
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autonomer Status des künstlerischen Schaffens gefordert: Es darf nicht für den Zuschauer gearbeitet werden, sondern nur vor ihm und mit ihm. Der Zuschauer bezeugt die Arbeit im Sinne einer sozialen Praxis, vor allem aber als Zeuge eines Experiments eines ›anderen Arbeitens‹. Er ist Zeuge einer Demonstration der Arbeit, bei Brecht wie bei der Performance Group.
Das Theater als Labor Mit dem Entwurf einer theatralen Praxis als Experiment wird ein anderer Arbeitsraum jenseits des Theaters zum Modell: das Labor. Als Ort der Wissenschaft zielt das Labor auf die »Fabrikation von Wissen«56 – in der experimentellen Erprobung wie in der exemplarischen Realisierung von Versuchsaufbauten. Im Labor sollen Rahmenbedingungen für die Untersuchung von Phänomenen geschaffen werden – die zugleich eigens im und für das Labor hergestellt werden müssen. Das Laboratorium ist damit immer auch Austragungsort und Bühne für die Repräsentation, Konstitution und Vermittlung des Produzierens von Wissen. Für die Probenarbeit bedeutet das, dass nicht mehr die »Fabrikation« der Inszenierung ihr Ziel ist, sondern das Fabrizieren von theatralem Wissen, abgeleitet aus dem Konzept einer theatralen Forschungspraxis. Im Sinne eines Experimentalaufbaus wird für eine solche Arbeitsform ein besonderer Versuchsraum gefordert. So formuliert Meyerhold die Idee des Theaters als »Experimentierbühne«, in der »Regisseure arbeiten können, aber nicht verpflichtet sind, an die Öffentlichkeit zu gehen«. Für das Theater sollen vergleichbare (räumliche) Bedingungen gelten wie für Experimente in den Naturwissenschaften: »Keine Sitzungen, sondern schweigend in irgendeinem Zimmer sitzen und Experimente machen, anders kommt nichts mehr heraus, man muss Entdeckungen machen.«57 Angesichts einer notwendig kollektiven theatralen Arbeit erstaunt die Forderung nach Isolierung. Schweigend im Zimmer zu sitzen kann nur ein erster Schritt in der theatralen Praxis sein. Formuliert wird aber die Idee eines Produzierens von Wissen jenseits des Paradigmas von Zeigen und Schauen. Das Labor wird als Ort der »Konzentration« entworfen, in dem der Blick des Zuschauers ausgeblendet werden kann. Nicht die Inszenierung als Produktion, sondern experimentelle theatrale Praxis als Modell für ein anderes Produzieren werden im Labor erforscht. Dieser Topos des Theaters als Labor wird von verschiedenen Theatergruppen in den 1960er Jahren konkret umgesetzt. Der polnische Regisseur Jerzy Grotowski gründet in Opole 1959 sein Theaterlaboratorium und erklärt die dortige theatrale Praxis als »wissenschaftlich gültig«, weil hier »wie in allen wirkli56 | Karin Knorr-Cetina: Wissenskulturen. Frankfurt a.M. 2002. S. 48. Ihre These ist, dass im Labor Erkenntnis fabriziert werde, analog zu einer Fabrik. 57 | Meyerhold: Schriften. Bd. 2, S. 442f.
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chen Laboratorien […] die wesentlichen Bedingungen eingehalten werden«, das bedeutet »absolute Konzentration« und »keine zeitliche Begrenzung«.58 Es geht nicht mehr nur um den Rückzug aus der Öffentlichkeit in die Arbeitsräume am Theater und damit eine Trennung zwischen Arbeits- und Aufführungssituation, sondern das Erforschen des Theaters wird jenseits der Institution Theater situiert. Gesucht wird nach dem größtmöglichen Abstand, um eine neue Perspektive zu bekommen. Mit dieser Abgeschlossenheit wird auch ein Abstand zu den gesellschaftlichen Moralvorstellungen verbunden. Wenn der Schauspieler vor »keinem Hindernis zurückschreckt, das gute Sitten und Betragen errichtet haben«59, dann wird im Ausschluss der Öffentlichkeit und der Absage an die Institution Theater und ihre architektonischen Vorgaben zugleich die Voraussetzung für einen Akt der Überschreitung gesellschaftlicher Normen gesehen. Die ursprüngliche Arbeit am Theater wird jenseits des Apparates gesucht, jenseits der bereits erbauten oder eingerichteten Räume. Damit soll die Arbeit an der theatralen Darstellung in ihrer Reduktion zu einer Form der ›Ursprünglichkeit‹ zurückfinden. Diese Idee der Avantgarde, eine Befreiung des Theaters durch eine Abschaffung des Apparates zu erreichen, lässt sich mit einem Motiv der räumlichen Distanzierung fassen. An die Stelle der Öffentlichkeit des Theaters, die zugleich mit dem Druck, für ein spezifisches (bürgerliches) Publikum und dessen Erwartungen zu produzieren, verbunden wird, tritt der Entwurf von Produktionsstätten jenseits einer Anbindung an ein festes Auditorium. Ehemalige Fabriken, Lagerhallen, Produktionsräume werden zu Theatergebäuden umfunktioniert: eine Neubestimmung des Theaters durch die Besetzung anderer Arbeitsräume. Am Ort der bisherigen industriellen Arbeit wird die Arbeit am Theater installiert, deren Konstruktionsprozesse ausgestellt werden. In vielen Projekten findet die Arbeit am Theater gerade dort statt, wo die Institution ›Theater‹ nicht ist: auf dem Land, in Dörfern oder in Ländern ohne eine europäisch beeinflusste Theatertradition, wie beispielsweise bei den von Peter Brook initiierten Theater-Reisen durch Afrika.60 Eine Neubestimmung der Arbeit am Theater soll durch eine Distanz erreicht werden zu dem, was die ›Institution Theater‹ als Arbeit vorgibt. Der ›Arbeitsvorgang Theater‹ wird auf das Notwendigste reduziert: »Ich kann jeden leeren Raum nehmen und ihn eine nackte Bühne nennen«61 , schreibt Peter Brook. Von allem Äußerlichen befreit, soll die Arbeit am Theater zu sich selbst finden. Nicht mehr Organisation, 58 | Grotowski zitiert nach Peter Brook: »Vorwort«. In: Jerzy Grotowski: Für ein armes Theater. Zürich 1986. S. 9. 59 | Ebd., S. 116. 60 | Bereits in den klassischen Avantgarden finden sich zahlreiche Theaterprojekte, die aufs Land ziehen. Auch die Theatergruppen der 1960er Jahre verlassen die Städte, proben in Dörfern, gründen wie Eugenio Barba neue Theater jenseits der Stadt. 61 | Brook: Der leere Raum. S. 9.
8 P ROBENZEIT UND A RBEITSRAUM
kein Betrieb, nicht mehr Verhandlung oder Einrichtung: Allein die Arbeit am theatralen Vorgang wird als Suche nach der ›Wahrheit‹ des Theaters bestimmt. Es sind in diesem Sinne theatrale Forschungsexpeditionen. Die theatrale Praxis löst sich von ihrem Arbeitsplatz und entwirft eine Utopie des Theaters als Nicht-Ort. Über den Arbeitsraum und seine Einrichtung wird das Verhältnis der Probenden untereinander, die Arbeit am Theater über ihr Verhältnis zu einem anund abwesenden Publikum definiert, auf den Proben wie in der Aufführung. Die Verschiebungen von Sichtbarkeit und Verstecken, von Distanz und Intimität der räumlichen Konzepte des Probens rücken das Verhältnis der Beteiligten in den Vordergrund – und verweisen damit auf eine Frage, die bisher immer am Rande diskutiert wurde: die Proben als Form der kollektiven Kreativität.
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9 Kollektive Kreativität: Tun und Lassen
»Die Schule einer szenischen Kunst beruht hauptsächlich darauf, daß der Schauspieler nie, unter keinen Bedingungen, sich der Einsamkeit ergibt, welche die anderen Künste mehr oder minder erfordern, sondern immerdar als Glied einer Mitgenossenschaft sucht, versucht und wirkt.«1
Dies schreibt der Düsseldorfer Theaterleiter Karl Immermann 1840 an den Schauspieler Eduard Genast und verweist damit auf eine Spezifik der theatralen Praxis – und aller performativen Künste –: das kollektive Produzieren. Für Immermann liegt darin nicht nur die Unterscheidung zu anderen Künsten, sondern auch ein Imperativ der theatralen Praxis: Jeder müsse sich als ein Teil des übergeordneten Prozesses verstehen. Immermanns Rede von einer »Mitgenossenschaft« lässt dabei Konzepte von Theaterkollektiven aufscheinen, wie sie später im 20. Jahrhundert virulent werden: als Frage nach kollektiver Kreativität des theatralen Produzierens – von den Theaterkollektiven der Weimarer Republik bis zur Probenkonzeption Christoph Marthalers, wie Hajo Kurzenberger ausführt.2 Jedes Proben konstituiert ein Arbeitsszenario, das mehrere Beteiligte umfasst. Diese Intersubjektivität des Produzierens wurde bisher über die Formen der Organisation, hinsichtlich von Abhängigkeiten, hierarchischen Strukturen, als arbeitsteiliger Vorgang gefasst. Was dabei in der Überlegung ausgeklammert blieb, ist die Frage, wie dieses kollektive Produzieren nicht nur organisiert werden kann, welche Strukturen sich finden und beschreiben lassen, sondern worin die besondere Produktivität dieses gemeinsamen Arbeitens besteht und wo seine Grenzen liegen. 1 | Karl Immermann am 11. März 1840. In: ders.: Theaterbriefe. Berlin 1851. S. 140. 2 | Hajo Kurzenberger: »Theaterkollektive: Von der ›Truppe 31‹ zur ›Marthaler-Familie‹, von der Politisierung der 68er Bewegung zur Privatisierung des Theatermachens in den Neunzigern«. In: Ingrid Gilcher-Holtey/Dorothea Kraus/Franziska Schößler (Hg.): Politisches Theater nach 1968: Regie, Dramatik und Organisation. Frankfurt a.M. 2006. S. 153-178.
