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German Pages 202 [203] Year 2021
Martin Auer und Harald Stadler (Hrsg.)
Alpine Landschaftsnutzung im Ager Aguntinus
AGER AGUNTINUS 5 Historisch-archäologische Forschungen Harrassowitz
Alpine Landschaftsnutzung im Ager Aguntinus
© 2021, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-11727-2 - ISBN E-Book: 978-3-447-39195-5
Ager Aguntinus Historisch-archäologische Forschungen Herausgegeben von Martin Auer und Harald Stadler Universität Innsbruck ATRIUM - Zentrum für Alte Kulturen Institut für Archäologien
Band 5
2021
Harrassowitz Verlag · Wiesbaden
© 2021, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-11727-2 - ISBN E-Book: 978-3-447-39195-5
Martin Auer und Harald Stadler (Hrsg.)
Alpine Landschaftsnutzung im Ager Aguntinus
2021 Harrassowitz Verlag · Wiesbaden
© 2021, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-11727-2 - ISBN E-Book: 978-3-447-39195-5
Gedruckt mit Unterstützung des Amtes der Tiroler Landesregierung, des Archäologieparks „Aguntum”, der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck und der Firma „Rauch Mehl”.
Gutachter: Carina Grömer, Barbara Hausmair, Hans Georg Stephan, Stefano Magnani, Magdalena März, Hans Nothdurfter, Andreas Putzer, Robert Rollinger, Kai Ruffing, Romedio Schmitz-Esser und Frauke Witte
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de/ abrufbar. Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the internet at https://dnb.de/.
Informationen zum Verlagsprogramm finden Sie unter https://www.harrassowitz-verlag.de/ © Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden 2021 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen jeder Art, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung in elektronische Systeme. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck und Verarbeitung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISBN 978-3-447-11692-3 eISBN 978-3-447-39233-4 ISSN 2567-7764
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Inhalt
Gert Goldenberg Vorwort: Aguntum Workshop 2017. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Thomas Bachnetzer, Peter Tropper & Sebastian Titzler Archäologische und mineralogische Untersuchungen an den Lavezvorkommen vom Pfitscherjoch in den Zillertaler Alpen, Nordtirol. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Karlheinz Dietz Eine kryptische Inschrift aus dem Hochgebirge (Alkuser See). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Hubert Ilsinger Ein Felsbild von St. Veit – Ortsteil Gassen, Osttirol: Eine Schwarzkitteljagd?. . . . . . . . . . . . . . . .
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Florian Messner Über die Schwierigkeit Gefundenes wieder zu finden: Eine archäologische Detektivgeschichte zu einem Schwert aus Obertilliach, Osttirol.. . . . . . . . .
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Beatrix Nutz, Elisabeth Waldhart & Friedrich Ehrl † Textile Reste aus dem Bergbaugebiet „Im Blindis“, Osttirol. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Andreas Oberhofer & Ingemar Gräber Eine unbekannte Quelle des 17. Jh.s über das Auffinden von Erzlagerstätten im Pustertal . . . . 113 Eugenio Padovan Quadro preliminare d’insieme della miniere della Provincia di Belluno: dall’antichità ai giorni nostri. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Helmut Rizzolli Ahrner Erzfuhrpolitten und Schneeberger Konsumgeld.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Harald Stadler, Stefan Gridling & Caroline Grutsch Ein frühbronzezeitliches Randleistenbeil aus Oberlienz, Osttirol. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Elisabeth Waldhart, Caroline Grutsch, Markus Staudt, Peter Tropper & Harald Stadler Ein Plattenschlackenfragment vom Opferplatz am Potschepol, Alkus (KG Ainet, BZ Lienz, A): Gedanken zur prähistorischen Kupferverhüttung in Osttirol.. . . . . . 171 Bianca Zerobin, Gert Goldenberg, Martin Auer, Ulrike Töchterle, Thomas Angerer, Clivia Hejny & Peter Tropper Ägyptisch Blau: Pigmentfunde aus Raum 289 des römischen Municipium Claudium Aguntum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Bildnachweis.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
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Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Aguntumer Workshops 2017.
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Vorwort: Aguntum Workshop 2017 Am 10. November 2017 fand der dritte Aguntum Workshop im Grabungshaus Aguntum in Dölsach unter dem Motto „Bergbau in Osttirol und angrenzenden Gebieten“ statt. Hierzu war neben den üblichen Veranstaltern (Institut für Archäologien der Universität Innsbruck und Curatorium pro Agunto) diesmal auch das Forschungszentrum HiMAT (History of Mining Activities in Tyrol and adjacent areas – impact on environment and human societies) der Universität Innsbruck beteiligt. Mit 15 Vorträgen wurde den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ein dichtes Programm geboten, das auch eine Führung durch das Museum und eine Besichtigung des Archäologischen Parks beinhaltete. Aufgrund der zur Veröffentlichung eingereichten Beiträge, die sich nur zum Teil mit Bergbau im weiteren Sinne befassen, wurde für den fünften Band der Reihe Ager Aguntum der etwas passendere Titel „Alpine Landschaftsnutzung im Ager Aguntinus“ gewählt. Elf Beiträge unter Beteiligung von 23 Autorinnen und Autoren bilden auf 194 Seiten ein buntes Spektrum an archäologischen, historischen und naturwissenschaftlichen Aspekten ab. Sechs Beiträge beschäftigen sich dabei mit montanarchäologischen und montanhistorischen Befunden zum Bergbau in Tirol und in der norditalienischen Provinz Belluno, wobei der letztgenannte Beitrag in italienischer Sprache verfasst ist und einen Überblick über historische Bergbauplätze und montanarchäologische Befunde in der Provinz Belluno gibt (Padovan). Spektakulär sind die Befunde zur Specksteingewinnung (Lavez), die im Bereich des Pfitscher Jochs im hinteren Zillertal (Nordtirol) im Zuge einer montanarchäologischen Prospektion nachgewiesen und an zwei Stellen in römische Zeit sowie