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German Pages [128] Year 2006
Prof. Dr. Friedrich Specht gewidmet
Ulrike Schäfer Wolf-Dieter Gerber
AD(H)S – Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung Ein Ratgeber für Eltern, Erzieher und Lehrer
Mit 16 Abbildungen
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 10: 3-525-46252-2 ISBN 13: 978-3-525-46252-2
Umschlagfoto: © Diana Duncan Holmes Fotos im Textteil: © Dr. med. Ulrike Schäfer, Göttingen © 2007, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen. Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Text & Form, Garbsen. Druck und Bindung: Hubert & Co. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
■ Inhalt
Vorwort ...........................................................................
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Welche Fragen brennen Ihnen unter den Nägeln? ....
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Auf welche Irrtümer über AD(H)S sollten Sie achten? .............................................................................
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Was können Sie unter AD(H)S verstehen? .................
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Ist AD(H)S für Sie eine Modeerscheinung? ................
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Was glauben Sie, welche Auswirkungen und Folgen AD(H)S haben kann? ....................................................
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Was wissen Sie über die Ursachen von AD(H)S? .......
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Wie erkennen Sie das gemeinsame Auftreten von AD(H)S mit anderen Störungsbildern? .......................
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Welche Untersuchungen sind für die Diagnose notwendig? ......................................................................
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Wie kann man AD(H)S-Kindern und -Jugendlichen wirksam helfen? ..................................................
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Wie erleben sich Kinder und Jugendliche mit AD(H)S? ................................................................... 108
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Inhalt
Anhang: Tipps für Eltern, Tipps für Lehrerinnen und Lehrer, Adressen von Selbsthilfegruppen ............ 114 Erklärung der Fachausdrücke ....................................... 123 Literatur ........................................................................... 125
■ Vorwort
Liebe Eltern, liebe Lehrerinnen und Erzieherinnen, vielleicht könnten Sie Ihr Kind ähnlich beschreiben wie die Mutter des zehnjährigen Tobias: »Es ist schrecklich mit ihm, er kann einfach nicht stillsitzen, ständig ist er in Bewegung, redet darauf los, hört nicht zu, macht einfach was er will. In der Schule stört er die anderen, lenkt sich ab und passt nicht auf. Vergisst ständig seine Materialien. Die Hausaufgaben am Nachmittag sind ein Drama. Stundenlanges Gezerre und Schreierei. Aber auch im Fußballverein gibt es viel Ärger, Tobias kann sich einfach nicht an die Regeln halten, er hat keinen Überblick. Die anderen Kinder wollen schon nicht mehr mit ihm spielen. Dabei kann er auch ganz anders sein: Er hat viele Ideen, ist kreativ und lustig. Aber immer öfter ist er traurig, weil er so viel geschimpft wird. Oft weint er und meint, dass keiner ihn mehr mag. Ich bin mit meinem Latein am Ende, oft bin ich erschrocken, dass ich ihm gegenüber so abweisend bin. Aber ich kann nicht mehr ...«
Die Schilderung von Tobias Mutter zeigt, mit welchen Problemen Menschen zu kämpfen haben, die AD(H)S haben. Es gibt kaum eine andere Erkrankung, die bei Betroffenen, den Bezugspersonen, aber auch in der Öffentlichkeit so viel Beachtung erfährt. Viele Eltern stehen den emotionalen Konflikten und den schulischen Problemen hilflos gegenüber. Mancher Lehrer schätzt sich glücklich, wenn er eine Klasse ohne AD(H)S-Schüler übernehmen darf. Am unglücklichsten ist allerdings das betroffene Kind oder der Jugendliche
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Vorwort
selbst. Bei meist guter Begabung schafft es/er oftmals die Schule nicht, wird von Erwachsenen und Mitschülern ausgegrenzt und fühlt sich als Versager und ungeliebt. Die Folgen der AD(H)S für die Betroffenen sind nahe liegend: häufig kein Schulabschluss, ungewisse berufliche und persönliche Entwicklung bis hin zum Auftreten ausgeprägter psychischer Störungen. Die Not vieler Eltern ist häufiger Beweggrund, weswegen ärztliche Hilfe vermehrt in Anspruch genommen wird. Denn AD(H)S ist »öffentlich«, wie viele Eltern stetig erleben, wenn sie mit Beschwerden von Nachbarn, Lehrern und Mitschülern überhäuft werden. AD(H)S ist eine der häufigsten Erkrankung des Kindesund Jugendalters, Jungen sind davon häufiger betroffen als Mädchen. Häufig bleibt die Erkrankung auch im Erwachsenenalter bestehen. Ein Teil der Betroffenen gerät im späteren Jugend- oder Erwachsenenalter auf die »schiefe Bahn«. Alkohol- und/oder Drogenmissbrauch (möglicherweise als ungeeigneter Selbstbehandlungsversuch) sind mögliche Gefahren. Bei einigen besteht die Gefahr des Abgleitens in ein kriminelles Milieu. Um die Erkrankung ranken sich zahlreiche Irrtümer und Vorurteile, die von Erziehungsproblemen über frühkindliche Hirnschädigung bis hin zu einer Allergiestörung reichen. Hintergrund sind meist unzureichendes Wissen und Vorurteile, die es erschweren, dass die Kinder sich – trotz der Erkrankung – »normal« entwickeln. Denn eine erfolgreiche Behandlung der AD(H)S setzt die Aufklärung und Information des betreffenden Kindes/Jugendlichen und seiner Eltern sowie der Erzieher und Lehrer voraus. Mit dem vorliegenden Buch geben wir Ihnen Antworten auf die zehn brennendsten Fragen, die uns häufig von Lehrern und Eltern gestellt werden. Wir hoffen, liebe Leserin und Leser, Ihnen mit diesem Buch eine Unterstützung zu geben. Es soll dazu beitragen, dass Sie ein besseres Verständnis für das AD(H)S-Problem entwickeln, so dass es Ihnen möglich
Vorwort
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wird, einen positiven Einfluss auf das Erkrankungsbild Ihres Kindes oder Ihres Schülers zu nehmen. Wir wünschen dabei gutes Gelingen, für Anregungen und Kritik sind wir dankbar. Ulrike Schäfer Wolf-Dieter Gerber
■ Welche Fragen brennen Ihnen unter den Nägeln?
■ AD(H)S/ADS/HKS – was bedeuten die Abkürzungen? Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung wird mit AD(H)S abgekürzt. Eine isolierte Aufmerksamkeits-DefizitStörung, das heißt ohne begleitende motorische Unruhe, wird mit ADS abgekürzt. HKS steht für die im deutschen Sprachraum früher häufig verwendete Bezeichnung der hyperkinetischen Störung. Während bei der Bezeichnung HKS und AD(H)S die motorische Unruhe Bestandteil des Störungsbildes ist, bedeutet ADS eine Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität, das heißt, eine ausschließliche Aufmerksamkeits- und Konzentrationsminderung. Der Volksmund sagt zu diesem Störungsbild auch »das Träumerchen«, während AD(H)S-Betroffene oft »Zappelphilipp« genannt werden.
■ Woran kann man AD(H)S erkennen? Sie erkennen AD(H)S vorwiegend an den drei Hauptsymptomen: – Aufmerksamkeitsstörung, – Impulsivität, – Hyperaktivität. Aufmerksamkeitsstörung bedeutet, dass es zu einem Konzentrationsmangel und zu einer verminderten Aufmerksamkeit mit vermehrter Ablenkbarkeit kommt. Unter Impulsivität wird eine unzureichende Steuerungsfähigkeit verstanden.
12 Welche Fragen brennen Ihnen unter den Nägeln? Die Kinder und Jugendlichen fallen dadurch auf, dass sie zuerst handeln und anschließend denken. Es fällt den Betroffenen schwer, abzuwarten, ihre Gefühle und Gedanken zu kontrollieren, sie machen »einfach drauf los« oder »rasten aus«. Eine emotionale Impulsivität liegt vor, wenn die Kinder einen raschen Stimmungswechsel zeigen, »schnell aus der Haut fahren«, rasch wütend werden oder aufbrausende Reaktionen zeigen. Die Wut verfliegt jedoch so schnell, wie sie gekommen ist. Häufig ist die Umgebung noch mit der Wut beschäftigt, während das Kind/der Jugendliche sich kaum an seinen Wutausbruch erinnern kann. Die Hyperaktivität (motorische Unruhe) ist meist bei jüngeren Kindern sehr ausgeprägt vorhanden. Oft schildern schon die Erzieherinnen im Kindergarten, dass das Kind Schwierigkeiten hat, im Stuhlkreis ruhig sitzen zu bleiben. In der Schule kommt es durch die motorische Unruhe zum Stören des Nachbarn und Umherlaufen im Unterricht. Je älter die Kinder werden, desto mehr kann die motorische Unruhe in den Hintergrund treten. Oft beschreiben Jugendliche oder junge Erwachsene die motorische Unruhe lediglich als »innere Anspannung«. Sie fühlen sich »wie auf dem Sprung«, wippen mit dem Fuß oder schnipsen mit den Fingern. Sowohl die Aufmerksamkeitsstörung als auch die Impulsivität und die Hyperaktivität treten in verschiedenen Situationen auf, wir sprechen von situationsübergreifenden Auffälligkeiten – das heißt, sie sind zu Hause, im Kindergarten, in der Schule, bei der Ausbildung, im Freundeskreis und bei der Ausübung der Hobbys vorzufinden. Andererseits muss betont werden, dass die Beschwerden wechseln können, es kann durchaus auch Situationen geben, in denen sich das Kind/der Jugendliche sehr wohl konzentrieren und motorisch ruhig verhalten kann (zum Beispiel beim PC-Spiel). Dies führt dann bei den beteiligten Erwachsenen oft zu der Annahme, das Kind »kann ja, wenn es nur will«. Bei AD(H)S-Kindern/Jugendlichen ist die Fähigkeit, sich einer
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Aufgabe zu widmen, in höherem Maß von der Motivation abhängig als bei gesunden Kindern. ■ Tritt AD(H)S gemeinsam mit anderen Störungen auf? Mit der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung können häufig auch andere begleitende Störungen verbunden sein: beispielsweise Störungen des Sozialverhaltens, darunter verstehen wir Widerstand, Lügen, Entwenden, Weglaufen, später auch eine kriminelle Entwicklung. Zusätzlich bestehen bei Kindern mit AD(H)S häufig Teilleistungsstörungen, die den schulischen Bereich betreffen, so beispielsweise die Lese- und Rechtschreibschwäche (Legasthenie) oder die Rechenschwäche (Dyskalkulie). Außerdem können emotionale Störungen wie beispielsweise Angststörungen, aber auch Depressionen und Tics (Tourette-Syndrom) gemeinsam mit der AD(H)S auftreten. ■ Einmal AD(H)S – immer AD(H)S? Meist beginnt die AD(H)S in der frühen Kindheit vor dem sechsten Lebensjahr. Bei ungefähr 30 bis 60 % bleiben die Beschwerden bis ins Erwachsenenalter bestehen (persistierendes AD(H)S im Erwachsenalter). Bei Erwachsenen nimmt die motorische Unruhe ab, während die Aufmerksamkeitsstörung und die Impulsivität bestehen bleiben. Im Alltag zeigen diese Menschen häufig Probleme in der Organisation und Selbststrukturierung. Infolge der Aufmerksamkeits- und Konzentrationsprobleme kommt es häufig zu Beeinträchtigungen in der schulischen Entwicklung und der Berufsausbildung. Oft bleiben die Leistungen von AD(H)SBetroffenen unter ihren eigentlichen kognitiven Fähigkeiten. Gehäuft kommt es zu Ausbildungsabbrüchen.
14 Welche Fragen brennen Ihnen unter den Nägeln? Leistungsprobleme in der Schule, Ausbildungsabbrüche, Außenseiterpositionen im Gleichaltrigenverband, Einnehmen der Sündenbockrolle und häufige Beziehungsabbrüche führen zu Misserfolgserfahrungen und beeinträchtigen das Selbstwerterleben des AD(H)S-Betroffenen: »Ich kriege sowieso nichts hin«, »Ich kann sowieso nichts durchhalten«. Bei einem Teil der Betroffenen kann es zur kriminellen Entwicklung kommen, weswegen eine frühzeitige Behandlung zu empfehlen ist. Das Risiko, andere psychiatrische Erkrankungen zu erleiden, ist erhöht, so beispielsweise für Depressionen, Alkohol- und/oder Drogenabhängigkeit.
■ Wie wird AD(H)S verursacht? Genetische, also die Vererbung betreffende Faktoren spielen eine erhebliche Rolle, Beeinträchtigungen der neurochemischen Funktionen (Neurotransmitterstoffwechsel) im Gehirn sind die Folge. Insbesondere ist der Stoffwechsel von Dopamin und Noradrenalin, beides Botenstoffe im Gehirn, betroffen. Die Wirkung der Medikamente haben hier ihren Ansatzpunkt. Aus Zwillings- und Adoptionsstudien ist uns bekannt, dass die AD(H)S familiär gehäuft auftritt. Einen erheblichen Einfluss haben psychosoziale Bedingungen wie Erziehung und Reaktionen der Umwelt. Dies sind Faktoren, die insbesondere den Verlauf und die Ausprägung des Störungsbildes bedingen. Insgesamt muss von einem komplexen Bedingungsgefüge unterschiedlicher und sich gegenseitig beeinflussender Faktoren ausgegangen werden.
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■ Treten Unruhe und Aufmerksamkeitsstörungen auch bei anderen Erkrankungen auf? Viele andere Erkrankungen können zur Unruhe und/oder Aufmerksamkeitsstörung führen. Beispielhaft seien Schilddrüsenerkrankungen, Depressionen, schulische Unter- oder Überforderung, geistige Behinderung und familiäre Belastungssituationen durch Trennung der leiblichen Eltern oder Arbeitslosigkeit hier genannt.
■ Gibt es den AD(H)S-Test? Nein, den gibt es nicht. Die Diagnose AD(H)S setzt sich aus vielen kleinen Bausteinen, die aneinandergefügt werden müssen, zusammen. Gespräche mit den jeweils betroffenen Kindern und Jugendlichen, mit den Eltern, Erziehern und Lehrern geben Auskunft darüber, welche Beeinträchtigungen und Auffälligkeiten im aktuellen Alltag zu beobachten sind. Leistungsversagen, Vergesslichkeit, Streitereien, Wutausbrüche, störendes Verhalten, spontane übereilte Handlungen, unzureichende Gefahreneinschätzung, rascher Stimmungswechsel – all dies ist beobachtbar und in verschiedenen Situationen auffällig. Neurologische und internistische Untersuchungen werden vorgenommen, die Aufzeichnung der Hirnströme (EEG), Blutuntersuchungen und bildgebende Verfahren (z. B. Kernspintomogramm vom Kopf) können sie ergänzen. Zusätzlich werden testpsychologische Untersuchungen durchgeführt, um die Lern- und Leistungsmöglichkeiten, Teilleistungsschwächen und emotionale Auffälligkeiten zu erheben. Fragebögen zur Selbst- und Fremdbeurteilung kommen zusätzlich zur Anwendung.
16 Welche Fragen brennen Ihnen unter den Nägeln? ■ Gibt es wirksame Behandlungen? Zunächst muss über das Störungsbild aufgeklärt werden. Nicht nur die Eltern, Lehrer und Erzieher sollten adäquat informiert werden, sondern insbesondere auch der Betroffene selbst. Elternberatung, Elterntraining, Psychotherapie (insbesondere Verhaltenstherapie) und Anleitung der Lehrer sind wichtige Bausteine der Behandlung. Reichen diese Maßnahmen allein nicht aus und droht eine erhebliche Beeinträchtigung der weiteren Entwicklung, so ist eine medikamentöse Behandlung Bestandteil des Therapiekonzeptes. Stimulanzien haben eine gute Wirksamkeit bewiesen. Hauptvertreter ist das Methylphenidat, (z. B. Ritalin®, Equasym®, Medikinet®). Retardierte Formen des Methylphenidat kommen ebenfalls zum Einsatz (z. B. Concerta®, Medikinet retard®, Ritalin SR®/Schweiz). Eine Alternative zur Stimulanzienbehandlung ist der Einsatz von Atomoxetin (Strattera®). Atomoxetin ist von der chemischen Struktur her ähnlich wie Antidepressiva, es setzt am noradrenergen Stoffwechsel an, während Stimulanzien am dopaminergen Stoffwechsel ihren Wirkansatzpunkt haben. Weder Stimulanzien noch Atomoxetin führen zur Abhängigkeit. Aus neueren Untersuchungen ist bekannt, dass Kinder und Jugendliche, die mit Stimulanzien rechtzeitig behandelt werden, weniger gefährdet sind, im weiteren Verlauf eine Alkohol- und/oder Drogenabhängigkeit zu entwickeln.
■ Können Nebenwirkungen bei der medikamentösen Behandlung auftreten? Grundsätzlich haben Medikamente, die eine Wirkung haben, auch Nebenwirkungen. Zu Beginn der Behandlung mit Stimulanzien klagen die Kinder häufig über Bauchschmerzen, Kopfweh, Übelkeit (dies insbesondere dann, wenn die Me-
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dikamente auf nüchternen Magen genommen werden). Häufig kommt es zu einer Appetitsminderung, oft essen die Kinder jedoch kompensatorisch mehr, wenn die Wirkung der Medikamente nachgelassen hat. Bei sehr hohen Dosen von Stimulanzien können depressive (traurige) Verstimmungen auftreten. Gelegentlich kann es zu Blutdruckanstieg kommen, deswegen sind regelmäßige Kontrollen von Blutdruck, Gewicht, Herzfrequenz und Größe notwendig. Die Hersteller von Stimulanzien empfehlen Blutbild-, Leberwert- und EKG-Kontrollen. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen von Atomoxetin (Strattera®) sind ebenfalls Appetitsminderung, Blutdruck- und Herzfrequenzanstieg.
■ Wer kann meinem Kind helfen? Oft ist erster Ansprechpartner der Kinderarzt oder der Hausarzt. Zur genauen Untersuchung sollte ein Kinder- und Jugendpsychiater zu Rate gezogen werden, der sich mit dem Störungsbild AD(H)S auskennt. Weitere wichtige Ansprechpartner sind Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten. Wann immer eine medikamentöse Behandlung notwendig wird, ist der Einbezug eines Kinder- und Jugendpsychiaters erforderlich, der über ausreichend Erfahrung darüber verfügt. Die Psychotherapie wird häufig von Psychologen durchgeführt (approbierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, psychologische Psychotherapeuten, z. B. Verhaltenstherapeuten). Klinikambulanzen (kinder- und jugendpsychiatrische Ambulanzen, sozialpädiatrische Zentren) oder Erziehungs- und Familienberatungsstellen sind weitere Anlaufstellen. Die Kosten für die ärztlichen Untersuchungen werden wie bei anderen Erkrankungen auch von den Krankenkassen übernommen, ebenso die Psychotherapie, wenn sie bei sogenannten Vertragstherapeuten erfolgt – das sind Psycho-
18 Welche Fragen brennen Ihnen unter den Nägeln? therapeuten, die von der gesetzlichen Krankenkasse zugelassen sind. Ergänzende Behandlungen bei Vorliegen von Teilleistungsschwächen können die Legasthenietherapie oder Dyskalkulietherapie sein, ferner bei Auffälligkeiten der motorischen Entwicklung psychomotorische Übungsbehandlungen. Die Kostenübernahme für diese Behandlungen können beim zuständigen Jugendamt entsprechend dem Kinder- und Jugendhilfsgesetz (§35a KJHG) beantragt werden.
■ Auf welche Irrtümer über AD(H)S sollten Sie achten? Immer wieder geistert durch die Medien, dass die AD(H)S Folge eines übermäßigen Medienkonsums, insbesondere von Fernsehen, Videos, Computerspielen und Handys ist. Hierfür finden sich keine wissenschaftlichen Belege, die Häufigkeit von AD(H)S ist in den verschiedensten Kulturen in den letzten Jahrzehnten etwa gleich geblieben, obwohl die technische Entwicklung jeweils sehr unterschiedlich ist und sich in den letzten Jahren deutlich beschleunigt hat. Verschiedenste Anschuldigungen bezüglich Umweltgiften sind populär geworden. Allergien und falsche Ernährung, Farbstoffe oder Phosphate, sogar Zucker wurden verdächtigt, AD(H)S-Symptome bei Kindern zu verursachen. Diäten wurden entwickelt, Untersuchungen zeigen jedoch, dass diese nicht wirksam sind. Nur bei Kindern, die zusätzlich eine nachgewiesene Allergie haben, kann eine Diät ausnahmsweise helfen. Hier ist jedoch immer zu berücksichtigen, dass Kinder mit Allergien (Heuschnupfen, Asthma, Pollen- und Stauballergie) aufgrund nächtlichen Juckreizes häufig schlecht schlafen. Der qualitätsgeminderte Schlaf führt zu einer Tagesbeeinträchtigung mit vermehrter Unruhe und Aufmerksamkeitsstörung. AD(H)S ist nicht von der Ernährung abhängig. Früher wurde häufig angenommen, dass die AD(H)S eine Hormonstörung, insbesondere eine Schilddrüsenstoffwechselstörung sei, was in wissenschaftlichen Untersuchungen nicht belegt werden konnte. Oft geht durch die Presse, dass die AD(H)S durch eine Pilzinfektion ausgelöst wird, auch hierfür finden sich keine wissenschaftlichen Belege. Teure Nahrungsergänzungsmittel und Vitamine und Mineralstoffe werden angepriesen – nichts als Geldschinderei. Der Vorwurf an viele Eltern, dass die AD(H)S ein Erzie-
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hungsfehler sei, führt zu zusätzlichen Kränkungen. Viele Erziehungsmaßnahmen, die bei anderen Kindern wirken, greifen nicht. Das führt dazu, dass Eltern von AD(H)S-betroffenen Kindern an den Rand der Verzweiflung gebracht werden und zunehmend Ohnmachtsgefühle erleben. Wiederholte Aufforderungen, die ungehört bleiben, immer wiederkehrende Regelverletzungen trotz Strafen und Sanktionen, die Erfahrung, dass die Kinder nicht aus ihrem Fehlverhalten lernen, führt bei vielen Eltern zu einem Gefühl des völligen Versagens. Sie machen die Erfahrung, dass – egal was sie tun oder unterlassen – sich die Kinder immer wieder entgegen den Anweisungen verhalten. Die Eltern erleben, dass sie keinen Einfluss auf das Verhalten ihrer Kinder haben und geben auf. Viele Eltern reagieren auf diese Situation mit depressiven Verstimmungen. Selbstverständlich hat die Erziehung einen verlaufsbestimmenden Einfluss, jedoch keinen ursächlichen. Eltern sollten angehalten werden, zu lernen, wie sie das auffällige Verhalten des Kindes durch erzieherische Einflussnahme vermindern können, wie sie positives Verhalten der Kinder verstärken können. Klare Strukturierungen, transparente Regeln und Anweisungen sowie Konsequenzen sind für AD(H)S-betroffene Kinder eine große Hilfe.
■ Wie wird AD(H)S klassifiziert? Es existieren unterschiedliche Namen für die Aufmerksamkeitsstörung, dies gibt immer wieder Anlass für Verwirrungen, deshalb folgt nun eine Darstellung der medizinischen Klassifikationssysteme. Nach der amerikanischen Klassifikation (DSM-IV = Diagnostic and Statistical Manual of Psychiatric Disorders) werden die Aufmerksamkeitsstörungen wie folgt unterteilt:
22 Auf welche Irrtümer über AD(H)S sollten Sie achten? 1. Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung als Mischtyp (Aufmerksamkeitsstörung und motorische Unruhe liegen zugleich vor), 2. Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität und 3. Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung mit überwiegender Hyperaktivität und Impulsivität. Dem gegenüber ist die im europäischen Sprachraum gebräuchliche Klassifikation ICD-10 (International Classification of Diseases) zu nennen, die die AD(H)S wie folgt einteilt: 1. einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, 2. Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität, 3. hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens. Die im deutschsprachigen Raum verwendete Abkürzung AD(H)S ist abgeleitet aus den englischen Bezeichnungen »attention defizit hyperactivity disorder (ADHD)«, »attention deficit disorder with hyperactivity (ADDH)« und »attention deficit disorder (ADD)«. In der Schweiz wird noch heute von einem psychoorganischen Syndrom (POS) gesprochen. In der Umgangssprache wird bei der Hyperaktivitätsstörung in Anlehnung an den »Struwwelpeter« von Dr. Heinrich Hoffmann, ein Kinderbuch aus dem Jahre 1845, oft vom »Zappelphilipp« gesprochen. Von der Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität betroffene Kinder bezeichnet der Volksmund als »Träumerchen« oder, in Anlehnung an das bereits zitierte Kinderbuch von Hoffmann, als »Hans Guck in die Luft«. Die hyperaktiven, unruhigen, impulsiven Kinder fallen eher auf, während die »Träumer« oft unbemerkt bleiben. Sie sind meist passiver und ängstlicher. Oft scheint es, als seien diese Kinder in ihrer eigenen Welt, sie bekommen nicht viel von der Umgebung mit, es fällt ihnen schwer, sich auf
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die wichtigen Informationen zu beschränken, zwischen wichtigen und unwichtigen zu trennen. Im Folgenden werden die Symptome beschrieben, die bei einer AD(H)S vorliegen müssen, zunächst die der Unaufmerksamkeit nach DSM-IV: – Beachtet häufig Einzelheiten nicht oder macht Flüchtigkeitsfehler bei den Schularbeiten, bei Hausaufgaben, bei der Arbeit oder bei anderen Aktivitäten (z. B. wird vergessen, wo der Hausschlüssel hingelegt wurde, die Aufgaben in der Schule werden nur flüchtig gelesen, ohne die Aufgabe richtig zu verstehen usw.). – Hat oft Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit bei Aufgaben oder beim Spielen aufrechtzuerhalten (bei insgesamt uninteressanten Aufgaben ist der Betreffende vermehrt abgelenkt, wechselt die Tätigkeit). – Scheint oft nicht zuzuhören, wenn andere ihn ansprechen. – Führt häufig Anweisungen anderer nicht vollständig durch und kann Schularbeiten, andere Arbeiten oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht zu Ende bringen (Aufgabenstellungen werden nicht vollständig verstanden, es kann keine Gliederung der einzelnen Arbeitsschritte vorgenommen werden). – Hat häufig Schwierigkeiten, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren (Wichtiges und Unwichtiges kann nicht getrennt werden). – Vermeidet häufig, hat eine Abneigung gegen oder beschäftigt sich nur widerwillig mit Aufgaben, die länger andauernde geistige Anstrengungen erfordern (z. B. den Schulunterricht aufmerksam zu verfolgen oder die Hausaufgaben zu machen oder ein Seminar zu besuchen). – Verliert häufig Gegenstände, die er für die Aufgaben oder Aktivitäten benötigt (Spielsachen, Stifte, Schulmaterialien, Hausaufgabenheft, Ausweispapiere). – Lässt sich öfter durch äußere Reize leicht ablenken (z. B.