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Dass die kollektive Form des Produzierens nicht nur als produktiv bewertet wird im Diskurs über die Probenpraxis, zeigt sich beispielhaft in der Diskussion über die Notwendigkeit einer Regiefunktion um 1900, die vor dem Hintergrund einer als problematisch erfahrenen Arbeitsteilung am Theater geführt wird. Der Theaterkritiker und -theoretiker Julius Bab erklärt beispielsweise: »Es gibt nur eine Kunst, in der eine ziemlich weitgehende Arbeitsteilung Platz gegriffen hat und deshalb wieder eine starke Zusammenfassung nötig ist, um das Produkt ans Licht zu bringen, und das ist das Theater!«3 Ähnlich argumentiert auch Carl Hagemann, der hinsichtlich der Probenarbeit erklärt: »Die Arbeit kann man teilen, den Geist, der sie lenkt, nicht«, und der den Regisseur als »gebildeten Despoten« fordert4 (wobei er sich dabei auf Oscar Wilde bezieht). Dieses Verhältnis von Regisseur und Schauspielern wird oft mit militärischen Metaphern gefasst: Von einem »Feldzug«5 ist die Rede, den es genauesten vorzubereiten gelte, und von der notwendigen Unterordnung: »[Die Schauspieler] sind wie Soldaten ganz abhängig von der Führung, welche ihnen zu Theil wird«6, erklärt der Regisseur Heinrich Laube 1872. Die Arbeitsteilung, die zugleich Herausforderung und Besonderheit des theatralen Produzierens ist, weil hier verschiedene Ansichten, Vorstellungen, Kompetenzen aufeinandertreffen, soll in der Figur des Regisseurs aufgehoben werden: Die künstlerische Kreativität des Schaffens einer Inszenierung wird an eine singuläre Position gebunden. Die Konzentration auf die Position der Regie lässt sich vor dem Hintergrund einer Konzeption künstlerischer Praxis lesen, die sich am individuellen und autonomen Künstlersubjekt ausrichtet. Was dabei aus dem Blick gerät, sind andere Konzepte von Kreativität, die das wechselseitige Verhältnis von Schauspielern und Regisseur betonen. Denn wie Jens Roselt in seiner Phänomenologie des Theaters ausführt, ist die Probe nie einfach ein »kalkulierter Ablauf der planmäßigen Umsetzung vorgefertigter Interpretationen und Konzepte«, sondern ihre »Kreativität« besteht darin, »wie der Probeplan unterwandert oder überstiegen wird«. In diesem Sinne gilt es, den dynamischen Prozess in seiner Intersubjektivität in den Blick zu nehmen und die Probe als »Ort für Probeerfahrungen, in dem die Konfrontation mit anderen Menschen, mit Materialien wie Texten oder Regieeinfällen und mit dem eigenen Körper gesucht wird. Proben hieße damit auch, sich anderen und sich selbst auszusetzen.«7 Betrachtet man den Diskurs über die Probe, dann wird dieser Aspekt des Sich-Aussetzens in seiner Offenheit meist nur in eine Richtung, aus der Pers3 | Julias Bab: Soziologie des Theaters. Leipzig 1931. S. 40. 4 | Carl Hagemann: Regie. Die Kunst der szenischen Darstellung. Berlin/Leipzig 1912. S. 34. 5 | Ebd., S. 317. 6 | Heinrich Laube: Das Norddeutsche Theater. Leipzig 1872. S. 145. 7 | Jens Roselt: Phänomenologie des Theaters. München 2008. S. 189.
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pektive der Schauspieler, beschrieben, dagegen wird dem Regisseur meist eine Position des Wissenden zugeteilt. Auch wenn er sich der Offenheit des Prozesses aussetzt, wie es beispielsweise Peter Brook beschreibt, ist er es, der bewusst eine Probenmethode setzt. Aus dem Blick gerät dabei leicht, dass auch der Regisseur sich der Probensituation aussetzt, von ihr beeinflusst wird und auch seine Arbeit nicht unabhängig von den Proben und dem dortigen Geschehen existiert.8 Jene dynamischen Prozesse, Störungen, Umwege und Dissonanzen des Probens scheinen ungleich schwieriger zu beschreiben zu sein, gerade weil sie sich einem linearen Prozess des Produzierens entziehen.
P ROBEN ALS »I NSELN DER U NORDNUNG « (H EINER M ÜLLER) »Regisseur ist ja kein Beruf. Ich bin sowieso keiner, ich kann nur mit Leuten arbeiten, denen selber etwas einfällt«9, erklärt der Regisseur Heiner Müller im Kontext seiner Inszenierung Hamlet/Hamletmaschine (1990). Müller nennt sich selbst einen »Regie-Dilettanten«10 und kritisiert die Form der Arbeitsteilung im Theater als ein »Industrieprodukt des 19. Jahrhunderts«11 . Dass diese Bemerkung in einem Interview für das Buch Regie: Heiner Müller formuliert wird, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, denn Müller arbeitet in jenen im 19. Jahrhundert sich entwickelnden Strukturen und wird durchaus als »Regisseur« seiner Inszenierungen geführt. Zugleich aber spricht Müller in seinen Texten, in Interviews und Essays von einer »Arbeit am Verschwinden des Autors«12 , sucht nach dem Ausstellen der »Produktion im Produkt« und beschreibt ein Konzept von künstlerischer Praxis anhand der Metapher der Blindheit: ein Schreiben, das sich der Kontrolle des Autors entzieht, im Überschreiben, Zitieren und Verschieben von Material. Die Kunst als »blinde Praxis« kann sich ungenutzten »Reserven« nähern: »Solange eine Kraft blind ist, ist sie eine Kraft. Sobald sie ein Programm, eine Perspektive hat, kann sie integriert werden und gehört dazu.«13 Formuliert wird ein Konzept ästhetischer Praxis, das ganz bewusst einen 8 | Vgl. Hajo Kurzenberger: »Kollektive Kreativität: Herausforderung des Theaters und der praktischen Theaterwissenschaft«. In: Stephan Porombka/Wolfgang Schneider/ Volker Wortmann (Hg.): Kollektive Kreativität. Jahrbuch für Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis 2006. Tübingen 2006. S. 53-69. 9 | Heiner Müller im Gespräch mit Dieter Kranz nach einem Durchlauf von Hamlet/Hamletmaschine 05.03.1990. ID 677 [= Inszenierungsdokumentation im Archiv der Akademie der Künste]. 10 | Martin Linzer/Peter Ullrich (Hg.): Regie: Heiner Müller. Berlin 1993. S. 9. 11 | Ebd., S. 27. 12 | Heiner Müller: Rotwelsch. Berlin 1982. S. 98. 13 | Ebd., S. 178.
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Widerspruch zu den konkreten Bedingungen des theatralen Produzierens setzt, wie sie an den Theatern üblich sind, an denen Müller inszeniert. Diese Arbeit ist, wie gezeigt, ausgerichtet an der Setzung eines Regisseurs und an dessen sprachlicher Vermittlungsleistung, an konzeptionellen Vorgaben durch den Regisseur und dessen Blick, der gerade alles sehen soll. Wie also stellt sich die Probenarbeit eines Regisseurs dar, der keiner sein will und das Theater selbst als Institution in Frage stellt? Die Probenarbeit Heiner Müllers an der Inszenierung Hamlet/Hamletmaschine (1989/1990) ist verhältnismäßig ausführlich dokumentiert – auch vor dem Hintergrund der gerade zusammenbrechenden DDR. Die Probenprozesse wurden von Mitarbeitern, Dramaturgen und Regieassistenten protokolliert, in einer Inszenierungsdokumentation in der Akademie der Künste archiviert, in den Bänden Regie: Heiner Müller und Müller Macht Theater14 finden sich zahlreiche Interviews, ein Dokumentarfilm15 begleitet die Proben. Was auffällt, ist die Heterogenität des Materials, die als solche in den verschiedenen Veröffentlichungen ausgestellt wird: subjektive Probenbeschreibungen der Assistenten, Schauspielerinterviews, die die Arbeit durchaus kritisch betrachten, Protokolle von Krisengesprächen. Während beispielsweise in den Katzgraben-Notaten zwar von Schwierigkeiten berichtet, aber kein grundlegender Konflikt dokumentiert wird – falls ein Schauspieler Probleme mit seiner Rolle hat, überzeugt ihn Brecht –, werden hier die Krisen offengelegt und die widersprüchlichen Positionen dokumentiert, ohne eine Lösung zu bieten. Beispielhaft deutlich wird dies am Protokoll eines Gesprächs mit den Schauspielerinnen, die sich über die schwache Position der Frauenfiguren beschweren. Müller ist ratlos, »bietet doch mal was an« ist seine Reaktion, daraufhin droht die Schauspielerin Dagmar Manzel mit ihrem Ausstieg.16 Was sich durch die Probenbeschreibungen der Schauspieler zieht, ist die Kritik an der Position des Regisseurs, der sich weigert, das Gesehene zu bewerten, zu kommentieren: »›Heiner, du musst was sagen, wir spielen uns hier einen ab‹ – ›Ich will sehen, was Euch einfällt‹.«17 Immer wieder ist in den Probennotaten zu lesen: »Müller schweigt«, und die Schauspielerin Magarita
14 | Stephan Suschke: Müller Macht Theater. Zehn Inszenierungen und ein Epilog. Berlin 2003. 15 | Die Zeit ist aus den Fugen. Heiner Müller, Hamelt/Maschine und der 9. November 1989. Regie: Christoph Rüter. Deutschland 2001. Die Katzgraben-Notate wie die Inszenierungsdokumentation der Müller-Inszenierung zeigen, wie jeder Probenprozess nicht nur seine eigene Geschichte schreibt, sondern auch im Kontext seiner Zeitgeschichte zu lesen ist. 16 | Suschke: Müller Macht Theater. S. 135ff. Bzw. ID 677. 17 | AKA ID 677. Probennotat vom 13.10.1989.
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Broich beschimpft das Regieteam als »fetten, reaktionslosen Klumpen«.18 Nach zwei Monaten des Probens zieht der Regiemitarbeiter Stephan Suschke Bilanz: »Hauptproblem scheint die unterschiedliche Auffassung zum Entwicklungsstand der Produktion zu sein, resultierend aus der Probenmethode. Bis zu diesem Durchlauf hat Müller die Proben vor allem als das Zusammentragen von Material verstanden. Er verweigerte sich dem Fixieren von Arrangements, hielt sich mit szenischen Anweisungen zurück, ließ durch ›Ratlosigkeit‹ eine ungeheure Menge an Material erspielen. […] Problematisch ist diese Probenmethode vor allem für Schauspieler, die ihre Rolle auf einem psychologischen Fundament aufbauen. Müller kommt dem nachvollziehbaren Bedürfnis nicht nach, psychologische Erklärungen für Figurenhaltungen zu liefern. Da kaum beschrieben wird, was sichtbar, was erlebbar wird, ist es für die Schauspieler schwer, Erreichtes zu fixieren, was zu Unsicherheit führt. – Gudzuhn: ›Ich hatte siebzig Proben und komme mir vor wie nach sieben.‹«19
Müllers Forderung, dass jeder Schauspieler »sein eigener Regisseur werden müsse«, eröffnet innerhalb eines Probensystems, das auf den Regisseur ausgerichtet ist, eine paradoxe Situation: Welche Möglichkeiten hat der Schauspieler, der nicht sein eigener Regisseur werden will? Das »Schweigen« Müllers verunsichert. Diese Verunsicherung wird von einigen Schauspielern als produktiv beschrieben. Ulrich Mühe bezeichnet die Proben zwar als »Folterbank«, jenseits jedes »Sicherheitsnetzes«, doch erkennt er dies zugleich als besondere Herausforderung an: Er müsse über seine Position als Schauspieler hinausgehen.20 Andere Schauspieler werden buchstäblich sprachlos angesichts der herrschenden Ratlosigkeit: »Koerbl in Angst und Nervosität oder Ratlosigkeit kann keinen Text mehr, hat keine Stimme«21, so das Probenprotokoll des Regiemitarbeiters. Deutlich wird zweierlei: Erstens ist die Probenarbeit nicht als Verhältnis von Regisseur und Schauspielern zu fassen, sondern es überlagern sich verschiedenste Verhältnisse des Regisseurs zu jedem einzelnen Schauspieler, der Schauspieler untereinander und zu dem Rest des Regieteams. Damit treffen nicht nur verschiedene Vorstellungen über das Stück, über die spätere Inszenierung aufeinander, sondern auch unterschiedliche Vorstellungen von Theater, schauspielerischer Arbeit, Rollenkonzeption, künstlerischer Praxis. Zweitens verweigert Müller die Setzung einer erkennbaren Konzeption – er gibt wenig vor, scheint keine Entscheidungen zu treffen, kommentiert und erklärt über weite Strecken nichts. Sein Verweigern einer Regieposition arbeitet gegen die vorgegebenen Produktionsbedingungen und die damit gesetzte Auto18 | AKA ID 677. Probennotat vom 13.10.1989. 19 | Ebd. 20 | Im Interview in einer Rundfunksendung von Dieter Kranz am 08.05.1990. ID 677. 21 | Probennotat von Stephan Suschke 13.10.1989. ID 677.
