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German Pages [171] Year 1981
Antiken I \asen - Bronzen -Terrakotten des klassischen Altertums Heidi C. Ebertshäuser MichaelWiltz
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Amphora, Hochzeitszug des Herakles und der Hebe, Exekias, um 540 v. Chr., H. 63 cm, New York, The Metropolitan Museum of Art, ers Fund
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Antiken I \asen - Bronzen -Terrakotten des klassischen Altertums Heidi C. Ebertshäuser
Keyser
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek: Ebertshäuser, Heidi C.: Vasen - Bronzen - Terrakotten des klassischen Altertums/ Heidi C. Ebertshäuser; Michael Waltz. - München: Keyser, 1981 (Antiken/Heidi C. Ebertshäuser; Michael Waltz; 1) (Keysers Sammlerbibliothek) ISBN 3-87405-138-2
© Keysersche Verlagsbuchhandlung GmbH, München 1981 Umschlagentwurf: Mendell & Oberer Graphic Design, München Druck und Bindung: Erhardi Druck GmbH, Regensburg • Waldsassen Printed in Germany
Inhalt
Einleitung
7
Die Bronzezeit Kykladische Kultur Kreta und die minoische Kultur Mykenische Kultur
9 17 23
Die dunklen Jahrhunderte
30
Geometrische Kunst Orientalisierender Stil
32 38
Das 6. Jahrhundert Attische Vasenmalerei des 6. Jahrhunderts Andere Schulen Kleinplastik - Bronzen Terrakotten
58 63 100 106 122
Etrurien Etruskische Kleinkunst Orientalisierender Stil Pontische Amphoren Kleinplastik
125 126 130 135 140
Fälschungen
144
Anhang Vasenformen, Herstellung, Inschriften Technik des Bronzegusses Herstellung der Terrakotten Zeittafel Bibliographie Namen- und Sachregister
151 155 156 157 159 160
Einleitung
Der Ruf der griechischen Antike, die > Wiege unserer Kultur< zu sein, hat dazu geführt, sie mit einem solchen Glanz des Erhabenen zu umgeben, daß viele Betrachter sich scheuen, griechische Kunstwerke unvoreingenommen anzuschauen und zu genießen. Dabei waren gerade die Griechen selbst ein sehr neugieriges Volk, und in ihrem Hang zum Fragen ganz unbefangen. Das zeigt sich auch in ihrer Kunst, die bei aller Erhabenheit, zu der sie in der Tat fähig ist, doch immer lebensvoll und auf den Beschauer bezogen bleibt. Und so sollte sie auch gesehen werden. Dieser Aspekt liegt dem vorliegenden Buch zugrunde, das dem Sammler und Liebhaber eine einleitende Übersicht über die griechische Kleinkunst geben soll. Dabei konnte man sich nicht mit einer reinen Aufzählung von Gattungen und Typen begnügen, sondern es mußte versucht werden, die griechische Kleinkunst in ihrer stilistischen Entwicklung vor ihrem geistesgeschichtlichen Hintergrund zu zeigen. Ohnehin heißt griechische Kleinkunst nur ihres Formats wegen so, steht sie doch in ihrer künstlerischen Bedeutung der großen Kunst nicht nach. Dies gilt insbesondere für die griechische Vase, die ein Hauptzeugnis der griechischen Kunst darstellt, aber auch für die Kleinplastik aus Bronze und Ton, die sich von der Großplastik nicht durch mindere Qualität (Anspruch), sondern durch Ausnutzung ihrer spezifischen Formbedingungen unterscheidet. Bei der Bildauswahl wurde einerseits darauf geachtet, die Stilentwicklung an exemplarischen und bedeutenden Werken zu zeigen, andererseits wurde der Vielfalt des Erhaltenenen Rechnung getragen. Dabei mag manches nicht ganz so anspruchsvoll sein, doch bleibt es unerläßlich zum Verständnis der antiken Kunst. Gerade für den Sammler wird dies von besonderem Interesse sein, bleibt doch auch bei der heutigen Preisentwicklung hier manch schöne Möglichkeit, Charakteristisches zu erwerben. Hierbei wurde darauf geachtet, auch verhältnismäßig unbekannte Stücke vorzuführen. Ein ausführliches Kapitel über Fälschungen und ein vielseitiger Anhang sollen gerade dem Sammler hilfreich sein.
Einleitung Der Umfang des Themas erzwang die Aufteilung auf zwei Bände. Hierbei wurde nicht nach Gattungen, sondern chronologisch verfahren, da die historischen und stilistischen Gemeinsamkeiten der Gattungen wichtiger sind als Unterscheidung nach Skulptur und Vasenmalerei. Zudem werden so Wiederholungen vermieden. Bd. l beginnt mit der frühen Bronzezeit und endet etwa um 500 v. Chr. ein Zeitpunkt, der sich anbietet, weil er dem Ausklang der schwarzfigurigen Vasenmalerei entspricht. Der zweite Band wird mit der rotfigurigen Vasenmalerei des späten 6. Jahrhunderts beginnen und bis in römische Zeit führen. Herzlicher Dank sei allen Museen und Instituten und all jenen ausgesprochen, die mit Rat, Tat und Ermutigung geholfen haben. Sie einzeln zu nennen, wäre unmöglich. Doch seien die Mitarbeiter des Archäologischen Instituts der Universität München dankend erwähnt, deren langjährige Hilfsbereitschaft unersetzbar gewesen wäre.
Die Bronzezeit
Kykladische Kultur Die frühen Idole Die ersten bedeutenden Kunstwerke auf griechischem Boden, die völlig eigenständig und von hoher künstlerischer Bedeutung sind, entstanden in einer Landschaft, die wir als die griechischste von allen empfinden: auf dem blauen Inselbogen der Kykladen. Dort lebte in der frühen Bronzezeit, etwa im 3. Jahrtausend vor Christus, ein Volk, von dem wir kaum mehr wissen, als daß es auf den Inseln, vor allem auf Paros und Naxos, kleine befestigte Siedlungen errichtete. Jene Inselbewohner bauten lange, schmale Ruderboote, die sie vermutlich auch zur Piraterie benutzten. Später machte der sagenhafte König Minos von Kreta dem ein Ende. Dieses Volk gebrauchte seine Boote auch, um Handel zu treiben, denn in Siedlungen anderer Kulturen, auf Kreta und in Attika, lebten offenbar einzelne Vertreter dieses Volkes, die als Handelsagenten arbeiteten. Handel, Schiffsbau und räuberische Seefahrt allein hätten das Kykladenvolk von vielen seiner Zeitgenossen nicht unterschieden, wenn es nicht aus dem feinen weißen, heute noch berühmten Marmor ihrer Inseln jene weiblichen Statuetten gemeißelt hätte, die heute unter dem Begriff >Kykladenidole< bekannt sind. Genau wissen wir nicht, was diese Figuren, die sich vornehmlich als Grabbeigaben finden, bedeuten. Das Wahrscheinlichste ist, daß jene Figuren die sogenannte >Große Göttinalle gleichSchlangengöttinLebkuchenhaftigkeit< eigen. Es kann sich nur um schlichte Beigaben gehandelt haben.
Orientalisierender Stil Gegen Ende des S.Jahrhunderts gewinnt das Erzählerische der Darstellung auch auf den Vasen wieder Raum. Schiffbrüche oder Kämpfe mit Tieren werden in einer Kritzelmanier wiedergegeben, die das Drama, die schauerliche Anekdote, realistisch wiederzugeben versteht. Die Darstellung verzichtet jedoch auf Genauigkeit und korrekte Körperwiedergabe. Hier genügt die Chiffre. Doch damit öffnet sich die Möglichkeit für die Aufnahme anderer Einflüsse. Es entsteht der sogenannte >orientalisierende Stileinfach so< existiert, sondern alles seinen Sinn hat, ist man doch geneigt, dies als edle, aber inhaltslose Dekoration zu betrachten; es sei denn, man habe die Vorstellung einer exotischen Märchenwelt, so phantastisch wie manche Geschichte, die Herodot erzählt, und verlockend für ein Volk, das gerade damals immer wieder in die Ferne aufbrach. Die Sphinxen, Fabelwesen, und die Löwen und Panther, die es in Griechenland nicht gab, sprechen dafür, doch beweisen läßt sich das nicht. Darstellungen von Menschen sind selten. Eine Ausnahme bildet die fast einzigartige Chigi-Kanne, auf der bunt bemalt viele verschiedene Szenen einer Löwenjagd, eine Schlacht, aber auch das Parisurteil dargestellt sind. Manches erinnert an orientalische Vorbilder. Das Ganze jedoch ist mit aller Lebendigkeit völlig griechisch. Die geläufige Produktion beginnt Farbkontraste zu suchen. Auf den hell cremefarbenen, später leicht grünlichen Untergrund wird die Malerei in schwarzem Glanzton aufgetragen. Details und Binnenzeichnung werden eingeritzt, manche Partien werden darüber rot und weiß, sehr selten gelb ausgemalt. Die
Orientalisierender Stil 44 Protokorinthiscbe Kleeblattkanne, H. 30 cm, ca. 630 v. Chr., Heidelberg, Archäologisches Institut
45 Rhodische Vogelschale, H. 8 cm, Durchmesser 19 cm, um 650 v. Chr., Würzburg, Martin v. "Wagner-Muse um
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42
Abb. 44
Tafel II
Tiergefäße
Vasen
Abb. 45
Geometrische Kunst Farben dienen dabei nur der Kennzeichnung bestimmter Körperteile und der farblichen Bereicherung, meinen jedoch kein Abbild der Farbe noch der Wirklichkeit. Ein schönes Beispiel der kompositorischen Verwendung von Farbe ist die nur mit einem Schuppenmuster bemalte Kleeblattkanne. Dieser Stil, der durch ein archäologisches Mißverständnis protokorinthisch und in seiner späteren Phase Ubergangsstil heißt, in Wirklichkeit jedoch nur eine frühe Phase des Korinthischen ist, wird um die Wende des 6. Jahrhunderts vom sogenannten frühkorinthischen Stil, der in Wirklichkeit ein Spätstil und häufig weniger reizvoll ist, abgelöst. Die kleinen Gefäße, Alabastra und Aryballen, werden zunächst auch im Friesschema dekoriert, entsprechend kleiner und manchmal auch feiner. Später bedecken ein oder zwei groß gemalte Tiere das ganze Gefäß, so daß man es in der Hand hin und her drehen muß, um das Thema überblicken zu können. Zu den Löwen, Schwänen, Hähnen und anderen Tieren gesellen sich männliche und weibliche Sirenen, fisch- und schlangenschwänzige Mischwesen oder Greifen, alle von nicht genau faßbarer Bedeutung, sondern Embleme der Exotik und des Fabelhaften. Besonders schön ist die Gattung der plastischen Vasen. Die Gefäße haben die Form eines Tieres; Affen sind beliebt, auch Schwäne, Löwen oder Rehe. Die Etrusker haben solche Stücke gern nachgebildet; und die Entscheidung, was korinthisch, was etruskisch sei, ist nicht immer leicht.
Ionien Ionien hat einen anderen Stil entwickelt. Hier gibt es kein so eindeutiges Kunstzentrum wie die Stadt Korinth, sondern eine Vielfalt lokaler Werkstätten. Dazu gehören nicht nur Ionien, die Küstenlandschaft um die Städte Milet und Ephesus, sondern auch der äolische Norden der kleinasiatischen Küsten, die Inseln Chios und Samos sowie Rhodos - das eigentlich dorisch ist - mit dem gegenüberliegenden- ebenfalls dorisch besiedelten - Küstenstrich. Stilistische Unterschiede der verschiedenen Werkstätten sind erkennbar, aber nicht allzu bedeutend. Eine Zuordnung bestimmter Gruppen zu bestimmten Orten ist auch innerhalb der Wissenschaft noch umstritten. Den Übergang vom geometrischen zum neuen orientalisierenden Stil zeigen die sog. rhodischen Vogelschalen, eine nicht seltene graziöse Gattung. Die strichelnde Zeichnungsweise verrät den alten, die lockere Komposition den neuen Geist. Kannen dieser Zeit, der 1. Hälfte des 2. Jahrtausends, sind gekennzeichnet durch einen niedrigen, allenfalls kugelförmigen Leib mit scharf abgesetzterhoherMündung. Meist sind sie geometrisch oderfloral dekoriert. Die Lieblingsform der folgenden Zeit ist die Kleeblattkanne. Sie ist ringsum mit Tierfriesen versehen. In einigen Exemplaren können sich die Tierdarstellungen auch nur an der Gefäßschulter befinden. Die Technik ist anders als die
Orientalisierender Stil
46 Frührbodiscbe Kleeblattkanne, H. 30 cm, 650-630 v. Chr., Paris, Louvre
43
47 Ionische Kleeblattkanne, H. 33,5 cm, 630—610 v.Chr., Tübingen, Universität
korinthische. Schwarz wird nicht flächenfüllend aufgetragen, sondern nur in Umrissen, teilweise mit Binnenzeichnung. Statt Rot zusätzlich zu verwenden, beläßt man den cremefarbenen Untergrund. Ritzungen unterbleiben in den meisten Fällen. Die Zeichnung ist frei und malerisch und häufig flüchtig. Farbaufträge in Weiß oder Rot sind selten. Die beliebtesten Tiere sind Steinbock und Schwan, seltener ist der Löwe. Die geometrischen Ornamente bleiben, anders als im korinthischen Stil, erhalten, sie gewinnen ihre florale Bedeutung zurück. Die Tiere bewegen sich durch einen reichen stilisierten Blumengarten. Die Gestaltung lehnt sich eng an orientalische Vorbilder an und verwandelt sie doch entscheidend. Im Orient verneigen sich in solchen Darstellungen symmetrisch angeordnete Tiere, meist Steinböcke, vor einem zentral angeordneten Baum, der von hoher religiöser Bedeutung ist - es ist der Baum des Lebens oder der Erkenntnis. Bedenkt man den Einfluß der babylonischen Astronomie auf den nur wenig spateren Thaies von Milet, so kann man annehmen, daß die Maler dieser Vasen recht genau wußten, welche religiöse Bedeutung ihre Vorbilder hatten. Doch bleiben ihnen die religiösen Vorstellungen letztlich fremd, d.h. die rituelle
Tierdarstellungen
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Geometrische Kunst
48 Ionischer Teller, Durchmesser 30,5 cm, letztes Viertel d. 7. Jh. v. Chr., Boston, Museum of Fine Art s, E. P. Warren Purchase
Abb. 46
Abb. 47
Szene verwandelt sich in einen exotisch-poetischen Garten. Vielleicht sind die >ParadeisoiSäkularisierung< des Bildes, d.h. der Ersatz religiöser Bedeutung durch Naturschilderung, in engem Zusammenhang mit der wenig später aufblühenden ionischen Naturphilosophie. Eines der schönsten erhaltenen Stücke ist eine Kanne im Louvre (Abb. 46) rauf der Schulter Greifen und Sphinxe, darunter abwechselnd Friese von Steinbökken und Damwild, umgeben von üppig blühender Natur. Die Ornamente sind hier gegenständlich zu verstehen. Bescheidene Mittel genügen, das Bild trotz vieler Wiederholungen nicht langweilig werden zu lassen. Bemerkenswert ist die klare Festigkeit der Zeichnung. Bescheidener, jedoch noch von hoher Qualität, ist die Kanne auf der folgenden Abbildung, auf der die ebenso ruhige Szene plötzlich in Bewegung geraten ist. Hunde jagen dem Wild nach. Auf der Schulter befindet sich wie auf der vorigen Vase der Lebensbaum. Diese Qualität wird häufig nicht erreicht, die Zeichnung ist meist flüchtiger, wenn auch nie ganz ohne Charme.