in das Frühmittelalter datiert werden konnten. Mineralogische Gesteinsanalysen ergänzen den archäologischen Befund (Bachnetzer / Tropper / Titzler). Ein Beitrag stellt Textilfunde aus einem Knappenhaus im Bergbaugebiet Blindis in Osttirol vor, die in das 16. bis 18. Jh. datieren. Herstellungstechniken und Verwendung der Textilien werden diskutiert (Nutz / Waldhart / Ehrl). Ein handschriftlich verfasstes Dokument aus dem Stadtarchiv von Bruneck in Südtirol datiert in das Jahr 1604 und liefert Informationen über die Suche seines Verfassers nach aufgelassenen und noch aktiven Bergwerken über eine Befragung der lokalen Bevölkerung (Oberhofer / Gräber). Aus dem Ahrntal und vom Schneeberg in Südtirol werden Bergwerksmarken, sog. Politten, aus dem 16. bis 19. Jh. beschrieben und interpretiert (Rizzolli). Indirekt mit Bergbau und prähistorischer Kupfererzverhüttung in Zusammenhang gebracht wird ein Einzelfund einer Plattenschlacke von einem Opferplatz am Potschepol bei Alkus in Osttirol. Neben der Vorstellung von Grabungsergebnissen und einer mineralogischen Analyse der Schlacke wird der potentielle prähistorische Kupferbergbau in Osttirol diskutiert (Waldhart / Grutsch / Staudt / Tropper / Stadler). Vom Alkuser See in Osttirol stammt eine kryptische Inschrift auf einer Steinplatte, die im mit 61 Seiten umfangreichsten Beitrag des Bandes als römisch (kaiserzeitlich) eingeordnet, im Detail vorgestellt und ausführlich diskutiert wird. An die Beschreibung und Interpretation der Schriftzeichen schließt sich eine 14-seitige Bibliographie an (Dietz). Ein Beitrag gibt eine allgemeine Einführung zum Thema „Felsbilder“ und stellt eine undatierte Felsritzung mit einer Jagdszene von St. Veith in Osttirol vor (Ilsinger). Eine archäologische Spurensuche rekonstruiert die Geschichte eines im Jahre 1802 bei Obertilliach in Osttirol gefundenen Schwertes aus dem 15. Jh. bis zu seiner erfolgreichen Wiederauffindung im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum (Messner). In einem Beitrag wird ein Einzelfund eines Randleistenbeiles aus der späten Frühbronzezeit in Oberlienz in Osttirol vorgestellt. Anhand einer Metallanalyse wird die Herkunft des Kupfers im Bronzeobjekt diskutiert (Stadler / Gridling / Grutsch). Schließlich wird als einziger Befund aus den Grabungen innerhalb des Municipiums Aguntum der Fund von Ägyptisch Blau aus „Raum 289“ vorgestellt. Es werden die blauen Pigmentkugeln beschrieben, eine Materialanalyse vorgelegt VII
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Vorwort: Aguntum Workshop 2017
und die lokale Anwendung des künstlich hergestellten Pigments z. B. bei der Wandmalerei diskutiert (Zerobin / Goldenberg / Auer / Töchterle / Angerer / Hejny / Tropper). Die elf Beiträge des Bandes liefern spannende und vielschichtige Einblicke in archäologische, historische und naturwissenschaftliche Forschungsmethoden und -ergebnisse aus dem näheren und weiteren Umfeld des Ager Aguntinus. Für die Realisierung des Bandes gilt der Dank den Veranstaltern des Workshops – dem Institut für Archäologien der Universität Innsbruck, dem Curatorium pro Agunto und dem FZ HiMAT – sowie den Herausgebern. Innsbruck, November 2021 Gert Goldenberg
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Archäologische und mineralogische Untersuchungen an den Lavezvorkommen vom Pfitscherjoch in den Zillertaler Alpen, Nordtirol
von Thomas Bachnetzer, Peter Tropper & Sebastian Titzler
Abstract Soapstone, also known as steatite or soaprock, has been used since Neolithic times. It is easy to work and resistant to fire, making it ideal for many different purposes like moulds, vessels and stove plates to jewellery. Between 2012 and 2016 researchers managed to document a total of fourteen soapstone mining sites and workplaces on the North Tyrolean side of the Pfitscherjoch ridge, near the Lavitzalm and Greinerkar. Four 14C-dated charcoal samples from an extraction place and a working place as well as a rock shelter nearby an extraction place have been dated to the early Middle Ages (7th century AD) and the Roman times (1st–3rd century AD). Mineralogically soapstone represents metasomatized serpentinites containing the mineral assemblage talc + magnetite ± chlorite ± dolomite ± tremolite ± muscovite. Mineral chemical investigations of talc and chlorite in soapstones from various localities near the Pfitscherjoch revealed no systematic chemical differences between the samples so far. A thermogravimetric investigation shows that the beginning dehydration of sheet silicates at 600 °C and the breakdown of talc to form orthopyroxene at temperatures above 800 °C leads to the heat resistance of this material.
Keywords Lavez, Hochgebirgsarchäologie, Pfitscherjoch, Mineralogie, Mineralchemie, thermisches Verhalten
Lavez Lavez ist unter anderem auch unter den Begriffen Steatit, Speck-, Seifen-, Topf- und Ofenstein, in gemahlener Form als Federweiß bekannt. Das Material wird im Italienischen als pietra ollare, im französischen als pierre ollaire und im englischen als soapstone bezeichnet. Der Begriff Lavez wird in der Regel nur zur Benennung archäologisch relevanter Objekte im deutschsprachigen Raum verwendet, ist aber auch in der südlichen Schweiz und in Norditalien bekannt. Lavez ist ein sehr weiches Material, das mit dem Fingernagel ritzbar und in der Regel leicht abbau- und bearbeitbar ist. Es speichert sehr gut Wärme, ist feuerfest und wirkt isolierend. Aufgrund dieser Eigenschaften handelt es sich bei Lavez um einen idealen Werkstoff, der schon in der Jungsteinzeit zur Herstellung von Gebrauchsgegenständen wie kleineren, einfachen, ausgekratzten Gefäßen und Schmuck verwendet wird. Ab der Bronzezeit folgen beispielsweise Gussformen, unter anderem für Nadeln und Rasiermesser.1 Von der Eisenzeit bis in die frühe Neuzeit werden etwa Spinnwirtel aus Lavez hergestellt.2 Ab römischer Zeit wird Lavez auch zu Gefäßen gedrechselt. Die Formen reichen von Schalen, Schüsseln bis zu großen Töpfen und Pfannen sowie deren Deckeln. Besonders ab dem 4. Jh. n. Chr. werden Lavezgefäße durch den Einsatz 1 Hess 2012, 144f. 2 Donati 1986, 100–109.
