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German Pages 270 Year 2016
Sven Schwabe Alter in Verantwortung?
Alter(n)skulturen Herausgegeben von Peter Angerer, Ute Bayen, Henriette Herwig, Andrea von Hülsen-Esch, Christoph Kann, Ulrich Rosar, Christian Schwens, Shingo Shimada, Stefanie Ritz-Timme und Jörg Vögele | Band 9
Sven Schwabe (M.A.) studierte Soziologie und Politikwissenschaften in Osnabrück und Jena und promovierte am Graduiertenkolleg »Alter(n) als kulturelle Konzeption und Praxis« an der Universität Düsseldorf über politisches Engagement in der dritten Lebensphase.
Sven Schwabe
Alter in Verantwortung? Politisches Engagement im Ruhestand
Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um eine leicht überarbeitete Version meiner Dissertation, die im April 2015 an der philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf eingereicht und von dieser angenommen wurde (Kennzeichnung D61).
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Satz: Mark-Sebastian Schneider, Bielefeld Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3306-1 PDF-ISBN978-3-8394-3306-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt Vorwort | 7 1. Gesellschaftspolitische Verantwortung in der dritten Lebensphase | 9 1.1 1.2 1.3 1.4
Forschungskontext | 9 Fragestellung | 11 Statistische Relevanz und Leerstellen | 14 Auf bau der Studie und Darstellung | 17
2. Methodologische Fundierung und methodisches Vorgehen | 21 2.1 Foucauldian Gerontology | 21 2.2 Das Subjekt und die Macht | 23 2.3 Die Lesbarkeit der Diskurse | 25 2.4 Diskurse in Biografien | 30 2.5 Der Interviewtext als kulturelle Produktion | 31 2.6 Narrative Identitäten | 34 2.7 Das erzählte Selbst und seine Beziehungen | 36 2.8 Erzählen und Handeln | 38 2.9 Das Setting der Erzählung | 39
3. Die methodische Umsetzung | 41 3.1 Gegenstandsbezogene Methodenintegration | 44 3.2 Das Interview: Sampling und Durchführung | 45 3.3 Kurzfragebogen, Memos, Aufzeichnung | 51 3.4 Primärauswertung nach Grounded-Theory-Methodology | 51 3.5 Theoretisches Vorwissen – theoretische Sensibilität | 52 3.6 Kodieren und Vergleichen – Vom Interviewtext zum Modell | 53 3.7 Der Interdiskurs im Interview | 56
4. Die diskursive Wiederverpflichtung des Alters | 59 4.1 Vom wohlverdienten Ruhestand zum produktiven Alter | 59 4.2 Die engagierte Zivilgesellschaft – Von politischer Partizipation und wohlfahrtsstaatlicher Koproduktion | 79 4.3 Der Wiederverpflichtungsdiskurs am Beispiel von Modellprogrammen | 94 4.4 Bürgerschaftliches Engagement im Alter: Eine halbierte Aktivierung | 107
5. Politisches Engagement im Ruhestand: Die Konstruktion der Mitverantwortlichen Subjektivität | 111 5.1 Die Generationenlagerung der Interviewten | 112 5.2 Das Politische im Interview | 114 5.3 Der Ruhestand im Interview – Das Nacherwerbsleben zwischen beruflicher Entpflichtung und überpersönlicher Verantwortung | 124 5.4 Das Modell nachberuflicher Verantwortungsübernahme | 136 5.5 Ausprägungen der Mitverantwortlichen Subjektivität – Idealtypische Darstellung | 146 5.6 Typen der Mitverantwortlichen Subjektivität – Fallbezogene Darstellung | 159
6. Mitverantwortliche Subjektivität im Spiegel des Wiederverpflichtungsdiskurses | 187 6.1 Explizite Statements zur Wiederverpflichtungsrhetorik | 188 6.2 Implizite Hinweise auf Elemente des Wiederverpflichtungsdiskurses | 192 6.3 Der Diskurs im Interview | 210
7. Alter in Verantwortung? | 213 7.1 Politisches und Bürgerschaftliches Engagement | 215 7.2 Bürgerschaftliches Engagement im Ruhestand – der lange Atem der Erwerbsarbeit? | 217 7.3 Ruhestand als Engagementpotential? | 219 7.4 Das Alter zwischen Heterogenität und Normierung | 221 7.5 Politische Diskurse in Biografien | 224 7.6 Der Wiederverpflichtungsdiskurs im Interview | 229 7.7 Die Responsibilisierung des Alters – Ein Ausblick | 235
Literatur | 239
Vorwort
Das vorliegende Buch ist die leicht überarbeitete und gekürzte Fassung meiner Dissertationsschrift, die im April 2015 an der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf angenommen wurde. Obwohl letztlich nur mein Name auf dem Deckblatt zu lesen ist, wurde das Projekt von einigen Institutionen und vielen Menschen mitgetragen. Sie sollen auf dieser Seite sichtbar werden. Auf institutioneller Seite steht zunächst die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf auf der Dankesliste ganz oben. Ihre Einrichtungen haben mich intellektuell, kulinarisch und strukturell über drei Jahre hinweg zuverlässig und hochwertig versorgt. Finanziert wurde die Promotion vom universitätseigenen Graduiertenkolleg »Alter(n) als kulturelle Konstruktion und Praxis«, welches nicht nur den organisatorischen Rahmen bereitstellte, sondern durch das vielseitige Begleitprogramm eine produktive und intellektuell anregende Arbeitsatmosphäre schuf. Dank gilt allen am Graduiertenkolleg beteiligten HochschullehrerInnen, DoktorandInnen, KoordinatorInnen und Studierenden, sowie in besonderem Maße Prof. Dr. Andrea von Hülsen-Esch, Prof. Dr. Shingo Shimada und Christoph Winnefeld, die durch ihr außergewöhnliches Engagement einen besonderen Anteil am Gelingen des Projektes haben. Für die intellektuelle Unterstützung möchte ich mich recht herzlich bei den beiden Betreuern und Gutachtern meiner Dissertation, Prof. Dr. Shingo Shimada und Prof. Dr. Ulrich Rosar, bedanken. Ihre wohlwollende und konstruktive Kritik hat zahlreiche Reflektions- und Überarbeitungsschleifen in Gang gesetzt, zur Präzision angespornt und mich aus einigen gedanklichen Sackgassen herausgeführt. Aber auch für persönliche Ermutigungen, Bestärkungen und die ausgestrahlte Zuversicht bin ich insbesondere Prof. Dr. Shingo Shimada zu Dank verpflichtet. Hilfreiche Hinweise habe ich außerdem in den DoktorandInnen-Kolloquiuen meiner beiden Betreuer erhalten sowie in dem Forschungskollquium unseres Graduiertenkollegs. Hier möchte ich mich bei allen MitstreiterInnen
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für gelebte Kollegialität, solidarische Unterstützung und lebendigen Austausch bedanken. Auf dem bisweilen steinigen und mühseligen Pfad von der ersten Projektskizze bis zur fertigen Dissertation haben mich viele liebe Menschen begleitet und mir nicht nur wertvolle Tipps, sondern auch Kraft zum Weitergehen gegeben. Ein großes MERCI geht raus an Fabian Anicker, Max Bolze, Valeska Cappel, Marie Gunreben, Katrin Hemmrich, Bastian Holtkamp, Steffen Höppener, Lena Kleine-Börger, Moé Mato, Vera, Friedrich, Sandra und Jens Schwabe. Ihnen, und allen, die mein Leben in diesen drei Jahren bereichert haben, möchte ich dieses Buch widmen.
1. Gesellschaftspolitische Verantwortung in der dritten Lebensphase
1.1 F orschungskonte x t Es gibt gegenwärtig kaum eine soziologische Veröffentlichung über das Alter, die nicht das gestiegene gesellschaftliche Interesse an der Nacherwerbsphase konstatiert. Alter scheint – zumindest seit einigen Jahren – wieder in aller Munde zu sein. Seit der Rentenreform von 1957 und der damit verbundenen Schaffung eines materiell abgesicherten Ruhestandes galt das Altersthema in der Bundesrepublik lange Zeit sozialpolitisch als abgearbeitet. Die Altersarmut, welche nach dem Zweiten Weltkrieg die Diskurse über das Alter prägte, wurde sukzessive zurückgedrängt und mit Ausnahme einiger Fachwissenschaftler_innen schien sich kaum jemand ernsthaft für die dritte Phase des modernen Lebenslaufes (Kohli 1985) zu interessieren. Die Alten jener Tage hatten sich – so das Rechtfertigungsmuster des institutionalisierten Ruhestandes – durch ihre Arbeitsleistung in mittleren Jahren das moralische Recht auf einen von Erwerbstätigkeit befreiten Lebensabend verdient und durften wohlverdient zurücktreten. Sie hatten ihren Dienst getan und waren von gesellschaftlichen Produktivitätserwartungen weitgehend ausgenommen. Wer heute die Zeitungen aufschlägt, digitale Medien verfolgt oder sich gar die Mühe macht, Parteiprogramme oder Regierungserklärungen zu lesen, kommt um das Altersthema kaum herum. Der demografische Wandel ist zu einem der prominentesten Krisendiskurse der Gegenwart aufgestiegen und allerorts lachen aktive und engagierte Silver-Ager in die Kameraobjektive. Als Erzählopa im Kindergarten, Leihoma im Mehrgenerationenhaus, als SeniorExperte in der Autoindustrie oder braun-gebrannter Entwicklungshelfer in Kenia verkünden sie die (frohe) Botschaft, dass das Alter wieder gebraucht wird. Ohrensessel, Fernbedienung und Kaffeefahrt gehören endgültig der Vergangenheit an und auch Kreuzfahrten, Gartenarbeiten und Bastelrunden sind nur noch etwas für die wirklich Alten. Die viel beachteten Senior_innen von heute sind nicht nur gesünder, gebildeter und vitaler als in allen früheren Ge-
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nerationen, sie sind angeblich auch gewillt, die neuen Potentiale wieder in den Dienst der Gesellschaft zu stellen. Aktiv, produktiv und gemeinwohlorientiert, so stellt man sich in vielen gesellschaftlichen Feldern die »Jungen Alten« (van Dyk/Lessenich 2009) heute vor. Neben der Sorge um die eigene Gesundheit gewinnt im altenpolitischen Feld die Sorge älterer Menschen um die Gesellschaft an Bedeutung, was sich insbesondere in der Popularität von Bürgerschaftlichem Engagement in der dritten Lebensphase zeigt. Indem sie sich bürgerschaftlich engagieren – so die im Diskurs florierende Dauerschleife – erhalten die aktiven Senior_innen nicht nur die eigene Gesundheit1, bleiben sozial integriert und leisten einen Beitrag gegen negative Altersbilder, sondern entlasten zugleich den schwächelnden Sozialstaat, lindern die Folgen des demografischen Wandels und fungieren damit als »Retter des Sozialen« (Aner/Karl/Rosenmayr 2007a). Das Alter ist dabei in den letzten Jahren von den unterschiedlichsten Akteuren im altenpolitischen Feld als eine unausgeschöpfte Ressource entdeckt worden, die es angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen lieber heute als morgen zu nutzen gilt (vgl. Denninger et al. 2014). Die Realisierung dieser Alterspotentiale vollzieht sich als ein zweigleisiges Projekt, bei dem einerseits die ältere Generation und andererseits die gesellschaftlichen Strukturen eine wichtige Rolle spielen. So folgen beispielsweise die beiden jüngsten Altenberichte der Bundesregierung dem Leitbild der »selbst- und mitverantwortlichen Lebensführung« (Altenbericht 2010: 21) und fordern von den älteren Menschen, dass sie »ihre Verantwortung – für die eigene Generation, für jüngere Generationen, für das Gemeinwohl – erkennen und als persönliche Verpflichtung deuten« (ebd.: 22). Andererseits wird die Gesellschaft in die Pflicht genommen, Gelegenheitsstrukturen und Verantwortungsrollen für ältere Menschen zu schaffen (ebd.: 76). Und auch die Altersforschung selbst sieht sich in der Verantwortung, durch die Produktion anwendungsbezogener Ergebnisse an der Behebung der scheinbar so offensichtlichen gesellschaftlichen Problemlagen wie dem demografischen Wandel und der Überalterung der Gesellschaft mitzuwirken.2 Vor diesem Hintergrund gewinnt das Bürgerschaftliche Engagement enorm an Bedeutung, weist es doch einen Weg und liefert Konzepte zur Nutzung der sogenannten Alterspotentiale. 1 | »Auch die von älteren Menschen benötigten Unterstützungsleistungen werden oft durch Angehörige der älteren Generation erbracht. Indem ältere Menschen ihrer Verantwortung für sich selbst, für andere, für das Gemeinwohl gerecht werden, tragen sie einerseits zur Entlastung nachfolgender Generationen und andererseits zur eigenen höheren Lebenszufriedenheit bei« (BMFSFJ 2010: vii). 2 | Vgl. »Soziale Gerontologie in gesellschaftlicher Verantwortung« (Bäcker/Heinze 2013), so der Titel eines 2013 erschienen Sammelbandes.
1. Gesellschaf tspolitische Verantwor tung in der dritten Lebensphase
Implizite Voraussetzung dieser harmonischen Diskurslandschaft ist die Annahme, dass das Bürgerschaftliche Engagement älterer Menschen per se die Gesellschaft entlaste und damit dem Gemeinwohl zugutekomme. Dabei ist es sicherlich kein Zufall, dass sich ein Großteil der Studien über Bürgerschaftliches Engagement in der nachberuflichen Phase auf die sozialen Tätigkeiten der Senior_innen konzentriert, während die politische Dimension kaum Erwähnung findet. Sowohl im wissenschaftlichen als auch im politischen Diskurs wird regelmäßig übersehen, dass Gemeinwohl ein politisch umkämpfter Begriff ist und die inhaltliche Bestimmung des Gemeinwohls zum Bürgerschaftlichen Engagement dazugehört. Gerade in pluralistisch-demokratisch verfassten Gesellschaften ist das Gemeinwohl kein vorab definiertes Ziel, sondern immer nur das vorläufige Ergebnis eines Aushandlungsprozesses ihrer Mitglieder. Bei der großangelegten Altersaktivierungsveranstaltung gewinnt man dagegen schnell den Eindruck, dass die aktiven Alten als Koproduzierende sozialer Wohlfahrt überall mit offenen Armen empfangen werden, während sie als ›zoon politikon‹ weitgehend unsichtbar bleiben. Diese halbierte Indienstnahme des Alters verwundert insbesondere vor dem Hintergrund der besonderen Generationenlagerung gegenwärtiger Renteneintrittskohorten. Angesichts der unzähligen Studien zu ›Bürgerschaftlichem Engagement in der dritten Lebensphase‹, die allesamt auf die besonderen Voraussetzungen der 68er-Generation rekurrieren und ihre generationenspezifischen Orientierungen (postmateriell, partizipationsaffin, Orientierung auf Selbstständigkeit und Selbstverwirklichung etc.) hervorheben, tauchen die 68er als politische Generation im Altersdiskurs kaum auf. Obwohl meistens sogar explizit auf die generationenspezifische Werte-Ausstattung dieser Generation verwiesen und ihr ein besonderes Engagementpotential zugesprochen wird, scheint sich kaum jemand für ein politisch motiviertes Engagement der Alt-68er zu interessieren.3 Diese Unsichtbarkeit, bzw. Unsichtbarmachung des Politischen im gegenwärtigen Wiederverpflichtungsdiskurs des Alters bildet die sozial- und forschungspolitische Leerstelle, an der die folgende Studie ansetzt.
1.2 F r agestellung Vor dem Hintergrund des Diskurses zur Re-Responsibilisierung des Alters, wie er insbesondere von wissenschaftlich-politischer Seite lanciert wird, frage ich nach der Gestalt und der Geltung des Diskurses in den biografischen Selbst-Konstruktionen von politischen Aktivist_innen in der dritten Lebensphase. Es geht um die Frage, ob und wie der Wiederverpflichtungsdiskurs in 3 | Ausnahmen z.B. Albers/Martin 1999, S. 90ff.
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den politischen Selbsterzählungen rezipiert wird und ob er dadurch möglicherweise als Potential für eine Repolitisierung im Alter wirksam werden kann. Damit knüpfe ich theoretisch wie methodologisch an die Gouvernementalitätsstudien (vgl. Krasmann/Volkmer 2007) an, die im Anschluss an Foucaults Spätwerk entwickelt worden sind und sich mittlerweile auch im deutschen Sprachraum fest etabliert haben. Zentral ist darin ein Regierungsverständnis, das nicht Herrschende und Beherrschte diametral gegenüber stellt, sondern die Anleitung von Menschen zur Selbstführung über Programme und Technologien in den Blick nimmt. »Jenseits einer exklusiven politischen Bedeutung verweist Regierung also auf zahlreiche und unterschiedliche Handlungsformen und Praxisfelder, die in vielfältiger Weise auf die Lenkung, Kontrolle und Leitung von Individuen und Kollektiven zielen und gleichermaßen Formen der Selbstführung wie Techniken der Fremdführung umfassen« (Krasmann/ Volkmer 2007: 10). Diesem Verständnis folgend wird die Wiederverpflichtung des Alters als eine Regierungsprogrammatik verstanden, die gerade nicht mit Gesetzen, formalen Pflichten und harten Zwangsmaßnahmen operiert, sondern in moralischen Appellen, verheißungsvollen Leitbildern und der Bereitstellung von Möglichkeiten daherkommt (vgl. Denninger et al. 2010). In Form einer Anleitung zur Selbstführung werden die Einzelnen dazu befähigt und ermuntert, in eigenem Interesse die Regierungsziele zu verfolgen und im Ruhestand gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Während die älteren Menschen auf diese Weise im Wiederverpflichtungsdiskurs zu einer mitverantwortlichen Lebensführung und einer eigeninitiativen Sorge um die Gesellschaft angeleitet werden, frage ich in dieser Studie danach, inwiefern auch politisches Engagement als Ausdruck einer überpersönlichen Verantwortungsübernahme verstanden werden kann. Gerade im politischen Feld – so meine Annahme – könnte der Wiederverpflichtungsdiskurs fruchtbar an die kommunitaristisch geprägten Selbst-Verständnisse der Interviewten anknüpfen. Im Zentrum des Interesses steht somit das Verhältnis zwischen dem wissenschaftlich-politischen Wiederverpflichtungsdiskurs des Alters und den Alltagsdiskursen der Subjekte. Ich verfolge mit der Studie zwei Hauptfragestellungen, die sich anschließend weiter untergliedern lassen: 1. Inwieweit verstehen die politisch Engagierten ihr politisches Engagement als Ausdruck einer mitverantwortlichen Lebensführung, bzw. einer Sorge um die Gesellschaft? 2. Inwieweit stehen die konkreten Formen der nachberuflichen Verantwortungsübernahme in Bezug zum Wiederverpflichtungsdiskurs des Alters? Ich verfolge auf diese Weise ein zweigliedriges Design, indem einerseits der Wiederverpflichtungsdiskurs als Programmanalyse aufgearbeitet und ande-
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rerseits die Modi der Mitverantwortlichkeit der politischen Aktivist_innen im Interviewmaterial untersucht werden. Anschließend werden Programmanalyse und Interviewstudie systematisch miteinander verschränkt, um Verknüpfungen zwischen den Diskursebenen zu analysieren. Auf diese Weise sollen die umfangreichen diskursanalytischen Studien, die vor allem im angelsächsischen Raum im Kontext der Foucauldian Gerontology entstanden sind und ebenfalls eine gouvernementalitätstheoretische Perspektive auf die Regierung des Alters einnehmen, um die Sichtweise der Regierten ergänzt werden. So handelt es sich bei Diskursanalysen häufig um reine Programmanalysen, die eine theoretisch begründete Wirkung ihrer Führungspraktiken auf subjektiver Ebene annehmen (Alkmeyer/Villa 2010: 317ff.). Praktiken der kreativen Aneignung, der Effektlosigkeit oder der Widerständigkeit gegen regimespezifische Anrufungen geraten entsprechend selten in den Fokus von Gouvernementalitätsstudien (Denninger et al. 2014: 14ff.).4 Insofern zielt die Studie einerseits auf die Rekonstruktion des Wiederverpflichtungsdiskurses und andererseits auf die Wirkungsweise des Diskurses auf subjektiver Ebene. Darüber hinaus suche ich explizit nach der Möglichkeit nicht-intendierter Diskurskoalitionen. Der Wiederverpflichtungsdiskurs des Alters adressiert – so bleibt zu zeigen – relativ einseitig die sozialen, helfenden und produktiven Ressourcen älterer Menschen, während die politisch Engagierten – so meine ursprüngliche Annahme – primär die Gestaltung von Gesellschaft und das Einwirken auf gesellschaftliche Zielfindungsprozesse und Deutungskämpfe im Sinn hätten. Inwiefern der Wiederverpflichtungsdiskurs in den politischen Selbsterzählungen bedient wird, obwohl sich diese aus anderen diskursiven Quellen speisen, gilt als eine offene Frage. Konkret geht es darum, ob und wie sich die politisch-motivierte Sorge um die Gesellschaft mit der sozialpolitisch geforderten mitverantwortlichen Lebensführung im Alter verbinden lässt. Die konzeptionelle Anlage der Studie ermöglicht dabei eine Doppelperspektive auf den Untersuchungsgegenstand, die sowohl nach den überschüssigen Effekten der diskursiven Anrufung fragt, als auch danach, inwieweit sich die Angerufenen ggf. sogar unfreiwillig zu Koproduzierenden des Wiederverpflichtungsdiskurses machen. Dadurch erweitert diese Studie zugleich die Untersuchungsperspektive von Diskursen in Biografien.
4 | Vor dem Hintergrund aktueller Studien zur Herausbildung von Altersidentitäten stellt sich außerdem die Frage, inwiefern sich die 65-75-jährigen Befragten überhaupt als Adressat_innen des Wiederverpflichtungsdiskurses verstehen (vgl. Graefe 2010a).
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1.3 S tatistische R ele vanz und L eerstellen Im Zuge der diskursiven Prominenz von Bürgerschaftlichem Engagement5 in der dritten Lebensphase haben sich in den vergangenen Jahren in der Bundesrepublik großangelegte Studien auf den Weg gemacht, die tatsächliche Relevanz des Themas mithilfe quantitativer Methoden zu überprüfen. In unterschiedlicher Tiefe wird das Altersengagement beispielsweise im Freiwilligensurvey6, im Alterssurvey7 oder im Sozio-Ökonomischen Panel8 untersucht, wobei die Studien aufgrund unterschiedlicher Erhebungsmethoden und Messkonzepten zu verschiedenen Ergebnissen kommen (vgl. Künemund 2006a; Künemund/Schupp 2008; Olk 2009).9 Obwohl die exakten Engagementquoten von älteren Menschen je nach Studie variieren, stützen die Zahlen den Trend einer kontinuierlichen Zunahme bürgerschaftlich engagierter Senior_innen in Deutschland.10 Jeder dritte bis jeder fünfte 60-75-Jährige 5 | Zu Bürgerschaftlichem Engagement zählen nach der Enquete-Kommission »Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements« solche Tätigkeiten, die freiwillig, nicht auf materiellen Gewinn gerichtet und gemeinwohlorientiert sind, öffentlich sind oder im öffentlichen Raum stattfinden und in der Regel gemeinschaftlich/kooperativ ausgeübt werden (Deutscher Bundestag 2002: 38ff.). 6 | Repräsentative Telefonumfrage zum Thema »Freiwilliges Engagement in Deutschland«, die im Auftrag des Bundesministeriums für Familie Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) von TNS Infratest Sozialforschung durchgeführt wurde. Die insgesamt ca. 18.000 Interviewten wurden zufällig ausgewählt und in bisher drei Wellen (1999, 2004, 2009) befragt. 7 | Bundesweit repräsentative Quer- und Längsschnittbefragung von Personen ab dem 40. Lebensjahr im Auftrag des BMFSFJ. In den bisher vier Befragungswellen (1996, 2002, 2008, 2011) stehen Fragen zur Lebenssituation der Befragten, ihren nachberuflichen Aktivitäten, ihrer Wohnsituation, sozialen Kontakten, Gesundheit und Wohlbefinden im Mittelpunkt. 8 | Repräsentative Wiederholungsbefragung privater Haushalte in Deutschland, die im jährlichen Rhythmus seit 1984 bei denselben Personen und Familien in der Bundesrepublik durchgeführt wird. Die bis zu 24.000 Interviewten (je nach Welle) wurden u.a. zu ihren Lebensbedingungen, Wertvorstellungen, Persönlichkeitseigenschaften und ihrer sozialen Situation befragt. 9 | »Unterschiedliche Formulierungen bei den jeweiligen Befragungen führen zum Beispiel dazu, dass der Freiwilligensurvey relativ hohe, der Deutsche Alterssurvey (DEAS) mittlere und der Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe (SHARE) relativ niedrige Engagementquoten ausweist« (BMFSFJ 2010: 73). 10 | Nach dem Sozioökonomischen Panel ist die Zahl der freiwillig engagierten 60-69-Jährigen zwischen 1999 und 2009 von 31% auf 37% gestiegen, bei den Über70-Jährigen im gleichen Zeitraum von 20% auf 25% (Schulz-Nieswandt/Köstler 2011:
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übt demnach irgendeine Form von Bürgerschaftlichem Engagement aus, während die Engagementquoten erst bei den Über 75-Jährigen merkbar abnehmen (BMFSFJ 2010: 74ff.).11 Was sind das für Menschen, die einen großen Teil ihrer Zeit dafür verwenden, sich in der späten Erwerbsphase oder im Ruhestand bürgerschaftlich zu engagieren? Auch auf diese Frage geben die Studien ähnliche Antworten. Die Ausübung bürgerschaftlicher Tätigkeiten ist in der Bundesrepublik sozial ungleich verteilt und macht sich in erster Linie am sozio-ökonomischen Status der Person, ihrem Geschlecht und ihrem Wohnort fest. »Männer engagieren sich häufiger als Frauen. Höhere Bildungsschichten und Berufstätige sind häufiger freiwillig tätig als mittlere/niedrige Bildungsschichten und Nichtberufstätige. Physisches und psychisches Wohlbefinden fördert die Bereitschaft, sich für andere zu engagieren« (Schulz-Nieswandt/Köstler 2011: 174).12 Außerdem liegen die Engagementquoten in Westdeutschland durchgehend über dem Niveau der neuen Bundesländer (Olk 2009: 199). Da es sich bei Bürgerschaftlichem Engagement zudem um ein höchst amorphes Konstrukt handelt mit dem die unterschiedlichsten Tätigkeiten bezeichnet werden, lohnt sich an dieser Stelle ein tieferer Blick in die konkreten Engagementfelder. Der größte Teil der Senior_innen engagiert sich nach Erkenntnissen des Freiwilligensurveys im Feld ›Kirche und Religion‹ (7%) sowie im sozialen Bereich (6,8%), während das Engagement für ›Sport und Bewegung‹ zwischen 1999 (5,4%) und 2009 (6,4%) die stärksten Zulaufquoten zu verzeichnen hat. Dahinter bildet das weite ›Feld Kunst, Kultur, Musik‹ (2009: 4,7%) eine vierte Säule für Bürgerschaftliches Engagement, während »die relativ kontinuierliche Zunahme des Engagements Älterer in den Bereichen Umwelt-und Tierschutz, Politik und Bürgerschaftliches Engagement am Wohnort [auffällig ist]« (Gensicke/Geiss 2010: 156).13 Nimmt man die einzelnen Engagementfelder genauer unter die Lupe, erkennt man zudem, dass Männer und 163ff.). Der Freiwilligensurvey verzeichnet für den gleichen Zeitraum in der Gruppe der Über-65-Jährigen einen Zuwachs von 23% auf 28% und bei den Über-70-Jährigen von 20% (1999) auf 26% (2009) (BMFSFJ 2009d: 20). Der DEAS weist dagegen einen Anstieg der Engagementquoten bei den 55-69-Jährigen von 11% (1996) auf 20% (2008) auf, während er in der Gruppe der 70-85-Jährigen einen Anstieg von 5% (1996) auf 12% (2008) verzeichnet (BMFSFJ 2010: 75). 11 | Zur Bedeutung von Alter, Schichtzugehörigkeit und Bildungsniveau für außerhäusliches Engagement im Ruhestand siehe auch Mayer/Wagner 1999, S. 263ff. 12 | Zum Zusammenhang zwischen sozialstrukturellen Merkmalen und Bürgerschaftlichem Engagement nach der Erwerbsphase siehe auch Bukov 2000 und Maas/Staudinger 1999. 13 | Engagementquote 2009: Umwelt- und Tierschutz (3,1%), Politische Interessenvertretung (2,5%) und lokales Bürgerengagement (2,1%) (Gensicke/Geiss 2010: 158). Die
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Frauen unterschiedlich in den Engagementfeldern verteilt sind. Männer finden sich eher im Sportbereich sowie im ökologischen und politischen Bereich, während Frauen am stärksten im sozialen Feld sowie in Kirche und Religion engagiert sind (ebd.: 157).14 Nimmt man diese statistischen Befunde zur Grundlage der Analyse könnte man schnell zu dem Ergebnis kommen, dass das politische Engagement der Senior_innen ein relativ kleines Stück vom großen ›Engagementkuchen‹ ausmacht und folgerichtig zu vernachlässigen wäre. Aber was bedeutet es eigentlich, wenn eine Person im politischen Bereich Bürgerschaftliches Engagement leistet? Der Freiwilligensurvey geht bei der Identifikation der Engagementfelder von einem organisationszentrierten Ansatz aus, bei dem die Art des Engagements von den Feldern abgeleitet wird, in denen es stattfindet. Dies legt den assoziativen Kurzschluss nahe, dass es sich bei einem Engagement im politischen Feld zugleich um ein politisch-motiviertes Engagement handeln würde, während politische Ansprüche in anderen Engagementfeldern keine oder eine untergeordnete Rolle spielen würden. Bezieht man die abgefragten Motive allerdings mit ein, dann wird deutlich, dass der Wunsch nach gesellschaftlicher Mitgestaltung auch im Kleinen insgesamt über die Jahre zum Hauptgrund für Bürgerschaftliches Engagement avanciert ist (ebd.: 115ff.), und auch beim Engagement Älterer zeigt sich, dass es sich »in steigendem Maße auch direkt auf die Mitgestaltung des Gemeinwesens richtet« (ebd.: 157). Die Zahlen deuten darauf hin, dass gesellschaftliche Gestaltungsansprüche auch in anderen Feldern an Bedeutung gewinnen, wie auch die These vom Motivwandel des Ehrenamts (BMFSFJ 2010: 115) belegt. Roth hat außerdem darauf hingewiesen, dass die Frage nach der politischen Dimension von Bürgerschaftlichem Engagement zu kurz greift, wenn man ausschließlich von einem institutionsbezogenem Politikverständnis ausgeht: »Die feinsäuberliche Trennung zwischen politischer und gesellschaftlicher Partizipation und der damit verbundene enge, institutionell geprägte Politikbegriff sehen sich von einem an Boden gewinnenden Politikverständnis herausgefordert, das Politik als Gestaltung von Lebensweisen in allen gesellschaftlichen Bereichen ansiedelt« (Roth 2011: 80).
Prozentzahlen beziehen sich auf die Gesamtbevölkerung ab 66 Jahren, Mehrfachnennungen sind möglich. 14 | Deutlich höhere Engagementquoten in der Generali Altersstudie: 45 Prozent der 65-85-Jährigen engagieren sich, davon 5 Prozent in der Politik, 8 Prozent im Bereich Umwelt und Naturschutz, 4 Prozent in Jugend- und/oder Bildungsarbeit. Ein Grund hierfür kann sein, dass die Generali-Studie auch nicht-institutionalisierten Formen des Engagements erfasst (Generali Zukunftsfonds 2010: 343).
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So sehr nämlich einerseits die engagementförderlichen Sozialisationserfahrungen der gegenwärtigen Renteneintrittsgeneration betont werden15, so wenig wird andererseits mitgedacht, dass diese Generation sowohl für eine radikale Erweiterung politischer Partizipationsformen als auch einer Erweiterung des Politikverständnisses (z.B. ›Das Private ist politisch‹ oder ›Mein Bauch gehört mir‹) verantwortlich gemacht wird. Jürgen Habermas schreibt dieser Generation aus genau diesem Grund gar die »Fundamentalliberalisierung der Bundesrepublik« (Habermas 1988) zu. Darüber hinaus können die meisten quantitativen Studien die »stärker formalisierten und deshalb der statistischen Erfassung leichter zugänglichen Formen des bürgerschaftlichen Engagements weitaus besser dokumentier[en]« (Rucht 2003: 19), während sich informelle und stärker lebensweltlich verankerte Engagementformen der statistischen Dokumentation häufig entziehen (ebd.). Zwar fragt beispielsweise der Freiwilligensurvey nach der Teilnahme an Demonstrationen oder der Mitarbeit in Bürgerinitiativen, kann aber weite Felder von politischem Handeln (Konsum, Mitarbeit in Kampagnen, politische Partizipation im Internet, politische Bildungsarbeit etc.) nicht erfassen. Vor diesem Hintergrund liefern die Ergebnisse quantitativer Studien zwar verlässliche Daten zum Verbreitungsgrad spezifischer Formen der politischen Partizipation und die sozio-ökonomischen Voraussetzungen der Akteure, neigen aber andererseits dazu, die politische Dimension von Bürgerschaftlichem Engagement aus subjektiver Perspektive zu unterschätzen. Nichtsdestotrotz deuten die Zahlen darauf hin, dass sich die gegenwärtige Renteneintrittsgeneration stärker als frühere Generationen am politischen Prozess beteiligt und höhere Gestaltungsansprüche an ihr Engagement richtet.
1.4 A ufbau der S tudie und D arstellung Im Anschluss an diese kurze Einleitung widmet sich das zweite Kapitel ausführlicher der theoretisch-methodologischen Fundierung und dem methodischen Vorgehen der Studie. Es wird dargelegt, an welche konstruktivistischen 15 | Z. B. heißt es im Freiwilligensurvey: »Es gilt zusätzlich zu berücksichtigen, dass es sich bei den betrachteten Altersgruppen auch um Jahrgänge handelt, die einen historisch besonderen Erfahrungshintergrund haben. Die Menschen, die beim Engagement den Rollenwechsel des Alters besonders getragen haben, wurden um das Kriegsende herum bis in die beginnenden 1950er-Jahre hinein geboren. Sie erlebten ihre prägenden Jahre in den 1960er- und 1970er-Jahren. Auf Basis des wirtschaftlichen Wiederaufstiegs und der ersten Anfänge der Bildungsexpansion wurde für sie der Wandel Deutschlands von einer politischen Ohne-mich-Gesellschaft (Helmut Schelsky) in eine lebendige Zivilgesellschaft besonders prägend« (Gensicke/Geiss 2010: 160).
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Überlegungen und Theorien diese Arbeit anschließt, wie die diskursanalytische Perspektive mit qualitativer Sozialforschung verknüpft wird und wie das Verhältnis von Diskursen zu Biografien konzeptionell gelagert ist und methodisch realisiert wird. Dabei werden sowohl die Möglichkeiten als auch die methodologischen und methodischen Grenzen transparent gemacht. Der Wiederverpflichtungsdiskurs des Alters und seine Konstitution im wissenschaftlich-politischen Feld bilden den Gegenstand des dritten Kapitels. Darin werden anhand vorhandener Diskursanalysen, Forschungsarbeiten und relevanter Publikationen zentrale Diskursstränge sowohl des Altersdiskurses als auch des Diskurses zu Bürgerschaftlichem Engagement rekonstruiert. Anschließend wird anhand ausgewählter Modellprogramme zur Förderung von Bürgerschaftlichem Engagement im Alter herausgearbeitet, wie beide Einzeldiskurse in den entsprechenden Veröffentlichungen miteinander verknüpft werden und dadurch eine scheinbar harmonische Diskurslandschaft entsteht, in der die Aufwertung des Alters mit seiner sozialpolitischen Nutzung zusammenfällt. Im vierten Kapitel stehen die biografischen Selbsterzählungen der Interviewten im Mittelpunkt. Darin wird vorgestellt, wie die Befragten die dritte Lebensphase und ihr politisches Engagement aus subjektiver Perspektive konstruieren und welche unterschiedlichen Typen der Mitverantwortlichen Subjektivität sich identifizieren lassen. Eine Zusammenführung beider Diskursebenen findet anschließend im fünften Kapitel statt. Die im dritten Kapitel identifizierten Elemente des Wiederverpflichtungsdiskurses werden mit den biografischen Konstruktionen und den identifizierten Verantwortungstypen in Verbindung gebracht, um einerseits die Anschlussfähigkeit der Selbsterzählungen an den Diskurs zu untersuchen. Andererseits wird es aber auch um die Frage gehen, inwiefern die Interviewten sich möglicherweise unbeabsichtigt zu Komplizen der Re-Responsibilisierung des Alters machen. In einem abschließenden sechsten Kapitel werden die wichtigsten Ergebnisse der Studie zusammengefasst, in die Forschungsdiskussion eingeordnet und weitere Forschungsdesiderate identifiziert. Die Interviewtexte werden in den Kapiteln vier und fünf in unterschiedlichen Formen und Formaten dargestellt, wobei die Ebenen der Bezugnahme variieren. Mal steht der Wortlaut des Gesagten im Vordergrund und die Interviewtexte werden illustrativ herangezogen, um Tendenzen und Beschreibungen zu untermalen. In anderen Fällen tritt der Wortlaut hinter den Kontext zurück und die Zitate deuten auf auszuleuchtende Orientierungsrahmen und Deutungskontexte hin. Die Zuordnung der Interviewauszüge zu den interviewten Personen wird in den verschiedenen Kapiteln ebenfalls unterschiedlich gehandhabt. Zu Beginn des vierten Kapitels werden zunächst Gemeinsamkeiten aus den Inter-
1. Gesellschaf tspolitische Verantwor tung in der dritten Lebensphase
views in den Blick genommen und die Interviewzitate werden eher kursorisch mit den Personen in Verbindung gebracht. Die Darstellung der unterschiedlichen Ausprägungen der Mitverantwortlichen Subjektivität erfolgt dann zunächst (ideal-)typenspezifisch. Die Einzelfälle sind dabei je einem Idealtyp zugeordnet und die Interviewsequenzen fungieren als Repräsentation des Typus. Anschließend wird zu jedem Idealtypus eine typenbezogene Fallanalyse präsentiert, in der die Auszüge aus jeweils einem Interview als Rekonstruktion des Einzelfalls in Erscheinung treten.
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2. Methodologische Fundierung und methodisches Vorgehen
2.1 F oucauldian G erontology Die Beschäftigung mit Diskursen und Subjektivierungsprozesses führt fast zwangsläufig zu Michel Foucault und die an sein Spätwerk anschließenden Gouvernementalitätsstudien (vgl. Lemke/Krasmann/Bröckling 2000; Krasmann/Volkmer 2007), die in der deutschsprachigen Soziologie seit etwa einem Jahrzehnt fest verankert sind. Während im anglo-amerikanischen Sprachraum bereits Mitte der 1990er Jahren erste Studien das Foucaultsche Werk für die Gerontologie nutzbar gemacht haben (vgl. Katz 1996) und sich seit den 2000er Jahren allmählich eine Foucauldian Gerontology (vgl. Powell/Wahidin 2006) etablierte, blieb die deutsche Alter(n)sforschung demgegenüber lange Zeit verschlossen. Erst in jüngster Vergangenheit zeichnet sich auch hierzulande eine nachholende Entwicklung ab, die zu einer anschaulichen Anzahl von Publikationen geführt hat (vgl. van Dyk/Lessenich 2009b). Möchte man verstehen, wie Diskurse über das Alter als Regierungsformen des Alters funktionieren, kommt man kaum umhin, einen kurzen und dadurch notwendigerweise vereinfachenden Blick in diese komplexe Theoriewelt zu werfen. Entgegen dem alltäglichen Wortgebrauch reduziert sich der Foucaultsche Regierungsbegriff nämlich nicht auf die Aktivitäten einer gewählten Volksvertretung und beschränkt sich auch nicht auf die Gesellschaftsgestaltung per Gesetz, Verordnung und Zwang. Die Regierung des Alters meint aus gouvernementalitätstheoretischer Perspektive gerade nicht den Prozess der von außen erzwungenen und durch Sanktionen gesteuerten Lenkung älterer Menschen. Statt die Existenz des Alters implizit vorauszusetzen und die politischen Steuerungsversuche zu untersuchen, interessiert sich die Foucauldian Gerontology »im weiteren Sinne für seine Genese und Konstruktion sowie die darin eingelassenen Machtverhältnisse« (van Dyk 2007: 105). Die Regierung des Alters funktioniert dabei als Produktion von Wahrheit/ Wissen über das Alter, wobei den Altersdiskursen selbst eine produktive Rolle
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zukommt. Was in Diskursen über das Alter sichtbar wird, hat – so die zentrale Annahme – einen Einfluss darauf, was Menschen über das Alter wissen, wie sie sich ihm gegenüber verhalten und wie sie selbst handeln, wenn sie sich als ›alt‹ begreifen (Katz 1996: 3f.; Holstein/Minkler 2003: 790ff.). Statt eine Wahrheit über das Alter anzunehmen, die systematisch durch bestimmte Herrschaftsstrukturen manipuliert oder verzerrt wird und als solche den Herrschaftsverhältnissen per se äußerlich gegenüberstehe, zeichnet sich der Foucaultsche Blick durch eine innere Verwobenheit von Wissen und Macht aus (Foucault 1974: 17). Jede Rede, bzw. Aussage über das Alter funktioniert in dieser Theorie als eine Normierung des Alters, indem sie durch Bezeichnung und Auslassung immer zugleich identifiziert und ausschließt. »Wissen ist Macht, nicht nur insofern es gesellschaftlich machtvolle Wirkungen hat, sondern auch insofern die diskursive Produktion des Wissens bereits auf machtvollen Prozessen der Ein- und Ausschließung beruht« (Seier 2001:91).
Aus dieser Perspektive ist jedes altersspezifische Wissen mit Machtwirkungen verbunden, da es sowohl in Machtverhältnissen generiert wird, als auch selbst handlungsstrukturierend Machtwirkungen entfaltet (Biggs/Powell 2001: 97ff.). Dennoch sind Macht und Wissen im Foucaultschen Werk weder miteinander identisch, noch stehen sie in einem kausalen Entsprechungsverhältnis zueinander.1 Eher stellen Wissenselemente in modernen Gesellschaften Hauptbestandteile im Betrieb der Macht dar, weil Machtausübung unter wissensgestütztem Legitimationsdruck steht (Dryfus/Rabinow 1994: 235f.). Der Produktion von Wahrheit (als sozial akzeptiertes Wissen um einen Sachverhalt) wird damit in der Foucauldian Gerontology eine zentrale Bedeutung zuteil, da sie selbst als Möglichkeit des Regierens in den Blick gerät.2 Diskurse über das Alter(n) konstituieren deshalb nicht nur eine Ordnung des möglichen Alter(n)serlebens, sie sind vielmehr konstitutiv für das Alter und die Definition des alten Menschen selbst. 1 | So geht Foucault einerseits davon aus, dass es »keine Machtbeziehung gibt, ohne dass sich ein entsprechendes Wissensfeld konstituiert und kein Wissen, das nicht gleichzeitig Machtbeziehungen voraussetzt und konstituiert« (Foucault 1976b: 39). 2 | »[J]ede Gesellschaft hat ihre eigene Ordnung der Wahrheit, ihre allgemeine Politik der Wahrheit: d.h. sie akzeptiert bestimmte Diskurse, die sie als wahre Diskurse funktionieren lässt; es gibt Mechanismen und Instanzen, die eine Unterscheidung von wahren und falschen Aussagen ermöglichen und den Modus festlegen, in dem die einen oder anderen sanktioniert werden, es gibt bevorzugte Techniken und Verfahren der Wahrheitsfindung; es gibt einen Status, für jene die darüber zu befinden haben, was wahr ist und was nicht« (Foucault 1978: 51).
2. Methodologische Fundierung und methodisches Vorgehen
Vor diesem Hintergrund interessiert sich die Foucauldian Gerontology für Subjektivierungsprozesse, in denen die Subjekte auf der Basis von Diskursen lernen, sich selbst zu führen (Lemke 1997: 327f.). Die Alter(n)sdiskurse strukturieren in diesem Prozess – so die Vorstellung – das Handlungsfeld älterer Menschen und leiten dazu an, in einem vorläufig definierten Feld von Möglichkeiten frei zu wählen. Im Fall der Regierung des Alter(n)s fallen dabei Prozesse der Selbst- und Fremdführung zusammen, konstituieren ein Subjekt und lassen dieses Subjekt selbst als Mittäter (im Sinne eines aktiv Tätigen) erscheinen (vgl. van Dyk 2007).
2.2 D as S ubjek t und die M acht Ausgangspunkt dieses Regierungsverständnisses ist der Foucaultsche Machtbegriff und die Annahme, dass Diskurse Subjekte konstituieren. Unter Diskursen versteht Foucault »eine Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem zugehören« (Foucault 1981: 156), wobei die möglichen Aussagen zu jeder Zeit begrenzt sind (vgl. Spies 2009a). Diese Formationssysteme konstituieren dabei Subjektpositionen, die ihrerseits Voraussetzungen sind, um sprechen zu können (Barker/Galasinski 2001: 13). Mit Althussers Begriff der Anrufung (interpellation) verdeutlicht Spies diesen Prozess der Subjektkonstitution:3 Das Subjekt findet seine Subjektposition, indem es sich von einem diskursiven Ereignis anrufen lässt (vgl. Angermüller 2005). Es ist also dem Diskurs nicht vorgängig, sondern wird erst durch diesen hervorgebracht (vgl. auch Butler 1997, S. 173ff., 1998, S. 42f.; Villa 2003, S. 46f.)« (Spies 2009: 19).
Grundlage dieses Subjektverständnisses ist ein produktiver und strategischer Machtbegriff, der sich von einem juridischen Machtverständnis abgrenzt. Statt Macht als eine auf den äußeren Körper zielende Wirkung zu verstehen, die ausschließlich negierend, d.h. verbietend und sanktionierend wirkt, rückt hier die produktive Seite von Macht in den Fokus: 3 | Althusser selbst verdeutlicht in einem kleinen theoretischen Schauspiel, wie durch Anrufungsprozesse Menschen zu Subjekten werden: »Man kann sich diese Anrufung nach dem Muster der einfachen und alltäglichen Anrufung durch einen Polizisten vorstellen: He, Sie da! . Wenn wir einmal annehmen, daß die vorgestellte theoretische Szene sich auf der Straße abspielt, so wendet sich das angerufene Individuum um. Durch diese physische Wendung um 180 Grad wird es zum Subjekt. Warum? Weil es damit anerkennt, daß der Anruf genau ihm galt und daß es gerade es war, das angerufen wurde (und niemand anderes)« (Althusser 1977: 143).
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Alter in Verantwor tung? »Man muß aufhören, die Wirkungen der Macht immer negativ zu beschreiben, als ob sie nur ausschließen, unterdrücken, verdrängen, zensieren, abstrahieren, maskieren, verschleiern würde. In Wirklichkeit ist die Macht produktiv; und sie produziert Wirkliches. Sie produziert Gegenstandsbereiche und Wahrheitsrituale: das Individuum und seine Erkenntnisse sind Ergebnisse dieser Produktion« (Foucault 1976b: 250).
Auf die häufig geäußerte Kritik an diesem Subjektverständnis, nach dem das Subjekt den gesellschaftlichen Diskursen bloß unterworfen sei und nicht über agency, also Handlungsmacht, verfüge, reagiert Foucault, indem er sein Machtverständnis differenziert. Statt das Subjekt einseitig als Effekt von Macht und Wissen zu konzipieren, geht es in Foucaults späteren Werken (Foucault 1986a, 1986b) »nicht mehr nur um das Gemachtsein des Subjekts, sondern zum ersten Mal auch um die Frage der aktiven Beteiligung des Subjekts an seiner Subjektivierung« (Spies 2009a: 24). Dem Subjekt wird darin eine aktive Rolle bei seiner Subjektwerdung zugestanden (vgl. Saar 2007: 249f.). Auf diese Weise wird die Mitwirkung des Subjekts an seiner eigenen Subjektwerdung als ein Vorgang verstanden, in dem Handlungsfreiheit die Voraussetzung von Subjektivierung darstellt: »Macht wird nur auf ›freie Subjekte‹ ausgeübt und nur insofern diese ›frei‹ sind« (Dryfus/Rabinow 1994: 255). Die Subjekte konstituieren sich dabei in einem diskursiv strukturierten Feld von Möglichkeiten, »in dem mehrere Führungen, mehrere Reaktionen und verschiedene Verhaltensweisen statthaben können« (ebd.): »Vielleicht eignet sich ein Begriff wie ›Führung‹ gerade kraft seines Doppelsinns gut dazu, das Spezifische an den Machtverhältnissen zu erfassen. Führung ist zugleich die Tätigkeit des Anführens anderer (vermöge mehr oder weniger strikter Zwangsmaßnahmen) und die Weise des Sich-Verhaltens in einem mehr oder weniger offenen Feld von Möglichkeiten« (ebd.).
Indem die Gouvernementalitätsstudien das vermachtete Subjekt gleichzeitig als Effekt und Ko-Produzent von Diskursen in den Blick nehmen, sensibilisieren sie für Prozesse der Subjektivierung, in denen sich die angerufene Subjekte aktiv in Subjektpositionen hineinerzählen und sich dabei Praktiken der Selbstführung aneignen. Auf diese Weise konstituieren sich Diskurse und Subjekte in Abhängigkeit voneinander: »Diskurse halten Subjektpositionen als jene Orte bereit, an denen Individuen als Subjekte in den Diskurs sinnhaft eintreten können, indem sie artikulieren; mit ihren Artikulationen erscheinen Subjekte aber nicht nur im Diskurs, sondern sie spinnen wiederum den Diskurs und dabei auch die Relationsnetze von Subjektpositionen fort, die wiederum als mögliche Orte der Subjektivierung angeboten werden« (Nonhoff 2006: 156f.).
2. Methodologische Fundierung und methodisches Vorgehen
Diese Perspektive erweist sich insbesondere vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Neuverhandlung des Alters als fruchtbar, da die Entstehung aktiver Lebensführungsmuster in der nachberuflichen Lebensführung gerade nicht als ein von außen per Gesetz und Sanktion erzwungener Prozess vonstattengeht (vgl. auch Denninger et al. 2014: 25ff.). Vielmehr zeigen Denninger et al. (2014), dass die Aktivierung des Alters als weiche, verheißungsvolle und moralisierende Anrufungen daherkommt. »Die Geschichte des aktiven Alters ist, jedenfalls bislang, eine Geschichte der politischen Anleitung zur persönlichen Selbststeuerung in aktivistischer Absicht« (ebd.: 14). Die Gouvernementalitätsstudien nehmen vor diesem Hintergrund den Prozess der Produktion und Modifikation von Wissensordnungen als Teil von Regierungstechniken wahr. Macht und Subjekt werden dabei nicht als sich gegenüberstehende Pole gedacht, die miteinander im Widerstreit stehen. Vielmehr wird das reflexive Verhältnis von Fremdführung und Selbstführung sichtbar, indem die Subjekte zur »Arbeit an sich selbst und an der eigenen Entwicklung« (Baltes 1996b: 3) angeleitet werden. Die Gouvernementalitätsstudien eröffnen dadurch eine Perspektive, in der die Objekte der Subjektivierung gleichzeitig selbst aktiv an ihrer Konstitution mitwirken, sodass Denninger et al. die aktivgesellschaftliche Regierung des Alters als eine »öffentlich-private Koproduktion« (Denninger et al. 2014: 26) bezeichnen. Die politisch-wissenschaftliche Aufwertung des Alters und die Mobilisierung von Altersressourcen fällt zusammen mit dem Wunsch der Angerufenen, die dritte Lebensphase aktiv zu gestalten und sich dabei selbst für die Gesellschaft zu engagieren (Kapitel 3.4). Die Gouvernementalitätsstudien reden dabei nicht dem Verschwinden des Subjekts das Wort, sondern interessieren sich für die »Praxis der Regierungstechniken, unter denen sich spezifische Identitäten und Subjektpositionierungen historisch konkret formieren« (Tuider 2007: 12).
2.3 D ie L esbarkeit der D iskurse Wo die Gouvernementalitätsstudien auf einer theoretischen Ebene die Verschmelzung von Außenlenkung und Selbststeuerung der Akteure in den Blick nehmen, fehlt ihnen empirisch häufig eine Überprüfung der Wirkmächtigkeit von Diskursen in der sozialen Praxis. So beschränkt sich ein Großteil der empirischen Studien in diesem Feld auf die Analyse von Diskursen in Form von politischen Programmen und Programmatiken, während aber die Frage nach der faktischen Geltung dieser Diskurse auf der Ebene der Subjekte selten gestellt wird (Bröckling/Krasmann 2010: 34f.). Stattdessen wird aus der Existenz von Diskursen automatisch abgeleitet, dass sich die angerufenen Subjekte in ihren Denk- und Handlungsmustern
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zwangsläufig auf entsprechende Diskurse beziehen würden. »Aus (Herrschafts-)Programm wird Selbstregierung und daraus wird ein subjektives Selbstverhältnis, das dem Programm geradezu total entspricht« (Alkmeyer/ Villa 2010: 323).4 »Faktisch ergibt sich dadurch eine theoretische (oder bestenfalls protoempirische) Gleichschaltung von Programm und Praxis – in unserem Fall der Altersaktivierung bzw. des aktiven Alters. Die Tätigen, so die Annahme, werden im Sinne der Aktivierungsprogrammatik tätig« (Denninger et al. 2014: 26).
Die identifizierten Diskurse werden dabei als eine Art ›structured totality‹ verstanden, die einzig und allein aufgrund ihrer Existenz und ihrer Ko-Produktion durch hegemoniale gesellschaftliche Akteure uneingeschränkte Geltung beanspruchen würden. Weil man theoretisch davon ausgeht, dass in diesem Fall Altersdiskurse das Feld des möglichen Alterserfahrens und -erlebens konstituieren, scheint eine solche Annahme zumindest theoretisch nicht unplausibel. Sie geht aber implizit von zwei höchst voraussetzungsvollen Bedingungen aus, die insbesondere, aber nicht nur im altenpolitischen Feld nicht in jedem Fall gegeben sind. Zunächst handelt es sich bei Diskursen selbst um hochgradig fluide Gebilde, in denen diskursive Formationen nie als dauerhaft stabil oder endgültig schließbar gelten können. Sie existieren nur deshalb, weil sie von handelnden und freien Subjekten bedient, aufgerufen und dadurch zugleich modifiziert werden. Die Grenzen des Diskurses, die diskursiven Verknüpfungen und die Sinnproduktionen sind zugleich Gegenstand permanenter Neuverhandlung und existieren nur insofern, wie sie aktualisiert werden. Diese langfristigen Verschiebungen diskursiver Ordnungen können beispielsweise durch Diskursanalysen sichtbar gemacht werden, wie sie auch im altenpolitischen Feld vorliegen (vgl. Göckenjan 2000; Denninger et al. 2014). Auf bauend auf den vorgelegten Analysen gehe ich von einem Wandel der Altersdispositive aus und stelle mir im Gegensatz zur reinen Analyse von Wissensordnungen die Frage, ob und falls ja, in welcher Form entsprechende Diskursstränge in den Selbsterzählungen der potentiellen Adressat_innen sichtbar werden. Von besonderem Interesse ist an dieser Stelle die zeitliche Dimension von Subjektivierungsprozessen. Obwohl sich Subjekte und Diskurse gegenseitig konstituieren und somit als »gleichursprünglich« (Nonhoff 2006: 157) gelten 4 | »Das methodologische Problem, wonach die Programme einfach so oder irgendwie mit der sozialen Praxis in Verbindung stehen sollen, kann aber nicht dadurch gelöst werden, dass sich die Studien infolgedessen auf eine Beschreibung der Programme beschränken« (Reichert 2004: 21).
2. Methodologische Fundierung und methodisches Vorgehen
können, entsteht Subjektivität nicht notwendigerweise synchron mit der hegemonialen Diskursformation. So ist es durchaus vorstellbar, dass sich im Zeitverlauf hegemoniale Diskursformationen verschieben, aber das Subjekt noch eine antiquierte Subjektposition besetzt. Nonhoff schlägt daher vor, Subjekte stets als »temporalisierte Subjekte« (ebd.) zu denken, die »durch Artikulationen immer eine kleine differentielle Verschiebung erfahren, weil sie sich in eine neue Relation eingebunden finden« (ebd.). Dadurch ist es theoretisch nicht nur möglich, sondern auch notwendig, dass ein Subjekt auf der Zeitachse verschiedene Subjektpositionen einnimmt. Welche Subjektpositionen aber tatsächlich bezogen werden und auf welche diskursiven Formationen dabei Bezug genommen wird, kann letztlich nur empirisch beantwortet werden. Die theoretische Annahme einer quasi-automatischen Geltung von Diskursen auf subjektiver Ebene geht zudem davon aus, dass sich die Subjekte als Adressat_innen der Diskurse verstehen. Dass Altersdiskurse tatsächlich eine identitätsstiftende Bedeutung entfalten und in diesem Fall dazu beitragen, den alten Menschen als solchen zu konstituieren, setzt voraus, dass die Angerufenen entsprechende Subjektpositionen beziehen.5 Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen dagegen relativ deutlich, dass Alter eine Kategorie ist, die selbst von 70- und 80-Jährigen kaum zur Selbstbeschreibung genutzt wird und von den meisten Befragten in qualitativen und quantitativen Studien möglichst lange im Lebensverlauf nach hinten geschoben wird (vgl. Bolze/Schwabe 2015). Angesichts der negativen Konnotation von Alter muss also in Frage gestellt werden, dass entsprechende Diskurse von den 65-75-jährigen Befragten in dieser Studie tatsächlich als adäquate Identitätsangebote verstanden werden und dadurch Eingang in die Selbstkonzepte finden. Aus diesem Grund nehme ich bewusst Abstand von der Annahme, dass diskursive Formationen automatisch die Denk- und Handlungspraxis der Subjekte determinieren. Stattdessen gehe ich in poststrukturalistischer Tradition davon aus, dass Diskurse nie endgültig geschlossen sind und dadurch auch Subjektposition nicht abschließend bestimmbar sein können (Spies 2009a: 42). Durch diskursive Verschiebungen werden bestehende Subjektpositionen brüchig und die Subjekte stehen vor der Herausforderung, sich innerhalb neu artikulierter Diskurse neu zu positionieren (ebd.: 45). Sie werden dabei in strukturierte Entscheidungssituationen hineingeworfen, die ihrerseits aber »nicht ein für alle Mal entschieden sind« (Butler 1998: 221). Aber auch darüber hinaus konstituieren sich Subjekte niemals nur über die Zugehörigkeit zu einem Diskurs oder einem Diskursstrang, sondern nehmen »unterschiedliche Subjektpositionen innerhalb verschiedener, intersektionell verschränkter Diskurse an, wobei diese sich gegenseitig verstärken oder auch 5 | Pohn-Weidinger weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Subjektpositionen zugleich als Identitätsangebote fungieren können (Pohn-Weidinger 2014: 35).
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in Konkurrenz zueinander treten können« (Spies 2009a: 46). Da die soziale Welt aus poststrukturalistischer Perspektive nicht eindeutig und einheitlich strukturiert ist, kulturelle Codes mehrdeutig sind und aus verschiedenen Subjektpositionen unterschiedlich gelesen werden können, finden sich ununterbrochen neue Interpretationsspielräume: »Keine Handlung findet ein für alle Mal statt, keine Norm steht für immer, keine Struktur überdauert, wenn sie nicht immer wieder als solche aktualisiert wird« (Denninger et al. 2014: 35). Vor diesem Hintergrund eröffnen poststrukturalistische Ansätze nicht nur die Möglichkeit, identifizierte Diskurse unterschiedlich zu lesen. Vielmehr erscheint es als ein unwahrscheinliches, ja bisweilen als unmögliches Ereignis, dass sich diskursive Formationen in der immer gleichen Weise abbildhaft reproduzieren. Der performative Charakter der sozialen Welt provoziert dabei nicht nur andauernde Verschiebungen, sondern eröffnet zugleich ein Fenster für praktische und kritische Handlungsmacht (Denninger et al. 2014: 36). »Kritische Handlungsfähigkeit liegt nach Butler [erst da] vor, wo Subjekte zum Beispiel diskriminierende Adressierungen aufgreifen und sich gegen den Strich aneignen – oder wo sie gesellschaftlich zugewiesene Plätze nicht in der bislang vorgesehenen Weise einnehmen und dadurch neu definieren, was überhaupt als legitimer Platz gilt« (Graefe 2010b: 307). Die Frage, was kritische Handlungsfähigkeit vor dem Hintergrund einer aktivgesellschaftlichen Anrufung der Subjekte bedeuten mag, ist dabei gar nicht so leicht zu beantworten. Zwar lässt sich mutmaßen, dass eine aktive Lebensführung im Alter vor dem Hintergrund passiver und negativer gesellschaftlicher Altersbilder durchaus ein emanzipatorisches Potential mit sich bringt und – wie es die Gerontologie für sich in Anspruch nimmt – einen Beitrag gegen Ageism leistet. Geht man aber von einer politisch geförderten und wissenschaftlich propagierten Neuentdeckung des Alters als einer aktiven Lebensphase aus, in der sich die Angerufenen selbst aufgefordert fühlen sollen, einen produktiven Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten, stellt sich die Frage nach subjektiver Handlungsmacht und Gegenverhalten neu. Eine vielversprechende Antwort bieten Denninger et al. an, die dazu anregen, »Routine, bzw. Routinisiertheit in Zeiten politisch induzierten Wandels ob ihrer Beharrungskraft [als] Ausweis von spezifischer Handlungsmacht« (Denninger et al. 2014: 37) zu verstehen. Gerade weil der wissenschaftlichpolitische Diskurs zu einer aktivgesellschaftlichen Mobilisierung der Altersressourcen anleiten möchte, wäre die Verweigerung gegen solche Subjektivierungsprozesse, beispielsweise mit Verweis auf den wohlverdienten Ruhestand als ein solches Gegenverhalten zu verstehen. In dieser Arbeit frage ich darüber hinaus nach einer kritischen Handlungsmacht, bei der sich die Subjekte den aktivierenden Wiederverpflichtungsappell des Alters in einer nicht intendierten Form zu Eigen machen. Dabei suche ich nicht nur nach Beharrungstendenzen gegen aktivierende und eigenver-
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antwortliche Anrufungen, sondern nach eigensinnigen und gerade dadurch subversiven Modifikationen des Diskurses auf Ebene der Subjekte.6 So zielt der Diskurs um eine mitverantwortliche Lebensführung im Alter (wie zu zeigen sein wird) nicht nur auf Aktivität und Selbstsorge, sondern in herausgehobener Form auch darauf, »einen gesellschaftlichen Zusatznutzen zu produzieren« (Denninger et al. 2014: 141). Die geförderten Modellprogramme, wissenschaftlichen (Begleit-)Studien und politischen Verlautbarungen verengen diesen Produktivitätsdiskurs dabei meist auf soziale, helfende und das Gemeinwesen finanziell entlastende Tätigkeiten (siehe Kapitel 3.1.5, 3.1.6. sowie 3.4), während die Möglichkeit anderer Aktivitäten fast schon systematisch ausgeblendet wird. Daher geht es mir in dieser Studie auch darum zu überprüfen, ob und falls ja, wie der Wiederverpflichtungsdiskurs des Alters von politischen Aktivist_ innen gelesen, umgeschrieben oder aktualisiert wird. Insofern stelle ich explizit den (möglichen) Eigensinn der Subjekte in den Fokus der Studie. Unter Eigensinn verstehe ich dabei nicht die subjektive Entscheidung gegen eine diskursive Anrufung (was ein theoretisches Paradoxon wäre), sondern die Konsequenz, »dem Ruf nicht in der erwarteten Weise zu folgen« (Graefe 2010b: 292). Sosehr also einerseits davon ausgegangen wird, dass gesellschaftliche Diskurse das Feld des Möglichen strukturieren, so prekär bleiben sie andererseits wenn es darum geht, die Umsetzung von Programmen zu determinieren (ebd.: 296f.). An dieser Schnittstelle zwischen »Kopie und Interpretation« (ebd.: 300) von gesellschaftlichen Diskursen frage ich nach den Spielräumen diskursiver Rezeptionen. Die Frage nach der Bedeutung und Wirkungsweise von Diskursen in biografischen Erzählungen bleibt dabei stets empirisch zu beantworten (Bührmann/Schneider 2008: 71), was aber weder bedeutet, dass sich die Subjekte dieser Aneignung der Diskurse bewusst sein müssen, noch, dass der Diskurs in einer identischen Form reproduziert werden muss (Pohn-Weidinger 2014: 59). Diskursive Bezugnahmen finden sich auch als Zurückweisungen, als modifizierte Aneignung oder als kreative Vermengung unterschiedlicher Diskursstränge. Gerade weil die Subjekte stets in verschiedenen Diskursen positioniert sind, und die Subjektpositionen nicht nur miteinander konkurrieren, sondern auch miteinander kombinierbar sein können, gilt es für die Verschränkungen von Diskursen sensibel zu sein (ebd.). Dieser Aspekt spielt im konzeptionellen Design dieser Studie eine herausgehobene Rolle, geht es doch gerade darum, die Verschränkung von politischer Engagementgeschichte und dem Altersaktivierungsdiskurs als Zusammenspiel in den Blick zu nehmen. 6 | Dabei geht es mir nicht nur um mögliche Differenzen zwischen Diskursen und Praktiken, sondern ebenso um Widersprüche innerhalb von Praxis/Diskurs-Formationen (Reckwitz 2008: 207). Vertiefend um Verhältnis von Diskursen und Praktiken siehe Reckwitz 2008.
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2.4 D iskurse in B iogr afien Was bedeutet nun diese theoretische Perspektive für den Umgang mit dem empirischen Material? Ausgehend von der Annahme, dass Subjektpositionen diskursiv hervorgebracht werden, das erzählte Selbst in unterschiedlichen Diskursen positioniert sein kann und sich in diese Subjektpositionen aktiv hineinerzählen, bzw. »in die Positionierung investieren« (Spies 2009a: 53) muss, muss vom Forschungsprogramm der klassischen Biografieforschung Abstand genommen werden. Die Möglichkeit einer vollständigen Rekonstruktion von Erfahrungskontexten ist auf Basis der theoretischen Annahmen dieser Studie zu verwerfen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auf der Basis von Diskursen, aber auch in Abhängigkeit von Interviewsetting und Gesprächsverlauf unterschiedliche Subjektpositionierungen möglich werden und das erzählte Selbst erst über das aktive Hineinerzählen in diese Positionen konstruiert wird. »[B]eim Sprechen müssen Positionierungen eingenommen werden, wobei von Diskursen abhängig ist, welche Positionierungen zur Verfügung stehen (Spies 2009a: 63). Die Annahme einer komplexen »Verwobenheit von Biographie, Diskurs und Subjektivität« (Dausien et al. 2005: 12) sensibilisiert dabei für die strukturierende Bedeutung von Diskursen im Hinblick auf den biografischen Entwurf. Begreift man aber Subjekte ausschließlich als Effekte von Diskursen, läuft man andererseits Gefahr, die Möglichkeit von Handlungsmacht, bzw. agency aus der Theorie auszuklammern. Die Subjekte erscheinen dann lediglich als Reproduzierende einer diskursiven Struktur, die aber ihrerseits keinen Unterschied machen. An dieser Stelle schlägt Spies vor, den Foucaultschen Subjektbegriff mit den theoretischen Überlegungen von Laclau und Mouffe zu erweitern. Subjekte werden dabei über eine flüchtige Subjektposition hinausgehend als »Gesamtheit von Subjektpositionen [verstanden], die innerhalb bestimmter Diskurse hergestellt werden« (Spies 2009a: 37). Entscheidend ist dabei die Vorstellung, dass Subjekte nicht mehr nur auf eine einzige Subjektposition reduzierbar sind, sondern durch die Verortung in unterschiedlichen und miteinander konkurrierenden Diskursen in Situationen der Unentschiedenheit hineingeworfen werden (ebd.: 44).7 Indem es sich artikuliert, bezieht das sich konstituierende Subjekt eine Subjektposition, identifiziert sich zugleich mit 7 | An dieser Stelle schließt ein erweitertes Subjektverständnis an die Perspektive narrativer Identitäten an, wie sie in den folgenden Unterkapiteln ausgeführt wird. Das erzählte Selbst wird darin als Verknüpfung unterschiedlicher diskursiv strukturierter Subjektpositionen verstanden, die im Format der Lebensgeschichte miteinander in Beziehung gesetzt werden: »Identität ist innerhalb des Diskurses, innerhalb der Repräsentation. Sie wird zum Teil durch die Repräsentation konstruiert. Identität ist eine Er-
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dem Inhalt eines Diskurses und aktualisiert diesen. Da Diskurse ihrerseits als prinzipiell unabschließbar gedacht werden und die möglichen Artikulationen dadurch kontingent bleiben, liegt es letztlich an den Subjekten, Entscheidungen zu treffen, die einen Unterschied machen (ebd.). Auf diese Weise wird auch theoretisch die Möglichkeit von Handlungsmacht (agency) denkbar, wie sie in empirischen Studien zu biografischen Erzählungen und Diskursen regelmäßig identifiziert wird (Karl 2006; Spies 2009b; Tuider 2007). So weist beispielsweise Tuider darauf hin, dass biografische Erzählungen »über die zur Verfügung gestellten diskursiven Regime hinausgehen und sie unterlaufen [können]« (Tuider 2007: 25). Die Analyse von Biografien wird dann zu einer Analyse der subjektiven Verarbeitung von Diskursen, sodass »jede Biografieanalyse […] letztlich auch als Diskursanalyse zu verstehen ist (vgl. Rosenthal 2008, S. 172)« (Spies 2009a: 63). Biografische Erzählungen dürfen daher nicht als Türöffner zu einem wahren Ich oder einer Kern-Identität missverstanden werden. Vielmehr zeigen sie die »individuellen Sinnproduktionen und -repräsentationen im Kontext diskursiver Regime auf« (Tuider 2007: 26). Als bewusste Gegenbewegung zu den Gouvernementalitätsstudien, die häufig vorschnell aus der Identifikation von Diskursen auf ihre Wirkmächtigkeit im Sozialen kurzschließen, geht es mir explizit darum, den Verarbeitungsmodus unterschiedlicher Diskursstränge »im Modus des Vollzugs« (Ott/Wrana 2010: 156) zu untersuchen. Statt die Diskurse selbst in den Mittelpunkt der Analyse zu rücken, stelle ich mir die Frage, wie vor dem Hintergrund diskursiv hervorgebrachter Subjektpositionen subjektiver Sinn produziert und angeeignet wird.
2.5 D er I ntervie w te x t als kulturelle P roduk tion Für die Untersuchung der Positionierung der Subjekte auf der Basis gesellschaftlicher Diskurse habe ich Interviews geführt, die mit einer offenen Eingangsfrage nach dem Zustandekommen des politischen Engagements eingeleitet wurden. Die Befragten waren dabei zunächst relativ frei in der Konstruktion ihrer Engagementerzählung. Erst im zweiten Teil des Interviews wurden explizite Nachfragen nach bestimmten Statusübergängen gestellt, von denen der Übergang in die Rentenphase den größten Raum eingenommen hat. Vor dem Hintergrund des konzeptionellen Designs dieser Studie entspricht der Umgang mit dem Interviewmaterial nicht dem Vorgehen klassischer Biografieanalysen, denen es um eine detailgetreue Rekonstruktion von zählung (narrative) vom Selbst; sie ist die Geschichte (story), die wir uns vom Selbst erzählen, um zu erfahren, wer wir sind. Wir zwängen ihr eine Struktur auf« (Hall 1999: 94).
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Handlungsmustern geht. Vielmehr werden die teil-biografischen Erzählungen im Rahmen der Narrative Gerontology (vgl. Kenyon/Randall 2001) als kulturelle Produktionen verstanden. Das Erzählen der eigenen Biografie rückt dadurch selbst als eine diskursive Praxis in den Blick, indem bestimmte Selbsttechniken wie beispielsweise das Geständnis-Ablegen angewandt werden (Pohn-Weidinger 2014: 40f.). Die Gattung selbst fordert dabei zur Produktion einer wahren Geschichte über das Ich heraus, die zugleich moderiert wird durch kulturell geteilte Vorstellungen eines gelungenen Selbst-Verhältnisses und Regeln biografischen Erzählens. Die im Interview produzierten Selbstpräsentationen sind dadurch zugleich Reaktionen der Befragten auf die mit der Gattung einhergehenden Erwartung, sich als autonome Subjekte zu präsentieren. Dabei ist zu beachten, dass in Zeiten der Dezentrierung des Subjekts durchaus heterogene Skripte erfolgreicher Selbsterzählungen existieren. Die Subjekte können ihre (politische) Selbstpräsentation somit von einer Vielzahl sogar miteinander konkurrierender Subjektpositionen aus erzählen, bleiben dabei aber dennoch der »Forderung nach Einheit« (ebd.: 41) unterworfen. Die im Interviewkontext konstruierte Identitätserzählung ist insofern nicht als Ausdruck einer Substanz des Selbst zu verstehen, sondern in erster Linie eine Antwort auf die herangetragene Aufforderung sich der gesellschaftlichen Vorstellung von Identität entsprechend zu erzählen.8 Aus dieser Perspektive müssen die von Biografieforscher_innen häufig identifizierten Kohärenz- und Kontinuitätserscheinungen in erzählten Lebensgeschichten anders beurteilt werden. Statt hierin einen roten Faden des gelebten Lebens auszumachen, rücken diese Phänomene selbst als »life-course imaginaries« (Gullette 2003: 103) in den Blick. Sie verweisen nicht zwingendermaßen auf reale Lebenserfahrungen, sondern auf kulturelle Vorstellungen davon, wie erfolgreiche Selbsterzählungen zu arrangieren sind (ebd.: 103ff.). Die Erzählung der eigenen Biografie ist dabei strukturiert durch »fest verankerten Vorstellungen gelungenen Subjektseins in der (spät)modernen Gesellschaft, die wesentlich auf Kohärenz, Widerspruchsfreiheit und positive Entwicklungslogiken rekurrieren« (Denninger et al. 2014: 203). Die Erwartung, das eigene Leben als eine »kohärente Ganzheit« (Schäfer/Völter 2005: 169) darzustellen, moderiert gewissermaßen die Selbsterzählung. Wie bei einer Schablone9 werden ausgewählte Informationen in die Erzählung durchgelassen, während sich (im Sinne der Kohärenz) unpassende Erfahrungen oft nicht wiederfinden lassen (Kaufmann 2005b: 113f.). 8 | Zu den Ansprüchen an moderne und spätmoderne Identitätserzählungen siehe auch Keupp et al. 1999. 9 | Kaufmann benutzt daher den Terminus »Identitätsschablone« (Kaufmann 2005b: 113).
2. Methodologische Fundierung und methodisches Vorgehen
Schäfer und Völter warnen davor, entsprechende Kontinuitäts- und Kohärenzbeobachtungen mit Realrepräsentationen zu verwechseln. Es handele sich hierbei vielmehr um die »Folge von sozialen Erwartungen als auch – ganz konkret – eine Folge der Frage nach der Lebensgeschichte, die die kognitive Figur der Gesamtgestalt der Lebensgeschichte (Schütze 1984) hervorbringt« (Schäfer/Völter 2005: 169). Interessant erscheint daher weniger die Frage, ob Kontinuität und Kohärenz hergestellt werden, sondern vielmehr die Art und Weise, wie dies geschieht. Neben den relativ allgemeinen Kriterien wie Kohärenz oder Kontinuität werden biografische Erzählungen aber häufig auch durch spezifische SelbstEntwürfe moderiert, die die Befragten von sich selber haben und die zum Ausdruck bringen sollen, wie sie im Interviewkontext gelesen werden möchten. Nicht selten werden sogenannte »identity-statements« (Rubinstein 2002: 146) sogar explizit formuliert (z.B. »Ich bin ein katholischer Anarchist« oder »Einmal Blauhemd, immer Blauhemd«). In anderen Fällen zeigen dagegen wiederkehrende Positionierungen zu politischen Themen (»Was für mich immer das wichtigste Anliegen war…«) an, welche Identitätsschablonen die biografische Erzählung strukturieren. Lebensgeschichtliche Kohärenz und Kontinuität stellen sich somit als erzählerische Performances dar, die das erzählte Selbst aus dem zur Verfügung stehenden Material kreativ erzeugt (Smith/Sparkes 2008: 17). Eine besondere Sensibilität gebührt erzählerischen Brüchen und Diskontinuitäten außerdem vor dem Hintergrund der thematischen Rahmung dieser Studie. So stehen die auf Kontinuität und Kohärenz gerichteten Ansprüche biografischer Selbsterzählungen möglicherweise im Gegensatz zur gesellschaftlichen Rahmung der Rentenphase, die sich gerade über die Abgrenzung zu früheren Lebensphasen definiert. In diesem Spannungsfeld von biografischer Kontinuität und Kohärenz einerseits und dem Eintritt in eine neue Lebensphase andererseits unterliegen die Engagementgeschichten möglicherweise einer doppelten Strukturierung (Denninger et al. 2014: 204). Erzählungen über das Nacherwerbsleben werden dann als »stories of self-sameness and difference« (Gullette 2004: 123) interessant. Die im Interview hervorgebrachten Erzählungen enthalten Anfang und Ende sowie eine Dramaturgie und einen Handlungsplot, der die Ereignisse im Zeitverlauf miteinander verbindet. Dadurch ist es möglich, die biografischen Erzählungen als Geschichten im Sinne von Stories10 zu analysieren (Kenyon/ 10 | In der Forschungsliteratur ist umstritten, inwieweit die Begriffe Narrativ und Story sinnäquivalent gebraucht werden sollten. So warnt beispielsweise Riessman in ihren frühen Arbeiten davor, alle Narrative mit Stories gleichzusetzen (Riessman 1993: 18), benutzt die Begriffe aber später austauschbar (Riessman 2008). Auch andere Autor_in-
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Randall 2001). Mit Hinchman und Hinchman (1997) sind Geschichten in den Geisteswissenschaften definiert als »a clear sequential order that connects events in a meaningful way for a definite audience and thus offers insights about the world and/or people’s experiences of it« (Hinchman/Hinchman 1997: xvi). Im Gegensatz zu deskriptiven Diskursgattungen wie Chroniken oder Berichten zeichnen sich Geschichten (Stories) durch Sequenz und Konsequenz aus (Phoenix/Smith/Sparkes 2010: 2): »Events are selected, organised, connected, and evaluated as meaningful for a particular audience« (Hinchman/Hinchman 1997: 430).
2.6 N arr ative I dentitäten Im Zuge des ›narrative turns‹ in den Sozialwissenschaften sind in den letzten Jahren zahlreiche Publikation über die Konstruktion narrativer Identität, bzw. narrativer Selbstkonzepte entstanden (vgl. Smith/Sparkes 2008).11 Trotz unterschiedlicher Ausprägungen liegt dem ›narrativen Ansatz‹ eine gemeinsame Perspektive auf Identitäten zugrunde, wonach soziales Leben sprachlich verfasst und Identitäten narrativ konstruiert sind (ebd.: 5). »Personal stories are not merely a way of telling someone (or oneself) about one’s life; they are the means by which identities are fashioned« (Nelson 2001: 106). Sprachlich verfasste Narrative strukturieren im Prozess des Erzählens das erzählte Selbst und geben dabei eine Antwort auf die Frage, wer ich bin (Smith/Sparkes 2008: 5f.). Gemeinsam ist diesen Ansätzen ein Selbst-Verständnis, welches durch kulturelle Vorstellungen einer sprachlich verfassten Gesellschaft geprägt ist (ebd.: 6). Das erzählte Selbst ist kein essentialistisches Konzept, sondern ein multidimensionales Konstrukt, welches von sozialen, historischen und kulturellen Kontexten abhängt (vgl. Brockmeier/Carbaugh 2001). »Stories must always be considered in context, for storytelling occurs at a historical moment with its circulating discourses and power relations« (Riesman 2008: 8). Das erzählte Selbst wird darin verstanden als »constituted via narratives in and through time« (Smith/Sparkes 2008: 7). In einem Überblicksartikel präsentieren Smith und Sparkes (2008) unterschiedliche Ansätze narrativer Selbstkonzepte, die sie danach ordnen, wie sehr die einzelnen Ansätze den Fokus auf das erzählte Selbst oder narrative Strukturen legen. Während beispielsweise das Konzept narrativer Identität aus der nen geben zu, dass »a consistent distinction between narrative and story is difficult to sustain in usage« (Frank 2010: 14). Daher werde ich die beiden Begriffe im Folgenden ebenfalls synonym verwenden. 11 | Im Folgenden werde ich die Begriffe narrative Identität und narratives Selbst äquivalent verwenden.
2. Methodologische Fundierung und methodisches Vorgehen
Sozialpsychologie davon ausgeht, hinter dem Text eine psychologische Struktur des Selbst identifizieren zu können, geht in Foucaultschen Ansätzen das erzählte Selbst mehr oder weniger vollständig in diskursiven Strukturen auf. Das erzählte Selbst erscheint in diesen Ansätzen als ein ausschließlich performativ hergestelltes Produkt, d.h. als ein Effekt von Diskursen über das Selbst (ebd.: 24ff.). Vor dem Hintergrund dieser Heuristik werde ich eine Perspektive auf narrative Identität einnehmen, welche Smith und Sparkes als »storied resource perspective« (ebd.: 16ff.) bezeichnen. Unter diesem Label versammeln sich Theoriefamilien, die narrative Identität als ein kulturelles Produkt verstehen, welches aus unterschiedlichen narrativen Quellen zusammengesetzt ist (ebd.: 16). Das narrative Selbst wird darin primär als Leistung verstanden, die im permanenten Prozess des Erzählens, Wiedererzählens und Neuerzählens (»restorying«) hervorgebracht wird (Kenyon/Randall 2001: 5). Damit einher geht ein Selbst-Verständnis, das weder abschließbar noch im engen Sinne wahr ist. Das erzählte Selbst besteht nicht aus eingefrorener Erfahrung, die im Erzählvorgang wieder aufgetaut und zugänglich gemacht werden kann. Vielmehr werden vergangene Erlebnisse mit Bezug zur Gegenwart neu kontextualisiert, überschrieben, umgeschrieben oder ausgelassen. »People ascribe present meaning to or express present metaphors of past events. In one sense, the past exists only as it is remembered and created and recreated in the interaction with present and future experiences and with the meaning, interpretations, and metaphors ascribe to those experiences« (Kenyon/Ruth/ Mader 1999: 46). Eine Rekonstruktion zurückliegender Handlungsmuster, Erfahrungen oder Orientierungsrahmen – wie es in qualitativen Forschungsdesigns häufig angestrebt wird – ist vor dem Hintergrund der Narrative Gerontology konzeptionell ausgeschlossen.12 Lebensgeschichten werden dabei als dynamische und niemals fertige Konstruktionen betrachtet. Es wird der Annahme Rechnung getragen, dass gelebte Erfahrungen selbst dem Wandel unterliegen und damit »im wahrsten Sinne des Wortes ›mit der Zeit‹ gehen« (Denninger et al. 2014: 203). Mit anderen Worten: Von der Gegenwart ausgehend fällt der Blick auf die subjektive Konstruktion der Vergangenheit (Bude 1995: 37).
12 | Der theoretische Ansatz der Narrative Gerontology, bricht an dieser Stelle mit der Homologie-These, nach der die Strukturen des Gesagten zugleich den Strukturen des Erfahrenen entsprechen würden.
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2.7 D as erz ählte S elbst und seine B eziehungen Indem das Konzept narrativer Identität die Lebensgeschichten als eine kulturelle Produktion versteht, sensibilisiert es für die subjektive Verarbeitung von Diskursen und kulturellen Narrativen (Smith/Sparkes 2008: 19). Es berücksichtigt gleichermaßen die kulturelle Bedingtheit von Selbsterzählungen als auch die individuellen Spielräume im Umgang mit den vorgefundenen, narrativen Skripten. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass menschliche Wesen von Grund auf »storytellers« und »storylisteners« (Kenyon/Randall 2001: 5) sind. Sie sind in ihren Erzählungen weder gänzlich ›frei‹ noch erfinden sich aus dem Nichts. Vielmehr bedienen sie sich kultureller Narrative, die das Material als auch eine Struktur für die eigene Erzählung bereitstellen. Auf diese Weise bilden gesellschaftliche Narrative Vorlagen, sowohl für die eigene Lebensgeschichte, als auch für die Konzeption des Selbst in der Gegenwart (Selbstkonzept) (Phoenix/ Smith/Sparkes 2010: 2). Indem die »storytelling creatures« (Randall/Kenyon 2004: 333) aus angelieferten Narrativen eine kulturelle Produktion des Selbst erzeugen, sind sie in hohem Maße kreativ tätig. Sie schreiben kulturelle Skripte um, setzen Ereigniskonstellationen neu zusammen, verknüpfen nebeneinanderlaufende Handlungsplots miteinander, verändern Dramaturgie und Spannungskurven, kurz: Sie »zitieren und modifizieren Zitiertes« (Denninger et al. 2014: 203). Dadurch öffnet die Narrative Gerontology den Blick für kreative und eigensinnige Spielräume der Erzähler_innen im Umgang mit kulturellem Material (Smith/Sparkes 2008: 20). Die Narrative Gerontology legt darüber hinaus den Fokus auf das Repertoire kultureller Narrative, aus denen die einzelne Lebensgeschichte zusammengesetzt ist. Sie interessiert sich für die Beziehungen der Selbsterzählung zu den kulturellen Narrativen und die Frage, wie über diese Beziehungen ein narratives Selbst konstruiert wird (Smith/Sparkes 2008: 17f.). Margaret R. Somers versteht das erzählte Selbst dabei als das Produkt sozialer Relationalität und fordert, Identitätsanalysen in die relationalen und kulturellen Martrixen einzuordnen, aus denen sie sich speisen (Somers 1994: 622). Biografische Selbsterzählungen referieren damit immer schon auf die sozialen Narrative sowie die Positionierung des Subjekts zu ihnen (ebd.). Das Repertoire kulturell verfügbarer Narrative stellt dabei im ermöglichenden wie im begrenzenden Sinne den Horizont von Selbstpräsentationen dar. Es liefert einerseits das Material für Selbsterzählungen, sorgt aber andererseits auch dafür, dass das erzählte Selbst nicht frei gestaltbar ist. »While personalized over time, stories are drawn from a limited repertoire of available narrative resources that are, above all, ›social and interpersonal‹« (ebd.: 619). Das ›storied
2. Methodologische Fundierung und methodisches Vorgehen
self‹ ist dadurch an ein Foucaultsches Subjektverständnis anschlussfähig, welches das Selbst in seiner diskursiven Einbettung reflektiert. Die gesellschaftlichen Diskurse als kollektive, übersituative und intertextuelle Zusammenhänge von Äußerungsformen bilden damit gewissermaßen das Material, aus dem sich Narrationen zusammensetzen lassen (Viehöver 2011: 198). Indem das erzählte Selbst vorgefundene Subjektpositionen in Diskursen besetzt und dadurch zugleich modifiziert und diese durch einen Handlungsplot (›story line‹) miteinander verbindet, konstituiert sich die narrative Identität. Auch diese Selbsterzählung orientiert sich selbstverständlich an kulturell geteilten Narrativen gelungener Biografieerzählungen, ist aber zugleich dynamisch. »Narrativisierung umfaßt dabei die Arbeit der Kategorisierung und Identifikation, die Positionierung des Erzählers selbst und anderer Personen, Ereignisse und ›Objekte‹ in einem Netz von Beziehungen und in einem Handlungsablauf (plot)« (ebd.: 199). Das erzählte Selbst bleibt somit nicht auf sich selbst zurückgeworfen, sondern umgibt sich mit »webs of relationality« (Smith/Sparkes 2008: 18). Eine spezifische Form dieser selbst-konstituierenden Narrative bezeichnet Somers als »public narratives« (Somers 1994: 618). Darunter versteht sie »those narratives attached to cultural and institutional formations larger than the single individual, to intersubjective networks or institutions« (ebd.: 619). Die Besonderheit dieser ›public narratives‹ besteht darin, dass sie durch eine große Zahl von Rezipient_innen gehört werden und dadurch strukturelle Effekte erzielen können (Viehöver 2011: 200). Public Narratives organisieren sich in der Arena der Öffentlichkeit, erreichen dadurch viele Akteure und können Eingang in die Identitätserzählungen der Akteure finden, indem sie Positionen zu gesellschaftlichen Problemen anbieten. Ähnlich wie sich Subjekt erst auf der Basis entsprechender Diskurse konstituiert, bezieht sich das erzählte Selbst auf kulturell vorgefundene Narrative, die es im Akt der (Selbst-)Narrativierung miteinander in Beziehung setzt. Im Medium der biografischen Erzählung werden dabei – so die theoretische Annahme – auch Referenzen auf entsprechende Public Narratives identifizierbar. Mit anderen Worten: Die biografischen Selbsterzählungen referieren immer auch auf gesellschaftliche Diskurse. Die Frage lautet daher: Auf welche und inwiefern?13
13 | Zur Erweiterung der Diskursanalyse durch narrationstheoretische Methoden und Konzepte siehe auch Viehöver 2011.
