Anti-Klages: Oder von der Würde des Menschen [Reprint 2019 ed.] 9783486769265, 9783486769258

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Anti-Klages: Oder von der Würde des Menschen [Reprint 2019 ed.]
 9783486769265, 9783486769258

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Max Bense

• Anti-Klages

MAX

BENSE

ANTI - KL AGE S ODER

VON D E R W Ü R D E DES

MÜNCHEN

MENSCHEN

UND B E R L I N

19 3 8

V E R L A G V O N R. O L D E N B O U R G

Alle Rechte, i n s b e s o n d e r e das der Ü b e r s e t z u n g ,

vorbehalten

C o p y r i g h t by W i d e r s t a n d s - V e r l a g A n n a N i e k i s c h , B e r l i n Printed

in G e r m a n y .

Druck

von O s c a r

Rrandstetter,

4957

Leipzig

Ks lebe der Flug des Gedankens, es lebe die Lebensgefahr im Dienste der Idee, es lebe die Not des Rampfes, es lebe der festliche Jubel des Sieges, es lebe der Tanz im Wirbel des Unendlichen, es lebe der Wellenschlag, der mich über die Sterne emporschleudert.

Sören Kierkegaard

I I n den gefährdeten Augenblicken einer Zeit noch einmal von der Würde des Menschen zu sprechen, klänge unter Philosophen peinlich, könnte man nicht versichern, daß dies begeisterte Vorhaben uns keineswegs über die maßhaltende Notwendigkeit unerbittlichen Richtens hinwegtäuscht und daß es selbst etwas von einer Gefahr in sich birgt. Aber ist nicht der Augenblick gekommen, in dem man als Philosoph sich beständig seiner Aufgabe inne werden muß? — Ist nicht die Stunde da, die unablässig fragt: haben deine Sätze noch einen Schimmer des Rechts? — Niemand wird es bestreiten. Ein Schriftsteller, der sich dieser Problematik nicht bewußt ist, ist ein schlechter. Wie aus einer Tiefe vernehmbar, so muß die Innerlichkeit des Denkers im Sprachstrom sich mitentfalten, und keine Verbitterung, kein Überglück darf die Unwägbarkeit dieses Einvernehmens stören. Die Tiefe des Denkens muß die makellose Haltung des Denkers sichtbar machen. Es will mir scheinen, als fehle den meisten Büchern dieser Zeit die geheime Überlistung des Lesers, die Verführung zur Substanz der Sätze mit reinen, großen Mitteln. Es scheint mir, daß der Philosoph verlernt hat, mit den h ö c h s t e n Maßstäben zu messen, daß er verlernt hat, diese seine Maßstäbe anzubieten mit der Geste jener, die eine Alternative erzwingen. Denn Philosophie als ein Geschehnis aus dem Geiste ist eine Synthese zur Alternative. Der Zwang zur Entscheidung, der Zwang zur Auslese, zur Unterscheidung, 7

um als Realität nur bei sich selbst, niemals außerhalb seiner selbst zu sein, das alles macht doch zuletzt die geheime Metaphysik jener Maßstäbe aus, die ein Philosoph zu reichen hat. So geht im Philosophieren der Geist über das Faktum der Erkenntnis hinaus, er stellt nicht mehr nur fest, er schöpft nicht aus den unendlichen Zusammenhängen, sondern wird bewegt in der Melodie seiner selbst. Im Philosophieren löst sich der Geist von der Ruhe des Seins und wird unendlich bewegt, wird ein kosmogonisches Geschehen, das entweder die Realität „Mensch" mitführt oder hinter sich läßt, also in höhere Augenbücke wirft oder aber vernichtet und das Entscheidende ist, daß niemand lebend, in der Zeit stehend, sich diesem Geschehnis der Bewegung durch den Geist ohne Schuld widersetzen kann. Schon im Leiden am Sein wird die Realität Mensch aus der Alltäglichkeit entführt, und es fragt sich, ob dieses Leiden am Sein nicht die Form der Abscheidung aus der unaufhaltsamen Rewegung aus dem Geiste ist, und das tragische Gefühl nicht zuletzt doch bloß das Offenbarwerden der Abscheidung, der Zurücklassung bedeutet. Aber beschwören wir nicht einen Geist, der seit langem verdächtig? — Oder war es nur eine übergroße Liebe zum Menschen, die den Geist anzeigte, um den Menschen, der ihn nicht zu tragen vermochte, zu entschuldigen? — Müssen wir, um der Bewegung aus dem Geiste teilhaftig zu werden, um uns zu seiner Verteidigung anzuschicken, nicht eine Weile Zeit uns diese Liebe zum Menschen — ohne schon die Geduld mit ihm zu verlieren — abgewöhnen? — 8

II E s ist eigentümlich, daß diejenige Zeit, die bisher die größte Vollendung des Logos ermöglichte — nämlich die unsere in der beinah geleisteten Vollkommenheit des mathematischen Weltbildes, jenseits der Sprache und jenseits naiver Anschauung —, daß diese Zeit also zugleich den heftigsten Widersacher gegen diesen Logos hervorbrachte, Ludwig Klages. Die uralte Paradoxie von Geist und Leben, die heute in den Werken des Züricher Philosophen und zahlloser seiner Anhänger das Thema und den Mut zum Angriff bestimmt, gewinnt gleichsam in der Gegenüberstellung des mathematischen und des lebensphilosophischen Weltbildes geschichtliche Sichtbarkeit. Ebenso merkwürdig ist weiterhin die Tatsache, daß die letzte Klarheit um diese uralte, aber bei Klages immer wieder mit Unermüdlichkeit ins Moderne, Originale variierte These vom Geist als Widersacher der Seele — man verfolge die Äußerungen der Kritik und der Bewunderung — durchaus fehlt, ja die Tatsache endlich, daß der populärste Philosoph einer Zeit — man wird es nicht leugnen — zugleich auch der mißverstandenste und in seiner These der dunkelste ist. Allein, Klages mag sich damit trösten, daß dies immer ein Nachteil derer ist, die viele Bewunderer haben. Denn ohne Zweifel hat es Vorteile so gut wie Nachteile, wenn ein Philosoph Anhänger und Schüler hat, und sonderlich sehr viele Schüler hindern die klare Betrachtung der meisterlichen Gestalt. Der Schüler lebt von der Variation der ursprünglichen These — und wie gut, daß es diese Thesenverwandlung, diese Möglichkeit der Variation gibt, denn gewöhnlich kommt noch etwas mehr dabei her9

aus als die bloße Werbung für den, dem man sich verschwor. Es gehört zu den Nachteilen, Schüler zu haben, sich selbst immer wiederkehren sehen zu müssen, ohne im eigentlichen Sinne etwas dazu oder dagegen tun zu können; und es gehört ohne Zweifel zu den Vorteilen dieses Falles, falls die verkündete Philosophie dem Ingrimm und der Verbitterung nicht gewachsen ist, zu wissen, daß man zuletzt für jemanden schreibt und sei es auch nur für solche, die literarisch . . . von einem leben. So ist unser Eindruck nach Monaten der Bewunderung für den Züricher Philosophen und nach dem Bekanntwerden mit vielen seiner Anhänger, Interpreten, Schüler und Vorkämpfer der, daß Klages sich aufs neue in eine, seine besondere, Einsamkeit verschließen muß, will er nicht in der prächtigen Reihe seiner Bewunderer ersticken. Nicht wenig Philosophen wurden durch Bewunderung tiefer verschleiert und vergessen als durch manche Kritik und Lästerung. Denn hört man vielleicht auch seine Stimme, so fehlt doch noch das Verstehen, und schon oft widersprach einer tönenden Stimme die unberührte Oberfläche eines Verstehens. Oder verstanden die Schüler ihren Klages zu gut, zu wörtlich? — Bemerkten sie nicht den großen Hintergrund zwischen Anklage und Zerfall? — Werden die Bewunderer nicht eines Tages sagen müssen: zuletzt war seine These doch dunkel! — und das wäre dann die erste Lästerung gegen den, der einst die unaufhörliche und nützliche Variation ermöglichte. Aber lassen wir die Betrachtung unseres Philosophen durch das Gewirr seiner Schüler. An seinen Früchten sollt ihr ihn — — nicht erkennen, dieser Satz wurde zuerst 10

einem Ordinarius geantwortet, als er über Philosophen sprach. Eine anschließende Frage führt uns denn auch sogleich weiter. Wie kommt es, daß Klages populär werden konnte? — Wie kommt es, daß er schon beinah mehr als Schüler, nämlich eine Sekte um sich versammelt sieht, die er vielleicht nie erwartete? — Diese auffällige Tatsache hängt mit dem gesamten Stil seines Philosophierens zusammen. Denn zweifellos bestimmt der Stil, nicht der Inhalt seiner Philosophie die Zahl der Gegner und den Auflauf der Besessenen. Die erste Resonanz, die ein Denker findet, vollzieht sich immer über die Labilität seines Ausdrucks, über das, was er angreift oder verteidigt, und nicht zuletzt ist bei dem Ekklektiker der Erkenntnis jene Eitelkeit besonders stark ausgebildet, die in einem Werk nach dem Lob, nach der Rechtfertigung ihrer Lässigkeiten Ausschau hält. Findet er etwas, was dieser Eitelkeit dient, dann bedeutet der Beifall schließlich nichts anderes, als die Freude der Wiederbegegnung mit seinen Mängeln oder Angewohnheiten auf höherer Ebene. Zunächst einmal ist die Klagessche Fundamentalthese so beschaffen, daß sie ein Motiv unendlicher Varianten ist. Jedermann kann sich den „Geist als Widersacher der Seele" nach seiner Art auslegen, zur Bequemlichkeit, zum Unglück, zum Selbstwiderspruch, zum Ärgernis f ü r andere, zur Erleuchtung, zur Abschiebung verschiedener Gestalten der abendländischen Geschichte, deren Existenz den „Ehrlichen" oder „Behaglichen" nie zur Ruhe kommen läßt. Diese Tatsache, daß innerhalb des Klagesschen Weltbildes jedermann nach seiner höchst persönlichen Fasson selig i i