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Thomas Bachnetzer, Peter Tropper & Sebastian Titzler
von wasserbetriebenen Drehbänken in großem Stil hergestellt.3 Im Mittelalter, vom 6.–10. Jh., erfährt die Lavezdrechslerei seine Blütezeit.4 Das Gestein wird später auch für den Bau von anderweitigen, teils größeren Objekten wie Hausaltären, Weihwasser- und Taufbecken sowie zur Konstruktion von Öfen, Fenstern und Türen, herangezogen.5 Lavez wird bis in die Gegenwart sowohl zu vielerlei Kunstobjekten und zu Ofenplatten für Specksteinöfen verarbeitet als auch in gemahlener Form als Talkpulver in der Industrie eingesetzt.6 Lavez kommt weltweit vor. In Zentraleuropa sind besonders die Vorkommen in der Schweiz, Norditalien und Ostfrankreich bekannt, die in unterschiedlichem Ausmaß seit römischer Zeit zum Abbau herangezogen wurden.7 Lavez wird in den Alpen, wenn auch nur mehr in sehr geringem Umfang, bis in die Gegenwart in der Schweiz für die Produktion von Gebrauchsgegenständen abgebaut.8 Bereits Plinius der Ältere erwähnte im 1. Jh. n. Chr. den Gebrauch des „comensischen Grünen Steins“ (Lavez vom Comer See) als Kochgeschirr: In Siphnos lapis est, qui cavatur tornaturque in vasa vel coquendis cibis utilia vel ad esculentorum usus, quod et in Comensi Italiae lapide viridi accidere scimus.9
Topografie Das Pfitscherjoch, ein breiter und mit 2246 m Höhe nach dem Brennerpass (1370 m) und dem Reschenpass (1504 m), der dritt niedrigste Übergang von Nordtirol nach Südtirol, verbindet das Nordtiroler Zillertal mit dem Südtiroler Pfitschertal. Der Bereich nordöstlich des Joches gehört politisch zur Gemeinde Finkenberg in Nordtirol, der südwestlich zur Gemeinde Pfitsch in Südtirol. Die Gemeindegrenze von Pfitsch umfasste bis 1919, nach dem Ende des ersten Weltkrieges, Teile des heutigen Gemeindegebietes von Finkenberg mit dem Schlegeisgrund und reichte Luftlinie rund 10 km über das Pfitscherjoch hinaus. Teilgebiete davon sind bis heute im Besitz von Pfitscher Bauern aus Südtirol.
Laveznutzung im Bereich des Pfitscherjochs und Greinerkars Die von 2012 bis 2016 durchgeführten archäologischen Untersuchungen im Umfeld des Pfitscherjochs und der Lavitzalm auf Nordtiroler Seite sowie dem nordöstlich davon gelegenen Greinerkar erbrachten die ersten Nachweise für einen Lavezabbau in Österreich (Abb. 1).10 Zwei aneinanderpassende gedrechselte Lavezgefäßfragmente, die in einer Holzkohleschicht bei Abri 2 freigelegt wurden, lieferten einen ersten Berührungspunkt mit dem Material.11 Aber erst ein bereits 1996 durch einen Mineraliensammler am Pfitscherjoch aufgelesener und 2012 ans Institut für Archäologien der Universität Innsbruck gelangter Drechselkern aus Lavez, bei dem es sich um ein Abfallprodukt aus
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Terzer 2011; Gähwiler 1981. Lusuardi-Siena / Sannazaro 2002, 216. Pfeifer 2018; Leoni / Gaggi 1985; Krähenbühl 1995. Krähenbühl 1986. Fantoni et al 2018; Lhemon / Serneels 2012; Mannoni et al. 1987; 2000 anni di pietra; zu den Talkvorkommen in Österreich siehe Fritz 1972a; Fritz 1972b. Unterwurzacher / Terzer 2012. Plinius, Nat. Hist. 36. 44. Bachnetzer / Brandner 2018; Bachnetzer et al. 2014a; Bachnetzer et al. 2014b; Bachnetzer et al. 2013a; Bachnetzer et al. 2013b; Bachnetzer / Brandner 2018b. Die Forschungen wurden im Rahmen des Interreg-IV-Projektes „Pfitscherjoch grenzenlos, Geschichte und Zukunft eines zentralen Alpenüberganges“ zwischen Italien und Österreich (Nordtirol – Südtirol) und des Tiroler Wissenschaftsfonds-Projekts „Lavezabbau am Pfitscherjoch in den Zillertaler Alpen, Nordtirol. Prospektionen – Ausgrabungen – Analysen“ durchgeführt. Die Forschungsergebnisse fließen laufend in das an der Universität Innsbruck angesiedelte Forschungszentrum HiMAT (History of Mining Activities in the Tyrol) ein. Bachnetzer 2014, 185 Abb. 4; Bachnetzer et al. 2015, 433 Abb. 4.; Bachnetzer / Leitner 2014, 55 Abb. 9.
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Archäologische und mineralogische Untersuchungen an den Lavezvorkommen …
Abb. 1: Lage der beiden Lavezabbauareale Pfitscherjoch/Lavitzalm (schwarzer Kreis) und Greinerkar (weißer Kreis).
Abb. 2: (6) Pfitscherjoch/ Lavitzalm; (1–14) Lavezbrüche; (LVP1–2) Lavezverarbeitungsplätze; Abri 2.
der Produktion von Lavezgefäßen handelt, ließ an einen möglichen Abbau dieses Rohstoffes im Einzugsgebiet denken.12 Die im Folgenden durchgeführten Geländebegehungen lieferten eine Fülle an Befunden zum frühen Abbau dieses Werkstoffes. Weitere Nachforschungen in Bezug auf die Wortherkunft der Flurbezeichnung Lavitzalm haben ergeben, dass der Begriff Lavez und die Ortsbezeichnung Lavitz höchstwahrscheinlich den selben Wortursprung haben.13 Bei den von 2012 bis 2014 und 2016 ausgeführten Prospektionen konnten im Bereich der Lavitzalm zwischen 1971–2437 m ü. A. vierzehn obertägige Lavezbrüche dokumentiert werden (Abb. 2). Durch die vorwiegend geringe Humusbildung in den hochalpinen Lagen können zudem zahlreiche halbfertige bzw. zu Bruch gegangene Rohlinge an den Oberflächen der Halden ausfindig gemacht werden. Es handelt sich hierbei um am Ort des Abbaus hergestellte Vorformen für Gefäße und Gefäßdeckel, die anschließend an anderer Stelle mit Hilfe von wasserkraftbetriebenen Drechselbänken zur Verarbeitung gelangten. Neben Gefäßrohformen können aber auch bearbeitete rechteckige, plattenähnliche Halbfertigprodukte beobachtet werden, bei denen es sich eventuell um Ofenkachel- bzw. Ofenplattenrohlinge 12 Bachnetzer et al. 2015, 434 Abb. 5.; Bachnetzer 2014, 186 Abb. 5.; Bachnetzer / Leitner 2014, 55 Abb. 9. 13 Bachnetzer et al. 2015, 438f.
