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German Pages 703 Year 2014
Adam Zamoyski
1815 -Napoleons Sturz und der Wiener Kongreß Aus dem Englischen von Ruth Keen und Erhard Stölting
C.H.Beck
Zum Buch Selten in der Geschichte gab es an einem Ort so viel Scharfsinn und Intrigen, so viel Gier, Bestechung, Spionage, Sex und Pracht wie auf dem Wiener Kongress. Während die mächtigsten Männer Europas neue Grenzlinien über die Karte des Kontinents ziehen und Entscheidungen von epochaler Tragweite treffen, wird auf dem großen Welttheater die menschliche Komödie aufgeführt. Doch dann kehrt Napoleon zurück… Nach dem grandiosen Bestseller „1812“ entfaltet Adam Zamoyski in „1815“ erneut ein fulminantes historisches Panorama. Mit seltener Erzählkunst führt er uns in das Zeitalter Napoleons, Metternichs und Talleyrands, als wäre es gestern gewesen. „Ein exquisites Beispiel für erzählende Geschichte. “ Christopher Clark, Literary Review
Über die Autoren und Herausgeber Adam Zamoyski, geboren 1949 in New York, wuchs in England auf und studierte Geschichte und Sprachen in Oxford. Seine adlige Familie floh 1939 nach der deutschen und sowjetischen Invasion aus Polen. Er lebt als freier Autor und Historiker in London. Sein Buch „1812“ und seine Biographie über Frédéric Chopin wurden in acht Sprachen übersetzt. Adam Zamoyski ist Fellow der Society of Antiquaries, der Royal Society of Arts und der Royal Society of Literature. Er ist mit der Malerin Emma Sergeant verheiratet.
Titel der englischen Originalausgabe «Rites of Peace. The Fall of Napoleon and the Congress of Vienna» erschienen bei HarperCollinsPublishers 2007 © 2007 Adam Zamoyski
Mit 47 Abbildungen und 28 Karten (© Peter Palm, Berlin)
1. Auflage. 2014 © Verlag C.H.Beck oHG, München 2014 Umschlaggestaltung: Geviert/Grafik & Typografie, Conny Hepting Umschlagabbildung: Die Schlacht von Waterloo, Gemälde von Denis Dighton, The Royal Collection © 2014 Her Majesty Queen Elizabeth II, Bridgeman Images ISBN Buch 978 3 406 67123 4 ISBN eBook 978 3 406 67124 1 Die gedruckte Ausgabe dieses Titels erhalten Sie im Buchhandel sowie versandkostenfrei auf unserer Website www.chbeck.de. Dort finden Sie auch unser gesamtes Programm und viele weitere Informationen.
Inhalt
Einleitung . . . . . . . . . . . . 1. Der aufgeschreckte Löwe . . 2. Der Retter Europas . . . . . 3. Die Friedensstifter . . . . . 4. Ein Krieg für den Frieden . . 5. Diskrete Verhandlungen . . 6. Farce in Prag . . . . . . . . 7. Das Spiel um Deutschland . 8. Die ersten Walzertakte . . . 9. Ein Stück vom Kuchen . . . 10. Diplomatie des Schlachtfelds 11. Triumph in Paris . . . . . . . 12. Frieden. . . . . . . . . . . . 13. Die Londoner Runde. . . . . 14. Gerechte Vereinbarungen . . 15. Die Bühne wird gerichtet . . 16. Punkte auf der Tagesordnung 17. Noten und Bälle . . . . . . . 18. Ferienzeiten für die Fürsten . 19. Ein Friedensfest . . . . . . . 20. Guerre de plume . . . . . . . 21. Ein politisches Karussell. . . 22. Diplomatische Explosionen . 23. Kriegstanz . . . . . . . . . . 24. Krieg und Frieden . . . . . . 25. Der sächsische Handel. . . . 26. Unerledigte Punkte . . . . . 27. Der Flug des Adlers . . . . .
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28. 29. 30. 31. 32. 33. 34.
Die Hundert Tage . . . . . Der Weg nach Waterloo . . Wellingtons Sieg . . . . . . Die Bestrafung Frankreichs Letzte Riten . . . . . . . . Disharmonisches Konzert . Der Stillstand Europas. . .
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Anhang Anmerkungen . Literatur . . . . Bildnachweis . . Personenregister
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Einleitung 1815 Einleitung
Die Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongreß ist wahrscheinlich der folgenreichste Vorgang der modernen Geschichte. Nicht nur zeichnete der Kongreß die Landkarte völlig neu. Er entschied, welche Nationen über die nächsten hundert Jahre politisch existieren würden und welche nicht. Er verordnete dem ganzen Kontinent eine Ideologie, die sich aus den Interessen der vier Großmächte ableitete. Sein Versuch, die Vereinbarungen dieser Mächte in Stein zu meißeln, führte dazu, daß sich ihre expansionistischen Bestrebungen auf Afrika und Südasien richteten. Er veränderte die Gestaltung der internationalen Politik von Grund auf. Zu den Folgen des Kongresses gehört damit alles, was seit seinem Ende in Europa geschehen ist, auch der aggressive Nationalismus, der Bolschewismus, der Faschismus, die beiden Weltkriege und letztlich die Europäische Union. Die Akteure dieses dramatischen Schauspiels mit all seinen vielen Schicksalswendungen zählen zu den faszinierendsten Gestalten der europäischen Geschichte. Im Zentrum des Geschehens stand Napoleon, der verzweifelt um seinen Thron kämpfte und doch mit jedem neuen Schritt seine Chancen untergrub und das Unheil offenbar hemmungslos auf sich zog. Auf der anderen Seite stand Zar Alexander von Rußland, der inzwischen überzeugt war, von Gott zur Erlösung der Welt berufen zu sein, ohne zu sehen, daß er in den Augen aller anderen eine Bedrohung dieser Welt darstellte. Der begnadete Strippenzieher Metternich übertraf sich selbst darin, schmeichelnd und beeinflussend die Ereignisse seiner eigenen Vision von einer sicheren Welt anzupassen. In seinem besessenen Bemühen, aus den Trümmern des napoleonischen Reiches für Frankreich – und für sich – zu retten, was zu retten war, knüpfte der listige Talleyrand immer wieder seine Netze. Der ungemein liebenswürdige Castlereagh, in jeder Hin-
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sicht ein grundanständiger Mensch, mußte feststellen, daß er ebenso rücksichtslos Nationen zerlegte und Tauschgeschäfte mit Seelen trieb wie jeder andere Realpolitiker. Viele andere Charaktere nahmen zu gegebener Zeit ihre Plätze in diesem großen Karneval ein, einschließlich des Herzogs von Wellington, der sich als ebenso guter Staatsmann erwies wie als General. Und es gab ein faszinierendes Aufgebot von Frauen, die sich die Leidenschaften und enttäuschten Ambitionen der großen Männer Europas zunutze machten, was immer wieder Augenblicke großer Tragödien und kleiner Farcen schuf. Vom blutgetränkten Schlachtfeld und den armseligen Hütten am Wegesrand bis zu den vergoldeten Boudoirs und Ballsälen Wiens entsprach die Szenerie in allem der Erhabenheit und Erbärmlichkeit dieses Schauspiels. Die Geschichte hat bei den meisten Gebildeten allerdings ein Bild höfischer Eleganz und walzerseligen Leichtsinns hinterlassen. Als ich im Katalog der British Library die Wörter «Wiener Kongreß» eingab, wurde mir eine Liste von Büchern angeboten über: den Ersten Internationalen Meteorologenkongreß, den Kongreß zu ökologischen Problemen von Lipiden, den Kongreß der Europäischen Vereinigung für Regionalwissenschaften, Literatur zu statistischen, sexuellen und philatelistischen Kongressen, zu Kongressen für angewandte Chemie, der Bibliophilen, für Dermatologie, für genealogische und heraldische Wissenschaften, Krampfadern, Exfoliativzytologie, Geburtsfehler, Hepatitis B, Elektroenzephalographie, Klinische Neurophysiologie und viele, viele andere, die alle während des vergangenen Jahrhunderts in Wien veranstaltet worden waren. Zwischen diesen verführerischen Titeln versteckten sich nicht mehr als ein halbes Dutzend, die sich auf die Ereignisse von 1814 / 15 bezogen. Weitere Nachforschungen ergaben, daß die Literatur zu diesem Gegenstand tatsächlich schwer faßbar ist. Die umfangreichen und kompakten deutschen Untersuchungen, die überwiegend während des Prozesses der deutschen Einigung im 19. Jahrhundert und dann in der Zeit des Nationalsozialismus entstanden, spiegeln die speziellen Anforderungen der jeweiligen Epoche wider. Ein jüngerer französischer Beitrag, «Le Congrès de Vienne. L’Europe contre la France», enthält bereits im Titel eine Sichtweise, die charakteristisch für einen großen Teil der
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französischen Literatur zum Thema ist. Britische Studien zeichnen sich durch eine unglaubliche Überheblichkeit aus, die sich einer Unkenntnis der europäischen Bedingungen und der Überzeugung verdankt, daß Großbritannien keine Eigeninteressen verfolgte und seine Beteiligung daher unparteiisch und wohlwollend war. Wo immer sie auch geschrieben wurden, die meisten vorhandenen Bücher über den Kongreß sind ihrer Art nach oberflächlich, und die besten sind paradoxerweise jene, die sich redlicherweise nur auf die sozialen und auf die erotischen Aspekte des Ganzen beschränken. Kurzum, es gibt keine zufriedenstellende umfassende Untersuchung dieses Ereignisses, und folglich wissen die meisten Leute wenig darüber, außer daß auf diesem Kongreß viel getanzt wurde. Die Gründe dafür wurden mir klar, als ich mich den Komplexitäten des Gegenstandes zuwandte. Es fängt damit an, daß der Wiener Kongreß in einem formellen Sinn niemals wirklich stattgefunden hat. Ähnlich wie «Jalta» für Verhandlungen und Abkommen zwischen 1943 und 1945 und sogar danach steht, umschreibt «Wiener Kongreß» pauschal einen Prozeß, der im Sommer 1812 begann und erst zehn Jahre später zu Ende ging. Wie so oft bei einem sich lange hinziehenden Prozeß sind es die scheinbar nebensächlichen Details, deren Lösung in frühen Phasen der Verhandlungen vertagt wurde, die dann aber in der entscheidenden Schlußphase die Verhandlungen beherrschen und verzerren. Es läßt sich daher unmöglich ein umfassender und verständlicher Bericht dieses Ereignisses schreiben, ohne eine sehr lange Zeitspanne in den Blick zu nehmen, und das verlangt viel Arbeit und erzwingt einen komplexeren Text, als ihn sich manch ein Historiker vornehmen möchte. Ebenso wichtig ist es für jeden, der sich dieses Gegenstandes annehmen will, so viele europäische Sprachen wie möglich hinreichend zu kennen. Die Verhandlungen, die zwischen 1812 und 1815 geführt wurden, lassen sich mit einem Pokerspiel vergleichen, dessen Verlauf nur verständlich wird, wenn man sieht, welche Karten jeder Spieler auf der Hand hat und wie er sie ausspielt. Darüber hinaus ist etwas erforderlich, mit dem Historiker, die ihr Handwerk zu anderen Zeiten gelernt haben, besonders schwer umgehen können: eine Empathie mit den Wünschen und Ängsten jedes Mitspielers aufbringen zu können, weil sonst deren Entscheidungen und Reaktionen unverständlich bleiben.
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Der Grund dafür, daß es während des Wiener Kongresses mehrfach fast zum Krieg kam, war nicht die unprovozierte Aggressivität Preußens, nicht die Widerborstigkeit Rußlands oder die Doppelzüngigkeit Österreichs, er lag bei allen in der Furcht davor, von den anderen über den Tisch gezogen zu werden. Als ich dieses Buch schrieb, beabsichtigte ich, die Verhandlungen, die zu dem Friedensabkommen führten, so vollständig wie möglich darzustellen, denn ich hoffte, daß die Abfolge der Ereignisse sich schließlich zu einer Erklärung dessen verdichten würde, wie dieses Ergebnis erreicht wurde. Ich habe mich bemüht, die Hoffnungen und die Befürchtungen jeder Seite so distanziert und zugleich so mitfühlend wie möglich zu schildern, wobei ich der festen Überzeugung war, daß es in diesem Spiel weder «gute» noch «böse» Akteure gab, sondern ausschließlich angstvolle. Der Umfang der Untersuchung, den ich vorgesehen hatte, gestattete mir nicht, so ausführlich auf die Politik der bourbonischen Restaurationen einzugehen, wie ich es mir gewünscht hätte; das gleiche gilt für die verschlungenen Kräfteverhältnisse, in denen das italienische Problem einer Lösung zugeführt wurde, und erst recht für die Komplexitäten der deutschen Frage. Einer der wichtigsten, wenn nicht gar der wichtigste Gegenstand in dem, was wir als Wiener Kongreß bezeichnen, ist die territoriale und staatsrechtliche Neuordnung Deutschlands. Ich habe ihr sicherlich nicht so viel Raum gegeben, wie sie verdient hätte, und doch entschuldige ich mich hier dafür nicht. Es handelt sich bei ihr um einen so vielschichtigen und verwickelten Prozeß, daß nur ein erfahrener Spezialist für deutsche Geschichte ihn adäquat erfassen könnte, und dem dazu entstehenden Bericht könnte auch nur jemand folgen, der kaum weniger in diesem Thema versiert wäre. Für ein verständliches Gesamtbild der wesentlichen Aspekte des Kongresses ist es unvermeidlich, viele zusätzliche Zusammenhänge unberücksichtigt zu lassen, so faszinierend sie auch sein mögen. Ich habe mich außerdem, im Sinne einer leichteren Lesbarkeit meiner Darstellung, auf die Hauptakteure konzentriert und es vermieden, viele ihrer zusätzlichen Mitarbeiter und Gegner zu erwähnen. Die Zahl derer, die sich an diesem großen Gerangel um Land, Macht und Einfluß beteiligten, war so groß, daß manch spannender Nebenschauplatz dieser Geschichte unerwähnt bleiben mußte.
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Zwar sind gute Bücher über den Kongreß rar, es herrscht aber kein Mangel an publizierten Zeugnissen erster Hand, die ein Eintauchen in Archivmaterialien praktisch überflüssig machen. Nicht nur die Gesetzestexte und Verträge, auch die Memoranden, Verbalnoten, Proklamationen, Demarchen und andere Spuren der Verhandlungen liegen gedruckt vor, wie auch die Korrespondenz der Hauptakteure, ihre Tagebücher und Memoiren. Ebensolche Zeugnisse anderer Teilnehmer und Zuschauer sind publiziert worden, und etliche Berichte der österreichischen Geheimpolizei. Dennoch habe ich einige Archivquellen verwendet – zum guten Teil aus dem Wunsch heraus, die Arbeitsprozesse des Kongresses genauer zu durchdringen. Will man verstehen, wie eine Beziehung oder eine Verhandlung konkret verlief, läßt sich ein Originaldokument, das man in der Hand hält, durch nichts ersetzen. Als ich die Archive durchforstete, wurde mir klar, daß einige der gedruckten Primärquellen nicht so zuverlässig waren, wie man es sich gewünscht hätte, und daß die auf einer Sitzung getroffenen Entscheidungen nicht immer von allen Beteiligten in gleicher Weise notiert wurden. Für einige der entscheidenderen Momente der Verhandlungen griff ich daher auf Archivquellen zurück. Was das leidige Problem der Toponyme betrifft, so ist es angesichts des weiten Gebiets, in dem die geschilderten Ereignisse spielen, schwer, Konsistenz zu erreichen. Ich habe daher eher die damals gängigen Bezeichungen verwendet und ihnen bei ihrer ersten Erwähnung im Text, falls erforderlich, ihren heutigen Namen in Klammern hinzugefügt. So habe ich mich beispielsweise an allgegenwärtige deutsche Bezeichnungen gehalten, wie etwa, wenn es um den Vertrag von Kalisch ging, obwohl die Stadt damals formal im Großherzogtum Warschau lag und daher als Kalisz bekannt war. Im Falle der Hauptstädte und größerer Städte habe ich jedoch die heute übliche Form verwendet. Um der Lesbarkeit willen habe ich mehrere Quellen pro Absatz in einer einzigen Endnote gebündelt; sie werden im Anmerkungsverzeichnis in der Reihenfolge der erwähnten Fakten oder Zitate im Text aufgeführt. Ich möchte Aleksandr Sapožnikov von der Handschriftenabteilung der Russischen Nationalbibliothek dafür danken, daß er mir bei der Ein-
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sicht in die Tagebücher von Michajlovskij-Danilevskij behilflich war, und Galina Babkova, die mir half, Kopien anderer Dokumente und Artikel in Rußland zu besorgen. In dankbarer Schuld stehe ich bei Ole Villumsen Krog, dem Direktor der Königlichen Silberkammer von Schloß Christiansborg in Kopenhagen, für seine Hilfe und Liebenswürdigkeit, mit denen er mir seine unschätzbare Arbeit zum Wiener Kongreß zugänglich machte, und bei meiner Rechercheurin in dänischen Dingen, Marie-Louise Møller Lange. Dank geht auch an Barbara Prout von der Bibliothèque Publique et Universitaire de Genève, die mir Kopien von dortigen Manuskripten zuschickte, und an Jennifer Irwin, die im Public Record Office Nordirlands recherchierte. Angelica von Hase war außerordentlich hilfreich beim Eindringen in die deutsche Literatur zum Kongreß und mit Übersetzungen einiger Quellen. Ich stehe in der Schuld von Barbara de Nicolay, die mich durch die Komplexitäten des Streits um das Herzogtum Bouillon geleitet hat. Dankbar bin ich auch Professor Isabel de Madariaga, Emmanuel de Waresquiel und Dr. Philip Mausel für ihren hilfreichen Rat, Shervie Price dafür, daß sie das Manuskript las, und Richard Foreman für seine überaus wertvolle Beratung zu den Kapitelüberschriften. Sehr zu danken habe ich Richard Johnson für die ermutigende Unterstützung und seine Nachsichtigkeit bei den Abgabeterminen. Robert Lacey war ein mustergültiger Lektor, der mich einmal mehr davor bewahrte, mich zum Narren zu machen. Der vielleicht bemerkenswerteste Beitrag kam von Sophie-Caroline de Margerie, die mir das Thema überhaupt vorschlug. Und auch dieses Mal hat meine Frau Emma mich daran gehindert, verrückt zu werden, und mir das Leben durch und durch lebenswert gemacht. Adam Zamoyski London, im Januar 2007
Hinweis der Übersetzer: Wir haben, wo möglich, alle Zitate aus ihren Originalsprachen übersetzt. Lingua franca der Diplomatie und der europäischen Höfe war damals das Französische, hinzu kamen auch russische und andere Quellen. Die zuweilen altertümliche Diktion und Orthographie der
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deutschen Zitate entsprechen der Zeit ihres Entstehens bzw. ihrer Veröffentlichung. Für das Aufspüren der Originalzitate danken wir Jan Dreßler und Tino Jacobs sehr herzlich. Unser Dank geht auch an den Deutschen Übersetzerfonds, der diese Arbeit großzügig unterstützt hat.
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Der aufgeschreckte Löwe der aufgeschreckte 1815 löwe
Die Uhr des Tuilerien-Palastes hatte gerade zum letzten Viertel vor Mitternacht geschlagen, als eine schlammbespritzte, von vier ermüdeten Pferden im Galopp gezogene Kutsche von jener einfachen Art, die als chaise de poste bekannt war, auf den Paradeplatz vor dem Schloß einbog. In Unkenntnis der Hofetikette fuhr der Kutscher durch den dort befindlichen mittleren Bogen des Arc de Triomphe du Carrousel, der ausschließlich dem Kaiser vorbehalten war, noch bevor die schlaftrunkenen Wachen reagieren und sich ihm in den Weg stellen konnten. «Das ist ein gutes Vorzeichen!», rief einer der beiden Männer, die in der Kutsche saßen, ein molliger Mann in einem dicken, gefütterten Mantel, dessen Gesicht von einer Pelzmütze weitgehend verdeckt wurde. Das Gefährt hielt am Haupteingang, unter der Uhr, und die Passagiere kletterten hinaus. Der erste und größere von beiden hatte seinen Militärmantel aufgeknöpft, so daß seine goldbesetzte Brust sichtbar wurde und die Wachen ihn und seinen Begleiter unbehelligt passieren ließen, da sie annahmen, es handele sich um hohe Offi ziere, die eilige Depeschen brachten. Die beiden Männer gingen rasch den Gewölbegang hinunter und klopften an dessen Ende an ein hohes Portal. Nach einer Weile erschien der Kastellan im Nachthemd mit einer Laterne. Der größere der beiden gab sich als Kaiserlicher Großstallmeister zu erkennen, aber es dauerte einige Zeit, bis der Kastellan und seine schlaftrunkene Frau, die sich zu ihm gesellt hatte, überzeugt waren, daß der Mann, der vor ihnen stand, tatsächlich General de Caulaincourt war. Er trug zwar die passende Uniform, aber mit seinen langen und zerzausten Haaren, dem wettergegerbten Gesicht und den etwa zwei Wochen alten Bartstoppeln glich er eher einem Räuber auf der Bühne als einem hohen Würdenträger des kaiserlichen Hofes.
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1815 Diese Zeichnung von AnneLouis Girodet-Trioson, entstanden im März 1812, kurz bevor der Kaiser zu seinem Rußlandfeldzug aufbrach, zeigt einen alternden Napoleon, der sich lieber der Konsolidierung seiner Herrschaft gewidmet hätte, als wieder in den Krieg zu ziehen. Seine Friedenssehnsucht hatte sich zwölf Monate später noch verstärkt; auf seine Macht wollte er aber auf keinen Fall verzichten. Nicht jedoch er, sondern seine Feinde entschieden über die zukünftige Gestalt Europas.
Die Frau des Kastellans öffnete das Tor und sagte, die Kaiserin habe sich soeben zur Nacht zurückgezogen; derweil ging ihr Mann die diensthabenden Diener holen, die die Neuankömmlinge hineinbegleiten sollten. Die Frau wandte sich, noch gähnend und sich die Augen reibend, nun dem anderen Mann zu. Obwohl das flackernde Licht nur einen Teil seines Gesichts erleuchtete, meinte sie, zwischen dem hohen Kragen des Mantels und der in die Stirn gezogenen Pelzmütze den Kaiser zu erkennen. Aber das schien ihr unmöglich zu sein. Erst vor zwei Tagen hatten die Einwohner von Paris aus dem neunundzwanzigsten Bulletin de la Grande Armée zu ihrer Bestürzung erfahren, daß er sich mit seinem bedrängten Heer durch den russischen Schnee kämpfte. Die beiden Männer wurden einen Säulengang hinabgeführt, der sich rechts zu den Gärten hin öffnete, und gingen nach links in die Gemächer der Kaiserin – gerade als ihre Kammerzofen, die sie beim Schlafengehen bedient hatten, aus ihrem Privatgemach traten. Beim Anblick des bärtigen Mannes in dem verdreckten Militärmantel schreckten die Damen ängstlich zurück, aber als er ihnen erklärte, er bringe Nachricht vom Kaiser, erkannten sie Caulaincourt, und eine kehrte zur Kaiserin zurück, um den Großstallmeister anzukündigen.
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Als Napoleons Gesandter in Rußland von 1807 bis 1811 hatte General Armand de Caulaincourt alles in seiner Macht Stehende getan, um die beiden Imperien vor einem Konflikt zu bewahren und Napoleon dazu zu bringen, Frieden zu schließen, solange das möglich war. Zeichnung von Jacques-Louis David.
Voller Ungeduld drängte sich der kleinere der beiden Männer an seinem Begleiter vorbei auf die Tür des Gemachs zu. Sein Mantel hatte sich geöffnet, unter dem die Uniform eines Grenadiers der Alten Garde zum Vorschein kam, und als er jetzt zielstrebig den Raum durchquerte, bestand kein Zweifel mehr daran, daß dies Kaiser Napoleon war. «Gute Nacht, Caulaincourt!», sagte er und warf einen Blick zurück. «Sie haben auch Ihre Ruhe verdient.»1 Das war ziemlich untertrieben. Der General hatte seit über acht Wochen nicht mehr in einem Bett geschlafen und sich während der letzten beiden kaum einmal ausstrecken können; er hatte unter unsäglichen Bedingungen, oft unter Feuer, den weiten, mehr als 3000 Kilometer langen Weg von Moskau aus zurückgelegt. Zuvor hatte er an dem zermürbenden Vormarsch teilgenommen, in dessen Verlauf die beste Armee in Europa dezimiert worden war, und er hatte zuschauen müssen, wie sein geliebter jüngerer Bruder in der Schlacht von Borodino umkam. Er hatte Moskau brennen sehen. Er hatte die Entbehrungen und Greuel des katastrophalen Rückzugs miterlebt, dem über eine halbe Million französischer und verbündeter Soldaten zum Opfer gefallen waren.
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Vielleicht war es für den neununddreißigjährigen General Armand de Caulaincourt, Herzog von Vicenza, einen fähigen Soldaten und Diplomaten, am schwersten zu ertragen gewesen, daß er mitansehen mußte, wie sich seine schlimmsten Prophezeiungen eine nach der anderen erfüllten. Zwischen 1807 und 1811 hatte er als Napoleons Botschafter in Rußland alles getan, was in seiner Macht stand, um einen Konflikt zwischen den beiden Großmächten abzuwenden. Mehrfach hatte er Napoleon beschworen, nicht gegen Rußland in den Krieg zu ziehen, und ihn gewarnt, daß man gegen diesen Gegner unmöglich gewinnen könne. Noch als sie quer durch Europa reisten, um beim Truppenaufmarsch gegen Rußland dabeizusein, hatte er ihn umzustimmen versucht. Nachdem der Feldzug begonnen hatte, versuchte er ein ums andere Mal, Napoleon zu einer Schadensbegrenzung zu überreden – Caulaincourts Loyalität zu seinem Kaiser war unerschütterlich, aber er scheute sich nie, seine Meinung offen zu sagen. Es war alles vergebens. Während sich die Reste seiner Armee noch auf dem letzten Abschnitt ihres Rückzugs durchkämpften, hatte Napoleon am 5. Dezember 1812 beschlossen, seine Armee zu verlassen und nach Paris zurückzueilen. Das Kommando übertrug er seinem Schwager Joachim Murat, dem König von Neapel, unter der strikten Anweisung, die Grande Armée im litauischen Wilna (Vilnius) zu sammeln, das mit Vorräten und Verstärkungstruppen gut bestückt war, und es um jeden Preis zu halten. Er war mit Caulaincourt in seinem Reise-Coupé aufgebrochen, dem zwei weitere Kutschen mit drei Generälen und einigen Dienern folgten. Sie wurden von einer Schwadron Gardejäger sowie einer der polnischen Chevaulegers der Alten Garde begleitet, vorübergehend auch von etwas neapolitanischer Kavallerie. Einmal wäre der Konvoi um ein Haar von marodierenden Kosaken abgefangen worden. Napoleon hatte zwei geladene Pistolen in sein Coupé legen lassen und für den Fall seiner Gefangennahme seine Begleiter angewiesen, ihn zu töten, sollte er dazu nicht mehr selber in der Lage sein.2 Caulaincourt wich nicht von seiner Seite, selbst dann nicht, als sie ihre Eskorte und Gefährten zurückließen, wobei sie von der Kutsche in einen behelfsmäßigen Schlitten, von diesem auf eine Kutsche und dann wieder auf einen Schlitten wechselten usw., und immer wieder die Achsen brachen und ein halbes Dutzend Fahrzeuge verschlissen wurde, während sie von Wilna über Warschau, Dresden, Leipzig, Weimar, Er-
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furt und Mainz schließlich bis nach Paris flohen, wo sie in den letzten Minuten des 18. Dezember eintrafen. Aber bevor er daheim zu Bett gehen konnte, mußte Caulaincourt noch einer letzten Pflicht nachkommen. Er begab sich zum Haus des Erzkanzlers Jean-Jacques de Cambacérès, und nachdem er diesen mit der erstaunlichen Nachricht von der Rückkehr des Kaisers geweckt hatte, wies er ihn an, die nötigen Arrangements zu treffen, damit das ordnungsgemäße kaiserliche lever am nächsten Morgen stattfinden könne. Napoleon wünschte eine sofortige Wiederaufnahme der normalen Alltagsroutinen. Auf seinen Feldzügen ließ Napoleon in regelmäßigen Abständen Bulletins de la Grande Armée veröffentlichen, um seine Untertanen über sein Tun auf dem laufenden zu halten und sich dabei in einem heldenhaften Licht zu präsentieren. Im neunundzwanzigsten Bulletin vom 16. Dezember hatten sie zum ersten Mal Nachrichten vorgefunden, die wenig glorreich waren. Sie lasen jetzt, daß er Moskau gezwungenermaßen hatte verlassen müssen und seine Armee infolge des Winters schreckliche Verluste erlitten hatte. Wer zwischen den Zeilen las, konnte auf eine ungeheure Katastrophe schließen. Aber das Bulletin endete mit den Worten: «Die Gesundheit Sr. Majestät war nie besser.» Damit bezweckte er, daß die Bürger Frankreichs zwei Tage, nachdem sie das Schlimmste erfahren hatten, wieder zuversichtlich sein könnten, im Wissen, daß ihr Kaiser wiedergekehrt und Herr der Lage sei. Vor allem aus einem Grund hatte Napoleon seine Armee verlassen und war nach Paris zurückgekommen: Er wollte frische Truppen ausheben und im Frühjahr mit ihnen ausrücken, um seine Armee zu verstärken. Aber es gab auch andere Erwägungen. Zum einen war es ihm lieber, wenn er seine durchaus nicht zuverlässigen Verbündeten Österreich und Deutschland vor sich hatte, und nicht im Rücken. Als noch wichtiger und drängender empfand er es, seine Autorität im eigenen Land wieder zu stärken. Mehr als sieben Monate lang war er der Hauptstadt ferngeblieben und hatte während dieser Zeit die Staatsangelegenheiten von seinem Hauptquartier aus geführt. Das hatte erstaunlich gut funktioniert, und von der Außenpolitik bis hin zum Spielplan der Pariser Bühnen hatte er von dort aus weiterhin alles beaufsichtigt und befehligt. Aber in der Nacht des 23. Oktober, um die Zeit, als er seinen Rückzug aus Moskau begann, hatte ein unbedeutender General namens Malet
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mit einer Handvoll anderer Offiziere versucht, die Macht in Paris zu ergreifen, mit der Behauptung, der Kaiser sei tot. Sie wären beinahe erfolgreich gewesen, und obgleich man Malet und seine Komplizen vor Gericht stellte und erschoß, bevor noch Napoleon von dem Putschversuch erfuhr, verstörte ihn die Sache zutiefst, als ihm davon berichtet wurde. Sie führte ihm vor Augen, auf welch unsicherem Fundament sein Thron stand, und das gab ihm zu denken. Am Morgen des 19. Dezember feuerte die Kanone vor dem Invalidendom einen Salut, der den verblüfften Bürgern von Paris verkündete, daß ihr Kaiser wieder in der Hauptstadt weile. Sie waren noch immer fassungslos angesichts der Nachricht seines Scheiterns in Rußland; sie brannten darauf, Näheres zu erfahren, und hofften auf irgendeine Erklärung. Diese gespannte Erwartung beherrschte vor allem jene Beamten und Höflinge, die zum lever eilten. Aber sie wurden enttäuscht: Der Kaiser war einsilbig und abweisend und verschwand nach kurzer Zeit in seinem Arbeitszimmer, wohin er seine wichtigsten Minister bestellte. Er war nicht in der Stimmung, Erklärungen abzugeben, sondern, im Gegenteil, welche einzufordern, und das bekamen die Vertreter der gesetzgebenden Institutionen und der Verwaltungen zu spüren, als sie ihm am nächsten Tag ihre Aufwartung machten. Um sie als schwach, feige und unfähig hinzustellen, brachte er die Verschwörung Malets zur Sprache. Besonders empfindlich hatte ihn getroffen, daß jene, die der von Malet in Umlauf gebrachten Nachricht von seinem Tod in Rußland aufgesessen waren, einen Regimewechsel erwogen, statt seinen Sohn, den König von Rom, zum Thronfolger auszurufen. «Unserer Väter Losungswort war: Le roi est mort, vive le roi!», hielt er ihnen vor, und fügte hinzu: «Diese wenigen Worte enthalten die Hauptvorteile der Monarchie.» Daß der Ruf am 23. Oktober nicht erschollen war, machte ihm bewußt, daß die Monarchie, die er geschaffen hatte, trotz aller äußerlichen Riten und Symbole auf tönernen Füßen stand. Nach wie vor war er nur ein General, der die Macht ergriffen hatte, ein parvenu ohne einen Herrschaftsanspruch, der auf mehr als seiner Fähigkeit beruhte, an ihm festzuhalten. Diesen Rückschlag empfand er als persönliche Kränkung, und die Unsicherheit, die er bei ihm auslöste, sollte sich stark auf sein Verhalten während der nächsten beiden Jahre auswirken. Sie machte ihn aggressiver und weniger zugänglich, und führte unaufhaltsam in seinen Untergang.3
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Bevor er im Sommer 1812 zu seinem verhängnisvollen Feldzug gegen Rußland aufbrach, war Napoleon der unumstrittene Herrscher über Europa gewesen und mächtiger als irgendein römischer Kaiser. Das französische Kaiserreich und die von ihm unmittelbar abhängigen Gebiete umfaßten ganz Belgien, Holland und die Nordseeküste bis hinauf nach Hamburg, das Rheinland, die gesamte Schweiz, Piemont und Ligurien, die Toskana, den Kirchenstaat, Illyrien (das heutige Slowenien und Kroatien) und Katalonien und dazu auch das heutige Frankreich. Alle kleineren deutschen Staaten, darunter die Königreiche Sachsen, Bayern und Württemberg, waren im Rheinbund vereinigt, einem gänzlich abhängigen und unterworfenen Verbündeten Frankreichs; das waren auch das Großherzogtum Warschau, das Königreich Italien und die Königreiche Neapel und Spanien. Mehrere dieser Monarchien wurden von Geschwistern oder Verwandten Napoleons regiert oder waren mit ihm durch dynastische Eheschließungen verbunden. Dänemark und Rußland saßen in einer mehr oder weniger permanenten Allianz mit Frankreich fest, Österreich und Preußen waren ziemlich fragile Verbündete und in Kontinentaleuropa blieb nur Schweden außerhalb des napoleonischen Systems. Viele haßten den Würgegriff Frankreichs, aber es gab auch andere, die ihn begrüßten oder zumindest akzeptierten. Der einzige Herausforderer Napoleons war Großbritannien; aber auch wenn es die Meere beherrschte, auf dem europäischen Festland hatte es nur in Spanien Fuß fassen können, wo die Armee des Generals Wellington neben regulären spanischen Truppen und Guerillaeinheiten operierte, die die Herrschaft von Napoleons Bruder Joseph bekämpften. Die Briten waren jedoch zugleich in einen schwierigen und kostspieligen Krieg mit den Vereinigten Staaten von Amerika verwickelt, was ihrem militärischen Potential Grenzen setzte. Der verheerende Rußlandfeldzug hatte all das verändert, jedoch nicht so tiefgreifend, wie man vermuten könnte. Obwohl er nun mit Rußland Krieg führte und bei dem Versuch, es in die Knie zu zwingen, eine Armee verloren hatte, hatte sich Napoleons Position insgesamt nicht verändert. Sein System und seine Bündnisse waren nach wie vor intakt, und die Lage in Spanien hatte sich sogar verbessert, nachdem die Rückschläge des Sommers überwunden und die britischen und spanischen Truppen unter Wellington abgewehrt worden waren.
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Die einzige Gefährdung für sein System hätte zum damaligen Zeitpunkt durch Deutschland gedroht, dessen viele Herrscher, angefangen mit Friedrich Wilhelm III. von Preußen, das Bündnis mit ihm zunehmend als lästig empfanden, und dessen Untertanen eine heftige Abneigung gegen ihre französischen Verbündeten hegten. Aber Preußen war durch Frankreich erheblich verkleinert und wirtschaftlich ausgeblutet worden, während die anderen Monarchen zu schwach waren und einander zu sehr mißtrauten, um eine ernsthafte Bedrohung darzustellen; und Österreich war nach seiner verheerenden Niederlage von 1809 nicht imstande, Krieg zu führen. Wer immer noch davon träumte, das französische Joch abzuschütteln, mußte die Überreste der Grande Armée in Polen und eine Kette von Festungen mit französischen Garnisonen überall in Deutschland mitbedenken. Napoleons Selbstbewußtsein war durch die Ereignisse von 1812 nicht ernstlich erschüttert worden. Er hatte grobe politische und militärische Fehler begangen, und er hatte eine ausgezeichnete Armee verloren. Aber er wußte – ebenso wie es, trotz der russischen Propaganda, die meisten erfahrenen Feldherren Europas wußten –, daß er auf dem Schlachtfeld immer siegreich gewesen war. «Meine Verluste waren beträchtlich, aber dessen darf sich der Feind nicht rühmen», schrieb er in einem Brief an den König von Dänemark. Und er konnte jederzeit eine neue Armee aufstellen.4 Frankreich war nach wie vor der mächtigste Staat auf dem europäischen Kontinent. Rußland besaß keine vergleichbaren Reserven an Macht und Reichtum, und es hatte im Vorjahr stark unter den Verwüstungen des Krieges gelitten. Im nachhinein wissen wir, daß Napoleons Ruf und die Grundlagen seiner Macht unheilbar beschädigt waren, aber damals war allen klar, daß seine Position unangreifbar blieb, solange er einen kühlen Kopf behielt und seine Ressourcen konsolidierte. Und dies zu tun, schickte er sich nun an. Auf seinem Rückweg nach Paris hatte er gerade lange genug in Warschau Halt gemacht, um die polnischen Minister zu versichern, er habe alles im Griff und werde im Frühjahr mit einer neuen Armee zurückkehren. Einige Tage später redete er beruhigend auf seinen Verbündeten, den König von Sachsen, ein und drängte ihn, weitere Truppen auszuheben. Ebenfalls in Dresden schrieb er seinem Schwiegervater, dem Kaiser von Österreich, er habe alles unter Kontrolle, und bat ihn, das
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Kontingent österreichischer Soldaten, die gemeinsam mit der Grande Armée kämpften, auf 60 000 zu verdoppeln. Zusätzlich bat er ihn, einen Botschafter nach Paris zu entsenden, damit sie leichter miteinander kommunizieren könnten.5 Nach seiner Rückkehr nach Paris machte er sich daran, seine Truppen wieder aufzubauen. Noch vor seiner Abreise hatte er Befehl zur Einberufung der Altersgruppe gegeben, die im Jahr 1814 an der Reihe gewesen wäre, was ihm 140 000 junge Männer beschert hatte, die bereits in den Sammelstellen gedrillt wurden. Zusätzlich standen ihm 100 000 Mann der Nationalgarde zur Verfügung, die er für die Landesverteidigung aufgestellt hatte, bevor er nach Rußland aufbrach. Angesichts der politischen Lage in Frankreich schuf er nun eine neue Streitmacht, die Gardes d’Honneur, die sich aus Sprößlingen von Adelsfamilien und solchen zusammensetzte, die seine Herrschaft ablehnten und die man mitten aus den royalistischsten Provinzen zusammengeholt hatte. Die Besserung der Lage in Spanien ermöglichte es ihm, vier Garderegimenter, die berittene Gendarmerie und einige polnische Kavallerieeinheiten von der Iberischen Halbinsel abzuziehen. Und er wies seine anderen Verbündeten in Deutschland an, zu seiner Unterstützung mehr Truppen auszuheben. Nach seinen Berechnungen hatte er immer noch 150 000 Soldaten, die die Ostgrenze seines Imperiums absicherten, davon mindestens 60 000 Mann unter Murat in Wilna, 25 000 unter Macdonald im Norden, 30 000 österreichische Bündnissoldaten im Süden unter Schwarzenberg, Poniatowskis polnisches Korps und die Reste des sächsischen Kontingents unter Reynier, die Warschau schützten, sowie mehr als 25 000 Männer in Reservedepots oder Festungen von Danzig an der Ostsee bis hinunter nach Zamotd. Er war daher zuversichtlich, daß er im Frühjahr mit etwa 350 000 Mann in Deutschland losmarschieren könne.6 Aber nicht einmal eine Woche nach seiner Rückkehr nach Paris erreichten ihn am Weihnachtsabend schlechte Nachrichten aus Litauen. Als die versprengten Reste der Grande Armée nach und nach in Wilna eintrafen, in dem sie einen rettenden Hafen wähnten, war die Durchhaltekraft der Soldaten einem großen Ruhebedürfnis gewichen. Murat hatte versäumt, eine angemessene Verteidigung auf die Beine zu stellen, so daß die vorrückenden russischen Truppen die Stadt mühelos überrennen konnten. Verwirrung und Panik hatten eine geord-
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1815 Franz. Garnisonen Franz. Truppen Russische Truppen
Mitteleuropa zu Beginn des Jahres 1813 Kopenhagen KGR. DÄNEMARK
Nordsee
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Illyrische Provinzen
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Kaiserreich Frankreich Satellitenstaaten Frankreichs Verbündete Frankreichs
nete vakuierung selbst durch solche Einheiten verhindert, die noch kampffähig gewesen wären, und einige Tage später überquerten kaum mehr als 10 000 Mann den Njemen und verließen Rußland. Napoleon war durch diese Nachricht am Boden zerstört. Er bereute bitterlich, Murat das Kommando übertragen zu haben, und ihm grauste davor, wie dieses Ereignis gegen ihn propagandistisch ausgeschlachtet werden würde. Aber nach ein, zwei Tagen versicherte er Caulaincourt bereits, es sei ein unwesentlicher Rückschlag gewesen; er hatte es offenbar verwunden.7 Er würde sich dadurch bestimmt nicht von seinen Plänen abbringen lassen oder erlauben, daß sein Selbstvertrauen Schaden nähme. Der angeforderte Botschafter des Kaisers Franz von Österreich war in Paris eingetroffen. Es handelte sich um General Ferdinand Graf von Bubna und Littitz, einen hervorragenden Soldaten, den Napoleon gut kannte und mochte. Im Verlauf ihrer ersten Unterredung am Abend des 31. Dezember überbrachte Bubna das Angebot Österreichs, beim Aushandeln
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eines Friedens zwischen Frankreich und Rußland behilflich zu sein. Napoleon schlug es aus. Sicherlich wünschte er Frieden, wahrscheinlich sehnlicher als alle seine Feinde. Er war jetzt dreiundvierzig Jahre alt. «Ich werde schwerfällig und zu beleibt, um nicht meine Ruhe zu lieben, um nicht das Hin und Her, die ständige Anspannung, die der Krieg verlangt, als große Strapaze zu empfinden», gestand er Caulaincourt. Er habe den Krieg von 1812 gegen Rußland nur deshalb geführt, um Zar Alexander zu zwingen, eine Blockade durchzuführen, von der er sich versprach, daß sie Großbritannien an den Verhandlungstisch bringen würde.8 Während ihrer langen Fahrt von Litauen nach Paris hatte sich der zur Untätigkeit verdammte Napoleon ausgiebig und hartnäckig seinen Gedanken hingegeben, wobei er gelegentlich seinen Reisebegleiter in die Wange kniff oder ihn am Ohr zog, wie es seine Art war. Zum Glück für die Nachwelt hörte Caulaincourt aufmerksam zu und hielt diese Ergüsse schriftlich fest, wann immer der Kaiser einnickte oder sie anhielten, um die Pferde zu wechseln. Napoleon beteuerte wieder und wieder, daß er sich nur nach Frieden und Stabilität für Europa sehnte und die anderen Mächte auf dem Kontinent mit Blindheit geschlagen seien, wenn sie nicht erkannten, daß ihr wahrer Feind Großbritannien war, mit seiner Monopolstellung als See- und Handelsmacht. Jeder Frieden, der Großbritannien nicht einbeziehe, sei wertlos. Aber Großbritannien sei nicht bereit, einen Frieden zu solchen Bedingungen zu erwägen, die für Frankreich annehmbar wären. Die Briten müßten zum Kompromiß gezwungen werden. Drei Tage, nachdem er das österreichische Vermittlungsangebot ausgeschlagen hatte, besprach sich Napoleon mit seinen wichtigsten Beratern in auswärtigen Angelegenheiten. Dabei ging es hauptsächlich um die Frage, ob es besser sei, sich direkt um eine Einigung mit Rußland zu bemühen – über die Köpfe von Österreich und Preußen hinweg und möglicherweise zu deren Lasten –, oder auf Österreich als wichtigsten Verbündeten und möglichen Verhandlungsführer zu setzen. Erzkanzler Cambacérès, der ehemalige Außenminister Talleyrand und Caulaincourt rieten zur ersteren Vorgehensweise, der amtierende Außenminister Maret und die anderen zur zweiten. Wie stets bei derartigen Beratungen hörte Napoleon zu, ohne sich in der einen oder der anderen Richtung festzulegen. Für eine Entscheidung bliebe ihm noch reichlich
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Zeit, denn er hatte nicht vor, anders als aus einer Position der Stärke zu verhandeln. Sie wäre gegeben, wenn er an der Spitze einer frischen Armee wieder in Deutschland auftauchte, und bis dahin mußte er sich darauf konzentrieren, eine aufzustellen.9 Darin kam er gut voran. «Alles ist hier in Bewegung», schrieb er seinem Stabschef, Marschall Berthier, am 9. Januar 1813. «Es fehlt an nichts, weder an Soldaten, noch an Geld, noch an gutem Willen.» Das einzige, woran es mangele, gestand er, seien Offi ziere und ein Grundstock an bewährten Soldaten, aber er war zuversichtlich, daß er diese unter den Resten der Grande Armée finden würde, da es im allgemeinen Offiziere und Unteroffi ziere waren, die die Mehrzahl der Überlebenden ausmachten. Aber als er noch am selben Abend von einer Vorstellung im Théâtre Français zurückkehrte, erwarteten ihn unerfreuliche Neuigkeiten, in denen sich alarmierende Folgen abzeichneten.10 Preußen war in das Bündnis mit Frankreich gezwungen worden und hatte zur Invasion Rußlands ein Armeekorps beigesteuert. Aber in der Bevölkerung herrschten starke Ressentiments gegen Frankreich, besonders in den nördlichen und östlichen Teilen des Landes, und auch in der Armee waren sie stark. Am 30. Dezember 1812 trennte General Yorck von Wartenburg, Befehlshaber des preußischen Korps in der Grande Armée, dieses von den französischen Einheiten ab und unterschrieb seinen eigenen Bündnisvertrag mit Rußland. Nicht nur machte das den Franzosen unmöglich, ihre bisherige Verteidigungsstrategie aufrechtzuerhalten und zwang sie, sich zur Weichsel zurückzuziehen; es weckte auch Zweifel an der Loyalität Preußens. Kurze Zeit nach Erhalt dieser Nachricht folgte die Versicherung, daß der preußische König, Friedrich Wilhelm III., diese Tat verurteilt und befohlen habe, Yorck seines Kommandos zu entheben. Napoleons Botschafter in Berlin, der Graf von Saint-Marsan, schickte beschwichtigende Berichte über Preußens Loyalität und meldete am 12. Januar, daß Friedrich Wilhelm mit dem Gedanken spiele, seinen Sohn, den Kronprinzen, mit einer Prinzessin der Familie Bonaparte zu vermählen, um das Bündnis zwischen den beiden Höfen zu festigen. Wenige Tage später traf Friedrich Wilhelms Sondergesandter, Fürst von Hatzfeldt, in Paris ein.11 Aus Wien erhielt Napoleon ähnlich ermutigende Berichte. Er zweifelte keine Sekunde daran, daß sein Schwiegervater, Kaiser Franz, ihm
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bis zuletzt beistehen würde: Napoleon war so vernarrt in seine Gattin Marie-Louise und seinen Sohn, den König von Rom, daß er Franz dieselben Gefühle für Tochter und Enkel unterstellte. Aber Franz folgte keiner eigenen politischen Linie. «Unsere Allianz mit Frankreich … ist so nothwendig, daß, wenn Sie dieselbe heute brechen, wir uns morgen bemühen werden, sie mit Ihnen durchaus auf dieselben Bedingungen wiederherzustellen», hatte der österreichische Außenminister Metternich zu Napoleons Gesandten in Wien, Graf Louis-Guillaume Otto, gesagt. Napoleon blieb dennoch auf der Hut und beschloß, Otto durch jemanden zu ersetzen, der einen frischen Blick auf die Lage in Wien werfen könnte. Für diese Aufgabe wählte er den Grafen Louis Marie de Narbonne-Lara.12 Während seine Rekruten in Uniformen gesteckt und ausgebildet wurden, widmete sich Napoleon den täglichen Amtsgeschäften und entspannte sich bei der Jagd in Fontainebleau. Er ergriff die Gelegenheit, Papst Pius VII. zu besuchen, der dort seit 1809, nachdem die Franzosen den Kirchenstaat besetzt hatten, als Gefangener lebte. Nach kurzen Verhandlungen unterzeichnete Napoleon mit ihm ein neues Konkordat. Dies war ratsam, da er mit seiner Behandlung des Papstes nicht nur die Katholiken Frankreichs, sondern auch solche, die in den Gebieten seiner süddeutschen und österreichischen Verbündeten lebten, unnötig gegen sich aufgebracht hatte. Die Bedingungen des Abkommens waren aber so demütigend, daß sich die Gemüter nicht beruhigten. Am 14. Oktober nahm Napoleon an der Eröffnung der gesetzgebenden Versammlung teil und hielt eine Rede, in der er seinen leidenschaftlichen Wunsch nach Frieden ausdrückte. Er würde alles tun, ihn zu fördern; gleichzeitig betonte er, daß er nie einen Vertrag unterschreiben werde, der Frankreich entehre. Er malte ein beruhigendes Bild der internationalen Lage und behauptete, daß die Dynastie der Bonaparte in Spanien sicher sei und die Lage in Deutschland keinen Anlaß zu Befürchtungen gebe. «Ich bin mit dem Betragen aller meiner Alliirten vollkommen zufrieden. Ich werde keinen von ihnen im Stiche lassen, und die Integrität ihrer Staaten zu handhaben wissen. Die Russen werden nach ihrem abscheulichen Klima zurückkehren.»13
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Der Retter Europas der retter europas
«Meine Herren, Sie haben nicht nur Rußland, Sie haben auch Europa gerettet», hatte Zar Alexander seinen Generälen am 12. Dezember 1812 in Wilna versichert, kurz nachdem die letzten französischen Nachzügler die Stadt verlassen hatten. Ob beide Behauptungen stimmten, ist zweifelhaft, aber das war unwichtig. Der sympathische und ritterliche Alexander galt mit seinen vierunddreißig Jahren vielen als die Verkörperung des monarchischen beau idéal. Daß er sich von Napoleon nicht einschüchtern ließ und sein Land entschlossen verteidigte, hatte überall Respekt geweckt. Mochte er auch fast völlig deutsch sein, die merkwürdige Mischung aus Exotik und Spiritualität, die in Europa nahezu allem, was hier als russisch galt, zugeschrieben wurde, verlieh ihm eine Aura von Kühnheit und Aufrichtigkeit. So wurde er zum Idol aller, die glaubten, Europa müsse gerettet werden.1 Aber wenn er auch den brennenden Wunsch hegte, sie nicht zu enttäuschen, er wußte nicht so recht, wie diese Rettung Europas bewerkstelligt werden sollte. Seine Absichten waren gewiß löblich. «Er wollte, daß alle Menschen einander brüderlich lieben und sich in ihren wechselseitigen Bedürfnissen beistünden, und daß ein freier Handel zum einigenden Band der Gesellschaft werde» – das gab eine junge Dame weiter, der er sich zu diesem kritischen Zeitpunkt anvertraute. Aber er war nicht hinreichend überzeugt und entschlossen. «Manchmal möchte ich meinen Kopf gegen die Wand schlagen», sagte er zu ihr, «und wenn ich meinen Stand auf ehrenhafte Weise wechseln könnte, würde ich es gerne tun, denn kein Stand ist schwieriger als der meine, und ich bin für den Thron in keiner Weise berufen.»2 Darin steckte viel Wahres. Obgleich Alexander von Natur aus freundlich und großzügig war, neigte er dazu, sich rasch auch verstimmen zu lassen. Er war zugleich charakterschwach und stur – leicht zu
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Zar Alexander I. von Rußland, nach eigener Überzeugung von Gott dazu berufen, die Welt zu retten, wurde anfangs allseits als Befreier gefeiert. Aber schließlich galt er wegen seiner autoritären Haltung als Bedrohung des Friedens: zugleich spottete man über seine vielen Liebschaften. Porträt von Sir Thomas Lawrence, 1817.
beeinflussen, aber schwer zu handhaben. Der fortschrittliche Geist, in dem er erzogen worden war, hatte sein Selbstvertrauen zerstört, insofern dieser seiner tragischen Bestimmung, absoluter Monarch der theokratischsten und tradionalistischsten Macht Europas zu werden, diametral widersprach. Das führte dazu, daß er sich auf geradezu klägliche Weise bemühte, anderen zu gefallen, und sich doch zugleich als entschlossene und starke Herrscherpersönlichkeit beweisen wollte. «Er hätte von ganzem Herzen allen die Freiheit geschenkt, solange sie sich alle von ganzem Herzen seinem Willen untergeordnet hätten», wie es ein enger Freund ausdrückte. Alexander hatte sich den Ideen der Aufklärung verschrieben und wollte gern als Wohltäter der Menschheit gesehen werden, aber diese Neigung entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer Art spirituellem Schicksalsglauben, der ihn von diesen Idealen
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Alexanders Freund und Berater in internationalen Angelegenheiten, der polnische Prinz Adam Czartoryski. Während der Russische Hof ihn als potentiellen Feind wahrnahm, sahen die anderen Mächte in ihm den gefährlichsten der russischen Unterhändler. Porträt von Józef Oleszkiewicz, ca. 1806.
weit abführen würde. «Mehr denn je», schrieb er im Januar 1813 seinem Freund Aleksandr Golizyn, als er über die Rettung Europas nachdachte, «füge ich mich dem Willen Gottes und unterwerfe mich blind Seinen Geboten.»3 Alexander hatte 1801, nach der Ermordung seines Vaters, Pauls I., in die er erheblich verwickelt gewesen war, im Alter von dreiundzwanzig Jahren den Thron bestiegen. Sofort hatte er ein «Geheimkomitee» gebildet, das aus engen und gleichgesinnten Freunden bestand und ihn bei der Planung grundlegender Reformen des russischen Staates unterstützen sollte. Mit der Außenpolitik betraute er Fürst Adam Czartoryski, der Alexanders utopische Phantasien in einem hochfliegenden Projekt eines zukünftigen «Systems» sammelte, das alle internationale Beziehungen regulieren würde. Wie einige andere europäische Staatsmänner war auch Czartoryski davon überzeugt, daß die überkommenen diplomatischen Spielregeln, nach denen immer wieder Paritäten angestrebt wurden, die sich ihrerseits auf instabile und schwer faßbare Machtbalancen stützten, ebenso unsinnig wie moralisch inakzeptabel seien. Im Gegenzug schlug er ein
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übernationales Sicherheitssystem vor, das aus Bündnissen kleinerer Staaten bestünde, die sich nach sprachlicher oder kultureller Nähe zusammenfänden. Ihnen wären Eroberungswünsche fremd, und sie würden auch nicht über den für Kriege notwendigen Zusammenhalt verfügen – es sei denn zur Selbstverteidigung. Alexander war von dieser Vision sehr angetan, die einen tief verwurzelten russischen Wunsch zu rechtfertigen schien, die Herrschaft über alle von Slawen bewohnten Lande auszudehnen.4 Weder Alexander noch seine Berater sahen Rußlands Bestimmung in einer Expansion nach Europa – sie blickten nach Konstantinopel und nach Osten. Aber durch seinen kometenhaften Aufstieg zur Großmacht in den letzten hundert Jahren war Rußland jetzt gezwungen, Europa zu beachten, und sei es nur aus Gründen der Selbstverteidigung. Die Mächte, die es im Auge behalten mußte, waren vor allem Großbritannien, dessen Überlegenheit zur See und östliche Herrschaftsgebiete als unbezweifelbare Herausforderung galten; Frankreich, dessen traditionell enge Beziehungen zur osmanischen Türkei und dessen Interesse an Ägypten und weiter östlich gelegenen Gebieten Anlaß zu Unbehagen gaben, und, weniger gewichtig, Österreich, dessen Besitzungen auf dem Balkan zumindest lästig waren. In den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts war Rußland in einen Krieg mit Frankreich hineingeraten, aber in diesem Konflikt hatte das Zarenreich keine starken Interessen, sieht man von der aussichtslosen Hoffnung ab, einen Marinestützpunkt im westlichen Mittelmeer errichten zu können. Alexanders Sicht auf Napoleon war zwiespältig. Er kam nicht umhin, seine Begabung und Energie zu bewundern, und er neidete dem Ersten Konsul seine Leistungen als tatkräftiger und erfolgreicher moderner Staatsmann, der viele Ideale der Aufklärung verwirklicht hatte. Aber Napoleons willkürliche Grausamkeit entrüstete ihn, und seine Abneigung gegen den französischen Emporkömmling schlug in kalte Abscheu um, als dieser sich im Dezember 1804 zum Kaiser der Franzosen krönen ließ. Im Oktober desselben Jahres, als Großbritannien und andere Mächte einen Krieg gegen Frankreich erwogen, hatte Alexander den Grafen Nikolaj Nowosilzow mit einem von Czartoryski ausgearbeiteten Vorschlag nach London entsandt, der seine Vision einer neuen europäischen Ordnung auf der Basis liberaler Grundsätze und «den heiligen Rechten der Menschlichkeit» enthielt. Wie nicht anders zu erwarten
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war, blieb der britische Premierminister William Pitt skeptisch, aber in seiner Antwort erschien er sehr interessiert. Er lobte Alexanders «weise, würdige und großzügige Politik» und hob aus dem Koalitionsvorschlag gegen Frankreich dreierlei als wichtigste Ziele hervor: Frankreich sollte seine Eroberungen zurückgeben und sich auf seine vorherigen Grenzen zurückziehen; diese restituierten Gebiete wären so zu sichern, daß sie nie wieder einer französischen Aggression zum Opfer fallen könnten; und, was das Wichtigste war, es sei «bei der Wiederherstellung des Friedens eine allgemeine Vereinbarung und Garantie zum gegenseitigen Schutz und zur gegenseitigen Sicherheit der verschiedenen Mächte zu erzielen, sowie die Wiedereinführung eines allgemeinen Systems des öffentlichen Rechts in Europa.»5 Es blieb bei der Vision, denn die Koalition, die dieses neue Zeitalter einläuten sollte, wurde auf den Schlachtfeldern von Austerlitz, Jena und Friedland zerrieben. Czartoryski wurde 1806 von Alexander, wenn auch widerwillig, entlassen. Aufgrund seiner wortkargen und reservierten Art hatte er bei Hof wenig Freunde und zog wegen seines Einflusses auf den Zaren die Feindseligkeit und den Neid vieler auf sich. Zudem war er Pole. 1792 hatte er in Verteidigung seines Vaterlands gegen Rußland gekämpft und war als Geisel, die das Wohlverhalten seiner Familie garantieren sollte, nach Sankt Petersburg gelangt. Das Königreich Polen war 1775 auf der Grundlage einer Reihe von Abkommen zwischen Rußland, Preußen und Österreich von der Landkarte gefegt worden. Den Löwenanteil des Landes hatte sich Alexanders Großmutter, Katharina die Große, angeeignet; sie war auch die treibende Kraft gewesen. Im Einklang mit den meisten Aufklärern verurteilte Alexander diese Aufteilung eines der ältesten Staaten Europas und empfand daran auch eine gewisse persönliche Mitschuld. Diese Gefühle wurden durch seine Freundschaft mit Czartoryski noch verstärkt, dem er geschworen hatte, Polen seine Freiheit zurückzugeben, wenn er Zar werde. Als es soweit war, war er damit konfrontiert, daß er unmöglich etwas tun konnte, was angeblich wesentlichen russischen Interessen widersprach. Niemals aber gab er seinen Traum auf, dieses Versprechen eines Tages einzulösen. Dieses polnische Dilemma ist ein typisches Beispiel für Alexanders inneren Konflikt zwischen seinen persönlichen Idealen und der russischen Staatsraison, die auf den verschiedensten Ebenen kollidierten.
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Wie viele polnische Patrioten war sich Czartoryski darüber im klaren, daß sein Land kurzfristig die Unabhängigkeit nicht zurückgewinnen könne. Im besten Fall konnte er auf eine Wiedervereinigung der auseinandergerissenen Teile hoffen. Ihm schwebte ein mehr oder weniger autonomes Polen als Provinz, vielleicht sogar Königreich, innerhalb des russischen Reiches vor, und diesem Reich diente er rückhaltlos. Dennoch konnte er nie das Mißtrauen des Hofes und der russischen Gesellschaft insgesamt zerstreuen, die in ihm nur einen potentiellen Feind sahen. Seine Lage wurde nicht leichter dadurch, daß er der Liebhaber von Alexanders Gemahlin Elisabeth gewesen war, die ein Kind von ihm bekommen hatte. Er war eine Belastung und mußte gehen. Czartoryskis Sturz veränderte die außenpolitischen Ansichten des Zaren nicht. Anders als die patriotischen russischen Gegenspieler des entlassenen Ministers gehofft hatten, hielt er auch daran fest, was sie als beklagenswerte Besessenheit mit Polen ansahen. Aber seine Haltung gegenüber Großbritannien änderte sich. Czartoryski hielt die Briten zwar für unzuverlässig und selbstsüchtig, aber auch für unverzichtbar als Verbündete im Kampf gegen Frankreich. Alexander indes hatte seine Zweifel. Besonders verärgerte ihn Großbritanniens Beharren auf der absoluten und ausschließlichen Qualität seiner angeblichen «Rechte zur See», nämlich jedes Schiff nach Belieben durchsuchen und die Weltmeere überwachen zu dürfen. 1805 hatte Alexander Großbritannien als notwendigen Verbündeten akzeptiert, fühlte sich aber 1806 / 07 schmerzlich von ihm im Stich gelassen, als es versäumte, ein Expeditionskorps in die Ostsee zu entsenden, und er Napoleon allein gegenüberstand. Angesichts der Notwendigkeit, mit Napoleon zu verhandeln, schloß Alexander nicht nur Frieden: Er bot dem Kaiser der Franzosen auch eine Partnerschaft derselben Art an, wie er sie Pitt drei Jahre zuvor vorgeschlagen hatte. Er bildete sich ein, er könne dank der so entstehenden Allianz, die im Verlauf ihrer Verhandlungen bei Tilsit im Sommer 1807 besiegelt wurde, sein Reich erneuern und durch die Eingliederung Konstantinopels und anderer Teile des Nahen Ostens erweitern, und zugleich gemeinsam mit Napoleon eine aufgeklärte und segensreiche Schirmherrschaft über den Kontinent ausüben, den sie beide beherrschten. Das Debakel von Austerlitz im Dezember 1805, wo Alexander gehofft hatte, als Held zu glänzen und statt dessen vom Schlachtfeld fliehen
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mußte, während seine Armee sich auflöste, und, ein gutes Jahr darauf, seine endgültige Niederlage bei Friedland, waren persönliche Demütigungen gewesen. Sie hatten auch seine politische Position geschwächt. Zwar liebte ihn sein Volk noch immer, es gab aber viele, die ihn für schwach hielten und bei denen seine Reformtendenzen Befürchtungen weckten. Sie betrachteten Minister wie Czartoryski und den reformfreudigen Speranskij als Überträger französischer / freimaurerischer / polnischer / jüdischer Einflüsse, die die Reinheit Rußlands besudelten, und Alexander sah sich gezwungen, sie zu entlassen und auch Programme aufzugeben, die ihm am Herzen lagen. Er war einer sich zunehmend artikulierenden öffentlichen Meinung ausgesetzt, die er nicht ignorieren durfte. Als Zar Rußlands regierte er zwar theoretisch als Selbstherrscher mit grenzenloser Macht, die Mehrheit der gebildeten Russen konzentrierte sich aber in der Armee, der Verwaltung und am Hof in Sankt Petersburg und Moskau. Nur durch sie konnte der Staat funktionieren, und ohne ihre willige Mitarbeit war der Autokrat buchstäblich machtlos.6 Auch wenn sich das Bündnis mit Napoleon für Alexander zwischen 1807 und 1812 als vielfach unbequem und demütigend erwies, ermöglichte es ihm, in Finnland einzudringen, es zu annektieren und sich darüber hinaus noch zusätzlich einige Streifen polnischen Bodens zu sichern. Er hoffte, sich noch weitere Gebiete aneignen und auf den Balkan vordringen zu können. Aber all das reichte nicht aus. Rußlands Selbstachtung verlangte von ihm eine unnachgiebigere, wenn nicht gar provokative Haltung gegenüber Frankreich. Dies hatte unaufhaltsam zu Napoleons schlechtberatener Invasion geführt, und als die russische Armee in den letzten Tagen des Jahres 1812 den geschlagenen Überresten der Grande Armée nachsetzte und dabei Rußland selbst verließ, war auch den naivsten Gemütern klar, daß sich die russische Herrschaft weiter in westliche Richtung ausdehnen würde. Das Großherzogtum Warschau bot sich für eine Besetzung an; so hätte Alexander die Möglichkeit gehabt, seine Bringschuld gegenüber den Polen einzulösen und ihr Königreich wiederherzustellen. Aber die Wiederherstellung eines unabhängigen polnischen Staates hätte den Weg Rußlands zu weiteren territorialen Zugewinnen im Westen versperrt. Schlimmer noch, Rußland hätte dann wahrscheinlich polnische Provinzen zurückgeben müssen, die es in der Vergangenheit annektiert hatte. Für Alexander kam daher ein polnisches König-
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reich nur innerhalb des russischen Reichs in Frage, und mit ihm selbst als König. Dies könnte, wie er hoffte, die Befürchtungen der russischen Öffentlichkeit dämpfen. Aber weil sich damit auch die Grenzen seines Reichs weit nach Westen hin verschöben, bedeutete dies auch, daß er bei der Neuordnung Deutschlands ein Wort mitzusprechen hätte. Deutschland war von der Französischen Revolution und den darauffolgenden Eingriffen Napoleons stärker in Mitleidenschaft gezogen als jeder andere Teil Europas. 1789 hatten die deutschen Länder zum Heiligen Römischen Reich gehört, einem unübersichtlichen Flickwerk aus etwa dreihundert unabhängigen, souveränen Staaten und Tausenden von weltlichen und geistlichen Herrschaftsgebieten, deren politische Formen von der absolutistischen Alleinherrschaft über das geistliche Regiment der Kirche bis hin zu republikanischen Stadtverfassungen alles umfaßte. Diese chaotische Vielfalt war 1792 im Zuge des französischen Ausgreifens ins Rheinland bereinigt worden, und zwischen 1801 und 1809 unterwarf Napoleon ganz Deutschland einer gründlichen Neuordnung. Sein Ziel war es, Österreich zu verkleinern und zu isolieren, Preußen, das er gern im französischen Lager halten wollte, zu vergrößern und eine Reihe von weiteren Staaten wie Bayern, Baden und Württemberg auszubauen, deren aufgewertete Herrscher dann zu treuen Verbündeten würden. Aufgrund des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 waren jene, die durch den Anschluß der linksrheinischen Gebiete an Frankreich ihre Territorien verloren hatten, im rechtsrheinischen Rest des Reiches zu entschädigen, wo nun Schritt für Schritt im Zuge der Mediatisierung bisher souveräne Herrschaftseinheiten anderen und größeren zugeordnet wurden. Was an souveränen Gebilden übrigblieb, wurde 1806 im Rheinbund zusammengefaßt, zu dessen Beschützer Napoleon sich erklärte. Er hatte diesem Staatenbund zwar die Form gegeben, aber seine Macht über ihn beruhte darauf, daß er die Mitgliedsstaaten gegeneinander ausspielte und sie in einem Zustand der Abhängigkeit hielt. Zudem war keiner von ihnen ganz Herr im eigenen Haus, da Napoleon eine Reihe von «mediatisierten» Grafen und Rittern («Standesherren») innerhalb ihrer Herrschaftsgebiete belassen hatte, die nicht ihren neuen Herren, sondern ihm, Napoleon, unterstanden. Gewinner all dieser Veränderungen waren nicht nur die Kurfürsten von Bayern, Württemberg und Sachsen, die zu Königen wurden, oder
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Aufstieg und Fall Preußens, 1807
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die anderen Regenten, die eine Standeserhöhung erfuhren, sondern auch die Kaufleute, die von archaischen und einengenden Vorschriften befreit wurden, die Handwerker, die sich vom Zunftzwang erlösten, die Juden, die dank eines Emanzipationsedikts ihre Ghettos verlassen durften und preußische Staatsbürger wurden, und zahllose andere. Verlierer waren die vielen hundert Herzöge, Fürsten, Pfalzgrafen, Bischöfe, Markgrafen, Burggrafen, Landgrafen, Äbte, Äbtissinnen, Großmeister und Reichsritter, die Territorien und Vorrechte verloren, ebenso wie die Freien Reichsstädte, deren Unabhängigkeit im Verlauf der Umgestaltung beseitigt wurde. Unter den deutschen Staaten hatte Preußen am meisten gewonnen. Als es 1795 mit den Franzosen gegen die anderen deutschen Staaten zusammenging, erwarb es wertvolle Gebiete im Rheinland, die es später gegen ausgedehntere in Mitteldeutschland eintauschte. Für die Unterstützung Napoleons gegen Österreich holte es sich 1805 Hannover. Aber im Jahr darauf wechselte Preußen die Seite, und nachdem Napoleon es 1806 bei Jena und Auerstedt vernichtend geschlagen hatte, erwog er, den preußischen Staat vollständig abzuschaffen. Das Königreich Preußen hatte erst seit 1701 bestanden, als sich der Kurfürst von Brandenburg eigenmächtig den Titel «König in Preußen» zulegte. 1750, mit der Eroberung Schlesiens, war sein Gebiet um mehr als fünfzig Prozent angewachsen; bis 1805 hatte es seine Größe ein weiteres Mal verdoppeln können und war zu einer Großmacht aufgestiegen. Aber es war erstaunlich zerbrechlich. Friedrich II., sein bedeutendster Herrscher, pflegte zu sagen, zum Wappen Preußens tauge nicht der schwarze Adler, sondern ein Affe, da sich Preußen einzig darin auszeichne, die Großmächte nachzuäffen. Im Verhältnis zu seiner Bevölkerung hatte es sechsmal so viele Soldaten wie Österreich, und der größte Teil seiner Ressourcen wurde von dieser riesigen Armee verschlungen, dem einzigen Fundament seiner Macht.7 Schließlich schaffte Napoleon Preußen nicht ab; er nahm ihm nur die meisten seiner polnischen Provinzen, die es in den letzten Jahrzehnten erworben hatte, und schuf aus ihnen unter dem Namen Großherzogtum Warschau einen französischen Satellitenstaat. Dadurch verminderte er die preußische Bevölkerungszahl von fast neun auf weniger als fünf Millionen. Was von Preußen übrigblieb, mußte französische Truppen beherbergen, deren Verwaltungsbeamte Geld und Futter er-
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preßten und jede Gelegenheit wahrnahmen, die Preußen zu erniedrigen, während sie ihr Land ausplünderten. Angesichts der allgemein bekannten Verachtung des Kaisers für die Preußen blieb die Existenz des Staates fraglich. Die preußische Armee war auf kümmerliche 42 000 Soldaten verringert worden, von denen im Jahr 1812 fast 30 000 an Napoleons Rußlandfeldzug teilnehmen mußten. Die Gegenreaktionen setzten ein, nachdem der Schock über die Niederlage von 1806 abgeklungen war. Die in großer Zahl entlassenen preußischen Offi ziere ergaben sich gemeinsam mit den patriotischen Intellektuellen ihrer mürrischen Abneigung gegen alles Französische. Viele Offi ziere traten in den Dienst der Armeen Österreichs oder Rußlands, während die Patrioten von einem nationalen Wiederaufstieg und von Rache träumten und sich dabei vom Beispiel der guerilleros in Spanien inspirieren ließen. Dichter wie Ernst Moritz Arndt, Heinrich von Kleist und Theodor Körner förderten diese Stimmung mit patriotischen Versen und nationalistischen «Katechismen»; Philosophen und Journalisten stritten darum, welche Regierungsform Deutschland in einer idealen Welt annehmen sollte. Junge Männer schlossen sich im Tugendbund zusammen, um zu diskutieren und sich auf das Kommende vorzubereiten; andere folgten dem «Turnvater» Friedrich Jahn und stählten ihre Körper für den bevorstehenden Krieg. Eine Reihe hoher Offiziere diente der Sache auf handfestere Art. Gerhard Johann von Scharnhorst, Gebhard Leberecht von Blücher, Hermann von Boyen und August Neidhardt von Gneisenau widmeten sich dem Auf- und Umbau der Armee und bemühten sich, der Bevölkerung militärische Tugenden nahezubringen. Andere, zum Beispiel Wilhelm von Humboldt, kümmerten sich um das Bildungssystem oder bemühten sich darum, den Staat überhaupt zu reformieren. Besonders wichtig unter ihnen war ein Staatsdiener namens Heinrich Friedrich Karl vom Stein, der wie viele der übrigen Reformer gar kein richtiger Preuße war. Stein war in Cappenberg bei Lünen in Westfalen als Freiherr und Reichsritter des Heiligen Römischen Reichs geboren worden. Nichts in seiner Herkunft oder seinem Stand prädestinierte ihn zum deutschen Patrioten. Nach dem Jurastudium an der Universität Göttingen trat er in preußische Dienste, zunächst beim Bergwerks- und Hüttendeparte-
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Der strenge deutsche Patriot Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom und zum Stein, der auf die vollkommene Vernichtung Napoleons drängte, und dessen Reformen in Preußen die Grundlage für die spätere Einigung Deutschlands schufen. Porträt von Johann Christoph Rincklake, ca. 1804.
ment im Generaldirektorium, wo er sich einen Namen als tatkräftiger Verwaltungsfachmann machte, der Straßen baute und Kanäle anlegte. Stein war ein Mann von strenger Moral und festen Grundsätzen, der alle Exzesse mißbilligte, seien sie politisch, wie im Fall der Französischen Revolution, oder moralisch, wie im Fall sexueller Freizügigkeit, die er bei anderen beklagte. Allerdings zeigte er sich im politischen Handeln etwas flexibler. Obwohl ihn die hinterhältige Art zutiefst erschütterte, mit der Preußen im Basler Frieden von 1795 neue Gebiete am Rhein erwarb, widmete er sich eifrig ihrer Einverleibung in den preußischen Staat. Was er immer auch an moralischen Skrupeln gehabt haben mag, sie traten hinter seinen alles beherrschenden Willen zurück, Ordnung in das ererbte mittelalterliche Durcheinander zu bringen und Deutschland als Ganzes zu einem rationalen und funktionsfähigen Staat umzubilden. Wie viele andere Patrioten überall in Deutschland war er zu der Einsicht gelangt, daß das Land und seine Kultur nur dann vor den Eingriffen Frankreichs oder anderer Mächte bewahrt werden könne, wenn man einen geeinten deutschen Staat schuf, der stark genug wäre, äußere Einflüsse zu verhindern und militärischer Aggression zu widerstehen.
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Der Philosoph Johann Gottlieb Fichte verkündete, daß die Nation zugleich als geistige und physische Einheit existiere, in der sich etwas Höherwertiges verkörpere als die Bindung an irgendeinen Staat oder König; und es gab viele, besonders an den Universitäten, die sich die Entstehung einer deutschen Republik wünschten. So sehr Patrioten wie Stein, Gneisenau und Humboldt auch mit solchen Ansichten sympathisieren mochten, ihnen war klar, daß ein vereintes Deutschland nicht aus dem Nichts erschaffen werden könne. Darum dienten sie dem einen deutschen Staat, dem sie zutrauten, die anderen nach und nach zu absorbieren und so zum selben Ziel zu gelangen – Preußen. 1804 wurde Stein auf eine Führungsposition nach Berlin berufen. Er war entsetzt von der Korruption und Ineffizienz, die er dort vorfand, und verzweifelte schier über die Mittelmäßigkeit des Monarchen, dem er diente. Heftig mißbilligte er Friedrich Wilhelms Ausrichtung auf Frankreich im Jahr 1805 und seinen daraus folgenden Erwerb Hannovers. Gemeinsam mit anderen überredete er den zaudernden Friedrich Wilhelm, zur Koalition gegen Napoleon überzutreten, und als dies zur Katastrophe von Jena und Auerstedt führte, wurde er, unter einem Schwall von Verwünschungen seitens des Königs, im Januar 1807 entlassen. Um so ärgerlicher war es für den unglückseligen Friedrich Wilhelm, als Napoleon, der Preußen klein, ohnmächtig und abhängig gemacht hatte, den König wenige Monate später anwies, Stein zum Staatsminister zu ernennen. Der Kaiser hatte zwar gehört, daß Stein ein guter Verwaltungsfachmann, aber nicht, daß er deutscher Patriot sei. Stein ergriff die Gelegenheit, die ihm seine neue Stellung bot, um sofort Maßnahmen einzuleiten, die Preußen von einer feudalen Monarchie in einen modernen Staat umgestalteten. Das Oktoberedikt von 1807 hob die Leibeigenschaft und die Untertänigkeit der Bauern auf. Ihm folgten Reformen in der Gemeindeverfassung und in der Staatsverwaltung, später auch Militärreformen. Knapp ein Jahr später offenbarte ein von der französischen Polizei abgefangener Brief das ganze Ausmaß des Steinschen Franzosenhasses, woraufhin ihn Napoleon entlassen, seine Güter konfiszieren und ihn selbst als vogelfrei erklären ließ. Der von einem Tag auf den anderen mittellos gewordene Stein nahm Zuflucht in Prag, das damals zu Österreich gehörte. 1812 rief Zar Alexander Stein nach Rußland. Die beiden hatten sich 1805 in Berlin kennengelernt und waren einander aufgrund ihrer hohen
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Ideale – und sicherlich auch ihrer Selbstgefälligkeit – sympathisch gewesen. Als die Grande Armée in Rußland einmarschierte und Zweifel über die Kompetenz Alexanders und seiner Generäle aufkamen, durchlebte der Zar gelegentliche Anflüge von Selbstzweifeln und angespannter Gefühlslagen. In dieser Situation war ihm Stein, der unerschütterlich an ihn glaubte und in ihm den Vorkämpfer des allgemeinen antifranzösischen Kampfes sah, eine unschätzbare und tröstliche Stütze. Entsprechend wuchs sein Einfluß auf den Zaren. Stein regte bei Alexander die Einrichtung eines deutschen Komitees an, das überall in Deutschland eine prorussische Stimmung verbreiten sollte. Er übernahm den Vorsitz des Komitees und nutzte es als Instrument für seine eigenen Ziele. Am 18. September 1812, wenige Tage, nachdem Napoleon bei Borodino vor Moskau den letzten russischen Widerstand zerschmettert hatte, legte Stein eine Denkschrift vor, in der er seinen Plan zur Gründung eines vereinten deutschen Staates skizzierte. Er war überzeugt, daß Rußland am Ende die Oberhand behalten werde, und setzte sich dafür ein, daß Rußland nach seinem Sieg über Frankreich den Krieg nach Deutschland hineintragen und Europa von seinem Joch befreien solle. Als sich drei Monate später die versprengten Überreste der Grande Armée über die Grenze zurückzogen, sprachen sich der russische Oberbefehlshaber, Feldmarschall Kutusow, und die meisten seiner Offi ziere dagegen aus, die Franzosen weiter zu verfolgen. Immer wieder bat Kutusow den Zaren, Frieden zu schließen und die Armee zu demobilisieren. Bis zu seinem Tod in Bunzlau am 28. April 1813 riet er ihm davon ab, die Elbe zu überqueren. Selbst die glühendsten russischen Patrioten wie der Innenminister Admiral Schischkow und der Archimandrit Filaret waren gegen die von Alexander angestrebte Befreiung Europas. Es bestand Einigkeit darüber, daß Rußland sich Ostpreußen und einen großen Teil Polens nehmen solle, um sich bei etwas territorialem Zugewinn eine Westgrenze zu verschaffen, die sich verteidigen ließ; und dabei sollte es bleiben. Aber Alexander ignorierte sie.8 Als die russischen Truppen schließlich vordrangen, beauftragte Alexander Stein mit der Verwaltung der eingenommenen deutschen Gebiete, und dieser machte sich daran, nicht nur kommunale Verwaltungsstrukturen, sondern auch Repräsentativorgane einzurichten. Er warb Freiwillige an, berief Reservisten ein, stellte eine neue Miliz, die
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«Landwehr» auf, die von lokalen Schutztruppen, dem «Landsturm», unterstützt werden sollte – und das alles im Namen des Königs von Preußen, der nichts davon wußte, geschweige denn, seine Einwilligung dazu gegeben hätte. Obwohl sich Stein durch Alexanders Verhalten in seinem Glauben bestärkt fühlte, daß er seinen Traum von einem vereinten Deutschland verwirklichen könne, ging der Zar nicht so weit, ihn zu übernehmen. Sicherlich hätte er gern sowohl den Deutschen wie den Polen, ja allen Bewohnern des Kontinents, die Heilung von alten Übeln und das Glück gebracht. Aber obwohl er sich in der Rolle des ersehnten Retters gefiel, fehlte ihm ein genaues Programm. Überdies mußte er seine Optionen offenhalten. Dennoch vermehrten die Hoffnungen, die er geweckt hatte, eine ohnehin instabile Situation durch weitere unberechenbare Faktoren. Der erste, der sich mit ihnen auseinandersetzen mußte, war König Friedrich Wilhelm von Preußen, den in diesen ersten Monaten des Jahres 1813 viele Sorgen plagten. «Verwenden Sie die Autorität, die Gott Ihnen gab, um die Ketten Ihres Volkes zu lösen!» hatte ihn Stein Ende Dezember 1812 von Sankt Petersburg aus ermahnt. «Möge dessen Blut nicht mehr für den Feind der Menschheit fließen, möge es sich den siegreichen Fahnen des Kais. Alex. anschließen, die jene der Ehre und der Unabhängigkeit der Nationen sind.» Aber der preußische König war kein geborener Held.9 Seine Charakterschwäche überschattete die Vorzüge eines ansonsten gütigen und gottesfürchtigen Wesens und bewirkte, daß er mißtrauisch an der Macht festhielt, während seine Furcht zu versagen einen übertriebenen Stolz und eine Neigung zu kleinlicher Bosheit begünstigten. Zehn Jahre nach seinem Regierungsantritt hatte er sein halbes Königreich abtreten und sich von Napoleon grundlos demütigen lassen müssen. Das Bewußtsein, daß ihn jeder an seinem berühmten Vorgänger maß, seinem Großonkel Friedrich dem Großen, verstärkte ihn nur im Gefühl seiner Unzulänglichkeit. Sein einziges Lebensglück war seine Königin, die schöne und allseits bewunderte Luise gewesen, der er in wahrer und gegenseitiger Liebe verbunden war. Aber sie war 1810 verstorben. Er klammerte sich an die Reste seines Königreichs und sah in der engen Verbindung zu Napoleon die einzige Überlebensmöglichkeit. General Yorcks Übertritt von der französischen zur russischen Seite in Tauroggen weckte schreckliche Befürchtungen vor französischen Ver-
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Der preußische König Friedrich Wilhelm III. hatte im Kampf gegen Napoleon eine vernichtende Niederlage erlitten und zusehen müssen, wie die Macht seines Staates schwand. Er ersuchte Alexander um Beistand und blieb ihm ergeben, während er territoriale Forderungen stellte, die fast zum Krieg zwischen den Verbündeten führten. Porträt von Antonio Schrader, ca. 1817, nach François Gérard.
geltungsmaßnahmen, darum verurteilte Friedrich Wilhelm den Übertritt lautstark als einen Akt der Meuterei und bekräftigte ostentativ seine Allianz mit Napoleon. Aber sein Verbündeter war im fernen Paris damit beschäftigt, eine neue Armee aufzustellen, die Russen überschwemmten sein Reich von Osten her und die öffentliche Meinung war gegen ihn. Friedrich Wilhelm hätte gute Gründe gehabt, das Kommen der Russen zu begrüßen. Damals in Berlin, bei ihrer ersten Begegnung im Jahre 1805, hatten er und Alexander einander am Grab Friedrichs des Großen um Mitternacht ewige Freundschaft geschworen. Diese Freundschaft hatte nur unwesentlich gelitten, als Friedrich Wilhelm gezwungenermaßen Truppen zu Napoleons Invasion Rußlands beisteuern mußte; der preußische König wußte, daß er auf Alexanders Verständnis zählen konnte. Dennoch sah er dem Herannahen der russischen Armeen mit bösen Vorahnungen und sogar Angst entgegen. Angesichts des bisherigen Verhältnisses der beiden Monarchen stellte die Ernennung Steins durch Alexander fast eine Beleidigung dar.
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Die Art, in der Stein die Autorität Friedrich Wilhelms beim Aufbau der Verwaltung Ostpreußens ignorierte, war ein offener Affront. Es hätte bedeuten können, daß Alexander die Abtrennung dieser Provinz vom Königreich Preußen vorbereitete. Steins Aufrufe zu einem nationalen deutschen Befreiungskrieg waren noch alarmierender. Stein machte keinen Hehl aus seiner Meinung, alle deutschen Herrscher, die sich mit Napoleon verbündet hatten, seien «feige, … welche das Blut ihres Volkes verkaufen um ihr schamvolles Daseyn zu verlängern». Die Vorstellung, er könne auf Deutschland losgelassen werden, weckte begründete Ängste vor sozialem Aufruhr oder gar Revolution, denen sich zu widersetzen Friedrich Wilhelm nicht imstande wäre.10 Seine Lage war nicht beneidenswert. Die starke französische Garnison, die sich in der Spandauer Zitadelle einquartiert hatte, paradierte täglich durch Berlin und führte ihm vor Augen, daß sich mehr französische als preußische Truppen im Land befanden. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde Napoleon mit einer frischen Armee im Frühling zurückkehren und mit ihr die Russen vernichten. Selbst wenn er sich keine russische Niederlage wünschte, sehnte sich Friedrich Wilhelm doch nach einer Stabilität, die nur Napoleons Rückkehr garantieren konnte. Was er vor allem anderen befürchtete, war, daß Alexander und Napoleon letztlich doch noch eine Einigung erzielen könnten, deren erstes Opfer ziemlich sicher Preußen sein würde: Eine naheliegende Übereinkunft bestünde darin, daß Rußland, als Preis für die fortgesetzte französische Herrschaft über Deutschland, Ostpreußen und alle polnischen Gebiete bis zur Weichsel erhielte. Wenn es ihm gelänge, bessere Konditionen mit Napoleon auszuhandeln, so Friedrich Wilhelms Überlegungen, könnte er seine Autorität wieder geltend machen, die Hitzköpfe in seinem Herrschaftsgebiet im Zaum halten und Rußland in einem ausgeglicheneren Verhältnis gegenübertreten. Dies wäre wohl das kleinere Übel. «Als er sich Frankreich anschloß, war höchstens eine weitere Zerstörung des Königreichs zu erwarten, das unweigerlich zum Kriegsschauplatz werden würde», schrieb der preußische Staatskanzler, Baron Karl August von Hardenberg, «aber wie könnte man es wagen, sich noch einmal der unerbittlichen Rache Napoleons auszusetzen, indem man sich Rußland anschließt?»11 Daher entsandte Friedrich Wilhelm den Fürsten Hatzfeldt nach Paris mit dem Vorschlag eines Bündnisses gegen Rußland, unter der
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Bedingung, daß Frankreich die neunzig Millionen Franken zurückzahlte, die es Preußen schuldete, und es der Rückerstattung einiger der ehemals preußischen Gebiete in Polen zustimmte. Das Bündnis würde durch die Vermählung des preußischen Kronprinzen mit einer Prinzessin des Hauses Bonaparte besiegelt werden. Als er keine Antwort erhielt, unterbreitete er im Februar 1813 Napoleon zwei weitere Angebote dieser Art.12 Aber Friedrich Wilhelm konnte es sich nicht leisten, noch länger zu warten. Als kein positives Zeichen von Napoleon kam und in Anbetracht dessen, daß bereits mehr als zwei Drittel seiner Truppen gegen seinen Willen operierten, mußte er handeln. Am 22. Januar 1813 verließ er Berlin, wo sich noch die französische Garnison und die Scharen französischer Beamten befanden, und fuhr nach Breslau, die Hauptstadt seiner Provinz Schlesien. Obwohl ihn der französische Botschafter Saint-Marsan begleitete, hatte der König das Gefühl, dort weniger unter Beobachtung zu stehen. Während er wiederholt seine Loyalität zu Napoleon beteuerte, genehmigte er die Aufstellung eines freiwilligen Jägerkorps (Freikorps) und die Einführung der Wehrpflicht für alle Männer im Alter zwischen zwanzig und vierunddreißig Jahren, vorgeblich, um seinem Verbündeten Napoleon im Frühjahr frische Truppen zuführen zu können. Am 9. Februar schickte er seinen Sondergesandten Karl Friedrich von dem Knesebeck in Alexanders Hauptquartier in Kalisch, um sich die Zusicherung zu holen, daß Preußen, wenn es sich im bevorstehenden Konflikt nicht auf die Seite Napoleons stelle, auch nicht nach Westen verschoben und zu einer Art Pufferstaat gemacht würde. Alexander war über Friedrich Wilhelms Gesandten nicht übermäßig erfreut. Knesebeck bat den Zaren, Stein zu entlassen und zu versprechen, daß er die alten polnischen Provinzen Preußens zurückgeben werde, die 1807 ins Großherzogtum Warschau eingegliedert worden waren und nun russisch besetzt waren. Alexander sah dieses Ersuchen als ein Zeichen mangelnden Vertrauens in seine Großherzigkeit. Er ignorierte Knesebeck und entsandte statt dessen Stein mit einem Schreiben und dem Entwurf eines Bündnisvertrags zu Friedrich Wilhelm nach Breslau. Steins Ankunft dort am 25. Februar war dem König höchst unwillkommen. Ihm lief die Zeit davon, denn immer größere Teile seines Reiches wurden von den russischen Armeen eingenommen, und die deutschen
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Patrioten, die mit ihnen marschierten, wiegelten seine Untertanen zum Aufstand und zum Kampf auf, ohne den Willen des Königs zu berücksichtigen. Am 19. Februar schloß Fichte eine Rede an seine Studenten der Universität Berlin mit den Worten: «Dieser Kurs wird bis zum Ende des Feldzugs unterbrochen, wenn wir uns in einem freien Vaterland wieder versammeln oder unsere Freiheit durch den Tod zurückgewonnen haben werden.» Begeisterte junge Männer aus ganz Deutschland schlossen sich dem Freikorps von Adolf von Lützow an, um Deutschland zu befreien. Eine Welle der Erregung ging durchs Land und es schien, «als richtete … der deutsche Geist, der deutsche Muth, die Hoffnung besserer Tage sich empor», schrieb die patriotische Caroline Pichler, die in Wien einen Salon unterhielt und der auffiel, wie frisch und kriegerisch die Stimmen junger Männer waren.13 Friedrich Wilhelm sah sich in die Enge getrieben, und am 27. Februar unterschrieb er den von Stein überbrachten Vertrag, der mit Datum 1. März in Kalisch ratifi ziert wurde. Friedrich Wilhelm machte sich daran, Truppen auszuheben, und zum Zeichen der Aussöhnung mit seiner widerspenstigen Armee schuf er den Orden des Eisernen Kreuzes. Zwei Wochen später traf Alexander mit Friedrich Wilhelm in Breslau zusammen, und am 16. März erklärte Preußen Frankreich den Krieg. Aus Alexander und Friedrich Wilhelm waren nun auf Gedeih und Verderb Verbündete geworden. Innerhalb der Allianz war Friedrich Wilhelm in untergeordneter Position. Das einzige Versprechen, das er Alexander hatte abringen können, stand in einer Geheimklausel des Vertrages, der zufolge dieser sich feierlich verpflichtete, «die Waffen so lange nicht niederzulegen, wie Preußen nicht in seinen statistischen, geographischen und finanziellen Größenverhältnissen [von 1806] wiederhergestellt sein wird». Da Alexander bereits alle Gebiete innehatte, die Preußen damals verloren hatte, konnte Preußen nur darauf warten, daß er sie zurückgab, was unwahrscheinlich schien, oder daß er seine Macht einsetze, um Preußen aus zukünftigen Eroberungen vergleichbare Territorien anderswo in Deutschland zukommen zu lassen. Das in dem Zusammenhang verwendete Wort «Gleichwertiges» klang zunächst harmlos, aber es ließ die Frage offen, wo diese Gebiete zu finden wären und wer verdrängt werden müsse, um sie freizugeben – jedes Stück Land hatte einen Besitzer.14
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Obwohl in ganz Europa viele der Vorherrschaft Napoleons überdrüssig geworden waren und in Alexander einen Befreier sahen, schätzten nur wenige, daß er sich das Recht anmaßte, bei der bevorstehenden Neuordnung Europas die entscheidende Rolle zu spielen. Ihm selbst ging es nicht mehr nur darum, daß er über Napoleon triumphiert hatte. In den letzten Jahren war Alexander zu der Überzeugung gelangt, daß seine Auseinandersetzung mit dem französischen Kaiser nicht einfach ein persönlicher Wettstreit oder ein Zusammenprall zweier Imperien war, sondern ein wirkliches Armageddon zwischen Gut und Böse. Den Zaren hatten sein Idealismus einerseits und seine politischen Enttäuschungen und militärischen Demütigungen andererseits für Mystik empfänglich gemacht. Zu seinen engen Freunden zählten Anhänger von Saint-Martin, Swedenborg und Lavater, und er war bewandert in der Literatur der Mystik und im deutschen Pietismus. Als er 1812 ansehen mußte, wie man über sein Land herfiel und es verwüstete, hatte er Trost darin gesucht, sich dem Willen Gottes zu ergeben; und als sich das Kriegsglück zu seinen Gunsten wendete, sah er auch dies als Manifestation dieses Willens. Von hier aus war es nur ein kleiner Schritt, sich als Gottes Werkzeug zu verstehen. Das Leid, das sein Land und sein Volk im Vorjahr erduldet hatten, deutete er als reinigende göttliche Prüfung und sah in ihr eine Art moralisches Kapital, das ihm gegenüber allen anderen Monarchen in Europa Überlegenheit verlieh. Wie Stein und viele andere deutsche Patrioten sah er jetzt den Krieg als einen Kreuzzug an, und zwar nicht so sehr gegen Frankreich selbst als gegen das, wofür es stand – für Revolution, moralische Verderbtheit und Usurpation von Herrschaft. Dieser letzte Punkt, Napoleons fast gleichgültiges Zertrampeln althergebrachter Rechte anderer Monarchen und seine schamlose Gewaltanwendung beim Ernennen und Absetzen von Herrschern war es, was am meisten beleidigt hatte. Als sich Alexander nun auf die nächste Phase seines Kreuzzugs vorbereitete, Deutschland von dem Usurpator zu befreien, forderte er dessen rechtmäßige Fürsten auf, sich zu beteiligen. Ein Aufruf, den Feldmarschall Kutusow in seinem Namen herausgab, betonte, daß die Armeen des Kaisers von Rußland und des Königs von Preußen in Deutschland mit einem einzigen Ziel eindrangen, das Volk zu befreien und ihm zu helfen, seine «ererbten Rechte» wiederzuerlangen, die ihm geraubt wurden, die aber unaufhebbar seien. «Möge je-
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der Deutsche, der dieses Namens noch würdig ist, sich uns sofort und tatkräftig anschließen», hieß es darin, «möge jedermann, ob er Fürst oder Edelmann ist, oder ob er zu den Männern des Volkes gehört, mit seinem Besitz und seinem Blut, mit seinem Leib und seinem Leben, seinem Herzen und seinem Geist die Befreiungsziele Rußlands und Preußens unterstützen.» Der Aufruf verkündete, daß die beiden Monarchen die Auflösung des Rheinbundes verfügt hätten und beabsichtigten, ihn durch ein Gebilde zu ersetzen, das dem «alten Geist des deutschen Volkes» entsprach. «Der Rheinbund, diese Kette der Täuschungen, mittels derer der usurpatorische Geist wieder einmal das zersplitterte Deutschland gefesselt und es dazu gebracht hatte, sogar seinen alten Namen einzubüßen, ist unerträglich geworden. … Ihre Majestäten glauben, gerade dem allgemeinen Wollen zu entsprechen, das im Volk seit langem gehegt und sorgfältig bewahrt wurde, indem sie erklären, daß die Auflösung jenes Bundes eine ihrer entschiedensten Absichten ist.»15 Der von Rußland und Preußen am 19. März 1813 unterzeichnete Vertrag zu Breslau war geschäftsmäßiger und genauer. Er legte fest, daß alle «befreiten» Gebiete in fünf Bezirke aufgeteilt wurden und einem Zentralverwaltungsrat unter Stein unterstanden, dem die Aufgaben der Steuereintreibung, der Ressourcenverwaltung und der Truppenaushebung oblagen. Der Vertrag rief alle deutschen Herrscher auf, sich der gemeinsamen Sache anzuschließen, und verkündete, daß «jedem Fürst, der diesem Aufruf nicht innerhalb eines festgesetzten Zeitraums folgt, mit dem Verlust seiner Herrschaft gedroht wird».16 Es war eine seltsame Art, einen Kreuzzug für die Legitimität gegen den Usurpator auszurufen, und nicht nur Friedrich Wilhelms Staatskanzler Hardenberg befürchtete: «Dieses Appellieren an die herrschenden Leidenschaften, sogar an demokratische Ideen, die im Munde zweier absoluter Monarchen so neu klingen, könnte später einmal in ernste Unannehmlichkeiten führen.» Diese Prognose sollte sich als gelinde Untertreibung erweisen. Die beiden Monarchen hatten in der Tat die Sprache der Französischen Revolution und die Methoden Napoleons übernommen, wodurch sie ihre Glaubwürdigkeit untergruben und sich der einzigen Waffen beraubten, die sie gegen die ihnen ungewohnten Leidenschaften, die sie jetzt entfachten, hätten einsetzen können.17
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Die Friedensstifter die friedensstifter
Das neue Bündnis zwischen Rußland und Preußen konnte niemanden stärker beunruhigen als den österreichischen Außenminister, Clemens Wenceslaus Nepomuk Lothar Graf von Metternich. Österreich drohten durch die radikalen Entwicklungen in Deutschland größere Verluste als jeder anderen Macht. Es war, auf andere Art als Preußen, möglicherweise das brüchigste politische Gebilde in Europa. Sein Herrscher war 1792 als Franz II. zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs gekrönt worden. Neben diesem repräsentativen aber einflußarmen Titel hatte er das altertümliche Haus Habsburg geerbt, das in Jahrhunderten durch Eroberungen, diplomatische Finessen und dynastische Ehen zur damaligen Größe angewachsen war. Schon bald sah er sich gezwungen, einige der äußeren Provinzen an das revolutionäre Frankreich abzutreten – 1797 die österreichischen Niederlande (das heutige Belgien), die Lombardei und das linke Rheinufer; 1805 Venedig und Illyrien; sowie Tirol, das dem mit Frankreich verbündeten Bayern zufiel. 1806 löste Napoleon das Heilige Römische Reich als Ganzes auf, dessen bisheriger Souverän nun Kaiser Franz I. von Österreich wurde. Sein unkluger Versuch im Jahre 1809, sich einige Provinzen zurückzuerobern, solange Napoleon mit dem Krieg in Spanien beschäftigt war, kostete ihn Salzburg, das Napoleon eben erst, 1805, Österreich übergeben hatte. Er verlor überdies seine letzten Gebiete an der Adria und einen Teil seiner polnischen Provinzen. Außerdem mußte er den entsprechenden Friedensvertrag damit besiegeln, daß er der Vermählung seiner Lieblingstochter Marie-Louise mit Napoleon zustimmte. Danach war er gezwungen, sich mit einem österreichischen Hilfskorps von 30 000 Soldaten unter Fürst Schwarzenberg 1812 an Napoleons Invasion Rußlands zu beteiligen. Zu Beginn des Jahres 1813 war er noch immer ein Verbündeter Frankreichs.
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die friedensstifter
Gebietsverluste der Habsburger, 1792–1810 Ostsee Nordsee Danzig
Hamburg Elb
Rhein
Berlin Leipzig
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l
se ich We
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Prag
Krakau
Do
na
Breisgau
München
u
Basel
Lemberg
Tirol
Piacenza
Guastalla
jes
Ofen
tr
Pest
KAISERTUM ÖSTERREICH
Parma Turin
Tarnopol Dn
Wien
FRANZ. KAISERREICH
Mittelmeer
GHZM. WA R S C H A U
Breslau
RHEINBUND
Straßburg
RUSSLAND Warschau
Köln
Luxemburg
Genua
Minsk
e
Magdeburg Österreichische Niederlande
Königsberg
KGR. PREUSSEN
Venedig
KGR. I TA L I E N Toskana
Adria
Österreichische Grenze 1813 Von den Habsburgern verlorene Gebiete
Zwar strebten sowohl Franz als auch Metternich danach, daß sich Österreich aus dieser Allianz löse und sowohl französische Truppen wie französischer Einfluß aus Deutschland verschwänden, aber sie hatten auch jede Art von Veränderung zu fürchten. Das stark dezimierte Reich von Franz II. war geostrategisch verwundbar, da es nach allen Seiten offene Angriffsflächen bot. Es war nicht national definiert und in ihm lebte eine Fülle von Slawen, Magyaren und anderen Nationalitäten. Der einzige Kitt, der diese heterogene Fülle zusammenhielt, war die Monarchie selbst, das Haus Habsburg. Gerade dadurch aber war Österreich auch in ideologischer Hinsicht gefährdet. Die Aufklärung, die Französische Revolution und ihr napoleonisches Erbe stellten alles in Frage, was die Monarchie je ausgemacht hatte: Die Hinrichtung des französischen Königs Ludwig XVI. im Jahre 1793 verletzte und entweihte die von Gott gegebene Heiligkeit des Königtums, auf die sich die Macht der Habsburger berief; das Ideal der Volkssouveränität untergrub den paternalistischen Absolutismus, auf dem die Monarchie basierte; und
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das Prinzip der Nation stellte seine territoriale Existenzberechtigung in Zweifel. Unter diesen Umständen wirkten in Wien die Proklamationen aus dem russischen Hauptquartier alarmierend. Sie weckten Befürchtungen vor revolutionären und nationalistischen Leidenschaften, die im Habsburgerreich um sich greifen könnten. Noch bedrohlicher war, daß sich in ihnen die Absicht Alexanders andeutete, auf die deutschen Angelegenheiten Einfluß nehmen zu wollen, die für Österreich von entscheidendem Interesse waren. Zugleich wirkten die Proklamationen in ähnlicher Weise auf die größeren und kleineren deutschen Fürsten, was sie wahrscheinlich dazu bewegen würde, Schutz an Österreichs Seite zu suchen, um mit ihm gemeinsam und gegen Rußland die Zukunft Deutschlands zu bestimmen. Metternich war überzeugt, daß ein dauerhafter Frieden nur erzielt werden könne, wenn die Mitte Europas von der Bedrohung ausländischer Herrschaft frei sei und unter den doppelten Schutz Preußens und Österreichs gestellt würde. Dies setzte den Ausschluß französischer und russischer Einflußnahmen auf Deutschland voraus, aber auch, daß sie sich weiterhin gegenseitig in Schach halten sollten. Obwohl er und sein Land besonders gefährdet waren, machte er sich daran, eine solche Friedensordnung zuwege zu bringen. Er glaubte nicht, daß diese Aufgabe seine Fähigkeiten überfordern würde. Die hervorstechende Eigenschaft des österreichischen Außenministers war seine Eitelkeit. Dem bedeutenden Historiker des 19. Jahrhunderts, Albert Sorel, zufolge war «Metternich … sich selbst das Licht der Welt, und er war geblendet von den Strahlen aus jenem Spiegel, den er sich ständig vor Augen hielt. Er litt an einer chronischen Hypertrophie seines Egos, die gnadenlos wuchs.» Er war in jeder Hinsicht der Mittelpunkt seines eigenen Universums. Ausführlich und unermüdlich kommentierte er alles, was er gedacht, geschrieben und getan hatte, und wies, manchmal nur sich selbst, darauf hin, wie sehr die Brillanz dieser Gedanken, Texte und Taten ihn beeindruckte. Diese Ichbezogenheit wurde durch eine grandiose Selbstzufriedenheit abgesichert, die ihn gegen jede Erfahrung immunisierte.1 Metternich war fleißig, ehrenhaft und kultiviert und nicht gänzlich ohne Humor, obgleich dieser etwas gravitätisch war. Er war äußerst vorsichtig und reichlich mit dem versehen, was er «Takt» nannte, womit er
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Außenminister Metternich, Österreichs damals maßgeblicher Politiker, schmeichelte und manipulierte, um seine Vision eines sicheren Europas durchzusetzen. Vom Glauben an seine eigene Überlegenheit verblendet, machte er viele Fehler, die die Realisierung seiner eigenen Pläne behinderten. Seine Liebesabenteuer brachten ihn in Konflikt mit Alexander. Porträt von Thomas Lawrence, ca. 1815.
offenbar die Fähigkeit meinte, sich nie so stark auf etwas einzulassen, daß er sich nicht mehr herauswinden konnte. Das machte ihn zum perfekten Diplomaten und respektierten Unterhändler. Er konnte Menschen dazu bringen, daß sie glaubten, sich durchzusetzen, während er sich ihrem Verhandlungsstil anpaßte und sie so auf jenes Ziel hinlenkte, das er bestimmte. Auch wenn er nicht übermäßig intelligent war, besaß er doch beträchtlichen Scharfsinn. Vor allem aber wußte er, was er wollte, und verfolgte seine Ziele hartnäckig. Er war gutaussehend, von selbstverständlicher Eleganz und Vornehmheit, verdarb aber den Effekt ein wenig dadurch, daß er seiner Frisur und seiner Kleidung eine zu große Aufmerksamkeit widmete. Er verfügte über beträchtlichen Charme, war liebenswürdig und überaus gesellig, was ihn in den Salons zu einem gern gesehenen Gast machte. Er liebte die Musik und ließ sich von ihr oft zu Tränen rühren. Sicherlich war er kein Wüstling, aber er hatte eine Schwäche für die Damen und konnte, wenn er wollte, verführerisch sein. Im Laufe seines Lebens
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fand er Zutritt in die Schlafzimmer einiger der bemerkenswertesten Schönheiten seiner Zeit. Hatte er Erfolg gehabt, wurde er oft von sentimentaler Verliebtheit überwältigt. Er ergoß dann seine Gefühle in rührselige Briefe oder stellte sie auf seltsam unreife Weise zur Schau – 1810, während einer Affäre mit Napoleons Schwester Caroline Murat, trug er ostentativ ein aus ihrem Haar geflochtenes Armband. Sein Aufstieg war kometenhaft. 1773 in Koblenz am Rhein geboren, studierte er an den Universitäten Straßburg und Mainz. Im Alter von neunzehn Jahren erlebte er 1792 in Frankfurt die Krönung Franz’ II. zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, ein Ereignis, das einen bleibenden Eindruck hinterließ. Nach kurzen Reisen nach Wien und London heiratete er Marie-Eleonore von Kaunitz-Rietberg, Enkelin des berühmten Staatskanzlers von Maria Theresia, und trat 1801 als Gesandter des Kaisers am sächsischen Hof in Dresden seine erste Stelle im diplomatischen Dienst an. Von dort wurde er als Botschafter nach Berlin entsandt, wo er 1805 den Vertrag zwischen Österreich, Rußland und Preußen aushandelte, die Grundlage für die Dritte Koalition. Nach deren Niederlage wurde er, auf Wunsch Napoleons, Botschafter Österreichs in Paris. Als 1809 Krieg zwischen den beiden Ländern ausbrach, wurde er zunächst als Geisel in Paris festgehalten und dann damit beauftragt, den Frieden auszuhandeln, zu dem auch gehörte, die Ehe zwischen Marie-Louise und Napoleon zu arrangieren. Im selben Jahr wurde er österreichischer Außenminister, ein Amt, das er über die nächsten neununddreißig Jahre innehaben sollte. Metternich war in jeder Beziehung ein Kind des Ancien Régime. Er glaubte an die natürliche Ordnung der Dinge, deren Grundpfeiler die althergebrachte Religion, die Monarchie und eine klar umrissene Hierarchie waren. Er witterte in jeder Veränderung den Umsturz, und er fürchtete das Bürgertum, weil es zu Hoffnungen neigte, die sich nicht einlösen ließen, ohne daß andere verdrängt oder die Ordnung gestört und die bestehenden Institutionen zerstört würden. Die Französische Revolution war für ihn die größte Katastrophe, die je über Europa hereingebrochen war, und instinktiv verabscheute er Napoleon als deren Produkt. Zugleich jedoch bewunderte er ihn wegen seiner Leistungen und rechnete es ihm vor allem hoch an, daß von ihm eine wirkliche Autorität ausging, die die Kräfte des Chaos in Frankreich eingedämmt
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hatte, und die – sofern auch er sich zähmen ließe – zur Bewahrung der «natürlichen Ordnung» in Europa mit beitragen könnte. Tatsächlich rangierte Napoleon auf Metternichs Skala der Nützlichkeit höher als viele legitime Monarchen. «Die Welt ist verloren», hatte Metternich 1806 seinem Freund Friedrich von Gentz geschrieben, nachdem Napoleon das Heilige Römische Reich aufgelöst hatte. Es gelang ihm kaum, sein Entsetzen über das Tun des Franzosen und seine Verachtung all dessen, was sein «System» ausmachte, zu verbergen. Auf der anderen Seite lernte er allmählich den Wert des von Napoleon geschaffenen Rheinbunds als Ausgangsbasis für ein unabhängigeres Deutschland zu schätzen. Auch vertrat er nicht die Meinung, daß man Napoleon um jeden Preis loswerden müsse.2 Metternich hoffte, die Katastrophe des Feldzugs nach Rußland hätte Napoleon hinreichend ernüchtert und zu der Einsicht gebracht, daß er den Traum von einem pan-europäischen französischen Großreich aufgeben und so schnell wie möglich Frieden schließen würde – einen Frieden, den Metternich mit den entsprechenden Vorteilen für Österreich vermitteln würde. Um dies zu erreichen und um sich alle Möglichkeiten offenzuhalten, müßte er sein Land aus dem Bündnis mit Frankreich irgendwie herauslösen und es in ein «System aktiver Neutralität» einbinden.3 Metternich fürchtete die Bildung einer neuen Koalition gegen Frankreich, denn er sah voraus, daß Rußland darin die treibende Kraft sein und die Führungsrolle übernehmen würde; was er noch mehr fürchtete als eine Wiederherstellung der französischen Hegemonie über Europa war ihre Ablösung durch eine russische. Gleichzeitig war ihm klar, daß, wenn Rußland und Frankreich direkt miteinander verhandeln sollten, sie Europa unter sich aufteilen könnten, und Österreich leer ausginge. Im Dezember 1812 unterbreitete er Napoleon über Bubna sein Angebot, Frankreich bei Friedensverhandlungen mit Rußland behilflich zu sein. Er entwickelte die Vision eines starken Frankreichs, das viele seiner Eroberungen seit 1792 behielte, das gemeinsam mit Österreich ein neutralisiertes Deutschland überwachen würde, während Rußland und Preußen im Osten einander in Schach hielten. Was aus den französischen Eroberungen in Italien würde, ließ er im ungewissen; Österreich
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und Frankreich könnten diese Frage zu einem späteren Zeitpunkt gemeinsam lösen. Obwohl Napoleon Bubnas Vorschläge abtat und prahlte, er werde im Frühjahr ausrücken und seine Feinde unterwerfen, hielt Metternich an der Hoffnung fest, ihn umstimmen zu können. Gleichzeitig begann er jedoch auch Vorkehrungen für alle Fälle zu treffen. Durch den Frieden von Schönbrunn zwischen Frankreich und Österreich, den er 1809 selbst ausgehandelt hatte, war die österreichische Armee auf 150 000 Mann reduziert worden. Aber Napoleon ging davon aus, daß Österreich sein Bündnispartner bleiben und er selbst demnächst ein größeres Hilfskorps benötigen werde; daher regte er jetzt an, die österreichische Armee zu vergrößern: Metternich nutzte diese Gelegenheit und ordnete eine rasche Mobilisierung aller verfügbaren Kräfte an. Daneben intensivierte er seinen Dialog mit Rußland und anderen Mächten. Metternich wußte, daß für Napoleon eine befriedigende Einigung mit Großbritannien das wichtigste Ziel war, und daß ohne sie kein Frieden, den er mit irgendeinem anderen Land schloß, als endgültig angesehen werden konnte. Er teilte die in Europa weitverbreitete Meinung über Großbritannien, daß es nur auf den eigenen Nutzen bedacht und auf dem europäischen Festland von nur geringem Gewicht sei. Er konnte eine gewisse Verbitterung über die offensichtliche Arroganz der Briten nicht verhehlen, aber er glaubte gleichwohl, daß sie im Interesse aller in die Verhandlungen eingebunden werden sollten. Im Februar 1813 schickte er einen inoffi ziellen Abgesandten, Johann Freiherr von Wessenberg, nach London, um beim britischen Kabinett vorzufühlen, ob es bereit sei, unter österreichischer Vermittlung in Verhandlungen einzutreten.4 Die Mission war zum Scheitern verurteilt. Seit Marie-Louises Verehelichung mit Napoleon galt in London, daß Österreich eng mit Frankreich verbündet sei und es sich daher nicht einmal lohne, inoffi zielle Verbindungen zu unterhalten. Das Foreign Office hatte in diesem Jahr sogar seine Zahlungen an Friedrich von Gentz eingestellt, der seit 1802 einer seiner verläßlichsten Informanten in Österreich gewesen war. Unter diesen Umständen faßte man Wessenbergs Ankunft in London als eine Art Intrige auf. In außenpolitischen Belangen dominierten im britischen Kabinett veraltete Vorurteile.5 Die im 18. Jahrhundert vorherrschende Wahrnehmung Frankreichs als eines monströsen und diabolischen Erzfeinds, der nur Englands Ver-
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nichtung im Sinn hatte, hatte sich immer noch gehalten. In einer ähnlich überkommenen Sichtweise betrachtete man Rußland, Preußen und Schweden als natürliche Verbündete Großbritanniens. Dies ging auf die Vorstellung zurück, daß Rußland, wie Großbritannien, in europäischen Angelegenheiten eine «uneigennützige» Macht sei und es ihm gegenüber keine denkbaren Gründe für Konflikte gebe; Schwedens Interesse sei es, mit Großbritannien gemeinsame Sache zu machen, während Preußen als protestantische Macht im Norden und als früherer Feind Frankreichs ein wohlgesonnener Bündnispartner Großbritanniens sein müsse. In Wirklichkeit verübelte Rußland Großbritannien seine Vormachtstellung auf den Weltmeeren und rechnete mit zukünftigen Interessenkonflikten nicht nur um den Balkan und um Konstantinopel, sondern auch im Mittelmeerraum und, auf längere Sicht, um Südasien. Innerhalb des Militärs und des politischen Establishments Rußlands sprachen sich viele dagegen aus, der Grande Armée über die Grenzen Rußlands hinweg nachzusetzen und eine vollkommene Niederlage Frankreichs herbeizuführen, eben weil sie befürchteten, daß Großbritannien davon am meisten profitieren würde. Diese Überlegungen gingen einher mit ökonomischen Rivalitäten und einer weitverbreiteten Mißgunst, die der Überzeugung entsprang, daß die aggressiven britischen Handelspraktiken die Entwicklung der russischen Wirtschaft behinderten. Während Großbritannien mithin Rußland als natürlichen Verbündeten ansah, galt es in Rußland als Rivale. Rußlands wiederholte Angebote, ein Friedensabkommen zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten zu vermitteln, stellten kaum verhüllte Versuche dar, deren Stellung als eine Seemacht zu stärken, die auf den Weltmeeren ein Gegengewicht zu Großbritannien sein könnte und damit dessen stolz gehegten Anspruch auf Vorherrschaft zur See, die «maritime rights», in Frage zu stellen. Und obwohl Rußland seine Häfen für alle öffnete, als es aus Napoleons Kontinentalsperre ausscherte, erhob es für britische Händler Zölle in nahezu unerschwinglicher Höhe.6 Schweden hatte sich während der letzten zwei Jahrzehnte zu keinem Zeitpunkt als zuverlässiger Verbündeter erwiesen, und obgleich schwedische Schiffe und Häfen die Kontinentalblockade mißachteten und weiter mit Großbritannien Handel trieben, hatte das Land 1810 den napoleonischen Marschall Jean-Baptiste Bernadotte zum Kronprinzen und faktischen Herrscher auserkoren. Auch Preußen hatte enttäuscht.
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Es kämpfte häufiger gemeinsam mit den Franzosen als gegen sie, und es hatte sich Hannover, ein Besitztum des britischen Königshauses, heimtückisch einverleibt. 1812 bekam Großbritannien einen neuen Außenminister, den Viscount Castlereagh. Aber er stand nicht für eine neue politische Perspektive und einen Richtungswechsel. Geboren wurde er 1769 mit dem schlichten Namen Robert Stewart als Sohn eines im nordirischen Ulster begüterten Grundbesitzers mit schottisch-presbyterianischen Wurzeln. Der Vater war Parlamentsmitglied in Dublin geworden, hatte sich (zweimal) vorteilhaft verheiratet und seine Verbindungen weidlich genutzt, wodurch er 1789 Baron Londonderry, 1795 Viscount Castlereagh und 1796 Earl von Londonderry geworden war; 1816 würde er Marquess von Londonderry werden. In jungen Jahren war Robert Stewart, der im selben Jahr zur Welt gekommen war wie Napoleon, empfänglich für alle Schwärmereien seiner Zeit. Er bewunderte die amerikanischen Rebellen, die die Herrschaft Englands abgeschüttelt hatten, er sympathisierte mit der Französischen Revolution und ging als enthusiastischer irischer Patriot in die Politik, machte Trinksprüche auf «die gallische Verfassung» und auf «das Volk» und einmal sogar auf «das Seil, an dem der König hängen soll». Seine Reisen nach Frankreich und Belgien in den Jahren 1792 und 1793 jedoch dämpften seine Begeisterung für alles Revolutionäre, und bei dem Heranwachsenden setzte sich der nüchterne Pragmatismus seiner väterlichen Vorfahren gegen die von seiner aristokratischen Mutter kommenden romantischen Neigungen mehr und mehr durch. 1796 erbte er nicht nur den Titel eines Viscount Castlereagh, er übernahm auch das Kommando über fünfhundert Mann, die sich der drohenden französischen Landung in der Bantry Bay entgegenstellten, mittels derer Irland vom englischen Joch befreit werden sollte. Zwei Jahre darauf beteiligte er sich aktiv an der Unterdrückung der irischen Rebellion, und er gehörte zu den entschlossensten Konstrukteuren der 1801 geschaffenen Union mit England, wobei er großzügig Bestechungen einsetzte, um sein Ziel zu erreichen. Alle Schwärmerein seiner Jugend hatte er zugunsten von Gesetz und Ordnung verraten, in denen er nun die größte Wohltat des öffentlichen Lebens sah. Das war vielleicht nicht verwunderlich, da er inzwischen vieles zu bewahren hatte. 1802 war er zum Präsidenten des Kontrollrats der Britischen Ostindien-Kompanie
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Großbritanniens Außenminister Lord Castlereagh spielte in der Einigung der europäischen Großmächte gegen Napoleon eine entscheidende Rolle. Auf dem Kongreß versuchte er vor allem, als Vermittler zu agieren, wurde jedoch in unerwartete Konflikte hineingezogen und war schließlich damit konfrontiert, gegen jene Parteien Krieg führen zu sollen, die er als verläßlichste Verbündete erachtete. Porträt von Thomas Lawrence.
ernannt worden, und 1805 wurde er Kriegsminister in William Pitts Kabinett. Er war im Machtzentrum der britischen Politik angekommen. Aber es wäre falsch, in Castlereaghs Sinneswandel eine Kehrtwende aus Eigennutz zu sehen. Vielmehr hatte er sich Pitts Meinung angeschlossen, daß eine illegitime Revolution niemals jene Stabilität schaffen könne, die für die Entwicklung einer zivilen Gesellschaft erforderlich ist, und diese Überzeugung wurde durch jenen gesunden Menschenverstand bestärkt, der sich mit zunehmendem Alter einstellt. Ohne innere Kämpfe hatte sie sich aber nicht durchgesetzt. Zweifellos mußte Castlereagh hart an sich arbeiten, um sein impulsives Temperament zu zügeln, das sich zuweilen in hitzigen Worten und, besonders spektakulär, im Jahr 1809 darin äußerte, daß er George Canning wegen politischer Meinungsverschiedenheiten zum Duell herausforderte. Mit Mitte dreißig repräsentierte er die bürgerlichen Wertmaßstäbe in vorbildlicher Weise. Er war glücklich verheiratet, enthaltsam und maßvoll in seinen Gewohnheiten, trank wenig und stand früh auf; nichts
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machte ihn glücklicher, als London zu verlassen und auf seiner Farm in Cray in Kent verweilen zu dürfen, wo er sich seiner Liebe zur Pflege von Gärten und Tieren widmete. Er genoß es, mit Kindern zusammenzusein. Er behandelte die Dienstboten freundlich und war großzügig zu den Armen. In seiner Arbeit war er fleißig und gewissenhaft. Er entspannte sich mit Büchern und genoß seine geliebte Musik; er spielte Cello und sang, wann immer sich eine Gelegenheit bot. Seine Zeit im Kriegsministerium, die 1809 endete, galt als wenig erfolgreich. Seine einzige große Errungenschaft war es, unter Umgehung der Vorschriften General Arthur Wellesley zum Befehlshaber des Expeditionskorps ernannt zu haben, das 1808 auf die Iberische Halbinsel entsandt wurde. Aber wie gut diese Entscheidung war, zeigte sich erst einige Jahre später, als Wellesley die ersten entscheidenden Siege über die Franzosen errang, wofür er 1814 den Titel eines Herzogs von Wellington erhielt. 1812 wurde Castlereagh Außenminister, ein Amt, das seinen Begabungen insgesamt mehr entsprach. Castlereagh war ein äußerst fähiger Politiker. Er konnte ein Problem mitsamt seinen möglichen Auswirkungen rasch erfassen und es klar und elegant schriftlich darstellen. Andererseits war er kein origineller Denker. In europäischen Angelegenheiten kannte er sich nicht aus, und ihm fehlte die Einbildungskraft, zu erkennen, was auf dem Kontinent vor sich ging. Er hatte sich die außenpolitischen Ansichten seines Helden Pitt zu eigen gemacht, und ihnen würde er treu bleiben. Als er seine Arbeit im Foreign Office aufnahm, war Großbritannien vollkommen isoliert und ohne Einfluß auf dem europäischen Festland. Als erstes bemühte er sich daher darum, Verbündete auf dem Kontinent zu finden und eine Koalition gegen Napoleon aufzubauen. Napoleons Invasion in Rußland im Sommer 1812 kam ihm da gelegen, und im Juli dieses Jahres schloß er einen Bündnisvertrag mit Rußland, der die beiden Länder verpflichtete, sich bei ihren Bemühungen, Frankreich zu bezwingen, gegenseitig zu unterstützen. Für Rußland war dies nur ein schwacher Trost, dessen Armeen vor der siegreichen Grande Armée flohen und das nun mit der Möglichkeit rechnen mußte, daß andere Feinde die Gelegenheit ergreifen könnten, verlorene Gebiete zurückzuholen. Dazu zählte die Türkei, mit der Rußland eilig Frieden schloß. Auch Schweden, dem es erst drei Jahre zuvor Finnland abgenommen hatte, würde es bestimmt wieder in Besitz neh-
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men wollen. Wäre Schweden zu diesem Zeitpunkt einmarschiert, wäre Rußlands Verteidigung höchstwahrscheinlich vollends zusammengebrochen. Zar Alexander nahm Verhandlungen mit Bernadotte auf und arrangierte ein persönliches Treffen in Åbo. Im Verlauf dieser Gespräche konnte Alexander Bernadotte dazu überreden, daß Rußland Finnland behalten dürfe und im Gegenzug Schweden dabei behilflich wäre, den mit Frankreich verbündeten Dänen Norwegen zu entreißen. Er versprach auch, sich bei den Briten dafür einzusetzen, eine der Kolonien, die sie Frankreich abgenommen hatten, an Schweden abzutreten. Er umschmeichelte den abtrünnigen französischen Marschall auf jede erdenkliche Art und warf einen weiteren Köder aus, um ihre Entente zu besiegeln, indem er Bernadotte den französischen Thron in Aussicht stellte, wenn Napoleon besiegt wäre. Kurz darauf trat Castlereagh in Verhandlungen mit Schweden ein, als deren Ergebnis der Vertrag von Stockholm am 3. März 1813 unterzeichnet wurde. Er enthielt außerordentlich großzügige Bestimmungen. Großbritannien verpflichtete sich, Schweden bei der Annexion Norwegens beizustehen, sogar mit militärischer Unterstützung, falls sich der dänische König widersetzen sollte, ferner, ihm die ehemals französische Karibikinsel Guadeloupe abzutreten und die Summe von einer Million britischer Pfund Sterling zu zahlen, wofür Schweden versprach, 30 000 Soldaten gegen Napoleon bereitzustellen.7 Die Nachricht von der Unterzeichnung des Vertrags von Kalisch zwischen Rußland und Preußen am 1. März 1813 wurde in London freudig aufgenommen, aber Castlereagh war keineswegs begeistert. Großbritannien war zum Inhalt des geplanten Vertrags nicht konsultiert worden, was nahelegte, daß Rußland meinte, unabhängig von seinem britischen Verbündeten agieren zu können. Es bedeutete auch, daß Castlereagh nicht wußte, welche Geheimklauseln der Vertrag enthalten mochte. Und die Tatsache, daß jetzt Großbritannien, Rußland, Schweden und Preußen gegen Napoleon standen, bedeutete noch nicht, daß sie ein Bündnis bildeten. Selbst wenn es so gewesen wäre, lehrte doch die Erfahrung, daß Bündnisse nur allzuleicht wieder zerbrechen konnten. Die erste Koalition gegen Frankreich hatte sich im Jahr 1793 gebildet. Sie führte Österreich, Rußland, Preußen, Spanien und eine Anzahl kleinerer Mächte zusammen. Diese furchterregende Allianz
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erwies sich jedoch als wirkungslos, sobald sie dem élan der französischen Revolutionsarmeen begegnete; 1796 fiel sie auseinander. Eine zweite Koalition aus Großbritannien, Rußland, Österreich und der Türkei entstand 1799, löste sich aber nach den französischen Siegen bei Marengo und Hohenlinden wieder auf. Eine dritte, die Castlereaghs Mentor Pitt 1805 mühsam bewerkstelligt hatte, brachte Österreich, Rußland, Schweden und Preußen mit Großbritannien zusammen, aber auch sie fiel Napoleons Erfolgen von Austerlitz, Jena und Friedland zum Opfer. Der einzige Sieg über Napoleon, die Schlacht von Trafalgar von 1805, hatte nicht ausgereicht, auf dem Kontinent Entscheidendes zu bewirken. Als Napoleon 1807 sein umfassendes Bündnis mit Rußland unterzeichnete, kontrollierte er so gut wie den gesamten europäischen Kontinent, wodurch Großbritannien jede Einflußnahme auf die Angelegenheiten des Festlands verwehrt blieb; nur in Portugal konnte sich ein kleines britisches Expeditionskorps noch halten. Obwohl es die Meere beherrschte, wurden viele der entsprechenden Vorteile durch den Zollkrieg mit Frankreich wieder zunichte gemacht. Überall in Europa schloß Napoleons Kontinentalsperre die Briten vom Handel aus und führte schließlich zum Ausbruch des Krieges zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika. Als Castlereagh im Frühjahr 1813 über eine neue Koalition nachdachte, war ihm deutlich bewußt, daß er sie zwar führen mußte, ihm aber die Mittel dazu fehlten. Die doppelte Belastung durch den Krieg gegen Frankreich in Spanien und den gegen die Vereinigten Staaten jenseits des Atlantiks hatte die militärischen Kapazitäten Großbritanniens aufs äußerste strapaziert, so daß er lediglich finanziell eingreifen konnte. Aber mit Geld allein konnte er sich nicht genügend Einfluß erkaufen, um aus einer so buntscheckigen Ansammlung Verbündeter eine Einheit zu schmieden. Für Großbritannien hatten immer Marineangelegenheiten Vorrang besessen, und erst 1792, als die französischen Revolutionstruppen in die österreichischen Niederlande eindrangen und drohten, die Mündung der Schelde einzunehmen, sahen sich die bis dahin gleichgültigen Briten genötigt, in den Krieg zu ziehen. Das Mündungsgebiet der Schelde und der Hafen von Antwerpen galten in Whitehall von jeher als Ort, von dem aus eine Invasion Englands möglich wäre, und der bloße Gedanke, daß es in
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französische Hände fallen könnte, konnte Alpträume auslösen. Solange das Gesamtgebiet der Niederlande von einer befreundeten oder neutralen Macht beherrscht werde, kümmerte es Großbritannien nicht sonderlich, welche Regierungsform sich Frankreich auferlegte. Hierdurch unterschied es sich von seinen Verbündeten der ersten Koalition, die mit dieser einen monarchistischen Kreuzzug gegen die Revolution führen wollten. Mit der Zeit glichen sich die Ansichten Großbritanniens und die ihrer Verbündeten auf dem Festland einander an, und doch blieben bedeutsame Unterschiede. Unterschwellige Ressentiments und ein wechselseitiges Mißtrauen, weil keine Partei die strategischen Imperative der anderen verstand, bewirkten, daß jede denkbare Koalition labil blieb. Als Insel und Seemacht ohne nennenswerte Landstreitkräfte konnten sich die Briten an den Kämpfen auf dem Kontinent nur mit Finanzhilfen maßgeblich beteiligen, die ihre Alliierten verwendeten, um Truppen auszuheben und auszurüsten. Die Seesiege über die Franzosen, selbst wenn sie die Größenordnung der Schlachten auf dem Nil oder bei Trafalgar hatten, zeigten auf dem europäischen Festland keine spürbaren Folgen. So entstand der Eindruck, daß Großbritannien nicht seine ganze Kraft einsetzte und nicht die gleichen Opfer brachte wie seine Verbündeten. Die Finanzhilfen waren in deren Augen durch den Wohlstand der französischen und niederländischen Kolonien, die in britische Hand fielen, und durch die Reichtümer, die die britische Marine auf See konfiszierte, mehr als ausgeglichen. Einer Kontinentalmacht hingegen brachte eine gewonnene Schlacht keine vergleichbaren Vorteile, während nach einer verlorenen Schlacht ihr Territorium oftmals verwüstet war und sie in einen Frieden um jeden Preis einwilligen mußte. Die vom umgebenden Wasser beschützten Briten konnten solche Nöte nicht nachvollziehen. Sie hatten ausländische Invasionen und Besatzungen nie erlebt und beklagten sich über die jämmerliche Neigung ihrer Verbündeten, schon nach dem ersten Rückschlag um Frieden zu bitten. In jedem Staat, der sich zu so etwas gezwungen sah, sahen sie tendenziell einen Feind. Da die Briten nie selbst gegen Napoleon gekämpft hatten, schrieben sie seine Siege eher dem Versagen der mit ihnen verbündeten Armeen und der Feigheit ihrer Regierungen zu. Das schien sich zu bestätigen, als Rußland, die einzige Kontinentalmacht, die strategisch ebenso unverletzlich war wie Großbritannien, sich 1807 Napoleon unterwarf.