Orientalisierender Stil
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Am Ende des 7. Jahrhunderts entstehen große Teller. Sie sind in der oberen Hälfte meist mit einem Tier, manchmal mit einer mythologischen Szene bemalt, während die untere Hälfte ornamental ausgefüllt ist. Der abgebildete Teller zeigt zwar eine Ausnahme, ist jedoch wegen seines Themas bemerkenswert: Die orientalische Herrin der Tiere, griechisch als Artemis, die Göttin der Jagd, gedeutet, erscheint hier mit dem monströsen Kopf der Gorgo, einem Ungeheuer der griechischen Mythologie. Das Motiv zweifelsfrei zu deuten ist problematisch. Die später eindeutig bestimmbaren und sich wiederholenden Themen aus Literatur und Mythologie sind zu dieser Zeit noch nicht festgelegt. Eine ikonographische Typologie also hatte sich noch nicht herausgebildet. Am wahrscheinlichsten ist, daß der Maler das Gorgonenhaupt benutzte, um eine exotische Gottheit zu bezeichnen. Verwandt, wenn auch feiner gearbeitet, sind die Vasen von Chios, meist kleine Kelche, fein getöpfert und mit einem weißen Überzug versehen. Der schönste der erhaltenen Kelche, die selten sind, sei hier abgebildet. Im Zentrum wie auf den Schulterbildern der Kanne befindet sich der >LebensbaumExekias egrapsenExekias hat's gezeichnet, ist dies der Beweis der Eigenhändigkeit der Zeichnung. Es ist dann nicht unbedingt der Werkstattinhaber, sondern vielleicht einer seiner Mitarbeiter, sehr wahrscheinlich auch ein Sklave. Dann ist er auch kein gebürtiger Athener, nicht unbedingt ein Grieche, sondern vielleicht auf einem auswärtigen Sklavenmarkt gekauft. Maler, die fremdländische Herkunft vermuten lassen, erscheinen häufig. Im Lauf des 6. Jahrhunderts wurde die attische Töpfertechnik immer perfekter und eroberte in wachsendem Maße die ausländischen Märkte - spätestens um 500 v. Chr. war alle Konkurrenz verdrängt. Einige unabhängige Maler oder Töpfer sind zugezogen, da sie in Athen die besten Arbeitsvoraussetzungen vorfanden. (Auch aus anderen Jahrhunderten ist ähnliches bekannt. So sind einige der berühmtesten Pariser Möbeltischler des 18. Jahrhunderts geborene Deutsche oder Flamen.) Bei einigen zugereisten Malern sind Stilelemente ihres Herkunftslandes - aus Ionien beispielsweise - erkennbar. Die Einheitlichkeit attischer Sprache bleibt jedoch unverwechselbar. Die attische Kunst ist nicht ein Produkt bestimmter Volkszugehörigkeit. Das geistige Leben Athens ist prägend und bringt eine einheitliche Kunstsprache hervor. Auch vorzügliche technische Grundlagen spielen eine Rolle und ein gesunder Sinn fürs Geschäft, der den Griechen eigen ist. Die Ausfuhr attischer Keramik war spätestens um die Jahrhundertmitte bedeutend, sie reichte von Ägypten und Rhodos bis nach Etrurien, dem wohl wichtigsten Abnehmer. Die meisten Vasen, die heute unsere Museen füllen, stammen von dort. Allerdings hängt dies nicht nur mit dem besonderen Interesse der Etrusker an griechischer Keramik zusammen, sondern mit ihrer Gewohnheit, ihre in den Fels genaue-
Attische Vasenmalerei
65 78 Attischer Skypbos, Zwei Tänzer, H. 9 cm, 580-570 v. Chr., Bloommgton, Indiana, University Art Museum
nen Kammergräber sozusagen zu möblieren, nicht zuletzt mit Vasen. So ist dort mehr erhalten als an anderen Orten. Aufschlußreich ist, daß sich Stücke von wirklicher Qualität nur in den reichen Städten Etruriens gefunden haben; die schönsten Stücke in den reichsten Gräbern. Dies legt einige Schlußfolgerungen nahe: Gute Vasen waren auch für damalige Verhältnisse teuer, ferner stimmt unser heutiges Qualitätsurteil mit dem der Antike im wesentlichen überein. Die Tatsache, daß die Vasenproduktion auf kommerzieller Grundlage erfolgte, hat Konsequenzen. Vasen der höchsten Qualität waren teuer, es kam also nur ein eng begrenzter Kreis von Interessenten in Frage. Im damaligen Athen lebten kaum mehr als 30 000 freie Bürger, so kommen lediglich die Mitglieder einiger reichsten Familien in Frage. Aufwendige Stücke waren also wohl Auftragsarbeiten. Neben diesen anspruchsvollen Einzelstücken gab es auch eine Serienproduktion für den Markt, deren Qualität sehr schwankend ist. Es ist nicht selten, daß Meister bedeutender Einzelwerke hier in Routine verfallen. Doch gibt es auch hier ausgezeichnete Arbeiten. Die Themenwahl richtet sich nach den Wünschen des Marktes, so daß manche beliebte Sujets sehr häufig sein können. Es handelt sich allerdings fast nie um schematische Wiederholungen, jede Vase ist ein selbständiges kleines Kunstwerk. Die Frage, warum Vasen mit teilweise sehr spezifischen Themen nach Etrurien gelangten, wo man die Darstellung kaum verstehen konnte, hat zu der plausiblen Vermutung geführt, daß manche Vasen für bestimmte Gelegenheiten, wie Hochzeiten, im Auftrag athenischer Adliger angefertigt wurden, um danach auf dem etruskischen Markt weiterverkauft zu werden. Außerdem gab es aber eine Industrie, die in erster Linie für den Export nach Etrurien arbeitete, zum
66
Das 6. Jahrhundert
79 Detail von einer attischen Hydria, H. des Ausschnitts ca. 20 cm, um 570 v. Chr., Privatbesitz
Die erste Jahrhunderthälfte
Abb. 78 Vasen
Abb. 79
Teil unter Verwendung spezifisch etruskischer Vasenformen. Hierzu gehört die Bandhenkel-Amphora, bei der die Henkel aus einem flachen, gewölbten Band bestehen. Erster in diesem Geschäft war der Töpfer Nikosthenes, weshalb man auch von nikosthenischen Amphoren spricht. Seine Werkstatt war fleißig, ohne je besonderen Rang zu erreichen. Eine Untersuchung, inwieweit auch Darstellungen auf seinen Vasen auf etruskischen Geschmack Rücksicht nahmen, ist noch nicht gemacht worden. Nach diesem Exkurs zurück zu den Vasen. An den Anfang stellen wir einen sauber getöpferten Becher mit zwei fröhlich Tanzenden und Feiernden, sogenannten Komasten, wie sie auf Abb. 78 zu sehen sind. Ihre Darstellung ist beeinflußt von den bekannten korinthischen Dickbauchtänzern, doch schnell werden die Unterschiede deutlich. Das flächenfüllende Blumenmuster fehlt, und die Zahl der Tänzer ist vermindert. Statt des Teppichmusters Menschenbilder: Ein glücklicher Kompromiß aus korinthischer Dekorationslust und attischem Drang zum Monumentalen ist gefunden. Über ihre Deutung ist wenig bekannt, gewiß ist nur, daß sie, mindestens ikonographisch gesehen, die Urväter einer Heerschar fröhlicher Gesellen auf attischen Vasen sind. Näher am korinthischen Vorbild bleibt der Maler des nächsten Gefäßes, eines Wasserkruges oder, griechisch, einer Hydria, die wir auf Abb. 79 zeigen. Die Tierfriese kennen wir von dort, auch hier ist das teppichhaft Füllende in der Gefäßbemalung vermieden. Die Tiere sind zur Gefäßmitte hin ausgerichtet und mit einer Sorgfalt gemalt, wie sie in Korinth nur im 7. Jahrhundert bekannt ist. Der Fries aus fröhlich galoppierenden Reitern ist von großer Lebendigkeit, zum Beispiel beim ersten Reiter, der sich umwendet. Ein Kessel oder Dinos - ein großes, fußloses Gefäß mit getrennt gearbeitetem
Attische Vasenmalerei
67 80 Attische Kanne des Gorgo-Malers, H. 26,5 cm, um 590 v. Chr., Kassel, Staatliche Kunstsammlungen
Ständer - zeigt eine große mythologische Szene: Perseus, der Medusa enthauptet. Sie sinkt kraftlos hin, das Blut spritzt aus dem Hals, ihre Schwestern verfolgen den flüchtenden Heros. Hermes und Athena stehen dabei. Das Bild hat etwas gelitten und ist übermalt. Eine Tatsache macht das Stück wichtig: Die Gorgonen haben die Köpfe, die sie von nun an immer haben werden. Hermes trägt seinen Botenstab und Reisehut, auch Perseus trägt diesen. Es entsteht eine ikonographische Festlegung, nicht nur in den Attributen der Götter und Helden, sondern auch in den Bildkompositionen. Die übrigen Bildfriese dieses Dinos zeigen Tierfriese, ebenso der Ständer. Den Maler kennen wir auch aus anderen Werken, er heißt Gorgo-Maler. Auf einer kleinen Vase einer Art, von der er viele gemalt hat, einer Olpe, entfaltet er sein Talent glücklicher. Wieder ein Dinos stammt von einem Meister, dessen Na-
80
Gorgo-Maler
Das 6. Jahrhundert 81 Attischer Dinos mit Ständer, von Sopbilos signiert, H. 71 cm, 580-570 v. Chr., London, British Museum
Sophilos Abb. 81
men wir kennen: Sophilos. Die Gliederung des Gefäßes ist nicht anders, ein szenischer Fries oben, danach Tierfriese. Das Thema ist die Hochzeit von Peleus und Thetis, dem Maler eine willkommene Gelegenheit, die olympische Prominenz zu versammeln. Dies geschieht mit viel Liebe zu verspieltem Prunk. Die Gewänder der Frauen tragen eingestickte Sterne und Tierchen. Das Bravourstück, ein Gesicht in Frontalansicht zu zeigen, wird riskiert, und zwar bei den Musen, die sich unterhaltend zusammenstehen. Eine Frontalansicht ist ungewöhnlich und den Vasenmalern noch lange ein Problem, außer bei den Gorgonen, deren Schrecklichkeit immer frontal gezeigt wird. Einzelheiten, wie die Wiedergabe von Frauenköpfen in reiner Umrißzeichnung, verraten die Beziehung zu Korinth. Dieser Bilderbogen, der etwas überladen ist, erscheint daher der korinthischen Detailfreude verbunden. Doch zeigt er sich in der
Attische Vasenmalerei
69 82 Volutenkrater des Kleitias und Ergotimos, sog. Franfoisvase, H. 66 cm, 570-560 v. Chr., Florenz, Museo Archeologico
Vielzahl der Motive reicher, sie schaffen einen breiten Erzählfluß, der sich der epischen Erzählung näher fühlt. Die Götter erscheinen in prachtvoller, doch menschlicher Gestalt, auch hier Homer verwandt, dessen Götter glanzvoller, doch menschlicher sind. Die Krönung dieser Art der Vasenmalerei ist die sogenannte Francois-Vase in Florenz, benannt nach ihrem Finder. Es handelt sich um einen Volutenkrater, eine neue Form; der Vasenkörper lehnt sich an die korinthischen Kratere an, ist jedoch straffer ausgebildet, die Henkel erscheinen in geschwungenen Bändern. Bedeutender ist die Malerei. Die Tierfriese sind fast völlig verdrängt. Die vielen Friese - einer sogar auf dem Fuß, der sonst immer undekoriert bleibt - haben erzählenden Charakter. Es ist ein wahres Pantheon der Mythen: so zum Beispiel die Sage von Theseus, der den Minotauros überwunden hat, der Kampf des Theseus mit den Kentauren, die Hochzeit von Peleus und Thetis, Bilder aus dem troischen Sagenkreis, die Rückkehr des Hephaistos in den Olymp eine schwankhafte Geschichte, die von Extravaganzen des Götterschmieds und seiner glücklichen, wenn auch trunkenen Heimkehr berichtet - und anderes mehr. Auf dem Fuß erscheint der Kampf der Kraniche und Pygmäen, den auch die Ilias erwähnt. Die Pygmäen sind dort am Ende der Welt angesiedelt.