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ritätsposition des Regisseurs. Allerdings setzt er aber durchaus einen Rahmen: im Bereitstellen von Material, in der Diskussion möglicher Lesarten des Textes, jenseits psychologischer Rollenkonzeptionen. Er kommuniziert auch mit den Schauspielern, indem er auf die Bühne geht und ihnen Bemerkungen zuflüstert (die sich laut Mühe allerdings nur selten auf das eben Gezeigte beziehen22) oder mit ihnen Diskussionen über seine Probenmethode führt. Müllers Unterlassen und Geschehen-Lassen (auch von Konflikten) unterläuft die Position eines konzipierenden und ordnenden künstlerischen Subjekts und konstituiert zugleich einen ›anderen‹ Rahmen des Probens. Auch wenn Müller die Proben damit als einen Möglichkeitsraum öffnet, ist doch die Position der Schauspieler, die in eine solche Situation hineingestoßen werden, wesentlich prekärer. So wie Müller bewusst seine berufliche Identität in Frage stellt, wird auch die ihre hinterfragt. Sie werden gezwungen, sich eigene Methoden zu erarbeiten – anders als Müller reagieren sie damit aber auf einen Rahmen, der ihnen vorgegeben wird. Während Müller sich freiwillig und bewusst einer solchen Praxis aussetzt, werden sie ihr ausgesetzt. Ihre abhängige Position schärft den Blick auf die Produktionsbedingungen, die dem Schauspieler selten eine Wahl lassen, sich für einen Regisseur zu entscheiden. Zugleich fragt aber auch die Setzung einer solchen paradoxen Probenmethode nach Möglichkeiten einer Veränderung des theatralen Produzierens jenseits eines konkreten Programms, das die Schauspieler wiederum auf ein bereits entworfenes Konzept verpflichtet. Die Proben werden zu einem erzwungenen Möglichkeitsraum, der im schlimmsten Fall zur Paralyse führt, wie vom Schauspieler Jörg-Michael Koerbl beschrieben.23 Zugleich ist es diese widerstreitende Position, die den Blick für die eigene theatrale Praxis schärft: Die Proben werden zu Verhandlungen der Arbeitspraxis – in ihren Widerständen und Möglichkeiten. Damit verweist eine solche Probenpraxis aber auch auf die Frage, wie das Proben auch außerhalb der institutionellen Strukturen in der Zweiteilung von Regisseur und Schauspielern, die hier unterlaufen werden, denkbar ist.
C RÉ ATION COLLECTIVE 2004 suchen Bojana Cvejić, serbische Performance-Theoretikerin, und Emil Hrvatin, kroatischer Performance-Künstler, Unterstützer und Koproduzenten für ein Performance-Projekt über Kollektivität. Aber bei Kuratoren und Dra22 | Mühe im Interview. ID 677. 23 | »Die Proben waren oft sehr langweilig, das liegt daran, daß bei Heiner Müller die Schauspieler oft Maschine sein müssen, weil der Kontakt zum Regisseur eigentlich nicht direkt ist.« »›Ich war Horatio‹ Gespräch mit Klaus-Michael Koerbel«. In: Martin Linzer/Peter Ullrich: Regie: Heiner Müller. S. 84
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maturgen stößt der Begriff der Kollektivität auf Verwirrung und unerwarteten Widerstand: »Wir würden es vorziehen, wenn Sie ›Kollektivität‹ durch einen Begriff ersetzen könnten, der zeitgenössischen Praxen besser entspricht, nämlich jenen der Kooperation, da diese einen Raum der Verhandlung individueller Differenzen bedingt«, sei eine der Antworten gewesen, wie Cvejić in einem Vortrag erklärt.24 Der Begriff des Kollektivs ruft Misstrauen hervor, Gleichheit und Gemeinsamkeit werden als Grundlage für Konzepte künstlerischer Praxis in Frage gestellt, durch Begriffe wie Komplizenschaft oder Kollaboration ersetzt. Das temporäre Moment der Zusammenarbeit tritt in den Vordergrund, gesucht wird gerade nach nichtinstitutionellen künstlerischen Praktiken.25 Dieses Mißtrauen, wie Cvejić ausführt, ist Resultat und Reaktion auf jene emphatischen Gründungen von Theaterkollektiven in den 1960er Jahren. Theaterkollektive, deren Ziel es war, die Arbeit am Theater grundlegend neu zu bestimmen: die Produktionsstrukturen wie die Probenarbeit. »Unser Theater wie unser Leben soll eine einzigartige und vielschichtige Erfahrung gemeinsamen Schaffens sein, eine Prästruktur, die die Realisierung einer libertären, kommunistischen Gesellschaft im Prozess permanenter Revolution untersucht.« 26
Was hier Judith Malina für das Living Theatre, ein in den 1960er Jahren gegründetes amerikanisches Theaterkollektiv, beschreibt, gilt für viele freie Theatergruppen, die in den 1960er Jahren entstehen. Das Schaffen, die Tätigkeit, die Arbeit ist direkt mit der Utopie eines ›anderen‹, durch eine Revolution herzustellenden Lebens verbunden. Die Arbeit am Theater ist nicht vom Leben außerhalb des Theaters zu trennen. Zugleich verweist die Formulierung einer »permanenten Revolution« auf das Konzept einer zirkulären Zeitlichkeit des gemeinsamen Schaffens: Gegen die Idee einer linearen Fortschrittlichkeit wird die Vorstellung eines allgemeinen Fortschritts gesetzt, der immer wieder aufs Neue gewollt und erkämpft werden muss. Die Theater-Arbeit selbst wird zum Ausdruck einer Kollektivität und die Theatergruppe damit zum Vorbild für ein kollektives Arbeiten, das niemals sein Ende findet: die Theatergruppe als »Prä24 | Bojana CvejiDž: »Kollektivität? Sie meinen Kooperation!«. Vortrag am Hebbel am Ufer, Februar 2004. Veröffentlicht unter http://www.republic.art.net/disc/aap/cvejic 01_de.pdf [Zugriff am 19.08.2008]. 25 | Dies entspricht einer zunehmenden Privatisierung der Produktionszusammenhänge, wie sie Hajo Kurzenberger im gegenwärtigen Theater ausmacht: Nicht mehr von Kollektiven ist die Rede, sondern von ›Familien‹, vgl. Kurzenberger: »Theaterkollektive: Von der ›Truppe 31‹ zur ›Marthaler-Familie‹, von der Politisierung der 68er-Bewegung zur Privatisierung des Theatermachens in den Neunzigern«. 26 | Judith Malina: Living-Theatre heißt Leben. Von einer, die auszog, das Leben zu lernen. Linden 1980. S. 167.
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struktur« einer nichtentfremdeten Arbeitsweise. Damit verschiebt sich auch das Verhältnis von Arbeit und theatraler Praxis. Nicht mehr die industrielle Arbeit ist Vorbild für die eigene Produktion, noch wird der Arbeit am Theater eine Sonderstellung oder ein Vorbildcharakter im Sinne Brechts zugeschrieben, sondern die Arbeit am Theater ist zugleich Arbeit an der Gesellschaft – damit kann sie auch kein Ende finden. Wie verhält sich aber ein solcher Entwurf theatraler Praxis zur konkreten Probenarbeit? Eine Arbeitsweise, die in diesem Kontext diskutiert wird, ist die Création collective, wie sie beispielsweise durch die französische Theatergruppe Théâtre du Soleil seit Ende der 1960er Jahre entwickelt wurde. Der Begriff Création collective bezeichnet die gemeinschaftliche Entwicklung eines Theaterstücks ohne die Vorgabe eines dramatischen Textes. Bei der Beschreibung neuer Theaterformen in den 1960er Jahren, die auf eine dramatische Spielvorlage verzichten, taucht der Begriff in vielen Kritiken auf, wie er auch in theaterwissenschaftlichen Arbeiten zahlreich aufgenommen und diskutiert wird.27 Der Verzicht auf die Signatur des individuellen Regisseurs als ›Autor‹ der Inszenierung, der für das Gezeigte verantwortlich zeichnet, und eine Offenheit des Prozesses, der sich nicht auf die Vorgaben eines fixierten dramatischen Textes beziehen kann, werden als Kennzeichen der Arbeitsform ausgestellt. Anfangs- und Endpunkt seien bei einer solchen Arbeitsweise ungewiss: ein Forschungsprozess ohne konkretes Ziel. Als problematisch wird dabei weniger das Hervorbringen von Ideen als der Umschlagpunkt in einen Vorgang der Planung und Festlegung bestimmt: »A un moment, dans le travail de l’équipe, le besoin d’une coordination des éléments improvisés se fait sentir […].«28 Pavis kritisiert, dass aufgrund der Verfasstheit der theatralen Arbeit – die im Konzept der ›Mise en scène‹ eine Trennung der Positionen von Zeigen und Schauen vorgebe – ein kollektives Produzieren im Sinne einer Gleichheit der Positionen eine Fiktion sei. Diese Argumentation spiegelt eine Diskussion wider, die sich durch die Beschäftigung mit Formen der Création collective zieht. Misstrauisch wird von der Kritik 27 | Vgl. u.a. Lucien Attoun: »La création collective«. In: Les Nouvelles Littéraires. 13. November 1969; Cathérine Mounier: »Deux créations collectives du Théâtre du Soleil: 1793 et L’Age d’Or«. In: Les Voies de la création théâtrale. Vol. 5. Paris 1977. S. 121127; Anne Neuschäfer: Das Théâtre du Soleil. Commedia dell’arte und création collective. Rheinfelden 1983; Lenora Champagne: »The Golden Age of Collective Creation«. In: dies.: French Theatre Experiment since 1968. Ann Arbor 1984. S. 23-49. Der Begriff taucht allerdings bereits in den zwanziger Jahren in den Forschungen zur Commedia dell’arte bei Constant Mic auf: »Le trait le plus charactéristique et qui peut définir la commedia dell’arte, consiste dans une sorte de création collective, les acteurs élaborent en commun le texte du spectacle en l’absence d’un auteur individuel.« Constant Mic: La Commedia dell’arte. Paris 1980 [1927]. S. 26. 28 | Pavis: »Création collective«. In: ders.: Dictionaire du théâtre. S. 96.