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2.8 E rz ählen und H andeln Die storied-resource-perspective als eine Spielart der Narrative Gerontology bietet somit einen fruchtbaren theoretischen Rahmen für meine Forschungsfrage, weil sie sowohl nach den kulturellen Narrativen persönlicher Selbsterzählungen sucht, als auch deren Verarbeitungsmodi in den Blick nimmt. »[I]t seems that storied resource perspectives take seriously narrative as a form of social practice in which individuals draw from a cultural repertoire of available stories larger than themselves that they assemble into personal stories« (Smith/Sparkes 2008: 19).
Die im Interviewsetting produzierte Lebensgeschichte darf allerdings nicht mit der Wahrheit über das erzählte Selbst verwechselt werden. Sie ist lediglich eine von vielen unterschiedlichen Geschichten, die wir über uns selbst erzählen können und zugleich hochgradig vom Setting selbst provoziert. Das Erzählen der eigenen Lebensgeschichte im sozialwissenschaftlichen Interview ist eine Form der Selbstrepräsentation unter ganz spezifischen Bedingungen (Kaufmann 2005b: 160f.). Obwohl ich die Lebensgeschichte als eine kulturelle Produktion untersuchen werde, liegt dem Gespräch selbst die ›Wirklichkeitsannahme‹ zugrunde. Die Interaktion zwischen mir und den Interviewten basiert auf dem unausgesprochenen Einvernehmen darüber, dass die Lebensgeschichte, über die wir uns unterhalten, auch wirklich existiert. Vor diesem Hintergrund bietet die Interviewsituation dann einen relativ komfortablen Rahmen für die Selbstpräsentation. Jenseits des praktischen Handlungsvollzugs haben die Befragten die Möglichkeit, relativ ungestört in einem relativ großen Zeitfenster die eigene Geschichte zu gestalten. Die unter diesen Bedingungen produzierten »groß[en] Erzählung[en] der gewöhnlichen Erzählungen« (ebd.: 161) fallen entsprechend runder, klarer und vollständiger aus, als Selbst-Präsentationen im Alltag. Es handelt sich daher um Produktionen unter Experimentbedingungen, die sich im alltäglichen Handlungsvollzug nicht reproduzieren lassen (ebd.: 160f.). Dennoch ist die Selbsterzählung weder reine Fiktion noch Illusion, sondern ein »Schlüsselmoment im Prozess der Realitätskonstruktion« (ebd.: 160). Durch permanentes Restorying wird die Geschichte des Selbst vor dem Hintergrund jüngster Erfahrungen umgeschrieben und dadurch in ihrer sinnstiftenden Bedeutung verändert. Diese ›restoried stories‹ können ihrerseits als Ressource für zukünftige Identitätskonstruktion fungieren, weil sich die Erzählenden »die sprachliche Objektivierung des Erinnerten in der Regel als ›Wahrheit über sich selbst‹ aneignen« (Schäfer/Völter 2005: 169). Die im Interviewkontext produzierte Lebensgeschichte könnte in diesem Fall gar zu einem neuen »ontological narrative« (Somers 1994: 618) werden, welches die Erzählenden als Quelle ihres Alltagshandelns heranziehen (ebd.). Gerade weil die Le-
2. Methodologische Fundierung und methodisches Vorgehen
bensgeschichte eine vermeintlich »tiefe Wahrheit des Selbst« (Schäfer/Völter 2005: 170) produziert, habe sie großes Potential, selbst produktiv wirksam zu werden. Aus Foucaultscher Perspektive kann dieser Prozess »frei nach Louis Althusser – als ›Selbstanrufung des Subjekts‹ beschrieben werden« (ebd.: 169). Andererseits neigt die Narrative Gerontology dazu, die alltäglichen Handlungszwänge der Subjekte zu vernachlässigen. Im Interviewsetting ermöglichte Selbsterzählungen können allenfalls als eine Seite der Identitätskonstruktion betrachtet werden. Um handlungspraktisch wirksam zu werden, muss sie um eine »unmittelbare Identität« (Kaufmann 2005b: 177) ergänzt werden, d.h. ein Konzept der Alltagsbewältigung, welches sich erst im Handlungsvollzug bewährt. Wo die »biografische Identität« (ebd.: 170) auf die kunstvollen Konstruktion von »partiellen, relativen Einheiten« (ebd.: 177) zielt, basiert das faktische Handeln außerdem auf einem handlungsorientierten Selbstkonzept, d.h. einer »Antwort, die sofort gegeben werden muss, um dem Handeln eine bestimmte Richtung zu verleihen« (ebd.). Vor diesem Hintergrund steht das im Interviewkontext produzierte narrative Selbst theoretisch unter Vorbehalt, da eine analytische Untersuchung der realen Handlungsbedingungen in dieser Studie ebenso ausbliebt, wie eine Analyse des unmittelbaren Selbst im praktischen Handlungsvollzug. Da es mir aber um die Untersuchung von Diskursen in Biografien geht, kann diese Einschränkung zunächst vernachlässigt werden.
2.9 D as S e t ting der E rz ählung Zwar orientiere ich mich in der Gesprächsführung an der Technik des narrativen Interviews (vgl. Küsters 2006), welches den Befragten den größtmöglichen Spielraum in der Komposition der eigenen Erzählung geben soll. Andererseits gehe ich nicht davon aus, im Interview eine tiefere Wahrheit über das Selbst zu erfahren, die von Rechtfertigungszwängen befreit wäre (vgl. Bude 1985). Statt darauf zu achten, mögliche Störeinflüsse methodisch zu kontrollieren, wird die Interviewsituation als Rechtfertigungskontext ernst genommen. Das Interview wird als eine Dialogsituation verstanden und die darin produzierte Erzählung als das Ergebnis einer Koproduktion zwischen Interviewer und Befragten (Riessman 2008: 105) interpretiert. Das Setting des Interviews darf daher bei der Textanalyse nicht ausgeklammert werden (Gubrium 2001: 19). »How is a story co-produced in a complex choreography – in spaces between teller and listener, speaker and setting, text and reader, and history and culture« (Riessman 2008: 105)? Um dieser Annahme auch in der Darstellung der Ergebnisse Rechnung zu tragen, werden zu bestimmten Interviewzitaten die besonderen Entstehungsbedingungen erläutert.
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Die auf diese Weise produzierte Erzählung ist daher nur eine von vielen möglichen Selbsterzählungen und darf nicht als Wahrheit über das Selbst missverstanden werden. Auch in Abhängigkeit von dem vorgegebenen Thema sind unterschiedliche Selbstpräsentationen möglich: »We are private or economic stories, inner stories, public stories, physical stories, family stories, emotional stories, and cultural stories« (Kenyon 1996: 26). In der vorliegenden Studie sind die Interviewten darum gebeten worden, das Zustandekommen ihres politischen Engagements verständlich zu machen. Aufgrund dieser thematischen Fokussierung können die daraus resultierenden Erzählungen nicht einfach als Biografien bezeichnet werden. Die Befragten waren in ihrer Selbstpräsentation aufgefordert, solche Informationen einzubringen, die hinsichtlich ihres politischen Engagements von Bedeutung sind. Bereits vor diesem Hintergrund sind die Befragten mit der Erwartung konfrontiert, zu selektieren, zu organisieren und zu verbinden. Sie müssen entscheiden, welche Ereignisse und Erfahrungen für die thematisch-fokussierte Biografie relevant sind, wie diese relevanten Erfahrungen miteinander in Zusammenhang stehen oder auch wie Veränderungen und Unterbrechungen in der Geschichte erklärt werden. Mit anderen Worten: Sie sind dazu aufgefordert, das erzählte Selbst aus solchen Narrativen zu konstruieren, die sie im Hinblick auf ihr gegenwärtiges politisches Engagement für relevant halten. Die auf diese Weise zustande gekommenen Erzählungen möchte ich daher ›Geschichten des politischen Engagements‹ nennen, kurz: Engagementgeschichten. Die Befragten sind damit zunächst hinsichtlich der Bezugnahme auf konkrete Diskurse und die Investition in spezifische Subjektpositionen relativ frei. Erzählt werden sollte eine biografische Geschichte, die in das gegenwärtige Ruhestandsengagement mündet, bzw. dieses plausibilisiert.
3. Die methodische Umsetzung
Nachdem ich auf den vorherigen Seiten die methodologische Verknüpfung von Biografie und Diskurs dargelegt habe, steht die methodische Umsetzung noch aus. Ausgehend von der theoretischen Fundierung der Studie drängt sich hinsichtlich der methodischen Umsetzung ein Design auf, dass es einerseits erlaubt, Diskursformationen zu berücksichtigen und zugleich für die subjektive Verarbeitung von diskursiven Elementen in biografischen Erzählungen sensibel zu sein. Obwohl die Interviewstudie im Mittelpunkt der empirischen Untersuchung steht, orientiert sich die Auswertung der Interviewtexte in hohem Maß an theoretischen Vorannahmen. Konkret geht die Studie vom Diskurs zur ›Wiederverpflichtung des Alters‹ (vgl. Denninger et al. 2014) aus und beleuchtet das Interviewmaterial aus dieser Perspektive. Die Möglichkeit, die Positionierung der Subjekte im Diskurs zu analysieren, stellt die wichtigste Anforderung an die Wahl der Forschungsmethoden dar. Als Grundgerüst eignet sich daher das Forschungsprogramm der Wissenssoziologischen Diskursanalyse, wie es insbesondere von Rainer Keller entwickelt worden ist (vgl. Keller 2008; Keller 2010; Keller 2011; Keller/Schneider/ Viehöver 2012). Zwar wird dieser Ansatz in der Forschungspraxis häufig zur Rekonstruktion von öffentlichen Diskursen, zum Beispiel in den Medien, verwendet, eignet sich aber ebenso für die Rekonstruktion von Diskursen in biografischen Erzählungen: »Die Wissenssoziologische Diskursanalyse zielt dann nicht auf die (sozial-)phänomenologische Rekonstruktion typisierbarer Bewusstseinsleistungen, sondern auf die Analyse und Erklärung der diskursiven Konstruktion gesellschaftlicher Wissensbestände einschließlich derjenigen Elemente, die sich auf Sprecherpositionen, Selbsttechnologien und Subjektpositionen im Sinne diskursiv adressierter Subjekte richtet. Sie verwechselt jedoch nicht vorschnell die diskursiv vorgestellten Subjektpositionen mit den tatsächlichen Deutungs- und Handlungspraktiken der Akteure des Alltags. Soziale Akteure sind Adressaten von Wissensbeständen und darin eingelassenen Wertungen, aber auch nach Maßgabe der soziohistorischen und situativen Bedingungen selbstreflexive Sub-
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Alter in Verantwor tung? jekte, die in ihrer alltäglichen Be-Deutungsleistung soziale Wissensbestände als Regelbestände mehr oder weniger eigen-sinnig interpretieren« (Keller 2008: 221, kursiv i.O.).
Mit Hilfe der Wissenssoziologischen Diskursanalyse können einerseits Diskurselemente identifiziert und analysiert werden, als auch die kreativen Aneignungen aber auch Nicht-Aneignungen dieser Diskurse auf der Ebene der selbstreflexiven Subjekte beleuchtet werden. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass Diskurse nicht als Begründungs- oder Erklärungsprinzipien zu verstehen sind, die einseitig die biografischen Erfahrungen ›beeinflussen‹. Vielmehr geraten die biografischen Erzählungen selbst als Teil von Diskursen in den Blick, sodass man bestenfalls zwischen verschiedenen Diskursebenen unterscheiden kann. Vielversprechende Aufgliederungen von Diskursen in Unterdiskurse, die zwar je eigenen Regeln unterliegen aber dennoch miteinander zusammenhängen, finden sich insbesondere bei Pohn-Weidinger (2014: 63ff.). In Anlehnung an Link (2003, 2005) und Waldschmidt et al. (2007) unterscheidet sie zwischen wissenschaftlichen Diskursen, die sie als Spezialdiskurse bezeichnet, öffentlichen Diskursen, wie sie beispielsweise von Medien und Politik vorkommen und Alltagsdiskursen, womit das Spezialwissen der Subjekte gemeint ist, welches in öffentlichen Diskursen kaum repräsentiert wird (Pohn-Weidinger 2014: 62f.). Die hier vorgeschlagene Aufgliederung des Diskurses in Sonderdiskurse erweist sich im Rahmen dieser Studie als fruchtbar, bedarf aber einer leichten Modifizierung. Deshalb werde ich im Folgenden zunächst auf die Charakteristika der jeweiligen Sonderdiskurse kurz eingehen, um anschließend ihre Verwendung im Rahmen der Studie darzulegen. Die Besonderheit des wissenschaftlichen Spezialdiskurses besteht darin, dass er auf »themenbezogene, disziplinspezifische Wissensbestände mit ihren je eigenen Produktionsregeln« (Bührmann/Schneider 2008: 66) rekurriert. Dem wissenschaftlichen Spezialdiskurs liegen demnach relativ klare Regeln der Wissensproduktion zugrunde, wodurch ein relativ eindeutiges und zugleich begrenztes Feld der Sagbarkeit und Wißbarkeit konstituiert wird (Link 2003: 12; Link 2005: 86). Demgegenüber bezeichnet Keller öffentliche Diskurse, bzw. »Public Discourses« als »politisch-argumentative Auseinandersetzung über gesellschaftliche Problemfelder, an denen sich, vermittelt über die Massenmedien und diverse andere öffentliche Arenen die zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit beteiligt« (Keller 2008: 229). Ähnlich wie der Spezialdiskurs konstruiert auch der öffentliche Diskurs ein Feld des Sagbaren und Wißbaren, funktioniert aber nach anderen Regeln. Wo die Produktion und Überprüfung von Wissensbeständen im Spezialdiskurs als klares Ziel definiert ist und der Prozess vorab festgelegten und eindeutigen Regeln folgt, zielen öffentliche Diskurse eher auf die Legitimation von politischen Handlungen und politischen Perspekti-
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ven und sind dabei eingelassen in einen Kampf um Macht und Anerkennung (Pohn-Weidinger 2014: 62). Dieser analytischen Trennung zwischen einem auf (objektive) Wahrheit und entsubjektiviertes Wissen zielenden Spezialdiskurs und einem auf soziale Macht und politischen Einfluss zielenden öffentlichen Diskurs folge ich nicht und gehe stattdessen von einer inneren Verwobenheit beider Diskurse aus (vgl. auch Waldschmidt et al.: 2007). Um diesem Zusammenspiel auch begrifflich Rechnung zu tragen, greifen Waldschmidt et al. auf den Begriff des Interdiskurses zurück. Damit bezeichnen sie jene Diskurstypen, die sich durch »Bedeutungsaufladung und Polyvalenz, unscharfe Grenzziehungen, Hybridität und Bildhaftigkeit« (Waldschmidt et al. 2007: 15) auszeichnen. Interdiskurse kombinieren verschiedene Spezialdiskurse miteinander und führen dadurch Wissensbestände aus verschiedenen Spezialdiskursen zusammen (Pohn-Weidinger 2014: 63). Das in ihnen produzierte Wissen gründet auf »expliziten und systematischen (spezialdiskursiven) Regelungen, verweist aber in seiner Strukturiertheit auf die Dominanzverhältnisse zwischen den Spezialdiskursen und auf die jeweiligen Wertepräferenzen« (Bührmann/Schneider 2008: 66). Auf diese Weise fungieren Interdiskurse gewissermaßen als Brücken zwischen den Spezialdiskursen und dem Alltagswissen der Subjekte, da sie Interpretationsangebote und Deutungsmuster liefern, die ins Alltagswissen übertragen werden können (Pohn-Weidinger 2014: 63; Link 2003: 14). Statt von einer strikten Trennung von Spezialdiskursen und öffentlichen Diskursen auszugehen, werde ich den Wiederverpflichtungsdiskurs des Alters als einen Interdiskurs behandeln, bei dem wissenschaftliches und öffentlichpolitisches Wissen in höchstem Maße miteinander verzahnt sind. Diese Perspektive begründet sich sowohl aus der erkenntnistheoretisch problematischen Trennung zwischen wissenschaftlicher und öffentlich-politischer Sphäre, wonach beide Sphären nach grundlegend verschiedenen Regeln funktionieren würden. Dabei wird implizit davon ausgegangen, dass es im wissenschaftlichen Spezialdiskurs um die Produktion einer (objektiven) Wahrheit gehe, während der öffentliche Diskurs eher dem Wettbewerb um Macht und Einfluss zum Ziel habe. Vor dem Hintergrund der gouvernementalitätstheoretischen Grundannahmen gehe ich vielmehr von einer inneren Verschränkung von Wissen und Macht aus. Darüber hinaus zeigt sich insbesondere im altenpolitischen Feld eine enge Kopplung zwischen beiden Diskurssträngen. So haben Denninger et al. in ihrer Dispositivanalyse des Alters aufgezeigt, wie sehr Altenpolitik auf gerontologischem Spezialwissen auf baut, daran anschließt und es in Form von Modellprogrammen und politischen Strategien nutzbar macht (2014: 96ff.). Als besonders wertvolles Anschauungsmaterial für diese Verschränkung können dabei die Alten- und Engagementberichte der Bundesregierung gelten, in
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denen wissenschaftlich auf bereitetes Wissen zur Grundlage von politischen Programmen und Regierungshandeln wird. Als dritter Diskurstyp gilt der Elementardiskurs (Link 2005), den PohnWeidinger als Alltagsdiskurs bezeichnet (Pohn-Weidinger 2014: 63). Grundlage dieses Alltagsdiskurses ist das Alltagswissen der Subjekte, bzw. ihr »Erfahrungswissen« (Waldschmidt et al. 2007: 34). Hierbei spielen die ganz persönlichen Relevanzstrukturen der Subjekte eine wichtige Rolle, da diese biografisch gewachsen seien und spezifische Sensibilitäten für gesellschaftliche Diskurse erklären würden. Während der Interdiskurs »Subjektivierungsangebote bereitstellt, die für Einzelne in unterschiedlicher Weise verbindlich sein können, stellt der Elementardiskurs den Typus dar, der darüber entscheidet, welche Subjektivierungsweisen tatsächlich übernommen (oder auch zurückgewiesen) und somit für Alltagsmenschen handlungsrelevant werden« (ebd.: 22). Der Elementar- oder Alltagsdiskurs stellt diesbezüglich die »entscheidende gesellschaftliche Institution zur strukturellen Verkoppelung von Subjekt, Wissen und Macht« (ebd.: 2007: 31) dar, zeigt sich doch erst hier die tatsächliche Geltung von Diskursen. Statt Inter- und Alltagsdiskurs einander gegenüberzustellen und somit als zwei getrennt voneinander existierende Entitäten zu behandeln, müssen sie im Rahmen der Analyse als unterschiedliche Ebenen desselben Diskurses verstanden werden. Das Verhältnis darf auch nicht als ein einseitig verlaufendes Kausalverhältnis gedacht werden, in dem ein hegemonialer Interdiskurs einseitig den Alltagsdiskurs der Subjekte strukturiert. Obwohl unterschiedliche gesellschaftliche Machtverhältnisse durchaus berücksichtigt werden müssen, wäre es andersherum ebenso falsch, die Bedeutung von Alltagsdiskursen für Interdiskurse von vornherein zu negieren. Vor diesem Hintergrund sind Inter- und Alltagsdiskurs lediglich als analytisch getrennte Diskursebenen zu verstehen, was sich im Datenmaterial widerspiegelt: Während der Interdiskurs anhand wissenschaftlicher Publikationen (Studien, Forschungsartikel etc.) und politischer Veröffentlichungen (Kampagnen, Modellprogramme, Altenberichte etc.) nachgezeichnet wird, greife ich beim Alltagsdiskurs auf themenzentrierte biografische Interviews zurück. Auf eine eigene systematische Rekonstruktion des Mediendiskurses ist im Rahmen dieser Arbeit verzichtet worden, da sich wissenschaftliche Diskursanalysen bereits diesem Thema gewidmet haben und auf diese zurückgegriffen werden kann.
3.1 G egenstandsbezogene M e thodenintegr ation Der Ansatz der Wissenssoziologischen Diskursanalyse dient mir in oben beschriebener Form als konzeptionelles Grundgerüst dieser Studie. Gleichwohl handelt es sich dabei nicht um eine klar definierte Forschungsmethode, son-
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dern um einen theoretischen Rahmen, ebenso wie eine Haltung zum Material. Reiner Keller – der Begründer der Wissenssoziologischen Diskursanalyse – weist selber darauf hin, dass die »Diskursforschung multi-methodisch ansetzt und unterschiedliche Daten und Methoden […] in Beziehung setzt« (Keller 2011: 75). Statt mich gleich zu Beginn des Forschungsprozesses für eine ausformulierte und statische Forschungsmethode zu entscheiden und diesen Zugang zu den Daten ›auf Biegen und Brechen‹ durchzuhalten, habe ich mich – der Grounded Theory Methodologie folgend – für eine gegenstandsbezogene Methodenintegration entschieden, die ich im Folgenden erklären und begründen werde (vgl. Glaser/Strauss 2010 [1967]; Strauss 2004 [1987]; Strauss/ Corbin 1990).1 Damit wähle ich einen Mittelweg zwischen der »radikalen Ablehnung jeglicher Methodisierung« (Denninger et al. 2014: 49) und der radikalen Verengung auf eine Königsmethode, die zugunsten vermeintlich methodologischer Reinheit den Forschungsgegenstand aus dem Blick verliert. Statt einen ›stabilen Forschungsansatz‹ zugrundezulegen, greife ich in Abhängigkeit vom Erkenntnisinteresse auf unterschiedliche Ansätze zurück, die ich komplementär miteinander kombiniere. Das Vorgehen von der Rekrutierung der Interviewpartner_innen bis zur Auswertung und Verknüpfung der Diskursebenen, werde ich im Folgenden vorstellen.
3.2 D as I ntervie w : S ampling und D urchführung Grundlage der Interviewstudie sind 15 qualitative, leitfadengestützte Interviews mit 65-75-jährigen Menschen, die Rente oder Pension beziehen. Mit Ausnahme eines Falls sind alle Befragten nach einer relativ kontinuierlichen Erwerbsbiografie zwischen dem 60. und 65. Lebensjahr aus der Erwerbsphase ausgetreten.2 Alle Interviewten waren zum Interviewzeitpunkt körperlich wie geistig offensichtlich in guter Verfassung und bei der Alltagsgestaltung nicht auf fremde Hilfe angewiesen. Neben dem kalendarischen Alter (›Junges Alter‹, zwischen 65 und 75 Jahre alt) und der Entberuflichung stellt das politische 1 | So erwies sich beispielsweise die zunächst gewählte Narrationsanalyse zur Auswertung der Interviewtexte als ungeeignet, basiert sie doch auf der Möglichkeit einer klaren Textsortentrennung als auch der Rekonstruktion von (erlebten) Erfahrungskontexten. 2 | Theoretische Hintergrundannahme dieser Studie ist zudem das Modelle des institutionalisierten Lebenslaufes (Kohli 1985) Es wurde ungefragt von einer mehr oder weniger stabilen Erwerbsbiografie ausgegangen, die den Renteneintritt als Statusübergang zwischen Arbeit und Rente/Pensionierung beinhaltet. Die meist altersgebundene Entberuflichung wurde damit implizit als Sollbruchstelle biografischer Veränderung angenommen.
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Engagement zum Befragungszeitpunkt ein zentrales Auswahlkriterium dar. Es wurden nur solche Menschen befragt, die zum Zeitpunkt des Interviews Mitglieder in einer oder mehrerer (nach ihrem Selbstverständnis) politischen Organisation waren. Dabei habe ich mich zudem auf ein eher linkspolitisches Milieu (vgl. Matuschek et al.: 2011) beschränkt.3 Die je 8 Männer und 7 Frauen sind in den alten Bundesländern geboren, haben den Großteil ihres Lebens dort verbracht und lebten zum Befragungszeitpunkt in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Was das Bildungsniveau und die sozio-ökonomische Lage angeht, stellte sich das Sample im Vergleich zur Gesamtbevölkerung als überproportional bildungsaffin heraus. In Übereinstimmung mit den Ergebnissen anderer Engagementstudien verfügen auch die bürgerschaftlich Engagierten in dieser Studie mehrheitlich über akademische Abschlüsse, während Menschen ohne Schulabschluss oder Ausbildung unterrepräsentiert sind.4 Das spiegelte sich auch in den ehemaligen Berufen wieder, wo – abgesehen von einem Langzeitarbeitslosen – alle Befragten auf relativ stabile und kontinuierliche Erwerbsbiografien zurückblicken können, die sich zwischen Facharbeiter- und Angestelltentum, Beamtenstatus und Freiberuflichkeit bewegen. Ein deutliches Ungleichgewicht zeigt sich auch, was den Inhalt der Berufe angeht. Fast die Hälfte der Befragten war zuvor im weiteren Sinne im pädagogischen Bereich tätig (schulische Lehrerkraft, Jugend- und Erwachsenenbildung). Da die Auswahl von Befragten seit Beginn ein vernachlässigtes Thema qualitativer Studien ist, möchte ich kurz den Auswahlprozess beleuchten. Anders als in quantitativen Studien wird die Auswahl der Interviewpartner_innen nicht streng nach statistisch relevanten sozialstrukturellen Merkmalen vorgenommen, folgt keiner Schichtung oder Vorab-Quotierung. Vielmehr ist es an der theoretisch hergeleiteten Fragestellung ausgerichtet und vervollständigt sich erst im Laufe des Forschungsprozesses. Da mit der Auswahl der Fälle (insbesondere der ersten) dennoch wichtige Vorentscheidungen darüber getroffen werden, in welchen Feldern die Ergebnisse aussagekräftig werden, soll
3 | Die Idee, als mögliche Kontrastgruppe Menschen aus einem politisch eher rechten Milieu zu befragen habe ich später verworfen, da die politische Einstellung im Laufe der Auswertung in den Hintergrund rückte und sich das Material bezogen auf die Fragestellung als ausreichend sättigend herausstellte. Hinzu kommt außerdem, dass erste Versuche der Kontaktaufnahme im Anfangsstadium der Untersuchung an der mangelnden Bereitschaft der potentiellen Interviewpartner_innen scheiterten. 4 | »Nach dem Freiwilligensurvey 2004 sind 42,7% aller Personen mit Abitur/Hochschulreife bzw. einem abgeschlossenen Hochschulstudium freiwillig engagiert, dagegen nur jeder Vierte mit einfachem Bildungsniveau« (WZB 2009: 42). Dieser Trend schreibt sich auch für nachfolgende Jahrgänge fort (ebd.: 42f.).
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der Prozess des Samplings im Folgenden etwas detaillierter dargestellt werden (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2009: 173). Beim Auswahlprozedere ist auf eine Kombination von zwei verschiedenen Suchstrategien zurückgegriffen worden, die beide von einem wachsenden Sample im Laufe der Untersuchung ausgehen. Der Grundgedanke des ›theoretical sampling‹ lautet, dass die Auswahl »erster Fälle aufgrund einer relativ offenen sozialwissenschaftlichen Fragestellung, Interpretation, erste[r] Hypothesenbildung, erneute[r] Fallauswahl und fortschreitende[r] Theorieentwicklung ab[läuft]« (ebd.: 177). Auf Basis einer ersten Analyse wird dann entschieden, welche Daten als nächstes zu erheben sind und wo man diese finden kann. Der Prozess der Datenerhebung wird dabei durch die sich entwickelnde Theorie kontrolliert (Strauss 1991: 70). Anders als die Grounded Theory in ihrer Ursprungsfassung fordert, geht in dieser Studie das aufgrund der Literaturanalyse vorhandene Wissen als hermeneutischer Rahmen mit in die Auswahl der Interviewpartner_innen mit ein (Strauss/Corbin 1996: 25ff.; siehe auch ›Theoretisches Vorwissen – theoretische Sensibilität‹ später in diesem Kapitel). Ergänzt wurde das theoretical sampling durch das vorwiegend forschungspraktisch begründete Verfahren des ›snowball-sampling‹, bei dem erste Interviewpartner_innen nach weiteren potentiellen Interviewpartner_innen gefragt werden, der Schneeball also weitergegeben wird. Gerade bei politisch Aktiven, die in der Vergangenheit und Gegenwart aufgrund ihrer politischen Betätigung zum Teil Repressionserfahrungen gemacht haben und dadurch um die Gefahr der Weitergabe von sensiblen Daten wissen, hat sich diese Methode als äußerst hilfreich erwiesen. Die Weiterempfehlung durch vertrauenswürdige Personen öffnete hier den Zugang zu Interviewpartner_innen, die ansonsten kaum bereit gewesen wären, mit fremden Menschen über ihr politisches Engagement zu sprechen. Die Problematik dieses Auswahlverfahrens besteht dagegen in der Gefahr, lediglich ›Freunde von Freunden‹ zu Befragen und damit ein recht homogenes Sample zu produzieren. Um dieser Gefahr zu entgehen wurde das snowball-sampling jeweils nach 3-4 Weiterempfehlungen abgebrochen und unter theoretischen Gesichtspunkten wurden neue Feldeinstiege vorgenommen. Der Kontakt zu den Interviewpartner_innen ist in dieser Studie auf verschiedenen Wegen zustande gekommen. Neben dem bereits erwähnten Schneeballprinzip, wonach erste Interviewpartner_innen mir weitere Interviewpartner_innen vermittelten, waren persönliche Kontakte besonders hilfreich. So halfen mir beispielsweise Freunde dabei, über ihre Eltern Kontakte zu politisch aktiven Menschen aufzubauen oder sie verbreiteten meine Interviewanfragen in ihren eigenen politischen Zusammenhängen und Freundeskreisen. Darüber hinaus schrieb ich E‑Mails an Institutionen, Parteien, politische Gruppen und Vereine und Bürgerinitiativen, in denen ich um die Verbreitung
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meiner Interviewanfrage bat. Andere Interviewpartner_innen waren dagegen eher ›Zufallsfunde‹. Ich lernte sie als Musiker_in, Referent_in oder Teilnehmer_in auf politischen Veranstaltungen kennen, führte ein kurzes Kontaktgespräch und vereinbarte schließlich per Telefon oder E‑Mail einen Interviewtermin. Die anschließenden Interviews führte ich alleine mit der befragten Person, wobei in einigen Fällen temporär noch andere Personen (Ehepartner, Lebensgefährte) kurz durch den Raum gingen oder sich für eine begrenzte Zeit dort aufhielten. Allen Interviewpartner_innen wurde die Möglichkeit eingeräumt, das Treffen in ihrer eigenen Wohnung oder einem Ort ihrer Wahl stattfinden zu lassen, wovon ausnahmslos Gebrauch gemacht wurde. Auf diese Weise konnte eine für die Befragten vertrauensvolle Umgebung sichergestellt werden. Als Vorabinformationen erhielten alle Befragten eine weitgehend standardisierte E‑Mail, in der mein Forschungsprojekt, der institutionelle Rahmen des Graduiertenkollegs sowie die grobe Fragestellung der Studie (Politisches Engagement im Lebensverlauf) beschrieben waren. Als separates Dokument wurden zudem die Datenschutzrichtlinien und die Informationen über die wissenschaftliche Verwendung des Interviewmaterials zugeschickt. Hierin enthalten war unter anderem eine Erklärungen zur verschlüsselten und zeitlich begrenzten Auf bewahrung des Interviewmaterials, zur Trennung von personenbezogenen Daten (Datenschutzvereinbarung und Datennutzungszustimmung mit persönlicher Unterschrift) von dem aufgezeichneten Interview und dem erstellten Transkript, sowie die Zusicherung von Anonymität durch Pseudonymisierung. Dadurch ist der Umgang mit Personen-, Gruppen- und Ortsnamen, Altersangaben etc. geklärt. Alle in der Studie vorkommenden Namen von Personen, Orten, Gruppen, Parteien, Vereinen werden durch Pseudonyme ersetzt und zusätzlich die Altersangaben der Befragten geringfügig verändert, um eine rückwirkende Identifikation durch Unbefugte auszuschließen. Diese relativ hohen Daten- und Personenschutzmaßnahmen qualitativer Forschungsvorhaben unterstützen zusätzlich die Schaffung einer angenehmen, geschützten und vertrauensvollen Gesprächsatmosphäre. Alle Interviews wurden zwischen Februar und November 2013 geführt. Die Gesprächsatmosphäre empfand ich meist als sehr offen und angenehm, obwohl einige Befragte trotz aller datenschutzrechtlichen Zusicherungen offen darauf hinwiesen, über einige Lebenspassagen nicht zu reden und bestimmte politische Aktionen nicht im Interviewkontext zu erzählen. Je nach Kontaktweg, politischem Milieu oder auf Initiative der Interviewten wurden die Personen gesiezt oder geduzt.5
5 | Da ich von einigen älteren Personen erfahren habe, dass sie nicht aufgrund ihres Alters gesiezt werden möchten, weil dadurch eine Alterszuschreibung, eine künstliche
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Sehr unterschiedlich fielen dagegen die Eingangserzählungen aus. Während einige Befragte von der Entstehung ihres politischen Engagements ausgehend eigenständig eine über 2-stündige Lebensgeschichte lieferten, verlangten andere eine stärkere Lenkung vom Interviewer. Hier wurde dann versucht, durch gezieltes Nachfragen bereits zu Beginn des Interviews eine stärkere narrative Tiefe zu erreichen, um darauf auf bauend dann die engagementzentrierte Lebensgeschichte ›abzuarbeiten‹. In der Regel stieg die Erzählbereitschaft umso stärker an, je länger das Interview dauerte. Das Interview selbst orientierte sich am Format des »Problemzentrierten Interview« nach Andreas Witzel (2000) und dem für narrative Interviews üblichen Ablauf von Erzählstimulus, bzw. offener Eingangsfrage, immanenten und schließlich exmenanten Nachfragen (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2009: 80ff.). Ausgehend von den Grundprinzipien des Problemzentrierten Interviews (Problemzentrierung, Gegenstandsorientierung und Prozessorientierung) konnte eine ausgeglichene Mischung aus thematischer Fokussierung und narrativer Offenheit hergestellt werden (Witzel 2000: 4). So wurde den Befragten zu Beginn des Interviews die relativ offene Eingangsfrage gestellt, wie es bei Ihnen dazu gekommen ist, dass Sie sich politisch engagieren. Dadurch wurde eine relativ offene Erzählphase eingeleitet, in der die Interviewten weitgehend selbstbestimmt eine eigene Narration zur Entstehung und später auch Entwicklung des persönlichen politischen Engagements produzieren konnten. Je nachdem wie flüssig sich diese Erzählung gestaltete, habe ich entweder durch erzählunterstützende Impulse (»Mhm«, »Ja«, Kopfnicken etc.) die Rolle des aktiven Zuhörers eingenommen oder durch aktives Nachfragen zum Weitererzählen ermuntert (»…und wie ist das dann weitergegangen?« »…wie hat sich ihr Engagement dann entwickelt?« etc.). In der Regel wurde die Eingangserzählung von den Interviewten eigenständig durch entsprechende Abschlussmarker beendet (»…ja und so bin ich zur Bürgerinitiative gekommen«, »…ja, das war’s eigentlich« etc.). Der zweite Teil des Interviews gestaltete sich dann wesentlich strukturierter. Unter Bezugnahme auf den Interviewleitfaden stellte ich zunächst immanente und anschließend exmanente Nachfragen zu biografischen Übergangsphasen (Beginn der Erwerbsarbeit, Familiengründung) und fokussierte das Gespräch dann auf den Übergang in die nachberufliche Lebensphase und die Bedeutung von politischem Engagement in eben jener. Der Leitfaden diente mir dabei als grobe Orientierung auf die anzusprechenden Themenkomplexe, wurde aber nicht stur von oben nach unten abgearbeitet. Auf diese Weise diente der Interviewleitfaden primär als »Gedächtnisstütze und OrientierungsrahDistanz und oft eine zugeschriebene Autorität verbunden wird, habe ich teilweise selbst offensiv die Du-Form gewählt.
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men« (ebd.: 8). Statt in eine »Leitfadenbürokratie« (Hopf 1978: 101) zu verfallen wurde die Reihenfolge der Fragen variiert und von dem bereits Erzählten abhängig gemacht, welche Themen nochmals explizit eröffnet wurden, welche in modifizierter Form vertieft wurden und welche keiner tieferen Behandlung bedurften. Neben der biografischen Entwicklung des politischen Engagements interessierten mich vor allem die Verknüpfung der politischen Diskurse mit der eigenen Lebensgeschichte, sowie schließlich explizit Narrationen zum Ruhestand, zum Zustandekommen des Ruhestandsengagements und persönlichen Verantwortung für zivilgesellschaftliche Organisationen und die Gesellschaft insgesamt. Um den Wiederverpflichtungsdiskurs des Alters im Interviewkontext zu thematisieren, habe ich den Befragten außerdem zum Abschluss des Gespräches einen Auszug aus dem sechsten Altenbericht der Bundesregierung vorgelegt, in der die Verantwortung älterer Menschen für das Gemeinwohl betont und als deren persönliche Verpflichtung bezeichnet wird (BMFSFJ 2010: 21f.). Allerdings wurde der Leitfaden während der Interviewstudie auf Basis erster Analysen in Nuancen modifiziert. Enthielt er zu Beginn der Untersuchung noch zahlreiche Fragen zum Alterserleben und der Bedeutung des Alters im politischen Engagement, zeigte sich relativ deutlich, dass die Kategorie ›Alter‹ in den Selbsterzählungen der 65-75-Jährigen kaum eine Rolle spielte (vgl. auch Graefe 2013). Zwar finden sich durchaus Hinweise auf kontextspezifische Alterskonstruktionen, wenn man beispielsweise das Fernbleiben von körperlich anstrengenden Demonstrationen mit dem Alter begründet. Als allgemeine Identitätskategorie (vgl. Amrhein/Backes 2008) fungiert das Alter dagegen eher nicht. Stattdessen rückte das Nacherwerbsleben als solches stärker in den Fokus. Aufgrund des äußerlichen Erscheinungsbildes war die Interviewsituation von vornherein durch ein Altersgefälle gerahmt. Ich selbst war als Interviewer ca. 40-50 Jahre jünger als die Befragten, was sich durchaus auf das Gespräch selbst auswirkte. Das machte sich im Interview möglicherweise dadurch bemerkbar, dass generationenspezifische Erfahrungen sehr kleinschrittig erzählt worden sind (Detaillierungszwang).6 Dadurch wurden einerseits Beschreibungen als Darstellungsform herausgefordert, aber andererseits auch subjektive Sichtweisen in Abgrenzung zu hegemonialen Erinnerungsdiskursen sichtbar (»68 wird ja immer als Aufstand der Studenten wahrgenommen, aber für mich war 68 in erster Linie…«). Andererseits galt es vor dem Hintergrund des Altersgefälles auch sensibel für die seltenen Altersthematisierungen im Interview zu sein. Statt aber alle Altersthematisierungen dem Interviewsetting zuzuschrei6 | Z.B. Erzählungen über den Vietnamkrieg, den Nato-Doppelbeschluss, der Brokdorfer Polizeieinsatz etc.
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ben und dadurch ihren Einfluss methodisch vermeintlich zu kontrollieren, galt es reflexiv mit der kulturellen Produktion des Interviewtextes umzugehen, insbesondere im Hinblick auf altersspezifische Rahmungen.
3.3 K urzfr agebogen , M emos , A uf zeichnung Im Anschluss an das Interview habe ich mit den Befragten einen Kurzfragebogen ausgefüllt, mit dem soziodemografische Daten wie das Alter, formaler Bildungsabschluss, letzter Beruf, sowie Anzahl der Kinder und Enkelkinder erhoben worden sind. Unmittelbar nach dem Gespräch habe ich außerdem ein ausführliches Memo verfasst, indem ich meine Gedanken und Anmerkungen zur Person, zum Fragebogen und zum Gesamtablauf niedergeschrieben habe. Hierin sind auch erste »thematische Auffälligkeiten und Interpretationsideen« (Witzel 2000: 9) eingeflossen. Diese Aufzeichnungen sind später bei der Interpretation des Materials wieder zum Einsatz gekommen. Die per Audiogerät aufgezeichneten Gespräche wurden in den folgenden Wochen und Monaten nach einheitlichen Regeln transkribiert, sodass auch Betonungen, Pausen oder sonstige Laute (lachen, seufzen) berücksichtigt worden sind. Auf diese Weise konnten emotionale Situationen oder ironische Untermalungen festgehalten und in der textbezogenen Analyse entsprechend berücksichtigt werden. Anschließend an das Problemzentrierte Interview nach Witzel erfolgte die Auswertung des Materials in einem zweistufigen Vorgehen. In einem ersten Schritt wurden dabei mithilfe der Grounded-Theory-Methodology (GTM) die subjektiven Konstruktionen der Interviewten im Hinblick auf die Mitverantwortliche Subjektivität systematisch analysiert (Kapitel 4) um anschließend die Verschränkung der Diskursebenen (Kapitel 5) zu untersuchen.
3.4 P rimär auswertung nach G rounded -Theory -M e thodology Die Auswertung der Interviewdaten erfolgte in Anlehnung an die GroundedTheory-Methodology (Glaser/Strauss 2010 [1967]; Strauss 2004 [1987]; Strauss/ Corbin 1990), die allerdings weniger eine fertige Methode denn vielmehr einen ›Forschungsstil‹ bezeichnet (Mey/Mruck 2011: 16). Außerdem haben sich im Laufe der Jahre zahlreiche ›Spielarten‹ der GTM entwickelt, die zwar alle einem ähnlichen Vorgehensmuster folgen, aber bei genauerem Hinschauen doch von unterschiedlichen Paradigmen und Annahmen ausgehen (ebd.: 16ff.).
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Im Rahmen dieser Arbeit bediene ich mich im Wesentlichen bei der von Anselm Strauss und später Juliet Corbin entwickelten Version der Methodologie (Strauss 1994; Strauss/Corbin 1996), da sie über eine fundierte Anleitung zum Umgang mit dem theoretischen Vorwissen anbietet und mit dem Kodierparadigma ein hilfreiches Instrumentarium zur Systematisierung der Kategorien zur Verfügung stellt (Post 2009: 57). Gleichzeitig verstehe ich die GTM mit Kathy C. Charmaz konstruktivistisch, geht es mir doch nicht darum, ›tatsächliche‹ Erfahrungsaufschichtungen zu rekonstruieren, sondern darum, »wie Menschen sich sozial konstruierter Diskurse bedienen« (Charmaz 2011: 195). Dadurch wird es im Rahmen der Auswertung möglich, »individuelles Handeln und individuellen Sinn in größeren sozialen Strukturen und Diskursen zu verorten, derer sich die Forschungsteilnehmer/innen nicht notwendig bewusst sein mögen« (ebd.). Statt die Konstruktionen der Interviewten als Abbild oder Ausdruck einer erfahrenen Wirklichkeit zu verstehen, sensibilisiert ein konstruktivistisches Verständnis der GTM für die, ihnen zugrunde liegenden, impliziten Voraussetzungen und Hintergrundannahmen (ebd.: 195). Damit wird die GTM an die Perspektive der Narrative Gerontology anschlussfähig, die gerade das Zusammenspiel von Diskursen und subjektiver Erfahrung in den Blick nimmt (Graefe 2013: 17). Andererseits sollte im ersten Schritt aber zunächst auch offen gelassen werden, ob sich die Befragten überhaupt auf der Basis des identifizierten Wiederverpflichtungsdiskurses verorten lassen. Statt von vornherein einen a priori Zusammenhang zugrundezulegen, ging es auch um die Möglichkeit ›andersdiskursiver Bezugnahmen‹. Da die GTM mittlerweile häufig als ein leeres Label genutzt wird, mit deren Hilfe die Durchführung induktiver qualitativer Forschung legitimiert werden soll, möchte ich meine Vorgehensweise im Folgenden konkreter erläutern. Obwohl die GTM nämlich auf ein rigides Regelwerk verzichtet, dürfe sie andererseits »nicht als Freibrief für ein ›anything goes‹ […] missverstanden werden« (Strübing 2008: 18).
3.5 Theore tisches V orwissen – theore tische S ensibilität Wurde die GTM in ihrer Frühphase zumeist als ein Werkzeug zur Entdeckung empirisch vorhandenem Wissens missverstanden, setzte sich in der jüngeren Rezeptionsgeschichte ein Forschungsverständnis durch, bei dem von den Forschenden eine aktiv-kreative Arbeit nötig sei (Strübing 2008: 13ff.). Damit wird eingestanden, dass die Forschenden nicht nur – wie vermeintlich die Archäologin – faktisch vorhandene Wissenssegmente freilegen, sondern durch eigenes Zutun aktiv an der Entstehung der empirischen Forschungsergebnisse beteiligt sind (ebd.).
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Mit dem Konzept der ›Theoretischen Sensibilität‹ wird dabei die Rolle der Forschenden als Ko-Produzierende der entstehenden Theorie angesprochen, ohne aber das volle Ausmaß dieser Konstruktion in dem frühen Stadium der Theorieentwicklung voll zu reflektieren. Erst in einer konstruktivistischen Variante der GTM wird offen eingeräumt, dass einerseits die Daten selbst interaktiv entstehen und andererseits die Forschenden den Prozess der Kategorienbildung in hohem Maße mit zu verantworten haben (Charmaz 2011: 196). Eine auf der Basis von gesellschaftlichen Diskursen (und im klassischen Verständnis theoretisch) geleitete Interviewanalyse gilt somit nicht mehr als problematisch, sondern eröffnet vielmehr einen tieferen Blick in die Konstruktionsbedingungen und den ihnen zugrundeliegenden Diskursen.
3.6 K odieren und V ergleichen – V om I ntervie w te x t zum M odell Die Analyse der Interviewtexte erfolgte anschließend auf Basis der GTM als ein mehrstufiger Prozess, bei dem Interviewanalyse und Theorieentwicklung einander abwechselten. Eine erste Analyse der Daten wurde unter Berücksichtigung der ursprünglichen Fragestellung vorgenommen, regte zu einer Modifikation und Spezifizierung der Forschungsfrage an und machte anschließend eine Re-Analyse der Daten nötig. Statt strikt einem vorgegebenen Ablaufmuster zu folgen, konnten unter Berücksichtigung der Erkenntnisfortschritte die ersten Kategorien neu miteinander in Beziehung gesetzt werden, sodass neue Zusammenhänge zwischen den Daten entstanden sind (Charmaz 2011: 194). Die Kodierung der Interviewtexte wich in diesem Stadium von dem Prinzip des offenen Kodierens ab, wie es in den ursprünglichen und eher ›objektivistisch‹ gelagerten Versionen der GTM vorgeschlagen wird (Strauss/Corbin 1996: 43ff.). Zwar geschah die Kodierung auch in diesem Stadium noch entlang der Einzelfälle, wurde aber inhaltlich bereits von den theoretischen Überlegungen zur ›Mitverantwortlichen Subjektivität‹ geleitet. Um der Spezifik des Einzelfalls Rechnung tragen zu können, habe ich außerdem weitere Themenbereiche in die Kodierung aufgenommen, die sich zunächst nicht ohne Weiteres plausibel in die ursprüngliche Kodierlogik einfügen ließen, aber sich für die Strukturierung des Textes und in Bezug auf das zu untersuchende Phänomen als bedeutsam herausstellten. So erwies sich beispielsweise die soziale Positionierung der Interviewten im Bezug zur Eigengruppe in bestimmten Konstellationen als eine wichtige Kategorie, mit der ich zunächst nicht gerechnet hatte. Bereits in diesem Stadium der Analyse wurden typenspezifische Fallbeschreibungen (6-10 Seiten) erstellt, in denen sowohl die spezifischen Verlaufsdynamiken der jeweiligen Biografien, als auch erste Ideen zur Beziehung der
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identifizierten Kodes untereinander festgehalten worden sind (Strauss/Corbin 1996: 170ff.). Parallel dazu wurden weitere Überlegungen zur Verknüpfung der Kodes angestellt, vorläufige Kategorien in gesonderten Memos entwickelt und mithilfe der Kodes verdichtet (ebd.: 47ff.). Anschließend wurden die auf diese Weise herausgearbeiteten Kategorien in einem kontrastiven Fallvergleich miteinander in Beziehung gesetzt und auf diese Weise die unterschiedlichen Dimensionen entwickelt. Zur Verdeutlichung dieses Vorgehens stelle ich Auszüge aus den Interviews von Dieter und Klaus gegenüber, in denen sie über ihre Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme im Ruhestand berichten: Dieter: »Ich bin da zwar noch Mitglied, wenn die mich mal brauchen, sollen sie gerne kommen, aber ansonsten geh ich jetzt mal wieder mehr ins Theater« (Z. 1024-1025). Klaus: »Ich bin ein Privilegierter und von meiner Herkunft aus kann das nur bedeuten, meinen Ruhestand jetzt nicht egoistisch ab auf einer Insel, wer das macht und meint, er müsste das machen, der soll es machen, NEE, mein Ruhestand ist eine neue Phase des Lebens, da kann man wieder was zurückgeben, an den positiven Teil unserer Gesellschaft und der positive Teil unser Gesellschaft, das ist immer der arbeitende Teil […], ich habe plötzlich viel, viel Zeit, noch mehr, das zu tun, von dem ich denke, dass es getan werden muss« (Z. 706-712).
Der Vergleich der beiden Sequenzen, die beide im Rahmen der fallinternen Kodierung unter den abstrakten Kode der ›Verantwortungsbeziehung‹ subsumiert worden sind, sensibilisiert für die unterschiedlichen Dimensionen des Phänomens. Während die erste Sequenz somit als eine reaktiv-gruppenbezogene Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme benannt worden ist, firmierte die zweite Sequenz fortan unter dem Label der ›aktiv-reziprozitätsorientierten Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme‹. Beide Sequenzen konnten auf diese Weise als unterschiedliche Ausprägungen der Kategorie ›Verantwortungsübernahmebereitschaft‹ zugeordnet werden. In einem weiteren Schritt wurden die so identifizierten Kategorien samt der dazugehörigen Dimensionen miteinander in Beziehung gesetzt. Mithilfe des Kodierparadigmas von Strauss und Corbin (1996: 75ff.) ging es darum, »die zuvor isoliert betrachteten Phänomene in einen Strukturzusammenhang zu bringen« (Strübing 2008: 27). Das Kodierparadigma erwies sich im Rahmen dieser Untersuchung als ein nützliches Instrument des axialen Kodierens. Mit seiner Hilfe konnten Ursachen, Phänomene, Kontextbedingungen und die spezifischen Ausprägungen des Phänomens differenziert werden (Strauss/Corbin 1996: 75). Konkret rückte dabei die Kategorie der Verantwortungsübernahmebereitschaft in den Mittelpunkt des Kodierparadigmas, die schließlich im weiteren
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Prozess der Analyse zur ›Mitverantwortlichen Subjektivität‹ weiterentwickelt und verdichtet werden konnte. Die Kategorie ›Rahmung des Ruhestandes‹ – die im ersten Kodierprozess auf Basis der theoretischen Vorannahmen im Zentrum der Analyse stand, rückte dabei im Laufe der empirischen Analyse in die Kontextbedingungen des Modells. Dieser (Erkenntnis-)Prozess wurde durch zahlreiche Memos begleitet, die immer wieder zu einer De- und Rekodierung veranlassten und mich gewissermaßen dazu gezwungen haben, den Forschungsprozess so zu organisieren, wie es die Gründerväter der GTM ursprünglich im Sinn hatten: als ein kontinuierlicher Wechsel von Handeln und Reflexion, von Datenanalyse und Theoriebildung (Strübing 2008: 15). Ergänzt und verfeinert wurde das Methodengerüst der GTM schließlich durch das Stufenmodell der »empirisch begründeten Typenbildung« (Kluge 1999). Mit seiner Hilfe konnten die relevanten Vergleichsdimensionen systematisch erarbeitet, eine kontrastierende Gruppierung der Fälle auf der Basis empirischer Regelmäßigkeiten vertieft und eine Analyse der inhaltlichen Sinnzusammenhänge vorgenommen werden (ebd.: 260ff.). Am Ende des Vergleichs konnten auf diese Weise drei Typen der Mitverantwortlichen Subjektivität entwickelt werden, die sich in den herausgearbeiteten Dimensionen voneinander abgrenzen lassen. Eine große Herausforderung bildete abschließend die Charakterisierung der gebildeten Typen, galt es doch Verkürzungen und Verzerrungen zu vermeiden, um »der Komplexität der untersuchten Sachverhalte gerecht zu werden« (ebd.: 280). Ein zentrales Thema in qualitativen Studien bildet zudem die Verknüpfung von sozialmoralischen Orientierungen und sozialstrukturellen Lagerungen. Dabei geht es häufig um die Frage, in welchen sozialen Gruppen oder Milieus die identifizierten Orientierungsrahmen vorkommen, bzw. an welche sozialstrukturellen Lagerungen die Orientierungsrahmen anschlussfähig sind. So widmet sich beispielsweise die Dokumentarische Methode in einem eigenen Analyseschritt der ›Soziogenetischen Typenbildung‹, in der die spezifischen Erfahrungshintergründe für die identifizierten Orientierungsrahmen untersucht werden (Nohl 2012: 7). Es wird davon ausgegangen, dass die Verortung im Rahmen relevanter gesellschaftlicher Unterscheidungskriterien (wie etwa Geschlecht, Generation oder soziale Schicht) mit ›konjunktiven Erfahrungskontexten‹ einhergeht (vgl. auch Bohnsack 1998). Das Verhältnis zwischen sozialstrukturellen Merkmalen und Orientierungsrahmen wird somit nicht deterministisch gedacht. Vielmehr machen bestimmte sozialstrukturelle Verortungen bestimmte Orientierungsrahmen wahrscheinlicher als andere. Das Ziel soziogenetischer Analysen besteht folglich u.a. in der Identifikation der sozialstrukturellen Zusammenhänge, in welche die herausgearbeiteten Typen eingebettet sind (Nohl 2012: 52ff.). Aufgrund der ohnehin hohen Selektivität des Samples (hinsichtlich sozialstruktureller Merkmale) und zum Teil fehlender Datenbasis ist auf eine syste-
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matische soziogenetische Typenbildung in der vorliegenden Studie verzichtet worden. Dennoch zeigen sich im Interviewmaterial explizite und implizite Verknüpfungen zwischen sozialstrukturellen Merkmalen der Befragten und den typischen Orientierungsrahmen. Diese Verknüpfungen werde ich im Anschluss an jede idealtypische Darstellung sichtbar machen, um somit für die Voraussetzungen und den Verbreitungsraum der Typen zu sensibilisieren. Da eine systematische Analyse im Rahmen dieser Studie nicht geleistet werden kann, dürfen die Hinweise zur Soziotypik allenfalls als vage verstanden werden.
3.7 D er I nterdiskurs im I ntervie w Die Analyse der Verschränkung zwischen den so gebildeten Typen der Mitverantwortlichen Subjektivität mit dem Wiederverpflichtungsdiskurs des Alters erfolgt anschließend in einem separaten Kapitel. Der Wiederverpflichtungsdiskurs des Alters diente im ersten Schritt der Interviewanalyse als wichtige Orientierungshilfe und zentrales Raster für die Analyse des Interviewmaterials (Kluge 1999: 34). In der Interviewanalyse stellte sich schließlich heraus, dass die biografischen Selbsterzählungen in vielerlei Hinsicht über die im Diskurs vorgegebenen Subjektpositionen hinausgehen, sich auf andere Diskurse beziehen und die abstrakten Verknüpfungen des Interdiskurses zumeist in einer sehr spezifischen Art und Weise bedienen. Ebenso wenig, wie sich ›reine Diskurskopierer‹ im Material identifizieren lassen, finden sich auf der anderen Seite ›reine Abweichler‹. Vielmehr machen die Interviewtexte deutlich, dass sich die Subjekte zugleich in unterschiedlichen Diskursen verorten lassen und auch ihr Engagement im Ruhestand nicht zwangsläufig aus einer Subjektposition im Wiederverpflichtungsdiskurs heraus erzählt werden muss. Andererseits werden im Interviewmaterial aber zahlreiche und zentrale Elemente des Wiederverpflichtungsdiskurses aufgerufen und in je sehr spezifischer Weise miteinander verknüpft. Aus diesem Grund drängte sich die Frage auf, ob die Befragten durch ihre sehr spezifischen Bezugnahmen auf die abstrakten Diskurselemente nicht möglicherweise unfreiwillig an der (Ko-) Produktion des Diskurses beteiligt sind. Wie lässt sich eine solche Frage theoretisch und konzeptionell beantworten? Hierzu scheint ein kurzer Exkurs sinnvoll, welcher der Frage von Hegemonie in Diskursen nachgeht. Einen wichtigen Hinweis auf der Suche nach Bedingungen für diskursive Hegemonie geben Laclau und Mouffe, die das Foucaultsche Diskursverständnis erweitern und mit dem Hegemoniebegriff von Antonio Gramsci verschränken. Wie bereits ausgeführt sind Diskurse immer nur vorläufig fixierbare Ver-
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knüpfungsketten, in denen Artikulationen miteinander in Beziehung gesetzt sind. Da die einzelnen Elemente innerhalb der Verknüpfungsketten stets nur partiell und temporär fixiert sein können, entstehen notwendigerweise permanent Bedeutungsüberschüsse, die ihrerseits als nicht fixierte Elemente das Feld des Diskursiven ausmachen (Laclau/Mouffe 1985: 111). Die Frage lautet nun, wie es bestimmten Verknüpfungsketten gelingt, sich gegenüber anderen durchzusetzen, sich temporär und partiell zu fixieren und dadurch diskursive Hegemonie zu beanspruchen. Diese Frage ist deshalb so zentral, weil Diskurse als Modus der Wahrheitsund damit der Realitätsproduktion fungieren und dadurch die dominanten Horizonte sozialer Orientierungen prägen: »Von all den möglichen Wahrheiten, die sich durch die unendlichen Möglichkeiten der In-Beziehung-Setzung flottierender Elemente ergeben könnten, werden einige privilegiert und andere verworfen« (Wullweber 2012: 40). In der diskursiven Auseinandersetzung entstehen auf diese Weise hegemoniale Lesarten, die auch als ›temporäre Schließungen‹ des Diskurses bezeichnet werden können (Glasze/Mattissek 2009: 160). Solche temporären Fixierungen des Diskurses sind – zugespitzt formuliert – das immer vorläufige Resultat der diskursiven Auseinandersetzung. Sie naturalisieren stets eine spezifische soziale Wirklichkeit, indem sie das Sinnfeld konstituieren und dadurch ›Objektivität‹ schaffen (Wullweber 2012: 40). Obwohl auf diese Weise hegemoniale Lesarten eine spezifische gesellschaftliche Wirklichkeit konstituieren, können Differenzen und Heterogenität nur temporär eingeschränkt werden. Das flottierende Spiel der Artikulationen erzeugt stets neue Bedeutungsüberschüsse, die ein Potential für neue diskursive Verknüpfungen bilden. Dieses »›vagabundierende‹ Flottieren« (ebd.) einiger Elemente ohne temporär-fixierte diskursive Einbettung bezeichnen Laclau und Mouffe als ›Dislokationen‹ (Laclau/Mouffe 1985: 142). Ob sich tatsächlich neue hegemoniale Diskurse etablieren können, ist dabei nicht theoretisch zu beantworten, kann aber auf Bedingungen zurückgeführt werden: »Für den Erfolg eines spezifischen Diskurses ist nach Laclau entscheidend, dass er in einer gegebenen historischen Situation überhaupt zur Verfügung steht (availability) und in dieser eine glaubwürdige Lösung (credibility) zur Überwindung der Krise, d.h. der Dislokation, bietet« (Glasze/Mattissek 2009: 161). »The acceptance of a discourse depends on its credibility, and this will not be granted if its proposals clash with the basic principles informing the organisation of a group« (Laclau 1990: 66). Diesen Überlegungen folgend ist eine diskursive Hegemonie dann erreicht, wenn es einem partikularen Diskurs temporär gelungen ist, in der diskursiven Auseinandersetzung die eigene Lesart sozialer Wirklichkeit zu universalisieren und dadurch zugleich alternative Lesarten zu marginalisieren. »Hegemonie hängt nicht von Popularität ab, sie hängt von der Normalisierung der Idee ab, es gäbe keine Alternativen« (Smith 1998: 232).
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Vor diesem Hintergrund wird schließlich analysiert, inwieweit im Interviewmaterial allgemein und typenspezifisch der Wiederverpflichtungsdiskurs des Alters bedient wird und ob sich Hinweise auf eine hegemoniale Schließung des Diskurses finden lassen. Dazu wurden sowohl die expliziten Statements der Befragten zum Auszug aus dem Altenbericht analysiert, als auch zentrale Verschränkungen zwischen Diskurs und den Typen in den Blick genommen. Auf diese Weise konzentriert sich die Analyse sowohl auf die Frage, inwieweit der Diskurs in der Lage ist, an die Erfahrungen der Befragten anzuschließen und diese zu organisieren, als auch darauf, inwieweit die Befragten durch die Akzentuierung der eigenen Mitverantwortlichkeit an jener ›Diskurskoalition‹ mitstricken, die eine stärkere Verantwortung von Senior_innen für das Gemeinwohl normalisiert. Das wäre z.B. dann der Fall, wenn andererseits ein selbstbezogenes und entpflichtetes Ruhestandslebens als das negative Andere delegitimiert und verworfen wird.
4. Die diskursive Wiederverpflichtung des Alters
Ziel dieses Kapitels ist die Rekonstruktion des Wiederverpflichtungsdiskurses des Alters. Dabei werde ich zunächst die beiden Einzeldiskurse über das Alter in der Bundesrepublik und den Diskurs über das freiwillige Engagement der aktiven Bürgerschaft separat nachzeichnen und anschließend ihre Verknüpfung am Beispiel konkreter Modellprogramme zur Förderung von Bürgerschaftlichem Engagement in der dritten Lebensphase analysieren. Während ich mich bei der Rekonstruktion der Einzeldiskurse in erster Linie auf wissenschaftliche Publikationen beziehen werde, die ihrerseits diskursive Entwicklungen nachzeichnen wollen, nehme ich im dritten Teil eine eigene Primäranalyse ausgewählter Modellprogramme vor. Datengrundlage sind in diesem Fall Flyer, Werbebroschüren, Internetauftritte, Abschlussberichte und andere Publikationen, mit denen die Engagementförderungsprogramme für ältere Menschen in die Öffentlichkeit getragen werden.
4.1 V om wohlverdienten R uhestand zum produk tiven A lter Dass es sich bei der Lebensphase Alter um eine soziale Konstruktion handelt, die in kulturgeschichtlichen Kontexten diskursiv hergestellt wird, ist mittlerweile zu einem Allgemeinplatz in gerontologischen Debatten geworden (vgl. zusammenfassend Schroeter 2009; Backes 1997; Saake 2006). So zeigt Gerd Göckenjan in einer materialreichen Diskursanalyse eindrucksvoll, wie Alter zu verschiedenen Zeitpunkten in der Kulturgeschichte als Idee, Deutungsmuster und soziale Praxis hergestellt wird und stets in ein komplexes Netz sozialer Normen, Erwartungen, Rechte und Pflichten eingebunden ist (vgl. Göckenjan 2000). Wenn in dieser Studie von einer Wiederverpflichtung des Alters die Rede ist, so basiert diese These auf dem Vergleich früherer mit gegenwärtigen Altersdiskursen. Erst vor dem Hintergrund einer früheren Diskurskonstella-
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tion, in der die Lebensphase Alter von gesellschaftlichen (Erwerbsarbeits-)Verpflichtungen weitgehend ausgenommen war, wird die gegenwärtige WiederIndienstnahme überhaupt sichtbar. Um die Besonderheit des Wiederverpflichtungsdiskurses hinreichend zu erfassen, wird es deshalb nötig sein, im Folgenden einen Blick in die jüngere Vergangenheit zu werfen. Statt einer umfassenden Rekonstruktion diskursiver Entwicklungen soll es darum gehen, eher kursorisch und schlaglichtartig zentrale diskursive Verschiebungen zu reflektieren und frühere Diskursformationen als Kontrastfolie für aktuelle Entwicklungen zu extrapolieren. Da der Altersdiskurs im 20. Jahrhundert vor allem ein sozialpolitischer Diskurs ist (Göckenjan 2000: 14), bildet die Konstitution des Alters im modernen Wohlfahrtsstaat die Grundlage und den Ausgangspunkt der Analyse.
4.1.1 Die sozialstaatliche Konstruktion des Alters Das Alter als eine eigenständige, klar abgrenzbare und kollektiv erfahrbare Statuspassage im dreigeteilten Lebenslauf (vgl. Kohli 1985) ist ein relativ junges Phänomen, genauer ein Produkt der industriegesellschaftlichen Moderne und des modernen Wohlfahrtsstaates (Göckenjan 2000: 298ff.; Kohli 1987; 402; Ehmer 1990).1 So macht Göckenjan in seiner Studie deutlich, dass alte Leute in der »vorsozialpolitischen Zeit« (Göckenjan 2000: 305) gemäß ihrem persönlichen Status und ihrer Schichtzugehörigkeit behandelt wurden, aber keine spezifischen Altersprivilegien oder Altersverpflichtungen bestanden (ebd.). »Die Alten sind keine eigene soziale Kategorie. Erst Sozialpolitik wird aus den Alten einen eigenen Stand machen, sie von anderen Populationen durch besondere Anforderungen und besondere Leistungen abgrenzen« (ebd.: 305).2 Die dritte Phase des modernen Lebenslaufs und entsprechende Übergangsriten oder Bräuche hat es in der traditionellen europäischen Volkskultur lange Zeit nicht gegeben (Kohli 1987: 401; Schenda 1983: 59). Als Ankerpunkt für die Konstruktion der Lebensphase Alter wird dabei häufig die 1889 verabschiedete und 1891 in Kraft getretene Alters- und Invalidenversicherung genannt, mit der erstmals eine Altersgrenze von 70 Jahren festgelegt und an die Auszahlung einer geringen Rente gekoppelt wird (Kohli 1 | Selbstverständlich basiert diese Entwicklung auf den Fortschritten der Medizin und Hygiene, dem Rückgang der Säuglings- und Kindersterblichkeit, sowie dem Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung (vgl. zusammenfassend Schimany 2003: 16ff.). 2 | So zeigt beispielsweise Held in einer Studie über die Hofübergange in österreichischen Gemeinden zwischen 1632 und 1909, dass das kalendarische Alter bei der Übergabe des Hofes an die nachfolgende Generation stark zwischen dem 37. und 81. Lebensjahr schwankte und diese Übergabe nicht mit dem Eintritt in einen arbeitsbefreiten Ruhestand vergleichbar war (vgl. Held 1983).
4. Die diskursive Wieder verpflichtung des Alters
1987: 404; Göckenjan 2000: 305ff.).3 Diese institutionelle Regelung ermöglicht aber bei weitem noch nicht den ›wohlverdienten Ruhestand‹ unserer Tage, sondern lässt »die gesellschaftliche und lebenspraktische Normalität lebenslanger Arbeit im Kern unberührt« (Denninger et al. 2014: 65). Das Alter gilt in diesem Arrangement als ein Unterfall von (Arbeits-)Invalidität und wird mit der verminderten Leistungsfähigkeit und den damit verbundenen Lohneinbußen älterer Menschen legitimiert, die aber in der Regel weiterhin voll erwerbstätig sind (Göckenjan 2000: 307). Das Alter wird zu einem besonderen Fall der Invalidität: »[Z]wischen Invalidität und Alter bestand somit kein Gegensatz, sondern Invalidität wurde zur Definition für eine ganze Lebensphase« (Kohli 1987: 404). Nichtsdestotrotz bedeutet der Erhalt von Geldern für Geringverdienende einzig und allein aufgrund des Erreichens eines bestimmten kalendarischen Alters eine Herausforderung für die Moralökonomie jener Zeit.4 »[D]er Gedanke einer gesetzlichen Massenversicherung zur Substitution von Arbeitslohn bei Invalidität und Alter war praktisch vorbildlos und galt im Denkhorizont der Zeit ›als unerhört‹« (Hockerts 1983: 298). Die Lebensphase Alter begründet in diesem sozialpolitischen Arrangement dennoch keinen radikalen Bruch mit der Moralökonomie, da die Pflicht zur Weiterarbeit von der geringen Rentenzahlung nicht berührt wird. Im Kern ist die Konstitution der Lebensphase Alter sowie die moralökonomische Legitimation des wohlverdienten Ruhestandes aber das Resultat einer viel späteren und umfassenderen sozialpolitischen Intervention, die sich nach dem 2. Weltkrieg ereignet.5 Die in den 1950er Jahren »explosionsartig 3 | Hintergründe zur Entstehung der Sozialversicherungen und die damaligen Diskurse können an dieser Stelle nicht ausgeführt werden. Für eine inhaltliche Vertiefung ist die Diskursanalyse von Göckenjan (2000) sehr zu empfehlen. 4 | Der Begriff der Moralökonomie geht auf den Sozialhistoriker E.P. Thompson (1971) zurück und definiert den »volkstümlich Konsens darüber, was (…) legitim und was illegitim sei. Dieser Konsens wiederum beruht auf einer in sich geschlossenen, traditionsbestimmten Auffassung von sozialen Normen und Verpflichtungen« (Thompson 1971; zit.n. Kohli 1989: 536). 5 | Die Zeit des Kaiserreichs, der Weimarer Republik sowie des Nationalsozialismus wird in dieser Zusammenschau übersprungen, was aber nicht bedeutet, dass diese 70 Jahre für die sozialstaatliche Konstruktion des Alters unerheblich waren. Zwar blieben umfassende Reformen der Rentenversicherung in dieser Zeit aus, doch wurde die Lebensphase Alter in unterschiedlichem Maße von den Umwälzungsprozessen betroffen. Bedeutsam ist hier beispielsweise der Nationalsozialismus, der sich zwar als eine Jugendbewegung verstand und die Älteren einerseits von den Programmen zur Vernichtung unwerten Lebens bedroht waren (Kohli 1987: 406), während sie andererseits ihr »Opfer für die Volksgemeinschaft« erbracht und damit das Recht auf entsprechende Gegenleistungen erworben haben (Göckenjan 2000: 332). Zum »Mentalitätswandel in der
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anschwellenden Altersdiskurse« bilden dabei eine »Drehscheibe für die Alterspolitiken« und münden in die Rentenreform von 1957, die für die Konstitution und das Verständnis des Alters als eigenständiger Lebensphase von »überragender Bedeutung« (Göckenjan 2000: 362) ist. Von der prosperierenden Wirtschaftsentwicklung begünstigt und sozialpolitisch durchgesetzt führt eine Senkung des Renteneintrittsalters auf 65 Jahre und eine deutliche Anhebung der Rentenbezüge gesamtgesellschaftlich zur Entstehung des Ruhestandes als eigenständige Lebensphase, die von Erwerbsarbeitsverpflichtungen befreit ist (Göckenjan 2000: 300ff.). Das höhere Alter wird damit in den Mittelpunkt des prosperierenden Wohlfahrtsstaates gerückt; der Ruhestand wird zu einem Massenerlebnis (Kohli 1987: 406).6 Insofern wird die Rentenreform rückblickend häufig als eine »Epochenzäsur« (Hockerts 2011:71) bezeichnet, schafft sie doch ein völlig neues Begründungsmuster des Ruhestandes. Kernelemente dieser sozialpolitischen Maßnahme sind die Dynamisierung der Rentenbezüge und ihre Koppelung an die Bruttolöhne der Erwerbstätigen, die Sicherung des Existenzminimums und die Absicherung des erworbenen Lebensstandards (Kohli 1987: 406; Hockerts 2011: 71). Von einem Tag auf den anderen erhöhen sich die damaligen Renten um durchschnittlich 60 bis 70 Prozent, wodurch der »Sozialrentner aus der Nachbarschaft von Fürsorgeempfängern [heraustritt und] in die Nähe vergleichbarer Arbeitnehmer« (ebd.) gehoben wird. Mit dem Ende der Erwerbsphase vollzieht sich damit sowohl für Angestellte wie auch für Arbeiter_innen der Statusübergang in die neu geschaffene Gruppe der Rentner_innen. Außerdem werden die Rentner_innen durch die Koppelung der Renten an die Bruttolöhne der Erwerbstätigen auch materiell an der wirtschaftlichen Entwicklung beteiligt und profitieren in hohem Maße vom deutschen ›Wirtschaftswunder‹ (Denninger et al. 2014: 69f.). Sie werden zu Klient_innen des Sozialstaates und dadurch zugleich Teil jener »Produktivitätskoalition« (Czada 2004: 129), für die sich der wirtschaftliche Aufschwung über die jährlichen Rentenerhöhungen auch im eigenen Portemonnaie bemerkbar macht. Zentral für den Mentalitätswandel hinsichtlich des Alters ist zudem die Bedeutung der Rente als Äquivalent des Arbeitslohns. Haftete den Rentenbezügen zuvor der Beigeschmack einer »ärmlichen Überlebenshilfe« (Hockerts 2011: 71) an, wird die Ausschüttungen von Altersrenten seit der 57er Rentenreform zu einer »Lohnersatzleistung« (Göckenjan 2000: 300), die auch in ihrer Höhe an den früheren Arbeitslohn gekoppelt ist. Die Höhe des Arbeitseinkommens und die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden übersetzen sich dabei in Einstellung zum Alter« zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus sei abermals auf das Werk von Göckenjan (2000: 305-361) verwiesen. 6 | Die Gruppe der Selbstständigen wurde erst mit der Reform von 1972 einbezogen (Kohli 1987: 407).
4. Die diskursive Wieder verpflichtung des Alters
Rentenanwartschaften, die spätestens nach Überschreiten des 65. Lebensjahres in barer Münze zurückgezahlt werden. Wer mehr geleistet hat, bekommt auch mehr zurück – so die meritokratische Logik des Systems. Insofern orientierte sich die Rentenreform am Ideallebenslauf einer kontinuierlichen Vollzeiterwerbskarriere, die vor allem auf die männlichen Arbeitnehmer zugeschnitten ist (Hockerts 2011: 85). Nicht-sozialversicherungspflichtige Arbeiten, wie beispielsweise die vornehmlich von Hausfrauen und Müttern geleistete Familienarbeit werden nicht berücksichtigt, sodass diese Gruppen durch das Gesetz systematisch benachteiligt werden (Denninger et al. 2014: 71f.). Weitere Implikationen hinsichtlich der (Verpflichtungs-)Beziehungen zwischen Alter und Gesellschaft ergeben sich aus der Finanzierung der Renten, die in Form eines Umlageverfahrens organisiert sind. Statt die eigenen, im Laufe des Erwerbslebens geschaffenen Kapitalen aufzubrauchen, werden die Renten direkt aus den Sozialabgaben jüngerer Generationen finanziert. Es ist immer die aktive Erwerbsbevölkerung, die der gegenwärtigen Rentner_innengeneration ihre monatlichen Bezüge überweist. Hierin sieht Kohli einen »klaren Bruch mit dem Prinzip der Kapitalienbildung« (Kohli 1987: 406), hängt die eigene Rente doch von der Produktivität anderer ab. Andererseits konstituiert der Sozialstaat dadurch eine intergenerationale Risikogemeinschaft, »die Vorstellung eines durch die immer wieder sich erneuernde Solidarität zwischen den Generationen geflochtenen ›sozialen Bandes‹« (Denninger et al. 2014: 72). Die durch eigene Arbeit erworbenen Rentenansprüche sind insofern eingebettet in ein Netz überhistorischer Verpflichtungen, die im politischen Diskurs als ›Generationenvertrag‹ bezeichnet worden sind und dadurch zugleich einen Appell an die Sozialmoral darstellen (Kohli 1987: 406f.; Hockerts 2011: 72): Die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbsbeschäftigung ist vor diesem Hintergrund mehr als die individuelle Entscheidung zur Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes. Es ist zugleich die moralische Pflicht gegenüber den gegenwärtigen Senior_innen und die vorweggenommene Legitimation der eigenen Rente. Mit anderen Worten: Wer im erwerbsarbeitsfähigen Alter ist und (selbstverschuldet) keiner Erwerbsarbeit nachgeht, trifft nicht nur eine individuelle Wahl, sondern verletzt zudem seine durch das Sozialversicherungssystem zugewiesenen Pflichten gegenüber dem Gemeinwesen. Vor dem Hintergrund der Rentenreform von 1957, die hier nur in Ansätzen skizziert werden konnte, bildet sich in der Folge eine Moralökonomie des Alters heraus, die für das heutige Verständnis des wohlverdienten Ruhestandes immer noch prägend ist. Die von Erwerbsarbeit befreite, dritte Lebensphase verliert in dieser Zeit den Charakter einer Gnade und wird zu einem Recht. »Die Sozialversicherung schafft eine neue Moralökonomie, in der das Empfangen legitim ist, weil es als verdienter Ausgleich für frühere Arbeitsleistungen gilt« (Kohli 1987: 409). Der Ruhestand als eine Phase »bezahlter
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Nicht-Erwerbsarbeit« (Denninger et al. 2014: 73) entwickelt sich auf Basis der sozialstaatlichen Regelungen zu einer neuen Altersnormalität, die sich sowohl über die Abgrenzung als auch die Kontinuität zur Erwerbsphase legitimiert. Das Rentner_innendasein wird Ausdruck geleisteter Arbeit und gerechten Lohns. Es symbolisiert die Entpflichtung von gesellschaftlichen Zumutungen und Ansprüchen und wird mittelfristig zu einer »eigenständige[n], institutionell formierte[n] Lebensphase der Ruhe und Freizeit« (Göckenjan 2010: 411).
4.1.2 Der wohlverdiente Ruhestand Drehten sich die Altersdiskurse in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch vornehmlich um die materielle Not der älteren Bevölkerung, taucht im Anschluss an die sozialstaatliche Institutionalisierung der Rentenphase ein neues Bezugsproblem auf (Göckenjan 2000: 370ff.). Was ist die Funktion älterer Menschen, wenn sie plötzlich nicht mehr über Erwerbsarbeit sozial eingebunden sind? So zeigt Göckenjan in seiner Diskursanalyse deutlich auf, wie die Entberuflichung des Alters in der Arbeitsgesellschaft zugleich mit einem drohenden Wertverlust einhergeht und somit einer neuen Problematisierung des Alters den Weg ebnet. Das Problem der alten Menschen sei, »daß sie keine nützliche Funktion mehr ausüben, auf ein bloßes Rentnerdasein reduziert werden und in einer auf dem Leistungsprinzip beruhenden Gesellschaft in Gefahr geraten, zu einer bloßen parasitären ›pressure group‹ herabzusinken« (Pollock 1958: 126, zit.n. Göckenjan 2000: 376). Das Alter als ein »Leben in Nichtstun« (Schelsky 1965: 213) oder als »erlaubte Nichtbeschäftigung« (Tartler 1961: 148) erscheint manchen Interpret_innen gar als eine »antikapitalistische Provokation« (Ruoss 2015: 161). Die neue entstehende Sorge der Gesellschaft um das Alter offenbart dabei sehr deutlich, wie die dritte Lebensphase gesellschaftlich reflektiert wird. Statt von den neuen Rentner_innen bestimmte Leistungen oder gesellschaftlich nützliche Beiträge zu erwarten, setzt sich ein Kümmerdiskurs durch, indem die Gesellschaft in der Verantwortung sei, den älteren Menschen neben der monatlichen Rente auch einen neuen Lebenssinn zu überweisen. »Alte Leute verlieren daher mit ihrer Verrentung Lebenshalt und es drohe, wenn die Adaption an neue Lebensbedingungen nicht gelingt, eine finale Katastrophe« (Göckenjan 2000: 411). Das Alter wird mit Vorstellungen von Abgeschobenheit, Sinnleere und Abhängigkeit verknüpft, was den amerikanischen Soziologen Ernest W. Burgess zu der viel zitierten Aussage verleitet hat, dass es sich beim Alter um die ›Rolle der Rollenlosigkeit‹ handelt (ebd.: 411).7 Erst im Laufe der 7 | In diesem Zusammenhang fallen auch die Begriffe »Pensionierungsschock« (Vischer 1956: 113) oder »Pensionierungstod« (Jores/Puchta 1958), mit denen ein radikaler
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1960er Jahre mutieren die Sozialrentner_innen zu Ruheständler_innen und die dritte Lebensphase wird mit Vorstellungen von Passivität und Muße verbunden (ebd.: 375). Ganz im Gegensatz zur Diskursformation des ›Produktiven Alters‹, in der ältere Menschen als potentielle Retter_innen der Gesellschaft adressiert werden, setzt sich in dieser Situation eine Verknüpfungsordnung durch, in der die Gesellschaft aufgerufen ist, den Sinnverlust der Rentner_innen abzufedern. Weil die Gesellschaft die alten Menschen zwangsentsinnlicht, ist es nur folgerichtig, dass sie nun auch entsprechende Sinnstiftungsangebote bereitstellt (ebd.: 391ff.). Und so beginnt seit den späten 1960er und 1970er Jahren die Entdeckung des Alters als Freizeit-Schicht (ebd.: 383). Vor dem Hintergrund des »institutionalisierten Sicherheits- und Entpflichtungsversprechens« (Denninger et al. 2014: 89) der Gesetzlichen Rentenversicherung bildet sich in dieser Zeit die dritte Lebensphase als ein ›wohlverdienter Ruhestand‹ heraus, der einerseits aufgrund der eigenen, früheren Arbeitsleistung moralisch legitimiert ist und zumindest in den frühen 1960er Jahren von Produktivitätserwartungen weitgehend entlastet ist. Das gerontologische Pendant zu diesem Altersbild stellte die sogenannte Disengagement-Theorie dar, die zwar schon Anfang der 1960er Jahre von Cumming und Henry (1961) veröffentlicht wird, aber lange Zeit die Sichtweise auf die dritte Lebensphase entscheidend prägte.8 Die strukturfunktionalistische Perspektive fortschreibend versteht die »Theorie des sozialen Rückzugs« (Backes/Clemens 2013: 132) das Alter als eine eigenständige Lebensphase, deren Funktion die Vorbereitung auf den Tod sei (ebd.). Das Zurücktreten des alten Menschen von seinen sozialen Rollen sei demnach ein natürliches Bedürfnis und eine spezielle Aufgabe von älteren Menschen, die den aktiven Teil des Lebens hinter sich haben (ebd.: 134).
Sinnverlust beim Übergang in den Ruhestand bezeichnet wird. In dieser Zeit wird der Eintritt in die nachberufliche Phase zudem zu einer »Leit-Problematisierung« (Schroeter 2009: 363) der sozialgerontologischen Forschung (vgl. auch Ruoss 2015). 8 | Der besondere Wert der Disengagementtheorie geht rückblickend betrachtet weniger von ihren inhaltlichen Erkenntnissen, als vielmehr ihrer Bedeutung für die Etablierung der sozialwissenschaftlichen Alter(n)sforschung als eigenständige Disziplin aus. Gerade weil sie eine universelle Reichweite beanspruchte, die Soziologie und die Psychologie zusammenführte und das Alter als eigenständige Lebensphase konzipierte, der man sich mit besonderen theoretische und methodischen Mitteln annehmen müsse, ebnete sie das Feld für eine gesellschaftswissenschaftliche Bearbeitung (Estes/ Biggs/Phillipson 2003: 14).
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Das in dieser Theorie enthaltene Defizitmodell, welches des Alters als einen natürlichen Abbauprozess versteht, impliziert zugleich die Botschaft, dass die Gesellschaft von dem Alter nichts mehr zu erwarten habe. Auf diese Weise manifestiert die damals noch in den Kinderschuhen steckende Gerontologie die gesellschaftliche Rechtfertigung des Ruhestandes als eine entpflichtete und von Produktivitätsansprüchen weitgehend befreite Lebensphase.