Franfois-Vase Abb. 82
70
Das 6. Jahrhundert 83 Tyrrheniscke Amphora, Achill und Hektar kämpfen am Altar des Apoll um die Leiche des Troilos, H. 40 cm, um 570 v. Chr., München, Antikensammlungen
am Okeanos, der nach alter Ansicht die bewohnbare Welt umschloß. So könnte man die Vase als einen Spiegel der Welt, als einen Orbis pictus der Mythologie verstehen. Damit gewinnt auch der Tierfries, zwar konventionellen Formen verhaftet, neuen Sinn. Welch bezaubernden Eindruck jenes Werk wohl auf einen antiken Menschen machte, kann man Pausanias' Beschreibung der Kypselos-Lade entnehmen: Dies war eine reich eingelegte Truhe, die der korinthische Tyrann Kypselos im 7. Jahrhundert in Olympia geweiht hatte und die der Grieche Pausanias zur Zeit Hadrians, um 150 n. Chr., noch bewundern konnte. Auch für ihn war das schon Vergangenheit, die mehrere Jahrhunderte zurücklag. Er stand ihr mit historischer Reflexion gegenüber und verliert sich doch in seiner Schilderung wie in einem Zaubergarten, der kein Ende nimmt. Leider ist die Oberfläche dieses Gefäßes nicht gut erhalten, aber man kann sich die Farbigkeit mit Hilfe des Sophüos-Dinos vorstellen. Die Künstler haben ihr Werk signiert, Kleitias (>der BerühmteIlias< und die Schlachtbeschreibungen des Thukydides gelesen hat. Der scheinbar nur aus ästhetischen Gründen in die Mitte des Bildes gesetzte Helm erweist sich als drohender Vorbote des Kampfes. Daher rührt die unheimliche Spannung des Bildes, die man ahnt, vergegenwärtigt man sich die unmittelbare Grausamkeit des Mann-zu-Mann-Kampfes. Diese Eigenart, das Thema mehr in einer strengen Komposition zu verstecken als zu verdeutlichen, sowie die der feinen Zeichnung trifft man auch bei einem etwas späteren großen Meister, Amasis, der wohl sein Schüler war. Der Heidelberg-Maler hat die Neigung, unter die Schalenhenkel je einen Schwan zu setzen, was ihm einige nicht so bedeutende Kollegen nachmachen. Am Anfang des Jahrhunderts ist noch ein anderer Strang der Entwicklung zu verfolgen. Wir beginnen mit einer großen Bauchamphora. Der Hals ist nicht
Abb. 85
Heidelberg-Maler
Abb. 86
Vasen mit Bildmetopen
74
Das 6. Jahrhundert 87 Schwarzfigurige Bauchamphora, H. 54 cm, um 600 v. Chr., München, Antikensammlungen
Abb. 87
Abb. 88
scharf vom Bauch getrennt, sondern geht fließend in ihn über wie bei den tyrrhenischen Amphoren und der Halsamphora, die sich daraus entwickelt hat und die später zu behandeln ist. Auf der Rückseite findet sich ein Pferdekopf und im Hauptbild der Kopf einer Frau. Möglicherweise ist dies ein Abbild der Toten, der die Vase ins Grab mitgegeben werden sollte. Es könnte jedoch auch eine Göttin gemeint sein. Bemerkenswert ist der Gegensatz zwischen dem vom korinthischen Stil beeinflußten differenzierten Erzählstil und der Größe des Bildes unter Verzicht auf Vielfalt. Es erinnert an großangelegte altattische Darstellungen. Ein schönes Beispiel ist die Gruppe der Pferdekopfamphoren, wobei hier ein ungewöhnliches Stück ausgewählt ist. Während sonst nur der Pferdekopf zu sehen ist, haben hier auch die Vorderbeine Platz gefunden. Der Delphin auf der Schulter ist eine Ausnahme. Fraglich bleibt, was diese Pferdeköpfe bedeuten. Sie sind mit dem Totenkult verbunden; ob deswegen, weil das Pferd in mythischer Weise mit dem Jenseits verknüpft ist, oder ob auf die bei Totenfeiern gebräuchlichen Wagenrennen angespielt ist, ist nicht zu entscheiden, eins schließt das andere nicht aus. Diesem Darstellungsprinzip folgen ferner Amphoren mit Männerköpfen, Tierkämpfen oder einzelnen Tieren, etwa Löwen. Die besprochene Olpe ver-
Attische Vasenmalerei
75
88 Schwarz figurige Halsamphora, H. 38,) cm, 560-550 v. Chr., Bloomington, Indiana University Art Museum
tritt diesen Bildtyp. Von demselben Meister sind auch Friesbilder bekannt. Dies macht deutlich, daß man in der unterschiedlichen formalen Herkunft keinen Gegensatz gesehen hat, sondern je nach Aufgabe entschieden wurde: den Friesstil fürs Erzählen, das Einzelbild fürs Denkmal. Die Verbindung beider Prinzipien in einem leicht überschaubaren, geschlossenen Bild, das dennoch aus mehreren Figuren besteht, entwickelt sich etwa in den sechziger Jahren des 6. Jahrhunderts. Ein betrachtlicher Vorteil dieser Konzeption besteht dann, daß die Zeichnung in ein harmonisches Verhältnis zur Vasenform gerat. Das Einzelbild unterdrückte allzu leicht das Gefaß und degradierte es zum reinen Malgrund. Der Fries verhielt sich immer etwas beziehungslos zur Rundung und Schwellung des Gefäßes und hätte ebenso gut, wenn nicht besser, auf einem rechteckigen Kasten untergebracht werden können. Die Beschreibung der Kypselos-Lade und einige Funde zeigen, daß dies auch geschah. Nicht notwendig der Erfinder, aber sicher ein früher und genialer Meister dieses Konzepts war der Maler Lydos. Sein Name und seine Vaseninschrift weisen darauf hin, daß er dem in Kleinasien beheimateten, nichtgriechischen Volk der Lyder angehörte und als Sklave nach Athen gekommen war. In seiner Heimat existiert nichts, was seiner Kunst ähnelt oder ein Vorläufer sein könnte. Seine
Lydo
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Das 6. Jahrhundert
89 Krater des Lydos. Rückkehr des Hef batst. H. 56,5 cm, um 550 v. Chr., New York, The Metropolitan Museum of Art, Fletcher Fund, 1931
Abb. 89
Abb. 90
Begabung entfaltete sich im reichen geistigen Leben Athens. Die Darstellungen Lydos' sind rein attisch -. Ein schönes Beispiel ist ein Stangenhenkelkrater. Abgebildet ist die Rückkehr des Hephaistos in den Olymp, eine skurril-vergnügliche Geschichte, die in Stichworten erzählt sei: Hephaistos hatte den Zorn der Hera erzeugt, weshalb sie ihn aus dem Olymp warf. Beim Aufprall auf die Erde verletzte er sich und hinkte fortan. Er wurde Schmied - damals Inbegriff des Kunsthandwerks und technischen Wissens, ein spätes Echo der Umwälzungen, die die Metallurgie gegenüber der Steinzeit mit sich brachte. Er fertigte Hera einen schönen Thron, doch nachdem sie sich daraufgesetzt hatte, kam sie nicht mehr los. Nur Hephaistos konnte sie befreien, jedoch wollte er nicht in den Olymp zurückkehren. Nach verschiedenen Versuchen gelingt es endlich Dionysos, ihn trunken zu machen und ihn auf einem Esel reitend in den Olymp zurückzubefördern. Dies stellt die hier gezeigte Szene dar, die auch auf der Fran9ois-Vase gezeigt wird. Dort war sie, etwas behäbig erzählt, episch gedehnt. Viel Raum blieb zwischen den Figuren. Ein szenischer Mittelpunkt fehlt, jeder Augenblick ist gleichwertig. Hier ist alles konzentriert, die Figuren sind deutlich überlängt, um sie enger drängen zu können. Kein Raum ist zwischen ihnen, alle Figuren
Attische Vasenmalerei
77 90 Votivteller des Lydos. Gorgo. 0 24 cm, um .550 v. Chr., München, Antikensammlungen
90 a Von einer Bauchamphora des Amasis-Malers, H. des Ausschnitts ca. 15 cm, 550-540 v. Chr., München, Antikensammlungen
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Das 6. Jahrhundert
91 Von einer Amphora des Amasis-Malers. Helena und Menelaos. H. des Ausschnitts ca. 14 cm, um 550 v. Chr., München, Antikensammlungen
Amasis-Maler
Abb. 90a
sind auf den Hauptpunkt des Bildes, den trunkenen Gott auf dem Esel, ausgerichtet; freilich verändert: Hephaistos ist aus der Bildmitte verdrängt, hier findet sich ein Saphyr, der sozusagen als Dramaturg frontal ins Publikum blickt und zum Teilnehmen einlädt. Zur Konzentration trägt bei, daß der Tierfries nun fehlt, sein bekannter Platz unter dem Hauptbild bleibt schwarz. Lediglich ein feines Lotospalmettenband an der Lippe und ein sogenannter Strahlenkranz sind noch gezeichnet. Die überlängte Form der Figuren ist bedeutend, da sie die gesamte Vasenform kompositionell gliedert. Bild und Vase werden mit einem Blick überschaubar. Die Vereinfachung der Gewanddarstellung ist nicht zufällig. Bei Sophilos und Kleitias dient sie als Anlaß unentwegten Erzählens; hier ist sie mit einem Blick zu erfassen. Kurz, das episch Breite ist nun abgelöst durch dramatische Zuspitzung. Lydos hat zahlreiche große Gefäße bemalt, die vor allem mythologische Szenen, etwa das Paris-Urteil oder den Untergang Trojas, abbilden. Seine ikonographischen Fixierungen und die seiner Zeitgenossen sind für das folgende Jahrhundert verbindlich. Einer der berühmtesten Maler ist der Amasis-Maler, der, zwar Schüler des Heidelberg-Malers, doch vornehmlich Amphoren bemalt hat. Eines seiner schönsten Bilder stellt den Auszug von vier Reitern zur Jagd dar: Die klare Komposition durch Gliederung in Waag- und Senkrechte und die Rhythmik durch Variation der Abstände zwischen den Reitern, die dem Bild gleichzeitig Bewegung und Dichte verleiht, suchen ihresgleichen. Verstärkt wird dieser
Attische Vasenmalerei
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92 ölfläschchen (Lekythos) des Amasis-Malers. Hochzeitszug. H. 17 cm, um HO v. Chr., New York, The Metropolitan Museum ofArt
Eindruck durch die äußerst präzise Zeichnung, besonders der Ritzlinie, die auch bei guten Malern sonst gröber ausfällt. Repräsentativ für die meisten seiner Werke ist eine mehrfigurige Szene (Abb. 91). Fünf, sechs Personen stehen etwas gleichförmig und scheinbar reglos zusammen; erst bei genauer Betrachtung wird die Dramatik der Szene deutlich. Menelaos will nach dem Fall von Troja seine Frau Helena im Zorn erstechen, sie enthüllt jedoch ihr schönes Gesicht, worauf er sich mit ihr aussöhnt. Erzählung so verhüllt und unterkühlt darzubieten wirkt trotz aristokratischer Feinheit der Zeichnung auf die Dauer etwas langweilig. So ist es sehr erfrischend, ein kleines Juwel zu sehen, wie dies Lekythos mit einem ländlichen Hochzeitszug.
Exekias Der Amasis-Maler ist mehr ein Bewahrer und Vollender denn ein Neuerer. Diese Rolle fällt Exekias zu, der ein überragender Vasenmaler und ein bedeutender Geist seiner Zeit war. Er hat vermutlich große Gemälde geschaffen, die sich in der Anlage nicht grundlegend von einem Vasenbild unterschieden. Als
Abb. 91
Abb. 92
Exekias
Das 6. Jahrhundert Tafel IV: Trinkschale des Exekias, »Dionysos auf dem MeereTon Athenaten Athlon< (d.h.: Von den Spielen zu Athen), auf beiden Seiten steht ein Hahn. Das vorgeschriebene Bild erlaubte den Künstlern wenig Freiheit. Es wirkt deshalb etwas langweilig - wie offizielle Preise häufig. Die Rückseite ist abwechslungsreicher, sie zeigt den jeweiligen Wettkampf. Eine panathenäische Amphora mit verschiedenen Sportarten ist abgebildet. Auch der feierliche Wettkampf hatte seine Randerscheinungen, die an Zirkus erinnern, zum Beispiel folgende: Ein kleiner Akrobat - er ist in Wirklichkeit nicht klein, sonst
Attische Vasenmalerei
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Das 6. Jahrhundert 103 Halsamphora. Ein Neger mit Pferd. H. 21,5 cm, um 5/0 v.Chr., Helgoland, Privatbesitz
104 Von einer Halsamphora Dionysos und Ariadne, H. des Ausschnitts 18 cm, um 5/0 v. Chr., München, Antikensammlungen
Attische Vasenmalerei
91 105 Panathenäiscbe Amphora. AMeten beim Fünfkampf. H. 63 cm, um 530 v. Chr., Leiden, Rijksmu-
hätte er keinen Platz im Bild - ist mit einem Schild an jedem Arm auf das Pferd gesprungen. Zuschauer auf der Tribüne winken begeistert, und ihr Ausruf >Bravo der Springen ist beigeschrieben. Ein Flötenspieler spielt einen Tusch, und Gehilfen halten die Sandbahn in Ordnung. Die panathenäischen Amphoren bleiben bis ins 4. vorchristliche Jahrhundert schwarzfigurig, auch als der Stil der Vasenmalerei sich längst geändert hat. Ihre Qualität sinkt leider in den späten Beispielen beträchtlich.
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Das 6. Jahrhundert
106 Amphora panathenäischer Form. Akrobatenszene, H. 66 cm, 530-520 v.Chr., Paris, Cabinet des Medailles
Schalen der zweiten Hälfte des 6. Jh.
Schalen Etwa um die Jahrhundertmitte wird die Siana-Schale von der sogenannten Kleinmeister-Schale abgelöst. Der Fuß wird höher und der Knick im Schalenbecken weniger betont. Zwei Dekorationsschemata existieren. Das eine ist die Bandschale. Bei ihr werden Schale und Fuß bis auf ein Band unterhalb des Knicks schwarz gefirnist. Auf diesem Band finden sich Darstellungen, häufig Tierfriese, die sich hier über lange Zeit erhalten haben, jedoch auch andere Abbildungen. Das andere Dekorationsschema ist die Rundschale, bei der das Becken außen hell bleibt. Palmetten wachsen auf beiden Seiten aus den Henkeln, die Darstellung befindet sich über dem Knick, darunter ist allenfalls eine Inschrift.
Attische Vasenmalerei
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707 Von einer Kleinmeisterscbale der Töpfer Archekles und Glaubytes. Eberjagd. L. des Ausschnitts 28 cm, um 540 v. Chr., München, Antikensammlungen
Die Schalenmacher signieren gern; so kennen wir fast mehr Maler als charakteristische Künstler. Häufig findet sich ein Trinkspruch, aber manche Inschriften sind nichts weiter als eine sinnlose Aneinanderreihung von Buchstaben. Ein Innenbild gibt es meist nicht. Bei sehr großen Prunkschalen ist jedoch manchmal die Unterseite des Fußes bemalt. Bei den großen Bandschalen führt der lange und schmale Fries zu einem eigenartigen Figurengewimmel. Dies belegt nicht nur die Kalydonische Eberjagd auf einer oft erwähnten, von Archikles und Glaukytes signierten Schale, sondern auch ein weniger bekanntes Stück mit einem (angedeuteten festlichen Umzug, vielleicht einer Hochzeit. Die Szene bleibt trotz der geschickten Anordnung der Viergespanne unübersichtlich.
108 Kleinmeisterschale. Festzug. H. 19 cm, 0 31cm, um 530 v. Chr., Bloomington, Indiana, Museum Evan F. Lilly Memorial
KleinmeisterSchalen Abb. 107
Abb. 108
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109 Bandschale des Tleson. Streitende Hähne. H. 14 cm, 0 18 cm, um 540 v. Chr., München, Antikensammlungen
110 Innenbild einer Bandschale. Satyr und Mänade beim Tanz. 0 ca. 8 cm, 550-540 v.Chr., Boston, Museum of Fine Ans, Otis Norcross Fund
Das 6. Jahrhundert
Attische Vasenmalerei
95 111 Von einer Randschale des Phrynos. Athena führt Herakles in den Olymp ein. H. des Bildes ca. 3 cm, 540-530 v. Chr., London, British Museum
112 Von einer Bandschale. Töpfer. H. ca. 3 cm, 530-520 v. Chr., Karlsruhe, Badisches Landesmuseum
Ein fruchtbarer Schalenmaler ist Tleson, der sehr gern Tiere darstellte und es zu großer Könnerschaft brachte. Seine Arbeiten sind von weitaus größerer Qualität als die anderen, mehr handwerklichen Produktionen. Zwei streitende Hähne sind abgebildet, mit viel Rot und Weiß bemalt. Originell bei den Bandschalen ist die Idee, sich in Umrissen auf Köpfe zu beschränken. Eine Schale zeigt den Kopf der Athena, die einen auf der anderen Seite dargestellten Giganten bedroht. Häufig sind Hetarenporträts als Frauenköpfe, wie aus einigen Inschriften hervorgeht. (>Kallistanthe KaleOdysseus und seine Gefährten stechen Polyphem das Auge ausBullaugenkomposition< spricht. Man könnte sich vorstellen, daß rechteckige Wandbilder etwas willkürlich ins Schalenrund kopiert wurden, doch gibt es dafür keinen Beweis. Da in einem Fall sogar der Kalydonische Eber halbiert wird, deutet es darauf hin, daß es sich um ein etwas merkwürdiges Stilmittel handelt. Auch große Gefäße gibt es, zumal Hydrien und Kratere; sie sind jedoch noch seltener als die im Vergleich zum Attischen spärlichen Schalen. Die Produktion währte von etwa 550 bis 530, die meisten Stücke wurden in Tarent, einer Pflanzstadt Spartas, gefunden. Danach setzte sich auch hier die übermachtige attische Konkurrenz durch.