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Thomas Bachnetzer, Peter Tropper & Sebastian Titzler Abb. 3 (oben): Pfitscherjoch/ Lavitzalm. 3D-Modell von Lavezbruch 3 mit Detailaufnahme von Abbauspuren. Abb. 4 (unten rechts): Pfitscherjoch/Lavitzalm. Lavezbruch 10 mit Abbauspuren. Abb. 5 (unten links): Pfitscherjoch/Lavitzalm. Lavezbruch 12 und Rohling im Fels.
für Specksteinöfen oder auch um Gussformrohlinge handeln könnte. Die massivsten Abbauspuren zeigt Lavezbruch 2. Die Bergleute bauten dort einen von Gletscherschliff geprägten Felsrücken auf beiden Längsseiten ab. Es gelangten aber auch sehr kleine Lavezausbisse, die eine abbauwürdige Gesteinsqualität aufwiesen, zum Abbau. Im Gegensatz zu den Lavezbrüchen 1–6, 8–10 und 13, die an primären Lagerstätten angelegt wurden, handelt es sich bei den Abbauen 7, 12 und 14 um verlagerte Felssturzblöcke aus dem Bereich der Rotbachlspitze. Sehr gut erkennen lassen sich die verschiedenen Stufen des Abbaus auch an der Felswand der Lavezbrüche 3 und 8. Neben bereits herausgebrochenen und noch im Fels verbliebenen nahezu fertigen Rohlingen, markieren des öfteren punktförmige Kreise weitere Bereiche für die geplante Rohlingsentnahme (Abb. 3). Vier weitere zwischen der Rotbachlspitze und dem Geier am Übergang ins Haupental auf rund 2430 m ü. A. entdeckte Abbaustellen weisen Abbauspuren bzw. Spuren einer Qualitätsüberprüfung auf. Vor allem bei Abbau 8 zeigen sich größere rundliche Vertiefungen, aber auch noch im Fels erhaltene, nicht herausgebrochene rundliche Rohlinge. Weiterhin können rechteckige Rohformen, bei denen es sich möglicherweise wiederum um Ofenplatten- bzw. Ofenkachelrohlinge oder auch um Gussrohformen handelt, im anstehenden Fels beobachtet werden. Die Abbauspuren finden sich auf beiden Seiten sowie auf dem Rücken des Ausbisses. In der Geröllhalde unterhalb des Bruchs kamen außerdem gebrochene Rohlinge zum Liegen, die eindeutige Bearbeitungsspuren zeigen. Lediglich geringe Abbauspuren bzw. Spuren einer Qualitätsprüfung in Form von länglichen Vertiefungen, die durch den Einsatz von Meißeln und Pickeln entstanden sein dürften, sind am Lavezbruch 9 zu erkennen. Möglicherweise handelt es sich in diesem Fall lediglich um einen Abbauversuch oder eine Probeschürfung, um den anstehenden Speckstein auf seine Abbauwürdigkeit zu testen. Lavezbruch 10 befin4
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Archäologische und mineralogische Untersuchungen an den Lavezvorkommen …
det sich elf Höhenmeter oberhalb von Lavezbruch 8 zwischen Rotbachlspitze und Geier knapp unterhalb des Jochbereichs auf 2437 m ü. A. Höhe. Es handelt sich hierbei um einen kleinräumigen Abbau mit teils sehr homogenem Speckstein, der durchaus für die Herstellung von Gefäßen geeignet erscheint. Die wenigen noch vorhandenen Abbauspuren zeigen sich in Form von Schürfungen (Abb. 4). Wenige Meter von Lavezbruch 10 entfernt konnten vier aus dem Humus herausragende, zugearbeitete, aus unterschiedlich homogenem Material bestehende Lavezgefäßrohlinge freigelegt werden. Bemerkenswert ist der Fund eines kleinen, bearbeiteten Lavezfragments, das auf der Innenseite Drechselspuren aufweist. Auf ähnlichem Höhenniveau liegt Lavezbruch 11, der sehr grobe Abbauspuren aufweist, jedoch keine weiteren Werkzeugspuren erkennen lässt. Zwischen Lavezbruch 2 und 3 liegt Lavezbruch 12, der aus mehreren kleinen, sekundär verlagerten Felssturzblöcken besteht, die zum Abbau herangezogen wurden. Im Umfeld finden sich zahlreiche zu Bruch gegangene und noch im Fels verbliebene Gefäßrohlinge (Abb. 5). Lavezbruch 13 befindet sich zwischen den Abbaustellen 1 und 3 auf 2355 m ü. A. Die Ausmaße der Abbaustelle sind beträchtlich. Obwohl in der Halde ein rechteckiger Lavezrohling und einige Lavezbruchstücke mit Meißelspuren vorhanden sind, konnten im anstehenden Fels lediglich geringe Abbauspuren in Form von wenigen Meißelspuren ausfindig gemacht werden. Im Nahbereich von Lavezbruch 7 liegt der Lavezbruch 14. Der Felssturzblock zeigt viele Abbauspuren in Form länglicher Meißelspuren. Außerdem scheint es so, dass vor allem an der Oberseite und der nach Nordost ausgerichteten Seite größere Entnahmestellen vorhanden sind, jedoch konnten dort keine eindeutigen Abbauspuren entdeckt werden. Grundsätzlich ist zu erwähnen, dass im Einzugsbereich des Pfitscherjochs alle bislang ausfindig gemachten primären Lavezaufschlüsse und sekundär verlagerten Sturzblöcke, die eine gute Gesteinsqualität aufweisen, zum Abbau genutzt wurden. Das Gestein der meisten Lavezbrüche sowie der überwiegende Teil der entdeckten Lavezgefäßrohlinge beinhalten oft größere Anteile von bräunlichen, leicht brüchigen Karbonateinschlüssen. Diese Einschlüsse mindern zwar die Qualität des Gesteins erheblich, jedoch nicht in einem Ausmaß, dass das Lavezgestein nicht bearbeitet werden kann. Römerzeitliche Lavezwerkstätte
Oberhalb der Lavitzalm auf durchschnittlich 2184 m ü. A. Höhe befindet sich eine aus mehreren Steinstrukturen bestehende Almwüstung. Einen Teil davon bildet eine rund 9×6 m große Steinansammlung, die als stark verschliffene Hüttenstruktur interpretiert wird. In einer 20×20 cm großen Sondagegrabung konnte ein 22 cm starkes Kulturschichtpaket freigelegt werden (Abb. 6). Unter der 2 cm dicken Humusschicht (SE 1) liegt eine rund 4 cm starke, lockere, leicht ockerfarbene Schotterschicht, die zahlreiche Lavezstücke mit meißelartigen Bearbeitungsspuren beinhaltet (SE 2). In diesem Stratum befand sich auch ein Lavezgefäßrandfragment, das allseitig Kratzspuren zeigt, aber keine Drechselspuren erkennen lässt (Abb. 7). Unterhalb dieses Horizontes befindet sich SE 3, ein 0,5 cm dünnes Holzkohleband. In der weiteren Schichtfolge zeigt sich SE 4, eine 2,5 cm starke Kulturschicht welche die gleiche Konsistenz wie SE 2 aufweist und von einem sehr dünnen Holzkohleband mittig unterbrochen wird. In diesem Horizont befinden sich ebenso bearbeitete und unbearbeitete, teils größere Lavezstücke. Die letzte Kulturschicht bildet ein weiteres, knapp über 1 cm dickes Holzkohleband vermischt mit glimmerhaltiger rotbrauner Erde. 5
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Abb. 6: Pfitscherjoch/ Lavitzalm. Almwüstung oberhalb der Lavitzalm und Sondageschnitt innerhalb einer Hüttenstruktur.