4.1.3 Das aktive Alter Dass der Ruhestand mit Aktivität in Verbindung gebracht wird, ist in den westdeutschen Altersdiskursen ein relativ junges Phänomen und wird begünstigt einerseits durch die wissenschaftlich-politischen und pädagogischen Interventionen im Kampf gegen negative Altersbilder (»Interventionsgerontologie«, Lehr 1979) sowie andererseits die »Entdeckung des Alters als Freizeit-Schicht« (Göckenjan 2000: 383). Der Übergang in den Ruhestand rückt dabei immer stärker als eine individuelle Herausforderung in den Blick von Wissenschaft und Altenhilfe und markiert zugleich das »kulturelle Dilemma des Ruhestandes« (Kohli 1987: 78). Eine intensive fachwissenschaftliche Debatte kreist in den 1970er und 1980er Jahren um das Problem, dass den Menschen in der Arbeitsgesellschaft »zuerst Aktivität und Arbeitsorientierung und danach Passivität und Freizeitorientierung angesonnen wird« (ebd.). Denninger et al., die ihre Diskursanalyse des Alters in den 1980er Jahren einsetzen, identifizieren paradigmatisch für diese neue Form der Altersproblematisierung das Modellprojekt ZWAR (»Freizeitinitiativen zwischen Arbeit und Ruhestand«), das gewissermaßen als Antwort auf die psychosozialen Folgeprobleme der häufig frühzeitigen Entberuflichung gelten kann (Denninger et al. 2014: 87). Gefördert werden sollen mit diesem Programm »neue Sinnperspektiven, Handlungsfelder und Sozialkontakte […], ohne dass es zunächst um die gesellschaftliche Nützlichkeit der daraus resultierenden Aktivitäten ging« (ebd.). Dieser Diskurs schlägt sich Anfang der 1980er Jahre auch in der praktischen Altenarbeit nieder, die anstelle des ›betreuten Alten‹ das Leitbild des »aktiven Seniors« (Schmidt/Zeman 1988) setzt. Ältere Menschen werden – auch vor dem Hintergrund der Selbsthilfe- und Selbstorganisationsbewegungen der späten 1960er und 1970er Jahre – zunehmend selbst zu Akteuren in der Altenarbeit (Aner 2010: 38ff.). Die bevormundenden, betreuenden und fürsorgenden Konzepte werden dabei sukzessive aufgegeben und aus Klient_innen werden Ko-Produzent_innen (Denninger et al. 2014: 92). Was die Aus-
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gestaltung der Konzepte angeht, zeigt sich nichtsdestotrotz eine Fokussierung auf geselligkeitsorientierte Tätigkeiten, während die aktivitätsorientierten Leitbilder der Altenhilfe sich zunächst kaum als gesellschaftliche Altersbilder durchsetzen (ebd.: 93). Das zeigt sich auch daran, dass die Aktivitäten selbst eher auf den privaten und häuslichen Bereich beschränkt blieben und ihre Organisation in den Verantwortungsbereich professioneller Sozialarbeiter_innen fällt (ebd.: 89). Erst Mitte der 1980er Jahre wird mit den ›Neuen Alten‹ eine neue Sozialfigur im Altersdiskurs sichtbar, die – zunächst problematisiert, dann aber – auf die neuen Chancen der dritten Lebensphase aufmerksam macht. Dabei bezeichnet der Terminus ›Neue Alte‹ zunächst nicht die Lebensphase Ruhestand als solche, sondern die spezielle Kohorte der in den 1980er Jahren Verrenteten, die ihren Lebensabend als eine aktive und selbstbestimmte Freizeit- und Lebensphase gestalteten (ebd.: 93). Jenseits der Angebote der ehemals fürsorglichen Altenhilfe werden die ›Neuen Alten‹ als eine neue Altersavantgarde auch medial inszeniert und ihre autonome Lebensführung in der nachberuflichen Phase wird bestaunt (Schmidt/Zeman 1988; 292). Während der politisch-wissenschaftliche Diskurs immer noch um die Frage kreist, inwiefern die gesellschaftlich zugemutete Herausforderung der Entberuflichung einen gesellschaftlichen Handlungsbedarf erfordert, rücken die ›Neuen Alten‹ relativ plötzlich als autonome Produzent_innen der eigenen Lebensgestaltung in den Fokus des Diskurses. Wo Politik und Wissenschaft darüber streiten, ob das entberuflichte Alter entweder »wegen des immanenten Sinnfindungsdrucks […] gestaltungs- und beeinflussungsbedürftig« (Tews 1989: 137) sei oder aufgrund der guten materielle Versorgungslage von darüber hinausgehendem staatlichem Behandlungsbedarf ausgenommen werden müsse (Dieck/Naegele 1989: 169), sensibilisieren die Neuen Alten für die Möglichkeit einer Alterskultur durch ältere Menschen selbst. Die Neuen Alten stehen symptomatisch für eine Altengeneration, die sich nicht mehr nur in die kümmernden Hände der Gesellschaft begibt, sondern relativ autonom eine eigene Alterskultur schafft. Erstmals werden postmaterielle Werteorientierungen wie Selbstverwirklichung und Persönlichkeitswachstum im Altersdiskurs mit der dritten Lebensphase in Verbindung gebracht (Infratest 1991: 86). Das Alter wird in den 1980er Jahren »fraglos von einem Abgrenzungskonzept zu einem Gestaltungsprojekt« in dem Selbstorganisation und Selbsterfindung zu zentralen Bezugspunkten werden (Göckenjan 2000: 418). Die Entdeckung des Rentner_innendaseins als eine aktive Lebensphase beschränkt sich nichtsdestotrotz primär auf den Freizeitbereich. Die Freizeit-Alten und der Ruhestand als späte Freiheit sind die dominierenden Topoi jener Zeit (Denninger et al. 2014: 93ff.).
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4.1.4 Das erfolgreiche und kompetente Alter Aber auch wissenschaftlich beginnt sich in den 1980er Jahren eine durch Aktivität geprägte Perspektive auf das Alter durchzusetzen, was in hohem Maße der Psychogerontologie anzurechnen ist. In Abgrenzung zum Defizitmodell des Alters entstehen Theorien des kompetenten und erfolgreichen Alters (vgl. Featherman 1989; Baltes/Baltes 1989a,b; Baltes/Carstensen 1996; Rowe/Kahn 1987). Der Alterungsprozess wird darin zwar immer noch als ein biologischer Abbauprozess gerahmt, der aber von den Betroffenen selbst bis zu einem gewissen Grad gestaltbar ist. Das ›erfolgreiche Altern‹ ist damit nicht mehr nur eine Folge der genetischer Dispositionen und biologischer Entwicklung, sondern darüber hinaus auch das Ergebnis individueller Anstrengungen und kompetenten Gesundheitshandelns.9 Stichwortgeber der Debatte sind für die deutschsprachige Gerontologie einerseits Baltes und Baltes (1989; 1996) sowie im angloamerikanischen Raum Rowe und Kahn (1987; 1998), die sich in ihren Konzepten – ganz in Tradition der Aktivitätsthese – auf die subjektive Bewältigung der nachberuflichen Phase konzentrieren. Dennoch unterschieden sich beide Ansätze in zentralen Punkten voneinander, weshalb es sinnvoll erscheint, sie separat vorzustellen. So zeichnet sich das successful-aging-Konzept (Rowe/Kahn 1998) durch die Ausformulierung einer konkreten Zielperspektive aus. Ob es einer Person gelungen ist, erfolgreich zu altern, zeige sich demnach in der Vermeidung von Krankheiten und damit verbundenen Behinderungen, der Aufrechterhaltung körperlicher und geistiger Funktionen, sowie der aktiven Teilhabe am sozialen Leben (Rowe/Kahn 1998: 53f.). Successful aging wird damit zu einer Sache individueller Wahl und individuellen Verhaltens, die in erster Linie von den je individuellen Anstrengungen abhängt, diesem triarchischen Anspruch nachzukommen (ebd.: 52). Entsprechend finden sich in der empirischen Forschung zahlreiche Studien, die die Effektivität bestimmter Modifikationen von Umwelt- und Lebensstilfaktoren für die Wahrscheinlichkeit beweisen, dass ältere Personen unter dieser triarchischen Definition erfolgreich sind (Holstein/ Minkler 2009: 212). Wem es gelingt, diesen Anforderungen ans Altern gerecht zu werden, wer seine Dynamik und Produktivität nicht verliert, der bleibt demnach auch in der Leistungsgesellschaft anerkannt und erfolgreich und gehört zu den souveränen und erfolgreichen Senior_innen.
9 | Beispielhaft für die unzähligen Handlungsempfehlungen, die in den wissenschaftlichen Studien gegeben werden, um erfolgreich zu altern, fragen Rowe und Kahn: »What does it take to turn back the aging clock? It’s surprisingly simple and the research has proved that it has little to do with how old you are or what shape you’re in at the start. […] Success is determined by good old-fashioned hard word« (Rowe/Kahn 1998: 102).
4. Die diskursive Wieder verpflichtung des Alters
Als Konsequenz aus der auch in der deutschen gerontologischen Debatte existierenden Kritik an der Aktivitätsthese, aber auch an dem successful agingAnsatz, versuchen Baltes und Baltes den normativen Überschuss aus der Theoriebildung möglichst herauszuhalten und die konkrete Ausgestaltung der Lebensphase Alter an die individuellen Möglichkeiten und Bedürfnisse der Betroffenen zu koppeln (van Dyk 2007: 99). Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist zudem die Erkenntnis, dass in bisherigen Modellen die Ansprüche an ein erfolgreiches Alter(n) theoretisch aus den verallgemeinerten Wertvorstellungen und Möglichkeiten einer weißen, männlichen Mittelschicht abgeleitet worden sind (Baltes/Carstensen 1996: 398). Um unterschiedliche Möglichkeiten eines erfolgreichen Alter(n)s zuzulassen und auch die nachlassenden Entfaltungsmöglichkeiten im hohen Alter nicht abzuwerten schlagen sie einen prozess- und subjektorientierten Ansatz vor. Statt objektiv messbarer Faktoren rücken in ihrem Konzept der Optimierung durch Selektion und Kompensation (SOK) die individuellen Wünsche und Ziele älterer Menschen als Maßstab in den Mittelpunkt der Evaluation. Dadurch werden zugleich heterogene Ziele und Aktivitäten ermöglicht und inter-individuelle Differenzen zugelassen (Baltes/Carstensen 1996: 406f.). Fluchtpunkt der an diesem Konzept orientierten Forschungen ist der Nachweis, dass die Individuen mithilfe eines adäquaten Lebensstils einen guten körperlichen wie geistigen Gesundheitszustand und ein aktives gesellschaftliches Partizipationsniveau erhalten können (Amann/Kolland 2008: 27f.). In diesem Sinne bildet der bewusst undefinierte Begriff der Lebenszufriedenheit die Kernvariable zur Messung eines erfolgreichen Alter(n)s, dessen Inhalt jeweils von den besonderen Bedürfnissen der Akteure abhängt (Baltes/Carstensen 1996: 404ff.). Gleichwohl werden auch in diesem Konzept die biologische und mentale Gesundheit ebenso wie die psychosoziale Funktionstüchtigkeit und die Lebenslänge als vermeintlich objektive Kriterien der Erfolgsmessung in Erwägung gezogen (Baltes/Baltes 1989a: 6). Älteren Menschen wird dabei eine besondere Alterskompetenz unterstellt, die sie in eigenem Interesse und zur Aufrechterhaltung der eigenen Gesundheit nutzen können – und zum Teil auch sollen (Denninger 2014: 100ff.). Seine besondere Bedeutung gewinnen das SOK-Konzept und die Theorien des kompetenten und erfolgreichen Alterns aus ihrem enormen Verbreitungsgrad im altenpolitischen Feld (Estes/Biggs/Phillipson 2003: 69f.). Sie werden unter anderem in der Sozialbetreuung, der Kranken- und Gesundheitspflege sowie in Kommunikationskonzepten mit älteren Patienten angewendet und gelehrt (vgl. Usita 2001; Hummert/Nussbaum 2001). Die Theorien des kompetenten und erfolgreichen Alters geben den Alten somit ein Instrumentarium an die Hand, um die Altersphase erfolgreich zu gestalten. Durch wissenschaftliche Studien abgesichert und anwendungsfreundlich auf bereitet, genießen die Konzepte des erfolgreichen und kompetenten
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Alter(n)s große Aufmerksamkeit und popularisieren gleichsam den Appell zur eigenverantwortlichen Nutzung der verbleibenden Alterskompetenzen. Das bringt andererseits mit sich, dass die negativen Aspekte des Alters, die diskursiv ins vierte Alter verschoben werden (Holstein/Minkler 2003: 793), nicht mehr als ein gesellschaftliches Problem wahrgenommen und zunehmend in den individuellen Verantwortungsbereich ausgelagert werden (Denninger et al.: 101). Darüber hinaus werden bereits in dieser Zeit erste Töne im Diskurs laut, welche die eigenverantwortliche Gesundheitserhaltung im Alter aus einer Perspektive gesellschaftlicher Verantwortung einfordern. Der verantwortungsvolle Umgang mit den Alterskompetenzen soll nicht mehr nur eine sinnvolle Lebensgestaltung im Alter ermöglichen, sondern auch das Gemeinwesen entlasten: »Die Aktivierung von freiwilligem Engagement und von Selbsthilfe fördert und ermöglicht längere Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit von Senioren, steigert ihre Lebensqualität und ihre Selbstzufriedenheit und führt aus prophylaktischer Sicht zu Einsparungen bei der ambulanten und stationären Pflege« (Braun/Bischoff 1998: 19).
Anders als in der Diskursfigur vom ›Produktiven Alter(n)‹ beschränkt sich auch der öffentliche Diskurs Anfang der 1990er Jahren zumeist noch auf die individuelle Schadensvermeidung, die ältere Menschen im Sinne des Gemeinwohls zu leisten haben. Von darüber hinausgehenden Erwartungen und Pflichten bleiben an die aktiven Senior_innen zunächst verschont (Denninger et al. 2014: 101ff.).
4.1.5 Das produktive Alter Begünstigt durch die gesellschaftlichen Debatten um den demografischen Wandel und die Alterung der Gesellschaft sowie den aktivgesellschaftlichen Umbau des Sozialstaates kommt es seit Mitte der 1990er Jahre zur Entstehung einer neuen Sozialfigur des Alters (Denninger et al. 2014: 105ff.). Anschließend an die Leitbilder des aktiven, kompetenten und erfolgreichen Alters entwickelte die Weltgesundheitsorganisation das Politikkonzept des ›Active Ageing‹, welches sich um die Jahrtausendwende in der ›Active Ageing Strategie‹ der EU wiederfindet und in ähnlicher Form in nationale Politiken (z.B. in Form von Altenberichten und Modellprogrammen) übergeht (ebd.: 134). Als neue und zentrale Botschaft dieser Dokumente benennen Denninger et al., dass das Alter nun nicht mehr nur über Kompetenzen verfügt, sondern diese Kompetenzen vor dem Hintergrund des demografischen Wandels auch zum Wohle der Gesellschaft genutzt werden müssen (ebd.: 134ff.).
4. Die diskursive Wieder verpflichtung des Alters
Um die 2000er Jahre herum verschiebt sich demnach die sozialmoralische Rahmung des Ruhestandes erneut, weil insbesondere von politischer Seite versucht wird, neue Erwartungen und gesellschaftliche Ansprüche an die dritte Lebensphase zu formulieren. Erfüllte der aktive Senior der 1970er Jahre noch die Erwartungen der Altenhilfe, indem er sich aktiv, fröhlich und gesellig zeigte (Schmidt/Zeman 1988: 276), sehen sich die aktiven Alten der 2000er Jahre mit der Aufforderung zur Nutzung der persönlichen Ressourcen im Sinne gesellschaftlicher Bedarfslagen konfrontiert. In der Diskursfigur des ›Produktiven Alters‹ verbindet sich dabei die positiv konnotierte Kompetenzperspektive auf das Alter mit der Thematisierung des demografischen Wandels als gesellschaftliches Problem, an dessen Lösung die Alten selbst produktiv mitwirken können und sollen (Denninger et al. 2014: 147). Die zuvor identifizierten Kompetenzen des Alters werden im Produktivitätsdiskurs zu unausgeschöpften Potentialen, die aus dem Blickwinkel gesellschaftlicher Erfordernisse nutzbar zu machen sind (ebd.: 136f.). Der Topos vom ›unausgeschöpften Erfahrungsschatz‹, der mithilfe politischer Strategien und entsprechender Anreizstrukturen ›gehoben‹ werden könne, stellt dabei ein zentrales Diskurselement dar (ebd.: 138f.). Die Aufgabe der Gesellschaft sei es in dieser Konstellationen, entsprechende Engagementangebote und -gelegenheiten zu schaffen und somit »[n]eue Verantwortungsrollen« (Braun/Burmeister/Engels 2004) für ältere Menschen bereitzustellen. Noch deutlicher als in früheren Diskursformationen zeigt sich dabei der appellative Charakter der Verantwortungsübernahme. Statt die Ruheständler_innen per Gesetz zu gemeinwohldienlicher Tätigkeit zu verpflichten, werden sie moralisch dazu ermuntert, eigenverantwortlich fürs Gemeinwohl aktiv zu werden. Diese Anrufung der kompetenten Alten als »Retter des Sozialen« (Aner/Karl/Rosenmayr 2007b) findet seinen deutlichsten Ausdruck in den Altenberichten der Bundesregierung, die gewissermaßen die Schnittstelle zwischen Politik und Wissenschaft bilden. »Eine selbst- und mitverantwortliche Lebensführung im Alter ist aus der Perspektive der Sechsten Altenberichtskommission durchaus im Sinne einer normativen Anforderung zu interpretieren« (BMFSFJ 2010: 21).
In Erweiterung des aktiven Alters, bei dem Aktivitäten im Ruhestand der Charakter einer sinnstiftenden Selbstbeschäftigung anhaftete, wird das produktive Alter tatsächlich als Produzent gesellschaftlicher Werte angerufen. Produktivität ist dabei nicht mehr nur Ausweis eines erfolgreichen persönlichen Alterungsprozesses, sondern zugleich ein ethisches Gebot gegenüber dem Gemeinwesen: »Vielmehr bedeutet produktives Leben im Alter, Verantwortung für sich selbst und andere zu übernehmen« (Bundestag 2002: 48f.).
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Sollte das Freizeit-Alter der 1970er Jahre der Gesellschaft möglichst wenig kosten, wird vom produktiven Alter im Gegenteil sogar ein sozio-ökonomischer Zusatznutzen erwartet. Aus »Kostenträger[n] des Sozialstaates« (Kohli/ Künemund 2002: 63) werden produktive Mitglieder der Gesellschaft (BMFSFJ 2010: 77). Amann konstatiert in diesem Diskurs rückblickend einen regelrechten Wettlauf um die Entdeckung und Definition neuer Alterspotentiale und der daraus abgeleiteten Notwendigkeit ihrer Nutzung (Amann 2007: 16). Die »Last des Alters« sei dabei zum »Angelpunkt jener Überlegungen geworden, die unsere Gesellschaft heute in die Richtung einer fast pandemischen Suche nach der Nützlichkeit und Verwertbarkeit des Alters treibt« (ebd.). Das ›Junge Alter‹ wird in diesem Diskurs einerseits aus einer Humankapitalperspektive in den Fokus genommen und in Form einer »(Wieder-)Verpflichtung« zur Erbringung von »nützlichen Beiträgen für gesellschaftliche Aufgabe« aufgerufen (ebd.: 16). Mit anderen Worten: Das Junge Alter der 2000er Jahre wird wieder zunehmend als eine Lebensphase adressiert, in der ein gesellschaftlicher Mehrwert produziert werden kann. Diese Verpflichtung zu einer im doppelten Sinne verantwortlichen Lebensführung symbolisiert für Amann et al. sogar, dass das Alter »nach einer relativ kurzen Phase der Freiheit zurückgeholt [wird] in eine umfassende Strategie der Verwertung des Menschen« (Amann/Ehgartner/Felder 2010: 47). Dabei geht es nicht mehr nur um die als Gesundheitsvorsorge daherkommende Sorge um sich selbst, sondern verstärkt auch um eine Sorge um das Gemeinwohl.
4.1.6 Die gerontologische Debatte Seit Mitte der 1990er Jahre gewinnt das Konzept des ›Produktiven Alter(n)s‹ in der wissenschaftlichen Diskussion kontinuierlich an Bedeutung und scheint sich als neues Leitbild herauszubilden, mit dem das kompetente und erfolgreiche Alter ersetzt, mindestens aber ergänzt werden soll (Schroeter 2002: 90). Ähnlich seinem Vorgänger verfügt auch das Produktive Alter(n) über keine in breiten Teilen der Gerontologie geteilte Begriffsbestimmung und die Differenzen zwischen der englisch- und deutschsprachigen Theorieentwicklung sind ebenso deutlich (Taylor/Bengston 2001: 137). Für eine Begriffsklärung kommt noch erschwerend hinzu, dass erfolgreiches und Produktives Alter(n) zwar keinesfalls identisch sind, aber aufgrund unscharfer Grenzziehung nur mühsam voneinander unterschieden werden können (ebd.). Die heterogene Begriffsverwendung ermöglicht es unterschiedlichen Theoretiker_innen dabei, dass Konzept des Produktiven Alter(n)s wahlweise in Kontinuität zur Aktivitätsthese oder in scharfer Abgrenzung zu ihr zu entwickeln (van Dyk 2007: 100). In Tradition des funktionalistischen Ansatzes schließt das Konzept des Produktiven Alter(n)s beispielsweise an die Entdeckung des ›structural lags‹ an, welches eine Kluft zwischen den gestiegenen
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individuellen Kapazitäten Älterer und den fehlenden institutionellen Rollen moniert, mit denen diese Kapazitäten abgerufen werden können (Hinterlong/ Morrow-Howell/Sherraden 2001: 4). Aus der Erkenntnis, dass das individuelle Potential weiter entwickelt sei, als die gesellschaftlichen Strukturen, wird die Forderung abgeleitet, dieses Integrationsproblem durch Schaffung neuer sozialer Rollen zu lösen (Brauchbar/Heer 1993: 258). Darüber hinaus führt die sozialwissenschaftliche Alter(n)sforschung mit dem Konzept des produktiven Alter(n)s ihr Selbstverständnis als Lobbywissenschaft für Alteninteressen fort. Wie die Aktivitätsthese ein positives Altersbild gegen die negative Altersstereotype ins Feld geführt hat, so nehmen die Vertreter_ innen des Produktiven Alter(n)s für sich in Anspruch, einen Beitrag gegen Ageism zu leisten (Hinterlong/Morrow-Howell/Sherraden 2001: 5). Indem gezeigt werden könne, dass Menschen auch im Alter noch produktiv tätig sind, stellen sie dem abhängigen, kranken und defizitären Blick auf die dritte Lebensphase eine positive Figur gegenüber (Taylor/Bengston 2001: 120). Nicht unberücksichtigt lassen darf man indessen die Verbindung von Produktivem Alter(n) mit dem Potentialdiskurs des Alter(n)s. Während sich die handlungspraktischen Konsequenzen der Aktivitätsthese noch primär auf die Mikroebene individuellen Verhaltens beschränkten, behauptet der Potentialdiskurs ungenutzte Kompetenzen, die in erster Linie durch eine Veränderung sozialer Faktoren abgerufen werden können (Aner/Hammerschmidt 2008: 259). Damit wird der gesellschaftliche Kontext interessant. Die Alten rücken in diesem Diskurs nicht mehr als soziales Problem und nicht mehr nur als gesellschaftlicher Kostenfaktor in den Fokus, sondern gleichzeitig als segensreiche »Quelle der Selbstrettung einer alternden Gesellschaft« (van Dyk et al. 2010: 16). Gerade weil ältere Menschen heute im Vergleich zu vorherigen Kohorten materiell wie gesundheitlich besser gestellt sind, über ein höheres Bildungsniveau verfügen und großes Partizipationsinteresse mitbringen, wären sie fähig – so die in Dauerschleife laufende Erkenntnis –, »produktive Beiträge zur Gesellschaft zu leisten« (Baltes 1996a: 399). Aus dieser Befähigung werden schließlich rhetorisch Begehrlichkeiten abgeleitet: »Die gewachsene Kompetenz alter Menschen ruft indes geradezu danach, daß ihnen die Chance gewährt wird, an der Produktion und Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens teilzunehmen. […] Doch die gegenwärtige Gesellschaft ruft dieses ›Alterskapital‹ (Ursula Lehr) kaum ab« (Brauchbar/Heer 1993: 255f.).
Obwohl das Konzept des Produktiven Alter(n)s in den letzten Jahren eine beispiellose Rezeptionsgeschichte innerhalb der Gerontologie, aber auch medial und politisch genossen hat, ist die konkrete Bestimmung des Produktivitätsbegriffs selbst hoch umstritten geblieben. Dass als ›produktiv‹ in erster Linie
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solche Tätigkeiten gefasst werden sollen, die im weitesten Sinne auf die Ökonomie zielen, könnte als Minimalkonsens unter den Theoretiker_innen gelten (Moody 2001: 181). Es geht im Kern um die Frage, wie ältere Menschen ökonomisch nützlich gesehen, bzw. gemacht werden können (Estes/Biggs/Phillipson 2003: 71). Umstritten ist dagegen die Frage, welche konkreten Aktivitäten in den Katalog aufgenommen werden und inwieweit Nutzen für wen dabei herausspringt. Einer der ersten Definitionsversuche von James N. Morgen definiert alle Tätigkeiten als produktiv, die zur Produktion von Gütern und Erbringung von Dienstleistungen beitragen oder die Nachfrage nach von anderen produzierten Gütern oder Dienstleistungen verringern (Morgan 1986: 6). Caro, Bass und Chen schlagen außerdem vor, auch solche Aktivitäten mit aufzunehmen, welche die Kompetenz zur Produktion von Gütern und Dienstleistungen entwickelt (1993: 6) während Butler und Schechter in ihrer Encyclopedia of Aging auch solche Aktivitäten als produktiv bezeichnen, die die Abhängigkeit älterer Menschen von Dritten minimieren. Produktiv sind dann alle Tätigkeiten, die Voraussetzungen schaffen »of an individual or population to serve in the paid workforce, to serve in volunteer activities, to assist in the family, and to maintain himself or herself as independendly as possible« (Butler/Schechter 1995: 211).
In einer späteren Definition schlagen Bass und Caro (2001) vor, auch solche Aktivitäten aufzunehmen, die ansonsten von anderen Personen gemacht werden müssten. Während mit dieser Definition freiwillige und erwerbstätige Arbeit ebenso erfasst werden, wie Dienstleistungen und unbezahlte Arbeiten im familiären und sozialen Bereich und bestimmte Formen des ›capacity building‹, werden Tätigkeiten mit dem alleinigen Fokus der persönlichen Entfaltung ausgespart (ebd.). Es geht im Kern um Tätigkeiten, die sozialen oder ökonomischen Wert im weiteren Sinne generieren (Hinterlong/Morrow-Howell/ Sherraden 2001: 6). Eines produktiven Alters dürfe man sich aber auch dann rühmen, wenn es einem gelingt, die Abhängigkeit von anderen Menschen zu reduzieren und dadurch gesellschaftliche ›Zusatzkosten‹ zu vermeiden (Estes/Biggs/Phillipson 2003: 70; Holstein/Minkler 2003: 793). Die Sozialfigur vom Produktiven Alter schließt somit in der anglophonen Debatte an das successful aging-Konzept an, gilt doch ein Mindestmaß an Gesundheit als Voraussetzung für ein heteroproduktives Nacherwerbsleben (Estes/Biggs/Phillipson 2003: 70). Damit wird – zumindest in der englischen Debatte – das Konzept des erfolgreichen und kompetenten Alter(n)s zur Bedingung für ein produktives Alter(n) (van Dyk 2007: 101).
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In der deutschen Forschungspraxis ist das Problem der Produktivitätsbestimmung beispielsweise im Alterssurvey (Kohli/Künemund 2000) behandelt worden. Aus der Schwierigkeit, bei einem umfassenden Verständnis von Produktivität die konsumtiven Tätigkeiten abzugrenzen, ziehen die Autor_innen die Konsequenz, nur solche Aktivitäten als produktiv zu bezeichnen, »die (im Prinzip auch ökonomisch fassbare) Werte für andere schaffen« (Künemund 2000: 280). So sind infolge der ›productive-aging-Debatte‹ in der deutschsprachigen Alter(n)sforschung zahlreiche empirische Studien erschienen, deren Ziel in der Bestimmung von Leistungsbilanzen zwischen den Generationen besteht oder die aufgrund der aktuellen Datenlage nachzuweisen versuchen, dass ältere Menschen sehr viel produktiver sind, als es gemeinhin zu vermuten wäre (Künemund 2006b: 292; Schimany 2003: 371; Meier/Schröder 2007; Amann/Ehgartner/Felder 2010; kritisch: van Dyk 2007: 101). Unter Produktivität wird dabei in der Regel »ein Werte erzeugendes, sozial nützliches Verhalten« (Tews 1996: 189) verstanden, wobei ›Werte‹ gemeinhin über Tauschverhältnisse definiert werden (ebd.). Produktiv zu altern bezeichnet vor diesem Hintergrund »die Art und Weise, wie jemand seine aktive, nutzbringende Teilnahme am gesellschaftlichen Leben trotz eventueller Einschränkungen gestaltet« (Meier/Schröder 2007: 291). Versuche einer alternativen Produktivitätsbestimmung sind bisher eher marginal geblieben, helfen aber bei der Spezifizierung des Produktivitätsbegriffs. So versteht Amann unter Produktivität jedweden Beitrag aller Generationen »zur Gestaltung der Welt, im hier gemeinten Verständnis zur Lebensqualität aller« (Amann 2008: 272). Er unterschiedet ferner zwischen hetero- und autoproduktiven Aktivitäten, die sich aber allesamt als produktive Tätigkeiten subsumieren lassen (Amann 2006: 30ff.). Heteroproduktive Tätigkeiten definiert er weiter als solche, die einen direkten Nutzen für andere stiften, während Autoproduktivität primär auf den persönlichen Nutzen der Tätigkeit zielen (vgl. auch Denninger et al. 2014: 212ff.). Legt man nun Amanns weites Produktivitätsverständnis zugrunde, so sind es im deutschsprachigen Diskurs zum Produktiven Alter(n) primär die heteroproduktiven Aktivitäten, die (verallgemeinernd) als produktive Tätigkeiten identifiziert und analysiert werden (ebd.). Bei der Frage, welche handlungspraktischen Folgen und Maßnahmen aus den Debatten zum produktiven Alter(n) zu ziehen sind, kommen die Autor_innen – trotz ähnlichem Grundtenor – zu sehr unterschiedlichen Resultaten. Populäre Diskursziele sind beispielsweise die Verlängerung der Lebensarbeitszeit,10 die Förderung von Bürgerschaftlichem Engagement oder die Aufforde10 | So kommen beispielsweise Meier/Bernd in ihrer Studie zu »Leistungspotentiale[n] und Sozialprofile[n] der Generation 50-Plus« zu der Einschätzung: »Eine entscheidende Herausforderung wird es deshalb sein, die Älteren stärker als bislang ins Arbeitsleben
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rung zu lebenslangem Lernen (Kruse/Schmitt 2005: 12).11 Gemeinsam ist den Ansätzen jedoch, dass aus der Erkenntnis der immer noch mangelhaften gesellschaftlichen Angebote für die gestiegenen Bedürfnisse und Fähigkeiten älterer Menschen unisono die Forderung abgeleitet wird, die Potentiale zu nutzen. Gerade vor dem Hintergrund einer behaupteten Debatte um sogenannte intergenerative Gerechtigkeit soll die »Verantwortung der Senioren für eine nachhaltige Gesellschaftsentwicklung« (Hank/Erlinghagen 2008: 10) betont werden, sodass die Älteren wieder stärker in die Pflicht genommen werden (vgl. etwa Klie 2010: 150f.; kritisch: Butterwegge 2006: 59ff.). Dieser Wiederverpflichtungsdiskurs pendelt dabei zwischen einer institutionell geregelten Ausweitung der Lebensarbeitszeit als Pflicht zur Weiterarbeit und einer moralischen Anrufung zu freiwilligem Engagement (Breithecker 2008: 192). Mehrheitlich verbleibt die Forderung nach einer Wieder-Indienstnahme des Alters allerdings auf einer appellativen Ebene und schlägt sich bisher nicht in gesetzlichen Regelungen nieder. Zwar gab und gibt es in der Debatte durchaus auch Stimmen, die soziale Tätigkeiten in der nachberuflichen Phase gesetzlich erzwingen wollen, wie etwa Hans Peter Tews mit seiner Forderung nach einem verpflichtenden sozialen Jahr für fitte Senior_innen (Tews 1994: 58).12 Diese Forderungen werden aber von dem Großteil der Expert_innen zurückgewiesen (van Dyk 2007: 102).13 Dennoch bekräftigen viele Kritiker_innen des Pflichtjahres andererseits die grundsätzlich richtige Neuausrichtung im Verhältnis von Rechten und Pflichten Älterer. Die Forderung nach mehr »überpersönlicher Verantwortung« (Schimany 2003: 373), bzw. die Notwendigkeit einer Verantwortungsübernahme durch ältere Menschen wird im Altersdiskurs der letzten Jahre lauter (van Dyk 2007: 102f.). Die Beschäftigung mit nachberuflichen Tätigzu integrieren und ihre Kompetenzen im Berufs- und Privatleben zu nutzen« (Meier/ Schröder 2007: 33). 11 | »Die aktuellen Diskussionen zur Erhöhung des Rentenalters, zur Stärkung der Altersteilzeitarbeit, aber auch über die Pflicht zur Freiwilligenarbeit im Rentenalter sind Vorboten eines Trends, auch die späteren Lebensphasen in das Modell einer leistungsorientierten Gesellschaft einzubinden« (Höpflinger 2005: 122). 12 | Dieser Vorschlag begründet sich bei Tews aus den gestiegenen Potentialen Älterer, aus denen er quasi automatisch das gesellschaftliche Recht zur Wieder-Indienstnahme des Alters ableitet: »Von den kompetenter gewordenen Alten kann man ja doch schließlich fordern, dass sie ihre Kompetenzen auch einsetzen« (Tews 1994: 56). 13 | »Die Offenheit für Altersbilder bei gleichzeitiger Ermöglichung kreativer Altersrollen ist ein idealiter Kennzeichen von Zivilgesellschaft: ein Pflichtprogramm für ältere Menschen in Sachen Engagement wäre in einem solchen Verständnis kontraproduktiv« (Klie 2010: 156).
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keiten ist zu einem prominenten Forschungsthema geworden und hat ebenso dazu beigetragen, eine produktivistische Rahmung des Nacherwerbslebens zu forcieren (vgl. etwa Wagner/Wachtler 1996; Kohli/Künemund 2002; Clemens 2006): »Von einer Entpflichtung im Ruhestand wird immer weniger die Rede sein, stattdessen geht es um neue freiwillige Verpflichtungen (Knopf 2002)« (Meier/Schröder 2007: 295).14
4.1.7 Das Leitbild der mitverantwortlichen Lebensführung im Alter Wie gezeigt worden ist, hat sich der Diskurs über das Leben im Ruhestand in den letzten 30 Jahren in Deutschland signifikant verschoben. Anstelle des durch gesellschaftliches Disengagement und soziale Entpflichtung gekennzeichneten ›wohlverdienten Ruhestandes‹ sind in jüngster Vergangenheit auf Produktivität und Aktivität getrimmte Altersbilder getreten. War das Alter einst als »rollenlose Rolle« (Burgess 1960) charakterisiert, vom dem die restliche Gesellschaft nichts mehr zu erwarten habe, werden insbesondere die Jungen Alten im Rahmen der aktivgesellschaftlichen Neuerfindung des Alters als produktive – aber bisher ungenutzte – Ressource wieder interessant. Das Alter wird dabei nicht nur vermehrt mit Aktivitäts- und Produktivitätsanrufungen konfrontiert. Es wird zudem erwartet, dass die im Vergleich zu früheren Kohorten fitteren, besser gebildeten und partizipationsinteressierteren Senior_innen ihre verbliebenen Ressourcen eigeninitiativ in den Dienst der Allgemeinheit stellen (Denninger 2014: 140f.). Der Übergang vom ›wohlverdienten Ruhestand‹ zum ›Produktiven Alter‹ kann auf diese Weise rückblickend als Versuch gelesen werden, neue gesellschaftliche Anforderungen und Bedeutungszuweisungen an die dritte Lebensphase zu formulieren. Älteren Menschen wird dabei in der Regel ein reicher Erfahrungsschatz unterstellt, der zunehmend als gesellschaftliches Humankapital betrachtet und dadurch aus der Perspektive gesellschaftlicher Nützlichkeit wertgeschätzt wird (Denninger et al. 2014: 137): »Alte Menschen zählen nicht mehr zum alten Eisen, ihre Lebens- und Berufserfahrung gilt nun als wertvoller Rohstoff« (ebd.: 139). Gerade vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Problemlagen, wie dem demografischen Wandel oder der Kostenexplosion im Gesundheitswesen wird von den Senior_innen erwartet »aus der Perspektive gesellschaftlicher Erfordernisse […] gesellschaftlich nützliche Aufgaben [zu] übernehmen« (BMFSFJ 2012: 407). Für die Autor_innen des Ersten Engagementberichts der Bundesregierung erscheint es daher »sinnvoll, die wachsende Personengruppe der aus dem Erwerbsleben Ausgeschiedenen, aber noch Leistungsfähigen 14 | Seit einigen Jahren mehrt sich auch in der deutschen gerontologischen Debatte auch Kritik an der produktivistischen Neuverhandlung des Alters. Siehe hierzu etwa Amann 2004, Denninger et al. 2010, Denninger et al. 2014.
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zu nutzen, um notwendigen Betreuungsbedarf [pflegebedürftiger Personen, Anm. Schwabe] zu erfüllen« (ebd.). Der gleiche Tenor findet sich auch im sechsten Altenbericht der Bundesregierung, in dem Ältere unter Berufung auf die persönlichen Vorteile dazu aufgefordert werden, mehr produktives und gesellschaftsdienliches Engagement an den Tag zu legen: »Das für jeden einzelnen älter werdenden Menschen bestehende Recht, Potenziale zu entwickeln und zu verwirklichen, korrespondiert auch für jeden einzelnen Menschen – im Rahmen der jeweils bestehenden Möglichkeiten – mit Pflichten, nicht nur gegenüber der eigenen Person, sondern auch gegenüber der Gemeinschaft. […] Indem ältere Menschen ihre Verantwortung – für die eigene Generation, für jüngere Generationen, für das Gemeinwohl – erkennen und als persönliche Verpflichtung deuten, tragen sie nicht nur zu einer (notwendigen) Entlastung nachfolgender Generationen bei. Zahlreiche empirische Studien belegen: Die Übernahme der Aufgaben trägt dem Bedürfnis älterer Menschen, tätig zu sein, gebraucht zu werden und Teil der Gemeinschaft zu sein Rechnung, fördert Selbstwirksamkeits- und Kontrollüberzeugungen und verhilft zu einer höheren Lebenszufriedenheit« (BMFSFJ 2010: 21f.).
Die Expert_innen der sechsten Altenberichtskommission weisen deutlich darauf hin, dass eine »selbst- und mitverantwortliche Lebensführung im Alter […] durchaus im Sinne einer normativen Anforderung zu interpretieren [ist]« (ebd.: 21). Anders als bei der Aktivierung von Arbeitslosengeld-II-Bezieher_innen basiert die Mobilisierung der Altersressourcen nicht auf finanziellen Sanktionen oder offener Repression im Fall der Verweigerung, sondern auf dem Appell zur verantwortungsvollen Sorge um das Gemeinwesen in eigenem Interesse. Diskursiv basiert der Produktivitätsdiskurs des Alters auf einer vermeintlichen ›win-win-Konstellation‹, die davon ausgeht, dass die Alten ein persönliches Interesse daran haben, ihre Alterspotentiale dem Gemeinwesen zur Verfügung zu stellen (Schroeter 2002: 95f.).15 Wer sich (ehrenamtlich) für das Gemein15 | »In demokratischen Gesellschaften haben Menschen unabhängig von ihrem Lebensalter ein grundlegendes Recht auf soziale und politische Partizipation. Von der Ausübung dieses Rechts profitieren nicht nur die älteren Menschen selbst, sondern auch die Gesellschaft. Dies nicht allein dadurch, dass durch den Einsatz erhaltener Kompetenzen und Erfahrungen für andere Menschen Leistungen erbracht werden für die ansonsten die Solidargemeinschaft garantieren müsste. Noch wichtiger erscheint, dass durch das Engagement älterer Menschen ein unverzichtbarer Beitrag zu einem solidarischen Zusammenleben und zu einer Verwirklichung demokratischer Ideale in unserer Gesellschaft geleistet wird. Das Engagement im Alter ist auch Ausdruck einer empfundenen Verantwortung gegenüber anderen, ohne die eine demokratische Gesellschaft undenkbar ist….Dreifache Verantwortungsbezüge des Menschen: Als Verpflichtung zur
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wohl engagiert, bliebe nicht nur körperlich und geistig fit, sondern sei zudem sozial integriert und erfahre dadurch Anerkennung durch andere.16 Diese vermeintliche Harmonie zwischen der sozialethischen (überpersönliche Verantwortung der Alten für die Gesellschaft) und ressourcenökonomischen (wirtschaftlicher Nutzen fürs Gemeinwesen) Perspektive mit der Selbstbestimmung und dem Partizipationsinteresse der Alten konstruiert eine unproblematische Diskurslandschaft, in der die Möglichkeit eines strukturellen Gegensatzes zwischen den Interessen älterer Menschen und den Bedürfnissen der Gesellschaft nicht zu existieren scheint (van Dyk et al. 2010: 23ff.). Selbst körperlich und geistig mitunter äußerst belastende Tätigkeiten wie ein Bürgerschaftliches Engagement in Pflegeheimen kann somit diskursiv eingeebnet werden.17
4.2 D ie engagierte Z ivilgesellschaf t – V on politischer Partizipation und wohlfahrtssta atlicher K oproduk tion Die Rückkehr der aktiven Bürger_innen in die politische Debatte ist in der Bundesrepublik spätestens seit dem Bericht der Enquete-Kommission ›Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements‹ im Jahre 2002 zu einem prominenten Thema geworden. Ihr Engagement, welches wahlweise als zivilgesellschaftlich, gemeinwohlorientiert, freiwillig oder bürgerschaftlich bezeichnet wird, ist Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Studien geworden und hat
Selbstsorge, bzw. Verantwortung des Menschen vor sich selbst, als Verpflichtung zu mitverantwortlichem Engagement bzw. als Verantwortung des Menschen für andere und die Gesellschaft, als Verpflichtung zur Wahrung der Lebensgrundlage und Lebenschancen geborener wie noch nicht geborener Generationen bzw. als Verantwortung vor der Schöpfung.[…] Die Zielvorstellung eines bürgerschaftlichen Engagements älterer Menschen lässt sich nicht nur mit den Herausforderungen eines veränderten Altersaufbaus der Bevölkerung, sondern auch mit individuellen Bedürfnissen und Selbst-Verpflichtungen begründen« (Kruse 2012: 372f.). 16 | »[B]eing active and involved in older age is not only goot for society but also for the older individuals themselves« (Herzog et al. 1996: 329). 17 | »In dieser Hinsicht kann Bürgerschaftliches Engagement in Pflegeheimen zu einer neuen Wertschätzung des Alters beitragen, auf gesellschaftlicher Ebene kann eine solche neue Wertschätzung des Alters in einer veränderten sozialen Konstruktion und Kulturalisierung des späten Lebensalters Ausdruck finden. Als Folge erwachsen älteren Menschen neue Chancen zur sozialen Teilhabe. Auch die Bürgerschaft trägt Verantwortung für Teilhabe und Lebensqualität in Heimen« (BMFSFJ 2010: 71).
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jüngst zur Herausbildung eines neuen Politikfeldes geführt: der Engagementpolitik (vgl. Lang 2010; Schmid 2010; Klein/Olk/Hartnuß 2010). Da politisches Engagement einen zentralen Stellenwert im Diskurs um Bürgerschaftliches Engagement einnimmt, werde ich im Folgenden zentrale Entwicklungslinien des Engagementdiskurses der letzten Jahrzehnte rekonstruieren, um dadurch für Verschiebungen und Trends in der gegenwärtigen Diskursformation zu sensibilisieren. Im Gegensatz zum Altersdiskurs liegen systematische und detaillierte Diskursanalysen zu Bürgerschaftlichem Engagement bisher nicht vor, sodass ich mich hauptsächlich auf die ausschnittartigen und zum Teil überblicksartigen Reflektionen von Engagementforschenden über ihr Forschungsfeld stützen werde.18 Ein erster Blick in die Engagementforschung macht deutlich, dass sich der jüngere Diskurs zu Bürgerschaftlichem Engagement aus vielfältigen Quellen speist (Roth 2000: 28; Klein 2001: 13f.). Ideengeschichtlich knüpft der Engagementdiskurs sowohl an liberal-individualistische als auch an republikanischkommunitaristischen Theorietraditionen an (Deutscher Bundestag 2002: 57ff.). Andererseits nimmt Bürgerschaftliches Engagement eine zentrale Bedeutung ein, in den politischen Diskursen um die Krise des Sozialstaats, die Krise der Arbeitsgesellschaft und die Krise der Demokratie als Partizipationsgemeinschaft (Braun 2001b: 84). Ohne die einzelnen Diskursstränge in Gänze zu sezieren, geht es mir in diesem Kapitel darum, zentrale diskursive Verschiebungen sichtbar zu machen und dadurch den Diskurs um Bürgerschaftliches Engagement in seiner Dynamik und Kontingenz zu begreifen.
4.2.1 Bürgerschaftliches Engagement als Knotenpunkt von Einzeldiskursen Obwohl die Traditionslinien einer engagierten Bürgerschaft in Deutschland weit zurückreichen und in gewissem Sinne ein »Produkt der bürgerlichen Gesellschaft« (Sachße 2011: 17) sind, schließt der gegenwärtige Diskurs um Bürgerschaftliches Engagement zumeist an relativ junge Entwicklungen an (Klein 2011: 33). Als zentraler Anknüpfungspunkt des gegenwärtigen Diskurses um Bürgerschaftliches Engagement in der Bundesrepublik werden zumeist die sozialen Bewegungen der 60er und 70er Jahre sowie die Bürgerrechtsbewegun-
18 | Wenige Monate vor Veröffentlichung dieses Buches legte Daniela Neumann (2016) eine umfangreiche und gründliche und hochinteressante Diskursanalyse zu Bürgerschaftlichem Engagement vor, in der die gesellschaftlichen Diskurse rekonstruiert werden, welche die Herausbildung der staatlichen Engagementpolitik ermöglicht haben. Neumanns Studie bestätigt viele der im Folgenden skizzierten Tendenzen, konnte aber in dieser Arbeit nicht mehr berücksichtigt werden.
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gen Ostmitteleuropas in ihrem Kampf gegen den Staatssozialismus genannt (Klein 2001: 14; Klein 2011: 33). Vor dem Hintergrund des »wohlfahrtsstaatlichen Arrangements« (Kaufmann 1997) der 60er Jahre in Westdeutschland, in dem ein ausgebauter Sozialstaat »als Hüter und Wächter des Gemeinwohls« (Naschold 1993) auftrat, kam der aktiven Bürgerschaft eine untergeordnete Rolle zu: »Nicht hohe Beteiligungsquoten und die ›Inputs‹ der Bürger, sondern das staatliche Leistungsniveau und die ›Outputs‹ des politisch-administrativen Systems galten als Maßstab für die Funktionstüchtigkeit des Gemeinwesens« (Braun 2001b: 85). Eine staatlich geförderte Engagementpolitik nach heutigen Maßstäben war in dieser Konstellation kaum denkbar, galt doch die – abgesehen von der Wahlbeteiligung – passive Bürgerschaft als Ausdruck der Zufriedenheit der Bevölkerung mit dem politischen System (Roth 2011: 47). Den Weg zu einer aktiven Bürger_innenbeteiligung ebnen in dieser Konstellation vor allen Dingen die sozialen Bewegungen und Bürgerbewegungen jener Zeit, die zum Teil als Gegenentwurf zum versorgenden Wohlfahrtsstaat neue, partizipative und selbstorganisierte Formen von bürgerschaftlicher Beteiligung entwickeln (Brand 2011: 487f.). Der heute geläufige Begriff des Bürgerschaftlichen Engagements basiert dabei auf dem Konzept der Zivilgesellschaft, welches zunächst in »der Demokratiebewegungen Mittel- und Osteuropas im Zusammenhang mit Revolution, Wende und gesellschaftlicher Transformation verwendet [wurde], ausdrücklich in Abgrenzung zur Vereinnahmung der Bürgerinnen und Bürger durch den staatlich-politischen Apparat« (BMFSFJ 2012: 51). Dem zivilgesellschaftlichen Engagement der Bürger_innen haftet dadurch ein ausgeprägter politischer Charakter an (Klein 2001: 46). Es geht bei zivilgesellschaftlichem Engagement in diesem Kontext primär um ein umfassendes Demokratisierungsprojekt ›von unten‹ und eine Politisierung vormals unpolitischer Lebensbereiche (ebd.: 255ff.), was sich auch in den damals unkonventionellen Partizipationsformen wie politischen Protesten, Bürgerinitiativen und den entstehenden sozialen Bewegungen ausdrückt (Roth 2011: 48). Rückblickend werden die 1970er Jahre aus zivilgesellschaftlicher Perspektive häufig als Phase der partizipatorischen Revolution bezeichnet (Klages 2010: 31f.; Zimmer/Nährlich 2000: 13), in der ein wahrer »Gründungsboom« (Zimmer/Nährlich 2000: 13) freiwilliger Vereinigungen, Vereine und Lobby-Organisationen festzustellen ist. Noch unter dem Eindruck der Studentenbewegung wurde einerseits von staatlicher Seite (›mehr Demokratie wagen‹) vor allen Dingen aber von den neuen sozialen Bewegungen Demokratisierungsprozesse angestoßen und »Ansprüche auf politische Teilhabe in die Praxis umgesetzt« (Braun 2001a: 4). Als Trägergeneration dieser gesellschaftlichen Öffnung für bürgerschaftliches Engagement gilt die Nachkriegsgeneration der ›Baby-Boomer‹, »die im Zuge des viel diskutierten Wertewandels für bürgerschaftliche Partizipations-
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und Gestaltungschancen sorgte« (ebd.). Während zumindest von staatlicher Seite die Reformeuphorie für eine partizipative Öffnung des politischen Systems Ende der 1970er Jahre abebbt und mit dem Regierungswechsel zur liberal-konservativen Koalition ihr vorläufiges Ende findet (Braun 2001b: 89), gewinnt die aktive Bürgerschaft als Wohlfahrtsproduzent an Bedeutung. So zeigt Brauns auf, wie das Modell des versorgenden Sozialstaats in einer Diskurskoalition sowohl von links-alternativer als auch von liberal-konservativer Seite zunehmend in Bedrängnis gerät (ebd.: 85). Während erstere bemängeln, dass der allverantwortliche Staat durch die Verrechtlichung, Bürokratisierung und Professionalisierung sozialer Dienste die Bürger_innen entmündige und ihre Fähigkeit zur Selbstorganisation einschränke, kritisieren letzte, dass die ›Anspruchsexplosion‹ an sozialstaatlichen Leistungen Eigeninitiative und Unternehmergeist lähmen würden (ebd.): »Forderungen nach Entstaatlichung, Privatisierung, Subsidiarität und Wiederbelebung des Assoziationswesens von eher liberal-konservativer Seite berührten sich mit der Wiederentdeckung der Vorzüge von intermediären Assoziationen, sozialem Pluralismus und antiinstitutionellen sozialen Bewegungen auf links-alternativer Seite« (ebd.).
Es zeichnet sich in den 1980er Jahren eine »grundlegende Neuordnung institutioneller Arrangements wohlfahrtsstaatlicher Systeme ab« (Evers/Olk 1996: 10), in der die Wohlfahrtsproduktion nicht mehr ausschließlich als staatliche Aufgabe verstanden wird, sondern als Welfare-Mix zwischen verschiedenen Akteuren konzipiert wird (Braun 2001b: 86). Im Gegensatz zum Sozialstaatlichkeitsprinzip (vgl. Evers/Wintersberger 1990; Kaufmann 1997), in dem der Staat als alleiniger Adressat von Gemeinwohlansprüchen auftritt, findet zu dieser Zeit eine »Pluralisierung von Institutionen und Akteuren der Wohlfahrtsproduktion jenseits von Markt und Staat [statt, …die auf eine] Stärkung von Gemeinsinn, bürgerschaftlicher Mitwirkung und Selbsthilfe hinaus[läuft]« (Evers/Olk 1996: 40). Die Bürger_innen, werden in diesem Arrangement nicht mehr nur als Klient_innen des Sozialstaats oder Konsument_innen in der Ökonomie gedacht, sondern mit ihrem alltäglichen Engagement »als eine wichtige Säule im gesellschaftlichen Bedarfsausgleichssystem betrachtet« (Braun 2001b: 86). Der aktivierende, ermöglichende oder ermunternde Staat (vgl. Gilbert/Gilbert 1989) zieht sich in dieser neuen Konstellation jedoch nicht gänzlich aus dem Feld der Wohlfahrtsproduktion zurück, beschränkt sich aber auf »strategiebildende, regulative, gewährleistende und moderierende Aufgaben« (Evers/ Olk 1996: 40). Dieser Wandel in der Sozialstaatlichkeit eröffnet auf der anderen Seite Gelegenheitsstrukturen für Bürgerschaftliches Engagement (Braun 2001b: 86).
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Neben der politisch-demokratischen und der sozialstaatlichen Dimension von Bürgerschaftlichem Engagement knüpft ein weiterer Strang an den Diskurs um die Krise der Arbeitsgesellschaft an (ebd.). Vor dem Hintergrund der Debatte um das »das Modell der ›Bürgerarbeit‹ von Beck (1997, 1999) die Vision einer ›Tätigkeitsgesellschaft‹ von Mutz (1997) sowie – mit Abstrichen – das im Bericht an den Club of Rome entworfene ›Mehrschichtenmodell produktiver Arbeit‹ mit nichtmonetären Werten (Giriani/Liedtke 1998) und Rifikins (1997) ›neuer Gesellschaftsvertrag‹« (ebd.: 87) wird ein Wandel der Arbeitsgesellschaft diagnostiziert (ebd.). Gemeinsame Stoßrichtung dieser Debatte ist die Annahme, dass die gesellschaftliche Integration durch Arbeit nur dann aufrechterhalten werden könne, wenn auch »Tätigkeiten jenseits der Erwerbsarbeit aufgewertet würden« (ebd.). Bürgerschaftliche, freiwillige und ehrenamtliche Tätigkeiten müssten demnach gegenüber der bezahlten Arbeit wieder an Bedeutung gewinnen (ebd.). Bezug genommen wird beispielsweise auf die Diskussion um die Alternativökonomie (vgl. Huber 1979), die Kritik aus der Frauenbewegung an der ungleichen Wertigkeit verschiedener Tätigkeitsformen (vgl. Bennholdt-Thomsen/Mies/Werlhof 1988) aber auch auf das bereits 1958 publizierte ›Vita Activa‹ von Hannah Arendt, welches die moderne Fixierung auf die Erwerbsarbeit kritisiert (Braun 2001b: 88). Folgt man Braun (2001a), schließt der gegenwärtige Diskurs zu Bürgerschaftlichem Engagement an diese drei Diskursstränge an, die zugleich zentrale Integrationsmodi moderner Gesellschaften betreffen: Die Integration in das demokratisch-politische System, Integration über sozialstaatliche Sicherungssysteme und über Erwerbsarbeit. »In allen drei Bereichen soll der engagierte Bürger durch Selbstorganisation, Partizipation, gemeinwohlorientiertes Handeln und Zivilcourage die Problemlösung sein« (ebd.).
4.2.2 Ideengeschichtliche Quellen von Bürgerschaftlichem Engagement Darüber hinaus knüpft der Diskurs zu Bürgerschaftlichem Engagement an eine Debatte an, die sich ideengeschichtlich bis zu Aristoteles zurückverfolgen lässt (Münkler/Krause 2001: 299ff.). Idealtypisch stehen sich dabei liberalistische und kommunitaristische, bzw. republikanistische Ansätze gegenüber, die sich auf unterschiedliche Gesellschaftsdiagnosen stützen und dadurch konkurrierende Antworten auf die Frage anbieten, warum sich Menschen für das Gemeinwesen engagieren, bzw. engagieren sollten. Die liberale Theorietradition geht von der Annahme einer schwachen Bindung des Individuums zum Gemeinwesen aus. Auf bauend auf einer utilitaristischen Motivationstheorie wird Bürgerschaftliches Engagement als Ergebnis einer rationalen Wahl konzipiert, dessen Ziel die Maximierung individuellen Nutzens ist (Corsten/Kauppert/Rosa 2008: 14). Im Zentrum der liberalisti-
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schen Tradition stehen dabei die Neigungen und Interessen der Einzelnen, die sich nur dann zivilgesellschaftlich betätigen würden, wenn sie ihre individuellen Präferenzen alleine nicht realisieren können und zusätzlich Aufwand und Ertrag in einem günstigen Verhältnis zueinander stehen (Aner 2005: 25). Das Ziel, welches die Bürger_innen mit ihrem Engagement verfolgen, bestünde dann darin, »die Lebenschancen der Bürger zu steigern, indem die allen gemeinsamen Anrechte ausgeweitet und die verfügbaren Angebote gesteigert werden (vgl. Dahrendorf 1999: 91)« (Döner/Vogt 2008: 22). Einen zentralen Stellenwert in der liberalistischen Tradition nimmt die Idee der Freiwilligkeit ein, wonach Bürgerschaftliches Engagement nicht das Ergebnis sozialen Zwangs, sondern individueller Entscheidung ist (ebd.: 23). Man wird in der Bürgergesellschaft tätig »ohne dass es einem vom Staat befohlen wird und ohne dass man damit Geld verdienen muss« (Dahrendorf 1999: 102). Den unterschiedlichen Spielarten der liberalistischen Theorie ist dabei gemein, dass Bürgerschaftliches Engagement aus den Interessen des Individuums heraus erklärt wird und deswegen auf ein Wir-Gefühl von Gemeinschaften verzichten kann (Aner 2005: 25). Engagement wird dabei als eine persönliche Angelegenheit verstanden, »als eine Möglichkeit der Selbsterfüllung und episodenhaften Lebensstilergänzung« (Braun 2001b: 95). Demgegenüber stehen kommunitaristische und republikanistische Positionen, die Bürgerschaftliches Engagement unter Rückgriff auf einen Bürgersinn oder eine Gemeinwohlorientierung der Individuen erklären. Von den aktiven und an den ›res publica‹ partizipierenden Staatsbürger_innen wird dabei erwartet, erst durch ihr tugendhaftes und gemeinwohlorientiertes Engagement die soziale und politische Ordnung funktionsfähig zu machen (Döner/ Vogt 2008: 18). Statt Bürgerschaftliches Engagement als verlängerten Arm der individuellen Interessenverwirklichung zu begreifen, stehen die republikanischen Bürger_innen vor der Herausforderung, sich mit freien und gleichen Mitbürger_innen über die gemeinsamen Ziele und Werte zu verständigen (Corsten/Kauppert/Rosa 2008: 14). Dem Individuum wird dabei ein hohes überindividuelles Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwesen unterstellt (ebd.: 20f.), was – je nach theoretischer Ausgestaltung – mit Beteiligungschancen aber auch Teilhabezumutungen und (moralischen) Verpflichtungen verbunden sein kann. Ein wie auch immer gearteter Bürger_innensinn, bzw. die überindividuelle Verantwortung für das Gemeinwesen ist in republikanistisch-kommunitaristischer Theorietradition Voraussetzung für das Zustandekommen bürgerschaftlichen Engagements. Bürgerschaftliches Engagement ist demnach nicht das Ergebnis rationaler Wahl, sondern Folge einer Wertbindung, die aus »geteilten Werten, sozialer Nähe und gemeinschaftlichen An-
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liegen erwachse und die Gemeinschaft stütze und stärke, die wiederum ohne Hilfsbereitschaft und Solidarität nicht auskäme« (Braun 2001b: 95).19
4.2.3 Die Wissenschaft als Geburtshelferin der Engagementpolitik Ohne der Selbstüberschätzung der Wissenschaft und ihrer gesellschaftlichen Wirkungsmacht das Wort reden zu wollen, darf die Bedeutung wissenschaftlicher Forschungen und Publikationen im Diskurs zu Bürgerschaftlichem Engagement nicht unterschätzt werden. Die Schnittstelle zwischen beiden Feldern bilden die Berichte der Enquete-Kommissionen zur »Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements« (Deutscher Bundestag 2002) und zur Erarbeitung des ersten Engagementberichts (BMFSFJ 2012), die jeweils unter politischen Vorgaben eine Gesamteinschätzung zur Lage des Bürgerschaftlichen Engagements in der Bundesrepublik vorlegen und konkrete politische Handlungsempfehlungen geben.
19 | Trotz der unterschiedlichen Sichtweisen gehen beide Positionen von der gemeinsamen Annahme eines atomistischen Selbst aus, welches der Gesellschaft quasiäußerlich gegenüberstehe (Münkler/Krause 2001: 316). Das Individuum werde dabei entweder – in liberalistischer Tradition – als Inhaber von Interessen und Bedürfnissen gedacht, die es in sozialen Raum verwirklichen möchte oder – in kommunitaristischer Wendung – als Ausdruck einer conditio humana, in der überindividuelle Verantwortung und ein Sinn für das Gemeinwohl bereits angelegt sei. Insofern beide Traditionen von bestimmten Annahmen über die Beschaffenheit des Individuums ausgehen und dadurch seine gesellschaftliche Bedingtheit unterschätzen, tendieren sie dazu, Eigeninteresse und Gemeinwohlorientierung von vornherein als einander ausschließende Größen zu verstehen. Bürgerschaftliches Engagement kann vor diesem Hintergrund entweder als Ausdruck des einen oder des anderen interpretiert werden, während die Konstitutionsbedingungen spätmoderner Subjektivität außer Acht gelassen werden. Vor dem Hintergrund der Diskurse zu produktivem Alter(n) und Bürgerschaftlichem Engagement müssen die liberalistischen und republikanisch-kommunitaristischen Erklärungsansätze für Bürgerschaftliches Engagement zwangsläufig theoretisch unterbestimmt bleiben. Statt den Dualismus zwischen Egoismus-Altruismus oder individuumszentriert-gesellschaftszentriert aufrechtzuerhalten gilt es in Zeiten von Aktivgesellschaft und politisch induzierter Engagementförderung gerade darum, dem möglichen Ineinandergreifen beider Pole auch konzeptionell Rechnung zu tragen. Das setzt ein Forschungsdesign voraus, welches die Konstitutionsbedingungen spätmoderner Subjektivität sowohl theoretisch als auch konzeptionell einholt und die kulturell-sozialen Bedingungen, in denen dieses Engagement stattfindet, nicht ausklammert. Mit der Entscheidung für eine subjektorientierte Diskursanalyse im Rahmen dieser Studie wird diesem Problem Rechnung getragen.
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Als wichtige Instrumente und legitimatorische Grundlagen der politischen Engagementförderung dienen zudem die wissenschaftlichen Studien über Umfang und Potential von Bürgerschaftlichem Engagement in der Bundesrepublik. Basierend auf der Eurovol-Studie zum »neuen bürgerschaftlichen Europa« konnte Mitte der 1990er Jahre erstmals festgestellt werden, dass die deutsche Bevölkerung im europäischen Vergleich mit einer Engagementquote von unter 18% auf dem vorletzten Platz rangiert (Gaskin/Smith/Paulwitz 1996: 65ff.). Die zahlreichen Engagementstudien in den Folgejahren sorgten mit immer neuen Untersuchungsdesigns und Fragetechniken dafür, dass die Bundesrepublik binnen weniger Jahre »in die Champions-League aufstieg« (Braun 2001b: 98).20 Erste verlässliche Zahlen zum Stand des Bürgerschaftlichen Engagements liefert der sogenannten Freiwilligensurvey, der nach der Ersterhebung im Jahr 1999 noch in zwei weiteren Wellen (2004, 2009) durchgeführt wurde und dadurch im Längsschnitt Trendaussagen möglich macht (BMFSFJ 2009d: 4). Die besondere Bedeutung des Freiwilligensurveys ergibt sich allerdings nicht nur aus seinem methodischen Design, sondern in erster Linie aus seinem politischen Charakter: Er ist explizit »kein akademisches Projekt, sondern stand von Anfang an unter ausdrücklich gesellschaftspolitischen Vorzeichen« (Gensicke/Geiss 2010: 48). Die Freiwilligensurveys sollen Informationen zur Unterstützung einer langfristig ausgelegten Engagementpolitik liefern und dadurch Teil eines umfassenden Projekts zur Stärkung der Zivilgesellschaft sein (ebd.). Vor diesem Hintergrund gilt der Erhebung von Engagementpotentialen in der Bevölkerung stets eine besondere Aufmerksamkeit (Braun/Klages 2001: 120ff.), rechtfertigt sie doch umfassende politische Programme, mit denen diese neu entdeckten Ressourcen aktiviert werden sollen. So gehen bereits die Autor_innen des ersten Freiwilligensurveys davon aus, dass »es in der Bevölkerung ein weitgehend verborgenes, in den einschlägigen Diskussionen gewöhnlich übersehenes und ausgeklammertes, nichtsdestoweniger aber reales und unter geeigneten Bedingungen aktualisierbares und nutzbares Engagement-›Potenzial‹ gibt« (Braun/Klages 2001: 116). Dabei identifizieren die Engagementberichte im 10 Jahres-Trend einen Zuwachs bei den Engagement-Bereiten von 26% auf 37%, was auf »eine immer aufgeschlossenere Einstellung der Bevölkerung zum Engagement« (Gensicke/Geiss 2010: 8) hindeute. Neben der quantitativen Bestimmung des Engagementpotentials haben die wissenschaftlichen Studien auch eine qualitative Veränderung in der Motivstruktur der Engagierten sichtbar gemacht. Die vielzitierte Rede vom »Strukturwandel des Ehrenamts« (Beher/Liebig/Rauschenbach 2000), bzw. dem »Motivwandel des freiwilligen Engagement« (Gensicke/Geiss 2010: 115) geht von einem umfassenden gesellschaftlichen Wertewandel (vgl. Inglehart 2008) 20 | Vgl. dazu kritisch Braun 2001b: 99f.
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seit den 1960er Jahren aus, der sich in der Struktur Bürgerschaftlichen Engagements bemerkbar macht. Vor dem Hintergrund der wachsenden Vielfalt unterschiedlicher Engagementformen wird dabei der Wandel der Motive angenommen, aus denen sich Bürger_innen freiwillig und unentgeltlich engagieren (Deutscher Bundestag 2002: 113ff.). Bei der Aufnahme bürgerschaftlicher Tätigkeiten treten demnach »altruistische Begründungen und Orientierungen einer Dienst- und Pflichterfüllung in den Hintergrund, während das Engagement zunehmend mit Erwartungen einer Bereicherung der eigenen Lebenserfahrung, einer Erweiterung der individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen sowie dem Wunsch nach einer Mitgestaltung des persönlichen Lebensumfeldes verbunden wird« (Olk 2011: 797). Im Gegensatz zum alten Ehrenamt, welches in erster Linie als Dienst, Verpflichtung und Opfer für andere verstanden wurde, sei das neue Ehrenamt zeitlich und sachlich begrenzt, Ergebnis freier Wahl und stehe verstärkt im Einklang mit den eigenen Interessen und Bedürfnissen (Evers 1998: 187). Es wird den Individuen zwar oftmals durch das soziale Umfeld nahegelegt, kann aber einfacher abgelehnt und verweigert werden (Schulz-Nieswandt/Köstler 2011: 82). Das gesteigerte Selbstverwirklichungsbedürfnis mache es im Ehrenamt neuen Typs nötig, dass es »heute dem Individuum nutzen muss, soll es ausgeübt werden« (ebd.). Bürgerschaftliches Engagement in Form des neuen Ehrenamts ergibt sich damit nicht mehr quasi-automatisch aus dem sozialen Milieu, sondern muss motivational und biografisch anschlussfähig sein. Es ist an die persönlichen Nutzenkomponenten der Individuen gekoppelt und hängt ganz konkret von den Möglichkeiten der Selbst- und Mitbestimmung, der individuellen Sinnsuche sowie des gemeinsamen Schaffens im gemeinschaftlichen Nahbereich ab (Köstler/Schulz-Nieswandt 2010: 157f.). Die Motivlage changiert allerdings nicht einfach vom Pflichtbewusstsein zur Selbstverwirklichung sondern erlebt eine Ausdifferenzierung in unterschiedliche, gleichzeitig feststellbare Motivbündel (Olk 2011: 710). Die Wahrnehmung dieses Motivwandels im Bürgerschaftlichen Engagements stellt neben der Identifikation von Engagementpotentialen die zweite wesentliche Bedingung dar, »[u]m diese riesige ›schlafende Ressource‹ (Klages 1998: 34) zum Leben zu erwecken« (Braun 2001b: 100). Indem die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Bürgerschaftlichem Engagement über Engagementberichte und andere öffentlichkeitswirksame Publikationen verbreitet und als legitimatorische Grundlage von politischen Entscheidungen und Initiativen herangezogen werden, leisten sie einen nicht unerheblichen Beitrag zur Etablierung einer eigenständigen Engagementpolitik.
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4.2.4 Bürgerschaftliches Engagement als Politikfeld Während sich im Feld der politischen Ideengeschichte republikanistisch-kommunitaristische und liberale Positionen lange Zeit unversöhnlich gegenüberstanden, liefen die skizzierten Einzeldiskurse (Krise der Demokratie, Krise des Sozialstaates, Krise der Erwerbsgesellschaft) lange Zeit unverbunden nebeneinander her (Braun 2001b: 91). Der Begriff des ›Bürgerschaftlichen Engagements‹ gewinnt dabei in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre verstärkt an Bedeutung, weil er sowohl die ideengeschichtlichen Diskurse zusammenbringt, als auch eine Schnittstelle zwischen den Einzeldiskursen bildet (Olk 2011: 145ff.). »Er ist das semantische Substrat eines im Übergang von den 1980er zu den 1990er Jahren neu entstandenen Diskurses über veränderte Ausdrucksformen und normative Begründungsmuster für freiwilliges und unentgeltliches Engagement und seiner Bedeutung für die Integration moderner, hochkomplexer Gesellschaften« (ebd.). Das Bürgerschaftliche Engagement knüpft an unterschiedliche Begriffe (Selbsthilfe, Ehrenamt, politische Partizipation) an, die ihrerseits bestimmte Felder des freiwilligen Engagements von Bürger_innen für ihr Gemeinwesen charakterisieren. Damit stellt es eine Verbindung her, »zwischen den sonst vielfach getrennten Diskussionsbereichen um soziales und politisches Engagement« (Evers 2000: 31) einerseits sowie zwischen der liberalen und republikanisch-kommunitaristischen Begriffstradition andererseits (Klein 2001: 251f.). Ein kaum zu unterschätzendes Ereignis für den Diskurs um die aktiv-engagierte Bürgerschaft sowohl auf wissenschaftlicher als auch politischer Ebene stellt die Konstituierung der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur »Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements« dar, die 2002 ihren Abschlussbericht übergibt (Klein/Olk/Hartnuß 2010: 24ff.). Unter Bezugnahme auf das Leitbild des ›aktivierenden Staates‹ (Deutscher Bundestag 2002: 25) wird darin »eine neue Aufgabenteilung zwischen Staat und Bürgergesellschaft« (ebd.) festgeschrieben. Es geht um die Schaffung einer »gleichberechtigten Wechselbeziehung eines aktivierenden, ermöglichenden Staates und einer aktiven und Verantwortung übernehmenden Bürgergesellschaft« (ebd.). Aufgabe des Staates ist es dabei »Gelegenheitsstrukturen für Engagement« zu schaffen und »die Selbstorganisation und die Eigenverantwortlichkeit der Bürgergesellschaft« zu fördern, damit dadurch »soziales Kapital zu Entfaltung kommen [kann]« (ebd.). Auf der anderen Seite werden die Bürger_innen in diesem neuen Arrangement »als Mitglieder eines Gemeinwesens [verstanden], die sich von Tugenden wie Gemeinsinn, Solidarität und Verantwortungsbereitschaft leiten lassen« (ebd.). Bürgerschaftliches Engagement wird darin definiert als eine Tätigkeitsform, die freiwillig ausgeübt wird, nicht auf materiellen Gewinn gerichtet ist, gemeinwohlorientiert ist, im öffentlichen Raum stattfindet und in der Regel
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gemeinschaftlich-kooperativ realisiert wird (ebd.: 38). Mit einem gewissen Eigensinn versehen schafft Bürgerschaftliches Engagement Sozialkapital und gesellschaftliche Selbstorganisation, während es zugleich Lernprozesse anstößt und ein Kritik- und Innovationspotential freisetzt (Deutscher Bundestag 2002: 38). Insofern bescheinigt die Kommission dem Bürgerschaftlichen Engagement gegenüber anderen Tätigkeiten, wie etwa der Erwerbsarbeit, eine eigene Handlungslogik, die sich aus einer feldspezifischen Motivlage speist. Der rein private Nutzen stehe demnach nicht im Vordergrund (ebd.). Darüber hinaus bestimmt die Enquete-Kommission Formen und Bereiche, in denen Bürgerschaftliches Engagement stattfinden kann. Diese beinhalten sowohl das politische als auch das soziale Engagement, Engagement in Vereinen, Verbänden und Kirchen, Engagement in öffentlichen Funktionen und in Formen der Gegenseitigkeit und Selbsthilfe und auch das Engagement in und von Unternehmen (Deutscher Bundestag 2002: 27f.). Bürgerschaftliches Engagement wird damit in unterschiedlichen Feldern und Dimensionen bedeutsam. Es basiert auf bürgerschaftlicher Selbstorganisation, Selbstermächtigung und Bürgerrechten, sowie einer »Mitgestaltung der Bürgerinnen und Bürger an Entscheidungsprozessen« (ebd.: 40). »Bürgerschaftliches Engagement schafft Sozialkapital, trägt damit zur Verbesserung der gesellschaftlichen Wohlfahrt bei und entwickelt sich, da es von den Bürgerinnen und Bürgern ständig aus der Erfahrung ihres Lebensalltags gespeist wird, als offener gesellschaftlicher Lernprozess« (ebd.).
In Anlehnung an Schmid/Buhr (2011) und Klein (2001) lassen sich diese Dimensionen analytisch differenzieren in (a) eine politisch-demokratietheoretische Dimension, (b) eine politisch-kulturelle Dimension sowie (c) eine wohlfahrtsstaatliche Dimension.21 1. Die politisch-demokratische Dimension von Bürgerschaftlichem Engagement zielt auf die Bedeutung von bürgerschaftlichen Tätigkeiten als Ergänzung von und Reformpotential für repräsentative Demokratien (Schmid/Buhr 2011: 305f.). Im Feld der Zivilgesellschaft können einerseits direktdemokratische Handlungsformen (wie Bürgerbegehren, Volksentscheide oder das Konzept der liquid democracy22) erprobt werden, die zu einem späteren Zeitpunkt 21 | Schmid und Buhr identifizieren außerdem noch einen verwaltungswissenschaftlichen Strang in der politikwissenschaftlichen Debatte um Bürgerschaftlichem Engagement, der aber für die allgemeine Begriffsbestimmung nebensächlich ist. Hier geht es um die Einbindung von Bürgerschaftlichem Engagement in die öffentliche Leistungserstellung nach Konzepten öffentlich-privater Partnerschaften (Schmid/Buhr 2011: 306). 22 | Zur Vertiefung siehe Reichert/Panek 2014.
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in den organisierten demokratischen Prozess integriert werden. Andererseits können bürgerschaftliche Tätigkeiten (wie politische Proteste oder Petitionen) auch Ausdruck gesellschaftlicher Stimmungen sein und insofern einen außerparlamentarischen Handlungsdruck für das politische System erzeugen. Insofern zielen bürgerschaftliche Aktivitäten auf »die politische Selbstregulierung der Gesellschaft im vorstaatlichen Raum« (Klein 2008: 134). Hierin schwingt stets auch das politisch-utopische Moment der Selbstregierung der Bürgerschaft mit (Adloff 2005: 153). 2. Das Funktionieren einer Demokratie hängt nicht nur von dem reibungslosen Ablauf institutioneller Prozesse ab, sondern basiert im Wesentlichen auf der gelebten politischen Kultur eines Gemeinwesens.23 In diesem Sinne zielt die politisch-kulturelle Dimension von Bürgerschaftlichem Engagement auf die zivil-ethischen Grundlagen gemeinwohlorientierter Handlungen (Schmid/Buhr 2011: 306). Als ein Ort, an dem politisches Handeln ausprobiert, gelernt und reflektiert werden kann kommt Bürgerschaftlichem Engagement eine wichtige Rolle bei der politischen Sozialisation der Gesellschaftsmitglieder zu. Es fördert »jenen Zusammenhang von Einstellungen, Wertehaltungen und Handlungsdispositionen, auf den demokratische politische Institutionen so dringend angewiesen sind« (Klein 2008: 134). Es geht um die Herausbildung bürgerschaftlicher Tugenden, die häufig unter dem Begriff des sozialen Kapitals gefasst werden (Deutscher Bundestag 2002: 76f.). Nach Robert Putnam (1993) steht bei dieser sozialintegrativen Funktion von Bürgerschaftlichem Engagement primär die Vertrauensbildung zivilgesellschaftlicher Assoziationen im Vordergrund. In diesem Sinne ermöglicht das gelebte Bürgerengagement politische Lernprozesse, die zur Ausbildung bürgerschaftlicher Identitäten beitragen und damit die Legitimität politischer Institutionen und Prozesse festigen (Klein 2001: 402f.). 3. Darüber hinaus betont die sozial-wohlfahrtsstaatliche Dimension von Bürgerschaftlichem Engagement die Bedeutung der Bürger_innen als Ko-Produzent_ innen gesellschaftlicher Wohlfahrt. Vor dem Hintergrund der vielbeschworenen »›Krise des Sozialstaats‹ wird ein ›neuer Bürgersinn‹ gefordert, der soziale Dienstleistungen unter direkter Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern erbringt« (Schmid/Buhr 2011: 306). Bürgerschaftliches Engagement bezeichnet damit gesellschaftliche Tätigkeiten, mit denen Gemeinschaftsgüter hergestellt werden, dadurch das gesellschaftliche Leben insgesamt verbessert und eine nachhaltige Ökonomie gefördert wird (Deutscher Bundestag 2002: 85). 23 | Eine populäre, zeitgenössische Kritik an einer zwar formal funktionierenden Demokratie ohne eine gelebte politische Kultur hat Crouch (2008) mit dem Begriff der »Postdemokratie« formuliert.
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Als eine Art sozialer Koproduktion zielen entsprechende Tätigkeiten auf den Beitrag zivilgesellschaftlicher Akteure und Organisationen zur sozialen Wohlfahrt (Klein 2008: 137). Der Bericht der Enquete-Kommission ist für den Diskurs somit gleich in doppeltem Sinne von enormer Bedeutung. Zum einen führt er erstmals öffentlichkeitswirksam und mit Strahlkraft auch ins wissenschaftliche Feld hinein die verschiedenen Einzeldiskurse über eine engagierte Bürgerschaft im Begriff ›Bürgerschaftliches Engagement‹ zusammen und prägt den Begriff inhaltlich (Klein/Olk/Hartnuß 2010: 25f.). Darüber hinaus markiert die Übergabe des Berichts an den Deutschen Bundestag im Jahre 2002 auf einer politischen Ebene – so argumentieren Klein et al. – den Übergang »zu einer kleinteiligen Engagementpolitik als einem neu entstehenden politischen Handlungsfeld« (ebd.: 28). Obwohl die Mehrzahl der Empfehlungen der Enquete-Kommission zur Förderung von Bürgerschaftlichem Engagement bis ins Jahr 2009 nicht umgesetzt worden sind, übernimmt die Politik seitdem zahlreiche Anstrengungen, um Bürgerschaftliches Engagement als eigenständiges Politikfeld zu etablieren und die aktive Bürgerschaft einzubinden. Als wichtige Meilensteine auf diesem Weg gelten unter anderem die Einsetzung eines Unterausschusses für Bürgerschaftliches Engagement im Jahr 2003, die Regierungskommission Impulse für Zivilgesellschaft (2004), ein Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements (2007) oder die Einrichtung des ›Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement‹ (ebd.: 29ff.; BMFSFJ 2012: 193). Neben den kommunalen Engagementförderungsprogrammen übernimmt der Bund seit Anfang der 2000er Jahre zunehmend die Initiative in der Förderung Bürgerschaftlichen Engagements. Dem BMFSFJ wird 2002 die Querschnittsverantwortung für dieses Thema zugesprochen und Bürgerschaftliches Engagement taucht erstmals im Titel der Abteilung ›Familie, Wohlfahrtspflege, Bürgerschaftliches Engagement‹ auf (ebd.: 32). Trotz konkreter Handlungsprogramme und erster Modellprojekte wie dem ›Generationenübergreifenden Freiwilligendienst‹ oder dem Programm ›Erfahrungswissen für Initiative‹ schätzen Olk und Klein die konkreten Aktivitäten zur Umsetzung einer Engagementpolitik als marginal ein und sehen erst mit der 2007 gestarteten Initiative ›ZivilEngagement. Miteinander – Füreinander‹ und der damit verbundenen Einsetzung eines Beauftragen für Zivilengagement auch eine faktischen Bedeutungsgewinn der bundesrepublikanischen Engagementpolitik (ebd.: 32f.). Die Herausbildung einer staatlichen Engagementpolitik unter dem Leitbild eines aktivierenden Sozialstaates und die Integration der aktiven Bürgerschaft in die gesellschaftliche Wohlfahrtsproduktion haben aber auch auf inhaltlicher Ebene zu einer Verschiebung des Engagementdiskurses geführt.
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Wurde unter der aktiven Bürgerschaft der späten 1960er und 1970er Jahren noch in erster Linie eine politische Bürgerschaft verstanden, die ihr Engagement in klarer Abgrenzung zu staatlichen Strukturen und bisweilen gar als Gegenmodell verstand, ist die aktive Bürgerschaft heute zu einem wichtigen Gegenstand politischer Planung geworden (Klein 2001: 251). Was einst als umfassendes Demokratisierungsprojekt von unten seinen Anfang nahm, entwickelte sich in den letzten 30 Jahren zu einem zentralen Bestandteil einer aktivgesellschaftlichen Reformpolitik von oben (ebd.). Wissenschaftlich gestützt wird die Bürgergesellschaft verstärkt zu einem gesellschaftlichen Leitbild entwickelt, welches über politische Steuerungsbemühungen herbeigeführt werden soll. Das drückt sich auch im ersten Engagementbericht der Bundesregierung aus, der »die Bürgergesellschaft als Ziel setzt und Bürgerschaftliches Engagement und Partizipation in den Vordergrund politischen Handelns rückt« (Wegner 2012: 292). Das freiwillige Engagement der Bürger_innen für das Gemeinwesen wird dabei kalkulierend als Ressource in politische Steuerungsüberlegungen mit einbezogen und soll auf der Basis von »Bürgerpflichten gegenüber dem Gemeinwesen […] positive Effekte für die Gesellschaft [generieren]« (BMFSFJ 2012: 6). War die aktive Bürgerschaft der 70er Jahre zumeist eine »Selbstbeschreibung bestimmter Akteursklassen innerhalb der Gesellschaft« gilt sie gegenwärtig als »Ideal gesellschaftlicher Ordnung« (Gosewinkel/Rucht 2004: 29). Während die freiwilligen Aktivitäten der Bürger_innen lange Zeit unter dem Begriff des Ehrenamtes als überholt abgetan wurden, werden sie in der aktuellen Debatte »als Ressourcen entdeckt, um die Herausforderungen des sozialen, ökonomischen, politischen und ökologischen Wandels nachhaltig zu lösen« (Braun 2011: 37). Dabei rücken die engagierten Bürger_innen allerdings weniger als politischer Gestalter_innen, denn »verstärkt als Koproduzenten sozialer Leistungen in den Vordergrund« (Klein 2008: 137). Gefragt sei die aktive Bürgerschaft dort, wo sie einen Beitrag zur sozialen Wohlfahrtsproduktion leisten kann (ebd.): »In vielen politischen Überlegungen kommt deshalb Bürgerschaftlichem Engagement vor allem eine kompensatorische Rolle für Defizite und Spannungen zu« (Roth 2000: 35). Die gemeinwohldienlichen Bürger_innen werden vor allem in solchen Feldern in Anspruch genommen – so eine prominente Kritik – wo sie »als Lückenbüßer für einen sich zurückziehenden Sozialstaat [dienen]« (Backhaus-Maul/Nährlich/Speth 2011: 52). So drehe sich der aktuelle Diskurs zu Bürgerschaftlichem Engagement in erster Linie um die Frage der sozialen Integration und die wohlfahrtsstiftende Dimension, während Fragen politischer Mitbestimmung und Teilhabe kaum mehr thematisiert werden (Adloff 2005: 152). Eine besondere Akzentuierung erfährt das Konzept des Bürgerschaftlichen Engagements im 2012 erschienenen Engagementbericht der Bundesregierung, der sich schwerpunktmäßig mit dem Bürgerschaftlichen Engagement
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von Unternehmen beschäftigt (vgl. BMFSFJ 2012). Wird der Gemeinwohlbegriff als Definitionskriterium von Bürgerschaftlichem Engagement im Kommissionsbericht von 2002 absichtlich noch als ein dynamischer und erst im Prozess der Gemeinwohlfindung bestimmbarer Begriff bestimmt24, der frei von ökonomischen Motiven sei, fragt den Engagementbericht 2012 explizit nach dem Bürgerschaftlichem Engagement von Unternehmen und integriert marktwirtschaftliche Überlegungen in das Begriffsverständnis: »[A]ngesichts der gebotenen Öffnung gegenüber Effizienzkriterien einerseits und der wachsenden gesamtgesellschaftlichen Bedeutung bürgerschaftlichen Engagements« stellt der Bericht die Frage, »inwiefern solches Handeln mit einem Geschäftsmodell zu unterlegen ist« (BMFSFJ 2012: 56). Vor dem Hintergrund einer sich wandelnden Staatlichkeit sucht man nach Wegen, »ob und wie die bisher staatlich getragene Verantwortung an Private überführt« und somit als »Dienstleistungen der Bürgerinnen und Bürger für ihren Staat, ihr Gemeinwesen« konzeptualisiert werden können (ebd.: 52). Die aktive Bürgerschaft wird dabei in erster Linie aus einer fiskalpolitischen Perspektive in den Blick genommen. Ihr Nutzen wird zunehmend unter ökonomischen Gesichtspunkten abgeschätzt und primär in solchen Feldern diskursiv aufgerufen, wo ein Einsparpotential vermutet wird. Bürgerschaftliches Engagement tritt verstärkt als eine Dienstleistung in Erscheinung, die von Anbieter_innen (Bürgerschaftlich Engagierten) gegenüber dem ideellen Gesamtkunden (Staat/Gesellschaft) erbracht werden soll. Während einerseits die wohlfahrtsstiftende Dimension von Bürgerschaftlichem Engagement in der gegenwärtigen Debatte erheblich an Bedeutung gewonnen hat, »bildet die politische Dimension bürgerschaftlichen Engagements das Schlusslicht in der laufenden Diskussion, die ein unübersehbares politisches Defizit aufweist« (Braun 2001b: 89f.). Im Zentrum des Engagementdiskurses stehe demnach die Frage sozialer Integration im Anschluss an Putnams Sozialkapitalansatz, während die Dimension der politischen Mitbestimmung kaum Beachtung finde (Adloff 2005: 152). Im engagementpolitischen Diskurs – so kritisiert Roth – »geht es in erster Linie um sozialintegrative und sozial24 | »Inhaltlich muss Gemeinwohl in einer pluralistischen Gesellschaft zwischen den gesellschaftlichen Gruppen ausgehandelt werden. Indem die Bürgergesellschaft den Anspruch erhebt, zum Gemeinwohl beizutragen, sind die vielen Vereinigungen und Institutionen der Bürgergesellschaft mächtige Akteure bei der Bestimmung des Gemeinwohls. Engagement z.B. von radikalen Gruppen, das darauf gerichtet ist, der Bürgergesellschaft zu schaden oder Gruppen aus ihr auszugrenzen, fällt nicht unter den Begriff Bürgerschaftliches Engagement. Gleiches gilt für nach außen abgedichtete Beziehungsnetzwerke, die dazu benutzt werden, Sonderinteressen durchzusetzen« (Deutscher Bundestag 2002: 39).
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technische Leistungen Engagierter, um ihren Beitrag bei der Lösung sozialer Probleme« (Roth 2011: 87). Die aktive Bürgerschaft sei demnach gefragt, wenn es um ihren helfenden und sozialen Beitrag zu einem relativ klar umrissenen Gemeinwohl geht. Als mitgestaltender und das Gemeinwohl qualitativ mitbestimmender Akteur scheinen die neu entdeckten Aktivbürger_in allerdings weniger interessant.25
4.3 D er W iederverpflichtungsdiskurs am B eispiel von M odellprogr ammen Die Wieder-Indienstnahme älterer Menschen in Form von Bürgerschaftlichem Engagement ist seit einigen Jahren zu einem prominenten Topos in politischen Diskussionen geworden, was auch von den wissenschaftlichen Studien untermauert wird. So sehen die Autor_innen des Freiwilligensurveys den »wichtigsten Trend« in der bundesdeutschen Engagemententwicklung darin, »dass sich Seniorinnen und Senioren durch gemeinschaftliche Aktivität und freiwilliges Engagement immer stärker in die Zivilgesellschaft einbringen« (Gensicke/ Geiss 2010: 38). Die bisher zitierten Alten- und Engagementberichte haben im Rahmen des politischen Diskurses zu Bürgerschaftlichem Engagement im Alter eine kaum zu unterschätzen Bedeutung, legen sie doch den Grundstein für die Förderung öffentlicher Kampagnen, entsprechender Modellprogramme und dadurch auch wissenschaftlicher (Begleit-)Forschung. Auf diese Weise bleibt es in der Gemeinwohlförderungsveranstaltung des Alters nicht bei moralischen Appellen. Vielmehr werden gezielt Rahmenbedingungen für die Mobilisierung der Alterspotentiale geschaffen, was sich in den zahlreichen Modellprogrammen und Förderungsprojekten von Bund, Ländern und Kommunen niederschlägt. Exemplarisch hierfür werden im Folgenden relevante Bundesprogramme präsentiert und im Hinblick auf zentrale Diskurselemente analysiert.