Ionische Vasenmalerei Ionien und Rhodos bieten kein einheitliches Bild, es fehlen Höhepunkte. Rhodos produzierte Stücke, die mit Palmetten verziert und in den schwarzen Grund geritzt sind. Einige Elemente des Tierfriesstils leben zurückhaltend oder aufs Ornament beschränkt fön. Reizvoll kann der sogenannte Fikellurastil sein, der wohl auch auf Rhodos beheimatet ist. Dazu gehören etwas sackar-
Vasen
102
Abb. 119
Abb. 120
Das 6. Jahrhundert
tige Amphoren; die originellsten sind mit einzelnen Figuren bemalt, die freischwebend auf den hellen Grund gesetzt sind. Ein ungewöhnliches Bild ist ein hasenköpfiger Mann, der vielleicht ein von der Zauberin Kirke verwandelter Gefährte, eine Märchengestalt, ist. In der Ornamentik der Zeit sind Ornamente aus Kreissegmenten bevorzugte Motive. Der Aryballos, Abb. 120, ist ein Kabinettstück in dieser Richtung. Das ohne Unstimmigkeit sich rund um das Gefäß spinnende Netz zeugt von großer Sorgfalt und deutet darauf hin, daß der Töpfer sein Werk nicht geringer geachtet wissen wollte als ein figürlich bemaltes. In der Nachahmung attischer Technik nicht unverwandt, wenn auch von unbestimmter Herkunft - es mag Samos um 540 bis 530 sein - ist das Kopfgefäß. Das füllige Gesicht verrät ionische Herkunft, der Frauenkopf ist plastisch durchgearbeitet und durch die bemalten Augen sehr lebendig. Es fügt sich ebenso merkwürdig und ohne störenden Widerspruch in die funktionalen Elemente einer Vase wie Henkel, Lippe und Fuß zusammen, daß sich die Frage stellt, ob dies Kopfgefäß ein Kopf, der eine Vase, oder eine Vase, die einen Kopf darstellt, ist. Es ist bedauerlich, daß diese Werkstätten wenig produziert haben oder sich so wenig erhalten hat. Andere Werkstätten ahmen den attischen orangeroten Ton nach, so die sogenannten klazomenischen Vasen - von denen aber nicht sicher ist, ob sie wirk-
Andere Schulen
103
119 Rhodische Amphora des Fikellura-Stils. Hasenköpfiger Mann. H 43 cm, 550-540 v. Chr., Paris, Louvre 120 Rhodischer Aryballos des Fikellura-Stils. H. 7,3 cm, um 540 v. Chr., Bochum, Universität Antikenmuseum
121 Ionische Amphora der Northampton-Gattung. H. 27 cm, um 520 v. Chr., Würzburg, Martin v. "Wagner-Museum
lieh aus dem kleinasiatischen Klazomenai stammen. Häufig sind sie mit Frauenprozessionen bemalt. Auffällig ist der stark vereinfachte, schwungvolle Umriß. Keinem bestimmten Ort zugewiesen ist die sogenannte NorthamptonGruppe, von der nur wenige Amphoren bekannt sind. Reiches Ornament, ganz organisch verstanden - beachtenswert sind die Vögel in den Palmettenranken am Hals -, ist ein Erbe des orientalisierenden Stils. Die Ritzung ist sehr fein, Form und Dekorationsschema orientieren sich an den älteren tyrrhenischen Amphoren. Die Entstehungszeit liegt etwa um 520 v. Chr. Es gibt auch Schalen des Kleinmeistertyps, meist sehr fein getöpfert und mit einer Vorliebe für viele zarte konzentrische Ringe im Schalenbecken. Einige wenige sind figürlich bemalt.
Ionische Kiemmeister
Abb. 121
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Das 6. Jahrhundert Chalkidische Vasenmalerei
... Abb. 122
Unklar ist die Herkunft einer Gruppe von Vasen, die man wegen des auf ihnen verwendeten Alphabets chalkidisch nennt nach der Stadt Chalkis auf der Insel Euböa. Weder dort noch in den anderen Städten oder im benachbarten Böotien hat man eine Scherbe dieser Art gefunden; die lokale Keramik ahmt recht treuherzig Attisches nach. So hat man an eine chalkidische Kolonie in Unteritalien gedacht. Die Frage der Herkunft ist also noch nicht beantwortet. Die führenden Meister dieser Werkstätten sind unprovinziell und auf der Höhe ihrer Zeit. Deutlich sind Anklänge an Ionisches erkennbar, doch kannten die Meister auch attische Produktion, der sie sich jedoch nicht unterordneten, sondern sie beeinflußten sogar Athen. Leuchtende Farben und viel aufgesetztes Rot sind kennzeichnend. Der abgebildete Krater zeigt zwei ungleiche Paare (die Namen sind beigeschrieben): links Helena mit Paris, mehr schön als tapfer. Er ist soeben in einem Zweikampf ihrem früheren Gemahl Menelaos unterlegen und wird nur durch das Eingreifen Aphrodites gerettet: >Helena... wandte zur Seite den Blick und schalt den Gemahl mit den Worten: Kommst du vom Kampfe zurück? O wärest du lieber gefallen, niedergestreckt von dem Helden, der früher mein Gatte gewesen! Immer hast du geprahlt...< (Ilias III, 426 ff.) Das mittlere Paar stellt den tapferen Helden Hektor mit seinem Weib Andromache dar: Angespielt wird auf das berühmte und rührende Abschiedsgespräch Ilias VI, 405 ff. Der Knappe mit den Pferden ist schon bereit. Der Vogel auf der rechten Seite des Bildes dient nicht nur als Schmuck, er weist auch auf das düstere Geschick des Helden, das im Gespräch anklingt. Ein moralisierenden Gegensatz also, subtil durchdacht, beachtet man, wie kokett die schöne Helena ihr Gewand rafft und wie züchtig verhüllt sich Andromache zeigt, das Vorbild der adeligen Hausfrau. Das Bild erinnert wieder daran, daß die Kenntnis der Homerschen Erzählung beim Betrachter vorausgesetzt wird; ohne diese ist die Szene unverstandlich. Eine weitere Amphora, in Paris, zeigt eines der vielen Abenteuer Herakles'. Die Bildfolge der Erzählung lauft ohne Unterbrechung rund ums Gefäß. Sie ist photographisch also schlecht wiederzugeben. Dargestellt ist der Kampf des Herakles mit dem im fernen Westen wohnenden dreileibigen Mischwesen Geryon: Herakles erschlagt das erschreckende Wesen und raubt dessen Rinderherde. Die Abbildung stellt die Herde in enger Gruppierung dar. Das vorderste Tier ist weiß, man denkt an Exekias' Pferde. Die Ritzlinie ist flüssig, den organischen Formen nachspürend. Es gab kaum eine derartige Meisterschaft, aber auch nicht dieses Interesse an elastischer Strichführung in Athen. Die atti-
Andere Schulen
105 722 Chalkidischer Krater. Paris und Helena, Hektar und Andromache. H, 46 cm, um 540 v.Chr., Würzburg, Martin von Wagner-Museum
sehe Ritzlinie ist, auch wenn sie diesen Rang erreicht, immer kantiger und ekkiger. Die Schalen dieser Gattung besitzen ein ungeteiltes Schalenbecken, wie wir es von der Exekias-Schale und deren Anverwandten kennen. Jedoch ist der Fuß regelmäßig abgesetzt und niedrig. Die Außenseite zeigt symmetrisch ein Augenpaar, das gestochen scharf gezeichnet ist. Dies ist in Athen bei Exekias zu finden. Ob der Erfinder der chalkidische Meister oder Exekias ist, ist schwer zu beurteilen. Es entsteht der Eindruck, daß zwischen den Werkstätten ein geheimer Dialog stattfand. Die chalkidische Schalenform wurde in Athen häufig nachgeahmt. Die attischen Stücke unterscheiden sich durch eine weniger präzise, spontanere Strichführung und durch den Henkel, der stets unterhalb der
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Das 6. Jahrhundert
123 Chalkidische Augenschale. H. 75,5 cm, 038 cm, umüSOv. Chr., Wiirzburg, Martin v. Wagner-Museum
Abb. 123
Beckenkante endet. Bei den originalen chalkidischen Stücken, ist ein leichtes Überragen der Henkel über das Becken zu beobachten. Die chalkidischen Amphoren sind meist einfacher bemalt. Typisch für sie sind sprengende Reiter oder fliegende Vögel.
Caeretaner Hydrien Die Herkunft einer Gruppe von Hydrien ist ungeklärt. Sie alle sind im etruskischen Caere, dem heutigen Cerveteri, gefunden worden. Dem etruskischen Stil lassen sie sich nicht zuordnen, sie wirken zu griechisch, jedoch sind sie auch in Griechenland nirgends unterzubringen. Man nimmt an, daß ein Grieche, vermutlich ein lonier, der ausgewandert ist und eine Werkstatt in Caere hatte, sie hergestellt hat. Von ihnen existieren nur wenige Stücke. Sie erfreuen besonders durch Farbenpracht und Vielfalt der Darstellung.
Kleinplastik - Bronzen Bronzen
Die Kleinplastik steht für den Betrachter der Kunstgeschichte stets im Schatten der Bildhauerkunst. In der Tat galt das zentrale Interesse der Zeit den machtvollen, oft überlebensgroßen Steinplastiken, den Kuroi. Diese Kuroi waren Jünglingsfiguren und standen auf den Gräbern, dort, wo vor ihnen die großen Grabvasen standen. Doch ist die Kleinplastik nicht nur handwerkliche Übertragung der großen Skulpturen in ein kleineres Format. Die Kleinplastik folgt
Kleinplastik vielmehr ihren eigenen Gesetzen, auch wenn sie Sulkritenen der Zeit mit der Großplastik gemeinsam hat. Darüber hinaus sei auf Unterschiede zwischen der hochentwickelten städtischen Kunst und der provinzielleren Volkskunst verwiesen. Doch konnte sich wohl - mit zeitlicher Verschiebung - auch die ländliche Kunst nicht den Einflüssen neuer geistiger Strömungen entziehen. Diese Einflüsse der großen Zentren wie etwa Athen wirken nur wenig auf Böotien, den Norden Griechenlands, und das rauhe Bergland Arkadiens. In Böotien und Thessalien lebt der konventionelle geometrische Stil noch lange fort. Oft sind es nur die Zusammenhänge der Funde bei Ausgrabungen, die die späte Entstehung gewisser Dinge belegen. Gelegentlich geraten dem Künstler bestimmte Einzelheiten in Erinnerung an Dinge, die er gesehen hat, moderner. So sind Bronzefigürchen erhalten, die den geometrischen Formen entsprechen, jedoch völlig ungeometrisch die Bauchmuskulatur angeben. Damit können sie also nicht vor dem 6. Jahrhundert, in dem das Interesse an anatomisch korrekter Wiedergabe des Körpers begann, entstanden sein. In den großen Zentren wie Korinth und Athen entstehen dagegen Arbeiten, die ganz Stil und Geist ihrer Zeit reflektieren. Manches ist dabei handwerklich bescheiden, anderes von hohem Rang. Viele, einzeln erhaltene Figuren gehören in einen größeren Zusammenhang, so zum Beispiel Griffe und Stander von Gefäßen oder Spiegeln. Manche waren auf den Rand großer Bronzekessel montiert. Diese Gefäße selbst sind heute meist nicht mehr erhalten. Sie waren aus dünnem getriebenen Bronzeblech gefertigt, das wesentlich schneller in der Erde zerstört wurde als die gegossenen Statuetten. Diese Gefäße stellten nicht nur luxuriöse Haushaltsgeräte dar, sondern waren auch kostbare Weihgaben in Heiligtümern. Andere Statuetten sind erhalten, die nicht in einem zweckbezogenen Zusammenhang stehen, wie Bilder von Gottern oder desjenigen, der die Weihung gestiftet hat. Die letzteren ähneln häufig der zeitgenössischen Großplastik,' sie sind aufrecht stehende, unbewegte Gestalten. Bewegte Themen vermied die Großplastik, wenn es sich um Einzelfiguren handelte. Sie beschränkte sich hier auf ruhig stehende oder sitzende Gestalten. Die Bewegungsmotive und Themen der Kleinplastik nehmen nun an den Freiheiten der Vasenmalerei in stärkerem Maße teil. In der Großplastik ist Vergleichbares Behandlung von Raum, Körperbewegung- nur in Gruppendarstellungen, wie in Friesen oder Giebeln, zu finden. Die landschaftlichen Unterschiede in der Kleinplastik sind jedoch nicht so auffällig wie in der Vasenmalerei, bei der sie schon mit geringer Übung leicht zu erkennen sind. In der Kleinkunst, von einigen eindeutigen Ausnahmen abgesehen, erscheinen sie problematisch und sind für Archäologen Anlaß zur Diskussion. Begründet ist das darin, daß die Keramikwerkstätten wegen ihres technischen Aufwands stärker ortsgebunden waren. Geschultes Personal war
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Bronzen
Abb. 124
Kuroi Abb. 12)
Das 6. Jahrhundert notwendig sowie der Zugang zu geeigneten Erden und die Kenntnis, mit ihnen umzugehen, um die gewünschten Farbeffekte zu erzielen. Eine solche Werkstatt ließ sich nicht leicht verpflanzen. Die Kenntnis des Bronzegusses hingegen war weit verbreitet. Das Metall, Gegenstand schwunghaften Welthandels, war überall in vergleichbarer Qualität zu finden. Ähnlich verhält es sich für die Großplastik. Wurden keine lokalen Steinarten verwendet, wie Marmor oder Kalk, importierte man Marmor von den Inseln Naxos und Paros. Das Werkzeug eines Bildhauers paßte in einen kleinen Koffer. Für die Zeit um 500 v. Chr. ist belegt, daß berühmte Meister an verschiedenen Orten Aufträge annahmen und reiche Städte Auftrage nicht an örtliche Meister gaben, sondern an >BerühmteBau< oder >gebaut< in Verbindung mit der menschlichen Gestalt und ihre statuarische Darstellung in diesem Zusammenhang nicht wörtlich genug nehmen. Die volle Bedeutung verständlich zu machen ist schwierig, da es im abendländischen Kunstverständnis eine Selbstverständlichkeit darstellt, eine >SelbstverständHchkeitarchaisch< lächelnden Gesicht steht auf einem ruhenden Löwen, der allein schon ein kleines Kunstwerk darstellt. Neben ihr finden sich auf Knospen, die an Vasenornamente erinnern, zwei Sirenen, jene Mischwesen, die nicht selten mit dem Tod verbunden sind. Diese Assoziation ist auch hier nicht ganz auszuschließen, da der Spiegel eine Grabbeigabe war. Doch scheinen auch andere Bedeutungen möglich, und gerade in Verbindung mit der Göttin sind sie eher als Symbol blühenden, fruchtbaren Lebens zu verstehen.