Thomas Bachnetzer, Peter Tropper & Sebastian Titzler
Abb. 7: Pfitscherjoch/Lavitzalm. Lavezverarbeitungsplatz 2 (LVP 2). (1) Werkstattabfälle aus Lavez mit Bearbeitungsspuren; (2) Randfragment eines Lavezgefäßes.
Abb. 8: Greinerkar. Lavezbruch 1 mit rechteckigen Abbauspuren.
Aufgrund der vorhandenen Werkstattabfälle (SE 2 und 4), dem Fund eines Halbfabrikats sowie der räumlichen Nähe zu den Abbaustellen kann eine Lavezverarbeitung vor Ort nachgewiesen werden (Abb. 2, LVP 2). Inwieweit diese im Zusammenhang mit einer durch zahlreiche (allerdings undatierte) Viehpferche belegten Almwirtschaft zu sehen ist, muss noch fraglich bleiben. In der Gegenwart liegen mit Ausnahme der Lavezbrüche 8–11 alle anderen bislang entdeckten Lavezbrüche innerhalb des von Kühen beweideten Almgebietes. Lavezabbau am Greinerkar
Das Greinerkar befindet sich im Zemmgrund, einem Seitental des Zemmtales rund 7 km nordöstlich des Pfitscherjochs. Nach der Fundmeldung eines Mineraliensammlers konnten dort im Rahmen einer 6
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Archäologische und mineralogische Untersuchungen an den Lavezvorkommen …
Abb. 9: Pfitscherjoch/ Lavitzalm. Lavezbruch 7 mit Abbruchkante im unteren Felsbereich. In der Bildmitte im Hintergrund Abri 2. Eine analysierte Holzkohleprobe datiert den Bruch in das Frühmittelalter (610–670 cal AD). Bild im Bild links: Lavezgefäßrohling aus der Halde. Bild im Bild rechts: Längliche Abbauspuren.
Geländebegehung zwischen 2048 m ü. A. und 2130 m ü. A. vier Lavezbrüche und etliche Felsinschriften wie etwa Initialen, Jahreszahlen, Symbole Tiere und Gebäude entdeckt werden.14 Die meisten davon dürften in den vergangen 200 Jahren entstanden sein. Lavezbruch 1 zeigt rechteckige Abbauspuren, die höchstwahrscheinlich mit der Herstellung von Platten für Lavezöfen in Zusammenhang zu bringen sind, so wie die Lavezbrüche 2–4 willkürlich erscheinende Hackspuren, die möglichweise mit der Gewinnung von Federweiß zusammenhängen. Vereinzelt sind weitere regelmäßige runde (Lavezbruch 3) und kleinere rechteckige Negative (Lavezbruch 1) zu erkennen. Die Auswertung ist noch nicht abgeschlossen und wird an anderer Stelle ausführlicher dargelegt (Abb. 8). Zeitliche Einordnung der Lavezbrüche
Insgesamt können vier 14C-Datierungen von Holzkohle bei einem Abbau, einem Unterstand und einer Werkstätte mit der Nutzung der Lavezvorkommen im Bereich des Pfitscherjochs in Verbindung gebracht werden. Der bislang einzige datierte Lavezbruch ist Abbau 7, der von Abri 2 ca. 200 m talauswärts entfernt liegt. Dort gelangten aus einer Holzkohle führenden Schicht einzelne Stücke durch Kuhtritt und Erosion an die Oberfläche. Eine Holzkohleprobe, die direkt bei einer zu Bruch gegangenen, zugearbeiteten Lavezgefäßrohform entnommen wurde, weist laut 14C-Datierung in den Zeitraum des frühen Mittelalters (BETA-331003: 1390±30 BP, 610–670 AD cal, Wahrscheinlichkeit: 95 %; Abb. 9). Eine zweite 14C-analysierte Probe, die aus der Holzkohle führenden Schicht mit den zwei Lavezgefäßfragmenten vom Abri 2 stammt, datiert ebenfalls in das frühe Mittelalter (BETA-331004: 1420±39 BP, 600–660 AD cal, Wahrscheinlichkeit: 95 %). Es ist also durchaus möglich, dass die Bergleute, die am Lavezbruch 7 ihre Arbeit verrichteten, sich zeitweise am Abri 2 aufhielten (Abb. 10). Zwei weitere 14C-analysierte Holzkohleproben aus dem Inneren der Hüttenstruktur bei der Almwüstung oberhalb der Lavitzalm weisen in die frühe römische Kaiserzeit vom 1.– 3. Jh. n. Chr. (MAMS28532: 1929±22 BP, 25–126 cal AD, Wahrscheinlichkeit: 95,4 %; MAMS-28533: 1904±22 BP, 29–204 cal AD, Wahrscheinlichkeit: 95,4 %) und liefern somit eine erste annähernde Datierung dieser baulichen Struktur (Abb. 11). Es ist anzunehmen, dass zumindest einer der 14 bislang am Pfitscherjoch entdeckten Lavezbrüche in diese Zeit gehört. Um den durch Holzkohle gewonnenen Datierungen mehr Aussagekraft 14 An dieser Stelle sei dem Mineraliensammler Walter Ungerank recht herzlich gedankt, der durch diese Meldung eine weitere Fundstelle zu erschließen half.
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Abb. 10: Pfitscherjoch/ Lavitzalm. Grabungsschnitt bei Abri 2. Ein Brandhorizont, in dem zwei zusammenpassende Lavezgefäßfragmente zum Vorschein kamen, datiert in das Frühmittelalter (600– 660 cal AD).