werden kann, ist nicht zu leugnen, und wenn uns damit geantwortet wird, aus ihrem Mißverstehen folge nichts wider eine Philosophie, so möchten wir einwenden, daß es sich in diesen Variationen niemals um ein Mißverstehen, sondern nur um die Armut an Alternativen handelt, die diesen „Geist als Widersacher der Seele" auszeichnet. Diese innere Entscheidungslosigkeit ermöglicht also die Mißverständnisse und fordert sie geradezu heraus durch einen gewissen, alles Leben und Dasein banalisierenden Ton, durch eine zeitungshafte Beweisführung, die aus der Welt zuletzt das Drama leugnen möchte und die aus der Metaphysik eine Angelegenheit des Jargons macht — wie das z. B. der Fall ist in der mit „Abhandlung" überschriebenen kleinen Arbeit „Mensch und Erde". Unglücklicherweise — nämlich für Klages — ist das Unbehagen im Geiste nicht allein der tiefere Sinn seiner Metaphysik, sondern auch das Mißvergnügen des kleinen Mannes, der die Absonderung der Erkennenden immer für verdächtig hält, weil er dem Flug nicht folgen kann. Und gerade dadurch ermöglicht Klages eine Philosophie dieses Unbehagens im Geiste als eine Sättigung der Unbedeutenden, daß er den Dilettantenton, den — wie Gundolf einst bemerkte — Heine in unserer Dichtung ermöglichte, nun auch zum Ausdruck philosophischer Einfälle und Ausfälle werden läßt. Dieser Ton eines allgemeinen Unbehagens der Unbedeutenden — jener, die zu jeder Zeit schon vor jeder Form des Sterbens, der Feindschaft und des Unterganges zurückwichen —, der, vielleicht den „Kosmogonischen Eros" ausgenommen, vor allem die kleineren Schriften des Philosophen durchzieht, gibt dem ganzen Werk, so kraftvoll der Titel des Hauptstücks 12

diese Philosophie auch anheben läßt, letzten Endes doch den unverwindlichen Zug ins Sentimentale. Und dieser ist es wiederum, der das Werk eine so unverständliche Anziehungskraft auf Geschwächte, Gescheiterte, Beängstigte und Behäbige ausüben läßt. Ohne seinen sentimentalen Unterton, der das Unbehagen im Geiste des kleinen Mannes in die allgemeine Metaphysik des Unbehagens im Geiste einfängt, hätte Klages nicht populär werden können. Denn zur Popularität gelangt eine Philosophie nicht durch das, was aufreizt, sondern durch das, was gerade der Alternative entführt. Und das Unbehagen im Geiste ist das größte und das allgemeinste, ist die eigentliche Dekadenz des menschlichen Daseins, nämlich diese: nichts aushalten zu wollen, was beschwert, nichts ertragen zu können, was auch die Bitternis bringt, nicht das zu wollen, was die Menschen im ursprünglichsten Sinne in eine Hierarchie von Einzelnen, in eine Hierarchie von Werten scheidet — sondern einfach das billigste aller Glücke, das Glück, nivelliert zu werden in einem Rausch, der der allgemeine Rausch des Lebendigen genannt wird und sich mit dem Namen jenes Gottes ziert, der Dionysos heißt, der zwar träumte und entsank, aber in einer gewaltigen Trunkenheit, in einem vorschöpferischen Schlaf, die nichts mehr mit dem Kitzel des kleinen Mannes zu tun haben. Ist dieser gepriesene Rausch des Lebendigen ein nivellierender Rausch, dann sage ich nur noch zögernd: Dionysos gegen den Gekreuzigten, aber: Apollo gegen Dionysos. Denn wie anders könnte man verhindern, daß durch eine philosophische Interpretation, besser durch ein philosophisches Mißverständnis, Dionysos, dieses Gemisch aus dem listigen Bock hinter dem Busch iB

und dem mächtigen Verteidiger des Leidens, des Zwiespaltes, dieser eigentliche Verführer zur Welt, der die Flöte Pans, den Gesang des Alls zu spielen versteht, zu einem erbärmlichen Gott der Stimmulantia würde, zu einem Gott, der leider gar nichts mehr vom Teufel in sich hätte und der noch nicht einmal wüßte, daß es eine größte Leidenschaft des Lebendigen gibt, die in der Paradoxie von Geist und Leben besteht. Denn schließlich gibt es kein anderes Leiden, aber auch kein anderes Glück als das der Paradoxie. Und diese Leidenschaft aus dem Widerspruch von Geist und Leben ist keine Sünde wider das Leben, sondern die Größe des Lebens, die metaphysische Intimität, die metaphysische Würde des Menschen; ist überhaupt keine tragische Feindschaft, die einst mit dem „Untergang der Erde" enden wird, sondern ist jene nur menschlich mögliche Leidenschaft der unendlichen ontologischen Dialektik, deren sinnlich vernehmbare Formen wie Philosophie, Erkenntnis, Kunst und Spiel den über die Unendlichkeit ausgespannten existentiellen Dialog bedeuten. Klages kennt nicht dieses Leiden des Menschen, das Leidenschaft heißt und in deren Geschehen das Leiden eigentlich aufgehoben ist, selbst in der Rezeption der Paradoxie von Geist und Leben, ohne die anklagende tragische Empfindung, noch immer wie eine große, reife Frucht einfach da zu sein, unbekümmert um die Sekunde des Abfalls. Wie mir scheint, überwindet seine Empfindsamkeit nicht die Einsicht, daß es ohne Feindschaft keine Bewegung, aber daß es mit allgemeiner Notwendigkeit Zerstörung gibt. So leugnet er die Dramatik des Seienden und setzt an ihre Stelle — in der Betrachtung — das Gefühl, eine Tragödie abspielen zu 14

sehen, in der vor der Sentimentalität einer Stunde Helden wie Märtyrer gedeihen, in Wahrheit aber nur Schwächlinge verderben und — in der Tatsächlichkeit — einen wunderlichen Gott des Rausches, der keine Lust am Zerstören, keine Lust im Gefühl der Macht und keine Rute der Züchtigung und Abscheidung mehr kennt, sondern nur noch ein barmherziges Rerauschtsein in der nivellierenden Einheit dessen, was er Lebendiges sich zu nennen anmaßt. Daher ist aus Klages zuletzt keinerlei Kultur möglich; das Paradoxe geschieht: sein Weltbild ist regungslos wie Gelähmtes, denn es wird ja die Welthaftigkeit eines Elements geleugnet, das als unaufhörliche Unruhe in keinem Augenblick des Lebens, des Daseins, die Nivellierung der Wesen zur brüderlichen Einheit zuläßt, es wird ja eine Form des Willens verfemt, die wiederum „nur-menschlich" sein kann und die unablässig auf Erschaffung, auf Verwirklichung dessen ausgeht, was sich im Augenblick der realen Geselligkeit von Geist und Vitalität als Kultur, als Sein des Menschen in einem ungeheueren und tiefen Reisichselbstsein, in einem notwendigen Zueinander der Dinge hierarchisch in kaum übersehbarer Ordnung manifestiert. Aber das Müde im Menschen ist manchmal mit äußerster Kraft begabt. Mit seltsamen, großen Händen greift es nach Dingen, als könne es einfach nichts Schmerzliches mehr geben, als sei es allen tödlichen Prinzipien schon so fern, weil es sie assimilierte. Und müde ist immer der Dogmatiker — obgleich es dexi Anschein hat, als könne er niemals sterben —, denn er hebt den unendlichen Dialog in der menschlichen Fundamentalparadoxie auf, er enthebt die existentielle Dialektik, die wir „menschliche Geschichtlichkeit" zu i5

nennen gewohnt sind, ihrer Macht über unser Werden und hält uns in eine leere, wellenlose Zeitlichkeit. Der Dogmatiker in Klages ist eine Konsequenz seiner Müdigkeit, er macht ihn blind, aber auch populär. Denn dem Dogmatiker sind gleichsam Ohr und Augen genommen — er hat ja den panisch-schrecklichen Gesang der Welt getötet, indem er das unaufhörliche Zwiegespräch zwischen Geist und Leib durch einen Befehl vernichtet. Aber wie könnte man Geist durch einen Imperativ ersetzen, wo doch in jedem Imperativ nicht nur etwas beginnt, sondern auch etwas stirbt und wo es doch gewiß ist, daß zwar der Leib getötet werden kann, aller Geist aber unvernichtbar ist, wenn er in der Wahrheit besteht und daß selbst in einem Dogma noch diese Unvernichtbarkeit eingestanden wird. Denn die Wahrheit ist die Form der Unvernichtbarkeit des Geistes, die Ewigkeit eines Gedankens, einer Idee, die Unendlichkeit des selbst im Zögern noch mit Leidenschaft geführten Zwiegesprächs zwischen jenen Mächten, die Klages verdammt und die wir in eine apollinische Geselligkeit heben. Keineswegs ist der Geist „essentiell zerstörerisch", besitzt er den Willen zur Macht jener Art, die seit Nietzsche durch den Terminus „Wille ins Nichts" gekennzeichnet ist. Und die Grausamkeit des Geistes wider das Leben — d. h. wider welche Art von Leben? —, die sich freilich nicht leugnen läßt, verfolgt man gewisse Züge der menschlichen Geschichte, ist keine metaphysische Bosheit, sondern eine metaphysische Macht, die auf die Abscheidung all dessen drängt, was nicht Mensch werden konnte und in Zukunft nicht werden kann in der letzten Erfüllung der Bestimmung. 16