Kleinplastik
727 Stützfigur eines lakonischen Spiegels, Bronze, H. 2l cm, um 550 v. Chr., München, Antikensammlungen
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128 Jüngling, Griff einer Bronzeschale, großgriechisch, H. 18 cm, um 500 v. Chr., Helgoland, Privatbesitz
Die Darstellung nackter weiblicher Figuren ist in archaischer Zeit ungewöhnlich. Man versuchte sie beim vorliegenden Stück mit der spartanischen Sitte zu erklären, auch Mädchen, nicht nur Jungen wie im übrigen Griechenland, nackt Sport treiben zu lassen. Aus verschiedenen Gründen, deren Erläuterung hier zu weit führen würde, scheint dies nicht sehr einleuchtend, die Übernahme aus dem Orient oder Fruchtbarkeitsvorstellungen mögen eher für die Nacktheit verantwortlich sein. Ein weiteres Beispiel, das in diesem Zusammenhang erwähnt sei, ist die in der Abbildung vorgestellte Bronzepfanne. Diese Pfanne, wohl rituellen Zwecken dienend, stammt aus Großgriechenland. Wie stets ist der Griff eine Jünglingsgestalt, die mit einem Volutenornament als Polster die Pfanne zu tragen scheint. Vorstellungen von funktionaler Korrektheit sind den Griechen fremd. Die schlanke Gestrecktheit der abgebildeten Figur ist für die Gattung typisch. Das konventionelle Frauenbild sehen wir dagegen in der Köre - dem weiblichen Gegenstück zum Kuros. Ionisches zeichnet sich dadurch aus, daß der
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Koren Abb. 129
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Das 6. Jahrhundert Umriß geschlossen ist und den Ausdruck plastischen Volumens zeigt, das sich in den zarten Hebungen und Senkungen der Oberfläche verdeutlicht. Es ist kein Zufall, daß die Kunstmittel in der Darstellung des männlichen und des weiblichen Körpers in der ionischen Kunst kaum variieren. Ein Vergleich mit dem abgebildeten Kuros, dessen Verwandtschaft mit der vorliegenden Figur unverkennbar ist, zeigt das. Ionische Freude, Üppigkeit darzustellen - die großen ionischen Städte waren sehr reich, und ihre Freude am Luxus fiel den anderen Griechen auf- verlangte die gravierte Darstellung des reich gestickten Gewandes. Die besprochene Frauengestalt bildete den Deckelgriff des berühmten Kraters von Vix, eines 1,50 m großen bronzenen Volutenkraters, der in Frankreich im Grab eines keltischen Fürsten gefunden wurde. Über den Entstehungsort und die Datierung fand ein ausgiebiger Meinungsstreit statt. Als Entstehungsort wurden vor allem Sparta und Korinth vorgeschlagen. Eine Datierung in das zweite Viertel des 6. Jahrhunderts scheint richtiger als eine spätere, da die Kleidung der Statuette und der zusammengenommene Umriß der Figur, der an die besprochenen frühen Koren erinnert, darauf hindeuten. Ein früherer Zeitpunkt erscheint durch das drängende plastische Volumen unwahrscheinlich. Meisterwerke sind oft schwer einzuordnen. So überzeugend das Ganze wirkt, so wenig wirklichkeitsgetreu ist es im einzelnen. Die späte Köre ist wirklichkeitsnäher und vermittelt ein Bild quellender sinnlicher Lebensfülle. Die straffe Haltung und der offene Blick aus dem sorgfältig gearbeiteten, blühenden fülligen Gesicht tragen zu dieser Wirkung bei. Die Körperstruktur zu zeigen, ist der nackte Körper des jugendlichen Mannes besonders geeignet. Bei der Darstellung der bekleideten Frau ist das nicht in gleicher Weise möglich, und so verliert sich die >gebaute< Struktur der Kunstauffassung des griechischen Denkens hier in Gewandarchitekturen, die auf den ersten Blick manchmal seltsam anmuten. Die vorliegende Gerätstütze stammt aus Sparta. Dies erklärt das kapitellartige Gebilde auf ihrem Kopf und den komplizierten Sockel, ist jedoch sonst von geringer Bedeutung, da sie als einzelnes Votivbild kaum anders erscheinen. Ihre Entstehung um die Jahrhundertmitte ist für den geschlossenen Umriß verantwortlich. Der Gegensatz zwischen dem weich und in dicken Falten fallenden Stoff des von der rechten Hand gehaltenen und gerafften Rockes und dem des anschmiegend glatten des Obergewandes, durch den hindurch die Körperformen Sichtbarwerden, ist kennzeichnend und bleibt für die spateren Frauenbilder erhalten.
Tafel V: Amphora des Exekias, >Aras trägt den toten Achilleus aus der Scblacbt...Alexis Hat noch Freiersgelüste, der Kahlkopf...< So der wenig spatere Anakreon (Übersetzung von Mörike). Abb. 131
Ob der szenische Zusammenhang der Figur wirklich so war, wissen wir nicht. Allerdings gefährdet sie erneut das tradierte Vorurteil von den >spartanischen< Spartanern, denn aus Sparta stammt die Statuette wohl. Wären die Spartaner Menschen gewesen, wie es die unerträgliche Moral so mancher Anekdoten verkündet, hätte dieser Greis sich überflüssig vorkommen müssen, statt fröhlich zu sein. Hier ist bemerkenswert, daß durch sorgfältig interpretierte archäologische Funde literarische Quellen korrigiert werden können. Doch zurück zu unserer Statuette. Sie zeigt erneut den Unterschied zwischen Großplastik und kleinen Statuetten, denn weder die von der Idealgestalt abweichende Charakterisierung noch das lebhafte Bewegungsmotiv sind in der gleichzeitigen Großplastik denkbar. Vergleichbares zur Freiheit der Darstellung in der Kleinplastik findet sich nur auf Vasen.
Kleinplastik
115
732 Zecher, von einem Kessel, L. 20 cm, um 530 v. Chr., London, British Museum
133 Sitzende Bronze, ostionisch, Ende d. 6. Jh. v. Chr., H. 4,7 cm, München, Antikensammlungen
Unsere Abbildung zeigt einen Zecher, der am Rande des Gefäßes angeordnet ist und uns zum Genuß des Inhalts seines Gefäßes einzuladen scheint. Diese kleine Figur von meisterhafter Qualität gehört zu den besten Stücken, die uns erhalten sind. Die Entstehungszeit liegt um 530-520 v. Chr., der Künstler mag ein Korinther gewesen sein. Ein kleiner Geniestreich ist schließlich der kaum 5 cm große sitzende Mann, der vermutlich als Deckelgriff diente. Mit feinen Details hat sich der Künstler nicht abgegeben, es kam ihm auf die bildnerische Erfassung einer Bewegung an, die psychische Ursachen hat. Von einem plötzlichen Gedanken getroffen, der sich im klugen, hellwachen Gesicht abzuzeichnen scheint, zuckt die ganze Gestalt auf, der Kopf wendet sich, der rechte Arm fährt in die Höhe. Die Wirkung wird durch die Modellierung des Statuenblocks erzielt, ohne daß der Umriß aufgelockert wird. Die Entstehungszeit liegt im Ende des 6. Jahrhunderts. Auch hier finden wir in der Großplastik nichts Vergleichbares. In der Produktion von Kleinbronzen kann man eine ähnliche Zweigleisigkeit wie bei der Vasenmalerei vermuten: das heißt, eine gewisse Serienproduktion einerseits und exquisite Auftragsarbeiten andererseits. Zu den qualitätvollsten Arbeiten mag zwar schon manches der zuvor besprochenen Werke gehört haben, mit Sicherheit gilt dies jedoch für die Statuette auf Abb. 134. Die kleine Basis zeigt, daß die Statuette nicht zu einem Gerät gehört. Es ist eine Votivgabe an den Gott, den die Statuette selbst darstellt: Zeus als Blitzeschleuderer.
Abb. 132
Abb. 133
Abb. 134
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Das 6. Jahrhundert
134 Blitzeschleudernder Zeus, Bronze, Konnth, 530-520 v. Chr., H. 18,6 cm, München, Antikensammlungen
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135 Laufendes Mädchen, von einem Gerät, Bronze, H. 21 cm, 2. Hälfte d. 6. Jh. v. Chr., London. British Museum
Die Darstellung des Zeus als Blitzeschleuderer in kleinen Bronzestatuetten ist häufiger zu finden. In späteren Fassungen des Themas schreitet er energisch aus, ganz und gar seiner Tätigkeit hingegeben. Hier ist das majestätisch Ruhige das Beherrschende, der Gott schreitet zwar aus, er wird den Blitz auch schleudern, doch bleibt er ruhig und gefaßt. Wer die bereits behandelten stehenden Figuren betrachtet, wird feststellen, daß dies ein Element des Zeitstils darstellt. Dieser Stil ist auch Ausdruck einer bestimmten geistigen Konzeption, in der sich Erhabenheit in gesammelter Ruhe äußert. Wie souverän der Künstler mit den Mitteln seiner Zeit umging, zeigt sich in der zarten Torsion der Figur. Sie ist nicht mehr auf einzelne Ansichten beschrankt, sondern wirkt von jeder Blickrichtung aus. Der Körperbau ist zugunsten der monumentalen Wirkung ohne große Betonung der Einzelheiten wiedergegeben. Die Muskulatur scheint mehr durch die Haut und wird nicht gliedernd >aufgezählthoher< Kunst, wie wir es bei den Bronzen beschrieben haben. Zur Volkskunst gehören namentlich die sogenannten böotischen Brettidole, deren Körper flach und fast rechteckig sind. Sie tragen einen Hut, der meist in einer aufwärts gerichteten Spirale endet. Die Bemalung ist die gleiche wie bei den Vasen, im Gesicht sind meist nur die Augen angegeben. Der Körper ist, je nach Qualität, bemalt mit mehr oder minder schönen Ornamenten, die das Muster des Textils wiedergeben sollen. Gemeint ist eine weibliche Gottheit; unklar bleibt, um welche es sich handelt. Die genaue Datierung ist kaum mög-
Terrakotten
123 144 Statuette eines Jünglings, Terracotta, H. 23,) cm, Ende d. 6. Jb., Kansas City, Missouri Nelson Fund
lieh. - Um die Mitte des Jahrhunderts scheinen diese Idole außer Gebrauch zu kommen. Charmant sind die häufiger auftretenden böotischen Reiterchen. Ein viel zu kleiner Reiter sitzt auf einem Pferd, dessen Stil die geometrischen Ahnen nicht verleugnen kann. Meist sind diese Pferde mit Streifenmustern bemalt. Diese Figürchen werden bis in die Mitte des 6. Jahrhunderts hergestellt, obwohl sie, flüchtig betrachtet, ins 8. Jahrhundert zu gehören scheinen. Kleine Koren aus Ionien können sowohl Parfümflaschen als auch Votivgaben sein. Die hohe Qualität und feine Durchbildung dieser Statuette, entstanden
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Das 6. Jahrhundert 145 Mädchenstatuette, Terracotta, Probeausformung, H, 10 cm, um 500 v. Chr., Privatbesitz
Abb. 143, 144
Abb. 145
um die Mitte des 6. Jahrhunderts oder etwas später, läßt einen Vergleich mit Großplastik durchaus zu. Sitzfiguren thronender Göttinnen sind nicht selten. Die komplizierte Behandlung des Gewandes läßt oft auf ein großplastisches Vorbild schließen. Manches spricht dafür, daß man große Kultbilder als Tonfigürchen nachahmte, die geweiht wurden oder als Grabbeigaben dienten. Diese Statuetten, oder zumindest ihr Vorbild, gehören ans Ende des 6. Jahrhunderts. Attika besitzt in dieser Zeit verhältnismäßig wenig bedeutende Terrakotten. Etwa gegen Ende des Jahrhunderts entwickelt sich eine Produktion, deren Thema die Darstellung von Koren ist. Das folgende Beispiel erlaubt zugleich einen Einblick in die Werkstatt. Es handelt sich um einen nur leicht gebrannten Probeausformung der sich auf den Oberkörper beschränkt. Der Künstler wollte wohl sehen, ob ihm sein hübsches Köpfchen gelungen sei. Aus Korinth stammen hübsche Sphinxen und Hähne, die offenbar in großen Mengen produziert wurden, doch auch Statuetten sind zu finden. In Großgriechenland ist die Situation etwas anders. Marmor wurde in Italien erst spät gefunden, der Import aus Griechenland war teuer, und so vertritt hier der gebrannte Ton häufig den Stein.
Etrurien
Die Etrusker gehören zu den Völkern, die man gern für >rätselhaft< hält, obgleich von ihnen sehr viel mehr bekannt ist als von Kulturen anderer Völker, zum Beispiel über die Hallstattkultur Nordeuropas. Dieses Vorurteil beruht auf Behauptungen antiker Autoren, die Etrusker seien aus dem Orient nach Italien eingewandert. Dies ist nicht glaubwürdig, da die etruskischen Siedlungen weit vor einem denkbaren Datum dieser Einwanderung besiedelt waren. Diese frühen Kulturstadien sind den nichtetruskischen Nachbarvölkern verwandt. Aus ihnen entwickelte sich die etruskische Kultur. Die plötzliche Einwanderung eines ganzen Volkes mit eigener Kultur kann nicht stattgefunden haben. Lediglich ein Teil eines vorderorientalischen Volkes, von einem der vielen Völkerstürme Asiens vertrieben, könnte sich an der etrurischen Küste niedergelassen haben. Dieses Volk hatte eine hochentwickelte Kultur mitgebracht, die der einheimischen überlegen war. Allmählich habe sich die neue Kultur verbreitet und mit einheimischen Traditionen verbunden. Diese These läßt sich weder beweisen noch widerlegen. Bewiesen ist, daß im 8. vorchristlichen Jahrhundert griechische und orientalische Einflüsse sehr prägend werden und das Bild der etruskischen Kunst einschneidend veränderten. Dies wird verständlich, da die Etrusker durch ihren Reichtum an Metallen - besonders Kupfer - begannen, am Welthandel teilzunehmen, und so unter den Einfluß der Hochkulturen gerieten. Der etwas sprunghafte Wechsel fremder Formvorstellungen, teils aus dem Orient, teils aus Griechenland, ließe sich so erklaren. Die Etrusker hatten eine Schrift, die der griechischen verwandt und gut lesbar ist. Das Verständnis der Sprache wird jedoch dadurch erschwert, daß nur wenige Texte erhalten sind. Ihr Inhalt ist weitgehend bekannt, es handelt sich meist um religiös-rituelle Aufzeichnungen. Epen und erzählende Schriften fehlen leider ganz. Wegen des erwähnten Mangels an Texten ist es nicht geglückt, eine Verwandtschaft der etruskischen mit einer anderen Sprache herzustellen. In der Wissenschaft gibt es über diese Frage verschiedene Mutmaßungen und Interpretationen, deren Beweisführungen zum Teil nicht überzeugen.