25 | Das zeigt sich sowohl in einer offensiven Neu-Definition des Konzepts selbst (BMFSFJ 2012: 33) oder aber durch die Unsichtbarmachung der politisch-demokratischen Dimension in Engagementstudien (z.B. WZB 2009; Heite 2012). Die Bedeutung von Widerspruch und Protest als Teil von Bürgerschaftlichem Engagement gerät entsprechend selten in den Blick der Engagementforschung und der politischen Akteure (Roth 2000: 43).
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Modellprogramm Seniorenbüros (1992-1997) Zwar gehören aktivierende und staatlich geförderte Alten(hilfe)programme mindestens seit den 1980er Jahren fest ins Repertoire der pädagogischen Altenarbeit26, doch explizit auf Produktivität und Ressourcennutzung zielende Projekte sind ein relativ junges Phänomen.27 Erste Anklänge der programmatischen Implementierung einer produktiven Alterskultur finden sich in den Modellprojekten von Bund und Ländern in den 1990er Jahren (Zeman/Schmidt 2001: 251f.). Insbesondere mit dem ›Modellprojekt Seniorenbüros‹ (1992-1997) ergreift der Bund die Initiative im altenpolitischen Feld und engagierte sich deutschlandweit über mehrere Jahre federführend für mehr Bürgerschaftliches Engagement älterer Menschen (Denninger et al. 2014: 144). Aner und Hammerschmidt erkennen in diesem Programm erstmals den explizit formulierten Anspruch »ältere[n] Menschen eine aktive Rolle im Gemeinwesen zuzuweisen« sowie gemeinwesenorientiertes Handeln als »sozial erwünschte Verhaltensweise« (Braun/Becker 1998: 19, zit.n. Aner/Hammerschmidt 2008) zu fördern. Bei den Seniorenbüros handelt es sich um Informations- und Beratungsstellen, die von älteren Menschen selbst besetzt sind und wo sich »ältere Menschen über Tätigkeitsmöglichkeiten informieren und in ehrenamtliche Tätigkeiten von Einrichtungen und Verbänden vermittel[t]« (Braun/Claussen 1997: 30) werden. Sie kooperieren dabei mit den lokalen Altenhilfeeinrichtungen und sollen an ein möglichst breites Trägerspektrum angegliedert sein (ebd.). Das Programm untergliedert sich in zwei Modellphasen, in denen insgesamt 44 solcher Einrichtungen staatlich gefördert und seit 1996 von der Bundesarbeitsgemeinschaft Seniorenbüros (BaS) auch institutionell betreut und beraten werden. Die BaS bezeichnet sich selbst als »Expertin der Engagementför26 | Vgl. beispielsweise ›Zwischen Arbeit und Ruhestand‹ (ZWAR). 27 | Aner und Hammerschmidt sehen in der Berliner Initiative Erfahrungswissen Älterer gewinnen und nutzen zwar einen ersten Aufschlag zur staatlich angeleiteten Nutzung der Alterspotentiale (Aner/Hammerschmidt 2008: 262f.), doch Denninger et al. verorten diese Initiative eher in den »Rahmen der überkommenen altenpolitischen Programmatik« (Denninger et al. 2014: 144). Obwohl die Programmatik durchaus darauf abzielte, »das Erfahrungswissen Älterer für andere, insbesondere für jüngere Menschen, nutzbar« (Aner/Hammerschmidt 2008: 262) zu machen, war die konkrete Projektgestaltung zu einem großen Teil durch Freizeitprojekte geprägt (ebd.). Eine fokussierter Ausrichtung auf heteroproduktive Tätigkeiten wurde somit letztlich durch die konkrete Praxis ausgehebelt, was Aner und Hammerschmidt zu der Einschätzung bewegt, dass »die älteren Menschen sich die Definitionsmacht über das, was nützlich und produktiv ist, nicht nehmen ließen, mithin Produktivität eben nicht an ökonomischen Standards gemessen wurde« (ebd.: 263).
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derung älterer Menschen« (gemeint ist die »aktive Generation 50+«) und in ihr sind nach eigenen Angaben mittlerweile rund 300 Seniorenbüros organisiert (BaS 2014). Als legitimatorische Grundlage des Projektes rekonstruiert Klages die damals neu entdeckte »Bedürfnislage« älterer Menschen, die von den »Geselligkeitsangeboten nach dem Kaffeefahrtmodell« (Klages 1999: 13) nicht mehr befriedigt werden können: »Es wurde unterstellt, daß es für das brachliegende Aktivitätspotential der Älteren keine für die Gemeinschaft nutzbringenden Verwendungsmöglichkeiten gebe, obwohl angesichts einer um sich greifenden Krise des Sozialstaates zunehmend deutlich wurde, daß in den verschiedensten Bereichen der Wohlfahrtsproduktion die Grenzen des Machbaren erreicht werden und ein dringender Bedarf an freiwilligen Tätigkeitsbereitschaften im Entstehen war« (ebd.).
Als Begründungsformel dieser politischen Initiative wird in dem damaligen Diskurs häufig das sogenannte ›structural lag‹ herangezogen, welches eine Kluft zwischen den Potentialen älterer und alter Menschen auf der einen Seite und den ihnen zur Verfügung stehenden gesellschaftlichen Möglichkeiten des Engagements behauptet (vgl. Riley/Riley 1992). Um diese Kluft zu schließen, so die Forderung, sei die Gesellschaft ihrerseits dazu aufgerufen, Engagementmöglichkeiten zu schaffen. Die Seniorenbüros fungieren dabei als »Gelegenheitsmacher« (Klages 1999: 16). Sie tragen dazu bei, dass die unterstellte »psychischen und physischen Leistungsfähigkeit und -willigkeit« (ebd.: 13) älterer Menschen in deren eigenem Interesse abgerufen werden kann. Ansonsten drohe ihnen das »Gefühl der Sinnleere des Nicht-mehr-gebraucht-werdens und des Überflüssig-seins, bis hin zu psychischen und physischen Folgen wie Depression und Somatisierung« (ebd.). Das ›Modellprogramm Seniorenbüros‹ stellt sich vor diesem Hintergrund als ein Beitrag zur Lösung der gesellschaftlich-individuellen Doppelkrise dar. In ihm manifestiert sich gewissermaßen der »sozialpolitische Handlungsbedarf, der für diese Altersgruppe im Hinblick auf die Erschließung von Aktivitäts- und Verantwortungsrollen besteht« (Braun/Claussen 1997: 25). Allerdings schätzen Aner und Hammerschmidt die aktivgesellschaftliche Reichweite dieses Bundesmodellprojektes – im Vergleich zu späteren Programmen – als begrenzt ein. Statt die Einzelnen in einem umfassenden Sinne als sozialverantwortliche Akteure zu konzipieren, basiert das Projekt »noch stark an den kommunitaristischen Vorstellungen einer Wohlfahrtsgesellschaft, nach denen Einzelne verpflichtet sind, in kleinen Einheiten Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen« (Aner/Hammerschmidt 2008: 268). Eine stärkere Akzentuierung des staatlich geförderten Ruhestandsengagements findet sich in den 2000er Jahren und wird gewissermaßen von der
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rasch steigenden Zahl wissenschaftlicher Forschungen zu diesem Thema vorbereitet. Ein populäres Diskurselement ist dabei das zunächst unterstellte und später wissenschaftlich validierte Engagementpotential älterer Menschen, welches trotz erster Modellprogramme noch nicht erschöpfend abgerufen werden könne. »Die Veränderungen der gesellschaftlich ermöglichten Rollenstrukturen seien hinter den sich längst rasch verändernden Fähigkeiten und Bedürfnissen der älteren Menschen zurückgeblieben. Das gewachsene Potential Älterer könne sich nicht entfalten, weil Verausgabungsstrukturen fehlen, die dieses ermöglichen« (Knopf 1997: 12).
Als Grund für die relativ begrenzte Reichweite des Programms vermuten Aner und Hammerschmidt, dass die Büros bei den jeweiligen Trägerverbänden nur unzureichend fest verankert sind (Aner/Hammerschmidt 2008: 265). Trotz der bedarfsorientierten Herausbildung unterschiedlicher Engagementfelder gebe es Anhaltspunkte dafür, dass es nicht in erwünschtem Maße gelungen sei »junge Alte mit diesem Modell gerade in die Wohlfahrtsproduktion für alte Menschen einzubinden« (ebd.). Seit der Jahrtausendwende wird das Diskurselement der Gemeinwohlorientierung gezielter in Engagementförderungsprogrammen aufgerufen, nachdem es sich zunächst im wissenschaftlichen Spezialdiskurs verbreitet hat (Denninger et al. 2014: 141ff.). Dabei sind es nicht mehr nur die Alters(n) sforscher_innen, die sich von den Engagementprogrammen eine Aufwertung der dritten Lebensphase versprechen. Vielmehr wird das sozialverantwortliche Alter über die Fachdiskurse hinaus zum »Retter des Sozialen« (Aner/Karl/ Rosenmayr 2007b) auserkoren. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der Entdeckung der Alterspotentiale als gesellschaftlich wertvolle Ressourcen stellen die Autor_innen der Enquete-Kommission »Demografischer Wandel« ganz offen die Frage nach einem »Eigenbeitrag« der Älteren zur Entschärfung »der durch den demografischen Wandel verursachten Verschiebungen im Belastungsgefüge der Generationen« und fordern, »entsprechende Förderstrategien« (Deutscher Bundestag 2002: 104) zu entwickeln.
Erfahrungswissen für Initiativen (2002-2006) Noch im selben Jahr läuft mit dem Programm Erfahrungswissen für Initiativen (EFI) ein weiteres Bundesmodellprojekte zur Nutzung der Erfahrungskompetenzen älterer Menschen an. Auch dieses Projekt steht im Kontext der individuell-sozialen Doppelkrise und beruft sich auf den Anspruch, sowohl der Gesellschaft als auch den älteren Menschen zugute zu kommen (Burmester/Heller/Stehr 2007: 8). Es geht ihm darum, dass »Erfahrungswissen älterer Menschen für die Gesellschaft einzusetzen und damit die öffentliche An-
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erkennung des Alters zu stärken« (BMFSFJ 2001). Gleichzeitig würden ältere Menschen in ihrer Rolle als aktive SeniorTrainerInnen einen Beitrag gegen Ageism leisten. Das freiwillige Engagement älterer Menschen soll zugleich »ein positiveres Altersbild in der Gesellschaft fördern« und der »Ausgrenzung Älterer entgegenwirken« (Burmester/Heller/Stehr 2007: 9). Das EFI-Projekt wird als eine adäquate Antwort und Lösung verschiedener Bezugsprobleme im altenpolitischen Feld präsentiert und dadurch gleich mehrfach diskursiv abgesichert. Wissenschaftlich gestützt wird das EFI-Programm zudem von den ersten beiden Wellen des Freiwilligensurveys (1999, 2004), der den damaligen Renteneintrittsgenerationen ein hohes Interesse an ehrenamtlichem Engagement im Ruhestand und an der Weitergabe ihres Erfahrungswissens bescheinigt (ebd.: 10). Das Projekt selber stellt sich im Vergleich zum ›Modellprojekt Seniorenbüros‹ jedoch als wesentlich anspruchsvoller heraus. Glichen die Seniorenbüros einer Freiwilligenbörse, bei der man sich relativ voraussetzungslos informieren und bei Interesse vermitteln lassen konnte, ähnelt das EFI eher einem verheißungsvollen Leuchtturmprojekt mit großer Strahlkraft und mühsamen Aufstieg. Voraussetzung für die Tätigkeit als SeniortrainerIn ist die Absolvierung einer 50-stündigen Weiterbildung sowie die Hospitation in einer zweiwöchigen Praxisphase, in der die angehenden Trainer_innen zu Strukturbilder_innen und Multiplikator_innen von ehrenamtlichem Engagement gemacht werden sollen (Brauers 2008: 216). Sie lernen darin unter anderem den Auf bau einer Projektgruppe, Gesprächs- und Verhandlungsführung, Öffentlichkeitsarbeit und Projektplanung (BMFSFJ 2004b), um anschließend in sogenannten seniorKompetenzteams eigenständig in der kommunalen Engagementförderung tätig zu werden (Brauers 2008: 217). SeniorTrainerInnen unterstützen beispielsweise kleinere Vereine und Initiativen bei der Durchführung von Veranstaltungen, organisieren Kontaktgruppen für Pflegeheimbewohner_innen oder Bürgerschaftsrunden in den Kommunen (ebd.: 220). Dass die Zahl der Bewerber_innen die 1000 zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätze deutlich überstieg (Braun/Burmester/ Engels 2004: 174f.), deutet nicht nur auf das große Interesse der Adressierten hin, sondern zeigt zugleich den exklusiven Charakter des Projekts.28 Waren die ›Seniorenbüros‹ noch an einen breiten Adressat_innenkreis gerichtet, möchte EFI gezielt solche Senior_innen ansprechen, die »bereits erfahrene Ehrenamtliche sind« (BMFSFJ 2004b: 4). Und in der Tat scheinen die in Broschüren ausgewiesen Beispielaktivitäten (»Organisation von internationalen Hilfstransporten, um die Konzeption von PC-Schulungen oder um Projekte zur 28 | Das zeigt sich auch darin, dass bei den nötig gewordenen Auswahlgesprächen die Management und Organisationskompetenzen der Bewerber_innen durchaus eine Rolle spielten (Brauers/Braun 2006: 5).
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Unterstützung des Quartiermanagements in Kommunen«, Brauers/Braun 2006: 5) nicht für alle Menschen gleichermaßen attraktiv zu sein: Jede_r zweite SeniorTrainerIn kann einen akademischen oder vergleichbaren Abschluss vorweisen (was deutlich über dem Durchschnitt der gleichaltrigen Bevölkerung liegt) und 70% hatten während der Erwerbstätigkeit eine Leitungsposition inne oder bezeichnen sich selbst als ehemalige Führungskräfte (Aner/ Hammerschmidt 2008: 266). Stärker noch als bei den Seniorenbüros steht im EFI-Programm der gemeinwohlförderliche Charakter der Tätigkeiten im Mittelpunkt. »Was immer seniorTrainerinnen konkret tun, sie dürften (und sollten) es gleichsam mit einem – nunmehr geschulten – bürgerschaftlichem Scharfblick tun (können), der über die individuellen Interessen und Erwartungen hinaus die gedeihliche Entwicklung des (lokalen) Gemeinwohls im Auge hat – und ggf. wiederum andere Bürger für eine solche Perspektive anstiften möchte« (Burnmester/Heller/Stehr 2007: 11).
Die lokalen seniorKompetenzteams sollen mit ihrem Engagement »vernachlässigte Bedarfslagen in Kommunen auf[greifen]«, »neue Alltagssolidaritäten [schaffen]« und »einen wesentlich Beitrag [leisten], um die Lebensqualität in den Kommunen zu verbessern« (Brauers 2008: 216). Wenig verwunderlich ist unter dieser Zielperspektive, dass es sich bei einem Großteil der Kooperationspartner_innen um soziale Einrichtungen handelte (Aner/Hammerschmidt 2008: 267). Um diese Initiative auch über den Kreis der Teilnehmenden hinaus sichtbar zu machen und eine Ausstrahlung auf das altenpolitische Feld insgesamt zu erreichen, hat die Bundesregierung 2004 eine begleitende Informationskampagne mit dem Titel »Alt für Jung: Ein Plus für alle« (BMFSFJ 2004a) gestartet. Den seniorTrainerinnen wird darin eine »Vorreiterrolle« bescheinigt, da sie »neue Perspektiven auf das Alter eröffnen und einen Beitrag zu einem positiven Verhältnis der Generationen leisten« (ebd.). Was das EFI-Projekt im Hinblick auf die Diskursformation vom Produktiven Alter allerdings am meisten auszeichnet, ist die Akzentuierung von Eigenverantwortlichkeit. Waren die einzelnen Projekte des Programms in ihrer Anfangsphase noch an bestehende Einrichtungen wie Freiwilligenagenturen oder Seniorenbüros angegliedert, lautet das erklärte Programmziel, »diese professionelle Unterstützung durch die Selbstorganisation von Seniortrainer Innen in so genannten Seniortrainerkompetenzteams so schnell wie möglich überflüssig zu machen« (Aner/Hammerschmidt 2008: 266). Als »Erfolgsfaktor« sowie »[w]ichtigstes Charakteristikum« (Brauers/Braun 2006: 20) im EFIProjekt gilt die Selbstorganisation:
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Alter in Verantwor tung? »[S]eniorTrainerinnen organisieren sich selbst. Eigenverantwortlich – in Kooperation mit der örtlichen Anlaufstelle – werden sie aktiv« (ebd.).
Anders als im ›Modellprojekt Seniorenbüros‹, das Engagementinteressierte in bestehende Einrichtungen vermitteln und damit in bestehende Engagementbedarfsfelder integrieren soll, radikalisiert sich im EFI-Programm der Appell zur Gemeinwohlorientierung aus eigener Initiative. Den Adressierten wird nicht nur eine Gemeinwohldienlichkeit unterstellt, sondern darüber hinaus zugemutet, selbstständig gesellschaftliche Bedarfslagen zu identifizieren. Als sozialverantwortliche Subjekte angesprochen, sollen sie die Sache des Gemeinwesens zu ihrer eigenen machen. Hierfür werden ihnen zwar in entsprechenden Seminaren die nötigen Soft-Skills vermittelt, eine gemeinwohldienliche Orientierung wird aber bereits vorausgesetzt. Statt den Engagierten ihre Tätigkeitsfelder konkret vorzugeben, werden sie vom Programm selbst als ›gute Bürger_innen‹ angesprochen, welche die gesellschaftlichen Bedarfslagen eigenständig identifizieren und ausfüllen sollen. Der aktivierende Sozialstaat nimmt darin eine moderierende und ermöglichende Rolle ein, baut aber ansonsten auf den Selbststeuerungskompetenzen der Subjekte, die die zur Verfügung gestellten Kompetenzen von sich aus zu einem gewünschten Zweck einsetzen.
Erfahrung ist Zukunft (ab 2005) In den folgenden Jahren nimmt die Anzahl neuer und ineinandergreifender Initiativen, Aufklärungskampagnen und Modellprogramme zur Förderung Bürgerschaftlichen Engagements in der dritten Lebensphase rapide zu. Auffallend ist dabei die Heterogenität der verschiedenen Projekte, die sich von konkreten, finanziell geförderten Modellprogrammen mit kommunaler Verankerung bis hin zu allgemeinen Informationsplattformen im Internet erstrecken, in denen sich engagementinteressierte Senior_innen selbstständig um ein Engagement kümmern können. Es lässt sich der Trend beobachten, dass die Selbstführungsfähigkeit der Subjekte – in den Programmen als ›Eigenverantwortlichkeit‹ bezeichnet – immer stärker akzentuiert wird. Ein Beispiel hierfür gibt die 2005 gestartete Initiative ›Erfahrung ist Zukunft‹. Es handelt sich hierbei hauptsächlich um eine Website, die von fünf Bundesministerien und dem Bundespresseamt betrieben wird (BMFSFJ 2008a: 8). Das »Service- und Ratgeberportal« möchte über die »Chancen und Perspektiven einer älter werdenden Gesellschaft« informieren und den Adressat_innen »Impulse für ein aktives und engagiertes Leben jenseits der 50« (Bundesregierung 2014a) geben. Damit greift die Homepage den Kontext des demografischen Wandels als auch das Diskurselement des Erfahrungswis-
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sens auf. Die selbstständige Nutzung dieser Lebenserfahrung eröffnet – so die Botschaft – »ein erfülltes Leben im Alter« (BMFSFJ 2013). Bürgerschaftliches Engagement wird auf diese Weise als Bestandteil eines verheißungsvollen Nacherwerbslebens präsentiert, für welches man sich aus eigenem Interesse entscheiden könne. Die Homepage ist in die vier Bereiche Arbeitswelt, Bildung, Engagement und Alltag unterteilt und umfasst auch eine Rubrik, in der die User eigene Erfahrungsberichte veröffentlichen können (Bundesregierung 2014a). Als Informations- und zum Teil sogar als Mitmachportal konzipiert, will die Homepage zu einem gemeinwohlorientierten Engagement anleiten und dadurch »gemeinsam den notwendigen [sic!] Einstellungswandel in der Gesellschaft schaffen« (Bundesregierung 2014a). Die Initiative verschreibt sich damit außerdem dem Kampf »für ein neues Bild des Alters« (ebd.), indem sie »mit engagierten Menschen zeigen [will], wie wertvoll die Erfahrung Älterer ist« (Bundesregierung 2014a). Die Aufwertung des Alters geht auch in diesem Fall mit der Nutzung der Erfahrung einher. Hierfür werden verschiedene Initiativen und Organisationen verlinkt, bei denen sich Interessierte melden können. Durch Bürgerschaftliches Engagement könne man schließlich erfahren, »wie befriedigend es sein kann, etwas Sinnvolles für die Gemeinschaft zu leisten, sich einzubringen, Gutes zu tun« (Bundesregierung 2014b). Die persönlichen Bedürfnisse älterer Menschen und die gesellschaftlichen Bedarfslagen fallen dabei diskursiv zusammen.
Aktiv im Alter (2008-2010) Neben diesem niedrigschwelligen Internetauftritt, der sich primär an ohnehin schon Engagementbereite wendet, beginnt man auf Bundesebene nach Auslaufen des EFI-Programms 2007 mit der Konzeption des Modellprojektes ›Aktiv im Alter‹, welches 2008 in die Projektphase startet. Inhaltlich an das EFI-Projekt anschließend geht es auch hier um den »Auf bau gesellschaftlicher Verantwortungsrollen«, die »Stärkung der kommunalen Daseinsvorsorge« sowie die »Erweiterung der Möglichkeiten älterer Menschen zum Mitgestalten und Mitentscheiden« (BMFSFJ 2007a). Zielte das EFI Projekt noch auf eine ausgewählte Gruppe sozialstrukturell privilegierter ›role-models‹, geht es bei diesem Projekt um eine breitere gesellschaftliche Verankerung. Hierfür werden kommunale Spitzenverbände, Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Senior_innen und andere Organisation und zum Teil auch einzelne Bundesländer als Projektpartner_innen gewonnen und die älteren Menschen selbst stärker als Ko-Produzent_innen ihrer Lebensverhältnisse angesprochen (ebd.). Implizite Hintergrundannahme ist auch hier eine Interessenhomogenität der Akteure, bei der man davon ausgeht, dass die Mitgestaltungsansprüche älterer Men-
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schen mit den gesellschaftlichen Erfordernissen zusammenfallen würden. So heißt es etwa in einer ersten Programmerklärung: »Die Menschen in Deutschland werden nicht nur älter, sie bleiben auch länger aktiv. Viele ältere Menschen verfügen über ein großes Maß an Erfahrungen, Kreativität und Innovationskraft. Häufig haben sie die Zeit, diese Potenziale für sich und für andere einzusetzen und ihre Bereitschaft, sich zu engagieren, nimmt zu. Sie wollen selbst bestimmen, wie, in welchem Umfang und wo sie sich engagieren und auch in die Planungsund Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Das Engagement älterer Menschen ist bereits heute unverzichtbar. Dies gilt nicht nur für den privaten Bereich, sondern auch dort, wo staatliches Handeln an Grenzen stößt oder unterbleiben sollte« (BMFSFJ 2007b).
Die bereits bekannte win-win-Hypothese, wonach die eigenverantwortliche Nutzung der Potentiale durch ältere Menschen automatisch dem Gemeinwohl zugutekomme, wird hier abermals abgerufen. Die Möglichkeit aber, dass diese Potentialnutzung mitunter auch gesellschaftliche Kosten verursachen könne, bleibt diskursiv weitgehend ausgeschlossen. Ebenso kurzschlussartig wie folgerichtig folgt aus dieser Annahme, dass es eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft sei, »[d]ieses Engagement zu fördern und sein Potential bestmöglich zu erschließen«, bzw. »das Engagement der Bürgerinnen und Bürger für das Gemeinwesen nachhaltig zu fördern« (ebd.). Tatsächlich halten sich die finanziellen Bemühungen zur Nutzung des Engagementpotentials in Grenzen. In zwei Förderperioden werden insgesamt 150 Kommunen mit einer einmaligen Fördersumme von je 10.000€ begünstigt, was im wissenschaftlichen Abschlussbericht vorsichtig als »[k]eine luxuriöse Modellförderung« (Klie/Marzluff/Riesterer 2011: 4) bewertet wird. Im Gegenzug dafür räumt man den Verbänden und Senior_innen ein größeres Mitspracherecht bei der Gestaltung der kommunalen Projekte ein, um dennoch eine »beteiligungsorientierte kommunale Seniorenpolitik« (BMFSFJ 2009a: 6) realisieren zu können. Gemeinsam mit Kommunalverwaltungen und Verbänden sollen sodann »Projekte entwickelt und umgesetzt [werden], in denen ältere Menschen für das Gemeinwesen aktiv sind« (ebd.). Hierfür empfiehlt das Projekt zunächst eine sogenannte Bedarfserhebung, mit der »die Wünsche der älteren Menschen ein[ge]fangen« (BMFSFJ 2009a: 17) werden sollen. Das im Abschlussbericht veröffentlichte Ergebnis dieser Befragung verdient besondere Beachtung, zeigt sich hierin doch, dass das Interesse älterer Menschen an der Stärkung freiwilligen Engagements überschaubar bleibt (Klie/Marzluff/Riesterer 2011: 47). Während fast jede_r Zweite einen Handlungsbedarf bei der Schaffung von Begegnungsmöglichkeiten und Freizeitangeboten sieht, landet die Stärkung von freiwilligem Engagement hinter
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einem besseren Mobilitätsangebot, neuen Wohnmöglichkeiten und mehr Informationsplattformen lediglich auf dem 5. Rang (ebd.). Die im Interdiskurs naheliegende Verknüpfung von Aktivität, Gemeinwohlorientierung und Bürgerschaftlichem Engagement scheint sich (noch) nicht reibungslos in den Alltagsdiskurs der Subjekte zu übersetzen.29 Selbst diejenigen Menschen, die durch ihre Teilnahme an diesem Programm eine besondere Affinität für politisch-inszenierte Senior_innenprojekte dokumentieren, sehen hinsichtlich eines guten Ruhestandslebens freiwilliges Engagement als nachrangiges Thema an. Sofern die Zielgruppe tatsächlich gefragt wird und in die Zielsetzung der Modellprogramme einbezogen wird, zeigt sich auch in diesen Programmen die Fragilität und Unzulänglichkeit des Wiederverpflichtungsdiskurses. Auf der Ebene der Subjekte scheint sich der Diskurs noch nicht als eine hegemoniale Diskursformation etabliert zu haben.30 So sehr der Interdiskurs auch als ein geglätteter politisch-wissenschaftlicher Diskurs ›von oben‹ erscheint, so wenig kommt er doch andererseits ohne die Mitwirkung der ›Regierten‹ aus. Hier offenbart sich dann punktuell, dass die auf heteroproduktive Aktivitäten gerichtete Gemeinwohlförderungsveranstaltung keinesfalls von allen geteilt wird und der Wunsch nach gesellschaftlicher Partizipation nicht zwangsläufig in einen ökonomisch messbaren gesellschaftlichen Mehrwert münden muss.31 Die im Memorandum vorgenommene Ansprache der Senior_innen als KoProduzierende und Mitgestaltende ihrer Lebenswelt schlägt sich auch in der politischen Dimension nieder. So sollen ältere Menschen explizit als »Anwälte ihrer eigenen Interessen ernst genommen werden« (BMFSFJ 2009a: 10). Dass diese Interessen aber Konfliktpotential mit sich bringen können, wird diskursiv weitgehend ausgeschlossen. Die sozialverantwortlichen Alten sehen sich nämlich – so wird ihnen unterstellt – »nicht nur als Sachverwalter der eigenen 29 | Dieser Hinweis unterstützt den Befund Denningers et al., dass es sich beim Dispositiv des Produktiven Alters mit seiner Orientierung auf heteroproduktive, gemeinwohlorientierte Tätigkeiten bisher um ein »Dispositiv im Werden« (Denninger et al. 2014: 321). 30 | Vor diesem Hintergrund ist es dann auch wenig überraschend, dass das Memorandum, welches von den Projektpartner_innen unter Leitung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen erarbeitet worden ist und die Bedürfnisse der Senior_ innen in den Mittelpunkt stellt (»eine Politik im Einklang mit den Wünschen und Bedürfnissen älterer Menschen«, BMFSFJ 2009: 7), »keine zentrale Rolle bei der Umsetzung von ›Aktiv im Alter‹ gespielt hat« (Klie/Marzluff/Riesterer 2011: 35). 31 | Aus gouvernementalitätstheoretischer Perspektive ist dieser vermeintliche Bruch mit dem Wiederverpflichtungsdiskurs allerdings nicht als Signum des Scheiterns zu interpretieren, sondern seinerseits Teil der Realisierung des Programms (Lemke 2000: 23f.).
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Belange, sondern setzen sich für alle Generationen ein« (ebd.: 10). Statt gruppenbezogene Interessen (z.B. sichere Rente) anzunehmen oder von konfligierende politische Interessenlagen auszugehen, werden die Senior_innen auch im politischen Feld als gemeinwohldienliche Mitbürger_innen angerufen, die sich »in Abstimmung mit den örtlichen Bedarfslagen« (BMFSFJ 2009a: 6) engagieren.
Alter schafft Neues Das Modellprogramm ›Aktiv im Alter‹ ist zudem Teil der Verbundinitiative ›Alter schafft Neues‹ die noch zwei weitere Initiativen (Wirtschaftsfaktor Alter, Freiwilligendienst aller Generationen) umfasst (BMFSFJ 2008a: 11). Statt der Förderung einzelner Modellprogramme will diese Initiative »eine breite soziale Bewegung für eine aktive Rolle des Alters in der Gesellschaft mobilisieren« (ebd.). Wissenschaftlich gestützt durch die Zweite Welle des Freiwilligensurveys attestiert man – diesmal den über 60-Jährigen – über das ausgeprägteste Engagementbedürfnis zu verfügen und spricht damit explizit auch potentielle Engagementneulinge an, denn »nichts hält aktiver und jünger als Neues zu lernen und auszuprobieren« (ebd.: 10). Um einen »wichtigen Impuls zur Stärkung des Engagements älterer Menschen in unserer Gesellschaft« auszulösen, wird die Initiative durch die Informationskampagne »Zähl Taten, nicht falten« (2009) lanciert, deren Botschaft lautet: »Kompetenz und Einsatz kennt keine Altersgrenzen« (BMFSFJ 2009c). Auf Plakaten und in Zeitungsanzeigen werden dort ehrenamtlich engagierte Senior_innen präsentiert, die als Botschafter_innen des aktiven Alters von ihrem Engagement berichten und dadurch zugleich als Vorbilder fungieren.32 Wie schon bei den Vorgängerprogrammen wird der demografische Wandel zum Anlass genommen, die Gruppe der älteren Menschen besonders in die Verantwortung zu nehmen (BMFSFJ 2008b). Deutlich fokussierter liest sich die Zielstellung des Projekts: »Die Initiative fördert gleichzeitig die Wirtschaftskraft und das freiwillige Engagement der Älteren« (ebd.). Neben der öffentlichkeitswirksamen Ansprache der Senior_innen fördert die Initiative in erheblichem Maße auch die strukturellen Voraussetzungen für zivilgesellschaftliches Engagement. Hierfür werden mit einem Gesamtvolumen von 22,5 Millionen Euro die ›Freiwilligendienste aller Generationen‹ gefördert, die vom Titel her zwar alle Generationen beinhalten, in ihrer Ausrichtung aber einen »besonderen Blick auf die älteren Menschen [richten], die ihr Wissen und ihre
32 | So sieht man auf den Plakaten etwa den Kopf eines offensichtlich älteren Menschen, neben dem geschrieben steht: »Er hat 12 Manager beraten, 5 Existenzen aufgebaut und 3 Pleiten verhindert. In der letzten Woche.« (BMFSFJ 2009b: 329).
4. Die diskursive Wieder verpflichtung des Alters
Arbeitskraft verlässlich über einen längeren Zeitraum einbringen wollen« (ebd.). Die Initiative ›Freiwilligendienste aller Generationen‹ ist dabei als ein viergliedriges Projekt angelegt, zu dem neben der Förderung von kommunalen Leuchtturmprojekten auch eine Internetbörse für Engagementwillige gehört, sowie gezielte Weiterbildungs- und Qualifikationsprogramme für Ehrenamtliche und die Etablierung mobiler Kompetenzteams, die »Know-how über das Aktivieren von Ehrenamtlichen und die Organisation von ›Freiwilligendiensten aller Generationen‹ in die Fläche tragen« (BMFSFJ 2008b). Diese breit aufgestellte und auf mehreren Ebenen ansetzende Gemeinwohlförderungsinitiative zeichnet sich abermals durch die relativ zurückhaltende Rolle des Staates aus, der einerseits als finanzieller Förderer, Qualitätssicherer und Impulsgeber auftritt, während andererseits die älteren Menschen selbst für die Organisation der Leistungen verantwortlich sind. Das Programm ›Freiwilligendienste aller Generationen‹ knüpft zwar – so verraten es die Programmtexte – in erster Linie an das Modellprojekt Generationenübergreifende Freiwilligendienste (2005-2008) an und soll zugleich eine »Mittelstellung zwischen den gesetzlich geregelten Jugendfreiwilligendiensten und weniger formalisierten Formen des freiwilligen Engagements« (Klie et al. 2012: 8) einnehmen.33 Mit seiner besonderen Zielstellung, »einen neuen Typ von Freiwilligendienst neben den Jugendfreiwilligendiensten zu schaffen« und »[a]ngesichts der Herausforderungen des demografischen Wandels […] sollten mit dieser neuen Dienstform die Potentiale älterer Menschen erschlossen werden« (ebd.: 16). Insofern »stellten ältere Menschen die größte Zielgruppe für den Freiwilligendienst aller Generationen dar«, verfügen sie doch in besonderem Maße über »reiche Lebenserfahrung, hohe Qualifikation und den starken Wunsch, sich gesellschaftlich einzubringen« (ebd.: 54). Die bereits in den anderen Engagementförderungsprogrammen für Ältere aufgerufene Verknüpfungskette *Demografischer Wandel/(Erfahrungs-)Kompetenz/Partizipationsbereitschaft/Bürgerschaftliches Engagement* wird auch in diesem Modellprogramm bemüht. Wie Ergebnisse der Begleitforschung zeigen, spricht das Programm tatsächlich in erster Linie Menschen in der Nacherwerbsphase an, die mit 35% die größte Altersgruppe der Freiwilligen stellen (Lincke 2012: 13). Ein besonderer Fokus des Programms liegt zudem auf der sozialen und helfenden Dimension von Bürgerschaftlichem Engagement. So ist das Programm 33 | In der Evaluation des Projekts Generationenübergreifende Freiwilligkeitsdienste wird dabei deutlich, dass entgegen dem häufig identifizierten Gestaltungswillen älterer Menschen die realen Mitbestimmungsmöglichkeiten im Programm sehr begrenzt sind. Demnach werden die freiwillig engagierten Senior_innen nur selten in Entscheidungsund Planungsprozesse innerhalb von Organisationen einbezogen (BMFSFJ 2012: 80f.).
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insbesondere im Kontext der Diskussion um die Abschaffung der Wehrpflicht und damit auch des Zivildienstes zu verstehen (Klie et al. 2012: 16), galt es doch, den Wegfall zehntausender Sozialdienstleistender zu kompensieren. Daher ist es wenig überraschend, dass der Großteil der Engagementstellen auf den sozialen Bereich entfiel, wobei die »Arbeit mit und für Senior-/innen« mit deutlichem Abstand den größten Raum einnimmt (Lincke 2012: 13). Als dritte Säule von Alter schafft Neues fungiert die Initiative ›Wirtschaftsfaktor Alter‹, einem Verbundsprojekt des BMFSFJ und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, das sich gezielt auf die wirtschaftlichen Potentiale der älteren Bevölkerungsgruppe konzentriert (BMFSFJ 2008c). Im Gegensatz zu den bisher vorgestellten Engagementförderungsprogrammen geht es der Initiative ›Wirtschaftsfaktor Alter‹ in erster Linie um den wirtschaftlichen Nutzen des demografischen Wandels, der sich aus der Kaufkraft der wachsenden Bevölkerungsgruppe Älterer ergibt. Die regelmäßig herausgegebenen Informationsbroschüren richten sich folglich auch nicht primär an die Ruheständler_innen selbst, sondern adressieren Unternehmen und Betriebe, die dazu ermuntert werden sollen, sich auf die neuen Bedarfslagen und zu erwartenden Nachfrageveränderungen durch den demografischen Wandel einzustellen (ebd.). Ältere Menschen werden darin einerseits als Verbraucher_ innen angesprochen, deren Konsumbedarf ein großes Marktpotential darstellt (ebd.: 3). Andererseits sollen sie aber auch dazu ermuntert werden »selbständig unternehmerisch tätig zu werden bzw. zu bleiben« (ebd.: 3). »Die Initiative verbindet Senioren-, Wirtschafts- und Verbraucherpolitik miteinander und zielt sowohl auf die Erhöhung von Lebensqualität älterer Menschen als auch auf die Stärkung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung« (ebd.). Die Aufwertung des (zahlungskräftigen) Alters verknüpft sich mit dabei dem als Wirtschaftswachstum verstandenen Gemeinwohl. Da die Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements in dieser Initiative keine Rolle spielt, wird auf eine ausführlichere Vorstellung verzichtet.
Ausblick Als Grundlage gegenwärtiger Engagementförderung auf Bundesebene gilt derzeit die Demografiestrategie mit dem vielsagenden Titel ›Jedes Alter zählt‹ (2012), die im Wesentlichen den bisher skizzierten Trend fortsetzt. So gelten die »Potentiale Älterer für die Zivilgesellschaft« weiterhin als »Schwerpunktthema […], zu dem verschiedene Projekte gefördert werden« (BMI 2012: 27). Die jüngsten Engagementförderungsinitiativen für ältere Menschen folgen dabei sowohl dem Trend der stärkeren kommunalen Verankerung der Projekte, dem Bezug zur generationenübergreifenden Solidarität als auch der Fokussierung auf soziale und helfende Tätigkeiten.
4. Die diskursive Wieder verpflichtung des Alters
Mit dem Aktionsprogramm ›Mehrgenerationenhäuser II‹34 (ab 2012) werden beispielsweise Generationenhäuser als Anlaufstellen auch für Bürgerschaftliches Engagement im Ruhestand lokal verankert und gestärkt (Wolf/ Zimmer 2011: 77ff.). Die 450 im Modellprogramm geförderten Mehrgenerationenhäuser sollen »zu Knotenpunkten für freiwilliges Engagement und generationenübergreifende Arbeit weiterentwickelt [werden]« (BMI 2012: 26). Menschen im Ruhestand werden in diesen Programmen nicht mehr explizit als Ältere, sondern als eine Engagementgruppe unter anderen angesprochen, die aber aufgrund ihrer besonderen Lebenssituation für freiwilliges Engagement geradezu prädestiniert ist. So binden die Häuser »gezielt Menschen der Generation 50 beziehungsweise 60 plus ein, die in der Übergangsphase vom Erwerbsleben in den Ruhestand stehen und ihre vielfältigen Erfahrungen gesellschaftlich aktiv einbringen möchten« (ebd.: 34). Als typische Engagementfelder werden dabei der Nachhilfeunterricht für Jugendliche oder der Auf bau eines Leihgroßeltern-Angebots angeführt (ebd.).
4.4 B ürgerschaf tliches E ngagement im A lter : E ine halbierte A k tivierung Die aktivgesellschaftliche Neuerfindung des Alters und die Mobilisierung von Altersressourcen in Form von Bürgerschaftlichem Engagement stellen sich somit als umfassendes gesellschaftliches Programm dar, an dem verschiedene Akteure mit zum Teil unterschiedlichen Motiven mitarbeiten. Ob als Kampf gegen negative Altersbilder und Ageism, Beitrag zur Rettung des Sozialstaates im Kontext des demografischen Wandels oder als Dienst an den Älteren selbst wird Bürgerschaftliches Engagement in der nachberuflichen Phase von einer breiten Diskurskoalition befürwortet. Vor dem Hintergrund gouvernementalitätstheoretischen Wissens kann diese explizit politisch motivierte Mobilisierung des Alter als eine Regierungsstrategie gelesen werden, die aber gerade nicht »im Modus formaler Verpflichtung und administrativen Zwangs« daherkommt, sondern »wesentlich in Gestalt institutioneller Angebotsstrukturen und moralisierender Verantwortungsappelle« (Denninger et al. 2014: 14). Über die Generierung von Leitbildern, Deutungsmustern und Identitätsangeboten für die dritte Lebensphase werden neue Evaluationskriterien eines erfolgreichen Alters etabliert, an denen sich die Angerufenen aus eigenem Interesse orientieren sollen. In dieser Form des Regierens werden die Subjekte zwar zum erwünschten Verhalten angeleitet, sind aber zugleich aktiv durch Selbstregierungstechniken an diesem Prozess
34 | Das Vorgängerprogramm ›Generationenhäuser‹ lief bereits 2005 an.
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beteiligt. Das Einwirken von außen soll durch die innere Selbstwahl der Subjekte abgestützt werden. Eine zentrale Bedeutung nimmt in diesem Wiederverpflichtungsdiskurs die Wissenschaft ein, die sowohl neue Leitbilder konstruiert und diese mit Unterstützung der Politik popularisiert (z.B. 6. Altenbericht zum Thema »Altersbilder in der Gesellschaft«), als auch Engagementpotentiale identifiziert und dessen Nutzung als eine Aufwertung des Alters und Dienst am alten Menschen präsentiert. In Form von Informationskampagnen und Modellprogrammen soll eine »neue Kultur des Alterns« (BMFSFJ 2010) implementiert werden, in der die dritte Lebensphase in gesellschaftliche Verantwortungsbezüge integriert wird. Älteren Menschen wird in diesem Diskurs relativ verallgemeinernd unterstellt, selbst ein Interesse an sozialer Re-Integration in der Nacherwerbsphase zu haben und es wird davon ausgegangen, dass diese Integration primär über die gemeinwohldienliche Nutzung ihres Erfahrungskapitals funktionieren könne. Aber auch eine politische Dimension wird dabei betont: Indem die Alten nämlich zeigen, dass man auch in der dritten Lebensphase noch produktiv tätig sein kann, leisten sie einen wertvollen Beitrag im Kampf gegen Ageism und negative Altersbilder und tragen gleichzeitig zur Steigerung des sozialen Zusammenhalts bei. Post (2009: 33ff.) schlägt vor, diesen Sachverhalt mit Nikolas Rose als »Regieren durch Community« (Rose 2000: 81) zu verstehen. Die Loyalitätsbeziehungen der Subjekte zu ihrem Gemeinwesen (in diesem Fall der nationalen Gemeinschaft der Sozialversicherten) rücken dabei in den Fokus staatlicher Steuerungsüberlegungen und würden aktiv in eine »Regierung des Sozialen« (Lessenich 2003: 85) einbezogen. Die Individuen werden dabei als moralische Subjekte angerufen, die gegenüber der Gemeinschaft in einer Verantwortungsbeziehung stehen, der sie eigeninitiativ nachzukommen haben (Rose 2000: 83f.). Statt als Objekte staatlichen Handelns werden die Einzelnen als »aktiv und verantwortlich Handelnde« (ebd.: 86) dazu angeleitet, für die Community so sorgen. Ziel dieser Regierungsform sei es demnach, die Community »zu würdigen, zu stärken, zu gestalten und zu nutzen in der Hoffnung, auf diese Weise zu Ergebnissen zu kommen, die den Wünschen aller und jedes Einzelnen entsprechen« (ebd.: 86). Aus gouvernementalitätstheoretischer Perspektive ist dieser Prozess nicht einseitig als ein Verlust staatlicher Regelungs- und Steuerungskompetenz zu verstehen, sondern als eine Restrukturierung von Regierungstechniken, »die die Führungskapazitäten vom Staat weg auf verantwortliche und rationale Individuen verlagern« (Lemke/Krasmann/Bröckling 2000: 39). In diesem Sinne hat sich die neu entstehende Engagementpolitik seit Anfang der Jahrtausendwende in der Bundesrepublik darauf fokussiert, jenseits politischer Mitsprache »möglichst kostengünstig und mit viel Symbolpolitik […] die Engagementquoten und die Gesamtzahl der Engagierten zu stei-
4. Die diskursive Wieder verpflichtung des Alters
gern« (Roth 2015: 3). Das freiwillige Engagement der Bürger_innen wird dabei von einem Ergebnis individueller Präferenzen zu einem wünschenswerten Zustand, der politisch hergestellt und gestaltet werden kann. Hodgson spricht mit Verweis auf den britischen Kontext von einer »manufactured civil society« (2004) und meint damit eine gezielte staatliche Förderung von Bürgerschaftlichem Engagement »through which a raft of social and political ills can be combated« (ebd.: 144). Bürgerschaftliches Engagement wird dabei über Regierungsprogramme mobilisiert, in denen über moralisierende Anrufungen und die Förderung von Kompetenzen die Einzelnen ein aktives Interesse an ihrem Gemeinwesen entwickeln sollen (ebd.: 145). Diese scheinbar so harmonische Diskurslandschaft, in der sich die einzelnen Stränge wie Puzzleteile passgenau zusammensetzen, basiert – so mein Einspruch – auf Verkürzungen sowohl im Alters- als auch im Engagementdiskurs.35 Insbesondere was das Bürgerschaftliche Engagement angeht, lässt sich hier anhand der Berichte der Enquete-Kommissionen und im Ersten Engagementbericht zeigen, dass in erster Linie solche Beiträge willkommen sind, die aus einer Ressourcennutzungsperspektive wertvoll sind. »Für eine Kultur der Mitverantwortung« (BMFSFJ 2012) – so der Untertitel des Engagementberichts – wird ein staatlich definierter Verantwortungsdiskurs mobilisiert und durch die Ausweitung von Freiwilligendiensten und Förderprogrammen institutionell verankert. Ohne sich in diesen Berichten offen von der politischen Partizipation zu distanzieren, bleibt der politische, bzw. der potentiell konflikthafte Charakter von Bürgerschaftlichem Engagement durch Nicht-Berücksichtigung tendenziell unsichtbar (Roth 2015: 4). Die verantwortungsvollen Senior_innen werden, so scheint es, vor allem deswegen zum Engagement aufgerufen, weil sie in Zeiten des demografischen Wandels und des schlanken Sozialstaates das Gemeinwesen entlasten sollen. Dass Bürgerschaftliches Engagement aber auch eine politische Dimension hat, dass ›Gemeinwohl‹ ein umkämpfter Begriff ist und dass eine aktiv-lebendige Demokratie mitunter auch gesellschaftliche Kosten verursacht, bildet häufig eine diskursive Leerstelle. Statt das politische Engagement älterer Menschen als produktiven Beitrag zur (Re-)Politisierung der Gesellschaft zu würdigen und seinen Wert für die demokratische Kultur des Landes erst zu nehmen, kommt der Aktiv-Alte als ›zoon politikon‹ schlichtweg nicht vor.36 Als Ko-Produzent sozialer Wohlfahrt ist Bürgerschaftliches Engagement im Alter gern gesehen, aber eine mitverantwortliche Lebensführung, die dieses vorab
35 | Vgl. für den Altersdiskurs auch van Dyk et al. 2010. 36 | Zur mangelnden Berücksichtigung von politischer Selbstbestimmung und Selbstvertretung älterer Menschen in der Altenpolitik siehe auch Holz 1996.
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festgelegte Gemeinwohl in Frage stellt, ja, es gar herausfordert, daran scheint kein Interesse zu bestehen. Auf diese Weise werden aber nicht nur die demokratischen Potentiale des Bürgerschaftlichen Engagements vernachlässigt, sondern außerdem die Wertigkeit von zivilgesellschaftlichen Tätigkeiten an ihrer politischen Erwünschtheit bemessen. Sofern bürgerschaftliche Beteiligung primär als Lückenfüllung für soziale Leistungen angerufen wird, legitimiert sie sich nur insofern, wie sie diese Funktion auch tatsächlich ausfüllen. Ein möglicher Eigensinn im Engagement und damit verbundene Gestaltungsansprüche werden diskursiv marginalisiert. Von daher stellt sich der Wiederverpflichtungsdiskurs des Alters allenfalls als eine halbierte Aktivierung von ›Alterspotentialen‹ dar. Gefragt sind in erster Linie verantwortungsbewusste Aktivbürger_innen, die ihre Potentiale aus eigenem Interesse in den Dienst des Gemeinwohls stellen, während die Frage nach der inhaltlichen Ausgestaltung des Gemeinwohls kaum gestellt wird. Ebenso selten tauchen im Diskurs Positionen auf, die den politischen Streit um den Inhalt des Gemeinwohls selbst als einen produktiven Beitrag würdigen.37 Die politisch-partizipative Seite von bürgerschaftlichem Engagement in der Nacherwerbsphase wird im Altersaktivierungsdiskurs – so mein Eindruck – fast schon systematisch ausgeblendet, was gerade vor dem Hintergrund der Generationenlagerung der gegenwärtigen 60-75-Jährigen (68er-Generation) durchaus überraschen dürfte.38 37 | Stattdessen wird die Bestimmung produktiver Beiträge entweder subtil mit sozialen und helfenden Tätigkeiten gleichgesetzt, indem Förderprogramme einseitig entsprechende Angebote popularisieren. Oder es wird in wissenschaftlich-politischen Diskussionen definitorisch festgelegt, dass produktive Beiträge im Sinne ökonomischer Werte zu verstehen sind. Selbstverständlich finden sich auch hierzu Ausnahmen, die genau diesen Sachverhalt kritisieren (vgl. etwa Roth 2000). 38 | »Die Anrufung und die Betonung der Potenziale des Alters sind keineswegs immer unschuldig, sondern eng mit dem Diskurs um die notwendige Weiterentwicklung des Sozialstaates verwoben. Der Erhalt und die Entfaltung von Kompetenzen werden dabei dem gesellschaftlichen Interesse an ihrer Nutzung untergeordnet. In dieser Perspektive ist vor allem ein solches Engagement älterer Menschen gefragt, das das Gemeinwesen entlastet. Angesichts der Engpässe in der Finanzierung sozialer Leistungen ruhen auf dem bürgerschaftlichen Engagement älterer Menschen große Hoffnung von Sozialpolitikern und Sozialpolitikerinnen (Aner 2008b)« (BMFSFJ 2010: 76f.). Gleichzeitig wird so getan, als könne man das Argument der Instrumentalisierung verwerfen, wenn man sagt, man habe das nicht beabsichtigt: »Die Potenziale und die Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements für Vergemeinschaftung und für individuelle soziale Gestaltungsmöglichkeiten bestehen gerade nicht im Rahmen des gesellschaftlichen Nutzens beziehungsweise der Nützlichkeit, sondern jenseits davon« (BMFSFJ 2010: 77).
5. Politisches Engagement im Ruhestand Die Konstruktion der Mitverantwortlichen Subjektivität
Nachdem im vorherigen Kapitel der Wiederverpflichtungsdiskurs des Alters vorgestellt worden ist und zentrale Diskurselemente sichtbar gemacht werden konnten, sollen nun die Subjekte und ihre Verantwortungsbezüge in den Blick genommen werden. Im Zentrum der Interviewanalyse stehen die Verantwortungsbeziehungen der Interviewten und die Frage, in welchem Verhältnis diese zum Wiederverpflichtungsdiskurs stehen. Somit gliedert sich die Interviewstudie grob in zwei Teile: Im ersten Abschnitt werden mithilfe der Grounded-Theory-Methodology verschiedene Ausprägungen der Mitverantwortlichen Subjektivität herausgearbeitet, die sowohl in Form von Idealtypen, als auch am Beispiel von Einzelfällen präsentiert werden. Hintergrund dieser – auf den ersten Blick ungewöhnlichen – Doppeldarstellung ist die Intention, die Genese des abstrakten Verantwortungstypus an die spezifischen Bezugsrahmen und Verantwortungsbeziehungen rückzubinden. Indem alternative Lesarten offen gehalten werden, wird vermieden, dass die Mitverantwortliche Subjektivität vorschnell als Effekt des Wiederverpflichtungsdiskurses gedeutet wird. Im zweiten Teil der Interviewanalyse werden die Typen der Mitverantwortlichen Subjektivität explizit mit dem Appell zur verstärkten Verantwortungsübernahme älterer Menschen konfrontiert. Die Befragten werden darin Stellung zu einem Auszug aus dem Altenbericht nehmen. Außerdem wird die Anschlussfähigkeit der Typen an den Diskurs insgesamt und an zentrale Diskurselemente untersucht. Bevor aber die eigentliche Interviewstudie vorgestellt wird, möchte ich die spezielle Generationenlagerung der Befragten in den Blick nehmen sowie allgemeine Kontextbedingungen und Gemeinsam-Typisches aus den Interviews präsentieren.
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5.1 D ie G ener ationenl agerung der I ntervie w ten Die Annahme generationenspezifischer Merkmale und Gruppenkonstruktionen basiert im Wesentlichen auf der soziologischen Generationentheorie. Ausgehend von Mannheims Essay über »Das Problem der Generationen« (Mannheim [1928] 1964) hat sich in der Soziologie der Generationenbegriff etabliert und entwickelt (Sackmann 2007: 44ff.). Ein Grundgedanke der soziologischen Generationstheorie ist vereinfacht gesagt die Vorstellung, dass Menschen, die in einem jungen Alter ähnliche gesellschaftliche Strömungen und Schlüsselereignisse erfahren, auch zukünftige Entwicklungen ähnlich wahrnehmen werden. Mannheim geht davon aus, dass verwandt gelagerte Geburtenjahrgänge in bestimmten Konstellationen an »jenen sozialen und geistigen Strömungen teilhaben, die eben den betreffenden historischen Augenblick konstituieren und insofern sie an denjenigen Wechselwirkungen aktiv und passiv beteiligt sind, die die neue Situation formen« (Mannheim [1928] 1964: 543). Um von Generationen sprechen zu können, reicht es nicht aus, dass bedeutsame historische Ereignisse mehr oder minder unvermittelt in die unterschiedlichen Lebensverläufe gleichaltriger Menschen drängen. Vielmehr müssen diese entscheidenden Kollektivereignisse einen ähnlichen und nachhaltigen Effekt oder Einfluss auf die Wahrnehmung dieser Individuen haben (Fietze 2009: 41f.). Die schwächste Form dieses generationellen Zusammenhangs bezeichnet Mannheim als Generationenlagerung und meint damit die »aus den Naturgegebenheiten des Generationenwandels heraus bestimmte[n] Arten des Erlebens und Denkens« (Mannheim [1928] 1964: 543). Gesellschaftliche Zeitumstände haben demnach in der Jugendzeit einen besonders starken Einfluss auf soziale Lagen und Bewusstseinsformen, während sich anschließend über den Lebenslauf hinweg eine gewisse Konstanz einstellen würde (Sackmann 2007: 46). Kollektiv geteilte und prägende Jugenderfahrungen schlügen sich demnach nachhaltig auch in der Biografie nieder. Allerdings ist die Generationenlagerung nicht als ein determinierendes Zugehörigkeitsverhältnis gedacht. Aus dem Zeitpunkt der Geburt lässt sich nicht zwangsläufig eine bestimmte Mentaltitätskonstitution ableiten. Eher zeichnet sich eine gemeinsame Generationenlagerung durch die Möglichkeit eines ähnlichen Weltverstehens aus, sodass Mannheim von einem »konjunktiven Erfahrungsraum« (Mannheim 1980: 211f.) schreibt. Die Generationenlagerung ermöglicht dadurch ein »strukturidentisches Erleben« (Bohnsack/Schäffer 2002: 254) von gesellschaftlichen Prozessen und Ereignissen, erzwingt dadurch aber keineswegs eine kollektiv-geteilte Interpretation derselben (ebd.: 254f.). Vor diesem theoretischen Hintergrund ist die spezifische Generationenlagerung der Interviewten in dieser Studie nicht uninteressant, bildete doch ihr
5. Politisches Engagement im Ruhestand
kalendarisches Alter unter anderen Bedingungen ein zentrales Auswahlkriterium. Da alle Befragten zum Zeitpunkt des Interviews zwischen 65 und 75 Jahre alt waren, können sie – folgt man Budes Definition – aufgrund ihrer Geburtsjahrgänge größtenteils der 68er-Generation zugerechnet werden (Bude 1995: 209). Als Identifikationsmoment dieser Generation dient gemeinhin die Ziffer ›1968‹, die noch heute mit dem »Geist des Aufruhrs« und dem »Duft der Veränderung« (Bebnowski 2012: 79) assoziiert wird. Tatsächlich wird die 68erGeneration für die »›Fundamentalliberalisierung‹ der westdeutschen Gesellschaft« (Jarusch 2004: 205) verantwortlich gemacht und als »die politische Generation der bundesdeutschen Geschichte« (Bebnowski 2012: 106, Hervorhebung im Original) schlechthin bezeichnet. Obwohl Sinus-Berechnungen zufolge lediglich 13% der heutigen 50-70-Jährigen dem typischen 68er-Milieu der intellektuellen Postmaterialisten zuzurechnen sind (Otten 2008: 191), besteht »weitgehende Einigkeit und empirische Evidenz dahingehend, dass diese Orientierung bei der westdeutschen Bevölkerung über das Kernmilieu ausgestrahlt und die Werterhaltung anderer Milieus beeinflusst hat« (Denninger et al. 2014: 209; vgl. auch Inglehart 2008). Als Profiteure des deutschen ›Wirtschaftswunders‹ und der bundesdeutschen Bildungsexpansion können die 1938-1948 Geborenen im Vergleich mit der vorherigen (›45er‹) und nachfolgenden Generationen (›Babyboomer‹) als außergewöhnlich privilegiert bezeichnet werden (Bebnowski 2012: 98; Denninger et al. 2014: 209). Insbesondere der männliche Teil der Generation kann mehrheitlich auf klassische Normalerwerbsbiografien zurückblicken und dürfte hinsichtlich der Ressourcenausstattung auch im Ruhestand gegenüber früheren (und in absehbarer Zeit auch späteren) Rentner_innengenerationen einmalig bevorzugt sein. Es handelt sich um Mitglieder der »wohlfahrtsstaatliche[n] Generation« (Leisering 2000), also derjenigen Männer und Frauen, die den Ausbau des bundesrepublikanischen Sozialstaats begleitet haben und noch als Rentner_innen begünstigt sind. Darüber hinaus unterscheiden sich die 68er auch hinsichtlich der körperlichen Verfassung und des kulturellen Kapitals deutlich von vorangegangenen Generationen in der nachberuflichen Lebensphase: Man bescheinigt ihnen »im Durchschnitt einen besseren Gesundheitszustand und einen höheren Bildungsstand« und darüber hinaus stünde ihnen »im Durchschnitt mehr Zeit für ein Engagement für andere zur Verfügung als den älteren Menschen früherer Generationen« (BMFSFJ 2010: 19). Politische wie gesellschaftliche Teilhabe stünden bei den Mitgliedern dieser Generation im Durchschnitt ebenso hoch im Kurs, wie ein ›verinnerlichter Nonkonformismus‹ (Gensicke 2005: 7).
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Alter in Verantwor tung? »Konkret heißt das: Neue Altengenerationen wachsen heran mit anderen biografischen Erfahrungen (z.B. soziale Bewegungen der 60er und 70er Jahre) und daraus resultierenden anderen Einstellungen an die nachberufliche Lebensphase« (Brauers 2008: 217).
5.2 D as P olitische im I ntervie w Das politische Engagement bildet ein zentrales Thema der Interviewstudie, aber was bedeutet es eigentlich, sich ›politisch‹ zu engagieren? Die Beantwortung dieser Frage hängt im Wesentlich davon ab, was unter ›Politik‹ verstanden wird. Während der Duden Politik als die »[Lehre von der] Staatsführung, zielgerichtetes Verhalten« (Duden 2006: 794) bezeichnet, offenbart ein Blick in die fachwissenschaftliche Debatte, dass es eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze und Systematisierungsvorschläge des ›Politischen‹ gibt (Etzioni 2003: 89f.). Deshalb wird in diesem Kapitel zunächst der Begriff des Politischen bzw. des politischen Engagements in der wissenschaftlichen Debatte näher beleuchtet, um vor diesem Hintergrund auf die Politikverständnisse der Interviewten einzugehen.
5.2.1 Politisches Engagement – Ein unscharfer Begriff Auf der Suche nach dem Ort des Politischen bietet sich zunächst ein Blick in die Etymologie an. ›Politikon‹ bezeichnet dabei das die Öffentlichkeit Betreffende und begründet sich begriffsgeschichtlich über die Abgrenzung zur Privatsphäre (oikos = den privaten Haushalt) (Alemann 1994: 136). Dieser Ausschluss des ›Privaten‹ ist – so argumentiert Holland-Cunz – dem Strukturwandel der Öffentlichkeit zum Trotz lange Zeit ein zentrales Charakteristikum des ›Politischen‹ geblieben (vgl. Holland-Cunz 1994). Dieser Begriffsgeschichte folgend spielt sich Politik primär in der Öffentlichkeit ab. »Der Staat, seine Institutionen und das damit verbundene Handeln sind in dieser Tradition der politikwissenschaftliche Untersuchungsgegenstand ›par excellence‹« (Lange 2010: 10). Vor dem Hintergrund dieses Politikverständnisses, bezeichnet der Terminus ›Politische Partizipation‹1 »salopp gesagt – alle Aktivitäten von Bürgern mit dem Ziel politische Entscheidungen zu beeinflussen« (Van Deth 2009: 141). Wie bereits in der Dudendefinition angeklungen ist, geht es bei politischem Handeln demnach um intentionales und zielgerichtetes Handeln. Eine politische Dimension gewinnt dieses Handeln dann, wenn es sich auf die »ge1 | In der wissenschaftlichen Debatte wird der Begriff politisches Engagement kaum verwendet.
5. Politisches Engagement im Ruhestand
meinsamen Angelegenheiten einer Gesamtgesellschaft« (Detjen 2006: 30f.) bezieht. Nach diesem eher ›engen‹ Verständnis von Politik lassen sich Aktivitäten als ›politisch‹ klassifizieren, »die Bürger freiwillig mit dem Ziel unternehmen, Entscheidungen auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems zu beeinflussen« (Kaase 1995: 521). Relativ unumstrittene Charakteristika dieses Partizipationsverständnisses sind erstens die Bezugnahme auf Menschen in ihrer Rolle als Bürger_innen (nicht als Berufspolitiker_innen, Lobbyist_innen etc.), zweitens die Fokussierung auf Aktivitäten im Sinne von Tätigkeiten (sich lediglich für Politik zu interessieren ist demnach kein qualifiziertes Kriterium), drittens die ausschließliche Berücksichtigung von freiwilligen Handlungen (nicht gesetzlich erzwungen) und viertens die Bezugnahme auf das politische System (Steinbrecher 2009: 28f.). Da politisches Handeln nach diesem Verständnis mit dem eindeutigen Ziel betrieben wird, bindende Entscheidungen auf der Ebene des politischen Systems herbeizuführen, bezeichnet man den zugrundeliegenden Politikbegriff auch als instrumentell (ebd.: 28). Aktivitäten, die keinen direkten Bezug zur Arena der öffentlichen politischen Institutionensysteme (Parlamente, Parteien, Staat etc.) haben, fallen nach diesem Verständnis nicht unter politische Partizipation (Meyer 2010: 147). Eine problematische Konsequenz dieses engen Politikverständnis besteht folglich darin, dass »weite Bereich von Wirtschaft und Gesellschaft prinzipiell zur politikfreien Privatsphäre erklärt und damit dem Geltungsbereich politischer Verantwortung und Gestaltung entzogen [werden]« (ebd.).
5.2.2 Er weiterung des Politikbegriffs Ausgehend von der Kritik an der Dichotomie von Privatheit und Öffentlichkeit als auch an der Trennung von Staat und Gesellschaft hat sich wissenschaftlich wie gesellschaftlich zunehmend ein weites Politikverständnis durchgesetzt. Politik beschränkt sich darin nicht mehr nur auf die staatliche Ebene, sondern kann auch im Alltagshandeln stattfinden (Lange 2010: 11). Politisches Handeln meint dabei nicht mehr nur eine spezifische Aktivität in einem spezifischen Feld, sondern ganz allgemein die Beteiligung und Mitgestaltung der Bürger_innen an Gesellschaft (Van Deth 2013: 11f.). Indem die Mitglieder eines Gemeinwesens ihre Konflikte bearbeiten, ihr Zusammenleben koordinieren und sich dabei immer auch auf selbstgesetzte Regeln beziehen, diese in Frage stellen, verwerfen und aktualisieren, handeln sie in den verschiedensten Lebensbereichen politisch. Die aktive politische Teilhabe und Verantwortungsübernahme für die Anliegen der politischen Gemeinschaft im alltäglichen Handeln bildet den Kern dieses Politikverständnisses (Kreide/Niederberger 2004: 293).
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Gegenüber dem engen Verständnis von Politik hat sich die Grenze des Politischen dabei verschoben, weil nun auch alltäglichen Aushandlungsprozessen ein politischer Charakter zugeschrieben werden kann. So hat die feministische Kritik beispielsweise darauf hingewirkt, Geschlechterverhältnisse als ›politisch‹ zu begreifen und die sozialen Ungleichheiten zwischen Mann und Frau zu entbiologisieren (Lange 2010: 15ff.). Die Einführung des Genderbegriffs, der die diskursive Konstruktion der Geschlechterstruktur über Prozesse kultureller Zuschreibungen bezeichnet, hat wesentlich dazu beigetragen, die Grenzen des Politischen zu verschieben. Alltägliche Prozesse der Sinngebung und Bedeutungsverschiebung werden dabei nicht mehr als ahistorische Konstanten verhandelt, sondern als politische Prozesse relevant (ebd. 16). »Es wird nicht mehr davon ausgegangen, dass zur Generierung und Implementierung von allgemeiner Verbindlichkeit eine zentrale Instanz benötigt wird. Stattdessen finde eine Vernetzung von Subpolitiken statt, die nicht mehr hierarchisch auf ein Zentrum zulaufen« (Lange 2010: 18).
Als Stichwortgeber der Debatte um ein dezentriertes Politikverständnis gilt Greven, der in der politischen Gesellschaft (vgl. Greven 1990) eine neue Chance zur Politisierung der Massen vermutet. Die politische Gestaltung der Gesellschaft sei dabei keine Exklusivveranstaltung von gewählten Volksvertreter_innen, sondern notwendigerweise ein Gemeinschaftsprojekt, an dem alle Individuen durch ihr Alltagshandeln mehr oder weniger einflussreich beteiligt sind (Greven 1994: 243f.). Die gesellschaftlichen Verhältnisse werden demnach nicht ausschließlich durch gesetzliche Vorgaben geformt, sie sind immer auch Ergebnis des Zusammenspiels gesellschaftlicher Kräfte, die auf Makro-, Mesound Mirkoebene den Alltag bestimmen (ebd.: 252). Die gesellschaftlichen Verhältnisse sind aus diesem Blickwinkel nicht primär das Ergebnis organisierter Lenkung durch gewählte Funktionsträger_innen, sondern Ergebnis der alltäglichen sozialen Praxis, in der die Verhältnisse (re-)produziert und laufend modifiziert werden. Entscheidend ist dabei nicht mehr nur die gezielte Einflussnahme auf ein politisches System, sondern die Bedeutung des Handelns im Hinblick auf gesellschaftliche Herrschafts- und Machtstrukturen und die Regulierung des Alltags (ebd.: 288). Theoretisch anreichern lässt sich ein weites Politikverständnis beispielsweise mit den theoretischen Überlegungen von Michel Foucault zu Macht und Herrschaft. Statt von einem zentralistischen Politikverständnis auszugehen, in dem Macht einseitig von einem fixen Zentrum ausgeht und auf die als passiv gedachten Objekte einwirkt, geht Foucault von einem polyzentrischen Machtverständnis und einer »Mikrophysik der Macht« (Foucault 1976a) aus. Macht ist demnach kein Stoff oder ein Instrument, dass eine_r besitzt und auf andere anwenden kann, sondern eine »Vielfältigkeit von Kräfteverhältnissen«
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oder ein »Spiel, das in unaufhörlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen diese Kräfteverhältnisse verwandelt, verstärkt, verkehrt« (Foucault 1977: 113). Aus den ›machtlosen Objekten‹ des engen Politikverständnisses werden in der Foucaultschen Theorie ermächtigte Subjekte, die weder außerhalb von Machtbeziehungen stehen, noch durch diese einseitig determiniert sind. Der Staat erscheint in dieser Perspektive nicht mehr als Kerninstitution der Machtausübung, sondern als ein (möglicherweise besonders hervorzuhebender) Knotenpunkt im Geflecht der Machtnetze. Die Subjekte ihrerseits sind in diesem Denkmodell zugleich als Effekte den heterogenen Machtwirkungen unterworfen als auch erst durch diese Mächte hervorgebracht. Insofern konstituieren sich Subjekte in einem komplexen Kräftefeld, »in dem verschiedene Mächte aufeinander einwirken und so die Diskurse und mit ihnen die Subjekte verschieben« (Flügel-Martinsen 2014: 54). Die strukturell angelegte Nicht-Fixierbarkeit diskursiver Formationen, eröffnet den Subjekten dabei eine Vielzahl von möglichen Subjektpositionen. Indem es Position bezieht und sich artikuliert bewirkt das Subjekt zugleich eine Machtverschiebung in der Diskurslandschaft und modifiziert den Diskurs selbst. Auf diese Weise führt das Subjekt im Moment der Artikulation eine Bedeutungsverschiebung im Diskurs und damit im politischen Raum selbst herbei (ebd.: 53ff.). Aus diesem Grund gewinnt im erweiterten Politikverständnis die Sichtweise der ›Regierten‹ enorm an Bedeutung, fokussiert sich doch die Machtanalyse auf die Ebene der ›Lesbarkeit‹ von Diskursen. Während politisches Handeln im engeren Politikverständnis auf das Feld des Staates bezogen war, verliert das politische System im weiten Politikverständnis seine Sonderstellung. Stattdessen bezeichnet Politik einen Handlungstyp (Meyer 2010: 147), der in den unterschiedlichsten Gesellschaftsbereichen aufzufinden ist (Massing 2007; 284f.). Vom Ernährungsverhalten über den Konsum bis zum Umgang mit dem eigenen Körper können unterschiedliche Lebensfelder zu Orten des Politischen werden (ebd.). Da ein so umfassendes Politikverständnis dazu tendiert, die Grenzen zwischen Politik und Nicht-Politik zu verwischen, wird in der fachwissenschaftlichen Debatte nicht jede Form des sozialen Handelns auch als politisches Handeln verstanden (Lange 2010: 19). Anders als es die theoretischen Ausführungen zum Foucaultschen Machtbegriff nahelegen, räumt die Politikwissenschaft der ›Bedeutungsverschiebung in Diskursen‹ noch nicht in jedem Fall eine politische Dimension ein. Als Politisch könne ein soziales Handeln vielmehr nur dann bezeichnet werden, wenn es auf den Prozess der »Herstellung allgemeiner Verbindlichkeit innerhalb einer sozialen Gruppe gerichtet ist« (Lange 2007: 110). Ein entsprechender Handlungstyp findet sich beispielsweise sehr ausgeprägt auf Kabinettssitzungen oder den Treffen von Bürgerinitiativen, kann aber auch in
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Situationen gefunden werden, »in denen das Politische nur einen Aspekt des sozialen Handelns darstellt« (z.B. wenn auf Schulkonferenzen die Regeln für Klassenfahrten ausgehandelt werden oder Eltern mit dem Kind die Grenzen des Erlaubten diskutieren) (ebd.). Der in den letzten Jahren prominent gewordene Begriff des Bürgerschaftlichen Engagements, ist unter anderem auch als eine Reaktion auf die Entgrenzung des Politikverständnisses zu verstehen (siehe Kapitel 3.2.4).2 Im Gegensatz zum engen Politikverständnis, welches sich primär auf staats- und institutionenbezogenes Handeln fokussiert, geraten im weiten Politikverständnis die ›Regierten‹ selbst in den Blick. Aus ihrer Perspektive können die »Formen und Inhalte von Mitbestimmung in allen gesellschaftlichen Bereich als soziale Teilhabe am demokratisch-politischen Prozess untersucht werden« (Lange 2010: 19).
5.2.3 Das Politikverständnis der Inter viewten Um der Vieldeutigkeit von ›Politik‹, bzw. ›politischem Engagement‹ Rechnung zu tragen und die Deutungsrahmen der Interviewten nicht vorschnell zu verengen, ist der Begriff des politischen Engagements in den Interviews nicht von vornherein definiert worden. Auf diese Weise werden die Befragten selbst in die Situation versetzt, eigene Verknüpfungen herzustellen und somit implizit, d.h. durch die eigene Erzählung, selbst zu bestimmen, was sie unter politischem Engagement verstehen. Erst am Ende des Interviews werden die Interviewten nochmals explizit danach gefragt, was politisches Engagement für sie bedeutet. Dabei stellt sich heraus, dass die Interviewten durchaus unterschiedliches meinen, wenn sie von Politik, bzw. ihrem politischen Engagement reden. Mithilfe des Systematisierungsvorschlags von Matuschek et al. lassen sich die Politikverständnisse der Befragten untergliedern in ein parteipolitisch-etatistisches, ein zivilgesellschaftliches und ein lebensweltlich-ubiquitäres Politikverständnis (Matuschek et al. 2011: 138ff.). Dabei ist zu beachten, dass sich die Befragten selten sauber zu einem der aufgegliederten Politikverständnisse bekennen, sondern häufig mehrere Dimensionen des Politischen ansprechen.
2 | Die Politikwissenschaft hat auf dieses veränderte Begriffsverständnis reagiert, indem sie drei unterschiedliche Perspektiven auf den Gegenstand einnimmt. Als PolityForschung beschäftigt sie sich mit der Funktionsweise und dem formellen Interagieren von Institutionen, als Politics-Forschung mit Prozessen der Willensbildung und Entscheidungsfindung und in der Policy-Forschung geraten einzelne Politikbereiche in ihrer Eigenlogik in den Blick (Lange 2010: 20f.).
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Parteipolitisch-etatistisches Politikverständnis Das parteipolitisch-etatistische Politikverständnis korrespondiert mit dem engen Politikverständnis (Kapitel 4.2.1) und bezieht sich auf das »Wirken der Parteien und politischen Eliten im Rahmen der parlamentarischen Demokratie sowie die Aktivitäten des Staates« (ebd.: 139). Unter Politik wird dabei primär das politische System mit seinen Institutionen verstanden, während als politisches Engagement solches Handeln gilt, welches sich direkt auf dieses System bezieht. Hierzu zählt unter anderem die Beteiligung an Wahlen, das Engagement in politischen Parteien oder das Wirken als gewählte_r Volksvertreter_in auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems. Dieses enge Politikverständnis ist in Reinform bei den Befragten dieser Studie nicht vorzufinden, was aber angesichts der Auswahlbedingungen der Interviewpartner_innen nicht überraschen dürfte. So finden sich im Sample keine Personen, die sich ausschließlich als Wähler_in oder Parteipolitiker_in engagiert und infolgedessen die Engagementgeschichte und das Politikverständnis auf dieses Feld verengen. Dennoch finden sich bei (ehemaligen) Parteipolitiker_innen im Sample Hinweise darauf, dass ihr Politikverständnis auch eine parteipolitisch-etatistische Dimension aufweist. Ihr politisches Engagement bezieht sich dann explizit auf eine strukturelle Ebene und hat zum Ziel, die »Lebensbedingungen für die Menschen zu verbessern« (Dieter, Z. 931-932). Politisches Engagement zielt in diesem Fall auf die Gestaltung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Wenn beispielsweise der Verlust eines Parteiamtes dazu führt, dass man sich nicht mehr politisch engagieren könne, kann das ebenfalls auf ein engeres Politikverständnis hindeuten: »Ich hab jetzt keine Gelegenheit mehr irgendwas zu tun. Wo ich was organisieren kann oder so, das ist natürlich nicht mehr, außer, dass ich in den Ortsverein gehe und da mal meine Meinung sage, aber das erfahren die ja dann nicht in Berlin« (Dieter, Z. 911-914). Ein ausschließlich parteipolitisch-etatistisches Politikverständnis ist in den Erzählungen der Befragten allerdings nicht auszumachen.
Zivilgesellschaftliches Politikverständnis Die Auffassung, dass Politik nicht als ein top-down-Prozess funktioniert, sondern seinen Ursprung in erster Linie im aktiven Bürger hat, wird von fast allen Befragten geteilt. Jenseits des politischen Systems findet politisches Engagement demnach auch in Gruppen und Organisationen der Zivilgesellschaft statt, die sowohl auf den Prozess politischer Regelfindung Einfluss nehmen, als auch auf »Probleme von allgemeiner gesellschaftlicher Relevanz und deren Lösung« (ebd.: 140) Bezug nehmen. Hierunter verstehen die Befragten zumeist ihr eigenes Engagement in Bürgerinitiativen, politischen Vereinen oder informellen Zusammenhängen (wie beispielsweise einer Anti-Atom-Gruppe oder einem Verein für politische Bildung).
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Politisches Engagement ist dann »nicht nur das, was Parteien machen, was per Verstand ausgeklügelt und per Programm und Verwaltung umgesetzt wird« (Elena, Z. 641-642) sondern findet konkret im Feld der »zivile[n] Gesellschaft oder Zivilgesellschaft« (Heinz, Z. 732) statt. Der Kampf um gesellschaftliche Mehrheiten, die sich möglicherweise irgendwann auch in bindenden politischen Entscheidungen niederschlagen, spielt hier eine prioritäre Rolle, denn »wenn viele gemeinsam was fordern, dann ist das auch schon wie ein Gewicht« (Georg, Z. 568-569). Insofern werden auch nicht-staatliche Akteure als ›political player‹ bedeutsam: »Von daher ist Politik für mich das Zusammenwirken mit andern Interessenvertretungen für eine bessere Welt« (Heinz, Z. 737-738).
Lebensweltlich-ubiquitäres Politikverständnis Politik spielt sich für einen Großteil der Befragten aber nicht nur auf der Ebene des zweckmäßigen Zusammenschlusses mit anderen Menschen ab, sondern hat auch eine ganz alltägliche Dimension. In Anlehnung an den erweiterten Politikbegriff kann das soziale Handeln in den unterschiedlichsten Feldern eine politische Dimension aufweisen, sodass politisches Engagement nicht auf konkrete Bereiche beschränkt bleiben muss. Im Gegensatz zu den vorherigen Politikverständnissen, in denen Politik an bestimmte Kontexte gebunden ist, steht Politik hier in einem Bezug zur eigenen Personen. Als politisch gilt, was die Befragten selber auch in ihrem Alltag tun (Matuschek et al. 2011: 140). »Mein Konsumverhalten hat wirtschaftlich politische Auswirkungen, wenn ich mir ein T-Shirt kaufe wo ich genau weiß, da sind Kinder irgendwo in der dritten Welt, in der vierten Welt damit beschäftigt, alles ist Politik« (Klaus, Z. 579-582). Politisch zu sein erklärt sich dabei nicht in erster Linie aus der Einbettung in eine explizit politische Gruppe oder Organisation, sondern aus der Wahrnehmung von Verantwortung im Alltagshandeln. »Das heißt gar nicht immer aktiv was tun müssen, manchmal sind die Dinge, wo ich nix mache, mindestens genauso relevant, wie das, wo ich was mache. Die Deutschen haben damals alle die Schnauze gehalten und fanden es sogar gut, dass Hitler kam, viele haben applaudiert, die haben was gemacht und viele haben geschwiegen und haben gedacht, ach, den kriegen wir schon weg und haben nix gemacht, das hat was gemacht, also das ist für mich ein sehr weit gespannter Begriff« (Elena, Z. 651-657). Die Befragten begreifen sich in diesem Fall als politische Wesen (zoon politikon), die auch in ihrem vermeintlichen Alltagshandlungen politisch agieren. Dieses weite Politikverständnis findet sich mehr oder weniger ausgeprägt bei 10 der 15 Befragten wieder.
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5.2.4 Der ›Response-ability talk‹: Die Kommunikation von Mitveranwortlichkeit Obwohl sich die Interviewten in ihren Selbsterzählungen auf unterschiedliche Politikverständnisse und politische Diskurse beziehen, stellt sich politisches Engagement für alle als eine Form der Mitverantwortlichkeit dar. Indem sie sich als politische Subjekte konstituieren, gehen die Interviewten über die Ebene der vermeintlich privaten Lebensführung hinaus und kommunizieren eine individuelle Verantwortung für überpersönliche Zusammenhänge. Wie diese Repräsentationsinstanz von ›Kollektivität im Individuellen‹ zu nennen ist, ist in der wissenschaftlichen Debatte umstritten. Einige reden von »Gruppenselbst« (Kohut, interpretiert durch Bude 1992: 56ff.) oder »WirSchicht« (Elias 1989: 28), andere differenzieren systematischer zwischen »WirSinn« (Corsten et al. 2008: 32) und »Gemeinsinn« (Bluhm/Münkler 2001).3 Diese Konzepte sollen dabei ausdrücken, dass ein Individuum Teil eines überindividuellen Zusammenhangs ist und/oder sich als solches versteht. Die Art dieser Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft variiert dabei zwischen den unterschiedlichen Konzepten erheblich, ebenso wie die ›Reichweite‹ der Wir-Beziehung. So beschreibt das von Corsten et al. eingeführte Konzept des ›Wir-Sinns‹ die elementarsten Form des ausgerichtet-Seins aufs ›Überindividuelle‹. Unter dem Wir-Sinn verstehen sie »alle Weisen des praktischen Vermögens […], etwas zu bestimmten sozialen Situationen beizutragen« (ebd.: 33). Es handelt sich um ein Vermögen der Einzelnen, durch ihre konkrete Handlungspraxen in überindividuelle Zusammenhänge hineinzuwirken (ebd.). Der Wir-Sinn kann dabei als das Ergebnis eines biografischen Prozesses verstanden werden, indem die Subjekte eine Sensibilität für bestimmte Formen der sozialen Praxis herausgebildet haben (Krug/Corsten 2011: 44). Obwohl dieser Wir-Sinn immer auf einen bestimmten sozialen Zusammenhang zielt, ist die Reflexion des eigenen Beitrags zum Wohl des Gemeinwesens noch nicht mit angelegt (Corsten et al. 2008: 33). Es muss sich folglich kein konkretes Bild des Gemeinwesens gemacht worden sein, d.h. entschieden worden sein, wer konkret zum Gemeinwesen gehört, welchen Beitrag andere zum Gemeinwesen leisten und welche Bedeutung der eigene Beitrag im Vergleich zu anderen Beiträgen hat (ebd.: 33f.). Auf der anderen Seite der Typologie findet sich das Konzept des Gemeinsinns, welches gewissermaßen als eine reflexive Erweiterung des Wir-Sinns verstanden werden kann. Der Gemeinsinn wird dabei als eine »Reflexionskompetenz« (Corsten et al. 2008: 32) gedeutet, die eine Ausrichtung auf ›das Allge3 | Zu den verschiedenen Bedeutungen des Begriffs Gemeinsinn siehe auch Hollstein 2001.
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meine‹ beinhaltet (ebd.). Im Gegensatz zum Wir-Sinn denkt der Gemeinsinn die Qualität und Quantität des eigenen Beitrags zum Gemeinwohl mit (ebd.). Ihm liegt dadurch eine soziale Intentionalität im eigenen Handeln zugrunde, d.h. er besitzt eine Vorstellung davon, wie das konkrete Gemeinwohl ausgestaltet ist und kann daher die Bedeutung der Einzelbeiträge zum Gemeinwohl einschätzen (ebd.). Damit also aus dem Wir-Sinn ein Gemeinsinn wird, müssen laut Corsten et al. »überindividuelle Zusammenhänge als ›Wir‹ interpretierbar werden« (ebd.: 34f.) und die Akteure müssen davon ausgehen, dass sie mit ihrem Handeln einen sinnhaften Beitrag zu diesem Gemeinwohl leisten können (ebd.: 35). In diesem Verständnis bezeichnet der Gemeinsinn eine moralische Einstellung auf das Gemeinwohl hin.4 Worauf der Gemeinsinn dabei konkret zielt, ist insbesondere in ausdifferenzierten Gesellschaften schwer einzugrenzen. So weist Kaufmann darauf hin, dass sich die möglichen Solidaritätshorizonte des Gemeinsinns angesichts gesellschaftlicher Pluralisierungstendenzen vervielfältigen und in hohem Maße kontextabhängig sind (Kaufmann 2002: 34f.). Gemeinsam ist diesen unterschiedlichen Konzepten aber der objektivistische Charakter, der diesem ›Sinn‹ für etwas Gemeinschaftliches oder Gesellschaftliches zugrunde liegt. Die hier skizzierten Termini bezeichnen stets Konzepte, mit deren Hilfe die Forschenden das faktische Handeln der Menschen beschreiben und zum Teil auch erklären wollen. So bezieht sich beispielsweise Elias mit seinem Konzept der Wir-Schicht auf Freuds Theorie des Unbewussten und geht davon aus, dass es diese Schicht im Persönlichkeitsauf bau der Menschen tatsächlich gibt (Bude 1997: 201). Und auch Hollstein verweist unter Rückgriff auf Rorty auf ein Verständnis, nach dem der Gemeinsinn als allgemeines a priori zwar in allen Menschen angelegt sei, »aber im ›sensus communis‹ einer allgemeinen Solidarität aller Menschen verwirklicht werden [müsse]« (Hollstein 2011: 270). Als eine abstrakte menschliche Disposition liege dieser Gemeinsinn somit zwar allen Menschen zugrunde, ist in seiner Realisierung und seiner konkreten Ausformung aber variabel. In 4 | In Studien über zivilgesellschaftliches Engagement gewinnt das Konzept des Gemeinsinns zumeist eine fundamental Bedeutung, bildet es doch die ›subjektive Seite‹ gemeinwohlorientierten Handelns: »›Gemeinwohl‹ bezeichnet in diesem Zusammenhang die Maxime eines auf die politische ›Gemeinschaft‹ bezogenen Handelns, ›Gemeinsinn‹ hingegen die Motivation oder Bereitschaft der Gemeinwohlorientierung seitens derjenigen, die sich einer bestimmten ›Gesellschaft‹ zurechnen. Das Problem ist die Mobilisierung eines über die bloße Interessenverfolgung, wie sie in ›gesellschaftlichen‹ Kontexten üblich ist, hinausgehenden ›Gemeinsinns‹ für die Zwecke des gemeinsamen Wohls aller Gesellschaftsmitglieder« (Kaufmann 2002: 33). Die Ausrichtung auf einen geteilten Gemeinsinn ist im zivilgesellschaftlichen Feld somit die Basis einer produktiven Kooperation zwischen Organisationen und Engagierten (Bettmer 2007: 120ff.).