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beäugt, inwieweit der Anspruch des gemeinschaftlichen Produzierens sich umsetzen lässt, ob nicht doch eigentlich die alten Hierarchien beibehalten werden und der Gedanke des gemeinschaftlichen Entwickelns und Entwerfens letztlich eine programmatisch verpackte Täuschung ist.29 Fragt man nicht nach der Création collective und stellt damit das, was hervorgebracht wird, ins Zentrum, sondern nach einer Form des »créer collectivement« – als Form des Arbeitens selbst – lässt sich eine andere Perspektive einnehmen. Jeder Probenvorgang muss letztlich als Création collective beschrieben werden, arbeiten doch verschiedene Künstler miteinander an einer Inszenierung. Dieses gemeinsame Arbeiten ist aber durch klare Aufgabenteilung organisiert und durch Entscheidungsbefugnisse hierarchisiert. Wenn die Formulierung der Création collective also Misstrauen erregt, dann deshalb, weil hier die Verteilung von Funktionen und deren Machtausstattung in Frage gestellt wird. Weniger die Form der Spezialisierung in den Prozessen des Arbeitens ist damit von Interesse als vielmehr die Frage, wie die Instanzen des kreativen Prozesses definiert werden. Wie positionieren sich die Praktiken des gemeinschaftlichen Herstellens im Spannungsfeld zwischen Kreativität und Kollektivität? Ein exemplarisches Beispiel für eine solche Theaterpraxis bietet das französische Théâtre du Soleil: »Remember that the [theatre] director has already achieved the greatest degree of power he has ever had in history. And our aim is to move beyond that situation by creating a form of theatre where it will be possible for everyone to collaborate without there being directors, technicians, and so on, in the old sense.« 30
Das Konzept der »freien Arbeit«, wie es Marx entwirft, klingt hier an. Nicht mehr das individuelle Talent oder Können, sondern der gemeinsame Prozess des Arbeitens ist Grundlage des Theaterverständnisses. Jede Spezialisierung wird abgelehnt. Wenn Stanislawskis Forderung nach einer »Arbeit an sich« eine Spezialisierung des Schauspielers in seinem Beruf mit einschließt, wird hier jedes Konzept des Berufs aufgegeben: Die Arbeit am Theater ist eine Arbeit im Kollektiv. Das Theater wird als ein Ort der Kollaboration jenseits der Differenzierungen in berufliche Spezialisierungen begriffen. Es ist das Bekenntnis von Ariane Mnouchkine – Regisseurin des Théâtre du Soleil – zu einer anderen Form der Theater-Arbeit. Wie Müller kritisiert sie aus ihrer eigenen Regieposition heraus das Konzept des Regisseurs und eine durch berufliche Spezialisierungen geordnete Arbeitsteilung der theatralen Praxis. Aus der Widersprüchlichkeit eröffnen sich Fragen an das Konzept eines kollektiven Schaf29 | Vgl. dazu David Williams: Collaborative Theater. The Théâtre du Soleil Sourcebook. London 1999. 30 | Ariane Mnouchkine: »L’ age d’Or«. In: Theatre Quaterly. 5:18. 1975. S. 5-17. S. 12.
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fensprozesses: Wenn sie nicht mehr als Regisseurin im ›alte Sinne‹ fungiert, von welcher Position aus spricht sie dann? 1964 wird das Théâtre du Soleil in der Organisationsform einer Cooperation ouvrière de production gegründet und verortet sich als Arbeitskollektiv ganz bewusst im Kontext anderer Produktionskollektive jenseits des Theater- und Kunstkontextes. Die Wahl der Organisationsform wird politisch begründet31 als eine Form der Demokratisierung, die sich auch in den ökonomischen Strukturen niederschlägt: Jeder bringt das gleiche Startkapital ein, wie auch jeder den gleichen Lohn bekommt. Neben der finanziellen Gleichstellung wird die Idee der Auflösung jeder Form der Hierarchisierung in der Arbeit verfolgt und Professionalisierung, Arbeitsteilung und individuelles Schöpfertum abgelehnt.32 Jedes Mitglied der Gruppe übernimmt verschiedene Aufgaben: Die Schauspieler verkaufen Getränke, die Techniker wechseln zwischen den verschiedenen Bereichen wie Bühne oder Licht, jeder hilft in der Küche mit. In der Absage an eine Aufgabenverteilung gemäß der Ausbildung wird die Utopie einer (Theater-)Gemeinschaft formuliert, in der jeder die gleichen Möglichkeiten hat, jeder in gleicher Weise im Unternehmen Verantwortung übernimmt. Die »Ethik der Gruppe« formuliert klare Vorgaben: Niemand könne sich auf Talent oder Ausbildung berufen, alle seien »gleich, aber nicht identisch«.33 Mit dem Konzept des Berufs wird eine Form der Spezialisierung verbunden, die sich auf die Beherrschung eines spezifischen Könnens stützt. Die einzelnen Mitglieder des Théâtre du Soleil bringen durchaus bereits ein Fachwissen in die Probenarbeit mit ein, allerdings wird diesem Wissen für das gemeinsame Projekt kein besonderer Wert beigemessen. Behauptet wird der Status von »Amateuren« und »Novizen«34 , die sich auf die Suche nach einer Form der Arbeit jenseits bereits bekannter Techniken machen. Der Topos des Neuen, den es zu
31 | Die Gruppe beantragt zuerst beim Kulturministerium den Status eines SchauspielUnternehmens. Auf Rat der Schauspielergewerkschaft gründen sie eine Produktionskooperative. Vgl. Simone Seym: Das Théâtre du Soleil. Stuttgart 1992. S. 42. 32 | Von den zehn Mitgliedern des Kollektivs sind nur drei Schauspieler, alle anderen üben andere Berufe im Bereich des Theaters aus: von der Fotografin bis hin zum Verwaltungsleiter. Die Neubestimmung der Produktionsweise ist damit nicht auf die Probenarbeit als Prozess zwischen Regisseur und Schauspieler beschränkt, sondern umfasst alle Bereiche des Theaters. Vgl. David Williams: Collaborative Theatre. S. 224. 33 | Vgl. Josette Féral: »Théâtre du Soleil – A second Glance. Interview with Sophie Moscoso«. In: TDR (1988) 124. S. 98-106. S. 98. 34 | »But the problem is that we are very much novices in this practice. With each production we are very much novices. We do not want authors because authors never consider themselves to be novices.« Sowie: »We are all ignorant, all amateurs […].« Ariane Mnouchkine nach Williams: Théâtre du Soleil Sourcebook. S. 55; S. 26.
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erforschen gilt, wird gekoppelt mit einer Abwertung bisheriger Erfahrung, die immer an die ›alten‹ Bedingungen des Produzierens geknüpft ist. Die behauptete Gleichheit ist zwangsläufig eine Fiktion, denn die Gruppenmitglieder bringen Erfahrungen mit, die sie in ihren Kompetenzen innerhalb der theatralen Arbeit unterscheiden. Zu lesen ist das Beharren auf dem Amateurstatus vielmehr als Gründungsgeste eines Kollektivs, das sich der Gleichheit verschreibt. Es ist die Behauptung eines gemeinsamen Nullpunkts, um zu verhindern, dass sich aus den Unterschieden im Wissen um die Praxis des Theaters oder aus bereits gesammelten Erfahrungen Machtansprüche ableiten: ein gemeinsames Bekenntnis zum ›Nicht-Wissen‹ – in der emphatischen Beteuerung, gemeinsam lernen zu wollen. Damit wird vor allem auch die Position des singulären Autors im Sinne des Dramatikers, der einen Text vorgibt, problematisch. Dieser hat bereits gearbeitet und mit seinem Text eine künstlerische Setzung vorgelegt, womit seine Stellung innerhalb des Projekts nicht mehr die eines ›Novizen‹ sein kann. An die Stelle des singulären Autors tritt ein Konzept der Vervielfältigung von Autorenschaft: Der mit seinem Körper improvisierende Schauspieler wird genauso als Autor begriffen wie der zu den Proben eingeladene und sie kommentierende Zuschauer. Nicht nur über unterschiedliche Voraussetzungen durch eine bereits erfolgte Spezialisierung wird das Konzept der Création collective in Frage gestellt. Ungleichheit durch Spezialisierung wird auch im alltäglichen Probenprozess konstituiert: Mit jedem Tag der Probenarbeit, mit jeder übernommenen Rolle, mit jeder Inszenierung wird Wissen erworben, das Differenzierungen zwischen den Beteiligten schafft und Spezialisierungen hervorbringt. In der Arbeit konstituiert sich auch immer eine Form der Organisation, die sich notwendigerweise über Differenzieren formiert. Gegen diese zwangsläufige Spezialisierung wird ein Konzept der »Transformation« gesetzt. Wenn die Arbeit im beständigen Wandel ist, kann es auch keine festen Positionen, keine Spezialisierungen geben, so das gemeinsame Credo. Da jede Inszenierung wieder neu ihren Weg suche, kann es kein gesichertes Wissen um die Form des Produzierens geben. Sie wird zur Suche: »in a rather confuded way, I admit«35. Das Bekenntnis zur eigenen Ziellosigkeit, dem Unwissen, den möglichen Fehlern verfolgt zugleich ein klares Ziel: das Durchbrechen jeder Stasis künstlerischen Produzierens. Dies zeigt sich auch im Probenprozess, der nicht nur durch ein Durchspielen und Ausprobieren verschiedener Arbeits- und Trainingsformen geprägt ist – von Improvisationsübungen aus der Commedia dell’arte über Formen des asiatischen Nô-Theaters bis hin zu Formen eines epischen Erzähltheaters im Sinne Brechts. Das Prinzip der Veränderung wird auch in der Form der Zu35 | Ariane Mnouchkine zitiert nach Williams: Théâtre du Soleil Sourcebook. S. 20.