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Etrunen Etrurien war kein einheitlicher Staat, sondern ein Bund unabhängiger Städte, der von der Poebene bis nach Kampanien reichte. Im Süden handelte es sich stärker um politisch-kulturelles Einflußgebiet als um eigentlich etruskisches Land. Auch Rom wurde lange Zeit von der etruskischen Kultur beeinflußt, ohne jedoch eine etruskische Stadt zu sein. In den Städten herrschten anfangs Könige, die allmählich von der Aristokratie verdrängt wurden. Etwa um 500 v. Chr. war diese Entwicklung abgeschlossen. Das Verhältnis zu den Griechen war machtpolitisch durch den jeweiligen Expansionsdrang bestimmt. Die Griechen drangen mit ihren Pflanzstädten nach Norden vor, die Etrusker dehnten sich nach Süden aus. Durch den Tyrannen Hieran von Syrakus erlitten die Etrusker 474 v. Chr. eine schwere Niederlage in der Seeschlacht von Kyme. Diese Niederlage beendete zwar die Vorherrschaft der Etrusker auf See und befreite die Griechen von der etruskischen Herrschaft, ermöglichte aber keine weitere griechische Expansion. Der Handel jedoch blieb weiter rege, in kultureller und künstlerischer Hinsicht waren die Griechen der gebende Teil. Unser Wissen von den religiösen Vorstellungen der Etrusker ist recht ungenau. Zu Beginn gab es wohl, wie überall im Mittelmeerraum, eine Mutter- und Fruchtbarkeitsgöttin. Danach stand vermutlich ein männlicher Gott, dem griechischen Zeus oder Poseidon verwandt, im Vordergrund. Unter griechischem Einfluß entsteht ein Pantheon, in dem die griechischen Götter und Heroen mit etruskischen und italischen Gottheiten in etwas unübersichtlicher Weise nebeneinandergesetzt werden. Weissagen aus Eingeweideschau und ahnliches gab es mit Sicherheit. Bei den römischen Berichterstattern hinterließ das einen so unheimlichen Eindruck, daß nicht mehr zu ermitteln ist, was davon wahr und was gerüchteweise Übertreibung ist. Wichtig ist, daß das Verhältnis zum Tod, anders als bei den Griechen, ein leichtes und glückliches war. Dem Toten wurden je nach Vermögen Gegenstände des Diesseits mitgegeben, reiche Gräber waren ausgestattet wie kleine Wohnungen, mit Liegen, Kissen, Vasen, Bronzegerät und Goldschmuck. Dem jenseitigen Leben galt große Fürsorge, die Nekropolen einer Stadt können ausgedehnter sein als die Stadt selbst.
Etruskische Kleinkunst Die Geschichte der etruskischen Kunst ist die Geschichte ihrer Auseinandersetzung mit der griechischen. Dabei bewahrt das Etruskische einen sehr spezifischen Formcharakter. Es wäre daher falsch, ein etruskisches Kunstwerk dann für am gelungensten zu halten, wenn es besonders griechisch wirkt. Die Absichten der etruskischen Künstler sind immer andere als die ihrer griechischen
Kleinkunst
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146 Villanova-Urne, H. 52 cm, 8.-7. Jb. v. Chr., Kassel, Staatliche Kunstsammlungen
Vorbilder. Die Ansicht, etruskische Kunst unterscheide sich von der griechisehen nur durch ihre geringere Qualität, ist sicher falsch. Das Etruskische ist von Grund auf anders. Daß die etruskische Kunst nur selten den Rang der griechischen erreicht, ist mehr ein Hinweis auf deren Einmaligkeit als ein berechtigtes negatives Urteil über die Etrusker. Die etruskische Kunst läßt sich in Perioden entsprechend der griechischen einteilen, mit dem Unterschied, daß die einzelnen Phasen länger dauern und Neuerungen später eintreten. Außerdem gibt es starke lokale Unterschiede in der Kunst der verschiedenen Städte, deren einzelne Erläuterung hier zu weit führen würde. Zeitlich am Anfang unserer Betrachtung steht die Villanova-Kultur des 8. Jahrhunderts v. Chr. Charakteristisch sind die Graburnen wie auf Abb. 146. Sie bestehen aus durchgehend schwarzgrauem, mattpoliertem Ton, dem sogenannten Impasto. Ihre Form ist sackartig plump, der Umriß hat etwas Zufälliges. Sie sind dekoriert mit eingravierten Mustern, meist Mäandern. Die Ritzlinien konnten mit einer weißen Masse gefüllt werden, was sie verdeutlichte. Die Mäander erinnern an die griechischen geometrischen. Das erklärt sich aus dem gemeinsamen Erbe, das vom Balkan stammt. Auch Graburnen aus dünnem, getriebenem Bronzeblech sind erhalten. Ihre Dekoration ist nicht eingraviert, sondern mit runden Punzen von innen nach außen getrieben. Eine andere
Villanova-Kultur
Abb. 146
128
Etrurien 147 Ringgefäß, Villanova-Kultur, H. 14 cm, 7. Jh. v. Chr., Privatbesitz
148 Italisch-geometrische Amphora, H. 34 cm, 8.-7. Jh. v. Chr., Privatbesitz
149 Bronzemaske von einer Villanova-Urne, H. 29 cm, 7. Jh. v. Chr., München, Antikensammlungen
Kleinkunst Form besitzt die sogenannte Hüttenurne, die eine aus Holz gebaute Hütte sehr genau wiedergibt. Die Idee war, dem Toten ein >Haus< zu geben, ein symbolischer Vorläufer der späteren großen Kammergräber. Diese Hütten bestehen aus Ton oder Bronze. Bei den Tongefäßen werden manchmal zur reicheren Verzierung Metallstücke, meist Bronze oder Zinn, aufmontiert, deren Köpfe häufig vergoldet sind. Ein ritueller Brauch, der uns unbekannt ist, erklärt die ungewöhnliche und seitene Ringform des Gefäßes auf der folgenden Abbildung. Bemerkenswert ist die Verbindung mit einer Tierdarstellung, die nur durch den Kopf und die vier Füße hergestellt wird. Abb. 148 stellt die Nachahmung eines griechischen geometrischen Gefäßes dar. Hier sind die Abweichungen von der griechischen Kunst von Interesse. Der Umriß besitzt nicht die Straffheit eines griechischen Vorbilds, dessen deutliche Trennung von Hals und Leib ist verschliffen, die Henkel sind schlaff. Das Bedürfnis, zu >bauen< und die Gegenstände in eine straff gegliederte Ordnung zu bringen, bleibt dem etruskischen Stil fremd. Die Ursache liegt nicht in Unfähigkeit, klare Formen zu schaffen, sondern im Desinteresse daran. So sind auch die Mäander auf der oben besprochenen Urne nicht in einer Ordnung, sondern locker und beziehungslos wiedergegeben. Der Eindruck einer gewissen Unruhe entsteht, noch dadurch unterstützt, daß die Seitenlängen der Mäander, anders als im Griechischen, ungleich lang sind. Damit entzieht sich auch dieser Bezugspunkt der Faßbarkeit. Die künstlerischen Vorstellungen der Etrusker werden an plastischen Werken deutlicher. Die angeführten Werke sind etwas später entstanden als die oben erwähnten, sie gehören in den Anfang des 7. Jahrhunderts. Das erste Beispiel ist ein Kopf, der zu einem weiteren Urnentyp gehört. Auf einem runden Vasenkörper sitzt ein Deckel, der ein menschliches Gesicht zeigt, wohl das Abbild des Toten. Das Vorbild mögen ägyptische Kanopen sein, doch ist davon im einzelnen nichts mehr erkennbar. Die Urne besteht aus Bronze oder Ton. Anatomische Genauigkeit in der Darstellung ist nicht beabsichtigt. Statt dessen wird eine unerhörte Expressivitat in der Darstellung des Kopfes erreicht. Dieser Eindruck entsteht durch die Formen, die stark vereinfacht und um so wirksamer gegeneinandergesetzt sind. Besonders vermerkt sei die Uberlängung des Gesichts. Verzerrungen der Proportionen begegnet man in der etruskischen Kunst häufig. In der griechischen Kunst ist diese Stärke des Ausdrucks nicht zu finden. Dieser Kopf erinnert an moderne Kunst; moderne Künstler, vor allen anderen Pablo Picasso, studierten die um 1900 als >primitiv< verstandene Plastik ebenso wie die afrikanische und polynesische Plastik und verwendeten deren Formen. Doch sind nicht nur die sozialen, sondern auch die geistesgeschichtlichen Voraussetzungen verschieden: hier ein der religiösen Bindung enthobener moderner Mensch, der mit Hilfe einer umfassenden historisch-kritischen Weltkunst-
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Abb. 147
Abb. 149
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Abb. 150
Etrurien geschiente das ihm Beliebende auswählt, dort ein Künstler, der religiöse Vorstellungen von Tod und Jenseits, die er für wahr und richtig hält, zu verdeutlichen sucht. Auf der hier abgebildeten etruskischen Bronzescheibe, die etwa aus dem 8. Jahrhundert stammt, ist ein Fabelwesen eingraviert. Realistische Darstellung ist zugunsten eines schwungvollen und sehr eleganten Kurvenspiels unterlassen, das Hals und Flügel unterschiedslos umfaßt. Ein einheitliches, stark ornamentales Gebilde entsteht, das in einem allgemeinen Sinn Bewegung ausdrückt. Hier ist wieder der denkbar stärkste Gegensatz zur griechischen Kunst zu finden, die den gliedernden Aufbau nie vernachlässigt, aber bewegte Motive eher meidet oder statisch-monumental darstellt. Die Bewegung ist zu erkennen, aber nicht zu empfinden. Bezeichnenderweise gibt es Pferdedarstellungen im gleichen Stil wie diese Vögel. Besonders Wangen von Pferdetrensen können, in durchbrochener Ausführung, Pferde darstellen. Erst bei genauer Betrachtung sind die Pferde von den Vögeln zu unterscheiden. Der Gegenstand tritt hinter den Ausdruck der Linie zurück. Diesen zusammenfassenden, kurvig-expressiven Umrissen begegnet man als Formelement auch spater.
Orientalisierender Stil Importe
Abb. 757 Abb. 150
Im 7. Jahrhundert beginnt ein reicher Import von Kunstschätzen aus dem Orient und Griechenland; eine Revolution in der einheimischen Kunst zeichnet sich ab. Der Eindruck dieser — verglichen mit dem Villanova-Stil— raffinierten Kunstwerke muß die Etrusker fasziniert haben. Die importierte Kunst zeichnete sich durch den Reichtum figuraler Darstellung aus, ein Element, das dem Villanova-Stil fremd war. Nun geschieht etwas überrachendes: Die Künstler beginnen, die importierten Stile nachzuahmen. (Die nordeuropäischen Kulturen führten auch griechische Kunstwerke ein und bewunderten sie offensichtlich sehr, der Einfluß auf den heimischen Stil bleibt jedoch sehr gering.) Nachahmungen konnten nur von Stücken entstehen, die zu sehen waren. Die Auswahl war also etwas zufällig. Importe aus dem Orient und aus Griechenland waren wichtig. Griechenland war damals auch vom Orient beeinflußt; deshalb sind die Vorbilder nicht immer klar erkennbar. Man spricht von einem orientalisierenden Stil. Eine Löwenprotome etwa (Abb. 151) gehört zu einem Kessel, der in Ton einen orientalischen Kessel nachahmte. Es ist bezeichnend, daß der Grieche den formverwandten Greifen (Abb. 150) anders umsetzte. Der Etnisker suchte die geschlossene Form. Die Farbe des Tons ist braunlich, um den Effekt der Bronze zu erzielen. Solche genauen Kopien wie dieser Kessel sind nicht häufig. Gerade die Keramik behalt viele einheimische Elemente, vor allem bleibt die
Orientalisierender Stil
150 Bronzescheibe, Fabelwesen, 0 22 cm, 7. Jh. v. Chr., Karlsruhe, Badisches Landesmuseum
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151 Löwenprotome, Ton, von einem Kessel, H. 15 cm, 7. Jh. v. Chr., Privatbesitz
schwarzgraue mattpolierte Ware, die man nun Bucchero nennt, weit verbreitet. Die Darstellungen werden eingeritzt, die Ritzlinien können wie im Villanova-Stil weiß ausgefüllt werden. Die Vasenformen wandeln sich: Teilweise werden griechische Formen übernommen, dem etruskischen Formdenken anverwandelt, teilweise werden überlieferte etruskische Gefäßtypen sozusagen griechischer gemacht, sie straffen sich und werden eleganter. Relativ früh ist die Kanne auf Abbildung 152 zu datieren. Sie sieht nicht eben griechisch aus, aber hat doch das Sackartige des Villanova-Stils überwunden. Unabhängig ist auch die Darstellung. Die Spirale war im Osten zu dieser Zeit schon weitgehend verdrängt, im altitalischen Formenschatz kommt sie dagegen noch vor. Die Verbindung mit der Darstellung von Fischen zeigt, daß auch hier mit der Spirale das Meer gemeint ist. Dieser Zusammenhang von Spirale und Meer ist uns als urtümliche Formvorstellung vertraut. Die Tiere auf der Kanne (Abb. 153) und dem Kelch mit Deckel (Abb. 154) sind dagegen orientalisch. Fraglich bleibt, ob das Vorbild orientalisierend griechisch oder original orientalisch ist. Beim Kelch ist die Sache eindeutig. Das Einknicken des Tieres
Abb. 152
Abb. 153, 154
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Etrurien 152 Amphora, Bucchero, H. 24 cm, 7.—6. Jh., Karlsruhe Badisches Landesmuseum
Mischformen Abb. 155
vor dem >Lebensbaum< ist typisch orientalisch und von Griechen nicht übernommen worden. Es bleibt unklar, welches Tier gemeint ist; nach den Vorbildern müßte es Widder oder Rind sein, Mähne und Schweif lassen aber eher an ein Pferd denken. Das wäre dann als eine etruskische Umsetzung des Themas zu betrachten. Die Überlängung des Körpers und die kurvigen Umrißlinien, die den Beinen etwas merkwürdig Elastisches geben, demonstrieren das spezifisch etruskische Formdenken. Genaue Datierungen dieser Vasen sind schwierig. Die erste Kanne ist sicher älter und gehört in den Beginn des 7. Jahrhunderts, die anderen beiden Vasen eher in die zweite Hälfte. Welche eklektischen Mischformen möglich sind, zeigt die schöne Kanne auf Abb. 155, deren Bestandteile bekannt sind. Die Form der Olpe und die Punktrosetten sind korinthisch, die Steinböcke sind ostionisch-rhodisch; die Zusammenstellung beider ist ein Einfall des Etruskers, der nicht Stile korrekt nachahmen wollte, sondern auswählte, was ihm gefiel. Diese Kannen gibt es auch in rein korinthischer Ausführung. Seinen eigenen Stil verrät der Etrusker nur durch eine etwas übertrieben elegante Kurvigkeit und Dünnleibigkeit seiner Tiere, die wir kaum erkennen würden, hätten wir dies Phänomen nicht schon an anderen Stücken beobachtet. Die Formenvielfalt etruskischer Keramik, die nicht nur von Ort zu Ort wechselt, sondern auch durch unterschiedliche Aufnahme griechischer Einflüsse be-
Orientalisierender Stil
133 153 Kanne mit Ritzmuster und applizierten plastischen Figuren, H. 30 cm, 6. Jb. v. Chr., Privatbesitz
stimmt wird, ist zu groß, um in kurzer Form dargestellt zu werden. Auf spezifische Einzelheiten aber sei kurz verwiesen. Schon im 6. Jahrhundert entsteht die Technik, mit Hilfe von Stempeln reliefartige Darstellungen anzubringen. Es handelt sich zunächst um einzelne kleine Stempel, die auf einem Stück wiederholt angebracht werden. Hauptsächlich wurden so große Vorratsgefäße und flache, runde Herdstellen dekoriert, die aus grobem rotem Ton gemacht sind. Bei Bucchero-Vasen wurden einzelne Teile, zumeist Köpfe, in Modeln geformt und aufgesetzt. Das Ergebnis kommt unserem heutigen Geschmack wenig entgegen; die Köpfe gehen keine formale Verbindung mit der Unterlage des gedrehten Gefäßes ein und wirken zu sehr als das, was sie sind: eben aufgeklebt. Hiernach hat man das ganze Gefäß in eine Hohlform gepreßt und auf diese Weise plastische Ornamente erzeugt, aber auch ganze Figurenszenen.