Was in der Wahrheit eines echten Geistes zugrunde geht, muß existentiell zugrunde gehen; Dekadenz ist die nachlassende Spannung der Vitalität im Verhältnis zum Geist und umgekehrt. Was die Dämonie einer Macht als absolut außermenschlich empfindet, erkennt oder interpretiert und aus der Befangenheit in der Angst vor der Gewalt des Außermenschlichen diese durch den Terminus „Geist als Satanie wider das Lebendige", als das böse Prinzip, als eine Abart des christlichen Teufels unter dem Begriff „akosmisch" begreift, muß entweder Christ werden, umgekehrter Christ, indem es inquisitorisch an Stelle des Leibes, wie einst, nun den Geist verdammt, oder aber ein Verehrer nivellierender Opiate werden. Klages zog durch sein Mißverständnis des dionysischen Lebens die letzte Konsequenz. Freilich sprach er zunächst noch vom „Kosmogonischen Eros" und es klang rein und feierlich; freilich beschwor er unter diesem Begriff zunächst noch jene allgemeine kosmogonische Leidenschaft, so einfach da zu sein in der Fülle der Dinglichkeit, in der Fülle zurückgewonnener Bedeutung des Eigenseins. Aber dann setzt sich der „Kosmogonische Eros" um in einen falschverstandenen Dionysos, in einen Dionysos dunkler Berauschtheit, die im scheinbaren Wonnegefühl der Einheit des Lebendigen eine schöpfungslose kosmische Bruderliebe postuliert, die zwar den Gang der Welt noch in der Wandlung verspürt, die als Vorgang jedoch nichts anderes ist als ein nivellierter und nivellierender Strom, denn das Gefälle, die große Woge fehlt, der Felsen eines möglichen Unterganges, der Geist der Unruhe, das mächtige Außen, die ontologische Dialektik. Wir können nicht ohne Tod, ohne Zerstörung exi2

Anti-Klages

stieren. Furchtbar ist vielleicht nur, daß der Tod immer in Gestalt des Lebens und das Leben immer in Gestalt des Todes vor uns hintritt. Noch nie war der Geist Gesetz wie Gott immer Gesetz war. Aber wir fühlen es alle, daß ein neues Bild des Geistes heraufkommt, das einst Gesetz werden kann. Der Geist wird ein regulatives Prinzip für den Menschen sein und darüber hinaus für die Völker; er wird verwerfen und züchten, er wird mitreißen und abscheiden; er wird Größe und Nichtigkeit voneinander scheiden. Denn der Leib lebt . . . aber auch der Geist ist keine Leiche, und in der vollkommenen Vitalität ist der Geist der Wind, der das Feuer wach hält. III Man weiß, daß um die Wende des 7. zum 6. Jahrhundert der uralte Dionysoskultus in seiner orgiastischen Natur gebrochen wurde. Man weiß auch, daß apollinische Elemente orphischer und delphischer Herkunft dies vollbrachten. Aber keineswegs siegte das öpollinische Prinzip, sondern ein merkwürdiges Symbol des Leidens formte sich durch die orphische Einwirkung aus der dionysischen Anbetung. Und darin sehen wir das Zeichen erster Verfälschung, erster Maskierung sowohl des dionysischen als auch des apollinischen Gottes. Heute nun geschieht es, daß Nietzsche, nicht durch die Beschwörung eines trunkenen Leibes — wie man glaubt —, sondern einfach durch die Nennung des zauberischen Namens von neuem das dionysische Prinzip, die dionysische Macht als erregendes Moment in die 18

Geschichtlichkeit geworfen hat; und brach einst ein seltsamer Kultus des bewußten Leidens am Sein die Ursprünglichkeit des Gottes, der aus dem Rausch zur Evidenz seiner Macht, seiner Existenz und zur Schöpfung kommen sollte, so verwandelt heute ein schwächendendes, nivellierendes, philosophisches Prinzip das Bild des Dionysos in einen Eros des Unterganges der Einzelnen, der großen Maßstäbe, und gesucht wird nach dem scheinbar glücklichen Nichts des Unterscheidungslosen. Aber der Leib kennt nur die Berauschung aller Tiere und er bedarf der Gnade oder der Feindschaft des Geistes, wenn diese Berauschung echte Leidenschaft werden soll, in der das Leiden über sich selbst zur Macht gesetzt wird, in der das Leiden über sich selbst triumphiert. Leidenschaft ohne Geist ist nicht möglich — nur Berauschung. Denn eine Leidenschaft, in der kein Abgrund möglichen Niedersturzes aufgerissen wird, ist keine echte Leidenschaft; ist keine Leidenschaft, die Kraft erforderlich macht, ist keine Leidenschaft, in der es noch auf die Technik zum Leben, auf die Reife des Verstandes, auf das Glück der Hände ankommt, sondern ist einfacher Rausch der Sinne, wie ihn jeder haben kann; wie er kein Niveau, keine irdische Hierarchie erforderlich macht. Echte Leidenschaft, die den Einzelnen in Bezug setzt zum ganzen Kosmos, erfordert menschliche Totalität; erfordert, daß der Leib sich dem Geiste gegenüber entdeckt und ohne Zögerung sich ihm stellt. Denn die Furchtbarkeit der Paradoxie, der ontologischen Dialektik von Geist und Leben, ist die eigentliche menschliche Fruchtbarkeit und Unerschöpflichkeit. Klages aber bricht diese Fruchtbarkeit des uralten Gottes, dessen Gesetz Leidenschaft, nicht Leiden heißt, 2*

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dessen Gesetz der Paradoxie erst den Menschen zu dem macht, was er ist, abgehoben vom Tier, von der Blume, vom Kristall. Um möglicher Furchtbarkeit zu entgehen, schaut er den wesensbestimmenden ontologischen Dialog, die Paradoxie in tragischer Interpretation, in der Problematik aller Theodizees, indem er nämlich danach fragt, wie wohl das Böse von außen in die Welt komme. Und auf solchen Hintergründen mußte die Philosophie des Züricher Philosophen zu einer dogmatischen werden, mußte aus ihr der unbedingte Willen zum Erlösen sprechen, dem einzigen Willen freilich, den sie sich aus dem Zusammenhang ihrer Systematik — wie ungern vernimmt sie dieses Wort — noch gestatten darf, mußte der „Schlaf" selbst groß werden als eine Feier der besonderen „Wiederkehr der Bilder", die das Wesen der Welt ausmachen. So beginnt mit Klages nicht nur die Dekadenz in der Philosophie, sondern die Dekadenz des menschlichen Existierens, eine moderne, genauer betrachtet, triviale Art Selbstzerstörung mit erlöserischen Absichten theologischer Manier in der Nachbarschaft Jean Jacques Rousseaus. Denn „Geist als akosmische Macht" bedeutet den Teufel der christlichen Welt, interpretiert aus einer denkerischen, existentiellen Barbarei. Und um diesen Aufstand der Unbehaglichen im Geiste — der christlichen Antichristen, wie ihre genaue Art ist —, den Aufstand derer, die nicht Mensch werden können im Sinne eines großen Stils, im Sinne einer Rechtfertigung der ganzen Erde, einer Kultur, einer Schöpfung zu ermöglichen, bedurfte es der Verdammnis des Geistes durch eine Art grober Verzauberung des Lebens — wie sie bei Rousseau schon geschah. 20