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Archäologische und mineralogische Untersuchungen an den Lavezvorkommen …
zu verleihen, sind archäologische Ausgrabungen unumgänglich. Aus archäologischer Sicht sind im Bereich des Pfitscherjochs und der Lavitzalm bislang ausschließlich Belege für eine römerzeitliche und frühmittelalterliche Nutzung der Talklagerstätten vorhanden, prähistorische und neuzeitliche Nachweise fehlen. Aus der frühen Neuzeit ist überliefert, dass Erzherzog Ferdinand in einer am 16. Dezember 1581 ausgestellten Schurfberechtigung Balthasar Tässer aus St. Lorenzen im Pustertal berechtig „Federweiß“ (Asbest), also Talk in gemahlener Form, nach den Regeln der Bergwerksordnung im Tauferer Tal (Taufers) bzw. in ganz Tirol abzubauen und damit Handel zu treiben. In dieser Berechtigung enthalten sind der Ankauf von und der Abbau an sämtlichen Vorkommen von „Federweiß“ in Tirol sowie der Handel damit:
LAVITZALM Wüstung Sondage
Südprofil 29.06.2016 gem.: D. Brandner gez.: Th. Bachnetzer Layout: D. Brandner
0
SE 01
SE 02 10 Holzkohleprobe LA 16/1 (MAMS 28532) 14C Alter: 1929 BP AD 25-126 (2σ-cal)
SE 03
SE 04 Holzkohleprobe LA 16/3 (MAMS 28533) 14C Alter: 1904 BP AD 29-204 (2σ-cal)
SE 05
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„… so habe er demselben Tässer aus diesem und andern Gründen den ausschliesslichen SE 06 Ankauf und Handel mit dem Federweis gnädigst bewilligt, jedoch nur bis auf sein SE01 - Humus Widerrufen und unter folgenden BedingunSE02 - rotbraun/schottrig/zahlreiche Specksteinstücke und Halbfabrikate SE03 - Holzkohleschicht gen, dass Tässer den Federweis bei desselben SE04 - rotbraun/schottrig/basal größere Specksteinstücke/HK-Band SE05 - Holzkohleschicht/glimmerhältig/basal rotbraune Erde Gebäuen in Tauvers und anderswo in Tirol SE06 - grau/sandig mit Schiefersteinen (Moränenschutt) nach Bergwerksordnung allenthalben auf seinen Verlag und Saumkosten gewinne und zu guter Kaufmannswaare herrichte und nach seiner Gelegenheit verführen und verkaufen soll und möge und Niemand anderer sich dessen unterfange oder ihn darin beirre.“15 Das Pfitscherjoch wird zwar nicht explizit erwähnt, es ist aber anzunehmen, dass dieses doch größere Vorkommen bereits bekannt war. Ob diese Berechtigung auch ein Indiz für einen geduldeten oder gewünschten Haupt- oder Nebenerwerb in älteren Nutzungsphasen darstellt, muss mit momentanem Forschungsstand dahin gestellt bleiben. Auch im Jahr 1558 erschienenen „Tiroler Landreim“ wird Talk und Federweiß als Tiroler Naturprodukt genannt: „Pfitscher Schwefels-Gang, Volderer Spießglas, als an beiden Orten findet man es sonst nicht baß. Granaten, Talk, Kobalt, Federweiß, – die Malachite haben ihren Preis“.16 Möglicherweise ist hier das Talkvorkommen im Bereich des Pfitscherjoches und der Lavitzalm gemeint. Schriftliche Überlieferungen zur Nutzung der Vorkommen für die Gefäßproduktion sind bisher nicht bekannt geworden. In Italien, der Schweiz und Frankreich sind eine Vielzahl an Lavezbrüchen und Lavezverarbeitungsstellen bzw. -werkstätten bekannt, die zum Großteil neuzeitlichen, spätmittel- und hochmittelalterlichen
15 Ladurner 1865. 16 Kirnbauer 1964, 47, Verszeile 905–908.
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26 cm
Lavezbruchstücke (Produktionsabfall)
Abb. 11: Pfitscherjoch/ Lavitzalm. Zwei Holzkohleschichten beim Lavezverarbeitungsplatz 2 (LVP 2) oberhalb der Lavitzalm datieren in die römische Kaiserzeit (25–126 cal AD/ 29–204 cal AD).
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Ursprungs sind.17 Indirekte Nachweise für frühmittelalterliche und römerzeitliche Abbautätigkeiten liefern vorwiegend Lavezgefäße und weitere Lavezobjekte aus zahlreichen archäologischen Grabungen. Beispielsweise sind Holliger und Pfeifer in ihrer umfassenden Arbeit über Lavez aus dem römischen Heereslager von Vindonissa zum Schluss gekommen, dass das Rohmaterial der dort zahlreich entdeckten Specksteingefäße hauptsächlich aus den großen Lagerstätten von Chiavenna-Piuro stammen dürfte.18 Es sind aber vor allem Werkstätten und deren Produktionsabfälle, anhand derer sich Lavezbrüche zeitlich einordnen lassen. Um einen möglichst geringen Arbeitsaufwand durch den Transport von Lavezrohlingen von der Abbaustelle zur Werkstätte zu haben, wurden die Verarbeitungsstätten in der Regel und sofern möglich, topografisch so nahe als möglich zu den Lavezbrüchen errichtet, wie etwa auch die Werkstätte oberhalb der Lafitzalm am Pfitscherjoch sehr eindrucksvoll belegt. Unter den wenigen früher datierten und eindeutig als Werkstätte identifizierten ist beispielsweise der Fundplatz auf der Flur „Furi“ oberhalb von Zermatt im Schweizer Kanton Wallis hervorzuheben.19 1987 wurde im Zuge der Errichtung einer Beschneiungsanlage eine große Anzahl von Lavezbehältnissen und Lavezdrehkernen entdeckt. In den Folgejahren bis 2003 gelang es in mehreren Grabungskampagnen unter anderem eine Werkstätte freizulegen, die eindeutig zur Herstellung von gedrechselten Lavezgefäßen diente. Anhand stratigrafischer Beobachtungen sowie 14C-Datierungen von Holzkohle konnten zwei Nutzungsphasen nachgewiesen werden, die mit der Produktion von Specksteinobjekten zusammenhängen und in der römischen Zeitperiode beginnen und wahrscheinlich im Hochmittelalter ihre Fortsetzung fanden.20 Zusammenfassung
Aufgrund der großen Anzahl von Lavezgefäßen in archäologischen Ausgrabungen im Alttiroler Raum, vor allem aus der römischen Zeitperiode sowie des Fehlens lokaler Lavezabbaustellen galt bisher die Annahme, dass diese Steinbehältnisse aus den großen Produktionszentren der Schweiz oder auch Norditaliens als Importware nach Tirol gelangten. Die Lavezbrüche am Pfitscherjoch und dem Greinerkar belegen nun, dass auch lokale Lavezvorkommen zumindest im Frühmittelalter und in römischer Zeit zu einem noch nicht näher definierbaren Teil zumindest zur regionalen Versorgung beigetragen haben müssen. Die Lavezverarbeitungswerkstätte im Bereich der Lafitzalm gehört zu den sehr seltenen Fundorten im Alpenraum an denen eine römerzeitliche Verarbeitung von Lavez nachgewiesen werden konnte. Um etwaige Differenzierungen der Lavezvorkommen zu anderen Lagerstätten aus den Alpen erfassen und so Importware von lokal hergestellter Ware unterscheiden zu können, bedarf es weiterer vergleichender mineralogischer Untersuchungen mit den großen Lagerstätten vor allem aus der Schweiz und dem norditalienischen Raum. Auch müssen mit weiteren Recherchen die Entfernungen zu den nächstgelegenen Siedlungen der belegten Zeiträume sowie Fundstellen mit freigelegten Lavezobjekten eruiert werden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass weitere Lavezvorkommen sowohl im Einzugsgebiet des Pfitscherjoches, als auch weiter entferntere zum Abbau herangezogen wurden.