Bucchero-Vasen Abb. 153
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Etmrien
154 (oben) Becher mit Deckel, H. 15cm, 7.-6. Jh. v. Chr., Privatbesitz
Die Vase wird durch diese Herstellungstechnik >industriell< wiederholbar. Doch sind es nicht nur wirtschaftliche Motive, die zu dieser Technik führten. Da man häufig zwei gleiche Vasen zusammen gefunden hat, liegt der Gedanke nahe, daß man so die wohl sehr beliebten Pendants herstellen wollte. Das erzählende Thema einer anderen Vase ist der griechischen Mythologie, der Theseussage nämlich, entnommen. Bemerkenswert ist dabei, daß die Etrusker mit der griechischen Bildform auch griechische Inhalte übernahmen. Man kann daraus nicht folgern, daß die Etrusker keine eigene Mythologie hatten; es zeigt sich jedoch die starke Abhängigkeit der bildenden Kunst und vieler geistiger Bereiche von der griechischen Kultur. Allerdings werden die Mythen gelegentlich abgewandelt; es ist schwer zu entscheiden, ob es sich um Mißverstandnisse oder um Anverwandlung an eigenes Gedankengut handelt.
Pontische Amphoren 156 Pontische Amphora, Kampf zwischen Herakles und Kyknos, H. 35 cm, ca. 640 v. Chr., Heidelberg, Archäologisches Institut der Universität
155 Etruskische Kanne im rhodisch-korinthischen Stil, H. 25 cm, 630-600 v. Chr., Bochum, Antikenmuseum der Universität
Pontische Amphoren Zu den schönsten etruskischen Vasengattungen des 6. Jahrhunderts gehören die pontischen Amphoren, die sich in der Form an den tyrrhenischen orientieren; das Ornamentschema ist jedoch abwechslungsreicher als das der Vorbilder. Die einzelnen Ornamente sind wesentlich größer als die griechischen und mit geringerer Regelmäßigkeit angebracht. Sie ordnen sich damit weniger, als in Griechenland üblich, dem Vasenkörper unter und gewinnen selbständiges Leben. Hier werden die grundlegenden Formprinzipien der etruskischen Kunst deutlich: Der Vasenkörper wird nicht als plastisches Gebilde verstanden, dessen Wirkung durch die Bemalung nicht beeinträchtigt werden darf. Dem Etrusker dient die Vase als recht beliebige Malfläche, auf der er die Ornamente großzügig verteilt. Der Schwung, mit dem dies geschieht, übertrifft manche griechische Malerei. Eine bekannte Vase, deren Hauptthema Herakles und die Hydra zeigt, befindet sich in München. Doch scheint der Heros mit den Attributen einer Natur-
135
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Abb. 156 Urnament
Abb. 157
Etrurien gottheit verbunden worden zu sein. Denn anders sind die beiden Tiere, die er hält, kaum zu erklären. In vielen Details offenbaren sich die Eigenheiten dieser Kunst. Der Einfallsreichtum in den mit großer Sorgfalt gemachten Ornamentbändern zeigt sie ebenso wie die hochbeinigen Wesen des Tierfrieses, in denen erneut die Neigung zur Verzerrung der Proportionen aufscheint. Bezeichnend für das nächste vorgestellte Objekt ist das ganz andere Ornament. rj)je Gewohnheit der griechischen Vasenmaler, meist die gleichen Ornamente zu wiederholen, haben die Etrusker nicht übernommen. Das Hauptbild stellt eine Kampf- und Verfolgungsszene dar, wohl zwischen Herakles und Kyknos. Dies ist nur durch umständliche Überlegungen zu ermitteln, da der Maler auf eine ikonographische Kennzeichnung verzichtet hat. Obgleich er im dritten Viertel des 6. Jahrhunderts gearbeitet hat, hält er an dieser unspezifischen Darstellungsweise noch früherer griechischer Traditionen fest. Die Zeichnung ist drastisch, der verfolgte und verletzte Kyknos blutet in dicken Tropfen. Merkwürdig scheint das Dämonengesicht, das aus dem Kopf des Kyknos herauswachst. Ebenso überraschend ist auch das dreiflügelige Gebilde mit einem Kopf im Zentrum. Hier zeigt sich wieder die Einführung des etruskischen Elements, beide sind als etruskische Dämonen zu verstehen. Dem Kampf der Helden entspricht in einem mehr jenseitigen Lebensbereich ein Streit der Dämonen. Durch die Papyrusstaude ist der Raum angedeutet, in dem die Auseinandersetzung stattfindet. In Griechenland ist die Darstellung eines konkreten Raumes ungewöhnlich, sie mag auf ostionische Vorbilder zurückgehen. Auch andere Details zeigen, daß ionische Kunst den Künstler stärker beeinflußt hat als attische. Und dies, obwohl attische Vasen Etrurien damals überschwemmten. Dem etruskischen Künstler muß die attische Strenge der Form als wesensfremd erschienen sein. Ohne griechisches Vorbild, aber desto reizvoller ist die Darstellung von Frauen, die in einem Garten lagern. Vielleicht sind die drei Göttinnen gemeint, die bei der Hochzeit von Peleus und Thetis über die Frage in Zank geraten, wer die Schönste sei. Der hier entbrannte Streit, der durch das Parisurteil geschlichtet wird, wäre durch den hier mit wirren Haaren abgebildeten Kopf der Göttin des Streites, nämlich Eris, symbolisiert. Die Deutung wird erschwert, da das Bild mit dieser Themenwiedergabe ohne Vergleich ist. Eine beliebige Szene wie ein Gastmahl, an dem in Etrurien, im Gegensatz zu Griechenland, Frauen hätten teilnehmen können, ist sicher nicht gemeint. Doch mag diese Sitte den Etrusker inspiriert haben, die Göttinnen so darzustellen. Für den etruskischen Stil typisch sind die schwungvoll fließenden Linien, die die Flächen vereinheitlichen und zusammenfassen. Auch die expressiven Übertreibungen, wie die unrealistisch ausschweifenden Umrisse der Kopftücher, sind charakteristisch; ebenso die Gesichter, die ganz wirklichkeitsfern sind. Jedes Element ist übertrieben, wie das geschwungene Profil oder die
Pontiscbe Amphoren
137 757 Pontische Amphora, Göttinnen im Garten, H. d. Ausschnitts ca. 11 cm, ca. 640 v.Chr., New York, The Metropolitan Museum of Art
schräggestellten Augen, und doch erscheint das Gesicht als Einheit. Die Darstellung des oben erwähnten Bronzekopfes erinnert an dieses Gesicht, das ähnlich geformt ist. Das schwungvolle Zusammenfassen einzelner Elemente fanden wir schon bei den frühen Bronzescheiben. So verschieden die Werke auf den ersten Blick sind, bei näherem Zusehen stellt sich ihre enge Verwandtschaft heraus. Hierzu gehört die Steigerung des Ausdrucks, vornehmlich durch das Mittel der Verzerrung der Formen und Proportionen. Statt analytischer straffer Gliederung erscheint Formenvielfalt, die alles ornamental zusammenfaßt. Das verweist erneut auf die überraschende Lebendigkeit des Ornaments, das weit mehr denn Dekoration beinhaltet. Es zeigt sich eine Lebensauffassung, die auf das Verständnis der bewegten Oberfläche, der Bewegung und des Ausdrucks überhaupt gerichtet ist. Diese Grundhaltung ist über 200 Jahre zu verfolgen. Es ist merkwürdig und schwer zu verstehen, daß die etruskische Kunst, obwohl sie in ihrer Struktur grundverschieden von der griechischen ist, dennoch Vorbilder der griechischen Kunst benutzt. Die Vorbilder, die die etruskischen Künstler wählen, sind für den eigenen Zweck geschickt ausgesucht: Die Frauengewänder von klazomenischen Vasen sind viel geeigneter für die Gewandbildung
Klazomenische Vasen
138
Etrunen 158 Bauchamphora, zwei Sirenen, H. 32 cm, Ende 6. Jh. v. Chr., Bonn, Akademisches Kunstmuseum
Abb. 158
ihrer Göttinnen als andere; nicht geeignet ist jedoch die ordentliche Reihung der Gestalten, die wir dort finden und die ja auch nicht übernommen wird. Ähnliche Friesbilder von Gelagen gibt es in der attischen Kunst (dort sind es Männer), doch auch das wird nicht exakt übernommen. Ins Zentrum des Bildes stellt der Athener das Hauptbild, der etruskische Künstler läßt die Mitte einfach frei; die Komposition fließt auf den etruskischen Vasen auseinander. Das folgende Bild zeigt eine Bauchamphora mit einer Bildmetope, in der zwei Sirenen stehen. Das Vorbild ist in der attischen Kunst kurz vor der Jahrhundertmitte oder in der korinthischen, die zu der Zeit schon die attische nachahmt, zu suchen. Dort ist eine Bildmetope mit einer Sirene in monumentaler Vereinzelung denkbar, allenfalls noch mit zwei in heraldischer Symmetrie sich ruhig gegenüberstehenden Sirenen. Diese beiden verhaken sich anders, sie sind fast zärtlich miteinander. Sirenen sind Dämonen des Totenreichs, das Griechen als melancholisch und hoffnungslos empfinden. Für Etrusker war jedoch auch das Jenseits sinnenfroh. Etruskische Sarkophage zeigen häufig ein glücklich vereintes Paar, das den Gedanken an den Tod vergessen läßt. Phantasie und Witz finden wir bei dem im folgenden abgebildeten Werk. Hier
Pontische Amphoren
139
159 Hydria, H. 34 cm, um 500 v. Chr., Privatbesitz
wird ein Meeresgott, vielleicht ist der griechische Nereus gemeint, von einer Schar Mischwesen, aus Mensch und Delphin zusammengesetzt, begleitet. Die einsame Weinlaubranke, die links ins Bild wächst, erinnert an die Piraten, die bei der Meerfahrt des Dionysos in Delphine verwandelt wurden. Die Gefäßform zeigt die bekannten Elemente: Die Form ist einheitlich und fließend, die kantigen Absätze zwischen Leib, Schulter und Hals sind verschliffen, ohne daß die runde Form der attischen Kalpis gemeint wäre. Eine kleine Olpe (Abb. 160) gehört schon in den Beginn des 5. Jahrhunderts. Sie erinnert an den musizierenden Herakles (Abb. 160). Doch hier ist es nicht Herakles, sondern ein Satyr, der sich so aufgeputzt hat. Die Erfindung ist ohne den komischen Teil des attischen Theaters, das Satyrspiel, nicht denkbar. Die Umsetzung in ein solches Vasenbild und vor allem das spitzbübische Gesicht sind etruskisch. Korinthische Gefäße, vor allem die kleinen Formen, Alabastra und Arybaüen, sind in großen Mengen nachgeahmt worden, doch sind sie nur von handwerklicher Qualität. Erfreulicher sind plastische Tiergefaße, Enten sowie Rehe, deren Kopf abnehmbar ist und als Stöpsel dient.