Gewiß ist, daß der Augenblick im Kosmos der Zeit — wenigstens für Europa — gekommen ist, in dem Leib und Geist vor das Faktum ihrer Geschiedenheit, ihrer Paradoxie gestellt sind. In diesem Augenblick kann nur der gerettet werden, der intensiv lebt, der mit Leidenschaft existiert, und das bedeutet, der sich der fundamentalen kosmogonischen Paradoxie stellt. Nicht die Tiefe ist jetzt eine Gefahr, sondern die Fläche, nicht der Ernst, die Wahrheit werden jetzt das Leiden am Sein bringen, sondern die Maske, der Schauspieler. Nicht der wird das Lachen verlernen, der in sich hineinlebt und das Unendliche denkt, sondern der, der das Eigentum seiner inneren Realität für zu billige Heiterkeit fortwirft. Und hier schon beginnt die Sichtbarkeit des inneren Zerfalls dieses geistfeindlichen Philosophierens. Bedeutet nicht schon die dogmatische, erlöserische Absicht ein Zugeständnis an den „Willen", der, ist er nicht eine Konsequenz des Systems, verfemt wird? — Bedeutet nicht schon das Ergebnis der Klagesschen Philosophie eine Flucht vor der eigentlichen Konsequenz, eine merkliche Einsicht, daß das Unbehagen im Geiste zuletzt doch bei den Unbehaglichen und nicht beim Geiste liegt? — Welche Menschenliebe — wie sie sonst unter Philosophen gar nicht üblich ist — gehört dazu, solange den Unbehaglichen in Schutz zu nehmen und den Geist anzuklagen? — Denn was ist denn dieses Ergebnis anders als eine wissenschaftliche Begründung von sogenannten „Ausdruckswissenschaften"?—Und enden sie nicht in einer dauernden Selbstbeobachtung, während die Schönheit des Lasters doch eigentlich hätte gerühmt werden müssen? — Ist das die Lebendigkeit, daß man die Freiheit ai

der Seele, daß Wehmut, Rausch, Schmerz, Heimweh, Liebe, Trieb, Überschwang und Scheu in ein System angeblich deutender Sätze eingespannt werden? — Empfindet man nicht Größe und Würde der Seele, wie man Stärke und Mut von Pferden empfindet wenn die Peitsche die Wildheit gebrochen? — Handelt es sich im Grunde nicht doch um ein Verfahren, „gute Aussichten", Chancen zu berechnen, wenn man Charakterkunde treibt? — Was soll die Einsetzung der Seele bedeuten, wenn sie mikroskopierenden Zwecken zu dienen hat? — Handelt es sich zuletzt nicht doch um das Eingeständnis, daß die Qualität des Menschen nicht durch eigene Evidenz, durch eigene Unmittelbarkeit, sondern nur durch Objektivierung offenbar werden kann? — Und beginnt damit nicht gerade die Dekadenz des Menschlichen, die Dekadenz der Erkenntnis, die Dekadenz jenes Daseins zwischen Leib und Geist, das wie ein Gespräch, ein tiefes, ein zerbrechliches, da ist? — Man sucht nach Ausdruck, wo man den Durchblick versäumt hat; man treibt Psychologie, wenn man weiß, daß Verborgenes zu fürchten ist. Je mehr Psychologie, desto mehr innere Ausweglosigkeit, desto weniger Fähigkeit zur Schöpfung liegt vor. Man flüchtet in die Welt von „Ausdrücken", wenn man die „Realität" zu sehen verlernt hat, wenn man nur leben kann in einer Flucht der Dinge, die vielleicht droht, aber kaum vernichtet. Wenn Dekadenz Angst vor Realität ist — dann ist Psychologie als Angst vor der Unberechenbarkeit des Menschen die Vollendung der Dekadenz. Kein Zweifel also, nach dem Kosmogonischen Eros setzt die Flucht vor der eigenen Konsequenz ein. Was hätte diese Konsequenz sein müssen? — Klages mußte Musiker, 22

Tänzer, Dichter, Bildner werden. Was wurde er? — Physiognomiker, Graphologe, Institutsleiter. Keineswegs sei ihm daraus ein Vorwurf gemacht. Man muß ja auch leben, und im übrigen liegt die ,,Seelsorge", wie wir sahen, im Bereich seiner Absichten. — Alle Psychologen haben eine Vorliebe, sich auf Nietzsche zu berufen. Aber sie achten der Tatsache nicht, daß Nietzsches Begriff der Psychologie von einer Feinheit und Zweideutigkeit ersten Ranges ist. So wird grundsätzlich übersehen, daß der Deutsche auch die Psychologie der Psychologen erkannt hat und nie vergaß, durch das Labyrinth seiner eigenen psychologischen Beobachtungen, die er schätzte, auch die Hinfälligkeit des psychologisierenden Typus zu bemerken. „Wie? — wäre Psychologie — ein Laster? —" Man hat sich noch nicht bemüht, länger bei dieser Verdächtigung zu verweilen. Sie hätte Klages zu denken geben sollen, als er sich unterfing, von „psychologischen Errungenschaften" zu sprechen. Denn diese scheinbar flüchtige Erkenntnis ist eine der bemerkenswertesten. Der Psychologe erkennt sich darin und entwertet sich. Es wird eingestanden, daß zur Psychologie eine Abwendung vom Subjekt notwendig ist, daß sie zuletzt nur durch die Möglichkeit einer Selbstentfremdung besteht. Denn dies altein ist das Geheimnis jenes Satzes der „Götzendämmerung", danach der Psychologe von sich absehen muß, um überhaupt zu sehen. Wie aber könnte diese Art der Selbstentfremdung als ein Resultat psychologisierender Epochen eine Konsequenz der unermüdlichen Verteidigung des Lebens, des Leibes sein? — Klages übersah, daß es bei Nietzsche eine Psychologie des Psychologen gibt, die gelegentlich in unmißverständlicher Weise Psychologie und Deka23

denz verknüpft und daß der berühmte Begriff des „Sklavenaufstandes" nicht selten zur Kennzeichnung eines philosophischen Pessimismus dient, auch wenn er seine Wurzeln in einem Übermaß psychologischer Feinheiten verbirgt. Diese Psychologie, dieses wissenschaftliche Gedeihen auf der Summe von „Gründen", von „Typen", von „Ätiologien" und „Verdächtigungen" der Klarheit und Kälte des geistigen Raumes des Logos oder der Mathesis universalis als die lebendigere oder gar als die deutschere, wie das bei Jaensch geschieht, entgegenzusetzen, das hieße die Kraft der Individuen, die Kraft der Deutschen, sich der Tiefe des reinen Denkens preiszugeben, anzuzweifeln. Durch diese Kraft aber wird man erst Individualität. Durch ein Nachlassen dieser Kraft wird man ein Dekadent — oder ein Psychologe. Man hat also in dem Psychologen Nietzsche noch nicht den Anti-Psychologen entdeckt. Man vermochte nicht durch den Psychologen hindurchzulesen und in Nietzsche das Ausspähen nach den ursprünglich reinen Phänomenen zu entdecken. Denn er begriff, daß jedes Übermaß an Psychologie die reinen Phänomene, den Ursprung tötet. Wie sonst hätte es geschehen können, daß sein Einwand gegen Wagner nicht zuletzt ein Einwand gegen den Psychologen Wagner, gegen dessen psychologische Musiktheorie war, die den Ausdruck selbst, die Musik, zu einem Mittel des Ausdrucks entwertete? — Wie sonst auch hätte es geschehen können, daß Nietzsches Kritik an der exakten Wissenschaft, an Mathematik und Physik, sich ausdrücklich gegen die psychologische Begriffsbildung wandte, wie sie etwa in Begriffen wie „Kraft" oder „Atom" ihm vorlag? — Liest man aber 2*

jene späten Aufzeichnungen über Stendhal und seine Schüler, insbesondere über Sainte-Beuve durch, wird man gewahr, wie nahe Nietzsche schon der Einsicht kommt, daß die moderne Welt die Psychologie zuletzt nur als ein Surrogat der Moral benutzt, daß der moderne Psychologe zuletzt nichts anderes darstellt als eine raffiniertere Form des alten Moralisten. Betrachtet man auf diese Zusammenhänge hin gerade Klages, erkennt schon ein flüchtiger Blick, daß je geringer die philosophische Substanz, desto höher der anklagende Zeigefinger erhoben wird. Unbedingt zieht Klages echte Konsequenzen — jedoch aus einem falschen Nietzschebild. Er ist heute das repräsentative Ergebnis einer psychologisierenden Welteinstellung, die Erkenntnis durch Erklären ersetzt (im Gegensatz zur Physik, die beschreibt und zur Phänomenologie, die „auslegt"), die an Stelle der Entdeckung den Verdacht und an Stelle des ursprünglichen Erkennerauftrags die Anklage setzt. Er ist als psychologischer Typus das Ergebnis der allgemeinen psychologisierenden Tendenz der abendländischen Literatur, Erkenntnis und Kunst. Er kann nicht darstellen ohne Hintergrund und Verantwortlichmachen. Er hat Vorläufer und Mitläufer in denen, die Musik als Mittel zum Ausdruck von psychologischen Einfällen, Gefühlen, Stimmungen, Sentimentalitäten oder einer Vielfalt poetischer Gebilde verstehen; er hat Vorläufer und Mitläufer in denen, die alle Begriffsbildungen antiformal, psychologisierend herleiten; den Geist des reinen Zeichens, den Geist der Maske, also den Geist der Geheimnisse nicht kennen. Und seine große, abenteuerliche Konsequenz aus dem Verrat des Geistes an die Psychologie ist, daß er dem Geist seine mächtige, außer25

menschliche Urspriinglichkeit nimmt und das reine Phänomen trübt durch eine hinfällige Anklage, durch den Anblick aus der eigenen Seele, die nichts mehr ohne Jammer hinnehmen kann. Gerade gegenüber der Seele trennen sich Nietzsche und Klages. Hier will Nietzsche Antiromantik, aber Iilages Romantik, hier will Nietzsche Maß, aber Klages Rausch, hier will Nietzsche Härte, aber Klages Traum, hier will Nietzsche Heroismus, aber Klages Hingabe, hier will Nietzsche Macht, aber Klages den Schlaf, hier will Nietzsche die Klarheit, aber Klages das Labyrinth. So erreicht also mit Klages eine allgemeine abendländische Bewegung gegen die reinen Phänomene ihren Höhepunkt. Nicht der Geist hat sich der Seele bemächtigt, sondern die Psychologie des Geistes. Aber die Seele wird durch jede Psychologie getrübt. Rein und ohne Dekadenz, d. h. ursprünglich ist sie in der Kraft, mit der sie dem Außermenschlichen begegnet. Und diese Begegnung vollzieht sich als Geist. Durch die Seele, durch den Leib wird man Einzelner, Volk oder Rasse, aber groß als Einzelner, als Volk, als Rasse wird man durch die Macht, mit der die Seele, der Leib dem Außermenschlichen, dem Geist begegnet. Denn alles wächst durch Feindschaft und Furcht, und gefürchtet wird in Geist und Erkenntnis das Außermenschliche. Was hätte weiterhin die Konsequenz sein müssen? — Die letzten Folgerungen aus der seit Luther, Goethe, Schopenhauer, Nietzsche, Spengler und Benn sich vollziehenden philosophischen Stilbildung zu ziehen und zu einer wunderbaren Musikalität, gleich welcher Tonart, zu kommen, um den Gesang des echten Pan, den dionysischen Rhythmus unserer Existenz zwischen Leib und Geist auch im Wort einzufangen. 26

