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German Pages 182 Year 2018
Haak Verträge mit Personenmehrheiten in der Insolvenz
Verträge mit Personenmehrheiten in der Insolvenz
von Carsten Haak
RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH · Köln
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Vorwort Die Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld hat diese Arbeit im Wintersemester 2017/2018 unter dem Titel „Bipolar-mehrseitige Verträge in der Insolvenz“ als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Herbst 2016 abgeschlossen. Für die Veröffentlichung konnte Rechtsprechung und Literatur bis Mitte November 2017 berücksichtigt werden. Herr Prof. Dr. Florian Jacoby hat diese Arbeit betreut. Dafür und für seine jederzeit unbedingte Unterstützung beim Anfertigen der Arbeit danke ich ihm sehr herzlich. Herrn Prof. Dr. Frank Weiler danke ich für die rasche Zweitbegutachtung. Einen besonderen Dank für die Durchsicht des Manuskripts und ihre wertvollen Anregungen schulde ich meinen Freunden Dennis Chinnow, Jan Mäkeler und Dr. Arno Riethmüller sowie meiner Freundin Ann-Kathrien Aust. Ihr danke ich zudem von Herzen für ihre liebevolle und unverbrüchliche Unterstützung. Mein größter Dank gebührt schließlich meinen Eltern, die mich mit ihrem Zuspruch und ihrer bedingungslosen Unterstützung bereits mein ganzes Leben begleiten. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet.
Frankfurt am Main, im Januar 2018
Carsten Haak
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Inhaltsverzeichnis Rn.
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Vorwort ................................................................................................................ V Teil I. Grundlagen ................................................................................... 1 ........ 1 A. Der bipolar-mehrseitige Vertrag im Rechtssystem ............................. 1 ........ 1 I. Wesentliche Merkmale des bipolar-mehrseitigen Vertrages und Abgrenzung zum multipolaren Vertrag ................................. 5 ........ 3 II. Abgrenzung zur Vertragsbeteiligung als Gesellschaft ................ 10 ........ 5 B. Das Insolvenzrisiko als Motiv der Gefahrtragung im Bürgerlichen Recht ................................................................................................. I. Insolvenzrisiko ........................................................................... II. Verlagerung des Insolvenzrisikos als Gefahrtragungsprinzip .... 1. Verlagerung .......................................................................... 2. Annäherung an das Finalinsolvenzrisiko und die Verlagerung des Insolvenzrisikos ........................................ III. Das Modell des Insolvenzrisikos dieser Arbeit .......................... IV. Exkurs: Die Verwirklichung des Insolvenzrisikos und Mithaftung des Vorinhabers ....................................................... V. Insolvenzrisiko und Ertragsaussichten: Die Bedeutung des Insolvenzrisikos aus wirtschaftlicher Sicht ................................ VI. Die Regelverteilung des Insolvenzrisikos im bipolarmehrseitigen Vertrag .................................................................. 1. Mathematische Annäherung an das Insolvenzrisiko ............ 2. Schlussfolgerungen .............................................................. VII. Das Insolvenzrisiko als Grundpfeiler des Privatrechts ..............
15 16 17 17
........ ........ ........ ........
7 7 7 7
19 ........ 9 21 ...... 10 28 ...... 12 30 ...... 13 36 38 42 44
...... ...... ...... ......
15 17 18 19
C. Die Insolvenzordnung und das Insolvenzrisiko – Die Insolvenzordnung als Schutzgesetzgebung für die Gläubiger des Insolvenzschuldners ......................................................................................... 46 ...... 20 D. Kohärenz als Kriterium systematischer Auslegung .......................... 49 ...... 22 Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz ................ 52 ...... 25 A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit ........................... 56 ...... 26 I. Der Anwendungsbereich des § 108 InsO ................................... 58 ...... 27 II. Bipolar-mehrseitige Verträge im Anwendungsbereich des § 108 InsO .................................................................................. 64 ...... 29
VII
Inhaltsverzeichnis Rn.
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III. Die Gestaltungsrechte aus § 109 InsO ........................................ 66 1. Anwendungsfälle bipolar-mehrseitiger Miet-, Pacht- und Leasingverhältnisse .............................................................. 70 2. Mietermehrheit und Gesellschaft bürgerlichen Rechts ........ 72 3. Die Gestaltungsrechte des § 109 InsO und ihre Rechtfolgen im bipolar-mehrseitigen Vertrag im Einzelnen .................... 73 a) Die Kündigung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO im bipolarmehrseitigen Vertrag ...................................................... 77 aa) Die Kündigung eines bipolar-mehrseitigen Mietvertrages nach den Grundsätzen des allgemeinen Schuldrechts ............................................................ 78 bb) Meinungsstand zur Rechtsfolge der Kündigung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO .................................... 86 cc) Stellungnahme ......................................................... 90 (1) Übertragung der Dogmatik der Kündigung eines insolvenzunbefangenen bipolar-mehrseitigen Vertrages? .......................................................... 93 (a) Das Erfordernis der gemeinsamen Kündigungserklärung .................................. 97 (b) Die „Entziehung“ aus der vertraglichen Haftung ....................................................... 99 (2) Exkurs: Ein rechtsgeschäftlicher Ausweg? ..... 102 (3) Interessenausgleich .......................................... 103 (4) Die Haftungssituation nach Ausscheiden des Insolvenzschuldners .................................. 114 (5) Verteidigung gegen dogmatische Einwände ... 115 (6) Ablehnung der differenzierenden Ansicht ....... 121 dd) Ergebnis ................................................................. 125 b) Die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO im bipolar-mehrseitigen Vertrag .................................. 126 aa) Anwendungsbereich des § 109 Abs. 1 S. 2 InsO ... 127 bb) Rechtsnatur der Enthaftungserklärung ................... 128 cc) Rechtsfolgen der Enthaftungserklärung im bipolarmehrseitigen Vertrag ............................................. 129 c) Der Rücktritt nach § 109 Abs. 2 S. 1 InsO im bipolarmehrseitigen Vertrag .................................................... 133 aa) Anwendungsbereich des § 109 Abs. 2 S. 1 InsO ... 134 bb) Die Rechtsfolgen des Rücktritts nach § 109 Abs. 2 S. 1 InsO im bipolar-mehrseitigen Vertrag ............ 135 (1) Der Rücktritt vom bipolar-mehrseitigen Vertrag im insolvenzunbefassten Bürgerlichen Recht ... 137 (2) Der Rücktritt des Insolvenzverwalters ........... 138
...... 29
VIII
...... 31 ...... 32 ...... 33 ...... 37
...... 37 ...... 45 ...... 46
...... 48 ...... 49 ...... 52 ...... 55 ...... 56 ...... ...... ...... ......
66 71 77 81
...... 82 ...... 83 ...... 83 ...... 85 ...... 89 ...... 90 ...... 90 ...... 91 ...... 91
Inhaltsverzeichnis Rn.
(3) Der Rücktritt des Vermieters ........................... cc) Analoge Anwendung des Rücktrittsrechts auf den Mitmieter? ....................................................... IV. Die Kündigung nach § 111 InsO .............................................. 1. Anwendungsbereich des § 111 InsO .................................. 2. § 111 InsO in bipolar-mehrseitigen Verträgen ................... V. Das Lösungsrecht aus § 113 InsO ............................................ 1. Bipolar-mehrseitige Verträge im Anwendungsbereich des § 113 InsO .................................................................... 2. Die Rechtswirkungen der Kündigung nach § 113 InsO im bipolar-mehrseitigen Vertrag ........................................ a) Die Kündigung des Insolvenzverwalters ..................... b) Die Kündigung des Dienstverpflichteten ..................... c) Ein Kündigungsrecht analog für den Mitschuldner? .... 3. Bipolar-mehrseitige Dienstverträge mit dem Insolvenzschuldner als Dienstverpflichteten ............................................ VI. Fortbestehende Verträge ohne Lösungsmöglichkeit ................. VII. Zusammenfassung der Rechtsfolgen der Gestaltungsrechte der §§ 109 ff. InsO auf bipolar-mehrseitige Verträge .............. B. Erlöschende Verträge ..................................................................... I. Anwendungsbereich der Erlöschenstatbestände ....................... II. Rechtsfolgen und Rechtfertigung der Normen ......................... III. Gibt es bipolar-mehrseitige Aufträge und Geschäftsbesorgungsverhältnisse? .......................................................... IV. Rechtsfolgen in bipolar-mehrseitigen Verträgen ...................... 1. Rechtswirkungen des Erlöschens nach §§ 115 Abs. 1, 116 InsO ............................................................................. 2. Rechtswirkungen der Fortbestehensfiktion nach § 115 Abs. 2, 116 InsO ................................................................ 3. Fortbestehensfiktion wegen Unkenntnis der Verfahrenseröffnung, §§ 115 Abs. 3, 116 S. 1 InsO ............................ 4. Fortbestand bestimmter Geschäftsbesorgungsverträge, § 116 S. 3 InsO ................................................................... 5. Der Insolvenzschuldner als Geschäftsbesorger bei bipolar-mehrseitigen Geschäftsbesorgungsverträgen ......... V. Das Erlöschen der Vollmacht nach § 117 InsO ........................ VI. Zusammenfassung ...................................................................
Seite
142 ...... 95 146 149 150 152 157
...... 99 .... 100 .... 101 .... 101 .... 107
160 .... 108 162 163 166 169
.... .... .... ....
109 109 112 114
170 .... 114 171 .... 115 173 .... 115 177 .... 116 178 .... 117 180 .... 117 184 .... 118 188 .... 120 189 .... 120 197 .... 125 200 .... 128 205 .... 130 207 .... 130 208 .... 130 211 .... 131
C. Fortbestehende Verträge mit Erfüllungswahlrecht ......................... 216 .... 132 I. Anwendungsbereich des § 103 InsO ........................................ 218 .... 133 II. Rechtsfolgen des § 103 InsO .................................................... 219 .... 133
IX
Inhaltsverzeichnis Rn.
III. Bipolar-mehrseitige Verträge im Anwendungsbereich des § 103 InsO ................................................................................ 1. Ausgangssituation ohne Erklärung des Insolvenzverwalters ........................................................................... 2. Die Rechtswirkungen der Erfüllungswahl im bipolarmehrseitigen Vertrag .......................................................... 3. Die Rechtswirkungen der Erfüllungsablehnung und des Begehrens der Forderung wegen Nichterfüllung im bipolar-mehrseitigen Vertrag ............................................. IV. Zusammenfassung .................................................................... V. Rechtsfolgen bei bipolar-mehrseitigen Verträgen im Sinne des § 104 InsO .......................................................................... 1. Überblick über die Rechtsfolgen ........................................ 2. Bipolar-mehrseitige Verträge im Anwendungsbereich des § 104 InsO .................................................................... a) Das einzelne bipolar-mehrseitige Geschäft .................. b) Close-out Netting im bipolar-mehrseitigen Vertrag .....
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222 .... 135 224 .... 135 228 .... 137
230 .... 139 239 .... 143 243 .... 144 245 .... 145 247 .... 146 248 .... 146 249 .... 148
Teil III. Schlussfolgerungen ............................................................... 252 .... 151 A. Fazit: Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz ................ 252 .... 151 B. Ergebnisse der Arbeit in Thesen ..................................................... I. Grundlagen ............................................................................... II. §§ 108 ff. InsO .......................................................................... III. §§ 115 f. InsO ........................................................................... IV. §§ 103 f. InsO ...........................................................................
258 259 271 288 290
.... .... .... .... ....
152 152 154 157 157
Literaturverzeichnis ........................................................................................ 159 Stichwortverzeichnis ........................................................................................ 171
X
Teil I. Grundlagen A. Der bipolar-mehrseitige Vertrag im Rechtssystem Das Zivilvertragsrecht – allen voran das BGB – ist sämtlich vertypt am Leitbild des 1 bipolar-einseitigen Vertrages1) dargestellt.2) Eine Ausnahme hiervon bildet lediglich das per se auf kooperatives und damit mehrpersonales Zusammenwirken ausgerichtete Gesellschaftsrecht.3) In einem bipolar-einseitigen Vertrag bilden zwei Personen jeweils einen Interessenpol des Vertrages, wobei sich diese Interessen jedenfalls hinsichtlich der Leistungspflichten gegenseitig bedingen,4) um einen vertraglichen Konsens zu erreichen. Die Parteien sind folglich in ihrem Vertragspol die einzige Person; sie sind mithin auch die jeweils einzigen mit Interesse(n) an der vertraglichen Bindung.5) Diese Form des Vertrages ist nicht nur denklogisch Ausgangspunkt der gesetzlichen Vertragsdogmatik, sondern dürfte auch – trotz fehlender Empirik – die tatsächlich weit häufigste Form vertraglichen Zusammenwirkens darstellen. Die gesetzliche Fokussierung auf diesen Vertragstyp ist somit mitnichten verfehlt.6) Sie führt allerdings dazu, dass Vertragsformen anderer Gestalt in der Wahrnehmung der Rechtswissenschaft zurückfallen und die Tiefe der wissenschaftlichen7) Bearbeitung darunter leidet. Als augenfällige Konsequenz wird die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung im Dreipersonenverhältnis vieldiskutiert und sogar als „klassisches“ Examensproblem geführt, während die vertragsrechtliche Dogmatik des bipolar-mehrseitigen und insbesondere auch des multipolar-mehrseitigen Vertrages unausgereift bleibt.8) In der Praxis hat sich lediglich für die Aspekte mehrpersonaler Verträge, die in der Lebenswirklichkeit häufig vorkommen, eine partielle „Dogmatik“ gebildet. Zu___________ 1) 2) 3) 4) 5)
6) 7)
8)
Zur Terminologie der Vertragskategorien, die dieser Arbeit zu Grunde liegt, vgl. die Einteilung bei Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 9 ff. m. w. N. und passim. Zu mehrseitigen Verträgen im Kontext der Entstehung des BGB instruktiv Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 21. Zu diesem Wesensunterschied im Bereich der mehrpersonalen Verträge und der dadurch begründeten intensiveren Regelungsdichte Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 12, 26 ff. Also etwa das Interesse an einer Veräußerung einer Sache und – beim anderen Vertragspol – das entsprechende Interesse am Erwerb dieser/einer Sache. Ein multipolarer Vertrag hingegen hat mehr als zwei Interessenpole, die unabhängig voneinander Interessen gegenüber allen anderen Vertragspolen haben, dazu Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 11, 37 ff. Vgl. allgemein zum Lagergedanken Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 10 f. m. w. N. Instruktiv zur Rolle der mehrpersonalen Verträge in der Entstehungsgeschichte des BGB Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 21 ff. Freilich ebenso die praktische, insbesondere gerichtliche, Auseinandersetzung; die Praxis nimmt sich grundlegender Fragen der Dogmatik selten ohne entsprechende wissenschaftliche Vorarbeit an. In seinem Werk zur Dogmatik mehrseitiger Verträge beklagt Michael Zwanzger diesen dogmatischen Missstand ebenfalls, Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 1 ff., 13 ff. Zu den Merkmalen des bipolar-mehrseitigen Vertrages sogleich.
1
Teil I. Grundlagen
meist scheint die Praxis aber nicht an einer kohärenten Herleitung einer Lösung für das jeweilige Phänomen interessiert zu sein, derweil sich die Literatur zumeist auf die Wiederholung tradierter, schematischer Lehrsätze beschränkt.9)
2 Während der multipolare Vertrag von der Grundform des bipolar-einseitigen Vertrages in der Interessengestaltung der beteiligten Personen eklatant abweicht,10) fühlt sich der bipolar-mehrseitige Vertrag für den Rechtsanwender vertrauter an. Denn die Interessen der beteiligten Personen sind aufgrund der Bipolarität im Grundsatz dieselben, wie im bipolar-einseitigen Vertrag. Allein im mehrpersonalen Vertragspol sind die jeweiligen (polaren) Interessen nunmehr (idealiter) von mehreren Personen übereinstimmend vertreten.11) Darum wird die Eigenständigkeit dieses Vertragstyps besonders leicht übersehen. Denn anders als für den multipolar-mehrseitigen Vertrag ist eine Ausgestaltung als bipolar-mehrseitiger Vertrag für alle im besonderen Schuldrecht vertypten Vertragsformen vorstellbar; freilich mit unterschiedlicher praktischer Relevanz. Bei der Rechtsanwendung auf scheinbar vertrautem Terrain, werden die Besonderheiten, die aus der Mehrseitigkeit folgen und die Frage, welche Konsequenzen diese nach sich ziehen, schnell übersehen. Im Schafspelz der Wortlautsauslegung werden sie dann entweder übergangen oder gleichgemacht, da der Gesetzestext punktuell übertragen wird, ohne das dogmatische Grundgerüst zu überdenken.12)
3 Wohingegen dies in der allgemeinen Rechtsanwendung zwar zum Teil zu einem Knirschen,13) aber nicht zum sichtbaren Bruch mit der Zivilrechtsdogmatik führt, erhält die Thematik im Insolvenzfall eine besondere Brisanz. Aus dem bipolar-mehrseitigen Vertragsverhältnis mit weitreichend gleichlaufenden Interessen in den Vertragspolen14) wird durch die Insolvenzeröffnung und den Übergang der Verwaltungsund Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter eine völlig neue Konstellation. Denn der Insolvenzverwalter verfolgt nicht zwingend dasselbe Interesse im oder gar am Vertrag wie der Insolvenzschuldner. Dazu tritt durch das Sonderrecht der Insolvenzordnung eine Normen- und damit Interessenhierarchie, die den Interessenaus___________ 9) Beispielhaft sei hier die noch im Einzelnen zu besprechende Literatur zur Kündigung eines bipolar-mehrseitigen Vertragsverhältnisses genannt, siehe dazu unten unter Rn. 86 ff. 10) Aufgrund seiner Multipolarität, ausführlich Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 37 ff. 11) Vgl. Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 10 ff. 12) Dies soll nicht heißen, dass es nicht zutreffend ist, dass die Regelungsdichte im Vergleich zum multipersonalen Vertrag tatsächlich höher ist, wie Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 11 konstatiert. Allein kann eine gewisse Regelungslücke über die Besonderheiten noch eher hinwegtäuschen, als eine offensichtliche Regellosigkeit wie sie bei multipolaren Verträgen anzutreffen ist, dazu Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 6 ff. 13) Vgl. die Kritik des Verf. im Folgenden in den Abschnitten zur insolvenzunbefangenen Dogmatik unten unter Rn. 78 und Rn. 93. 14) Soweit mehrere Beteiligte eines Pols verschiedene Interessen abseits der allgemeinen Risikoverteilung verfolgen, ist dies nur ausnahmsweise Gegenstand des Vertrages. Im Regelfall werden die divergierenden Interessen im Vertrags- oder Schuldverhältnis, das zwischen den Parteien eines Vertragspols besteht, adressiert.
2
A. Der bipolar-mehrseitige Vertrag im Rechtssystem
gleich zwischen den am Vertrag beteiligten Parteien unter den Vorbehalt der effektiven Durchsetzung der Schutzvorschriften der Insolvenzordnung stellt. Das Schicksal derartiger Verträge ist das Thema dieser Arbeit.15) Es wird untersucht, 4 welche Auswirkungen die verschiedenen Rechtsfolgen der §§ 103 ff. InsO auf den Vertrag als solchen haben. Dazu ist immer auch die insolvenzunbefangene Dogmatik im Auge zu behalten. Das Ziel der Arbeit ist es also, für die §§ 103 ff. InsO eine kohärente Auslegung16) hinsichtlich ihrer Anwendung auf bipolar-mehrseitige Verträge zu entwickeln. Dabei soll sich diese Lösung nicht über die Zivilrechtsdogmatik hinwegsetzen, sondern sich gerade aus ihr ergeben. Als Leitmotiv der Auslegung dient dabei die Achtung der vertraglichen oder gesetzlichen Zuordnung des Insolvenzrisikos.17)
I.
Wesentliche Merkmale des bipolar-mehrseitigen Vertrages und Abgrenzung zum multipolaren Vertrag
Der bipolar-mehrseitige Vertrag ist ein Vertrag zwischen zwei Lagern, den Vertrags- 5 polen, die zumindest in einem Pol aus mehreren Personen bestehen.18) Die Personenmehrheit eines Lagers bildet dabei keine nach außen auftretende Rechtspersönlichkeit.19) Vertragspartner wird also jede Person der Personenmehrheit selbst, so dass es sich stets um einen multipersonalen Vertrag mit mindestens drei Parteien handelt. Sind dagegen nur zwei Personen Vertragsparteien handelt es sich um den gesetzlichen Regelfall; in der Terminologie dieser Arbeit einen bipolar-einseitigen Vertrag20). Während im multipolar-mehrseitigen Vertrag regelmäßig Leistungsbeziehungen zu allen Parteien des Vertrages bestehen,21) existiert im bipolar-mehrseitigen Vertrag eine Leistungsbeziehung nur zu den Parteien des anderen Vertragspols. Die Hauptleistungspflichten des Vertrages werden stets von den Parteien des einen Vertragspols den Parteien des anderen Pols geschuldet; zumeist ebenso die vertraglichen Nebenpflichten. Denn die gesetzlich typisierten Nebenpflichten entstammen gerade dem Gedanken der Poligkeit des Vertragsverhältnisses und sind also Nebenpflichten gegenüber den Parteien des anderen Vertragspols. Freilich bleibt es den Parteien unbenommen Nebenpflichten anders zu regeln. So könnten beispielsweise Neben___________ 15) Soweit sie nicht bereits ein- oder beidseitig erfüllt sind und aus dem Anwendungsbereich der §§ 103 ff. InsO fallen. 16) Zur Kohärenz als Auslegungskriterium sogleich unter Rn. 49 ff. 17) Zum Wesen des Insolvenzrisikos und seiner Bedeutung sogleich unter Rn. 15 ff. 18) Vgl. Fn. 1. 19) Möglicherweise aber eine Innen-Gesellschaft. Genauer zur Abgrenzung von mehrseitigen Vertragspolen und Gesellschaft sogleich unter Rn. 10 ff. 20) Zur Terminologie oben unter Rn. 1 ff. 21) Anders freilich, wenn die Vertragspole ihrerseits – ähnlich der Situation beim bipolarmehrseitigen Vertrag – durch eine Personenmehrheit besetzt sind.
3
Teil I. Grundlagen
pflichten auf eine Partei des (anderen) Vertragspols beschränkt werden – sowohl auf Schuldner- als auch auf Gläubigerseite.22)
6 Dies führt zu einem weiteren Charakteristikum des bipolar-mehrseitigen Vertrages, das besondere Relevanz für diese Arbeit hat: In seiner grundsätzlichen Ausgestaltung trifft er keine – und selbst wenn er es tut, zumeist unzureichende – verpflichtenden Regelungen zur Gestaltung des Innenverhältnisses der Parteien des mehrpersonalen Vertragspols. Sollte eine solche Vereinbarung einmal getroffen sein, begründet sie lediglich die Verpflichtung des einen Vertragspols zur entsprechenden Gestaltung ihres Innenverhältnisses. Werden Abreden im Innenverhältnis eines Vertragspols getroffen, haben diese wiederum keine unmittelbare Wirkung gegenüber dem anderen Vertragspol. Zusammenfassend entzieht sich also das Innenverhältnis der Parteien des mehrpersonalen Vertragspols grundsätzlich der unmittelbaren Regelungskraft des bipolar-mehrseitigen Vertrages. Sofern dieses Innenverhältnis nicht durch ein gewillkürtes Schuldverhältnis, insbesondere im Rahmen des Gesellschaftsrechts, geregelt ist, gilt das Recht der Bruchteilsgemeinschaft.23)
7 Gerät der bipolar-mehrseitige Vertrag durch die Insolvenz einer Vertragspartei in den Anwendungsbereich der §§ 103 ff. InsO, ist zu unterscheiden: Ist der Insolvenzschuldner alleinige Partei „seines“ Vertragspols, so zieht dies hinsichtlich der in den Normen enthaltenen Gestaltungsrechte des Insolvenzverwalters keine Besonderheiten nach sich.24) Der Insolvenzverwalter kann seine Rechte aus den §§ 103 ff. InsO in gleicher Weise geltend machen und die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen bleiben dieselben, wie in bipolar-einseitigen Verträgen. Denn die vertragsändernde Wirkung der jeweiligen Gestaltungsrechte oder der unmittelbaren Rechtsfolgen – etwa das Ausscheiden des Insolvenzschuldners aus dem Vertrag25) – betrifft den gesamten, einpersonalen Vertragspol als solchen. Somit verbleibt kein potenziell Verpflichteter des (möglicherweise) verändert oder unverändert fortbestehenden Vertrages und das Vertragsverhältnis wird als Ganzes verändert bzw. beendet.
8 Anders liegt der Fall, wenn eine Personenmehrheit im Vertragspol des Insolvenzschuldners besteht. Denn dann verbliebe selbst bei einem Ausscheiden des Insolvenzschuldners mindestens eine weitere Partei im Vertragspol, die ihrerseits Hauptleistungsschuldner und -gläubiger des anderen Vertragspols ist. Je kleiner die Personenmehrheit des Vertragspols des Insolvenzschuldners ist, desto erheblicher sind die Auswirkungen eines Ausscheidens auf die übrigen Parteien des Pols. Am erheblichsten sind sie im praktisch wohl verbreitetsten Fall, dass nur eine weitere Partei neben dem Insolvenzschuldner Teil des Vertragspols ist. ___________ 22) Soweit die verpflichtende Norm dispositiv ist. 23) Vgl. dazu noch ausführlicher unter Rn. 78 ff. 24) Einziger Unterschied zum bipolar-einseitigen Vertrag ist das Erfordernis der Erklärung gegenüber allen Vertragsparteien. 25) Im Einzelnen zu den verschiedenen Rechtsfolgen der §§ 103 ff. InsO unten in den jeweiligen Abschnitten.
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A. Der bipolar-mehrseitige Vertrag im Rechtssystem
Jener Fall des Zwei-Personen-Pols dient in dieser Arbeit als Anschauungsfall, wäh- 9 rend die Ausführungen und Erkenntnisse ohne Weiteres auch auf mehrpersonale Vertragspole beliebiger Größe anwendbar sind. Zur eindeutigen Bezeichnung werden im Folgenden die Bezeichnungen Insolvenzschuldner und Mitschuldner26) sowie Gläubiger27) verwendet. Da es für die betrachteten Rechtsfragen irrelevant ist, ob auf der Gläubigerseite ebenfalls ein mehrpersonaler Vertragspol besteht, wird von der sprachlich einfachsten, also der einpersonalen, Variante ausgegangen.
II.
Abgrenzung zur Vertragsbeteiligung als Gesellschaft
Der bipolar-mehrseitige Vertrag setzt, wie gezeigt, eine mehrpersonale Vertragsbe- 10 teiligung in einem Vertragspol voraus. Das heißt, die Parteien des Pols sind in eigenem Namen unmittelbar Vertragspartei. Die Alternative zu einer solchen Vertragsgestaltung liegt in der Vertragsbeteiligung 11 als Gesellschaft. Wirken mehrere Personen als Gesellschafter auf einen Vertrag hin, der ihre Gesellschaft zur Vertragspartei macht, handelt es sich nicht um einen bipolar-mehrseitigen, sondern um einen bipolar-einseitigen Vertrag – also um den gesetzlichen Regelfall. Denn der Vertragspol besteht dann nur aus einem Rechtssubjekt.28) Ob auf Gesellschafterebene Singularität oder Pluralität herrscht, ist dabei irrelevant. Entscheidend ist allein, wer Vertragspartei ist. Auch wenn diese Erkenntnis nicht erstaunt, besteht im Dunstkreis der bipolar-mehr- 12 seitigen Verträge eine überraschende Verwirrung im Hinblick auf die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR).29) Zum Teil wird sogar die Relevanz bipolar-mehrseitiger Verträge und damit die Lösung der einhergehenden Rechtsfragen angesichts des Bestehens einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts bestritten.30) Am visibelsten wird diese Diskussion beim bipolar-mehrseitigen Mietverhältnis geführt und soll dort eingehend begutachtet werden.31) Abstrakt lässt sich Folgendes festhalten: Keinesfalls zieht ein mehrpersonaler Vertragsschluss stets die Beteiligung dieser Parteien als GbR am Vertrag nach sich. Es ist vielmehr im Einzelfall zu unterscheiden, ob es sich um eine Innen-GbR, eine Außen-GbR oder überhaupt keine gesellschaftsrechtliche Verbindung handelt. Dazu ist zunächst zu ermitteln, ob zwischen den Parteien der notwendige Rechtsbindungswille für eine schuldrechtliche (gesellschaftsrechtliche) Verbindung besteht32) und ob es einen Gesellschaftszweck33) gibt, § 705 BGB. Allein ___________ 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33)
Für die Partei(en) im Vertragspol des Insolvenzschuldners. Für die Partei(en) des anderen Vertragspols. Bzw. einer teilrechtsfähigen Gesellschaft. Diese Arbeit geht von der (Teil-)Rechtsfähigkeit der Außen-GbR aus, dazu nur Schäfer in MüKo-BGB, § 705, Rn. 289 ff. Cymutta, NZI 2012, 674, 674. Siehe unten unter Rn. 72. Vgl. nur Habermaier in Staudinger, § 705, Rn. 1 ff.; Schäfer in MüKo-BGB, § 705, Rn. 1. Dazu Habermaier in Staudinger, § 705, Rn. 17 f.; Schäfer in MüKo-BGB, § 705, Rn. 142 ff.
5
Teil I. Grundlagen
die gemeinsame Vertragsbeteiligung, das heißt, die gemeinsame Forderungsberechtigung und die gesamtschuldnerische Verbundenheit ist/sind kein tauglicher Gesellschaftszweck;34) ebenso wenig genügt die Verpflichtung zu gegenseitigen Leistungen, wenn sie nicht einem gemeinsamen Zweck dienen.35) Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, handelt es sich um eine Bruchteilsgemeinschaft – nach hier vertretener Ansicht am Vertrag selbst.36)
13 Selbst wenn hiernach eine GbR besteht, muss diese nicht zwangsläufig Vertragspartei werden. Zum einen muss die Gesellschaft als beabsichtigter Vertragspartner für den anderen Vertragspol erkennbar sein (Offenkundigkeit),37) die Gesellschaft also, vertreten durch ihre Gesellschafter (§§ 714, 709 BGB), im Rechtsverkehr auftreten38). Zum anderen müssen die Gesellschafter gerade die Vertragsbeteiligung der GbR wünschen, also mit Vertretungswillen (Fremdgeschäftsführungswillen) für diese handeln. Fehlt es an diesen Voraussetzungen, sind die Gesellschafter unmittelbar Vertragspartner. Die GbR ist dann regelmäßig reine Innengesellschaft39),40) die etwa die Lasten- und Risikoverteilung aus dem bipolar-mehrseitigen Vertrag im Innenverhältnis regelt. Soweit die Gesellschafter den Vertrag nicht in das Gesellschaftsvermögen einer GbR eingebracht haben,41) besteht daneben eine Bruchteilsgemeinschaft am Vertrag.42) Allein das Bestehen einer GbR mit den Personen eines Vertragspols als Gesellschafter ist also nicht präjudiziell für die Vertragsbeteiligung als GbR – und damit das Vorliegen eines bipolar-einseitigen Vertrags.
14 Nur wenn die hier bezeichneten Voraussetzungen vorliegen, ist allein die GbR Vertragspartner und es handelt sich um einen bipolar-einseitigen Vertrag, für den sich die Rechtsfolgen direkt aus dem Gesetz bzw. der umfangreichen Judikatur ergeben. Solche Verträge sind nicht Gegenstand dieser Arbeit. ___________ 34) Schmidt in MüKo-BGB, § 741, Rn. 4; Schöne in BeckOK-BGB, § 705, Rn. 35 f. 35) BGH BeckRS 1976, 31115354; Habermaier in Staudinger, § 705, Rn. 17, 19; Möhrle in MünchHdb-GesR, § 5, Rn. 3. 36) Schmidt in MüKo-BGB, § 741, Rn. 18 m. w. N. auch zur a. A., nach der die Bruchteilsgemeinschaft (nur) an den Forderungen aus dem Vertrag bestehe. 37) Vgl. nur Schubert in MüKo-BGB, § 164, Rn. 107 ff. 38) Schäfer in MüKo-BGB, § 705, Rn. 253 f. 39) Besteht zwischen den Gesellschaftern eine Außen-GbR und handeln sie nur in diesem speziellen Fall ohne Fremdgeschäftsführungswillen, so besteht zwar eine Außen-GbR, sie wird aber nicht Vertragspartner. Ob daneben eine Innen-GbR in Bezug auf den Vertrag besteht bzw. entsteht, hängt vom Parteiwillen und dem Zweckzuschnitt der bereits bestehenden Außengesellschaft ab. Zum Einbringen des Vertrages in eine bestehende Gesellschaft unten unter Fn. 41. 40) Allgemein zur Abgrenzung der Innen- von der Außen-GbR Habermaier in Staudinger, § 705, Rn. 57 ff.; Schäfer in MüKo-BGB, § 705, Rn. 275 ff. 41) Zur Innen-GbR mit Gesellschaftsvermögen Habermaier in Staudinger, § 705, Rn. 61 f. m. w. N. 42) Schäfer in MüKo-BGB, Vor § 705, Rn. 124; Schmidt in MüKo-BGB, § 741, Rn. 4.
6
B. Das Insolvenzrisiko als Motiv der Gefahrtragung im Bürgerlichen Recht
B. Das Insolvenzrisiko als Motiv der Gefahrtragung im Bürgerlichen Recht Wie oben einleitend festgehalten, soll das übergeordnete Motiv bei der Auslegung der 15 §§ 103 ff. InsO im Hinblick auf bipolar-mehrseitige Verträge die Verteilung des Insolvenzrisikos sein. Es ist Leitmotiv dieser Arbeit, da die Zuordnung des Insolvenzrisikos einer Partei zur Risikosphäre einer anderen Partei das wesentliche Modell der vertraglichen Gefahrtragung im Bürgerlichen Recht ist. Im Folgenden werden daher die Grundlagen für das Verständnis des Insolvenzrisikos gelegt, auf denen diese Arbeit aufbaut.
I.
Insolvenzrisiko
Insolvenzrisiko als Rechtsbegriff bezeichnet abstrakt43) die Gefahr, dass eine Ver- 16 tragspartei aufgrund von Insolvenz nicht mehr in der Lage ist, ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen bzw. sie nicht mehr erfüllen muss. Träger des Insolvenzrisikos ist, wem kraft Gesetz oder Parteivereinbarung das wirtschaftliche Risiko eines solchen Leistungsausfalls eines anderen44) zugeordnet ist. Regelmäßig ist der Gläubiger einer Forderung auch der Träger des Insolvenzrisikos seines Schuldners. Kann oder muss der Schuldner nicht leisten, erhält der Gläubiger die Leistung also von niemandem. Das gesamte Recht der Sicherungsmittel beruht auf dem Gedanken, dieses Insolvenzrisiko entweder zu verringern oder zu verschieben. Verringert wird das Insolvenzrisiko durch die Stellung einer dinglichen Sicherheit zugunsten des Trägers des Insolvenzrisikos, also zumeist des Gläubigers. Durch den exklusiven Zugriff auf eine werthaltige Sicherheit wird das wirtschaftliche Risiko einer Insolvenz erheblich vermindert.45) Personale Sicherheiten verschieben dagegen das Insolvenzrisiko auf den Sicherungsgeber. Dieser trägt nunmehr unmittelbar das wirtschaftliche Risiko des Ausfalls des Schuldners. Stattdessen trägt der Sicherungsnehmer nun (allein) das Insolvenzrisiko des Sicherungsgebers.
II.
Verlagerung des Insolvenzrisikos als Gefahrtragungsprinzip
1.
Verlagerung
Am Beispiel der personalen Sicherheiten zeigt sich, dass die Zuordnung des Insol- 17 venzrisikos46) nicht statisch ist, sondern stets einer zeitpunktbezogenen Betrach___________ 43) Das Insolvenzrisiko lässt sich freilich auch quantifizieren, was insbesondere für Anbieter von Versicherungsleistungen für den Fall des Zahlungsausfalls entscheidend ist. Schließlich lässt sich auch das abstrakte Insolvenzrisiko mathematisch beschreiben, siehe dazu sogleich unter Rn. 38 ff. 44) Auch wenn die Insolvenz für den Schuldner nicht risikofrei ist, geht es bei der Verwendung des Rechtsbegriffs Insolvenzrisiko doch immer um Risiken für andere Personen als den Insolvenzschuldner. Niemand kann also – im Begriffssinne – sein eigenes Insolvenzrisiko tragen. 45) Wie stark, hängt von der Werthaltigkeit der Sicherung, der Zugriffsmöglichkeit und der Insolvenzbeständigkeit der Sicherung ab. 46) Damit ist das konkrete Insolvenzrisiko gemeint, zum Modell des Insolvenzrisikos, das dieser Arbeit zu Grunde liegt, siehe unten unter Rn. 21 ff.
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Teil I. Grundlagen
tung unterliegt. Denn das Insolvenzrisiko des Schuldners geht nach der Besicherung auf den Sicherungsgeber über. Wird nun der Sicherungsgeber insolvent, verwirklicht sich das Insolvenzrisiko des Sicherungsnehmers. Denn dieser hatte mit der Bestellung der Sicherheit das Insolvenzrisiko des Sicherungsgebers übernommen. Hier zeigt sich auch, dass die Verwirklichung eines Insolvenzrisikos nicht notwendig wirtschaftliche Einbußen nach sich zieht.47) In unserem Fall bedeutet nämlich die Übernahme des Insolvenzrisikos des Sicherungsgebers für den Sicherungsnehmer, dass er die Gefahr trägt, aufgrund der Insolvenz des Sicherungsgebers eine ggf. nicht werthaltige48) Sicherheit vorzufinden.49) Konsequenz daraus ist ein Rückfall des Insolvenzrisikos des Schuldners vom Sicherungsgeber auf den Sicherungsnehmer, den Gläubiger. Die Insolvenz des Sicherungsgebers führt also zu einer erneuten Verlagerung des Insolvenzrisikos des Schuldners. Es wird der ursprüngliche Zustand – das heißt, wie er bei Vertragsschluss und vor der Sicherheitenbestellung bestand – wiederhergestellt. Wäre stattdessen ein zweiter Sicherungsgeber vorhanden, trüge dieser nunmehr alleine50) das Insolvenzrisiko des Schuldners. Das Insolvenzrisiko des Schuldners wandert so die Sicherungsgeberkette entlang. Es wird erst wieder auf den Gläubiger/Sicherungsnehmer zurück verlagert, wenn der letzte Sicherungsgeber insolvent ist.
18 Die Verteilung des Insolvenzrisikos in Bezug auf eine Forderung ist mithin nicht statisch. Das Insolvenzrisiko kann sich vielmehr unabhängig vom Schicksal der zugrundeliegenden Forderung51) und auch unabhängig vom die Verpflichtung statuierenden Rechtsverhältnis verlagern. Selbstverständlich zeitigt auch umgekehrt die Verlagerung des Insolvenzrisikos an sich keine Veränderung für die Verpflichtung bzw. das sie begründende Rechtsverhältnis. Haften die Sicherungsgeber für eine Verbindlichkeit, so hat sich der Gläubiger der besicherten Forderung des Insolvenzrisikos des Schuldners nicht für alle Zeiten entledigt. Vielmehr verlagert sich das Insolvenzrisiko auf den Gläubiger zurück, wenn alle Sicherungsgeber insolvent sind.
___________ 47) Zum begrifflich an die wirtschaftliche Einbuße geknüpften Ausfallrisiko siehe unten unter Rn. 30 ff. 48) Zur Anmeldung einer Forderung in der Insolvenz des Bürgen als Eventualforderung Obermüller, NZI 2001, 225, 227 f. 49) Bei dinglichen Sicherheiten ist dieses Risiko aufgrund des bestehenden Absonderungsrechts (§§ 49 ff. InsO) allein von der tatsächlichen Werthaltigkeit des Sicherungsgegenstandes abhängig; § 41 Abs. 1 InsO ist hier nach zutreffender h. M. nicht anzuwenden, siehe nur BGH NZI 2009, 165, 166 f.; Bitter in MüKo-InsO, § 41, Rn. 14 jeweils m. w. N. 50) Hier wird von gleichrangigen Sicherheiten ausgegangen. Anderenfalls würde sich bei Vorrang nichts ändern, bei Nachrang würde er nun ebenfalls alleine, aber erstmalig, das Insolvenzrisiko übernehmen. 51) Ihren Fortbestand vorausgesetzt, denn in Bezug auf eine untergegangene Leistungspflicht, kann kein Risiko einer Nichterfüllung bestehen.
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B. Das Insolvenzrisiko als Motiv der Gefahrtragung im Bürgerlichen Recht
2.
Annäherung an das Finalinsolvenzrisiko und die Verlagerung des Insolvenzrisikos
Das richtige Verständnis des Insolvenzrisikos ergibt sich aus einer gedanklichen Fort- 19 führung: Wurde oben gezeigt, dass das Insolvenzrisiko keine statische Größe ist, sondern sich verlagern kann, bedarf es zur pointierten Risikobeschreibung eines weiteren Schrittes. Der finale Träger eines Insolvenzrisikos für eine Forderung ist und bleibt immer deren Gläubiger. Dieses Finalinsolvenzrisiko52) lässt sich weder verschieben noch vermeiden.53) Zwar kann praktisch durch Zwischenschaltung einer Vielzahl von Sicherungsgebern54) oder besonders solventer Sicherungsgeber die Wahrscheinlichkeit für die (Rück-)Verlagerung des konkreten Insolvenzrisikos55) auf den Gläubiger gegen null reduziert werden, das Finalinsolvenzrisiko kann aber hierdurch nie gänzlich eliminiert werden.56) Das Finalinsolvenzrisiko ist somit der statische Teil im Gedankenkonstrukt des Insolvenzrisikos. „Das Insolvenzrisiko“ verlagert sich also nicht. Denn der Träger des (statischen) Finalinsolvenzrisikos kann durch Vertrag oder Gesetz nur vom konkreten Insolvenzrisiko befreit werden. Das konkrete Insolvenzrisiko (des Schuldners) hat stets derjenige zeitpunktbezogen inne, der – würde der Schuldner insolvent – für die Forderung haftet. Das konkrete Insolvenzrisiko ist daher durch die zugrundeliegende Forderung mit dem Finalinsolvenzrisiko verbunden ist. Bei einem unbesicherten bipolar-mehrseitigen Vertrag liegen im Zeitpunkt des Ver- 20 tragsschlusses konkretes Insolvenzrisiko und Finalinsolvenzrisiko in einer Person, dem Gläubiger, vereint. Verlagert sich in der Folge das wirtschaftliche Risiko eines Leistungsausfalls des Schuldners der Forderung auf einen anderen, etwa auf einen Sicherungsgeber, so trägt dieser nunmehr das konkrete Insolvenzrisiko des Schuldners. Fällt der Sicherungsgeber daraufhin aus und wird der Gläubiger erneut Träger des konkreten Insolvenzrisikos, so „verlagert“ sich tatsächlich gar nichts. Denn vielmehr erstarkt das im Zeitpunkt des Vertragsschlusses übernommene abstrakte Insolvenzrisiko (das Finalinsolvenzrisiko) in Bezug auf den Schuldner – schließlich war in der schuldrechtlichen Vertragsbeziehung angelegt, dass der Gläubiger das Risiko ___________ 52) Näher auch noch sogleich unter Rn. 21 ff. 53) In diese Richtung ohne zwischen abstrakten und konkreten Insolvenzrisiken zu unterscheiden Häsemeyer, KTS 1982, 1, 2 („Die Insolvenz des Vertragsschuldners bildet [ein] […] Leistungshindernis[sen], [das] […] er [Anm.: Der Gläubiger] nicht auf Dritte abschieben kann.“). Wie gezeigt, ist diese Aussage aber nur haltbar, wenn man hier einen Bezug auf das Finalinsolvenzrisiko unterstellte. 54) Hier im weiteren Sinne verwendet, gemeint ist jede Verlagerung des Insolvenzrisikos auf Dritte, unabhängig von der Stellung einer „echten“ Sicherheit. 55) Auch dazu noch näher sogleich unter Rn. 21 ff. 56) Selbst bei nicht insolvenzfähigen Sicherungsgebern ist das Finalinsolvenzrisiko nicht gebannt, da die Insolvenzunfähigkeit nicht gleichbedeutend mit der tatsächlichen Zahlungsfähigkeit ist. Vergleiche zur Staateninsolvenz, § 12 Abs. 1 Nr. 1 InsO, dazu Hirte in Uhlenbruck, § 12, Rn. 2 ff.; zur Historie Stürner in MüKo-InsO, Einl., Rn. 102. Zum Verständnis des Insolvenzrisikos als Ausfallrisiko sogleich unter Rn. 30 ff.
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Teil I. Grundlagen
des Leistungsausfalls trägt –, wenn der Sicherungsgeber ausfällt, zum konkreten Insolvenzrisiko. Diese abstrakte Veranlagung ergibt sich wiederum daraus, dass der Gläubiger das Insolvenzrisiko des Sicherungsgebers, welches im Verlust der Sicherheit und damit dem Wiedererstarken der Risikotragung in Bezug auf die Leistung des Schuldner liegt, übernommen hat. Für dieses Insolvenzrisiko war er vor dem Ausfall des Sicherungsgebers Inhaber des konkreten Insolvenzrisikos (im Übrigen auch des Finalinsolvenzrisikos).
III. Das Modell des Insolvenzrisikos dieser Arbeit 21 Anknüpfend an obige Annäherung an das Insolvenzrisiko ergibt sich folgendes Modell für den Rechtsbegriff des Insolvenzrisikos, das dieser Arbeit zugrunde gelegt wird. Für das Verständnis des Insolvenzrisikos ist zwischen konkretem Insolvenzrisiko, primären, sekundären usw. abstrakten Insolvenzrisiken sowie dem Finalinsolvenzrisiko zu unterscheiden.
22 Primäre, sekundäre und weitere Insolvenzrisiken sind statisch und abstrakt, das heißt, mit ihnen geht nicht zwangsläufig die zeitpunktbezogene Risikotragung für eine Forderung einher. Sie ergeben sich aus rechtsgeschäftlicher Abrede oder Gesetz und sind somit zum Zeitpunkt des Entstehens der betreffenden Leistungspflicht, das heißt im Zeitpunkt des Rechtsgeschäfts,57) angelegt. Nur wenn sich das gegenständliche Vertragsgefüge58) nachträglich ändert – sei es durch Ein- oder Austritt weiterer Schuldner oder die Stellung von Drittsicherheiten –, kann sich die Verteilung der abstrakten Insolvenzrisiken ändern. In Bezug auf die im Vertragsgefüge verbleibenden Parteien ändert sich allerdings stets nur der Rang ihres übernommenen Insolvenzrisikos. Variabel ist also die Haftungsreihenfolge,59) nicht aber die abstrakte Haftungsverpflichtung. Diese ist gerade nicht davon abhängig, wann, sondern allein ob, man das Insolvenzrisiko des Schuldners trägt. Ausschließlich in ihrer Rangfolge sind sie somit variabel. Das primäre Insolvenzrisiko bezeichnet abstrakt den (ersten) Träger des konkreten Insolvenzrisikos des Schuldners. Das sekundäre Insolvenzrisiko trägt wiederum derjenige, der das konkrete Insolvenzrisiko in der Insolvenz ___________ 57) Gesetzliche Schuldverhältnisse sind nicht Thema dieser Arbeit; das hier eingeführte Modell ist aber ohne Weiteres auf gesetzliche Schuldverhältnisse übertragbar. An die Stelle des Vertragsschlusses tritt dabei das Entstehen des gesetzlichen Schuldverhältnisses durch Tatbestandsverwirklichung. 58) Vertragsgefüge meint hier das Schuldverhältnis und alle Rechtsbeziehungen, die es mittelbar betreffen. Das Schuldverhältnis alleine ist als Bezugspunkt nicht ausreichend, denn etwa die Stellung einer Drittsicherheit hat keinen Einfluss auf den die Leistungspflicht konstituierenden Vertrag selbst, sehr wohl aber auf die Verteilung der Insolvenzrisiken hinsichtlich dieser Leistungspflicht. 59) Das zeigt sich, wenn zum Beispiel nachträglich ein weiterer, vorrangig haftender Sicherungsgeber auftritt. Dann wird der vormalige Inhaber des primären Insolvenzrisikos zum Inhaber des sekundären Insolvenzrisikos usw. Neuer Inhaber des primären Insolvenzrisikos ist dann der neue Sicherungsgeber.
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B. Das Insolvenzrisiko als Motiv der Gefahrtragung im Bürgerlichen Recht
des Trägers des primären Insolvenzrisikos übernimmt. Er ist damit gleichzeitig der Träger des primären Insolvenzrisikos des Inhabers des konkreten Insolvenzrisikos des Schuldners der Hauptschuld. Die weiteren Stufen ergeben sich entsprechend. Der Letzte in dieser Kette ist stets der Gläubiger der Forderung. Um dieses Ende der Insolvenzrisikenkette abstrakt und unabhängig vom tatsächlichen Haftungsrang zu beschreiben, bezeichne ich es als Finalinsolvenzrisiko. Das Finalinsolvenzrisiko trägt der Gläubiger der betreffenden Leistungspflicht. Es ist daher insofern statisch, als dass es immer beim Gläubiger verbleibt. Blickt man auf die Person des Gläubigers, so kann er sich des Finalinsolvenzrisikos nur durch Verlust seiner Gläubigerstellung, also durch Abtretung der Forderung, entledigen. Das konkrete Insolvenzrisiko bezeichnet zeitpunktbezogen den unmittelbaren Träger 23 des Insolvenzrisikos; mithin im Zeitpunkt der Begründung der Leistungspflicht den Träger des primären Insolvenzrisikos. Im Gegensatz zum abstrakten Insolvenzrisiko fehlt es dem konkreten Insolvenzrisiko an jedem statischen Moment. Denn das konkrete Insolvenzrisiko ist selbstständig von den es begründenden abstrakten Insolvenzrisiken. Es entsteht im Insolvenzfall seines Inhabers aus dem abstrakten Insolvenzrisiko des rangnächsten Trägers in der Kette der abstrakten Insolvenzrisikenträger. Träger des konkreten Insolvenzrisikos kann daher nur jemand werden, der ein abstraktes Insolvenzrisiko übernommen hat. Ausgangsfall (bipolar-einseitiger Vertrag)
24
Gläubiger (G) Schuldner (S)
– Finalinsolvenzrisiko (S) – Primäres Insolvenzrisiko (S) – Konkretes Insolvenzrisiko (S)
Weiterführung (besicherter bipolar-einseitiger Vertrag)
25
Gläubiger (G) – Finalinsolvenzrisiko (S und SG)
Schuldner (S)
– Sekundäres Insolvenzrisiko (S) – Primäres Insolvenzrisiko (SG) – konkretes Insolvenzrisiko (SG)
Sicherungsgeber (SG) – Primäres Insolvenzrisiko (S) – konkretes Insolvenzrisiko (S)
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Teil I. Grundlagen
26 Entscheidend für das Verständnis des Prinzips des Insolvenzrisikos ist, dass jeder Übergang des konkreten Insolvenzrisikos – oder jede Verlagerung, wie meist bezeichnet – die Materialisierung übernommener abstrakter Insolvenzrisiken darstellt. Und zwar zum einen in Bezug auf den Vorinhaber des konkreten Insolvenzrisikos und zum anderen in Bezug auf den Schuldner. Zutreffender wäre es daher, von einem Erstarken des abstrakten Insolvenzrisikos zu einem konkreten Insolvenzrisiko statt von einer Verlagerung des Insolvenzrisikos zu sprechen. Allerdings ist auch die überkommende Terminologie der Verlagerung tauglich, wenn konzeptuell klar bleibt, dass jeder Träger des konkreten Insolvenzrisikos bereits zuvor die abstrakte Grundlage dazu geschaffen hat.
27 „Das Insolvenzrisiko“ wird mithin nicht im Zeitpunkt des Erstarkens des abstrakten zum konkreten Insolvenzrisiko aufgrund der Insolvenz eines Dritten, des Vorinhabers, auf die der neue Inhaber des Insolvenzrisikos keinerlei Einfluss hat, von ihm übernommen. „Das Insolvenzrisiko“ wird durch privatautonome Willensbetätigung durch das zugrundeliegende Rechtsgeschäft übernommen; das Erstarken zum konkreten Insolvenzrisiko ist lediglich Konsequenz dieser selbst gewählten (abstrakten) Risikoentscheidung.
IV. Exkurs: Die Verwirklichung des Insolvenzrisikos und Mithaftung des Vorinhabers 28 Zur besseren Verständlichkeit der obigen Skizzierung des Modells des Insolvenzrisikos wurde davon ausgegangen, dass die insolvente Person, sei sie Schuldner oder vorrangiger Träger des Insolvenzrisikos, nicht mehr für die Verbindlichkeit mithaftet. Dies ist der Fall bei Massearmut (§ 207 InsO).60) Anderenfalls haftet die Masse dem Gläubiger, das ist hier (mindestens) der Träger des Finalinsolvenzrisikos, gegenüber weiter;61) der Gläubiger ist im Regelfall Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO). Da aber zumeist erhebliche Zeit verstreichen wird, bis dem Gläubiger die Quote ausgezahlt werden kann, wird der nachrangige Träger des Insolvenzrisikos vom Gläubiger wohl stets auf die volle Summe in Anspruch genommen werden. Für die Fortführung der Haftungskonstellation ergeben sich dann im Verhältnis zum Gläubiger keine Unterschiede zum Fall der Massearmut.62) Lediglich für den Regress des Haftenden ist die Mithaftung des vorrangigen Trägers des Insolvenzrisikos in diesem Fall relevant, da er im Innenverhältnis nicht für den vollen Nominalwert der Forderung haftet, son___________ 60) Entsprechendes gilt, wenn ein Fall von Masseunzulänglichkeit vorliegt und die gegenständliche Forderung keine Masseverbindlichkeit ist, § 208 InsO. 61) Bei einer aktuellen durchschnittlichen Deckungsquote von 2,2 % dürfte das die Ausnahme bleiben, Aktuelle Nachrichten, FD-InsR 2017, 390403. 62) Der Gläubiger kann seine Forderung freilich trotzdem im Insolvenzverfahren zur Tabelle anmelden. Wird die Forderung sodann von einem Dritten, also dem Mithaftenden, erfüllt, muss die Tabelle korrigiert werden, siehe sogleich Fn. 63.
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B. Das Insolvenzrisiko als Motiv der Gefahrtragung im Bürgerlichen Recht
dern der wirtschaftliche Schaden durch die auszuschüttende Quote auf seinen Regeressanspruch gemindert wird.63) Anders verhält es sich in der Insolvenz eines Sicherungsgebers. Ist eine dingliche 29 Sicherheit werthaltig, ändert sich durch die Insolvenz des Sicherungsgebers nichts und die Sicherheit steht aufgrund des Absonderungsrechts des Sicherungsnehmers weiter zur Befriedigung zur Verfügung.64) Für Personalsicherheiten gelten regelmäßig keine Besonderheiten, da mit der Insolvenz des Sicherungsgebers die zukünftige Mithaftung von den Mitteln der Masse abhängt.65)
V. Insolvenzrisiko und Ertragsaussichten: Die Bedeutung des Insolvenzrisikos aus wirtschaftlicher Sicht Das Insolvenzrisiko als Begriff für das Risiko des Leistungsausfalls des Schuldners 30 ist wegen seiner unmittelbaren Verknüpfung mit der Hauptleistung ein wirtschaftlich hoch relevantes Risiko. Als Ausfallrisiko66) ist es entscheidende Determinante für die Prognose des wirtschaftlichen Nutzens eines Vertrages. In einem Vertrag werden die Parteien regelmäßig danach streben, die Chancen und Risiken des Geschäfts durch den Prozess der Konsensbildung zu balancieren.67) Das heißt, einen Vertrag mit hohem Ausfallrisiko abzuschließen, macht wirtschaftlich nur Sinn, wenn sich aus dem Vertrag entsprechende Chancen (meist: Renditeerwartung) ergeben. Sinkt folglich das Risiko, die Leistung zu erhalten, so sinkt regelmäßig der Preis, also die erforderliche Gegenleistung.68) Im bipolar-mehrseitigen Vertrag sinkt das Risiko, die Leistung nicht zu erhalten, durch 31 die Vertragsbeteiligung des Dritten, der als Gesamtschuldner für die Leistung haftet. Bei fiktiv gleicher Bonität der Schuldner sinkt das Risiko, keine Leistung zu erhalten, somit durch die Beteiligung des Dritten um die Hälfte. Der Gläubiger wird also seine Leistung für einen günstigeren Preis anbieten, da das Ausfallrisiko durch die Beteiligung des Dritten reduziert ist. Weitere Determinanten der Rentabilitätserwartung eines Vertrages69) sind die Lauf- 32 zeit des Vertrages bei Dauerschuldverhältnissen und etwaige Lösungsrechte. Ein ___________ 63) Nach § 44 InsO kann der Mithaftende seine Regressforderung als aufschiebend bedingte Forderung (vgl. §§ 42, 191 InsO) nur zur Tabelle anmelden, wenn der Gläubiger die Ausgangsforderung nicht anmeldet. Hat zunächst der Gläubiger seine Forderung angemeldet und erfüllt der Mithaftende sodann gegenüber dem Gläubiger, wird die angemeldete Forderung des Gläubigers auf den Regressgläubiger umgeschrieben, BFH NZI 2014, 280, 282; Bitter in MüKo-InsO, § 44, Rn. 21; Knof in Uhlenbruck, § 44, Rn. 9; Zeising, WM 2010, 2204. 64) Siehe auch Fn. 49. 65) Siehe auch oben Fn. 48. 66) Zum Begriff in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur Brakensiek, Ausfallrisiken im Kreditgeschäft, 11 ff.; Rohmann, Steuerung von Ausfallrisiken, 12 f. m. w. N. 67) Einführend Bannier, Vertragstheorie, 11 ff. 68) Siehe Nachweise unter Fn. 67. 69) Auch Renditeerwartung; dazu einführend Gabler Wirtschafts-Lexikon, 2531 („Rentabilität“); Zantow/Dinauer/Schäffler, Finanzwirtschaft, 41 f.
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Teil I. Grundlagen
stark vereinfachtes70) Beispiel zur Illustration: Ein Mietvertrag über eine Sache, deren Kosten für den Vermieter für drei Jahre 100 GE betragen, wird zu einem Mietzins von 50 GE pro Jahr auf drei Jahre unkündbar abgeschlossen. Dieser Vertrag hat aus Sicht des Vermieters eine Rentabilitätserwartung71) von 3 x 50 – 100 = 50 GE oder 50 %72). Wäre der Vertrag für den Mieter ordentlich kündbar, müsste der Vermieter dagegen die Wahrscheinlichkeit einer Kündigung während der Laufzeit, die Wahrscheinlichkeit einer nahtlosen Anschlussvermietung und etwaige Mehrkosten durch den Mieterwechsel kalkulieren. Um trotzdem eine Ertragserwartung von 50 GE in drei Jahren zu erreichen, wird der Vermieter den Mietzins erhöhen.
33 Aus dieser kurzen Einführung und dem skizzenhaften Beispiel sind zwei Aspekte für die Zwecke dieser Arbeit zu verinnerlichen: Die Verringerung des Ausfallrisikos durch die Vertragsbeteiligung eines Dritten ist aufgrund der Mithaftung unmittelbar preisbildend und die Rentabilitätserwartung richtet sich (bei Dauerschuldverhältnissen) wesentlich nach der Laufzeit des Vertrages.
34 Die Verbindung der Chancen und Risiken unter Einbeziehung der ertragsrelevanten Faktoren schafft der Vertrag. Erst die Rechtssicherheit des Vertrages erlaubt überhaupt, Geschäfte abzuwickeln, die von langfristigen Risikobewertungen abhängig sind – das unterscheidet die spekulative Investition von der Wette73). Der Vertrag mit dem ergänzenden Korsett an materiellem Recht perpetuiert also die wirtschaftliche Chancen- und Risikenbewertung der Parteien. So ist es etwa für die Parteien möglich, die ordentliche Kündigung auszuschließen, um eine bestimmte Risikozuteilung zu setzen.74) Würde man nun diese im Zeitpunkt des Vertragsschlusses feststehende75) Risikobewertung angreifen, indem man Determinanten des Risikos ver___________ 70) Alle Kosten seien fix, Kosten und Mietzins seien zu Mietbeginn zahlbar, um das Beispiel durch Abzinsung nicht unnötig zu verkomplizieren. 71) Siehe unter Fn. 69. 72) Zantow/Dinauer/Schäffler, Finanzwirtschaft, 41 f. 73) Weiterführend BGHZ 103, 84, 90 = BGH NJW 1988, 1592, 1593; BGHZ 114, 177, 182 = BGH NJW 1991, 1956, 1957; Habersack in MüKo-BGB, § 762, Rn. 10. 74) Im Beispiel wäre das die Zuweisung des Nutzungsrisikos/Rentabilitätsrisikos in Bezug auf die Mietsache zum Mieter. 75) Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, dass sich Risiken, in diesem Sinne verstanden, nicht „ändern“. Ein Risiko – nennen wir es Wahrscheinlichkeit – kann immer nur zeitpunktbezogen beziffert werden. Wenn die Wahrscheinlichkeit mit zwei aufeinanderfolgenden Würfeln einen 6er-Pasch zu werfen (1/6)2 beträgt, verändert sich diese Ausgangswahrscheinlichkeit nicht, wenn der erste Wurf eine 6 zeigt. Das Ereignis bleibt aus ex ante Sicht gleich wahrscheinlich. Zeigt der zweite Wurf auch eine 6, hat sich die Ausgangswahrscheinlichkeit realisiert. Was bei dieser Betrachtung selbstverständlich einleuchtet, gerät schnell aus dem Blick, wenn unwahrscheinliche Risiken zu bewerten sind. Allzu oft wird vom Eintritt auf eine erhöhte Ausgangswahrscheinlichkeit geschlossen und über das Ereignis andeutende Tatsachen als „sich ändernde Risiken“ gesprochen. Ex nunc ist dann das Risiko des Eintritts möglicherweise verändert. Die Ausgangswahrscheinlichkeit aber ist nicht betroffen – sofern sie, was in der Realität oft nicht feststellbar ist, ursprünglich „richtig“ ermittelt wurde.
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B. Das Insolvenzrisiko als Motiv der Gefahrtragung im Bürgerlichen Recht
änderte, was die Risikobewertung obsolet macht, weil es ihre Berechnungsgrundlagen angreift, griffe man unzulässigerweise in das Chancen-Risiken-Modell des Vertrages ein. Dies ist nicht nur im Sinne der Vertragsfreiheit, die gerade das Recht des Einzelnen verbürgt, die von ihm ausgewählte Risikobewertung rechtssicher aufrechtzuerhalten,76) sondern auch volkswirtschaftlich verfehlt: Denn eine solche Unsicherheit über die langfristige Fortwirkung einer Risikobewertung, also letztlich der Ertragsaussicht der getätigten Investition, führt zum einen zu Fehlallokationen, weil die ursprüngliche Chancen-Risiken Abwägung nicht aufrechterhalten wird und führt ferner – gravierender – zu Investitionshemmnissen. Derselbe Gedanke liegt im Übrigen auch Investitionsschutzabkommen zu Grunde, die einen willkürlichen Eingriff in das Chancen-Risiken-Profil durch Staaten verhindern sollen.77) Dies führt zu der Erkenntnis, dass die Entscheidung mit einem mehrpersonalen Ver- 35 tragspol, also Gesamtschuldnern, einen Vertrag geschlossen zu haben, in der Risikobewertung erhebliche Auswirkungen hat, weil hierdurch die Ausfallwahrscheinlichkeit verringert wurde. Diese Risikobewertung ist somit über die Vertragsdauer zwingend fortzusetzen, um die wirtschaftlichen Entscheidungen der Parteien nicht zu entwerten sowie die oben skizzierten volkswirtschaftlichen Nachteile zu vermeiden. Auf diesen Gedanken wird in dieser Arbeit noch mehrfach zurückzukommen sein, denn er führt in Konsequenz zu dem Ergebnis, dass der Ausfall einer Partei, nicht zu einem Eingriff in andere Determinanten führen darf. Das sind hier insbesondere die Laufzeit des Vertrages, der Ausschluss von Lösungsmöglichkeiten und zuvorderst die Haftung des Dritten für alle – gerade auch die zukünftigen – Verpflichtungen aus dem Vertrag.
VI. Die Regelverteilung des Insolvenzrisikos im bipolar-mehrseitigen Vertrag Während im bipolar-einseitigen Vertrag also jede Partei das Insolvenzrisiko78) des 36 jeweils anderen trägt, gestaltet sich die Verteilung des Insolvenzrisikos im bipolarmehrseitigen Vertrag abweichend. Dort tragen die Parteien eines Vertragspols zum einen das Insolvenzrisiko jeder Partei ihres Vertragspols und zum anderen das Insolvenzrisiko des anderen Vertragspols. Dies ist im Lichte der soeben gefundenen Terminologie genauer zu betrachten: Für Leistungen die ein mehrpersonaler Vertragspol zu erbringen hat, haftet im Regelfall jede Partei dem Gläubiger für die gesamte Forderung, also als Gesamtschuldner (§ 421 S. 1 BGB). Der Gläubiger des mehrpersonalen Vertragspols kann jede Partei auf die Leistung in Anspruch nehmen. Zwar kann die in Anspruch genommene Partei regelmäßig im Innenverhältnis Re___________ 76) Ausführlich Flume, Rechtsgeschäft, 1 ff., 9 ff. 77) Vgl. nur Birkner, EuZW 2016, 454, 454 f. 78) Und zwar das primäre, konkrete Insolvenzrisiko sowie das Finalinsolvenzrisiko. Siehe zu diesen Begriffen oben unter Rn. 21 ff.
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gress bei ihren Mitschuldnern nehmen (§ 426 BGB), sie trägt aber das Risiko, dass sie diesen Regressanspruch nicht durchsetzen bzw. realisieren kann, was in erster Linie in der Insolvenz des mithaftenden Regressschuldners relevant wird. Mit anderen Worten: Jede Partei trägt das Insolvenzrisiko ihrer Mitschuldner. Der andere Vertragspol dagegen trägt nur das Insolvenzrisiko der Gesamtheit der Schuldner. Denn solange im anderen Vertragspol eine solvente Partei verbleibt, kann der andere Vertragspol seine Forderungen in voller Höhe durchsetzen. Erst wenn alle Parteien des Schuldnerpols insolvent sind, kann er seine Forderung nicht mehr (in voller Höhe) durchsetzen. Dies veranschaulicht die Sicherungswirkung, die ein bipolar-mehrseitiges Vertragsverhältnis mit sich bringt. Die nachträgliche Kreation eines solchen Vertragsverhältnisses durch Vertragsbeitritt79) erfreut sich daher als Alternative zur Stellung einer Personalsicherheit erheblicher praktischer Beliebtheit80). Der bipolar-mehrseitige Vertrag vereint somit wesensnotwendig Schuldgrund und „Besicherung“ und kann durch entsprechende vertragliche Adressierung auch eine (elaborierte) „Sicherungsabrede“ beinhalten, die von den gesetzlichen Vorschriften über die Gesamtschuldnerschaft abweicht. Die Situation im bipolar-mehrseitigen Vertrag weist somit erhebliche Parallelen zum besicherten bipolar-einseitigen Vertrag auf. Wesentliche Unterschiede sind, dass der „Sicherungsgeber“ selbst Partei des Vertrages ist und dass die „Besicherung“ reziprok ist, da die Parteien des mehrseitigen Vertragspols für den jeweils anderen haften. Die Wanderung des konkreten Insolvenzrisikos entlang einer Haftungshierarchie, wie bei der Stellung mehrerer nicht gleichrangig haftender Sicherheiten,81) lässt sich daher auch im bipolarmehrseitigen Vertrag beobachten, auch wenn die gleichrangige Haftung der Gesamtschuldner Besonderheiten nach sich zieht: Haften mehrere Parteien im Schuldnerpol, trägt jede dieser Parteien das abstrakte und konkrete Insolvenzrisiko aller anderen Parteien ihres Pols, während der andere Vertragspol das abstrakte Insolvenzrisiko der Gesamtheit aller Schuldner trägt. Wird nun eine Schuldnerpartei insolvent, hat sich für jede Partei teilweise das übernommene Insolvenzrisiko verwirklicht und das Insolvenzrisiko der weiteren (noch solventen) Mitschuldner – das bereits mit Vertragsschluss abstrakt und konkret wegen der Gleichrangigkeit der Haftung übernommen war – erhöht sich absolut und fraktionell in Bezug auf die betreffende Forderung.82) Verbleibt nur noch ein Schuldner, sind alle originären Träger seines konkreten Insolvenzrisikos – die ehemaligen Mitschuldner – bereits insolvent und daher nicht mehr taugliche Träger seines Insolvenzrisikos. Einziger verbleibender Risiko___________ 79) Dazu Busche in Staudinger, Einl. zu §§ 398 ff., Rn. 207; Nörr/Scheyhing/Pöggeler, Sukzessionen, 220 f.; Roth/Kieninger in MüKo-BGB, § 398, Rn. 190. 80) Vgl. Busche in Staudinger, Einl. zu §§ 398 ff., Rn. 207, der auf die gesamtschuldnerische Haftung verweist. 81) Siehe oben unter Rn. 17 f. 82) Freilich meint das die Innenhaftung, da die Haftung gegenüber dem Gläubiger wegen der gesamtschuldnerischen Verpflichtung ohnehin auf das Ganze bezogen ist. Vgl. sogleich zur mathematischen Annäherung.
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B. Das Insolvenzrisiko als Motiv der Gefahrtragung im Bürgerlichen Recht
träger des Vertrages ist somit der andere Vertragspol. Dessen abstraktes Insolvenzrisiko erstarkt zum konkreten Insolvenzrisiko und bildet nun den regelmäßigen Zustand des bipolar-einseitigen Vertrages ab. Dies zeigt, dass das Finalinsolvenzrisiko auch im bipolar-mehrseitigen Vertrag stets 37 bei dem Leistungsgläubiger liegt. Er ist nur regelmäßig durch die gesamtschuldnerisch haftenden Mitschuldner vom konkreten Insolvenzrisiko abgeschirmt: Erst wenn der letzte Mitschuldner ausfällt, wird der Gläubiger Träger des konkreten Insolvenzrisikos. Beachtlich im Hinblick auf die Mitschuldner ist, dass diese gleichrangig das konkrete sowie das primäre Insolvenzrisiko jedes Mitschuldners übernehmen. Berücksichtigt man den Gesamtschuldnerausgleich – was notwendig ist, denn diese Arbeit widmet sich dem Szenario, dass alle verbliebenen Mitschuldner solvent sind – ergibt sich ein fraktionell übernommenes Insolvenzrisiko bezüglich jedes Mitschuldners; und zwar sowohl des abstrakten, primären als auch des konkreten Insolvenzrisikos.
1.
Mathematische Annäherung an das Insolvenzrisiko
Rechenbeispiel: Vier Schuldner schulden 100 GE, die Haftanteile im Innenverhält- 38 nis sind paritätisch. Jeder Schuldner haftet also im Ausgangsfall nachregresslich auf 25 GE und trägt das Insolvenzrisiko der drei anderen in der Gesamthöhe von 75 % der Forderung, das heißt 75 GE absolut. Für den Insolvenzfall des ersten Mitschuldners – also im Ausgangsfall – beträgt das Insolvenzrisiko jedes verbliebenden Schuldners nachregresslich absolut 25 / 3 GE = 8,33 GE, weil sich der Ausfall in Höhe von 25 GE auf die drei verbliebenen Schuldner verteilt. Prozentual mithin 25 / 3 = 0,083 = 8,3 % der Gesamtforderung. Nach der Insolvenz eines Schuld100 ners (zur Vereinfachung herrscht Massearmut) haftet jeder Schuldner somit nachregresslich absolut auf 33,3 GE (25 + 8,33) und prozentual auf 33,3 % der Forderung. Für den zweiten Insolvenzfall beträgt das Insolvenzrisiko jedes verbliebenen 33,3 / 2 = Schuldners nachregresslich absolut 33,3 / 2 GE = 16,65 GE; prozentual 100 0,166 = 16,6 % usw. Abstrakt ergibt sich damit die folgende Formel für die absolute nachregressliche 39 Haftung, soweit sie durch die Insolvenz des Mitschuldners bedingt ist: X
F 1 u S S 1
und prozentual
X
F 1 u S ( S 1) 100
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Teil I. Grundlagen
40 Die absolute Haftsumme beträgt X
F F 1 u S S S 1
und prozentual
X
F F 1 u S S ( S 1) 100
41 F sei dabei der Nominalwert der geschuldeten Forderung und S sei die Anzahl der Schuldner im Vertragspool, das heißt, inklusive desjenigen, der als nächstes insolvent würde. Schon ausgeschiedene Schuldner – also solche, deren insolvenzbedingtes Ausscheiden bereits geschehen ist –, sind nicht zu berücksichtigen. X ist die jeweilige absolute oder prozentuale Haftsumme.
2.
Schlussfolgerungen
42 Die mathematische Annäherung an die Verteilung des Insolvenzrisikos im bipolarmehrseitigen Vertrag ist lehrreich: Sie verdeutlicht, wie das in dieser Arbeit entworfene Modell des Insolvenzrisikos funktioniert. Die Gleichungen zeigen, wie abstraktes und konkretes Insolvenzrisiko zu tatsächlicher Ausfallhaftung führen. Das übernommene abstrakte Insolvenzrisiko der Mitschuldner ist aufgrund der gesamtschuldnerischen Haftung stets auch ein konkretes Insolvenzrisiko. Durch die Gleichungen wird aber ersichtlich, dass die tatsächliche Ausfallhaftung durch die Mithaftung der anderen Mitschuldner teilkompensiert wird.
43 Dieser Blickwinkel macht aber noch mehr deutlich. Man kann an ihm leicht erkennen, was im Wald der Worte zu oft unsichtbar bleibt: Das Insolvenzrisikokonzept eines Vertrages wandelt sich nicht. Allein das konkrete Insolvenzrisiko wechselt zum haftungsnächsten Träger eines abstrakten Insolvenzrisikos. Die Hierarchie des abstrakten und damit mittelbar auch des konkreten Insolvenzrisikos ist dagegen im Vertrag angelegt. Sie wird im Zeitpunkt des Vertragsschlusses fixiert und bleibt als Hierarchie bestehen, auch wenn eine der Parteien ausfällt. Diese vertraglich kreierte „Insolvenzordnung“ im Wortsinne ist dabei unmittelbarer Bestandteil des Vertrages. Ihre Berechtigung zieht sie aus dem Konsens der Parteien. Die vertragliche Verteilung des Insolvenzrisikos ist damit Ausfluss der – verfassungsmäßig garantierten83) – Vertragsfreiheit. Deswegen ist eine nachträgliche Änderung zulasten einer Partei ___________ 83) Siehe nur BverfGE 12, 341, 347 = BverfG NJW 1961, 1395; Di Fabio in Maunz/Dürig, Art. 2, Rn. 101; Flume, Rechtsgeschäft, 17 ff. jeweils m. w. N.
18
B. Das Insolvenzrisiko als Motiv der Gefahrtragung im Bürgerlichen Recht
auch grundsätzlich nur mit ihrer Zustimmung möglich,84) soweit kein Gestaltungsrecht aus besonderem Grund gegeben ist85).