Mineralogisch-chemische Untersuchungen von Lavez Für die mineralogischen Untersuchungen der Proben wurden die Lavezbrüche wie folgt mit den Probennummern korreliert. Der Lavezbruch 5 wurde aufgrund der topografischen Nähe mit der Abbaustelle 2 zusammengefasst. Im Rahmen dieser Arbeit wurden die Proben 1–2 (Lavezbruch 1), 3–2 (Lavezbruch 2), 5–2 (Lavezbruch 3), 7–2 (Lavezbruch 4), 9–2 (Lavezbruch 6) und 13–2 (Lavezbruch 8) untersucht. Zu
17 Fantoni et al 2018: Sehr gute Zusammenfassung zum aktuellen Stand der Forschung bezüglich Abbau und der Verwendung von Lavezgestein. 18 Holliger / Pfeifer 1983. 19 Paccolat 2005; Antonini / Paccolat 2011. 20 Paccolat 2005, 143; ARC-1580: 1600 +/- 40 BP, 340–570 cal AD; ARC-1584: 1715 +/- 50 BP, 210–440 cal AD; Ly-646: 1000 +/-90 BP, 860–1250 cal AD.
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Archäologische und mineralogische Untersuchungen an den Lavezvorkommen … Abb. 12 (oben): Geologische Übersichtskarte des Tauernfensters. (1) Pfitscherjoch, (2) Lavitzalm (rotes Kreuz). Abb. 13 (unten): Handstück aus einer Serpentinitlinse. Die eingezeichneten Kreise stellen Dünnschliffentnahmestellen dar.
den Lavezbrüchen 7 und 9–14 vom Pfitscherjoch sowie 1–4 vom Greinerkar wurden bislang keine Proben analysiert.21 Der geologische Rahmen
Geologisch betrachtet finden sich rund um das Pfitscherjoch zahlreiche Metamorphite (= durch hohe Drücke und Temperaturen umgewandelte Gesteine) des sogenannten Tauernfensters, das geologisch dem Penninikum angehört (Abb. 12). Beim Penninikum handelt es sich um Gesteine aus dem ehemaligen penninischen Ozean zwischen der europäischen und der adriatischen (= Teil der afrikanischen) Platte. Im Zuge mehrerer Metamorphosen wurden die Gesteine des Tauernfensters umgewandelt. Dabei zeigen sich in den Gesteinsgefügen vor allem die tektonischen Prozesse der letzten Alpidischen Metamorphose (vor ca. 45–15 Mio. Jahren). Im Tauernfenster treten paläozoische Gesteine der ehemaligen europäischen Platte als tiefste Einheiten auf. Unterhalb der Basis der Ophiolitabfolge (= tektonisch abgeschertes Fragment ozeanischer Kruste des penninischen Ozeans) in der paläozoischen Habach-Serie kommen vereinzelte Serpentinitlinsen vor. Diese bauen sich aus Chloritschiefern, Talkschiefern und Chlorit-Aktinolithschiefern auf. Diese altpaläozoischen Ultramafite (= Gesteine mit weniger als 44 Gew. % SiO2), welche heute als Serpentinitlinsen vorliegen, stellen Reste ehemaliger, paläozoischer ozeanischer Kruste dar und treten vorwiegend im Bereich des Pfitscherjochs auf.
21 Titzler 2015.
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Abb. 14 (oben links): Polarisationsmikroskopbild der Probe 1–2 mit der Mineralparagenese Talk (Tc) + Magnetit (Mgt) II Polarisationsfilter. Abb. 15 (oben rechts): Rückgestreutes Elektronenbild der Probe 9–2 mit Talk (Tc), Dolomit (Dol) und Spinell (Sp = Cr-hältiger Magnetit). Abb. 16 (unten): Plot von FeO vs. Al2O3 und (B) Plot FeO vs. MgO von Talkanalysen aus den untersuchten Proben.
Petrographie der Proben
Lavezgesteine sind direkt an ultramafische Gesteine oder ultramafische Komplexe gebunden.22 Die Talkschiefer sind ein Umwandlungsprodukt von Serpentiniten, die sich im Zuge einer Metamorphose durch wässrige SiO2-reiche und teils CO2-reiche Fluide umwandeln. Das Handstück in Abb. 13 stammt aus einer ehemaligen Serpentinitlinse und weist eine deutliche mineralogische Zonierung auf. Der weiße obere Teil besteht zum Großteil aus Talk und der grüne untere Teil besteht aus Amphibolen (Aktinolithe). Für die Herstellung der Lavezgefäße wurde der weiße Teil des Gesteines verwendet. Die bearbeiteten Proben wurden mittels Polarisationsmikroskop untersucht. In den Proben tritt die Mineralparagenese Talk + Magnetit ± Chlorit ± Dolomit ± Aktinolith ± Muskovit auf (Tab. 1; Abb. 14). Dieselbe Mineralparagenese wurde auch mittels rückgestreuter Elektronenbilder an der Elektronenstrahlmikrosonde identifiziert (Abb. 15). Mineralchemiew
Die Minerale Talk und Chlorit wurden mineralchemisch an einer Elektronenstrahlmikrosonde vom Typ JEOL 8100 SUPERPROBE untersucht. Der Eisengehalt der Proben schwankt in den Talkkörnern zwischen einem und drei Gewichtsprozent FeO, liegt jedoch überwiegend zwischen 1,5 und 2 Gewichtsprozent (Abb. 16a). An den Proben wurden deutlich weniger Gewichtsprozente an Aluminium (Al2O3) gemessen (Abb. 16a). Hier liegen die meisten Messwerte zwischen 0,01 und 0,05 Gewichtsprozent Al2O3. Insgesamt zeigen sich aber keinerlei signifikante Unterschiede zwischen den Analysen der einzelnen Proben. 22 Unterwurzacher / Terzer 2012.
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Probennummer
Mineralbestand
1–2
Talk + Magnetit
3–2
Talk + Dolomit + Chlorit
5–2
Talk + Tremolit + Magnetit + Chlorit
7–2
Talk + Magnetit + Chlorit
9–2
Talk + Muskovit + Dolomit + Tremolit
13–2
Talk + Tremolit + Chlorit + Magnetit
Tabelle 1: Mineralbestand der untersuchten Proben.