24 Auf welche Irrtümer über AD(H)S sollten Sie achten? durch Geräusche im Nebenzimmer, laufendes Radio oder Fernsehen). – Ist bei Alltagstätigkeiten häufig vergesslich. Die Symptome der Hyperaktivität sind nach DSM-IV: – Zappelt häufig mit Händen oder Füßen oder rutscht auf dem Stuhl herum (bei Kindern ist die motorische Unruhe ausgeprägter, Erwachsene zeigen häufig nur noch Zappeln mit den Füßen oder Schnipsen mit den Fingern). – Steht in der Klasse oder in anderen Situationen, in denen Sitzenbleiben erwartet wird, häufig auf (Kinder bleiben während der Unterrichtsstunde nicht an ihrem Platz sitzen, in Essenssituationen sind sie vermehrt unruhig und wollen aufstehen, Erwachsene vermeiden Restaurant-, Kino-, Konzert- oder Theaterbesuche). – Rennt häufig umher oder klettert exzessiv in Situationen, in denen dieses unpassend ist (z. B. im Spielkreis im Kindergarten, in der Schule im Unterricht, Erwachsene haben meist nur noch ein innerliches subjektives Unruhegefühl, wenngleich sie Berufe bevorzugen, in denen die Möglichkeit besteht, sich zu bewegen). – Hat häufig Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder sich mit Freizeitaktivitäten zu beschäftigen (es sind die sogenannten »Draußenkinder«, die lieber Beschäftigung im Freien mit Herumtoben suchen, während sie Gesellschaftsspiele nicht leiden können, Erwachsene ziehen es vor, mit Risiko verbundene Sportarten wie Motorradfahren zu betreiben). – Ist häufig »auf Achse« oder handelt oftmals, als wäre er »getrieben« (z. B. hektisches Hin- und Herlaufen und gleichzeitig mehrere Arbeiten erledigen). – Redet häufig und übermäßig viel (hohes Sprechtempo, zum Teil undeutliches Sprechen, der andere kommt kaum zu Wort und wird häufig unterbrochen, es wird inhaltlich von einem Thema zum nächsten Thema gesprungen, das
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übermäßige Sprechen wird auch als »Sprechdurchfall« bezeichnet). Die Symptome der Impulsivität sind nach DSM-IV: – Platzt häufig mit Antworten heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt ist (dies führt bei Schulkindern häufig zum Stören des Unterrichtes, da sie ihre Antworten gleich in den Klassenraum rufen, auch Erwachsenen fällt es schwer, ihre Ideen zurückzuhalten, sie müssen sie sofort hinausrufen, möglicherweise aus Sorge davor, dass sie sonst rasch vergessen sind). – Kann nur schwer warten, bis er an der Reihe ist (z. B. im Spielkreis im Kindergarten, bei Gesellschaftsspielen, beim Schlangestehen oder im Stau beim Autofahren). – Unterbricht und stört häufig andere (platzt z. B. in Gespräche oder Spiele anderer hinein). Weitere Kriterien sind: – Einige der Symptome müssen vor dem siebten Lebensjahr aufgetreten sein und über einen längeren Zeitraum bereits bestehen. – Die Beeinträchtigungen zeigen sich verschiedenen Situationen (Schule, Freizeit, zu Hause, bei Freunden, bei der Arbeit). Wir sprechen auch von »situationsübergreifenden Symptomen«. – Es gibt deutliche Hinweise, dass der Betroffene in seinen sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsfähigkeiten eingeschränkt ist. – Andere Beeinträchtigungen geistiger Funktionen oder andere schwerwiegende Erkrankungen müssen ausgeschlossen sein. Jedoch Vorsicht: Nicht immer ist die Aufmerksamkeitsstörung oder die motorische Unruhe ein AD(H)S! Aufmerksamkeitsstörungen und/oder motorische Unruhe können
26 Auf welche Irrtümer über AD(H)S sollten Sie achten? vorübergehend auch in einer normalen kindlichen Entwicklung vorhanden sein und sind ohne Krankheitswert. Von der Hyperaktivität ist eine normale temperamentvolle Entwicklung des Kindes abzugrenzen. Insbesondere bei jüngeren Kindern ist dies oft schwierig. Temperamentvolle Kleinkinder können den hyperaktiven Kindern sehr ähnlich sein. Dabei besteht oft eine Spannbreite zwischen dem »normalen« und grenzwertig auffälligen Verhalten. Dies insbesondere, wenn es um Eigenschaften der Selbstbeherrschung (im Gegensatz zur Impulsivität), der Fähigkeit, sich zu konzentrieren (im Gegensatz zur Aufmerksamkeitsschwäche) und der motorischen Kontrolle (im Gegensatz zur motorischen Unruhe) geht. Es bedarf daher der detaillierten medizinischen und psychologischen Prüfung, wem welches Verhalten aufgrund welcher Maßstäbe wann, wie oft und wie lange auffällig erscheint. Wir sprechen erst dann von einem Störungs- oder Krankheitsbild, wenn die Beschwerden eine besondere Ausprägung erfahren haben und zu einer Beeinträchtigung im Alltag des Kindes und seiner sozialen Umgebung führen. Dies könnte zum Beispiel bei Schulkindern ein Schulleistungsversagen sein.
■ Wie können Sie Konzentration von Aufmerksamkeit abgrenzen? Die Aufmerksamkeit ist wesentlich weiter gefasst als die Konzentration. Unter Konzentration wird eine Einengung des Bewusstseins verstanden, das heißt, ablenkende Reize werden unterdrückt und die Aufmerksamkeit wird auf eine Situation fokussiert (z. B. konzentriert einen Text lesen und sich nicht um die raschelnden Laubbäume vor dem Fenster kümmern). Die Aufmerksamkeit ist eine Form von Wachheit und der Fähigkeit, eine längere Zeit bei einer Sache zu blei-
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ben und das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen. Die Aufmerksamkeit demgegenüber wird beeinflusst von Interesse, Motivation und Können. Aus diesem Grund ist es nicht verwunderlich, dass Eltern oder Betroffene häufig die Beobachtung machen, dass die Kinder bei großem Interesse an einer Beschäftigung (z. B. Gameboy) diese durchaus mit Geduld und Ausdauer zu Ende führen können, während bei anderen – möglicherweise weniger interessanten und sie weniger motivierenden Betätigungen – es nicht gelingt, eine längere stabile Aufmerksamkeit aufzubauen. Eltern, Erzieher oder Lehrer sind dann häufig der Ansicht »Na bitte, er kann ja, wenn er nur möchte«. Es besteht dann leicht die Gefahr der Fehleinschätzung. Bei Aufmerksamkeitsleistungen sind verschiedene Gehirnfunktionen miteinander verbunden: Planungen, Überprüfungen, Abgleichung mit Vorerfahrungen, Verfügbarkeit von Gelerntem und Wissen sowie die Merkfähigkeit. Die Aufmerksamkeit hat zum Ziel, sich einer Situation zuzuwenden und Ablenkungen auszublenden. Damit eine Aufgabe erfolgreich – sprich aufmerksam – zu Ende gebracht werden kann, ist es nötig, dass wir – ein Ziel haben und dieses die ganze Zeit verfolgen können; – störende Ablenkungsquellen außer Acht lassen; – wach sind; – uns selbst überwachen und gegebenenfalls korrigieren; – aus unseren Vorerfahrungen lernen können und uns an sie erinnern, wenn wir etwas planen oder im Voraus bedenken wollen; – genau hinschauen und genau zuhören können.
28 Auf welche Irrtümer über AD(H)S sollten Sie achten? ■ Welche Fehlannahmen über AD(H)S sollten Sie kennen? Häufig werden wir mit Mitteilungen aus Medien überflutet, die manchmal auf den ersten Blick zunächst überzeugend klingen, jedoch einer wissenschaftlichen Basis entbehren. Bitte lassen Sie sich dadurch nicht verunsichern. Wann immer Sie sich vertrauensvoll an Ärzte und Therapeuten wenden, sollten Sie überprüfen, ob diese sich der sogenannten evidenzbasierten Medizin verschrieben haben. Darunter ist zu verstehen, dass sich ihre Aussagen und Behandlungen auf wissenschaftlich Belegtes und Nachprüfbares stützen. Folgende Irrtümer sind über die AD(H)S verbreitet: a. Die AD(H)S beruht auf Erziehungsfehlern. b. Die AD(H)S ist eine Modererkrankung aus den USA. c. Die AD(H)S wird zu oft diagnostiziert. d. Die AD(H)S tritt immer mit Hyperaktivität auf. e. AD(H)S und Depression schließen sich aus. f. AD(H)S »verwächst« sich. g. AD(H)S muss ausschließlich psychologisch behandelt werden. h. Die medikamentöse Behandlung der AD(H)S macht süchtig. i. Bei AD(H)S lieg eine Nahrungsmittelallergie vor. j. Kindern mit AD(H)S kann man nicht helfen – sie sind einfach zu dumm und charakterschwach. a. Natürlich spielen Erziehungsfaktoren für den Verlauf des Störungsbildes eine große Rolle. Es wird für das von AD(H)S-betroffene Kind leichter sein, Regeln zu lernen, wenn deren Befolgung positiv unterstützt (z. B. gelobt) und auf deren Missachtung konsequent reagiert wird. Die AD(H)S ist jedoch eine der häufigsten kinder- und jugendpsychiatrischen Erkrankungen, die einen hohen ge-
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netischen Anteil hat und bei der Hirnfunktionsstörungen zugrunde liegen. Sie führt zu erheblichen sozialen Beeinträchtigungen und persistiert häufig bis ins Erwachsenenalter. Noch gibt es keinen eindeutigen Nachweis einer Ursache (das kennen wir aus anderen Bereichen der Medizin wie beispielsweise der Epilepsie oder der multiplen Sklerose auch). Dennoch ist klar, dass die AD(H)S eindeutig eine Erkrankung ist, die sowohl einer genauen Diagnostik (Untersuchung) als auch einer gezielten Therapie (Behandlung) bedarf. b. AD(H)S tritt nicht nur in Amerika oder in den westlichen Industrienationen auf. Untersuchungen in unterschiedlichen Kulturen zeigen, dass ein etwa gleich hoher Anteil von Kindern von der AD(H)S betroffen ist. Beispielsweise sind in Japan 7 % der Kinder betroffen, in China 6 bis 8 %, in Neuseeland ungefähr 7 %. Diese Länder zeigen somit ähnliche Verteilungen wie in Deutschland. Es ist eine kulturunabhängige Störung. c. Die Annahme, dass AD(H)S zu oft diagnostiziert wird, ist ebenso falsch. Sicherlich mag es vorkommen, dass der eine oder andere Arzt vorschnell mit der Diagnose ist. Die AD(H)S-Diagnose darf keine Blitz- oder Blickdiagnose sein. Andererseits muss festgestellt werden, dass weniger als 50 % der Kinder mit einer AD(H)S richtig erkannt und behandelt werden. Dass die Diagnose in den letzten Jahren häufiger gestellt wird, liegt möglicherweise unter anderem darin begründet, dass eine größere Beachtung in der Öffentlichkeit entstanden ist und auch die Eltern eher bereit sind, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine rechtzeitige, richtige Diagnose und die entsprechende Behandlung verhindert eine ungünstige Entwicklung der Kinder und Jugendlichen. Insbesondere gilt dies für deren Selbstwertgefühl. Der Teufelskreis aus Beschimpfungen, Trotzverhalten, Anschuldigungen und Vorwürfen, Frustrationen und Traurigkeit kann bei rechtzeitiger Diagno-
30 Auf welche Irrtümer über AD(H)S sollten Sie achten? sestellung und Einleitung adäquater Therapien vermieden werden. d. Es wurde bereits daraufhin gewiesen, dass die ADS auch ohne Hyperaktivität auftreten kann. Das »Träumerchen« wird jedoch häufig übersehen. Mädchen sind hiervon öfter betroffen. e. AD(H)S und Depression treten auch gemeinsam auf. Die Depressionen (traurige Verstimmungen) können Folge der ständigen Frustrationen und Misserfolgserlebnisse bei AD(H)S sein. Es wäre dann sicherlich unzureichend, lediglich die Depression zu behandeln und die AD(H)S unberücksichtigt zu lassen. f. Ebenso ist die Annahme falsch, dass die AD(H)S sich »verwachse«. Untersuchungen zeigen, dass die AD(H)S bis in das Erwachsenenalter oder zum Lebensende bestehen und zu erheblichen Beeinträchtigungen am Arbeitsplatz, bei der Berufsausbildung, in der Familie und Partnerschaft führen kann. g. Die AD(H)S kann nicht immer ausschließlich psychologisch behandelt werden. Bei ausgeprägten Symptomen und deutlichen Beeinträchtigungen ist auch eine medikamentöse Behandlung notwendig. Es besteht ein weit verbreiteter Irrglaube, dass psychiatrische Erkrankungen – und somit auch die AD(H)S – »aus eigener Kraft heraus« behandelt werden kann. Wie bei den meisten anderen psychiatrischen Erkrankungen besteht bei der AD(H)S eine hirnbiologische (neurochemische) Funktionsstörung, die eine medikamentöse Behandlung häufig erforderlich macht. Oft führt die medikamentöse Behandlung überhaupt erst dazu, dass psychotherapeutische Maßnahmen greifen können. h. Die Stimulanzien (z. B. Ritalin®) machen nicht süchtig. Im Gegenteil: Es ist aus Untersuchungen bekannt, dass Stimulanzien bei AD(H)S-Patienten Alkohol- und/oder Drogenmissbrauch verhindern können. Kinder und Ju-
Auf welche Irrtümer über AD(H)S sollten Sie achten?
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gendliche mit ausgeprägter AD(H)S, die unbehandelt bleiben, sind besonders gefährdet, alkohol- und/oder drogenabhängig zu werden. i. Oft wird bei AD(H)S eine Nahrungsmittelunverträglichkeit oder Allergien angenommen. Wissenschaftliche Belege dafür wurden nicht gefunden. Es ist aber wichtig, Allergien zu erfassen, da sie zu Unruhe führen können, zum Beispiel durch starken Juckreiz. j. Bei frühem Erkennen und richtiger Behandlung lassen sich ungünstige Entwicklungsverläufe vermeiden. Betroffene gleich welchen Alters können Strategien erlernen, wie sie mit der Erkrankung so umgehen, dass sie ihren Alltag gut bewältigen können. Die Vorstellung, dass AD(H)S mit Intelligenzmangel verbunden ist, ist falsch. Wie bei allen Menschen finden wir unter Kindern und Jugendlichen mit AD(H)S Hochbegabte, überdurchschnittlich, durchschnittlich und unterdurchschnittlich Begabte. Auch eine mögliche Charakterschwäche oder Böswilligkeit liegt nicht vor. Vielmehr ist bei AD(H)S eine Hirnstoffwechselstörung anzunehmen. Zusammengefasst bedeutet dies: – AD(H)S ist kein Erziehungsfehler. – AD(H)S ist keine Charakterschwäche oder Böswilligkeit. – AD(H)S ist kein Intelligenzmangel. – AD(H)S ist keine Modererkrankung. – AD(H)S ist eine Erkrankung, die oft auch einer medikamentösen Behandlung bedarf.
■ Was können Sie unter AD(H)S verstehen?
Eltern beschreiben ihre von AD(H)S-betroffenen Kinder etwa wie folgt: »Mein Kind kann nicht ruhig sitzen, ständig ist es in Bewegung, es ist immer auf dem Sprung.« »Mein Sohn kann einfach nicht zuhören, er macht einfach darauf los, hält sich an keine Regeln, immer kopflos und aufgedreht«. »Ständig lässt er irgendwo etwas liegen und vergisst seine Sachen.« »Mein Kind träumt im Unterricht vor sich hin und ist nicht bei der Sache.« »Bei den Hausaufgaben muss ich ständig bei meiner Tochter sitzen, sonst wird sie überhaupt nicht fertig.«
Unter den Kernsymptomen der AD(H)S sind wie bereits erwähnt Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, impulsives Verhalten und Hyperaktivität (ausgeprägte Bewegungsunruhe) zu verstehen. Weitere Auffälligkeiten wie der vermehrte Wunsch, im Mittelpunkt stehen zu wollen, Lernund Leistungsprobleme sowie Entwicklungsstörungen im Bereich der Fein- und Grobmotorik und der Koordination, die zu einem unleserlichen Schriftbild führen können, sind häufig. Ferner können emotionale (gefühlsmäßige) Auffälligkeiten wie starke Stimmungsschwankungen, rascher Stimmungswechsel sowie die unzureichende Fähigkeit, Gefahren adäquat einzuschätzen, was häufig zu waghalsigem Verhalten führt, auftreten. Insgesamt besteht bei den Kindern ein »Zuviel an Verhalten« mit einem »Zuwenig an Hemmung«. Den Kindern fehlt die Fähigkeit innezuhalten, nachzudenken, Impulse zu steuern, Wünsche zu unterdrücken, Handlungen zu planen, erst nachzudenken und dann zu handeln, erst zu überlegen und
34 Was können Sie unter AD(HS) verstehen? dann zu reden. Manche AD(H)S-Experten sprechen von einer Entwicklungsverzögerung der Impulskontrolle und sehen die AD(H)S als einen Mangel an »Selbstkontrolle« oder als »elementare Hemmschwäche«. Die Kinder und Jugendlichen, die von AD(H)S betroffen sind, sind demnach oftmals nicht in der Lage, ihr Verhalten zu hemmen und Reaktionen hinauszuzögern. Ihnen fehlt die Möglichkeit, aus vergangenen Erfahrungen zu lernen und ihr Verhalten vorausschauend zu planen. Ein Beispiel: Das Kind, das sich nicht an eine Regel hält, kann sich nicht klar machen, welche negative Konsequenzen es erfährt, wenn es sich nicht an die Regel hält. Es kann aus der Vergangenheit nicht ausreichend lernen und Zukünftiges nicht vorwegnehmen, das Zeitraster ist auf »Jetzt sofort« eingestellt. Infolgedessen verstößt es zum wiederholten Mal gegen die getroffenen Absprachen, was die Eltern völlig verzweifeln lässt und Unverständnis hervorruft. Die Symptome sind altersabhängig. Je jünger die Betroffenen sind, desto mehr steht die motorische Unruhe im Vordergrund. Bei Kindern, die eine ausschließliche Aufmerksamkeitsstörung (»Träumerchen«) aufweisen, fehlt die motorische Unruhe. Je älter die AD(H)S-Kinder werden, desto mehr tritt die motorische Unruhe (Hyperaktivität) in den Hintergrund. Bei kleinen Kindern kann sich die motorische Unruhe durch ein rastloses, überdrehtes, auffälliges Verhalten zeigen. Die Kinder springen wild herum, können nicht stillsitzen, sind stets in Bewegung, kommen überhaupt nicht zur Ruhe. Besonders in den Situationen, in denen Ruhe verlangt wird, zum Beispiel im Stuhlkreis im Kindergarten, im Unterricht in der Schule, in der Hausaufgabensituation oder in der Essenssituation fällt diese Unruhe auf (»Zappelphilipp«). Die Kinder ohne Hyperaktivität, die »Träumerchen«, sind dagegen motorisch eher still und zurückhaltend, scheu und ängstlich. Sie fallen jedoch durch ihre hohe Ablenkbar-
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keit und Träumereien auf. Beim »Träumerchen« stehen die Konzentrationsstörungen, die leichte Ablenkbarkeit, das Verträumtsein, ein verlangsamtes Denken und Reagieren, Vergesslichkeit, Ängste, Schuldgefühle und Umstellungsprobleme im Vordergrund. Häufig haben Kinder mit AD(H)S zusätzlich motorische (die Bewegung betreffende) körperliche Beeinträchtigungen: Es zeigt sich eine gestörte Fein- und/oder Grobmotorik, ferner eine gestörte Koordination.
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Umstellungsprobleme
Aufmerksamkeitssstörung
macht nichts zu Ende zu langsam
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verträumt
Abbildung 1: Symptome der Aufmerksamkeitsstörung
Wie bereits erwähnt, nimmt die motorische Unruhe mit zunehmendem Alter, etwa im Jugendalter, ab. Es kommt zu einem Wandel der Symptome. Die Aufmerksamkeitsstörung bleibt typischerweise jedoch bestehen. Die Aufmerksamkeitsspanne ist je nach Alter unterschiedlich: So wird von einem dreijährigen Kind sicherlich eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne erwartet als von einem siebenjährigen Kind. Die Aufmerksamkeit ist ferner abhängig von der Intelligenz. Ein geistig beeinträchtigtes Kind wird eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne erbringen können als ein durchschnittlich begabtes Kind. Die Daueraufmerksamkeit bei AD(H)S-Kindern/Jugendlichen ist eingeschränkt. Das heißt, die Kinder können sich nicht längerfristig auf eine Sache konzentrieren. Sie springen von einem zum anderen, unterbrechen sich selbst und lassen Tätigkeiten unbeendet, sie fangen vieles an, lassen sich häufig von äußeren Reizen, zum Beispiel vom hupenden Auto draußen auf der Straße, ablenken. Die verminderte Aufmerksamkeitsspanne zeigt sich besonders dann, wenn die betroffenen Kinder Aufgaben
36 Was können Sie unter AD(HS) verstehen? erledigen sollen, die ihnen abverlangt werden. Deutlich wird dies zum Beispiel bei den Hausaufgaben. Aufgaben, die weniger lustbetont oder interessant sind, werden für diese Kinder dann zur Qual. Besonders bei gewohnten und alltäglichen Aufgaben, insbesondere aber auch bei uninteressanten Beschäftigungen, fällt es den von AD(H)S betroffenen Kindern/Jugendlichen besonders schwer, bei der Sache zu bleiben. Bei neuen Aufgaben oder Aktivitäten gelingt es ihnen eher, ihre Aufmerksamkeit zu fokussieren und aufrechtzuerhalten. Wenn die Kinder sehr motiviert sind, eine Tätigkeit durchzuführen, insbesondere bei Tätigkeiten mit rasch wechselnden Reizen (z. B. Fernsehen, Video, Computerspiele), können sie leichter eine Daueraufmerksamkeit aufbauen. Bei Kindergartenkindern wird häufig beobachtet, dass sie auch bei selbstbestimmten Tätigkeiten (z. B. beim Spielen oder Bauen) schnell das Interesse verlieren. Oft reißen sie wahllos Spielzeug aus den Schubläden, um es nach wenigen Minuten wieder zur Seite zu schieben und sich dem nächsten Spielzeugfach zuzuwenden. Nach kurzer Zeit kann dann ein Spielzimmer wie ein »Schlachtfeld« aussehen. Häufig gelingt es den Kindern in strukturieren Einzelkontaktsituationen, ihre Aufmerksamkeit besser zu fokussieren. Dies ist der Grund dafür, warum ein Untersucher zu falschen Einschätzungen gelangen kann, wenn er nur seine Beobachtungen in der Einzelsituation zugrunde legt. Daher sind immer auch Beobachtungen in der Gruppe mit zu berücksichtigen. Eine ausreichende Aufmerksamkeit benötigen wir bei fast allen Alltagsverrichtungen, so dass es infolge der Aufmerksamkeitsstörung zu zahlreichen Beeinträchtigungen kommt: – während des Spielens, – während des Schulunterrichts, – bei den Hausaufgaben, – bei Freizeitaktivitäten, – bei Unterhaltungen und Gesprächen.
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Das Einhalten bestimmter Regeln und Unterdrücken von spontanen Handlungsimpulsen sowie die Aufrechterhaltung einer längerfristigen Aufmerksamkeit ist demnach erforderlich, um Alltagssituationen erfolgreich meistern zu können. Ein wesentliches Kernsymptom der AD(H)S ist die Impulsivität. Hierunter verstehen wir ein einfaches »Drauflosmachen«, ein fehlendes vorausschauendes Denken und Innehalten (z. B. das »Ausrasten«). Es kommt bei den Kindern zu einem Reden und Handeln, ohne vorher zu denken. Das voreilige Handeln, die Impulsivität ist in verschiedenen Bereichen zu beobachten: Der Arbeitsstil ist flüchtig, die emotionalen Reaktionen sind heftig, Folgen des eigenen Verhaltens werden nicht bedacht, aus Fehlern wird nicht gelernt. Häufig kommt es zu Klagen in der Schule: Die Kinder rufen dazwischen, sie sind schnell frustriert, sie werden rasch wütend, sie gehen wie eine Rakete in die Luft. All dies sind Hinweise, dass es den Kindern nicht gelingt, ihre eigenen Impulse zu kontrollieren und ihre Bedürfnisse aufzuschieben. Kinder mit AD(H)S haben eine erhöhte Unfallgefahr, denn sie schätzen die Gefahren oft nicht realistisch ein. Es kommt zum waghalsigen Verhalten, sie klettern zum Beispiel auf zu hohe Bäume, oder Jugendliche unternehmen waghalsige Spritztouren mit Mofas oder Motorrädern. Die Konsequenzen der Impulsivität sind oftmals Konflikte mit der Umgebung: Beleidigungen, Vorwürfe, Verweigerungsverhalten, Wutausbrüche, rascher Stimmungswechsel – all dies führt dazu, dass Konflikte in Gruppensituationen vorprogrammiert sind. Den Kindern und Jugendlichen fehlt eine Anpassungsfähigkeit, die eine Gruppensituation immer erforderlich macht. Häufig werden sie in der Gruppe als dominant oder bestimmend erlebt. Erzieherinnen oder Lehrer klagen häufig, dass »die anderen nach seiner Pfeife tanzen müssen«. Dieses Verhalten führt dann häufig im Gleichaltrigenverband zur Ablehnung und das Kind gerät zunehmend
38 Was können Sie unter AD(HS) verstehen? in eine Sündenbockrolle, es wird ausgegrenzt. Dieses ist für die Kinder/Jugendlichen wiederum eine schmerzvolle Erfahrung. All die beschriebenen Kernsymptome und weitere Auffälligkeiten der AD(H)S können in verschiedenen Lebensbereichen, das heißt situationsübergreifend, auftreten. So kommt es zu Problemen in der Familie, im Gleichaltrigenverband, im Freundeskreis, in der Schule, in der Freizeit. Nicht immer zeigen sich alle Symptome in gleicher Ausprägung, sie können mal mehr und mal weniger vorhanden sein. Ein stets wechselhaftes Verhalten ist typisch. Es gibt darüber hinaus ganz bestimmte Situationen, die ein häufiges Problem für das Kind und die Eltern darstellen, so beispielsweise die Hausaufgabensituation oder die Situation in größeren Gruppen. Wenn den Kindern nicht die ungeteilte Aufmerksamkeit gilt, beispielsweise bei Telefonaten der Mutter oder wenn die Familie Besuch erhält, kann es ebenfalls zu Schwierigkeiten kommen. Aufmerksamkeitsstörung
vermehrte Ablenkbarkeit
8 2 2
8 2 2
Kernsymptome der AD(H)S
motorische Unruhe
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2 2 8
Impulsivität
2 2 8 fehlende Strukturierung
633333353333334 und deren Folgen Schulleistungsprobleme herabgesetztes Selbstwertgefühl vermindertes Selbstvertrauen gestörtes Sozialverhalten Außenseiterrolle Abbildung 2: Kernsymptome der AD(H)S
■ Ist AD(H)S für Sie eine Modeerscheinung?