VII. Das Insolvenzrisiko als Grundpfeiler des Privatrechts Nachdem also festgestellt wurde, dass das Gefüge der Insolvenzrisikoverteilung im 44 Vertrag unmittelbarer Ausfluss der Privatautonomie ist und dieses Gefüge bereits mit Vertragsschluss konserviert ist, wird deutlich: die vertragliche „Insolvenzordnung“ ist kein beliebiges Versatzstück in einer dogmatischen Diskussion. „Das“ Insolvenzrisiko in seiner in dieser Arbeit herausgebildeten Gestalt ist vielmehr ein echter Rechtsgrundsatz des Vertragsrechts: Es gibt keine vertraglichen Leistungsbeziehungen ohne Insolvenzrisiko und die Verteilung des Insolvenzrisikos in (komplexeren) Vertragsgestaltungen ist ureigenes Recht der Vertragsparteien als Ausprägung ihrer Vertragsfreiheit. Darum ist das gewählte Risikoregime von der Legislative nur einschränkbar oder veränderbar,86) wenn ein Ereignis – bzw. die Möglichkeit seines Eintritts –, das nicht Gegenstand des Konsenses der Parteien war, eintritt. Nur dann ist ausnahmsweise ein Eingriff in das vertragliche Risikogefüge gerechtfertigt; dieser Eingriff rechtfertigt sich allein aus der fehlenden vertraglichen Grundlage für dieses Ereignis bzw. dessen Eintrittsrisiko.87) Wenn keine übergeordneten Interessen einen solchen Eingriff rechtfertigen, muss die vertragliche Risikoverteilung aufrechterhalten werden. So liegt der Fall ganz grundsätzlich, wenn es um die Insolvenzfolgen geht: Jeder Vertrag mit Leistungsbeziehungen wird in dem Bewusstsein geschlossen, dass eine der Parteien die erstrebte Leistung möglicherweise nicht erfüllen können wird. Selbst wenn das einmal nicht Gegenstand der aktiven Willensbildung sein sollte, ist die Leistung als Hauptpflicht doch derart vertragsprägend, dass ein „gedankliches Mitbewusstsein“ stets anzunehmen ist. Jemand, der vertragliche Leistungsbeziehungen eingeht, trägt darum nicht nur de facto das Insolvenzrisiko, sondern ihm ist die Verantwortung für die vertragliche Verteilung der Insolvenzrisiken auch dann zuzuweisen, wenn er sich im konkreten Fall keine oder irrige Vorstellungen88) ___________ 84) Zum Beispiel §§ 414, 415 BGB (Schuldübernahme); BGHZ 95, 88, 93 ff. = BGH NJW 1985, 2528, 2530 (Vertragsübernahme). 85) Etwa Rücktritts- oder Kündigungsrechte, siehe dazu noch sogleich unter Rn. 77 ff. und Rn. 137. 86) Zu den Eingriffsbefugnissen des Staates in die Vertragsfreiheit allgemein Di Fabio in Maunz/Dürig, Art. 2, Rn. 105. 87) So etwa in §§ 313, 314 BGB. Zu diesen Normen als Eingriff in die Vertragsfreiheit Finkenauer in MüKo-BGB, § 313, Rn. 2 ff., Grüneberg in Palandt, § 313, Rn. 1; vgl. auch BT-Drucks. 14/ 6040, S. 174, 177. Der Erheblichkeit des nachträglichen Eingriffs in den Vertrag steht keineswegs die nach § 313 BGB vorrangige Anpassung entgegen, da auch eine Anpassung in das Vertragsgefüge entscheidend eingreift, so auch kritisch Finkenauer in MüKo-BGB, § 313, Rn. 3, 102. 88) Vergleiche zur Anfechtung aufgrund eines Eigenschaftsirrtums über die Bonität des Schuldners als verkehrswesentliche Eigenschaft (§ 119 Abs. 2 BGG) RGZ 66, 385, 389; Armbrüster in MüKo-BGB, § 119, Rn. 128 m. w. N. auch zur abweichenden Ansicht. Hierbei geht es allerdings um die Wahrscheinlichkeit des Risikoeintritts aufgrund schutzwürdig falscher Vorstellungen, nicht um die Übernahme des Insolvenzrisikos selbst.
19
Teil I. Grundlagen
von diesen Risiken macht und die Verteilung sich somit nach dem Gesetz richtet. Die Übernahme von Insolvenzrisiken ist also regelmäßig als wesentliches, unabdingbares Merkmal von Verträgen mit Leistungsbeziehungen kein das Vertragsgefüge derart außergewöhnlich beeinflussender Umstand bzw. der Insolvenzeintritt kein Ereignis, der/das einen Eingriff in den Vertrag zu rechtfertigen vermag.89) Insbesondere stellt die Insolvenz deswegen regelmäßig keinen Umstand im Sinne des § 313 BGB – der ja bereits selbst die vertragliche bzw. gesetzliche Risikoverteilung als wesentlichen Maßstab90) benennt (§ 313 Abs. 1 BGB) – oder einen wichtigen Grund im Sinne des § 314 BGB dar.91)
45 Eine Rechtfertigung für einen Eingriff in die Vertragsbeziehung aufgrund von Insolvenz kann sich dagegen aus anderen Gesichtspunkten ergeben. Diese sind in der Insolvenzordnung kodifiziert und im Folgenden zu untersuchen.
C. Die Insolvenzordnung und das Insolvenzrisiko – Die Insolvenzordnung als Schutzgesetzgebung für die Gläubiger des Insolvenzschuldners 46 Nähert man sich nach der Erfassung des Insolvenzrisikos nun wieder dem Insolvenzrecht, dessen Auswirkungen auf bipolar-mehrseitige Verträge in dieser Arbeit untersucht werden sollen, so ist also zu prüfen, ob die Insolvenzordnung Eingriffe in das vertragliche Insolvenzrisikoregime zu rechtfertigen vermag. Wie bereits dargelegt, ist ein Eingriff in das Insolvenzrisikoregime nur zulässig, wenn eine hinrei___________ 89) Dies ist im Grundsatz selbst im Rahmen der Anlageberatung anerkannt, wo es stets um die Frage geht, wie wahrscheinlich der Eintritt des Insolvenzrisikos war, wenn es um die Frage einer Aufklärungspflicht geht. Dass grundsätzlich ein Insolvenzrisiko übernommen wird, reicht dagegen regelmäßig nicht aus, vgl. etwa BGH BKR 2009, 170, 171; OLG Frankfurt, BeckRS 2008, 23617. Dagegen weitergehend hinsichtlich des sog. Emittentenrisikos BGHZ 191, 119, Rn. 27 = BGH NJW 2012, 66, Rn. 27 (Lehman Brothers I). 90) BT-Drucks. 14/6040, S. 174 ff.; Finkenauer in MüKo-BGB, § 313, Rn. 59 ff.; Grüneberg in Palandt, § 313, Rn. 19 ff. Des Weiteren wird dies durch das Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit verdeutlicht. Die Verwirklichung eines übernommenen Insolvenzrisikos ist alltäglich und für sich genommen daher offensichtlich kein Umstand der zur Unzumutbarkeit der durch die Insolvenz verursachten Situation führt; zur Unzumutbarkeit BT-Drucks. 14/6040, S. 174; Finkenauer in MüKo-BGB, § 313, Rn. 76 ff.; Grüneberg in Palandt, § 313, Rn. 24. Zur Möglichkeit der Anwendung des § 313 BGB noch ausführlich unten unter Rn. 103 ff. 91) Entscheidend ist hier zudem, dass sich ein wichtiger Grund im Sinne der Vorschrift regelmäßig nicht aus der Risikosphäre desjenigen ergeben kann, der sich auf den Kündigungsgrund beruft, BT-Drucks. 14/6040, S. 178. Die Gesetzesbegründung hält allerdings eine Abmahnung für regelmäßig erforderlich, BT-Drucks. 14/6040, S. 178, so dass ein weitergehendes Verständnis in dem Sinne, dass das Risiko gerade dem Risikobereich des Kündigungsgegners entspringen muss und ein „neutrales“ Risiko nicht ausreicht, Gaier in MüKo-BGB, § 314, Rn. 10, überzeugt. Das Insolvenzrisiko ist dagegen ein Risiko aus der eigenen Risikosphäre des Kündigenden – auch wenn die Verantwortlichkeit des Risikoeintritts womöglich dem Insolvenzschuldner zuzuschreiben ist –, da das Insolvenzrisiko von diesem durch den Vertrag übernommen wurde, siehe oben unter Rn. 21 ff. Zur Möglichkeit der Kündigung noch ausführlich unten unter Rn. 77 ff.
20
C. Die Insolvenzordnung und das Insolvenzrisiko – Die Insolvenzordnung als Schutzgesetzgebung für die Gläubiger des Insolvenzschuldners
chende Rechtfertigung für einen solchen Eingriff besteht, wobei hierfür nicht allein die Insolvenz als solche ausreichen kann.92) Die Insolvenzordnung regelt in den §§ 103 ff. InsO die Rechtsfolgen der Insolvenz 47 für beidseitig nicht vollständig erfüllte Austauschverträge.93) Der Eingriff in die betreffenden Verträge durch diese Normen rechtfertigt sich aus dem Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger94) des Insolvenzschuldners durch optimale Nutzung der Ressourcen des Insolvenzschuldners durch den Insolvenzverwalter95). Diese Kurzbeschreibung96) ist für die Zwecke dieser Arbeit völlig ausreichend, denn 48 sie zeigt eindeutig die Schutzrichtung der Insolvenzordnung: Neben dem Vertragspartner97) soll mithin alleine die Gesamtheit der Gläubiger geschützt werden.98) Die Schutzrichtungsfokussierung auf die Gläubiger des Insolvenzschuldners ist entscheidend; denn die Insolvenzordnung bezweckt damit erkennbar eines ganz entschieden nicht: Vertraglich übernommene (Insolvenz-)Risiken eines Dritten zu beeinflussen oder gar aufzuheben.99) Ein Eingriff in ein Vertragsgefüge, der seine Berechtigung aus der Insolvenzordnung zieht, wirkt sich somit regelmäßig nur auf die Rechtsstellung des Insolvenzschuldners und – ausschließlich diesbezüglich – mittelbar auf die des betreffenden Gläubigers des Insolvenzschuldners als Vertragspartner aus. Ein Kollateralschaden im vertraglichen Haftungsgefüge ist darum nur dort hinzunehmen, wo der spezifische Schutzzweck der insolvenzrechtlichen Vorschrift – insbesondere die gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger – dies notwendig bedarf, um ___________ 92) Unmissverständlich dazu BT-Drucks. 12/2443, S. 75: „Insolvenz ist […] nicht der Notstand des Privatrechts, der gleichsam die Errichtung einer privaten Notstandsverfassung rechtfertigte.“ Siehe auch bereits oben unter Rn. 15 ff. 93) Genauer zum Anwendungsbereich unten unter Rn. 52 ff. und unter Fn. 107. 94) Par conditio creditorum, dazu BT-Drucks. 12/2443, S. 83, 108 („Hauptziel“ der Insolvenzordnung ist die „bestmögliche Befriedigung der Gläubiger“); Becker in Nerlich/Römermann, § 1, Rn. 21 ff.; Ganter/Lohmann in MüKo-InsO, § 1, Rn. 51 f.; Häsemeyer, KTS 1982, 507, 511 ff.; Madaus in BeckOK-InsO, § 1, Rn. 2 f. 95) BGHZ 150, 138, 148 = NJW 2002, 2313, 2316; BGH NZI 2012, 76, Rn. 38; Andres in Andres/ Leithaus, § 103, Rn. 5; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 103, Rn. 3; Kreft in MüKo-InsO, § 103, Rn. 2; Ringstmeier in K. Schmidt, § 103, Rn. 3; Tintelnot, ZIP 1995, 616, 618; D. Wegener in Uhlenbruck, § 103, Rn. 1 f. jeweils m. w. N. 96) Ausführlich bei Kreft in MüKo-InsO, § 103, Rn. 2; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 103, Rn. 5 ff. 97) Der Stellenwert dieser Schutzrichtung ist umstritten, zum Meinungsstand BGHZ 150, 138, 148 = NJW 2002, 2313, 2316; BGH NZI 2012, 76 Rn. 38; Andres in Andres/Leithaus, § 103, Rn. 5; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 103, Rn. 3; Kreft in MüKo-InsO, § 103, Rn. 2; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 103, Rn. 11 ff.; D. Wegener in Uhlenbruck, § 103, Rn. 1 f. jeweils m. w. N. 98) Nachweise oben unter Fn. 94, sowie noch ausführlich sogleich unter Rn. 103 ff. 99) Wie noch gezeigt wird, siehe unter Rn. 114, führte dies sogar zum Gegensätzlichen; der Gläubiger des Insolvenzschuldners stünde schlechter da als vorinsolvenzlich, selbst wenn er bereits vorinsolvenzlich keine Leistung des späteren Insolvenzschuldners mehr zu erwarten hatte.
21
Teil I. Grundlagen
zur Geltung zu kommen. Darüber hinausgehende Eingriffe durch die Insolvenzordnung sind vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt und folglich nicht durch die Insolvenzordnung zu rechtfertigen. Den Normen der Insolvenzordnung – namentlich den §§ 103 ff. InsO – trotzdem eine solche Wirkung zuzuweisen, verstößt gegen das Telos des Gesetzes und den Willen des Gesetzgebers.
D. Kohärenz als Kriterium systematischer Auslegung 49 Das Insolvenzrisiko als Rechtsgrundsatz einzuordnen100) setzt zwangsläufig voraus, ihm eine maßgebende Bedeutung im gesamten Privatrecht beizumessen. Der tradierte Auslegungskanon adressiert solche rechts- und systemprägenden Zusammenhänge durch die systematische Auslegung, die sich nicht allein an der Systematik des Gesetzes im Sinne der geschriebenen Normen orientiert, sondern auch an den dem (Bürgerlichen) Recht zugrundeliegenden Konzepten und Grundsätzen.101) Dem Insolvenzrisiko als Rechtsgrundsatz ist somit mittels systematischer Auslegung zur Geltung zu verhelfen, wenn der Wortlaut – wie bei bipolar-mehrseitigen Verträgen102) – nicht weiterhilft und keine historischen, teleologischen103) oder konkurrierenden systematischen Erwägungen dem entgegenstehen. Dies soll im zweiten Teil dieser Arbeit für die §§ 103 ff. InsO untersucht werden.
50 Vorangestellt sei so viel: Die §§ 103 ff. InsO setzen als Normgruppe Rechtsfolgen für gegenseitige, beidseitige nicht vollständig erfüllte Verträge, bei denen eine Partei insolvent ist.104) Sie konstituieren ein diffiziles System von Rechtsfolgen für sehr verschiedene Vertragsformen. Eine Normgruppe, deren heterogene Rechtsfolgen grundsätzlich einem identischen Zweck dienen, unterliegt einer immanenten Systematik – im Gegensatz zur transzendenten Systematik, die etwa dem Insolvenzrisiko zur universellen Geltung verhilft.105) Da sie demselben Zweck dienen, sollten die Normen „gleich“, das heißt unter identischer Berücksichtigung und Bewertung auslegungsbestimmender Faktoren, ausgelegt werden. Diese Auslegungskohärenz ___________ 100) Siehe oben unter Rn. 44 f. 101) Dazu bei Canaris, Systemdenken, 46 ff. („System als Ordnung allgemeiner Rechtsprinzipien“) und S. 106 f. („[D]as System als der Inbegriff aller eine Rechtsordnung tragenden Grundwertungen bringt geradezu die materiale Gerechtigkeit, wie sie sich in der jeweiligen positiven Rechtsordnung verwirklicht hat, zur Darstellung […]“). Vgl. auch Larenz, Methodenlehre, 474 ff. zu Rechtsprinzipien im sog. „inneren System“ des Rechts. 102) Siehe dazu auch sogleich unter Rn. 103 ff. 103) Dazu abstrakt schon gerade unter Rn. 46. Die Insolvenzordnung hatte die bipolar-mehrseitigen Verträge nicht im Blick und beabsichtigt bereits keinen Eingriff in insolvenzunbefangene Verträge. Siehe auch sogleich unter Rn. 103 ff. 104) Genauer unten unter Rn. 52 ff. 105) Die §§ 103 ff. InsO dienen neben dem Masseschutz der effizienten Nutzung der Ressourcen des Insolvenzschuldners, um eine möglich hohe und gleiche Befriedigung der Gläubiger des Insolvenzschuldners zu erreichen, Nachweise oben unter Fn. 95. Zu den theoretischen Grundlagen dieses Systemverständnisses siehe die Nachweise unter Fn. 101.
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D. Kohärenz als Kriterium systematischer Auslegung
ist gleichermaßen systemberücksichtigend und systembildend, da sie ein einheitliches Auslegungskonzept für eine Normengruppe anhand von allgemeinen Rechtsgrundsätzen und gesetzgeberischen Wertungen schafft. Eine solche kohärente Auslegung von Normgruppen ist mithin zum einen durch die Auslegungskategorie der Systematik geboten, sie bietet aber auch Rechtssicherheit: Indem sie ein Normsystem nach identischen Bewertungen auslegt, schafft sie eine Wertungs- und – soweit die Rechtsfolgen und konkurrierende Auslegungskategorien dies erlauben – eine Rechtsfolgeneinheit. Dies heißt selbstverständlich nicht, dass es um dieselbe Rechtsfolge geht; vielmehr geht es um konzeptuelle Entscheidungen, die zu Rechtsfolgen führen, die sich aus der akzeptierten Grundlage der Auslegung zwingend ergeben. Dies macht die betreffenden Normen kohärent, schlüssig und rechtsanwenderfreundlich, was wiederum der Rechtssicherheit zuträglich ist. Erhöhte Rechtssicherheit ist ein besonderes Gut im Bürgerlichen Recht und im Insolvenzrecht im Besonderen:106) Sie erlaubt, Entscheidungen – insbesondere wirtschaftliche – aufgrund leichterer Risikoprognose effektiver zu treffen und erhöht die langfristige Investitionsbereitschaft. Es ist somit erstrebenswert, eine Normgruppe kohärent auszulegen. Die maßgebli- 51 che Wertung, nach der eine kohärente Auslegung der §§ 103 ff. InsO vorgenommen werden soll, ist im Lichte des Titels dieser Arbeit und der vorstehenden Erwägungen das Insolvenzrisiko bzw. die vertragliche Risikozuweisung als Ganzes.
___________ 106) BT-Drucks. 12/2443, S. 75: „Nur eine verhältnismäßig geringe Zahl von Schuldnern und Unternehmen wird insolvent[,] aber alle Marktpartner müssen ihr wirtschaftliches Verhalten auf die Normen des Insolvenzrechts einrichten.“
23
Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz Die allgemeinen Überlegungen des ersten Teils dieser Arbeit werden im Folgenden 52 auf die §§ 103 ff. InsO angewendet, um eine Antwort auf die Frage zu finden, wie diese Normen sich auf bipolar-mehrseitige Vertragsverhältnisse mit mindestens einem solventen Mitschuldner im Vertragspol des Insolvenzschuldners auswirken. Die §§ 103 ff. InsO sind auf beidseitig nicht vollständig erfüllte gegenseitige (§ 320 53 BGB) Verträge anwendbar, in denen der Insolvenzschuldner Partei ist und die einen der Beschlagnahme unterliegenden Gegenstand betreffen.107) Die §§ 104 ff. InsO treffen Sondervorschriften für einige Vertragsarten, hervorzuheben sind die 108 ff. InsO für bestimmte Dauerschuldverhältnisse108) und die §§ 115 ff. InsO für bestimmte Auftragsverhältnisse im weiteren Sinn109). Der § 103 InsO ist die Auffangvorschrift für alle anderen Vertragsarten im Anwendungsbereich. Es wird gezeigt, dass sich die §§ 103 ff. InsO für bipolar-mehrseitige Verträge110) der- 54 gestalt kohärent111) auslegen lassen, dass das vertraglich vereinbarte Insolvenzrisikoregime112) aufrechterhalten werden kann. Dem steht weder die Insolvenzordnung als solche entgegen,113) noch ist eine Abweichung von dieser Risikoverteilung unter Berücksichtigung teleologischer, historischer oder konkurrierender systematischer Erwägungen geboten. Insbesondere steht die Dogmatik des bürgerlichen Rechts den notwendigen Rechtsfolgen nicht entgegen. Vielmehr fügen sie sich – trotz auf den ersten Blick zum Teil potenziell ungewöhnlich erscheinender Auswirkungen – ausnahms- und vorbehaltslos in die zivilrechtliche Dogmatik ein. Aufgrund der Verbreitung bipolar-mehrseitiger Verträge im Bereich der Mietver- 55 hältnisse sind diese soweit ersichtlich bisher als einzige in Literatur und Rechtsprechung eingehender insolvenzrechtlicher Begutachtung unterzogen worden. Mit der Kündigungsmöglichkeit (§ 109 Abs. 1 S. 1 InsO) findet sich zudem ein allgemeines zivilrechtliches Gestaltungsrecht. Die §§ 108 ff. InsO stehen darum am Anfang der Untersuchung. So können zum einen der bestehende Forschungsstand und zum anderen die zivilrechtliche Systematik einer kritischen Begutachtung angesichts der in Teil I der Arbeit herausgearbeiteten Grundsätze unterzogen werden (Teil II., A.). Anschließend wird gezeigt, dass das Lösungskonzept für die §§ 108 ff. InsO auch auf die anderen Vorschriften der §§ 103 ff. InsO übertragbar ist (Teil II., B. und C.). ___________ 107) Kreft in MüKo-InsO, § 103, Rn. 55; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 103, Rn. 40 ff.; D. Wegener in Uhlenbruck, § 103, Rn. 24 ff., 53 ff., 57 ff. 108) Siehe genauer unten unter Rn. 58 ff. 109) Siehe genauer unten unter Rn. 178 f. 110) Siehe oben unter Rn. 1 ff. 111) Siehe oben unter Rn. 49 ff. 112) Siehe oben unter Rn. 15 ff. 113) Siehe oben unter Rn. 46 ff.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit 56 Gewisse Verträge,114) für die der Anwendungsbereich der §§ 103 ff. InsO eröffnet ist, bestehen nach § 108 InsO ausdrücklich auch nach Insolvenzeröffnung unverändert fort. Das ist zunächst eine Selbstverständlichkeit, bedarf doch eigentlich nur das Gegenteil einer Regelung,115) und muss daher im Zusammenhang mit den §§ 109 ff. InsO gesehen werden. Im Unterschied zu § 103 InsO hat der Insolvenzverwalter bezüglich dieser Verträge allerdings kein Erfüllungswahlrecht (§ 103 Abs. 1 InsO), sondern die Erfüllungsansprüche der Vertragspartner bleiben auch mit der Insolvenzeröffnung uneingeschränkt durchsetzbar.116) Der Erfüllungsanspruch für Ansprüche ab Insolvenzeröffnung qualifiziert daher als Masseverbindlichkeit, § 55 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. InsO. Um die Masse nicht übermäßig zu belasten, erlauben die §§ 109 ff. InsO dem Insolvenzverwalter darum, jeweils für bestimmte nach § 108 InsO fortbestehende Verträge, sich für die Zukunft von den vertraglichen Verpflichtungen zu lösen. Durch eine Gestaltungserklärung in Form von Kündigung, Enthaftung oder Rücktritt (§ 109 InsO) kann der Insolvenzverwalter etwa Vertragsverhältnisse materiell beenden oder verändern. Weitere Lösungsrechte sind in den §§ 111 (Kündigung des Erwerbers) und 113 InsO (beidseitiges Kündigungsrecht) normiert.
57 An diesen Verträgen können selbstverständlich neben dem Insolvenzschuldner weitere solvente Personen als Vertragsparteien im Vertragspol des Insolvenzschuldners beteiligt sein, also ein bipolar-mehrseitiger Vertrag vorliegen. Durch die Fokussierung des Gesetzes auf bipolar-einseitige Vertragsverhältnisse117) ergeben sich im Anwendungsbereich der §§ 108 ff. InsO für solche Verträge erhebliche Schwierigkeiten, da es – erwartbar – keine spezialgesetzlichen Vorschriften für bipolar-mehrseitige Verträge gibt. Die Anwendung der Normen im bipolar-mehrseitigen Vertrag steht dabei im Spannungsfeld zwischen dem durch die Grundsätze des allgemeinen und besonderen Schuldrechts geprägten Verständnis der verwendeten Rechtsinstrumente118) und der besonderen Haftungssituation im bipolar-mehrseitigen Vertrag119). Die Auslegung der Normen hat dabei in erster Linie deren insolvenzspezifische Funktion aufrechtzuerhalten, muss ihren Blick im Anschluss aber auf die anderen beteiligten Parteien werfen, deren Verhältnis gar nicht vom unmittelbaren Regelungsbereich der Insolvenzordnung erfasst ist.120) Im Mittelpunkt der aus dieser Situation resultierenden Rechtsfragen stehen dabei die Auswirkungen der Ausübung der unterschiedlichen Gestaltungsrechte auf ein bipolar-mehrseitiges Vertragsverhältnis als ___________ 114) 115) 116) 117) 118)
Genauer zum Anwendungsbereich sogleich unten unter Rn. 58 ff. So in §§ 115, 116 InsO. Vgl. zu § 103 InsO unten unter Rn. 216 ff. Siehe oben unter Rn. 1 ff. Soweit sie eine Entsprechung im allgemeinen Schuldrecht haben; Sonderfall ist die Enthaftungserklärung, die originäres Gestaltungsrecht der Insolvenzordnung ist. 119) Siehe oben unter Rn. 36 ff. 120) Siehe oben unter Rn. 46 ff.
26
A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
solches sowie insbesondere auf die Vertragsbeziehung zwischen solventem Mitschuldner und Gläubiger.
I.
Der Anwendungsbereich des § 108 InsO
§ 108 Abs. 1 S. 1 InsO bezieht Pacht- und Mietverhältnisse über unbewegliche Ge- 58 genstände121) oder Räume122) sowie Dienstverhältnisse des Schuldners in seinen Anwendungsbereich ein. Die Formulierung „des Schuldners“ macht deutlich, dass alle entsprechenden Verträge umfasst sind und es nicht darauf ankommt, welche Rolle der Insolvenzschuldner im Vertragsverhältnis innehat. Diese Unterscheidung trifft erst S. 2,123) der nur Miet- und Pachtverträge über sonstige Gegenstände erfasst, in denen der Insolvenzschuldner Vermieter oder Verpächter ist. Allerdings sind nur Gebrauchsüberlassungsverträge über solche beweglichen Sachen nach S. 2 einbezogen, die einem Dritten, der ihre Anschaffung oder Herstellung finanziert, zur Sicherheit übertragen wurden.124) § 108 Abs. 2 InsO bezieht zudem Darlehensverträge ein, die der Insolvenzschuldner als Darlehensgeber abgeschlossen hat, wenn die Darlehensvaluta bereits ausgekehrt wurde. Nach dem Wortlaut der Norm ist es für die Gebrauchsüberlassungsverträge des Abs. 1 59 unerheblich, in welchem Durchführungsstadium sich die Verträge befinden. Der BGH führte für die praktische Rechtsanwendung durch zwei sich ergänzende jüngere Entscheidungen125) allerdings unter Rückgriff auf den alten § 21 KO faktisch die noch fortdauernde Überlassung der Mietsache, manifestiert im Besitz des Mieters, als ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal für die Anwendbarkeit des § 108 Abs. 1 InsO126) in der Insolvenz des Vermieters ein.127) ___________ 121) Dies sind solche, die der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen unterliegen, § 49 InsO. Neben Immobilien also Schiffe (und Schiffsbauwerke), § 870a Abs. 1 ZPO sowie Luftfahrzeuge, § 99 Abs. 1 LuftFzgG i. v. m. § 870a Abs. 1 ZPO. Kritisch zur Einbeziehung in den Anwendungsbereich des § 108 Abs. 1 S. 1 InsO, Seifert, NZM 1998, 217, 220. 122) Zum Raumbegriff ausführlich Jacoby in Jaeger, § 108, Rn. 72. 123) Dies übersieht Kroth in Braun, § 108, Rn. 6. 124) Gemeint sind insbesondere bestimmte Leasingverträge, die von der Leasinggesellschaft refinanziert werden. Zu Sinn und Zweck der Aufnahme dieses Satzes in die Vorschrift Seifert, NZM 1998, 217. Zur Anwendung auf die (refinanzierte) Pacht von Immaterialgüterrechten Hess in Hess, § 108, Rn. 6 f. 125) BGHZ 173, 116, Rn. 13 ff. = BGH NJW 2007, 3715, Rn. 13 ff. für den Fall der bei Insolvenzeröffnung noch nicht überlassenen Mietsache und daran anknüpfend BGHZ 204, 1, Rn. 12 ff. = BGH NJW 2015, 627, Rn. 12 ff. für den Fall der zwar ursprünglich überlassenen Mietsache, an der der Mieter aber im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung den Besitz aufgegeben hatte. 126) Wenngleich die BGH-Urteile (Fn. 125) zu Sachverhalten im Anwendungsbereich des Abs. 1 S. 1 ergangen sind, ist davon auszugehen, dass fortwährender Besitz auch Voraussetzung für die Anwendung des Abs. 1 S. 2 auf die dort bezeichneten Mobiliengebrauchsüberlassungsverträge ist. 127) Zustimmend zu dem ersten BGH-Urteil aus 2007 Jacoby in Jaeger, § 108, Rn. 85 m. w. N. zur Diskussion in der Literatur, kritisch etwa Dahl/Schmitz, NZI 2007, 716 und bezüglich des fortführenden Urteils aus 2014 Dahl/Linnenbrink, NZI 2015, 126.
27
Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
60 Obwohl es sich bei den Verträgen im Anwendungsbereich von § 108 InsO allesamt um Dauerschuldverhältnisse handelt,128) ist es keinesfalls so, dass alle Dauerschuldverhältnisse von § 108 InsO erfasst sein sollen. Das macht schon die Bereichseinschränkung für Gebrauchsüberlassungsverträge über Mobilien (§ 108 Abs. 1 S. 2 InsO) und Darlehensverträge (§ 108 Abs. 2 InsO) deutlich. Darum fehlt es auch an einer planwidrigen Regelungslücke für eine analoge Anwendung der Norm auf andere Dauerschuldverhältnisse.129)
61 Der § 108 Abs. 1 S. 1 InsO ist nach allgemeiner Ansicht wegen ihres überwiegenden mietrechtlichen Gepräges (analog130) auf Immobilienleasingverträge anzuwenden.131) Das trifft für die überwiegende Zahl der gebräuchlichen Leasinggestaltungen zu,132) die wegen ihres mietähnlichen Charakters als Gebrauchsüberlassungsvertrag auch in der Insolvenz wie Miet- und Pachtverträge behandelt werden müssen.133) Gleichwohl ist zu beachten, dass bestimmte Leasingformen einen anderen vertraglichen Schwerpunkt aufweisen können134) und dann in der Insolvenz entsprechend der Vertragsform zu behandeln sind, deren Strukturmerkmale am stärksten ausgeprägt sind135).
___________ 128) Zum Streit bezüglich der Einordnung des Darlehens als Dauerschuldverhältnis, Freitag in Staudinger, § 488, Rn. 24 m. w. N.; a. A. interessanterweise der Gesetzgeber bei Einführung des § 108 Abs. 2 InsO durch das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13.4.2007 (BGBl. I 509), BT-Drucks. 16/3227, S. 19. 129) Im Ergebnis ebenso Balthasar in Nerlich/Römermann, § 108, Rn. 6; D. Wegener in Uhlenbruck, § 108, Rn. 1. Zur diesbezüglichen Änderung der Überschrift des § 108 durch den Gesetzgeber der InsO Jacoby in Jaeger, § 108, Rn. 2. 130) Zumeist wird die Anwendung nicht als Analogie bezeichnet. Jedenfalls wenn man den Leasingvertrag als atypischen Mietvertrag einordnet, kommt auch eine direkte Anwendung in Betracht, zum Streitstand um die Rechtsnatur des Leasings mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtsprechung des BGH zum Verständnis als atypische Miete, Koch in MüKo-BGB, Finanzierungsleasing, Rn. 26 ff. Bei der Rechtsanwendung macht es freilich keinen Unterschied, ob die Norm direkt oder analog Anwendung findet. 131) Eckert in MüKo-InsO, Vor § 108, Rn. 28; Koch in MüKo-BGB, Finanzierungsleasing, Rn. 151; Kroth in Braun, § 108, Rn. 8; Jacoby in Jaeger, § 108, Rn. 50 ff.; Ringstmeier in K. Schmidt, § 108, Rn. 8; Schmalenbach in Ebenroth/Boujong/Joost, Finanzierungsleasing, Rn. V110; Seifert, NZM 1998, 217; Sinz in Uhlenbruck, § 108, Rn. 65 viele m. w. N. 132) Übersicht über die unterschiedlichen Leasingvertragsgestaltungen bei Koch in MüKo-BGB, Finanzierungsleasing, Rn. 4 ff. und Schott/Bartsch, Hdb.-UnternFin., S. 585, 587 ff. jeweils m. w. N. 133) Zu weiteren Sondervertragsformen im Anwendungsbereich des § 108 Abs. 1 S. 1 InsO, Eckert in MüKo-InsO, Vor § 108, Rn. 14 ff. 134) Beispiele etwa bei Schott/Bartsch, Hdb.-UnternFin., S. 585, 592. Darum zutreffend einschränkend auf den vertraglichen Schwerpunkt abstellend Eckert in MüKo-InsO, Vor § 108, Rn. 29; Ringstmeier in K. Schmidt, § 108, Rn. 8. 135) Bezüglich Verträgen mit Wartungskomponenten im Ergebnis auch Seifert, NZM 1998, 217, 220. Allgemein zur insolvenzrechtlichen Einordnung von typengemischten Gebrauchsüberlassungsverträgen, Jacoby in Jaeger, § 108, Rn. 46 f.
28
A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
Für dieses bunte Sammelsurium an Dauerschuldverhältnissen wurde die Abweichung 62 von dem Erfüllungswahlrecht des § 103 InsO vom Gesetzgeber aus zwei Argumentationslinien heraus für notwendig gehalten: Zum einem wird, insbesondere in der Vermieterinsolvenz, der Vertragspartner von dem Gesetzgeber für besonders schutzbedürftig gehalten,136) zum anderen wird, insbesondere in der Insolvenz des Mieters und Dienstberechtigten, das Erfüllungswahlrecht als zu unflexibel beurteilt137).138) Für die erfassten Verträge ist § 108 InsO lex specialis139) zu § 103 InsO, indem er dog- 63 matisch die Wirkungen der Erfüllungswahl mit Insolvenzeröffnung vorwegnimmt140). Der Insolvenzverwalter kann sich nur unter den Voraussetzungen der §§ 109 ff. InsO vom Vertrag lösen.
II.
Bipolar-mehrseitige Verträge im Anwendungsbereich des § 108 InsO
Die Fortbestehensanordnung des § 108 InsO bedeutet für bipolar-mehrseitige Ver- 64 träge erst einmal genau das: Sie bestehen unverändert fort – die Insolvenzeröffnung zeitigt keine materiellen Veränderungen für den Vertrag. Da der Wortlaut des § 108 InsO von bipolar-einseitigen Verträgen ausgeht, ist für die Anwendbarkeit der Norm selbstverständlich unschädlich, wenn neben dem Insolvenzschuldner auch eine andere Vertragspartei das parteibezogene Tatbestandsmerkmal erfüllt, also etwa Darlehensgeber im Sinne des § 108 Abs. 2 InsO ist. Um die aus dem Fortbestehen des Vertrages resultierenden Kosten für die Insolvenz- 65 masse (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. InsO) zu kompensieren, enthalten die § 109 ff. InsO ein differenziertes System von Lösungsmöglichkeiten für einen Teil der von § 108 InsO umfassten Verträge. Dem Insolvenzverwalter stehen dabei die Rechte aus §§ 109 und 113 InsO zu, während sich der Erwerber von Gegenständen der Insolvenzmasse nach § 111 InsO von bestimmten Verträgen lösen kann. Wie sich diese Lösungsrechte auf ein bipolar-mehrseitiges Vertragsverhältnis auswirken, wird im Folgenden untersucht.
III. Die Gestaltungsrechte aus § 109 InsO Der § 109 InsO ermöglicht es dem Insolvenzverwalter, sich von masseungünstigen 66 Verpflichtungen aus Miet- oder Pachtverträgen über unbewegliche Sachen und Räume ___________ 136) Hahn, Materialien KO, Sp. 75; zur weitgehenden Übernahme der Regelungen der Konkursordnung durch die InsO und damit auch Übernahme der damaligen Normierungsgründe, BTDrucks. 12/2443, S. 144, 146. 137) Hahn, Materialien KO, 76, 82, 84; zur Übernahme in die InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 146. 138) Zum ganzen Eckert in MüKo-InsO, Vor § 108, Rn. 2 ff.; Jacoby in Jaeger, § 108, Rn. 10 ff. 139) BGHZ 173, 116, Rn. 9 = BGH NJW 2007, 3715, Rn. 9; BGHZ 204, 1, Rn. 12 ff. = BGH NJW 2015, 627, Rn. 10; Ringstmeier in K. Schmidt, § 108, Rn. 2; D. Wegener in Uhlenbruck, § 108, Rn. 2. 140) Jacoby in Jaeger, § 108, Rn. 19, 21.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
des Insolvenzschuldners als Mieter oder Pächter, die nach § 108 Abs. 1 S. 1 InsO fortbestehen, zu lösen.141) Die Norm ist grundsätzlich entsprechend auf nach § 108 Abs. 1 S. 1 InsO fortbestehende Leasingverträge über unbewegliche Sachen und Räume des Insolvenzschuldners als Leasingnehmer anzuwenden.142) Die Lösungsmöglichkeit für den Insolvenzverwalter ist notwendig, da das Fortbestehen der Vertragsverhältnisse ab Insolvenzeröffnung zu einem Anwachsen der Masseverbindlichkeiten durch auf die Zeit ab Insolvenzeröffnung143) entfallende (nicht notwendigerweise nur der fällig werdenden144) Gegenleistungen führt, § 55 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. InsO. Die Lösungsmöglichkeiten bewahren dem Insolvenzverwalter somit die Flexibilität, die Mietsache solange nutzen zu können, wie es für die Masse vorteilhaft ist,145) da die Kündigung – unter Einhaltung der Kündigungsfrist – bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens erklärt werden kann146).
67 Für Verträge, die der Insolvenzschuldner als Vermieter, Verpächter oder Leasinggeber eingegangen ist, steht dem Insolvenzverwalter kein Lösungsrecht nach § 109 InsO zu. In diesem Fall kann erst nach der Veräußerung durch den Insolvenzverwalter ein Lösungsrecht des Erwerbers aus § 111 S. 1 InsO (freihändiger Verkauf) oder aus §§ 165 InsO, 869 ZPO i. V. m. §§ 172, 57a S. 1 ZVG (Zwangsversteigerung) bestehen.147)
68 Der Vermieter, Verpächter oder Leasinggeber eines Insolvenzschuldners kann sich – anders als noch unter Geltung der KO148) – nicht in vollem Umfang auf die Lö___________ 141) Zu diesen Begriffen im § 108 InsO bereits oben unter Rn. 58 ff. 142) Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 8; Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 11, vgl. zur Anwendbarkeit von § 108 Abs. 1 InsO auf Leasingverträge die Nachweise oben unter Fn. 131. Nicht anwendbar ist § 109 Abs. 1 S. 2 InsO. 143) Unter den Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 S. 2 InsO können auch Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen aus dem Eröffnungsverfahren mit Verfahrenseröffnung zu Masseverbindlichkeiten erstarken, BGHZ 151, 353 = BGH NJW 2002, 3326, 3327. 144) Ob eine Forderung aus dem Mietverhältnis Masseverbindlichkeit ist, bestimmt sich nicht nach dem Zeitpunkt ihrer Fälligkeit – insofern zwar nah am Wortlaut des § 55 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt InsO, aber dennoch ungenau BGH NJW 2012, 1881, Rn. 7 („[…] wenn ihre Erfüllung für die Zeit nach der Eröffnung erfolgen muss.“); Masseverbindlichkeiten sind vielmehr solche Forderungen, die das Entgelt für die Gebrauchsüberlassung der Sache für den Zeitraum ab Insolvenzeröffnung darstellen, siehe dazu Hefermehl in MüKo-InsO, § 55, Rn. 150; Jacoby in Jaeger, § 108, Rn. 147, 150. Näher noch BGH NZI 2003, 373, 374, wenn der Senat die „dafür [Anm. Verf.: für die Leistung an die Masse nach Eröffnung] zu entrichtende[n] volle[n] Gegenleistung“ in Bezug nimmt. 145) Siehe nur Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 6. 146) Statt vieler Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 6, 21 m. w. N. An einen Ausschluss des Kündigungsrechts wegen Rechtsmissbräuchlichkeit sind hohe Anforderungen zu stellen, Eckert in MüKoInsO, § 109, Rn. 26. 147) Dazu unten unter Rn. 149 ff. 148) Vgl. §§ 19 S. 1, 20 Abs. 1 KO. Das Rücktrittsrecht vor Überlassung der Mietsache galt allerdings nur für den Vermieter in der Mieterinsolvenz, § 20 Abs. 1 KO, während dem Insolvenzverwalter des Mieters in dieser Situation ein Erfüllungswahlrecht aus § 17 KO zustand.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
sungsrechte des § 109 InsO stützen, ihm steht vielmehr ausschließlich das Rücktrittsrecht aus § 109 Abs. 2 S. 1 InsO zu. Freilich bestehen daneben die allgemeinen Kündigungsrechte; eine Kündigung wegen 69 Zahlungsrückständen aus der Zeit vor dem Eröffnungsantrag oder wegen einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse ist dagegen ausgeschlossen, § 112 InsO.
1.
Anwendungsfälle bipolar-mehrseitiger Miet-, Pacht- und Leasingverhältnisse
Alle von den Lösungsrechten des § 109 InsO betroffenen Verträge sind in Form eines 70 bipolar-mehrseitigen Vertragsverhältnisses denkbar. Am häufigsten dürfte das im Rahmen von Mietverträgen der Fall sein; und zwar gleichermaßen bei Gewerbeund Wohnraummiete. Gerade bei Wohnraummietverhältnissen kommt es regelmäßig zu Situationen, in denen mehrere Personen zusammen Wohnräume bewohnen. Während früher vor allem familiäre- oder partnerschaftliche Wohnkonstellationen im Vordergrund standen, ist der Anwendungsbereich in den letzten Jahren rasant gewachsen. Neben dem lange bewährten Modell der studentischen Wohngemeinschaft, erschließen sich immer größere Bevölkerungskreise diese Form des gemeinsamen Wohnens: Freunde, Berufstätige, Alte, Hilfs- oder Pflegebedürftige sowie Mehrgenerationenprojekte. In all diesen Fällen haben sowohl Bewohner als auch Vermieter häufig ein Interesse daran, dass alle oder zumindest mehrere Bewohner Parteien des Mietverhältnisses sind. Die Mieter sind dann regelmäßig Gesamtschuldner (§§ 421, 427 BGB) und gemeinschaftliche Gläubiger einer unteilbaren Leistung (§ 432 Abs. 1 S. 1 BGB). Nicht unüblich ist auch, dass zunächst ein Mietverhältnis nur zwischen einem Mieter und Vermieter besteht, dem in der Folge weitere Mieter beitreten. Etwa wenn ein Familienangehöriger oder Partner in die Wohnung einzieht. Vorteile der gemeinsamen Stellung als Vertragspartei sind, die Mieterrechte in eigener Person gegenüber dem Vermieter geltend machen zu können sowie unzweifelhaft in den vertraglichen Schutzbereich einbezogen zu sein. Vermieterseits liegt das Aufnahmeinteresse in erster Linie in der gesamtschuldnerischen Haftungserweiterung, aber auch andere vertragliche bzw. dispositiv-gesetzliche Pflichten treffen dann unmittelbar den Mitmieter. Abzugrenzen sind diese Fälle echter Mietermehrheit, um die es in dieser Arbeit geht, von reinen Untermietverhältnissen: Bei diesen stehen dem Vermieter gerade nicht mehrere Mieter mit eigenen vertraglichen Ansprüchen aus dem Mietverhältnis gegenüber, sondern der Hauptmieter ist alleiniger Vertragspartner des Vermieters und befindet sich seinerseits in einem Vertragsverhältnis mit seinem Untermieter. Es handelt sich also um zwei bipolar-einseitige Verträge. Neben der Wohnraummiete gibt es auch bei den gewerblichen Mietverhältnissen gu- 71 te – das heißt tatsächlich praktizierte – Beispiele für Mietermehrheiten. Man denke
31
Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
nur an Gewerbetreibende oder Freiberufler, die sich Gewerberäume teilen, ohne wirtschaftlich durch eine gemeinsame Unternehmung verbunden zu sein.149) Aber auch viele Formen gemeinsamer gewerblicher oder freiberuflicher Betätigung können das Bedürfnis gemeinsamer Anmietung von Räumen wecken;150) Beispiele sind Büroflächen, Ladengeschäfte, Gastronomie- oder Lagerräume. Daneben dient die bipolarmehrseitige Gestaltung häufig zusätzlich Sicherungszwecken. Typische Anwendungsfälle für ganz oder überwiegend die Sicherung des Vermieters bezweckende Gestaltungen sind Vertragsbeitritte etwa des Gesellschafter-Geschäftsführers in den Mietvertrag der GmbH oder der Vertragsbeitritt von bonitätsstarken Dritten ohne eigenes Interesse an der vertraglichen Gegenleistung. Der Vertragsbeitritt als reines Sicherungsmittel dürfte aber die Ausnahme bleiben, da es ausreichend praktikable alternative Sicherungsinstrumente gibt.151) Die dargestellten Szenarien sind rechtlich freilich ebenso gut als Pacht- oder Immobilienleasingverträge gestaltbar und verbreitet.
2.
Mietermehrheit und Gesellschaft bürgerlichen Rechts
72 Diese Fälle der Mietermehrheit sind von solchen abzugrenzen, bei denen nur scheinbar eine Mietermehrheit besteht, tatsächlich aber eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) Partei des Mietverhältnisses ist.152) Denn in diesem Fall besteht rechtlich keine Mietermehrheit, sondern es besteht ein herkömmlicher bipolar-einseitiger Mietvertrag zwischen Vermieter und GbR als Mieter.153) Die Kündigung des Insolvenzverwalters der Gesellschaft154) beendet dann selbstverständlich das „ganze“ Mietverhältnis.155) Nicht zur Kündigung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO berechtigt ist dagegen der Insolvenzverwalter (nur) eines Gesellschafters der mietenden GbR, da der Gesellschafter selbst nicht Mieter ist.156) Die Frage ob eine GbR Vertragspartner geworden ist,157) ist allerdings nicht synonym mit der Frage, ob zwischen den
___________ 149) Etwa Gründer nicht personalintensiver (meist also digitaler) Start-Ups, die sich Büroräumlichkeiten teilen, aber völlig andere Unternehmungen betreiben. 150) Zur Abgrenzung zur Gesellschaft sogleich unter Rn. 72. 151) Übersicht bei Moeser in Lindner-Figura/Oprée/Stellmann, Kap. 12, Rn. 15 ff. 152) In dieser Arbeit wird die Teilrechtsfähigkeit der GbR vorausgesetzt, siehe dazu oben unter Fn. 29. 153) Dazu bereits allgemein oben unter Rn. 10 ff. 154) Seit Einführung der InsO ist die Außen-GbR insolvenzfähig, § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO. 155) Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 48. 156) Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 43; Hörndler in Lindner-Figura/Oprée/Stellmann, Kap. 20, Rn. 77; Steinicke, ZMR 2001, 160, 164 f.; Wolf/Eckert/Ball, Hdb gewerbliches MietR, Rn. 1587. 157) Zur Auslegung siehe Jacoby, ZMR 2001, 409, 410; Kraemer, NZM 2002, 465, 470 und Streyl, NZM 2011, 377, 379 ff. Speziell für die Wohngemeinschaft auch Jacobs, NZM 2008, 111, 112 f., beachte für diesen Fall aber die Sondervorschrift § 109 Abs. 1 S. 2 InsO, dazu unten unter Rn. 126.
32
A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
Mietern eine GbR besteht:158) Liegt lediglich eine Innen-GbR vor,159) sind die Gesellschafter, soweit nur sie nach außen in Erscheinung treten – und zwar nicht im Namen der Gesellschaft –, selbst Vertragsparteien und damit Mietermehrheit. Die Differenzierung zwischen mietender Außen-GbR und der im Innenverhältnis als GbR verbundenen Mietermehrheit ist sorgfältig zu treffen und ist für die Rechtsanwendung im Hinblick auf die Rechtsfolgen des § 109 InsO von erheblicher Bedeutung.160) Gerade juristisch nicht vorgebildete Rechtsanwender werden eher selten im Namen einer GbR einen Mietvertrag abschließen,161) sondern ihre gesellschaftliche Verbundenheit – wenn überhaupt –162) allein im Innenverhältnis beachten. Soll nachträglich eine Außen-GbR (oder eine sonstige Gesellschaft) anstelle der bisherigen Mieter Mietvertragspartei werden, wäre dies als Vertragsübernahme zustimmungsbedürftig.163)
3.
Die Gestaltungsrechte des § 109 InsO und ihre Rechtfolgen im bipolar-mehrseitigen Vertrag im Einzelnen164)
Der § 109 InsO bietet dem Insolvenzverwalter eines Mieters drei Gestaltungsrechte, 73 um sich von den nach § 108 InsO fortbestehenden und damit gegebenenfalls masseungünstigen Verträgen zu lösen, wenn er sie nicht – etwa zur Betriebsfortführung – benötigt.165) Die Norm unterscheidet zwischen Mietverhältnissen über Wohnraum ___________ 158) Hier differenzieren etwa Cymutta, NZI 2012, 674, 675 und Steinicke, ZMR 2001, 160, 164 oben, nicht ausreichend. In der Sache dagegen zutreffend, wenngleich nicht präzise formuliert, Drasdo, NJW-Spezial 2015, 161. 159) Eine Innen-GbR zwischen Mitmietern wird der Regelfall sein, denn gemeinsamer Zweck im Sinne des § 705 BGB ist bereits die Absicht der gemeinsamen Nutzung der Mietsache, jedenfalls wenn irgendeine Form von vermögenswirksamen Leistungen erbracht wird, um den Gesellschaftszweck zu fördern, vgl. dazu KG NJW-RR 1992, 1490 (das dort zitierte BGH-Urteil mag hier nicht als Nachweis dienen, da das gegenständliche Grundstück nicht gemietet, sondern erworben war), Jacoby, ZMR 2001, 409; Kraemer, NZM 2002, 465, 470. Im Ergebnis ebenso (an anderer Stelle aber ungenau) Drasdo, NJW-Spezial 2015, 161. 160) Eckert, EWiR 2013, 353, 354 sieht die Bedeutung des Meinungsstreits über die Rechtsfolgen des § 109 InsO bei Mietermehrheit (dazu sogleich unter Rn. 86 ff.) dagegen mit Blick auf Gesellschaften als Mietvertragsparteien abnehmen. Er differenziert bei seiner Einschätzung jedoch nicht ausreichend zwischen Innen- und Außen-GbR. 161) In Ermangelung eines dahingehenden Bewusstseins und zumeist fehlender Offenkundigkeit wird man in diesen Fällen die Willenserklärungen der Gesellschafter nur in Ausnahmefällen als Erklärung im Namen einer GbR auslegen können. 162) Zurecht weist Drasdo, NJW-Spezial 2015, 161 f. auf den Mangel passender gesellschaftsvertraglicher Regelungen für viele Fälle der Innen-GbR hin. 163) Kraemer, NZM 2002, 465, 470; Streyl, NZM 2011, 377, 380. 164) Zur besseren Lesbarkeit sind die folgenden Ausführungen für die praktisch relevanteste Fallgruppe, den Mietvertrag, formuliert. Wenn nicht ausdrücklich hervorgehoben, gelten die Ausführungen für Pacht- und Leasingverträge im Anwendungsbereich des § 109 InsO entsprechend. 165) Dies ist umso wichtiger, da die Insolvenzmasse nach zutreffender Ansicht nicht bloß für solche Mietverhältnisse haftet, die der Insolvenzverwalter für die Masse tatsächlich nutzt, sondern vielmehr für alle fortbestehenden Mietverhältnisse, da die Vorschrift insoweit nicht unterscheidet, Jacoby in Jaeger, § 108, Rn. 147; Ringstmeier in K. Schmidt, § 108, Rn. 21; D. Wegener in Uhlenbruck, § 108, Rn. 30; a. A. Horst, ZMR 2007, 167, 173.
33
Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
des Schuldners (Abs. 1 S. 2)166) und Miet- und Pachtverhältnissen über unbewegliche Gegenstände oder Räume (Abs. 1 S. 1). Dieser Tatbestandsunterschied darf jedoch nicht zu der Aussage verkürzt werden, Abs. 1 S. 1 gelte nur für gewerbliche Mietverhältnisse.167) Dies führte gleich zweifach in die Irre: Einerseits unterfallen alle Mietverhältnisse über Räume, die keine Wohnräume sind (§ 578 Abs. 2 S. 1 BGB),168) zwingend dem Kündigungsrecht aus § 109 Abs. 1 S. 1 InsO,169) denn die im Sinne des § 578 Abs. 2 S. 1 BGB verstandene Raummiete ist der systemische Abgrenzungsbegriff170) zur Wohnraummiete171); die Geschäftsraummiete (= gewerbliches Raummietverhältnis) ist dabei nur Unterbegriff172) der Raummiete, wie die Differenzierung in § 580a BGB zeigt173). Andererseits fallen aber auch nicht alle Wohnraummietverhältnisse aus dem Anwendungsbereich des Kündigungsrechts aus Abs. 1 S. 1: Lediglich für die Wohnung des Schuldners wird eine Sonderregel statuiert. Gemeint ist also die Wohnung, die Lebensmittelpunkt des Schuldners ist,174) nicht aber jeder gemietete Wohnraum. Dies wird einsichtig, wenn man bedenkt, dass Insolvenzschuldner auch eine juristische Person sein kann, die Mietverhältnisse über Wohnraum – etwa in Gestalt von Betriebswohnungen – abgeschlossen hat. Der Anwendungsbereich des Kündigungsrechts aus Abs. 1 S. 1 ist daher in Bezug auf Mietverhältnisse nicht durch einen Systembegriff als Schlagwort beschreibbar, sondern ergibt sich ___________ 166) Es werden ausschließlich Mietverhältnisse von Abs. 1 S. 2 in Bezug genommen. 167) Problematisch hier insbesondere BGHZ 196, 318 = BGH NJW 2013, 3232, 1. Leitsatz. Wenngleich die ausdrückliche Bezugnahme des BGH (nur) auf gewerbliche Mietverhältnisse aus einer Beschränkung des Urteils im Sinne der Dispositionsmaxime herrühren mag (was keineswegs sicher ist, da der Senat in seiner Begründung nicht auf Besonderheiten gewerblicher Mietverhältnisse abstellt), führt sie in der Literatur – und möglicherweise auch zukünftig in der Instanzrechtsprechung – zu undifferenzierter Pauschalisierung, etwa bei Kroth in Braun, § 109 in Fn. 28 („[…] da bei einem Wohnraummietverhältnis die Kündigung […] ausgeschlossen ist, […]“); Rolfs, LMK 2013, 346512, unter 3. Auch bei Hinz, NZM 2014, 137, 141 („Grundstücke oder Gewerberäume“). 168) Zum Begriff der Raummiete Blank in Schmidt-Futterer, Vor § 535, Rn. 93. 169) Genauso setzt selbstverständlich die Anwendung des § 109 Abs. 1 S. 1 InsO auf Mietverträge über andere unbewegliche Sachen (§ 49 InsO, vgl. auch oben Fn. 121) nicht Gewerblichkeit des Mietverhältnisses voraus. 170) Vgl. schon die Differenzierung im Gesetzesentwurf des Mietrechtsreformgesetzes, BT-Drucks. 14/ 4553, S. 74 („Räume[n], die keine Wohnräume sind“); unklar Weitemeyer in Staudinger, § 549, Rn. 13, 15 („Sonderfall des Mietverhältnisses über Räume“). 171) Zum Begriff Blank in Schmidt-Futterer, Vor § 535, Rn. 94 ff.; Weidenkaff in Palandt, Einf. v. § 535, Rn. 89; Weitemeyer in Staudinger, § 549, Rn. 15 ff. 172) Richtig Artz in MüKo-BGB, § 578, Rn. 4; Blank in Schmidt-Futterer, § 578, Rn. 11 (jeweils „wichtigster Anwendungsfall“). Anders Weidenkaff in Palandt, Einf. v. § 535, Rn. 94 f. 173) Artz in MüKo-BGB, § 578, Rn. 4; Weidenkaff in Palandt, Einf. v. § 535, Rn. 91. 174) BR-Drucks. 14/01, S. 30 und 56 spricht von der „existenziellen Bedeutung der Wohnung für den Schuldner“, existenziell im Wortsinne kann dabei nur die Hauptwohnung des Schuldners bzw. die Wohnung, die seinen Lebensmittelpunkt darstellt, sein. So oder ähnlich auch Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 109; Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 54.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
ausschließlich aus der Abgrenzung zu Abs. 1 S. 2 der insoweit lex specialis ist175). Nur Wohnraummietverhältnisse über die Wohnung des Schuldners können also nicht vom Insolvenzverwalter gekündigt werden. Für sie trifft Abs. 1 S. 2 InsO eine Sonderregel: Die Insolvenzmasse kann durch eine Enthaftungserklärung des Insolvenzverwalters mit Wirkung zum Ablauf der Kündigungsfrist des Abs. 1 S. 1 entlastet werden. Die Ansprüche des Vermieters aus dem Mietverhältnis für die Zeit nach der Enthaftungserklärung kann dieser nur noch außerinsolvenzlich verfolgen.176) Andere Mietverhältnisse kann der Insolvenzverwalter dagegen in Dreimonatsfrist zum Monatsende oder früher, wenn eine kürzere Frist maßgeblich ist,177) kündigen. Sowohl Kündigung als auch Enthaftungserklärung erlauben dem Vermieter „Schadensersatz“ wegen vorzeitiger Beendigung des Vertrages bzw. den Folgen der Enthaftungserklärung zu verlangen; diese Ansprüche kann der Vermieter als Insolvenzgläubiger geltend machen, § 109 Abs. 1 S. 3 InsO. Während die Gestaltungsoptionen in Abs. 1 nur dem Insolvenzverwalter offen ste- 74 hen,178) kann sowohl der Insolvenzverwalter als auch der Vermieter vom Mietvertrag zurücktreten, wenn die Mietsache bei Verfahrenseröffnung noch nicht überlassen war, § 109 Abs. 2 S. 1 InsO. Tritt der Insolvenzverwalter vom Vertrag zurück, stellt § 109 Abs. 2 S. 2 InsO wiederum klar, dass der Vermieter auch in diesem Fall wegen der Beendigung „Schadensersatz“ als Insolvenzforderung geltend machen kann. Während sich damit die Kündigung und die Enthaftungserklärung wegen ihres konträren sachlichen Anwendungsbereichs ausschließen, verdrängt der Rücktritt nach Abs. 2 nur scheinbar die Gestaltungsrechte aus Abs. 1:179) Allein der Begrenzung des Rücktrittsrechts auf Verträge, bei denen die Mietsache noch nicht überlassen war, kann nicht entnommen werden, dass der Rücktritt für diese Verträge die ausschließlich zulässige Gestaltungsvariante ist.180) Dagegen spricht schon der unbegrenzte Wortlaut des Abs. 1; es sind aber auch darüber hinaus keine zwingenden Gründe ___________ 175) BT-Drucks. 14/01, S. 56 a. E. 176) Zu Einzelheiten: Dahl, NZM 2008, 585, 587; Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 57; Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 66 f.; Marotzke in HK-InsO, § 109, Rn. 8 ff. 177) Denkbar sind ordentliche (§ 573c BGB, wenn der Vertrag nicht unter S. 2 fällt), außerordentliche (§ 580 Abs. 1), jeweils wegen der mietrechtlichen Karenztagregelung, oder auch vertragliche Kündigungsrechte mit kürzeren Fristen, dazu Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 20; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 109, Rn. 37 ff. Dies gilt insbesondere auch für bewegliche Sachen, die in der Insolvenzordnung als unbeweglich (§ 49 InsO) gelten (z. B. Luftfahrzeuge, §§ 98 Abs. 1, 99 Abs. 1 LuftFzgG). Dort sind verkürzte Kündigungsfristen wegen § 580a Abs. 3 Nr. 2 BGB besonders relevant, dazu Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 24. 178) Dies unterstreicht die Begründung des Gesetzesentwurfs, BT-Drucks. 12/2443, S. 147. Für eine analoge Anwendung des § 109 Abs. 1 InsO auf den Vermieter des Insolvenzschuldners ist daher kein Raum. Eine Kündigung des Vermieters aufgrund von Zahlungsverzug aus der Zeit vor Verfahrenseröffnung oder Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Insolvenzschuldners ist darüber hinaus durch § 112 InsO eingeschränkt. 179) Diesen Schein stützt BT-Drucks. 12/2443, S. 147 („geht Absatz 2 als Sonderregelung vor“). 180) Vgl. Nachweise sogleich unter Fn. 182.
35
Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
erkennbar, dem Insolvenzverwalter die Rechte aus Abs. 1 vollständig vorzuenthalten,181) vielmehr geht der Rücktritt den Rechten aus Abs. 1 nur bis zur Überlassung der Mietsache vor.182) Jede Partei hat es in der Hand, sich durch ein Erklärungsverlangen nach Abs. 2 S. 3 Hs. 1 Gewissheit zu verschaffen, ob der andere von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch machen wird.
75 § 109 InsO vermittelt dem Insolvenzverwalter somit ein verzögertes Quasi-Wahlrecht für solche Verträge, bei denen das Wahlrecht nach § 103 InsO durch die Fortwirkungsanordnung des § 108 InsO verdrängt ist. Der Insolvenzverwalter kann sich zwar von den vertraglichen Verpflichtungen lösen, ist aber zunächst an den Vertrag gebunden und schuldet Erfüllung. Ist die Mietsache bereits übergeben, erstreckt sich die Bindung zumindest auf den Zeitraum bis zur ersten Kündigungsmöglichkeit. Der Vermieter hat dann183) keine rechtliche Möglichkeit den Insolvenzverwalter dazu zu bringen, endgültig zu erklären, ob er sich von den vertraglichen Verpflichtungen lösen wird.184) Das kann zu einer nicht zu unterschätzenden Ungewissheit führen, da der Insolvenzverwalter nicht auf die Kündigung zum erstmöglichen Termin beschränkt ist, sondern sein Kündigungsrecht während der gesamten Laufzeit des Insolvenzverfahrens ausüben darf; dies ergibt sich aus dem Fehlen einer § 111 S. 2 InsO vergleichbaren Regelung in § 109 InsO.185) Allerdings ist der Vermieter im Gegenzug durch die Qualifizierung der Mietzinsforderung als Masseverbindlichkeit ab Insolvenzeröffnung gegenüber anderen Gläubigern privilegiert.
76 Dabei normiert § 109 InsO weder die konkrete Ausübung des Kündigungsrechts noch die Rechtsfolgen, wenn neben dem Insolvenzschuldner eine weitere (solvente) Vertragspartei steht. Diese Lücke wird grundsätzlich durch das allgemeine bürgerliche Recht ausgefüllt – jedenfalls für die nicht originär insolvenzrechtlichen Gestaltungsrechte. Dies führt für bipolar-mehrseitige Vertragsverhältnisse zu einer doppelten Ungewissheit, da sich bereits die Dogmatik des Bürgerlichen Rechts mit dem Modell des bipolar-mehrseitigen Vertrages bisweilen schwer tut. In § 109 InsO trifft diese Unsicherheit auf die besonderen insolvenzrechtlichen Motive des Gesetzgebers und die Interessen der Beteiligten. Im Folgenden wird daher unter___________ 181) Denn vielmehr kann gerade die Flexibilität zunächst Erfüllung zu verlangen (also: nicht zurückzutreten), aber dennoch nicht für das gesamte Verfahren an den Vertrag gebunden zu sein, für eine Sanierung oder die effektive Masseverwaltung ein entscheidender Vorteil sein, Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 15; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 109, Rn. 68. 182) Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 73, 75; Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 14 ff.; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 109, Rn. 68; Wagner in FA-Hdb-InsR, Kap. 6, Rn. 121; D. Wegener in Uhlenbruck, § 109, Rn. 4; trotz unklarer Formulierung („kann sich also entscheiden“) wohl auch B. Wegener in FK-InsO, § 109, Rn. 5, 32; a. A. Marotzke in HK-InsO, § 109, Rn. 21 ff. (jeweils nur bei Gebrauchsüberlassung in Unkenntnis der Verfahrenseröffnung) alle zitierten m. w. N. 183) Vor Überlassung dagegen: § 109 Abs. 2 S. 3 InsO. 184) Anders bei der Erfüllungswahl, § 103 Abs. 2 S. 2 InsO. 185) Siehe Nachweise oben unter Fn. 146.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
sucht, wie sich die verschiedenen Gestaltungsrechte, Kündigung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO186), Enthaftung nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO187) und Rücktritt nach § 109 Abs. 2 S. 1 InsO188) auf ein bestehendes bipolar-mehrseitiges Vertragsverhältnis auswirken.
a) Die Kündigung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO im bipolar-mehrseitigen Vertrag Das prominenteste und im Rahmen der insolvenzbeeinflussten bipolar-mehrseitigen 77 Verträge wohl meist diskutierte Vertragsverhältnis ist das Mietverhältnis über unbewegliche Gegenstände oder andere Räume als die Wohnung des Schuldners, das hier stellvertretend für die anderen von § 109 Abs. 1 S. 1 InsO erfassten Verträge in seinen Rechtsfolgen besprochen werden soll. Gerade bei Mietverhältnissen ist es nämlich nicht selten, dass dem Vermieter mehrere Vertragsparteien nebeneinander als Mitmieter gegenüberstehen. Die Problematik um das Schicksal eines solchen Mietverhältnisses nach der Kündigung des Insolvenzverwalters rückte so auch in den Fokus der insolvenz- und mietrechtlichen Literatur. Einige Instanzgerichte äußerten sich über die Zeit ebenso zu dieser Frage und zuletzt hatte auch der BGH Gelegenheit Stellung zu nehmen.189)
aa) Die Kündigung eines bipolar-mehrseitigen Mietvertrages nach den Grundsätzen des allgemeinen Schuldrechts Um der Frage nach den Folgen der Kündigung eines bipolar-mehrseitigen Mietver- 78 hältnisses durch den Insolvenzverwalter nachzugehen, ist es erforderlich, zunächst die Kündigung eines insolvenzunbefangenen bipolar-mehrseitigen Mietverhältnisses zu eruieren. Geht man dem nach, so liest man zumeist, im allgemeinen Mietvertragsrecht gelte für die Ausübung der Kündigung sowie ihre Rechtsfolgen der sogenannte Grundsatz der Einheitlichkeit der Mietverhältnisse. Einen gesetzlichen Niederschlag hat dieser Grundsatz nicht gefunden,190) er ist aber in Rechtsprechung und Literatur gleichermaßen anerkannt191). Trotz der fehlenden gesetzlichen Regelung entspreche der Einheitlichkeitsgrundsatz zudem dem Willen des Gesetzgebers, denn dieser sei von der Geltung dieses Grundsatzes selbstverständlich ausgegangen und habe sich so___________ 186) 187) 188) 189) 190)
Rn. 77 ff. Rn. 126 ff. Rn. 133 ff. Siehe die Übersicht zum Meinungsstand unten unter Rn. 86 ff. Beachte aber § 351 BGB zum Rücktritt und § 441 Abs. 2 BGB bei der kaufvertraglichen sowie § 638 Abs. 2 BGB bei der werkvertraglichen Minderung. 191) RGZ 90, 328, 330 f.; 138, 183, 186; 141, 391, 392; BGHZ 26, 102, 103 = BGH NJW 1958, 421; BGHZ 196, 318, 323 = BGH NJW 2013, 3233; Blank in Schmidt-Futterer, § 542, Rn. 44a; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, 22; Heintzmann in Soergel, § 542, Rn. 14; Larenz, SchuldR AT, 624; Leverenz, Gestaltungsrechtsausübungen, 156 ff.; Looschelders in Staudinger, § 425, Rn. 12, 15; Rolfs in Staudinger, § 542, Rn. 8; Weidenkaff in Palandt, § 542, Rn. 18.
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mit nicht veranlasst gesehen, ihn zu kodifizieren.192) Die Motive nennen allerdings nur einzelne Elemente, die heute als Inhalt des Einheitlichkeitsgrundsatzes betrachtet werden, ohne sie zu begründen.193) Dass diese Elemente unterstellt waren (und auch zutreffend sind – wie sich zeigen wird), vermag allerdings noch nicht einem „Grundsatz“ zu seiner Allgemeingültigkeit zu verhelfen. Nach aktuellem Verständnis besagt der Einheitlichkeitsgrundsatz, dass ein „einheitliches Mietverhältnis“ – gemeint ist damit ein Mietverhältnis mit mehreren Beteiligten, in der Terminologie dieser Arbeit also ein bipolar-mehrseitiges194) – nur gegenüber und mit Wirkung für alle Beteiligten gestaltet werden könne.195) Der Einheitlichkeitsgrundsatz wird bisweilen verschränkt mit dem sogenannten Grundsatz der Unteilbarkeit der Gebrauchsüberlassungsforderung.196) Dabei handelt es sich aber nicht um einen Grundsatz in dem Sinne, dass er verallgemeinerungsfähig Wertungen bündelt, um deren Anwendung auf unterschiedliche Sachverhalte zu vereinheitlichen. Der vermeintliche Grundsatz ist lediglich plakative Reproduktion des Gesetzes, denn die Unteilbarkeit ergibt sich schlicht in Abgrenzung zum Begriff der teilbaren Leistung (§ 420 BGB); diese Unteilbarkeit begründet letztlich zudem die „Einheitlichkeit“ des Mietverhältnisses.197) Präzise: Die Unteilbarkeit der Gebrauchsüberlassungsforderung führt zu der Annahme, nicht bloß die einzelne Forderung sei unteilbar, sondern vielmehr das ganze Rechtsverhältnis.198) Dieser Zustand ist es, den das Mantra der Einheitlichkeit des Mietverhältnisses zu beschreiben sucht.
79 Für das Rechtsinstitut der Kündigung wird aus dem Einheitlichkeitsgrundsatz gefolgert, dass diese von allen Vertragspartnern gegenüber allen Vertragspartnern ausgeübt werden müsse199) und die Kündigung den Vertrag nur als Ganzes beenden ___________ 192) Motive II, S. 413; darauf verweisend auch Rolfs in Staudinger, § 542, Rn. 8; ähnlich Eckert, GS Sonnenschein, 313, 319. 193) Kündigung von und gegenüber allen; Unteilbarkeit der Leistung. Siehe Fn. 192. 194) Zu Gestaltungsrechten im multipolar-mehrseitigen Vertrag instruktiv Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 199 ff., 355 ff. 195) Vgl. Nachweise oben unter Fn. 191. 196) Larenz, SchuldR AT, 624; Leverenz, Gestaltungsrechtsausübungen, 156 f.; auch schon in der Überschrift zu § 351 BGB. Kritisch zur richtigen Terminologie auch Streyl, NZM 2011, 377, 384. 197) Ähnlich Streyl, NZM 2011, 377, 384; andersherum dagegen Leverenz, Gestaltungsrechtsausübungen, 156 f. Zur Teilbarkeit einer Leistung Bydlinski in MüKo-BGB, § 420, Rn. 4; Larenz, SchuldR AT, 620 f.; Looschelders in Staudinger, § 420, Rn. 10 ff.; allgemein zur Unteilbarkeit der Gebrauchsüberlassungsforderung Gehrlein in BeckOK-BGB, § 431, Rn. 2; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, 22; Larenz, SchuldR AT, 624; Streyl, NZM 2011, 377, 383 f. Vgl. zur Unteilbarkeit auch unten unter Rn. 97 f. 198) A. A. Streyl, NZM 2011, 377, 384 der wegen der Unteilbarkeit der Gebrauchsüberlassungsforderung zwar auch das Schuldverhältnis im weiteren Sinn dem Einheitlichkeitsgrundsatz unterwirft, dann allerdings wieder teilbare „Rechte und Pflichten“ davon freigeben will. 199) Für den Mietvertrag etwa RGZ 90, 328, 330 f.; 138, 183, 186; 141, 391, 392; BGHZ 26, 102, 103 = BGH NJW 1958, 421; BGHZ 196, 318, 321 = BGH NJW 2013, 3232; Behrens, Beteiligung mehrerer Mieter, 252 ff.; Bieber in MüKo-BGB, § 542, Rn. 18; Blank in SchmidtFutterer, § 542, Rn. 43; Eckert, GS Sonnenschein, 313, 319; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, 22; Leverenz, Gestaltungsrechtsausübungen, 153 f., 294 f.; Lützenkirchen in Erman, § 542, Rn. 15; Rolfs in Staudinger, § 542, Rn. 12; Selb, Mehrheiten, 78; Streyl, NZM 2011, 377, 385; Weidenkaff in Palandt, § 542, Rn. 18.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
könne200). Eine sachliche oder personale Teilkündigung201) sei dagegen grundsätzlich nicht zulässig (sogenannte Gesamtwirkung der Kündigung).202) Der Einheitlichkeitsgrundsatz und § 425 BGB stehen für die Wirkung der vertragsbeendenden Gestaltungsrechte in einem vermeintlichen Spannungsfeld: Nach § 425 Abs. 1 BGB wirken Tatsachen nur für und gegen den Gesamtschuldner, in dessen Person sie eintreffen, wenn sich aus dem Schuldverhältnis nichts anderes ergibt. Der recht offensichtliche Widerspruch zwischen Einheitlichkeitsgrundsatz und der in § 425 Abs. 1 BGB angeordneten Einzelwirkung203) wird zumeist mit dem dürftigen Hinweis auf die herrschende Auslegung des § 425 Abs. 2 BGB zu kaschieren versucht: Unter Kündigung im Sinne von § 425 Abs. 2 BGB sei nur die Fälligkeits- nicht die Beendigungskündigung zu verstehen.204) Dies mag zutreffen, lässt aber nicht die Auseinandersetzung mit der Frage, warum dann nicht § 425 Abs. 1 BGB konsequent angewandt und ausgelegt wird, obsolet werden, zumal Abs. 2 der Norm ohnehin ___________ 200) RGZ 138, 183, 186; BGHZ 26, 102, 104 = BGH NJW 1958, 421, 422; BGHZ 196, 318, 323 = BGH NJW 2013, 3233; Behrens, Beteiligung mehrerer Mieter, 250 ff.; Blank in SchmidtFutterer, § 542, Rn. 30, 87; Eckert, GS Sonnenschein, 313, 325 ff.; Leverenz, Gestaltungsrechtsausübungen, 157; Lützenkirchen in Erman, § 542, Rn. 15; Oprée in Lindner-Figura/ Oprée/Stellmann, Kap. 15, Rn. 43; Streyl, NZM 2011, 377, 385. Ausnahmen bei BGHZ 65, 49, 54 f. = BGH NJW 1975, 1653, 1655 und Eckert, GS Sonnenschein, 313, 325 ff. 201) Zu den Begrifflichkeiten (= objektive und subjektive Teilkündigung) vgl. Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 361 ff. Zwanzger kritisiert dabei zurecht, dass die Diskussion um die sachliche/ objektive Teilkündigung die personale/subjektive Teilkündigung in den Schatten stellt und Schlussfolgerungen unreflektiert übertragen werden. 202) Zum Verbot der Teilkündigung Behrens, Beteiligung mehrerer Mieter, 250 ff.; Bieber in MüKoBGB, § 542, Rn. 15; Emmerich in Staudinger, § 543, Rn. 86; Lützenkirchen in Erman, § 542, Rn. 19; Riecke in Prütting/Wegen/Weinreich, § 542, Rn. 16; nicht ganz so streng Heintzmann in Soergel, § 542, Rn. 15; differenzierend mit dem Fokus auf multipolar-mehrseitige Verträge, Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 361 ff.; a. A. zur sachlichen Teilkündigung Kießling/ Becker, WM 2002, 578, 581 ff. Beachte allerdings schon §§ 489 Abs. 1 2. Alt., 573b Abs. 1, 595a Abs. 2 S. 1 2. Alt., 648a Abs. 2 (in der Fassung ab 1.1.2018) BGB, 29 VVG für gesetzlich vorgesehene Möglichkeiten einer sachlichen Teilkündigung; zu diesen (hier an den aktuellen Gesetzestext angepassten) und weiteren Beispielen Kießling/Becker, WM 2002, 578, 579. Das Argument von der Unteilbarkeit der Leistung überzeugt nur bei der sachlichen Teilkündigung, ein Verbot der personalen Teilkündigung kann es regelmäßig nicht begründen. Hier wird nicht hinreichend differenziert, statt vieler Motive II, S. 413. 203) Nach Schmidt-Kessel in Staudinger-Eckpfeiler, H., Rn. 107 sind ausgeübte Rechte, die das Schuldverhältnis als Ganzes betreffen, generell von der Einzelwirkung ausgenommen. Dies ist freilich zirkulär, da das Schuldverhältnis nur als Ganzes betroffen sein kann, wenn Gesamtwirkung des ausgeübten Rechts statthaft ist. Mittelbar gibt er dies selbst zu, wenn er in der Folge anmerkt, dies gelte wiederum nicht, wenn es möglich sei, die Gestaltungswirkung auf einen Gesamtschuldner zu begrenzen. Dann ist aber durch die Formulierung einer generellen Ausnahme von § 425 Abs. 1 BGB für Rechte, die das Schuldverhältnis als Ganzes betreffen, nichts gewonnen. 204) Ganz h. M. BGH NJW 2002, 2866, 2867; Behrens, Beteiligung mehrerer Mieter, 250; Böttcher in Erman, § 425, Rn. 5; Bydlinski in MüKo-BGB, § 425, Rn. 4, 6; Edenfeld, JZ 1997, 1034, 1039 f.; Grüneberg in Palandt, § 425, Rn. 3; Leverenz, Gestaltungsrechtsausübungen, 167 f.; Looschelders in Staudinger, § 425, 10, 13; Selb, Mehrheiten, 78; a. A. noch Noack in Staudinger [2005], § 425, Rn. 11 ff.