Was aber wurde daraus? — Ein seltsames Gemisch von Schachtelsätzen, das fortwährend Pathos und Banalität verwechselt, das allenthalben die Unmusikalitäl des Philosophen beweist und in der jüngsten Selbstdarstellung die ein wenig pompöse Wiederkehr des alten philosophischen Zopfes feiert und noch hin und wieder zu der Meinung verführen möchte, als sei das gute und schöne Deutsch gegeben in einem Minimum der Verwendung von Fremdworten. Wirklich, wenn der Stil etwas beweist — und trotz seiner ausdruckswissenschaftlichen Begründung hat dies Klages übersehen —, so ist es der innere Vorgang des Philosophierens, und bei Klages verrät er die Flucht vor der eigenen Konsequenz. Er zieht aus dem beinah dichterischen „Kosmogonischen Eros" keine menschlichen, geistigen, seelischen, künstlerische Konsequenzen, sondern ganz einfach systematische, wissenschaftliche, um nicht zu sagen wirtschaftliche. Und bedient er sich auch noch des Systems, nämlich des schönen Satzes, daß der Leib der Seele Ausdruck sei, so ist doch die Schwinge, die einst zum Flug anhob, sinnlose Schönheit geworden — denn sie fliegt nicht mehr, sie flattert. Was Seele, tiefe Seele hatte werden sollen, endigt in einem Lehrbuch der Schriftdeutung, das jeden Bankier davor bewahrt, einen unzuverlässigen Kassierer einzustellen. Ist das das Leben? — Nein, — aber es ist gut, daß alle deuterischen Ausdruckswissenschaften nicht nur etwas über das Objekt, sondern auch über das Subjekt, den Deuter verraten, und so wird bei Klages die Abwendung vor einer Wirklichkeit offenbar, die zu verkünden man sich einst anschickte. Denn diese Wirklichkeit hätte Naivität, nicht Tragö27

die, hätte Humor, aber nicht Ärgernis, hätte Erstaunen, aber nicht Verzweiflung, hätte Epik, nicht angewandte Wissenschaft werden dürfen. Er hätte, wenn er schon flüchtet, sich in der Musik, aber nicht in der Dogmatik verbergen dürfen. Aber wie kann, wo die Musikalität fehlt, dort Humor vorhanden sein? Dogmatik und Musik bilden genau solche Gegensätze wie Dogmatik und Humor — der Dogmatiker kann keinen Humor haben, der Witz bedeutet seinen Untergang. Und davon abgesehen, daß diese Dogmatik ihn zu einer falschen Popularität verführte — die so leicht in ein tödliches Vergessen umschlägt —, drängt sie den Antisophen in eine logische Mechanik, in den Bereich dessen zurück, was er eben noch verdammte. Und in ihr folgt das Urteil über einen Menschen — sofern Klages glaubt, ein Recht zu solchem Urteil zu haben und davon leben ja alle Psychologen — nicht mehr aus der sinnlich-geistigen, d. h. existentiellen Unmittelbarkeit der Person, sondern aus der Mittelbarkeit eines Surrogats, das durch den Namen „Symbol" oder „Bild" geheiligt, zu einer Realität gemacht, durch Begriffe wie „Determination" oder „Metaphysik der Persönlichkeitsunterschiede" zu einem echten wissenschaftlichen Gegenstand erhoben werden soll. Klages glaubt also, trotz seiner unablässigen Seelsorge, an das mechanische Prinzip der Ersetzung durch Zeichen, ja glaubt sogar, daß es Zeichen f ü r das menschliche Totalphänomen geben könne und steht dennoch unbeugsam in seinem Haß gegen das ontologische Sein? — Oder soll sich der Wiederaufbau der „Bilder", von dem er so viel spricht und die durch die angeblich rein mechanische Wissenschaften der Analysierung der Gegebenheiten zerstört wurden, in einem 28

Akt des Abbaus unmittelbarster Realitäten, in einer systematisierten Seele vollziehen? — O große Lust des Widerspruchs, wenn dahinter nicht eine ungeheuere Sekunde abendländischer Verzweiflung stünde! — 0 seltsame Schönheit des Gedankens, als Philosoph außerhalb seiner Gesetze zu sein, wenn keine Flucht vor der eigenen Konsequenz zu dieser Eleganz verführte. Alle uralten Einfältigkeiten der Menschen, einmal ganz in der inneren Ruhe und Gleichförmigkeit eines Kristalls, eines Flusses, eines Raumes zu sein, rächten sich; denn immer fiel etwas wesentlich Menschliches ab, wenn man dieser Sehnsucht nachhing oder aber man bestand in der existentiellen Lüge. Denn den Menschen kann man gar nicht synthetisch genug betrachten — und selbst die Aufweisung seines existentiellen Paradoxons bedeutet schließlich noch eine Synthese zur Idee des Menschen. „Einfach dasein", das kann man ohne Geist, ohne diese Unruhe, die uns vor die dauernde Aufgabe, vor das dauernde Erlebnis stellt, aber Mensch sein im Sinne von „Existenz-sein", das kann man nicht ohne Geist, nicht ohne Leidenschaft, die nur in seltenen Augenblicken und in seltenen Exemplaren zur Geselligkeit kommt und deren Vollendung in der Erscheinung wir Genie zu nennen gewohnt sind. Und untergehen im Verleiblichen eines großen Bildes, im Berauschtsein eines einheitlichen Lebensstromes, das kann man auch ohne Geist, aber diesen Leib vergöttlichen, indem man sein Äußerstes fordert — und das eben ist, ihn beständig vor die Gewalt des Geistes zu stellen —, das kann nicht ohne Leidenschaft, nicht ohne Geist geschehen. Denn der göttliche Leib ist der, der das Unendliche umspannt, und das kann ohne die Leidenschaft des 29

Denkens, d. h. ohne die Intensität eines gefährlichen Denkens, niemals geschehen; der göttliche Leib ist also der, der nicht mehr nivelliert werden kann, weder durch einen Befehl, noch durch ein Dogma; der Maßstab geworden ist für das, was Nietzsche das große „Hinauf" nannte. So kann man Tier, Stein, Pflanze sein im Strome eines reinen Daseins, im Aufstieg und im Sein einer „Wirklichkeit der Bilder", aber „Mensch" sein im großen Sinne, mit der Perspektive der Genialität, mit dem Schicksal des Einzelnen, mit dem Recht eine ganze Zeit, eine ganze Kultur für sich in Anspruch zu nehmen, das kann man nur im Ertragen dieser Leidenschaft der Fruchtbarkeit und Furchtbarkeit der existentiellen Paradoxie zwischen Geist und Vitalität. Denn Tier und Pflanze haben, wie der Begriff Üxkülls lautet, immer nur Umwelt, und auch der Mensch hat genau noch so viel Umwelt, als die Erkenntnis — nach einem Wort Nietzsches — zur Vervollkommnung des Leibes reicht; aber in den großen, den existentiellen; Exemplaren, in den starken Naturen, deren Leidenschaft nicht einfach der billige Klagessche Orgiasmus, sondern jene Macht der Einsicht in die eigene Unendlichkeit ist, deren Wesen darin besteht, aus der Fülle des Leibes und der Fülle des Geistes die Erkenntnisse wie Gesetze zu sagen, bemächtigt sich der Mensch des absolut Außermenschlichen — des Außermenschlichen, das kaum noch im Wort eingefangen werden kann und darum ängstigt, darum mit Tödlichkeit berührt. Dieser Geist der Erkenntnis als eines bedrohlichen, existentiell gefährlichen Außersichseins ist es, der unablässig die existentielle Dekadenz entlarvt, der den Menschen züchtet, bis er der Idee seiner selbst immanent ist. Denn gibt man sich auch nur eine einzige 3o