■ Wie häufig ist AD(H)S? Bis zu 10 % aller Kinder sind von AD(H)S betroffen, das bedeutet, dass etwa in jeder Schulklasse oder Kindergartengruppe mindestens ein Kind betroffen ist. Die AD(H)S stellt somit eine häufige Erkrankung im Kindes- und Jugendalter dar. Jungen sind mehr von AD(H)S betroffen als Mädchen, wobei einschränkend zu berücksichtigen ist, dass bei Mädchen häufig nur die Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität vorhanden ist und infolgedessen oft nicht erkannt wird. Wie bereits erwähnt ist nicht jede Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung Ausdruck einer AD(H)S. Eltern und Lehrer klagen häufig über Unruhe oder unzureichende Konzentration. Sie können auch Ausdruck dafür sein, dass sie mit der Entwicklung des Kindes nicht zufrieden sind oder dass grundlegende Beziehungsprobleme zwischen Eltern oder Lehrer und dem Kind/Jugendlichen vorliegen. Bei temperamentvollen jüngeren Kindern ist die Zuordnung schwierig. Unruhe und Aufmerksamkeitsstörungen können bei sonst unauffälliger Entwicklung vorübergehende Symptome sein, zum Beispiel im Rahmen von aktuellen Belastungssituationen wie der Trennung der leiblichen Eltern. In ungefähr 30 bis 75 % (je nach Untersuchung) der Fälle bleibt die AD(H)S mehr oder weniger stark im Erwachsenenalter bestehen. Bis zu 6 % aller Erwachsenen leiden unter AD(H)S. Die Symptome im Erwachsenenalter werden häufig verkannt, da sie sich gewandelt haben. Während die motorische Unruhe meist zurückgeht und von den betroffenen Erwachsenen oft nur noch als »innere Anspannung«
40 Ist AD(H)S für Sie eine Modererscheinung? oder »innere Unruhe« beschrieben wird, bleibt die Aufmerksamkeitsstörung bestehen. Im Erwachsenenalter stehen Desorganisation, insbesondere Zeit- und Geldmanagement sind unzureichend, im Vordergrund. Häufig sind im Erwachsenenalter eine begleitende Depression, Angststörung, Alkohol- und/oder Drogenabhängigkeit sowie Persönlichkeitsstörungen im Sinne einer komorbiden Störung vorhanden (Komorbidität = gemeinsames Auftreten verschiedener Erkrankungen). Dies macht die Diagnosestellung des AD(H)S im Erwachsenenalter besonders schwierig.
■ Können Unruhe und Aufmerksamkeitsstörungen auch bei anderen Erkrankungen vorliegen? Unruhe und Aufmerksamkeitsstörungen können ganz unspezifische Beschwerden sein und Ausdruck dafür sein, dass Eltern, Erzieher oder Lehrer mit der Entwicklung des Kindes nicht zufrieden sind. Daneben kommen körperliche Erkrankungen in Frage, die ebenfalls mit Unruhe und Konzentrationsstörungen einhergehen können. Diese müssen ausgeschlossen werden. Beispielhaft seien einige Erkrankungen aufgeführt: – Schilddrüsenerkrankungen; – körperlich begründete Schlafstörungen, zum Beispiel Narkolepsie, Schlaf-Apnoe-Syndrom (Atemaussetzer im Schlaf); – Schlaf-Wach-Rhythmusstörung; – Syndrom der unruhigen Beine (Restless-Legs-Syndrom); – Sinnesbeeinträchtigungen (Seh- und/oder Hörstörungen); – Tic-Erkrankungen (unwillkürliche motorische und/oder stimmhafte Entäußerungen); – Zustände nach Schädelhirnverletzungen; – Zustände nach Gehirnentzündungen;
Ist AD(H)S für Sie eine Modererscheinung?
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Hirntumore; Krampfanfälle; Allergien, juckende Hautauschläge; Schädigungen während der Schwangerschaft oder während der Geburt.
Auch andere psychische Störungen oder Krankheiten können mit Unruhe oder Aufmerksamkeitsstörung kombiniert sein: – Teilleistungsschwächen (z. B. Lese- und Rechtschreibschwäche, Rechenschwäche); – Suchterkrankungen; – Angststörungen; – Zwangsstörungen; – Depressionen (traurige Verstimmung); – autistische Entwicklungsstörungen; – Borderline-Störungen. Ferner müssen Minder- oder Hochbegabungen abgegrenzt werden, die ebenfalls durch schulische Über- oder Unterforderung zu Unruhe und Aufmerksamkeitsstörungen führen können. Auch posttraumatische Belastungsstörungen, die ebenfalls mit Konzentrationsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten sowie Unruhe einhergehen können, müssen ausgeschlossen werden. Unter posttraumatischen Belastungsstörungen werden Reaktionen auf ein stattgehabtes Trauma (z. B. Gewalterfahrung, Missbrauchserfahrung) verstanden. Psychosoziale Konfliktsituationen wie innerfamiliäre chronische Streit- und Spannungssituationen, Trennung, Scheidung, Arbeitslosigkeit und finanzielle Notsituationen können ebenfalls zu den genannten Symptomen führen. Auf die Schwierigkeit zur Abgrenzung zu einem temperamentvollen Kleinkind ist bereits mehrfach hingewiesen worden. Oft zeigt erst der Verlauf, welche diagnostische Zuordnung möglich ist, der deshalb im Zweifelsfall abgewartet werden
42 Ist AD(H)S für Sie eine Modererscheinung? sollte. Vor zu schneller Diagnosestellung ist zu warnen, da gerade im jungen Kindesalter vorübergehende Unruhezustände mit Aufmerksamkeitsstörungen im Rahmen einer sonst unauffälligen Entwicklung vorkommen können. Kulturelle Besonderheiten müssen ebenso berücksichtigt werden. Der amerikanische Psychiater Hallowell beschreibt in seinem Buch »Zwanghaft zerstreut oder die Unfähigkeit aufmerksam zu sein«, dass die Hauptmerkmale der amerikanischen Kultur zugleich typisch für eine ADD (»attention deficit disorder«) sind: »Hohes Tempo, Sprechblasen. Konzentration auf das Wesentliche, kurze Einstellungen, schnelle Schnitte, Zappen. Waghalsigkeit. Ruhelosigkeit. Gewalttätigkeit, Angst [...] Geschwindigkeit, Schnellgehen, Blitzverfahren, Pragmatismus, Trends, Jagd nach Nervenkitzel [...]« (Hallowell u. Ratey, 2002, S. 289). Komplexer wird die Situation dadurch, dass eine Reihe von Störungen und Erkrankungen wie Depressionen, Ängste, oppositionelle Verhaltensweisen, Suchterkrankungen, Ticstörungen oder Teilleistungsschwächen gleichzeitig mit der AD(H)S auftreten können. Wir sprechen von Komorbidität. Selbstverständlich müssen diese Erkrankungen zusätzlich zur AD(H)S separat behandelt werden. Das Erkennen begleitender und sich mit AD(H)S überschneidenden psychiatrischen Erkrankungen auf der einen Seite und die Abgrenzung zu anderen Erkrankungen, die ebenfalls mit Unruhe und Aufmerksamkeitsstörungen einhergehen können, machen immer eine genaue differenzierte Diagnostik (Untersuchung bei einem Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie) erforderlich. Sowohl die nachgewiesene AD(H)S als auch mögliche komorbide Erkrankungen müssen jeweils behandelt werden.
■ Was glauben Sie, welche Auswirkungen und Folgen AD(H)S haben kann?
Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass Kinder, die von klein auf Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren und sich zu steuern, im Lauf ihrer Entwicklung viele Probleme zeigen: Zum einen ist ihre schulische Entwicklung bis hin zur Berufausbildung gefährdet, zum anderen ist die emotionale und soziale Entwicklung beeinträchtigt. Kinder, die ständig Frustrationen und Misserfolgserfahrungen ausgesetzt sind, die häufig getadelt und ausgegrenzt werden, können kein adäquates Selbstbild und Selbstwertgefühl entwickeln. Bereits im Kindergartenalter stoßen betroffene Kinder oftmals auf Ablehnung bei Gleichaltrigen, was für sie schmerzvoll ist. Sie möchten zwar Kontakt zu anderen Kindern erhalten, es gelingt ihnen aber häufig nicht. Infolge ihrer Sprunghaftigkeit und Unruhe, ihres dominierenden, bestimmenden Verhaltens werden sie von den Gleichaltrigen ausgegrenzt. Für die Eltern ist dies ein zusätzlich belastender Faktor. Sie sehen ihre Kinder in der Außenseiterposition, sie leiden mit. Wenn ihnen dann noch von den Erzieherinnen Erziehungsfehler vorgeworfen werden und sie sich schuldig fühlen für das auffällige Verhalten des Kindes, beginnt ein Teufelskreis. Negative Etikettierungen wie »Störenfried« oder »Tollpatsch« und Zuschreibungen wie »aggressiv« und »garstig« belasten zusätzlich. Da die Kinder in ihrer Aufmerksamkeit beeinträchtig sind, können sie altersentsprechende Entwicklungsprozesse nicht durchlaufen, es kommt zu Entwicklungsverzögerungen. Dies wird beispielsweise im Bereich der motorischen Entwicklung deutlich, aber auch in der Entwicklung der Blasen- und Mastdarmkontrolle. Oft nässen die Kinder länger als üblich
44 Welche Auswirkungen und Folgen kann AD(H)S haben? nachts ein. In der sprachlichen Entwicklung finden sich ebenfalls häufig Verzögerungen. Im Schulalter stehen die Schulleistungsprobleme im Vordergrund. Oft schaffen die Kinder mit AD(H)S trotz durchschnittlicher Begabung die Regelschule nicht und bleiben in ihrer schulischen Entwicklung hinter ihrem eigentlichen kognitiven Niveau (ihrer eigentlichen Intelligenz) zurück. Sie können dem Unterricht nicht aufmerksam folgen, stören häufig den Unterricht durch Zwischenrufe oder Umherlaufen, sie lenken sich oder ihre Mitschüler ab. Aus diesem Grund sind sie unbeliebte Tischnachbarn, keiner möchte neben ihnen sitzen. Ausgrenzung, Ablehnung, soziale Isolation sind die Folgen. Oft werden sie getadelt oder beschimpft, sei es von den Erziehern, Lehrern oder von den Gleichaltrigen. Sie geraten zunehmend in die Sündenbockrolle. Neben dem Leistungsversagen bestehen bei Kindern mit AD(H)S häufig auch Teilleistungsstörungen, zum Beispiel eine Lese- und Rechtschreibschwäche (Legasthenie) oder eine Rechenschwäche (Dyskalkulie). Weitere Misserfolgserfahrungen und Frustrationen sind damit vorprogrammiert. Infolge der Misserfolgserfahrungen kommt es bei den Kindern zu einem weiteren Motivationsverlust, das Kind verliert das Interesse am Lernen, wird schulunlustig, ein weiterer Teufelskreis beginnt. Ungefähr 35 % der AD(H)S-Betroffenen erreichen keinen Schulabschluss, viele müssen eine Klasse wiederholen, die Zeugnisse der Kinder sprechen für sich. So heißt es oftmals: »Er hält sich nicht an die besprochenen Regeln.« »Er muss lernen, still dem Unterricht zu folgen.«. »Er stört andere und lenkt sich und andere leicht ab.« »Er benötigt längere Zeit, um die Aufgaben zu Ende zu führen.« »Häufig vergisst er die Schulmaterialien und seine Hausaufgaben.« »Es fehlt an Ausdauer und Sorgfalt.«
Welche Auswirkungen und Folgen kann AD(H)S haben?
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Die Hausaufgaben werden zum täglichen Kampf innerhalb der Familie. Das Drama um die Hausaufgaben verstärkt die ohnehin emotional belastete Beziehung zwischen Eltern und Kind. Infolge der Außenseiterposition und der vielen Konflikte im Gleichaltrigenkontakt gelingt es den Kindern meist nicht, eine feste Freundschaft aufzubauen. So geht die Schere der sozialen Entwicklung immer weiter auseinander. Sie spüren selbst, dass niemand mit ihnen spielen will und leiden darunter. Nicht nur in der Schule geraten sie in die Außenseiterposition, sondern auch häufig im Sportverein oder bei sonstigen Freizeitaktivitäten. Die Kinder mit AD(H)S merken aufgrund ihrer Sensibilität sehr deutlich, dass sie abgelehnt und ausgegrenzt werden und verlieren dann schnell das Interesse an den jeweiligen Hobbys oder Vereinsaktivitäten. Sie ziehen sich eingeschüchtert zurück, trauen sich nicht mehr zu, weitere soziale Kontakte aufzunehmen, meiden diese häufig aus Furcht vor weiteren Misserfolgserfahrungen und Ablehnungen. Die Kinder haben häufig Angst vor der Schule, Angst vor Vereinen, Angst vor Gruppensituationen und isolieren sich zunehmend. Im Jugendalter suchen AD(H)S-Betroffene häufig den Kontakt mit Jugendlichen, die ähnliche Probleme haben. Vielleicht erleben sie hier erstmals das Gefühl der Zugehörigkeit. Es besteht jedoch die Gefahr einer kriminellen Entwicklung. Auch der Kontakt zu Alkohol und Drogen ist eine häufige Folge. Nicht selten kommt es zu einem erheblichen Nikotinkonsum. Inwieweit Alkohol und Drogen »ungeeignete Selbstbehandlungsversuche« der Jugendlichen sind, ist zu diskutieren. Aufgrund der Impulsivität und der Waghalsigkeit sind AD(H)S-Betroffene von klein auf gefährdet, in Unfälle verwickelt zu sein, auch später kommt es vermehrt zu Unfällen im Straßenverkehr. Die sexuelle Entwicklung ist ebenfalls beeinträchtigt. Bei Jugendlichen mit AD(H)S kommt es früh zu sexuellen Aktivitäten, zu häufigen Part-
46 Welche Auswirkungen und Folgen kann AD(H)S haben? nerwechseln, es finden sich gehäuft Teenagerschwangerschaften. Die familiäre Situation ist oft durch Konfliktsituationen, Zerwürfnisse und Streitereien gekennzeichnet. Häufig kommt es auch zwischen den Eltern zu Meinungsverschiedenheiten und gegenseitigen Schuldzuweisungen, insbesondere bezüglich der Erziehungsstile. Es ist bekannt, dass Kinder mit AD(H)S eher auf Anweisungen des Vaters reagieren als auf die der Mutter. Viele Väter glauben dann, sie seien in der Erziehung des Kindes erfolgreicher. Meist liegt es daran, dass sie ihre Aufforderungen kürzer und knapper formulieren – was für Kinder mit AD(H)S eine ausgesprochene Hilfe ist – und eine tiefere Stimme haben. Andererseits nehmen Väter insgesamt weniger Erziehungsaufgaben wahr, so dass das »Gesetz der Rarität« gilt. Viele Mütter von AD(H)S-Kindern reagieren auf die fortgesetzten Erziehungsprobleme mit depressiven Symptomen. Die Mütter machen häufig die Erfahrung, dass ihre Anforderungen von den Kindern nicht entsprechend wahrgenommen werden, sie geraten in eine »Ohnmachtsfalle«: »Er macht, was er will, ich habe überhaupt keinen Einfluss, ich bin eine Versagerin, ich kann mein Kind nicht erziehen.« Zu einer weiteren Verstärkung der familiären Konflikte kommt es insbesondere dann, wenn ein Elternteil selbst von der AD(H)S-Problematik betroffen ist. Dann schaukeln sich Impulsivität und Unruhe, Ungeduld und unzureichende Alltagsstrukturierung zwischen Elternteil und Kind auf. Infolge der ständigen Misserfolgserfahrungen in der Schule, in der Ausbildung, in der Gleichaltrigengruppe und in der Familie kann es zu einer erheblichen Beeinträchtigung der emotionalen Entwicklung mit Ausbildung von depressiven und/oder ängstlichen Symptomen kommen. Das Selbstwertgefühl ist herabgesetzt, die Kinder erleben sich als »zu dumm«, »zu faul« und »zu frech«. Sie zweifeln selbst an sich,
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reagieren traurig, wütend oder deprimiert. Die Kinder und Jugendlichen beschreiben sich oft wie folgt: »Ich bin einfach zu doof, ich krieg nichts auf die Reihe.« »Keiner mag mich.« »Ich mache alles nur falsch.« »Meine Eltern ziehen meine Geschwister vor, mit mir meckern sie nur.« »Die Lehrer haben nur mich auf dem Kieker, immer bin ich an allem schuld.« »Ich will gar nicht so wütend sein, aber es passiert mir immer wieder, ich kann mich nicht bremsen, es ist wie ein Film, der abläuft.« »Lernen hat überhaupt keinen Sinn, ich behalte sowieso nichts.«
Selbstzweifel und ein negatives Selbstbild sind die mittelbaren Folgen der ständigen Misserfolgserfahrungen in Familie, Schule und Freundeskreis. Fehletikettierungen wie »Du kannst ja, wenn du willst, du bist nur zu faul« oder »Reiß dich doch endlich zusammen und konzentrier dich mal« sind für viele AD(H)S-Kinder eine schmerzvolle Erfahrung. Folgen dieser Frustrationen sind Wut und Trauer. Die Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls ist beeinträchtigt, denn das Selbstwertgefühl ist in hohem Maß davon abhängig, wie andere Menschen, insbesondere die Eltern, auf die betroffenen Kinder oder Jugendlichen reagieren.
■ Was wissen Sie über die Ursachen von AD(H)S?
Viele psychiatrische Erkrankungen sind nicht auf eine einzige Ursache zurückzuführen. Es liegt ein vielfältiges Bedingungsgeflecht aus biologischen und psychosozialen Faktoren zugrunde. Es kommt zu Wechselbeziehungen und Verzahnungen unterschiedlicher Faktoren. So ist es auch bei der AD(H)S. Im Folgenden werden wir auf einige Aspekte hinweisen, die wichtigsten Erklärungsmodelle kurz erläutern, einen Gesamtüberblick können wir nicht geben, das würde den Rahmen dieses Ratgebers sprengen. Wie bereits beschrieben, ist die AD(H)S keine Modekrankheit, bereits 1845 hat der bekannte Kinderbuchautor Dr. Heinrich Hoffmann im »Struwwelpeter« das Zappelphilipp-Syndrom beschrieben und durch die Geschichte des »Hans Guck in die Luft« das »Träumerchen« erläutert. Der Kinderarzt George F. Still hatte 1902 beobachtet, dass sich Kinder nach einer Hirnhautentzündung unruhig und abgelenkt verhielten. Er nahm an, dass für diese Verhaltensauffälligkeiten eine hirnorganische Schädigung ursächlich sei. Im weiteren Verlauf kam es zu der Annahme der sogenannten »minimalen cerebralen Dysfunktion«, hierunter wurde eine geringgradige Hirnschädigung verstanden. In der Zwischenzeit ist dank genauerer Untersuchungstechniken diese Annahme widerlegt. Moderne bildgebende Verfahren wie zum Beispiel das Magnet-Resonanz-Tomogramm (MRT), ferner die SinglePhoton-Emissions-Computertomographie (SPECT) oder die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) geben uns genauere Einblicke in das Gehirn und dessen Funktionsweisen. Dadurch wurde bekannt, dass komplexe Leistungen wie Daueraufmerksamkeit und Konzentration, Planung und
Was wissen Sie über die Ursachen von AD(H)S?
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Steuerung von Verhalten, Lernen und Abrufen von Gedächtnisinhalten und Vergleichen von Erfahrungen unter Beteiligung verschiedenster Hirnstrukturen nur möglich ist, wenn ein intaktes Zusammenspiel besteht. Dem Frontalhirn (Stirnhirn) kommt dabei eine besonders große Bedeutung zu: Untersuchungen zeigen, dass bei aufmerksamkeitsgestörten Kindern eine Minderdurchblutung in dieser Hirnregion zu finden ist. Zusätzlich finden sich Hinweise, dass es bei AD(H)S zu einem Mangel an Trägersubstanzen im Gehirn kommt. Überträgersubstanzen sind sogenannte Neurotransmitter. Bei der AD(H)S scheinen besonders Dopamin und Noradrenalin eine Hauptrolle zu spielen (siehe Abbildung 3). Dopamin wird im Frontalhirn benötigt und liegt bei AD(H)S-Betroffenen in verminderter Konzentration vor. Ein Eiweiß, das für den Abtransport aus den Verbindungsstellen der Nervenzellen (Synapsen) für Dopamin zuständig ist, liegt vermehrt vor. Infolgedessen wird Dopamin vermehrt in die ursprüngliche Zelle wieder aufgenommen und kann nur vermindert am Wirkort (Rezeptoren) einwirken. Das Stirnhirn steht in Verbindung mit anderen Hirnstrukturen, die für steuernde und kontrollierende Verhaltensweisen zuständig sind. Bei unzureichender Funktion infolge des Dopaminmangels entstehen die beschriebenen Impulskontrolldefizite.
50 Was wissen Sie über die Ursachen von AD(H)S? Informationen
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Dopamin oder Noradrenalin (= Neurotransmitter)
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synaptische Vesikel 22
Nervenendigung verstärkter Rücktransport synaptischer Spalt Bindungsstellen (= Rezeptoren)
Abbildung 3: Dopamin- und Noradrenalinübertragung (modifiziert aus Schäfer u. Rüther, 2005, S. 42)
Die Überträgerstoffe (Botenstoffe wie Dopamin und Noradrenalin = Neurotransmittersubstanzen) binden sich an die Bindungsstellen (Rezeptoren) der nachfolgenden Nervenzelle, um Informationen weiterzuleiten. Anschließend lösen sie sich von dieser Bindungsstelle und werden aus dem synaptischen Spalt wieder in die ursprüngliche Nervenzelle aufgenommen. Dieser Rücktransport erfolgt über ein Eiweißmolekül (z. B. Dopamintransportereiweiß). Nicht nur der Überträgerstoff Dopamin ist von großer Bedeutung bei der AD(H)S, sondern auch Noradrenalin. Dieser Botenstoff ist besonders für die Aufmerksamkeit verantwortlich und hat seinen Ursprung im Locus coeruleus, dies ist eine Struktur, die tiefer im Gehirn gelegen ist. Noradrenalin ist in seiner Funktion beeinträchtigt. Daraus resultiert eine gestörten Steuerung der Wachheit. Aufgrund der Dopamin- und Noradrenalinstörung kommt es bei den AD(H)S-Betroffenen zu einer Unteraktivierung. Die Folge
Was wissen Sie über die Ursachen von AD(H)S?
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ist eine ungesteuerte Reizsuche mit oft wechselnden Aktivitäten (»novelty seeking« = Suche nach Neuem) und motorischer Unruhe. Aus den Funktionsstörungen des Dopamin- und Noradrenalinsystems lassen sich viele Symptome des AD(H)S erklären: die beeinträchtigte Verarbeitung von Informationen, die fehlende Daueraufmerksamkeit und die fehlende Impulskontrolle. Wie viele andere Funktionen im menschlichen Körper auch werden die Dopamin- und Noradrenalinfunktionen genetisch (erblich) gesteuert. Dass der genetische Faktor bei der Verursachung von AD(H)S eine große Rolle spielt, ist eindeutig belegt. Zwillings- und Adoptionsstudien zeigen, dass AD(H)S familiär häufig vorkommt und dass eineiige Zwillinge (das sind Menschen, die genetisch fast gleich sind) eine hohe Konkordanz aufweisen. Konkordanz bedeutet, dass das Auftreten der AD(H)S bei beiden Zwillingen ungefähr 70 bis 80 % beträgt. Es ist daher nicht erstaunlich, dass in Familien häufig mehrere Mitglieder von AD(H)S betroffen sind. Für Geschwister von Kindern mit AD(H)S besteht gegenüber Halbgeschwistern das doppelte Risiko, an AD(H)S zu erkranken. Leibliche Eltern von AD(H)S-Kindern sind häufiger auch selbst betroffen. Familienstudien zeigen, dass für Verwandte ersten Grades männlicher Patienten ein fünffach erhöhtes Risiko besteht. Untersuchungen haben ferner erwiesen, dass Mütter von Kindern mit AD(H)S in 15 bis 20 % der Fälle, Väter von Kindern mit AD(H)S in 25 bis 30 % der Fälle und Geschwister von Kindern mit AD(H)S in 32 % der Fälle betroffen sind. Die Erblichkeit von AD(H)S wurde in vielen Studien nachgewiesen. Es handelt sich jedoch nicht um einen einfachen Erbgang, da für AD(H)S kein einzelnes Gen verantwortlich ist. Es spielen verschiedene Gene eine Rolle, insbesondere das Dopamin-Transporter-Gen (abgekürzt DAT 1), das auf dem Chromosom 5 liegt und das Dopamin-4-Rezeptor-Gen, das
52 Was wissen Sie über die Ursachen von AD(H)S? auf dem Chromosom 11 liegt. Das Dopamin-Rezeptor-Gen auf Chromosom 4 ist möglicherweise auch beteiligt. Andere Neurotransmitter-Rezeptor-Gene sind ebenfalls betroffen, beispielsweise das Dopamin-beta-HydroxylaseGen, das für die Umwandlung des Dopamins zu Noradrenalin verantwortlich ist. Aber auch Gene, die für den Serotoninstoffwechsel – Serotonin ist ein weiterer Überträgerstoff – zuständig sind, weisen Veränderungen auf (SerotoninTransporter-Gen). Im GABA-System wurden ebenfalls Veränderungen beobachtet. GABA (Gamma-Aminobuttersäure) ist ein weiterer Botenstoff. Es muss davon ausgegangen werden, dass ein Zusammenspiel mehrerer Gene, die an AD(H)S beteiligt sind, wirkt. Unumstritten ist, dass eine komplexe genetische Störung der AD(H)S zugrunde liegt, wobei endgültige Ergebnisse der Forschung noch ausstehen. Aus bildgebenden Verfahren sind mittlerweile folgende Erkenntnisse bekannt: – Besonders im rechten Stirnhirn konnte mittels Computerund Kernspintomographie eine Abnahme des Gehirnvolumens gezeigt werden. – Mit Hilfe der funktionellen Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) konnte eine verminderte Aktivität im rechtsseitigen Stirnhirn nachgewiesen werden. Eine vermehrte Aktivität im Stirnhirn zeigte sich nach Methylphenidatgabe (z. B. Ritalin®). – Der Glucose-Hirnstoffwechsel, der mittels PositronenEmissions-Tomographie (PET) gemessen werden kann, zeigte bei Erwachsenen mit AD(H)S eine Reduktion im Stirnhirnbereich. – Mittels Single-Photon-Emissions-Computertomographie (SPECT) konnte eine eingeschränkte Durchblutung im Frontalhirn und im Striatum – diese Hirnstruktur hat eine Verbindung zum limbischen System, ein System, das für die Regulation und Kontrolle der Gefühle und des Gedächtnisses zuständig ist – gezeigt werden. Zusätzlich fand
Was wissen Sie über die Ursachen von AD(H)S?
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sich eine höhere Konzentration des Dopamin-Transporters, der für den Rücktransport des Dopamins aus dem synaptischen Spalt zuständig ist. Dieser gestörte Stoffwechsel wird ebenfalls durch Methylphenidat korrigiert. – Im Hirnstrombild (EEG = Elektroenzephalogramm) konnte bei Kindern nachgewiesen werden, dass die Hirnströme nicht altersentsprechend gereift sind, das EEG ähnelt dem jüngerer Kinder. Zusammenfassend konnte gezeigt werden, dass bei AD(H)S eine Störung des Stoffwechsels von Dopamin und Noradrenalin vorliegt. Insgesamt ist das Störungsbild Folge einer zu geringen Hirnaktivität. Dies klingt zunächst widersprüchlich: Diese hyperaktiven Kinder sollen eine verminderte Aktivität im Gehirn haben? Ja, dem ist so. Es liegt eine verminderte Aktivität in den Hirnregionen vor, die für die Selbstkontrolle und die Hemmung des Verhaltens zuständig sind. Diese hemmenden (inhibitorischen) Gehirnstrukturen sind weniger aktiv – dies erklärt die zu beobachtende Impulsivität und Hyperaktivität. Einige Forscher sprechen davon, dass die AD(H)S eine Entwicklungsstörung der Selbstkontrolle sei. Ferner gibt es eine Reihe von Risikofaktoren, die keine ursächlichen Zusammenhänge darstellen, jedoch häufig mit AD(H)S assoziiert sind: Bei Kindern mit AD(H)S fand man vermehrt Geburtskomplikationen, sei es vor, während oder nach der Geburt (prä-, peri- und postnatale Komplikationen). Nikotin-, Alkohol- oder Drogenaufnahme während der Schwangerschaft gilt als sicherer Riskofaktor, jedoch nicht nur für AD(H)S, sondern auch für andere Störungen. Kinder von alkoholkranken Frauen sind häufiger von AD(H)S betroffen, wobei nicht auszuschließen ist, dass die alkoholkranken Mütter selbst von AD(H)S betroffen sind, da das Risiko, alkoholkrank zu werden, durch AD(H)S erhöht ist.