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nur eine klarstellende Enumeration ohne echten Regelungscharakter ist. Gelegentlich wird dieser Widerspruch durch eine Flucht in die Öffnungsklausel des Abs. 1 aufzulösen versucht und behauptet, das Schuldverhältnis bestimme etwas anderes.205) Eine solche Pauschalisierung vertauscht aber Ausnahme und Regelfall: Nur noch eine Vereinbarung der Parteien ließe den Regelfall des § 425 Abs. 1. BGB wieder gelten. Weiterführender mag es sein, die Frage der Gesamtwirkung gar nicht zwingend durch eine direkte Anwendung der §§ 422 ff. BGB zu lösen. Die Normen regeln in erster Linie das Schicksal einzelner gesamtschuldnerisch verbundener Forderungen.206) Diese können sich – so kann das Regelungskonzept zusammengefasst werden – im Grundsatz unabhängig voneinander entwickeln,207) insbesondere auch dann, wenn sie im selben Schuldverhältnis begründet liegen. Versucht man die §§ 422 ff. BGB im Hinblick auf die Wirkung der Kündigung, die als Beendigungskündigung nicht eine Forderung, sondern das Schuldverhältnis im Blick hat, anzuwenden, geschieht dies misslicherweise vor dem Gedankenbild des Schicksals der Gebrauchsüberlassungsforderung als Charakteristikum des Mietvertrages.208) Denn blickt man ausschließlich auf eine Forderung, ist das richtige Ergebnis in der Tat unmittelbar in §§ 422 ff. BGB zu finden. Die Beendigungskündigung wirkt sich aber gerade nicht ausschließlich auf einzelne Forderungen aus, sondern gestaltet vielmehr das gesamte Schuldverhältnis.209) Fragt man darum nach der Wirkung der Kündigung für den Vertrag, kann die Antwort nicht (ausschließlich) in Vorschriften zu suchen sein, die sich mit dem Schicksal der einzelnen gesamtschuldnerisch verbundenen Forderungen beschäftigen. Dies wird auch konzediert, wenn Kündigung im Sinne von § 425 Abs. 2 BGB allgemein als Fälligkeitskündigung verstanden wird210) – also als forderungsbezogene Rechtsausübung. Hier abzukürzen und Gesamtwirkung anzunehmen, weil die Kündigung notwendig das ganze Synallagma betreffe,211) klärt nicht die Ausgangsfrage, ob das Gesetz Gesamtwirkung anordnet, sondern gibt vor, die Gesamtwirkung ergebe sich aus den §§ 422 ff. BGB,212) wenn ___________ 205) Etwa Leverenz, Gestaltungsrechtsausübungen, 156 f. In diese Richtung auch Oetker, Dauerschuldverhältnis, 278 in Bezug auf die Auslegung von § 425 Abs. 2 BGB. 206) Looschelders in Staudinger, Vorb. zu §§ 420 – 432, 15, 67 (der den Begriff der „Leistung“ in den Vordergrund rückt). Zu Auswirkungen des Verständnisses des historischen Gesetzgebers über das Wesen der Schuldverhältnisse, Ernst in MüKo-BGB, Einl. vor § 241, Rn. 10; Olzen in Staudinger, § 241, Rn. 36 ff. und schon Motive II, S. 2, und auf die Beschränkung der § 420 ff. BGB auf einzelne Forderungen, Olzen in Staudinger, § 241, Rn. 36; Streyl, NZM 2011, 377, 382 f., alle m. w. N. Instruktiv zum Verständnis des Schuldverhältnisses Nörr/ Scheyhing/Pöggeler, Sukzessionen, 180 ff. 207) Vgl. Looschelders in Staudinger, § 425, Rn. 1. 208) So in diesem Zusammenhang ganz deutlich Streyl, NZM 2011, 377, 384. 209) Gleiches gilt für den Rücktritt, Bydlinski in MüKo-BGB, § 425, Rn. 3; Selb, Mehrheiten, 77 a. E. 210) Siehe Nachweise oben unter Fn. 204. 211) In diese Richtung wohl Böttcher in Erman, § 425, Rn. 5 f.; Looschelders in Staudinger, § 425, Rn. 15. 212) Die – das sei nochmals betont – eigentlich den Grundsatz der Einzelwirkung festschreiben.
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sie sich doch tatsächlich allein aus der Prämisse der Unzulässigkeit von Teilkündigungen erschließt. Macht man sich dagegen bewusst von den Vorschriften der §§ 422 ff. BGB frei,213) heißt das aber keinesfalls, dass nicht vielfach Gesamtwirkung der Beendigungskündigung die zutreffende Lösung ist. Man sollte den Einheitlichkeitsgrundsatz aber als das erkennen, was er wirklich ist: Fortbildung der §§ 422 ff. BGB214) für vertragsbeendende Gestaltungsrechte in mehrseitigen Verträgen. Denn der Einheitlichkeitsgrundsatz hat zurecht Eingang in den Kanon des allgemeinen Dauerschuldvertragsrechts gefunden: Antworten auf Fragen, wie gewisse Umstände oder Rechtshandlungen auf ein Schuldverhältnis wirken, müssen bei den §§ 422 ff. BGB, ergänzt durch die Elemente des Einheitlichkeitsgrundsatzes, ansetzen – dass diese „Grundsätze“ auch ein gesetzliches Fundament haben, dazu sogleich. Der Einheitlichkeitsgrundsatz ist darum auch kein Prinzip des Mietrechts oder Dau- 80 erschuldvertragsrechts, sondern eines des allgemeinen Schuldrechts und gilt für alle Schuldverhältnisse:215) Sind Forderungen aus einem Schuldverhältnis unteilbar und ist darum das Schuldverhältnis als einheitlich zu bewerten, sind vertragsbeendende oder verändernde Gestaltungsrechte grundsätzlich von allen Parteien eines Vertragspols gegenüber allen Parteien des anderen Vertragspols zu erklären und entfalten damit Wirkung für und gegen alle.216) Die einzelnen Aspekte erklären sich wie folgt: Dass gegenüber allen Parteien des 81 anderen Vertragspols zu erklären ist, ergibt sich für die vertragsbeendenden Gestaltungsrechte – wie die hier behandelte Kündigung – aus ihrer vertragsändernden Wirkung.217) Bedarf es regelmäßig zur inhaltlichen Änderung (oder gar Beendigung) ___________ 213) Vgl. dazu bereits die einsichtsreiche Erkenntnis von Selb, Mehrheiten, 6: „Die Praxis der Behandlung von Gläubiger- und Schuldnermehrheiten hat sich aus diesem Grund [Anm. d. Verf.: der dürftigen gesetzlichen Regelung] am Gesetzesrecht vorbei oder im völlig freien Raum entwickelt.“ 214) Als Vorbild mag das gewachsene Verständnis einer Bruchteilsforderungsgemeinschaft neben der Mitgläubigerschaft, § 432 BGB dienen, dazu ausführlich Rütten, Mehrheit von Gläubigern, 49 ff. 215) Streyl, NZM 2011, 377, 385 („auch für andere Vertragsarten“); Vgl. für Dauerschuldverhältnisse Edenfeld, JZ 1997, 1034, 1040; Gaier in MüKo-BGB, § 314, Rn. 18; Grüneberg in Palandt, § 425, Rn. 17; Larenz, SchuldR AT, 639, der den Miet- (und Pachtvertrag) als Beispiel anführt und Leverenz, Gestaltungsrechtsausübungen, 153 f. Für einen Darlehensvertrag auch BGH NJW 2002, 2866, 2867. Darüber hinaus vgl. nur §§ 351, 441 Abs. 2 BGB. Wohl auch Eckert, GS Sonnenschein, 313, 319 ff. Schon Motive II, S. 413 verweisen darauf, dass sich die relevanten Fragen in anderen Schuldverhältnissen ebenso stellen. Beachtlich ist in diesem Zusammenhang eine jüngst ergangene Entscheidung des BGH, in der die Geltung des Einheitlichkeitsgrundsatzzes für das Widerrufsrecht eingeschränkt wird, um dessen Schutzzweck zur Geltung zu verhelfen, BGH NJW 2017, 243, Rn. 15. 216) Anders für den Fall eines Vertragsbeitritts zum Mietvertrag unter Verstoß gegen das Schriftformerfordernis BGHZ 65, 49, 54 f. = BGH NJW 1975, 1653, 1655. Zu weiteren Ausnahmen im Mietrecht Eckert, GS Sonnenschein, 313, 325 ff. 217) Zutreffend zur Verbindung von Kündigung und Änderungsvertrag Larenz, SchuldR AT, 639; weiter auch Looschelders in Staudinger, § 425, Rn. 15.
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eines bestehenden Schuldverhältnisses eines Vertrages zwischen allen Parteien des ursprünglichen Schuldverhältnisses, so sind die Gestaltungsrechte als einseitige, den Vertrag umformende oder beendende Erklärungen die Ausnahme von dieser Regel.218) Wäre das Gestaltungsrecht ein Angebot auf Abschluss einer Vertragsänderung, müsste es gegenüber allen Parteien des Vertrages erklärt werden,219) da ein Konsens aller zur Vertragsänderung erforderlich ist. Ist aber bei der Gestaltungsrechtsausübung eine eigene Willenserklärung der Vertragsparteien des anderen Vertragspols in Form einer Annahmeerklärung nicht erforderlich, bleibt das Erfordernis der wirksam gegenüber allen erklärten eigenen Willenserklärung bestehen – es muss nunmehr also (nur) das Gestaltungsrecht erklärt werden. Die verfügenden Gestaltungsrechte könnte man – freilich vereinfacht und undogmatisch – also als gesetzlich angeordnete Entbehrlichkeit der Annahmeerklärung des Antrags auf Vertragsänderung beschreiben. Diese Wertung treffen für den Rücktritt ausdrücklich § 351 BGB sowie §§ 441 Abs. 2, 638 Abs. 2 BGB für die Minderung. Auch §§ 461, 472 BGB könnte eine ähnliche Wertung zu Grunde liegen, ihre Formulierung ist jedoch nicht so eindeutig wie die der anderen Vorschriften.220)
82 Dass die Kündigung von allen Parteien eines Vertragspols zu erklären ist, ergibt sich ohne Weiteres aus dem Gesetz und hat nichts mit einem nicht kodifizierten vertragsrechtlichen „Grundsatz“ zu tun: Sind Mehrere aus einem Vertrag berechtigt,221) besteht an den Forderungen und Rechten aus dem Vertrag sowie nach hier vertretener Ansicht an dem Vertrag selbst222) eine Bruchteilsgemeinschaft, § 741 BGB.223) Das Mietverhältnis und die einzelnen Vermögensrechte aus dem Mietverhältnis sind also Gegenstand jeweils einer gesonderten Bruchteilsgemeinschaft;224) die Gestal___________ 218) Vgl. Emmerich in MüKo-BGB, § 311, Rn. 12, 21. Ein Änderungsvertrag ist dabei schuldrechtlicher Verfügungsvertrag, da er den Inhalt eines bestehenden Schuldverhältnisses ändert, siehe nur Grüneberg in Palandt, § 311, Rn. 3. Er ist stets abzugrenzen von einer Aufhebung und anschließenden Neubegründung des Vertragsverhältnisses. 219) Also Abgabe in Richtung und Zugang bei jedem Vertragspartner. 220) Der Unterschied zwischen „kann es nur im Ganzen ausgeübt werden“ (§§ 461, 472 BGB) und „nur von allen und gegen alle ausgeübt werden“ (§ 351 BGB) ist augenfällig, trotzdem wird regelmäßig in §§ 461, 472 BGB der Wortlaut des § 351 BGB hinein gelesen, etwa bei Schmidt in Prütting/Wegen/Weinreich, § 472, Rn. 2 und Weidenkaff in Palandt, § 472, Rn. 1. 221) Zum Verhältnis zur Mitgläubigerschaft nach § 432 BGB instruktiv Rütten, Mehrheit von Gläubigern, 49 ff. 222) Die Bruchteilgemeinschaft kann am Vertragsverhältnis und an den einzelnen Rechten oder alternativ nur an den Rechten aus dem Vertragsverhältnis bestehen. Zum Rechtsverhältnis als tauglicher Gegenstand der Bruchteilsgemeinschaft Schmidt in MüKo-BGB, § 741, Rn. 18 m. w. N. auch zur a. A. die wohl noch als „herrschend“ bezeichnet werden muss, stellvertretend Rütten, Mehrheit von Gläubigern, 84 ff. 223) Besteht im Innenverhältnis eine GbR, ergibt sich das gleiche entsprechend aus §§ 709, 719 BGB. Für Anwendung des § 719 BGB, Behrens, Beteiligung mehrerer Mieter, 252 f. Vgl. allgemein für Forderungen Larenz, SchuldR AT, Rn. 622. Abstrakt auch Weitnauer, FS Hauß, 373, 376. 224) Das ist Ausprägung des Spezialitätsgrundsatzes, Rütten, Mehrheit von Gläubigern, 84, der allerdings das Rechtsverhältnis nicht als Gegenstand der Gemeinschaft anerkennt; Schmidt in MüKo-BGB, § 741, Rn. 33.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
tungsrechte in Bezug auf ein von einer Gemeinschaft gehaltenes Vertragsverhältnis oder eine Forderung fallen dann als Derivatrechte ebenfalls unter die gemeinschaftliche Verwaltung.225) Denn am derivativen Recht aus einem Gegenstand in Bruchteilsgemeinschaft setzt sich die Bruchteilsgemeinschaft als neue Gemeinschaft fort.226) Dies wird deutlich verständlicher, wenn richtigerweise das Rechtsverhältnis selbst als Gegenstand einer Bruchteilsgemeinschaft anerkannt wird, denn das Gestaltungsrecht ist wohl immer Derivat des Schuldverhältnisses und nicht einer Forderung. Die Zuordnung des Gestaltungsrechts zur Bruchteilsgemeinschaft an der Forderung kann allerdings hilfsweise über den (gemeinsamen) Ursprung im Rechtsverhältnis erreicht werden. Möchten die Teilhaber ein Gestaltungsrecht geltend machen, liegt darin regelmäßig 83 eine Verfügung über eine oder mehrere Forderungen aus dem Vertragsverhältnis (ggf. mittelbar) oder über das Vertragsverhältnis selbst. Das Gestaltungsrecht betrifft dann notwendig die Forderung oder das Vertragsverhältnis als Ganzes. Wenn etwa das Vertragsverhältnis durch Kündigung beendet wird, gehen auch die Forderungen aus dem Vertragsverhältnis unter; dass dies bisweilen „zukünftige“ Forderungen betrifft, ist unschädlich: Die Forderung besteht bereits (und ist damit auch Gegenstand einer Bruchteilsgemeinschaft), sie ist nur möglicherweise noch nicht fällig. Es handelt sich daher nicht um zukünftige Forderungen im rechtlichen Sinn. Der Untergang der Forderung oder die Beendigung des Vertragsverhältnisses ist daher Verfügung über den gemeinschaftlichen Gegenstand227) und kann mithin von den Teilhabern nur gemeinschaftlich vorgenommen werden, § 747 S. 2 BGB228). Das
___________ 225) Vgl. Eickelberg in Staudinger, § 747, Rn. 69; Hadding in Soergel, § 747, Rn. 6; Schmidt in MüKo-BGB, § 747, Rn. 4. 226) Ob an dem Gestaltungsrecht eine neue Gemeinschaft besteht, ist nicht hinreichend diskutiert und wird, soweit ersichtlich, nicht explizit vertreten. Möglicherweise kann man Schmidt in MüKoBGB, § 747, Rn. 4 so verstehen; zwar unspezifisch aber deutlich dagegen Rütten, Mehrheit von Gläubigern, Rn. 84. In der Rechtsfolge ergibt sich aber kein Unterschied, wenn man keine Gemeinschaft am Gestaltungsrecht anerkennt, sondern das Gestaltungsrecht als Annex zum gemeinschaftlichen Rechtsverhältnis oder der gemeinschaftlichen Forderung ansieht, so wohl Eickelberg in Staudinger, § 747, Rn. 69 („Eine Verfügung über den Gegenstand im Ganzen ist ferner die Ausübung von Gestaltungsrechten, die der Gemeinschaft zustehen: […]“ [Hervorhebung durch Verf.]) (ggf. gar die Ausübung als „Verwaltung“ qualifiziert; in diesem Zusammenhang zur Abgrenzung von Verfügung und Verwaltung Rütten, Mehrheit von Gläubigern, 117 f.). 227) Gegenstand im Sinne der Bruchteilsvorschriften ist weit zu verstehen und umfasst auch Rechte (vgl. bereits den Wortlaut des § 741 BGB), statt vieler Sprau in Palandt, § 741, Rn. 3. 228) Das gleiche Ergebnis lässt sich erreichen, wenn die Vorschrift zur gemeinsamen Verwaltung in Bezug genommen wird, § 744 BGB, so Larenz, SchuldR AT, 623 für Forderungen. Dann wäre aber wohl ein Mehrheitsvotum über die Ausübung zulässig (§ 745 Abs. 1 BGB), während § 747 S. 2 BGB die Verfügung ausdrücklich nur gemeinschaftlich zulässt. Dies kulminiert freilich in der Frage, ob auch § 747 S. 2 BGB durch Mehrheitsbeschluss abdingbar ist. Richtigerweise dagegen Schmidt in MüKo-BGB, § 747, Rn. 24; a. A. Sprau in Palandt, § 747, Rn. 5.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
Gestaltungsrecht kann also nur von allen Teilhabern gemeinschaftlich229) ausgeübt werden.230)
84 Ist nun geklärt, warum die Kündigung von und gegenüber allen Parteien eines Vertragspols zu erklären ist, stellt sich zuletzt die Frage, in wie weit ein Kündigungsgrund, der nur in Person einer Partei vorliegt, zur Kündigung des (gesamten) Mietverhältnisses berechtigen kann. Dazu sind zwei Gedankenschritte notwendig: Zunächst wird eine personale Teilkündigung231), die eine Vertragspartei ausschließlich gegenüber und mit Wirkung für einen anderen Vertragspartner,232) gegenüber dem ein (persönlicher) Kündigungsgrund besteht, erklärt, wegen des Einheitlichkeitsgrundsatzes für unzulässig gehalten.233) Akzeptiert man dies, um das Vertragsgefüge nicht willkürlich zu zerbrechen,234) stellt sich die Anschlussfrage, ob womöglich ein Kündigungsgrund in Person eines Vertragspartners zur Kündigung mit Gesamtwirkung gegenüber allen durch alle – statt zur personalen Teilkündigung – berechtigen kann. Diese Frage ist letztlich ein Zurechnungsproblem235) und wird für Handlungen, die außerordentliche Kündigungsgründe begründen, weitgehend bejaht.236) Überwiegend wird aber einschränkend der Typus des Kündigungsgrunds und der konkrete Einzelfall in die Beurteilung einbezogen und auf diesem Weg Elementen einer Einzelfallauslegung Vorschub geleistet.237)
___________ 229) Gemeinschaftlich heißt freilich nicht: In einer Erklärung. Jede Partei kann selbstständig das Gestaltungsrecht ausüben, es wird aber erst wirksam, wenn alle Parteien sich entsprechend erklärt haben. 230) Ebenso unter in Bezug auf § 747 S. 2, Sprau in Palandt, § 741, Rn. 10. Explizit für die Kündigung Eickelberg in Staudinger, § 747, Rn. 69; Hadding in Soergel, § 747, Rn. 6; Schmidt in MüKo-BGB, § 747, Rn. 4; Sprau in Palandt, § 747, Rn. 3. Ohne Begründung allein auf das Vorhandensein einer Bruchteilsgemeinschaft abstellend, BGH NJW-RR 2015, 1039, Rn. 25. 231) Zum Begriff oben unter Fn. 201. 232) Man mag es als „Herauskündigung“ bezeichnen. 233) Vergleiche Nachweise oben unter Fn. 200 und 202; Ausnahmen unter Fn. 200. 234) Siehe dazu die kritischen Anmerkungen des Verf. unter Fn. 202. Gegen eine generelle Unzulässigkeit und für eine restriktive Einzelfallgewährung einer personalen Teilkündigung auch Oetker, Dauerschuldverhältnis, 279, der dies allerdings exklusiv als Frage der Auslegung des § 425 BGB sieht. Der generelle Ausschluss einer sachlichen Teilkündigung stünde im Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht, einem Leitmotiv seiner Studie, dazu Oetker, Dauerschuldverhältnis, 248 ff. Ferner unter Fn. 216. 235) Behrens, Beteiligung mehrerer Mieter, 255; Heintzmann in Soergel, § 535, Rn. 22; Looschelders in Staudinger, § 425, Rn. 17; Selb, Mehrheiten, 79. 236) Für weitgehende Zurechnung Eckert, GS Sonnenschein, 313, 325; Heintzmann in Soergel, § 535, Rn. 22; Müller in Prütting/Wegen/Weinreich, § 425, Rn. 2; Weidenkaff in Palandt, § 542, Rn. 18 a. E. Für Einzelfallabwägung unter Berücksichtigung des Kündigungsgrundes Böttcher in Erman, § 425, Rn. 6; in diese Richtung auch BGHZ 26, 102, 104 f. = BGH NJW 1958, 421, 422; Looschelders in Staudinger, § 425, Rn. 17; Rolfs in Staudinger, § 542, Rn. 85; Selb, Mehrheiten, 79; zurückhaltender Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, 22 f. 237) Vgl. Nachweise oben unter Fn. 236.
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Es kann nach alledem festgehalten werden, dass die inhaltliche Kernaussage des 85 Einheitlichkeitsgrundsatzes zutreffend und systematisch unterlegt ist: Im insolvenzunbefangenen bipolar-mehrseitigen Vertrag ist die Kündigung von allen Vertragspartnern eines Vertragspols gegenüber allen Vertragspartnern des anderen Vertragspols zu erklären. Darüber hinaus taugt der Einheitlichkeitsgrundsatz eher als schimärisches Blankettargument denn als Axiom des Schuldrechts.
bb) Meinungsstand zur Rechtsfolge der Kündigung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO Um nun eine Antwort auf die Frage nach der Rechtsfolge einer Kündigung eines 86 bipolar-mehrseitigen Vertrages durch den Insolvenzverwalter zu finden, soll zunächst ein Blick auf die relativ umfangreiche (am Maßstab des bipolar-mehrseitigen Vertrages) Diskussion in Literatur und Rechtsprechung geworfen werden. Der aktuelle Meinungsstand238) gliedert sich in drei Ströme: Die weit überwiegen- 87 de Meinung,239) der sich zuletzt auch der BGH ausdrücklich anschloss,240) geht von einer Beendigung des gesamten Vertragsverhältnisses durch die Kündigung des Insolvenzverwalters aus. Eine differenzierende Ansicht stellt dagegen auf den Zweck der vertraglichen Bin- 88 dung mit den weiteren Mietern ab:241) Sind diese Parteien des Mietvertrages geworden,242) um an der Gebrauchsüberlassung der Mietsache gleichrangig zu partizipie___________ 238) Wobei freilich einige Kommentierungen die BGH-Entscheidung noch nicht einbezogen haben und es somit nicht absehbar ist, ob aus Anlass des Urteils auch einige Literaten „umkippen“ werden; so etwa nunmehr widerspruchslos Gemeinhardt/Weber in AnwHdb-MietR, Kap. P, Rn. 228. 239) OLG Celle NJW 1974, 2012; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 109, Rn. 10; Berberich in BeckOK-InsO, § 109, Rn. 17; Blank in Schmidt-Futterer, § 542, Rn. 140; Breitenbücher in GrafSchlicker, § 109, Rn. 2; Bydlinski in MüKo-BGB, § 425, Rn. 7; Dahl in AnwHdb-InsR, § 8, Rn. 212 f.; Dahl, NZM 2008, 585, 587; Eckert, NZM 2001, 260, 261; Flöther/Wehner in Ahrens/ Gehrlein/Ringstmeier, § 109, Rn. 19; Gehrlein, NZI 2015, 97; Henckel in Jaeger-KO, § 19, Rn. 67; Kroth in Braun, § 109, Rn. 27; Pohlmann-Weide in HambK-InsO, § 109, Rn. 19; Vallender/ Dahl, NZI 2000, 246, 247 a. E.; Wagner in FA-Hdb-InsR, Kap. 6, Rn. 123; B. Wegener in FK-InsO, § 109, Rn. 17; D. Wegener in Uhlenbruck, § 109, Rn. 3; Zeuner in Leonhardt/Smid/ Zeuner, § 109, Rn. 6. Wohl auch OLG Düsseldorf NJW-RR 1987, 1369, 1370, das Gericht will aber scheinbar die Gesamtwirkung nicht in jedem Fall gelten lassen, ohne jedoch genauer auf eine Abgrenzung einzugehen. 240) BGHZ 196, 318 = BGH NJW 2013, 3232; ebenso bereits die Vorinstanzen OLG Hamburg ZIP 2012, 1143 und LG Hamburg BeckRS 2013, 06638. 241) Andres in Andres/Leithaus, § 109, Rn. 6; Franken/Dahl, Mietverhältnisse in der Insolvenz, 121 f.; Hörndler in Lindner-Figura/Oprée/Stellmann, Kap. 20, Rn. 75 f.; Lützenkirchen in Lützenkirchen, § 542, Rn. 191; Steinicke, ZMR 2001, 160, 162 ff. (jedenfalls im Ergebnis, da er lediglich mithaftende Vertragspartner nicht für Vertragspartner im Rechtssinne hält); Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 109, Rn. 46. Auch die Entscheidung OLG Köln, ZIP 1995, 46, 47 ist wohl von diesem Gedanken getragen. 242) Allerdings besteht über das Parteiverständnis innerhalb der Ansicht wesentliche Unklarheit, denn teilweise wird die rechtliche Parteieigenschaft zur Abgrenzung herangezogen und an anderer Stelle wird eine tatsächliche Abgrenzung vorgenommen, vgl. dazu unten unter Rn. 121 ff.
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ren, müsse das Mietverhältnis mit ihnen fortbestehen. Sind sie dagegen nur zur Haftungserweiterung Teil des Vertrages geworden243), wirke die Kündigung auch im Verhältnis zu ihnen.
89 Nach einer weiteren Ansicht bestehe das Mietverhältnis zu den anderen Mietern fort; nur der insolvente Mieter scheide durch die Kündigung des Verwalters aus dem Vertragsverhältnis aus.244)
cc) Stellungnahme 90 Zustimmung verdient dabei die letztgenannte Ansicht: Das Mietverhältnis besteht nach der Kündigung durch den Insolvenzverwalter zwischen Mitmieter und Vermieter unverändert fort; nur der Insolvenzschuldner scheidet aus dem Vertragsverhältnis aus.
91 Nähert man sich der Frage durch Auslegung des § 109 Abs. 1 S. 1 InsO, ist nach dem tradierten Auslegungskanon zunächst der Wortlaut heranzuziehen. Der Wortlaut verhält sich allerdings nicht zur Situation eines bipolar-mehrseitigen Vertragsverhältnisses245) und bietet somit erst recht keinen Aufschluss über die Rechtsfolge der Kündigung in diesem Szenario. Dem Rechtsanwender hilft der Wortlaut daher nicht weiter,246) darum wandert die Diskussion schnell weiter zum Gesetzeszweck, zu dem der BGH in seinem Urteil zur Thematik postuliert, dieser lasse eine Beschränkung der Rechtsfolgen der Kündigung auf das Verhältnis zwischen Insolvenzschuldner und Vermieter nicht erkennen.247) Das Kündigungsrecht des § 109 ___________ 243) Innerhalb der Ansicht herrscht eine gewisse Begriffsverwirrung, manche beschränken das Ausscheiden auf Fälle des Beitritts zur Schuld, nicht zum ganzen Vertrag, exemplarisch Steinicke, ZMR 2001, 160, 163. Dass in diesen Fällen der ganze Vertrag beendet wird, erscheint freilich selbstverständlich, liegt doch gar keine vertragliche Mietermehrheit vor. Ähnlich gestaltet sich die Situation, wenn eine GbR Mieterin ist: Auch dann existiert keine Mietermehrheit im Rechtssinn, vgl. dazu oben unter Rn. 72. 244) Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 39; Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 42 ff.; Paul, InVo 2008, 1, 3; wohl auch Wolf/Eckert/Ball, Hdb gewerbliches MietR, Rn. 1589. Eine Art analoge Anwendung des § 109 Abs. 1 S. 2 InsO, ein „relativiertes Kündigungsrecht“ mit der Wirkung des Ausscheidens der Masse aus der Haftung, erwägt Marotzke in HK-InsO, § 109, Rn. 10 ff. Dass diese für Wohnraum entwickelte Idee zur Einführung des (heutigen) § 109 Abs. 1 S. 2 InsO geführt hat, zeigt ihre Berechtigung. Der begrenzte Anwendungsbereich der Normierung erteilt aber auch jeder Form der Erstreckung (auch wenn er sich scheut die Analogie bei Namen zu nennen) eine offensichtliche Absage. 245) Sehr anschaulich Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 28 ff. zum Verhältnis (auch bipolar-)mehrseitiger Verträge zum BGB und den Gründen ihrer dürftigen Kodifizierung. Siehe dazu bereits oben unter Rn. 1 ff. 246) A. A. Hinz, NZM 2014, 137, 142. Siehe dazu unten unter Rn. 115 ff. 247) BGHZ 196, 318 Rn. 19 a. E. = BGH NJW 2013, 3232 Rn. 19 a. E unter Verweis auf RGZ 141, 391, 392 f. für § 19 KO. Das Reichsgericht wägt allerdings nur allgemein ab, ob die Kündigung des Jagdpachtvertrages Gesamtwirkung entfaltet (heute spezialgesetzlich in § 13a S. 1 1. Hs. BJagdG geregelt und verneint!). Eine konkrete oder vergleichbare Aussage zum Gesetzeszweck findet sich im Urteil nicht. Siehe auch Gehrlein, NZI 2015, 97, 103.
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Abs. 1 S. 1 InsO soll es dem Insolvenzverwalter ermöglichen, sich von solchen fortbestehenden (§ 108 InsO) Verträgen zu lösen, die masseungünstig sind.248) Der Gesetzgeber bezweckt somit, die Masse für die Gläubiger zu erhalten. Deswegen ist es tatsächlich zutreffend, mit dem BGH anzunehmen, der Gesetzeszweck lasse eine Beschränkung der Kündigungswirkung auf die Vertragsbeziehung zwischen Insolvenzschuldner und Insolvenzgläubiger nicht erkennen249) – aus dem Normzweck ergibt sich indes aber ebenso wenig, dass sich die Kündigungswirkung auf das gesamte Vertragsverhältnis erstrecken muss. Denn die Masse wird zweifelsohne auch durch alleiniges Ausscheiden des Insolvenzschuldners aus dem Vertrag und damit der Masse aus der zukünftigen Haftung geschont und der Gesetzeszweck so erreicht.250) Dabei geht es freilich nur um die vertraglich geschuldete, als Masseverbindlichkeit privilegierte (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. InsO) Hauptleistungspflicht. Denn die Norm bezweckt nicht, die Masse von jeglicher Belastung freizuhalten; eine Ausgleichsverpflichtung gegenüber dem Gläubiger251) ist in Gestalt einer Insolvenzforderung stets zu tragen und damit für die Auslegung der Norm nach ihrem Gesetzeszweck ohne Bedeutung; das zeigt schon § 109 Abs. 1 S. 3 InsO, der einen etwaigen „Schadensersatzanspruch“ als Insolvenzforderung qualifiziert. Aus alledem ist also keineswegs zu folgern, der Gesetzeszweck stütze die Einzelwirkung. Vielmehr ist zu konstatieren: Der Gesetzeszweck fordert weder Gesamt- noch Einzelwirkung; er ist mit allen diskutierten Lösungen unproblematisch erreicht.252) Keine der diskutierten Ansichten führt zu einer Schmälerung der masseschonenden Wirkung des § 109 Abs. 1 S. 1 InsO.253) Darum ist die zutreffende Rechtsfolge allein unter Berücksichtigung systematischer 92 Argumente und der Interessen der übrigen Beteiligten zu bestimmen. Im Folgenden wird daher zunächst untersucht, in wie weit die Dogmatik der Kündigung eines bipolar-mehrseitigen Vertrages im insolvenzunbefangenen Mietrecht auf den Insolvenzfall übertragen werden kann und anschließend die Interessenverteilung in der Insolvenz beleuchtet, wobei ein besonderes Augenmerk auf dem Leitmotiv des vertraglichen Insolvenzrisikos als kohärenzstiftendes Element liegen soll.
___________ 248) Dazu oben unter Rn. 66 ff.; zum Normzweck siehe Nachweis oben in Fn. 145. 249) Siehe Fn. 247. 250) Eckert, GS Sonnenschein, 313, 327; Paul, InVo 2008, 1, 3; Wolf/Eckert/Ball, Hdb gewerbliches MietR, Rn. 1590; a. A. siehe Nachweise unten in Fn. 253. 251) Genauer zu den Haftungskonstellationen nach der Kündigung des bipolar-mehrseitigen Vertrages durch den Insolvenzverwalter für die verschiedenen Ansichten sogleich. 252) Ähnlich Hinz, NZM 2014, 137, 141 und Paul, InVo 2008, 1, 3. 253) Dies verkennen Dahl in AnwHdb-InsR, § 8, Rn. 213; Vallender/Dahl, NZI 2000, 246, 247 a. E.; B. Wegener in FK-InsO, § 109, Rn. 17 und Zeuner in Leonhardt/Smid/Zeuner, § 109, Rn. 6, die – freilich ohne Begründung – die Gesamtwirkung der Kündigung als notwendig für die masseschonende Wirkung erachten.
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(1) Übertragung der Dogmatik der Kündigung eines insolvenzunbefangenen bipolar-mehrseitigen Vertrages? 93 Erster Ansatzpunkt für eine systematische Argumentation ist die Frage nach der deduktiven Übertragbarkeit der dogmatischen Grundsätze zur Kündigung eines bipolarmehrseitigen Vertrages im Bürgerlichen Recht auf die Kündigung eines bipolarmehrseitigen Mietverhältnisses in der Insolvenz nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO. Das Rechtsinstitut der Kündigung ist im Bürgerlichen Recht hinreichend untersucht und wurde selbst für bipolar-mehrseitige Verträge leidlich aber praktikabel aufgearbeitet.254) So verwundert es nicht, dass der BGH den Rückgriff auf das allgemeine Mietrecht unternimmt und die dortigen Erkenntnisse für seine Argumentation pro Gesamtwirkung der Kündigung nutzbar zu machen versucht.255) Der Rückgriff sei möglich, da der § 109 InsO nur auf das Verhältnis zwischen Insolvenzschuldner und Vermieter ausgelegt sei. Für die Frage, wie sich die Kündigung auswirkt, wenn sie gegenüber Mehreren erklärt wird, sei in Ermangelung einer Spezialregel auf allgemeine Regeln zurück zu greifen. Der BGH führt daher zur Beantwortung der Frage nach der Rechtsfolge der Insolvenzverwalterkündigung den Grundsatz der Einheitlichkeit der Mietverhältnisse ins Feld.256) Dieser gebiete es, das Mietverhältnis nur gegenüber allen Parteien zu gestalten, in unserem Fall also durch Kündigung zu beenden.257)
94 Wie bereits gezeigt wurde,258) ist gegen die inhaltliche Aussage des „Grundsatzes“ der Einheitlichkeit zunächst nichts einzuwenden: Die Kündigung muss wegen der gemeinschaftlichen oder gesamthänderischen Bindung des Mietvertrages beziehungsweise der Gebrauchsüberlassungsforderung und des derivativen Kündigungsrechts von allen Mitmietern erklärt werden und sie kann nicht zu einer sachlichen Teilkündigung führen, da die Gebrauchsüberlassungsforderung unteilbar ist. Es ließ sich hingegen kein Nachweis dafür finden, dass eine personale Teilkündigung wegen des Inhalts der Gebrauchsüberlassungsforderung nicht denkbar ist oder sonstige Rechtsgründe einer solchen entgegenstehen259) – insbesondere nicht die Unteilbarkeit ___________ 254) Dazu oben unter Rn. 78 ff. 255) BGHZ 196, 318, Rn. 18 = BGH NJW 2013, 3232, Rn. 18. 256) BGHZ 196, 318, Rn. 18 = BGH NJW 2013, 3232, Rn. 18. Zum Einheitlichkeitsgrundsatz schon oben unter Rn. 78 ff. 257) BGHZ 26, 102, 103 = BGH NJW 1958, 421; BGH NJW 2004, 1797; BGH NJW 2005, 1717; OLG Düsseldorf NJW-RR 1987, 1369, 1370; auch im Rahmen eines Leasingvertrages BGHZ 144, 370, 379 = BGH NJW 2000, 3133, 3135; siehe auch Behrens, Beteiligung mehrerer Mieter, 252 ff.; Bieber in MüKo-BGB, § 542, Rn. 18; Blank in Schmidt-Futterer, § 542, Rn. 27, 30; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, 49; Heintzmann in Soergel, § 535, Rn. 20; Leverenz, Gestaltungsrechtsausübungen, 153 f., 294 f.; Streyl, NZM 2011, 377, 385; Weidenkaff in Palandt, § 542, Rn. 18. 258) Oben unter Rn. 78 ff. 259) Vgl. oben unter Rn. 78 ff., insbesondere Fn. 202. Von Einigen wird dies ebenfalls so erkannt: BGHZ 65, 49, 54 f. = BGH NJW 1975, 1653, 1655; Oetker, Dauerschuldverhältnis, 279; Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 360 ff. m. w. N. Zu Ausnahmen in speziellen mietrechtlichen Konstellationen ferner Eckert, GS Sonnenschein, 313, 325 ff.
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der Forderung, da diese überhaupt nicht geteilt würde, sondern weiter ungeteilt dem verbliebenen Mieter zustünde. Was die personale Teilkündigung im allgemeinen Mietrecht regelmäßig unzulässig, 95 oder besser unmöglich, macht, ist das Erfordernis der gemeinschaftlichen Kündigungserklärung260).261) Daneben steht ein weiterer Rechtfertigungsgedanke: Das Mietverhältnis solle in seiner Mehrseitigkeit erhalten bleiben, wie es geschlossen wurde – ein im Wortsinne vertragskonservativer Gedanke –, damit sich nicht ein Mieter gegenüber dem anderen Mieter oder gegenüber dem Vermieter seiner (Mit-)Haftung entziehen könne. Die Notion der „Entziehung“ aus der vertraglichen Haftung ist allerdings recht plump, denn eine Kündigung, auch eine alleinige,262) ist stets nur möglich, wenn ein Kündigungsgrund (außerordentliche Kündigung) vorliegt oder das Gesetz selbst die Kündigung für angemessen hält (ordentliche Kündigung). Es enthält somit jede Kündigung – auch im bipolar-mehrseitigen Vertrag – eine „Entziehung“ aus der vertraglichen Haftung; schließlich soll die Kündigung den Vertrag beenden. Die Beendigung bedarf aber regelmäßig keiner gesonderten Rechtfertigung, da die Tatbestände der Kündigungsgründe für die Berechtigung des Lösungsinteresses bürgen. Es ist daher uneinsichtig, warum ein Kündigungswilliger und -berechtigter aufgrund der Beteiligung eines Dritten einen unzumutbaren263) Zustand hinzunehmen haben sollte, bis auch der Vertragspartner zur Mitwirkung bereit ist oder bewegt wurde. Diese Argumentation als Rechtfertigung für die Unzulässigkeit der personalen Teilkündigung ist daher höchst fragwürdig. Gleichwohl kann man auch unbesehen beide Argumente für den Ausschluss einer per- 96 sonalen Teilkündigung für zwingend halten – und muss trotzdem feststellen, dass sie gerade in der Insolvenz schlechterdings nicht haltbar sind.
(a) Das Erfordernis der gemeinsamen264) Kündigungserklärung Blicken wir zunächst auf das Erfordernis einer gemeinsamen Kündigungserklärung 97 der Mitmieter.265) Konsequenz des Einheitlichkeitsgrundsatzes ist im allgemeinen ___________ 260) Es sei noch einmal betont, dass die Kündigung nicht gemeinsam in einer Erklärung erklärt werden muss, sondern jede Partei sich unabhängig von der anderen erklären kann. Lediglich für den Eintritt der Rechtsfolgen müssen alle erforderlichen Erklärungen vorliegen. Wenn in der Folge daher von „gemeinsamer Kündigungserklärung“ die Rede ist, ist das obenstehende gemeint und der Terminus allein der Stilistik geschuldet. 261) Zur Vermeidung von Doppelungen sogleich noch genauer unter Rn. 97 f. Dieses Erfordernis ergibt sich aus den Vorschriften der Bruchteilgemeinschaft und aus den Regelungen zur GbR, dazu ausführlich oben unter Rn. 78 ff. 262) Diesen Vergleich zum bipolar-einseitigen Vertrag zieht auch Oetker, Dauerschuldverhältnis, 277. 263) Zur Illustration allein § 314 Abs. 1 S. 2 BGB. Auch Oetker, Dauerschuldverhältnis, 277 bemüht diesen Terminus. 264) Siehe Anmerkung in Fn. 260. 265) Behrens, Beteiligung mehrerer Mieter, 252 ff.; Bieber in MüKo-BGB, § 542, Rn. 18; Blank in Schmidt-Futterer, § 542, Rn. 43; Eckert, GS Sonnenschein, 313, 319; Leverenz, Gestaltungsrechtsausübungen, 153 f., 294 f.; Rolfs in Staudinger, § 542, Rn. 12; Streyl, NZM 2011, 377, 385; Weidenkaff in Palandt, § 542, Rn. 18. Zum dogmatischen Fundament siehe oben unter Rn. 78.
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Mietrecht spiegelbildlich zum Erfordernis der Erklärung gegenüber allen Parteien des anderen Vertragspols, dass das Mietverhältnis nur durch Erklärung jeder Partei eines Vertragspols gekündigt werden kann; bei Mietermehrheit also nur durch entsprechende Erklärung jedes Mieters. Schon der BGH – zur Erinnerung: die Dogmatik des allgemeinen Mietrechts sollte dessen Hypothese der Gesamtwirkung der Kündigung stützen – hat festgestellt, dass das Erfordernis der Kündigung durch jeden Mieter für die Kündigung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO nicht aufrecht erhalten werden kann.266) Denn es sei mit dem massewahrenden Zweck der Vorschrift nicht zu vereinbaren, wenn neben dem Insolvenzverwalter auch alle Mitmieter eine Kündigungserklärung abgeben müssten, um wirksam zu kündigen. Freilich hat der BGH damit Recht; es ist unvereinbar mit dem Zweck des § 109 Abs. 1 S. 1 InsO, die Wirksamkeit der Kündigungserklärung des Insolvenzverwalters von der Mitwirkung der Mitmieter abhängig zu machen.267) Würde man auch eine Kündigungserklärung des Mitmieters für erforderlich halten,268) führte dies dazu, dass sich der Eintritt der Kündigungswirkung bis zur Mitwirkung des Mitmieters verzögerte und in der Zwischenzeit weitere Masseverbindlichkeiten begründet würden, deren Entstehung das Kündigungsrecht des § 109 InsO gerade verhindern will269).270) Zur Rechtfertigung des Festhaltens am Erfordernis der allseitigen Kündigung wird teilweise angeführt, der Insolvenzverwalter habe einen Anspruch gegen den Mitmieter auf Mitwirkung bei der Kündigung und könne somit dessen Kündigungserklärung erzwingen.271) Allerdings verhindert dies nicht das zwischenzeitliche Anwachsen von ___________ 266) BGHZ 196, 318, Rn. 12 = BGH NJW 2013, 3232, Rn. 12. 267) Ebenso Bydlinski in MüKo-BGB, § 425, Rn. 7; Dahl, NZM 2008, 585, 591; Eckert, EWiR 2013, 353 (er hält dies gar für unbestritten); Eckert, GS Sonnenschein, 313, 324; Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 36; Hörndler in Lindner-Figura/Oprée/Stellmann, Kap. 20, Rn. 74; Flöther/Wehner in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 109, Rn. 19; Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 43; Paul, InVo 2008, 1, 2; Pohlmann-Weide in HambK-InsO, § 109, Rn. 19; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 109, Rn. 44; Wolf/Eckert/Ball, Hdb gewerbliches MietR, Rn. 1588; Wagner in FA-Hdb-InsR, Kap. 6, Rn. 123; auch schon Henckel in Jaeger-KO, § 19, Rn. 35; a. A. Behrens, Beteiligung mehrerer Mieter, 253, 266 (zu § 19 KO); Cymutta in KölnK, § 109, Rn. 20; Cymutta, NZI 2012, 674, 675 und Leverenz, Gestaltungsrechtsausübungen, 298, der sich allerdings nicht mit dem insolvenzspezifischen Schutzzweck des Kündigungsrechts auseinandersetzt und Steinicke, ZMR 2001, 160, 164, der allerdings § 55 Abs. 1 S. 2 2. Alt. InsO teleologisch reduzieren will, so dass keine Masseverbindlichkeiten entstehen, wenn die Mietsache für die Insolvenzmasse nicht „von Vorteil ist“. 268) So Behrens, Beteiligung mehrerer Mieter, 253, 265 f.; Cymutta in KölnK, § 109, Rn. 20; Cymutta, NZI 2012, 674, 675; Leverenz, Gestaltungsrechtsausübungen, 298. 269) Zum Normzweck – der Verhinderung von Masseverbindlichkeiten – Nachweis unter Fn. 145. 270) Dies ist das Hauptargument der die selbstständige Kündigungsmöglichkeit des Insolvenzverwalters befürwortenden Ansicht, exemplarisch BGHZ 196, 318, Rn. 12 = BGH NJW 2013, 3232, Rn. 12; vgl. auch die Nachweise in Fn. 267. 271) Behrens, Beteiligung mehrerer Mieter, 266; Cymutta in KölnK, § 109, Rn. 20; Cymutta, NZI 2012, 674, 675. Außerhalb der Insolvenz zu einem solchen Mitwirkungsanspruch Streyl, NZM 2011, 377, 385 wenn der, dessen Mitwirkung notwendig ist, bereits „ausgezogen“ ist (wohl: wenn der Mitmieter den (Mit-)Besitz an der Mietsache aufgegeben hat).
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Masseverbindlichkeiten und zwingt den Insolvenzverwalter gegebenenfalls zur langwierigen prozessualen Durchsetzung des Mitwirkungsanspruches.272) Natürlich mag der Insolvenzschuldner einen Schadensersatzanspruch gegen den Mitmieter haben, wenn dieser nicht unverzüglich an der Kündigung mitwirkt. Ein solcher Anspruch ist jedoch zum einen nicht zwangsläufig, etwa wenn den Mitmieter kein Verschulden trifft oder er gar noch ein berechtigtes Interesse am Fortbestand des Mietverhältnisses hat,273) und zum anderen sind die Masseverbindlichkeiten erst einmal aufgelaufen, während der etwaige Schadensersatzanspruch gegen den Mitmieter möglicherweise uneinbringlich ist, zum Beispiel wegen unsicherer Vermögensverhältnisse des Mitmieters oder weil dieser unbekannt verzogen ist. Dieses Mehrbelastungsrisiko soll die Masse aber gerade nicht treffen. Als Einwand gegen die alleinige Kündigungserklärung verbliebe also nur, rigide 98 auf die Einhaltung der Dogmatik zu beharren: Die Kündigung durch einen Mieter allein sei wegen der gesamthänderischen Bindung – aufgrund der (angeblich) zumeist bestehenden Innen-GbR – der Rechte aus dem Mietverhältnis unzulässig.274) Wie oben gezeigt, kann man das gleiche Argument unabhängig vom Bestehen einer Innen-GbR auch aus den Vorschriften über die Bruchteilsgemeinschaft entnehmen, bei der die gemeinsamen Rechte, soweit ihre Ausübung eine Verfügung über den gemeinsamen Gegenstand darstellen würde, nur der gemeinsamen Ausübungsbefugnis der Teilhaber unterliegen.275) Je nach dogmatischem Verständnis entweder weil auch am Gestaltungsrecht selbst eine derivative Bruchteilsgemeinschaft – also eine der Bruchteilsgemeinschaft am Bezugsgegenstand (vorzugswürdig: dem Schuldverhältnis; alternativ: der Forderung) entsprechende – besteht oder weil das Gestaltungsrecht als Annex zum Bruchteilsgegenstand den Vorschriften über die Gemeinschaft unterliegt. Durch die Ausübung des Kündigungsrechts würde das Schuldverhältnis beendet und die Forderungen gingen unter. Die Kündigung ist also eine Verfügung über den Bruchteilsgegenstand im Ganzen und kann daher nur gemeinschaftlich vorgenommen werden, § 747 S. 2 BGB. Da die Kündigung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO dieselben Rechtsfolgen hat, liegt eine Anwendung des § 747 S. 2 BGB nahe. Allerdings besteht ein entscheidender Unterschied: Das insolvenzbedingte ___________ 272) So auch Eckert, GS Sonnenschein, 313, 324; Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 36. Gleiches gilt auch, wollte man die Rechtsprechung (BGH NJW 2004, 1797, 1798; BGH NZM 2005, 452, 453) zum nicht insolvenzbefassten Mietrecht übertragen, die (zumeist in Fällen auseinandergegangener Lebensgemeinschaften) § 242 BGB anwendet, um auf die Mitwirkung des Mitmieters verzichten zu können, wenn dieser kein schützenswertes Interesse an der Nichterteilung der Zustimmung hat. Denn auch dieser Weg führte zu erheblicher rechtlicher Unsicherheit, was im Einzelfall ein schutzwürdiges Interesse darstellt; im Zweifel müsste wieder der Insolvenzverwalter langwierig prozessual die Wirksamkeit seiner Alleinkündigung feststellen lassen. 273) Das heißt, gar kein Anspruch auf Mitwirkung besteht. 274) Behrens, Beteiligung mehrerer Mieter, 252 f., 266. 275) Dazu und zum Folgenden bereits oben unter Rn. 78 ff.
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Kündigungsrecht aus § 109 Abs. 1 S. 1 InsO entspringt gerade nicht dem Mietverhältnis – also dem Bruchteilsgegenstand276) –, sondern dem insolvenzrechtlichen Sonderregime für nichterfüllte Verträge.277) Entscheidend für die gemeinschaftliche Bindung bei der Ausübung eines Gestaltungsrechts ist nämlich nicht allein, ob es eine Verfügung über den Gegenstand als Ganzes darstellt, sondern ob an dem auszuübenden Recht selbst eine Gemeinschaft besteht. Das ist regelmäßig so, wenn das Recht Derivat einer bestehenden Bruchteilsgemeinschaft ist; es also im Rechtsverhältnis begründet ist. § 109 Abs. 1 S. 1 InsO ist jedoch außervertragliches gesetzliches Sonderkündigungsrecht und berührt somit nur im Ergebnis seiner Ausübung – der Verfügung – den Bruchteilsgegenstand. Das wird schon durch die tatbestandliche Anknüpfung an die Person des Ausübenden, den Insolvenzverwalter, deutlich. § 109 InsO ist kein neutrales, das heißt, von jedem ausübbares, Kündigungsrecht. Der Tatbestand setzt damit nicht das alleinige Ausübungsrecht des Insolvenzverwalters, er illustriert allerdings die vertragliche Ungebundenheit des Kündigungsrechts, das nicht in eine Rechtsgemeinschaft der Teilhaber am Schuldverhältnis fällt,278) da es kein Derivat des gebundenen Vertragsverhältnisses ist. Die Ausübungsbefugnis an diesem Kündigungsrecht steht daher allein dem Insolvenzverwalter zu.279)
(b) Die „Entziehung“ aus der vertraglichen Haftung 99 Aber nicht nur das Erfordernis der gemeinsamen Kündigungserklärung ist in der Insolvenz fallen zu lassen: Auch das zweite Argumentationsstandbein der Unzulässigkeit personaler Teilkündigungen vermag nicht zu halten: Danach sei die „Einheit___________ 276) Oder dem Vertrags als notwendigen Bezugspunkt für die Forderung als Bruchteilsgegenstand, denn das Gestaltungsrecht entsteht immer aus dem Rechtsverhältnis, nicht aus der Forderung. Diese Herleitung des Gestaltungsrechts aus dem Vertrag in Bruchteilzuständigkeit spricht erheblich für ein Verständnis des Rechtsverhältnisses selbst als tauglichen Gegenstand einer Bruchteilgemeinschaft. Zur „Rechtszuständigkeit“ für ein Gestaltungsrecht bezüglich einer gemeinschaftlichen Forderung, Schmidt in MüKo-BGB, § 747, Rn. 4. 277) Diese Eigenständigkeit wird – in anderem Zusammenhang – herausgestellt etwa von Jacoby in Jaeger, § 108, Rn. 28 („spezifisch insolvenzrechtliche [Lösungsrechte; Verf.]“). 278) Oder ggf. in das Gesamthandsvermögen. 279) Ein zu formalistischer, aber in der Idee vergleichbarer, Ansatz dieser Begründung findet sich bei Eckert, GS Sonnenschein, 313, 324, der sich generell darauf zurückzieht, es kündige gar nicht der an den Grundsatz der einheitlichen Kündigungsausübung gebundene Mitmieter, sondern der Insolvenzverwalter, der nicht der Bindung an den Teilhaber unterliege. Das ist im Ergebnis für unseren Fall zutreffend, dennoch zu allgemein gehalten: Denn die Kündigung ist letztlich in Bezug auf ein gesamthänderisch/gemeinschaftlich gebundenes Vertragsverhältnis abgegeben, dessen Bindung selbstverständlich auch gegenüber dem Insolvenzverwalter fortwirkt, vgl. zur Bindung des Insolvenzverwalters an die vorgefundene Rechtslage nur Mock in Uhlenbruck, § 80, 75 ff. Mit der Dogmatik des gebundenen Kündigungsrechts setzt sich Eckert genauso wenig auseinander, wie mit der Zurechnung von Kündigungsgründen. Daher ist die hier dargestellte Erklärung über die Ungebundenheit allein des Kündigungsrechts und nicht des Insolvenzverwalters an sich vorzugswürdig.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
lichkeit“ notwendig, da die Teilkündigung eines Mieters in das Vertragsgefüge dergestalt eingreife, dass möglicherweise der verbleibende Mieter den Mietzins nicht mehr bestreiten könnte und somit der Vermieter und/oder der verbleibende Mitmieter schlechter gestellt würden.280) Dieses Argument ist eigenständig gegen die Möglichkeit der personalen Teilkündigung gerichtet und daher vom Erfordernis der gemeinsamen Kündigungserklärung zu trennen. Während es bereits im insolvenzunbefangenen Recht nicht überzeugen kann,281) ist ihm entgegenzuhalten, dass es gerade in der Insolvenz eines Mieters nicht tragfähig ist: Der nunmehr insolvente Mieter steht nämlich ohnehin nicht mehr als vollwertiger Miet- bzw. Regressschuldner zur Verfügung.282) Durch die Insolvenz des einen Mieters hat sich das Insolvenzrisiko, das der Mitmieter im Rahmen der gesamtschuldnerischen Haftung für die Verbindlichkeiten aus dem Mietverhältnis übernommen hat, verwirklicht.283) Dass er nun womöglich auch im Innenverhältnis überobligatorisch haften muss, entspricht dem Wesensgehalt der Übernahme des Insolvenzrisikos eines anderen. Auch die Befürchtung, der Vermieter trage nun ein höheres Risiko für den Ausfall seiner Mietforderungen, ist kein durchschlagendes Argument. Das Insolvenzrisiko des nunmehr insolventen Mieters trägt zwar der Mitmieter, das Insolvenzrisiko des (letzten) Mitmieters – das Finalinsolvenzrisiko284) – trägt aber der Vermieter. Selbst wenn der verbliebene Mitmieter also mit der Erfüllung der ganzen Mietzinsverbindlichkeit im Außenverhältnis wirtschaftlich überfordert wäre und selbst in die Insolvenz fiele, entspräche dies der schon durch den Vertragsschluss festgeschriebenen Verteilung des Insolvenzrisikos.285) Zudem ist die Forderung des Vermieters gegen den Insolvenzschuldner ohnehin ab Insolvenzeröffnung – und tatsächlich wohl auch bereits zuvor286) – nicht mehr uneingeschränkt einbringlich. Insoweit ändert sich durch die Kündigung nichts daran, dass dem Vermieter in erster Linie bleibt, den Mitmieter auf die volle Mietschuld in Haftung zu nehmen. Dies ist trotz der Qualifizierung der Forderungen aus dem Mietverhältnis als Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. InsO) richtig; denn dies bedeutet allein, dass die Verbindlichkeiten vorrangig aus der Masse zu bestreiten sind (§ 53 InsO). In Verbindung mit der Haftungsverantwortlichkeit (§ 61 InsO) und Anzeigepflicht (§ 208 Abs. 1 InsO) des Insolvenzverwalters schafft dies zwar eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Befriedigung der Forderungen, sicher ist ihre Erfüllung aus der Masse aber keinesfalls. Reicht ___________ 280) Dazu bereits oben unter Rn. 78 ff. Zu finden ist diese Argumentation etwa bei Behrens, Beteiligung mehrerer Mieter, 252 f., 266 und Streyl, NZM 2011, 377, 385. 281) Siehe oben unter Rn. 78 ff. 282) Ausführlich zur Regresssituation unter Rn. 114. 283) Allgemein zum Insolvenzrisiko oben unter Rn. 15 ff. Zur Haftung nach dem Insolvenzrisiko im Rahmen der Kündigung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO unten unter Rn. 114. 284) Oben unter Rn. 17 ff. 285) Auch dazu ausführlich unten unter Rn. 103 ff. Zur Theorie bereits oben unter Rn. 15 ff. 286) Sollte doch ausnahmsweise vor Insolvenzeröffnung noch vollständig erfüllt worden sein, besteht – je nach Einzelfall – ein nicht unerhebliches Anfechtungsrisiko, §§ 129 ff. InsO.
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die Masse nicht zur Befriedigung aller Massegläubiger aus, fallen auch die Forderungen des Vermieters ganz oder teilweise aus. Ein Regressanspruch in Form eines Haftungsanspruches gegen den Insolvenzverwalter ist in diesen Fällen zwar möglich, aber kein Automatismus: Der Insolvenzverwalter haftet nicht für die bis zum ersten Kündigungstermin aufgelaufenen Masseverbindlichkeiten287), da diese nicht durch seine Rechtshandlung entstanden sind (sogenannte oktroyierte Masseverbindlichkeiten288), § 61 S. 1 InsO.289) Und selbst für Masseverbindlichkeiten aus Zeiträumen nach dem ersten Kündigungstermin haftet er nur, wenn für ihn erkennbar war, dass die Masse zur Erfüllung der Verbindlichkeit voraussichtlich nicht ausreichen wird, § 61 S. 2 InsO.290) Somit ist für den Vermieter die Realisierung seiner Mietforderung gegenüber dem Insolvenzschuldner oder in Gestalt eines Haftungsanspruches gegen den Insolvenzverwalter ab Insolvenzeröffnung zu keiner Zeit gewährleistet. Dies gilt insbesondere, wenn – und das war ja der Ausgangspunkt der Überlegung – der Insolvenzverwalter den Vertrag kündigen will; dann liegt es nahe, dass die Masse möglicherweise nicht mehr für die nach dem Kündigungstermin fortlaufenden Verbindlichkeiten ausreichen wird. Da im Ergebnis also der Schutzzweck des Entziehungsarguments ohnehin nicht gewahrt ist, weil sich der Insolvenzschuldner – plakativ gesprochen – bereits durch die Insolvenz der realen Haftung „entzogen“ hat und dies sogar der allgemeinen Risikoverteilung entspricht, kann das allgemeine Mietrecht in Gestalt des Einheitlichkeitsgrundsatzes nicht gegen die Kündigung mit Einzelwirkung, also eine personale Teilkündigung, sprechen.
100 Es zeigt sich also, dass die Kündigungserklärung nicht nur aus teleologischen Gründen nicht gemeinsam ausgeübt werden muss, sondern dies auch die dogmatisch richtige Lösung ist. Die Kündigung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO kann mithin auch durch den allein kündigenden Insolvenzverwalter wirksam erklärt werden. Insoweit weicht das insolvenzbedingte Kündigungsrecht von dem „Grundsatz“ des allgemeinen Mietrechts zwar im Ergebnis ab; dies ist aber nicht das Produkt interessengeleiteter Insolvenz-Flickschusterei, sondern dogmatisch ohne Weiteres begründbar, da die Tragsäulen der Unzulässigkeit der personalen Teilkündigung in der Insolvenz wegbrechen.
101 Ist nun festgestellt, dass die Kündigung mit Einzelwirkung dogmatisch vertretbar ist, bleibt die Frage zu klären, ob sie auch die systematisch überzeugendste und interessengerechteste Lösung ist. ___________ 287) Auch bei der Verteilung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit sind diese Forderungen „letztrangig“, § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO (Rückschluss § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO). 288) Dazu Hefermehl in MüKo-InsO, § 53, Rn. 7 f. 289) Die Rechtshandlung, die letztlich zur Haftung führt, ist das Unterlassen der Kündigung zum ersten Termin, BT-Drucks. 12/2443, S. 129; BGHZ 159, 104, 116 = BGH NJW 2004, 3334, 3337; BGHZ 161, 236, 329 f. = BGH NJW 2005, 901, 902; BGH NJW 2012, 1361, Rn. 33. 290) Darüber hinaus zum Verschuldensmaßstab Brandes/Schoppmeyer in MüKo-InsO, § 60, Rn. 89 ff.; Gerhardt in Jaeger, § 60, Rn. 117.
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(2) Exkurs: Ein rechtsgeschäftlicher Ausweg? Bevor aber eine systematische Interessenauswertung vorgenommen wird, ist noch der 102 Frage nachzugehen, ob die vertragliche Gestaltungsfreiheit der Parteien die Auslegung der betreffenden Normen beeinflusst. Den Parteien steht es ohne Frage auch im Anwendungsbereich von §§ 108, 109 InsO frei, (abweichende) rechtsgeschäftliche Regelungen291) für die Insolvenz eines Mitmieters zu treffen. So kann bereits im Mietvertrag eine Klausel für den Fall der insolvenzbedingten Kündigung des Vertrages durch den Insolvenzverwalter eines Mitmieters aufgenommen werden. Neben den offensichtlichen Möglichkeiten, das Fortbestehen oder die Beendigung des Vertragsverhältnisses im Verhältnis zum solventen Mitmieter anzuordnen, sind auch flexiblere Gestaltungen wie eine Vertragsanpassung, ein ein- oder beidseitiges Optionsrecht oder das Eintrittsrecht eines Dritten (mit oder ohne Zustimmungsvorbehalt)292) denkbar. Der freien Gestaltung stehen, abgesehen von den allgemeinen Beschränkungen der Privatautonomie, keine rechtlichen Bedenken entgegen. Einzige Grenze ist § 119 InsO, der aber nicht berührt ist, soweit das Ausscheiden der Masse als zwingende Rechtsfolge des § 109 Abs. 1 S. 1 InsO durch die Vertragsklausel nicht abweichend geregelt wird.293) Die Verteidiger der Gesamtwirkungsthese des Einheitlichkeitsgrundsatzes, zuvorderst der BGH, greifen bei der Suche nach der richtigen Rechtsfolge der Kündigung den Gedanken rechtsgeschäftlicher Gestaltungsmöglichkeiten auf und weisen auf die Möglichkeit hin, so – oder durch Novation unter Ausschluss des Insolvenzschuldners nach erfolgter (gesamtwirkender) Kündigung – eine Fortführung des Mietverhältnisses herbeizuführen.294) So sollen Verträge, die durch die Kündigung beendet wurden, an denen aber sowohl Vermieter als auch Mitmieter ein Fortführungsinteresse haben, gerettet und nebenbei das Konzept der zwingenden Gesamtwirkung perpetuiert werden. Die Möglichkeit einer abweichenden rechtsgeschäftlichen Gestaltbarkeit kann jedoch selten Argument für die Schlüssigkeit und Interessengerechtigkeit einer bestimmten gesetzlichen Rechtsfolge sein.295) Die deutsche Rechtsordnung ist im Grundsatz dispositiv. Die Vertragsparteien können nach ihrem Belieben Gestaltungen wählen, soweit diese mit den ___________ 291) Klauselvorschlag etwa bei Franken/Dahl, Mietverhältnisse in der Insolvenz, 122 ff. 292) Vgl. dazu den Vorschlag bei Franken/Dahl, Mietverhältnisse in der Insolvenz, Rn. 122. 293) Vorsicht ist dagegen bei Gestaltungen geboten, die die Kündigungsmöglichkeit des Insolvenzverwalters und deren Rechtsfolgen in Bezug auf die Insolvenzmasse beeinträchtigen sowie bei Klauseln, die § 112 InsO widersprechen, vgl. dazu Jacoby in Jaeger, § 119, Rn. 44; Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 76 ff.; Huber in MüKo-InsO, § 119, Rn. 68 ff. 294) BGHZ 196, 318, Rn. 20 = BGH NJW 2013, 3232, Rn. 20; im Hinblick auf § 19 KO bereits RGZ 141, 391, 392. Auch Dahl in AnwHdb-InsR, § 8, Rn. 213; Hinz, NZM 2014, 137, 142; B. Wegener in FK-InsO, § 109, Rn. 17. 295) Ähnlich Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 38. Ebenfalls kritisch Paul, InVo 2008, 1, 2 („Scheinargument“). Das heißt freilich leider nicht, dass das rechtsgeschäftliche Argument nicht allgegenwertig wäre und in viel zu vielen Diskussionen der Apologetik dient – meist um tradierte Überzeugungen gegen dogmatisch überzeugende Einwände zu bewahren. Zur einzigen Berechtigung des Arguments sogleich in Fn. 298.
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begrenzenden Elementen des positiven Rechts vereinbar sind. Dies entlastet Rechtswissenschaft und Rechtsprechung jedoch nicht von ihrer Verantwortung, auch das dispositive Recht interessengerecht auszulegen bzw. anzuwenden.296) Ferner ist die rechtsgeschäftliche Regelungsmöglichkeit stets ein beliebiges Argument. Man könnte ebenso gut anführen, bei Einzelwirkung der Kündigung stehe es jedem, der diese Wirkung nicht wünsche, frei, für die insolvenzbedingte Kündigung eine Beendigung des gesamten Vertragsverhältnisses zu vereinbaren.297) Abweichende rechtsgeschäftliche Regelbarkeit ist daher kein tragfähiges Argument, das hier298) zur Bestimmung einer interessengerechten Rechtsfolge beitragen kann. Zudem bleibt bei diesem Argumentationsansatz gänzlich unbesehen, dass er nur Hilfe anbietet, wenn Vermieter und Mitmieter sich einig sind. Hat lediglich einer von beiden ein Interesse an der Fortführung des Vertrages,299) führt ein Verweis auf rechtsgeschäftliche Gestaltungsfreiheit nicht weiter. Denn kommt eine konsensuale Lösung nicht in Betracht, fragt sich erst recht, ob nicht eine generelle Fortführung des Vertragsverhältnisses den Interessen der Beteiligten eher entspricht, als eine generelle Beendigung des Vertragsverhältnisses.
(3) Interessenausgleich 103 Nachdem gezeigt wurde, dass die Dogmatik des allgemeinen Mietrechts nicht auf die Kündigung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO übertragen werden kann, sieht man sich am Anfang einer systematischen Auslegung. Es braucht tragfähige Argumente, die nicht bloß gegen die Gesamtwirkung sprechen, sondern die aufzeigen, dass die Einzelwirkung der Kündigung systematisch überzeugend ist und den (schützenswerten) Interessen der Beteiligten am besten entspricht. Denn die dogmatische Zulässigkeit der eigenständigen Kündigungserklärung des Insolvenzverwalters und der personalen Teilkündigung zieht gerade noch nicht zwangsläufig die Einzelwirkung der Kündigung nach sich. Ob die Norm ihrem Wesen nach eine andere Beurteilung erfordert, ist nur unter Abwägung aller Umstände und betroffenen Interessen feststellbar, die das systematische Fundament des bipolar-mehrseitigen (Miet-)Vertragsverhältnisses bilden. Dies gilt für § 109 Abs. 1 S. 1 InsO umso mehr, da andere Auslegungsaspekte – wie oben gezeigt – nicht weiter zu der Beantwortung der Frage nach den Rechtsfolgen der Kündigungserklärung beitragen. Zwar ist die Erkennt___________ 296) Zu RGZ 141, 391, 392 und OLG Celle NJW 1974, 2012 merken dies bereits zutreffend Steinicke, ZMR 2001, 160, 162 (freilich etwas umständlich, wenn das „Gesetz“ interessengerecht sein soll und dabei nicht deutlich genug wird, dass es in diesem Fall nur um dessen interessengerechte Auslegung gehen kann) und Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 109, Rn. 45 an; Steinicke spricht gar von einem „seltsamen Rechtsverständnis“. 297) So argumentiert Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 42. 298) Dies gilt im Übrigen für die meisten Streitstände. Im Einzelfall kann daraus ein valides Argument werden, wenn so tatsächlich (!) ein erheblich niedrigerer Aufwand entsteht oder wenn nur eine Lösungsvariante rechtsgeschäftliche Abweichungen zulässt. Beides ist hier nicht der Fall. 299) Dieses Problem erkennt auch Eckert, EWiR 2013, 353, 354.
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nis, dass schon durch die Zulässigkeit der eigenständigen Kündigungserklärung und der personalen Teilkündigung der Einheitlichkeitsgrundsatz durchbrochen ist, nicht indikativ für eine Abweichung von dessen Aussagen in Bezug auf die Rechtsfolgen der Kündigung, sie schützt die notwendige Interessenabwägung aber vor einer Sabotage durch absolut-dogmatische Scheinargumente. Wenn ein „Grundsatz“ des bürgerlichen Rechts in seinen wesentlichen Begründungen nicht übertragbar ist, weil diese in der Sondersituation der Insolvenz nicht halten, erlaubt dies freie Sicht auf die betroffenen Interessen innerhalb der allgemeinen Systematik. Diese Interessen im Spannungsfeld zwischen Vermieter und solventem Mitmieter 104 werden im Folgenden analysiert. Die Frage nach der zutreffenden Rechtsfolge der Kündigung ist letztlich über eine systematisch-normative Synthese dieser (meist divergierenden) Interessen vorzunehmen. Die Begrenzung auf das Verhältnis zwischen Vermieter und Mitmieter deutet bereits an, dass das Interesse des Insolvenzverwalters bzw. mittelbar der Insolvenzgläubiger bei der Lösungsfindung gänzlich unbeachtlich ist. Deren einziges (schützenswertes) Interesse ist es, eine Verringerung der Haftungsmasse zu vermeiden. Die Masseverbindlichkeiten wachsen aber nach dem Ausscheiden des Insolvenzschuldners aus dem Mietverhältnis nicht mehr an.300) Denn über das Ausscheiden des Insolvenzschuldners aus dem Mietvertrag sind sich alle Ansichten einig. Somit laufen auch nach keiner der vertretenen Ansichten weiter Masseverbindlichkeiten auf. Dagegen darf die Haftung in Form einer Insolvenzforderung (§ 109 Abs. 1 S. 3 InsO) durch keine Lösungsmöglichkeit verhindert werden und wird es auch nicht.301) Im Hinblick auf die Haftungsbelastung des Insolvenzschuldners ist der Streit um die Rechtsfolgen der Kündigung daher völlig unerheblich. Zum Teil wird die interessenmäßige Rechtfertigungsnotwendigkeit dagegen völlig 105 umgekehrt: Das OLG Düsseldorf302) ist etwa der Ansicht, der Insolvenzverwalter habe im dem Gericht vorliegenden Sachverhalt – der sich aber nicht ersichtlich von einem „Regelsachverhalt“ unterscheidet – kein Interesse daran, die Vertragsbeziehungen zwischen den weiteren Parteien von der Kündigungswirkung auszunehmen. Wenn aber mit dem Ausscheiden des Insolvenzverwalters dessen Interessen befriedigt sind, ist es widersinnig für den Nicht-Eingriff in das Verhältnis der anderen Parteien ein besonderes Interesse des Insolvenzverwalters zu fordern. Vielmehr bedarf ___________ 300) Dies übersehen Dahl in AnwHdb-InsR, § 8, Rn. 213; Vallender/Dahl, NZI 2000, 246, 247 a. E.; B. Wegener in FK-InsO, § 109, Rn. 17 und Zeuner in Leonhardt/Smid/Zeuner, § 109, Rn. 6. Sie halten die Gesamtwirkung (begründungslos) für erforderlich, um die masseschonende Wirkung zu erreichen. Zutreffend dagegen etwa Eckert, GS Sonnenschein, 313, 327; Paul, InVo 2008, 1, 3; Wolf/Eckert/Ball, Hdb gewerbliches MietR, Rn. 1590. 301) Die Haftung jedenfalls in Form einer Insolvenzforderung ist Grundsatz der insolvenzbedingt beendeten Vertragsverhältnisse, vgl. §§ 103 Abs. 2 S. 1, 104 Abs. 3 S. 3, 109 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 2, 113 S. 3, 115 Abs. 3 S. 2 InsO. Ein entschädigungsloses Ausscheiden der Masse würde nicht mit dem Grundsatz der par conditio creditorum vereinbar sein, da auch die Vertragspartner nicht erfüllter Verträge selbstverständlich Teil der Gläubigergesamtheit sind. 302) OLG Düsseldorf NJW-RR 1987, 1369, 1370.