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sammenarbeit gesucht. In der Probenarbeit zur Inszenierung 1789 beispielsweise arbeiten immer vier Schauspieler miteinander an einer Szene, die dann anschließend im Plenum vorgeführt, kritisiert und diskutiert wird. Szenische Ergebnisse werden von anderen Mitspielern übernommen und weitergeführt. Die Zusammensetzung der Gruppen ändert sich jeden Tag. Jeder Anspruch auf eine singuläre Autorenschaft wie auch eine Institutionalisierung von Arbeitsbeziehungen soll damit unterlaufen werden. Material genau wie die Arbeitsbeziehungen untereinander werden in Bewegung gehalten, das Fixieren von Ergebnissen wie auch der Rollenverteilung wird auf das Ende des Probenprozesses verschoben, wobei selbst die Möglichkeit zur Veränderung von Szenen und damit auch der Rollenverteilung nach der Premiere der Inszenierung jederzeit einklagbar bleibt. Dennoch gibt es einen fixen Punkt im Prozess des Produzierens: die Position der Regisseurin. Wenn eingangs eine Ablehnung der Machtposition der Regie gefordert wird, dann ist die Antwort in den programmatischen Überlegungen des Théâtre du Soleil, die Funktion von der Position zu trennen: Regie wird als eine Aufgabe unter anderen definiert, nicht als Position, mit der bestimmte Kompetenzen und Ermächtigungen verknüpft sind. Die Regisseurin wird zur »ersten Schauspielerin« erklärt, deren Aufgabe es ist, nach einer »Synthese« zu suchen. Auch sie agiere aus der Position des »Nicht-Wissens«: »I’am responsible for a part of the construction of the whole, just like the actors. I don’t think one ever carries a production within oneself. At the present moment, we’re guided more by what we don’t want than by what we want. What we want still remains unclear. […] As a director, I reject certain things. I think a lot of directors write what they want before the actual directing. In my case, I write afterwards. We recorded the text for Les Clowns, then transcribed it. We distributed the good improvisations among the actors, who went back over them and reworked them. They often went over what they have already done, modifying it. This time we are recording, we are reworking – not in the sense of prettying it, of finishing, but as to remove the parasites, to focus the meaning, and always after the event.«36
Ohne festen Plan, ohne Regiekonzept beginnen die Proben. Aus jeder Improvisation entstehen wieder neue Aufgaben, die wiederum bearbeitet werden. Über die ›objektive‹ Position der Tonbandaufnahme und deren Abschrift werden die Texte generiert. Die Aufgabe der Regie besteht allein darin – und hier ist die Nähe zu Brecht sichtbar –, Dinge zu verwerfen, deutlich zu machen, was keine Lösung ist. So erarbeiten alle Schauspieler alle Rollen, die Rollenbesetzung wird danach nach dem »Evidenzprinzip« gefällt, wenn alle Beteiligten den Eindruck haben, dass eine Darstellung richtig ist, als Resultat einer »Klarheit« (»vision 36 | Mnouchkine zitiert nach Williams: Théâtre du Soleil Sourcebook. S. 20
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claire«) des Schauspielers. »What I call theatrical evidence just emerges. It’s not discussed. We discuss when something is going wrong […]. When the work is going, we don’t discuss, we work.«37 Die aufzufindenden »Parasiten«, von denen Mnouchkine oben spricht, sind jene Momente, wo die ›Arbeit‹ aussetzt, sie Widerstände erfährt, die Produktivität zusammenbricht – genau jene Momente, die Müller im Aussetzen des Produzierens zu provozieren sucht. Die ideale Probenarbeit wird also bestimmt durch ein Umschlagen des ›Nicht-Wissens‹ zum augenscheinlich ›Richtigen‹. Nicht als diskursiver Vorgang, sondern als Prozess der permanenten Verschiebung: von der Improvisation zum Text, von einem Schauspieler auf den anderen, von der körperlichen Darstellung zum Kommentar, vom Machen zum Betrachten. Zwei Dinge bleiben allerdings ausgeklammert: Das Prinzip der Evidenz bleibt an die Position der Beobachtung gebunden. Damit wird das Verhältnis des zeigenden Schauspielers zu dem, was von ›außen‹ aus als evident bezeichnet wird, problematisch. Die Evidenz der Rolle, ihre ›Augenscheinlichkeit‹, ist immer an den Betrachter gebunden, nur für ihn sichtbar und nicht für den Spielenden. So gibt es durchaus Widersprüche und Konflikte hinsichtlich dieser Zuschreibung.38 Hier zeigt sich auch die zweite Problematik: Mnouchkine ist nicht nur ›erste Schauspielerin‹: Indem sie allein alle Improvisationen zu Gesicht bekommt, behält sie den Status der Regisseurin als ›erste Zuschauerin‹. Auch dies führt zu Konflikten, wie die Probenbeschreibungen zeigen: Je mehr improvisiert wird, umso weniger haben die Schauspieler einen Überblick über das Geschehen und umso machtvoller wird jene Zuschauerposition Mnouchkines. So wird nach den Versuchen einer Création collective in den ersten Jahren der Gruppe mit der Inszenierung dramatischer Texte allmählich auch die späte Rollendistribution aufgegeben. Vor dem Hintergrund des von Cvejić geschilderten Misstrauens gegenüber dem Begriff der Kollektivität im gegenwärtigen Theaterdiskurs lässt sich die Geschichte des Théâtre du Soleil als Geschichte eines Scheiterns an der eigenen Programmatik lesen. Die gemeinschaftliche Stückentwicklung wird nach und nach aufgegeben, es wird auf den Kanon der klassischen Dramenliteratur von der Antike über Shakespeare bis zu Racine zurückgegriffen und damit das Konzept eines singulären Autors wiederbelebt und das kollektive Organisationsprinzip zurückgedrängt. Ariane Mnouchkine steht als Ausnahmekünstlerin (fast) allein im Fokus des Medieninteresses. Die mit dem Begriff des Kollektivs verbundene
37 | Ariane Mnouchkine zitiert nach John Rockwell: »Theatre. Behind the Masks of a Moralist.« In: New York Times. 27.09.1992. 38 | »Dieses Evidenzprinzip ist freilich für diejenigen, deren Interpretationen nicht überzeugen, ebenso schmerzhaft wie bei einer festen Rollendisposition. Aber das Evidenzprinzip ist gerechter.« Mnouchkine zitiert nach Seym: Théâtre du Soleil. S. 189.
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Institutionalisierung von Gleichheit stellt sich als Fiktion heraus, die letztlich wieder ähnliche Strukturen produziert, die sie ursprünglich kritisierte. Schaut man allerdings nicht aus der Perspektive der formulierten Programmatik, dann lässt sich eine andere Lesart vorschlagen: die Transformation als Grundprinzip der kollektiven Arbeit bedingt auch die permanente Veränderung der theatralen Arbeit: Das Théâtre du Soleil arbeitet mit literarischen Texten und untersucht sie in ihrem historischen Kontext, kooperiert mit der Schriftstellerin Helène Cixous, die für die Proben Texte schreibt, die sie innerhalb des Prozesses permanent überarbeitet, genauso wie jüngere Inszenierungen die Biografie der Darsteller zum Thema machen. Konzeptionen kreativer Kollektivität können niemals als statische Systeme, als fixierte Verfahren beschrieben werden, sondern ihr Status ist immer der eines Entwurfs von Arbeitsformen, einer Praxis im Werden. Gefordert ist eine je singuläre Analyse von Taktiken und Verfahren, auch hinsichtlich der Machtstrukturen: Die Verschiebungen von Verantwortlichkeiten und damit auch Entscheidungsstrukturen, die Sonderstellung der Regisseurin werden von verschiedenen Mitgliedern des Théâtre du Soleil durchaus reflektiert.39 Vor dem Hintergrund der Überlegungen Jean-Luc Nancys, wie er sie in seinem Essay Die undarstellbare Gemeinschaft vorstellt, eröffnet sich ein neuer Blick auf die Frage nach der kollektiven Kreativität und dem Kollektiv der Arbeit. Gemeinschaft als »Einswerdung« ist für Nancy ein Phantasma der Kulturgeschichte: Sie ist weder »herstellbar« noch »darstellbar«. Gemeinschaft hat nicht den Charakter konstruierter Kollektivität, sondern es gibt sie nur in Form der Entäußerung, die wiederum nur als Grenzerfahrung zu denken ist: »Man kann sie nicht herstellen, man erfährt sie (oder ihre Erfahrung macht uns aus) als Erfahrung der Endlichkeit.«40 An den Grenzen, den Unterbrechungen und Rändern der Kommunikation sei Gemeinschaft zu finden. Dies anzuerkennen, bedeutet allerdings nicht, dass es kein kollektives Arbeiten am Theater gäbe. Es bedeutet eine Verschiebung hinsichtlich dessen, wo diese Gemeinschaft gesucht wird bzw. zugelassen wird: nicht in der Institutionalisierung der Gruppe, sondern in der Ermöglichung jener Grenzen, Unterbrechungen und Ränder der Kommunikation. Und dies kann in einer kollektiv organisierten Gruppenarbeit wie in einem Probenprozess unter der Leitung eines Regisseurs passieren. Die Arbeit am Theater als kollektive Form des Produzierens stellt damit sowohl Potenzial als auch Herausforderung wie Widerstand dar. Auch wenn die Theatergruppe Kollektivität nicht konstruieren kann, stellt sich aber dennoch die Frage, ob die Institutionalisierung des Kollektivs nicht 39 | Vgl. dazu Susan Melrose: »Constitutive Ambiguities. Writing Professionel or Expert Performance Practices, and the Théâtre du Soleil, Paris«. In: Joe Kelleher/Nicholas Ridout: Contemporary Theatre in Europe. London/New York 2006. S. 120-135. 40 | Jean-Luc Nancy: Die undarstellbare Gemeinschaft. Stuttgart 1988. S. 69.
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doch weiter reicht als eine Re-Inszenierung alter Strukturen und damit die Idee der Kollektivität durchaus aktuell bleiben lässt. Denn die Institutionalisierung schafft der gemeinsamen Arbeit auch einen Ort. Jene zeitgenössischen Konzepte der Komplizenschaft oder Kooperation zielen gerade auf eine zeitliche und räumliche Flexibilität: in einer gemeinsamen Projektarbeit, wechselnden Konstellationen von miteinander Arbeitenden wie wechselnden Arbeitsorten. Von außen betrachtet sind solche Netzwerke, Kooperationen undurchsichtig, sind an die subjektiven Entscheidungen der Kooperierenden gebunden. Ihr Vorteil ist, dass Arbeitsverhältnisse immer wieder neu ausgehandelt werden können, jede feste Positionszuschreibung unterlaufen werden kann. Ihr Nachteil ist genau jene Flexibilisierung, die die Kooperierenden auch abhängig macht. Sie sind abhängig von einem Netzwerk, in dem sie sich ihre Möglichkeit zur Arbeit erst suchen müssen, wie von Institutionen, die ihnen einen Ort zum Arbeiten erst geben müssen. Ihre Arbeit bleibt innerhalb von Strukturen verhaftet, in denen die Arbeit über Namen vermarktet wird: Die Flexibilität gibt auch den Zwang vor, permanent mit seiner Arbeit sichtbar zu bleiben, um sich so Arbeitsmöglichkeiten und neue Netzwerke zu erschließen. Die Gründung des Theaterkollektivs Théâtre du Soleil lässt sich im Gegensatz dazu als Geste der Selbstermächtigung lesen: Der Arbeit wird ein eigener Raum gegeben, der es ermöglicht, die Produktionsverhältnisse gemeinsam in Frage zu stellen. Für den Einzelnen ist es durchaus ein Unterschied, ob er Schauspieler unter der Regie von Ariane Mnouchkine ist oder Mitglied des Théâtre du Soleil – auch wenn er dort von ihr inszeniert wird. So wie es ein Unterschied ist, ob ein Schauspieler sich entscheidet, mit Heiner Müller zu arbeiten, oder von Intendanz und Dramaturgie besetzt wird. Jedes Arbeiten am Theater – ob in der Institution des Stadttheaters, in kollektiven Projekten oder temporären Arbeitsfreundschaften – schafft Abhängigkeitsverhältnisse – offensichtliche oder versteckte. Die Herausforderung ist jedoch, diese Verhältnisse zu reflektieren und sie in Bewegung zu bringen. Die Arbeit am Theater ist immer eine Arbeit an Formen der Institutionalisierung, und sei es nur für die Dauer eines Projekts.