54 Was wissen Sie über die Ursachen von AD(H)S? Ein Geburtsgewicht unter 1500 Gramm bei einer Frühgeburt stellt einen weiteren Risikofaktor dar. Psychosoziale Risikofaktoren wie beispielsweise alleinerziehende Mütter oder Väter (»broken home«-Situation) in wirtschaftlich schlecht gestellter Situation, ein niedriges Einkommen, beengter Lebensraum, frühere psychiatrische Erkrankungen/Behandlungen sowie väterlicher Alkoholismus sind weiterhin zu nennen. Diese psychosozialen Faktoren (Umweltfaktoren) spielen für das Risiko der Ausbildung von AD(H)S und für den Verlauf des Störungsbildes eine große Rolle, sie sind jedoch nicht als die Ursache anzunehmen. Zusammengefasst ist von einer Verzahnung von ursächlich biologischen (genetischen, neuroanatomischen und neurochemischen) Faktoren und von den Verlauf bestimmenden psychologischen und sozialen Bedingungen auszugehen. Es handelt sich somit um ein Zusammenspiel von Veranlagung und Umwelt (»nature and nurture«).
Was wissen Sie über die Ursachen von AD(H)S?
Umweltfaktoren – »broken-home«-Situation – Alkoholerkrankung des Vaters – psychiatrische Erkrankung der Mutter – niedriges Einkommen – beengter Lebensraum
Biologische Faktoren – Vererbung – Botenstoffwechselstörung – Neuroanatomie
Risikofaktoren – Alkohol, Drogen, Nikotin während der Schwangerschaft – Frühgeburt mit Geburtsgewicht unter 1500 Gramm
Abbildung 4: Ursachen und Risiken
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■ Wie erkennen Sie das gemeinsame Auftreten von AD(H)S mit anderen Störungsbildern? Die AD(H)S kommt häufig mit anderen psychiatrischen Erkrankungen vor. Fachleute sprechen von Komorbidität. Im Kindes- und Jugendalter ist das gemeinsame Auftreten von AD(H)S und einer Störung des Sozialverhaltens (darunter werden Lügen, Entwendungen, Weglaufen und aggressive Verhaltensweisen verstanden) häufig erkennbar. Oft liegt im Schulalter neben einer AD(H)S eine schulrelevante Teilleistungsschwäche (Lese- und Rechtschreibschwäche oder Rechenschwäche) vor, die dann auch der gesonderten Behandlung bedarf (Legasthenie- oder Dyskalkulietherapie). Die Behandlung dieser Teilleistungsstörungen ist deshalb so wichtig, weil unbehandelte Teilleistungsstörungen wiederum zu einer vermehrten Unruhe, Ablenkbarkeit, Aufmerksamkeitsstörung und zu emotionalen Problemen (Ängstlichkeit, Misserfolgsorientierung, herabgesetzte Stimmung) führen können. Neben der AD(H)S können Ängste, depressive Verstimmungen und Zwänge auftreten. Ticerkrankungen, das bedeutet nicht vom Willen gesteuerte Zuckungen in umschriebenen Muskeln, zum Beispiel Blinzeln, Mundaufreißen, Schulterziehen (motorische, das heißt die Bewegung betreffende Tics), kommen mit AD(H)S häufig kombiniert vor. Eine besondere Bedeutung haben die oppositionellen Verhaltensstörungen, die in allen Altersgruppen häufig mit AD(H)S kombiniert sind. Was ist darunter zu verstehen? Bei Vorliegen einer oppositionellen Verhaltensstörung fällt das betroffene Kind oder der Jugendliche durch für das Alter unüblich häufige oder ausgeprägte Wutausbrüche auf. Die Betroffenen geraten leicht in Streit mit den Erwachsenen, deren Regeln, Wünsche und Anweisungen sie sich gern und oft widersetzen. Es gibt immer wieder Klagen Dritter, dass
Auftreten von AD(H)S mit anderen Störungsbildern
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das betreffende Kind andere absichtlich ärgert, dabei aber gern andere beschuldigt und die Fehler bei ihnen sucht, auch wenn es sie selbst gemacht hat. In der Stimmung ist das betreffende Kind leicht reizbar und lässt sich schnell ärgern, reagiert ausgesprochen zornig und ist rachsüchtig. Oft werden die Kinder als »aufsässig«, »feindselig« und »ungehorsam« beschrieben. Im besonderen Maß ist die oppositionelle Verhaltensstörung auf die Familie bezogen. Die Diagnose einer oppositionellen Verhaltensstörung sollte von einem Kinder- und Jugendpsychiater gestellt werden, da immer mehrere Symptome vorliegen und entsprechend stark ausgebildet sein müssen. Die Beschwerden müssen mindestens sechs Monate bestehen. Oppositionelle Verhaltensstörungen treten relativ oft auf. Ungefähr bei 6 % aller Jungen und 3 % aller Mädchen kommen sie vor. Bei den oppositionellen Verhaltensstörungen spielen Umgebungsbedingungen (sogenannte psychosoziale Faktoren) eine große Rolle. Bestimmte Erziehungsfaktoren scheinen zur Aufrechterhaltung beizutragen: Beschimpfungen, Androhungen von Konsequenzen auf der einen Seite, Übersehen von auffälligem Verhalten, inkonsequentes Erziehungsverhalten mit willkürlichen Maßnahmen auf der anderen Seite (oft aus Hilflosigkeit der Eltern) führen zu einem Teufelskreis. Oft treten die oppositionellen Verhaltensstörungen und hyperkinetische Verhaltensauffälligkeiten gemeinsam auf (Abbildung 6). Zusätzlich belastend wirkt, wenn ein Elternteil selbst psychische Probleme hat. Dann fehlt oft die Geduld und die Kraft, die Ruhe und Gelassenheit, sich mit dem Kind angemessen zu beschäftigen oder bei Regelverletzungen adäquat und konsequent zu reagieren. Kommen noch andere Probleme wie beispielsweise Ehekonflikte, Trennungen oder Scheidungen hinzu, kann es zum Auseinanderbrechen der Familie kommen. Die Gefahr der oppositionellen Verhaltensstörung ist, dass bei unzureichender Behandlung die
58 Auftreten von AD(H)S mit anderen Störungsbildern
oppositionelle Verhaltensauffälligkeiten
oppositionelle und hypekinetische Verhaltensauffälligkeiten
hyperkinetische Verhaltensauffälligkeiten
Abbildung 5: Gemeinsames Auftreten von oppositionellen und hyperkinetischen Verhaltensauffälligkeiten
dissoziale Entwicklung droht. Je früher die Behandlung einsetzt, desto günstiger ist der Verlauf. Von der oppositionellen Verhaltensauffälligkeit abzugrenzen ist die Störung des Sozialverhaltens. Kinder mit dieser Störung haben meist eine hyperkinetische Störung – aber nicht umgekehrt. Die Störung des Sozialverhaltens ist durch aggressives, zerstörerisches Verhalten, Lügen und Entwendungen gekennzeichnet. Diese Kinder sind im weiteren Verlauf gefährdet, eine Alkoholerkrankung zu entwickeln, wenn sie nicht ausreichend behandelt werden, was die Notwendigkeit einer frühzeitigen konsequenten Behandlung bei Störungen des Sozialverhaltens unterstreicht.
■ Welche Untersuchungen sind für die Diagnose notwendig? Grundsätzlich muss zunächst betont werden, dass es nicht den einen Test gibt, der eine exakte AD(H)S-Diagnose ermöglicht. Die Untersuchungen sind aus vielen kleinen Steinchen aufgebaut und ergeben zusammen ein Mosaik. Eine einzelne Untersuchung kann AD(H)S nicht ein- oder ausschließen. Zu berücksichtigen ist stets, dass ein AD(H)Sbetroffenes Kind in der Einzelsituation weniger konzentrationsgemindert sein kann, da es wenige störende Ablenkungsquellen gibt und klarere Strukturierungsmöglichkeiten vorhanden sind. Das führt zu Fehlern: In der Einzeluntersuchung, im Einzelkontakt, können zum Teil in der testpsychologischen Untersuchung unauffällige Befunde erhoben werden, obwohl AD(H)S dennoch vorliegt. Immer ist der Gesamtkontext, die Angaben und Beobachtungen in anderen Situationen, in die Beurteilung mit einzubeziehen. Geschulte Beobachtungen sind häufig sehr aufschlussreich: Kann der Betroffene gut zuhören, wartet er Instruktionen ab, macht er einfach »drauf los«, kontrolliert er seine Lösungsmöglichkeiten, bearbeitet er Aufgaben systematisch, lässt er sich von Geräuschen ablenken, braucht er zusätzliche Strukturierungshilfen, ständige Ansprache und Aufforderung zum Weitermachen, bleibt er bei den ihm gestellten Aufgaben oder redet er dazwischen? Insbesondere bei der testpsychologischen Untersuchung (siehe weiter unten) sind dies entscheidende Kriterien. Die Basis der Untersuchungen bilden das Gespräch mit dem Betroffenen und seinen Familienmitgliedern sowie Angaben über Beobachtungen im außerfamiliären Kontext, sei es Kindergarten, sei es Schule. Im Gespräch mit den Eltern und dem Betroffenen wird geklärt, wem welches Verhalten auffällig erscheint, wann und in welchen Situationen das
60 Welche Untersuchungen sind für die Diagnose notwendig? auffällige Verhalten verstärkt oder abgemildert wird. Es sollte nach den Kernsymptomen der AD(H)S gefragt werden und nach möglichen Begleitstörungen eruiert werden. Vorbefunde sollten zum Vergleich herangezogen werden. Zur Vorgeschichte ist die Kindheitsentwicklung bezogen auf sprachliche, motorische und soziale Entwicklung zu erheben, der Umgang mit Gleichaltrigen im Kindergarten, in der Schule, in Vereinen und in freundschaftlichen Kontexten. Die schulische Entwicklung mit den Leistungsstärken und Leistungsschwächen sollte erhoben, genauso sollte auf mögliche Teilleistungsschwächen geachtet werden. Die Befragung und Einschätzung der Lehrer gibt weitere wichtige Hinweise. Einblicke in Zeugnisse sind oft aufschlussreich. Im Weiteren sollten Vorerkrankungen und Schwangerschafts- oder Geburtskomplikationen erfragt werden. Bei Jugendlichen ist immer an einen bestehenden Suchtstoffmissbrauch zu denken und eine entsprechende Alkoholund/oder Drogenanamnese zu fordern. Gezielt sollte nach Allergien gefragt werden. Zur Familiengeschichte gehört die Befragung nach Erkrankungen. Insbesondere sollte Ausschau gehalten werden, ob weitere Familienmitglieder mit AD(H)S-Symptomen oder mit Symptomen anderer psychiatrischer Erkrankungen bekannt sind. Die Entwicklung der Geschwister sollte erhoben werden. Gibt es weitere »schwarze Schafe« in der Familie? Dies könnte ein Hinweis auf andere Familienmitglieder sein, die infolge einer AD(H)S möglicherweise eine auffällige Entwicklung aufweisen. Der Umgang innerhalb der Familie sollte erfragt werden, insbesondere im Bezug auf die auffälligen Verhaltensweisen des Betroffenen. Auf Besonderheiten in der psychosozialen Entwicklung wie beispielsweise Trennung der Eltern, Tagesstrukturierung, Unterstützungsmöglichkeiten und Ressourcen bei der Kindererziehung sollte geachtet werden. Zur aktuellen Situation sind die typischen AD(H)S-Be-
Welche Untersuchungen sind für die Diagnose notwendig?
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schwerden zu erfragen und zu klären, für wen welche Verhaltensauffälligkeiten aktuell im Vordergrund stehen. Welche Folgen ergeben sich für den AD(H)S-Betroffenen und für die Familienangehörigen? Welche Veränderungswünsche bestehen und welche Stärken und Ressourcen hat der Betroffene oder die Familie? Zusätzlich sollten direkte Verhaltensbeobachtungen gemacht werden, so in der Untersuchungssituation, in der psychologischen Testuntersuchung, aber auch – wenn möglich – in der Schule, in der Hausaufgabensituation, im Umgang mit anderen Familienangehörigen. Eine körperlich-neurologische Untersuchung sollte erfolgen, um körperliche Erkrankungen, die mit Unruhe und Aufmerksamkeitsstörungen einhergehen können, auszuschließen. Hier ist besonders bei Kindern auf die motorische Entwicklung zu achten (Muskeltonus, Fein- und Grobmotorik, Koordination). Durch eine augenärztliche oder halsnasen-ohrenärztliche Untersuchung sollte eine Seh- oder Hörstörung ausgeschlossen werden. Eventuell kommen zusätzlich bildgebende Verfahren (Computertomogramm oder Kernspintomogramm) und die Ableitung der Hirnströme (EEG) sowie Blutuntersuchungen zum Einsatz. Im Kontakt mit dem Betroffenen ist auf die Ablenkbarkeit, auf die Fähigkeit, Blickkontakt zu halten, auf Mimik und Gestik und Kontaktverhalten zu achten. Testpsychologische Untersuchungen zur Frage der Intelligenz (allgemeine Lernund Leistungsmöglichkeiten), auf das Vorliegen möglicher Teilleistungsschwächen (Lese- und Rechtschreibschwäche, Rechenschwäche) und zu Aufmerksamkeit, Konzentration und Gedächtnis sollten erfolgen. Im Rahmen der testpsychologischen Untersuchung sind gezielte und geschulte Beobachtungen oft sehr aufschlussreich. Es ist insbesondere darauf zu achten, wie gut der AD(H)S-Betroffene Instruktionen abwarten kann, wie sein Arbeitsstil ist, ob er flüchtig arbeitet, ob er sich selbst gut strukturieren kann oder auf Außenstrukturierung angewiesen ist. Ferner sollte darauf geachtet
62 Welche Untersuchungen sind für die Diagnose notwendig? werden, ob er leicht abgelenkt ist, sich zur Weiterarbeit motivieren kann oder entsprechende Hilfestellungen von außen braucht. Zusätzlich können verschiedene Fragenbogen zur Selbstund Fremdbeurteilung eingesetzt werden, zum Beispiel: Ausmaß der Aktivität gar ein ziemlich sehr nicht wenig stark stark 0 1 2 3 1. unruhig oder übermäßig aktiv 2. erregbar, impulsiv 3. stört andere Kinder 4. bringt angefangene Dinge nicht zu einem Ende – kurze Aufmerksamkeitsspanne 5. ständig zappelig 6. unaufmerksam, leicht abgelenkt 7. Erwartungen müssen umgehend erfüllt werden, leicht frustriert 8. weint leicht und häufig 9. schneller und ausgeprägter Stimmungswechsel 10. Wutausbrüche, explosives und unvorhersagbares Verhalten
Abbildung 6: Eltern-Lehrer-Fragebogen (Kurzform) (Conners, 1973; aus Steinhausen, 1988, S. 363)
Welche Untersuchungen sind für die Diagnose notwendig?
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Bei diesem Fragebogen sollen Eltern oder Lehrer das Verhalten des Kindes beobachten und skaliert einschätzen. Die Grenze ist bei etwa 15 Punkten, wobei eher Unruhe und Impulsivität und weniger die Aufmerksamkeitsstörung erfragt wird. Es existieren zahlreiche weitere Fragebögen, wobei zu berücksichtigen ist, dass ein auffälliger Wert eines Fragebogens kein Beweis für das Vorliegen einer AD(H)S ist. Denn letztlich werden bei diesen Fragebögen relativ unspezifische Beschwerdekomplexe erhoben, die nicht spezifisch für AD(H)S sind. Ein weiteres Beispiel ist die »Child Behavior Checklist« (CBCL). Diese »Checkliste zum kindlichen Verhalten« von Achenbach liegt sowohl in der Eltern- als auch in der Lehrerform vor: In den Fragebögen wird nach depressiven, hyperaktiven und aggressiven Verhaltensweisen bei Kindern und Jugendlichen gefragt. Für das Vorschulalter wird auch der Fragebogen zur Erfassung von Verhaltensauffälligkeiten (FEV) von Döpfner verwendet. Eine Selbsteinschätzungsskala, die vom Kind ausgefüllt wird und nach möglichen traurig-herabgesetzten Verstimmungen fragt, ist die Birleson-Skala. Bei älteren Kindern oder Jugendlichen kann auch das Depressionsinventar von Kovacs Anwendung finden. Die Untersuchungen (Diagnostik) können zusammenfassend also folgende Bestandteile haben: – Gespräch mit Kind/Jugendlichen und Eltern; – Gespräch mit Lehrern/Erziehern, Einblick in Zeugnisse, Informationen aus der Schule oder Kindergarten; – Erhebung der Vorgeschichte und Angaben zur Entwicklung; – Vergleich mit Vorbefunden; – körperlich-neurologische Untersuchung, eventuell Bildgebungsverfahren und Ableitung der Hirnströme; – Selbst- und Fremdbeurteilungsfragebögen; – psychologische Untersuchungen.
■ Wie kann man AD(H)S-Kindern und -Jugendlichen wirksam helfen? Ein so komplexes Krankheitsbild wie AD(H)S muss vielfältig behandelt werden. Die Behandlung setzt sich deshalb aus verschiedenen Bausteinen wie Information und Aufklärung über das Störungsbild, einer spezifischen Therapie für den Betroffenen (Psychotherapie), Eltern- und Lehrerberatung und/oder Elterntraining zusammen. Bei ausgeprägtem Störungsbild erfolgt eine medikamentöse Behandlung. Sollten andere begleitende Erkrankungen vorliegen, so müssen diese ebenfalls behandelt werden.
■ Was können Sie als Eltern tun? Ein erstes Ansprechen der Eltern eines AD(H)S-betroffenen Kindes könnte so aussehen: Liebe Eltern, bei Ihrem Kind ist eine Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung festgestellt worden. Als Eltern sind Sie ganz besonders betroffen und es stellt eine große Herausforderung für Sie dar. Wichtig für Sie wird sein, dass Sie sich einerseits gut über das Störungsbild informieren, zum Beispiel: Welche Probleme gibt es, in welchen Situationen sind sie besonders ausgeprägt, welchen Einfluss können Sie als Eltern nehmen, wie könnte die weitere Entwicklung verlaufen, welche Ursachen könnten vorliegen? Was können Sie als Eltern tun, um wirksam Einfluss auf das Störungsbild zu nehmen? Wie kann die Zusammenarbeit mit dem Lehrer sein? Sollte eine Psychotherapie durchgeführt werden? Ist eine medikamentöse Behandlung notwendig? Die vielen Fragen können nur nach und nach beantwortet werden. Oft fühlen Sie sich in der Auseinandersetzung mit Ihrem Kind hilflos, weil Sie die Erfahrung gemacht haben, dass Ihre Erziehungsversuche bei Ihrem Kind nicht landen. Schnell ist ein Teufelskreis entstanden. Versuchen Sie, auch wenn es schwerfällt, zu Ihrem Kind wieder eine
66 Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen? vertrauens- und liebevolle Beziehung aufzubauen. Achten Sie auf die positiven Seiten Ihres Kindes, stehen Sie hinter Ihrem Kind, wenn alle anderen es ablehnen und kritisieren. Machen Sie sich klar, dass Ihr Kind eine Erkrankung hat, für die es keine Schuld hat. Niemand hat Schuld! Das Kind ist nicht mit Absicht so. Versuchen Sie täglich mit Ihrem Kind ohne Anwesenheit Dritter gemeinsame Zeit zu verbringen, zum Beispiel mit einem Spiel. Schaffen Sie für sich regelmäßige Erholungs- und Entspannungsphasen. Organisieren Sie Entlastungen, tanken Sie selbst auf! Pflegen Sie ein Hobby. Je strukturierter Sie den Alltag gestalten, desto günstiger ist es für Ihr Kind. Stellen Sie klare Regeln auf, die für alle Familienmitglieder transparent sind. Nennen Sie auch die Konsequenzen bei Nichteinhalten dieser Regeln. Planen Sie Abläufe und Veränderungen frühzeitig, damit Ihr Kind sich darauf einstellen kann. Rituale können eine große Hilfe sein für den Alltag. Versuchen Sie, Ihr Kind in Situationen zu loben, in denen es sich angemessen verhält. Loben Sie unmittelbar. Ihr Kind ist auf direkte Bestätigung und Rückmeldung angewiesen. Verhalten, das Sie loben, wird häufiger. Versuchen Sie, sich auf das Wesentlichste zu konzentrieren. Schenken Sie Ihrem Kind Beachtung, wenn es sich angemessen verhält. Setzen Sie klare Grenzen. Lernen Sie, wie Sie wirkungsvoll Aufforderungen und Grenzen setzen können. Vergessen Sie bei allen Verunsicherungen, Kritik und gut gemeinten Tipps von Dritten nicht, dass Sie Ihr Kind am besten kennen und Sie der Experte für Ihr Kind sind!
Für die betroffenen Kinder ist es von großer Bedeutung, dass sie von Anfang an einbezogen werden. Wir wollen mit ihnen die nächsten Jahre zusammenarbeiten, dazu ist eine tragfähige Beziehung mit den Kindern nötig. Sie müssen verstehen, worum es geht. Oft sind die Kinder frustriert und stehen möglichen Hilfen ablehnend gegenüber. Aus ihrer Sicht ist dieses Verhalten verständlich, haben sie doch nur allzu oft die Erfahrung gemacht, abgelehnt oder ausgegrenzt, kritisiert, geschimpft und ermahnt zu werden. Viele Kinder, vor allem Jugendliche, haben häufig viele »therapeutische Vorerfahrungen« (wie zum Beispiel Ergotherapie) hinter sich und finden es nicht sehr »cool«, in die erneute Behandlung zu
Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen?
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gehen. Hier verlangt es viel Überzeugungsarbeit. Womöglich besteht nur noch die Möglichkeit, die Eltern zu betreuen. Die Kinder sollten altersgerecht und in angemessener Sprache über das Störungsbild, mögliche Ursachen und notwendige Behandlungen informiert werden: Bei dir ist AD(H)S festgestellt worden. Darunter wird eine Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung verstanden. Sicherlich hast du schon selbst bemerkt, dass du dich nicht so gut konzentrieren kannst wie deine Mitschüler. Möglicherweise haben deine Lehrer dich schon oft ermahnt, bei der Sache zu bleiben, deine Aufgaben zu Ende zu machen, dich nicht ablenken zu lassen und andere Kinder nicht zu stören. Du nimmst es dir auch immer wieder vor, aber es will dir einfach nicht so recht gelingen. Vielleicht macht dich dies oft traurig und wütend. Zudem hast du vielleicht auch große Schwierigkeiten stillzusitzen und fühlst dich »auf dem Sprung«. Die Krankheit AD(H)S ist häufig. Die Ursache liegt in einer Stoffwechselstörung des Gehirns. Warum gelingt dir die Konzentration nicht? Das ist nicht einfach zu verstehen. Wir Menschen haben das Gehirn, das für viele unserer Tätigkeiten zuständig ist, für unsere Bewegung, für das Denken und so auch für die Konzentration. Haben wir damit Probleme, so kann es sein, dass das Gehirn nicht so ganz richtig arbeitet. Im Gehirn gibt es Stoffe, die zuwenig vorhanden sind, wie etwa in einem Kühlschrank, der leer ist. Durch Medikamente und auch durch bestimmte Behandlungstechniken wird der »Kühlschrank« gefüllt, so dass das Gehirn wieder arbeiten kann. Infolge der AD(H)S kommt es häufig zu Problemen in der Schule. Die Schulleistungen lassen zu wünschen übrig, die Hausaufgaben werden oft vergessen, die Materialien oft liegen gelassen. Das bringt dir immer wieder viel Ärger ein. Auch die anderen Kinder wollen oft nicht mit dir spielen, vielleicht weil du zu unruhig bist, vielleicht, weil es dir schwerfällt, dich an die Spielregeln zu halten oder weil du oft in Streit mit den anderen Kindern gerätst. Nun wirst du sicherlich wissen wollen, was du gegen die AD(H)S tun kannst? Einerseits können Medikamente eingesetzt werden, die für eine Verbesserung im Gehirnstoffwechsel sorgen. Diese Medikamente heißen Stimulanzien. Vielleicht hast du in der Zeitung oder im Fernsehen schon einmal davon gehört. Viele Menschen glauben, diese Medikamente seien nicht gut, aber das stimmt nicht. Oft helfen sie dir,
68 Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen? dass du dich besser konzentrieren kannst und länger bei der Sache bleiben kannst. Am Anfang der Behandlung kann es zu Kopfschmerzen oder Bauchschmerzen kommen, auch dein Appetit kann geringer werden. Meist gehen diese Nebenwirkungen der Medikamente nach zwei bis drei Wochen weg. Bei vielen Kindern (80 von 100 Kindern, also bei 80 %) helfen diese Stimulanzien. Stimulanzien/ Noradrenalinwiederaufnahmehemmer
8 verändern den Botenstoffwechsel im Gehirn
8 Aufmerksamkeit wird besser Abbildung 7: Medikamente und ihre Wirkung (modifiziert aus Schäfer, 2003, S. 43) Zusätzlich sollte auch eine Verhaltenstherapie erfolgen. Das ist eine Behandlung meist bei einem Psychologen. Dort kannst du erfahren, wie du am besten lernen kannst, wie du Probleme lösen kannst und wie du dich weniger ärgern musst. Auch Konzentrations- und Aufmerksamkeitsübungen können sinnvoll sein. Wenn neben der AD(H)S auch eine Lese- und Rechtschreibschwäche bei dir vorliegt, brauchst du zusätzlich Übungen, die diese Lese- und Rechtschreibschwäche behandeln.
Im Folgenden soll es um Grundsätzliches in der Erziehung gehen. Viele Aspekte, die in der Erziehung von allen Kindern wichtig sind, wie beispielsweise Anerkennung und Wertschätzung des Kindes, Verlässlichkeit und Vertrauen, Lob und Ermutigung, überschaubare Tagesabläufe und Strukturierung, transparente Regeln und klare Konsequenzen, sind in der täglichen Erziehung eines Kindes mit AD(H)S ganz besonders wichtig. Mehr als alle anderen Kinder brauchen
Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen?