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gerade der Eingriff in das gesamte Vertragsgefüge einer Rechtfertigung,303) etwa in Form eines besonderen Schutzinteresses in Bezug auf die Insolvenzgläubiger, welches wegen der bedingungslosen Entlassung der Masse aus der Haftung nicht besteht. Zudem suggeriert die Entscheidung unzutreffend und systemfremd304) der Insolvenzverwalter sei die allein entscheidende Person bei der Beurteilung der Kündigungswirkung und es obliege gleichsam seiner Gestaltungsmacht, die Reichweite der Wirkung seiner Kündigungserklärung über die ihn unmittelbar betreffenden Vertragsbeziehungen hinaus zu erweitern oder zu begrenzen.305) Das richtige Auslegungsergebnis hat hingegen stets die Gesamtheit der schützenswerten Interessen im Auge. Ist das Interesse der einen Partei nach allen Lösungsvorschlägen vollumfänglich gewahrt, bedarf diese in der Interessenabwägung auch keiner weiteren Beachtung.
106 Wendet man sich dem Vermieter zu, sind zwei gegensätzliche Szenarien denkbar. Zum einen könnte ihm an der Beendigung des Vertragsverhältnisses im Ganzen gelegen sein, wenn entweder die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vereinbarten Vertragskonditionen nicht mehr vorteilhaft sind oder wenn das Vertragsgefüge aus Sicht des Vermieters durch den Austritt des Insolvenzschuldners sonst irgendwie in Frage gestellt wird. Dies könnte etwa der Fall sein, wenn er den Vertrag nur im Hinblick auf besondere persönliche Eigenschaften des Insolvenzschuldners eingegangen ist oder gerade die Aussicht, mehrere Schuldner zur Verfügung zu haben, erstrebenswert schien. Andererseits könnte dem Vermieter gerade an einem Fortbestand des Mietverhältnisses gelegen sein, vornehmlich wenn eine Neuvermietung überhaupt oder jedenfalls zu ähnlichen Konditionen nicht aussichtsreich erscheint. Dem Vermieter wäre in diesem Fall daran gelegen, den Mitmieter am Mietverhältnis festzuhalten und ihn so aus diesem forthaften zu lassen.
107 Andersherum sind beim verbleibenden Mitmieter ebenfalls zwei konträre Szenarien denkbar: Auch ihm könnte an einem Fortbestand des Mietverhältnisses gelegen sein, wenn er die Mietsache alleine sinnvoll nutzen kann und will,306) sei es, weil eine vergleichbare Mietsache am Markt gar nicht oder jedenfalls nicht zu vergleichbaren Konditionen verfügbar ist. Es könnte ihm andererseits auch gerade nicht möglich sein, die Mietsache ohne Mitwirkung des insolventen Mieters zu nutzen oder er könnte an der alleinigen Nutzung kein Interesse haben. Nicht zuletzt könnte das fehlende Fortführungsinteresse aus einer wirtschaftlichen Überforderungssituation resultieren, da die Verteilung der Mietschuld im Innenverhältnis wegfällt. Dies ist insbesondere ___________ 303) Dazu oben unter Rn. 46 ff. 304) Dieser Vorstellung scheint eher das Bild einer quasi-hoheitlichen „ordnenden Hand“ des Insolvenzverwalters zu Grunde zu liegen, als das des besonderen, unparteiischen, in das bürgerlich-rechtliche System eingebundenen Sachwalters. Vgl. ausführlich zur Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters Laukemann, Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, 54 und passim. 305) In diesem Sinne könnte auch OLG Celle NJW 1974, 2012 verstanden werden. 306) Cymutta, NZI 2012, 674, 675.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
denkbar, wenn es sich nur um zwei Mieter handelt oder die Kostenverteilung im Innenverhältnis ungleich ist. Dieser Interessenlage ist nur durch eine Lösung sinnvoll zu entsprechen: Das Miet- 108 verhältnis wird zwischen Mitmieter und Vermieter unverändert fortgeführt. Die Kündigung des Insolvenzverwalters hat Einzelwirkung. In Rechtsprechung und Literatur besteht dabei eine erhebliche Begriffsverwirrung über verschiedene Konzepte der Einzel- und/oder Teilkündigung.307) In dieser Arbeit meint Kündigung mit Einzelwirkung das materiell-persönliche Ausscheiden des Insolvenzschuldners aus dem Vertrag,308) während das Vertragsverhältnis keine weitere Änderung erfährt – insbesondere nicht im Hinblick auf die vertraglichen Leistungspflichten – und somit zwischen dem verbleibenden Mitmieter und dem Vermieter vollumfänglich fortgeführt wird; diese Lösung wird im Folgenden als die Fortführungslösung bezeichnet. Mit Blick auf die oben aufgezeigten Interessensszenarien sind die Fortführungsin- 109 teressen der jeweiligen Parteien bei der Fortführungslösung offensichtlich beobachtet. Allerdings ist ein Gleichlauf der Interessen in der Form, dass beide Parteien eine Fortführung wünschen, eher selten. Regelfall – das wird mit einem Blick auf die oben bezeichneten Szenarien klar – wird sein, dass Vermieter und Mitmieter gegensätzliche Interessen haben. Denn zumeist ist der das Interesse begründende Vorteil des Einen kongruent mit dem Grund für das Lösungsinteresse des Anderen. Trotzdem kann auch den Lösungsinteressen der Parteien im Rahmen der Fortführungslösung durchaus angemessen und systemstimmig begegnet werden – soweit sie schützenswert sind. Dazu darf der Blick jedoch nicht auf der Wirkweise der insolvenzbedingten Kündigung selbst verharren, vielmehr ist der gesamte gesetzliche Rahmen zu berücksichtigen. Denn das materielle Recht erlaubt es den Parteien, sich in Gestalt von §§ 313, 314309), 543 BGB in besonderen Situationen von einem Dauerschuldverhältnis zu lösen.310) Eine außerordentliche Kündigung bedarf eines wichtigen Grundes, der vorliegt, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände das Festhalten am Vertrag nicht zumutbar ist, §§ 543 Abs. 1 S. 2, 314 Abs. 1 S. 2 BGB.311) Auch bei einer Störung der Geschäftsgrundlage kann ein Dauerschuldverhältnis gekündigt ___________ 307) Vgl. dazu ausführlich Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 361 ff. 308) Deckungsgleich mit dem wohl herrschenden Verständnis einer personalen Teilkündigung; der zum Teil sogenannten „Herauskündigung“. 309) Noch ist nicht abschließend geklärt, ob § 314 BGB durch § 543 BGB verdrängt wird, oder ob diese nebeneinander anwendbar sind. Die ganz überwiegende Ansicht hält zutreffend § 543 BGB jedenfalls im Hinblick auf § 314 Abs. 1 und 2 BGB für eine abschließende Sondervorschrift, Bieber in MüKo-BGB, § 543, Rn. 2; Blank in Schmidt-Futterer, § 543, Rn. 5; Grüneberg in Palandt, § 314, Rn. 4; vgl. auch BGH NZM 2007, 400, Rn. 21 (XII. Senat), weitergehend auch für § 314 Abs. 3 BGB dagegen BGH NJW 2016, 3720, Rn. 13 ff. (VIII. Senat). Allerdings eröffnete § 314 Abs. 1 und 2 BGB für die hier diskutierten Fälle ohnehin keinen weiteren Kündigungstatbestand. 310) Für eine Kündigungsmöglichkeit jedenfalls des Mieters in Einzelfällen aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage auch Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 44. 311) Vergleiche dazu auch § 13a S. 2 BJagdG, auch hier ist die Unzumutbarkeit Kriterium für eine Lösung vom fortbestehenden Vertrag.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
werden, wenn eine Anpassung nicht möglich oder nicht zumutbar ist, § 313 Abs. 3 BGB. Die Geschäftsgrundlage eines Vertrages ist gestört, wenn sich die grundlegenden Umstände des Vertrages nach Vertragsschluss schwerwiegend geändert haben und ein Vertragsschluss in der vorliegenden Form von den Parteien in Kenntnis der veränderten Umstände nicht vorgenommen worden wäre sowie die Fortführung des Vertrages in der geschlossenen Form einer Partei unzumutbar ist, § 313 Abs. 1 BGB. Ob diese Tatbestände im Einzelfall eine Lösung vom fortgeführten Vertrag ermöglichen können, das heißt, ob durch das Ausscheiden des Insolvenzschuldners ein wichtiger Grund eingetreten ist oder sich die Vertragsumstände wesentlich geändert haben, ist zwar stets Einzelfallbetrachtung, kann aber bezüglich der wesentlichen denkbaren Interessensszenarien einer typisierenden Betrachtung unterzogen werden. Ob eine Lösung vom Vertrag in den typischen Szenarien, in denen eine Seite ein Lösungsinteresse hat, denkbar erscheint, wird daher unten im Einzelnen diskutiert. Die theoretischen Lösungsmöglichkeiten der Parteien312) fügen sich dabei homogen in das bürgerlich-rechtliche System der Vertragsdurchführung und -beendigung ein: Die Anhänger der Gesamtwirkung der Kündigung verlagern die Entscheidung, in welchen Fällen die Parteien schützenswert sind, vor und beantworten sie absolut, indem sie den Vertrag als Ganzes beenden. Dadurch wird Grundsatz und Ausnahme vertauscht: Von der Vertragsdurchführung kann nach der Konzeption des Bürgerlichen Rechts nur abgewichen werden, wenn ausnahmsweise die Umstände des Einzelfalls zur Beendigung eines Vertrages berechtigten – nicht andersherum.313)
110 Zu beachten ist, dass eine solche Kündigung innerhalb einer angemessenen Frist auszusprechen ist, § 314 Abs. 3 BGB314). Angemessen erscheint eine Bedenk- und Organisationsfrist von zwei Wochen315) ab Kenntnis der Kündigung des Mietverhältnisses durch den Insolvenzverwalter. Bei komplexeren Sachverhalten ist die Frist großzügiger zu bemessen.
111 Wirft man vor diesem Hintergrund noch einmal einen Blick auf das oben aufgezeigte Interessenspektrum, zeichnet sich folgendes Bild: Ist der Vermieter an der Fortfüh___________ 312) Kritisch dazu Hinz, NZM 2014, 137, 142. 313) Dies legitimiert auch den Hinweis darauf, dass Mitmieter und Vermieter bei beiderseitig fehlendem Fortführungsinteresse den Vertrag aufheben könnten, Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 42. Denn ansonsten müsste er sich als rechtsgeschäftliche Argumentation den gleichen Kritikpunkten stellen, die oben unter Rn. 102 für den Ansatz der h. M. erhoben werden, die Parteien könnten ja bei beiderseitigem Fortführungsinteresse den Vertrag novieren. 314) Zutreffend wird überwiegend § 314 Abs. 3 BGB für auf § 543 BGB anwendbar gehalten, denn § 543 BGB ist nur dort abschließend, wo die Norm mit dem Regelungsbereich des § 314 BGB kollidiert, BGH NZM 2007, 400, 401 (XII. Senat); Bieber in MüKo-BGB, § 543, Rn. 2; Blank in Schmidt-Futterer, § 543, Rn. 5; dagegen BGH NJW 2016, 3720, Rn. 13 ff. (VIII. Senat). 315) Mindestens zwei Wochen werden für die nicht insolvenzbegründete außerordentliche Kündigung vorgeschlagen, Hase, NJW 2002, 2278, 2279. Je nach den Umständen des Einzelfalls werden aber auch deutlich längere Fristen veranschlagt, BGH NZM 2007, 400, 401.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
rung des Vertrages interessiert, etwa weil er das Mietobjekt nicht oder nicht so erneut vermieten könnte, ist dem durch die Fortführungslösung genügt. Der verbliebene Mieter ist weiterhin aus dem ursprünglich geschlossenen Vertrag berechtigt und verpflichtet. Dass der Mieter grundsätzlich weiter an den zu bestimmten Konditionen geschlossenen Vertrag gebunden bleibt, ergibt sich schon aus dem Wesen der gesamtschuldnerischen Haftung.316) Denn das konkrete Insolvenzrisiko jedes Mieters verlagert sich bei einer Gesamtschuld vom Vermieter auf die gesamtschuldnerisch Mithaftenden.317) In der Terminologie des im ersten Teil dieser Arbeit erläuterten Modells des Insolvenzrisikos entspricht dies der Zuweisung des konkreten Insolvenzrisikos jedes Mieters an jeden anderen Mieter; der Vermieter trägt lediglich ein abstraktes Insolvenzrisiko – das Finalinsolvenzrisiko.318) Die Einstandspflicht eines Gesamtschuldners für die volle Schuld wird schließlich tatsächlich – und nicht nur praktisch in Form der leichteren Erstinanspruchnahme – gerade dann relevant, wenn ein Gesamtschuldner ausfällt. Die Haftung des solventen Mitmieters nur bis zur Kündigung durch den Insolvenzverwalter verlagerte das konkrete Insolvenzrisiko aber gerade wieder auf den Vermieter.319) Diesem würde dann mit der Insolvenz eines Mieters mittelbar (durch die Kündigung des Insolvenzverwalters, die ja keineswegs zwingend erfolgen muss) der gesamte Vertrag beendet und somit wären alle Forderungen aus dem Vertrag auch gegen den Mitmieter nicht mehr realisierbar. Der Mitmieter hätte quasi ein auf die insolvenzbedingte Kündigung auflösend bedingtes konkretes Insolvenzrisiko übernommen. Regelmäßig aber ist die Zuweisung des konkreten Insolvenzrisikos zu dem Mitmieter bei Vertragsschluss mit einer Mietermehrheit nicht lediglich rechtlicher Reflex von Tatsachen. Gerade die Haftungserweiterung – also die Verlagerung des konkreten Insolvenzrisikos eines Mieters vom Vermieter auf den Mitmieter – macht die Mietermehrheit für den Vermieter attraktiv.320) Das gilt nicht allein in Szenarien, in denen die Bonität eines Schuldners in Frage gezogen wird. Auch bei tadelloser Bonität kann die zusätzliche Haftungs___________ 316) Dies verkennt die h. M., wie auch Wolf/Eckert/Ball, Hdb gewerbliches MietR, Rn. 1589 zutreffend erkennen. Kurios mutet es da an, wenn Vertreter der Gesamtwirkung der Kündigung dem Vermieter im Falle des § 109 Abs. 2 InsO den Rücktritt verweigern, wenn nur einer der Mitmieter insolvent ist, gerade mit der Begründung, durch die gesamtschuldnerische Haftung sei der Vermieter nicht schlechter gestellt. Aus ebendieser Bindung wird er dann aber bedenkenlos entlassen, wenn der Insolvenzverwalter des Mitmieters nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO kündigt, Dahl in AnwHdb-InsR, § 8, Rn. 224. 317) Insoweit zutreffend Eckert, GS Sonnenschein, 313, 327; Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 41; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 109, Rn. 45. Ähnlich auch Paul, InVo 2008, 1, 3 aus Vermietersicht entwickelt. Auch Steinicke, ZMR 2001, 160, 162, der zutreffend bemerkt, der Vermieter stünde nach der h. M. schlechter, wenn ihm ein Gesamtschuldner gegenüberstünde, als wenn ihm ein Bürge haftete. 318) Ausführlich unter Rn. 19 f. 319) Vgl. Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 42. 320) Paul, InVo 2008, 1, 3. Zutreffend identifiziert Eckert, GS Sonnenschein, 313, 327 daher gerade dann ein Fortführungsinteresse des Vermieters, wenn der Mitmieter zur Absicherung der Mietforderung Vertragspartner geworden ist.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
masse des Mitschuldners entscheidungserheblich und preisbildend sein.321) Dass der Mitmieter dann genau in dem Fall vorzeitig aus der Haftung entlassen wird, in dem sich das von ihm übernommene Insolvenzrisiko realisieren würde,322) erscheint widersinnig.323) Freilich verbleibt dem Vermieter für die Zeit nach der Kündigung die Quote auf seinen Ausgleichsanspruch gegen den Insolvenzschuldner aus § 109 Abs. 1 S. 3 InsO. Angesichts der regelmäßig zu erwartenden Quote kompensiert sie aber nicht annähernd die Vollhaftung des Mitmieters.324) Wendet der Mitmieter ein, er habe kein Fortführungsinteresse, da er sich als Einzelmieter einer wirtschaftlichen Überforderungssituation gegenüber sehe,325) wird man ihn auf das gleiche verweisen müssen: Da er durch Eintritt in einen oder Beitritt zu einem mehrseitigen Vertrag das Insolvenzrisiko seines Mitmieters übernommen hat, muss er insbesondere dann haften, wenn der Insolvenzfall eintritt. Möchte sich der Mitmieter wegen einer besonderen Ausnahmesituation vom fortgeführten Vertrag lösen, so stellen die Kündigung aus wichtigem Grund und die Störung der Geschäftsgrundlage ausreichende Instrumente dazu zur Verfügung. Allerdings sind diese restriktiv zu gewähren. Alleine die – bereits bei Eintritt in den Vertrag kalkulierbare – Haftung für die Gesamthöhe des Mietzinses kann nur im Ausnahmefall eine Lösung vom Vertrag begründen. Denn der übernommenen gesamtschuldnerischen Haftung für alle Forderungen aus dem Mietverhältnis ist immanent, dass diese im Außenverhältnis grundsätzlich durchgesetzt werden kann. Entsteht eine wirtschaftliche Überforderung beim verbliebenen Mieter, resultiert diese dagegen aus der fehlenden Regressmöglichkeit im Innenverhältnis der Mitmieter. Wegen der Insolvenz kann der Mitmieter seine Regressforderungen – unabhängig davon, ob er den Gläubiger vor oder nach Verfahrenseröffnung befriedigt – nur als Insolvenzforderungen geltend machen326) und trägt somit die Last im Innenverhältnis allein. Dass aber Risiken aus dem Innenverhältnis auch gegenüber dem Gläubiger im Außenverhältnis geltend gemacht werden können, hat im Bürgerlichen Recht keine Grundlage. Vielmehr kennen auch andere Rechtsinstitute, bei denen jemand das Insolvenzrisiko eines Dritten trägt und in diesem Fall nach außen ___________ 321) Siehe oben unter Rn. 30 ff. 322) In RGZ 141, 391 f. klingt interessanterweise an, dass offenbar schon die Vorinstanz, das OLG Celle, die Einzelwirkung der Kündigung unter Hinweis auf die Verteilung des Insolvenzrisikos bei der Gesamtschuld vertreten hat. 323) Paradox darum die Argumentation, die Mitmieter hätten gerade das Risiko übernommen, durch die Insolvenz des Mitmieters (und in ihrer Folge die insolvenzbedingte Kündigung) nicht mehr Erfüllung verlangen zu können, Bydlinski in MüKo-BGB, § 425, Rn. 7. 324) Aktuell verfügbare Zahlen von 2015 ergeben eine durchschnittliche Deckungsquote von 2,2 %, Aktuelle Nachrichten, FD-InsR 2017, 390403. Ausführlich zur Haftung nach Eintritt der Kündigungswirkung sogleich. 325) Hier führt das Ausgangsgericht der einschlägigen BGH-Entscheidung, LG Hamburg BeckRS 2013, 06638, das Konzept der Gesamtschuld und des übernommenen Insolvenzrisikos ad absurdum, wenn es die mögliche wirtschaftliche Überforderung des Mitmieters, als Argument für die Gesamtwirkung der Kündigung anführt. 326) Bäuerle in Braun, § 43, Rn. 8.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
voll haftet, eine solche Lösungsmöglichkeit gerade nicht. So ist es bei der Bürgschaft zwar dem Bürgen gegebenenfalls möglich, bei sich verschlechternden wirtschaftlichen Umständen des Hauptschuldners von diesem Freistellung zu verlangen, § 775 Abs. 1 Nr. 1 BGB327). Dies zeigt aber deutlich, dass die Lösung des Dilemmas über das Innenverhältnis zu suchen ist. Das einmal übernommene konkrete Insolvenzrisiko soll im Nachhinein nicht wieder auf den Gläubiger fallen. Der Bürge kann dem Gläubiger gerade nicht entgegenhalten, er wolle sich von der Bürgschaftsverpflichtung lösen, da der Sicherungsfall einzutreten drohe.328) Zwar ist die gesamtschuldnerische Haftung kein reines Kreditsicherungsmittel, dennoch ist die Übernahme des konkreten Insolvenzrisikos des Mitschuldners der Gesamtschuld ebenso immanent, wie die Übernahme des konkreten Insolvenzrisikos des Hauptschuldners Wesen eines Kreditsicherungsvertrages ist.329) Die existierenden Lösungsmöglichkeiten von einem Dauerschuldverhältnis sind nicht dazu gedacht, es dem Gesamtschuldner zu ermöglichen, sich dieser Haftung zu entziehen, sondern sie sollen Lösungsmöglichkeiten für die Störung des Vertragsverhältnisses (außerordentliche Kündigung) bzw. des vertraglichen Synallagmas (Kündigung wegen Störung der Geschäftsgrundlage)330) bieten. Eine Lösung vom Vertrag alleine wegen wirtschaftlicher Überforderung auf Grund des Wegfalls des zweiten Schuldners kommt somit nicht in Betracht. Die Verwirklichung eines vertraglich übernommenen Risikos kann die Durchführung gerade jenen Vertrages schon im Wortsinne nicht (allein) unzumutbar im Sinne der §§ 313 Abs. 1, 314 Abs. 1 S. 2 BGB machen,331) zumal der den wichtigen Grund (§ 314 Abs. 1 BGB) begründende Umstand gerade nicht der Risikosphäre des Kündigenden entspringen darf,332) was bei einem vertraglich übernommenen Risiko der Fall wäre. Dagegen ist eine Lösung denkbar, wenn noch ein weiterer Umstand hinzu tritt. Dies wäre gegebenenfalls so, wenn der verbliebene Mieter die Mietsache ohne den Insolvenzschuldner tatsächlich nicht oder nicht sinnvoll nutzen kann. Zunächst ist der Vertrag dahingehend auszulegen, wer das wirtschaftliche Nutzungsrisiko an der Mietsache trägt.333) Das ist fast immer der Mieter.334) Ein außerordentliches Lö___________ 327) Letztlich sind die folgenden Nr. 2 – 4 speziell normierte Anzeichen für sich verschlechternde wirtschaftliche Umstände. 328) Vgl. zur Unzulässigkeit der Anfechtung einer Bürgschaftserklärung wegen Irrtums über die Vermögensverhältnisse RGZ 85, 322, 325 f.; Habersack in MüKo-BGB, § 765, Rn. 37. 329) Dazu oben unter Rn. 15 ff. 330) Zur Konkurrenz von § 313 BGB und § 314 BGB in Bezug auf die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen Finkenauer in MüKo-BGB, § 313, Rn. 168 ff.; Teichmann in Soergel, § 313, Rn. 41 beide m. w. N. 331) Dazu oben unter Rn. 44 f., insbesondere Fn. 90. 332) Siehe Fn. 91. 333) Nicht gemeint ist das Nutzungsrisiko im engeren Sinne, welches das Risiko bezeichnet, dass der Mieter den Gebrauch an der Mietsache nicht ausüben kann – regelmäßig also der Vermieter schlechtleistet. Auch: Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 44 („Risiko […] Nutzen ziehen zu können“). 334) Verwandte Überlegung aktuell bei der regelmäßig unzulässigen Kündigung eines Fitnessstudiovertrages, BGH BeckRS 2016, 09250.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
sungsrecht vom Vertrag ist dann aus Gründen fehlender Nutzungsmöglichkeit nicht zu gewähren. Sollte das Nutzungsrisiko einmal nicht eindeutig beim Mieter (und auch nicht eindeutig beim Vermieter) liegen, muss sorgfältig subsumiert werden: Aufgrund der Zuweisung des konkreten Insolvenzrisikos an den Mitmieter, kann auch in solchen Konstellationen nicht schablonenhaft die Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung angenommen werden, sobald der verbliebene Mieter Hürden für eine Nutzung der Mietsache zu überwinden hat. Vielmehr ist es ihm regelmäßig zuzumuten, nach Wegen zu suchen, die Mietsache auch weiterhin nutzen zu können. Dies erfordert zum Beispiel den Versuch, einen Dritten zum Eintritt zu bewegen oder über eine andere sinnvolle Nutzung, als die vorher praktizierte, nachzudenken. Es ist insbesondere auch an eine Untervermietung der Mietsache zu denken; erteilt der Vermieter dazu keine Erlaubnis, kann der Mitmieter den Vertrag nach § 540 Abs. 1 S. 2 BGB kündigen.335) Die Lösung vom Vertrag muss dagegen für solche Fälle reserviert bleiben, in denen der Mitmieter nicht das Nutzungsrisiko trägt, alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden und trotzdem keine sinnvolle Nutzbarkeit gewährleistet ist. Handelt es sich um Räumlichkeiten zum Betrieb eines Erwerbsgeschäfts, heißt „sinnvolle Nutzbarkeit“ nicht, dass ein dem zuvor betriebenen Geschäft vergleichbares Erlösniveau erzielbar sein muss. Nur wenn ein Betrieb völlig unwirtschaftlich wäre, ist der Vertrag gegebenenfalls kündbar. Muss der Mitmieter besondere tatsächliche oder analytische Maßnahmen treffen, um die Nutzbarkeit der Mietsache auszuloten,336) ist die angemessene Kündigungsfrist – soweit dann doch ein wichtiger Grund vorliegt – im Sinne von § 314 Abs. 3 BGB den Umständen anzupassen und kann auch deutlich länger als zwei Wochen betragen. Als Höchstfrist sollten jedoch drei Monate in jedem Fall ausreichend sein, da der Gesetzgeber diese Frist selbst bei der Enthaftung des Erben eines Handelsgeschäftes durch Niederlegung der Geschäftstätigkeit für ausreichend erachtet (§ 27 Abs. 2 S. 1 HGB). Diese Entscheidung beinhaltet ebenso ein Organisations- und Überlegensmoment, allerdings in einem erheblich größeren Umfang als die bloße Erörterung der Nutzbarkeit einer Mietsache. Nur wenn der Mieter alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, die Mietsache irgendwie sinnvoll zu nutzen, rechtfertigt das Interesse des Mieters an der Beendigung des Mietverhältnisses trotz der übernommenen Haftung eine Lösung vom Vertrag. Regelmäßig überwiegt aber das Fortführungsinteresse des Vermieters.
112 Im entgegengesetzten Fall, dass der Mitmieter das Vertragsverhältnis fortführen möchte, der Vermieter aber an einer Beendigung interessiert ist, verhält es sich spiegelbildlich zur oben dargestellten Situation, wenngleich weniger Begründung___________ 335) Zur Erlaubnis und zur Kündigung nach § 540 Abs. 1 S. 2 BGB siehe Blank in SchmidtFutterer, § 540, Rn. 41 ff., 65 ff. Zu beachten sind zudem zum einen § 553 BGB, der einen Anspruch auf Gestattung der Untervermietung vermittelt (dazu Bieber in MüKo-BGB, § 553, Rn. 5 ff.), wenn die Mietsache Wohnraum ist, der nicht unter § 109 Abs. 1 S. 2 InsO fällt, und zum anderen §§ 584a Abs. 1, 589 Abs. 1, Nr. 1 BGB, der die Kündigung nach § 540 Abs. 1 S. 2 BGB für (Land-)Pachtverhältnisse ausschließt. 336) Etwa weil er zuvor nicht selbst an der (operativen) Nutzung der Mietsache beteiligt war.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
aufwand notwendig ist: Der Mitmieter hat aus dem Vertrag einen Anspruch auf Gebrauchsüberlassung an der Mietsache begründet (zumeist als Mitgläubiger (§ 432 BGB)337) mit dem späteren Insolvenzschuldner). Um in das bestehende Vertragsverhältnis einzugreifen, bedarf es einer besonderen Rechtfertigung. Der Regelungszweck des § 109 InsO beschränkt sich aber darauf, keine weiteren Masseverbindlichkeiten zu begründen. Eine Ausweitung der Wirkungen dergestalt, dass auch ein Dritter seinen vertraglichen Anspruch verliert, ist nicht vom Zweck des § 109 InsO umfasst und zur Zweckerreichung nicht erforderlich. Die Parteien sind an einen einmal geschlossenen Vertrag grundsätzlich gebunden. Will man nun die Beendigung des ganzen Vertrages formalistisch darauf zurückführen, dass durch das Ausscheiden des Insolvenzschuldners der Vertrag als solcher nicht mehr existiere und somit auch die anderen Parteien nicht mehr an den Vertrag gebunden seien,338) greift das zu kurz und nimmt die Kündigungswirkung vorweg: Zwar ist durch das Ausscheiden des Insolvenzschuldners der Vertrag inhaltlich verändert,339) aber er ist nicht untergegangen. Das wäre er nur, wenn man bereits von einer Gesamtwirkung ausginge. Mit der gesamtschuldnerischen Übernahme des konkreten Insolvenzrisikos des Mitmieters muss auch ein entsprechender Anspruch auf die Gegenleistung korrespondieren (§ 320 BGB). Das heißt, wenn der Mitmieter auf die gesamte Forderung im Außenverhältnis haftet, weil eben dies Wesen der gesamtschuldnerischen Haftung ist, muss ihm auch der Anspruch auf die Gegenleistung zustehen. Dies ist insbesondere problematisch am Ansatz, den Vertrag einerseits mit Gesamtwirkung zu beenden und dem Mitmieter somit seinen Anspruch auf die Leistung zu nehmen, ihn aber andererseits im Wege des Schadensersatzes im Außenverhältnis als Pseudo-Gesamtschuldner haftbar zu machen.340) Dem Mitmieter seinen Erfüllungsanspruch mit dem Argument nehmen zu wollen, aufgrund des Ausscheidens des insolventen Schuldners sei das vertragliche Haftungsgefüge derart in Frage gestellt, dass der Vertrag nun enden müsse,341) weil nunmehr wieder der Vermieter das Insolvenzrisiko des verbliebenen Schuldners trägt, ist geradezu grotesk: Durch den Vertragsschluss mit einer Mietermehrheit ergibt sich für den Vermieter der Vorteil, dass das konkrete Insolvenzrisiko seiner Schuldner auf die Mietermehrheit übergeht; und zwar bis ein Mitmieter in die Insolvenz fällt342). Natürlich erstarkt das abstrakte ___________ 337) Instruktiv Rütten, Mehrheit von Gläubigern, 49 ff., 120 ff. 338) Auch dieser Einwand ließe sich unter Berufung auf den „Grundsatz der Einheitlichkeit der Mietverhältnisse“ erheben. 339) Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 44. 340) Vgl. bei OLG Köln ZIP 1995, 46, 47; Flöther/Wehner in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 109, Rn. 19; Gemeinhardt/Weber in AnwHdb-MietR [2007], Kap. P., Rn. 202; Steinicke, ZMR 2001, 160, 163; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 109, Rn. 46. 341) Vgl. etwa die Gedanken bei BGHZ 196, 318, Rn. 20 = BGH NJW 2013, 3232, Rn. 20 und Bydlinski in MüKo-BGB, § 425, Rn. 7. 342) Bzw. bei einer Mietermehrheit mit mehr als zwei Mietern, bis nur noch ein solventer Mieter verbleibt.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
Insolvenzrisiko des Vermieters, der als Gläubiger der Leistung bezüglich der Gesamtheit der Schuldner das Finalinsolvenzrisiko trägt, dann zum konkreten Insolvenzrisiko und stellt damit die Regelverteilung des bipolar-einseitigen Vertrages her – ohne dass daran im Bürgerlichen Recht besondere Schutzinstrumente geknüpft wären. Die Vorstellung, diese Konsequenz widerspreche der vertraglichen Ausgangskonstellation, sitzt einem Missverständnis auf: Ein Vertrag mit einer Mietermehrheit trägt – selbstverständlich außer es ist ausdrücklich Vertragspflicht – gerade nicht die Gewährleistung in sich, dem Vermieter werde während der gesamten Mietzeit stets eine gesamtschuldnerisch verbundene, solvente Mietermehrheit gegenüberstehen, die ihn vom konkreten Insolvenzrisiko der einzelnen Mieter für die gesamte Vertragslaufzeit gänzlich befreit. Vielmehr bietet die Mietermehrheit dem Vermieter Haftungsschutz, falls X-1 Mieter343) insolvent werden. Ein fortwährender Anspruch auf ein Mietverhältnis mit dieser oder einer Mietermehrheit erwächst daraus nicht. Genau aus diesen Erwägungen ist schließlich auch der Mitmieter für die gesamte Forderung haftbar und kann sich nicht darauf berufen, er müsse für die vertraglichen Verpflichtungen nur dann einstehen, wenn ihm im Innenverhältnis ein solventes Regresssubjekt zur Verfügung steht.
113 Entsprechend der vorstehenden Erkenntnis, dass sich der verbleibende Mieter nicht vom Vertrag lösen kann, weil er mit der vorgefundenen Haftungssituation bloß wirtschaftlich überfordert ist, kann sich der Vermieter auch nicht vom fortgeführten Vertrag lösen, weil ihn nunmehr wieder das konkrete Insolvenzrisiko des verbleibenden Mieters trifft. Will sich der Vermieter vom Vertrag lösen, bedarf dies weitergehender, außerordentlicher Gründe. Dies ist im Einzelfall durchaus denkbar, etwa wenn besondere persönliche Eigenschaften – nicht aber wirtschaftliche Eigenschaften, denn diese waren gerade die Prognosegrundlage für das nunmehr eingetretene Insolvenzrisiko – des insolventen Mieters entscheidend für den Vertragsschluss waren. Hier kann dann im Einzelfall die grundsätzlich interessengerechte Fortführung des Vertrages systemkonform durch Kündigung des Vertrages beendet werden. Gleichwohl ist auch die Vermieterkündigung äußerst restriktiv zu gewähren, um die vertragliche Risikoverteilung nicht zu unterlaufen.
(4) Die Haftungssituation nach Ausscheiden des Insolvenzschuldners 114 Während sich gezeigt hat, dass die Gesamtwirkung nicht mit dem Risikoübergang bei der Gesamtschuld zusammen passt,344) ist noch zu klären, wie sich die Haftungssituation nach der Kündigung vor dem Hintergrund der Einzelwirkung darstellt. Wie oben bereits festgestellt, ist der Zweck des § 109 InsO, vor einem Anwachsen der Masseverbindlichkeiten zu schützen und nicht zu verhindern, dass in diesem Zusammenhang Insolvenzforderungen entstehen, wie bereits durch die in § 109 Abs. 1 S. 3 InsO ange___________ 343) X sei die Gesamtzahl der Mieter. 344) I. E. auch Wolf/Eckert/Ball, Hdb gewerbliches MietR, Rn. 1589.
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ordnete Ausgleichshaftung deutlich wird.345) Masseverbindlichkeiten können nach erfolgter Kündigung weder nach der Fortführungslösung noch nach der herrschenden Meinung auflaufen. Würde das Vertragsverhältnis mit der herrschenden Meinung durch die Kündigung des Insolvenzverwalters als Ganzes beendet, könnte der Vermieter im Wege des Anspruchs aus § 109 Abs. 1 S. 3 InsO wegen vorzeitiger Beendigung im Höchstfall Ersatz für den gesamten Mietzins für die eigentliche Restlaufzeit des Vertrages bis zur ersten außerinsolvenzlichen Kündigungsmöglichkeit als Insolvenzforderung verlangen.346) Der Mitmieter haftet bei Gesamtwirkung der Kündigung für die Zukunft weder aus Vertrag, weil dieser beendet ist, noch auf Schadensersatz,347) weil er selbst keine zu vertretene Pflichtverletzung begangen hat und ihm weder eine etwaige Pflichtverletzung, § 425 Abs. 1 BGB, noch ein Verschulden,348) § 425 Abs. 2 BGB, des Insolvenzschuldners oder des Insolvenzverwalters349) zurechenbar sind.350) Kann der Gläubiger also den Mitmieter überhaupt nicht in Anspruch nehmen, bleibt ihm nur, die Schadensersatzforderung aus § 109 Abs. 1 S. 3 InsO zur Tabelle anzumelden351) und auf diese die Quote zu erhalten. Der Vermieter steht damit mit der Gesamtwirkung der Kündigung schlechter als vor der Insolvenz, selbst wenn der spätere Insolvenzschuldner schon vorinsolvenzlich nicht mehr zahlen konnte: Statt eines solventen Schuldners und eines ausgefallenen Schuldners hat er nunmehr nur noch einen ___________ 345) Siehe oben unter Fn. 145. 346) Das heißt, wenn keine Neuvermietung möglich ist und keine Aufwendungen erspart wurden, der konkret entstandene Schaden also dem entfallenden Mietzins entspricht, vgl. Bub/Kraemer in Bub/Treier, Rn. 424; Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 29; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 109, Rn. 49. Zum Streit über die Einordnung des „Schadensersatzanspruches“ als zivilrechtlichen oder insolvenzrechtlichen und den Folgen für die Berechnung der Schadenshöhe, Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 25 ff. m. w. N. 347) Dies sieht Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 41 wohl anders, wenngleich es vor dem Hintergrund der auch von ihm vertretenen Einzelwirkung dafür kein Bedürfnis gibt, da der Mitmieter weiter aus Vertrag haftet. 348) Zur Verschuldenszurechnung nach § 425 BGB im Allgemeinen Leverenz, Gestaltungsrechtsausübungen, 168 ff. 349) Zumeist wird darüber hinweggegangen, dass die Kündigung keine schuldhafte Pflichtverletzung des Insolvenzverwalters ist und somit ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch schon nicht tatbestandsmäßig wäre – und somit erst Recht nicht dem Mitmieter zugerechnet werden kann; zum Ganzen Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 26 m. w. N. Erfreulich dezidiert in diesem Sinne jüngst OLG Rostock NZI 2016, 804, Rn. 59; anders Cymutta in KölnK, § 109, Rn. 22. 350) OLG Celle NJW 1974, 2012, 2013; im Ergebnis auch OLG Düsseldorf NJW-RR 1987, 1369, 1370. So auch noch Eckert, GS Sonnenschein, 313, 327. Dann aber nicht mehr so eindeutig Eckert, EWiR 2013, 353, 354, Wolf/Eckert/Ball, Hdb gewerbliches MietR, Rn. 1590, mit dem Einwand, eigentlich seien die Mieter ja Gesamtschuldner und schuldeten alle die Vertragserfüllung; dies offenbart freilich das hier bereits aufgezeigte Defizit der herrschenden Meinung im Umgang mit dem Übergang des Insolvenzrisikos im Rahmen der gesamtschuldnerischen Haftung auf den Mitmieter. Die hier vertretene Einzelwirkung ist der Erfindung einer nicht systemkonform begründbaren Schadensersatzhaftung des Mitmieters, um dieses Defizit zu kaschieren, vorzuziehen. A. A. ohne Begründung Flöther/Wehner in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 109, Rn. 19; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 109, Rn. 46. 351) Als bedingte Forderung, § 191 InsO.
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Schadensersatzanspruch als Insolvenzforderung.352) Ein solcher Eingriff in die Rechtsstellung eines Dritten, der nicht zur Zweckerreichung der Insolvenzordnung erforderlich ist, lässt sich nicht rechtfertigen.353) Für die Fortführungslösung stellt sich die Situation anders dar: Der Gläubiger hat mit dem Ausscheiden dem Grunde nach ebenfalls einen Ausgleichsanspruch gegen den Insolvenzschuldner aus § 109 Abs. 1 S. 3 InsO. Er kann und wird allerdings die Mietzahlungen für die Zukunft vom Mitmieter verlangen, da dieser weiterhin aus dem Mietvertrag zur Zahlung verpflichtet ist. Erfüllt der Mitmieter die Forderungen, entsteht dem Vermieter kein nach § 109 Abs. 1 S. 3 InsO ersatzfähiger „Schaden“. In Ermangelung eines Anspruches haftet die Masse dem Gläubiger im Regelfall – nämlich dann, wenn der Mitmieter solvent ist und zahlt – also tatsächlich gar nicht. Es bleibt allein die Frage zu beantworten, ob der Mitmieter beim Insolvenzschuldner für die Befriedigung des ehemals gemeinsamen Gläubigers Regress nehmen kann.354) In der Literatur wird erwogen, ein Regressanspruch könnte sich aus dem Innenverhältnis der Parteien ergeben.355) Dabei sind allerdings die Folgen für das Innenverhältnis durch das kündigungsbedingte Ausscheiden des Insolvenzschuldners zu beachten. Waren die Mitschuldner gesellschaftsrechtlich verbunden,356) so ist die Gesellschaft – je nach Gesellschaftszweck – durch Austritt des Insolvenzschuldners aus dem Vertrag aufgelöst, § 726 BGB.357) Ein gesellschaftsrechtlicher Ausgleichanspruch kann sich dann nur noch aus einem elaborierten Gesellschaftsvertrag ergeben, der nachvertragliche Ausgleichsansprüche regelt. Denkbar ist eine gesellschaftsrechtliche Ausgleichhaftung daher in erster Linie, wenn der Vertrag ___________ 352) Freilich muss der Vermieter auch nicht mehr die Gebrauchsüberlassung leisten, regelmäßig wird ihn aber vor allem interessieren, ob er Mieteinkünfte erzielt oder nicht. Eine lückenlose Anschlussvermietung wird ihm in den wenigsten Fällen gelingen. 353) So auch bereits oben unter Rn. 46 ff. und Rn. 103 ff. 354) Unterschiedlich begründet dafür Cymutta in KölnK, § 109, Rn. 22; Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 47; Paul, InVo 2008, 1, 4. Auch Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 40, der auf ein vermeintliches gesellschaftsrechtliches Innenverhältnis abstellt. 355) Nicht genauer erläutert Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 47; auch Paul, InVo 2008, 1, 4. Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 40 stellt allein auf ein gesellschaftliches Innenverhältnis als mögliche Grundlage des Regresses ab. Vgl. auch Cymutta in KölnK, § 109, Rn. 22, die explizit die gesellschaftliche Treuepflicht in Bezug nimmt und dem Mitmieter im Falle eines Verstoßes durch die Kündigung des Insolvenzverwalters einen Schadensersatzanspruch gewähren möchte. 356) Das hält Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 40 für die einzige Möglichkeit und übersieht dabei die Bruchteilsgemeinschaft. Auch Paul, InVo 2008, 1, 4 hält ohne Begründung einen gesellschaftsrechtlichen Ausgleichsanspruch für möglich. Ähnliche Bedenken gelten für die Erwägungen von Cymutta in KölnK, § 109, Rn. 22 zu einer etwaigen Schadensersatzpflicht nicht, denn im für sie relevanten Zeitpunkt der Kündigungserklärung ist der Insolvenzschuldner noch Vertragspartei. 357) Darum überzeugt die Lösung von Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 40 nicht. Denkbar wäre allein, über die Auseinandersetzung eine Nachschusspflicht zu konstruieren (§§ 731, 735 BGB). Dazu bräuchte es aber zum einen eine Gesellschaft mit Gesellschaftsvermögen, was in den hier in Rede stehenden Verhältnissen nicht der Regelfall ist und zum anderen müsste man sich darüber hinwegsetzen, dass das Vertragsverhältnis mit dem Mitmieter fortgesetzt wird, das heißt, die Gesellschaft nicht mehr im Innenverhältnis (!) Verpflichtete der sukzessive fällig werdenden Mietzinsen ist.
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von den Mietern in eine (Innen-)GbR eingebracht wurde, deren Gesellschaftszweck sich nicht auf die gemeinsame Nutzung der Vertragsansprüche beschränkt; die damit fortbesteht und der Gesellschaftsvertrag somit möglicherweise Vorkehrungen getroffen hat. Eine Bruchteilsgemeinschaft besteht nach dem Ausscheiden des Insolvenzschuldners hinsichtlich des Vertrages ebenfalls nicht mehr, aus einer solchen kann sich also kein Regressanspruch ergeben.358) Einen eigenen Schadensersatzanspruch wird der Mitmieter gegen den Insolvenzschuldner regelmäßig nicht haben, da weder Insolvenz noch Kündigung durch den Insolvenzverwalter eine (schuldhafte) Pflichtverletzung darstellen.359) Auch das Telos des § 109 Abs. 1 S. 3 InsO erfordert nicht, dem Mitmieter in analoger Anwendung einen (insolvenzrechtlichen) Ausgleichsanspruch gegen den Insolvenzschuldner zu gewähren.360) Es besteht schlicht keine vergleichbare Interessenlage. Die Norm soll lediglich die Interessen des Vermieters, das heißt, des polaren Vertragspartners, am Erhalt und dem zukünftigen Ertragswert des Vertrages berücksichtigen, der ihm durch die Kündigung des Insolvenzverwalters genommen wird.361) Der Mitmieter dagegen trägt, wie im bipolar-einseitigen Vertrag der Vermieter, das Insolvenzrisiko des Insolvenzschuldners. Anders als dem Vermieter im bipolar-einseitigen Vertrag wird dem Insolvenzschuldner jedoch keine Rechtsposition genommen, der Vertrag wird ja fortgeführt.362) Der Schutzzweck des Ausgleichsanspruchs ist mithin nicht berührt. Überdies liegt auch keine Regelungslücke vor, denn dem Mitmieter steht ein Regressanspruch aus § 426 Abs. 1 BGB und § 426 Abs. 2 BGB i. V. m. § 109 Abs. 1 S. 3 InsO gegen den Insolvenzschuldner zu.363) Nach dem Ausscheiden des Insolvenzschuldners besteht zwischen beiden zwar keine Gesamtschuld hinsichtlich der Mietzinszahlungspflicht aus dem Mietvertrag mehr, an deren Stelle tritt in Bezug auf den Insolvenzschuldner aber der Ausgleichsanspruch aus § 109 Abs. 1 S. 3 InsO. Dieser Ausgleichsanspruch ist gerade Ersatz dafür, dass dem Gläubiger sein Erfüllungsanspruch durch die Kündigung genommen wird. Als Surrogat des Erfüllungsanspruches tritt er damit gleichstufig neben den fortbestehenden Erfüllungsanspruch, den der Vermieter aus dem fortgesetzten Vertrag gegen den Mit___________ 358) Anders Paul, InVo 2008, 1, 4 ohne Begründung. Es erscheint im Übrigen bereits zweifelhaft, auf welcher Rechtsgrundlage so ein Anspruch beruhen sollte. 359) Siehe auch Fn. 349. 360) In den Raum geworfen bei Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 47. 361) Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 24. 362) Dies gilt freilich auch für den Vermieter im bipolar-mehrseitigen Vertrag, deswegen spielt der Ausgleichsanspruch dort auch für den Vermieter keine Rolle, da er stets den Mitmieter in Anspruch nehmen kann. Formal hat er zwar einen Ausgleichsanspruch – alles andere wäre contra legem –, er kommt aber nur zum Tragen, wenn alle Mitmieter insolvent sein sollten und somit die vertragsbeendende Situation des bipolar-einseitigen Vertrages wiederhergestellt ist. 363) Insofern ist es i. E. zutreffend, wenn Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 47 als weitere Möglichkeit einwirft, es lasse sich auch ein Gesamtschuldverhältnis denken, ohne dies weiter auszuführen. Man kann die Gesamtschuld freilich gewissermaßen auch als Lösung aus dem „Innenverhältnis der Parteien“ sehen, was er an gleicher Stelle als Lösungsvorschlag aufwirft. I. E. ebenfalls Paul, InVo 2008, 1, 4, der allerdings keine Erklärung anbietet, woraus sich die Gesamtschuld ergeben soll.
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mieter hat. Zwar mag die Terminologie Zweifel hinsichtlich der Gleichstufigkeit364) aufwerfen – immerhin ist eine Forderung nach dem Gesetzeswortlaut Schadensersatzanspruch und die andere Erfüllungsanspruch365) – entscheidend für die Qualifikation als Gesamtschuld ist jedoch nicht die Terminologie, sondern die Tatsache, dass beide Ansprüche das gleiche Interesse366) des Anspruchsberechtigten abdecken. Der Gläubiger kann stets nur einmal die Leistung verlangen. Es besteht gerade kein Rangverhältnis in dem Sinne, dass der Ausgleichsanspruch nur der Absicherung des Anspruches gegen den Mitmieter dient.367) § 109 Abs. 1 S. 3 InsO enthält schließlich die Wertung, dass dem Vertragspartner – dem Träger des abstrakten und konkreten Insolvenzrisikos im bipolar-einseitigen Vertrag – hinsichtlich seiner Forderungen aus dem beendeten Vertrag eine kompensierende Insolvenzforderung zusteht. Würde man den Erfüllungsanspruch gegen den Mitmieter als vorrangig ansehen, wäre die Masse im bipolarmehrseitigen Vertrag ohne Rechtfertigung haftungsrechtlich privilegiert. Im bipolarmehrseitigen Vertrag löst sich die Masse gerade nicht (allein) auf Kosten, sondern auf Risiko des Mitschuldners vom Vertrag. Durch den Gesamtschuldnerregress wird damit erneut die Verteilung des Insolvenzrisikos betont: Der Gläubiger kann sich beim Träger des konkreten Insolvenzrisikos schadlos halten, während dieser nur in Gestalt einer Insolvenzforderung Regress nehmen kann. Genauso verhält es sich im bipolareinseitigen Vertrag, wenn der Gläubiger das Insolvenzrisiko trägt. Der Mitmieter hat wie jeder dritte Insolvenzgläubiger das Insolvenzrisiko des Schuldners übernommen. Er nimmt daher selbstverständlich an der Verteilung der Masse mit den anderen Insolvenzgläubigern teil. Der Anspruch aus § 109 Abs. 1 S. 3 InsO ist nichts anderes als der zur Abwicklung im Insolvenzverfahren umgewandelte Erfüllungsanspruch.368) Er ist wegen dieser Identität im Sinne des § 38 InsO bereits vorinsolvenzlich begründet.369) Gleiches gilt somit für die Regressforderung des Mitmieters aus der Gesamtschuld von Erfüllungsanspruch und insolvenzrechtlichem Ausgleichsanspruch. Auch diese Regressforderung ist stets Insolvenzforderung.370) Die Regressforderung ist zu___________ 364) Zu diesem Erfordernis BGH NJW 2007, 1208, Rn. 17; BGHZ 192, 182, Rn. 18 = BGH NJW 2012, 1071, 1072; Bydlinski in MüKo-BGB, § 421, Rn. 12 ff.; Gehrlein in BeckOK-BGB, § 421, Rn. 8; Grüneberg in Palandt, § 421, Rn. 7 ff. jeweils m. w. N. 365) Es besteht allerdings soweit ersichtlich Einigkeit, dass ein einheitlicher Schuldgrund keine Voraussetzung einer Gesamtschuld ist, nur Grüneberg in Palandt, § 421, Rn. 10. 366) Vgl. BGHZ 192, 182, Rn. 18 = BGH NJW 2012, 1071, 1072 („inhaltsgleiches Gläubigerinteresse“; Gesamtschuld auch bei Anspruch auf negatives und auf positives Interesse möglich). 367) Zu diesem Abgrenzungskriterium BGH NJW 2007, 1208, Rn. 17; Bydlinski in MüKo-BGB, § 421, Rn. 12; Gehrlein in BeckOK-BGB, § 431, Rn. 8. 368) Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 28. 369) Selbst wenn man dies anders sehen wollte, müsste man angesichts der gesetzgeberischen Wertung den § 109 Abs. 1 S. 3 InsO als Insolvenzforderung zu qualifizieren, für eine Qualifizierung der Regressforderung als Insolvenzforderung eintreten. Das ergibt sich zudem aus einem Vergleich mit dem Gläubiger, der ansonsten gegenüber dem Insolvenzschuldner haftungsrechtlich schlechter gestellt wäre als der Regressgläubiger, Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 40; Paul, InVo 2008, 1, 4. 370) I. E. Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 40; Paul, InVo 2008, 1, 4.
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nächst bedingte Insolvenzforderung (§ 191 InsO).371) Die Regressmöglichkeit endet mit dem Ende der Gesamtschuld, das heißt: Mit dem Untergang des Ausgleichsanspruchs. Dies ist (spätestens) der Zeitpunkt der ersten außerinsolvenzlichen Kündigungsmöglichkeit.372) Bei flüchtigem Blick könnte man außerdem über eine vermeintliche Schwierigkeit in Bezug auf die Regresshöhe stolpern. Denn der Ausgleich nach § 109 Abs. 1 S. 3 InsO richtet sich regelmäßig nach der Differenz zwischen entgangenem Mietzins und ersparten Aufwendungen.373) Diese Differenz erscheint nicht deckungsgleich mit dem Betrag des Erfüllungsanspruchs, der den vollen Mietzins ausweist. Im bipolar-mehrseitigen Vertrag ist freilich zu beobachten, dass der Vermieter die Gebrauchsüberlassung nicht erspart, da er dem Mitmieter weiterhin leisten muss.374) Wird der Vertrag aber unverändert fortgeführt, sind keine den Mietzins als Ausgangspunkt der Schadensberechnung mindernden Faktoren vorstellbar;375) beide Ansprüche richten sich darum regelmäßig auf den Mietzins. Dass die Insolvenzmasse durch den Regressanspruch des Mitmieters auf den anteiligen Haftanteil dadurch scheinbar mehr belastet wird als im bipolareinseitigen Vertrag, bei dem die Ersparnis der Gebrauchsüberlassung berücksichtigt wird, ist unbeachtlich: Die Insolvenzordnung sieht lediglich einen Ausgleichsanspruch vor.376) Dieser ist seinem Wesen nach konkret-individuell zu berechnen. Dass die Masse im bipolar-einseitigen Vertrag also nur mit einer gegebenenfalls gekürzten Mietzinsforderung belastet wird, ist Reflex der Schadensberechnung und nicht ein für bipolar-mehrseitige Vertragsverhältnisse unbedingt aufrechtzuerhaltender Grundsatz. Auch im bipolar-einseitigen Vertrag kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, ob überhaupt Ersparnisse beim Vermieter gegeben sind. Eine (anteilige) Kürzung des Regressanspruchs um fiktive Ersparnisse kommt darum nicht in Betracht.
(5) Verteidigung gegen dogmatische Einwände Das vorgestellte interessengerechte Konzept der Fortführung sieht sich aus vieler- 115 lei Richtung mit dogmatisch aufgeladenem Widerspruch konfrontiert. ___________ 371) Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 47. Dazu nur Füchsl/Weishäupl/Kebekus/Schwarzer in MüKoInsO, § 191, Rn. 6. 372) Siehe dazu Fn. 346. 373) Siehe nur für die Vertreter eines insolvenzrechtlich zu verstehenden Differenzforderung Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 109, Rn. 49. Insoweit nicht abweichend die a. A. die auf einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch abstellt, siehe nur Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 29 ff.; D. Wegener in Uhlenbruck, § 109, Rn. 11. 374) Deswegen ist auch nicht der Gebrauchswert bei der Berechnung in Abschlag zu bringen, wie Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 33 für den bipolar-einseitigen Vertrag ausführt. 375) Andere modifizierende Elemente fallen durch das Fortbestehen des Vertrages regelmäßig ebenfalls weg, etwa eine erforderliche Neuvermietung. 376) Der Normzweck gebietet lediglich, dass die Masse von Masseverbindlichkeiten freizuhalten ist, siehe Fn. 145.
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116 Die größtenteils diffus erhobenen Einwände377), die Fortführungslösung verletze den Grundsatz der Einheitlichkeit der Mietverhältnisse378), sind nicht durchgreifend. Wie bereits oben gezeigt, ist dieser Grundsatz im Insolvenzfall schon durch die alleinige Kündigungsmöglichkeit des Insolvenzverwalters durchbrochen.379) Das Sonderkündigungsrecht steht dem Insolvenzverwalter alleine zu und ist nicht gesamthänderisch bzw. gemeinschaftlich gebunden. Eine personale Teilkündigung ist möglich; ihr stehen keine Bedenken gegenüber. Gerade in der Insolvenz greift das Gegenargument des Entziehens aus der Haftung nicht, da der Insolvenzschuldner ohnehin nicht mehr haftet. Weiter sind die oben aufgezeigten Haftungsfolgen der Fortführungslösung auch gerade im Insolvenzfall in gewissem Einklang mit dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Mietverhältnisse: Im regelmäßig verlaufenden Mietverhältnis, für das der Einheitlichkeitsgrundsatz zuvorderst Geltung beansprucht, wird die fortlaufende Haftung der Gesamtschuldner nämlich gerade dadurch erhalten, dass kein Mieter eigenmächtig das Mietverhältnis verlassen kann. Die Haftung der Mitmieter endet entweder zusammen oder gar nicht. Tritt aber der Insolvenzfall ein und scheidet in der Folge durch die Verwalterkündigung ein Haftender unzweifelhaft aus dem Kreis der voll Haftenden aus, ist die durch den Einheitlichkeitsgrundsatz geschützte Aufrechterhaltung dieser Haftendengesamtheit – nunmehr in Gestalt der solventen Mitglieder der Haftungsgemeinschaft – nur gewährleistet, wenn der Einheitlichkeitsgrundsatz auch für die Kündigungswirkung durchbrochen wird. Dies mutet zwar paradox an, ist aber eine konsequente Fortführung des diesbezüglichen Zwecks des Einheitlichkeitsgrundsatzes. Diejenigen, die diesen Grundsatz als Gegenargument anführen, machen ihn zum Dogma380) mit Selbstzweck.
117 Ebenso wenig überzeugend ist der Versuch, die Norm des § 425 BGB über die Wirkung von Tatsachen im Rahmen der Gesamtschuld zur abstrakt-generellen Beurteilung der Rechtsfolgen der Verwalterkündigung zu instrumentalisieren: Da
___________ 377) BGHZ 196, 318, Rn. 18 = BGH NJW 2013, 3232, Rn. 18; Blank in Schmidt-Futterer, § 542, Rn. 140 (während der „Grundsatz der Einheitlichkeit der Mietverhältnisse“ in der 13. Auflage noch explizit angeführt wird, heißt es nunmehr, die Gesamtbeendigung ergebe sich aus den „allgemeinen mietrechtlichen Grundsätzen“ wodurch die Behauptung noch weiter an Klarheit verliert); Selb, Mehrheiten, 79. Auch Vertreter der Einzelwirkung konstatieren dies zum Teil, wenn sie als Vorzug der h. M. hervorheben, diese werde dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Mietverhältnisse gerecht Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 37. 378) Zu diesem Grundsatz ausführlich oben unter Rn. 78 ff. 379) Siehe auch Nachweise oben unter Fn. 267. 380) Zum Dogma erhebt den Einheitlichkeitsgrundsatz ausdrücklich Streyl, NZM 2011, 377, 382. Vgl. auch bereits Eckert, GS Sonnenschein, 313, 328, der für den Grundsatz der Gesamtwirkung der Kündigung, der aus dem Einheitlichkeitsgrundsatz entspringt, bemerkt, dass dieser nicht konsequent durchzusetzen ist und insbesondere auch eine ausdrückliche gesetzliche Verankerung den Blick auf die Spezifika des Einzelfalls verstelle.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
unter „Kündigung“ in § 425 Abs. 2 BGB nicht die Beendigungskündigung zu verstehen ist,381) ist die Entscheidung über eine etwaige Gesamtwirkung – wenn man die Vorschriften über die Gesamtschuld für maßgeblich hält382) – ausschließlich nach § 425 Abs. 1 BGB zu beurteilen.383) Es kann sich zweifellos im Einzelfall aus dem zu beurteilenden Schuldverhältnis eindeutig „etwas anderes“ im Sinne von § 425 Abs. 1 BGB ergeben und daher Gesamtwirkung der Kündigung angezeigt sein. Für die hier zu beantwortende Frage nach der abstrakt-generellen Rechtsfolge der Kündigung nach § 109 InsO ist dies jedoch nicht weiterführend.384) Bei der Auslegung einer Rechtsnorm für den Regelsachverhalt wendet sich der Blick gerade vom einzelnen Schuldverhältnis ab und richtet sich stattdessen auf eine interessengerechte Lösung der grundsätzlichen Frage. Zweifelsohne kann das gefundene Auslegungsergebnis von den Wertungen des zu beurteilenden Schuldverhältnisses im Einzelfall verdrängt werden. Dies ist aber Wesensmerkmal des dispositiven Rechts385) – haben die Parteien etwas anderes vereinbart (oder hier auch: gewollt), ist diese Entscheidung nach § 425 Abs. 1 BGB gegenüber dem abstrakten Auslegungsergebnis vorrangig. Vom Einzelfall auf den Regelfall – oder besser: den „Immerfall“ – schließen dagegen die Autoren386), die einem nach § 109 InsO gekündigten Schuldverhältnis pauschal unterstellen, aus „dem“ Schuldverhältnis ergebe sich ein Anderes (nämlich Gesamtwirkung) im Sinne von § 425 Abs. 1 BGB. Die Absurdität dieser Argumentation zeigt sich besonders daran, dass sich niemand traut, das Wort „dem“ durch „jedem“ zu ersetzen; denn dann würde die Illusion der interessengerechten Einzelfallbetrachtung, die § 425 BGB eigentlich gewährleisten soll, verpuffen und deutlich werden, dass gar keine Einzelfallbetrachtung vorgenommen wird, sondern an ihre Stelle eine pauschale Behauptung tritt: Die Gesamtwirkung der Kündigung sei in jedem Fall interessengerecht. Dass diese Annahme unzutreffend ist, wurde oben bereits gezeigt. Die Einzelwirkung ist dabei nicht nur im Grundsatz interessengerecht, sondern gewährleistet durch die flankierenden Vorschriften über die außerordentliche Kündigung bzw. die Störung der Geschäftsgrundlage und eben auch § 425 Abs. 1 BGB darüber hinaus effektive und stimmige Instrumente zur Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit.
___________ 381) Vgl. Nachweise oben unter Fn. 204. 382) Dazu bereits oben unter Rn. 78 ff. 383) Zutreffend weist Leverenz, Gestaltungsrechtsausübungen, 164 ff. m. w. N. darauf hin, dass die Aufzählung in § 425 Abs. 2 BGB für die vorzunehmende Beurteilung keine Auswirkung hat, vielmehr könne jede Tatsache Gesamtwirkung entfalten oder auch nicht. Dies sei stets bloß eine Frage des Einzelfalls. 384) Anders OLG Köln ZIP 1995, 46, 47; Streyl, NZM 2011, 377, 384. 385) Insoweit normiert § 425 Abs. 1 BGB nur den selbstverständlichen Vorrang des Parteiwillens vor dem dispositiven Recht, vgl. Looschelders in Staudinger, § 425, Rn. 9. 386) Siehe Fn. 384.
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118 Die Einzelwirkung wird außerdem von Dahl387) abgelehnt, weil ein „einheitliches Vertragsverhältnis“ einem „einheitlichen Schicksal“ unterworfen sein müsse388) und sich überdies nicht aufspalten lasse. Diese Thesen sind zwar plakativ, greifen aber zu kurz: Selbst das BGB kennt dort, wo es ausnahmsweise einmal Mehrparteienverträge im Blick hat, das Konzept der Einzelkündigung:389) §§ 736 f. BGB.390) Zwar öffnet die Norm nur die Pforte für eine privatautonome Regelung der Einzelkündigung in Form einer Fortführungsklausel, sie zeigt damit aber, dass eine Einzelkündigung der Dogmatik des Bürgerlichen Rechts nicht widerstrebt.391) In bipolaren Verträgen ergibt sich Gleiches aus § 573b BGB. Die pauschale Annahme der Unzulässigkeit der Einzelkündigung hat somit keinerlei gesetzliche Stütze. Zwar untersagt § 351 BGB die unabhängige Ausübung des Rücktrittsrechts,392) daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass dem ein allgemeiner Rechtsgedanke zu Grunde läge.393) Dies gilt erst Recht, wenn man nach der Rechtsfolge der Kündigung fragt, denn § 351 BGB regelt seinem Wortlaut nach allein die Ausübung des Rücktrittsrechts.394) Außerdem kann man fragen, warum der Gesetzgeber dies für den Rücktritt ausdrücklich anordnet, während sich eine solche Regelung für die Kündigung nicht findet395) und sogar das Gegenteil in §§ 736 f. BGB für zulässig befunden wird. Zudem hat auch der BGH bereits die Einzelwirkung einer Kündigung eines nachträglich dem Vertrag beigetretenen Mieters unter Berufung auf die Nichteinhaltung der Schriftform (des Vertragsbeitritts) für Recht erkannt.396) Sofern mit dem Einwand Dahls auf den Grundsatz der Einheitlichkeit der Mietver___________ 387) Dahl, NZM 2008, 585, 587. 388) Gleiches gilt und ist gemeint, wenn ein „Grundsatz der Gesamtwirkung der Kündigung“ erkoren wird, Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 39. Vgl. zu dieser Thematik allgemein auch die Ausführungen und Nachweise zum Einheitlichkeitsgrundsatz des Mietverhältnisses oben unter Rn. 78 ff. 389) Zur herrschenden Begriffsverwirrung bzgl. verschiedener Konzepte der Einzel- bzw. Teilkündigung Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 361 ff. 390) Instruktiv zum Konzept und zur Zulässigkeit der Einzelkündigung im mehrseitigen Vertrag im System des Bürgerlichen Rechts Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 360 ff. Es sei auch noch auf § 13a BJagdG hingewiesen, der die Teilkündbarkeit der Jagdpacht kodifiziert, anders zuvor RGZ 141, 191, 192 f. 391) Dies übersieht etwa Dahl in AnwHdb-InsR, § 8, Rn. 212, der Teilkündigungen per se für unzulässig hält. Für das nicht insolvenzbefangene Insolvenzrecht vgl. oben unter Rn. 78. 392) Dazu Eckert, GS Sonnenschein, 313, 320. 393) Anders zu § 356 BGB a. F. Leverenz, Gestaltungsrechtsausübungen, 153 ff., der die Norm analog auf die Kündigung anwendet. Ähnlich dagegen bereits RGZ 90, 328, 330; wohl auch Eckert, GS Sonnenschein, 313, 320. 394) Vgl. nur Gaier in MüKo-BGB, § 351, Rn. 1. Zur eigenständigen Ausübung des Kündigungsrechts aus § 109 InsO durch den Verwalter siehe oben unter Rn. 97 f. Zur gemeinschaftlichen oder gesamthänderischen Bindung des Kündigungsrechts im insolvenzunbefangenen Recht siehe unter Rn. 97 f. Diese Ausführungen treffen auf alle Gestaltungsrechte, mithin auch das Rücktrittsrecht, zu. 395) Vgl. dazu auch RGZ 90, 328, 330. 396) BGHZ 65, 49, 54 f. = BGH NJW 1975, 1653, 1655.
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hältnisse rekurriert werden soll, gilt das dazu oben Gesagte. Der Einwand, das Vertragsverhältnis lasse sich nicht aufspalten, ist ebenso unzutreffend. Durch die Einzelkündigung wird der Vertrag umgestaltet397), dem verbliebenen Mitmieter steht nun der Mietgebrauch allein zu. Es wird daher kein Vertragsverhältnis „aufgespalten“, es scheidet lediglich eine Partei als Berechtigter und Verpflichteter aus. Die Rechte und Pflichten aus dem Vertrag verschwinden damit aber nicht in entsprechendem Teil, sondern bestehen unbeschadet für und gegen den verbliebenen Mieter fort. An den Forderungen selbst hat sich dadurch nichts geändert, der verbliebene Mieter haftet auf den Mietzins, wie zuvor bereits als Gesamtschuldner; lediglich die Regressmöglichkeit entfällt.398) Die Gebrauchsüberlassung an der Mietsache kann der Mitmieter nun alleine an sich fordern. Dass dies nicht nur keine Spaltung, sondern auch rechtlich nicht bedenklich ist, lässt sich zudem auf einen Vergleich mit der Wertung des § 399 S. 1 BGB stützen. Dieser ordnet für Forderungen an, dass ein (abtretungsbedingter) Parteiwechsel nur dann erheblich ist und die Abtretung ausschließt, wenn der Parteiwechsel ausnahmsweise notwendig zu einer inhaltlichen Änderung der Schuld führt. Übertragen auf die Situation bei der Einzelwirkung der Kündigung heißt das: Da das Ausscheiden des Insolvenzschuldners aus dem Vertrag nicht zu einer inhaltlichen Änderung der Forderungen, sondern lediglich zu einer personalen führt, ist das Ausscheiden auch nicht aus Rechtsgründen zu beanstanden. Selbst wenn man diesen Vergleich nicht für verallgemeinerungsfähig und daher für nicht auf das Vertragsverhältnis als Ganzes übertragbar hält, müssen sich zumindest diejenigen, die eine Unteilbarkeit der Gebrauchsüberlassungsforderung anmahnen, mit dieser Wertung auseinandersetzen. Allerdings ist auch diesbezüglich schon vorher anzusetzen: Natürlich ist die Gebrauchsüberlassung regelmäßig keine teilbare Leistung, jedoch geht es bei der Einzelwirkung der Kündigung gerade nicht darum, die Gebrauchsüberlassungsforderung (oder irgendeine andere) zu teilen. Im Gegenteil hat der verbliebene Mitmieter Anspruch auf die Gebrauchsüberlassung in gleicher Form, wie es zuvor die Mitmieter als Mitgläubiger hatten. Ähnliche Erwägungen liegen letztlich auch der Bemerkung von Hinz399) zu Grunde, der Wortlaut des § 109 Abs. 1 S. 1 InsO stütze ein Ausscheiden nur des Insolvenzschuldners aus dem Vertrag nicht, denn dort sei von einer Kündigung des Mietverhältnisses die Rede, eine solche sei aber stets auf die Beendigung vertraglicher Bindungen und nicht auf deren Umgestaltung gerichtet. Zunächst drängt sich auf, dass der Wortlaut für Hinz nur Scheinargument ist. Hinz lädt den Rechtsbegriff der Kündigung mit dem Konzept der Unmöglichkeit der Einzelkündigung auf, denn eine solche beinhaltet stets
___________ 397) Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 44. Wobei nebenbei bemerkt in jeder Ausübung eines Gestaltungsrechts eine Änderung des Vertrages oder eine Verfügung über eine Forderung liegt – oftmals gar beides. Vgl. dazu oben unter Rn. 78 und Rn. 97. 398) Dazu unter Rn. 114. 399) Hinz, NZM 2014, 137, 142.
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die kritisierte Umgestaltung des Vertragsverhältnisses.400) Bei Lichte besehen handelt es sich damit nicht um ein Wortlautargument, sondern es geht wesentlich um die zutreffende Auslegung des Rechtsbegriffs der Kündigung. Man sollte diesen Einwand daher wohl als systematisch-dogmatischen verstehen, die ihn vermeintlich stützende Hypothese der Unmöglichkeit einer Einzelkündigung erweist sich aber vor dem Hintergrund des oben Gesagten als unhaltbar. Das Bürgerliche Recht duldet nicht nur (vertragsumgestaltende) Einzelkündigungen, es adelt diese Möglichkeit sogar durch ausdrückliche Erwähnung im Gesetzestext. Hat man sich einmal vom haltlosen dogmatischen Ballast befreit, rückt bei der Auslegung des § 109 InsO wieder die Interessenkonstellation zwischen den Mitmietern in den Fokus und kann unbefangen gewürdigt werden.
119 Es zeigt sich somit, dass die gegen die Fortführungslösung erhobenen dogmatischen Einwände nicht durchgreifen. Die Fortführungslösung schützt die Interessen der verbleibenden Parteien vollumfänglich, soweit diese im Einklang mit dem von der Rechtsordnung statuierten Haftungsgefüge stehen und somit schützenswert sind. Ist die Fortführung des Mietverhältnisses im Einzelfall untragbar, kann sich die belastete Partei durch Kündigung vom Vertrag lösen.401) Diese Kündigungsmöglichkeit ist aber kein Ausweg durch die Hintertür aus dem einmal eingegangenen vertraglichen Haftungs- und Risikogefüge. Wegen Einwendungen aus dieser Sphäre bleibt beiden Parteien eine Lösung vom Vertrag verwehrt. Auch in anderen Fällen ist ein Kündigungsgrund nur dann gegeben, wenn ganz erhebliche Umstände dem Kündigenden eine Fortführung untragbar erscheinen lassen. Hier ist im Einzelfall sehr genau zu schauen, ob die vorgebrachten Umstände tatsächlich eine Kündigung notwendig und damit möglich machen.
120 Es ist wichtig zu erkennen, dass die Fortführungslösung die Antwort des dispositiven Rechts auf die Verwalterkündigung ist. Sie tritt daher selbstverständlich zurück, wenn die Parteien anderes vereinbaren.402) Machen sich die Parteien keine Vorstellungen zu den Rechtsfolgen einer Verwalterkündigung ist die Fortführungslösung anzuwenden. Unzutreffend ist dagegen, eine ergänzende Vertragsauslegung vorzunehmen, die von Ringstmeier403) als Lösung für den Streit um die Wirkung der Verwalterkündigung vorgeschlagen wird. Eine ergänzende Vertragsauslegung kann nur dort vorgenommen werden, wo nicht bloß der Vertrag zu einem Aspekt keine Re___________ 400) Hinz, NZM 2014, 137, 142. Zur Vertragsumgestaltung durch das Ausscheiden des Insolvenzschuldners siehe Fn. 397. 401) Gleiches gilt im Rahmen von § 13a BJagdG: Die Teilkündigung des Jagdpachtvertrages ist möglich, die verbliebenen Pächter können aber kündigen, wenn ihnen das Festhalten am Vertrag unzumutbar ist, S. 2. Das Kriterium der Unzumutbarkeit findet sich ebenso in §§ 313 Abs. 1, 314 Abs. 1 S. 2, 543 Abs. 1 S. 2 BGB. 402) Nicht notwendig ausdrücklich. Dies ist auch (allein) der Anwendungsbereich des § 425 Abs. 1 BGB, dazu oben unter Rn. 78 ff. 403) Ringstmeier in K. Schmidt, § 109, Rn. 9.
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gelung trifft, sondern erst dort, wo auch das dispositive Recht keine Lösung anbietet.404) Die Rechtsfolgen für nicht vollständig erfüllte Verträge bei Verfahrenseröffnung sind in den §§ 103 ff. InsO allerdings abschließend normiert. Ergänzende Vertragsauslegung kann daher nicht die Antwort auf die Frage nach den Rechtsfolgen der Verwalterkündigung sein.