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Zum Schluss: An den Rändern der Probe
Diese Untersuchung stellt den Versuch dar, die Transformationen und Verschiebungen von Konzepten der Arbeit am Theater vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart nachzuzeichnen. Verfolgt wurden zwei Ziele: Der Mystifizierung künstlerischen Schaffens entgegenzuwirken, die Probenpraxis vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Konzeptionen von Arbeit zu lesen, um so das Verhältnis von Arbeit und Kunst zu historisieren, und zugleich das Proben als eine Arbeit am Theater zu untersuchen, die immer auch Vorstellungen, Konzepte und Ideen von Theater hervorbringt. Die Praxis des Probens lässt sich anhand von drei Dispositiven bestimmen: Prüfung, Versuch und Übung. Alle drei sind nicht getrennt voneinander zu sehen, sondern überlagern sich in der konkreten Arbeit. Kontrolle und Disziplinierung gehören zur Prüfung wie zur Übung. Konstituiert sich das Üben durch Wiederholungen, so sind diese sowohl auch Prinzip der Prüfung – als Wiederholbarkeit des Wissens – wie des Versuchs – in der Frage der Wiederholbarkeit des einmal Gefundenen. Jedes der Dispositive eröffnet ein eigenes Spannungsfeld zum Wissen: im Testen eines Wissens, das im Moment abgerufen und überprüft werden soll (und damit dessen Verfügbarkeit belegt), als ›Einübung‹ körperlicher Praktiken im Sinne eines ›performativen Wissens‹ wie auch der ›Erfindung‹ in einer als Forschung verstandenen Arbeit. Auch wenn sich eine historische Verschiebung der Probenkonzeption von der Prüfung über die Übung zum Versuch beschreiben lässt, lassen sich genauso Überlagerungen feststellen: Goethes Projekt der Regeln für Schauspieler lässt sich auch als eine Form des Versuchsaufbaus beschreiben, und Theaterformen, die mit der Offenheit der Improvisation arbeiten, betonen zugleich das Moment des Übens und verstehen die schauspielerische Arbeit als eine Form des Selbsttests, wie beispielsweise bei Eugenio Barba. Was von Seiten der Schauspieler als Prüfung empfunden wird, kann zugleich, aus der Perspektive des Regisseurs, die Offenheit des Versuchens etablieren, wie in den Probenberichten von Schauspielern bei Heiner Müller nachzulesen. Die Probenpraxis situiert sich damit in einem Feld zwischen Übung, Versuch und Prüfung, deren Verhältnis zueinander historisch jeweils neu formuliert wird.
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Während um 1800 die Proben allein über Fragen zum Status der Schauspielkunst thematisiert werden und die disziplinierende Funktion des Probens überwiegt, beginnt Anfang des 19. Jahrhunderts mit Akáts und Lewald der Versuch einer ersten Theoretisierung der Probe. Theaterleiter wie Heinrich Laube, Karl Immermann, Eduard Devrient schreiben (auch) über die Proben, kritisieren die mangelnde Probenpraxis, setzen sich vor allem mit den schwierigen Produktionsbedingungen auseinander. Allerdings bleibt die Probe ein Randphänomen, das im Kontext mit den ökonomischen Bedingungen des Theaters (Akáts), mit einem Konzept schauspielerischer Arbeit (Rötscher) verhandelt oder innerhalb konkreter Inszenierungsansätze mit wenigen Sätzen abgehandelt wird (Laube). Ein Bruch in der Probenpraxis lässt sich um 1900 feststellen: Mit der Einführung des Regisseurs als künstlerisch Verantwortlichem manifestiert sich ein arbeitsteiliges Modell der Probenpraxis, das Blick- und Handlungsmöglichkeiten der Beteiligten festschreibt. Zugleich wird mit dem Entwurf der Probenarbeit als experimenteller Praxis bei Stanislawski, den klassischen Avantgarden und Brechts Modellinszenierungen die Arbeit am Theater selbst zum Gegenstand der Reflexion. Die Avantgarden der 1960er und 1970er Jahre, mit Regisseuren wie Peter Brook oder Theatergruppen wie dem Théâtre du Soleil, kritisieren nun an der Institutionalisierung der Probenpraxis die Zuschreibung fester Positionen und erklären mit Hinwendung auf die nicht sichtbaren und verborgenen Prozesse und der Betonung kollektiver Kreativität die Proben und das Üben zur eigentlichen Arbeit am Theater. Mit der Arbeit am »Verschwinden des Regisseurs« im Prozess der Inszenierung, wie es sich anhand des Probenprozesses Heiner Müllers beschreiben lässt, deutet sich ein neues Konzept des Probens an: Nicht Projekt der Planung, keine Verpflichtung auf ein gemeinsames Programm, sondern im zeitweiligen Aussetzen der Arbeit – des Vorschlagens, Korrigierens und Vermittelns – wird die Probe zum (bewusst kalkulierten) Krisenszenario. Dem Akt des Produzierens wird die Position, von der aus der Prozess zu steuern versucht wird, entzogen; in den Vordergrund tritt die performative Dimension der Arbeit am Theater, die jede Planung, jedes Konzept immer zugleich übersteigt, verschiebt und unterläuft. Ähnlich lassen sich auch die Formationen des Diskurses über die Probe beschreiben: Stehen um 1800 Entwürfe ästhetischer Praxis jenseits des Theaters den Gesetzestexten und Regelwerken zur Probenarbeit gegenüber, schwillt mit den Theaterprogrammatiken der historischen Avantgarden der Diskurs über die Probe an. Es wird damit begonnen, in Regiebüchern und Probennotaten die Probenpraxis selbst zu dokumentieren. In den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts verschiebt sich nicht nur der Blick auf die Arbeit – die Probenpraxis und ihre Reflexion wird nicht mehr (allein) an den Regisseur als künstlerisches Subjekt gebunden –, es vervielfältigen sich auch die Formen des Sprechens über
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die Probe: Sie wird protokolliert, von Theaterwissenschaftlern begleitet, theoretisch hinterfragt, in Zeitschriften analysiert. Dabei tritt eine neue Textform in den Vordergrund: das Interview.1 Betrachtet man den gegenwärtigen Diskurs über die Probenpraxis, so könnte man mit Foucault von einem »unaufhörlichen Rauschen« des Diskurses sprechen: in Interviews, Publikumsgesprächen, Programmhefttexten, Künstlerbiografien, wissenschaftlichen Aufsätzen zur Schauspieltheorie wird über das Proben reflektiert. Zahlreiche Sammelbände stellen die Arbeitsweisen eines Regisseurs aus, der dabei meist wiederum im Interview zu Wort kommt. Was auffällt, ist die Abwesenheit von Theatermachern, die sich als Autoren dieses Diskurses setzen: Konzepte der Arbeit am Theater werden im Gespräch formuliert, selten festgeschrieben. Dies entspricht der Diversität gegenwärtiger Probenkonzeptionen, die weniger durch Programmatiken als durch individualisierte Arbeitszugänge geprägt scheinen. Nebeneinander stehen verschiedenste Verfahren, Methoden und Techniken, die je nach Projekt angewendet werden. Dies wird vor allem in jenen Inszenierungen deutlich, die sich durch ein verändertes Verhältnis von Vorbereitung und Aufführung auszeichnen.
E INE F R AGE DER V ER ABREDUNG Was in dieser Untersuchung nur am Rande vorkam, sind jene Formen der gegenwärtigen Arbeit am Theater, die versuchen, den Probenprozess neu zu bestimmen. Sei es in Proben bei René Pollesch2 , bei denen es um die Bewältigung von Textmassen als intellektuelle Leistung (in Diskussionen und Gesprächen) wie Gedächtnisleistung (im wiederholten Durchsprechen des Textes) geht, in denen Proben- und Schreibprozess sich überlagern und die zugleich bewusst damit kalkulieren, dass der Text niemals völlig beherrscht werden kann. Der Versprecher, der Fehler wird zur eigenen Strategie. Sei es in den Inszenierungen von Rimini Protokoll, die nicht nur als Regiekollektiv die Position des singulären Künstlers in Frage stellen, sondern auch mit der Wahl ihrer nichtpro1 | Interviews über Proben werden seit den 1920er Jahren geführt. Seit den 1960er Jahren werden sie aber zum bevorzugten Ort der Selbstreflexion künstlerischer Praxis. Vgl. dazu Stefanie Diekmann: »Doing Statements. Notizen zum Verhältnis von Interview und inszenierter Rede am Beispiel René Polleschs«. In: Hajo Kurzenberger/Annemarie Matzke (Hg.): TheorieTheaterPraxis. Berlin 2004. S. 175–182. 2 | Vgl. dazu »Was es bedeutet, kein Material zu sein. Ein Gespräch zwischen René Pollesch, Aenne Quinones, Jochen Becker und Stephan Lanz«. In: Prater Saga. Berlin 2005. S. 21-38. Sowie das Interview mit der Schauspielerin Katja Bürkle unter: http://nachtkritik-stuecke08.de/index.php/protagonisten/55-protagonisten/191-fragen-an-katja-buerkle [Zugriff am 20.08.2008].