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Kinder mit AD(H)S einen klar strukturierten Alltag mit unmissverständlichen Regeln und konsequentem Verhalten der Eltern. Aber sie brauchen auch mehr unmittelbares Lob und Wertschätzung – was vielen Eltern bei den Verhaltensauffälligkeiten ihrer Kinder nicht leichtfällt – und die Sicherheit, dass die Eltern emotional, gefühlsmäßig hinter ihnen stehen. Wer sonst? Viele ihrer Mitmenschen (Gleichaltrige, Erzieher und Lehrer) vermitteln den Kindern durch häufige, oft auch notwendige Kritik das Gefühl der Ablehnung. Versuchen Sie die positiven Seiten Ihres Kindes zu entdecken. Manchmal ist es erforderlich, sich für diese Sichtweise zu schulen. Was macht das Kind gut? Welche liebenswerten Eigenschaften hat das Kind? Ist es zum Beispiel hilfsbereit, hilft es jüngeren Kindern, den kleinen Geschwistern? Ist es kreativ? Phantasievoll? Hat es viele Ideen? Ist es gerecht? Der bekannte amerikanische AD(H)S-Forscher Barkley bezieht sich bei den Prinzipien der Erziehung, die er für AD(H)S-Kinder wichtig findet, auf Stephen R. Coveys »The Seven Habits of Highly Effective People«, auf deutsch »Die sieben Wege zur Effektivität« (Barkley, 2002). Wir wollen sie im Folgenden kurz zusammenfassen und dabei besonders auf die Wichtigkeit der einzelnen Regeln bei der Erziehung der Kinder mit AD(H)S hinweisen: 1. »Agieren statt reagieren!«: Oft reagieren Eltern auf störendes Verhalten der Kinder impulsiv, ohne nachzudenken, was sie eigentlich erreichen wollen und welches Ziel sie verfolgen. Sie reagieren auf das Verhalten der Kinder, anstatt selbst die Route vorzugeben (im übrigen nicht nur ein typisches Problem in der Interaktion von Kindern und Eltern, sondern auch zwischen Erwachsenen – Sie werden es kennen). Wir lassen uns nur allzu gern ein Verhalten »aufzwingen«, anstatt selbst die Verantwortung für eine Interaktion zu übernehmen. Übernehmen Sie also die Verantwortung für das, was
70 Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen? zwischen Ihnen und Ihrem Kind passiert. Sie können entscheiden, wie Sie sich verhalten wollen! 2. »Denken Sie zielorientiert!«: Bei allen Plänen und Problemen ist es notwendig, ein Ziel vor Augen zu haben. Wie soll der Tag verlaufen, den Sie mit Ihrem Kind verbringen wollen? Aber nicht nur im Kleinen ist es gut, Ziele zu haben, auch in größeren Zusammenhängen, zum Beispiel: Was wird Ihnen wichtig sein, was Ihr Kind, wenn es erwachsen ist, über Sie sagen wird? Was möchten Sie dann hören? Sich Ziele vorzustellen, ist wichtig, denn sie lenken unsere Konzentration auf das Wesentliche. 3. »Was ist Ihnen in der Beziehung zu Ihrem Kind wichtig? Setzen Sie Prioritäten!«: Es ist eine Alltagserfahrung, dass wir uns oft in trivialen, unwichtigen Dingen verstricken und so einen Nebenkriegsschauplatz nach dem anderen eröffnen, anstatt uns auf die wirklich wichtigen Dinge zu konzentrieren. Dies gilt besonders in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern mit AD(H)S. Viele Dinge gibt es, die zu kritisieren und zu beanstanden sind. Aber was wird aus der Beziehung zu Ihrem Kind, wen dieses den ganzen Tag nur Vorhaltungen hört? Lernen Sie zu erkennen, was Ihnen wirklich wichtig ist, zum Beispiel dass Ihr Kind bei allen Problemen dennoch in einer liebevollen Atmosphäre aufwächst. Fragen Sie sich bei allen Anforderungen, die Sie an das Kind stellen, ob die Aufgabe wichtig und dringend ist. Überlegen Sie im Vorfeld, zum Beispiel am Sonntag, was für wichtige und dringende Termine in der Woche anstehen. 4. »Jeder Vertragspartner kann gewinnen«: Bei allen zwischenmenschlichen Verhandlungen sollte es zwei Gewinner geben. Mit anderen Worten: Jeder sollte bekommen, was er will. Überlegen Sie, wie Sie die Situation so gestalten können, dass es Ihrem Kind auch bei Pflichten und Aufgaben (z. B.
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Zimmeraufräumen) leichter fällt und es etwas davon hat (z. B., wenn es anschließend mit Ihnen ein Lieblingsspiel spielen darf oder eine gemeinsame Unternehmung wie zum Beispiel Fahrradtour, Schwimmen oder Musizieren machen kann). 5. »Versuchen Sie, Ihr Kind zu verstehen«: Zwischen Eltern und Kind gibt es ein »emotionales Bankkonto« (Covey; in Barkley, 2002), auf der ein Vertrauensguthaben ist. Dieses Guthaben entsteht und wächst, wenn wir zu unseren Kindern ehrlich, freundlich, verlässlich und höflich sind (auch dies gilt wieder für alle zwischenmenschlichen Beziehungen). Beschimpfungen und Beleidigungen schmälern das Guthaben. Vertrauen ist aber die Voraussetzung, dass sich Ihr Kind an Sie wendet, wenn es in Sorge ist, wenn es Ihren Rat und Ihre Unterstützung braucht. Dann wollen Sie auch, dass es auf Sie hört – das setzt Vertrauen voraus. Ihr Kind muss das Gefühl entwickeln, dass es sich auf Ihre Liebe und Unterstützung verlassen kann. Wie kann das Vertrauenskonto wachsen? Versuchen Sie Ihr Kind zu verstehen. Versetzen Sie sich in seine Lage. Nehmen Sie die Dinge ernst, die Ihrem Kind wichtig sind. Versuchen Sie, ihm gut zuzuhören. Wiederholen Sie mit Ihren Worten, was Sie von den Erzählungen Ihres Kindes verstanden haben. Achten Sie auf Kleinigkeiten, die nett und liebevoll gemeint und scheinbar so unbedeutend sind – es sind aber die kleinen Dinge im Leben, die wirklich zählen. Seien Sie verlässlich. Halten Sie Ihre Versprechen ein. Es ist kränkend und verletzend für den anderen, wenn Dinge, die ihm versprochen und zugesagt wurden, nicht erfüllt werden. Versprechen Sie nur das, was Sie auch wirklich halten können! Seien Sie ehrlich. Tun Sie das, was Sie sagen und umgekehrt. Echtes und aufrichtiges Verhalten sind die Basis einer vertrauensvollen Beziehung. Geben Sie Ihre Fehler zu und entschuldigen Sie sich bei Ihrem Kind, wenn Sie unfreundlich oder unhöflich waren.
72 Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen? 6. »Arbeiten Sie kreativ zusammen«: Dieses Prinzip gilt nicht nur in der Beziehung zwischen Kindern und Eltern, sondern immer, wenn Menschen eine Beziehung welcher Art auch immer gestalten: Versuchen Sie alle Kräfte zu vereinen und alle Prinzipien zu kombinieren. Seien Sie offen für Veränderungen, auch für Veränderungen in der Beziehung zu Ihrem Kind. 7. »Denken Sie an sich und tun Sie sich etwas Gutes«: Sie müssen, weil Sie für Ihr Kind die wichtigste Person sind, durchhalten und »bei der Stange bleiben« – das geht nur, wenn Sie für Pausen und Erholungsphasen sorgen. Bewegung, Sport, Entspannung, kreative Beschäftigungen und das Pflegen von Freundschaften sind wichtige Voraussetzungen, dass Sie Ihre Kräfte wieder auftanken. Nur wer sich Zeit für sich selbst nimmt, wird auf Dauer Zeit und Kraft für andere haben. Vielleicht wäre es für Sie gut, Stressreduktionsübungen oder Entspannungstechniken zu lernen. Wenn Sie meinen, dass diese sieben Prinzipien der Erziehung von Ihnen bisher gar nicht umgesetzt wurden, seien Sie nicht böse oder enttäuscht. Fangen Sie an, täglich ein kleines Stückchen umzusetzen, jede Weltreise beginnt mit einem ersten Schritt. Haben Sie mit sich Geduld. Keiner ist perfekt. Professor Friedrich Specht, einer der Begründer der institutionellen deutschen Kinder- und Jugendpsychiatrie, fasst die Erziehungsprinzipien treffend zusammen: »Wächst ein Kind mit Kritik auf, lernt es, zu verurteilen. Wächst ein Kind mit Hass auf, lernt es, zu kämpfen. Wächst ein Kind mit Spott auf, lernt es, scheu zu sein. Wächst ein Kind mit Schmach auf, lernt es, sich schuldig zu fühlen. Wächst ein Kind mit Toleranz auf, lernt es, geduldig zu sein. Wächst ein Kind mit Ermutigung auf, lernt es, selbstsicher zu sein. Wächst ein Kind mit Lob auf, lernt es, dankbar zu sein. Wächst ein Kind mit Aufrichtigkeit auf, lernt es, gerecht zu sein.
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Wächst ein Kind mit Sicherheit auf, lernt es, zuversichtlich zu sein. Wächst ein Kind mit Anerkennung auf, lernt es, sich selbst zu schätzen. Wächst ein Kind mit Güte und Freundlichkeit auf, lernt es, die Welt zu lieben«.
Für die positive Entwicklung Ihres Kindes wird es entscheidend sein, dass es sich von Ihnen angenommen, wertgeschätzt und geliebt fühlt – trotz aller Schwierigkeiten. Viele Eltern klagen, dass sich die Kinder »falsch« oder »unmöglich« und »schrecklich« verhalten. Wichtig ist, dass genau geschaut wird, wann, welches Verhalten wie oft auftritt. Genaue Beschreibungen sind erforderlich. Man kann an konkreten Verhaltensänderungen nur arbeiten, wenn das Problemverhalten möglichst präzise beobachtet wird. Beschreiben Sie das Problemverhalten ganz genau, zum Beispiel: Das Kind soll Hausaufgaben machen. Wie fordern Sie es auf? Welche Regeln gibt es? Wann soll das Kind die Hausaufgaben machen? Wo? Beschreiben Sie die Situation! Wie verhält sich Ihr Kind? Wie reagieren Sie? Schulen Sie sich für genaue Beobachtungen, aber nicht nur für das Problemverhalten Ihres Kindes, sondern auch für angemessenes positives Verhalten. Achten Sie dabei auch auf Kleinigkeiten, zum Beispiel das Kind freut sich, ist selbstständig, es hat von allein die Aufgaben erledigt usw. Überlegen Sie auch, welche guten Seiten Ihr Kind hat. Welche Stärken (Kreativität, Phantasie, Interesse, Sportlichkeit, Humor) hat es? Problemverhalten
Stärken, positives Verhalten
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Abbildung 8: Eigenschaften- und Verhaltensliste
74 Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen? Besprechen Sie am Abend das positive Verhalten des Kindes mit ihm. Sagen Sie ihm, was gut gelaufen ist, und dass Sie sich darüber freuen. So wie Sie das Problemverhalten und die Stärken Ihres Kindes unter die Lupe nehmen, können Sie es auch mit Ihrem eigenen Verhalten und das des Partners tun. Welche Probleme haben Sie (z. B. gesundheitliche Probleme, finanzielle Probleme, Partnerschaftsprobleme)? Welche Gefühle haben sich – möglicherweise infolge der Probleme mit Ihrem Kind – entwickelt, zum Beispiel Depressionen, Ängste, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit? Welche Stärken haben Sie? Welche Unterstützungsmöglichkeiten gibt es für Ihre Familie (Freunde, Verwandte, Paten, Nachbarn)? Wie könnten die Stärken der einzelnen Familienmitglieder gut genutzt werden? Wie bereits aufgeführt, sind Kinder mit AD(H)S ganz besonders auf klare, überschaubare Regeln und Strukturen, auf unmittelbare Rückmeldungen und Konsequenzen angewiesen. Viele Eltern geraten mit ihren Kindern in einen Teufelskreis aus Anforderungen, Ermahnungen und Beschimpfungen auf der einen Seite und Nichtgehorchen und Verweigerung auf der anderen Seite. Irgendwann geben die Eltern auf und die Kinder machen die Erfahrung, dass sie sich nur lange genug verweigern müssen, dann bekommen sie ihren Willen schon durchgesetzt. Die Eltern geraten in die Ohnmachtsposition: »Wir können sagen, was wir wollen, das Kind macht, was es will«. Dies genau wollen wir aber nicht. Wie können Eltern wirkungsvoll Anweisungen und Aufforderung geben? Stellen Sie eindeutige Regeln auf! Klare und genau definierte Familienregeln erleichtern den Alltag, denn so muss nicht täglich neu über den Zeitpunkt des Beginns der Hausaufgaben oder die Dauer des Fernsehens diskutiert werden, wenn von vornherein festgelegt ist, dass die Hausaufgaben beispielsweise sofort nach dem gemeinsamen Mittagessen begonnen werden sollen. Beispiele für Regeln sind:
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– Ihr Kind soll morgens nach dem ersten Wecken sofort aufstehen. – Es soll mittags nach der Schule direkt nach Hause kommen. – Es soll direkt nach dem Mittagessen mit den Hausaufgaben beginnen. – Es soll abends bis 18.30 Uhr zu Hause sein. Zusätzlich kann es Regeln geben wie: – Schlagen ist grundsätzlich nicht erlaubt. – Täglich darf bis zu anderthalb Stunden ferngesehen werden – oder: die täglichen Bildschirmzeiten dürfen anderthalb Stunden nicht überschreiten. – Donnerstagnachmittag, bevor das Kind beispielsweise zum Fußballtraining gehen darf, muss sein Zimmer so aufgeräumt werden, dass der Fußboden gesaugt werden kann (saubere Kleidung in den Kleiderschrank zurücklegen, schmutzige Wäsche in den Wäschekorb packen, Zettel, Zeitschriften und Spielsachen sind wegzusortieren). Grundsätzlich sollen Sie sich auf die Regeln beschränken, die Ihnen wichtig sind. Wenn die Aufforderungen befolgt werden, wird das Kind unverzüglich und eindeutig gelobt. Bei Nichtbefolgen müssen unmittelbar die negativen Konsequenzen einsetzen, die allen Familienmitgliedern klar sein müssen. Geben Sie zur gleichen Zeit nur eine Aufforderung, schauen Sie dabei Ihr Kind an und fordern Sie Ihr Kind auf, dass es Sie dabei anschaut. Günstig ist zusätzlich, wenn Sie Ihr Kind an den Schultern leicht berühren. Fordern Sie eindeutig, formulieren Sie klar, also nicht: »Könntest du, wenn du Zeit hast, vielleicht mal in den Keller gehen und Sprudel holen?«, sondern: »Geh jetzt bitte in den Keller und hole zwei Flaschen Sprudel«. Warten Sie, ob Ihr Kind dieser Aufforderung nachkommt. Lassen Sie bei Nichterfüllung die Anweisungen von Ihrem Kind wiederholen. Loben Sie Ihr Kind
76 Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen? sofort, wenn es dem Auftrag nachkommt. Die unmittelbare positive Rückmeldung ist für Ihr Kind wichtig! Ein besonders dickes Lob bekommt Ihr Kind dann, wenn es etwas unaufgefordert gemacht hat, was Sie von ihm erhofft haben. Wichtig ist also immer, dass Sie Ihrem Kind schnelle positive Rückmeldung geben. Es gilt, die Macht des Augenblickes zu nutzen. Loben Sie Ihr Kind kurz und eindeutig, wenn es das erwünschte Verhalten zeigt. Lob und Belohnungen verstärken das Verhalten, das heißt, das gewünschte Verhalten wird häufiger – und das wollen wir letztendlich. Somit dienen Lob und Belohnungen als Verstärker erwünschten Verhaltens. Sagen Sie Ihrem Kind ganz deutlich, was positiv an seinem Verhalten ist. Es kann durch eine liebevolle Geste (z. B. über den Kopf streicheln) unterstützt werden. Verhält sich Ihr Kind falsch, sagen Sie es ihm ganz eindeutig und genau, schreien Sie es nicht an, streichen Sie ihm eine Belohnung, was vorher jedoch abgesprochen sein muss. Kinder mit AD(H)S brauchen häufigere und schnelle Feedbacks. Setzen Sie »Verstärker« ein, zum Beispiel gemeinsame Spielzeiten oder Aktivitäten mit Ihnen. Denken Sie aber daran: Versprechen Sie nur, was Sie halten können! Sonderzeiten, zum Beispiel für Bildschirmzeiten (Computer, Video, Fernsehen, Playstation), können als Belohnung dienen. Kleine Snacks oder Süßigkeiten oder Punkte zum Sammeln und Einlösen in größere Aktivitäten, zum Beispiel Kinobesuch oder Schwimmbad, können ebenfalls sinnvoll als Verstärker sein. Bevor Sie bestrafen, versuchen Sie erst mit Anreizen zu arbeiten. Nur, wenn auch positive Rückmeldungen gegeben werden und mit Lob und Belohnung gearbeitet wird, ist Bestrafung erlaubt. Das Verhältnis sollte ungefähr 3:1 betragen, Lob und Belohnungen müssen überwiegen. Verhaltensveränderungen sind leichter über positive Verstärkung zu erzielen als über Bestrafung. Die Bestrafung muss konsequent sein und sich auf eine spezielle negative Verhaltenswei-
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se beziehen. Es muss vorher klar mit dem Kind abgesprochen sein, was wie wann bestraft wird (transparente Regeln und Konsequenzen). Bei Nichteinhalten von Regeln sind die vorher abgesprochenen Konsequenzen durchzuführen. Verursacht das Kind einen Schaden, so sollte eine Wiedergutmachung erfolgen. Kippt es zum Beispiel ein Glas mit Milch um, so sollte es die Milch aufwischen. Gibt es heftige wütende oder schreiende Interaktionen, so kann eine Auszeit (Time-out) wirksam werden: Das Kind muss für einige Minuten in sein Zimmer gehen oder wird vom gemeinsamen Spiel ausgeschlossen. Andere Möglichkeiten der Bestrafung sind: Fernsehverbot; Spielzeug, das nicht aufgeräumt wird, wird eingesammelt und steht zum Spielen nicht mehr zur Verfügung. Wenn das Kind nicht das macht, was es tun soll, kann es auch an der Hand zu der Aktivität geführt werden, es kann somit nicht etwas anderes tun. Negative Konsequenzen müssen ebenso wie Lob zeitnah zum Fehlverhalten erfolgen, also nicht: »Wenn der Papa heute Abend nach Hause kommt, wird er mit dir schimpfen«. Negative Konsequenzen, die ausgesprochen werden, müssen durchführbar und durchzuhalten sein – auch von Ihnen. Anderenfalls machen Sie sich unglaubwürdig. Es nützt also nichts, in Ihrer – auch noch so verständlichen– Wut zu sagen: »Du darfst nie wieder fernsehen«. Sollte Loben beim Einhalten der Regeln als Verstärker nicht ausreichen, so können »Belohnungspunkte« eingesetzt werden. Das Anschaffen einer Belohnungskiste Lassen Sie Ihr Kind eine Schuhschachtel schön bekleben. Dort werden nun Zettel hineingelegt, die als Belohnung für das Kind wichtig sind (z. B. ein Besuch im Zoo, einmal Eis essen). Legen Sie mit Ihrem Kind fest, wie viele Punkte es für einen Zettel erarbeiten muss. So kann die Regel »Ich bleibe beim Essen am Tisch sitzen« 2 Punkte bedeuten. Es kann verabredet werden, bei 14 Punkten ein Eis essen zu gehen.
78 Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen? Dabei wird genau beschrieben, wie sich das Kind in welcher Situation verhalten soll, um wie viele Punkte zu bekommen und was das Kind bei einer bestimmten Anzahl von Punkten erhält. Dabei muss vereinbart werden, bei wie vielen Chips am Ende der verabredeten Zeit welche Art Belohnung erfolgt. Wenn das Kind zum Beispiel nach einer festgelegten Zeit des konzentrierten Spielens eine bestimmte Anzahl von Chips erhalten hat, darf es mit Ihnen noch sein Lieblingsspiel spielen. Umgekehrt kann auch der Entzug von Belohnung bei diesem System möglich sein: Bei unerwünschtem Verhalten werden dem Kind Chips entzogen. Fachleute sprechen von der »Response-Cost-Methode«. Verbringen Sie täglich eine gewisse Zeit mit Ihrem Kind, die Sie als »gemeinsame Zeit« haben. Lassen Sie Ihr Kind bestimmen, was es in dieser Zeit mit Ihnen spielen möchte. Versuchen Sie, sich nicht von anderen stören zu lassen, zum Beispiel von Geschwistern oder dem Telefon. Vermeiden Sie, dass Sie das Kind kontrollieren oder kritisieren. Versuchen Sie zu beschreiben, was das Kind gerade macht: »Du baust ja einen interessanten Legoturm, welche Steine benötigst du noch, kann ich dir welche heraussuchen?« Loben Sie Ihr Kind, wenn es bei der Sache bleibt, schauen Sie weg, wenn es sich problematisch verhält, bleibt das problematische Verhalten bestehen, so sagen Sie Ihrem Kind kurz und knapp, dass Sie die gemeinsame Spielzeit beenden werden, wenn es nicht damit aufhört (siehe auch Döpfner, Schürmann u. Lehmkuhl, 2000). Kinder mit AD(H)S haben Probleme, ihre Aufgaben einzuteilen, zu zergliedern und ihre Zeit entsprechend zu planen. Helfen Sie Ihrem Kind, seine Aufgaben in kleine Schritte aufzuteilen und üben Sie mit ihm Zeitpläne aufzustellen, zum Beispiel: Wann sollte was getan werden, damit das Referat in der vorgegebenen Zeit fertiggestellt ist? Routinen helfen Ihnen und Ihrem Kind, den Alltag zu strukturieren. Feste Zeiten für Tätigkeiten wie Aufstehen,
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Mahlzeiten einnehmen, Hausaufgaben anfertigen, Fernsehen, Spielen und Zubettgehen sollten bestehen. Besonders problematisch können die Konflikte und Streitereien mit den Geschwistern sein. Die Geschwister von Kindern mit AD(H)S haben oft das Gefühl, zu kurz zu kommen, denn es lässt sich manchmal nicht vermeiden, dass sich die Eltern dem betroffenen Kind mehr zuwenden. Die Konflikte zwischen den Kindern sind für Eltern oft sehr belastend. Hilfreich ist sicherlich, dass möglichst viel Zeit von Vater und Mutter gemeinsam aufgebracht wird – was leider oft nicht der Fall ist: Gerade weil Jungen öfter von der AD(H)S betroffen sind, müssten Väter mehr in die Erziehung einbezogen werden, denn sie sind als positives Beispiel oder Modell hilfreich. Aber auch zur Entlastung der Mutter und zum Durchführen von Einzelaktivitäten mit dem betroffenen Kind ist der vermehrte Einbezug des Vaters unerlässlich. Geben Sie Ihrem Kind bei der Aufgabenerfüllung Hilfestellungen und Tipps. Legen Sie ihm zum Beispiel bei den Hausaufgaben eine rote Karte mit dem Text: »Bleib bei deiner Aufgabe, träume nicht. Kontrolliere am Ende alles noch einmal« hin. Kinder mit AD(H)S neigen dazu, an einem gleichbleibenden Tagesablauf festzuhalten. Sie können sich schwer umstellen. Wenn möglich, sollten Sie Ihre Kinder so früh es geht über mögliche Veränderungen informieren. Zum Beispiel sollte das Kind am Frühstückstisch schon darauf hingewiesen werden, dass am Nachmittag die Großeltern besucht werden sollen. Eventuell ist auch eine Uhr oder ein Wecker einzusetzen, dessen Klingeln das Kind erinnert, dass es sich jetzt fertig machen soll zur Abfahrt. Wenn Besuch in die Familie kommt, »drehen« viele Kinder mit AD(H)S auf, wollen im Mittelpunkt stehen, oft schaukeln sich die Situationen dann erheblich auf. In diesen Fällen ist es günstig, wenn das mögliche problematische Verhalten noch vor Eintreffen des Besuches mit dem Kind abgesprochen wird und mit dem Kind ein »Warnwort« oder ein
80 Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen? Handzeichen vereinbart wird, das dann eingesetzt wird, wenn es das problematische Verhalten zeigt. Kann das Kind dieses dann nicht stoppen, so sollte ein Time-out (das Kind sollte in sein Zimmer gehen) vereinbart werden. Es ist immer das Beste, im Vorfeld bereits problematische Situationen durchzusprechen, oft lassen sich auf diese Weise sich aufschaukelnde Konflikte vermeiden. Lassen Sie sich jedenfalls nicht auf langwierige Diskussionen ein. Ähnliches gilt für andere kritische Situationen wie das Telefonieren der Eltern oder Einkaufen gehen oder das Spielen mit anderen Kindern. Sprechen Sie vorher klar mit dem Kind ab, welches Verhalten Sie erwarten und überlegen Sie gemeinsam, wie Sie reagieren wollen, wenn es zu unerwünschtem Verhalten kommt. Bei mündlichen Anweisungen seien Sie möglichst kurz und knapp: kein langes Gerede und missverständliche Sätze. Sagen Sie in kurzen Worten, was Sie von Ihrem Kind wollen. Auch bei der Einhaltung von Regeln sollte es keine langen Diskussionen geben. Bleiben Sie konsequent und geben Sie nicht auf. Alle Verhaltensveränderungen brauchen Zeit. Das kennen Sie von sich selbst auch! Überlegen Sie mal. Versuchen Sie nicht, an mehreren Fronten gleichzeitig zu arbeiten. Nehmen Sie sich ein problematisches Verhalten vor, auf das Sie Einfluss nehmen wollen. Halten Sie durch. Und: Beginnen Sie erst, wenn die beteiligten Erwachsenen (Eltern, eventuell Großeltern, Au-pair, Erzieher, Lehrer) sich auf eine gemeinsame Strategie geeinigt haben. Die Kinder brauchen die Erfahrung, dass die beteiligten Erwachsenen gleiche Regeln und Konsequenzen anwenden. Bei allen Bemühungen dürfen Sie nicht vergessen, dass Ihr Kind eine Erkrankung hat, für die es nichts kann. Es will Sie nicht kränken oder verletzen! Nehmen Sie sein Fehlverhalten nicht persönlich. Verzeihen Sie ihm und seien Sie nicht nachtragend! Verzeihen Sie sich aber auch Ihre eigenen Fehler.
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Tipps für die Erziehung – Sehen Sie positive Seiten des Kindes und verbessern Sie Ihre Beziehung zu dem Kind. – Geben Sie häufige und unmittelbare Rückmeldungen. – Setzen Sie Lob und Belohnungen vor Bestrafung ein. – Helfen Sie Ihrem Kind bei der Zeiteinteilung und Aufgabenstrukturierung. – Zeigen Sie konsequentes Verhalten. – Nehmen Sie das Fehlverhalten Ihres Kindes nicht persönlich. – Versuchen Sie problematischen Situationen vorzubeugen. – Sorgen Sie für sich und tanken Sie Ihre Kräfte auf.
Barkley (2002, S. 254) fasst das Wesentliche für das Elternverhalten in einem Acht-Schritte-Programm wie folgt zusammen: »Schritt 1: Schritt 2: Schritt 3: Schritt 4: Schritt 5: Schritt 6: Schritt 7: Schritt 8:
Geben Sie Ihrem Kind positive Zuwendung. Setzen Sie Aufmerksamkeit gezielt ein. Geben Sie effektivere Anweisungen. Bringen Sie Ihrem Kind bei, Sie nicht bei Ihren Aktivitäten zu stören. Führen Sie ein Belohnungssystem ein. Bestrafen Sie konstruktiv. Dehnen Sie den Einsatz von Auszeiten aus. Lernen Sie einen effektiven Umgang mit Ihrem Kind in der Öffentlichkeit«.