Sekunde lang den Anschein, als befände man sich als Erkennender außerhalb der fundamentalen Paradoxie, so ist man nicht nur als Geist in der Läge, also in der Unwahrheit, sondern auch — und das allein nennen wir die totale menschliche Dekadenz — als „Wesen", als „Seiendes" außerhalb seiner Idee, unterhalb seines Niveaus. Was also bedeutet die Klagessche Philosophie? — Was also bedeutet ihre Kritik des zeitgenössischen Abendlandes? — Eine Lehre, eine Anleitung dem Realismus der menschlichen Existenz zu entgehen und entweder in einer allgemeinen Nivellierung oder aber in der Fragilität einer Verzweiflung zu sein. Beide Fälle werden die Paradoxie unseres Wesens nicht mehr begreifen, beide Male wird ein einheitlich Eines angebetet, Geist oder Leben, und hier ist man in der Antithese Kirilows, dessen Atheismus insgeheim die Offenbarung erwartet und dort in Hiobs Zorn, der erst die Widerstandslosigkeit zum Genuß erhebt und dann die Gnade erduldet. Damit aber wird auf einmal der große Initiator, auf dessen Beispiel man sich mehr als einmal berief, plötzlich geleugnet, damit wendet sich Klages ab von Nietzsche, den man zu sich selbst, d. h. zu den Lebensphilosophen rechnet, weil er auch von Dionysos, auch von Heraklit gesprochen hat. Auch bei Nietzsche ist in jedem Augenblick Kulturkritik und Geistkritik vorhanden — aber in keiner Sekunde um jener willen, deren Behagen durch ein Zuviel an Geist gestört wird. Nie wird aus der Kritik ein Zug der Sehnsucht, ein Zug des Heimwehs, immer befindet sich diese Kritik in der Leidenschaft seines eigenen Existierens, in der Mitte des faktisch nur-mensch3i

liehen Realismus, sei es auch eines zerfallenden, satanischen und tödlichen. Klages nivelliert, wo Nietzsche angreift; Klages verrät, wo Nietzsche ringt. Aber in einem Verrat geht man unter, in einem Ringen über sein Niveau. Und Nietzsche kritisiert, greift an nur das ontologische Zwiegespräch zwischen Leib und Geist, nicht den Geist als solchen. Freilich, indem es für ihn am meisten am Willen zur Macht auszusetzen gibt, dessen Sein der Züricher als an das reine Ich geheftet und als essentiell zerstörerisch definiert, bemerkt er, daß man mit dem großen Fährmann Nietzsche keineswegs so einfach zu den Bachofen und Carus hinaussteuern kann in eine so schön gedeutete Welt, die sich mythisch gibt. Alle Härte fällt ab von Klages. Das Weiche, das Schwermütige, nicht das Mutige, das versteckte christliche Ressentiment mit umgekehrtem Vorzeichen beginnt seine Herrschaft, und was Triumph hatte werden sollen, wird Haß — und der tötet jede Form von Größe. Nicht nihilistisch gibt sich der Züricher, höchstens pessimistisch. Und dieser Pessimismus bringt keinen ganzen Mut mehr auf zur Anarchie, höchstens noch einen Mut zur Stille, zum Schlaf. Aber gehören nicht mehr Mut und Kraft, Tiefe und Lebendigkeit zu einem „Willen ins Nichts", als einem Willen zur Stille? Denn das Nichts bedarf doch noch der Verwirklichung, dem sich die Macht des Seins widersetzt, aber die Stille, die Lähmung ist nichts mehr als eine wohltuende Selbstverwundung der Müden. Was ist das für eine Schülerschaft, die dahinter die maßlose Wirkung eines Nietzsche vermutet? — Was sich zeigt ist, daß zwar da und dort die Wahrheit 32

eines Wortes Nietzsches im Werke Klages bestehen bleibt, daß aber die Wahrheit des Geistes, die totale Wahrheit, die Wahrheit seiner Existenz, und diese bestimmt sich immer nur aus dem individuellen Verhältnis von Geist und Vitalität, daß diese Wahrheit seiner Existenz also bei Klages aufgehoben wird. Epigone wird, wer nachplappert, Nachfolger aber nur, wer durch die Wahrheit des Wortes zu der Wahrheit des Geistes, zur Wirklichkeit seiner Existenz als der einzig für ihn möglichen gelangt, und diese Wahrheit des Geistes oder Wirklichkeit der Existenz kann sogar durch die Aufhebung der Wahrheit dieser oder jener Worte des Meisters eingesetzt werden. — Denn die Wahrheit eines Geistes, die Wirklichkeit seiner Existenz, wie sie aus dem echten Werk heraustritt, ist beinah die Wahrheit der Welt, die er geschaffen haben könnte, aber die Wahrheit eines Satzes kann immer noch der gelinde Irrtum eines einzigen Zusammenhanges dieser möglichen Welt bedeuten. Und die Wahrheit des Geistes Nietzsches, die Realität seines Existierens ist die Beschwörung der Nacktheit der menschlichen Existenz als mögliche Macht vor der anderen der Welt. Aber die Wahrheit des Geistes, aus dem Werk Klages' gehoben, der metaphysische, der existentielle Sinn seiner Seelsorge also, ist gerade die Aufhebung dieses Existierens als eines unaufhörlichen Bestimmtseins und Selbstbestimmens der Individualität aus dem Verhältnis von Geist und Vitalität, ist die Beschwörung der Seele aus der Verdammnis der realen Paradoxie unserer inneren Realität mit einer Geste, die der Welt alle Macht zurückgibt, weil sie ihrer müde wurde und weil sie den Augenblick der abgründigen Angst dieses Zustandes nicht ertragen kann. 3 Anti-Klages

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Daß also Nietzsche als Geist eine Realität, keine bloße Literatur bedeutet, wurde zuletzt von Klages ohne Bedeutung hingenommen, wenn nicht übersehen, wie das bei allen geschah, die Nietzsche — aus Furcht vor der Realität — zu dem „Versuch einer Mythologie" mißbrauchten, und die die Aufgabe der Auslegung dahin verstanden, die Zweideutigkeit seines Pathos durch Lyrismen zu verwässern, also die Verführung aus der Sprache — die selbst schon, wie bei Sokrates oder Kierkegaard, Akt der Philosophie ist — aufzuheben. Ist es auch bei Klages keine Lüge durch die Philologie, so doch eine Lüge durch die Philosophie, wie wir noch sehen werden. Aber innerhalb einer solchen ist die Berufung auf Nietzsche vielleicht nur die Form einer — Eitelkeit. IV E s hat hier die Frage zu folgen, ob die Unwahrheit seiner philosophierenden Existenz bei Klages sich unmittelbar als eine Unwahrheit, ein Unrecht des Geistes darstelle. Das muß zunächst bejaht werden, wie wir schon bemerkten, für seine Berufung auf Nietzsche. Man darf sich in einer Forderung, in einer philosophischen Realität nicht auf die Wahrheit von Worten dieses oder jenes vorangehenden Geistes berufen, sondern nur auf die Wahrheit eines Geistes, einer inneren Realität, einer Existenz. Ein subtiles philosophisches Gewissen entscheidet darüber — aber man muß Philosoph sein, um es zu besitzen. Klages muß wesentliche Teile von Nietzsches Werk nicht nur übersehen, er muß sie und damit ein Stück 34

der dahinter stehenden schöpferischen Existenz aufheben und zugleich sich selbst vor gewissen seiner Konsequenzen bewahren. Was existentiell in der Unwahrheit ist — ist als philosophische Realität schon aufgehoben, kann nicht als Geist in der Entscheidung sein. Keineswegs darf das zu der Meinung verführen, als ob das Werk Klages' in seinen Grundsätzen Irrtümer enthielte, auf die hinzuweisen wir uns anschicken. Von logischen Widerlegungen hängt eine philosophische Existenz, hängt eine Forderung überhaupt nicht ab. Erst kürzlich wurde eine solche Art der logisch-systematischen Widerlegung von Hugo Bendick, einem Franziskaner, vorgenommen. Aber so viel Mühe und Scharfsinn dieser Logiker auch verwandte, Klages wurde als philosophierende Existenz kaum ernstlich gefährdet, und das liegt daran, daß zwischen zwei Dogmen nicht die logische Lüge, sondern die existentielle Lüge entscheidet, daß zwischen zwei Dogmen nicht der Beweis, sondern der Grad der Macht, nicht die Wahrheit des Wortes, sondern die Konsequenz aus einer Alternative entscheidet. Aus der inneren Deduktion seines Werks, aus dem möglichen widerspruchsvollen Verhalten dieser oder jener seiner Sätze ist also gegen Klages gar nichts auszurichten. Zwischen Geist und Leben besteht tatsächlich rational genommen nichts anderes als eine Aporie, wie Hartmann es nennt. Aber wie man sich existentiell in dieser Aporie verhält, das ist wesentlich, das ist für den Geist oder für die Vitalität, das ist für die ganze menschliche Existenz von größter Bedeutung, denn dadurch vollzieht sich die Alternative. Und durch nichts gelangt nun Klages falsches existentielles Verhalten zu dieser Aporie so deutlich zum Ausdruck, als durch die 3'