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1815 General Charles Murray, Earl Cathcart, britischer Botschafter am Zarenhof. Als alter Offi zier mit geringer diplomatischer Erfahrung stand er der Komplexität der europäischen Angelegenheiten nicht selten befremdet gegenüber, verfolgte jedoch Castlereaghs Ziele gewissenhaft und unterzeichnete die Schlußakte in Wien im Namen Großbritanniens. Stich von Henry Meyer, nach John Hoppner, ca. 1807.
Tatsächlich hatte Rußland diesen Schritt nur getan, weil sein österreichischer Bündnispartner besiegt worden war und um Frieden nachsuchen mußte, weil sein preußischer Bündnispartner zerschmettert am Boden lag, während Großbritannien unfähig gewesen war, auch nur ein einziges Regiment zur Unterstützung zu entsenden. Aber Castlereagh konnte sich genausowenig vorstellen wie Pitt vor ihm, was es bedeutete, einem siegreichen Napoleon auf einem leichenübersäten Schlachtfeld einsam gegenüberzustehen. Er wußte nur, daß Koalitionen leicht zerfielen, und schrieb dies grundsätzlich dem Umstand zu, daß ihnen ein klar definiertes Ziel und ein Mechanismus fehlten, die gewährleisteten, daß alle Beteiligten bis zum glücklichen Ende zusammenblieben. Während er mit ansah, was im Frühjahr 1813 auf dem Kontinent geschah, wurde Castlereagh eines klar: Er mußte irgendwie sicherstellen, daß die Verbündeten dieser entstehenden Koalition nur gemeinsam Krieg führen und nur gemeinsam Frieden schließen würden, und zwar zu miteinander abgestimmten und genau definierten Bedingungen. Das würde nicht leicht zu erreichen sein.
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Sir Charles Stewart, britischer Botschafter am preußischen Hof, war ebenfalls kein gelernter Diplomat, sondern hatte als Soldat in Wellingtons Stab auf der Iberischen Halbinsel gedient. «Ein äußerst tapferer Kerl, aber vollkommen verrückt», so das Urteil eines Offi zierskollegen. In Wien sorgte er für so manchen Skandal. Porträt von Thomas Lawrence.
In weiten Teilen des Kontinents waren die britischen Diplomaten während der letzten fünfzehn Jahre nicht zugelassen worden, während der letzten drei oder vier auch in den verbliebenen Resten; daher mangelte es in London an Wissen darüber, was in einzelnen Ländern vor sich ging und wer dort etwas zu sagen hatte. Entsprechend fehlte es auch just in dem Augenblick an erfahrenen Diplomaten, als Castlereagh sie brauchte. Nach Rußland hatte er Lord Cathcart entsandt, einen alten Soldaten mit wenig diplomatischer Erfahrung. Ins preußische Hauptquartier schickte er jetzt seinen eigenen Halbbruder, Sir Charles Stewart, der ebenfalls Soldat war, und nicht einmal ein besonders hervorragender. Stewart war fünfunddreißig. Er hatte in Wellingtons Stab auf der Iberischen Halbinsel gedient, wo er sich durch ungestüme Kühnheit ausgezeichnet hatte, nicht aber durch irgendwelche Qualitäten, die für einen Kommandierenden erforderlich waren – «ein äußerst tapferer Bursche, aber vollkommen verrückt», wie es einer seiner Offi zierskameraden ausdrückte. Stewart hätte die Beschreibung vermutlich gefallen. «Meine Pläne sind die eines Husaren auf Vorposten», schrieb er an den Maler Thomas Lawrence,
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bevor er sein erstes diplomatisches Amt antrat. «Kurz, dezidiert und prompt.»8 Castlereaghs Instruktionen für die beiden Männer regelten hauptsächlich die Höhe der Finanzhilfen, die Großbritannien in die Allianz einbringen würde. Aber sie umrissen auch die Grundzüge einer endgültigen Übereinkunft, auf die sie hinarbeiten sollten, mit dem ausdrücklichen Wunsch, ein engeres Bündnis zu schmieden, das die Alliierten auf diese Ziele bindend festlegte – er wollte verhindern, daß diese Koalition wie die anderen auseinanderfiel, und er wollte vermeiden, daß einzelne Bündnispartner in separate Friedensschlüsse einwilligten, sobald sie ihre eigenen Ziele erreicht hatten, und Großbritannien im Stich ließen. Er sah sich bereits in der Rolle eines Spiritus Rector dieser entstehenden Koalition, und hegte, was sie betraf, ehrgeizige Pläne. Österreich einzubinden zog er allerdings noch nicht in Betracht, und sein Mißtrauen gegenüber Metternich war so groß, daß er nicht einmal hören wollte, was ihm der österreichische Gesandte Wessenberg zu sagen hatte.
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Ein Krieg für den Frieden ein krieg für den frieden
«Ich wünsche den Frieden, die Welt bedarf seiner», verkündete Napoleon auf der Eröffnungssitzung des gesetzgebenden Korps am 14. Februar 1813. Er wünschte ihn sich wahrscheinlich genauso wie jeder andere. Aber er könne, wie er sagte, «niemals einen anderen als einen ehrenvollen, dem Interesse und der Größe meines Reichs angemessenen Frieden schließen.» Sich vorzustellen, aus einer Position der Schwäche heraus zu verhandeln, war ihm unmöglich, und seine instinktive Reaktion in dieser Zwangslage war, daß er zuerst einen Krieg gewinnen müsse.1 Seine Strategie, dem Gegner einen vernichtenden Schlag zu versetzen und dann die Friedensbedingungen zu diktieren, hatte zwar in der Vergangenheit recht gut funktioniert, aber zwangsläufig schien jeder seiner Siege weniger dramatisch zu sein als der jeweils vorhergehende, während die wiederholten Abreibungen, die sich seine Feinde von ihm holten, deren Widerstand nur stärkten. Sein modus operandi entsprach dem erbarmungslosen Gesetz des abnehmenden Grenznutzens, aber er schien sich dessen nicht bewußt zu sein. Nachdem es Murat nicht gelungen war, die Überreste der Grande Armée bei Wilna und dann im ostpreußischen Königsberg zu sammeln, hatte er seinen Posten verlassen und war wieder in sein Königreich Neapel zurückgekehrt. Sein Kommando übernahm nun Napoleons Stiefund Adoptivsohn Fürst Eugène de Beauharnais, nomineller Vizekönig von Italien. Im Januar war es ihm gelungen, eine Front entlang der Weichsel zu stabilisieren, und von seinem Hauptquartier in Posen aus bemühte er sich mit aller Kraft, die Reihen der zersprengten Einheiten wieder aufzufüllen. Napoleon schrieb ihm am 27. Januar einen langen Brief, in dem er die Möglichkeiten eines Feldzugs im Frühjahr erörterte, der französische Truppen im August wieder über den Njemen zurück
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nach Rußland führen sollte; und Anfang Februar traf er bereits Vorkehrungen, seinen Haushalt dorthin zu entsenden. Das eine, was er im russischen Feldzug gelernt hatte, war, daß zuviel Personal und Ausstattung nur lästig waren. «Ich will viel weniger Leute haben, nicht so viele Köche, weniger Tafelgeschirr, kein großes Reisenécessaire», schrieb er. «Im Einsatz und auf dem Marsch sollen Suppe, ein gekochtes Gericht, ein Braten mit Gemüse, ohne eine Nachspeise, auf den Tisch kommen, auch auf meinen.» Er kündigte an, daß er keine Pagen mitnehmen wolle, «sie sind mir nicht von Nutzen», abgesehen von einigen robusteren Pagen für die Jagd.2 Inzwischen war die französische Frontlinie bereits an die Oder zurückgedrängt worden, was Napoleon aber nicht übermäßig beunruhigte. Am 11. März schrieb er erneut an Fürst Eugène, der jetzt die Front entlang der Elbe hielt, und umriß für ihn einen kühnen Angriffsplan, der einen Vorstoß über Berlin und Danzig nach Polen hinein vorsah. Von Krakau aus sollte Poniatowski mit der Unterstützung der Österreicher nach Norden vorrücken und die Verbindungswege der russischen Armeen unterbrechen.3 Diese Pläne wurden durchkreuzt, ohne daß sein Selbstbewußtsein sonderlich litt, als der preußische Gesandte in Paris am 27. März die preußische Kriegserklärung an Frankreich überreichte. Napoleon reagierte darauf, indem er Narbonne in Wien anwies, Österreich die preußische Provinz Schlesien anzubieten (die Preußen 1745 von Österreich erobert hatte), als Gegenleistung für die Unterstützung Frankreichs im bevorstehenden Krieg. Metternich wollte Schlesien nicht, und schon gar nicht wollte er wieder an der Seite Frankreichs in den Krieg ziehen. In einem allerletzten Versuch, Napoleon an den Verhandlungstisch zu bringen, schickte er Fürst Schwarzenberg nach Paris.4 Die Weisungen an Schwarzenberg vom 28. März 1813 betonten, es sei «ein Augenblick höchster Wichtigkeit für das künftige Schicksal Europas, Österreichs und insbesondere Frankreichs» und von «dringlicher Notwendigkeit», daß die beiden Höfe zu einer Einigung kämen. Er sollte Napoleon gegenüber deutlich machen, daß Österreich Frankreich zwar in seinem Streben nach einem gerechten Frieden aufrichtig unterstützen wolle, es sich jedoch nicht verpflichtet fühle, dies bedingungslos zu tun. Metternich ging es vor allem darum, unmißverständlich klarzumachen, daß Napoleons Ehe mit Marie-Louise unter den gegen-
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wärtigen Umständen ohne Bedeutung sei. «Politik band diese Ehe, und Politik kann sie wieder lösen», sagte Schwarzenberg zu Maret. Aber Napoleon ignorierte diese Hinweise.5 Er verbrachte seine Tage damit, die frisch aufgestellten Regimenter auf dem Marsfeld paradieren zu lassen, bevor sie nach Deutschland aufbrachen. In der letzten Märzwoche und in den ersten vierzehn Apriltagen traf er letzte Vorkehrungen. Dazu gehörte, einen Regentschaftsrat einzurichten, der Frankreich verwalten sollte, solange er im Feld war, und die Kontrolle übernahm, wenn ihm etwas zustieße. Schwarzenberg, der am 13. April in Saint-Cloud eine lange Unterredung mit ihm hatte, erlebte ihn als weniger angriffslustig im Vergleich zu früher, und als aufrichtig darum bemüht, einen Krieg zu vermeiden. «Seine Sprache war weniger schneidend und sein Auftreten insgesamt weniger selbstsicher; er wirkte wie ein Mann, der befürchtet, des Prestiges, das ihn umgab, verlustig zu gehen; sein Blick schien mich zu fragen, ob ich in ihm noch den selben wie früher sah.» Sechsunddreißig Stunden später machte sich Napoleon in Saint-Cloud auf zu seiner Armee, die er am 25. April in Erfurt erreichte.6 Alexander und Friedrich Wilhelm waren schon in die Offensive gegangen. Mit der preußischen Armee unter General Blücher an der Spitze marschierten sie in Sachsen ein und beschuldigten dessen König, Werkzeug Napoleons und Verräter zu sein. König Friedrich August I. sah sich in ziemlich ähnlicher Lage wie Friedrich Wilhelm III. einige Monate zuvor, nur blieb ihm noch weniger Zeit, sich für eine Seite zu entscheiden. Die Verbündeten hatten ihre Gründe, ihm in dieser Weise die Pistole auf die Brust zu setzen, und es waren keine ehrenhaften. In den Geheimklauseln des Vertrags von Kalisch hatte Rußland zugesichert, Preußen wieder eine ähnliche Machtposition zu verschaffen wie vor der Zeit, als es seine polnischen Gebiete an Napoleon verlor, bzw. für diese notfalls «Äquivalente» zu finden. Nun war aber Rußland im Besitz jener ehemals preußischen polnischen Gebiete, und es war nicht die Rede von einer Rückgabe. Dafür deutete das Wort «Äquivalente» darauf hin, daß Preußen mit deutschen Gebieten wiederhergestellt werden sollte. Als besonders appetitlicher Brocken bot sich Sachsen an. Sowohl Alexander als auch Friedrich Wilhelm hofften, daß
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König Friedrich August I. von Sachsen, ein treuer Verbündeter Napoleons, dem der Zar «Verrat an der europäischen Sache» vorwarf und den er versuchte vom Thron zu stoßen. Stich von Johann Rosmäsler, ca. 1812.
Friedrich August nicht für die Verbündeten optieren und damit Sachsen den Verbündeten zuführen würde. Friedrich August war Napoleon, dem er seine Königskrone verdankte, aufrichtig verbunden, und sein Ehrgefühl gebot es ihm, seinem Verbündeten unter allen Umständen die Treue zu halten. Aber seine kleine Armee war in Rußland vernichtet worden, und nun stand er in der Schußlinie. Metternich bedrängte ihn, die Seite zu wechseln, aber einerseits widerstrebte ihm dies und andererseits hatte er Angst, sein Bündnis mit Napoleon zu brechen. Er versuchte dem Druck auszuweichen, indem er Schutz bei Österreich suchte und mit ihm am 20. April einen Vertrag schloß, der ihm weiteren Besitz Sachsens zusicherte. Nicht lange, nachdem er seine Hauptstadt Dresden verlassen hatte, wurde sie von Alexander und Friedrich Wilhelm besetzt, die an der Spitze ihrer Truppen einmarschierten und von den Einwohnern jubelnd empfangen wurden. Aber ihr Triumph sollte kurzlebig sein.7 Die Armee der Verbündeten, die aus etwa 100 000 Russen und Preußen bestand und von dem russischen General Ferdinand von Wintzingerode und dem Preußen Blücher befehligt wurde, rückte aus, um sich den Franzosen entgegenzustellen. Aber Napoleon stieß zügig vor und besiegte sie am 2. Mai bei Lützen. Die Russen und die Preußen hatten
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ein krieg für den frieden Ostsee
Krieg und Diplomatie, 1813
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Tapferkeit und Kühnheit bewiesen, wie ein britischer Offi zier bemerkte, der dem alliierten Hauptquartier attachiert war, aber sie operierten «in der Masse, gänzlich unmethodisch». Es hatte ihnen eine feste Führung gefehlt, und Alexander und Friedrich Wilhelm hatten mit ihrer Anwesenheit auf dem Schlachtfeld nur für weitere Verwirrung gesorgt. Der Rückzug vollzog sich chaotisch und in gereizter Stimmung; zwischen den beiden verbündeten Armeen flogen Beleidigungen hin und her.8 Der Sieg zeugte einmal mehr von der militärischen Überlegenheit Frankreichs, aber er konnte den Krieg nicht entscheiden. Napoleon fehlte es an Kavallerie, eine Folge des Rußlandfeldzugs im letzten Jahr, und das hinderte ihn daran, dem Feind nachzusetzen und dessen Niederlage vernichtend zu machen. Obgleich er die Nachricht von dem großen Sieg propagandistisch hinausposaunte, war er nicht zufrieden. An Fürst Eugène schrieb er, angesichts der wenigen Gefangenen, die er gemacht hatte, sei es gar kein Sieg gewesen.9 Alexander spielte die Niederlage herunter. «Dieser Rückzug vollzog sich bewundernswert ruhig, friedlich und geordnet», schrieb er an seine Schwester Katharina, «und ich gebe zu, daß ich so etwas allenfalls im Rahmen einer Parade für möglich gehalten hätte.» Die Schlappe warf
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dennoch einen Schatten auf die Streitkräfte der Verbündeten, und es kam zu gegenseitigen Schuldzuweisungen; die Preußen warfen den Russen vor, nicht standgehalten zu haben, und umgekehrt. Die Preußen hatten empfindliche Verluste hinnehmen müssen, unter anderem mit dem Tod von General Scharnhorst, und entsprechend gedrückt war die Stimmung. Und obwohl der Rückzug der Alliierten nicht zu einer panischen Flucht geworden war, mußten Alexander und Friedrich Wilhelm Dresden aufgeben und sich rasch nach Schlesien zurückziehen. Der König von Sachsen beeilte sich, eine Allianz mit Österreich abzulehnen und in seine Hauptstadt zurückzukehren, um seinen Bündnispartner Napoleon willkommen zu heißen, der wieder Herr der Lage zu sein schien.10 Metternich war zuversichtlich. Er ging davon aus, daß die Niederlage von Lützen die Verbündeten ernüchtert hatte und sie nun erkennen würden, wie sehr sie die Unterstützung Österreichs brauchten. Zugleich war die Niederlage nicht so vernichtend gewesen, als daß sie Napoleons Selbstbewußtsein bis zur Unnachgiebigkeit hätte steigern können. Damit öffnete sich ein Spielraum für taktische Züge. Metternich wollte vermeiden, sich überstürzt zwischen beiden Seiten entscheiden zu müssen; gleichzeitig hoffte er, die Rolle des Vermittlers übernehmen und sich damit den Anstrich moralischer Überlegenheit geben zu können. Sollte Napoleon sich dann weigern zu kooperieren, wäre es Österreich freigestellt, sich dem Bündnis seiner Feinde anzuschließen – und zwar dann, wenn sein Land gefechtsbereit wäre und nur, nachdem es sich günstige Bedingungen ausgehandelt hätte. Dies zu bewerkstelligen würde nicht einfach sein, und Metternich sah die Gefahr, sich zwischen zwei Stühle zu setzen. Das ganze letzte Jahr über hatte er mit dem russischen Hof in geheimen Gesprächen gestanden, wobei er die möglichen Folgen nicht aus den Augen verlor, die sich aus einem Umschlag des Schicksals von Napoleon ergeben könnten. Er hatte 1812 zwar ein österreichisches Hilfskorps als Teil der Invasionstruppen Napoleons nach Rußland schicken müssen, zugleich aber dessen Kommandeur Schwarzenberg angewiesen, sich aus allen Kampfhandlungen herauszuhalten. Daran hatte sich Schwarzenberg treulich gehalten und dafür geheime Absprachen mit den russischen Befehlshabern getroffen, denen er jeweils
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gegenüberstand. Als sich die Grande Armée nach und nach auflöste, wich er nach Polen zurück, und am 6. Januar 1813 begann er sich aus dem Großherzogtum Warschau zurückzuziehen, das er eigentlich zusammen mit Poniatowskis polnischer Armee verteidigen sollte. Am 30. Januar unterzeichnete er ein Geheimabkommen mit den Russen von der Art, wie es auch Yorck geschlossen hatte, und begab sich nach Galizien, der zu Österreich gehörenden polnischen Provinz. Dies wiederum zwang Poniatowski, sich auf Krakau zurückfallen zu lassen, wodurch den Russen ganz Polen und der weitere Weg nach Westen offenstand.11 Zu diesem Zeitpunkt hätte Metternich es vorgezogen, nach Möglichkeit gemeinsam mit Preußen einen Friedensschluß zwischen Rußland und Frankreich zu vermitteln, bevor die russische Armee noch weiter nach Westen vordrang und bevor Napoleon mit frischen Truppen auf der Bildfläche erscheinen würde. Auf dieser Grundlage wäre ein Frieden möglich gewesen, der Deutschland sowohl gegen einen russischen wie einen französischen Einfluß abgeschirmt und es zu einem neutralen Gebiet unter österreichischem und preußischem Schutz gemacht hätte. Metternich mißtraute Preußen, das Österreich schon in der Vergangenheit im Stich gelassen und mehr als einmal opportunistisch die Fronten gewechselt hatte. Aber er schätzte den hochgewachsenen, distinguiert aussehenden, weißhaarigen preußischen Staatskanzler, Karl August Freiherr von Hardenberg. Es ergab sich, daß Hardenberg ähnliche Überlegungen angestellt hatte wie Metternich, und den ersten vorsichtigen Kontakt aufnahm. Hardenberg war kein echter Preuße. Er wurde 1750 im hannoverschen Essenrode geboren und war weit gereist, bevor er in die Dienste seines Souveräns trat, König George III. von England und zugleich Kurfürst von Hannover. Nur widerwillig war er aus dessen Diensten geschieden, nachdem seine damalige Frau durch eine Affäre mit dem Prince of Wales einen öffentlichen Skandal ausgelöst hatte. Hardenberg trat zunächst in die Dienste des Herzogs von Braunschweig-Wolfenbüttel und fand dann eine Anstellung beim preußischen König. Für ihn handelte er 1795 den unrühmlichen Frieden von Basel aus, durch den Preußen seine Verbündeten im Kampf gegen Frankreich im Stich ließ, und in Geheimklauseln, gegen das Versprechen auf spätere Gebietszuwächse im Rheinland, seine linksrheinischen Besitzungen an
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Der preußische Staatskanzler und Reformer Karl August Freiherr von Hardenberg war bereit, hartnäckig für Preußens Interessen zu kämpfen, und doch war er ein Mann des 18. Jahrhunderts, mit den höflichen und freundlichen Umgangsformen seiner Zeit, die mit dem aggressiven Militarismus der preußischen Generäle kontrastierten. Porträt von Thomas Lawrence.
Frankreich abtrat. 1804 war Hardenberg preußischer Außenminister geworden und hatte die kurzzeitige Annexion seines heimatlichen Hannover arrangiert, wieder im Verein mit Frankreich gegen Österreich und Rußland, und 1810 war ihm für seine Verdienste das Amt des preußischen Staatskanzlers verliehen worden. Hardenbergs Versuch, Anfang 1813 ein Abkommen mit Metternich auszuhandeln, wurde von den Ereignissen überholt; General Yorcks Meuterei «hat dem Faß den Boden ausgeschlagen», wie er selber sagte. Angesichts der sich nähernden Russen und der sich ihnen anschließenden preußischen Armee konnte er den Beitritt zu dem Bündnis, das Alexander anbot, nicht lang genug hinauszögern, um sich gemeinsam mit Metternich als Vermittler anzubieten. Da er sich gezwungen sah, das russische Bündnisangebot anzunehmen, versuchte er Metternich zu überzeugen, es ihm gleichzutun, weil seiner Einschätzung nach ein gemeinsamer Beitritt Österreichs und Preußens zu günstigeren Bedingungen stattfinden könnte. Aber Metternich war weder bereit, ein solches Risiko einzugehen, noch beabsichtigte er, Österreichs demüti-
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Friedrich von Gentz, Sekretär des Wiener Kongresses. Klug, weitgereist und weltgewandt, war er Metternich ein unverzichtbarer Freund und Berater. Stich von Johannes Lindner, nach Friedrich Lieder ca. 1824.
gende Stellung im Bündnis mit Frankreich gegen eine ähnliche Stellung im Verhältnis zu Rußland einzutauschen.12 Mehr Zeit war nötig, um Österreich neu zu positionieren, und dafür war es unerläßlich, sich Rußland und Frankreich vom Leib zu halten. Über seinen Sekretär Friedrich von Gentz hatte er dem amtierenden russischen Außenminister, Karl Robert Graf von Nesselrode, insgeheim versichert, daß Österreich mit Napoleon brechen und sich dem Bündnis anschließen werde, «für das ewige Ziel, das am Ende bestimmt triumphieren wird, für das Ziel, das weder russisch noch österreichisch ist, das auf dem Boden universeller und unverbrüchlicher Gesetze steht», und er erläuterte, warum er dies noch nicht sofort tun könne.13 Gentz war für Metternichs Verbindungen zu den Alliierten von unschätzbarem Wert. Der in Breslau geborene Gentz hatte in Königsberg bei Kant studiert, war dann Beamter in Berlin geworden, hatte für eine Reihe von Zeitschriften geschrieben und als Herausgeber fungiert und war als Agent für das britische Foreign Office tätig geworden, bevor er in österreichische Dienste trat. Er war ein alter Freund Nesselrodes, den er von Berlin her kannte, und Wilhelm von Humboldts, des preußischen Gesandten in Wien. Er war eine vielseitige Persönlichkeit, neigte
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in seiner naiven und sentimentalen Jugend zu tiefen und tragischen Liebesbeziehungen, bevor er sich trinkend, spielend und hurend in einen ausschweifenden Lebenswandel stürzte. Zusammen mit den Dichtern Friedrich Schlegel und Jean Paul, den Brüdern Humboldt, Clemens von Brentano, Friedrich Schleiermacher und Georg Wilhelm Friedrich Hegel stand er im Mittelpunkt eines Milieus um die jüdische Saloniere Rahel Levin, in dem Liebesbeziehungen zuweilen neu kombiniert und «Vernunftehen» eingegangen wurden, die die persönliche Freiheit nicht einschränkten. Selbst nach seiner Heirat unterhielt Gentz noch eine Beziehung zu Rahel Levin, die er verriet, zeugte ein Kind mit einer anderen Geliebten und hatte eine Reihe von Affären mit bekannten Schauspielerinnen und Kurtisanen. Gentz, der außergewöhnlich fleißig war, studierte und schrieb weiterhin. Seine politische Entwicklung führte ihn von einer frühen Begeisterung für die Französische Revolution zur monarchistisch-absolutistischen Reaktion und schließlich zu pragmatischeren, institutionell orientierten Ansichten. Er war klug, weitgereist und weltgewandt, und er hatte die Gabe, Menschen schnell zu durchschauen – das alles machte ihn zu einem unverzichtbaren Helfer Metternichs. Metternich stand mit dem russischen Hof auch über Gustav Ernst Graf von Stackelberg in Kontakt, den damals noch inoffi ziellen russischen Gesandten in Wien. Außerdem hatte er Anfang März einen eigenen Gesandten ins alliierte Hauptquartier nach Kalisch geschickt, den aufgeweckten jungen Diplomaten Ludwig Graf von Lebzeltern. Der hatte in Paris unter ihm gedient und war 1810 nach Sankt Petersburg entsandt worden, um eine persönliche Verbindung zwischen Alexander und Metternich herzustellen. Lebzeltern hatte in Rußland Beliebtheit erlangt und es erst beim Ausbruch des Krieges 1812 verlassen. Als Lebzeltern am 5. März im russischen Hauptquartier eintraf, nahm ihn Alexander herzlich in Empfang, der seiner Hoffnung Ausdruck gab, daß Kaiser Franz Europa retten werde, indem er sich der gemeinsamen Sache anschließe. Aber Lebzeltern meinte, ein «deutliches Mißtrauen gegenüber unseren Intentionen» herauszuhören. Alexanders scheinbare Liebenswürdigkeit schlug in Ungeduld um, als ihm klar wurde, daß Metternichs Bote nichts weiter mitgebracht hatte als eine Bekundung guter Absichten. Er bestand auf einem sofortigen Beitritt, und den Einwand, man müsse dafür erst den Boden bereiten, tat er mit
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dem Hinweis darauf ab, daß Einzelheiten auf einem später abzuhaltenden Kongreß ausgearbeitet werden könnten.14 Diese Unterredung fand ein ganze Woche vor der Kriegserklärung Preußens an Frankreich statt, weshalb es nicht verwundert, daß Metternich sich und sein Land noch nicht festlegen wollte. Es gab zudem besorgniserregende Gründe, die schwerer wogen. Rußland und Preußen waren schwach. Frankreichs Machtressourcen und Napoleons strategisches Talent würden sie im Frühjahr leicht besiegen können. Beide Länder hatten sich in der Vergangenheit opportunistisch auf einen Frieden mit Frankreich eingelassen und könnten es wieder tun. Würde Österreich sein Bündnis mit Frankreich verraten und sich Napoleons Zorn zuziehen, müßte es einen hohen Preis zahlen. Metternichs Vorsicht wurde durch die Risikoscheu seines kaiserlichen Herrn erheblich verstärkt. Kaiser Franz war keine heroische Gestalt. Er wurde 1768 in Florenz geboren und war dazu bestimmt, seinem Vater als Großherzog von Toskana nachzufolgen; aber da sein Onkel, Joseph II., ohne Erben blieb, trat dessen Bruder Leopold, der Vater von Franz, 1790 die Thronfolge an, die 1792 schließlich auf Franz selbst überging. Sein Onkel Joseph II. hatte ihn als «von Charakter eher langsam, heuchlerisch und gleichgültig» bezeichnet, und «etwas trägen Geistes». Obgleich er sich in alltäglichen Dingen recht energisch zeigte, verlangsamte sich sein Wesen, sobald er nachdenken mußte – zuweilen ging es in völligen Stillstand über. Wie sein Onkel Joseph mißtraute er neuen Ideen und reagierte geradezu allergisch auf den Enthusiasmus oder die Leidenschaft anderer. Von Natur aus humorlos, fehlte ihm der Sinn für die meisten Arten von Unterhaltung und Zerstreuung, und im Gegensatz zu seinem Onkel war er sehr fromm.15 1809 war ihm eine schmerzliche Lektion erteilt worden. Er hatte sich von der Welle patriotischer Begeisterung, die damals sein Land erfaßte, und vom Optimismus seines damaligen Kanzlers Johann Philipp Graf von Stadion anstecken lassen und einen Krieg zur Befreiung Deutschlands von französischer Herrschaft begonnen, als sich Napoleon außer Landes befand. Die Leichtigkeit, mit der Napoleon daraufhin kehrtmachte und Österreich bezwang, obwohl er zur selben Zeit in Spanien in heftige kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt war, hatte bei Franz und Metternich einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen.
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Franz I. von Österreich. Es war humorlos, fromm und mißtraute neuen Ideen; die damals üblichen Formen unterhaltsamer Geselligkeit waren ihm gleichgültig. Nach dem französischen Triumph über Österreich 1809 war er gezwungen, seine Tochter Marie-Louise mit Napoleon zu verheiraten, um die bedrohte Habsburgermonarchie zu retten. Porträt von Friedrich von Amerling, ca. 1832.
Das einzige, was den österreichischen Staat vor der Vernichtung bewahrt hatte, war die politisch motivierte Verehelichung der Tochter von Franz, Marie-Louise, mit dem französischen Eroberer gewesen. Sie hatte man geopfert, um den Fortbestand der habsburgischen Monarchie zu sichern. Es war nicht abzusehen, welche Opfer Napoleon verlangen würde, wenn man ihn erneut provozierte. Metternichs scheinbare Unterwürfigkeit gegenüber Napoleon war in Österreich unbeliebt. Er war dank Stadions Sturz an die Macht gekommen; es wurde ihm sogar vorgeworfen, er habe diesen herbeigeführt. Während Stadion sich noch immer öffentlicher Beliebtheit erfreute, wurde Metternich als Vertreter der sogenannten «Friedenspartei» angesehen, die sich einer Politik der Selbsterniedrigung verschrieben habe; es hatte jüngst sogar Mordverschwörungen gegen ihn gegeben, die von kriegerisch gesonnenen Offizieren ausgeheckt worden waren.
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Während er weiterhin versuchte, Zeit zu gewinnen, taten seine Gegner alles, um ihn auf eine Entscheidung festzulegen, und das zwang ihn zu Reaktionen, die ihn noch unbeliebter machten. Der Bruder des Kaisers, Erzherzog Johann, stand an der Spitze einer Verschwörung, die, mit britischer finanzieller Unterstützung, einen Aufstand gegen die französische Herrschaft in Kärnten, Tirol und Illyrien anzetteln sollte, in der Hoffnung, im von Frankreich beherrschten Italien einen Guerillakrieg ähnlich dem in Spanien auslösen zu können. Genau so etwas hielt Metternich für unsinnig – viel könnte dabei nicht herauskommen; die Vergeltung aber wäre drakonisch, würde Napoleon von einer Komplizenschaft Österreichs erfahren. Am 25. Februar ließ er den britischen Kurier, der den Verschwörern Geld überbrachte, verhaften, und einige Wochen später auch eine Reihe weiterer Verschwörer, darunter den Erzherzog. Der Kurier erhielt sicheres Geleit zurück nach London und wurde mit Briefen für Castlereagh versehen, die Vorschläge zur Wiederaufnahme der Beziehungen und für die Entsendung eines diplomatischen Sondergesandten enthielten. Anfang April hatte Hardenberg Metternich eine Nachricht zukommen lassen, in der er ein Geheimtreffen zwischen ihnen vorschlug, in Gegenwart Nesselrodes. Metternich verspürte weder den Wunsch, deutsche Angelegenheiten in Gegenwart eines Russen zu besprechen, noch wollte er, daß Napoleon Verdacht schöpfte. Narbonne hatte Napoleon darauf aufmerksam gemacht, daß zwischen Wien und seinen Gegnern eine «versteckte Verbindung» bestehe, und Metternich wußte, daß er beobachtet wurde.16 Er mußte die Alliierten davon überzeugen, daß er zwar im Geiste auf ihrer Seite stand, sie aber zugleich davon abbringen, den Krieg fortzusetzen, und sie in Richtung von Friedensverhandlungen manövrieren. Für diese Aufgabe wählte er seinen Vorgänger Stadion, der gerade eine Zeitlang Botschafter in Sankt Petersburg gewesen war, und als antifranzösisch und als Kriegsbefürworter galt; ihm würden die Alliierten trauen. Da er überdies als Rivale Metternichs bekannt war, könnte dieser sich von ihm distanzieren, sollten die Franzosen von seiner Anwesenheit im russischen Hauptquartier erfahren. Stadions Auftrag lautete, den Alliierten vorzuschlagen, einen Waffenstillstand mit Napoleon zu unterzeichnen und in Verhandlungen mit ihm einzutreten. Kurz nach Stadions Abreise führte Metternich ein lan-
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ges Gespräch mit Narbonne und versuchte ihm glaubhaft zu machen, daß Österreich Napoleon dabei unterstützen wolle, einen günstigen Frieden mit minimalen Konzessionen auszuhandeln. Narbonne unterstellte zu Recht, daß Metternich hoffte, zunächst Napoleon dazu bringen zu können, Verhandlungen grundsätzlich zuzustimmen, und dann die Bedingungen allmählich zu erschweren; auf diese Weise könnte er ihn zwingen, entweder nachzugeben oder die Verhandlungen abzubrechen, was es Österreich ermöglichen würde, das französisch-österreichische Bündnis für null und nichtig zu erklären. Als er wahrnahm, daß er bei Narbonne nicht weiterkam, beschloß Metternich, sich über Bubna an Napoleon zu wenden.17 Kaum waren Alexander und Friedrich Wilhelm fort, schon zog Napoleon in Dresden ein. Er machte sich sogleich daran, die Stadt zu befestigen, denn sie sollte Ausgangsbasis für seine Angriffe auf die Alliierten sein, die sich an der Elbe zusammenzogen. Um höfischem Zeremoniell und lästiger Etikette zu entgehen, hatte er sein Quartier nicht im Königspalast, sondern in der Sommerresidenz des Ministers Marcolini bezogen, der in Friedrichstadt, einer nördlichen Vorstadt, lag und von großzügigen Gartenanlagen umgeben war. Hier konnte er sich verhalten, als ob er im Feld wäre, und entsprechend den Rahmenbedingungen, die Krieg und Diplomatie vorgaben, arbeiten und ausruhen. Täglich brachte ein Kurier aus Paris Nachrichten nicht nur über alles, was in der Hauptstadt, sondern auch darüber, was in seinem ganzen Reich geschah. Agenten in ganz Deutschland berichteten über Ereignisse und Stimmungen. Wie eine große Spinne in ihrem Netz beobachtete er und wartete. Bubna hatte am 16. Mai seine erste Audienz bei Napoleon. Er unterbreitete ihm, was Metternich als Grundlage eines Friedens vorschlug: Napoleon solle auf das Großherzogtum Warschau verzichten, die Kontrolle über das deutsche Gebiet östlich des Rheins aufgeben und Illyrien an Österreich zurückerstatten. Die Unterredung ging rasch in einen Schwall wüster Beschimpfungen über, in dem Napoleon Österreich der Doppelzüngigkeit bezichtigte: es verhandele mit seinen Feinden und bewaffne sie, während es gleichzeitig vorgebe, gegenüber Frankreich loyal zu bleiben. Er wies Bubna darauf hin, daß Schwarzenbergs Rückzug aus Polen ein Verrat an ihrem Bündnis gewesen war. Jener hatte ihm bei
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ihrer letzten Unterredung in Paris hoch und heilig versichert, daß ihm das 30 000 Mann starke österreichische Hilfskorps immer noch zur Verfügung stehe, aber Metternich hatte es zurückgezogen, als die Kampagne begann. Napoleon lachte über die von Bubna unterbreitete Verhandlungsgrundlage und erklärte, sie sei nicht nur ihm gegenüber ein Affront, sondern auch zu armselig, um seine Feinde zufriedenstellen zu können (darin irrte er sich nicht, da just am selben Tag Nesselrode im Hauptquartier in Wurschen eifrig neue Bedingungen hinzufügte und dabei die Verhandlungsbasis um die Forderung erweiterte, Napoleon solle Holland und Spanien abtreten). Napoleon bekundete sein Bedauern darüber, sich mit der Tochter des österreichischen Kaisers vermählt zu haben, und schwor, er werde kein einziges Dorf preisgeben. Er versuchte, die Österreicher durch Drohungen im Bündnis zu halten. Gleichwohl war er keineswegs zuversichtlich, und er witterte eine Falle. Nach der vierstündigen Audienz bat er Caulaincourt, Bubna weiter zu befragen, um hinter Metternichs wahre Absichten zu kommen. Immerhin war ihm klar, daß er sich ins Abseits manövrieren würde, wenn er sich den vorgeschlagenen Verhandlungen verweigerte; darum verkündete er im abschließenden Gespräch mit dem österreichischen General, er werde einem Waffenstillstand zustimmen und sei im Prinzip bereit, Frieden zu schließen, aber zu Bedingungen, die zu gegebener Zeit zu besprechen wären.18 Wie wenig Napoleon in dieser Phase seinem österreichischen Verbündeten noch traute, zeigt sich daran, daß er unmittelbar nach Bubnas Abreise aus Dresden Caulaincourt an die russische Front schickte, der dort um einen sofortigen Waffenstillstand und direkte Gespräche zwischen Frankreich und Rußland nachsuchen sollte. Man wollte ihn also zwingen, das Großherzogtum Warschau aufzugeben, aber dann könnte er es zumindest einsetzen, um Rußland auf dem Wege der Bestechung dazu zu bringen, Preußen und Österreich den Laufpaß zu geben. Genau das aber war der Alptraum, der Metternich schon lange gepeinigt hatte: die Möglichkeit, daß sich Napoleon und Alexander auf Kosten Österreichs und Preußens einigen könnten. Metternich wußte noch nichts von Caulaincourts Auftrag, denn Nachrichten benötigten viel Zeit. Aber die Armeen standen nicht sehr weit auseinander, von heute auf morgen könnte ein Krieg begonnen oder ein Frieden geschlos-
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sen werden, und alle Seiten warteten voller Spannung. Die Wiener würden beim geringsten Grollen die Fenster öffnen und ängstlich nach dem Donnern der französischen Kanonen horchen. Diese sollten nicht mehr lange schweigen. Am 20. Mai schlug Napoleon wieder zu. Er umging die Verteidigungsstellungen der neuen Verbündeten auf der rechten Spreeseite bei Bautzen und zwang sie, sich hastig zurückzuziehen. Obgleich ihn der Mangel an Kavalleristen wieder einmal hinderte, dem Feind nachzusetzen und ihm eine vernichtende Niederlage zuzufügen, und obwohl sich dessen Rückzug vergleichsweise geordnet vollzog, brach die Moral der Verbündeten zusammen, als sich Russen und Preußen schleppend nach Schlesien zurückbewegten. Die russische Armee befand sich in einem kritischen Zustand. Manche ihrer Einheiten waren auf ein Viertel ihrer nominellen Stärke geschrumpft und die Männer, vom höchsten Offizier bis hin zum kleinsten Fußsoldaten, wollten wieder nach Hause. Der soeben eingetroffene britische Gesandte Sir Charles Stewart beschrieb ihre Stimmung als «verzagt» und berichtete, «sie blickten begehrlich in die Richtung auf ihre eigenen Grenzen». Die meisten gemeinen Soldaten waren 1812 im Rahmen von Notmaßnahmen für den Widerstand gegen die ausländischen Invasoren einberufen worden; man hatte ihnen versprochen, daß sie wieder heimkehren könnten, sobald das Vaterland befreit sei. Nur junge Offi ziere, die nach Ruhm und Beförderung gierten, wollten den Krieg nach Deutschland hineintragen. Dem Rest war Polen Belohnung genug.19 Genau das sollte Caulaincourt auftragsgemäß dem Zaren anbieten. Aber er hatte die Vorposten der Alliierten zwei Tage vor der Schlacht, am 18. Mai, erreicht und erfahren, daß Alexander ihn nicht empfangen wolle. Es hätte anders kommen können, wäre er vier Tage später eingetroffen. Da standen die Russen schon vor dem Abgrund; noch ein Stoß, oder auch nur ein beherztes Nachsetzen seitens der Franzosen, und «die Militärmacht Rußlands wäre auf die Dauer einer Generation gebrochen», um Stewart zu zitieren, dessen Einschätzung durch den russischen General Langeron bestätigt wurde.20 Hätte Napoleon seinen Vormarsch fortgesetzt, wären die Russen gezwungen gewesen, nach Polen zurückzuweichen, und die Preußen hätten sich nach Norden zurückziehen müssen. Die Streitmacht der
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Alliierten hätte sich in zwei Armeen gespalten und wäre jeweils für sich leicht zu besiegen gewesen. Daß die französischen Kommunikationslinien durch einen solchen Vormarsch verlängert worden wären, würde durch die Verstärkungen mehr als wettgemacht worden sein, die Napoleon in Gestalt seiner Garnisonen vorgefunden hätte, die er zwischen Danzig und Zamotd als eine lange Kette von Festungen hinterlassen hatte. Wichtiger noch, der russischen Armee wäre die Moral wahrscheinlich restlos abhanden gekommen und das erste Aufflammen einer nationalen deutschen Revolte wäre erstickt worden. Ohnehin war die Zahl von Freiwilligen, die für die Befreiung Deutschlands zu kämpfen bereit waren, außerhalb Ostpreußens und Brandenburgs enttäuschend klein.21 Aber Napoleon sorgte sich um den Zustand seiner eigenen Truppen. «Der grandiose Geist, der stets unsere Bataillone beherrschte, war zerstört», schrieb der Kommandeur des 2. Tirailleur-Regiments der Garde. «Ehrgeiz war an die Stelle von Eifer getreten. Die Armee wurde jetzt von Offi zieren befehligt, die möglicherweise tapfer bis zur Verwegenheit waren, denen es aber an Erfahrung und Ausbildung fehlte. Die Soldaten suchten nur nach Gelegenheiten, ihre Einheiten zu verlassen, in die Lazarette zu gehen, sich der Gefahr zu entziehen.» Die Märsche und Rückmärsche der vergangenen Wochen hatten die Truppen nicht nur erschöpft, sie vermittelten auch den Eindruck, daß ihr Feldherr sich seines Handelns nicht mehr so sicher war wie früher. Die Knappheit an Kavalleristen beeinträchtigte sowohl das Auskundschaften als auch das Nachsetzen im Feld. Der Mangel nicht nur an Reit- sondern auch an Zugpferden bedeutete, daß die Quartiermeister nicht genügend Lebensmittel und Nachschub herbeischaffen konnten. Zu allem Elend war das Frühjahr des Jahres 1813 auch außergewöhnlich kalt und verregnet. Die Soldaten desertierten in Scharen, besonders in den Kontingenten, die Napoleons deutsche Verbündete bereitgestellt hatten; bei ihnen wechselten nachts ganze Einheiten zum Feind. «Welch ein Krieg!», klagte Marschall Augereau. «Wir kommen alle dran!»22 Was das Persönliche betraf, so hatte Napoleon mit großer Trauer den Tod seines Marschalls Bessières aufgenommen, eines seiner treuesten und fähigsten Kommandeure, der bei den ersten Schüssen in der Schlacht von Lützen gefallen war. Drei Wochen später erschüttert ihn zutiefst, daß Marschall Duroc, sein aufrichtiger Freund und einer jener
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Mitstreiter, denen er am meisten vertraute, in der Schlacht von Bautzen von einer Kanonenkugel getroffen wurde. Als Duroc sein Leben aushauchte, saß Napoleon an seinem Bett. Anstatt den alliierten Truppen nachzusetzen, entschied Napoleon, stehenzubleiben und auf Verstärkung zu warten; daher sandte er einen Kurier mit dem Angebot einer siebenwöchigen Waffenruhe ins Hauptquartier der Verbündeten. Das Angebot wurde bereitwillig angenommen und der Waffenstillstand am 4. Juni bei Pläswitz vereinbart. Damit hatte Napoleon einen verhängnisvollen strategischen Fehler begangen. Die Waffenruhe «rettete uns, und sie verdammte ihn», wie ein russischer General es ausdrückte. Nicht nur rettete Napoleon die Allianz vor der so gut wie sicheren Niederlage, er gab damit auch die Initiative aus der Hand, die er nie wiedererlangen würde.23
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Kurz nachdem Metternich einen Bericht über Caulaincourts Wirken im russischen Hauptquartier erhalten hatte, erfuhr er von der Niederlage der Alliierten bei Bautzen. Die erste Nachricht enthielt die schreckliche Möglichkeit einer Einigung zwischen Napoleon und Alexander über seinen Kopf hinweg, die zweite eröffnete die nicht minder alarmierende Aussicht eines Rückzugs der verbündeten Armeen nach Polen bzw. nach Preußen, wodurch Österreich Napoleon militärisch wehrlos ausgeliefert wäre. Der Augenblick, an dem Österreich sich für die eine oder die andere Seite zu entscheiden hatte, rückte unausweichlich heran, aber Metternich war noch nicht so weit. Schwarzenberg massierte zwar alle verfügbaren Truppen bei Prag, war aber frühestens in der zweiten Augustwoche kampfbereit. Nur Diplomatie konnte Metternich die notwendige Zeit verschaffen, und als ihm ein Kurier aus Dresden um vier Uhr am Nachmittag des 29. Mai die Nachricht der Niederlage bei Bautzen überbrachte, handelte er. Er fuhr zum Schloß Laxenburg, um sich mit Kaiser Franz zu besprechen, und überredete ihn, Wien zu verlassen und sich irgendwo mitten zwischen Alexanders und Napoleons Hauptquartieren niederzulassen. So würde er unterstreichen, daß er eine eigenständige Position einnehmen wolle. Als einziger geeigneter Aufenthaltsort bot sich da Wallensteins barockes Schloß im böhmischen Gitschin an, das dieser zu seiner Residenz hatte machen wollen. Obwohl der Umzug streng geheim vorbereitet wurde, erfuhr davon der französische Botschafter Narbonne über seine Spione in den kaiserlichen Stallungen; er eilte zu Metternich und verlangte eine Erklärung. Metternich speiste ihn mit ausweichenden Antworten ab. Der besorgte Narbonne machte sich umgehend auf den Weg nach Dresden, um Napoleon zu warnen, aber Metternich war
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ihm zuvorgekommen und hatte schon zwei Kuriere losgeschickt, einen mit der Instruktion für Bubna in Dresden, er solle das Angebot Österreichs erneuern, als Vermittler für einen Friedensschluß zur Verfügung zu stehen, den anderen zum Hauptquartier der Verbündeten mit der Nachricht, daß Kaiser Franz Wien verlassen habe, um seiner Armee näher zu sein. Dies allein war kaum geeignet, Alexander von der österreichischen Glaubwürdigkeit zu überzeugen. Er bedrängte Stadion und Lebzeltern immer wieder mit Fragen nach den wahren Absichten Österreichs und verwies auf Anzeichen für dessen Verrat. Wütend war er, als er hörte, daß Österreich dem in Krakau isolierten polnischen Korps Poniatowskis erlaubt hatte, durch österreichisches Gebiet zu marschieren, um sich wieder Napoleons Hauptarmee in Sachsen anzuschließen. Sein Mißtrauen wuchs noch weiter, als er von Bubnas Mission in Dresden erfuhr.1 Am 1. Juni, auf ihrem Weg nach Gitschin, begegneten Franz und Metternich dem ihnen entgegenkommenden Nesselrode. Er war von dem erzürnten Alexander mit dem Auftrag entsandt worden, den Kaiser Österreichs zu drängen, sich festzulegen; dafür benötige er «eine kategorische Entscheidung, und zwar in Schriftform». Das letzte, was Franz jetzt wollte, war, sich schriftlich zu binden, aber er gab Nesselrode die mündliche und nachdrückliche Zusicherung, er werde sich den Verbündeten anschließen, wenn sich Napoleon kein zufriedenstellendes Friedensabkommen abringen ließe.2 Unter diesen Umständen war der Waffenstillstand von Pläswitz, der am 4. Juni in Kraft trat, einen Tag, nachdem Franz und Metternich in Gitschin eingetroffen waren, ein Geschenk des Himmels. Metternich schrieb am 6. Juni an seine Frau, daß der erste große Schritt getan sei, womit er den Anschein erweckte, die Unterzeichnung des Waffenstillstands sei mehr oder weniger auf sein diplomatisches Geschick zurückzuführen. Zwei Tage später beklagte er sich in einem Brief an seine Tochter darüber, welche Mühen es ihm mache, in allem die bewegende Kraft zu sein, von der die Rettung der achtzig Millionen Einwohner des Kontinents abhinge. Erfüllt und beflügelt von seiner geschichtlichen Sendung, machte er sich nun daran, den Gang der Ereignisse zu manipulieren.3 Sein erster Schachzug war es, sich eine Bühne zu verschaffen, auf der er die Akteure nach Belieben dirigieren könnte. Er hatte Gitschin unter anderem darum gewählt, weil es in der Nähe von Ratiborschitz
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lag, das Wilhelmine von Biron gehörte, der Herzogin von Sagan. Sie war eine von drei Töchtern des ehemaligen Herzogs von Kurland. Er war ursprünglich Herzog des Herzogtums Kurland und Semgallen gewesen, das unter der Lehnshoheit Polens stand. Im Bewußtsein des bevorstehenden Untergangs dieses Königreichs, und damit auch seines eigenen Machtbereichs, hatte er als Zukunftssicherung umfangreichen Besitz erworben. Dazu gehörte auch das niederschlesische Titularfürstentum Sagan, das Wilhelmine bei seinem Tod im Jahr 1800 zufiel. Auch das Gut Ratiborschitz hatte er ihr vererbt, mit seinem kleinen aber luxuriösen Schloß auf dem Gelände einer alten Burg. Da es von Gitschin und dem Hauptquartier der Alliierten in Reichenbach (Dzierxoniów) bequem zu erreichen war, und deshalb bereits ihrer Mutter, der Herzogin von Kurland gefallen hatte, schlug Metternich ihr vor, ihren Wohnsitz dorthin zu verlegen. Sie konnte der Verlockung, in der Nähe des Epizentrums der Ereignisse zu sein, nicht widerstehen; und wie so viele Damen im damaligen Europa betete sie Alexander an. Also willigte sie ein. Dort gesellte sich Gentz zu ihr, den Metternich in Reichweite haben wollte, da er in Ratiborschitz einige Treffen arrangiert hatte, von denen nicht einmal Napoleons Spione Wind bekommen sollten. «Ich lebe hier wie im Himmel», schrieb Gentz an einen Freund. Er genoß die entspannte Atmosphäre, die in dem eleganten Anwesen herrschte, und begann bereits, der schönen Schloßherrin zu verfallen.4 Metternich hatte sie einige Jahre zuvor kennengelernt und 1810 sogar einen kleinen Flirt mit ihr begonnen, der aber durch das Auftauchen des schneidigen jungen Fürsten Alfred zu Windischgrätz unterbrochen worden war, eines Offi ziers in der österreichischen Armee, in den sie sich verliebte. Sie war es im Frühjahr 1813 noch immer, was sie aber nicht hinderte, auch mit Metternich auf vertrauterem Fuße zu stehen, als er sich politisch isoliert und unter Druck glaubte. Mit ihr diskutierte er seine Ideen und politischen Strategien wie mit einem Kollegen. Während er jetzt zu einem der großen Auftritte seiner Karriere ansetzte, sorgte sie dafür, daß dafür die Bühne bereitet war. Alexander war nicht in der Stimmung für theatralische Inszenierungen. Er hatte sich genötigt gesehen, Napoleons Angebot eines Waffenstillstands anzunehmen, aber der Sinn stand ihm immer noch nach Krieg. Bei Widrigkeiten zurückzuweichen, lag nicht in seiner Natur. Bei Baut-
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zen, wo er darauf bestand, vorübergehend das Kommando zu übernehmen, hatte er, als man ihn darüber informierte, daß seine Flanke zurückgeworfen war, erklärt: «Es werden im Krieg stets die Unnachgiebigen triumphieren.» Beinahe wäre er daraufhin abgeschnitten worden. «Mir fiel auf, daß die Vorstellung, den Krieg abzubrechen, ohne die großartigen Ergebnisse erzielt zu haben, von denen zu träumen er sich hinreißen ließ, quälend an ihm nagte», berichtete Gentz an Metternich nach einem Treffen mit dem Zaren.5 Die Alliierten hatten ihr Hauptquartier in der südlich von Breslau gelegenen kleinen Stadt Reichenbach eingerichtet; Alexander selbst hatte jedoch einige Kilometer entfernt ein baufälliges Landhaus in Peterswaldau bezogen. Dort umgab er sich nur mit Admiral Schischkow, seinem Polizeiminister Aleksandr Balaschow und einigen wenigen Adjutanten. Aber er beachtete sie oft gar nicht und ging stundenlang allein in den überwucherten Gartenanlagen und Obstgärten spazieren, wenn er nicht der nahegelegenen Kolonie Gnadenfrei der Herrnhuter Brüdergemeinde bei Oberpeilau einen Besuch abstattete, mit deren Mitgliedern er sich austauschte.6 Teils infolge eines wachsenden Widerwillens, die Kontrolle aus der Hand zu geben, teils im Gefühl, daß er als Werkzeug Gottes keine Ratschläge benötige, delegierte Alexander immer weniger. Sein Außenminister, Staatskanzler Rumjanzew, hatte einen leichten Schlaganfall erlitten und war nicht in der Lage, seine Dienstpflichten zu erfüllen; aber statt ihn zu ersetzen, beließ Alexander ihn auf seinem Posten in Sankt Petersburg und nahm die Außenpolitik persönlich in die Hand. Nesselrode war der naheliegende Nachfolger Rumjanzews und hätte eigentlich in den Ministerrang erhoben werden müssen, er wurde aber nur zu einer Art Sekretär des Zaren. Für diese Rolle eignete sich Nesselrode ideal. Geboren 1780 in Lissabon als Sohn eines bergischen Adligen in russischen Diensten, ging er 1796, als Sechzehnjähriger, nach Rußland, wo er eine Karriere in der Baltischen Flotte Rußlands begann. Er stieg auf zum Offi zier der Berittenen Garde, und nach einem Zwischenspiel als Adjutant und Kammerherr bei Zar Paul wechselte er in den diplomatischen Dienst. Als junger Diplomat in Paris vermittelte er die geheimen Kontakte zwischen Alexander und dem damaligen französischen Außenminister Talleyrand, deren Verbindungsmann er wurde. Da er klein und unscheinbar aussah,
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Rußlands amtierender Außenminister, Karl Graf von Nesselrode. «Man ruft mich, wenn man mich braucht», erläuterte er seine Rolle. «Ich bin vollkommen passiv.» Porträt von Thomas Lawrence.
wirkte er auf niemanden bedrohlich. Er war ein fähiger Bürokrat, loyal, fleißig und immer bereit, es seinen Vorgesetzten recht zu machen. Gentz, mit dem er ebenfalls in Kriegs- wie in Friedenszeiten korrespondierte, hielt ihn für einen «Mann von aufrechtem Charakter, sicherem Urteil, für die Arbeit und Handfestes geboren». Metternich sagte einmal: «Wäre er ein Fisch, würde er von der Strömung fortgerissen.» Gegen dieses Urteil hätte er wahrscheinlich nichts einzuwenden gehabt, denn er betrachtete sich vor allem als Werkzeug des Zaren. «Man ruft mich, wenn man mich braucht», erklärte er einmal seiner Frau. «Ich bin vollkommen passiv.»7 Angesichts von Ministern wie Nesselrode hatte Alexander keinen Widerspruch zu befürchten. Zu seiner Entourage gehörten auch Leute, die ihre eigenen Ziele verfolgten und ihn entschlossen unterstützten, wann immer er Zuspruch nötig hatte. Zu ihnen zählte auch Freiherr vom Stein, auf den man sich stets verlassen konnte, wenn es darum ging, allen Russen zu widersprechen, die sich für einen Rückzug aus den eroberten polnischen Gebieten einsetzten. Noch so einer war Carlo Andrea Pozzo di Borgo. Der gebürtige Korse war Altersgenosse und früher enger Freund Napoleons gewesen, mit dem er gemeinsam die Frühphase der Französi-
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schen Revolution durchlebt hatte. Nach und nach hatte er sich seinem berühmten Landsmann entfremdet und schließlich gegen ihn gewandt; inzwischen war er ein unerbittlicher Feind geworden, dessen Haß von brennender Eifersucht genährt wurde. Nachdem er sich einige Zeit in London und Wien aufgehalten hatte, war Pozzo in russische Dienste getreten, wo ihn Alexander mit dem Generalsrang und dem Grafentitel belohnt hatte. Er war eher gerissen als intelligent, und man konnte sich darauf verlassen, daß er Alexander in allem unterstützen werde, und sei es noch so riskant, was auf die Vernichtung Napoleons abzielte. In seiner festen Überzeugung, Gott habe ihn zum Retter Europas bestimmt, und befördert vom Zuspruch von Leuten wie Stein und Pozzo, würde sich Alexander kaum von seinem Ziel abbringen lassen – zumal jeden Tag Verstärkungen aus den Tiefen Rußlands im Lager eintrafen und neu aufgestellte preußische Regimenter sich einreihten. Ganz anders als in Alexanders Gefolge war die Lage auf preußischer Seite. Als die Nachricht vom Waffenstillstand das Hauptquartier der Verbündeten erreichte, «waren die preußischen Offiziere so empört, daß sie sich ihre Pelissen vom Leib rissen und auf ihnen herumtrampelten», wie Stewart berichtete. Ihre Verzweiflung wurde von Hardenberg geteilt, und ganz besonders von Humboldt.8 Wilhelm von Humboldt war ein glühender Patriot und glaubte, daß nur Preußen die deutschen Lande befreien könne. In literarischen Kreisen war er eine prominente Persönlichkeit und ein vertrauter Freund Schillers, hatte seine intellektuelle Karriere aber unterbrochen, um preußischer Minister und, 1810, preußischer Gesandter in Wien zu werden. Jetzt war er sechsundvierzig und stand etwas im Schatten seines jüngeren Bruders, des berühmten Naturforschers und Reisenden Alexander von Humboldt. Er war hochintelligent und engagiert, aber viele fanden es schwer, ihn zu mögen. Er war anderen gegenüber außerordentlich kritisch und mitunter affektiert, was ihn nicht hinderte, seinem erotischen Geschmack für junge – und vor allem üppige – Mädchen aus dem Volk zu frönen, während er gleichzeitig in kultivierten Tönen an seine Ehefrau Caroline schrieb, seine «teure Li». Am 13. Juni schrieb er ihr aus Reichenbach einen Brief, in dem er seinem Zorn über den Waffenstillstand freien Lauf ließ. Nicht nur fand er ihn gänzlich überflüssig, er schade der deutschen Sache auch psychologisch. Die erste Welle der Begeisterung, in der die Freiwilligen scharen-
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Der preußische Sprachforscher, Philosoph und Botschafter in Wien, Wilhelm von Humboldt, verfolgte einen Großteil der Geschehnisse mit intellektueller und moralischer Verachtung. Seine Vornehmheit widersprach jedoch nicht seiner Vorliebe für Mädchen der Unterschicht. Porträt von Thomas Lawrence.
weise zu den preußischen Fahnen geeilt waren, habe sich erschöpft und die Aktionen der Freischärler seien im Sande verlaufen; würden die Armeen der Verbündeten noch länger hinter der Elbe verharren, ließe sich der Bewegung für die Befreiung Deutschlands kein frisches Leben einhauchen. Die Art, wie die russischen Truppen die deutsche Bevölkerung behandelten, untergrabe die Allianz, während das russische Oberkommando zunehmend kriegsmüde werde. Humboldt beklagte einen Mangel an entschlossener Führung und fürchtete, daß unter diesen Umständen Metternich, dem er mißtraute und den er nicht mochte, einen «österreichischen Frieden» schließen könnte, bei dem Preußen leer ausgehen und jede Hoffnung auf ein von ausländischer Einflußnahme freies Deutschland entschwinden würde. «Die Zukunft scheint mir unglaublich dunkel und ungewiß», schrieb er ihr am 22. Juni.9 Auch König Friedrich Wilhelm sah die Zukunft schwarz, aber aus anderen Gründen. Er teilte nicht die Kriegsstimmung seiner Armee, und er war sich nicht sicher, was bedrohlicher für ihn war: die Fortsetzung des Krieges mit seinen Gefahren und unüberschaubaren Fol-
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gen, oder der Friedensschluß, der vermutlich auf Kosten Preußens gehen würde. Die zweite Lösung lag ihm näher. Er bemühte sich zwar, sich in eine kriegerische Stimmung zu versetzen, um Alexander zu unterstützen, aber sobald von Krieg die Rede war, überkamen ihn Visionen von Unruhen und einer möglichen Revolution. «Das Interesse Seiner Majestät kühlt merklich ab, und er verfällt wieder in die Rolle des liebenswürdigen Niemand, der er von jeher war», notierte George Jackson, Stewarts secrétaire d’ambassade.10 Stewart war einige Wochen zuvor auf einer umständlichen Route aus London angereist, die ihn zunächst per Schiff über die Ostsee nach Preußen und dann zum Hauptquartier der Alliierten in Reichenbach geführt hatte, wo er schließlich Friedrich Wilhelm seine Beglaubigungsschreiben überreichen konnte. Zu seiner großen Enttäuschung herrschte dort eine alles andere als kriegerische Stimmung. Zwar fanden täglich Paraden statt, wenn Alexander und Friedrich Wilhelm die neu eingetroffenen Verstärkungen musterten, aber es gab auch abendliche Bankette, mittägliche Tafelfreuden und Ausflüge zu den schönen Orten und Sehenswürdigkeiten der näheren Umgebung. Der kaiserliche und königliche Glanz lockte auch kleinere deutsche Fürsten herbei, die unbedingt jene hofieren wollten, in denen sie die neuen, künftig bestimmenden Mächte in Deutschland sahen, und er lockte Damen, die den ritterlichen Befreier in Augenschein nehmen wollten. «Weibliche Gesellschaft der trefflichsten Art war in unserer Reichweite; und ihre Verlockungen und Zerstreuungen lenkte die Gemüter der Soldaten und Politiker von ihren strengeren Aufgaben ab», berichtete Stewart. Jackson steuerte dem eine britische Note bei. «Wir haben unsere Freizeit mit einigen Ponyrennen belebt, die wunderbar ankamen», schrieb er nach Hause. Aber die britischen Diplomaten waren alles andere als glücklich.11 Alexander blieb zurückgezogen und in sich gekehrt. Zwischen Meditationen über die Lehren der Mährischen Brüder und über seine eigene göttliche Sendung schickte er zärtliche Botschaften an Fürstin Sinaida Wolkonskaja, die Frau eines seiner Adjutanten, mit der er in Kalisch angebandelt hatte und die nach Böhmen gereist war, um dort auf seine voraussichtliche Ankunft zu warten. Wenn er ihr sein Herz ausschüttete, betonte er stets die «Reinheit» seiner Gefühle und beteuerte, er empfinde keine Skrupel darüber, daß er ihren ahnungs-
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losen Gatten die Briefchen zwischen sich und ihr hin und hertragen ließ.12 Während Alexander glaubte, daß sich sein Volk durch das Leid, das es während der letzten zwölf Monate erdulden mußte, ein Recht auf besondere Rücksichtnahme verdient habe, hatte sich Großbritannien im Verlauf des letzten Jahrhunderts eine trotzige Selbstgerechtigkeit zugelegt, die sich leicht als arrogante Fixierung auf seine eigenen Bedürfnisse und sein gottgebenes Recht auf deren Erfüllung auslegen ließ. Dies führte zu einigen Ressentiments, und nicht nur bei den Russen. Jackson zufolge sah Hardenberg in Großbritannien offenbar eher «einen Dorn im Fleische und ein Hemmnis für die friedliche Einigung in den Angelegenheiten der drei Mächte als einen Bündnispartner, der unter größten Mühen und Opfern seinen Beitrag dazu leistet, daß in Europa wieder dauerhaft Ruhe einkehrt».13 In seinen Weisungen an Stadion vom 7. Mai, die darauf abzielten, sich die Russen möglichst gewogen zu halten, ohne Österreich bereits auf eine Allianz festzulegen, betonte Metternich, daß Großbritannien auf einige seiner Rechte zur See verzichten müsse, mit dem Zusatz, «die Dominanz Englands auf den Weltmeeren ist nicht weniger monströs als die Napoleons auf dem Kontinent».14 Lord Cathcart, der Alexander aus Sankt Petersburg gefolgt war, und der frisch eingetroffene Stewart, der auf sich selbst große Stücke hielt, hatten den Eindruck, daß ihnen im Hauptquartier der Allianz nicht genügend Respekt entgegengebracht wurde. Aber beide waren von vergleichsweise niederem Rang und von schlechter Reputation, und sie hatten es mit Ministern und Monarchen zu tun. Daß sie einander auf Anhieb unsympathisch waren, machte ihre Lage nicht besser und hatte häufig zur Folge, daß sie ihr Handeln nicht koordinierten. Weder Cathcart noch Stewart erhielten Informationen darüber, was vor sich ging, und mit wachsender Besorgnis beobachteten sie das Kommen und Gehen von Kurieren. Für sie war Österreich immer noch Verbündeter Frankreichs, und daher irritierte sie die Anwesenheit von Stadion und Lebzeltern im Hauptquartier der Alliierten. Sie wußten nicht, was Metternich im Schilde führte, und konnten nur das Schlimmste ahnen. «Ich fürchte politischen Verrat», schrieb ein aufgeregter Stewart am 6. Juni an Castlereagh. Sie waren verblüfft, als man ihnen schließlich mitteilte, daß ein Waffenstillstand mit Napoleon unterzeichnet worden war.15
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Womit Cathcart und Stewart jedoch aufwarten konnten, war Geld. Rußland und Preußen mußten dringend ihre Armeen bezahlen und verpflegen sowie die zum Kampf gegen Napoleon erforderlichen neuen Divisionen aufstellen. Am 14. Juni schloß Stewart einen Vertrag, in dem sich Preußen verpflichtete, gegen die sofort bar auszuzahlende Summe von 666 000 britischen Pfund ein weiteres Kontingent von 80 000 Mann ins Feld zu schicken. Preußen versprach außerdem, britische Ansprüche auf die Gebiete der Häuser Hannover und Braunschweig zu respektieren, während die Briten in einer Geheimklausel die feste Zusage machten, Preußens Recht zu unterstützen, zumindest das zurückzuerhalten, was es 1806 besessen hatte. Am folgenden Tag unterschrieb Cathcart einen gleichartigen Vertrag, demzufolge Rußland für die doppelte Summe eine Armee von 150 000 Soldaten bereitstellen sollte. Überdies erklärte sich Großbritannien bereit, etwa 500 000 Pfund für eine Instandsetzung der russischen Flotte auszugeben. Die beiden Verträge sahen vor, fünf Millionen britischer Pfund in Form von föderalem Papiergeld bereitzustellen, mit dem die Verbündeten ihre Ausgaben für den Krieg bezahlen sollten. Es wurde durch einen britischen Kredit abgesichert und sollte bei Ende des Krieges von allen drei Verbündeten gemeinsam eingelöst werden.16 In der vielleicht wichtigsten Klausel der Verträge verpflichteten die Unterzeichner sich bindend, mit niemandem in Verhandlungen gleich welcher Art einzutreten, ohne zuvor die anderen beiden Vertragspartner zu konsultieren. Die Einstellung der Kampfhandlungen hatte Mißtrauen unter den Alliierten ausgelöst, denn jeder von ihnen erwog nun die Möglichkeit, daß der andere eine separate Vereinbarung mit Napoleon treffen könnte. In Stewarts Worten: «Es wurde immer noch heftig spekuliert, und das auf breiter Front.»17 Das größte Mißtrauen richtete sich gegen Österreich, und speziell gegen Metternich. Am 10. Juni wurde Hardenberg nach Gitschin entsandt, um festere österreichische Zusicherungen einzuholen. Unter anderem wollte er sicherstellen, daß die Angebote, die Napoleon in den Verhandlungen angeboten werden sollten, für diesen nicht allzu akzeptabel wären. Schlüge Metternich ihm Bedingungen vor, mit denen er leben könnte, würde Napoleon vielleicht die Gelegenheit ergreifen, um einen Frieden zu schließen, der weder Rußland noch Preußen und erst recht nicht ihren britischen Verbündeten gefiele.
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Die Ausgangsbedingungen, die Hardenberg für die Verhandlungen mit Napoleon vorschlug, waren: 1. die Auflösung des Großherzogtums Warschau und seine Aufteilung unter den drei Nachbarmächten; 2. die Überlassung Danzigs und anderer Gebiete in Norddeutschland an Preußen; 3. die Rückgabe Illyriens an Österreich; 4. die erneute Autonomie von Hafenstädten der Hanse wie Hamburg und Lübeck; 5. die Auflösung des Rheinbunds und 6. die Wiederherstellung Preußens in seinem Bestand vor 1806. Als Hardenberg ihm diese Bedingungen vorlegte, sperrte sich Metternich gegen die Einbeziehung der letzten beiden Punkte. Er wußte, daß sie für Napoleon nicht annehmbar waren und er sich weigern würde, wenn man sie ihm vorlegte, überhaupt zu verhandeln. Dies würde zur Wiederaufnahme der Feindseligkeiten führen, zu einem Zeitpunkt, an dem Österreich noch nicht darauf vorbereitet war – was wiederum bedeutete, daß es keine andere Wahl hätte, als Bündnispartner Napoleons zu bleiben. Er war außerdem zu dem Schluß gekommen, daß es ratsam wäre, den Rheinbund am Leben zu erhalten, da dies etwaige Pläne Alexanders und Steins für eine Neuordnung Deutschlands, aber auch irgendwelche Begehrlichkeiten Preußens in bezug auf deutsche Gebiete von Anfang an vereiteln würde. Nach zwei Tagen oftmals hitziger Debatten konnte sich Metternich mit dem Argument durchsetzen, daß es das wichtigste sei, Napoleon dazu zu bringen, Verhandlungen zuzustimmen. Dies böte den doppelten Vorteil, daß Österreich damit Zeit gewänne, die es zur Mobilisierung seiner Armee benötigte, während Napoleon als Aggressor dastünde, wenn die Verhandlungen schließlich scheiterten. Daß sie scheitern würden, daran bestand für ihn kein Zweifel, denn die Verbündeten, so argumentierte er, würden bei Beginn der Verhandlungen die beiden anderen Bedingungen einbringen und dann zusätzlich britische Forderungen bezüglich Spaniens und der Niederlande aufgreifen. Aber obwohl er darauf bestand, daß man Napoleon in Verhandlungen locken müsse, verpflichtete er sich, daß Österreich in den Krieg eintreten würde, falls diese fehlschlugen; eine formelle Abmachung hierzu sollte vorbereitet werden. All das genügte kaum, um das Mißtrauen gegenüber Metternich im Hauptquartier der Verbündeten zu zerstreuen, und es hielt sich der Verdacht, daß er eine Falle stellte – alle drei Mächte wußten, daß sie jeder-
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zeit hinter dem Rücken der anderen eine Vereinbarung mit Napoleon aushandeln konnten, was sie für die Möglichkeit hochgradig sensibilisierte, daß auch die anderen dies tun könnten. Es erklärt auch das hohe Maß an Mißtrauen, das in den Memoranden und Briefen der Beteiligten an diesen heiklen und geheimen Gesprächen immer wieder deutlich wird. Alexander beschloß, persönlich mit Metternich zu reden, und es wurde ein Treffen für den 17. Juni in Opotschno anberaumt. Die beiden hatten sich zuletzt 1805 gesehen und in einem herzlichen Verhältnis zueinander gestanden; inzwischen war aber vieles vorgefallen, was den Zaren gegenüber dem österreichischen Außenminister mißtrauisch gemacht hatte. In einer langen Unterredung gelang es Metternich, dieses Mißtrauen abzuschwächen, indem er seinen Aktionsplan erläuterte. Er versicherte Alexander, daß Verhandlungen mit Napoleon, falls er sich denn überhaupt auf sie einließe, «ohne jeden Zweifel zeigen werden, daß er nicht die geringste Absicht hat, klug oder gerecht zu handeln» und daß ein Krieg dann unausweichlich sei. Alexander leuchtete dieser Plan ein, und er verließ das Treffen in besserer Stimmung. Das aber weckte den Argwohn der Preußen um so mehr.18 In der diskreten Atmosphäre des Hauses von Wilhelmine von Sagan in Ratiborschitz traf sich Metternich zwei Tage später zu einer geheimen Unterredung mit Hardenberg und Humboldt als Repräsentanten Preußens und mit Nesselrode als Vertreter Rußlands, der später über das Gespräch sagte: «Diese Konferenz war eine der stürmischsten, an denen ich je teilnahm.» Zu guter Letzt konnte Metternich alle beruhigen, indem er ihnen erklärte, daß Österreich zwar nur dann einer Allianz mit Rußland und Preußen zu einem Krieg gegen Napoleon beiträte, wenn Napoleon nicht bereit wäre, die ersten vier Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen zu akzeptieren, daß es sich aber doch der Meinung anschloß, daß ein dauerhafter Frieden nicht erreicht werden könne, ohne Frankreich und den französischen Einfluß aus Italien, Deutschland, Spanien und den Niederlanden vollkommen zu verbannen. Das Ergebnis dieser Treffen war die Reichenbacher Konvention, die einige Tage später, am 27. Juni, unterzeichnet wurde. In ihr wurden die Bedingungen festgelegt, zu denen man Napoleon zu Verhandlungen einladen würde; ferner wurde vereinbart, daß im Falle, wenn er diesen Bedingungen nicht zustimmte oder wenn Ver-
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handlungen keinen Frieden brächten, Österreich automatisch Bündnispartner Rußlands und Preußens werden und Frankreich den Krieg erklären würde.19 Dennoch lag weiterhin ein giftiger Schleier des Mißtrauens über allem – mit einiger Berechtigung, denn die Verbündeten hatten sich mit Metternichs Zusicherung zufriedengegeben, die Friedensvorschläge seien nur eine Falle, um Napoleon ins Unrecht zu setzen, obwohl er, Metternich, selbst immer noch für einen Friedensschluß war, solange er zu vernünftigen Bedingungen zustande käme. Dies schien unendlich vorteilhafter zu sein, als in einen neuen Krieg als Partner einer Koalition hineinzugeraten, die, wie Gentz schrieb, «more solito, ein schwaches, morsches, schlecht zusammen gefügtes Gebäude [war], an welchem kaum zwei Stücke gehörig in einander passen». Aber ein zufriedenstellender Friede konnte nur mit der Beteiligung Großbritanniens zustande kommen, und Metternich tat sein möglichstes, um über Wessenberg und verschiedene britische Agenten mit dem britischen Kabinett Kontakt aufzunehmen.20 Die britischen Diplomaten waren in die Geheimgespräche zwischen ihren Verbündeten und Metternich nicht einbezogen worden und schienen nichts von ihnen zu wissen. Aber Castlereagh war besorgt. Am 13. Juni schrieb er an Cathcart und instruierte ihn, an Metternich persönlich zu schreiben und ihn zu drängen, sich bezüglich der österreichischen Absichten klar zu äußern. Castlereagh fügte einen Brief an den österreichischen Außenminister bei, in dem er verlangte, «unverzüglich und aufs authentischste und vertraulichste über die Ansichten und Intentionen des österreichischen Kabinetts informiert zu werden».21 Stewart, der sich zuallererst als Soldat sah und danach dürstete, sich gegen den Feind ins Getümmel zu stürzen, war nach Preußen abgereist, um die Truppen zu inspizieren, die in Vorbereitung der nächsten Phase des Feldzugs in Norddeutschland zusammengezogen wurden. Erst nach seiner Rückkehr einige Wochen später erfuhr er rein zufällig, daß Rußland und Preußen ein Abkommen mit Österreich unterschrieben hatten, ohne ihre britischen Verbündeten zu konsultieren, was in einem krassen und beleidigenden Widerspruch zu den Verpflichtungen stand, die sie erst vor zehn Tagen in den Unterstützungsverträgen mit Großbritannien eingegangen waren.
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Den britischen Premierminister Lord Liverpool und seinen Außenminister Lord Castlereagh hatte schon die Nachricht erschüttert, daß ihre russischen und preußischen Bündnispartner am 4. Juni den Waffenstillstand von Pläswitz unterzeichnet hatten, ohne sich mit ihnen abzustimmen. Als sie jetzt über diesen zweiten Vertrauensbruch informiert wurden, brach in London leichte Panik aus. Man mußte die durchaus reale Möglichkeit in Betracht ziehen, daß Österreich die Verbündeten erfolgreich unterwandern und einen Frieden zwischen ihnen und Napoleon vermitteln könnte, durch den Großbritannien wieder einmal ausgeschlossen würde. Angesichts dieser trüben Aussichten korrigierte Castlereagh seine Strategie. «Sie müssen einem kontinentalen Frieden, der uns nicht einbezieht, vorbeugen», warnte er Cathcart am 6. Juli und betonte zugleich die Schwäche der britischen Position. Die Aussicht, an einer von Metternich ausgehandelten Vereinbarung beteiligt zu sein, war ihm zuwider, aber offenbar gab es dazu keine Alternative. Er entschloß sich, einen Gesandten an den österreichischen Hof zu schicken. «Das Risiko eines Friedensvertrags mit Frankreich ist groß, aber das Risiko, unsere kontinentalen Verbündeten und das Vertrauen unserer eigenen Nation zu verlieren, ist größer», schärfte er Cathcart ein und wies ihn an, den Alliierten mitzuteilen, daß Großbritannien an sämtlichen Verhandlungen, die sie mit Napoleon aufnehmen würden, teilnehme. Er benannte die «Punkte, von denen Seine Königliche Hoheit unter keinen Umständen abweichen» könne, und diese waren: Spanien, Portugal und Neapel sollten ihren rechtmäßigen Herrschern zurückerstattet, Hannover zurückgegeben, ein territorial vergrößertes Holland wiederhergestellt und Preußen und Österreich gestärkt werden. Ein weiterer Punkt betraf Großbritanniens Rechte zur See, die nicht verhandelbar seien. Zu Castlereaghs heftiger Verärgerung hatte Rußland vor kurzem sein Angebot erneuert, im Konflikt zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten zu vermitteln, was er als Versuch sah, diese Rechte international zur Debatte zu stellen.22 Nach seinen so entscheidenden Unterredungen mit Alexander und den Ministern der Alliierten hatte Metternich bei seiner Rückkehr nach Gitschin einen Brief des französischen Außenministers Maret vorgefunden, in dem dieser anfragte, ob Österreich sich weiterhin an den
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Bündnisvertrag mit Frankreich von 1812 gebunden fühle, und falls dem so sei, ob es einen Gesandten mit der Vollmacht bestimmen werde, das Bündnis neu zu verhandeln, um Österreichs neuer Vermittlerrolle Rechnung zu tragen. Metternich antwortete mit einem Schreiben, das einige fadenscheinige Erläuterungen zum Verhalten Österreichs gegenüber Frankreich enthielt; dann brach er selbst nach Dresden auf.23 Am 25. Juni traf er in der sächsischen Hauptstadt ein und wurde am folgenden Tag im Palais Marcolini vorstellig. Bei seiner Ankunft fiel ihm in den Vorzimmern des Kaisers die Müdigkeit und Mutlosigkeit in den Gesichtern der hohen Offiziere auf. Napoleon stand in der Mitte einer langen Galerie, mit seinem Schwert an der Seite und seinem Hut unter dem Arm. Der Kaiser eröffnete die Unterhaltung, indem er sich herzlich nach der Gesundheit von Franz I. erkundigte, aber seine Miene verdüsterte sich bald. Von den österreichischen Ausflüchten irritiert und im Gefühl, hintergangen zu werden, reagierte Napoleon in seiner typischen Schroffheit. «Sie wollen also den Krieg, gut, Sie sollen ihn haben», provozierte er Metternich. «Ich habe zu Lützen die preußische Armee vernichtet; ich habe die Russen bei Bautzen geschlagen; auch Sie wollen an die Reihe kommen; es sei, in Wien geben wir uns ein Rendezvous. Die Menschen sind unverbesserlich, die Erfahrung ist für sie verloren.» Als Metternich ihn drängte, Frieden zu schließen, und betonte, es sei seine letzte Chance, dies zu günstigen Bedingungen zu tun, ließ Napoleon seiner Verärgerung freien Lauf. «Ich werde sogar Rußland einen Teil des Großherzogtums Warschau geben», tobte er, «und Ihnen nichts, denn Sie haben mich nicht geschlagen; auch Preußen gebe ich nichts, denn es hat mich verraten.» Er verkündete, er könne keine Handbreit Boden abtreten, ohne seine Ehre zu verlieren. «Eure Herrscher, geboren auf dem Throne, können sich zwanzigmal schlagen lassen, und doch immer wieder in ihre Residenzen zurückkehren; das kann ich nicht, ich, der Sohn des Glückes», sagte er. «Meine Herrschaft überdauert den Tag nicht, an dem ich aufgehört habe, stark und folglich gefürchtet zu sein.» Er hatte den Verdacht, daß die vier Bedingungen für Verhandlungen, die ihm Metternich unterbreitete, eine Finte seien, die für sich noch keinen Frieden zustande bringen würde (und sei es nur, weil noch britische Forderungen hinzukämen), weshalb Napoleon, sollte er ihnen zustimmen, sich auf ergebnisoffene Verhandlungen einließe. Und in
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Metternich sah er den Hauptintriganten und nicht den ehrlichen Makler, für den dieser sich selber hielt. Da ihm klar wurde, daß er Österreich nicht zwingen konnte, an der Seite Frankreichs zu kämpfen, versuchte Napoleon sich dessen Neutralität zu erkaufen, indem er die Rückgabe der Illyrischen Provinzen anbot. Aber Metternich beharrte darauf, daß die einzige Rolle, die Österreich zu spielen bereit war, die des unabhängigen Vermittlers sei. Wenn Napoleon dies nicht akzeptiere, würde sich Kaiser Franz jeder Verpflichtung enthoben fühlen, seinem Bündnispartner beizustehen, und nicht zögern, nach eigenem Ermessen zu handeln. Nun versuchte Napoleon Metternich einzuschüchtern; er warf ihm Verrat vor, und daß er sich von den Briten bezahlen ließe; er machte sich über die militärische Stärke Österreichs lustig und drohte, es zu zermalmen. Mehrmals verlor er die Beherrschung und feuerte wutentbrannt seinen Hut in eine Ecke, um das Gespräch dann wieder in höflicher, sogar freundlicher Form fortzusetzen. Das Treffen dauerte über neun Stunden, und als der erschöpfte Metternich den Raum wieder verließ, war es draußen bereits dunkel geworden.24 Am selben Abend kehrte Metternich auf Einladung Napoleons in den Palais Marcolini zurück, um einer Theateraufführung von Schauspielern der Comédie Française beizuwohnen, die man aus Paris hergebracht hatte. Zu seinem Erstaunen sah er die berühmte Schauspielerin Mademoiselle Georges in der Hauptrolle von Racines Phèdre. Bevor er zu Bett ging, schrieb er seiner Frau, er habe sich in Saint-Cloud gewähnt und überall die gleichen Gesichter, den gleichen Hof, die gleichen Leute gesehen.25 Während der nächsten Tage hatte er einige Treffen mit Maret und ein weiteres ergebnisloses mit Napoleon, der immer wieder Österreichs Verpflichtungen entsprechend dem Vertrag von 1812 anmahnte. Metternich bemühte sich nach Kräften, Napoleon davon zu überzeugen, daß er ihm zu einem zufriedenstellenden Frieden verhelfen wolle, während Napoleon Metternich mal beschimpfte und bedrohte, mal ihn davon zu überzeugen versuchte, daß Österreich Frankreich mehr brauche als Frankreich Österreich. Metternich verbrachte seine Freizeit durchaus vergnüglich. Das Wetter war mild geworden und es herrschte eine Feststimmung in der schönen Barockstadt, die, nach Napoleons Sekretär Baron Fain, «zu-
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gleich die sonderbare Verschmelzung einer Hauptstadt und eines Lagers» darbot. Der Waffenstillstand hatte alle beflügelt, die sich nach Frieden sehnten, und man veranstaltete Bälle und Feste für die französischen Offi ziere und die Mitglieder von Napoleons Hof.26 Metternich war ausgesprochen zufrieden mit sich. Er begann jetzt ein wenig an seinen Stern zu glauben, so, wie Napoleon an den seinen glaube, wenn er sähe, wie er ganz Europa dazu bringe, sich um einen Punkt zu drehen, den er und er allein vor einigen Monaten bestimmt habe, schrieb er seiner Frau nach seinem zweiten Treffen mit Napoleon. Unter seinem Fenster stehe immer eine Menschenmenge, die herauszufinden hoffe, was er denke, notierte er befriedigt und fügte hinzu, er werde regelmäßig auf der Straße angehalten und gefragt, ob es Frieden oder Krieg geben werde. Auch nutzte er die Gelegenheit, für seine Frau und seine Tochter Geschenke zu kaufen, die sich rührend bei ihm bedankten. Aber seine Gedanken, wenn sie nicht gerade um Staatsangelegenheiten kreisten, waren anderswo. Metternich hatte sich verliebt.27 Das Objekt seiner Zuneigung war Wilhelmine, Herzogin von Sagan. Sie besaß, laut Gräfin Rosalia Rzewuska, die sie gut kannte, «edle und regelmäßige Züge, eine herrliche Figur, und die Haltung einer Göttin»; aber wenn sie ein Göttin war, dann eine gefallene. «Sie sündigt siebenmal am Tag und liebt so oft, wie andere dinieren», sollte Metternich später mit einiger Berechtigung behaupten. Aber daran war nicht nur sie schuld. «Die Folgen einer nachlässigen Erziehung und die erschreckende Sittenlosigkeit ihres väterlichen Elternhauses übten einen höchst unglücklichen Einfluß auf das Schicksal der jungen und charmanten Wilhelmine aus», heißt es bei Rzewuska weiter. «Der Lebhaftigkeit ihrer Sinne überlassen, bar jeder religiösen Grundsätze, ihre Fantasie von verderblichem Beispiel gebrandmarkt, sah sich Wilhelmine den großen Gefahren, denen ihre Schönheit sie aussetzte, wehrlos ausgeliefert.» Als junges Mädchen ließ sie sich von dem Liebhaber ihrer Mutter, dem abenteuerlichen schwedischen General Gustaf Mauritz Armfelt, verführen und wurde schwanger. Eilig arrangierte Armfelt ihre Ehe mit dem Prinzen Louis von Rohan-Guéméné, der ihre fortgesetzten Ausschweifungen tolerierte, so wie sie die seinen. Aber ihre «entente immorale» war von kurzer Dauer. Sie ließen sich 1805 scheiden, und Wilhelmine heiratete den russischen Fürsten Wassilij Trubetzkoi, der in sie vernarrt war und dem sie den Laufpaß gab, «sobald sie vom Altar traten».
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Wilhelmine, Herzogin von Sagan, deren stürmische Affäre mit Metternich diesen vom Kongreßgeschehen ablenkte. Ihre weiteren Liebesbeziehungen unterhielten ganz Wien. «Sie sündigt siebenmal am Tag und liebt so oft, wie andere dinieren», sollte Metternich später mit viel Bitterkeit und nur wenig Übertreibung schreiben. Porträt von Gérard, 1800.
Ihren dritten Gemahl, Graf Karl Rudolf von der Schulenburg, fertigte sie ähnlich brüsk ab. Sie war enorm reich und freigiebig, und glich durch Charme und Mutterwitz aus, was ihr an guter Erziehung und Bildung fehlte.28 Metternich hatte in ihr ursprünglich eine Freundin und Vertraute gesehen und war jäh von der Leidenschaft, die sie in ihm entfachte, ergriffen worden. In weitschweifigen und etwas jünglingshaften Liebesbriefen gab er seinem Erstaunen darüber Ausdruck, wie ihn seine Gefühle überwältigt hatten. Er schwelgte im Freudentaumel des Frischverliebten und mischte seine leidenschaftlichen Ergüsse mit zunehmend exaltierten Einschätzungen der politischen Lage. «Ich komme dorthin als wahrer Mann Gottes, der das Schicksal der Welt auf seinen Schultern trägt», verkündete er in einer hastig hingeworfenen Botschaft, als er nach Dresden abreiste.29
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Sie erwiderte seine Liebe, aber sie glaubte nicht an Ausschließlichkeit und erhielt weiterhin Besuche von Windischgrätz, wann immer er Urlaub von seiner Einheit erhielt. Nun, da auf ihrem Landsitz die Fäden der europäischen Politik zusammenliefen, genoß sie das Leben. «Seitdem der Kaiser (zu Anfang Juny) nach Gitschin ging, etablirte ich mich hier und verlebte hier die interessantesten, lebendigsten, merkwürdigsten Wochen meines Lebens», schrieb Gentz aus Ratiborschitz am 5. Juli an Wessenberg. «Sie wissen wohl schon, mein theuerster Freund, daß in diesem sonderbaren Zeitpunkte, wo die vier ersten Souverains des Continents mit ihren Cabineten, Ministern, auswärtigen Gesandtschaften etc. etc. und 600 000 Mann unter den Waffen, in dem engen Landstrich zwischen Dresden und Reichenbach concentrirt sind, der Glanz der Residenzen und Hauptstädte von Europa – wenigstens das Interesse derselben – durch drey oder vier Böhmische Schlösser überstrahlt wird, und daß ein Mann von der Welt heute nicht mehr von Paris, Wien, Petersburg u. s. w., sondern von Gitschin, Opotschna und Ratiboržiz spricht. An diesem letzteren Orte – noch obendrein einem kleinen Paradiese, welches die Herzogin von Sagan zum Himmel macht – sah man seit drey Wochen nichts mehr als regierende Häupter, Premier-Ministers, diplomatische Conferenzen, Couriers, u. s. f.»30 Da Metternich in Dresden nichts erreichte, beschloß er, am 30. Juni abzureisen. Er trug bereits seine Reisegarderobe, und seine Kutsche wartete unten vor dem Haus, als er eine Nachricht erhielt, die ihn zu einer Unterredung mit Napoleon rief. Er gab Order, abzuspannen, und begab sich so, wie er angezogen war, zum Palais Marcolini. Er fand Napoleon in derselben Stimmung vor wie zuvor und machte sich darauf gefaßt, den üblichen Schwall von Ereiferungen und Beschwerden über sich ergehen zu lassen, als der Kaiser ihn plötzlich in sein Arbeitszimmer führte und an einem Tisch Platz nehmen ließ, an dem Maret bereit saß, um Protokoll zu führen. Dann bat er ihn, Österreichs Vermittlungsvorschläge darzulegen. Metternich gehorchte, und zu seiner Überraschung stimmte Napoleon zu. Eine Note des Inhalts wurde aufgesetzt, daß die kriegführenden Parteien ihre Generalbevollmächtigten zu einem Kongreß entsenden würden, der unter österreichischer Vermittlung in Wien oder Prag stattfinden sollte, und zwar ab den ersten Tagen des Monats Juli.
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Napoleon schlug vor, auch Bevollmächtigte aus Großbritannien, den Vereinigten Staaten von Amerika und Spanien einzubeziehen, aber Metternich sträubte sich. Er hielt es für so unwahrscheinlich, daß die Briten ihrer eigenen Teilnahme zustimmen würden, daß er sich weigerte, sie einzuladen, denn deren vermutlich ausbleibende Antwort könnte Napoleon einen Grund geben, den Kongreß für hinfällig zu erklären. Daher einigte man sich, daß nur Spanien und die Vereinigten Staaten gebeten werden sollten, ihre Vertreter zu schicken. «Auf einem kürzeren Wege ist wohl ein großes Geschäft niemals abgetan worden», notierte Metternich zufrieden. Eine Stunde später fuhr seine Kutsche aus Dresden hinaus, und am 1. Juli war er wieder bei Franz in Gitschin. Am 4. Juli besprach er sich in Ratiborschitz mit Hardenberg, Humboldt, Nesselrode und Stadion, wie die Verhandlungen in jenem Kongreß zu führen seien, der in wenigen Tagen in Prag abgehalten werden sollte.31
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Wenige Tage nach Metternichs Abreise aus Dresden erreichten Napoleon unerfreuliche Nachrichten aus Spanien. Wellington war Ende Mai in die Offensive gegangen und hatte die Franzosen zurückgedrängt. Angesichts der Gefahr, abgeschnitten zu werden, war Napoleons Bruder Joseph gezwungen, Madrid aufzugeben. Die Briten holten ihn und die zurückweichende französische Armee ein und schlugen sie am 21. Juni bei Vitoria. Es war eine vernichtende Niederlage, die durch den Verlust des gesamten Gepäcks, auch dem des Königs, besonders schmachvoll wurde. Berthier und andere Marschälle rieten Napoleon, alle Garnisonen zu räumen, seine Truppen aus Deutschland abzuziehen und eine starke Armee am Rhein zu konzentrieren. So vorzugehen wäre vernünftig gewesen. Aber durch einen solchen Rückzug hätte er auch seine deutschen Verbündeten im Stich gelassen, und mit einem derartigen Eingeständnis von Schwäche seinen Feinden Auftrieb gegeben; ohnehin war für ihn der Gedanke an ein Zurückweichen schwer erträglich. Darüber hinaus war er besessen von der Vorstellung, daß sein Volk einen Frieden nur als Ergebnis eines Sieges akzeptieren würde, und könnte er nicht einmal den Anschein eines Sieges vorweisen, würde sich auflösen, was er als seine «Magie» bezeichnete. Deswegen blieb er standhaft und demonstrierte seine Entschlossenheit, seinen Verbündeten beizustehen, indem er am 10. Juli einen neuen Bündnisvertrag mit Dänemark unterschrieb.1 Napoleon hoffte immer noch, sich irgendwie mit Alexander einigen zu können. «Rußland hat einen Anspruch auf einen glücklichen Frieden», sagte er zu seinem Geheimsekretär Fain. «Es hat ihn durch die Verheerung seiner Provinzen, durch den Untergang seiner Hauptstadt, und durch zweijährigen Krieg erkauft. Oesterreich hingegen hat nichts verdient. Bei der gegenwärtigen Lage der Angelegenheiten bin ich sehr geneigt zu einem für Rußland ruhmvollen Frieden; aber ich würde mit
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dem höchsten Widerwillen sehen, daß Oesterreich, zur Belohnung für das Verbrechen des Bruchs unserer Allianz, die Frucht und die Ehre der Herbeiführung des Friedens in Europa erndten sollte.»2 Aber Alexander war mittlerweile vermutlich derjenige Monarch, der am wenigsten zu einem Friedensschluß mit Napoleon neigte – gleich zu welchen Bedingungen. Wenn auch seine Soldaten kriegsmüde waren, konnte er sich der Unterstützung durch die preußischen Generäle sicher sein, deren Zuversicht so groß war, daß sie Mitte Juli bei einem Gespräch über die militärische Lage im schlesischen Trachenberg (Z˙ migród) zu dem Schluß kamen, Napoleon auch ohne die Hilfe Österreichs schlagen zu können.3 Nur auf Metternich, der aus rein pragmatischen Gründen nach wie vor eine friedliche Lösung bevorzugte, richtete Napoleon noch einige Hoffnung. Nachdem Metternich 1809 die Lenkung eines so gut wie bankrotten Staats übernommen hatte, war er redlich bemüht gewesen, dessen Finanzen wieder in Ordnung zu bringen, und es widerstrebte ihm, diese jetzt wieder durch einen Krieg zu verschleudern; Kriege waren es schließlich, die einen Staat am sichersten in den Ruin trieben. Kriege waren notorisch unberechenbar, und selbst wenn sie siegreich endeten, konnten sie unerwartete politische Erschütterungen auslösen. Und schließlich bedeutete ein Kriegsausbruch, daß Diplomaten wie er ins zweite Glied zurücktreten mußten, was für ihn inakzeptabel war. Als er in Prag in dem geräumigen Palais Quartier bezog, in dem am 10. Juli auch der Kongreß beginnen sollte, sah er mit Freude «unserer großen, ja immensen Aufgabe» entgegen und versicherte Wilhelmine, er werde «alles tun, um diese Welt zu retten».4 Er war in der Tat gut plaziert, um die Ereignisse steuern zu können, und daß er Prag als Standort für den Kongreß gewählt hatte, war keiner Laune entsprungen. Die alte böhmische Stadt lag im Habsburger Hoheitsgebiet und war daher fest in das ausgedehnte Netz des österreichischen Informationswesens eingebunden. Metternichs Staatskanzlei führte nicht nur die Regierungsgeschäfte des Kaiserreichs, sie hatte auch die Kontrolle über eine Reihe zusätzlicher Einrichtungen wie die Post, die Archive und so weiter. Sie betrieb ein Büro, in dem geheime Korrespondenz verschlüsselt und entschlüsselt wurde, und eine Übersetzungsabteilung, da die Amtssprache in Ungarn das Lateinische war, dessen man sich im Verkehr mit dem Vatikan und anderen Staatsge-
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schäften bediente; die meisten deutschen Gebiete der Monarchie wurden auf Deutsch verwaltet, die meisten italienischen auf Italienisch, während die Sprache der Diplomatie und des Hofes nach wie vor das Französische war. In den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts regte die schiere Informationsfülle, die dieser riesige Apparat zu bearbeiten hatte, zu größerer Wachsamkeit an. Mit dem Ausbruch der Französischen Revolution und der Furcht vor einer um sich greifenden Destabilisierung durch jakobinische Umtriebe verschob sich der Schwerpunkt der Tätigkeit auf Überwachung. Franz und Metternich verband eine geradezu obsessive Angst vor Verschwörungen und Revolutionen, und beide hielten viel davon, gut informiert zu sein. Metternich beschäftigte Hunderte von Spionen und Legionen von Experten, die versiegelte Briefe öffnen, abschreiben und so behende wieder versiegeln konnten, daß kein Mißtrauen aufkam – die Briefe mochten aus einem Postsack entwendet sein, während die Pferde gewechselt wurden, oder sie verschwanden einfach für ein paar Minuten von einem Schreibtisch in einem Privathaus. Andere Experten konnten dann die kopierten Briefe übersetzen und gegebenenfalls entschlüsseln. Der Chef der Geheimen Ziffernkanzlei rühmte sich einmal, 85 ausländische Geheimschriften geknackt zu haben, darunter auch eine, die im russischen diplomatischen Dienst verwendet wurde und für die er vier Jahre gebraucht habe. Metternich konnte seine Überwachung sogar noch weiter ausdehnen: Indem er schnellere Kommunikationswege und niedrigere Gebühren anbot, gelang es ihm, verschiedene internationale Poststrecken über österreichisches Gebiet umzuleiten, wo sich vielversprechende Sendungen durchsuchen ließen.5 Nichts war für die Aufmerksamkeit von Metternichs Spionen zu unbedeutend oder gar zu bedeutend. Die Archive der österreichischen Haus-, Hof- und Staatskanzlei sind bis zum heutigen Tag mit den Abschriften abgefangener Briefe gefüllt, manche von ihnen völlig banal, andere von offensichtlichem diplomatischen oder politischen Interesse, manche zwischen Menschen ohne irgendeine politische oder gesellschaftliche Bedeutung, andere mit gerade einer solchen. Dabei wurde nicht nur der dienstliche und private Briefwechsel aller ausländischen Diplomaten und Staatsmänner von und nach Wien gelesen und ausgewertet; selbst intimste Mitteilungen zwischen den Mitgliedern des Kai-
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serhauses, darunter jene, die Kaiser Franz höchstpersönlich verschickte und erhielt, wurden abgefangen und kopiert.6 Letzten Endes entpuppte sich der Kongreß von Prag als kaum mehr als eine Farce. Wenn Napoleon Caulaincourt und Narbonne zu seinen Bevollmächtigten ernannte, beides Unterhändler von höchstem Rang, dann zeigte er damit, daß seine Absichten ernst waren. Narbonne, der als erster in Prag eintraf, war überrascht, daß Friedrich Wilhelm nicht Hardenberg, sondern Humboldt geschickt hatte, einen Mann von unbestrittenen Fähigkeiten, aber mittelmäßigem diplomatischem Ansehen, noch dazu erklärter Befürworter eines Krieges. Regelrecht schockiert war er, als er erfuhr, daß Alexander statt Nesselrode Johann Protasius von Anstett als Bevollmächtigten entsandt hatte, einen Mann ohne Erfahrung und mit einem unerbittlichen Ruf; was die Sache nicht besser machte, war, daß er aus dem Elsaß stammte und daher theoretisch französischer Vaterlandsverräter war. All das demonstrierte erstaunlich deutlich eine Mißachtung Napoleons und des Kongresses, und Narbonne ließ Metternich wissen, er könne sich mit ihnen nicht zu Verhandlungen zusammensetzen, solange Caulaincourt nicht mit Anweisungen von Napoleon eingetroffen sei. Als Napoleon erfuhr, wer die alliierten Unterhändler waren, hielt er Caulaincourt zurück, und als er ihn schließlich doch entsandte, stattete er ihn nicht mit den erforderlichen Beglaubigungsschreiben aus. Das verhieß für einen Erfolg des Kongresses nichts Gutes. Der Waffenstillstand war bis zum 10. August verlängert worden, und wenn es dann bis Mitternacht nicht zu neuen Vereinbarungen gekommen sei, würden die Feindseligkeiten wieder aufgenommen werden, und zwar mit Österreich im Lager der Verbündeten. Dieser Termin, die Qualität der alliierten Unterhändler und Napoleons Nachlässigkeit lassen zweifeln, ob irgend jemand den Kongreß wirklich ernstnahm. «Im Grunde wollte niemand den Frieden wirklich», würde Nesselrode später zugeben, mit dem Nachsatz, daß der Kongreß «lächerlich» gewesen sei und Alexander und Friedrich Wilhelm ihn von Beginn an abgelehnt hätten. Auch Hardenberg war skeptisch, während Humboldt in seinen Briefen aus Prag seiner Frau wiederholt versicherte, daß niemand, am wenigsten er selbst, daran interessiert sei, zu diesem Zeitpunkt Frieden zu schließen.
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Metternich bevorzugte wahrscheinlich eine friedliche Lösung, obwohl er deren Chancen mit jedem Tag, der verging, skeptischer sah. Und während er einem besorgten Humboldt versicherte, daß es am 11. August unter allen Umständen zum Krieg kommen werde, war er doch entschlossen, es so aussehen zu lassen, als habe er keine andere Wahl gehabt.7 Paradoxerweise war die einzige Person, die sich wirklich etwas von dem Kongreß erhoffte, Napoleon, wenn auch seine Motive fragwürdig waren. Caulaincourt und Narbonne bemühten sich redlich, obwohl letzterer einen Frieden für aussichtslos hielt, und sie traten auf, wie es sich für eine Delegation bei echten Friedensverhandlungen geziemte, sehr zu Hardenbergs Erheiterung. Sie waren angewiesen worden, die Verhandlungen über das Ende des Waffenstillstands hinaus fortzusetzen. «Nach dem 10. August wendet sich der Waffenstillstand gegen uns», erläuterte Napoleon. Er glaubte, daß die Russen und die Preußen dann willens wären, in den Krieg zu ziehen, während Österreich darauf noch unvorbereitet sein würde. Dann könnte er Russen und Preußen schlagen, und gleichzeitig weiter mit Österreich verhandeln. «Das ist unser Wunsch, aber wir müssen täuschen und sie glauben machen, daß wir den Waffenstillstand auf unbestimmte Dauer verlängern wollen», schrieb er. Offenbar glaubte Napoleon noch immer, er könne Zwietracht zwischen den Verbündeten säen, sie irgendwann spalten und dann einen Separatfrieden mit Rußland schließen.8 Seine Berechnungen beruhten auf zwei falschen Prämissen. Die erste war, daß die Österreicher am 10. August noch nicht kampfbereit wären, die zweite, daß sich ein entscheidender Sieg über die Russen und Preußen zu seinen Gunsten auswirken würde. Beim Diner am 3. August erklärte Metternich Caulaincourt, in dem er einen Seelenverwandten erkannte, daß sich die Zeiten in dieser Hinsicht geändert hätten. Verlören die Verbündeten jetzt eine Schlacht, würde sich bei ihnen nichts Wesentliches ändern, denn ihre Erbitterung gegen Napoleon beruhte auf der Überzeugung, daß es unmöglich sei, mit ihm zu einem dauerhaften Frieden zu kommen. Hingegen würde eine Schlacht, die Napoleon verlor, ihn grundsätzlich schwächen, da sie sein militärisches Ansehen verminderte.9 Der Kongreß kam nie ordnungsgemäß zustande. Metternich hatte vorgeschlagen, daß die Unterhändler der drei Mächte sich nicht zusam-
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mensetzen und mündliche Verhandlungen führen, sondern ihm als Vermittler ihre Position in Form von Verbalnoten übermitteln sollten. Humboldt und Anstett stimmten dem Verfahren zu, Narbonne und Caulaincourt bestanden darauf, daß zumindest einige mündliche Verhandlungen stattfinden müßten. Die unterschiedlichen Standpunkte schlugen rasch in müßige Streitereien um, bei denen beide Seiten verschiedene Kongresse des 18. Jahrhunderts als Präzedenzfälle heranzogen. Wie Gentz am 30. Juli an einen Freund schrieb, könne nichts amüsanter sein als die Geschichte dieses «angeblichen» Kongresses, der bereits drei Wochen andauere, ohne daß man sich in einer einzigen Formfrage geeinigt hätte, und von dem er glaubte, daß er sich aufgelöst haben würde, bevor er eröffnet wurde.10 Gentz vergnügte sich durchaus. Er hatte wenig zu tun, da es weder Konferenzen zu protokollieren noch Memoranden zu entwerfen gab. Das Wetter war schön, und er verbrachte die langen Sommerabende und milden Nächte in der Gesellschaft von Humboldt und Metternich, mit denen er durch die schöne Stadt spazierte und über alles mögliche sprach – von der Liebe bis zur Philosophie. Metternich war weniger glücklich. Wilhelmine hatte versprochen, nach Prag zu kommen, um ihre Gemeinsamkeit fortzusetzen, aber er wartete und wartete und schrieb ihr einen Brief voller Verzweiflung und Eifersucht nach dem anderen. Er habe «seine joie de vivre verloren», beklagte er sich bei Humboldt. Humboldt hingegen, dessen Meinung über Metternich sich allmählich änderte und der seiner Frau versicherte, jener sei intelligent und «nie unvernünftig», befand sich in gehobener Stimmung. Er war komfortabel in einem fürstlichen Palais untergebracht, wo er in seinen freien Stunden den Agamemnon von Aischylos übersetzte. Sein Vorgesetzter Hardenberg war seit kurzem durch die Affäre mit einer Frau anderweitig beschäftigt, von der Humboldt offensichtlich nichts hielt, und diese offensichtliche «Verderbtheit» bekräftigte ihn in seinen Hoffnungen, dessen Stelle vielleicht selber übernehmen zu können.11 Als der Stichtag des 10. August näher rückte, unternahm Caulaincourt einen letzten Versuch, mit Metternich zu Verhandlungen zu kommen. Wie er ihm darlegte, beruhe Napoleons Mißtrauen ihm gegenüber weitgehend darauf, daß die bisher vorgebrachten vier Vorbedingungen für Verhandlungen nicht glaubhaft seien und Anlaß zu Vermutungen darüber gäben, welche weiteren sich dahinter noch verbergen könnten. Würde Metter-
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nich sämtliche Forderungen von Anfang an benennen, wüßte Napoleon, was auf ihn zukomme, und könne entsprechend reagieren. Am 5. August, nur fünf Tage vor Ablauf des Waffenstillstands, wies Napoleon Caulaincourt in einer Note an, von Metternich herauszubekommen, zu welchem Preis er von den Verbündeten wieder zur französischen Allianz zurückwechseln würde. Metternichs Antwort war in einer vom 8. August datierten Note enthalten, in der er dieselben vier Vorbedingungen nochmals bestätigte, mit dem einzigen Unterschied, daß er die Forderung, Illyrien an Österreich zurückzugeben, fallenließ und nun von Napoleon verlangte, daß er statt den Rheinbund aufzulösen, aufhören sollte, diesen zu dominieren und zu instrumentalisieren. Darüber hinaus sollte ein allgemeiner Friedensschluß von einer Schutzgarantie für die schwächeren Mächte ergänzt werden, die von allen Beteiligten durchzusetzen war. Wenn es nach ihm ginge, meinte Caulaincourt dazu, würde er akzeptieren, aber er bezweifelte, daß auch Napoleon dies tun würde.12 Metternich schrieb am 10. August an seine Frau, der große Augenblick sei endlich gekommen. An diesem Abend hatten sich Humboldt, Anstett und alle Kriegsbefürworter in Metternichs Palais versammelt. Ungeduldig schaute man immer wieder auf die Taschenuhren, und als in der schlafenden Stadt die Mitternachtsglocken läuteten, verkündete Metternich, der Waffenstillstand sei beendet und Österreich jetzt ein Mitglied der Allianz. Er befahl, ein Leuchtfeuer anzuzünden, von dem aus eine Feuerkette die Nachricht bis zur schlesischen Grenze und weiter ins Hauptquartier der Verbündeten in Reichenbach trug. Am Morgen setzten sich russische und preußische Truppen in Bewegung, um sich vor Prag mit der österreichischen Armee zu vereinen. «Alles ist entschieden, liebe Li», schrieb ein erfreuter Humboldt an seine Frau.13 Metternich hingegen hatte in seinem Brief an seine Frau klargestellt, daß zwar die offi ziellen Verhandlungen ergebnislos beendet worden seien, aber immer noch sechs Tage inoffizieller Verhandlungen blieben, und er fragte sich, ob sie wohl zu etwas führen würden. Obgleich er ihr mitteilte, daß er sein Feldgepäck vorbereiten ließ, scheint er ein Verhandlungsergebnis in letzter Minute nicht ausgeschlossen zu haben.14 Just als Caulaincourt und Narbonne am 12. August aufbrechen wollten, traf ein Kurier aus Dresden mit der Instruktion Napoleons ein, um je-
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den Preis Frieden zu schließen. Caulaincourt suchte unverzüglich Metternich auf, erfuhr aber, daß es zu spät war. Am selben Tag gab Österreich seine Kriegserklärung heraus, in der in wehklagendem Ton aufgezählt wurde, welches Unrecht Frankreich ihm zugefügt hatte.15 «Ich bin das unglücklichste Wesen auf Erden», jammerte Metternich in einem Brief an Wilhelmine, die ihn im Stich gelassen hatte, indem sie nicht nach Prag gekommen war. Der wahrscheinliche Grund – daß Alfred zu Windischgrätz wieder in Ratiborschitz aufgetaucht war – verstärkte seine Verzweiflung noch. «Adieu! Es kann für mich auf dieser Welt kein Glück mehr geben – möge alles, was davon noch auf der Welt bleibt, Ihnen gehören!», fuhr er in seinem nicht enden wollenden Brief fort.16 Nicht nur Wilhelmines wegen war Metternich enttäuscht. Es war ihm nicht gelungen, einen Frieden zu vermitteln, und das wäre nicht nur die beste Lösung für Österreich gewesen, es hätte ihm auch die Schlüsselstellung verschafft, die er anstrebte. Alles hing nun von den Wechselfällen des Krieges ab. Nachdem er sich nach Kräften bemüht hatte, diesen abzuwenden, und er das Mißtrauen und die Beleidigungen nicht nur seitens der Verbündeten, sondern auch seitens der Kriegspartei in Österreich auf sich gezogen hatte, mußte er nun den Krieg begeistert vorantreiben, um seine Glaubwürdigkeit wiederzuerlangen. Napoleon hatte nicht aufgegeben. Er wies Caulaincourt an, seine Abreise aus Prag zu verzögern, denn er hoffte, daß dieser bei Alexander, der einige Tage später in der Stadt eintreffen sollte, eine Audienz erhalten würde. Am 18. August, als die Armeen bereits im Feld standen, schrieb Maret an Metternich und hielt ihm vor, man könne unmöglich erwarten, einen Friedenskongreß innerhalb nur eines Monats durchzuführen, und führte dazu Beispiele aus der Geschichte an; dann schlug er vor, einen neuen Kongreß in irgendeiner neutralen Stadt zusammenzurufen, an dem alle europäischen Mächte, die großen wie die kleinen, teilnähmen. Aber Metternich verwarf diesen Vorschlag. Die sechs Tage seien verstrichen, schrieb er seiner Frau am 16. August; am nächsten Morgen würden die Feindseligkeiten beginnen. Und Napoleons Hoffnung, daß eine Unterredung zwischen Caulaincourt und Alexander etwas erreichen könnte, war höchst unrealistisch. In seinem Eifer, den Krieg fortzusetzen, vereitelte der Zar eigenmächtig die einzige echte Chance auf einen Frieden.17
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Cathcart hatte von Castlereagh dahingehende Anweisungen erhalten, daß Großbritannien unmittelbar nach Caulaincourts Eintreffen in Prag bereit sei, in Verhandlungen mit Frankreich einzutreten. Er zeigte sie Alexander, der entschied, daß man sie Metternich vorenthalten solle. Er hatte in seiner Entschlossenheit, den Krieg gegen Napoleon weiterzuführen, nie geschwankt, und wie Nesselrode in einem Brief vom 9. August an den russischen Botschafter in London erklärte, hatte er dem Verhandlungswunsch von Kaiser Franz nur nachgegeben, weil er überzeugt war, daß ohnehin nichts dabei herauskommen würde. Nachdem er zugesehen hatte, wie Österreich sich langsam zu der Einsicht durchrang, daß mit Verhandlungen nichts zu gewinnen wäre, würde er bestimmt nicht das britische Angebot, in die Verhandlungen einzutreten, herausrücken. Das würde nur «die festen Beschlüsse, die das österreichische Kabinett verabschiedet hatte», schwächen und Napoleon ermutigen, die Verhandlungen ernster zu nehmen.18 Hätte Napoleon gewußt, daß Großbritannien eine Teilnahme anbot, wäre er wahrscheinlich zu großen Zugeständnissen bereit gewesen. Großbritannien war sein Hauptfeind. Um es an den Verhandlungstisch zu locken, hatte er Rußland überfallen. Er hatte die Teilnahme Großbritanniens am Prager Kongreß gewünscht und gehofft, daß es einen Unterhändler schicken würde. Die Möglichkeit eines allgemeinen Friedens unter Beteiligung Großbritanniens – der nicht nur eine enorme wirtschaftliche Entlastung, sondern auch die Rückgabe der meisten französischen Kolonien beinhaltet hätte – wäre irgendwie als Sieg darstellbar gewesen, und Napoleon hätte behaupten können, er schließe einen ehrenhaften Frieden.19 Der einzige Sieg, auf den Napoleon jetzt noch setzen konnte, lag auf dem Schlachtfeld, und er würde schwer zu erringen sein. Eine gewaltige Koalition stand gegen ihn, als da waren: die alliierte Hauptarmee unter Schwarzenberg, mit 120 000 Österreichern, 70 000 Russen unter Barclay de Tolly und 60 000 Preußen unter General Kleist – insgesamt also 250 000 Mann. Etwas weiter entfernt befanden sich Blüchers schlesisches Heer, 40 000 Russen unter Langeron, 18 000 unter Osten-Sacken und 38 000 Preußen unter Yorck. Im Norden kommandierte Bernadotte eine Armee von 150 000 Schweden, Russen und Preußen, womit die Gesamtstärke der Alliierten auf weit mehr als eine halbe Million Mann
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kam. Die Kampfmoral wurde besonders bei den deutschen Kontingenten durch das Gefühl verstärkt, daß nun die Stunde der Befreiung geschlagen habe. Diese Stimmung wurde durch eine poetische und propagandistische Flutwelle verstärkt. Aber auch praktische Initiativen entstanden in ganz Deutschland, etwa der erfolgreiche Aufruf zur Kriegsfinanzierung durch Spenden, bei denen Gold und Schmuck gegen einen eisernen Ring mit der Aufschrift «Gold gab ich für Eisen» getauscht werden sollte. Mobilisierend wirkten auch die nun entstehenden patriotischen Frauenvereine. Am 19. August zog Schwarzenbergs vereinte Armee vor Alexander, Franz und Friedrich Wilhelm zur Parade auf. Den neugebildeten Einheiten wurden Standarten übergeben, «und die drei verbündeten Herrscher nagelten ihre jeweiligen Hoheitssymbole gemeinsam auf die Stange, als Zeichen ihrer Allianz und ihrer engen Verbundenheit», berichtete Jackson. In den Worten seines Vorgesetzten Stewart war es «ein ungemein berauschender Augenblick». Am nächsten Tag rückte die Armee ins Feld.20 Napoleon hatte sich bereits in Marsch gesetzt. «Ich habe eine Armee, die mindestens so gut ist wie jede andere, und mehr als 400 000 Mann», prahlte er vor einem seiner Beamten. «Das wird genügen, um meine Angelegenheiten im Norden wieder ins Lot zu bringen.» Aber im weiteren Verlauf des Gesprächs beklagte er seinen Mangel an Kavalleristen und an Soldaten, vor allem erfahrenen. Tatsächlich waren seine Truppen denen der Verbündeten weit unterlegen. Seine Festungen in Danzig, Stettin, Thorn, Küstrin, Glogau, Modlin und Zamotd machten ein Viertel seines Heeres von nominell 400 000 Mann aus und kamen so gut wie nie zum Einsatz. In ihnen dienten eine große Zahl von kampferprobten Soldaten und einige erfahrene Generäle, während die Mehrzahl der etwa 300 000 Soldaten, die ihm unmittelbar zur Verfügung standen, Rekruten waren, die nur eine Grundausbildung durchlaufen hatten. Kaum anders sah es in der italienischen Armee aus, die Fürst Eugène de Beauharnais seit einiger Zeit aufbaute, um die Österreicher von Süden aus zu bedrohen. Mitte Juli verfügte sie auf dem Papier über 50 000 Mann, aber unter Waffen standen weitaus weniger, zudem ließen ihre Qualität und ihre Ausbildung viel zu wünschen übrig.21 Die Moral der Truppen unter Napoleons unmittelbarem Befehl war bemerkenswert gut, als sie am 16. August aus Dresden abrückten, und
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die Ankunft des Königs von Neapel, Joachim Murat, der das Kommando über die Kavallerie übernehmen sollte, versetzte sie in Hochstimmung. Napoleons Plan sah vor, Blücher zurückzudrängen und zu seiner weiteren Absicherung Marschall Macdonald zurückzulassen; dann wollte er nach Süden schwenken, wo er die auf Dresden vorrückende Hauptarmee der Verbündeten unter Schwarzenberg umgehen und von hinten angreifen wollte. Der erste Teil der Operation verlief nach Plan, aber als Napoleon am 23. August bei Löwenberg (Lwówek Rlbski) ein eiliges Mittagsmahl im Stehen einnahm, traf ein Kurier mit einer Nachricht von Marschall Gouvion Saint-Cyr aus Dresden ein: die Hauptarmee der Verbündeten bedrohe schon die Stadt, die sich nicht mehr lange würde halten lassen. Als Napoleon die Depesche las, zerschmetterte er das Glas Rotwein in seiner Hand auf dem Tisch. Er zögerte. Ein entscheidender Sieg lag möglicherweise zum Greifen nahe. Aber der Verlust Dresdens könnte bei der in Deutschland vorherrschenden Stimmung schwerwiegende politische Auswirkungen haben. Er änderte seinen Plan und befahl General Vandamme, mit einem Korps von nicht viel mehr als 10 000 Mann wie ursprünglich geplant weiterzumarschieren und den Feind im Rücken anzugreifen; er selbst eilte mit seiner Hauptmacht nach Dresden zurück. Am 26. August traf Napoleon vor der Stadt ein. Im Verlauf der nächsten beiden Tage vereitelte er alle Versuche der Gegner, durchzubrechen, und am dritten Tag schlug er sie in die Flucht. Im Augenblick seines Triumphs erkrankte er schwer; er litt heftige Brechanfälle und mußte nach Dresden zurückkehren. Am 30. August ging es ihm deutlich besser, aber an diesem Tag erhielt er drei schreckliche Nachrichten: im Norden war Marschall Oudinot von den Preußen bei Großbeeren geschlagen worden; in Schlesien hatte Blücher Macdonald an der Katzbach schwere Verluste zugefügt und ihn zurückgedrängt; und Vandamme, der wie befohlen der alliierten Armee den Rückweg abgeschnitten hatte, war selber umzingelt worden und hatte sich mit seiner ganzen Streitmacht bei Kulm ergeben müssen. Obwohl er in Dresden gesiegt hatte, konnte Napoleon für die fünf Tage andauernden Kämpfe nicht mehr verbuchen als den Verlust von 100 000 Soldaten und einer beträchtlichen Menge an Kavallerie. Wäre er bei seiner ursprünglichen Strategie geblieben, hätte er, nach Meinung Nesselrodes, die alliierte Armee vernichtet und alle drei Herrscher mitsamt ihren Ministern ge-
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fangengenommen. «So ist der Krieg», sagte Napoleon in dieser Nacht zu Maret. «Am Morgen ist man obenauf, am Abend ganz unten.»22 Er ließ sich durch diesen Rückschlag nicht entmutigen. Zwei Tage später rückte er aus, um Blücher ein weiteres Mal zurückzudrängen, und stieß dann nach Böhmen vor, wo er der Hauptarmee der Allianz zusetzte. Aber am 6. September wurde Ney, den er losgeschickt hatte, um Oudinot zu verstärken, bei Dennewitz von den Preußen und Schweden unter Bernadotte geschlagen. Napoleon zeigte sich über die nächsten Wochen ungeheuer energisch – abwechselnd übernahm er den Befehl über das eine oder andere seiner Korps, um die anrückenden Verbündeten zurückzudrängen. Was sie rettete, war eine Taktik, die sie auf der Konferenz in Trachenberg im Juli vereinbart hatten; sie sah vor, immer dann einer Schlacht auszuweichen und zurückzugehen, wo Napoleon die ihnen jeweils gegenüberstehenden Truppen persönlich befehligte, und dann zum Angriff überzugehen, sobald er seine Truppen einem seiner Marschälle übergeben hatte und wieder fort war. In vergleichbaren Situationen hatte Napoleon sonst stets alle seine verbliebenen Truppen zurückgezogen, um dann mit geballter Kraft an einem Punkt zuzuschlagen. Wich er aber jetzt zurück, ließe er seine deutschen Verbündeten im Stich, die dann in eine Allianz mit seinen Feinden hineingezwungen würden. Daher blieb er bei seiner Taktik des Vorstoßens und Parierens, und hielt so eine weit überlegene alliierte Übermacht in Schach. Kurz nachdem die Feindseligkeiten begonnen hatten, schlug das Wetter um; es wurde naß und kalt. Die Straßen wurden morastig; so verlangsamten sie seinen eigentlich hochgradig beweglichen Feldzug noch weiter und verringerten die Effektivstärke jeder seiner Einheiten mit jedem Marsch. Er konnte seine exponierte Stellung bei Dresden nicht mehr halten, und nachdem er sie am 15. Oktober geräumt hatte, zog er sich auf die zweite Stadt in Sachsen zurück, nach Leipzig. Wenn die Lage von Napoleons Hauptquartier aus düster wirkte, so erschien sie auf der anderen Seite der Front nicht rosiger. Die drei Monarchen, ihre Minister, ihre Militärstäbe und die an ihren Höfen akkreditierten Diplomaten hockten zusammengedrängt in dem kleinen böhmischen Kurbad Teplitz (Teplice). Dieses zu normalen Zeiten reizende Städtchen war nun zum Bersten mit Menschen gefüllt, die man massen-
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haft in Herbergen zusammengepfercht hatte, die für weniger beengte Verhältnisse gedacht waren. Die Verwundeten aus Dresden und Kulm zwängte man, wo immer etwas Platz zu sein schien, dazwischen. Unter ihnen befand sich auch Stewart, der, obwohl er doch Gesandter war, dem Lockruf des Schlachtfelds nicht hatte widerstehen können und bei Kulm verwundet worden war. Knietief stand der Schlamm in den Straßen und wurde ständig von den Hufen der Kurierpferde und den Stiefeln der marschierenden Einheiten umgewühlt. Metternich schrieb an seine Tochter Marie, was für ein trauriger Ort Teplitz jetzt sei, daß man überall Verwundete sehe und im Ballsaal Arme und Beine amputiert wurden. Dies erweckte in ihr ein so heftiges Mitleid, daß sie wie andere patriotische Damen Streifen aus alten Laken riß, die sie der Armee als Verbandsmaterial schickte.23 Es herrschte kein Kampfgeist bei den Verbündeten. Die Schlachten bei Dresden, bei Kulm, an der Katzbach und bei Dennewitz waren verlustreich gewesen. Neue Truppen auszuheben erwies sich als schwierig, und das Desertieren war selbst unter Offi zieren weitverbreitet. Anders als erwartet war es nicht zu einem Andrang von Freiwilligen gekommen, die Deutschland vom französischen Joch befreien wollten. Hardenberg bemerkte dazu, «die Leute murrten eher, als daß sie handelten». Und die Bewegung verlor allmählich ihre Gloriole – hemmungslos vergewaltigten und plünderten General von Wallmodens Freiwillige jene, die sie eigentlich befreien sollten. Der Krieg war noch einen Schritt tiefer in die Barbarei geglitten, und einige unter den russischen Kommandeuren massakrierten regelmäßig französische Gefangene.24 An die Stelle von «Harmonie, Vertrauen und wechselseitigem Einverständnis», von denen Cathcart aus Trachenberg berichtet hatte, wo sich die Befehlshaber der verschiedenen Armeen auf einen gemeinsamen Aktionsplan und gegenseitige Unterstützung geeinigt hatten, waren Mißtrauen, Neid und Schuldzuweisungen getreten. Der Kampf darum, wer in der Armee das Sagen hatte, war schon im Gange.25 Alexander hatte den Oberbefehl über die Armee der Verbündeten beansprucht. Er hatte General Moreau, den Sieger von Hohenlinden, der wegen seiner unterstellten Beteiligung an einem royalistischen Putsch gegen Napoleon seit 1804 im amerikanischen Exil gewesen war, eingeladen, nach Europa zurückzukehren und in seinen Stab einzutreten. Er nahm an, daß er seinen Traum, erfolgreicher Feldherr zu werden, ver-
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wirklichen könne, wenn ihm Moreau und der abtrünnige Schweizer General Jomini als Berater zur Seite stünden. Die anderen Bündnispartner lehnten dies kategorisch ab, und nach erbitterten Diskussionen, in denen Metternich sogar drohte, Österreich aus der Allianz zu lösen, gab Alexander nach, und die Armee wurde Schwarzenberg unterstellt. Dieser befand sich somit, worauf Stewart hinwies, in der für einen Feldherrn beispiellosen Situation, daß «zwei Kaiser und ein König nicht nur die ablaufenden Ereignisse, sondern auch längst festgelegte Vorgehensweisen überwachten und kontrollierten». Beim Kampf um Dresden bereits war Alexander über das Schlachtfeld geritten und hatte einzelnen Einheiten Befehle erteilt, ohne sich um deren Kommandeure oder die generelle Strategie zu scheren. Zusätzlich wurde jedes abgestimmte gemeinsame Vorgehen durch die ausgeprägte gegenseitige Feindseligkeit und Eifersucht unter den alliierten Kommandeuren gestört. Es handelte sich bei ihnen meistens um mittelmäßige Generäle, während ihre Truppen, die überwiegend aus Rekruten bestanden, von den nationalen und regionalen Vorurteilen und Abneigungen ihrer jeweiligen Herkunft beherrscht waren. Auch die Koalition selbst stand unter ständiger Spannung und Unruhe. «Was immer man auch behaupten mag, der allgemeine Wunsch richtet sich auf Frieden», notierte Jackson, und fügte hinzu, Hardenbergs Stimmung steige und falle «wie das Wetterglas bei Luftdruckveränderungen». Stewart verdächtigte die Österreicher, einen Separatfrieden schließen zu wollen, während Metternich äußerte, er müsse «die Verbündeten nicht weniger wachsam im Auge behalten als den Feind». Zuweilen schien es, als sei das einzige, was sie zusammenhielt, die französische Sprache, in der sie miteinander kommunizierten.26 Trotz allem blieb Metternich optimistisch. «Alles geht gut, besser als erhofft», schrieb er an Wilhelmine. «Alles ist schön, perfekt, und Gott scheint seine Seite natürlich unter seinen Schutz zu stellen.» Auch wenn er dem Allmächtigen eine gewisse Mitwirkung zugestand, versäumte er nicht den Hinweis, daß es in Wirklichkeit sein Werk war. Sein Optimismus rührte vielleicht daher, daß Wilhelmine seine Liebe jetzt leidenschaftlich erwiderte. «Mon amie, Sie haben mir gegeben, was Sie geben konnten, glückstrunken wurde ich durch sie, ich liebe Sie, ich liebe Sie hundertmal mehr als mein eigenes Leben – jetzt und in Zukunft lebe ich nur noch für Sie!», schrieb er einige Tage später aus
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Teplitz. Und wenige Tage darauf gestand er, daß es ihm schwerfalle, zwischen ihr und dem anderen großen Gegenstand seines Denkens zu unterscheiden. «Mon amie und Europa, Europa und mon amie!»27 Aber wenn er nicht gerade an sie schrieb, arbeitete er daran, die Koalition zu festigen, und am 9. September hatten seine Bemühungen Erfolg: In Teplitz wurden neue Verträge zwischen Österreich, Rußland und Preußen unterzeichnet. Diese verpflichteten die drei Mächte dazu, den Krieg solange gemeinsam fortzuführen, bis ein dauerhafter Frieden auf der Grundlage eines «gerechten Gleichgewichts» erzielt worden sei. Das Wichtigste stand im Artikel XI, der die Vertragspartner zu einer festen Koalition zusammenband.28 Die Verschwommenheit, mit der die Verträge alle anderen Angelegenheiten, vor allem die Territorialfragen, behandelten, war beabsichtigt. Noch in Prag hatte Metternich darüber nachgedacht, wie sich der Umfang des Krieges begrenzen lasse und wie Grundregeln einer künftigen Friedensordnung niederzulegen seien. Er plädierte für «die Beseitigung des Begriffs der Eroberungen aus den Zwecken der Allianz durch die Zurückführung Frankreichs, Österreichs und Preußens in das Ausmaß ihrer früheren Territorialmacht» und unterschied in diesem Zusammenhang zwischen «conqueˆtes consommées», womit er Gebiete meinte, die aufgrund von Verträgen abgetreten worden waren, und «via facti Inkorporationen von Territorien ohne formelle Verzichtleistung ihrer früheren Besitzer zugunsten des Eroberers». Gebiete, die der letzteren Kategorie entsprachen und zu denen er Hannover, die Festlandgebiete des Königs von Sardinien, die Besitztümer des Hauses von Oranien und so weiter zählte, sollten ihren rechtmäßigen Eigentümern ohne Diskussion zurückerstattet werden. Als Beispiel für die «conquêtes consommées» führte er die Gebiete an, deren Abtretung Napoleon vom Papst im Vertrag von Tolentino 1797 erzwungen hatte; sie sollten «als durch die alliierten Mächte von der Herrschaft Frankreichs wieder befreite Länder, als ein der künftigen Verfügung dieser Mächte vorzubehaltendes Gemeingut zu betrachten sein». Das Schicksal aller anderen befreiten Gebiete würde auf einem späteren Kongreß, nach dem Friedensschluß, entschieden werden.29 Metternich wollte jetzt noch nicht das Problem ansprechen, wie mit diesem «Gemeingut» umzugehen sei. Die einzigen bisher «befreiten» Gebiete waren die des Großherzogtums Warschau, von denen einige zu
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Österreich und Preußen gehört hatten, bevor Napoleon dorthin vorgedrungen war. Die drei Mächte gingen selbstverständlich davon aus, daß sie ihren jeweiligen angemessenen und gerechten Anteil nach internen Verhandlungen untereinander zurückbekämen – oder «à l’amiable», um die Wendung aus der Konvention von Reichenbach aufzugreifen. Eine formelle Regelung gab es allerdings nicht. Das ganze Gebiet war russisch besetzt, und Metternich zweifelte nicht, daß Alexander hier eigene Pläne verfolgte, die weder die Preußens noch die Österreichs mitbedachten. Die Saat der Zwietracht begann langsam zu keimen, aber Metternich beabsichtigte nicht, den Zaren deshalb herauszufordern. Erstens besaß Alexander bereits, was er haben wollte, während dasjenige «Gemeingut», das an Österreich und Preußen fallen sollte, noch nicht erworben war, wodurch sich der Zar gegenüber den beiden anderen in einer überlegenen Position befand. Zweitens beunruhigten Metternich, so bedrohlich ihm auch erschien, daß der größte Teil Polens schon russisch besetzt war, Alexanders mögliche Wünsche in bezug auf Deutschland viel mehr. Metternich und Kaiser Franz waren gegen eine Wiederherstellung des Heiligen Römischen Reiches in welcher Form auch immer. Aber ihnen mißbehagte auch die Vorstellung einer preußischen Hegemonie über die deutschen Länder, ebenso wie die von Stein ausgeheckten Pläne eines vereinten deutschen Staates. Alexander bekundete ein besorgniserregendes Interesse an deutschen Angelegenheiten und hatte offenbar vor, in ihnen eine dominierende Rolle zu übernehmen. Weder ermunterte er Stein, noch hielt er ihn zurück, sondern ließ sich nicht in die Karten blicken, da er zu recht spürte, wie seine Position mit jedem Tag erstarkte. Noch immer stand alles auf dem Spiel, und die Einsätze waren hoch.30
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Ein Geringerer hätte sich vielleicht vom Zaren einschüchtern lassen, aber Metternichs Eitelkeit schloß jeden Zweifel aus, daß er Alexander dazu bringen könne, sich seinem Willen zu fügen; und auch er war schließlich zu der Überzeugung gelangt, daß er die «Dekrete des Himmels» erfülle – das wenigstens schrieb er seiner Tochter Marie. Zudem hatte er gerade einen wertvollen Verbündeten gewonnen, den neuen britischen Gesandten am österreichischen Hof, der am 2. September in Teplitz eingetroffen war.1 Zunehmend verstärkte sich Castlereaghs Besorgtheit darüber, daß die Bündnisverträge der Alliierten so vage abgefaßt waren, und daß sie wichtige Fragen aussparten, wie die Zukunft der Niederlande und die der Iberischen Halbinsel, deren Lösung Großbritannien als entscheidende Vorbedingung für einen dauerhaften Frieden ansah. Obgleich er nach wie vor Rußland für seinen wichtigsten Partner innerhalb der Allianz und für einen natürlichen Verbündeten Großbritanniens hielt, und obwohl er sein Mißtrauen gegenüber Metternich nicht ablegen konnte, war es ihm jetzt bewußt geworden, daß sein Land wieder direkte Kontakte mit Wien aufnehmen müsse. Genau das hatte Metternich die ganze Zeit angestrebt und dafür alles Erdenkliche getan. Zugleich hatte er befürchtet, daß das britische Kabinett jemanden von der Art schicken könnte, die Gentz als «StockEngländer» bezeichnete, also jemanden, der sich nicht auskannte und nichts begreifen werde. Castlereaghs Gesandter war kein Stock-Engländer, aber besonders qualifi ziert war er auch nicht.2 George Hamilton Gordon, Earl von Aberdeen, war erst 28 Jahre alt und verfügte über keinerlei diplomatische Erfahrung. Das Französische, in dem alle internationalen Geschäfte abgewickelt wurden, beherrschte er nur schlecht. Auch war er nicht der geborene Unterhändler. Er war
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Der 28 Jahre alte George Gordon, Earl of Aberdeen, Castlereaghs Gesandter am österreichischen Hof, war ebenfalls diplomatischer Neuling. Er verabscheute das hektische politische Geschehen, an dem er teilnehmen mußte, aber er erkannte rasch, daß das britische Kabinett mit den Realitäten auf dem Kontinent nicht vertraut war. Porträt von Thomas Lawrence.