(6) Ablehnung der differenzierenden Ansicht Die differenzierende Ansicht405) ist zugunsten der Fortführungslösung ebenfalls ab- 121 zulehnen. Sie vermag nicht so systematisch stringent und rechtssicher wie die Fortführungslösung, die Interessen aller Parteien zu einem ausgewogenen Ausgleich zu führen. Zwar ist sie durchaus bestrebt, den vielschichtigen Interessen der Parteien Geltung zu verschaffen, wenn sie zwischen solchen Mietern, die direkt an der Gebrauchsüberlassung partizipieren wollen und daher regelmäßig ein besonderes Fortführungsinteresse haben und solchen, die nur der Erweiterung der Haftungsgemeinschaft dienen,406) unterscheidet. Allerdings gelingt hier selten eine trennscharfe Bestimmung der unterschiedlichen Situationen: So wird teilweise eine durch Gesamtwirkung der Kündigung zu beendende Mithaft angenommen, wenn der Mithaftende der Schuld beitritt.407) Zwar merkt Steinicke zutreffend an, dass nicht selten ein Vertragsbeitritt, der vom Gedanken der Haftungserweiterung getragen ist, bei Auslegung der Beitrittserklärungen eigentlich ein Schuldbeitritt ist,408) allerdings kann auch ein Vertragsbeitritt gerade gewollt sein, um dem Mithaftenden umfassende (Gegen-)Rechte aus dem Vertrag zu gewähren. Generell erscheint es nicht hinreichend klar, wie die Kategorie des lediglich Mithaftenden mit Leben gefüllt wird. Die Ansätze Steinickes könnten vermuten lassen, der Mithaftende sei eine rechtlich abzugrenzende Kategorie. Er sei jemand, der zwar – etwa in den Vertragsdokumenten – als Mieter bezeichnet
___________ 404) Während das Rechtsinstitut in zahlreichen Aspekten hochumstritten ist, besteht über den grundsätzlichen Vorrang des dispositiven Rechts doch weitgehend Einigkeit. Ob nun bereits keine Lücke vorliegt, wenn das materielle Recht einen nicht vertraglich geregelten Aspekt normiert oder zwar eine Lücke vorliegt, aber diese vorrangig durch dispositives Recht zu schließen ist, ändert im Ergebnis nichts am Vorrang des dispositiven Rechts. Ausführlich und jeweils m. w. N. zum Thema BGHZ 90, 69, 75 = NJW 1984, 1177, 1178; Busche in MüKoBGB, § 157, Rn. 39 f., 45 f.; Ellenberger in Palandt, § 157, Rn. 4; Medicus/Petersen, BGB AT, 340 ff.; Wolf in Soergel, § 157, Rn. 113. 405) Siehe Nachweise oben in Fn. 241. 406) So zum Beispiel bei OLG Köln ZIP 1995, 46, 47; teilweise werden auch Mitmieter, deren Nutzungsrecht von der anderen Partei abhängt, in diese Fallgruppe einbezogen, etwa bei Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 109, Rn. 46. Dieser Ansatz spiegelt durchaus Überlegungen, dem (allein) nutzenden Mieter auch im nicht insolvenzbefangenen Mehrparteienmietverhältnis in gewissen Situationen die Erklärung der Kündigung ohne Mitwirkung der Mitmieter zu gestatten, dazu Eckert, GS Sonnenschein, 313, 323. 407) Steinicke, ZMR 2001, 160, 162. 408) Steinicke, ZMR 2001, 160, 163.
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wird, materiell-rechtlich aber gar nicht Mietvertragspartei ist409) – dann läge jedoch eigentlich schon gar keine Mietermehrheit im Rechtssinn vor. Ob der vermeintliche Mitmieter wirklich Vertragspartei geworden ist, kann nur durch Auslegung seiner Mitverpflichtungs- oder Beitrittserklärung beantwortet werden.410) Dieses Vorgehen ist allerdings wenig zielführend: Was hier als Lösung angeboten wird, ist bei näherer Betrachtung selbstverständliche Vorstufe. Stets ist bei einer potenziellen Mietermehrheit zunächst zu fragen, ob auch eine Mietermehrheit im Rechtsinn vorliegt.411) Ist dem so, stellt sich die Frage, wie sich die Kündigung auf das gesamte Rechtsverhältnis auswirkt. Ist dem aber nicht so, ergeben sich die Rechtsfolgen ganz selbstverständlich aus der Insolvenzordnung. Bei Lichte besehen entpuppte sich die angebotene Lösung dann in den tatsächlich streitigen Fällen einer rechtlichen Mietermehrheit als rechtsfolgenidentisch mit der Fortführungslösung. Die vermeintliche Differenzierung zwischen bloß Mithaftenden und Partizipierenden wäre obsolet. Will man der differenzierenden Ansicht also noch einen eigenen Aussagegehalt belassen, muss man die Kategorie des bloß Mithaftenden nicht als rechtliche, sondern als tatsächliche begreifen.412) Das hieße, bloß mithaftend wäre derjenige Mieter, der Vertragspartner wurde, um Haftsubjekt zu sein. Zu fragen wäre also nach dem Zweck der Beteiligung des Mitmieters am Vertragsverhältnis. Dabei müsste die Haftungserweiterung wohl Alleinzweck der Beteiligung sein, um bloß Mithaftender im Sinne dieser Ansicht zu sein. Denn sobald der Mitmieter zumindest auch an der Gebrauchsüberlassung partizipieren soll, griffe der Schutzgedanke, der dieser Ansicht zu Grunde liegt und die Gebrauchsmöglichkeit müsste ihm erhalten werden. Diese Zuspitzung auf die Frage, ob alleiniger Beteiligungszweck eines Vertragspartners eine Haftungserweiterung ist, offenbart, wie dünn die Schneide ist, auf der diese Auslegung tanzt. Dass auch eine Haftungserweiterung für den Vermieter bei der Beteiligung eines zweiten Mieters bezweckt ist, trifft wahrscheinlich auf die überwiegende Zahl solcher Beteiligungen zu. Wann aber hat ein sich am Vertrag Beteiligender – denn bloße Sicherungsgeber fallen ja gerade nicht in diese Kategorie, da keine rechtliche Mietermehrheit besteht – wirklich ausschließlich eine
___________ 409) Deutlich etwa in der Formulierung „Der Mithaftende kann daher nicht auf das Vertragsverhältnis einwirken […]. Dies alles kann lediglich der Mieter als Vertragspartner“ (Kursive Hervorhebungen vom Verf.), Steinicke, ZMR 2001, 160, 163. 410) Dass dies selten offensichtlich ist, zeigt stellvertretend OLG Köln ZIP 1995, 46, 47. Dort war nicht ohne Weiteres festzustellen, ob ein Schuldbeitritt oder eine Bürgschaftsübernahme vorlag. 411) Hier sei auch noch einmal auf die Abgrenzung von Mietermehrheit und GbR hingewiesen (dazu bereits oben unter Rn. 72. Eine Außen-GbR kann auch selbst Mieter sein, aber das bloße Bestehen einer (Innen-)GbR lässt noch nicht darauf schließen, dass diese selbst (als Außen-GbR) Mieter geworden ist; hier zu ungenau Steinicke, ZMR 2001, 160, 164 oben. 412) In diesem Sinne wohl Hörndler in Lindner-Figura/Oprée/Stellmann, Kap. 20, Rn. 75, wenngleich es auch hier im Anschluss unscharf heißt, bei der Mithaft „liegt im Grunde kein Mietverhältnis mit mehreren Mietern vor“.
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Haftungserweiterung im Sinn?413) Immerhin ist der Beteiligte auch Gläubiger des Gebrauchsüberlassungsanspruchs. Der Vermieter wird, vorbehaltlich expliziter vertraglicher Regelungen, an alle Mieter erfüllen oder sich vertragswidrig verhalten. Die Gläubigerstellung würde den Mithaftenden freilich auch regelmäßig berechtigen – jedenfalls im Verhältnis zum Vermieter – jederzeit doch an der Gebrauchsüberlassung zu partizipieren; und sei es vielleicht gerade dann, wenn der Mitmieter in die Insolvenz gerät. Alles dies sind subjektive Merkmale, die es einem Anderen nur unter erheblichen Schwierigkeiten erlauben, den Mitmieter in die Kategorie des bloß Mithaftenden einzuordnen. Genau aus dieser Schwierigkeit erwächst das Hauptproblem dieser Ansicht: Ihr wird 122 entgegengehalten, die Rechtswirkung der Kündigung als Gestaltungsrecht wäre wegen der ungewissen Kategorisierung des Mitmieters im Zeitpunkt der Erklärung414) ungewiss.415) Es müsse zunächst die Beteiligungsnatur des Mitmieters geklärt werden, die sich zumeist nur aus dem Innenverhältnis der Mitmieter ergebe.416) Diese Bedenken sind durchgreifend: Die Rechtsfolge der Gestaltungserklärung hinge von der Qualifizierung der Beteiligung des Mitmieters am Mietverhältnis ab. Im Sinne einer objektiv-faktischen Betrachtung stünde freilich die Beteiligungsqualität im Erklärungszeitpunkt fest417) – und damit auch die Rechtsfolge der Erklärung – da sie in diesem Zeitpunkt feststellbar ist418). Gleichwohl wäre aus der Erklärung selbst nicht die mit ihr bewirkte Rechtsänderung erkennbar; der erklärende Insolvenzverwalter ___________ 413) Recht unverhohlen wird der Mithaftende von einigen Vertretern dieser Ansicht auch vom faktischen zum Quasi-Sicherheitengeber degradiert, indem sie ihn zwingend und völlig systemfremd zum Schuldner eines Schadensersatzanspruches auf das Erfüllungsinteresse machen, Gemeinhardt/Weber in AnwHdb-MietR [2007], Kap. P., Rn. 202. Auch OLG Köln ZIP 1995, 46, 47 macht sich wenig Gedanken darüber und lässt die beklagte Mitmieterin (ob sie tatsächlich Mitmieterin ist, lässt das Gericht offen) aus § 19 S. 3 KO auf Schadensersatz haften. Dazu schon unter Rn. 114. 414) Die Kündigung als Gestaltungserklärung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, vgl. dazu nur Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, 48 f.; Leverenz, JURA 1996, 1, 7 m. w. N. 415) BGHZ 196, 318, Rn. 21 = BGH NJW 2013, 3232, Rn. 21; Dahl in AnwHdb-InsR, § 8, Rn. 212; Vgl. zu ähnlichen Bedenken Vallender/Dahl, NZI 2000, 246, 247 im Kontext der Wohraumkündigung im Verbraucherinsolvenzverfahren vor Einführung des § 109 Abs. 1 S. 2 InsO durch das Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 26.10.2001, BGBl. I S. 2710. Unverständlich insoweit Franken/Dahl, Mietverhältnisse in der Insolvenz, 121, die „klare[n] Abgrenzungskriterien“ als Vorzug der Ansicht ausmachen – dies wäre selbst dann zweifelhaft, wenn sich die Aussage erkennbar auf die rechtlichen Kriterien bezöge, da der Zweck der Mitmieterstellung an sich keine rechtliche Kategorie ist. 416) BGHZ 196, 318, Rn. 21 = BGH NJW 2013, 3232, Rn. 21. 417) Darum handelt es sich auch nicht um eine unzulässige Rechtsbedingung im Sinne eines künftigen, ungewissen Ereignisses; zur Bedingungsfeindlichkeit von Gestaltungserklärungen siehe nur Bork in Staudinger, Vor §§ 158 ff., Rn. 38 ff.; Leverenz, JURA 1996, 1, 7 f.; ablehnend Hattenhauer, Einseitige private Rechtsgestaltung, 283 ff. 418) Unklar ist außerdem, auf welchen Zeitpunkt abzustellen ist, wenn der Mitmieter im Zeitraum zwischen Kündigungserklärung und Kündigungswirkung umqualifiziert wird – wenngleich dies wohl ein rein akademisches Problem bleibt.
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bezweckt419) allein das Ausscheiden des Insolvenzschuldners aus dem Vertrag und damit mittelbar die Entlassung der Masse aus der Haftung. Regelmäßig wird es ihm gleichgültig sein, welche Wirkung seine Kündigungserklärung im Verhältnis der anderen Vertragsparteien untereinander entfaltet.420) Daher ließe sich selbst durch Auslegung der Kündigungserklärung im Hinblick auf den mit ihr verfolgten Zweck des Erklärenden ihre Rechtsfolge nicht feststellen. Es verbliebe ein ausgeübtes Gestaltungsrecht, das über die Vertragsbeziehung zum Insolvenzschuldner hinaus gestaltet, ohne dass der Gestaltende weitergehend gestalten will und ohne dass erklärt wurde, in welcher Form (Beendigung des ganzen Vertrages oder Weiterführung) es gestaltet bzw. gestalten soll. Dem Erklärungsempfänger bliebe allein, nach der Qualität der Vertragsbeteiligung der Mitmieter zu forschen. Dass aber die mit der Gestaltungserklärung tatsächlich eintretende Rechtsänderung weder (in Gänze) bezweckt, noch bekannt oder erkennbar ist, widerspricht dem Wesen der Gestaltungsrechte. Sie dulden keine rechtliche Unsicherheit.421) Bürdete man den Parteien eine solche Unsicherheit hinsichtlich der Rechtsfolgen der Verwalterkündigung auf, erschütterte das ganz erheblich die Rechtssicherheit für die betroffenen Parteien (und zwar gleichermaßen für Mitmieter und Vermieter). Diese Unsicherheit würde die Beteiligten vielfach zwingen, Rechtsklarheit durch Prozessführung herzustellen, was mindestens unökonomisch wäre und daher nicht Ergebnis einer ausgewogenen Auslegung des § 109 InsO sein kann.
123 Dazu tritt, dass die Anhänger dieser Ansicht außer Acht lassen, welche Konsequenzen es mit sich brächte, würden auf der Seite des Insolvenzschuldners mehrere Mitmieter mit unterschiedlicher Funktion stehen. Hätte dies zur Folge, dass alle bloß Mithaftenden ausscheiden, während Partizipierende im Mietverhältnis verblieben, führte dies zu noch größerer Rechtsunsicherheit und wäre eine zu individualistische Lösung, die praktisch nur unter erheblichem Nachforschungs- und Beweisaufwand durchführbar wäre. Zudem hätte sie die irritierende Folge, dass für die verbliebenen (nutzenden) Mieter die eigentlich als Mithaftende der Haftungsgemeinschaft gedachten Mitmieter nicht weiter haften würden. Wollte man aber einen anderen Auflösungsmodus wählen, zum Beispiel alle Mitmieter nach dem Schwerpunkt ihrer ___________ 419) Bei oberflächlicher Lektüre der Literatur könnte man meinen, es sei ausreichend, wenn die Absicht des Erklärenden erkennbar ist, etwa Ellenberger in Palandt, Überbl. vor § 104, Rn. 17 („muss sich die beabsichtigte Rechtsänderung klar […] ergeben“) oder Leverenz, JURA 1996, 1, 7 („muss sich aus der Gestaltungserklärung […] die […] beabsichtigte Rechtsänderung ergeben.“). Dies ist damit zu erklären, dass sich die erstrebte Gestaltung im Zweipersonenverhältnis regelmäßig in ihrer Wirkung auf die beteiligten Personen beschränkt. 420) Vgl. zur Unerheblichkeit der Absicht des Insolvenzverwalters im Hinblick auf den Restvertrag Rn. 103 ff. 421) So im Ergebnis auch zutreffend BGHZ 196, 318, Rn. 21= BGH NJW 2013, 3232, Rn. 21. Grundlegend zum Schutz des Gestaltungsgegners Hattenhauer, Einseitige private Rechtsgestaltung, 254 ff. Zu allgemeinen Anforderungen an die Bestimmtheit einer Kündigung im Mietrecht Blank in Schmidt-Futterer, § 542, Rn. 13. Zur Vermeidung von Ungewissheit bei Gestaltungserklärungen siehe auch Bork in Staudinger, Vor §§ 158 ff. in Rn. 38.
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Interessen einheitlich behandeln, wäre der einzige Vorteil dieses Ansatzes – die bezüglich der Mitmieter interessenkonforme Abwicklung – bereits wieder dahin. Neben diesen Bedenken entspringt der Ergebnisorientiertheit der differenzierenden 124 Ansicht ein systematischer Bruch: Da für den lediglich Mithaftenden der Vertrag beendet ist, haftet er – wie auch der Mitmieter nach der herrschenden Ansicht – eigentlich nicht auf Schadensersatz.422) Eine Pflichtverletzung oder ein Verschulden in eigener Person liegen regelmäßig nicht vor. Eine etwaige Pflichtverletzung oder ein Verschulden des Insolvenzschuldners bzw. des Insolvenzverwalters423) sind ihm nicht nach § 425 BGB zurechenbar. Stützt man diese Wertung generalisierend darauf, aus dem (jedem) Schuldverhältnis ergebe sich ein Anderes im Sinne von § 425 Abs. 1 BGB,424) missachtet man die Konzeption des § 425 BGB, der die privatautonome Entscheidung im Einzelfall zur Geltung bringen soll und nicht verallgemeinernd beantwortet werden kann. Zudem ergibt sich aus der Übernahme des Insolvenzrisikos durch die Mitmieter im bipolar-mehrseitigen Vertrag sicher keine Schadensersatzhaftung, sondern eine vertragliche Haftung. Daran ändert auch nichts, dass so angeblich der Vertragszweck zur Geltung gebracht wird:425) Der Mitmieter ist in den Fällen der Mietermehrheit Vertragspartner geworden und eben nicht Sicherungsgeber.426) Hat man die Willenserklärung des „Mitmieters“ ausgelegt und gelangt zu dem Ergebnis, dass dieser Mitmieter geworden ist, kann sich über diese Auslegung des Parteiwillens nicht durch eine generalisierende Behandlung des Mitmieters als Quasi-Sicherungsgeber hinweggesetzt werden und seine Stellung nachträglich zum Sicherungsgeber verkümmern. In den Fällen, in denen das unbillig erscheint, ist eine Korrektur eher durch eine besonnene Auslegung der Verpflichtungserklärung des vermeintlichen Mitmieters zu erreichen. Ist der andere Teil aber Mitmieter, muss er auch so behandelt werden und kann erst Recht nicht ohne gesetzliche Grundlage zum Schadensersatz verpflichtet werden.
dd) Ergebnis Der Insolvenzverwalter ist im bipolar-mehrseitigen Vertrag alleine zur Kündigungs- 125 ausübung berechtigt. Die Rechtsfolgen der Kündigung eines Mietverhältnisses mit mehreren Mietparteien durch den Insolvenzverwalter eines Mieters richten sich nach der Fortführungslösung: Der Insolvenzschuldner scheidet aus dem Mietverhältnis ___________ 422) Dagegen für einen Schadensersatzanspruch gegen den mithaftenden Mitmieter OLG Köln ZIP 1995, 46, 47; Gemeinhardt/Weber in AnwHdb-MietR [2007], Kap. P., Rn. 202; Hörndler in Lindner-Figura/Oprée/Stellmann, Kap. 20, Rn. 75; Steinicke, ZMR 2001, 160, 163; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 109, Rn. 46. 423) So ein solches überhaupt denkbar ist, vgl. Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 26. 424) OLG Köln ZIP 1995, 46, 47 und Steinicke, ZMR 2001, 160, 163, die allerdings – insoweit konsequent – den mithaftenden Mitmieter nicht als Vertragspartner ansehen, sondern deren Willenserklärungen wohl generell lediglich als Schuldbeitritt verstehen wollen. 425) Hörndler in Lindner-Figura/Oprée/Stellmann, Kap. 20, Rn. 75. 426) Anders ganz deutlich Gemeinhardt/Weber in AnwHdb-MietR [2007], Kap. P., Rn. 202.
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aus, während dieses zwischen dem verbleibenden Mieter und dem Vermieter ansonsten unverändert fortgeführt wird. Weder der Schutzzweck des § 109 InsO noch Grundsätze des materiellen Rechts erfordern eine Beendigung des gesamten Mietverhältnisses. Vielmehr entspricht es den schützenswerten Interessen der verbliebenen Mietvertragsparteien sowie insbesondere dem Haftungsregime der Gesamtschuld und der damit verbundenen Verteilung der Insolvenzrisiken, den Mietvertrag zwischen den verbliebenen Parteien fortbestehen zu lassen. In außergewöhnlichen Fällen kann der fortgeführte Vertrag von den verbliebenen Parteien ausnahmsweise durch Kündigung beendet werden. Ein zur Kündigung berechtigender wichtiger Grund oder eine schwerwiegende Umstandsveränderung im Sinne von § 313 Abs. 1 BGB können nur vorliegen, wenn ihre tatsächliche Grundlage sich nicht schon in der Verwirklichung des durch Vertragsschluss übernommenen Haftungs- und Risikoregimes erschöpft. An der einmal getroffenen Risikoentscheidung müssen sich die Parteien festhalten lassen. Lediglich darüber hinausgehende Umstände können zur Kündigung berechtigen, wenngleich auch hier eine restriktive Handhabung erforderlich ist, um nicht das Ausscheiden des Insolvenzschuldners durch die Hintertür zum außerordentlichen Kündigungsgrund zu machen und damit die Fortführungslösung über den Umweg einer weichen Generalklausel in ihr Gegenteil zu verkehren. Die Kündigungsvorschriften vermitteln keine optionsrechtsartige Lösungsmöglichkeit der Parteien. Nach der Kündigung des Insolvenzverwalters haftet die Masse dem Gläubiger nur nach § 109 Abs. 1 S. 3 InsO. Diese Forderung ist gesamtschuldnerisch mit dem Erfüllungsanspruch des Gläubigers gegen den Mitschuldner verbunden. Der Mitschuldner kann somit nach § 426 BGB Regress beim Insolvenzschuldner nehmen, wenn er den Gläubiger befriedigt. Die Regressforderung des Mitschuldners ist Insolvenzforderung.
b) Die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO im bipolarmehrseitigen Vertrag 126 Die zweite Möglichkeit zur Lösung von nach § 108 InsO fortbestehenden Verträgen räumt § 109 Abs. 1 S. 2 InsO dem Insolvenzverwalter ein. Mit der dort geregelten Enthaftungserklärung kann er die Belastung der Masse durch den Mietzins aus dem Wohnraummietverhältnis des Insolvenzschuldners verhindern, ohne das Vertragsverhältnis selbst zu beenden, da die Enthaftungserklärung keine Kündigung ist und nicht auf die Beendigung eines Dauerschuldverhältnisses ausgerichtet ist.427) Der Enthaftungserklärung liegt dabei der Gedanke zu Grunde, den Insolvenzschuldner nicht obdachlos werden zu lassen, die Masse aber trotzdem von Verbindlichkeiten für die Zukunft frei zu halten; sie wurde zu diesem Zweck nachträglich in die InsO eingefügt.428) ___________ 427) Ganz herrschende Ansicht, BGH NZI 2014, 614, 615, Rn. 16; deutlich schon BRDrucks. 14/01, S. 30, 56; ebenso etwa Blank in Schmidt-Futterer, § 542, Rn. 143; wohl a. A. Hinz, NZM 2014, 137, 144, 146 (Novation), dazu noch unten. 428) Eingefügt durch das Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 26.10.2001, BGBl. I, S. 2710. Zur Begründung BR-Drucks. 14/01, S. 30, 56.
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aa) Anwendungsbereich des § 109 Abs. 1 S. 2 InsO Durch die enge Zweckbestimmung der Norm ist auch ihr Anwendungsbereich ent- 127 sprechend begrenzt: Lediglich Mietverhältnisse über die Wohnung des Schuldners sind umfasst. Die Norm deckt also nur einen Ausschnitt des Spektrums der nach § 108 Abs. 1 S. 1 InsO fortbestehenden Verträge ab. Sie ist damit auch keinesfalls auf alle Wohnraummietverträge des Schuldners anwendbar, sondern allein auf das Mietverhältnis über die Wohnung des Schuldners. Darunter wird allgemein die Wohnung verstanden, die den Lebensmittelpunkt des Insolvenzschuldners bildet.429) Unschädlich ist dabei, wenn neben dem Insolvenzschuldner weitere Personen die Wohnung mieten und/oder bewohnen. Die Norm ist damit subjektiv auf natürliche Personen begrenzt und findet nur im Verbraucherinsolvenzverfahren Anwendung.430) Da es sich vor Gebrauchsüberlassung schon begrifflich nicht um die Wohnung des Schuldners im Sinne seines Lebensmittelpunkts handeln kann und zudem regelmäßig keine Obdachlosigkeit im Sinne des Normzwecks zu verhüten ist, ist vor Gebrauchsüberlassung das Rücktrittsrecht aus § 109 Abs. 2 S. 1 InsO vorrangig.431)
bb) Rechtsnatur der Enthaftungserklärung Als Neuerfindung ist die Enthaftungserklärung dem allgemeinen Schuldrecht fremd 128 und daher originär insolvenzrechtlich zu beurteilen.432) Die Rechtsfolgen der Enthaftungserklärung sind im Einzelnen noch sehr umstritten, lediglich über die wesentliche und offensichtliche Gesetzesaussage herrscht Konsens: Nach der Erklärung haftet die Masse nicht mehr für Verbindlichkeiten aus dem Mietverhältnis, die aus der Gebrauchsüberlassung für die Zeit nach der Erklärung resultieren;433) vielmehr schul___________ 429) Dazu auch schon oben unter Rn. 66 ff. Zum Verständnis als Lebensmittelpunkt vgl. Nachweise unter Fn. 174. 430) Das ergibt sich nicht bereits aus der Begrenzung auf Wohnraummietverhältnisse, denn auch juristische Personen oder (teil)rechtsfähige Gesellschaften können Wohnraummietverträge abschließen – etwa in Gestalt von Werkswohnungen. 431) Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 63; B. Wegener in FK-InsO, § 109, Rn. 29; D. Wegener in Uhlenbruck, § 109, Rn. 29; ablehnend Marotzke in HK-InsO, § 109, Rn. 33 („idR“); Ringstmeier in K. Schmidt, § 109, Rn. 32. 432) Am nächsten kommt der Enthaftung wohl das insolvenzrechtliche Rechtsinstitut der Freigabe, BGH NZI 2014, 614, 616, Rn. 20 ff., wenngleich dies nicht den Blick auf die Eigenständigkeit der Enthaftung verstellen darf, siehe dazu noch sogleich. Macht man sich aber davon frei, dass die Enthaftung für eine Rechtsfolgennähe zur Freigabe auch gewisse Tatbestandsvoraussetzungen mit ihr teilen muss, öffnet dies den Blick für ihre Modellverwandschaft. Den Begriff der Freigabe nutzen in diesen Zusammenhang in verschiedenstem Umfang und Bedeutung Andres in Andres/Leithaus, § 109, Rn. 14; Breitenbücher in Graf-Schlicker, § 109, Rn. 7 f.; Dahl in AnwHdb-InsR, § 8, Rn. 219; Hess in Hess, § 109, Rn. 18; Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 52 f.; Wagner in FA-Hdb-InsR, Kap. 6, Rn. 125; B. Wegener in FK-InsO, § 109, Rn. 14; Zeuner in Leonhardt/Smid/Zeuner, § 109, Rn. 14 wohl ablehnend D. Wegener in Uhlenbruck, § 109, Rn. 21 ff. 433) Vgl. dazu Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 67 und zur Parallelwertung bei der Kündigung oben unter Fn. 144.
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det der Insolvenzschuldner Erfüllung aus seinem freien Vermögen. Das Mietverhältnis als solches besteht dabei unverändert fort.434) Vereinzelt wird dagegen erwogen, das Fortbestehen des Vertrages nur inhaltlich anzuerkennen und der Enthaftung Novationswirkung zuzusprechen.435) Allerdings ist zweifelhaft, ob Hinz damit tatsächlich eine Novation im Rechtssinn meint oder nicht vielmehr ein Vergleich mit einem Neuerwerb436) gezogen werden soll: Die Illustrierung seiner Ansicht mit einem Hinweis auf § 566 BGB437) scheint indessen durchaus die Ernsthaftigkeit der Interpretation als Novation nahezulegen; denn die Rechtsfolge dieser Norm wird von der Rechtsprechung als Novation ausgelegt438) – wenngleich sie nach heutiger Dogmatik als eine Vertragsübernahme eingeordnet werden sollte439). Gegen eine Qualifizierung der Enthaftung als Novation spricht aber vor allem, dass eine Novation nicht in das Konzept der Norm passt. Zwar ließe sich so der „Übergang“ der Verwaltungsbefugnis über das Mietverhältnis auf den Insolvenzschuldner leicht begründen – der dann freilich kein Übergang mehr wäre, sondern durch die Neubegründung unterläge der Vertrag schon gar nicht der Verwaltungsbefugnis des Insolvenzverwalters –, allerdings müsste dann das alte Mietverhältnis beendet werden, was der Intention des Gesetzgebers ersichtlich widerspricht440). Daher ist die Novation nicht das richtige Rechtsinstrument, um die Enthaftungserklärung dogmatisch zu begründen, was jedoch nicht heißt, dass die Beschreibung der Wirkung der Enthaftung als novationsähnlich, besser: als neuerwerbsähnlich, verfehlt ist. Letztlich ist die Enthaftungserklärung ein selbstständiges Rechtsinstitut und unterliegt somit einer eigenen Dogmatik,441) die nicht mit Anleihen bestehender Rechtsinstitute zwangsgefüllt werden muss. Festzuhalten ist daher, dass durch die Erklärung das Mietvertragsverhältnis als solches unverändert fortbesteht.442) Die Wirkung der Enthaftungserklärung ist daher nicht eine unmittelbare Veränderung des Vertragsverhältnisses, sondern allein die insolvenzrechtliche Umqualifizierung ___________ 434) Siehe Fn. 427. 435) Hinz, NZM 2014, 137, 144, 146 fälschlicherweise unter Bezug auf Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 50 ff., der allerdings nur einen Vergleich mit einem Neuvertragsschluss bemüht, um die Wirkungen der Enthaftungserklärung zu veranschaulichen. 436) Dazu Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 52 f. 437) Hinz, NZM 2014, 137, 146. 438) BGH NJW 2012, 3032, Rn. 25 m. w. N. auf die ältere Rechtsprechung. 439) Instruktiv mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtsprechung und aktuellen Reflektionen in der Literatur Streyl in Schmidt-Futterer, § 566, Rn. 9 ff. 440) BR-Drucks. 14/01, S. 30, 56. 441) Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 53. 442) Das übersieht Paul, InVo 2008, 1, 2, der den Einheitlichkeitsgrundatz für durch die Enthaftungserklärung durchbrochen hält. Allerdings widerspricht er sich in der Folge bereits selbst, wenn er – nun auf dem richtigen Weg – gleichzeitig § 109 Abs. 1 S. 2 InsO entnimmt, die Norm spreche gerade für eine Fortgeltung des Einheitlichkeitsgrundatzes indem sie dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit nehme, selbstständig zu kündigen.
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der Mietzinsforderungen und etwaiger Sekundäransprüche aus dem Mietvertrag.443) Die Masse wird aus der Haftung für diese Forderungen entlassen. Die Forderungen verlieren somit ihre, durch §§ 108, 55 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. InsO kurzfristig begründete, Privilegierung als Masseverbindlichkeiten. Die Enthaftungserklärung stellt mithin gewissermaßen haftungsrechtlich den vorinsolvenzlichen Zustand wieder her. Freilich steht dem Vermieter für Neuverbindlichkeiten nunmehr nur noch das freie Vermögen des Insolvenzschuldners als Haftmasse zur Verfügung.444)
cc) Rechtsfolgen der Enthaftungserklärung im bipolar-mehrseitigen Vertrag Ist das Wohnraummietverhältnis des Insolvenzschuldners ein bipolar-mehrseitiges, 129 existieren also neben dem Insolvenzschuldner weitere solvente Mitmieter,445) ist zu untersuchen, ob und wie sich die Enthaftungserklärung des Insolvenzverwalters446) auf die vertragliche Beziehung auswirkt. Da die Enthaftung keine materielle Änderung des Vertragsverhältnisses bewirkt,447) besteht freilich auch ein bipolar-mehrseitiger Vertrag als solches unverändert fort.448) Fehlt es aber an der materiellen (verfügenden) Änderung des Vertragsverhältnisses durch die Ausübung der Gestaltungserklärung, besteht kein Bedarf für eine Mitwirkung des Mitmieters an der Enthaftungserklärung:449) Zum einen fehlt es für eine Anwendung des Einheitlichkeitsgrundsatzes mit seinem Erfordernis der gemeinschaftlichen Kündigungserklärung450) an vergleichbaren Rechtsfolgen; ohne Verfügung hinsichtlich des Vertrages bzw. den Forderungen fehlt es an einem Tatbestandsmerkmal der §§ 719 Abs. 1, 747 S. 2 BGB. Zum anderen würden, selbst wenn man die Enthaftungserklärung für novierend und damit verfügend hielte, die insolvenzspezifischen Anforderungen an die Effektivität des Masseschutzes, wie auch im Rahmen der Kündigungserklärung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO,451) eine selbstständige Erklärung des Insolvenzverwalters ohne ___________ 443) Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 50. 444) Statt vieler BGH NZI 2014, 614, 615, Rn. 16. 445) Dies ändert freilich nichts daran, dass der gemietete Wohnraum (auch) Lebensmittelpunkt des Insolvenzschuldners sein kann und somit der Anwendungsbereich der Enthaftungserklärung für dessen Insolvenzverwalter eröffnet ist. 446) Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.2013, BGBl. I S. 2379 am 1.7.2014 wurde § 313 InsO abgeschafft. Somit ist auch im Verbraucherinsolvenzverfahren der Insolvenzverwalter – und nicht wie zuvor der Treuhänder – zur Erklärung der Enthaftung befugt. Für die alte Rechtslage ergeben sich bei der Anwendung des § 109 Abs. 1 S. 2 InsO aber keine Unterschiede für den Fall, dass ein Treuhänder die Rechte geltend macht. 447) Siehe zuvor; Nachweise in Fn. 427. 448) Andres in Andres/Leithaus, § 109, Rn. 14; Belz/Lüke in Bub/Treier, Kap. VIII.C, Rn. 438; Pohlmann-Weide in HambK-InsO, § 109, Rn. 28. 449) Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 109, Rn. 44. 450) Dazu oben unter Rn. 97 f. 451) Dazu oben unter Rn. 97 f.
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Mitwirkung des Mitmieters erforderlich machen452). Weiterhin gilt auch hier, dass die Gestaltungsbefugnis überhaupt nicht dem Mietverhältnis entspringt und somit regelmäßig bereits der gemeinschaftlichen Ausübungsbefugnis der Mieter aus ihrer gemein- oder gesellschaftlichen Verbundenheit entzogen ist.453)
130 Die insolvenzrechtliche Umqualifizierung (vielleicht besser: Disqualifizierung) der Verbindlichkeiten aus dem Mietverhältnis hat auch eingeschränkte Konsequenzen für den Mitmieter, denn auch ihm gegenüber wird gewissermaßen haftungsrechtlich der vorinsolvenzliche Zustand wieder hergestellt. Freilich steht dem Vermieter für Neuverbindlichkeiten nunmehr nur noch das freie Vermögen des Insolvenzschuldners als Haftmasse zur Verfügung.454) Der Mitmieter haftet also gesamtschuldnerisch zusammen mit dem freien Vermögen des Insolvenzschuldners für die Verbindlichkeiten aus dem Mietverhältnis, soweit diese das Entgelt für die Gebrauchsüberlassung nach der Enthaftungserklärung darstellen oder durch Handlungen nach dem Enthaftungszeitpunkt begründet werden455). Die Enthaftung beendet damit aus Sicht des Mitmieters die besondere Privilegierungssituation, die durch die Insolvenzeröffnung geschaffen wurde: Die Qualifizierung der Forderungen gegen den Insolvenzschuldner als Masseverbindlichkeiten schafft eine gewisse Gewähr für den Mitmieter, dass er final nicht für die volle Mietforderung, sondern nur für seinen quotalen Anteil einstehen muss. Denn entweder leistet der Insolvenzverwalter direkt aus der Masse an den Vermieter oder der Mitmieter profitiert über § 426 Abs. 2 S. 1 BGB456) bei seinem Regress ebenfalls von der Qualifizierung der Forderung als Masseverbindlichkeit. Diese Privilegierung endet mit der Enthaftung, da der Mitmieter nunmehr darauf angewiesen ist, dass der Insolvenzschuldner seinen quotalen Anteil aus seinem freien Vermögen bestreiten kann. Keineswegs muss diese Rücknahme der Privilegierung aber zu einer Ergebniskorrektur im Hinblick auf die Interessen des Mitmieters führen. Der Mitmieter hat im Mietvertrag durch die gesamtschuldnerische Haftung das Insolvenzrisiko des Insolvenzschuldners übernommen.457) Mit der Realisierung dieses Risikos durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet die Risikoübernahme aber nicht, sondern gilt vielmehr während der gesamten Vertragslaufzeit fort. Dass die Vorschriften der Insolvenzordnung den Mitmieter für eine Übergangszeit zwischen Verfahrenseröffnung und Enthaftung mittelbar privilegieren, entlastet den Mitmieter nicht endgültig von seiner Einstandspflicht, zumal eine Privilegierung des Mitmieters nicht Normzweck ist. ___________ So im Ergebnis auch Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 109, Rn. 44. Auch dazu bereits für die Kündigung unter Rn. 97 f. Statt vieler BGH NZI 2014, 614, 615, Rn. 16. Zu unpräzise auf die Fälligkeit abstellend BGH NZI 2014, 614, 615, Rn. 9 vgl. dazu bereits oben unter Fn. 144. 456) Für Konkursvorrechte unter der KO BGHZ 39, 319, 323 = BGH NJW 1963, 1873, 1874. 457) Dazu allgemein oben unter Rn. 21 ff. Zum Regress gegen die Masse sogleich. 452) 453) 454) 455)
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Je nach favorisierter Lösung für die materiell-rechtliche Wirkung der Enthaftungs- 131 erklärung in Bezug auf einen Übergang der Verwaltungsbefugnis vom Insolvenzschuldner auf den Insolvenzverwalter kann es daneben Ansprüche oder Rechte geben, die weiterhin der Masse zustehen, nicht aber dem Insolvenzschuldner.458) Gewährt man dem Insolvenzverwalter die Zuständigkeit zur Ausübung gewisser Rechte in Bezug auf den Mietvertrag, könnten diese Rechte vom Insolvenzverwalter nur unter den gleichen Restriktionen ausgeübt werden, wie sie für eine vorinsolvenzliche Ausübung durch den Insolvenzschuldner zu beachten gewesen wären. Insbesondere bleibt die Masse an die Mitwirkung des Mitmieters bei der Ausübung von verfügenden Gestaltungsrechten gebunden.459) Da die Masse nach Eintritt der Enthaftung nicht mehr für die Verbindlichkeiten aus dem Mietverhältnis haftet, ist die Mitwirkung des Mitmieters – anders als bei der Kündigung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO und der Enthaftungserklärung selbst – auch nicht aus Gründen des Masseschutzes entbehrlich. Vielmehr trifft hier wieder der allgemeine Schutzzweck des Einheitlichkeitsgrundsatzes zu, den Mitmieter vor einseitigen Verfügungen über den Vertrag zu schützen. Da die in Rede stehenden Gestaltungsrechte sich zudem aus dem Mietverhältnis ergeben, unterliegen sie auch der gemein- oder gesellschaftlichen gemeinsamen Ausübungsbefugnis. Gleiches gilt, wenn man richtigerweise allein dem Insolvenzschuldner die Verwaltungsbefugnis und damit insbesondere das Recht zur Kündigung des Mietverhältnisses zuweist:460) Auch diese Kündigung kann nach den allgemeinen mietrechtlichen Regeln nur gemeinsam mit dem Mitmieter erklärt werden. Soweit die Vornahme von anderen Rechtshandlungen zur Zuständigkeit der Insolvenzmasse gezählt wird (etwa Mängelanzeigen, Geltendmachung von Schadensersatz, gegebenenfalls prozessuale Durchsetzung von Ansprüchen) und somit die Rechte aus dem Ausgangsvertragsverhältnis und die Parteienstellung auseinander fallen, wirken Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters (wie sonst die des Insolvenzschuldners) nach den Grundsätzen der §§ 422 ff. BGB. Das heißt, im Regelfall entfalten sie ausschließlich Einzelwirkung. Der Mitmieter wird durch diese Konstellation nicht zusätzlich belastet, da sich für ihn kein rechtlicher Unterschied zur vorinsolvenzlichen Stellung ergibt; seine Rechtsposition ist konserviert. Der § 109 Abs. 1 S. 3 InsO stellt überdies klar, dass dem Vermieter auch für die 132 Folgen der Enthaftungserklärung ein „Schadensersatzanspruch“ in Gestalt einer Insolvenzforderung zusteht. Der Anspruch richtet sich nach den gleichen Grundsätzen wie im Rahmen der Kündigung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO.461) Er ist insbesondere in der Höhe beschränkt auf dasjenige, was bis zur ersten außerinsolvenzli___________ 458) Für einen vollständigen Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis BGH NJW 2014, 1954, Rn. 13 ff.; BGH NZI 2014, 614, Rn. 7 ff.; BGH NZI 2017, 444, Rn. 9 jeweils m. w. N; siehe auch Jacoby, ZMR 2016, 173, 175 ff. 459) Vgl. dazu oben unter Rn. 78 ff. 460) Ausführlich Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 53, 62 f. m. w. N. 461) Vgl. dazu oben unter Rn. 114.
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chen ordentlichen Kündigungsmöglichkeit geschuldet wäre.462) Eine weitergehende Ausfallhaftung der Masse ist nicht mit dem Zweck der Enthaftung vereinbar. Ein Gleichlauf der Ausgleichshaftung bei Kündigung und Enthaftung ist zudem systematisch stimmig. Fällt im bipolar-mehrseitigen Vertrag der Insolvenzschuldner nach der Enthaftungserklärung und nach Ablauf der ersten Kündigungsmöglichkeit außerhalb der Insolvenz also mit seinem freien Vermögen aus, haftet daneben somit allein der gesamtschuldnerisch verbundene Mitmieter. Bis zur ersten außerinsolvenzlichen Kündigungsmöglichkeit besteht zudem der Ausgleichsanspruch gegen die Masse als Insolvenzforderung, der aber regelmäßig für den Vermieter ohne Bedeutung ist, da er sich beim Mitmieter schadlos halten kann. Genau wie bei der Kündigung ist der Ausgleichsanspruch gegen die Masse aus § 109 Abs. 1 S. 3 InsO Surrogat des Erfüllungsanspruchs.463) Er stünde damit im Grundsatz in Gesamtschuld zu den Erfüllungsansprüchen gegen den Mitmieter und gegen das freie Vermögen des Insolvenzschuldners.464) § 109 Abs. 1 S. 2 InsO enthält allerdings eine gesetzliche Anordnung der Haftungsreihenfolge: Die Masse soll von der Haftung freigestellt werden465) und nur noch haften, wenn der Insolvenzschuldner aus seinem freien Vermögen die Leistung nicht erbringen kann.466) Diese Wertung führt zu einer abgestuften Haftung; gegenüber dem Erfüllungsanspruch gegen das freie Vermögen des Insolvenzschuldners besteht keine Gleichstufigkeit und damit keine Gesamtschuld. Gesamtschuldnerisch verbunden sind somit der Anspruch gegen das freie Vermögen des Insolvenzschuldners mit dem Anspruch gegen den Mitmieter einerseits und der Anspruch gegen den Mitmieter und der Ausgleichsanspruch gegen die Masse andererseits. Erfüllt nun der Mitmieter gegenüber dem Gläubiger, kann er Regress sowohl bei der Masse (als Insolvenzforderung467) als auch beim freien Vermögen des Insolvenzschuldners nehmen (jeweils § 426 BGB). Da die Masse aber nicht haften soll, wenn das freie Vermögen des Insolvenzschuldners haften kann, kann der mit der Regressforderung des Mitmieters konfrontierte Insolvenzverwalter vom Mitmieter Abtretung seines Regressanspruches gegen das freie Vermögen des Insolvenzschuldners nach § 255 BGB (analog468) verlangen. Die Anwendung des § 255 BGB ist im Verhältnis Masse zu freiem Vermögen nicht ausgeschlossen, da zwischen diesen gerade keine Gesamtschuld, sondern ein haftungsrechtliches Stufenverhältnis be___________ 462) Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 68; a. A. Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 60; D. Wegener in Uhlenbruck, § 109, Rn. 25. 463) Vgl. zur Kündigung oben unter Rn. 114. 464) Vgl. zur Kündigung oben unter Rn. 114. 465) Dies gilt für den gesetzgeberischen Ausgangsfall, den bipolar-einseitigen Vertrag. Eine Regresshaftung gegenüber dem Mithaftenden schließt das nicht aus. 466) Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 69. Aus BR-Drucks. 14/01, S. 30 ergibt sich das nicht eindeutig. 467) Ausführlich dazu oben zur Kündigung unter Rn. 114. 468) Zur analogen Anwendung der Vorschrift BGH NJW 2010, 1961, Rn. 30 m. w. N. zur ständigen Rechtsprechung; Bittner in Staudinger, § 255, Rn. 16; Lorenz in BeckOK-BGB, § 255, Rn. 3; Teichmann in Jauernig, § 255, Rn. 2.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
steht.469) Im Übrigen kann der Regress des Mitmieters bei der Masse nicht deswegen abgelehnt werden, weil der Regressschuldner im Verhältnis zu einem Dritten (dem freien Vermögen) nicht gleichstufig haftet. Diese Einschränkung kann daher weder dem Vermieter noch dem Mitmieter im Regress entgegengehalten werden. Das Interesse der Masse ist durch den Abtretungsanspruch zudem vollständig berücksichtigt, da sie über den abgetretenen Regressanspruch im Innenverhältnis Ersatz vom freien Vermögen für den internen Haftanteil erhält, gegenüber dem Mitmieter aber nur in Gestalt einer Insolvenzforderung haftet. Dies zeigt zudem, dass dies eine akademische Überlegung bleiben wird: Wenn das freie Vermögen solvent ist, ergibt es für den Mitmieter keinen Sinn, Regress bei der Masse anstatt beim freien Vermögen zu nehmen. Kann das freie Vermögen die interne Haftquote aus dem abgetretenen Regressanspruch gegenüber der Masse dagegen nicht begleichen, ist lediglich die Situation hergestellt, die eingetreten wäre, wenn der Mitmieter sich vor dem Regress gegen die Masse selbst erfolglos um einen Regress beim freien Vermögen bemüht hätte; ist das freie Vermögen nicht in der Lage, die auflaufenden Forderungen zu erfüllen, soll schließlich gerade die Insolvenzmasse forthaften (§ 109 Abs. 1 S. 3 InsO). Somit gilt für den Haftungsausgleich nach der Enthaftungserklärung dasselbe wie für die Situation nach der Kündigung: Der Mitmieter trägt das wirtschaftliche Risiko des Ausfalls des Insolvenzschuldners, aber nicht alleine die Kosten und hat deshalb einen Regressanspruch gegen die Masse als Insolvenzschuldner.470) Die Insolvenzmasse wird regelmäßig tatsächlich nicht gegenüber dem Vermieter haften, da dieser wenigstens den solventen Mitmieter in Anspruch nehmen kann. Besonderheit gegenüber der Kündigung ist, dass auch das freie Vermögen des Insolvenzschuldners entsprechend der gesetzgeberischen Wertung in die Haftung einbezogen ist.
c)
Der Rücktritt nach § 109 Abs. 2 S. 1 InsO im bipolar-mehrseitigen Vertrag
Als dritte Lösungsmöglichkeit sieht § 109 Abs. 2 S. 1 InsO die Möglichkeit vor, vom 133 Vertrag zurückzutreten, wenn die Mietsache vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht überlassen471) war. In diesem Fall kann sowohl der Insolvenzverwalter, als auch – Sonderfall im Rahmen der Lösungsmöglichkeiten des § 109 InsO – der Vermieter den Rücktritt erklären. Beide haben dabei das Recht, den jeweils Ande___________ 469) Zum Konkurrenzverhältnis von § 255 BGB und Gesamtschuld Bittner in Staudinger, § 255, Rn. 13 ff.; Grüneberg in Palandt, § 255, Rn. 2; Lorenz in BeckOK-BGB, § 255, Rn. 2; Oetker in MüKo-BGB, § 255, Rn. 4 f. 470) Vgl. zur Kündigung unter Rn. 114. 471) Vgl. § 566 BGB; zum Begriff statt vieler D. Wegener in Uhlenbruck, § 109, Rn. 28. Da die Vorschrift sich – wie alle Lösungsrechte in § 109 InsO – auf die Insolvenz des Mieters bezieht, steht das Rücktrittsrecht nicht im Spannungsfeld zur BGH-Rechtsprechung zur Reduktion des § 108 InsO vor Überlassung der Mietsache, denn diese bezieht sich auf die Vermieterinsolvenz, BGHZ 173, 116, Rn. 13 ff. = BGH NJW 2007, 3715, Rn. 13 ff.; BGHZ 204, 1, Rn. 17 ff. = BGH ZIP 2015, 134, Rn. 17 ff.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
ren nach § 109 Abs. 2 S. 3 InsO aufzufordern, in Zweiwochenfrist zu erklären, ob sie von ihrem Rücktrittsrecht Gebrauch machen wollen.
aa) Anwendungsbereich des § 109 Abs. 2 S. 1 InsO 134 Das Rücktrittsrecht hat den gleichen sachlichen Anwendungsbereich wie das Kündigungsrecht aus § 109 Abs. 1 S. 1 InsO: Es bezieht sich auf alle nach § 108 Abs. 1 S. 1 InsO fortbestehenden Miet-, Pacht- und Leasingverträge über unbewegliche Gegenstände und Räume.472) Vor Gebrauchsüberlassung eröffnet es aber die zusätzliche Option des Rücktritts, die im Unterschied zum Kündigungsrecht auch dem Vertragspartner zusteht. Bis zur Gebrauchsüberlassung geht das Rücktrittsrecht dem Kündigungsrecht als lex specialis vor, schließt eine Kündigung nach Gebrauchsüberlassung aber nicht aus.473) Ebenso verhält es sich für Wohnraummietverhältnisse, die unter § 109 Abs. 1 S. 2 InsO fielen; auch hier geht bis zur Gebrauchsüberlassung das Rücktrittsrecht der Enthaftungserklärung vor.474)
bb) Die Rechtsfolgen des Rücktritts nach § 109 Abs. 2 S. 1 InsO im bipolar-mehrseitigen Vertrag 135 Der Rücktritt in § 109 Abs. 2 S. 1 InsO ist ein vollwertiges gesetzliches Rücktrittsrecht im Sinne des allgemeinen Schuldrechts (§§ 346 ff. BGB).475) Ist der Rücktritt erklärt, wird das Mietverhältnis zu einem Rückabwicklungsschuldverhältnis. Die inhaltliche Änderung des Ursprungsschuldverhältnisses hin zu seinem diametralen Gegenteil, das auf die Rückgewähr der bereits erbrachten Leistungen gerichtet ist, kommt einer Beendigung des Schuldverhältnisses sehr nahe. Hier ist zudem zu beachten, dass die Mietsache gerade noch nicht überlassen worden sein darf und daher auch nicht Gegenstand des Rückgewähranspruchs sein kann;476) regelmäßig werden also keine Leistungen zurückzugewähren sein und die Wirkungen des Rücktritts denen der Kündigung gleichen.
136 Da es sich bei dem Rücktritt also um eine mittelbare Beendigung des Schuldverhältnisses handelt, überrascht es nicht, dass sich die Frontlinien des Streites um die Rechtswirkung der Kündigung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO in bipolar-mehrseitigen Verträgen beim Rücktrittsrecht – nicht immer stringent – fortsetzen und größtenteils ein Rücktritt mit Einzelwirkung abgelehnt wird477). ___________ 472) 473) 474) 475)
Zu Einzelheiten oben unter Rn. 5 ff. Unklar BT-Drucks. 12/2443, S. 147. Nachweise oben unter Fn. 182. Siehe Nachweise oben unter Fn. 431. Balthasar in Nerlich/Römermann, § 109, Rn. 15; Dahl, NZM 2008, 585, 591; Hess in Hess, § 109, Rn. 37; Kroth in Braun, § 109, Rn. 22; B. Wegener in FK-InsO, § 109, Rn. 33. 476) Hess in Hess, § 109, Rn. 39; B. Wegener in FK-InsO, § 109, Rn. 33. 477) Ausdrücklich ablehnend Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 98; größtenteils wird eine Einzelwirkung aber gar nicht erwogen, sondern auf den Streit zur Auswirkung der Kündigung im bipolar-mehrseitigen Vertrag verwiesen, dazu Nachweise unten in Fn. 482.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
(1) Der Rücktritt vom bipolar-mehrseitigen Vertrag im insolvenzunbefassten Bürgerlichen Recht Im nicht insolvenzberührten Schuldrecht gilt auch für das Rücktrittsrecht die Ein- 137 heitlichkeit des Vertragsverhältnisses.478) In der Umwandlung des Ursprungsschuldverhältnisses in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis liegt eine Inhaltsänderung, die Verfügung über den Vertrag ist.479) Folglich kann das Rücktrittsrecht grundsätzlich nur einheitlich ausgeübt werden und muss gegenüber allen Vertragsparteien erklärt werden.480) Im allgemeinen Schuldrecht findet sich für den Rücktritt sogar eine teilweise Normierung des Einheitlichkeitsgrundsatzes, der sich – das sei an dieser Stelle noch einmal hervorgehoben – im Übrigen aus den schuldrechtlichen Vorschriften ergibt und nicht zwingend einer (klarstellenden) Normierung bedarf. § 351 S. 1 BGB erklärt für die Rücktrittsausübung, dass der Rücktritt von allen Parteien gegenüber allen Parteien zu erklären ist. Zudem erlischt nach S. 2 das Rücktrittsrecht für alle, wenn es für einen Berechtigten erlischt. Keine ausdrückliche Regelung findet sich zur Rechtsfolge, namentlich der Beendigung des Vertragsverhältnisses mit Gesamtwirkung. Diese ergibt sich freilich aus dem Erfordernis der gemeinsamen Rücktrittserklärung: Erklären alle Parteien eines Vertragspols den Rücktritt, ist es schwerlich denkbar, eine Partei am Vertrag festzuhalten, vielmehr handeln ja alle Vertragspartner gerade mit dem Ziel, vom Vertrag zurückzutreten. Der Einheitlichkeitsgrundsatz prägt also auch den Rücktritt im bipolar-mehrseitigen Vertrag entscheidend; der Rücktritt entfaltet im nicht insolvenzbefangenen Schuldrecht demzufolge regelmäßig Gesamtwirkung.481)
(2) Der Rücktritt des Insolvenzverwalters Die Nähe des Rücktritts zur Kündigung wird durch die Inhaltsveränderung des Ver- 138 trages hin zu einem Rückgewährschuldverhältnis und damit die faktische Beendigung des Vertrages vermittelt. Die grundlegenden Wertungsfragen beim insolvenzbedingten Rücktritt sind damit die gleichen wie bei der Kündigung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO. Tritt der Insolvenzverwalter eines an einem bipolar-mehrseitigen Vertrag beteiligten Schuldners vom Vertrag zurück, stellt sich die Situation für das Verhältnis zwischen Mitmieter und Vermieter genauso dar wie bei der Kündigung – einziger Unterschied ist, dass die Mietsache bisher noch nicht überlassen war und daher auch nicht durch die Mieter genutzt wurde. Die Parallelität der Situation muss mithin auf die rechtliche Lösung ausstrahlen, die nach den gleichen Grundsätzen zu erfolgen ___________ 478) Zur Verallgemeinerungsfähigkeit siehe oben unter Rn. 78 ff. Für den Rücktritt in diesem Sinne Gaier in MüKo-BGB, § 351, Rn. 1 („Einheitlichkeit des Rechtsgeschäfts“). 479) Vgl. Kaiser in Staudinger, § 346, Rn. 69. 480) So oben bereits zu Kündigung Rn. 78. Zum Rücktritt Gaier in MüKo-BGB, § 351, Rn. 1; Kaiser in Staudinger, § 351, Rn. 6, 9; Lobinger in Soergel, § 351, Rn. 2. 481) Bydlinski in MüKo-BGB, § 425, Rn. 9; Lobinger in Soergel, § 351, Rn. 1; Looschelders in Staudinger, § 425, Rn. 7.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
hat, wie bei der Kündigung:482) Es widerspricht dem vom Mitmieter übernommenen Insolvenzrisiko des Insolvenzschuldners, ihn aus der Haftung für die Mietzinsen zu entlassen.483) Auch der Vermieter muss sich an seiner einmal getroffenen Vertragsentscheidung festhalten lassen und schuldet weiterhin Gebrauchsüberlassung. Er hat regelmäßig kein schützenswertes Interesse an einer Beendigung des Vertrages. Der Wegfall des einen Schuldners trägt in Gestalt der Forthaftung des Mitmieters der ursprünglichen vertraglichen Risikoverteilung Rechnung. Das durch die Vertragsfortführung auf den Vermieter zurückfallende konkrete Insolvenzrisiko des verbliebenen Mitmieters entspricht nur der Wiederherstellung der gesetzlichen Regelsituation und war vertraglich angelegt.484) In Ausnahmefällen können sich die Parteien durch Kündigung des Vertrages aus wichtigem Grund lösen, dazu gelten die oben vorgestellten Restriktionen.485) Die Tatsache, dass eine Hauptleistungspflicht, die Gebrauchsüberlassung, noch nie erfüllt wurde, ist keine Rechtfertigung für die Beendigung des ganzen Mietverhältnisses. Die grundsätzlich aufrechtzuerhaltende vertragliche Bindung tritt mit Abschluss des Rechtsgeschäfts und nicht mit Leistungsaustausch ein. Die besondere Interessenkonstellation, die in der Insolvenz einen Rücktritt des Insolvenzverwalters oder Vermieters begründet,486) ist auf den Mitmieter nicht übertragbar.
139 Auch die Rücktrittserklärung ist in diesem Lichte zu betrachten: Sie kann entsprechend der Kündigung vom Insolvenzverwalter alleine vorgenommen werden.487) Zwar setzt sich das in Widerspruch zu § 351 BGB, dies ist aber notwendig, um die Masse vor Haftung zu schützen. Freilich laufen vor Gebrauchsüberlassung noch keine Mas___________ 482) Über dieses Verhältnis zwischen § 109 Abs. 1 S. 1 InsO und § 109 Abs. 2 S. 1 InsO besteht über die Meinungsfronten hinsichtlich der Ansichten zur Rechtsfolge der Kündigung hinweg ein breiter Konsens, für die h. M. Balthasar in Nerlich/Römermann, § 109, Rn. 16; Dahl in AnwHdb-InsR, § 8, Rn. 224; Dahl, NZM 2008, 585, 591; Kroth in Braun, § 109, Rn. 29; D. Wegener in Uhlenbruck, § 109, Rn. 30; Zeuner in Leonhardt/Smid/Zeuner, § 109, Rn. 16; konkludent durch Anwendung der gleichen Grundsätze, für h. M. Flöther/Wehner in Ahrens/ Gehrlein/Ringstmeier, § 109, Rn. 34; für differenzierende Ansicht Andres in Andres/Leithaus, § 109, Rn. 17; Ringstmeier in K. Schmidt, § 109, Rn. 30; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 109, Rn. 56; für die Vertreter der Einzelwirkung Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 67; auch Wolf/Eckert/Ball, Hdb gewerbliches MietR, Rn. 1595. 483) Dazu und zum Folgenden bereits ausführlich oben unter Rn. 36 und Rn. 103, (3). Zur Möglichkeit der Durchbrechung des Einheitlichkeitsgrundsatzes bereits BGHZ 26, 102, 105 = BGH NJW 1958, 421, 422 („Dieser Grundsatz gilt aber nicht starr.“ – zur Vermieterkündigung nach § 19 S. 1 KO). 484) Siehe oben unter Rn. 21 ff. und Rn. 44 ff. 485) Siehe oben unter Rn. 103 ff. 486) Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 109, Rn. 4 ff. 487) Ebenso Andres in Andres/Leithaus, § 109, Rn. 17; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 109, Rn. 16; Dahl, NZM 2008, 585, 591; Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 67; Flöther/Wehner in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 109, Rn. 34; D. Wegener in Uhlenbruck, § 109, Rn. 30; implizit auch Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 109, Rn. 56; a. A. Cymutta in KölnK, § 109, Rn. 53; Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 98.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
severbindlichkeiten auf – selbst dann nicht, wenn der Mietzins schon zuvor fällig wäre, da Masseverbindlichkeit nur der Mietzins ist, der Entgelt für die Gebrauchsüberlassung nach Insolvenzeröffnung ist –, allerdings könnte durch eine verspätete Mitwirkung des Mitmieters am Rücktritt der Vermieter zwischenzeitlich den Gebrauch an der Mietsache überlassen haben. Ein Annahmeverweigerungsrecht vermittelt das Rücktrittsrecht nicht. Dann bliebe wiederum nur das Kündigungsrecht mit der Konsequenz, dass bis zum ersten Kündigungstermin Masseverbindlichkeiten anfielen. Dies würde das Rücktrittsrecht im bipolar-mehrseitigen Vertrag weitgehend leerlaufen lassen und die Masse würde in die Haftung geraten, obwohl gerade das durch das Rücktrittsrecht verhindert werden soll, was sich nicht zuletzt aus der Qualifizierung des etwaigen „Schadensersatzanspruches“ als Insolvenzforderung, § 109 Abs. 2 S. 2 InsO, ergibt. Jacoby488) will dagegen, um das Auflaufen von Masseverbindlichkeiten zu verhindern, dem Insolvenzverwalter statt des Rücktritts mit Einzelwirkung eine Kündigung des Vertrages (mit Einzelwirkung) ausnahmsweise bereits vor Gebrauchsüberlassung gewähren. Dieser Vorschlag ist im Ergebnis vom Umfang des Masseschutzes mit der Fortführungslösung gleichwertig. Gleichwohl ist es vorzuziehen, dem Insolvenzverwalter den Rücktritt mit Einzelwirkung zu gewähren, da so die gesetzgeberische Entscheidung zu Gunsten eines Rücktrittsrechts489) vor Gebrauchsüberlassung respektiert wird, der Jacoby die Berechtigung abspricht, da der Vertrag ohnehin durchgeführt würde. Wäre dies zutreffend, stellt sich die Frage, warum dann eine Kündigung mit Einzelwirkung (ausnahmsweise) schon vor Überlassung möglich sein soll. Eine solche vorzeitige Kündigung mit Einzelwirkung ist nämlich nichts Anderes als ein Rücktritt mit Einzelwirkung mit anderem Namensschild. Damit würde zudem nur der eine dogmatische Streit – nämlich um die Zulässigkeit eines Rücktritts mit Einzelwirkung – durch den Streit um das Konkurrenzverhältnis von Kündigungs- und Rücktrittsrecht in § 109 InsO ersetzt.490) Dabei kann die Einzelwirkung des Rücktritts genau wie die Einzelwirkung der Kündigung begründet werden491) und durch den Gleichlauf der Gestaltungsrechte dogmatische Stringenz gewonnen werden: Der Mitmieter kann nämlich überhaupt nicht den Rücktritt erklären, da ihm regelmäßig kein Rücktrittsrecht zusteht.492) Das Rücktrittsrecht aus § 109 Abs. 2 S. 1 InsO bezieht sich alleine auf den Insolvenzschuldner. Es besteht auch kein sachlicher Grund, das insolvenzrechtliche Rücktrittsrecht dem Mitschuldner zuzurechnen.493) Der Mitschuldner ist also gar nicht zum Rücktritt berechtigt; würde man dies trotzdem verlangen, beraubte man das Rücktrittsrecht des ___________ 488) Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 98. 489) BT-Drucks. 12/2443, S. 147. 490) Denn hier konstruiert Jacoby eine Ausnahme vom Vorrang des Rücktrittsrechts vor Überlassung, dazu Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 14 f. 491) Für die Kündigung vertritt das schließlich auch Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 42 ff. 492) Im Ergebnis unzutreffend, aber in dieser Hinsicht richtig daher Hess in Hess, § 109, Rn. 34, der für einen wirksamen Rücktritt bei Mietermehrheit den Rücktrittsgrund für alle Mieter fordert. 493) Vgl. zu einer Analogie sogleich unter Rn. 146 ff.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
Insolvenzverwalters seines Anwendungsbereichs für bipolar-mehrseitige Verträge. Teilweise wird in Fällen, in denen nur ein Vertragspartner zum Rücktritt berechtigt ist, erwogen, dass § 351 BGB dann als Erfordernis einer Rücktrittserklärung auf Grundlage des fremden Rücktrittsgrundes bzw. als Erfordernis einer Zustimmung zum Rücktritt zu verstehen ist.494) Diese Auffassung ist abzulehnen: Wenn einem Vertragspartner alleine ein Rücktrittsrecht zusteht, trifft entweder das Gesetz die Entscheidung, dass der Partei aufgrund gewisser Umstände ein Lösungsrecht zustehen soll oder die Parteien haben bereits bei Vertragsschluss dahingehenden Konsens gebildet (vertragliches Rücktrittsrecht). Eine Zustimmung ist dann nicht erforderlich. Dies geht einher mit der Argumentation, dass das Rücktrittsrecht aufgrund seines Entstehungsgrundes überhaupt nicht der in § 351 BGB vorausgesetzten Bindung unterliegt. Die durch § 351 BGB deklaratorisch festgehaltene, sich aus den Aspekten des Einheitlichkeitsgrundatzes ergebende,495) gemeinsame Ausübungsbefugnis findet nämlich in diesen Fällen keine Anwendung. Das Rücktrittsrecht entsteht, wie Kündigungs- und Enthaftungsrecht, nicht aus dem Vertrag496) und unterliegt somit nicht der gemein- bzw. gesamthänderischen Bindung. Wer § 351 BGB dagegen als konstitutive Norm verstanden wissen möchte und an dem Zustimmungserfordernis festhält, muss ihn aus oben stehenden Gründen für das Rücktrittsrecht aus § 109 Abs. 2 S. 1 InsO teleologisch reduzieren.497) Dabei ist insbesondere der Schutzzweck zu berücksichtigen. Es ist nicht im Sinne des Masseschutzes, den Lösungszeitpunkt vom Vertrag wieder der Dispositionsbefugnis des Insolvenzverwalters zu entreißen.
140 Der Insolvenzverwalter kann den Rücktritt somit selbstständig, ohne Mitwirkung des Mitmieters, erklären498) und der Rücktritt entfaltet Einzelwirkung. Das heißt, der Insolvenzschuldner scheidet aus dem Vertragsverhältnis aus, während dieses zwischen Mitmieter und Vermieter unverändert fortgeführt wird. In untragbaren Situationen, die sich nicht ausschließlich als Verwirklichung des übernommenen Insolvenzrisikos erweisen, eröffnen die allgemeinen Lösungstatbestände der außerordentlichen Kündigung oder der Störung der Geschäftsgrundlage ein – restriktiv zu handhabendes – Lösungsrecht für die betroffene Vertragspartei. ___________ 494) „Teilweise“ möchte hier nicht eine Meinungstendenz beschreiben, sondern darauf hinweisen, dass sich wenige mit dieser Frage auseinander setzen, so aber BGH NJW 1976, 1931, 1932; Kaiser in Staudinger, § 351, Rn. 8. Wohl auch Lobinger in Soergel, § 351, Rn. 2 („daraufhin in Gemäßheit des § 351 BGB erklärt wurde“). In der insolvenzrechtlichen Literatur vertritt dies implizit Cymutta in KölnK, § 109, Rn. 53. 495) Zur dogmatischen Herleitung oben unter Rn. 78 ff. 496) Hier ohne den dogmatischen Unterbau treffend D. Wegener in Uhlenbruck, § 109, Rn. 30 („entsteht […] nur in der Hand des Insolvenzverwalters.“). 497) Dies ist letztlich methodische Grundlage, wenn im Schrifttum davon gesprochen wird „entgegen § 351 BGB“ die alleinige Rücktrittbefugnis zu gewähren, stellvertretend Eckert in MüKoInsO, § 109, Rn. 67, siehe auch Fn. 487. 498) Darüber herrscht überwiegend Einigkeit, vgl. Fn. 487.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
Für die Haftungssituation nach erfolgtem Rücktritt gilt das zur Kündigung Gesagte 141 entsprechend: Der Mitmieter haftet dem Vermieter weiter aus dem Vertrag und gegen die Insolvenzmasse hat er eine Insolvenzforderung auf Ausgleich nach § 109 Abs. 2 S. 2 InsO. Als Surrogat des Erfüllungsanspruchs steht der Ausgleichsanspruch gegen die Masse in einem Gesamtschuldverhältnis zum Erfüllungsanspruch gegen den (ehemaligen) Mitmieter. Befriedigt der Mitmieter den Vermieter, so kann er gemäß § 426 BGB Regress bei der Insolvenzmasse in Höhe des entsprechenden internen Haftanteils nehmen. Der Regressanspruch des Mitmieters ist Insolvenzforderung, da er mit Entstehen des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs des Insolvenzschuldners begründet im Sinne des § 38 InsO war und weil dies der gesetzgeberischen Wertung des § 109 Abs. 2 S. 2 InsO zu entnehmen ist.499)
(3) Der Rücktritt des Vermieters Während der Vermieter des Insolvenzschuldners nach Gebrauchsüberlassung an der 142 Mietsache kein insolvenzrechtliches Lösungsrecht hat500) und zudem durch § 112 InsO in der Ausübung seiner allgemeinen Kündigungsrechte zusätzlich beschränkt ist, eröffnet § 109 Abs. 2 S. 1 InsO dem Vermieter vor Gebrauchsüberlassung die Möglichkeit, sich ebenfalls durch Rücktritt vom Vertrag zu lösen. Angesichts dieser Möglichkeit könnte man in Erwägung ziehen, den Vermieter bei 143 Nichtausübung dieses Rechts und nach einer nach Gebrauchsüberlassung erklärten Kündigung des Insolvenzverwalters erst recht am Vertrag mit dem Mitmieter festzuhalten und die – sei es noch so restriktive – Gewährung eines außerordentlichen Lösungsrechts (§§ 313, 314 BGB) völlig auszuschließen. Damit würde aber bereits davon ausgegangen, dass der Vermieterrücktritt den ganzen Vertrag (mittelbar) beendet. Der Normwortlaut ist aber für bipolar-mehrseitige Verträge unzureichend und die Rücktrittsmöglichkeit des Vermieters muss in ihren materiellen Wirkungen eingeschränkt werden: Um auch den Vermieter an seinem Vertragsversprechen festzuhalten, muss man ihm verweigern, sich zu Lasten des solventen Mitmieters vom (ganzen) Vertrag zu lösen. Zwar weist § 109 Abs. 2 S. 1 InsO ausdrücklich – ohne einleuchtende Begründung501) – auch dem Vermieter ein Rücktrittsrecht zu, das Gesetz geht dabei aber vom Leitbild eines bipolar-einseitigen Vertragsverhältnisses aus502) und schafft für diesen Ausnahmefall „Waffengleichheit“ zwischen Insolvenzverwalter und Vermieter. Das Rücktrittsrecht darf aber nicht als Geschenk aus ___________ 499) Vgl. ausführlich zum Ganzen oben zur Haftungssituation bei Kündigung unter Rn. 114. 500) Anders noch unter der KO. § 19 S. 1 KO räumte auch dem Vermieter ein Kündigungsrecht nach Gebrauchsüberlassung ein. Auch das Rücktrittsrecht vor Überlassung der Mietsache kannte die KO, § 20 Abs. 1 KO. Dies galt allerdings nur für den Vermieter in der Mieterinsolvenz, § 20 Abs. 1 KO; der Insolvenzverwalter konnte nach § 17 KO Erfüllung wählen. 501) Zur Kritik an der Lösungsmöglichkeit des Vermieters angesichts des fehlenden Kündigungsrechts nach Gebrauchsüberlassung, Eckert, ZIP 1996, 897, 900; Tintelnot, ZIP 1995, 616, 621. 502) So bereits BGHZ 26, 102, 104 = BGH NJW 1958, 421, 422 zu § 19 KO.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
Anlass der Insolvenz eines Mitmieters verstanden werden, welches erlaubt, sich auf Kosten des Mitmieters vom Vertragsversprechen zu lösen. Vielmehr gelten die gleichen Grundsätze wie zur Kündigung: Verwirklicht sich das Insolvenzrisiko des (späteren) Insolvenzschuldners, trägt der Mitmieter, der dessen konkretes Insolvenzrisiko durch den Vertrag übernommen hatte, die wirtschaftlichen Folgen und das konkrete Insolvenzrisiko fällt fortan auf den Vermieter zurück. Der Vermieter hat kein Vertragsversprechen erhalten, für den Vertragszeitraum von jeglichem konkreten Insolvenzrisiko freigestellt zu bleiben. Macht der Vermieter daher von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch, so bewirkt dies einen Rücktritt mit Einzelwirkung. Nur die Vertragsbeziehung zwischen Insolvenzschuldner und Vermieter wird rückabgewickelt. Die vertragliche Beziehung zwischen Vermieter und Mitmieter bleibt bestehen. Insofern haben Rücktritt des Insolvenzverwalters und des Vermieters dieselben Rechtsfolgen – es besteht „Waffengleichheit“. Wollte man einwenden, dem Vermieter sei dann mit dem Rücktritt nicht geholfen und der Regelungsgehalt damit unzulässig verkürzt, ist dem entschieden entgegenzutreten: Auch im Regelfall des bipolar-einseitigen Vertrages ist die Rechtsfolge keine andere, die vertragliche Beziehung zum Insolvenzschuldner wird rückabgewickelt. Nur das ist auch Regelungsinhalt. Keineswegs ist Sinn und Zweck der Norm, dass der Vermieter seine Mietsache danach wieder am Markt frei vom alten Vertrag feilbieten kann; dies ist nur Reflex, wenn der Insolvenzschuldner eben alleiniger Vertragspartner ist. Ein Eingriff in die Rechtsposition des Mitmieters, der nicht den spezifischen Zwecken und Zwängen des Insolvenzverfahrens geschuldet ist, entzieht sich zwar nicht der Rechtsmacht der Insolvenzordnung, aber jedenfalls ihrer Regelungsrechtfertigung.503) Den Schutz des solventen Mitmieters haben auch diejenigen im Auge, die dem Vermieter ein Rücktrittsrecht überhaupt nur dann einräumen wollen, wenn alle Mitmieter insolvent sind.504) Dies wird zum Teil mit einem Rückgriff auf § 351 BGB und auf allgemeine Grundsätze für Gestaltungserklärungen im bipolar-mehrseitigen Vertrag gestützt. Diese Argumentation ist unnötig formalistisch und aus Sicht aller vertretenen Ansätze zu § 109 Abs. 1 S. 1 InsO nicht konsequent: Denn dort ist entweder – dogmatisch vorzugswürdig – vom Grundsatz der Einheitlichkeit mit seiner Gesamtwir___________ 503) Siehe oben unter Rn. 46 ff. und Rn. 103 ff. 504) So sind wohl Andres in Andres/Leithaus, § 109, Rn. 17; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 109, Rn. 16; Cymutta in KölnK, § 109, Rn. 53; Dahl in AnwHdb-InsR, § 8, Rn. 224; Dahl, NZM 2008, 585, 591; Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 72; D. Wegener in Uhlenbruck, § 109, Rn. 30; Wolf/Eckert/Ball, Hdb gewerbliches MietR, Rn. 1595; Zeuner in Leonhardt/Smid/Zeuner, § 109, Rn. 16, zu verstehen, die sich auf die Behauptung beschränken, ein Rücktritt des Verwalters bei Mietermehrheit sei unzulässig. Ihr Argument der fortbestehenden Haftung trüge jedoch nicht, wenn alle Mitmieter insolvent sind, daher kann davon ausgegangen werden, dass in diesen Fällen ein Rücktritt mit Gesamtwirkung möglich wäre. Noch weiter, auch für den Insolvenzverwalter Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 97 f.; so wohl auch Hess in Hess, § 109, Rn. 34; a. A. B. Wegener in FK-InsO, § 109, Rn. 27; differenzierend nach der vertraglich vereinbarten Nutzung gerade (auch) durch den Insolvenzschuldner Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 109, Rn. 57.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
kung abzurücken505) oder jedenfalls das Erfordernis, Gestaltungsgrund bzw. Gestaltungsrecht müsse in Person jedes Ausübenden vorliegen, aufzugeben. Teilweise wird sich sogar gleichsam in einem Pinselstrich über den Einheitlichkeitsgrundsatz im Hinblick auf den Rücktritt durch den Insolvenzverwalter hinweggesetzt, den man anschließend beim Rücktritt des Vermieters unbeirrt als (einzige) Begründung des Rücktrittsausschlusses hochhält.506) Allein die Tatsache, dass nicht der Insolvenzverwalter, sondern der Vermieter das Gestaltungsrecht ausübt, rechtfertigt nicht, unbesehen auf allgemeine Grundsätze zu verweisen, die für die Verwalterkündigung nicht gelten. Das beidseitige Rücktrittsrecht zeigt, dass der Gesetzgeber vor Überlassung der Mietsache beide Seiten mit den gleichen Rechten ausstatten wollte.507) Diese Wertung im Fall bipolar-mehrseitiger Verträge zu umgehen, ist unzulässig.508) Vielmehr ist die Rechtsfolge interessengerecht anhand des übernommenen Insolvenzrisikos zu bestimmen: Ein Rücktritt des Vermieters mit Einzelwirkung gegenüber dem Insolvenzschuldner ist zu erlauben. Dies entspricht aber nicht nur den Interessen509) und dem übernommenen Insolvenzrisiko, vielmehr laufen die Rücktrittsrechte des Verwalters und des Vermieters in Ausübung und Rechtsfolge parallel und bleiben systematisch integer. Auch die dogmatischen Einwände im Hinblick auf den Einheitlichkeitsgrundsatz beziehungsweise das Prinzip der Gesamtwirkung in § 351 BGB stehen dieser Auslegung nicht im Weg.510) Der Schutzzweck der Gesamtwirkung ist, das intakte Haftungsgefüge – gerade auch im Hinblick auf die übernommenen Insolvenzrisiken – nicht zu gefährden. Fällt ein Mitmieter aber in die Insolvenz, ist das vertragliche Haftungsgefüge nachhaltig verändert. Das Insolvenzrisiko in Bezug auf den Insolvenzschuldner hat sich verwirklicht. Es besteht kein Interesse mehr, den Insolvenzschuldner im Vertrag zu halten, da er nicht mehr (vollwertiges) Haftungssubjekt ist. Somit ergibt sich gerade aus der der Gesamtwirkung zugrunde liegenden Idee der Aufrechterhaltung der Haftungsordnung die Notwendigkeit der Einzelwirkung im Insolvenzfall: Denn nur dann kann das vertragliche Haftungsgefüge aufrechterhalten werden, indem der Mitmieter weiter haftbar bleibt. Der Ver___________ 505) Vgl. zur dogmatischen Rechtfertigung der Fortführungslösung oben unter Rn. 103 ff. 506) So bei Balthasar in Nerlich/Römermann, § 109, Rn. 16. 507) So wird bisweilen behauptet, gerade dass der Gesetzgeber dem Vermieter nur vor Überlassung den Rücktritt gewähre, spreche dafür, es sei dem Vermieter „zumutbar“ den Vertrag fortzuführen, Jacoby in Jaeger, § 109, Rn. 97. Es verhält sich aber gerade andersherum: Gewährt der Gesetzgeber für den Sonderfall ein Gestaltungsrecht, um eine bestimmte Rechtsfolge (das Fortbestehen) abzuwenden, kann diese Abwendungsmöglichkeit nicht mit dem Verweis auf den Regelfall, den sie gerade abwenden soll, ignoriert werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Rechtsfolge nicht interessenwidrig, sondern allenfalls dogmatisch sperrig ist. 508) Anders Wolf/Eckert/Ball, Hdb gewerbliches MietR, Rn. 1595. 509) Der – dort nicht erwogene – Rücktritt mit Einzelwirkung ist auch kompatibel mit dem Argument, das Auflösungsinteresse des Vermieters müsse hinter dem Erhaltungsinteresse der Mitmieter zurücktreten, das von D. Wegener in Uhlenbruck, § 109, Rn. 30 als Rechtfertigung für den Ausschluss des Vermieterrücktritts angeführt wird. 510) Anders wohl BGHZ 26, 102 = BGH NJW 1958, 421 (zur Vermieterkündigung unter der KO), der freilich überhaupt nicht die hier vertretene Einzelwirkung erwog.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
mieterrücktritt ist auch nicht deswegen überflüssig, weil nach der Gebrauchsüberlassung neben der Insolvenzmasse ohnehin der Mitmieter gesamtschuldnerisch haftet.511) Die Nutzung der Mietsache durch den Insolvenzverwalter kann durchaus zu zusätzlichen (rechtlichen) Belastungen512) führen; etwa wenn die Mietsache von ihm schuldlos beschädigt wird – dann haftet nämlich auch der Mitmieter nicht. Dazu können diverse wirtschaftliche Entscheidungsgründe treten,513) die die Rechtsordnung ebenso zu respektieren hat, da die Ausübung der Rechtsmacht zum Rücktritt gerade nicht an rechtliche Gründe oder überhaupt an eine Begründung gebunden ist.