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Tatsache, daß er sich — geistig genommen — fortwährend in seiner Gegenständlichkeit irrt. Mit der Seele verknüpft Klages ontologisch das Werden, die Wandlung in der Zeit. Mit dem Geist aber verknüpfte er stets das Sein, das identisch eine, und historisch hat er den Gegensatz dahin zugespitzt, daß er Heraklit gegen Parmenides ausspielt. Denn Gegenstand seiner Ontologie — wenn er gestattet, so zu sagen — ist nicht mehr das alte Eidos, nicht mehr die Idee, das Wesen, sondern das Vordergründige, die Erscheinung, und diese aber sei, so sagt er, stets heraklitisch, stets dynamisch, stets im Fluß. Davon abgesehen, daß seine Methode also die Möglichkeit der Sinnestäuschung wohl dann selbst zu einem Weltphänomen erheben muß, heißt das, alles Begriffliche sei tot, sei stehend und müsse daher, auf die Wirklichkeit der Erscheinungen angewendet, auch diese töten, und der Geist habe, indem er Erkenntnisgeist wurde und als akosmische Macht die Wirklichkeit der Erscheinungswelt, der Lebendigkeit, der Seele oder der Leibhaftigkeit zerstörte, habe also damit den „Abbau der Bilder", des Wesens der Weltentiefe, vollzogen. Geist wird also Schuld und ist begriffen als ein unendlich am Leben interessiertes Phänomen, dem sich auch Klages — und das ist eben die existentielle, nicht die erkenntnistheoretische Lüge seines Werks — nicht ohne Aufgabe seiner menschlichen Daseinsaspekte entziehen kann. Klages gibt zu, daß der Streit zwischen Sein und Werden uralt ist, nur daß er sich in seiner Lehre existentiell, kulturphilosophisch, kulterpessimistisch bzw. kulturnihilistisch darstellt und er als Beweis leider nicht mehr anführen kann als das Uralter einer denkerischen Schwierigkeit. 36

Interessant ist gegenwartsgeschichtlich dabei nur, das Klages selbst einer Epoche entstammt, die seine Problematik in neuester Zeit erst wieder in das Blickfeld der Philosophie rückte, nämlich jener Epoche, die durch die Wirksamkeit der Bergson und Maritain innerhalb des französischen Geistes ausgezeichnet war. Nicht aus Interesse an historischen Begründungen setzen wir das hierher, sondern wegen einer bedeutsamen Paradoxie. Bergson vertritt Heraklit, das Werden, die Irrationalität; Maritain aber vertritt das Prinzip der Ordnung, der Hierarchie. Bergson anerkennt aber immer noch das geistige Prinzip, und wo er Kritiker ist, richtet er sich nur gegen die Methode. Aber Maritain, der Vertreter der platonisch-hierarchischen Ordnungsidee stimmt wie Klages in den allgemeinen Gesang vom Untergange der Kultur ein, obwohl er, ontologisch gesehen, doch den antiklagesschen Standpunkt vertritt. Immerhin rückt Klages auf diese Weise in die verdächtige Nähe des Neuthomisten, und es ist ersichtlich, daß die ganze Aporie zuletzt nur existentiell entscheidende Lösungen, aber keine rational entscheidende Lösungen kennt. Die existentielle Paradoxie zwischen Geist und Leben stellt die Existenz vor die dauernde Alternative — die Lösung aus dem Gegensatz von Leib und Geist bedeutet also keine logische, sondern eine existentielle, mit Heidegger gesprochen, eine fundamentalontologische Entscheidung, eine Wahl des eigenen Schicksals. Was beweist das? — Nichts natürlich gegen die Logik, die innere Wahrheit der einzelnen Sätze oder Thesen bei Klages, aber alles gegen die gesamte Wahrheit seines Geistes, seines Existierens. 37

Klages fragt gar nicht danach, was „Sein" ist, als was in einem essentiellen Sinne es zu begreifen, zu verstehen wäre, wie es die Natürlichkeit eines Geistes aber verlangt, sondern von vornherein definiert er das „Sein" als einen Gegensatz zum „Werden", bestimmt er es als verächtlich und apodiktisch und dogmatisch, wie er vorgeht, und d. h. wie kurzsichtig in die Dinge und ihren Zusammenhang er blickt, übersieht er den einzig möglichen Ansatz, den Heidegger aufwirft, wenn er nach dem „Sinn von Sein" fragt, wenn er erkennt, daß ja das Sein in Wahrheit der „dunkelste aller Begriffe" sei. Hätte Klages die Frage gestellt: Was ist das „Sein"? — und hätte geantwortet: das „Werden"! — dann wäre er nicht aus einer ontologischen Theorie zu einer dogmatischen Zuspitzung gekommen. Er erkennt zwar die Kraft der Interpretation, diese Möglichkeit einer Macht über die Dinge der Welt aus der Idee des Menschen, aus der Idee der Erkenntnis — aber seine Interpretation gibt der Welt keine Freiheit und gibt sie dem Menschen noch viel weniger. Gerade also indem Klages nach einer ontologischen Vertiefung seiner nivellierenden Dogmatik über die menschliche Seele sucht, verfälscht er seinen Ansatz, bricht er den anfangs freien Flug und biegt eine Problematik uralter Ontologie zurecht, zurück, übersehend, daß sie sich soeben zu klären begann. In der Wahrheit seines Geistes, in der Konsequenz des Werks ist also Bergson dem Züricher Philosophen weit überlegen. Und damit hängt ein weiterer höchst merkwürdiger Zustand der Konsequenz zusammen, der sich bei Klages bemerkbar macht. Die Konsequenz Bergsons bestand darin, die physi38

kaiische Naturwissenschaft als Lehre des Verharrenden abzulehnen und durch seinen Schüler Jacques Chevalier als das einzig mögliche Objekt der Wissenschaft aus der Idee seines Philosophierens, einer Philosophie des Werdens, die „Geschichte" abzuleiten, weil nur in dieser kein Augenblick identisch mit dem anderen sei. Was aber geschieht bei Klages? — Niemand verkündet lauter und pompöser die Idee des Werdens. Aber die Konsequenz, die — nach einer Wissenschaftskritik, die obendrein mit Schatten kämpft, wie wir sehen werden — gezogen wird, ist die Begründung der Ausdruckswissenschaften, die sich gerade auf die Idee des „Seienden", auf die Möglichkeit „identischer Fälle", auf die Starrheit physiognomischer Typik stützt. Wer in diesem Chaos zwischen Konsequenz und Lüge besteht, kann gar nicht anders, als fortwährend dem Realismus der Dinge entfliehen. Nur eine Beschwörung mythosbildender Vergangenheit kann seiner Philosophie gelingen. Er möchte in der Kritik sein, aber besteht nur in der philosophischen Gewissenlosigkeit, er möchte in der Prophetie sein, aber gelangt nur in die Reflexion über eine gewiß große und schöne Welt pelasgischer Herkunft. Solche philosophische Existenz ist umgekehrte Prophetie, nur ausgezeichnet durch eine selbstquälerische Erinnerungsglut. Immer geht der Weg zurück; bei allem, was gedacht wird, stiehlt sich die Verzweiflung jenes Gedankens in die Deduktion, der durch sein eigenes Heimweh nicht von der Stelle kommt. Im Grund ist er kein Schaffender, kein Erkennender, nur der Träger einer welthistorischen Erinnerung. Daher immer wieder jener unselige Kampf mit 39

Schatten, den er führt, um sein philosophisches Heimweh zu rechtfertigen. Er definiert das „Sein", nein, er gibt ihm einen Namen mit verächtlichem Klang, ohne vorher eine klare Seinsfrage herausgearbeitet zu haben; er möchte mit einer Handbewegung die ganze Ontologie der Vergangenheit fortwischen, aber bleibt zuletzt ihren Fehlern verhaftet. Er schöpft aus einer uralten ontologischen Kontroverse, die nicht mehr besteht und die eben mit Heidegger und Hartmann begann, ihren antithetischen Ursprung zu überwinden. Er bekämpft einen Geist, der dieser Geist nicht ist, sondern von ihm erst aus der Gleichsetzung von Geist und Methode definiert wird. Indem er das Sein bestimmt als Verharrung, als ungeheuere Mechanik, als „Sein als Geist" oder als „Sein des Geistes", nimmt er ihm jedes Bild, jede noch deutbare Dunkelheit und zwängt alles erst in eine Formel, die er schafft — um sie zu bekämpfen. Denn Geist ist nicht Methode, Geist selbst ist unfaßbar wie die Musik selbst unfaßbar ist und niemals mit einer Folge von Tönen gleichgesetzt werden kann. Der Antisoph macht also erst das „Sein" zu jener Rationalität, die ihm seinen Kulturpessimismus, seine nivellierende Antithese der Stimmung und Dekadenz mit einer — sonst so abgelehnten — Ontologie unterbauen hilft. Klages ist einfach nicht über das mechanische Weltbild — das freilich bestand — hinausgekommen. Noch immer besteht er im Ärger über die Mach und Häckel — wo eine freie Forschung längst über deren Grundlegungen hinweggeschritten ist. Er spricht von einem „Maschinalismus" innerhalb des physikalischen Weltbildes der Moderne, weil er 4o