Altphilologe, dessen Kavalierstour ihn zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach Griechenland und Kleinasien geführt hatte. Damals war er von Byron zu Unrecht als Komplize Lord Elgins verleumdet worden. Elgin, damals britischer Botschafter in Konstantinopel, hatte 1806 wertvolle Skulpturen vom Parthenon in Athen entfernt und nach London gebracht. Aberdeens Rolle in dieser Angelegenheit hatte lediglich in der Empfehlung bestanden, die «Elgin Marbles» für die Nation zu erwerben und ins British Museum zu bringen. Er war ein bodenständiger und guter Landwirt und Grundbesitzer, der im Laufe seines Lebens über vierzehn Mil-
Die hier vereinfacht dargestellten Stammbäume der Herrscher Rußlands, Österreichs, Württembergs und Badens zeigen nur die allerwichtigsten Verbindungen und können daher nur einen ersten Eindruck vermitteln, in welch hohem Maß alle miteinander verwandt waren.
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Zar Peter III. (Pjotr Fjodorowitsch, Karl Peter von Holstein-Gottorp) ∞ Sophie von Anhalt-Zerbst-Dornburg (Zarin Katharina II., die Große) Zar Paul I. ∞ (1) Wilhelmine Luise von Hessen-Darmstadt (Natalja Aleksejewna), (2) Sophie Dorothee von Württemberg (Zarin Maria Fjodorowna) Zar Alexander I. ∞ Louise von Baden, Zarin Elisabeth Aleksejewna, Schwester des Großherzogs Karl Ludwig Friedrich von Baden
Alexandra Helene Maria ∞ Karl Katharina ∞ Erzherzog ∞ Friedrich Friedrich, ∞ (1) Joseph von Ludwig, Erbprinz Großherzog Großherzog Österreich, von Mecklenburg- von SachsenGeorg von Bruder von Schwerin (dessen WeimarOldenburg, Kaiser Franz I. Schwester Eisenach (2) Kronprinz verheiratet mit Wilhelm von dem Kronprinzen Württemberg von Dänemark)
Konstantin ∞ Juliane von Sachsen-Coburg-Saalfeld
Zar Nikolaus I. ∞ Charlotte (Zarin Alexandra Fjodorowna), Tochter von Friedrich Wilhelm III. von Preußen
Anna ∞ Wilhelm II., König der Niederlande, Sohn der Schwester König Friedrich Wilhelms II. von Preußen
Leopold II., Kaiser des Hl. Röm. Reichs ∞ Kaiserin Maria Ludovica (María Luisa de Borbón), Tochter König Karls III. von Spanien Franz I., Kaiser Ferdinand III., Joseph Anton Maria Maria Theresia ∞ des Kaisertums Großherzog von Johann ∞ (1) Klementine Anton, König von Österreich ∞ (1) Toskana ∞ (1) Alexandra ∞ Franz I. Sachsen, jüngerer Luisa Maria von Pawlowna, (Francesco I Bruder von König Elisabeth, Tochter von Schwester Zar Gennaro) Herzog Friedrich August I. Herzog Friedrich Eugen Neapel-Sizilien, von Württemberg, Kaiserin Maria Alexanders, von Kalabrien, von Sachsen (2) Kaiserin Maria Theresia war (2) Hermine dann König von Theresia von Bourbon- Großmutter beider von AnhaltNeapel und Sizilien, Tochter des Ehegatten, (2) Bernburgbeider Sizilien, Königs Ferdinand IV. Anna Maria von Schaumburg- Sohn des Königs von Neapel und beider Sachsen Hoym, Ferdinand I. Sizilien, (3) Kaiserin (3) Maria von Neapel und Maria Ludovica Beatrix Dorothea von Sizilien und von Österreich-Este, Württemberg dessen Gemahlin Tochter von Erzherzog Maria Karolina Ferdinand Karl von Österreich
Rainer Joseph von Österreich ∞ Maria Elisabeth von SavoyenCarignan, Nichte des Königs von Sardinien
Friedrich Eugen, Herzog von Württemberg ∞ Dorothea Sophie von Brandenburg-Schwedt Friedrich I., König von Württemberg ∞ (1) Auguste Karoline von BraunschweigWolfenbüttel, (2) Charlotte Augusta Mathilda, Princess Royal, Tochter des Königs von Großbritannien, Irland und Hannover, Georg III. Wilhelm I. König von Württemberg ∞ (1) Charlotte Auguste von Bayern, geschieden (2) Katharina Pawlowna von Rußland, Tochter der Großfürstin Maria Fjodorowna
Ludwig von Württemberg ∞ (1) Maria Anna Czartoryska, Schwester von Fürst Adam Czartoryski, geschieden, (2) Henrietta von Nassau-Weilburg
Sophie Dorothee (Maria Fjodorowna) ∞ Zar Paul I. von Rußland, Vater von Zar Alexander
Katharina von Württemberg ∞ Jérôme Bonaparte, König von Westfalen
Karl Friedrich, Markgraf von Baden ∞ (1) Karoline Luise von Hessen-Darmstadt, (2) Luise Karoline Geyer von Geyersberg Karl Ludwig, Erbprinz von Baden ∞ Amalie von Hessen-Darmstadt
Karoline, Königin ∞ König Maximilian von Bayern
Leopold, Großherzog von Baden ∞ Sophie Wilhelmine von HolsteinGottorp, Tochter des schwedischen Königs Gustav IV. Adolf
Louise (Zarin Elisabeth Alexejewna) ∞ Zar Alexander von Rußland
Wilhelm von Baden, Markgraf von Baden ∞ Elisabeth von Württemberg
Friederike Dorothea, Königin ∞ Gustav IV. Adolf, König von Schweden
Karl Ludwig Friedrich, Großherzog von Baden ∞ Stéphanie de Beauharnais
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lionen Bäume anpflanzen ließ. Seiner Ehefrau Catherine war er in inniger Liebe verbunden gewesen; ihr Tod durch Tuberkulose im Jahr 1812 erschütterte ihn zutiefst. In die Politik hatte ihn Pitt gelockt, den er ebenso bewunderte wie Castlereagh; man hatte ihm den Posten eines Botschafters in Rußland und einen am Hof des Königreichs von Neapel in Sizilien angeboten, die er beide ablehnte. Später würde er auch den Posten eines Gouverneurs der Ionischen Inseln ausschlagen. Nur äußerst widerwillig erklärte er sich bereit, diese Mission zu übernehmen, wobei er, in einem Brief an seinen Schwiegervater, den Earl of Abercorn, sein Bedauern darüber ausdrückte, seine Kinder zu verlassen, das mit einem an Verachtung grenzenden Gefühl für das diplomatische Gewerbe zusammengehe. Zum Glück jedoch hielt er sich nicht an den Rat seines Schwiegervaters, daß «eine unverblümte persönliche und nationale Arroganz (versüßt durch einen Zuckerguß aus einstudierter, beharrlicher, förmlicher, herablassender Höflichkeit und Aufmerksamkeit) einem Botschafter viel besser ansteht, als allgemein vorausgesetzt oder vermutet wird». Die Weisungen an Aberdeen waren vage, und seine Aufgabe war es vor allem, Metternichs wahre Absichten zu durchschauen. Seine Reise führte ihn über Schweden, Berlin, Frankfurt an der Oder, Breslau – wo er beinahe von den Franzosen gefangen worden wäre – und Prag nach Teplitz. Unterwegs hatte er mit naiver Freude eine Abteilung irregulärer baschkirischer Truppen gesehen, die hinter der anrückenden russischen Armee herzogen. «Sie haben das chinesische Gesicht und sehen genauso aus wie die Kerle, die auf Teekisten gemalt sind», berichtete er seiner Schwägerin. Aber sein Entzücken schlug um in blankes Entsetzen, als er ihre ungezügelte Grausamkeit entdeckte. Ähnlich bestürzt war er bei seinem Eintreffen in Teplitz über die in der überfüllten Stadt herrschenden Bedingungen, und er erkannte zu spät, daß er mit der falschen Garderobe gereist war, weil er angenommen hatte, er solle Botschafter bei Hofe sein und nicht in einem militärischen Hauptquartier während eines Feldzugs. «Ich hätte nie gedacht, in so eine mißliche Lage zu geraten», schrieb er Castlereagh nach seiner Ankunft.3 Aberdeen überbrachte seine Beglaubigungsschreiben am 5. September, vier Tage, bevor Rußland, Preußen und Österreich die Verträge von Teplitz unterzeichneten. Er mochte Kaiser Franz und suchte die Gesellschaft Metternichs, mit dem er über die Oper und das Sammeln von
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Kunst reden konnte. Alexander fand er «umgänglich und recht klug, aber wichtigtuerisch», während die meisten seiner Generäle niedergeschlagen auf ihn wirkten und so, als ob sie am liebsten rasch nach Hause wollten. Er erfaßte schnell, daß Österreich dadurch verletzlich war, und äußerte seine Befürchtung, daß die Koalition auseinanderbrechen würde, sobald Napoleon sie einmal entscheidend besiegte. Und eine solche Möglichkeit schien mehr als wahrscheinlich. «Die Schwächen einer uneinheitlichen Führung zeigen sich überall», meldete er Castlereagh. «Die Durchschlagskraft jeder Maßnahme wird vermindert, fast jeder kluge Vorschlag durch den Zeitverlust beim Einholen der Zustimmung der Souveräne und ihrer Berater gegenstandslos.»4 Aberdeen mochte Cathcart nicht, der diese Abneigung freimütig erwiderte. Und obwohl er an Stewart sofort Gefallen fand, erkannte er auch, daß dieser seiner Aufgabe nicht gewachsen war. Alles, was er innerhalb weniger Tage nach seiner Ankunft zu sehen und hören bekam, entsetzte ihn derart, daß er ernsthaft erwog, zurückzutreten.5 Dennoch billigte er offi ziell den bereits ausgehandelten Subsidienvertrag, nach dem Österreich eine Million Pfund bekommen sollte, die in Raten zu monatlich hunderttausend Pfund auszuzahlen waren; und dann sprach er mit Metternich über weiterreichende Dinge. Seinen Weisungen entsprechend zeigte er seine Mißbilligung darüber, daß in den Verträgen zwischen den anderen Alliierten britische Prioritäten ignoriert worden waren. Er brachte auch Castlereaghs Bedenken hinsichtlich Metternichs Absicht vor, Murat aus Napoleons Lager herauszulocken, indem er ihm sein Überleben als König von Neapel zusicherte. Metternich erwiderte ihm, daß das britische Vorgehen, alle eigenen Forderungen auf den Tisch zu packen und zu erwarten, daß sie im Vorfeld irgendeiner Verhandlung akzeptiert würden, nicht hilfreich sei. Er betonte die Notwendigkeit einer gewissen Elastizität und warnte vor Stellungnahmen oder Handlungen, die Personen oder Staaten ins feindliche Lager trieben. Das ließe sich am Beispiel Dänemarks gut erkennen. Bis 1807 war Dänemark eine blühende, zweitrangige Macht gewesen, deren Hoheitsgebiet Norwegen, Schleswig, Holstein, Island, Grönland und die Färöer sowie eine Reihe von Kolonien in Westindien, Indien und Afrika umfaßt hatte. Es hielt, wenn immer möglich, an seiner Neutralität fest, blieb aber, um sich vor Schweden zu schützen, mit Rußland verbündet. 1807 war der dänische König, Friedrich VI., in eine Allianz
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mit dem napoleonischen Frankreich gezwungen worden, was dazu geführt hatte, daß Kopenhagen durch die britische Flotte bombardiert, Dänemarks Flotte gekapert oder niedergebrannt wurde, und es daraufhin die meisten seiner Kolonien verlor. 1808 / 09 war das Land gezwungen, gegen Schweden Krieg zu führen, um Norwegen zu behalten, und auch wenn es gelang, diese Provinz zu verteidigen, war es der russische Bündnispartner gewesen, der von dem Ganzen profitierte, indem er den Schweden Finnland abnahm. Dies alles und der Zwang, Napoleons Kontinentalsperre zu übernehmen, brachte das Land an den Rand des Ruins. Die Inflation erreichte solche Höhen, daß Friedrich sein goldenes Tafelgeschirr der Bank zur Verfügung stellen mußte. 1812 schlug Zar Alexander dem dänischen König ein Bündnis vor, aber es wirkte kaum vorteilhaft: Dänemark sollte Norwegen an Schweden abtreten (was seinerseits Schweden für den Verlust Finnlands entschädigen sollte, das 1809 an Rußland verlorengegangen war), dafür würde Friedrich, wenn Napoleon endgültig besiegt wäre, Hamburg, Lübeck, Bremen und die ganze deutsche Nordseeküste erhalten und dazu soviel holländisches Gebiet, wie er haben wolle. Aber Napoleon beherrschte nach wie vor Europa, auch wenn seine Sache in Rußland schlecht stand, so daß die Vorstellung, daß Alexander je in der Lage sein würde, deutsches und holländisches Territorium verteilen zu können, absurd war. Zudem betrachteten Friedrich und die meisten seiner Dänen das seit mehr als vier Jahrhunderten mit Dänemark vereinte Norwegen als wesentlichen Bestandteil ihres Landes.6 Friedrich war ein offener, ehrlicher Mann mit einem ausgeprägten Pflichtgefühl. Aufgrund dieser Eigenschaften, und auch wegen seiner ungekünstelten Bonhomie, liebte ihn sein Volk. Obgleich seine Sympathien natürlicherweise Großbritannien gegolten hatten (er war Sohn einer Prinzessin des englischen Königshauses) und er sich in das Bündnis mit Napoleon nur unter dem Zwang der Verhältnisse gefügt hatte, war er geneigt, zu seinem Verbündeten zu halten. Als aber Anfang 1813 das ganze Ausmaß der Niederlage Napoleons in Rußland erkennbar wurde, geriet er zunehmend unter Druck, aus dem Bündnis auszuscheren. Auch sein Vetter Christian Friedrich, der Dänemark später als Christian VIII. regieren sollte, begann sich dafür stark zu machen, die Seiten zu wechseln und sich Rußland, Schweden und Großbritannien anzuschließen. Friedrichs Außenminister, Graf Niels Rosenkrantz, der lange Zeit in
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Rußland gewesen und mit einer russischen Aristokratin verheiratet war, und der über viele Kontakte in Großbritannien verfügte, riet ebenfalls dazu, die Seiten zu wechseln. Mit dem Angebot, der Koalition gegen Napoleon beizutreten, schickte er einen Gesandten ins russische Hauptquartier nach Kalisch und fühlte bei den Briten vor. Seine Bedingungen waren auch weiterhin der Besitz Norwegens, die Rückgabe seiner Flotte und einiger seiner Kolonien durch die Briten, und zusätzlich etwas Geldmittel, um eine Armee auszurüsten. Alexander ermutigte Friedrich, sich gegen Napoleon zu stellen, bot aber hinsichtlich Norwegens nur eine «Vertagung» der Entscheidung an. Das britische Kabinett ließ Friedrich wissen, daß man Norwegen bereits den Schweden versprochen hatte und er allen Beteiligten viel Ärger ersparen würde, wenn er es sofort abträte und sich den Alliierten bedingungslos anschlösse. Metternich tat, was er konnte, um Großbritannien zu etwas mehr Flexibilität zu bewegen, schließlich wäre Dänemark ein nützlicher Bündnispartner, der aus seiner Allianz mit Frankreich «befreit» werden müsse; aber seine Argumente trafen auf taube Ohren.7 Angesichts dieser britischen und russischen Unnachgiebigkeit blieb Friedrich nichts anderes übrig, als sich wieder der einzigen Macht zuzuwenden, die bereit war, seine Rechte zu verteidigen. Am 10. Juli 1813 unterschrieb er einen neuen Bündnisvertrag mit Napoleon. Metternich jedoch blieb beharrlich und schickte insgeheim einen Gesandten nach Kopenhagen, um für den Beitritt Dänemarks eine Hintertür offenzuhalten. Mehr tun konnte er nicht, solange Rußland, Schweden und Großbritannien ihn nicht unterstützten. Also erklärte Dänemark am 3. September Rußland den Krieg, weil es die schwedischen Ansprüche auf Norwegen unterstützte, und am 22. September Schweden selbst. Friedrich ließ sich dabei von seiner Loyalität zu Napoleon ebenso wie von seinem Mißtrauen gegenüber Schweden und Rußland leiten. Wie viele Dänen hegte auch er den Verdacht, daß sie sich an keinen der Verträge halten würden, den sie mit ihm unterzeichneten, und daß sie entschlossen seien, Dänemark aufzuteilen und dort ein russisches Protektorat zu errichten (Castlereagh würde diese Befürchtungen später teilen).8 Aberdeen begriff bald, daß einige Haltungen und Handlungen Großbritanniens vom Festland aus erheblich weniger vernünftig zu sein
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schienen als von London aus. Mit als erstes wurde ihm klar, daß Österreich keine Macht war, die man fürchten mußte, sondern in vielerlei Hinsicht der natürliche Verbündete Großbritanniens. Er schrieb Castlereagh und erläuterte ihm dies, aber der Außenminister blieb bei seiner skeptischen und herablassenden Haltung gegenüber Metternich. Auch das Auftreten des Zaren wirkte aus der Nähe betrachtet ganz anders und entsprach einigen der Legenden nicht, die man sich in der Downing Street gern über ihn erzählte.9 Alexander feierte sein Kronjubiläum am 27. September stets mit großem Pomp, und alle, die sich in Teplitz versammelt hatten, nahmen an den Festlichkeiten teil. Nach einem Dankgottesdienst fuhren sie nach Kulm, wo der unglückselige Vandamme besiegt worden war. Dort ließen sie sich in einem eigens errichteten, mit Lorbeerzweigen und Bändern geschmückten Pavillon zu einem Bankett für zweihundert Personen nieder. Am Abend traf sich ein erlesener Kreis in Lord Cathcarts Quartier in Teplitz, um der Zeremonie der Verleihung des Hosenbandordens an Alexander beizuwohnen. «Etwas Herrlicheres und Beeindruckenderes als diese ritterliche Zeremonie kann man sich nicht vorstellen», schwärmte einer der französischen Adjutanten des Zaren. Wie jedoch Jackson berichtete, «war jeder der anwesenden Engländer angewidert» von Alexanders Auftritt. Er kam zu spät, schien das Ganze nicht ernstzunehmen und setzte die ganze Zeit ein «breites Grinsen» auf. «Tatsächlich wurde das alles als eine Art Posse betrachtet.» Der Zar trieb dieses Verhalten noch auf die Spitze, indem er am nächsten Tag den Orden, statt ihn am Knie zu tragen, um den Oberschenkel gebunden hatte, als er zum Diner erschien.10 Alexander war mit seinem Sendungsbewußtsein, das überall in Böhmen und Deutschland verstärkt worden war, als ihn auf Schritt und Tritt die kriecherischen Schmeicheleien zahlreicher Bittsteller und ekstatische Verehrung noch zahlreicherer Damen umgaben, zu einem schwierigen Verbündeten geworden. Da ihn viele als einen Agamemnon der Koalition behandelten, überrascht es nicht, daß er immer mehr seinen eigenen Eingebungen und Visionen folgte. Ein typisches Beispiel dafür war, wie er die ehrgeizigen Bestrebungen des schwedischen Kronprinzen, des ehemaligen französischen Feldmarschalls Bernadotte, gefördert hatte. Bernadotte war der Oberbefehl über die in Norddeutschland operierende «Nordarmee» übertragen wor-
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Der napoleonische Marschall Jean-Baptiste Bernadotte wurde Kronprinz von Schweden und träumte dennoch lange davon, den französischen Thron zu besteigen. Die Verbündeten erpreßte er schamlos: «Ein Bastard, den uns die Umstände zwangen, als legitim anzuerkennen», meinte Hardenberg. Porträt von Frederik Westin.
den, zu der neben seinen eigenen schwedischen Truppen ein russisches Kontingent, Wallmodens «Russisch-Deutsche Legion» und ein preußisches Korps unter Blücher gehörten. Bald fiel auf, daß er die Preußen und Russen gegen die Franzosen einsetzte, während er seine Schweden in Pommern für einen Überfall auf Dänemark in Bereitschaft hielt. Es gab auch – in diesem Falle unberechtigte – Verdächtigungen, daß er einen Separatfrieden mit Napoleon beabsichtigen könnte. Bernadotte galt nicht nur als unzuverlässiger Verbündeter, sondern auch als widerlicher Emporkömmling oder, in den Worten Hardenbergs, «als Bastard, den uns die Umstände zwangen, als legitim anzuerkennen».11 Alexander hingegen teilte diese Vorbehalte nicht. Als er damals, im August 1812, sein Bündnis mit Bernadotte in Åbo aushandelte, hatte er ihn mit der Idee zu verführen versucht, daß er, Bernadotte, Napoleon als Herrscher über Frankreich nachfolgen könne, sollte dieser besiegt werden. Seither hatte er das Thema mehr als einmal aufgegriffen und Bernadotte ermutigt, den Boden dafür zu bereiten. Da Bernadotte die Position eines Königsanwärters übernommen
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hatte, wollte er sich seine Chancen für den Fall einer Wiederkehr der verbannten Bourbonen nicht verderben. Er nahm daher Kontakt zu ihnen auf und präsentierte sich ihnen als ihr potentieller starker Arm. Zugleich jedoch umgarnte er die französischen Revolutionäre, die den Kaiser Napoleon verabscheuten und eine Wiederherstellung der Republik herbeisehnten. Für sie posierte er als ein zweiter Cromwell und unterhielt geheime Kontakte zu verschiedenen Marschällen der Gegenseite. Er ließ gefangengenommene französische Offiziere mit einem Ehrenwort laufen, in der Hoffnung, daß sie in Frankreich seine Anhänger sein würden. Als Prahler, der er war, versuchte er, dadurch eindrucksvoll zu wirken, daß er in seiner phantastischen Kleidung Murat nachäffte, besonders auf dem Schlachtfeld. Bernadottes Bemühungen um Anhängerschaft waren kaum von Erfolg gekrönt. Als seine Streitkräfte Stettin belagerten, hatte er versucht, den Kommandanten der französischen Garnison auf seine Seite zu ziehen, aber ihm schlugen nur Beschimpfungen entgegen. Beim Inspizieren seiner Vorposten traf ihn beinahe eine Granate, die gezielt auf ihn abgeschossen worden war, woraufhin er ein wütendes Protestschreiben übersandte (es gehe nicht an, gegnerische Kommandanten auf solch unwürdige Weise umbringen zu wollen); man erwiderte ihm, der Kanonier habe einen französischen Deserteur vorbeireiten sehen und daraufhin vorschriftsmäßig gehandelt. Aber die Unterstützung des einstigen Privatlehrers Alexanders, des Schweizer Philosophen Frédéric César de la Harpe, ermutigte ihn, ebenso der Ratsschluß der Schriftstellerin Madame de Staël, er wäre der ideale Herrscher für Frankreich, ein neuer Wilhelm von Oranien, der mit starker Hand die konstitutionelle Monarchie einführen würde; auf ihr Drängen hin schloß sich Benjamin Constant dieser Auffassung an. «Vergessen Sie nicht», schrieb Madame de Staël am 11. Oktober 1813 aus London an Bernadotte, «die Erlösung Europas hängt von Ihnen ab.» So sehr schwoll ihm der Kamm, daß er tatsächlich einmal überlegte, den Titel eines Herzogs von Pommern, das er besetzt hielt, anzunehmen, und sich als solcher die deutsche Kaiserkrone aufzusetzen, falls sie aus irgendeinem Grund nicht an Österreich oder Preußen fallen sollte.12 Castlereagh war von den Berichten über Bernadottes unberechenbare Einfälle derart alarmiert, daß er Stewart anwies, sich in dessen Hauptquartier zu begeben und ihn im Auge zu behalten. Was Stewart
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von dort aus berichtete, beunruhigte Castlereagh noch mehr. General Pozzo di Borgo, den Alexander in Bernadottes Hauptquartier entsandt hatte, zeigte sich schockiert darüber, wie dieser sich nach allen Seiten absicherte. Als Pozzo ihn mit diesem Vorwurf konfrontierte, «hätte die Szene, die sich daraufhin abspielte, das Herbeirufen eines Arztes gerechtfertigt», berichtete er Alexander. «Ich glaube nicht, daß ich mich jemals im Leben so stark habe zwingen müssen, ruhig zu schweigen, während ich mir einen solchen Wust von Geschmacklosigkeiten, Unvernunft und Unsinn anhören mußte.»13 Die Berichte, die Castlereagh von seinen drei Repräsentanten im Hauptquartier der Alliierten erhielt, bestätigten seine schlimmsten Befürchtungen hinsichtlich des zerbrechlichen Zustands der Koalition, angesichts derer es möglich schien, daß einige oder alle Bündnispartner ohne Großbritannien Frieden mit Napoleon schließen könnten, wenn sie dies für ratsam hielten. Dabei waren alle seine Bemühungen darauf gerichtet gewesen, sie darauf zu verpflichten, so etwas nicht zu tun. Am 3. Oktober hatte Aberdeen einen Vertrag mit Österreich unterzeichnet, dessen einzige konkrete Klausel ausschließen sollte, daß eine der Vertragsparteien einseitig in irgendwelche Verhandlungen, Gespräche, Waffenruhen oder andere Suspendierungen der Feindseligkeiten eintrat. Aber Castlereagh, der Metternichs Neigung zu Verhandlungen fürchtete, genügte das nicht.14 Im August hatte er begonnen, einen umfassenden Vertrag vorzubereiten, der das Problem ein für alle Mal lösen sollte. In einem Schreiben an Cathcart vom 18. September hatte er sich gefragt, ob «man in dem Bündnis gegen Frankreich nicht ein höheres Maß an Einheit und Konsistenz schaffen könne, als es sich aus den verschiedenen Verträgen ergab, die nacheinander zwischen den beteiligten Mächten geschlossen wurden». Er legte seinen «Entwurf eines Vertrages für eine Offensivund Defensivallianz gegen Frankreich» dazu, den er fortan als sein «Grand Design» bezeichnete. Dieses steckte die wichtigsten Kriegsziele der Verbündeten ab und regte an, Mächte wie Spanien und Portugal aufzufordern, der Koalition beizutreten. Es sah nicht nur vor, jeder der Vertragsparteien zu untersagen, aus dem Bündnis auszuscheren oder mit dem Gegner in irgendwelche Verhandlungen einzutreten, es griff auch die alte Empfehlung
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Czartoryskis und Pitts wieder auf, selbst nach einem Friedensschluß eine defensive Allianz aufrechtzuerhalten, zur Wahrung eben dieses Friedens.15 In einem zweiten Brief wies Castlereagh noch am selben Tag Cathcart an, sein Grand Design zuerst Alexander zu zeigen, und betonte, daß Rußland in diesen Dingen der natürliche Partner Großbritanniens sei. Er schärfte Cathcart ein, die Frage der britischen Seerechte auf keinen Fall anzusprechen, denn seien sie erst einmal offen Gegenstand von Verhandlungen geworden, würden die Franzosen sie früher oder später einsetzen, um die Koalition zu spalten.16 Insgesamt waren die Umstände für diplomatische Fortschritte alles andere als günstig, und erst recht blieb es unwahrscheinlich, die Alliierten auf irgend etwas so Präzises wie Castlereaghs Grand Design festzulegen, während die verbündeten Armeen ins Feld zogen und drei Monarchen sich mit ihren Ministern auf den Weg machten, ihnen zu folgen. Metternich hatte sich eine fahrbare Kanzlei eingerichtet, die sogenannte Reiseabteilung, mit mehreren Mitarbeitern und Sekretären in Kutschen, denen mit Schreibtischen und Stühlen, Zeitungen, Büchern, Landkarten und sogar einer Druckerpresse beladene Wagen folgten. Die Russen besaßen eine ähnliche Einrichtung, die aber jetzt einigen Belastungen ausgesetzt war. Alexanders Staatssekretär und engster Mitarbeiter, Admiral Schischkow, war mit zwei Sekretären in einer Kutsche zusammengepfercht und hatte keine Eskorte. «Du kannst Dir nicht vorstellen, wie traurig mir zumute ist», schrieb er seiner Frau. «Meine Gedanken beunruhigen mich, zu alledem noch dieses Wetter! Nebel, Feuchtigkeit, Regen, und der Himmel ist von morgens bis abends mit schwarzen und purpurnen Wolken verhangen, als ob er die Schrecken des Krieges dekorieren sollte.» Mal fand er sich einsam auf leeren Straßen und fürchtete, von den Franzosen gefangen zu werden, dann wieder saß er in einem Durcheinander fest, wenn ihm die Küchenwagen des Zaren oder marschierende Truppen in die Quere kamen. Häufig sah er sich gezwungen, um einen Schlafplatz in der Ecke irgendeiner Hütte zu bitten. Ioannis Antonios Graf Capodistrias, der als russischer Diplomat dem Generalstab zugeteilt und für alle diplomatischen Probleme, die im Laufe des Feldzugs auftauchten, zuständig war, mußte sich hin und wieder eine Hütte am Wegesrand mit dem russischen Komman-
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danten Barclay de Tolly teilen. Während am selben Tisch der General an seinen Operationsplänen feilte, verfaßte der Diplomat seine Erklärungen und Memoranden.17 Aberdeen, der an heftigem Durchfall litt, war über diese Lebensbedingungen entsetzt und klagte, daß man selbst in der relativen Sicherheit von Teplitz, das für ihn ein «elendes Loch» war, jeden Morgen alles gepackt haben mußte, um im Fall eines französischen Angriffs sofort das Weite suchen zu können. Das Leiden der Soldaten, das ihn überall umgab, bekümmerte ihn zutiefst, aber seine Stimmung hob sich wieder, wenn er die Landschaft bewundern und seine Briefpartner mit einer Fülle dendrologischer Beobachtungen ergötzen konnte.18 «Wir müssen immer über uns lachen, uns vom frühen Morgen an immer in Degen, Orden und Glanz zu sehen und damit durch dick und dünn zu waten. Es geht aber gar nicht anders, man würde schlechterdings übergeritten», schrieb Humboldt nach einem Treffen mit Metternich an Caroline. Er nahm das Gemetzel erstaunlich gleichmütig auf und genoß die Möglichkeiten dieser ungeordneten Lebensweise, um seiner Neigung zu erfahrenen Huren und üppigen Frauen aus dem Volke nachzugehen. Auch Metternich machten die Schrecken des Krieges erstaunlich wenig aus, aber über dessen Unbequemlichkeiten beklagte er sich bitter. «Was für Straßen, mein Gott!» schrieb er am 1. November an Wilhelmine. «Ich reiste gemeinsam mit 200 Kanonen, zum Teil zu Fuß, zum Teil zu Pferde, zum Teil in einer Kutsche. Ich bin in einer Kutsche losgefahren, weil es in Strömen regnete. Ich wurde über und über bespritzt, also gab ich Befehl, meine Pferde zu bringen, und bestieg dasjenige, das am zuverlässigsten aussah, aber es brach zusammen, daher ging ich zu Fuß, und fiel hin.» Er jagte ständig Alexander hinterher, der unbedingt Soldat spielen wollte, statt im Hauptquartier zu bleiben.19 Sicherlich waren schon die äußeren Bedingungen für ein Grand Design ungünstig, aber das Projekt selbst zeugte davon, daß Castlereagh über das, was Europa bewegte, nicht Bescheid wußte. Alexander, Metternich und Friedrich Wilhelm waren mit weitaus wichtigeren Dingen beschäftigt als der Frage, ob ein Beitritt Spaniens oder die britischen Seerechte in die Verträge einzubeziehen seien. Ihre Gedanken richteten sich gegenwärtig eher darauf, was in Deutschland, das jetzt wesentlich war, vor sich ging, und nicht auf die Iberische Halbinsel
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oder auf Übersee. Denn was in Deutschland geschah, konnte die Koalition spalten. Als sich im September 1813 immer mehr abzeichnete, daß Napoleon nicht in der Lage sein würde, die Länder des Rheinbunds zu verteidigen, begannen sich die meisten von dessen Fürsten aufgeregt umzuschauen. Die verbündeten Armeen rückten näher, und der quälenden Entscheidung, vor der Friedrich Wilhelm Anfang des Jahres gestanden hatte, würden auch sie sich stellen müssen. Die Aussichten waren alles andere als rosig. Alexanders Ruf eilte den Alliierten auf ihrem Marsch nach Westen voraus und wurde unterwegs immer anziehender; nur die entschiedensten profranzösischen Meinungsmacher stimmten nicht in den Chor jener ein, die ihn aus der Ferne als ritterlichen Befreier und von Gott gesandten Heiler erlittenen Unrechts priesen. Aber mit seinem Vormarsch verbreiteten sich auch die Nachrichten über die Aktivitäten des Freiherrn vom Stein, über die Welle subversiver Redereien und Verschwörungen unter Studenten, jüngeren Offi zieren und sonstwie Unzufriedenen; Nachrichten kamen auch über aufsässige Hoffnungen unter Adligen des Alten Reiches, die ihrer überkommenen Rechte beraubt waren und die nun eine Möglichkeit witterten, Rache zu nehmen. All das trug dazu bei, jene Herrscher sehr zu beunruhigen, die sich mit Napoleon arrangiert hatten. Mittels eines Volksaufstandes, der von der Sehnsucht nach gesellschaftlichen Veränderungen und einer nationalen Wiedergeburt getragen sein sollte, hoffte Stein einen starken einheitlichen deutschen Staat zu schaffen. Seinem Wunschdenken nach hatten Fichtes Reden an die deutsche Nation, Ernst Moritz Arndts Gedichte und Friedrich Ludwig Jahns Turnerschaft die Herausbildung einer Nation angestoßen, die bereit war, sich diesem Traum zu verschreiben. Wenn diese Erwartungen auch unrealistisch waren, so stellte seine Agitation gegen «die 36 kleinen Despoten», wie er die Fürsten des Rheinbunds nannte, die er als «verderblich für die bürgerliche Freiheit und für die Sittlichkeit der Nation» ansah, eine in der Tat sehr reale Bedrohung dar. Die preußischrussische Konvention vom 19. März 1813 zur Verwaltung der im Krieg gegen Napoleon besetzten Gebiete hatte Stein praktisch uneingeschränkte Befugnisse übertragen, und er richtete daraufhin Verwaltungsorgane ein, die nur ihm unterstanden. Kaum hatte er die Kon-
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trolle über befreite Gebiete Sachsens übernommen, verdoppelte er den Umfang der von Napoleon angeordneten Abgaben, verhängte das Kriegsrecht und erteilte der Polizei Sondervollmachten.20 Metternich hatte begonnen, den Rheinbund als ein nützliches Gebilde zu sehen, mittels dessen Deutschland vor Stein geschützt werden könnte, und daher strich er dessen Auflösung aus der Liste seiner Forderungen an Napoleon während des Prager Kongresses. Hardenberg, der Steins Aktivitäten mit der gleichen Abneigung verfolgte wie Metternich, lehnte gleichwohl eine Beibehaltung des Rheinbunds ab. Er hoffte, so viele verängstigte Fürsten wie möglich unter die schützenden Fittiche Preußens zu holen, und regte gegenüber Metternich mehrfach an, Deutschland entlang des Mains in ein nördliches und ein südliches Gebiet aufzuteilen, in denen sie jeweils ihren Einfluß durchsetzen könnten. Aber Metternich wollte Deutschland als Ganzes erhalten, in dem er überdies eine Erweiterung des preußischen Einflusses befürchtete – und, da Preußen unter der Fuchtel Rußlands stand, auch des russischen. Schon am 5. April hatte der preußische Gesandte am bayerischen Hof einen aufdringlichen Versuch unternommen, das Königreich zum Beitritt in die russisch-preußische Allianz zu drängen, und harsche Konsequenzen angedroht, falls es sich weigerte. Daraufhin hatte sich Bayern sofort schutzsuchend an Österreich gewandt, und Metternich hatte die sich ihm bietende Gelegenheit genutzt.21 Er begann nicht nur mit Bayern zu verhandeln. Gentz orchestrierte für ihn in der deutschen Presse eine Meinungskampagne gegen Stein und für eine Art Staatenbund, in dem die noch herrschenden Fürsten und ihre Länder einen Platz finden könnten. Pragmatisch wie immer, konnte er sich sogar Napoleons Bruder Jérôme weiterhin als König von Westfalen vorstellen, um nur dieses Gebiet von dem Einfluß Steins freizuhalten. Auch Alexander hatte sich pragmatischen Überlegungen nicht verweigert. Nach Protesten seitens Graf Ernst zu Münster, dem Bevollmächtigten des britischen Prinzregenten für Hannover, milderte er die ursprüngliche Konvention zur Verwaltung der befreiten Gebiete etwas ab und stutzte damit Stein ein wenig die Flügel. Allmählich erschloß sich ihm, daß die von Stein erhoffte nationale Wiedergeburt nicht nur in instabile, schwer kontrollierbare Verhältnisse führen würde, sondern zukünftig sogar Feindseligkeit gegenüber russischem Einfluß wecken
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könnte. Einen solchen Einfluß übte man besser mittels diskretem Druck auf dankbare deutsche Fürsten aus. Alexander begann, sich als deren Schutzherrn in der Nachfolge Napoleons zu sehen. Dies erschien ihm ganz angemessen; über seine Großmutter aus dem Hause Holstein-Gottorp, seine württembergische Mutter und seine badische Ehefrau waren viele der deutschen Fürsten seine nahen Verwandten, und er wurde zunehmend insgeheim um Protektion gebeten. Diese Bitten nahmen eine gewisse Dringlichkeit an, als die mit ihm verwandten Herrscher der beiden Mecklenburgischen Herzogtümer sich im festen Glauben, man werde sie mit offenen Armen empfangen, als erste offen von Napoleon abgewandt hatten und dann von Stein als besiegte Feinde behandelt worden waren; sie hatten daraufhin Metternich um Schutz ersucht. Stein wurde für Alexander immer mehr zu einer Belastung. Als nützlichen Buhmann beließ er ihn zwar im Amt, schloß ihn aber von dem aus, was nun folgte – ein unverblümtes Geschacher zwischen Rußland, Preußen und Österreich um Einfluß in Deutschland. Die Proklamation von Kalisch hatte deutlich darauf hingewiesen, daß jeder deutsche Fürst, der noch mit Napoleon verbündet war, wenn sein Land von den Alliierten überrannt werden würde, damit rechnen mußte, seinen Thron zu verlieren, und daß über die Einverleibung seines Gebiets in irgendeinen neuen deutschen Staat, wie ihn Stein oder Alexander sich vorstellten, disponiert werden könne. Metternich hielt es für unerläßlich, alle Rheinbundfürsten zu einem Seitenwechsel zu bewegen und zu Verbündeten Österreichs zu machen, bevor ihre Staaten besetzt würden. Dies würde nicht nur verhindern, daß diese Staaten Stein, Preußen oder Alexander in die Hände fielen, es hätte auch den erfreulichen Nebeneffekt, daß die dankbaren Schützlinge künftige Unterstützer Österreichs sein würden. Metternich mußte mit den verschiedenen Fürsten streng geheim verhandeln, denn wie die anderen Verbündeten hatte sich Österreich im Vertrag von Teplitz verpflichtet, ohne gegenseitige Konsultation keine Gespräche mit dem Feind aufzunehmen; was die einzelnen Fürsten betraf, so blickte einem jedem ein französischer Aufpasser vor Ort über die Schulter. Da es um Verrat ging, waren diese Geheimverhandlungen zwangsläufig verschlagen und unerfreulich. «Mein Schicksal ist an das von Frankreich gebunden, nichts kann mich davon lösen; ich werde mit Frankreich überleben oder mit ihm
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untergehen, aber nie werde ich mich irgendeiner Infamie fügen», erklärte König Maximilian von Bayern am 15. September dem französischen Gesandten an seinem Hofe, nachdem die Verhandlungen mit Österreich bereits seit Monaten geführt worden waren und man sich in allen wesentlichen Punkten geeinigt hatte. Obwohl sein eigener Sohn, der Kronprinz, der überwiegende Teil seiner Armee und die Mehrheit der Bevölkerung schon seit längerem Stimmung gegen die Franzosen gemacht hatten, wartete Maximilian, der ein treuer Verbündeter Napoleons war und dessen Tochter den Stiefsohn Napoleons, Fürst Eugène geheiratet hatte, bis zum allerletzten Moment.22 Weder er noch irgendein anderer Fürst würde ohne Gegenleistung ins andere Lager wechseln, und das allermindeste war eine Garantie, daß die Zugewinne, die Napoleon zu verdanken waren, nicht aufgegeben werden müßten. Im Falle Bayerns waren sie beträchtlich. Zum einen hatte Napoleon Bayerns Herrscher, der bis dahin nur Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches gewesen war, 1806 zum König gemacht. Zum anderen hatte er von der Mediatisierung profitiert, in deren Verlauf ihm große Gebiete zugefallen waren; bei den Kriegen von 1805 und 1809 zwischen Frankreich und Österreich hatte er dazugewonnen, indem er letzterem Salzburg, Berchtesgaden, den Innkreis und das Hausruckviertel, Tirol, Vorarlberg, Brixen, Trient und verschiedene kleinere Enklaven in Schwaben abnahm. Metternich brauchte Bayern. Denn wenn sich Maximilian dem Zaren ausliefern oder mit Preußen ins Geschäft kommen sollte, stünde ganz Süddeutschland den beiden Mächten offen. Darum ließ Metternich sich auf fast alle Forderungen Bayerns ein. Mit dem Vertrag von Ried, der am 8. Oktober unterzeichnet wurde, verpflichtete sich Bayern, aus dem Rheinbund auszutreten und ein Bündnis mit Österreich einzugehen; 36 000 bayerische Soldaten sollten nun unter österreichischem Befehl operieren. Im Gegenzug versprach Österreich seinen Schutz und den seiner Verbündeten, wozu es überhaupt nicht berechtigt war. Das Entscheidende an dem Vertrag von Ried waren seine Geheimklauseln. Eine davon, die Metternich – und allen anderen Staatsmännern Europas – im folgenden Jahr schlaflose Nächte bereiten sollte, garantierte Bayern seinen gegenwärtigen Gebietsbestand; für die Territorien, die es an Österreich zurückzugeben hatte, sollte später ein
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König Maximilian I. von Bayern. In den Augen eines Beobachters war er «ein braver, fröhlicher Bursche, der das Aussehen eines Bauern mit der Leibesfülle eines Fürsten verband». Wenngleich seine Tochter mit Napoleons Stiefsohn Fürst Eugène de Beauharnais verheiratet war, wechselte er als erster der deutschen Herrscher die Seite. Der Preis, den er dafür forderte, sollte schwer auf dem gesamten Kongreß lasten.
vollgültiger Ersatz ausgehandelt werden. Aber die weitaus wichtigste Klausel beinhaltete folgendes: «Die beiden hohen Vertragsparteien erachten die Auflösung des Rheinbunds und die vollkommene und absolute Unabhängigkeit Bayerns als eines der wesentlichen Ziele ihrer Anstrengungen im gegenwärtigen Krieg, auf daß es ungebunden und frei von jedem ausländischen Einfluß, das ganze Ausmaß seiner Souveränität genießen möge.»23 Der Vertrag von Ried bedeutete einen Triumph für Metternich, dem es damit gelungen war, zugleich einen unschätzbar wertvollen Verbündeten zu gewinnen und ihn Alexander wegzuschnappen. Der Vertrag vereitelte auch Steins Pläne für einen einheitlichen deutschen Staat. Aber der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland war noch keineswegs vorbei, in dem Friedrich August I., König von Sachsen, zu einem der ersten Opfer wurde und am meisten verlor. Als Napoleon Dresden aufgab, war der König gezwungen, in Leipzig, seiner zweiten Stadt, Zuflucht zu suchen, dort, wo Napoleon seine Trup-
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pen konzentrierte und auf das jetzt alle Armeen der Allianz zumarschierten – selbst Bernadotte war von Pozzo di Borgo und Stewart genötigt worden, sich ins Gefecht zu werfen. Der Angriff begann am 16. Oktober. Der Kampf um die Stadt, der wegen der Zahl der beteiligten Nationen als «Völkerschlacht» in die Geschichte einging, war die umfangreichste Feldschlacht der napoleonischen Kriege; mehr als eine halbe Million Soldaten nahmen an ihr teil, die drei Tage lang dem Beschuß von mehr als 2000 Geschützen ausgesetzt waren. Napoleons Truppen waren erheblich in der Unterzahl, aber er hielt am ersten Tag stand und versetzte den Verbündeten einige heftige Schläge. Am zweiten Tag waren die Franzosen schrittweise gezwungen, zurückzuweichen, als Blücher in ihrem Rücken auftauchte und die geballte Macht der verbündeten Truppen zum Einsatz kam. An diesem Tag ging das sächsische Kontingent innerhalb der französischen Armee zu den Alliierten über und dezimierte damit Napoleons Streitkräfte zusätzlich. Er büßte seine Fähigkeit zur Initiative ein und konnte nur noch reagieren, und am dritten Tag zeigte seine Armee, die jetzt lediglich über halb so viele Soldaten verfügte wie ihre Gegner, erste Auflösungserscheinungen. Am Abend befahl Napoleon den Rückzug zum Rhein. Bevor er Leipzig verließ, begab er sich zum Königspalast und bot Friedrich August Asyl in Paris an, aber der sächsische König lehnte mit der Begründung ab, er könne in dieser Zeit nicht seine Untertanen im Stich lassen. Friedrich August schickte zu jedem der alliierten Monarchen Offi ziere mit dem Ersuchen um Verhandlungen, aber er erhielt keine Antwort. Als Alexander in Leipzig einzog, traf er Bernadotte bereits auf dem Platz vor dem Königspalast an, der sich dort mit Reynier, dem französischen Befehlshaber der sächsischen Armee, den er soeben festgenommen hatte, unterhielt. Der sächsische König stand am Fuß der Treppe bei seiner Leib-Kürassier-Garde. Bernadotte begrüßte Alexander und erbot sich, ihm Friedrich August vorzustellen, aber der Zar brüskierte den glücklosen König und trat ein, um der Königin seine Aufwartung zu machen. Kurz darauf teilte ein russischer Offi zier dem König von Sachsen mit, daß er Alexanders Gefangener sei. Nach einigem Hin und Her darüber, wo das bedauernswerte sächsische Königspaar festgehalten werden sollte, und von wem, nahmen die Preußen die Sache in die
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Hand, und in der Nacht des 23. Oktober um vier Uhr wurden die beiden in eine Kutsche verfrachtet und mit einer bewaffneten Eskorte nach Berlin in die Gefangenschaft gebracht.24 Es war nicht allein die Tatsache, daß sich der sächsische König nicht von Anfang an zu den Alliierten bekannt hatte, und auch nicht, daß er nach der Schlacht von Großgörschen (Lützen) wieder an Napoleons Seite zurückgekehrt war. «Die Beraubung des braven Friedrich August war», in Hardenbergs Worten, «zu einer Notwendigkeit im Interesse der Erstarkung Preußens geworden, und somit auch Europas.» Um es deutlicher zu sagen: Sachsen war die angemessenste Entschädigung, die Alexander Friedrich Wilhelm für jene ehemaligen polnischen Provinzen Preußens bieten konnte, die er selbst zu behalten gedachte.25 Der Sieg der Alliierten bei Leipzig war kriegsentscheidend. Metternich, der soeben vom Schlachtfeld zurückgekehrt war, verkündete am 18. Oktober in einem Brief an seine Frau, nun habe sich das Schicksal der Welt glücklich entschieden. Es war die erste vollständige Niederlage Napoleons, und sowohl ihr Ausmaß als auch ihre psychologische Wirkung machten es undenkbar, daß er in Deutschland je wieder eine dominierende Rolle spielen würde. «Die Schande, die er über uns brachte, wurde mit Strömen französischen Bluts wieder abgewaschen», schrieb Stein triumphierend an seine Frau. Humboldt war nach seinem Spaziergang über das mit Leichen übersäte Schlachtfeld ähnlich zufrieden.26 «Die Erlösung Europas scheint zum Greifen nahe», schrieb Aberdeen an Castlereagh. Aber der Brief an seine Schwägerin Maria klang verhaltener. «Über drei oder vier Meilen ist der Boden von Menschenund Pferdeleibern bedeckt, und viele von ihnen sind noch nicht tot. Arme Kerle, die wegen ihrer Verletzungen nicht mehr kriechen können und zwischen Bergen verwesender Leichen nach Wasser rufen. Ihre Schreie hört man sogar aus sehr weiter Entfernung und noch immer hallen sie mir in den Ohren. Barbarische Bauern reißen Lebenden wie Toten die Sachen vom Leibe; ihnen fehlt sogar das bißchen Barmherzigkeit, die armen Kerle von ihren Qualen zu erlösen. Zwar ist unser Sieg vollkommen, und das ist etwas Herrliches, aber doch auch etwas, das man besser aus der Distanz wahrnimmt.»27
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Am 20. Oktober, zwei Tage nach der Schlacht, wurde Metternich von seinem Kaiser zum Fürsten erhoben. Für jemanden, der so wie er in Hierarchien dachte, war es eine große Freude. «Was habe ich alles an Gefühlen in den letzten Tagen durchlebt!» schrieb er am Abend an Wilhelmine. «Die Welt wurde vor meinen Augen wiedergeboren; meine kühnsten Träume wurden wahr – mein politisches Ansehen hat sich verdoppelt; ich stehe auf dem Höhepunkte meiner Karriere; ich werde sie zu Ende gebracht haben. Und doch wird alles, die Gefühle, die Berechnungen, die Amtsgeschäfte – alles in der Welt, von einem einzigen Gedanken an mon amie in den Schatten gestellt; die Welt mit ihrem Glanz und ihrem Elend bedeutet mir nichts mehr – Du, immer Du – nur Du!»28 Als ihn Giroux, sein Kammerdiener, am nächsten Morgen weckte, fragte er: «Befehlen Eure Durchlaucht denselben Anzug, den Eure Exzellenz gestern trugen?» Wenn Metternich damit nicht auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wurde, dann durch das Gespräch, das er später am selben Tag mit Alexander hatte.29 Der Zar war von einem ähnlich ekstatischen Hochgefühl ergriffen. Die apokalyptische Stimmung der großen Schlacht bestätigte ihn in seiner Überzeugung, daß er ausersehen sei, als züchtigendes Werkzeug Gottes die napoleonische Gottlosigkeit zu bestrafen. Auch er schrieb in der Stunde des Triumphs seiner Geliebten eine Nachricht: «Ich bitte Sie, mir zu glauben, wenn ich sage, daß ich mehr denn je, mit Herz und Seele ein Leben lang der Ihre sein werde, und ich möchte hinzufügen; Honi soit qui mal y pense», schrieb er an Sinaida Wolkonskaja in Anspielung auf den ihm kürzlich verliehenen Hosenbandorden.30 Metternichs Übereinkunft mit Bayern hatte nicht nur die Pläne des Freiherrn vom Stein vereitelt; sie hatte auch den Zaren zutiefst verärgert und hing wie eine dunkle Wolke über ihrem Treffen. Metternich äußerte seine Mißbilligung über die Aktivitäten des Zentralverwaltungsrats, der befreite Gebiete wie besetztes Feindesland behandelte, und über die langfristigen Folgen dieses Vorgehens. Er verlangte die Abberufung Steins von seinem Posten. Alexander ließ diese Argumente nicht gelten und erklärte, er habe Stein ein Versprechen gegeben und seine Autorität wäre beschädigt, wenn er es brechen müsse. Metternich konnte unter diesen Umständen wenig erreichen, was sich auch in der neuen Konvention über die befreiten Gebiete wider-
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spiegelte, die von den alliierten Mächten am nächsten Tag unterzeichnet wurde. Der Zentralverwaltungsrat erhielt nun den Namen Zentralverwaltungsdepartement (Département Central d’Administration temporaire), und obwohl die Rechte der Fürsten, die der Allianz beigetreten waren, respektiert werden sollten, waren die diesbezüglichen Formulierungen ausgesprochen vage, so daß Stein in allen deutschen Ländern auch weiterhin über unbegrenzte Befugnisse verfügte.31 Metternich nahm den Rückschlag gelassen hin. Das Verhalten Steins und das der russischen und preußischen Soldateska bei der «Befreiung» Deutschlands weckte auf allen gesellschaftlichen Ebenen allmählich Gegenreaktionen, und selbst unter jenen, die von dieser Befreiung geträumt hatten, wurden jetzt viele nachdenklich. «Überhaupt denke ich oft daran, wo das mit unserer Nation hinaus wird», schrieb Humboldt an Caroline und beklagte das Fehlen einer starken Führung. Goethe war über die Plünderungen in Weimar seitens der vermeintlichen Befreier dermaßen entsetzt, daß Humboldt ihn mit der Bemerkung zitierte, «er meint, das Heilmittel sei übler als die Krankheit», und daß er weiterhin das Kreuz der Ehrenlegion trage, das Napoleon ihm verliehen hatte.32 Metternich versuchte, Zeit zu gewinnen. Er forcierte seine Geheimverhandlungen mit den Herrschern der süddeutschen Staaten, die die schützende Umarmung Österreichs dankbar annahmen. Er war zuversichtlich, daß er Stein durch vollendete Tatsachen aus dem Spiel nehmen könne. Vor allem aber vertraute er in seine Fähigkeit, Alexander zu beeinflussen. «Ich habe mindestens 3 Stunden mit Ihrem großartigen Kaiser geredet, ich habe ihn getadelt wie meinen Sohn, wenn er etwas angestellt hat», schrieb er Wilhelmine am 25. Oktober aus Weimar. «Dank meiner Strenge wird er in der nächsten Woche keine Dummheiten machen, aber dann wird er wieder anfangen und ich werde wieder ernsthaft mit ihm reden müssen. Genau das war während der letzten 2 Monate meine Rolle.» Das Machtgefühl, das er hieraus ziehen konnte, muß für ihn berauschend gewesen sein. «Ich eilte nach Meiningen hinüber, um einige kleinere Punkte für das Schicksal der Menschheit mit Kais. Alexander zu regeln, und dann ich hastete hierher zurück, um dasselbe mit meinem Herrn zu tun», berichtete er ihr sechs Tage später.33
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Das Gefühl, ein großes Geschick zu erfüllen, bewog ihn, auch über das Napoleons nachzudenken. «In welchem Zustand sich dieser Mann wohl befinden muß», sinnierte er in einem Brief an Wilhelmine, «er, der einmal auf dem Gipfel der Macht stand und nun zusehen muß, wie die Hebel dieser so gewaltigen Konstruktion in seinen Händen zerfallen!»34
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Nach seiner Leipziger Niederlage kämpfte sich Napoleon «in einem schwer zu beschreibenden, aber leicht begreiflichen Zustande der Niedergeschlagenheit», wie der Pariser Polizeipräfekt Baron Étienne Pasquier es ausdrückte, zum Rhein zurück. Von den mehr als 300 000 Soldaten, die noch vor drei Monaten seinem Kommando unterstanden hatten, verfügte er gerade noch über 40 oder 50 000, und diese waren zumeist «nur noch eine in wirrem Durcheinander marschierende Masse und unfähig, irgendeine schlagkräftige Operation durchzuführen». Gleichwohl gelang es ihnen, die Bayern, ihre ehemaligen Verbündeten, unter General Wrede zu besiegen, als diese versuchten, ihnen bei Hanau den Rückzug zu verlegen.1 Das Kontrollnetz napoleonischer Herrschaft, das seit 1806 in Deutschland geknüpft worden war, löste sich auf. Napoleons Bruder Jérôme floh aus seinem Königreich Westfalen, als sich die anderen Fürsten des Rheinbunds den Verbündeten anschlossen. «Ich erblickte ihn in Begleitung seines Außen- und seines Kriegsministers; noch immer war er von den nun etwas ramponierten äußeren Zeichen seiner Königswürde umgeben», schrieb Beugnot, Napoleons Gesandter im Großherzogtum Berg, der ihn durch Düsseldorf ziehen sah. «Das Haus, in dem er sich einquartiert hatte, wimmelte von Soldaten seiner Leibwache, deren goldbetreßte Operettenuniformen der Situation herrlich unangemessen waren; Kammerdiener standen auf den Treppen, da es keine Vorzimmer gab, und das Ganze ähnelte stark einer durch die Provinz tingelnden Theatertruppe, die eine Tragödie probte.»2 Alte Rechnungen wurden beglichen, als die französische Ordnung zusammenbrach und aufsässige Truppen raubend umherzogen und das Elend vermehrten. Die Lage spitzte sich dramatisch zu, als eine Typhusepidemie das Rheinland heimsuchte, die Lazarette in Leichenhäuser
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verwandelte, erschöpfte und unterernährte Nachzügler dahinraffte und sogar gesunde Männer wie den ehrwürdigen Comte de Narbonne mit sich nahm, der den Rückzug aus Rußland so stoisch überstanden hatte. Der Zerfall von Napoleons Machtstrukturen in Deutschland führte auch dazu, daß alle französischen Einheiten, die sich noch in Festungen wie Danzig, Magdeburg, Modlin und Zamotd hielten, für ihn unerreichbar geworden waren. Diese Truppen waren für die Alliierten nicht einmal ernsthaft unangenehm, da sie sich leicht durch kleine Milizeinheiten in Schach halten ließen. Und genau wie in Deutschland löste sich auch in Italien die napoleonische Herrschaft auf. Unmittelbar nach Ablauf des Waffenstillstands im August waren österreichische Truppen in die illyrischen Provinzen eingedrungen und hatten die schwachen französischen Garnisonen zum Rückzug gezwungen. Fürst Eugène konnte ihrem Vormarsch wenig entgegensetzen und zog sich nach Mailand zurück. Im Auftrag der Alliierten wandte sich sein Schwiegervater, König Maximilian von Bayern, im November an ihn und beschwor ihn, die Seiten zu wechseln, um seine Zukunft zu sichern, aber Eugène weigerte sich. Seine Frau, Maximilians Tochter, unterstützte ihn darin. «Nur Mut, mein Freund», schrieb sie, «wir haben unser Schicksal nicht verdient, aber unsere Liebe und unser reines Gewissen werden ausreichen, um uns zu erhalten, und in einer schlichten Hütte werden wir das Glück finden, das so viele andere vergeblich auf Thronen suchen. Ich sage Ihnen nochmals, lassen Sie uns alles aufgeben, jedoch nie den Pfad der Tugend; dann wird Gott uns und unsere armen Kinder behüten.»3 Von Tugend war weiter südlich, in Neapel, nicht viel zu sehen, dessen König Joachim Murat, Napoleons Schwager, in der Hoffnung, seinen Thron zu behalten, insgeheim mit den Österreichern verhandelte. Napoleon hatte seinen ehemaligen Polizeipräsidenten Fouché mit dem Auftrag nach Neapel beordert, Murat zu beobachten und ihn am Überlaufen zu hindern. Aber obwohl Fouché wenig für Murat übrighatte, war er noch weniger darauf erpicht, das napoleonische Reich abzustützen, dessen Untergang er vor dem Hintergrund eigener Interessen ungeduldig erwartete. Daher beschränkte er sich darauf, das sich vor seinen Augen entfaltende Schauspiel zu betrachten, das nicht so sehr von Murat als von seiner intriganten Ehefrau Caroline inszeniert wurde, der schönen Schwester Napoleons; sie hatte nicht vor, im
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Alter von dreißig Jahren auf die Freuden des royalen Lebens zu verzichten. Murats Armee verfügte über allenfalls 20 bis 25 000 Mann, die prächtig uniformiert, aber undiszipliniert und schlecht ausgebildet waren; es mangelte an erfahrenen Offi zieren. Metternich, den möglicherweise zärtliche Erinnerungen an die kurze, aber leidenschaftliche Affäre bewegten, die er einige Jahre zuvor in Paris mit Caroline durchlebt hatte, scheint Murats Armee für stärker gehalten zu haben und war offenbar noch immer durch Murats etwas aufgebauschte militärische Reputation beeindruckt. Er hielt es daher für klug, ihn von Napoleon zu lösen, so daß er ihm Österreichs Anerkennung seiner Königskrone anbot und ihm versprach, dafür auch die britische Anerkennung einzuholen. Castlereagh war davon nicht angetan, akzeptierte aber, daß Metternich in diesem Fall Handlungsfreiheit haben solle, sofern Ferdinand IV. von Neapel, der Verbündete Großbritanniens, der sich noch im sizilianischen Teil seines Königreichs verschanzt hatte, mit anderen Gebieten in Italien entschädigt werde.4 Napoleon war am 10. November wieder in Saint-Cloud. Am nächsten Tag berief er seinen Staatsrat ein und beschwerte sich vor ihm darüber, von allen hintergangen worden zu sein, wobei er besonders seinem Zorn über König Maximilian Luft machte und Rache schwor. Mehrfach stieß er aus: «München wird niedergebrannt werden!» Er leitete die Aushebung von 300 000 Soldaten ein, wofür noch jüngere Männer als bisher und Sonderquoten aus den Musterungen weniger berücksichtigter Altersgruppen einzuziehen waren. Aber mit seinem Herrschaftsbereich schrumpfte auch die Zahl der Soldaten, die er rekrutieren konnte, ganz zu schweigen von der Menge an Uniform- und Munitionsfabriken. Der Preis eines Ersatzsoldaten verdoppelte sich auf 4000 Francs. In Gent wurden sogar hundert Seminaristen, die sich auf ihr Priesteramt vorbereiteten, gezwungen, die Reihen der Artillerie aufzufüllen. Entsprechend wuchs der Widerstand gegen die Konskriptionen. Im November 1813 erschoß sich ein junger Mann, der seinen Einberufungsbefehl erhalten hatte, öffentlich in Köln. Da es einfacher wurde, aus Frankreich zu fliehen, und die Verwaltung des Landes stark überlastet war, schwoll die Zahl derer, die sich durch Flucht oder Untertauchen ihrer Einberufung entzogen, drastisch an; nach einigen Schätzungen stieg sie auf bis zu 100 000.5
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Am 9. Dezember leitete Napoleon die Eröffnungssitzung des Corps législatif und belehrte es darüber, daß das Land mehr Soldaten, mehr Geld und mehr Entschlossenheit benötige. Er selbst ging mit gutem Beispiel voran und tat, als sei alles in bester Ordnung. Das höfische Leben ging in gewohnten Bahnen weiter, und die Empfänge waren luxuriös und voller Gäste wie eh und je. Diese bemerkenswerte Demonstration von Selbstvertrauen verfehlte jedoch ihre mitreißende Wirkung auf seine engere Umgebung. «Der Herr war anwesend wie immer, aber die Gesichter der Umstehenden, und ihr Auftreten und ihre Worte waren nicht mehr die gleichen», berichtete ein Funktionsträger, der beim kaiserlichen Lever in den Tuilerien zugegen war. «Das bloße Auftreten der Militärs, und selbst das der Höflinge, war irgendwie traurig und müde.» Es herrschte Niedergeschlagenheit in Paris. «Unruhig war man jetzt über alles und jedes, auf allen Seiten sah man nur Unglück voraus», schrieb Pasquier. «Man glaubte an nichts mehr, alle Illusionen waren zerstört.»6 Angesichts der bevorstehenden Invasion seines Landes tat Napoleon alles Erdenkliche, um Frankreich möglichst gut auf seine Verteidigung vorzubereiten und mögliche Einfallspunkte zu versperren, durch die der Feind eindringen könnte. Zu ihnen gehörte die Schweiz, die er 1803 aus der zentralistischen «Helvetischen Republik» zur «Eidgenossenschaft» umwandelte, indem er ihr die «Mediationsakte» als Verfassung diktierte, die ihn zum «Mediator» machte. Nach der Völkerschlacht von Leipzig hatte das Regierungsoberhaupt der Schweiz, der Landammann Hans von Reinhard, die «Tagsatzung» der Eidgenossenschaft, eine Art Parlament, nach Zürich einberufen. Sie erklärte das Land für neutral, ohne so weit zu gehen, ihre Truppen aus Napoleons Armee abzuziehen. Da er sich außerstande sah, die Schweiz zu verteidigen, sie aber auch nicht den Alliierten überlassen wollte, zog Napoleon seine Truppen zurück, entsagte seiner Rolle als Mediator und erkannte die Neutralität der Schweiz an. Er ließ auch König Ferdinand von Spanien frei, der in Frankreich seit 1807 als Gefangener festgehalten wurde; dafür mußte er versprechen, Wellingtons Armee aus Spanien zu vertreiben, so bald er wieder auf seinem Thron saß. Dies würde es Napoleon erlauben, alle seine Truppen aus Spanien und dem Südwesten Frankreichs abzuziehen. Möglicherweise hätte ein solches listiges Vorgehen ein halbes Jahr zuvor noch
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verfangen, zu diesem Zeitpunkt aber war es zum Scheitern verurteilt. Napoleons einzige realistische Überlebenschance lag jetzt in direkten Verhandlungen, durch die er die Koalition vielleicht so weit spalten könnte, daß sich daraus ein für ihn akzeptabler Frieden oder wenigstens eine dringend benötigte Atempause ergab. In den ersten Novembertagen erreichten die Alliierten Frankfurt am Main. Die Befreiung Deutschlands war vollbracht, und nun standen sie an Frankreichs Grenzen. Für Metternich war es ein Augenblick des persönlichen Triumphs. «Ich allein war es, der alles bezwungen hat – Haß, Vorurteile, kleinliches Interesse – um alle Deutschen unter einer Fahne zu vereinen!», schrieb er Wilhelmine am 5. November. Am folgenden Abend fuhr er hinaus, um seinen Kaiser zu begrüßen und ihn in die Stadt zu geleiten, in der er vor 21 Jahren dessen Kaiserkrönung beigewohnt hatte. «Welcher Jubel, welch heilige Begeisterung!», rief er aus. Er sah es als Sternstunde im Kampf zwischen Gut und Böse. Für die Diplomaten und anderen Zivilpersonen im Umfeld ihrer Herrscher bestand der Vorzug des Ortes vor allem darin, sich nach all den Nächten in armseligen Herbergen und Bauernhöfen jetzt in einem gewissen Komfort einrichten zu können. Metternich teilte seiner Frau mit, er habe ein charmantes Appartement gefunden, und genoß es, elegante Abendgesellschaften geben zu können. Er machte sich auch auf, seidene Tuche einzukaufen, um sie ihr und seinen Töchtern zu schicken.7 Für die Soldaten bedeutete Frankfurt eine willkommene Ruhepause. Es gab Theater und andere Zerstreuungen, die sie den Krieg vergessen ließen. «Als ich in den Club ging», notierte Admiral Schischkow, «wähnte ich mich wieder in Sankt Petersburg, denn jeder beliebige Raum, den ich betrat, war voller russischer Offiziere.» Die Stadt bot diesen Offi zieren die Möglichkeit, zu prahlen und die Dankbarkeit der befreiten Einwohner zu genießen.8 «Wir haben Damen hier in Frankfurt», schrieb Stewart an Castlereagh und versicherte sogleich: «Sie kennen mich zu gut, um auf den Gedanken zu kommen, sie könnten einen Teil meiner wertvollen Zeit in Anspruch nehmen.» Es herrschte allgemein Einigkeit darüber, daß Lady Burghersh, die Gattin des britischen Bevollmächtigten im österreichischen Hauptquartier, die hübscheste war. Alexander hingegen, dessen Interesse an Sinaida Wolkonskaja nachzulassen begann, stürzte
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sich in die weichen Arme der anmutigen, aus den Niederlanden stammenden Gattin eines der wichtigsten Bankiers der Stadt, Simon Moritz Bethmann. Metternich verglich sie abfällig mit einer «holländischen Kuh». Das war vielleicht nicht schlecht, denn hätte Alexander ein Auge auf Priscilla Burghersh geworfen, wäre er vielleicht enttäuscht worden. Sie war eine der wenigen Frauen in Europa, die dem Charme des Zaren nicht verfielen. Er machte einen unvorteilhaften Eindruck auf sie, als sie ihn in Frankfurt kennenlernte, und erinnerte sie an ihren Zahnarzt. «Mit Ausnahme seiner Schultern hat er eine schauderhafte Figur», schrieb sie einer Freundin. «Er hält sich sehr vornübergebeugt, was seinen ganzen Hofstaat veranlasst ihm nachzuahmen und sich dabei wie Frauen zu schnüren! Sein Ausdruck ist nicht unangenehm – das ist aber auch alles, was ich über ihn sagen kann.»9 Es gab Dankgottesdienste für die Befreiung Deutschlands, und die Bürger der Stadt veranstalteten Bälle zu Ehren der drei alliierten Herrscher und ihrer Minister. Alexanders Schwestern, die Großfürstinnen Katharina und Maria, trafen in Frankfurt ein, um die Ereignisse zu schmücken, und es kam eine Reihe deutscher Damen, denen daran lag, ihre Heiratsaussichten abzusichern. Es herrschte eine heitere Karnevalsstimmung, und es ging nicht immer allzu schicklich zu. Bei einem der Bälle führte eine mangelnde Vertrautheit mit dem Walzer und eine Unebenheit des Fußbodens zu einer Kollision, bei der eine junge Dame in einer Weise stürzte, daß sich alle ihre Geheimnisse jedem offenbarten, wie Metternich seiner Tochter Marie Leopoldine mitteilte.10 Überdies füllte sich die Stadt mit großen und kleinen Fürsten aus ganz Deutschland, denen es um Ernsteres ging. Solche aus dem Rheinbund versuchten verzweifelt sicherzustellen, daß sie ihre Herrschaft nicht einbüßten. Je kleiner und schwächer ihre Staaten waren, desto eindringlicher beteuerten sie jedem, wie sehr sie Napoleon schon immer verabscheut und sich danach gesehnt hätten, sich den Verbündeten anzuschließen. Mediatisierte Standesherren, also einst souveräne Fürsten, die zuvor nur dem Kaiser des Heiligen Römischen Reichs untertan gewesen waren, deren Herrschaftsgebiete unter Napoleon aber dem Gebiet eines Rheinbundherrschers zugeschlagen worden waren, dem sie nun unterstanden – sie kamen, um ihre neuen Herrscher anzuprangern, in der Hoffnung, wieder unabhängig zu werden. Reichsritter, Prälaten
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und andere, die ihren Rang infolge von Napoleons Neuordnungen verloren hatten, verlangten nun unter Berufung auf uralte Dokumente und Urkunden ihre Wiedereinsetzung. Alle hatten mächtige Verwandte oder Unterstützer an dem einem oder anderen Hof der Alliierten; sie antichambrierten, um ihr Anliegen Metternich, Nesselrode oder anderen mächtigen Persönlichkeiten vorzutragen, und belästigten jeden, der über Einfluß verfügte. In Briefen an seine Frau beklagte sich Freiherr vom Stein über die «Flut von Fürsten und Souveränen», einem «Fürstenpack so lächerlich, wie es verachtenswert ist und verachtet wird». Was kurzfristige Regelungen betraf, so war Stein mit Abstand der wichtigste Mann in Deutschland. Er war für die Verwaltung sogar solcher Staaten zuständig, deren Herrscher sich der Allianz angeschlossen hatten, und diese stöhnten jetzt über die Zahl der Soldaten und Pferde, die er requirierte, über die Lebensmittel, die er beschlagnahmte und die Steuern, die er erhob. Besonders ärgerlich war, daß die Einrichtung Bezirke zur Rekrutierung des Landsturms schuf, die die bestehenden politischen Grenzen völlig ignorierten. Diejenigen, die alles verloren hatten, glaubten, er könnte sich verständnisvoll zeigen und auf ihrer Seite gegen ihre neuen Herren Partei ergreifen, aber auch sie behandelte er nur mit Geringschätzung. Auf mehr konnten sie kaum hoffen.11 Auch Stein, Metternich und Nesselrode hatten einst dem reichsunmittelbaren Adel angehört und diesen Rang durch die Auflösung des Heiligen Römischen Reichs unwillentlich aufgeben müssen. Sie hatten aber erkannt, daß sich die Zeiten geändert hatten, und sich erfolgreich den neuen Umständen angepaßt. Von ihnen war weder für jene Sympathie zu erwarten, die sich mit Napoleon komfortabel arrangiert hatten, noch für jene, die ihren Verlust nicht verwinden konnten. Humboldt, der ebenfalls von Bittstellern belagert wurde, die seine Protektion suchten, empfand es als «göttlich», von Menschen bestürmt zu werden, für die er unter anderen Umständen Luft gewesen wäre. Um sie abzufertigen, sprach er stets voller geheuchelten Mitleids über einen aus jener Gruppe, die vom jeweiligen Bittsteller unterdrückt wurde: ein Rheinbund-Fürst mußte sich anhören, wie schlecht es einem mediatisierten Adligen erging, und der wieder erfuhr von den Wehklagen eines entmachteten Geistlichen, und so weiter.12
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Friedrich I., König von Württemberg, war eine derart massige Erscheinung, daß ein Angestellter des königlichen Haushaltes einmal dachte, er habe ein Schwein in einer Kutsche vorbeifahren sehen. Den Worten einer Hofdame nach besaß er «das Temperament eines Teufels im Körper eines Elefanten».
Immerhin war es Metternich gelungen, Österreichs Einfluß in Süddeutschland zu sichern, indem er die wichtigeren Staaten dort als Verbündete auf seine Seite zog. Der König von Württemberg, der seine Krone Napoleon verdankte und der mit der Einverleibung mediatisierter Staaten und Kirchengebiete sein Land beträchtlich vergrößern und dessen Einwohnerzahl innerhalb von zehn Jahren verdoppeln konnte, hatte durch eine Veränderung viel zu verlieren; er unterschrieb einen Bündnisvertrag mit Österreich, in dem ihm der Fortbestand seines königlichen Rangs im Rahmen der künftig auszuhandelnden Neuordnung Deutschlands zugesichert wurde. Ähnlich stand es um den Großherzog von Hessen und den Großherzog von Baden. Auch letzterem war es unter französischer Herrschaft gut gegangen; er hatte sogar Napoleons Adoptivtochter Stéphanie de Beauharnais geheiratet, die er jetzt verstieß. Er bemühte sich unmittelbar bei Alexander, seinem Schwager, um die Anerkennung seiner Souveränität, aber der Zar mochte ihn nicht, und so erreichte auch er nur eine Zusicherung seiner Herrschaft im Rahmen einer späteren Neuordnung Deutschlands.
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Als sie im August ihren Feldzug planten, hatten sich die Alliierten darauf konzentriert, Napoleon aus Deutschland zu vertreiben, und ihre Oberbefehlshaber hatten nur Operationen bis zum Rhein ins Auge gefaßt. Als sie nun diese natürliche Linie erreicht hatten, die seit 1801 zugleich die Grenze des französischen Kaiserreichs war, zögerten sie. Wenn sie den Krieg nach Frankreich hineintrügen, würde ihr Feldzug unter einem veränderten Zeichen stehen. Alexander war willens, den Vorstoß fortzusetzen, aber seine Minister, besonders die russischen, waren entschieden dagegen. Am 6. November unterbreitete ihm Admiral Schischkow ein langes Memorandum, in dem er darlegte, daß Rußland, als es sich verteidigte und Napoleon besiegte, seine Pflicht sich selbst gegenüber erfüllt habe. Überdies habe es Alexanders selbstgestecktes Ziel verwirklicht, Europa zu befreien. Dementsprechend gebe es keinen Grund und keine Rechtfertigung, den Krieg fortzusetzen. Schischkow wies darauf hin, daß, nun, da Frankreich zum Rhein zurückgedrängt und Deutschland wieder erstarkt sei, Napoleon nie mehr in der Lage sein werde, Europa, geschweige denn Rußland, zu bedrohen. Und schließlich besitze Frankreich nunmehr eine neue, verteidigungsfähige Grenze. Schischkow warnte, daß eine Fortsetzung des Krieges nach Frankreich hinein die französische Nation dazu anstacheln könne, sich zur Verteidigung ihres Vaterlandes hinter ihren Kaiser zu stellen und die Eindringlinge zu besiegen.13 Alexanders Generäle waren derselben Ansicht, und seine Soldaten sehnten sich danach, in die Heimat zurückzukehren. Die russische Armee war auf etwa 50 000 Mann zusammengeschrumpft, und ein besorgter Aberdeen meldete am 8. November, daß «die Gefühle innerhalb der russischen Armee mit jedem Tag lauter geäußert werden; vom höchsten bis zum niedrigsten Dienstgrad rufen alle nach Frieden». Auch Stewart wies warnend darauf hin, daß die russischen Soldaten anhalten wollten. Bei der preußischen Armee sah es kaum besser aus. Gneisenau zeichnete deren Verfassung in düsteren Farben: Die Männer seien erschöpft, nicht ausreichend bewaffnet und allerhöchstens bereit, Winterquartiere zu beziehen.14 Aber Alexander wurde durch Leute wie Pozzo di Borgo unterstützt, der nicht ruhen würde, bis sein Feind Napoleon vernichtet war; Anstett sann in ähnlicher Weise auf Rache; Stein wollte Frankreich noch weiter
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Die «historischen» und die «natürlichen» Grenzen Frankreichs
DEUTSCHLAND Brüssel as Aachen Ma
Luxemburg Mainz
Se
Rouen
Reims
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Marne
Lothringen
in
Paris
Se
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Troyes Orléans
Langres Châtillon Dijon Burgund Besançon
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Nantes
e
Rennes
Straßburg Chaumont
in
Bretagne
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Amiens
Normandie
Tours Bourges
FRANKREICH Atlantischer Ozean
Basel
SCHWEIZ
Poitiers
Genf Lyon
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Dordogne
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Frankfurt
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Grenzen von 1792 «Natürliche Grenzen»
ITALIEN
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Gascogne
Avignon Toulouse
Provence
Nizza
Marseille
SPANIEN
Mittelmeer
verkleinert sehen; viele andere in seiner Entourage, hauptsächlich die Nichtrussen, waren gleicher Ansicht. Das galt auch für Hardenberg und insbesondere für Blücher, der darauf brannte, sich für die Scharte von Jena und die Demütigungen, die sein Land durch Napoleon erlitten hatte, zu rächen. Er setzte sich leidenschaftlich für einen sofortigen Vorstoß ein, denn er war überzeugt, man könne Frankreich besiegen und Paris binnen zwei Monaten einnehmen, wenn man Napoleon keine Gelegenheit gäbe, seine Truppen neu aufzustellen. Friedrich Wilhelm war nicht annähernd so kriegerisch gesonnen und gab oft der Befürch-
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tung Ausdruck, daß Napoleons militärisches Können noch immer eine Umkehr des Kriegsglücks herbeiführen könne.15 Auch Kaiser Franz war vorsichtig, und die österreichischen Kommandeure hatten ähnlichen Respekt vor den Fähigkeiten Napoleons wie ihre russischen Kollegen. Metternich war aus anderen Erwägungen dagegen, den Vormarsch fortzusetzen. Er wünschte keine weitere Schwächung Frankreichs, denn seine Vorstellung von einer dauerhaften Neuordnung Europas enthielt ein starkes Frankreich als Gegengewicht zu Rußland. Daher drängte er darauf, Napoleon Friedensangebote zu machen, wobei er, vor allem um Alexander zu beschwichtigen, betonte, daß diese wahrscheinlich nicht angenommen werden würden; und das könne das moralische Ansehen der Alliierten nur aufwerten. Günstigerweise war Napoleons Gesandter am Hof von Weimar, der Baron de Saint-Aignan, beim Vormarsch der verbündeten Armeen gefangengenommen und nach Frankfurt gebracht worden. Bevor man ihn am 9. November wieder nach Paris entließ, lud Metternich ihn zu einem Gespräch zu dritt mit Nesselrode ein. Er teilte dem Franzosen mit, daß die Alliierten jetzt zu einem Friedensschluß bereit seien. Frankreich brauche nichts weiter zu tun, als seine Eroberungen in Italien, Spanien und Deutschland aufzugeben und sich in seine natürlichen Grenzen am Rhein, den Alpen und den Pyrenäen zurückzuziehen; es könne also Belgien, Savoyen sowie das ganze linke Rheinufer behalten. Was mit den Restgebieten der Niederlande geschehen solle, blieb offen, und Verhandlungen über die Kolonien und über seerechtliche Angelegenheiten wurden in Aussicht gestellt. Metternich legte Saint-Aignan nahe, all dies in Form eines aidemémoire aufzuschreiben, das er Napoleon bei seiner Rückkehr nach Paris überreichen könne; zu diesem Zweck führte er ihn in ein Arbeitszimmer nebenan. Während sie sich dort aufhielten, traf Aberdeen ein, und als sie zurückkehrten, bat Metternich Saint-Aignan, das Dokument ihm, Nesselrode und Aberdeen vorzulesen, damit man sich vergewissern könne, daß er alles korrekt notiert hatte. Aberdeen hatte kurz zuvor Briefe von Castlereagh erhalten, denen zufolge das britische Kabinett nicht geneigt sei, mit Napoleon zu verhandeln, da die britische öffentliche Meinung seine völlige Vernichtung wünschte. Er wußte auch, daß Castlereagh Metternichs Neigung zuwider war, «bei allem zuzupacken, bei dem sich, und sei es unter Ver-
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drehungen, wenigstens eine Hoffnung auf Verhandlungen finden läßt». Darum lauschte er dem Vortrag des Memorandums mit skeptischer Distanz und scheint selbst beim Zugeständnis der Rheingrenze nicht protestiert zu haben.16 Als Saint-Aignan zum Abschnitt gelangte, in dem es um Großbritannien ging, bat Aberdeen, noch einmal zu lesen, und erklärte dann, daß der Ausdruck «die Freiheit der See und des Handels» zu vage sei. Großbritannien sei zwar bereit, alle annektierten Kolonien zurückzugeben, um einen dauerhaften Frieden zu sichern, es werde «aber niemals einer Regelung zustimmen, die seine Seerechte tangiert». Am nächsten Tag sandte er Nesselrode und Metternich eine offi zielle Note, in der er wiederholte, daß Großbritannien auf keinen Fall an Verhandlungen teilnehmen werde, in denen diese Rechte zur Diskussion gestellt würden. Immerhin jedoch hatte seine bloße Anwesenheit beim Verlesen des Memorandums diesem eine scheinbare Autorität verliehen.17 Saint-Aignan erreichte Paris mit den «Frankfurter Vorschlägen», wie man sie nannte, am 14. November und wurde am Tag darauf von Napoleon empfangen. Napoleon erkannte sofort, daß die Vorschläge nicht Grundlage einer endgültigen Einigung sein konnten, da sie keines der Kriegsziele Großbritanniens spezifi zierten. Er sah aber auch, daß sie gewisse Möglichkeiten eröffneten. Durch Caulaincourt, den er anstelle Marets zum Außenminister gemacht hatte, ließ er Metternich mitteilen, daß er die Vorschläge akzeptiere, und schlug als Verhandlungsort Mannheim vor. Er war inzwischen bereit, auf der Grundlage von Frankreichs «natürlichen Grenzen» und der Rückgabe seiner meisten Kolonien Frieden zu schließen. Um dies zu erreichen, müßten die Alliierten Großbritannien durch hinreichenden Druck zum Einverständnis damit bringen, daß Frankreich Belgien behielt. Dazu, einen solchen Druck auszuüben, würden sich aber die Alliierten nur dann bewegen lassen, wenn die vollen Kosten einer Fortsetzung des Krieges den Briten aufgebürdet würden. So gesehen schienen sich die «Frankfurter Vorschläge» als der Keil anzubieten, mit dem sich die Allianz vielleicht spalten ließe.18 «Die Koalition zeigt erste Anzeichen von Altersschwäche», schrieb Aberdeen an seinen Schwiegervater, den Earl von Abercorn, «und die Übel, die ihrer Existenz bereits innewohnen, sind täglich spürbar.» Das
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ist nicht verwunderlich. Rußland und Preußen waren vertraglich miteinander verbunden, und beide hatten sich jeweils durch weitere Verträge Österreich und Großbritannien verpflichtet. Österreich hatte zusätzlich, am 3. Oktober, einen äußerst vagen Vorvertrag mit Großbritannien geschlossen – neben einem Subsidienvertrag. Ferner hatte Österreich ohne die Alliierten Vereinbarungen mit Bayern und einer Reihe anderer kleiner Staaten getroffen, während Rußland, Preußen und Großbritannien jeweils eigene Verträge mit Schweden unterzeichnet hatten. All diese Verträge waren ungenau formuliert, manche widersprüchlich, oder sie widersprachen sich untereinander. Jeder Vertragspartner mißtraute allen anderen.19 Bei derartigen Meinungsverschiedenheiten in allen Punkten, angefangen von der Frage, ob der Vormarsch fortgesetzt werden solle, bis dahin, wie mit den polnischen Gebieten zu verfahren sei, wie die Neuordnung Deutschlands und Hunderte andere kleine Probleme zu lösen seien, und angesichts der tiefsitzenden Ressentiments und Eifersüchteleien auf allen Ebenen, lief die Koalition jeden Augenblick Gefahr, auseinanderzubrechen. Stewart beschwerte sich über die ständigen «politischen Übertölpelungsversuche, die Tricksereien und die Schikanen jeder Art» denen er ausgesetzt sei. «Kurzum, in dem Maße, wie wir Erfolg haben», berichtete er Castlereagh am 23. November, «kommen täglich mehr und mehr Einzelinteressen ins Spiel, und man kann zur Zeit nicht auf einen glücklichen Ausgang rechnen, solange Metternich, mit seinem machiavellistischen Geist der politischen Intrige, das Ganze anführt.»20 Castlereaghs «Grand Design», die Alliierten aneinander zu binden und auf eine Reihe genau definierter Ziele zu verpflichten, hatte nichts bewirkt. Cathcart hatte sich ständig bemüht, von Alexander empfangen zu werden, um ihm das Projekt vorzutragen, doch immer wieder waren militärische Dinge dazwischengekommen und die Audienzen abgesagt worden. Erst am 26. Oktober gelang es ihm, den Zaren allein zu sprechen. Laut Cathcart schien Alexander «den Vorschlägen durchaus nicht abgeneigt zu sein», jedoch hatte er auch gefragt, welche Kolonien Großbritannien auf den Verhandlungstisch legen wolle, ein Thema, von dem er wußte, daß es die Briten in Rage brachte. Es war seine Art, Castlereaghs Angebot eine elegante Abfuhr zu erteilen.21 Aberdeen, der sich übergangen fühlte, weil Castlereagh das Projekt nicht ihm, sondern Cathcart anvertraut hatte, und der es außerdem für
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einen Fehler hielt, den Vorschlag nicht zuerst Metternich, sondern Alexander zu unterbreiten, kritisierte Cathcarts Langsamkeit und mangelnden Nachdruck bei der Beförderung dieser Angelegenheit. In einem Brief an Castlereagh vom 29. Oktober schlug er vor, er selber solle mit der Aufgabe betraut werden, das Projekt voranzutreiben. Er begründete seine Anregung damit, daß Metternich ihm vollkommen vertraue, ebenso wie Nesselrode, «der, obgleich er selbst nicht sonderlich klug ist, Cathcart im höchsten Maße verachtet und dem auch regelmäßig Ausdruck verleiht.» Und sicherheitshalber fügte er hinzu, Nesselrode habe ihm erzählt, es sei «unmöglich, mit einem solchen Idioten zu reden».22 Castlereaghs Frustration über den mangelnden Erfolg seiner Gesandten wird in seinen zahlreichen Briefen zum Thema deutlich spürbar. Aber in der Tat konnten die drei nur wenig ausrichten. Ihre bisherigen Versuche hatten während eines beschleunigten Feldzugs bei garstigem Wetter scheitern müssen, und die Bedingungen wurden nicht einfacher für sie, als das Alliierte Hauptquartier in Frankfurt Station machte. Castlereagh hatte den brüskierten Aberdeen zu besänftigen versucht, indem er ihm mitteilte, ab nun werde er der Wichtigste sein und die erste Geige spielen. «Wenn es Ihnen gelingt, den Schlußstein in jenes Gewölbe zu setzen, das uns hernach tragen wird, dann wissen Sie, daß ihre Mühen nicht umsonst gewesen sind», schrieb er. Einige Tage nach seiner Ankunft lud Alexander ihn zum Diner mit ihm und Nesselrode, auf dem aber nur Schmeicheleien für Aberdeen und Beschwerden über Cathcart geäußert wurden: Die Russen versuchten offenkundig, die britischen Gesandten gegeneinander auszuspielen.23 Am 23. November schrieb Stewart an Castlereagh, Preußen sei jetzt bereit, die «große Allianz» zu unterzeichnen. Zwei Tage später berichtete Aberdeen stolz, daß er Metternich überzeugt habe, der seinerseits versprochen habe, Alexander von der Notwendigkeit zu überzeugen, Castlereaghs Projekt zuzustimmen. Drei Tage danach versicherte er Castlereagh, daß «der Vertrag einer allgemeinen Allianz ganz sicher unverzüglich geschlossen werden wird». Am 5. Dezember jedoch schrieb Stewart, daß Alexander sich geweigert habe, zu unterschreiben, und vier Tage später erfuhr Aberdeen von Nesselrode und Metternich, daß auch sie nicht die geringste Absicht hätten, dies zu tun.24 Castlereagh, dem nicht einleuchtete, wie man ernsthafte Einwände gegen die Unterzeichnung eines solchen Bündnisvertrags haben könnte,
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machte sich große Sorgen. Seine drei Gesandten «ließen den Kopf hängen», wie Stewart schrieb, und zwei von ihnen wollten nach Hause fahren. Sie verstanden sich untereinander schlechter denn je und waren in dem Netz von Intrigen, das das Hauptquartier der Alliierten durchzog und mit jedem Tag in Frankfurt engmaschiger wurde, völlig überfordert. Ihre Unfähigkeit, eine feste gemeinsame Position zu präsentieren, untergrub ihre Position so sehr, daß die anderen Gesandten sie immer weniger ernstnahmen und sie abfällig als «die englische Dreifaltigkeit» oder «die drei Englande» bezeichneten. Castlereagh machte sich etwas vor, wenn er nicht verstehen wollte, warum Metternich und Alexander es ablehnten, sich in seiner vorgeschlagenen Allianz festlegen zu lassen. Er selbst verfolgte ganz unabhängig von ihnen eine ausschließlich von britischen Interessen bestimmte Politik in den Niederlanden, wo er einen fait accompli zu schaffen hoffte. Über Aberdeen ließ er den holländischen Patrioten, die am 15. November in Amsterdam gegen die Franzosen revoltierten, Geld zufließen. Zudem brachte ihn Bernadotte zur Verzweiflung, der eigenmächtig Dänemark angriff, statt den aufständischen Holländern zu Hilfe zu eilen, wofür er britische Subventionen erhalten hatte. Castlereaghs Ziel war es, die Befreiung auf Belgien auszudehnen, um sich die Kontrolle über Antwerpen und die Schelde-Mündung zu sichern.25 Insofern überrascht es nicht, daß Castlereagh durch einen Geheimdienstbericht alarmiert wurde, den er Ende November von Aberdeen erhielt. Ihm zufolge wollten die Russen eine Ehe zwischen Alexanders Schwester, Großherzogin Katharina, und dem Bruder von Kaiser Franz, Erzherzog Karl, in die Wege leiten und die beiden auf den niederländischen Thron setzen. Er fing an, überall Verschwörungen zu wittern.26 Aberdeen versuchte ihn zu beruhigen und tadelte ihn sanft ob seiner Unwissenheit: «Mein lieber Castlereagh, bei all Ihrer Weisheit, Urteilskraft und Erfahrung, die größer kaum sein könnten und welche ich aufrichtig respektiere, glaube ich, Sie sind so durch und durch englisch, daß Sie sich über die eigentliche Bedeutung ausländischer Schauspielereien nicht ganz im klaren sind.»27 «Die Erfolge der Verbündeten übertreffen unsere kühnsten Erwartungen», schrieb Metternich einem seiner Diplomaten am 19. November. «Wir sind Herren über ganz Deutschland, und bald auch über Italien.» In seinen Briefen an Wilhelmine legte er mit dem Kollektivum auch
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seine Bescheidenheit ab. «Es ist alles mein Werk», verkündete er, «meines und meines allein.» In dieser Behauptung steckte viel Wahrheit, da er während der vergangenen Monate diese Koalition gesteuert und mehrmals verhindert hatte, daß sie auf Grund lief.28 Besonders geschickt hatte er sich im Umgang mit Alexander gezeigt. «In dem ganzen Verlauf der Kriegsoperationen brachte ich die Abende bei Seiner kaiserlichen Majestät zu», erinnerte er sich später. «Wir verweilten von acht oder neun Uhr abends bis Mitternacht unter vier Augen in zwanglosem Gespräch. Es verbreitete sich über die verschiedensten Gegenstände sowohl des Privatlebens als auch aus dem Gebiete der großen moralischen und Regierungsfragen und über die Tagesbelange. Rückhaltlose Offenheit in unserem Meinungsaustausch über alle Dinge gab diesen Beziehungen den Reiz voller Ungezwungenheit.» Inzwischen vertraute Alexander Metternich, wie ihm auch Nesselrode vertraute, was zur Folge hatte, daß sich der österreichische Außenminister oft gar nicht erst die Mühe machte, Hardenberg oder Humboldt zu konsultieren. Ein größeres Problem war, daß er begann, seine Vormachtstellung für selbstverständlich zu halten. Seiner Frau schrieb er am 1. Dezember, der «gute Kaiser» sei so sehr vernarrt in seine visionäre Art, wie jener sie nenne, daß er nichts mehr tue, ohne sich vorher mit ihm zu beraten. Solch eine Hybris war erschreckend, und sie würde Metternich tatsächlich zu einer groben Fehlleistung verleiten.29 Trotz der Bedenken gegen eine Überquerung des Rheins und eine Invasion Frankreichs hatte man sich am 19. November auf einen Plan für die nächste Phase des alliierten Vormarschs geeinigt; er war von Schwarzenberg entworfen worden und entsprach Metternichs Vorsicht. Die Invasion sollte von drei Armeen durchgeführt werden: im Norden sollten Blüchers Preußen den Rhein zwischen Köln und Mainz überqueren und nach Lothringen eindringen; im Süden sollten die Österreicher Fürst Eugène aus Italien drängen und über den Simplon in Richtung Lyon vorstoßen; und im Zentrum würde Schwarzenberg mit der österreichisch-russischen Hauptarmee zwischen Mannheim und Basel nach Frankreich vordringen, die Vogesen besetzen und sich auf der Hochebene von Langres in Stellung bringen. Seien diese drei Ziele erreicht, würden die Alliierten innehalten und Bilanz ziehen. Es schien unwahrscheinlich, daß Napoleon bis dahin noch keinen Frieden geschlossen haben würde – man hatte sich doch bereits darauf
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verständigt, zu verhandeln, nur ein Ort mußte dafür noch bestimmt werden. Um ihre eigene moralische Position zu untermauern und die Napoleons weiter zu untergraben, gaben die Alliierten am 1. Dezember eine öffentliche Erklärung heraus, in der sie betonten, nicht gegen Frankreich, sondern gegen dessen «Vorherrschaft» Krieg zu führen. «Die verbündeten Monarchen wünschen, daß Frankreich groß, stark und zufrieden» sei, hieß es weiter, und es folgte als verlockender Zusatz, man wolle, daß es territorial ausgedehnter als vor der Revolution bleibe.30 Der Plan der Alliierten sah vor, schweizerisches Gebiet zu durchqueren, was sie vor ein heikles politisches Problem stellte, denn die Schweizer hatten sich für neutral erklärt. Alexander versicherte hoch und heilig, daß die Alliierten dies respektieren würden, und fügte hinzu, er werde jede Zuwiderhandlung als Kriegserklärung gegen sich selbst auffassen. Da ihm die Ernsthaftigkeit dieses Versprechens oder die persönliche Überzeugung, die in ihm steckte, entging, schickte sich Metternich gerade an, genau dies zu tun. Die Schweizer Eidgenossenschaft, wie sie im Westfälischen Frieden von 1648 anerkannt worden war, war ein Bündnis von dreizehn Kantonen und einiger kleinerer Gebilde gewesen, die teils von absolutistischen Herrschern, teils von lokalen Oligarchien und teils von einer Art Volksvertretung regiert wurden. Die Differenzen und Eifersüchteleien, die so ein Zusammenschluß mit sich brachte, wurden durch religiöse Spaltungen und die untereinander konkurrierenden Einflüsse benachbarter Mächte angestachelt, vor allem von Seiten Österreichs und Frankreichs. 1798 hatten die Franzosen die Schweiz besetzt. Genf wurde Teil Frankreichs, und das Veltlin fiel später dem napoleonischen Königreich Italien zu. Das restliche Gebiet wurde zur «Helvetischen Republik», die aus dreiundzwanzig Kantonen bestand und im Sinne des Zeitalters rational reorganisiert wurde. Napoleon, der sich zum «Mediator» erklärte, schaffte die Vogteien (bailliages) oder feudalen Gerichte ab, befreite die Kantone Waadt und Aargau von der Vormundschaft Berns und beseitigte eine Vielzahl mittelalterlicher Überbleibsel. Jeder Bürger war nun vor dem Gesetz frei und gleich. Obwohl dies viele erfreute, verletzte die Beseitigung alteingesessener Traditionen recht oft auch lokale Gefühlslagen. Die alten und einst dominierenden Kantone, allen voran Bern, waren über die Neuerungen verärgert und ersehnten die Rückkehr der
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alten Zustände, während die neugeschaffenen Kantone wie Aargau und Waadt von den französischen Eingriffen und dem Schutz Napoleons profitiert hatten. Die Alten Kantone hatten historische Bande zu Österreich, das sie traditionell beschützt hatte, und Metternich hoffte, sie nutzen zu können, um den österreichischen Einfluß wieder zu stärken und das Ancien Régime in der gesamten Schweiz wieder einzuführen. Ein junger Waadtländer, Frédéric César de La Harpe, war in seiner Jugend von den Patriziern Berns verfolgt und zur Flucht gezwungen worden. Er war nach Rußland gegangen, wo er als Hauslehrer des Großfürsten Alexander eine Anstellung gefunden hatte. Sein Einfluß auf ihn war prägend gewesen und auch jetzt, da sein Zögling Zar geworden war, immer noch stark. La Harpe war später nach Frankreich gegangen und hatte maßgeblich an der französischen Intervention mitgewirkt, die Waadt und Aargau von der Berner Dominanz befreit und die über diese Stadt regierenden patrizischen Familien entmachtet hatte. Anfang November hatten Alexander und Metternich zwei Bevollmächtigte, Capodistrias und Lebzeltern, nach Zürich entsandt. Ihre Aufgabe war, den Landamman Reinhard zu überzeugen, sich den Alliierten anzuschließen oder wenigstens die Schweiz für neutral zu erklären. In letzterem Fall sollten sie über eine Genehmigung verhandeln, derzufolge alliierte Truppen durch Schweizer Territorium marschieren dürften. Die beiden Gesandten trafen am 21. November in Zürich ein, mußten aber feststellen, daß in der dorthin einberufenen Tagsatzung durchaus keine Einigkeit herrschte und viele Mitglieder noch zu Napoleon hielten. Als Napoleon auf seine Rolle als Mediator für die Schweiz verzichtete, hatte sich dieses Problem erledigt, und die Tagsatzung erklärte prompt die Neutralität der Schweiz. Hinter dem Rücken Alexanders hatte Metternich aber auch einen Bevollmächtigten nach Bern entsandt, der dort Bestrebungen zur Untergrabung der bestehenden Regierung ermutigen und für eine Rückkehr zum Ancien Régime eintreten sollte. Die Truppen, die durch Schweizer Gebiet ziehen würden, waren überwiegend österreichisch, was ihnen Schutz verschaffen und Metternich entscheidenden Einfluß auf Schweizer Angelegenheiten sichern würde. Inzwischen waren die alliierten Truppen bereits auf dem Vormarsch, und Schwarzenbergs Vorhut stand im Begriff, zwischen Schaffhausen und Basel Schweizer Boden zu betreten. Da aber in der Zürcher Tagsatzung die erforderliche
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Zustimmung dafür nicht zustande gekommen war, und im Bewußtsein, daß dies die Schweizer Neutralität verletzen würde, gab Alexander den Gegenbefehl. Metternich sah nicht ein, warum der gesamte strategische Plan der Alliierten konterkariert werden sollte, nur um auf Alexanders Gefühle Rücksicht zu nehmen. Er überredete Kaiser Franz, Schwarzenberg den Befehl zum Weitermarsch zu geben, und am 21. Dezember um 2 Uhr nachts drangen die Österreicher in Basel ein, dessen Garnison kapituliert hatte. Als Alexander davon erfuhr, war er außer sich. «Metternich hat sich in der Schweizer Frage abscheulich aufgeführt, und ich bin entrüstet», schrieb er an seine Schwester. Noch erschloß sich ihm nicht das volle Ausmaß der Konsequenzen, die Metternichs Handeln haben würde, und diese sollten erheblich sein, aber er fühlte sich persönlich hintergangen und war verärgert, weil sein Ruf Schaden genommen hatte. Er hat ihm diesen Zwischenfall nie verziehen, und er sollte ihre Beziehung für alle Zeit vergiften.31 Stein nutzte die Gelegenheit sofort. «Es gibt gute Gründe für die Befürchtung, daß sich Graf Metternich mit dem gleichen Leichtsinn, der gleichen Eitelkeit, dem gleichen Mangel an Respekt für Wahrheit und Sittlichkeit einer abschließenden Regelung der deutschen Angelegenheiten widmen wird – und die seinetwegen schon verfahren genug ist – wie er sie gerade eben in der Schweiz mit so schädlichen Folgen sich hat auswirken lassen», schrieb er an Alexander.32 Metternich spielte das Ganze herunter. Aber er hatte bereits eingesehen, daß er allein Alexander nicht mehr würde steuern können, und daß ihm weder Hardenberg, noch Nesselrode, noch die «englische Dreifaltigkeit» in dieser Hinsicht eine große Hilfe sein würden. Auch hatte er zu berücksichtigen, daß angesichts der zeitlich rasch näher rückenden endgültigen Regelung Entscheidungen schnell getroffen werden mußten. Wenn auch die Anwesenheit der drei Monarchen im Hauptquartier bedeutete, daß sich Rußland, Preußen und Österreich sofort über alles Mögliche einigen konnten, bedeutete die Abwesenheit von britischen Repräsentanten mit Entscheidungsbefugnis, daß die Koalition als Ganze dazu nicht in der Lage war. Die britische Verfassung ließ nicht zu, daß das Staatsoberhaupt das Land verließ; daher war ausgeschlossen, daß der Prinzregent ins Hauptquartier der Alliierten kam. Andererseits durfte es so nicht weitergehen.
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Als Metternich am 5. Dezember Napoleons Brief erhielt, in dem er die «Frankfurter Vorschläge» als Verhandlungsgrundlage akzeptierte, informierte er Nesselrode und Hardenberg, und sie beschlossen, Pozzo di Borgo nach London zu schicken, um persönlich mit Castlereagh zu sprechen. Stewart bekam über einen geheimen Zugang zu Metternichs Unterlagen Wind von der Sache und teilte seinen Kollegen mit, wie empört er war. Aberdeen fühlte sich von Metternich düpiert; er konfrontierte ihn mit dem Vorwurf, ihn hintergangen zu haben. «In dieser Angelegenheit wurde, und wird noch immer, mit mehr Hinterlist, Lug und Trug vorgegangen, als ich jemals sonst erlebt habe», war Jacksons Kommentar.33 Metternich, der sich gedemütigt fühlte, als er erfuhr, daß in seiner Kanzlei «geräubert» worden war, hatte in Wahrheit niemanden düpieren wollen. Er und seine Kollegen waren lediglich zu dem Schluß gekommen, daß «das Triumvirat, das sich zur Zeit bei uns im Hauptquartier aufhält, nicht befähigt ist, unsere Sache voranzubringen». Pozzo di Borgos Mission sollte die russischen, preußischen und österreichischen Gesandten in London anweisen, das britische Kabinett zu bitten, einen Mann zu benennen, der verläßlich und mit Autorität für die britische Regierung sprechen könne. Sie nannten keine Namen, aber es war klar, wer ihnen vorschwebte. «Wie glücklich wären wir, wenn wir Castlereagh hier bei uns hätten, um diesem englischen Sanhedrin und den Dummheiten des guten Stewart ein Ende zu setzen», notierte Hardenberg am 8. Dezember in seinem Tagebuch. Metternich hatte den Beginn der Verhandlungen in einem Brief an Caulaincourt bereits verschoben; er wartete auf Castlereagh.34 Das britische Kabinett beriet über dieses Ersuchen auf seiner Sitzung am 20. Dezember. Es war nicht üblich, daß ein britischer Außenminister in Ausübung seiner Amtspflichten ins Ausland reiste. Aber die Umstände waren außergewöhnlich. Großbritannien hatte für den Kampf gegen Frankreich im Verlauf der letzten zwanzig Jahre etwa £ 700 000 000 ausgegeben, und das bedeutete einigen Historikern zufolge in Menschen und Ressourcen eine höhere Belastung als dereinst der Erste Weltkrieg. Das Land würde sich eine Fortsetzung dieses Krieges nicht mehr lange leisten können; sollte es in Europa zu einem für Großbritannien ungünstigen Friedensschluß kommen, könnte es sich ohne Verbündete in einem Krieg mit Frankreich und den Vereinigten
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Staaten wiederfinden – abgeschnitten von den europäischen Märkten, gescheitert und ohne Freunde. Das Kabinett beschloß, daß «sich die Regierung selbst ins Hauptquartier begeben soll», in Gestalt von Castlereagh.35 «Ganz sicher ist dies seine einzige Chance, ein Stück vom Kuchen abzubekommen», schrieb Lord Grenville, als er von Castlereaghs Abreise erfuhr, und wenn der sich nicht beeile, würde er wahrscheinlich zu spät kommen.36
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Ein Stück vom Kuchen ein stück vom kuchen
Dichter Nebel lag in den Straßen Londons, als Castlereagh am Nachmittag des 26. Dezember 1813 zu seinem Haus am St. James’s Square 18 zurückfuhr. Obwohl noch Feiertagsstimmung herrschte und es Sitte war, an diesem «Boxing Day» das Personal zu beschenken, hatten die Mitglieder von Lord Liverpools Kabinett auf ihre traditionellen ländlichen Vergnügungen verzichtetet und sich um ihren Tisch in der Downing Street 10 versammelt, um die Einzelheiten der ihn erwartenden Aufgaben zu besprechen. Wenige Stunden später rumpelten zwei schwerbeladene Reisekutschen über den Platz vor Castlereaghs Haus und trugen den Außenminister seinem Abenteuer entgegen. Er war ein liebevoller Ehemann und konnte sich nicht vorstellen, ohne seine Frau Emily zu reisen. Sie hatte ihrerseits darauf bestanden, ihre Nichte, Lady Emma Sophia Edgcumbe, und ihren jungen Neffen, den späteren Viscount Valletort, mitzunehmen, die sie mehr oder weniger adoptiert hatte, als ihre Schwester sieben Jahre zuvor starb. Sie fuhren los «in einem Nebel, der so dicht war», wie Emma Sophia berichtete, «daß die Kutschen nur im Schrittempo vorankamen und Bedienstete den Pferden mit Fackeln vorangehen mußten». Nachdem sie in dieser Weise kaum acht Meilen geschafft hatten, übernachteten sie in Romford. Früh am nächsten Morgen brachen sie wieder auf, rasteten zum Frühstück in Colchester und setzten ihren Weg nach Harwich fort. Am nächsten Tag schifften sie sich auf der HMS Erebus ein, aber kurz, nachdem sie den Hafen verlassen hatten, gerieten sie in eine Flaute und mußten während der nächsten drei Tage bei Harwich vor Anker liegen. Außer Lord und Lady Castlereagh, ihrer Bulldogge Venom, Emma Sophia mit ihrem Bruder und deren schlaksigem Cousin Alexander Stewart gehörten zu der Reisegesellschaft Castlereaghs Mitarbeiter
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Joseph Planta, seine Sekretäre Frederick Robinson (der 1827 als Lord Goderich Premierminister werden sollte) und William Montagu. Ihnen hatte sich Pozzo di Borgo angeschlossen, der sie mit seinem unerschöpflichen Vorrat an notorisch abgedroschenen Anekdoten und Bonmots unterhielt. Auf die Windstille folgte ein Sturm. Das Schiff segelte stampfend und schaukelnd in einem Schneesturm nach Holland, der so heftig war, daß «die Männer auf Deck herumpurzelten», wie Emma Sophia schrieb. Als sie endlich Land sichteten, eröffnete ihnen der Kapitän, er kenne die holländische Küste nicht gut genug, um diese in einem Sturm anzusteuern; man werde Anker werfen und abwarten müsse, bis er abgeflaut war. So verbrachten sie drei weitere Tage auf einer See, in der sie von den Wellen hin und hergeschleudert wurden, bis ein Lotse sie entdeckte und in den Hafen von Hellevoetsluis steuerte. Die durchnäßte und durchfrorene Reisegesellschaft wurde mit Jubel und mit Böllern begrüßt, als sie an Land ging, und am nächsten Tag eiligst nach Den Haag gebracht, wo Prinz Wilhelm von Oranien sie willkommen hieß. Während sich die anderen von der Überfahrt erholten, widmete sich Castlereagh sogleich den Unterredungen mit dem Prinzen und seinen Ministern, denn Holland sollte in Großbritanniens Plänen für eine Neuordnung Europas eine zentrale Rolle spielen.1 Als die Armeen des revolutionären Frankreich 1795 die Niederländische Republik besetzten, floh deren Staatsoberhaupt, Statthalter Wilhelm V., über den Ärmelkanal, um die nächsten zehn Jahre seines Lebens im englischen Exil von Kew Palace zu verbringen. Kurz nach seinem Tod wurde sein Sohn Wilhelm Friedrich, der als Fürst von Oranien-Nassau ein Kommando in der preußischen Armee innehatte, 1806 bei Auerstedt von den Franzosen gefangengenommen. Napoleon erkannte seinen Titel als Erbprinz von Oranien-Nassau an und zahlte ihm eine Pension, um ihn zu neutralisieren und sein Ansehen in England zu beschädigen. 1795 war die von Frankreich eroberte Niederländische Republik in «Batavische Republik» umbenannt worden. Sie wurde 1806 zum Königreich Holland erklärt, Napoleons Bruder Louis zum König. Als sich Louis etwas zu sehr mit seinem Land identifizierte, setzte Napoleon ihn ab und schloß dieses Königreich 1810 Frankreich an. Während der Prinz von Oranien-Nassau von einer französischen Pension lebte, studierte sein Sohn, der ebenfalls Wilhelm hieß, in Oxford und kämpfte
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Die Niederlande OSTFRIESLAND
Nordsee
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Ehemalige preußische Besitzungen
dann unter Wellington im Spanischen Unabhängigkeitskrieg gegen Napoleon. Dies war Liverpool und Castlereagh nur zu recht, denn sie wollten das Haus Oranien nach einem Sieg über Napoleon in einem stärkeren Holland wieder einsetzen. Im Frühjahr 1813 war sein Vater, der Prinz von Oranien-Nassau, den die Briten als souveränen Fürsten der Niederlande bezeichneten, in London. Im diesem Sommer begann Castlereagh einen Aufstand in den Niederlanden zu planen, der zeitgleich mit dem Vormarsch der alliierten Truppen stattfinden sollte, und stellte eine Legion Oranien auf, die überwiegend aus französischen Gefangenen holländischer Nationalität bestand. Gleichzeitig plante man eine Vermählung des Sohnes von Wilhelm Friedrich mit der Tochter
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des britischen Prinzregenten, der noch nicht ganz achtzehnjährigen Prinzessin Charlotte. Sie war ein hochgewachsenes, munteres und zu Korpulenz neigendes junges Mädchen. Sie war intelligent, aber ihre Erziehung hatte unter den Ausschweifungen ihres Vaters und den Launen ihrer Mutter gelitten, die zu ständigem Zank und der schließlichen Trennung führten. Charlotte Augusta konnte widerspenstig und bockig sein, und ihr Betragen schockierte durch einen Mangel an Anstand und Zurückhaltung. Als man ihr die Verbindung vorschlug, war sie zunächst alles andere als begeistert. Sie kannte «Silly Billy», wie sie ihn nannte, seit ihrer Kindheit und hegte für den kleinen, dürren jungen Mann, der er jetzt war, keine zärtlichen Gefühle. Aber es gelang ihrem Vater, sie von den Vorzügen der Partie zu überzeugen, und am 12. Dezember 1813 willigte sie ein. Zu dieser Zeit war der heiratswillige junge Mann in den Niederlanden und kommandierte die britischen und holländischen Truppen im Kampf gegen die Franzosen. Vor allem aber galt es, den Status seines Vaters zu klären. Ein stärkerer künftiger Niederländischer Staat, wie Castlereagh ihn sich wünschte, ließ sich am besten als Monarchie realisieren; sie widersprach indessen der politischen Tradition des Landes, denn vor der Invasion der Franzosen waren die Niederlande eine Republik gewesen. Gerade diese Umstände schienen Castlereaghs Pläne zu begünstigen. «Der Prinz ist Souverän, niemand weiß warum, aber alle sehen ihn als solchen an», schrieb Gijsbert Karel van Hogendorp, führendes Mitglied der provisorischen niederländischen Regierung im November 1813 an Castlereagh und bat ihn zugleich, die Frage des zukünftigen Status des Erbprinzen zu klären. «Natürlich liegt es einzig in der Hand der Nation, ihn zum König zu krönen, aber sein Titel unterliegt auch der Zustimmung der Mächte.»2 Castlereagh ermutigte den Prinzen, Belgien, die ehemals Österreichischen Niederlande, zu besetzen, das die Franzosen hatten aufgeben müssen, und es stillschweigend seinem Hoheitsgebiet einzuverleiben. Da der Prinz ihm versichert hatte, daß den Belgiern eine niederländische Regierung willkommen sei, sah Castlereagh, dessen Kenntnisse der Region allein auf dem Studium von Landkarten beruhten, keine Probleme. Er war jedoch immerhin so realistisch, den Vor-
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schlag Hogendorps als vollkommen überholt zurückzuweisen, demzufolge Großbritannien sich Dünkirchen nehmen sollte, um einen Militärstützpunkt auf dem Kontinent zu haben, so wie das vor dem Verlust von Calais im Jahre 1558 der Fall gewesen war.3 Castlereagh hielt sich nicht lange in Den Haag auf. Bei der Kanalüberquerung hatte er schon zu viel Zeit verloren; jetzt wollte er weiterkommen. Nachdem er seine Gespräche mit dem Prinzen abgeschlossen hatte, brach er am 9. Januar 1814 wieder auf. Den Großteil seiner Reisegesellschaft ließ er in Den Haag zurück, trotz heftiger Proteste seiner Frau, die sich in den Kopf gesetzt hatte, ihn zu begleiten. Er würde durch gefährliches Gelände fahren müssen, das seit kurzem auch Kriegsschauplatz war und in dem es von desertierten Soldaten, die sich aufs Rauben verlegt hatten, und von regulären Truppen, die oft kaum besser waren, wimmelte. Irreguläre russische Kosakenverbände durchstreiften das Land und hielten nach Beute Ausschau. Es kam nicht in Frage, Lady Castlereagh und ihre jungen Schützlinge diesen Gefahren auszusetzen.4 Castlereagh, Planta, Robinson, Montagu und ihre Dienerschaft bestiegen vier Reisekutschen und machten sich auf den Weg. In ihrem dringenden Wunsch, die verlorene Zeit wieder aufzuholen, legten sie die fast eintausend Kilometer zwischen Den Haag und Basel in halsbrecherischem Tempo zurück und übernachteten nur ein einziges Mal. Es war eine aufreibende Erfahrung. «Meine liebste Em», schrieb Castlereagh am 13. Januar aus Münster, «wir sind heute früh um 8 Uhr hier eingetroffen, nachdem wir seit unserer Abfahrt ohne Halt unterwegs gewesen waren. Die Straßen auf den letzten vierzig Meilen waren in einem grauenhaften Zustand – schlimmer als ein überfrorenes gepflügtes Feld. Die Kutsche der Diener brach zusammen, was uns ein paar Stunden im Bett bescherte, bis sie uns in einem Bauernfuhrwerk eingeholt hatten. Für die letzten zwanzig englischen Meilen benötigten wir 10½ Stunden. Ich wundere mich nur, wie unsere englischen Kutschen das aushielten.» Sie fuhren weiter über Paderborn und Kassel nach Frankfurt, wo sie zwei Tage später eintrafen. Von dort aus klagte Castlereagh seiner Frau, daß «unsere Knochen ein wenig wund» seien und «der deutsche Dreck den der schlimmsten Gegenden Schottlands übertrifft». Möglicherweise übertrieb er die Strapazen, um seine Weitsicht hervorzuheben, als er sie
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überredete, nicht mit ihm zu fahren. «Robinson und ich haben kaum etwas anderes gesehen als die vier von Frost bedeckten Scheiben unserer Kutsche, den keine Sonne zum Schmelzen brachte, so daß wir Tag und Nacht buchstäblich in einem Eishaus eingeschlossen waren, aus dem wir hin und wieder in ein schmutziges Zimmer mit verrußtem Ofen gebracht wurden, wo es nach Tabakrauch oder Schlimmerem roch», fügte er hinzu.5 Zwei Tage später konnte er berichten, daß es getaut hatte und er bei der Durchfahrt durch Frankfurt sogar die Zeit fand, ihr etwas «Staat» zu kaufen. In dieser Nacht traf er Gentz, der gerade vom Hauptquartier zurück nach Wien reiste, in einer Poststation. Am nächsten Tag, dem 18. Januar, erreichte er Basel. Für die letzten 350 Kilometer von Frankfurt hatten sie in eisiger Kälte fünfzig Stunden benötigt. Die Ankunft der Engländer sorgte in Basel für eine kleine Sensation. Castlereagh trug einen merkwürdigen, mit Litzen bedeckten blauen Frack von der Art, wie man sie seit den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts auf dem Kontinent nicht mehr gesehen hatte, dazu scharlachrote Reithosen und «Jockey-Stiefel». Die Kleidung eines seiner Diener sah aus wie eine Husarenuniform, aber er «schien sein Hemd über den Mantel gezogen zu haben», wie ein Zeuge berichtet. «Castlereagh ist ein hübscher Mann und hat ein ruhiges, überlegendes und ernsthaftes Ansehen», schrieb Humboldt seiner Frau am nächsten Tag. Ihn amüsierte, wie sich Castlereagh von all den uniformierten, gestiefelten und ordensgeschmückten Diplomaten Österreichs, Preußens und Rußlands abhob, der in «rotscharlachener Hose und Weste, einem blauen Rock und weißseidenen Strümpfen … freilich etwas kammerdienermäßig» auf ihn wirkte.6 Alexander war zum Hauptquartier aufgebrochen. Vor seiner Abreise hatte er Cathcart wissen lassen, daß er als erster mit Castlereagh sprechen wolle und er mit den anderen keine Unterredungen führen solle. Castlereagh beabsichtigte jedoch keineswegs, sich dem zu fügen. Um zehn Uhr am nächsten Morgen suchte er Metternich auf und brachte zwei Stunden bei ihm zu. Am Mittag mußte Metternich an einer Konferenz teilnehmen, aber um vier Uhr trafen sich die beiden bei einem Essen wieder, zu dem Aberdeen geladen hatte und an dem auch Hardenberg teilnahm. Dieser begleitete Castlereagh anschließend, um ihn Friedrich Wilhelm vorzustellen, aber um sechs war er schon wieder bei
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Metternich, mit dem er bis Mitternacht konferierte. «Ich habe den Tag damit verbracht, Europa wie ein Stück Käse aufzuteilen», schrieb Metternich an Wilhelmine, bevor er zu Bett ging. «Ich habe so viel geredet, daß ich ganz heiser bin, und so viel gedacht, daß ich mich ganz dumm fühle. Ich habe meinen Geist so vielen Dingen gewidmet, daß ich vollkommen erschöpft bin.»7 Bei seinem ersten Treffen mit Castlereagh eröffnete ihm Metternich, daß die Zeit zu knapp sei, um sich gegenseitig auf den Zahn zu fühlen, und trug ihm sogleich eine Zusammenfassung seiner eigenen Ansichten und Ziele vor. «Wenn Sie denken wie ich, wenn Sie dieselben Dinge wünschen, ist die Welt sicher – wenn nicht, wird sie untergehen», verkündete er. Er war hocherfreut, als deutlich wurde, daß sie in allen wesentlichen Punkten übereinstimmten. «Von diesem Augenblick an haben wir zusammengearbeitet wie zwei Offizianten desselben Büros. Es ist, als hätten wir unser Leben zusammen verbracht», schrieb er begeistert. «Er ist sachlich und gelassen; sein Herz sitzt am rechten Fleck, er ist ein Mann, und er bewahrt einen kühlen Kopf.» Schwarzenberg gegenüber äußerte er sich nur geringfügig bedächtiger. «Er besitzt alles; Liebenswürdigkeit, Weisheit, Mäßigung», schrieb er am 21. Januar. «Er paßt zu mir in jeder Hinsicht, und ich bin überzeugt, daß ich zu ihm passe.» Einige Wochen später machte er ein Geständnis, das bei ihm, der so eitel war, erstaunen mußte: «Ich bin Lord C. ebenbürtig und er ist mir ebenbürtig, weil er gut, ausgezeichnet ist, so wie auch ich es ganz gewiß bin, wenn es um Gefühle und Prinzipien geht», vertraute er Wilhelmine an.8 Castlereagh war nicht ganz so überschwenglich und hielt sich mit seinem Urteil vorerst zurück. Nach seinen Treffen mit Metternich und Hardenberg und den Audienzen bei Franz I. und Friedrich Wilhelm, und nachdem er für Emily und Emma Sophia zwei Schweizer Puppen gekauft und abgeschickt hatte, machte er sich auf den Weg, um Alexander in seinem Hauptquartier aufzusuchen, das sich jetzt in Langres auf französischem Gebiet befand. Castlereaghs offizielle Instruktionen, die er in Absprache mit Liverpool und anderen ranghohen Kabinettsmitgliedern weitgehend selber verfaßt hatte, lauteten wie folgt: Frankreich sollte von der Schelde und dem Hafen von Antwerpen ferngehalten werden; Holland sollte die ehema-
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ligen Österreichischen Niederlande als «Barriere» gegen Frankreich bekommen und zusätzlich durch den Zugewinn von Jülich und Berg gestärkt werden; die Königreiche Spanien und Portugal sollten wiederhergestellt und Italien in einer Weise umgeordnet werden, die die Möglichkeit künftiger französischer Übergriffe verhindere. Großbritannien würde daraufhin alle von Frankreich erbeuteten Kolonien zurückgeben, mit Ausnahme von Malta, Mauritius, der Île de Bourbon (Réunion), der Îles des Saintes und Guadeloupe (das man Schweden versprochen hatte, obwohl Castlereagh autorisiert war, auch Guadeloupe zurückzugeben, falls Schweden sich überreden ließe, seinen Anspruch aufzugeben und statt dessen die Île de Bourbon zu nehmen). Großbritannien würde außerdem alle seine annektierten holländischen Kolonien an Holland zurückerstatten, bis auf die Kapregion, für die es die Niederlande mit zwei Millionen Pfund entschädigen würde; diese wären darauf zu verwenden, entlang der neuen «Barriere» eine Kette von Festungen gegen die Franzosen zu errichten. Ein starkes Holland, das Belgien einschloß und von einer solchen Barriere verteidigt werden würde, war Großbritanniens sine qua non. Sehr zu seiner Erleichterung konnte Castlereagh sich gleich bei seinen ersten Unterredungen mit Metternich und Hardenberg davon überzeugen, daß beide für diese Bedingungen aufgeschlossen waren.9 Die Verhandlungen sollten in Châtillon geführt werden, sobald Castlereagh dort eintraf. Aber dort wartete Caulaincourt als Napoleons Unterhändler, und ob man mit Napoleon überhaupt Frieden schließen sollte, darüber gab es bei den Alliierten einige Zweifel. Von allen europäischen Mächten hatte einzig Großbritannien Napoleons Titel als Kaiser der Franzosen nie anerkannt und ihn in allen offiziellen Korrespondenzen schlicht als «General Bonaparte» bezeichnet. Die britische Presse hatte ihn im Laufe der Jahre zu einem Scheusal werden lassen, und die Mehrheit der Briten betrachtete ihn mit einer Mischung aus Grauen und Verachtung. Je mehr sich der Krieg gegen Frankreich in die Länge zog, desto mehr erschien er als Kampf um Leben und Tod, und es verbreitete sich der Wunsch, «Boney» hängen oder zumindest hinter Gittern zu sehen. Dem britischen Prinzregenten war seinerseits daran gelegen, die alte Dynastie der Bourbonen wieder auf den Thron zu setzen. Deren ältestes lebendes Mitglied war Ludwig XVIII., ein Bruder des guillotinierten Ludwig XVI., der in Hartwell, Buckinghamshire, als Gast des Königs von England im Exil lebte.