■ Was können Sie als Lehrer tun? Ein erstes Ansprechen von Lehrern, die ein AD(H)S-Kind in der Klasse haben, kann folgendermaßen aussehen: Sicherlich haben Sie es nicht einfach, wenn in Ihrer Klasse ein oder sogar zwei Schüler mit AD(H)S sind. Sie stören Ihren Unterricht, laufen umher, reden dazwischen, machen nicht das, was sie sollen, vergessen die Materialien, vergessen die Hausaufgaben, sind nicht bei der
82 Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen? Sache und schnell abgelenkt und lenken durch Kaspereien andere Mitschüler ab. Dennoch ist es wichtig für Sie zu wissen, dass die Kinder dieses nicht aus böser Absicht tun. Sie können nicht anders, auch wenn sie anders wollen. Die Kinder haben eine Stoffwechselstörung des Gehirns, auf die in unterschiedlicher Weise reagiert werden muss. Zum einen können Medikamente eingesetzt werden, zum anderen Verhaltenstherapie und Elternberatung. Aber Sie als Lehrer können entscheidend dazu beitragen, dass es dem Kind und seiner Familie besser geht. Darum unsere Bitte: Informieren Sie sich genau, seien Sie mit den Eltern im Gespräch, beraten Sie sich und geben Sie Ihre wichtigen Beobachtungen an den behandelnden Kinder- und Jugendpsychiater oder Psychologen weiter. Es ist bekannt, dass Kinder mit AD(H)S trotz guter Begabung schlechte Schüler sind und oft auf der Schule für Lernhilfe (Sonderschule) landen. Oft müssen die Kinder Klassen wiederholen, sie werden aufgrund ihrer Probleme ausgegrenzt, geraten schnell in die Sündenbockrolle und erreichen keinen ihrer Begabung angemessenen Schulabschluss. Welche Möglichkeiten der Einflussnahme gegeben sind, wollen wir kurz erläutern, sicherlich wäre es für Sie hilfreich, mit den Eltern und behandelndem Arzt/Psychotherapeuten zusammenzuarbeiten. Bitte bedenken Sie: Auch die Eltern sind erheblichen Belastungen ausgesetzt, gegenseitige Vorwürfe oder gar Schuldzuweisungen nützen keinem etwas. Keiner hat versagt. Keiner hat Schuld! Es ist kein Erziehungsfehler!
Folgende Tipps können hilfreich sein: – Informieren Sie sich über die Aufmerksamkeitsstörung, ihre Entstehung und Behandlung. – Achten Sie auf häufig begleitende Teilleistungsschwächen, insbesondere auf die Lese- und Rechtschreibschwäche. – Die Kinder mit AD(H)S brauchen Struktur und Routine. Helfen Sie dem Kind bei der Organisation. – Versuchen Sie, dem betroffenen Kind überschaubare Aufgaben zu geben. – Gliedern Sie die Aufgaben in Teilschritte. Geben Sie unmittelbar vor der Bearbeitung klare und kurze Anweisun-
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gen (ggf. durch Bilder visuell-optisch unterstützt). Längere Instruktionen können nicht gespeichert werden. Überprüfen Sie, ob das Kind Sie richtig verstanden hat. Versuchen Sie, das Kind in die Gemeinschaft zu integrieren. Bitten Sie bei den Mitschülern um Nachsicht. Fordern Sie die anderen Kinder auf, Ihnen zu helfen, das betroffene Kind zu unterstützen. Schützen Sie das Kind vor Bloßstellungen, Abwertung, Stigmatisierung und Ausgrenzung. Loben Sie das betreffende Kind, wann immer es geht. Gehen Sie mit Bestrafungen sparsam um. Punkteprogramme können durchgeführt werden. Geben Sie sofort Rückmeldungen. Belohnungen, Lob und Bestrafungen müssen unmittelbar und systematisch erfolgen. Sprechen Sie das Kind oft persönlich an, damit erhöht sich seine Aufmerksamkeit. Unterstützen Sie es bei der Anfertigung der Hausaufgaben (Hausaufgabenheft gegenzeichnen, enge Zusammenarbeit mit dem Elternhaus, eventuell ein zweiter Büchersatz für zu Hause, damit das Kind auch dann seine Hausaufgaben machen kann, wenn es die Bücher in der Schule liegen gelassen hat). Versuchen Sie den Teufelskreis von Lernschwierigkeiten aufgrund der Aufmerksamkeitsstörungen und Abnahme der Motivation mit noch größeren Lernproblemen zu durchbrechen. Versuchen Sie Eskalationen zu vermeiden und beugen Sie ihnen vor. Nehmen Sie das Fehlverhalten des Kindes nicht persönlich. Seien Sie nicht gekränkt. Versuchen Sie trotz aller Belastungen und Probleme eine positive Lehrer-SchülerBeziehung aufzubauen. Geben Sie dem Kind das Gefühl, dass es gebraucht wird. Setzen Sie es beispielsweise bei Bring- und Holdiensten oder Tafeldiensten ein.
84 Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen? Worauf ist bei der Klasse zu achten? Sie sollte möglichst klein sein, ideal wären 15 bis 18 Schüler. Nach den bisherigen Untersuchungen soll die klassische Aufstellung der Tische und Bänke im Klassenraum – in Reihen mit dem Gesicht zum Lehrer – günstiger sein als eine Aufstellung der Tische, bei denen sich die Kinder gegenseitig ansehen, denn so bestehen mehr Ablenkungsquellen. Ein häufiger Sitzplatzwechsel ist ungünstig. Das betroffene Kind sollte nah am Lehrertisch sitzen, damit Sie häufig Blickkontakt mit ihm haben können und störende Ablenkungsquellen nicht in seinem Blickfeld sind. Es sollte, wenn möglich, einen ruhigen Tischnachbarn haben. Vielleicht kann ein ruhiger Mitschüler eine Art Patenschaft übernehmen. Loben Sie die Mitschüler, die sich um die Integration des betroffenen Kindes bemühen. Es ist auf eine möglichst geräuscharme Umgebung zu achten. In einer lauten Umgebung fällt es den Kindern mit AD(H)S noch schwerer, sich zu konzentrieren. Der Unterrichtsablauf sollte gut organisiert und vorhersehbar sein. Offene Unterrichtsformen, zum Beispiel freies Arbeiten, sind für Kinder mit AD(H)S problematisch, weil es ihnen oft an Selbststrukturierung und Selbstorganisation fehlt. Verhaltensregeln sollten gut sichtbar im Klassenraum aufgehängt werden. Der Unterricht sollte abwechslungsreich gestaltet werden. Es ist darauf zu achten, dass die Aufgaben, die ein AD(H)SKind bearbeiten muss, nicht so lang sind. Die Einzelarbeitsphasen sollten kurz sein. Benutzen Sie sprachlich Signalwörter wie »Jetzt ist es besonders wichtig« oder »Aufgepasst«, wenn Sie etwas Wichtiges erklären. Das Kind mit AD(H)S sollte unmittelbar Rückmeldung erhalten, ob es gut oder schlecht gearbeitet hat. Es kann für das betroffene Kind hilfreich sein, wenn der Unterricht durch Bewegungsübungen aufgelockert wird. Besonders in den Pausen sollen Bewegungsmöglichkeiten
86 Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen? gegeben sein. Die anstrengenden Fächer, die eine hohe Konzentration und Aufmerksamkeit benötigen, sollten in den ersten Schulstunden liegen. Vermeiden Sie sinnlose Strafarbeiten wie Abschreiben. Ohnehin fällt es Kindern mit AD(H)S oft schwer, sauber zu schreiben. Erlauben Sie ihm den Einsatz des Computers. Stellen Sie mit dem Kind klare Regeln für den Unterricht auf, zum Beispiel: – während des Unterrichts am Platz sitzen bleiben, – nicht während des Unterrichts mit dem Nachbarn schwatzen, – sich am Unterricht beteiligen und melden, – keine Beleidigungen aussprechen, niemanden beschimpfen, – bei Streit nicht schlagen. Welche Schulform ist richtig: Sonder- oder Regelschule? Grundsätzlich sollten Kinder mit AD(H)S eine Regelschule besuchen. Häufig ist die Tendenz zu finden, diese Kinder an Sonderschulen aufzunehmen. Es gibt Sonderschulen für lernbehinderte, erziehungsschwierige, sprachauffällige und körperbehinderte Kinder. An diesen Schulen unterrichten besonders ausgebildete Pädagogen, die Sonderschullehrer. Die Lerngruppen sind meistens kleiner, das Lerntempo wird individuell abgestimmt und ist in der Regel langsamer als auf der Regelschule. Nachteil dieser Sonderschulklassen ist, dass in ihnen oft Kinder mit großen Schwierigkeiten zu finden sind, so dass es meist an positiven Vorbildern fehlt. Vor Überweisung an eine Sonderschule muss eine sonderpädagogische Begutachtung erfolgen, die die Lern- und Leistungsfähigkeit und das Sozialverhalten des Kindes überprüft. Sonderschulbedürftigkeit besteht dann, wenn ein Kind in einer Regelschule nicht ausreichend gefördert werden kann. Im Rahmen der sonderpädagogischen Überprüfung soll mit testpsychologischen Verfahren versucht werden, die Lernschwierigkeiten des Kindes zu objektivieren.
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Wenn ein Kind mit AD(H)S eine durchschnittliche Begabung (Intelligenz) hat, sollte keine Zuweisung auf eine Sonderschule erfolgen. Es ist dann bei Schulschwierigkeiten zu prüfen, welche Maßnahmen in der Regelschule dem Kind helfen könnten, zum Beispiel gezielte Anleitungen, ein anderer Platz, bessere Steuerung des Kindes, zusätzlich Aufnahme von außerschulischen Therapiemaßnahmen. Bestehen neben der AD(H)S noch weitere Beeinträchtigungen, zum Beispiel eine Sprachentwicklungsverzögerung, so ist die Beschulung in einer Sprachheilklasse zu überlegen. Sind die allgemeinen Lern- und Leistungsmöglichkeiten unterdurchschnittlich, so ist eine sonderpädagogische Beschulung oft nicht zu umgehen. Eine Alternative zur Sonderbeschulung stellt die Beschulung in einer Integrationsklasse dar. Auch hier ist zuvor eine sonderpädagogische Begutachtung notwendig, um den gezielten Förderbedarf zu stellen. Auch in der Schule können Belohnungsprogramme eingesetzt werden, die zu Hause eingelöst werden. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus ist erforderlich. Kontrollieren Sie täglich die Hausaufgaben, um bei Unvollständigkeit unmittelbar zu reagieren. Bitte denken Sie daran, die Schulleistungen sind nicht alles! Die gute emotionale Beziehung zwischen Kind und Eltern und Ihnen und dem Kind sind wichtige Variablen, die den Verlauf wesentlich bestimmen.
88 Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen? Beurteilungskarte Name des Kindes: _______________________Datum: ___________ Lehrer: Bitte beurteilen Sie das heutige Verhalten in den aufgeführten Bereichen. Benutzen Sie für jede Unterrichtsphase bzw. Stunde eine eigene Spalte. Benutzen Sie folgende Bewertungen: 1 = hervorragend, 2 = gut, 3 = zufriedenstellend, 4 = schwach, 5 = sehr schwach. Unterzeichnen Sie mit Ihrem Namenskürzel. Für zusätzliche Bemerkungen benutzen Sie bitte die Rückseite. Unterrichtsphase / Fach Verhaltensbereich
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3
4
5
6
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Beteiligung am Unterricht Bearbeitung von Aufgaben Befolgung von Regeln Umgang mit Mitschülern Qualität der Hausaufgaben Lehrer (Namenskürzel) Weitere Beobachtungen
Abbildung 9: Beurteilungskarte (in Anlehnung an Barkley, 2002, S. 368)
■ Was können Sie von Psychotherapeuten erwarten? Eine Form der Psychotherapie ist die Verhaltenstherapie. Diese Therapie hat sich in verschiedenen wissenschaftlichen Studien bei AD(H)S als sehr wirksam erwiesen. Grundlage der Verhaltenstherapie ist, dass davon ausgegangen wird, dass Verhalten ein Lernergebnis sei. Wenn ein Verhalten fehler-
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haft, falsch, unangemessen ist, es aber gelernt ist, so bedarf es in der Verhaltenstherapie das Erlernen eines neuen Verhaltens und das Verlernen des alten, falschen Verhaltens. Grundsätzlich ist es so, dass Verhalten, das zu Lob und Anerkennung führt, häufiger auftritt, also sich verstärkt, während Verhalten, was zu negativen Konsequenzen führt (z. B. Entzug von positiven Dingen, also Spiel- oder Fernsehverbot) seltener auftritt. Ziele der Verhaltenstherapie bei Kindern und Jugendlichen mit AD(H)S sind: – Sie sollen lernen, ihr eigenes Verhalten zu steuern (erst nachdenken, dann reden oder handeln; nicht gleich drauflos machen, sich erst fragen, was sie zu tun haben, also »bedachter« sein). – Sie sollen lernen, wie sie eine Situation einschätzen können, welches ihre Aufgabe ist, wie die Lösung aussehen könnte. – Sie sollen lernen, dass zur Lösung von Aufgaben ein genaues Hinschauen und Zuhören nötig sind. Bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen werden immer die Eltern mit in die Therapie einbezogen. Sie werden angehalten, das in der Therapie Erfahrene auch im Alltag mit dem Kind anzuwenden. Dabei sind Strategien wie genaue Problemanalyse – welches Verhalten zeigt sich in welchen Situationen und wird wie und wann verstärkt durch was – wichtig. Jede Verhaltenstherapie muss je nach Problemverhalten des jeweiligen Kindes oder Jugendlichen individuell geplant werden. Grundsätzliche Therapiebausteine sind: – Behandlung der Impulsivität durch Erlernen der Selbststeuerung, zum Beispiel Selbstinstruktionstraining und Reaktionskontrolle, um das Innehalten zu lernen. – Lernen, geplant zu handeln. – Verbesserung der Aufmerksamkeitsstörung. – Abnahme der Bewegungsunruhe.
90 Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen? Dabei können Belohnungssysteme eingesetzt werden. Das Kind wird bei erwünschtem Verhalten gelobt oder belohnt, zum Beispiel mit Tauschverstärkern – sogenannte Token – wie Murmeln, Sticker oder Chips. Bei Erreichen einer bestimmten Anzahl können die Tokens durch ein vom Kind gewähltes Spiel eingetauscht werden. Alternativ kommt auch der Token-Entzug zum Einsatz. Zu Beginn der Therapiestunde bekommt das Kind eine bestimmte Anzahl von Tokens (Murmeln, Sticker, Chips) und es wird mit ihm genau durchgesprochen, bei welcher unerwünschten Verhaltensweise ihm eine bestimmte Anzahl Token entzogen wird, zum Beispiel wenn es beim Spielen wegläuft, dazwischenredet, aufsteht. Die verbleibenden Tokens werden am Ende einer zu definierenden Zeit wieder gegen eine Belohnung (Spiel) eingetauscht. Für die behaltenen Tokens wird das Kind gelobt. Wie bereits erwähnt, wird zum Erlernen der Selbststeuerung oft ein Selbstinstruktionstraining eingesetzt. Selbstinstruktionstraining bedeutet, dass die Kinder und Jugendlichen angehalten werden, in Anforderungssituationen oder sozialen Situationen sich selbst Anweisungen (Instruktionen) zu geben, um planvoll und gesteuert vorgehen zu können. Schrittweise lernen sie ein Selbstgespräch, um Probleme zu erkennen und zu benennen und im Weiteren dann zu überlegen, welche Problemlösungsmöglichkeiten vorhanden sind. Das Kind, der Jugendliche soll lernen, genau abzuwägen, zu prüfen und anschließend sein eigenes Ergebnis selbst zu bewerten. Es soll sich dann anschließend loben oder zur Verbesserung anspornen. Der Therapeut zeigt dem Betroffenen zunächst, wie das funktioniert: Er spricht zunächst bei der Durchführung einer Aufgabe laut mit sich selbst, so dass das Kind, der Jugendliche es hören kann. Er stellt für das Kind, den Jugendlichen ein Modell dar. Anschließend werden den Betroffenen Aufgaben gegeben, die sie auf ähnliche Art und Weise lösen sollten. Zunächst ist der Therapeut bei
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dieser Aufgabenstellung anwesend, das Kind spricht laut die Anweisungen zu sich. Anschließend wird geübt, die Aufgaben leise oder flüsternd durchzuführen, in der nächsten Phase werden die Anweisungen nicht mehr hörbar sein. Beispiele für Selbstinstruktionen können sein: – Halt, ich muss erst einmal nachdenken, was ist hier mein Problem? – Was sollte ich hier tun? – Wie könnte eine Lösung aussehen, was könnte ich machen? – Wie sieht die beste Lösung aus? – Langsam, ich gehe planvoll vor, ich halte mich Schritt für Schritt an meinen Plan. – Hat der Plan funktioniert? Habe ich meine Aufgabe gelöst? Wie habe ich meine Aufgabe gelöst? – Ich habe meine Aufgabe gut gemacht. – Es hat eben noch nicht so funktioniert, aber ich habe mich sehr bemüht, beim nächsten Mal wird es besser werden. Bei dem Instruktionstraining werden auch Instruktionskarten eingesetzt, auf denen kindgerechte Darstellungen und Instruktionen vermerkt sind. Mit fortgeschrittener Therapie werden zunehmend schulähnliche Materialien eingesetzt, um dem Kind und Jugendlichen den Transfer in den Schulalltag zu ermöglichen. Zusätzlich werden Lerntechniken gezeigt, wie zum Beispiel Einkreisen von Plus- und Minuszeichen bei Mathematikaufgaben, Unterstreichen wichtiger Inhalte beim Lesen eines Textes, Gliederung von Absätzen, Rastern von Arbeitsblättern, um kleine überschaubare Abschnitte zu gestalten, Bearbeiten der Arbeitsblätter von links nach rechts. Zusätzliche Maßnahmen zu der Einzelverhaltenstherapie können Gruppenbehandlungen sein. Besonders zum Erlernen sozialer Kompetenzen – andere Menschen angemessen wahrzunehmen, auf adäquate Art und Weise Wünsche zu
92 Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen? äußern, um etwas bitten, Kontakte zu knüpfen, die Kommunikationsfähigkeit zu verbessern, auf Kritik und Ablehnung angemessen zu reagieren – sind Gruppentherapien nötig. Hier wird in Rollenspielen soziales Lernen geübt. Auch Übungen zur Empathie – Wie fühlt sich der andere jetzt? Welche Auswirkungen hat mein Verhalten auf seine Verfassung und welche Folgen hat mein Verhalten? – werden durchgeführt. Besonders Kinder und Jugendliche mit aggressiven Verhaltensweisen, die oft Folgen sozialer Wahrnehmungsstörungen sind, fühlen sich beispielsweise zu Unrecht angegriffen und unterstellen anderen vorzeitig feindselige Absichten. Sie sollten an einer Gruppenbehandlung teilnehmen. Konflikt- und Problemlösungen können in der Gruppenbehandlung geübt werden. Im Sozialtraining lernen die Kinder, angemessen mit Ärger umzugehen und ihn zu kontrollieren. In die Gruppenbehandlungen können auch Entspannungsübungen integriert werden. Liegen zusätzlich depressive Verhaltensauffälligen vor, die mit Niedergeschlagenheit, Ängsten und sozialem Rückzug einhergehen, so sind der Aufbau von Selbstvertrauen und eines positiven Selbstwertgefühls, der Ausbau sozialer Kontakte und der Abbau von Ängsten weitere Ziele der Verhaltenstherapie. Neben Einzel- oder Gruppenverhaltenstherapie kommen auch Familientherapie oder Familienberatung zur Anwendung. Grundsätzlich kann die Psychotherapie wie Verhaltenstherapie von den gesetzlichen Krankenkassen nach notwendiger Antragsstellung übernommen werden. Leider stehen in Deutschland nicht flächendeckend approbierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten zur Verfügung. Von den regionalen Bedingungen wird die Umsetzbarkeit einer notwendigen Psychotherapie abhängig sein. In einer großangelegten Multicenter-Studie wurde deutlich, dass eine Kombination von Verhaltenstherapie und medikamentöser Behandlung immer dann besser ist, wenn zusätzlich emoti-
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onale Beeinträchtigungen oder aggressive Verhaltensauffälligkeiten vorliegen. Ein weiterer Therapiebaustein ist die Behandlung begleitender Störungen. Bestehen – insbesondere bei jüngeren Kindern – zusätzlich motorische Probleme (Auffälligkeiten in der Feinmotorik, z. B. beim Anmalen, Ausschneiden, oder in der Grobmotorik, z. B. beim Hüpfen oder Springen oder bei Koordinationsaufgaben), so können Ergotherapie, Krankengymnastik, Hippotherapie (Reittherapie), Motopädie oder Psychomotorik zusätzlich zur Anwendung kommen. Bei Auffälligkeiten in der sprachlichen Entwicklung kann Logopädie eingesetzt werden. Besteht auch eine Lese- und Rechtschreibschwäche, was häufig der Fall ist, so muss eine zusätzliche Legasthenietherapie durchgeführt werden, das Gleiche gilt bei Vorliegen einer Rechenschwäche, dann sollte eine Dyskalkulietherapie erfolgen. Während die Kosten für Krankengymnastik, Ergotherapie und Logopädie von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden, erfolgt die Bezahlung von Psychomotorik und die Behandlung der Teilleistungsschwächen wie Lese- und Rechtschreibschwäche oder Rechenschwäche über das zuständige Jugendamt (KJHG §35a).