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klassisch ontologischer Manier beschreibt der Begriff des Gemeinsinns somit häufig eine anthropologische Kategorie des Menschen oder zumindest eine theoretische Konstruktion, die menschliches Verhalten, bzw. soziale Wirklichkeit erklärbar machen soll. Obwohl auch im Interviewmaterial dieser Studie zahlreiche Verweise auf überindividuelle Verantwortungsbeziehungen zu finden sind, werden diese nicht vorschnell als Ausdruck einer ›inneren Einstellung‹ oder gleich als ›quasi-natürlicher Sinn‹ interpretiert, sondern zunächst einmal als Kommunikationskonzepte, bzw. rhetorische Figuren betrachtet. Statt eine tieferliegende Werteorientierung anzunehmen, die über die Sprache ›entschlüsselt‹ werden könne, werden die Erzählungen der Subjekte als kulturelle Produktion untersucht, die ihrerseits wiederum diskursiv strukturiert sind (vgl. Kapitel 2). Die darin enthaltenen Verweise, in denen die persönliche Verantwortung für kollektive Zusammenhänge kommuniziert wird, geraten daher nicht als Ausdruck eines ›wirklichen‹ Gemeinsinns in den Blick. Sie sind zunächst nicht mehr und nicht weniger als Rhetoriken der Mitverantwortlichkeit und können damit als ›response-ability talk‹ bezeichnet werden. Der ›response-ability talk‹ unterscheidet sich damit grundlegend von den oben genannten kollektiven Repräsentationsinstanzen im Individuum. Während Bude den Eliasschen Terminus der ›Wir-Schicht‹ beispielsweise als »Anker des Großen und Ganzen im Persönlichen und Individuellen« bezeichnet, der »befleckt, bestrahlt, berührt und beschädigt werden [kann]« (Bude 1997: 201) und dadurch entsprechende Auswirkungen in der Gefühlswelt der Einzelnen hinterlässt (ebd.), geht es beim ›response-ability talk‹ lediglich um die Kommunikation von überpersönlichen Verantwortungsbeziehungen. Es handelt sich in erster Linie um eine rhetorische Figur, die das eigene Handeln als eine praktizierte Mitverantwortlichkeit darstellt und dazu beiträgt, das erzählte Selbst als gemeinwohlorientiertes Subjekt zu konstituieren.5 Im Gegensatz zu jenen Konstruktionen, die ausschließlich oder primär auf die individuelle Verantwortung der Subjekte für ihr eigenes Leben und die eigene Gesundheit zielen (responsibility), zielt der Begriff der response-ability auf die »capacity of individuals and communities to build on their strengths and respond to their personal needs and the challenges posed by the environment« (Münkler 1999: 124). Der response-ability talk beschränkt sich dabei nicht mehr nur – wie das Konzept des erfolgreichen Alter(n)s (siehe Kapitel 3.1.4) – auf die private Lebensführung und die kommunizierte Pflicht, durch 5 | Obwohl ich dem Verständnis des Gemeinsinns als eine wie auch immer spezifizierte anthropologische Konstante nicht folge, gehe ich – in Duktus der Dokumentarischen Methode – von der Existenz ›unabschließbarer Orientierungsrahmen‹ aus (vgl. Kapitel 2).
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eigenverantwortliche Gesundheitsvorsorge dem Gemeinwesen Kosten zu sparen. Vielmehr geht es – in Anlehnung an das Produktive Alter (Kapitel 3.1.5) – darum, persönliche Sorge für das Gemeinwesen zu tragen und sich eigenverantwortlich für das Soziale einzusetzen. Insofern findet sich der responseability-talk häufig im Zusammenhang mit heteroproduktiven Tätigkeiten. Damit zielt der response-ability talk in Ergänzung zur selbstverantwortlichen Lebensführung explizit auf die Bedeutung des eigenen Handelns als Verantwortungsübernahme für Andere und konstituiert dadurch die Mitverantwortliche Subjektivität.
5.3 D er R uhestand im I ntervie w – D as N acherwerbsleben z wischen beruflicher E ntpflichtung und überpersönlicher V er ant wortung Die Erzählungen vom Ausscheiden aus dem Erwerbskontext und dem Eintritt in die dritte Lebensphase sind in der Mehrzahl der Interviews durch eine kontextspezifische Rahmung des Nacherwerbslebens gekennzeichnet. Obwohl sich diese spezifischen Rahmungen in vielerlei Hinsicht voneinander unterscheiden, gleichen sie sich darin, dass die dritte Lebensphase von fast allen Befragten als ein eigenständiger Lebensabschnitt verstanden wird, der sich qualitativ von der Erwerbsphase unterscheidet.6 Mit anderen Worten: Der Übergang von der Erwerbs- in die Posterwerbsphase wird als ein relevanter Statusübergang auch auf subjektiver Ebene gedeutet.7 Ziel dieses Kapitels soll es sein, vor dem Hintergrund des Wiederverpflichtungsdiskurses das Verhältnis von beruflicher Entpflichtung und nachberuflicher Verantwortungsübernahme fokussierter in den Blick zu nehmen und dabei zunächst das Gemeinsam-Typische herauszuarbeiten. Das Modell und 6 | Beispielhaft hierfür: »Ich glaub, das Leben aller Menschen besteht aus drei Phasen, die Phase der, die von der Geburt bis zum Berufsaufnahme geht, also als Kind, Schüler, Jugendlicher, wo er lernt, wo er und so weiter und die zweite Phase ist, die Berufsphase und die dritte ist die Ruhestandsphase« (Friedrich, Z. 817-820). 7 | Einzige Ausnahme in diesem Sample bildet Frank, der vor seinem 65. Geburtstag von einer längeren Phase unterbrochener Erwerbslosigkeit berichtet, sodass sich der Übergang in den Ruhestand weder in der Alltagsgestaltung noch finanzieller Hinsicht eine gravierende Umstellung bedeutet: »Überhaupt nicht gemerkt, also, muss ich sagen, ich war ja arbeitslos, da merkt, also wenn man arbeitslos war, lange oder so, ABM hat oder sowas, dann ist der Übergang überhaupt nicht spürbar, im Vergleich zu den meisten Menschen ist das ja ne Katastrophe oder irgendwie n Bruch oder was, das kann ich nicht sagen, […] ganz fließend, ja, ganz fließend, natürlich, das Geld war ja auch ungefähr das gleiche« (Frank, Z.881-900).
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die spezifischen Ausprägungen der Mitverantwortlichen Subjektivität in Relation zu den politischen Biografien werden anschließend vorgestellt.
5.3.1 Entpflichtung im Ruhestand Da nahezu alle Interviewten vor dem Renteneintritt eine längere Phase der bezahlten Arbeit geleistet haben, ist es wenig überraschend, dass das Ausscheiden aus dem Berufsleben in einem Großteil der Interviewtexte als ein wichtiges Ereignis kommuniziert wird. Besonders populär ist dabei das Verständnis des Statusübergangs als berufliche Entpflichtung und Freisetzung aus Erwerbsarbeitszusammenhängen, d.h. als negative Freiheit oder ›Freiheit von etwas‹ (Denninger et al. 2014: 217ff.). Lange Zeit gültige Erwartungen, Zumutungen und Pflichten verlieren ihre Bindungskraft: Man ist plötzlich »frei von allem« (Dieter, Z. 834), »muss nicht mehr funktionieren« (Edith, Z. 683) und »fängt nicht morgens um acht Uhr an […und] muss nicht bis fünfe arbeiten« (Ria, Z. 492-493). Von den beruflichen Verpflichtungen befreit zu sein und nicht mehr zu müssen, stellt ein zentrales Topoi dar, welches sich in unterschiedlichen Variationen in den Renteneintrittserzählungen wiederfinden lässt. Vom Lehrer, der »nicht mehr Berge von Arbeiten korrigieren [muss]« (Klaus, Z. 455-456) über den Ministerialbeamten, bei dem »diese acht Stunden am Tag wegfielen, wo ich da hin musste und nix zu tun hatte, also nichts vernünftiges zu tun hatte« (Heinz, Z. 563-563) bis hin zur ehemaligen Pfarrerin, die im Ruhestand noch Gottesdienste gibt, »weil ich das will und nicht, weil ich muss« (Edith, Z. 685): Für sie alle ist der Wegfall von beruflichen Sollens-Vorgaben ein zentrales Element des Renteneintritts. »Ruhestand« – so bringt es Monika stellvertretend für einen Großteil der Interviewten auf den Punkt »bedeutet für mich, nicht mehr fremdbestimmt zu sein« (Monika, Z. 819). Die Ausgliederung aus dem Erwerbssystem eröffnet einen »großen Freiraum« (Imke, Z. 658). Der Wegfall von äußeren Vorgaben der Alltagsstrukturierung wird zudem von einem Großteil der Befragten zum Anlass genommen, um auf die Spezifika des Nacherwerbslebens näher einzugehen.8 Hierzu gehört beispielsweise das morgendliche Ausschlafen, dann ein genüssliches und zelebriertes Frühstück inklusive Zeitungslektüre, der Mittagsschlaf oder die Möglichkeit, abends länger aufzubleiben (vgl. Georg, Z. 647-651; Rainer, Z. 570-572; Ria, Z. 633-640; Klaus, Z. 471-473; Olaf, Z. 607-621). Insofern gewinnen die meisten Interviewten dem Ausscheiden aus dem Berufsleben durchaus etwas Positives ab, sehen sie hierin doch die Befreiung von Vorgaben und Zwängen. 8 | Eine Ausnahme in diesem Sample bildet neben Frank auch Julia, die als selbstständig tätige Dozentin im Ruhestand keine Hinweise auf einen spezifischen Orientierungsrahmen für die Nacherwerbsphase gibt.
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Dass dieser Übergangsprozess auch mit Anpassungsschwierigkeiten verbunden ist, schmälert die insgesamt positive Rahmung des Ruhestandes kaum. So sind es teilweise die gleichen Personen, die sowohl die Chancen der erwerbsarbeitsfreien dritten Lebensphase akzentuieren, als auch die Übergangsprobleme zwischen den beiden Statuspassagen einräumen. Es ist dann vom »Bedeutungsverlust« (Friedrich, Z. 686) die Rede, der mit dem Ausscheiden aus dem Beruf verbunden ist und von den Betroffenen bewältigt werden müsse: »[Ich] habe da aber auch erst meine Zeit gebraucht, mich darauf einzustellen, ich habe dann eben erfahren, ich werde nicht einfach gerufen, sondern ich muss meine Sache suchen« (Carsten, Z. 552-553). Obwohl Anpassungsschwierigkeiten selten offen angesprochen werden, finden sich an unterschiedlichen Stellen Andeutungen auf einen nicht ganz reibungslosen Übergangsprozess: Bemerkungen wie »so ganz nahtlos war das nicht« (Elena, Z. 597), »so das Gefühl […], ich bin im Ruhestand angekommen, das hat eine ganze Weile gedauert« (Edith, Z. 513) oder »bei mir [war es] eigentlich auch nicht so (sic!) dramatisch« (Monika, Z. 608) sind womöglich Anspielungen auf Probleme, werden aber kaum detailliert ausgeführt. Sie können unter der Überschrift »Ruhestand lernen« (Denninger et al. 2014: 221) zusammengefasst werden.
5.3.2 Selbst-Zeit im Ruhestand Die »späte Freiheit« (Rosenmayr 1983) des Ruhestandes eröffnet andererseits die Chance, Lebensprojekte zu realisieren, die zuvor wegen fehlender Zeit und anderweitigen Verpflichtungen aufgeschoben worden sind. Die Nacherwerbsphase wird dann zu einer positiven Freiheit (›Freiheit zu etwas‹), in der man endlich machen könne, was man »schon immer wollte« (Carsten, Z. 561). Plötzlich ist es möglich, »so viele Dinge tun zu können, die ich früher nicht tun konnte« (Monika, Z. 822-823), bzw. »Dinge auch ausrichten und ausprobieren, wozu man, wenn man jünger ist, manchmal gar keine Zeit hat« (Monika, Z. 830-831). Ruhestand bedeutet, »viel mehr Zeit für seine Sachen [zu haben]« (Olaf, Z. 606-607), »mehr und mehr selbstbestimmt [zu] leben« (Edith, Z. 688), bzw. »mehr Spielräume« um »andere Zeit [zu] gestalten« (Elena, Z. 599). Neben dem kommunizierten Anspruch vieler Interviewter, den dritten Lebensabschnitt sozialverantwortlich zu gestalten, wird der Ruhestand immer auch als ›Selbst-Zeit‹ interpretiert. Gerade in Abgrenzung zur Erwerbsphase, in der man sich mit zahlreichen Fremdansprüchen zu arrangieren hatte, gewinnen im Ruhestand die eigenen Bedürfnisse tendenziell an Bedeutung: »Ich war früher ziemlich eingespannt, ich hatte nie Zeit für mich selber, also es kam immer, zu allererst kam immer mein Kind, meine Familie, insgesamt, dann kam natürlich die berufliche Seite, dann die politische Seite, dann, was man sonst noch an gemeinsamen Interessen entwickelt hat und da blieb also
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für das, was ich so ganz für mich machen wollte, da blieb keine Zeit mehr. Und das hab ich dann [gemacht]« (Monika, Z. 658-663). Insofern handeln die Erzählungen vom Nacherwerbsleben nicht nur von Verpflichtungen und Verantwortungen für andere, sondern in besonderem Maße auch von den persönlichen Projekten der Befragten, die keinesfalls immer einen Nutzen für andere stiften müssen, bzw. nicht auf Dritte zielen. Es geht dann beispielsweise um das Sortieren von Fotos (Dieter, Z. 1003-1008), darum, »jetzt mal wieder mehr ins Theater [zu gehen]« (Dieter, Z. 1025), Museen und Konzerte zu besuchen und Kulturreisen zu unternehmen (Monika, Z. 664-666) oder sogar um die Beschäftigung mit der eigenen Biografie (Julia, Z. 679-691). Einige bringen die Lebensweisheiten ihrer Familie und die eigenen Kindheitserinnerungen als Buchform heraus (Klaus, Z, 458-462), andere abonnieren sich endlich ihre Lieblingszeitungen (Olaf, Z. 608-612), ›lernen Computer‹ oder wandern jedes Jahr ein Stück des Jakobsweges ab (Edith, Z. 516-521). Nicht immer wird der vermeintliche Zeitgewinn allerdings mit neuen Aktivitäten gefüllt. Einige genießen es auch, mit der Zeit zu »aasen« (Monika, Z. 820) und diese gerade nicht mit neuen Tätigkeiten auszufüllen: »Man hat viel mehr Zeit für seine Sachen, man nimmt sich auch die Zeit, sollte sich auch nehmen« (Olaf, Z. 606-607). Im Gegensatz zur Erwerbsphase wird das Nacherwerbsleben stärker als »Privatzeit« (Wendorff 1988: 165ff.) interpretiert, als Zeit, die nicht im öffentlichen Raum verbracht werden muss und nach eigenen Ansprüchen gestaltet werden könne. Man hat nicht nur neue Möglichkeiten, sondern auch die Freiheit, diese ungenutzt zu lassen: »Ich hab manchmal viel Zeit, ich könnt das alles auch wahrnehmen, was da so an Angeboten kommt und das ist eine Menge, aber das wird mir dann zu viel, ich hab nicht immer Lust, jeden Abend wieder unterwegs zu sein« (Dieter, Z. 920-923). Die Freiheit, »mehr Spielräume« (Elena, Z. 599) zu haben, aber nicht zu müssen, stellt für viele Interviewte ein Charakteristikum der dritten Lebensphase dar. Zentral ist zudem, dass im Ruhestand im Gegensatz zur Erwerbsphase die eigenen Vorstellungen eine größere Rolle spielen sollen. Damit ist zwar noch nicht gesagt, dass dieser Anspruch auch in jedem Fall eingelöst werden kann, also das selbst-zentrierte Leben auch tatsächlich geführt wird. Auf der Ebene der Orientierungen lässt sich diese Tendenz aber mit unterschiedlichen Ausprägungen in allen Interviews erkennen. Das schließt häufig aber auch das politische Engagement mit ein: »Was ich jetzt mache, in meinen Lebensfeldern, in dem richtigen Gleichgewicht, was für mich Natur, Kultur und die politische Arbeit ist ein Teil davon und das wird es bis zum Lebensende bleiben, aber sie wird mich nicht dominieren, wie meine berufliche Tätigkeit es damals tat. Also da will ich auch die Freiheit haben, ich bestimmt das« (Carsten, Z. 942-946).
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Die Hervorhebung der dritten Lebensphase als Selbst-Zeit bedeutet jedoch nicht, dass man plötzlich von der selbstverantwortlichen Lebensführung entlastet sei, sich gleichsam ›gehen lassen‹ dürfe. So sehr die Autonomie des Nacherwerbslebens nämlich auf der einen Seite betont wird, so deutlich sind auch die Achtungsschilder sichtbar, die vor einem zu nachlässigen Gebrauch der neuen Freiheiten warnen (vgl. auch Denninger et al. 2014: 222ff.). Bei aller Toleranz, die ein Großteil der Befragten auch gegenüber der vermeintlich passiven Ruhestandsgestaltung Gleichaltriger auf bringt, offenbaren sich doch deutliche Vorstellungen davon, wie man die Nacherwerbsphase besser nicht erleben sollte: »Es gibt Leute, die sich definitiv zur Ruhe setzen und nicht mehr bewegen, nicht mehr denken, nichts mehr lesen, die sind ziemlich schnell tot« (Elena, 689-691). Die bereits aus anderen Studien bekannte Abgrenzung zu einem passiven Lebensabend, der häufig mit dem Objekt Fernseher verbunden ist, spiegelt sich auch hier wieder: »Also wenn ich den ganzen Tag nur vor der Glotze sitze, das bringt natürlich nix« (Monika, Z. 826). Allem Zeitwohlstand und Urlaubsgefühl zum Trotz, dürfe man sich auch im Ruhestand nicht gänzlich dem Leerlauf hingeben: »Wichtig ist aber in dem Moment ganz einfach, man muss sich so ein paar Strukturen geben, das fängt an mit, man sollte schon aufstehen« (Olaf, Z. 574-575). Ein wichtiges Selbstsorgefeld ist zudem die eigene Gesundheit: »Man muss sich ja dann nicht nur körperlich, sondern auch geistig immer ein bisschen fit bleiben« (Ria, Z. 495-496).9 An solchen Beispielen schimmert dann vereinzelt hervor, was sich im Interdiskurs in der Figur des kompetenten und erfolgreichen Alters verdichtet. Die Sorge um die eigene Gesundheit wird aber von den Interviewten nicht als Ausdruck ihrer Schadensminimierungspflicht gegenüber der Gesellschaft gedeutet, sondern recht allgemein als Sorge um ein gutes (Alters-)Leben grundiert. Diese Form der ›Selbstsorge‹ gilt so selbstverständlich als erstrebenswert und gut, dass sie im Interviewkontext keiner weiteren Begründung bedarf. Während die Selbstsorge im Ruhestand im Rahmen dieser Studie eher zufällig ins Blickfeld geriet, konzentrierten sich die Interviews verstärkt auf die Verantwortungsbeziehungen der Befragten im Feld der Zivilgesellschaft. Neben der Bedeutung der dritten Lebensphase als Selbst-Zeit steht für die politisch Engagierten andererseits auch die Mitverantwortung für überpersönliche, gesellschaftliche Bezüge im Vordergrund.
5.3.3 Aktivität im Ruhestand Kontrastiert man die Rahmung der dritten Lebensphase in den Interviews mit der Diskursfigur des wohlverdienten Ruhestandes in den 1950er und 1960er Jahren (3.1.2), sticht eindeutig die Aktivitätszentrierung hervor. Statt als ein 9 | Vertiefend zu den Selbstsorgetechniken im Ruhestand vgl. auch Post 2009.
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»Leben in Nichtstun« (Schelsky 1965: 213) und ein Rückzug aus gesellschaftlichen Rollen, wie es die Disengagementtheorie nahelegt, konnotieren allen Befragten die dritte Lebensphase auch mit Vorstellungen von Aktivität und Beschäftigung. Neben einer Akzentuierung des Ruhestandes als ›Selbst-Zeit‹ und ›später Freiheit‹ wird Aktivität im ›Ruhe-Stand‹ in allen Interviews als wünschenswert und wesentlich verstanden (vgl. auch Venn/Arber 2011: 203; Denninger et al. 2014: 242ff.). Das zeigt sich insbesondere in den Antworten auf die Frage, was für die Interviewten der Begriff ›Ruhestand‹ bedeutet: Fast unisono wird der Terminus abgelehnt und für die Beschreibung des eigenen Nacherwerbslebens als unpassend empfunden. »Das Wort Ruhestand ist irgendwie blöd« (Dieter, Z. 954), »ein bisschen merkwürdig« (Elena, Z. 689) und bedeutet für einen selbst »überhaupt nix« (Rainer, Z. 662), denn eigentlich »biste nie in Ruhe« (Elena, Z. 689). Die Befragten nutzen den Begriff fast ausschließlich als Abgrenzungsfolie und Anlass, anschließend von ihren eigenen Aktivitäten zu berichten. Als Gesamtbeschreibung eines eigenen wünschenswerten oder praktizierten Lebensarrangements eignet sich der Ruhestand nicht, ist er doch insgesamt tendenziell negativ konnotiert. »Da steht jemand ruhig herum, tut nichts mehr oder wie? Also dieses Wort, was assoziiere ich damit? Rentner, die auf einer Bank sitzen oder so, also es ist nicht positiv besetzt« (Imke, Z. 807-809). Insofern wird der Ruhestand als zurückgezogene, passive und beschäftigungsarme Alltagsrealität aus der Selbstinterpretation der politisch Engagierten fast kollektiv ausgelagert. Er existiert für die Befragten entweder als eine falsche Annahme im Kopf des Wissenschaftlers (»Ich will ja kein Ruhestand in dem Sinne, wie Sie sich das vielleicht vorstellen«, Friedrich, Z. 730-731) oder als Lebensmodell- und normalität ›wirklich‹ alter Menschen: »Es gibt Leute, die sich definitiv zur Ruhe setzen und nicht mehr bewegen, nicht mehr denken, nichts mehr lesen, die sind ziemlich schnell tot und also Ruhestand gilt für mich so nicht« (Elena, Z. 689-692). Diese in ihrer Gesamtheit ausdrücklich positiven Bezugnahmen auf Aktivität bedeuten nicht, dass Ruhe, Gelassenheit und eine insgesamt entschleunigte Alltagsgestaltung im Gegenzug abgewertet werden müssen. So sind es häufig diejenigen, die selbst ein ausgeprägtes Aktivitätsmuster im Alter für normal halten, die sich gleichzeitig mehr Ruhepausen wünschen oder das gedrosselte Aktivitätsniveau im Ruhestand begrüßen. Man will dann »nicht nur in Unruhe, in dieser Anspannung leben« (Georg, Z. 615-616), sondern freut sich, »hier anzukommen […], andere Zeit [zu] gestalten und […] jetzt nicht wie eine Irre in anderen Sachen zu rödeln, sondern so langsam schon zurückfahren [zu können]« (Elena, Z. 598-601). Bei aller Abgrenzung vom passiven Lebensabend insgesamt finden sich in fast allen Interviews auch positive Verweise auf Ruhe, Entschleunigung und Langsamkeit. Dabei findet sich bisweilen eine bemerkenswerte Gleichzeitigkeit zwischen der Abgrenzung vom passiven Ruhestandsalltag (der
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anderen) und einer positiven Bezugnahmen auf Ruhe und Entschleunigung im eigenen Leben, die zum Ausgangspunkt weiterer Forschungen werden können. Denn in Übereinstimmung mit aktuellen Forschungsergebnissen deuten diese Befunde darauf hin, dass wesentliche Elemente und Verknüpfungen des Ruhestandsmodells parallel zur insgesamt aktiven Rahmung der dritten Lebensphase aller aktivgesellschaftlicher Mobilisierung zum Trotz weiter bestehen bleiben (vgl. auch Denninger et al. 2014: 362).10 Während Aktivität im Ruhestand somit fast von allen Befragten als Teil der eigenen Ruhestandsnormalität präsentiert wird, zeigen sich bei genauerem Hinsehen unterschiedliche Strategien der Aktivitätskommunikation. So weisen bereits Denninger et al. darauf hin, dass sich eine ausgeprägte Betonung des eigenen Aktivitätsniveaus insbesondere bei solchen Personen findet, die von der Normalität eines relativ inaktiven Ruhestandes ausgehen. Gerade vor dem Hintergrund einer angenommenen Ruhestands-Normalität wird dabei das eigene Aktivitätsniveau als Ausnahme von der Regel verstanden und daher umso deutlicher hervorgehoben, während ein vergleichbares tatsächliches Aktivitätsniveau vor dem Hintergrund einer produktivistischen Ruhestandsorientierung entweder kaum erwähnt oder als relative Faulheit kontextualisiert wird (Denninger et al. 2014: 235ff.). Auch in diesem Sample lassen sich unterschiedliche Aktivitätsrhetoriken beobachten, wobei das tatsächliche Aktivitätsniveau nicht erhoben wurde. Dennoch reicht die Variationsbreite von einem erwerbsarbeitsähnlichen Aktivitätsniveau, bis hin zur Schilderung eines ›klassisch passiven Rentner_innenlebens‹. So vergleicht beispielsweise Rainer sein politisches Engagement im Ruhestand mit seiner Vollzeiterwerbsbeschäftigung im Arbeitsleben: »Ich weiß vorher gar nicht, wie ich das hingekriegt habe, mit der beruflichen Tätigkeit, noch den gesamten Wuscht von politischer Arbeit zu erledigen, aber das ist wie gesagt nicht weniger geworden, das ist mehr geworden« (Rainer, Z. 668-670). Auf der anderen Seite der Skala finden sich dagegen die Fälle, bei denen die Großzahl von Ruhestandsaktivitäten eher zufällig oder beiläufig zur Sprache kommt, weil sie für selbstverständlich und daher nicht der Rede wert, gehalten werden. So versucht Georg bewusst den Eindruck eines hochaktiven Ruhestandslebens zu vermeiden, obwohl er in verschiedenen Organisationen ehrenamtlich aktiv ist: »Das könnte jetzt so klingen, was ich so gesagt habe, bisher habe ich ja nur von den Aktivitäten geredet, als ob es keine Ruhe gäbe, 10 | Das zeigt sich auch daran, dass die Befragten die Langsamkeit des Tagesablaufs ohne Rechtfertigungen erzählen können und auch der Mittagsschlaf als genau solcher (und nicht als Powernapping) weiterhin normal ist: »Dass man einfach vieles langsamer macht und sag mal, das mehr ausbreitet, sich auch mal nachmittags eine Stunde hinlegt oder so« (Ria, Z. 639-640). Zur unterschiedlichen Kontextualisierbarkeit des Mittagsschlafs siehe auch Venn/Arber 2010.
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ist aber nicht der Fall, sondern Unruhe gibt es höchstens, wenn irgendwas nicht klappt, das kann sein, dann ist man unruhig und dann muss das gelöst werden oder so und es ist, das gibt es ja immer wieder, wenn man engagiert ist, aber, in der Regel, ist bei den vielen Aktivitäten, die ich auch heute noch habe, ist das so geklärt, dass ich das auch zeitlich dosiere« (Georg, Z. 601-606). In Abhängigkeit von den unterschiedlichen Ruhestandsorientierungen – so haben Denninger et al. (2014: 235ff.) gezeigt – wird auch das eigene Aktivitätsniveau unterschiedlich gerahmt. Worin sich aber darüber hinaus die Interviews in dieser Studie gleichen, ist eine prinzipiell positive Orientierung auf Aktivität in der dritten Lebensphase, die sich deutlich von der Vorstellung eines desengagierten, passiven Ruhestandsideals abhebt.
5.3.4 Engagement zwischen Arbeit und Ruhestand Die Befreiung von Erwerbsverpflichtungen bedeutet für die Interviewten dieser Studie in der Regel nicht, dass sie damit auch als politisch Engagierte in den Ruhestand gehen. Zwar wird der Renteneintritt nicht in jedem Fall als Gelegenheit für ein verstärktes politisches Engagement präsentiert, ist hierfür aber zumindest kein Hinderungsgrund.11 Der Zusammenhang zwischen beruflicher Entpflichtung und zivilgesellschaftlicher Wiederverpflichtung wird von den Befragten unterschiedlich dargestellt. In seiner schwächsten Variante existiert zwischen beiden Ereignisse überhaupt keine Beziehung, wie es beispielsweise von Olaf kommuniziert wird. Der erfahrene Anti-Atom-Aktivist gibt zwar zu, dass man als Rentner »ein bisschen ruhiger [wird]« und »nicht mehr alle verrückten Sachen mit[macht]«, sich aber »die Einstellung […] nicht geändert [hat] (Olaf, Z. 626-627). Seine politischen Aktivitäten stehen für ihn in keinerlei Verbindung mit seinem Beruf, sodass er sein anlassbezogenes politisches Engagement12 auch in der nach11 | Es mag irritierend wirken, dass auf der Ebene des Interdiskurses von einer Wiederverpflichtung die Rede ist, während die Interviewten eher von einer Kontinuität ihrer Verantwortungsbezüge reden. Dieser scheinbare Widerspruch ist dadurch zu erklären, dass der Wiederverpflichtungsdiskurs die Wieder-Indienstnahme der Lebensphase Alter thematisiert, die Interviewtexte aber aus einer biografischen Perspektive heraus entstanden sind. Zielt der Interdiskurs darauf, dass eine lange Zeit entpflichtete Lebensphase wieder in die Verantwortung genommen werden soll, konstruieren die Biograf_innen eine durchgängige Kontinuität ihrer überindividuellen Verantwortungsbezüge im Lebensverlauf. 12 | Olaf koppelt seinen politischen Aktivismus an konkrete Anlässe, wie beispielsweise die lokalen Castortransporte, themenspezifische Gedenktage, Demonstrationen oder andere Veranstaltungen von themenspezifischen Gruppen und Organisationen.
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beruflichen Phase fortsetzt: »Das hat sich nicht geändert, nein, warum auch? Ich sage immer ganz einfach, Gorleben ist immer noch mit im Spiel« (Olaf, Z. 628-630). Das politische Engagement als Ausdruck einer überpersönlichen Verantwortungsübernahme ist für Olaf nicht mit seinem Beruf, sondern mit der lokalen politischen Situation verbunden. Er präsentiert sich als Anti-Atom-Aktivist, der mittlerweile in erster Linie anlässlich der lokalen Atommülltransporte und themenspezifischer Veranstaltung aktiv wird. Zwar thematisiert er im Interview, dass er wegen Erwerbsarbeit und Familiengründung temporär sein politisches Engagement einschränken musste, versteht aber die berufliche Entpflichtung nicht als eine Chance für eine verstärkte politische Betätigung. An dieser Verantwortungsbeziehung ändert sich durch seinen Renteneintritt aus subjektiver Perspektive nichts, sodass die Befreiung von beruflichen Pflichten nicht mit einer Befreiung aus politischen Verantwortungsbeziehungen einhergeht. Diese Parallelität zwischen beiden Sphären findet sich auch bei Heinz, der zwar einige seiner verschiedenen beruflichen Tätigkeiten als politische versteht, aber ebenfalls eine Trennung zwischen beiden Feldern aufrechterhält. Ähnlich wie Olaf kommuniziert auch Heinz, der ehemalige Landwirtschaftslehrer, eine Kontinuität seines zivilgesellschaftlichen Engagements nach seiner Pensionierung: »[A]lso ich habe ja neben der Arbeit immer Genossenschaftsarbeit gemacht und die habe ich voll weitergemacht« (Heinz, Z. 537-538). Während Olaf den Wegfall seiner Erwerbsarbeit jedoch nicht als Potential für politisches Engagement interpretiert, sieht Heinz hierin eine Chance für eine Intensivierung der politischen Arbeit. Im Ruhestand konnte er dann »noch ein bisschen freier und ein bisschen mehr« sich politisch engagieren, denn »wenn einen ein Thema beseelt und man wirklich gewinnen will und nicht nur mitspielen will, dann muss man an die Grenzen gehen« (Heinz, Z. 539-549). Die Ausgliederung aus dem Erwerbssystem steht für Heinz der politischen Betätigung nicht entgegen, sondern wird eher im Gegenteil als eine Chance wahrgenommen, um die Verantwortung für überindividuelle Zusammenhänge stärker als zuvor praktisch werden zu lassen: »[W]eil man ja in Pension ist und die politischen Aufgaben ja immer noch da sind und man es nicht als Last empfindet« (Heinz, Z. 620-621). Aber selbst in solchen Fällen, wo der Beruf als ein zentrales Element in der persönlichen Engagementgeschichte interpretiert wird, muss die Entberuflichung nicht als eine Entpolitisierung konnotiert werden. Das zeigt sich beispielsweise in der Erzählung von Klaus, ebenfalls einem ehemaligen Lehrer, der seine Pensionierung lediglich als Wegfall des »Verantwortungsbereich[s] Schule« (Klaus, Z. 493) versteht, den er dann »einfach nach hier verlegen [konnte]« (Klaus, Z. 454).
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Ähnlich wie Heinz kommuniziert auch Klaus eine Zunahme seines zivilgesellschaftlichen Engagements als Folge der beruflichen Entpflichtung: »Was man sowieso alles gemacht hat, hat man jetzt noch intensiver gemacht« (Klaus, Z. 457-458). Die Wahrnehmung der eigenen Privilegien als Pensionär führt Klaus dabei explizit heran, um seine besondere Verantwortung zu begründen: »Ich bin ein Privilegierter und von meiner Herkunft aus kann das nur bedeuten, meinen Ruhestand jetzt nicht egoistisch ab auf eine Insel. […] Mein Ruhestand ist eine neue Phase des Lebens, da kann man wieder was zurückgeben« (Heinz, Z, 706-708). Die Freiheit von Erwerbsarbeit wird vor dem Hintergrund der sozialmoralischen Orientierung und den eigenen Privilegien zu einer gebotenen Selbstverpflichtung zur praktischen Verantwortungsübernahme. Darüber hinaus kann die Entberuflichung aber auch als Engagement-ermöglichendes Ereignis in die Selbsterzählung eingebettet werden. Dieses Muster findet sich beispielsweise bei Imke, die zwar bereits ihre Tätigkeit als Lehrerin politisch rahmt (›Marsch durch die Institutionen‹), aber »darüber hinaus […] nicht mehr so viel Zeit [bleibt]« (Imke, Z. 463). Sie weist im Interviewkontext mehrfach darauf hin, dass sie bereits als Lehrerin den Wunsch nach mehr politischem Engagement in einer konkreten Gruppe hatte, was aber wegen der beruflichen Situation nicht möglich war: »Das schaffe ich nicht, das geht nicht« (Imke, Z. 634-635). Die letzte Jahre als Lehrerin rahmt Imke dann als Krisenepisode, weil sie – nach eigener Einschätzung – ihren Selbstansprüchen als Lehrerin nicht mehr gerecht werden kann (»in den letzten zwei, drei Jahren ist es mir also wirklich so schlecht gegangen, ich war einfach am Ende so, mit meinen Kräften in der Schule«, Imke, Z. 517-519). Sie nennt die den zahlreichen Zusatzaufgaben in der Schule (»ich war Vertrauenslehrerin, war im Lehrerrat und in der Schulkonferenz«, Imke, Z. 522-523), die sie plötzlich nicht mehr ausfüllen konnte: »Das ist mir alles jetzt zu viel, ich kann das nicht mehr, ich gehe jetzt an eine Schule und da unterrichte ich nur, da werde ich mich in keinem Gremium mehr irgendwie engagieren, das übersteigt meine Kräfte, das kann ich nicht mehr« (Imke, Z.523-526). Der Wechsel an eine andere Schule, bedeutet für Imke allerdings keine Rollenentlastung, sondern eher im Gegenteil eine Verschlimmerung der Situation (»da musst ich mich nochmal völlig neu irgendwie definieren, da hatte ich einfach nicht mehr die Kraft zu«, Imke, Z. 544-545). Krankschreibung, Psychotherapie und vorzeitige Pensionierung schließen sich an (Imke, Z. 560-587). Vor diesem Hintergrund stellt sich der Renteneintritt als eine »Erleichterung« (Imke, Z. 606) dar, weil Imke dadurch von nicht mehr erfüllbaren Rollenerwartungen entlastet wird. Statt einer späten Freiheit überwiegt in ihrer Erzählung zunächst das Verständnis der Entberuflichung als einer ›Erlösung‹. Auf der anderen Seite reflektiert sie selbst die Bedeutung des krisenhaften Endes der Erwerbsphase als einen Einschnitt in ihrem Selbstbild: »Es war irgend-
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wie so ein Rausschleichen, also es kam mir auch vor, wie versagt zu haben, so jetzt schaffst das alles nicht mehr und man hat dann ja so ein Selbstbild, ne? So, es ist eigentlich, ja so das alles können und so weitermachen und du möchtest ja auch eine beliebte Lehrerin sein und solche Sachen und plötzlich klappt das alles nicht mehr« (Imke, Z. 607-611). Das Zustandekommen des politischen Engagements in der nachberuflichen Phase wird anschließend als eine Art ›nachholende Verwirklichung‹ kontextualisiert: »[D]ann habe ich tatsächlich das gemacht, ich habe mich bei der politischen Gruppe, das wollte ich immer schon, während der Schulzeit und dann dacht ich nee, ich bin dann manchmal schon zu Veranstaltungen gegangen, aber, dass ich da etwas gemacht hätte, das war neben der Schulzeit gar nicht möglich und das konnte ich dann machen« (Imke, Z. 616-619). Die Verwirklichung dieser »virtuellen Identität« (Kaufmann 2005a: 176) ist aus ihrer Perspektive während der Schulzeit nicht möglich. Erst das Ausscheiden aus dem Beruf stellt in ihrer Erzählung die Voraussetzung für das Zustandekommen des Ruhestandsengagements dar. Insofern wird dem – in diesem Fall krisenhaften – Ausscheiden aus der Erwerbsphase eine ermöglichende Funktion hinsichtlich des politischen Engagements in der dritten Lebensphase zugeschrieben. Olaf, Heinz, Klaus und Imke verkörpern somit stellvertretend vier Kontextualisierungsmöglichkeiten des Zusammenhangs von Entberuflichung und nachberuflichem Engagement. So stellen Erwerbsarbeit und politisches Engagement für Olaf zwei getrennte Felder dar, die kaum miteinander in Beziehung gesetzt werden. Wo er beruflich tätig ist, ist er nicht politisch tätig und wo er sich politisch engagiert, spielt seine Erwerbstätigkeit eine untergeordnete Rolle. Und auch zeitlich scheinen die beiden Sphären kaum miteinander zu konkurrieren: Weder wird der Renteneintritt als Chance verstanden, um sich verstärkt politisch zu engagieren, noch finden sich in seinem Interview deutliche Hinweise darauf, dass die Arbeit ihn an der Ausübung seiner politischen Tätigkeiten gehindert hätte. Dem Renteneintritt kommt im Rahmen der Engagementgeschichte keine besondere Bedeutung zu. Im Fall von Heinz stellt sich dieses Verhältnis ähnlich und zugleich anders dar. Auch für ihn spielt sich politisches Engagement zu einem Großteil neben der Erwerbsarbeit ab, aber im Gegensatz zu Olaf wird die Pensionierung durchaus als eine Möglichkeit interpretiert, sich politisch mehr zu engagieren. Zwar bringt der Renteneintritt auch hier keine neuen Verantwortungsbeziehungen hervor, wird aber als Anlass interpretiert, sich verstärkt im Rahmen der bisherigen Verantwortungsbezüge einzusetzen. Die Entberuflichung wird dabei als ein Zeitgewinn kontextualisiert, den man zur quantitativen Ausweitung des politischen Engagements nutzen kann. Der Renteneintritt fungiert darin als ›Extensivierung‹ für die politische Betätigung.
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Einen dritten Typen stellt Klaus dar, der u.a. seinen Job als Lehrer explizit als eine politische Beschäftigung rahmt. Mit der Pensionierung falle demnach zwar eine Verantwortungsrolle weg, aber nicht die gesellschaftliche Verantwortung als solche. Er interpretiert das Verhältnis von beruflicher Entpflichtung und zivilgesellschaftlichem Engagement in der nachberuflichen Phase nicht nur als Kontinuität der Verantwortlichkeit in einem anderen Feld. Vielmehr ist mit diesem Statusübergang auch ein qualitativ neuer Anspruch verbunden. Zentral ist in seinem Fall nämlich nicht die zeitliche Dimension, sondern die neue Form der Verantwortungsbeziehung, die sich aus seiner besonderen Position als verbeamteter Lehrer ergibt. Anstatt die bisherigen moralischen Verpflichtungen einfach fortzuschreiben, sieht er sich als privilegierter Senior in besonderem Maße aufgerufen, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Mit der Ausgliederung aus der Erwerbsphase ist in diesem Fall zugleich eine ›Intensivierung‹ der Verantwortungsbeziehung verbunden. Im Fall von Imke wird der Renteneintritt darüber hinaus als Chance für ein zivilgesellschaftliches Engagement interpretiert, weil durch die Befreiung von Erwerbsarbeitspflichten wesentliche Engagementhindernisse beseitigt werden. Retrospektiv konstruiert sie dabei einen Engagementwunsch bereits während der Erwerbsphase, der aber aus unterschiedlichen Gründen nicht realisierbar ist. Der krisenhaft gerahmte Berufsausstieg schafft dann die nötigen Freiräume für eine ›nachholende Verwirklichung‹ und fungiert als Aufschlag für eine Realisierung des aufgeschobenen Selbstentwurfs. Der Übergang zwischen Erwerbsphase und Ruhestand gewinnt in diesem Fall eine Engagementermöglichende Bedeutung, die Entberuflichung fungiert als Wiedereinstieg in die politische Betätigung. Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass der Terminus Wiederverpflichtung – wie er im Interdiskurs genutzt wird, um die Re-Responsibilisierung der dritten Lebensphase zu beschrieben – aus biografischer Perspektive etwas verwirrend ist. Zwar wird der Statusübergang zwischen Erwerbsphase und Rentenphase durchaus als solcher wahrgenommen und auch die handlungspraktischen Möglichkeiten für zivilgesellschaftliches Engagement verändern sich aus Sicht einiger Befragter durchaus. Was die überpersönlichen Verantwortungsbezüge angeht, konstruieren die Interviewten dagegen den Normalfall einer biografischen Kontinuität zwischen Erwerbsphase und Ruhestand. Erklärungsbedürftig ist dabei in der Regel nicht die Fortsetzung im Engagement-Arrangement, sondern eine Veränderung. Die Übernahme von überpersönlicher Verantwortung in der nachberuflichen Phase wird dabei von allen politisch Engagierten kommuniziert, wobei die Unterschiede der Mitverantwortlichkeit zwischen den Fällen teilweise erheblich sind. Vor diesem Hintergrund werden im folgenden Kapitel die typischen Ausprägungen der Mitverantwortlichen Subjektivität präsentiert.
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5.4 D as M odell nachberuflicher V er ant wortungsübernahme Die Anwendung des Kodierparadigmas nach Strauss und Corbin (1996: 78ff.) führt unter Berücksichtigung der theoretischen Fragestellung zu dem Modell nachberuflicher Verantwortungsübernahme. Das Modell ist das Ergebnis des axialen Kodierprozesses, basiert auf den konkreten Interviewdaten und verdeutlicht Verknüpfungen in abstrahierter Form (zum methodischen Vorgehen siehe Kapitel 2):
Abbildung 1: Modell nachberuflicher Verantwortungsübernahme Die einzelnen Kategorien werden im Folgenden detaillierter aufgeschlüsselt und anschließend anhand der typenbezogenen Fallanalyse in komprimierter Form und in ihren spezifischen Ausprägungen dargestellt.
5.4.1 Die Konstruktion einer Mitverantwortlichen Subjektivität Die Analyse des Interviewmaterials war geleitet von der Frage nach überpersönlichen Verantwortungsbeziehungen im Allgemeinen und der persönlichen Verantwortung für die Gesellschaft im Konkreten. Dabei erhärtete sich die Vermutung, dass die Kommunikation von überpersönlichen Verantwortungsbeziehungen in den Selbsterzählungen aller Befragten einen zentralen Stellenwert einnimmt, sodass die Konstruktion einer Mitverantwortlichen Subjektivität aufgrund ihrer Schlüsselstellung als Kernkategorie fungiert.
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Sie geht ursächlich aus den biografisch konstituierten Verantwortungsbeziehungen hervor. Die Konstruktion der Mitverantwortlichen Subjektivität hängt ab von den gegenwärtigen Beziehungen zu den konkreten und/oder abstrakten Wir-Zusammenhängen, der sozialen Positionierung und der allgemeinen Rahmung der dritten Lebensphase und bildet ihrerseits die (sozialmoralische) Grundlage für das politische Engagement im Ruhestand. Als zentrale Rahmenbedingungen des Modells gelten zudem die materielle Sicherheit und ein relativ guter Gesundheitszustand. Sie bilden die oft unausgesprochenen a priori, über die alle Befragten mehr oder weniger ausgeprägt verfügen und die dadurch als mehr oder weniger selbstverständliche Voraussetzungen einer praktizierten Mitverantwortlichkeit fungieren. Angeleitet durch die Frage: »Wie gehen die Akteure mit dem Phänomen um?« (Strübing 2008: 28), können schließlich drei Ausprägungen der Mitverantwortlichen Subjektivität identifiziert werden, die in die vorgefundene Handlungspraxis des Bürgerschaftlichen Engagements münden. Die Konstruktion einer Mitverantwortlichen Subjektivität beschreibt dabei das Phänomen, an dessen Produktion die Befragten allesamt beteiligt sind. Die Mitverantwortliche Subjektivität kann – und das ist ein Spezifikum dieses Modells – muss aber nicht alters- oder ruhestandsspezifisch gerahmt werden. Auf diese Weise werden unterschiedliche Bezugsrahmen der Mitverantwortlichkeit zugelassen. So können sich die kommunizierten Verantwortlichkeiten sowohl auf sehr konkrete Organisationen und Gruppen beziehen, aber auch eine gesellschaftliche Dimension beinhalten. In den Blick geraten auf diese Weise die spezifischen Ausprägungen der Dimension, die sich zwischen loyaler Pflichterfüllung über eine moralische Gegengabe bis hin zu einer autonomen Selbst- und Weltgestaltung bewegen. Die Konstruktion einer Mitverantwortlichen Subjektivität geschieht, indem sich die Befragten im Ruhestand selbst die Verantwortung für überpersönliche Zusammenhänge zuschreiben, dies allerdings stets vor dem Hintergrund bestimmter Rahmenbedingungen, in bestimmten Kontexten und auf eine typenspezifische Art und Weise. Unter ihr versammeln sich alle Formen kommunizierter Mitverantwortlichkeit, die sich wiederum nach dem Abstraktionsgrad der Verantwortungsbeziehungen untergliedern lassen.
5.4.2 Allgemeine Bezugsrahmen der Verantwortung Die Konstruktion der Mitverantwortlichen Subjektivität ergibt sich aus den kommunizierten Verantwortungsbeziehungen zwischen dem erzählten Selbst und überpersönlichen Instanzen, wobei primär zwei Bezugspunkte der Mitverantwortlichkeit voneinander zu unterscheiden sind: Die Sorge um die kon-
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kreten politischen Wir-Zusammenhänge und die abstrakte Sorge um die Gesellschaft.13 Die Sorge um die politischen Wir-Zusammenhänge bezeichnet dabei jene Verantwortungsbeziehungen, die die Interviewten gegenüber konkreten realen oder imaginären politischen Kollektiven kommunizieren, beispielsweise gegenüber einer politischen Partei, bzw. einem politischen Verein oder imaginierten Kollektiven wie der Arbeiter_innenklasse oder der Anti-Atom-Bewegung. Sie verstehen sich dabei als Teil dieser überpersönlichen Zusammenhänge, identifizieren sich mit den Idealen und Weltanschauungsangeboten und leiten daraus eine persönliche Verantwortung ab. In den biografischen Erzählungen machen sich solche konkreten Verantwortungsbeziehungen dadurch bemerkbar, dass sich die Interviewten auf entsprechende politische Diskurse beziehen und sich in entsprechende Subjektpositionen hineinerzählen. In einer eher konkreten Form zielt diese Form der Mitverantwortung auf lokale Gemeinschaften (»einmal Blauhemd, immer Blauhemd«, Dieter, Z. 279). Dabei geht es häufig um biografisch gewachsene Verantwortungsbeziehungen, welche die Einzelnen mit dem Kollektiv (politische Partei, politischer Verein etc.) verbinden und es selbstverständlich erscheinen lassen, in bestimmten Konstellationen für die Gruppe tätig zu werden. So stellt beispielsweise Dieter die Übernahme vereinsinterner Funktionen als quasi-alternativlosen Vorgang dar: »Das entwickelt sich eigentlich ganz automatisch, so, nicht? Also selbst wenn man das gar nicht, vielleicht gar nicht wollte, das ging gar nicht anders, nicht? Da konnte man sich nicht vor drücken, das muss man einfach übernehmen« (Dieter, Z. 501-504). Diese Mitverantwortung für die Eigengruppe zieht sich dabei in der Regel durch die unterschiedlichen Phasen der Biografie, wie beispielsweise die Berufswahl: »Das Ergebnis war, das ich Sekretär dann, hauptamtlich bei den Blauhemden wurde, ich war relativ ja schon alt, 1970 für die Jugendarbeit, also 29 Jahre, ich wollte da aussteigen, das war dann so, aber durch diese politischen Veränderungen, diese trotzkistischen Versuche, die Blauhemden hier kaputtzumachen, ist es mir dann gelungen oder musste ich, nicht ist es mir gelungen, musste ich Sekretär werden, weil es keinen anderen gab« (Friedrich, Z. 109-115). Außerdem finden sich imaginäre Gruppen oder soziale Bewegungen als Bezugsrahmen des response-ability talks. Identity Statements wie »da spricht der alte Sozialist« (Klaus, Z. 710) oder Bekenntnisse zu einer »sozialistischen Welt« (Friedrich, Z. 854), bzw. die Solidarität mit der »Arbeiterbewegung« 13 | Die Fokussierung auf diese beiden Bezugspunkte der Mitverantwortlichkeit ist der thematischen Ausrichtung dieser Studie geschuldet. In anderen Kontexten sind durchaus andere überpersönliche Verantwortungsbeziehungen denkbar, wie bspw. die Verantwortung gegenüber den Enkelkindern, der Firma, der Religion etc.
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(Georg, Z. 707) weisen eher unkonkrete überindividuelle Zusammenhänge als Verantwortungskontexte aus. Die Befragten beziehen sich dabei in der Regel auf bestimmte politische Diskurse, bzw. Weltanschauungen, auf deren Grundlage sie sich selbst als Teil eines überindividuellen Zusammenhangs erzählen. Die Einbettung des eigenen politischen Engagements beispielsweise als Beitrag zur Unterstützung der Arbeiter_innenklasse bezieht sich dann nicht auf konkrete Arbeiter_innen oder eine konkrete politische Partei, bzw. eine konkrete politische Organisation, sondern auf imaginäre Gemeinschaften. So begründet beispielsweise Rainer seine zahlreichen politischen Aktivitäten mit der prekären Lage der linken Bewegung: »Das Schlimme ist natürlich, muss man ja auch konstatieren, dass die linke Bewegung nicht stärker geworden ist, sondern schwächer geworden ist und das immer weniger Leute immer mehr bewegen müssen« (Rainer, Z. 670-673). Die Sorge um die Gesellschaft kann sich darüber hinaus auf Verantwortungsbeziehungen gegenüber der Gesellschaft als Abstraktum und der gesellschaftlichen Entwicklung allgemein beziehen. Hierunter fallen solche Interviewsequenzen, in denen die Befragten die Bedeutung ihres eigenen Engagements für gesellschaftliche Entwicklungen reflektieren und eine gesellschaftspolitische Dimension des eigenen Handelns thematisieren. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn sie ihr Engagement als wertvollen Beitrag zur demokratischen Kultur des Landes verstehen oder – wie es der Wiederverpflichtungsdiskurs nahelegt – als Entlastung der Gesellschaft in Zeiten des demografischen Wandels interpretieren würden. In seiner abstraktesten Form wird das eigene politische Engagement beispielsweise als »Verantwortung für die nächste Generation« (Julia, Z. 698) oder gar das Land verstanden: »Ich möchte nach wie vor, mit den Möglichkeiten, die mir sind, ein bisschen also etwas dazu tun, dass diese Land, noch weiter offen wird und seinen demokratischen europäisch-orientierten Lebendigkeitsinhalt, dass es den behält« (Elena, Z. 716-720). Die Befragten stellen in ihren politischen Selbsterzählungen dadurch Verantwortungsbeziehungen zu unterschiedlichen Wir-Instanzen her, als deren Teil sie sich begreifen und zu denen sie einen Teil beitragen. Im Kern dieser Mitverantwortlichkeit steht die persönliche Verantwortung für abstrakte gesellschaftliche Entwicklung. Diese beiden Bezugsrahmen der Mitverantwortlichen Subjektivität – die konkrete Gemeinschaft und die abstrakte Gesellschaft – sind nicht voneinander entkoppelt, sondern im Gegenteil sogar sehr eng miteinander verzahnt. So wird im Interviewkontext die Mitverantwortlichkeit für konkrete politische Wir-Zusammenhänge häufig direkt mit der gesellschaftspolitischen Bedeutung dieser Kollektive verknüpft. Die Übernahme des Postens als Kassenprüfer in der Ortsgruppe der Partei wird dann beispielsweise in eine gesellschaftspolitische Erzählung eingebaut, als ein persönlicher Beitrag für mehr soziale
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Gerechtigkeit in Deutschland. Über die konkrete Postenübernahme wird dabei das erzählte Selbst mit einer Gesellschaftserzählung verbunden und eine Verantwortungsbeziehung zwischen Selbst und Gesellschaft konstituiert. Die hier relativ allgemein beschriebenen Bezugsrahmen der Verantwortung werden im Rahmen der typenbezogenen Fallanalyse konkretisiert. Dabei wird sich zeigen, dass die konkreten Bezugsrahmen in den biografischen Selbsterzählungen von zentraler Bedeutung für die Konstitution der Mitverantwortlichen Subjektivität sind, verweisen sie doch auf diejenigen Diskurse, in denen eine Verantwortungsbeziehung des Subjekts zu überpersönlichen Zusammenhängen hergestellt wird. Die Befragten beziehen sich bei der Konstitution des erzählten Selbst auf heterogene Diskurse, in denen sie Subjektpositionen beziehen und diese in der Figur der Lebensgeschichte miteinander verknüpfen. Die persönliche Verantwortung für überpersönliche Zusammenhänge entpuppt sich in diesem Kontext sodann nicht mehr nur als das Resultat einer natürlichen Innerlichkeit oder einer nicht weiter erklärbaren inneren Selbstwahl. Vielmehr kann sie auf jene »public narratives« (Somers 1994: 618) zurückgeführt werden, in denen eine Verantwortung der Einzelnen für ›die Gesellschaft‹ artikuliert wird. Die persönliche Verantwortung für die Gesellschaft rückt dabei gewissermaßen als eine abgeleitete Größe in den Fokus der Analyse, da sie nicht mehr als quasi-natürliche Gegebenheit vorausgesetzt, sondern an ihre diskursive Fundierung rückgebunden wird. Ich schlage daher vor, den Terminus des ›Bezugsrahmens‹ für jene spezifischen Diskurse zu verwenden, aus denen sich das erzählte Selbst in den Engagementgeschichten konstituiert und die zugleich die persönliche Verantwortung für überpersönliche Zusammenhänge begründen. Die Mitverantwortliche Subjektivität darf vor diesem Hintergrund nicht als eine essentialistische Wahrheit über das Selbst missverstanden werden, sondern fußt ihrerseits auf jenen konkreten Diskursen, die den Einzelnen eine Verantwortung für das Gemeinwesen zumuten.
5.4.3 Biografisch-konstruierte Verantwortungsbezüge Die Konstruktion einer Mitverantwortlichen Subjektivität im Ruhestand steht im Zentrum und bildet zugleich die Kernkategorie des theoretischen Modells. Ihr gehen ursächlich die biografisch hergestellten Verantwortungsbezüge voraus, die in den jeweiligen Kontexten als relevant erachtet werden. Sie haben gewissermaßen »zum Auftreten oder der Entwicklung des Phänomens [ge] führt« (Strauss/Corbin 1996: 75).14 14 | Die ursächlichen Bedingungen sind dabei, dem konstruktivistischen Ansatz der Grounded Theory Methodologie folgend, nicht als Lebenslauftatsachen zu verstehen,
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Die biografisch konstruierten Verantwortungsbezüge weisen dabei eine erhebliche Variationsbreite auf. Sie variieren nicht nur anhand des Abstraktionsgrades zwischen der Verantwortung für konkrete politische Gruppe bis hin zur Verantwortung für die Gesellschaft als relativ abstrakte Größe. Sie verweisen zudem auf die konkreten politischen Diskurse, auf die sich die Befragten beziehen und in denen erst eine Verantwortungsbeziehung zwischen Individuum und Gesellschaft angelegt ist. So erzählen sich beispielsweise viele Befragte als geschichtsbewusste Antifaschist_innen und begründen ihre Verantwortung für gesellschaftliche Entwicklung mit der Erfahrung des Nationalsozialismus, wo es zu wenig Widerstand aus der Bevölkerung gab: »Die Deutschen haben damals alle die Schnauze gehalten und fanden es sogar gut, dass Hitler kam, viele haben applaudiert, die haben was gemacht und viele haben geschwiegen und haben gedacht, ach, den kriegen wir schon weg und haben nix gemacht, das hat was gemacht« (Elena, Z. 653-656).
Andere nehmen Bezug auf ein marxistisches Gesellschaftsverständnis, verweisen auf den strukturellen Gegensatz zwischen Kapitel und Arbeit und erklären ihre Solidarität mit der Arbeiter_innenklasse. Ihr politisches Engagement begründen sie sodann mit den Ungerechtigkeiten der im System angelegten Ausbeutungsverhältnisse: »Dieses sachliche Wissen über die Zusammenhänge, die wirtschaftlichen und politischen Zusammenhänge und da ist eigentlich meine Meinung, die ich bis heute noch habe, schon geprägt worden und grundlegende Erkenntnisse sind da, sind da gewesen und dann, als ich dann nach Grünstadt zurückkam, konnte ich dann gleich mit gutem Hintergrund, sachlichem Wissen über die Zusammenhänge von unserem Wirtschaftssystem und der Politik, die damals gemacht wurde, die ja gar nicht unsere- konnte ich da schon wirken und da auch Partei ergreifen für die Menschen, die immer die Opfer gewesen sind« (Georg, Z. 58-66).
In wiederum anderen Fällen berufen sich die Befragten auf die Verantwortung gegenüber ihren Kindern und begründen ihr Engagement gegen Atomenergie damit, dass dadurch den nachfolgenden Generationen nicht zu rechtfertigende Lasten aufgebürdet würden. Kurzum: Die konkreten Bezugsrahmen der Verantwortlichkeiten sind vielfältig und im Rahmen dieser Studie nicht im Einzelnen rekonstruierbar. Das Problem verkompliziert sich noch dadurch, dass sich die Befragten außerdem auf sehr unterschiedliche politische Diskurse beziehen und diese in mannigsondern als immer schon subjektiv interpretierte Ereignisse. Zum konstruktivistischen Ansatz der GTM siehe Charmaz 2011.
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faltiger Art und Weise miteinander verknüpfen, sodass die diskursiven Verknüpfungen, die diesen Verantwortungsbezügen zugrunde liegen, vermutlich so vielfältig und komplex sind, wie es Menschen gibt. Um den unterschiedlichen Bezugsrahmen der Mitverantwortlichkeit gerecht zu werden, wird neben der idealtypischen Darstellungsform eine typenbezogene Fallanalyse präsentiert. Darin werden zu Beginn der Analyse die konkreten Bezugsrahmen des Falls herausgearbeitet sowie die zentralen, ihnen zugrundeliegenden Diskurse skizziert.
5.4.4 Soziale Positionierung, Wir-Bezüge und Ruhestandsrahmung Das Phänomen der Mitverantwortlichen Subjektivität variiert dabei zudem in Abhängigkeit von verschiedenen Kontextbedingungen, wobei sich die soziale Positionierung, das aktuellen Verhältnis zu den Wir-Zusammenhängen und die allgemeine Rahmung der dritten Lebensphase als besonders zentral herausstellen.15 Für die soziale Positionierung wurde sowohl das Selbstverständnis der Befragten in Beziehung zu den Wir-Zusammenhängen untersucht, als auch einige sozioökonomische Daten wie das formale Bildungsniveau und das letzte berufliche Tätigkeitsfeld berücksichtigt.16 Dabei zeigte sich, dass in bestimmten Konstellationen ein privilegierter sozioökonomischer Status, der auch in der Selbstpositionierung als solcher reflektiert wird, eine besondere persönliche Verantwortlichkeit in der Nacherwerbsphase begründen kann. Darüber hinaus schlägt sich in der sozialen Positionierung auch allgemein das Selbst-Verständnis der Befragten im Verhältnis zu den konkreten politischen Zusammenhängen nieder. Dabei wurde berücksichtigt, welche Erwartungen, Ansprüche und Verpflichtungen die Befragten gegenüber den konkreten oder imaginären Kollektiven artikulieren. Hierunter fällt beispielsweise die Frage, ob sich die Befragten eher als Ausführende gruppenspezifischer Vorgaben und Erwartungen verstehen oder die Gruppen andererseits eher als Gelegenheiten für die Realisierung eigener Anliegen kontextualisieren.
15 | Als Kontext gilt hier »[d]ie spezifische Reihe von Eigenschaften, die zu einem Phänomen gehören, d.h. die Lage der Ereignisse oder Vorfälle in einem dimensionalen Bereich, die sich auf ein Phänomen beziehen. Der Kontext stellt den besonderen Satz von Bedingungen dar, in dem die Handlungs- und interaktionalen Strategien stattfinden« (Strauss/Corbin 1996: 75). 16 | Es ging nicht um Determinationszusammenhänge im Sinne einer je-desto Logik, sondern darum, zu untersuchen, wie und ob sozioökonomische Bedingungen in die soziale Positionierung einfließen und welche Bedeutung ihnen bei der Konstruktion des Selbst-Verständnisses zukommt.
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Jenseits der biografisch konstruierten Verantwortungsbeziehungen hängt die Bereitschaft zur überpersönlichen Verantwortungsübernahme zudem von den gegenwärtigen Beziehungen der Interviewten zu den Wir-Zusammenhängen ab. So kann die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme schwinden, wenn man beispielsweise mit politischen Entscheidungen der eigenen Partei unzufrieden ist oder mit Mitgliedern der konkreten Wir-Zusammenhänge im Streit liegt. Relevant aber auch für die Frage, welcher Art das Verhältnis zwischen dem erzählten Selbst und den überpersönlichen Wir-Zusammenhänge beschaffen ist. Die Bandbreite reicht hier von einer sehr engen, ›familienähnlichen‹ Beziehung, in denen die Probleme des Kollektivs fast schon selbstverständlich in persönliche Problemlagen übersetzt werden, bis hin zu einem eher losen Beziehungsgeflecht, in dem die Zusammenhänge eher als Mittel zur Realisierung eigener politischer Anliegen erscheinen. Als dritte relevante Kontextbedingung konnte die allgemeine Rahmung des Ruhestandes identifiziert werden, welche sich insbesondere in der Art und Weise des Zustandekommens des Ruhestandsengagements ausdrückt. So zeigt sich, – vor allem vor dem Hintergrund des Interdiskurses interessant – dass die dritte Lebensphase von den Interviewten in unterschiedlichem Maße durch produktive, aber auch weniger aktive Normalitätsvorstellungen gerahmt wird. Diese unterschiedlichen Vorstellungen des Ruhestandsalltags moderieren dadurch gewissermaßen die Erzählungen (Denninger et al. 2014: 235) und schlagen sich sowohl im Ausmaß als auch in der kommunizierten Eigeninitiative nieder. Während es somit für die einen geradezu selbstverständlich ist, die dritte Lebensphase proaktiv zu planen und sich selbstständig um Verantwortungsrollen zu kümmern, inszenieren sich andere als hochaktive und gemeinwohlorientierte Ausnahmefälle, die sich von den selbstbezogenen und inaktiven Gleichaltrigen abgrenzen. Auf diese Weise sind sowohl die Ruhestandserzählungen, als auch das Phänomen der Mitverantwortlichen Subjektivität insgesamt von den Ruhestandsorientierungen der Befragten betroffen, sodass diese Kategorie fast schon als intervenierende Bedingung gelten kann.17
5.4.5 Finanzielle Sicherheit und Gesundheit Nicht im Modell aufgeführt sind die sozialstrukturellen, personenbezogenen Rahmenbedingungen, die in unterschiedlichem Maße für alle Befragten gelten, aber im Gespräch selbst nicht bis wenig thematisiert worden sind. Im Anschluss an das Interview habe ich in Form eines Kurzfragebogens allgemeine soziodemografische Daten abgefragt, die gewissermaßen als Rahmenbedingungen den Selbsterzählungen zugrunde liegen. Dabei stellte sich heraus, 17 | Zur Schwierigkeit der Abgrenzung von ›Kontextbedingungen‹ und ›intervenierenden Bedingungen‹ siehe auch Strübing 2008: 28ff.
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dass fast alle Befragten über relativ stabile Erwerbsbiografien verfügen und in der dritten Lebensphase materiell relativ abgesichert sind. Prekäre Lebensverhältnisse oder Geldsorgen sind in den Erzählungen kein Thema und auch bei meinen Besuchen konnte ich keine Hinweise darauf wahrnehmen. Mit Ausnahme einer Befragten, die für eine ehrenamtliche Tätigkeit eine geringe Aufwandsentschädigung erhält, spielen Verdienst-Möglichkeiten im Ruhestand keine Rolle. Zwar weisen zwei Befragte darauf hin, dass sie als Rentner_innen ihren Lebensstandard etwas einschränken müssen und z.B. ein Auto verkaufen mussten, aber materielle Notlagen oder die Notwendigkeit, Geld zu verdienen, sind kein Thema.18 Darüber hinaus verfügten alle Befragten augenscheinlich über einen relativ stabilen Gesundheitszustand.19 Auf die Frage, was das Alter für sie bedeutet, verwiesen zwar viele auf das Nachlassen von Körperkraft. Von ernsthaften Beschwerden, die einen einigermaßen reibungslosen Alltagsvollzug unmöglich machen würden, können die Interviewten aber nicht berichten. Dennoch geben die Erzählungen deutliche Hinweise darauf, dass die politische Betätigung in bestimmten Kontexten eng an den Gesundheitszustand gekoppelt ist. So seien bestimmte Aktionsformen, die eine hohe körperliche Fitness voraussetzen, gegenwärtig nicht mehr möglich. Der Anti-Atom-Aktivist Olaf räumt beispielsweise ein, dass er mittlerweile nicht mehr an den bewegungsintensiven Protestformen teilnehmen kann: »Mit zunehmendem Alter ist man auch nicht mehr durch die Wälder gerannt, da ist man nicht mehr so schnell« (Olaf, Z. 524-525). Und auch Friedrich begründet sein Ausscheiden aus bestimmten politischen Ämtern mit der nachlassenden körperlichen Leistungsfähigkeit: »Interviewer: Sie sagten jetzt am Ende noch, dass sie überlegen, sich rauszuziehen aus manchen Sachen oder aufzuhören? Friedrich: Ja, weil ich ja älter werde, ich werde ja jetzt im Februar 73 Jahre, so und ich hab das jetzt mit dem Zeltlagerverein auch schon vor zwei Jahren, da musst ich ja durch die Bundesrepublik immer reisen, so nach, so in Orte wie Finsterau, Schongau, Insel Föhr,
18 | Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass das Haushaltseinkommen weder systematisch und detailliert erhoben worden ist, noch ein Kriterium bei der Fallauswahl darstellte. Das in diesem Sample keine Menschen mit prekären Lebens- oder materiellen Notlagen befragt worden sind, ist wahrscheinlich aber kein Zufall. So weisen Engagementstudien seit jeher darauf hin, dass freiwillige Bürgerarbeit und Ehrenamtliche Tätigkeit zumeist bei solchen Menschen anzutreffen sind, die materielle relativ gut abgesichert sind und zudem über gehobene Bildungsniveaus verfügen (vgl. Einleitung). 19 | Für die Bedeutung des Gesundheitszustand im Hinblick auf soziale Aktivitäten und gesellschaftliche Beteiligung im Alter sie auch Mayer1999.
5. Politisches Engagement im Ruhestand wo die Zeltlagerplätze sind, wo wir da tagten, einmal, zweimal im Jahr oder nach Berlin, wobei, das ging ja noch, ja das war mehr wegen der Reiserei« (Friedrich, Z. 795-802).
Der Gesundheitszustand wird in den Interviews in unterschiedlichen Facetten als Voraussetzung für die politische Betätigung angeführt. Ein altersbedingter körperlicher Abbau wird dabei als ein Normalverlauf interpretiert und führt in der politischen Praxis zumeist dazu, dass man »mal n bisschen auf die Bremse drücken [muss]« und »jedes zweite Projekt auch zu lassen« (Julia, Z. 676-678) oder »n bisschen müder [wird]« und darum »nicht mehr die Lust hat, sich da reinzuhängen, wie verrückt« (Monika, Z. 616-617). Begünstigt scheinen dagegen diejenigen zu sein, bei denen die politische Praxis weniger stark von der körperlichen Fitness abhängt. So weist beispielsweise Frank darauf hin, dass die nachlassende Körperkraft für ihn kein Hinderungsgrund für politisches Engagement sei, weil er journalistisch tätig ist: »Da muss man lieber konzeptionell arbeiten, in unserem Alter, also was schreiben oder was recherchieren oder einen Vortrag ausarbeiten und halten und so, ja das machen die anderen ja nicht« (Frank, Z. 1176-1178). So zeigt sich in diesem Sample die Tendenz, dass diejenigen, welche für ihr Engagement eher den Geist als den Körper beanspruchen, davon ausgehen, dass sie ihre Betätigung auch in Zukunft in einer ruhigeren und weniger dicht getakteten Form fortsetzen werden. Andererseits rechnen diejenigen mit eher körper-bezogenen Engagementformen aufgrund der altersbedingten Einschränkungen häufig mit einer Beendigung ihres Engagements in absehbarer Zeit. Die Kompensation altersbedingter Beeinträchtigungen und die Anwendung der SOK-Strategie (vgl. Kapitel 3.1.4) scheinen somit auch im politischen Feld, so die vorsichtige Interpretation, nicht für alle Menschen gleichermaßen anwendbar zu sein.20
20 | Die schon seit längerem bekannte Kritik an dem Mittelschichten-Bias eines aktivistischen Anforderungsprofils für ältere Menschen (vgl. etwa Backes 208: 67ff.) scheint sich mit Blick auf die Engagementangebote noch zu verschärfen: So deuten diese Befunde darauf hin, dass insbesondere bildungsprivilegiertere Personen und solche, die kognitionslastige Engagementformen praktizieren, den altersbedingten körperlichen Abbau eher durch den Umstieg auf andere Engagementformen kompensieren können. Sind entsprechende Umstiegsoptionen nicht vorhanden, drohen körperliche Beeinträchtigungen dagegen das Engagement insgesamt unmöglich zu machen.
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5.5 A uspr ägungen der M it ver ant wortlichen S ubjek tivität – I de alt ypische D arstellung Nachdem die zentralen Zusammenhänge des Modells dargelegt worden sind, beschäftigt sich dieses Kapitel umfassend mit den identifizierten Typen der Mitverantwortlichen Subjektivität. Die Idealtypen sind das Resultat eines komplexen Kodier- und Rekodierprozesses, in dem ständiges Vergleichen, Hinterfragen und Umstellen einander abwechselten (siehe Kapitel 2). Wie bereits mehrfach angedeutet, werden die Typen der Mitverantwortlichkeit in einem zweistufigen Prozess präsentiert. Zunächst gilt es in einer idealtypischen Darstellungsweise darum, die Typen verdichtet in ›Reinform‹ in den Blick zu nehmen. Die Idealtypen speisen sich dabei aus den ihnen zugeordneten Fällen, wobei nicht alle Fälle vollständig in diesem Typus aufgehen. So sind nicht alle typischen Merkmale bei allen Fällen in gleichem Maße vorhanden. Dennoch weisen die Fälle eine hohe interne Homogenität auf, da sich eine große Zahl gemeinsamer Merkmale teilen (Interne Homogenität auf der Ebene des Typus) (Kluge 1999: 26ff.). Die verdichtete Darstellung des Idealtyps sensibilisiert dabei in erhöhtem Maße für die externe Heterogenität, indem die Abgrenzung zu den anderen Typen extrapoliert wird (externe Heterogenität auf der Ebene der Typologie) (ebd.). Anschließend werden die Typen anhand je einer Einzeldarstellung fallspezifisch präsentiert. Dadurch werden die fallbezogenen Besonderheiten des Typs ebenso sichtbar, wie die komplexen Verschränkungen der typenbezogenen Kategorien mit den Kontextbedingungen. In besonderem Maße sind in dieser Darstellungsweise die fallspezifischen Bezugsrahmen der Mitverantwortlichkeit herausgearbeitet worden. Da die empirischen Einzelfälle nicht vollständig in den konstruierten Idealtypen aufgehen, werden die Einzelfallanalysen zwangsläufig nicht alle Facetten des Idealtypus erfassen. Dennoch ist bei der Auswahl der Einzelfälle darauf geachtet worden, dass sie den Idealtypus in möglichst vielen Dimensionen entsprechen, sodass sie im Idealfall den Status von Prototypen einnehmen. Während der Typus der loyal-vorgabenorientierten Mitverantwortlichkeit mit der autonom-gestaltungsorientierten Mitverantwortlichkeit in allen Vergleichskategorien maximal kontrastiert, nimmt die moralisch-reziprozitätsorientierten Mitverantwortlichkeit eher den Status eines ›dritten Typus‹ ein. Er enthält in der Regel Elemente der anderen beiden Typen, liegt aber weder genau in der Mitte noch gänzlich außerhalb der Typologie.
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5.5.1 Loyal-vorgabenorientierte Mitverantwortlichkeit Im Fall der loyal-vorgabenorientierten Mitverantwortlichkeit begründet sich das Ruhestandsengagement in erster Linie durch die Zugehörigkeit zu einer konkreten politischen Gruppe. Die Befragten dieses Typs betonen über die gesamte biografische Erzählung hinweg eine relativ ausgeprägte Gruppenzugehörigkeit und neigen zuweilen sogar dazu, die persönliche Geschichte als Kollektiverzählung zu arrangieren. Die Einbettung des erzählten Selbst in einen überpersönlichen politischen Zusammenhang wird dabei nicht selten bis in das Elternhaus (und zuweilen davor) zurückverlängert und dadurch die Kontinuität und Stabilität der ›quasi-natürlichen Zugehörigkeit‹ betont: »Ich bin es von Anfang an gewohnt gewesen, ja in einem kommunistischen Umfeld aufgewachsen« (Ria, Z. 20-21). Die Zugehörigkeit zu den jeweiligen Kollektivzusammenhängen spielt in den Erzählungen durchweg eine wichtige Rolle, kann aber durchaus unterschiedlich verhandelt werden. Die Bandbreite im Sample reicht von der Zugehörigkeit qua Geburt (»man ist ja bewusst in die Zeit reingeboren«, Olaf, Z. 7) oder der politischen Zugehörigkeit der Eltern (»Ich bin also in einem kommunistischen Elternhaus groß geworden«, Ria, Z. 9) bis hin zum formalen Beitritt in jungen Jahren: »Irgendwo wächst das ja, ich bin 1946 Mitglied der linken Jugendorganisation ›Blauhemden‹ geworden« (Dieter, Z. 10-11). Auch im weiteren Verlauf der biografischen Erzählung wird die Einbettung des erzählten Selbst in den politischen Kollektivzusammenhang auf unterschiedliche Weise akzentuiert. Die Variationsbreite reicht von der bloßen Betonung der formalen Mitgliedschaft (»einmal Blauhemd, immer Blauhemd«, Dieter, Z. 279) und der Zahlung des Mitgliedsbeitrages (»ich zahl also nach wie vor meinen Beitrag und bin also dort Mitglied geblieben«, Dieter, Z. 280) bis hin zu den zahlreichen Selbstverständlichkeiten, die aus dieser Mitgliedschaft resultieren. So ist Ria aufgrund ihres Elternhauses »natürlich« politisch geworden und in die entsprechenden politischen Gruppen eingetreten, wie zum Beispiel eine damals verbotene Partei: »Also für mich war es kein großer Schritt, irgendwie war es was Normales, weil ich ja in diesem Umfeld groß geworden bin, ja und dann bin ich natürlich auch, hab ich auch viele Sachen mitgemacht« (Ria, Z. 93-95). In ähnlicher Weise resultiert auch für Dieter retrospektiv sein Eintritt in die Arbeiterpartei »selbstverständlich« aus der Mitgliedschaft in der Jugendgruppe (Dieter, Z. 449-451). Die Zugehörigkeit zu den politischen Organisationen begründet in den Erzählungen aber nicht nur die eigene politische Entwicklung, sondern erklärt zugleich das politische Engagement. Die Befragten präsentieren das eigene Aktiv-Werden dabei auffällig häufig als Vollzug gruppenspezifischer Vorgaben, sowohl was die Initiative als auch die Gestaltung der jeweiligen Tätig-
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keiten angeht:21 »Das [führte] natürlich dazu, mit dem Älterwerden, naja, dass da irgendwann Funktionen zu besetzen waren, wo es dann hieß, das könntest du doch machen, wie das immer so geht« (Dieter, Z. 19-21), bzw. »mit zunehmendem Alter haben wir natürlich auch ältere Gruppen betreut und da so eine gewisse Leitungsfunktion übernommen, das entwickelt sich eigentlich ganz automatisch, so, nicht? Also selbst wenn man das gar nicht, vielleicht gar nicht wollte, das ging gar nicht anders, nicht? Da konnte man sich nicht vor drücken, das muss man einfach übernehmen« (Dieter, Z 499-504). Das Zustandekommen des politischen Engagements wird vom loyal-vorgabenorientierten Typ zumeist als ein automatisch verlaufender Prozess präsentiert, indem das erzählte Selbst die angetragenen Aufgaben und Funktionen fast schon alternativlos übernimmt: »Dann kamen die Genossen hier in AStadt auf mich zu und sachten, willst du nicht Kreisvorstand und, naja, hab ich gesagt, will ich nicht, ich mach meine Arbeit in der Parteigruppe, aber dann hat sich das, ne? Ja und dann war ich aufgrund der Personalsituation auf einmal wieder Kreissprecher in A-Stadt« (Rainer, Z. 277-280). Symptomatisch – wenn auch nicht typisch – für die loyal-vorgabenorientierten Mitverantwortlichkeit ist neben der kommunizierten Fremdinitiative beim Zustandekommen ihres Engagements auch die Ausführung vorgegebener Aufgaben und Funktionen. Statt eigene Ambitionen im Engagement hervorzuheben, betonen sie eher die Erledigung von Aktivitäten nach festen Handlungsanweisungen: »Man muss ja das vertreten, wo man herkommt« (Dieter, Z. 234). Die Notwendigkeit zur Verantwortungsübernahme speist sich bei den loyal-vorgabenorientierten Fällen dabei primär aus dem Engagementbedarf der politischen Organisationen und Zusammenhänge, denen die Befragten selbstverständlich nachkommen. Das zeigt sich nicht nur darin, dass es in den Erzählungen stets die jeweiligen Gruppenvertreter_innen sind, denen die Initiative beim Zustandekommen des eigenen Engagements und bei der Bestimmung der Aufgaben zugerechnet wird. Auch wird der eigene Beitrag von den Befragten selbst mit dem Bedarf der Gruppe nach freiwillig Aktiven begründet: »Im Grunde genommen, wie ich dann arbeitslos wurde, beziehungsweise die Rente bekam, lagen alle auf der Lauer, das A-Städter Friedensforum lag auf der Lauer, die Arbeitsloseninitiative, wo ich aktiv war, lag auf der Lauer, der Antifa-Verein hier in Düsseldorf lag auf der Lauer, die brauchten ja alte Leute, die n bisschen aktiv waren« (Rainer, Z. 521-525). 21 | Die Erzählungen weisen eine gewisse Ähnlichkeit mit dem aus der Narrationsanalyse bekannten institutionellen Ablaufmuster auf, doch sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es in der Interviewanalyse nicht um die Identifikation von Handlungsmustern geht und die Erzählung nicht als Repräsentation erinnerter Wirklichkeit verstanden werden darf.
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War man während der Erwerbsphase aufgrund der beruflichen Tätigkeit von der Pflicht zum freiwilligen Engagement in den jeweiligen Organisationen auch moralisch weitgehend befreit, wird mit der Entberuflichung ein Wandel deutlich. So ist es bei den meisten Befragten dieses Typus gerade der Übergang in den Ruhestand, der mit einer Wiederverpflichtung zum freiwilligen Engagement verknüpft wird. Die Initiative für das Zustandekommen des eigenen Ruhestandsengagements wird dabei in der Regel den Mitgliedern der WirZusammenhänge zugeschrieben: Diese würden die eigene Entberuflichung als eine legitime Chance verstehen, einen selbst für die gruppenspezifischen Bedarfslagen in Dienst zu nehmen. Weil man selber diese Zumutungen als legitim erachtet und aufgrund des Ausscheidens aus dem Beruf bei sich selbst zeitliche Kapazitäten identifiziert, kommt man – so das narrative Muster – den Engagementaufforderungen nach. Vor dem Hintergrund der persönlichen Zugehörigkeit zum entsprechenden Wir-Zusammenhang und der verbundenen kollektiven Verantwortung wird das eigene Engagement mit dem aktuellen Engagementbedarf der Kollektive verknüpft: »Das Schlimme ist natürlich, muss man ja auch konstatieren, dass die linke Bewegung nicht stärker geworden ist, sondern schwächer geworden ist und das immer weniger Leute immer mehr bewegen müssen« (Rainer, Z. 670-673). Die dritte Lebensphase wird dabei keinesfalls selbstverständlich als eine aktive und im Sinne des Gemeinwohls zu nutzende Lebensphase verstanden. Vielmehr gehen die meisten Befragten von einer passiven und von Muße geprägten Ruhestandsnormalität aus. Diese dient in einigen als Leitbild der eigenen Lebenspraxis, häufiger aber als angenommene Ruhestandsnormalität der anderen, von der man sich durch die eigenen Aktivitäten umso schillernder abheben kann. Aber selbst im Falle eines gewünschten wohlverdienten Ruhestandes als ›Selbst-Zeit‹ bleiben die Verantwortlichkeiten gegenüber den Wir-Zusammenhängen bestehen: »Wenn die mich mal brauchen, sollen sie gerne kommen, aber ansonsten geh ich jetzt mal wieder mehr ins Theater« (Dieter, Z. 1024-1025). Im Gegensatz zum folgenden Typus der moralisch-reziprozitätsorientierten Mitverantwortlichkeit verstehen die hier versammelten Interviewten ihr Engagement im Ruhestand nicht als Rückgabe oder Gegengabe für Privilegien oder in früheren Zeiten erhaltene Leistungen, sondern als – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – selbstverständlichen Beitrag zu einer gemeinsamen Sache. Die Verantwortung gegenüber den Wir-Zusammenhängen ist somit an dem gegenwärtigen Engagementbedarf der Gruppe gekoppelt und besitzt dadurch einen starken Gegenwartsbezug. Außerdem deutet in den Interviews wenig darauf hin, dass diese Verantwortung ab einem gewissen Quantum erschöpft wäre, man also genug geleistet hätte. Was die Bezugsrahmen der Mitverantwortlichkeit angeht, beziehen sich die loyal-vorgabenorientierten Typen in diesem Sample fast ausschließlich
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auf konkrete Wir-Zusammenhänge. Sie kommunizieren ihre Verantwortung gegenüber spezifischen politischen Vereinen, Gruppen oder Organisationen, in denen sie in der Regel seit längerer Zeit Mitglied sind und zu denen sie im Rahmen ihrer biografischen Erzählung ein enges Verhältnis herstellen. Abstrakte Verantwortungsbezüge wie beispielsweise gegenüber der Gesellschaft werden zwar nach Vorlage des Auszugs aus dem Altenbericht bedient, aber in den Engagementgeschichten selbst kaum hergestellt. Was lässt sich zur Soziotypik sagen? Der Typus der loyal-vorgabenorientierten Mitverantwortlichkeit findet sich im Sample ausschließlich bei Personen mit niedrigen und mittleren Bildungsabschlüssen. Er ist tendenziell männlich und moderiert seine politische Selbsterzählung über ein eher enges, instrumentelles und/oder zivilgesellschaftliches Politikverständnis. Eine lebensweltlich-ubiquitäres Ebene der Alltagspolitik wird zumindest im Rahmen der politischen Biografie selten gestreift. Die Befragten des loyal-vorgabenorientierten Typs betonen nicht nur narrativ ihre Zugehörigkeit zu den Organisationen, sondern gehören ihnen auch formal an. Die Mitgliedschaft dauert in der Regel schon mehrere Jahr(zehnt)e an und beinhaltet zudem die Übernahme von konkreten Funktionen und Ämtern innerhalb der Organisationen.
5.5.2 Moralisch-reziprozitätsorientierte Mitverantwortlichkeit Ähnlich wie im Fall der loyal-vorgabenorientierten Mitverantwortlichkeit spielt die Zugehörigkeit zu Wir-Zusammenhängen auch bei diesem Typ eine wichtige Rolle, ist aber für das Zustandekommen des politischen Engagements nicht alleine konstitutiv. Zentral ist vielmehr, dass sich die Befragten der moralisch-reziprozitätsorientierten Mitverantwortlichkeit nicht nur als einfache Mitglieder entsprechender Wir-Zusammenhänge verstehen, sondern sich aus unterschiedlichen Gründen von ihnen unterscheiden. So interpretieren sie ihr politisches Engagement zwar ebenfalls als Ausdruck einer mitverantwortlichen Subjektivität für überpersönliche Zusammenhänge, doch fühlen sie sich aufgrund der eigenen Sonderstellung in besonderer Weise aufgefordert, einen Beitrag zu leisten: »Es gibt viele auf der Welt, den geht es dreckiger als dir […] ich würd mich unglücklich fühlen, wenn ich wüsste, ich kann helfen und würde es nicht tun, ich käme mir dreckig vor« (Klaus, Z. 174-178). Dass die Interviewten das eigene Engagement im Kontext der Weltgesellschaft betrachten, ist dabei eher die Ausnahme. In der Regel werden in den Interviews Bezüge zu konkreten oder imaginären Wir-Zusammenhängen hergestellt, die von der Zugehörigkeit zu konkreten Vereinen bis hin zur Identifikation mit bestimmten sozialen Bewegungen reichen (aber auch vor dem Hintergrund der Marxschen Theorie als Teil der Arbeiter_innenklasse). Zugehörigkeit spielt in den Selbsterzählungen ebenfalls eine wichtige Rolle, wird aber weniger als ›natürliche‹ Gegebenheiten verhandelt, sondern taucht eher
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als bewusste Selbstwahl auf. Das äußert sich beispielsweise darin, dass die passive Eingangsfrage nach dem Zustandekommen des Engagements zurückgewiesen wird (»das ist nicht dazu gekommen«, Klaus, Z. 6) und die Politisierung als eine aktive Aneignungsgeschichte erzählt wird. Auch wird der Eintritt in die politischen Zusammenhänge begründet und die eigene Initiative beim Eintritt in die Kollektive akzentuiert. Man wechselt dann vom katholischen zum sozialistischen Jugendverband »nicht aus Verärgerung, sondern aus politischen Gründen« (Friedrich, Z. 34-35). Analog zur loyal-vorgabenorientierten Mitverantwortlichkeit wird die Identifikation mit den Wir-Zusammenhängen auch von den Befragten dieses Typs über die gesamte biografische Spanne immer wieder hervorgehoben: »Da muss man sich schon zu bekennen, was man ist« (Friedrich, Z. 280). Gleichzeitig ist das Bekenntnis zur Eigengruppe deutlich weniger ausgeprägt und insgesamt kritischer. Statt die eigene Engagementgeschichte in der Gruppengeschichte aufgehen zu lassen oder sich mit den politischen Zusammenhängen bedingungslos solidarisch zu zeigen, wird die eigene Positionierung in Abgrenzung zur Gruppenmeinung deutlich gemacht: »Ich konnte immer entscheiden, an welchen Petitionen oder Veranstaltungen ich teilnehmen konnte oder nicht« (Klaus, Z. 85-86), bzw. »immer versuch ich unabhängig zu sein« (ebd.: 94-95) oder: »man hat immer Zweckbündnisse gemacht« (ebd.: 88).22 So sehr man sich einerseits auch mit den jeweiligen politischen Zusammenhängen solidarisiert, so ist man andererseits darauf bedacht, sich nicht vereinnahmen zu lassen. Selbst Georg, der zunächst von seiner öffentlich bekundeten Solidarität mit einem Kommunisten erzählt, macht anschließend die eigene Position stark: »An den und den Punkten haben die Recht, das bedeutet aber noch lange nicht, dass ich nicht kritisch an den Punkten war, wo sie nicht Recht hatten, das war eine ganz eindeutige Unterscheidung« (Georg, Z. 249-252). Mitgliedschaften in Organisationen werden folglich nicht zwangsläufig als Übernahme der inhaltlichen Position verstanden. So präsentiert Heinz seinen Eintritt in die Arbeiterpartei beispielsweise als eine »taktische Mitgliedschaft« (Heinz, Z. 337): »Bin da einfach mal rein gegangen und hab mir gedacht, wirst ja nicht dümmer, guckst dir das mal an, aber ich hab sie wirklich nie gewählt« (ebd.: 333-335). Diese auf den ersten Blick ambivalente Haltung der Befragten zur jeweiligen Wir-Gruppe lässt sich möglicherweise durch das Selbstverständnis im Bezug zur Gruppe erklären. So ermöglicht gerade die ausgeprägte Kommunikation der Gruppenzugehörigkeit bei gleichzeitiger inhaltlicher Distanzierung von der Gruppenposition die eigene Distinktion. Die Fälle der moralisch-reziprozitätsorientierte Mitverantwortlichkeit verstehen sich nämlich nicht wie 22 | Auch Friedrich betont, dass er sich trotz Funktionsverbot und erheblichen Meinungsverschiedenheiten mit der Parteiführung weiter engagiert hat und die eigene Position auch gegen die Parteilinie vertreten hat (Friedrich, Z. 83-87).