noch nichts davon gehört hat, daß die „Modellphysik", die das „Wirkliche" nach Analogie eines Modells entwirft, gänzlich überholt ist und nur noch in den Physikbüchern der Schule besteht. Er glaubt noch immer, daß die Physiker darauf Innausgingen, jenen „Laplaceschen Dämon" zu verwirklichen, der an Hand einer einzigen Formel den Lauf der Welt, Glück und Schmerz der Seelen und Gestirne beherrschen könne. Denn Klages kennt nicht jene Arbeiten der Heisenberg, Bohr, Jordan und Herrmanns, die mit voller Sicherheit von den prinzipiellen Schranken der Naturerkenntnis sprechen dürfen, er kennt nicht jene feinen und tiefen Untersuchungen der Dirac, Weyl und Schrödinger, die die Notwendigkeit aufwiesen, die Idee des Mechanischen in ihrem deuterischen Geltungsbereich zu beschränken und hat noch nichts von den Arbeiten Jordans über die Zusammenhänge zwischen Biologie und Quantenmechanik gehört, darin dargelegt wird, daß das Lebendige das Akausale, das Amechanische sei und darin mit den feinsten Ordnungssystemen der Materie übereinstimme. Er kennt nicht jene „Relationen", die die begriffliche Herrschaft mechanischer Modelle einschränken, ihnen den Wert von Analogien einräumt und niemals wieder eine rein mechanische Weltauffassung möglich machen werden, und selbst jene Experimente sind ihm unbekannt, die den Schöpfungsrhythmus der Materie aus gewissen, kaum verständlichen Vorgängen in den Kerngebieten der Atome entdecken lassen. Wurde das moderne Weltbild auch mathematisiert, so doch nur, um eine große platonische Ordnung unter dem Sichtbarlichen einzusetzen, aber nicht, um Maschinen zu bauen, nicht um Profite zu berechnen. Und 4i

daher sagt Eddington mit Recht, daß das moderne mathematisierte Weltbild nichts mehr von der alten Dogmatik des mechanischen, des maschinalistischen an sich hat. In diesem „ganzheitlichen Weltbild" — wie Philipp Frank es nennt — ist der Geist der Erkenntnis tausendmal weniger papistisch und dogmatisch — also erstarrt — als wie in dem angeblich beschworenen pelasgischen Weltbild der „Bilder", das man mit sektenhaften Mitteln sich durchzusetzen bemüht. Und beruft er sich hier auf Nietzsche (und er hat es getan), so verschwieg er mehr, als er anführte. Denn man kann leicht den Nachweis führen, daß Nietzsche zwar gegen jede Art metaphysischer Weltbetrachtung mit theologischen Mitteln vorging, daß er aber als das einzige Mittel dagegen die „formalistische" Weltbetrachtung nannte. Man kennt den Satz: „eine antimetaphysische Wissenschaft, jawohl, aber dann eine artistische." Und diese artistische Weltbetrachtung hat er bis ins kleinste der Idee nach der modernen Durchführung vorweggenommen. Man lese doch nur einmal jene Abschnitte im „Willen zur Macht" oder den erkenntnistheoretischen Teil des „Nachlasses" nach, und man wird Äußerungen über die Physik, über Kausalität, über wissenschaftlichen Weltausdruck usw. finden, die genau den modernen physikalischen Bemühungen entsprechen. Was aber den Generaleinwand Klages betrifft, daß durch diese moderne physikalische Weltbetrachtung der Verrat des Menschen durch den Geist am deutlichsten einsetzte, so ist auch hier seine Berufung auf Nietzsches Geisteskritik hinfällig. Denn Nietzsche erkennt als einer der ersten Abendländer, daß der sublimste Erkenntnisgeist auch ein Mittel der Züchtung, 4a

aber nicht nur eine Erscheinung der Dekadenz ist, wie Klages meint. Er vollzieht in mannigfachen Äußerungen die existentielle Reduktion des Erkenntnisgeistes, der Wissenschaften im modernen Sinne, indem er etwa bemerkt, daß nur „schwache Rassen" an einem konsequenten mechanisch-wissenschaftlichen Weltbild zugrunde gingen. Gehört Klages nicht zu dieser schwachen Rasse im Geiste? — Seine vitale Existenz mag durch den Geist bedroht sein, sie mag vor der Reife des modernen Erkenntnisgeistes zugrunde gehen, aber das besagt nichts gegen diesen Geist, aber alles gegen ihn, dessen vitale Kraft der Macht des Geistes nicht gewachsen ist. Nietzsche betonte einmal, er wolle es dahin bringen, daß es „der heroischen Stimmung" bedürfe, um sich der Wissenschaft hinzugeben. Damit entwirft er in klassischer Weise das Bild einer durch die Erkenntnis, durch die Mittel des Geistes züchterisch wirkenden Wissenschaft — auf das Klages sich in keiner Weise berufen kann. Er nämlich bedarf zur Durchführung seiner Welt nur des Einsatzes nivellierender Mächte, jener, die im Schlaf ihre Vollendung erfahren. Man kann den Geist nicht nur außerhalb des Seins, außerhalb des Menschen begründen; sofern aber der Geist ein innermenschliches Faktum ist, bringt er neben der menschlichen Vollendung auch die Abscheidung dessen, was nicht der Idee Mensch dienen kann, bringt er neben dem Glück auch den Schrecken. Denn der Geist der Zeichen und Symbole, in denen man heute die Vielfalt der Welt einfängt, ist nicht das Symbol, das Zeichen selbst, und der Geist, der die Mittel der Erkenntnis leitet, ist nicht selbst der ganze Geist, ist nicht selbst das Faktum des Geistes — eben43

sowenig wie die unveränderlichen Buchstaben seines Wortes den Geist seines angeblich beschworenen „Kosmogonischen Eros" ausmachen. Denn der Geist der Mathematik liegt in dem Dazwischen, das die Zeichen trennt und die Regeln auseinander bindet. Dieser Geist aber ist unaussprechlich^ ist „klar doch unklärbar", wie es Goethe einst von der Musik Bachs sagte, ist Ordnung und Bewegung. Denn der Geist ist immer wie ein Glanz, und der liegt nicht in den Dingen, sondern über den Dingen. Klages kämpft gegen Schatten. Es sind seine Definitionen, die er einsetzte, um Gegner zu finden. Denn das allein ist das Problem seines Philosophierens. Er ist der philosophische Don Quichotte, der aus einem Reich auszieht, das nicht ist und gegen Dinge kämpft, die auch nicht sind oder nicht eine Sekunde lang eines Kampfes würdig sind. Sicher, ein einziger Schrei der Trauer aus der Tiefe kann mehr sein als eine Wissenschaft — aber wer könnte so noch rufen, und seit wann ist die Wissenschaft der Geist? — Nur der Augenblick der Erkenntnis, nur der Augenblick des Durchbruchs des Schöpferischen ist der eigentlich geistige Augenblick in der Wissenschaft, der Augenblick der Bewegung auf das Außermenschliche zu, in dessen Evidenz die existentielle Angst im Geiste, aber auch die Geburt höchster Leidenschaft beschlossen liegt. Ist also nicht gerade der Geist die Unruhe im Wissen, ist nicht gerade der Geist die Unruhe in diesem Leben, setzt er nicht Wissen und Existieren in die dauernde unendliche Bewegung — und unbekümmert um den Schlaf oder das Wachsein der Seele? — Der Geist ist also grausam, hart, tödlich, aber auch 44

verführerisch, beglückend — und immer züchtend, ausscheidend oder steigernd. Das ist das neue Bild des Geistes derer, die sich jenseits der Alternative „Geist oder Leben" gestellt haben. Man sagt: Schwach ist, wer keinen Sohn nach sich hat oder die Waffe nicht hebt, wenn der Augenblick es fordert; aber schwach ist auch, wer keinen Gedanken zu Ende denken kann, wer nicht Teil hat an der Bewegung durch den Geist und vor jeder begrifflichen Klarheit schon die Vernichtung verspürt und von der Tödlichkeit des Geistes ergriffen wird, wenn die Bilder seiner Alltäglichkeit, die Kategorien seiner Gewohnheit nicht mehr möglich sind vor dem Ansturm der Erkenntnisse. Klages kämpft also gegen Schatten — und damit er diese finde, muß er sie als Gegner erst apodiktisch erschaffen und gebärdet sich dann als Riese, der mit gewaltiger Hand keine kosmische Macht mehr, sondern einen Popanz aus dem alten Spiel der Geister um die Welt hinwegstreicht. Nicht ein Mensch sei gekreuzigt, so wiederholt er in seinem historischen Atem, sondern das Leben; aber indessen er zu seiner Verteidigung sich anschickt, nimmt er dem Leben eine Wirklichkeit und ermöglicht die Rechtfertigung derer, die schon seit Jahrhunderten sich dagegen gewandt haben, sich dem Realismus der menschlichen Existenz zu unterwerfen. Der Antisoph macht aus einer glücklichen Erinnerung eine Metaphysik — und so werden wir ihm gegenüber letzten Endes doch nur das wiederholen können, was Nietzsche einst von Schopenhauer sagte, daß er uns noch einmal ein vergangenes Menschsein oder Selbstverständnis des Menschen vorspielte, nur leider 45

mit gebrochener Flöte, so daß wir wohl hören, aber niemals mitsingen können. Die Echtheit des Philosophierens ist bei ihm verloren — und sie bedeutet ein Nacktwerden der menschlichen Existenz, ein Eingeständnis des großen Dialogs zwischen Geist und Vitalität, ein Eingeständnis der uralten, unvernichtbaren Würde des Menschen, die allein der Tiefe seiner Subjektivität, der Größe seiner metaphysischen Intimität entspricht.