144 Hinsichtlich der Ausübung des Rücktrittsrechts durch den Vermieter gibt es keinen Grund, von den allgemeinen Grundsätzen des § 351 BGB abzuweichen. Der Vermieter muss den Rücktritt selbstverständlich gegenüber dem Insolvenzverwalter, aber auch gegenüber dem Mitmieter erklären514) – freilich den Rücktritt im Verhältnis zum Insolvenzschuldner. Hier fallen Ausübung des Rücktrittsrecht und Rechtswirkung des Rücktritts gegenüber einem Mitmieter auseinander; da § 351 BGB nur die Ausübung des Rücktrittsrechts regelt, verstößt dies nicht einmal gegen den Wortlaut der Norm.515) Im Übrigen ist eine allseitige Erklärung teleologisch erforderlich, da auch der Mitmieter ein berechtigtes Interesse hat, von der Veränderung seines Vertragsverhältnisses zu erfahren. Dies ergibt sich auch aus der rechtsgeschäftlichen Herleitung dieses Erfordernisses.516)
145 Tritt der Vermieter mit Wirkung gegenüber dem Insolvenzschuldner vom Vertrag zurück, haftet der Mitmieter weiter auf Erfüllung. Die Insolvenzmasse haftet überhaupt nicht mehr, da der Ausgleichsanspruch nach § 109 Abs. 2 S. 2 InsO den Rücktritt des Insolvenzverwalters voraussetzt. Der Mitmieter kann so für seine Leistungen nach dem Rücktritt keinen Regress bei der Insolvenzmasse nehmen. Andere Anspruchsgrundlagen kommen regelmäßig nicht in Betracht, insbesondere da der In___________ 511) So zum Beispiel Dahl in AnwHdb-InsR, § 8, Rn. 224; Dahl, NZM 2008, 585, 591; Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 72; Wolf/Eckert/Ball, Hdb gewerbliches MietR, Rn. 1595. 512) Zur tatsächlichen Belastung in Form der Bindung an den Insolvenzverwalter und damit an die Teilnahme am Insolvenzverfahren schon in anderem Zusammenhang Pape, Kölner Schrift, 531, 585. 513) Beispielweise: Die Hoffnung, die Vertragsfortführung allein mit dem Mitmieter (gegebenenfalls mit einem neuen Geschäftspartner) schaffe eine stabilere Geschäftsbeziehung oder die Befürchtung einer Geschäftsschädigung durch eine alsbaldige – denn der Insolvenzverwalter kann ja jederzeit kündigen – Betriebseinstellung. Denn der Mietsache (insbesondere für verschiedene Pachtgestaltungen, etwa gastronomische Betriebe, drängt sich das Problem auf) haftet dann bei einer Anschlussvermietung der Makel der Mieterinsolvenz an, obwohl diese gar nicht im Zusammenhang mit der Nutzung der Mietsache steht. 514) A. A. ohne Auseinandersetzung mit § 351 BGB Hess in Hess, § 109, Rn. 35. 515) Diese Trennung wurde in BGHZ 26, 102 = BGH NJW 1958, 421 (zur Vermieterkündigung unter der KO) nicht vorgenommen; das hier vorgestellte Trennungsmodell steht daher nicht im Widerspruch zum Urteil. 516) Zugang einer Gestaltungserklärung als Entsprechung des Zugangs eines Antrags auf Vertragsänderung, siehe dazu bereits oben unter Rn. 97 f.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
solvenzverwalter im Gegensatz zu den Sachverhalten, in denen er selber die Rechtsfolgen herbeiführt, überhaupt nicht gehandelt hat.517) Gegen eine analoge Anwendung des § 109 Abs. 2 S. 2 InsO spricht die eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers, die Masse nicht mit einer Forderung zu belasten, wenn der Vertragspartner den Vertrag beendet. Aus den gleichen Gründen kann auch nicht nach Gebrauchsüberlassung an den Mitmieter ein Anspruch aus § 109 Abs. 1 S. 3 InsO analog angenommen werden. Zwar war dem Gesetzgeber die Situation des bipolar-mehrseitigen Vertrages nicht bewusst, dies vermag jedoch nicht die gleiche Interessenlage im Vergleich zu § 109 Abs. 2 S. 2 InsO als Analogievoraussetzung zu begründen. Da der Mitmieter erst recht keinen Anspruch gegen den Vermieter hat, da der Rücktritt keine Pflichtverletzung ist, führt dies zu einer Ungleichbehandlung des Mitmieters, dem durch die Sondersituation des Vermieterrücktritts seine Regressmöglichkeit gegen den Insolvenzschuldner (als Insolvenzforderung) genommen wird. Dies ist unbillig und mit der Haftungsverteilung im Vertrag nicht vereinbar. Diese Haftungsdiskrepanz verstärkt im Übrigen den Eindruck, dass der Vermieterrücktritt systemfremd ist und abgeschafft gehört.518) Bis zu einer etwaigen Gesetzesänderung ist dem Mitmieter nur damit geholfen, dass man bei der Auslegung, ob ihm nach dem Vermieterrücktritt ein Lösungsrecht (§§ 313, 314 BGB)519) zusteht, das Fehlen eines Regressanspruches berücksichtigt. Wenngleich das im Regelfall nicht zu einer extensiveren Anwendung der Lösungsrechte führen dürfte, da der Regressanspruch ohnehin nur Insolvenzforderung wäre und kaum in relevanter Höhe zu realisieren gewesen wäre.520)
cc) Analoge Anwendung des Rücktrittsrechts auf den Mitmieter? Indem der § 109 Abs. 2 S. 1 InsO auch dem Vermieter als Vertragspartner ein Rück- 146 trittsrecht einräumt, gewährt er das Lösungsrecht – bipolar-einseitig gesprochen – allen Beteiligten. Diese Erkenntnis führt zu der Frage, ob darum nicht auch der Mitmieter in analoger Anwendung der Vorschrift vom Vertrag zurücktreten können sollte. Hier sind zunächst zwei Szenarien zu unterscheiden: Zunächst könnte der Mitmieter 147 ein Rücktrittsrecht vom Vertrag, also gegenüber dem Vermieter, haben. Dazu fehlt es aber an der vergleichbaren Interessenlage. Während es beim Rücktritt des Insolvenzverwalters und des Vermieters um eine Lösung von den vertraglichen Verpflichtungen von oder gegenüber dem Insolvenzschuldner geht, würde ein solches analoges Rücktrittsrecht nur mittelbar – nämlich im Regressverhältnis zwischen Mitmieter und Insolvenzschuldner – die Verpflichtungen des Insolvenzschuldners berühren, wenn der Insolvenzverwalter den Vertrag fortsetzen will und plötzlich keinen ver___________ 517) 518) 519) 520)
Vgl. zu anderen möglichen Tatbeständen oben in Bezug auf die Kündigung unter Rn. 114. Vgl. Fn. 501. Siehe oben zur Kündigung unter Rn. 103 ff. Siehe Aktuelle Nachrichten, FD-InsR 2017, 390403 zu aktuellen Deckungsquoten in der Insolvenz.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
traglichen Mitschuldner mehr hätte. Zudem widerspräche es dem vom Mitmieter übernommenen Insolvenzrisiko des Insolvenzschuldners, wenn sich nun neben dem ausgefallenen Schuldner (auch) der solvente Mithaftende vom Vertrag lösen könnte. Gerade aus diesem Grund wurde dem Rücktritt des Insolvenzverwalters und des Vermieters nur Einzelwirkung zugemessen.
148 Eine andere Frage ist es, ob der Mitmieter analog § 109 Abs. 2 S. 1 BGB gegenüber dem Insolvenzschuldner vom Vertrag zurücktreten kann. Er würde so selbst den Insolvenzschuldner aus dem Vertrag herausdrängen. Dies entspräche den Rechtsfolgen der Verwalter- und Vermieterkündigung. Gleichwohl ist eine Analogie abzulehnen: Zum einen besteht ein Rücktrittsrecht konzeptuell nur gegenüber dem anderen Vertragspol, sonst passt schon die Rechtsfolge, das Entstehen eines Rückgewährschuldverhältnisses, nicht. Aber auch teleologisch wäre ein Rücktrittsrecht, dann begrifflich besser: Kündigungsrecht, unpassend: Das einzig denkbare Interesse des Mitmieters an einem Rücktritt gegenüber dem Insolvenzschuldner liegt in der alleinigen Nutzung der Mietsache nach Gebrauchsüberlassung. Der Mitmieter würde so in die Lage versetzt, dem Insolvenzverwalter, der die Mietsache nach Überlassung gebrauchen will und deswegen nicht zurücktritt, die Berechtigung zum Gebrauch der Mietsache aus der Hand zu schlagen. Dies erscheint auf den ersten Blick eklatant sanierungsfeindlich; dieser Eindruck relativiert sich etwas, wenn man bedenkt, dass der Vermieter genau das gleiche Recht hat und damit das Rücktrittsrecht an dieser Stelle tendenziell sanierungsunfreundlich ist521). Allerdings ist die Rechtsstellung des Vermieters eine andere, denn er ist polarer Vertragspartner des Insolvenzschuldners. Er soll sich vor Gebrauchsüberlassung vom Vertrag lösen können, da dann das Nutzungsinteresse des Insolvenzverwalters nicht hoch genug ist, um dem Vermieter die Risiken der Massenutzung zuzumuten.522) Eine vergleichbare Rechtfertigung für einen Rücktritt des Mitmieters besteht nicht; es fehlt insoweit an einer vergleichbaren Interessenlage als Analogievoraussetzung, selbst wenn man bereit wäre über die dogmatische Fehlbezeichnung hinwegzusehen und das analoge Rücktrittsrecht zum Kündigungsrecht zu machen.
IV. Die Kündigung nach § 111 InsO 149 Nach § 108 Abs. 1 S. 1 InsO bestehen die erfassten Mietverhältnisse des Insolvenzschuldners unabhängig von der vertraglichen Rolle des Insolvenzschuldners fort. Nur für Verträge, in denen der Insolvenzschuldner Mieter ist, gelten jedoch die Lösungsrechte aus § 109 InsO. Ist der Insolvenzschuldner dagegen Vermieter, wird dem Insolvenzverwalter keine Gestaltungsmöglichkeit gewährt, den Vertrag zu beenden.
___________ 521) Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 109, Rn. 8. 522) Vgl. zur Begründung allein über die Risiken der Massenutzung, Pape, Kölner Schrift, 531, 585.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
1.
Anwendungsbereich des § 111 InsO
Eine mittelbar insolvenzbedingte Lösungsmöglichkeit ergibt sich jedoch aus § 111 150 S. 1 InsO: Die Norm erlaubt es dem Erwerber einer unbeweglichen Sache oder von Räumen aus der Insolvenz,523) Miet- oder Pachtverträge524) des Insolvenzschuldners525), in die er qua Gesetz (§§ 566 Abs. 1, 578 Abs. 1, 581 Abs. 1 BGB) durch den Erwerb eingetreten ist, zu kündigen. Die Norm knüpft also an die Fortbestehensanordnung des § 108 Abs. 1 S. 1 InsO an, denn sie geht vom Fortbestand der Mietund Pachtverhältnisse zwischen dem Insolvenzschuldner als Vermieter und dem Mieter aus. Dem Insolvenzverwalter des vermietenden Insolvenzschuldners stehen nicht die Gestaltungsrechte aus § 109 InsO zu, denn diese bestehen nur in der Mieterinsolvenz.526) Der Insolvenzverwalter hat somit selbst keine (insolvenzrechtliche) Vertragsbeendigungsmöglichkeit. Um eine Veräußerung der vermieteten unbeweglichen Sachen oder Räume – zumeist 151 besonders werthaltige Vermögensgegenstände – aus der Insolvenzmasse im Interesse der Insolvenzgläubiger zu vereinfachen und die Erlösaussichten zu erhöhen,527) schuf der Gesetzgeber die Kündigungsmöglichkeit des § 111 S. 1 InsO528), die den Erwerber aus der Insolvenz gegenüber dem ordentlichen Erwerber privilegiert, für den § 566 BGB ohne außerordentliche Lösungsmöglichkeit gilt.529) Bestreitet der Insolvenzverwalter die Veräußerung nicht freihändig, sondern im förmlichen Verfahren, findet sich eine Parallelregelung in den §§ 57a, 172 ZVG.530) Anwendungsvoraussetzung des § 111 S. 1 InsO ist, dass die Mietsache bereits überlassen war.531)
2.
§ 111 InsO in bipolar-mehrseitigen Verträgen
Ist neben dem Insolvenzschuldner eine weitere Person als Vermieter Vertragspart- 152 ner des nach § 108 Abs. 1 S. 1 InsO fortbestehenden Vertrages, besteht also ein bi___________ 523) Die Norm kann somit nur in der Eigentümerinsolvenz Anwendung finden, näher dazu sogleich. 524) Da § 108 InsO Anknüpfungspunkt der Norm ist, ist auch der § 111 InsO grundsätzlich auf das Immobilienleasing anwendbar. Es gelten die Ausführungen dazu oben unter Rn. 58 ff. 525) Der Insolvenzschuldner muss die Mietsache also als Eigentümer (vgl. Fn. 523) selbst vermietet haben, Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 111, Rn. 7. 526) Einer analogen Anwendung der Norm auf die Vermieterinsolvenz steht der erklärte Wille des Gesetzgebers entgegen, vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 146 f. 527) RGZ 67, 372, 376; Eckert in MüKo-InsO, § 111, Rn. 2; Jacoby in Jaeger, § 111, Rn. 3 f.; Marotzke in HK-InsO, § 111, Rn. 1. 528) Entspricht wesentlich dem alten § 21 Abs. 4 KO, BT-Drucks. 12/2443, S. 147; Rn. 19; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 111, Rn. 2; Eckert in MüKo-InsO, § 111, Rn. 2. 529) Streyl in Schmidt-Futterer, § 566, Rn. 25. 530) Vgl. Böttcher in Böttcher, § 57b, Rn. 1; Stöber in Stöber, § 57a, Rn. 1; Stumpe in Kindl/ Meller-Hannich/Wolf, § 57a ZVG, Rn. 1. 531) BGHZ 173, 116, Rn. 13 ff. = BGH NJW 2007, 3715, Rn. 13 ff.; Jacoby in Jaeger, § 111, Rn. 11 f.; D. Wegener in Uhlenbruck, § 111, Rn. 7.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
polar-mehrseitiger Vertrag, stellt sich die Frage nach der Rechtsfolge einer Kündigung des Erwerbers nach § 111 S. 1 InsO für das Vertragsverhältnis.
153 Bipolar-mehrseitige Verträge können demnach in zwei Konstellationen auftreten: Zum einen kann der Insolvenzschuldner als Miteigentümer mit einem weiteren Miteigentümer gemeinsam die Mietsache an einen Dritten vermietet haben. In diesen Fällen findet der § 111 InsO allerdings keine Anwendung. Da in der Teilungsversteigerung das Sonderkündigungsrecht aus § 57a S. 1 ZVG – inhaltsgleich zum § 111 S. 1 InsO – nicht besteht, §§ 180 Abs. 1, 183 ZVG, wird angenommen, auch § 111 InsO sei nur auf Verträge anwendbar, die der Insolvenzschuldner als Alleineigentümer abgeschlossen hat.532) Diese Wertung ist zutreffend, denn wie bereits diskutiert, setzt sich die Insolvenzordnung mit mehrpersonalen Konstruktionen, jedenfalls in den Regelungen über die Verträge des Schuldners (§§ 103 ff. InsO), nicht auseinander. Die insoweit in den Einzelheiten spezielleren Regelungen des ZVG bilden das Regelungsgerüst, an dem sich die InsO orientiert. Dies ist durch die Replizierung des § 57a ZVG in § 111 InsO zwar nicht mehr ganz so deutlich wie zuvor durch die Verweisungsmechanik des § 21 Abs. 4 KO, aber durch die Regelungsidentität kaum von der Hand zu weisen.533) In einem bipolar-mehrseitigen Mietvertrag mit Miteigentümerkonstellation findet § 111 InsO daher keine Anwendung. Das Mietverhältnis besteht nach § 566 Abs. 1 BGB fort534), wenn die Mietsache von allen Miteigentümern gemeinsam vermietet wird.535)
154 Die zweite mögliche Konstellation ist die Vermietung der Mietsache durch den Insolvenzschuldner als Alleineigentümer der Mietsache gemeinsam mit einem weiteren Vermieter. Im Unterschied zum vorherigen Beispiel kommt ein Ausschluss des Kündigungsrechts des Erwerbers entsprechend § 182 ZVG nicht in Betracht, da die Mietsache im Alleineigentum des Insolvenzschuldners und damit des Veräußerers steht. Auch § 566 BGB findet Anwendung; es ist allein entscheidend, dass der Mieter vom Alleineigentümer mietet.536) Wenn daneben noch weitere Vermieter existieren, ändert das nichts an der Schutzbedürftigkeit des Mieters.537) Praktisches Beispiel für eine solche Konstellation ist die gemeinsame Vermietung von Ehepartnern, obwohl das Grundstück im Alleineigentum eines Ehepartners steht.538) Nach zutreffendem Verständnis handelt es sich beim Eintritt nach § 566 Abs. 1 BGB um eine Vertrags___________ 532) Eckert in MüKo-InsO, § 109, Rn. 4; Jacoby in Jaeger, § 111, Rn. 10; Tintelnot in Kübler/ Prütting/Bork, § 111, Rn. 7; D. Wegener in Uhlenbruck, § 111, Rn. 4. 533) Vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 147 f. 534) Zur Dogmatik sogleich unter Fn. 539 und 540. 535) Blank in Blank/Börstinghaus, § 566, Rn. 38; Gramlich in Gramlich, § 566, Rn. 3. 536) Blank in Blank/Börstinghaus, § 566, Rn. 42; Häublein in MüKo-BGB, § 566, Rn. 19. 537) Häublein in MüKo-BGB, § 566, Rn. 19. 538) Im Zusammenhang mit § 566 BGB weist auf diese Fallgruppe Blank in Blank/Börstinghaus, § 566, Rn. 42 hin.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
übernahme, so dass das Mietverhältnis als solches unverändert fortbesteht.539) Nimmt man mit der noch herrschenden Meinung eine Novation – qua Gesetz – an, ändert das an der Rechtsfolge freilich nichts,540) insbesondere führt dies nicht dazu, dass der Mitvermieter nicht mehr Vertragspartei wäre. Kündigt der Erwerber nach vollzogenem Erwerb vom insolventen Alleineigentümer das Mietverhältnis unter Berufung auf § 111 S. 1 InsO, ist zu begutachten, wie sich dies auf das Vertragsverhältnis auswirkt. Zunächst ist der Erwerber bei der Ausübung des Kündigungsrechts frei und nicht an die Mitwirkung des Mitvermieters gebunden.541) Dies ergibt sich entsprechend den Erwägungen zur Kündigung aus dem Wesen und dem Sinn und Zweck des § 111 InsO: Das Kündigungsrecht des Erwerbers entsteht nicht aus dem Mietvertrag, sondern aus der besonderen insolvenzrechtlichen Vorschrift des § 111 S. 1 InsO. Das Kündigungsrecht ist somit kein derivatives Recht aus dem Vertrag bzw. den Forderungen aus dem Vertrag und ist somit nicht wie diese(r) gemeinschaftlich oder gesamthänderisch gebunden. § 111 InsO erfordert zudem, dass der Erwerber das Kündigungsrecht alleine ausüben kann. Das Kündigungsrecht soll dem Insolvenzverwalter ermöglichen, das Vermögen des Insolvenzschuldners möglichst vorteilhaft zu verwerten.542) Unterwirft man den Erwerber dem Erfordernis der gemeinsamen Kündigung, hätte der Erwerber regelmäßig keine Gewissheit, ob er sich von als unwirtschaftlich angesehenen Mietverträgen lösen können wird. Er wird deshalb weniger für oder gar nicht auf die zu veräußernde Sache bieten. Dies ginge zulasten der Insolvenzmasse, die einen geringeren oder keinen Veräußerungserlös erhielte. Damit erfüllte § 111 InsO seinen Zweck in bipolar-mehrseitigen Verträgen nicht mehr. Kündigt der Erwerber das Vertragsverhältnis, besteht dieses ansonsten unverändert zwischen dem Mieter und dem Mitvermieter fort. Das ergibt sich, entsprechend zu den Überlegungen bei der Kündigung,543) aus der vertraglichen Verteilung der Insolvenzrisiken. Der Mitvermieter hat das konkrete Insolvenzrisiko des Insolvenzschuldners übernommen. Er ist darum gerade dann am Vertrag und damit der Erfüllungshaftung festzuhalten, wenn der andere Schuldner insolvent wird. An dieser Schlussfolgerung ändert sich durch die Tatsache, dass nicht – wie bei der Kündigung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO – der Insolvenzverwalter, sondern der Erwerber die Kündigung erklärt, nichts. Das Lösungsrecht, auf das sich der Erwerber beruft, ist originär insolvenzrechtlich und liegt in der Insolvenz des Vertragspartners, für den der Mitvermieter das Insolvenzrisiko übernommen hat, begründet. Die Ausübung dieses Rechts ist somit unmittelbar dem Insolvenzeintritt zuzurechnen, für den der Mitvermieter gerade das Risiko übernommen hat. Der Mitvermieter sieht ___________ 539) Streyl in Schmidt-Futterer, § 566, Rn. 9 ff., 85 ff. m. w. N. 540) Ständige Rechtsprechung, dazu BGH NJW 2012, 3032 Rn. 25 m. w. N.; dazu Häublein in MüKo-BGB, § 566, Rn. 23 ff. m. w. N. 541) Vgl. zum Folgenden ausführlich oben unter Rn. 97. 542) Dazu unter Fn. 527. 543) Dazu ausführlich oben unter Rn. 103 ff.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
sich also weiterhin dem vertraglichen Erfüllungsanspruch des Mieters ausgesetzt. Ob er diesen künftig erfüllen kann, ist nach § 275 BGB zu beurteilen.544) Es ist jedenfalls kein Automatismus, dass der Mitvermieter dem Mieter die Mietsache nicht mehr zur Verfügung stellen kann (§ 275 Abs. 1 BGB). Insbesondere steht die Möglichkeit der Miete vom Erwerber zu neuen, marktgerechten bzw. für den Erwerber akzeptablen Konditionen der Annahme einer subjektiven Unmöglichkeit entgegen.545) Stellt der Erwerber dem Mitvermieter die Mietsache unter keinen oder § 275 Abs. 2 BGB546) begründenden Umständen zur Verfügung, wird der Mitvermieter dagegen von seiner Leistungspflicht frei. Ein Schadensersatzanspruch des Mieters (§ 283 BGB) scheitert regelmäßig daran, dass der Mitvermieter die Unmöglichkeit nicht zu vertreten hat (§ 276 BGB).
155 Daneben haftet die Masse dem Mieter auf Schadensersatz für den durch die Kündigung wegfallenden Anspruch auf Gebrauchsüberlassung.547) Die Grundlage dieses Anspruchs ist umstritten und folgt im Wesentlichen den Argumentationslinien bei § 109 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 2 InsO. Wie bereits dort ausgeführt, handelt es sich auch bei dem hier einschlägigen Anspruch um einen originär insolvenzrechtlichen Ausgleichsanspruch,548) der an die Stelle des Erfüllungsanspruchs des Gläubigers tritt. Ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch549) scheitert schon an den Tatbestandsvoraussetzungen, da die Veräußerung der Mietsache, wenn sie vorteilhaft für die Masse ist, Pflicht des Insolvenzverwalters ist und daher per se keine Pflichtverletzung gegenüber dem Gläubiger darstellen kann.550) Vielmehr ergibt sich der Ausgleichsanspruch aus einer (Gesamt-)Analogie zu §§ 103 Abs. 2 S. 1, 109 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 2, § 113 S. 3 InsO551) und ist daher Insolvenzforderung.552) Zu ersetzen ist ___________ 544) Ggf. subjektive Unmöglichkeit, dazu Ernst in MüKo-BGB, § 275, Rn. 52 ff.; Lorenz in BeckOKBGB, § 275, Rn. 42 ff.; Stadler in Jauernig, § 275, Rn. 17 ff. 545) Ernst in MüKo-BGB, § 275, Rn. 53 f.; Lorenz in BeckOK-BGB, § 275, Rn. 44 ff. 546) Nur Ernst in MüKo-BGB, § 275, Rn. 70 ff. 547) D. Wegener in Uhlenbruck, § 111, Rn. 12; Eckert in MüKo-InsO, § 111, Rn. 24; D. Wegener in Uhlenbruck, § 111, Rn. 12. 548) Andres in Andres/Leithaus, § 111, Rn. 8; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 111, Rn. 14; Jacoby in Jaeger, § 111, Rn. 42 ff.; Kroth in Braun, § 111, Rn. 11; Marotzke in HK-InsO, § 111, Rn. 9; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 111, Rn. 14. 549) Dafür Eckert in MüKo-InsO, § 111, Rn. 28 ff.; B. Wegener in FK-InsO, § 111, Rn. 12; D. Wegener in Uhlenbruck, § 111, Rn. 12 f. 550) Jacoby in Jaeger, § 111, Rn. 43. 551) Siehe Fn. 548. 552) Andres in Andres/Leithaus, § 111, Rn. 8; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 111, Rn. 15; Jacoby in Jaeger, § 111, Rn. 42; Kroth in Braun, § 111, Rn. 11; Marotzke in HK-InsO, § 111, Rn. 9; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 111, Rn. 14 a. A. Masseverbindlichkeit siehe unter Fn. 549. Rechtstechnisch handelt es sich hier nicht um eine einfache Analogie, wie soweit ersichtlich in der Literatur vertreten, siehe Nachweise oben, sondern um eine Gesamtanalogie, da auf die den §§ 109 Abs. 1 S. 3, 109 Abs. 2 S. 2, 113 S. 3 InsO zugrundeliegenden Wertungen abgestellt wird.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
der Verfrühungsschaden.553) Bei der Berechnung ist zu beachten, dass der Mieter, wie bei § 109 InsO der Vermieter, seine Leistungspflicht, also hier den Mietzins, aufgrund des fortbestehenden Vertrages nicht erspart, sondern dem Mitvermieter schuldet. Wie bei Kündigung und Rücktritt des Insolvenzverwalters steht der Ausgleichsanspruch als Surrogat des Erfüllungsanspruches in einem Gesamtschuldverhältnis zum Erfüllungsanspruch gegen den Mitvermieter. Dem steht nicht entgegen, dass der Erfüllungsanspruch hier auf Gebrauchsüberlassung und nicht auf eine Geldzahlung gerichtet ist. Ausschlaggebend ist das identische Leistungsinteresse; auch der insolvenzrechtliche Ausgleichsanspruch ist als Surrogat des vertraglichen Erfüllungsanspruchs auf das Primärleistungsinteresse gerichtet. Der Mieter kann die Leistung nur einmal fordern. Nimmt der Mieter also den Mitvermieter auf Erfüllung in Anspruch, kann dieser Regress bei der Masse in Gestalt einer Insolvenzforderung nehmen. Diese bezieht sich auch auf ihm entstandene Mehrkosten, die im Rahmen der Erlangung der Gebrauchsüberlassungsmöglichkeit entstanden sind. Denn hätte der Mieter diese Aufwendungen selbst gemacht, wären sie Teil der Berechnung für den Ausgleichsanspruch gegen die Masse geworden. Ist dagegen die Leistungspflicht des Mitvermieters nach § 275 BGB entfallen und er dadurch, ohne schadensersatzpflichtig zu werden, von der Leistung frei geworden, haftet die Insolvenzmasse alleine in Gestalt der Insolvenzforderung. Dies ist Folge des Verschuldensprinzips im Schadensersatzrecht und der verschuldensunabhängigen Haftung nach §§ 103 Abs. 2 S. 1, 109 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 2, 113 S. 3 InsO (gesamt)analog und somit nicht unbillig. Die Insolvenzmasse haftet nach der Veräußerung zudem für die Pflichten des Er- 156 werbers wie ein Bürge, § 566 Abs. 2 S. 1 BGB. Durch die Erklärung gegenüber dem Mieter nach § 566 Abs. 2 S. 2 BGB kann und muss der Insolvenzverwalter die Haftung zeitlich begrenzen.554) Der bürgschaftsähnliche Anspruch gegen die Masse ist nach dem durch § 111 S. 2 InsO möglichen Kündigungszeitpunkt des Erwerbers Insolvenzforderung.555) Dies ergibt sich daraus, dass der Erwerber in die Rechte und Pflichten des Insolvenzschuldners eintritt. Da der Vertrag bereits vor Insolvenzer-
___________ 553) Dazu oben unter Rn. 114. 554) Zur Erklärung Häublein in MüKo-BGB, § 566, Rn. 45 f.; Streyl in Schmidt-Futterer, § 566, Rn. 148 f. 555) Jacoby in Jaeger, § 111, Rn. 22; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 111, Rn. 16; a. A. Eckert in MüKo-InsO, § 111, Rn. 9, dessen Argumentation, dem Mieter werde schließlich die Veräußerung oktroyiert, überzeugt nicht, da dies für alle Vertragspartner im Anwendungsbereich der §§ 103 ff. InsO ebenso gilt, denen nur eine Insolvenzforderung zukommt. Zudem ist es auch nicht unbillig, dass ihm die Haftung der Masse genommen wird, nur weil die Veräußerung aus der Insolvenz geschieht, denn der Mieter trägt (im bipolar-einseitigen!) Vertrag gerade das Insolvenzrisiko seines Vermieters. Er ist bereits durch die Nichtgewährung eines Kündigungsrechts gegenüber dem Vermieter des Insolvenzschuldners privilegiert. Das kann nicht Rechtfertigung weiterer Privilegierung sein.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
öffnung geschlossen wurde,556) sind diese Pflichten somit im Sinne des § 38 InsO begründet gewesen. Ob diese Pflichten nun primär vom Erwerber zu erfüllen sind, kann hinsichtlich der Einordnung als Masseverbindlichkeit keine Rolle spielen. Dem § 111 InsO ist zu entnehmen, dass die Masse durch die Kündigung des Erwerbers von den oktroyierten Masseverbindlichkeiten des §§ 108 Abs. 1 S. 1, 55 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. InsO frei wird.557) Eine dauernde Forthaftung der Masse über den Kündigungszeitpunkt hinaus stellte den Sinn der Veräußerung entschieden in Frage.558) Vielmehr fällt mit der verstrichenen Kündigungsmöglichkeit die Privilegierung des Mieters aus § 108 Abs. 1 S. 1 InsO weg und es gilt wieder die Wertung des § 38 InsO. Würde man dagegen eine Masseverbindlichkeit annehmen, führte dies gleichfalls zu dem Ergebnis, dass der Mieter einer veräußerten Mietsache als einziger Vertragspartner eine Masseverbindlichkeit zugesprochen bekäme – ohne dass die Gegenleistung in die Masse flösse.559) Dazu tritt, dass Telos der Ausfallhaftung ist, den Mieter davor zu schützen, einen nicht solventen Vermieter aufgezwungen zu bekommen.560) In der Veräußerung aus der Insolvenz ist dies äußerst unwahrscheinlich und erhielte, wäre es doch einmal so, nur den Status quo. Da sich die Ausfallhaftung der Masse auf die mietvertraglichen Pflichten des Erwerbers bezieht, haftet für diese der Mitvermieter ebenfalls aus dem Vertrag als Gesamtschuldner mit dem Erwerber. Sollte der Erwerber ausfallen, haftet die Masse hiernach quotal neben dem Mitvermieter.561) Dieses Ergebnis ist zu korrigieren, soweit die Masse noch in Gestalt einer Masseverbindlichkeit haftet. Die Qualifizierung der Forderung als Masseverbindlichkeit soll dem Mieter Sicherheit geben, da ihm ein anderer Vertragspartner aufgezwungen wird. Sie soll allerdings nicht den Mitvermieter als Träger des konkreten Insolvenzrisikos des Insolvenzschuldners besser stellen. Dass der Mitvermieter nunmehr mit dem Erwerber einen anderen Mitschuldner hat, ist bereits eine Privilegierung im Vergleich zur alleinigen Vollhaftung, die bestehen würde, wenn das Kündigungsrecht dem Insolvenzverwalter selbst zugestanden worden wäre. Die Mithaftung des Erwerbers ist daher ein Geschenk der Insolvenzordnung an den Mitmieter und entbindet ihn nicht von der Pflicht, für den Insolvenzschuldner wirtschaftlich einzustehen, die aus der Übernahme des konkreten Insolvenzrisikos resultiert. Aus der Tatsache, dass ihm zunächst der Erwerber als Mitschuldner haftet, kann er nicht darauf ver___________ 556) Vgl. unter Fn. 539. Zur nach h. M. zwar anders verstandenen Dogmatik unter Fn. 540. Allerdings lassen auch die Novationsanhänger bei der Pflichtenzuordnung Ausnahmen zu und stellen des Öfteren auf den „Altvertrag“ ab. 557) I. E. auch Jacoby in Jaeger, § 111, Rn. 22, der betont, dass im Hinblick auf § 111 InsO das Vertrauen des Mieters in den Bestand des Vertrages mit dem Zeitpunkt der Kündigungsmöglichkeit nicht mehr schützenswert ist. 558) Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 111, Rn. 16. 559) Jacoby in Jaeger, § 111, Rn. 22. 560) Häublein in MüKo-BGB, § 566, Rn. 44. 561) Zur Bürgschaftsinanspruchnahme in Bezug auf eine Gesamtschuld, Bydlinski in MüKo-BGB, § 426, Rn. 51 ff.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
trauen, in Zukunft nicht voll, das heißt, nur mit einer Insolvenzforderung als Regressmöglichkeit, für den Insolvenzschuldner zu haften. Der Regress des Mitvermieters aufgrund der Ausfallhaftung der Masse ist somit immer Insolvenzforderung.
V. Das Lösungsrecht aus § 113 InsO Dienstverträge des Insolvenzschuldners bestehen nach § 108 Abs. 1 S. 1 InsO in 157 der Insolvenz fort. Die Norm macht nach ihrem Wortlaut keinen Unterschied zwischen Verträgen, in denen der Insolvenzschuldner Dienstverpflichteter oder Dienstberechtigter ist. Ist der Insolvenzschuldner Dienstverpflichteter, ist der Anwendungsbereich der §§ 103 ff. InsO allerdings nur eröffnet, soweit der Vertrag in die Insolvenzmasse fällt.562) Dies wird bei der Mehrheit der Dienstverträge nicht der Fall sein, da diese regelmäßig eine höchstpersönliche Leistungserbringung zum Vertragsgegenstand haben.563) Auch darüber hinaus ist umstritten, ob nicht alle Dienstverträge des Insolvenzschuldners als Dienstverpflichtetem aus dem Anwendungsbereich ausgenommen werden sollten und, soweit sie dem Insolvenzbeschlag unterliegen, dem § 103 InsO unterfallen.564) Um die Insolvenzmasse nicht über die Maßen mit auflaufenden Masseverbindlich- 158 keiten, § 55 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. InsO, zu belasten und die Sanierung oder Liquidierung des schuldnerischen Unternehmens zu beschleunigen,565) eröffnet § 113 S. 1 InsO dem Insolvenzverwalter das Recht zur Kündigung566) eines Dienstvertrages567), wenn der Insolvenzschuldner Dienstberechtigter ist. Die Vorschrift weist erhebliche Parallelen zum § 109 Abs. 1 InsO für Mietverhältnisse auf: So beträgt die Kündigungsfrist drei Monate zum Monatsende, wenn nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist (§ 113 S. 2 InsO)568) und der Dienstverpflichtete kann, wie der Vermieter, Aus___________ 562) Giesen in Jaeger, Vor § 113, Rn. 12 ff.; Jacoby in Jaeger, § 108, Rn. 6. 563) Caspars in MüKo-InsO, § 113, Rn. 4; Jacoby in Jaeger, § 108, Rn. 6. 564) BGH NZI 2011, 936, Rn. 6 (wenn erhebliche Leistungen aus der Masse zu erbringen sind); für eine Anwendung des § 103 InsO auf alle Verträge in denen der Insolvenzschuldner Dienstverpflichteter ist Caspars in MüKo-InsO, § 113, Rn. 5; Jacoby in Jaeger, § 108, Rn. 243 ff.; a. A. Ringstmeier in K. Schmidt, § 108, Rn. 29; differenzierend Andres in Andres/Leithaus, § 108, Rn. 5. 565) BT-Drucks. 12/2443, S. 148; BAGE 123, 269, Rn. 20 = BAG NJOZ 2007, 60, Rn. 20; Giesen in Jaeger, § 113, Rn. 5, 7 ff.; Hamacher in Nerlich/Römermann, § 113, Rn. 2 f.; Moll in Kübler/ Prütting/Bork, § 113, Rn. 6 ff.; Müller-Glöge in ErfKomm, § 113 InsO, Rn. 1. 566) Auch hier ist die Kündigung während des gesamten Zeitraums des Insolvenzverfahrens unter Beachtung der Frist möglich, Giesen in Jaeger, § 113, Rn. 110 f.; Plössner in BeckOK-ArbR, § 113 InsO, Rn. 14. 567) Anders als noch nach § 22 KO (vgl. auch § 109 Abs. 2 InsO für Mietverhältnisse) ist es für die Anwendung des § 113 InsO unerheblich, ob das Dienstverhältnis (meist: Arbeitsverhältnis) bereits angetreten ist, BAG NZI 2017, 577, Rn. 30; Caspars in MüKo-InsO, § 113, Rn. 12; Müller-Glöge in ErfKomm, § 113 InsO, Rn. 7a; Plössner in BeckOK-ArbR, § 113 InsO, Rn. 10. 568) Dazu Caspars in MüKo-InsO, § 113, Rn. 25 ff.; Giesen in Jaeger, § 113, Rn. 66 ff.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
gleich für die vorzeitige Beendigung des Vertrages als Insolvenzforderung verlangen (§ 113 S. 3 InsO).569) Anders als beim § 109 Abs. 1 S. 1 InsO steht nach § 113 S. 1 InsO aber auch dem Vertragspartner, also dem Dienstverpflichteten, ein entsprechendes Kündigungsrecht zu. Eine vergleichbare Situation gibt es bei der Miete nur im Rahmen des Rücktrittsrechts vor Überlassung der Mietsache (§ 109 Abs. 2 S. 1 InsO).
159 Dienstverträge, die eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand haben, die sich auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen bezieht, unterfallen dagegen – wenn der Insolvenzschuldner Dienstberechtigter ist – nicht dem § 113 InsO, sondern sie erlöschen mit Insolvenzeröffnung nach §§ 115 Abs. 1, 116 S. 1 InsO.570)
1.
Bipolar-mehrseitige Verträge im Anwendungsbereich des § 113 InsO
160 Bipolar-mehrseitige Dienstverträge mit mehreren Dienstberechtigten sind keine alltägliche Vertragskonstellation. Allerdings gibt es solche Verträge durchaus. Wie immer bei bipolar-mehrseitigen Verträgen ist sorgfältig zu unterscheiden, ob es sich beim fraglichen Vertrag tatsächlich um einen (einheitlichen) Vertrag handelt oder ob mehrere, rechtlich selbstständige Verträge lediglich in einer Vertragsurkunde zusammengefasst werden. Ferner ist abzugrenzen, ob es sich tatsächlich um eine Mehrheit von Vertragsparteien oder um eine Gesellschaft (meist GbR) mit mehreren Gesellschaftern handelt.571)
161 Beispiele für bipolar-mehrseitige Verträge im Anwendungsbereich des § 113 InsO können, unter obigen Einschränkungen, Unterrichts-572) oder Heilbehandlungsverträge573), die Eltern zu Gunsten ihrer Kinder abschließen, Bewachungsverträge574), die mehrere Mieter/Eigentümer einer Immobilie gemeinsam abschließen oder die gemeinsame Beauftragung eines Sachverständigen575) sein. ___________ 569) Sog. „Verfrühungsschaden“, siehe dazu bereits oben unter Rn. 114. Für Spezifika bei Dienstverträgen Caspars in MüKo-InsO, § 113, Rn. 31 ff., 84 ff.; Giesen in Jaeger, § 113, Rn. 128 ff.; Müller-Glöge in ErfKomm, § 113 InsO, Rn. 14 ff.; Plössner in BeckOK-ArbR, § 113 InsO, Rn. 52 ff. 570) Caspars in MüKo-InsO, § 113, Rn. 3; Giesen in Jaeger, § 113, Rn. 19; Jacoby in Jaeger, § 108, Rn. 236. Anstellungsverträge für Gesellschaftsorgane unterfallen dagegen dem § 113 InsO, Caspars in MüKo-InsO, § 113, Rn. 10; Giesen in Jaeger, § 113, Rn. 33 ff.; Jacoby in Jaeger, § 108, Rn. 238 f.; Müller-Glöge in ErfKomm, § 113 InsO, Rn. 3. Zu den Rechtsfolgen der §§ 115, 116 für bipolar-mehrseitige Verträge siehe unten unter Rn. 188 ff. 571) Siehe dazu oben Rn. 10 ff. und vergleiche zum Mietvertrag unter Rn. 72. 572) Caspars in MüKo-InsO, § 113, Rn. 11; Fuchs in BeckOK-BGB, § 611, Rn. 24; Müller-Glöge in MüKo-BGB, § 611, Rn. 151; Weidenkaff in Palandt, Vor § 611, Rn. 16. 573) Caspars in MüKo-InsO, § 113, Rn. 11; Katzenmeier in BeckOK-BGB, § 630a, Rn. 20; MüllerGlöge in MüKo-BGB, § 611, Rn. 79; Weidenkaff in Palandt, Vor § 611, Rn. 17. 574) Mansel in Jauernig, Vor § 611, Rn. 24; Müller-Glöge in MüKo-BGB, § 611, Rn. 151. 575) Weidenkaff in Palandt, Vor § 611, Rn. 16. Je nach Charakter der Begutachtung wird es sich jedoch zumeist um einen Werkvertrag handeln.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
2.
Die Rechtswirkungen der Kündigung nach § 113 InsO im bipolarmehrseitigen Vertrag
Die Strukturverwandtschaft des Kündigungsrechts aus § 113 S. 1 InsO mit dem 162 des § 109 Abs. 1 S. 1 InsO für Mietverträge bringt es mit sich, dass sich auch die Rechtsfolgen der Kündigung eines bipolar-mehrseitigen Vertrages gleichen.
a) Die Kündigung des Insolvenzverwalters Der Insolvenzverwalter kann das Kündigungsrecht aus § 113 S. 1 InsO alleine, das 163 heißt, ohne Mitwirkung des Mitschuldners, ausüben. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass § 113 S. 1 InsO – wie alle Gestaltungsrechte der §§ 103 ff. InsO – ein besonderes insolvenzrechtliches Kündigungsrecht vermittelt. Es entsteht nicht aus dem Vertrag, sondern originär qua Gesetz. Es unterliegt daher nicht der gemeinschaftlichen oder gesamthänderischen Bindung der Mitschuldner, die im allgemeinen Schuldrecht Grund für das Erfordernis der gemeinsamen Gestaltungsrechtsausübung sind.576) Daneben erfordert auch der Sinn und Zweck des Lösungsrechts, die Masse von Masseverbindlichkeiten frei zu halten,577) wenn das Vertragsverhältnis für die Masse nicht vorteilhaft ist, dass der Insolvenzverwalter den Zeitpunkt der Kündigung selbst wählen kann und die masseschonende Wirkung nicht von einem Dritten abhängt.578) Wird der fortbestehende bipolar-mehrseitige Dienstvertrag vom Insolvenzverwalter gekündigt, scheidet der Insolvenzschuldner nach der Fortführungslösung aus dem Vertragsverhältnis aus, während der Vertrag ansonsten unverändert zwischen Mitschuldner und Dienstverpflichtetem fortgesetzt wird. Dies ergibt sich aus der Verteilung des Insolvenzrisikos im Vertrag:579) Der Mitschuldner hat im vertraglichen Haftungsgefüge das Insolvenzrisiko für den späteren Insolvenzschuldner übernommen. Es wäre unbillig, nunmehr dem Dienstverpflichteten die Möglichkeit zur Erfüllung des Vertrages und damit auf die Gegenleistung zu nehmen. Aber auch der Dienstverpflichtete hat sich gegenüber Mehreren zur Leistung verpflichtet und ist an dieser Verpflichtung festzuhalten. Er hat keinen Anspruch auf ein ständiges bipolar-mehrseitiges Vertragsverhältnis und damit mehrere Schuldner. Vielmehr trägt er das Finalinsolvenzrisiko im vertraglichen Haftungsgefüge, das mit der Insolvenz des vorletzten Schuldners zum konkreten Insolvenzrisiko erstarkt und damit die Regelverteilung im bipolar-einseitigen Vertrag wiederherstellt. Genauso wie der Mitschuldner nicht einfach aus der Haftung entlassen werden kann, kann der Dienstverpflichtete nicht ohne Weiteres aus seiner Leistungspflicht gegenüber dem anderen Vertragspol, also dem verbliebenen Mitschuldner, entlassen werden. ___________ 576) 577) 578) 579)
Dazu ausführlich oben unter Rn. 78 ff. und Rn. 97 f. Siehe unter Fn. 565. Dazu ausführlich oben unter Rn. 103 ff. Allgemein zu Insolvenzrisiko und vertraglichem Haftungsgefüge oben unter Rn. 15 ff. Zur ausführlichen Herleitung der Fortführungslösung am Beispiel des Mietvertrages oben unter Rn. 103 ff.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
164 Für den Mitschuldner realisiert sich demzufolge mit der Insolvenzeröffnung das mit dem Vertrag übernommene konkrete Insolvenzrisiko des Insolvenzschuldners. Er haftet daher selbstverständlich als Vertragspartner für alle Verbindlichkeiten aus dem Vertrag gegenüber dem Dienstverpflichteten weiter. Bei Dienstverträgen wird es dabei in größerem Ausmaß zu Problemen mit der Gegenleistungspflicht des Dritten kommen als beim Mietvertrag: Vielfach werden die geschuldeten Dienste einen personalen Bezug zu den Dienstverpflichteten haben. Dann kann es zu mehreren Szenarien kommen: Kann der Dienstverpflichtete die Dienste nur gegenüber allen Dienstberechtigten gemeinsam erbringen und nicht etwa auch (allein) gegenüber dem Mitschuldner, so wird die Erfüllung der Leistungspflicht des Dienstverpflichteten unmöglich, § 275 Abs. 1 BGB580). Da der Mitschuldner die Unmöglichkeit nicht zu vertreten hat, schuldet er keine Gegenleistung, § 326 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 BGB. Die Kündigung des Insolvenzverwalters ist keine Pflichtverletzung, die Insolvenzordnung gebietet vielmehr, sich von unvorteilhaften Verträgen zu lösen. Es existiert folglich schon gar keine dem Mitschuldner zurechenbare schuldhafte Pflichtverletzung, die eine Verantwortlichkeit des Mitschuldners begründen könnte; überdies hätte eine solche nur Einzelwirkung, § 425 BGB. Davon zu unterscheiden sind Szenarien, in denen der Mitschuldner an den Diensten nach dem Ausscheiden des Insolvenzschuldners kein Interesse mehr hat, die aber weiter möglich sind. Für solche Dienste schuldet er weiter eine Gegenleistung, da er durch die vertragliche Bindung das Verwendungsrisiko der Gegenleistung übernommen hat; je nach den Umständen des Einzelfalls kann ihm aber ein außerordentliches Kündigungsrecht zustehen, §§ 626 Abs. 1, 313 Abs. 3 S. 2 BGB.581) Bei der Abwägung ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Mitschuldner zum einen das besagte Verwendungsrisiko an der Gegenleistung übernommen hat und zum anderen das Insolvenzrisiko des Insolvenzschuldners. Der Dienstverpflichtete hat ein schützenswertes Interesse an der Vertragstreue seines Vertragspartners, da er durch den Vertragsschluss mit der Parteimehrheit die bezeichneten Risiken gerade nicht übernommen hat. Dem Mitschuldner darf über den Umweg eines außerordentlichen Kündigungsrechts daher nicht das Insolvenzrisiko vollständig genommen werden. Vielmehr ist ihm ein Kündigungsrecht nur dann zu gewähren, wenn er nach allen zumutbaren Bemühungen keine sinnvolle Möglichkeit zur Verfügung hat, die Dienste zu nutzen und er dies nach der vertraglichen Risikoverteilung nicht zu verantworten hat. Dies gilt freilich in erster Linie für wirtschaftlich genutzte Dienste. Handelt es sich bei der Dienstverpflichtung um nichtwirtschaftlich genutzte Dienste, ist noch sorgfältiger zu subsumieren, ob das vermeintliche Lösungsinteresse nicht alleine aus einer finanziellen Überforderung durch das Wegbrechen des Regresses begründet ist. Denn kein Argument für ein Kündigungsrecht ist die alleinige Haftung für die Verbindlichkeiten aus dem Vertrag, da diese Haftung originär aus dem übernommenen Insolvenzrisiko ___________ 580) Siehe Nachweise unter Fn. 564. 581) Zum Ganzen ausführlich oben beim Mietvertrag unter Rn. 103 ff.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
erwächst;582) das gilt grundsätzlich freilich genauso für wirtschaftlich genutzte Dienste. Unberührt von diesen einschränkenden Erwägungen bleiben die allgemeinen gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsrechte, die der Mitschuldner nunmehr ohne Mitwirkung des Insolvenzschuldners ausüben kann, da dieser aus dem Vertrag ausgeschieden ist. Führt die Fortsetzung der Dienste zu einer Bereicherung der Insolvenzmasse, führt dies regelmäßig noch nicht zu einem Kondiktionsanspruch gegen die Masse, § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO,583) da eine Inanspruchnahme der Leistung durch den Insolvenzverwalter Voraussetzung für das Entstehen einer Masseverbindlichkeit ist.584) Spiegelbildlich zur Vertragstreue des Mitschuldners schuldet auch der Dienstverpflichtete grundsätzlich Fortführung des Vertrages. Er trägt das konkrete Insolvenzrisiko des letzten verbliebenen Vertragspartners des mehrpersonalen Vertragspols und bleibt somit grundsätzlich an den Vertrag gebunden, selbst wenn ihm nun weniger Vertragspartner für die Gegenleistung haften. Auch der Vertragspartner kann sich so nur in besonderen Fällen nach den allgemeinen Vorschriften vom Vertrag lösen;585) für ihn gilt im Wesentlichen dasselbe wie oben für den Mitschuldner ausgeführt. Auch für den Dienstverpflichteten ist zu beachten, dass durch das Ausscheiden des Insolvenzschuldners seine Leistung unmöglich geworden sein könnte. Für den Fall der Kündigung durch den Insolvenzverwalter steht dem Dienstverpflich- 165 teten ein Ausgleichsanspruch als Insolvenzforderung586) gegen die Masse zu, § 113 S. 3 InsO. Auch diese Rechtsfolge findet ihre Entsprechung in § 109 InsO, nämlich in § 109 Abs. 1 S. 3 InsO und § 109 Abs. 2 S. 2 InsO. Die Folgen für das (ehemals) bipolar-mehrseitige Vertragsverhältnis sind also wie bei Verwalterkündigung des Mietverhältnisses und Verwalterrücktritt zu beurteilen. Der Ausgleichsanspruch umfasst den sogenannten Verfrühungsschaden, der sich im Wesentlichen aus der Differenz von Gegenleistung und den ersparten eigenen Aufwendungen ergibt.587) Da ___________ 582) Vgl. zum Ganzen ausführlich oben unter Rn. 103 ff. in Bezug auf die Kündigung des Mietverhältnisses. 583) Im Einzelnen zu Ansprüchen wegen ungerechtfertigter Bereicherung der Insolvenzmasse, Hefermehl in MüKo-InsO, § 55, Rn. 209 ff.; Sinz in Uhlenbruck, § 55, Rn. 85 ff. 584) Nur Hefermehl in MüKo-InsO, § 55, Rn. 231 ff. Die Thematik wird zwar regelmäßig im Zusammenhang mit § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO diskutiert, gilt aber auch hier, um eine Quasi-Fortsetzung des Dienstvertrages zulasten der Masse und damit eine Umgehung des Kündigungsrechts zu verhindern. 585) Vgl. zum Ganzen ausführlich oben unter Rn. 103 ff. in Bezug auf die Kündigung des Mietverhältnisses. 586) Künzl in Ascheid/Preis/Schmidt, § 113 InsO, Rn. 13 hält die Qualifizierung als Insolvenzforderung ohne Begründung für systemwidrig, dies vermag schon angesichts §§ 109 Abs. 1 S. 3, 109 Abs. 2 S. 2 InsO nicht zu überzeugen. 587) Vgl. oben zur Kündigung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO unter Rn. 114. Für § 113 InsO siehe BAGE 122, 337, Rn. 23 = BAG NJOZ 2008, 3448, Rn. 23; Beck in Braun, § 113, Rn. 17; Giesen in Jaeger, § 113, Rn. 117 ff.; Müller-Glöge in ErfKomm, § 113 InsO, Rn. 14 ff.; Plössner in BeckOK-ArbR, § 113 InsO, 54 ff.; Pöhlmann/Kubusch in Graf-Schlicker, § 113, Rn. 29 ff.; Zobel in Uhlenbruck, § 113, Rn. 152 ff.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
der Dienstverpflichtete im bipolar-mehrseitigen Vertrag nach der Kündigung aber weiter gegenüber dem Mitschuldner zur Leistung verpflichtet ist, wird er regelmäßig keine ersparten Aufwendungen haben. Der Ausgleichsanspruch richtet sich somit auf den Lohn. § 113 S. 3 InsO ist ein besonderer insolvenzrechtlicher Ausgleichsanspruch,588) der nach der Kündigung Surrogat für den Erfüllungsanspruch ist.589) In dieser Eigenschaft steht er in einem Gesamtschuldverhältnis zu dem Erfüllungsanspruch des Dienstverpflichteten gegen den Mitschuldner. Befriedigt der Mitschuldner den Dienstverpflichteten, kann er nach § 426 BGB Regress beim Insolvenzschuldner nehmen. Diese Regressforderung ist ebenfalls Insolvenzforderung, das ergibt sich aus der Wertung des § 113 S. 3 InsO und der Tatsache, dass der Regressanspruch auf dem Surrogat des Erfüllungsanspruches beruht, der im Sinne des § 38 InsO vor Insolvenzeröffnung begründet war.590)
b) Die Kündigung des Dienstverpflichteten 166 Im Gegensatz zum § 109 Abs. 1 S. 1 InsO hat der Gesetzgeber auch dem Dienstverpflichteten ein Kündigungsrecht nach Verfahrenseröffnung zugestanden, § 113 S. 1 InsO. In dieser Hinsicht gleicht die Norm dem Rücktrittsrecht aus § 109 Abs. 2 S. 1 InsO, das ebenfalls beidseitig besteht. Der Dienstverpflichtete kann die Kündigung ohne Beschränkungen erklären, da in seinem Vertragspol keine Mehrheit mit einem insolventen Mitschuldner besteht. Er muss die Kündigung gegenüber allen Vertragspartnern erklären.591)
167 Erneut ist danach zu fragen, wie sich die Kündigung des Dienstverpflichteten auf das bipolar-mehrseitige Vertragsverhältnis auswirkt. Entsprechend der Rechtsfolgen der Kündigung durch den Insolvenzverwalter und des Rücktritts des Vermieters nach § 109 Abs. 2 S. 1 InsO berechtigt es den Dienstverpflichteten nur zur Kündigung ___________ 588) Vgl. zu dem Streit um die Rechtsnatur der „Schadensersatzansprüche“ oben zu §§ 109 Abs. 1 S. 3, 109 Abs. 2 S. 2 InsO unter Rn. 114 und Rn. 135. Ohne konkrete Stellungnahme neigt das arbeitsrechtliche Schrifttum wohl dem Verständnis eines originär insolvenzrechtlichen Anspruchs zu, denn mit BAGE 122, 337, Rn. 18 = BAG NJOZ 2008, 3448, Rn. 18 bezeichnet das Schrifttum den Schadensersatzanspruch durchgehend als verschuldensunabhängig, was bei zivilrechtlichem Verständnis ohne genauere Begründung gerade einen Schadensersatzanspruch ausschlösse, Hamacher in Nerlich/Römermann, § 113, Rn. 251; Künzl in Ascheid/Preis/Schmidt, § 113 InsO, Rn. 12; Müller-Glöge in ErfKomm, § 113 InsO, Rn. 14. 589) Ausführlich oben unter Rn. 114. Dezidiert gegen eine Identität von Schadensersatzanspruch und Erfüllungsanspruch Hamacher in Nerlich/Römermann, § 113, Rn. 256 unter Verweis auf die Rechtsprechung zu § 628 Abs. 2 BGB. Dort geht es allerdings um die Frage, ob der Schadensersatzanspruch Masseverbindlichkeit ist und die Wertung, dass es sich nicht um ein Surrogat des Erfüllungsanspruches handelt, ist zudem in der Literatur umstritten, vgl. Hamacher in Nerlich/Römermann, § 113, Rn. 208 m. w. N. Für die Frage nach dem rechtlichen Ursprung und der Deckungsgleichheit mit dem Erfüllungsanspruch, unabhängig von der insolvenzrechtlichen Qualifikation des Anspruchs, hat diese Diskussion damit nur begrenzte Aussagekraft. 590) Zum Ganzen ausführlich oben unter Rn. 114. 591) Vgl. zum Rücktrittsrecht unter Rn. 142 ff.
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A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
gegenüber und mit Wirkung für den Insolvenzverwalter. Denn Sinn und Zweck des Kündigungsrechts ist es, Waffengleichheit zwischen Dienstverpflichtetem und Dienstberechtigtem herzustellen:592) Der Dienstverpflichtete soll nicht einseitig an das insolvente Unternehmen beziehungsweise den Insolvenzschuldner gebunden sein und den damit verbundenen Risiken ausgesetzt werden; insbesondere soll ihm ermöglicht werden, kurzfristig eine andere Beschäftigung antreten zu können.593) Es ist gerade nicht als Instrument konzipiert, die Vertragsbindung nicht insolvenzbetroffener Parteien zu beenden und die privatautonom eingegangene vertragliche Risikoverteilung zu umgehen. Der Dienstverpflichtete hat für seine aus der Fortsetzung der Vertragsbeziehung resultierenden Forderungen im Mitschuldner weiterhin einen solventen Schuldner zur Verfügung; er bedarf daher auch keines Schutzes durch ein Sonderkündigungsrecht in Bezug auf diesen. Der Dienstverpflichtete muss sich überdies keine andere Beschäftigung suchen, da quantitativ dieselbe Leistungsund Gegenleistungspflicht besteht wie zuvor. Das konkrete Insolvenzrisiko des Insolvenzschuldners hat der Dienstverpflichtete durch die vertragliche Gestaltung auf den Mitschuldner übertragen, das Insolvenzrisiko des letzten verbliebenen Schuldners der mehrpersonalen Vertragsseite, das Finalinsolvenzrisiko, trug von Vertragsschluss an er selbst. § 113 S. 1 InsO ist daher für bipolar-mehrseitige Verträge so auszulegen, dass dem Dienstverpflichteten ein Kündigungsrecht nur gegenüber und mit Wirkung allein für den Insolvenzschuldner zusteht. Insolvenzverwalterkündigung und Dienstverpflichtetenkündigung laufen damit in ihren Rechtsfolgen parallel; genau wie Dienstverpflichtetenkündigung und der Vermieterrücktritt.594) Bei der Kündigung durch den Dienstverpflichteten besteht kein Ausgleichsanspruch 168 gegen die Masse, diesen sieht § 113 S. 3 InsO nur für die Verwalterkündigung vor. Für eine analoge Anwendung fehlt es an der Planwidrigkeit, da der Gesetzgeber bewusst zwischen den beiden Kündigungsberechtigten unterschieden hat.595) Andere Anspruchsgrundlagen sind regelmäßig nicht erfüllt. Das hat zur Folge, dass kein Gesamtschuldverhältnis zwischen Mitschuldner und Insolvenzmasse entsteht und der Mitschuldner keinen Regress nehmen kann. Wie schon beim Rücktritt konstatiert, ist dieses Ergebnis unbillig, aber auf Grundlage des Gesetzes zwingend. Einem analogen Ausgleichsanspruch steht die eindeutige Regelung des Gesetzgebers entgegen, der in den Fällen der Lösung des Vertragspartners nicht einmal diesem ___________ 592) Vgl. zum gleichen Konzept beim Rücktritt oben unter Rn. 133. Als Interessenausgleich bei Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 113, Rn. 6 ff. Siehe auch Nachweise unter Fn. 593. 593) BT-Drucks. 12/2443, S. 148 f.; Andres in Andres/Leithaus, § 113, Rn. 14; Beck in Braun, § 113, Rn. 3; Hamacher in Nerlich/Römermann, § 113, Rn. 246; Moll in Kübler/Prütting/Bork, § 113, Rn. 7. 594) Vgl. die ausführlichen Ausführungen beim Rücktritt oben unter Rn. 142 ff., insbesondere auch zu den Lösungsrechten. 595) Beck in Braun, § 113, Rn. 17; Giesen in Jaeger, § 113, Rn. 124; Hamacher in Nerlich/Römermann, § 113, Rn. 249, 252; Pöhlmann/Kubusch in Graf-Schlicker, § 113, Rn. 27; Moll in Kübler/ Prütting/Bork, § 113, Rn. 139.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
einen Ersatz zu Lasten der Masse zubilligen will. Dies gilt dann erst recht für den Mitschuldner. Gegebenenfalls ist die fehlende Regressmöglichkeit bei der Subsumtion, ob ein außerordentliches Lösungsrecht des Mitschuldners aus §§ 313, 314 BGB besteht, zu berücksichtigen. Freilich müssen diese weiterhin restriktiv gehandhabt werden, da es sich hier nur um das regelmäßig unbeachtliche Argument einer drohenden finanziellen Überforderung handelt, die wesensmäßig die Verwirklichung des übernommenen Insolvenzrisikos spiegelt. Darüber hinaus wäre eine Regressforderung ohnehin nur Insolvenzforderung und so kaum wesentlich zu verwirklichen.596)
c)
Ein Kündigungsrecht analog für den Mitschuldner?
169 Wie für den Rücktritt nach § 109 Abs. 2 S. 1 InsO lässt sich auch für die Kündigung nach § 113 S. 1 InsO eine analoge Anwendung auf den Mitschuldner im bipolarmehrseitigen Vertragsverhältnis erwägen, da der Mitmieter der einzige Vertragspartner ohne Lösungsrecht ist. Wie im Rahmen des Rücktritts ausführlich dargelegt,597) besteht aber weder für ein Kündigungsrecht des Mitschuldners aus dem Vertrag, noch für ein Kündigungsrecht dergestalt, dass der Insolvenzschuldner aus dem Vertragsverhältnis ausscheidet, eine vergleichbare Interessenlage als Analogievoraussetzung. Ein analoges Kündigungsrecht für den Mitschuldner existiert daher nicht.
3.
Bipolar-mehrseitige Dienstverträge mit dem Insolvenzschuldner als Dienstverpflichteten
170 Auf bipolar-mehrseitige Verträge mit dem Insolvenzschuldner als Dienstverpflichteten findet, soweit das Dienstverhältnis überhaupt zur Insolvenzmasse gehört,598) § 108 Abs. 1 S. 1 InsO entgegen seines Wortlauts nach ganz überwiegender Ansicht keine Anwendung.599) Diese Verträge unterliegen dem Verwalterwahlrecht aus § 103 InsO.600) Hielte man dagegen § 108 Abs. 1 S. 1 InsO für anwendbar, bestünden solche Dienstverträge ohne besondere insolvenzrechtliche Lösungsmöglichkeit fort, denn das Sonderkündigungsrecht des § 113 S. 1 InsO besteht nur, wenn der Insolvenzschuldner Dienstberechtigter ist. Die Rechtsfolgen für bipolar-mehrseitige Verträge ergeben sich entsprechend.
___________ 596) Zu dieser Thematik bereits oben beim Rücktritt unter Rn. 142 ff. Vgl. zur Deckungsquote in der Insolvenz Aktuelle Nachrichten, FD-InsR 2017, 390403. 597) Vgl. dort unter Rn. 146 ff. 598) Das ist meist nicht der Fall, weil die Leistungspflicht höchstpersönlich ist, siehe oben unter Fn. 563. 599) Siehe oben unter Fn. 563. 600) Siehe oben unter Fn. 563. Siehe zur Behandlung von bipolar-mehrseitigen Verträgen im Anwendungsbereich des § 103 InsO unten unter Rn. 222.
114
A. Fortbestehende Verträge mit Lösungsmöglichkeit
VI. Fortbestehende Verträge ohne Lösungsmöglichkeit Die Anwendungsbereiche der verschiedenen Lösungsrechte aus §§ 109, 111, 113 171 InsO zeigen, dass für einige Verträge, die dem Anwendungsbereich des § 108 InsO unterfallen, keine Lösungsmöglichkeit besteht. Bei diesen Verträgen handelt es sich vor allem um Miet- und Leasingverträge im Sinne des § 109 Abs. 1 S. 1 InsO, bei denen der Insolvenzschuldner Vermieter ist, bei denen die Mietsache bereits überlassen wurde und der Insolvenzschuldner entweder nicht Alleineigentümer der Sache ist oder die Sache vom Insolvenzverwalter gar nicht veräußert wird. Weiterhin gilt dies für refinanzierte Mobilienleasingverträge des Insolvenzschuldners als Vermieter (§ 108 Abs. 1 S. 2 InsO) und Darlehensverträge des Insolvenzschuldners als Darlehensgeber, soweit das Darlehen bereits ausgekehrt wurde (§ 108 Abs. 2 InsO).601) Diese Verträge bestehen ohne besondere insolvenzrechtliche Lösungsmöglichkeit in der Insolvenz unverändert fort.602) Wegen der ausdrücklichen Fortbestehensanordnung in § 108 InsO gilt für sie insbesondere nicht das Wahlrecht des Insolvenzverwalters aus § 103 InsO.603) Handelt es sich bei solchen Verträgen um bipolar-mehrseitige Gestaltungen, hat die 172 Eröffnung des Insolvenzverfahrens folglich keine Auswirkung auf das Vertragsverhältnis selbst und die Haftung für Verbindlichkeiten aus dem Vertrag nach Verfahrenseröffnung (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. InsO; vor Verfahrenseröffnung: § 38 InsO604). Der Mitschuldner haftet daneben aus dem Vertrag und kann nach den allgemeinen Vorschriften Regress nehmen, wenn er den Gläubiger befriedigt.
VII. Zusammenfassung der Rechtsfolgen der Gestaltungsrechte der §§ 109 ff. InsO auf bipolar-mehrseitige Verträge Trotz der Unterschiede in den einzelnen Lösungsrechten der §§ 109, 111, 113 InsO 173 und der Heterogenität der von ihnen betroffenen Tatbestände ließ sich eine kohärente Auslegung am Leitbild des Insolvenzrisikos vornehmen, die zu einer Parallelität der Rechtsfolgen der Gestaltungsrechte in bipolar-mehrseitigen Verträgen führt. Die Gestaltungsrechte sind grundsätzlich vom Berechtigten, also dem Insolvenzver- 174 walter oder dem Erwerber beim § 111 S. 1 InsO, selbstständig, ohne Mitwirkung des Mitschuldners, ausübbar, da sie insolvenzrechtliche Sonderrechte sind, die nicht aus dem Vertrag entstehen und damit nicht der gemeinschaftlichen oder gesamthänderischen Bindung der Schuldner unterliegen. ___________ 601) Zum Anwendungsbereich des § 108 InsO bereits ausführlich oben unter Rn. 58 ff. 602) Für refinanziertes Mobilienleasing Jacoby in Jaeger, § 108, Rn. 226. Für Darlehen Eckert in MüKo-InsO, Vor § 108, Rn. 204; D. Wegener in Uhlenbruck, § 108, Rn. 63. 603) Für refinanziertes Mobilienleasing Jacoby in Jaeger, § 108, Rn. 226. Für Darlehen Eckert in MüKo-InsO, Vor § 108, Rn. 202; D. Wegener in Uhlenbruck, § 108, Rn. 59. 604) Zur Abgrenzung bei Dauerschuldverhältnissen bereits oben unter Fn. 144.
115
Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
175 Die Ausübung der Gestaltungsrechte hat grundsätzlich Einzelwirkung, die Fortführungslösung muss für alle Gestaltungsrechte angewendet werden. Das ergibt sich unmittelbar aus dem vertraglichen Haftungsgefüge des bipolar-mehrseitigen Vertrages. Der Mitschuldner als Träger des konkreten Insolvenzrisikos muss an der Haftung aus dem Vertrag festgehalten werden. Mit der fortgesetzten vertraglichen Haftung korrespondiert ein Anspruch auf die Gegenleistung. Der Gläubiger hat sich verpflichtet, seine Leistung gegenüber mehreren Schuldnern zu erbringen. Er hat das Finalinsolvenzrisiko der Schuldnermehrheit übernommen. Er kann daher nicht vorzeitig von diesem Risiko und damit seiner eigenen Leistungspflicht befreit werden. Diese Prinzipien erfordern auch die Anwendung der Fortführungslösung auf die Fälle, in denen das Gestaltungsrecht auch dem Gläubiger zusteht und von diesem ausgeübt wird. Die vertragliche Stellung desjenigen, der ein insolvenzbedingtes Gestaltungsrecht ausübt, hat keinen Einfluss auf die vertragliche Risikoverteilung. Ein analoges Gestaltungsrecht für den Mitschuldner in den Fällen, in denen auch dem Gläubiger das Gestaltungsrecht zusteht, ist abzulehnen. Es fehlt an einer vergleichbaren Interessenlage.
176 Die Haftung nach Ausübung der Gestaltungsrechte gestaltet sich im Wesentlichen ebenfalls parallel. Übt der Insolvenzverwalter seine Gestaltungsrechte aus, haftet die Masse auf Ausgleich in Gestalt einer Insolvenzforderung – beim § 111 InsO in gesamtanaloger Anwendung der entsprechenden Vorschriften in §§ 109, 113 InsO. Dieser Ausgleichsanspruch ist originär insolvenzrechtliches Surrogat des entfallenden Erfüllungsanspruches des Gläubigers. Er ist damit mit dem Erfüllungsanspruch gegen den Mitschuldner gesamtschuldnerisch verbunden. Dies hat zur Folge, dass der Mitschuldner nach Erfüllung Regress bei der Masse nehmen kann und zwar ebenfalls als Insolvenzforderung. Von diesem Grundsatz ist – inkohärent und systemwidrig – eine Ausnahme zu machen, wenn das Gestaltungsrecht vom Gläubiger ausgeübt wird (§§ 109 Abs. 2 S. 2, 113 S. 1 InsO). Der Gesetzgeber hat ausdrücklich angeordnet, dass der Ausgleichsanspruch gegen die Masse nur besteht, wenn das Gestaltungsrecht vom Insolvenzverwalter ausgeübt wird. Aufgrund dieser unzweideutigen Entscheidung kann die Lücke nicht durch eine Analogie geschlossen werden.
B. Erlöschende Verträge 177 Neben den fortbestehenden Verträgen, die dem Verwalterwahlrecht unterliegen (§ 103 InsO)605) und den fortbestehenden Verträgen, die kündbar oder anderweitig gestaltbar sind (§§ 108 ff. InsO), kennt die Insolvenzordnung als dritte Kategorie Verträge, die mit Insolvenzeröffnung erlöschen. Diese sind in den §§ 115 f. InsO geregelt. Das Erlöschen des Vertrages ist dabei nur Rechtsfolge des Grundtatbestandes. Es finden sich mehrere Ab- und Aufweichungen. Mit § 117 InsO schließt sich eine entsprechende Erlöschensvorschrift für Vollmachten an. ___________ 605) Dazu sogleich unter Rn. 216 ff.
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B. Erlöschende Verträge
I.