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Liverpool, Castlereagh und die meisten britischen Kabinettsmitglieder jedoch hielten es für einen Fehler, sich in die internen Angelegenheiten einer anderen, sogar einer feindlichen, Macht einzumischen und ihr einen Herrscher aufzuzwingen, der ihnen selbst genehm war. Sie hofften, daß die Bourbonen als Folge der sich verkettenden Ereignisse wieder eingesetzt würden, fürchteten aber, daß jede öffentliche Parteinahme der britischen Regierung für Ludwig XVIII. die französische Nation dazu bringen könnte, sich geschlossen hinter Napoleon zu stellen. Alexander seinerseits war entschlossen, Napoleon für seine Missetaten mit dem Verlust seines Throns bezahlen lassen. Aber von den damaligen Vertretern des Hauses Bourbon hielt er wenig und fand, die französische Nation brauche einen moderneren und tatkräftigeren König. Sein persönlicher Favorit war Bernadotte. Seit einiger Zeit kursierten Gerüchte, daß die beiden einen Plan in dieser Richtung ausheckten, und Stewart hatte während der letzten Monate in seinen Berichten an Castlereagh über Bernadottes öffentliche Auftritte berichtet. Dennoch war die Vorstellung so absurd, daß niemand ihr besondere Bedeutung beimaß. Erst jetzt begann Alexander, offen davon zu reden, und Metternich war sehr beunruhigt. Metternichs legitimistische Prinzipien hätten ihn eigentlich für die Sache der Bourbonen einnehmen müssen. Aber er zweifelte an der Fähigkeit Ludwigs XVIII., Frankreichs Macht und Stabilität dauerhaft sichern zu können. Und wiewohl weder er noch Kaiser Franz der dynastischen Verbindung mit Napoleon irgendein Gewicht beimaßen, würde deren Fortbestand ein starkes Gegengewicht zu Rußlands Macht sein können. Franz befürchtete, daß die Wiedereinsetzung der Bourbonen den britischen Einfluß auf dem Kontinent in unerträglichem Maße vergrößern würde. Für den Fall, daß Napoleon abtreten müßte, schwebte Metternich eine Abdankung zugunsten des Königs von Rom, Napoleons Sohn, vor, mit irgendeiner Regentschaft, solange er noch klein war.10 Dagegen wandte Castlereagh ein, daß eine Regentschaft von Natur aus instabil sei und Österreich in die Angelegenheiten Frankreichs hineingezogen würde; die einzige brauchbare Alternative zu Napoleon sei eine Wiederherstellung der Bourbonenherrschaft. Beide jedoch waren für einen möglichst raschen Friedensschluß und beide wollten einstweilen alles dafür tun, mit Napoleon zu einer befriedigenden Lösung zu kommen und nicht auf einen Regimewechsel zu drängen, es sei denn,
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seine Unnachgiebigkeit oder andere Umstände machten dies unvermeidlich. In jedem Fall sollte Alexander dazu gebracht werden, sich seine Idee, Bernadotte auf den Thron zu setzen, aus dem Kopf zu schlagen. Dies war eines der ersten Themen, die Castlereagh beim Zaren anschnitt, kurz nachdem er im Hauptquartier von Langres eingetroffen war.11 Castlereagh hatte bislang nur wenig Umgang mit gekrönten Häuptern gehabt. Sein König, der geistesgestörte George III., zählte nicht. Der Prinzregent war kein Monarch, und weder die britische Verfassung noch sein haarsträubendes öffentliches Auftreten und sein skandalöses Privatleben, die in gedruckten und zirkulierenden Artikeln und Karikaturen angeprangert wurden, konnten begründen, daß er mit mehr Respekt zu behandeln sei, als es seine Amtsgeschäfte und der normale gesellschaftliche Anstand geboten. In Basel war Castlereagh kurz dem ängstlichen und ungelenken Friedrich Wilhelm und dem farblosen und schüchternen Kaiser Franz begegnet. Nichts hatte ihn auf Alexanders eigenartige Mischung aus autokratischer Hoffart und Liberalität, Überheblichkeit und Bonhomie, Affektiertheit und Verschlagenheit vorbereitet. Castlereagh kam rasch zur Sache und erklärte, der britische Prinzregent werde einem Bernadotte als Herrscher Frankreichs niemals zustimmen, und führte alle Argumente auf, die dagegen sprachen. Alexander gab vor, diese Meinung zu teilen, und «bestritt, je die Absicht geäußert zu haben, einen Schritt in Richtung einer Unterstützung der Ansprüche des [schwedischen] Kronprinzen unternommen zu haben, da es auch seinen Prinzipien widerspreche, sich in die Regierung eines ausländischen Staates einzumischen»; aber Castlereagh blieb skeptisch. Er spürte, daß Alexander mit allen Mitteln die Wiedereinsetzung der Bourbonen verhindern wollte. Dies empfand er als bedrohlich, denn, wie er zu Alexander sagte, eine Frage wie diese offenzulassen, schüfe neues Konfliktpotential zwischen den Alliierten, das Anlaß zu Intrigen geben und Konflikte auslösen könnte. Die gab es jetzt schon zur Genüge, wie er gleich hatte feststellen können, als er im Hauptquartier eingetroffen war.12 Der Schlachtplan, auf den man sich einigte, sah vor, daß sich die österreichisch-russische Hauptarmee unter Schwarzenberg am rechten Seineufer aufstellen sollte, während Blüchers Preußen, die durch ein russisches Kontingent verstärkt wurden, an der Marne operieren wür-
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den. Jedesmal, wenn Napoleon versuchen sollte, eine dieser Streitkräfte anzugreifen, würde ihn die andere im Rücken bedrohen können. Auf diese Weise hofften die Alliierten, die sein militärisches Können nach wie vor fürchteten, seine Truppen zu zermürben, ohne selber eine Niederlage zu riskieren. Ihre Kommunikations- und Nachschubwege waren nunmehr sehr langgestreckt, und sie konnten sich in diesem Winter, der sich als streng herausstellte, und in einem Land, das durch Jahre von Kriegskontributionen ausgeblutet und durch den gegenwärtigen Feldzug verwüstet worden war, nicht ausreichend verproviantieren. Die Soldaten litten furchtbar unter der Kälte. Allein bei der österreichischen Armee lagen im Hinterland 50 000 kranke Soldaten in Behelfslazaretten. Mit dieser Taktik sollte auf Napoleon der größtmögliche Druck zu einem Friedensschluß ausgeübt werden, ohne daß dabei die eigenen Ressourcen strapaziert würden; denn dadurch könnten Niederlagen möglich oder ein weiteres Vorrücken unvermeidlich werden.13 Alexanders Sicht der Lage war völlig anders: Er hatte sich einen sofortigen Marsch auf Paris in den Kopf gesetzt. Seine kriegerische Stimmung wurde von Stein, Pozzo di Borgo und Graf Andrej Kirillowitsch Rasumowskij, seinem ehemaligen Botschafter in Wien, den er zu sich gerufen hatte, kräftig angestachelt. Alle drei waren von einem brennenden persönlichen Haß auf Napoleon getrieben. Auch Blücher, Gneisenau und das übrige preußische Militär ermutigten Alexander zu diesem Vorgehen; sie wollten auf den Straßen von Paris paradieren und die nach Jena und Austerlitz benannten Brücken und die Siegessäule auf der Place Vendôme in die Luft sprengen. Ihrem König blieb trotz seiner Furcht vor einer Fortsetzung des Krieges nichts anderes übrig, als Alexander, von dem sein ganzes Schicksal abhing, zu unterstützen.14 «Ich glaube, zur Zeit droht die größte Gefahr daraus, daß Alexander so gern den Ritter spielt und in dieser Stimmung geneigt ist, den Krieg voranzutreiben. Paris ist ihm ein persönliches Anliegen, unabhängig von allen politischen oder militärischen Überlegungen», berichtete Castlereagh am 30. Januar an Liverpool. «Er scheint versessen auf die Gelegenheit, mit seiner prächtigen Leibgarde in die Hauptstadt des Feindes einzureiten, wahrscheinlich, um damit, auf dem Hintergrund der Verwüstung seiner eigenen Hauptstadt, seine Milde und seinen Großmut öffentlich vorzuführen.» Ein Verhandlungsfrieden würde Alexander bestimmt dieser Freude berauben. Aber es ging ihm noch um mehr.15
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Sein Sendungsbewußtsein war von der Befreiung Europas auf die Beseitigung Napoleons und das Einläuten eines neues Zeitalters übergegangen, und er beabsichtigte nicht, jetzt mit dem Scheusal Frieden zu schließen. In einem Brief, den er in dieser Zeit an einen Freund schrieb, schildert Alexander, wie ihn während einer militärischen Lagebesprechung plötzlich das Verlangen zu beten überkam, wie er aufstand, ins Nebenzimmer ging, auf die Knie sank, und nach kurzer Zeit des aufgewühlten Betens die Stimme Gottes hörte, sich erhob und dabei «seligen Gedankenfrieden, allumfassende Ruhe und feste Willenskraft» spürte, und wie sein Ziel «in geradezu glühender Klarheit» vor ihm stand. Ihn von dieser Bahn abzubringen, würde nicht einfach sein.16 Wie auch Metternich sorgte sich Castlereagh darum, was Alexander alles anrichten könnte, wenn er einmal in Paris war, als auch um die Möglichkeit, daß eine ausländische Invasion der Hauptstadt und ein Sturz des Herrschers eine jakobinische Revolution auslösen könnte. Aberdeen war nicht der einzige, der darauf hinwies, daß die Lage der Alliierten in Frankreich jener der Franzosen in Spanien ähnelte, «mit dem Unterschied, daß man es mit einer intelligenteren und aktiveren Bevölkerung zu tun habe». Keines dieser Argumente konnte Alexander im mindesten beeindrucken.17 Die Angelegenheit regelte sich schließlich durch die kategorische Erklärung der Österreicher, ihre Armee werde keinen Schritt weitergehen, falls man jetzt nicht Verhandlungen mit Napoleon aufnehme; Alexander war gezwungen, klein beizugeben. Metternich gratulierte sich unverzüglich und versicherte Wilhelmine, er habe «eine Tat vollbracht, die vielleicht größer ist alles, was je einem Sterblichen gelungen ist». Alexander habe sich ihm gegenüber ein paar Tage lang aufgeführt «wie eine schmollende Geliebte», aber er glaube, sich nun durchgesetzt zu haben.18 Castlereagh blieb dennoch besorgt. Gleich bei seinen ersten Gesprächen mit den Monarchen und ihren Ministern in Basel war ihm das alles durchdringende Mißtrauen aufgefallen. «Sie können sich ein Bild von einigen der Unwägbarkeiten machen, denen wir hier ausgesetzt sind, wenn mir einer der führenden Monarchen bei meiner ersten Audienz mitteilte, er vertraue seinem eigenen Minister nicht, und dem seines Verbündeten noch weniger», schrieb er an Liverpool. «Die Zahl der Intrigen ist groß, und noch größer ist die Angst vor ihnen … Vor allem Mißtrauen kennzeichnet die Stimmung des Kaisers [Alexander],
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und Metternichs Charakter liefert den Intriganten ständig neue Handlungsmöglichkeiten.» Nicht nur Alexander, auch der größte Teil seiner Entourage und Diplomaten war nach wie vor überzeugt, man könne sich auf Österreich nicht verlassen, und daß es imstande wäre, jeden Augenblick einen Separatfrieden zu schließen.19 Die einzige ermutigende Nachricht, die Ende Januar das Hauptquartier erreichte, war, daß Dänemark seinen französischen Verbündeten verlassen und sich der Koalition angeschlossen hatte. Mit der Unterzeichnung des Vertrags von Kiel am 14. Januar 1814 trat Dänemark Norwegen an Schweden ab. Im Gegenzug sollte es das ehemalige schwedisch Pommern, die Insel Rügen sowie eine Million Taler erhalten. Es mußte sich außerdem einverstanden erklären, daß Großbritannien Helgoland behielt, und 10 000 Soldaten zum Krieg gegen Frankreich abstellen, die von Großbritannien bezahlt würden. Auf seinem Weg zum Festland hatte Castlereagh der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß die Vertreter der vier wichtigsten Alliierten bewogen werden könnten, sich in gemeinsamen Gesprächen auf ein Vorgehen zu einigen, anstatt jeweils in Zweiergesprächen zu konferieren. Am 28. Januar gelang es ihm, ein solches Treffen einzuberufen, an dem Metternich und Stadion als Repräsentanten Österreichs, Hardenberg für Preußen und das Trio Nesselrode, Rasumowskij und Pozzo di Borgo für Rußland teilnahmen. Castlereagh eröffnete die Sitzung mit der Feststellung, man müsse zwar mit Napoleon verhandeln, solange sich dieser dazu bereit zeige, zugleich aber den Feldzug energisch vorantreiben. Ebenso mahnte er zur Vorsicht und erinnerte die Anwesenden an die ungeahnten Gefahren, die ein von den Alliierten besetztes Paris und ein Regimewechsel mit sich bringen könnten. Er gab seiner Erwartung Ausdruck, daß zwar «keiner der alliierten Monarchen etwas wünscht, was einer Wiedereinsetzung der alten Dynastie zuwiderläuft, sollte aber ein Regimewechsel durch die Nation selbst herbeigeführt werden», so müsse man eben mit der dann existierenden französischen Regierung verhandeln. Entsprechend ernannte man Bevollmächtigte, die sich am 3. Februar in Châtillon versammeln sollten. Castlereagh bestand darauf, daß die «Frankfurter Vorschläge» bedeutungslos seien und man auf der Grundlage nicht der «natürlichen»,
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sondern der «historischen» Grenzen Frankreichs von 1792 verhandeln solle. Metternich unterstützte ihn darin, schlug aber vor, Frankreich in einigen Gebieten territorialen Zugewinn anzubieten, beispielsweise auf der linken Rheinseite und in Savoyen. Castlereagh war damit nicht einverstanden, aber auch den russischen Vorschlag lehnte er unumwunden ab, Frankreich von jeder Mitsprache darüber auszuschließen, was mit jenen Gebieten, die es würde abtreten müssen, geschehen solle. Sodann umriß er die Vorschläge des britischen Kabinetts für eine endgültige Friedensregelung, die er den anderen als Grundlage der kommenden Verhandlungen nahelegte. In seinem Bericht über die Konferenz versicherte Castlereagh Liverpool, daß sich die Alliierten, «was die Nichtberücksichtigung der Frage der Weltmeere in den Verhandlungen anging, ausgesprochen aufrichtig und verständnisvoll» gezeigt hätten. Da mit Ausnahme der Grenzen Frankreichs, der niederländischen «Barriere» und der Seerechte alles andere bemerkenswert ungenau gelassen worden war, hatte die ganze Veranstaltung kaum mehr bewirkt, als die anderen dazu zu bringen, die britische Position im Prinzip zu akzeptieren. Doch dabei würde Castlereagh es nicht belassen.20 Die Bevollmächtigten versammelten sich am 3. Februar in dem eingeschneiten kleinen Ort Châtillon, wo Caulaincourt seit zwei Wochen tatenlos herumgesessen hatte. Metternich hatte Stadion geschickt, Rußland Rasumowskij und Preußen Humboldt. Großbritannien war durch das Trio Aberdeen, Stewart und Cathcart vertreten. Für sie schrieb Castlereagh eine Reihe von Instruktionen, fast schon eine Art Predigt über korrektes Benehmen. «Die Macht Großbritanniens, Gutes zu bewirken, beruht nicht nur auf seinen Ressourcen, sondern auch auf einem Bewußtsein seiner Unparteilichkeit und seinem versöhnenden Einfluß», belehrte er sie. «Um führen zu können, muß es unparteiisch sein. Um unparteiisch zu sein, darf es nicht zu irgendeinem Hof in exklusiven Beziehungen stehen.» Offenbar half diese Predigt nicht hinreichend, die britischen Ziele durchzusetzen, was erklärt, warum sich Castlereagh als einziger Minister persönlich nach Châtillon begab, um seine drei Unterhändler im Auge zu behalten.21 Bei der ersten formellen Sitzung des Kongresses am 5. Februar erinnerte er alle Versammelten daran, daß Großbritannien nicht willens sei, zu feilschen, und es die französischen und dänischen Kolonien nur dann zurückerstatte, wenn es den ausgehandelten Frieden insgesamt
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für annehmbar halte. Am folgenden Tag skizzierte er dazu seine eigenen Vorstellungen und bestand darauf, nicht nur die französischen Grenzen von 1792 in die Verhandlungsgrundlagen hineinzuschreiben, sondern auch die Erweiterung Hollands und die Errichtung der Barriere. Castlereagh schrieb an Liverpool: «Zum Schluß meiner Ausführungen bat ich, man möge es als den Wunsch meiner Regierung verstehen, im Frieden wie im Kriege unsere Interessen mit denen des Kontinents in Einklang zu bringen. In einer Zeit, in welcher der Zustand Europas zu wenig Hoffnung auf eine bessere Ordnung Anlaß gegeben habe, sei Großbritannien nichts anderes übrig geblieben, als sich selbst eine unabhängige Existenz zu schaffen. Nun aber, da es vielleicht einer Rückkehr zu den alten Grundsätzen entgegensehen könne, sei es bereit, seinerseits die notwendigen Opfer zu erbringen, um ein Gleichgewicht in Europa wiederherzustellen». Nachdem er auf diese Weise die britische Position in Châtillon abgesteckt hatte, eilte Castlereagh zurück ins Hauptquartier, das inzwischen nach Troyes weitergezogen war, und überließ es den Bevollmächtigten, sich den anstehenden Aufgaben zu widmen.22
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Diplomatie des Schlachtfelds diplomatie des schlachtfelds
«Was wird Kaiser N. jetzt tun?» schrieb die junge Marie-Leopoldine Metternich ihrem Vater am 27. Januar 1814 aus Wien. «An seiner Stelle würde ich ein Schiff besteigen und mein Glück in Amerika suchen und dort ganz friedlich in den Wäldern und Wüsten leben. Die Frucht der Kokospalme würde mich ernähren, und Wasser, klarer als Kristall, würde mein kochendes Blut und mein ausgebranntes Hirn erquicken. Ich würde in den Wäldern Affen jagen, über meine vergangene Größe nachdenken und versuchen, mich so gut ich kann über mein gegenwärtiges Unglück hinwegzutrösten. Das würde ich tun, wenn ich der Kaiser Napoleon wäre.»1 Napoleon hatte anderes im Sinn. Am Sonntag, den 23. Januar, vier Tage also, bevor Marie diesen Brief schrieb, hatte er erst der Messe beigewohnt und sich dann in den Marschallsaal des Tuilerien-Palastes begeben. Dort präsentierte er den versammelten Offi zieren der Pariser Nationalgarde seinen dreijährigen Sohn. Außerdem unterzeichnete er eine Patenturkunde, mit der er Marie-Louise während seiner Abwesenheit zur Regentin ernannte. Am nächsten Tag machte er seinen Bruder Joseph zum Oberbefehlshaber des Kaiserreichs, und nachdem er am selben Abend seine wichtigsten Geheimpapiere verbrannt hatte, umarmte er zum Abschied seine Frau und seinen Sohn. Am Morgen des 25. Januar um sechs Uhr verließ er Paris zu Pferde, um zu seiner Armee zu stoßen. Obwohl es ziemlich schlecht um ihn stand, blieb er zuversichtlich, denn er war überzeugt, daß er die auf Paris zurückenden alliierten Armeen schlagen und ein großer Sieg noch alles wenden könne. Wer in seiner Entourage den Krieg verloren gab, den wies er zurecht. «Man sieht dort im Geist schon überall Kosaken», hatte er einige Tage zuvor bei einem Abendessen gewitzelt. «Aber sie sind noch lange nicht da, und wir
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verstehen unser Handwerk immer noch.» Seiner Frau versicherte er, er werde die Alliierten schlagen und ihrem Vater, den er neckisch «Papa François» nannte, einen Frieden diktieren. «Ich will es nur dem Papa Franz wieder einmal besorgen», sagte er wieder zu Marie-Louise, als er sie ein letztes Mal in die Arme nahm. «Weine nicht. Ich komme bald zurück.» Er sollte weder sie noch seinen Sohn je wiedersehen.2 Ähnlich wie die Alliierten bezweifelte auch er, daß der Kongreß von Châtillon eine rasche Einigung erzielen würde. Aber er dachte, daß sich der Kongreß als nützlich erweisen könne, wenn er einen bedeutenden Sieg erringen konnte; solange die Alliierten dann noch unter Schock stünden, wäre er in der Lage, ihnen einen günstigen Frieden abzuringen. Zudem böten ihm die Gespräche gute Möglichkeiten bei seinen Versuchen, die Koalition zu spalten – ein Ziel, das er mit allen Mitteln verfolgte. Vor seiner Abreise aus Paris hatte er einen Brief an seinen Schwiegervater, Kaiser Franz, diktiert, in dem er ihm einen Separatfrieden vorschlug. Sollten die Alliierten unterliegen, so argumentierte er, werde Österreich größere Verluste erleiden als seine Bündnispartner; deren Ansehen durch jeden Sieg der Koalition andererseits unverhältnismäßig gesteigert werden würde, was Österreichs Prestige entsprechend vermindere. Das war zwar richtig, aber in Napoleons Kalkül steckte ein prinzipieller Fehler: Obwohl die alliierten Generäle ihm nach wie vor nicht gewachsen waren, hatten sich die Staatsmänner der Alliierten inzwischen an Niederlagen gewöhnt, und jede neue bestärkte sie lediglich in ihrer Überzeugung, daß kein dauerhafter Frieden mit Napoleon möglich sei.3 Napoleon übernahm das Kommando über die 45 000 Soldaten, die Schwarzenbergs Truppen bei Châlons-sur Marne auf der Hochebene von Langres gegenüberlagen. «Trotz der furchtbaren Niederlagen in Sachsen und trotz der Überquerung des Rheins durch die Alliierten war die Armee überzeugt, daß sie den Feind schlagen werde», erinnerte sich der Kommandeur eines Tirailleur-Regiments der Garde, dem jedoch auffiel, daß die erfahreneren Offiziere skeptischer waren.4 Die französischen Streitkräfte waren zahlenmäßig stark unterlegen. Aber Napoleon rechnete damit, daß er die Alliierten nur auseinandertreiben und zurückdrängen müsse, um dann jene 90 000 Soldaten wieder zur Verfügung zu haben, die jetzt in den Festungen entlang des
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Rheins oder gleich jenseits der französischen Grenzen abgeschnitten waren. Bei einem Angriff auf Blüchers Stellungen bei Brienne war er auch zunächst erfolgreich, dann aber erfolgte ein Gegenstoß, und er wurde am 1. Februar bei La Rothière geschlagen. Die Preußen jubelten. «Charles suchte gestern den alten Blücher nach seiner Schlacht auf», schrieb Castlereagh an Emily. «Er berichtet, der alte Knabe habe sie alle eingeladen, mit ihm am 20. Februar im Palais-Royal zu dinieren, mitsamt allen Mamselles.» Solche Hybris sollte die Alliierten teuer zu stehen kommen.5 Während Castlereagh seine Unterhändler in Châtillon belehrte, hatte Alexander im Hauptquartier der Alliierten in Troyes alles selbst in die Hand genommen. «Kaiser Alexander hat sein Herz daran gesetzt, in Paris einzuziehen», schrieb Priscilla Burghersh, «und benimmt sich dabei gerade wie ein eigensinniges Kind, nach rechts und nach links erklärend, es sei ihm einerlei, was sie in Châtillon verhandelten, daß er weder einen Frieden unterzeichnen würde, noch überhaupt an denselben dächte, ehe er nicht in Paris wäre.» Von dem Sieg der Preußen bei La Rothière war er so begeistert, daß er Rasumowskij anwies, die Verhandlungen von Châtillon abzubrechen, und er schickte sich an, persönlich zu Blüchers Hauptquartier abzureisen. Es verhieß nichts Gutes, daß plötzlich Bernadotte auftauchte und sich erbot, den Befehl über Winzigerodes Korps bei Reims zu übernehmen, der Einheit der Alliierten, die am weitesten vorgerückt war.6 Castlereagh war entsetzt, als er am 11. Februar nach Troyes zurückkehrte, und äußerte beim Diner mit dem Zaren nachdrücklich sein Mißfallen. Alexander schien peinlich berührt. Er erklärte, er wolle nach Paris, um dort die beiden Kammern des Parlaments aufzufordern, «zusammenzutreten und den nationalen Willen hinsichtlich der Krone Frankreichs zu verkünden». Er sprach sich erneut gegen die Wiedereinsetzung der Bourbonen aus, denn er halte Ludwig XVIII. als Person für unfähig, nannte aber als Möglichkeit, jemanden aus einem jüngeren Zweig der Familie zum König zu bestimmen, wie etwa den Herzog von Orléans.7 Castlereagh hielt daran fest, daß die Alliierten nicht riskieren sollten, einem «Usurpatoren» gegenüber einem anderen den Vorzug zu geben, oder auch nur die Bourbonen gegen Napoleon zu unterstützen;
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beides könne sie in einen Bürgerkrieg verwickeln. Er verwies darauf, daß es bisher keine Anzeichen für eine Revolte gegen das bestehende Regime in Frankreich gegeben habe und sich die französischen Soldaten tapfer für ihren Kaiser schlugen.8 Alexander versuchte nun seinerseits, Castlereagh in Verlegenheit zu bringen, indem er ihm einen Brief des russischen Gesandten in London, Graf Lieven, zeigte, in dem dieser über eine Unterhaltung berichtete, die er mit dem Prinzregenten geführt hatte. Letzterer habe sich dafür stark gemacht, Napoleon vom Thron zu stoßen und statt seiner die Bourbonen wieder einzusetzen. Genüßlich unterstellte der Zar, daß Castlereagh über die Wünsche seines eigenen Hofes nicht im Bilde sei. Er habe den Brief bereits den anderen alliierten Gesandten gezeigt, fügte er hinzu. Hinter diesem Vorgehen konnte nur die Absicht stehen, Castlereaghs Stellung zu untergraben. Castlereagh ließ sich seine Wut nicht anmerken, später jedoch beschrieb er die Unterredung als «schmerzlich» und «kontroverser, als ich es mir gewünscht hätte».9 Metternich war durch das Verhalten des Zaren in noch höherem Maße beunruhigt als Castlereagh. Während der vergangenen Monate hatte er sich daran gewöhnt, Alexander vergleichsweise mühelos im Zaum zu halten und zu lenken. Indem er aber die Wünsche des Zaren zur Neutralität der Schweiz mißachtete, hatte er diesen zutiefst verletzt und zugleich seine Vertrauensstellung aufs Spiel gesetzt. Alexander war jetzt entschlossen, nach eigenem Gutdünken vorzugehen, und duldete keinen Widerspruch. Metternich versicherte sich der Unterstützung seiner neuen Verbündeten Bayern und Württemberg, bevor er am 14. Februar, in Begleitung Castlereaghs und Hardenbergs, beim Zaren vorsprach. Die drei Gesandten nahmen kein Blatt vor den Mund, als sie ihr Anliegen vortrugen, aber Alexander ignorierte ihre Einwände und ließ sich nicht umstimmen. Angesichts solcher Sturheit spielte Metternich einmal mehr seinen letzten Trumpf aus: Er erklärte, wenn Alexander nicht einlenke, werde Österreich einen Separatfrieden mit Napoleon schließen und seine Armee abziehen. Alexander sah sich gezwungen, die Sache zu überdenken. «Gestern war der härteste Tag meines Lebens», schrieb Metternich am nächsten Tag an Wilhelmine. «Aber ich blieb meiner würdig, mon amie, und das kann ich von ganzem Herzen sagen! Es gibt hier einen Haufen Verrückter, die seit einiger Zeit deinen lieben Freund [Alexan-
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der] in Beschlag genommen haben und die, wenn sie so weitermachen, die Welt zerstören werden. Ich habe es auf mich genommen, sie frontal anzugreifen, und war darin auf ganzer Linie erfolgreich. Mein Freund Castlereagh sagte zu mir: ‹Sie sind der beste Minister der Welt und ich bitte Sie um Verzeihung, daß ich Ihnen nicht immer dasselbe Vertrauen entgegengebracht haben sollte.›» Hardenberg habe ihn sogar umarmt, fügte er hinzu und schloß mit einer Klage darüber, wie anstrengend es sei, der einzige Mensch auf der Welt zu sein, auf den man sich verlassen könne, wenn es darum gehe, andere daran zu hindern, alles zu verderben.10 Es waren nicht so sehr Metternichs Überredungskünste als die Nachrichten, die während der nächsten Tage aus Blüchers Hauptquartier eintrafen, die Alexanders Begeisterung für einen Vormarsch auf Paris dämpften und die den österreichischen und den britischen Gesandten halfen, ihn davon zu überzeugen, eine Wiederaufnahme der Verhandlungen in Châtillon zu gestatten. Als Blücher «seinen Marsch zu den Mamselles» schließlich fortsetzte, wie Castlereagh es nannte, und sich infolgedessen von Schwarzenberg entfernte, preschte Napoleon vor und fügte seinem Korps eine Niederlage nach der anderen zu. Am 10. Februar verjagte er die Vorhut von Olsufjews Russen bei Champaubert, schlug am 11. und 12. Osten-Sackens Russen und Yorcks Preußen bei Montmirail und richtete dann am 14. bei Vauchamps auch Blücher übel zu. Am 17. Februar begann der erschreckte Schwarzenberg, seine vorgeschobenen Stellungen bei Troyes aufzugeben, und bat um einen Waffenstillstand, aber Napoleon zerknüllte sein Schreiben und schleuderte es zu Boden. Am nächsten Tag griff er Schwarzenbergs abrückende Nachhut an, schlug sie bei Montereau und besetzte am 24. Februar Troyes. «Wollte ich Eurer Majestät all die unglaublichen Dinge schildern, die sich hier ereigneten, müßte ich einen Roman schreiben», berichtete der bayerische Gesandte Fürst von Wrede seinem König. Panik brach aus, als sich die Monarchen und ihre Minister eilig dem Rückzug des Hauptquartiers von Troyes nach Bar-sur-Aube und weiter nach Chaumont anschlossen. Alexander tönte immer noch vom Vormarsch, aber seinen Generälen und seiner Armee mangelte es an Proviant und Kampfgeist. Auch er schlug nun vor, Napoleon um einen Waffenstillstand zu bitten, während Friedrich Wilhelm jammernd von einer bevor-
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stehenden Katastrophe sprach. Als Castlereagh versuchte, sie wieder aufzurichten, beschrieb er ihre Stimmung als «intensiv durchdrungen von dem demoralisierenden Wirkstoff eines raschen Umschlags von einem Vormarsch voller hochfliegender Erwartungen zu einem etwas peinlichen Rückzug voller Enttäuschungen und gegenseitiger Schuldzuweisungen.»11 Zu einem ähnlichen Stimmungswechsel kam es überall unter den alliierten Truppen, wie General Alexander von Benckendorff bemerkte, der eine russische Einheit in Blüchers Korps befehligte. «Alles verlief herrlich, wir schlugen sie, einen nach dem anderen, jeder wetteiferte mit jedem um die Schlüssel von Paris, man intrigierte um die Position des Gouverneurs der Stadt; die Franzosen waren Feiglinge, Napoleon ein Dummkopf», schrieb er einem Freund. «Aber kaum haben sie ein paar Schläge eingesteckt, schon wissen die Leute nicht mehr, wo sie hinlaufen sollten, überall sehen sie Gespenster, jeder Bauer erscheint ihnen als Teufelsspuk.» Die Österreicher standen kurz davor, sich ganz aus Frankreich zurückzuziehen, während Bernadottes Verhalten befürchten ließ, er könne abtrünnig werden. «Die Beschuldigungen und Gegenbeschuldigungen zwischen Österreichern und Russen haben ein solches Ausmaß erreicht, daß ich es langsam leid bin, gegen beide anzukämpfen», beschwerte sich Castlereagh bei Liverpool.12 Napoleon war in Hochstimmung. «Meine Siege müssen sie überrascht haben; sie haben sie nicht erwartet», jubelte er. «Sie dachten, der Löwe sei tot, und daß sie nur noch auf ihn pissen müßten.» Am 19. Februar schrieb er an Caulaincourt und instruierte ihn, sich keinesfalls auf weniger als die «natürlichen» Grenzen Frankreichs einzulassen, auf dem größten Teil Italiens zu bestehen und so wenig Zugeständnisse wie möglich zu machen; vor allem sollte er sich mit ihm absprechen, bevor er sich mit irgend etwas einverstanden erklärte.13 Es bestand kaum eine Chance, daß sich die in Châtillon versammelten Unterhändler auf irgend etwas einigen würden. Binnen zweier Tage nach seiner Ankunft meldete Stadion an Metternich: «Unsere Arbeit hier kommt allmählich einer schlechten Komödie gleich.» Die meiste Zeit hatten Diskussionen über Details des Protokolls und der Kleidung eingenommen (am Ende wurde beschlossen, daß einige nicht in formeller Hofkleidung erscheinen mußten, sondern anziehen durften, was sie wollten).14
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Alexander hatte nicht Nesselrode, sondern den Napoleonhasser Rasumowskij entsandt, und Friedrich Wilhelm hatte Humboldt geschickt. Keiner der beiden verspürte auch nur den geringsten Wunsch nach einem Erfolg der Verhandlungen, und sie taten ihr Bestes, deren Fortgang zu behindern. Nachdem er den ersten drei Sitzungen beigewohnt hatte, schrieb Stadion an Metternich: «Die Sitzungen bieten nicht einmal den Anschein echter Verhandlungen», und er benutzte das Wort «Farce», um Rasumowskijs grundlos beleidigende Behandlung Caulaincourts zu kennzeichnen, an dessen Verzweiflung Humboldt sich weidete.15 Die britischen Unterhändler waren angewiesen worden, jede sich bietende Möglichkeit für einen Friedensschluß zu nutzen, gleichgültig, wie sehr der Prinzregent und die öffentliche Meinung daheim es verabscheuen mochten, einen Vertrag zu unterzeichnen, der Napoleon an der Macht ließ. «Sie machen sich keine Vorstellung davon, wie unvernünftig und wild die Menschen in diesem Lande schon auf den Gedanken reagieren, mit Buonaparte irgendeinen Frieden zu schließen», hatte Liverpool Castlereagh gewarnt. Jackson erfuhr von seiner Mutter, die ihm Ende März aus Bath schrieb, sie habe Leute sagen hören, wer mit Bonaparte Frieden schlösse, «gehöre gehängt». Aber Castlereagh ließ sich nicht einschüchtern. «Man wird uns steinigen, wenn wir nach England zurückkommen, aber wir müssen unterschreiben», schrieb er an Aberdeen.16 Die drei britischen Gesandten waren voller Mitgefühl für den liebenswürdigen Caulaincourt, und Aberdeen war über die Verhandlungen entsetzt. «Seine diplomatische Umschuld bringt ihn noch um, wenn er weiterhin mit ansehen muß, wie scheußlich und beleidigend hier in allem vorgegangen wird, und er die Rolle bedenkt, die er darin selbst spielen muß», schrieb ein amüsierter Stadion an Metternich. Aber auch Stadion war über das Geschehen bedrückt und meinte, es schade dem Ansehen der Koalition.17 Die erste Sitzung am 5. Februar galt Verfahrensfragen. Auf der zweiten am übernächsten Tag unterbreiteten die alliierten Unterhändler den Vorschlag, daß sich Frankreich auf die Grenzen von 1792 zurück ziehen und seine Ansprüche auf alle außerhalb liegenden Gebiete aufgeben sollte; dafür würde es einige Kolonien zurückerhalten. Caulaincourt protestierte: Solche Bedingungen seien höchstens für eine restlos besiegte Macht nicht völlig inakzeptabel. Frankreich stünde
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aufgrund dieser Vorschläge noch schwächer da als 1792. Denn da der Vorschlag der Alliierten nicht vorsah, daß sich alle auf die Grenzen von 1792 zurückzuziehen hätten, habe sich das europäische Gleichgewicht von Grund auf verschoben, nachdem Preußen einen beträchtlichen Teil Polens und des Rheinlands dazugewonnen, Rußland weite Gebiete Polens und Finnlands geschluckt, Österreich nicht nur einen Anteil Polens, sondern auch Venedig und andere Regionen in Italien erworben und Großbritannien eine Reihe strategisch wertvoller Kolonien in Besitz genommen hatte. Er verwies die Alliierten auf die «Frankfurter Vorschläge» und ihre Erklärung vom 1. Dezember 1813, in der die verbündeten Monarchen ausdrücklich ihrem Wunsch nach einem «großen, starken und territorial zufriedengestellten» Frankreich Ausdruck verliehen hatten.18 Caulaincourt wäre bereit gewesen, um fast jeden Preis Frieden zu schließen, da er in ihm die einzige Möglichkeit sah, Napoleon vor dem Untergang zu bewahren. Aber er war angewiesen worden, ein vollkommen unrealistisches Angebot zu unterbreiten, demzufolge das Großherzogtum Warschau, Eugènes Italien und Murats Neapel unabhängige Staaten und Belgien, mit Antwerpen und der Scheldemündung, Teil Frankreichs bleiben sollten. Das wurde von den alliierten Bevollmächtigten rundheraus abgelehnt, und Caulaincourt mußte von Napoleon neue Instruktionen anfordern. Er schrieb auch an Metternich und bat um einen sofortigen Waffenstillstand, wobei er andeutete, daß er, sollte dieser gewährt werden, Napoleon überreden könnte, den Grenzen von 1792 zuzustimmen. Kaum hatte Caulaincourt seinen Kurier an Napoleon losgeschickt, traf ein anderer von Alexander ein, der Rasumowskij anwies, die Verhandlungen abzubrechen, woraufhin die Konferenz in einen Zustand der Erstarrung fiel.19 «Im Vergleich zum Hauptquartier ist dieses kleine Dorf ruhig und sauber», hatte Castlereagh bei seiner Ankunft an Emily geschrieben, aber selbst ihm, der nur drei Tage vor Ort verbrachte, fehlten die Möglichkeiten, sich zu zerstreuen. «Unser Aufenthalt hier ist eine Art Hölle», beschwerte sich Stadion bei Metternich. Humboldt langweilte sich und murrte über die Menge von Schreibarbeiten, die man ihm aufgebürdet hatte. Besonders verärgert war Stewart; er wäre lieber über das Schlachtfeld galoppiert und fürchtete, die Kampfeinsätze zu verpassen.
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Caulaincourt versuchte, die Konferenz zu beleben, indem er am 14. Februar eine Jagdgesellschaft zusammenstellte, aber sie fand kein Wild und kam mißmutig zurück.20 Die Stimmung hob sich, als Caulaincourts Haushalt endlich die Frontlinien passieren durfte. Selbst Stewart bekam wieder gute Laune beim Eintreffen von «Weinfuhren und allen Leckereien, welche Paris gewähren kann», schrieb er. «Um endlich das Angenehme dieses Aufenthaltes zu vollenden, um die Langeweile zu verbannen von dem Kongress … fehlte auch die Gesellschaft liebenswürdiger Damen nicht.» Zusätzlich neuen Schwung brachte die Ankunft der lebhaften Priscilla Burghersh, die beobachtete: «Die Bevollmächtigten verbringen ihre Zeit mit großen Diners, die sie sich gegenseitig geben; sie leben so üppig, daß zwei oder drei der Herren bereits von dem Übermaß guter Genüsse erkrankt sind.» Humboldt ließ seine Schreibarbeiten liegen und vertiefte sich in Plutarch. Zu seiner großen Freude entdeckte er in Aberdeen einen Liebhaber der Klassiker, mit dem er lange Gespräche führen konnte. Priscilla Burghersh lieh sich Lesestoff von Stewart. «Lord Byrons neues Buch ‹Der Korsar› ist entzückend», schrieb sie nach Hause.21 Die in Châtillon versammelten Gesandten waren ursprünglich von einem Kontingent österreichischer Soldaten bewacht worden. Aber nach den französischen Siegen wurde das Gebiet von den Franzosen überrannt, woraufhin sie in einer Art diplomatischen Vakuums unter dem Schutz eines Kontingents der französischen Nationalgarde standen. Überdies hatten die französischen Siege Alexander veranlaßt, seine Instruktionen an Rasumowskij zu revidieren, so daß man die Verhandlungen am 17. Februar im Beisein Castlereaghs wieder aufnahm, der herbeigeeilt war, um Aufsicht zu führen. Caulaincourts Argumente für die «natürlichen Grenzen» Frankreichs wurden übergangen, und Stadion verlas den Text eines von den Alliierten entworfenen Vertrags, der von den zuvor angebotenen Bedingungen nicht abrückte, aber ausführlicher war. Unter anderem sah er vor, daß Deutschland aus unabhängigen Staaten bestehen solle, die «durch ein föderales Band vereint» wären. Caulaincourt schnitt eine Reihe von Fragen an, die für Frankreich von besonderem Interesse waren, zum Beispiel, ob das Königreich Italien als Staat weiterbestehen und ob die Rechte des Königs von Sachsen gewahrt bleiben sollten; seine Fragen blieben jedoch unbeantwortet. So willigte er ein, Napo-
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leon den Entwurf zu unterbreiten, und die Verhandlungen wurden vertagt.22 Der Kongreß trat erst nach zehn Tagen wieder zusammen, und bei der nächsten Sitzung, am 28. Februar, warfen die alliierten Unterhändler Caulaincourt vor, auf Zeit zu spielen. Sie verlangten, daß er bis zum 10. März entweder ihre Bedingungen annehmen oder einen für die Alliierten akzeptablen Gegenvorschlag vorlegen sollte. Da man aber seinen Kurier abfing und ins alliierte Hauptquartier brachte, wo er mehrere Tage festgehalten wurde, konnte Caulaincourt den Termin nicht einhalten. So blieb ihm nach Ablauf der Frist nichts anderes übrig, als erneut für die Beibehaltung der «natürlichen Grenzen» Frankreichs einzutreten, wenn auch mit einigen Zugeständnissen. Beide Seiten setzten so ihren Dialog unter Schwerhörigen fort; wobei die Alliierten den nächsten Sitzungstag am 13. März nutzten, um zu erklären, daß sie, wiewohl sie ihren Plan nicht als Ultimatum verstanden wissen wollten, nicht daran dächten, irgendwelchen grundsätzlichen Veränderungen zuzustimmen.23 Am 15. März unterbreitete Caulaincourt endlich die französischen Vorschläge, die die Pläne der Alliierten für das restliche Europa akzeptierten, vorausgesetzt, Sachsen und das Königreich Italien dürften ihre Unabhängigkeit und Frankreich seine «natürlichen Grenzen» behalten. Die Vorschläge wurden zu Kenntnis genommen und ins Hauptquartier expediert, aber der Weg des Kuriers kreuzte sich mit dem eines anderen, der mit der Order, die Verhandlungen abzubrechen, aus der Gegenrichtung geritten kam. Am 18. März legten die alliierten Unterhändler eine lange Rechtfertigung ihres Handelns vor, in der sie konstatierten, daß «die alliierten Mächte die in Châtillon eingeleiteten Verhandlungen als von der französischen Regierung beendet» betrachteten. Beide Seiten trafen am Morgen des folgenden Tages ein letztes Mal zusammen, um Caulaincourts Erwiderung anzuhören, dann wurde der Kongreß aufgelöst. Eine Woche später, am 25. März, bemühte sich Caulaincourt in einem Schreiben an Metternich zum letzten Mal verzweifelt, zwischen Napoleon und den Alliierten einen Frieden herbeizuführen. Aber die waren längst mit anderen Dingen beschäftigt.24 Am 23. Februar hatten Castlereagh und Hardenberg im Hauptquartier in Gesellschaft eines Neuankömmlings gespeist, Alexanders ehemaligem Außenminister, Fürst Adam Czartoryski. Es ist unwahrscheinlich, daß
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Das Ghzm. Warschau 1807
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ÖS Polnische Grenze 1772 Großherzogtum Warschau
Bezirk Białystok (von Preußen an Rußland übertragen)
Dritte polnische Teilung 1795
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Das Ghzm. Warschau nach 1809
Kurland
Ostsee
Litauen Wilna Minsk
PREUSSEN Thorn Modlin Posen
RUSSISCHES KAISERREICH
Warschau
Kalisch
Puławy
Kiew
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Ukraine
Lemberg
Krakau
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Polnische Grenze 1772 Großherzogtum Warschau
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Tarnopol
Galizien
Bezirk Tarnopol (von Österreich 1809 an Rußland übertragen)
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sie dazu kamen, den Zweck des fürstlichen Besuchs zu besprechen, aber Castlereagh konnte sich denken, was dessen Anwesenheit zu bedeuten hatte, und er war besorgt. Metternich und Hardenberg waren es ebenfalls. Eine der in der Reichenbacher Konvention festgelegten Grundlagen für die Verhandlungen mit Napoleon bestand in der Auflösung des Großherzogtums Warschau «und der Aufteilung der Provinzen, aus denen es sich zusammensetzt, zwischen Rußland, Preußen und Österreich»; in welcher Form, hätten die drei Mächte noch zu beschließen. Zwar machte das Scheitern der Verhandlungen diese Grundlagen jetzt gegenstandslos, aber der Vertrag von Teplitz enthielt auch eine Geheimbestimmung, die «ein Arrangement à l’amiable zwischen den drei Höfen Rußlands, Österreichs und Preußens hinsichtlich der Zukunft des Großherzogtums Warschau» vorsah.25 Entgegen diesen Übereinkünften verfolgte Alexander nach wie vor das Ziel, ein konstitutionelles Königreich Polen zu errichten, das unter seiner eigenen Herrschaft stehen sollte. Nesselrode hatte ein längeres Memorandum aufgesetzt, das ihn davon abbringen sollte, während ihm Stein, Capodistrias und Pozzo di Borgo vergeblich die Gründe, die gegen die Durchführbarkeit seines Vorhabens sprachen, auseinandergesetzt hatten.26 Alexander stellte sich vor, daß Preußen für die Gebiete, die er ihm nicht zurückerstatten würde, durch den Zugewinn Sachsens entschädigt werden könnte. Das alarmierte sowohl Metternich, der sich kein territorial vergrößertes Preußen an den Grenzen Österreichs wünschte, wie die meisten anderen deutschen Fürsten, die hier einen gefährlichen Präzedenzfall witterten. Metternich brachte die Haltung seines Hofes zu diesem Thema regelmäßig öffentlich vor, und so wurde es zu einem Zankapfel zwischen Österreich und Preußen. All das war um so problematischer, als es sie daran hinderte, sich gegen einige der noch bedrohlicheren Vorhaben Alexanders zusammenzuschließen. Am 8. Januar 1814, zu einem Zeitpunkt, als die Koalition in einer ihrer periodisch wiederkehrenden Krisen steckte, hatte Metternich mit einem Kompromiß aufgewartet. An diesem Tag teilte er Hardenberg beim Essen mit, daß sich sein Land mit der Annexion Sachsens einverstanden erklären könnte, wenn Preußen Österreich in seinem Widerstand gegen die russischen Pläne bezüglich Polens unterstützen würde. Dieser Vorschlag hatte ein Köder sein sollen, um Preußen von der Seite Rußlands wegzu-
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locken und auf die österreichische Seite zu ziehen; statt dessen sollte er sich als ungedeckter Wechsel auf die Zukunft herausstellen. Denn obgleich Hardenberg nicht die Befugnis hatte, über dieses Angebot zu entscheiden, behielt er es doch im Sinn und redete sich ein, daß es bedingungslos gelte, nicht ausschließlich als Teil eines quid pro quo.27 Castlereagh und Metternich beunruhigte vor allem, daß Alexander offenbar der Auffassung war, daß das, was er in Polen trieb, nur ihn etwas angehe. Er glaubte, sein persönliches Prestige stehe auf dem Spiel, was er gegenüber Stewart auch einmal nachhaltig betonte. «Er [der Kaiser] versicherte indes, daß sowohl seine persönlichen Ansichten, als alle Grundsätze der Gerechtigkeit ihn geneigt machten, seine ganze Gewalt anzuwenden, um Polen eine Konstitution zu geben, welche das Glück eines so großen Volks verbürgte», berichtete Stewart seinem Bruder. Zwar könne der Zar weder seine eigenen polnischen Provinzen aufgeben noch ein unabhängiges Polen errichten, ohne fürchten zu müssen, seinen Thron zu verlieren, habe er weiter ausgeführt, er könne aber die Polen beglücken, indem er ihnen eine nationale Autonomie unter seinem Zepter gewähre. «Der Kaiser machte nachher, gleichsam drohend, eine Anspielung auf seine Gewalt, Polen militärisch zu besetzen … Bei der festen und entschiedenen Weise, womit er sich ausdrückte, zweifelte ich sehr, daß er je von dem ausgesprochenen Willen abgewendet werden könnte.» Stewart war vom aggressiven Ton des Zaren unangenehm berührt. Wenn Rußland ganz Polen behalte, dachte er, würde es im Herzen Europas gefährlich präsent werden. Bedenke man dies im Zusammenhang mit dem, was er als «sukzessive Ausdehnungen und Einverleibungen Rußlands während der letzten hundertundfünfzig Jahre» bezeichnete, und berücksichtige man, daß «dessen ganze Regierungsform in einer militärischen Despotie bestehe», könne es «kaum einen ernsthaften und vernünftigen Menschen in Europa geben, der nicht zugestehe, daß das ganze politische Europa, in seinem grundlegenden und förmlichen Prinzip, unumstößlich an der Notwendigkeit festhalten müsse, dieser gewaltigen und ausgreifenden Macht Grenzen zu setzen».28 Czartoryski wiegte sich in der Illusion, daß die Briten allen versklavten, um ihre Freiheit kämpfenden Nationen freundlich gesonnen seien, wie die vielgerühmte britische Unterstützung der Spanier nahezulegen schien. Er hatte einen Agenten nach London entsandt, der in der Öf-
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fentlichkeit die Trommel für eine Unterstützung der polnischen Sache rühren sollte, woraufhin unter anderem der prominente Whig-Parlamentarier Henry Brougham eine anonyme Flugschrift für die Wiederherstellung eines unabhängigen Polen drucken ließ, die viel Zustimmung erfuhr. Aber Castlereagh hatte für derartige emotionale Appelle wenig übrig. Er sah in Polen nur ein potentielles Hemmnis für harmonische Beziehungen zwischen den drei europäischen Alliierten. Daher nutzte er das erste Gespräch unter vier Augen, um Czartoryski mitzuteilen, daß seine Gegenwart in Chaumont der alliierten Einheit nicht zuträglich sei, und drängte ihn zur Abreise. Wieder einmal fürchtete Castlereagh um den Zusammenhalt der Allianz.29 Kaum hatten sich die Alliierten von ihrem Schrecken erholt, begannen sie zu zanken. Alexander warf Metternich Verrat vor, und Friedrich Wilhelm beschuldigte die Österreicher, Blücher im Stich gelassen zu haben. Man erkenne seine Verdienste nicht an, spiele seinen Einsatz herunter und mißtraue seinen Motiven, beschwerte sich Alexander und zog sich schmollend in seine abgeklärte Selbstgerechtigkeit zurück. Metternich und Schwarzenberg nahmen ihm ihrerseits übel, daß er den Krieg verlängern wolle. «Es ist offenkundig, daß die gegenseitige Mißgunst der beiden Kaiserhöfe gefährliche Ausmaße annimmt», warnte Graf zu Münster am 25. Februar den Prinzregenten.30 In seiner Furcht, daß die Koalition auseinanderbrechen könnte, beschloß Castlereagh, seinen «großen Entwurf» wiederzubeleben, und in der wenig verheißungsvollen Umgebung von Chaumont, «einer schmutzigen und öden Stadt, mit der einen höchstens das eigene Pflichtgefühl gegenüber dem Staat versöhnen könnte», machte er sich daran, sein Projekt zu verwirklichen. «Ich habe nur ein einziges kleines Zimmer», schrieb er seiner Frau, «in dem ich schlafe und arbeite und wo die ganze Kanzlei diniert, wenn wir etwas Eßbares ergattern können.» Zum Glück war der findige Stewart fouragieren gegangen und «im Triumph mit drei Dutzend Geflügel und sechs Dutzend Flaschen Wein wiedergekehrt». Nicht alle Unternehmungen von Sir Charles waren ähnlich erfolgreich, jedoch ertrug er die Wechselfälle des Krieges mit Gleichmut.31 Stewart nutzte jede Gelegenheit zum Gefecht, wie übrigens auch sein Mit-Gesandter Cathcart, der in der Schlacht bei La Fère Champenoise sogar den Befehl über eine russische Batterie übernahm. Gegen Ende eben dieser Schlacht erfuhr Stewart einen herben Mißerfolg. «Ich
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wurde hier Zeuge eines sehr interessanten, aber, wie ich fürchte, leider auch allzu gängigen Vorfalls, der sich abspielte, als der Konvoi des gegnerischen Trosses mitsamt der Vorräte und allem bei la Fère Champenoise erobert wurde», schreibt er. «Da ich mich vorn in der mêlée befand, sah ich, daß einige der Kosaken, höchstwahrscheinlich baschkirische, gerade nicht nur die Kalesche und das Gepäck eines französischen Obersten einnahmen, sondern einer von ihnen auch dessen Frau ergriff, deren Schreie herübergellten, und sich anschickte, sie unterstützt durch zwei andere tapfere Tartaren, hinter sich aufs Pferd zu heben.» Stewart eilte ihr zu Hilfe und konnte die «bezaubernde und hochinteressante Französin» retten. Er befahl seiner Ordonnanz, einem Husaren, «sie vorläufig aufsitzen zu lassen und zu meiner Unterkunft ins Hauptquartier zu bringen. Ich war nicht geneigt, und es war mir auch gar nicht möglich, zu diesem Zeitpunkt das Schlachtfeld zu verlassen; aber ich tröstete mich mit dem Gedanken, daß mich bei der Rückkehr in mein Quartier die Dankbarkeit dieses schönen Geschöpfs erwartete, und malte mir die damit verbundenen romantischen Folgen aus. Aber ach! Wie wenig Verlaß ist auf alles, was in der Zukunft liegt, und wie eitel sind all unsere Luftschlösser! Ich fürchte, meine Vorsichtsmaßnahmen waren nicht ganz so gut, wie ich mir eingebildet hatte: die Entfernung zwischen dem champ de bataille und Fère Champenoise war gering: die Stadt war in Sichtweite; und angesichts der großen Zahl hier herumziehender Offi ziere und Soldaten konnte ich mir nicht vorstellen, daß man mir meine schöne Gefangene wieder entreißen würde; aber so traurig es ist, entweder kehrten dieselben Kosaken zurück, oder andere, die noch wilder und entschlossener waren, und die meinen treuen Husaren mit der Schönen erblickten, fielen über ihn her und griffen sich ihre Beute wieder, wobei sie ihn beinahe umbrachten. Obwohl der Kaiser von Rußland, den ich sofort aufgesucht und dem ich das traurige Ereignis berichtet hatte (und der den Bericht mit all dem Mitgefühl und dem Interesse zuhörte, die er unweigerlich wecken mußte), in seiner gesamten Armee die sorgfältigsten Ermittlungen durchführen ließ, tauchte die schöne und interessante Französin nie wieder auf. Ich breite einen Schleier des Vergessens über die schreckliche Fortsetzung, die die Phantasie heraufbeschwören könnte, und rechnete es mir als große Schuld an, daß ich nicht für ihren hinreichenden Schutz gesorgt hatte. Mein Husar kam am nächsten Morgen zu mir gekrochen, halbtot von
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der erlittenen Behandlung; und seine traurige Geschichte versetzte mich in einen Gemütszustand, der kaum weniger beklagenswert war.»32 Derlei Abenteuer werden mit dem diplomatischen Geschäft normalerweise nicht in Verbindung gebracht, in der damaligen Zeit jedoch waren sie an der Tagesordnung. Nicht nur jagte der Gesandte Seiner Britannischen Majestät am Hof von Preußen über das Schlachtfeld und rettete holde Jungfrauen in Not, nicht nur befehligte sein am russischen Hof akkreditierter Kollege persönlich eine Feldbatterie, es geschah auch, daß der österreichische Diplomat Graf Wessenberg in die Hände einiger französischer Bauern fiel, die ihm wegnahmen, was er bei sich trug; daß der Außenminister Seiner Kaiserlichen und Königlichen Apostolischen Majestät fast von französischer Kavallerie gefangengenommen worden wäre; daß der britische Außenminister bei dem Versuch, etwas Eßbares aufzutreiben, über holprige Feldwege stolperte; auch weniger bedeutsame Persönlichkeiten, wie die hübsche Gemahlin des britischen Bevollmächtigten im Hauptquartier der Alliierten, sahen sich ganz undiplomatischen Beschwernissen ausgesetzt. «Meine liebste Em», schrieb Castlereagh am 30. März nach Hause, «sollte man mir eines Tages den Prozeß machen, weil ich meine Frau nicht mitgenommen hatte, wird meine erste Zeugin Lady Burghersh sein, die gezwungen war, aus Chaumont zu fliehen und in einem militärisch vollgerümpelten Biwak zu hausen, ohne die Möglichkeit, ihr Unterkleid unbeobachtet zu wechseln – es sei denn, sie vollzog diese Zeremonie im Dunkel der Nacht.»33 Sie kamen mit den Widrigkeiten erstaunlich gut zurecht. Seinen Briefen nach zu urteilen, störte sich Metternich mehr an der Unordnung und Zerstörung, die der Krieg hinterließ und die seine gehobenen Ansprüche beleidigten, als an dessen menschlichen Opfern, und ihm schienen die umher liegenden Menschen- und Tierleichen weniger auszumachen als das verdreckte Mobiliar in den Häusern, die er betrat, und der Müll am Straßenrand. Keinen Augenblick lang unterließ er es, an seine geliebte Wilhelmine zu schreiben und sie mit Geschichten über seine Klugheit zu ergötzen oder sie darüber zu beraten, wo sie sich in Wien einmieten solle. Er nahm sich sogar Zeit, ihr in Troyes einen Morgenrock zu kaufen. Für seine Frau erstand er einige Kleider aus einem Stoff, den man «Grenatine» nannte und den er vorher noch nie gesehen hatte, der ihm aber sehr gefiel.34
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Das Einkaufen für die Lieben daheim war offenbar eine der Hauptbeschäftigungen, und vor allem die Briten wurden mit Anfragen nach französischer Spitze bombardiert. «Was die ‹Fluten von durchsichtigen Stoffen und Batist› betrifft, von denen Du sprichst, so versichere ich Dir, liebe Mutter, daß ich, obgleich ich ständig bei Wind und Wetter draußen bin und meine Seemannsaugen in alle Richtungen offen halte, noch an keinem Ort, den wir passierten, eine derartige Flut bemerkt habe», schrieb ein offenkundig entnervter Jackson am 26. März aus Dijon. Ähnlich klagte Castlereagh, der Emily wissen ließ: «Ich kann in diesem Land nichts Hübsches für Dich finden.» In seinen diplomatischen Bemühungen war er erfolgreicher.35 In Chaumont gelang es ihm endlich, die anderen Alliierten von der Notwendigkeit zu überzeugen, einen ordentlichen gemeinsamen Bündnisvertrag zu unterzeichnen, in dem er alle britischen Bedingungen festgeschrieben hatte: für Frankreich die Grenzen von 1792 und die Vergrößerung der Niederlande samt einer «Barriere» in Belgien, die Unabhängigkeit Spaniens und Portugals unter ihren rechtmäßigen Dynastien, eine unabhängige Schweiz, die Rückkehr zu einem vorläufig noch nicht definierten Staatenbund in Italien, der frei von französischem Einfluß bleiben sollte, und ein Bündnisarrangement, das die Unabhängigkeit der kleineren deutschen Staaten garantierte. Die Details der Regelungen zu Italien und Deutschland sollten nach Friedensschluß auf einem Kongreß in Wien ausgearbeitet werden. Mit dem Vertrag von Chaumont verpflichteten sich die Alliierten, unter keinen Umständen einen Separatfrieden zu schließen. Jede der vier Mächte sollte 150 000 Mann stellen, wobei Großbritannien zu den Zahlungen, die es bereits leistete, zusätzlich fünf Millionen Pfund beisteuern würde, die darauf zu verwenden seien, noch mehr Truppen auszuheben – auf der Grundlage von zwanzig Pfund jährlich für jeden Fußsoldaten und dreißig für jeden Kavalleristen. Der Vertrag sollte für zwanzig Jahre gelten und könnte am Ende dieser Frist erneuert werden. Sobald der Frieden geschlossen sei, könnten die Verbündeten ihre Streitkräfte verkleinern, wobei jede Nation weiterhin 60 000 Soldaten bereitstellen solle, um jeder Nation, die von den Franzosen angegriffen würde, zu helfen. Der Vertrag war unverkennbar durch Pitts Antwort auf Alexanders Entwurf einer neuen Ordnung aus dem Jahr 1804 inspiriert, der zufolge
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nach einem Friedensschluß «sich die Hauptmächte Europas zum gegenseitigen Schutz und zur gegenseitigen Unterstützung zusammenschließen» sollten. In dem Begleitschreiben, das Castlereagh mit dem vollständigen Vertragstext nach London sandte, entschuldigte er sich bei Liverpool, seine Weisungen im Punkt der Subsidien überschritten zu haben. Aber in seinem Brief an William Hamilton, den Ministerialrat im Außenministerium, sah er offensichtlich keine Notwendigkeit, sich zu rechtfertigen.36 «Als wir vier Minister ihn unterzeichnen sollten, saßen wir gerade am Whisttische. Man war darin einverstanden, daß die Einsätze in keiner frühern Partie so hoch gewesen wären», schrieb er und fügte hinzu, er sei entschlossen gewesen, «keine zweite Geige zu spielen. Thatsache ist es, daß nach dem, wie der Vertrag sich dies Jahr herausstellt, unsere Verpflichtung den ihrigen zusammengenommen gleichkommt. Wir geben 150 000 Mann und fünf Millionen, also noch einmal so viel – im Ganzen 300 000. Sie geben 450 000, von denen wir jedoch 150 000 bezahlen, bleibt für sie selbst die Zahl von 300 000. Factisch indessen bezahlen sie verdrießlich, lahm und mißgestimmt eine große Summe mehr. Andererseits geben wir den Werth von 125 000 Mann außer den 300 000. Welch eine außerordentliche Machtentfaltung! Dies wird, hoffe ich, jedem Zweifel wegen der vermeintlichen Ansprüche ein Ende machen, welche wir auf Continentalverhältnisse erheben sollen.» Das sollte es in der Tat.37 Mit seiner typisch englischen Obsession mit der Gefahr, die durch Frankreich drohe, hatte Castlereagh im Grunde eine Art anti-französischer Liga zusammengebracht, die nicht nur den Erzfeind seines Landes besiegen, sondern ihn auch nach dem Friedensschluß in Schach halten sollte. Der Vertrag von Chaumont wurde am 9. März 1814 unterzeichnet und auf den 1. März zurückdatiert; er verschob nicht nur das europäische Gleichgewicht radikal, er öffnete auch ein ganz neues Kapitel der Geschichte internationaler Beziehungen. In einem Schriftstück, das mindestens für die nächsten zwanzig Jahre als Rahmen für die europäische Politik gedacht war, wurden die vier Unterzeichner, fortan die Großmächte, zu Schiedsrichtern Europas erklärt – tatsächlich waren es die Stärksten, die hier feierlich inthronisiert wurden. Die vier größten Akteure hatten die Kontrolle über das Spiel übernommen und beabsichtigten, von nun an die Regeln zu bestimmen.
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Noch war Napoleon nicht geschlagen. Mit nur 47 000 Soldaten griff er am 7. März 1814 bei Craonne Blüchers 85 000 Mann starke Armee an und trieb ihn zurück, nachdem eine der blutigsten Schlachten der napoleonischen Kriege geschlagen war. Er verfolgte ihn bis nach Laon, war aber am 10. März nach zwei Tagen erbitterter Kämpfe seinerseits gezwungen, zurückzuweichen. Drei Tage später löschte er mit einer Blitzattacke bei Reims ein vorgeschobenes russisches Korps aus, der auch dessen Kommandeur, General Saint-Priest, zum Opfer fiel. Hardenberg vermerkte in seinem Tagebuch den Kleinmut von «Kassandra», wie er Friedrich Wilhelm nannte, während Burghersh mutmaßte, «Schwarzenberg könnte sich fast wünschen, wieder am Rhein zu stehen». Am 20. März griff Napoleon mit nur 28 000 Mann Schwarzenbergs Übermacht von mehr als 80 000 Soldaten an. Man sah ihn mitten im Getümmel, wie er sein Leben aufs Spiel setzte und, mit dem Schwert in der Hand, seine Leute um sich scharte.1 Hätte Napoleon in den vergangenen drei Jahren auch nur einmal diese geistige Beweglichkeit gezeigt, wäre er der Beherrscher Europas geblieben. Aber jetzt fehlten ihm schlicht die Truppen zum Weiterkämpfen. Der schwindende Kampfgeist seiner Marschälle spiegelte sich in ihren glanzlosen Leistungen, wann immer sie auf sich gestellt waren. Am 27. Februar wurde Nicolas Jean-de-Dieu Soult bei Orthez von Wellington geschlagen, was den Südwesten Frankreichs feindlichen Angriffen öffnete. Am 17. März ließ sich Marmont von Blücher bei Fismes schlagen; am 22. März gab Augerau Lyon kampflos preis; am 25. März unterlagen Marmont und Mortier bei La Fère Champenoise. «Paris ist sehr bedrückt», hatte der sonst so zuversichtliche Maret Caulaincourt am 8. März berichtet. «Die Lage ist ernst und verschlechtert sich mit jedem neuen Tag», erfuhr Napoleon am 11. März von Cam-
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bacérès. «Wir sind inmitten von bitterer Armut und umgeben von Menschen, die entweder erschöpft oder verärgert sind. Anderswo ist es noch schlimmer; offi zielle Berichte und Privatbriefe belegen gleichermaßen, daß wir uns nicht mehr verteidigen können, daß Verzagtheit allgemein vorherrscht, daß in manchen Vierteln Zeichen von Unzufriedenheit zu bemerken sind und wir kurz davor stehen, Zeugen schlimmster Ereignisse zu werden, wenn uns nicht der starke Arm Eurer Majestät sofort zur Hilfe eilt.» Aber Napoleon schenkte dem keine Beachtung. Wie ein fanatischer Spieler glaubte er immer noch, die Würfel könnten das Schicksal noch wenden.2 Die Auflösung des Kongresses von Châtillon hatte die Möglichkeit eines Friedens mit Napoleon zunichte gemacht, und das warf die Frage auf, wer Frankreich nach dem Sieg der Alliierten regieren würde. Der Bruder Ludwigs XVIII., der Comte d’Artois, bearbeitete Lord Liverpool dahingehend, seinen Söhnen, den Herzögen von Angoulême und von Berry, zu gestatten, nach Frankreich zu fahren und die Fahne der Royalisten zu hissen. Liverpool war einverstanden, allerdings unter der Bedingung, daß sie privat fahren müßten, ohne offi zielle Rückendeckung Großbritanniens. So kam es, daß Angoulême im südwestlichen Frankreich an Land ging, wo er Wellington einige Schwierigkeiten machte; Berry wurde in den traditionell königstreuen Norden geschickt, während Artois selber sich in die Schweiz begab, von wo aus er zu gegebener Zeit zum Hauptquartier der Alliierten zu stoßen hoffte. Am 11. März erschien der Baron de Vitrolles, der von einer Unterstützergruppe der Bourbonen in Paris entsandt worden war, im Hauptquartier der Alliierten, das sich inzwischen wieder in Troyes befand. Seine Audienz bei Metternich verlief positiv, und auch Castlereagh, der in der Mission von Vitrolles das erste Anzeichen einer royalistischen Bewegung in Frankreich sah, empfing ihn nicht nur, sondern streckte ihm auch etwas Geld vor. Alexander zeigte sich weniger entgegenkommend. Er fragte Vitrolles, ob er den Bourbonen jemals begegnet sei, was dieser verneinte. «Nun!», versetzte Alexander mit einem Gesichtsausdruck, in dem sich Abscheu und Trauer mischten, «würden Sie sie kennen, wüßten Sie, daß die Bürde einer Krone wie diese zu schwer für sie wäre.» Napoleon werde bestimmt abtreten müssen, sagte er zu Vitrolles, deutete aber an, daß vielleicht Bernadotte oder Fürst Eugène oder eine Republik ihn ersetzen könnten.3
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Vitrolles blieb im Hauptquartier und brach gemeinsam mit den anderen am 21. März nach Bar-sur-Seine auf. Die erlauchte Gesellschaft und die bizarren Umstände der Reise versetzten ihn in Staunen. Castlereagh und Metternich ritten zu Pferde, die anderen zwängten sich in die unterschiedlichsten Fuhrwerke. «Unsere umfangreiche Karawane wirkte eher zivil und familiär als militärisch», berichtet Vitrolles. «Sie bot den einzigartigen Anblick einer langen Reihe von Kutschen und Wagen aller Art, die eher Küchen- als Kriegsgeräte enthielt. Zugleich sah man hier und dort Truppenkommandos verschiedener Nationen in kuriosen Uniformen.» Verwundert beobachtete er, wie Metternich, Castlereagh und Hardenberg ihr Mittagsmahl im Hof eines zerstörten Schlosses stehend oder auf Strohballen sitzend einnahmen und sich in Ermangelung anderer eßbarer Dinge mit Pastete begnügten, die sie mit einer Flasche Champagner hinunterspülten. Die merkwürdige Darbietung wurde zweifellos durch die nach wie vor höchst eigenwillige Kleidung Castlereaghs verstärkt, dessen Gesicht eine kriegerische Bräune angenommen hatte. «Er ist braungebrannt mit einem vornehmen Anflug von Bronze, und trägt eine golddurchwirkte Pelzmütze», berichtete Priscilla Burghersh.4 Nach Napoleons jüngstem Angriff auf Schwarzenberg mußten sie wieder in Panik fliehen und einen Großteil ihres Gepäcks zurücklassen – einmal wäre Franz sogar beinahe den Franzosen in die Hände gefallen. Während Vitrolles sich auf den Weg nach Nancy machte, um den Comte d’Artois zu treffen, zogen sich die Minister nach Dijon zurück.5 Dort erfuhren sie am 28. März, daß Wellington in Bordeaux eingezogen war, das sich für die Bourbonen erklärt hatte. Castlereagh, wie auch das restliche britische Kabinett, war nun der Ansicht, der Anschein von Neutralität müsse nicht länger gewahrt werden. An diesem Abend wurde in der Unterkunft Castlereaghs ausgelassen getafelt, und auch Hardenberg und Metternich stießen mit den anderen auf das Wohl der Bourbonen an.6 Zwei Tage später schrieb Castlereagh an Liverpool, man habe jemanden zu Artois geschickt, der inzwischen den Alliierten auf französisches Gebiet gefolgt war, um alles für eine Restauration der Bourbonenherrschaft vorzubereiten. Aber diese war noch längst nicht gesichert. Während die alliierten Minister, zu denen sich nun auch Franz gesellte, in Dijon der weiteren Entwicklung harrten, war Alexander, entschlossen, bei diesem Feldzug seinen Willen durchzusetzen, zügig vorausgeeilt,
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und Bernadotte drang rasch in Richtung Paris vor, wobei er offenließ, ob er sich für den Fall, daß er den Thron nicht gewinnen würde, als Steigbügelhalter für eine Republik oder für eine bourbonische Restauration bereithielt. Seine Vorsicht war durchaus angebracht, denn in dieser Phase war nahezu alles möglich.7 «Noch nie hat es inmitten einer so großen nationalen Besorgtheit so viel öffentliche Lethargie gegeben, nie so viele Unzufriedene, die sich so passiv verhielten, nie so viele Amtsträger, die so darauf brannten, ihren Herrn zu verleugnen, während sie ihm weiterhin brav dienten», schrieb später der Staatsmann und Historiker François Guizot, der zur Zeit der Ereignisse noch ein junger Mann gewesen war. «Es war eine Nation von erschöpften Zuschauern, die es verlernt hatten, in ihr eigenes Schicksal aktiv einzugreifen, und die nicht wußten, welchen Ausgang dieses schrecklichen Dramas, in dem es um sie selbst ging, sie wünschen oder fürchten sollten.»8 Diese Einschätzung wird auch von Eintragungen in George Jacksons Tagebuch bestätigt. Anfang Februar notierte er, daß jeder Franzose, mit dem er sprach, auf Napoleon schimpfte. «Aber weiter tun sie nichts, es bleibt folgenlos.» Einige Wochen später griff er das Thema der allgemeinen Apathie wieder auf. «Ein vorherrschendes Gefühl unter ihnen gibt es sicherlich – und es ist nur dieses eine –, nämlich der Wunsch nach Frieden. In allem übrigen halten sie es wie die Wetterhähne, die sich nach jedem Wind drehen.»9 Napoleons überwältigende Persönlichkeit hatte während der letzten anderthalb Jahrzehnte die der anderen überschattet, die revolutionäre Leidenschaft der Nation war längst erloschen und für die meisten Franzosen waren die Bourbonen entweder eine schwache Erinnerung oder vollkommen bedeutungslos. Königstreue Herzen schlugen vor allem im Süden und Westen des Landes, wo der Katholizismus, der Unmut über den politischen Zentralismus und der Schaden, der dem Weinhandel durch Napoleons Kontinentalsperre entstanden war, zusammenkamen und die Unzufriedenheit steigerten; im Nordosten war die Erinnerung an den royalistischen Aufstand der Vendée während der Revolution unter den zahlreichen armen Adligen und einer vor allem regional denkenden Bauernschaft noch sehr lebendig. Als die alliierten Armeen französischen Boden betraten, kam es, häufig aus Opportunismus, zu Unmutsbekundungen, die aber weder zu
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einer tatkräftigen Unterstützung der Alliierten noch irgendeiner anderen Alternative zur Herrschaft Napoleons führten. Als der Herzog von Angoulême im Südwesten Frankreichs auftauchte, nachdem Wellington die Region befreit hatte, weckte er nur sehr laue Begeisterung. Das gleiche galt für Artois. Napoleon hatte von seinen Untertanen wahrlich nichts zu fürchten. Am 24. März erreichte ein niedergeschlagener Caulaincourt auf dem Rückweg von Châtillon das Hauptquartier und war überrascht, Napoleon bei bester Laune vorzufinden. Statt sich nach Paris zurückzuziehen, auf das die Alliierten jetzt zumarschierten, war er entschlossen, ihnen einen Schlag zu versetzen, indem er sie im Rücken angriff. Als er dann von feindlichen Truppen nahe Valcour erfuhr, attackierte er. Aber die alliierten Truppen waren bereits weitergezogen, und es gelang ihm nicht, sie zu stellen. Am 29. März beschloß er endlich, nach Paris zurückzukehren. Es war zu spät, wenn auch nur um einen Tag. Niemand hatte sich auf Napoleons Sturz sorgfältiger und geschickter vorbereitet als sein ehemaliger Außenminister und jetziger Großkammerherr Talleyrand. Dem 1754 geborenen Sproß einer angesehenen Adelsfamilie, Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord, war eigentlich eine Karriere beim Militär vorherbestimmt gewesen, aber sein rechter Klumpfuß hatte dies vereitelt. So beschloß man, daß er Priester werden sollte. Weder das Hinken noch sein Talar konnten ihn jedoch an einem Leben hemmungsloser Ausschweifung hindern, das er auch weiterführte, nachdem er im Alter von vierunddreißig Jahren Bischof geworden war. 1789 stellte er sich eifrig auf die Seite der Revolution. Er war es, der die große nationale Messe zum Jahrestag der Erstürmung der Bastille abhielt, bald aber sollte er sein Priestergewand für immer ablegen. Der Terrorherrschaft entkam er, indem er England und die Vereinigten Staaten bereiste; aber bald danach war er in Paris zurück und schon 1797 Außenminister. Im geeigneten Augenblick übertrug er seine Loyalität auf Bonaparte, dem er viele Jahre gute Dienste leistete und der ihn dafür fürstlich entlohnte. 1804 wurde er kaiserlicher Oberkammerherr, dann Großwahlherr (Vice-Grand Electeur) und 1806 Fürst von Benevent in den ehemals päpstlichen Territorien. Der überaus schlaue, pragmatische und wandlungsfähige Talleyrand wurde zugleich verehrt und gefürchtet. Napoleon gab vor, ihn zu
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Frankreichs brillanter, pragmatischer und wendiger Außenminister Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord war entschlossen, aus den Trümmern von Napoleons Imperium etwas für Frankreich und sich selbst zu retten. Er steuerte die Kongreßverhandlungen schließlich auf seine eigene indirekte Weise. Porträt von Pierre-Paul Prud’hon.
verachten, schätzte aber sein Urteil. Und trotz seiner körperlichen Behinderung und seiner leicht androgynen und teigigen Gesichtszüge, die den Anschein moralischer Verderbtheit vermittelten, wirkte er auf viele faszinierend und verführerisch. Talleyrand hatte früh erkannt, daß sich Napoleon durch seinen Größenwahn zu militärischen Fehleinschätzungen verleiten lassen würde, und sah kommen, daß der Kaiser sich und seine Armee früher oder später in den Untergang führen würde. Er wollte Frankreich – und sich selbst – vor diesem unschönen Ende bewahren. Als sich Napoleon und Alexander im September 1808 in Erfurt trafen, hatte er gegenüber dem Zaren seine Einschätzung deutlich gemacht und seither mit ihm heimlich in Verbindung gestanden. Nachdem er sich kurz darauf mit Napoleon überworfen und sein Amt als Außenminister verloren hatte, konnte er die Entwicklungen von außen beobachten und warten, bis seine Zeit gekommen war.
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Nach dem katastrophalen russischen Feldzug hatte Talleyrand begonnen, darüber nachzudenken, wer oder was Napoleon nachfolgen könne. Daß der Kaiser scheitern müsse, stand für ihn fest: Er würde nie zu einem dauerhaften Frieden gelangen, denn seine Herrschaft beruhte letztlich auf einem System nackter Gewalt, von «Usurpation», wie Talleyrand es nannte, die sich fortzeugte. «Für Europa müßte man daher zuallererst die Doktrin der Usurpation zu verbannen und den Grundriß der Legitimität zur Geltung zu bringen suchen, als das einzige wirkliche Heilmittel, sowohl gegen das Elend der Gegenwart, wie auch zur Abwehr für die Zukunft», schrieb er in seinen Memoiren. Die Bourbonen standen für Legitimität statt Usurpation. Nur eine Rückkehr dieser Dynastie könne zukünftig Frieden und Stabilität garantieren und Frankreich zu einer Nation machen, die geachtet, jedoch nicht mehr bedrohlich wäre. In diesem Sinne hatte er begonnen, den Boden zu bereiten und Kontakte zu Personen zu knüpfen, die mit der Königsfamilie im Exil in Verbindung standen. Er hielt sich bereit und für Angebote offen (indem er etwa Anfang 1814 Napoleons Aufforderung ausschlug, wieder das Außenministerium zu übernehmen).10 Als Napoleons Stern zu sinken begann, suchten viele, die ihn stürzen sehen oder auch nur ihre eigene Zukunft sichern wollten, die Nähe Talleyrands. Dazu gehörten eine Reihe überzeugter Royalisten wie Vitrolles ebenso wie einige Republikaner; ihnen aber stand die große Menge jener gegenüber, die keine starken Überzeugungen hatten. Karl Theodeor von Dalberg war da ein gutes Beispiel, ehemals Fürstbischof, Kurfürst und Reichserzkanzler des Heiligen Römischen Reiches, ein Mann von angeblich republikanischen Ansichten, der Napoleon haßte – aber wiederum nicht so sehr, als daß er den Titel eines Großherzogs von Frankfurt ausgeschlagen hätte, den ihm dieser verlieh. Ein weiterer war der begabte Abbé Dominique-Dufour de Pradt, der von Napoleon zum Erzbischof von Mecheln gemacht worden war und der ihn dennoch verabscheute. Talleyrand beabsichtigte, die Bourbonen wieder einzusetzen, was Frankreich auf einen Streich zu einem natürlichen Partner der Alliierten machen und es vor deren Zorn bewahren würde. Nebenbei hoffte er, sich auf diese Weise eine Schlüsselposition im neuen Regime verschaffen zu können.11 Er war es, der Vitrolles ins Hauptquartier der Alliierten entsandt hatte. Aber er konnte nicht mit Gewißheit sagen, wie dieser dort emp-
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fangen würde, und war sich bewußt, daß Napoleon immer fähig war, eine Schlacht zu gewinnen und das Blatt zu wenden. Noch am 20. März vertraute er einer Freundin an, Napoleon müsse nur den Bedingungen der Alliierten zustimmen, wenn er seinen Thron retten wolle, und nur im Kampf getötet werden, um seinem Sohn die Nachfolge zu sichern. Talleyrand mußte daher in alle Richtungen offen bleiben.12 Für den Fall, daß die Stadt bedroht werden sollte, hatte Napoleon vor seiner Abreise aus Paris befohlen, daß der Regentschaftsrat, der die Staatsgeschäfte zu führen hatte, dann, wenn er im Feld war, den Regierungssitz hinter die Loire verlegen sollte. Seit dem 25. März war jeder Kontakt zwischen ihm und der Hauptstadt unterbrochen, weil diese bereits von den preußischen und russischen Truppen eingekesselt wurde. Am 28. März berief sein Bruder Joseph den Regentschaftsrat ein, um zu beraten, ob Marie-Louise und der dreijährige König von Rom in Paris bleiben sollten. Die Mehrheit der Anwesenden, unter ihnen Talleyrand, war der Ansicht, daß sie bleiben sollten, um das Vertrauen in die Verteidigung der Stadt zu stärken und, sollte sie fallen, für ihre Sicherheit zu sorgen. Aber Joseph verlas einen Brief von Napoleon, in dem dieser betonte, daß seine Frau und sein Sohn unter keinen Umständen in Feindeshand fallen dürften. Die Angst vor dem Zorn des Kaisers, sollte dieser Fall dennoch eintreten, veranlaßte den Regentschaftsrat, sowohl seiner eigenen als auch der Evakuierung der Familie zuzustimmen. Das öffnete einem der planlosesten Regierungswechsel und einer der unrühmlichsten Restaurationen in der Geschichte Tür und Tor. Die Evakuierung begann am nächsten Tag, dem 29. März. Als von Paris aus bereits die russische Vorhut zu sehen war, machten sich Kaiserin Marie-Louise und ihr Sohn in Begleitung ihres Hofs und von Mitgliedern des Regentschaftsrats auf den Weg nach Blois. Nachdem er Vorkehrungen für die militärische Kapitulation der Stadt getroffen hatte, folgte Joseph ihnen nach. Als Mitglied des Rates hätte auch Talleyrand die Stadt verlassen sollen, aber er verzögerte seine Abreise. Ihm war klar, daß für die Alliierten Paris das Ziel war und sie mit demjenigen verhandeln würden, der es kontrollierte. Da Napoleon abwesend war und die Kaiserin und der Regentschaftsrat sich auf der Flucht befanden, war die Stadt ohne Herrschaft. Die Macht lag buchstäblich auf den Straßen von Paris und ließ sich mit den Händen greifen. Während die Luft vom Donnern der Geschütze widerhallte, die die
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nördlichen und östlichen Verteidigungsanlagen von Paris bombardierten, führte Talleyrand eine Reihe kurzer Verhandlungen mit verschiedenen interessierten Personen. Und doch war es immer noch möglich, daß Napoleon zurückkehren und die Stadt wieder einnehmen könnte. Daher packte auch Talleyrand ostentativ seine Sachen und machte sich am Abend folgsam auf den Weg nach Blois. Er wählte das nach Passy hinausführende Stadttor, wo sein Freund Charles de Rémusat diensthabender Offi zier der Nationalgarde war. Entsprechend einer vorherigen Absprache zwischen ihnen weigerte sich Rémusat wegen irgendeiner Formalität, ihn passieren zu lassen, und Talleyrand kehrte wieder heim. Nachdem sie in den Außenbezirken von Paris erbittert aber ungeordnet gekämpft hatten, zogen sich die Marschälle Marmont und Mortier zurück und überließen es der Nationalgarde, die Ordnung aufrechtzuerhalten, solange über die Kapitulation der Stadt verhandelt wurde. Die Kanonen waren verstummt, aber Talleyrand schlief nicht. In seinem Palais auf der Rue Saint-Florentin herrschte die ganze Nacht über ein reges Kommen und Gehen; er sondierte bei allen Personen von Rang, die in der Stadt geblieben waren, und leistete Überzeugungsarbeit. Am Morgen des 30. März war er für die Alliierten bereit. Noch immer aber konnte er nicht ausschließen, daß Napoleon vor ihnen auftauchen würde. Was als nächstes geschah, war allein eine Frage des Zeitpunkts. Im gestreckten Galopp hatte sich Napoleon am frühen Morgen dieses Tages auf den Weg nach Paris gemacht, wobei er sich Kutschen lieh, sobald seine Pferde unterwegs ermatteten. Er war entschlossen, wieder Herr der Lage zu werden, und überzeugt, daß er Paris nicht nur wirksam verteidigen, sondern von dort aus einen Gegenangriff beginnen könne, der die Alliierten aus Frankreich verjagen würde. Aber als er sich gegen elf Uhr abends der Hauptstadt näherte, kam ihm General Belliard entgegen, der ihn über die Kapitulation informierte. Napoleon setzte sich am Straßenrand nieder und stützte den Kopf in die Hände. Etwas später bestieg er seine Kutsche und fuhr nach Fontainebleau, wo sich die Reste seiner Armee zu sammeln begannen. Wenige Stunden später, am Morgen des 31. März, ritt Alexanders Adjutant Graf Alexej Fjodorowitsch Orlow in Paris ein und begab sich direkt zum Haus Talleyrands in der Rue Saint-Florentin. Talleyrand gab ihm mit einem einzigen unverbindlichen Satz zu verstehen, daß Alexan-
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Eine französische Darstellung der Kapitulation von Paris am 30. März 1814. Talleyrand wird als Fuchs gezeigt, Marschall Marmont als Katze. Preußen und Rußland greifen begierig nach dem von England offerierten Gold.
der völlig freie Hand habe. Es war die erste von geradezu willkürlich getroffenen Entscheidungen in einer der wichtigsten Fragen für die Zukunft Europas. Inzwischen hielten, allein oder von höchstens einigen wenigen Kosaken eskortiert, verschiedene russische Offiziere Einzug in Paris. Manche kamen auf eigene Faust, andere waren von Alexander zum Rekognoszieren losgeschickt worden. Auf keiner Seite spürte man die geringsten Anzeichen einer Bedrohung, und das zu einem Zeitpunkt, der sonst zumeist voller Anspannung gewesen wäre oder gar zu Blutvergießen hätte führen können. Zumindest hätte niemanden verwundert, wenn die einfachen russischen Soldaten, die bereits in den mit Wein und Schnaps angefüllten Kellern und Lagerhäusern der Vorstädte gestöbert hatten, außer Rand und Band geraten wären. Der Einmarsch und die Besetzung von Paris durch die russischen Truppen vollzog sich auch darum so ruhig, weil ihre Einheiten zu einem großen Teil von französischen Emigranten befehligt wurden, wie den
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Generälen Langeron, Damas und Lambert, die ihrerseits von Dutzenden französischer Stabsoffi ziere begleitet wurden. Ein anderer Grund war ein Gefühl von Unwirklichkeit, das Sieger wie Besiegte überkam; sie mußten sich an ihre neuen Rollen erst gewöhnen. Die Demonstrationen für die Bourbonen, die junge Royalisten mit weißen Fahnen und Kokarden veranstalteten, wirkten ebenso halbherzig wie die Loyalitätsbekundungen für Napoleon. Niemand schien sich seiner Sache ganz sicher zu sein oder zu wissen, was als nächstes geschehen mochte.13 Nicht lange, nachdem Orlow wieder aufgebrochen war, traf Nesselrode in Begleitung eines einzigen Kosaken in Paris ein, und auch er begab sich direkt in die Rue Saint-Florentin. Talleyrand war gerade bei seiner Morgentoilette, einem bemerkenswerten täglichen Schauspiel, das sich häufig in Gegenwart von Besuchern vollzog. Die Gäste bekamen zunächst, wie ein Zeuge es beschrieb, «nur eine enorme Ansammlung von Flanell, Filz, Barchent, Perkal, einen Haufen Weißes» zu sehen, um die sich zwei Diener in weißen Schürzen unter der Anleitung eines dritten in Seidenstrümpfen und gepuderter Perücke kümmerten. An der Spitze dieses Durcheinanders ragte aus zusammengerollten und gefalteten Halstüchern ein kraftvolles Kinn, ein sich ständig verächtlich kräuselnder Mund und eine kleine Stupsnase hervor. Die Diener zogen zunächst die Wollstrümpfe herunter und die Flanellbänder von seinen Beinen, die sich dann in eine kleine Schüssel voll Mineralwasser senkten. Das war das einzige an Talleyrand, was je entblößt wurde. «Die übrigen Teile seiner Person verdeckten Unterhosen, Westen, Morgenröcke und verschiedene Stoffe, die bei ihm überall herunterhingen, und sein Kopf steckte in einer Art Tiara aus Perkal, die mit einem verblaßten Farbband befestigt war», fuhr der Chronist fort. «Die beiden Diener begannen ihn dann zu kämmen, Locken zu drehen, zu pomadisieren und zu pudern, während er selbst sein Gesicht mit Bäuschchen abtupfte, welches er in einer Silberschale, die man ihm zu diesem Zwecke hinhielt, benetzte. Zu den erstaunlicheren Bestandteilen seiner toilette gehörte einer, der so kurios war, daß er den Ekel vertrieb, der einen sonst bei seinem Anblick hätte überkommen können: Talleyrand sog durch seine Nasenlöcher nämlich ein oder zwei große Gläser lauwarmen Wassers ein und sprühte es dann, mehr oder weniger wie ein Elefant, durch seine Nase wieder aus.» Nesselrode teilt nicht mit, an welcher Stelle dieser Prozedur er hinzugetreten war, aber er erinnerte sich leb-
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Zar Alexander wird vom Pariser Volk jubelnd begrüßt, als er am 31. März 1814 an der Spitze seiner Truppen, Seite an Seite mit dem preußischen König Friedrich Wilhelm III., durch die Porte Saint-Denis reitet. Von Jean Zipper.
haft daran. «Er sprang auf, kam halbfrisiert auf mich zu, warf sich in meine Arme und bedeckte mich mit Puder», schreibt er.14 Nesselrode hatte in Talleyrand schon seit langem eine der wichtigsten Persönlichkeiten Frankreichs gesehen; insofern fiel es Talleyrand nicht schwer, ihn davon zu überzeugen, daß Alexander nicht, wie ursprünglich geplant, den Elysée-Palast beziehen solle. Er begründete es mit der etwas unglaubwürdigen Behauptung, der Palast sei von Verschwörern vermint worden, die den Zaren gern ermorden wollten. Der solle statt dessen bei ihm, Talleyrand, in der Rue Saint-Florentin wohnen. Noch am selben Tag zog Alexander an der Spitze seiner Armee in der französischen Hauptstadt ein, und Friedrich Wilhelm ritt an seiner Seite. Die Menschen am Straßenrand schauten anfangs nur stumm und verwundert zu, aber die Erscheinung und das Auftreten des Zaren waren so einnehmend, daß der Schock bald allgemeiner Begeisterung wich. Kaum hatte Alexander das Stadtzentrum erreicht, schlug auch er den
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Weg in die Rue Saint-Florentin ein. Indem er Talleyrands Haus betrat, hatte sich Alexander ihm auch schon verpflichtet und stand in seiner Schuld. Die politische Stellung Frankreichs nach diesem Krieg hing nun ganz von Talleyrands Geschick ab, Alexander zu überzeugen. Er würde dieses Geschick unter den gegebenen Umständen keinen allzu harten Proben aussetzen müssen. Talleyrand ließ zunächst den Zaren die verschiedenen Möglichkeiten für eine künftige französische Verfassung durchgehen – eine Regentschaft für den König von Rom, vielleicht auch einen anderen Franzosen, zum Beispiel Bernadotte, als König oder gar eine Republik. Dann verwarf er sie alle und sagte, das Problem verlange eine radikalere Lösung. Er behauptete, die einzige Institution, die das napoleonische Regime erfolgreich ersetzen könne, sei eine, die sich auf ein starkes Prinzip stütze, durch welches sie dauerhaft Festigkeit gewinnen könne. Als der rechtmäßige König von Frankreich aber verkörpere Ludwig XVIII. ein solches Prinzip, und zwar jenes, auf dem der französische Staat errichtet worden sei. Daraus folge, daß er der einzig mögliche Garant für Frieden, Gesetz und Ordnung sei. Gleichzeitig müsse Frankreich eine Verfassung erhalten, in der das Beste, was die Revolution und das Kaiserreich hinterlassen hatten, bewahrt werde. Was Talleyrand hier für die Sache der Bourbonen beanspruchte, war ein neues, gottgegebenes Recht zu herrschen, eines, das sich nicht auf die alte legitime Erbfolge berief, sondern auf eine modernere und pragmatischere Form von Legitimität, die auf Werten und wechselseitiger Akzeptanz beruhte. Es war das genaue Gegenteil von Usurpation, wie Napoleon sie verkörperte, und damit das passende Gegengift zu seiner Herrschaft. Diese neue Legitimität, so argumentierte er, käme nicht nur Frankreich zugute. Sie könnte tragende Säule einer neuen Friedensund Stabilitätsordnung in Europa sein. Das war psychologisch geschickt. Als Träger des Zarentitels, der vor nicht einmal hundert Jahren von Peter I. eigenmächtig dem eines «Kaisers» (Imperator) gleichgestellt worden war, so wie auch Napoleon den Herrschertitel usurpiert hatte, scheute Alexander Diskussionen um Legitimität im traditionellen Sinne. Die Vorstellung eines glorreichen neuen Zeitalters auf der Grundlage eines neuen Begriffs sprach ihn an. Er erklärte sich bereit, in einer Proklamation bekanntzugeben, daß die Alliierten nicht länger mit Napoleon verhandelten und vom französi-
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schen Volk erwarteten, ihren Herrscher selbst zu bestimmen. Das bedeutete, daß Napoleon am Ende war; Talleyrand mußte sich jetzt nur noch für seinen Wunschkandidaten aussprechen. Nach wie vor behagte Alexander die Aussicht nicht, Ludwig XVIII. auf den Thron zu lassen, und er schlug vor, ein anderes Mitglied aus dem Hause der Bourbonen, beispielsweise den Herzog von Orléans, zum König zu machen. Talleyrand widersprach; dieser wäre, «wenn auch von hoher Geburt, gleichwohl ein Usurpator», dem die erforderliche Legitimität nicht zukomme. Mit der gleichen Begründung verwarf er Alexanders anderen Kandidaten, den Herzog von Berry, den der Zar mit seiner Schwester, Großfürstin Anna, zu vermählen hoffte.15 Nachdem er Alexander überzeugt hatte, schritt Talleyrand zu Tat. Fieberhaft ließ er jeden, der der Gesetzgebenden Körperschaft angehörte und noch in Paris war, eilig ausfindig machen und sprach auf ihn ein. Am 2. April beschlossen die verbliebenen vierundsechzig des ursprünglich 140 Mitglieder umfassenden Senats die Absetzung Napoleons und ernannten eine provisorische Regierung unter Talleyrand, die sofort alle Franzosen ihres Treueeids auf ihren Kaiser entband. Am 6. April erließ der Rumpfsenat ein Dekret, das am 9. April von der Gesetzgebenden Körperschaft ratifi ziert wurde und Ludwig XVIII. auf den Thron berief. Das ganze Vorgehen war vollkommen verfassungswidrig, illegal und somit für keinen französischen Bürger bindend. Genausowenig bindend war es für die Alliierten, in deren Namen Absprachen zu treffen Alexander nicht das geringste Recht hatte. Wichtiger war, daß Napoleon in Fontainebleau noch immer über etwa 45 000 Mann verfügte, darunter auch über die Eliteeinheit der Alten Garde, die nicht einmal jetzt als Streitmacht unterschätzt werden durfte. Ein beherzter Versuch, das Volk von Paris in seinem Namen zusammenzurufen, hätte für die Alliierten durchaus in einer Katastrophe enden können. Die Möglichkeit, ihn umzubringen, wurde erwogen, aber dies gehörte nicht zu Talleyrands Methoden. Er schlug vor, Schwarzenberg solle Marschall Marmont einen Waffenstillstand anbieten, dessen 12 000 Mann starkes Korps besonders nah bei der Hauptstadt kampierte. Als Marmont annahm und am 3. April sein Feldlager räumte, wirkte es, als habe er Napoleon aufgegeben. So fühlten sich auch andere ermuntert, das, was sie für ein sinkendes Schiff hielten, zu verlassen.
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Der schwierigste Augenblick kam für Talleyrand möglicherweise, als Caulaincourt in Begleitung der Marschälle Ney und MacDonald mit Napoleons Angebot in der Rue Saint-Florentin eintraf, zugunsten seines Sohnes abzudanken. In seiner Ritterlichkeit und Sentimentalität empfand Alexander Mitleid mit dem gestürzten Kaiser, und er war geneigt, seinen Vorschlag anzunehmen. Talleyrand und andere wiesen jedoch darauf hin, daß dies kein gangbarer Weg sei, da man von Napoleon schwerlich erwarten könne, daß er nicht wieder nach der Macht greife – es sei denn, man kerkere ihn auf einem anderen Kontinent ein. Selbst dieses Argument konnte den Zaren nicht überzeugen. Erst als Talleyrand zu bedenken gab, daß die Rücknahme der Entscheidung, die Bourbonen wieder einzusetzen, all jene diskreditieren würde, die, wie Alexander selber, sich für diese Lösung ausgesprochen hatten, erkannte der Zar, daß es für einen Sinneswandel zu spät war. Das Angebot wurde abgelehnt. Als die Gesandten nach Fontainebleau zurückkehrten und Napoleon über das Geschehene unterrichteten, unterzeichnete er seine bedingungslose Abdankung.16 Allem Anschein nach blieb Napoleon bemerkenswert gefaßt, und gelegentlich sogar zuversichtlich. Er machte weiter wie bisher, musterte die Truppen, befaßte sich in seinem Arbeitszimmer zunächst mit taktischen Fragen, als herrsche immer noch Krieg, später dann mit dringlichen Verwaltungsaufgaben. Er tat, als bemerke er nicht, wie immer mehr Mitglieder seiner Entourage unter verschiedenen unglaubwürdigen Ausflüchten verschwanden. Mit Marie-Louise, die sich mit ihrem Sohn in Rambouillet aufhielt, stand er in regelmäßigem Kontakt, und er freute sich darauf, bald wieder mit beiden zusammen zu sein. Nur ein einziges Mal ließ ihn seine Gelassenheit im Stich, und es scheint, daß er sogar einen Selbstmordversuch unternommen haben könnte und das Gift nahm, das er seit seinem Rückzug aus Moskau stets bei sich hatte.17 In Talleyrands Residenz in der Rue Saint-Florentin herrschte hingegen reges Treiben. «Der Kaiser von Rußland und seine Adjutanten hatten den ersten Stock in Beschlag genommen; sein Außenminister Graf Nesselrode und seine Sekretäre belegten den zweiten», schrieb Beugnot, der Innenminister der provisorischen Regierung Talleyrands. «Monsieur de Talleyrand behielt das Zwischengeschoß, in dem er mit den Mitgliedern der provisorischen Regierung arbeitete. Russische Soldaten bevölkerten das Treppenhaus und Kosaken der Kaiserlichen Leib-
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garde füllten den Hof und die Straße. Einen Unterschied zwischen Tag und Nacht gab es hier nicht, der Andrang und die Betriebsamkeit rissen nie ab. Einzig von den Kosaken her, die auf dem Stroh dösten, ging etwas Ruhe aus.» Während dieser chaotischen ersten Apriltage entschied sich in Talleyrands Sechszimmerwohnung Frankreichs Schicksal, wo er und Alexander dinierten, arbeiteten und Menschen empfingen, wo Alexander Hof hielt, während ihm Talleyrand über die Schulter schaute und ihn sanft in die gewünschte Richtung lenkte. Hier geschah es, daß Talleyrand, mit Zustimmung Alexanders, Frankreich zu einer konstitutionelle Monarchie unter Führung der Bourbonen machte.18 Es war auch der Ort, wo der Vertrag von Fontainebleau vorbereitet wurde, der das weitere Schicksal Napoleons entscheiden sollte. In ihm zeigte sich Alexanders ganzer Edelmut: Napoleon wurde mit Respekt behandelt und sowohl für ihn als auch für seine Familie reichlich gesorgt. Man übertrug ihm die Herrschaft über die Mittelmeerinsel Elba. Er sollte seinen kaiserlichen Titel weiterführen und ein Kontingent von sechshundert Mann seiner Garde mitnehmen dürfen. Frankreich würde ihm zudem eine großzügige Pension zahlen. Alexander hatte zunächst mit dem Gedanken gespielt, ihm in Rußland als Privatperson Asyl zu gewähren, dann Korfu und Korsika in Betracht gezogen, bevor er sich für Elba entschied. Da Napoleon auf Lebzeiten nur über Elba verfügen würde, sollte seine Gemahlin die italienischen Herzogtümer Parma, Piacenza und Guastalla erhalten; der König von Rom sollte fortan den Titel eines Fürsten von Parma tragen und ihr nachfolgen.19 Alexander frohlockte. Er hatte sich von seinen Verbündeten entfernt und seinen Traum erfüllt, als siegreicher Held in Paris einzuziehen. Nun ließ er seiner ritterlichen Natur freien Lauf. Seine Behandlung Napoleons war nur eine seiner vielen großmütigen Taten. Er fuhr zum Schloß Malmaison, um der ehemaligen Kaiserin Josephine die Ehre zu erweisen, dann nach Saint-Leu, wo er Napoleons Stieftochter Hortense besuchte, die ehemalige Königin von Holland. Er stattete der Duchesse d’Abrantès mehrere Besuche ab, die infolge des Ablebens von General Junot vor kurzem Witwe geworden war. Er zeigte sich in der Öffentlichkeit und ging in die Oper, wo ihn frenetischer Jubel empfing, den er lächelnd und winkend erwiderte. An Madame de Staël schrieb er, er beabsichtige, den transatlantischen Sklavenhandel abzuschaffen. Der jungen Emma Sophia Edgcumbe, die mit Lady Castlereagh in Paris ein-
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getroffen war, hielt er einen Vortrag über «moralische Tapferkeit». Aber seine mit heiterer Geselligkeit ausgefüllte kleine Ruhepause sollte bald vorüber sein.20 Metternich, Castlereagh und Hardenberg weilten noch immer bei Kaiser Franz in Dijon, wohin sie sich nach Napoleons letztem Angriff auf Schwarzenbergs Armee in Sicherheit gebracht hatten. Sie hatten keine Neigung, sich hinauszuwagen, bevor die Luft rein war, und nach den Entbehrungen der vergangenen Wochen genossen sie den relativen Luxus eines Aufenthalts in einer etwas größeren Stadt. «Es ist ein entzückendes Städtchen», schrieb Castlereagh an Emily und fügte hinzu, die Einwohner wirkten «sauber und heiter» und der Ort sei «früher einmal in Mode» gewesen. Wichtiger noch war, daß er für sie endlich etwas kaufen konnte – «ein hier genähtes Gewand für die Morgentoilette, von dem ich hoffe, daß es Dir gefällt». Einige Tage darauf berichtete er, daß er «einen Vorrat an Seidenstoffen und altem Sèvres-Porzellan» für sie angelegt habe. «Dijon entzückt uns alle», schrieb Metternich an seine Frau. Auch Humboldt schien seinen Aufenthalt in der Stadt zu genießen. Metternich zufolge hatte er eine sehr zuvorkommende Geliebte gefunden, von der er ihm und Hardenberg ausführlich erzählte.21 Erst am 10. April erreichten sie Paris und waren über das, was sie dort erwartete, alles andere als erfreut. Alle drei Minister reagierten empört, als sie erfuhren, daß Alexander den Vertrag von Fontainebleau geschlossen hatte, ohne sich mit ihnen abzustimmen. Sie waren sich darin einig, daß die Entscheidung, Napoleon Elba zu übergeben, ihn in die Lage versetzte, in Frankreich und Italien Unruhe zu stiften, wann immer ihm danach wäre. Und sie waren darüber entrüstet, daß Alexander Marie-Louise Parma und die anderen Herzogtümer versprochen und damit Regelungen vorgegriffen hatte, die erst später als Teil einer allgemeinen Neuordnung zu treffen waren. Der sonst so gelassene Hardenberg war wütend. «Ich habe mir erlaubt, Kais[er] Alex[ander] wegen der Konvention mit Napoleon Vorwürfe zu machen», notierte er in seinem Tagebuch einen Tag nach seiner Ankunft in Paris. «Er berief sich auf das Christentum, das uns gemahnt, unseren Feinden zu vergeben.» Metternich war außer sich. «Ihr großartiger K[aiser] hat viele Dummheiten gemacht und sich wie ein Schulbub aufgeführt, der von seinem Lehrer ausgerissen ist», schrieb
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er Wilhelmine. «Der Lehrer ist jetzt wieder da und es wird von nun an besser gehen», versicherte er ihr. Den Schaden konnte der Lehrer jedoch nicht ungeschehen machen. Ihm, wie auch Castlereagh und Hardenberg, blieb nichts mehr übrig, als den Vertrag zu unterzeichnen, was am 11. April geschah; aber er konnte «dem größten Kind der Welt», wie er Alexander nannte, nicht verzeihen. «Er hat jetzt schon großen Schaden angerichtet. Einiges haben wir reparieren können, aber wir werden an den Folgen seiner Taten, die er vom ersten Augenblick an beging, als er uns entwischte, noch eine Zeitlang zu leiden haben!» Dazu sollten auch die 120 000 Opfer des Waterloo-Feldzugs gehören.22
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Der Vertrag von Fontainebleau regelte nur Napoleons Abdankung und Zukunft; es bedurfte zwei weiterer Wochen harter Arbeit für alle Minister, bis auch ein Waffenstillstand unterschrieben war, denn er umfaßte umfangreiche, über ganz Europa verstreute Truppenkontingente, die Übergabe und Evakuierung von nicht weniger als dreiundfünfzig befestigten Stellungen, das Verlegen bzw. den Abtransport von Schiffen, Vorratslagern und anderem Material, die Herausgabe von 12 600 Geschützen und vierzig Linienschiffen, die Freilassung von Gefangenen und die Repatriierung von Angehörigen der französischen Zivilverwaltung. Am 16. April unterzeichnete Fürst Eugène einen Waffenstillstand für das Königreich Italien, woraufhin sich Tausende Angehörige der französischen Militär- und Zivilverwaltung auf den Heimweg über die Alpen machten, häufig in Begleitung ihrer Familien und unter Mitnahme ihrer beweglichen Habe. Zwei Tage später unterschrieb Wellington einen Waffenstillstand mit Marschall Soult, der dem Südwesten Frankreichs Frieden brachte und den Soldaten der isolierten französischen Garnisonen in Lérida, Gerona und anderer Festungen in Spanien ermöglichte, ihren langen Rückweg nach Hause anzutreten. Am 23. April unterzeichneten die Unterhändler Rußlands, Preußens, Österreichs, Großbritanniens und Spaniens ein allgemeines Waffenstillstandsabkommen mit Frankreich, demzufolge die alliierten Truppen mit ihrem Rückzug beginnen sollten, sobald die französischen Garnisonen jenseits der Grenzen von 1792 – also etwa in Antwerpen, Danzig, Hamburg, Magdeburg, Mainz und Luxemburg – kapituliert hätten und geräumt wären. Zehntausende Gefangene, Angehörige buchstäblich jeder europäischen Nationalität, von denen die meisten sich während des Rückzugs aus Moskau für einen Kanten Brot, manchmal auch nur einen
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Platz am Lagerfeuer, ergeben hatten, kamen jetzt endlich frei und wurden nach Hause geschickt.1 Auch Napoleon war unterwegs – ins Exil. Er hatte Fontainebleau am 20. April verlassen, nachdem er sich in einer tränenreichen Szene auf dem Hofe des Palastes von seiner treuen Alten Garde verabschiedet hatte. Begleitet wurde er von jeweils einem militärischen Beauftragten der vier Alliierten, und als sei dies nicht Demütigung genug, sollte er auch noch auf ihren Schutz angewiesen sein. Außerhalb von Lyon begegnete ihnen Marschall Augereau, der Napoleon öffentlich beleidigte und von den Kommissaren zurückgehalten werden mußte, tätlich zu werden. Als sie durch Orange zogen, wurde der Zug mit dem Ruf «Vive le roi!» begrüßt, und auch auf dem weiteren Weg wurde der Kaiser geschmäht. An einer Stelle erhängte die aufgebrachte Menge eine Strohpuppe, die ihn darstellen sollte, und plante einen Hinterhalt. Napoleon war gezwungen, seine Uniform gegen die eines der Kommissare zu tauschen, eines österreichischen Generals, und in eine etwas unverdächtigere Kutsche umzuwechseln. Daß man ihm nicht gestattete, Frau und Kind mitzunehmen, war für ihn eine noch größere Kränkung und erfüllte ihn mit tiefer Trauer. Metternich, der wußte, wie viel sie ihm bedeuteten und wie verlassen er sich ohne sie vorkommen würde, hatte Kaiser Franz dazu überredet, Marie-Louise und den König von Rom von Napoleon zu trennen und unter die Kontrolle Österreichs zu stellen. Ein paar Tage, nachdem er in Paris eingetroffen war, hatte Franz seine Tochter in Rambouillet aufgesucht, um ihr zuzureden, ihren Mann zu verlassen. Sie hatte zunächst heftig protestiert, sich aber bald umstimmen lassen. Von einigen ihrer Kammerfrauen hatte sie sich bereits gehässige Anspielungen darüber anhören müssen, daß Napoleon ihr untreu gewesen sei, und Ähnliches hatte etwas später ihr Schwager Joseph angedeutet, der zudem seine Feigheit vor Paris um die ungeheure Illoyalität und Geschmack losigkeit ergänzte, ihr amouröse Avancen zu machen.2 Marie-Louise war nicht übermäßig klug, und es war leicht, sie dazu zu bringen, ihren Mann im Stich zu lassen und sich auf eine Badekur nach Italien zu begeben, während ihr Sohn als Geisel nach Wien gebracht wurde. Weil Metternich wußte, wie sehr sie die körperliche Zuwendung genossen hatte, die ihr durch Napoleon verschwenderisch zuteil geworden war, hatte er Adam Adalbert Graf von Neipperg, einen
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gutaussehenden österreichischen Offizier von Ende dreißig und mit einem passenden Ruf, zu ihrer Begleitung ausgewählt. Der verlor nicht viel Zeit darin, ihr Liebhaber zu werden und ihren Ehemann vergessen zu machen. Die einzige weibliche Begleitung, mit der Napoleon sich trösten konnte, war die seiner Schwester, der schönen Pauline Borghese, die er unterwegs traf und die sich entschloß, ihn nach Elba zu begleiten. Am selben Tag, als Napoleon Fontainebleau verließ, tauchte der neue Herrscher der Franzosen aus seinem Exil in Hartwell auf. Er fuhr nach London, wo eine frenetisch jubelnde Menge ihn begrüßte, der Prinzregent ihn festlich empfing und Lord Liverpool ihn beglückwünschte, dessen Regierung ihm 100 000 britische Pfund übergab. Am 23. April brach er nach Dover auf. Der Prinzregent lieh ihm seine Jacht, die Royal Sovereign, für die Überfahrt, und am 24. April betrat Ludwig XVIII. sein Königreich Frankreich. Er hatte es vor dreiundzwanzig Jahren, als damals Fünfunddreißigjähriger, in der Verkleidung eines englischen Kaufmanns verlassen, war seither ständig von Hof zu Hof gezogen und hatte dank königlicher Almosen überlebt. Nach dem Tod seines Bruders Ludwig XVI. durch die Guillotine im Jahr 1793 und der Nachricht vom Tod seines Neffen im Gefängnis zwei Jahre später, hatte er seinen Titel eines Grafen der Provence gegen den von Ludwig XVIII., König von Frankreich, eingetauscht. Zwar war er kultiviert, belesen und intelligent, aber es mangelte ihm an Entschlossenheit und körperlichem Schneid; er bevorzugte ein ruhiges Leben, eine gute Küche und schöne Dinge in seiner Umgebung. Bald war er so dick geworden, daß er nicht mehr zu Pferde sitzen konnte – der englische Tagebuchschreiber Charles Greville verglich seine Bewegungen mit «dem Stampfen eines Schiffes». Sein jämmerliches Leben im Exil und seine unbeholfenen Versuche, französische Royalisten um sich zu scharen, verliehen ihm die Aura eines inkompetenten Versagers, und so stand er im Schatten seines dynamischeren und durchsetzungsfähigeren jüngeren Bruders, des Grafen von Artois.3 Obgleich Ludwigs Ankunft in Calais triumphal war, war er nicht zufrieden. Unter Talleyrands Autorität hatte der französische Senat ihn, Ludwig Stanislas Xavier de Bourbon, auf den Thron berufen, den sein verstorbener Bruder innehatte, nicht jedoch als König von Frankreich, sondern als König der Franzosen, und auch nur unter der Bedin-
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gung, daß er einen Eid auf die neue Verfassung schwören müsse, die sie ausgearbeitet hatten. Das alles entsprach nicht seiner extrem traditionalistischen Auffassung von Monarchie. Seiner Auffassung nach war er seit 1795 König von Frankreich, und zwar von Gottes Gnaden, nicht aufgrund irgendeines Vertrags mit dem Volke, und er legte Wert auf die Feststellung, daß er jetzt im neunzehnten Jahre seiner Regierung stehe. Er war bereit, eine Verfassung zu akzeptieren, sofern er sie aus eigener Machtvollkommenheit gnädig «erlasse». Ebensowenig gefiel ihm die Annahme, daß er seinen Thron irgendeinem anderen zu verdanken habe, und dies ließ er Alexander und Talleyrand deutlich spüren, als sie nach Compiègne hinausfuhren, um ihn zu begrüßen. Er behandelte Alexander wie einen Duodezfürsten, der ihm seine Aufwartung machte, demonstrierte seinen eigenen Vorrang, indem er ihn auf einen gewöhnlichen Stuhl plazierte, während er sich selbst im Sessel niederließ, und bei Tisch ließ er sich als erster bedienen. Der verständlicherweise empörte Alexander kehrte sofort nach Paris zurück. «Die Bourbonen haben nichts dazugelernt und sind unverbesserlich», verkündete er einmal laut und unüberhörbar vor allen Gästen bei Madame de Staël. Die berühmte Schriftstellerin war wegen ihrer kritischen Bemerkungen über Napoleons Herrschaft von diesem verbannt worden und hatte die letzten zehn Jahre auf Reisen kreuz und quer durch Europa verbracht. Seit ihrer Rückkehr war ihr Salon für Hauptstädter wie für Ausländer eine große Attraktion.4 Ludwig XVIII. zog am 3. Mai in Paris ein und wurde mit mäßiger Begeisterung empfangen, aber Alexander war nicht gekommen, ihn willkommen zu heißen. Ostentativ bevorzugte der Zar die Gesellschaft von Persönlichkeiten aus der Zeit Napoleons, und während am 14. Mai die anderen Monarchen und wichtigsten Staatsmänner einer feierlichen Messe zum Gedenken an Ludwig XVI. und Marie-Antoinette in NotreDame beiwohnten, speiste er in Saint-Leu mit Josephine und Hortense. Seine mehrfachen Besuche auf Schloß Malmaison leiteten eine Art Mode ein, und viele Gäste aus der besseren Gesellschaft machten der ehemaligen Kaiserin ihre Aufwartung. Jedoch eines Tages, als sie Alexander durch ihren Rosengarten führte, erkältete sie sich, und starb am 29. Mai. Der Zar befand sich unter den Zehntausenden von Trauernden, die ihr die letzte Ehre erwiesen.