■ Können Medikamente helfen? Die Diskussion um die medikamentöse Behandlung der Aufmerksamkeitsstörung ist oft ideologisch gefärbt. Auch hier gilt: Alle Ideologien haben einen Haken, an dem wird der Gegner erhängt. Doch wie sehen die wissenschaftlichen Ergebnisse dazu aus? Eine große, vom National Institut of Mental Health durchgeführte Multimodal Treatment Study of ADHD – hier wurden verschiedene Therapien der AD(H)S untersucht – zeigte jedoch eindeutig, dass die medikamentöse Behandlung die
94 Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen? effektivste Behandlungsform darstellt. An dieser Untersuchung haben 579 Kinder und Familien teilgenommen, die in sechs großen Zentren der USA in Behandlung waren. Es konnte eindeutig belegt werden, dass die medikamentöse Behandlung mit Stimulanzien (Methylphenidat) und Elternberatung die wirksamste Therapie ist. Dennoch gibt es immer wieder hitzige Diskussionen und heftige Auseinandersetzungen, insbesondere von denen angeschürt, die gegen eine Psychopharmakotherapie sind. »Krankheiten von innen heraus und mit natürlichen Mitteln, allenfalls pflanzlich, bekämpfen« ist die Devise dieser Verfechter – als seien pflanzliche Mittel nicht ungefährlich, man denke nur an Belladonna, die hochgiftige Tollkirsche, oder an das Cannabis, rein pflanzlich und doch schädlich. Dennoch stoßen diese Stimmen in der Bevölkerung auf großes Gehör, was sich unter anderem darin zeigt, dass viele Menschen viel Geld für pflanzliche Mittel ausgeben, ohne dass je ein Wirksamkeitsnachweis erbracht wurde. Aber mit Angst und Schreckgespenstern zu arbeiten, sind jahrhundertealte Methoden. Ähnliches gilt für die von Kritikern der Psychopharmakotherapie geäußerten Bedenken bezüglich der Suchtentwicklung. Hier liegen ebenfalls wissenschaftliche Untersuchungen vor, die eine Suchtgefährdung bei Kindern und Jugendlichen, die Methylphenidat nehmen, ausschließen. Im Gegenteil – es gibt Studien, die zeigen, dass Kinder und Jugendliche, die wegen eines AD(H)S mit Methylphenidat behandelt werden, geringere Risiken haben, im weiteren Verlauf eine Abhängigkeit (z. B. von Cannabis oder Alkohol) zu entwickeln als die Unbehandelten. Und wieder andere Spekulationen schüren Angst: Ein Biologe behauptet, Methylphenidat führe im späteren Leben zu Parkinson. Diese Spekulation leitet er von Rattenversuchen ab. Diese Tierexperimente sind jedoch keinesfalls so einfach auf Menschen zu übertragen und außerdem findet sich welt-
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weit kein einziger Fall, wo diese These bestätigt wurde. Die Ergebnisse dieser Studie müssen also kritisch betrachtet werden. Kindern mit einem psychiatrischen Störungsbild, wie sie die AD(H)S darstellt, sollte eine nachgewiesene hochwirksame Therapie nicht vorenthalten werden. Auch das Unterlassen einer effizienten Behandlung hat »Nebenwirkungen« – der abgebrochene Schulbesuch, die Sonderbeschulung trotz guter Begabung, die Beeinträchtigung der Selbstwertentwicklung, die Gefahr der Alkohol- und Drogenabhängigkeit und die Gefahr der dissozialen Entwicklung. Leider wird in Deutschland noch immer vielen Patienten eine wirksame Behandlung vorenthalten, nur weil sie Kinder sind! Es ist moralisch nicht zu verantworten, Kinder jahrelang mit pflanzlichen, aber unwirksamen Mitteln oder mit Psychotherapie, die oft allein nicht ausreicht, zu behandeln, ohne dass dies zu einer wesentlichen Besserung beiträgt. Oft ermöglicht erst die medikamentöse Behandlung die Wirksamkeit von Psychotherapie, weil die Kinder erst mit Hilfe der Medikamente überhaupt in der Lage sind, in der Psychotherapie richtig mitzumachen. Grundlage einer medikamentösen Behandlung ist immer eine sorgfältige Diagnose. Das gilt nicht nur für Psychopharmakotherapie, sondern in allen anderen medizinischen Disziplinen auch. Vor Therapie muss von einem Spezialisten (Kinder- und Jugendpsychiater oder Psychiater) eine Diagnose gestellt werden. Wie bereits im Kapitel über Ursachen und Entstehungsbedingungen beschrieben, handelt es sich bei der AD(H)S um eine biologisch begründbare Störung im Hirnstoffwechsel (Botenstoffwechsel, Transmitterstörung). Dieses ist der Ansatzpunkt der medikamentösen Behandlung mit Stimulanzien (Methylphenidat)oder mit Atomoxetin. Die medikamentöse Behandlung setzt somit an den Wurzeln des
96 Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen? Problems an. Eine medikamentöse Behandlung ist dann notwendig (indiziert), wenn – die Beschwerden (Symptome) stark ausgeprägt sind und in verschiedenen Situationen heftig auftreten. – dadurch die Fähigkeit, den Alltag zu meistern, eingeschränkt ist (eingeschränkte Funktionsfähigkeit, z. B. in der Schule). – trotz ausreichender Elternberatung und Psychotherapie (Selbstinstruktionstechniken) kein ausreichender Erfolg zu verzeichnen ist und die Symptome bestehen bleiben. Wie wirken Stimulanzien? Stimulanzien sind Medikamente, die bestimmte Hirnstrukturen (besonders das Frontalhirn = Stirnhirn) aktivieren, die – wie bereits ausgeführt – unterstimuliert sind. Diese Hirnstrukturen sind für die Impulssteuerung und die Motorik zuständig. Durch Aktivierung dieser Hirnstrukturen kommt es – zu einer Herabsetzung der motorischen Unruhe und auch zu einer Verbesserung der Feinmotorik, was sich unter anderem in einem verbessertem Schriftbild zeigt. Die Abnahme der motorischen Unruhe ist Ausdruck der verbesserten Selbstorganisation, die Kinder sind aber nicht »ruhiggestellt«. Stimulanzien sind keine »Beruhigungspillen«! – zu einer verbesserten Aufmerksamkeit und verminderten Ablenkbarkeit. Infolgedessen können die Schulleistungen besser werden, weil die Kinder ihre eigentlichen Fähigkeiten und Begabungen nutzen können. Stimulanzien sind jedoch keine »Lernpillen«! – zu einer verbesserten Steuerungsfähigkeit sowohl kognitiv (das Denken betreffend) als auch emotional (das Gefühl betreffend). Die Kinder zeigen weniger Stimmungsschwankungen, sind ausgeglichener, werden weniger schnell wütend. Sie sind
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Abbildung 10: Schriftbild vor und nach Methylphenidatgabe
besser in der Lage, ihr Verhalten zu strukturieren und zu organisieren, sie verhalten sich in sozialen Kontakten angemessener. Infolgedessen können sie altersentsprechende Entwicklungsaufgaben (Eigenverantwortlichkeit für Hausaufgaben, Einhalten von Regeln) und soziale Entwicklungsaufgaben (Freundschaften aufbauen und erhalten) besser oder überhaupt bewältigen. Die Kinder werden durch die Medikamente in die Lage versetzt, ihre Entwicklung altersangemessen zu machen, die Medikamente können eine Fehlentwicklung verhindern. Aus diesem Grund sollte auch
98 Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen? möglichst frühzeitig mit der Behandlung begonnen werden. Bei ungefähr 70 % der Patienten zeigen die Stimulanzien eine gute Wirksamkeit. Das am häufigsten verordnete Stimulanz ist Methylphenidat. Verschiedene Präparate stehen zur Verfügung: Ritalin®, Equasym® und Medikinet®. Der Eintritt der Wirkung ist ungefähr 30 bis 45 Minuten nach Einnahme zu beobachten und die Wirkung hält circa zwei bis vier Stunden an. Deshalb müssen manche Kinder mehrmals am Tag Tabletten einnehmen. Immer ist eine individuelle Dosis nötig. Um diese herauszufinden, bedarf es gerade zu Beginn engmaschiger Rücksprachen mit dem behandelnden Arzt unter Einbezug auch derer, die das Kind genau beobachten können (Eltern, Lehrer, Erzieher). Die Substanz Methylphenidat steht als Langzeit-(Retard-)Präparat zur Vefügung, zum Beispiel in Concerta®, Medikinet® ret und Ritalin SR® (Schweiz). Bei den Kindern, die Mehrfachgaben am Tag benötigen, kann dies eine gute Alternative sein, um langfristig eine Einmalgabe zu erreichen. Die genaue Wirkweise von Methylphenidat ist bis heute nicht hundertprozentig bekannt. Es wird angenommen, dass Methylphenidat die Transportereiweiße für den Botenstoff Dopamin blockiert und somit der zu schnelle Rücktransport in die Nervenzelle verhindert wird. Dopamin steht damit länger an der nachfolgenden Nervenzelle zur Verfügung. Stimulanzien sollten in einer Dosierung von 0,3 bis 1,0 mg/kg/KG – dies entspricht etwa einer Tagesdosis von 15 bis maximal 60 mg – gegeben werden. Grundsätzlich ist die erste Gabe am Morgen vor der Schule nötig, etwa eine halbe Stunde nach dem Frühstück. Es ist zu berücksichtigen, dass es leichter zu Bauchschmerzen kommen kann, wenn Stimulanzien auf nüchternen Magen genommen werden. Zu Beginn wird meist mit einer halben Tablette à 10 mg Methylphenidat begonnen und je nach Wirkung gesteigert. Ob Mehrfachgaben am Tag notwendig sind, muss von der
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Dauer der Wirksamkeit und der Ausprägung der Symptome abhängig gemacht werden. Hier ist eine engmaschige Rücksprache zwischen behandelndem Arzt und Eltern und Lehrer notwendig. Meist ist noch eine mittägliche Gabe nötig, um die Hausaufgabensituation zu entspannen. Stimulanzien sollten nach 16.00 Uhr in der Regel nicht mehr gegeben werden, da es sonst zu Schlafstörungen kommen kann. Andererseits gibt es auch Kinder, die am Nachmittag noch Stimulanzien benötigen, um am Abend zur Ruhe zu kommen und nicht zu sehr »aufzudrehen«. Sollte sich im Verlauf der Behandlung herausstellen, dass die Kinder häufige Gaben am Tag brauchen, so ist die Umstellung auf ein Retardpräparat oft hilfreich. Auch bei Kindern, die im Lauf eines Tages sehr unter medikamentös bedingten Schwankungen leiden, ist eine Umstellung auf ein Retardpräparat unter Umständen von Vorteil. Welche unerwünschten Arzneimittelwirkungen (Nebenwirkungen) können auftreten? Grundsätzlich gilt, dass jedes Medikament, das wirkt, auch Nebenwirkungen haben kann. Stimulanzien bilden keine Ausnahme. Glücklicherweise sind die Arzneimittelnebenwirkungen von Stimulanzien bekannt, denn sie werden seit Jahrzehnten erfolgreich eingesetzt. Umstritten ist, ob Stimulanzien zu einer Verstärkung oder Auslösung von Tics führen. Einige Autoren meinen, dass Stimulanzien eine Tic-Erkrankung zum Ausbruch bringen können, andere sehen keinen Zusammenhang zwischen Stimulanzien und Tic-Erkrankungen. Das Auftreten von depressiven Verstimmungen (niedergeschlagene Stimmung mit Traurigkeit, Lustlosigkeit, Antriebslosigkeit) ist in niedrigen Dosierungen sehr, sehr selten. In höheren Dosierungen wird darüber berichtet. Häufig kommt es unter Stimulanzien zu vorübergehender Appetitsminderung während der Wirkzeit. Oft essen die Kinder am Abend dann kompensatorisch mehr. Die Appetitsminderung ist meist nur zu Beginn der Therapie fest-
100 Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen? zustellen. Regelmäßige Gewichtskontrollen sollten jedoch erfolgen. Zu Beginn der Behandlung kann es zu Bauchschmerzen und Übelkeit kommen. Meist geht diese Übelkeit nach wenigen Behandlungswochen vorbei.Viele Kinder beklagen Übelkeit und Bauschmerzen insbesondere dann, wenn die Methylphenidatgabe auf nüchternen Magen erfolgt. Aus diesem Grund sollten Eltern darauf achten, dass das Kind, bevor es Methylphenidat einnimmt, gefrühstückt hat. Gelegentlich kann die Wachstumsrate (Längenwachstum pro Jahr) vermindert sein, jedoch – so haben große Untersuchungen ergeben – haben Stimulanzien auf die Endlänge, also wie groß das Kind letztlich wird, keinen negativen Einfluss. Regelmäßige Körpergrößenkontrollen sind notwendig. In Einzelfällen können Stimulanzien den Blutdruck erhöhen. Aus diesem Grund sind regelmäßige Blutdruckkontrollen nötig, insgesamt ist diese Nebenwirkung jedoch sehr selten. Stimulanzien verursachen keine Abhängigkeit. Dies liegt möglicherweise daran, dass ein euphorischer Effekt, eine belebende und die Stimmung aufheiternde Wirkung bei Kindern und Jugendlichen mit AD(H)S nicht auftritt, sondern es als unerwünschte Arzneimittelwirkung eher zu dysphorischen Stimmungen, depressiven Verstimmungen kommen kann. Grundsätzlich ist dafür Sorge zu tragen, dass die Stimulanzien oder das Rezeptformular nicht in unbefugte Hände geraten. Stimulanzien müssen auf einem bestimmten Formular verordnet werden, auf einem Betäubungsmittelrezept (BtM-Rezept). Für Sie als Eltern ist wichtig zu wissen, dass dieses Rezept – anders als die sonst üblichen – innerhalb von sieben Werktagen eingelöst werden muss. Darüber hinaus verliert es seine Gültigkeit. Welche Kontrollen sind notwendig? Es wurde bereits auf die Notwendigkeit der regelmäßigen Kontrollen von Gewicht, Körpergröße, Blutdruck und Puls hingewiesen. Der
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Hersteller empfiehlt zusätzlich Blutbild- und Leberwertkontrollen, aber auch EKG-Kontrollen vor und während der Behandlung sind zu empfehlen. Neben diesen genannten Kontrollen sollte immer eine Kontrolle der Wirkung erfolgen und eine Überprüfung, ob die Medikamente noch fortgesetzt gegeben werden müssen. Auch ist eine Dosisanpassung bei Wachstum und Gewichtzunahme zu berücksichtigen. Stimulanzien dürfen nicht genommen werden (Kontraindikationen), wenn das Kind oder der Jugendliche unter – hohem Blutdruck (Hypertonus), – Herzrhythmusstörungen, – oder ausgeprägten Schilddrüsenstoffwechselstörungen leidet. Was Sie den behandelnden Arzt über Stimulanzien fragen sollten – Welche Wirkungen und Nebenwirkungen haben Stimulanzien? – Wie dosieren Sie Stimulanzien? – In welchen Abständen müssen wir mit unserem Kind zu Ihnen kommen? – Wann wird ein Auslassversuch gemacht, um zu sehen, ob unser Kind das Medikament noch benötigt? – Kann es zu unerwünschten Wechselwirkungen kommen? – Wer wird die Wirkung beobachten? – Gibt es Alternativen zu Stimulanzien? – Bei welchen Nebenwirkungen würden Sie Stimulanzien absetzen?
Eine mögliche Alternative, wenn Methylphenidat nicht hilft, ist DL-Amphetamin, ebenso ein Stimulanz. Es steht in Deutschland jedoch nicht als Fertigarznei zur Verfügung, sondern muss in Form von Saft oder Kapseln in der Apotheke hergestellt werden. Atomoxetin (Strattera®) ist ebenfalls eine Alternative zu Methylphenidat und seit 2005 in Deutschland zugelassen. In den USA hat es seit 2002 die Zulassung und zahlreiche Kin-
102 Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen? der, Jugendliche und Erwachsene sind bereits mit gutem Erfolg behandelt worden. Vergleichsuntersuchungen von Strattera® zu Methylphenidat zeigten eine ebenso gute Wirksamkeit bezüglich der Abnahme der Impulsivität, der Abnahme der Unruhe und der Verbesserung der Aufmerksamkeit. Der große Vorteil von Strattera® ist, dass eine Einmaldosis ausreicht, das heißt, die Wirkung einer Tablette hält 24 Stunden an und ist noch am Morgen vor der nächsten Einnahme vorhanden, was viele Eltern als sehr entlastend erleben. Das ist bei Methylphenidat leider nicht der Fall, weswegen die Kinder häufig in ihre alten Verhaltensweisen zurückfallen, was für alle Beteiligten – auch für die Kinder – sehr problematisch ist. Wie bereits erwähnt, wird Strattera® als Einmalgabe am Morgen verabreicht. Die Dosis richtet sich wie bei den Stimulanzien auch nach dem Körpergewicht: – Bei Kindern/Jugendlichen bis 70 kg wird eine Dosis von 0,5 bis 1,2 mg/KG empfohlen. – Bei Jugendlichen und bei Erwachsenen mit mehr als 70 kg beträgt die Dosis 40 bis 80 mg/Tag. Welche unerwünschten Arzneimittelwirkungen können unter Strattera® auftreten? Es kann zu einer Appetitsminderung kommen. Ferner können der Blutdruck und die Herzfrequenz ansteigen. Aus diesem Grund sind regelmäßige Blutdruckkontrollen nötig. Insgesamt scheinen die unerwünschten Arzneimittelwirkungen geringer ausgeprägt zu sein als unter Stimulanzientherapie. Eine Gefahr der Suchtentwicklung besteht nicht. Ein Betäubungsmittelrezept ist nicht erforderlich. In einer Untersuchung, die die Wirksamkeit von Stimulanzienbehandlung mit einer Behandlung mit Strattera® verglich, stellte sich heraus, dass Strattera® genauso gut wirksam ist bezüglich der Herabsetzung von Impulsivität (verbesserte Steuerungsfähigkeit), Herabsetzung der motorischen Unru-
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he und der Verbesserung der Aufmerksamkeit. Die Vorteile von Strattera® sind: – Einmalgabe; – gute Verträglichkeit, wenig unerwünschte Arzneimittelwirkungen; – keine Gefahr der Abhängigkeitsentwicklung; – kein BtM-Rezept; – gleich gute Wirksamkeit wie Methylphenidat.
■ Wo finden Sie sonst noch Hilfe? Erster Ansprechpartner ist oft der Kinderarzt oder der Hausarzt. Für weitere gezieltere Untersuchungen ist meist die Vorstellung bei einem Kinder- und Jugendpsychiater, der sich mit AD(H)S auskennt, erforderlich. Erkundigen Sie sich deshalb vorher, ob der von Ihnen ausgesuchte Facharzt mit dem Störungsbild AD(H)S Erfahrung hat. Oft ist eine Zusammenarbeit mit einem Psychologen, insbesondere für die Verhaltensdiagnostik und -therapie, nötig. Neben in freier Praxis tätigen Kinder- und Jugendpsychiatern können auch Institutsambulanzen (Universitätskliniken, Fachkrankenhäuser, Polikliniken), Erziehungsberatungsstellen und Schulpsychologen Anlaufstellen sein. Von den jeweiligen örtlichen Bedingungen wird es abhängig sein, ob sie die Untersuchung und Therapie selbst durchführen oder aber Ihnen Adressen von kompetenten Kollegen geben. Adressen von Kinder- und Jugendpsychiatern oder von kinder- und jugendpsychiatrischen Ambulanzen, sozialpädiatrischen Zentren sind über die kassenärztlichen Vereinigungen, Gesundheitsämter, Krankenkassen oder Jugendämter zu erfragen. Selbsthilfeorganisationen oder Elterninitiativen können Ihnen Auskunft geben, wer vor Ort helfen kann.
104 Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen? ■ Wer bezahlt die Untersuchungen und Behandlungen? Die Kosten für die Untersuchungen bei einem Kinder- und Jugendpsychiater, sofern er eine Kassenarztzulassung hat, werden von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Ebenso werden die Kosten für die medikamentöse Behandlung und/oder die Psychotherapie, sofern sie bei einem Psychotherapeuten erfolgt, der die Kassenzulassung hat, von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Immer, wenn eine medikamentöse Behandlung mit Stimulanzien oder anderen Medikamenten erfolgen soll, sollte sie ein Facharzt mit spezifischen Kenntnissen zum Störungsbild AD(H)S durchführen. Ein unreflektiertes Ausfüllen ungezählter Folgerezepte von Stimulanzien von einem Arzt, der auf diesem Gebiet nicht spezialisiert ist, ist aus Sicht der Autoren nicht zu verantworten. Ergänzende Therapien wie Sprachheiltherapie (Logopädie), Ergotherapie oder Krankengymnastik sind ebenfalls Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse. Bei Vorliegen von Teilleistungsschwächen, zum Beispiel Lese- und Rechtschreibschwäche oder Rechenschwäche, die eine gesonderte Behandlung notwendig machen, ist der Kostenträger das zuständige Jugendamt. Es muss eine Antragsstellung nach § 35a Kinder- und Jugendhilfsgesetz (KJHG) und §§ 39/40 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) erfolgen. Das Gleiche gilt für die Behandlung mit Psychomotorik. Weitere Unterstützungsmöglichkeiten für Familien können über das zuständige Jugendamt beantragt werden, wie zum Beispiel der Einsatz eines Familienhelfers. Sind über ambulante Maßnahmen hinausgehende Hilfen erforderlich, so können bei Kindern und Jugendlichen teilstationäre Maßnahmen wie der Besuch einer Tagesgruppe angeregt werden. Die Kinder gehen nach der Schule in eine heilpädagogische Einrichtung, in der sie bis zum frühen Abend umfassend von Fachkräften betreut werden. Kosten-
106 Wie kann man AD(H)S-Kindern wirksam helfen? träger ist bei diesen Maßnahmen das Jugendamt. Die Eltern müssten sich in Zusammenarbeit mit dem behandelnden Arzt oder Psychologen an den zuständigen Jugendamtsmitarbeiter wenden. Nur in Ausnahmefällen ist eine stationäre Behandlung erforderlich. Kinder- und jugendpsychiatrische stationäre Einrichtungen sind rar. Es sollte darauf geachtet werden, dass eine stationäre Behandlung möglichst wohnortnah erfolgt, damit eine engmaschige Einbindung der Eltern in die Behandlung möglich ist. Die Kosten für eine stationäre Behandlung werden ebenfalls von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Ausnahmsweise können auch stationäre Jugendhilfsmaßnahmen erfolgen. Das Kind oder der Jugendliche wird für eine bestimmte Zeit, zum Beispiel für ein bis zwei Jahre, in eine heilpädagogische Einrichtung mit umfassender pädagogischer und psychologischer Betreuung aufgenommen. Kostenträger ist dafür das zuständige Jugendamt. Mit Hilfe des zuständigen Jugendamtsmitarbeiters erfolgt die Auswahl der in Frage kommenden Einrichtung. Wann immer derartig einschneidende Hilfestellungen nötig werden, ist grundsätzlich das betreffende Kind oder der Jugendliche in den Entscheidungsprozess einzubeziehen.
■ Welche rechtlichen Fragen müssen Sie berücksichtigen? Wenn Jugendliche mit AD(H)S straffällig werden, stellt sich die Frage der Schuldfähigkeit. Auch rechtliche Aspekte, wenn es um die Führerscheinprüfung oder das Führen eines Kraftfahrzeuges unter Stimulanzientherapie geht, sind von großer Bedeutung. Bei AD(H)S-Betroffenen besteht ein erhöhtes Unfallrisiko im Straßenverkehr. In den Bestimmungen zum Erwerb der Fahrerlaubnis sind
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psychiatrische Erkrankungen genannt, die den Erwerb ausschließen. AD(H)S ist nicht aufgeführt. Grundsätzlich ist also anzunehmen, dass AD(H)S-Betroffene zum Führen eines Kraftfahrzeuges rechtlich fähig sind. Jedoch stellt sich die Frage, ob AD(H)S-Betroffene, die mit Methylphenidat behandelt werden, fahren dürfen. Es muss davon ausgegangen werden, dass diese Patienten im Vergleich zu unbehandelten Patienten eine verbesserte Verkehrsfähigkeit aufweisen. Dies ist insofern nicht verwunderlich, denn gerade im Straßenverkehr ist aufmerksames, ruhiges und besonnenes Handeln nötig. Impulsives Drauflosfahren ist unter Umständen lebensgefährlich. Nicht erst beim Erwerb des Führerscheins ist an die Verkehrssicherheit von AD(H)S-Betroffenen zu denken. Schon im Kindes- und Jugendalter sollten die Betroffenen über die erhöhte Unfallgefahr informiert werden und zum Beispiel auf das Tragen des Fahrradhelmes nachdrücklich hingewiesen werden. Zum Schluss noch ein paar Worte zum Betäubungsmittelrezepte (BtM) und zum Verreisen: Gelegentlich kann es zu Problemen kommen, wenn bei längeren Auslandsaufenthalten eine größere Menge betäubungsmittelpflichtiger Arzneimittel mitgeführt werden muss, so zum Beispiel Methylphenidat. Es ist dann notwendig, sich vor Reiseantritt eine Bescheinigung für das Mitführen von Betäubungsmitteln im Rahmen einer ärztlichen Behandlung vom Arzt geben zu lassen (Artikel 75 des Schengener Durchführungsabkommens).
■ Wie erleben sich Kinder und Jugendliche mit AD(H)S? Die folgenden Fallbeispiele entstammen aus eigenen Behandlungen, Namen und personenspezifische Details wurden geändert, um eine Identifikation nicht zu ermöglichen. Fallbeispiel 1: Sebastian, acht Jahre, wurde vorgestellt, weil er in der Schule häufig abgelenkt sei, sich schlecht konzentrieren könne, Mühe habe, eine Sache zu beenden, häufig dazwischenrede, bei Nichtgelingen schnell aufgebe, schnell frustriert sei, keine Geduld und Ausdauer habe, einen raschen Stimmungswechsel zeige. Er könne Gefahren schlecht einschätzen, auch im Straßenverkehr halte er sich nicht an die Regeln. Im Gleichaltrigenkontakt habe er keine festen Freunde, im Fußballverein war er nicht integriert. Die Lehrerin berichtet, dass es Sebastian sehr schwer falle, in den Linien zu schreiben, auch würde er häufig nur unleserlich schreiben und nicht bei der Sache bleiben. Bisherige Entwicklung von Sebastian: Sebastian lebt bei seinen leiblichen Eltern, er hat keine Geschwister, der Vater ist ganztags, die Mutter halbtags berufstätig, im Kindergarten sei Sebastian bereits durch seine Lebhaftigkeit aufgefallen, auch habe er sich dort schlecht in die Gruppe integrieren können, wollte immer im Mittelpunkt stehen, habe sich strukturierten Angeboten entzogen und Anforderungen widersetzt. Als jüngeres Kind habe Sebastian häufig Unfälle gehabt, da er Gefahren nicht einschätzen konnte. Bei den durchgeführten Untersuchungen fielen Beeinträchtigungen im Bereich der Feinmotorik und der Koordination auf. Bei der psychologischen Untersuchung gelang es Sebastian kaum, die Aufgaben konzentriert zu bearbeiten, er unterbrach sich häufig, brauchte sehr viel Außenstrukturierung, mit zunehmender Untersuchungsdauer fiel eine motorische Unruhe auf. Dennoch erreichte er durchschnittliche Ergebnisse im Begabungstest, im Aufmerksamkeitstest waren die Leistungen unterdurchschnittlich, es zeigten sich erhöhte Schwankungen, ein gleichmäßiges Arbeiten war nicht möglich. Der Rechtschreibtest war durchschnittlich, es lag kein Hinweis für das Vorliegen einer Legasthenie vor. Da es bei Sebastian auch zu motorischen Problemen gekommen war, wurde zunächst eine Psychomotorikgruppe verordnet, auch um
Wie erleben sich Kinder mit AD(H)S? 109 die soziale Integrationsfähigkeit zu erlernen. Da Sebastian im weiteren Verlauf immer mehr in eine Außenseiter- und Sündenbockrolle geriet, er trotz guter Begabung schlechte Schulleistungen zeigte, wurde neben der Aufnahme einer Verhaltenstherapie eine Stimulanzientherapie durchgeführt. Unter den Therapien kam es zu einer verbesserten Konzentrationsleistung, Sebastian zeigte im weiteren Verlauf gut durchschnittliche Schulleistungen. Eine Integration im Sportverein war möglich, die Stimmungsschwankungen ließen deutlich nach, sowohl zu Hause als auch in der Schule war eine positive Entwicklung zu verzeichnen. Da Sebastian mehrere Einzeldosen von Methylphenidat am Tag benötigte, wurde auf ein Retardpräparat umgestellt. Parallel wurde die Verhaltenstherapie fortgesetzt. Fallbeispiel 2: Simon war neun Jahre alt, als ich ihn kennenlernte, und er wurde mir von einem Psychologen überwiesen, dem aufgefallen war, dass Simon häufig abgelenkt war und sehr verträumt wirkte. Der Psychologe befürchtete, dass bei Simon eine kindliche Anfallsform (Absencen) vorläge. Zusätzlich sei Simon in der Schule durch vermehrte Unruhe und verminderte Konzentration aufgefallen. Eine Absencen-Epilepsie konnte ausgeschlossen werden. Die Mutter von Simon berichtet, dass von Seiten der Schule wiederholt Klagen über vermehrte Ablenkbarkeit, vermehrte Unruhe und verminderte Aufmerksamkeit geäußert werden. In der Einzelsituation zu Hause sei Simon gut steuerbar, wobei die Mutter einräumte, dass sie ihm sehr klare Strukturen setzen müsse. Aus der Vorgeschichte war bekannt, dass es bei Simon zu einer motorischen Entwicklungsbeeinträchtigung gekommen war, weswegen er bereits eine psychomotorische Übungsbehandlung erhalten hatte. Bei den psychologischen Untersuchungen zeigte Simon eine erhebliche Impulsivität und Misserfolgsorientierung sowie eine ausgeprägte motorische Unruhe. Zunächst wurde Simon weiter in einer Psychomotorikgruppe behandelt, um die Integrationsfähigkeit zu fördern, ferner erhielt er Verhaltentherapie zum Erlernen von Selbstinstruktionen. Trotz dieser Therapiemaßnahmen kam es weiterhin zu Klagen von Seiten der Schule und Simon zeigte in der Schule zunehmend eine verminderte Leistungsfähigkeit, was ihn erheblich beeinträchtigte und frustrierte, so dass es zu Schulunlust und zu Verweigerungen kam. Verschärft wurde die Situation dadurch, dass Simon immer mehr in eine Außenseiterposition geriet. Aus diesem Grund wurde eine Stimulanzienbehandlung überlegt und begonnen, auf die Simon gut reagiert
110 Wie erleben sich Kinder mit AD(H)S? hat. Anfängliche Kopf- und Bauchschmerzen waren nach einigen Wochen kein Problem mehr. Es zeigte sich sowohl in Bezug auf die Schulleistungen als auch in Bezug auf die Integration im Gleichaltrigenverband eine positive Entwicklung. Fallbeispiel 3: Melanie war ein neunjähriges Mädchen, als ich sie kennenlernte. Sie kam, weil es Probleme in der Schule im Fach Deutsch, insbesondere beim Lesen, aber auch im Fach Mathematik gab. Ferner war der Lehrerin und den Eltern aufgefallen, dass Melanie von jeher sehr unruhig und impulsiv war. Im Gleichaltrigenverband war sie gut integriert, wenngleich ihr das Sichunterordnen schwerfiel und sie gern über andere Kinder bestimmen wollte. Dennoch war sie eine beliebte Spielkameradin, da sie durch Ideenreichtum und Phantasie auffiel. Bei den psychologischen Untersuchungen fiel eine ausgeprägte Lese- und Rechtschreibschwäche sowie eine Rechenschwäche auf, so dass eine kombinierte Legasthenie-Dyskalkulie-Therapie erforderlich wurde. Zunächst hatten wir alle gehofft, dass sich durch die Behandlung der ausgeprägten Teilleistungsschwächen, die ebenfalls zu Unruhe und Impulsivität führen können, die beklagten Aufmerksamkeitsstörungen mindern ließen. Diese Hoffnung erfüllte sich jedoch nicht. Trotz Besserung der Lese- und Rechtschreibschwäche und der Rechenschwäche blieben die Unruhe und Impulsivität sowie die Aufmerksamkeitsstörung bestehen. Auch zu Hause war Melanie im Lauf der Zeit bei der Anfertigung ihrer Hausaufgaben zunehmend misserfolgsorientiert. Bei anderen Aufgaben zeigte sie ebenfalls eine verminderte Ausdauer und eine erhöhte Ablenkbarkeit. Trotz ausreichender Behandlung der Legasthenie und Dyskalkulie und Aufnahme einer Verhaltenstherapie gelang es Melanie nicht, ihre Aufmerksamkeit zu fokussieren, so dass eine medikamentöse Behandlung mit Stimulanzien eingeleitet wurde. Darunter kam es zu einer deutlichen Besserung der Steuerungsfähigkeit, zu einer verbesserten Aufmerksamkeit und der Abnahme der Unruhe. Melanie erhielt insgesamt über einen Zeitraum von vier Jahren eine Stimulanzientherapie, die Dosis wurde entsprechend an das Körpergewicht angeglichen, jährliche Auslassversuche in den Ferien zeigten immer noch sehr deutlich, dass Melanie ohne Stimulanzien sehr impulsiv und vermehrt unruhig war. Nach vierjähriger medikamentöser Behandlung, eingebettet in ein Therapiekonzept mit Behandlung der Teilleistungsschwächen und Verhaltenstherapie, konnten die Stimulanzien abgesetzt werden. Die Auf-
Wie erleben sich Kinder mit AD(H)S? 111 merksamkeit und Steuerungsfähigkeit waren unauffällig, die Integration in der Schule blieb weiterhin ohne Klagen, die Schulleistungen blieben auch nach Absetzen der Stimulanzien auf gleichem Niveau. Die inzwischen 14-jährige Schülerin besucht derzeit ohne Auffälligkeiten mit durchschnittlichen Leistungen die Schule und ist emotional ausgeglichen. Fallbeispiel 4: Der achtjährige Oliver wurde mir wegen erheblicher Schulprobleme mit Aufmerksamkeitsstörung, vermehrter Ablenkbarkeit, Stören des Unterrichts und Verweigerung insbesondere im Fach Deutsch vorgestellt. Auch zu Hause war Oliver durch eine motorische Unruhe von jeher auffällig. Die Mutter beschrieb ihn als »Tobekind für draußen«. Sie selbst gab an, dass Oliver einen »festen Tagesablauf« benötige, sonst ginge alles schief. Auch im Kindergarten sei Oliver schon durch Lebhaftigkeit aufgefallen, habe sich bei offenem Kindergartenkonzept aber »durchgewuselt«. Zusätzlich belastend sei in der Schule das Fach Deutsch, da er in der Rechtschreibung große Probleme habe. Deutschförderunterricht habe er bereits regelmäßig gehabt, dennoch mache er weiterhin viele Fehler beim Schreiben. Zusätzlich sei der Mutter aufgefallen, dass Oliver sehr unruhig schlafe, laut schnarche und nachts schwitze. Oliver lebt mit seinem fünf Jahre jüngerem Bruder bei seinen Eltern, die beide ganztags berufstätig sind. Er besuchte die Grundschule, von Seiten der Schule waren Probleme bezüglich der Aufmerksamkeit und im Fach Deutsch beklagt worden. Bei der Untersuchung fiel eine ausgeprägte Mundatmung auf. Bei Angabe des unruhigen Schlafes mit Schnarchen und Schwitzen wurde zunächst in einem Schlaflabor ein Schlaf-Apnoe-Syndrom (Atemausetzer während des Schlafes) ausgeschlossen. Bei den psychologischen Untersuchungen zeigte sich eine ausgeprägte Lese- und Rechtschreibschwäche sowie eine deutliche Konzentrations- und Aufmerksamkeitsminderung. Zunächst wurde eine kombinierte Behandlung aus Legasthenietherapie und Verhaltentherapie begonnen, da jedoch auch in den Einzeltherapien die Aufmerksamkeitsstörung so ausgeprägt war, dass Oliver aus den Therapien keinen ausreichenden Nutzen ziehen konnte, wurde sich für eine Stimulanzientherapie entschieden. Diese wurde mit guter Wirksamkeit und ohne unerwünschte Nebenwirkungen durchgeführt. Oliver konnte im weiteren Verlauf von den begonnenen Therapien deutlich besser profitieren, so dass seine Schulleistungen gut durchschnittlich wurden und sich auch die Verhaltensauffälligkeiten,
112 Wie erleben sich Kinder mit AD(H)S? insbesondere die starken Stimmungsschwankungen und die Unruhe, besserten. Fallbeispiel 5: Markus war zwölf Jahre alt, als ich ihn kennenlernte. Die Vorstellung erfolgte, weil die Eltern hilflos bezüglich der weiteren Beschulung waren. Sie selbst wussten, dass Markus ein pfiffiger und aufgeweckter Junge ist, aber in der Schule zeigte er seit der dritten Grundschulklasse nur knapp ausreichende Leistungen, so dass eine Beschulung auf der Realschule oder gar auf dem Gymnasium von Seiten der Schule abgelehnt wurde. In der Entwicklung von Markus zeigte sich insbesondere in Gruppensituationen eine vermehrte Ablenkbarkeit und Unruhe. Die Mutter berichtete, dass bereits die Erzieherin im Kindergarten Markus als »Temperamentsbündel« beschrieben hätte. Zu Hause kämen sie mit ihm gut klar, zumal er viele Hobbys und Interessen habe, denen er motiviert nachginge. So lernt er zwei Musikinstrumente, ist im Sportverein gut integriert und zeigt dort beste Leistungen. Wegen der fehlenden Motivation bei schulbezogenen Dingen und Schulunlust hatten die Eltern Markus ab der vierten Klasse psychotherapeutisch behandeln lassen, wobei Markus dieser Behandlung eher ablehnend gegenüberstand. Dennoch ist er für die Dauer von zwei Jahren zweimal wöchentlich zu einer Spieltherapie gegangen. Dort sei er im Einzelkontakt nicht auffällig gewesen, seine Phantasie und sein Ideenreichtum wurden beschrieben. Unverändert bestand jedoch die Schulunlust und zunehmend kam das Verweigern der Hausaufgaben hinzu, so dass die Eltern die Anfertigung der Hausaufgaben kontrollieren mussten. Markus wirkte sehr aufgeschlossen, freundlich und kooperativ, bei der psychologischen Untersuchung im Einzelkontakt zeigte sich eine nur geringe Ablenkbarkeit, jedoch eine deutlich verminderte Daueraufmerksamkeit. Lehrer beschrieben Markus als »verträumten«, »schusseligen« Jungen, der oft »wie abwesend« dasäße, lustlos und wenig motiviert sei. Markus selbst gab an, dass er vieles im Unterricht »einfach nicht mitbekäme«, ihm falle es schwer zuzuhören, wenn er kein Interesse habe. Gleichzeitig wünschte er, dass er bessere Leistungen zeigen könnte, zumal er gern auf das Gymnasium gehen würde. Zunächst wurde eine Verhaltenstherapie mit Vermittlung von Lernstrategien versucht, diese zeigte keinen ausreichenden Erfolg. Erst der Einsatz von Stimulanzien ermöglichte es Markus, dem Unterrichtsgeschehen aufmerksamer zu folgen. Seine Schulleistungen ver-
Wie erleben sich Kinder mit AD(H)S? 113 besserten sich drastisch, so dass innerhalb von einem Jahr ein Wechsel zum Gymnasium möglich war. Der weitere Verlauf zeigte, dass Markus ein gut durchschnittlicher Schüler wurde. Zwei Auslassversuche scheiterten, so dass erst nach vier Jahren Stimulanzientherapie die medikamentöse Behandlung beendet werden konnte. Auch im weiteren Verlauf zeigten sich keine Konzentrationsstörungen mehr.