Der Magnesiumgehalt liegt mit 28 bis 30 Gewichtsprozent MgO erwartungsgemäß deutlich höher (Abb. 16b). Die einzelnen Messungen weisen ebenfalls nur eine geringe Schwankungsbreite auf. Thermisches Verhalten von Lavez
Um die thermischen Eigenschaften von Lavez zu untersuchen wurde eine Differentielle Thermoanalyse mit Thermogravimetrie (DTA-TG) von 25 °C bis 1000 °C durchgeführt. Dabei wird eine Probe aufgeheizt (10 °C pro Minute) und der Energieumsatz sowie der Massenumsatz der Probe wird dabei gemessen. Die Massenverlustkurve zeigt zweimal einen starken Abfall in den beiden Temperaturintervallen von 600–700 °C und 800–900 °C. Die Energieumsatzkurve weist zwei kleine positive Peaks auf, die auf einen exothermen Energieumsatz hinweisen und bei ca. 600 °C und 810 °C auftritt. Diese exothermen Energieumsätze weisen bei ca. 600 °C zum ersten H2O-Verlust aus den Mineralen Talk und Chlorit hin und bei ca. 810 °C kommt es dann zum Zusammenbruch von Talk zu Orthopyroxen + Quarz + H2O. Diese Reaktion geht mit einem relativ großen Massenverlust zwischen 800–900 °C einher. Orthopyroxen konnte auch nach dem Experiment mittels Röntgendiffraktometrie nachgewiesen werden. Die hohe Beständigkeit (>600 °C) der Schichtsilikatstruktur trotz H2O Verlustes und die Umwandlung des OHreichen Phasenbestands in einen OH-freien Phasenbestand bei sehr hohen (>750 °C) Temperaturen führt sicherlich zu einer extremen Hitzebeständigkeit dieses Materials.
Diskussion Die metasomatische Entstehung von Lavez
Allgemein leitet sich der Begriff der Metasomatose aus dem griechischen „meta“ = „nach“ und „soma“ = „Umkörperung“ ab und meint die Umwandlung oder den Ersatz von Gesteinskomponenten oder Mineralen eines Gesteins. Man differenziert zwischen dem chemischen Ersatz eines Minerals durch ein neues Mineral durch Fluide, und der Umwandlung des Gesteinschemismus selbst durch den Austausch von zu- und abgeführten Elementen. Die Bildung neuer Phasen bezeichnet man als metasomatische Verdrängung. Die ehemaligen Ultramafite mit dem Mineralbestand Olivin + Orthopyroxen + Klinopyroxen werden durch die Zufuhr von wässrigen Fluiden in Serpentinite umgewandelt. Diese Serpentinite streben, wie alle geochemischen Systeme, ein chemisches Gleichgewicht mit dem Umgebungsgestein an. Eine Einstellung des Gleichgewichts wird hier durch die Zirkulation von wässrigen Fluiden (H2O, CO2-reich) ermöglicht, die mit dem Nebengestein im Stoffaustausch stehen. Da diese Prozesse aber sehr langsam ablaufen bzw. oft nicht genug Fluidphase vorhanden ist, kommt es zu einer unvollständigen Verdrängung des Ausgangsmineralbestands und man erkennt eine mineralogische Zonierung. Dieser unvollständige hydrothermale Prozess führt zu diversen metasomatischen Zonen rund um die Serpentinite (Abb. 17). Diese Zonierung weist Serpentinit im Kern auf und gegen den Rand hin bilden sich monomineralische Zonen von Talk, Chlorit, Amphibol und Biotit. Diese Zonen reflektieren einen Anstieg der SiO2 Komponente in den Lagen, da das Nebengestein (z. B. Paragneis) im Gegensatz zum Serpentinit im Kern stark mit SiO2 angereichert ist. Die Mineralparagenese des Ultramafits/Serpentinits (Orthopyroxen + Klinopyroxen + Forsterit + Serpentinminerale) wandelt sich z. B. durch H2O + CO2-reiche Fluide in
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Abb. 17: Schematische Darstellung des zonaren mineralogischen Aufbaus einer Serpentinitlinse.
Talk + Dolomit um. Mit der Anwesenheit von CO2-reichen Fluiden ergibt die Berechnung in Probe 3–2, für die Bildung von Talk und Dolomit die nachfolgenden möglichen Mineralreaktionen: 6 Forsterit + 5 Diopsid + 10 CO2 + 4 H2O = 4 Talk + 5 Dolomit 3 En + Di + 2 CO2 + 2 H2O = 2 Talk + Dolomit In Probe 5–2 treten Amphibole (Tremolit-Aktinolithmischreihe) auf und die Bildung von Dolomit und Tremolit kann durch folgende Mineralreaktionen dargestellt werden: 6 Forsterit + 13 Diopsid + 10 CO2 + 4 H2O = 4 Tremolit + 5 Dolomit 2 Forsterit + 11 Diopsid + 5 CO2 + 3 H2O = 3 Tremolit + 5 Kalzit 8 Forsterit + 13 Kalzit+ 9 CO2 + H2O = Tremolit + 11 Dolomit Zusätzlich konnte in Probe 5–2 eine Berechnung bezüglich der Bildung von Talk aus Tremolit durchgeführt werden: Tremolit + Dolomit + CO2 + H2O = 2 Talk + 3 Kalzit Diese Mineralreaktionen implizieren, dass Talk manchmal auch aus Tremolit entstanden ist, worauf reliktische Tremolite in der Talkmatrix hinweisen könnten. Die Variationen in der Mineralparagenese können auch durch Schwankungen in der Zusammensetzung der Fluide erklärt werden: So benötigt beispielsweise die Bildung von Tremolit oft mehr CO2 als die Bildung von Talk. Verwendbarkeit der Mineralchemie für Provenienzstudien Die verschiedenen Lavezproben ergeben keine signifikanten Unterschiede in ihrer Mineralchemie. Darauf basierend ist abschließend festzuhalten, dass mittels der bisher gewonnenen mineralchemischen Daten von Talk eine chemische Diskriminierung der Proben zwecks Provenienzanalyse schwierig bis nicht möglich ist. Weiterführende Untersuchungen bezüglich einer chemischen Diskriminierung mittels Neben- und Spurenelementen wie auch der Gesteinschemie sind daher geplant. Momentan lässt sich nur schließen, dass etwaige gefundene Lavezbruchstücke und Rohlinge nicht eindeutig auf ein oder auch mehrere Vorkommen im Bereich des Pfitscherjochs zurückgeführt werden können.
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Thomas Bachnetzer, Peter Tropper & Sebastian Titzler
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