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die loyal-vorgabenorientierten Typen als ›Gleiche unter Gleichen‹, sondern reflektieren durchaus die eigenen Kompetenzen und Privilegien, selbst wenn sie diese performativ zu negieren versuchen: »Ich komm nicht mit dem großen Wissen und will das irgendjemandem jetzt missionarisch, in Anführungszeichen dann vermitteln, sondern ich komm mit offenen Ohren […] sodass da irgendwo die Chemie stimmt zwischen den einfachen, in Anführungszeichen, den einfachen Leuten in C-Stadt und dem Pfarrer, der da kommt aus einer gebildeten Schicht« (Georg, Z. 118-125).23 Im Gegensatz zu den angeleitet-pflichtbewussten Typen, die ihr Engagement in erster Linie auf ihre Zugehörigkeit zu den Kollektiven und dem Engagementbedarf dieser Wir-Zusammenhänge zurückführen, steht für die Interviewten dieses Typs die moralische Verantwortung gegenüber den Benachteiligten oder weniger privilegierten Mitgliedern der Wir-Zusammenhängen im Vordergrund. Gerade weil man, in welcher Weise auch immer, gegenüber der Eigengruppe privilegiert ist, sieht man sich in der Pflicht zur Gegengabe: »Wir [Lehrer] sind schon eine privilegierte Gruppe in der Gesellschaft und das muss man einfach sehen und deswegen meine ich, ist es unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, viel davon wieder zurückzugeben« (Klaus, Z. 428431). Klaus bezieht sich dabei auf ein angenommenes Reziprozitätsverhältnis zwischen sich selbst und dem Kollektiv, indem er bisher der Nehmende war. Dieses Ungleichgewicht wieder auszubalancieren sei daher seine moralische Pflicht. Die im Laufe der Biografie erfahrenen Vorteile und Wohltaten werden bisweilen als eine Art moralische Hypothek interpretiert, die man in Form des politischen Engagements zurückzahlen möchte: »Für andere Menschen da sein, auch das wiederzugeben, was andere Menschen mir auch gegeben haben, das ist auch ein Stück Politik und Verantwortung« (Friedrich, Z. 857-859). Ähnlich begründet auch Georg sein politisches Engagement »als ein Engagement für Menschen, die Hilfe suchen und das geht oft nur strukturell […] das politische Element war immer die strukturellen Ursachen dieses Leidens der Menschen zu benennen, offen zu benennen und auch zu bekämpfen« (Georg, Z. 560-568). Georg konstituiert sich dabei als ein Helfender, der sich den Problemen der Hilfsbedürftigen widmet und sich für diejenigen einsetzt, »die immer die Opfer gewesen sind« (Georg, Z. 66). Während das Ausmaß der Verantwortungsübernahme bei den angeleitetpflichtbewussten Typen tendenziell keine Grenzen kennt und vom Engage23 | Die Heraushebung aus der Gruppe kann dabei auf sehr unterschiedliche Kriterien zurückgeführt werden, wie beispielsweise Bildung, Einkommen, Erfahrung aber auch persönliche Einstellungen oder Eigenschaften, mit denen man sich von Gleichgesinnte absetzt: »Ich hab oft gehadert mit Leuten, die nicht so konsequent waren wie ich« (Heinz, Z. 13-14).
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mentbedarf der konkreten Wir-Gruppen abhängt, steht hier das Geben-Nehmen-Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft im Vordergrund. Das Idealbild einer ausgeglichenen Leistungsbilanz im Hinterkopf weist man dann beispielsweise darauf hin, dass man seine Schuldigkeit getan hätte: »Das reicht auch, bin ja schon seit den siebziger Jahren im Vorstand gewesen und jetzt schon wieder und so weiter, hab ich gesagt, nee, jetzt reicht das, so, sollen das mal andere, neue Leute machen« (Friedrich, Z. 807-809). Das Ausmaß der Verantwortung ist dadurch zumindest theoretisch begrenzt, steht es doch im Verhältnis zur subjektiv eingeschätzten Privilegierung gegenüber den Wir-Zusammenhängen. Die moralische Pflicht zum Engagement zeigt sich insbesondere in den Erzählungen von der nachberuflichen Phase, in der man aufgrund der beruflichen Entpflichtung besonders in der Verantwortung sei: »Mein Ruhestand ist eine neue Phase des Lebens, da kann man wieder was zurückgeben, an den positiven Teil unserer Gesellschaft und der positive Teil unserer Gesellschaft, das ist immer der arbeitende Teil« (Klaus, Z. 708-710). Im Gegensatz zu dem angeleitet-pflichtbewussten Typ, bei dem die angetragenen Pflichten selbstverständlich erfüllt werden, sehen sich die moralisch-reziprozitätsorientierten Fälle in der Pflicht, selbst aktiv zu werden. So hat sich beispielsweise das nachberufliche Engagement nicht ›so ergeben‹, sondern ist bewusst und eigeninitiativ angestrebt worden: »Ich hatte meine Aufgaben, noch trotzdem darüber hinaus, hab die noch erweitert« (Georg, Z. 499-500). Rahmen die loyal-angeleiteten Fälle das Zustandekommen ihres Engagements primär als Reaktion auf die Initiative Dritter, wird im Fall der moralisch-reziprozitätsorientierten Mitverantwortlichkeit die eigene Initiative akzentuiert: »Ich bin dann auch kurz nach meiner Pensionierung, da in den Vorstand gegangen« (Georg, Z. 506-507). Dabei knüpft man zumeist in bekannten politischen Kontexten an vertraute Themen an, die man schließlich erweitert. Zentral ist dabei nicht die Suche nach Neuem oder die persönliche Weiterentwicklung, sondern die extensivierte (Gegen-)Leistung. Insofern ist die Nutzung der eigenen Privilegien und Kompetenzen in der dritten Lebensphase nicht nur im eigenen Interesse, sondern auch gegenüber anderen moralisch geboten. Die gesammelte Lebenserfahrung ist dann im Ruhestand beispielsweise »eine total tolle Chance und eigentlich fast eine Pflicht, find ich, dann diese Zeit auch zu nutzen, das was man da gelernt hat, auch umzusetzen« (Heinz, Z. 750752). Zwar gesteht man anderen prinzipiell auch das Recht auf Faulheit oder Autoproduktivität zu (»wer das macht und meint, er müsste das machen, der soll es machen«, Klaus, Z. 707-708). Tendenziell wird aber das gesellschaftliche Engagement insbesondere in der dritten Lebens als etwas Wünschenswertes erachtet: »Es ist doch schade, wenn Leute ihre Zeit vertun und nach irgendwelchen Betätigungen suchen und nicht die Möglichkeit, innerlich und äußerlich finden, sich gesellschaftlich irgendwo einzubringen« (Heinz, Z. 757-759).
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Obwohl der Dienst für andere einerseits auch im eigenen Interesse liegt und die Befragten ihren persönlichen Nutzen reflektieren, fällt die Sorge um die Wir-Zusammenhänge nicht gänzlich mit der Sorge um sich selbst zusammen. Die Mitverantwortlichkeit wird in den Interviews als eine Form der moralischen Selbstverpflichtung gerahmt, die zwar selbst gewählt und eigeninitiativ angestrebt wird, die aber trotz allem den Charakter der Pflicht nicht vollständig verliert. Der ambivalente Doppelcharakter des Engagements zwischen Wollen und Müssen ist bei dem aktiv-moralischen Typus am ausgeprägtesten und wird selten so greif bar wie in der folgenden Sequenz: »Ich hab wirklich zu tun, sodass man manchmal von Freizeitstress reden kann, ja? [(lacht)] Aber, da muss man immer bei sagen, ich mach mir den Stress selber und es ist im Grunde kein Stress, Stress ist eigentlich definiert das man wahrscheinlich von außen die Verpflichtungen aufgebürdet bekommt und Erwartungshaltungen auf dich nieder regnen, die du nicht erfüllen kannst, nicht erfüllen willst, ich will das ja alles« (Klaus, Z. 544-549). 24
Die Befragten reflektieren dabei zum Teil die an sie gerichteten Erwartungen und bewerten sie als legitim; selbst wenn sie ihnen nicht entsprechen können. Das äußert sich dann beispielsweise darin, dass die Folgen der gescheiterten Erwartungserfüllung sich selbst zugerechnet und als persönliche Verfehlung interpretiert werden: »Man hat immer so ein bisschen schlechtes Gewissen, da sind welche, die machen eine Aktion, dann müsst ich eigentlich hin« (Frank, Z. 1174-1175). Insofern gibt der Typus der moralisch-reziprozitätsorientierten Mitverantwortlichkeit vage, aber aus theoretischer Perspektive naheliegende, Hinweise auf überfordernde Verantwortungsanrufungen. Was die Soziotypik betrifft, ist der Typus der moralisch-reziprozitätsorientierten Mitverantwortlichkeit fast ausschließlich männlich und verfügt über einen akademischen Bildungsabschluss. Obwohl das Einkommen nicht abgefragt wurde, geben die Berufspositionen der Befragten Anlass zu der Annah24 | Häufiger findet sich das Muster einer selbstgewählten Tätigkeit, die zugleich von (vermeintlich) äußeren Zwängen okkupiert wird: »Dann ergab sich noch zufälligerweise, das, das hier in B-Stadt die Roma dann eine Dauerdemo machten, über viele Monate und da hab ich mich dann auch so einfach so interessiert gezeigt, bin mal mit hingegangen, dann haben wir eine Solidaritätsgruppe gegründet, das wurde auch wieder immer mehr und das war dann hinterher eine ziemlich wichtige und aufreibende und schwere Arbeit, weil nämlich dann, als es also als es dann zum Schluss ging, Frost kam und dieses Dauercamp, die Dauerdemo nicht mehr stattfinden konnte, dann standen auf einmal dreißig Leute da, die inzwischen sogenannte Illegale waren, die mussten irgendwo bleiben, da konnten wir nicht sagen, hier, Staat, sorg du mal dafür, dann wurden sie abgeschoben« (Georg, Z. 507-516).
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me, dass sie auch in dieser Hinsicht privilegiert sind. In den Interviews drückt sich diese Sonderstellung insofern aus, als dass sich die Befragten auch gegenüber ihrem konkreten Umfeld als ausgesprochen privilegiert wahrnehmen und daraus eine besondere Verantwortung ableiten. Allerdings reflektieren sie in den meisten Fällen ihre eigenen Privilegien und weisen von sich aus darauf hin, dass eine nachberufliche Verantwortungsübernahme weder für alle Menschen möglich noch erstrebenswert ist, bzw. sein sollte. Ähnlich der loyalvorgabenorientierten Mitverantwortlichkeit gehören auch die Befragten dieses Typs häufig formal und über einen längeren Zeitraum den jeweiligen Organisationen an und besetzen oft Leitungsfunktionen. Stärker als die Befragten des loyal-vorgabenorientierten Typs wird dabei zudem die Selbstwirksamkeit des eigenen politischen Handelns betont.
5.5.3 Autonom-gestaltungsorientierte Mitverantwortlichkeit Die autonom-gestaltungsorientierte Mitverantwortlichkeit bildet den dritten Typus im Material und steht der loyal-vorgabenorientierten Mitverantwortlichkeit maximal kontrastierend gegenüber. Gründet sich das politische Engagement dort in hohem Maße auf der Zugehörigkeit zu konkreten Wir-Zusammenhängen und den damit verbundenen Verantwortlichkeiten, spielen spezifische Gruppenzugehörigkeiten bei den Befragten dieses Typs eine eher untergeordnete Rolle. Zwar sind auch sie als Rentner_innen in häufig mehreren politischen Zusammenhängen oder Projekten engagiert, leiten aber aus der jeweiligen Zugehörigkeit keine moralische Verantwortung zum politischen Engagement ab. Eher im Gegenteil fungieren die konkreten politischen Zusammenhänge als Gelegenheiten oder Mittel, um eigene, ›intrinsische‹ Ambitionen zu verwirklichen: »Wenn ich nicht in eine Partei gehen will, wie kann ich dann trotzdem Aktivitäten entwickeln, mit anderen zusammen, die diesen ganzen Misthaufen (lacht) der uns umgibt, ein bisschen durchrinnt? Und dann ist mir die politische Gruppe eingefallen« (Monika, Z. 621-624). Die autonom-selbstbezogenen Fälle betonen dabei sowohl inhaltlich als auch in der Form die eigenen Ansprüche, die sie in ihrem politischen Engagement verwirklichen wollen. Sie geben in ihren Selbsterzählungen zahlreiche Hinweise darauf, welche eigentlichen politischen Ziele sie in den jeweiligen Gruppen und Zusammenhängen verfolgen: »Was können wir tun, um so eine Zeit [Nazizeit, Anm.: Schwabe] zu verhindern, das ist also wirklich eines meiner wichtigsten Anliegen gewesen« (Julia, Z. 746-747). Auf diese Weise konstruieren die Interviewten selbst einen ›roten Faden‹ ihrer Engagementgeschichte, der die verschiedenen Tätigkeiten miteinander zu einem geschlossenen Lebensprojekt verbindet. Die Zugehörigkeit zu konkreten Gruppen nimmt in dieser Erzählung eher den Charakter von Zwischenetappen oder Baustei-
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nen ein, die bei der Verfolgung der eigenen politischen Ziele hilfreich sind. So begründet beispielsweise Carsten sein Engagement in einer basisdemokratischen politischen Gruppe mit den Vorteilen für seine Tätigkeit als Bildungsarbeiter: »Das ist insofern interessant, weil das könnte man mit der Bildungsarbeit verbinden« (Carsten, Z. 668-669), bzw. »das sind Sachen, die ich in der Gewerkschaftsarbeit gebrauchen konnte« (ebd.: 648). Noch deutlicher als im Fall der moralisch-reziprozitätsorientierten Mitverantwortlichkeit betonen die Befragten dieses Typus die eigene Position und Eigenständigkeit auch in Gruppenkontexten: »Das ist so wertvoll, dass der Mensch nicht nur wie eine Marionette so geführt wird oder einfach hinter Strömungen her trottet, das find ich ganz wichtig« (Monika, Z. 764-766). Entsprechend häufig spielen Fragen der politischen Positionierung eine zentrale Rolle in den Selbsterzählungen und werden zuweilen gar als Hauptelement des Engagements akzentuiert. »Das mitzukriegen, mit dem auseinanderzusetzen und dort auch wieder selbst zu gucken, was ist jetzt meine Position« (Carsten, Z. 632-634). In einer anderen Form wird die eigene Positionierung hervorgehoben, indem man sich bewusst von der Gruppenposition abgrenzt, Regelverletzungen betont oder das eigene Engagement sogar allgemein als ein ›Gegen-den-Strom-schwimmen‹ versteht und den Selbstwert von Widerständigkeit akzentuiert. Politisches Engagement bedeutet demnach nicht die Erfüllung angetragener Aufgaben nach festgelegten Vorgaben, sondern ist aufs Engste mit eigenen Gestaltungsansprüchen und einem hohem Selbstbezug verknüpft. »Es macht auch Spaß, es ist was Lebendiges im politischen Raum, im sozialen und politischen Raum, also Mitmenschliches im wahrsten Sinne des Wortes, Dinge zu gestalten und zu versuchen, ja, im Kontakt mit anderen Menschen, die Dinge zu betreiben, die wir oder die ich für sinnvoll halte« (Elena, Z. 553-556). Das Engagement wird nicht als Last, Großzügigkeit oder moralische Pflicht gerahmt, sondern als Selbst-Projekt: »Jetzt mach ich das mal, wo ich das Gefühl, das ist jetzt eine Sache, die ist spannend, so und die wird mir was bringen und dann mach ich das« (Carsten, Z. 974-975). Bei diesem Typ zeigt sich am deutlichsten das Zusammenfallen von Selbstbezug und Fremdbezug im politischen Engagement, wird die Sorge um die Gesellschaft doch zugleich positiv als Sinnstiftungsprojekt gerahmt. Dementsprechend ausgeprägt verweisen die autonom-selbstbezogenen Typen auf die Chancen des politischen Engagements hinsichtlich ihrer persönlichen Entwicklung. Sowohl in der Tätigkeit als auch insgesamt messen sie Bildung, persönlichem Wachstum, Reifung und Persönlichkeitsentwicklung eine hohe Bedeutung zu.25 Die Einarbeitung in neue (politische) Fragestellun25 | In Anlehnung an die Studie zu Identitätsentwicklung im Alter von Stefanie Graefe verfolgen sie mehrheitlich ein »wandlungsfähiges (Alters-)Selbst-Konzept« (Graefe 2013: 28ff.).
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gen und die Aneignung von Wissen wird – allen damit verbundenen Mühen und Schwierigkeiten zum Trotz – als Herausforderung und Entwicklungschance verstanden: »Also für mich war das auch eine Möglichkeit, selber zu lernen und das Gelernte irgendwie weiter zu geben« (Imke, Z. 727-728). Das politische Engagement fungiert somit als »Lernfeld« (Carsten, Z.631) und Möglichkeit, »sich selber weiter zu entwickeln, auch inhaltlich« (Carsten, Z. 647). Stärker als bei den beiden anderen Typen ist das politische Engagement mit eigenen Gestaltungsansprüchen konfrontiert, was sich insbesondere beim Zustandekommen des Ruhestandsengagements zeigt. Nach dem Ausscheiden aus dem Beruf, der retrospektiv eher als Engagementhürde und Hindernis der eigenen Bedürfnisrealisierung interpretiert wird, gilt das politische Engagement zumeist als eine Form der nachholenden Selbstverwirklichung: »Da wollt ich dann das Basispolitische einlösen« (Carsten, Z. 545), »ich hab in Sachen Bildungsarbeit das [gemacht], was ich schon immer wollte« (Carsten, Z. 560-561) oder »es bedeutet auch so viele Dinge tun zu können, die ich früher nicht tun konnte« (Monika, Z. 822). Das Zustandekommen des Ruhestandsengagements wird in diesen Fällen auch nicht als ein fremdinitiierter Prozess präsentiert oder eine naheliegende Fortsetzung von Früherem. Es ist vielmehr das Resultat proaktiven Verhaltens und eigener Investitionen. Die Frage »Was könntest du jetzt tun?« (Monika, 608-609) wird mit Verweis auf die Eigeninitiative beantwortet: »Dann hat ich die Idee« (Julia, Z. 564), »dann bin ich da hin« (Monika, Z. 646-647), bzw. »bin ich da rangegangen« (Monika, Z. 627-628), »hab mich fortgebildet« (Carsten, Z. 564) und schließlich »so ein Projekt in Angriff genommen« (Monika, Z. 666-667). Wo das politische Engagement der ersten Gruppe primär als ein fremdinitiiertes Arrangement verhandelt wird, verstehen sich die autonom-gestaltungsorientierten Typen selbst als Initiator_innen ihrer Nacherwerbstätigkeiten. So sehr das politische Engagement im Ruhestand einerseits mit einem ausgeprägten Selbstbezug in Verbindung gebracht wird, so falsch wäre es aber andererseits, hierin einen Widerspruch oder einen Gegensatz zur Mitverantwortlichen Subjektivität zu sehen.26 Zwar stellen die Befragten ihr politisches Engagement selten in einen direkten Bezug zu einem konkreten Wir-Zusammenhang, identifizieren sich dafür aber umso stärker mit spezifischen politischen Themen und gesellschaftlichen Entwicklungen. »Ich möchte nach wir vor mit den Möglichkeiten, dir mir sind, ein bisschen etwas dazu tun, dass dieses Land ja, noch weiter offen wird und seinen demokratischen, europä26 | So weisen auch Köster/Schulz-Nieswandt auf die Vereinbarkeit von Selbstverwirklichungsmotiven und Gemeinwohlorientierung hin: »Selbstverwirklichung bleibt trotz und gerade durch die Akzentuierung der Selbstbestimmung in den partizipativen Aufgabenübernahmen ein Modus der Verantwortungswahrnehmung, der Sozialbindung und der Gemeinwohlorientierung« (Schulz-Nieswandt/Köstler 2011: 124f.).
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isch-orientierten Lebendigkeits-Inhalt, dass es den behält und ja da möchte ich auch noch was dazu tun« (Elena, Z. 716-720). Die Verknüpfung der politischen Selbsterzählung mit Gesellschaftsgeschichte ist bei diesem Typus insgesamt am ausgeprägtesten. So werden allgemeinpolitische Entwicklungen wie beispielsweise die Klimaerwärmung oder die Ökologiekrise als Ausgangspunkt für das eigene politische Engagement herangezogen oder allgemeinpolitische Ereignisse lösen »eine ganz persönliche Betroffenheit« (Elena, Z. 345) aus. Als ein zentraler Referenzpunkt fungiert fast in allen Interviews der Nationalsozialismus und die Shoah, woraus eine persönliche Verantwortung für die Gesellschaft abgeleitet wird: »Was eigentlich für mich so sehr früh ein wichtiges Anliegen war, nie wieder soll sowas wie die Nazizeit bei uns existieren« (Julia, Z. 732-733). Insofern dürfte das politische Engagement dieses Typus in hohem Maße auch mit den generationenspezifischen Erfahrungen zusammenhängen. Ein kommunitaristisch geprägtes Verantwortungsverhältnis der Einzelnen gegenüber der Gesellschaft verknüpft sich dabei mit einem ausgeprägten Selbstbezug in der Tätigkeit. Das Politische ist in diesen Erzählungen nicht etwas entferntes oder abstraktes, sondern ein allgegenwärtiger »Teil meines Lebens« (Imke, Z. 739-739): »Für mich bedeutet Politik politisch zu sein und das nicht den politischen Machern und Macherinnen zu überlassen, sondern das mit wachen Augen und kritischen Ohren zu begleiten, zu betrachten und gegebenenfalls zu intervenieren« (Julia, Z. 872-875). Insofern kommunizieren auch die Befragten dieses Typs eine Form der Mitverantwortlichen Subjektivität, die aber nicht aus dem gegenwärtigen Engagementbedarf anderer oder den im Laufe des Lebens erworbenen Privilegien abgeleitet wird, sondern primär mit Wunsch nach Zukunftsgestaltung begründet wird. Sowohl hinsichtlich der persönlichen als auch der gesellschaftlichen Entwicklung begründet sich das politische Engagement dieses Typus in erster Linie aus einem Blick in eine Zukunft, die gestaltbar ist und zu der man mit dem Gegenwartshandeln etwas wichtiges beitragen kann: »[Ich] kann dann Dinge einbringen oder Dinge sehen, Dinge spüren, glaub ich und das ist sonne Aufgabe, die dann auch da so einzubringen« (Carsten, Z. 781-782). Das politische Engagement wird dabei als Investition in die Zukunft verstanden. Was die Soziotypik angeht, ist die autonom-gestaltungsorientierte Mitverantwortlichkeit eher weiblich. Sie wird primär von Frauen artikuliert und selbst der diesem Typus zuzuordnende Mann reflektiert seine Geschlechterrolle. Alle verfügen über akademische Bildungsabschlüsse und waren in ihrer Erwerbsbiografie zumindest teilweise im Bildungsbereich tätig. Insofern ist es wenig überraschend, dass sie allesamt in ihrer politischen Selbsterzählung von sich aus auf eine Ebene der Alltagspolitik rekurrieren und zum Teil sogar das eigene Geworden-Sein als politischen Prozess verstehen ist. Sie betonen zu-
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dem die verheißungsvollen Chancen von autoproduktiven Tätigkeiten in den Feldern Kunst, Bildung und Spiritualität und sehen auch im politischen Engagement eine Möglichkeit für persönliches Wachstum, Weiterentwicklung und ›Selbstverwirklichung‹. Im Gegensatz zu den anderen beiden Typen sind die Autonom-Gestaltungsorientierten häufig in unterschiedlichen politischen Organisationen tätig und ihnen eher lose verbunden. Statt als gewählte Amtsinhaber_innen vorgegebene Aufgaben zu übernehmen, spielen temporär begrenzte und inhaltlich heterogene Projekttätigkeiten eine bedeutende Rolle. Oft engagieren sie sich in eher lose organisierten Initiativen und Netzwerken. Loyal-vorgaben-
Moralisch-reziprozi- Autonom-gestal-
Engagement be-
orientiert tätsorientiert (Gruppen-) Zugehö- Eigene Privilegien
tungsorientiert Persönliche Ent-
gründet sich durch
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sich dar als Modus der Ver-
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Von subjektiver
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abhängig Rückzahlung frü-
Tätigkeit abhängig Investition in die
Eigeninitiative
wärtiger (Gruppen-) herer Privilegien
Zukunft
Erwartungen Schwach
Zum Teil
Stark
kommuniziert
kommuniziert
kommuniziert
Tabelle 1: Ausprägungen der Mitverantwortlichen Subjektivität
5.6 T ypen der M it ver ant wortlichen S ubjek tivität – F allbezogene D arstellung 5.6.1 »Das muss man einfach übernehmen« – Dieter Fallbeschreibung Dieter ist 72 Jahre alt und lebt zusammen mit seiner Ehefrau am Rande einer Großstadt im Ruhrgebiet. Sein Vater war als aktiver Gewerkschafter in der Metallbranche tätig und ebenso wie die Mutter Mitglied in einer sozialdemokratischen Partei. Nach Ab-
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schluss der Schule beginnt Dieter im Alter von 16 Jahren eine Lehre in der Stadtverwaltung seines Heimatortes, die er nach drei Jahren erfolgreich beendet. Anschließend absolviert er eine einjährige Weiterbildung, wird Gewerkschaftsmitglied und nimmt unterschiedliche Funktionen im Personalrat der Stadt und in der Gewerkschaft wahr. Daraufhin verlässt er die Stadtverwaltung und übernimmt eine Stelle als Jugendbildungsreferent bei der Gewerkschaft, die er über 30 Jahre bekleidet. Darüber hinaus tritt Dieter in eine sozialdemokratische Partei ein, arbeitet in der Ortsgruppe mit und wird kommunalpolitisch tätig. Außerdem engagiert er sich in verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen. In diese Zeit zwischen dem 20. und 35. Lebensjahr fallen außerdem die Heirat und die Geburt der Tochter. Mit Mitte 40 wechselt Dieter auf den Posten des Gewerkschaftsvorsitzenden in einem anderen Kreis, wo er bis zur Verrentung tätig ist. Neben der Kerntätigkeit übernimmt er hier Funktionen im Verwaltungsausschuss der Stadt und beendet zugleich seine parteipolitische Arbeit im Kommunalparlament. Im Alter von 64 Jahren geht Dieter über eine Altersteilzeitregelung vorzeitig in Rente, führt aber seine Tätigkeiten im Verwaltungsausschuss bis zum Ende der Wahlperiode fort. Als Rentner ist Dieter unter anderem im Vorstand eines Gedenkstättenvereins aktiv, der sich für die Erinnerung an die NS-Verbrechen engagiert
Bezugsrahmen der Mitverantwortlichkeit Für Dieter steht sein Bürgerschaftliches Engagement in der Zivilgesellschaft primär im Kontext konkreter politischer Parteien und Vereine, zu denen er sich zugehörig zählt und in denen er in den meisten Fällen auch formal Mitglied ist. Neben seiner haupt- und ehrenamtlichen Tätigkeit in der Gewerkschaft und der ›sozialen Frage‹ dreht sich seine Engagementgeschichte primär um das Thema ›Antifaschismus‹ im Allgemeinen und ›Erinnerungspolitik‹ im Konkreten. Ausgehend von seinen Erfahrungen im Nachkriegsdeutschland und der kritischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus als Jugendlicher bildet das antifaschistische Engagement einen roten Faden seiner politischen Biografie. Das zeigt sich bereits an der Eingangssequenz des Interviews, wo er »das Glück [hatte], mit Leuten, Älteren zusammen zu treffen, die dann auch bewusster den Krieg erlebt haben […und die] sich zur Zielsetzung gesetzt [hatten], uns, die Jüngeren, aufzuklären über Faschismus, Nationalsozialismus und so weiter« (Dieter, Z. 14-16). Im weiteren Verlauf der biografischen Erzählung findet sich die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zunächst im Feld der gewerkschaftlichen Jugendbildungsarbeit: »Dann kam wieder irgendwann das Thema Nationalsozialismus sehr intensiv in der Bildungsarbeit« (Dieter, Z. 56-57). Er berichtet beispielsweise von den zahlreichen Seminaren und Ver-
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anstaltungen, die er selbst als Jugendbildungsreferent organisiert hat und betont dadurch, welche besondere Relevanz das Thema für ihn hat: »Immer wieder sehr intensiv über Faschismus, Drittes Reich und nicht nur was sich da ereignet hat, sondern auch Weimarer Republik, wie hat sich das entwickelt, warum war das überhaupt möglich und-und-und. Wir haben da sehr viele Seminare gemacht. In Gelbstadt gibt es eine Gedenkstätte, die errichtet wurde nach dem Krieg und die hat mich fasziniert und auch die ganze Geschichte darum. Es gab dort 200 Widerstandskämpfer, in Gelbstadt und französische Zwangsarbeiter, die wurden quasi, am letzten Tag des Krieges dort noch ermordet« (Dieter, Z. 92-99).
Diese thematische Fokussierung drückt sich in der politischen Selbsterzählung dadurch aus, dass Dieter immer wieder in detaillierte Erzählungen über die NS-Zeit und die Verbrechen der Nazis abgleitet und ich ihn im Interview mehrmals darum bitte, wieder von seinem eigenen Werdegang zu berichten. Im Fokus steht dabei sein Engagement gegen lokale Neonazi-Aufmärsche, die Mitgründung einer Gedenkstätte für die Opfer des Naziregimes sowie die Mitorganisation zahlreicher Gedenkveranstaltungen vor Ort. Abgerundet und abgeschlossen wird Dieters Eingangserzählung mit seinem gegenwärtigen Engagement als Vorsitzender des Fördervereins einer Gedenkstätte für die Opfer von NS-Verbrechen.
Typenbezogene Fallanalyse In Dieter Engagementgeschichte wird Politik in erster Linie als organisierte politische Tätigkeit in politischen Organisationen verstanden. Politisches Engagement wird in der Biografie primär dann thematisiert, wenn Dieter als offiziell gewählter Funktionär oder Amtsinhaber in diesen Organisationen aktiv ist, während ein Handeln jenseits dieser politischen Kollektive in der Engagementerzählung kaum vorkommt. Neben dem ehrenamtlichen Engagement in einer sozialdemokratischen Partei, sowie der ehren- und hauptamtlichen Gewerkschaftsarbeit findet politisches Engagement in der zivilgesellschaftlichen Vereinsarbeit statt, wobei die Tätigkeit in dem Gedenkstättenverein einen Schwerpunkt bildet. Eine zentrale Bedeutung spielt in Dieters politischer Selbsterzählung die Zugehörigkeit zu den entsprechenden Wir-Zusammenhängen, die häufig durch die formale Mitgliedschaft untermauert wird. Bereits auf die Eingangsfrage, wie es dazu gekommen ist, dass er sich politisch engagiert, antwortet Dieter mit Verweis auf seinen Eintritt in einen politischen Jugendverband: »Ich bin 1946 Mitglied der sozialistischen Jugendorganisation ›Die Blauhemden‹ geworden« (Dieter, Z. 7-11). Die Zugehörigkeit zu diesem sozialistischen Jugendverband eröffnet zu Beginn der Selbsterzählung einen narrativen Bezugsrahmen, der im weiteren
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Verlauf immer wieder Erwähnung findet. Obwohl Dieter nach Beginn der Erwerbsarbeit nicht mehr ehrenamtlich in diesem Verband tätig ist, bleibt die Zugehörigkeit weiterhin Thema. So betont er beispielsweise die nachhaltige Bedeutung der Gruppe für seine spätere Entwicklung (»diese Jahre bei den Blauhemden, die haben mich wirklich geprägt, auch für die Dinge, die ich in meinem späteren Leben wahrgenommen habe einschließlich der beruflichen Aufgabe«, Dieter, Z. 281-283) und die bis heute bestehende Zugehörigkeit zur Organisation (»einmal Blauhemd, immer Blauhemd, da habe ich mich dran gehalten«, Dieter, Z. 279-280). Der Hinweis darauf, nach wie vor seinen Beitrag zu bezahlen, dient als Ausweis anhaltender Verbundenheit (»zahl also nach wie vor meinen Beitrag und bin also dort Mitglied geblieben«, Dieter, Z. 280). Die Akzentuierung der Zugehörigkeit als relevante Dimension des eigenen politischen Engagements findet sich auch in Bezug auf die anderen Organisationen und bildet sich zudem sprachlich ab: Im Vergleich mit den anderen Verantwortungstypen spricht Dieter häufig in der Wir-Form, wenn er beispielsweise Ziele und Motive seines eigenen Handelns erklärt.27 Die ausgewiesenen Wir-Zusammenhänge fungieren in der Erzählung aber nicht nur als Bezugsrahmen des Engagements, sondern zugleich als dessen Voraussetzung. Das eigene politische Wirken ist narrativ stets mit den politischen Organisationen verbunden und findet als Inhaber von Funktionen und Ämtern statt: »Dann wurde ich Jugendvertreter bei der Stadtverwaltung, hatte ich schon gesagt und kam ich über diese Funktion dann auch mit den Gewerkschaften in Berührung. Ich war Mitglied der Gewerkschaft geworden, wurde dann sehr schnell Vorsitzender des Jugendausschusses der Gewerkschaft und gehörte dann auch dem Kreisvorstand an« (Dieter, Z. 45-49).
Dieter versteht sein politisches Engagement dabei tendenziell als ein amtsgebundenes Handeln, bei dem er durch die jeweiligen Organisationen gewissermaßen dazu befähigt und legitimiert wird. Das zeigt sich nicht nur daran, dass politisches Handeln außerhalb politischer Organisationen keine Rolle spielt. Außerdem statten ihn erst die entsprechenden Ämter mit den Kompetenzen aus, die für ein politisches Handeln notwendig sind. So erzählt Dieter beispielsweise von der Organisation einer Gedenkveranstaltung anlässlich der nationalsozialistischen Endphasenverbrechen. Die mit dem Amt verbundenen
27 | Zum Beispiel: »All das, was ich dann da so gemacht habe, insbesondere war das die Bildungsarbeit, die für uns sehr wichtig war« (Dieter, Z. 49-50) oder »Der Präsident spricht dann dieses Jahr auch dort, was wir sehr gut finden« (Dieter, Z. 140-141).
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Kompetenzen werden dabei als unterstützende Bedingung für sein politisches Engagement bedeutsam: »Mir war es immer wichtig, dass da viele, auch junge Leute hingegangen sind, das ist mir gelungen, durch meine Tätigkeit dann bei der Gewerkschaftsjugend, […] und da war das kein Thema, zu sagen, K-Freitag will ich euch da oben sehn, mit Fahnen und Wimpel, dass die Gewerkschaftsbewegung da sichtbar wird, das hat auch alles ganz gut funktioniert« (Dieter, Z. 118-123).
Besonders deutlich wird die enge Verknüpfung von politischem Engagement und organisationaler Zugehörigkeit in jenen Konstellationen, wo Dieter nicht mehr über entsprechende Ämter und Funktionen verfügt. Auf die Frage nach der Bedeutung von Politik im Ruhestand antwortet er beispielsweise, dass er am politischen Geschehen zwar »nach wie vor interessiert [ist]« (Dieter, Z. 911). »Nur ich hab jetzt keine Gelegenheit mehr, irgendwas zu tun, nicht? Wo ich was organisieren kann oder so, das ist natürlich nicht mehr, außer dass ich in den Ortsverein gehe und da mal meine Meinung sage, aber das erfahren die ja dann nicht in Berlin, nicht? Also da kann man zwar dann seinen Frust ablassen, aber das bringt ja dann auch nicht viel« (Dieter, Z. 911-915).
Ohne entsprechende Befähigungen und amtsgebundene Legitimationen durch die jeweiligen Organisationen scheint politisches Engagement für Dieter kaum denkbar. Im deutlichen Gegensatz zum Typus der moralisch-reziprozitätsorientierten Mitverantwortlichkeit reflektiert Dieter seine eigene Rolle in den Wir-Zusammenhängen als ›Gleicher und Gleichen‹. Statt eigene Kompetenzen oder Privilegien besonders herauszustellen, erwähnt er seine Bemühungen darum, bestehende und mögliche Heraushebungen der eigenen Person zu vermeiden, bzw. einzuebnen. Das kristallisiert sich beispielsweise in der folgenden Sequenz heraus, in der Dieter über seine Funktion im Gedenkstättenverein berichtet: »Sie war viele Jahre die Generalsekretärin, früher nannten sie das so, wir haben das jetzt wieder auf den Begriff ›Vorsitzender‹ zurückgeholt, weil ich das nicht mochte, dann wollten sie ›Präsident‹, dann habe ich gesagt Präsident will ich auch nicht sein, also Vorsitzender« (Dieter, Z. 131-134).
In der Rangfolge der drei Funktionsbezeichnungen drücken die Begriffe ›Generalsekretärin‹ und ›Präsident‹ für Dieter eine unverhältnismäßige Aufwertung der eigenen Person gegenüber den ›einfachen Mitgliedern‹ aus. Indem er die Funktionsbezeichnung auf den Begriff ›Vorsitzender‹ zurückholt, hält er
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den eigenen Sonderstatus innerhalb des Wir-Zusammenhangs so gering wie möglich. Obwohl er als Vorsitzender in verschiedenen ehrenamtlichen Organisationen tätig war und als Gewerkschaftsvorsitzender auch beruflich eine Führungsrolle eingenommen hat, versteht er sich im krassen Gegensatz dazu als eine Person, die »nie der Meinung war, jetzt muss ich da ganz oben mitmischen« (Dieter, Z. 880-881): »Ich wollte vor Ort bleiben und mit den Menschen arbeiten, die ich kannte und mit denen ich hier was aufgebaut habe und nicht plötzlich irgendwie oben, weil das toll ist, die und die Funktion zu haben. Das war politisch genauso, also es gibt ja so den Ortsverbandsvorstand, dann Unterbezirksvorstand und so, da war auch mal die Idee, ja, du müsstest nach oben, ja? Das fehlt mir noch, mach ich nicht, will ich nicht. Ortsverein ok, das ist wieder unten im Ort, wo man lebt, wo man wohnt, mit den Leuten, die man kennt, das hat mir Spaß gemacht, aber weiter? Nee, das wollte ich immer nicht« (Dieter, Z. 896-903).
Die Zugehörigkeit zu den Menschen, die man kennt und mit denen man arbeitet, wird dabei fast bekenntnishaft unterstrichen, während mögliche Aufstiege in den Hierarchien der Organisationen nicht zu ihm passen. Vielmehr versteht sich Dieter als ein gleichwertiges Mitglied der Wir-Zusammenhänge, dessen Verantwortungsübernahme eher einen ›Dienst am Gemeinsamen‹ darstellt. Charakteristisch für den Dienst- und Pflichtcharakter des Engagements ist die hohe Umfeldbezogenheit der Tätigkeit. So versteht Dieter seine Aktivitäten primär als Reaktion auf äußere Vorgaben, Erwartungen und Bedarfslagen und weniger als eine Verwirklichung eigener Ansprüche. Dieses Narrationsmuster zeigt sich relativ unabhängig von den Engagementfeldern und Phasen im Lebenslauf. »Dann war man plötzlich da irgendwo in einer Rolle und hat das auch gerne gemacht« (Dieter, Z. 424-425). Die Übernahme von Funktionen und Leitungsaufgaben beispielsweise im Jugendverband erzählt Dieter als einen Prozess, in dem er angetragene Ansprüche erfüllt. »So mit sieben Jahren […] führte das natürlich dazu, mit dem Älterwerden, dass da irgendwann Funktionen zu besetzen waren, wo es dann hieß, dass könntest du doch machen, wie das immer so geht« (Dieter, Z. 18-21).
Als Initiator_innen dieses Prozess führt er seine Eltern an, die »dann […] der Meinung [waren]: Du könntest da auch eine Funktion mal als Helfer übernehmen und wir schicken dich mal zu einem Lehrgang« (Dieter, Z. 492-493). Dieter kommuniziert die Übernahme politischer Funktionen dabei als einen »natürlichen« (Dieter, Z. 494) und »automatischen« (Dieter, Z. 495) Prozess, in dem er die an ihn gerichteten Erwartungen fast schon alternativlos erfüllt.
5. Politisches Engagement im Ruhestand »Mit zunehmendem Alter haben wir natürlich auch ältere Gruppen betreut und da so eine gewisse Leitungsfunktion übernommen, das entwickelt sich eigentlich ganz automatisch, nicht? Also, selbst wenn man das gar nicht, vielleicht gar nicht wollte, das ging gar nicht anders, nicht? Da konnte man sich nicht vor drücken, das muss man einfach übernehmen« (Dieter, Z. 499-504).
In ähnlicher Weise präsentiert Dieter seinen Eintritt in die hauptamtliche Gewerkschaftsarbeit als einen fremdinitiierten Prozess, indem er selbst auf die Erwartungen anderer reagiert: »Durch mein Tätig-sein überall wurde ich dann irgendwann gefragt bei den Gewerkschaften, ob ich mir vorstellen könnte […] hauptamtlich zu arbeiten« (Dieter, Z. 57-59). Sowohl der Eintritt in die politischen Organisationen als auch die Übernahme von Funktionen wird als Erfüllung angetragener Aufgaben und Befolgung vorgegebener Ablaufmuster kontextualisiert. Ebenso wie der Beitritt zum Jugendverband dem Handeln des Bruders zugeschrieben wird (»der hat mich dann irgendwann eines Tages mitgenommen«, Dieter, Z. 412-413), präsentiert Dieter auch den Eintritt in die sozialdemokratische Partei als Vollzug einer naheliegenden Selbstverständlichkeit: »Das ist ganz einfach, ich war bei den Blauhemden und da war es selbstverständlich, dass man in einem bestimmten Alter Mitglied der Partei wurde, das ist auch so« (Dieter, Z. 449-451). Die weitere parteipolitische Karriere steht ebenfalls unter der Überschrift ›Befolgung gruppenbezogener Vorgaben‹: »[Ich] bin dann irgendwann gebeten worden, in eine Bezirksvertretung zu gehen […], da haben die gesagt, das wäre doch was für dich, da solltest du mal hingehen und von da haben die eigentlich immer die Idee gehabt, dass ich dann in den Rat der Stadt wandere« (Dieter, Z. 609-613).
Die ausgeprägte Orientierung an den Vorgaben der Wir-Zusammenhänge findet sich außerdem in den Erzählungen über sein Engagement im Vorstand des Gedenkstättenvereins. Obwohl er als Rentner selbst keine besonderen Ambitionen zur Amtsübernahme kommuniziert, sondern im Gegenteil der Verantwortungsübernahme eher verhalten gegenübersteht, enttäuscht er die Erwartungen nicht: »Dann sagte der, hör mal Dieter, Mensch mach du das doch, du könntest das doch übernehmen, ja ok, aber dann habe ich gesagt, nee, da sind doch noch andere, nee, nee, wollte keiner machen, aber so ist der Ruhestand« (Dieter, Z. 990-993). Die Bereitschaft zur Übernahme der Posten und Ämter ist für Dieter ein Dienst, der durch andere eingefordert werden muss: »Ja, sage ich, wenn ihr das wollt, mach ich das, aber nur, wenn ihr das wollt« (Dieter, Z. 370-371). Die eigene Zurückhaltung beim Zustandekommen des Engagements reflektiert Dieter schließlich als ein Persönlichkeitsmerkmal:
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Alter in Verantwor tung? »Ich hatte nie so was, wo ich gesagt habe, ich bewerbe mich darum, dass mussten mir immer andere antragen, ich war nicht so jemand, ach ja, ich mache das, das kann ich bis heute nicht, wenn man mich vorschlägt und ich glaube, dass ich das auf die Reihe kriege, dann mach ich das« (Dieter, Z. 371-374).
Insofern sieht Dieter in seinem Engagement auch nicht den Ort, um eigene Ansprüche oder Lebensprojekte zu verwirklichen. Vielmehr ist es für ihn selbstverständlich, die gruppenspezifischen Vorgaben und Erwartungen zu erfüllen: »In der Sache muss man ja das vertreten, wo man herkommt, von wo man da hingeschickt wird« (Dieter, Z. 234-235). Die Orientierung an gruppenspezifischen Vorgaben bezieht sich neben den Inhalten und dem Zustandekommen auch auf die Aufgabe von Ämtern und Funktionen. So begründet Dieter beispielsweise sein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Beruf über ein Altersteilzeitarrangement zugleich mit der Bedarfslage der Gewerkschaft. Während in seiner Erzählung einerseits durchscheint, dass »ein Jahr länger [… zu arbeiten] auch ok gewesen [wäre]« (Dieter, Z. 841-842) und er die vorzeitige Entberuflichung bedauert, versteht er sein verfrühtes Ausscheiden auch als solidarischen Beitrag zur finanziellen Entlastung der Gewerkschaft: »Die Gewerkschaft hatte damals auch Probleme Personal unterzubringen, weil einige Stellen geschlossen wurden, und da waren die froh, dass ich dann zwei Jahre vorher aufhörte« (Dieter, Z. 266-268). In ähnlicher Weise führt Dieter auch die Niederlegung eines sozialen Ehrenamtes in erster Linie darauf zurück, dass er den Anforderungen des Amtes nicht mehr gerecht werden würde und bei einer weiteren Amtszeit Gefahr laufe, dem Verein selbst zu schaden: »Das habe ich abgegeben, vor zwei Jahren, weil ich merkte, man kann nicht mehr, wenn man das richtig, vernünftig machen will« (Dieter, Z. 145-147). Wegen seines Alters plant Dieter darüber hinaus, auch seinen Vorstandsposten im Gedenkstättenverein in den nächsten Jahren niederzulegen. Dass er diesen Plan aber noch nicht beim nächsten Treffen in die Tat umsetzen möchte, begründet er mit seiner Verantwortung gegenüber den anderen Mitgliedern: »Wenn ich jetzt sagen würde, ich mache nicht mehr, wäre das für alle Betroffenen ein bisschen harsch, das hätten die nicht erwartet, kann ich also nicht machen, will ich auch nicht« (Dieter, Z. 961-964). Auch in diesem Fall wird die Aufgabe des Postens nicht mit persönlichen Bedürfnissen gerechtfertigt, sondern mit der Verantwortung gegenüber der konkreten Gruppe: »Ich wäre dann 76 und da bin ich der Meinung, da sollte ich Schluss machen, solche Funktionen auszuüben, weil ich es vielleicht auch nicht mehr gut mache« (Dieter, Z. 967-969).28 28 | Interessanterweise fungiert das kalendarisch Alter in dieser Sequenz als Begründung für eine weitere Indienstnahme. Es senkt die gesellschaftlichen Erwartungen zur
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Somit sieht sich Dieter in der Position, auch den Rückzug aus der Vereinstätigkeit so zu gestalten, dass der Verein dadurch möglichst wenig Schaden nimmt. Hierzu plant er, gezielt einen Nachfolger aufzubauen: »Ich mache das noch zwei Jahre, ich möcht in den zwei Jahren auch jemanden so ein bisschen mit aufbauen, der das mit übernimmt, wo ich weiß, der wird auch gewählt, der das auch kann. Den so ein bisschen in die Arbeit mit einbeziehen, das ist glaube ich immer ganz gut« (Dieter, Z. 983-986).
Der Rückzug aus dem Vorstand ist für Dieter aber nicht gleichbedeutend mit dem Rückzug aus der Verantwortung gegenüber der Organisation. Das »heißt aber nicht, dass ich nicht mehr diese ganzen Dinge unterstützen will, also ich werde sicher nach wie vor Mitglied bleiben, wenn die wollen, auch dem Vorstand angehören, aber als Unbeteiligter« (Dieter, Z. 973-975). Der Ruhestand selbst wird von Dieter dann aber keineswegs als eine mit heteroproduktiven Tätigkeiten zu füllende Lebensphase verstanden und der Wunsch nach beruflicher Weiterarbeit wird ebenfalls zurückgewiesen: »Ich habe es [die Arbeit, Anm. Schwabe] eigentlich nie vermisst, also dass ich sagte, ach wäre doch das toll, wenn dann noch das und das. Das war nicht so« (Dieter, Z. 839-841). Statt sich eigeninitiativ um zivilgesellschaftliche Tätigkeiten zu bemühen stellt Dieter Freizeit und Familie in den Vordergrund: »Ich merkte dann ganz schnell, ich hatte auch Zeit, mehr Zeit für erstens private Dinge, so auch, Familie, dann kam auch die Enkelkinder, das war dann auch wichtig« (Dieter, Z. 842-844). Obwohl Dieter den Ruhestand durchaus als Zeitgewinn versteht, sieht er hierin nur sehr bedingt eine Ressource fürs zivilgesellschaftliche Engagement. Zwar sieht er im Hinblick auf sein zivilgesellschaftliches Engagement im Vorstand des Gedenkstättenvereins die Möglichkeit, die anfallenden Termine flexibler zu gestalten.29 Ambitionen hinsichtlich einer eigenständigen Ausweitung des Ruhestandsengagements über die Anforderungen der Ämter hinaus finden sich dagegen nicht. Weder in qualitativer noch in quantitativer Hinsicht wird der Zeitgewinn von sich aus als Ressource für zivilgesellschaftliches Engagement verstanden. Eher wird das Mehr an Zeit im Hinblick auf Familie und Hobbys bedeutsam. Verantwortungsübernahme und schützt Dieter dadurch einerseits vor einer Überforderung. Andererseits ermöglicht es ihm, aus den Vorstandspositionen zurückzutreten, ohne dass dies als Bruch in der Loyalitätsbeziehung interpretiert würde. 29 | »Das ich hier schon mal morgens auch sein konnte, was davor ja gar nicht ging, da hatte ich dann nun hier auch abends dann immer Zusammenkünfte und mit den Zeitzeugentreffen abends, war auch problematisch, das war den viel lieber morgens und das war dann alles möglich auch« (Dieter, Z. 112-117).
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In Abgrenzung zu Müßiggang und Faulheit versteht Dieter die nachberufliche Phase zwar als einen aktiven Unruhestand in dem er aufgeschobene Lebensprojekte realisieren kann, zu denen er während der Erwerbsphase nicht gekommen ist. »Endlich« (Dieter, Z. 1003) komme er nun dazu, die zahlreichen Fotos zu sortieren und seinen kulturellen Interessen nachzugehen: »[Ich habe] ein bisschen mehr Ruhe, mal wieder Lust, ins Theater zu gehen oder so, habe ich früher auch gern mal gemacht, aber fand dann einfach keine Zeit, das war einfach nicht möglich. Oder ein schönes Konzert, das hat mich immer sehr interessiert, hat mich sehr gereizt, aber das war dann aufgrund der Arbeit dann nicht so möglich, ja das hätte man sich so schälen müssen, nicht? Das ein oder andere hat es natürlich gegeben, so ist das ja nicht. Aber auch nicht so, wie das andere so vielleicht machen und ich kenne viele, die alle Hobbys und Verpflichtungen und Tätigkeiten und Vereine bei denen sie waren, die sagen, nee, jetzt will ich nichts mehr von alldem machen. Ich bin da zwar noch Mitglied, wenn die mich mal brauchen, sollen sie gerne kommen, aber ansonsten gehe ich jetzt mal wieder mehr ins Theater« (Dieter, Z. 1016-1025).
Die dritte Lebensphase sieht Dieter in erster Linie als Möglichkeit, private Interessen zu verwirklichen, grenzt sich Dieter aber zugleich von denen ab, die nach der Verrentung alle Rollen und Positionen in Vereinen und Organisationen abgeben. Trotz der Orientierung aufs Private kommuniziert Dieter eine anhaltende Solidarität und die Bereitschaft, als aushilfsweise einzuspringen, sofern die entsprechenden Gruppen Bedarf anmelden: »Wenn die mich mal brauchen, sollen sie gerne kommen«. Von einem eigenverantwortlichen Bemühen um gemeinwohlorientiertes Handeln kann dagegen keine Rede sein. Auf diese Weise knüpft Dieter das Ausmaß und die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme zugleich an den Engagementbedarf der entsprechenden Wir-Zusammenhänge. Weder sieht er sich in der moralischen Pflicht, erfahrene Privilegien zurückzugeben, noch verbindet er mit einer Verantwortungsübernahme die Erfüllung persönlicher Lebensziele. Im Zentrum der Verantwortungsbeziehung stehen die konkreten, biografisch hergestellten Wir-Zusammenhänge und – überspitzt formuliert – die Bereitschaft zur vorbehaltlosen, praktischen Verantwortungsübernahme, sofern er gefragt wird und sich für fähig erachtet. Andererseits zeigt sich in seinem Fall auch, dass selbst die dauerhafte formale Mitgliedschaft in einer Organisation keine Garantie dafür ist, dass sich Menschen in der nachberuflichen Phase für diese engagieren werden. So erzählt Dieter beispielsweise davon, wie er die Anfrage seiner Partei zur Übernahme von Posten und Funktionen als Rentner zurückgewiesen hat. Erst auf Nachfrage erläutert Dieter, dass seine Verweigerung gegen die späte Wiederverpflichtung politische Gründe hatte (»war dann da auch nicht so ganz mit zufrieden was Lisa Meier da, auch als Parteimitglied, so gemacht hat,
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war nicht so in meinem Sinne«, Dieter, Z. 866-868) und die Unzufriedenheit über die damaligen Entscheidungen bis heute anhalten (»ich bin da nach wie vor skeptisch, ob das so sein muss, nicht? Mit Hartz IV und all die Geschichten«, Dieter, Z. 870-872). Ständige Neupositionierungen und diskursive Verschiebungen lassen Beziehungen brüchig werden und können gerade im politischen Feld biografisch gewachsene Verantwortungsbezüge unterlaufen.
5.6.2 »Wieder was zurückgeben« – Klaus Fallbeschreibung Klaus wohnt gemeinsam mit seiner Ehefrau in einer Wohnung in einer rheinländischen Großstadt. Er ist zum Interviewzeitpunkt 69 Jahre alt und hat drei Kinder sowie sieben Enkelkinder. Als Kind wächst Klaus in derselben Stadt auf, in der er heute wohnt. Mit 14 Jahren bricht er die Schule vorzeitig ab und geht für einige Jahre zur See. Nach seiner Rückkehr arbeitet er kurze Zeit als Hilfsarbeiter, bevor er eine Schlosserlehre bei einem ortsansässigen Automobilhersteller absolviert. Er wird aktives Gewerkschaftsmitglied und beteiligt sich häufiger an Demonstrationen und anderen politischen Aktionen. Anschließend bewirbt er sich erfolgreich für ein gefördertes Ausbildungsprogramm und studiert Lehramt und tritt einer antifaschistischen Gruppe bei. Klaus schließt das Studium erfolgreich ab und unterrichtet daraufhin an einer Gesamtschule. In dieser Zeit absolviert er eine Weiterbildung zum Integrationslehrer, wechselt die Schule und arbeitet in Vorbereitungsklassen für Schüler_innen mit Migrationshintergrund. Er heiratet und wird dreifacher Vater. In seiner Freizeit tritt er als Musiker auf und singt in seinen Liedern häufig über politische Themen. Nebenbei setzt er sich in verschiedenen Zusammenhängen für das Gedenken an eine NS-Widerstandsgruppe ein. Nach seiner Pensionierung konzentriert sich Klaus verstärkt auf die Musik, intensiviert seine Beschäftigung mit Literatur und beteiligt sich weiterhin an politischen Aktionen.
Bezugsrahmen der Mitverantwortlichkeit In Klaus politischer Selbsterzählung werden verschiedene Bezugsrahmen der Mitverantwortlichkeit aufgerufen, wobei linkspolitische Diskurse und eine religiös inspirierte Ethik eine zentrale Rolle spielen. Ähnlich wie bei Dieter weist auch Klaus die zentralen Bezugsrahmen seiner politischen Selbsterzählung über die Zugehörigkeit zu Organisationen aus: »Es gab drei Institutionen, da bin ich drin gewesen. Das ist die römisch-katholische Kirche, das ist die Gewerkschaft und aus Respekt vor den Alten, die ich damals kennen gelernt habe, in den siebziger Jahren, die im Widerstand und im KZ gewesen waren, bin ich Mitglied der antifaschistischen Vereinigung geworden« (Klaus, Z. 80-83).
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Er selbst bezeichnet sich als »römisch-katholischer Anarchist« (Klaus, Z. 560), der sich in seinem politischen Handeln gleichermaßen auf das Solidaritätsprinzip der Gewerkschaftsbewegung und das christliche Gebot der Nächstenliebe beruft. »Der Gewerkschaftsgedanke ist: Du bist schwach, du musst dich organisieren und wenn du Probleme hast, ich versuche dir zu helfen. Das ist Gewerkschaft, das ist eigentlich das Nächstenliebegebot der Christen in einer etwas nüchternen Form der Solidarität« (Klaus, Z. 230-233).
Vor diesem Hintergrund bezieht sich Klaus in seiner Erzählung einerseits auf verschiedene linkspolitische Diskurse der letzten 40 Jahre (Friedensbewegung, Antifaschismus, Asylpolitik etc.) sowie andererseits seine verantwortungsvolle alltägliche Lebensführung. Ein zentraler Bezugspunkt der politischen Selbsterzählung bildet das marxistisch inspirierte Gesellschaftsverständnis, auf welches Klaus an verschiedenen Stellen im Interview immer wieder verweist: »Sehr früh ist mir klar geworden, dass wir da unten, das heißt vom Einfachen herkommen und kein Besitz an Grund und Boden, kein Besitz an Produktionsmitteln, lohnabhängig arbeitend, dass wir gegenüber denen, die all das besitzen, was wir nicht besaßen, Produktionsmitteln und so weiter, wir mussten uns vereinigen, sonst wären wir untergebuttert worden« (Klaus, Z. 126-130).
Sowohl das Vokabular als auch die klare Einteilung der Gesellschaft in Klassen entlang des Kriteriums ›Besitz von Produktionsmitteln‹ zeugen von der Kenntnis der marxistischen Theorie. Auch an anderer Stelle im Interview finden sich sogar explizite Bezüge zur Marx-Lektüre (»wenn ich dran denke, wie sehr ich Marx geliebt hab und gelesen habe und studiert habe«, Klaus, Z. 557-558) oder implizite Hinweise auf die Kenntnis des Werkes (»das waren ja, wie Marx beschreibt, patriarchalische Verhältnisse«, Klaus, Z. 203-204). Klaus bezieht sich aber nicht nur abstrakt auf die marxistische Theorie, sondern positioniert sich selbst in dem marxistischen Gesellschaftsverständnis. Er verortet sich ausdrücklich in der Gruppe der lohnabhängig Beschäftigten, die sich selbstverständlich gewerkschaftlich organisieren sollte: »Da war es damals ganz klar, dass ich, als ich zur See gefahren bin, sofort in die Gewerkschaft eingetreten bin« (Klaus, Z. 132-133). Aus dem Selbstverständnis als ›Arbeiter‹ leitet sich fast schon selbstverständlich die Mitgliedschaft und sein Engagement in der Gewerkschaft ab: »Ich bin Arbeiter, also muss ich mich in der Gewerkschaft engagieren, das ist ganz klar« (Klaus, Z. 166).
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Als einen zweiten großen Diskursstrang führt Klaus die katholische Ethik an. In Kontinuität zu seiner »sehr religiösen Familie« (Klaus, Z. 167-168) identifiziert er sich als »rheinische[r] Katholik« (Klaus, Z. 168), für den bestimmte Bibelgeschichten und die damit verbundenen Moralbotschaften eine wichtige Rolle spielen. Exemplarisch hierfür erzählt Klaus die Geschichte vom heiligen Martin, der bei seinem Ritt durch die Kälte einen frierenden Bettler trifft, seinen Mantel durchschneidet und dem Bettler die Hälfte des Mantels schenkt. Aus dieser Botschaft leitet Klaus seine eigene Verantwortung für andere ab: »Du bist nicht allein auf der Welt, es gibt viele, den geht es viel dreckiger als dir, ja? Und da wir nicht jeden Tag, das System ändern können, ist der Bettler, der Arme, derjenige, der weint, der steht vor dir, den musst du trösten« (Klaus, Z. 174-176).
Auf diese Weise führt Klaus seine moralische Verantwortung für sozial Schwächere auf das »Nächstenliebegebot der Christen« (Klaus, Z. 232) zurück. Dabei verbindet sich ein christliches Moralverständnis mit einem marxistischen Gesellschaftsverständnis, bei dem die strukturellen Ursachen des individuellen Leidens reflektiert werden.30 In besonderer Weise findet sich zudem das Thema Nationalsozialismus in Klaus biografischer Erzählung wieder. So erzählt er von seinem politischen Engagement als Musiker, der in Liedern die Erinnerung an die Opfer des Faschismus wach hält und dadurch zugleich für entsprechende Diskriminierungsformen in der Gegenwart sensibilisiert (Klaus, Z. 248-258): »Das animiert wieder andere Menschen, sich damit zu beschäftigen und das immunisiert immer schon mal ein bisschen gegen diese Geschichtsknitterer und diese falschen Propheten von der rassistisch, faschistischen, neonazistischen Seite. Da müssen wir aufpassen, sie rücken ja immer mehr in die Gesellschaftsmitte« (Klaus, Z. 258-261).
Neben seinem musikalischen Engagement ist Klaus zudem Mitglied in einer antifaschistischen Organisation (Klaus, Z. 81-87) und berichtet beispielhaft von den Gedenkveranstaltungen, die er in diesem Zusammenhang mit veranstaltet hat (Klaus, Z. 253-256). Ebenso betont er sein Interesse für die und 30 | In ähnlich ausgeprägter Form findet sich diese Verknüpfung auch bei Georg: »Politisches Engagement verstehe ich eigentlich in einem umfassenderen Sinn, als ein Engagement für Menschen, die Hilfe suchen, ne? Und dass geht oft nur strukturell, also nur dadurch, dass man die Ursachen auch aufspürt und benennt und nicht verschweigt und dann immer nur die Opfer tröstet, Caritas, ist alles auch notwendig, haben wir ja auch gemacht, immer wieder dann Einzelfallhilfe, das ist klar, aber das politische Element war immer, die strukturellen Ursachen, dieses Leidens, der Menschen zu benennen, offen zu benennen und auch zu bekämpfen« (Georg, Z. 560-567).
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seine Solidarität mit den Verfolgten des Naziregimes: »Das hat mich immer furchtbar interessiert« (Klaus, Z. 163). Auch diesbezüglich findet sich wieder der moralische Appell zu politischem Engagement. Weil die demokratische Gesellschaft unter anderem von menschenverachtenden Einstellungen und Akteuren bedroht ist, »müssen wir aufpassen« (Klaus, Z. 261), bzw. »muss man weitermachen« (Klaus, Z. 266-267) sich zu engagieren.
Typenbezogene Fallanalyse Wie bereits im vorigen Abschnitt deutlich geworden ist, bezieht sich auch Klaus in seiner Selbsterzählung auf spezifische Wir-Zusammenhänge, gegenüber denen er eine Verantwortung kommuniziert und mit denen er sich identifiziert. Einen zentralen Bezugsrahmen bilden dabei das marxistisch-inspirierte Gesellschaftsverständnis und seine Selbstpositionierung als Angehöriger der ›arbeitenden Klasse‹. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft für ihn als »sehr, sehr logisch« (Klaus, Z. 138) dar: »Ich bin Arbeiter, also muss ich mich in der Gewerkschaft engagieren, das ist ganz klar« (Klaus, Z. 166). Zudem versteht er sein politisches Engagement »immer aus dem Fokus der kleinen Leute« (Klaus, Z. 16). Im Gegensatz zu Dieter, der sich selbst eher als ›einfaches Mitglied‹ der jeweiligen Wir-Zusammenhänge versteht, reflektiert Klaus seinen privilegierten Status in den Gruppen. Als verbeamteter Lehrer hebe er sich demnach insbesondere durch sein sicheres Beschäftigungsverhältnis und das relativ hohe Einkommen ökonomisch deutlich von den anderen ab, woraus er eine besondere moralische Verantwortung zu ehrenamtlichem Engagement ableitet: »Ich habe natürlich ideale Voraussetzungen, ein Lehrer, auf Nachmittagsveranstaltungen konntest du eh immer dabei sein. Wir waren und sind schon eine privilegierte Gruppe in der Gesellschaft und das muss man einfach sehen und deswegen meine ich, ist es unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, viel davon wieder zurückzugeben« (Klaus, Z. 427-431).
Angesichts der Tatsache, dass Klaus an anderer Stelle im Interview die Belastung durch den Job hervorhebt und dadurch seine Kapazitäten für ehrenamtliches Engagement als begrenzt beschreibt, ist sein Verständnis des Lehrberufs als ein Privileg und geradezu einer Aufforderung zu bürgerschaftlicher Betätigung durchaus bemerkenswert. Dass er diese Tätigkeit nicht als einen ›normalen‹ Beruf versteht, erklärt erst vor dem Hintergrund seiner Zugehörigkeit zur ›arbeitenden Klasse‹. Das Selbstverständnis, privilegiert zu sein, verknüpft sich dabei mit der Verbundenheit mit den Benachteiligten, gegenüber denen sich Klaus in Verantwortung sieht. Das zeigt sich beispielsweise in den folgenden Sequenzen. Klaus begründet darin, wie und warum er sich als bereits verbeamteter Lehrer für die In-
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tegration nach Deutschland migrierter Jugendlicher einsetzt und dafür auch einen Schulwechsel und zeitaufwendige Weiterbildungen in Kauf nimmt: »Da habe ich mich entschieden, du kannst jetzt weiter die ruhige Kugel machen und so. Aber ich denke ›nee‹. Dann habe ich mich gemeldet und hab gesagt, Leute, ich möchte auch in eine der sogenannten Vorbereitungsklassen« (Klaus, Z. 351-355).
Er berichtet davon, wie er den Schüler_innen über den vorgegebenen Berufsrahmen hinaus beim Zurechtfinden in Deutschland geholfen und sich sogar um deren Eltern gekümmert hat, die ihre Schwierigkeiten mit der bundesdeutschen Bürokratie hatten. Deutlich wird in dieser Sequenz außerdem die eigene Initiative beim Zustandekommen des Engagements. Während Dieter die Übernahme von Funktionen stets als einen fremdinitiierten Prozess kommuniziert, der maßgeblich Dritten zugeschrieben wird, erzählt Klaus das Engagement als Resultat eigener Entscheidung und eigenen Aktiv-Werdens. In Abgrenzung zu den selbstbezogenen Kolleg_innen betont Klaus sein ›Extra-Engagement‹ und präsentiert es zugleich als moralische Pflicht gegenüber der arbeitenden Bevölkerung: »Es wär für mich wie die Entscheidung gewesen, so wie ein beamteter Lehrer‹ nee Leute, ich werde für meinen Unterricht bezahlt, leckt mich am Arsch, da habe ich nix mit zu tun‹. Das habe ich nie gedacht, ne? Ich hab immer gedacht. Die arbeitende Bevölkerung bezahlt mich mit ihren Steuern, ich bekomme jeden Monat mein sicheres Gehalt. Ich werde sogar, wenn der liebe Gott mich leben lässt, eine Pension kriegen, wenn ich nix mehr tue, du bist diesen arbeitenden Menschen etwas schuldig und das gebe ich zurück« (Klaus, Z. 376-373).
Die kommunizierte Mitverantwortlichkeit begründet sich in Klaus Erzählung in erster Linie über die moralische Kategorie der Schuldigkeit. Weil sein eigenes Gehalt von der werktätigen Bevölkerung erwirtschaftet wird, so seine Argumentation, stehe er gewissermaßen in der Verantwortung, diesen Menschen etwas zurückzugeben. Grundlage dieser Denkfigur ist dabei ein ausgeprägtes Reziprozitätsverständnis, in dem sich Klaus als privilegiert versteht. Sein über den ›normalen‹ Lehrerberuf hinausgehendes Engagement stellt sich vor diesem Hintergrund als eine moralisch Pflicht zur Gegengabe dar. Zentral sind aber nicht nur die sozioökonomische Situation und die eigenen Fähigkeiten, sondern auch die Wahrnehmung des Jobs als mögliches ›Engagementhindernis‹ für andere. So begründet Klaus seine idealen Voraussetzungen zu ehrenamtlichem Engagement auch mit dem zeitlichen Möglichkeiten und Befugnissen, die ihm der Lehrberuf bietet: »Wenn du ein gesichertes Gehalt hast und du bist gut ausgebildet und deine Vorgesetzten und das Kultusministerium werfen dir nicht dauernd Knüppel in dich rein, dann kannst du
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dich richtig engagieren« (Klaus, Z. 434-436). Indem er die eigene Situation als privilegiert reflektiert, hütet sich Klaus davor, die moralische Verpflichtung zu bürgerschaftlichem Engagement zu verallgemeinern: »Ich bin übrigens ein Vertreter dafür, dass gewisse Berufe sozial absolut abgesichert sind, sonst kannst du nämlich kein Engagement von den verlangen, wenn du dir überlegen musst, wie hältst du den Kamin am Rauchen« (Klaus, Z. 431-433).
Die persönliche Verantwortung für sozial Schwächere begründet sich dabei sowohl aus den materiellen Privilegien als auch den eigenen Kompetenzen, die es solidarisch zu nutzen gilt. Vor dem Hintergrund der christlichen Ethik erzählt Klaus an anderer Stelle im Interview von einem Benefizkonzert seiner Band für eine Drogenhilfeeinrichtung: »Unsere Band hat so eine Patenschaft übernommen für eine Einrichtung hier bei uns in der Stadt. Die betreuen Drogenabhängige, Obdachlose, mal ganz salopp gesagt, das ist der letzte Dreck von der Straße, da kümmert sich kein Schwein drum und ich finde dieses Engagement dieser Leute so toll, das wir Benefizkonzerte für die machen, damit die Geld kriegen, nämlich alles kostet Geld, ne? Und da hast du jetzt Zeit, das finde ich toll so was« (Klaus, Z. 712-717).
Besonders interessant ist diese Passage hinsichtlich der im Wiederverpflichtungsdiskurs geforderten Mitverantwortung älterer Menschen für Gemeinwohlbelange. Statt die Verantwortung für die Versorgung Drogenabhängiger als eine staatliche Aufgabe zu verstehen und das Fehlen von Geld mit einer Sozialstaatskritik zu verbinden, sieht Klaus sich und seine Band in der Pflicht, aktiv zu werden. Diese Form der praktizierten Mitverantwortlichkeit begründet sich aber nicht mit der Sorge um den erschöpften Sozialstaat und der Entlastung des Gemeinwesens als solchem. Zentral ist vielmehr die selbstverständliche, ethisch begründete Solidarität mit den Schwächeren, die ihn als Privilegierten in besonderem Maße in die Verantwortung rückt: »Ich nenne das einfach Solidarität« (Klaus, Z. 184). Diese Besonderheit der eigenen Position verdeutlicht sich in Klaus‹ Erzählung aber auch auf einer inhaltlichen Ebene. Gerade im direkten Vergleich mit Dieter, der ›das vertritt, wo er herkommt‹ und primär darauf orientiert ist, die Ansprüche der Gruppen zu erfüllen, akzentuiert Klaus die eigene Position in den Wir-Zusammenhängen und die Eigenständigkeit: »Immer versuche ich unabhängig zu sein« (Klaus, Z. 94-95). Die Mitgliedschaft in den jeweiligen Gruppen bedeutet für ihn beispielsweise keine absolute Konformität mit der Gruppenposition:
5. Politisches Engagement im Ruhestand »…bin ich Mitglied der antifaschistischen Vereinigung geworden, damals war die natürlich absolut partei-dominiert, ja? Aber das hat mich nicht gestört, mir ging es um die Alten und ich konnte immer entscheiden, an welchen Petitionen oder Veranstaltungen ich teilnehmen konnte oder nicht. So wie wir dann in der Friedensbewegung die damals gerade sich formierenden Grünen unterstützt haben oder weiß ich. Es ging um die Sache, man hat immer Zweckbündnisse gemacht. Ich war allerdings nie bereit, mein Denken einzuengen oder zu irgendetwas zu Schweigen, denn deswegen war ich völlig ungeeignet, in irgendeine Partei einzutreten. Man hat natürlich Willy Brandt und seine Politik unterstützt, ist ganz klar, aber das heißt nicht, dass ich deswegen Sozialdemokrat geworden wäre« (Klaus, Z. 83-92).
Bei aller Solidarität mit den jeweiligen Wir-Zusammenhängen unterstreicht Klaus andererseits seine Eigenständigkeit und Unabhängigkeit innerhalb der Gruppen. Die Bereitschaft zur Unterstützung ist in diesem Fall nicht mit einer Selbstaufgabe verbunden und bedeutet auch nicht, die Gruppenposition über die eigene zu stellen. Die Notwendigkeit der überpersönlichen Verantwortungsübernahme wird von Klaus zudem moralisch begründet. Deutlicher als alle anderen Fälle kommuniziert er die Pflicht als Bürger, Sozialist, Antifaschist etc. gegenüber anderen, die als ein innerer Selbstanspruch an die eigene Lebensführung dargestellt wird: »Wenn ich wüsste, ich kann helfen und würde es nicht tun, ich käme mir dreckig vor« (Klaus, Z. 177-178). Zwar reflektiert Klaus die Gefahr der moralischen Überforderung durch zu idealistische Ziele, relativiert seine Selbstzumutungen aber nicht: »Ich weiß, das sind alles hehre Ansprüche, aber ich versuche es wenigstens« (Klaus, Z. 180). So finden sich in seinem Interview vielfach Formulierungen, die das eigene Müssen und Sollen hervorheben und somit die Notwendigkeit des politischen Engagements performativ unterstreichen: »Jeden Tag ist dieses Ding in Gefahr, jeden Tag, Demokratie musst du jeden Tag befestigen, gegen Rechts« (Klaus, Z. 201-202). Wo Dieter den angetragenen Engagementaufforderungen der Wir-Zusammenhänge pflichtbewusst und selbstverständlich nachkommt, sieht Klaus gesellschaftliche Gefahren, denen er sich, aus einer Pflicht gegenüber der Gesellschaft heraus, annehmen muss: »Wenn es sein muss, dann werde ich nicht weggucken, das ist die Nicht-Wegguck-Kultur, die ist ganz wichtig und die ist leider sehr verbreitet. Dieses Weggucken, so nach dem Motto ›betrifft mich nicht, kenne ich nicht, habe ich nix mit zu tun‹. Das ist ganz falsch, denn das sind genau die Nischen, wo dann wieder aus allen Richtungen her diese Leute mit ihren inhumanen Sprüchen und Handlungs- und Sehweisen noch-, hingucken ist immer ganz wichtig« (Klaus, Z. 345-350).
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Auf diese Weise stellt Klaus Verantwortungsbezüge her, die über die konkreten politischen Gruppen hinausgehen und sich auf gesellschaftliche Entwicklungen allgemein erstrecken. Die Entberuflichung wird von Klaus als ein relativ unproblematischer Prozess erzählt, der im Hinblick auf das politische Engagement mit keinen allzu großen Veränderungen verbunden wird. Zwar wird einerseits die Freiheit von beruflichen Verpflichtungen positiv herausgehoben, weil man »nicht mehr Berge von Arbeiten korrigieren [muss]« (Klaus, Z. 455-456). Ansonsten wird der Statusübergang als eine flüssige Fortsetzung der Erwerbsphase präsentiert: »Ich habe es ehrlich gesagt gar nicht gespürt, bei mir hat sich nix geändert« (Klaus, Z. 454-455). Darüber hinaus wird die nachberufliche Phase durchaus als eine Freiheit zur Verwirklichung aufgeschobener Lebensprojekte interpretiert. Er versteht diesen Lebensabschnitt als Chance, um »endlich einmal Dinge [zu] realisieren, die ich immer schon […] wollte« (Klaus, Z. 458-459). Hierunter fällt für ihn beispielsweise die Herausgabe von Büchern über die eigene Familie und die Kindheitserinnerungen (Klaus, Z. 459-463). Die Verwirklichung aufgeschobener Lebensprojekte bezieht sich daher nicht ausschließlich auf heteroproduktive Tätigkeiten oder politische Aktivitäten. Vielmehr steht die Beschäftigung mit Literatur, Poesie aber auch die Musik für ihn an erster Stelle. Statt sich wohlverdient zur Ruhe zu setzen, setzt er fort, was »neben dem Job auch schon wichtig war. Das wurde einfach weiter [gemacht]« (Klaus, Z. 469-470). Von der Vorstellungen eines radikalen Disengagements distanziert sich Klaus dagegen deutlich: »Also ich habe da jetzt nicht plötzlich gedacht, jetzt nix mehr«. Vielmehr rahmt Klaus den Ruhestand als eine aktiv zu gestaltende Lebensphase, in der das Mehr an Zeit einerseits zwar genossen werden kann und darf, sich aber andererseits auch manchmal Stress und Überarbeitung einstellt. Dabei reflektiert Klaus das Verhältnis von Selbst- und Fremdführung, um schließlich festzustellen, dass er für die mögliche Selbstüberforderung selbst verantwortlich ist: »Ich habe wirklich zu tun, sodass man manchmal von Freizeitstress reden kann, ja? Aber, da muss man immer bei sagen: Ich mache mir den Stress selber und es ist im Grunde kein Stress. Stress ist eigentlich definiert, dass man wahrscheinlich von außen die Verpflichtungen aufgebürdet bekommt und Erwartungshaltungen auf dich niederregnen, die du nicht erfüllen kannst, nicht erfüllen willst. Ich will das ja alles« (Klaus, Z. 544-549).
Obwohl Klaus seinen Job als Lehrer durchaus politisch interpretiert, bedeutet die Entberuflichung nicht das Ende seiner gesellschaftlichen Verantwortlichkeit als solcher. Eher ist es so, dass »ein Verantwortungsbereich Schule ent-
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fällt« (Klaus, Z. 492-493), sich an den überindividuellen Verantwortungsbezügen aber ansonsten nichts ändert: »Mein Engagement hat sich jetzt auch auf das verlegt. Es ist immer, also es gibt immer noch die Hauptfelder, Armut bekämpfen, die Ursachen bekämpfen davon, das heißt Gewerkschaften unterstützen, für mich auf jeden Fall« (Klaus, Z. 518-521).
Das Ausscheiden aus dem Beruf geht explizit nicht einher mit einer Entlassung aus den biografisch gewachsenen Verantwortungsbezügen insgesamt. Klaus kommuniziert vielmehr eine Verantwortungskontinuität, in der »das, was mir neben dem Job auch schon wichtig war, […] einfach weiter [gemacht wird]« (Klaus, Z. 469-470). Er versteht sich explizit als Teil »der privilegierten Gruppe in der Gesellschaft« (Klaus, Z. 700), was für ihn insbesondere in der dritten Lebensphase mit besonderen Pflichten verbunden ist – gerade im direkten Vergleich mit seinem Umfeld: »Wenn ich all die Leute, die mit mir groß geworden sind, die Nachbarschaft, die für die Rente gearbeitet haben, was die da kriegen und was die für Klimmzüge machen müssen und wenn die sich die Rentenbescheide holen, da werden die blass, da kriegen die einen Schrecken, ne? So, ich bin ein Privilegierter und von meiner Herkunft aus kann das nur bedeuten, meinen Ruhestand jetzt nicht egoistisch ab auf eine Insel. Wer das macht und meint, er müsste das machen, der soll es machen. Nee. Mein Ruhestand ist eine neue Phase des Lebens, da kann man wieder was zurückgeben, an den positiven Teil unserer Gesellschaft und der positive Teil unserer Gesellschaft, das ist immer der arbeitende Teil, ja? Da spricht der alte Sozialist« (Klaus, Z. 700-710).
Das Ruhestandsengagement begründet sich dabei in besonderem Maße aus der Vorstellung, dass Klaus in früheren Lebensphasen von der Arbeit der anderen profitiert habe, bzw. die eigene Privilegierung erst durch die Benachteiligung anderer möglich gewesen sei. Er geht dabei implizit von einem Netz wechselseitiger Wirkungszusammenhänge zwischen den Gesellschaftsmitgliedern aus. Der gesellschaftliche Reichtum wird dabei in erster Linie als Erzeugnis der arbeitenden Klasse interpretiert, von dem er als verbeamteter Lehrer bisher profitiert hat und immer noch profitiert. Aus diesem Grund verbindet er seine Pension mit der moralischen Aufforderung, sich für die ihm zu Teil gewordenen Privilegien zu revanchieren. Das Engagement wird somit als eine Gegenleistung für die aus der Vergangenheit erwachsene Besserstellung der eigenen Person interpretiert.
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5.6.3 »Die Lieblingsthemen noch intensiver betreiben« – Julia Fallbeschreibung Julia wohnt gemeinsam mit ihrer Freundin in einem niedersächsischen Dorf auf einem ehemaligen Bauernhof, der von beiden als Tagungshaus betrieben wird. Sie ist zum Interviewzeitpunkt 74 Jahre alt, zweifache Mutter und dreifache Großmutter. Julias Vater war als Universitätsmediziner in einer mittelgroßen deutschen Stadt beschäftigt, in der sie gemeinsam mit ihrem Bruder und ihrer Mutter die ersten Lebensjahre verbringt. Wegen mehrfacher Umzüge der Familie ist Julias schulische Entwicklung durch zahlreiche Wechsel geprägt. Bereits als Jugendliche tritt Julia einer überkonfessionell-christlichen Jugendgruppe bei und engagiert sich in der kirchlichen Jugendarbeit. Sie beendet die Schule schließlich mit dem Abitur und nimmt daraufhin ein Studium der evangelischen Theologie auf, welches sie aber wegen der Ehe mit ihrem Mann und der Geburt ihrer beiden Kinder unterbricht. Als Mutter engagiert sich Julia daraufhin ehrenamtlich in der Kirchengemeinde und wird in der kirchlichen Bildungsarbeit aktiv. In diese Zeit fällt auch die Trennung von ihrem Ehemann. Mit der Aussicht auf einen Job in einer kirchlichen Bildungseinrichtung schließt sie ihr Theologiestudium ab und arbeitet anschließend als Dozentin in einer Erziehungsbildungsstätte. In dieser Funktion beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit dem Nationalsozialismus und der Befreiungstheologie. Nach der eigenen Verrentung zieht Julia in ein niedersächsisches Dorf, wo sie gemeinsam mit ihrer Freundin ein Tagungshaus betreibt und eigene Seminare organisiert. Sie engagiert sich u.a. im lokalen politischen Widerstand gegen Atomenergie und in einer Solidaritätsgruppe, die sich für geflüchtete Menschen aus anderen Ländern einsetzt.
Bezugsrahmen der Mitverantwortlichkeit In Julias politischer Selbsterzählung spielen die politischen Diskussionen der späten 1960er Jahre innerhalb der westdeutschen Studentenbewegung sowie linkskirchliche Debatten eine wichtige Rolle. Im Zentrum stehen für sie dabei die Themen ›Erziehung vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus‹ und die ›Antiautoritäre Bewegung‹. Als Dozentin in einer kirchlichen Einrichtung nimmt sie zudem Bezug zu politischen Debatten innerhalb der Kirche, aber auch zu bundesrepublikanischen sozialen Bewegungen der 1970er und 1980er Jahre (z.B. Anti-Atom-Bewegung). Gleich zu Beginn des Interviews wird deutlich, welche politischen Themen für die politische Selbsterzählung konstitutiv sind. Die Frage nach dem Zustandekommen ihres politischen Engagements bezieht Julia direkt auf ihr Engagement als Mutter:
5. Politisches Engagement im Ruhestand »Als meine Kinder in die Kindergartenalterszeit gerieten, da war nämlich gerade die große Diskussion, wie erziehen wir, die wir nun in der Nazizeit Kinder geworden waren und woran wir uns ja mit Schrecken alle erinnern, wie erziehen wir unsere Kinder?« (Julia, Z. 7-10).
Mit dieser eindeutigen Bezugnahme auf Erziehungsfragen infolge der NS-Zeit gibt Julia gleich zu Beginn des Interviews gewissermaßen eine ›Leseanleitung‹ für die eigene politische Biografie. Obwohl sie an späterer Stelle im Interview einräumt, bereits vor ihrem Engagement im Feld der Kindererziehung politisch tätig gewesen zu sein, eröffnet sie ihre politische Selbsterzählung mit ihren Einsatz für einen antiautoritären Kinderladen: »Das war also meine erste politische Aktion, ja, dass ich also tätig geworden bin, also natürlich bin ich vorher auf Demos mitgerannt, Friedens- und Ostermärsche und so was alles« (Julia, Z. 22-24). Gerade vor dem Hintergrund der Zugzwänge biografischen Erzählens, die unter anderem auch eine chronologische Abfolge lebensgeschichtlicher Ereignisse nahelegen, wirft diese Eingangssequenz einen thematischen Fokus auf die Selbstpräsentation. Gleich in der nächsten Sequenz bezieht sich Julia konkreter auf die damaligen Debatten um Antiautoritäre Erziehung, welche es ihr ermöglichen, das Feld der Kindererziehung als ein politisches zu kontextualisieren: »Dann kam ja diese berühmte Antiautoritäre Bewegung. ›Summerhill‹ war ja nun der Bestseller schlechthin« (Julia, Z. 10-11). Die antiautoritäre Erziehung wird von Julia dabei als eine notwendige Konsequenz aus der Vergangenheit interpretiert, »als Antwort auf diese Nazizeit und diesen Gehorsamkeitsdrill, den wir da alle erlebt haben« (Julia, Z. 18-19). Der Themenkomplex ›Nationalsozialismus/Antiautoritäre Erziehung/Widerständigkeit‹ durchzieht auf diese Weise Julias Erzählung. Hierzu gehört auch die Auseinandersetzung mit der biografischen Bedeutung der NS-Zeit im Rahmen des Kinderladenprojekts: »[Wir haben] im Rahmen dieses Kinderladenprojektes so was wie auch politische Umerziehung mit uns selber betrieben, ja? Dass wir nochmal reflektiert haben, was haben wir als Kinder erlebt und wie sehen wir jetzt als junge Erwachsene, wohin das geführt hat und wie können wir sowas verhindern? Was ist jetzt unser Anteil?« (Julia, Z. 29-33).