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Die Hauptstadt hatte sich, in den Worten Metternichs, in «ein riesiges, weitläufiges, herrliches Irrenhaus» verwandelt. Nicht allein die Majestäten mitsamt ihrer Minister und Generäle waren herbeigeströmt, sondern auch ihre Ehefrauen, Geliebten und die übrigen Hofschranzen. Nesselrode war wieder mit seiner jungen Frau vereint, die ihm das ganze letzte Jahr über in geringer Entfernung zum Hauptquartier gefolgt war; die beiden ließen sich im Elysée-Palast nieder, wohin Alexander von Talleyrands Haus auf der Rue Saint-Florentin umgezogen war. Emily Castlereagh traf aus Den Haag kommend am 18. April in Begleitung ihrer Nichte und ihres Neffen ein. Auch Metternichs Frau wollte anreisen, aber er brachte sie davon ab, weil er hoffte, Wilhelmine nach Paris locken zu können, obwohl Alfred zu Windischgrätz mit der Armee ebenfalls in der Stadt war.5 Wilhelmine kam tatsächlich, am 15. Mai, zusammen mit ihrer Schwester Marie. Das Ganze wurde zu einer Art Familientreffen, denn ihre Mutter, die Herzogin von Kurland (Talleyrands enge Freundin und frühere Geliebte) und Wilhelmines jüngere Schwester Dorothea weilten ebenfalls in Paris, und Johanna, die dritte Schwester, stieß wenige Tage später zu ihnen. Hier, wo sie in der Gesellschaft napoleonischer Minister und Marschälle dinierten, fühlten sie sich ebenso heimisch wie zuvor in Wien oder Reichenbach. Tatsächlich war von Rachsucht erstaunlich wenig zu spüren. Talleyrand, der vorsichtigerweise seinen Sekretär in die Archive geschickt hatte, wo er alle Dokumente entfernen sollte, die ihn mit den schlimmsten Verbrechen der letzten fünfundzwanzig Jahre in Verbindung brachten, stellte nun fest, daß «eine Horde von Abenteurern und Intriganten aller Art» die Tuilerien belagerte und behauptete, bei der Wiederaufrichtung der Monarchie geholfen zu haben, und nun die Anerkennung ihrer vorgeblichen Dienste einforderte. Vielen fiel es auf, daß sich ein Regimewechsel noch nie so glimpflich und nahezu frei von Vergeltung vollzogen habe.6 Eugène de Beauharnais, der nach Napoleons Abdankung Italien verlassen und seine Frau zum Hof seines Schwiegervaters nach München begleitet hatte, war von seiner Mutter, der ehemaligen Kaiserin Josephine, nach Paris gerufen worden; sie drängte ihn, sich das Lehensgut zu sichern, das man ihm im Vertrag von Fontainebleau versprochen hatte. Er wurde als Marquis de Beauharnais, seinem Titel im Ancien Régime, bei Hof vorstellig, aber sogar der adelsstolze Lud-
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wig XVIII. empfand dies als albern und sagte, er solle seinen napoleonischen Titel beibehalten. Eugène erhielt kein Lehensgut, und es gelang ihm nicht einmal, das österreichische Militär dazu zu bewegen, ihm sein in Mailand beschlagnahmtes Tafelsilber und seine Vermögenswerte herauszurücken, obwohl Metternich mehrfach versprach, ihm zu helfen. Immerhin wurde er überall ehrenvoll empfangen, und Alexander bekundete ihm öffentlich und feierlich seine Freundschaft und seine Wertschätzung.7 Die Neuankömmlinge hatten sich überall einquartiert, wo es ihnen möglich war, und besonders gern die Privatwohnungen von Funktionsträgern des napoleonischen Regimes in Anspruch genommen. Beugnot, der ehemalige Kommissar Napoleons im Großherzogtum Berg und jetzt Innenminister der provisorischen Regierung Talleyrands, war wenige Tage nach dem Einzug der Alliierten nach Paris zurückgekehrt. «Ich wollte meine Wohnung beziehen», berichtet er. «Aber sie war von Lord Burghess [sic] belegt, der nicht im mindesten geneigt war, mir auch nur zum kleinsten Teil derselben Zugang zu gewähren. Er gab mir zu verstehen, daß er sie besonders wegen meiner Bibliothek schätze.»8 Stewart übernahm das Hôtel particulier der Familie Montesquiou, wo er begann, große Gesellschaften zu geben. Der ewige Leichtfuß kam eines Abends wie üblich betrunken nach Hause, riß sich die Uniform vom Leib und warf sich aufs Bett, ohne sich die Mühe zu machen, die zum Garten gehende Terrassentür zu schließen. Als er wieder erwachte, stellte er fest, daß ihm nicht nur sein üppig mit Goldlitzen und diamantenen Orden besetzter Dolman, sondern auch jedes andere Kleidungsstück gestohlen worden war. Er mußte so lange im Haus ausharren, bis ihm ein Schneider eine neue Uniform genäht hatte; dann nahm er sein ausschweifendes Leben sofort wieder auf. Bei einem Ball, zu dem Stewart eines Abends geladen hatte, bat Großherzog Konstantin, der Bruder Alexanders, das Orchester um einen Walzer, und er hatte gerade zu tanzen begonnen, als Stewart zu den Musikern ging und sie aufforderte, ein anderes Stück zu spielen, zu dem er mit Priscilla Burghersh tanzen wollte. Erzürnt, mitten in seinem Walzer unterbrochen worden zu sein, eilte Konstantin herbei und protestierte, worauf Stewart entgegnete, der Gastgeber sei er und er bestimme, was gespielt werde. Konstantin verließ wütend das Fest und schwor Rache.9
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Cathcart strapazierte die Gastfreundschaft der einst schönen Laure Junot, Herzogin von Abrantès, die vor kurzem Witwe geworden war, als sich ihr gemütskranker Mann aus dem Fenster gestürzt hatte. Ihr Charme zog viele an, so auch den russischen Zaren, der sie mehrfach besuchte. Metternich, der sich einige Jahre zuvor ihrer Gunst erfreut hatte, als er österreichischer Botschafter in Paris gewesen war, und sie vor den Kopf gestoßen hatte, als er sie zugunsten von Napoleons Schwester Caroline Murat fallenließ, zog jetzt bei General Sebastiani ein. Ihn erheiterte es ungemein, daß sein Herr und Kaiser die Residenz der anderen Schwester Napoleons, Pauline Borghese, übernommen hatte und sich jetzt müde in eben jenem lavendelfarbenen Bett ausstreckte, in dem Metternich während seiner Pariser Zeit mit der bezaubernden Pauline geschlafen hatte, als er nicht nur die beiden Schwestern Napoleons, sondern auch dessen Stieftochter Hortense beglückt hatte, ganz zu schweigen von der berühmten Schauspielerin Mademoiselle Georges.10 Friedrich Wilhelm hatte das Palais von Fürst Eugène bezogen und besichtigte von hier aus unter kundiger Führung von Humboldts Bruder Alexander die Sehenswürdigkeiten von Paris. Fast schon masochistisch hatte Hardenberg in der Rue d’Iéna Nr. 1 Quartier gefunden. Wie man seinem Tagebuch entnehmen kann, sah er sich eifrig die Stadt an; auch erforschte er systematisch alle berühmten Pariser Restaurants, angefangen bei Robert, über Véry im Palais-Royal, bis hin zum Rocher de Cancale. Andere interessierten sich mehr für das Angebot der Läden. Metternich machte sich auf die Suche nach edlen Seidenstoffen, die er Wilhelmine schicken wollte. Als sie in Paris eintraf, ging sie zusammen mit ihm einkaufen und half ihm bei der Auswahl von Kleidern für seine Frau. Er erstand auch Möbel, Silberzeug und Stoffe für sein Haus in Wien und buchte für den dort vorgesehenen Kongreß Tänzerinnen und Tänzer der Oper. Der russische Kommandeur Marschall Barclay de Tolly führte seine Frau zum Einkaufen aus, und weil weder er noch sie dem eigenen Geschmack trauten, baten sie den weltgewandten General Woldemar von Löwenstern, sie zu begleiten und zu beraten. «Niemals ist mehr Gold in Paris gerollt», schrieb ein in österreichischen Diensten stehender französischer Offizier nach Wien. «Tausende von Dukaten werden täglich in diesem ungeheuren … [Bordell] umgesetzt. Die Kaufleute leeren ihre Läden bis zur Neige; sechzigtausend
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D… [irnen], von den anständigen Damen ganz zu schweigen, stehen fortwährend im Dienst, desgleichen die Frauen der Angestellten, seien es nun zivile oder militärische.»11 Paris war die größte Metropole Europas, sein intellektueller und kultureller Mittelpunkt, maßgebend für Geschmack und Mode, und nun war es auch das politische Epizentrum des Kontinents. Magisch zog es die Menschen an, und niemanden mehr als die Briten, eine Nation unermüdlicher Touristen, die, abgesehen von einer kurzen Unterbrechung während des Friedens von Amiens, zwei Jahrzehnte lang vom Kontinent abgeschnitten waren. Ausflüge nach Paris waren nun in der Londoner Gesellschaft der letzte Schrei. «Es regnet Engländer», schrieb Metternich an seine Frau und behauptete, daß jeden Tag bis zu sechshundert von ihnen kämen; wie er hinzufügte, machten die Huren am Palais-Royal satte Gewinne. Er schilderte auch die Ankunft einiger englischer Damen, deren Kleidung ihn entsetzte. «Man muß das mit eigenen Augen gesehen haben, sonst würde man es nicht glauben», versicherte er ihr.12 Nachdem ihnen der Kontinent so lange versperrt gewesen war, hatten die britischen Frauen den Anschluß an die europäischen Modeentwicklungen verloren und ihrer Phantasie freien Lauf gelassen – mit desaströsen Folgen. Eine Gruppe englischer Touristen erregte großes Aufsehen in Genf, wo die Stadtverwaltung den Damen Ausgehverbot erteilte, nachdem sich jedesmal, sobald sie vor die Tür traten, eine schwer zu bändigende Menge versammelte; man fürchtete Tumulte. Vorherrschend war ein irgendwie nachlässiger, wenn auch kecker Stil mit kurzen Röcken, selbst unter älteren Frauen. Schwarzenberg war über Lady Castlereaghs Geschmack erstaunt. «Sie ist sehr dick und kleidet sich so jugendlich, so knapp, so unverhüllt», schrieb er.13 Nicht jedem gefiel der Aufenthalt in Paris. Lord Burghersh fand, die Stadt sei «voll von Schurken aller Art». Nesselrode, der schon 1807 als Sekretär der russischen Botschaft in Paris gelebt hatte, mochte weder die Stadt noch ihre Bewohner. Stein fühlte sich von der «unreinen, unverschämten und unbescheidenen Rasse der Franzosen» zu angewidert, als daß er sich dort wohlfühlen konnte. Und Bernadotte suchte eilig das Weite, sobald klar wurde, daß für ihn keine tragende Rolle vorgesehen war.14 Eine der größten Attraktionen von Paris war das Musée Napoléon im Louvre. Es war das Ergebnis von Plünderungen in großem Maßstab wäh-
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rend der Revolution und der Herrschaft Napoleons; konzipiert, organisiert und einem Zweck zugeführt hatte es der Kunstexperte und Künstler Baron Dominique-Vivant Denon. Viele Besitztümer des Museums entstammten den königlichen französischen Sammlungen, beschlagnahmten Schlössern, entweihten Kirchen und aufgelösten religiösen Einrichtungen. Eine außergewöhnliche Sammlung von Altertümern hatten wissenschaftliche Begleiter mitgebracht, die 1798 an Napoleons Invasion Ägyptens teilgenommen hatten. Aber das meiste stammte aus Europa und war aus dem Vatikan, aus Königs- oder Herzogspalästen, Klöstern und anderen Institutionen überall in Italien, Belgien, den Niederlanden, Spanien, Portugal, Deutschland und Polen entweder erplündert oder den Eigentümern abgepreßt worden. Das Museum war einzigartig. Nie zuvor war so viel vom künstlerischen Erbe des alten Ägyptens, Griechenlands, Roms und Europas zusammengetragen, nie so klug ausgestellt oder so umfassend präsentiert worden. Im Bereich der mittelalterlichen italienischen Malerei etwa hatte Denon in Lagern und auf Dachböden Kunst aufgestöbert, die keine hohe Wertschätzung mehr genoß; indem er sie aber einer größeren Öffentlichkeit zeigte und in Katalogen beschrieb, wertete er sie wieder auf und brachte sie in Mode. Die kultivierteren alliierten Diplomaten und Offi ziere strömten in den Louvre, und Maler wie Benjamin Haydon und William Wilkie reisten eigens aus England an, um sich diese Schätze anzusehen. Hier bot sich ihnen die einmalige Gelegenheit, Werke von Künstlern zu betrachten, über die sie bisher nur gelesen hatten. Der um die Zukunft seines großen Werkes ängstlich besorgte Denon empfing mit der gleichen Liebenswürdigkeit Monarchen wie Leutnants und führte sie beflissen durch die Sammlungen. Er verlängerte die Öffnungszeiten und richtete Sonderausstellungen für bestimmte Werkgruppen ein, um so viele Menschen wie möglich in sein Museum zu locken. Überdies stellte er in Aussicht, alle Werke zurückzugeben, die nicht Teil der Dauerausstellung waren, ungefähr zweihundert Gemälde, mehrere Dutzend Skulpturen und Hunderte anderer Kunstwerke. Er hätte nichts befürchten müssen. Alle, die den Louvre besuchten, waren von der Erlesenheit der Sammlung überwältigt. Man war der einhelligen Meinung, daß hier die Kunstwerke zugänglicher seien, daß sie besser zur Geltung kämen und besser betreut wurden als dort, wo sie
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herkamen. Die Franzosen waren weltweit führend auf dem Gebiet der Restaurierung von Bildern und hatten Techniken entwickelt, beschädigte Gemälde mit neuer Leinwand auszubessern oder sie von Holz auf Leinwand zu übertragen. Wichtiger noch, die Besucher begriffen, daß das Museum als solches ein großes Kunstwerk und eine Institution von weltweit unschätzbarer kultureller Bedeutung war. Die wenigen Rückgabeansprüche, die erhoben wurden, verstummten in der Öffentlichkeit angesichts einer dominanten Strömung, die insbesondere von Aberdeen und Castlereagh vertreten wurde, der zufolge das Musée Royal, wie es jetzt hieß, nicht angetastet werden solle.15 «Dieser Frieden, den die ganze Welt so sehr erhofft hat, wird nun in weniger als 3 Wochen geschlossen werden», schrieb Metternich am 23. April an Wilhelmine. «Dann werden wir einen Kongreß einberufen, vielleicht in Wien, auf dem die kleineren strittigen Angelegenheiten des restlichen Europas behandelt werden – und diese Aufgabe wird nicht mehr als 3 weitere Wochen in Anspruch nehmen.»16 Im nachhinein erscheint dieser Optimismus atemberaubend, aber zum damaligen Zeitpunkt war er durchaus berechtigt. Die Bevollmächtigten der vier alliierten Hauptmächte wollten so schnell wie möglich einen endgültigen Frieden schließen, und nichts schien ihm noch im Wege zu stehen. In den Vorschlägen, die Caulaincourt in Châtillon unterbreitet worden waren, hatten sie sich bereits auf die Grundlagen des Vertrags geeinigt. Frankreich würde sich in diesen Verhandlungen wahrscheinlich nicht querstellen, denn Talleyrand verhielt sich staatsmännisch, und Ludwig XVIII. hatte soeben von der britischen Regierung 100 000 Pfund in bar erhalten, um sich in den Tuilerien häuslich einzurichten; er könnte daher kaum Ansprüche stellen. Tatsächlich verlangte er dennoch Teile Belgiens, wurde aber von Castlereagh rasch zur Ordnung gerufen, der ihm die bittere Pille versüßte, indem er ihm die Enklave Gex am Genfer See und einige Stücke Savoyens anbot. Gleichwohl zogen sich die Verhandlungen etwas länger hin, als Metternich erwartet hatte, denn es kamen Angelegenheiten zur Sprache, die seit zwanzig Jahren ungeklärt waren. Und die Minister sahen sich bald von Vertretern geschädigter oder erwartungsvoller Interessen belagert, wie etwa des Papstes, der Republik Genua, der Stadt Genf und verschiedener Gruppierungen italienischer und sonstiger Nationalisten. «Die Hektik der letzten zwei Monate ist
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zu viel für mich», beschwerte sich Talleyrand am 16. Mai bei der Herzogin von Kurland.17 Am 17. Mai brachten die preußischen Unterhändler den Gang der Verhandlungen beinahe aus dem Gleichgewicht, als sie von Frankreich die Rückzahlung aller nach dem Vertrag von 1812 Preußen auferlegten Zahlungen forderten und eine Rechnung über 169 785 895 Francs vorlegten. Bis dahin waren alle Geld- und Reparationsfragen aus den Verhandlungen herausgehalten worden, und Castlereagh war entschlossen, es so zu belassen. Er ließ die Preußen wissen, daß Großbritannien für den Krieg gegen Frankreich 700 000 000 Pfund ausgegeben habe und keinen Penny verlange, und wies ihren Anspruch rundheraus ab. Nach einem Tag erbitterter Diskussionen wurde die Sache ad acta gelegt. Ebenso erging es einer Forderung der Stadt Hamburg, die von Frankreich eine Entschädigung für die Gold- und Silberbarren verlangte, die Marschall Davout von ihren Banken requiriert und seinen Soldaten als Vorschuß ausgezahlt hatte. Gegen die französische Regierung sollten unter dem Vertrag nur Ansprüche von Privatpersonen anerkannt werden, deren Eigentum oder Anlagevermögen konfisziert worden war.18 Castlereagh, Hardenberg und Metternich hatten gehofft, nicht nur Frieden mit Frankreich zu schließen, sondern auch die offenen Streitfragen über Polen und Deutschland zu klären, und konferierten darüber in «zähen und aufwendigen» Verhandlungen, wie Castlereagh es formulierte. Am 29. April legte Hardenberg einen Plan vor, der, wie er hoffte, alle Seiten zufriedenstellen könnte. Die Westgrenze Rußlands sollte entlang der Flüsse Soldau (Działdowka) und Warthe (Warta) und dann weiter bis nach Krakau verlaufen, wodurch das Zarenreich einen beträchtlichen territorialen Zugewinn, nicht aber das gesamte Großherzogtum Warschau erhalten würde. Preußen sollte für jene seiner polnischen Provinzen, die ihm damit verlorengingen, mit ganz Sachsen entschädigt werden, mit Ausnahme eines kleinen Teils, der an Alexanders Schwager, den Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach gehen würde. Zusätzlich sollte Preußen Magdeburg, die Altmark, Nassau, Berg, Kleve und einen breiten Streifen Landes entlang der holländischen Grenze erhalten, der Mainz einschloß. Der König von Sachsen sollte mit den Provinzen Münster und Paderborn entschädigt werden. Darüber hinaus sah der Plan eine gewisse Anzahl territorialer Verschiebungen in Norddeutschland vor, in deren Folge nur Oldenburg, Sach-
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sen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Coburg-Saalfeld und Mecklenburg, deren Herrscher mit Alexander verwandt waren, und das dem britischen Königshaus zustehende Hannover unabhängige Staaten in Norddeutschland bleiben würden. Der Rest sollte mehr oder weniger fest an Preußen gebunden werden. Hardenbergs Plan war Österreich gegenüber relativ großzügig, es würde nun 1 644 000 Einwohner mehr haben als im Jahr 1805, während der Zuwachs Preußens bei 602 000 Menschen läge. Der Plan stieß bei Metternich und Castlereagh auf prinzipielle Zustimmung, obgleich ersterer darauf bestand, daß Mainz an Bayern fallen solle. Auch Stein war einverstanden, mit der Einschränkung, daß der König von Sachsen mit italienischen und nicht mit deutschen Gebieten entschädigt werden sollte.19 Hardenberg war darauf erpicht, noch vor dem anstehenden Kongreß die Zustimmung aller vier Mächte für seinen Plan zu gewinnen, also bevor andere ihn genauer prüfen und kritisieren konnten. Am 5. Mai unterbreitete er ihn Alexander. Aber der Zar lehnte ihn unumwunden ab und erklärte, er beabsichtige, das gesamte Großherzogtum Warschau zu behalten, einschließlich jener Teile, die bis 1809 österreichisch gewesen waren. Während die Unterhändler der Alliierten sich auf die Friedensbedingungen konzentrierten, war Alexander mit der Realisierung seiner eigenen Pläne beschäftigt. Er hatte seine ihm von Gott aufgetragene Mission, die Welt zu befreien, erfüllt und Paris vom Übel gereinigt, als er am Ostersonntag, dem 10. April, umgeben von seinen Truppen, mit einer heiligen Messe den Sieg des Guten über das Böse feierte – und zwar an jenem heute Place de la Concorde genannten Ort, wo einst Ludwig XVI. durch die Guillotine starb. Auf dieses Ereignis hatte er sich seit dem Montag der Karwoche geistlich vorbereitet, der zufällig auch der Tag war, an dem Napoleon seine Abdankung unterschrieb. «Meine Andachtsübungen begannen, als geschähe es absichtlich, mit der freiwilligen Abdankung Napoleons, was mir jene Ruhe verlieh, die ich für die Aufnahme und Erfüllung meiner Christenpflichten benötigte», schrieb er seinem Freund Aleksandr Golizyn, und fügte hinzu, es habe eines «rechtgläubigen Kindes des Nordens» bedurft, dem Sündenbabel Paris Gott zurückzugeben. Die russischen Soldaten durften ihre Kasernen nicht verlassen, vermutlich, um sie vor Versuchungen zu bewahren, was viel Unmut auslöste und zahlreiche Desertionen verursachte.20
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Kurz nachdem er Paris erreicht hatte, suchte Alexander den außerhalb der Stadt lebenden, alternden polnischen Nationalhelden Tadeusz Kotciuszko auf. Kotciuszko bat Alexander eindringlich, ein freies Königreich Polen mit einer Verfassung nach englischem Vorbild zu schaffen, in dem Alexander selbst König sein sollte, und er bot ihm seine Dienste an. «Ihre sehnlichsten Hoffnungen werden in Erfüllung gehen», antwortete Alexander und versprach, alle Gebiete zurückzugeben, die Rußland im Verlauf der letzten fünfzig Jahre Polen weggenommen hatte. Den etwa 8000 polnischen Soldaten, die Napoleon treu geblieben waren, hatte er bereits erklärt, daß sie nichts zu befürchten hätten und er sie unter seinen persönlichen Schutz stellen werde. Unter dem Vorsitz von Großfürst Konstantin richtete er ein Militärkomitee aus polnischen Generälen ein, das ihre Rückkehr nach Warschau vorbereitete, wo aus ihnen eine neue polnischen Armee geformt werden sollte; ein anderes Komitee würde damit beginnen, eine neue Verfassung für das Königreich auszuarbeiten. Offenbar förderte er das polnische Projekt durch eine Reihe von faits accomplis.21 Die drei alliierten Unterhändler waren entsetzt. Aber sie konnten wenig dagegen tun. Alexanders große Beliebtheit in Paris bewirkte, daß er keinen Argumenten zugänglich und nicht zu bremsen war. Sein Verhalten in der polnischen Frage trieb die Preußen dazu, sich um ihre Interessen selbst zu kümmern. Preußische Truppen hatten die Festung Mainz eingenommen, die Österreich aber Bayern als Entschädigung für dessen Rückgabe Tirols und anderer Gebiete zugedacht hatte. Da Alexander sich weigerte, bezüglich Polens auch nur einen Zollbreit nachzugeben, und Preußen im Konflikt um Mainz einen aggressiven Ton anschlug, schwanden die Aussichten für irgendeine Einigung. Castlereagh und Metternich beschlossen daher, die Regelung der polnischen und deutschen Probleme zu vertagen. «Paris taugt nicht sonderlich zu Geschäften», klagte Castlereagh dem Kriegsminister Lord Bathurst. Er hatte Liverpool dazu überredet, den Prinzregenten um eine Einladung der alliierten Monarchen nach London zu bitten, weil er hoffte, auf diese Weise die guten Beziehungen zu festigen und zugleich von den anstehenden Fragen abzulenken. Castlereagh glaubte, daß man Alexander, fernab von all den Schmeichlern und Intriganten, die ihn in Paris umgaben, leichter beikommen
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Der Erste Pariser Frieden
DEUTSCHLAND
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FRANKREICH Atlantischer Ozean
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Brüssel Grenzen des franz. Kaiserreichs as Ma («natürliche» Grenzen) Französische Grenzen 1791 Amiens Gebiete, die 1814 bei Frankreich blieben Rouen Reims
ITALIEN
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Avignon Nizza
Toulouse Marseille
SPANIEN
Mittelmeer
könne. Daher beschlossen er und seine Kollegen, den Vertrag mit Frankreich so zügig wie möglich zum Abschluß zu bringen, indem man alle Punkte, auf die man sich geeinigt hatte, in ihn aufnahm und sich den Rest für eine spätere Klärung in London vorbehielt. Dies geschah am 30. Mai.22 «Ich habe meinen Vertrag mit den vier großen Mächten vollendet», schrieb Talleyrand an diesem Abend der Herzogin von Kurland. «Er ist sehr gut, weil er auf gleicher Augenhöhe und somit ehrenhaft geschlossen wurde.» Da die Alliierten bei ihrem Einmarsch in Frankreich erklärt hatten, nur das französische Volk von der Tyrannei Napoleons be-
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freien zu wollen und allein sein Wohlergehen im Sinn zu haben, hatten sie sich bei der Bestrafung des Landes Grenzen gesetzt. Folglich war der Vertrag, den Rußland, Preußen, Österreich, Schweden, Großbritannien, Spanien und Portugal am 30. Mai unterzeichneten, relativ wohlwollend. Im Tenor war er weder rächend noch strafend, und, wie im übrigen alle beteiligten Unterhändler, erkannte er an, daß die beste Garantie für Frieden und Stabilität in Europa in Frankreichs rascher Genesung von den politischen Übeln lag, die es befallen hatten.23 Frankreich verlor zwar seine napoleonischen Eroberungen, erhielt aber seine Kolonien in Übersee zurück, mit Ausnahme von Mauritius, Tobago und St. Lucia sowie Saint-Domingue (Haiti), das die französischen Kolonialherren vertrieben und seine Unabhängigkeit erklärt hatte. Wenn das französische Weltreich auch im Vergleich zu 1792 insgesamt geschrumpft war, so hatte es sich auf dem europäischen Festland doch territorial ausgedehnt und etwa 450 000 Bewohner hinzugewonnen. Frankreich durfte die ehemaligen vatikanischen Enklaven Avignon und das Comtat Venaissin behalten, und es erhielt in Savoyen ein großes Stück Land auf Kosten des Königreichs Sardinien, darunter Annecy und Chambéry, an der belgischen Grenze die Gegenden um Philippeville und Mariembourg, und außerdem Saarlouis (Sarrelouis) Landau, Montbéliard und Mülhausen (Mulhouse) im Osten, was bedeutete, daß Frankreichs Territorium weiter gedehnt war als 1792 oder als heute. «Wir wissen mit Sicherheit, daß Frankreich dieselbe Stellung haben wird, die es immer hatte», schrieb Talleyrand seinem Botschafter in London einige Wochen später. «Seine Stellung wird die eines Staates sein, der für sich nichts zu befürchten hat und der, da er niemanden bedroht, viele Freunde haben wird – eine Stellung, die mir bei weitem vorteilhafter zu sein scheint als jene, in der Frankreich, obwohl es alles beherrschte, heimliche Feinde sogar unter seinen Herrschern selbst hatte.»24 Talleyrand hatte den Frieden «ehrenwert» genannt, und diese Bezeichnung verdiente er gewiß. Er enthielt eine Reihe von neuartigen Elementen, die mit den Interessen der Vertragspartner nicht unmittelbar zu tun hatten, so etwa Klauseln, die die Schiffahrt auf dem Rhein regelten und das Versprechen enthielten, es solle «auch … untersucht und bestimmt werden, wie zur Erleichterung der Communicationen
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zwischen den Völkern, und um sie einander für immer mehr zu nähern, die obige Maßregel auf alle anderen Flüsse, die in ihrem schiffbaren Laufe verschiedene Staaten von einander trennen, oder durchströmen, anzuwenden sey.» Talleyrand hatte sogar versucht, eine Klausel einzufügen, die eine bilaterale Abrüstung vorgesehen hätte. Es gab Klauseln, die die Rechte von Einzelpersonen im Ausland regelten, und Paragraph XVI bestimmte, daß «kein Individuum, wes Standes und Würden es auch sei, für seine Person oder an seinem Eigenthume unter irgend einem Vorwande, oder wegen seines Betragens und seiner Meinung in politischen Angelegenheiten, oder wegen seiner Anhänglichkeit, es sei an irgend einen der kontrahirenden Theile, oder an eine der Regierungen, deren Dasein aufgehört hat, oder aus sonst irgend einer Ursache, es denn wegen eingegangener Schuldverbindlichkeiten gegen Individuen oder wegen Handlungen, die später als der gegenwärtige Vertrag sind, verfolgt, beunruhigt oder angefochten werden soll.» Neben der Rückgabe von Kolonien behandelte der Vertrag auch komplizierte Fragen wie den Fischfang auf der Neufundlandbank. Er garantierte außerdem, daß der Sklavenhandel, der in allen französischen und holländischen Kolonien während der Zeit, als sie in britischer Hand waren, abgeschafft worden war, bei ihrer Rückgabe nicht wieder eingeführt werden sollte. Castlereagh hatte darauf gedrungen, daß sich alle Unterzeichnenden auf eine völlige Abschaffung des Sklavenhandels einigen sollten. Seine diesbezüglichen Vorstöße wurden von Talleyrand und den Abgesandten Spaniens und Portugals mit dem Einwand blockiert, Großbritannien könne sich die Abschaffung des Sklavenhandels leisten, da es über die letzten fünfzig Jahre mehr Sklaven aus Afrika in seine Kolonien gebracht habe als alle anderen zusammen. Sie unterstellten sogar, daß Castlereagh versuche, die Konkurrenz zu ruinieren. (Die Amerikaner hatten oft den ähnlichen Verdacht geäußert, daß sich hinter den britischen Appellen zur Abschaffung des Sklavenhandels der heimliche Wunsch verstecke, den Atlantik zu kontrollieren.) «Die Engländer haben schon immer die Kunst beherrscht, Geschäft und Ehre miteinander in Einklang zu bringen», lautete der Kommentar des spanischen Unterhändlers. Das äußerste, was Castlereagh unter diesen Umständen durchsetzen konnte, war es, Frankreich darauf
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festzulegen, einer Abschaffung des Sklavenhandels innerhalb von fünf Jahren zuzustimmen.25 Als Castlereagh bei seiner Rückkehr nach London den Saal des Unterhauses betrat, erhoben sich alle Anwesenden und bejubelten ihn, mit Ausnahme von William Wilberforce, der erst später aufstand um zu erklären, er sehe im Pariser Vertrag nichts weiter als «das Todesurteil über eine Vielzahl unschuldiger Opfer». Während der nächsten Wochen sollten in Westminster achthundert Petitionen mit fast einer Million Unterschriften aus dem ganzen Land eingehen, die verlangten, daß die Abschaffung des Handels zu einer der Forderungen Großbritanniens auf dem bevorstehenden Kongreß zu machen sei.26 Die Briten hatten den Sklavenhandel eifriger betrieben als alle anderen. Ihre Schiffe hatten mehr als die Hälfte aller Sklaven transportiert, die den Atlantik überquerten, und dem Sklavenhandel verdankten sie bis zu vier Fünftel ihrer Einnahmen von den Westindischen Inseln, die in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts völlig abhängig von ihm waren. Aber im selben Jahrzehnt fanden unter dem Einfluß von John Wesley, den Quäkern, James Ramsay, Thomas Clarkson und William Wilberforce auch humanistische Ideen Eingang in die britische Politik. Das umstrittene Thema wurde vom Parlament aufgegriffen und dort in den letzten Jahren des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts immer wieder zum Gegenstand kontroverser Debatten und Abstimmungen, bis 1807 schließlich der Sklavenhandel abgeschafft wurde. Die Leidenschaftlichkeit der Abolitionisten war ebenso heftig wie die Brutalität der Sklavenhalter. «Bevor ich einige Zeit hier verbracht hatte, war mir die Wucht der hiesigen erregten Auseinandersetzungen um den Sklavenhandel nicht bewußt, und ich sehe mich außerstande, sie Dir zu beschreiben», berichtete Wellington aus London seinem Bruder in Madrid. «Allgemein scheinen die Leute der Ansicht zu sein, daß es der Nation politisch gut anstünde, einen Krieg anzufangen, um diesem abscheulichen Handel ein Ende zu setzen, und viele wünschen, daß wir in diesen neuen Kreuzzug ziehen sollen.» Der Kreuzzug würde im wesentlichen gegen Frankreich, Spanien und Portugal geführt werden müssen, da Dänemark bereits 1792 den Sklavenhandel abgeschafft hatte und Schweden und Holland gerade erst gezwungen worden waren, einem entsprechenden Verbot zuzustimmen.27 Wellington war bald überzeugt und bemühte sich ernsthaft um die
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Abschaffung des Handels in Frankreich, in das er zum Botschafter ernannt worden war. Er versuchte sogar, die Franzosen mit dem Angebot einer zusätzlichen Kolonie, der Insel Trinidad, zu bestechen, wenn sie dafür auf ihre Fünfjahresfrist bis zur Abschaffung des Sklavenhandels verzichteten. Aber die öffentliche Meinung in Frankreich stand der Frage weitgehend gleichgültig gegenüber, während die wirtschaftlichen Interessen des Landes stark vom Fortbestand des Sklavenhandels abhingen.28 In jeder anderen Hinsicht stellte der Vertrag Castlereagh zufrieden. Seine wichtigsten Ziele hatte er erreicht: Frankreich hatte zu seinen historischen Grenzen zurückkehren müssen, Holland war um Belgien und die Scheldemündung vergrößert und die preußische Präsenz am Rhein verstärkt worden, obwohl die Einzelheiten noch zu regeln waren. Und durch seine Übernahme von Malta, der Kapprovinz, von Tobago, St. Lucia und Mauritius hatte Großbritannien die strategische Kontrolle über das Mittelmeer und die Seerouten in die Karibik und nach Ostindien durchgesetzt. Damit war es in der glücklichen Lage, in den nachfolgenden Verhandlungen seine Lebensinteressen nicht verteidigen zu müssen, was Castlereagh einen größeren Handlungsspielraum und zusätzliche Autorität geben würde.29 Auch Metternich freute sich über das Ergebnis. «Friede, mon amie – und dazu ein guter Friede», schrieb er am 1. Juni an Wilhelmine, und weiter, er habe ihr «einige sehr schöne Dinge gekauft, & nicht zu albernen Preisen». Frankreich war nicht verkleinert worden, was eine seiner größten Sorgen gewesen war. Der Vertrag garantierte Österreich den Besitz von Lombardo-Venetien, und das Königreich Sardinien wurde, indem man es um die ehemalige Republik Genua erweitert hatte, als Barriere gegen französischen Einfluß auf Italien gestärkt. Obwohl Stein auf Teile der Schweiz ein begehrliches Auge geworfen hatte, sollte das Land unabhängig sein.30 Vom Stein war mit dem Vertrag nicht zufrieden, ebensowenig Hardenberg. Dessen Gefühle waren so aufgewühlt, als Alexander sein Projekt ablehnte, daß Münster noch am selben Tag dem Prinzregenten schrieb, um ihn vor einem möglichen Kriegsausbruch zu warnen. Zwar stimmte es, daß Preußen der Besitz des Großherzogtums Berg und das Gebiet zwischen Rhein, Maas und Mosel zugesagt worden war. Aber eine endgültige Regelung für Deutschland, in der Preußen
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ganz Sachsen erhalten würde, stand noch aus, was die Preußen außerordentlich verletzbar machte. Alle anderen Mächte waren bereits im Besitz des meisten, wenn nicht von allem, was sie erobert hatten, und das legte die unschöne Möglichkeit nahe, daß Preußen leer ausgehen könnte.31 Das preußische Militär war enttäuscht, daß seine Siege nicht reicher belohnt worden waren. Es hatte in den späteren Phasen des Krieges die Hauptlast getragen, und ohne seine Tapferkeit und Entschlossenheit hätte Napoleon durchaus die Oberhand behalten können. In Berlin war man verstimmt, weil Frankreich nicht gezwungen worden war, das Elsaß herauszugeben und Reparationen zu zahlen. Auch Schischkow ärgerte sich über die Milde gegenüber den Franzosen. Nicht allein Napoleon sei das Böse gewesen, behauptete er; die Gerechtigkeit verlange die «Auslöschung» der gesamten korrupten und verruchten Nation. Und auch in London murrte man über die großzügigen Bedingungen des Friedensvertrags. «Keine Morde, keine Folter, keine Scheiterhaufen», bemerkte ein Witzbold, «– wie sollen die hübschen Frauen von London das ertragen?»32 Eine Geheimklausel des Pariser Vertrags legte fest, daß die Mächte, die an diesem Krieg beteiligt gewesen waren, ihre Bevollmächtigten innerhalb von zwei Monaten nach Wien entsenden sollten, «um auf einem allgemeinen Kongreß die Regelungen auszuhandeln, derer es für die Vollendung des vorliegenden Vertrages bedurfte». Weiter stellte sie klar, daß die Entscheidungsgewalt bei den vier Großmächten liege. Aber schon jetzt wurde ihnen langsam bewußt, daß sie Frankreich nicht übergehen konnten, mit dem sie soeben Frieden geschlossen hatten. Es war also zu einer seltsamen Anomalie gekommen: Während die Vier aufgrund des Vertrags von Chaumont immer noch gegen Frankreich verbündet waren, befanden sie sich jetzt mit ihm im Frieden und tauschten Botschafter aus, was bedeutete, daß Frankreich das gleiche Recht wie jeder einzelne von ihnen hatte, seine Meinung zu äußern und seinen Einfluß geltend zu machen. Metternich, Castlereagh und speziell Hardenberg drängte es daher um so mehr, die noch offenen Fragen untereinander in London zu klären – ohne Einmischung von Talleyrand. Metternich freute sich ganz und gar nicht auf seine Reise nach London und bezeichnete sie gegenüber Wilhelmine als «Qual», aber er hoffte, das Ganze werde nicht mehr als sechs bis
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zehn Tage in Anspruch nehmen. Er sehnte sich, nach Wien zurückzukehren und sich seinem Haus und den neuen Gärten widmen zu können, die er gerade anlegte. Noch glaubte er, es werde «in Wien weniger zu verhandeln als zu ratifi zieren» geben, und daß der Kongreß im Juli zusammentreten und Mitte August wieder vorbei sein werde.33
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Das englische Volk erwartete den Besuch der Monarchen und Minister, vor allem den des Zaren Alexander, in gespannter Vorfreude. Die Menschen genossen die Möglichkeit, die großen Persönlichkeiten und Kriegshelden zu sehen und ihnen dankbar zuzujubeln, über deren Taten sie in den Zeitungen gelesen hatten, und überall im Land herrschte Festtagsstimmung. Diese wurde durch die Schwester Alexanders, die Großfürstin Katharina, die zwei Monate vor ihm eingetroffen war, nur leicht getrübt. In Rotterdam hatte sie der Herzog von Clarence abgeholt, ein jüngerer Bruder des Prinzregenten und der künftige König William IV., um sie während ihrer Überfahrt zu begleiten. Als das Schiff in Sheerness anlegte, wurde sie von dem russischen Botschafter Graf Lieven und seiner Gemahlin erwartet, der temperamentvollen Dorothea, die rasch erkannte, daß es Ärger geben würde. «Die Großfürstin hatte ein unbändiges Bedürfnis, Einfluß auszuüben, und ihre hohe Meinung von sich selbst übertraf vielleicht deren Berechtigung», bemerkte sie. «Noch nie sah ich eine Frau, die so versessen darauf war, etwas zu tun, sich einzumischen, sich aufzuspielen, und andere in den Schatten zu drängen.» Ihre Blicke und Bewegungen «waren verführerisch, ihre Haut berückend makellos und frisch, ihre Augen klar; und sie besaß das allerschönste Haar … Sie sprach unumwunden und mit Eloquenz und Grazie, aber nie legte sie ihren Befehlston ab. Ihr Geist war kultiviert, brillant und kühn; ihr Charakter fest und gebieterisch.»1 Die Lievens hatten für Katharina das Pulteney-Hotel am Piccadilly als Residenz mit Blick über den Green Park reserviert, wo ihr am Morgen nach ihrer Ankunft der Prinzregent seine Aufwartung machte. Sie hatte ihre Morgentoilette noch nicht beendet und es war ihr peinlich, ihn so empfangen zu müssen. Beide fühlten sich etwas unbehaglich, und nach
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Alexanders Schwester, die Großfürstin Katharina. «Die Großfürstin hatte ein unbändiges Bedürfnis, Einfluß auszuüben, und ihre hohe Meinung von sich selbst übertraf vielleicht deren Berechtigung», schrieb Dorothea Lieven. «Noch nie sah ich eine Frau, die so versessen darauf war, sich einzumischen, sich aufzuspielen und andere in den Schatten zu drängen.»
einer Viertelstunde verabschiedete sich der Prinz. «Ihre Großfürstin ist keine Schönheit», sagte er zur Gräfin Lieven, der er beim Hinausgehen begegnete. «Ihr Prinz hat sehr schlechte Manieren», teilte ihr die Großfürstin mit, als er fort war. Ihrem Bruder vertraute sie an, sie finde ihn «ziemlich widerlich», und beschwerte sich über sein ungehöriges Reden.2 Am selben Tag noch wurde die Großfürstin im Buckingham Palast von der Königin empfangen; dem folgte ein Diner im Carlton House. Als der Prinzregent sah, daß Katharina wegen ihres jüngst verstorbenen Mannes, des Herzogs von Oldenburg, Trauerkleidung trug, verwies er anzüglich auf verschiedene Möglichkeiten, sie zu trösten. Sie funkelte ihn böse an und verweigerte jedes weitere Wort, mit der Ausnahme, daß sie verlangte, die bei Tisch aufspielenden italienischen Musiker fortzuschicken, da ihr Musik Migräne bereite. Das verstimmte nicht nur den Prinzen, sondern auch die Königin, und das Diner endete in eisigem Schweigen. Die Großfürstin fuhr fort, sich unbeliebt zu machen. Sie brüskierte die Geliebte des Prinzen, Lady Hertford, als sie den Wunsch äußerte, seine entfremdete und vom Hof verstoßene Gattin Caroline, die Prinzessin von Wales, besuchen zu dürfen. Geradezu bedrohlich war ihr
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Bemühen, Prinzessin Charlotte, die Tochter des Prinzen, gegen ihre geplante Ehe mit dem Erbprinzen von Oranien aufzuwiegeln. Die Prinzessin hatte ihre Meinung zuvor schon einmal geändert und sich dann erneut zu der Hochzeit überreden lassen; sie war am 30. März 1814 auf der Verfassungsgebenden Versammlung der Niederlande angekündigt worden. Kaum hatten sich diese Wogen geglättet, waren sie von Graf Dmitrij Tatischtschew, dem designierten russischen Gesandten in Spanien, wieder aufgewühlt worden, der auf dem Weg zu seinem späteren Posten in London Station gemacht hatte. Er und seine Frau legten Prinzessin Charlotte nahe, den Erbprinzen abzuweisen und statt dessen einen der russischen Großfürsten, Konstantin oder Nikolaus, in Betracht zu ziehen. Liverpool war darüber dermaßen erzürnt, daß er verlauten ließ, die Großfürsten würden während des geplanten Besuchs der Staatsoberhäupter nicht willkommen sein.3 Während Tatischtschew und seine Frau vermutlich im staatlichen Interesse Rußlands handelten, ist es ungewiß, ob auch die jüngst verwitwete Großfürstin bei ihrem Versuch, die Verlobung von Prinzessin Charlotte zu hintertreiben, ähnlichen Motiven folgte. Auf dem Weg nach England hatte sie der Wohlstand Hollands bei ihrer Durchreise sehr beeindruckt. In Den Haag wurde sie auf den Erbprinzen von Oranien aufmerksam und zog ihn als möglichen Ehemann für sich selbst in Betracht.4 In einem letzten Versuch, die Vermählung zu retten, wies Castlereagh seinen Botschafter in Den Haag, Lord Clancarty, an, den Erbprinzen nach London zu schicken. Der Prinz war, in Clancartys Worten, «extrem ungeduldig, seine künftige Braut endlich in Besitz zu nehmen», und begierig darauf, nach London zu kommen. Zunächst schien der Plan aufzugehen. Emma Sophia Edgcumbe beschreibt, wie die beiden «zusammensaßen, Arm in Arm spazierengingen und dabei vollkommen glücklich und wie ein Liebespaar aussahen». Binnen weniger Tage jedoch erklärte Prinzessin Charlotte abermals, sie könne keinen Mann heiraten, der außerhalb Englands leben werde, und in der letzten Juniwoche wurde die Verlobung gelöst. Niedergeschlagen kehrte der Prinz in seine Heimat zurück.5 Es war nicht der einzige Teil des holländischen Plans Castlereaghs, der zu scheitern drohte. Schon im Februar wurde ihm allmählich bewußt, daß die Mehrheit der Bevölkerung in den ehemals österreichischen
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Niederlanden entweder eine Union mit Frankreich oder eine Rückkehr unter die Herrschaft der Habsburger erstrebten, aber keinen Anschluß an Holland. Umgekehrt wollten auch viele Holländer nicht, daß ihr Land um diese «Brabanter», wie Castlereagh sie beharrlich nannte, erweitert werde. Die französischsprachigen katholischen Belgier unterschieden sich in Sprache und Religion von den evangelischen Holländern, zudem hatten sie unter den Habsburgern eine Reihe von Privilegien und Freiheiten genossen, deren Verlust sie bei einem Übergang in das neue Königreich zu verlieren fürchteten. Ihre Proteste wurden sowohl von dem Erbprinzen wie auch von Castlereagh ignoriert, der die anderen Alliierten überredete, das Gebiet der Regierung des Prinzen zu unterstellen. Die Grenzen des neuen holländischen Staates, die Castlereagh gezogen hatte, sahen auf der Karte zwar gut aus, aber sie paßten nicht zu den örtlichen Gegebenheiten. Da er die Maas vor allem als praktische militärische und daher als wünschenswerte politische Trennlinie ansah, hatte er mit ihr eine seit dem 16. Jahrhundert gewachsene, kulturelle und wirtschaftliche Einheit durchgeschnitten. Die Maas war nie eine politische Barriere gewesen; sie bildete vielmehr ein wirtschaftliches und soziales Band, an dessen einem Ufer Gewerbebetriebe ihre Rohmaterialien von dem gegenüberliegenden bezogen und Gemüse aus Limburg gegen Getreide aus Lüttich getauscht wurde. Nicht gerade hilfreich war zudem, daß die drei preußischen Armeekorps, die in Belgien einmarschiert waren, es wie Feindesland behandelten. Sie hielten auch Gebiete jenseits der Maas besetzt, die vor 1792 zu Holland gehört hatten, und weigerten sich, die holländische Verwaltung zuzulassen. Die künftige Ostgrenze Hollands war ungewiß, während die Befürchtung wuchs, daß Preußen seine Truppen vielleicht nicht abziehen würde. Castlereagh lagen die Gefühle der Einwohner nicht sehr am Herzen, aber offener Unmut könnte die Stabilität des Vereinbarten gefährden. Und während er sich bemühte, den künftigen holländischen Staat einzurichten, hofierten die Russen sowohl den Souveränen Fürsten als auch dessen Sohn, mit dem offensichtlichen Ziel, eine allzu große Nähe zwischen Holland und England zu verhindern, denn die Häfen, die Flotte und die Kolonien Hollands waren für Rußland von großem Interesse.
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Die Kolonien befanden sich alle im Besitz der Briten, die sie eingenommen hatten, nachdem Holland erst ein Satellitenstaat und dann ein Teil Frankreichs wurde. Die Liste war beeindruckend; sie umfaßte in der Karibik die Inseln Demerara, Essequibo, Berbice, Surinam, Curaçao, Aruba, Bonaire, Sint Eustatius, Saba und Sint Maarten; in Afrika das Kap der Guten Hoffnung und eine Kette von kleinen Handelsposten entlang der Küste; in der indischen Region Ceylon, Cochin und eine Reihe von Handelsplätzen auf dem indischen Subkontinent; schließlich auch Sumatra, Malacca, Batavia (Java), Madura, Timor, Makassar, Palambang und andere Handelsorte in Südostasien. Castlereagh hatte ursprünglich beabsichtigt, alle Kolonien mit Ausnahme des Kaps der Guten Hoffnung zurückzugeben. Aber aus Finanzkreisen Londons und aus Liverpool, dessen Kaufleute in westindischen Kolonien wie Demerara, Curaçao und Surinam, vor allem aber in den Siedlungen von Essequibo und Berbice vor der Küste Guayanas investiert hatten, erhob sich Protest. Die Lage wurde weiter dadurch kompliziert, daß Schweden, dem man die ehemalige französische Kolonie Guadeloupe versprochen hatte und das man jetzt bat, darauf zu verzichten, damit die Insel an Frankreich zurückfallen könne, nun Surinam und Curaçao als Ersatz verlangte. Es gelang Castlereagh, Schweden statt dessen mit dem Angebot von einer Million Pfund in bar abzuspeisen. Aber um diese Summe aufzubringen, hatte er die Interessen der britischen Finanzwelt zu befriedigen, was ihm gelang, indem er an Berbice, Essequibo und Demerara festhielt, aus denen später Britisch-Guayana wurde. Dies wiederum verärgerte die Holländer, die meinten, daß der Erwerb Belgiens sie für diesen Verlust nicht annähernd entschädigte. Dessenungeachtet stimmten sie der britischen Forderung zu, den Sklavenhandel abzuschaffen, was sie am 15. Juni auch offi ziell taten. Castlereagh beschloß auch, an Cochin festzuhalten, und trat im Gegenzug die Insel Bangka an die Holländer ab – hauptsächlich, weil die Betreiber der Zinnminen in Cornwall die Konkurrenz der Minen von Bangka fürchteten. Er hatte den Holländern für den Bau einer Kette von Festungen entlang der Grenze zu Frankreich bereits zwei Millionen Pfund zugesagt, als Entschädigung für das Kap und andere Kolonien, die er nicht zurückerstatten wollte. Außerdem besprach er verschiedene Möglichkeiten, wie sich die sechs Millionen Pfund Schulden abzahlen
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ließen, die Rußland bei der Firma Hope & Co. in Amsterdam aufgenommen hatte und nicht zurückzahlen konnte.6 Wie sehr auch die Großfürstin Katharina die Atmosphäre vergiftet haben mochte, die Ankunft ihres Bruders und des preußischen Königs wurde mit unvergleichlicher Begeisterung erwartet. Menschen aus allen Bevölkerungsschichten strömten ihnen von London aus auf der Straße nach Dover entgegen, andere aus den umlegenden Gegenden gesellten sich hinzu. Einige hatten Proviant mitgenommen, andere konnten sich an Ständen versorgen, die am Wegesrand aus dem Boden schossen. Kutschen voller Schaulustiger bezogen Stellung auf Hügeln oder an Straßenbiegungen, die günstige Sicht auf das Geschehen boten. Gegenüber den Poststationen waren kleine Tribünen errichtet worden, damit man die Monarchen betrachten konnte, wenn ihre Pferde gewechselt wurden. Auf ihnen wurden für einen Sitzplatz Wucherpreise verlangt, und das galt auch für Fensterplätze, von denen aus man einen guten Blick hatte. Am 6. Juni bestiegen Alexander, Friedrich Wilhelm, Hardenberg, Nesselrode und eine große Anzahl deutscher Fürsten und Minister in Boulogne die HMS Impregnable, über die der Duke of Clarence in seiner Funktion als Flottenadmiral den Befehl führte. Blücher, der ebenso wie Hardenberg unmittelbar zuvor zum Fürsten ernannt worden war, bestieg die Royal Charlotte, während andere auf einer der begleitenden Fregatten übersetzten. Am späten Nachmittag erreichten sie Dover, wo sie bereits ein üppiger Empfang erwartete. Ein auffrischender Wind erschwerte jedoch das Abladen der Kutschen, und statt zu warten, setzten Alexander und Friedrich Wilhelm am nächsten Morgen ihren Weg nach London inkognito in Graf Lievens Chaise fort. Unbemerkt fuhren sie an der wartenden Menge vorbei, so daß nur die übrige Reisegesellschaft, die in den offi ziellen Kutschen nachkam, auf jeder Etappe frenetisch gefeiert wurde. Aber die Enttäuschung der Menge, die den Monarchen hatte zujubeln wollen, war groß. Der Prinzregent hatte ihnen Räume am St.-James-Palast herrichten lassen, aber Alexander zog es vor, zu seiner Schwester ins Hotel Pulteney zu ziehen. Das wurde sofort von einer Menge belagert, die lautstark verlangte, er solle sich am Fenster zeigen, und in Hurrarufe ausbrach, als er es tat. Es herrschte ein so dichtes Gedränge, daß der Prinzregent
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es unterließ, ihn aufzusuchen, da er fürchtete, beleidigt oder gar tätlich angegriffen zu werden. Alexander fuhr daher zu ihm ins Carlton House, aber die Unterredung war kurz, und der Zar zeigte sich hinterher wenig beeindruckt. Die Menge war ihm zum Carlton House und wieder zurück gefolgt. «Unsere Londoner scheinen verrückt geworden zu sein; sie jagen den Ausländern mit einem Eifer nach, angesichts dessen man sich für seine Landsleute schämt. Die Geschäfte ruhen, niemand will mehr arbeiten, und glücklich kann sich preisen, wessen Kleider und Schuhe schon fertig sind, man könnte keine in Auftrag geben», schrieb ein Beobachter. «Ein Besuch, der gestern aus London kam, erzählte uns, daß nichts dem Rummel dort vergleichbar ist», berichtete eine Dame. «Niemand arbeitet, das Geschäftsleben steht still, man kümmert sich um nichts als durch die Straßen zu laufen; das gilt selbst für die niederen Klassen.» Es gab Illuminationen und Feuerwerke, eine Festwiese im Hyde Park mit einer nachgestellten Seeschlacht auf dem Serpentine-See, und eine unablässige Folge von Banketten und Bällen.7 Die Besucher waren zunächst entzückt, sich so großer Beliebtheit zu erfreuen, und die ungewohnte Erfahrung, daß ihnen vollkommen fremde Menschen die Hand schüttelten, schmeichelte ihrer Eitelkeit. Der trinkfreudige Blücher, den Stewart als Stadtführer und Dolmetscher betreute, war begeistert darüber, daß ihnen überall reichlich Wein kredenzt wurde. Er und der Kosakengeneral Platow gaben sich volksnah und genossen die Bewunderung des Pöbels. Aber selbst diese beiden zeigten nach einigen Tagen erste Ermüdungserscheinungen. Als Blücher Thomas Lawrence aufsuchte, um sich für den Prinzregenten porträtieren zu lassen, zwängte sich die Menge hinter ihm ins Haus und rempelte den Maler an. Als einige Tage später Platow erschien, postierte er als Vorsichtsmaßnahme eine Kosakengarde vor die Tür. «Sie sind die Art und Weise, wie man ihnen überallhin folgt, gründlich leid, und vor allem sind sie der langen Tischgesellschaften überdrüssig», berichtete der Tagebuchschreiber und Politiker Thomas Creevey seiner Frau. «Der König von Preußen ist mürrisch wie ein Bär und macht sich kaum die Mühe, die Höflichkeiten der Bevölkerung zu erwidern.»8 Das zu absolvierende Pensum war in der Tat gewaltig. In seinem nüchternen Tagebuch vermerkt Hardenberg, daß er bei seiner Ankunft am 9. Juni um vier Uhr nachmittags einer Fülle von Menschen die Hand
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schütteln mußte, die ihn in seine Unterkunft am Berkeley Square geradezu trugen. Von dort aus begab er sich ins Carlton House zum Diner mit dem Prinzregenten, in dessen Verlauf Friedrich Wilhelm, Liverpool und Castlereagh zu Rittern des Hosenbandordens erhoben wurden; anschließend war er mit Stewart in der Oper, danach mit Blücher zu Lady Maria Graham gegangen und erst um drei Uhr morgens heimgekehrt. Am nächsten Tag begleitete er Blücher nach Ascot, wurde «fast erstickt», als sie sich von der Kutsche aus durch die Menge zur Königsloge drängten, und fuhr nach den Rennen zum Diner mit der Königin nach Frogmore, bis er schließlich um ein Uhr nachts London wieder erreichte. Der Tag darauf verging mit Besuchen, einem Empfang für Friedrich Wilhelm beim Lord Mayor von London, gefolgt von einem Diner mit Liverpool und einem Abendessen mit Castlereagh, das Hardenberg jedoch nicht wahrnahm und statt dessen zu Bett ging. «Diese Müdigkeit läßt sich nicht ertragen», notierte er. Die königliche Bootsfahrt nach Woolwich am 13. Juni ließ er ausfallen – um sich lieber anzusehen, wie Colonel Congreve seine Raketen vorführte. An einer zweiten Bootsfahrt nach Oxford zwei Tage später nahm er auch nicht teil.9 Nicht nur die Zahl der festlichen Ereignisse ermüdete die Gäste. «Bei den Empfängen herrscht fürchterliches Gedränge; die Leute drükken und schieben einander, um hineinzugelangen, bis man schließlich in irgendeinem kleinen Raum landet, in den sich viermal so viele Menschen drängen, als er fassen kann», klagte Gräfin Nesselrode ihrer Schwester in einem Brief und fügte hinzu, die Briten verstünden nichts von gesellschaftlichen Umgangsformen und wüßten nicht, wie man ein Fest ausrichtet. Nach den zwei Jahrzehnten, in denen sie vom Kontinent abgetrennt waren, hatten nicht nur die britischen Damen den Anschluß an die neueren europäischen Entwicklungen verloren; zwischen den Gesellschaften Europas und Großbritanniens war der sich zunächst nur andeutende Unterschied zu einer tiefen Kluft geworden. Besucher wie Gastgeber waren von den Verhaltensweisen und Gewohnheiten der jeweils anderen im gleichen Maße unangenehm berührt. Erstaunt teilte Metternich seiner Frau mit, er habe den Eindruck, daß London dem Rest Europas fremder sei als Peking. «Die Frauen sind überwiegend von großer Schönheit, aber ihre Kleider sind ein Greuel», schrieb er.10 Alexander hingegen schien sich gut zu amüsieren. «Ein ausgezeichneter Walzertänzer, galant bei den Damen, wobei er ein Auge nur für die
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jungen hat und sich weigert, auch nur ein einziges höfliches Wort an jene zu richten, die es nicht sind», wie Gräfin Lieven bemerkte. «Er wurde umringt und umgarnt, und seine Eroberungen waren ebenso umfänglich wie seine Koketterie allgemein.» Seine Beliebtheit machte die Entfremdung des Prinzregenten von seinem Volk, das seine Kutsche regelmäßig mit Dreck und Steinen bewarf, um so beschämender sichtbar. Der Gräfin Lieven zufolge standen nie weniger als zehntausend Menschen vor dem Pulteney-Hotel und legten den Verkehr auf dem Piccadilly lahm, während manche Damen Karten kauften, um sich auf die Treppe zu stellen und den Zaren bei seinem Kommen und Gehen aus nächster Nähe zu sehen. Gelegentlich schlüpfte er über die Stallungen am Hinterausgang hinaus, um nicht allen die Hand schütteln zu müssen.11 Alexander ging in London eigene Wege. Er besuchte eine Versammlung der Bible Society und führte ein langes Gespräch mit ihren wichtigsten Mitgliedern. Er traf sich mit einigen Quäkern und unterbreitete ihnen seine Pläne zur Erneuerung der Welt. Mit Wilberforce führte er eine lange Diskussion über den Sklavenhandel und ließ überall durchklingen, er sei schon immer für dessen Abschaffung gewesen; es sei Castlereagh gewesen, der darauf gedrungen habe, ihn den Franzosen weiterhin zu gestatten. Und während er Fragen über die Leibeigenschaft in Rußland aus dem Weg ging, ergriff er jede Gelegenheit, seine Pläne für Polen voranzutreiben.12 Wenige Tage nach seiner Ankunft in London lud Alexander den führenden Politiker der Whigs, Lord Holland, zu einer Privataudienz; dem folgten Einladungen an weitere Mitglieder der Opposition wie Lord Grey, Lord Grenville und andere. Hinter diesen Gesprächen verbarg sich die stille Hoffnung, sie für seine polnischen Ziele gewinnen zu können. Aber seine Bemühungen fielen wohl nicht auf fruchtbaren Boden, da Lord Grey ihn nach ihrer Unterredung für einen «eitlen, albernen Burschen» hielt. Der Zar stattete auch dem Philosophen Jeremy Bentham einen Besuch ab, der ein offenes Ohr für sein Anliegen hatte und sich später erbot, eine Verfassung für das Königreich Polen zu entwerfen.13 Auch Czartoryski, der in Alexanders Gefolge nach London mitgereist war, war aktiv. Er suchte Castlereagh auf, um ihm zu erläutern, daß sich die Polen zwar darüber im klaren seien, daß sie die volle Unabhängigkeit wahrscheinlich nicht erlangen könnten, sie aber wünschten,
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als Nation fortzubestehen und sich als solche weiterzuentwickeln. Dafür schlug er einige Möglichkeiten vor, angefangen mit einem wiederhergestellten Polen unter einem russischen Fürsten bis hin zu einem geteilten Polen, das zwar von drei verschiedenen Mächten regiert, aber doch als einheitlicher Staat mit eigenen Gesetzen und Institutionen anerkannt würde. Castlereagh hörte sich alles höflich an, zeigte aber wenig Interesse. Czartoryski sprach auch mit Grey und Holland, außerdem mit dem Rechtsreformer und Unterhausabgeordneten Sir Samuel Romilly, sowie mit Wilberforce. Alle unterstützten enthusiastisch die polnische Sache, konnten ein Polen unter russischer Herrschaft aber nicht akzeptieren. George Canning hingegen, Castlereaghs alter Rivale und zum damaligen Zeitpunkt ohne Amt, äußerte Czartoryski gegenüber, daß Großbritannien niemals Krieg führen werde, um russische Machenschaften in Polen zu verhindern.14 Die Marotten des Zaren und die Launen der Großfürstin erreichten einen neuen Höhepunkt bei einem Bankett, zu dem die Londoner Geschäftswelt am 18. Juni nach Guildhall, das Rathaus der City of London, geladen hatte. Eigentlich war die Veranstaltung ausschließlich für Männer vorgesehen, aber die Großfürstin bestand auf ihrer Teilnahme, weshalb aus Gründen der Schicklichkeit auch die Gräfin Lieven und die Herzogin von York hinzugeladen wurden. Beim Betreten des Gebäudes führte Friedrich Wilhelm die Großfürstin; ihm folgten der Zar mit der Gräfin von York und der Prinzregent mit Gräfin Lieven. Während sie durch die dichte Gasse der Gäste schritten, blieb der Zar mehrmals stehen, um das Wort an die wichtigsten Vertreter der Whigs zu richten, was den hinter ihm gehenden Prinzregenten jedesmal zwang, stehenzubleiben und zu warten. Als die fürstliche Gesellschaft am Ende des Saales an der erhöhten Tafel Platz nahm und die Musiker die Nationalhymne anstimmten, drohte die Großfürstin mit einem Nervenzusammenbruch, woraufhin Befehl gegeben wurde, die Musik einzustellen. Das Erstaunen der mehrere hundert Personen zählenden Repräsentanten der Londoner Wirtschaft an den langen, sich vor den Souveränen aus quer durch die Halle erstreckenden Tischen schlug rasch in Unmut um. Der Prinzregent bat die Großfürstin eindringlich, das «God Save the King» zuzulassen. Als sie sich mit der Begründung weigerte, ihr sei jede Musik zuwider, schwoll das unzufriedene Murmeln zu einem bedrohlichen Grollen an,
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und man reichte Gräfin Lieven einen Zettel, auf dem stand: «Wenn Ihre Großfürstin Musik nicht zuläßt, übernehmen wir keine Verantwortung dafür, was mit dem königlichen Tisch geschieht.» Sie gab die Information an die Großfürstin weiter, die mit den Worten einlenkte: «Laßt diese Esel brüllen, wenn sie nicht anders können!» Die Nationalhymne wurde, wie es sich gehört, gesungen. Überhaupt schien das kaiserliche Geschwisterpaar miteinander darum zu wetteifern, wer den Prinzen und seine Regierung am besten verärgern konnte. Auch Alexander schaffte es, die Geliebte des Prinzen, Lady Hertford, zu kränken, als er den Wunsch äußerte, dessen Gemahlin, die Prinzessin von Wales, besuchen zu wollen; Lieven mußte ihn unter Aufbietung all seiner Überredungskünste davon abbringen. Während des Ausflugs nach Oxford, Blenheim und Stowe, den der Prinzregent für ihn ausgerichtet hatte, reagierte Alexander auf die Sehenswürdigkeiten teils mit Gleichgültigkeit und teils mit Spott; er machte abfällige Bemerkungen über die Architektur und zeigte, daß ihm die Ehrendoktorwürde, die man ihm verlieh, gleichgültig war. Ihm lag mehr daran, rechtzeitig wieder in London zu sein, um an einem Ball bei Lady Jersey teilzunehmen, der ehemaligen Geliebten des Prinzregenten. Und obgleich er die Hauptstadt erst um drei Uhr früh erreichte, beeilte er sich, noch zu Lady Jersey zu gelangen, wo er bei Sonnenaufgang eintraf. Damit auch jeder sah, wie wichtig ihm die Einladung war, bestand er darauf, bis um fünf Uhr morgens schottische Reels zu tanzen.15 «Mit jedem neuen Tag verblich der Glorienschein, den die Fantasie über dem Haupt des edelmütigen Alexander gesehen hatte, ein wenig mehr», schrieb Lady Shelley in ihr Tagebuch. «In der Wirklichkeit, und aus der Nähe gesehen, erweist er sich als törichter, netter, tanzender Dandy. Obgleich er mehr gute als schlechte Eigenschaften besitzt, ist er nichts als ein schwacher, eitler Geck.» Später änderte sie ihre Meinung, was seinen Charakter, nicht aber, was sein Benehmen betraf. In den Augen der Öffentlichkeit jedenfalls «wurde der Aufenthalt der beiden schließlich zu einem gründlichen Ärgernis». Glücklicherweise war sein Ende in Sicht. Nachdem sie zu einer Flottenparade nach Portsmouth gefahren waren, verabschiedeten sich Alexander und seine Schwester im Petworth House vom Prinzregenten, wo sie auf ihrem Weg nach Dover Halt gemacht hatten, um dort anschließend das Boot zu besteigen.16
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Alexander und die Großfürstin verabschieden sich am 24. Juni 1814 vom Prinzregenten in Petworth House, um nach Dover zu reisen und dort ein Schiff zu besteigen. Von Thomas Phillips.
So erleichtert Castlereagh sein mochte, als die beiden endlich abreisten, es mußte ihn tief enttäuscht haben, daß die Verhandlungen während des Besuchs der Monarchen steckengeblieben waren. Alexander hatte sich in London keineswegs nachgiebiger gezeigt als in Paris; vielmehr hatte er sich ungnädig geweigert, irgend etwas zu diskutieren, das ihm nicht paßte, und mehr denn je schien er seine polnischen Pläne entschlossen zu verfolgen. Die Gesandten waren zwar einige Male zusammengetroffen, aber stets unter Zeitdruck. Am 31. Mai besprachen Münster und Hardenberg einige Fragen, die bei der Festlegung von Verwaltungsgrenzen zwischen Preußen und Hannover zu klären waren. Am 2. Juni löste eine Konferenz
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mit allen Beteiligten das Versorgungsproblem der Besatzungstruppen. Am 15. Juni kamen Castlereagh und Hardenberg überein, in den Festungen Mainz und Luxemburg Garnisonstruppen des künftigen deutschen Bundes zu stationieren. Am Tag darauf ging es um die Organisation des bevorstehenden Kongresses; man beschloß, daß die Bevollmächtigten Großbritanniens, Rußlands, Preußens und Österreichs gemeinsam mit denen Frankreichs, Spaniens und Schwedens ein Komitee bilden würden, «welches das Projekt einer Neuordnung Europas entsprechend einem Plan, der von den Höfen Österreichs, Rußlands, Englands und Preußens abzusprechen wäre, voranbringen» sollte. Die Bevollmächtigten dieser vier Höfe würden sich dafür zwei Wochen vor Beginn des Kongresses in Wien treffen. Mit Ausnahme zweier weiterer Treffen, die den Anschluß Belgiens an Holland behandelten, und was mit seinen Einkünften geschehen solle, fanden keine Beratungen mehr statt.17 Während Humboldt das Unterhaltungsprogramm weitgehend mied und seine Freizeit damit verbrachte, das Fries des Parthenons, das Lord Elgin aus Athen mitgebracht hatte, und andere Attraktionen des British Museum zu betrachten, war Metternich der einzige, der seinen Aufenthalt sowohl nutzte wie genoß. Er machte sich wenig aus dem gesellschaftlichen Rummel, denn er hielt die Eingeborenen für allzu unzivilisiert. Auch Wilhelmine war nach London gekommen, aber sie fand die Stadt abscheulich, und die beiden hatten wenig Gelegenheit, ihrer Romanze zu frönen. Im Gegensatz zu Alexander jedoch gefiel ihm der Ausflug nach Oxford. «Man wähnt sich im 12. Jahrhundert», schrieb er seiner Frau aus dem St. John’s College, in dem er untergebracht war.18 Er war vor den anderen eingetroffen. Am 4. Juni hatte er das mitternächtliche Paris verlassen, in Amiens Halt gemacht, um mit Hardenberg und Humboldt zu dinieren, und war am Morgen des 5. Juni um 5:30 in Boulogne angekommen. Nach einer fünfstündigen Überfahrt und einer nächtlichen Fahrt von Dover aus hatte er London in den frühen Morgenstunden des nächsten Tages erreicht. Kaiser Franz hatte die Einladung nach London ausgeschlagen und dringende innenpolitische Pflichten geltend gemacht. Unbelastet von jeder kaiserlichen Anwesenheit, konnte sich Metternich also freier bewegen als seine Kollegen. Er nahm Aberdeens Einladung an und zog in dessen Londoner Domizil, das Argyll House nahe der Oxford Street.
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Vor dem Hintergrund des schlechten Benehmens der anderen erschien Metternich um so kultivierter und verständiger; er erntete alles Wohlwollen, das Alexander und Friedrich Wilhelm verspielt hatten. Außerordentlich beliebt machte er sich beim Prinzregenten, dem er persönlich den Orden vom Goldenen Vlies überreichte – wofür eine Sondergenehmigung eingeholt werden mußte, da dieser nicht katholisch war. Außerdem hatte er Franz überredet, den Prinzregenten zum Ehrenoberst zu ernennen, und den entzückte, stutzerhaft wie er war, ganz besonders die weiße Husarenuniform. Ferner besprach Metternich alle anstehenden wichtigen Fragen mit Castlereagh, wobei sie sich bei den meisten einigen konnten.19 Obwohl sich Metternich intensiv um Hardenberg bemühte und mit ihm einige Gespräche über die künftige Ordnung Deutschlands führen konnte, beunruhigten ihn die möglichen Folgen von Preußens zunehmend ungefestigter Lage immer mehr. Da es diesem Land nicht gelang, die von ihm gewünschten Gebietserweiterungen durchzusetzen, sah es sich veranlaßt, sich in den verschiedenen Gebieten, in denen seine Truppen standen, festzusetzen, und Pläne für ein Deutschland zu schmieden, in denen es stärker dominieren würde. Metternich hoffte jedoch, Friedrich Wilhelm von Alexander loszueisen und gemeinsam mit Preußen gegen Alexanders «verrückte Pläne» für Polen, wie er sie nannte, Widerstand zu leisten. Er sah schwierige Verhandlungen auf sich zukommen und riet seinem Kaiser, seine militärischen Anstrengungen bis zum Abschluß des Kongresses noch nicht zu verringern. «Ich bitte Ew. Majestät, alle mögliche Rücksicht fortwährend auf die augenblickliche Erhaltung der Armee zu nehmen. Wenn wir etwas imponiren, so setzen wir die Sache durch», schrieb er. Er traute Alexander zu diesem Zeitpunkt nicht mehr über den Weg und hielt ihn für fähig, in Gebieten, die seine Truppen besetzt hatten, unter Mißachtung der anderen Mächte eigenen Plänen zu folgen. Trotzdem blieb er optimistisch. «Wir haben noch einen Sturm auszuhalten, vor dem mir jedoch nicht bange ist», schrieb er an Franz. «Wir stehen auch diesesmal an der Spitze der guten Sache; die Grundsätze, von welchen wir ausgehen, sind unangreifbar und werden den Kampf gegen die Verrücktheit der Ideen des rußischen Kaisers sicher bestehen.»20 Man hatte in Paris den 1. Juli als Eröffnungstermin für den Kongreß bestimmt, aber die Zeit verging rasch, so daß die Minister in London
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am 15. Juni beschlossen, den Beginn auf den 15. August zu verschieben. Anfang August wollten sie sich treffen, um den Plan vorzubereiten, den sie dann dem Führungsgremium der sieben Mächte vorlegen wollten. Der Kongreß selbst, so glaubten sie, würde nicht länger als vier bis sechs Wochen dauern. Aber ihr Zeitplan wurde von Alexander umgeworfen, der erklärte, er müsse persönlich anwesend sein, und da er nicht zwei Monate in Westeuropa vertändeln könne, werde er zunächst nach Rußland zurückkehren. Vor Ende September sei er nicht bereit, nach Wien zu kommen, und er bestand darauf, daß der Kongreß nicht vor dem 1. Oktober eröffnet werden solle. Das gab Anlaß zu neuen Befürchtungen und Zweifeln über seine Absichten. Metternich sorgte sich, daß der Zar vielleicht vollendete Tatsachen schaffen wollte. Bevor die anderen Mächte der Vertagung zustimmten, bat man Alexander, hinsichtlich der territorialen Arrangements in Gebieten, die seine Armeen besetzt hielten, weder Entscheidungen zu treffen noch eigenmächtig zu handeln, was er versprach. Die vier Minister entwarfen und unterzeichneten eine Vereinbarung, nach der jede der vier Mächte 75 000 Soldaten in Kampfbereitschaft zu halten habe, die nur auf gemeinsamen Beschluß zum Einsatz kommen sollten. Wie sich dann zeigte, löste nicht die militärische Bedrohung, sondern die Verzögerung die größten Probleme aus.21
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Gerechte Vereinbarungen gerechte vereinbarungen
Der Kompromiß ist üblicherweise eine Folge von Erschöpfung; er steht am Ende eines langen Prozesses, nicht an dessen Beginn. Während der vierzehn Monate, die zum Vertrag von Paris führten, hatte man die diplomatischen Geschäfte hastig und planlos betrieben, und entsprechend improvisiert wirkten die so getroffenen Vereinbarungen. Aber wenigstens waren sie Teil eines fortlaufenden Gesprächs gewesen, in dem die Alliierten aufeinander Rücksicht nehmen und Zugeständnisse machen mußten. Die Vertagung des Kongresses um weitere drei Monate unterbrach nun das kontinuierliche Verhandeln und bewirkte, daß wichtige Fragen offen blieben. Wer Zeit hat, denkt nach, und so kann der Wunsch aufkommen, frühere Entscheidungen zu revidieren oder zu korrigieren. Die drei Monate nach ihrem Besuch in London ermöglichten es den alliierten Ministern zum ersten Mal, Abstand zu gewinnen, die bisherigen Ergebnisse zu bilanzieren, über die Konsequenzen nachzudenken und mögliche Korrekturen zu erwägen. Sie hätten das Ganze ganz nüchtern sehen und sich fragen können, ob sie jetzt, da keine Kriegsgefahr mehr bestand und alle sich in Wien in einer Umgebung treffen wollten, die weisen Abwägungen förderlicher war, nicht die Gelegenheit ergreifen sollten, einige der gefällten Entscheidungen zu überdenken, um so eine Einigung zu erzielen, die ausgewogener und besonnener sein würde. Sie taten es nicht. Über viele Monate waren sie ihrer Heimat ferngeblieben, hatten ihren Besitz und ihre Familien vernachlässigt und nicht einmal all jene Pflichten erfüllen können, die mit ihrem Amt einhergingen. Die Monarchen mußten sich um Tausenderlei kümmern, was seit ihrer Abwesenheit vom Hofe der Erledigung harrte, die Kanzler und Außenminister hatten in ihren Ämtern, die seit Monaten führungslos gewesen waren, Ordnung zu schaffen. Und gönnten sie sich einmal
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etwas Muße, dann erfreuten sie sich entweder ihrer Gartenanlagen, wie Castlereagh in Cray, oder sie machten es wie wie Metternich, der die Gegenwart Wilhelmines auskostete. Sie verspürten nicht den Wunsch, irgend etwas, das bereits ausgehandelt war, wieder in Frage zu stellen, und hofften, die noch offenen Fragen so rasch wie möglich zu lösen und einen irgendwie haltbaren Vertrag zustande zu bringen. Ganz anders sahen das Dutzende kleinerer Souveräne, Scharen unbedeutender Anspruchsteller und Hunderte enteigneter Bittsteller, die sich jetzt anschickten, nach Wien zu reisen. Da man einen allgemeinen Kongreß einberufen hatte und die Monarchen der drei wichtigsten Mächte des Kontinents mit ihren Ministern in Wien erwartet wurden, würde die Versammlung über eine bislang beispiellose Macht und Legitimität verfügen: selbst der Papst hatte seine Bereitschaft zur Teilnahme bekundet. Dieser Kongreß würde in der Tat eine Art internationales oberstes Gericht sein – zugleich ein entsprechendes Berufungsgericht. Insofern gab es gute Gründe für die Annahme, daß noch nichts verloren sei, und selbst diejenigen, die durch den einen oder anderen früheren Vertrag enteignet worden waren, durften hoffen, daß die hohe Versammlung ihnen jetzt Gerechtigkeit zuteil lassen werde. Überall in Europa spiegelten sich ihre Hoffnungen in der öffentlichen Meinung wider, die dort, wo es nicht um unmittelbare eigene Interessen ging, die anderer aufgriff, wie etwa die unterdrückter Nationen oder die der Sklaven, die als Handelsware über den Atlantik gebracht wurden. Auch Hoffnungen auf eine allgemeine Abrüstung oder die Sehnsucht nach einer nicht näher definierten neuen moralischen Ordnung fanden nun Ausdruck. Nach einem langen Krieg weckt der bevorstehende Frieden immer auch millenaristische Illusionen. «Wird der Kongreß von Wien, diese letzte Hoffnung für Europa, der Größe des Augenblicks gewachsen sein?» fragte der Verfasser einer französischen Flugschrift. Ein englischer Journalist war zuversichtlich. «Nein, noch nie hatte eine so ernste Versammlung von Männern zusammengefunden, um Belange von so großer Bedeutung zu besprechen», tönte er. «Nie zuvor war ein sprachloses Europa von einem so gewaltigen und gerechten Verlangen ergriffen worden, nie das Herz der Welt von so großen Erwartungen erfüllt.» Manche stellten sich vor, daß der Kongreß in der großen überdachten Reitschule der Wiener Hofburg öffentlich tagen werde und das Publikum alles von der Galerie aus miterleben könne. Es
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schien dem Anlaß angemessen, daß Beethoven die Arbeit an einer Kantate für die Eröffnungsfeier aufnahm.1 In Erwartung des Kongresses machten sich Menschen in ganz Europa Gedanken über dessen Zustand und erörterten seine Zukunftsmöglichkeiten. Die Gebildeteren griffen auf eine jahrhundertealte staatsrechtliche Diskussion zurück, angefangen mit dem holländischen Juristen Hugo Grotius, der in seinem 1625 erschienenen meisterhaften Werk De iure belli ac pacis behauptet hatte, daß alle Nationen einem gottgegebenen allgemeinen Gesetz unterworfen seien, was implizierte, daß sich kein einzelner Staat je isoliert und unabhängig von allen anderen verstehen könne. Diese Idee hatten Thomas Hobbes, Samuel Pufendorf und der Schweizer Emer de Vattel aufgegriffen und weitergeführt. Ihre moderne Terminologie eines «internationalen Rechts» (international law) fand sie in Jeremy Benthams Einführung in die Prinzipien der Moral und Gesetzgebung (1789). Eine idealistischere, von der Renaissance ausgehende Tradition widmete sich dem Problem, wie ein immerwährender Frieden zu erlangen sei. Zu ihren berühmtesten Texten gehören die 1634 veröffentlichten Memoiren von Maximilien Béthune, Herzog von Sully. Sein Grand Dessein, der auf eine Idee des französischen Königs Heinrich IV. zurückgehen soll, schlug vor, das lateinisch kommunizierende, christliche Europa in fünfzehn gleich starke Staaten zu gliedern, die zu einer Konföderation zusammengeschlossen und von einem gemeinsamen Rat regiert würden. Mit seiner eigenen Vision und dem Essay Towards the Present and Future Peace of Europe (1693) setzte William Penn diese Tradition fort, wie auch Gottfried Wilhelm Leibniz und der Abbé de Saint-Pierre, dessen Projet pour rendre la paix perpétuelle en Europe aus dem Jahre 1712 einen Bund von neunzehn ungleichen, sich jedoch gegenseitig unterstützenden Staaten vorsah. Auch wenn Voltaire und Rousseau diese und ähnlich idealistische Entwürfe mit Häme überschütteten, schrieben sie doch selbst über die Möglichkeit eines immerwährenden Friedens, und kein gebildeter Europäer konnte 1814 Immanuel Kants Zum ewigen Frieden ignorieren, das 1796 erschienen war. Die Vision eines gerechten Friedens, der alle Kriege beenden würde, war also keineswegs neu. Der als Ende des Dreißigjährigen Krieges unterzeichnete Westfälische Friede von 1648 war in dieser Hinsicht eine Art Präzedenzfall.
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Seinetwegen waren 109 Unterhändler, die fast zweihundert Kriegsparteien repräsentierten, zu fünf Jahre andauernden Verhandlungen zusammengekommen. Er hatte die Landkarte Europas neu gezeichnet; er hatte neue unabhängige Staaten wie die niederländische Republik der Sieben Vereinigten Provinzen und die Schweizer Eidgenossenschaft ins Leben gerufen; er hatte ein neues Verständnis von Staatsgrenzen geschaffen und für die nächsten hundertfünfzig Jahre der Diplomatie einen neuen Ton und neue Verfahren vorgegeben. Unter anderem bildete der Zusammenbruch dieser diplomatischen Verfahren gegen Ende des 18. Jahrhunderts den Kontext der Revolutionskriege und der Feldzüge Napoleons. «Was man Gleichgewicht nennt, wurde 1772 zerstört», schrieb Talleyrand. «Erst wenn wir auf den Stand von 1772 zurückkehren können, können wir anfangen, an ein Gleichgewicht zu denken.» Aber ein bloßes Machtgleichgewicht schien als Garant eines Friedens nicht mehr auszureichen, und viele meinten, daß eine Art supranationales Kontrollsystem nötig sei. So etwas hatten im 18. Jahrhundert mehrere Philosophen vorgeschlagen, aber erst während der langandauernden Auseinandersetzungen, die Europa zu Beginn des 19. Jahrhunderts zerfetzten, hatten Staatsmänner und sogar Monarchen begonnen, dafür ernsthaft einzutreten. Es steckte in den Vorschlägen, die Zar Alexander gegenüber Pitt gemacht hatte, und es wurde im Vertrag zwischen Rußland und Preußen von November 1805 klar artikuliert, als Alexander eine Klausel einfügte, nach der ein auf die Feindseligkeiten folgender Friedenskongreß all seine Entscheidungen zu einem einzigen Paket zusammenführen solle, dessen Einhaltung von allen Mächten gemeinsam zu garantieren sei.2 Im Juli 1812, als er eine Allianz mit Großbritannien in Erwägung zog, hatte Alexander in einem Brief an den Prinzregenten den Wunsch geäußert, den Umfang von Geschacher und Förmlichkeiten in der Diplomatie zu verringern, und statt dessen «mehr von jenen großzügigen und herzlichen Gefühlen» eingefordert, «die den Gedanken zulassen, daß sich alle Nationen zur Rettung ihrer Freiheit verbünden, gleich Brüdern, die sich gegenseitig Beistand leisten». Selbstsucht habe die gegenwärtige traurige Lage herbeigeführt, und er sei entschlossen, den Egoismus aus den internationalen Beziehungen zu verbannen. Ein knappes Jahr später legte er seine Meinung in der Präambel des Vertrags von Kalisch nieder.
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Dort hieß es: «Die Zeit wird kommen, da Verträge mehr als bloße Waffenstillstände sind und wieder mit jener religiösen Inbrunst, jenem heiligen Respekt, die der Achtung, der Macht und der Erhaltung von Imperien zugrunde liegen, eingehalten werden.»3 Es gab daher gute Gründe für die Hoffnung, daß die am Wiener Kongreß teilnehmenden Souveräne und Staatslenker die Absicht hatten, eine bessere Welt zu schaffen, eine, die nicht mehr allein durch wechselseitige Furcht, wie sie das bloße Machtgleichgewicht kennzeichnet, getragen werde, sondern durch das Bewußtsein einer gemeinsamen Verantwortung für den künftigen Frieden und das Wohlergehen des Kontinents. Da die Friedensschließenden das «Usurpationssystem» der Französischen Revolution und der Zeit Napoleons beseitigen wollten, hätten sie sich auf das Legitimitätsprinzip berufen können, und viele waren auch der Ansicht, daß der logische Ansatzpunkt die Rückkehr zum Status quo vor 1792 gewesen wäre. Aber die Legitimität gegen die revolutionären und napoleonischen «Usurpationen» zu beschwören, hatte einen Pferdefuß.4 Tatsächlich widersprach das meiste, was seit 1792 geschehen war, allen anerkannten internationalen Rechtsauffassungen und Verfahrensweisen, aber das revolutionäre und napoleonische Frankreich war nicht der einzige Staat gewesen, der Dynastien und Rechtsordnungen beseitigt hatte. Verschiedene deutsche Staaten hatten dies mitgetragen und davon profitiert, insbesondere Preußen, das sich auf Aufforderung Frankreichs hin bereitwillig Hannovers sowie einiger Gebiete entlang des Rheins bemächtigt hatte. Rußland hatte den Schweden mit Napoleons Segen Finnland entrissen, Österreich hatte bereitwillig Venedig übernommen und die Allerdurchlauchteste Republik abgeschafft. Und alle drei hatten Polen unter sich aufgeteilt, während man dessen gesalbten König in russische Gefangenschaft schickte. Eine Restitution kam in den meisten Fällen kaum in Frage. Während der vorangegangenen zwei Jahrzehnte waren viele Staaten überrannt, reorganisiert oder abgeschafft worden, sie hatten Provinzen abtreten müssen und neue hinzugewonnen. Auch Institutionen und Privatpersonen waren von den Veränderungen betroffen. Die Gerechtigkeit hätte zwar verlangt, daß man Staaten ihren rechtmäßigen Herrschern zurückgab, daß legitime Institutionen wiedererrichtet und erneut ausgestattet wurden, und daß es Individuen gestattet sein müsse, ihr gesetz-
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1815 FINNLAND
NORWEGEN
Europa 1792
Sankt Petersburg
(Union mit Dänemark)
Moskau
SCHWEDEN Nordsee Ostse e
DÄNEMARK
G ROS SB RIT ANNIEN U ND I RL AND
BRANDENBURG
VEREINIGTE NIEDERLANDE
Atlantischer Ozean
PO LEN
Berlin
London
RUSSLAND
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SACHSEN
ÖSTERR. NIEDERLANDE
BÖHMEN
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Wien
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VENEDIG
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Dalmatien
TOSKANA KIRCHENSTAAT
Korsika
P O R T U G AL
Rom
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KGR. SARDINIEN
KGR. BEIDER SIZILIEN
Mittelmeer
Habsburgische Gebiete Grenze des Heiligen Römischen Reiches
FINNLAND
KGR. SCHWEDEN UND NORWEGEN
Europa 1814
O SM ANISCHES REICH
Nor ds ee
G ROS SB RI T A NN I E N U ND I RL A ND 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Schwed.-Pommern Holstein Ostfriesland Hannover Nassau Hessen Württemberg Baden Venetien Lombardei Parma Modena
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KGR. DER 3 NIEDERLANDE
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4
EU
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10 11 12
ÖSTERREICH S ch w a rz es Meer
9
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Korsika
KIRCHENSTAAT
O SM AN ISC H ES REIC H
NEAPEL SARDINIEN
Mittelmeer
SIZILIEN
Von Österreich besetzt Von Rußland besetzt Von Preußen besetzt Grenze des Dt. Bundes
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widrig und gewaltsam entrissenes Hab und Gut wieder in Besitz zu nehmen. Aber neue Staaten, neue Institutionen und neue Besitzer, nicht in jedem Fall finstere Usurpatoren, waren an ihre Stelle getreten und hatten einen neuen Status quo geschaffen. Auch deren Rechte durfte man nicht völlig mißachten. Und selbst wenn das Restitutionsprinzip als leitend gelten sollte, blieb das Problem bestehen, ab wann genau der rechtmäßige Status quo zu schwinden begann. Entschiede man sich für den Stand von 1792, müßte Großbritannien französische, holländische und dänische Kolonien zurückerstatten, Frankreich weitere Gebiete abtreten und Rußland Finnland an die Schweden zurückgeben. Bei einer Wiederherstellung des Heiligen Römischen Reichs würden Hunderte deutscher Fürstentümer zurückkehren. Louisiana wäre von den Vereinigten Staaten zurückzukaufen und wieder Spanien zu übergeben, desgleichen müßte man ein Königreich Polen wiederherstellen, was Gebietsverluste für Rußland, Preußen und Österreich mit sich brächte. Auf dem ganzen Kontinent müßte in großem Maßstab Kircheneigentum zurückerstattet werden: etwa zwanzig Prozent der Agrarflächen hatten 1792 im katholischen Europa der Kirche gehört; bis auf einen Bruchteil war alles konfisziert worden.5 Aber kein anderes Datum als 1792 hätte auch nur annähernd als angemessen gelten können. Im Vertrag von Kalisch hatte Preußen seinen Anspruch angemeldet, zum Stand von 1805 zurückzukehren. Der aber war zu einem großen Teil zwischen 1792 und 1805 zustande gekommen, als Preußen im Windschatten der revolutionären Entwicklungen in Frankreich Landraub betrieb. Österreich hingegen hatte im selben Zeitraum viel Land verloren, weshalb ihm eine Rückkehr zum Status quo von 1805 eher Nachteile gebracht hätte. Überdies brachten die Auseinandersetzungen über territoriale Neuaufteilungen und Entschädigungen eine Frage auf die Tagesordnung, die viele während des vergangenen Jahrhunderts stark beschäftigt hatte – die des Rechts von Nationen im Unterschied zum Recht der Herrscher. Die Vorstellung, daß eine Nation nur selbst das Recht habe, über ihr Schicksal zu bestimmen, war schon 1776, als sich die amerikanischen Siedler zur Nation erklärt hatten, nicht mehr neu gewesen, weshalb deren Kampf auch in ganz Europa begeistert unterstützt wurde. Aus demselben Grund verurteilten gebildete Europäer die polnischen Teilungen und bejubelten den Sturm auf die Bastille vom 14. Juli 1789.
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1815
Der heroische Guerillakampf des spanischen Volkes gegen die französischen Invasoren, der unerschütterliche Patriotismus des russischen Volkes im Jahr 1812 und die Leidenschaft, mit der die Deutschen 1813 das französische Joch abschüttelten, weckten allseits Bewunderung. Und obwohl die Polen und die Italiener auf Seiten der Franzosen gestanden hatten, fand ihr verständlicher Wunsch, wie ihre Schwesternationen in Freiheit leben zu wollen, allgemeine Zustimmung. Aber ihr Freiheitsstreben würde hinter einer erstaunlichen und stetig zunehmenden Fülle von Erwägungen zurücktreten müssen, die als drängender galten. Im Laufe des Sommers 1814 war in den Überlegungen ein neuer Faktor aufgetaucht: Nachdem die erste Welle der Begeisterung für Alexander, diesen Ausbund an Ritterlichkeit, abgeebbt war, wurde den Menschen allmählich bewußt, daß Rußland in den jüngsten Kriegen immer wieder dazugewonnen und seinen Besitzstand enorm vergrößert hatte. Sowohl Österreich als auch Preußen wurden dadurch verwundbarer, und da sie die einzigen Mächte waren, die überhaupt ein Gegengewicht zu Rußland bilden könnten, müßte man sie durch territorialen Zugewinn stärken. Dieses strategische Erfordernis wog schwerer als jede Legitimität. Das Wohl des Kontinents stand an erster Stelle. Als Metternich vor Beginn des Kongresses vom Vertreter des Papstes gefragt wurde, ob er einen Weg sehe, wie sich aus den «Legationen», den Provinzen des Kirchenstaates, die fremden Truppen wieder zurückziehen ließen, gab er zur Antwort, dies sei «eine gesamteuropäische Aufgabe».6 Aber die Interessen Europas wurden nicht nur unter realpolitischen Gesichtspunkten gesehen, und je länger sich die Eröffnung des Kongresses verzögerte, desto mehr wuchsen die Hoffnungen der Idealisten und Träumer in den Himmel. Zu Beginn des Herbstes 1814 wurde aus gutem Grund vieles offen hinterfragt, das wenige Monate zuvor noch als beschlossene Sache gegolten hatte. Das war etwa in Skandinavien der Fall. Schweden hatte sich 1812 der Koalition gegen Napoleon unter der Annahme angeschlossen, es werde als Entschädigung für Schwedisch-Pommern, das Napoleon ihm weggenommen hatte, und für Finnland, das Rußland annektiert hatte, Norwegen erhalten, das damals Teil des Königreichs Dänemark war, aber auch Guadeloupe, eine französische Kolonie in britischer Hand. Dänemark hatte bis zum bitteren Ende zu Napoleon gehalten, und als es sich dann gezwungen sah, der Koalition beizutreten, hatte es sich
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gerechte vereinbarungen Kristiania
Dänemark
Stockholm
NORWEGEN
Vänersee
Skagerrak
Vättersee
Gotland
SCHWEDEN Ålborg
Öland
Nordsee
Kalmar
Kattegat
Århus
DÄNEMARK Kopenhagen
Odense
Ostsee Bornholm
Rügen Helgoland
NIEDE LAND RE
Holstein Lauenburg Ostfriesland Oldenburg
SchwedischPommern
MecklenburgSchwerin MecklenburgStrelitz
HANNOVER Hannover
PREUSSEN PREUSSEN
im Vertrag von Kiel verpflichtet, Norwegen an Schweden abzutreten. Dafür sollte Dänemark Schwedisch-Pommern und die Insel Rügen, sowie eine Million Taler bekommen. Von Großbritannien sollten ihm mit Ausnahme Helgolands die Kolonien zurückerstattet werden, jedoch nicht seine Flotte. Großbritannien und Schweden gaben die bindende Zusage, für Dänemarks Verlust von Norwegen und Helgoland anderswo in Europa Ersatz zu finden. Aber die Norweger, die seit fünfhundert Jahren unter der dänischen
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Herrschaft gelebt hatten, sträubten sich dagegen, schwedische Untertanen zu werden. Am 17. Mai 1814 erklärten sie ihre Unabhängigkeit und wählten Prinz Christian von Dänemark, den dänischen Thronfolger, zu ihrem König. Sie schickten einen Abgesandten, Carsten Anker, nach London, der dort um britischen Beistand werben sollte. Liverpool empfing Anker jedoch kühl. Er ließ ihn wissen, daß Großbritannien die Norweger weder anerkennen noch unterstützen werde, daß Schweden ein Verbündeter Großbritanniens sei und Norwegen, als Teil Dänemarks, jahrelang gegen Großbritannien Krieg geführt habe. Unter den Bedingungen des Vertrags zwischen Großbritannien und Schweden mußte die Royal Navy die Häfen der rebellischen Norweger sperren, obgleich es der britischen Regierung zu diesem Zeitpunkt sehr widerstrebte, Bernadotte in irgendeiner Form zu unterstützen. Um eine friedliche Lösung auszuhandeln, entsandte Liverpool eine Abordnung nach Norwegen, die aber nichts erreichte. Als dann Bernadotte Norwegen mit militärischer Gewalt unterwerfen wollte und die Norweger Widerstand leisteten, kam es zu heftigen öffentlichen Auseinandersetzungen in Großbritannien, und die dortige Regierung mußte einige von der Opposition aufgepeitschte Stürme überstehen.7 Die Folge war ein unangenehmes Patt in der Region. Bernadotte vertrat den Standpunkt, daß die Bestimmungen des Kieler Vertrags ungültig seien, weil er Norwegen gewaltsam unterwerfen müsse. Er weigerte sich, die dänische Provinz Holstein zu räumen, und noch weniger war er bereit, Schwedisch-Pommern, Rügen oder Geld herzugeben. Darin wurde er stillschweigend von Alexander unterstützt, der es unterlassen hatte, den Kieler Frieden zu unterzeichnen, und somit keine der darin enthaltenen Bedingungen einhalten mußte. Sobald Bernadottes Truppen Holstein verlassen hatten, um sich Norwegens anzunehmen, wurden sie durch 60 000 Russen unter Bennigsen ersetzt, die sich von dem, was das Land hergab, ernährten und sich weigerten, die Verwaltung an die dänischen Behörden zu übergeben. Einem russischen Diplomaten zufolge hoffte Alexander, daß der König von Dänemark dem Kongreß fernbleiben werde, was ihm selbst mehr Handlungsfreiheit gäbe. Der schwedische Außenminister Lars von Engeström war dagegen, die Angelegenheit auf dem Kongreß zu thematisieren, in der Hoffnung, daß Schweden dann die von ihm besetzten Gebiete vielleicht behalten könnte.8
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Es machte keinen guten Eindruck. Napoleon sollte ja gerade geschlagen werden, um Europa von Machtwillkür zu befreien. Und jetzt kam es dazu, daß die siegreichen Vertreter der Legitimität die Ambitionen eines napoleonischen Marschalls und Emporkömmlings gegen einen achtbaren Monarchen und die Wünsche einer ganzen Nation unterstützten. Was sich am westlichen Ende der Ostsee abspielte, war für die Staatsmänner der Großmächte peinlich. Nicht minder blamabel war, was in Spanien geschah. Das Land war jahrelang Verbündeter Großbritanniens gewesen, aber sein König, Ferdinand VII., war seit 1808 Gefangener der Franzosen gewesen, weshalb der einzige Ansprechpartner der britischen Regierung der Regentschaftsrat (Consejo de Regencia) war, den die Cortes, die Verfassungsgebende Versammlung spanischer Patrioten, ernannt hatten und die in Cádiz zusammentraten, einem Teil Spaniens, der von französischer Besatzung frei war. Obgleich sie gänzlich auf die militärische Unterstützung Wellingtons und seiner britischen Armee angewiesen waren, wahrten die Cortes und der Regentschaftsrat sorgfältig den Anschein, daß sie die Herrschaft über Spanien innehatten und das Kommando über die alliierten Streitkräfte auf der Iberischen Halbinsel führten. Nachdem die französischen Invasoren aus dem Land vertrieben waren, lag ihnen noch weniger daran, die Rolle der dankbar Befreiten zu spielen, wie Wellington und sein Bruder, Sir Henry Wellesley, der britische Gesandte in Spanien, zunehmend zu spüren bekamen. Das galt erst recht nicht für den aus französischer Gefangenschaft befreiten König von Spanien, den es wieder auf seinen Thron drängte. König Ferdinand war ein Reaktionär, der das Ancien Régime wiederherstellen wollte; und viele in Spanien unterstützten ihn darin. Aber seit seiner Absetzung 1808 hatte sich einiges verändert. Die von den französischen Armeen auf die Halbinsel mitgebrachten liberalen Ideen hatten ihre Wirkung getan, und die Cortes hatten sich 1812 eine Verfassung gegeben. Der heimgekehrte König war entschlossen, diese und alle anderen Spuren des Liberalismus wieder abzuschaffen, und bat für diesen Zweck um britische Militärhilfe. Wellington lehnte ab. Er hielt wenig von der spanischen Verfassung von 1812, von der er sagte, sie gehöre «zu den schlechtesten Machwerken dieser Art», aber für die Alternative – die Herrschaft einer Kamarilla von reaktionären Geistlichen und Höflingen – hatte er auch nichts übrig. Er äußerte die Hoffnung,
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daß sich der König dazu bewegen lasse, dem «Geist der Zeit» Rechnung zu tragen, wie er sagte.9 Dieser Geist war Ferdinands Sache nicht. Im Mai schaffte er die Verfassung ab und spaltete dadurch Land und Armee in zwei verfeindete Lager. Wellington kam eilig aus Frankreich zurück, um einen Bürgerkrieg abzuwenden. «Ich glaube», schrieb er aus Toulouse an Castlereagh, «daß ich beide Seiten ruhigstellen kann.» Zehn Tage später berichtete er aus Madrid, daß die Beseitigung der Verfassung mit Loyalitätsbekundungen für den König begrüßt worden sei, was diesen ermutigt habe, die Liberales zu verfolgen, wie man jene nannte, die anders dachten als er, und die Inquisition wieder einzuführen. Anfang Juni war Wellington über die Unnachgiebigkeit des Königs und seiner Regierung allmählich erbittert. Auch beunruhigte ihn deren störrische Uneinsichtigkeit in internationalen Angelegenheiten. Über seine Aufforderung, den Landkreis Olivenza zurückzugeben, den Napoleon den Portugiesen abgenommen und Spanien zugeschlagen hatte, setzte man sich hinweg.10 Ferdinand entsandte einen Botschafter nach Paris, um ohne die Alliierten einen Sonderfrieden mit Frankreich auszuhandeln. Nicht nur verlangte er, daß die spanische Herrschaft über alle Kolonien, die sich für unabhängig erklärt hatten, international anzuerkennen sei, Frankreich solle auch Louisiana von den Vereinigten Staaten zurückkaufen und Spanien den Anteil, der ihm zustehe, zurückgeben. Als Bourbone bestand er darauf, daß sämtliche italienische Gebiete, in denen bis 1792 Bourbonen geherrscht hatten, dem entsprechenden Zweig der Familie ohne Gebietsverluste zu restituieren seien. Wellington fürchtete sogar, daß Ferdinand dafür ein Bündnis mit dem bourbonischen Frankreich schließen könnte. Diese Sorge veranlaßte Wellesley, die Bedingungen des neuen Bündnisvertrags zwischen Großbritannien und Spanien abzumildern, damit er unterschrieben würde; Castlereagh wollte vor allem ein französisch-spanisches Bündnis verhindern. Die britische Öffentlichkeit war nicht begeistert über die Berichte von den Repressionen in Spanien, und die Regierung, der man ihren Umgang mit Ferdinand als Schwäche auslegte, mußte sich viel Kritik gefallen lassen. Wellington konnte dem eigensinnigen König nur noch eine Art schriftlicher Predigt überreichen, die detaillierte Vorschläge dazu enthielt, wie er regieren solle. Paradoxerweise war Ferdinand nur dank Napoleon zum König geworden, und wäre es wirklich um Legiti-
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mität gegangen, hätten ihn die Alliierten zugunsten seines Vaters, Karls IV., übergehen müssen, den Napoleon gezwungen hatte, für seinen Sohn abzudanken.11 Eine ähnliche Prinzipienlosigkeit herrschte im Falle Italiens. Dort hatte Großbritannien eine mehr oder weniger opportunistische Taktik verfolgt, um Frankreich von Sizilien fernzuhalten und so seine Militärbasis Malta zu sichern. Ferdinand IV. von Neapel, der durch Frankreich aus den auf dem Festland gelegenen Territorien seines Königreichs vertrieben worden war, hatte sich unter dem Schutz der Royal Navy und einer kleinen britischen Armee-Einheit auf sein sizilianisches Gebiet zurückgezogen. Ferdinand war genausowenig ein angenehmer Partner Großbritanniens wie sein spanischer Namens- (und echter) Vetter; die Allianz war alles andere als harmonisch. Der britische Vertreter in Palermo, der sechsunddreißigjährige General Lord William Bentinck, erschwerte die Lage zusätzlich. Er hatte sich in den Kämpfen bei Marengo, in Flandern, Ägypten und Spanien ausgezeichnet und genoß allgemein hohes Ansehen, obwohl er als Gouverneur von Madras in kolonialpolitische Auseinandersetzungen verwickelt war. Er paßte nicht im geringsten zu dem Hof, an dem er akkreditiert war. Ferdinand war ein fauler, genußsüchtiger, schwacher und verlogener Autokrat, den nur die Angst vor seiner Frau Maria Karolina beherrschte, einer Tochter Maria Theresias und Tante des österreichischen Kaisers. Bentincks entschieden liberale Ansichten standen im Widerspruch zu den absolutistischen des Königspaars, aber als Repräsentant der einzigen Macht, die Ferdinand vor den Franzosen schützte, konnte er es sich erlauben, sie zu äußern. Ferdinand und speziell seine Königin hatten sich in Sizilien unbeliebt gemacht, als sie die Privilegien des dortigen Adels beschnitten; für dessen Sache aber machte Bentinck sich stark, als er 1811 eintraf. Kompromißlos legte er sich mit der Königin an, ein Streit, der damit endete, daß man sie 1813 von der Insel entfernte und an den Hof ihres Neffen nach Wien schickte. Außerdem verlangte er Ferdinand Reformen ab, deren Ergebnis die Annahme einer Verfassung nach englischem Vorbild war. Der Italienliebhaber Bentinck wünschte sich ein freies, unter einer einzigen Krone vereintes Land, und er faßte seine Aufgabe wesentlich weiter auf, als London sie sich vorstellte. Seine Reformen in Sizilien wollte er auf das italienische Festland übertragen wissen, sobald die
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Italien – die endgültige Aufteilung
Genua
L
KAISERTUM KGR. Triest Ö S T E R R E I C H Mailand K G R . SARDINIEN L O M B A R D O - Venedig Po Turin VENETIEN Istrien PA R M A OSMANISCHES Modena Parma REICH e MODENA Lucca
LUCCA Ligurisches Meer
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SAN MARINO M
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Korsika (zu Frankreich)
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Dalmatien
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Rom Pontecorvo Benevent Neapel
KGR. SARDINIEN
Tyrrhenisches Meer
Mittelmeer
KGR. BEIDER SIZILIEN
Palermo
Messina
Sizilien
Direkt von Wien aus regierte Gebiete Von Nebenlinien der Habsburger regierte Gebiete Ehemalige Republik Genua
Malta (brit.)
Zeit dafür reif wäre, und er erwartete, daß der Monarch, den man zum Herrscher dieses vergrößerten und liberalen italienischen Staates machen würde, nicht derjenige sei, bei dem er gegenwärtig akkreditiert war. Er war über die Schwäche, die Habgier und die Heimtücke der Königsfamilie empört, enttäuscht von der Haltung jener, die er als Gegenkraft gewollt und dafür in Amt und Würden gebracht hatte, und erschüttert über die offenbar endemische Korruption. Einmal träumte er
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sogar davon, Sizilien zu einer britischen Kolonie zu machen, weil es nur so zu einer anständigen Regierung kommen könne.12 Bentincks Aktivitäten und die verschiedenen, britischerseits angeregten Versuche, in anderen Teilen der Halbinsel antiösterreichische oder antifranzösische Guerillaaufstände auszulösen, verleiteten viele italienische Patrioten zu der Annahme, daß die britische Regierung einen Staat Italien befürworte. Das war keineswegs der Fall. Weder Liverpool noch Castlereagh hatten irgendeine Ahnung von den Vorgängen auf der Halbinsel; das einzige, was sie an Italien interessierte, war, französische Einflußnahmen zu verhindern. 1813 wurden sie von den dortigen Ereignissen kalt überrascht. Es war den Österreichern nicht schwergefallen, die schwachen französischen Garnisonen aus Illyrien zu vertreiben, aber an den Grenzen zum Königreich Italien, das von Eugène de Beauharnais und seiner französisch-italienischen Armee verteidigt wurde, machten sie Halt. Im November 1813 hatte Metternich von Frankfurt aus versucht, Eugène über dessen Schwiegervater, den König von Bayern, auf seine Seite zu ziehen, indem er ihm ein Herzogtum oder gar die Krone eines Königreichs Italien anbot. Dieses Angebot wurde Anfang 1814 erneuert. Aber Eugène de Beauharnais lehnte ab.13 Der österreichische Oberbefehlshaber in Italien, Feldmarschall Bellegarde, versuchte daraufhin, den Nationalismus der Italiener zu nutzen und die Bevölkerung der Lombardei aufzurufen, sich gegen die Franzosen zu erheben. Als dies mißlang, ließ sich eine kriegerische Auseinandersetzung nicht mehr vermeiden, und die beiden Armeen trafen am 8. Februar 1814 in einer blutigen Schlacht am Mincio aufeinander, bei der die Franzosen einen Sieg davontrugen, der aber folgenlos blieb. Die Österreicher hofften, Murat würde ihnen von Süden aus zur Hilfe kommen und Eugène zum Rückzug zwingen. Murat hatte soeben, am 11. Januar 1814, einen Allianzvertrag mit Österreich geschlossen, der ihm den Besitz des Königreichs Neapel garantierte und ihm sogar ein zusätzliches Gebiet mit 400 000 Einwohnern auf Kosten der päpstlichen Territorien versprach, falls er sich der Koalition anschlösse und seine 30 000 Mann starke Armee gegen die Franzosen einsetzte. Aber anstatt mit seinen Truppen Bellegarde zu unterstützen, besetzte Murat Teile des Kirchenstaates, die er haben wollte, und hielt dann in der Toskana
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inne. Von dort aus begann er, seine Idee eines vereinten Italiens unter seiner eigenen Herrschaft zu verbreiten, und stellte sich öffentlich in einer Weise dar, mit der er meinte, die Zuneigung der Italiener gewinnen zu können. «Murat thronte wie ein Sultan – während alle Fürsten und Herzöge hinter seinem Sessel standen», notierte General Wilson in seinem Tagebuch, nachdem er ihn in der Oper gesehen hatte. «Er ist bei weitem der beste Schauspieler, der je auf der Theaterbühne der Könige auftrat.»14 Robert Thomas Wilson war als britischer Vertreter dem Stab Bellegardes zugeordnet. Er war Mitglied der liberalen Whig-Partei und glühender Unterstützer unterdrückter Nationen. Er konnte nicht anders, als alle patriotischen Italiener, die er traf, zu ermutigen, und vermittelte ihnen so den vollkommen irrigen Eindruck, daß Großbritannien die italienischen Einigungsbestrebungen befürworte. Dabei hatte die französische Invasion dazu beigetragen, in vielen Teilen Italiens patriotische Sehnsüchte zu wecken, und die französische Herrschaft bildete eine Generation von Soldaten und Verwaltungsbeamten heran, die bereit und willens waren, sie umzusetzen. Natürlich fanden sie es ermutigend, wiewohl etwas verwunderlich, daß sowohl die Österreicher als auch Murat den italienischen Wunsch nach Unabhängigkeit offenbar unterstützten. Wilsons unverantwortliches Reden steigerte ihre Hoffnungen nur noch mehr, während ihre Verwirrung zunahm, als auch noch Bentinck sich einmischte. Bentinck war von Castlereagh beauftragt worden, irgendwie eine Einigung mit Murat zu erzielen, der inzwischen Verbündeter Österreichs und damit Mitglied der Koalition gegen Napoleon war. Dies war als Vorbereitung zur Landung einer kleinen britischen Truppe auf dem italienischen Festland gedacht, die dort mit Operationen gegen die Franzosen beginnen könnte. Da Castlereagh die italienische Lage etwas verwirrend fand, stellte er Bentinck frei, wie und zu welchen Bedingungen er vorgehen würde. Bentinck mochte Murat nicht und sah in ihm sogar so etwas wie einen Rivalen. Denn Bentinck verfolgte seine eigene Vision. Als die alliierten Bevollmächtigten am 9. März 1814 gerade ihre kleine Charade in Châtillon durchspielten, landete Bentinck mit 6000 britischen und einer kleinen Zahl sizilianischer Soldaten in Livorno. Kaum war er an Land gegangen, gab er eine Proklamation heraus, in der er ganz
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Italien aufrief, sich zu erheben und wieder seinen Platz unter den Nationen Europas einzunehmen. Er zog weiter nach Genua, das er von der dortigen französischen Garnison befreite, und verkündete die Wiederherstellung der Republik. Von hier aus schrieb er an Wilson, er solle Mailand zum Aufstand aufrufen, wobei er sowohl ihm wie auch dem Volk zu verstehen gab, daß Großbritannien ihr Handeln gutheißen werde. Als Eugène de Beauharnais am 16. April von Napoleons Abdankung erfuhr, räumte er Mailand, wobei er das italienische Militär- und Zivilverwaltungspersonal zurückließ. Mit dem Rest seiner französischen Truppen zog er sich über die Alpen zurück. Napoleons Königreich Italien weckte damit die Begehrlichkeiten aller. Eine Gruppe italienischer Patrioten optierte für einen britischen Schutz; ihnen schwebte ein Königreich Lombardei vor, in dem entweder der Herzog von Cambridge oder der Herzog von Clarence König würde; entsprechend schickte man einen Abgesandten nach London. Eine größere Gruppe wollte dasselbe Königreich unter österreichischem Schutz; als König sollte Erzherzog Franz von Österreich-Este regieren. Sie entsandten eine Abordnung nach Paris, um bei Metternich zu werben, der sie – mit seinem üblichen Blick für sich bietende Gelegenheiten – hoffen ließ.15 Unterdessen machte Bellegarde allen Spekulationen ein Ende, indem er am 20. April in Mailand eine Revolution provozierte und dann einmarschierte, um die Ordnung wiederherzustellen. Unter Mißachtung der Rechte und Wünsche aller übrigen Beteiligten annektierte Österreich den größten Teil Norditaliens. Die Abgesandten der ehemaligen Republik Lucca, die sich bei ihm für die Wiederherstellung ihrer Unabhängigkeit einsetzten, beschied Kaiser Franz mit dem Wort: «Tutti hanno fame, anch’io voglio mangiare; emmeglio che io vi mangi che se fosse un altro.» («Alle haben Hunger, auch ich muß essen; besser, ich esse euch, als daß ein anderer es tut.»)16 Dies kam Castlereagh gelegen, der Bentincks Vorgehen ablehnte, das er in einem Brief an Liverpool als «höchst absurd» bezeichnete. Bentinck gegenüber erklärte er, er wünsche nicht, daß man «das viel zu weitgreifende Experiment in der Wissenschaft der Staatslenkung, das bereits in ganz Europa durchgeführt wird, sogleich um ähnliche Gebilde in Italien erweitert».17 «Es läßt sich unmöglich übersehen, welch großer Sittenwandel sich in Europa vollzieht, und daß die Prinzipien der Freiheit wirksam sind»,
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fuhr er fort. «Dabei besteht die Gefahr, daß der Übergang zu plötzlich erfolgt, als daß die Welt in irgendeiner Weise zu einem besseren oder glücklicheren Ort heranreifen könnte. In Frankreich, Spanien, Holland und Sizilien sind neue Verfassungen eingeführt worden. Schauen wir uns erst die Resultate an, bevor wir weitere Versuche unterstützen.» Er selbst machte sich kaum Illusionen. Da er über die Länder, um die es ging, kaum etwas wußte, mußte er sich auf die Berichte seiner Diplomaten verlassen, und die waren nicht ermutigend. Bentincks Nachfolger in Palermo berichtete, den Einheimischen könne man «grundsätzlich auf keinen Fall politische Macht anvertrauen», und er beklagte sich über «die tiefsitzende Verderbtheit, die sich immer wieder durchsetzen wird, sobald die Hand sich lockert, die sie niederhält, um sodann die menschenfreundlichsten Unternehmungen wieder zu zertreten und zu zerstören».18 Von Menschenfreundlichkeit war nichts zu bemerken, als der König von Sardinien, Viktor Emanuel I., am 20. Mai 1814 in Turin einzog. Am selben Tag noch ließ er die Universität schließen; am nächsten verfügte er eine Rückkehr zu den Gesetzen, die 1770 gültig gewesen waren, was die Wiedereinführung von Folter, Prügelstrafe, Vierteilen und Rädern bedeutete, und ebenso der kirchlichen Gerichtshöfe und der königlichen Lettres de cachet; überdies verkündete er, daß er alles, was seit dem Jahr 1798 geschehen war, als ihn die Franzosen verjagten, als einen «langen Traum» und somit als unwirklich erachte. Mithilfe eines alten Hofalmanachs von 1789 besetzte er sämtliche Ämter mit ihren früheren Inhabern, ohne sich vorher zu vergewissern, ob diese noch am Leben waren. Gepuderte Perücken kehrten mitsamt dem ganzen Rokoko ins höfische Leben zurück; diejenigen, deren Handschrift eine französische Erziehung verriet, wurden entlassen. Angeblich weigerte er sich sogar, sich von einem Arzt behandeln zu lassen, der unter französischer Herrschaft weiterpraktiziert hatte.19 Alle Rechtsakte, einschließlich der Immobilienverkäufe, Verträge, Hypotheken und Erbschaften, die nach 1798 eingegangen worden waren, wurden für null und nichtig erklärt, und das wurde erst widerrufen, nachdem man dem König verständlich gemacht hatte, daß so sein Staat nicht mehr funktionieren könne. Dennoch erklärte er alle Kinder für unehelich, die aus Ehen stammten, die entsprechend des Zivilrechts der letzten sechzehn Jahre geschlossen worden waren. Alle Personen fran-
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zösischer Herkunft, die sich im Piemont niedergelassen hatten, verwies er des Landes. «Franzosen, die dort seit dreißig Jahren wohnten, Landbesitzer, die mit piemontesischen Frauen verheiratet waren, wurden durch königliche Carabinieri aus ihren Häuser gewiesen und wie Verbrecher an die Grenze geführt, ohne daß man ihnen den kleinsten Vorwurf hatte machen können», wie eine Zeitzeugin festhielt.20 Castlereagh hatte längst entschieden, daß Norditalien an Österreich und an ein um Genua vergrößertes Piemont fallen solle. Diese beiden würden die kleineren unabhängigen Staaten weiter südlich, darunter den Kirchenstaat, gegen französischen Einfluß verteidigen – und auch gegen Neapel, das, gleichgültig ob unter Murat oder unter seinem früheren König Ferdinand, französischen Absichten den Boden bereiten könnte. Die Gefahr, die durch Murat drohte, hatte exponentiell zugenommen, als man Napoleon nach Elba brachte, denn nun konnten sich die beiden jederzeit zusammentun, wodurch Napoleon auf dem europäischen Festland eine Landemöglichkeit für eine Rückkehr gewonnen hätte. Castlereagh hätte es gern gesehen, wenn Murat gestürzt worden wäre, aber Metternich meinte, man könne ihn schlecht angreifen, solange er noch ein Verbündeter Österreichs sei, und er versicherte Castlereagh, daß Murat seinen Untergang früher oder später selbst herbeiführen werde. Das überzeugte Castlereagh jedoch nicht, und gemeinsam mit Wellington zog er nach wie vor ein militärisches Vorgehen gegen Murat in Betracht.21 Ein Argument, das dafür sprach, Murat bis auf weiteres an seinem Platz zu belassen, bestand darin, daß Großbritannien mit ihm ein Druckmittel gegen König Ferdinand von Sizilien besaß, der wild entschlossen war, die Liberalen zu verfolgen, die mit den Briten zusammengearbeitet hatten. Castlereagh war klar, daß alle sizilianischen Liberalen mitsamt ihrer Verfassung leichte Beute für Ferdinand sein würden, sobald der die britische Unterstützung nicht mehr benötigte. Andererseits hielt Murat einige Provinzen des Kirchenstaates besetzt, und auch mit dem Papst war zu rechnen. Eines der eher kuriosen öffentlichen Ereignisse in London war in diesem Jahr, daß zum ersten Mal seit Queen Mary wieder rote Kardinalsroben auftauchten. Demonstrativ trug der Abgesandte des Papstes, Kardinal Consalvi, volles Ornat, als er dem Prinzregenten und Castlereagh
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seine Aufwartung machte, einschließlich der roten Strümpfe und Pantoffeln. Der Prinzregent war von seinem Auftritt entzückt und empfing ihn herzlich, während die Menge auf der Straße Consalvi fasziniert und mit einem bemerkenswerten Maß an höflichem Respekt überallhin folgte. Castlereagh war weniger an den Roben des Kardinals interessiert als daran, in welchen Angelegenheiten er seine Unterstützung gewinnen konnte. Denn wenn der Papst, der auf dem bevorstehenden Kongreß seine Hoheitsgebiete unbedingt zurückhaben wollte, in diesem Fall als Bittsteller erschien, dann gab es vieles, was er für Castlereagh tun konnte. Eine Gesetzesvorlage zur rechtlichen Gleichstellung der Katholiken in Irland war 1811 mit der Mehrheit von einer Stimme im Parlament abgelehnt worden, 1814 scheiterte sie mit vier Stimmen abermals. Sie hatte vorgesehen, daß der katholische Klerus einen Treueeid schwören sollte, daß die Bischöfe von der britischen Regierung zu ernennen waren und der Schriftwechsel mit Rom überwacht werden sollte. Darüber waren sich die Katholiken von England und die von Irland uneins. Castlereagh gab sich als Freund der Katholiken aus und wollte, daß der Papst in dieser Sache seinen Einfluß geltend machte. Außerdem benötigte er dessen Hilfe in der Frage des Sklavenhandels, dessen Abschaffung die britische Öffentlichkeit so heftig verlangte und der jetzt nur noch von katholischen Ländern betrieben wurde.22 Daher neigte Castlereagh dazu, den Papst als Verbündeten zu sehen, obwohl er die Befreiung von französischer Herrschaft auf ähnliche Weise gefeiert hatte wie der König von Sardinien. Alle, die als Kollaborateure oder Freidenker eingestuft wurden, was praktisch das gesamte Personal in der Zivilverwaltung und im Bildungswesen betraf, wurden entlassen und, wenn möglich, durch solche ersetzt, die vor der französischen Invasion verantwortlich gewesen waren. Die alten Gerichte und die Feudalrechte wurden wieder eingeführt, die Juden zurück ins Ghetto geschickt und, wie die Inquisition, wurde auch der Jesuitenorden wiederbelebt. In ihrem Rausch, alles, was die Franzosen eingeführt hatten, wieder abzuschaffen, setzten die neuen Machthaber nicht nur den Code Napoléon außer Kraft, lösten sie nicht nur die Nationalgarde auf und machten den Verkauf von Kirchenbesitz rückgängig, sie löschten auch die Straßenbeleuchtung und verboten das Impfen.23
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Aber so sehr Italien auch dank der kurzfristigen Nutzenserwägungen der Großmächte ein jämmerliches Bild von religiösem Fanatismus, Rechtlosigkeit und Habgier bieten mochte, es war Deutschland, das als verwüstetes Land erschien, das von zertrampelten Rechten und bitteren Enttäuschungen übersät war. Es war das bei weitem wichtigste Element der zu verhandelnden europäischen Neuordnung, und doch zeigten nur wenige der beteiligten Staatsmänner, daß ihnen dies irgendwie bewußt war. Die kleineren Herrscher lagen untereinander und mit ihrem Volk im Zwist, und weder Metternich noch Hardenberg hatten einen Plan, geschweige denn eine Vision, für die Zukunft.
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Die Bühne wird gerichtet die bühne wird gerichtet
Als Metternich am 18. Juli nach Wien zurückkehrte, bereitete man ihm einen einzigartigen Empfang. Die Stadt ließ ihm vor den Fenstern seines Büros in der Staatskanzlei von den Musikern und Sängern der städtischen Theater und des Burgtheaters eine Art Serenade darbringen, auf der die Ouvertüre von Beethovens Die Geschöpfe des Prometheus aufgeführt wurde, gefolgt von einer eigens für diesen Anlaß komponierten Kantate, in der die Tugenden des Außenministers gepriesen und seine Erfolge gerühmt wurden. Er war erschöpft, und daher fand niemand es verwunderlich, daß er sich in den Wienerwald, in den mondänen Kurort Baden bei Wien zurückzog, wo er, zwei Stunden Kutschfahrt von der Hauptstadt entfernt, ein Haus mietete. War er im Kanzleramt, drängten sich in seinen Vorzimmern Bittsteller aller Art, während ihn hier niemand behelligen konnte. Über die nächsten zwei Monate nahm er sich Arbeit mit und blieb dort immer wieder mehrere Tage hintereinander; und selbst, wenn seine Anwesenheit in der Kanzlei nötig war, fuhr er nach getaner Arbeit zurück in sein Refugium. Metternich wußte Arbeit und Vergnügen zu verbinden. Zeitweise gesellten sich seine Frau und seine Kinder zu ihm, die sich abwechselnd in Baden oder in seiner eleganten, inmitten weitläufiger Gärten am Rennweg gelegenen Wiener Residenz am Rande der Altstadt aufhielten. Von Anfang an war seine Ehe eine Zweckverbindung gewesen. Eleonore war intelligent und bewegte sich sicher und kultiviert im gesellschaftlichen Leben; damit war sie für einen Mann seines Ranges und mit seinem Ehrgeiz die perfekte Gattin, und sie spielte ihre Rolle hingebungsvoll. Er liebte sie und behandelte sie mit dem größten Respekt, aber ohne sich durch sie in seinen Amouren stören zu lassen.
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Metternichs Amtssitz, die österreichische Staatskanzlei am Ballhausplatz in Wien. Aquarell von Rudolf Alt.
Baden war bei allen beliebt, die der Sommerhitze Wiens entkommen wollten, und auch Wilhelmine hatte sich dort niedergelassen. Nach Metternichs Rückkehr aus London hatte sie sich beschwert, daß sich ihre Gefühle «in nichts mehr begegnen. … Allmählich glaube ich, daß wir uns nie wirklich gekannt haben, daß wir beide einem Phantom nachjagten», schrieb sie. Sie fand, er habe sie in seiner Vorstellung jetzt ebenso tief fallenlassen, wie er sie einst idealisiert habe.1 Es ist unklar, was diesen Fall verursacht haben könnte, aber vielleicht spielte die Entdeckung eine Rolle, daß sie eine Affäre mit dem jungen Frederick Lamb eingegangen war, Aberdeens Sekretär, der seinen Chef vertreten hatte, während dieser sich im Hauptquartier der Alliierten aufhielt. Auch Lamb verstand es, Pflicht und Vergnügen zu verbinden, denn er benutzte Wilhelmine, um sie über Metternich auszuhorchen und die so gewonnenen Informationen nach London weiterzuleiten.2 Was auch immer das Verhältnis getrübt haben mochte, während der nächsten beiden Monate kam es zu einigen idyllischen Augenblicken,
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Metternichs elegante Villa am Rennweg, am Rande der Wiener Altstadt. Lithographie von Eduard Gurk, ca. 1835.
die Metternich glauben ließen, er und Wilhelmine seien «unzertrennlich» geworden und es sei ihnen bestimmt, für immer «Glück und Unglück zu teilen». Es kam dennoch zu einigen heftigen Szenen zwischen den Liebenden, und der arme Gentz, der ebenfalls den Sommer in Baden verbrachte und in den berühmten Thermen kurte, mußte sich darüber von beiden Seiten ausführliche Berichte anhören.3 Metternich fand trotz allem die Zeit, sich über das bedrohliche Problem Deutschland Gedanken zu machen. Aber da sich die Minister der vier Mächte schon einige Monate zuvor im wesentlichen über die territoriale Neuordnung geeinigt hatten, konnte er sich nicht zu grundsätzlich neuen Überlegungen vorwagen, selbst wenn er es gewollt hätte. Preußen würde den größten Teil Sachsens und weite Gebiete am Rhein bekommen. Österreich sollte Provinzen zurückerhalten, die es in den Kriegen von 1805 und 1809 an Bayern verloren hatte, darunter Tirol und das Salzburger Land entlang des Inn, sowie Passau – zwei strategisch wichtige Regionen, da sie den Brenner und die Donau umfaßten. Das britische Königshaus würde Hannover zurück-
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erhalten, das seinerseits zum Königreich erhoben werden sollte, während die anderen Staaten des Rheinbundes fortbestehen und dort, wo sie für notwendig erachtet würden, einigen kleineren Korrekturen unterzogen werden würden. Aber bevor all dies endgültig festgelegt werden konnte, waren zwei grundsätzliche Fragen zu klären: Wieviel polnisches Gebiet würde Alexander wieder weggeben? Nur so wüßte man, wieviel Territorium Preußen als Kompensation in Deutschland beanspruchen und welche Entschädigung Bayern für Mainz einfordern würde, bevor es Tirol und andere Gebiete aufgab, die wieder an Österreich fallen sollten. Die oberste Priorität hatte es, Alexander zu zwingen, seinen Plan eines Königreichs Polen aufzugeben und eine Teilung des Großherzogtums Warschau zu akzeptieren. Das würde vor allem die russische Bedrohung und die Befürchtungen über polnische Nationalbestrebungen in jener Region verringern. Zum anderen könnten Österreich und Preußen erst dann mit dem Aufteilen von Beute und Einflußzonen in Deutschland beginnen, wenn sie wüßten, wieviel von ihren alten polnischen Gebieten sie zurückerhalten würden. Bevor Preußen in Besitz nahm, was immer es in Polen, Sachsen und sonstwo in Deutschland erlangte, würde sich keine einzige Grenze in Deutschland endgültig festlegen lassen, ebensowenig wie die Süd- und Ostgrenzen Hollands. All dies bedrängte Metternich um so mehr, als er bei dem Versuch, sich Preußen gegenüber entgegenkommend zu zeigen, Hardenberg wiederholt zu verstehen gegeben hatte, er werde ganz Sachsen annektieren können, und damit hatte er zu viel versprochen. Seinem Herrn und Kaiser, der durch Heirat eine enge verwandtschaftliche Beziehung zu Friedrich August von Sachsen hatte, widerstrebte der Gedanke, einen rechtmäßigen Herrscher vom Thron zu stoßen. Entschieden dagegen wandte sich auch die öffentliche Meinung in Wien und fast überall in Deutschland – vor allem in den katholischen Gebieten Süddeutschlands, in denen Metternich den österreichischen Einfluß aufrechtzuerhalten hoffte. Der erste ausländische Bevollmächtigte, der ihm in diesem Sommer seine Aufwartung machte, war der Gesandte des sächsischen Königs, Graf Friedrich von der Schulenburg. Metternich sagte ihm, daß Österreich die Auflösung des Königreichs Sachsen als politisches Verbrechen ansehen werde, daß Kaiser Franz entschlossen sei, zumindest einen Teil
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Sachsens seinem legitimen König zu sichern, und daß er selber alles in seiner Macht Stehende tun werde, um Preußen davon zu überzeugen, seinen Anspruch aufzugeben. Aber Metternich würde Hardenberg nur dann dazu bringen können, von preußischen Forderungen auf Teile Sachsens abzulassen, wenn er Alexander bewegen könnte, Preußen große Teile seiner bisherigen polnischen Gebiete abzutreten.4 Bis man sich darüber, und schließlich auch über die bayerische Frage geeinigt hätte, würde alles in der Schwebe bleiben – nicht zuletzt, weil die meisten betroffenen Staaten weitaus mehr für sich beanspruchten, als sie benötigten, und beharrlich Provinzen forderten, die sie für vollkommen entbehrlich hielten, nur um über Verhandlungsmasse zu verfügen und sich Optionen freizuhalten. Mit am schlimmsten in dieser Hinsicht verhielt sich Preußen, dessen König und Minister stark verunsichert waren. Der Vertrag von Chaumont hatte es auf eine Stufe mit Großbritannien, Rußland und Österreich gestellt und damit zur Großmacht erhoben; aber das stand nur auf dem Papier. Solange es die ihm zugesprochenen Gewinne nicht tatsächlich in den Händen hielt, würde es befürchten müssen, diesen Status wieder zu verlieren. Aus diesem Grund bestand Hardenberg auch darauf, daß Preußen am Ende mindestens dreizehn Millionen Einwohner bzw. «Seelen» haben müsse, und nicht nur neun wie 1805; deshalb hatten preußische Truppen Mainz besetzt, und deshalb bestand Hardenberg vehement darauf, daß nur die vier Unterzeichner dieses Vertrags irgendein Mitspracherecht hatten. Da es noch unmöglich war, die territoriale Neuordnung Deutschlands letztgültig festzulegen, ermunterte Metternich Hardenberg, sich auf den Entwurf einer zukünftigen deutschen Verfassung zu konzentrieren. Sie hatten in London verabredet, ihre Pläne Mitte August zu koordinieren, um schon vor Eröffnung des Kongresses eine gemeinsame Vereinbarung parat zu haben.5 Gemäß des Pariser Vertrags sollten alle deutschen Staaten, einschließlich Preußens und Österreichs, in einer Föderation zusammengeschlossen werden, die stabil genug wäre, um fremde Einmischungen auszuschließen, und stark genug, um sich gegen äußeren Druck oder sogar militärische Aggression verteidigen zu können. Da ein Einheitsstaat nicht in Frage kam, bedurfte es eines Ersatzes für das Heilige Römische Reich, eines neuen Bundes.