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fessionellen Darsteller eine andere Form des Probens setzen. An die Stelle der Probenarbeit tritt eine ausführliche Recherche und ein Casting der Mitspieler, die Proben auf der Bühne werden auf wenige Tage beschränkt. Hier wird das Interview zur Probe: für Regisseure wie für den möglichen späteren Darsteller.3 Vor allem aber verschiebt sich das Verhältnis von Aufführung und Probe in jenen Formen von Theater und Performance Art, die bewusst mit der Offenheit der Aufführungssituation spielen. »Lebendige Kunst – kein fester Wohnsitz/permanente Bewegung/direkter Kontakt/lokaler Bezug/Selbst-Auswahl/ Grenzüberschreitung/Risikobereitschaft/bewegliche Energie – keine Probe/ kein vorherbestimmtes Ende/keine Wiederholung«, so das Arbeitscredo der Performancekünstler Marina Abramović und Ulay. Gegen jede Institutionalisierung wird die Performance Art als eine Kunst in Bewegung entworfen,die gerade nicht geprobt sein soll, sondern deren emphatischer Modus der Präsenz allein eine präzise und genaue Vorbereitung kennt. Wie die Performance genau verlaufen wird, wird bewusst offengehalten. Inszenierungen aus dem Bereich des Performance-Theaters arbeiten dagegen mit der Wiederholung von Improvisationsstrukturen und etablieren so eine Form der Probenarbeit auf der Bühne. Beispielsweise die durational pieces5 der Gruppe Forced Entertainment, die sich teils über zwölf Stunden ziehen, können nicht in traditioneller Weise entworfen, festgelegt und geprobt werden. Die Vorbereitung zielt auf die Erarbeitung von Darstellungsstrategien. Die Aufführung selbst wird zum Versuch, zur Prüfung und zur Übung: Indem die Performer in einem reduzierten und für den Zuschauer nachvollziehbaren Handlungsrahmen über einen langen Zeitraum agieren, kann der Zuschauer überprüfen, wie sie mit ihren Möglichkeiten umgehen und zugleich im Laufe der Aufführung bestimmte Darstellungsstrategien üben. Die Arbeit am Theater wird auf die Bühne verschoben und damit sichtbar gemacht. Nicht als ein Ausstellen der Konstruktion im Sinne Brechts, das immer auf etwas verweist, das vorher verborgen war, sondern als Bekenntnis zum Akt des Produzierens selbst, der nicht mehr von einem Regisseur, sondern von den Zuschauern bezeugt wird.
3 | Vgl. zu den Probenformen von Rimini Protokoll: Miriam Dreysse/Florian Malzacher (Hg.): Experten des Alltags. Das Theater von Rimini Protokoll. Berlin 2007. 4 | Marina Abramovic´/Ulay: Relation Work and Detour. Amsterdam 1980. S. 19. 5 | Exemplarisch sei hier 12 am: Awake and Looking Down (1993) genannt: Aus einem Pool von Kleidungsstücken und Pappschildern mit kurzen Figurenbezeichnungen wählen sich die Performer immer wieder neues Material und stellen eine Pose: bis zu elf Stunden lang.
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»Soirée de première, le travail de deuil commence«6, erklärt der französische Regisseur Jacques Lasalle. Die Aufführung wird zur Trauerarbeit an der Probe erklärt. Wenn am Beginn meiner Überlegungen die vergessenen Proben als Trauma der Figur Wilhelm Meister vorgeführt werden, als Trauma eines unvorbereiteten Auftritts, dann ist das Trauma der Probe ein anderes: nämlich das, was erarbeitet wurde, nicht festhalten zu können, und zugleich zu wissen, dass das, was erarbeitet wurde, nicht das ist, was am Beginn des Prozesses als erste Idee stand. Nicht das, was gewollt, gewünscht oder begehrt wurde, sondern immer etwas anderes ist das Ergebnis des Produzierens. Die Arbeit am Theater ist damit immer zugleich eine Arbeit gegen die Vergänglichkeit, gegen den Tod, weil Herstellen und Verschwinden in einem Moment zusammenfallen und die geplante, imaginierte Zukunft notwendigerweise verfehlt wird. Diese Arbeit gegen die Vergänglichkeit ist, nach Hannah Arendt, jeder Form der Arbeit eingeschrieben, spitzt sich aber im Theater zu. In diesem Sinne ist jedes Arbeiten am Theater auch immer ein »Durcharbeiten« in der Wiederholung, wie es Freud beschrieben hat als ein Benennen und Durcharbeiten von Widerständen, um diese dadurch zu überwinden.7 Während in der Trennung von (versteckter) Probenarbeit und Aufführung der Schauspieler allein die Trauerarbeit vollzieht und sie vor dem Zuschauer verbergen muss, verschiebt sich das (Therapie-) Szenario in den oben beschriebenen Formen, die mit einer offenen Aufführungssituation spielen: Das Trauma der Probe, das, was eben noch erarbeitet wurde, nicht mehr wiederholen zu können, und das Trauma der vergessenen Proben, nämlich unvorbereitet auf die Bühne zu müssen, überlagern sich hier. Beides wird vor den Augen der Zuschauer ›durchgearbeitet‹: in der ausgestellten Offenheit der Situation, im Spiel mit den Versuchen von Wiederholung und deren Verschiebungen. Die Aufführung als Probe wird somit auch zu einem Bekenntnis zum Nicht-Wissen, zum Fehler, zur Lücke, zum möglichen Scheitern, ein Ausstellen der Nervosität8: Die Arbeit am Theater führt sich selbst auf. Es ist eine eigene Untersuchung wert, genau diese Formen der Arbeit am Theater zu beschreiben.
6 | »Mit der Premiere, beginnt die Trauerarbeit«. Jacques Lasalle: Pauses. Arles 1991. S. 90. 7 | Sigmund Freud: »Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten« [1914]. In: ders.: Gesammelte Werke. Frankfurt a.M. 1946. Bd. X. S. 126-136. 8 | Vgl. zum Verhältnis von Nervosität und Arbeit und deren bewusstem Ausstellen in zeitgenössischen Theaterprojekten: Matthias Warstat: »Vom Lampenfieber des Zuschauers«. In: Erika Fischer-Lichte et al. (Hg.): Wege der Wahrnehmung. Berlin 2006. S. 86-97. S. 95f.
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A RBEIT AUFFÜHREN ODER DAS ›A LS OB‹ DER A RBEIT Am Anfang dieser Untersuchung stand mit der Beschreibung des Projekts Bauerntheater das Reenactment einer (historischen) Arbeitsform: bäuerliche Techniken, die (fast) vergessen sind. Abschließen möchte ich mit einer anderen Inszenierung von Arbeit, die den heutigen Büroalltag zu ihrem Gegenstand macht. 1995 zeigte die englische Gruppe Gob Squad eine Performance-Installation mit dem Titel Work9 , die über die Dauer von einer Woche in einem Büroraum zu den üblichen Bürozeiten stattfand: zwei Zuschauerbänke auf der einen Seite, gegenüber sechs Tische mit Computer, Fax und Telefon, Aktenschränke, ein Kopierer. Zu beobachten sind die Performer an ihren Schreibtischen, beim Kopieren, beim Führen von Interviews per Telefon – gefragt werden die Interviewpartner nach der gegenwärtigen Arbeit, nach ursprünglichen Berufswünschen, nach Verdienst und dem Traum nach anderen Formen der Arbeit. Dazwischen werden kurze Choreografien gezeigt: Die Performer präsentieren sich auf einem Catwalk, werden angepriesen mit ihren bisherigen Berufserfahrungen vom Autowäscher bis zum Showgirl bei Mercedes Benz. Es gibt kurze Sequenzen, die die Performer in kindlichen Phantasien ihrer Traumberufe zeigen. Immer und immer wieder wird eine Bewegungsabfolge vorgeführt: Schreiben, Radieren, am Bleistift kauen, Neuansetzen, Schreiben, Radieren. Eine 40 Stunden lang dauernde Performance, deren zeitlicher Rahmen Schauspieler wie Zuschauer herausfordert. Wie das Projekt Bauerntheater liegt die Besonderheit von Work darin, dass es nicht nur site-specific ist und den realen Raum als theatralen inszeniert, sondern ihn real wieder mit Arbeit füllt. Dabei wird deutlich, dass Arbeit auch immer Lebenszeit bedeutet: Zeit, die gefüllt werden muss, Zeit, die aufgebracht werden muss, Zeit, in der man etwas tut, die definiert ist. Insofern ist Work nicht nur site-specific, sondern auch time-specific. Die Aufführung thematisiert nicht nur Arbeitsbedingungen und -verteilung, sondern macht sie erfahrbar. Sie spielt nicht nur mit den Inszenierungen und Strukturen der Arbeitswelt, sondern zeigt ganz real den Einfluss, den die Arbeit (auch die fehlende) auf den Einzelnen hat. Über die Dauer wird die Performance selbst zur Arbeit mit all ihren Facetten: als utopischer Selbstentwurf oder Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, als stupide Beschäftigung, um den Lebensunterhalt zu verdienen, als Anteil am gesellschaftlichen Leben. Abschließend soll eine Sequenz der Installation betrachtet werden, die, in der Aufführung einer besonderen Probe, auf eine performative Dimension des Arbeitens verweist und so das Verhältnis von Arbeit und Theater noch einmal neu perspektiviert. Jeweils ein Performer sitzt allein vor dem Publikum auf einem Stuhl und zählt – immer mit der einfachen Phrase »I can« eingeleitet – seine Kenntnisse und Fähigkeiten auf: »I can drive a car«, »I can speak ger9 | Gob Squad: Work. Nottingham 1995.
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man«, »I can bake bread«, »I can be nice«. Vor dieser Aufzählung richten die Performer selbst ihren Platz her: Sie stellen sich den Stuhl hin, richten zwei Videokameras auf ihr Gesicht, überprüfen, ob der Bildausschnitt stimmt. Das Publikum kann das Videobild auf zwei Monitoren an den Seiten des Raumes betrachten. Dieser Aufbau gleicht einem Verhör und einer Bewerbungssituation zugleich. Sich von seiner positiven Seite zu zeigen, ist Anforderung jedes Bewerbungsgespräches und eng mit dem Thema Arbeit verbunden. Aufgezählt werden nichts als Antworten auf die Frage: Was können Sie, wo liegen Ihre Stärken? Die Aufzählung wird zu einer Selbstdefinition, zu einem Selbsttest hinsichtlich des eigenen Könnens – und der Fähigkeit, seine Fähigkeiten zu präsentieren. Die Anforderung, sich selbst und sein Können virtuos aufzuführen, ist ein Merkmal unserer gegenwärtigen Arbeitswelt, so der italienische Philosoph Paolo Virno. Virno beschreibt eine Entwicklung der Arbeit, in der die virtuose Darstellung im Mittelpunkt steht. Die Arbeit habe den Charakter von Aufführungen angenommen. Kontingenz und das Unvorhergesehene »noch nicht da gewesener Prozesse« bestimmen sie.10 Das, was für Hannah Arendt eine grundsätzliche Kategorie des Handelns (und damit des Politischen jenseits der Arbeitswelt) ist, das Sich-den-Blicken-der-anderen-Aussetzen, wird nun zur grundlegenden Qualität des Arbeitens. Die oben beschriebene Szene stellt nun dieses Szenario der Selbstaufführung aus: Die Länge der Szene, Pausen, Nachdenken und die Unsicherheit der Schauspieler lassen die Darstellung improvisiert erscheinen. Unterstrichen wird die Darstellungsaufgabe: eine ungeprobte Probe von Darstellungsqualitäten, die sich den Blicken der Zuschauer wie dem eigenen Blick im Monitor der Kamera aussetzt. Zugleich wird aber eine Bekenntnissituation inszeniert, ein Sich-Bekennen zu den eigenen Fähigkeiten. Die Aussage »Ich kann« formuliert immer auch ein Versprechen, sowohl sich selbst als auch den anderen gegenüber. Damit verweist die Szene auf eine performative Dimension der Arbeit, die Derrida in seinen Überlegungen zur Zukunft der Universität anstellt. »Als ob das Ende der Arbeit am Ursprung der Welt stünde«11, so leitet Jacques Derrida den Abschnitt über die Arbeit in seinem Vortrag Die Zukunft der Arbeit oder die unbedingte Universität ein, den er 1998 in Stanford hält. Die Arbeit des Professors ist es, die Derrida interessiert, abgeleitet aus dem Verb professer ist mit dem Beruf immer auch ein Glaubensbekenntnis verbunden und setzt damit voraus, »daß jenseits des Wissens, des Sich-auf-etwas-Verstehens und der Kompetenz, daß zusätzlich zu alledem eine beglaubigte Verpflichtung, eine Bezeugung, eine Freiheit,
10 | Paolo Virno: Grammatik der Multitude. Wien 2005. S. 64. 11 | Jacques Derrida: Die unbedingte Universität. Frankfurt a. M. 2001. S. 25.