Vor diesem Hintergrund wird sowohl die Kindererziehung als auch der Prozess der kollektiven Selbstreflexion im Rahmen des Kinderladenprojekts als ein politisches Handeln gerahmt. In diesen Kontext erwähnt sie außerdem den Besuch im ehemaligen NS-Vernichtungslager Auschwitz und die Bedeutung der Shoah für das eigene Leben: »Ich weiß noch, der Tag in Auschwitz, das war also absolutes Grauen, also ein Grau-Tag für uns alle. Und dann haben wir natürlich auch nach der Fahrt reflektiert, was heißt
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Alter in Verantwor tung? das eigentlich jetzt für unseres weiteres Leben? Und eine Antwort war eben: In irgendeiner Weise, wollen wir uns untereinander verpflichten, politisch tätig zu sein« (Julia, Z. 42-45).
Insofern verknüpft Julia ihr politisches Engagement insbesondere im Feld der Bildungsarbeit mit dem Holocaust: »Was eigentlich für mich so sehr früh ein wichtiges Anliegen war: Nie wieder soll so was wie die Nazizeit bei uns existieren« (Julia, Z. 732-733). Diese »Aufarbeitung der Nazizeit« (Julia, Z. 955) vollzieht sich in ihrer biografischen Erzählung primär in Form ihres Engagements im Rahmen von Kirche und kirchennahen Einrichtungen. Ausgehend von ihrer Jugendzeit, in der sie selbst eine religiöse Jugendgruppe geleitet hat, thematisiert sie beispielsweise ihre Rolle als Dozentin in einem christlichen Weiterbildungsinstitut sowie als Seminarleiterin für kirchliche Bildungseinrichtungen. Als zentrales Thema betont sie dabei immer wieder den Widerstand gegen Autoritäten und die Fähigkeit zur Selbstführung: »Der Ansatz war, selbstständige, selbst denkende, nicht ferngesteuerte, senkrecht von oben gesteuerte, widerstandsbereite Kinder zu-, ja oder sagen wir, ihnen die Bedingungen dafür zu geben. Also wie sie sich entschieden steht auf einem anderen Blatt« (Julia, Z. 706-709).
So erzählt Julia beispielsweise von ihrer Begeisterung für das Thema Widerstand in der Jugendgruppe: »Sie [die Jugendleiterin, Anm.: Schwabe] hat also wirklich auf einer biblischen Ebene gearbeitet und die Leute zum Widerstand animiert und ich fand das faszinierend« (Julia, Z. 204-206). Und auch aus ihrer Studienzeit ist ihr ein Theaterstück in Erinnerung geblieben, in dem »das Widerständige betont wird« (Julia, Z. 344-345): »Ich spielte da die Hauptrolle, also ich kann mich noch daran erinnern, wie mich das erfüllt hat, also gegen den Strom zu schwimmen« (Julia, Z. 346-348). Und auch in ihrer späteren Tätigkeit als Seminarleiterin stellt sie das Thema Widerstand in den Vordergrund. »[In Israel] haben wir verschiedene Kibbuzim besucht und das sind ja auch sehr widerständige Leute gewesen« (Julia, Z. 377-378). Die Beschäftigung mit christlichen Bewegungen in Lateinamerika kontextualisiert sie als »eine zutiefst politische Widerstandsarbeit« (Julia, Z. 403), sodass sie »Befreiungstheologie praktisch als Widerstandstheologie« (Julia, Z. 416-417) begreift und in ihren Seminaren zu einem entsprechenden Denken und Handeln anleiten möchte (Julia, Z. 548-557). Auch ihr Engagement gegen Atomenergie steht für sie teilweise unter dem Fokus der ›Erziehung zur Widerständigkeit‹. Sie betont dabei ihr Engagement als Großmutter, die ihre Enkelkinder zu den Protestaktionen einlädt, »damit sie auch so mitkriegen, wo wir uns engagieren. […] Das Wichtigste ist es, ein Modell für die nächste Generation zu sein« (Julia, Z.726-727). Und auch das
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Tagungshaus, welches sie gemeinsam mit ihrer Freundin am Rande der Castor-Transportstrecke betreibt, soll »ein Ort des Widerstandes« (Julia, Z. 619) sein.
Typenbezogene Fallanalyse Politisches Engagement ist für Julia keineswegs auf die Sphäre des organisierten politischen Betriebs reduziert, sondern besitzt primär eine lebensweltlichubiquitäre Dimension. Die politischen Parteien spielen als Akteure in ihrer Selbsterzählung überhaupt keine Rolle. Vielmehr bedeutet ›Politisch-Sein‹ für sie »das nicht den politischen Machern und Macherinnen zu überlassen, sondern das mit wachen Augen und kritischen Ohren zu begleiten, zu betrachten und gegebenenfalls zu intervenieren« (Julia, Z. 873-875). Im deutlichem Gegensatz zu Dieter, der sein politisches Engagement in erster Linie als vorgabenorientierte Erfüllung angetragener Aufgaben in politischen Organisationen versteht, spielt die Dimension der Zugehörigkeit in Julias politischer Selbsterzählung eine untergeordnete Rolle. Trotz ihrer formalen Mitgliedschaft in der Kirche, betont sie in ihrem Engagement gerade die Unabhängigkeit von und zum Teil sogar die Konfrontation mit den jeweiligen Institutionen. Ihr Eintreten für einen antiautoritären Kinderladen erzählt sie beispielsweise als einen selbstinitiierten Akt, bei dem sie sich aktiv um die Mitgliedschaft im Kirchenvorstand bemüht hat, um eigene politische Ziele durchzusetzen: »Dann habe ich gedacht, nun will ich mich doch mal ein bisschen hier, ehrenamtlich in der Kirche umgucken und mal sehen, was da so passiert. Und dann habe ich mich in den Gemeindekirchenrat oder Kirchenvorstand wählen lassen, als jüngstes Mitglied, das war also ein ausgesprochenes Unikat. Und dann habe ich gesagt: ›Ja, also antiautoritäre Erziehung ist im Moment dran, als Antwort auf diese Nazizeit und diesen Gehorsamkeitsdrill, den wir da alle erlebt haben, jetzt ist was anderes dran und wir als Kirche, waren da ja auch mit beteiligt, per Deutsche Christen, wir müssen uns an dieser Diskussion auch beteiligen und deswegen plädiere ich als Mutter, dass wir in unserer Gemeinde, auf Kosten der Gemeinde einen antiautoritären Kinderladen bekommen« (Julia, Z. 14-22).
Ausgeprägter als bei Klaus versteht Julia den Wir-Zusammenhang ›Kirchengemeinde‹ als eine Chance, um eigene politische Ziele und Projekte durchzusetzen. Julia präsentiert sich dabei als eine autonome Akteurin, die sich nicht nur innerhalb der Gruppe abhebt, sondern der Gruppe zugleich die Inhalte vorgibt. So formuliert sie hinsichtlich der unterschiedlichen Engagementkontexte stets eigene Bedürfnisse und Interessen. Die von ihr als Seminarleiterin organisierten Exkursionen nach Israel stellt sie beispielsweise narrativ in den
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übergreifenden Kontext ›Erziehung nach Auschwitz‹, was sie aber gegenüber den Institutionen so nicht begründen könne: »Was mir dann ein ganz wichtiges Anliegen war, die Fahrten nach Israel zu machen und dann also, mich mit Kibbuz-Erziehung, ich mein, das war Religionspädagogik, das war das, womit ich das auch gut verkaufen [sic!] konnte. […] Wir haben verschiedene Kibbuzim besucht und das sind ja auch sehr widerständige Leute gewesen« (Julia, Z. 373-378).
Statt sich den religionspädagogischen Bildungsauftrag zu Eigen zu machen und im Rahmen vorgegebener Ziele zu agieren, nutzt sie den gebotenen Rahmen zur Verwirklichung eigener Projekte und Ziele. Die eigenen Ziele werden in diesem Fall nicht gegen, sondern unter dem Deckmantel der gruppenspezifischen Vorgaben realisiert (»gut verkauft«) und liegen quasi parallel dazu. In exponierter Art und Weise betont Julia dabei immer wieder den hohen Stellenwert von Autonomie und die Koppelung des politischen Engagements an die eigenen Bedürfnislagen. Dass sie nach ihrem Theologiestudium beispielsweise nicht den Beruf der Pfarrerin gewählt hat, sondern stattdessen in die Bildungsarbeit eingestiegen ist, bewertet sie gerade deshalb positiv, weil sich ihr dadurch größere Spielräume eröffnen: »Ich war ja keine Gemeindepfarrerin, das war mein großes Glück. Da hatte ich doch mehr Freiräume« (Julia, Z. 372-373). Die positive Wertung von Autonomie in ihrer Bildungsarbeit überrascht allerdings angesichts der Klagen über den hohen Druck und die Belastung, die diese Tätigkeit andererseits mit sich bringt. »Acht Jahre wurde ich getestet und dann musste ich jedes Jahr einen Tätigkeitsbericht abliefern, der natürlich den Anforderungen entsprechen musste. Ich musste genau Buch führen, wie viele Seminare in dieser Zeit mit wie vielen Teilnehmenden mit welcher Thematik, mit welchen Erfolgsergebnissen und so ging das alles, ja? Also ich stand da dann unter einem wahnsinnigen Leistungsdruck und musste mir natürlich auch immer was Originelles ausdenken, damit ich Kundschaft kriegte »(Julia, Z. 523-528).
Auch in ihrer Bildungsarbeit akzentuiert sie immer wieder die persönlichen Anliegen, die sie mit der Arbeit verbindet. Im Kontext Kirche sieht sie beispielsweise ihr »Hauptanliegen« darin, »den Antijudaismus, in der noch damals herrschenden Theologie irgendwie abzulernen, umzulernen« (Julia, Z. 418-420). Die Verfolgung eigener politischer Ansprüche in nicht unbedingt dafür vorgesehenen Rahmenbedingungen bildet in ihrer Selbsterzählung ein sich häufig wiederholendes Motiv. Ein weiteres Beispiel hierfür ist die folgende Sequenz, in der Julia von einem Seminar für Führungskräfte eines Großunternehmens erzählt, in das sie subversive Elemente eingebaut um dadurch die Teilnehmenden zu einer kritischen Reflektion anzuregen:
5. Politisches Engagement im Ruhestand »Dann habe ich erstmal den Begriff Führung in Frage gestellt und habe also wirklich, das waren alles junge Führungskräfte, die also nach oben aufsteigen wollten und wir haben dann bis nachts um zwei diskutiert, ja? Also ich meine, mein offizielles Seminar, wo ich dann auch die Methode vermittelt habe. Aber die blieben alle da sitzen und dann haben wir da diskutiert und das war dann meine subversive Arbeit« (Julia, Z. 470-475).
Vor dem Hintergrund eines weiten, lebensweltlich-ubiquitären Politikverständnisses verortet sie ihr politisches Engagement zwar auch, aber nicht nur, in der organisierten politischen Arbeit in institutionalisierten Zusammenhängen. Vielmehr schreibt sie der Bildungsarbeit und ihrer Wirkung auf Menschen in einem bestimmten Sinne eine politische Bedeutung zu. Dabei betont Julia immer wieder eines ihrer Hauptanliegen, welches darin besteht, die politische Arbeit nach eigenen Bedürfnissen und Interessenlagen auszurichten. Beispielhaft hierfür erzählt sie davon, wie sie auf einen gut bezahlten Job als fest angestellte Seminarleiterin verzichtet, weil sie dadurch ihre inhaltliche Freiheit in Gefahr sieht: »Ich habe gedacht, das Sein bestimmt das Bewusstsein, wer weiß, was mir hier dann passiert. Dann kommst du in Sachzwänge und da wollte ich mich nicht reinziehen [lassen]« (Julia, Z. 480-484). Diese stärkere Selbstbezogenheit im Engagement zeigt sich auch darin, dass das Ausscheiden aus Tätigkeitsfeldern und Zusammenhängen in erster Linie mit den eigenen Bedürfnissen begründet wird. Wo Dieter seine Amtsniederlegung damit erklärt, dass er der Gruppe nicht schaden wolle, spielen überpersönliche Verantwortungsbezüge in Julias Erzählung eine untergeordnete Rolle: »Da habe ich dann damit auch aufgehört, weil mir das zu viel wurde« (Julia, Z. 493-494). In ihrer Seminararbeit weist sie Anfragen von Kolleg_innen mit der Begründung zurück, dass sie »ehrlich gesagt genug [hatte], von diesem ständigen Vertretung spielen« (Julia, Z. 643) und auch die politischen Projekte werden mit dem Hinweis auf die eigene Überforderung eingestellt: »Wir hatten jedenfalls immer ein politisches Thema, aber irgendwann wurde uns das zu viel, also das ist eine Wahnsinnsarbeit« (Julia, Z. 609-610). Stärker als die anderen Fälle kommuniziert Julia zudem eine selbstbezogene Dimension ihres politischen Engagements, welche über den Dienst an einer gemeinsamen Sache und die Selbstpräsentation als gute Bürgerin hinausgeht. Sich sowohl bezahlt als auch unbezahlt im Feld der Bildungsarbeit zu engagieren wird weniger als eine dienstähnliche und entfremdete Aktivität für Dritte kontextualisiert, sondern als »Lieblingsbeschäftigung« (Julia, Z. 402) gerahmt, die »mich immer sehr interessiert [hat]« (Julia, Z. 679) und von einem »Feuer der Begeisterung« (Julia, Z. 412) begleitet wird. Dementsprechend setzt sie im Ruhestand ihr bildungspolitisches Engagement fort.
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Alter in Verantwor tung? »Dann hatte ich die Idee: Naja, ich kann ja in meinem Ruhestand noch Fortbildungen weiter machen, dann muss ich keinen fragen, keine Anträge mehr stellen und dann haben wir erst mal den Kuhstall ausgebaut, als Seminarraum. […] Wir wollten hier beide einen Ort, wo wir unabhängig von irgendwelchen kirchlichen oder sonstigen Erlaubnissen unsere eigene Geschichte machen konnten« (Z. 564-574).
Die dritte Lebensphase kontextualisiert Julia als einen aktiv zu gestaltenden Lebensabschnitt, der das Geschäftigkeitsarrangement der Erwerbsphase bruchlos fortsetzt: »Da habe ich nicht viel von gemerkt, also gearbeitet hab ich genauso viel wie vorher« (Julia, Z. 673). Sie unterstreicht ihr Bedürfnis, auch im Nacherwerbsleben eigene Ideen zu verwirklichen und die neuen Freiheitsgrade entsprechend zu nutzen. War ihre Bildungsarbeit zuvor durch inhaltliche und formale Abhängigkeiten eingeschränkt, sieht sie den Ruhestand als Chance, die Seminare unabhängiger und autonomer gestalten zu können. Die deutliche Orientierung auf Autonomie und Selbstverwirklichung wird insbesondere mit dem Ausdruck ›eigene Geschichte machen‹ akzentuiert. Statt sich wohlverdient zurückzuziehen steht die dritte Lebensphase im Zeichen auto- und heteroproduktiver Tätigkeiten, wobei die Seminargestaltung einen zentralen Stellenwert einnimmt. »Jedenfalls, denke ich, ist es eine Art freiwilliger Berufstätigkeit im Ruhestand, in der wir den Zeitwohlstand nutzen können, unsere Lieblingsthemen noch intensiver zu betreiben. Ich meine, wir sind ja nicht unter dem Druck, nun soundso viel Sachen zu machen, sondern wir haben immer ein Projekt« (Julia, Z. 623-626).
Der vermeintliche Zeitgewinn in der dritten Lebensphase wird dabei als Potential gedacht, dass aber nicht der Gesellschaft als solcher zur Verfügung gestellt werden soll, sondern für die Realisierung ihrer Lieblingsthemen bedeutsam wird. Hierzu gehören neben auto-zentrierten Aktivitäten wie der Erforschung der Familiengeschichte auch gesellschaftsbezogene Projekte (Julia, Z. 678691). So erwähnt sie in diesem Zusammenhang beispielsweise Ausstellungen und Bildungsprojekte über globale soziale Gerechtigkeit, politischen Widerstand, Hunger in der Welt oder Flucht und Migration, die sie im Rahmen einer jährlichen Kulturveranstaltung im eigenen Tagungshaus organisiert hat (Z. 579-607). Die Auseinandersetzung mit politischen Fragestellungen und Widerstandsthemen steht dabei für Julia im Fokus ihres Engagement: »Wir hatten jedenfalls immer ein politisches Thema« (Julia, Z. 608-609). Zentral ist in ihrer Erzählung zudem eine ausgeprägte Zukunftsorientierung, wodurch sie sich deutlich von den anderen Typen unterscheidet. Statt ihr Engagement im Ruhestand als moralisch gebotene Ausgleichstat für in der Vergangenheit erworbene Privilegien zu verstehen, oder es als Reaktion
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auf den gegenwärtigen Engagementbedarf der Wir-Zusammenhänge zu interpretieren, knüpft Julia ihr Engagement an einen Zukunftshorizont. Vor dem Hintergrund der konkreten Bezugsrahmen ihres Engagements betont sie ihre allgemeine »Verantwortung für die nächste Generation« (Julia, Z. 697-698) und den Wunsch: »Nie wieder soll so was wie Nazizeit bei uns existieren« (Julia, Z. 732-733). Ebenso verweist sie hinsichtlich ihres konkreten Anti-Atom-Engagements auf die Frage: »Wie halten wir das Thema wach, wenn jetzt die Castoren nicht mehr rollen sollten« (Julia, Z. 632-633) und rechnet ihrem eigenen Gegenwartshandeln dadurch eine Bedeutung und Wirkung für zukünftige Entwicklungen zu. Als zentralen diskursiven Bezugsrahmen dieser Verknüpfungsfigur betont Julia dabei die Lehren aus der deutschen Geschichte, dessen Wiederholung in Zukunft ausgeschlossen werden müsse. Ihr gegenwärtiges politisches Engagement versteht sie dabei als einen wirksamen und wichtigen Beitrag, reflektiert aber zugleich die Grenzen: »Meine Hoffnung ist, dass sie [meine Kinder, Anm.: Schwabe] meine Intention spüren, dass ich ihnen eine andere Zukunft ermöglichen wollte, als die Gegenwart, die meine Eltern hatten« (Julia, Z. 730-732). Insofern versucht Julia, sich »als Großmutter sehr zu engagieren« (Julia, Z. 715-716), indem sie ihre Enkelkinder zu Protestaktionen gegen die Atommülltransporte einlädt: »Damit sie auch so mitkriegen, wo wir uns engagieren, also ich denke, dass Wichtigste ist, ein Modell für die nächste Generation zu sein« (Julia, Z. 726-727). Auch in ihrer Bildungsarbeit reflektiert sie die eigene Lebenserfahrung und betont die zukunftsbezogene Wirkung des eigenen Engagements: »Ich denke, wir machen hier auf unsere Art ein Stück Bildungsarbeit aus der Perspektive, aus der Erfahrung des Alters. Etwas weitergeben an die jüngere Generation, aber auch hören, wie, ja wie leben die Jüngeren heute, welche Fragen haben die und wie sieht vielleicht so ein Bildungsprojekt für die Zukunft aus« (Julia, Z. 913-917).
Dabei geht es ihr nicht nur darum, Erfahrenes weiterzugeben, sondern auch darum, durch ihr Engagement zu lernen und sich zu entwickeln. Auf die Frage, was Alter bedeutet, antwortet sie fast schon paradigmatisch mit einem Zitat in Anlehnung an Martin Buber31: »Älterwerden ist eine schöne Kunst, wenn ich nie aufgehört habe, was Neues zu lernen« (Julia, Z. 881). So erzählt Julia, wie sie sich im Ruhestand in neue Fragestellungen hineinarbeitet, neues Wissen aneignet und neue Projekte umsetzt: »Das ist für mich die Chance im Alter« (Julia, Z. 882). 31 | Im Original: »Altwerden ist ein herrliches Ding, wenn man nicht verlernt hat, was anfangen heißt«.
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Obwohl auch Julia ihr Ruhestandsengagement thematisch in erster Linie als eine Fortsetzung ihrer früheren politischen Arbeit präsentiert, erwähnt sie andererseits auch die Auseinandersetzung mit neuen Themen. Angestoßen durch ihren Umzug ins Wendland habe sie sich als Rentnerin neuerdings auch gegen die Diskriminierung der dort lebenden Roma engagiert: »Also ich muss auch ehrlich sagen, ich habe dieses Thema, bevor ich ins Wendland kam, auch nicht wahrgenommen, obwohl es in Blaustadt auch Roma gab, aber das ist mir irgendwie, nicht über den Weg gelaufen« (Julia, Z. 804-806).
Die Teilnahme an einer politischen Radreise, ist für sie »nochmal ein Anstoß, mich mit diesem Thema intensiv zu befassen, weil ich dachte, naja, dass, das habe ich nirgendwo gesehen, obwohl das auch in die Palette rein gehört« (Julia, Z. 819-820). Sie erzählt von ihrer anschließenden Mitarbeit in einer Solidaritätsgruppe und dem Plan, auf ihrem nächsten Geburtstag einen Redebeitrag befreundeter Roma vorlesen zu lassen.
6. Mitverantwortliche Subjektivität im Spiegel des Wiederverpflichtungsdiskurses
Nachdem im vorigen Kapitel unterschiedliche Typen der Mitverantwortlichen Subjektivität identifiziert werden konnten, stellt sich schließlich die Frage nach der Bedeutung und Geltung des Wiederverpflichtungsdiskurses im Interviewmaterial. Wie bereits in der Interviewanalyse deutlich geworden ist, verstehen die Befragten ihr politisches Engagement in der nachberuflichen Phase mitnichten pauschal als direktes oder indirektes Resultat politisch-wissenschaftlicher oder medialer Diskurse, sondern als Ergebnis eines biografischen Prozesses. Damit ist aber weder gesagt, dass die Diskurse für die politischen Selbsterzählungen bedeutungslos sind, noch dass die Interviewten nicht vielleicht ungewollt oder unbewusst die entsprechenden Diskurse bedienen. Auffällig ist aber, dass nur eine Minderheit explizit von sich aus die Aufforderung zu einer mitverantwortlichen Lebensführung in Form von zivilgesellschaftlichem Engagement kommuniziert, sodass bei ihnen von einer zumindest oberflächlichen Kenntnis des Diskurses ausgegangen werden kann.1 Um dieses – zugegebenermaßen vertrackte – Verhältnis der Befragten zum politisch-öffentlichen Wiederverpflichtungsdiskurs zu untersuchen, habe ich den Befragten einen Auszug aus dem Altenbericht der Bundesregierung vorgelegt, in dem die gesellschaftliche Verantwortung gegenwärtiger Senior_innen betont wird. Diese explizite Konfrontation mit der Altenberichtsrhetorik bildet aber nur eine Seite der Medaille ab, denn aus den Statements der Befragten geht nicht immer klar hervor, ob sie sich auf den Inhalt, die Form oder den Sender der Botschaft beziehen (Thurn 1981: 23ff.). So ist es möglich, dass 1 | Beispielsweise Edith: »Das finde ich auch sehr interessant, das es [ehrenamtliches Engagement, Anm. Schwabe] jetzt schon insofern zunehmen sollte, weil wir, mit der besseren Ausbildung und den Sachen, die wir nun alle genossen haben, dass wir das also in anderer Weise, der Allgemeinheit wieder zur Verfügung stellen können, als das bisher der Fall war, vor allem weil ja bisher auch gar nicht so, der Wunsch war, also die alten Leute und Radieschen von unten oder so« (Edith, Z. 709-713).
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die Befragten den Altenberichtsauszug nicht deshalb ablehnen, weil sie ihren Sachinhalt oder ihren Appell zurückweisen wollen, sondern weil sie beispielsweise den Sender der Nachricht nicht für legitim halten. Auch ist es vorstellbar, dass sie den Auszug kritisieren, weil sie sich an bestimmten Formulierungen stören, aber mit dem Grundtenor durchaus konform gehen. Wie sich die Orientierungsrahmen der Befragten zum Wiederverpflichtungsdiskurs insgesamt verhalten, ist damit also noch nicht erschöpfend ausgeleuchtet. Darum habe ich in einem zweiten Schritt herausgearbeitet, inwiefern konkrete Elemente des Interdiskurses, wie zum Beispiel die eigenverantwortliche Nutzung von (Erfahrungs-)Kompetenzen im Horizont der überpersönlichen Verantwortungsbezüge, in den Interviews indirekt aufgerufen werden. Dabei stellt sich heraus, dass sich der im Interdiskurs ausgewiesene Bezugsrahmen der Altersproduktivität (Demografischer Wandel, Abbau des Sozialstaates, Entlastung der Gesellschaft) in den Interviewtexten so nicht wiederfinden lässt. Stattdessen verknüpfen die Befragten ihr zivilgesellschaftliches Engagement mit relativ konkreten Wir-Zusammenhängen und politischen Ambitionen. Der Bedeutungszusammenhang von Alter als aktiver Lebensphase, Erfahrungswissen als Potential und der gemeinwohldienlichen Nutzung der Altersressourcen aus eigenem Interesse findet sich in den biografischen Erzählungen erst dann, wenn man den Gemeinwohlbegriff konkretisiert und an die biografischen Verantwortungsbezüge rückbindet. Vor diesem Hintergrund zeigt sich dann durchaus, dass in bestimmten Fällen eine mitverantwortliche Lebensführung in der nachberuflichen Phase befürwortet wird und einzelne Elemente des Wiederverpflichtungsdiskurses bedient werden.
6.1 E xplizite S tatements zur W iederverpflichtungsrhe torik Um eine explizite Bezugnahme der Interviewten auf den Wiederverpflichtungsrhetorik des Altenberichts einzufangen, wurde allen Befragten am Ende des Interviews der vorliegende Auszug aus dem 6. Altenbericht der Bundesregierung vorgelegt, mit der Bitte, hierzu Stellung zu nehmen:2 »Das für jeden einzelnen älter werdenden Menschen bestehende Recht, Potenziale zu entwickeln und zu verwirklichen, korrespondiert auch für jeden einzelnen Menschen – im Rahmen der jeweils bestehenden Möglichkeiten – mit Pflichten, nicht nur gegenüber der eigenen Person, sondern auch gegenüber der Gemeinschaft. […] Indem ältere Menschen ihre Verantwortung – für die eigene Generation, für jüngere Generationen, für das Gemeinwohl – erkennen und als persönliche Verpflichtung deuten, tragen sie nicht 2 | Diese Idee stammt ursprünglich aus Denninger et al. 2014.
6. Mitverantwor tliche Subjektivität nur zu einer (notwendigen) Entlastung nachfolgender Generationen bei« (BMFSFJ 2010: 21f.).
Die Statements der Befragten zu diesem Auszug drücken inhaltlich weitgehende Zustimmung aus, was vor allen Dingen mit dem allgemein gehaltenen Duktus zusammenhängen dürfte. Der Begriff der Gemeinschaft und die inhaltliche Ausgestaltung der Verantwortungsübernahme bleiben offen und eröffnen Spielraum zur Interpretation. Abgesehen von der »unmöglichen Sprache« (Klaus, Z. 798) wird die Verantwortung älterer Menschen für die Gesellschaft – im Rahmen der Möglichkeiten – spontan mehrheitlich befürwortet. Von eher vorsichtigen Einschätzungen à la »das klingt alles ganz gut« (Rainer, Z. 699) über inhaltliches Einverständnis (»das find ich richtig«, Heinz, 802) bis hin zu deutlicher Unterstützung (»das möchte ich unterstreichen, das Gemeinwohl sollte man eigentlich viel öfter, in den Mittelpunkt setzen«, Monika, Z. 911-912) reicht das Spektrum der ersten Reaktionen. Vor dem Hintergrund der politischen Selbsterzählungen wird der Auszug sogar als Bestätigung der eigenen verantwortlichen Lebensführung interpretiert. »So haben wir eigentlich auch immer gelebt« (Frank, Z. 1240) ist eine symptomatische Reaktion vieler Interviewter auf den Appell zur verstärkten Verantwortungsübernahme aus dem Altenbericht. In der Bilanzierung des eigenen Lebens gilt es ihnen als »selbstverständlich, dass man Verantwortung für Jüngere [über]nimmt« (Edith, Z. 723) und auch in der nachberuflichen Phase »macht, […] was man alles kann« (Imke, Z. 752-753). Insofern verstehen die Befragten ihr politisches Engagement im Ruhestand allesamt als Einlösung dieses allgemeinen Verantwortungsappells, der zum Teil das eigene Gesellschaftsverständnis abbildet (»ich habe das mein ganzes Leben so gehalten«, Ria, Z. 686-687). Andererseits weisen viele Befragte die Verpflichtungsrhetorik aus dem Altenbericht auch als Anmaßung zurück. Obwohl sie dem Statement in der Sache zustimmt, reagiert beispielsweise Elena geradezu erbost darauf, dass ihr eigenes gemeinwohlorientiertes Engagement »ins gesellschaftliche Konzept eingebaut werden soll: Dann rieche ich Manipulation« (Elena, Z. 789-790). Insbesondere die Aufforderung, die gemeinwohlorientierte Verantwortung als persönliche Verpflichtung zu deuten, stößt vielen Befragten mitunter übel auf. Die Reaktionen reichen von dem Hinweis, dass Engagement »viel mehr [ist], als Verpflichtungen« (Georg, Z. 698-699) bis dahin, die Pflicht gegenüber der Gemeinschaft als Nazi-Rhetorik abzutun: »Das ist schon fast nationalsozialistisch, steckt da ein Stück mit drin« (Carsten, Z. 1096-1097). Es wird zudem vermutet, dass die Alten schlicht und einfach deswegen wieder in die Verantwortung genommen werden sollen, weil es einen gesellschaftlichen Bedarf an unentgeltlichen Leistungen gebe:
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Alter in Verantwor tung? »Was ich in der Kirche erlebe ist, dass Lektoren zum Beispiel, das heißt, Predigtleute, da zähle ich mich auch dazu, weil ich das gerne mache, da werden ersatzpastoral Funktionen jetzt geboren, die gibt’s schon länger, aber jetzt werden sie gebraucht, weil immer weniger Pastoren da sind. Was heißt denn das? Aus der Notwendigkeit geboren!« (Monika, Z. 759-762).
Die Aufwertung des Alters stelle sich demnach nicht einfach als gesellschaftlicher Dienst am Alter dar, sondern werde von einer opportunen Doppelbödigkeit begleitet. Von den Rentner_innen wird erwartet, dass sie »dann Lücken gesellschaftlich ausfüllen« (Carsten, Z. 1092) und vor allem deshalb neuerdings gefragt seien. Darum handle es sich bei der politisch motivierten Gemeinwohlförderungsveranstaltung um »aufgesetzte Sachen« (Monika, Z. 916): »Jetzt passt das gerade rein, man ist ja sowieso überall klamm, die öffentlichen Haushalte sind überall knapp, so empfinde ich das« (Monika, Z. 916917). Die Förderung des Gemeinwohls, an sich eine »gute Sache« (Monika, Z. 919) würde wegen seiner politischen Instrumentalisierung »dann zu so einer Beutelschneiderei« (ebd.: 920). Außerdem stehe die Förderung einer verantwortungsvollen Lebensführung im Alter im krassen Widerspruch zum gesellschaftlichen Klima: »Du sollst das letzte bisschen Kraft, was du hast, das wollen sie dir auch noch wie eine Zitrone, deinen letzten Tropfen auspressen und das dann der Allgemeinheit zur Verfügung stellen, obwohl dir vorher immer gesagt worden ist, die Allgemeinheit zählt überhaupt gar nicht« (Monika, Z. 920-924).
Gilt eine gewisse Gemeinwohlorientierung allen Befragten als ein wichtiger Wert, entzündet sich für viele die Kritik daran, dass diese Orientierung gerade von politischer Seite offiziell eingefordert wird: »Verdammte Hacke, wer hat denn dieses Land hier so gestaltet, wie wir es jetzt haben? Und da kommen irgendwelche Stiesel und sagen, die müssen das als persönliche Verpflichtung nehmen, also da kriege ich einfach ein bisschen die Wut« (Elena, Z. 768-770).
Trotzdem – oder gerade weil – die politisch Engagierten ihr eigenes Engagement auch als einen Beitrag zur Gestaltung der Gesellschaft verstehen, erscheint einigen die politisch verordnete Gemeinwohlförderungsprogrammatik als Abwertung der eigenen Leistung. Sie verstehen die Aufforderung nach mehr gemeinwohlorientiertem Verhalten schlichtweg als offizielle Ignoranz gegenüber dem eigenen Engagement, welches ihnen als Selbstverständlichkeit gilt. Allein die Tatsache, dass gemeinwohlförderliches Verhalten über Wiederverpflichtungsappelle hergestellt werden müsse, wertet Edith beispielsweise als »ein derartiges Armutszeugnis für unsere Gesellschaft« (Edith, Z. 729-
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730). In diesem Punkt erweisen sich die Befragten des autonom-gestaltungsorientierten Typs als die schärfsten Kritiker_innen. Das eigene politische Engagement wird zwar als ein sozialverantwortliches Handeln verstanden, das aber keineswegs mit staatlichen Zielen einhergehen muss, ja ihnen bisweilen sogar zuwiderläuft. Um sich im Sinne eines wie auch immer gearteten Gemeinwohls zu engagieren, so formuliert es beispielsweise Olaf, »dazu brauch ich die Politik nicht« (Olaf, Z. 751). Aber auch jenseits der eigenen Engagementerfahrungen zweifeln einige Interviewte an, dass solche politischen Verantwortungsappelle überhaupt eine Wirkung hätten. So fragt der ehemalige Pfarrer Georg rhetorisch: »Was soll das? Rüttelt das irgendjemand auf, bringt das jemand weiter? Fühlt sich jemand ermutigt?« (Georg, Z. 694-696). Obwohl fast alle Befragten die eigene politische Betätigung in unterschiedlichem Ausmaß als eine Form der mitverantwortlichen Lebensführung interpretieren und somit dem Appell zumindest theoretisch entsprechen, gibt es kaum Personen, die dem Auszug aus dem Altenbericht vorbehaltlos zustimmen. Insbesondere im Fall der autonom-gestaltungsorientierten Mitverantwortlichkeit wird dabei der Politik die Legitimität abgesprochen, Forderung nach mehr Gemeinwohlorientierung an die Älteren zu richten. Darüber hinaus wird das eigene Engagement – selbst bei Kenntnis des Interdiskurses – nicht in jedem Fall mit diesem in Verbindung gebracht. Vor diesem Hintergrund scheint es hilfreich, analytisch zu unterscheiden zwischen der Reaktion der Befragten auf den inhaltlichen Gehalt des Altenberichtsauszugs und der Reaktion auf die Kontextbedingungen des Appells. Während nämlich der Großteil der Befragten der Botschaft inhaltlich allgemein zustimmt, macht sich die Kritik zumeist an den gesellschaftlichen Verhältnissen fest, in denen diese Gemeinwohlorientierung gefordert wird. Der Bundesregierung wird dabei teilweise nicht nur das Recht zu solchen Appellen aberkannt, es wird zudem befürchtet, dass die durchweg positiv konnotierte Gemeinwohlorientierung unter den gegebenen politischen Verhältnissen unterlaufen und politisch instrumentalisiert würde (»in diese Richtung wird’s ja gewendet«, Carsten, Z. 1092-1093). So sehr sich die linkspolitisch Engagierten dabei einerseits aufs Gemeinwohl beziehen, so skeptisch sind sie andererseits gegenüber der politisch propagierten Gemeinwohlförderung aus dem Altenbericht. So macht sich eine weitere Kritik an der Definition der Ehrenamtsfelder fest. Selbst jene, die den politischen Wiederverpflichtungsdiskurs kennen, werfen der Bundesregierung zum Teil ein gezieltes politisches Kalkül bei der Förderung von zivilgesellschaftlichem Engagement vor. Statt unvoreingenommen zivilgesellschaftliches Engagement zu fördern, erlebe man eine Gemeinwohlförderung nach selektiven Kriterien. So moniert beispielsweise der Gewerkschafter Carsten, dass innerbetriebliche Ehrenämter nicht geför-
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dert würden, während die Alten aber andererseits als Ersatzarbeiter gefragt wären. Und auch der Vorsitzende eines antifaschistischen Vereins – der die öffentliche Wertschätzung von zivilgesellschaftlichem Engagement insgesamt befürwortet, beschwert sich über die restriktive Förderung ehrenamtlichen Engagements nach politischen Kriterien: »Wichtige Bereiche der ehrenamtlichen Tätigkeit werden ganz einfach ausgeblendet, dazu gehören wir auch, weil was nicht in den politischen Rahmen dieser Bundesregierung passt« (Rainer, Z. 702-704). Obwohl die sehr abstrakte gehaltene Verantwortung älterer Menschen für Gesellschaft von den politisch Engagierten auf einer allgemeinen Ebene befürwortet und durchaus als kompatibel mit der eigenen Lebensführung verstanden wird, löst der Auszug aus dem Altenbericht bisweilen heftigen Widerspruch aus. Das Unbehagen darüber, politisch instrumentalisiert und als Lückenfüller missbraucht zu werden, wird begleitet von der Kritik, dass das eigene politische Engagement gerade aus politischen Gründen nicht gewürdigt wird. Die Feststellung der öffentlichen Nicht-Würdigung führt bei einigen Befragten zwar zu Unmutsäußerungen, ändert aber nichts daran, dass sie das eigene politische Engagement dennoch als Ausdruck einer Mitverantwortlichen Subjektivität verstehen.
6.2 I mplizite H inweise auf E lemente des W iederverpflichtungsdiskurses Während die Befragten eine »mitverantwortliche Lebensführung« (BMFSFJ 2010: 21f.) älterer Menschen tendenziell befürworten, gibt es andererseits kaum Personen im Sample, die dem Auszug aus dem Altenbericht vorbehaltlos zustimmen. Die Verknüpfung von Aktivitätsorientierung, Nutzung der (Erfahrungs-)Kompetenzen und eigenverantwortlicher Gemeinwohlorientierung findet sich nur bei einem kleinen Teil der Befragten und auch nur unter ganz spezifischen Bedingungen. Hieraus allerdings abzuleiten, dass es in den Interviews kaum Hinweise auf eine Re-Responsibilisierung der dritten Lebensphase gibt, würde sowohl die zugrundeliegende Forschungsperspektive dieser Arbeit, als auch die übrigen Sequenzen aus den Interviews ignorieren. Deshalb möchte ich im Folgenden näher darauf eingehen, inwiefern sich in den Interviewtexten Elemente des Wiederverpflichtungsdiskurses finden lassen, ohne diese andererseits zwangsläufig als Effekte des politischen Diskurses von oben einordnen zu müssen. Damit möchte ich ganz bewusst die Möglichkeit zulassen, dass sich die Mitverantwortliche Subjektivität in der nachberuflichen Phase als eine »Ordnung von unten« (Angermüller 2004: 392) darstellen kann, die sich ggf. auf
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andere diskursive Verknüpfungen bezieht, aber nichtsdestotrotz zur Festigung des Wiederverpflichtungsdiskurses beiträgt. Statt also alle Interviewten, die in irgendeiner Weise eine Kritik an dem Altenberichtsauszug formulieren, pauschal als Kritiker_innen der mitverantwortlichen Lebensführung gegenüberzustellen, werden im folgenden Kapitel einzelne Diskurselemente fokussiert in den Blick genommen. Es geht um die Frage, inwieweit die Interviewten diese Elemente bedienen, wie diese Elemente typenspezifisch verhandelt werden und inwiefern die Befragten dadurch möglicherweise unbeabsichtigt an einer diskursiven Wieder-Indienstnahme der dritten Lebensphase mitstricken. Dabei wird sich zeigen, dass der demografische Wandel und der Umbau des Sozialstaates, in den politischen Selbsterzählungen der Interviewten keine relevanten Rahmenbedingungen für die Mitverantwortliche Subjektivität darstellen. Als Rahmen ihrer Mitverantwortlichkeit dienen ihnen vielmehr die biografisch begründeten konkreten und abstrakten Verantwortungsbezüge, die sich mehr oder weniger deutlich auf spezifische politische Diskurse zurückführen lassen. Im Zentrum auch dieses Kapitels steht somit nicht das faktische Handeln der Subjekte, sondern rangieren die subjektiven Deutungsmuster und Orientierungsrahmen sowie die impliziten Positionierungen der Befragten im Hinblick auf zentrale Elemente des Interdiskurses.
6.2.1 Wertschätzung dank (Erfahrungs-)Kompetenz Ein zentrales Element des Wiederverpflichtungsdiskurses ist die Neuentdeckung des Erfahrungskapitals älterer Menschen, welches aus einer Humankapitalperspektive gesellschaftlich genutzt werden und den älteren Menschen zu Anerkennung verhelfen soll. Obwohl dieses Thema von meiner Seite aus nicht explizit ins Interview eingeführt wurde, reklamieren viele Befragte für sich, über ein spezifisches Erfahrungswissen oder bestimmte Kompetenzen zu verfügen, die sie im Rahmen ihres politischen Engagements abrufen und nutzen können. Ob sich daraus zugleich ein tatsächlicher Anerkennungsgewinn für die Befragten ableiten lässt, ist dagegen schwer zu beurteilen, da das Thema so konkret im Interview nicht vorkommt. Das Thema ›(Erfahrungs-)Kompetenz nutzen‹ taucht in den Interviews dabei sowohl als ›Altersweisheit‹ als auch in Form eines altersunspezifischen Gebrauchs der eigenen (Spezial-)Fähigkeiten auf. Unter dem Terminus der ›Altersweisheit‹ versammeln sich solche Formen der Kompetenznutzung, die in erster Linie auf der eigenen Lebenserfahrung basieren und primär auf die Erfahrungsweitergabe zielen. Die Befragten messen den eigenen Erfahrungen hinsichtlich des gegenwärtigen politischen Engagements eine besondere Bedeutung zu und leiten daraus einen besonderen
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Nutzen ihres Engagements für die jeweiligen politischen Wir-Zusammenhänge ab. »Ich sehe da noch eine wichtige Funktion drin für mich, also jetzt so. Ich denke auch, dass jetzt als Alter oder Älterer mit dieser Geschichte kann ich dann Dinge einbringen oder Dinge sehen, Dinge spüren, glaube ich. Das ist so eine Aufgabe, die dann auch da so einzubringen« (Carsten, Z. 779-782).
Solche Thematisierungen des eigenen Erfahrungsschatzes finden sich insbesondere bei solchen Fällen, die ein relativ kontinuierliches Engagement in den gleichen oder ähnlichen Politikfeldern vorweisen können, sodass aus der Lebenserfahrung zugleich eine thematische Expertise erwächst. Das besondere Erfahrungswissen im politischen Engagement zielt dabei häufig auf die Fähigkeit, bestimmte gesellschaftspolitische Entwicklungen anders zu interpretieren und einzuordnen, als es die jüngeren Akteure in diesem Feld können. Dieses erfahrungsbedingte Sonderwissen wird als wertvoll für die politischen Kämpfe und die politischen Kollektive eingeschätzt. »[W]eil man so viel kennt. Ich bin jetzt 70 Jahre alt und die Versuche der Rechten, die hab ich ja alle schon erlebt, in den 60er Jahren. Die habe ich ganz früh in den 50er Jahren, als man die kleinreden wollte, als wir plötzlich suchen mussten, wo sind sie denn, die Nazis, ne? Mir kommt vieles bekannt vor, das heißt, ich werde sensibler« (Klaus, Z. 536-540).
Das Erfahrungswissen basiert dabei weniger auf erlerntem, technischem Handlungswissen, sondern auf der Fähigkeit, bestimmte Entwicklungen anders (und dadurch vielleicht auch besser oder angemessener) einschätzen zu können als Jüngere: »Je älter ich werde, desto schärfer sehe ich diese Linien, die sich durchziehen durch die Geschichte« (Edith, Z. 658-659). Auf diese Weise wird das eigene Erfahrungswissen als eine Art politisches Frühwarnsystem mit besonders empfindlichen Sensoren für allgemeinpolitische Veränderungen dargestellt. Die politische Erfahrung, bisweilen ist sogar von »Altersklugheit« (Heinz, Z. 766) die Rede, ermögliche eine Position innerhalb der politischen Zusammenhänge, von der aus man »auch Ratschläge geben kann« (Heinz, Z. 746-747). Obwohl die Aufwertung der eigenen Person qua Erfahrungswissen in allen Interviews nicht sonderlich ausgeprägt ist, findet sich diese Tendenz eher bei solchen Personen, die ein weit zurückreichendes, kontinuierliches Engagement im jeweiligen Politikfeld ausweisen. Dabei wird implizit vorausgesetzt, dass auch die jeweiligen Zusammenhänge (zumindest theoretisch) ein Interesse an der eigenen Erfahrung haben müssten, die aus Lebenserfahrung gewonnene Interpretationsfähigkeit also auch für die Jüngere bedeutsam ist. So verweist beispielsweise Julia auf ihr
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politisches Engagement in Bezug auf ihre Enkelkinder (»Ich versuche, mich auch als Großmutter sehr zu engagieren«, Julia, 715-716) und lädt ihre Enkelkinder unter anderem zu den politischen Gottesdiensten und Kulturveranstaltungen ein, damit die »wissen, warum wir uns hier so engagieren« (Julia, Z. 723). Gerade im Hinblick auf den deutschen Faschismus und die eigenen Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit der Elterngeneration sieht Julia ihre Aufgabe darin, »das an die nächste Generation weiterzugeben, dass hier sowas nicht mehr passiert« (Julia, Z. 751-752). Ob die selbst zugeschriebene Erfahrungskompetenz im Feld der Zivilgesellschaft aber gefragt ist und die Ratschläge gehört werden wollen, scheint dabei auf einem anderen Blatt zu stehen. Von offenen Zurückweisungen beim Versuch, das eigene Erfahrungswissen geltend zu machen, können die Befragten in diesem Sample zwar nicht berichten, dennoch weisen sie durchaus auf die Herausforderungen hin, auf die sie stoßen, wenn sie ihre Erfahrungen einbringen wollen.3 Statt Jüngere zu »belehren«, was »sowieso zwecklos [ist]« (Heinz, Z. 778779), geht es darum, »ein Modell für die nächste Generation zu sein« (Julia, Z, 726-727), indem man »das, was man da besser kann als vorher, dass man das dann auch wirklich tut« (Heinz, Z. 779-780). So sehr viele Interviewte einerseits von einem besonderen Erfahrungswissen ausgehen, so wenig leitet sich daraus andererseits automatisch ein Lehrer_in-Schüler_in-Verhältnis zwischen den Generationen ab.4 Fast schon reflexartig wird der Wunsch, das eigene Wissen weiterzugeben von dem Achtungszeichen begleitet, die Bedürfnisse nachfolgender Generationen nicht aus den Augen zu verlieren: »Wir machen auch hier auf unsere Art ein Stück Bildungsarbeit, ja? Und aus der Perspektive, aus der Erfahrung des Alterns, was weitergeben an die jüngere Generation, 3 | Denninger et al. identifizieren in ihrer Studie die »Strategien des gewusst« wie, die insbesondere von westdeutschen Männern angewandt wird, um Erfahrungen zu kommunizieren, ohne Abwehrreflexe zu erzeugen (Denninger et al. 2014: 332f.). 4 | Das zeigt sich nicht nur hinsichtlich des politischen Engagements, sondern in unterschiedlichsten Kontexten, in denen die Befragten mit Jüngeren zu tun haben. Ein Beispiel für die Selbstbeschränkung bei der Weitergabe des Erfahrungswissens findet sich bei Carsten, der als Großvater seinem Sohn Erziehungstipps geben möchte: »Man kann also eher dann gucken ok, weil das ist seine Entwicklung, um die es da geht, da kann man seine Wahrnehmung sagen und kann dann eben gucken, ja ok, was will der von mir und ich kann dann entscheiden, was kann ich da nun zu geben und es gibt noch Auseinandersetzungen, teilweise auch, jetzt nicht in dem Sinn, dass ich als Vater da reingehe, sondern dann eben sage du, das beobachte ich und ich sage dir jetzt einfach mal, wie da meine Wahrnehmung ist, was du draus machst, ist dann deine Sache, so in diese Richtung« (Carsten, Z. 829-836).
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Alter in Verantwor tung? aber auch hören, wie, ja, wie leben die Jüngeren heute, welche Fragen haben die und ja, wie sieht vielleicht so ein Bildungsprojekt für die Zukunft aus, ich denke, die haben andere Fragen als wir« (Julia, Z. 913-917).
Insbesondere die Befragten vom Typ der autonom-gestaltungsorientierten Mitverantwortlichkeit akzentuieren dabei die Gegenseitigkeit des Lernverhältnisses, indem sie sich nicht nur als Lehrende verstehen, sondern selbst von den Erfahrungen auch jüngerer Generationen profitieren wollen. »Da sind Jüngere und das fasziniert mich. Mit welcher Konsequenz die dann auch rangehen, mit welcher Radikalität, Unbefangenheit und so. Das ist so eine Sache, was bei mir so anstößt, das habe ich auch noch in mir und das möchte ich auch noch mehrfach erleben« (Carsten, Z. 1054-1059). Statt einseitig auf das Recht der Erfahrung zu setzen und sich dadurch gegenüber Jüngeren abzugrenzen, werden auch deren Perspektiven wertgeschätzt und als Möglichkeit für die eigene Weiterentwicklung interessant: »Das kann so ein Punkt noch sein, jetzt was diese Generation betrifft, dass beide voneinander lernen, ich also mich davon anstecken lasse« (Carsten, Z. 1068-1069). Insofern verweisen primär die autonom-gestaltungsorientierten Fälle auf die Bedeutung des eigenen Erfahrungsschatzes, hüten sich aber davor, einzig und allein daraus ein Recht auf Wertschätzung abzuleiten. Die Nutzung der eigenen Kompetenzen wird in den Interviews neben der Rahmung als Altersweisheit aber auch altersunspezifisch kommuniziert. Gerade diejenigen, die für die Ausübung ihres Engagements auf bestimmte Sonderfertigkeiten angewiesen sind oder aber erst wegen dieser Fähigkeiten um die Übernahme bestimmter Aufgaben gebeten worden sind, begründen ihr Engagement weniger erfahrungs- als vielmehr kompetenzspezifisch (was natürlich kein Widerspruch sein muss). So weist beispielsweise der ehemalige Vorsitzende eines politischen Jugendverbandes darauf hin, dass er vor allen Dingen deshalb im Ruhestand als ein Vorstandsmitglied in den unterschiedlichsten Vereinen gefragt ist, weil er mit Geld umgehen könne: »Weil die Leute immer glaubten, ich könne mit Finanzen umgehen, mit Geld umgehen und ich glaube, dass sich das auch bewahrheitet habe, diese Erwartung, die die da gestellt haben, so, dass ich ganz gut organisieren kann« (Friedrich, Z. 777-781).
Das politische Engagement kann dabei vorsichtig als eine Möglichkeit interpretiert werden, durch die man Gelerntes anwenden und gerade dadurch Anerkennung erfahren kann. Häufig sind es dabei die im Beruf erworbenen Fähigkeiten, die im Feld der Zivilgesellschaft geltend gemacht werden. Das politische Engagement ist dann etwa »ne total tolle Chance und eigentlich fast eine Pflicht, find ich, dann diese Zeit auch zu nutzen, das was man da gelernt hat, auch umzusetzen« (Heinz, Z. 750-752). Häufig werden die eigenen Fach-
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kenntnisse dabei auch aus der Perspektive der politischen Organisationen als wertvoll bewertet: »Bin dadurch, dass ich natürlich Buchhalterin bin, natürlich auch überall gefragt als Buchhalterin, man muss immer überall die Kasse machen« (Ria, Z. 166-168). Diese altersunspezifische Variante der nachberuflichen Kompetenznutzung erweist sich damit als voraussetzungsvoll und findet sich häufig bei den moralisch-reziprozitätsorientierten Fällen, bei denen die Verantwortungsübernahme gerade mit Verweis auf die spezifischen Privilegien oder Kompetenzen begründet wird. Aber auch im Fall der loyal-pflichtbewussten Mitverantwortlichkeit wird die Indienstnahme häufig mit dem Engagementbedarf der jeweiligen WirZusammenhänge begründet. Im Zentrum steht dabei allerdings weniger der Wunsch, die eigenen Kompetenzen zu nutzen, als vielmehr die Loyalität gegenüber der Gruppe. Dabei wird indirekt ebenfalls die (Erfahrungs-)Kompetenz der Befragten sichtbar: »Die haben mich dann auch irgendwann aufgefordert, ich war nicht von Anbeginn Vorsitzender, dass die gesagt haben, hör mal, du musst das übernehmen, du bist der einzige, der das übernehmen kann, ja, ich sag, ok, wenn ihr das wollt, mach ich das« (Dieter, Z. 368-370). Die Wertigkeit der eigenen (Erfahrungs-)Kompetenz ergibt sich in diesem Fall erst aus der Nachfrage der Wir-Zusammenhänge. Während somit in den anderen beiden Typen häufig von sich aus eine besondere (Erfahrungs-)Kompetenz angenommen wird, die es in den entsprechenden Kontexten umzusetzen gilt, erscheint die Kompetenzerfahrung hier als das Resultat externer Nachfrage. Ob damit allerdings eine besondere Aufwertung verbunden ist, wie sie im Wiederverpflichtungsdiskurs als Gegenleistung für die Ressourcennutzung versprochen wird, bleibt wegen fehlender Thematisierungen im Interview zunächst offen. Als Beitrag gegen Ageism oder gegen negative Altersbilder kontextualisieren die Befragten ihr Bürgerschaftliches Engagement im Ruhestand allerdings nicht. Das bedeutet andererseits aber mitnichten, dass die politischen Aktivist_ innen in ihrem Engagement keine Anerkennung und Wertschätzung erfahren würden. So zeigen die hier zitierten Auszüge deutlich, dass das Einbringen der eigenen Erfahrungen und Fähigkeiten im Feld der Zivilgesellschaft zwar nicht anspruchslos ist, aber in den meisten Fällen auch nicht als problematisch interpretiert wird. Klagen über ausbleibende Anerkennung für das Geleistete finden sich ebenso selten, wie Überraschungen darüber, dass man trotz des Senior_innenstatus im politischen Engagement Anerkennung durch andere erfährt. Außerdem zeigt sich, dass das Erfahrungswissen als solches noch kein Garant für eine altersspezifische Wertschätzung darstellt und man allein deswegen noch kein Sendungsprivileg gegenüber Jüngeren geltend machen kann – was aber von den Befragten auch kaum erwartet wird. Vielmehr hängt das Einbringen der Erfahrungskompetenzen – sofern man über keine nachgefragten Sonderfähigkeiten verfügt – auch davon ab, dass man auf die Er-
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fahrungen anderer eingeht. Und das scheint auch für die Interviewten keine altersspezifische Anforderung zu sein, sondern eine Selbstverständlichkeit.
6.2.2 Selbstführung im Sinne des Gemeinwohls Die Selbstführung im Sinne des Gemeinwohls stellt ein Diskurselement dar, welches im Wiederverpflichtungsdiskurs insbesondere in jüngster Zeit verstärkt aufgerufen wird und insbesondere aus gouvernementalitätstheoretischer Perspektive interessant ist. Mit dem Verweis auf die hohen Potentiale und das Partizipationsbedürfnis älterer Menschen wird Bürgerschaftliches Engagement als ein Handlungsfeld ausgewiesen, in dem ältere Menschen sich nicht nur aus eigener Initiative und in eigenem Interesse engagieren können. Vielmehr wird vermehrt von ihnen erwartet, dass sie sich eigeninitiativ den gesellschaftlichen Bedarfslagen annehmen, Probleme erkennen und die eigenen Kompetenzen selbstständig zur Bearbeitung derselben nutzen. Ein Blick in die Interviews macht allerdings deutlich, dass die Fähigkeit zur Selbstführung dabei sehr unterschiedlich kommuniziert wird. So finden sich auf Seiten des loyal-vorgabenorientierten Typus kaum Passagen, die auf eine Akzentuierung der Selbstführungsfähigkeit verweisen. Das politische Engagement in der dritten Lebensphase wird dabei weder als ein auf eigene Initiative zustande gekommenes Arrangement erzählt, noch gibt es Hinweise auf eine eigenständige Selbst-Ausrichtung am Bedarf der WirZusammenhänge. Zwar werden die Problemlagen der jeweiligen Kollektive in den Interviews durchaus reflektiert (»Die brauchten ja alte Leute, die ein bisschen aktiv waren«, Rainer, Z. 524-525), aber von einer selbstständigen Aneignung und Orientierung daran kann keine Rede sein. Stattdessen dominiert in diesen Erzählungen ein narratives Muster, wonach es stets andere sind, die einen selbst zum Engagement ›anleiten‹. Der Aspekt der Fremdführung steht dabei im Vordergrund: »Dann kam die auf einmal auf mich zu und sagten: Du bist jetzt hier in Gelbstadt und hast ja nix zu tun, kannst du nicht hier im Kreisvorstand mitarbeiten? Ja und ein paar Wochen später war ich dann Kreissprecher« (Rainer, Z. 290-292). Die Ausrichtung des eigenen Engagements an den Bedarfslagen der biografisch konstituierten Wir-Zusammenhänge wird durch die Initiative Dritter abgestützt und das praktische Aktiv-Werden zum Teil sogar explizit davon abhängig gemacht: »Wenn die mich mal brauchen, sollen sie gerne kommen, aber ansonsten gehe ich jetzt mal wieder mehr ins Theater« (Dieter, Z. 1024-1025). Auf der anderen Seite der Skala findet sich die autonom-gestaltungsorientierte Mitverantwortlichkeit, bei der die Autonomie und Selbstbezüglichkeit in der Tätigkeit insgesamt eine große Rolle spielt. Das Ruhestandsengagement wird in dabei in herausgehobener Weise als das Resultat eigener Initiative präsen-
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tiert: »Ja und dann hab ich tatsächlich das gemacht, ich hab mich bei der globalisierungskritischen Gruppe engagiert, das wollte ich immer schon […] und das konnte ich dann machen« (Imke, Z. 616-619). Vor dem Hintergrund der je spezifischen politischen Orientierungen und Gesellschaftsverständnisse identifizieren die Befragten dieses Typs selbstständig gesellschaftliche Problemlagen, an deren Bearbeitung sie sich beteiligen wollen: »Es ist so still in diesem Land, es gibt so furchtbar viele Probleme in der Arbeitswelt oder ökologisch, bei der Klimaerwärmung oder Ökologiekrise, Ressourcenknappheit« (Imke, Z. 687-690). Das eigene Aktiv-Werden im Rahmen der politischen Organisationen wird dann als ein aktives Einwirken auf diese gesellschaftlichen Problemlagen identifiziert. Auf die Frage, warum sie sich gerade für diese Gruppe entschieden hat, lautet die Antwort folglich: »Da habe ich irgendwie gedacht, da entsteht jetzt eine neue globale Bewegung, die sich mit den Problemthemen auseinandersetzt« (Imke, Z. 713-714). In ähnlicher Weise identifiziert auch Carsten als Rentner selbstständig die Probleme und Bedarfslagen der Gewerkschaft und entwickelt eigeninitiativ Projekte und Angebote, die in diesem Zusammenhang gebraucht werden. Er begründet sein Engagement mit dem Wegbrechen entsprechender Angebote: »Ich habe da einen Ansatz von mobiler Bildung entwickelt, wo dann eben in Form von Bildungsabenden, politischen Frühstücken, Kurzseminaren, in Klausurtagungen, in zwei, drei Stunden aktuelle Themen dann eher in Form von einer Mischung aus Referat, Präsentation, Diskussion. Also das sind dann eher sage ich mal so Kompaktsachen, also weil immer mehr auch deutlich wurde, durch die ganze Veränderung in der der Arbeitswelt sind die Freiraummöglichkeiten gerade auch für die Aktiven eingeschränkt« (Carsten, Z. 596-571).
Carsten identifiziert eigenständig die Probleme seiner Gewerkschaft und präsentiert sich insofern als mitverantwortlich, als dass er sein eigenes Engagement als ›Response‹ auf die entsprechenden Bedarfslagen kontextualisiert. Er hat als Rentner verstanden, dass er »nicht einfach gerufen [wird]« sondern »seine Sache suchen [muss]« (Carsten, Z. 553). Damit fängt er in diesem speziellen Kontext durch sein Engagement das auf, »was da so in den letzten Jahren weggebrochen ist« (Carsten, Z. 613-614). Dieses – insbesondere bei den autonom-gestaltungsorientierten Typen vorgefundene – Muster entspricht in hohem Maße dem entsprechenden Diskurselement aus dem Wiederverpflichtungsdiskurs, ohne sich aber auf den darin ausgewiesenen Bezugsrahmen – demografischer Wandel und Abbau des Sozialstaats – zu beziehen. Während sich auf diese Weise einzelne Elemente des Wiederverpflichtungsdiskurses durchaus in den biografischen Selbsterzählungen wiederfinden lassen, wird doch selten die ganze Verknüpfungskette aufgerufen. Das gilt insbesondere für den Bezugsrahmen des bürgerschaft-
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lichen Engagements und die darin eingelassene Spezifizierung des Gemeinwohls.
6.2.3 Die Dekonstruktion des (biologischen) Alters Spätestens nach Verwerfung der Disengagementtheorie und der damit verbundenen Vorstellung des Alters als eines natürlichen-biologischen Abbauprozesses hat es sich in der fachwissenschaftlichen Debatte durchgesetzt, ›Alter‹ in erster Linie als eine plastische und gestaltbare Lebensphase zu konzeptualisieren.5 Mithilfe konstruktivistischer Theorien zunächst in der Altersforschung und später auch in den Altenberichten ist man von einem essentialistischen Altersverständnis abgerückt. Es geht dann »nicht mehr um die Frage, was Alter ist oder wie gealtert wird, sondern darum, wie Alter kommuniziert wird« (Schroeter 2008: 28). Alter wird dabei nicht mehr als ein biologisches Faktum sondern als ein soziokulturelles Konstrukt verstanden, welches durch kulturelle Veränderungen formbar ist. Der sechste Altenbericht der Bundesregierung geht in diesem Zusammenhang gezielt davon aus, durch kulturpolitische Maßnahmen einen Wandel der Altersbilder und dadurch letztlich einen Wandel der Alterswirklichkeit erreichen zu können (BMFSFJ 2010: 514ff.). Altersbilder geraten dabei zum Teil sogar gezielt als Determinanten zur Nutzung und Förderung von Bürgerschaftlichem Engagement älterer Menschen in den Fokus (Reymann/Braun 2013: 76).6 In gewisser Weise hat die Gerontologie somit durch ihre dekonstruktivistische Lesart des Alters der aktivgesellschaftlichen Neuverhandlung des Alters den Boden bereitet (Reindl 2009: 163). Insofern lässt sich an dieser Stelle die Frage stellen, ob und wie die Engagementerzählungen der Befragten, die aufgrund ihres kalendarischen Alters allesamt zu den potentiellen Adressat_innen politischer Altersaktivierungsdiskurse gehören, altersmoderiert sind. Gerade vor dem Hintergrund des Auseinanderdriftens von Renteneintritt und Alterseintritt (vgl. Graefe 2013) kommt der Kategorie ›Alter‹ eine besondere Bedeutung zu, bildet doch der Gestaltbarkeitsdiskurs des Alters gewissermaßen die Grundlage für ein Bürgerschaftliches Engagement. In Abgrenzung zu einer »ontologisierende[n] 5 | Zur Bedeutung konstruktivistischer Ansätze in der Gerontologie siehe auch von Kondratowitz 2003. 6 | »Die Reflexion von Altersbildern auf gesellschaftlich-kultureller und auf individueller Ebene trägt dazu bei, das Älterwerden und das Alter differenzierter zu betrachten. Dies ist die entscheidende Grundlage dafür, dass in Zukunft sehr viel differenziertere Altersbilder kommuniziert werden, als dies gegenwärtig der Fall ist. Ältere Menschen sollten nicht nur im Hinblick auf Grenzen sondern auch im Hinblick auf Stärken adressiert und angesprochen und damit für gesellschaftliches Engagement gewonnen werden« (BMFSFJ 2010: 514).
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Altersforschung« (Saake 2006: 253), welche die Kategorie Alter immer schon voraussetzt, gilt es biografietheoretisch zu prüfen, inwieweit Alter selbst als sinnproduzierende Kategorie in den Engagementgeschichten auftaucht. Die Befragten in dieser Studie greifen das eigene Alter in den biografischen Selbsterzählungen von sich aus kaum auf. Alter wird einerseits auf explizite Nachfrage des Interviewers thematisiert und andererseits als Begründung herangezogen, um den Rückzug aus Engagementfeldern zu rechtfertigen. Alter wird primär dort thematisiert, wo gesundheitliche Einschränkungen zu einer Einschränkung einer politischen Praxis führen, die zu früherer Zeit relativ unproblematisch war. Der Körper wird damit zu einem zentralen Gegenstand, an dem das Alter gemerkt und zugleich ›performt‹ wird. »Alter bedeutet, die Funktionen lassen nach […], die Erholungspausen werden länger« (Klaus, Z. 740-741) sodass bestimmte Formen der politischen Betätigung problematisch werden. Beispielhaft hierfür ist Olaf, der sich bei der Blockade von Castortransporten einschränken muss: »Irgendwann, mit zunehmendem Alter ist man auch nicht mehr durch Wälder gerannt, man ist halt nicht mehr so schnell« (Olaf, Z. 523-525). Dabei sind es primär die körperbezogenen Praktiken, die wegen des Alters eingeschränkt werden. So begründet ein Vereinsvorsitzender seine Amtsniederlegung mit Verweis auf die altersbedingten körperlichen Anstrengungen: »Weil ich ja älter werde, ich werde ja jetzt im Februar 73 Jahre, so und ich habe das jetzt mit dem Zeltlagerverein auch schon vor zwei Jahren, da musst ich ja durch die Bundesrepublik immer reisen, in Orte wie Finsterau, Schongau, Insel Föhr, wo die Zeltlagerplätze sind, wo wir da tagten, einmal, zweimal im Jahr oder nach Berlin, wobei, das ging ja noch, so aber dann und so weiter, ja das war mehr wegen der Reiserei, weniger wegen den Inhalten« (Friedrich, Z. 796-801).
Alter wird dabei als ein Nachlassen von Energie und ein Abbau von Fähigkeiten verstanden, aufgrund derer eine Fortsetzung der politischen Praxis so nicht möglich ist: »Dass man, mehr Ruhe braucht, das hängt aber mit dem zunehmendem Alter zusammen, wir verlieren ja Körperkraft« (Friedrich, Z. 832-833). Insofern ist das Ausmaß der praktischen Verantwortungsübernahme im Ruhestand in allen Fällen indirekt auch altersbedingt, da das Alter gewissermaßen den Gesundheitszustand moderiert: »Ich wäre dann 76 und da bin ich der Meinung, da sollte ich Schluss machen, solche Funktionen auszuüben, weil ich es vielleicht auch nicht mehr gut mache« (Dieter, Z. 967-969). Dabei sind es in diesem Fall tendenziell die loyal-vorgabenorientierten und moralisch-reziprozitätsorientierten Fälle, die ihr politisches Engagement mit Verweis auf den altersbedingten biologischen Abbauprozess des Körpers reduzieren oder beenden wollen. Allen diskursiv prominenten Plastizitätsvorstellungen des Alters zum Trotz können sie ihren Rückzug aus den Verantwor-
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tungsrollen weiterhin problemlos mit dem unvermeidlichen altersbedingten Abbauprozess des Körpers begründen. Statt den körperlichen Abbau aber als Eingeständnis einer mangelnden Selbstsorge zu kontextualisieren und darin den Beweis unzureichenden Gesundheitshandelns zu sehen, beschreiben sie ihn tendenziell als ganz normale Alterserscheinung. Auf diese Weise schützt die Figur des natürlich-biologischen, altersbedingten körperlichen Abbauprozesses die Befragten tendenziell vor (Selbst-)Überforderung. In der Gruppe der autonom-gestaltungsorientierten Mitverantwortlichkeit finden sich dagegen auch einzelne Fälle, für die das Alter nicht natürlicherweise ein Ausscheiden aus gesellschaftlichen Verantwortungsrollen bedeutet. Auch bei ihnen begründen die altersbedingten gesundheitlichen Einschränkungen zwar bis zu einem gewissen Grad Einschnitte im politischen Engagement, aber sie schreiben sich zudem eine eigene Verantwortung für ihren Gesundheitszustand zu. Die Gesundheit ist dabei nicht ausschließlich das Ergebnis eines biologischen Prozesses, sondern darüber hinaus auch vom eigenen Selbstsorgehandeln abhängig. »Gesundheit gehört dazu und da mache ich auch sehr viel, also ich mache täglich so ein kleines Yoga-Programm und damit halte ich mich und ja, also ich fühle mich auch so, also ich fühle mich lebendig, ich fühle mich als lebendiger Älterer« (Carsten, Z. 958-963). Der Gesundheitszustand, welcher eine zentrale Voraussetzung für das Bürgerschaftliche Engagement bildet, ist in ihrem Fall eigenverantwortlich herzustellen: »Vernünftig zu leben, also mich gesund zu ernähren, für Bewegung zu sorgen und auch für die entsprechenden Pausen, ja? Damit ich mich regeneriere, damit ich für das nächste Projekt noch fit bin, ja? Und nicht sage, ich bin so kaputt« (Julia, Z. 918-921). Diese Radikalisierung der Eigenverantwortung folgt einer anderen Logik: Das Eingeständnis eines altersbedingten Rückzugs aus Verantwortungsrollen ist hier nicht mehr nur ein unbeeinflussbares äußeres Schicksal, sondern (zum Teil) immer auch Ausweis einer mangelnden Selbstsorge. Insofern dient auch das Alter nicht mehr selbsterklärend als uneingeschränkt legitimer Rückzugsgrund, sondern wird zum Symbol einer mangelhaften Verantwortung gegenüber der eigenen Gesundheit und damit auch gegenüber der Gesellschaft. Weil in dieser Logik die Sorge um die eigene Gesundheit eine Voraussetzung für ein gemeinwohldienliches Engagement bildet, könnte eine mangelnde Selbstsorge theoretisch als fahrlässig in Kauf genommene Gesellschaftsschädigung gerahmt werden. Diese Verbindung wird aber in den Interviews nicht hergestellt. Vor diesem Hintergrund taucht das Alter in ihren Erzählungen weniger als Begründung für einen geplanten Rückzug vom Bürgerschaftlichen Engagement auf, sondern als eine nachträgliche Rechtfertigung für die eigene Erschöpfung: »Also ich werde in diesem Jahr 75, da merke ich so langsam, so manchmal denke ich: warum bist du denn jetzt so müde? Und dann denke ich,
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ja, was hast du denn die letzten Tage gemacht? Ja, dann sage ich, musst mal ein bisschen auf die Bremse drücken (lacht), also ich versuche jetzt auch schon mal, jedes zweite Projekt auch zu lassen« (Julia, Z. 918-921). Obwohl sich die Befragten in den wenigsten Fällen allgemein als ›alt‹ bezeichnen, dient ihnen das Alter, verstanden als biologisch-bedingter körperlicher Abbauprozess, als Rechtfertigung für eine Zurückweisung und Minderung gesellschaftlicher Engagementansprüche. In diesem Sinne ermöglicht es das ›Kommunikationskonzept Alter‹, selbst angetragene Engagementangebote abzulehnen, ohne gleichzeitig ein eigenes Fehlverhalten einzugestehen oder Gefahr zu laufen, als unsozial zu gelten. Die Dekonstruktion des Alters als biologischer Verfallsprozess, wie er zunächst von Gerontolog_innen als Beitrag gegen Altersdiskriminierung in Angriff genommen wurde und seit einigen Jahren auch öffentlichkeitswirksam popularisiert wird, enthält – darauf deuten die Interviews vage hin – aber auch eine andere Seite. Fungiert ein essentialistisches Altersverständnis als legitimer Schutzraum gegen gesellschaftliche Produktivitätsappelle, droht die Kultivierung eines plastischen Altersverständnisses genau jenen »gesellschaftlichen Schutz- und Schonraum« (Backes 2008: 82) zu eliminieren.7 Die Zurückweisung von Engagementaufforderungen mit dem Hinweis auf das eigene Alter wäre dann nicht mehr und nicht weniger als das Eingeständnis, dass man nicht fähig oder willens war, seine Schadensvermeidungspflicht gegenüber dem Gemeinwesen zu erfüllen. In diesem Fall läuft ein konstruktivistisches Altersverständnis Gefahr, tatsächliche biologische Einschränkungen zu relativieren und die Betroffenen zu überfordern. Obwohl es im Interviewmaterial zarte Hinweise auf entsprechende Tendenzen gibt, scheinen die meisten Befragten das Alter aber weiterhin als legitime Begründung für eine Zurückweisung von angetragenen Engagementerwartungen nutzen zu können.
6.2.4 Die Verantwortungstypen und der Diskurs Die im Wiederverpflichtungsdiskurs aufgerufene neue Gemeinwohlverantwortung von Senior_innen erweist sich als so deutungsoffen, dass fast alle Interviewten einer nachberuflichen Verantwortungsübernahme – in Abhängigkeit von den individuellen Möglichkeiten und in einer typenspezifischen Weise – zustimmen. Das bedeutet aber nicht, dass alle Aktivist_innen gleichermaßen diskursnah positioniert sind, bzw. ihre biografischen Erzählungen ausschließlich diskursiv strukturiert sind. Das zeigt sich am deutlichsten
7 | Zu den ›Vorteilen‹ eines negativen, biologistischen Altersverständnisses siehe auch Baltes 1996, S. 29ff.
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hinsichtlich der Bezugsrahmen der Mitverantwortlichkeit, also der konkreten Bestimmung des Gemeinwohls. Ein zentraler Konflikt in der wissenschaftlichen Diskussion zur Bestimmung des Gemeinwohls entzündet sich häufig an der Frage, ob das Gemeinwohl einen spezifischen und gewissermaßen a priori bestimmbaren Inhalt hat oder ob es sich lediglich als Summe der Individualinteressen ergibt und dadurch erst im Nachhinein bestimmbar ist (Schubert/Klein 1997: 115). Insbesondere in pluralistischen und offenen Gesellschaften hat es sich dabei durchgesetzt, Gemeinwohl als ein inhaltlich umkämpftes Konzept zu verstehen, das immer von den Zielen und Interessen derjenigen abhängt, die sich darauf berufen, es bestimmen wollen oder es zur Verwirklichung konkreter Vorhaben nutzen (ebd.). Im Interdiskurs wird dabei kurzschlussartig eine win-win-Konstellation angenommen, in der die Verwirklichung der individuellen Bedürfnisse älterer Menschen mit einer Steigerung des gesellschaftlichen Mehrwerts einhergeht (siehe Kapitel 3.1.5). Die politisch geförderten Modellprogramme, aber auch der wissenschaftliche Diskurs um das produktive Alter machen dabei deutlich, worin dieser Mehrwert genauer besteht: Es geht primär um heteroproduktive und – im Kontext von demografischem Wandel und dem Abbau des Sozialstaates – solche Tätigkeiten, welche die Gesellschaft (ökonomisch) entlasten (Denninger et al. 2014: 136ff.). Folgt man dieser diskursiven Verengung des Gemeinwohlverständnisses nicht, eröffnet sich eine wesentlich breitere Perspektive auf gemeinwohldienliche Aktivitäten. Demnach drückt die Gemeinwohlorientierung, die häufig mit dem Begriff des Gemeinsinns eingefangen wird, die Bezugnahme des Individuums auf etwas Überindividuelles aus, wobei nicht von vornherein geklärt ist, was unter diesem Überindividuellen konkret zu verstehen ist (Tietz 2002: 39) Je nach Bezugsrahmen (Gesellschaft, Nation, soziale Gruppe etc.) können unterschiedliche Instanzen als überindividuelle Zusammenhänge interpretiert werden (Corsten/Kauppert/Rosa: 32f.). Versteht man darüber hinaus Gemeinwohl als ein umkämpftes Feld, auf dem unterschiedliche Inhalte um diskursive Hegemonie konkurrieren, dann gewinnt die politische Auseinandersetzung zur Bestimmung des Gemeinwohls an Bedeutung. Berücksichtigt man dabei, dass alle Befragten zum Zeitpunkt des Interviews in politische Zusammenhänge integriert sind, überraschen die zahlreichen Hinweise auf den gemeinwohlorientierten Charakter des eigenen Engagements kaum. Interessanter erweisen sich demgegenüber die – auch in Abhängigkeit von den politischen Diskursen – unterschiedlichen Bezugsrahmen und Inhalte der Gemeinwohlorientierung. Die Befragten identifizieren dabei im Interview unterschiedliche überindividuelle Zusammenhänge, zu denen sie mit ihrem Engagement einen Teil beitragen. Diese Zusammenhänge reichen dabei von konkreten politischen Gruppen (wie beispielsweise eine
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Partei) über soziale Bewegungen (z.B. die Anti-Atom-Bewegung) bis hin zur Gesellschaft als solcher, auf die in einer fokussierten Weise eingewirkt werden will (z.B. gegen den Neoliberalismus als Gesellschafts- bzw. Wirtschaftsmodell). Jenseits der spezifischen Bezugsrahmen der Mitverantwortlichkeit können die Verantwortungstypen aber auch im Hinblick auf weitere Diskurselemente verortet werden. Zunächst gilt die Aufmerksamkeit dabei dem Typus der loyal-vorgabenorientierten Mitverantwortlichkeit, der das politische Engagement in der nachberuflichen Phase primär mit seiner Zugehörigkeit zu konkreten Wir-Zusammenhängen begründet. Die Gesellschaft ist als abstrakter Bezugsrahmen einer persönlichen Verantwortungsübernahme kaum relevant. Obwohl die Fälle dieses Typs allesamt Aktivitäten in der dritten Lebensphase positiv bewerten, ist der Ruhestand als eine aktive Lebensphase für sie doch keineswegs selbstverständlich. So deuten ihre Interviews insgesamt am deutlichsten auf eine durch Passivität und Muße gerahmte Ruhestandsnormalität (der anderen) hin, von der sie sich aber durch die eigenen Aktivitäten umso klarer abgrenzen. Sie verstehen sich – mit anderen Worten – häufig als Ausnahmen von der Regel. Was den Modus der Mitverantwortlichkeit betrifft gehört diese Gruppe tendenziell eher in die Kategorie des klassischen Ehrenamtes. Weder leiten die Befragten ihre Verantwortung aus ihren besonderen Privilegien oder Kompetenzen ab, noch verbinden sie ihr Engagement mit der Aussicht, darin besondere Gestaltungsinteressen verwirklichen zu können. Statt selbstständig die Bedarfslagen der potentiellen Engagementkontexte zu identifizieren und sich eigeninitiativ ihrer anzunehmen, wird man gefragt und gebraucht. Die Gemeinwohlorientierung selbst ist dabei nicht ruhestandsbedingt oder -begründet, zum Teil aber ihre Verwirklichung. So verstehen sich die hier versammelten Fälle zwar aufgrund ihrer biografisch konstituierten Verantwortung gegenüber den Wir-Zusammenhängen immer schon in der Pflicht. Erst mit dem Renteneintritt und der damit verbundenen Entberuflichung fallen bisherige Engagementhürden weg und sie entsprechen den legitimen Engagementerwartungen anderer. Aus diesen Gründen kann dieser Typus eher in relativer Ferne zum Wiederverpflichtungsdiskurs verortet werden. Der Typus der moralisch-reziprozitätsorientierten Mitverantwortlichkeit weist dagegen schon stärkere Bezüge zum Wiederverpflichtungsdiskurs auf, speist sich seine Mitverantwortlichkeit doch gerade aus den eigenen Privilegien und Kompetenzen, die reflektiert werden und in einem besonderen Maße zum Engagement auffordern. Grundlage dieser Reflektion sind aber auch in diesem Fall die spezifischen Diskurse, die das erzählte Selbst mit den jeweiligen WirZusammenhängen verknüpfen und im Verhältnis als begünstigt erscheinen lassen. Diese Begünstigung begründet dabei die moralische Verpflichtung, im Ruhestand etwas zurückgeben zu müssen. Im Sample finden sich dabei
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sowohl Fälle, bei denen diese praktizierte Verantwortungsübernahme ruhestands- oder generationenspezifisch gelagert ist (als Verantwortung gegenüber der jüngeren, arbeitenden Bevölkerung, die einer größeren Arbeitsbelastung ausgeliefert ist, als man selbst) als auch solche, bei denen die eigene Position im institutionalisierten Lebenslauf nicht thematisiert wird. Insofern stehen die moralisch-reziprozitätsorientierten Fälle dem moralisch-geprägten Verantwortungsappell des Wiederverpflichtungsdiskurses durchaus nahe. Sie orientieren ihr Engagement an einem Reziprozitätsverständnis zwischen Individuum und Gesellschaft, in dem sie bisher die Begünstigten waren oder sind. Eine aktivitätsgerahmte Normalität des Nachberufslebens findet sich bei ihnen tendenziell häufiger und auch eine stärkere Eigeninitiative wird kommuniziert. Im Gegensatz zu dem autonom-gestaltungsorientierten Typus werden eigene Ansprüche an die Tätigkeit schwächer kommuniziert und selbstständige Orientierungen an den Problemlagen der Wir-Zusammenhänge findet seltener statt. Die autonom-gestaltungsorientierte Mitverantwortlichkeit steht der loyal-vorgabenorientierten Mitverantwortlichkeit maximal kontrastierend gegenüber und bedient zugleich zahlreiche Elemente des Wiederverpflichtungsdiskurses. So wird die eigene Verantwortung für gesellschaftliche Zusammenhänge als ein innerer Selbstanspruch thematisiert, der weniger mit den spezifischen Gruppenzugehörigkeiten in Verbindung steht, sondern mit dem Selbstbild als politisches Subjekt zusammenhängt. Die konkreten politischen Gruppen bilden dabei eher eine Gelegenheit zur Verwirklichung der eigenen politischen Ansprüche und weniger das eigentliche Ziel des Engagements. Stärker als beim moralisch-reziprozitätsorientierten Typus wird die eigene Initiative sowohl beim Zustandekommen des Engagements als auch in der Ausgestaltung der Tätigkeiten betont. Die autonom-gestaltungsorientierten Fälle identifizieren dabei in der Regel selbst in den (potentiellen) Engagementkontexten einen Bedarf, den sie mit Verweis auf ihre eigenen Kompetenzen selbstständig bearbeiten können. Allerdings – und das ist die andere Seite des Typs – steht die ausgeprägte Selbstbezüglichkeit des Engagements häufig auch im Konflikt mit den kommunizierten Bedarfslagen der Wir-Zusammenhänge. Es deutet daher vieles darauf hin, dass die hohe Gestaltungs- und Entwicklungsorientierung dieses Typus nicht immer passgenau mit den Bedarfslagen der Gruppen harmonisiert und somit tendenziell schwieriger zu regieren sein dürfte. Insofern lassen sich in diesem Typus zwar zentrale Elemente des Wiederverpflichtungsdiskurses wiederfinden, die aber genau deswegen dazu tendieren, den Diskurszielen entgegenzulaufen. So sind die Befragten dieses Typs (mit Verweis auf die politische Instrumentalisierung von freiwilligen Tätigkeiten) zugleich die schärfsten Kritiker_innen des Auszugs aus dem Altenbericht.
6. Mitverantwor tliche Subjektivität
Die im Interdiskurs relativ stabile Verknüpfung der einzelnen Diskurselemente zum Wiederverpflichtungsdiskurs des Alters erweist sich auf der Ebene der Subjekte als deutlich vielschichtiger und widersprüchlicher. Während der Diskurs vom Typus der loyal-vorgabenorientierten Mitverantwortlichkeit kaum rezipiert wird, bedienen die anderen beiden Typen durchaus einzelne Diskurselemente. Bemerkenswert sind dabei insbesondere die Verschränkungen der Diskurselemente im dritten Typ: Die ausgeprägte Kommunikation von Autonomie und Gestaltungsorientierung in der Tätigkeit steht hier einer einseitig gesellschafts-entlastenden Perspektive des Engagements gegenüber. Gerade von diesen Befragten wird die Instrumentalisierbarkeit der Freiwilligenarbeit häufig reflektiert und das eigene Engagement dezidiert nicht als Reaktion auf einen sozialpolitischen Notstand verstanden. Das Einspannen-lassen für gesellschaftliche Bedarfslagen und die Affinität zur (politischen) Gesellschaftsgestaltung stehen sich in diesem Fall zum Teil unversöhnlich gegenüber. An diesem Beispiel wird deutlich, dass es im Wiederverpflichtungsdiskurs unter der rhetorisch geglätteten Oberfläche durchaus zu Wucherungen kommen kann, die in der Widersprüchlichkeit einzelner Elemente selbst angelegt sind.
6.2.5 Die Inter viewten als (unfreiwillige) Ko-Produzierende des Diskurses Indem die Interviewten ihre nachberufliche Verantwortungsübernahme für überpersönliche Instanzen kommunizieren und dadurch sich selbst als mitverantwortliche Subjekte konstituieren, bedienen sie in unterschiedlichem Ausmaß zentrale Elemente des Wiederverpflichtungsdiskurses, ohne aber die gesamte Verknüpfungskette abzurufen. Während der Diskurs vorwiegend nicht in der Lage ist, die sehr spezifischen Verknüpfungsordnungen in den politischen Selbsterzählungen zu überschreiben und umzustrukturieren stellt sich dennoch die Frage, inwieweit die Befragten durch ihre Affirmation von ›Mitverantwortlichkeit‹ als Teil jener Diskurskoalition (Hajer 1995: 65)8 agieren, die an einer hegemonialen Fixierung des Diskurses mitarbeitet. Denninger et al. habe in ihrer Diskursanalyse eindrucksvoll dargelegt, wie sich das ›aktive Alter‹ als ein ›leerer Signifikant‹ (Laclau 2002: 65ff.) in den jüngeren Altersdiskursen etabliert hat, indem es als Teil des Altersdiskurses 8 | Hajer versteht unter einer Diskurskoalition Folgendes: »[I]n the struggle for discursive hegemony, coalitions are formed among actors (that might perceive their position and interest according to widely different discourses) that, for various reasons (!) are attracted to a specific (set of) storylines. Discourse- coalitions are defined as the ensemble of (1) a set of storylines; (2) the actors who utter these story-lines; and (3) the practices in which this discursive activity is based. Story-lines are here seen as the discursive cement that keeps a discourse-coalition together (Hajer 1995: 65).