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die bühne wird gerichtet
Der Rheinbund MECKLENBURG
PREUSSEN FRANKREICH
HANNOVER
Berlin
LIPPE WESTFALEN
ANHALT SACHSEN
BERG
Kassel
WALDECK
Dresden
THÜRINGISCHE STAATEN
Köln
REUSS
NASSAU
Frankfurt
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Sigmaringen BADEN
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KAISERTUM ÖSTERREICH
Basel LIECHTENSTEIN
SCHWEIZ
Der Zeitgeist und die Umstände verlangten nach einem freiwilligen Zusammenschluß aller Beteiligten. Auch wenn viele der kleineren Staaten und sonstigen politischen Gebilde lautstark eine Rückkehr zum alten Reich unter österreichischer Suzeränität verlangten, kam dies für die größeren Staaten wie Bayern oder Württemberg nicht in Frage. Auch aus österreichischer Sicht war das nicht erstrebenswert – was nicht bedeutete, daß Metternich keine führende Rolle in Deutschland spielen wollte. In Zusammenarbeit mit dem Herausgeber des Österreichischen Beobachters, Josef von Pilat, und unter Mithilfe von Adam
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Müller und Friedrich Schlegel entwarfen Metternich und Gentz eine Vision Österreichs als Spiritus Rector eines neuen Deutschlands, eine Vision, die sich vom romantischen Bild eines idealisierten katholischen Mittelalters nährte. In dieser Funktion könnte Österreich Einfluß ausüben, ohne Verantwortung übernehmen zu müssen oder in seinem politischen Handeln eingeschränkt zu sein. Der neue Bund sollte von einem Bundestag regiert werden. Aber daran, wie dieser Bundestag gewählt werden und welche Befugnisse er haben sollte, schieden sich die Geister radikal. Mit Sicherheit würden weder der Kaiser von Österreich noch der König von Preußen ihre Souveränität freiwillig an eine Bundesversammlung abtreten. Gleichwohl erwarteten beide von allen anderen Staaten des Bundes, daß sie es taten. Wer von Napoleon zum König erhoben worden war, würde sich wohl kaum fügen. Der grotesk fette König von Württemberg etwa war fest entschlossen, niemanden über sich zu dulden. Sein Charakter war im übrigen ebenso abstoßend wie sein Wanst. Er war ein solcher Despot, daß sein eigener Bruder den Freiherrn vom Stein anflehte, ihm irgendwo anders in Deutschland einen Landsitz zu verschaffen, damit er nicht unter dessen Herrschaft leben müsse.6 Und dennoch waren weder er noch die anderen regierenden Fürsten uneingeschränkt Herren im eigenen Haus. Als Napoleon das Heilige Römische Reich beseitigte und den Rheinbund gründete, hatte er Hunderten von kleineren Fürsten und Adligen ihre Souveränität insoweit gelassen, als er ihre frühere Bindung an den Kaiser durch eine an ihren neuen König ersetzt, ihnen aber zugleich das Recht eingeräumt hatte, bei ihm, Napoleon, Einspruch gegen Entscheidungen ihres Königs einzulegen. Auf diese Weise behielt er gegenüber den Fürsten, deren Rang er angehoben hatte, die Oberhand: im Machtbereich des Königs von Württemberg gab es neunzehn Fürsten, zwölf Grafen und etwa 120 Ritter, deren Person, Grundbesitz und Untertanen seiner Kontrolle weitgehend entzogen waren. Diese «mediatisierten» Standesherren lagen naturgemäß mit ihren übergeordneten Herren überkreuz, da ihre Interessen einander diametral widersprachen. Sie hatten sich zu verschiedenen Gruppen zusammengeschlossen, deren Vertreter die Minister und Monarchen der Großmächte um Unterstützung angingen.7 Unruhe in die Auseinandersetzungen brachten auch jene souveränen
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Fürsten, Grafen und Ritter des Heiligen Römischen Reiches, die durch Napoleons Restrukturierungen ihrer Privilegien, mitunter auch ihres Besitzes, beraubt worden waren. Zu ihnen zählten einige einflußreiche Persönlichkeiten, die starke, nicht von der Hand zu weisende Argumente hatten. Ihre Interessen waren zwar andere als die ihrer mediatisierten Vettern, sie entsprachen aber auch nicht denen der Herrscher. Schließlich gab es jene, die nicht ganz so mächtig, dafür aber zahlreich und redegewandt waren und all diese kleinen Despoten bezichtigten, einem vereinten Deutschland im Wege zu stehen. Ein solches wollten sie indirekt durch die Schaffung eines liberalen, in allen deutschen Ländern gültigen Rechtssystems erreichen. Könnte man eine im gesamten Bund gültige Rechtsordnung einführen, hätte man die regionalen Herrscher faktisch neutralisiert und jeden Einwohner Deutschlands in seinen Rechten gestärkt. Humboldt setzte sich außerdem für die Einführung von Bürgerrechten ein, die jedem Deutschen Niederlassungsfreiheit, Meinungsfreiheit und dergleichen gewähren würden. Stein, Humboldt und andere hatten in den abgelaufenen zwölf Monaten Neuordnungspläne ausgearbeitet, und nun, im Sommer 1814, entwarfen sie neue – Hardenberg in Berlin, Humboldt in Wien, wo er als Botschafter akkreditiert war. Unter idealen Bedingungen hätte sich Humboldt, ähnlich wie Stein, ein vereintes, von allen kleinen Landesfürsten befreites Deutschland gewünscht. Aber er war Realist. Überdies hatte er eine ganz eigene Vorstellung davon, was Deutschland ausmachte. «Es gibt vielleicht kein Land, das so selbständig und frei zu sein verdient als Deutschland, weil keins seine Freiheit so rein und einzig zu innerer, jedem wohltätiger Anstrengung zu benutzen geneigt ist», hatte er seiner Frau einige Monate zuvor geschrieben. «Der Deutsche hat unter allen Nationen am wenigsten eine zerstörende und am meisten eine immer in sich zurückwirkende Kraft.»8 Er glaubte, daß Deutschlands kulturelle Überlegenheit gerade in seiner Verschiedenartigkeit lag, in der kulturellen regionalen Vielfalt seiner Bestandteile, die sich organisch in je eigene Richtungen entwickelten. Er betrachtete die Bewahrung dieses Erbes gegen Einflüsse oder Übergriffe von außen als vordringlich, und daher sah er die Hauptaufgabe des Bundes in einer gemeinsamen Verteidigung. Deutschland mußte keine Großmacht sein. Solange es von den Übeln einer kulturel-
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len oder militärischen Überwältigung bewahrt werden könnte, würde es zu einer führenden Kultur erblühen.9 Humboldt war kein Freund von Metternich, und Österreich war in seinen Augen ein allzu heterogen zusammengesetztes Staatsgebilde, dessen Interessen in Italien und anderen nichtdeutschen Regionen es für eine Führungsrolle in Deutschland ungeeignet machten. Er hielt es mit den Standesherren und den entmachteten Fürsten, in denen er Verkörperungen der deutschen kulturellen Vielfalt sah. In ihnen sah er auch ein nützliches Gegengewicht zu den natürlichen Verbündeten Österreichs in Süddeutschland: Bayern, Württemberg und Baden. Zwar verbrachte er den Sommer in Wien, traf aber mit Metternich nicht zusammen, da er gesellschaftliche Anlässe mied und am Projekt für einen deutschen Bund arbeitete. Er wußte nicht, daß auch Hardenberg sich dieser Aufgabe gewidmet hatte und nun seinen eigenen Entwurf vorlegte, der einundvierzig Artikel enthielt. Mehr oder weniger faßten diese zusammen, worüber er in den Diskussionen des vergangenen Jahres mit Metternich Einigkeit erzielt hatte. Das Projekt sah einen «Rat der Kreisobersten» vor, in dem die «Direktoren» der neun «Kreise», in die das Gebiet des zu schaffenden Bundes eingeteilt werden sollte, vertreten waren; Preußen und Österreich hätten in diesem Rat allerdings jeweils drei Stimmen gehabt. Als legislatives Organ war daneben eine allgemeine «Bundesversammlung» vorgesehen, in der alle regierenden Fürsten und Vertreter der mediatisierten Standesherren einen Sitz haben sollten. Sie hätte auch als oberstes Bundesgericht fungiert; eine umfassende Koordination des Justizwesens war nicht vorgesehen. Alle Staaten innerhalb des Bundes sollten zu dessen Verteidigung beitragen und keiner sollte ohne die gemeinsame Zustimmung Krieg führen dürfen. Davon ausgenommen wären nur Österreich und Preußen, die selbständig Krieg führen dürften, jedoch keinen Anspruch auf die Unterstützung der anderen hätten, wenn dessen Ziel nicht die Verteidigung des Bundes war. Hardenbergs Entwurf entsprach weder Humboldts noch Steins Vorstellungen, die ihn für zu schwerfällig hielten und die engere föderale Bindungen bei einem geringeren Gewicht der Fürsten vorgezogen hätten. Ausgerechnet Stein, einer der ersten und hartnäckigsten Fürsprecher eines geeinten Deutschlands mit einer liberalen Verfassung, war
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nun ausgegrenzt und weitgehend machtlos. Als Repräsentant Alexanders konnte er nicht an einem Strang mit seinen deutschen Kollegen ziehen und war in dem, was er sagen durfte, stark eingeschränkt. Überdies wollte Alexander sich in deutschen Dingen nicht mehr von Stein leiten lassen, so daß er oft Initiativen vorantreiben mußte, denen er nicht zustimmte. Dennoch fuhr er fort, mit Hilfe von Joseph Görres, dem Herausgeber des liberalen, katholischen und national eingestellten Rheinischen Merkur, seine Vorstellungen zu verbreiten. Hardenbergs Projekt stieß auch bei anderen auf Widerstand. Anfang September erhielt Metternich Besuch des Geheimrats Franz von Gärtner, den seine Visitenkarte als «Bevollmächtigten von 42 Fürsten und Grafen» auswies, und der eine Wiederherstellung des Heiligen Römischen Reiches unter dem Hause Österreich verlangte, allerdings unter Berücksichtigung der Entwicklungen der letzten zwanzig Jahre. Am 16. September wurde Metternich von Ernst Graf zu Münster aufgesucht, der Hannover vertrat und ihm zu seiner großen Freude versicherte, er halte Hardenbergs Projekt, das man ihm gerade gezeigt hatte, für vollständig unannehmbar.10 Metternich war zu diesem Zeitpunkt nicht bereit, sich auf irgendein Projekt festzulegen. Er wollte vor allem eine territoriale Lösung erreichen, die preußischen Einfluß von Süddeutschland fernhielt, und da dies nicht sofort zu bewerkstelligen war, setzte er auf Zeit. Er umgarnte sowohl die regierenden Monarchen als auch die Standesherren, um seinen Einfluß im entscheidenden Moment geltend zu machen. Vor allem wollte er es sich nicht mit Hardenberg verderben, den er als Verbündeten benötigte. Die Zusammenarbeit mit ihm über die künftige deutsche Verfassung war in erster Linie ein Mittel, sich ihm anzunähern. In London hatte Metternich sein Bündnis mit Castlereagh besiegelt. Er hatte auf seiner Heimreise einen Zwischenhalt in Paris eingelegt und mit Ludwig XVIII. eine zufriedenstellende Unterredung geführt, der ihm zu verstehen gab, daß Frankreich Österreich gegen Rußland unterstützen werde. Jetzt mußte er nur noch Hardenberg für die vereinte Front gewinnen, und dieser würde Alexander nicht gewachsen sein.11 Unterdessen jedoch vertraten die verschiedenen Interessengruppen ihre Ansprüche täglich heftiger und lautstärker. Besonders schlimm waren die despotischen Herrscher, wie der König von Württemberg, die sich – folgt man dem Freiherrn vom Stein – den «Hof von Delhi» der
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indischen Großmoguln zum Vorbild ihrer intriganten und skrupellosen Strategien nahmen und sich gegen jeden denkbaren Versuch wappneten, ihre Macht auf dem Kongreß zu beschneiden. Der nach Stein von einer Art enthemmendem «Sultansfieber» befallene König hob bestehende Rechte auf und griff hart durch, wo immer er konnte, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Er hatte Alexander auf dessen Rückreise von London abgefangen und ihm gegenseitige Hilfe vorgeschlagen, wobei er andeutete, daß er, falls Alexander ihn schütze, Rußland in buchstäblich allem unterstützen werde.12 Diesem Despoten taten es die kleineren Potentaten nach, die, in den Worten des holländischen Bevollmächtigten Freiherr von Gagern, unter einer «Souverainitäts-Sucht» litten. Obgleich sie selbst über wenig Macht und Prestige verfügten, übten sie in Deutschland eine starke Anziehungskraft auf die große Masse der Unzufriedenen aus, ganz gleich, ob es sich bei ihnen um Nationalisten, Demokraten oder enteignete Adlige handelte. «Die Stimmung in Deutschland ist schon bedenklich», warnte der preußische Polizeipräsident Fürst Wilhelm Ludwig von Sayn-Wittgenstein Hardenberg. «Sie wird es noch mehr werden, wenn sich deutsche Fürsten, nicht mächtig an Kraft, den Deutschen aber durch ihre alten Nahmen ehrwürdig und Vertrauen einflößend, aus Mismuth über ihre Unterdrükkung an die Spitze der Unruhigen und Unzufriedenen stellen.»13 Der Kongreß rückte näher, und Wien füllte sich nach und nach mit immer mehr Neuankömmlingen. Folglich ging es jetzt auch in Baden äußerst lebhaft zu. Zu den Hauptvergnügungen zählte in allen Gesellschaften seit jeher der Klatsch, und die neuen Entwicklungen seit über einem Jahr hatten ihn erheblich vermehrt, denn man reiste überall in Europa umher, wobei manche neue Liebschaften eingingen und andere Neuigkeiten in Umlauf brachten. Faszinierend waren stets die Eskapaden der Großfürstin Katharina, der es offenbar nicht genügt hatte, die Briten vor den Kopf zu stoßen und die Verlobung von Prinzessin Charlotte mit dem Erbprinzen von Oranien lösen zu helfen; sie war jetzt auch noch in eine Dreiecksgeschichte paneuropäischen Ausmaßes verwickelt. Ursprünglich hatte sie ein Auge auf Erzherzog Karl geworfen, einen Bruder des österreichischen Kaisers, aber ihre Mutter hatte ein Machtwort gesprochen und
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ihr erklärt, daß eine Verbindung mit ihm ausgeschlossen sei, weil ihre Schwester bereits mit Karls Bruder Joseph vermählt war. Katharina hatte daraufhin ihre Gunst erst dem Erbprinzen von Oranien, dann dem Kronprinzen von Württemberg zugewandt, der sehr von ihr eingenommen war – und zwar so sehr, daß er seine Ehefrau Charlotte zu ihren Eltern nach Bayern zurückgeschickt hatte. In Unkenntnis der Tatsache, daß die Zarinwitwe seiner Vermählung mit Katharina einen Riegel vorgeschoben hatte, stellte Erzherzog Karl ihr eifrig weiter nach, während sie ganz Europa mit ihrer schamlos unverhüllten Liebesbeziehung zu dem immer noch verheirateten Kronprinzen von Württemberg zugleich aufregte und wohlig erschauern ließ. Der württembergische Kronprinz seinerseits nutzte sein Alleinsein, um noch weitere Affären zu haben. All das war dem russischen Plan nicht eben förderlich, Katharinas jüngere Schwester, die Großfürstin Anna, mit dem Herzog von Berry zu verheiraten, dem französischen Thronfolger und Neffen Ludwigs XVIII. Dieses Vorhaben aber wurde von Pozzo di Borgo vehement vorangetrieben, der jetzt russischer Botschafter in Paris war, ebenso von Nesselrode, der in einer solchen Verbindung eine Möglichkeit sah, Rußland und Frankreich als künftiges Gegengewicht zu Österreich und Preußen zu verklammern.14 Eine Hauptschwierigkeit für diese Verbindung war das Beharren der Zarenwitwe, daß ihre Tochter in der Orthodoxen Kirche verbleiben solle. Ludwig XVIII., der nicht geneigt war, seinen Neffen und Erben mit der Großfürstin zu vermählen, machte aus dieser Schwierigkeit ein absolutes Hindernis. Etwas konzilianter als Ihre Allerchristlichste Majestät Ludwig XVIII. zeigte sich in dieser Angelegenheit Ihre Katholische Majestät, König Ferdinand VII. von Spanien, der hoffte, die Großfürstin selber zum Traualtar führen zu können. Aufsässige Prinzessinnen und Ehekrisen waren durchaus an der Tagesordnung. So hatte sich die Prinzessin von Wales gerade auf eine von Skandalen gespickte Grand Tour begeben, die sie bis nach Neapel führen sollte. Talleyrand, dessen Weg nach Wien sich in Straßburg mit dem ihrem kreuzte, war von ihrem Benehmen entsetzt. «Ihr Betragen in Straßburg erklärt vollkommen», berichtete er Ludwig XVIII., «weshalb der Prinz-Regent es lieber sieht, wenn sie sich in Italien, als wenn sie sich in England aufhält.»15
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Eine weitere Quelle von Faszination und Klatsch war das Schicksal der verschiedenen Mitglieder der Familie Bonaparte. Ihr Stern war so rasch gesunken, wie er einst kometenhaft aufgestiegen war, und das weckte beim Publikum eine vielfältige Mischung von Mitleid und Schadenfreude. Dem Stiefsohn Napoleons, Fürst Eugène de Beauharnais, der bis vor kurzem Vizekönig von Italien gewesen war, schlug fast von allen Seiten Mitgefühl entgegen. Er hatte einen beneidenswerten Ruf als ritterlicher und fähiger Soldat, und seine Loyalität zu Napoleon und die Weigerung, im kritischen Moment seine Schäfchen ins trockene zu bringen, stießen überall auf Bewunderung, ebenso wie die Haltung seiner Frau Augusta, einer Tochter des bayerischen Königs. «Was mich betrifft, bin ich die Treppe von so weit unten hinaufgeklettert, daß es mir nichts ausmacht, sie wieder hinabzusteigen», sagte er zu General Wilson, der ihn ob seiner Schicksalswende bedauerte. «Was aber meine Frau betrifft, die als Prinzessin geboren und erzogen wurde, so empfinde ich nur Kummer.» Der kurz zurückliegende Tod seiner Mutter, der ehemaligen Kaiserin Josephine, steigerte noch die allgemeine Sympathie für ihn.16 Auch Eugènes Adoptivschwester Stéphanie de Beauharnais weckte Sympathien. Man hatte sie einst zur Zementierung der napoleonischen Hegemonie in Deutschland an den Großherzog Karl von Baden verheiratet. Kaum begann Napoleons Macht zu bröckeln, hatte Karl sie verstoßen, und der Trost ihres jetzigen abgeschiedenen Daseins war die Hoffnung, daß Eugène wieder in die Lage käme, ihr zu helfen. Weit weniger beliebt war Napoleons Bruder Jérôme, der ehemalige König von Westfalen. Aber auch er, und besonders seine Frau Katharina, trafen auf Mitleid. Sie war die Tochter des Königs von Württemberg, aber als sie nach dem Sturz Napoleons ihren Bruder, den Kronprinzen, in Paris aufsuchen wollte, teilte man ihr mit, daß weder er noch sein Vater sie zu sehen wünschte, bevor sie sich nicht von ihrem Mann habe scheiden lassen. Aber dies zu tun, weigerte sie sich. Alexander hatte daraufhin ihr und Jérôme ein Refugium in Rußland angeboten; sie beschlossen jedoch, sich als Privatleute in der Schweiz niederzulassen. Katharina war, als sie Paris verließ, von einem royalistischen Glücksritter überfallen und all ihrer Juwelen beraubt worden, auf denen sie ihre Zukunftshoffnungen aufgebaut hatte. Der Schmuck war über Umwege in den Besitz des Grafen von Artois gelangt, eines Bruders
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Ludwigs XVIII. und deshalb inzwischen Monsieur genannt, der aber keine Anstalten machte, sie zurückzugeben. Nach einem längeren Aufenthalt in Bern, wo man ihnen das Leben schwermachte, ließ sich das Paar im österreichischen Triest nieder, wo es praktisch unter Hausarrest lebte. Napoleons Gattin, Kaiserin Marie-Louise, war ein weiterer Gegenstand allgemeinen Interesses. Sie stand unter der Obhut des Grafen Neipperg, den man zu ihrem Kammerherrn ernannt und der sie zur Kur nach Aix-les-Bains und dann nach Wien begleitet hatte. Es war ihr verboten, an Napoleon zu schreiben oder Briefe von ihm zu empfangen. Mit ihrem kleinen Sohn, dem König von Rom, wohnte sie im kaiserlichen Sommerpalast Schönbrunn vor den Toren der Stadt. Zu ihrem Haushalt gehörten Napoleons treuer alter Sekretär, Baron von Méneval, der ehemalige Palastpräfekt Louis François Joseph Baron de Bausset, ihre Hofdame, Anna Pieri de Brignole Sale, und die Gouvernante des Königs von Rom, Madame de Montesquiou. Sie lebten zurückgezogen und fuhren auch nicht nach Wien zu den Empfängen und Festlichkeiten während des Kongresses. Aber sie erregten viel Neugier und Mitgefühl, und jeder, angefangen vom Zaren Alexander bis hin zu den geringsten Abgesandten und Besuchern der Stadt, fuhr hinaus, um die gestürzte Kaiserin und den kleinen Sohn des Scheusals anzuschauen. Die Verhandlungen, die die Koalition im Biwak oder auf dem Schlachtfeld vom März 1813 bis zur Unterzeichnung des Pariser Vertrags am 30. Mai 1814 führte, waren die ersten, in denen Monarchen und ihre Minister direkt miteinander sprachen – bislang wurden solche Verhandlungen üblicherweise brieflich oder durch Dritte an einem neutralen Ort geführt. Metternich war von den Vorteilen eines solchen persönlichen Austauschs überzeugt, den er mit Aussprachen unter Eheleuten verglich. «Die Zunge löst sich, das Herz öffnet sich und der Wunsch, sich verständlich zu machen, läßt die Regeln kalter und nüchterner Berechnung häufig hinter sich», sagte er einmal zu einem Botschafter. Aber derartige Verhandlungen bargen auch Nachteile und Gefahren. Wie leicht konnte so den Gesprächspartnern eine Bemerkung entschlüpfen, die sie später bereuten, oder es gar passieren, daß sie die Beherrschung verloren.17
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Bisher waren gelegentliche Meinungsverschiedenheiten zwischen den Alliierten vom Kanonendonner übertönt und ihre Streitigkeiten unterbrochen worden, wenn sie den Franzosen nachsetzen und weiterziehen mußten; angesichts ihrer gemeinsamen Furcht vor Napoleon waren ihre Reibereien verblaßt. Jetzt würden sie ihre Verhandlungen wieder aufnehmen, und das nicht nur direkt und persönlich, sondern zugleich in einer kleinen, fast provinziellen Stadt, einem Treibhaus der Gerüchte, unter den gespannten Blicken tausender Neugieriger und in der aufreizenden Gegenwart der fähigsten Intrigantinnen, die das weibliche Geschlecht je hervorgebracht hatte. Metternich hatte Wien als Austragungsort des Kongresses vor allem deshalb gewählt, weil er hier das Geschehen kontrollieren konnte, aber dieser Vorteil hing ganz und gar davon ab, wie genau er über die Pläne und Aktivitäten seiner Gäste informiert war. Lange vor seiner Rückkehr nach Wien hatte er erkannt, daß er die Staatskanzlei auf die nun anfallende erhebliche Mehrarbeit vorbereiten mußte. Zudem würde er sein ohnehin beträchtliches Spionagenetzwerk erweitern müssen, um die Zehntausende von erwarteten Neuankömmlingen zu belauschen. Die Verantwortung dafür oblag Franz Hager Freiherr von Allentsteig von der «Obersten Polizei- und Zensurhofstelle». Der vierundfünfzigjährige Sohn eines Feldmarschalls hatte nach einem bösen Sturz vom Pferd seine vielversprechende Karriere beim Militär beenden und in die Zivilverwaltung wechseln müssen, wo er rasch aufgestiegen war. Er war ein angenehmer, höflicher und taktvoller Mensch und wurde allseits gemocht und respektiert; er war also keineswegs die bösartige, verachtete aber gefürchtete Teufelskreatur, die man erwarten könnte. In der Ausübung seiner Pflicht aber war er unnachgiebig. Am 1. Juli 1814 informierte er den Oberpolizeidirektor Siber brieflich von der bevorstehenden Ankunft gekrönter Häupter und anderer Persönlichkeiten, und der Notwendigkeit, «besondere Vorkehrungen zu einer verstärkten Überwachung zu treffen», damit man «täglich und detailliert über alles Bescheid wisse, was jeweils mit ihrer erlauchten Person zu tun hat, mit ihrer unmittelbaren Entourage, mit allen, die etwa versuchen, mit ihr in Kontakt zu treten, aber auch über alle Pläne, Projekte, Unternehmungen, die mit der Gegenwart dieser illustren Gäste in einem Zusammenhang stehen». Am selben Tag wies er den Chef der für die Überwachung von Juden zuständigen Dienststelle an,
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ihm eine Liste solcher Juden zu übergeben, die sich als Informanten verwenden ließen. Auch die Geldbeträge, die durch die Hand der jüdischen Wiener Bankiers gingen, sollten sorgfältig beobachtet werden.18 Der Obersthofmeister des Kaisers, Graf Ferdinand von und zu Trauttmansdorff-Weinsberg, wurde aufgefordert, alle Bediensteten der Hofburg anzuweisen, die königlichen Gäste, die dort wohnen würden, auszuspähen und über ihr Kommen und Gehen regelmäßig Bericht zu erstatten. Die Diener wehrten sich zunächst gegen diese Zumutung, sie wurden aber rasch zur Ordnung gerufen und mit der Zeit wuchs ihre Abneigung gegen ihre Gäste so sehr, daß sie ihrer neuen Pflicht bereitwillig nachkamen.19 Während der nächsten zwei Monate wurden in der ganzen Stadt Hunderte von Agenten rekrutiert, hauptsächlich unter dem Dienstpersonal, den Kaufleuten, den Kutschern und den Vermietern. Sie sollten Augen und Ohren aufsperren und alles berichten, was sie über die Neuankömmlinge und jene, mit denen sie Umgang hatten, sahen oder hörten. Diener wurden aufgefordert, sich in den Gesandtschaften und Unterkünften ausländischer Delegationen um eine Stellung zu bemühen. Sie sollten Gespräche belauschen und hinter geschlossenen Türen horchen, Briefe und Dokumente «ausleihen», damit sie in den Büros der «Manipulation« kopiert, übersetzt oder dechiffriert werden konnten, sie sollten Schlüssel für Schreibtischfächer und Kassetten zur Polizei bringen, oder von ihnen vor Ort Wachsabdrücke nehmen, damit Kopien angefertigt werden konnten; und sie sollten Kleider- und Hosentaschen, Papierkörbe, ja sogar Kaminasche durchwühlen, sie sollten das Kommen und Gehen all jener registrieren, die von Interesse sein könnten, und sie sollten regelmäßig Berichte einsenden. Hager mangelte es nicht an Freiwilligen, die sich erboten, ihn mit Informationen zu versorgen, einige von ihnen aus den höchsten Kreisen der Wiener Gesellschaft. Diese waren ihm aufgrund ihrer Intelligenz, ihrer Sprachkenntnisse und ihrer Vertrautheit mit den politischen Tagesthemen besonders nützlich, während ihre privilegierte Stellung es ihnen zugleich ermöglichte, mit den angereisten Souveränen und Würdenträgern vertrauten Umgang zu pflegen. Und schließlich war da noch der Postdienst, der nicht nur Briefe abfing, sondern auch die Poststationen betrieb, in denen alle Kuriere, selbst die Seiner Britischen Majestät, die Pferde wechseln mußten, und
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Da man alles goldene und silberne Tafelgeschirr des österreichischen Kaiserhauses eingeschmolzen hatte, um den Krieg von 1809 zu fi nanzieren, wurde für den Kongreß ein pompöses Porzellanservice angefertigt, das den Anschein erweckte, aus Gold zu sein.
sich so die Gelegenheit bot, Briefe und Depeschen auf ihrem Weg zu inspizieren. Insgesamt wurde der Postdienst ausgeweitet, um die bevorstehende Flut zu bewältigen. Und die Dechiffrierbüros in Wien und verschiedenen Städten entlang der Postwege stellten zusätzliches Personal ein, das eilig in den Feinheiten der Entschlüsselung geschult wurde. Von der großen Masse überwiegend trivialen Materials, die hierbei anfiel, stellte Hager einen täglichen Bericht zusammen, der auf wichtige Punkte hinwies, und dem die brisanteren der beschlagnahmten oder kopierten Dokumente beigefügt waren. Dieser Bericht war Metternich und Kaiser Franz persönlich vorzulegen, der dann seine eigenen Beobachtungen und Bemerkungen an den Rand kritzelte.
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Das war nur ein Teil der vielen Vorkehrungen für den Kongreß. Genauso wichtig war die Gestaltung der Zeremonien und Belustigungen, die Graf Trauttmansdorff oblag und eine sorgfältige Planung erforderte. Zum Beispiel hatte man ja alles silberne und goldene Tafelgeschirr des Kaiserlichen Haushalts eingeschmolzen, um den Krieg von 1809 zu finanzieren, und da der kaiserliche Haushalt nicht mehr über hinreichend Geld verfügte, um es zu ersetzen, wurde nun ein sehr großes Porzellanservice, das wie Gold aussah, in Auftrag gegeben.20 Ferner galt es, die hohen Gäste unterzubringen und zu speisen. Die gekrönten Häupter mit ihrem Hofstaat, zu dem Dutzende Höflinge und Adjutanten gehören konnten, waren in der Hofburg unterzubringen, was bedeutete, daß etliche Mitglieder der kaiserlichen Familie aus ihren Gemächern ausziehen mußten, um Platz zu schaffen. Jedem Gast wurden zusätzliche Bedienstete sowie Kerzen, Feuerholz und andere notwendige Dinge zur Verfügung gestellt. Allen würde um zwei Uhr nachmittags ein Diner und um zehn Uhr abends ein Souper in ihren Räumen serviert werden, wenn sie zu Hause waren. Die tägliche Versorgung mit Waschwasser, das Leeren der Nachttöpfe, der Wäschedienst und andere häusliche Routinearbeiten waren ein logistischer Alptraum. Allein die Aufgabe, die 1500 zusätzlich für den Zweck eingestellten Dienstboten zu koordinieren, wäre kompliziert genug gewesen. Vor den Unterkünften jedes Souveräns und jedes Bevollmächtigten einer größeren Macht mußten, ob in der Hofburg oder anderswo in der Stadt, Wachen postiert werden. Die Wachen würden jedesmal, wenn ein Uniformträger vorbeiging oder -ritt, das Gewehr präsentieren, so daß die an der Hofburg dies an einem einzigen Vormittag nicht weniger als dreiundfünfzigmal taten, während jeder, der sich in der Uniform eines hohen Offi ziers oder Diplomaten durch die Stadt bewegte, auf Schritt und Tritt zeremoniell gegrüßt wurde. Jedem Souverän und seinem Gefolge mußte außerdem eine ausreichende Anzahl von Kutschen zur Verfügung stehen, was den Bau von über einhundert neuen dunkelgrünen Fahrzeugen mit dem Habsburger Wappen auf den Türen erforderlich machte, außerdem die Bereitstellung Hunderter Kutscher und Stallknechte in kaisergelber Livree sowie 1200 weißer Pferde, die alle gestriegelt, gefüttert, getränkt und so eingeteilt werden mußten, daß sie jedem Monarchen oder Begleiter zu jeder Tages- und Nachtzeit bereitstanden.21
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Weniger wichtige Fürsten und die Minister der Großmächte, von gewöhnlichen Sterblichen ganz zu schweigen, waren auf sich selbst gestellt, und die Wiener schickten sich an, möglichst viel aus ihnen herauszuholen. Gästezimmer, Dachböden und selbst Abstellkammern wurden ausgeräumt und hergerichtet, denn Unterkünfte würden knapp sein, und selbst für den kleinsten Raum ließen sich hohe Mieten herausschlagen. Die Preise stiegen dramatisch. Lamb, der sich auf Quartiersuche für Castlereagh begeben hatte, beklagte sich in einem Brief, «daß hier in der ganzen Stadt kein Tropfen guter Wein zu haben ist». Metternich aber war ihm zuvorgekommen; er hatte wie stets an jedes Detail gedacht und in weiser Voraussicht ein riesiges Weinlager eingerichtet und große Lieferungen geordert, die vor Beginn des Kongresses eintreffen sollten. Alexander allerdings ließ seinen eigenen Burgunder den weiten Weg von Sankt Petersburg heranschaffen.22 Eifrig bereiteten sich die Wiener auf den Kongreß vor. Schenkt man dem ortsansässigen Freiherrn Friedrich Anton von Schönholz Glauben, dann drängten sich «die ersten Familien um Hofdamen-, Kammerherrn- und Pagenstellungen; was reiten konnte, bewarb sich um Stallmeister-Posten; wohlhabende Leute boten sich für Livree an, um nur den Wunderdingen, die da kommen sollten, möglichst nahe zu sein; oder sie hatten die goldenen Dosen und monströsen Trinkgelder im Auge.» Familien rückten zusammen, um einen bedeutenden Untermieter aufnehmen zu können, im Glauben, über ihn ein wenig Teil des Geschehens zu werden. Die österreichische Monarchie ließ die Armen traditionell an solchen Ereignissen teilhaben und erlaubte ihnen, hinterher zuzugreifen: Sie durften den Zierrat, die Drapierungen und andere Überbleibsel der Festlichkeiten einsammeln. Nach Hofbällen stellten die Küchen große Schüsseln mit übriggebliebenen Speisen, Orangen, Ananas, Mandeln und anderen Delikatessen heraus, an denen sich alle bedienen durften. «Der Wiener Plebs ist eine gute Art Pöbel», beteuerte Schönholz. Das einfache Volk war nicht aufdringlich, es fand aber, daß ihm das Recht zustehe, dem Treiben zuzuschauen und sich einbezogen zu fühlen, weshalb es bei jeder Gelegenheit auftauchte und seine Kommentare abgab. Als der Beginn des Kongresses näher rückte, versammelten sich die Menschen beim Eingang der Hofburg. «Dort trug man eine neue Schabracke: Hunderte erbaten sich die Ansicht nur eines ihrer Zipfel»,
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schrieb Schönholz. «In den Marstallhöfen, im Prater, vor dem Palais der Prinzen, Gesandten, Magnaten; vor Staatsgebäuden und in der Burg – allenthalben, wo ein Gerüst gezimmert, Geräte aus- und eingeschafft, ein Glaswagen gewaschen, ein Teppich ausgeklopft wurde, drängten und strömten Haufen zu – jeder Schneider oder Tapezierer mit einem grün eingewickelten Pack unter dem Arm rollte, wie ein kollernder Tannenapfel die Lawine, einen Menschenknäuel um sich auf.»23 Talleyrand würde später darauf hinweisen, daß eine große Hauptstadt kein guter Ort für einen Kongreß sei. Und Wien wuchs von Minute zu Minute. Bei normalerweise etwa 250 000 Einwohnern nahm es allein im Verlauf des Septembers 16 000 Neuankömmlinge auf. Manche Schätzungen sprechen sogar von 100 000 Besuchern während des Kongresses. Diese Zahl ist wahrscheinlich ein wenig hochgegriffen, aber rechnet man nicht nur die Kongreßteilnehmer, sondern auch deren Dienerschaft, Gefolge und Leibwachen und die Tausende im Umland rekrutierten zusätzlichen Dienstboten ein, dann ist sie vielleicht nicht allzu übertrieben.24 Alexander und Friedrich Wilhelm waren nicht die einzigen gekrönten Häupter, die teilnehmen würden. Da war auch der König Friedrisch VI. von Dänemark, ein ungelenker Albino, der, wie ihn jemand schilderte, mit seinem ausladenden Gebiß und sich ständig bewegenden Lippen einem wiederkäuenden Ziegenbock ähnelte. Da war der König von Württemberg, der ein Meter fünfzig hoch und ein Meter dreißig breit war und dessen Bauch sich bis zu den Knien hinunterfaltete. Den König Maximilian von Bayern beschrieb Jackson als «braven, fröhlichen Burschen, der das Aussehen eines Bauern mit der Leibesfülle eines deutschen Fürsten verband»; auf einen anderen Zeitgenossen wirkte er wie ein bayerischer Bierbrauer. Zusammen mit den Ehefrauen, Söhnen und Töchtern, die einige von ihnen mitbrachten, und den Großherzögen, Herzögen und Fürsten in sämtlichen Formen und Formaten bildeten sie die größte königliche Zusammenrottung, die Europa je gesehen hatte. Ihre Gefolge aus Ministern, Botschaftern, Stallmeistern, Adjutanten und Zofen stellten, gemeinsam mit dem österreichischen Hof und der Wiener Gesellschaft, die größte je dagewesene Zusammenkunft von Adligen dar. Und die schiere Zahl derjenigen, die in die Stadt strömten, um ihre Interessen zu vertreten, sollte den Kongreß zur größten diplomatischen Arena machen, die es je gegeben hatte.25
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Es kamen Delegationen aus jedem Staat Europas, auch aus jenen, die im letzten Vierteljahrhundert ausgelöscht worden waren. Es kamen Vertreter von Städten, Republiken, Ständeversammlungen und sogar Abteien. Es kamen Abordnungen von Familien, die eine Rückerstattung von Land und Funktion erwirken wollten, unter ihnen auch Opportunisten wie die angemaßten Abkömmlinge derer zu La Tour d’Auvergne, die das alte Herzogtum Bouillon an sich raffen wollten. Es kam ein Repräsentant der Marschälle Napoleons, die hofften, ihre Apanagen behalten zu können, mit denen ihr Kaiser sie in ganz Europa versorgt hatte. Marschall Berthier wollte das Fürstentum Neuenburg (Neuchâtel) behalten, das die Hohenzollern 1806 an Napoleon abgetreten hatten und das von diesem Berthier vertraglich überlassen worden war. Es kamen Einzelpersonen wie Luigi Boncompagni Ludovisi, Fürst von Piombino, der Auskunft darüber verlangte, warum man ihm seine Insel Elba weggenommen hatte, um dort einen Mann zu beherbergen, der ihn seines gesamten Besitzes beraubt hatte. Es kamen auch andere, zum Beispiel jener Besessene, über den eine Wiener Dame schrieb: «Ich weiß nicht, was er verlangt, aber seine Forderungen rühren tatsächlich aus dem Siebenjährigen Kriege her.» Mit jeder Delegation und jedem Gesandten, die in der Stadt eintrafen, wurde deutlicher, wie komplex die Probleme demnächst sein würden.26 Der König von Sardinien schickte den Marchese di San Marzano und den Grafen Rossi. Sie konnten auf Österreichs Unterstützung bauen, und auch auf die Rußlands, wo der sardische Botschafter, der berühmte Schriftsteller Joseph de Maistre, in der russischen Gesellschaft überzeugend für ein vergrößertes Sardinien geworben hatte. Ihnen würde es nicht schwerfallen, den Abgesandten der jetzt schon dem Untergang geweihten Republik Genua kaltzustellen, den Marchese Antonio Brignole-Sale. Der wiederum konnte sich auf die Unterstützung Spaniens verlassen, das gegen die österreichischen Interessen in Italien war und eine Rückkehr zur territorialen Lage von 1789 anstrebte. Spanien und Frankreich wollten verhindern, daß die ehemalige französische Kaiserin Marie-Louise, wie im Vertrag von Fontainebleau vorgesehen, in Parma regierte. Nach ihren Vorstellungen sollte das Herzogtum an die ehemalige Königin von Etrurien fallen, eine Tochter des früheren Königs von Spanien, Karls IV., und Witwe des Herzogs von Parma. Weil ihre Mutter wünschte, daß sie Königin wurde wie ihre
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Schwestern (die mit den Königen von Portugal und Neapel verheiratet waren), hatte Spanien 1802 eine komplizierte Abmachung mit Napoleon getroffen: Spanien trat Parma, Piacenza und Guastalla sowie das amerikanische Louisiana an Frankreich ab und erhielt dafür die Toskana, die Frankreich von Österreich erobert und in Königreich Etrurien umbenannt hatte. Als Napoleon 1807 in Spanien einmarschiert war, nahm er sich Etrurien zurück und machte es zu einem Teil des Königreichs Italien. Nun, nach dem Sturz Napoleons, war Spanien gewillt, seine verlorenen Gebiete zurückzugewinnen und der Einverleibung Genuas durch das Königreich Sardinien zu widersprechen. Österreich jedoch wollte die Rückkehr der Königin von Etrurien nach Italien verhindern, das es als seine eigene Einflußsphäre betrachtete, und deshalb war es bereit, Marie-Louises Anspruch zu unterstützen; schließlich war sie die Tochter des Kaisers. Aber Österreich konnte zugleich noch einige Pfänder brauchen, um sie später gegen anderes eintauschen zu können, und deshalb hielt es an den «Legationen» genannten päpstlichen Provinzen fest. Kardinal Consalvi, der Gesandte des Papstes in Wien, konnte es sich nicht leisten, die Österreicher allzusehr zu verärgern, denn er war auf ihre Hilfe angewiesen, um Murat aus den Marken, der anderen päpstlichen Provinz, hinauszudrängen, und um sich den österreichischen Beistand für kirchliche Angelegenheiten in Deutschland zu sichern. Murat sandte zwei Bevollmächtigte nach Wien, den Herzog von Campo-Chiaro und den Fürsten Cariati, daneben einige andere, die er für fähig hielt, sich erfolgreich für ihn einzusetzen, allen voran Fürst Lucio Caracciolo, Duca di Roccaromana, ein Mann von auffälliger Schönheit, der die Damen faszinierte, wenn er ihnen seine linke Hand zeigte, deren Finger abgefroren waren, als er Napoleon in der ersten Nacht seiner Flucht aus Rußland eskortierte. Aber nicht jeder in Wien sprach mit dieser Delegation, da die meisten europäischen Höfe sich entschieden weigerten, Murat anzuerkennen, und den Anspruch des ehemaligen Königs von Neapel, Ferdinand IV., unterstützten, der seine Vertreter geschickt hatte. Es zeichnete sich bereits ab, daß in Italien eine gütliche Lösung schwer zu erreichen sein werde, erst recht aber bot Deutschland ein merkwürdiges Bild von Rivalität und Zwietracht. Abgesehen von den Ansprüchen und Rückgabeforderungen regierender Herrscher, die für
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sich schon einander widersprachen, würde der Kongreß Restitutionsforderungen Hunderter enteigneter Adliger und mediatisierter Herrscher zu gewärtigen haben. Manche Standesherren einer Region hatten sich zusammengeschlossen und einen aus ihren Reihen gewählt, andere zogen es vor, selbst zu kommen. Auch gab es Abgesandte der vier freien Städte Hamburg, Lübeck, Bremen und Frankfurt; der Stadt Mainz; der Handelskammer der Stadt Mainz; des Deutschen Ordens; der Firmen Bonte & Co., Kayser & Co. und Wittersheim & Bock, Gläubiger der Regierung des aufgelösten Königreichs Westfalen; des Bischofs von Lüttich sowie der Untertanen des Grafen Solms-Braunfels. Eine Abordnung katholischer Geistlicher forderte ihre volle Wiedereinsetzung ins Amt unter päpstlicher Autorität; eine andere, bestehend aus vier Delegierten unter der Führung des Bischofs von Konstanz, begehrte die Institutionalisierung einer neuen deutschen katholischen Nationalkirche. Der Gesandte des Papstes, Kardinal Consalvi, war vor Ort, um sich dem zu widersetzen. Es gab auch eine Delegation, die aus Friedrich Justin Bertuch aus Weimar und Johann Friedrich Cotta aus Stuttgart bestand, dem Verleger der Allgemeinen Zeitung, die für einundachtzig deutsche Verleger sprachen und ein Urheberrecht und Pressefreiheit forderten. Und da waren J. J. Gumprecht und Jakob Baruch aus Frankfurt am Main, und Carl August Buchholz aus Lübeck, die die Interessen der Juden vertraten. Sie gehörten zu den wenigen Gruppen, die sich dafür einsetzten, die von Napoleon eingeführten Reformen beizubehalten. Er hatte ihnen die volle Gleichberechtigung gegeben, die wieder zu beseitigen sich viele deutsche Staaten nun anschickten. Es gab auch jene, die ihr Handwerk ausüben wollten, wie Schauspielerinnen, Musikanten, Friseure oder Falschspieler, denn Wien war plötzlich zum größten Ort für fast jede Art menschlichen Umgangs geworden. Es kam, wer ein Liebesverhältnis oder eine Arbeit suchte, wer den großen Gewinn an den Spieltischen machen, eine Tochter verheiraten oder eine Ehefrau finden wollte. Und es gab solche, die einfach die Neugierde herbeitrieb. Schließlich gab es jene, die um jeden Preis Teil des Geschehens sein mußten, und in diese Kategorie gehörte mit Sicherheit Wilhelmine, die von Ratiborschitz nach Wien gezogen war und einen Flügel im Palais Palm unweit der Staatskanzlei bezogen hatte. Wien und die Wiener Gesellschaft waren ihr bestens vertraut. Sie verstand sich gut mit Alexan-
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Die berüchtigte Fürstin Katharina Bagration, «der nackte Engel». Ihre Kurzsichtigkeit verlieh ihren blauen Augen einen verlorenen, nachgiebigen Blick, dem kaum ein Mann widerstehen konnte. Zu ihren zahlreichen Liebhabern gehörten Zar Alexander und Metternich, von dem sie eine Tochter hatte. Porträt von Jean-Baptiste Isabey, ca. 1812.
der und Friedrich Wilhelm, sie konnte sich auf Talleyrand fast wie auf ein Familienmitglied verlassen und sie hatte Metternich. Ihr Salon würde zweifellos eines der Zentren der Intrigen sein und sie selber darin die Rolle spielen dürfen, die ihr am meisten lag. Aber sie würde sich auch mit einer der berüchtigsten und gefährlichsten Frauen Wiens messen müssen, der Fürstin Katharina Bagration. Fürstin Bagration war die neunundzwanzigjährige Witwe des russischen Generals Pjotr Iwanowitsch Bagration, der 1812 seinen in der Schlacht von Borodino erlittenen Verletzungen erlegen war. Ihr Vater Paweł Skowromski, ein Pole, war der russische Gesandte am Hof von Neapel gewesen, ihre Mutter, Katharina Engelhardt, war eine Nichte des berühmten Fürsten Potjomkin. Man hatte sie gegen ihren Willen verheiratet, aber sie war von Natur aus eigensinnig und folgte ihren Launen; so hatte sie ihren Gatten prompt verlassen und sich in Wien niedergelassen, wo sie ihre Gunst einer langen Folge von Liebhabern zuteil werden ließ – darunter auch Metternich, von dem sie eine Toch-
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ter hatte, Clementine. Sie war eine große Schönheit, mit goldenem Haar und einer Alabasterhaut; ihr widerstrebte es, anderen diesen Anblick zu verwehren, weshalb sie tief ausgeschnittene und durchsichtige Kleider trug, die ihr den Spitznamen «nackter Engel» eintrugen. Sie war sehr kurzsichtig, was ihren tiefblauen Augen einen verlorenen, nachgiebigen Ausdruck verlieh, dem kaum ein Mann widerstehen konnte. Man munkelte, daß sie in der Liebeskunst eine raffinierte Meisterschaft erreichte. Sie haßte Wilhelmine und hatte nicht vor, sich von ihr in den Schatten stellen zu lassen.27
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«Als ich gestern in Wien ankam, fand ich ganz Europa in meinem Vorzimmer versammelt», schrieb Metternich am 19. September an seine Frau. Neben Hardenberg und dem bayerischen Kongreßbevollmächtigten Feldmarschall Wrede warteten vier Abgeordnete des Malteserordens, etwa fünfzehn Vertreter kleinerer deutscher Staaten und Städte, drei alte Damen mit Petitionen und eine junge, hübsche Person, «die gekommen war, um mir etwas anzubieten, das entweder keinen Heller wert oder nicht für alle Schätze der Welt zu kaufen ist, und die mir sagte, sie benötige dringend einen Paß, um zu ihrer Maman nach Paris zu können.»1 Mit ganz Europa verhandeln zu müssen, war genau das, was Metternich hatte vermeiden wollen. Vor ihrer Abreise aus London hatten die vier Minister vereinbart, sich am 10. September in Wien zu treffen, über zwei Wochen vor der erwarteten Ankunft Alexanders und Friedrich Wilhelms. So hätten sie genügend Zeit, glaubten sie, sich zu viert in allen entscheidenden noch offenen Punkten zu einigen. Dann könnten sie den Monarchen und allen anderen Kongreßteilnehmern ihre Vorschläge vorlegen und sich die allseitige Zustimmung einholen. Das ganze würde nicht mehr als sechs Wochen in Anspruch nehmen. Metternich hatte in Baden Unterkünfte für die vier angemietet, weil er davon ausging, daß die Abgeschiedenheit und Ruhe des Ortes einer ungetrübten Konzentration förderlich sein würde. Aber es kam anders als erhofft.2 Der erste, der eintraf, war am 13. September Castlereagh. Da Großbritannien bereits erreicht hatte, was es wollte, verstand er seine Rolle auf dem Kongreß als die eines Vermittlers. Obgleich er den Franzosen wie eh und je mißtraute, sahen sowohl er als auch Liverpool inzwischen das besiegte Frankreich als potentiellen Juniorpartner in einer neuen Entente, die Großbritanniens Position stärken würde. Wellington, der sich als Botschafter in Paris in einer Schlüsselposition befand und den
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Franzosen um keinen Deut wohlgesonnener war als Castlereagh, war zu einem ähnlichen Schluß gekommen. «So, wie die Dinge auf dieser Welt einmal sind, machen sie England und Frankreich auf dem Kongreß zu natürlichen Schiedsrichtern, vorausgesetzt, diese Mächte verstehen einander», hatte er im August aus Paris geschrieben, allerdings hinzugefügt, Talleyrand müsse an die Kandare genommen und das Einvernehmen zwischen den beiden Mächten geheimgehalten werden, um die anderen nicht argwöhnisch zu stimmen.3 Sie hatten vereinbart, daß Castlereagh auf seinem Weg nach Wien in Paris Halt machen sollte, um eine solche Entente voranzutreiben. Wellington hieß den Außenminister in der neugekauften britischen Botschaft willkommen, dem ehemaligen Palais von Pauline Borghese, der Schwester Napoleons, in der Rue Faubourg Saint-Honoré. Castlereagh empfand die Unterredungen mit Talleyrand und Ludwig XVIII. als sehr erfreulich, da sich herausstellte, daß man viele Prioritäten teilte. Dennoch beabsichtigte er keineswegs, Frankreich beim Kongreß eine größere Rolle zuzugestehen als die, Großbritannien zu unterstützen, und blieb unnachgiebig in seiner Ablehnung, es mit einer Revision des Pariser Vertrags dafür zu belohnen. An keiner Stelle äußerte er, was er wirklich von Talleyrand hielt, aber zweifellos fand er ihn undurchsichtig und hinterhältig. Er mißtraute Talleyrands Urteilsvermögen und befürchtete, er könnte, was ihre Übereinkunft betraf, zu viel Überschwang zeigen und so den Neid der anderen Mächte erregen.4 Castlereagh hatte Aberdeen gebeten, weiterhin Botschafter in Wien zu bleiben und ihm beim Kongreß zu assistieren, aber der hatte abgelehnt. An seiner Stelle ernannte Castlereagh den eigenen Halbbruder Charles, der in den Adelsstand erhoben worden war und nun seinen Posten als Lord Stewart antrat. In Anbetracht der Tatsache, daß man kürzlich einen gewissen Sir Charles Stuart zu Wellingtons Geschäftsträger an der britischen Botschaft in Paris gemacht hatte, erwies sich sein neuer Titel für heutige Historiker ebenso wie für damalige Diplomaten als Geschenk des Himmels. Castlereagh machte Cathcart, der immer noch Botschafter am russischen Hof war, zu seinem zweiten Kongreßbevollmächtigten, weil er hoffte, daß er ihm beim Umgang mit Alexander hilfreich sein werde. Cathcart war zwar nicht sehr flink, aber auch kein Dummkopf. Er war Castlereagh treu ergeben und führte dessen Wünsche mit aller Sorgfalt
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Lady Emily Castlereagh. Da die britische Damenwelt seit langem vom Kontinent abgeschnitten war, kannte sie die modischen Gepflogenheiten in Europa nicht mehr. Fürst Schwarzenberg war erstaunt über Lady Castlereaghs Kleidungsstil: «Sie ist sehr dick und kleidet sich so jugendlich, so knapp, so unverhüllt.» Porträt von Thomas Lawrence.
aus. Zum britischen Bevollmächtigten bestimmte Castlereagh Lord Clancarty, den Botschafter in Den Haag, einen intelligenten und tüchtigen Mann mit einiger Erfahrung, der seine Absichten erfaßte. Neben seinem Privatsekretär Joseph Planta begleiteten Castlereagh sein Staatssekretär Edward Cooke, ein alter Freund, sowie zehn junge Assistenten aus dem Foreign Office. Emily daheim zu lassen, war ausgeschlossen; sie bestand ihrerseits darauf, ihre Schwester mitzubringen. Castlereagh hatte an Frederick Lamb, Aberdeens Botschaftssekretär, geschrieben, er solle ihnen eine Unterkunft besorgen, woraufhin dieser eine Vierzehnzimmerwohnung gemietet hatte. Castlereagh gefiel sie nicht, und er bezog bald darauf ein größeres Quartier mit über zweiundzwanzig Räumen in einem
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Gebäude am Minoritenplatz – gleich gegenüber Stewarts Botschaft im Palais Starhemberg gelegen und knapp zweihundert Meter von Metternichs offi zieller Residenz entfernt, der Staatskanzlei am Ballhausplatz. Zur Deckung seiner Ausgaben in Wien hatte er 15 000 britische Pfund erhalten, was offenbar als ausreichend galt, da er nicht vorhatte, mehr als einige Monate zu bleiben. Aber einer Quelle zufolge kostete ihn die Unterkunft für sich und seine Leute monatlich fünfhundert Pfund. Er beschränkte sich in seinen Ausgaben durchaus, ließ bei seinen Dienstagsempfängen nur karge Kost servieren, und wenn er einen Ball gab, wurde für den Tanz das Schlafgemach von Lady Castlereagh ausgeräumt.5 Während seiner Abwesenheit würde Lord Bathurst das Foreign Office leiten, aber den außenpolitischen Kurs bestimmte weiterhin Liverpool. Dieser gab Castlereagh jedoch zu verstehen, daß er eigene politische Initiativen anstoßen dürfe und alles, was er täte, die volle Unterstützung des Kabinetts genösse. Castlereagh hat dieses Vertrauen nicht mißbraucht, und die beiden standen durch täglichen, manchmal sogar häufigeren, Briefwechsel in ständigem Kontakt. Auch mußte er weder auf die Reaktionen des Parlaments Rücksicht nehmen, das in diesem Herbst nur noch zu einer kurzen Sitzungsperiode zusammentreten würde, noch auf die öffentliche Meinung, die über die anstehenden Themen nicht hinreichend informiert war. Keiner der anderen Bevollmächtigten würde über eine solche Handlungsfreiheit verfügen. Ganz gewiß nicht Nesselrode, der am Tag darauf in Begleitung seiner hochschwangeren Frau in Wien ankam. Er war gerade zum Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten ernannt worden, aber das war nur ein nomineller Titel, weil der inzwischen dienstunfähige Kanzler Rumjanzew im Amt bleiben und Alexander in Wien sein würde, um Nesselrode Anweisungen zu geben. Der Zar hatte ihn mit einem Konvolut schriftlicher Instruktionen versehen und ihm keine Verhandlungsvollmacht erteilt.6 Hardenberg traf vier Tage nach Castlereagh ein. Bescheiden bezog er zunächst einige Zimmer im ersten Stock im Haus eines Kaufmanns am Graben, dem weiträumigen Platz im Herzen der Altstadt; später würde er mit Friedrich Wilhelm in die Hofburg ziehen. Assistieren sollte ihm hauptsächlich Humboldt. Hardenbergs Handlungsmöglichkeiten würden durch seinen König weitgehend eingeschränkt sein, der
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mit den beiden Söhnen Wilhelm und August in einigen Wochen in Begleitung mehrerer preußischer Generäle erwartet wurde, und schließlich mußte er die öffentliche Meinung in Berlin berücksichtigen, in der es gärte. Man war dort sehr enttäuscht, daß die hohe Begeisterung für den Befreiungskampf Deutschlands so kümmerliche Ergebnisse gezeitigt hatte. Hardenberg war ein treuer Diener seines Königs und bereit, rücksichtslos für die Interessen Preußens einzutreten. Aber er war auch ein Kind des 18. Jahrhunderts, von höflicher und zuvorkommender Wesensart, und nicht geschaffen für eine Heldenrolle im Rahmen einer militärisch bestimmten nationalistischen Außenpolitik. Ihm wurde vorgeworfen, die Interessen Preußens zu vernachlässigen, und, weil er Alexander nicht gezwungen hatte, ehemals preußische Provinzen in Polen zurückzugeben, das Land in die mißliche Lage gebracht zu haben, sich jetzt kannibalisch gegenüber Sachsen verhalten zu müssen, was Friedrich Wilhelm und die meisten Preußen nicht minder abstieß als die öffentliche Meinung in Deutschland überall. Außerdem war ihm trotz aller mündlichen Zusagen und schriftlichen Verträge deutlich bewußt, daß die Zukunft Preußens, seine Existenz als Großmacht, noch immer in der Schwebe war, denn russische Truppen hielten alle ehemaligen polnischen Provinzen Preußens und das ihm als Entschädigung zugesicherte Sachsen besetzt.7 Nachdem es Metternich nicht geglückt war, die Neuankömmlinge nach Baden hinauszulocken, begab er sich zu ihnen nach Wien, wo sie sogleich informelle Gespräche aufnahmen. Da kein Protokoll geführt wurde, läßt sich der Gang der Diskussionen auf diesen ersten Konferenzen nicht genau rekonstruieren. Aber nimmt man die Bündel von Rohentwürfen und hingekritzelten Notizen, die in den Archiven der österreichischen Staatskanzlei, des französischen Außenministeriums und des britischen Foreign Office lagern, und zieht man die Tagebucheinträge und Korrespondenzen der Teilnehmer hinzu, ergibt sich ein ziemlich klares Bild dessen, worum es im wesentlichen ging. Zugleich wird deutlich, daß die Notizen und Mitschriften häufig eher die Wünsche der jeweiligen Verfasser widerspiegeln als irgendeinen Konsens. Die Themen des Kongresses lassen sich in drei Kategorien unterteilen: Territorialprobleme, die im Vertrag von Paris nicht gelöst worden waren, die neue Verfassung für Deutschland und eine Anzahl allgemei-
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ner Streitfragen, vom Sklavenhandel bis hin zur grenzüberschreitenden Flußschiffahrt. Metternich schlug Castlereagh am 14. September vor, den Entwurf für eine deutsche Verfassung einem Gremium aus Vertretern der wichtigsten betroffenen Staaten zu übertragen; ferner die allgemeinen Fragen den Bevollmächtigten Rußlands, Preußens, Österreichs, Großbritanniens, Frankreichs und Spaniens zur Klärung zu überlassen, die offenen territorialen Probleme jedoch unter den vier Hauptalliierten zu vereinbaren, ohne die anderen schon einzubeziehen. Um den Nationalstolz der Bevollmächtigten Frankreichs und Spaniens zu beschwichtigen, könne man sie über die Beschlüsse der vier anderen Mächte informieren und sie auffordern, dazu Stellung zu nehmen.8 Castlereagh gefiel es nicht, Frankreich und Spanien auszuschließen, zum einen, weil es überheblich wirken könnte, vor allem aber, weil es ihn der französischen Unterstützung berauben würde. Er unterbreitete einen eigenen Entwurf, der zwei Tage später, am 16. September, in einer Unterredung diskutiert wurde, an der wahrscheinlich Nesselrode teilnahm, der am Vorabend in Wien eingetroffen war. Castlereagh schlug vor, einen Ausschuß zu schaffen, der den Kongreß lenken würde und in dem die sechs Großmächte vertreten sein sollten – Rußland, Preußen, Österreich, Großbritannien, Frankreich und Spanien. Dieses Gremium würde ein Deutsches Komitee ernennen, das sich der deutschen Frage widmen sollte, sowie andere Komitees, die Fragen wie die Flußschiffahrt besprechen würden. Interessenvertreter, die nach Wien gekommen waren, würden dazu eingeladen werden, ihre Angelegenheit dem Ausschuß vorzutragen, der dann darüber beraten und seine Entscheidungen einer Generalversammlung zur Zustimmung vorlegen sollte. «Der Vorteil dieser Vorgehensweise besteht darin, daß man die Bevollmächtigten frühzeitig und mit gebührendem Respekt als ein verantwortliches Ganzes behandelt», erläuterte er. «Man kann die anderen Mächte zu harmonischem Einvernehmen bringen und sie steuern, ohne sich offen die Autorität anzumaßen, sie ausschließen zu können. Auf diesem Wege können sie schwerlich ihre Billigung zu dem verweigern, was man unter allen Umständen tun will und was dank der Art und Weise der Entscheidungsfindung das eigene Vorgehen nicht beeinträchtigen kann.» Dieses Vorgehen betraf die wesentliche Frage der ter-
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ritorialien Regelungen hinsichtlich Polens, Deutschlands und Italiens, deren Lösung den vier Alliierten überlassen bleiben sollte.9 Die anderen stimmten Castlereaghs Vorschlag im großen und ganzen zu, aber in den Diskussionen kamen Meinungsverschiedenheiten darüber auf, welchen Interessenvertretern erlaubt sein solle, vor dem Steuerungsausschuß aufzutreten. So könne man dem Bevollmächtigten des Königs von Sachsen schwerlich untersagen, sein Anliegen vorzutragen, was aber für Preußen höchst unangenehm wäre. Österreich, das vertraglich immer noch mit Murat verbunden war, müßte verlangen, daß dessen Bevollmächtigter zugelassen werde, was wiederum für Großbritannien und Frankreich unannehmbar wäre, die nicht ihn, sondern Ferdinand IV. als König von Neapel anerkannten.10 Hardenberg erreichte Wien am Mittag des 17. September. Am folgenden Nachmittag fand in Metternichs Büro das erste Treffen der vier Minister – Nesselrode, Metternich, Hardenberg und Castlereagh – statt. Metternich unterbreitete seinen ursprünglichen Vorschlag, den er entsprechend den Gesprächen der letzten vier Tage leicht modifi ziert hatte. Unter Berufung auf die erste der Geheimklauseln im Pariser Vertrag schlug er vor, sich untereinander über alle Fragen der von Frankreich abgetretenen Gebiete zu einigen – also über ehemals französisches Territorium und über die bisher von Frankreich dominierten Gebiete in Polen, Deutschland und Italien. Wenn sie eine Einigung erzielt hätten, würden sie ihre Entscheidungen den Bevollmächtigten von Frankreich und Spanien mitteilen, die sich dazu äußern könnten; deren Stellungnahmen würden bedacht werden, bevor der Ausschuß dem gesamten Kongreß die letzte Fassung zur Zustimmung vorlegte. Frankreich und Spanien sollten auch in die Diskussionen und Entscheidungen über weitergehende europäische Themen einbezogen werden. Fragen zur Zukunft des deutschen Bundes könnten von einem Ausschuß aus Vertretern Österreichs, Preußens, Bayerns, Württembergs und Hannovers entschieden werden. Castlereagh äußerte seine Bedenken und wiederholte seine Anregung, Frankreich und Spanien in die Steuerung der Verhandlungen einzubeziehen, aber Hardenberg lag wenig daran, Preußens frisch erworbenen Großmachtstatus durch die Teilnahme Frankreichs und Spaniens zu verwässern. Neben ihm saß Humboldt und pflichtete ihm bei, wobei er darauf hinwies, es handele sich hier weder um einen Friedenskongreß, da
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Metternichs Arbeitszimmer in der Staatskanzlei.
der Frieden bereits in Paris geschlossen worden sei, noch, formal gesehen, um einen allgemeinen europäischen Kongreß. Man habe sich in Wien versammelt, weil es ein günstiger Ort sei, um eine ganze Reihe ganz unterschiedlicher Verhandlungen zu führen, aus denen «Einzelverträge, die untereinander keinen über das allgemeine Interesse Europas hinausgehenden Zusammenhang haben», hervorgehen würden. Er akzeptierte, daß diese Verträge den Repräsentanten aller europäischen Staaten zur endgültigen Zustimmung vorgelegt werden sollten, da ihnen dies zusätzliche Legitimität verleihen würde. Aber die Frage, wie die von Napoleon und dessen Verbündeten befreiten Gebiete zu verteilen seien, sollte ausschließlich von den vier Mächten entschieden werden, die sie befreit hatten. Mit dem Argument, daß nur Mächte, die bereit wären, Verantwortung für die Sicherheit Europas zu übernehmen, ein Mitspracherecht bei dessen Neuordnung haben sollten, wandte er sich dagegen, die Zahl der Stimmberechtigten zu erweitern. Da auch Nesselrode dieser Meinung war, konnte Castlereagh schlecht Widerspruch erheben.11 Die Minister der vier Mächte hielten am nächsten Tag ihr zweites Treffen ab. Die Harmonie, die das letzte Mal unter ihnen geherrscht
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Der Gebietsaustausch zwischen Bayern und Österreich. Die Einigung SACHSEN
Mainz ANSBACH
ÖSTERREICH
PFALZ
BAYERN
WÜRTTEMBERG
München
Salzburg VORARLBERG
Von Österreich zurückgewonnen Von Bayern erworben
Innsbruck
TIROL
hatte, schlug rasch in Verstimmung um, als Nesselrode Rußlands Absicht verkündete, das gesamte Territorium des Großherzogtums Warschau für sich zu behalten. Hardenberg bestand darauf, daß Preußen einen Teil seiner polnischen Gebiete bekommen müsse, insbesondere die Festung Thorn (Torum). Metternich verlangte Krakau und Zamotd und deren Umland und erinnerte die Anwesenden daran, daß Österreich an der Eroberung des Großherzogtums mitgewirkt hatte. Am meisten ärgerte Metternich und Hardenberg, daß Nesselrode wiederholt die Bezeichnung «Polen» im Mund führte, die im Vertrag von 1797 zwischen den teilenden Mächten, als sie dieses Königreich abschafften, ausdrücklich untersagt worden war. Metternich ging so weit, mit Krieg zu drohen. Die Stimmung hellte sich auch nicht auf, als Hardenberg die preußischen Forderungen vorzubringen begann – ganz Sachsen und verschiedene andere Gebiete, darunter die Festung Mainz. Das brachte
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Metternich aus dem Konzept. Im Vertrag von Ried hatte sich Bayern bereiterklärt, Tirol, Vorarlberg, Salzburg, das Innviertel und den Hausruck an Österreich zurückzugeben. Dafür sollte es, mit Vermittlung Österreichs, die Pfalz, Würzburg, Aschaffenburg und Mainz mit Umland erhalten. Preußische Truppen hielten Mainz besetzt und machten keine Anstalten, es an irgend jemanden abzutreten, zumindest nicht, bevor die wesentlichen Forderungen Preußens erfüllt wären. Hardenbergs Vorschlag, den König von Sachsen mit einem kleineren Reich am Rhein zu entschädigen, lief den britischen Plänen zuwider, eine starke Barriere gegen Frankreich zu schaffen, und Castlereagh protestierte. Hardenberg schlug sodann vor, dem König von Sachsen die Legationen zu überlassen. Diese Provinzen des Papstes waren gegenwärtig von Österreich besetzt, und Metternich würde sie vielleicht noch benötigen, um damit die Königin von Etrurien für den Verlust von Parma, Piacenza und Guastalla entschädigen zu können, die man an Marie-Louise, Napoleons Kaiserin, vergeben hatte. Tatsächlich drohte das ganze Arrangement, auf das man sich bisher geeinigt hatte, auseinanderzufallen. Es ließ sich nicht vermeiden, daß die aufbrandende Wut und die gegenseitigen Beschuldigungen aus dem Beratungsraum nach draußen drangen, und der deutsche Staatsmann und niederländische Bevollmächtigte Hans Christoph von Gagern berichtete am 21. September, er sei seit fünf Tagen in Wien und habe von nichts anderem als von Kriegsdrohungen gehört.12 Hardenberg war erschöpft. Statt sich von seiner Reise zu erholen, hatte er an seinem ersten Tag in Wien erst Stein und anschließend die Gräfin Nesselrode aufgesucht, danach Castlereagh empfangen, war dann zu Humboldt gegangen, in dessen Quartier er Gespräche mit dem Herzog von Weimar, Gentz, dem Grafen Solms und General Knesebeck geführt hatte; später hatte er Graf Rasumowskij, Graf Károly Zichy, dem außerordentlichen russischen Gesandten Graf Gustav Ernst von Stackelberg, Nesselrode und Graf Ferdinand von Trauttmansdorff einen Besuch abgestattet. Schließlich hatte er an der ersten Konferenz der vier Bevollmächtigten teilgenommen, danach den Fürsten de Ligne besucht und den Abend mit einer Soiree bei Fürstin Bagration beschlossen. Dieses Tempo ließ während der nächsten Tage nicht nach, und mit seinen vierundsechzig Jahren fand er es aufreibend. Am sechsten Tag blieb er im Bett.13
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Bei ihrem nächsten Treffen am 22. September griffen die Bevollmächtigten der vier Mächte die leidige Verfahrensfrage wieder auf. Eine Neufassung des ursprünglichen Vorschlags von Metternich wurde besprochen und von allen unterzeichnet bis auf Castlereagh, der seiner Mißbilligung über den Ausschluß Frankreichs und Spaniens Ausdruck gab. Er unterschrieb jedoch bei der nächsten Zusammenkunft am folgenden Tag, aber erst, nachdem er ein weiteres Mal seine Bedenken geäußert hatte, die ordnungsgemäß ins Protokoll aufgenommen wurden. Castlereagh akzeptierte, daß alle wichtigen Entscheidungen von den vieren getroffen werden sollten. «Nichtsdestoweniger erwäge ich, daß die Vereinbarungen, die so vorgebracht worden sind, den beiden anderen Mächten als Freunden und nicht als Feinden zu einer freien und freisinnigen Diskussion unterbreitet werden», sagte er. Weiter erklärte er, daß er «nicht damit einverstanden sein kann, durch eine Mehrheit völlig gebunden zu werden». Humboldt hatte versucht, eine Resolution durchzubringen, die Frankreich von jeder Beschlußfassung ausdrücklich ausschloß, aber Castlereagh und Metternich hatten sie verhindern können. Das einzige Konstruktive, worauf man sich einigte, war die Ernennung von Gentz zum Sekretär und Protokollführer des Kongresses.14 In einem Brief an Liverpool, in dem er eine Bilanz der ersten vier Treffen zog, äußerte Castlereagh sein Mißfallen daran, daß Preußen Frankreich beharrlich als Feind behandelte und die anderen kaum weniger ablehnend waren. «Bei all ihren Gegensätzen untereinander», schrieb er, «scheinen die drei regierenden Höfe auf dem Festland doch in ihrer mißgünstigen Ablehnung übereinzustimmen, Frankreich eine vermittelnde Rolle zwischen ihnen zuzubilligen oder es einen führenden Einfluß auf die Friedensregelungen nehmen zu lassen.» Während dieses Schreiben in den frühen Morgenstunden des 24. September verfaßt wurde, rollte die Kutsche des französischen Bevollmächtigten in Wien ein.15 Talleyrand hatte sich mit gemischten Gefühlen nach Wien begeben. Er wußte, daß nur er die französischen Interessen angemessen vertreten konnte, aber er erwartete auch, wie er einem Kollegen gestand, in Wien «eine sehr traurige Rolle zu spielen», und fürchtete, daß es ihm nicht gelingen werde, Gehör zu finden. Zudem war ihm bewußt, daß er nicht in der Lage sein würde, irgendwelche Trophäen mit nach Hause zu
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bringen, und infolgedessen nach seiner Rückkehr heftiger Kritik ausgesetzt zu sein. Letztlich gaben persönlichere Motive den Ausschlag. Sein zwanghafter Drang, im Mittelpunkt zu stehen, wurde dadurch sekundiert, daß er in finanziellen Schwierigkeiten steckte und eine der ihm noch verbliebenen Erwerbungen bedroht war. Napoleon hatte Talleyrand 1806 zum Fürsten von Benevent gemacht, ein vordem päpstliches Lehen, das jetzt zum Königreich Neapel gehörte und mit ziemlicher Sicherheit seinem rechtmäßigen Eigentümer zurückerstattet würde, sofern er, Talleyrand, nicht selber eingriff.16 Er dachte lange und gründlich darüber nach, wie er beim Kongreß auftreten solle, auch angesichts der Tatsache, daß er den ehemaligen gemeinsamen Feind repräsentierte, der besiegt war und dessen Grenzen man im Pariser Vertrag bereits festgelegt hatte. Gerade diesen Umstand beschloß er, zu seinem Vorteil zu nutzen: Da Frankreich auf dem Kongreß nichts zu gewinnen hatte, könnte er sich ohne weitere Parteinahme als Vorkämpfer der Legitimität und des Völkerrechts gerieren und wäre damit allen anderen Bevollmächtigten moralisch überlegen. Nach der Unterzeichnung des Pariser Vertrags war es das vordringliche Interesse Frankreichs, seine Isolation zu überwinden und seinen Platz unter den Großmächten wieder einzunehmen, um bei den Entscheidungen über Deutschland und Italien mitreden zu können. Dies würde nur gelingen, wenn es die vier Alliierten gegeneinander aufbrächte. In Anbetracht ihrer sich bereits abzeichnenden Differenzen würde dies nicht schwerfallen. Aber Talleyrand müßte behutsam vorgehen, denn das, was sie garantiert wieder zusammenbrächte, wäre das kleinste Anzeichen eines französischen Versuchs, einen aktiven Part in den europäischen Angelegenheiten zu spielen. Talleyrands Anweisungen, die seinen eigenen Auffassungen ebenso entsprachen wie denen Ludwigs XVIII., machten deutlich, daß Frankreich auf keine territorialen oder sonstigen Vorteile aus war. Es hatte indes zwei eindeutige Ziele: erstens Murat in Neapel vom Thron zu stoßen und auf ihn wieder Ferdinand IV. zu setzen, und zweitens dem König von Sachsen seinen Thron zu erhalten. Ersteres entsprang der Furcht vor dem Wiederaufleben einer napoleonischen Bedrohung in Italien und dem Willen, einem Bourbonen seinen Titel zurückzugeben. Die französische Haltung zu Sachsen war in einer langen Bündnistradition zwischen den beiden Ländern entstanden. Sie wurde dadurch verstärkt, daß die Mutter
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Ludwigs XVIII. eine sächsische Prinzessin gewesen war; hinzu kam das Bedürfnis, in Deutschland Verbündete zu haben, um auf Preußen und Österreich etwas Druck ausüben zu können. Beide Ziele ließen sich glaubhaft als selbstloses Streben nach Gerechtigkeit um ihrer selbst willen darstellen und ermöglichten es, fromm zu beteuern, wie wünschenswert doch die Wiederherstellung eines unabhängigen Polen sei. Der Hebel, den Talleyrand für diese Ziele ansetzen würde, war das Prinzip der Legitimität und das internationale Recht, beziehungsweise, wie er es nannte, «das öffentliche Recht Europas». So könnte er andere in Verlegenheit bringen und sich selbst moralisch über sie erheben. «Wir wollen nichts, rein gar nichts, kein einziges Dorf», versicherte er allenthalben, «aber wir wollen Gerechtigkeit.»17 Ihm war durchaus bewußt, daß er jedes Mal, wenn er das Wort «Legitimität» aussprach, Alexander und Friedrich Wilhelm in Verlegenheit brachte, deren Titel als «Kaiser» respektive als «König» jeweils auf eine eigenmächtige Aneignung zurückging; die Könige von Bayern und Württemberg, der Großherzog von Baden und viele andere verdankten ihren Titel Napoleon. Sie alle hatten sich in den letzten Jahren mit Methoden, die man keinesfalls als legitim bezeichnen konnte, Gebiete angeeignet. Talleyrand wollte der französischen Delegation einen großen Auftritt auf der diplomatischen Bühne bereiten. Dazu hatte er das geräumige Palais Kaunitz in der Jonannesgasse angemietet und mit großer Dienerschaft gefüllt, zu der auch sein legendärer Koch Marie-Antoine Carême gehörte. Der war zwar gelernter Konditor, beherrschte aber alle anderen kulinarischen Fächer auch – wovon sein Repertoire von über zweihundert Suppen zeugte – und hatte die Haute Cuisine begründet; sein Motto lautete: «Die Kochkunst dient der europäischen Diplomatie als Begleitschutz.» Er wußte, daß man von ihm erwartete, sich selbst zu übertreffen, und er dabei auf die notwendige Unterstützung zählen durfte, so auch auf eine Sendung Trüffel aus Paris über diplomatischen Kurier.18 Am bemerkenswertesten an Talleyrands Haushalt war vielleicht die Gastgeberin. Keine Minute hatte er erwogen, seine Gattin nach Wien mitzunehmen; da er unter dem Ancien Régime erzogen worden war, konnte er seine revolutionäre und napoleonische Vergangenheit einigermaßen überspielen und den Großen der kaiserlichen Hauptstadt von gleich zu gleich begegnen, die Gegenwart seiner Frau aber hätte ihn
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gesellschaftlich als bonapartistischen Parvenu erscheinen lassen. Catherine Noël Worlée war die Tochter eines kleinen Regierungsbeamten, hatte zunächst einen Angestellten der East India Company geheiratet, war aber in Bengalen ein Liebesverhältnis mit dem britischen Politiker Sir Philip Francis eingegangen. Nachdem ihr Mann sie verstoßen hatte, war sie nach Paris zurückgekehrt, wo sie in der großen Gesellschaft glänzte, Liebschaften zu bedeutenden Männern unterhielt und zum Teil aus ihnen Einkünfte bezog. In politische Schwierigkeiten geraten, wurde sie Talleyrands Geliebte, bis Napoleon ihm befahl, sie zu heiraten. Im Pariser Gesellschaftsklatsch galt sie als ebenso dumm wie schön, so daß Talleyrand sie auf dem Land unterbrachte und nicht beabsichtigte, weiteren gesellschaftlichen Umgang mit ihr zu pflegen. Er würde aber eine Dame benötigen, sich um die häuslichen Angelegenheiten zu kümmern und Gäste zu empfangen. Für diese Rolle hatte er seine angeheiratete Nichte vorgesehen, die Comtesse Edmond de Talleyrand-Périgord. Dorothea de Périgord war die Tochter der ehemaligen Geliebten Talleyrands, der Herzogin von Kurland, und damit Wilhelmines Schwester – besser gesagt Halbschwester, da Dorotheas Vater nicht der Herzog von Kurland gewesen war, sondern der Liebhaber ihrer Mutter, Graf Alexander Batowski. Ursprünglich war sie dem Fürsten Adam Czartoryski zugedacht, doch sie hatte sich schließlich mit Talleyrands Neffen Edmond de Périgord vermählt, dem sie zwei Söhne und eine Tochter gebar, die früh starb. Dieser Verlust erwies sich als Todesstoß einer Ehe, die keine Liebesheirat gewesen war, und Talleyrand, den sie anbetete, hatte keine Mühe, sie dazu zu bewegen, ihn nach Wien zu begleiten. Dorothea war einundzwanzig Jahre alt. In ihrem bezaubernden Anblick mischten sich kindliche Unschuld und eine träumerische Glut zu verführerischer Gefährlichkeit. Glaubt man dem französischen Schriftsteller Sainte-Beuve, «waren ihre blauen Augen ein Widerschein der Hölle». Herangewachsen war sie unter unkonventionellen Bedingungen. «Eine religiöse Erziehung hatte ich nicht genossen; gebetet habe ich nie, weil ich keine Gebete kannte», schrieb sie später. Diesen Mangel bemühte sie sich, durch unersättliches Lesen wettzumachen, aber in der Bibliothek ihres Hauslehrers hatten viele «schlimme» Bücher gestanden. Sicherlich schreckten sie die Folgen, die sich aus ihrer Rolle im Haushalt des französischen Bevollmächtigten ergeben konnten, keineswegs. Obwohl Talleyrands wächserne Gesichtshaut und die von
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Talleyrands Geliebte Dorothea Comtesse de Périgord war 39 Jahre jünger als er. Mit ihrer Mutter, der Herzogin von Kurland, hatte er einst ein Liebesverhältnis.
tiefhängenden Lidern halbverdeckten Augen Beobachtern oft den Eindruck vermittelten, eine Leiche anzuschauen, hatte er den Ruf eines Satyrs. Und obwohl sie ihrem Gatten lange treu gewesen und neununddreißig Jahre jünger als Talleyrand war, waren er und Dorothea wahrscheinlich schon ein Liebespaar.19 Zu Talleyrands Delegation gehörten sein zweiter Bevollmächtigter, Herzog Emmerich Joseph von Dalberg, ein Spezialist für deutsche Angelegenheiten, der Comte Frédéric-Séraphin de la Tour du Pin, ein intelligenter Aristokrat, der unter Napoleon Präfekt gewesen war, und der junge Graf Alexis de Noailles, ein ultraroyalistischer Adjutant des Königsbruders ohne erkennbare Talente. Talleyrand begründete diese Wahl damit, daß er mit einiger Sicherheit von seinen Feinden bei Hofe ausspioniert werden würde; da könne er den Spion ebensogut selber bestimmen. Ferner hatte Talleyrand den Comte de la Besnardière mitge-
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nommen, einen fähigen und tüchtigen Beamten des Außenministeriums, seinen Privatsekretär Gabriel Perrey, drei Sekretäre des Außenministeriums und den Historiker Gaëtan de Raxis de Flassan, der die offi zielle Chronik des Kongresses und den Part, den die französische Delegation in ihm spielte, niederschreiben sollte, denn Talleyrand beabsichtigte, seiner eigenen ruhmvollen Biographie einige Seiten hinzufügen. Früher hatten sich die meisten Kongresse eine Ordnung gegeben und einen Vermittler bestimmt, aber Metternich und seine Kollegen waren so sehr darauf erpicht, die Probleme untereinander unbürokratisch zu lösen, daß sie die Formalien über Bord geworfen hatten, mit bedauerlichen Folgen. Die ermüdenden Diskussionen um Verfahrensfragen hatten nur wertvolle Zeit verschwendet, und als am 19. September die territorialen Fragen angeschnitten wurden, stellte sich heraus, daß weder die russischen noch die preußischen Unterhändler über eine Vollmacht für irgendwelche Verhandlungen oder Zugeständnisse verfügten. Mit anderen Worten, bis zur Ankunft Alexanders und Friedrich Wilhelms konnten keine Entscheidungen getroffen werden. Metternich hatte gehofft, Alexanders Bedenkzeit in Sankt Petersburg zwischen dem Auseinandergehen in London und dem Wiedersehen in Wien, werde seine Leidenschaftlichkeit mäßigen und seinen Enthusiasmus in der polnischen Frage dämpfen. Nesselrode hatte ihm versichert, die öffentliche Meinung dort werde den Zaren dazu bringen, seine entsprechenden Auffassungen zu ändern. Aber darin sollte er enttäuscht werden. Alexander hatte sich tatsächlich gewandelt, aber nicht so, wie Metternich und Nesselrode es sich erhofft hatten.20 Den langen Marsch von Rußland nach Paris über, in den Jahren 1813 und 1814, hatte er sein Sendungsbewußtsein bewahrt und an seiner Überzeugung festgehalten, ein auserwähltes Werkzeug des Herrn zu sein. In Paris waren ihm sein immenses persönliches Ansehen und die Macht, die es verlieh, bewußt geworden; und für kurze Zeit gestattete er es sich, davon berauscht zu sein. Rasch jedoch war er von den Franzosen enttäuscht. In London hatte man ihm dann die Grenzen seiner Macht und die Vergänglichkeit seines Ansehens vor Augen geführt.21 Am 26. Juni hatte er sich in Dover eingeschifft und die Heimreise über Calais, Ostende, Antwerpen und Bruchsal angetreten; dort weilte
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seine Gemahlin Elisabeth bei ihrer Mutter, der Markgräfin von Baden. Da Deutschland von Napoleon befreit war, hatte sie die Gelegenheit genutzt, nach mehr als zwanzigjähriger Abwesenheit ihre alte Heimat zu besuchen. Jetzt fand sie Alexander, der sie nie geliebt hatte und der ihr seit langem keinerlei Zärtlichkeit mehr entgegenbrachte, so verändert, launisch und unangenehm, daß sie sogar erwog, sich scheiden zu lassen und auf Dauer dort zu bleiben.22 Zu den in Bruchsal Versammelten gehörten auch Alexanders alter Hauslehrer de La Harpe und der Freiherr vom Stein, aber der Zar widmete seine Aufmerksamkeit vor allem Roxana Sturdza, einer Kammerzofe seiner Frau, deren Frömmigkeit er stets bewundert hatte. Die in Konstantinopel geborene Moldauerin war zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Alexander unter dem Einfluß deutscher Pietisten «erweckt» worden. Als sie sich im Vorjahr als Gesellschafterin von Kaiserin Elisabeth in Heidelberg aufhielt, hatte sie die Bekanntschaft von Johann Heinrich Jung-Stilling gemacht, der autodidaktisch vom Dorfschullehrer zum Arzt und Professor aufgestiegen und mit seiner geistlichen Botschaft zu großem Ruhm gelangt war. Er predigte, das Christentum solle nicht als theologisches Glaubensbekenntnis verstanden werden, sondern als eine Art geistlicher Prüfung, als unablässige Selbstbeobachtung der eigenen Unterwerfung unter den Willen Gottes. Am 9. Juli traf Jung-Stilling in Bruchsal ein, wo er sich am nächsten Tag lange mit Alexander unterhielt. Dieser war mit seinen Schriften vertraut und nahm seine Ermahnungen begierig auf, sich dem göttlichen Willen noch mehr unterzuordnen und stets zu beten, daß Er ihm die Kraft geben möge, seine Mission zu erfüllen und Gottes Reich auf Erden zu bringen. Als er erfuhr, daß Jung-Stilling und Roxana Sturdza eine «mystische Ehe» eingegangen waren, um sich gegenseitig Kraft zu spenden, bat er, in ihren Kreis aufgenommen zu werden. Sie willigten ein. Fortan beteten die drei für ihr heiliges Ziel und leisteten einander geistlichen Beistand.23 Getröstet und in seiner Bestimmung gestärkt verließ Alexander Bruchsal. Als er am 25. Juni in Sankt Petersburg ankam, wollte er sich nicht als heimkehrender Held bejubeln lassen und ließ alle nichtreligiösen Feiern absagen. Er verzichtete auf den Titel eines «Gesegneten», den ihm der Heilige Synod verleihen wollte, und wies darauf hin, daß Gott es gewesen sei, der den Sieg errungen habe, während sein Ver-
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dienst einzig darin bestehe, sich Ihm dafür als Werkzeug zur Verfügung gestellt zu haben. Alle um ihn herum bemerkten Alexanders Veränderung. Er war nachdenklicher und in sich gekehrt, entschlossener bis zur Halsstarrigkeit und weniger bereit, auf seine Berater zu hören. Als er erwog, vielleicht die Leibeigenschaft abzuschaffen, gab er zwar dem empörten kollektiven Aufschrei nach. Aber er blieb fest, wenn jemand seinen polnischen Plänen widersprach, was alle Russen mit Entsetzen erfüllte, und auch in anderen Fragen zeigte er sich kaum entgegenkommender. Als der preußische Botschafter vorschlug, etwas vom ehemaligen preußischen Polen an Preußen abzutreten, reagierte er mit einem Wutausbruch und drohte, auch noch ganz Ostpreußen und Danzig zu annektieren.24 In einem auf den 7. Juli datierten Memorandum, das dem Zaren in Bruchsal überreicht wurde, ermahnten ihn Pozzo di Borgo und La Harpe, von den Staatsmännern anderer Mächte kein Entgegenkommen für all das zu erwarten, was er während der letzten beiden Jahre zum Sturz Napoleons beigetragen hatte. «Die englische Regierung steht zu Ihrer Majestät in keinem Vertrauensverhältnis mehr», hieß es darin. «Wir würden sogar sagen, daß sie eine Haltung einnimmt, die auf Beunruhigung, und folglich Kälte, Mißgunst und schließlich auf eine stumme oder ausdrückliche Gegnerschaft verweist.» Sie ließen durchblicken, daß man sich auf Preußens Loyalität nicht mehr verlassen könne, während Österreich als «Rivale» betrachtet werden müsse. «Es wird mit Vergnügen alles aufnehmen, was Eure Majestät und die in Europa vorherrschenden Kräfte auseinanderbringen kann», erklärten sie. Ihre Empfehlungen lauteten, Österreich durch Intrigen auszumanövrieren, einen starken deutschen Bund aufzubauen, der russischen Schutz ersehnen würde, Preußen zu umschmeicheln und bei Laune zu halten, den britischen Wünschen bezüglich der Weltmeere und Belgiens stattzugeben, und die Franzosen zu einer dynastischen Verbindung zu verlocken. Sie schlossen mit dem Vorschlag, Rußland solle seine Westgrenze nicht weiter als bis zur Weichsel ausdehnen und durch die Festungen Thorn, Modlin, Sandomir und Zamotd verstärken. Dies würde die Sicherheit Rußlands garantieren und dem Land zugleich ermöglichen, sich seiner drängenden innenpolitischen Probleme anzunehmen; außerdem würde es ihm die Macht bewahren, so es sie nutzen wolle, nach Konstantinopel zu ziehen, «um dort das Te Deum zu sin-
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gen». Dieses Memorandum verrät also, wie auch Nesselrodes Notizen dazu, welch bemerkenswertes Gespür diese Ausländer für die wahren Interessen Rußlands hatten, und selbstverständlich waren Alexanders polnische Pläne darin nicht vorgesehen.25 Alexander schlug ihre Argumente in den Wind. Die «zusammengefaßten Anweisungen», die er Nesselrode für Wien mit auf den Weg gegeben hatte, verdeutlichten, daß er das gesamte Großherzogtum Warschau behalten wollte, wiewohl er notfalls bereit wäre, Posen abzutreten; daß Österreich in Italien alles haben könne, was es wolle, und außerdem Tirol, das Innviertel und Salzburg; daß Preußen Sachsen bekommen solle, bis auf einen kleinen Streifen, der an Weimar ginge (der Herzog von Sachsen-Weimar war sein Schwager). «Was die anderen Fürsten Deutschlands betrifft, muß so weit wie möglich darauf geachtet werden, daß am gegenwärtigen Stand der Dinge nicht zu sehr gerüttelt wird», riet er und kündigte seine Unterstützung der Herrscher Württembergs, Badens, Hessen-Darmstadts und Oldenburgs an, wobei er hinzufügte, er wünsche, daß für Eugène de Beauharnais ein Fürstentum gefunden werde.26 Alexander war am 14. September von Moskau nach Wien aufgebrochen. Sechs Tage später erreichte er Adam Czartoryskis Landgut in Puławy an der Weichsel, wo ihn eine große Versammlung bedeutender polnischer Patrioten erwartete. Zwei Tage verbrachte er in Puławy und versprach vor seiner Weiterreise, einen polnischen Staat mit mehr als zehn Millionen Einwohnern wiederherzustellen, zu welchem Zweck er das Großherzogtum Warschau um polnische Gebiete erweitern würde, die Rußland zuvor erobert hatte. Wie er den versammelten Polen erzählte, habe er dafür die Zustimmung Friedrich Wilhelms, und er gehe davon aus, daß Österreich keine Einwände erheben werde. Die größte Schwierigkeit würde sein, den russischen Widerständen zu trotzen, aber er versicherte den Patrioten, daß er sich von seinem Entschluß nicht abbringen lassen werde, und führte als Beispiel an, wie er bereits zuvor den Schweden abgenommene Gebiete an Finnland zurückgegeben hatte, nachdem er 1809 auch den Rest des Landes erobert hatte. «Euch glücklich zu machen, wird mein eigenes Glück bedeuten», sagte er den versammelten Polen, bevor er in seine Kutsche stieg und weiterfuhr.27 Feierlich zog Alexander am Mittag des 25. September, einem schönen, sonnigen Tag, in Begleitung Friedrich Wilhelms in Wien ein. Kaiser
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Kaiser Franz I. von Österreich begrüßt Zar Alexander I. von Rußland und Friedrich Wilhelm III. von Preußen am 25. September 1814 vor den Toren Wiens.
Franz hatte sie vor den Stadttoren willkommen geheißen, und Seite an Seite ritten die drei Monarchen in die Stadt. Ihnen voraus ging die königlich ungarische Nobelgarde in ihren prächtig bestickten Husarenuniformen, geführt von Fürst Esterházy, dessen juwelenbesetzte Aigrette und perlenverzierte Stiefel allgemeine Bewunderung weckten. Danach kam, unter dem Jubel des Volkes und dem Salut der Kanonen, ein glitzerndes Gefolge von Generälen inmitten von Reihen prächtig uniformierter österreichischer Soldaten. Die Monarchen ritten zur Hofburg, wo sie wohnten. Alexander erhielt für sich und seine Dienerschaft den Amalientrakt, während Friedrich Wilhelm Gemächer bezog, die ihm die Kaiserin überließ. Es folgte ein Empfang mit allgemeiner Vorstellung, nach der Alexander Metternich zu einer Unterredung bat. «Ich kehre soeben von Hofe zurück», schrieb Metternich an diesem Abend Wilhelmine. «Statt bei
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meiner Geliebten zu sein, hatte ich mein erstes Scharmützel mit dem Kais. A. Er hatte mich zu sich beordert und ich sah, daß er das Terrain sondieren wollte. … mit dem Ergebnis, daß der Kais. nichts weiß von dem, was ich will, während ich mir über alles im klaren bin, was er will.»28 Metternich wußte es nicht einmal annähernd. Alexander hatte nicht die Absicht, länger als drei Wochen in Wien zu bleiben. Er war nicht gekommen, um zu verhandeln, sondern um seine Wünsche vorzutragen und mit seiner Gegenwart und Autorität die abschließende Regelung zu beschleunigen. Auf keinen Fall würde er hinsichtlich seiner Pläne zu Polen auch nur einen Millimeter zurückweichen. «Er hat den festen Entschluß gefaßt und wird beim Voranschreiten entweder den Kaiser von Österreich mit sich ziehen oder über ihn hinwegschreiten, aber nichts wird ihn aufhalten», erklärte die Zarin ihrer Mutter.29 Am nächsten Tag wurde Castlereagh zum Gespräch mit dem Zaren zitiert; es dauerte zweieinhalb Stunden. Alexander behandelte ihn «mit großer persönlicher Freundlichkeit», verhüllte aber nicht seine Entschlossenheit, seinen Plan von einem Königreich Polen unter russischer Oberherrschaft durchzusetzen. Wie er Castlereagh versicherte, stünde dahinter kein persönlicher Ehrgeiz, vielmehr sei es so, daß ihn «ein moralisches Pflichtbewußtsein zu dieser Maßnahme veranlaßte, die sich für die britische Nation als nicht anders als wohltuend erweisen kann». Castlereagh erwiderte, das Volk von England würde die Wiederherstellung eines unabhängigen Polen freudig begrüßen, nicht jedoch eines Polens unter russischer Herrschaft, und forderte den Zaren auf, den Polen zu ihrem wahrhaftigen Glück zu verhelfen und ihnen die volle Unabhängigkeit zu geben. Alexander gestand, daß er dazu nicht in der Lage sei, da die öffentliche Meinung in Rußland einen solchen Schritt nicht dulden würde. Castlereagh wiederholte, daß Alexanders Plan nicht konsensfähig sei und zu Spannungen mit Österreich und Preußen führen werde, und sollte Alexander ein solches Königreich als Teil seines Kaiserreichs errichten, würde es früher oder später von einem seiner Nachfolger wieder beseitigt werden.30 Am nächsten Tag suchte Nesselrode Castlereagh auf, um herauszubekommen, was dieser von den Vorschlägen des Zaren wirklich hielt, und bekam dieselbe Antwort. Er erfuhr außerdem, daß Rußland, sollte es das gesamte Großherzogtum auch weiterhin für sich beanspruchen,
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«den Eindruck erwecke, es mache den Versuch, jenes System wiederzubeleben, das zu zerstören wir uns alle verbündet hatten», indem er nämlich die Hegemonie Frankreichs durch die Rußlands ersetze. Ein solcher Versuch würde auf alle Beteiligten «abstoßend» wirken und, wie Castlereagh Nesselrode versicherte, früher oder später zum Krieg führen.31 Am nächsten Morgen suchte Castlereagh Hardenberg auf, dessen Unterstützung gegen Alexander er zu gewinnen hoffte, aber er fand den preußischen Kanzler in gedrückter Stimmung vor. Er hatte am Vortag eine Audienz bei seinem eigenen König gehabt und erfahren, daß Friedrich Wilhelm sich von Alexander hatte überreden lassen, dessen Ansprüche auf polnische Gebiete zu akzeptieren. Zum Thema Polen führte Metternich am 28. September ein weiteres Gespräch mit Alexander, der unnachgiebig blieb. Alexanders Auftreten war anders geworden, und Metternich sah ein, daß er sich nicht mehr beeinflussen lassen würde wie einst. Zudem waren im Gegensatz zum Feldzug während des Vorjahrs die vielen gesellschaftlichen Verpflichtungen in Wien wenig dazu angetan, jemanden auf eine Verabredung festzulegen. «Nichts als Visiten und Gegenvisiten; Essen, Feuerwerk, Beleuchtung», notierte Erzherzog Johann am 29. September in seinem Tagebuch. «Überhaupt habe ich seit 8–10 Tagen nichts gethan. Das ist ein Leben!»32 Das einzig Positive in dieser sonst so trüben Lage brachten Metternich die täglichen Berichte von Baron Hager, die zeigten, daß der Überwachungsapparat, den sie aufgebaut hatten, angesprungen war. Einer ihrer Agenten hatte sich in der russischen Gesandtschaft erfolgreich als Kammerdiener verdingt. Es war gelungen, die jüdischen Bankhäuser zu infiltrieren, was interessante Einblicke in die finanziellen Verhältnisse und Geschäfte der Delegierten ermöglichte. Ein österreichischer Beamter in der Staatskanzlei, der Einzelheiten an den päpstlichen Nuntius weitergab, war entlarvt worden. Ärgerlicherweise hatten die Briten eigene Dienstmädchen eingestellt, und weder in die Botschaft noch in Castlereaghs Privaträume hatte man jemanden einschleusen können, aber etliche Mitglieder der britischen Delegation hatten Prostituierte aufgesucht, und der ungarische Wein, der ihnen so sehr mundete, machte sie gesprächig. Einige dieser Berichte waren unsäglich trivial. In einem wurde gewissenhaft festgehalten, man habe britische Beschwerden gehört, daß es nirgendwo in Wien anständigen Tee gebe. Andere waren unterhaltsamer. «Die Fürstin Paul Esterházy hat eine Affäre,
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von der jeder weiß, mit dem Fürsten Karl von Liechtenstein (einem Ulanenoffi zier)», berichtete ein Agent. «Ihr Ehemann, der Fürst Paul, ist ebenso eifersüchtig wie verzweifelt. Ihre Mutter, die Fürstin von Taxis, hat für ihre Tochter Partei ergriffen; in dieser Familie ist die Hölle los.»33 Am 29. September hielten die Minister der vier Mächte ihre erste offi zielle Sitzung ab, bei der Gentz das Protokoll führte. Er vermerkte, es ginge in der Konferenz «sehr lebhaft» her und gebe viele «starke Debatten». Man einigte sich dennoch auf den Text einer Erklärung, der den geplanten modus operandi darlegte. Darin wurden die Probleme erläutert, die in einer Generalversammlung wahrscheinlich zur Sprache kommen würden, und es wurde versichert, daß man sich nur durch Erwägungen für das Wohl der Allgemeinheit leiten lassen werde. «Im Sinne eines ordnungsgemäßen und methodischen Vorgehens», hieß es, «war es von offenkundiger Notwendigkeit, die Arbeit durch ihre Konzentration zu vereinfachen.» Es folgte das weitere Vorgehen, auf das man sich am 23. September geeinigt hatte.34 Sie beschlossen, diese Erklärung am nächsten Morgen den Bevollmächtigten von Frankreich und Spanien zu unterbreiten, einen Tag, bevor sie öffentlich gemacht werden sollte. An diesem Abend gab es Feuerwerke, und die Stadt war in Erwartung des Kongresses, der zwei Tage später eröffnet werden sollte, festlich illuminiert.
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Am folgenden Tag, dem 30. September, wurde Talleyrand kurz nach neun Uhr in seinem morgendlichen Lever unterbrochen, als man ihm eine Note von Metternich überbrachte. Sie war beleidigend knapp und berührte ihn unangenehm: Der Bevollmächtigte Frankreichs wurde aufgefordert, einer Ministerkonferenz der vier alliierten Großmächte in Metternichs Residenz am Rennweg beizuwohnen. Er verfaßte gerade eine schroffe Antwort, als ihm der Bevollmächtigte Spaniens gemeldet wurde. Don Pedro Gómez Havela, Marqués de Labrador, war Dichter. Er hatte aber nichts Zartfühlendes oder Zurückhaltendes an sich, ebensowenig wie er von seinem Wesen her Diplomat war: «Aufgewachsen in der Estremadura und ausgebildet in Salamanca, also nicht für den Export bestimmt», wie sein Biograph urteilte. Als Gesandter bei zwei Päpsten und dem König von Etrurien, dann als Außenminister der Cortes von Cádiz, hatte er ein wechselvolles Leben geführt, das immer wieder durch Aufenthalte in französischen Kerkern unterbrochen worden war. Er war leidenschaftlicher Reaktionär und überzeugter Befürworter der repressivsten Maßnahmen König Ferdinands. Zweierlei wollte er beim Kongreß erreichen: zum einen, Ferdinands Schwester, die Königin von Etrurien, wieder auf den Thron von Parma, Piacenza und Guastalla zu bringen, oder ihr, falls das nicht gelänge, ein anderes Königreich in Italien zu verschaffen, vielleicht in Genua (das im Pariser Vertrag dem König von Sardinien versprochen war); zum anderen sollte Louisiana für Spanien zurückgewonnen werden (das seit 1803 zu den Vereinigten Staaten von Amerika gehörte).1 Labrador stürzte in Talleyrands Ankleidezimmer und wedelte aufgeregt mit einer Note, wie sie der französische Minister soeben selber erhalten hatte. In seiner Antwort hatte Talleyrand geschrieben, daß er
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sich gern mit den Bevollmächtigten Rußlands, Großbritanniens, Österreichs, Spaniens und Preußens treffen wolle; nun empfahl er Labrador, in ähnlicher Weise zu antworten und in seine Aufzählung Frankreich einzufügen.2 Als Talleyrand kurz vor der festgelegten Zeit von zwei Uhr nachmittags hineingeführt wurde, sah er sich in einem weiten Raum, durch den sich eine lange Tafel erstreckte. An ihrem Kopfende saß Castlereagh. Am anderen Ende war Gentz mit gezückter Feder zur Protokollführung bereit, während Metternich, Nesselrode, Hardenberg und Humboldt an den Längsseiten Platz genommen hatten. Talleyrand hinkte auf einen freien Stuhl zwischen Castlereagh und Metternich zu und setzte sich. Dann fragte er, warum man ihn allein, ohne den zweiten Bevollmächtigten seines Landes geladen hatte. Man erklärte ihm, daß alle diese Treffen nur unter Teilnahme der Hauptbevollmächtigten abgehalten würden. Was in diesem Falle die Anwesenheit Humboldts zu bedeuten habe? Hardenbergs Behinderung (er war schwerhörig) mache die Gegenwart eines Assistenten erforderlich, lautete die Antwort. Talleyrand entgegnete, auch er leide unter einer Behinderung – was Hardenberg, der ihn in seinem Tagebuch regelmäßig als «Monsieur Bocksfuß» bezeichnete, zweifellos bewußt war –, und verlangte, zukünftig einen Assistenten mitbringen zu dürfen. Nachdem auch Labrador erschienen war und Platz genommen hatte, verlas Castlereagh einen Brief von Dom Pedro de Sousa Holstein, Graf von Palmela, dem Bevollmächtigen Portugals, der sich beschwerte, daß man ihn und den schwedischen Bevollmächtigten nicht eingeladen habe, und forderte, daß alle Entscheidungen von den acht Unterzeichnern des Pariser Vertrags gemeinsam zu treffen seien, und nicht nur von sechsen oder vieren. Darüber wurde diskutiert, eine Entscheidung dazu aber verschoben. «Gegenstand der heutigen Konferenz», teilte Castlereagh Talleyrand mit, «ist es, Sie über die bisherige Arbeit der vier Höfe seit unserer Ankunft in Wien zu unterrichten.» Er wandte sich Metternich zu, der Talleyrand die Erklärung zum Prozedere überreichte, auf das sie sich am 23. September so mühsam geeinigt und das sie am Vortag unterzeichnet hatten. Stirnrunzelnd überflog Talleyrand den Text. Wie er Ludwig XVIII. später berichtete, habe er «in jedem Paragraphen dieses Schriftstücks» das Wort «Verbündete» vorgefunden. «Ich nahm Anstoß an diesem Aus-
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druck, ich sagte, derselbe nöthige mich zu fragen, wo wir eigentlich wären, ob etwa noch in Chaumont oder in Laon, ob kein Friede geschlossen wäre, ob eine Feindseligkeit bestehe und gegen wen.» Er weidete sich am Unbehagen der Anwesenden, las den Text der Erklärung immer wieder und sagte scheinbar verblüfft: «Es gibt für mich zwei Daten, zwischen denen nichts liegt: das eine ist der 30. Mai, an dem die Bildung des Kongresses vereinbart ist, und der 1. Oktober, an dem er zusammentreten soll. Alles, was inzwischen geschehen ist, ist mir fremd und existiert für mich nicht.» Was immer die anderen von dem Treffen erwartet hatten, so bestimmt nicht diese Reaktion, und sie waren um Argumente verlegen. So zogen sie ihre Erklärung zurück, die nur der erste einer Vielzahl von gescheiterten Vorstößen sein sollte. Dann versuchten sie, Talleyrand und Labrador von der Notwendigkeit zu überzeugen, in kleineren Ausschüssen zu arbeiten, in denen alle vertretenen Interessen ihr jeweiliges Anliegen vorbringen könnten; deren Entscheidungen sollten schließlich auf der ersten Vollversammlung des Kongresses ratifiziert werden. Talleyrand blieb bei seiner Meinung. Wenn sie den Wunsch hätten, die Zustimmung Europas für ihre Entscheidungen zu gewinnen, solle man sich darum am Anfang und nicht erst am Ende bemühen. Castlereagh und Metternich wandten ein, daß eine allen offenstehende Konferenz zu endlosen Komplikationen führen und im Chaos enden würde. Im Wissen, wie wenig es Talleyrand behagte, einen Bevollmächtigten Murats zuzulassen, gaben sie zu bedenken, daß man unter diesen Umständen einen Gesandten Neapels nicht ausschließen könne. Aber Talleyrand ließ sich nicht irritieren. Er kenne keinen anderen König von Neapel als Ferdinand IV., entgegnete er, und dessen Bevollmächtigter solle selbstverständlich teilnehmen. Die Festigkeit, die er und Labrador bei diesem ersten Treffen zeigten, brachte die anderen aus dem Konzept. Sie hatten sich daran gewöhnt, nur auf einander zu hören, und nicht damit gerechnet, über einzelne Punkte mit den Bevollmächtigten von Mächten reden zu müssen, die sie lediglich als passive Teilnehmer angesehen hatten. «Die Stellungnahme dieser beiden warf unsere Pläne wild durcheinander und ließ sie scheitern», notierte Gentz in seinem Tagebuch. «Sie protestierten gegen das Verfahren, auf das wir uns geeinigt hatten; sie beschimpften uns zwei Stunden lang heftig; es ist eine Szene, die ich nie vergessen werde.»3
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Metternich war über den Ausgang des Treffens so aufgebracht, daß er sich während der nächsten Stunden damit ablenkte, sich um die Vorbereitungen für den Ball zu kümmern, den er in einigen Tagen geben würde; es beruhigte seine Nerven, sich mit irgend etwas Unernstem zu beschäftigen. An diesem Abend besuchte er Wilhelmine und verbrachte die Nacht bei ihr. Erst am nächsten Tag, als er die Polizeiberichte las, erfuhr er, was sich zur selben Zeit im gegenüberliegenden Flügel bei der Fürstin Bagration ereignet hatte. Da die Fürstin am Abend indisponiert war, sollte die Dienerschaft sagen, sie sei nicht zu Hause. Spätnachts jedoch hörte sie die Klingel und dann aufgeregtes Hinundherlaufen, woraufhin sie in ihrer Nachtkleidung auf den Treppenabsatz hinaustrat und den Zaren die Treppe heraufkommen sah. Sie bat ihn herein; den Polizeiberichten nach blieb er drei Stunden. Er befragte sie ausgiebig zu ihrer Affäre mit Metternich und gab erst Ruhe, als sie ihm versichert hatte, sie habe Metternich nie geliebt.4 Während Metternich und Alexander im Palais Palm ihrem Vergnügen nachgingen, feilte Talleyrand an einem Dokument, das die vier Minister noch mehr verärgern würde als sein Auftritt am Nachmittag. Er verschickte seine Note am nächsten Tag, dem 1. Oktober, an die Bevollmächtigten aller acht Unterzeichner des Pariser Vertrags. Sie forderte: Die acht sollten durchaus die inhaltliche Vorarbeit leisten, die formalen Regelungen der Konferenz festlegen und Ausschüsse zur Beratung spezifischer Fragen ernennen, aber sie hätten kein Recht, ohne Einbeziehung aller beteiligten Mächte Entscheidungen zu treffen, die Europa als Ganzes angingen. Nachdem seine Note auf den Weg gebracht war, begab sich Talleyrand zu Alexander, der ihn zur Audienz bestellt hatte. Wie Talleyrand später Ludwig XVIII. berichtete, «ergriff der Zar meine Hände; aber seine Züge waren nicht so wohlwollend, wie gewöhnlich. Er sprach kurz abgebrochen; seine Haltung erschien mir ernst und sehr gemessen.» Er stellte einige Fragen zur politischen Lage in Frankreich und kam dann entschlossen zur Sache. «Lassen Sie uns jetzt von unseren Angelegenheiten sprechen, denn wir müssen hier damit zu Ende kommen», sagte er. «Das hängt einzig und allein von Ew. Majestät ab», antwortete Talleyrand. «Sie werden sie rasch und glücklich erledigen, wenn Ew. Majestät
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sie mit derselben Hochherzigkeit auffassen, die Sie für Frankreich zeigten.» «Aber jeder muß seinen Vorteil dabei finden.» «Und jeder seine Rechte.» «Ich behalte, was ich mit meinen Truppen besetzt habe.» «Ew. Majestät werden nicht behalten wollen, was Ihnen nicht rechtmäßig gehört.» «Aber die Großmächte sind mit mir einverstanden.» «Ich weiß nicht, ob Ew. Majestät Frankreich auch zu diesen zählt?» «Ja, gewiß, aber wenn Sie absolut nicht wollen, daß jeder seinen Vorteil finde, was verlangen Sie denn?» «Ich stelle das Recht voran, die Vorteile kommen hinterher.» «Die Vorteile Europas bilden das Recht.» «Diese Sprache, Sire, ist nicht die Ihrige; Ihr Herz weiß nichts davon.» «Doch, doch; ich wiederhole: was für Europa vorteilhaft ist, das ist auch das Recht.» Im Verlauf des Gesprächs wurde Sachsen nicht ein einziges Mal genannt, aber als Alexander indirekt auf Friedrich August als einen derjenigen anspielte, «welche die Sache Europas verraten haben», überraschte ihn Talleyrand. «Sire, das ist eine Sache von altem Datum», entgegnete er und erinnerte Alexander daran, daß auch er, wie die meisten der in Wien anwesenden gekrönten Häupter, sich irgendwann mit Napoleon gegen die anderen verbündet habe. Als sich die Audienz dem Ende zuneigte, bat Talleyrand den Zaren, das Wohl Europas an erste Stelle zu setzen. «Eher den Krieg, als daß ich auf das verzichte, was ich besetzt halte», antwortete er, und als Talleyrand darauf nichts erwiderte, rief er, als würde er es bedauern: «Jetzt ist es aber Zeit fürs Theater; ich muß hingehen, ich habe es dem Kaiser versprochen, man erwartet mich.» Er verließ den Raum, kehrte aber sogleich zurück, umarmte Talleyrand und ging wieder hinaus.5 Am Abend sah man Alexander auf einem Ball der Fürstin Bagration, auf dem er mit den schönsten Frauen tanzte und plauderte und den er erst um vier Uhr früh verließ. In den Salons tuschelte man darüber, daß Talleyrand und der Zar eine «im Ton sehr lebhafte und bemerkenswerte Unterredung geführt hatten, in der auf beiden Seiten mit den heftigsten und drohendsten Vorhaltungen nicht gespart worden war». Die Preußen,
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die fürchteten, daß Talleyrand Alexanders Pläne hinsichtlich Polens, und somit ihre eigenen hinsichtlich Sachsens, durchkreuzen könnte, verbreiteten bereits, daß Frankreich versuche, einen neuen Krieg zu provozieren.6 Am nächsten Morgen, dem 2. Oktober, beriet Hardenberg mit Metternich, wie mit Talleyrands Note zu verfahren sei. Er war wütend über diese französische Einmischung in die Befugnisse der vier Großmächte. Metternich wiederum war durch die Weigerung des Franzosen gekränkt, ihm die Orchestrierung der Verhandlungen zu überlassen. Aber Talleyrands Vorgehen enthielt noch alarmierendere Aspekte: Man hatte den Inhalt der Note durchsickern lassen, und das hatte die Bevollmächtigten dreizehn kleinerer deutscher Staaten dazu angestachelt, sich zusammenzutun und größere Staaten wie Bayern aufzufordern, sich ihrem Widerstand gegen diese «Usurpation» seitens der Großmächte, wie sie es nannten, anzuschließen. So bekam die nachmittägliche Zusammenkunft bei Metternich einen in Castlereaghs Worten «höchst unerfreulichen Anstrich». Sie beschlossen, Talleyrands Note nicht mit einer förmlichen Antwort zusätzlich aufzuwerten, aber fanden nun, sie müßten jetzt zumindest Portugal und Schweden in ihre Beratungen einbeziehen.7 Am Abend fand in der Hofburg zum Kongreßauftakt ein großer Ball mit mehreren tausend Menschen statt. Es war ein prachtvolles Ereignis, das sich nicht nur über zwei riesige Säle, sondern auch über die Hofreitschule hinzog, wobei Reihen von Orangenbäumen in Kübeln die Wege markierten. «Die Beleuchtung der großen Reithalle war das Glanzvollste, was ich je gesehen habe», schrieb der englische Delegierte Lord Apsley an Lord Bathurst nach London. «Die Lüster an den Wänden strahlten in alle Richtungen, überdies befanden sich in den Räumen drei Reihen mit Leuchtern (insgesamt 24), von denen jeder Leuchter sechzig Kerzen hatte. Die acht Leuchter in der mittleren Reihe trugen jeweils sogar siebzig Kerzen.» Der Marchese di San Marzano, Bevollmächtigter des Königs von Sardinien, zählte 12 000 Lichter, Carl Bertuch, der die deutschen Buchhändler vertrat, 16 000. Allein, um sie anzuzünden, benötigte eine große Dienerschar viel Zeit, und der Marchese staunte über die Effi zienz von Organisation und Bedienung.8 Auch Elise von Bernstorff, eine junge Deutsche, die mit dem dänischen Botschafter in Wien verheiratet war, hatte so etwas noch nie gesehen. «Anstatt der Fenster sah man enorme Spiegel, aus denen der
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Ein Ball in der Wiener Hofreitschule, von Johann Nepomuk Hoechle. «Die Beleuchtung der großen Reithalle war das Glanzvollste, das ich je gesehen hatte», schrieb Lord Apsley.
Widerschein von hunderttausend Lichtern blitzte», schrieb sie. «Die Treppe führte, sich nach zwei Seiten theilend, hinunter in den jetzt herrlich parkettirten unteren Saal, an dessen Wänden sich Estraden amphitheatrisch erhoben. Geblendet, beinah schwindelnd, weilte ich einige Momente oben, um dann von unten aus den glänzenden Zug anzustaunen, als der zahlreiche Wiener Hof mit allen fremden Höfen vereint, die Treppe herabkam.»9 «Gedränge», notierte Hardenberg in seinem Tagebuch. Er mochte große Ansammlungen nicht und war ohnehin schlechter Stimmung, aber nicht einmal er konnte sich den Zusatz verkneifen «– viele schöne Frauen». Manche notierten den Klatsch, wer mit wem getanzt hatte, andere spotteten darüber, daß Lady Castlereagh dem Ball fernblieb, weil es Sonntag war – dieser Tag wurde in der britischen Botschaft mit einem anglikanischen Gottesdienst begangen.10 Graf Schönholz war höchst beeindruckt von der Qualität der Büffets, teilte aber Hardenbergs Abneigung gegen das Gedränge, für das er die
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Leute verantwortlich machte, die am Eingang die Eintrittskarten einbehielten «und diese gleich wieder zu sehr schönen Preisen verkauften», wie er schrieb. «Von zehntausend mit der kaiserlichen Krone geprägten Tee- und Eislöffeln soll, der Sage nach, ein Viertel im Gedränge sich verloren haben.»11 Der Eröffnungsball hätte ein Erfolg sein können, aber zu einer Eröffnung kam es nicht. Tags darauf, am 3. Oktober, entwarf Castlereagh eine Erklärung, in der der Kongreß mit der Begründung vertagt wurde, daß die Bevollmächtigten der wichtigsten Staaten mehr Zeit zur Vorbereitung benötigten. Am selben Tag setzte Talleyrand eine weitere Note auf, in der er gegen diese Verschiebung protestierte und die Gelegenheit nutzte, seine bereits vorgetragenen Argumente zu wiederholen; diese Note brachte er außerdem einem weiteren Kreis von Delegierten zur Kenntnis.12 Am Abend trafen sich alle auf einem Ball wieder, den Metternich für die in Wien weilenden Souveräne gab und den er selber minutiös vorbereitet und choreographiert hatte. Rund um seine Residenz hatte er eine Reihe von Gebäuden errichten lassen, einschließlich eines großen Eingangs mit einer überdachten Treppe; sie führte zu einer Reihe von Gemächern, von denen jedes für ein Feldlager jeder der alliierten Armeen stand. Wenn die Monarchen diese durchschritten, wurden sie von Militärmusik und jubelnden Soldaten empfangen, die auf den Spitzen ihrer Bajonette Tschakos und Bärenfellmützen schwenkten. Von hier aus begaben sie sich in den kunstvoll illuminierten Garten, an dessen Ende sie ein riesiges Büffet sehen konnten, das «für die weniger vornehmen Personen» angerichtet worden war. Etwas abseits des Hauptweges stießen die Souveräne auf ein kleines Wäldchen, das man zu einem Amphitheater umgestaltet hatte und wo ein kurzes Schauspiel aufgeführt wurde. Beim Weitergehen betraten sie ein russisches Dorf, in welchem tanzende und jauchzende Bauern ihren siegreichen Zaren willkommen hießen. Noch etwas weiter blieben sie wieder stehen, um sich ein Ballett auf einem Rasen anzusehen, der mit Blumensträußen geschmückt war, die zum Abschluß von den Tänzerinnen aufgelesen und den Souveränen zu Füßen gelegt wurden, während ein Chor seine Freude und Verehrung intonierte. Nach dem Rundgang betrat die königliche Gesellschaft das Haus über eine überdachte, mit Orangenbäumen gesäumte Treppe und er-
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reichte eine große Halle, in der eine Gruppe Soldaten exerzierte; von dort aus ging es schließlich in den neu errichteten Ballsaal. Er war von einer Kolonnade umschlossen, die eine Galerie stützte; von der aus konnten die Gäste den Tanz beobachten. Der Brandgefahr wegen hatte man für die Dekoration des Ballsaals keinen Stoff verwendet, sondern ihn statt dessen mit Blumengirlanden geschmückt. Die Souveräne schauten sich schließlich ein Feuerwerk an, nach welchem der Ball endlich beginnen konnte. Für die Personen höheren Ranges wurde im Haus ein Souper aufgetragen. Ein aufmerksamer Gast bemerkte über Metternichs Einladungen «daß dieser Gesandte Tafelgeschirr wie ein Herrscher hatte; mehr als hundertfünfzig Personen speisten bei ihm von silbernen Tellern. Jede Tafel hatte Suppenterrinen, Krüge, Schüsseln, Bestecks usw., gearbeitet mit dem erlesenen Geschmack, den man nur bei dem für gekrönte Häupter bestimmten Tafelgeschirr findet.»13 Am nächsten Morgen veranstaltete man für die Souveräne eine Jagd in Mariabrunn. Über hundert Wildschweine wurden geschossen, die meisten durch den selbst etwas schweinshaften König von Württemberg. Nach dem Gemetzel zog sich die königliche Gesellschaft zum Diner in ein nahegelegenes Schloß zurück. Es folgte ein Ball, auf dem der sonst so biedere Kaiser Franz mehrfach mit Zarin Elisabeth tanzte.14 Am 5. Oktober trafen sich die vier Minister zu einer, in Hardenbergs Worten, «sehr erregten Besprechung über die Noten des Monsieur Bocksfuß». Deren Resultat war ein energischer Brief an Talleyrand, in dem Castlereagh die Meinung der Vier zusammenfaßte. Dieser Brief löste eine Antwort aus, in der Talleyrand zwar beteuerte, daß «niemandem weniger daran gelegen ist als mir, Schwierigkeiten zu bereiten und niemand mehr als ich begehrt, zu vereinfachen, abzukürzen und zu einem Ende zu kommen». Dennoch halte er an seiner Überzeugung fest: Bereits zu Beginn des Verfahrens der Gesamtheit der Teilnehmer ein Mitspracherecht zu versagen, habe zur Folge, daß den Schlußentscheidungen jede Legitimität fehlen werde.15 Etwas später kam es am selben Tag zu einer weiteren, von Gentz als «lang und stürmisch» bezeichneten Zusammenkunft, an der auch Talleyrand und Labrador teilnahmen. Metternich forderte Talleyrand auf, seine Noten zurückzuziehen, und führte nochmals alle Gründe auf, warum die Vier das Verfahren weiterhin kontrollieren sollten. Talley-
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rand weigerte sich. Wenn sie wünschten, in dieser Weise fortzufahren, könnten sie das ohne ihn tun; er werde gemeinsam mit den anderen in Wien Versammelten auf die Eröffnung des Kongresses warten. Es war eine kaum verhüllte Drohung – Talleyrand abseits bei den anderen zu wissen, wo er Hunderte große und kleine verärgerte Bittsteller um sich scharen konnte, war keine verlockende Aussicht. Gentz war verzweifelt. «Ich wage es nicht zu sagen, und niemand kann es zur Stunde genau sagen, welches Ergebnis dieser schlecht entworfene, schlecht berechnete und schlecht vorbereitete Kongreß haben wird, den ich als eins der schlimmsten Projekte unserer ereignisreichen Zeit betrachte», schrieb er am 6. Oktober. «Mit Gewißheit glaube ich jedoch behaupten zu können, daß er keinen der Vorteile bringen wird, die Europa von dieser Versammlung zu erwarten die Gutmütigkeit hatte.»16 Nach diesen schmerzhaften Gedanken über das Schicksal des Kongresses begab sich Gentz, wie ganz Wien, in den Augarten, wo ein Volksfest stattfinden sollte. Die Helden waren diesmal etwa vierhundert Veteranen des letzten Krieges, die an den Fürsten vorbeidefilierten und sich dann gemeinsam mit ihnen zu einem Bankett niederließen. Zu den weiteren Attraktionen gehörten Ponyrennen, Wettkämpfe, akrobatische Darbietungen, Zielschießen mit Tiroler Armbrustschützen und sogar ein Heißluftballon. Zigeuner, ungarische Bauern und Vertreter anderer Völker des Habsburgerreiches führten Volkstänze auf, und es spielten verschiedene Kapellen und Orchester auf, während die Fürsten durch den Park schlenderten und mit den Veteranen plauderten. Bei Einbruch der Dunkelheit wurde die Szenerie von Tausenden Laternen beleuchtet. Der Sekretär der Genfer Delegation, Jean-Gabriel Eynard, war von den Arrangements sehr beeindruckt, aber ihn befremdete, wie wenig die Einheimischen begeistert waren. «Das Volk spazierte ohne Fröhlichkeit umher», schrieb er in sein Tagebuch.17 Die meisten waren nur gekommen, um die Souveräne zu sehen. Nie zuvor in der Geschichte Europas hatten gekrönte Häupter sich derart ungezwungen und distanzlos unter das Volk gemischt. Infolgedessen war das Fest gut besucht, und Gräfin Bernstorff beschwerte sich, das Gedränge sei so groß gewesen, «daß viele der vornehmen Damen mit zerrissenen Kleidern heimkamen und manches Stück ihres Schmuckes nachher vermißten».18
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Das nächste Treffen, zu dem auch Talleyrand und Labrador geladen waren, wurde am 8. Oktober abgehalten. Talleyrand traf frühzeitig ein. Metternich versuchte ihn zu ködern, indem er ihm im Gegenzug für ein Einlenken anbot, die Vertreibung Murats aus Neapel zu forcieren. Aber so leicht ließ sich Talleyrand nicht überrumpeln. «Hier ist Tinte und Feder», erwiderte er. «Wollen Sie es niederschreiben, daß Frankreich nichts davon für sich begehrt, ja, daß es nichts annehmen wird? Ich bin bereit, meinen Namen darunter zu setzen.» Metternich entgegnete, Frankreich wünsche doch, daß Murat aus Neapel entfernt werde; dies zumindest stelle eine Forderung dar. Talleyrand blieb unbeirrt. «Für mich ist es nur eine Principiensache», sagte er. «Ich verlange nur, denjenigen auf dem Thron von Neapel zu sehen, der auf ihn ein unbestreitbares Recht hat; weiter nichts, und jeder ehrliche Mann wird es mit mir verlangen. Solange man nach Grundsätzen handelt, wird man mich stets zuvorkommend finden.»19 Im Verhandeln war Talleyrand begnadet; er verstand es, sein Gegenüber zur Verzweiflung zu treiben, aber auch zu überreden; er wußte, wann er sich einzusetzen und wann er zu schweigen hatte. «Eine der Besonderheiten dieses Staatsmanns», beschrieb ihn Labrador, «war seine Fähigkeit, sich so sehr zu beherrschen, daß er sogar mitten in der lebhaftesten Auseinandersetzung resignieren und einschlafen konnte, wenn er in die Defensive geriet.»20 Als sich die anderen um acht Uhr abends hinzugesellten, verlas Metternich den Entwurf einer Erklärung, die er in Abstimmung mit Castlereagh, Nesselrode und Hardenberg verfaßt hatte, und in der die Eröffnung des Kongresses auf den 1. November verlegt wurde. Auf die Frage, ob er zusammen mit ihnen unterschreibe, bekundete Talleyrand seine Bereitschaft, jedoch unter der Bedingung, einen Satz des Inhalts einzufügen, man werde «nach den Grundsätzen des Völkerrechts verfahren». Dies verärgerte die meisten Minister und brachte Hardenberg in höchste Rage, der aufsprang, mit der Faust auf den Tisch schlug und schrie (was bei seiner Schwerhörigkeit oft vorkam): «Nein, nein! Völkerrecht, das ist überflüssig! Weshalb sollen wir ausdrücklich sagen, daß wir nach dem Völkerrecht handeln werden? Das versteht sich ja von selbst.» Woraufhin Talleyrand erwiderte, wenn dem so sei, wäre es noch viel besser, es ausdrücklich zu sagen. «Was soll uns hier das Völkerrecht?» höhnte Humboldt und erhielt zur Antwort: «Ohne das Völker-
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recht wären Sie heute gar nicht hier.» Es folgte, laut Gentz, eine «ungemein lebhafte und unendlich kuriose Diskussion». Als sich der Tumult legte, wurde abgestimmt und Talleyrands Vorschlag angenommen. Sie hatten drei Stunden lang debattiert, und es war elf Uhr geworden.21 Talleyrand gefiel sich darin, seine Taten der ersten beiden Wochen in Wien als persönlichen Triumph und als Sieg für Frankreich darzustellen. Auf den ersten Blick schienen sie wenig bewirkt zu haben. Die großen Vier machten weiter wie bisher, trafen sich intern und waren entschlossen, sich bei wichtigen Beschlüssen nicht von anderen hineinreden zu lassen. Talleyrand führe sich auf, als sei er Minister Ludwigs XIV., höhnte Alexander, und Stewart tat sein Verhalten schlicht als «Boshaftigkeit» ab. In einem Brief an die Herzogin von Kurland räumte Talleyrand ein, er befinde sich jetzt «im Streit mit allen Potentaten der Welt», besonders mit den Preußen, tröstete sich aber mit dem Gedanken, es seien «schlimme Leute, und Monsieur de Humboldt schlimmer als jeder andere».22 Dennoch hatte er sein erstes Ziel erreicht. Er hatte vereitelt, daß die vier ehemaligen Alliierten bindende Beschlüsse fassen konnten, und er hatte Frankreich einen Platz im Kreis der Hauptakteure gesichert. «Die Festigkeit unseres Auftretens beginnt allmählich Eindruck zu machen», berichtete er Ludwig XVIII. zufrieden. Seine Worte hatten die Wirkung entfaltet, die er gewollt hatte. «Ist es nicht höchst erstaunlich», erklärte Baron von Hacke, der Bevollmächtigte Badens, «– zum ersten Mal seit Entstehung der Welt sprechen die Franzosen von Prinzipien; und niemand hört ihnen zu?»23 Talleyrands lautstarkes Beharren auf Legitimität war sicherlich etwas unverfroren, denn einerseits bestritt er die Legitimität von Murats Königstitel, weil ihm der von dem Usurpator Napoleon verliehen worden war, andererseits erkannte er die Titel an, die die Könige von Sachsen, Bayern und Württemberg vom selben Usurpator dankbar angenommen hatten. Auch hatte er nicht vor, dem Papst die feudalen Herrschaftsrechte über Avignon und das Comtat Venaissin zurückzugeben. Andererseits war er nicht ganz ohne Grund widerspenstig und halsstarrig. Der angeschlagene Ton beunruhigte ihn wirklich, besonders von seiten Rußlands und Preußens. Wenn er eines an Napoleon verabscheute, dann dessen Weigerung, irgendein anderes Recht außer dem des Stärkeren anzuerkennen; und nun mußte er zu seinem Ent-
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setzen erleben, wie die neuen Beherrscher Europas diese Haltung übernahmen. «In allen Kabinetten entdecke ich die Prinzipien und Denkweise von Bonaparte», vertraute er der Herzogin von Kurland in einem Brief vom 4. Oktober an.24 Die Strategie, die er gewählt hatte, machte sich offenbar bezahlt. Indem er Frankreich die Rolle der einzigen Großmacht zuschrieb, der es nicht um den eigenen Vorteil ging, fand er unter den kleinen deutschen Fürsten Anhänger, die in seiner Betonung von Legitimität die einzige Hoffnung sahen, ihre verlorene Herrschaft und ihre Privilegien zurückzugewinnen. Die kultivierte und zugleich zwanglose Atmosphäre seines Hauses, die sein geistreicher Witz noch attraktiver machte, die bezaubernde Gastgeberin Dorothea und die kulinarischen Meisterwerke Carêmes lockten immer mehr einflußreiche Persönlichkeiten an, was ihm Zugang zu vertraulichen Informationen (Gentz war ein regelmäßiger, den Gaumenfreuden zugeneigter Gast) und Einfluß in immer größeren Kreisen verschaffte. Er begann sich wohlzufühlen. Er ließ sich in seiner Nonchalance offenbar nicht stören, hielt sich an seine ganz besonderen Routinen und benahm sich, als sei er zu Hause. Eynard fiel dies auf, als die Genfer Delegierten Talleyrand am Morgen des 9. Oktober einen Besuch abstatteten. «Es schien, daß der Gesandte noch im Bett lag, denn man machte einige Schwierigkeiten, bevor man uns zu ihm hinaufgehen ließ, und im Augenblicke, als wir den ersten Salon betraten, sahen wir ein junges, nur mangelhaft bekleidetes Persönchen ziemlich hastig sein Zimmer verlassen», hielt er in seinem Tagebuch fest. Man ließ ihn und seine Begleiter warten, so daß man nun die Kammerdiener im Schlafzimmer ein- und ausgehen sah, bis schließlich nach einer Dreiviertelstunde Talleyrand heraustrat, vollständig bekleidet und mit Orden behangen.25 Talleyrands Vorgehen hatte nicht nur die Hoffnung der vier Minister zerstört, die Dinge rasch unter sich aushandeln zu können, es warf auch ein Licht auf eine grundlegende Schwachstelle ihrer Strategie. Metternich und Castlereagh hatten eine gemeinsame Front aus Österreich, Großbritannien und Preußen gegen den Zaren errichten wollen, in der Frankreich nur eine Nebenrolle zugedacht war. Aber dieser Plan würde nie aufgehen, so sehr Hardenberg sich dies auch gewünscht haben mochte.