Abb. 159
Abb. 160
140
Etrurien 160 Kanne, Satyr als Herakles verkleidet, Anfang 5. Jh. v. Chr., H. 25 cm, Heidelberg, Archäologisches Institut der Universität
Kleinplastik
Abb. 161
Terrakotten und Bronzen werden hier, da die Zahl der Terrakotten gering ist, gemeinsam behandelt. Wesentliche frühe Beispiele besprachen wir schon. Die Formen, die wir für das 7. Jahrhundert aufzeigten, setzen sich vom Griechischen kaum berührt fort. Das gilt besonders für Kanopenköpfe, meist aus Ton von der Art, wie auf Abb. 150 zu sehen ist. Doch wird dessen überragende Qualität nicht wieder erreicht, wenn auch viele dieser Werke in ihrer schlichten Ausdruckskraft recht beeindruckend sind. Auch in der Plastik zeigt sich die prinzipiell gleiche Verbindung griechischen und etruskischen Formdenkens, wie wir sie in der Vasenmalerei gesehen haben. Die oft erwähnte Verzerrung der Proportionen drückt sich meist in einer Uberlängung der Gestalt aus. Ein frühes Beispiel griechischen Einflusses ist die Statuette auf Abb. 160, bei der man fragen kann, ob sie nicht überhaupt griechisch ist. Doch ist die Streckung des Körpers allzu übertrieben, und auch die detailliene Ausarbeitung der Füße deutet darauf hin, daß sie in einer späteren als der griechischen Zeit entstanden ist. So sehen wir in dieser Statuette eher ein Fortleben alter Traditionen, wie es gerade für die etruskische Kunst kenn-
Kleinplastik 161 Frauenstatuette, H. /5,5 cm, 7. Jb. v. Chr., München, Staatliche Antikensammlungen 162 Statuette eines Mannes, H. 19 cm, Ende d. 7., Anfang d. 6. Jh. v. Chr., Kassel, Staatliche Kunstsammlungen
163 Bogenschießende Amazone, H. 11 cm, Ende d. 6. Jh. v. Chr., Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe 164 Statuette einer Frau, H. 13 cm, Anfang d. 6. Jh. v. Chr., Privatbesitz
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Etrurien
165 Heros beim Gelage, Terracotta, rot und blau bemalt, H. 9 cm, L. 10 cm, um 500 v. Chr., Karlsruhe, Badisches Landesmuseum
Abb. 162
Ahb. 163
Abb. 164, 165
zeichnend ist, und datieren sie ans Ende des Z.Jahrhunderts. Um das Gesicht und die Augen scheint eine Einlage in bunter Glaspaste gelegt gewesen zu sein, deren Form man sich schwer vorstellen kann. Durch die Farbigkeit wirkte das Gesicht sicher sehr lebhaft und fröhlich. Die hübsche reitende Amazone wird beim sogenannten Partherschuß dargestellt, das heißt im Galopp mit Pfeil und Bogen nach rückwärts schießend. Man ist geneigt, das Werk für griechisch zu halten, jedoch läßt das elegant geschwungene Füßchen daran zweifeln, denn so expressiv geschwungene Hände und Füße kann man auch bei anderen etruskischen Werken sehen. Im südlichen Etrurien berührten sich die Einflußbereiche der Griechen und Etrusker. Beide Stile verschmolzen miteinander, so daß Unterscheidungen kaum möglich und auch nicht sinnvoll sind. Eine Datierung des Werks ist wie bei den meisten Bronzen nicht einfach; es gehört in die zweite Hälfte des 6. Jahrhunderts. Betont etruskisch dagegen ist die merkwürdige katzenhaft blickende Sphinx von einem der berühmten Loebschen Dreifüße. Sie stammt aus dem dritten Viertel des 6. Jahrhunderts und zeigt eine deutliche Verwandtschaft mit den streitenden Göttinnen der Vase von Abb. 137. Hier ist alles Griechische vergessen. Verwandte Köpfe findet man unter Frauenköpfen aus Terrakotta, die zu Architekturdekorationen gehören. Meist sind sie allerdings >griechischeröffentliches< Rezept, dessen Anwendung allerdings mit Arbeit verbunden ist. Kein Künstler arbeitet im leeren Raum, sondern stets in einer historisch genau umrissenen Situation, die von religiösen und mythischen Vorstellungen geprägt ist. Die Auffassung von Raum und Zeit zeigt sich ebenso im Kunstwerk wie bestimmte gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedingungen. Diese Voraussetzungen bestimmen Inhalt und Formensprache eines Kunstwerks gleichermaßen: Sie sind unwiederholbar. So erhält jedes Kunstwerk mit zwingender Notwendigkeit seinen Ort und seine Zeit in der Geschichte. Diese Hintergründe eines Kunstwerks durch stilistische und ikonographische Kriterien zu bestimmen ist Aufgabe der Kunstwissenschaft. Ihre Methode besteht unter anderem darin, daß man von äußeren historischen Ereignissen (zum Beispiel Kriege oder Erdbeben) ausgeht und durch Form- und Stilvergleich anderen Kunstwerken nach Definition der größeren oder kleineren Gemeinsamkeiten ihren Platz zuweist. Dieses Verfahren wurde auch in diesem Buch immer wieder angewandt. Der Stilvergleich laßt die Handschrift eines Jahrhunderts erkennen. Unter günstigen Bedingungen - bei ausreichendem Material - kann es so weit verfeinert werden, daß man die Handschrift der einzelnen Meister unterscheiden kann. Die Fälschung verrät sich unter anderem dadurch, daß sie in der so hergestellten Formengeschichte keinen Platz hat. Die Fälschung ist nicht >datierbarals ob< er ein Künstler vergangener Zeit sei, so steht er vor einem Dilemma: Je enger er sich an irgendein Vorbild klammert, desto eher verrät er sich, wie bei der mechanischen Kopie, durch die allzu genaue oder unverhoffte Verwandtschaft mit dem Vorbild. Kombiniert der Fälscher mehrere Werke, so stimmen die Teile nicht zusammen, oder man erkennt die einzelnen Vorbilder. Entfernt er sich vom Vorbild, muß er sich etwas einfallen lassen, und dieser Einfall gehört in die eigene Zeit des Fälschers. Die Vorstellungen dieser Zeit werden in seinem Werk durchschlagen. Er ist es selbst also, der die Fälschung nicht in der >richtigen< Zeit datierbar macht. Viele Details und auch der Gesamteindruck können täuschend sein, aber nie stimmt alles. Der Fälscher muß gewisse Elemente frei erfinden, und das macht er auf eine Weise, die er für die selbstverständliche hält und die doch in Wirklichkeit die seiner Zeit ist. Die freie Erfindung birgt für den Fälscher also auch Gefahren. So wird sich beispielsweise ein Fälscher, in dessen Zeit die Perspektive eine Selbstverständlichkeit ist, bei der Herstellung eines Werkes aus einer Zeit, da man den Raum noch nicht kannte, möglicherweise durch kleine plötzlich perspektivische Details verraten. Der Zugang zu jedem antiken Kunstwerk wird gerade durch die historische Distanz erschwert, die der Betrachter erst überwinden muß. Da der Fälscher ein Zeitgenosse ist, erleichtert er scheinbar diesen Zugang, er sieht ja mit >unseren< heutigen Augen. Die Fälschung ist bestechend leicht verständlich und eindrucksvoll, ist sozusagen süffig. Für diesen Tatbestand ist bezeichnend, daß man ältere Fälschungen sehr leicht in ihre wirkliche Entstehungszeit datieren kann, das heißt, wir erkennen eine >antike Vasekanonischen< Idolen höchst verdachterregend. Man kann die Ablagerungen von Kalksinter, die man auf fast allen Stücken findet, analysieren. Sind sie nachgemacht, enthalten sie meist Zement oder organische Bindemittel. Dann ist der Beweis eindeutig. Handelt es sich um echten Kalksinter, ist das nicht unbedingt ein Beweis für die Echtheit, da dieser bis zu einem gewissen Grad und je nach seiner kristallinen Beschaffenheit nachgeahmt werden kann. Verläßlicher ist der sogenannte Wurzelsinter, eine kalkige röhrenförmige Ablagerung, die von Wurzeln gebildet wird, wenn sie einen Gegenstand berühren. Man findet sie nicht nur auf Marmor, sondern auch auf Vasen. >Echt< nachgemachten Wurzelsinter, indem man eine Pflanze Über dem Stück wachsen läßt, scheint es nicht zu geben. Manuelle Nachahmungen erkennt man am Material und manchmal daran, daß sie einen >Stil< - eine Handschrift - haben, was einer Wurzel wohl nicht passieren kann.
Bronzen Es zirkulieren ältere Fälschungen, die man an einer mit Säure hergestellten rostigroten, pusteligen Patina erkennt. Die meisten Stücke sind groß und sehr häßlich.
Bronzen Beliebt sind immer noch - zu Unrecht - Metallanalysen. Sie helfen nur bei Stücken, die nachweislich aus älteren Sammlungen stammen. Seit mindestens zehn Jahren, wahrscheinlich aber wesentlich länger, kennen die Fälscher die Anlaysen auch. Sie verarbeiten einfach antikes Metall aus wertlosen Funden. Die Metallanalyse ist daher in aller Regel ganz wertlos, es sei denn, sie lasse sich mit anderen Kriterien kombinieren. Auch die Analyse der Patina bleibt in der Regel ergebnislos, da die von den Fälschern angewandten Verfahren zu chemisch der echten Patina ganz verwandten Ergebnissen führen. Makroskopisch ist die Patina noch am ehesten zu beurteilen. Die falsche Patina sitzt meist locker auf, ist weich und hat eine unangenehme Farbe. Die sogenannte Malachitpatina, die porzellanartig glatt ist, wird kaum gefälscht. Sonst kann eine falsche Patina sehr überzeugend wirken. Man verlasse sich nie allein auf sie. Bei manchen Stücken kann man an Brüchen feststellen, daß das Metall eine kristalline Struktur angenommen hat. Das ist ein verläßliches gutes Zeichen. Es gibt den Trick, eine Bronze aufzuhängen und zu prüfen, ob sie klingt; wenn ja, soll sie falsch sein. Dieser Trick ist wertlos. Das Metall kann bei entsprechender Lagerung wie neu sein, manchmal kaum eine Patina haben. Weiter sind Gußnähte ein wichtiger Hinweis auf Gefälschtheit, da die antike Technik keine erzeugt. Um zu klären, ob wirklich eine Gußnaht vorliegt, bedarf es eines genauen Durchdenkens der technischen Entstehung. Oft ist der Guß nicht so sauber nachgearbeitet. Die Flicktechnik mit rechteckigen eingesetzten Plättchen ist neueren Fälschern bekannt. Bronzefälschungen sind in der plastischen Durchbildung oft eigentümlich unentschieden und ungenau ausgearbeitet. Es gibt mechanische Nachbildungen, manchmal einfach mit einer Patina versehene Museumskopien. Sie sind häufig unpräzis verschwommen, ja schlampig in den Formen. Häufig erkennt man, daß Verletzungen nicht mechanisch entstanden, sondern mitgegossen sind. Es tauchte vor einiger Zeit eine Bronze auf, einen nackten Gott darstellend, der Socken anhatte. Das konnte ja nicht gut sein. Des Rätsels Lösung: Am Original sind die Füße weggebrochen und ergänzt - man hatte die Ergänzung also mitabgeformt. Es kommt auf sorgfältige Einzelbeobachtung an.
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Fälschungen
Terrakotten Hier gibt es, wie bei allen Gegenständen aus gebranntem Ton, das Thermolumineszenz-, kurz Tl-Verfahren. Hierbei wird, stark verkürzt dargestellt, die Radioaktivität, die sich im Lauf der Zeit im Ton angesammelt hat, quantitativ gemessen. Da die Radioaktivität bei einer Temperatur von ca. 550° C entweicht und die Brenntemperatur meist höher liegt, kann der Zeitpunkt der Herstellung ermittelt werden, und zwar mit der erstaunlichen Genauigkeit von wenigen hundert Jahren. Das Verfahren ist prinzipiell absolut verläßlich, doch ist die Anwendung nicht einfach. Falsche Auswertungen von Meßergebnissen sind bekannt geworden. Die Methode ist an der Universität Oxford entwickelt worden und wird dort laufend verfeinert. Der Nachteil besteht darin, daß ein kleiner Substanzverlust unvermeidbar ist, denn es muß eine Tonprobe entnommen werden. Diese Methode sollte daher nur angewandt werden, wenn anders eine Entscheidung der Echtheitsfrage nicht möglich ist. Das Ergebnis kann durch Bestrahlung des Gegenstands mit Röntgen- oder anderen Strahlen verfälscht werden, oder es ist nicht mehr auswertbar. Ein >echter< Analysenwert kann aber nicht durch Bestrahlung simuliert werden. Die Kontrollgeräte an den Flughäfen sind zu schwach, um störend zu wirken. Bei Terrakotten kommen moderne Abformungen aus antiken Modeln vor. Sie unterscheiden sich technisch und künstlerisch nicht von den Originalen, es fehlt ihnen nur, um mit Walter Benjamin zu reden, die Aura der Geschichte. Obwohl nicht eigentlich Fälschungen, sollte man sie nicht wie Originale bezahlen.
Vasen Auch auf sie ist das Tl-Verfahren anwendbar. Bei positivem Ergebnis bleibt Vorsicht geboten. Es kann eine echte Vase nachträglich bemalt sein, doch ist das technisch feststellbar, da der antike Malprozeß einen Brennvorgang voraussetzt, der wiederum in der Tl-Analyse erkennbar wäre. Bezieht sich das Analysenergebnis auf eine Scherbe, so muß man sorgfältig prüfen, ob sie zum Rest gehört. Oft werden aus alten, aber nur schwarz bemalten Vasen Bilder ausgeschliffen. Der helle Untergrund ist dann vertieft und rauh, was allerdings auch echt durch Korrosion entstehen kann. Echte Stücke müssen zuweilen aus Gründen der Restaurierung nachgebrannt werden. Dann ist die Analyse nicht mehr anwendbar. Im übrigen beherrschen die Fälscher die antike Brenn- und Maltechnik sehr gut. Besonders das Schwarz gelingt überzeugend, die rote Engobe ist manchmal zu grob und zu fahl. Mit einiger Erfahrung sieht man gewisse Unterschie-
Vasen de, doch ist Vorsicht geboten. Besonders gern wird Attisches des 6. Jahrhunderts gefälscht, neuerdings auch mit sehr gutem Erfolg. Hierzu gehören vor allem kleine korinthische oder etrusko-korinthische Vasen des 6. Jahrhunderts mit Tierfriesen. Mit Stilkritik kommt man hier nicht weit, da die Qualität der Originalvasen keine untere Grenze kennt. Hier spielt auch eine Kenntnis der Praxis der Fälscherwerkstätten eine Rolle. Geometrisches wird kaum, Minoisch-Mykenisches überhaupt nicht gefälscht. Der Grund liegt darin, daß die Fälscherwerkstätten in Italien sind, die Vorbilder in Griechenland. Schwer nachzuahmen sind alte, durch die Lagerung etwas verschliffene Brüche. Die Fälscher helfen sich damit, daß sie die Vase vor dem Brand in lederhartem Zustand brechen. Das Aussehen ist zwar gut, doch haben dann Scherben, die optisch gut aneinanderpassen müßten, zuviel Spiel. Auf auf Vasen bilden sich Ablagerungen von Kalk- und Wurzelsinter. Ihr Fehlen bedeutet nichts. Selbst wenn die Vase versintert war, kann sie gereinigt sein. Man kann auch echten Kalksinter fälschen, doch wird meist Gips oder Zement angewendet. Auch Silikon wird benutzt. Es bildet eine kalkig-weiße Inkrustation, die ähnlich entsteht, wie wenn man eine echte, versinterte Vase mit Säure behandelt (was der Laie nicht tun soll). Nur auf alten Vasen, besonders auf attischen, bilden sich bräunliche Kleckse, die man wegen ihres Aussehens Fliegendreck nennt. Es handelt sich vermutlich um Eisenoxyd, das der eisenhaltige Ton der Vase aussondert. Sie nachzumachen ist nicht einfach, das Ergebnis sieht aus wie hingespritzte Tintenkleckse. Überhaupt ist es ein Merkmal fast aller künstlich aufgetragenen Inkrustationen, daß sie eine mechanische Gleichmäßigkeit verraten, während die Natur irrational ungleichmäßige Strukturen erzeugt. Alle diese technischen Einzelbeobachtungen sind oft nützlich und haben den Vorteil der objektiven Nachprüfbarkeit. Sie können häufig die Unechtheit, aber nur sehr selten die Echtheit exakt beweisen. Denn sie halten sich an naturgesetzliche und damit prinzipiell wiederholbare Erscheinungen. So ist die Stilkritik, wie wir anfangs erläuterten, das einzige Mittel, das wirklich auf dem Unwiederholbaren, nämlich der Geschichte, beruht. Doch haftet der Stilkritik etwas Subjektives an, der Betrachter kann seine Person nie ganz aus seiner Beziehung zum Kunstwerk ausklammern. Aber Materialkenntnis, sorgfältige Beobachtung und methodisch klares Denken führen oft zu guten Ergebnissen. Ein typisches Beispiel für Methodenmangel ist die von Spezialisten für griechische Kunst oft gehörte Behauptung, eine Fälschung sei >zwar echt, aber etruskischweil ein Fälscher so etwas weiß und bestimmt vermieden hätte . . . hat's gemalt< (d.h. der Maler, Egraphsen oder Egraphe). Hat ein Künstler das Gefäß getöpfert und bemalt, erscheint das in der Unterschrift: >... hat's gemacht, ... hat's gemaltFrühe Randkulturen des MittelmeerraumesHermes geleitet Hera, Athena und Aphrodite zu Paris