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zugleich in der Lage ist, den Diskurs als solchen zu repräsentieren (Denninger et al. 2014: 196ff.). Obwohl die unterschiedlichen Akteure in dem Diskurs durchaus unterschiedliches meinen und unterschiedliche Ziele verfolgen, wenn sie sich auf das aktive Alters beziehen, »wirkt das alltägliche Lob der Aktivität dennoch performativ in dem Sinne, dass an der Delegitimierung von Müßiggang oder Nichts-tun mitgearbeitet wird« (ebd.: 370). Gerade die heterogenen Deutungsmöglichkeiten des ›aktiven Alters‹ ermöglichen dadurch die Anschlussfähigkeit der verschiedenen Akteure, die gleichermaßen den ›passiven Ruhestand‹ als negative Abgrenzungsfolie verwerfen.9 Der flottierende/ leere Signifikant fungiert auf diese Weise als symbolische Verkörperung eines imaginären Allgemeinen: Er wird von einem konkreten Deutungsinhalt, der ihm womöglich einst anhaftete, immer weiter entbunden und schließlich als abstrakter Referenzpunkt genutzt. Auf diese Weise ist es theoretisch möglich, dass auch solche Akteure, welche die spezifischen Verknüpfungsketten nicht in Gänze teilen und sich auf andere Begründungsmuster berufen, an der hegemonialen Schließung des Signifikanten mitarbeiten. Wovon aber hängt es nun ab, ob die Interviewten mit ihrer kommunizierten Gemeinwohlorientierung an der Geltung des Wiederverpflichtungsdiskurses mitarbeiten? Entscheidend hierfür ist – so antwortet Žižek – die Lesbarkeit des Diskurses, also die Frage, inwieweit der Diskurs »die alltägliche Erfahrung mitwirkender Individuen überzeugend ›lesbar‹ macht, es ihnen so in einem höheren Maße erlaubt, ihre Lebenserfahrung zu einer konsistenten Erzählung zu organisieren« (Žižek 2001: 243). Jenseits der identifizierten Diskurselemente richtet sich der Blick damit auf solche Verknüpfungen im Interview, die dem Wiederverpflichtungsdiskurs zuwiderlaufen und gerade nicht dazu beitragen, dass der partikulare Inhalt des Diskurses verallgemeinert wird. Ein Blick in die Interviews offenbart zunächst eine relativ breit-geteilte, positive Bezugnahme auf Aktivität und Beschäftigung in der dritten Lebensphase, die aber keineswegs immer widerspruchslos und selbstverständlich ist. So gehen zahlreiche Befragte von der Normalität eines passiven Ruhestandsverständnisses aus, von dem sie sich durch die eigene politische Betätigung positiv abheben. Gerade die Möglichkeit der Distinktion qua Abgrenzung verweist darauf, dass Elemente des passiven Ruhestandes weiterhin fortbestehen. Gleiches gilt für das Verständnis der Nacherwerbsphase als Selbst-Zeit. Selbst 9 | Gerade weil alle Akteure in ihrer Konkurrenz um die inhaltliche Besetzung des ›leeren Signifikanten‹ auf ihn verweisen, wird er als Erscheinung im Diskurs gestärkt (Nonhoff 2006: 205). Insofern ist der Begriff des leeren Signifikanten möglicherweise irreführen, erscheint er doch nur deshalb geleert, »um der Funktion der Bezeichnung der Totalität gerecht zu werden« (ebd.: 132). Empirisch dagegen kann der Signifikant niemals leer bleiben, sondern verweist »als flottierender Signifikant auf verschiedene, auch konkurrierende Signifikante, bzw. Signifikantenketten« (ebd.).
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diejenigen, welche eine ausgeprägte, moralisch-grundierte Verantwortung kommunizieren, wieder etwas zurückgeben zu müssen, betonen parallel dazu die späte Freiheit des Ruhestandes als Chance zur Verwirklichung eigener Interessen und Bedürfnisse. Hier zeigt sich am deutlichsten die Gleichzeitigkeit beider Orientierungen, die sich trotz vermeintlicher inhaltlicher Widersprüche miteinander verschränken. Andererseits findet sich aber auch eine relativ große Gruppe von Interviewten, bei denen das Bürgerschaftliche Engagement für andere narrativ mit der Verwirklichung eigener Ansprüche und aufgeschobener Lebensprojekte aus früheren Phasen zusammenfällt. Die persönliche Verantwortung für die überpersönlichen Bezugsrahmen wird hier als innerster Teil des Selbstkonzepts erzählt, das Engagement selbst als Gelegenheit zur Selbst-Realisierung. Ganz im Gegensatz zu dem moralisch-reziprozitätsorientierten Typus, der häufiger auch eine Universalisierung des Verantwortungsappells an Gleichaltrige (im Rahmen der Möglichkeiten) formuliert, sind die autonom-gestaltungsorientierten Fälle tendenziell zurückhaltend. Das Recht zur Gestaltung des Nacherwerbslebens nach eigenen Bedürfnissen gestehen sie auch anderen Senior_innen zu, sodass ihre libertäre Grundhaltung der moralischen Pflicht zur kollektiven Verantwortungsübernahme eher entgegenläuft. Deutlicher als in den anderen Typen distanzieren sich die autonom-gestaltungsorientierten Fälle aber von dem Auszug aus dem Altenbericht. Angefangen mit dem Verweis, sich nicht für die Zwecke der offiziellen Politik einspannen lassen zu wollen, bis dahin, der offiziellen Politik die Legitimation zur Gemeinwohlappellen abzusprechen, reichen ihre Ablehnungen der Altenberichtsrhetorik. Gerade in dieser Gruppe begründet sich die gesellschaftliche Verantwortungsübernahme aus der Opposition zum offiziellen Regierungshandeln, gilt doch der Staat nicht selbstverständlich und unhinterfragt als Hüter des ›wirklichen‹ Gemeinwohls, sondern bisweilen gar als Instrument zur Durchsetzung von Partikularinteressen. Die Befragten diesen Typs verweisen am deutlichsten darauf, dass sich das eigene Engagement für gesellschaftliche Belange – wie schon in der Vergangenheit – aus anderen legitimierenden Quellen (wie beispielsweise dem Umweltschutz oder dem Antifaschismus) speist, wobei der Staat häufig genau diese ›höheren‹ Ziele gefährdet hat (beispielsweise durch die Förderung von Atomenergie oder die unzureichenden Maßnahmen gegen Neonazis und Rassismus). Obwohl eine grundsätzliche Bereitschaft zu gemeinwohlorientiertem Engagement also durchaus kommuniziert wird, geht es ihnen – ganz im Sinne Foucaults – zugleich darum, »nicht dermaßen, nicht von denen da, nicht um diesen Preis regiert zu werden« (Foucault 1992: 52). Aber auch andere Befragte in diesem Feld neigen dazu, die an sie gerichteten Regierungsanforderungen skeptisch zu lesen. So sind einige Befragten mit Bezug auf ihr marxistisches Gesellschaftsverständnis durchaus in der Lage,
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den Gemeinwohlförderungsappell, der im Wiederverpflichtungsdiskurs als Beitrag zur Generationengerechtigkeit kontextualisiert wird, als Verteilungsproblem des gesellschaftlichen Reichtums zu interpretieren und den Appell damit selbstbewusst als »natürlich absolute[n] Quatsch« (Imke, Z. 948) zurückzuweisen.10 Insofern gibt es zumindest im politischen Feld Hinweise darauf, dass der Wiederverpflichtungsdiskurs auch in Abhängigkeit vom eigenen Gesellschaftsverständnis unterschiedlich gelesen werden kann. Ähnlich ambivalent positionieren sich die Interviewten zum Diskurselement ›(Erfahrungs-)Wissen‹ nutzen. Während auf der einen Seite die loyal-vorgabenorientierten Fälle gerade deshalb sozial integriert werden, weil sie bereits in Wir-Zusammenhänge eingebunden sind und von ihnen ›gebraucht werden‹, sehen sich die autonom-gestaltungsorientierten Fälle eher mit der Herausforderung konfrontiert, dass die Erfahrung, die sie sich selbst zuschreiben, auch im jeweiligen Feld wertgeschätzt wird. So zeigt sich an ihrem Beispiel mitnichten, dass sie als Rentner_innen plötzlich automatisch aufgrund ihres Erfahrungswissens Anerkennung erfahren. Vielmehr deutet vieles darauf hin, dass sie sich selbst eine Art ›Erfahrungsweitergabekompetenz‹ aneignen müssen, wollen sie ihre Kompetenzen zur Geltung bringen. Die im Diskurs geforderte Bereitschaft, das eigene Engagement eigeninitiativ an den Bedarfslagen der entsprechenden Wir-Zusammenhänge auszurichten, stellt gerade für die diesem Typus zugeordneten Fälle eine Herausforderung dar, tragen sie doch in hohem Maße eigene Ansprüche an die Tätigkeiten heran.
6.3 D er D iskurs im I ntervie w Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass die Befragten einerseits zentrale Elemente des Wiederverpflichtungsdiskurses bedienen, oft aber ohne sich auf den Diskurs zu beziehen und ohne die gesamte Verknüpfungskette aufzurufen. Gerade die Deutungsoffenheit des Gemeinwohlbegriffs ermöglicht es dabei fast allen Befragten, das eigene politische Engagement als Übereinstimmung mit dem Appell aus dem Altenbericht zu lesen, ohne sich aber an den impliziten Zielen des Interdiskurses auszurichten. Insofern darf ernsthaft bezweifelt werden, dass dem zweifellos machtvollen politisch-medialen Wiederverpflichtungsdiskurs gelungen ist, eine diskursive Leerstelle zu besetzen und sich als alternativlos und universal zu etablieren. Der partikulare 10 | »Das ist ein Verteilungsproblem und kein Generationenproblem, ne? Also es gibt heute Arme und Reiche, wenige Reiche, viele Arme und es wird in der nächsten, in eurer Generation, ist es genau so, also ihr erbt nicht nur die Schulden, ihr erbt auch diesen unendlichen privaten Reichtum und der muss anders verteilt werden, also alles Quatsch mit dieser Generationengeschichte« (Imke, Z. 948-953).
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Inhalt des Diskurses – ältere Menschen als gemeinwohldienliche Subjekte zu konzipieren, die sich im Zuge des demografischen Wandels und der Krise des Sozialstaates eigeninitiativ der gesellschaftlichen Bedarfslagen annehmen – ist weder umfänglich akzeptiert, noch uneingeschränkt lesbar. Weder ist die Pflicht zur Verantwortungsübernahme im Ruhestand als eine berechtigte Forderung akzeptiert, noch wird sie von allen Befragten gleichermaßen als Normalität angenommen und von den Gleichaltrigen gefordert. Vielmehr zeigt sich in den Selbsterzählungen der Befragten, dass ein kommunitaristisches Gesellschaftsverständnis keineswegs zwangsläufig auf eine (ökonomische) Entlastung der Gesellschaft hinauslaufen muss. Vielmehr ist der partikuläre Inhalt der nachberuflichen Verantwortungsübernahme hochgradig umstritten und nicht von einer durch offiziell-politische Gremien vorgegebenen Gemeinwohldefinition abhängig. Je nach biografisch konstituierten Verantwortungsbezügen kann der Inhalt des Gemeinwohls divergieren und er tut es auch praktisch. Hinweise darauf, dass die spezifischen Gemeinwohlorientierungen der Interviewten durch den Wiederverpflichtungsdiskurs überschrieben werden könnten, finden sich (noch) nicht.
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7. Alter in Verantwortung?
Über fünfzig Jahre nach der ›großen Rentenreform‹ und der Konstitution des Ruhestandes als einer materiell gesicherten, wohlverdienten und von gesellschaftlichen Produktivitätserwartungen weitgehend befreiten Lebensphase rücken insbesondere die ›Jungen Alten‹ wieder verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit. Im Zuge der Debatten um den demografischen Wandel und den schwächelnden Sozialstaat einerseits sowie die neu entdeckten Kompetenzen und Ressourcen gegenwärtiger Renteneintrittskohorten andererseits hat sich eine diskursive Formation etabliert, in der ein neues gesellschaftliches Interesse am Alter angemeldet wird. Den gesunden, fitten und mit einem wertvollen Erfahrungsschatz ausgestatteten Rentner_innen wird darin ein erhebliches Potential zugeschrieben, das sie in Form von Bürgerschaftlichem Engagement nutzen können und dadurch zugleich sich selbst als auch der Gesellschaft etwas ›Gutes‹ tun. Ausgehend von einer Homogenität zwischen den (Engagement-)Interessen älterer Menschen und den gesellschaftlichen Bedarfslagen werden produktive Aktivitäten in der dritten Lebensphase als wünschenswert erachtet und in Form von Medienkampagnen und Förderprogrammen popularisiert. Damit einher geht die immer offensiver kommunizierte Botschaft, dass Menschen nach der Entberuflichung wieder gebraucht werden und mehr Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen sollen. Während im ›Wiederverpflichtungsdiskurs des Alters‹ kurzerhand von dem Appell zur mitverantwortlichen Lebensführung auf (im ökonomischen Sinne) produktive und das Gemeinwesen entlastende (soziale) Tätigkeiten geschlossen wird, habe ich in der Interviewstudie explizit politisches Engagement als eine Form der Verantwortlichkeit für Gesellschaft untersucht. Leitend war dabei die Annahme, dass der Wiederverpflichtungsdiskurs gerade im politischen Feld in hohem Maße diskursiv anschlussfähig sei und die Erfahrungen der Subjekte strukturieren könne. Es wurde vermutet, dass gerade bei den politisch Engagierten eine ausgeprägte Sorge um die Gesellschaft vorhanden sei. Gerade durch die Affirmation von Aktivität, (Erfahrungs-)Kompetenz, Partizipationswillen und Gemeinwohlorientierung berge der Diskurs ein
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großes Potential – so meine anfängliche Vermutung – an die Erfahrungen der Befragten anzuknüpfen und diese zu organisieren. Auf der anderen Seite stellte sich die Frage, inwieweit der Diskurs durch genau diese Verknüpfungen selbst als Potential für politisches Engagement fungieren kann, indem er zwar einzelne Elemente der Selbsterzählungen strukturiert, aber die spezifischen Bezugsrahmen nicht überschreibt. Das könnte dann der Fall sein, wenn die Befragten auf eine aktive Rahmung der dritten Lebensphase und die Notwendigkeit zur Verantwortungsübernahme für andere verweisen, diese aber beispielsweise vor dem Hintergrund eines marxistischen Gesellschaftsverständnisses als Solidarität mit der Arbeiter_innenklasse spezifizieren und gerade nicht bereit sind, als Lückenfüller für den neoliberalen Umbau des Wohlfahrtsstaates zu wirken. Mit diesen Fragen im Hinterkopf habe ich die Interviewstudie vorgenommen und darin sowohl unterschiedliche Bezugsrahmen als auch typische Formen der Mitverantwortlichen Subjektivität identifiziert. In einem ersten Schritt sind dabei in Anlehnung an die konstruktivistische Variante der Grounded-Theory-Methodologie allgemeine Charakteristika der politischen Selbsterzählungen vor dem Hintergrund der Fragestellung untersucht worden, die schließlich ins Modell der nachberuflichen Verantwortungsübernahme mündeten. Die mehrstufige Kontrastierung der Fälle und Sequenzen führte zur Konstruktion von drei typischen Ausprägungen der Mitverantwortlichen Subjektivität: Der loyal-vorgabenorientierten Mitverantwortlichkeit, der moralisch-reziprozitätsorientierten Mitverantwortlichkeit und der autonom-gestaltungsorientierten Mitverantwortlichkeit. Während der erste und der dritte Typ in allen Kategorien maximal kontrastieren und damit die zwei Enden der Skala bilden, hat die moralisch-reziprozitätsorientierte Mitverantwortlichkeit eher den Charakter eines ›dritten Typus‹, der Elemente der beiden anderen vereint, aber nicht genau in der Mitte liegt. In einem zweiten Schritt wurde je ein Fall pro Idealtyp in seinen Besonderheiten herausgegriffen und unter Berücksichtigung des spezifischen Bezugsrahmens vorgestellt. Dabei ist deutlich geworden, dass die abstrakten Typen der Mitverantwortlichen Subjektivität diskursiv je sehr spezifisch eingebettet sind. Die konkreten Alltagsdiskurse der Subjekte und die biografisch konstituierten Verantwortungsbeziehungen sind dabei eng mit den abstrakten Orientierungen verzahnt. Auf diesen Erkenntnissen auf bauend widmete sich das fünfte Kapitel den expliziten und impliziten Verknüpfungen zwischen dem Wiederverpflichtungsdiskurs des Alters und den Alltagsdiskursen der Subjekte. Darin zeigte sich, dass zentrale Diskurselemente zwar von den biografischen Selbsterzählungen bedient und in typischer Art und Weise modifiziert werden, der Diskurs aber insgesamt nicht dazu genutzt wird, die Erzählungen zu strukturieren. Zwar finden Figuren wie das aktive Alter durchaus Eingang in die
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biografischen Geschichten, verdichten sich aber nicht zu einer neuen Ruhestandsnormalität als gemeinwohl-verantwortliche Lebensphase. Auch die Annahme, dass die Aktivist_innen durch die Affirmation der eigenen Mitverantwortlichkeit ggf. am Wiederverpflichtungsdiskurs des Alters mitstricken, kann nicht vorbehaltlos bestätigt werden. Im Folgenden werde ich zentrale Befunde meiner Studie vor dem Hintergrund relevanter Forschungsergebnisse diskutieren. Ein vorsichtiger Ausblick in die Zukunft rundet die Erkundungen ab.
7.1 P olitisches und B ürgerschaf tliches E ngagement Die vorliegende Studie widmet sich in besonderem Maße der politischen Dimension von Bürgerschaftlichem Engagement und nimmt dadurch eine Leerstelle im Aktivierungsdiskurs des Alters in den Blick. In der Rekonstruktion des Wiederverpflichtungsdiskurses konnte gezeigt werden, dass das aktive und gemeinwohlorientierte Alter in erster Linie als eine soziale, helfende und unter fiskalpolitischen Gesichtspunkten nützliche Ressource angerufen wird. Die politische Gestaltung des Gemeinwesens ist in diesem Diskurs ebenso unterbestimmt wie die Würdigung produktiver Beiträge älterer Menschen zur Findung des Gemeinwohls oder zur Förderung der Demokratie. Auch die Denkbarkeit eines aktiven Alters, welches gesellschaftliche Kosten verursache, den reibungslosen Politikbetrieb verlangsame oder den älteren Menschen gar zum Nachteil gereichen könne, ist diskursiv weitgehend ausgeschlossen. Implizit liegt dem Wiederverpflichtungsdiskurs die Annahme zu Grunde, dass ein aktives Alter per se das Gemeinwesen entlaste und deshalb zu fördern sei. Vor diesem Hintergrund fragt die Interviewstudie gezielt nach der Wirkung, bzw. der Bedeutung des Wiederverpflichtungsdiskurses im politischen Feld und konzentriert sich auf politisches Engagement als einem eigenen Teilbereich von Bürgerschaftlichem Engagement. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war die in der Literatur häufig aufzufindende aber selten belegte Behauptung, dass sich ein Bürgerschaftliches Engagement im politischen Bereich hinsichtlich der Orientierungsrahmen, bzw. der Motive der Engagierten von einem Engagement in einem sozialen Feld unterscheiden würde (vgl. Preiser 1982). So kommen beispielsweise Kohli et al. in einer qualitativen Studie zu »Engagement im Ruhestand« zu dem Ergebnis, dass es bei politischem Engagement – im Gegensatz zu sozialem Engagement in Wohlfahrtsverbänden – »nicht um die Bereitschaft zur Mitarbeit an vorweg definierten Aufgaben, sondern um Handlungsmöglichkeiten [geht], die durch eigene Initiative er-
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schlossen werden können« (Kohli et al. 1993: 278).1 Es wird in der Forschungsliteratur darauf verwiesen, dass den verschiedenen Engagementformen unterschiedliche Motive und Handlungslogiken zugrunde liegen würden, so dass beispielsweise die Faktoren für das Zustandekommen sozialen Engagements nicht auf das politische Feld übertragbar seien.2 Die Hypothese einer eindeutigen Unterscheidbarkeit zwischen politischem und sozialem Engagement im Hinblick auf die Orientierungsrahmen, bzw. die Motive der Engagierten kann durch diese Studie nicht bestätigt werden – zumindest dann nicht, wenn man pauschal von einem qualitativen Unterschied ausgeht. Zwar ist es durchaus zutreffend, dass ein Teil der politisch Engagierten ein hohes Maß an Eigeninitiative beim Zustandekommen des Ruhestandsengagements kommuniziert und die Handlungsmöglichkeiten zur Gestaltung der Gesellschaft besonders akzentuiert. Auf der anderen Seite können aber auch Fälle identifiziert werden, in denen das Zustandekommen des Ruhestandsengagements als ein fremdinitiierter Prozess kommuniziert wird und die Erfüllung angetragener Aufgaben und Funktionen im Vordergrund steht. Insbesondere die loyal-vorgabenorientierten Fälle der Mitverantwortlichkeit betonen die Bedeutung von anderen Personen und Organisationen bei der Aufnahme ihres Engagements. Sie präsentieren sich dabei als Teil der überpersönlichen Zusammenhänge, für die sie eine persönliche Verantwortung tragen. Der von außen angetragenen Erwartung, in der nachberuflichen Phase Funktionen im Rahmen dieser Kollektive zu übernehmen, kommen sie quasi selbstverständlich nach, erzählen diese Verantwortungsübernahme aber eher als Pflichterfüllung denn als autonome Selbstwahl.3 So mag es durchaus zutreffend sein, dass Gestaltungsorientierung und Eigeninitiative bei den Engagierten im politischen Feld häufiger sind als im sozialen oder kulturellen Bereich. Falsch wäre es aber davon auszugehen, dass eine freiwillige Tätigkeit im politischen Feld zwangsläufig auf eine ausgeprägte Eigeninitiative oder Gestaltungsorientierung zurückzuführen sei, bzw. durch diese erklärt werden könne. 1 | Auch in anderen Studien finden sich ähnliche Differenzierungsversuche zwischen politischem und sozialem Engagement im zivilgesellschaftlichen Feld, z.B.: »Während das soziale Engagement eher um die soziale Integration und Unterstützung gehe, zielen politisch Engagierte primär auf die Beeinflussung allgemein verbindlicher politischer Entscheidungen« (Steinbrecher 2009: 29). 2 | »Faktoren, die Akteure nicht in das bürgerschaftliche Engagement führen, sondern in verwandte Engagementformen – beispielsweise in soziale Protestbewegungen oder politische Parteien – bedürfen einer gesonderten Untersuchung« (Corsten/Kauppert 2007: 360). 3 | Dieses Muster ähnelt insofern eher dem Typ der »Dienst und Pflichterfüllung« aus der Studie von Jakob (1993: 51ff.).
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Insofern unterstützen die Ergebnisse dieser Studie die Entscheidung der Enquete-Kommission aus dem Jahre 2002, das politische Engagement im Hinblick auf die subjektiven Orientierungen der Akteure mit anderen Engagementformen im Konzept des Bürgerschaftlichen Engagements zusammenzufassen.
7.2 B ürgerschaf tliches E ngagement im R uhestand – der l ange A tem der E rwerbsarbeit ? Kontrovers diskutiert wird in der Forschungsliteratur zu Bürgerschaftlichem Engagement zudem die Bedeutung des Übergangs zwischen Erwerbsphase und Ruhestand. Dabei geht es sowohl um die Frage, ob ein ›fließender‹ oder vorzeitiger Erwerbsausstieg, z.B. über Altersteilzeitregelungen oder Frühverrentungsprogramme für die Aufnahme bürgerschaftlicher Tätigkeiten förderlich ist, als auch darum, inwiefern ein positiv empfundener, selbstbestimmter und gelungener Erwerbsausstieg die Motivation für zivilgesellschaftliche Tätigkeiten erhöht. In ihrer qualitativen Interviewstudie kommen Kohli et al. (1993) zu dem Ergebnis, dass »[g]erade der Bruch, der durch den Übergang in den Ruhestand gesetzt wird, […] durch seine kulturelle und sozialpolitische Institutionalisierung als Teil der Normalbiografie die Möglichkeit zu einem Neubeginn, zu einer ›späten Freiheit‹ (Rosenmayr 1983) [schafft]« (Kohli et al. 1993: 288). Während auf diese Weise einerseits der radikale Bruch im Lebenslauf zu einer Neuorientierung auf bürgerschaftliche Tätigkeiten führen könne, böten die zivilgesellschaftlichen Tätigkeiten ihrerseits »die Chance zu einem gleitenden Abbau, d.h. einem schrittweisen und selbstgesteuerten Disengagement« (ebd.). Zwar zeigen sich auch in der vorliegenden Studie Hinweise auf eine bewusste Neuorientierung in der Posterwerbsphase, doch stehen diese weder zwangsläufig im Zusammenhang mit einem abrupten Ende der Erwerbsphase, noch können diese als Auslöser einer neu entstandenen Gemeinwohlorientierung ausgemacht werden. Im Gegensatz zur Kohli et al.-Studie, in der ausschließlich Personen befragt worden sind, die abrupt aus ihrem Beruf ausgeschieden waren, konnten die Interviewten in dieser Studie auch von gleitenden Übergängen und einem fließenden Einfinden ins Engagementfeld berichten. So finden sich sowohl bei den solidarischen Vereinsmitgliedern als auch bei den gestaltungsorientierten Fällen Erzählungen von einer schrittweisen Intensivierung der zivilgesellschaftlichen Tätigkeiten. Während die solidarischen Vereinsmitglieder das Zustandekommen des Engagements eher den anderen Vereinsmitgliedern zuschreiben, die von ihrer Entberuflichung erfahren haben und sie ›peu à peu‹ mit neuen Aufgaben zu betrauen versuchen, stellen die autonom-gestaltungs-
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orientierten Fälle diesen Prozess als ein eigeninitiativ-vorausschauendes Bemühen um Übergangsprojekte dar. Da sie während der Vollerwerbstätigkeit keine Zeit hätten, den Übergang in den Ruhestand zu planen, nutzen sie den gleitenden Ausstieg (z.B. über Altersteilzeit), um einen Einstieg in neue Lebensabschnittsprojekte, Beschäftigungen und ggf. Bürgerschaftliches Engagement vorzubereiten. Die These, dass ein abruptes Berufsende der Aufnahme ehrenamtlicher Tätigkeiten förderlicher sei, kann also – obwohl es auch hierfür Beispiele gibt – nicht pauschal bestätigt werden. Darüber hinaus erweitern die Ergebnisse dieser Studie die prominente Annahme, dass die Aufnahme von Bürgerschaftlichem Engagement im Ruhestand auch von der subjektiven Bewertung der Entberuflichung abhängt. So deuten Belege aus empirischen Studien darauf hin, dass sich ein subjektiv gelungener Berufsausstieg positiv auf die Wahrscheinlichkeit auswirkt, sich im Ruhestand bürgerschaftlich zu engagieren (Olk 1997). Meine Studie schlägt diesbezüglich eine Differenzierung vor, sowohl was das Verhältnis zwischen Erwerbsarbeit und Ruhestandsengagement allgemein angeht, als auch was das Berufsende im Konkreten betrifft. Den Ergebnissen von Aner (2005) folgend, finden sich auch in dieser Studie zahlreiche Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Erwerbsarbeit und Bürgerschaftlichem Engagement – sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. So ist in den politischen Selbsterzählungen vielfach davon die Rede, dass das Bürgerschaftliche Engagement im Feld der Zivilgesellschaft während der Erwerbsphase aufgrund hoher Belastungen eingeschränkt oder ausgesetzt werden musste. Andererseits ist die Erwerbsarbeit in einigen Erzählungen auch der Ort, an dem Politisches verhandelt wird, bzw. von dem aus Impulse für das politische Engagement im Feld der Zivilgesellschaft ausgehen. Zivilgesellschaftliches Engagement und Erwerbsarbeit können also sowohl in einem Konkurrenz- als auch in einem Bedingungsverhältnis stehen, aber – und auch darauf weist bereits Aner hin – das Bürgerschaftliche Engagement muss in den biografischen Selbsterzählungen nicht zwangsläufig mit dem Beruf in Verbindung gebracht werden.4 So finden sich auch in dieser Studie Engagementerzählungen, in denen die Erwerbsarbeit als Lebensfeld aus der Engagementgeschichte weitgehend herausgehalten wird. Die entsprechenden Fälle verfügen in der Regel über stabile Normalarbeitsverhältnisse, die weder inhaltlich noch zeitlich mit dem fest institutionalisierten politischen Engagement konkurrieren, welches ebenfalls in klar umrissenen Funktionen und Ämtern stattfindet. Die Erzählungen 4 | Aner geht davon aus, dass »[b]ereits in Kindheit und Jugend angelegte biografische Themen und Handlungsmuster […] für zivilgesellschaftliches Handeln im gesamten weiteren Lebensverlauf Bedeutung erlangen [können]« (Aner 2005: 243).
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der Befragten werden dabei von einem eher engen Politikverständnis moderiert, sodass Politik zumeist nach Feierabend im Kontext von organisierten politischen Zusammenhängen stattfindet. Auf diese Weise ist es dann auch zu erklären, dass das bisweilen als sehr problematisch, schmerzhaft und erniedrigend empfundenen Ausscheiden aus dem Beruf narrativ nicht mit dem Ruhestandsengagement in Verbindung gebracht wird. Somit muss auch der Befund Olks relativiert werden, wonach »diejenigen Ruheständler, die ihre Ausgliederung aus dem Erwerbsleben als umfassende Sinnkrise erleben, über keinerlei biografische Sinnressourcen verfügen, um die Ausgliederung aus dem Erwerbsleben produktiv zu verarbeiten und neue Formen des Engagements und Aktivität zu entfalten« (Olk 2002: 44). Obwohl in meiner Studie keine Nicht-Engagierten befragt worden sind, finden sich unter den Interviewten Personen, die mehr oder weniger offen von einem äußerst problematischen Berufsausstieg berichten. Dass sie sich anschließend – im Lichte der Forschungsliteratur – trotzdem um bürgerschaftliche Tätigkeiten bemühen, steht – aus ihrer Perspektive – nicht im Widerspruch zu den beruflichen Negativerfahrungen. Statt eine feldübergreifende Strahlkraft der beruflichen Enttäuschungserfahrungen anzunehmen, die auch ein Bürgerschaftliches Engagement im Ruhestand verhindert, zeigen die Selbstkonstruktionen der Engagierten auch andere Bearbeitungsstrategien. So bilden – aber das mag eine Besonderheit im politischen Feld sein – Erwerbsarbeit und das zivilgesellschaftliche Engagement in einigen Fällen zwei relativ getrennte Lebensbereiche: Negative Bilanzierungen aus dem einen Bereich müssen nicht zwingend auf den andere übertragen werden. Eher im Gegenteil finden sich bei dem autonom-gestaltungsorientierten Verantwortungstypus Hinweise darauf, dass das Bürgerschaftliche Engagement vor dem Hintergrund des problematischen Berufsausstiegs in besonderer Weise relevant ist und identitätspolitisch bedeutsam wird. Gerade in solchen Fällen, in denen der Berufsausstieg so negativ bilanziert wird, kann das Bürgerschaftliche Engagement eine alternative Möglichkeit der Selbstbehauptung darstellen.
7.3 R uhestand als E ngagementpotential? Vor dem Hintergrund der Diskurse zum Demografischen Wandel und dem Umbau des Wohlfahrtsstaates vom versorgenden zum ermöglichenden und aktivierenden Sozialstaat gerät der Ruhestand als Phase der bezahlten NichtArbeit diskursiv zunehmend unter Rechtfertigungsdruck. Unter Bezugnahme auf die engagementförderliche Kapitalienausstattung der aktuellen Renteneintrittskohorte (soziales, kulturelles, ökonomisches Kapital) wird das Alter als Engagementpotential interessant, das in der Lage und willens sei, gesellschaft-
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liche Verantwortung zu übernehmen und sich im Sinne des Gemeinwohls zu engagieren (Braun/Burmeister/Engels 2004: 31; Menning 2004).5 Grund hierfür sei das Bedürfnis nach »einer sinnvollen Betätigung in gesellschaftlich relevanten Feldern« (ebd.). Weil die Zahl der fitten, gut gebildeten Älteren »in Folge des demografischen Wandels weiter steigen wird, entsteht ein größer werdendes Potenzial von Älteren, die sich im Gemeinwesen nutzbringend engagieren können und wollen« (ebd.). Die Identifikation eines steigenden Engagementpotentials in der Gruppe der Älteren wird von quantitativen Studien untermauert.6 Dieser Sichtweise stehen quantitative und qualitative Studien gegenüber, die sich mit der Verwendung und Wahrnehmung von Zeit aus subjektiver Perspektive beschäftigen. So geben die Daten des Deutschen Alterssurveys keinerlei Hinweise darauf, dass Menschen im Ruhestand außergewöhnlich häufig ein neues Engagement beginnen bzw. ein bisheriges Engagement zeitlich intensivieren (Künemund 2000: 297f.).7 Und auch qualitative Studien zur Zeitverwendung deuten darauf hin, dass ein objektiv vorhandener Zeitgewinn im Ruhestand keineswegs selbstverständlich als Gemeinwohlressource zu interpretieren ist: Sowohl ältere (vgl. Kohli 1986; Wolf 1988) als auch jüngere Forschungsergebnisse zur Bedeutung von Zeit im Ruhestand (vgl. Münch 2014, Köller 2007) deuten darauf hin, dass es aus subjektiver Perspektive sehr heterogene Sichtweisen auf Zeit gibt. So müsse die Zunahme freier Zeit in der Nacherwerbsphase weder zwangsläufig in heteroproduktive Tätigkeiten münden, noch ist sichergestellt, dass der vielzitierte ›Zeitwohlstand‹ überhaupt mit produktiven Tätigkeiten gefüllt wird. Statt das Mehr an Zeit – den sozialpolitischen Forderungen folgend – gemeinwohlorientiert einzusetzen, finden sich in den Studien auch große Gruppen, für die in erster Linie der selbstbezogene Zeitgenuss im Vordergrund steht. Aber selbst von den zivilgesellschaftlich Engagierten, das zeigt nun diese Untersuchung, wird der späte Zeitgewinn in erster Linie als Selbst-Zeit 5 | »Auch bei älteren Menschen gibt es noch viel ungenutztes Potenzial für das bürgerschaftliche Engagement – 28 Prozent der über 65-Jährigen sind mittlerweile bürgerschaftlich aktiv. Wenn es uns gelingt, dieses Potenzial zu heben, kann der demografische Wandel zu einer großen Chance für das bürgerschaftliche Engagement werden.« (Gensicke/Geiss 2010: Vorwort). 6 | So errechnet die Generali-Altenstudie bei den Älteren ein »Engagementpotential von 873 Millionen Stunden pro Jahr, was rund 510000 Vollzeitstellen entspricht« (Generali Zukunftsfonds 2012: 367). 7 | Demgegenüber stehen Ergebnisse der Generali-Altersstudie, wonach 23% der bürgerschaftlich Engagierten im Alter von 65 bis 85 Jahren retrospektiv angegeben haben, vor ihrem Renteneintritt keine Erfahrungen in diesem Feld gemacht zu haben (ebd.: 352).
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wahrgenommen, als eine späte Freiheit, die von gesellschaftlichen Produktivitätserwartungen weitgehend ausgenommen ist. Zwar betonen fast alle Befragten einerseits ihre persönliche Verantwortung für überpersönliche Bezugsrahmen im Ruhestand, erwarten eine solche gemeinwohlorientierte Verwendung der freien Zeit aber nicht zwangsläufig von anderen. So sind es interessanterweise gerade die sozio-ökonomisch besonders Privilegierten, die einerseits ihre eigenen moralischen Verpflichtung betonen und etwas zurückzugeben wollen, aber andererseits weniger privilegierte Gruppen von dieser Erwartung ausnehmen. Aber auch die Befragten vom Typ der autonom-gestaltungsorientierten Mitverantwortlichkeit distanzieren sich mehrheitlich von einer Pflicht zur gesellschaftsdienlichen Zeitverwendung im Ruhestand. Mit Verweis auf eine libertäre Grundeinstellung (Jede_r wie er/sie will!) gestehen sie anderen das Recht zu, die späte Freiheit auch als Privat-Zeit zu interpretieren, sodass die gemeinwohlorientierten Ansprüche des eigenen Lebens nicht verallgemeinert werden. Auch die selbstwertdienliche Abwertung unproduktiver und egoistischer Gleichaltriger findet sich bei ihnen kaum. In der Gesamtschau der Fälle zeigt sich demnach, dass selbst für die politisch Engagierten die Zeit im Ruhestand keineswegs selbstverständlich als ›Gesellschaftszeit‹ interpretiert wird. Primär wird der Zeitgewinn als ›SelbstZeit‹ verstanden, also als etwas, über das man nach eigenen Bedürfnissen und Interessen auch ohne schlechtes Gewissen gegenüber der Gesellschaft verfügen kann (auch Köller 2007: 138f.).
7.4 D as A lter z wischen H e terogenität und N ormierung Die Anrufung des ›Jungen Alters‹ in gesellschaftliche Verantwortung wird diskursiv legitimiert einerseits mit den Bedarfslagen der Gesellschaft und andererseits mit den unterstellten Bedürfnissen älterer Menschen selbst (Win-Win-Situation). Ausgehend von der Figur des ›structural lag‹, wonach die Entfaltung der Alterspotentiale primär durch gesellschaftliche Strukturen verhindert werde, zielt der wissenschaftlich-politische Diskurs in erster Linie auf die Schaffung engagementförderlicher Rahmenbedingungen. Einen ausgeprägten Handlungsbedarf identifizieren die Autor_innen des jüngsten Altenberichts dabei im Feld der Altersbilder. So seien in der Gesellschaft in erster Linie negative und defizitäre Bilder vom Alter vorherrschend, die auch zu einer praktischen Abwertung älterer Menschen führen würden (BMFSFJ 2010: 289). Um diesen offensichtlichen Missstand zu beheben sind große Anstrengungen darauf verwendet worden, vermeintlich positive Altersbilder zu populari-
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sieren.8 Menschen in der dritten Lebensphase werden dabei im Diskurs als aktiv, kompetent, zuverlässig, hilfsbereit und gemeinwohlorientiert präsentiert. Legitimiert wird diese ›Kulturarbeit‹ mit dem Argument, dass man auf diese Weise den älteren Menschen vielfältige Modelle fürs Nacherwerbsleben an die Hand gebe, ihnen dadurch neue Handlungsspielräume eröffne und zugleich den Status älterer Menschen in der Gesellschaft aufwerte. Aus der Perspektive der Foucauldian Gerontology erscheint diese positive Umdeutung des Alters allerdings nicht nur als eine Eröffnung von Spielräumen, sondern zugleich als eine Re-Normierung der dritten Lebensphase unter veränderten Vorzeichen. Diese neuen Geschichten wirken insofern normierend, als dass sie zwar andere Konzeptionen des wünschenswerten, guten Alterslebens vermitteln, aber dadurch immer auch ihr Gegenteil mittransportieren. Insofern kann selbst jede Empowerment-Strategie und gut gemeinte Förderung des Ruhestandsengagements immer auch als eine »Zurichtung des Alters« (van Dyk 2007: 105) verstanden werden. »[D]ie gerade offensichtlich gewordene Pluralisierung des Alters und seine damit verbundene ›normative Dissoziation‹ […] werden nun einer, wenn man so will, neuen gesellschaftlichen Rahmung ausgesetzt, deren Leitkriterien mit ›gesellschaftlicher Verpflichtung‹, ›gesellschaftlicher Selbstlegitimation‹ und ›Remoralisierung‹ umschrieben werden können« (von Kondratowitz 1998; 63). Auf diese Weise konstruiert der Wiederverpflichtungsdiskurs neue Anforderungen an die dritte Lebensphase, die von den Menschen unterschiedlich erfolgreich erfüllt werden können. Er schafft neue Grenzen der Ein- und Ausschließung, sichert dadurch bestimmte Positionen ab und setzt jene unter Druck, die diesen Idealbildern des Alters nicht entsprechen können oder wollen. Die Ergebnisse dieser Studie offenbaren diesbezüglich relativ deutlich diese ambivalente Doppelfunktion aktiver, produktiver und gemeinwohlorientierter Alterskonzeptionen. So sind es in fast allen Interviews die eigenen oder fremden Vorstellungen des ›aktiven Alters‹, welche das Bürgerschaftliche Engagement in der dritten Lebensphase als Handlungsmöglichkeit eröffnen. Das Alter wird in diesen Erzählungen allerdings nicht immer selbstverständlich mit aktivistischen Lebensentwürfen in Verbindung gebracht. Vielmehr dient die Darstellung von Aktivität in einigen Fällen gerade als Ausweis des NochNicht-Altseins und ermöglicht dadurch eine Abgrenzung von einerseits den 8 | Beispielhaft hierfür steht die Initiative Neue Bilder vom Alter. Das Ziel dieser Mitmachkampagne besteht darin, »die vielfältigen Lebensentwürfe der Älteren bekannter zu machen […damit] ältere Menschen ermutigt werden, ihre Fähigkeiten selbstbestimmt in die Gesellschaft einzubringen« (BMFSFJ 2015). In der zugehörigen Foto- und Videowettbewerb waren die Menschen eingeladen, eigene Beiträge einzureichen um die Vielfalt des Alterslebens sichtbar zu machen. Die prämierten Motive wurden anschließend als Wanderausstellung durch die Bundesrepublik geschickt (ebd.).
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›wirklich Alten‹ und andererseits den gleichaltrigen Müßiggänger_innen. In diesen Fällen identifizieren sich die Befragten dann explizit mit einem aktivistischen (Alters-)Lebensentwurf und verwerfen damit implizit das passive Alter als das negative Andere (vgl. auch Denninger et al. 2014: 376). Darüber hinaus findet sich parallel dazu auch das Verständnis von Alter als einer biologisch bedingt defizitären Lebensphase, in der Kräfte schwinden, Fähigkeiten abnehmen und Handlungsspielräume natürlicherweise kleiner werden. Dieses – im hegemonialen Diskurs oft negativ konnotierte Altersverständnis – führen einige Befragte insbesondere dann ins Feld, wenn sie im Interviewkontext den Rückzug aus Verantwortungsrollen legitimieren und zugleich eine Mitverantwortliche Subjektivität aufrechterhalten. Das Thema des defizitären Alters ermöglicht mit anderen Worten einen tatsächlichen Ausstieg aus den Verantwortungsrollen bei gleichzeitiger Kontinuität eines mitverantwortlichen Selbstkonzeptes. Die Interviewanalyse hat gezeigt, dass es zum Teil sogar die gleichen Menschen sind, die sich einerseits mit Verweis auf das eigene Aktivitätsniveau vom Alter abgrenzen und andererseits das Alter anführen, um ihren Rückzug aus Verantwortungsrollen zu begründen. Insofern kann eine aktivistische Lesart der dritten Lebensphase durchaus Handlungsoptionen eröffnen, sofern die Betroffenen in der Lage sind, ›Alter‹ als strategisches Legitimationsinstrument zur Realisierung eigener Bedürfnisse anzuführen.9 Interessant ist dieses Ergebnis auch hinsichtlich seiner Implikationen für die Gouvernementalitätsstudien, zeigt es doch, dass die Befragten keine konsistente und kontextfreie Selbstpositionierung in Diskursen einnehmen müssen. Statt einseitig den gesellschaftlichen Diskursen über das Alter unterworfen zu sein, bedienen sich die Subjekte situationsabhängig und strategisch an dem diskursiven Wissen, um das eigene Verhalten zu erklären. Dass sie dabei bisweilen auch auf Wissenselemente zurückgreifen, die sich auf den ersten Blick gegenseitig widersprechen, scheint aus subjektiver Perspektive unproblematisch zu sein. Vielmehr deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass sich die Subjekte zwar auf Basis der Diskurse konstituieren, aber gerade die parallele Verortung in unterschiedlichen Diskursen den Spielraum für Freiheitsgrade und Handlungsmacht eröffnet. Die Subjekte erscheinen somit nicht nur als diskursive Effekte, sondern verbinden die heterogenen Diskurselemente durchaus eigensinnig miteinander und unterlaufen sie dadurch zugleich. Die Möglichkeit des strategischen Umgangs mit diskursivem Wissen, wie sie auch in anderen empirischen Studien sichtbar geworden ist (Karl 2006; Tuider 2007; Spies 2009b), gilt es daher auch in der Weiterentwicklung von Diskurstheorien und Gouvernementalitätsstudien zu berücksichtigen.10 9 | Zur strategischen Nutzung von Altersstereotypen zur Interessendurchsetzung von Älteren siehe auch Kletter/Schwabe 2015. 10 | Ein vielversprechender Ansatz hierzu findet sich bei Spies 2009a.
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Andererseits zeigt sich insbesondere bei den Befragten, die sich dem moralisch-reziprozitätsorientierten und dem autonom-gestaltungsorientierten Typus der Mitverantwortlichkeit zuordnen lassen, der ausgeprägte Selbstanspruch, das aktivistisch-orientierte Selbstverständnis auch tatsächlich umzusetzen. Während die dem loyal-vorgabenorientierten Typus zugeordneten Fälle den Aktivitätsappell mehrheitlich sparsamer reproduzieren und kaum als Selbstanspruch formulieren, finden sich in den anderen Fällen durchaus Hinweise auf mögliche und tatsächliche Überforderungen. Gerade weil das aktivistische Selbstverständnis in wenigen Fällen eine Identifikation mit dem passiv gedachten Alter sogar kategorisch auszuschließen scheint, wird die Fortsetzung des aktivistischen Lebensstils aus früheren Phasen zu einer Belastung. In den Interviews finden sich dabei sowohl Hinweise auf eine Überschätzung der körperlichen Leistungsfähigkeit (die dann im Interviewkontext eingeräumt wird) als auch Selbstoffenbarungen über die eigene Unzulänglichkeit und das Gefühl, noch nicht genug gemacht zu haben. An diesen Beispielen wird dann die andere Seite der Medaille sichtbar: nämlich dass die Kultivierung aktivistischer Altersbilder auch eine überfordernde Wirkung haben kann und sich somit für einige als ›Bärendienst‹ herausstellt. Es zeigt sich somit auch in diesem Feld, dass aktivistisch gerahmte Alterskonzeptionen sowohl ermöglichend als auch normierend wirken, aber aufgrund ihrer Pauschalannahmen über ältere Menschen an den Bedürfnissen und Lebensweisen der Betroffenen vorbeilaufen können. Die gerontologische Diskussion über die ›Heterogenität des Alters‹ kann dabei ein Schritt in die richtige Richtung sein, läuft aber bei aller Fokussierung auf die Heterogenität von aktiven und heteroproduktiven Tätigkeiten Gefahr, genau jene autoproduktiven oder weniger aktiven Verhaltensweisen zu delegitimieren. Obwohl sich die im Interviewkontext thematisierten Aktivitäten der Befragten in dieser Studie mehrheitlich im politischen Feld verorten lassen und damit (im Sinne der Diskursziele) nicht zwingend als das Gemeinwesen entlastende Tätigkeiten bezeichnet werden können, bleibt die Wirkung aktivistischer Alterskonzepte unübersehbar. Es stellt sich für zukünftige Forschungen somit die Frage, inwieweit auch für den Fall vermeintlich selbstgewählter Altersaktivitäten die Verbreitung von Aktivitätsnormen neue normierende Anforderungen an die Subjekte stellt und neue Problemlagen mit sich bringt.
7.5 P olitische D iskurse in B iogr afien Darüber hinaus gibt die vorliegende Studie Hinweise darauf, dass das sogenannte ›Engagementpotential‹ in quantitativen Studien überschätzt wird. So wird das Engagementpotential in der Regel aus der Frage abgeleitet, ob man bereit wäre, sich ehrenamtlich zu engagieren oder das bestehende Engage-
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ment auszuweiten (Klages 2001: 116ff.). Unter Berücksichtigung bestimmter Hinderungsgründe wird dann abgeleitet, dass eine große Zahl von Menschen (diejenigen, die auf diese Frage mit ›Ja‹ antworten) mobilisierbar sei, sofern man ihnen Gelegenheiten und Informationen liefere. An die Politik wird dann der Auftrag formuliert, die Infrastrukturbedingungen für Bürgerschaftliches Engagement zu verbessern und ältere Menschen besser über die Engagementmöglichkeiten zu informieren. In diesem Szenario werden allerdings sowohl das vermeintliche Engagementinteresse als auch die Engagementgelegenheiten als abstrakte Größen verhandelt, welche die spezifischen diskursiven Verortungen der Subjekte unberücksichtigt lassen. Die vorliegende Studie sensibilisiert darüber hinaus für die konkreten diskursiven Einbettungen des Bürgerschaftlichen Engagements. Bei ›Bürgerschaftlichem Engagement‹ handelt es sich um einen wissenschaftlich-politischen Sammelbegriff, der die unterschiedlichsten Erscheinungsformen freiwilligen Engagements subsumiert. Hieraus abzuleiten, dass entsprechende Tätigkeiten mit einem »Bürgerpflichtmotiv« (Ueltzhöffer/SIGMA 2000: 71) einhergehen oder gar dessen Ausdruck sind, muss mit Blick auf die politisch Engagierten in dieser Studie in Frage gestellt werden. Zwar finden sich Hinweise auf den vielzitierten »Motivwandel im Ehrenamt« (Gensicke/Geiss 2010: 16) und die heterogenen Orientierungen, die Engagierte mit ihrem Engagement verbinden. Indizien dafür, dass sich die Befragten in ihrer Rolle als Bürger_innen angesprochen fühlen oder gar engagieren, liegen aber nicht vor. Selbst in solchen Fällen, in denen eine ausgeprägte Verantwortung und Selbstverpflichtung gegenüber überpersönlichen Zusammenhängen akzentuiert wird, bezieht sich diese in keinem Fall ausschließlich auf die Staatsbürger_innenrolle. Vielmehr ist das entsprechende Engagement – welches von Forschenden pauschal als ›bürgerschaftliches‹ bezeichnet wird – eingebettet in sehr spezifische Diskurse. Die Befragten investieren dabei in Subjektpositionen, d.h. sie konstituieren das politische Selbst vor dem Hintergrund politischer Diskurse, die ihrerseits eine spezifische Verantwortung des Individuums für die Gesellschaft, bzw. die Gemeinschaft plausibel machen, bzw. vor-schreiben. Das erzählte Selbst mitsamt seinen »fokussierten Motiven« (Corsten/Kauppert/Rosa 2008: 35ff.) ist insofern erst auf der Basis jener Diskurse zu verstehen, die dieses Selbst konstituieren. Als besonders wirkmächtiger diskursiver Bezug gilt in dieser Studie beispielsweise ein antifaschistisches Selbstverständnis, in dem die persönliche Verantwortung für die gesellschaftliche Entwicklung mit den indirekten Erfahrungen des Nationalsozialismus verknüpft wird. Gerade weil zu jener Zeit die Zivilgesellschaft geschwiegen und dadurch den Holocaust ermöglicht habe, so die Begründung vieler Befragter, sei es nun ihre Aufgabe, angesichts gesellschaftlicher Ungerechtigkeiten politisch zu intervenieren, um eine Wie-
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derholung der Geschichte auszuschließen. Die so kommunizierte Verantwortung für die Gesellschaft ist dabei keineswegs abstrakt, sondern hängt in jeder Selbsterzählung aufs Engste mit den biografisch konstituierten Verantwortungsbezügen zusammen. Insofern ist Kirsten Aner einerseits darin zuzustimmen, bei der Abschätzung des Engagementpotentials älterer Menschen verstärkt die Biografien in den Blick zu nehmen: »Die Erwartung, gemeinwohlorientiertes Handeln mit eigenen Interessen verbinden zu können, entsteht nur dann, wenn in früheren Lebensphase in einem der außerfamilialen Lebensbereiche, ggf. also auch im Berufsleben, positive Erfahrungen mit einem solchen Mix von Interessen gemacht wurden« (Aner 2005: 244). Die hier vorgelegten Ergebnisse betonen ebenfalls die Bedeutung der Lebensgeschichte – allerdings nicht als Entstehungsinstanz objektiver Handlungsmuster, sondern als Quelle von biografischer Bedeutung. Entscheidend scheint dabei weniger zu sein, ob es in der Vergangenheit ›tatsächlich‹ Konstellationen und Situationen gegeben habe, in denen ein entsprechender Interessenmix realisiert werden konnte, sondern vielmehr, wie die Interviewten in ihren Selbsterzählungen auf gesellschaftliche Diskurse zurückgreifen und sich in Subjektpositionen hineinerzählen können, in denen entsprechende Formen der Mitverantwortung angeboten werden. Statt als Ergebnis einer allgemeinen ruhestandsspezifischen (Neu-)Orientierung ist das bürgerschaftliche Engagement eingebettet in eine politische Selbsterzählung, die sich auf der Basis konkreter Diskurse und darin enthaltener Subjektpositionen begründet. Gerade vor dem Hintergrund der Generationentheorie Mannheims, wonach gemeinsame Prägungen in jüngeren Jahren eine nachhaltige Wirkung auf die Einstellungen und Wahrnehmungsmuster einer ganzen Alterskohorte über den weiteren Lebenslauf haben können, geraten dann diejenigen historischen Diskurse in den Blick, welche für das politische Selbstverständnis Befragten bedeutsam sind. So ist es in diesem Sample beispielsweise die Befragten vom Typus der autonom-gestaltungsorientierten Mitverantwortlichkeit, die sich explizit zur ›68er-Generation‹ zählen und ihre persönliche Verantwortung für die Gesellschaft zugleich mit der besonderen Generationenlagerung verbinden. Gleichzeitig sind diese historischen Diskurse ihrerseits fluide Gebilde, die mit der Zeit gehen, umgedeutet werden und neue Subjektpositionen ausweisen.11 11 | Wie Bude gezeigt hat, handelt es sich beim Chiffre ›68‹ um eine »offene Zuschreibungsformel« (Bude 1995: 40) die auf unterschiedlichste Art und Weise in die Biografien eingebaut werden kann. ›68er‹ wird man nicht alleine aufgrund des Geburtsjahres oder dadurch, dass man zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einem bestimmten Ort gewesen ist. Entscheidend ist vielmehr das nachträgliche »Gefühl, einer Generation
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Obwohl sich die ›68er-Generation‹ auch aufgrund der Geburtsjahre der Befragten zumindest theoretisch als ein Bezugspunkt der politischen Selbsterzählung eignen würde, wird er nicht von allen genutzt. So finden sich 68erBezugnahmen insbesondere bei den Akademikerinnen im Sample, die eine postmaterielle Werteorientierung kommunizieren und der biografischen Selbstreflexion einen hohen Stellenwert zumessen. Bei den (sich auch subjektiv dazu zählenden) Mitgliedern der Arbeiter_innenklasse taucht ›68‹ entweder als Abgrenzungsfolie oder aber gar nicht auf. Bei allen berechtigten Versuchen, die hohen Engagementquoten älterer Menschen pauschal mit ihrer spezifischen Generationenlagerung zu erklären, sollte sich die Wissenschaft zugleich davor in Acht nehmen, den ›Mythos 1968‹ nicht zu verklären. Statt das gestiegene politische Engagement der aktuellen Rentner_innengeneration pauschal als Generationeneffekt zu deuten, gilt es zugleich die soziale Konstruiertheit des Labels zu reflektieren. Ansonsten laufe man Gefahr, die Selbstbeschreibung einer privilegierten Minderheit als Generationenphänomen zu verallgemeinern und andere Erklärungsmuster zu übersehen.12
anzugehören, die einen historischen Bruch bewirkt hat« (ebd.: 40). Dass die sozialen Kämpfe Ende der 1960er Jahre in der Bundesrepublik als ein Generationenkonflikt gelesen werden, ist dabei ebenfalls erst das Ergebnis einer nachträglichen Umdeutung. Das zeigt sich nicht nur darin, dass sich die Bezeichnung ›68er-Generation‹ erst Anfang der 80er eingebürgert hat (ebd.). Vielmehr sind auch im Laufe der Jahrzehnte »viele zur Achtundsechziger-Generation dazugekommen, die an der sozialen Bewegung der Studenten überhaupt nicht beteiligt waren« (ebd.: 43). Die 68er-Generation markiert aus dieser Perspektive ein Label, das den Bruch mit der »Mentalität des unbedingten Aufstiegs« (ebd.) und die radikale Erneuerung des bundesdeutschen Gesellschaft zum Ausdruck bringt. Statt den sozialen Wandel durch die generationelle Abfolge zu beschreiben, ist die 68erGeneration selbst zu einem Mythos geworden (vgl. Kraushaar 2000). So weist Bebnowski darauf hin, dass die nachträgliche Produktion faszinierender Narrative von ›den 68ern‹ zu einer heldenhaften Umdeutung und Aufbereitung der damaligen Ereignisse geführt hat, die sich fest ins kollektive Bewusstsein eingeschrieben hätten (Bebnowski 2012: 106). Die positive Strahlkraft dieses Chiffres verleite schließlich zur Identifikation mit diesem überindividuellen Zusammenhang. »Hierfür ist es unerheblich, ob man 1967 gegen den Schah-Besuch und den US-Imperialismus in Vietnam demonstriert oder sich nur als Bruder im Geiste geriert« (ebd.). 12 | Darüber hinaus ist insbesondere für die 68er-Generation der Zusammenhang zwischen Generation und Geschlecht in der Forschung vernachlässigt. So korrelieren die Konstruktionen der ’68er in der Regel zumeist mit hegemonialen Männlichkeitsentwürfen (Bavaj 2007: 68ff.).
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Obwohl der Übergang in den Ruhestand von fast allen Befragten als ein relevanter Statusübergang gerahmt wird, gibt es in den Interviews wenige Hinweise darauf, dass damit zugleich neue Verantwortungsbezüge gegenüber der Gesellschaft hergestellt werden. Lediglich der Typ der moralisch-reziprozitätsorientierten Mitverantwortlichkeit weist insofern eine ruhestandsspezifische Rahmung auf, als dass bei ihm die neuen Handlungsspielräume im Ruhestand zusammen mit der eigenen Privilegierung und der Zugehörigkeit zu entsprechenden Wir-Zusammenhängen zum ›Zurückgeben‹ verpflichten. Die Verantwortungsbezüge beziehen sich aber nicht auf die Gesellschaft als Abstraktum, sondern die spezifischen, biografisch konstituierten Verantwortungsbeziehungen. Somit geben die Ergebnisse dieser Studie Anlass zum Zweifel daran, dass mit dem Übergang in die nachberufliche Phase langfristig hergestellte Verantwortungsbeziehungen diskursbedingt überschrieben oder erweitert werden. Das könnte auch an der Distanz liegen, die der Wiederverpflichtungsdiskurs im Vergleich zur Alltagspraxis der Befragten einnimmt: Selbst diejenigen, die im Interview selbstständig auf den Diskurs hinweisen, nehmen ihn in erster Linie als abstrakte Tendenz über die Medien wahr (»manche Politiker sagen ja, ältere Menschen sollen...«, oder »in der Zeitung schreiben sie jetzt immer, dass...«). Dass damit zugleich ein konkreter Engagementappell an sie selbst verbunden ist, der auch in tatsächliches Engagement münden könne, scheint aufgrund der mangelnden Verankerung des Diskurses in lokalen institutionellen und organisationalen Kontexten bisher unwahrscheinlich. Es zeigt sich in den biografischen Erzählungen somit recht deutlich, dass das politische Engagement der Befragten kein Ausdruck einer abstrakten Gemeinwohlorientierung ist, sondern aufs Engste mit den subjektiv relevanten und biografisch konstituierten Diskursen zusammenhängt. Der in der Literatur vielfach bemühte Gegensatz zwischen Egoismus und Altruismus spielt folglich in den Selbstkonstruktionen der Befragten keine Rolle.13 Statt rational kalkulierend Eigen- und Fremdinteressen gegeneinan13 | Dass einige Befragte insbesondere in ihren Statements zum Auszug aus dem Altenbericht durchaus auf das Spannungsfeld Egoismus-Altruismus, Eigennutz-Gemeinwohl zu sprechen kommen und sich selbst darin verorten, widerspricht diese These nicht. Vielmehr macht es deutlich, dass es sich hierbei um ein zwar bekanntes und verbalisierbares Spannungsfeld handelt, in dem man sich aber erst dann positionieren muss, man mit einem Wissenschaftler oder der Politik konfrontiert wird. Während das Thema im eher narrativ-biografisch Teil der Interviews von den Befragten nicht angerissen, finden sich die Anspielungen eher im argumentativ-geprägten letzten Abschnitt. Es deutet einiges darauf hin, dass die so gelagerten Äußerungen zu Engagementinteressen oder -motiven eher eine Reaktion auf die Fragestellung des Wissenschaftlers ist, als eine subjektiv-bedeutsame Information der politischen Selbsterzählung.
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der abzuwägen und das Bürgerschaftliche Engagement als Interessenmix zu präsentieren, besetzen und verschieben die Befragten im Diskurs vorhandene Subjektpositionen und verbinden dadurch das Selbst mit überpersönlichen Verantwortungsbezügen. Die feinsäuberliche Trennung von Engagementmotiven in einen egoistischen und einen altruistischen Anteil – wie sie von einigen Forschenden unternommen wird – scheint demnach an den Selbstkonstruktionen der Engagierten vorbeizulaufen und für die Erklärung von Bürgerschaftlichem Engagement ungeeignet zu sein (vgl. auch Corsten/Kauppert/Rosa 2008: 37ff.).14
7.6 D er W iederverpflichtungsdiskurs im I ntervie w Es deutet insgesamt vieles darauf hin, dass der herbeigeschriebene Zusammenhang zwischen der altenpolitischen Aktivierungspolitik und dem faktischen Anstieg der Engagementquote (vgl. etwa Gensicke/Geiss 2010: 156) nur eine geringe Entsprechung auf subjektiver Ebene findet. Viel stärker als bisher sollte es daher darum gehen, den konkreten Selbstkonstruktionen der Engagierten nachzuspüren und die gesellschaftlichen Diskurse ausfindig zu machen, die ›gemeinwohldienliche Positionierungen‹ ermöglichen, bzw. wahrscheinlich machen. Das würde außerdem davor bewahren – darauf deutet zumindest meine Studie hin – die Wirkung sozialpolitischer Responsibilisierungspolitik systematisch zu überschätzen. Ebenso, wie nicht jede Kommunikation von Aktiv-Sein als ein Erfolg altersbezogener Aktivierungspolitik verbucht werden könne (vgl. auch Denninger et al. 2014: 345), kann nicht jede Gemeinwohlorientierung im Ruhestand auf den Wiederverpflichtungsdiskurs zurückgeführt werden. Eine Gerontologie, die sich als Lobbywissenschaft für Alteninteressen und ältere Menschen begreift und auch ansonsten nicht müde wird, die Älteren als Ko-Produzierende ihrer Lebenswelt zu adressieren, dürfe folgerichtig auch ›den subjektiven Faktor‹ nicht ausklammern. Aber auch in jüngeren qualitativen Studien, die aus einer gouvernementalitätstheoretischen Perspektive die Verschränkung von Programm und Praxis in den Blick nehmen, wird häufig kurzschlussartig von einer diskursinduzierten Positionierung der Subjekte ausgegangen (vgl. Post 2009, Laliberte Rudmann 2006). Die Möglichkeit, dass entsprechende Positionierungen auch durch andere Diskurse und diskursive Verknüpfungen auf der Ebene der Subjekte ermöglicht werden, ist dabei häufig bereits konzeptionell ausgeschlossen. 14 | Eine vertiefende Untersuchung verdient vor diesem Zusammenhang allerdings die diskursive Produktion abstrakter Motive und die Frage, inwiefern die abstrakten Einstellungsmessungen in der Statistik in der Lage sind, Diskurseffekte abzubilden.
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Statt voreilig von der Existenz von Altersdiskursen auf ihre faktische Wirkung im altenpolitischen Feld zu schließen, so zeigt meine Studie, ist die Analyse gouvernementaler Regierungsstrategien ohne eine fundierte Einbeziehung der Subjekte notwendigerweise unvollständig und leistet zugleich einer gestaltungspolitischen Selbstüberschätzung Vorschub. Zumindest im politischen Feld scheinen sich die bürgerschaftlich engagierten Senior_innen nicht wegen des Wiederverpflichtungsdiskurses zu engagieren, sondern unabhängig davon.15 Das bedeutet andererseits aber nicht, dass die Befragten einer mitverantwortlichen Lebensführung insgesamt kritisch gegenüberstehen oder diese gar ablehnen. So zeigen sich bei allen politisch Engagierten deutliche Züge eines kommunitaristisch-geprägten Gesellschaftsverständnisses, in dem die Verantwortung der Einzelnen für überpersönliche Zusammenhänge eine zentrale Komponente darstellt – auch nach der Entberuflichung. Allerdings gilt diese Form der Mitverantwortlichkeit sowohl den konkreten, biografisch hergestellten Wir-Zusammenhängen, als auch ist sie mit konkreten Vorstellungen besetzt, wie dieses Wir zu gestalten ist. Ein ausschließlich helfendes oder soziales Sich-Einspannen-lassen für ›die Gesellschaft‹ findet sich dagegen nicht. Insofern deutet vieles darauf hin, dass der medial prominente Wiederverpflichtungsdiskurs des Alters viel zu allgemein ist, als dass er an die Alltagserfahrungen und Orientierungsrahmen der hier untersuchten Rentner_innen heran reicht. Dass die Befragten ihrerseits auf einer abstrakten Ebene einige Elemente des Wiederverpflichtungsdiskurses bedienen, zeigt dagegen, wie umkämpft dieser Diskurs insgesamt ist. Gerade in dem hier untersuchten Feld gibt es wenige Hinweise darauf, dass der partikulare Inhalt des politisch-wissenschaftlichen Diskurses auch auf der Ebene der Alltagsdiskurse hegemonial geworden ist oder in naher Zukunft werden wird. Die biografisch konstituierten Verantwortungsbezüge erweisen sich als zu widerständig und beharrlich, als dass sie von einer seit wenigen Jahren florierenden und politisch gestützten Diskursformation umorganisiert werden können. Dennoch stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, inwiefern nicht die politisch Engagierten durch die Affirmation der eigenen Gemeinwohlorientierung unfreiwillig an der Geltung des Wiederverpflichtungsdiskurses mitarbeiten. Indem sie sich als mitverantwortliche Aktivist_innen präsentieren und eine ausgeprägte response-ability für überpersönliche Bezüge kommunizieren, tragen sie möglicherweise selbst dazu bei, Selbstbezüglichkeit, Gleichgültigkeit oder Verantwortungslosigkeit in der dritten Lebensphase zu delegitimieren. Obwohl beispielsweise niemand im Sample dem Auszug aus dem Altenbericht 15 | Vgl. auch in anderen Engagementfeldern Corsten et al. 2008: 22f.
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vorbehaltlos zustimmt, entzündet sich die Kritik daran zumeist nicht an einer Verantwortungsübernahme als solcher, sondern häufig an der Verpflichtungsrhetorik, dem instrumentellen Charakter des Appells oder daran, dass es gerade die Bundesregierung ist, von der dieser Appell formuliert wird. In diesem Sinne ist es durchaus denkbar, dass die politisch Engagierten mitunter gar unbewusst oder ungewollt durch die Akzentuierung ihrer überpersönlichen Verantwortung im Ruhestand den Wiederverpflichtungsdiskurs bedienen und dadurch koproduzieren. Ein Blick ins empirische Material offenbart hier durchaus differenzierte Bezugnahmen auf Elemente des Wiederverpflichtungsdiskurses, die sich aber mitnichten zu einer »hegemonialen Fixierung« (Denninger et al. 2014: 371) verdichten. So wird bei aller Verantwortungsrhetorik zugleich darauf verwiesen, dass die nachberufliche Phase in erster Linie als späte Freiheit verstanden wird, als Selbst-Zeit und als Recht und Chance, eigene Bedürfnisse zu verwirklichen. Dass diese Zeit dafür genutzt wird, auch Verantwortung für andere zu übernehmen, wird von den meisten Befragten nicht als Selbstverständlichkeit betrachtet. Begründungsbedürftig ist im Interviewkontext nicht die Verantwortungslosigkeit der anderen, sondern das eigene Engagement, welches durchaus als Ausnahme von der Regel interpretiert wird. Außerdem wird das eigene Engagement von den wenigsten Befragten als Maßstab für Gleichaltrige herangezogen. Lediglich im Fall der moralisch-reziprozitätsorientierten Mitverantwortlichkeit wird auf die normative Erwartung angespielt, dass auch andere (ebenfalls privilegierte) Rentner_innen mehr gesellschaftliche Verantwortung übernehmen sollten, sofern sie denn gesundheitlich und finanziell dazu in der Lage sind. Die Reflektion der eigenen Privilegien bewahrt sie in der Regel davor, die Wiederverpflichtungserwartung zu verallgemeinern. Aber auch beim autonom-gestaltungsorientierten Typus finden sich Fälle, die den Selbstanspruch zur Verantwortungsübernahme mit Verweis auf ihre libertäre Grundhaltung nicht auf andere ausweiten. Auch hinsichtlich der (Erfahrungs-)Kompetenzen älterer Menschen und des Win-WinVersprechen des Wiederverpflichtungsdiskurses zeigen sich in den Interviews zahlreiche Hinweise auf Tendenzen, die genau diesen Diskurselementen entgegenlaufen (siehe Kapitel 5.2.5). Insofern ist eine hegemoniale Fixierung der mitverantwortlichen Lebensführung als Dienstleistung an einem vorab definierten Gemeinwohl in diesem Feld wenig wahrscheinlich. Darüber hinaus – und das ist vielleicht einer der spannendsten Befunde dieser Studie – steht der politische Appell zur Verantwortungsübernahme aus dem Altenbericht nicht unbedingt im Widerspruch zur Mitverantwortlichen Subjektivität der politisch Engagierten, die ihr Engagement mitunter gar in Opposition zur ›offiziellen Politik‹ verstehen. Zwar sind sich die Interviewten zum Teil darüber im Klaren, dass der Wiederverpflichtungsappell aus dem
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Altenbericht durchaus nicht als Aufruf zu mehr politischer Partizipation gemeint ist, bzw. ihr eigenes politisches Engagement aus Sicht der Politiker_innen wohl nicht darunter fällt. Das ändert für sie aber wenig daran, dass sie das eigene Engagement trotzdem als einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft, bzw. das Gemeinwohl verstehen. Anders als es der Wiederverpflichtungsdiskurs nahelegt, interpretieren sie die Aushandlung des Gemeinwohls ebenfalls als eine Form von Bürgerschaftlichem Engagement und lassen sich dadurch die Definitionsmacht darüber, was nützliche oder produktive Beiträge zum Gemeinwohl sind, nicht nehmen. An diesem Beispiel werden zugleich Grenzen und Unwägbarkeiten einer Regierungsrationalität deutlich, die in besonderem Maße mit der Selbststeuerungsfähigkeit der Subjekte rechnet. Statt ›die Regierten‹ per Gesetz und Verordnung zu einem gemeinwohldienlichen Verhalten zu zwingen, setzt die gegenwärtige »Regierung des Alter« (Denninger et al. 2010) auf weiche Techniken der Lenkung. Über die Modifikation von (Alters-)Leitbildern, öffentlichkeitswirksamen Kampagnen und die Verankerung von neuen Altersrollen sollen neue Kriterien des ›guten Alters‹ gesellschaftlich verbreitet werden und langfristig die gewünschten Verhaltensänderungen herbeiführen. Der Wiederverpflichtungsdiskurs des Alters fungiert vor diesem Hintergrund als eine Regierungsstrategie, die darauf zielt, »Subjektivität mit politischen Imperativen auszustatten« (Lemke 1997: 256). Ältere Menschen werden dabei als mitverantwortliche Subjekte adressiert und es wird von ihnen erwartet, die Anrufung in der vorgesehenen Weise anzunehmen, d.h. konkret eigeninitiativ im Sinne des Gemeinwohls aktiv zu werden. Auf diese Weise ist der Sozialstaat einerseits »in höchstem Maße aktivistisch mit der Produktion sozialverantwortlicher Subjekte beschäftigt« (Lessenich 2008: 84). Damit dieser Modus des Regierens tatsächlich die gewünschten Effekte erzielt, ist es andererseits aber auch notwendig, dass die Subjekte die Anrufungen in der gewünschten Art und Weise lesen. Genau an dieser Schnittstelle zwischen Vor-Schrift und Lesbarkeit, so zeigt meine Studie, eröffnet die Regierung des Alters Raum für Umschreibungen und Interpretationen. Denn so sehr die Programme zur Re-Responsibilisierung der dritten Lebensphase einerseits auf die Mitwirkung der Subjekte angewiesen sind, so wenig können sie andererseits eine Befolgung der Programmziele garantieren. So gibt es sowohl in den Begleitforschungen zu den Modellprogrammen (vgl. Kapitel 3.3, Aktiv im Alter) als auch in den Interviews zahlreiche Hinweise darauf, dass die Programme sehr unterschiedlich gelesen werden. An dieser Stelle wird in aller Deutlichkeit das Spannungsverhältnis sichtbar, in dem sich die diskursive Wiederverpflichtung des Alters als politische Regierungsstrategie befindet. Gerade weil die responsibilisierende Altenpolitik den Anspruch verfolgt, in der Breite eine »neue Kultur des Alterns« (BMFSFJ
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2014) zu etablieren, muss sie einerseits an die heterogenen Erfahrungen vieler älterer Menschen anschlussfähig sein. Dementsprechend finden sich in den Medienkampagnen und Programmflyern stets sehr abstrakte und integrierende Aufforderungen zur Verantwortungsübernahme, die lediglich beispielhaft in konkrete Projekte für Bürgerschaftliches Engagement münden. Dieser hohe Abstraktionsgrad der Verantwortungsappelle ermöglicht aber andererseits sehr heterogene Bezugnahmen. So können neben sozialen auch kulturelle und politische Tätigkeiten als sozialverantwortliches Verhalten kontextualisiert und dadurch als Erfüllung der Anforderungen verstanden werden.16 Die Programme bergen somit immer zugleich das Potential, (im Sinne der Programme) nicht-intendierte Diskurseffekte zu verstärken. Das Ziel der breiten Anschlussfähigkeit scheint in dieser Konstellation der gezielten Lenkung zu einseitig sozialen, helfenden und heteroproduktiven Tätigkeiten gegenüberzustehen. Die Regierung des Alters ist somit in hohem Maße von den Lesegewohnheiten der älteren Menschen selbst abhängig und diese entwickeln sich nicht erst mit der Ausgliederung aus der Erwerbsphase. Darüber hinaus produzieren die Gemeinwohlförderungsappelle zum Teil auch (im Sinne der Programme) dysfunktional Effekte. So zeigt sich vor allem beim Typus der autonom-gestaltungsorientierten Mitverantwortlichkeit, dass die offiziellen Gemeinwohlförderungsaufforderungen mitunter gar Gefahr laufen, als fehlende Wertschätzung des bisher geleistet interpretiert zu werden, suggerieren sie doch, dass das bisherige Engagement nicht ausreiche. Zudem reflektiert ein Teil der Befragten auch die Kontextbedingungen der altersspezifischen Wiederverpflichtung und kritisiert die Widersprüche zwischen einem Wirtschafts-/Gesellschaftssystem, das auf Konkurrenz, Ausbeutung und Egoismus basiere und einer Bundesregierung, die nun mit moralischen Appellen zu gemeinwohldienlichem Verhalten anleiten möchte. Kontrastiert man die Befunde dieser Studie mit anderen Forschungsergebnissen zu Bürgerschaftlichem Engagement in der dritten Lebensphase, entsteht der Eindruck, dass der Wiederverpflichtungsdiskurs des Alters kaum in der Lage ist, die Alltagsdiskurse der Befragten zu strukturieren. In gerontologischer Tradition wird das Alter in diesem Diskurs als eine eigenständige und plastische Lebensphase verstanden, die über die Veränderung von Leitbildern und weiche Regierungstechnologien politisch gestaltbar ist. Allen Diskussionen über die »Heterogenität des Alters« (BMFSFJ 2010) zum Trotz geraten in 16 | So ermöglicht die Förderung von mehr Gemeinwohlorientierung tatsächlich sehr heterogene Bezugnahmen dessen, was als relevanter Beitrag zum Wohl der Gesellschaft gelten kann. So können unter dem Banner des (nationalen) Gemeinwohls auch antidemokratische oder menschenverachtende Einstellungen und unzivile Verhaltensweisen mobilisiert werden (Deutscher Bundestag 2002: 333).
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diesen abstrakt-politischen Diskursen die diskursiven Einbettungen der Subjekte regelmäßig aus dem Blick, sodass Vermutungen über hegemoniale diskursive Verknüpfungen angestellt werden, die durch quantitative Erhebungen kaum überprüf bar sind (vgl. Reymann/Braun 2013). Das zunehmende Bürgerschaftliche Engagement älterer Menschen wird dabei beispielsweise mit dem Wandel von Altersbildern in Zusammenhang gebracht17 und dadurch der Eindruck erweckt, dass der Anstieg der Engagementquote auch von der politischen Propagierung aktivistischer Altersbilder abhänge. Anstatt die steigende Zahl bürgerschaftlich engagierter Senior_innen als Erfolg gerontologischer Aktivierungspolitik, bzw. als Effekt des Wiederverpflichtungsdiskurses darzustellen, lenkt diese Studie den Blick auf die Alltagsdiskurse der Subjekte. Bürgerschaftliches Engagement im Ruhestand scheint dabei nicht in erster Linie das Ergebnis des medial präsenten Wiederverpflichtungsdiskurses zu sein, sondern – vor dem Hintergrund der besonderen Generationenlagerung – Ausdruck der komplexen Alltagsdiskurse, in denen sich biografische Erfahrungen und sehr heterogene Diskursstränge und Bezugnahmen zu vielschichtigen Selbstkonzepten verbinden und gegebenenfalls in Bürgerschaftliches Engagement übersetzt werden. Dass der Wiederverpflichtungsdiskurs für breite Teile der Bevölkerung Eingang ins »Lebensführungswissen« (Post 2009: 62) findet, dürfte zumindest für die gegenwärtige Renteneintrittskohorte mit einem Fragezeichen versehen werden. Auf der Suche nach Antworten auf die Frage, warum sich Menschen freiwillig für das Gemeinwesen engagieren, empfiehlt sich also für zukünftige Studien stärker nach jenen Diskursen zu suchen, welche die Einzelnen in Verantwortungsbeziehung zu überpersönlichen Zusammenhängen setzen. Eine solche Perspektive dürfte für die Engagementforschung tatsächlich ein großes Potential eröffnen und zu einer Reflexion bisheriger Engagementförderungsprogramme ermutigen. Es könnte sich nämlich zeigen, dass die gegenwärtige Bereitschaft älterer Menschen zur Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung von Ressourcen lebt, die Politik und Wissenschaft nur zum Teil bereitstellen können und in Zukunft wahrscheinlich immer weniger ermöglichen werden.
17 | »Das zunehmende Engagement Älterer ist nicht zuletzt auf eine Auflösung einer traditionellen Altersrolle zurückzuführen« (BMFSFJ 2012: 81).
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7.7 D ie R esponsibilisierung des A lters – E in A usblick Der Wiederverpflichtungsdiskurs des Alters wird – obwohl von einigen Interviewten gekannt – kaum mit dem eigenen politischen Engagement in Verbindung gebracht. Das bedeutet allerdings nicht, dass dieser Diskurs auch in anderen Engagementfeldern irrelevant ist oder für zukünftige Rentner_innengenerationen bedeutungslos bleibt. Ähnlich wie die Befragten in dieser Studie bei der subjektiven Konstruktion ihres Ruhestandsengagements auf gesellschaftliche und politische Diskurse zurückgreifen, die beispielsweise in ihrer Jugend präsent waren und eine nachhaltige biografische Prägung entfalten, spricht einiges dafür, dass auch Altersbilder und Lebensführungswissen, das in jüngeren Jahren über das Nacherwerbsleben erworben wird, in einer späteren Lebensphase bedeutsam wird. Diskurse über die sozialen Pflichten und Erwartungen von älteren Menschen gegenüber der Gesellschaft beinhalten somit das Potential, auf zukünftige Generationen auszustrahlen und somit in Zukunft wirksam zu werden. Doch wie realistisch ist die Annahme einer nachhaltigen Wirkung gegenwärtiger Altersdiskurse und wovon hängt sie ab? Und wäre es dann nicht vielleicht in Zukunft denkbar, dass die sozialpolitisch vorangetriebene Wiederverpflichtung des Alters auch zu einem Potential für politisches Engagement wird? Obwohl der Übergang in den Ruhestand in den biografischen Selbsterzählungen häufig als ein wichtiger Statusübergang und zumeist auch als ein einschneidendes biografisches Ereignis verstanden wird, weisen Handlungsmuster und normative Orientierungen nichtsdestotrotz eine hohe biografische Kontinuität auf (vgl. auch Aner 2005: 243ff.). So sehr die dritte Lebensphase auch als ein eigenständiger Lebensabschnitt verstanden wird, so sehr knüpft man andererseits an frühere biografische Erfahrungen an. In dieser Studie konnte gezeigt werden, inwiefern das politische Engagement im Ruhestand in politische Diskurse eingebettet ist, die zu früheren biografischen Phasen eine hohe Relevanz besessen haben und eine nachhaltige Bedeutung für die Selbstkonzepte der Befragten haben. Um eine Einschätzung über die Mitverantwortliche Subjektivität zukünftiger Senior_innenkohorten vornehmen zu können, reicht folglich eine ausschließliche Fokussierung auf die dritte Lebensphase nicht aus. Vielmehr sei es hierfür notwendig, jene Diskurse zu identifizieren und in ihrer subjektiv(ierend)en Wirkung zu analysieren, die den Einzelnen eine Verantwortung für das Gemeinwesen vor-schreiben. Inwiefern der gegenwärtige Wiederverpflichtungsdiskurs des Alters von kommenden Senior_innenkohorten gelesen werden kann, dürfte als in hohem Maße von den Lesegewohnheiten abhängen, die sich im Laufe der Biografie entwickelt haben und noch in der Nacherwerbsphase in variabel sind.
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Ob eine diskursinduzierte Zunahme von Bürgerschaftlichem Engagement in der nachberuflichen Phase ein realistisches Szenario für die Zukunft ist, kann zudem ohne die Berücksichtigung sozialstruktureller Merkmale nicht angemessen beantwortet werden. Aus der Forschung bekannt ist dabei die hohe Korrelation zwischen Bildung, beruflichem Status und bürgerschaftlichem Engagement, die sich auch in dieser Studie bestätigt: Ein Großteil der Engagierten verfügt über einen akademischen Bildungsabschluss, fast alle können auf relativ stabile Erwerbsbiografien zurückblicken und prekäre Lebensverhältnisse oder Altersarmut sind in den Interviews kein Thema. Da kommenden Rentner_innenkohorten insgesamt ein höheres Bildungsniveau und vielfältige Kompetenzen bescheinigt werden, wird häufig eine Blütephase für das freiwillige Engagement von Senior_innen vorausgesagt. Aufgabe des Staates sei es dabei, die erhöhte Kapitalausstattung Älterer zu berücksichtigen und durch die Bereitstellung entsprechender Infrastruktur in Form von Bürgerschaftlichem Engagement nutzbar zu machen (BMFSFJ 2010: 136). Während somit die gegenwärtige Aktivierungspolitik maßgeblich mit den Ressourcen einer privilegierten Rentner_innengeneration rechnet, die von einer expansiven Sozialpolitik profitiert (hat) und im Ruhestand mehrheitlich vor Prekarität und Armut geschützt ist, scheint die wohlfahrtsstaatliche Rendite in Zukunft jedoch kleiner zu werden. Die Teilprivatisierung der Rente seit Anfang der 1990er Jahre und die angestrebte Absenkung des Leistungsniveaus der Gesetzlichen Rentenversicherung um 20 Prozent bis 2030 bei gleichzeitiger Zunahme lückenhafter Erwerbsverläufe und atypischer Beschäftigungsverhältnisse mit entsprechend geringen Beitragszahlungen werden aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer »Rückkehr der Altersarmut« (Motel-Klingebiel/ Vogel 2013) führen (vgl. Butterwegge/Bosbach/Birkenwald 2012). Unter diesen Kontextbedingungen dürften produktive Tätigkeiten im Ruhestand – die derzeit als freiwillige und verheißungsvolle Sinnstiftungsprojekte angepriesen werden – für einen größer werdenden Teil der Rentner_innen zu einer schieren Notwendigkeit werden: Nicht weil sie per Gesetz dazu gezwungen werden, sondern weil sie sich damit vor Altersarmut schützen. Die Verantwortung für einen materiell abgesicherten Lebensabend wird dadurch individualisiert, während den Beschäftigten durch den Abbau sozialer Rechte und die Deregulierung von Beschäftigungsverhältnissen andererseits die Chance genommen wird, individuell vorzusorgen. Das ›Produktive Alter‹ dürfte unter diesen Voraussetzungen tatsächlich einen hohen Verbreitungsgrad erfahren – allerdings nicht als freiwillige Verantwortungsübernahme für die Gesellschaft, sondern als Sorge um das eigene Auskommen. Was heute als eine weiche Anleitung zur Selbstführung daherkommt, könnte somit in eine strukturell bedingte Zwangsaktivierung umzuschlagen.
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Auf diese Weise droht das Fundament für eine nachberufliche Verantwortungsübernahme insgesamt brüchig zu werden, bildet die materielle Sicherheit doch gewissermaßen die Rahmenbedingung für ein Bürgerschaftliches Engagement im Ruhestand. Zugleich unterläuft eine solche Entwicklung in besonderem Maße die Bedingungen für eine Mitverantwortliche Subjektivität des moralisch-reziprozitätsorientierten Typs. Gründet sich seine Mitverantwortlichkeit doch gerade auf der Wahrnehmung der eigenen Privilegien, dürfte es ihm in Zukunft schwerer fallen, sich angesichts erheblicher materieller Einbußen gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen als bevorzugt zu interpretieren und daraus eine moralische Pflicht zur Gegengabe abzuleiten. Die zunehmende Prekarisierung des Erwerbslebens dürfte aber auch Auswirkungen auf die Ruhestandsorientierungen der Menschen insgesamt haben. Entgegen der naheliegenden Vermutung, dass die aktivgesellschaftliche Neuverhandlung des Nacherwerbslebens anschlussfähig an die Aktivierungspolitik auf dem Arbeitsmarkt wäre, deuten erste Forschungsergebnisse auf das Gegenteil hin: »Gerade weil Erwerbsarbeit zunehmend unsicherer und belastender wird, gerade weil unbezahlte Überstunden Alltag, prekäre Beschäftigungsarrangements und die Sorge um den Arbeitsplatz allgegenwärtig sind, steigt der Wunsch nach einem nicht allzu späten Ruhestand als Befreiung von den Zwängen und Zurichtungen eines deregulierten Arbeitsmarktes« (Denninger et al. 2014: 380). Der Ruhestand droht für einen immer größer werdenden Teil der Bevölkerung vor diesem Hintergrund zu einem vermeintlich rettenden Ufer zu werden, an dem man sich von den gesellschaftlichen Produktivitätszumutungen in Sicherheit wähnt. Dass Menschen gerade nach solchen verunsichernden und überfordernden Erfahrungen in der Arbeitswelt eine Verantwortung für das Gemeinwesen, ist auf den ersten Blick wenig plausibel – zumindest solange man ein soziales Engagement zur Entlastung der Gesellschaft im Kopf hat. Ob Menschen sich im Ruhestand zukünftig vermehrt kollektiv engagieren werden, um der auch politisch gemachten Normierung des Alters etwas entgegenzusetzen, muss an dieser Stelle unbeantwortet bleiben. Sicher ist indessen, dass die Deutungskämpfe über das ›gute Leben‹ in der Post-Erwerbsphase in vollem Gange sind. Eine kritische Altersforschung sollte folglich darauf achten, nicht vorschnell Position zu beziehen oder naiv zur Objektivierung und Legitimierung einer vermeintlich alternativlosen Diskursformation beizutragen. Vielmehr gilt es, in kritischer Distanz zu den hegemonialen Deutungen zu bleiben, um an der Seite der Subjekte die Wirkungsweisen und Konsequenzen sozialer Normierung zu reflektieren und in emanzipatorischer Absicht einen Beitrag zur Aufklärung der Gesellschaft über sich selbst zu leisten.
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Literatur
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Henriette Herwig, Andrea von Hülsen-Esch (Hg.) Alte im Film und auf der Bühne Neue Altersbilder und Altersrollen in den darstellenden Künsten Juli 2016, 340 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2936-1
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Max Bolze, Cordula Endter, Marie Gunreben, Sven Schwabe, Eva Styn (Hg.) Prozesse des Alterns Konzepte – Narrative – Praktiken 2015, 322 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2941-5
Celia Spoden Über den Tod verfügen Individuelle Bedeutungen und gesellschaftliche Wirklichkeiten von Patientenverfügungen in Japan 2015, 324 Seiten, kart., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3055-8
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