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Friedrich Wilhelm war davon überzeugt, daß er sein Überleben auf dem Thron Alexander verdankte, und war ihm persönlich treu ergeben. Somit würde er sich in der polnischen Sache nicht gegen den Zaren stellen, wie sehr ihm die Vorstellung auch widerstrebte, dem legitimen Monarchen Sachsens sein Land zu nehmen. Castlereagh und Metternich waren nicht die einzigen, die sich vergeblich bemühten, ihn umzustimmen. Sein eigener Botschafter in Sankt Petersburg, General Friedrich von Schoeler, äußerte eine Meinung, die auch viele andere Preußen ihrem König hatten nahebringen wollen. «Anscheinend ist er überzeugt, daß er den Rang unter den Souveränen Europas, den er jetzt wiedererlangt hat, einzig dem Kaiser verdankt, ohne zu bedenken, daß, hätte er sich nicht mit ihm verbündet, das Großherzogtum Warschau Kriegsschauplatz des Jahres 1813 geworden und Rußlands Lage sehr prekär gewesen wäre», argumentierte er. Aber Friedrich Wilhelm hielt an seiner Sicht der Dinge fest. Und obwohl sich die preußische Öffentlichkeit mehr und mehr gegen Rußland wandte, vor allem wegen des Verhaltens der russischen Truppen bei ihrem Marsch durch ihr Land, gierte sie nach einem Gebietszuwachs, und wie es aussah, konnte nur Rußland ihn garantieren.26 Am 9. Oktober versuchte Castlereagh in einem langen Gespräch Hardenberg auf seine Seite zu ziehen. Der preußische Kanzler zeigte ihm eine von ihm verfaßte förmliche Note, in der alle territorialen Ansprüche Preußens aufgelistet waren. Was Sachsen betraf, war Castlereagh leidenschaftslos; er sah es nur als Tauschobjekt, das man im Interesse einer akzeptablen Einigung einsetzen könnte. Weil er unbedingt die Unterstützung Preußens gewinnen wollte, stimmte er daher den Forderungen unter der Bedingung zu, daß Preußen sich dem Widerstand Österreichs und Großbritanniens gegen die polnischen Pläne Alexanders anschlösse. Er ließ seinen Assistenten Edward Cooke dazu eine note verbale aufsetzen; heraus kam dann ein geschwätziger Text, der mit fadenscheinigen Begründungen nachzuweisen versuchte, daß Friedrich August von Sachsen infolge seines «kriminellen Verhaltens» alle Ansprüche auf seinen Thron verspielt habe und man sein Land infolgedessen als eines ansehen müsse, über das die Alliierten disponieren könnten. «Es ist schwer zu begreifen, wie Männer, die eine Reputation zu verlieren haben, solchen Armseligkeiten ihren Namen leihen können», war der Kommentar von Gentz. Castlereagh schickte die Verbalnote an
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Hardenberg weiter, wodurch er den preußischen Anspruch sanktionierte und ihn ermutigte, sein Ziel zu weiterhin verfolgen. In den Augen des niederländischen Gesandten Freiherr von Gagern war das ein schwerwiegender «faux pas», den man nur mit der Ignoranz der «Engländer […] mit ihrer Insular-Lage» erklären könne.27 Als nächstes suchte Castlereagh Talleyrand auf und wies ihn gründlich zurecht. Es sei «ungehörig, wenn die von den Alliierten wieder eingesetzten Bourbonen einen vorwurfsvollen oder verächtlichen Ton gegenüber jenen Arrangements anschlagen, die das Bündnis zusammengehalten haben», sagte er zu ihm. «Er schien ein Einsehen zu haben, aber ich habe jetzt meine ausländischen Kollegen lange genug erlebt, um zu wissen, daß ich mich auf äußere Eindrücke nicht ganz uneingeschränkt verlassen kann», gestand er Liverpool.28 An diesem Abend wurde ein großer Ball bei Hofe veranstaltet. Wieder fand er in der großen Reitschule statt, in der man eine Bühne errichtet hatte, auf der die Souveräne Platz nehmen konnten. «Der Anblick war atemberaubend, es war so hell, als ob am Mittag mehrere Sonnen gleichzeitig schienen», beschrieb es Anna Eynard, die junge Gattin des Sekretärs der Genfer Delegation. «Alles leuchtete so hell, daß man sich in einem jener Märchenpaläste hätte wähnen können, die uns ‹Tausendundeine Nacht› so hübsch geschildert hat.»29 Für die Herren war Galauniform mit sämtlichen Orden vorgeschrieben, für die Damen Diademe. Als besondere Attraktion hatte man bestimmt, daß einige der weiblichen Gäste die vier Elemente verkörpern sollten. «Als erstes kam ‹Luft›, dargestellt von zwölf Damen in blauer Gaze, mit Girlanden und Zephyrflügeln an den Schultern; dann kam ‹Feuer›, das aus Damen in roten Kleidern, rot-goldenem Kopfschmuck, um die Taille gelegtem goldenem Geschmeide und Fransen derselben Farbe bestand, die in den Händen brennende Fackeln trugen», berichtet Anna Eynard. «Auf ‹Feuer› folgte ‹Wasser›: Diese Nymphen waren in hellgrüne Gaze gehüllt und trugen mit Rohkorallen versehene Schilfrohrbüschel auf dem Kopf, wobei einige sich Muscheln ins Haar gesteckt hatten, das sich in Kaskaden über ihre Schultern ergoß; ihre Busen waren mit Korallen und Perlen übersät, usw. usw. Am hübschesten im ganzen Aufzug war zweifellos die Erde, die durch alles, was sie an besonders Schönem und Strahlendem besitzt, dargestellt wurde. … Die jungen Damen trugen silbern schimmernde Kleider, ihre Brüste
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waren mit Diamanten verziert, sittsam umrahmte ihr sorgfältig gebürstetes Haar die Gesichter, obenauf türmten sich entzückend geformte Körbe voller Diamanten, die ihre Köpfe umspannten und aus denen Blumenkaskaden hervorbrachen.» Nicht alle waren ähnlich stark beeindruckt. Im Tagebuch von Asinari de Saint-Marsan, Marchese de San Marzano, findet sich die Notiz: «Reichtum ohne Eleganz, eine Mischung aus jungen Hübschen mit Alten und Häßlichen.»30 Nachdem diese bizarren Erscheinungen den Saal durchschritten hatten und mit bewunderndem Applaus bedacht worden waren, begann der Ball. Derartige Hofbälle wurden stets von der Kaiserin und dem Zaren, gefolgt vom Kaiser und der Zarin, und immer so weiter, mit einer Polonaise eröffnet. Dieser feierliche Tanz, bei dem man sich höchst zierlich durch den Saal bewegte, hatte sich bei den ersten Bällen großer Beliebtheit erfreut, da er es allen möglich machte, die Majestäten aus nächster Nähe zu sehen. Aber nach wenigen Wochen hatte sich jeder Wiener Ladenbesitzer und Gassenbub zur Genüge mit den Gesichtern und Gestalten der hohen Gäste vertraut machen können, und deshalb drängte es die Anwesenden, jetzt zu anderen Tänzen überzugehen. Dazu gehörten üblicherweise das Menuett, die Quadrille und die Ecossaise, die allmählich von dem intimeren und lebhafteren Walzer verdrängt wurden – obgleich man ihn damals noch langsamer tanzte als wenige Jahrzehnte später, in denen Wien für seine Walzer berühmt wurde. An diesem Abend jedoch paradierten die Souveräne weiter durch die Säle, während das Orchester immer wieder dieselbe Polonaise spielte. Die Gäste empfanden die Monotonie und Freudlosigkeit der Veranstaltung bald als bedrückend, und so fielen sie über ein üppiges Büffet her, das laut Anna Eynard «tausend Köstlichkeiten, verschiedene Eissorten, Punsche, Brühen, Süßspeisen aller Art und die erlesensten Delikatessen» bot. Stewart in seiner prächtigen Husarenuniform voll blitzender Orden war entschlossen, sich trotz der ihn umgebenden Tristesse zu amüsieren, und man sah ihn sturzbetrunken und ausgelassen feiern.31 Nicht etwa Langeweile hatte Talleyrand veranlaßt, Dorothea auf dem Ball zurückzulassen und zeitig nach Hause zu gehen. «Die Lage sieht sehr düster aus», schrieb er um ein Uhr morgens der Herzogin von Kurland. Und nicht nur er war trüber Stimmung. «Sie werden sehen, wir treiben auf offener See», hatte Castlereagh am selben Tag frühmor-
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gens an Wellington geschrieben, «und können um günstige Winde und Strömungen nur noch beten.» Woher diese kommen könnten, war ungewiß.32 Für den nächsten Morgen hatte man einen Ausflug zu den Schlachtfeldern von Aspern und Wagram organisiert, was sich nicht als Erfolg erwies. Die russische Gruppe, vom Zaren und seinem Bruder, dem Großherzog Konstantin, bis zum kleinsten Subalternbeamten hinab, stichelte gegen ihre österreichischen Kollegen; die Schlacht bei Aspern und Eßling sei wohl kaum ein Sieg zu nennen und nur glückliche Umstände hätten eine Niederlage verhindert; die Niederlage bei Wagram sei hingegen ein zuverlässigeres Maß des kriegerischen Gewichts Österreichs gewesen. Es war nicht gerade der harmonische Umgangston, den man unter Verbündeten erwartet.33
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Das ganze letzte Jahr über hatten sich die Monarchen und ihre Minister über die Umstände beschwert, unter denen sie ihre Verhandlungen hatten führen müssen – etwa mittels Kurierreitern zu kommunizieren, die kreuz und quer über den Kontinent jagten, auf Schiffen über die Nordund Ostsee zu setzen, sich auf Schlachtfeldern und in Hütten am Wegesrand zu treffen oder gar während der Unwägbarkeiten eines Feldzugs in ländlichen Herbergen zu verhandeln. Zuversichtlich hatten sie einem ordentlichen Kongreß in einer zivilisierten Stadt mit all ihren Annehmlichkeiten entgegengesehen. Nun aber mußten sie feststellen, daß sie sich kaum unterhalten konnten, ohne belauscht zu werden, kaum einen Brief schreiben konnten, der nicht mitgelesen wurde, kaum eine Meinung äußern konnten, die nicht falsch interpretiert oder aufgebauscht wurde, oder sich mit anderen treffen konnten, ohne Mißtrauen zu erregen. «Des Morgens gehen die Fürstlichkeiten spazieren, wenn sie nicht gerade Soldaten spielen. Wenn es weder eine große Heerschau noch eine Jagd gibt, machen sie Besuche. Sie führen ein Junggesellenleben», stellte Baronin du Montet, eine Hofdame, fest. «Abends erscheinen sie in großer Uniform und glänzen bei den wirklich feenhaften Festen, die der Kaiser von Österreich veranstaltet.» Die Könige seien «wie die Kinder, die nach einigen Augenblicken des Fleißes der Erholung bedürfen», und die Veranstaltung empfand sie als «Ferienzeiten für die Fürsten». «Die Weltgeschichte rastet, die hohen Herren unterhalten sich, sind auf Ferien und genießen ihren Urlaub in vollen Zügen», war ihr Fazit.1 Das traf gewiß auf die meisten Fürsten zu, und doch waren alle eigentlich gekommen, um etwas für sie Wichtiges und Ernstes zu erreichen. Das Angebot an Zerstreuungen war aber so vielfältig und sozial verpflichtend, daß es ihnen schwerfiel, sich zu konzentrieren und an-
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dere dazu zu bringen, ihnen zuzuhören; so wurden sie des ganzen Getriebes bald überdrüssig. «Die Feste überfordern mich», beklagte sich Talleyrand bei der Herzogin von Kurland nach dem Eröffnungsball. Selbst Gentz, der stets im Mittelpunkt stand, bekannte, er treffe von früh bis spät so viele Leute in so vielen unterschiedlichen Zusammenhängen an so vielen verschiedenen Orten, daß er nicht mehr Schritt halten könne und den Überblick verloren habe.2 Alle, die in der Hoffnung nach Wien gekommen waren, ihre Interessen zu befördern oder für irgendeine Ungerechtigkeit einen Ausgleich zu erhalten, waren davon ausgegangen, zumindest zu irgendeinem internationalen Forum Zutritt zu erhalten, das, selbst wenn es nicht gewährte, was sie begehrten, sie wenigstens anhören würde. Sie waren rasch ernüchtert. «Die politischen Angelegenheiten werden mit einer unvorstellbaren Leichtfertigkeit behandelt», empörte sich der dänische Bevollmächtigte, Graf Rosenkrantz. Noch war keine ordentliche Versammlung einberufen worden, und nur die höfischen Zeremonien und das soziale Leben boten ihnen Gelegenheiten, ihre Anliegen vorzubringen. Sie machten ihrem Ärger öffentlich Luft, gleichzeitig jedoch versuchten sie, privat auf Minister, Fürsten, maßgebende Leute oder deren Mätressen einzuwirken, um ihr Anliegen einer einflußreicheren Persönlichkeit nahezubringen. Dies machte es diesem mächtigen Personenkreis noch schwieriger, denn sie bemerkten bald, daß sie, wie immer sie auch auf eine Frage reagierten, unweigerlich den einen oder anderen Bittsteller vor den Kopf stießen.3 Die Souveräne, die zum Kongreß angereist waren, besonders jene, denen durch ihre Unterbringung in der Hofburg besondere Ehre zuteil wurde, hatten angenommen, zumindest mitwirken zu können. Aber ihnen wurde nach kurzer Zeit klar, daß man sie auf Distanz hielt. «Es sieht aus, als seien wir zu keinem anderen Zweck hier, als uns zu zerstreuen», beschwerte sich König Friedrich Willhelm von Preußen. «Man kann sich nicht vorstellen, wie viel Zeit man hier vergeudet», schrieb König Friedrich von Dänemark am 28. September, kurz nach seiner Ankunft, an seine Frau.4 Er war nur nach Wien gekommen, um zu erlangen, was Dänemark nach dem inzwischen zehn Monate alten Kieler Frieden zustand. Zu diesem Zweck mußte er Alexander dazu bringen, den Vertrag zu ratifizieren und seine Truppen abzuziehen; ferner wollte er sowohl Schwe-
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disch-Pommern und Rügen als auch die Million Taler in Besitz nehmen können, die man ihm als Entschädigung für die Abtretung Norwegens zugesagt hatte; außerdem wollte er sich die Kosten für die Proviantierung der schwedischen und russischen Armeen während ihrer Besetzung dänischen Gebiets erstatten lassen. Der Versuch, Alexander festzulegen, erwies sich als frustrierend und demütigend. Der Zar versicherte Friedrich zwar, er wolle gleich den Vertrag ratifi zieren und seinen Truppen den Befehl senden, sich aus Holstein zurückzuziehen, aber er tat nichts dergleichen. Wann immer ihn der dänische König zum Handeln drängte, sagte der Zar, er müsse dringend zu einer Parade oder einem Ball, und beendete das Gespräch. Oder er warte gerade auf einen Kurier, und sobald er diese wichtige Angelegenheit erledigt habe, werde er sich der Ratifi zierung widmen. Dem Vertrag fehlte nur seine Unterschrift, aber diese hielt er weiterhin zurück. Ein Grund dafür konnte sein, daß Alexander sich Bernadotte gegenüber loyal zeigen wollte, den er bei dessen Streben nach dem französischen Thron im Stich gelassen hatte. Bernadotte wiederum sah nicht ein, warum er sich durch die Klauseln des Kieler Friedens beschränken lassen sollte. Er suchte für sich immer noch eine großartigere Aufgabe als seine jetzige und erwog eine Reihe von Möglichkeiten, darunter eine Aufteilung Dänemarks zwischen Schweden und Großbritannien, das, wie er voraussetzte, seine Seeherrschaft durch den Erwerb Grönlands, der Färöer und anderer Kolonien gern verstärken würde. Castlereagh war am Erwerb weiterer Kolonien nicht interessiert, und es wäre ihm nicht im Traum eingefallen, Dänemark zu verkleinern, aber er ergriff auch nicht besonders eindeutig Partei für Friedrich, der allen, von Franz bis Talleyrand, mit seiner Bitte lästig war, bei Alexander ein Wort für ihn einzulegen. Obgleich sie in der Regel Wohlwollen zeigten, stand Dänemark auf der Liste ihrer Prioritäten nicht oben. Nur Hardenberg, dessen Schwiegertochter Dänin war, hätte gern geholfen, aber gerade er konnte auf Alexander keinen Druck ausüben. «Wäre bloß der Kaiser Alexander weniger vom Kronprinzen [Bernadotte] eingenommen, ließe sich alles ganz einfach regeln, da kein Russe oder sonst ein Ausländer gegen uns ist», klagte Friedrich. «Im Gegenteil, sie sind sogar alle sehr auf unserer Seite.»5 Friedrich verfolgte sein Ziel unermüdlich und versicherte allen, er versuche nicht, sich irgendwelche Vorteile zu verschaffen oder auch nur
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einen Teil Norwegens zurückzugewinnen; er wolle lediglich sein Königreich vor weiterer Zerstückelung bewahren. Sein zuvorkommendes und ehrliches Wesen brachte ihm überall Respekt ein, mehr aber nicht. Andere waren ähnlich frustriert. «Unser Leben hier ist sehr angenehm, wir wissen überhaupt nicht, was vor sich geht und was aus uns wird», beschwerte sich König Maximilian von Bayern. «Das Kabinett in Wien behandelt uns alle so, wie es einst die Franzosen taten.» Er und seine Mitmonarchen stärkten ihr angeschlagenes Selbstbewußtsein, indem sie in den Eliteregimentern ihrer eigenen Armeen Kommandostrukturen und Obristenränge neu ordneten, oder indem sie die Huldigung seitens gewöhnlicher Sterblicher entgegennahmen, die sie gelegentlich mit einem Orden erfreuten. Aber sie waren in ihrem Stolz gekränkt. Während die Souveräne die Frage der Rangfolge unter sich gelöst hatten, indem sie das Alter zum Kriterium bestimmt hatten, gab es Streit darüber bei den Fürsten und Erzherzögen, die sich gegenseitig mit Rang, Seniorität oder Alter zu überbieten suchten. Mindestens bei einer Gelegenheit führte das zu einem würdelosen Gerangel zwischen der Großfürstin Katharina und der Königin von Bayern.6 Wie schlecht sich die Dinge für Maximilian auch entwickeln mochten, zumindest hatte er ein Königreich, in das er zurückkehren konnte, womit er es erheblich besser getroffen hatte als Hunderte, die gekommen waren, um irgendwelche feudalen Ansprüche zu sichern, zurückzuerlangen oder zu ergattern. «Man hält mich zum Besten; man hält sich über mich auf», beschwerte sich der Herzog von Sachsen-Coburg. «Metternich! … Schuft von Metternich! Er behandelt mich wie ein Spielzeug! … Und der Kaiser Alexander, der an die Minister verweist, die mich an den Kaiser zurückverweisen! … Man gibt mir nicht einen Strich Erde, nicht eine Hütte, nicht einen Menschen, und um sich über mich lustig zu machen, stellt man mir Briefe zu mit Titeln auf der Adresse, die ich verlange, und die man mir verweigert!»7 Die Position von Eugène de Beauharnais war noch deprimierender. Alexander hofierte ihn und forderte ihn bei vielen Bällen und Banketten auf, an der Tafel der Könige Platz zu nehmen. Metternich versicherte ihm wiederholt, daß er bald ein italienisches Fürstentum oder die erbliche Herrschaft über ein anderes Land erhalten werde, etwa das ehemalige Bistum Trier, das Herzogtum Zweibrücken oder sogar die
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Ionischen Inseln. Dennoch blieben sein Silber, der Schmuck seiner Frau, seine persönliche Habe, sogar seine Kleidung und seine Pferde in der Hand des österreichischen Militärs in Mailand, das alles beschlagnahmt hatte.8 Genauso deprimiert, und noch weniger hoffnungsvoll, war die Genfer Delegation, die aus Charles Pictet de Rochemont und François d’Ivernois bestand und von dem Bankier Jean-Gabriel Eynard unterstützt wurde. Der Pariser Frieden hatte Genf in eine schwierige Lage gebracht; politisch war es in die Schweizer Eidgenossenschaft integriert, territorial aber war es durch einen Keil französischen Gebiets um Gex und Versoix am Nordufer des Sees und entlang dessen Südseite durch das Königreich Sardinien von ihr abgeschnitten. Pictet hatte sich bereits um eine Lösung bemüht, als die Alliierten noch in Paris waren und er, unterstützt durch Madame de Staël, bei Castlereagh und anderen – allerdings vergebens – vorstellig geworden war. In Wien wandte er sich erneut an Castlereagh und wurde dabei von d’Ivernois unterstützt, der in London Ansehen genoß und in den britischen Ritterstand erhoben worden war. Aber Castlereagh verhielt sich nicht nur unkooperativ, er zeigte auch kein Verständnis. Er verweigerte den Vertretern Genfs sogar die Zeit, sie anzuhören, so daß ihnen nichts übrig blieb, als ihm ein Memorandum zu hinterlassen, das er vermutlich nie las. Metternich war entgegenkommender und räumte ihnen die Zeit ein, ihr Anliegen vorzutragen. Er war auch zu recht erstaunt, als sie darauf hinwiesen, daß er und seine Kollegen im Pariser Frieden Gebiete um Faucigny und Chablais, die nur über Frankreich zugänglich waren, dem Königreich Sardinien zugeschlagen hatten; sie kannten eben offenbar die Gestalt des dortigen Gebirges nicht. Aber Metternich beschäftigten andere Dinge, die ihren Fall bald überlagerten, und so konnten sie nur noch jeden, den sie trafen, mit ihrer Angelegenheit vertraut machen, in der Hoffnung, einer von ihnen werde sich in einem entscheidenden Augenblick daran erinnern.9 Kaum anders erging es ihrem Landsmann, dem Abt Pankraz Vorster vom ehrwürdigen Kloster St. Gallen, das unabhängig gewesen war und keiner übergeordneten Herrschaft unterstanden hatte; 1805 war es von den Franzosen aufgelöst worden, und Vorster setzte sich nun für seine Wiederherstellung ein. Obgleich er dabei von dem spanischen Delegierten, dem Marqués de Labrador, von Kardinal Consalvi, dem Vertreter
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des päpstlichen Staates, und von einigen Schweizer Delegierten unterstützt wurde, fand er die meisten Türen verschlossen. Alexander zeigte ihm die kalte Schulter, und Metternich weigerte sich, sein Memorandum auch nur entgegenzunehmen. Keineswegs erfolgreicher war der Vertreter der Republik Genua, den Castlereagh äußerst brüsk abfertigte. Weder gewährte ihm der britische Außenminister eine Anhörung, noch bestätigte er den Empfang seiner formalen Protestnote gegen die illegale Aufhebung des Klosters. Der Gesandte konnte sie nur noch veröffentlichen und verteilen.10 Die holländischen Delegierten hatten etwas mehr Glück, weil Castlereagh ihrem Fall Vorrang einräumte und sie die fast ungeteilte Aufmerksamkeit Clancartys besaßen, dennoch waren auch sie nicht froh über die Art, wie man sie behandelte. «Die Engländer beherrschen ein wenig das Geschehen», beklagte sich van Spaen, während sein Kollege van der Capellen den Eindruck hatte, man nehme ihre Gegenwart gar nicht zur Kenntnis.11 Die Vertreter einflußloserer Interessen stellten fest, daß die Großmächte in Konfliktfällen gelegentlich die Unterstützung jener benötigten, die sie unter ihre Fittiche genommen hatten, weshalb sie alleinige Unterstützer ihrer Schützlinge sein wollten und es nicht gern sahen, wenn diese mit anderen Großmächten sprachen. Das bedeutete, daß selbst ein Anliegen, das auf allgemeine Zustimmung stieß, wie das von Genf, keine verläßlichen Fürsprecher hatte.12 Die meisten hatten erwartet, sich nicht länger als etwa einen Monat in Wien aufzuhalten. Aber auch wenn sie die Zeit ergebnislos verrinnen sahen, konnten sie nicht einfach nach Hause fahren, ohne sich um ihre Chance zu bringen, wie minimal sie auch sei, ihr eigenes Schicksal mit zu beeinflussen. Also blieben sie da, wenn auch zunehmend gelangweilt und enttäuscht. Viele waren allein gekommen, ohne ihre Frauen und Kinder, und hatten den Aufenthalt in ihren Hotels auf nicht länger als eine oder zwei Wochen veranschlagt. Dort saßen sie nun fest und dinierten gemeinsam mit den anderen Abend für Abend. Die unvorhergesehene Dauer ihres Bleibens und die hohen Preise zehrten rasch ihre Mittel auf. «Die Mehrheit der Repräsentanten kleinerer Höfe und die Abgesandten der Städte und Gebietskörperschaften klagen über die teure Lebenshaltung und haben bereits leere Taschen», wurde dem Polizei-
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minister, Baron Hager, bereits am 7. Oktober berichtet. «Es wäre nützlich, sie irgendwie hier zu halten. Dann würden sie sich bald gezwungen sehen, neue Geldquellen zu erschließen; und dann könnten wir ihnen mühelos und mittels einiger Gefälligkeiten die Zunge lösen.»13 Der Kreis der Informanten wuchs tatsächlich, aber die Ausbeute war enttäuschend. Viele Agenten klagten, wie schwierig es sei, Schlüssel und Briefe lange genug zu entwenden, damit Kopien angefertigt werden konnten. Zwar hatte man endlich Leute in Castlereaghs Haushalt eingeschleust, aber die fanden nichts, was irgendwie von Interesse gewesen wäre. «Wie der Agent mitteilt, enthält das Kästchen in Lord Castlereaghs Schreibtisch nur persönliche Briefe; daher sei es angesichts der Dauer und Gefahren einer weiteren Einsichtnahme ratsam, von einem solchen Versuch Abstand zu nehmen», schrieb Hager am 8. Oktober. Polizeirat Schmidt bezeichnete Talleyrands Haus als «nichts Geringeres als eine Festung, die er ausschließlich von Leuten bewachen läßt, derer er sich sicher glaubt». Er hatte einige Diener bestechen können, die aber nur ein paar zerrissene Zettel übergaben. Überdies hatten offenbar sowohl die Russen als auch die Preußen ihr eigenes Spionagenetz aufgebaut, und selbst Nebenfiguren, wie Fürst Eugène Beauharnais, hatten verschiedene Personen bestochen, um auf dem laufenden zu bleiben. All dies verstärkte die Möglichkeit, daß Fehlinformationen in Umlauf gebracht wurden.14 Viele der gesammelten Informationen waren tatsächlich uneindeutig und verwirrend. Hager glaubte, einer interessanten Entwicklung auf der Spur zu sein, als Berichte über Alexanders Besuche bei einer gewissen Madame Schwarz einliefen, der Gattin eines Bankiers aus Sankt Petersburg. Es gab Hinweise darauf, daß sie und eine ebenfalls in Wien weilende Dame aus Sankt Petersburg, eine Madame Schmidt, den Zaren zärtlich verwöhnten – Madame Schmidt hatte einem Informanten erzählt, daß er, was das betraf, den Aristokratinnen Frauen aus der Mittelschicht vorziehe. Wie beobachtet wurde, suchte Alexander regelmäßig Madame Schwarz auf, der er sogar eine wertvolle Perlenkette schenkte. Als aber ihr Mann auftauchte und sich Berichte häuften, nach denen auf verschiedene Wiener Banken große Summen eingezahlt und abgehoben wurden, keimte in Hager der Verdacht, daß die Erotik nur ein Nebenaspekt des Ganzen war und in Wirklichkeit die österreichische Währung unterminiert werden sollte. So faszinierend und fesselnd der-
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artige Berichte für Metternich gewesen sein mochten, sie brachten nichts ans Licht, was von praktischem Nutzen gewesen wäre.15 Der ungeheure Aufwand, der betrieben wurde, um all diese Informationen zu sammeln und auszuwerten, war für Metternich sicherlich weniger nützlich als für die Historiker, denen sich nicht nur einige politische und diplomatische Winkelzüge, sondern auch die tagtäglichen Aktivitäten vieler Beteiligter erschlossen, und die erstaunlich intime Einblicke darüber erhielten, was in Wien während dieser folgenreichen Monate wirklich geschah. Es waren in der Tat «Ferienzeiten für die Fürsten». Während Kaiser Franz seine Würde wahrte, indem er sich an seine üblichen Routinen hielt und sich nur bei Anlässen, die den Hof betrafen, in der Öffentlichkeit zeigte, warfen die monarchischen und fürstlichen Gäste jene Etikette über Bord, die an ihren eigenen Höfen ihre Handlungsmöglichkeiten so sehr eingeschränkt hatte; nun schwelgten sie in den angebotenen Lustbarkeiten. Dafür war Wien mit seinen Theatern, seinem Musikleben und vielen anderen Unterhaltungsmöglichkeiten wunderbar geeignet. Die Kongreßteilnehmer konnten Schauspiel- und Tanzensembles aus ganz Europa sehen; sie konnten Beethovens Fidelio und Händels Samson lauschen, aufgeführt von siebenhundert Musikern unter der Leitung des Hofkapellmeisters Antonio Salieri. Unter denen, die während des Kongresses in Wien aufspielten, waren Ludwig Spohr und Johann Nepomuk Hummel. Einige der Konzerte fanden im Apollosaal statt, einem Gebäude, das der französische Architekt und Maler Charles de Moreau für diesen Anlaß geschaffen hatte und dessen Komplex alles enthielt, von prachtvollen Innenräumen und Gärten mit Springbrunnen und Wasserfällen bis hin zu türkischen Pavillons und idyllischen Bauernhütten. Für die ernsthafteren Besucher (wie den König von Dänemark, der sich alles ansah) gab es Sehenswürdigkeiten anderer Art – die kaiserliche Bibliothek und Gemäldegalerie, die Galerie Liechtenstein, die Albertina, viele bedeutende Kirchen, Denkmäler und Einrichtungen, Schloß Laxenburg mit seinen Gartenanlagen und Schönbrunn mit seiner faszinierenden Bewohnerin Marie-Louise. Marie-Louise erhielt oft Besuch von Alexander und seinen Schwestern, von einigen anderen Monarchen und darüber hinaus von Perso-
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nen, die einfach neugierig waren. Sie wollten unbedingt ihren kleinen Sohn sehen, wie er mit seinen (französischen) Holzsoldaten spielte. Sie ertrug die vielen Gäste und behandelte alle mit großer Liebenswürdigkeit, wobei sie hoffte, ihre Unterstützung bei der ihr in Aussicht gestellten Übernahme Parmas zu gewinnen, die noch immer nicht beschlossen war. Aber die viele Aufmerksamkeit behagte ihr nicht. «Ich bin sehr traurig», schrieb sie am 13. Oktober ihrer Freundin, der Witwe von Marschall Lannes, «diese Ansammlung von Souveränen, dieser Trubel, die Festlichkeiten, an denen teilzunehmen ich nicht verpflichtet bin, von denen man mir gleichwohl erzählt; das alles plagt mich.»16 Gewiß bestand kein Mangel an festlichen Ereignissen, von denen die meisten durch den Hof ausgerichtet wurden. Darunter waren Bälle, Theater- und Musikaufführungen bei Hof, Diners, Besichtigungen verschiedener königlicher Schlösser und Gärten, Militärparaden und Jagdgesellschaften bei einem der kaiserlichen Paläste rund um Wien. Hinzu kamen Bälle und Soireen, die Metternich oder Alexander gaben, letzterer im prächtigen Palais des Grafen Rasumowskij, einem ehemaligen russischen Botschafter, der sich in der österreichischen Hauptstadt niedergelassen hatte. Es gehörten dazu auch die kleineren, aber sehr begehrten Diners, zu denen Talleyrand unter Mitwirkung Carêmes lud, die etwas ungelenken Tanzabende bei Lady Castlereagh und verschiedene Arten bescheidenerer Zusammenkünfte, die von den weniger bedeutenden Delegationen veranstaltet wurden, bis hin zu den Teenachmittagen bei den Genfer Delegierten. Selbst der Freiherr von Müller, Geschäftsträger der Schweizer Eidgenossenschaft, veranstaltete im Glauben, so sein Anliegen fördern zu können, üppige Tischgesellschaften, die weit über seine Verhältnisse gingen. Es gab auch eine Reihe gastlicher Wiener Privathäuser, zu denen die Salons der berühmten Gastgeberinnen gehörten, allen voran der von Molly Gräfin Zichy, einer Frau, die nicht beliebt, aber gefürchtet und respektiert war. Sie war so entschlossen, die führende Salonière Wiens zu werden, daß sie sich ruinös verausgabte und Alexander um ein Darlehen bitten mußte, das sie nie zurückzahlte. Sowohl Wilhelmine von Sagan als auch die Fürstin Bagration gaben Diners und Tanzsoireen, wobei sich letztere ebenfalls übernahm. «Zum Souper bei Fürstin Bagration», notierte San Marzano lakonisch in seinem Tagebuch, «kuriose Mischung aus großem Haus und schlechten Manieren.»17
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Gesellschaftlich nicht ganz so hochstehend, aber gut besucht waren die Häuser der jüdischen Bankiers in Wien, besonders das von Fanny Freifrau von Arnstein. Einen der interessanteren Salons unterhielt Caroline Pichler, die geburtshelfende Egeria der romantischen deutschen Nationalbewegung und Erfinderin des Dirndls. In ihrem Salon verkehrten gleichgesinnte deutsche Patrioten, darunter viele ehemalige Fürsten, aber auch – als Vertreter der deutschen Verleger – Carl Bertuch aus Weimar und Johann Friedrich von Cotta aus Tübingen, ein Freund und Verleger Goethes und Schillers. Ein weiteres Haus, in dem die Prominenz ein- und ausging, war das von Gentz, der im dritten Stock eines Hauses in der Seilergasse in vier Räumen mit einem schönen Blick über die Bastei lebte. «Originell scheußlich war der Eingang zu seiner Wohnung», schrieb Gräfin Bernstorff. Die Einfahrt in den Hof schien mir halsbrechend, die Hausthür droht durch ihr Niedrigkeit meinen Kopfputz zu zertrümmern, die Treppe, dunkel und steil, ließ nicht ahnen, zu welchem Quartier sie führe. In diesen kleinen Stuben war Alles aufgehäuft, was Reichthum, Geschmack und die raffinirteste Eleganz nur ausfindig zu machen gewußt. Dem Gesichts- und Geruchssinn, der Bequemlichkeit ward auf alle Weise geschmeichelt.»18 Der Luxus war von ganz spezieller Art, da die vier Räume vor allem dem Kongreß gewidmet waren und mancher Konferenz als Versammlungsraum, vor allem aber als Gentzens Schreibstube dienten, wo er täglich Memoranden, Noten, Deklarationen und Briefe verfaßte. Überall lagen dicke, schwere Teppiche; die Möbel, alt und abgewetzt, paßten nicht zueinander und waren ganz nach Nützlichkeit und Bequemlichkeit zusammengestellt. Gentz las im Liegen auf einer Ottomane, von denen mehrere in der Wohnung standen. Neben jeder stand ein Schreibtisch, dessen Platte sich so drehen ließ, daß Gentz Notizen machen konnte, ohne aufstehen zu müssen. Überall befanden sich griffbereit Bleistifte und Federkiele. Es gab weder Bilder, Spiegel noch andere Dekorationen, statt dessen stapelten sich auf jeder ebenen Oberfläche Bücher, überwiegend historische oder politische Werke und Klassiker. Die meisten waren mit Zetteln gespickt und voller Randbemerkungen.19 Sein außerordentliches Arbeitspensum hinderte Gentz nicht daran, die meisten Festlichkeiten und viele Diners zu besuchen, ganz besonders bei Talleyrand. Auch sprach er selber Abendeinladungen aus, zu
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denen einige der wichtigsten Persönlichkeiten des Kongresses kamen, trotz des schäbigen Aufgangs zu seiner Unterkunft. «Ich trug fast gar nichts zur Unterhaltung bei», notierte er nach einem dieser Treffen. «Metternich und Talleyrand führten sie in den gewohnten Bahnen. Unterdessen ging mir, unabweisbarer denn je, die Nichtigkeit der menschlichen Dinge auf, die Schwäche der Individuen, welche das Schicksal der Welt in den Händen hielten, auch meine eigene Überlegenheit; aber all das halb ohne Bewußtsein, und wie in einen Nebel getaucht, den das leere Gewäsch dieser Herren um mein Gehirn legte …» Er war schon bald zu einer recht nüchternen Einschätzung des Konferenzverlaufs gelangt und wandte sich den Vergnügungen und seinen zahlreichen Einnahmequellen zu, da er nach wie vor das Glücksspiel liebte und sein Geld gern mit vollen Händen ausgab. Er wurde aber auch reich belohnt, da fast alle Kongreßteilnehmer oder Bittsteller in ihm eine Schlüsselfigur erkannten und ihm große Summen zuteil werden ließen. «Man warf ihm Bestechlichkeit vor, und das nicht ohne Grund», entsann sich Nesselrode, «aber er nahm nur Geld von denen, die dachten wie er.»20 Als Gastgeber hatte Karl-Joseph, Fürst von Ligne, am wenigsten zu bieten, und dennoch galt er als eine der größten Attraktionen von Wien. Er war ein ausgezeichneter Soldat, der in vielen Kriegen des 18. Jahrhunderts gefochten hatte. Noch berühmter war er als Gesellschaftslöwe, der jeden Hof in Europa kannte, mit allen Monarchen von Ludwig XV. bis zu Katharina der Großen befreundet gewesen, aber vor allem als scharfer Kopf bekannt war, dessen Bonmots überall auf dem Kontinent zitiert wurden. «Er wohnt in einer Art Hütte; man geht zu ihm hinauf auf einer schmalen und steilen Treppe» schrieb der Genfer Eynard. «Seine Wohnung besteht aus drei unordentlichen kleinen Räumen, in denen alle möglichen Dinge aufgehäuft sind; er empfängt in seinem Schlafzimmer, in dessen Hintergrund ein großes Kanapee steht, das ihm als Bett dient. Man trifft stets seine beiden Töchter, die Fürstin Clary und die Gräfin Palffy und liebenswürdige Fremde bei ihm. Er hat ein ausgezeichnetes Kaminfeuer, eine sehr seltene Sache in Wien, wo man nur Oefen findet. Um Mitternacht wird ein frugales Abendbrot gereicht, das immer dasselbe ist, seien es sieben, acht oder dreißig Personen.» Ligne war neunundsiebzig, aber noch strotzend vor Leben, begierig auf Essen, Klatsch und Liebe. Er war nie daheim, wenn er ausgehen konnte, und nahm jede Einladung an, so daß er manchmal mehrmals täglich dinierte.21
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Die schiere Zahl an Gesellschaften und das Tempo, in dem sie aufeinanderfolgten, schloß eine allzu sorgfältige Vorbereitung aus. Dies war segensreich für die Damen, von denen die meisten ruiniert gewesen wären, hätten sie jedesmal in einem neuen Kleid erscheinen müssen. «Nein, außer den unvermeidlichen Kosten für weiße Handschuhe und weiße Schuhe, den Kosten für den Friseur, der täglich kommen mußte, und für die beiden Kostüme, für das Karoussel und den Maskenball, und außer dem kleinen, aus einigen reichen und ein oder zwei Ballanzügen bestehenden Trousseau, den mir mein Mann aus Paris mitgebracht, entsinne ich mich eigentlich nicht, größere Ausgaben gemacht zu haben», berichtete die Gräfin Bernstorff. «Um einen Beleg zu der Einfachheit der damaligen Moden zu geben, bemerke ich noch hier, daß eine kleine Tüllhaube mit rosa Verzierung mich manchmal selbst auf den größten Soireen, auf denen getanzt wurde, schmücken mußte. Bis dahin waren Hauben für junge Frauen etwas Unerhörtes gewesen, und jetzt erst kam die Mode auf. Die reichsten Wiener Damen zeichneten sich durch große Einfachheit aus und erschienen nur bei großen Festen mit ihren Juwelen bedeckt.»22 Wurde ein neues Kleid eilig benötigt, konnte man am Morgen nach einer Schneiderin und einem Tuchhändler schicken, und vorausgesetzt, man hatte sich bis um zehn Uhr früh für den Stoff und ein Muster entschieden, würde das Kleid bis um fünf Uhr desselben Nachmittags geliefert, auch wenn dies manchmal hieß, daß die Näherinnen noch bei der Arbeit waren, als die Dame das Kleid anlegte. Aber im allgemeinen kamen immer wieder dieselben Kleider zum Einsatz, deren Erscheinungsbild man durch ausgetauschte Besätze und Bänder variierte und die viele Damen einander offenbar gern ausliehen.23 Das große Angebot an Festen schloß auch allzuviel Zeremoniell aus – das einzuhalten ohnehin schwergefallen wäre, bedenkt man, daß die meisten, auch viele Hofbälle, allen offenstanden. Manche großen Bälle in der Hofreitschule wurden von mehr als 4000 Menschen besucht, nach einigen Schätzungen waren es sogar zwischen 10 und 12 000. «Nie ist auf einer Gesellschaft die Form weniger beachtet worden», notierte ein britischer Reisender, nachdem er eine solche besucht hatte. Und so konnten sich die Einwohner Wiens beiderlei Geschlechts zwanglos unter die allererlauchtesten Gäste mischen, bei Hofe ebenso wie auf jener langen offenen Freifläche im Herzen der Stadt, dem Graben, den
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jeder passieren mußte, der irgendwohin wollte. Eines der größten Tratschmäuler jener Zeit beschrieb den Graben als «eine Art Klub in freier Luft», wo die Menschen bummelten, promenierten, Gruppen bildeten und zusammenfanden, um Vorübergehende anzusprechen oder ihnen einfach zuzuschauen.24 Eine ungewollte Wirkung dieses vielfältigen Miteinander bestand darin, daß es dem Klatsch und den Gerüchten eine gewisse Glaubwürdigkeit verlieh, denn jeder konnte sich nun glaubhaft auf eine zuverlässige Quelle berufen. Alexander und Friedrich unterhielten sich beim Diner oder beim Tanz mit den Damen über Politik. Von diesen Damen war schwerlich zu erwarten, daß sie der Versuchung widerstehen konnten, über ihre Nähe zu einem gekrönten Haupt und über das, was es ihnen erzählt hatte, Stillschweigen zu bewahren. Das führte dazu, daß verstümmelte Versionen der Ansichten und Absichten des Zaren oder des Königs von Preußen bei Hof und in der Stadt die Runde machten. Die ständigen geselligen Anforderungen, und dazu das Gefühl von Vergeblichkeit, das die Mehrheit der anwesenden Kongreßteilnehmer erfaßt hatte, begannen sich in mehrfacher Hinsicht zerstörerisch auszuwirken. Rivalitäten kamen zum Vorschein, wechselseitige Antipathien schlugen in Konfrontationen um. Etliche davon endeten mit Duellen, die wenigstens nicht immer blutig waren. So fing auf einer Soiree bei der Prinzessin von Thurn und Taxis Anfang Oktober der Kronprinz von Bayern beim Blindekuhspiel die schöne (und notorisch keusche) Gräfin Julie Zichy. Er war ein linkischer junger Mann, der wegen einer Sprachbehinderung zugleich lispelte und stotterte: Jetzt konnte er seinen Triumph schlecht verhehlen. Der junge, schneidige und allseits beliebte Kronprinz von Württemberg, der seinem grotesken Vater nicht unähnlicher hätte sein können, haßte sein bayerisches Gegenstück leidenschaftlich und höhnte, daß es dem anderen nur durch Mogeln und Anheben seiner Augenbinde gelungen sei, die Prinzessin zu fangen. Der bayerische Prinz verlangte, daß er seine Anschuldigung zurücknehme, und als er sich weigerte, erklärte er, ihn am nächsten Morgen mit Pistolen im Prater treffen zu wollen. Zur angegebenen Zeit erschien der württembergische Kronprinz, ein tapferer und fähiger Offi zier, wurde aber vom Fürsten Wrede empfangen, dem bayerischen Bevollmächtigten, der ihm eine schriftliche Entschuldigung überreichte.25
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Die Geliebte Friedrichs VI. in Wien, Caroline Seufert, «ein junges blondes Mädchen der arbeitenden Klasse, eine hübsche Putzmacherin». Die beiden waren einander so zugetan, daß sie nach seiner Abreise von allen «die dänische Witwe» genannt wurde.
Auch lösten weibliche Wesen manch fragwürdiges Verhalten aus. Labradors Assistent Don Camillo Gutiérrez de los Ríos, Sohn des Don Fernán Núñez und einer Ballerina, prahlte überall herum, daß keine Frau eine Stunde gemeinsam mit ihm verbringen könne, und sei es in einer Kutsche, ohne ihn anzuflehen, von ihm genommen zu werden. Ob das der Wahrheit entsprach, sei dahingestellt, aber ein promiskuitives Klima herrschte gewiß. Fern der Heimat, frei von den Restriktionen an ihren eigenen Höfen und meist ungehindert durch die Anwesenheit einer Ehefrau, flirteten und tändelten die Männer und vergnügten sich bei so vielen Liebesabenteuern, wie die sozialen Konventionen es eben noch zuließen. Für die meisten war der zwanglose gesellschaftliche Umgang neu. «In jeder Gesellschaft atmete man einen Zauberduft, welcher die Sinne entflammte», schrieb ein Zeuge.26 Einige hatten ihre Maitressen mit nach Wien gebracht. Großfürst Konstantin ließ nach einer gewissen Comtesse Defours schicken, die laut einem Polizeibericht «niederer Herkunft» war und die er mit Juwelen überschüttete und oft besuchte. Das hinderte sie nicht, wie derselbe Bericht feststellte, andere Männer bei sich zu empfangen. Fürst Wolkonskij hatte Josephine Wolters dabei, eine Neunzehnjährige, die von
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Friedrich VI. von Dänemark. Sein ausladendes Gebiß und die ununterbrochene Bewegung seiner Lippen erinnerten an einen wiederkäuenden Ziegenbock, wie ein Zeitgenosse bemerkte. Dennoch war er der einzige der anwesenden Monarchen, der sich allseits Respekt erwarb, was jedoch nichts daran ändern konnte, daß er mit seinen Bemühungen für sein Land auf dem Kongreß fast gänzlich scheiterte. Porträt von Christoffer Wilhelm Eckersberg, ca. 1821.
ihrer ehrbaren Kölner Bürgerfamilie verstoßen worden war, als sie mit einem französischen Offizier durchbrannte, der dann bei Leipzig fiel. Wolkonskij hatte das in Tränen aufgelöste Mädchen nach der Schlacht entdeckt und schickte es, nachdem er es so gut er konnte getröstet hatte, nach Prag, wo sie auf ihn wartete, bis er sie holte. Als Mann verkleidet besuchte sie ihn jede Nacht in der Hofburg, wo er als Mitglied von Alexanders Gefolge untergebracht war. Selbst der ehrenwerte Hardenberg hatte offenbar eine junge Schauspielerin namens Jubille aus Paris mitgebracht.27 Andere suchten sich eine Geliebte vor Ort. König Friedrich von Dänemark fand die zwanzigjährige Caroline Petronelle Seufert, die von der Baronin du Montet als «junges, blondes und rosiges Mädchen der arbeitenden Klasse, eine hübsche Putzmacherin» beschrieben wurde. Die beiden waren einander so treu, daß sie nach seiner Abreise von allen die «dänische Witwe» genannt wurde.28 Die meisten aber zogen es wohl vor, sich nicht zu binden, und an entgegenkommenden Damen herrschte kein Mangel. Ein typisches Beispiel war die Fürstin Bagration. Es ist kaum zu bezweifeln, daß sie Alexander ihre Gunst schenkte – aber nicht nur ihm. Auch sein Bruder Konstantin ging bei ihr ein und aus, und Polizeiberichte unterstellen, daß sie ihn erhörte. Mitte Oktober hatte sie eine Liebelei mit dem jün-
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geren der beiden bayerischen Prinzen, der seinerseits durch den Erbprinzen von Württemberg abgelöst werden sollte.29 Mitte November hieß es bereits, die Wohnung der Fürstin Bagration sei kaum besser als ein Bordell. Unter anderem ging die Geschichte um, daß eine ehrbare junge Dame, die dort mit ihren Eltern zu einer Soiree geladen war, in einem Augenblick, als die anderen Gäste mit einem Gesellschaftsspiel beschäftigt waren, von einem russischen Offizier in ein abgelegenes Zimmer geführt wurde, der die Tür abschloß und über sie herfiel. Offenbar hatte ihr Vater die Tür eingetreten und sie in letzter Minute retten können. Die Russen handelten sich wegen ihrer losen Sitten scharfe Kritik ein. «Agent D… berichtet, daß die in der [Hof-]Burg logierenden Russen sich nicht damit zufriedengeben, dort sehr unsauber zu sein, sie benehmen sich auch sonst sehr schlecht und empfangen ständig Besuch von Dirnen», hieß es in einem Polizeibericht vom 9. November. Aber darin unterschieden sie sich wohl kaum von den anderen.30 Es mußte niemand auf sein Vergnügen verzichten, denn die jungen Töchter der Wiener Mittelschicht und der unteren Bürokraten waren zu sehr günstigen Preisen zu haben; zudem war die Stadt voller Frauen, die eigens gekommen waren, ihre Karriere in der einen oder anderen Weise voranzubringen. «Spricht man von den guten und schlechten Eigenschaften der Wiener», notierte ein Offizier in Alexanders Gefolge, «kann unmöglich die unglaubliche Sittenlosigkeit des weiblichen Geschlechts in den niederen Klassen unerwähnt bleiben, deren Opfern man in großen Mengen auf Schritt und Tritt begegnet, darunter Mädchen, die nicht älter sind als vierzehn Jahre, Töchter von städtischen Angestellten.» «Eine Stunde mit Suzette verbracht, eine sehr schöne Person, die Humboldt mir vermacht hat», notierte Gentz eines Tages. Humboldts eigene nächtliche Streifzüge auf der Suche nach einfachen Prostituierten scheint die Polizei nicht protokolliert zu haben. Hingegen mied er die Bälle und Empfänge bei Hofe, und mehrfach waren in Wien Bemerkungen über seine angeblich abstoßenden Sitten zu hören. Genausowenig offenbaren die Polizeiakten etwas über den schweinsköpfigen württembergischen König; ihm wurden homosexuelle Neigungen nachgesagt. Für diejenigen, die zu schüchtern waren oder Angst hatten, entdeckt zu werden, gab es etliche Puffmütter und Kupplerinnen, die bereit waren, Treffen zwischen Besuchern und Personen zu arrangieren, die ihre Begierden erfüllten.31
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Émilie Bigottini, eine berühmte französische Tänzerin, die von Napoleon sehr verehrt worden war, kam nach Wien, um ihren Kundenkreis zu erweitern, woraufhin ihr Großfürst Konstantin und Graf Stadion sogleich den Hof machten. Sie hielt es jedoch für zweckmäßiger, sich von Franz Graf Pálffy, einem weiteren Bewunderer, aushalten zu lassen – was sie nicht daran hinderte, sich auch anderen Liebhabern zuzuwenden. Die französische Schauspielerin Séraphine Lambert schien ein besonderer Liebling des Großfürsten Konstantin zu sein, sie erhielt jedoch regelmäßig Besuch auch von Fürst Eugène de Beauharnais.32 Fürst Eugène scheint außerdem recht vertraut mit der Geliebten des Fürsten Trauttmansdorff verkehrt zu haben, Aimée Petit, einer Tänzerin, die unter dem Namen Madame Petite-Aimée bekannt war. Auch er verteilte sein Gunst nach allen Seiten. So berichtet ein Polizeibericht vom 6. November: «Nachdem er das Kärtnertortheater verlassen hatte, begab sich Fürst Eugène zur Färbergasse Nr. 362, ins Haus einer gewissen Madame Suzanne, die eine sehr hübsche Tochter hat.»33 Liebesdienste wurden gegen politische oder andere Vorteile getauscht. Eine junge Griechin, die als Vierzehnjährige vom Herzog von Sachsen-Coburg verführt und verstoßen worden und jetzt nach Wien gekommen war, um das Sorgerecht für ihren gemeinsamen Sohn zu erlangen, den der Herzog bei sich behalten hatte, hinterließ einen Bericht, der keine Fragen offenläßt. Während ihr Verführer über Metternich und das Unrecht wetterte, daß ihm nur noch seine Titel geblieben seien, boten ihr verschiedene Beschützer galant ihren Beistand an, darunter Alexander, der Großfürst Konstantin und Stewart. «Ach! ich kann es mit Freimüthigkeit sagen, ich habe wenig uninteressirte Menschen gefunden», schreibt sie. «Fast alle, durch ich weiß nicht welches an meine Lage geheftete Interesse und durch irgend welche äußerliche Vorzüge, die für mich so unglücklich gewesen sind, verleitet, begannen damit, mich zu beklagen, wollten mich zu gleicher Zeit ihre Dienste und ihre Huldigungen entgegennehmen lassen … und haben meine Leiden nur erschwert, indem sie auf die eine Seite ihre Freundschaft und meine Herabwürdigung, auf die andere ihre Entfernung und mein Elend stellten.»34 Einer, der sich den Vergnügungen offenbar mit Leib und Seele hingab, war der achtundzwanzigjährige Karl Ludwig Friedrich Großherzog von Baden. Er hatte seine ihm von Napoleon aufgezwungene Gattin, Stéphanie de Beauharnais, verstoßen und fühlte sich jetzt wie freigelas-
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sen. Von den Freuden Wiens begann er gleich nach seiner Ankunft zu kosten. Erstmals erregte er die Aufmerksamkeit der Polizei, als er einem anderen Mann die Geliebte ausspannte, die aus Ungarn stammende Pariserin Joséphine Morel. Sie scheint eigene Ziele verfolgt zu haben, und nachdem sie Ehemann und Kinder nach Wien geholt hatte, beschloß die Polizei, sie auszuweisen. Aber der Großherzog wandte sich an Trauttmansdorff und bat ihn, sich bei Hager für ihr Bleiben einzusetzen. Zwar ärgerte ihn ihre Untreue, aber er war durchaus großzügig. Er hatte seinen Kammerherrn, Baron Geusau, instruiert, ihm eine Wohnung zu beschaffen, in der er offenbar anläßlich eleganter Orgien Joséphine Morel und ein junges Dienstmädchen, das er im Hause des Barons Gärtner verführt hatte, mit seinem neuen Freund, dem Erbprinzen von Hessen-Darmstadt, teilte. Letzterer zeigte sich erkenntlich, indem er seinen eigenen Kammerherrn ausschickte, Mädchen für diese Zwecke von der Straße zu holen. Hin und wieder zeigten die Anstrengungen Wirkung, so daß der Polizeibericht zuweilen vermerkte, der Großherzog habe sich mehrere Tage lang in einem Zustand schwerer Unpäßlichkeit befunden.35 Anfangs waren die Wiener noch stolz, daß man den Kongreß in ihrer Stadt veranstaltete, und die Hausbesitzer unter ihnen freuten sich über ihre Gewinne. Doch schon ab der zweiten Oktoberwoche berichtete die Polizei, daß die Menschen allmählich genug hatten und sich wünschten, der ganze Trubel ginge zu Ende. Alles, was sie in der Folgezeit zu sehen und hören bekamen, bestätigte sie in ihrer wachsenden Skepsis gegenüber dem Erfolg des Kongresses und in ihrer Abscheu über die Kapriolen seiner Teilnehmer. Den größten Schaden nahm die Institution der Monarchie als solche. So schrieb Karl von Nostitz, ein in Sachsen geborener Offi zier im Gefolge des Zaren: Es «scheint die Anwesenheit der Fürsten nichts Gutes zu bewirken». Sicherlich war es tatsächlich so, daß es deren Einmischung ihren Ministern erschwerte, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Aber das Problem ging tiefer. «Das Königthum verliert bei diesen Versammlungen unleugbar etwas von der Größe, die ihm eigen ist», notierte Talleyrand. «Die Anwesenheit von drei oder vier Königen und noch mehr Fürsten auf Bällen und Theegesellschaften bei einfachen wiener Privatleuten scheint mir recht unpassend.» Ähnlich äußerten
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sich auch andere, deren Einstellung eher republikanisch war. «Wie falsch ist es von diesen Potentaten, daß sie sich dermaßen würdelos hinausbegeben, ohne irgend etwas, das sie von den anderen abheben würde», schrieb Anna Eynard in ihr Tagebuch, «denn so nimmt man sie nur als Männer wie alle anderen wahr, oder als noch Geringeres, denn ihnen wurde eine Stellung zuteil, dank derer sie mehr erreichen können.» Der Genfer Bevollmächtigte Pictet schrieb seiner Tochter vom «kuriosen» Spektakel der Monarchen, die Walzer tanzten wie Studenten. «Sobald man einen Schritt zurücktritt, riskiert man, auf kaiserlichen Zehen zu stehen», stichelte er.36 Eine solche Nähe mußte die monarchische Aura auflösen; es war schwer, in angemessener Weise respektvoll zu bleiben angesichts der schlechten Körperhaltung des einen oder dem Watscheln eines anderen, der häßlichen Warze im Gesicht des Kurfürsten von Hessen oder der Gesichtszüge «à la Kalmuck» des Zaren, des Aussehens seines Bruders, des Großfürsten Konstantin, das man mit dem einer «wütenden Hyäne» verglichen hatte, oder des «bärenhaften Tanzens» Fürst Leopolds von Sizilien. Der König von Württemberg war mit seiner roten, schnauzenähnlichen Mundpartie und den sich überlappenden Speckfalten seines Bauchs eine dermaßen derbe Erscheinung, daß ein Angestellter des kaiserlichen Haushalts einmal glaubte, in einer der Hofkutschen ein Schwein vorbeifahren zu sehen. Davon abgesehen war er auch ein äußerst unangenehmer Mensch mit dem «Temperament eines Teufels und dem Körper eines Elefanten», wie ihm nachgesagt wurde. Die geringen Reste an Respekt für die hohen Herren, die nach der Begutachtung ihrer körperlichen Erscheinung noch geblieben sein mochten, verschwanden fast gänzlich in Anbetracht ihrer schlechten Manieren und der schieren Dummheit der meisten von ihnen.37 Kaiser Franz von Österreich war die Ausnahme. Er wurde von seinem Volk sehr geliebt und konnte sich dessen Achtung bewahren, indem er die gebotene Distanz hielt und sich schicklich betrug. Alexander hingegen sah man wie einen Jüngling mit der erst zwanzigjährigen, aber bereits verwitweten Fürstin Gabriele Auersperg öffentlich flirten, einer Frau von – zugegeben – großer Schönheit, aber kaum dazu angetan, daß ihr der mächtigste Mann Europas unablässig nachstellte, der gekommen war, um den Kontinent neu zu ordnen. Kaum weniger lächerlich wirkte der steife Friedrich Wilhelm, der sein Herz an die bezaubernde junge
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Gräfin Julie Zichy verloren hatte, der er wie ein Dackel überallhin folgte. Wenn er sich durchgerungen hatte, sie anzusprechen, dann um ihr etwas über Paraden und die Eigentümlichkeiten preußischer Uniformen zu erzählen. Während er unaufhörlich weiterschwadronierte, stand die arme Frau gezwungenermaßen sittsam neben ihm und versuchte vergeblich, ihn mit exaltierten religiösen Ergüssen abzuschrecken. Auf seinem ersten Kostümball bekam Alexander denn auch einen Dämpfer: Eine Dame, auf die er zuging, teilte ihm mit, er sei ein Depp. Alexander sei wie vom Donner gerührt gewesen, daß jemand die Frechheit besaß, ihm offen zu sagen, was er war, berichtet Anna Eynard in ihrem Tagebuch, aber wie könne er beleidigt sein, schrieb sie, da er sich in einem Milieu befand, das nicht das Seine war, und doch sei die Bemerkung direkt an ihn, Alexander, den Kaiser, gerichtet gewesen, denn er war ja nicht maskiert!38
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Obgleich sie verpflichtet waren, an allen Hoffesten teilzunehmen, und die angebotenen Vergnügungen offenbar ebenso genossen wie die Könige und Kaiser, denen sie dienten, hatten die Minister der Großmächte erstaunlicherweise noch die Zeit gefunden, ihrer Arbeit weiter nachzugehen. Wieder einmal war Castlereagh dabei die treibende Kraft. Er hatte beschlossen, Alexander noch einmal wegen seiner polnischen Pläne zur Rede zu stellen, denn er glaubte, daß sie ein Vorankommen in allen anderen Verhandlungspunkten verhinderten. Seine erste Begegnung mit Alexander am 26. September hatte er als höchst unbefriedigend empfunden. Ein einfacher Außenminister konnte einen Monarchen nicht mit derselben Beharrlichkeit zu einer klaren Aussage drängen wie einen anderen Minister, und der Zar war seinen Argumenten ausgewichen. Letztlich beantwortete er alle Fragen mit einem Hinweis auf seine persönliche Redlichkeit und seine guten Absichten, und beides durfte man kaum bestreiten. Castlereagh hatte daher beschlossen, sein Anliegen als Memorandum zu formulieren, das Alexander nicht ignorieren konnte. In dem langen Dokument, das er am 4. Oktober unterbreitete, erinnerte er den Zaren an alle Verpflichtungen, die er in Kalisch, Reichenbach und in den nachfolgenden Verträgen eingegangen war und die grundsätzlich eine Rückkehr zum Stand von 1805 und damit eine Dreiteilung Polens vorsahen. Castlereagh regte an, daß sich Alexander, wenn es ihm wirklich darum ginge, die Polen zufriedenzustellen, mit Preußen und Österreich zusammentun solle, um ein wahrhaft unabhängiges Polen zu schaffen. Was Großbritannien jedoch keinesfalls akzeptieren könne, sei ein russisch regierter polnischer Staat, da Rußland auf diese Weise nicht nur das gesamte Gebiet des Großherzogtums Warschau in Besitz nehme, sondern auch in die Lage versetzt werde, sich Stück für Stück ehemals
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polnische Gebiete zu holen, die einst von Preußen und Österreich erworben worden waren. Andererseits sei er auch zu dem Zugeständnis bereit, den größten Teil des Großherzogtums beim russischen Kaiserreich zu belassen, vorausgesetzt, es wäre möglich, Preußen und Österreich zu stärken, so daß der russische Machtzuwachs ausbalanciert würde. Am 12. Oktober schickte Castlereagh Alexander ein zweites Memorandum, in dem er ihn an all die hohen Ideale erinnerte, die er beschworen hatte, als seine Armeen im Frühjahr 1813 nach Europa vorstießen, und an die Verpflichtungen, die er im selben Jahr in verschiedenen Verträgen eingegangen war. Erneut konfrontierte er, was Polen betraf, Alexander mit dessen eigenen moralischen Ansprüchen. «Wenn das Sittengesetz gebietet, die Situation der Polen durch eine so einschneidende Maßnahme wie die Wiederherstellung ihres Königsreichs zu verbessern, dann sollte dies auf Grundlage eines umfassenderen und großzügigeren Prinzips geschehen, nach welchem es wieder zu einer unabhängigen Nation wird, statt zwei Drittel davon zu einem bedrohlichen militärischen Instrument in der Hand einer einzigen Macht zu machen», schrieb er und fügte hinzu, diese Ansicht würde überall in Europa auf Zustimmung stoßen. Er schloß mit den eindringlichen Worten, daß ganz Europa Alexanders jetzige Pläne für Polen ablehne und kein wie auch immer geartetes Abkommen zustande kommen könne, solange er auf ihnen beharre.1 Am folgenden Tag war Alexander zu Gast bei Lady Castlereagh; später zog er sich mit ihrem Mann zu einer Besprechung von anderthalb Stunden zurück. «Ich bedaure, Euer Lordschaft mitteilen zu müssen», schrieb Castlereagh an Liverpool, «daß die Unterredung endete, ohne auf der einen noch der anderen Seite einen Sinneswandel erreicht zu haben.» Alexander hielt «heftig und zäh» an seinem Standpunkt fest und drohte, seine Ziele auch mit Gewalt durchzusetzen. Das brachte Castlereagh auf. «Es hängt einzig davon ab, wie Eure Kaiserliche Majestät mit den Fragen umgehen wird, die Euer eigenes Reich unmittelbar betreffen, ob sich der gegenwärtige Kongreß als ein Glück für die Menschheit oder lediglich ein Schauspiel feindseliger Intrigen und ungeordneten Gerangels um die Macht erweist», mahnte er den Zaren.2 Alexander geriet auch bei seinen eigenen Leuten unter Druck. Pozzo di Borgo, den er zur Unterstützung aus Paris herbeigerufen hatte, unter-
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breitete ihm ein Memorandum, das seinem polnischen Projekt gegenüber äußerst kritisch war. Zunächst wies er darauf hin, daß die Grenze, die der Zar im Westen forderte, viel zu «aggressiv» sei, als daß die anderen Mächte sie akzeptieren könnten. Dann stellte er das ganze Konzept eines mit dem russischen Kaiserreich vereinten autonomen Königreichs Polen in Frage, indem er darauf hinwies, daß so etwas für die Russen inakzeptabel und für die Polen unbefriedigend wäre. Niemals ließe sich der Titel «‹König von Polen› mit dem Titel ‹Kaiser und Alleinherrscher der Russen› in Übereinstimmung bringen», und er fügte hinzu: «Die Zerstörung der politischen Existenz Polens füllt den Inhalt der ganzen neueren Geschichte Rußlands aus. Die Vergrößerung auf Kosten der türkischen Seite war rein territorialer und, wie ich zu sagen wage, zweitrangiger Natur gegenüber jener nach Westen. Die Eroberung Polens diente hauptsächlich dem Ziel, die Beziehungen der russischen Nation mit dem restlichen Europa zu vermehren und ihr ein weiteres Feld, eine edlere Bühne für die Anwendung ihrer Macht und ihres Talentes, zur Befriedigung ihres Stolzes, ihrer Leidenschaften und ihrer Interessen zu gewähren.» Und er schloß: Das Gebiet Polens anders als eine Eroberung zu behandeln, hieße das Fundament des russischen Staates zu unterminieren, wie es während des vergangenen Jahrhunderts errichtet wurde.3 Nesselrode pflichtete Pozzo di Borgo bei. Er mochte die polnischen Nationalbestrebungen ganz und gar nicht. «War auch die Teilung dieses Landes im Prinzip eine illegale Maßnahme, die dem Völkerrecht und dem Erhalt des Gleichgewichts zuwiderlief, so hatte sie zumindest den wohltuenden Effekt, die keimenden Streitereien und Unruhen in Europa einzudämmen», schrieb er. Stein teilte diese Ansicht, als er zu Alexander sagte, ein autonomes Königreich Polen könne ohnehin nicht überleben, da ihm ein dritter Stand fehle, der in allen zivilisierten Ländern Hort der Aufklärung, der guten Sitten und des Reichtums einer Nation sei.4 Aber Alexanders Entschlossenheit war unerschütterlich. Er hatte die an sich unverträglichen Widersprüche seiner Erziehung, seines Charakters und seiner Stellung immer wieder innerlich in Einklang bringen müssen und mit den Jahren außerordentliche Fähigkeiten zu psychologischer Akrobatik entwickelt, die es ihm ermöglichten, sich für liberal zu halten und gleichzeitig autokratisch zu handeln. So fiel es ihm auch jetzt nicht allzu schwer, sich einzureden, daß er das Königreich Polen erneuern und der russischen Staatsräson treu bleiben könne.
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Die einzige praktische Konsequenz, die Alexander aus den Ratschlägen seiner Berater zog, bestand darin, Pozzo di Borgo zu entlassen und nach Paris zurückzuschicken, Nesselrode von den Beratungen mit den Ministern der anderen Großmächte abzuziehen und Stein noch mehr beiseite zu schieben. In den nächsten Wochen würde Czartoryski sein wichtigster Minister sein. Castlereagh, Metternich und Hardenberg mußten nun der Tatsache ins Auge sehen, daß sie beim Zaren mit gutem Zureden nichts erreichen würden. Talleyrand schlug vor, daß Großbritannien, Preußen und Frankreich in dieser Sache Rußland ein Ultimatum stellen sollten, und am 14. Oktober verfaßte Castlereagh ein gemeinsames Memorandum, in dem Alexander drei mögliche Optionen vorgestellt wurden: entweder die Wiederherstellung Polens unter einem unabhängigen Monarchen, wobei die drei Teilungsmächte alles polnische Territorium zurückgeben müßten, das sie seit 1772 annektiert hatten; oder die Wiedererrichtung eines ähnlichen Königreichs innerhalb der verkleinerten Grenzen von 1791; oder aber Polen unter den drei Mächten aufgeteilt zu lassen, wobei die Weichsel Rußlands Westgrenze bildete. Nähme Rußland eine der drei Optionen an, könne man den Kongreß solange unterbrechen, wie die Einzelheiten dieses und anderer Arrangements ausgearbeitet würden. Wenn es jedoch alle drei ablehne, würde man eine Vollversammlung einberufen und die polnische Frage ganz Europa zur Diskussion und Beschlußfassung vorlegen. Es war nichts anderes als ein Versuch, Alexander zu erpressen.5 Dies konnte nur gelingen, wenn Großbritannien, Österreich und Preußen zusammenhielten. Castlereagh hatte sich die Unterstützung Preußens mit der Zusage erkauft, seinen Anspruch auf ganz Sachsen und Mainz mitzutragen, aber Metternich war ganz und gar nicht einverstanden. Er und Hardenberg hatten sich während der letzten zwei Wochen voneinander entfernt. Mißtrauen und Rivalität bestimmten weiterhin die Auseinandersetzungen über die Pläne zur Zukunft Deutschlands. Gemäß der in ihren ersten Gesprächen getroffenen Beschlüsse hatten die vier Minister ein Komitee ernannt, das aus Vertretern Österreichs, Preußens, Bayerns, Hannovers und Württembergs bestand und über die territoriale und verfassungsmäßige Neuordnung der deutschen Gebiete entscheiden sollte.
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Das Deutsche Komitee tagte zum ersten Mal am 14. Oktober. Auf seiner zweiten Sitzung zwei Tage später beschwerte sich der Vertreter Württembergs, daß man ihm nicht den Vortritt vor seinem Kollegen aus Hannover gegeben habe, das am 12. Oktober zum Königreich erklärt worden war. Württemberg war (von Napoleons Gnaden) Königreich seit 1806, was ihm Seniorität verleihe. Sechs erwachsene Männer verbrachten die nächsten Stunden damit, dieses Problem zu diskutieren, ohne zu einer Lösung zu gelangen. Genausowenig kamen sie voran, als sie sich mit den zwölf Artikeln von Hardenbergs Entwurf für einen künftigen Deutschen Bund befaßten. Die Delegierten Bayerns und Württembergs sperrten sich gegen die Übertragung verfassungsmäßiger Rechte auf Deutsche aller Klassen, gleichgültig in welchem Staat sie lebten. Auch störten sie sich an einem Artikel, der es einzelnen Staaten untersagte, Krieg zu führen oder Bündnisse mit anderen Mächten zu schließen. Sie verstanden dies als Angriff auf ihre Souveränität und protestierten vehement. Während das von den vier Großmächten eingerichtete Deutsche Komitee seine erste Sitzung in den Räumen des bayerischen Bevollmächtigten Marschall Wrede abhielt, konferierten getrennt davon einige Vertreter deutscher Kleinstaaten im Haus des Barons von Gagern. Eine dritte Gruppe von weniger bedeutenden Fürsten und Adligen, die eine Wiederherstellung des Alten Reichs unter Österreich anstrebten, traf sich im Haus der Fürstin Elisabeth zu Fürstenberg. Hardenberg und Metternich hatten sich offenbar über die von ihnen gewünschte Art von Verfassung geeinigt, und auch darüber, daß Österreich im leitenden Gremium die Präsidentschaft übernehmen und Preußen großen Einfluß erhalten sollten. Das konnte aber erst durch die endgültigen territorialen Neuordnungen garantiert werden. Um sich in den verschiedenen Räten und Gremien Stimmen zu sichern, mußten Österreich und Preußen die Grenzen in einer Weise hin- und herschieben, daß staatliche Gebilde, die von ihnen abhängig waren, hinreichend vertreten sein würden. Dafür jedoch müßten diese beiden Länder ihre Grenzen neu festlegen, und das wiederum schuf zwischen ihnen eine Atmosphäre intrigenträchtiger Rivalitäten. Ihre Beziehungen zueinander litten überdies durch den Streit, wer Mainz bekommen solle. Das eigentliche Problem war jedoch, daß sich Metternichs Haltung zur sächsischen Frage geändert hatte; die öffentliche Meinung war zu-
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gunsten des Königs von Sachsen umgeschlagen, was sich Metternichs politische Gegner nun zunutze machten. Von Talleyrand geschürt, verbreitete sich auch bei den meisten anderen deutschen Staaten eine antipreußische Stimmung; ihre Unterstützung aber brauchte Metternich. Castlereagh gestand Liverpool, er habe, angesichts von Metternichs Unvermögen, sich an die vereinbarte Strategie zu halten, «etwas die Geduld verloren». Aber zu diesem Zeitpunkt wußte Metternich kaum, ob er überhaupt eine Strategie hatte. Die Anstrengung, achtzehn Stunden täglich zu arbeiten, machte sich allmählich bemerkbar. Im Gegensatz zu den anderen Außenministern trug er zudem die Verantwortung eines Gastgebers, der Veranstaltungen zu beaufsichtigen hatte, und er durfte nicht einen Augenblick lang vergessen, daß eine ihm feindlich gesonnene Clique um Stadion und Schwarzenberg nur auf die Gelegenheit lauerte, ihn zu stürzen. Zu allem Übel durchlebte er auch noch eine persönliche Krise.6 Am 1. Oktober hatte Metternich, im festen Glauben an ihre Liebe und Loyalität, die Nacht bei Wilhelmine verbringen können, doch dies änderte sich in den nächsten Tagen: Alfred zu Windischgrätz war in Wien aufgetaucht, und Wilhelmine erlag der Versuchung, ihre Affäre mit ihm wiederaufzunehmen. «Mit Freunden zählt man die Tage», schrieb sie ihm, «doch mit Dir zähle ich auch die Nächte. Ich möchte keine einzige davon missen.» Metternich litt und tat alles, um die Ausschließlichkeit ihrer Gunst zurückzugewinnen. Anstatt seine Gedanken auf die polnischen und sächsischen Probleme zu richten, versuchte er sich bei Wilhelmine nützlich zu machen. Während seine drei Kollegen am 9. Oktober die Einzelheiten der preußischen Forderungen in Hardenbergs Note diskutierten, einem der entscheidensten Momente des Kongresses, saß Metternich abseits in einer Ecke und schrieb ihr einen Liebesbrief.7 Er überlegte, wie er einen Weg finden könnte, auf Alexander einzuwirken, damit er für Wilhelmine in der Frage der Vormundschaft über ihre Tochter intervenierte, die aus der Verbindung mit ihrem ersten Liebhaber, Gustaf Mauritz Armfelt, hervorgegangen war. Armfelt war kürzlich verstorben und das Kind in der Obhut ihrer Stiefmutter in Rußland verblieben. Als am Abend des 14. Oktober Talleyrand und andere Anwesende sich über Sachsen auseinandersetzten, beschäftigte sich Metternich mit den Skizzen für das Kleid, das Wilhelmine auf seinem Maskenball in vier Tagen tragen sollte. Später noch am Abend
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schüttete er Gentz sein Herz darüber aus, daß er von Windischgrätz verdrängt worden war, was ihn, wie Gentz in seinem Tagebuch notierte, «stärker zu beschäftigen scheint als die Weltpolitik».8 Am nächsten Morgen erhielt Metternich einen Brief von ihr, in dem sie die Affäre mehr oder weniger beendete. Das hielt ihn nicht davon ab, ihr flehentliche und vorwurfsvolle Briefe zu schreiben, oft in den frühen Morgenstunden, wenn er von einem Diner oder Ball zurückgekehrt war und ohne Kaminfeuer im Schein einer einzigen Kerze in einem kalten Arbeitszimmer saß.9 Seine Verbitterung war um so größer, als die Fürstin Bagration eine wenig schmeichelhafte Version ihrer eigenen Affäre mit ihm in Umlauf brachte, wahrscheinlich auf Betreiben Alexanders oder auch nur, um sich bei ihm einzuschmeicheln, und man konnte sich in den Wiener Salons an den pikanten Häppchen schlüpfriger Gehässigkeit weiden. Die Gemächer der Fürstin wurden immer mehr zu einem russischen Zentrum politischer Intrigen und von Metternichfeinden.10 Alexanders Einstellung zu Metternich hatte sich verhärtet. «Der Kaiser hatte sich daran gewöhnt, M. de Metternich nur als ständiges Hindernis für seine Absichten zu sehen, als einen Mann, der seine Pläne unablässig zu durchkreuzen und ihn zu überlisten versuchte, ja als eingeschworenen Feind», schrieb Gentz und fügte hinzu, Metternichs Gelassenheit und gesellschaftlicher Erfolg treibe den Zaren zur Weißglut. Als sie in Wien ernsthaft aneinandergerieten, hatten sich diese Gefühle bereits zu einem «unversöhnlichen Haß» gesteigert, der manchmal in «einer Art rasender Wut» ausbrach.11 «Ich verachte jeden Mann, der keine Uniform trägt», verkündete Alexander mit Blick auf den österreichischen Kanzler, den er als «Schreiberling» und somit als Feigling abtat. Den Frauen sagte er, wenn sie wert auf seine Freundschaft legten, sollten sie sich nicht mit Metternich einlassen. Hierdurch fühlten sich Fürstin Bagration und Wilhelmine bemüßigt, in der Öffentlichkeit über Metternich herzuziehen und ihn der Lächerlichkeit preiszugeben. Ihre boshaften Bemerkungen wurden bald zum Stadtgespräch. «La Sagan und La Bagration sind so weit gegangen, daß die Polizei sie aus Gründen des Anstands, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zur Wahrung der guten Sitten ausweisen sollte», empfahl ein Bericht, der am 1. November auf Hagers Schreibtisch landete.12
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Metternich schien die Orientierung verloren zu haben. «Er wiederholt ständig, daß er nur noch acht Tage benötigt, dann drei Tage, daß alles gut gehen wird, daß man ihn tun lassen solle. Und dann tut er nichts», beschwerte sich Talleyrand bei Gagern. Der Franzose hatte für Metternichs Gefühle kein Verständnis; er selbst ließ sich durch derlei nicht aus der Fassung bringen. «Dorothée gefällt es hier und sie amüsiert sich», berichtete er ihrer Mutter, der Herzogin von Kurland, in einem Brief. Ob er schon davon wußte, ist nicht klar, aber Dorotheas Spaß wurde durch die Aufmerksamkeiten eines jungen Kavallerieoffiziers, des Grafen Clam-Martinitz, noch gesteigert, der ihn als ihr Liebhaber bald ersetzen sollte, sofern er es nicht schon getan hatte.13 Am 18. Oktober wurde der erste Jahrestag der Schlacht von Leipzig mit einem «Friedensfest» begangen, wie man es nannte. Den Prater hatte man zu diesem Anlaß mit Pyramiden aus eroberten französischen Kanonen und anderen militärischen Beutestücken geschmückt. Neben der Praterallee, der von Kastanien gesäumten großen Hauptallee, die sich über die gesamte Länge des Parks erstreckte, war ein großer Hügel aufgeschüttet worden, auf dem jetzt ein Altar stand. Hier wohnten alle Monarchen ohne Ansehen ihrer Konfession einer Messe bei. Das Ganze wurde von einer Militärkapelle und von Artilleriesalven begleitet, die über den Köpfen der aufgereihten Wiener Garnison den herbstlichen Morgendunst vertrieben. Alsdann marschierten die Truppen vor den Souveränen vorbei, wobei dem Freiherrn vom Stein Alexanders Mißvergnügen über die Entfaltung des österreichischen militärischen Glanzes nicht entging – er hatte Österreich stets für eine schwächliche Macht ohne kriegerischen Geist gehalten.14 Auf die Parade folgte ein Mittagessen für die 20 000 Soldaten, bei dem sich Offi ziere unter die Soldaten mischten und neben ihnen sitzend eine gemeinsame Mahlzeit genossen. Eine etwas erlesenere Gruppe speiste im prächtigen Palais des Grafen Rasumovskij, und am Abend wurde das Fest in Metternichs Residenz fortgesetzt.15 Metternich hatte sich aufs neue bemüht, ein raffiniertes Unterhaltungsprogramm zu bieten, das der schönen jungen Anna Eynard «Erinnerungen für ein ganzes Leben» lieferte – obwohl sie zu Beginn eine herbe persönliche Enttäuschung erlebt hatte. «Als ich um acht Uhr meine Frisur richtete, wurde mir das Kleid gebracht, das ich für diesen
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Das «Friedensfest» im Wiener Prater am 18. Oktober 1814, dem ersten Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig.
Ball bestellt hatte, aber es bestand noch aus mehreren Stücken, da die Stickarbeiten gerade erst vollendet worden waren», schrieb sie am nächsten Tag in ihr Tagebuch. «Es war schon etwas zu spät, es der Näherin zu schicken. Dieses silbern bestickte Kleid war außerordentlich schön, aber ich mußte mich mit dem Gedanken zufriedengeben, daß ich wundervoll ausgesehen hätte!»16 Der Eingang zum Ball wurde durch Fackeln mit bengalischem Licht erleuchtet; die Kutschen fuhren eine mit Planen überdachte Auffahrt hinauf, von der aus die Gäste auf einer überdachten und mit Teppichen belegten Treppe ins Gebäude gelangten. Auffahrt und Treppe wurden von Dienern gesäumt – deren Livreen so dicht mit Gold besetzt waren, daß man ihre Farbe nicht erkennen konnte. Das Fest begann mit einem Heißluftballon, der als eine mit den Wappen der drei alliierten Monarchen verzierte künstliche Sonne unter Trommelwirbeln und Fanfarenstößen aufstieg. Alsdann führte man die Souveräne durch die Gärten und zeigte ihnen verschiedene sehenswürdige Dinge und Gemälde in eigens dafür errichteten Tempeln für Mars, Apollo und Minerva. Von hier aus gingen sie in ein Amphitheater mit
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einer Rasenfläche in der Mitte, auf der drei weitere Tempel standen, von denen einer dem Frieden, ein anderer den Künsten und ein dritter dem Gewerbefleiß gewidmet war. Es folgte eine von einem Feuerwerk unterlegte Pantomime: Eine Figur, Verkörperung des Zwistes, fuhr in einem von drei schwarzen Pferden gezogenen Streitwagen um das Rasenstück herum; sie schwenkte eine Fackel und wurde von Höllengöttern begleitet. Man sah Menschen in Todesangst fliehen, Armeen, die in simulierten Schlachten und Kavallerieattacken aufeinanderprallten, Städte, die belagert, angegriffen und niedergebrannt wurden. Frauen und Kinder suchten Zuflucht im Tempel des Friedens. Dann herrschte Stille, und kurz darauf erklang Musik, während sich Frieden über alles breitete und die Menschen den Tempel verließen. Das Finale bildete eine große Parade, in der jede alliierte Nation von einem General repräsentiert wurde, der in einem mit den Fahnen und Emblemen seines Landes geschmückten Streitwagen fuhr. Die Generäle versammelten sich mit den Überlebenden um den Altar des Friedens und der Eintracht und sangen Kirchenlieder. Während dieses Schauspiels wurde an runden Tischen, an denen bis zu zwölf Personen Platz hatten, das Abendessen aufgetragen. Danach wurde getanzt.17 «Eine rund um den Saal herlaufende Säulenreihe bildete Vorhallen, in denen man sich zur Abkühlung ergehen konnte», notierte Gräfin Bernstorff anerkennend. «Längs diesen Säulen innerhalb des Tanzsaales zogen sich Estraden mit bequemen Sitzen für die Damen, und zahllose Lampen machten die Nacht zum Tage. Von den Vorhallen aus führten breite Treppen, die geheizt waren, in die großen Säle des Erdgeschosses hinunter, wo ein reiches Souper servirt war.» Die Gäste waren äußerst dankbar dafür, daß auch die aus dem Gebäude hinausführende Treppe überdacht und beheizt war, denn als die Zeit zum Gehen gekommen war, stauten sich so viele Kutschen, daß einige Damen, die nur leichte Umhänge über ihren Ballkleidern trugen, bis zu zwei Stunden warten mußten, ehe ihre eigene vorfahren konnte.18 Am 21. Oktober schrieb Metternich einen Brief, in dem er Wilhelmine sein Einverständnis mit dem Ende ihrer Affäre bekundete. Er erklärte darin, er bedauere nicht, ihr sein Herz so gänzlich ausgeliefert zu haben, er habe seine «ganze Existenz einem Zauber überantwortet, der allzu verführerisch war». Den Tadel, daß sie versucht hatte, zwei Männer zur selben Zeit zu lieben, konnte er sich nicht verkneifen. Er fühlte
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sich bestraft, zu sehr geliebt zu haben, aber er werde es tapfer tragen, da er sie noch immer liebe. «Du wirst immer das Wesen sein, das meinem Herzen das liebste ist», schloß er. Gentz atmete erleichtert auf.19 Nachdem er seinen Abschiedsbrief verschickt hatte, widmete sich Metternich endlich wieder den Staatsgeschäften und verfaßte seine Antwort auf Hardenbergs Note vom 9. Oktober. Er hatte, wenn auch ungern, eingewilligt, sich Castlereagh in einem letzten Versuch anzuschließen, Preußens Unterstützung dadurch zu gewinnen, daß man seinen Anspruch auf ganz Sachsen mittrug. Dies lief dem Wunsch seines Kaisers und der öffentlichen Meinung zuwider, aber es schien die einzige Lösung zu sein; am Ende konnte er Kaiser Franz dazu bewegen, seine Verteidigung Sachsens aufzugeben. In seiner Note an Hardenberg stand: «Die Absicht Preußens Sachsen seiner Monarchie einzuverleiben erregt des Kaisers wahrhaftes Bedauern.» Obwohl er gehofft hatte, daß ein Kerngebiet verschont bleiben könne, sei Österreich bereit, unter bestimmten Bedingungen einer Annexion zuzustimmen. Das sine qua non war, daß Preußen gemeinsam mit Österreich Rußlands Bestrebungen in Polen aufhalten müsse. Ebenso fest bestand er darauf, daß Mainz an Bayern zu fallen habe. An diesem Abend ging er zum Ball bei der Gräfin Molly Zichy und gab sich große Mühe, Alexander aus dem Weg zu gehen, der in Höchstform war und mit allen hübschen Mädchen tanzte. Metternich nutzte die Gelegenheit, Castlereagh eine Abschrift seiner Note an Hardenberg zu zeigen.20 Alle drei trafen sich am nächsten Morgen bei Castlereagh, um ihr Vorgehen aufeinander abzustimmen. Castlereagh erlebte Hardenberg als «extrem erhitzt» (eine höfliche Formulierung für «wütend») über Metternichs Weigerung, seinen Anspruch auf Mainz zu unterstützen. Außerdem war er mißtrauisch: Metternich und Castlereagh hatten beide zu verschiedenen Gelegenheiten versprochen, Preußens Anspruch auf Sachsen zu unterstützen, jedoch nicht bedingungslos. Er konnte unmöglich erwarten, seinen Souverän dazu überreden zu können, Alexander die Stirn zu bieten, solange er ihm nicht die felsenfeste Zusage geben konnte, daß er ganz Sachsen und mehr erhalten werde, möglicherweise Mainz – wie auch diejenigen Teile des Großherzogtums Warschau, die Alexander aufgeben müßte.
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Castlereagh hielt das Treffen gleichwohl für «zufriedenstellend». Die Anwesenden einigten sich, bei ihrem früheren Vorschlag zu bleiben und Alexander drei Alternativen zur polnischen Frage anzubieten, und, falls er keiner von ihnen zustimmte, damit zu drohen, die ganze Angelegenheit einer Vollversammlung des Kongresses vorzulegen. Metternich und Hardenberg sollten ihre Monarchen auffordern, mit Alexander persönlich zu sprechen und ihm zuzureden. Castlereagh war bereit, ihre Argumente zu Papier zu bringen und eine, wie sein Staatssekretär Cooke es nannte, «guerre de plume» mit Alexander zu führen, während Metternich vorschlug, daß er dem Zaren ihre Argumente mündlich unterbreiten werde. Am 23. Oktober, sechs Wochen nach ihrem ersten Treffen in Wien, hatten sie endlich eine gemeinsame Position gefunden. Aber sie war brüchig und würde schon dem ersten Angriff nicht standhalten.21 Noch am selben Nachmittag kam der vom Zaren einbestellte Talleyrand in die Hofburg. Während Castlereagh versucht hatte, gegen ihn eine gemeinsame Front zu schmieden, hatte Alexander alles getan, um diese Bemühungen zu vereiteln. Am 21. Oktober hatte er Czartoryski zu Talleyrand geschickt, um bei ihm die Möglichkeiten einer französisch-russischen Annäherung zu sondieren. Da er ahnte, daß es um Alexanders polnische Pläne gehen würde, hatte Talleyrand das Gespräch mit der Feststellung eröffnet, Frankreich wünsche sich, daß aus dem Kongreß ein vollkommen unabhängiges Polen hervorgehen werde. «Ein schöner Gedanke, aber ein Hirngespinst», entgegnete Czartoryski, «die Mächte würden es nie zugeben.» Talleyrand hielt den Fürsten hin, indem er vorgab, sich für dessen versteckte Hinweise zu interessieren, daß Rußland geneigt sein könnte, Frankreich in der Angelegenheit Murat zu unterstützen.22 Daß ein solcher Besuch unbemerkt bleiben oder verschwiegen werden könnte, war in Wien ausgeschlossen, und bald erfuhr auch Castlereagh davon. Alarmiert schrieb er an Wellington in Paris; seine Weisung lautete, Druck auf Ludwig XVIII. und dessen Regierung auszuüben, damit er Talleyrand an die Kandare nehme, den er verdächtigte, Zwietracht stiften zu wollen. Aber seine Sorgen waren unbegründet.23 Der Zar eröffnete die Audienz am 23. Oktober überaus freundlich. Sanft hielt er Talleyrand vor, seine Linie seit Paris geändert zu haben, wo er ihn hatte glauben lassen, daß er eine Wiederherstellung Polens befürworte. Talleyrand erklärte, Frankreich sei mit ganzem Herzen für
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die Wiederherstellung eines unabhängigen Polens, nicht jedoch unter russischer Aufsicht, da dies sowohl für Preußen als auch für Österreich eine Bedrohung darstellte und die beiden Länder zwänge, anderenorts nach Gebietserweiterungen zu suchen; dadurch gerate das Gleichgewicht in Europa ins Wanken. «Österreich und Preußen haben von mir nichts zu befürchten», entgegnete der Zar, der seine Aussage sogleich mit dem Nachsatz widerlegte: «Übrigens habe ich 200 000 Soldaten im Herzogtum Warschau, versuchen Sie es nur, mich daraus zu vertreiben. Ich habe Sachsen an Preußen versprochen, und Österreich ist damit einverstanden.» Talleyrand äußerte Zweifel, ob Österreich dem wirklich zugestimmt habe, hielt sich aber strikt an seine Strategie moralischer Appelle. «Und wie kann Österreich überhaupt dem König von Preußen etwas geben, das dem König von Sachsen gehört?», fragte er. Diese Argumentationsweise verstimmte Alexander sehr. «Wenn der König von Sachsen nicht freiwillig abdankt, so lasse ich ihn nach Rußland bringen, wo er sterben kann», polterte er. «Ein anderer König ist dort auch schon gestorben», fügte er hinzu, in Anspielung auf den letzten König von Polen, Stanisław II. August Poniatowski. Talleyrand war entsetzt. «Ew. Majestät gestatten mir wohl, dies nicht zu glauben», antwortete er. «Der Kongreß ist doch nicht für ein solches Attentat zusammengekommen.» Alexander wurde ärgerlich und warf Talleyrand Undankbarkeit vor. «Ich meine doch, Frankreich müsse mir sehr verpflichtet sein. Sie reden immer von Ihren Principien; Ihr öffentliches Recht existiert nicht für mich; ich weiß gar nicht, was es bedeutet. Wie hoch meinen Sie wohl, daß ich Ihre Pergamente und Verträge anschlage?», zeterte er. Er habe Friedrich Wilhelm sein Wort gegeben. «Der König von Preußen», schloß er, «wird König von Preußen und König von Sachsen sein, ganz so, wie ich Kaiser von Rußland und König von Polen sein werde. Das Entgegenkommen Frankreichs in diesen zwei Punkten wird für mein Verhalten Ihnen gegenüber maßgebend sein.» Mit dieser Anspielung auf Talleyrands Wunsch nach einer Vertreibung Murats aus Neapel verließ Alexander den Raum und begab sich auf den Maskenball, den die Gräfin Schönborn an diesem Abend veranstaltete.24 Bei diesem Ball, den zu besuchen Hardenberg sich nicht die Mühe machte, nahm Talleyrand Castlereagh zur Seite und berichtete ihm von seiner nachmittäglichen Audienz beim Zaren; aber Alexander sah sie,
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trat zu ihnen und zog Castlereagh in einen anderen Raum, wo er ihm eine Predigt zu Polen hielt. Allmählich verließ ihn die Geduld angesichts der Halsstarrigkeit mit der, wie er fand, seine vermeintlichen Alliierten seine Pläne behinderten. Früh am nächsten Morgen, dem 24. Oktober, war Metternich an der Reihe. Seine Audienz beim Zaren dauerte zwei Stunden, in denen er ihm die drei Optionen unterbreitete, auf die sich Castlereagh, Hardenberg und er am Vortag geeinigt hatten. Alexander warf ihm Anmaßung vor und sagte ihm, er halte sein Treffen mit den anderen Ministern für ein «Komplott». Er werde ein Königreich Polen wiederherstellen, erklärte er, ganz gleich, wie sie darüber dächten, denn er habe den Polen sein Wort gegeben. Metternich entgegnete, auch Österreich erwäge, seine polnischen Provinzen zu einem unabhängigen polnischen Staat umzugestalten, und daß die Polen in Warschau es vorziehen könnten, diesem beizutreten, statt von einem russischen Zaren regiert zu werden. Sarkastisch gab Alexander zur Antwort, sein Gesprächspartner sei eingeladen, die 200 000 Mann zu inspizieren, die er in Polen unter Waffen habe. Als Metternich, wie mit den anderen beiden Ministern abgesprochen war, damit drohte, die ganze Angelegenheit einer Vollversammlung des Kongresses vorzulegen, entgegnete der Zar, er schere sich keinen Deut um diesen Kongreß. Unter Verlust seiner Contenance und seiner Manieren beschimpfte er den Außenminister persönlich. Hinterher erklärte Metternich seinen Freunden, er könne und wolle den Zaren nie wieder unter vier Augen sehen. Später am Vormittag machte sich Alexander gemeinsam mit Kaiser Franz und König Friedrich Wilhelm auf in die ungarische Stadt Buda und überließ Metternich seinen Gedanken, die keine glücklichen waren.25 Die Nachricht über seine Unterredung beim Zaren verbreitete sich bald in ganz Wien, wie auch einige andere Gerüchte, die ihn persönlich verletzten. Darüber, daß er bei Wilhelmine durch Windischgrätz ersetzt worden war, hatte man bereits, unter hämischen Ausschmückungen seiner politischen Feinde, ausführlich gemunkelt. Nun aber wurde ihr Appetit auf Klatsch mit einem neuen Leckerbissen bedient. Am 23. Oktober, dem Vorabend seiner Audienz mit Metternich, war Alexander zu Besuch ins Palais Palm gekommen. Statt die Gemächer der Fürstin Bagration aufzusuchen, die ihn erwartete, machte er Wilhelmine seine Aufwartung und verbrachte einige Zeit bei ihr. Dieses Ereignis sprach sich in Wien binnen weniger Stunden herum und wurde
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nicht nur von Metternichs Feinden, sondern auch von denen der Fürstin Bagration begierig aufgegriffen; daß der Zar auf dem obersten Treppenabsatz im Palais Palm nach links und nicht nach rechts gegangen war, interpretierte man dahingehend, daß er seine frühere Geliebte verlassen und Metternich in der Zuneigung Wilhelmines ersetzt hatte.26 Die Minister überlegten, was nun zu tun sei; der 1. November stand unmittelbar bevor, und sie waren in den wesentlichen Punkten einer Einigung um keinen Schritt nähergekommen als vor einem Monat, ja, sie schienen eher noch weiter von ihr entfernt zu sein. Am Abend des 30. Oktober führten die Vertreter der acht Unterzeichner des Pariser Vertrags «zähe» Verhandlungen, wie Hardenberg fand, in deren Verlauf sie eine Anzahl von möglichen Verfahrensformen für den Kongreß vorbrachten und diskutierten. Talleyrands Vorschlag einer Vollversammlung wurde verworfen. Man erwog, eine Reihe von Komitees zu bilden, die den acht Bevollmächtigten zu berichten hätten. Aufgeworfen wurde die Frage, ob die Bevollmächtigten von Sachsen und Neapel zugelassen werden sollten und, falls ja, welche. Es wurde keine Einigung erreicht und die Konferenz auf den folgenden Tag verschoben. Die Hauptattraktion dieses Tages war ein Konzert in der Hofreitschule, bei dem vierzig Pianisten, dirigiert von Salieri, an zwanzig Klavieren spielten. Nach den Berechnungen eines Zuhörers waren es «also achtzig Hände oder vierhundert Finger, die zusammen spielten». Eine solche Harmonie war in den Beratungen der Bevollmächtigten der vier Großmächte nicht zu erkennen.27 Bei ihrem nächsten Treffen ging es wieder um die gleichen Probleme, und sie kamen zu keinem bedeutsamen Ergebnis, außer dem, daß die Eröffnung des Kongresses abermals vertagt werden solle. Um den Anschein zu erwecken, daß sich überhaupt etwas tue, verkündeten sie, daß die Überprüfung der Beglaubigungsschreiben beginnen würde. Infolgedessen brachte der 1. November lediglich eine Ankündigung in der Hofgazette, in der alle Bevollmächtigten aufgefordert wurden, einem zu diesem Zweck in der Staatskanzlei eingerichteten Komitee ihre Beglaubigungsschreiben zur Prüfung vorzulegen. «Es herrscht die Meinung vor, daß der Kongreß kurz dauern werde», witzelte Pictet in einem Brief an seine Tochter. «Man benötigt nur die Zeit, um zu sagen ‹Ich behalte und ich nehme›, und dann um den Rest zu würfeln.»28
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Die Monarchen waren nach Wien zurückgekehrt, aber ihre Fahrt nach Buda war nicht von Erfolg gekrönt. Alexander hatte die Gelegenheit nutzen wollen, daß er mit Franz und Friedrich Wilhelm allein war, um sich mit den beiden über die Köpfe ihrer Minister hinweg zu verständigen. Den preußischen König warnte er vor Hardenberg, und Franz legte er nahe, auf die Dienste Metternichs zu verzichten; man könne sich, untereinander und ohne sie, mühelos einigen. Franz soll dazu gesagt haben, diese Dinge ließen sich besser von Ministern als von Monarchen aushandeln, und er sei mit seinem vollkommen zufrieden. Die Diskussion wurde als «stürmisch» beschrieben. Irgendwann erklärte Alexander, er sei bereit, für die Durchsetzung seiner Ziele Krieg zu führen, woraufhin der friedliche Franz entgegnete, er würde lieber sofort kämpfen, um es hinter sich zu bringen, als erst in ein paar Jahren.1 Alexander kehrte in schlechter Stimmung zurück. Wahrscheinlich war ihm bewußt, daß er sich in eine Sackgasse manövriert hatte. Bei seiner Ankunft in Wien hatte er seine Forderungen sofort offen verkündet und angenommen, sie würden sich durchsetzen. Als zunächst Castlereagh, dann Talleyrand und auch noch Metternich widersprachen, hatte er versucht, sie einzuschüchtern. Castlereagh war fest geblieben; er hatte ihm zwei Memoranden verfaßt, die ausführlich begründeten, warum er Alexanders Pläne für inakzeptabel hielt. In geradezu herablassendem Ton hatte ihm Talleyrand Vorträge über Legitimität und Völkerrecht gehalten. Und Metternich, der vorgab, für jeden Vorschlag offen zu sein, war von seiner Position nicht abgerückt. Dies hatte Alexander so in Zorn versetzt, daß er ihm gegenüber die Beherrschung verloren und dann auch noch von Franz verlangt hatte, ihn zu entlassen. Dessen Weigerung war die abschließende Demütigung gewesen.
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Metternichs Entlassung hätte Alexander wenig genützt. Sie hätte ihm sogar eher geschadet, denn auf seinen Posten lauerte schon Stadion, der einzige, der Metternich wirklich hätte ersetzen können, und er verfolgte Österreichs Interessen weitaus aggressiver. Nicht nur beharrte Stadion unnachgiebig auf der Rückgabe des gesamten polnischen Territoriums, das Österreich 1809 an Rußland verloren hatte, er war auch ein Fürsprecher der kleinen deutschen Fürsten und Unterstützer des sächsischen Königs. Wäre er am Ruder, würde Österreich sich klar gegen Rußland stellen. Nachdem sich Alexanders Zorn etwas gelegt hatte, erkannte er, daß er mit Metternich weiter zusammenarbeiten mußte, aber er würde nun auf andere Mittel zurückgreifen, um ihn zu überzeugen. Auf dem Maskenball im Anschluß an jenes «zähe» Treffen, bei dem es um Verfahrensfragen für die Eröffnung des Kongresses gegangen war, trat ein Maskierter auf Metternich zu und überreichte ihm einen Zettel – die Botschaft, daß eine sehr hochgestellte Persönlichkeit, die sich leider mit ihm gestritten habe, jetzt wünsche, die einst freundlicheren Beziehungen wiederaufzunehmen und ihn vom Widerstand gegen seine Pläne abzubringen. Diese hochgestellte Persönlichkeit sei bereit, ihm eine Summe von 100 000 britischen Pfund durch die seriösesten Bankiers von Wien in bar auszahlen zu lassen und ihm zusätzlich ein weiteres persönliches Begehren zu erfüllen. Aus dem Wortlaut wurde ersichtlich, daß sich dies auf die Gunst Wilhelmines bezog. Der verdutzte Metternich, dem sich die besondere Bewandtnis dieses Zettels nicht erschloß, ließ den Mann stehen. Erst später, nach einigem Nachdenken, begriff er, was geschehen war. Wilhelmine wollte ihre Tochter unbedingt aus Rußland herausholen und war bereit, alles dafür zu tun. Inständig hatte sie Metternich gebeten, Alexander in dieser Sache um Hilfe zu bitten, was er auch getan hatte. So hatte Alexander unverhofft Wilhelmine in der Hand. Er hatte seine Macht eingesetzt, sie dazu zu bringen, Metternich öffentlich abzuweisen und ihn während der letzten Wochen besonders gehässig zu behandeln. Und jetzt war er bereit, sie durch Erpressung zur Trennung von Windischgrätz und zur Versöhnung mit Metternich zu bringen, sofern dieser sich bereiterklärte, bezüglich Polens klein beizugeben.2 Metternich war entsetzt, nicht so sehr darüber, was der Zwischenfall über Alexander und dessen Methoden offenbarte, sondern daß Wil-
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helmine glauben könnte, er, Metternich, hätte das Ganze eingefädelt, um sie zurückzugewinnen. Am nächsten Morgen schrieb er ihr eilig eine Nachricht, er werde auf dem abendlichen Ball bei Graf Rasumowskij nicht anwesend sein, und riet ihr, einem Gespräch mit dem Zaren aus dem Weg zu gehen. «Vergiß nie, daß unsere Beziehungen, die meinerseits so rein und so ehrlich sind, nie für Komplikationen von der Art hätten herhalten dürfen, wie sie das lächerliche Verhalten gewisser Personen herbeigeführt hat», schrieb er und fügte hinzu, er habe ihr Erstaunliches zu berichten.3 Doch damit nicht genug. Offenbar hatte Alexander das Gerücht verbreitet, daß der verlassene Metternich versucht habe, sich mit der wunderschönen und notorisch tugendhaften Julie Zichy zu trösten (die allen Avancen Alexanders beharrlich widerstanden hatte). Er hatte sie dann darüber informiert, Metternich habe sich vor ihm gebrüstet, sie besessen zu haben. Die keusche Gräfin brach in Tränen aus und weigerte sich fortan, mit Metternich zu sprechen.4 «Mich überrascht gar nichts mehr, vor allem von diesem Mann», schrieb Metternich am nächsten Tag an Wilhelmine. «Ich bin ganz krank, mein Körper ist angegriffen, er wird von meinem Geist seit langem nicht mehr versorgt. Man wird mich noch wenige Wochen benötigen, die das schmerzlichste Jahr meines Lebens abschließen, und sofern sie auch mein Leben abschließen, verliert die Welt nur die traurigen Überreste meiner Existenz, die zu verlieren ich allerdings verdient habe.»5 Metternich war nicht der einzige, der verzagte. «Die Menschen verlieren jegliche Hoffnung darauf, den Kongreß so enden zu sehen, wie sie es sich wohl wünschen und wie sie anfänglich geglaubt hatten», meldete einer von Hagers Informanten. «Man sagt, daß der Kongreß keine Prinzipien habe, und wenn doch, seien es ziemlich schlechte. Anstatt jedem zu geben, was ihm zusteht, versucht man anderen wegzunehmen, was ihnen rechtmäßig gehört.»6 «Ich bin entzückt, daß unser Hof nach zwanzig Kriegsjahren in einer Pracht erstrahlt, die alle Fremden in Staunen versetzt, selbst diese üblen Russen», schrieb eine Wiener Dame am 12. November nach Paris. «Aber ich wünschte mir, daß dieses Schauspiel enden möge und jeder sich wieder in sein Schneckenhaus zurückziehen und die Segnungen des Friedens genießen möge. Sie müssen zugeben, daß all die gekrönten
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Häupter, die es sich zur Gewohnheit gemacht haben, durch die Welt zu ziehen, sehr unbequem sind. Ich wünschte mir, daß man nach diesem ganzen Herumziehen in jedem Land ein Gesetz verkünde, das jeden Souverän verpflichtet, zu Hause zu bleiben.» Man witzelte, daß Rußland und Preußen, indem sie die Verhandlungen in die Länge zogen, eine neue Art von Krieg gegen Österreich betrieben, mit dem Ziel, dessen Kaiser finanziell zu ruinieren.7 Die Einwände anderer waren ernster. «Diese Herrscher, die alle Brüder waren, als es sich darum handelte, die Macht Bonapartes zu vernichten, waren also nur aus Not, in ihren eigenen Interessen, verbunden gewesen und nicht durch das edle Ziel, dessen sich alle rühmten, die Völker glücklich zu machen», schrieb Eynard in sein Tagebuch. «Diese Koalition, die man eine heilige Liga nannte, wird mit einem neuen Kriege enden oder zum mindesten werden sich die Herrscher halb entzweit und mit der Absicht trennen, die erste günstige Gelegenheit zu ergreifen, um die Welt abermals zu beunruhigen.» So empfanden viele, und es kam eine Welle der Empörung über den Kongreß auf, besonders in Deutschland. «All die kleinlichen Leidenschaften, all die machiavellischen Winkelzüge sind hier wie früher vorherrschend, und diese Sache, die man als heilig verkündet hatte, ist mehr als profan geworden», beschwerte sich ein Wiener Geistlicher bei seinem Bruder in Straßburg.8 Der erst kürzlich eingetroffene russische Minister Graf Ioannis Capodistrias war darüber, was er vorfand, entsetzt. Rasch erfaßte er, daß die führenden Minister es aus einem Mangel an Staatskunst versäumt hatten, von vornherein eindeutige Prinzipien festzulegen. Der Kongreß würde daher gerade keine Wunden heilen, sondern alte wieder aufreißen. Auch Humboldt dachte so und verwies in einem Brief an seine Frau eindeutig auf die vagen Formulierungen des Pariser Friedens als Ursprung der Schwierigkeiten, in denen sie jetzt steckten. Hardenberg hatte gegenüber Metternich schon im Sommer eingeräumt, daß die Wurzel des Übels im Februar 1813 zu suchen sei, als es ihnen nicht gelungen war, eine Einigung zu erzielen.9 «Man hat vergessen, daß dieser Krieg nicht von Souveränen, sondern von Nationen geführt wurde», fuhr Capodistrias fort. «Kaum war Napoleon gestürzt, hat man die Interessen der Nationen vergessen und sich nur um die Interessen der Fürsten gekümmert, ganz wie in den
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Graf Ioannis Capodistrias, ein von Korfu gebürtiger Edelmann in russischen Diensten. Zwar konnte er auf dem Kongreß wenig für seine Heimat, die Ionischen Inseln, ausrichten, sein Fleiß und seine Kulanz trugen ihm jedoch Respekt ein. Er wurde zum ersten Präsidenten des unabhängigen Griechenland gewählt. Porträt von Dionysios Tsokos.
Kriegen von einst, und alles verfiel wieder dem Durcheinander, den Interessenüberschneidungen und der Unmöglichkeit, alle Länder zufriedenzustellen.» Wie die Mehrheit in Alexanders Entourage lehnte Capodistrias dessen polnische Pläne ab, weil er sie für eine untragbare Ausdehnung Rußlands in Richtung nach Europa hielt. Und während Alexander sie auch weiterhin als uneigennütziges Bemühen um das Wohl der polnischen Nation darstellte, stimmten die meisten der Bemerkung Talleyrands zu, daß «seine Philanthropie sehr einnehmend geworden ist». Capodistrias stand auch Großbritanniens Position äußerst kritisch gegenüber und wies darauf hin, daß es kein Gleichgewicht der Mächte geben könne, wenn eine einzelne Macht die Weltmeere beherrsche. Interessenvertreter kleinerer Staaten, die instinktiv in Rußland und Großbritannien ihre natürlichen Beschützer gesehen hatten, gelangten immer mehr zu der Auffassung, daß Alexander allmählich bedrohlicher wurde als Napoleon, während Großbritannien sich ausschließ-
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lich um das kümmerte, was in seinen maritimen und überseeischen Interessen lag.10 Früher konnten Könige und ihre Minister entscheiden, was für ihre Staaten am besten war; danach mußten sie nur noch mit der Gegenseite eine zufriedenstellende Einigung aushandeln. Aber das letzte Vierteljahrhundert hatte hierin Veränderungen gebracht, vor allem war die öffentliche Meinung mit ins Spiel gekommen. Sie aber unterlag ganz anderen Einflüssen – und zwar oftmals sehr emotionalen – als jenen, von denen sich die Monarchen und Minister in ihren Beschlüssen bisher hatten leiten lassen. Die öffentliche Meinung war nun selbst in einer Autokratie wie Rußland eine nicht zu unterschätzende Macht. Als sie den Kongreß planten, hatten die Minister der vier Mächte völlig versäumt, dies in ihre Überlegungen einzubeziehen, und nun bekamen sie die Folgen zu spüren. «Sie haben sich in einen Sumpf verrannt und sind ahnungslos, wie sie wieder herausfinden sollen», lautete Czartoryskis Kommentar in einem Brief, den er am 31. Oktober an seinen Vater schrieb.11 Am wenigsten ließ sich Alexander von alledem beeindrucken. Da er Metternich nicht hatte einschüchtern oder bestechen können, versuchte er jetzt, ihn zu isolieren. Auf dem Hofball am 3. November sprach er Hardenberg an und teilte ihm mit, er solle sich am 5. November in der Hofburg einfinden, damit sie Friedrich Wilhelm gemeinsam aufsuchen könnten. Als er den preußischen König und dessen Minister vor sich hatte, brachte der Zar wieder sein altes Argument vor, man dürfe ihm in Anbetracht seines großen Anteils an ihrem gemeinsamen Kampf eine Kleinigkeit wie sein geplantes Königreich Polen nicht verwehren. Hardenberg bemühte sich, aufzuführen, was dagegen sprach, aber Alexander wollte davon nichts wissen. Er forderte Friedrich Wilhelm auf, Hardenberg anzuweisen, seinen Wünschen gemäß zu handeln, und ihm die Zusammenarbeit mit Österreich und Großbritannien zu verbieten. Genau dies tat Friedrich Wilhelm. Vor seiner Abreise nach Buda hatte Alexander seinen Bevollmächtigten Anstett, der bei ihm in Ungnade gefallen war, weil er Zweifel an den polnischen Plänen geäußert hatte, damit beauftragt, eine Erwiderung auf Castlereaghs Memorandum von 12. Oktober zu verfassen. Als er am 29. Oktober zurückkehrte, überflog er Anstetts Schreiben und ließ es Castlereagh am nächsten Tag zustellen.
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Es begann mit einer Auflistung all der großen Anstrengungen und all der Leiden, die Rußland um der gemeinsamen Sache willen auf sich genommen hatte, und es drückte Erstaunen darüber aus, daß Castlereagh den Gedanken hatte hegen können, Rußland wolle gegen seine vertraglichen Verpflichtungen verstoßen. Es wies darauf hin, daß der Vertrag von 1797, der den teilenden Mächten eine Wiederherstellung des polnischen Staates untersagte, von den Ereignissen überholt worden sei. Korrekterweise behauptete es, die Reichenbacher Konvention sei an Napoleons Verhandlungsbereitschaft geknüpft gewesen und durch die nachfolgenden, in Teplitz und anderswo erzielten Vereinbarungen gegenstandslos geworden. Es bestritt, was Castlereagh über Rußlands jüngsten Machtzuwachs beobachtet zu haben glaubte, und versuchte die Tatsache, daß es sich durch den Erwerb Finnlands vergrößert hatte, mit der etwas fadenscheinigen Replik zu entkräften, es habe Schweden sofort erlaubt, sich Norwegen zu nehmen, und somit einen wertvollen Mitstreiter für die gemeinsame Sache gewonnen. Was die Eroberungen auf dem Balkan angehe, so seien diese für den Schutz Südrußlands notwendig gewesen. Schließlich sei alles, was Rußland in den letzten Jahrzehnten unternommen habe, ihm von den Erfordernissen der Selbstverteidigung diktiert worden. Gleichzeitig stellte das Memorandum klar, daß Rußland das Großherzogtum Warschau per Eroberungsrecht besitze, und betonte zugleich, dies sei durchaus keine Bedrohung für Österreich und Preußen, sondern eine Belastung für Rußland und mache es angreifbar. Es schloß mit der Aussage, sollte sich Großbritannien in der polnischen Angelegenheit gegenüber Alexander weiterhin ablehnend zeigen, werde es keinen allgemeinen Frieden geben und Alexander persönlich die Welt wissen lassen, wer diesem im Wege stand. «Die Völker, die ihn für ihre Freiheit kämpfen sahen und Zeugen seiner Mäßigung wurden, werden den wahren Grund dafür erfahren, was die allgemeine Wiederherstellung von Ordnung, Glück und friedlichen Verhältnissen verhinderte, für die so viel Blut geflossen ist.» In seinem von gekränktem Stolz triefenden Begleitschreiben warf er Castlereagh vor, Böses zu sehen, wo keines war. «Die Reinheit meiner Absichten macht mich stark», schrieb er. «Wenn ich an der Ordnung festhalte, die ich in Polen einführen möchte, dann, weil mein Gewissen zutiefst von der Überzeugung durch-
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drungen ist, daß mein Handeln mehr dem Allgemeinwohl zugute käme als meinem persönlichen Interesse.»12 All das kränkte Castlereagh, und er ärgerte sich darüber, daß er sich in einen Streit hatte verwickeln lassen. Sein Memorandum vom 12. Oktober habe eine Geste der Höflichkeit sein sollen, erklärte er Liverpool, mit der er den Zaren über die Haltung seiner Regierung und über die Wünsche Österreichs und Preußens in Kenntnis setzen wollte. Sie war als Herausforderung aufgenommen und mit einem unnötig aggressiven Memorandum beantwortet worden, zusammen mit einem persönlichen Brief Alexanders, in dem er ihm die vermeintliche Dreistigkeit vorwarf, seine edlen Motive anzuzweifeln. Castlereagh verdächtigte Czartoryski, den er irrtümlicherweise auch für den Verfasser des Memorandums hielt, Alexander zu manipulieren. «Castlereagh ist wegen Anstetts Antwort böse mit mir», notierte Czartoryski in seinem Tagebuch. «Alle Wut richtet sich gegen mich. Unglaubliches Getöse und Haß.» Dem unglückseligen Fürsten war es nicht gegeben, sich zu vergnügen. «Für mich ist der Aufenthalt in Wien wenig anziehend, da ich in wenige freundliche Gesichter sehe und man mich nur selten freundschaftlich empfängt», schrieb er am 16. November an seinen Vater. Eine der wenigen, die ihm ein herzliches Willkommen bereiteten, war seine einstige Verlobte, Dorothea von Périgord.13 In seiner Antwort mit Datum vom 4. November schrieb Castlereagh, er sei überzeugt, daß die in Alexanders Brief geäußerten Ansichten nicht die seinen, sondern die einer gewissen Person an seiner Seite wiedergaben, die in der Angelegenheit spezielle Interessen verfolge; zugleich versicherte er ihm, daß das neue Memorandum, das er beifüge, an diese Person gerichtet sei und nicht an den Zaren.14 Das neue Memorandum ließ Alexanders Mißachtung der Reichenbacher Konvention nicht gelten, da sie die entscheidenden Beschlüsse enthalten habe, auf denen die ganze Koalition gründete, weswegen sie auch nicht durch den Bündnisvertrag von Teplitz außer Kraft gesetzt werden könne, dessen Zweck nicht darin bestanden habe, die Bedingungen der Kooperation zu verändern, auf die sich die Alliierten geeinigt hatten, sondern darin, den vorausgegangenen Vertrag zu bestätigen. Die Reichenbacher Konvention sei immer noch, zusammen mit den Verträgen von Teplitz, «en plein vigueur» und habe ohne die Zustimmung der anderen Unterzeichner «keinerlei Recht, irgendwelche Abmachun-
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gen darin zu annullieren oder zu verändern, oder überhaupt irgend etwas zu ersetzen». Castlereagh schloß mit der Feststellung, daß die Alliierten den Krieg gegen Napoleon um ihrer und der Freiheit Europas willen geführt hätten, nicht in der Hoffnung, ihre Hoheitsgebiete zu erweitern; ferner sei das Prinzip terrritorialer Kompensationen für entstandene Kriegskosten unzulässig. «Der Frieden der Welt kann bei solchen Doktrinen keinen Bestand haben», stand da, und daß der Erwerb von Territorien häufig Probleme und Mehrkosten nach sich zöge, die einen möglichen Gewinn wieder aufhöben. Eine seltsame Aussage aus dem Munde eines Mannes, der soeben für Großbritannien eine Reihe neuer Kolonien erworben hatte.15 Während er auf Antwort wartete, erhielt Castlereagh eine verzagte Note von Hardenberg, in der er ihm von seiner Unterredung mit Alexander und Friedrich Wilhelm berichtete. Er sähe keinen Weg, sich den Wünschen des Zaren weiterhin zu widersetzen, und schlug vor, ihm seinen Willen zu lassen. Der Besitz des Königreichs Polen würde Rußland eher schwächen als stärken; die halbautonome Provinz würde unweigerlich früher oder später danach streben, sich zu emanzipieren, und damit für Rußland zu einem erheblichen Problem werden. Es waren Rechtfertigungen aus der Not geboren; die Verhandlungen steckten fest.16 «Die Sprache der Wahrheit und Gerechtigkeit versteht Rußland nicht mehr», schrieb Gentz am 7. November an den Gospodar der Walachei. «Die energischsten Ermahnungen, sofern sie nicht sofort von ernsthaften Drohungen oder demonstrativer Feindseligkeit begleitet werden, haben auf diese Macht nicht mehr die geringste Wirkung; das Verhalten des Kaisers Alexander hat seit seinem Einzug in Paris, und erst recht seit seiner Ankunft in Wien, überdeutlich bewiesen, daß er nur noch auf Ratschläge hören werde, die seinen Ehrgeiz befriedigen oder seinen Lieblingseinfällen schmeicheln.»17 Die Argumente schienen am Zaren wirklich abzuprallen. «Alexander hat sich in der Redoute prächtig amüsiert», berichtete einer von Hagers Spitzeln am Morgen des 8. November. «Er hat sich besonders intensiv einer maskierten Dame mit großem Hut und schwarzer Feder gewidmet, in der wir die Gräfin Esterházy-Roisin zu erkennen glaubten. Von 2 Uhr bis 3 Uhr 30 haben zwei Dominos in Schwarz seine und des
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preußischen Königs Aufmerksamkeit geweckt. Die Schönheit von Madame Morel machte auch diesmal wieder großen Eindruck. Sie plauderte auch mit dem Grafen Schönfeld und dem Fürsten Naryschkin. Dann war es der Fürst de Ligne, der sie unter seine Fittiche nahm und lange an ihrer Seite blieb. Der Großherzog von Baden wagte nicht, sich mit ihr im Ballsaal zu zeigen, hörte aber nie auf, sie zu umkreisen, und ließ sie keinen Moment aus dem Augen.»18 Am nächsten Tag hatte Metternich zum Ball geladen. Wie verzweifelt er wegen der politischen Lage und seines Liebeslebens auch sein mochte, sein Maskenball an diesem Abend war einer der elegantesten und unterhaltsamsten der ganzen Saison. Seine Villa am Rennweg war venezianisch geschmückt worden, und man hatte die Gäste gebeten, Kleidung zu tragen, die für bestimmte Länder charakteristisch war, oder in rotweißem Domino zu erscheinen. Es wimmelte von Dirndln und anderen ländlichen Trachten, die den Damen gestatteten, ein wenig Bein zu zeigen, und andere hatten die Gelegenheit genutzt, sich indisch, persisch oder chinesisch zu verkleiden. Die Russinnen verdarben die ländliche Wirkung ihrer Bauernkleider, indem sie sie mit Diamanten bedeckten, während Lady Castlereagh die Anwesenden damit in Erstaunen versetzte, daß sie den Hosenbandorden ihres Mannes auf dem Kopf trug. Die Kostüme der Däninnen fanden den größten Beifall, obwohl die junge und atemberaubend schöne Anna Eynard in ihrem Tagebuch naiv vermerkte, daß auch die Schweizerinnen sehr gut ankamen, denn ihr war aufgefallen, daß alle Männer an sie herantraten, um sie näher in Augenschein zu nehmen und ihr Komplimente zu machen.19 Alexander erwiderte Castlereaghs Memorandum vom 4. November mit einem eigenen Memorandum am 9. November. Sein Begleitschreiben gab in ungewöhnlich knappen Worten der Hoffnung Ausdruck, daß kein Austausch dieser Art mehr stattfinden werde. Das Memorandum selbst, das Capodistrias entworfen hatte, konstatierte, daß «das zweite englische Memorandum, anstatt die Probleme zu vereinfachen und zur Versöhnung der voneinander abweichenden Standpunkte beizutragen, die Absicht zu verfolgen scheint, einen Diskussionsprozeß zu verlängern, der, indem er die Ansichten, die Anlaß zu ihm gaben, verwirft, polemisch wird und insofern keine Lösung versprechen kann». Ohne auf Castlereaghs Argumentation zur Reichenbacher Konvention einzugehen, erging sich das Memorandum in einer langen Aufzählung der Tugenden
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Alexanders; darüber, daß Rußland allein gekämpft habe, daß es 1813 keinen Frieden mit Napoleon geschlossen habe, was ganz Europa unter seiner Gewaltherrschaft belassen hätte, sondern edelmütig für dessen Befreiung weitergekämpft habe. Alexander hatte gute Gründe, so beharrlich auf sein Thema zurückzukommen: Er war mit seinem Wunsch, den Krieg nach Europa hineinzutragen, fast allein geblieben, während die Mehrheit seines Gefolges und seiner Untertanen nur eine Verstärkung der russischen Verteidigungsposition durch die Annexion einiger preußischer und polnischer Landstriche anstrebten, um dann nach Hause zurückzukehren und es Europa selbst zu überlassen, aus seinem Schlamassel herauszufinden. Da er seinem Land ein volles weiteres Kriegsjahr aufgebürdet hatte, mußte er ihm auch etwas zu bieten haben. Alexanders Memorandum erwähnte auch Rußlands Position als Großmacht und seine Interessen in Asien, die er der britischen Position und ihren überseeischen Interessen entgegensetzte. Es schlug vor, anstatt irgendwelche nebulösen «Prinzipien des europäischen Völkerrechts» zu beschwören, solle man lieber gemeinsam darauf hinarbeiten, daß jede beteiligte Großmacht «die jeweiligen Vorrechte, die ihr zustehen», erlange und einen Frieden bewirken, der sich «auf die Fähigkeit, ihn zwischen den großen Staaten zu erhalten» stütze, und es schloß mit dem Hinweis, Großbritannien sei für die Aufgabe eines Vermittlers hervorragend geeignet und solle sich ihr widmen.20 Dieses merkwürdige Dokument klopfte Castlereagh auf die Finger, während es ihm zugleich die Hand zur Versöhnung reichte. Es setzte stillschweigend voraus, daß Rußland und Großbritannien die beiden Supermächte wären, deren Interessen andere Dimensionen hatten als die der anderen europäischen Staaten, und daß sie sich beide der Verantwortung stellen sollten, die ihnen diese Position auferlegte. Es bedeutete aber nicht, daß der Zar sich von nun an konziliant zeigen würde. Am Morgen, als Castlereagh noch dabei war, die letzte Breitseite in diesem «guerre de plume» zu verarbeiten, ergriffen die Souveräne echte Gewehre und begaben sich einige Kilometer außerhalb der Stadt auf Wildschweinjagd. Mit dieser Veranstaltung sollten ihre Frustrationen abgebaut und Hunderte von Staatsbeamten, Höflingen und sonstigen Zuschauern unterhalten werden, die sich auf den für diesen Anlaß errichteten Tribünen drängten. Seit mehreren Tagen hatten Treiber die
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weitläufigen Wälder durchkämmt und an die sechshundert Wildschweine und anderes Wild in ein Gehege getrieben, das an eine Lichtung grenzte und einen breiten Korridor von 120 mal 50 Metern bildete. «Die Herrscher hatten sich mit einigen Schritten Abstand voneinander diesen Raum entlang aufgestellt. Von Zeit zu Zeit ließ man fünf bis sechs Wildschweine los, die gezwungen waren, vor den Herrschern vorbeizulaufen. Diese folgten der Rangstufe nach aufeinander, so daß, wenn die Kaiser die unglücklichen Wildschweine verfehlten, die Könige die Ehre hatten, sie aufs Korn zu nehmen. Wenn diese sie verfehlten, kamen die Fürsten an die Reihe, auf die Fürsten folgten die Herzöge und Feldmarschälle und auf diese die Subalternen», beschrieb ein entsetzter Eynard das Schauspiel. «Diese Jagd, die nichts weiter als ein Wildschweinmorden ist, hat den ganzen Vormittag gedauert, und die Monarchen hatten den Ruhm, fünfhundert davon zu erlegen. Der dicke König von Württemberg, der selbst ganz das Aussehen eines Wildschweines hat, hat fünfunddreißig erlegt, der Kaiser von Oesterreich dreiunddreißig. Ich kenne nichts Abgeschmackteres, Empörenderes als ein solches Vergnügen. Es ist weder Geschicklichkeit noch Gefahr, noch Uebung dabei vonnöten, und man macht tatsächlich die Arbeit eines Schlächters, wenn man in dieser Weise jagt.»21 Die Kaiserin von Österreich hatte sich ebenfalls auf der Jagd ausgezeichnet und einen unerwartet hohen Anteil der Beute getötet, und so waren sowohl sie als auch die Königin von Bayern in allerbester Stimmung, als die Jagdgesellschaft zum Diner nach Schönbrunn fuhr. Danach kehrten alle wieder nach Wien zurück, um sich gerade rechtzeitig für den abendlichen Maskenball in der Hofburg umzukleiden. Der Ball war, in den Worten Anna Eynards, «der Gipfel der Langeweile». Die Säle waren mit Tausenden Menschen jeglichen Standes vollgepackt, und das Gedränge war so groß, daß die Monarchen Schwierigkeiten hatten, den Ball mit der Polonaise zu eröffnen, so daß Soldaten vorangehen und die Menge zurückdrängen mußten. Einige Damen fielen wegen der Hitze in Ohnmacht. Ohnehin litten viele von ihnen infolge der unablässigen Aufeinanderfolge von Geselligkeiten, mit ihren unvermeidlich durchwachten Nächten und körperlichen Verausgabungen, an chronischer Erschöpfung. «Sie sind alle erschrekkend dünn und bleich», berichtete Marie-Louise in einem Brief nach Paris.22
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Der nächste Tag brachte düstere Nachrichten. Am Morgen des Vortages, dem 10. November, hatten die russischen Truppen, die Sachsen besetzt hielten, begonnen, sich zurückzuziehen und, nach vorheriger Vereinbarung, das Land den preußischen Einheiten übergeben, die einmarschiert waren, um sie zu ersetzen. Sie übernahmen die Macht und begannen, den Anschluß des Königreichs an Preußen vorzubereiten. Eine Proklamation des russischen Militärgouverneurs anläßlich der Übergabe des Königreichs besagte, er handele mit Wissen und Billigung Großbritanniens und Österreichs. Einige Tage zuvor hatte Alexanders Bruder, Großfürst Konstantin, zur allseitigen Erleichterung Wien verlassen. Sein schlechtes Betragen hatte einen neuen Tiefstand erreicht, als er Alfred Windischgrätz während einer Parade mit der Reitgerte schlug; dabei war Konstantin im Vorjahr mit dem Ehrentitel «Regimentsinhaber» ausgerechnet des Regiments bedacht worden, das Windischgrätz befehligte und das nun sogar seinen Namen trug. Windischgrätz hatte ihn zum Duell gefordert, und Konstantin hatte sich gedrückt und entschuldigen müssen. In Ungnade gefallen und einen Berg von Schulden hinterlassend, reiste er ab. «Er hat sich aufgeführt wie ein echter Kalmück», bemerkte ein Einwohner. Aber nicht deshalb hatte er die Stadt verlassen müssen. Der Zar hatte ihn nach Warschau geschickt, wo er den Befehl über die polnische Armee übernehmen sollte, die sich aus den Resten von Napoleons polnischen Regimentern und den Truppen des Großherzogtums Warschau zusammensetzte.23 In ihrer Gesamtheit gesehen, und im Lichte jüngster Bedrohungen, konnten diese Entwicklungen nur bedeuten, daß Alexander beschlossen hatte, seinen Willen gewaltsam durchzusetzen. Der dänische Bevollmächtigte, Baron Rosenkrantz, notierte in seinem Tagebuch, er betrachte die Verhandlungen, wie auch die meisten, mit denen er gesprochen hatte, als gescheitert.24
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Ein politisches Karussell ein politisches karussell
Castlereagh war am 13. September in Wien eingetroffen und hatte erwartet, zu einer zufriedenstellenden Lösung der noch offenen Fragen vermittelnd beitragen zu können und innerhalb von zwei Monaten nach London zurückzukehren. Zwei Monate waren inzwischen vergangen, und nichts war erreicht worden. Tatsächlich gelang es sogar den acht Mächten, die den Pariser Frieden unterzeichnet und den Wiener Kongreß einberufen hatten, genau am 13. November einen ersten Arbeitsschritt abzuschließen. Aber sonderlich erhebend war er nicht, und kein Ruhmesblatt für Großbritannien. Einen großen Teil des Tages hatte man damit verbracht, die letzten Einzelheiten der Eingliederung Genuas in das Königreich Sardinien auszuhandeln. Die einst stolze Republik war nach der Invasion der französischen Revolutionstruppen aufgelöst und durch Napoleon dem Königreich Italien einverleibt worden. Die Genueser hatten die Hoffnung nie aufgegeben, ihre Unabhängigkeit wiederzugewinnen, sobald das System Napoleons überwunden sein würde. Dafür sprachen die Handlungen der britischen Agenten, dafür sprach aber vor allem die eigene Überzeugung, im Recht zu sein. Die Alliierten hatten jedoch schon früh entschieden, daß das Königreich Sardinien eine Barriere gegen künftige Absichten Frankreichs auf Italien sein solle, und daß es dafür um Genua verstärkt werden müsse. Einen letzten Versuch zur Rettung der Republik unternahm der spanische Bevollmächtigte Labrador. Er verwies auf das Beispiel Deutschland und schlug vor, die Lösung des komplexen Problems widerstreitender Ansprüche auf der Halbinsel einem italienischen Komitee anzuvertrauen – und dadurch den vier Großmächten ihre Zuständigkeit zu entziehen. Aber Metternich verwarf diesen Vorschlag; Deutschland sei eine politische Einheit gewesen, Italien hingegen habe aus mehreren
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Staaten bestanden, deren Zusammenhang nur auf geographischen Eigentümlichkeiten beruhe; die beiden seien also nicht zu vergleichen. Castlereagh unterstützte ihn hierin, und keiner der anderen widersprach. Nur acht Monate, nachdem Bentinck in Genua einmarschiert und die Wiederherstellung der Republik verkündet hatte, wurde die Superba dem übergeordneten Wohl der Friedenssicherung in Europa geopfert – nicht anders, als es der Serenissima ergangen war.1 Ein weiterer Konfliktpunkt, der das britische Kabinett schäbig aussehen ließ, war Polen. Die polnische Unabhängigkeit wurde in England immer populärer, und Liverpool sah bald ein, daß die von ihm bevorzugte Lösung, Polen unter Rußland, Preußen und Österreich aufzuteilen, von der Öffentlichkeit abgelehnt wurde. Die Opposition witterte eine Möglichkeit, die Regierung in Bedrängnis zu bringen, und machte die polnische Sache «zu einer Frage von beträchtlicher Peinlichkeit» für Liverpool, der es für «wesentlich» hielt, «daß wir durch die Rolle, die wir spielen, in ein schlechtes Licht geraten», wie er Castlereagh am 14. Oktober schrieb. Er drängte ihn, sich aus der Auseinandersetzung möglichst herauszuhalten und die drei anderen Mächte in dieser Sache nach deren eigenem Gutdünken entscheiden zu lassen, gleichzeitig aber sollte er die Regierung vor Vorwürfen schützen, sie sei schwach. «Es wäre nach meinem Dafürhalten sehr wünschenswert, nach Möglichkeit daran zu erinnern, daß wir unsere Meinung zum Ausdruck gebracht haben, wie erstrebenswert es wäre, Polen auf der Grundlage von 1792 zu restaurieren, und daß wir uns für das, was zu verlangen uns eher zukommt, nämlich für die Unabhängigkeit des Herzogtums Warschau unter einem neutralen Souverän, eingesetzt haben», schrieb er.2 Da der Krieg gegen Amerika sich weiter hinzog, befürchtete er auch, Rußland könne die Gelegenheit nutzen und ein neues Vermittlungsangebot präsentieren, in dem die Frage der britischen Seerechte wieder aufgeworfen würde. Castlereaghs häufig vorgebrachte Zweifel an Talleyrands Loyalität bestärkten Liverpool in diesen Besorgnissen und beschworen das Schreckbild einer russisch-französisch-amerikanischen Verbindung gegen Großbritannien. «Wir werden, zuallererst, so hoffe ich, eine Wiederaufnahme des Krieges vermeiden», schrieb er am 2. November und verwies nachdrücklich darauf, daß Sachsen, Polen und Italien Kleinigkeiten angesichts einer drohenden Wiederaufnahme von Feind-
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seligkeiten seien, die den ganzen Kontinent zurück ins Chaos stürzen und neue Kosten nach sich ziehen würde.3 Aber in der öffentlichen Meinung in Großbritannien war nun auch Sachsen zum Thema geworden. Dem Mann auf der Straße in London mißfiel die Vorstellung, daß ein ehrenwerter alter Monarch, zumal einer, der von seinem Volk geliebt wurde, vom Thron gestoßen und seiner Länder beraubt werden sollte, um sie einer fremden Macht zu übereignen. Die Opposition griff beide Themen auf; es folgten hitzige Debatten im Unterhaus. Die Außenpolitik der Regierung wirkte kraft- und prinzipienlos. Dieser Eindruck verstärkte sich, als international bekannt wurde, daß die Russen Sachsen am 10. November einer preußischen Besatzung übergeben hatten, und das offenbar mit britischer Billigung. Liverpool blieb nichts anderes übrig, als seine Strategie zu ändern. Nur wenige Wochen, nachdem er betont hatte, «das Schicksal Sachsens sollte entsprechend den glorreichen Leistungen Preußens im Kriege der effektiven Wiedererrichtung dieser Macht untergeordnet werden», befahl er Castlereagh jetzt eine Kehrtwende: Er solle nun, hinsichtlich Sachsens, Preußen die Stirn bieten.4 Rußlands Versuch, in Sachsen vollendete Tatsachen zu schaffen, hatte Castlereagh schockiert und ihn aktiv werden lassen. Am 11. November schickte er Liverpool eine Fehlinformation, als er meldete, sowohl Preußen als auch Österreich wären bereit, sich gemeinsam mit ihm Alexanders polnischen Plänen zu widersetzen. «Eure Lordschaft möge versichert sein, daß meinerseits keine Mühen gescheut werden, eine Spaltung, und mehr noch, einen Krieg zu verhindern», versicherte er ihm, «aber es entspricht gewiß dem allgemeinen Empfinden, wenn ich erkläre, daß nach meiner festen Überzeugung der Frieden, den wir so teuer erkauft haben, von kurzer Dauer sein wird, wenn es nicht gelingt, den Kaiser von Rußland zu einem gemäßigteren und vernünftigeren Auftreten zu bringen.»5 Castlereagh war zu der Auffassung gelangt, daß es fatal wäre, jetzt bei Alexander klein beizugeben. «Sie müssen sich entschließen, ihn im Auge zu behalten und sich ihm notfalls zu widersetzen wie einem zweiten Bonaparte», warnte er Liverpool. Jede Anregung, es mit Beschwichtigung zu versuchen, lehnte er ab: «ein Nachgeben wird ihn nicht zurückhalten, Einsprüche werden seinen Vormarsch nicht be-
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schleunigen», erklärte er. Alexander höre nur zu, wenn man ihm mit Entschlossenheit begegne, und Castlereagh werde nicht zulassen, daß ein «Kalmückenfürst Europa umstürzt». Wie er ihn zurückhalten wollte, ist nicht klar. Er hatte keine zuverlässigen Verbündeten, und sein eigenes Ansehen hatte stark gelitten.6 In seinen Briefen an Liverpool, Wellington und andere beklagte sich Castlereagh häufig über die Selbstsucht, die seiner Meinung nach das Handeln der meisten Mächte auf dem Kontinent bestimme, und stellte ihr gegenüber, was er für die durch und durch moralische Haltung Großbritanniens hielt. Aber wer in Wien je daran geglaubt hatte, war herb enttäuscht worden. Zu Beginn hatte man nur an den britischen Umgangsformen etwas auszusetzen gehabt. Als Jean-Gabriel Eynard das erste Mal zu einer Soiree bei den Castlereaghs geladen wurde, empfand er die Gastgeberin als linkisch und unbewandert in der Kunst, Besucher zu empfangen und zu plazieren, so daß die Gäste, so wie sie gekommen waren, in Grüppchen herumstanden, während Castlereagh mit seinen englischen Freunden zusammensaß und plauderte. «Ihre zwanzigjährige Trennung vom Kontinent hat sie etwas verwildern lassen», schrieb Eynard danach in sein Tagebuch.7 «Die englischen Damen zeichnen sich durch ihren derben breiten Gang aus», hatte der Verleger Carl Bertuch beobachtet. «Alle Welt beklagt sich über den Mangel an Lebensart bei den Engländern und Engländerinnen», notierte Eynard einige Wochen später. «Sie begehen alle ein und dieselben Unhöflichkeiten und gesellschaftlichen Verstöße.» Freiherr von Nostitz beschrieb die Engländer als «ein fremdartiges Geschlecht mit anderen Kleidern und Sitten». Es wimmelt von ähnlichen Kommentaren. Die Polizei berichtet am 9. November, daß «viel über Lord und Lady Castlereagh gespottet wird, die man überall auf den Straßen und in den Läden Arm in Arm einhergehen und jedes Geschäft betreten sieht, wo sie sich alles, was es dort so gibt, zeigen lassen und dann wieder gehen, ohne jemals ein einziges Stück zu kaufen».8 «Lady Castlereagh», schrieb Roksandra Sturdza, «amüsierte die Spötter auch mit ihrer kolossalen Gestalt, die noch erstaunlicher und gigantischer wirkte, wenn sie sich schmückte: Sie trug Federbüsche in allen Farben des Regenbogens.» Nostitz schrieb über sie, «im Costüme, lächerlich-theatralisch gekleidet; kolossal und disgraziös, plump und ge-
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schwätzig, macht sie den Scherz der Gesellschaft.» Darin unterschied sie sich nicht von vielen anderen Engländerinnen in Wien. «Die englischen Frauen stechen hier durch die große Lächerlichkeit ihrer Kleider hervor», fand die Baronin du Montet, die sich zudem über «die außerordentliche Unanständigkeit ihrer Toilette» beschwerte. «Die Kleider oder besser gesagt die Futterale der englischen Damen sind so eng, daß sich ihre ganzen Körperformen aufs schärfste abzeichnen; ihre Ausschnitte reichen bis zum Magen herab.» Über eine der englischen Aristokratinnen amüsierte sich Eynard besonders; sie «erschien im Salon mit einer eng anliegenden Robe, die nur einige Finger breit über die Knie herabreichte», und er fügte hinzu: «Die reiche Erbin hatte viel Aehnlichkeit mit einer Seiltänzerin und sogar mit einer Dame vom Palais Royal.»9 Auch über die Tanzkünste des Außenministers wurde geredet. «Ich entsinne mich immer noch der allgemeinen Heiterkeit, die ein Walzer auslöste, den der Premierminister Großbritanniens in höchst grotesker Weise vollführte», schrieb Roksandra Sturdza. Aber wie viele Briten in Wien bevorzugte auch er mitunter die verschiedenen heimatlichen Volkstänze oder schottische Reels, und ein anderer Zuschauer beobachtete Castlereaghs ernsthaften und konzentrierten Gesichtsausdruck beim Tanzen einer Gigue. «Dieser lange Körper, welcher nach dem Takte seine langen mageren Beine schwingt», beeindruckte ihn.10 Das Ansehen der britischen Delegation gewann nicht eben durch das Verhalten des Botschafters, Lord Stewart, der in aller Öffentlichkeit trank und hurte, ungeniert junge Frauen betatschte und Ende Oktober mit einem Kutscher raufte. Der Streit brach aus, als Stewart, der seinen Wagen gern selbst lenkte, einem fremden Pferd auf den Kopf schlug, um sich Vortritt zu verschaffen. Der erzürnte Kutscher antwortete mit seiner Peitsche, woraufhin ihn Stewart zum Boxkampf aufforderte. Von einem Wiener Kutscher war nicht zu erwarten, daß er die Boxregeln kannte; er stürzte sich auf den Botschafter seiner Britannischen Majestät, der nur durch das Einschreiten der Polizei vor körperlichem Schaden und Unglimpf bewahrt werden konnte.11 Überhaupt strahlte die britische Delegation eine erstaunliche Unbekümmertheit aus. Als ein niederrangiger Diplomat Castlereagh am 21. Oktober sein Aufwartung machte, wurde ihm mitgeteilt, Seine Lordschaft sei noch nicht aufgestanden, und als er daraufhin einen seiner
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Sekretäre zu sprechen wünschte, erfuhr er, daß sie zur Jagd ausgeritten waren.12 Mehr als mit ihren öffentlichen Auftritten schadeten die britischen Vertreter ihrem Land durch die Politik, die sie offenbar verfolgten. Großbritannien war traditionell als Verfechter der Sache der Freiheit wahrgenommen worden. Aber Castlereagh war mit keinem Wort für die Polen eingetreten, hatte eine Wiederherstellung der Republik Venedig nicht einmal in Erwägung gezogen, die Genueser gerade dem sardischen Absolutismus ausgeliefert und konspirierte nun mit dem Ziel, den König von Sachsen seiner Erbansprüche und dessen Untertanen ihres geliebten Monarchen zu berauben. Auf die Delegierten aus Genua wirkte Castlereagh kalt und abweisend. Als Baron Rosenkrantz sich an ihn wandte und um Beistand für Dänemark bat, gab man ihm zu verstehen, daß Großbritannien jenseits seiner Wünsche bezüglich Hollands und des Regimes an der Grenze zu Frankreich kaum etwas interessiere; es wolle die ganze Sache rasch zu einem guten Ende bringen, damit es die Zahlung von Subsidien an seine Alliierten einstellen könnte.13 Selbst die britischen Appelle zur Abschaffung des Sklavenhandels, ein Ziel, dessen Propagierung Castlereagh und andere mit so gewaltiger moralischer Befriedigung erfüllte, wurde inzwischen als ein Inbegriff der Doppelmoral und des schamlosen Eigennutzes Großbritanniens gesehen. Entsprechend ignorierte man Castlereaghs Note dazu vom 8. Oktober. «Es ist unmöglich, ausländische Nationen davon zu überzeugen, daß unsere Abneigung gegen den Handel nichts mit unseren kolonialpolitischen Absichten zu tun hat», erklärte er Liverpool. Diese Wahrnehmung britischer Doppelzüngigkeit ließ sich mit Castlereaghs nächstem Vorschlag kaum entkräften, der darin bestand, koloniale Produkte aus jenen Staaten mit Handelssanktionen zu belegen, die sich weigerten, den Sklavenhandel abzuschaffen.14 Am 21. November schrieb Castlereagh Liverpool einen bedrückten und etwas verbitterten Brief, in dem er ihm einerseits versicherte, daß er sich nach Kräften bemüht habe, und sich andererseits über Alexanders aggressive Schikanen und die Rückgratlosigkeit seiner Kollegen beschwerte. Wie er feststellte, sei vieles abschließend geregelt worden, die noch verbleibenden Unstimmigkeiten würden von «den Parteien mit einem genuinen Interesse» beigelegt werden. Das war von Pitts großer Vision weit entfernt.15
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All das hätte Liverpool wenig ausgemacht, den die innenpolitische Lage beschäftigt hielt. Die Opposition wurde im Unterhaus immer aggressiver, und er brauchte Castlereagh wieder in England, um die Reihen der Tories im Unterhaus zu schließen. Er beabsichtigte, das Parlament Mitte Dezember in die Winterpause zu schicken und die erste Sitzung bis zum 7. Februar hinauszuzögern, da er hoffte, daß es Castlereagh gelingen werde, die wichtigeren der anstehenden Fragen des Kongresses schon einige Wochen vorher einer Lösung zuzuführen. Er hatte auch schon einen Nachfolger für ihn gefunden, den Herzog von Wellington, zur Zeit britischer Botschafter in Paris. Wellington, der in Paris zur Schule gegangen war, sprach ausgezeichnet Französisch. Er gehörte außerdem zu den wenigen Ausländern und den nicht allzu vielen Franzosen, die noch die Reverenz, wie sie einst am französischen Hof erwartet worden war, formvollendet beherrschte, was ihm die Huld Ludwigs XVIII. und seines Hofes eintrug. Bei den Spitzen der französischen Gesellschaft war er beliebt, die er in seiner prächtigen Botschaft opulent bewirtete. Weniger beliebt war er bei den gewöhnlichen Franzosen, die in ihm eine Art ausländischen Statthalter sahen, der die französische Politik überwachte. Man fürchtete sogar um sein Leben. Unter anderem ärgerte man sich über sein beharrliches Eintreten für die Abschaffung des Sklavenhandels. Auch störte man sich an seinem arroganten Verhalten, was bei seinen Vergnügungen auch nicht verwundert. Er hatte eine Meute Jagdhunde mitgebracht, mit der er durch das bäuerliche Frankreich streifte, als befände er sich in den Gebieten des englischen Landadels, wobei er sich hochmütig weigerte, für Schäden an Vieh und sonstigem Eigentum aufzukommen. Erst nach allerhöchsten Ermahnungen zeigte er sich bereit, die Jagd aufzugeben. Die Hunde schenkte er Ludwig XVIII., seine Einstellung gegenüber den Franzosen änderte sich jedoch nicht. «Lord Wellington hat für die Person des Königs eine Begeisterung und Anhänglichkeit gezeigt, die ich für sehr aufrichtig halte, aber es wäre höchst unklug, sie mit seinen Gefühlen für das Land zu verwechseln», lautete die Mahnung durch Talleyrands Stellvertreter in Paris, den Grafen von Jaucourt, an den König.16 Liverpool hätte es gern gesehen, daß Wellington das Oberkommando in Nordamerika übernommen hätte, aber der sah dort für sich keine beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten. «Obwohl ich nicht sonder-
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lich darauf erpicht bin, hier zu verweilen, mag ich mich nicht vergraulen lassen», schrieb er am 19. November und nahm dies als Rechtfertigung, seine Versetzung nach Amerika zu umgehen. Unter diesen Umständen war der Ruf nach Wien für Wellington eine ideale Lösung; er konnte nun Paris verlassen, ohne den Eindruck zu erwecken, er ergreife vor irgend jemandem die Flucht. Einstweilen würde er warten müssen, denn noch lag es in Castlereaghs Hand, das britische Ansehen in Wien wiederherzustellen. Das würde nicht leicht sein. Der Freiherr vom Stein sprach für viele, als er den Außenminister als oberflächlich und unwissend beschrieb; sein Verhalten sei durch «grandissime médiocrité et timidité» gekennzeichnet.17 War Rußlands Übergabe Sachsens an Preußen für Castlereagh schon ein herber Schlag, so bedeutete sie für Metternich eine offene Demütigung. All seine sorgsam geschmiedeten Pläne waren gescheitert, und er hatte sich verkalkuliert. Österreich befand sich nun in einer prekären Lage. Es stand gegen Rußland und Preußen und wurde nur von Frankreich und Großbritannien unterstützt. Mit Frankreich konnte es aber keine militärische Hilfe vereinbaren, ohne europaweit alle möglichen Ängste zu wecken. Großbritannien hingegen hatte sich verrannt und verfügte auf dem europäischen Festland nicht einmal über eine Armee. Metternichs Beliebtheit hatte im Verlauf des Oktober gelitten. Die mediatisierten Fürsten hatten ihn als ihren potentiellen Fürsprecher so gut wie abgeschrieben, und einige drangen nun darauf, daß Stadion ihn ersetzte. Er hatte nicht mit der wachsenden Beliebtheit der sächsischen Sache in Österreich und überall in Deutschland gerechnet und gerade erst begonnen, sich in dieser Sache umzuorientieren. Der russische Schritt ließ ihn deshalb genauso verloren und erfolglos dastehen wie Castlereagh.18 Gleichwohl erwies sich Alexanders Versuch, in Sachsen vollendete Tatsachen zu schaffen, letzten Endes als Segen sowohl für Castlereagh als auch für Metternich. Weil sie entschlossen gewesen waren, Hardenbergs Unterstützung gegen die russischen Absichten in Polen zu gewinnen, hatten sie die preußischen Ansprüche auf Sachsen mittragen und eine strategische Linie einschlagen müssen, die in ihren beiden Ländern unpopulär war. Hardenbergs erzwungener Rückzug aus ihrer gemeinsamen Frontstellung gegen Alexander und seine Entgegennahme
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Sachsens aus den Händen des Zaren entband sie jetzt ihres Versprechens, seinen Anspruch darauf zu unterstützen. Alexander schließlich hatte mit seinem Gewaltakt nichts gewonnen. So viele Ungelegenheiten er den anderen auch bereitet hatte, es war ihm nicht gelungen, auch nur eine seiner Zielsetzungen deutlich voranzubringen. Er hatte zwar das, was er haben wollte, in Besitz genommen, indem er aber mehr und mehr auf Überraschungsakte setzte als auf die Zustimmung seiner Verbündeten, ließ ihn das als launischen Gewaltherrscher erscheinen. Die Auslieferung und die preußische Besetzung Sachsens lösten in ganz Deutschland eine Welle der Empörung aus. Dieses Vorgehen entsprach mehr den Willkürakten Napoleons als dem, was man von dem vermeintlichen Befreier Alexander erwartet hatte. Sein internationales Ansehen war tief gesunken, während seine eigenen Untertanen zunehmend ungeduldig wurden. Konnte man Castlereaghs Versagen auf dessen etwas insulare Haltung zu den europäischen Angelegenheiten zurückführen, so waren bei Metternich und Alexander hauptsächlich ihre emotionale Unreife und die Umstände verantwortlich, in denen sie sich befanden. Sie wurden aufgesogen von einem Strudel offizieller Empfänge und Festakte, sie mußten unablässig an Konferenzen teilnehmen, sich Petitionen anhören und Memoranden lesen, und zugleich erwartete man von ihnen, leutselig im Theater und auf Bällen zu erscheinen und sich bei Diners und auf Empfängen zu entspannen. «Die Salons wirken sich schädlich auf die politischen Angelegenheiten aus», bemerkte vom Stein in einem Brief an seine Frau, «denn sie bringen die verantwortlichen Akteure mit den Intriganten und Schaulustigen zusammen.» All dies machte es einem Mann wie Alexander immer schwerer, einen kühlen Kopf zu behalten.19 Metternich war ein Gesellschaftsmensch par excellence und nirgendwo mehr in seinem Element als im Salon oder auf einem Ball. «Wenn mich eine Sache beschäftigt, arbeitet sie in mir weiter, während ich etwas völlig anderes tue», erklärte er dieses Phänomen einmal einem Freund. «Die Ergebnisse reifen inmitten der scheinbaren Zerstreuungen; meine besten Ideen, meine brillantesten Einfälle habe ich bei Tisch, während meiner Plaudereien, oder auf Reisen.»20 Aber selbst er war gegen die Auswirkungen der anhaltenden Belastung und des emotionalen Drucks nicht gefeit. Wer ihn morgens auf-
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suchte, erlebte ihn gähnend und geistesabwesend. Immer schwerer fiel es ihm, seine Gefühle aus dem Umgang mit Alexander und anderen herauszuhalten, oder überhaupt sein privates Leben von seinem öffentlichen zu trennen. Seine Besessenheit mit Wilhelmine brachte Gentz zur Verzweiflung. Schon im Sommer hatte Metternich, mit dem er eigentlich über die Weltpolitik diskutieren wollte, das Gespräch auf seine Amouren gelenkt. Gentz hatte gehofft, dies werde sich unter dem Druck der politischen Pflichten ändern; statt dessen erlebte er nun trotz der sich zuspitzenden Krise, daß sich seine privaten Unterredungen mit Metternich «stets mehr um diese verfluchte Frau drehten als um die Politik».21 Alexander fehlte nicht nur Metternichs beachtliche Weltläufigkeit, er war auch in den Finessen des gesellschaftlichen Umgangs längst nicht so bewandert wie die meisten, denn zum ersten Mal verbrachte er viel Zeit bei solcherlei Anlässen. Nach dem Zeugnis einer Dame hatte er keinen Sinn für rhetorisch gemeinte Übertreibungen oder Ironie, was zu Mißverständnissen und gelegentlichen Kränkungen führte. Im geselligen Auftritt dominierte vor allem sein Wunsch, geliebt zu werden. Nicht nur ließ er möglichst kein Fest aus, gleich welcher Art, er spazierte auch durch die Stadt, um sich zu zeigen, und unterhielt sich freundlich mit den Menschen, die er traf. Meistens trug er die Uniform des Obersten eines der Russischen Garderegimenter, die ihm nicht mehr paßte, da er im letzten Jahr etwas füllig geworden war, und in dem engen Rock baumelten seine Arme vor dem Körper wie die eines Affen, während die hautenge Reithose die Umrisse seines jetzt pralleren Hinterteils betonte. Dennoch bemühte er sich weiterhin, wie ein fescher junger Bursche zu wirken. Als Friedrich Wilhelm auf einem Ball in Husarenuniform erschien, weckte dies Alexanders Neid, und er beschloß, auch er müsse eine haben. «Ich kam heute zu ihm, als er gerade acht oder neun Paar Husaren-Reithosen anprobierte und untröstlich war, als sie alle zu eng oder zu kurz waren», berichtete Anstett und fügte hinzu, es sei ein Kurier nach Sankt Petersburg losgeschickt worden, der die Husarenuniform seines Adjutanten Oxarowski holen sollte, damit der Zar sie anprobieren könne.22 Alexanders Begeisterung für Uniformen entsprang zum Teil seinem lebenslangen Traum, sich als Feldherr zu beweisen, und aus demselben Grund ging er demonstrativ mit Eugène de Beauharnais Arm in Arm
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spazieren, der den Ruf eines schneidigen und hervorragenden Generals hatte. «Wir Soldaten!», pflegte Alexander zu Marschällen wie zu Subalternen zu sagen und ihnen auf die Schulter zu klopfen. Aber obgleich er gern einmal unbedeutenden Personen schmeichelte und ein paar Worte mit ihnen wechselte, konnte er erstaunlich unzugänglich sein, wenn jemand Wichtiges mit ihm zu besprechen hatte.23 Alexander hatte seine Gemahlin, Kaiserin Elisabeth, nach Wien mitgebracht. Obgleich sie nicht mehr jung war, hatte sie ihre Schönheit und Eleganz bewahrt. Ihr feines blondes Haar und ihr melancholischer Blick verschmolzen zu einem Bild der Anmut, das selbst die Verwöhntesten hinriß. Aber Alexander verbrachte wenig Zeit mit ihr und ermunterte sie nicht, ihn zu Tanzveranstaltungen und Empfängen zu begleiten; zuweilen war er ihr gegenüber geradezu beleidigend übellaunig. Seine Geliebte, Marija Antonowna Naryschkina, weilte ebenfalls in Wien, mit ihrem Mann. Alexander vertraute Roksandra Sturdza an, daß sie ihre Liaison im Sommer beendet hatte, was ihm, wie er versicherte, «das Herz brach und es tagtäglich noch bluten läßt». Es hielt ihn aber nicht davon ab, sie regelmäßig zu besuchen, bis er ihr, Anfang Dezember, den Laufpaß gab. Roksandra Sturdza, die inbrünstig für ihn betete, wertete es als ein gutes Omen. «Mir scheint, als wolle sich nun alles zu seiner geistigen Erhebung fügen», schrieb sie Jung-Stilling, dem dritten Mitglied ihres mystischen Bundes. «Er erfüllt seine Pflichten als Ehemann und Monarch; er ist entschlossen, von nun an jede Verbindung zu meiden, die ihn von seinen Pflichten abhält, aber in seinem Innersten ist er nicht glücklich, er leidet, und die Tröstungen der Religion sind die einzigen, die ihn erreichen.»24 Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Alexander suchte sich ein wenig mit der Fürstin Bagration zu trösten, wie die regelmäßigen Polizeiberichte registrierten – beispielsweise einer vom 3. November, nach dem er in der Nacht des 1. November ihr Haus um halb elf betreten und es erst um zwei Uhr morgens wieder verlassen habe. Die Fürstin selbst habe erklärt: «Sie liebt ihn nicht, sie betet ihn an.» Allerdings berichtete ein anderer Informant, Alexander habe in Wirklichkeit mit der Fürstin nur ein paar Mal geschlafen und mit einigen Huren gesündigt, die ihm sein Adjutant Tschernyschow beschafft hatte, ansonsten habe er nur poussiert. Genau so sah es auch Karl von Nostitz, der behauptete, die Russen hätten generell wenig Erfolg bei ihren amourösen Attacken.