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A RBEIT AM T HEATER ein Verantwortungsschwur, ein Gelübde das Subjekt […] verpflichte[t], Rechenschaft abzulegen«12.
Nicht nur der Professor, auch der Anwalt und der Arzt sind für Derrida Beispiele für ein solches Verständnis der Profession. Wenn Adam Smith genau jene Berufe als unproduktiv ausklammerte, weil deren Produktivität »in dem Augenblick [untergeht], in dem sie entsteht«13 , dann setzt Derrida genau hier das Konzept der Profession an, die immer auch eine performative Dimension und damit immer auch ein Ereignis zeitigt, das nicht im Akt des Wissens oder der Ausübung des Berufs aufgeht, sondern den Rahmen jeder Vereinbarung und jeder Konventionalität unterbricht. Was bedeutet dies für die Arbeit am Theater, die ja auf den ersten Blick nicht zu jenen Professionen zählt, die immer auch ein Versprechen und ein Glaubensbekenntnis sind? Die Arbeit am Theater setzt – im besten Falle – ein anderes Bekenntnis voraus: das Bekenntnis zum Glauben an die eigenen und die Fähigkeiten der anderen. Sagen zu können: »ich kann« und »wir können«, ist eine grundlegende Voraussetzung für jede Probenarbeit, die sich ihren Weg immer erst suchen muss. Jeder Probenprozess markiert einen Beginn für alle Beteiligten und damit das Bekenntnis zu einem gemeinsamen Projekt, zu einer Form der Zusammenarbeit, die erst noch hervorgebracht werden muss, als ein ›Ereignis‹, das »sich nicht dem Möglichen, sondern dem Unmöglichen anheimgibt«14 . Nicht verstanden als ein Umsetzen des Unmöglichen auf der Bühne, sondern als Glaubensbekenntnis dazu, nicht zu wissen, was geschehen wird, und doch zu glauben, dass etwas geschieht in der gemeinsamen Arbeit, als Verpflichtung auf eine gemeinsame Zukunft in dem Wissen, dass diese Zukunft unmöglich ist: »ein Denken des UnmöglichMöglichen«15 . In einem Interview in der Zeit spricht der Regisseur George Tabori von der utopischen Dimension des Probens: »Eine Theaterprobe spiegelt für kurze Zeit das ideale Leben wider. Menschen treffen sich. Sie haben ein gemeinsames Ziel. Sie arbeiten. Sie diskutieren. Und am Ende findet nicht der Tod, sondern eine Premiere statt.«16 Vielleicht können die Proben das ideale Leben sein, in der Form, wie Menschen hier eine Gemeinschaft konstituieren: die Theatermacher als »Fliehende«, wie sie Tabori beschreibt, die sich in eine Utopie retten. Vielleicht aber sind die Proben im besten Falle ideale Arbeit, in dem Maß, wie 12 | Derrida: Die unbedingte Universität. S. 50f. 13 | Adam Smith: Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen. München 1978. S. 272. 14 | Ebd., S. 74. 15 | Ebd., S. 73. 16 | »Ich habe mein Lachen verloren. George Tabori im Gespräch mit André Müller«. In: Die Zeit vom 06.05.1994.
Z UM S CHLUSS : A N DEN R ÄNDERN DER P ROBE
Arbeitszusammenhänge immer wieder neu hervorgebracht und ausgehandelt werden können, in der Möglichkeit, von vorn anzufangen, in der Notwendigkeit, sich organisieren zu müssen und in der Freiheit, dies immer wieder neu zu erforschen, im Bewusstsein des Verfehlens jeden Planes und der gleichzeitigen Arbeit daran. In diesem Sinne verstanden, bietet die Probe keine »Zuflucht«17, sondern einen Arbeitsraum zwischen kollektiver Kreativität und individuellem Schaffen, zwischen Erfinden und Finden, zwischen Wissen und Nicht-Wissen, Selbstdisziplinierung und -überschreitung, zwischen der Offenheit des Prozesses und dem gleichzeitigen Glauben an eine Zukunft der Arbeit.
17 | »Ich habe mein Lachen verloren. George Tabori im Gespräch mit André Müller«. In: Die Zeit vom 06.05.1994.
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Dank
Der vorliegende Band ist das Ergebnis einer langjährigen Beschäftigung mit der Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Arbeit, die zu allererst durch meine Arbeit als Wissenschaftlerin und Performance-Künstlerin biografisch begründet ist. Die Notwendigkeit die Arbeit am Theater zu organisieren, die Frage nach den Techniken des künstlerischen Produzierens, die Ökonomien eines Inszenierungsprozesses sind Teil meiner künstlerischen Arbeit und Untersuchungsgegenstände des vorliegenden Bandes. Dass Glück mich auf beiden Felder bewegen zu können, verdanke ich verschiedenen Menschen und Institutionen, ohne deren Mithilfe auch dieses Buch nicht entstanden wäre. Die Arbeit ist als Habilitationsschrift am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin verfasst und am Institut für Medien und Theater der Universität Hildesheim für den Druck überarbeitet worden. Zu allererst danken möchte ich Gabriele Brandstetter, die dieses Projekt mit großem Engagement begleitet und es auf vielen Ebenen unterstützt hat. Erika Fischer-Lichte und Hajo Kurzenberger möchte ich für ihr Engagement als Gutachter danken. Ebenso gilt mein Dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Institut für die gemeinsame Arbeit und zahlreichen Diskussionen. Im besonderen sind dies Hans-Friedrich Bormann, Inka Paul, Isa Wortelkamp. Meinen Kollegen Jens Roselt und Melanie Hinz von der Universität Hildesheim danke ich für die gemeinsame Arbeit an der Probenforschung und die Tagung „Chaos und Konzept. Poetiken des Probierens“ im April 2009. She She Pop (Sebastian Bark, Fanni Halmburger, Johanna Freiburg, Lisa Lucassen, Ilia Papatheodorou, Berit Stumpf) bin ich dankbar ich für die gemeinsame Arbeit, die immer wieder Ausgangspunkt und Inspiration für meine wissenschaftliche Arbeit ist, und für die Geduld, mit der sie diese Arbeit begleitet haben. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Brecht Archivs sowie des Archivs der Akademie der Künste haben meine zum Teil abwegigen Recherchen mit großer Geduld unterstützt. Anke Stelling hat das Manuskript wunderbar lektoriert. Kaja Jakstat danke ich für die Sorgfalt, Umsicht und unermüdliche Einsatzbereitschaft, mit der sie das Manuskript für den Druck überarbeitet hat. Ebenso sei Katarina Eckold und Lisa Großmann für ihre Mitarbeit gedankt. Ohne den Rückhalt meiner Eltern hätte diese Arbeit nicht geschrieben werden können. Ihnen gilt mein ganz besonderer Dank.
Theater Friedemann Kreuder, Michael Bachmann, Julia Pfahl, Dorothea Volz (Hg.) Theater und Subjektkonstitution Theatrale Praktiken zwischen Affirmation und Subversion Oktober 2012, ca. 700 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1809-9
Eckhard Mittelstädt, Alexander Pinto (Hg.) Die Freien Darstellenden Künste in Deutschland Diskurse – Entwicklungen – Perspektiven Januar 2013, ca. 280 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1853-2
Ulf Otto Internetauftritte Eine Theatergeschichte der neuen Medien Juli 2012, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-2013-9
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Theater Patrick Primavesi, Jan Deck (Hg.) Stop Teaching! Neue Theaterformen mit Kindern und Jugendlichen September 2012, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1408-4
Jens Roselt, Ulf Otto (Hg.) Theater als Zeitmaschine Zur performativen Praxis des Reenactments. Theater- und kulturwissenschaftliche Perspektiven August 2012, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1976-8
Wolfgang Schneider (Hg.) Theater und Migration Herausforderungen für Kulturpolitik und Theaterpraxis 2011, 236 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1844-0
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Theater Martin Bieri Neues Landschaftstheater Landschaft und Kunst in den Produktionen von »Schauplatz International«
Andreas Englhart, Artur Pelka (Hg.) Junge Stücke Theatertexte junger Autorinnen und Autoren im Gegenwartstheater
Juli 2012, ca. 440 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 39,80 €, ISBN 978-3-8376-2094-8
Juli 2012, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1734-4
Nina Birkner, Andrea Geier, Urte Helduser (Hg.) Spielräume des Anderen Geschlecht und Alterität im postdramatischen Theater
Susanne Valerie Granzer Schauspieler außer sich Exponiertheit und performative Kunst. Eine feminine Recherche
Juli 2012, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1839-6
Johanna Canaris Mythos Tragödie Zur Aktualität und Geschichte einer theatralen Wirkungsweise 2011, 370 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1565-4
Adam Czirak Partizipation der Blicke Szenerien des Sehens und Gesehenwerdens in Theater und Performance Februar 2012, 326 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1956-0
Jan Deck, Angelika Sieburg (Hg.) Politisch Theater machen Neue Artikulationsformen des Politischen in den darstellenden Künsten 2011, 186 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1409-1
2011, 162 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1676-7
Eva Krivanec Kriegsbühnen Theater im Ersten Weltkrieg. Berlin, Lissabon, Paris und Wien Januar 2012, 380 Seiten, kart., zahlr. Abb., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1837-2
Katharina Pewny Das Drama des Prekären Über die Wiederkehr der Ethik in Theater und Performance 2011, 336 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1651-4
Jens Roselt, Christel Weiler (Hg.) Schauspielen heute Die Bildung des Menschen in den performativen Künsten 2011, 268 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1289-9
Jenny Schrödl Vokale Intensitäten Zur Ästhetik der Stimme im postdramatischen Theater Mai 2012, 318 Seiten, kart., mit CD-ROM, 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1851-8
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Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Dorothee Kimmich, Schamma Schahadat (Hg.)
Essen Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 1/2012
Mai 2012, 202 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN 978-3-8376-2023-8 Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften bietet eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über »Kultur« und die Kulturwissenschaften – die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur sowie historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus wird mit interdisziplinären Forschungsansätzen diskutiert. Insbesondere jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kommen dabei zu Wort. Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen 11 Ausgaben vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50 € je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected]
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