Anwendungsbereich der Erlöschenstatbestände
Die §§ 115 f. InsO teilen mit den §§ 108 ff. InsO ein Charakteristikum: Der Anwen- 178 dungsbereich der Normen lässt sich nicht ohne einige Einschränkungen bestimmen. Erfasst sind zunächst Auftrags- (§ 115 Abs. 1 InsO) und Geschäftsbesorgungsverhältnisse (§ 116 S. 1 InsO), die der Insolvenzschuldner als Auftraggeber bzw. Geschäftsherr eingegangen ist. Zusätzlich muss sich der Auftrag oder die Geschäftsbesorgung auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen beziehen (§ 115 Abs. 1 InsO).606) Ausgenommen aus dem Anwendungsbereich sind nach § 116 S. 3 InsO Zahlungs- 179 aufträge, Aufträge zwischen Zahlungsdienstleistern oder zwischengeschalteten Stellen sowie Aufträge zur Übertragung von Wertpapieren.607)
II. Rechtsfolgen und Rechtfertigung der Normen608) Auftrags- und Geschäftsbesorgungsverhältnisse die nicht in den Anwendungsbe- 180 reich der §§ 115 f. InsO fallen,609) bestehen fort; ist der Insolvenzschuldner Auftragnehmer oder Geschäftsbesorger unterliegt der Vertrag aber dem Verwalterwahlrecht aus § 103 InsO, wenn die versprochene Leistung nicht höchstpersönlich ist.610) Aufträge und Geschäftsbesorgungsverträge, die dem Anwendungsbereich der 181 §§ 115 f. InsO unterfallen, erlöschen dagegen ex nunc611) mit Insolvenzeröffnung. Diese Rechtsfolge wird durch eine Fortbestehensfiktion zugunsten des Geschäftsführers aufgeweicht, wenn entweder ein Aufschub des Geschäfts mit Gefahr für die Masse612) verbunden ist (Notgeschäftsführung, § 115 Abs. 2 S. 1 InsO) oder der Geschäftsführer von der Verfahrenseröffnung nicht weiß und er die Unkenntnis nicht zu vertreten hat613) (§ 115 Abs. 3 S. 1 InsO). Führt der Geschäftsführer die Geschäfte des Insolvenzschuldners nach Insolvenzer- 182 öffnung weiter, kann er im gesetzlichen Regelfall daher keine Ansprüche aus dem vertraglichen Auftragsrecht geltend machen, sondern nur aus den Vorschriften über ___________ 606) Zum Tatbestandsmerkmal Jacoby in Jaeger, § 115 f., Rn. 41 ff.; Tintelnot in Kübler/Prütting/ Bork, §§ 115, 116, Rn. 5 ff. 607) Dazu nur Ott/Vuia in MüKo-InsO, § 116, Rn. 51 f. 608) In der Folge werden die Parteien entsprechend ihrer Bezeichnung im Geschäftsbesorgungsvertrag benannt, soweit nicht Spezifika des Auftragsrechts diskutiert werden. 609) Siehe oben unter Rn. 178 f. 610) Jacoby in Jaeger, § 115 f., Rn. 89. Zur Höchstpersönlichkeit einer Leistung und § 103 InsO siehe Kreft in MüKo-InsO, § 103, Rn. 88; kritisch etwa Balthasar in Nerlich/Römermann, § 103, Rn. 11. 611) BGHZ 168, 276, Rn. 9 = BGH NZI 2006, 637, Rn. 9; Ott/Vuia in MüKo-InsO, § 116, Rn. 34; Sinz in Uhlenbruck, § 116, Rn. 8; a. A. Marotzke in HK-InsO, § 115, Rn. 4. 612) So richtigerweise Marotzke in HK-InsO, § 115, Rn. 14; Ott/Vuia in MüKo-InsO, § 115, Rn. 16. 613) Bereits leichte Fahrlässigkeit schließt die Anwendbarkeit aus, Jacoby in Jaeger, § 115 f., Rn. 70, denn Verschuldensmaßstab ist § 276 BGB, Kroth in Braun, § 115, Rn. 8.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
die Geschäftsführung ohne Auftrag.614) Wird der Fortbestand des Vertragsverhältnisses fingiert, ist der Geschäftsführer im Fall der Notgeschäftsführung mit seinen Ersatzansprüchen Massegläubiger (§ 115 Abs. 2 S. 3 InsO) anderenfalls bloß Insolvenzgläubiger (§ 115 Abs. 3 S. 2 InsO).
183 Ratio des Erlöschens ist, dass dem Insolvenzverwalter die ungeteilte Verwaltungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zustehen und zudem die Masse nicht durch Ersatzansprüche aus solchen Geschäften geschmälert werden soll.615) Die Ausnahmen zeugen vom Vorrang des Masseschutzes (Notgeschäftsführung) und vom Schutzbedürfnis des unwissenden Geschäftsführers.616)
III. Gibt es bipolar-mehrseitige Aufträge und Geschäftsbesorgungsverhältnisse? 184 Auf den ersten Blick scheinen die tatbestandlichen Anforderungen das Thema bipolar-mehrseitige Verträge zu marginalisieren: Zum einen sind im Auftragsrecht mehrpersonale Auftraggeber bzw. Geschäftsherr-Konstruktionen nicht weit verbreitet, zum anderen muss sich ein solcher Vertrag auch auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen beziehen. Für bipolar-mehrseitige Vertragsverhältnisse heißt das: Entweder muss sich die Geschäftsbesorgung auf Vermögen beziehen, das der Verfügungsbefugnis aller Geschäftsherren unterliegt und dabei zum (ideellen Bruch-)Teil zur Insolvenzmasse gehört oder die Geschäftsherren neben dem Insolvenzschuldner beauftragen den Geschäftsführer allein bezüglich Drittvermögens – nämlich das des Insolvenzschuldners.
185 Für die erste Kategorie finden sich praktisch relevante Beispiele. Beauftragen etwa Ehepartner einen Dritten mit der Veräußerung617) ihrer im Miteigentum stehenden Immobilie, so bezieht sich der Vertrag (auch) auf Vermögen der Insolvenzmasse, wenn ein Ehegatte insolvent wird. Gleiches gilt für das girovertragliche Verhältnis zu einem Kreditinstitut bei dem mehrere ein sogenanntes Und-Konto618) unterhalten. Anweisungen in Bezug auf ein solches Konto, die nicht Zahlungsaufträge im Sinne von § 116 S. 3 InsO sind, fallen als bipolar-mehrseitige Geschäftsbesorgungsverträge in den Anwendungsbereich der Vorschrift. Wie diese Beispiele zeigen, han___________ 614) Statt vieler Ott/Vuia in MüKo-InsO, § 115, Rn. 17. 615) BT-Drucks. 12/2443, S. 151 und – zum Teil kritisch – Jacoby in Jaeger, § 115 f., Rn. 6 ff.; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, §§ 115, 116, Rn. 1 ff. jeweils m. w. N. 616) Ott/Vuia in MüKo-InsO, § 115, Rn. 16 f.; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, §§ 115, 116, Rn. 12 f. 617) Das Schicksal des Maklervertrags richtet sich in der Insolvenz des Auftraggebers nach § 116 InsO, Jacoby in Jaeger, § 115 f., Rn. 40, 109; Sinz in Uhlenbruck, § 116, Rn. 3; KotzianMarggraf in BeckOK-BGB, § 652, Rn. 58; Wirth/Mintas, ZInsO 2012, 1002, 1004 (Versicherungsmaklervertrag); a. A Arnold in Staudinger, § 653, Rn. 71. 618) Zu Begriff und Rechtsnatur (regelmäßig Bruchteilsgemeinschaft) BGH NJW 1991, 420; Hadding/ Häuser in BankRHdb, § 35, Rn. 16 ff.
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B. Erlöschende Verträge
delt es sich also allein um Tatbestände, bei denen ein Gegenstand619) in Bruchteilseigentum steht und mindestens ein weiterer Bruchteilseigentümer neben dem Insolvenzschuldner einen Dritten hinsichtlich des Bruchteilsgegenstandes beauftragt.620) Da die Bruchteile ideeller Natur sind,621) handelt es sich um ein Vertragsverhältnis. Dies ist der entscheidende Unterschied zu Konstellationen, in denen mehrere einen Geschäftsbesorgungsvertrag mit einem Dritten schließen, der sich allerdings hinsichtlich jedes Vertragspartners nur auf dessen Vermögen bezieht. Dabei handelt es sich nämlich rechtlich um unabhängige bipolar-einseitige Vertragsverhältnisse, die nur organisatorisch zu einem Vertrag(-sdokument) zusammengefasst sind. Freilich lassen sich auch Ausnahmekonstellationen bilden, in denen die unabhängigen Geschäftsbesorgungen gerade (zeitlich oder tatsächlich) zusammen ausgeführt werden sollen.622) Diese Abhängigkeit begründet dann regelmäßig die Einheitlichkeit des Vertrages und führt ebenso zu einem bipolar-mehrseitigen Geschäftsbesorgungsvertrag, der sich (auch) auf das Vermögen bezieht, das (ggf.) zur Insolvenzmasse zu zählen ist. Die zweite Kategorie – die für den Mitgeschäftsherrn fremdnützige Beauftragung – 186 bezieht sich allein auf Vermögen des Insolvenzschuldners, das gegebenenfalls zur Insolvenzmasse zu zählen ist. Ob der Mitgeschäftsherr auch ein eigenes Interesse an der Geschäftsbesorgung hat oder rein fremdnützig handelt, ist für die Einordnung als ein Vertragsverhältnis gleichgültig, solange der Mitgeschäftsherr tatsächlich als Vertragspartner auftritt und nicht lediglich Sicherungsgeber623) ist. Diese Fallgruppe scheint nicht häufig aufzutreten, ist aber weit davon entfernt, nur von akademischer Relevanz zu sein: Beauftragt etwa die betagte Dame – gegebenenfalls vertreten – jemanden mit der Wahrnehmung ihrer Finanz- und Verwaltungsangelegenheiten, kann ihr Kind den Dritten mitbeauftragen. Sei es, um die Gegenleistungspflicht abzusichern624) oder um gar ohne Ermächtigung Erfüllung im eigenen Namen verlangen zu können. Ein Beispiel für eine vermögensrechtlich fremdnützige Geschäftsbesorgung, zu der der Mitgeschäftsherr sogar verpflichtet ist, ist die erbrechtliche Auflage (§ 1940 BGB)625): Der Beschwerte kann zum Beispiel verpflichtet worden ___________ 619) Verstanden i. S. der §§ 741 ff. BGB; vgl. etwa Hadding in Soergel, § 741, Rn. 3; Sprau in Palandt, § 741, Rn. 3. 620) Zur Verwaltungszuständigkeit in der Bruchteilsgemeinschaft siehe § 744 BGB; regelmäßig sind die Bruchteilsberechtigten gemeinschaftlich verwaltungsbefugt. 621) „Geteilt“ ist nur die Rechtszuständigkeit, nicht der Gegenstand, vgl. Schmidt in MüKo-BGB, § 741, Rn. 25; Sprau in Palandt, § 741, Rn. 7. 622) Vgl. dazu den Rechtsgedanken des § 139 BGB. 623) Zur Problematik der Abgrenzung von Sicherungsgeber und Vertragspartner zu Sicherungszwecken vergleiche bereits oben unter Rn. 121 ff. 624) Dieses Motiv beschränkt sich nicht auf die Geschäftsbesorgung, da auch der Beauftragte sein Handeln vom Vorhandensein solventer Auftraggeber für seine Aufwendungsersatzansprüche abhängig machen mag – allein begrifflich handelt es sich dann nicht um eine Gegenleistung. 625) Zur Auflage siehe nur Leipold in MüKo-BGB, § 1940, Rn. 1 ff.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
sein, das einem anderen vermachte oder gehörende Gestüt aufrechtzuerhalten, an dem der Erblasser sich zu Lebzeiten erfreute. Eigentümer und Beschwerter beauftragen sodann gemeinsam einen Dritten mit der Verwaltung des Gestüts.626)
187 Abzugrenzen sind diese Fälle selbstverständlich auch hier von Konstellationen in denen die Mehreren tatsächlich als Außen-GbR auftreten und somit ein bipolar-einseitiges Vertragsverhältnis vorliegt.627)
IV. Rechtsfolgen in bipolar-mehrseitigen Verträgen 188 Nachdem gezeigt wurde, dass auch bipolar-mehrseitige Verträge in den Anwendungsbereich der §§ 115 f. InsO fallen können, schließt sich die Frage an, wie die unterschiedlichen Rechtsfolgen des Erlöschens und die zwei Alternativen der Fortbestehensfiktion auf das bipolar-mehrseitige Vertragsverhältnis einwirken.
1.
Rechtswirkungen des Erlöschens nach §§ 115 Abs. 1, 116 InsO
189 Die Hauptrechtsfolge der §§ 115 f. InsO ist das Erlöschen des Vertragsverhältnisses mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Es geht also – ähnlich der Situation mit Eintritt der Rechtsfolge der Gestaltungserklärung nach §§ 109 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, 111 S. 1, 113 S. 1 InsO – auch hier um die Frage, ob das beendende Ereignis das Erlöschen des gesamten bipolar-mehrseitigen Vertragsverhältnisses zur Folge hat oder ob das Vertragsverhältnis zwischen dem Mitgeschäftsherrn und dem Geschäftsführer fortbesteht und lediglich der Insolvenzschuldner aus dem Vertragsverhältnis ausscheidet. Letzteres ist die zutreffende Lösung im Rahmen des § 109 InsO und firmiert in dieser Arbeit als Fortführungslösung.628)
190 Im Rahmen der §§ 115 f. InsO werden als Erwägungsgründe für das Ausscheiden des Insolvenzschuldners aus dem Vertragsverhältnis in Bezug auf bipolar-einseitige Verträge die Bewahrung der Alleinverwaltungsbefugnis des Insolvenzverwalters über die Insolvenzmasse sowie die Vermeidung des Entstehens von weiteren Ansprüchen gegen die Masse angeführt.629) Zunächst soll daher untersucht werden, ob dieser Normzweck auch erfüllt ist, wenn mit der Fortführungslösung nur der Insolvenzschuldner aus dem Vertragsverhältnis ausscheiden würde. Scheidet allein der Insolvenzschuldner aus dem Vertragsverhältnis aus, so verliert der Geschäftsführer seine durch den Vertrag vermittelte Befugnis für den Insolvenzschuldner zu handeln und somit die Verwaltungszuständigkeit über den in Rede stehenden Teil des Vermögens, der zur Insolvenzmasse gehört630). Er bliebe allein im Verhältnis zum ___________ 626) 627) 628) 629) 630)
120
Zur Hausverwaltung als Geschäftsbesorgungsvertrag BGH NJW 1998, 680, 681. Dazu oben ausführlich unter Rn. 10 ff. und Rn. 72. Dazu ausführlich oben unter Rn. 103 ff. Siehe Nachweise in Fn. 615. Vgl. die Tatbestandsvoraussetzung in § 115 Abs. 1 InsO; dazu bereits Nachweise unter Fn. 606.
B. Erlöschende Verträge
Mitgeschäftsherrn zum Handeln berechtigt. Die Alleinzuständigkeit des Insolvenzverwalters für die Insolvenzmasse bleibt also grundsätzlich gewahrt. Etwas komplexer ist die Situation, wenn man einen Blick auf die weitere Ausfüh- 191 rung des Vertrages wirft. Der Geschäftsführer wäre weiterhin zur Vertragserfüllung gegenüber dem Mitgeschäftsherrn verpflichtet. Ist in einem fremdnützigen bipolarmehrseitigen Vertrag631) die einzige Pflicht des Geschäftsführers – auch und gerade gegenüber dem Mitgeschäftsherrn –, die Sorge für Vermögen des Insolvenzschuldners, das zur Masse gehört, bliebe diese Verpflichtung nach dem Ausscheiden des Insolvenzschuldners bestehen. Allerdings kann der Geschäftsführer grundsätzlich nicht ohne Zustimmung des Insolvenzverwalters die Verwaltungsbefugnis über das Vermögen des Insolvenzschuldners ausüben. Das heißt, der Insolvenzverwalter kann für den Insolvenzschuldner bestimmen (§ 80 Abs. 1 InsO), ob der Verpflichtete die fragliche Tätigkeit – grundsätzlich auf Kosten des (ehemaligen) Mitgeschäftsherrn, der ja vertraglich verpflichtet bleibt – wahrnehmen darf oder nicht. Die Hoheit des Insolvenzverwalters über die Insolvenzmasse ist mithin gewahrt. Untersagt der Insolvenzverwalter die Tätigkeit, ist die Geschäftsbesorgung regelmäßig unmöglich (§ 275 Abs. 1 BGB)632). Da dies der Mitgeschäftsherr nicht verschuldet hat, schuldet er keine Gegenleistung an den Geschäftsführer, § 326 Abs. 2 S. 1 BGB, so dass der fremdnützige Mitgeschäftsherr durch das Ausscheiden des Insolvenzschuldners nicht unbillig – also gegenleistungslos – belastet ist. Gestattet der Insolvenzverwalter hingegen die Leistung des Geschäftsführers, kann dies zu einem Kondiktionsanspruch des leistenden Mitgeschäftsherrn gegen die Masse führen, § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO633). Es obliegt daher dem Insolvenzverwalter, die Gestattung zur Geschäftsbesorgung nur zu erteilen, wenn hinsichtlich der Geschäftsbesorgung ein Schenkungsvertrag mit dem Mitgeschäftsherrn geschlossen wird. Dies ist regelmäßig zu erwarten, da der Vertragszweck jeher auf eine fremdnützige Geschäftsbesorgung gerichtet war. Zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn man in der Gestattung des Insolvenzver- 192 walters nach den Umständen des Einzelfalls einen Neuabschluss des ursprünglichen Vertrages erblickt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO).634) Haftet die Masse in diesen Fällen, stellt dies jedoch nicht die Vereinbarkeit der Fortführungslösung mit dem Normzweck in Frage, da der Insolvenzverwalter durch die Gestattung über die Haftung der Masse entscheiden konnte. Wird der Geschäftsführer ohne Zustimmung des Insolvenzverwalters tätig, folgt daraus nur eine Masseverbindlichkeit, wenn der Insolvenzverwalter die Leistung in Anspruch nimmt, da der Masse sonst eine quasiver___________ 631) Dazu oben Rn. 184 ff. 632) Subjektive Unmöglichkeit, dazu nur Ernst in MüKo-BGB, § 275, Rn. 52 f. 633) Im Einzelnen zu Ansprüchen wegen ungerechtfertigter Bereicherung der Insolvenzmasse Hefermehl in MüKo-InsO, § 55, Rn. 209 ff.; Sinz in Uhlenbruck, § 55, Rn. 85 ff. 634) Vgl. Hefermehl in MüKo-InsO, § 55, Rn. 21 ff.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
tragliche Haftung aufgedrängt würde.635) Gleiches gilt im Wesentlichen für das zweite Szenario, wenn der Bruchteilsgegenstand, auf den sich eine Geschäftsbesorgung bezieht, nach dem Ausscheiden des Insolvenzschuldners nicht mehr ohne die Zustimmung des Insolvenzverwalters verwaltet werden kann. Stimmt der Insolvenzverwalter der Fortsetzung der Verwaltung durch den Geschäftsführer zu, schuldet er nach den oben dargestellten Grundsätzen gegebenenfalls die Herausgabe der Bereicherung oder eine anteilige Mithaft als Masseverbindlichkeit. Allerdings bleibt die Entscheidung, ob die Masse mit Verbindlichkeiten belastet wird, stets beim Insolvenzverwalter, wie es der Normzweck erfordert.
193 Wegen der Beendigung des Vertragsverhältnisses stehen dem Geschäftsführer gegen den Insolvenzschuldner keine vertraglichen Aufwendungsersatzansprüche zu, selbst wenn er weiterhin gegenüber dem Mitgeschäftsherrn zum Handeln verpflichtet ist. Denn die vertragliche Grundlage im Verhältnis zum Insolvenzschuldner ist ex nunc erloschen. Die Masse würde durch Aufwendungsersatzansprüche nur unter den Voraussetzungen der Notgeschäftsführung636) oder unter den engen Voraussetzungen der Geschäftsführung ohne Auftrag belastet. Diesen Ansprüchen würde sich die Insolvenzmasse aber genauso ausgesetzt sehen, wenn der Vertrag insgesamt – also auch gegenüber dem Mitgeschäftsherrn – erlöschen würde. Ferner kommen Regressansprüche des Mitgeschäftsherrn ebenfalls nicht als Belastung der Insolvenzmasse in Betracht: Mit Erlöschen des Vertragsverhältnisses im Verhältnis zum Insolvenzschuldner haftet dieser nicht mehr für neu entstehende Forderungen aus der Fortsetzung der Geschäftsbesorgung. Somit besteht in Bezug auf die Ansprüche des Geschäftsführers keine Gesamtschuld, die den Mitgeschäftsherrn zum Regress berechtigen würde. Nimmt der Geschäftsführer den Mitgeschäftsherrn für vor Insolvenzeröffnung entstandene Forderungen voll in Haftung, kann der Mitgeschäftsführer freilich Regress nehmen. Diese Haftung in Form einer Insolvenzforderung besteht aber auch gegenüber dem Geschäftsführer und – entscheidender – bestünde ebenso, wenn das gesamte Vertragsverhältnis mit Insolvenzeröffnung erlöschen würde (§ 38 InsO). Ein Ausgleichsanspruch wie in den §§ 103 Abs. 2 S. 1, 109 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 2, 113 S. 3 InsO gegen den Insolvenzschuldner steht dem Geschäftsführer dagegen nicht zu.637) Das ist insoweit systematisch zutreffend, als dass die Insolvenzordnung einen solchen Anspruch nur gewährt, wenn der Insolvenzverwalter sich von einem Vertrag löst.638) Die Rechtsfolge des Erlöschens tritt bei den §§ 115 f. InsO aber qua Gesetz ein. Dieser wesentliche Unterschied steht der gesamtanalo___________ 635) Vgl. zu § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO Hefermehl in MüKo-InsO, § 55, Rn. 231 ff. Siehe auch bereits oben zur Kündigung bei § 113 InsO unter Rn. 162 ff. sowie dort unter Fn. 584. 636) Dazu sogleich unter Rn. 197. 637) Ebenso BGHZ 168, 276, Rn. 23 = BGH NZI 2006, 637, Rn. 23; Jacoby in Jaeger, § 115 f., Rn. 64; Kießner in Nerlich/Römermann, § 115, Rn. 16; Kroth in Braun, § 115, Rn. 5; Sinz in Uhlenbruck, § 116, Rn. 12; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, §§ 115, 116, Rn. 11. 638) Zur gesamtanalogen Anwendung im Rahmen des § 111 InsO oben unter Rn. 152 ff.
122
B. Erlöschende Verträge
gen Anwendung der oben genannten Vorschriften entgegen. Die gesetzgeberische Entscheidung gegen eine Insolvenzforderung gegen die Masse ist zu respektieren.639) Es bestehen keine zwingenden teleologischen Gründe, die einen Ausgleichsanspruch des Geschäftsführers erfordern. Dies hat, ähnlich der Situation bei dem Vermieterrücktritt640) und bei der Dienstverpflichtetenkündigung641) zur Folge, dass der Erfüllungsanspruch des Geschäftsführers gegen den Mitgeschäftsherrn und ein etwaiger Ausgleichsanspruch gegen die Masse als Surrogat des Erfüllungsanspruchs nicht zur einer gesamtschuldnerischen Verpflichtung führen. Der Mitgeschäftsführer kann also keinen Gesamtschuldnerregress bei der Insolvenzmasse nehmen, wenn er den Geschäftsführer nach dem Ausscheiden des Insolvenzverwalters wegen neu entstehender Forderungen befriedigt. Dies ist im Ergebnis systematisch verfehlt; die Wertung der Insolvenzordnung ist allerdings zwingend. Die Fortführungslösung belastet die Insolvenzmasse somit gegenüber einem voll- 194 ständigen Erlöschen des Vertrages nicht zusätzlich. Damit findet sich eine entscheidende Parallele zu § 109 InsO: Zur Erfüllung des Regelungszweckes der Norm bedarf es nicht des vollständigen Erlöschens des Vertragsverhältnisses. Die Fortführungslösung erfüllt den Regelungszweck im selben Maße, da jedenfalls der Insolvenzschuldner haftungsfrei ausscheidet, das Vermögen des Insolvenzschuldners der Verwaltungsbefugnis des Insolvenzverwalters unterliegt und es somit allein dem Insolvenzverwalter obliegt, ob Forderungen gegen die Masse entstehen oder nicht. Nachdem dies festgestellt ist, lässt sich, wie schon zuvor bei den §§ 109 ff. InsO 195 auch im Rahmen der §§ 115 f. InsO zusätzlich anhand der Verteilung des Insolvenzrisikos begründen, warum der Vertrag im Verhältnis zum Mitgeschäftsherrn gerade fortgeführt werden muss. Genau wie der Vermieter hat auch der Geschäftsführer – insbesondere der entgeltlich tätige Geschäftsführer im Vergleich zum Auftragnehmer – regelmäßig ein Interesse an der Erfüllung des einmal geschlossenen Vertrages. Die Erfüllung der Gegenleistungspflicht wird von seinen Vertragspartnern gesamt___________ 639) BGHZ 168, 276, Rn. 23 = BGH NZI 2006, 637, Rn. 23; Jacoby in Jaeger, § 115 f., Rn. 64. Gleiches gilt auch, soweit früher eine Haftung analog § 628 Abs. 2 BGB erwogen wurde. Dazu ablehnend nur Jacoby in Jaeger, § 115 f., Rn. 64; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, §§ 115, 116, Rn. 11. Soweit für den Auftrag das Nichtbestehen eines Schadensersatzanspruches (auch) mit der freien Widerruflichkeit nach § 671 BGB begründet wird, so etwa Andres in Andres/Leithaus, § 115, Rn. 7; Ott/Vuia in MüKo-InsO, § 115, Rn. 11, ist das zwar im Ergebnis zutreffend, geht aber an der Sache vorbei: Da das Erlöschen qua Gesetz eintritt, hat die Frage nach einem Schadensersatzanspruch mit der rechtsgeschäftlichen Beendigung durch Widerruf nichts zu tun (gut vertretbar dagegen als Argument gegen einen insolvenzrechtlichen Nichterfüllungsanspruch Jacoby in Jaeger, § 115 f., Rn. 62). Gegen einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch spricht vielmehr, dass schon keine Pflichtverletzung vorliegt, weil das Erlöschen nicht einmal auf eine Handlung des Insolvenzverwalters zurückzuführen ist, so richtigerweise etwa BGHZ 168, 276, Rn. 23 = BGH NZI 2006, 637, Rn. 23; Flöther/Wehner in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 115, Rn. 6. 640) Siehe unter Rn. 142 ff. 641) Siehe unter Rn. 166 ff.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
schuldnerisch geschuldet. Das Insolvenzrisiko für X-1642) Vertragspartner trägt also die gesamtschuldnerisch verbundene Mehrheit. Das Finalinsolvenzrisiko des Geschäftsführers erstarkt erst dann zum konkreten Insolvenzrisiko,643) wenn es nur noch einen solventen Vertragspartner gibt und damit die bipolar-einseitige Ausgangsverteilung des Insolvenzrisikos wiederhergestellt ist. Das Insolvenzrisiko bezieht sich dabei auf die Durchführung des gesamten Vertragsverhältnisses, nicht nur auf aufgelaufene Forderungen bis zum Zeitpunkt des Eintritts des (ersten) Insolvenzfalls und damit der (erstmaligen) Verwirklichung eines konkreten Insolvenzrisikos. Darum hat der Geschäftsführer regelmäßig ein schützenswertes Interesse am Erhalt der vertraglich vereinbarten Haftungssituation: Die Insolvenz eines Vertragspartners befreit die Träger des konkreten Insolvenzrisikos nicht von diesem Risiko, sondern löst gerade für die Zukunft die mit dem Risiko verbundenen Haftungsrechtsfolgen aus. Der Mitgeschäftsherr muss sich also am Vertrag festhalten lassen. Dies gilt auch dort, wo der Geschäftsführer (Auftragnehmer) nicht entgeltlich tätig wird; also beim Auftrag. Zwar drohen dem Beauftragten dann keine finanziellen Einbußen durch die vollständige Beendigung des Vertragsverhältnisses, da Aufwendungen, soweit sie nicht mehr umkehrbar angebahnt wurden, als getätigt und daher vor Insolvenzeröffnung entstanden, anzusehen sind644) und damit der Vertragspartner ohnehin haftet. Der Beauftragte hat aber möglicherweise ein ideelles oder (mittelbar) wirtschaftliches645) Interesse an der Durchführung des Auftrages. Das Festhalten an dem einmal geschlossenen Vertrag, solange nicht ausdrücklich anders geregelt, schützt dieses Interesse. Das Prinzip der Vertragstreue schützt nicht nur das unmittelbare finanzielle Interesse an einem Vertrag. Wäre das so, würde die Vertragstreue faktisch auf entgeltliche Verträge beschränkt und das vertragliche Bindungsversprechen als Ausfluss der Privatautonomie somit unzulässig eingeschränkt. Dem kann auch nicht durch einen Hinweis auf § 671 BGB begegnet werden: Zwar ist der Auftrag – auf die Geschäftsbesorgung findet die Norm, mit Ausnahme des Abs. 2 in bestimmten Fällen, ohnehin keine Anwendung, § 675 Abs. 1 BGB – grundsätzlich jederzeit beidseitig widerruf- bzw. kündbar, diese Vorschrift ist jedoch dispositiv und kann unbeschadet des Rechts zur außerordentlichen Kündigung, § 671 Abs. 3 BGB, abbedungen werden. Gestaltet der Mitauftraggeber seinen Auftrag unwiderruflich aus, ergibt sich auch aus der Insolvenz des Mitauftraggebers kein rechtlich schützenswertes Interesse aus dem Vertrag entlassen zu werden, soweit die Insolvenz selbst oder die resultierenden Umstände nicht ausnahmsweise einen außerordentlichen Kündigungsgrund begründen. Dem Rechtsgedanken des § 671 Abs. 3 BGB entsprechend ist dann die außerordentliche Kündigung möglich. Allerdings muss bei der Subsumtion berück___________ 642) 643) 644) 645)
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X sei die Gesamtzahl der Vertragspartner. Siehe zum Haftungskonzept im bipolar-mehrseitigen Vertrag oben unter Rn. 36 ff. Vgl. Jacoby in Jaeger, § 115 f., Rn. 55; Ott/Vuia in MüKo-InsO, § 115, Rn. 12. Das heißt, die Durchführung des Auftrages ist für ihn wirtschaftlich mittelbar vorteilhaft, ohne dass dieser Vorteil aus dem Vermögen des Auftraggebers stammt und somit Entgeltlichkeit vorläge.
B. Erlöschende Verträge
sichtigt werden, dass die Insolvenz an sich im Regelfall gerade kein ein Kündigungsrecht begründender Umstand ist; es bedarf also verschärfender Umstände, um ein Kündigungsrecht zu begründen.646) Ist § 671 BGB dagegen nicht abbedungen, schadet das Fortbestehen des Vertrages ohnehin nicht, da die Parteien jederzeit widerrufen können, falls der Fortbestand den Interessen einer Partei widerspricht. Anders als im Rahmen des § 109 InsO ist also ein größerer Spielraum für nachinsolvenzliche Lösung vom Vertrag vorhanden. Das ist allerdings nur konsequent, setzt sich doch das gesetzliche und nicht abbedungene Widerrufsrecht lediglich nachinsolvenzlich fort. Ein solches materiell-rechtliches einseitiges Lösungsrecht abseits der Kündigung kennen die Verträge im Anwendungsbereich des § 109 InsO gerade nicht. Wie dort sind also auch für die §§ 115 f. InsO die allgemeinen Vorschriften das richtige Lösungsregime und der insolvenzbedingten Kollateralschadensbeendigung vorzuziehen. Entsprechend der Bindung des Mitgeschäftsherrn an den Vertrag ist auch der Geschäftsführer an das Vertragsversprechen gebunden. Er hat keinen Anspruch darauf, während der gesamten Vertragslaufzeit mehrere Schuldner zu haben. Vielmehr hat er das Finalinsolvenzrisiko übernommen und haftet somit (erst), wenn alle Mitschuldner insolvent sind. Solange ist aber auch er an sein Leistungsversprechen gebunden. Ihm steht weiterhin ein solventer Vertragspartner gegenüber, dem er sich verpflichtet hat. Aufgrund der Solvenz des Mitgeschäftsherrn ist zudem die Gegenleistungspflicht nicht in Gefahr. Nach dem Ausscheiden des Insolvenzschuldners trägt, wenn nicht mehr als zwei Schuldner vorhanden waren, das konkrete Insolvenzrisiko des Mitgeschäftsherrn der Geschäftsführer, was Folge der Übernahme des Finalinsolvenzrisikos im Vertrag ist und daher kein nachträgliches Lösungsrecht zu begründen vermag. Die Insolvenzrisikoverteilung entspricht nach dem Ausscheiden des Insolvenzschuldners der des bipolar-einseitigen Vertrages.647) Die Fortführungslösung ist mithin auch im Rahmen der §§ 115 f. InsO die richtige 196 Wahl. Nur durch sie wird gewährleistet, dass das vertraglich gewählte Risikoregime im Fall des Risikoeintritts – dem Insolvenzfall – auch tatsächlich entsprechend des vertraglichen Konsenses zur Geltung kommt. Überdies steht die Fortführungslösung der Erreichung des Normzwecks der §§ 115 f. InsO nicht im Weg und erreicht diesen vollständig.
2.
Rechtswirkungen der Fortbestehensfiktion nach § 115 Abs. 2, 116 InsO
Im Rahmen der Notgeschäftsführung ist zwischen vertraglichen und haftungsrecht- 197 lichen Folgen für den bipolar-mehrseitigen Vertrag zu differenzieren. Das Vertragsverhältnis verändert sich entsprechend der oben dargestellten Grundkonstellation aus § 115 Abs. 1 InsO: Der Insolvenzschuldner scheidet aus dem Vertragsverhältnis ___________ 646) Vgl. bereits ausführlich zur Lösung vom fortbestehenden Vertrag im Rahmen der §§ 108 f. InsO oben unter Rn. 103 ff. 647) Zum Ganzen ausführlich oben zur Insolvenzverwalterkündigung im Mietvertrag unter Rn. 103 ff.
125
Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
aus, zwischen Mitgeschäftsherrn und Geschäftsführer besteht der Vertrag ansonsten unverändert fort. Die Notgeschäftsführung fingiert im Verhältnis zwischen Insolvenzschuldner und Geschäftsführer nur den Fortbestand der vertraglichen Beziehungen aus Gründen des Masseschutzes; tatsächlich erlischt die Vertragsbeziehung aber ex nunc.648) Die Fiktion schützt dabei die Masse vor den nachteiligen Folgen des Nichttätigwerdens und den Geschäftsführer vor den nachteiligen Folgen des Tätigwerdens.649) Die Fortführungslösung kann für das Vertragsverhältnis also auch im Fall der Notgeschäftsführung ohne Schwierigkeiten angewendet werden, da sich bezüglich der Vertragsbeziehung keine Unterschiede ergeben.
198 Unterschiedlich von der Ausgangskonstellation des § 115 Abs. 1 InsO ist lediglich die Haftungskonstellation. Der Geschäftsführer kann seine Ansprüche gegen den Insolvenzschuldner aus der fortgesetzten Geschäftsführung als Masseverbindlichkeiten geltend machen, §§ 115 Abs. 2 S. 3, 116 S. 1 InsO.650) Die Notgeschäftsführung entlastet somit mittelbar den Mitgeschäftsherrn von den Folgen der Insolvenz für ebendiese Ansprüche. Schließlich haftet der Mitgeschäftsführer auch für die Ansprüche aufgrund der Notgeschäftsführung aus dem fortgesetzten Vertrag. Er hat damit, wie vorinsolvenzlich, durch die Haftung der Masse für diese Ansprüche wieder einen vollständig leistungsverpflichteten und regelmäßig leistungsfähigen Gesamtschuldner an seiner Seite. Allein im Fall der Masseunzulänglichkeit kann sich das Insolvenzrisiko auch für Forderungen aus Notgeschäftsführung für den Mitschuldner materialisieren. Befriedigt der Mitgeschäftsherr den Geschäftsführer für die Ansprüche, die der Notgeschäftsführung entspringen, kann er folglich im Innenverhältnis Regress bei der Masse nehmen. Auch dieser Regressanspruch ist dann Masseverbindlichkeit, denn er bezieht sich auf die als Masseverbindlichkeit qualifizierende Forderung des Geschäftsführers. Dieses Ergebnis ist nicht unbillig. Zwar hat der Mitgeschäftsherr das konkrete Insolvenzrisiko des Insolvenzschuldners übernommen und dieses hat sich verwirklicht, so dass Regressansprüche – soweit das Gesetz diese durch Gewährung eines Ausgleichsanspruchs für den Vertragspartner überhaupt zulässt – regelmäßig nur Insolvenzforderungen sind. Im Unterschied zur Situation beim Regress nach der Kündigungsmöglichkeit des Erwerbers bei § 111 S. 1 InsO651) ordnet die Insolvenzordnung für den Anspruch aus Notgeschäftsführung aber unmittelbar die Haftung als Masseverbindlichkeit an. Die Berechtigung der Qualifizierung als Masseverbindlichkeit besteht auch gegenüber dem Mitgeschäftsherrn: Sie beruht auf der Überlegung, dass der Insolvenzverwalter, um die Gefahr von der Masse abzuwenden, eigentlich selbst tätig werden müsste, daran aber gehindert ist;652) ___________ 648) Ott/Vuia in MüKo-InsO, § 115, Rn. 16; Sinz in Uhlenbruck, § 116, Rn. 13 anders Flöther/ Wehner in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 115, Rn. 13 („erlischt zunächst der Auftrag nicht“). 649) Jacoby in Jaeger, § 115 f., Rn. 65; Ott/Vuia in MüKo-InsO, § 115, Rn. 116. 650) Nach § 116 S. 2 InsO gilt das auch für die Vergütungsansprüche des Geschäftsführers. 651) Dazu oben unter Rn. 152 ff. 652) Vgl. Jacoby in Jaeger, § 115 f., Rn. 65.
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B. Erlöschende Verträge
dies sagt schon § 115 Abs. 2 S. 1 InsO mit der Einschränkung „bis der Insolvenzverwalter anderweitig Fürsorge treffen kann“. Um diese Fürsorge zu treffen muss der Insolvenzverwalter, sofern er nicht selbst über die Möglichkeit zur betreffenden Geschäftsführung verfügt, regelmäßig ein Neugeschäft abschließen, was nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO als Masseverbindlichkeit qualifizieren würde. Dann wäre es unbillig, wenn dem Notgeschäftsführer für die Tätigkeit keine Masseverbindlichkeit zugutekäme, nur weil er vor Insolvenzeröffnung mit dem Insolvenzschuldner vertraglich verbunden war. Hinzu tritt, dass die Geschäftsführung vorteilhaft für die Masse ist653) – schließlich muss für sie im Falle des Aufschubs Gefahr drohen, § 115 Abs. 2 S. 1 InsO654) –, und die Geschäftsführung daher, wenn man so will, „in die Masse fließt“, so dass auch die Gegenleistung Masseverbindlichkeit sein muss.655) Alle diese Erwägungen sind übertragbar, wenn ein Mitgeschäftsherr daneben aus 199 dem Vertrag haftet. Im Gegensatz zum Neuabschluss ist die Masse sogar regelmäßig durch die Mithaftung privilegiert, weil sie im Innenverhältnis nur den auf sie entfallenden Anteil tragen muss. Zudem steht der Mitgeschäftsherr nach dem Vertrag zwar für das Insolvenzrisiko des Insolvenzschuldners ein, die Notwendigkeit der Notgeschäftsführung, die Gefahr für die Masse, beruht allerdings regelmäßig nicht auf der Insolvenz; für diese Gefahr hat der Mitgeschäftsherr nie das Risiko übernommen. Sollte die drohende Gefahr doch einmal spezifisch aus der Insolvenz entstehen, ist auch dies unbeachtlich, weil die Abwehr von aus der Insolvenz resultierenden Gefahren für die Masse originäre Aufgabe des Insolvenzverwalters ist.656) Sie hat mit der Realisierung von insolvenzbedingter Haftung nichts zu tun. Nach alledem kann der Mitgeschäftsherr also im Fall der Notgeschäftsführung Regress bei der Masse als Massegläubiger nehmen. Der Regress ist freilich auf den Haftanteil im Innenverhältnis nach Maßgabe des fiktiv fortbestehenden Vertrages beschränkt, denn schließlich ist die Geschäftsführung (regelmäßig) aufgrund der Notgeschäftsführung keine andere, als sie der Geschäftsführer dem Mitgeschäftsherrn aus dem Vertrag schuldet und er für diese haftet. Das ergibt sich aus der Anordnung, dass die Geschäftsbesorgung „fortzusetzen“ ist. Dies schließt nach dem Wortlaut eine qualitative Änderung der Geschäftsführungspflicht aus.
___________ 653) Vgl. Ahrendt in HambK-InsO, § 115, Rn. 7; auf eine tatsächliche Vorteilhaftigkeit kommt es dagegen nicht an, Andres in Andres/Leithaus, § 115, Rn. 8; Kießner in Nerlich/Römermann, § 115, Rn. 12. 654) Nach BGHZ 168, 276, Rn. 24 = BGH NZI 2006, 637, Rn. 24 liegt eine Gefahr vor, wenn der Masse „objektiv Nachteile drohen“. So auch Kroth in Braun, § 115, Rn. 6; Sinz in Uhlenbruck, § 116, Rn. 13; ebenso Schäfer in MüKo-BGB, § 672, Rn. 8 zum insoweit wortgleichen § 672 S. 2 BGB. Auch Jacoby in Jaeger, § 115 f., Rn. 66 („objektive Dringlichkeit“ als Erfordernis des Tätigwerdens). 655) Wertung des § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO. 656) Ähnlich Ott/Vuia in MüKo-InsO, § 115, Rn. 16.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
3.
Fortbestehensfiktion wegen Unkenntnis der Verfahrenseröffnung, §§ 115 Abs. 3, 116 S. 1 InsO
200 Einige Parallelen zur Notgeschäftsführung weisen die Rechtsfolgen der Fortbestehensfiktion aufgrund unverschuldeter Unkenntnis657) der Verfahrenseröffnung, und damit des Erlöschens des Vertragsverhältnisses, für bipolar-mehrseitige Verträge auf.
201 Zunächst ist auch in diesem Fall festzuhalten, dass es sich lediglich um eine Fiktion handelt, der Vertrag also davon unbenommen mit Verfahrenseröffnung erlischt.658) Für den bipolar-mehrseitigen Vertrag bedeutet das, dass nach der Fortführungslösung allein das Vertragsverhältnis zwischen Insolvenzschuldner und Geschäftsführer mit Verfahrenseröffnung erlischt, das Vertragsverhältnis aber ansonsten unberührt zwischen Mitgeschäftsherrn und Geschäftsführer fortbesteht; lediglich der Insolvenzschuldner scheidet als Vertragspartei aus dem Vertragsverhältnis aus.659)
202 Kennt der Geschäftsführer unverschuldet die Verfahrenseröffnung nicht und wird trotzdem für den Insolvenzschuldner tätig, kann er die Ersatzansprüche für sein Tätigwerden als Insolvenzforderung gegenüber der Masse geltend machen, §§ 115 Abs. 3 S. 2, 116 S. 1, 2 InsO. Anders als bei der Notgeschäftsführung wird der Geschäftsführer also nur so gestellt, als sei er vor Insolvenzeröffnung tätig geworden.660) Die Qualifizierung seiner Ansprüche als Insolvenzforderung ist eine durch die unverschuldete Unkenntnis verdiente Privilegierung gegenüber demjenigen, der ohne jeden vertraglichen Anlass tätig wird und Ersatz allein nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften661) verlangen kann.662)
203 Im bipolar-mehrseitigen Vertrag ist diese Privilegierung vor allem hinsichtlich des fingierten Fortbestands der Handlungsbefugnis gegenüber der Masse von Bedeutung, da sie regelmäßig verhindert, dass sich der Geschäftsführer gegenüber der Masse schadensersatzpflichtig macht, wenn er ohne Gestattung des Insolvenzverwalters in deren Rechtskreis tätig wird. Der haftungsrechtlichen Privilegierung der Möglichkeit der Anmeldung von Ersatzansprüchen als Insolvenzforderung bedarf er regelmäßig nicht. Denn wird der Geschäftsführer im Rechtskreis des Insolvenzschuldners tätig, so handelt er nicht (nur) weil er sich gegenüber dem Insolvenzschuldner in Verkennung der Vertragsbeendigung zum Tätigwerden verpflichtet fühlt, sondern weil er (auch) dem Mitschuldner gegenüber aus dem fortbestehenden Vertrag zum Tätigwerden ver___________ 657) Siehe Fn. 613. 658) Siehe bereits zur Notgeschäftsführung oben unter Fn. 648; für den § 674 BGB auch Schäfer in MüKo-BGB, § 674, Rn. 1. 659) Vgl. oben unter Rn. 197 ff. bereits zu den Rechtsfolgen bei Notgeschäftsführung. 660) Jacoby in Jaeger, § 115 f., Rn. 69; Ott/Vuia in MüKo-InsO, § 115, Rn. 17; Sinz in Uhlenbruck, § 116, Rn. 14; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, §§ 115, 116, Rn. 13. 661) Also insbesondere für Übernahmeverschulden haftet, § 678 BGB, und den engeren Vorschriften des § 683 S. 1 BGB unterliegt. Vgl. auch oben Fn. 614. 662) Jacoby in Jaeger, § 115 f., Rn. 69; Sinz in Uhlenbruck, § 116, Rn. 14; Tintelnot in Kübler/ Prütting/Bork, §§ 115, 116, Rn. 13.
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B. Erlöschende Verträge
pflichtet ist. Der Geschäftsführer handelt also weiter auf vertraglicher Grundlage gegenüber dem Mitgeschäftsführer. Gegen diesen solventen Schuldner kann er alle entstehenden Ersatz- und Vergütungsansprüche aus dem Vertragsverhältnis geltend machen. Die Anordnung des § 115 Abs. 3 S. 2 InsO verfolgt keinen anderen Zweck, als den Schutz des in Unkenntnis handelnden ehemaligen Vertragspartners durch teilweise Kompensation in Gestalt der Insolvenzforderung zu gewährleisten.663) Ist aber dieser Schutz durch eine vollwertige Forderung gegen einen solventen Schuldner gesichert, bedarf es der fiktiven Stellung des Geschäftsführers als Insolvenzgläubiger nicht mehr. Die Vorschrift ist somit für bipolar-mehrseitige Vertragsverhältnisse teleologisch zu reduzieren und nur anzuwenden, wenn alle Schuldner insolvent sind. Der Mitgeschäftsherr kann mithin auch keinen Regress beim Insolvenzschuldner neh- 204 men, da es jedenfalls mit dem Wegfall der Insolvenzforderung des Geschäftsführers an der den Regress begründenden Gesamtschuld mit der Masse fehlt. Dieses Ergebnis ist richtig: Die Gewährung der Insolvenzforderung durch die Insolvenzordnung dient alleine dem Schutz des Geschäftsführers, sie kann deswegen nicht darum aufrechterhalten werden, um dem Mitgeschäftsherrn einen Regress zu ermöglichen, der zwar systematisch wünschenswert, aber ohne Rückhalt im Gesetz wäre. Das Fehlen einer den §§ 103 Abs. 2 S. 1, 109 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 2, 113 S. 3 InsO entsprechenden Anordnung eines Ausgleichsanspruches ist als gesetzgeberische Wertung zu achten. Denn die Insolvenzforderung aus § 115 Abs. 3 S. 2 InsO ist kein solcher Ausgleichsanspruch, sondern wertungsmäßig lediglich ein Freistellungsanspruch des Geschäftsführers. Es geht bei dem Anspruch nicht darum, dem Geschäftsführer die durch die Lösung des Insolvenzschuldners vom Vertrag erlittenen Nachteile zu ersetzen, sondern er soll für ein Tätigwerden gerade auf Grund dieses Vertrages in Unkenntnis dessen Endes kompensiert werden. Der § 115 Abs. 3 S. 2 InsO ist damit auch nicht wie die Ansprüche aus §§ 103 Abs. 2 S. 1, 109 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 2, 113 S. 3 InsO Surrogat des Erfüllungsanspruches.664) Selbst wenn die Insolvenzforderung also gewährt würde, deckten die Ansprüche nicht das gleiche Interesse ab und wären so nicht gesamtschuldnerisch verbunden. Wie im Regelfall des § 115 Abs. 1 InsO kann der Mitgeschäftsführer also keinen Regress bei der Insolvenzmasse nehmen, was, das sei noch einmal betont, systemwidrig ist und gegen das Begründetheitsprinzip des § 38 InsO verstößt, aber durch die Gesetzessystematik der Insolvenzordnung zwingende, wenngleich unbewusste Folge ist. Wurde die Masse durch die Geschäftsführung bereichert und hat der Insolvenzverwalter die Geschäftsführung gestattet oder sonst in Anspruch genommen, schuldet die Masse dem Mitgeschäftsherrn Herausgabe des Erlangten oder Mithaftung aus dem neugefassten Vertrag als Masseverbindlichkeit – je nach Auslegung aus § 55 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 InsO.665) ___________ 663) Andres in Andres/Leithaus, § 115, Rn. 9; Ott/Vuia in MüKo-InsO, § 115, Rn. 17; Sinz in Uhlenbruck, § 116, Rn. 14; zum Schutzgedanken bei § 674 BGB Schäfer in MüKo-BGB, § 674, Rn. 1. 664) Vgl. oben unter Rn. 114. 665) Dazu bereits oben unter Rn. 197 ff.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
4.
Fortbestand bestimmter Geschäftsbesorgungsverträge, § 116 S. 3 InsO
205 Nach § 116 S. 3 InsO bestehen bestimmte Geschäftsbesorgungsverträge des Insolvenzschuldners als Geschäftsherrn fort: Zahlungsaufträge, Aufträge zwischen Zahlungsdienstleistern oder zwischengeschalteten Stellen und Aufträge zur Übertragung von Wertpapieren.666)
206 Handelt es sich bei diesen Verträgen um bipolar-mehrseitige, ist in Ermangelung einer vertragsbeeinflussenden Anordnung für die Insolvenz kein Raum und kein Bedarf für die Fortführungslösung. Der bipolar-mehrseitige Vertrag besteht unverändert fort.
5.
Der Insolvenzschuldner als Geschäftsbesorger bei bipolarmehrseitigen Geschäftsbesorgungsverträgen
207 Die §§ 115 f. InsO treffen ausschließlich Regelungen für die Insolvenz des Geschäftsherrn. Fällt in einem bipolar-mehrseitigen Vertrag mit mehreren Geschäftsführern ein Geschäftsführer in die Insolvenz, richten sich die Rechtsfolgen nach § 103 InsO, wenn dessen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, insbesondere also die Geschäftsführungspflicht nicht höchstpersönlich ist und damit in die Insolvenzmasse fällt.667) Bipolar-mehrseitige Auftragsverhältnisse, in denen einer von mehreren Auftragnehmern in die Insolvenz fällt, bestehen unverändert fort, da es sich nicht um gegenseitige Verträge im Sinne des § 103 InsO handelt.668)
V. Das Erlöschen der Vollmacht nach § 117 InsO 208 Als Annex zu den §§ 115 f. InsO stellt der Gesetzgeber in § 117 InsO klar, dass auch Vollmachten, die sich auf Vermögen beziehen, das zur Insolvenzmasse gehört, mit Insolvenzeröffnung erlöschen. Nach zutreffender Ansicht ergibt sich dies bereits aus dem Übergang der Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter (§ 80 InsO).669) Beurteilt man dies anders, so ist die Vorschrift in erster Linie670) für Vollmachten aus Dienstverträgen und isolierte Vollmachten konstitutiv.671) Denn ___________ 666) Zu diesen Verträgen Jacoby in Jaeger, § 115 f., Rn. 143 ff.; Ott/Vuia in MüKo-InsO, § 116, Rn. 51 f. 667) Dazu bereits oben in Fn. 610. Zu den Rechtsfolgen von § 103 InsO in Bezug auf einen bipolar-mehrseitigen Vertrag siehe unten unter Rn. 222 ff. 668) Unvollkommen zweiseitiger Vertrag, Jacoby in Jaeger, § 103, Rn. 67; Kreft in MüKo-InsO, § 103, Rn. 104. 669) Dazu ausführlich und überzeugend Jacoby in Jaeger, § 117, Rn. 4 ff. m. w. N. Siehe auch BGHZ 155, 87, 91 = BGH NJW 2003, 2744, 2745. 670) Für die Vertretung des Schuldners (nicht des Verwalters) in Bezug auf die Insolvenzmasse sowie für die Eigenverwaltung wirkt sich der § 117 InsO ebenso aus, dazu Jacoby in Jaeger, § 117, Rn. 7. Für die Eigenverwaltung auch Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 117, Rn. 5. 671) BT-Drucks. 12/2443, S. 151 f.; Jacoby in Jaeger, § 117, Rn. 4; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 117, Rn. 3. Dass § 115 f. InsO nicht für alle vollmachtvermittelnden Verträge gelten übersieht Schubert in MüKo-BGB, § 168, Rn. 13.
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B. Erlöschende Verträge
für die von §§ 115 f. InsO erfassten Verträge ergibt sich das Erlöschen der Vollmacht unmittelbar aus § 168 S. 1 BGB.672) Die Norm ordnet nur Rechtsfolgen für die vom Vertrag abstrakte Vollmacht an. Die 209 Vollmacht ist kein Vertrag, sondern einseitiges Rechtsgeschäft.673) Eine „bipolarmehrseitige Vollmacht“ kann es darum nicht geben. Es können lediglich mehrere Vollmachten in einer Erklärung, etwa einer Urkunde, zusammengefasst werden. Das macht sie allerdings nicht zu einer bipolar-mehrseitigen Vollmacht; vielmehr handelt es sich um mehrere eigenständige Vollmachten.674) Dass das Erlöschen der einen Vollmacht nicht das Erlöschen einer anderen Vollmacht zur Folge hat, ist selbstverständlich. Davon zu unterscheiden sind freilich Fälle, in denen Vollmachten mit der Existenz einer anderen Vollmacht verknüpft werden. Dies ist durch auflösende Bedingungen (§ 158 Abs. 2 BGB) beliebig gestaltbar. Für die Fortführungslösung im Rahmen von vollmachtvermittelnden Verträgen führt 210 § 117 InsO zu dem Ergebnis, dass die Vollmacht des Insolvenzschuldners mit dessen Ausscheiden aus dem Vertrag erlischt, während die Vollmacht des Mitgeschäftsherrn – so wie der Vertrag zwischen ihm und dem Vertragspartner – fortbesteht.675)
VI. Zusammenfassung Wie sich gezeigt hat, bewährt sich die Fortführungslösung auch im Rahmen der durch 211 Insolvenzeröffnung erlöschenden Verträge. Die konsequente Beachtung des Insolvenzrisikos bei den Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf den bipolar-mehrseitigen Vertrag führt zu der Erkenntnis, dass allein der Insolvenzschuldner aus dem Vertrag ausscheiden muss. Darüber hinaus bleibt das Vertragsverhältnis zwischen Mitgeschäftsherrn und Geschäftsführer von der Insolvenzöffnung unberührt und besteht inhaltsgleich zwischen den verbliebenen Vertragsparteien fort. Das Haftungsrisiko für den Mitgeschäftsherrn erwächst aus dem bei Vertragsschluss 212 übernommenen Insolvenzrisiko, das sich in der Insolvenz seines Vertragspartners lediglich realisiert. Das Ausscheiden des Insolvenzschuldners schafft damit für den Vertragspartner keine zusätzliche Haftung, sondern löst das übernommene Haftungsrisiko nur aus. Allein die vollständige Beendigung des Vertrags würde die Parteien, nämlich den Geschäftsführer und den Mitgeschäftsherrn, unbillig belasten, denn der Geschäftsführer hat mit Vertragsschluss nur das Insolvenzrisiko aller Schuldner – und gerade nicht jedes einzelnen – übernommen. Würde man den verbliebenen solventen Schuldner aus der Haftung entlassen, verstieße das gegen die vertragliche ___________ 672) 673) 674) 675)
Schubert in MüKo-BGB, § 168, Rn. 13; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 117, Rn. 3. Statt vieler Schubert in MüKo-BGB, § 164, Rn. 7. Vgl. zu dieser Problematik in anderem Zusammenhang oben unter Rn. 10 ff. und Rn. 17 f. Im Regelfall allerdings nur deklaratorisch, vgl. dazu oben und die Nachweise unter Fn. 669 und 670.
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
Risikoverteilung und entließe den Mitgeschäftsherrn vorzeitig aus der Haftung. Spiegelbildich hat auch der Mitgeschäftsherr trotz der Insolvenz weiter einen Gegenleistungsanspruch. Der Geschäftsführer hat keinen Anspruch auf eine fortdauernde Schuldnermehrheit und muss sich an seinem vertraglichen Leistungsversprechen festhalten lassen.
213 So führt ausschließlich die Fortführungslösung, wie bereits bei den Verträgen mit Lösungsrechten, zu zutreffenden Ergebnissen. Freilich hat sich aufgrund der beschränkten praktischen Bedeutung und fehlender Rechtsprechung noch keine abweichende (oder bejahende) Ansicht in der Literatur herausgebildet. Es steht jedoch zu vermuten, dass, würde die Frage aufgegriffen, die Ergebnisse und Argumentationslinien der Literatur und Rechtsprechung zu § 109 InsO auch auf die §§ 115 ff. InsO übertragen würden; mit der Folge, dass nach der herrschenden Ansicht das ganze Vertragsverhältnis erlöschen würde.
214 Für die Fortbestehensfiktionen nach § 115 Abs. 2 und § 115 Abs. 3 InsO wegen Notgeschäftsführung und unverschuldeter Unkenntnis von der Verfahrenseröffnung gilt hinsichtlich des Vertrages nichts anderes. Die Fiktion bezieht sich auf die vertragliche Bindung zum Insolvenzschuldner.
215 Im Rahmen der § 115 Abs. 1, Abs. 3 InsO steht dem Mitgeschäftsherrn systemwidrig keine Regressmöglichkeit gegen den Insolvenzschuldner zu. Dies ergibt sich aus der Wertung des Gesetzgebers, bei den §§ 115 f. keinen den §§ 103 Abs. 2 S. 1, 109 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 2, 113 S. 3 InsO entsprechenden Anspruch gegen den Insolvenzschuldner zu gewähren. Für § 115 Abs. 3 S. 2 InsO gilt, dass dieser Anspruch nicht wesensgleich mit den gerade bezeichneten ist und überdies im bipolar-mehrseitigen Vertrag teleologisch reduziert werden muss. Allein bei der Notgeschäftsführung steht dem Mitgeschäftsherrn der Regress gegen den Insolvenzschuldner offen. Der Regressanspruch ist entsprechend der Wertung des § 115 Abs. 2 S. 3 InsO Masseverbindlichkeit.
C. Fortbestehende Verträge mit Erfüllungswahlrecht 216 Den dritten und letzten Block im Reigen der insolvenzbeeinflussten Vertragsverhältnisse bildet die Grundnorm676) des § 103 InsO. Sie ist hier zuletzt dargestellt, da sie zum einen in Gestalt der Erfüllungsablehnung einen spezifischen Mechanismus in sich trägt, der mittelbar durch das Ersatzverlangen wegen Nichterfüllung zur Vertragsbeendigung führt677) und insoweit der spezielleren Situation der §§ 108 ff. InsO678) nach Kündigungserklärung sowie der §§ 115 f. InsO ab Insolvenzeröffnung ähnelt. Zum ___________ 676) So etwa Kreft in MüKo-InsO, § 103, Rn. 2 (als Grundtatbestand der gegenseitigen Verträge). 677) So die inzwischen herrschende Meinung, siehe Fn. 696. Genauer zu den Rechtsfolgen sogleich unter Rn. 219 ff. 678) Vgl. Kreft in MüKo-InsO, § 103, Rn. 31.
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C. Fortbestehende Verträge mit Erfüllungswahlrecht
anderen bringt die Erfüllungswahl einen Qualitätssprung der gegenseitigen Forderungen während des Insolvenzverfahrens mit sich679) und führt damit zur gesetzlichen Ausgangsituation bei § 108 InsO (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Bei der Auslegung kann also auf die dort gefundenen Ergebnisse zurückgegriffen werden und so vom Besonderen zum Allgemeinen eine kohärente Auslegung der §§ 103 ff. InsO gewährleistet werden.680) § 103 InsO verfolgt nach überwiegender Ansicht den Zweck, dem Insolvenzver- 217 walter zu ermöglichen, massegünstige beidseitig nicht vollständig erfüllte Verträge durchzuführen und gleichzeitig dem Vertragspartner den Schutz des vertraglichen Synallagmas zu erhalten.681)
I.
Anwendungsbereich des § 103 InsO
In den Anwendungsbereich des § 103 InsO fallen alle gegenseitigen, beidseitig nicht 218 vollständig erfüllten Verträge des Insolvenzschuldners, für die in den §§ 104 ff. InsO keine Sondervorschrift getroffen wird.682) Da im Rahmen der Vertragsfreiheit alle Austauschverträge Gegenstand der Norm sein können, lässt sich keine abschließende Typisierung treffen. In der Praxis dürften – entsprechend ihrer praktischen Verbreitung – Kauf-683) und Werkverträge684) einen Großteil der betroffenen Verträge ausmachen.685)
II.
Rechtsfolgen des § 103 InsO
Nach dem BGH-Urteil aus dem Jahr 2002,686) das die Abkehr von der Erlöschens- 219 theorie687) markierte, wird durchgehend vertreten, dass mit Insolvenzeröffnung die gegenseitigen Ansprüche aus § 103 InsO unterfallenden Verträgen nicht erlöschen, sondern der Vertrag und damit auch die Ansprüche grundsätzlich unverändert fortbestehen; allerdings sind die gegenseitigen Ansprüche mit Insolvenzeröffnung vorübergehend688) nicht mehr durchsetzbar.689) ___________ 679) Auch dies ist inzwischen herrschende Meinung, vgl. Kreft in MüKo-InsO, § 103, Rn. 39 ff. Genauer zu den Rechtsfolgen sogleich unter Rn. 219 ff. 680) Methode der Induktion. 681) Kreft in MüKo-InsO, § 103, Rn. 2; Jacoby in Jaeger, § 103, Rn. 3; D. Wegener in Uhlenbruck, § 103, Rn. 1 jeweils m. w. N. zur Diskussion. 682) Ausführlich Huber in MüKo-InsO, § 103, Rn. 55 ff. 683) D. Wegener in Uhlenbruck, § 103, Rn. 35. 684) D. Wegener in Uhlenbruck, § 103, Rn. 51. 685) Weitere praxisrelevante Vertragsarten: D. Wegener in Uhlenbruck, § 103, Rn. 26 ff. Beachte auch die diversen Ausnahmen in den Anwendungsbereichen der §§ 104 ff. InsO, deren Folge oft die Anwendung des § 103 InsO ist, zum Beispiel Mietverträge des Insolvenzschuldners als Vermieter, bei denen die Mietsache noch nicht überlassen ist, BGHZ 173, 116, Rn. 13 ff., 33 = BGH NJW 2007, 3715, Rn. 13 ff., 33. 686) BGHZ 150, 353 = BGH NJW 2002, 2783. 687) Dazu nur D. Wegener in Uhlenbruck, § 103, Rn. 6 ff. 688) Ggf. bis zum Ende des Insolvenzverfahrens, siehe nur BGHZ 196, 160, Rn. 8 = BGH NJW 2013, 1245, Rn. 8; D. Wegener in Uhlenbruck, § 103, Rn. 11.
133
Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
220 Der Insolvenzverwalter hat gemäß § 103 Abs. 1 InsO die Möglichkeit vom Vertragspartner Erfüllung des Vertrages zu verlangen und damit die vertraglichen Ansprüche wieder durchsetzbar zu machen.690) Rechtsfolge des Erfüllungsverlangens ist der sogenannte Qualitätssprung der vertraglichen Ansprüche; der Gegenleistungsanspruch des Vertragspartners ist nunmehr Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO), obwohl er eigentlich vor Insolvenzeröffnung begründet im Sinne des § 38 InsO war.691) Dies dient der Aufrechterhaltung des vertraglichen Synallagmas.692)
221 Die Erfüllungsablehnung nach § 103 Abs. 2 S. 1 InsO hat dagegen keine direkte Auswirkung auf den Vertrag.693) Die gegenseitigen Ansprüche bleiben undurchsetzbar.694) Allerdings nimmt die Erfüllungsablehnung dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit, in der Zukunft Erfüllung aus dem Vertrag zu verlangen.695) Erst die Geltendmachung/Anmeldung des Anspruches wegen Nichterfüllung (§ 103 Abs. 2 S. 1 InsO) durch den Vertragspartner lässt dagegen die gegenseitigen Ansprüche erlöschen.696) Dieser Anspruch ist ein originär insolvenzrechtlicher und kein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch statt der Leistung.697) Ersetzt wird grundsätzlich der Saldo der ausstehenden Leistungen, allerdings sind die Einzelheiten umstritten, was zum Teil im jeweiligen Verständnis der Rechtsnatur des Anspruches begründet ist.698) Die Ersatzforderung ist Surrogat des Erfüllungsanspruchs.699)
___________ 689) BGHZ 150, 353 = BGH NJW 2002, 2783 (3. Leitsatz). Überblick zum Meinungsstand in der Literatur in Bezug auf die Rechtsprechung des BGH bei Jacoby in Jaeger, § 103, Rn. 24 ff. 690) BGHZ 150, 353 = BGH NJW 2002, 2783 (3. Leitsatz); Jacoby in Jaeger, § 103, Rn. 298; D. Wegener in Uhlenbruck, § 103, Rn. 11, 132. 691) Kreft in MüKo-InsO, § 103, Rn. 39; Jacoby in Jaeger, § 103, Rn. 298 D. Wegener in Uhlenbruck, § 103, Rn. 132 ff. Zum „Qualitätssprung“ hinsichtlich der Forderung des Insolvenzschuldners Kreft in MüKo-InsO, § 103, Rn. 40. 692) Vgl. Jacoby in Jaeger, § 103, Rn. 5 ff. 693) Berberich in BeckOK-InsO, § 103, Rn. 72 ff.; Jacoby in Jaeger, § 103, Rn. 31. 694) Berberich in BeckOK-InsO, § 103, Rn. 72 ff.; D. Wegener in Uhlenbruck, § 103, Rn. 157. 695) Kreft in MüKo-InsO, § 103, Rn. 20 f.; D. Wegener in Uhlenbruck, § 103, Rn. 157. 696) Jacoby in Jaeger, § 103, Rn. 226; D. Wegener in Uhlenbruck, § 103, Rn. 161. 697) Wie hier Andres in Andres/Leithaus, § 103, Rn. 35; Jacoby in Jaeger, § 103, Rn. 241 ff.; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 103, Rn. 317 jeweils m. w. N. Überblick zum Streitstand mit zahlreichen Nachweisen Marotzke, Gegenseitige Verträge, 5.14 ff. 698) Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, § 103, Rn. 317 ff.; auf anderer dogmatischer Grundlage Huber in MüKo-InsO, § 103, Rn. 185 ff.; D. Wegener in Uhlenbruck, § 103, Rn. 167 ff. jeweils mit ausführlicher Darstellung auch der umstrittenen Positionen wie der Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns. 699) Jacoby in Jaeger, § 103, Rn. 241 ff. (Primäranspruch); Marotzke in HK-InsO, § 103, Rn. 87 ff., 92 m w. N. Soweit von einer Identität oder der Anmeldung des Erfüllungsanspruchs die Rede ist, meint das nichts anderes als in dieser Arbeit der Begriff des Surrogats auszudrücken sucht. Dieser soll, auch in Bezug auf die Ansprüche bei §§ 109 ff. InsO, lediglich kenntlich machen, dass es um die besondere insolvenzrechtliche Forderung geht, die jedenfalls im Erfüllungsinteresse identisch mit dem Erfüllungsanspruch ist.
134
C. Fortbestehende Verträge mit Erfüllungswahlrecht
III. Bipolar-mehrseitige Verträge im Anwendungsbereich des § 103 InsO Wie die Vielzahl der verschiedenen Vertragsformen, die in den Anwendungsbereich 222 des § 103 InsO fallen können, bereits erahnen lassen,700) ist auch die Zahl von verschiedenen Konstellationen bipolar-mehrseitiger Verträge denkbar groß. Die meisten Vertragsformen sind als bipolar-mehrseitige Gestaltung denkbar und praktisch in Gebrauch. Es ist dabei unbeachtlich, in welcher Rolle der Insolvenzschuldner am Vertrag teilnimmt; anders als etwa § 109 unterscheidet § 103 InsO nicht. Für bipolar-mehrseitige Verträge stellt sich die Frage, wie die oben skizzierten 223 Rechtsfolgen für bipolar-einseitige Verträge auf sie zu übertragen sind. Zu unterscheiden ist dabei nach den Folgen von Insolvenzeröffnung, Erfüllungswahl und -ablehnung sowie anschließender Geltendmachung der Forderung wegen Nichterfüllung.
1.
Ausgangssituation ohne Erklärung des Insolvenzverwalters
Die Insolvenzeröffnung wirkt sich im Ausgangspunkt auf bipolar-einseitige und bi- 224 polar-mehrseitige Verträge identisch aus. Das Vertragsverhältnis wird von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt. Es besteht unverändert fort. Fraglich ist, wie sich die im bipolar-einseitigen Vertrag geltende Durchsetzungssperre auswirkt. Sinn und Zweck der Durchsetzungssperre ist es, das vertragliche Synallagma zu erhalten und dem Insolvenzverwalter die Entscheidung zu überlassen, ob der Vertrag zugunsten und zulasten der Masse durchgeführt werden soll.701) Dies als unmittelbaren Regelungszweck des § 103 InsO vorausgesetzt,702) ist ihm freilich auch im bipolar-mehrseitigen Vertragsverhältnis zur Geltung zu verhelfen. Blickt man auf die Fortführungslösung,703) erscheint der Gedanke naheliegend, dass die Forderungen nur im Verhältnis von Insolvenzschuldner und Gläubiger undurchsetzbar sein könnten. Diese Hypothese ist zu überprüfen. Zu unterscheiden sind dazu zwei Situationen, nämlich dass Insolvenzschuldner und 225 Mitschuldner entweder als Gesamtgläubiger (§ 428 BGB) oder als Mitgläubiger (§ 432 BGB) an der Gegenleistung berechtigt sind. Besteht Gesamtgläubigerschaft, kann jeder Gläubiger die vertragliche Leistung in 226 der Weise verlangen, dass sie vollständig an ihn (oder jeden anderen Gläubiger) erbracht wird und sodann Erfüllungswirkung für alle nach sich zieht. Könnte der Mitschuldner also nach Verfahrenseröffnung noch Leistung aus dem Vertrag (an sich) fordern und würde der Vertragspartner leisten, führte das zum Untergang des vertraglichen Leistungsanspruchs. Im Regelfall wird der Vertragspartner Zug-um-Zug ___________ 700) Fn. 685. 701) Vgl. Fn. 681. 702) Wo hier die Grenze zwischen Regelungszweck, literarischer Auslegung und richterlicher Rechtsfortbildung verläuft, ist im Einzelnen umstritten, vgl. bei Jacoby in Jaeger, § 103, Rn. 24 ff. 703) Siehe oben unter Rn. 103 ff.
135
Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
Erfüllung des Mitschuldners, der als Gesamtschuldner mit dem Insolvenzschuldner haftet, verlangen. Erfüllt der Mitschuldner, geht die Gegenleistungsforderung des Gläubigers gegen den Insolvenzschuldner auf den Mitschuldner über (§ 426 Abs. 2 S. 1 BGB) und die Schuld gegenüber dem Gläubiger unter (§ 422 BGB). Daneben besteht ein Regressanspruch des Mitschuldners gegen den Insolvenzschuldner aus § 426 Abs. 1 S. 1 BGB. In diesem Szenario geschieht nichts, was dem Schutzzweck des § 103 InsO widerstrebt. Der Insolvenzschuldner hat zwar nicht die Gegenleistung in die Masse erhalten, darauf hätte er aber aufgrund der Gesamtgläubigerschaft selbst bei Erfüllungswahl keinen Anspruch. Auch nach Erfüllungswahl hätte der Mitschuldner Leistung an sich verlangen können. Die Masse ist somit nicht schlechter gestellt und dem Insolvenzverwalter ist keine Handlungsoption genommen worden – er war nie berechtigt, die Leistung alleine zur Masse zu ziehen. Die Masse haftet nun gegenüber dem Mitschuldner/Regressgläubiger anstatt gegenüber dem Vertragspartner. Dieser Regressanspruch unterliegt der Durchsetzungssperre des § 103 InsO, da der Regress seine Grundlage in dem vertraglichen Leistungsanspruch gegen den Insolvenzschuldner hat, der wiederum der Durchsetzungssperre seit Insolvenzeröffnung unterliegt. Das heißt, die Haftungssituation entspricht derjenigen, die bestünde, wenn alle Ansprüche undurchsetzbar geworden wären. Der Mitschuldner kann seine Regressforderung ausschließlich unter den Voraussetzungen geltend machen, wie der Gläubiger seinen Erfüllungsanspruch.704) Der Schutzzweck des § 103 InsO ist also gewahrt. Erfordert der Schutzzweck der gegenständlichen Norm aber nicht den Eingriff in das Vertragsverhältnis über die Beziehung zum Insolvenzverwalter hinaus, entzieht sich der Tatbestand der Regelungskompetenz der Insolvenzordnung. Der Mitschuldner hat einen vertraglichen Anspruch auf Leistung, der Gläubiger auf Gegenleistung (gegen den Mitschuldner). Diese Ansprüche für die Zeit bis zu einer Erklärung des Insolvenzverwalters zu entwerten und für undurchsetzbar zu erklären ist nicht interessengerecht.705) Der Mitschuldner hat durch den Vertrag das Insolvenzrisiko des Insolvenzschuldners übernommen;706) darum ist er es, dem es obliegt, die gesamtschuldnerische Leistung (erst einmal) allein aufzubringen, um sich die Gegenleistung zu sichern. Dass sein Regressanspruch zunächst undurchsetzbar ist, ergibt sich ebenfalls aus dem übernommenen Insolvenzrisiko. Macht der Mitschuldner nach der Erfüllungsablehnung den Anspruch wegen Nichterfüllung geltend, kann er als Insolvenzschuldner Regress bei der Masse nehmen.707) Dies folgt aus der Wertung des § 103 Abs. 2 S. 1 InsO. Der (insolvenzrechtliche) Anspruch wegen Nichterfüllung des Vertragspartners ist Surrogat des Er-
___________ 704) Zur Auflösung der Undurchsetzbarkeit des Regressanspruchs und weiteren Folgen sogleich. 705) Ausführlich zur Begründung der Fortführungslösung am Beispiel der Kündigung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO oben unter Rn. 103 ff. 706) Dazu allgemein oben unter Rn. 28 f. 707) Zu dessen Berechtigung zur Ausübung und dem Regress genauer sogleich.