■ Anhang
■ Tipps für Eltern – Sprechen Sie mit dem Arzt oder der Ärztin über die Erkrankung und speziell über eine umfassende medizinische und neuropsychologische Untersuchung. – Beobachten Sie Ihr Kind genau. Verwenden Sie Beobachtungsbögen und notieren Sie sich, in welchen Situationen das Kind besonders unruhig, impulsiv und unaufmerksam ist. Beobachten Sie aber auch Situationen, in denen Ihr Kind ruhig und aufmerksam ist. – Denken Sie darüber nach und notieren Sie sich, wie Sie auf das störende Verhalten Ihres Kindes reagieren. Formulieren Sie Regeln? Wie oft wiederholen Sie Ihre Aufforderungen? Geben Sie auf oder sind Sie konsequent? – Prüfen Sie, ob sich alle Bezugspersonen im Hinblick auf die Erziehung des Kindes einig sind. – Nehmen Sie Ihr Kind ernst, verstehen Sie, dass es unter einer Erkrankung leidet und sagen Sie ihm, dass Sie ihm helfen werden. – Unterbrechen Sie unangemessenes Verhalten zu Hause mit kurzen Aufforderungen (z. B. »Stopp, Peter«) und – ganz wichtig – loben Sie das Kind, wenn es entsprechend positiv reagiert. Verwenden Sie in Absprache mit dem Kind Tokens (z. B. Büroklammern), mit denen Sie das Kind belohnen oder maßregeln. So erhält das Kind beispielsweise pro Tag 15 Klammern und kann bei adäquatem Verhalten neue dazugewinnen, bei störendem Verhalten werden ihm welche abgenommen. – Achten Sie auf ausreichenden und regelmäßigen Schlaf, einen geregelten Tagesablauf, frische Luft und vor allem Be-
116 Anhang wegung. Achten Sie auf ausgewogene Ernährung. Vermeiden Sie zu viel Reizüberflutung (TV, PC). – Fördern Sie das Selbstbewusstsein Ihres Kindes, in dem Sie ihm kleine Aufgaben übertragen und es für eine entsprechende Erledigung loben. – Fördern Sie die Kontakte mit den Gleichaltrigen und dem »Sorgenkind«, zum Beispiel indem Sie gemeinsame Spiele vorschlagen. – Und das Wichtigste: Haben Sie keine Angst vor Konsequenzen! Ein kurzes »Stopp« oder »Super« wirkt Wunder. Vereinbaren Sie mit dem Kind klare Konsequenzen für das Einhalten oder Nichteinhalten der Regeln.
■ Tipps für Lehrerinnen und Lehrer Der wichtigste Schritt ist die Mithilfe bei der ärztlichen Diagnose. Besteht bei einem Schüler der Verdacht auf AD(H)S, sollten sich die Eltern vom Hausarzt oder Kinderarzt eine Überweisung an einen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Verhaltenstherapie) oder an einen Kinder- und Jugendpsychiater ausstellen lassen. Die Beobachtungen der Lehrerinnen sind für die Eltern und den Arzt eine sehr wichtige Informationsquelle, da das Verhalten der Kinder in der strukturierten Situation des Unterrichts deutlich von seinem Verhalten zu Hause abweichen kann. Die Diagnose AD(H)S ist nur durch umfassende neuropsychologische und medizinische Untersuchungsverfahren möglich. Liegt eine schwere AD(H)S-Erkrankung vor, wird vielleicht von dem behandelten Arzt ein Medikament (z. B. Medikinet®, Ritalin® ) verschrieben. In Absprache mit den Eltern kann es manchmal hilfreich sein, dass die Lehrerin das Kind an die Einnahme der Medikamente erinnert. Häufig stellen sich Schulprobleme trotz AD(H)S nicht extrem dar. Erst nach einem Lehrerwechsel ergeben sich
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manchmal Probleme, da der neue Lehrer anders, vielleicht weniger konsequent mit dem AD(H)S-Kind umgeht. Die folgenden Tipps sollen Lehrerinnen und Lehrern aufzeigen, wie sie dem AD(H)S-Kind helfen und so auch das Behandlungskonzept von Verhaltenstherapeuten unterstützen können. – Sprechen Sie mit den Eltern über die Erkrankung und über Verhaltensauffälligkeiten; lassen Sie sich insbesondere berichten, in welchen Situationen das Kind aufmerksam ist. – Beobachten Sie das Kind im Unterricht. Achten Sie dabei nicht nur auf negative, sondern insbesondere auch auf positive Verhaltensmuster. – Sprechen Sie mit dem Kind allein. Teilen Sie nach Rücksprache mit den Eltern mit, dass Sie über die chronische Krankheit des Kindes informiert sind und dass Sie ihm helfen wollen. – Unterbrechen Sie unangemessenes Verhalten während des Unterrichtes (z. B. mit einem kurzen »Stopp«) und loben Sie das Kind, wenn es entsprechend positiv reagiert. – Verwenden Sie in Absprache mit dem Kind Tokens (z. B. Büroklammern), mit denen Sie das Kind belohnen oder maßregeln. Das Kind erhält zum Beispiel vor dem Unterricht 15 Klammern und kann bei adäquatem Verhalten neue dazugewinnen, bei störendem Verhalten werden ihm welche abgenommen. Die Tokens werden in Absprache mit den Eltern zu Hause in Sozialaktivitäten umgesetzt. – Zur Verbesserung der Klassensituation führen Sie in einer Stunde spielerisch mit der gesamten Klasse ein »TokenSpiel« durch. Bilden Sie zwei Gruppen und spielen Sie ein Konzentrationsspiel. Verteilen Sie beispielsweise Tokens für Regeleinhaltung (nicht dazwischenreden, sich gegen-
118 Anhang seitig anschauen). Mit einem Klassen-Konzentrationsspiel soll das AD(H)S-Kind mit seinem Problem sozial integriert werden. – Fördern Sie zudem die Kontakte mit den Gleichaltrigen und dem »Sorgenkind«, zum Beispiel indem Sie gemeinsame Spiele vorschlagen. – Einzelunterricht oder eine Auszeit (z. B. zwei Wochen keine Schule) sind lernpsychologisch ungünstig. Das Kind wird für sein störendes Verhalten belohnt. – Und das Wichtigste: Haben Sie keine Angst vor Konsequenz! Ein kurzes »Stopp« oder »Super« wirkt Wunder. Vereinbaren Sie mit dem Kind klare Konsequenzen für das Einhalten oder Nichteinhalten der Regeln. Hier einige Beispiele für Regeln im schulischen Miteinander: – Ich denke erst nach, dann rede ich. – Ich lasse die anderen ausreden. – Ich beteilige mich am Unterrichtsgeschehen. – Ich störe nicht, indem ich einfach in die Klasse rufe oder aufstehe und durch die Klasse laufe. – Ich lasse keine Arbeiten halb fertig liegen. – Ich arbeite ordentlich und schmiere nicht, sondern schreibe leserlich. – Ich sehe jeden an, der mit mir redet. – Ich lache niemanden aus. – Ich nehme die Meinung der anderen ernst und akzeptiere sie. – Ich helfe anderen. – Zur Steuerung der Zappeligkeit und des Bewegungsdranges erteilen Sie dem Kind gezielte Aufträge und Besorgungen. Erlauben Sie weniger auffällige Tätigkeiten wie das Spielen mit dem Radierer oder Malen und Kritzeln. Dies fördert durch seinen zusätzlichen Stimulationsgehalt die Konzentrationsfähigkeit. – Sprechen Sie laufend und gezielt an. Kündigen Sie Fragen
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vorher an. Dieses Vorgehen baut die Aufmerksamkeit auf und erhält sie. Ein gezielter Blick- und/oder Körperkontakt schafft momentane Aufmerksamkeit, zum Beispiel für Unterrichtsbeiträge. Formulieren Sie Einzelanweisungen und Aufträge kurz und klar. Das hilft, das »innere Chaos« zu überwinden und Strukturen zu erkennen. Loben Sie das Kind, den Jugendlichen, vor allem bei Teilerfolgen und Fortschritten. Das motiviert zur Leistungssteigerung. Akzeptieren und loben Sie die Kreativität und Phantasie des Kindes oder des Jugendlichen, um zur Stärkung des Selbstwertgefühls beizutragen. Stellen Sie klare Normen- und Sanktionskataloge für Fehlverhalten auf und halten Sie diese konsequent ein. Dies führt im Lauf der Zeit zur »Konditionierung« und hilft dem Kind langfristig, sich an Regeln zu halten.
Tipps und Tricks zum wirkungsvollen Stellen von Aufforderungen im Unterricht: – Stellen Sie nur Aufforderungen, wenn Sie bereit sind, diese auch durchzusetzen. – Verhindern Sie, dass das Kind, der Jugendliche durch andere Dinge abgelenkt wird, wenn Sie eine Aufforderung geben. – Äußern Sie die Aufforderung eindeutig und nicht als Bitte. – Geben Sie immer nur eine Aufforderung auf einmal. – Bitten Sie das Kind, den Jugendlichen, die Aufforderung zu wiederholen. – Unterstützen Sie das Kind, den Jugendlichen, indem Sie ihm eine entsprechende Rückmeldung geben. Selbst kleine Fortschritte sollen Anerkennung finden.
120 Anhang Tipps und Tricks zum Aufbau positiver Interaktionen: – Richten Sie sich Zeiten ein, in denen Sie kurz oder länger mit dem Kind, dem Jugendlichen allein sprechen können (Pausenaufsicht, Sondertermine). – Sprechen Sie über die Vorlieben, Interessen, Freizeitaktivitäten des Kindes oder des Jugendlichen. – Sagen Sie ihm, was Ihnen gut an ihm gefällt. – Welche positiven Verhaltensweisen fallen Ihnen im Unterricht auf? (Tagebuch zur Selbstschulung) – Geben Sie am Ende des Unterrichtes eine kurze Rückmeldung (maximal zwei Minuten): ein Satz zum problematischen Verhalten; der Rest zu positiven Ansätzen, auch Anstrengung zählt.
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■ Adressen von Selbsthilfegruppen Informationen zum AD(H)S und Adressen von Selbsthilfegruppen erhalten Sie über: Deutschland Bundesverband Aufmerksamkeitsstörung/Hyperaktivität e.V. Postfach 60, 91291 Forchheim www.osn.de/user/hunter/badd.htm http://by-ah.nanugruppe.de Tel.-Nr. 0919/ 704260 Bundesarbeitsgemeinschaft zur Förderung der Kinder und Jugendlichen mit Teilleistungsstörungen (MCD/HKS) e.V. Wendelinstraße 64, 50933 Köln www.bag-tl.de Tel.-Nr. 0221/ 4972719 Bundesverband Arbeitskreis überaktives Kind e.V. Beratungsstelle, Postfach 410724 Dietrichsstraße 9, 30159 Hannover www.bv-auek.de Tel.-Nr. 0511/ 363 2729 Fax-Nr. 0511/ 363 2772
Österreich ADAPT-Arbeitsgruppe zur Förderung von Personen mit AD(H)S und Teilleistungsschwächen Landstraßer Hauptstraße 84, 1030 Wien www.adapt.at
122 Anhang Schweiz Elpos – Verein für Eltern und Bezugspersonen von Kindern sowie Erwachsenen mit POS/AD(H)S Postfach 16, 4812 Mühletal www.elpos.ch
■ Erklärung der Fachausdrücke AD(H)D
AD(H)S Atomoxetin Belohnungssystem
Diagnostik Defizit depressiv dissozial Dyskalkulie EEG emotional Epilepsie euphorisierend Frontalhirn genetisch Impulsivität Instruktionen irrational kognitiv Komorbidität Koordination Legasthenie
»attention defizit (hyperactivity) disorder«, englische Bezeichnung für Aufmerksamkeitsstörung mit oder ohne Hyperaktivität Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung Medikament zur Behandlung von AD(H)S, der Handelsname ist Strattera® Für ein gewünschtes Verhalten bekommt das Kind eine Belohnung nach fest vereinbarten Regeln, die Rückmeldungen erfolgen unmittelbar, wenn das Kind dieses Verhalten zeigt. Meist werden zunächst Token (Tauschverstärker) verteilt, bei einer bestimmten Anzahl werden diese Token gegen eine Belohnung eingetauscht. Untersuchung Mangel traurig, herabgestimmt gegen gesellschaftliche Regeln, Normen und Gesetze verstoßend Rechenschwäche Elektroenzephalogramm, Ableitung der Hirnströme gefühlsmäßig Krampfleiden die Stimmung belebend und erheiternd Stirnhirn die Vererbung betreffend plötzliches, voreiliges Handeln Anweisungen unvernünftig das Denken betreffend gleichzeitiges Auftreten verschiedener Erkrankungen Abstimmung der Bewegungen untereinander Lese- und Rechtschreibschwäche
124 Erklärung der Fachausdrücke Motivation motorisch multimodale Therapie Methylphenidat
Muskeltonus Neurotransmitter
oppositionelles Verhalten Prognose Psychomotorikbehandlung Selbstinstruktionen
soziale Kompetenzen
Symptome Therapie Tic Time-out Tourette-Syndrom Verhaltenstherapie
Beweggrund die Bewegung betreffend Kombination verschiedener Therapiemaßnahmen, zum Beispiel medikamentöse Therapie und Verhaltenstherapie Stimulanz, Medikament zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, zum Beispiel Equasym®, Ritalin®, Medikinet® Anspannung der Muskeln Überträgerstoff im Nervensystem, die bei der Erregungsweiterleitung wichtig sind, zum Beispiel Dopamin und Noradrenalin Verweigerungsverhalten Vorhersage Bewegungsübung unter besonderer Berücksichtigung der seelischen Befindlichkeit sprachliche Anweisungen, die man sich selbst gibt, um das eigene Handeln zu steuern. Die Anweisungen können laut oder nur in Gedanken zu sich gesprochen werden. Fertigkeiten, soziale Kontakte aufzunehmen und aufrechtzuerhalten, Wünsche und Kritik zu äußern, Ärger zu kontrollieren und angemessene Konfliktlösungsmöglichkeiten zu finden Krankheitszeichen und Beschwerden Behandlung nicht vom Willen gesteuerte Muskelzuckungen (motorische Tics) Auszeit, das Kind oder der Jugendliche wird aus der Situation genommen motorische (die Muskeln betreffende) und sprachliche Tics gleichzeitig auftretend eine auf das Verhalten Einfluss nehmende Psychotherapieform
■ Literatur Aust-Claus, E., Hammer, P.-M. (1999). Das ADS-Buch – Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom. Neue Konzentrationshilfen für Zappelphilippe und Träumer (2. Aufl.). Ratingen: Oberstebrink. Barkley, R. A. (2002). Das große AD(H)S-Handbuch für Eltern. Bern: Hans Huber. Barkley, R.A. (1997). Defiant children. A clinician’s manual for parent training (2nd ed.). New York: Guilford Press. Döpfner, M., Schürmann, S., Lehmkuhl, G. (2000). Wackelpeter und Trotzkopf (2. überarb. Aufl.). Weinheim: Psychologie Verlags Union. Hallowell, E. M., Ratey, J. (2002). Zwanghaft zerstreut oder die Unfähigkeit aufmerksam zu sein (6. Aufl.). Reinbek: Rowohlt. Lauth, G. W., Schlottke, P. F., Naumann, K. (1998). Rastlose Kinder, ratlose Eltern – Hilfen bei Überaktivität und Aufmerksamkeitsstörungen. München: dtv. Petermann, F. (Hrsg.) (1995). Lehrbuch der klinischen Kinderpsychologie. Göttingen: Hogrefe. Simchen, H. (2001). ADS – Unkonzentriert, verträumt, zu langsam und viele Fehler im Diktat. Hilfen für das hypoaktive Kind. Stuttgart: Kohlhammer. Schäfer, U. (2000). Musst du dauernd rumzappeln? – Die hyperkinetische Störung: Ein Ratgeber (2. korr. u. erg. Aufl.). Bern: Hans Huber. Schäfer, U. (2003). Tim Zippelzappel und Philipp Wippelwappel – Eine Geschichte für Kinder mit AD(H)S-Syndrom. Bern: Hans Huber. Schäfer, U., Rüther, E. (2005). ADHS im Erwachsenenalter – Ein Ratgeber für Betroffene und Angehörige. Göttingen: Hogrefe. Steinhausen, H.-C. (1993). Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Lehrbuch der Kinder- und Jugendpsychiatrie und psychotherapie. München: Urban & Fischer. Wender, P. H. (2002). Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörungen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen – Ein Ratgeber für Betroffene und Helfer. Stuttgart: Kohlhammer.
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hu le Annette Schröder · ADS in ddeer Sc Schu hule Handreichungen für Lehrerinnen und Lehrer Eine wachsende Zahl von Lehrerinnen und Lehrern klagt über Kinder in ihren Klassen, die große Schwierigkeiten haben, dem Unterricht aufmerksam zu folgen und sich auf ihre Aufgaben zu konzentrieren. Diese Kinder stören ihre Mitschüler, können nicht still sitzen, reden ständig dazwischen – oder träumen vor sich hin. Lehrerinnen und Lehrer kostet der Umgang mit diesen Kindern viel Kraft und Nerven, mehr noch, sie haben das Gefühl, pädagogisch zu versagen. In der Folge hört man nicht selten, diese Kinder seien verhaltensauffällig, hyperaktiv, unkonzentriert, aufmerksamkeitsgestört, aber auch, sie seien einfach schlecht erzogen und aggressiv. Klar ist, diese Kinder sind im Unterricht eine echte Herausforderung. Klar ist aber auch, dass sich Lehrerinnen und Lehrer bei dieser Arbeit oft allein gelassen fühlen und um Unterstützung nachfragen. Die »Handreichungen« möchten ihnen Hilfestellungen geben, mit diesen Kindern im Unterricht besser fertig zu werden. Dazu werden neben Tipps zur praktizierbaren Unterrichtsgestaltung und konkreten Ratschlägen für den pädagogischen und psychologischen Umgang mit ihnen auch viele aktuelle Informationen zu Aufmerksamkeitsdefizitstörungen (ADS) geliefert. So wird unter anderem erläutert, woran man ADS erkennen kann, welche Schritte für eine sichere Diagnose wichtig sind, welche Fachleute außerhalb der Schule zuständig sind, welche medikamentösen und/oder psychotherapeutischen Maßnahmen helfen, und ob und wann sie eingesetzt werden sollten.
Wie soll ADHS behandelt werden? Marianne Leuzinger-Bohleber / Yvonne Brandl / Gerald Hüther (Hg.) $'+6 Õ )U¾KSU¦YHQWLRQ VWDWW 0HGLNDOLVLHUXQJ 7KHRULH )RUVFKXQJ .RQWURYHUVHQ Schriften des Sigmund-Freud-Instituts. Reihe 2: Psychoanalyse im interdisziplinären Dialog, Band 4. 2006. 306 Seiten mit 14 Abbildungen und 3 Tabellen, kartoniert ISBN 10: 3-525-45178-4 ISBN 13: 978-3-525-45178-6
Das Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) ist heutzutage eine weitverbreitete Diagnose, mancherorts für fast alle kindlichen Schwierigkeiten im Vorschul- und Grundschulalter. Die Erklärungen reichen von Störungen des Hirnstoffwechsels, Frühverwahrlosungen, psychischen oder psychosozialen Regulationsstörungen bis hin zu Hochbegabungen. Bei den Präventions- und Therapieangeboten gehen die Empfehlungen weit auseinander. Für die einen ist ein verstehender Zugang zum einzelnen Kind und seiner Lebenssituation der richtige Weg, während andere in einer medikamentösen Behandlung die Lösung des Problems sehen. Diese Sichtweise hat in den letzten zehn Jahren enormen Auftrieb erhalten. Die Autoren dieses Bandes problematisieren und diskutieren eine drohende Medikalisierung sozialer Probleme. Sie greifen aktuelle Kontroversen auf und plädieren für eine sorgfältige Diagnostik sowie für eine professionelle Zusammenarbeit aller beteiligten Experten bei der Therapie der betroffenen Kinder.
Neue Ratgeber Ulrike Schäfer / Eckart Rüther / Ulrich Sachsse +LOIH XQG 6HOEVWKLOIH QDFK HLQHP 7UDXPD (LQ 5DWJHEHU I¾U VHHOLVFK VFKZHU EHODVWHWH 0HQVFKHQ XQG LKUH $QJHK¸ULJHQ 2006. 89 Seiten mit 6 Abb., kartoniert ISBN 10: 3-525-46250-6 ISBN 13: 978-3-525-46250-8 Dieses Buch richtet sich an Menschen, die von einem plötzlichen Trauma betroffen sind, etwa durch eine Umweltkatastrophe, ein Gewaltverbrechen, einen Verkehrsunfall oder den unerwarteten Verlust eines geliebten Menschen. Der Ratgeber gibt den Betroffenen selbst, aber auch ihren Angehörigen, wichtige Informationen über mögliche Reaktionen und Folgen nach einem erlittenen Trauma. Die in der Behandlung von traumatisierten Patienten erfahrenen Autoren geben Hilfestellungen und zeigen, wie ein Leben nach dem Trauma weitergehen kann und welche Möglichkeiten es zur Überwindung des Traumas gibt. Spezifische Traumatherapien werden ebenso vorgestellt wie medikamentöse Unterstützung.
Ulrike Schäfer / Eckart Rüther / Ulrich Sachsse %RUGHUOLQH6W¸UXQJHQ (LQ 5DWJHEHU I¾U %HWURIIHQH XQG $QJHK¸ULJH 2006. 118 Seiten mit 9 Abb., kartoniert ISBN 10: 3-525-46249-2 ISBN 13: 978-3-525-46249-2 Die Borderline-Störung ist eine psychische Erkrankung, die sowohl für den Betroffenen selbst als auch für seine Angehörigen eine schwierige Herausforderung darstellt. Viele Verhaltensweisen widersprüchlicher Art, starke Stimmungsschwankungen, heftige Auseinandersetzungen führen zu Belastungen und Verzweiflung. Verlustängste und reale Trennungserfahrungen sind oftmals die Folge. Der Ratgeber informiert über das Erkrankungsbild, mögliche Ursachen und Behandlungsstrategien. Selbsthilfe, verschiedene Therapieformen, der Einsatz von Medikamenten und Umgangsmöglichkeiten für die Angehörigen stehen im Mittelpunkt.