136
C. Fortbestehende Verträge mit Erfüllungswahlrecht
füllungsanspruchs des Vertragspartners.708) Dieser Erfüllungsanspruch ist bereits auf den Mitschuldner übergegangen (§ 426 Abs. 2 S. 1 BGB). Da sich die Regressmöglichkeit des Mitschuldners aus dem Erfüllungsanspruch des Gläubigers gegen den Insolvenzschuldner ergibt, schlägt diese Wertung auch auf den Anspruch aus § 426 Abs. 1 S. 1 BGB durch – auch dieser ist Insolvenzforderung. Im Fall der Gesamtgläubigerschaft wirkt die Durchsetzungssperre also nur unmittelbar im Verhältnis von Insolvenzschuldner und Vertragspartner und in Bezug auf etwaige Regressansprüche. Der Mitschuldner und der Vertragspartner haben weiterhin die Möglichkeit, sich gegenseitig in Anspruch zu nehmen. Besteht dagegen Mitgläubigerschaft, kann jeder Gläubiger nur die Leistung an alle 227 gemeinsam verlangen (§ 432 BGB). Das heißt, der Vertragspartner müsste auch an die Insolvenzmasse leisten. Das widerspricht der Wertung des § 103 InsO, selbst wenn der Mitschuldner die volle Gegenleistung alleine aufbringen würde. Denn § 103 InsO ist nicht nur Schutzvorschrift, sondern enthält auch die Wertung, dass vertragliche Leistungen, die nach der Insolvenz in die Masse fließen, einen entsprechenden Gegenleistungsanspruch der Masse nach sich ziehen.709) Nähme man die Leistung an die Masse hin, ohne den Gegenleistungsanspruch zu gewähren, bereicherte das die Masse daher ungerechtfertigt. Würde man den Gegenleistungsanspruch gewähren – und sei es in Gestalt eines etwaigen Regressanspruchs des Mitschuldners, hätte man eine Masseverbindlichkeit geschaffen, ohne dass der Insolvenzverwalter die Vertragserfüllung gewählt hat und hätte damit seine Entscheidungsbefugnis aus dem Wahlrecht umgangen. Beide Szenarien verstoßen mithin gegen die Wertung des § 103 InsO. Besteht eine Mitgläubigerschaft, wirkt die Durchsetzungssperre somit zwischen allen Parteien des bipolar-mehrseitigen Vertrages.
2.
Die Rechtswirkungen der Erfüllungswahl im bipolar-mehrseitigen Vertrag
Als nächstes sind die Auswirkungen der Erfüllungswahl zu betrachten. Wie im Rah- 228 men der Gestaltungsrechte der §§ 109 ff. InsO ist zunächst zu fragen, ob der Insolvenzverwalter berechtigt ist, die Erfüllungswahl alleine zu erklären oder dies nur gemeinsam mit dem Mitschuldner tun kann. Was im Rahmen der Kündigung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO aufgrund der Tatsache, dass die Kündigung ein Gestaltungsrecht des Bürgerlichen Rechts ist, für einige Verwirrung sorgt, wird man für die Erfüllungswahl ohne Weiteres beantworten können: Der Insolvenzverwalter kann ohne Mitwirkung des Mitschuldners sein Erfüllungswahlrecht ausüben. Dies würde bei singulärer Betrachtung des § 103 InsO wohl von vielen mit der Bemerkung abgetan werden, das Erfüllungswahlrecht sei originäres Recht des Insolvenzverwalters ___________ 708) Dazu oben unter Rn. 114. Vgl. auch die Wertung bei §§ 109, 111, 113 InsO in den entsprechenden Kapiteln dieser Arbeit. 709) Vgl. Kreft in MüKo-InsO, § 103, Rn. 41.
137
Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
und könne darum selbstständig ausgeübt werden. Das allein überzeugt allerdings nicht, denn was unterscheidet das Erfüllungswahlrecht in dieser Hinsicht etwa vom Kündigungsrecht des § 109 Abs. 1 S. 1 InsO? Auch das Kündigungsrecht ist durch die Insolvenzordnung dem Insolvenzverwalter zugewiesen und entsteht aufgrund eines spezifisch insolvenzrechtlichen Tatbestands und trotzdem muss nach Ansicht einiger Literaten ein Grundsatz des Bürgerlichen Rechts gebrochen werden (Einheitlichkeitsgrundsatz), um die Ausübung zu rechtfertigen.710) Die zutreffende Begründung, warum das Erfüllungswahlrecht alleine dem Insolvenzverwalter zugewiesen ist, ergibt sich vielmehr aus der im Wesentlichen mit der Diskussion zum Kündigungsrecht übereinstimmenden Argumentation:711) Das Vertragsverhältnis beziehungsweise die aus ihm resultierenden Forderungen712) sind im bipolar-mehrseitigen Vertrag im Innenverhältnis gemeinschaftlich oder gesamthänderisch gebunden. Daraus leitet sich ab, dass derivative Gestaltungsrechte, also solche, die sich aus dem Vertragsverhältnis ergeben, ebenfalls durch jenes Innenverhältnis gebunden sind. Für die Erfüllungswahl trifft das aus zwei Gründen nicht zu: Zum einen entsteht das Erfüllungswahlrecht, wie auch die Gestaltungsrechte der §§ 109 ff. InsO, nicht aus dem Vertrag, sondern ist originär insolvenzrechtliches Recht. Es unterliegt damit nicht der gemeinschaftlichen oder gesamthänderischen Bindung im Innenverhältnis. Es fehlt der gebundene Bezugspunkt, der für die Gestaltungsrechte des Bürgerlichen Rechts der Vertrag ist. Überdies ist die Erfüllungswahl überhaupt kein Gestaltungsrecht in Bezug auf den gebundenen Vertrag.713) Rechtsfolge der Erfüllungswahl ist allein die insolvenzrechtliche Umqualifizierung von Forderungen und die Anordnung derer Durchsetzbarkeit.714) Sie ist somit gerade keine Verfügung über das gemeinsame Recht im Sinne des § 747 S. 2 BGB beziehungsweise das Gesellschaftsvermögen im Sinne des § 719 Abs. 1 BGB.715) Daneben tritt unterstützend, aber zur Begründung der alleinigen Ausübungsbefugnis nicht mehr erforderlich, dass Sinn und Zweck des § 103 InsO ist, dem Insolvenzverwalter die Entscheidungshoheit zuzuweisen, ob er den Vertrag in der Insolvenz erfüllen möchte. Dieser Zweck wäre gefährdet, würde die Ausübung des Erfüllungswahlrechts von der Mitwirkung des Mitschuldners abhängen.
229 Übt der Insolvenzverwalter das Erfüllungswahlrecht aus, sind die gegenseitigen Leistungsansprüche wieder durchsetzbar und der Erfüllungsanspruch des Vertragspart___________ 710) Zur Diskussion und Lösung oben unter Rn. 97 f. 711) Vgl. zur folgenden Argumentation daher ausführlich Rn. 97 f. 712) Nach hiesiger Ansicht ist der Vertrag Bruchteilgegenstand, nach a. A. sind es nur die einzelnen Forderungsrecht; dazu ausführlich mit Nachweisen oben unter Rn. 78 ff. 713) Was nicht heißen soll, dass ihr keine Gestaltungswirkung zukommt, vgl. Jacoby in Jaeger, § 103, Rn. 153. (Um)Gestaltet wird aber nicht das Vertragsverhältnis als solches. 714) Mit Bezug zum Begriff des Gestaltungsrechts Jacoby in Jaeger, § 103, Rn. 153. Im Übrigen dazu oben unter Rn. 219 ff. 715) Anders zum Beispiel die Kündigung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO, siehe unter Rn. 78 ff.
138
C. Fortbestehende Verträge mit Erfüllungswahlrecht
ners qualifiziert nun als Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO).716) Im Fall der Mitgläubigerschaft gilt dies freilich auch für die Ansprüche im Verhältnis Mitschuldner und Gläubiger, die zur Zweckerreichung des § 103 InsO ebenfalls mit Insolvenzeröffnung undurchsetzbar wurden.717) Im Fall der Gesamtgläubigerschaft waren diese Ansprüche ohnehin nie von den Wirkungen des § 103 InsO betroffen.718) Die vorinsolvenzliche Haftungskonstellation ist somit wieder hergestellt, das Vertragsverhältnis und die vertraglichen Ansprüche sind zu behandeln, als wären sie insolvenzunbefangen. Insbesondere kann der Mitschuldner uneingeschränkt Regress bei der Masse als Masseverbindlichkeit nehmen, wenn er den Gläubiger befriedigt oder im Fall der Gesamtgläubigerschaft bereits befriedigt hat. Das ergibt sich schon aus der Wertung des § 103 InsO, der dem Vertragspartner den uneingeschränkten Gegenleistungsanspruch gewährt, wenn dafür dessen Leistung in die Masse (lies: in den Vertragspol des Insolvenzschuldners für die Gesamtgläubigerschaft) fließt.719) Es ist somit nicht Telos, die Masse zu bereichern; auch nicht auf Kosten des Mitschuldners, dessen Regressanspruch auf dem Erfüllungsanpruch des Gläubigers beruht – gegebenenfalls sogar unmittelbar (§ 426 Abs. 2 S. 1 BGB).720) Im Übrigen deckt sich dieses Ergebnis mit dem Verständnis der Erfüllungswahl: Diese solle in Bezug auf den Vertrag so wirken, als sei ein Vertrag mit demselben Inhalt neu abgeschlossen worden.721) Auch dann haftete die Masse dem Mitschuldner im Regress in Gestalt einer Masseverbindlichkeit.
3.
Die Rechtswirkungen der Erfüllungsablehnung und des Begehrens der Forderung wegen Nichterfüllung im bipolar-mehrseitigen Vertrag
Richtet man den Blick auf die Erfüllungsablehnung, ist zunächst festzuhalten, dass der 230 Insolvenzverwalter auch diese eigenständig geltend machen kann. Sie ist ebenfalls originär insolvenzrechtliches Recht und unterliegt damit nicht der gemeinschaftlichen und gesamthänderischen Bindung. Zudem hat sie, genau wie die Erfüllungswahl, keine verfügende Wirkung auf den Bezugsgegenstand, das Vertragsverhältnis.722) Die Erfüllungsablehnung hat keine Auswirkung auf das bipolar-mehrseitige Vertrags- 231 verhältnis,723) das also in der Form fortbesteht, in der es sich seit Insolvenzeröffnung befindet.724) ___________ 716) 717) 718) 719) 720) 721) 722) 723) 724)
Dazu unter Rn. 219 ff. Siehe unter Rn. 224 ff. Siehe unter Rn. 224 ff. Fn. 709. Dazu schon unter Rn. 224 ff. Kreft in MüKo-InsO, § 103, Rn. 41. Vgl. zur Erfüllungswahl oben unter Rn. 228 f. Fn. 693. Siehe oben unter Rn. 224 ff.
139
Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
232 Eine Änderung für das Vertragsverhältnis zeitigt erst die Geltendmachung der Forderung wegen Nichterfüllung durch den Gläubiger, § 103 Abs. 2 S. 1 InsO. Sie hat im bipolar-einseitigen Vertrag zur Folge, dass die gegenseitigen Leistungspflichten erlöschen und an ihre Stelle der besondere insolvenzrechtliche Anspruch aus § 103 Abs. 2 S. 1 InsO tritt, der Surrogat des Erfüllungsanspruchs ist.725) Angesichts der Fortführungslösung ist also zunächst zu fragen, ob das zur Folge hat, dass auch die Leistungsansprüche im Verhältnis von Mitschuldner und Gläubiger erlöschen oder ob sich die Wirkung auf das Verhältnis zum Insolvenzschuldner beschränkt. Diese Situation ist wesentlich vergleichbar mit der Ausübung des Kündigungsrechts aus § 109 Abs. 1 S. 1 InsO durch den Insolvenzverwalter: Die Masse muss in beiden Fällen die vertraglichen Pflichten gegenüber dem Gläubiger nicht mehr wie geschuldet erfüllen, sondern schuldet nunmehr Kompensation in Gestalt der Forderung wegen Nichterfüllung (§ 103 Abs. 2 S. 1 InsO) als Insolvenzforderung, die ihre Entsprechung im „Schadensersatzanspruch“ des § 109 Abs. 1 S. 3 InsO findet. An dieser Rechtsfolge würde sich durch die Fortführungslösung, also das Fortbestehen der Vertragsbeziehung unter Ausscheiden des Insolvenzschuldners, nichts ändern. Der Normzweck des § 103 InsO steht der Fortführungslösung also neutral gegenüber – wie freilich auch im Rahmen des § 109 Abs. 1 S. 1 InsO726). Dass die Fortführungslösung anzuwenden ist, ergibt sich vielmehr zwingend aus dem vertraglichen Haftungsregime; das heißt, aus der vereinbarten Verteilung der Insolvenzrisiken. Im bipolarmehrseitigen Vertrag hat der Mitschuldner das konkrete Insolvenzrisiko des späteren Insolvenzschuldners übernommen.727) An dieser Risikoentscheidung ist er gerade dann festzuhalten, wenn sich durch die Insolvenz das übernommene Risiko verwirklicht hat. Wesen des Insolvenzrisikos ist es, dass der Träger das wirtschaftliche Risiko des Ausfalls eines Anderen übernimmt.728) Würde man den Mitschuldner durch die Geltendmachung der Forderung wegen Nichterfüllung aus dem Vertrag entlassen, müsste er für seine Vertragspflichten nicht mehr haften.729) Der Gläubiger, dessen Insolvenzrisiko nur abstrakt ist und erst zum konkreten Insolvenzrisiko erstarkt, wenn der vorletzte Schuldner insolvent ist (Finalinsolvenzrisiko), hätte dann in der Insolvenz eines Schuldners, für den er nicht das konkrete Insolvenzrisiko trägt, die Wahl, das gesamte Insolvenzverfahren auszuharren, um danach gegen den Insolvenzschuldner und – im Fall der Mitgläubigerschaft – den Mitschuldner vorgehen zu können oder sofort die Forderung wegen Nichterfüllung als Insolvenzforderung geltend zu machen und den Mitschuldner als Schuldner zu verlieren. Beide Optionen sind in keiner Weise mit der vertraglichen Zuweisung des konkreten Insolvenzrisikos an eine andere Partei zu vereinbaren. ___________ 725) 726) 727) 728) 729)
140
Siehe oben unter Fn. 708. Dazu unter Rn. 103 ff. Allgemein zur (Insolvenz-)Risikoverteilung im bipolar-mehrseitigen Vertrag oben unter Rn. 28 f. Dazu unter Rn. 15 ff. Vgl. ausführlich zum Folgenden bei der Kündigung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO unter Rn. 114.
C. Fortbestehende Verträge mit Erfüllungswahlrecht
Spiegelbildlich hat auch der Mitschuldner ein Interesse am Fortbestand des Vertrags- 233 verhältnisses. Er hat mit dem konkreten Insolvenzrisiko des späteren Insolvenzschuldners das wirtschaftliche Risiko für dessen Ausfall, das heißt, für die Nichterfüllung seiner Leistungspflicht, übernommen. Würde ihm nun durch eine Beendigung des gesamten Vertrages die Gegenleistungsforderung genommen, fände das in der Verteilung der Risiken keinen Widerhall: Der Wegfall der Gegenleistung ist nicht Inhalt eines übernommenen konkreten Insolvenzrisikos. Zudem hat der Gläubiger aus dem Vertrag regelmäßig keinen Anspruch dauernd eine Schuldnermehrheit als Haftungsgemeinschaft im anderen Vertragspol zu haben. Die Schuldnermehrheit hatte die Funktion, bisweilen auch nur den Reflex, das konkrete Insolvenzrisiko vom Gläubiger weg zu verlagern. Mit der dauerhaften Freistellung von jedem konkreten Insolvenzrisiko ist das nicht identisch. Als Gläubiger seiner Forderung gegen den anderen Vertragspol verbleibt das Finalinsolvenzrisiko zwangläufig bei ihm. Der Vertrag ist also mit der Geltendmachung der Forderung wegen Nichterfüllung grundsätzlich unverändert fortzusetzen; allein der Insolvenzschuldner scheidet aus dem Vertrag aus. Etwas modifiziert ist die Lage, wenn eine Gesamtgläubigerschaft vorliegt, denn dann 234 sind die Ansprüche im Verhältnis zwischen Mitschuldner und Gläubiger nach hier dargelegtem Verständnis auch vor Geltendmachung der Forderung wegen Nichterfüllung uneingeschränkt durchsetzbar. Dann erschließt sich erst recht nicht, warum diese Ansprüche mit Geltendmachung auf einmal erlöschen sollten. Letztendlich beruht aber bereits die Möglichkeit der uneingeschränkten Durchsetzbarkeit auf der Idee der Fortführungslösung, die den Gedanken der Nichtbeeinflussung eines bipolar-mehrseitigen Vertrages hinsichtlich des Verhältnisses von Mitschuldner und Gläubiger an den Anfang der Hypothese vom Fortbestand der Durchsetzbarkeit der Ansprüche bei Gesamtgläubigerschaft gesetzt hat. Die Fortführungslösung beruht aber entscheidend auf dem Gedanken der Aufrechterhaltung des vertraglichen Haftungsregimes, so dass die oben vorgestellte Lösung bereits den Gedanken in sich trägt, der für die Mitgläubigerschaft erst im Rahmen der Geltendmachung der Forderung wegen Nichterfüllung zum Tragen kommt. Anschließend ist noch zu erörtern, ob und gegebenenfalls in welcher Form ein Regress 235 gegenüber der Masse stattfindet: Zu unterscheiden sind die Szenarien der Mitgläubigerschaft und der Gesamtgläubigerschaft, mit der Unterscheidung, ob die Forderung des Gläubigers bereits vor Geltendmachung der Forderung wegen Nichterfüllung durch den Mitschuldner erfüllt wurde oder erst danach. Bei der Mitgläubigerschaft stellt sich auch die Haftungskonstellation wie nach der 236 Kündigung des Insolvenzverwalters nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO dar. Der Gläubiger hat den vertraglichen Erfüllungsanspruch gegen den Mitschuldner und die insolvenzrechtliche Ausgleichsforderung – oder Schadenersatzforderung, um die Terminologie der §§ 109 ff. InsO beizubehalten – gegen den Insolvenzschuldner als Insolvenzforderung. Diese Ausgleichsforderung aus § 103 Abs. 2 S. 1 InsO ist im 141
Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
bipolar-einseitigen Vertrag, verkürzt, auf die wertmäßige Differenz der beiden Leistungspflichten gerichtet. Bei der Bestimmung des Anspruchsumfangs im bipolarmehrseitigen Vertrag ist zu beachten, dass der Gläubiger gerade nicht von seiner Leistungspflicht frei wird, sondern die Leistung weiter dem Mitschuldner schuldet. Dadurch ist er nicht ungerechtfertigt bevorteilt, denn er kann nur einmal Erfüllung verlangen, entweder vom Insolvenzschuldner oder – was alleine sinnvoll ist – vom Mitschuldner, denn die Ansprüche sind gesamtschuldnerisch verbunden: Der Anspruch wegen Nichterfüllung ist Surrogat für den entfallenden Erfüllungsanspruch gegen den Insolvenzschuldner. Er ist auf das identische Leistungsinteresse gerichtet, wie der Erfüllungsanspruch. Daraus ergibt sich eine gesamtschuldnerische Bindung mit dem Erfüllungsanspruch gegen den Mitschuldner.730) Befriedigt der Mitschuldner den Gläubiger, hat der Mitschuldner darum einen Regressanspruch gegen die Masse aus § 426 BGB. Diese Regressansprüche (§ 426 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 BGB) sind entsprechend der Wertung des § 103 Abs. 2 S. 1 InsO und der Tatsache, dass sie auf einer Gesamtschuld von (faktischen) Erfüllungsansprüchen beruhen, die mit Vertragsschluss im Sinne des § 38 InsO begründet waren, Insolvenzforderungen.
237 Im Fall einer Gesamtgläubigerschaft, bei der der Mitschuldner den Gläubiger noch nicht befriedigt hat, ergeben sich die Rechtsfolgen unproblematisch entsprechend. Der Anspruch aus § 103 Abs. 2 S. 1 InsO und der Erfüllungsanspruch bilden eine Gesamtschuld. Befriedigt der Mitschuldner den Gläubiger, kann er gemäß § 426 BGB als Insolvenzgläubiger Regress nehmen.
238 Hat der Mitschuldner bei einer Gesamtgläubigerschaft den Gläubiger bereits befriedigt – um die Gegenleistung zu erhalten –, geht der Erfüllungsanspruch des Gläubigers gegen den Insolvenzschuldner, der zuvor mit dem Erfüllungsanspruch gegen den Mitschuldner in Gesamtschuld stand, auf den Mitschuldner über, § 426 Abs. 2 S. 1 BGB. Der Mitschuldner könnte so sofort Regress bei der Masse nehmen (§ 426 BGB), allerdings ist der übergegangene Anspruch nicht durchsetzbar, bis der Insolvenzverwalter die Nichterfüllungserklärung abgegeben hat und daraufhin der Anspruch wegen Nichterfüllung geltend gemacht wurde.731) Entsprechendes muss dann für den Anspruch aus § 426 Abs. 1 S. 1 BGB gelten. Mit dem Übergang des Erfüllungsanpruches des Gläubigers auf den Mitschuldner geht auf ihn als Annexbefugnis das Recht über, die Forderung wegen Nichterfüllung geltend zu machen. Der Gläubiger hat nach der Befriedigung durch den Mitschuldner weder die Berechtigung noch ein Interesse an der Geltendmachung. Mit der Forderung des Anspruches wegen Nichterfüllung durch den Mitschuldner wird der übergegangene Erfüllungsanspruch – hier zeigt sich die Identität/Surrogation zwischen Erfüllungsanspruch und Anspruch wegen Nichterfüllung – zum Anspruch nach § 103 Abs. 2 S. 1 InsO in der Hand des Mitschuldners. Die Forderung ist Insolvenzforderung. Aufgrund der Wertung ___________ 730) Vgl. zur Situation nach der Kündigung gemäß § 109 Abs. 1 S. 1 InsO oben unter Rn. 114. 731) Siehe dazu schon oben unter Rn. 228 f.
142
C. Fortbestehende Verträge mit Erfüllungswahlrecht
des § 103 Abs. 2 S. 1 InsO gilt das auch für den Anspruch aus § 426 Abs. 1 S. 1 BGB, der nun ebenfalls durchsetzbar ist. Da die Regressmöglichkeit des Mitschuldners somit von der Erklärung der Erfüllungsablehnung durch den Insolvenzverwalter abhängt, steht dem Mitschuldner das Aufforderungsrecht des § 103 Abs. 2 S. 2 InsO in diesen Fällen zu. Auch dieses Recht ist letztlich Annex des Erfüllungsanspruches und Inhaber dessen ist der Mitschuldner. Lehnt man eine Annexbefugnis ab, liegt jedenfalls eine planwidrige Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage vor, so dass sowohl die Aufforderungs- als auch die Forderungsbefugnis analog auf den Mitschuldner anzuwenden wären.
IV. Zusammenfassung Die Rechtsfolgen des § 103 InsO für den bipolar-mehrseitigen Vertrag richten sich 239 nach der Fortführungslösung. Nur durch sie wird gewährleistet, dass die Vertragsparteien entsprechend ihrer vertraglichen Risikoverteilung in der Insolvenz haften. Der Normzweck des § 103 InsO kann durch die Fortführungslösung vollumfänglich gewahrt werden. Das Schicksal des bipolar-mehrseitigen Vertrages unterscheidet sich leicht, je nach- 240 dem ob Insolvenzschuldner und Mitschuldner Gesamt- oder Mitgläubiger sind. Für die Mitgläubigerschaft entwickeln sich die Rechtsfolgen wie folgt: Mit Eröffnung 241 des Verfahrens sind alle vertraglichen Ansprüche, auch die im Verhältnis zwischen Mitschuldner und Gläubiger, nicht mehr durchsetzbar. Wählt der Insolvenzverwalter Erfüllung, verhält sich der Vertrag wie ein insolvenzunbefangener bipolar-mehrseitiger Vertrag. Der Mitschuldner kann, wenn er den Gläubiger befriedigt, Regress bei der Masse als Masseverbindlichkeit nehmen. Lehnt der Insolvenzverwalter die Erfüllung ab und verlangt der Gläubiger die Forderung wegen Nichterfüllung, besteht der Vertrag zwischen Mitschuldner und Gläubiger unverändert fort; lediglich der Insolvenzschuldner scheidet aus dem Vertrag aus. Der Anspruch wegen Nichterfüllung des Gläubigers ist Surrogat des Erfüllungsanspruch und deswegen gesamtschuldnerisch mit dem Erfüllungsanspruch gegen den Mitschuldner verbunden. Der Mitschuldner kann somit nach der Befriedigung des Gläubigers Regress beim Insolvenzschuldner in Gestalt einer Insolvenzforderung nehmen. Bei der Gesamtgläubigerschaft sind mit Insolvenzeröffnung nur die vertraglichen 242 Ansprüche im Verhältnis zwischen Insolvenzverwalter und Gläubiger undurchsetzbar. Der Mitschuldner und der Gläubiger können die gegenseitigen Ansprüche weiterhin geltend machen. Wählt der Insolvenzverwalter die Erfüllung, verhält sich alles wie bei einem insolvenzunbefangenen bipolar-mehrseitigen Vertrag. Der Mitschuldner kann Regress von der Masse als Masseverbindlichkeit verlangen, wenn er den Gläubiger befriedigt. Hat der Mitschuldner den Gläubiger bereits vor der Erfüllungsablehnung und/oder vor der Geltendmachung der Forderung wegen Nichterfüllung befriedigt, so geht der undurchsetzbare Erfüllungsanspruch gegen den Insolvenz-
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Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
schuldner auf den Mitschuldner über (§ 426 Abs. 2 S. 1 BGB). Auch der Anspruch aus § 426 Abs. 1 S. 1 BGB ist dann noch undurchsetzbar. Als Annexbefugnis zum (übergegangenen) Erfüllungsanspruch kann der Mitschuldner sowohl die Aufforderung zur Erklärung (§ 103 Abs. 2 S. 2 InsO) abgeben, als auch die Forderung wegen Nichterfüllung geltend machen. Tut er dies, kann er Regress als Insolvenzforderung nehmen. Hat der Mitschuldner den Gläubiger noch nicht befriedigt, wenn dieser die Forderung wegen Nichterfüllung geltend macht, erlöschen die vertraglichen Bindungen zum Insolvenzschuldner. Ansonsten bleibt der Vertrag zwischen Mitschuldner und Gläubiger aber unberührt bestehen. Der Mitschuldner kann nach der Befriedigung des Gläubigers Regress beim Insolvenzschuldner als Insolvenzforderung nehmen.
V. Rechtsfolgen bei bipolar-mehrseitigen Verträgen im Sinne des § 104 InsO 243 Für bestimmte Verträge, die eigentlich dem § 103 InsO unterfallen würden oder gar nicht von den §§ 103 ff. InsO erfasst wären,732) ordnet der § 104 InsO eine abweichende Rechtsfolge an und nimmt sie somit aus dem Anwendungsbereich des Verwalterwahlrechts heraus.733) Die Norm gilt für Fixgeschäfte (§ 104 Abs. 1 S. 1 InsO)734) und bestimmte Geschäftsformen der Finanzwirtschaft, die unter dem unbestimmten Rechtsbegriff „Finanzleistungen“ zusammengefasst werden (§ 104 Abs. 1 S. 2 InsO).735) Der § 104 Abs. 1 S. 4 InsO enthält Regelbeispiele für Finanzleistungen.736)
244 Telos des § 104 InsO ist es, den Vertragspartner zu schützen und ihm die Ungewissheit zu nehmen, die durch das Recht zur Erfüllungswahl nach § 103 InsO bis zum Fälligkeitstermin des Geschäfts bestünde.737) Die Beendigung belastet die Vertragsparteien nicht, da aufgrund der Marktgängigkeit der Leistung der Insolvenzverwalter problemlos durch Neuabschluss benötigte Geschäfte generieren kann;738) das gilt freilich ebenfalls für den Vertragspartner.739) Zudem solle es dem Insolvenzverwalter nicht möglich sein, aus einer Vielzahl von gleichartigen Geschäften nur diejenigen
___________ 732) Die Norm wird entsprechend auf Finanzgeschäfte mit einseitiger Barausgleichspflicht angewendet, die eigentlich keine gegenseitigen Verträge im Sinne der §§ 103 ff. InsO sind, Jahn/ Fried in MüKo-InsO, § 104, Rn. 70. 733) Berberich in BeckOK-InsO, § 104, Rn. 1; Jacoby in Jaeger, § 104, Rn. 1; Lüer in Uhlenbruck, § 104, Rn. 1. 734) Ehemals § 104 Abs. 1 InsO, dazu Jahn/Fried in MüKo-InsO, § 104, Rn. 37 ff. 735) Ehemals § 104 Abs. 2 S. 1 InsO; dazu Jahn/Fried in MüKo-InsO, § 104, Rn. 44 ff. 736) Zuvor § 104 Abs. 2 S. 2 InsO, dazu Ringstmeier in K. Schmidt, § 104, Rn. 12, 16 ff. 737) BT-Drucks. 12/2443, S. 45; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 104, Rn. 4; Jacoby in Jaeger, § 104, Rn. 4; Lüer in Uhlenbruck, § 104, Rn. 2. 738) BT-Drucks. 12/2443, S. 45; Berberich in BeckOK-InsO, § 104, Rn. 2. 739) Berberich in BeckOK-InsO, § 104, Rn. 2; Ringstmeier in K. Schmidt, § 104, Rn. 1.
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C. Fortbestehende Verträge mit Erfüllungswahlrecht
zur Erfüllung auszuwählen und zur Masse zu ziehen, die sich positiv entwickeln,740) was ohne die Vorschrift angesichts des § 103 InsO sogar die Pflicht des Insolvenzverwalters wäre. Im Fokus steht somit – eine Besonderheit unter den Vorschriften der §§ 103 ff. InsO – der Schutz des Vertragspartners.
1.
Überblick über die Rechtsfolgen
Ein dem § 104 InsO unterfallender Vertrag wird mit Insolvenzeröffnung beendet 245 und an die Stelle der gegenseitigen Erfüllungsansprüche tritt ein einheitlicher Differenzanspruch, der, je nach Saldo, zugunsten der einen oder anderen Partei besteht, § 104 Abs. 1, S. 1, 2 InsO.741) Der Differenzanspruch richtet sich nach dem Marktoder Börsenwert des Geschäfts,742) § 104 Abs. 2 S. 1 InsO, der sich nach den weiteren Vorschriften des § 104 Abs. 2 InsO bestimmt. Der § 104 Abs. 5 InsO stellt klar, dass die Forderung des Gläubigers, sollte der Saldo zu seinen Gunsten ausfallen, nur als Insolvenzforderung geltend gemacht werden kann. Der § 104 Abs. 3 S. 1 InsO erlaubt überdies, mehrere Geschäfte zwischen den Ver- 246 tragspartnern, die dem § 104 InsO unterfallen, aber nicht notwendig identischer Rechtsnatur sein müssen,743) durch einen Rahmenvertrag insolvenzrechtlich zu verbinden, um für alle Verträge das Erlöschen im Insolvenzfall anzuordnen und alle Verträge zu saldieren, um nur eine einzige Differenzforderung zu bilden.744)
___________ 740) Sog. cherry-picking, siehe BT-Drucks. 12/7202, S. 163 f.; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 104, Rn. 8; Lüer in Uhlenbruck, § 104, Rn. 3; Ringstmeier in K. Schmidt, § 104, Rn. 1. Teilweise wird auch darauf hingewiesen, der Insolvenzverwalter solle von einer Spekulation zulasten der Masse abgehalten werden, BGH NZI 2016, 21, Rn. 32; Jacoby in Jaeger, § 104, Rn. 4. Notwendigkeit zur Spekulation bestünde aber bei Anwendung des § 103 InsO regelmäßig nicht, da der Insolvenzverwalter sich erst in sprichwörtlich letzter Minute erklären müsste. „Spekulation“ beschränkte sich dann auf die Fälle, in denen der Vertragspartner von seinem Aufforderungsrecht nach § 103 Abs. 2 S. 2 InsO gebraucht macht und sich der Insolvenzverwalter so vor dem Erfüllungsdatum erklären müsste; für diese Fälle hat das Argument freilich seine Berechtigung. Das Argument vom Schutz der Masse vor Spekulation fußt wohl auf BT-Drucks. 12/2443, S. 45, ist dort aber lediglich als Aufrechterhaltung der Argumentation zum Schutz des Vertragspartners zu verstehen („auch bei diesen Geschäften“) und soll keinen zusätzlichen Schutzzweck konstituieren. Dezidiert in Bezug auf Finanzgeschäfte dagegen BT-Drucks. 12/7202, S. 163 f. 741) Ehemals § 104 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 InsO, dazu Balthasar in Nerlich/Römermann, § 104, Rn. 18, 45; Ringstmeier in K. Schmidt, § 104, Rn. 23. 742) Ehemals nach der Differenz von vereinbartem Preis und Markt- oder Börsenwert an einem bestimmten Stichtag (§ 104 Abs. 3 S. 1 InsO), zur Berechnung nach altem Recht im Einzelnen: Jacoby in Jaeger, § 104, Rn. 62 ff.; Jahn/Fried in MüKo-InsO, § 104, Rn. 82 ff. Zum neuen Recht: Berberich in BeckOK-InsO, § 104, Rn. 39 ff. 743) BT-Drucks. 12/7202, S. 163 f. („aus […] Finanzgeschäften“); Jacoby in Jaeger, § 104, Rn. 54; Lüer in Uhlenbruck, § 104, Rn. 36. 744) Sog. close-out netting, ehemals § 104 Abs. 2 S. 3 InsO, dazu Jahn/Fried in MüKo-InsO, § 104, Rn. 152 ff.
145
Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
2.
Bipolar-mehrseitige Verträge im Anwendungsbereich des § 104 InsO
247 Auch die Verträge im Anwendungsbereich des § 104 InsO sind als bipolar-mehrseitige Verträge denkbar. Da es sich überwiegend um Geschäfte mit kaufmännischem Hintergrund handelt, sei an dieser Stelle noch einmal auf die sorgfältige Abgrenzung von bipolar-mehrseitiger Vertragsbeteiligung, Vertragsbeteiligung als Gesellschaft und Besicherung hingewiesen.745) Es stellt sich mithin die Frage nach den Rechtsfolgen.
a) Das einzelne bipolar-mehrseitige Geschäft 248 Grundsätzlich gilt für bipolar-mehrseitige Verträge, dass ein Eingriff in das Vertragsverhältnis nur insoweit von der Regelungskompetenz der Insolvenzordnung gedeckt ist, wie er erforderlich ist, um den Zweck der insolvenzrechtlichen Vorschrift zu erreichen.746) Zweck des § 104 InsO ist der Schutz des Vertragspartners vor den Unwägbarkeiten der Wahlrechtsausübung des Insolvenzverwalters.747) Dieser Zweck erfordert nicht, dass das gesamte Vertragsverhältnis beendet wird. Im Übrigen entspricht es der vertraglichen Risikoverteilung, den Mitschuldner am Vertrag mit dem Gläubiger festzuhalten.748) Der Mitschuldner hat das konkrete Insolvenzrisiko des Insolvenzschuldners vertraglich übernommen. Ihn gerade im Insolvenzfall aus der Haftung zu entlassen, widerspricht der Risikoübernahme. Auch mit der Gewährung eines Differenzanspruchs gegen den Mitschuldner ist dem Gläubiger hinsichtlich seines Interesses an der Vertragsdurchführung nicht geholfen, da so durch den Berechnungsmechanismus des § 104 Abs. 2 InsO der maßgebliche Quasi-Erfüllungszeitpunkt ohne Rechtfertigung verlagert würde. Zudem würde außer Acht gelassen, dass der Vertragspol des Insolvenzschuldners auch eine Sachleistung schulden kann. Gegenüber dem Insolvenzschuldner ist eine Umrechnung, wie sie letztlich auch § 104 Abs. 2 InsO zu Grunde liegt, in der Insolvenz zwangsläufig (§ 45 InsO). Gegenüber dem Mitschuldner ergibt sich allerdings keine vergleichbare Rechtfertigung, ihn unbesehen von der Sachleistungspflicht frei werden zu lassen. Umgekehrt hat auch der Mitschuldner ein schützenswertes Interesse an der Vertragsdurchführung. Der Gläubiger hat aus dem Vertrag regelmäßig kein Recht, von der Verpflichtung zur Durchführung des Vertrages frei zu werden, nur weil eine ursprünglich haftende Schuldnermehrheit nicht mehr besteht. Der Gläubiger trägt das Finalinsolvenzrisiko der Schuldnermehrheit. Mit der Fortführungslösung ist also auch im Fall des § 104 InsO grundsätzlich der Fortbestand des Vertrages die zutreffende Lösung. Es bleibt zu klären, wie sich die Insolvenzeröffnung auf die vertragliche Bindung des ___________ 745) 746) 747) 748)
146
Dazu oben unter Rn. 10 ff. und Rn. 72. Dazu oben unter Rn. 46 ff. Siehe unter Fn. 737. Dazu und dem Folgenden: Allgemein oben unter Rn. 36 ff. Vgl. ausführlich zur Kündigung nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO unter Rn. 103 ff.
C. Fortbestehende Verträge mit Erfüllungswahlrecht
Insolvenzschuldners auswirkt. Man könnte annehmen, da der Vertrag nun sowieso durchgeführt werden müsse, könne in Ansehung des Normzwecks davon abgesehen werden, die Vertragsbeziehung zum Insolvenzschuldner zu beenden. Dem ist nicht so: Verbliebe der Insolvenzschuldner im Vertrag, existierten drei gleichermaßen abzulehnende Haftungskonstellationen: Der Insolvenzschuldner könnte für die Vertragspflicht neben dem Mitschuldner verpflichtet bleiben und in Gestalt einer Insolvenzforderung haften. Das würde zwar der Wertung des § 104 Abs. 5 InsO entsprechen, verstieße aber gegen den Rechtsgedanken des § 103 InsO, der Masse eine vertragliche Leistung nur zukommen zu lassen, wenn ein entsprechender Gegenleistungsanspruch gegen die Masse besteht (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Haftete die Masse dagegen stets in Gestalt einer Masseverbindlichkeit, verstieße dies gegen die Wertung des § 104 Abs. 5 InsO. Würde man dem Insolvenzverwalter das Wahlrecht nach § 103 InsO zugestehen, wäre das nicht mit dem Zweck des § 104 InsO vereinbar: Zwar würde es nicht zu Unwägbarkeiten beim Gläubiger führen, da er den Vertrag ohnehin (gegenüber dem Mitschuldner) erfüllen muss, § 104 InsO soll aber gerade auch das sogenannte cherry-picking verhindern.749) Die Norm geht davon aus, dass Geschäfte, die dem § 104 InsO unterfallen, regelmäßig in großer Zahl vorgenommen werden. Dem Insolvenzverwalter soll es nicht möglich sein, aus dieser Vielzahl an Geschäften lediglich diejenigen zur Erfüllung zu erwählen, die sich für die Masse vorteilhaft entwickelt haben.750) Nachdem festgestellt ist, dass die Vertragsfortführung mit dem Insolvenzschuldner keine Option ist, muss die vertragliche Bindung zum Insolvenzschuldner – insoweit wie im bipolar-einseitigen Vertrag – beendet werden. Der Differenzanspruch wird allerdings nicht gegenüber dem Gläubiger gebildet, sondern gegenüber dem Mitschuldner (solange, und davon geht diese Arbeit schließlich aus, der Mitschuldner solvent ist). Der Differenzanspruch ist kein insolvenzrechtlicher Ausgleichsanspruch wie die §§ 103 Abs. 2 S. 1, 109 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 2, 113 S. 3 InsO.751) Er fingiert letztlich durch einen vorzeitigen QuasiErfüllungstermin wertmäßig die Vertragsdurchführung; mit der tatsächlichen Wertigkeit der vertraglichen Leistungen, die sich erst am Erfüllungstermin offenbaren würde, hat er damit nichts mehr zu tun. Für eine solche Vertragsabwicklung besteht gegenüber dem Gläubiger kein Raum, denn dieser schuldet weiterhin die vollständige Vertragsdurchführung gegenüber dem Mitschuldner zum vertraglich gewählten Erfüllungszeitpunkt. Würde der Differenzanspruch gegenüber dem Gläubiger fortbestehen, schuldete dieser (und seine Vertragspartner entsprechend) gleichsam faktisch eine Doppel-Erfüllung mit jeweils unterschiedlichen wirtschaftlichen Wertigkeiten. Stattdessen ist vielmehr der Gedanke des § 104 Abs. 2 InsO so zu verstehen, ___________ 749) Siehe Fn. 740. 750) Fn. 740. 751) Er ist aber insolvenzrechtlicher Ausgleichsanspruch, vgl. zur Dogmatik Jacoby in Jaeger, § 104, Rn. 59 m. w. N. Zu den anderen Ersatzansprüchen siehe in den entsprechenden Kapiteln dieser Arbeit.
147
Teil II. Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz
dass die Masse am wirtschaftlichen Wert des Geschäfts partizipieren soll.752) Ist dieser negativ, soll sie aber nur in Gestalt einer Insolvenzforderung haften (vergleiche § 38 InsO). Die Vorziehung des Berechnungstermins dient nur der beschleunigten Abwicklung,753) weil durch die Vertragsbeendigung gerade kein Interesse an einem Zuwarten mehr besteht. Im bipolar-mehrseitigen Vertrag wird dieser Zweck dadurch erreicht, dass der Differenzanspruch gegenüber dem Mitschuldner berechnet wird – und zwar zum tatsächlichen Erfüllungstermin. Denn der Mitschuldner ist Träger des Insolvenzrisikos des Insolvenzschuldners. Er ist es, der den wirtschaftlichen Ausfall des Insolvenzschuldners zu tragen hat. Der wirtschaftliche Ausfall bestimmt sich dabei ausschließlich nach dem tatsächlichen Wert der vertraglichen Leistung unter Berücksichtigung ihrer Gegenleistung. Die Differenzforderung wird daher gebildet aus dem anteiligen754) Wert der Gegenleistung im Erfüllungszeitpunkt abzüglich des Wertes der anteiligen Schuld des Insolvenzschuldners im Innenverhältnis zum Erfüllungszeitpunkt. Ist der Saldo positiv, schuldet der Mitschuldner einen entsprechenden Betrag zur Masse, ist der Saldo negativ, schuldet die Masse den entsprechenden Betrag dem Mitschuldner, der diesen Anspruch nur als Insolvenzforderung geltend machen kann (§ 104 Abs. 5 InsO). Vor dem Erfüllungsdatum kann der Mitschuldner die Differenzforderung als bedingte Forderung anmelden (§ 191 InsO). Dass der Betrag der Forderung erst zum Erfüllungszeitpunkt des Geschäfts, das heißt nach der Insolvenzeröffnung, feststeht, entspricht zwar nicht dem § 104 Abs. 2 S. 1 InsO – der aus den oben genannten Gründen hier nicht passt –, was für die Insolvenzordnung aber keinesfalls ein unbekannter oder zu vermeidender Umstand ist, wie schon § 191 InsO zeigt.
b) Close-out Netting im bipolar-mehrseitigen Vertrag 249 Mit der Gewährung der Möglichkeit zum sogenannten close-out Netting755) wollte der Gesetzgeber entsprechend internationaler Marktusancen Vertragspartnern erlauben, ihre zahlreichen gegenseitigen Geschäfte für den Fall der Insolvenzeröffnung zu saldieren und aus allen Geschäften eine Differenzforderung756) zu bilden.757)
___________ 752) Ehemals § 104 Abs. 3, vgl. dazu Jacoby in Jaeger, § 104, Rn. 6; Ringstmeier in K. Schmidt, § 104, Rn. 3. 753) Balthasar in Nerlich/Römermann, § 104, Rn. 9. 754) Das meint die Berechtigung im Innenverhältnis. Ist die Sache nicht teilbar, ist dementsprechend 50 % anzusetzen. 755) Fn. 744. 756) Zum Streit, ob sich diese nach § 104 Abs. 3 InsO berechnen muss oder ob der Rahmenvertrag eine eigene Berechnungsgrundlage setzen darf, Jahn/Fried in MüKo-InsO, § 104, Rn. 171 ff. 757) BT-Drucks. 12/7302, S. 168; Lüer in Uhlenbruck, § 104, Rn. 3; vgl. nunmehr auch BTDrucks. 18/9983, S. 8.
148
C. Fortbestehende Verträge mit Erfüllungswahlrecht
Im bipolar-mehrseitigen Vertrag ergeben sich keine Probleme in der Anwendung 250 des § 104 Abs. 3 S. 1 InsO, wenngleich sorgfältig zwischen zwei Fällen zu differenzieren ist: Besteht eine Netting-Vereinbarung zwischen den Parteien der gegenständlichen bi- 251 polar-mehrseitigen Verträge, ist diese wirksam im Sinne des § 104 Abs. 3 S. 1 InsO und die Forderungen können saldiert werden. Nicht ausreichend sind dagegen bipolar-einseitige Netting-Vereinbarungen zwischen Insolvenzschuldner und Gläubiger sowie Mitschuldner und Gläubiger, wenn sich nicht ausnahmsweise durch Auslegung jeweils ergibt, dass auch bipolar-mehrseitige Verträge mit – aus Sicht der jeweiligen Vereinbarung – Dritten erfasst werden sollen. Grundsätzlich erfordert der § 104 Abs. 3 S. 1 InsO aber eine Vereinbarung zwischen den Parteien, die am entsprechenden Geschäft beteiligt sind.758) Dass der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang von einer Abrede zwischen zwei Parteien spricht,759) steht nicht der Anwendung auf bipolar-mehrseitige Verträge entgegen. Vielmehr dient diese Formulierung der Abgrenzung zu echten mehrseitigen Verrechnungssystemen, die nicht erfasst sein sollen.760) Entscheidendes Merkmal ist die Bipolarität,761) die eine direkte Vertragsbeteiligung der Parteien und eine Berechtigung an den jeweils zu saldierenden Leistungspflichten gewährleistet. Der bipolar-mehrseitige Vertrag ist strukturverwandt mit dem bipolar-einseitigen Vertrag.762) Da § 104 Abs. 3 S. 1 InsO diese Form der Saldierung gegenüber einem insolventen Vertragspartner ausdrücklich zulässt, spricht nichts gegen eine Beteiligung auch des solventen Mitschuldners an der Saldierung. Die Form der Haftung für die, beziehungsweise die Form der Berechtigung an der, Saldoforderung ergibt sich für den bipolar-mehrseitigen Vertrag regelmäßig aus der Netting-Vereinbarung, ansonsten gelten die §§ 420 ff. BGB. Besteht keine Netting-Vereinbarung zwischen den Parteien eines bipolarmehrseitigen Vertrages entsprechend der so gerade aufgezeigten Anforderungen, richten sich die Rechtsfolgen für jedes Geschäft einzeln nach dem § 104 InsO.
___________ 758) Im Bezug auf den ehemaligen § 104 Abs. 2 S. 3 InsO: BT-Drucks. 12/7302, S. 168 („zwei Parteien“); Lüer in Uhlenbruck, § 104, Rn. 36. 759) BT-Drucks. 12/7302, S. 168 („zwei Parteien“). 760) Zum ehemaligen § 104 Abs. 2 S. 3 InsO Lüer in Uhlenbruck, § 104, Rn. 36 m. w. N. ohne auf die Fallgruppe der bipolar-mehrseitigen Verträge einzugehen. 761) Nah dran daher Lüer in Uhlenbruck, § 104, Rn. 36 mit seinem Ausdruck „bilaterales Netting“. 762) Allgemein oben unter Rn. 1 ff.
149
Teil III. Schlussfolgerungen A. Fazit: Der bipolar-mehrseitige Vertrag in der Insolvenz Im zweiten Teil dieser Arbeit konnte gezeigt werden, dass eine systematische Aus- 252 legung der §§ 103 ff. InsO für bipolar-mehrseitige Verträge in der Insolvenz zu kohärenten Ergebnissen führt. Alleine dieses Ergebnis rechtfertigt die systematische Aufarbeitung des Themas. Die Literatur und Rechtsprechung, dort nicht zuletzt der BGH, haben – mit vereinzelten positiven Ausnahmen – zum Kündigungsrecht nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO gezeigt, dass ein punktuell problematisierender Ansatz nicht immer zu systematisch schlüssigen Ergebnissen führt. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Befassung mit dem Einzelfall manchmal den Blick auf die Systematik in den Hintergrund treten lässt. Dies gilt insbesondere für grundlegende, Systematik prägende Leitlinien wie das Insolvenzrisiko als Konzept der vertraglichen Haftungsverteilung; zudem vor dem Hintergrund einer ohnehin stiefmütterlich behandelten Vertragsgattung – dem bipolar-mehrseitigen Vertrag. Die vorliegende Arbeit füllt diese Lücke und setzt der punktuellen Auslegung ein Gesamtauslegungskonzept der §§ 103 ff. InsO für den bipolar-mehrseitigen Vertrag entgegen. Die vertragliche Insolvenzrisikoverteilung dient dabei als Ausgangspunkt und als maßgebendes Auslegungskriterium; sie wird in ihrer Fortgeltung dabei allein vom insolvenzspezifischen Zweck der jeweiligen Norm begrenzt. Trotzdem – oder vielleicht deswegen – kommt das vorgestellte Konzept ganz überwiegend ohne „Dehnung“ der insolvenzrechtlichen Normen aus. Fast alle Rechtsfolgen ergeben sich ohne Bemühung von Analogien oder ähnlichen Instrumenten bereits bei systematisch-teleologischer Auslegung unmittelbar aus der gegenständlichen Norm. Bei der Betrachtung der einzelnen Vorschriften hat sich für den bipolar-mehrseiti- 253 gen Vertrag ein an vielen Stellen auftretendes dreischrittiges Themenfeld ergeben: Kann das jeweilige Recht vom Insolvenzverwalter alleine ausgeübt werden? Die 254 Antwort darauf ist klar ausgefallen: Ja, es kann. Alle durch die Insolvenzordnung vermittelten Rechte kann der Berechtigte, außer bei § 111 InsO also der Insolvenzverwalter, ohne Mitwirkung des Mitschuldners ausüben. Wirkt sich das Recht auf den gesamten Vertrag aus? Auch hier fällt die Antwort ein- 255 deutig aus: Nach der Fortführungslösung gilt im bipolar-mehrseitigen Vertrag grundsätzlich, dass alle den Vertrag betreffenden Rechtsfolgen Einzelwirkung haben und somit nur das Verhältnis zwischen Insolvenzschuldner und Gläubiger betreffen, während das Verhältnis zwischen Mitschuldner und Gläubiger unberührt bleibt. Seine Grenze findet dieses Konzept im spezifischen Regelungszweck der Insolvenzordnung. Die unbedingte Umsetzung des jeweiligen Normzwecks muss immer gewährleistet sein. Zu einem Konflikt der Fortführungslösung mit dem Normzweck kommt es allerdings an keiner Stelle.
151
Teil III. Schlussfolgerungen
256 Wie stellt sich die Haftungskonstellation nach der Einwirkung der Insolvenzordnung auf den Vertrag dar? Diese Frage kann nicht eindeutig beantwortet werden. Zu viele Variable nehmen Einfluss auf die Haftungskonstellation. Zuvorderst die Insolvenzordnung selbst, die ein diffiziles System an haftungsbegründenden Vorschriften in den §§ 103 ff. InsO enthält, die schon im bipolar-einseitigen Vertrag nicht immer passen (§ 111 InsO) und für den bipolar-mehrseitigen Vertrag an der ein oder anderen Stelle zu einem unbefriedigenden Ergebnis führen, indem sie dem haftenden Mitschuldner den Regress beim Insolvenzschuldner in Gestalt einer Insolvenzforderung versagen. Allerdings funktioniert der Regress bei der deutlichen Mehrzahl der Vorschriften problemlos. Für die anderen Normen ist eine gesetzliche Regelung wünschenswert, angesichts der Vernachlässigung des bipolar-mehrseitigen Vertrages durch den Gesetzgeber aber sicherlich nicht zu erwarten.
257 Einen Überblick über alle relevanten Rechtsfolgen der §§ 103 ff. InsO bei bipolarmehrseitigen Verträgen bietet der folgende Thesenabschnitt.
B. Ergebnisse der Arbeit in Thesen 258 Im Folgenden werden die wesentlichen Ergebnisse dieser Arbeit thesenhaft geordnet dargestellt.
I.
Grundlagen
259 1. Der bipolar-mehrseitige Vertrag ist ein Vertrag zwischen mindestens drei Parteien, die sich auf zwei Vertragspole verteilen. Die Vertragspole haben keine Rechtspersönlichkeit. Die Parteien eines Vertragspols sind in Bezug auf die vertraglichen Leistungspflichten Schuldner der Partei(en) des anderen Vertragspols. Durch die bipolare Gestaltung ist der bipolar-mehrseitige Vertrag dem bipolar-einseitigen Vertrag strukturell näher als dem multipolar-mehrseitigen Vertrag.763) Die mehrpersonale Beteiligung am Vertrag ist von der Beteiligung als Gesellschaft abzugrenzen.764)
260 2. Das Innenverhältnis der Parteien eines Vertragspols eines bipolar-mehrseitigen Vertrages ist nicht Gegenstand des bipolar-mehrseitigen Vertrages.765) Das Innenverhältnis kann durch Gesellschaftsvertrag rechtsgeschäftlich organisiert werden; wird von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht, gilt das Recht der Bruchteilsgemeinschaft.766)
261 3. Der Begriff „Insolvenzrisiko“ bezeichnet das Risiko, die wirtschaftlichen Nachteile zu tragen, wenn ein Anderer eine Leistungspflicht aufgrund von Insolvenz nicht erfüllen kann oder muss.767) ___________ 763) 764) 765) 766) 767)
152
Zum Ganzen Rn. 5 ff. Rn. 10 ff. Rn. 5 ff. Rn. 5 ff. Rn. 21 ff.
B. Ergebnisse der Arbeit in Thesen
4. Es ist zwischen abstraktem und konkretem Insolvenzrisiko zu unterscheiden. Ein 262 abstraktes Insolvenzrisiko ist die theoretische Möglichkeit, für einen Leistungsausfall eines Anderen wirtschaftlich einstehen zu müssen. Das konkrete Insolvenzrisiko trägt derjenige, der unmittelbar für den Leistungsausfall eines Anderen wirtschaftlich einsteht. Wie naheliegend das Erstarken eines abstrakten zu einem konkreten Insolvenzrisiko ist, lässt sich durch Rangbezeichnungen (primäres, sekundäres usw. Insolvenzrisiko) beschreiben.768) 5. Der Gläubiger einer Leistung trägt stets ein abstraktes Insolvenzrisiko. Er kann sich 263 seines (abstrakten) Insolvenzrisikos nicht entledigen. Das abstrakte Insolvenzrisiko des Gläubigers kann mit dem Begriff Finalinsolvenzrisiko beschrieben werden.769) 6. Die Verteilung der abstrakten und konkreten Insolvenzrisiken hinsichtlich einer 264 Leistungspflicht ist Bestandteil des rechtsgeschäftlichen Konsenses der die Leistungspflicht begründenden Parteien und gegebenenfalls der weiteren Träger von Insolvenzrisiken.770) Ein Eingriff in die privatautonom geschaffene Haftungsrisikenverteilung bedarf einer besonderen Rechtfertigung.771) 7. Die vertragliche Verteilung des Insolvenzrisikos ist wesentliche wirtschaftliche 265 Determinante für die Prognoseentscheidung einen Vertrag zu schließen.772) 8. Im bipolar-mehrseitigen Vertrag tragen im Regelfall der gesamtschuldnerischen 266 Haftung alle Parteien eines Vertragspols das abstrakte und (nachregresslich anteilig) das konkrete Insolvenzrisiko aller Parteien ihres Vertragspols. Die Partei(en) des anderen Vertragspols tragen das abstrakte Insolvenzrisiko der Gesamtheit der Parteien des anderen Vertragspols (Finalinsolvenzrisiko).773) 9. Das Konzept des Insolvenzrisikos in der hier beschriebenen Form ist ein Grund- 267 prinzip des Bürgerlichen Rechts. Es gibt keine Leistungspflicht ohne Insolvenzrisiko.774) 10. Die Insolvenzordnung ist zuvorderst Schutzgesetzgebung für die Gläubiger 268 des Insolvenzschuldners.775) 11. Auf Grundlage der Insolvenzordnung kann in bestehende Verträge nur einge- 269 griffen werden, wenn die spezifischen Schutzzwecke der Insolvenzordnung und der betreffenden Norm dies erfordern. In Rechtsbeziehungen Dritter, die keinen oder nur mittelbaren Bezug zum Insolvenzschuldner haben, kann auf Grundlage der In___________ 768) 769) 770) 771) 772) 773) 774) 775)
Zum Ganzen Rn. 21 ff. Zum Ganzen Rn. 21 ff. Rn. 21 ff. und Rn. 44 f. Rn. 44 f. Rn. 30 ff. Zum Ganzen Rn. 36 ff. Rn. 44 f. Rn. 46 ff.
153
Teil III. Schlussfolgerungen
solvenzordnung nur eingegriffen werden, wenn dies zur Durchsetzung des Zwecks der betreffenden Norm zwingend erforderlich ist.776)
270 12. Die systematische Auslegung einer Normengruppe, in der verschieden Normen denselben Zweck verfolgen, gebietet, dass die Vorschriften hinsichtlich des gleichen Sachverhalts unter Beachtung desselben Rechtsgrundsatzes einheitlich behandelt werden, wenn dem keine zwingenden Gründe entgegenstehen. Dieser Aspekt der systematischen Auslegung kann als Kohärenz bezeichnet werden.777)
II.
§§ 108 ff. InsO
271 13. Im insolvenzunbefangenen Bürgerlichen Recht kann ein bipolar-mehrseitiges Vertragsverhältnis regelmäßig nur gekündigt werden, wenn die Kündigung von allen Parteien eines Vertragspols gegenüber allen Parteien des anderen Vertragspols erklärt wird. Dies ergibt sich aus der gemeinschaftlichen oder gesamthänderischen Bindung des Vertrages778) und der derivativen Zuordnung des Gestaltungsrechts.779)
272 14. Der Insolvenzverwalter kann das Kündigungsrecht aus § 109 Abs. 1 S. 1 InsO im bipolar-mehrseitigen Vertrag alleine, das heißt ohne Mitwirkung des Mitschuldners, ausüben. Das erfordert zum einen der Zweck des Kündigungsrecht, die Masse von Belastungen freizuhalten, ist aber zum anderen auch dogmatisch schlüssig, da es sich um ein außervertragliches Sonderkündigungsrecht handelt, an dem sich die gemeinschaftliche oder gesamthänderische Bindung des Vertrages deshalb nicht fortsetzt.780)
273 15. Die Kündigung eines bipolar-mehrseitigen Vertrages durch den Insolvenzverwalter nach § 109 Abs. 1 S. 1 InsO hat Einzelwirkung. Das heißt, der Insolvenzschuldner scheidet aus dem Vertrag aus und der Vertrag wird ansonsten unverändert zwischen den verbliebenen Parteien fortgesetzt. Diese Rechtsfolge kann als Fortführungslösung bezeichnet werden.781)
274 16. Die Einzelwirkung der Kündigung ist zwingend, um das Haftungskonzept des Vertrages durchzusetzen. Der Mitschuldner hat das Insolvenzrisiko des insolventen Schuldners übernommen und kann aus dieser Haftung nicht vorzeitig entlassen werden. Der Gläubiger trägt das Finalinsolvenzrisiko; er hat keinen Anspruch auf eine Aufrechterhaltung einer Schuldnermehrheit als Vertragspartner und darf daher nicht von seiner Leistungspflicht gegenüber den solventen Schuldnern frei werden.782) ___________ 776) Zum Ganzen Rn. 46 ff. 777) Zum Ganzen Rn. 49 ff. 778) Anders die h. M.; danach sind lediglich die Forderungen aus dem Vertrag Gegenstand der Bruchteilsgemeinschaft. 779) Zum Ganzen Rn. 78 ff. 780) Zum Ganzen Rn. 97 f. 781) Zum Ganzen Rn. 103 ff. 782) Zum Ganzen Rn. 103 ff.
154
B. Ergebnisse der Arbeit in Thesen
17. Nach dem Ausscheiden des Insolvenzschuldners aus dem Vertrag bilden der in- 275 solvenzrechtliche Ausgleichsanspruch des Gläubigers aus § 109 Abs. 1 S. 3 InsO als Surrogat des Erfüllungsanspruches und dessen Erfüllungsanspruch gegen den Mitschuldner eine Gesamtschuld. Die Regressforderung des Mitschuldners gegen den Insolvenzschuldner ist Insolvenzforderung, da durch den Charakter des insolvenzrechtlichen Ausgleichsanspruchs Identität mit dem Erfüllungsanspruch besteht und dieser bereits vor Insolvenzeröffnung begründet war.783) 18. Genau wie die Kündigung kann der Insolvenzverwalter auch die Enthaftungs- 276 erklärung nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO im bipolar-mehrseitigen Vertrag ohne Mitwirkung des Mitschuldners ausüben. Die Enthaftungserklärung ist ein spezifisch insolvenzrechtliches Gestaltungsrecht und unterliegt somit nicht der gemein- oder gesellschaftlichen Bindung.784) 19. Hat der Insolvenzverwalter die Enthaftung erklärt, endet mit Eintritt der Enthaf- 277 tungswirkung die Haftung für Forderungen aus dem Schuldverhältnis als Masseverbindlichkeiten. Das bipolar-mehrseitige Vertragsverhältnis besteht unberührt fort.785) 20. Nach dem Eintritt der Enthaftungswirkung haftet die Masse dem Vermieter auf 278 Ausgleich aus § 109 Abs. 1 S. 3 InsO, während der Vermieter Erfüllungsansprüche gegen den Mitschuldner und das freie Vermögen des Insolvenzschuldners hat. Der Erfüllungsanspruch gegen den Mitschuldner steht in einem Gesamtschuldverhältnis zum Erfüllungsanspruch gegen das freie Vermögen und (in einem anderen) zu dem Ausgleichsanspruch gegen die Masse. Wegen fehlender Gleichstufigkeit stehen Ausgleichsanspruch und Anspruch gegen das freie Vermögen nicht in einem Gesamtschuldverhältnis. Erfüllt der Mitschuldner, kann er bei der Masse Regress in Gestalt einer Insolvenzforderung nehmen. Die Masse hat dann einen Anspruch auf Abtretung der Regressforderung gegen das freie Vermögen des Insolvenzschuldners aus § 255 BGB analog.786) 21. Auch das Rücktrittsrecht nach § 109 Abs. 2 S. 1 InsO kann der Insolvenzver- 279 walter im bipolar-mehrseitigen Vertrag alleine ausüben. Der Rücktritt hat Einzelwirkung. In Bezug zum Insolvenzschuldner entsteht ein Rückabwicklungsschuldverhältnis. Das Schuldverhältnis wird ansonsten unverändert zwischen Mitschuldner und Gläubiger fortgesetzt. Die Erfüllungsforderung gegen den Mitmieter und der Ausgleichsanspruch stehen in einem Gesamtschuldverhältnis. Befriedigt der Mitschuldner den Gläubiger, so kann er Regress von der Insolvenzmasse aus § 426 BGB als Insolvenzforderung begehren.787) ___________ 783) 784) 785) 786) 787)
Zum Ganzen Rn. 114. Zum Ganzen Rn. 129 ff. Zum Ganzen Rn. 129 ff. Zum Ganzen Rn. 129 ff. Zum Ganzen Rn. 138 ff.
155
Teil III. Schlussfolgerungen
280 22. Dem Gläubiger steht auch im bipolar-mehrseitigen Vertrag ein Rücktrittsrecht zu. Macht er von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch, hat dieser Rücktritt ebenfalls nur Einzelwirkung hinsichtlich des Insolvenzschuldners. Das Schuldverhältnis wird ansonsten unverändert zwischen Mitschuldner und Gläubiger fortgesetzt.788)
281 23. Dem Mitschuldner steht im bipolar-mehrseitigen Vertrag kein Rücktrittsrecht in analoger Anwendung des § 109 Abs. 2 S. 1 InsO zu.789)
282 24. Veräußert der Insolvenzverwalter eine im Alleineigentum des Insolvenzschuldners stehende Sache, die dieser mit einem Anderen vermietet hat und steht dem Erwerber darum ein Kündigungsrecht aus § 111 S. 1 InsO zu, so kann der Erwerber dieses Kündigungsrecht ohne Mitwirkung des Mitschuldners ausüben. Mit Eintritt der Kündigungswirkung scheidet der Erwerber aus dem Vertrag aus, der ansonsten unberührt zwischen Mitschuldner und Gläubiger fortgesetzt wird.790)
283 25. Die Masse haftet dem Gläubiger für die Folgen der Erwerberkündigung auf Ausgleich gesamtanalog §§ 109 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 2, 113 S. 3 InsO. Diese Forderung ist Insolvenzforderung. Sie steht mit dem Erfüllungsanspruch gegen den Mitschuldner in einem Gesamtschuldverhältnis. Befriedigt der Mitschuldner den Gläubiger, so kann er Regress von der Insolvenzmasse aus § 426 BGB als Insolvenzforderung begehren.791)
284 26. Die Insolvenzmasse haftet dem Gläubiger nach § 566 Abs. 2 S. 1 BGB für die Pflichten des Erwerbers wie ein Bürge. Diese Forderung ist bis zum Zeitpunkt der möglichen Erwerberkündigung – unbeachtlich ob sie tatsächlich ausgeübt wird – Masseverbindlichkeit und danach Insolvenzforderung. Für die Forderungen aus dem Schuldverhältnis haftet dem Gläubiger der Mitschuldner als Gesamtschuldner neben dem Erwerber. Fällt der Erwerber aus, befriedigt der Mitschuldner den Gläubiger und nimmt dann Regress bei der Insolvenzmasse, so ist diese Forderung auch vor dem Zeitpunkt der Kündigungsmöglichkeit des Erwerbers Insolvenzforderung.792)
285 27. Das Kündigungsrecht gemäß § 113 S. 1 InsO kann vom Insolvenzverwalter ohne Mitwirkung des Mitschuldners ausgeübt werden. Die Kündigung des bipolar-mehrseitigen Dienstverhältnisses hat Einzelwirkung, nur der Insolvenzschuldner scheidet aus dem Vertrag aus. Das Dienstverhältnis besteht nach der Kündigung zwischen Mitschuldner und Dienstverpflichtetem ansonsten unverändert fort. Der Ausgleichsanspruch des Dienstverpflichteten gegen die Masse aus § 113 S. 3 InsO und der Erfüllungsanspruch gegen den Mitschuldner sind gesamtschuldnerisch verbunden. Der Mitschuldner kann Regress bei der Masse in Gestalt einer Insolvenzforderung nehmen, wenn er den Dienstverpflichteten befriedigt (§ 426 BGB).793) ___________ 788) 789) 790) 791) 792) 793)
156
Zum Ganzen Rn. 142 ff. Rn. 146 ff. Zum Ganzen Rn. 152 ff. Zum Ganzen Rn. 152 ff. Zum Ganzen Rn. 152 ff. Zum Ganzen Rn. 163 ff.
B. Ergebnisse der Arbeit in Thesen
28. Ebenso steht dem Dienstverpflichteten im bipolar-mehrseitigen Vertrag ein Kün- 286 digungsrecht zu, dessen Ausübung Einzelwirkung entfaltet. Die Dienstverpflichtetenkündigung hat somit die gleiche Rechtsfolge wie die Insolvenzverwalterkündigung; das Dienstverhältnis besteht zwischen Dienstverpflichtetem und Mitschuldner unverändert fort.794) 29. Ein analoges Kündigungsrecht nach § 113 S. 1 InsO für den Mitschuldner exis- 287 tiert nicht.795)
III. §§ 115 f. InsO 30. Für bipolar-mehrseitige Verträge im Anwendungsbereich der §§ 115 f. InsO gilt 288 ebenfalls die Fortführungslösung. Die Erlöschensanordnung mit Verfahrenseröffnung bezieht sich alleine auf die vertragliche Bindung zum Insolvenzschuldner. Der Vertrag wird ansonsten unverändert zwischen Mitschuldner und Vertragspartner fortgeführt.796) 31. Im Rahmen des § 115 Abs. 1 InsO hat der Mitgeschäftsherr – systemwidrig – kei- 289 ne Möglichkeit, den Insolvenzschuldner in Regress zu nehmen. Für § 115 Abs. 3 InsO gilt im Ergebnis das gleiche, da die Vorschrift des § 115 Abs. 3 S. 2 InsO im bipolar-mehrseitigen Vertrag teleologisch zu reduzieren ist und dem Geschäftsführer nur dann eine Insolvenzforderung vermittelt, wenn alle Schuldner insolvent sind. Alleine im Anwendungsbereich der Notgeschäftsführung kann der Mitschuldner Regress beim Insolvenzschuldner nehmen. Seine Regressforderung ist dann entsprechend § 115 Abs. 2 S. 3 InsO Masseverbindlichkeit.797)
IV. §§ 103 f. InsO 32. Mit Insolvenzeröffnung werden alle Ansprüche in einem bipolar-mehrseitigen 290 Vertrag im Anwendungsbereich des § 103 InsO undurchsetzbar, wenn Insolvenzschuldner und Mitschuldner Mitgläubiger (§ 432 BGB) sind. Sind sie Gesamtgläubiger (§ 428 BGB), sind nur die Ansprüche im Verhältnis zum Insolvenzschuldner undurchsetzbar, alle anderen Ansprüche sind nicht betroffen.798) 33. Der Insolvenzverwalter kann sowohl die Erfüllungswahl als auch die -ablehnung 291 ohne Mitwirkung des Mitschuldners erklären.799)
___________ 794) 795) 796) 797) 798) 799)
Zum Ganzen Rn. 166 ff. Rn. 169. Zum Ganzen Rn. 189 ff. Zum Ganzen Rn. 189 ff., Rn. 197 ff. und Rn. 200 ff. Zum Ganzen Rn. 224 ff. Dazu Rn. 228 f. und Rn. 230 ff.
157
Teil III. Schlussfolgerungen
292 34. Wählt der Insolvenzverwalter Erfüllung, werden alle Vertragsansprüche durchsetzbar und die Masse haftet in Gestalt einer Masseverbindlichkeit für ihre Leistungspflicht. Der Mitschuldner kann, wenn er den Gläubiger befriedigt, Regress bei der Masse als Masseverbindlichkeit nehmen.800)
293 35. Im Fall einer Mitgläubigerschaft führt die Erfüllungsablehnung und anschließende Geltendmachung der Forderung wegen Nichterfüllung zu einem Erlöschen der Vertragsbeziehung zum Insolvenzschuldner; ansonsten besteht der Vertrag unverändert fort. Befriedigt der Mitschuldner den Gläubiger, kann er in Gestalt einer Insolvenzforderung Regress bei der Masse nehmen, da der Anspruch wegen Nichterfüllung als Surrogat des Erfüllungsanspruches mit dem Erfüllungsanspruch gegen den Mitschuldner gesamtschuldnerisch verbunden ist. Dasselbe gilt im Fall der Gesamtgläubigerschaft, wenn der Mitschuldner den Gläubiger vor der Geltendmachung der Forderung noch nicht befriedigt hat.801)
294 36. Liegt Gesamtgläubigerschaft vor und hat der Mitschuldner den Gläubiger vor der Erklärung der Erfüllungsablehnung oder der Geltendmachung der Forderung wegen Nichterfüllung befriedigt, geht der Erfüllungsanspruch gegen den Insolvenzschuldner auf ihn über. Dieser und der Anspruch aus § 426 Abs. 1 BGB sind bis zur Geltendmachung der Forderung wegen Nichterfüllung undurchsetzbar. Als Annex zum Erfüllungsanspruch gehen auf den Mitschuldner auch die Befugnisse zur Aufforderung zur Erklärung (§ 103 Abs. 2 S. 2 InsO) und zur Geltendmachung der Forderung wegen Nichterfüllung über. Macht er die Forderung geltend, kann er als Insolvenzgläubiger Regress bei der Masse nehmen.802)
295 37. Ein bipolar-mehrseitiger Vertrag im Anwendungsbereich des § 104 InsO besteht zwischen Mitschuldner und Gläubiger unverändert fort, während die Vertragsbeziehung zum Insolvenzschuldner erlischt. Die Differenzforderung wird zwischen Mitschuldner und Insolvenzschuldner gebildet; maßgeblicher Zeitpunkt ist der Erfüllungstermin.803)
296 38. Eine Netting-Vereinbarung (§ 104 Abs. 3 S. 1 InsO) erfasst einen bipolar-mehrseitigen Vertrag regelmäßig nur dann, wenn die Netting-Vereinbarung zwischen den (allen) Vertragsparteien des bipolar-mehrseitigen Vertrages geschlossen wurde. Ein bipolar-mehrseitiger Rahmenvertrag im Sinne des § 104 Abs. 3 S. 1 InsO ist zulässig.804)
___________ 800) 801) 802) 803) 804)
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Zum Ganzen Rn. 228 f. Zum Ganzen Rn. 230 ff. Zum Ganzen Rn. 230 ff. Zum Ganzen Rn. 248. Zum Ganzen Rn. 249 ff.
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Stichwortverzeichnis
Arbeitsvertrag s. o Dienstvertrag Auftrag 178, 180, 184 ff., 189 ff. Ausgleichsanspruch 193, 198, 204, 248 ff.; s. a. o Schadensersatz Bipolar-mehrseitiger Vertrag
1 ff., 52 ff., 64 f., 70 f., 73 ff., 77 ff., 93 ff., 129 ff., 137 ff., 152 ff., 160 f., 161 ff., 173 ff., 184 ff., 188 ff., 222 ff., 247 ff. Bruchteilsgemeinschaft 6, 12 f., 82 f., 98
Dienstvertrag
157 ff.
Einzelwirkung
78 ff., 97 f., 99 ff., 103 ff., 115 ff., 129 ff., 135 f., 137 ff., 163 ff., 255 ff. Enthaftungserklärung 73 f., 126 ff. Erfüllungsablehnung 230 ff. Erfüllungswahlrecht 216 ff., 228 ff.
Fortführungslösung
108 ff., 114, 115 ff., 125, 138 ff., 163 ff., 173 ff., 189 ff., 197 ff., 200 ff., 211 ff., 224 ff., 228 f., 230 ff., 239 ff., 248, 249
GbR
s. o Gesellschaft Gesamtschuld 12, 30 ff., 36 f., 38 ff., 70, 79, 99 ff., 111 f., 114, 116 ff., 130 ff., 140 f., 155 f., 165, 168, 176, 193 ff., 204, 236 ff. Geschäftsbesorgung 200 ff.; s. a. o Auftrag
Gesellschaft 10 ff., 72 f., 114, 160, 228 Gestaltungsrecht 7, 55, 66 ff., 73 ff., 78 ff., 97 f., 138 ff., 163 ff., 173 ff., 228
Insolvenzrisiko
16, 17 ff., 21 ff., 28 f., 30 ff., 36 ff., 44, 46 ff., 103 ff., 114, 115 ff., 129 ff., 135 ff., 152 ff., 162 ff., 188 ff., 222 ff., 247 ff. – Final- 19 f., 21 ff., 30 ff, 36 ff. – Konkretes 21 ff., 28 f., 36 ff. – Verlagerung des 17 ff., 21 ff.
Kündigung
77, 78 ff., 111 ff., 162 ff. – Gemeinsame 97 f., 99 f.; s. a. o Gestaltungsrecht – Mietvertragliche 77, 78 ff., 111 ff. – Dienstvertragliche 162 ff.
Leasing
58 ff., 66 ff., 70 f., 171 f.; s. a. o Miete Miete 56 ff., 70 f., 72, 73 ff., 77 ff., 126 ff., 133 ff., 152 ff.
Netting Rücktritt
249 ff. 133 ff.
Schadensersatz
73 f., 91, 112, 114, 124, 131 f., 139, 145, 154 ff., 165, 166 ff., 176, 221, 232 ff.
Versteigerung
152 ff.
171