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«Die aimables vainqueurs haben zwar oft angesetzt», aber «mancher Siegesruf geht ganz an den Wiener Damen zu Grunde.» Ihm fiel aber auch auf, wie leicht der Zar zu beglücken war: «Am genügsamsten ist wohl der Kaiser; Wort und Blick scheinen ihm zu genügen.»25 Das Poussieren betrieb er allerdings ausführlich. Gräfin Rzewuska zufolge war Alexander von Natur aus kokett. Er bemühte sich inbrünstig, die Liebe jeder Frau zu gewinnen, der er begegnete, und dafür sagte er jeder, er liebe nur sie. In Wien ließ er seine Aufmerksamkeit unter anderem der Fürstin Esterházy-Roisin, der Gräfin Julie Zichy und Fürstin Gabriele Auersperg angedeihen. Möglicherweise waren eher die Mißerfolge Alexanders als seine Zurückhaltung dafür verantwortlich, daß es beim Poussieren blieb, denn er muß sich dabei selten ungeschickt angestellt haben. Seine Annäherungsversuche begannen oft damit, daß er der jeweiligen Dame sein Taschentuch zeigte, in dem über seinen Initialen eine Dornenkrone eingestickt war; dann beklagte er sich darüber, wie ungeheuer unglücklich ihn persönlich sein überragender Rang mache.26 Als er einmal erfuhr, daß Fürst Esterházy auf einer Jagd war, ließ er dessen Gattin wissen, er wolle sie gern besuchen und mit ihr dinieren. Sie schickte ihm eine Liste der Damen, die sie dazu einzuladen beabsichtigte, mit der Bitte, die Namen derjenigen auszustreichen, die er nicht zu sehen wünschte. Er strich sie allesamt, weshalb sie nach ihrem Mann schickte, der gerade rechtzeitig eintraf, um den Zaren begrüßen zu können; dieser verließ wütend und nach kürzester Zeit das Haus, noch bevor das Essen aufgetragen war. Ein anderes Mal endete seine Bemühung, sich gewaltsam Zutritt zum Schlafgemach der Fürstin Auersperg zu verschaffen, damit, daß sie die Tür verbarrikadierte und die Polizei rief. Beim Ball des Grafen Franz Pálffy sprach er die Gräfin Széchenyi an, deren Mann gerade eine andere Dame zum Tanz aufgefordert hatte. «Ihr Gatte ist fort», sagte Alexander. «Es wäre mir sehr angenehm, seinen Platz vorübergehend einzunehmen.» Worauf die Gräfin entgegnete: «Hält mich Eure Majestät für eine Provinz?»27 Im übrigen beschränkte sich Alexander nicht darauf, die großen Damen von Wien zu umwerben. Abgesehen von den Dirnen, die ihm Tschernyschow besorgte, soll er auch Ehefrauen von Kaufleuten und andere Damen der Stadt besucht haben. Seine flüchtige Liebelei des Vorjahres mit der Bankiersgattin Louise Bethmann in Frankfurt hatte
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er ebenfalls nicht vergessen, von der er ein Billet erhielt, das ihn zu Tränen rührte. «Meine Augen, die so nichts von Dir lesen konnten, hatten das Glück, diese liebe Handschrift zu betrachten, deren bloßer Anblick mir beweist, wie teuer Du mir bist, wie sehr alles im Universum meinem Blick entschwindet, sobald ich etwas von Dir erhalte», schrieb er zurück. Er nannte sie «meine einzig Geliebte» und äußerte den Wunsch, «in Deine Arme zu fliegen und in ihnen vor Glück zu vergehen».28 Die anhänglichen und etwas albernen Zudringlichkeiten, die der Zar Damen jedes Standes entgegenbrachte, standen in auffälligem Gegensatz zu dem Auftreten seiner schönen Frau, deren würdige Haltung und melancholische Aura die Herzen vieler Menschen in Wien eroberte. Man schrieb ihre wehmütige Ausstrahlung ihrer schlechten Behandlung seitens Alexanders zu, aber auch wenn dies wohl teilweise zutraf, gab es noch einen anderen Grund. Seit mehr als acht Jahren hatten sie und Fürst Adam Czartoryski einander nicht mehr gesehen, und etwa doppelt so lange war es her, daß sie ein Liebespaar gewesen waren. Weder er noch sie hatte seitdem das Glück gefunden, und als er sie in Wien wiedersah, loderten seine Gefühle wieder auf. Er war inzwischen fünfundvierzig, sie zehn Jahre jünger. «Ihr Gesicht und ihre Gestalt haben sich verändert», vermerkte er in seinem Tagebuch, nachdem er sie zum zweiten Mal gesehen hatte, «sie ist rundlicher, ihre Züge markanter, ihre Haut bleicher; aber alles bewirkt den selben Zauber, und ihre Seele ist die eines Engels.» Sie waren beide vorsichtig und diskret, aber sie schrieben einander und trafen sich auch mehrmals allein. «Sie ist stets der erste und einzige Gegenstand meiner Gedanken», vertraute er einige Wochen später seinem Tagebuch an, entsetzt darüber, daß er auf jene, die mit ihr in engem Kontakt standen, eifersüchtig war.29 Das schöne Wetter hielt den größten Teil des Novembers über an, und die in der österreichischen Hauptstadt Versammelten konnten sich den vielen Vergnügungen sowohl im Freien wie in Innenräumen nach wie vor uneingeschränkt widmen. Am 20. November ließ man einen Heißluftballon im Prater steigen, in der nächsten Nacht fand ein weiterer Ball bei Metternich statt, und am 23. November folgte eines der gewaltigsten Schauspiele des Kongresses, das «Große Karussell», das seit Wochen vorbereitet wurde.
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Das spektakuläre pseudo-mittelalterliche Karussell, das am 23. November 1814 in der Wiener Hofreitschule veranstaltet wurde.
Die neue Aufmerksamkeit für das Mittelalter und zugleich der Wunsch, den geistigen Aspekt des gerade gewonnenen Befreiungskriegs hervorzuheben, hatte die Aufführung eines Turniers inspiriert, dessen Ritter unter den Kriegsteilnehmern ausgesucht worden waren, die nun ihre Geschicklichkeit vorführen durften. Damit das Spektakel noch interessanter wurde, sollte sich jeder der vierundzwanzig Ritter um einer Dame willen in den Kampf stürzen. Während sich Castlereagh mit seinen Memoranden herumschlug und Metternich mit dem sächsischen Problem rang, planten und diskutierten die meisten Kongreßgäste Einzelheiten des kommenden Turniers. Die Ritter würden Trachten aus der Zeit des französischen Ritterkönigs Franz I. tragen, also taillierte Samttuniken mit langen weiten Ärmeln, und darüber einen Brustharnisch; das Ganze würde durch einen breitkrempigen federgeschmückten Hut, gelbe Handschuhe und Stiefel abgerundet. Die Ritter wurden in vier Quadrillen zu je sechs Mann eingeteilt, die sich durch die rote, grüne, blaue oder schwarze Farbe ihrer
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Tuniken unterschieden. Jedem Ritter band seine ihm zugewiesene Herzensdame eine seidene Schärpe um den Leib und befestigte sie mit einer großen Schleife an seiner Taille; ein Reitknecht trug ihm sein Banner voran, hinter ihm schritt ein Knappe mit seinem Wappenschild. In vier Gruppen zu je sechs waren auch die Damen aufgeteilt. Sie unterschieden sich voneinander nicht nur durch ihre Farben, sondern auch durch ihren – österreichischen, französischen, ungarischen und polnischen – Kleidungsstil des frühen 17. Jahrhunderts. Allerdings hielten sich die Kleider nicht allzu streng an die historischen Muster, um mit Schlitzärmeln, Schleiern, Schmuckbesatz und juwelenverzierten Schnallen einen dramatischen Effekt zu erzielen. Wilhelmine erschien in ungarischem Grün, Dorothea in französischem Schwarz. Die beiden hatten nicht nur ihren eigenen Schmuck in ihre Kostüme einarbeiten lassen, sondern, wie auch die anderen zweiundzwanzig Damen, so viel Schmuck wie möglich zusammengeliehen. Diamanten und andere Edelsteine wurden aus ihren Fassungen gelöst und in Schleier und Mieder eingenäht und es hieß, alle Edelsteine Wiens hätten gefunkelt, als die Damen herannahten. «Ihre Kleider aus Seide und Spitze waren mit Diamanten überdeckt», notierte ein englischer Reisender.30 Die Veranstaltung fand in der Hofreitschule statt, in der man zwei neue Tribünen errichtet hatte, eine an jedem Ende; ihre tragenden Säulen wurden durch die Wappen und Devisen der vierundzwanzig Paladine geschmückt. Das Gebäude sah «schöner denn je» aus, fand Anna Eynard. Um acht Uhr verkündete eine Fanfare die Ankunft der vierundzwanzig «Liebesköniginnen»; jede wurde von dem Ritter ihres Herzens geleitet und zu ihrem Platz auf der ersten Tribüne geführt. Eine zweite Fanfare verkündete die Ankunft der Monarchen, die ihren Platz auf der zweiten Tribüne einnahmen. Dann ritten die Ritter ein, die von buntgekleideten Herolden und mit ohrenbetäubenden Trompetenstößen angekündigt wurden. Nachdem sie die Manege umkreist hatten, senkten sie ihre Lanzen vor den beiden Tribünen, um ihre Damen und die Monarchen zu grüßen; dann zogen sie sich wieder zurück. Das Turnier begann damit, daß jeweils eine Gruppe von vier Rittern, einer aus jeder Quadrille, seine kriegerische Gewandtheit und Reitkunst vorführte – die Aufgaben waren, einen Speer durch aufgehängte Ringe zu stoßen, an Fäden herabhängende Äpfel abzuschneiden und in zwei Hälften zu teilen und künstliche Sarazenenköpfe abzuschlagen. Danach
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vollführten sie echte ritterliche Zweikämpfe, bei denen sie auf einander zugaloppierten und versuchten, ihre Gegner aus dem Sattel zu stoßen. Während des Turniers stürzte Fürst Liechtenstein und wurde ohnmächtig weggetragen – begleitet von dem hysterischen Geschrei der Damen des Hofes und der «Liebesköniginnen». Es folgte eine friedvollere Darbietung, bei der alle Kavaliere gemeinsam Tanzfiguren vollführten, eine Art musikalisch unterlegtes Pferdeballett. Im Anschluß führten die Ritter ihre Edelfrauen zu einem abendlichen Bankett, das in allem den Gastmählern der Renaissance ähnelte. «Der Duft der Blumen, der Luxus der Anzüge, bei welchem das Feuer der Diamanten mit den sanften Farbschattierungen von Blumen sich mischte, der Glanz der Kerzen, die in tausend Kristallstükken der Kronleuchter sich spiegelten und denselben einen glänzenden Regenbogenschimmer gaben, die umhergereichten, goldenen Fruchtkörbe, das alles machte den kostbarsten Gesamteindruck», notierte La Garde. Nach dem Diner gab es einen Ball, der erst im Morgengrauen endete.31 Hinterher herrschte ein großes Durcheinander, als die Leihgeberinnen versuchten, ihr Geschmeide von den «Liebesköniginnen» zurückzubekommen. Wilhelmine hatte sich von einem halben Dutzend Damen Schmuck geliehen und Metternichs juwelenbesetzten Orden vom Goldenen Vlies aufgebrochen, um sich den größten Stein herauszunehmen. Sie selbst hatte einer Freundin ein edles Diadem geliehen, das diese in Stücke zerteilt hatte, um sie auf ihr eigenes Kleid zu nähen, mit dem Erfolg, daß einige davon aus ihren Fassungen gefallen waren. «Aber das scheint ihr ziemlich gleichgültig zu sein. Sie war ebenso leichtsinnig in bezug auf ihre eigenen Schmuckstücke wie in bezug auf solche anderer Leute», staunte Eynard, der sparsame Schweizer.32 Weder Erschöpfung noch der mögliche Verlust von Diamanten konnten die Stimmung trüben. «Alle waren, in höherem oder geringerem Maße, von einer Art Tanzwut ergriffen, worüber sie das Ziel, dessentwegen sich alle zu solch enormen Kosten versammelt hatten, zu vergessen schienen», wie Roksandra Sturdza es sah. Am Abend nach dem Karussell gab es einen Bal paré im Augarten, einen Tag später einen Ball bei Graf Stackelberg, am Abend darauf einen bei Graf Zichy und am nächsten ein großes Bankett bei Hofe. Daß es danach keine Bälle mehr gab, lag nur daran, daß die Adventszeit begonnen hatte.
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«Man hat beschlossen, daß in katholischen Häusern nicht getanzt wird, daß aber die Katholiken in den Häusern, die nicht an den Papst glauben, tanzen dürfen», witzelte Metternich in einem Brief an Wilhelmine und fügte hinzu, daß dies für ihn von Nachteil sei, da er weiterhin würde empfangen müssen. «Aber dreihundert Leute in einem Raum, die sich nicht im Takt bewegen, ersticken einander.» Er selbst war sehr niedergeschlagen. «Alle langweilen mich, und ich kann Dich nicht unter vier Augen sehen», beschwerte er sich. «Ich kann Dich nicht ohne Deinen Liebhaber einladen, und ich kann ihn nicht einladen, ohne mich unglücklich zu fühlen.» Am nächsten Abend, dem 28. November, vertraute er ihr nach einer längeren nächtlichen Audienz bei Alexander an, er trage «eine ungeheure Last wie der Wanderer in der Wüste», denn kein freundlicher Händedruck, kein lohnender Blick, kein Wort der Anteilnahme werde ihm zuteil. «1814 ist ein recht abscheuliches Jahr», schloß er. «Gute Nacht.»33 Alexander hatte an den letzten Bällen nicht teilgenommen, nicht einmal am Karussell, das eine Woche später für ihn wiederholt werden mußte. Er hatte buchstäblich bis zum Umfallen getanzt, denn am 16. November fiel er bei einem Tanz mit Lady Castlereagh in Ohnmacht. An seinem Bein hatte sich Wundrose gebildet, ein Leiden, für das er anfällig war; mehrere Tage hatte er das Bett hüten müssen. Diese Zeit, die ihn zum Nachdenken zwang, erschütterte jedoch seinen Entschluß keineswegs, die Versprechen einzulösen, die er Friedrich Wilhelm, den Polen und Prinz Eugène Beauharnais gegeben hatte. Der Ausschlag bildete sich nach einer Woche wieder zurück, jedoch «gewann seine Laune dadurch nicht», wie von Gagern bemerkte, nachdem er Alexander am 26. November gesehen hatte. Er war weiterhin gereizt und starrsinnig, wenn ein wichtiges Thema zu diskutieren war, obgleich er wieder begann, auszugehen und sich zu amüsieren.34 Am 29. November besuchten er und die anderen Monarchen auf persönliche Einladung Beethovens hin dessen musikalische Akademie im großen Redoutensaal. Auf dem Programm standen seine Siebte Sinfonie, sein Orchesterwerk zum Gedenken an die Schlacht bei Vitoria, Wellingtons Sieg, und die für den jetzigen Anlaß komponierte Kantate Der glorreiche Augenblick, die Beethoven alle persönlich dirigierte. Dem Publikum gefiel ganz besonders Wellingtons Sieg mit den simulierten Kanonenschüssen und den Spezialeffekten.35
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«Alexander, dem das Schicksal eine so schöne Rolle zugeteilt hatte, widmet sich in erster Linie seinen Vergnügungen», schrieb Eynard in sein Tagebuch. «Man sieht ihn auf allen öffentlichen und privaten Veranstaltungen. Er ist immer der erste und letzte auf dem Ball und der eifrigste Tänzer. Er ist nur damit beschäftigt, den Damen den Hof zu machen, und alle, die seit einem Monat um eine Audienz bei ihm flehen, sehen ihn so jeden Abend fünf bis sechs Stunden nutzlos verbringen, die so notwendig anderweitig angewendet werden könnten. Kaiser Alexander besitzt viel Leutseligkeit, aber keine Würde. Auf verschiedenen Festen hat er nicht ein einziges Mal an der Tafel der Herrscher Platz genommen; er zog es vor, von Tisch zu Tisch zu gehen. Er zeigt sich gern in Frack und rundem Hut auf den öffentlichen Festen. Auf den Wiener Redouten, zu denen alle Volksklassen zugelassen werden, sah man Kaiser Alexander drei bis vier Stunden hindurch mit seinem Adjutanten oder mit dem König von Preußen überall herumgehen.»36 Grenzenlose Hoffnungen waren in Alexander gesetzt worden. Ein Offi zier seines Gefolges berichtet, daß sich Menschen mit großen philantropischen Projekten an ihn wandten, die nur ein Mann in seiner Position verwirklichen konnte. Der Dichter Jean Paul schrieb ihm und nannte ihn einen «Schutzgeist» Europas und Retter der Welt. Ein «Babylonier» schleppte sich erschöpft in Alexanders Unterkunft, um ihm eine Phiole mit Wasser aus einer angeblich heiligen Quelle bei Ephesus zu überreichen, nachdem er ihm, wie einst die drei Weisen dem Stern von Bethlehem, zu Fuß gefolgt war. Aber am Tag nach dem Konzert Beethovens besuchte Alexander auch einen Kinderball bei Fürst Schwarzenberg. «Der Kaiser Alexander, der sich sehr zu vergnügen schien, hat mit allen Kindern getanzt», meldete ein Informant Hagers. Ein anderer hatte zehn Tage vorher berichtet, «der Kaiser Alexander und der König von Preußen sind zum Gegenstand allgemeiner Verachtung geworden.»37
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Hardenberg war kein Freund von Geselligkeiten, und gerade jetzt war er für so etwas auch viel zu beschäftigt. Obgleich Friedrich Wilhelm ihm auf Anweisung Alexanders befohlen hatte, seine Verbindungen zu Metternich und Castlereagh zu kappen, neigte er immer noch dazu, sich mit Österreich und Großbritannien gegen Rußland zusammenzutun. Er war der festen Überzeugung, daß nur so Preußens Sicherheit dauerhaft garantiert werden könne, und er teilte weder die Bewunderung seines Königs für Alexander noch seine Angst vor ihm. Hardenberg und Humboldt hatten sogar die Möglichkeit erwogen, Krieg gegen Rußland zu führen, um Preußens frühere polnischen Provinzen zurückzuerobern und so eine Annexion Sachsens überflüssig zu machen. «Sollten wir uns wirklich geradezu entscheiden müssen, mit Rußland oder mit Österreich und England in dieser Sache zu stehen, so bin ich so entschieden für die letzte Meinung, daß ich alles daransetzen werde», schrieb Humboldt seiner Frau. Zwar lagerten 200 000 russische Soldaten wenige Tagesmärsche östlich von Berlin und, nicht viel weiter entfernt im Westen, in Holstein, noch einmal 60 000 Mann. Andererseits könnte Preußen bei einem solchen Unternehmen auf die Unterstützung der meisten deutschen Staaten zählen. Aber Humboldt und Hardenberg konnten sich Österreichs nicht sicher sein, und es bestand immer die Möglichkeit, daß Alexander eine separate Abmachung mit Frankreich traf. Darum hielten sie es für ratsam, ein paar Jahre zu warten, bis Rußland seine Armeen aus Europa abgezogen und zum Teil aufgelöst haben würde, während Deutschland Zeit hätte, sich erst einmal von den Verwüstungen des jüngsten Krieges zu erholen.1 Derweil entwarfen Hardenberg und Metternich einen Vorschlag, nach dem Rußlands Westgrenze entlang der Warthe und der Nida verlaufen würde, wodurch Preußen ein beträchtliches Stück seines ehe-
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Danzig
Die Westgrenze Rußlands
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Von La Harpe und Pozzo vorgeschlagene Grenze, Juli 1814 Von Hardenberg vorgeschlagene Grenze, November 1814
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ÖSTERREICH
mals polnischen Gebiets und Österreich eine sichere Grenze bekäme, die von den befestigten Städten Krakau und Zamotd bewacht würde. Hardenberg hoffte, Alexanders geschwächten Zustand nutzen zu können, um ihm diesen Plan schmackhaft zu machen. In der Nacht des Karussells suchte er Alexander auf und unterbreitete ihm den Vorschlag; er fügte hinzu, sollte der Zar diese Grenze anerkennen, würden Österreich und Preußen ihre Einwände gegen seine Gründung eines Königreichs Polen in den ihm verbliebenen polnischen Gebieten fallenlassen. Der Zar schien ein offenes Ohr zu haben, und auch auf Metternich, der ihn zwei Tage später besuchte, wirkte er entgegenkommend. Aber der Schein trog. Alexander spürte undeutlich, daß er einiges von seiner Popularität eingebüßt hatte, schrieb dies aber seiner Haltung in der polnischen Frage zu. Da er die Wiedererrichtung des Königreichs Polen als gerechtes und edles Ziel ansah, glaubte er sich im Recht und alle anderen im Unrecht. So durchdrungen war er von seiner Mission, daß er meinte, einen manichäischen Kampf gegen die Mächte des Bösen zu führen,
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und alle, die versuchten, ihn davon abzubringen oder sich ihm entgegenzustellen, waren für ihn Verräter oder Feinde.2 Hardenberg erhielt Alexanders Antwort, die Stein und Czartoryski aufgesetzt hatten, am 27. November. Sie begann mit der üblichen Vorrede, in der alle Opfer aufgelistet wurden, die Alexander im Kampf gegen Napoleon gebracht hatte, und die erneut seine Entschlossenheit bekräftigte, den Völkern Europas das Glück zu bringen. Dann folgte der Vorschlag, Sachsen an Preußen abzutreten und Mainz zu einer Festung des deutschen Bundes zu machen, in welchem Falle er bereit wäre, Krakau und Thorn freie Städte werden zu lassen und die Befestigungsanlagen von Kalisch und Zamotd zu beseitigen. Das Großherzogtum Warschau jedoch wollte er als Ganzes zu behalten.3 Hardenberg gab Alexanders Antwortschreiben nicht sofort an Metternich weiter. Als er es am 3. Dezember tat, fügte er das Ersuchen bei, Preußen möge gestattet sein, sich ganz Sachsen anzueignen, da es keine seiner ehemaligen polnischen Besitztümer zurückerhalten würde. Zur Bekräftigung war noch ein Memorandum des Freiherrn vom Stein beigefügt, daß «sich der König von Sachsen aus eigenem Willen mit dem Prinzip der Tyrannei und des Bösen verbündet und dem Triumph des Guten große Hindernisse in den Weg gelegt hat». Damit habe er all seine Ansprüche verwirkt. Hardenberg wollte die bittere Pille mit dem Angebot versüßen, Friedrich August von Sachsen einen eigenen Staat auf Kosten preußischen Territoriums in der Umgebung von Münster und Paderborn zu geben. Er berief sich auf die strategischen Bedürfnisse Preußens und dessen Notwendigkeit, sich verteidigen zu können. Ein starkes Preußen sei für die Erhaltung des Friedens in Europa unabdingbar.4 Aus einer Vielzahl von Gründen war dieser Vorschlag für Österreich inakzeptabel. Gleichwohl enthielt er einen positiven Aspekt: Da Hardenberg sich nicht gemeinsam mit Metternich Rußland widersetzen würde, konnte Metternich nun sein Versprechen zurücknehmen, Preußen bei der Angliederung Sachsens zu unterstützen; dessen Existenz zu bewahren, verlangten von ihm ja ohnehin sein eigener Kaiser und die öffentliche Meinung. Da traf es sich gut, daß Castlereagh am 6. Dezember Metternich einen Brief zeigte, den er soeben von Liverpool mit der Weisung erhalten hatte, dem sächsischen König zumindest einen Teil seines Reiches zu lassen, um die britische Öffentlichkeit zu beruhigen. Im
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sicheren Wissen, daß Großbritannien es ihm gleichtun werde, konnte Metternich nun seine Politik hinsichtlich Sachsens revidieren. Am 10. Dezember reagierte Metternich offiziell auf das russische Antwortschreiben und auf Hardenbergs Note. Was Hardenberg da las, konnte ihm nicht gefallen. Metternich wies den Vorschlag zurück, Thorn und Krakau zu Freistädten zu machen, und bestand darauf, sie jeweils an Preußen und Österreich zu übergeben; ferner forderte er eine etwas günstigere Grenzziehung zwischen dem russisch besetzten Polen und Österreich. Hardenbergs Note, schrieb er, erwähne weder Alexanders Absichten in Polen noch, ob vorgesehen sei, Rußlands polnische Provinzen in das vorgeschlagene neue Königreich einzugliedern. Weiter hob er hervor, wie notwendig eine problemfreie und harmonische Verbindung zwischen Österreich und Preußen für den Frieden und das Glück Europas sei, bevor er kategorisch feststellte, eine solche Verbindung sei ausgeschlossen, wenn Preußen ganz Sachsen annektiere. Metternich zufolge schrieen daraufhin alle Preußen und ihre Unterstützer Zeter und Mordio. Und dabei sollte es nicht bleiben.5 Aus dem Wortlaut sämtlicher Vereinbarungen zwischen ihnen war bisher klar hervorgegangen, daß Preußen sich ganz Sachsen nehmen dürfe, vorausgesetzt, es unterstütze einen erfolgreichen Widerstand gegen Rußlands Absichten in Polen. Castlereagh hatte bekundet, «wenn die Annexion Sachsens durch Preußen mit der Sicherheit Europas im Einklang steht, werde er die Zustimmung Englands garantieren», obgleich ihn die Zerstörung einer so alten Dynastie schmerze; aber seine «Erklärung müsse als null und nichtig angesehen werden, opfere man Sachsen den Begehrlichkeiten Rußlands und nicht den Interessen Europas».6 Hardenberg seinerseits fand, daß Großbritannien und Österreich ganz prinzipiell Preußen einen Anspruch auf Sachsen zugestanden hatten; jetzt besaßen sie daher kein Recht, davon abzurücken. Die Besetzung des Königreichs Sachsen durch preußische Truppen hatte offenkundig Tatsachen geschaffen, mit denen sich sowohl das preußische Militär als auch die öffentliche Meinung in Berlin weitgehend abgefunden hatten. Unter diesen Umständen konnte er den Kurswechsel Großbritanniens, ganz besonders aber den Österreichs, nur als Verrat verstehen. Seine Reaktion, wie Castlereagh in einem Brief an Liverpool schrieb, löste eine «diplomatische Explosion» aus.7
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Denn Hardenberg begab sich umgehend zu Alexander, mit dem Ziel, sich an Metternich zu rächen und für Preußen zu retten, was zu retten war. Um Alexander zu beweisen, daß Preußen von Österreich und Großbritannien dafür bestraft wurde, daß es sich geweigert hatte, sie gegen Rußland zu unterstützen, zeigte er ihm alle Briefe, die er von Metternich zum Thema, wie sich die russischen Pläne in Polen am besten durchkreuzen ließen, erhalten hatte. Das war, wie Castlereagh fand, «eine sehr ungehörige Tat». Töricht war sie obendrein. Alexander geriet beim Lesen der Briefe in Zorn. Unter anderem entlarvten sie ihn als Lügner: In der Absicht, alle Beteiligten für seine Pläne zu gewinnen, hatte er Anfang November Metternich das eine und Hardenberg etwas anderes erzählt und das, was sie jeweils wirklich vertraten, nicht wahrheitsgetreu wiedergegeben. Nun hielt er aus Hardenbergs Unterlagen eine Note Metternichs in der Hand, in der er mit Aussagen zitiert wurde, die im direkten Widerspruch zu jenen Zusagen standen, die er Hardenberg gemacht hatte. Alexander folgte dem Beispiel der «ungehörigen Tat» Hardenbergs und stürmte davon, um Kaiser Franz zur Rede zu stellen. Gentz zufolge traf er in «erregter und jähzorniger» Stimmung ein. Im Verlauf einer «hitzigen Szene» schleuderte er die Briefe auf den Tisch, zeterte über Verrat und verlangte von Franz, Metternich zu entlassen, während er gleichzeitig erklärte, ihn zum Duell fordern zu wollen.8 Franz entgegnete, er wisse nichts von der Sache, und ließ Metternich rufen. Dieser erschien, kurz nachdem Alexander gegangen war, und verantwortete sich vor seinem Kaiser, der ihm auftrug, am nächsten Tag zurückzukehren und Alexander alles Material zu seiner Rechtfertigung vorzulegen. Als Metternich heimkam, wartete Alexanders Adjutant General Adam Oxarowski schon auf ihn. Oxarowski befahl Metternich, Hardenberg in einem formellen Schreiben zu erklären, er habe ihn in seiner Note vom 7. November falsch informiert und Alexander nicht korrekt zitiert. Alexander versuchte nichts Geringeres, als Metternich zu einer Lüge zu zwingen, um seine eigene Doppelzüngigkeit zu vertuschen. Metternich weigerte sich. Ihm war nun klar, daß er bei seiner Audienz am nächsten Tag alle Briefe offenlegen mußte, die Hardenberg ihm geschrieben hatte. Vorher jedoch stattete er Hardenberg einen Besuch ab, um ihn zu warnen; der aber sagte erstaunlicherweise, er habe nichts dagegen, daß
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Metternich den Schriftverkehr Alexander zeige. Hardenbergs Briefe an Metternich waren laut Castlereagh «die einzig wirklich anstößigen» in dieser Sache. «Metternichs Papiere entsprechen vollkommen den Regeln der Diplomatie; sie legen in höchst angemessener Weise die Einwände seines Hofes gegenüber den russischen Ansichten dar», fuhr er fort. Hardenbergs Unterlagen offenbarten hingegen einen Plan, Alexander hinsichtlich Polens freie Hand zu geben, um ihn erst in Sicherheit zu wiegen und dann in einigen Jahren Krieg gegen Rußland zu führen, wenn «die Alliierten eine Gelegenheit nutzen könnten, sich ihr Recht zu verschaffen». In einem Brief vom 9. November hatte Hardenberg erwähnt, daß es ein leichtes sei, Alexanders polnische Untertanen gegen ihn aufzuwiegeln.9 Die Audienz, auf der sich Metternich, gestützt auf Hardenbergs Unterlagen, vor Alexander rechtfertigte, war um so unangenehmer, als Metternich eine Note zwischen die Papiere geschoben hatte, die von ihm selbst verfaßt war und in der er jede von Alexander gegenüber Preußen in Wort und Tat begangene Illoyalität aufgeführt hatte. «Diese Note befand sich, entweder aus höchst kleinlichen oder aus höchst unerklärlichen Gründen, zwischen den übersandten Dokumenten und trug nicht wenig zur Verärgerung bei», berichtete Castlereagh. Im Nebenzimmer wartende Adjutanten hörten, wie Alexander wütend aufstampfte.10 Die diplomatischen Gepflogenheiten, eigens geschaffen, um potentiell gefährliche Begegnungen dieser Art zu vermeiden, hatten nicht unbedingt versagt; sie waren vielmehr aufgegeben worden. Statt die Verhandlungen durch Dritte führen zu lassen, von denen man erwarten konnte, daß sie professionell genug seien, ihre Gefühlsaufwallungen zu ignorieren und als neutrale Vermittler zu wirken, hatte Alexander darauf bestanden, persönlich einzugreifen, wobei er mehrfach versucht hatte, seine Position und sein persönliches Prestige einzusetzen, um ein Resultat zu erzwingen. Dies hatte unweigerlich zu einer Reihe von Konfrontationen geführt, die leicht einen Krieg hätten auslösen können. Zum Glück hatte er offenbar eingesehen, wie moralisch angreifbar seine Position war, denn am folgenden Tag, dem 14. Dezember, wandte er sich besonders liebenswürdig und versöhnlich an Franz. Er bekundete, es sei ihm ein innigstes Bedürfnis, mit Österreich weiterhin im besten Einvernehmen zu bleiben, und erklärte, daß er ihm zwar Krakau
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nicht herausgeben könne, als Zeichen seines Entgegenkommens aber bereit sei, den polnischen Bezirk Tarnopol mit 400 000 Einwohnern abzutreten, den er Österreich 1809 abgenommen hatte. Es war das erste reale Zugeständnis Rußlands und entschärfte die Krise, nicht einmal so sehr, weil es den Österreichern entgegenkam, sondern weil es ihnen einen Vorwand bot, hinsichtlich Polens nachgiebiger zu werden. «Nachdem Österreich erkannt hatte, daß es Sachsen und Polen nicht zugleich retten konnte, entschied es sich, letzteres fallenzulassen», kommentierte Gentz. «Das Ganze war, wie Sie sich sich denken können, zwei Tage lang eine große Sensation» meldete Castlereagh am 17. Dezember an Liverpool, «aber das Ergebnis könnte als Beweis dessen dienen, was ich bereits zuvor zu behaupten wagte, daß in Rußland das Wetter nach einem kräftigen Sturm oftmals um so heiterer ist.»11 Von Rußland und Österreich konnte nun behauptet werden, daß sie die in den verschiedenen Verträgen festgeschriebenen Bedingungen, den Status des Großherzogtums Warschau «à l’amiable» zu regeln, erfüllt hatten, was wiederum Großbritannien gestattete, die ganze Angelegenheit ad acta zu legen. «Ich betrachte die polnische Frage als gelöst», schrieb Castlereagh am 18. Dezember an Wellington. «Jetzt bereitet nur noch die sächsische Frage erhebliche Schwierigkeiten.»12 Sollte Castlereagh wirklich geglaubt haben, der Sturm habe die Spannungen vertrieben, so irrte er sich sehr. Die polnische Frage mochte im gegenseitigen Einvernehmen vielleicht in den Hintergrund gedrängt worden sein, aber das sächsische Problem war keinen Deut weniger verfahren, und das um so mehr, als die Preußen, deren ehemals polnische Gebiete nun gänzlich unerreichbar waren, ihre gesamte Aufmerksamkeit auf Sachsen richten mußten, das für sie zu einer Existenzfrage geworden war. Da nun Alexander seine polnischen Pläne zumindest im Prinzip hatte verwirklichen können, schwand, wie zu erwarten war, sein Interesse an anderen Aspekten dieses endlosen Kongresses. Er fühlte sich nach wie vor moralisch verpflichtet, Friedrich Wilhelm zu unterstützen, dem er Sachsen versprochen hatte. Aber er war nicht mehr mit ganzem Herzen bei der Sache, was Hardenberg nicht entgangen sein konnte. Der Rauch der Explosionen begann sich gerade zu verziehen, als Hardenberg am 16. Dezember eine neue Note aufsetzte, die er drei Tage später Czartoryski gab, damit er sie Alexander überbringe. In ihr wieder-
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holte er energisch Preußens Anspruch auf ganz Sachsen; er verwies darauf, daß die anderen Mächte dem stets zugestimmt hätten, und schloß mit dem Vorschlag, Friedrich August für den Verlust Sachsens mit einem neuen, aus linksrheinischem preußischem Besitz zu schaffenden Staat zu entschädigen. In mehrerer Hinsicht war es ein Verzweiflungsakt: Preußen bot nicht nur an, ein Territorium aufzugeben, es rief auch Großbritannien, das sich eine starke preußische Präsenz am Rhein als Bollwerk gegen Frankreich gewünscht hatte, eindringlich in Erinnerung, daß es Unterstützung brauche.13 Hardenbergs Note wurde seitens des preußischen Militärs von reichlichem Säbelrasseln begleitet, was bei den Österreichern heftige Reaktionen auslöste. «Alles in Spannung», notierte Carl Bertuch am 16. Dezember in seinem Tagebuch, «die Stadt spricht schon wieder von Krieg.» Einen Tag später hielt Freiherr vom Stein in seinem fest: «Die Köpfe der Wiener wurden immer erhitzter und ausgesprochener zum Krieg.» Jemand wollte sogar gehört haben, wie Alexander sagte, es müsse Blut fließen.14 Vom ersten Augenblick an, als die Alliierten 1814 in Paris einzogen, war von Krieg die Rede gewesen. Die Menschen hatten sich an ihn, der nur gelegentlich von einer Waffenruhe unterbrochen worden war, so sehr gewöhnt, daß er inzwischen bei allen Konflikten eher als erstes denn als letztes Mittel der politischen Auseinandersetzung angesehen wurde. Und überall in Europa standen Truppen bereit. Während der letzten zwei Jahrzehnte hatten die Alliierten bestimmt so oft gegeneinander gekämpft wie gegen Napoleon, und zwischen ihnen herrschte kein Mangel an nationalen und regionalen Animositäten. Das Militär eines jeden Landes hatte eine Vielzahl offener Rechnungen mit anderen zu begleichen, und junge Männer, die in die Armee eingetreten waren, um Karriere zu machen, sahen mit Widerwillen in eine Zukunft, in der ihnen mangels Kampferfahrung ein rascher Aufstieg aus niederen Rängen unmöglich wurde und ihnen nur dröger Garnisonsdienst bliebe, in dem der Aufstieg allein von den Dienstjahren abhing. Die Zivilbevölkerung lehnte die alliierten Truppen genauso ab wie einst die französischen, vor allem in Deutschland, wo sich nicht nur die russische Armee mit ihren Schwärmen undisziplinierter Kosaken, sondern auch die preußischen Truppen innerhalb weniger Monate nach der «Befreiung» verhaßt gemacht hatten.15
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Wegen der Notwendigkeit, gegen Napoleon zusammenzustehen, hatte man die Gegensätze zwischen den Verbündeten unter Kontrolle halten können; jetzt aber, nach seinem Sturz, brachen sie wieder auf. Die Euphorie der Tage in Paris und London hatte sie zu Beginn noch verschleiert, aber schon in der Mitte des Sommers zweifelten viele Beobachter an der Möglichkeit einer Aussöhnung. «Viele sind, was immer auch geschieht, völlig überzeugt, daß alles in einem vollständigen Bruch zwischen den alliierten Mächten enden wird», schrieb Gentz Anfang Juli. Als sich die alliierten Souveräne und ihre Minister in Wien versammelten, waren die Aussichten auf einen Krieg in weite Ferne gerückt. Aber in den ersten Oktobertagen sah die Lage düster aus, und Gentz prophezeite «entweder Krieg oder einen Zustand, der schlimmer wäre als Krieg, in dem jeder behält, was er besitzt und bei dem bleibt, was er vorhatte, während die anderen sich weigern, seine Rechte anzuerkennen und sein Vorgehen in irgendeiner Weise rechtsgültig anzuerkennen».16 Obwohl keiner der Hauptakteure einem Krieg furchtlos entgegensehen konnte und gewiß niemand einen solchen provozieren wollte, blieben sich alle der Gefahren, die eine allzu friedliche Haltung barg, deutlich bewußt. In dem Maße, wie das Vertrauen zwischen den Mächten zusammenbrach, beschlich sie zunehmend das Gefühl, daß welche Einigung auch immer schließlich erreicht werden sollte, man nicht darauf bauen könnte, daß auch nur einer von ihnen sich daran halten würde. Jetzt standen sie vor der Frage, ob es nicht besser sei, sofort Krieg zu führen, oder ob man irgendeine Einigung zustande bringen und in ständiger Angst vor einem drohenden Krieg leben sollte. Während Rußland, Preußen und Österreich große Armeen zur Verfügung hatten, besaß Großbritannien keine Truppen auf dem europäischen Kontinent. Die Regimenter, die während der letzten sieben Jahre unter Wellington in Spanien gedient hatten, waren noch nicht wieder einsatzfähig, und praktisch alle restlichen britischen Streitkräfte standen auf der anderen Seite des Atlantiks im Krieg gegen die Vereinigten Staaten. Sollte es zu einem Krieg kommen, müßten sich die Briten jemanden suchen, der an ihrer Stelle auf dem Kontinent kämpfte. Anfang Oktober fühlte Wellington daher bei der französischen Regierung vor, ob sie bereit wäre, wegen Sachsen in den Krieg zu ziehen, und erhielt eine Zusage.17
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Dieser Schachzug kam nicht einmal überraschend. Am 17. Oktober, dem Vorabend des Friedensfestes im Prater, hatte Talleyrand seinen König gewarnt, daß sich Frankreich auf einen Kampf einstellen müsse, und sein Brief kreuzte sich mit einem Ludwigs XVIII., in dem stand, daß er die Armee in Kriegsbereitschaft versetze. Innerhalb eines Monats war die Möglichkeit eines Krieges zu einer Wahrscheinlichkeit geworden. «Alle Anzeichen stehen auf einen großen Krieg», warnte am 18. November auch Kardinal Consalvi seinen Stellvertreter in Rom. Anlaß für all diese Befürchtungen war die fortgesetzte Stationierung Hunderttausender russischer Soldaten in verschiedenen Teilen Mitteleuropas.18 Im Laufe seines Gesprächs mit Alexander am 14. November gab Metternich diesem so taktvoll wie irgend möglich zu verstehen, daß er seine Armeen aus Europa abziehen solle. «Was uns bisher beruhigte, ist die hohe Meinung, die wir von Ihrem Charakter gewannen; sollten wir das Unglück haben, sie zu verlieren, werden alle Herzen beim Anblick eines russischen Soldaten vor Entsetzen gefrieren, und zwischen diesem Moment und jenem, an dem überall Widerstand aufkommt, wird nicht viel Zeit vergehen.»19 Dank Hagers Spionagenetzwerk wußte Metternich, daß sich Alexander auf alle Eventualitäten vorbereitete, wozu auch ein russischer Vorstoß südwärts nach Ungarn gehörte, um dort einen nationalen Aufstand gegen Österreich anzuzetteln. Bayern, das in einem neuen Krieg die Möglichkeit sah, nicht nur Mainz, sondern auch andere Gebiete zu erobern, versuchte seinerseits, Metternich aufzuhetzen.20 Im Bemühen, Österreich auszumanövrieren, hofierte Alexander das Königreich Württemberg, dessen Kronprinz seine Schwester, die Großfürstin Katharina, zu heiraten hoffte. Er unternahm auch einen neuen Annäherungsversuch an Frankreich, als er während eines Empfangs bei der Gräfin Zichy auf Talleyrand zuging und ihn bat, ihn inoffi ziell zu besuchen, damit sie vielleicht wieder ein wenig an ihr früher enges Verhältnis anknüpfen könnten. Als Talleyrand dann zu ihm kam, blieb das Gespräch «friedlich und freundlich», und Alexander erbot sich, bei der Vertreibung Murats aus Neapel behilflich zu sein, wenn Frankreich Preußen erlauben würde, sich Sachsen zu nehmen.21 Alexanders Werben um Talleyrand alarmierte Castlereagh und seine Ministerkollegen, die befürchteten, Rußland könne sich Frankreichs Unterstützung mit dem Versprechen einer französischen Rheingrenze
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erkaufen. Schließlich wäre es Alexander ein leichtes, sowohl Frankreich als auch Preußen zufriedenzustellen, indem er den König von Sachsen auf seinem Thron beließ und Preußen gestattete, sich statt dessen Hannover einzuverleiben. Wellington und Castlereagh versuchten diese Bedrohung zu parieren, indem sie andeuteten, sie könnten Frankreich eine günstigere Grenze zugestehen und überdies Murat aus Neapel und Napoleon aus Elba entfernen.22 Liverpool glaubte, daß selbst eine schlechte Regelung einem Krieg vorzuziehen sei. Ein fauler Frieden könne zwar in einigen Jahren zum Krieg führen, aber ein aufgeschobener Krieg wäre das kleinere Übel. Österreich war da ganz anderer Meinung. Ihm drohte bei einem aufgeschobenen Krieg wahrscheinlich die größte Gefahr, da es von allen Seiten angegriffen werden und sich nicht verteidigen konnte, sobald es demobilisiert hätte. «Es ist die entschiedene Meinung vieler österreichischer Offi ziere – und ich kann hinzufügen: Minister –, daß man lieber, als die Russen in Krakau und die Preußen in Dresden zu haben, einen Krieg mit der gerade erreichbaren Unterstützung führen solle», berichtete Castlereagh am 21. November. Auch Kaiser Franz hielt es für besser, lieber gleich in den Krieg zu ziehen, statt später. Schwarzenberg hatte schon 370 000 Mann in Ungarn und Galizien zusammengezogen und stationierte Truppen in Böhmen.23 Der russischen Militärführung war ebenfalls sehr daran gelegen, die Kämpfe beginnen zu lassen, solange ihre Armee in Mitteleuropa breit aufgestellt war. Viele Offi ziere waren der Ansicht, die Monarchen und Bevollmächtigten der anderen Mächte hatten es an Respekt für die Wünsche ihres Zaren fehlen lassen und damit Rußlands Ehre verletzt. Besonders erregten sie sich über die Briten, wie das Tagebuch eines Offi ziers in Alexanders Gefolge bezeugt. Er behauptete, die europäischen Mächte rüsteten sich, angestachelt durch das doppelzüngige England, zum Krieg gegen Rußland. Die Engländer beschuldigten Rußland, die Herrschaft über Europa anzustreben, während sie selber «jeden Teil Europas und andere Gebiete der Welt mit ihrer despotischen Macht» überzogen; es sei den russischen Diplomaten nicht gelungen, festzuhalten, was «mit dem Blut der Soldaten» gewonnen worden war. Er war überzeugt, daß «bald Krieg zwischen uns ausbricht». Am 26. November notierte Baron Rosenkrantz in seinem Tagebuch, «die Russen brennen vor Verlangen, gegen die Österreicher zu kämpfen».24
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Am selben Tag äußerte Liverpool, der jetzt in Panik geriet, brieflich gegenüber Wellington die Befürchtung, Großbritannien könne über einen Anlaß, der für seine eigenen Interessen nahezu unbedeutend sei, in einen Krieg verwickelt werden. Ihn beunruhigte auch, daß die Regierung an Popularität verloren hatte. Über Graf Lieven, seinen Botschafter in London, hatte Alexander seit einiger Zeit die Opposition im britischen Parlament und die öffentliche Meinung des Landes mit Informationen und Vorschlägen versorgt, die ihnen helfen sollten, die Regierung anzugreifen und Castlereaghs Position zu untergraben.25 Der Kriegsminister Lord Bathurst schrieb am folgenden Tag an Castlereagh und teilte ihm mit, der Prinzregent sei aufs äußerste besorgt. «Ich muß Sie nicht erst auf die Unmöglichkeit hinweisen, daß Seine Königliche Hoheit zustimmen könnte, dieses Land zum jetzigen Zeitpunkt wegen irgendeines der Ziele, um die bisher in Wien gestritten wurde, in Feindseligkeiten hineinziehen zu lassen», mahnte er ihn. Der Prinzregent erhielt von Graf Münster alarmierende Berichte über einen bevorstehenden Konflikt, der schrieb: «Die Dinge haben sich zu einer derart bedrohlichen Krise zugespitzt, daß wir ernsthaft überlegen müssen, auf wessen Seite wir uns stellen wollen, wenn der Krieg ausbricht.» Aber die Kuriere benötigten zehn bis zwölf Tage, um die Strecke zwischen London und Wien zurückzulegen, und weder der Prinzregent noch Liverpool konnten hoffen, von England aus den Lauf der Dinge zu steuern.26 Am 30. November schickte Alexander den Grafen Nesselrode zu Fürst Wrede; er sollte ein letztes Mal versuchen, den bayerischen Minister zu überreden, sich Rußland im Widerstand gegen Österreich anzuschließen. Als Wrede entgegnete, er werde sich nur einer Koalition mit dem König von Sachsen anschließen, erhielt er Besuch von Hardenberg und Humboldt, die ihm offen mit Krieg drohten.27 «Lieber einen neuen Krieg, als daß Preußen nach so glorreichen Thaten und nach so vielen Opfern schlecht aus der Sache scheide», schrieb Hardenberg am folgenden Tag an General Gneisenau. Ebenfalls am 5. Dezember schickte Castlereagh eine Nachricht gleichen Inhalts an Liverpool. Er wies darauf hin, daß alle Mächte ihre Streitkräfte vollständig mobilisiert hätten, und da es unwahrscheinlich sei, daß sie ihren Einsatz lange hinauszögerten, seien sie alle begierig darauf, die hohen Kosten wieder loszuwerden, die ihnen eine Verlängerung dieses Zu-
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standes aufbürde. Dies galt seiner Ansicht nach ganz besonders für Rußland und Preußen. «Meines Erachtens ist es deshalb wahrscheinlich, daß eine oder beide Mächte, wenn sie nicht von ihren Ansprüchen zurückweichen, eher den Krieg provozieren als verzögern», schrieb er.28 Metternichs Note an Hardenberg vom 10. Dezember erhitzte die Gemüter. Am nächsten Tag rief Großfürst Konstantin die polnische Armee auf, zur Verteidigung ihres Landes bereitzustehen. Dieser Aufruf wurde nicht in Warschau, sondern nur in Wien öffentlich verkündigt, da sein Zweck darin bestand, einschüchternd zu wirken, was auch gelang. «Alles in allem ist die Vorstellung eines Bruchs abstoßend, aber wir müssen damit rechnen», berichtete Baron von Gagern an diesem Tag dem Prinzen von Oranien. Am 4. Dezember notierte Jean-Gabriel Eynard, man rede überall so viel vom Krieg, daß er unmittelbar bevorzustehen scheine. «Alles ist so in Spannung», schrieb Carl Bertuch am 12. Dezember in sein Tagebuch, «daß man in 4–5 Tagen Entscheidung, Krieg oder Arrangement erwartet.»29 Rußland und Preußen hatten in Deutschland und Polen etwa 350 000 Mann unter Waffen. Österreich und Frankreich verfügten mit Bayern und ihren anderen deutschen Alliierten über weitaus mehr, aber Österreich mußte ein relativ großes Kontingent in Italien belassen, um gegen einen möglichen Dolchstoß durch Murat vorbereitet zu sein. Man munkelte, Alexander habe heimlich Kontakt zu ihm aufgenommen und wolle vielleicht sogar Napoleon wieder ins Spiel bringen. Zu Eugène de Beauharnais soll er gesagt haben: «Wenn sie mich dazu zwingen, werde ich das Ungeheuer auf sie loslassen.»30 Castlereagh legte Liverpool in einem Schreiben nahe, daß sich ein Ausbruch von Feindseligkeiten nur durch die Vermittlung Großbritanniens und Frankreichs unter der Drohung eines gemeinsamen bewaffneten Vorgehens verhindern ließe. «Beide Mächte könnten auf glaubwürdige und überzeugende Weise Europa die Annäherung der Interessen und eine Übereinstimmung ihrer Ansichten vorschlagen», erklärte er. «Beide verfolgen keine unmittelbaren Interessen, die auf dem Kongreß Gegenstand von Verhandlungen sind; beide haben das entschiedenste und offensichtlichste Interesse an Frieden.» Aber Aussichten auf einen Frieden schienen minimal, und Castlereagh war noch nicht in der Lage, die Führung zu übernehmen, da er sein Ansehen noch immer nicht zurückgewonnen hatte.31
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«Das Hin und Her im Vorgehen der englischen Bevollmächtigten ist der Schlüssel zur ganzen Geschichte des Wiener Kongresses», schrieb Gentz am 20. Dezember. «Es erklärt, warum dieser Kongreß nach drei Monaten zu keinem einzigen Ergebnis gelangen konnte.» Metternich würde später Castlereaghs anfängliche Fehler dafür verantwortlich machen, daß der Kongreß so von seinem Kurs abgekommen war. «Darin, darüber kann es keinen Zweifel geben, lag der wichtigste Grund für den unbefriedigenden Ausgang des Kongresses», konstatierte er in seinen Memoiren. In einem Brief an Liverpool vom 7. Dezember beschrieb selbst Cooke seinen Vorgesetzten als einen Mann, der «sich in ein Labyrinth von Grübelei verloren», eine Einschätzung, die Talleyrand teilte. «Lord Castlereagh ist wie ein Reisender, der seinen Weg verloren hat und ihn nicht wiederfinden kann», schrieb er am 20. Dezember an Ludwig XVIII. «Nun weiß er nicht, welchen Entschluß er fassen soll.»32
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Castlereaghs Ansehen wurde durch Talleyrands unverhoffte Intervention wiederhergestellt, eines Verbündeten, mit dem er am wenigsten gerechnet hatte. Am 19. Dezember, als die Kriegsdrohungen um ihn herumschwirrten, legte der Bevollmächtigte Frankreichs Metternich einen offenen Brief vor, der das Säbelrasseln mit einem Schlag verstummen ließ. In klarer und eleganter Sprache, und mit entwaffnender Logik, bewertete er die Lage neu. Er wies darauf hin, daß die bei weitem wichtigste und schwierigste Frage auf dem Kongreß die polnische Angelegenheit gewesen sei. Seitdem sich aber abzeichne, daß die drei Mächte, die dieses Land aufgeteilt hatten, nicht bereit wären, ihre Anteile aufzugeben, habe die sächsische Frage die polnische verdrängt; sie stehe jetzt im Vordergrund. Talleyrand stellte sie als rein moralisches Problem dar und bezeichnete die Absicht, Sachsen an Preußen zu geben, als einen Verstoß gegen sämtliche Grundsätze von Recht und Gesetz. «Um diese Verfügung als rechtmäßig anzuerkennen», schrieb er, «müßte man für wahr halten, daß über die Könige gerichtet werden könne, daß sie von dem gerichtet werden könnten, der sich ihrer Besitzungen bemächtigen will und kann, daß sie verurtheilt werden können, ohne vernommen worden zu seyn, ohne sich haben vertheidigen zu können, daß in ihre Verurtheilungen nothwendig ihre Familien und Völker mit verwickelt sind, daß die Konfiszirung, welche die aufgeklärten Nazionen aus ihren Gesetzbüchern verbannt haben, im 19ten Jahrhunderte durch das allgemeine europäische Recht geheiligt sey …; daß die Völker keine Rechte haben, welche von denen ihrer Souveräne unterschieden sind, und dem Viehbestand eines Bauernhofes vergleichbar sind, daß die Souveränität durch die belegte Tatsache der Eroberung verloren und erworben werden kann …
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daß die europäischen Nationen … unter dem bloßen Naturrecht mit einander leben und daß dasjenige, was man als das öffentliche Recht Europas bezeichnet, … keine Vorschrift für sie sey; in einem Wort, daß für den, der der Stärkere ist, alles rechtmäßig ist.» Nachdem er die gesamte Transaktion moralisch verdammt hatte, nannte er sie gänzlich überflüssig, da sich die erforderlichen territorialen Zuwächse für Preußen auch leicht anderswo finden ließen.1 Talleyrand hatte, entsprechend seiner Interpretation von Legitimität und «europäischem Völkerrecht», eifrig eigene Ziele verfolgt. Er erklärte seine Sympathie für die ihrer Länder beraubten Souveräne und ließ keine Gelegenheit aus, die Großmächte der Prinzipienlosigkeit zu bezichtigen und ihnen vorzuwerfen, an der festgefahrenen Lage selber schuld zu sein. So tadelte er Castlereagh, England komme «mit nichts als Eifersucht und persönlichen Interessen» daher, und hielt ihm und Metternich vor, ihre Weigerung, allen Beteiligten ein Mitspracherecht bei den Verhandlungen zu geben, habe es Alexander ermöglicht, Österreich, England und Preußen zu erpressen. Das hätte er nicht tun können, hätte er sich einer Versammlung gegenüber befunden, die Europa als Ganzes repräsentierte. Talleyrands Plan war argumentativ so gut vorbereitet und der Lage angepaßt, daß sein Schreiben einschlug wie eine Bombe.2 Indem er zur Verteidigung Sachsens die Legitimitätsstandards genau zu dem Zeitpunkt anhob, als die Verhandlungen so gut wie zusammengebrochen waren, scharten sich nun um Talleyrand all jene, die sich gegen Rußlands aggressives Verhalten und gegen Preußens Landgier stellen wollten. Für Castlereagh war es ein Geschenk des Himmels. Liverpool und sein Kabinett hatten ihre Position dringlich überdacht. In einem maßvoll formulierten Dokument vom 12. Dezember zog Bathurst eine Bilanz der britischen Außenpolitik vor dem Hintergrund der Veränderungen, die seit Napoleons Niederlage eingetreten waren. Im Kern besagte es, die ursprüngliche Allianz sei infolge der gescheiterten Verhandlungen über Polen und Sachsen auseinandergebrochen und habe sich daher aufgelöst. Dies lasse Großbritannien keine andere Wahl, als sich um die Unterstützung Frankreichs zu bemühen. Obwohl er die Gefahren einräumte, die die Stärkung des französischen Einflusses in dieser Phase mit sich bringen könnte, sah er keine andere Möglichkeit, zugleich einen
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Verbündeten zu gewinnen und Rußland einen solchen abspenstig zu machen – die Gefahr einer russisch-französischen Allianz mit Belgien als Köder schien durchaus real zu sein, bedachte man, wie ausdauernd der Zar Talleyrand hofierte.3 Am 23. Dezember schickte Liverpool einen Brief an Wellington, in dem er ihn drängte, auf eine Annäherung an Frankreich hinzuarbeiten. «Je mehr ich von den verschiedenen Höfen Europas sehe und höre, desto mehr bin ich überzeugt, daß der König von Frankreich der einzige Souverän (unter den Großmächten) ist, dem wir wirklich vertrauen können», schrieb er. «Der Kaiser von Rußland ist aus Eitelkeit und Selbstbezogenheit, wenn nicht gar aus Prinzip, gewissenlos. Der König von Preußen mag es gut meinen, aber er läßt sich vom russischen Kaiser blenden. Den Kaiser von Österreich halte ich für einen ehrlichen Mann, aber er hat einen Minister, dem niemand trauen kann, für den alle Politik nur List und Tücke ist und der mit seinen Machenschaften seine Regierung und sich selbst in größere Schwierigkeiten gebracht hat, als sie bei gradlinigen und ehrlichen Verhandlungen entstanden wären.»4 Am selben Tag beantwortete Liverpool Castlereaghs Brief vom 5. Dezember, in dem dieser für den Fall, daß sich ein Krieg abzeichnete, um Anweisungen gebeten hatte. Liverpool mahnte ihn, es sei «vollkommen unmöglich, dieses Land jetzt in einen Krieg eintreten zu lassen». Gleichwohl aber sah er die Notwendigkeit, sich darauf vorzubereiten. «Daher stimmen wir zu, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein rapprochement zwischen unserem Land und Frankreich höchst wünschenswert ist.» Er schlug vor, daß sich Castlereagh zu diesem Zweck mit Wellington ins Benehmen setzen solle.5 Die Angelegenheit hatte sich bereits zu weit mehr als einer bloßen Annäherung entwickelt. Liverpool konnte im fernen London den Gang der Ereignisse nicht steuern. Als habe er dies eingesehen, reiste er nach Bath, während sich sein gesamtes Kabinett über die Weihnachtszeit auf die jeweiligen Landsitze zurückzog; nur Bathurst blieb zurück, um die eingehenden Briefe des Außenministers zu lesen. Castlereagh hätte ebensogut Selbstgespräche führen können, statt seine langen Sendschreiben zu verfassen. Er war vollkommen auf sich allein gestellt. Aber er fand seinen verlorenen Weg allmählich wieder und wußte jetzt, wo er sich nach Unterstützung gegen Alexander umschauen mußte.
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Alexander war von seiner Unpäßlichkeit genesen und holte die versäumten Vergnügungen eifrig nach. «Während so die Zeit für Geschäfte verlorengeht, wird sie für Festlichkeiten jeder Art reichlich benutzt», beschwerte sich Talleyrand am 7. Dezember. «Dafür fühlt sich der Kaiser Alexander sehr gesund und bestellt sich sogar welche auf eigene Faust, wie wenn er bei sich zu Hause wäre.» Das Karussell wurde für ihn wiederholt. Zwar nutzte er die Gelegenheit dieses Anlasses zu einem Einschüchterungsversuch gegen Kaiser Franz, aber er ließ sich durch die Politik nicht an seinem Amüsement hindern, und einem Polizeibericht zufolge fuhr er nach dem Karussell zur Wohnung der Fürstin Bagration, bei der er bis um drei Uhr morgens blieb.6 Am nächsten Tag, dem 6. Dezember, gab er im Palais Rasumowskijs einen Ball für seine Schwester Katharina aus Anlaß ihres Namenstages. «Ich habe nie etwas Schöneres als seinen Palast gesehen», schrieb Eynard in sein Tagebuch. «Das ist ein entzückender Bau; das Schönste, was Frankreich und Italien an gutem Geschmack hervorgebracht haben, ist dort vereinigt.» Fünfzehn Zimmer waren in arabische Zelte umgestaltet, jedes reich dekoriert und mit einem kleinen Orchester, das im Einklang mit den anderen spielte, so daß sich die Polonaise tanzenden Gäste durch alle Räume schlängeln konnten, ohne auch nur ein einziges Mal aus dem Takt zu geraten. Es gab Darbietungen russischer Tänzerinnen, und einige der jungen und kraftvollen russischen Offiziere verkleideten sich als Kosaken, um deren Tänze vorzuführen – sehr zum Entzücken der Wiener Damen. Das aus sechsunddreißig Gängen bestehende Diner wurde an zwanzig besonders luxuriös eingedeckten Tischen serviert. Von den Monarchen waren nur Alexander und Maximilian von Bayern anwesend; Friedrich Wilhelm war unpäßlich und Franz hatte sich entschuldigt: Er besuche in der Adventszeit keine Bälle. Diese Kleinigkeit hatte Kardinal Consalvi, der teilnahm, nicht abhalten können.7 Zeremonienmeister Trautmansdorff und verschiedene Gastgeberinnen ersannen immer raffiniertere Zerstreuungen, um die Versammelten von den ernsten Geschäften des Kongresses abzulenken, besser gesagt von deren offenkundigem Fehlen. Am 9. Dezember fand die erste einer ganzen Reihe neuer Vergnügungen im Redoutensaal statt. Sie bestand in einer Reihe von «Tableaux vivants», die berühmte Ereignisse und Themen aus der Mythologie oder Geschichte darstellten und in denen
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kostümierte Schauspieler unter Anleitung des Malers Jean-Baptiste Isabey auftraten. Da verteidigte sich Hippolyt vor Theseus gegen die Anschuldigungen Phädras, Ludwig XIV. machte der Mademoiselle de La Vallière den Hof, und so weiter. Es gab stehende Tableaux und solche, die sich unter Musikbegleitung als «romances en action» entfalteten. Eines, das großen Anklang fand, zeigte den flämischen Maler Teniers, wie er in seinem Atelier in seinen Gemälden blättert; jedesmal, wenn er dem Publikum eines hochhielt, ließ es eine Gruppe von Schauspielern in entsprechenden Kostümen zum Leben erwachen. Einen besonderen Reiz verlieh diesen Vorführungen die Tatsache, daß sämtliche Schauspieler bekannte Mitglieder der Wiener oder der angereisten Aristokratie waren.8 Isabey hatte sich die zunehmende Langeweile der in Wien Versammelten zunutze gemacht, um sein eigenes Werk und sein Geschäft zu fördern. Anfangs hatte er alles, was Rang und Namen hatte, eifrig gezeichnet und porträtiert; nun begann er, wöchentliche Ausstellungen zu organisieren. Die Müßigen und Schaulustigen strömten in Scharen herbei, um die Abbilder derer zu begaffen, die sie jeden Tag sahen, obgleich Isabey all seinen – meist weiblichen – Modellen bis an die Grenze zur Karikatur schmeichelte. «Es gibt keine Frau, und wäre sie auch noch so häßlich, die unter seinem Pinsel nicht hübsch und duftig wie eine Sylphide würde», notierte die Baronin du Montet, nachdem sie am 19. Dezember eine solche Schau besucht hatte. Was die Ausstellungen noch uninteressanter machte, war die Tatsache, daß er sie alle in genau derselben Manier malte. «Die Großherzogin von Weimar, die Prinzessin Bagration, alle Fürstinnen Europas sind von ganzen Musselinwolken umgeben, umflattert und verschleiert», beschrieb es die Baronin, und «die ewigen Rosengewinde, mit denen er die Dargestellten umkränzt», gefielen ihr ebensowenig.9 Unermüdlich ging die Suche nach immer neuen Vergnügungen weiter. Gräfin Zichy veranstaltete Schachspiele, bei denen ihre Gäste als Könige, Damen, Läufer, Springer und Bauern verkleidet auf einem karierten Fußboden aufgestellt wurden. Gräfin Marie Esterházy hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, Bälle für Kinder zu geben, die Alexander mit Begeisterung besuchte – hier wenigstens durfte er mit allen Mädchen tanzen und sich ihrer uneingeschränkten Bewunderung erfreuen. An einem Abend bei der Gräfin Zichy bestand Alexanders Bei-
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Der Wiener Kongreß in der Darstellung Isabeys. Stehend, von links nach rechts: Wellington, Lobo (Portugal), Saldanha (Portugal), Löwenhjelm (Schweden), Noailles, Metternich, Latour Dupin (Frankreich), Nesselrode, Rasumowskij, Stewart, unbekannt (nach vorn gelehnt), Wacken (Österreich), Gentz, Humboldt, Cathcart; sitzend, von links nach rechts: Hardenberg, Palmella, Castlereagh, Dalberg, Wessenberg, Labrador, Talleyrand, Stackelberg.
trag darin, alle Gäste aufzufordern, sich in einem von nur einer Kerze beleuchteten Raum auf den Boden zu setzen und einander Gespenstergeschichten zu erzählen.10 Das einzige Spektakel, das Alexander nicht beherrschte, war die eindrucksvolle Beerdigung des Fürsten de Ligne am 15. Dezember. Der vielgeliebte, geistreiche Mann und Schöpfer zahlreicher Bonmots war erkrankt, hatte es aber heruntergespielt. Einem besorgten Besucher sagte er, er glaube, daß alle, die sich in Wien versammelt hätten, durch das große Unterhaltungsangebot so abgestumpft seien, daß sie sich gewiß danach sehnten, das Ganze mit dem Begräbnis eines österreichischen Feldmarschalls zu beleben; er wäre aber nicht geneigt, ihnen den Gefallen zu tun. Am nächsten Tag war er tot, und das Publikum bekam in der Tat ein herrliches Spektakel zu sehen. Seinem mit schwarzen Tüchern behange-
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nen und von acht Grenadieren getragenen Sarg zog ein ihn symbolisierender schwarzer Ritter zu Pferde voraus; dem Sarg folgte das festlich aufgeputzte Streitroß des Fürsten, dessen leere Stiefel verkehrt herum in den Steigbügeln hingen; daneben schritt langsam, im Takt der Wirbel schwarz drapierter Trommeln, eine Eskorte aus Abteilungen der kaiserlichen Leibgarde einher. Der sich anschließende Zug umfaßte mehrere Kavallerieschwadronen, vier Artilleriebatterien und nahezu jeden diplomatischen und militärischen Würdenträger in Wien.11 Das strahlendste Ereignis war das große Galakonzert bei Hof am 23. Dezember zur Feier von Alexanders fünfunddreißigstem Geburtstag. Unvergeßlich wurde es durch Beethovens letzten öffentlichen Auftritt am Klavier, bei dem er zu seinem Lied Adelaide den Tenor Franz Wild begleitete. Jahrelang hatte Beethoven die Förderung Rasumowskijs erfahren und war nun bei den meisten Empfängen des Russen anwesend. Während der letzten Wochen hatte er Alexander eine Sonate für Violine und Klavier (op. 30) gewidmet und seiner Kaiserin Elisabeth eine Polonaise für Klavier (op. 89).12 Aber keine noch so große Kurzweil oder Ablenkung ließen den Zaren in seiner offenbar festen Entschlossenheit schwanken. In einem Brief vom 17. Dezember an den Prinzregenten beschwerte sich Graf Münster, Alexander führe sich auf wie ein «Dictateur». Selbst Czartoryski, der ihn gut kannte und ihn jeden Tag aus nächster Nähe beobachten konnte, bemerkte, er sei «wie Fels und Stahl». Aber vielleicht bluffte der Zar nur.13 Am 18. Dezember, einen Tag vor der Veröffentlichung von Talleyrands Brief, erhielt Castlereagh Besuch von Czartoryski, «der, wenn auch nicht in offizieller Funktion, jetzt der wahre russische Minister zu sein scheint», wie er Liverpool meldete. Czartoryski war offensichtlich gekommen, um vorzufühlen, wie weit Castlereagh für die Verteidigung Sachsens zu gehen bereit wäre; das ließ vermuten, daß Alexander, der hinsichtlich Polens weitgehend erreicht hatte, was er wollte, nach Wegen aus der Sackgasse zu suchen begann. Es erschloß sich einigen, daß der Zar nicht willens war, Preußen bis zum letzten zu unterstützen.14 Der gefeierte Befreier Europas wollte nicht in die Rolle eines Gewaltherrschers geraten, nur weil er einem Verbündeten half, dessen wachsende Unbeliebtheit auf ihn abzufärben begann. «Preußen hatte anno 1813 die Fahne des deutschen Nationalgeistes aufgesteckt, um sich
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Anhang zu machen», hieß es in altfürstlichen Kreisen. «1814 scheint von allen Seiten die preußische Habsucht durch … Preußen ist Verräter an der Sache von Teutschland und an der Sache des Gleichgewichts von Europa; gegen Preußen, wie gegen Rußland, muß die Sturmglocke von Europa und von Teutschland geläutet werden.» Nur Hessen-Kassel und Sachsen-Weimar hatten sich offen auf die Seite Preußens geschlagen, und Württemberg – wegen der angestrebten Vermählung des Kronprinzen mit der Großfürstin Katharina – auf die der Russen.15 Paradoxerweise wuchs die Kriegsgefahr im selben Maße, wie Alexanders Bereitschaft, Preußen zu unterstützen, nachließ. Ihre Interessen begannen zu divergieren, und so versuchten die Preußen verzweifelt, Rußland in den Konflikt um Sachsen einzubeziehen und auf die Unterstützung ihrer Position festzulegen. Dies ließe sich am sichersten erreichen, wenn man die andere Seite zwingen könnte, eine Krise auszulösen. Am 19. Dezember, als Talleyrand seinen Brief an Metternich vorlegte, erhielt Castlereagh abermals Besuch von Czartoryski, diesmal in Begleitung Hardenbergs, Humboldts und vom Steins. Teils mit Argumenten, teils mit Drohungen versuchten sie, ihn zu bewegen, eine preußische Annexion ganz Sachsens zu billigen. Zwei Tage später präsentierte Alexander Kaiser Franz die Note Hardenbergs in dieser Angelegenheit. In ihr wurde zunächst betont: «Das Eroberungsrecht begründet den Rechtsanspruch auf Souveränität über ein erobertes Land», wobei als Beleg Hugo Grotius und Emer de Vattel zitiert wurden und man wieder einmal das angeblich schändliche Verhalten Friedrich Augusts im Jahre 1813 zur Sprache brachte. Weiter hob die Note hervor, daß Preußen die einzige Macht der Allianz war, die Gebiete verloren hatte, wofür es als Entschädigung ganz Sachsen verlange. Erneut wurde darauf hingewiesen, daß ein starkes Preußen für den Frieden und die Stabilität Europas von entscheidender Bedeutung sei, daß ein Preußen, das sich von der Memel im Osten bis zur Maas im Westen erstrecke, ohne ein hinreichend großes Kernland nicht stark genug wäre, das nur durch die Hinzufügung Sachsens entstehen könne. Friedrich August von Sachsen solle notfalls mit einem Königreich von etwa 700 000 Einwohnern entschädigt werden, das sich aus verschiedenen linksrheinischen Landstücken zusammenbringen ließe. Mit einem Wort, Preußen blieb hart, und indem Alexander die Note stellvertretend überreichte, bekundete er demonstrativ seine Unterstützung.16
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Es schien keinen Ausweg aus dieser Sackgasse zu geben, und die Spannungen nahmen zu. Österreichische und preußische Kommandeure tauschten Beleidigungen aus; martialische Bemerkungen, die der Zar oder der preußische König gemacht haben sollten, wurden wiederholt und ausgeschmückt. Castlereagh fragte Rosenkrantz am 20. Dezember zu dessen Erstaunen, wie viele Mann Dänemark kurzfristig zum Einsatz bringen könne. «Es gehört ein zweiter Krieg dazu», versicherte Humboldt seiner Frau, «der früh oder spät auch nicht fehlen wird.» Selbst wer nicht glaubte, daß es zum Krieg kommen werde, war der Ansicht, der Kongreß würde unter gegenseitigen Beschuldigungen und ergebnislos abgebrochen werden.17 Nach Ansicht des Grafen Karl von Nostitz war nur eines gewiß: «So endigt der Congreß wie die großen Spielpartieen, wo zuletzt die Dienerschaft allein (das Kartengeld) gewinnt.» Ihm fiel auf, daß die beiden Tänzerinnen Bigottini und Petite-Aimée wohl damit gerechnet hätten. «Sie sind nun fort; erstere hat 40 000 Gulden Wiener Währung mitgenommen und ein Kind, zu dem sich Franz Palfy bekennt, der dem Balg 100 000 W. W. [Wiener Währung], der Mutter aber 6000 Francs jährlich versichert. Wer dieses Geld nicht genug findet, der zähle die sechsunddreißig Jahr der Bigottini dazu.»18 Und während die einen in ihren Tagebüchern besorgt über die sich zuspitzende Krise berichteten, schien sie andere gänzlich kalt zu lassen. «Der Erbprinz von Hessen-Darmstadt und der Großherzog von Baden geben sich wie eh und je dem Vergnügen hin, mal im Quartier des einen, mal in dem des anderen, wo sie fröhliche Diners veranstalten, häufig in der Gesellschaft von Gärtners Zimmermädchen», lautet ein Polizeibericht vom 22. Dezember. «Es ist nach wie vor der Stallmeister, der für die Vergnügungen des hessischen Prinzen sorgt und oft nach Mademoiselle Lombard oder der sogenannten Gräfin Waffenburg alias Lori Toussaint schicken läßt.» Und manche hatten den Eindruck, daß sich Friedrich Wilhelm mehr für Julie Zichy als für Sachsen interessierte.19 Anderen machten die Spannungen ähnlich wenig aus, aber sie verfolgten ernstere Ziele. Eine serbische Delegation unter Führung von Matija Nenadovid warb beim Kongreß um Unterstützung gegen die Türken. Carl August Buchholz, der die Juden von Hamburg, Bremen und seiner Heimatstadt Lübeck vertrat, wählte diesen Zeitpunkt, um die volle Gleichberechtigung für die Juden im neuen Deutschland zu for-
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dern. Darin unterstützte ihn Humboldt, der auch den beiden Abgesandten der jüdischen Gemeinden von Prag und Frankfurt half. Letzterer wäre um ein Haar gleich bei seiner Ankunft von der Polizei wieder ausgewiesen worden, da Metternich dieses Thema nicht auf der Tagesordnung haben wollte, aber hier spielten machtvolle Interessen mit; neben der Unterstützung Humboldts und Hardenbergs hatten die Juden auch in Castlereagh einen Fürsprecher, der vom Oberhaupt des Londoner Zweigs der Familie Rothschild einen Brief in der Angelegenheit erhalten hatte, mit einem Begleitschreiben von Liverpool. Darin versicherte dieser: «Mr. Rothschild ist uns ein sehr nützlicher Freund gewesen. Ich weiß nicht, was wir im letzten Jahr ohne ihn getan hätten.»20 Den angesichts all der Kriegsdrohungen vermutlich bizarrsten Tagesordnungspunkt regte Talleyrand am 10. Dezember beim Treffen der acht Unterzeichner des Pariser Vertrags an. Er schlug vor, ein Komitee zu bilden, das sich der leidigen Frage der Rangordnungen annehmen sollte, damit wenigstens in Zukunft unziemlichen Zankereien darüber ein Ende gemacht werden könne, wer wo sitzen und wer vor wem unterschreiben dürfe. Die anderen stimmten zu, und das Komitee machte sich an die Arbeit. Es hielt seine Konferenzen in der Unterkunft Labradors ab, der auch den Vorsitz führte. Talleyrands Gedanken aber kreisten um Krieg. Als Castlereagh am 23. Dezember Talleyrand von Hardenbergs Note in Kenntnis setzte, erklärte dieser, die Lage verlange energisches Handeln. In «eindringlichen» Worten und einem Ton, der «sehr schrill und feindselig Preußen gegenüber» war, wie Castlereagh bemerkte, schlug Talleyrand vor, sie beide sollten sich mit Metternich zusammentun und öffentlich bekunden, daß sie die Rechte des Königs von Sachsen anerkannten und gelobten, sie zu verteidigen. Castlereagh fragte, ob er dabei an eine Separatvereinbarung oder an ein Bündnis denke. Talleyrand war für einen Bündnisvertrag offen. «Ich sagte zu ihm», so Castlereagh, «daß ich dächte, wir seien bereits in einer Meinung verbunden, und daß nun vorschnell ein Bündnis einzugehen eher die Kriegsgefahr erhöhen werde als die Aussicht auf eine gütliche Einigung, die unser aller Ziel zu sein ich gehofft hatte.»21 «Ich denke wie Sie, Mylord,» erwiderte Talleyrand, «alles vermeiden, aber unsere Ehre, die Gerechtigkeit und die Zukunft Europas dürfen nicht darunter leiden.» Castlereagh wandte ein, daß ein Krieg in Eng-
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land auf große Ablehnung stoßen werde, aber Talleyrand tat dies mit der Bemerkung ab, es komme ganz darauf an, wie man es darstelle. «Der Krieg würde auch in England populär sein, sobald er ein allgemeines europäisches Interesse hätte», sagte er. Auf die Frage, welches ihm dabei vorschwebe, erwiderte Talleyrand: «Die Wiederherstellung eines freien und unabhängigen Polens.» Eine solche Strategie würde Alexanders Glaubwürdigkeit mit Sicherheit untergraben und seine Pläne völlig vereiteln.22 Am Abend fand ein offi zieller Empfang bei Hof statt, und im Anschluß hatten die Castlereaghs eine kleine Gesellschaft zum Souper gebeten. Unter den Anwesenden war auch Eugène de Beauharnais, den Castlereagh schätzen gelernt hatte, weil er «aus der Schule der Buonaparte der beste ist und eine ehrenhafte und fähige Rolle gespielt hat». Ebenfalls gekommen war Jean-Gabriel Eynard, der wegen seiner hinreißenden, achtzehn Jahre jüngeren Frau überall eingeladen wurde. Die Gäste, die noch immer ihre Uniformen und Diamanten vom Hofempfang trugen, boten einen kuriosen Anblick, als sie sich zu einem schlichten Mahl niederließen. Später sangen Prinz Eugène und Anna Eynard italienische Lieder, woraufhin Castlereagh einige englische Weisen zum besten gab. Er war in ausgelassener Stimmung.23 «Frankreich ist jetzt ein Hauptakteur», berichtete er Liverpool begeistert in seinem nächsten Brief, den er ihm zwei Tage später, am 25. Dezember, schrieb. Es ist bezeichnend dafür, wie weit sich an diesem Weihnachtstag die Hoffnungen auf eine zufriedenstellende Lösung bereits verflüchtigt hatten, daß Castlereagh den Gewinn eines festen Verbündeten feierte und sich der Aufgabe widmete, einen Koalitionsvertrag zur Vorbereitung eines Krieges auszuarbeiten. Bedenkt man, welch großer Aufwand getrieben worden war, um jeden Kongreßtag abwechslungsreich zu gestalten, so scheint man Weihnachten eher beiläufig begangen zu haben, ohne gesteigerte Betriebsamkeit und festliche Höhepunkte. Die Kirchen waren gefüllt, aber nach einer für die Jahreszeit ungewöhnlich milden Periode Mitte Dezember schlug das Wetter um; es wurde naß und kalt, und Prozessionen fanden nicht statt. An Heiligabend gab Kaiser Franz zu Ehren von Alexanders Gattin Elisabeth ein großes Diner bei Hof. Am nächsten Tag wurde am Hof ein Konzert veranstaltet, und am Abend lud die Fürstin Bagration zum Ball. Ansonsten traf man sich privat in kleinen Gruppen.
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Hardenberg und die meisten Preußen verbrachten den Heiligen Abend im Hause Fanny von Arnsteins, wo sie sich zu Musik um einen im Salon aufgestellten Tannenbaum versammelten, ein Brauch, der damals erst in einigen Gegenden Deutschlands bekannt war. Die Castlereaghs blieben zu Hause; sie hatten Prinz Eugène, den Kronprinzen von Bayern, Kardinal Consalvi, Stratford Canning – den britischen Botschafter in der Schweiz –, von Gagern, Münster und einige Portugiesen, Spanier und Polen zum Abendessen geladen. Gentz verteilte am Heiligen Abend einige Geschenke, arbeitete aber bis spät in die Nacht hinein und auch am Ersten Weihnachtsfeiertag. Am 26. Dezember besuchte er mit den anderen einen Ball bei Metternich.24 An diesem Morgen kehrte der König von Württemberg Wien den Rücken. Er hatte beschlossen, von nun an den Kongreß zu boykottieren und in seinem Reich die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Bei all seiner körperlichen Häßlichkeit und seinem tyrannischen Wesen war er nicht kleinlich; und er wußte sich wie ein König zu benehmen. Vor seiner Abreise verteilte er an alle Beamten des österreichischen Hofes, an die wichtigsten Diener, die ihn betreut hatten, und an alle Bevollmächtigten der anderen Höfe Geschenke im Wert von einer halben Million Gulden, hauptsächlich in Form von Schnupftabakdosen, Ringen oder Bargeld.25 Nach Weihnachten hob der Reigen der Vergnügungen wieder an, mit einem Hofball am 28. Dezember und einem etwas bizarren Picknick im Augarten am Tag darauf. Dies war die ureigenste Idee von Sir Sidney Smith gewesen, einem Mann, dem ein Ruf vorauseilte. Mit zwölf Jahren war er zur Royal Navy gegangen und kommandierte schon als Neunzehnjähriger eine Fregatte. 1792 steckte er die französische Flotte in Toulon in Brand, zwei Jahre später wurde er in Le Havre gefangengenommen und floh dann aus dem Pariser Gefängnis Temple. In Wien tauchte er als vorgeblicher Abgesandter des entthronten Königs Gustav IV. von Schweden auf, setzte sich dort aber auch für die Befreiung christlicher Sklaven im Osmanischen Reich und in den Barbaresken-Staaten ein. An seiner Halskette hing ein Reliquienkästchen, das, wie er behauptete, Richard Löwenherz gehört hatte, und er fuhr in einer Kutsche, auf der so viele Wappenzeichen prangten, daß sie Baronin du Montet zu der Bemerkung veranlaßten: «Auch der Wagen des Sidney-Smiths ist eine Sehenswürdigkeit; jener des Königs Richard –
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wenn er überhaupt einen solchen besaß – konnte unmöglich mehr Spruchbänder, Wappen und heldenhafte Abzeichen tragen.» Sir Sidney selbst, wie auch seine Gattin, wirkte eher unscheinbar, und Talleyrand fand, daß «außer seiner Extravaganz nichts Bemerkenswertes an ihm ist». Aber er hatte seine Stieftochter mitgebracht, ein Mädchen von so umwerfender Schönheit, daß ihr Stewart und Prinz August von Preußen bald eifrig nachstellten.26 Am 29. Dezember organisierte Smith ein Wohltätigkeitspicknick im Augarten zugunsten der christlichen Sklaven und wollte zwischendurch Spenden für sie sammeln. Offenbar war ihm entfallen, daß Monarchen üblicherweise kein Geld mit sich führen, und als die Sammelschalen bei Alexander und Friedrich Wilhelm ankamen, entstand eine höchst peinliche Situation. Am 30. Dezember schrieb Gentz mehr als sonst in sein unregelmäßiges und häufig lakonisches Tagebuch. «Der Anblick der öffentlichen Dinge ist traurig», begann sein Jahresrückblick. Er schrieb das dem «Elend und der Torheit fast aller Akteure» zu. «Nun, ich selbst habe mir nichts vorzuwerfen», fuhr er fort, «und so betrübt die genaue Kenntnis all des kläglichen Geschäfts und all der mesquinen Menschen, die die Welt regieren, mich nicht weiter, vielmehr sie erheitert mich, und ich genieße das ganze Spektakel, als gäbe man es zu meinem Privatvergnügen.» Was ihn persönlich betraf, so war das Jahr 1814 eines der besten seines Lebens. Er hatte eine stattliche Summe Geld verdient, und das nicht nur mit seinen Texten. Am Vortag hatte Talleyrand ihm ein Vermögen in bar überreicht; von Castlereagh hatte er jüngst ein großzügiges Geschenk, 600 Pfund in Gold, erhalten. «Das Jahr 1815 beginnt für mich unter ganz guten Auspizien. Was die Politik betrifft, so sehe ich wohl, daß es unnütz ist, zu glauben, sie könnte je die Hoffnungen erfüllen, in denen die Enthusiasten sich wiegen, und auf die ich für immer Verzicht geleistet habe.»27 Ähnlich empfand auch die Herzogin von Sachsen-Coburg-Saalfeld, wie ihre Tagebucheintragung vom 31. Dezember zeigt. «Auch dieses ereignisreiche Jahr neigt sich seinem Ende zu», schrieb sie. «Der Tyrann wurde von seinem Sockel gestürzt, und Frieden regiert vom Norden bis ans Mittelmeer. Und dennoch kann ich es, ebensowenig wie sicherlich die meisten denkenden Deutschen, nicht mit derselben Begeisterung zu Ende bringen wie das Vorjahr. So grandios und glorreich der Krieg am
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Montmartre endete, sind doch mit der Ruhe des Friedens leider all die häßlichen menschlichen Leidenschaften wieder zum Vorschein gekommen, und das, was uns nicht einmal Napoleon hatte nehmen können – die Hoffnung – schwindet jetzt.»28 Auch Metternich war unglücklich, aber aus eher privaten Gründen. «Vor drei Monaten verrietest Du den Liebenden in mir; heute wird Dir der Freund alles verzeihen, was er Dir verzeihen kann», schrieb er Wilhelmine am Nachmittag des 31. Dezember, während vor seinem Fenster Schnee fiel. «Alles was ich leide, alles was Du mir an Bitterkeit zufügtest, alles ist mit diesem Tag vergeben, der das Jahr beendet, welches das schrecklichste meines Lebens war; denn dazu wurde es durch jenes Wesen, dem ich alles weihte, was der Schöpfer an gutem, einfachem, echtem Gefühl in das Herz eines Mannes legen kann!» Später am selben Tag schickte er ihr ein Armband, das er in glücklicheren Tagen bestellt hatte. Aber damit nicht genug. Ob er wußte, daß sie den Silvesterabend mit Alfred von Windischgrätz verbrachte, ist nicht bekannt, aber drei Tage später schrieb er ihr erneut und erging sich über die Tiefe seiner und die Seichtheit ihrer Liebe, und den Kummer, den sie ihm bereitete. Er machte jedoch, als er über die Ereignisse des vergangenen Jahres nachdachte, eine für ihn geradezu untypisch wahrhaftige Beobachtung. «Ich war kein Kind mehr», gab er zu. «Da ich berufen war, 20 Millionen Menschen zu steuern, hätte ich in der Lage sein müssen, mein eigenes Verhalten zu steuern.»29 In dieser Nacht schien sogar das Schicksal das sich seinem Ende zuneigende Jahr verdammen zu wollen. Kurz vor Mitternacht begann das komplizierte moderne Rohrleitungssystem, mit dem das prächtige Palais Rasumowskij beheizt wurde, Rauch und Funken durch das Gebäude zu pumpen. Die Feuerwehr wurde gerufen, bei ihrem Eintreffen loderten die Flammen aber bereits im ganzen Haus. Es war, wie der herbeigeeilte Friedrich von Schönholz es beschrieb, «ein wahrhaft sehenswertes Schauspiel». Andächtig schaute er zu. «Unterdes wurden die Menschenmassen immer dichter, langten fortwährend neue Spritzen, Wasserwagen, frische Truppen, Generale, anwesende Freunde des Grafen, Kongreßgäste zu Pferde, endlich die Prinzen – der Kaiser an», berichtete er. Im Park und den umgebenden Straßen wimmelte es von Uniformen und Federbüschen, Helmen und Bajonetten. «Bald war im neuen Palais kein Fenster mehr, aus dem
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nicht Rauch oder Flammen schlugen, das Kupferdach glühte; dieser kostbarste Teil der gräflichen Residenz mit den herrlichen Sammlungen, der auserlesenen Bibliothek und allen sonstigen Kunstschätzen mußte als rettungslos aufgegeben und das ganze Bestreben dahin gerichtet werden, auf diesen Herd die Brunst zu beschränken.» Ein treuer Kammerdiener wurde dabei gesehen, wie er die Garderobe des Grafen aus einem Fenster des ersten Stockwerks warf, aber die Kleidungsstücke landeten im Schlamm und wurden von den Feuerwehrmännern zertrampelt. Andere warfen schön gebundene Bücher, Kandelaber, Vasen, Silberzeug, Gemälde, sogar Uhren hinaus, das alles beim Herunterfallen zu Bruch ging, in den Wasserlachen versank oder vom Pöbel gestohlen wurde. Einige Schornsteinfeger versuchten sich eine Belohnung zu ergattern, indem sie durch Kamine hinabstiegen, um noch Wertsachen und wichtige Papiere aus der Kanzlei des Grafen zu holen; aber die Männer verbrannten, als das Dach einstürzte, die Flammen emporschlugen und sie einschlossen. Rasumowskij selbst saß im Zobelpelz und einer Pelzmütze etwas abseits weinend unter einem Baum. Alexander ging zu ihm und legte ihm tröstend eine Hand auf die Schulter.30
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In den Quellen steht nichts darüber, ob sich der Großherzog von Baden in der Menschenmenge befand, die dem Brand des Palais Rasumowskij zusah, ob er das neue Jahr einleitete, indem er sich Staatsgeschäften widmete oder, was noch wahrscheinlicher ist, einer Schönen der Nacht, die er so sehr mochte. So spannend es wäre, hier genauer Bescheid zu wissen, ist es andererseits weder für ihn persönlich noch für sein Großherzogtum sonderlich von Belang. Der vielleicht bemerkenswerteste Aspekt jener großen und intriganten Komödie, die als «Wiener Kongreß» bekannt ist, war das ständige Wechselspiel von Ernst und Leichtfertigkeit, die Koexistenz von Aktivitäten, die sich eigentlich gegenseitig auszuschließen schienen und doch eng miteinander verklammert waren. Säbelgerassel und blutrünstige Drohungen mischten sich mit Walzerklängen und Hofklatsch, und lächerlich triviale Beschäftigungen ergänzten sich mit beeindrukkenden Arbeitsleistungen. Obgleich Gentz, wann immer er konnte, jeder Einladung zum Diner oder einer Geselligkeit folgte und keine der angebotenen Unterhaltungen versäumte, verfaßte er in seiner klaren, geschliffenen Prosa unzählige Protokolle, Memoranden, Briefe und Presseartikel. Es gab sicherlich auch solche, die wie vom Stein und Humboldt die meisten Festlichkeiten mieden und eine intellektuell anregendere Gesellschaft bevorzugten, oder abends lieber zu Hause blieben, wo ersterer sich um jenes Deutschland grämte, das hätte zustande kommen können, und letzterer über seinen griechischen Texten brütete; die meisten Hauptakteure waren anders. Auch minderte das viele Feiern nicht ihre Arbeitsfähigkeit, ebensowenig wie Kriegsdrohungen sie davon abhielten, Frieden zu schließen. Tatsächlich gingen das in der zweiten Dezemberhälfte sich frenetisch ausweitende Angebot schalen Amüsements einerseits und die
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wachsenden Spannungen andererseits, als ein möglicher Krieg offen besprochen und heimlich vorbereitet wurde, mit einem bemerkenswerten Zuwachs an Tempo und Umfang der Arbeit einher. Das am 14. Oktober eingesetzte Deutsche Komitee hatte zwar nicht mehr getagt, seit der Vertreter Württembergs am 16. November wutentbrannt aus der Sitzung gestürmt war, aber das bedeutete nicht, daß man tatenlos blieb. Überall entstanden neue Memoranden und Noten, die auf informellen und häufig geheimen Treffen diskutiert und wieder verworfen wurden. «Ob aus den deutschen Angelegenheiten viel, ja nur etwas werden wird, weiß Gott», haderte Humboldt Anfang Dezember; dennoch widmeten er und Stein sich ihnen weiterhin fleißig. Metternich persönlich arbeitete an dem neuen Entwurf einer deutschen Verfassung, der noch kurz vor Weihnachten fertig wurde.1 Am 12. November hatte man ein Schweizer Komitee eingerichtet, dem Freiherr vom Stein als Vertreter Rußlands, Freiherr WessenbergAmpringen für Österreich, Humboldt für Preußen, Stewart für Großbritannien und, später, Dalberg für Frankreich angehörten. Capodistrias und der britische Minister in der Schweiz, Stratford Canning, nahmen als Berater an den Versammlungen teil. In den letzten beiden Novemberwochen tagte das Komitee zwei- und in den Krisentagen des Dezember nicht weniger als siebenmal, wobei es die Dispute um die innerschweizerischen Grenzziehungen und anderes regelte und über die Verfassung diskutierte. Bei allen Verhandlungen auf dem Kongreß wurde der politische Wert eines Gebietes nicht in Morgen und Hektar, sondern an der Zahl seiner Bewohner – gewöhnlich «Seelen» genannt – gemessen. Und während manche sich eher an der Qualität der Böden und an strategischen Erwägungen orientierten, legte Preußen, das von dem Potential der Bevölkerung für militärische Rekrutierungen geradezu besessen war, seinen Berechnungen ausschließlich «Seelen» zugrunde. Eines der Probleme, die Diskussionen darüber erschwerten, wie Preußen seinen Status von 1806 zurückerlangen könne, bestand darin, daß die streitenden Parteien jeweils andere Bevölkerungszahlen nannten und die der anderen bestritten. Castlereagh schlug daher vor, eine Kommission zu bilden, die alle Zahlen, die präsentiert wurden, überprüfen sollte. Da er voraussah, daß es Ärger geben würde, bat er Talleyrand, nicht auf der Teilnahme eines französischen Delegierten in der Kommission zu be-
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stehen, aber Talleyrand gab nicht nach. Wie Castlereagh befürchtet hatte, weigerte sich Hardenberg, Frankreich zur Kommission zuzulassen. Nach einigem guten Zureden mußte er schließlich nachgeben; Talleyrand erklärte sich im Gegenzug bereit, nur einen einzigen französischen Delegierten zu benennen, während man den anderen vier Mächten je zwei zugestand.2 Die Statistische Kommission tagte zum ersten Mal am 24. Dezember, als Talleyrand und Castlereagh ihre neue Koalition schnürten, danach am ersten Weihnachtsfeiertag und ein drittes Mal am 28. Dezember. Die Quellen, die ihr zur Verfügung standen, waren dürftig und oft widersprüchlich, und für eigene Feldforschung blieb natürlich keine Zeit. Da der Sinn der Übung vor allem darin bestand, zu einer Zahl zu gelangen, auf die sich alle einigen konnten, ganz gleich, ob sie stimmte, wählte die Kommission in vielen Fällen einfach den Mittelwert. Ursprünglich hatten Castlereagh, Metternich und Talleyrand gewünscht, den Wert des jeweiligen Landes und den Reichtum seiner Bevölkerung als Faktoren in die Berechnungen einzubeziehen, aber Preußen ließ sich darauf nicht ein; es war für den Verlust der ärmsten Regionen Polens zu entschädigen, die von einer bettelarmen und rückständigen Bauernschaft bewohnt wurden.3 Es bestätigte sich jetzt, worauf Talleyrand von Anfang an gedrängt hatte: Wie unvereinbar die Interessen auch sein und welche Spannungen dabei ins Spiel kommen mochten, die Dinge, die man in einem Komitee oder einer Kommission verhandelte, waren leichter beizulegen als solche, die von der Laune einer oder zweier Personen abhingen. Die formalisierten Abläufe und das von ihnen ausgehende Gefühl kollegialer Verantwortung der Beteiligten standen in deutlichem Widerspruch zu der Leichtfertigkeit, mit der einige der gewichtigeren Fragen behandelt wurden. Die fortgesetzten Bemühungen des bedauernswerten Königs von Dänemark, Alexander zur Ratifi zierung des Kieler Vertrags zu bewegen, waren dafür exemplarisch. Ihm waren seine Audienzen beim Zaren ein Greuel, und er verglich sie mit dem Weg zur Guillotine; aber dank seiner Beharrlichkeit erzwang er in der zweiten Novemberwoche schließlich eine Entscheidung. Als Alexander wie schon mehrfach versicherte, er werde den Vertrag innerhalb der nächsten beiden Tage unterzeichnen, fragte ihn Friedrich unumwunden, ob er eine Abneigung gegen ihn hege. Alexander verlor die Fassung und beteuerte seinen guten
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Willen, aber Friedrich ließ nicht locker: wenn er nichts gegen ihn persönlich habe, fragte er, habe er vielleicht etwas gegen den König von Dänemark? Alexander murmelte undeutlich etwas darüber, auf wessen Seite Dänemark während des Krieges gestanden habe, war aber sichtlich verlegen; ihm muß klargeworden sein, daß er die Sache nicht länger aufschieben konnte. Als er am Abend des 14. November zur Eröffnung des Hofballes die österreichische Kaiserin zur Polonaise führte, wandte er sich dem niedergeschlagenen Friedrich zu und sagte ihm, er habe am Nachmittag den Kieler Vertrag unterschrieben.4 Aber wenn auch Dänemarks Überleben damit garantiert war und dem Abzug russischer Truppen aus Holstein nichts mehr im Wege stand, blieb Schweden unbeeindruckt, das die Bedingungen des Vertrages nach wie vor nicht anerkannte und sich entsprechend weigerte, Schwedisch-Pommern abzutreten und eine Million Taler zu zahlen. Bernadotte hoffte, die Provinz behalten und die anderen Mächte überreden zu können, Dänemark statt dessen mit Mecklenburg zu entschädigen. Weder Friedrich noch Rosenkrantz wollten Mecklenburg haben; dessen Herzöge sollten ihres Landes nicht beraubt werden, auch nicht zugunsten Dänemarks.5 Ein für Dänemark vorteilhafteres Abkommen würde später unter Einbeziehung Preußens ausgearbeitet werden, welches SchwedischPommern begehrte, um damit seinen Besitz entlang der Ostseeküste abzurunden. Dänemark erklärte sich bereit, seine Rechte an Schwedisch-Pommern an Preußen abzutreten, das im Gegenzug Dänemark das Fürstentum Lauenburg und eine Million Taler anbot. Der Vorteil dieser Lösung bestand darin, daß es jetzt Preußen wäre, das Druck auf Bernadotte ausüben mußte. Aber Bernadotte sträubte sich auch weiterhin und spielte auf Zeit, in der Hoffnung, daß man ihn nicht dazu zwingen werde, die Provinz oder das Geld herauszugeben. Sein Botschafter Karl Axel Graf von Löwenhjelm wies darauf hin, daß Dänemark länger mit Napoleon verbündet gewesen war als Sachsen, weshalb es nicht verdient habe, besser behandelt zu werden. Wenn auch Alexander und Hardenberg Friedrich von Dänemark versprachen, Bernadotte unter Druck zu setzen, nahm sie die Krise um Sachsen und Polen zu sehr in Anspruch. «Wenn ich nur wüßte, daß ich etwas für mein geliebtes Land erreichen kann, würde ich alles freudig ertragen», schrieb der glücklose König Friedrich
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im Dezember nach Hause. Zuguterletzt sollte es Großbritannien sein, das die Entscheidung erzwang, indem es Bernadotte davon informierte, daß Schweden die ihm im Austausch gegen die Insel Guadeloupe zugesagten vierundzwanzig Millionen Francs solange nicht bekommen werde, wie es sich nicht an die Bedingungen des Kieler Vertrags halte. Es war alles sehr unerquicklich.6 Kaiser Franz dachte sogar an Abdankung: «Wenn das so fortgeht, so laß ich mich jubilieren», soll er ausgerufen haben, «ich halte das Leben in die Länge nicht aus.» Ob es nun solche Stoßseufzer oder heiligere, vom Weihnachtsfest inspirierte Gefühle waren, die den Wandel auslösten, er fand statt. Am 26. Dezember überreichte Metternich Rasumowskij ein Schreiben von Kaiser Franz an Zar Alexander, das den modus operandi des Kongresses vollständig verändern sollte. An Heiligabend hatte Alexander Rasumowskij als seinen Bevollmächtigten angewiesen, die Unstimmigkeiten zwischen Rußland und Österreich zu bereinigen, und der Brief von Kaiser Franz schlug vor, andere Probleme hintanzustellen und in direkte Verhandlungen einzutreten, mit dem Ziel, sich über eine gemeinsame Grenze in Polen zu einigen. Um die Einzelheiten zu besprechen, trafen sich am 27. Dezember Metternich und Rasumowskij, der darauf bestand, Preußen in die Verhandlungen einzubeziehen und Castlereagh zu bitten, ihnen beizuwohnen. Sie beschlossen, sich am 29. Dezember um ein Uhr in Metternichs Kanzlei zu treffen; ferner sollte, worauf Metternich bestanden hatte, Protokoll geführt werden.7 Castlereagh erklärte sich bereit, den Verhandlungen beizuwohnen; dazu müsse ihm jedoch erlaubt sein, sich öffentlich dazu zu erklären, wie sehr ihm die bloße Vorstellung einer Teilung Polens zuwider sei, da er nicht als daran Mitbeteiligter in die Geschichte eingehen wolle. Seine zweite Bedingung lautete, daß auch Frankreich zur Anwesenheit eingeladen werde. Letzteres lehnten die anderen mit der Begründung ab, daß die Einzelheiten ihrer gemeinsamen Grenzen in Polen Frankreich nichts angingen. Daher waren, als sie dann am 29. Dezember tagten, nur Rußland, Preußen und Österreich vertreten. Weitaus stärker als bisher hielt man sich an formale Regeln: Metternich wurde zum Vorsitzenden gewählt und Gentz zum Sekretär. Aber die Diskussion drehte sich dann doch mehr um Sachsen als um Polen, wobei Harden-
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berg Preußens Anspruch auf ganz Sachsen vehement vertrat. Als Castlereagh dazu Großbritanniens Ablehnung bekundete, warf ihm Hardenberg Verrat vor und berief sich auf den Brief, den er im Oktober von ihm erhalten hatte; darin hatte er der Annexion zugestimmt.8 In seinem Bericht an Liverpool beschwerte sich Castlereagh über die «sehr kriegerische» Sprache der preußischen Delegation. «Sie organisieren ihre Armee für ihren Kampf, und heute habe ich gehört, daß sie dabei sind, Dresden zu befestigen», fuhr er fort. «Dies kann alles Drohung sein, um ihre Verhandlungsposition zu stützen, aber sie können ebenso mittelbar eine plötzliche Anstrengung machen, um mit Rußland vereint Österreich zu zwingen und sich in eine Position zu bringen, von der aus sie ihre eigenen Bedingungen in allen anderen Fragen diktieren können.» In seinem Tagebuch gestand Hardenberg, daß es auf der Konferenz «recht hitzig» zugegangen sei. Auf der nächsten Zusammenkunft am 30. Dezember ging es noch hitziger zu.9 Castlereagh bestand darauf, daß man diesen Sitzungen durch die Einbeziehung Frankreichs und Großbritanniens mehr Gewicht verleihen solle, denn auf ihnen ginge es eben nicht nur um Polen. Sowohl Polen wie Frankreich wären direkt an der sächsischen Frage interessiert. Dieser Antrag wurde von Metternich unterstützt, stieß aber bei Rasumowskij und Capodistrias auf Widerstand, und bei Hardenberg und Humboldt auf Empörung. Hardenberg war mit seinen Kräften am Ende. Die Anstrengungen des Kongresses und Bewegungsmangel hatten den sprichwörtlich zuvorkommenden Kanzler mißmutig gemacht. Er konnte nicht schlafen, lief rastlos in seinen Privaträumen auf und ab oder arbeitete die Nächte hindurch. «Dabei ärgert er sich unglaublich über alles, was vorgeht, sieht seine Hoffnungen getäuscht, und dies alles wirkt auf ihn und seinen Körper zurück», schrieb ein besorgter Humboldt, der den alten Mann liebte und die Folgen für Preußen fürchtete, sollte er unter der Belastung zusammenbrechen.10 Hardenberg spielte ein gefährliches Spiel. Gespräche mit seinen Generälen hatten ihm klargemacht, wie sehr Preußen militärisch von Rußlands Unterstützung abhängig war. Und bei einem Treffen mit Friedrich Wilhelm und Alexander, das einen Tag vor der Konferenz stattfand, bestürzten ihn die vieldeutigen Erklärungen des Zaren dazu, was er im Kriegsfalle tun würde. Alexander, der Wind davon bekommen
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hatte, daß Castlereagh, Metternich und Talleyrand irgendeine Abmachung getroffen hatten, war nervös. Für Preußen und Rußland standen noch einige britische Subsidien aus; eine ernsthafte Unstimmigkeit mit Großbritannien konnte daher sowohl zu finanziellen Problemen wie militärischen Unwägbarkeiten führen. Er war jetzt ebenso bemüht, die Lage zu entschärfen, wie Hardenberg, eine Krise zu provozieren.11 Auf dem Treffen am 30. Dezember verlangte Castlereagh abermals Frankreichs Teilnahme, und obwohl jetzt nur noch Preußen heftig protestierte, einigte man sich, die Einladung des französischen Bevollmächtigten zu «verschieben». Die russischen Bevollmächtigten kündigten Alexanders Bereitschaft an, einen kleinen Teil des Herzogtums Warschau an Preußen und den Bezirk Tarnopol sowie die Hälfte der Salzminen von Wieliczka an Österreich abzutreten, und Krakau und Thorn zu Freien Städten zu erklären. Diese Zugeständnisse hatte er mit einer Präambel verziert, in der er religiöse Prinzipien, «gemeinsame politische Maximen», Bruderliebe, die Anstrengungen, die sie alle im Kampf gegen die Tyrannei auf sich genommen hatten, und so weiter, in einer Flut leerer Phrasen heraufbeschwor, die, wie Talleyrand bemerkte, «von einem Quäker in einer Freimaurerloge» abgefaßt zu sein schien.12 Hardenberg war nicht bereit, es Alexander gleichzutun. Erneut erhob er Anspruch auf ganz Sachsen; da es im Besitz der Truppen seines Landes sei, fasse Preußen eine Weigerung anderer Mächte, sein Recht darauf anzuerkennen, als gleichbedeutend mit einer Kriegserklärung auf. Castlereagh protestierte gegen diese «höchst alarmierende und unerhörte Drohung». Er betonte, daß «eine solche These vielleicht Eindruck auf eine Macht machen könnte, die furchtsam um ihre Existenz zittert, aber die gegenteilige Wirkung auf all jene haben muß, die sich ihrer eigenen Würde bewußt sind», und fügte hinzu, «sollte sich diese Stimmung wirklich durchsetzen, dann fänden unsere Beratungen nicht unter den Bedingungen von Gleichheit und Unabhängigkeit statt, und es wäre besser, den Kongreß abzubrechen», wie er Liverpool berichtete. Hardenberg lenkte ein und versicherte, er habe keinen Einschüchterungsversuch unternehmen wollen. Aber über Wien schwebte die Kriegsgefahr, und Castlereagh entschloß sich nun, dem Vorschlag Talleyrands entsprechend zu handeln. «Unter diesen Umständen betrachtete ich es als meine unbedingte Pflicht, mich mit dem französischen und dem österreichischen Bevoll-
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mächtigten über den Vertrag einer Defensivallianz zu verständigen», meldete er Liverpool und erläuterte, es werde wahrscheinlich nicht zum Krieg kommen, gleichwohl würde er niemals rechtfertigen können, für die Verteidigung der Interessen Großbritanniens und auch jener, die es mit Frankreich und Österreich teile, keine Vorsorge getroffen zu haben. Mit ihnen gemeinsam habe er während der letzten Tage die Vorarbeiten geleistet und auch schon einen Vertragstext entworfen. Zudem habe er soeben eine Nachricht erhalten, die ihm das notwendige Vertrauen verlieh.13 Denn gerade an diesem Morgen des 1. Januar 1815 traf in Wien die Meldung ein, daß Großbritannien und die Vereinigten Staaten am 24. Dezember den Frieden von Gent geschlossen hatten. «Die Nachricht über den amerikanischen Frieden schlug hier ein wie der Blitz», schrieb Lord Apsley an Bathurst. «Niemand hatte damit gerechnet.» Allmählich wurde jedem klar, daß dieser Frieden das Gleichgewicht der Kräfte drastisch verschoben hatte, und in der preußischen Delegation herrschte erkennbar Niedergeschlagenheit. «Wir werden dadurch europäischer, und zum Frühjahr hin könnten wir eine sehr schöne Armee auf dem Kontinent haben», staunte denn auch Castlereagh.14 Am Abend gab es einen Ball bei Hof, um das neue Jahr willkommen zu heißen. Talleyrand war bester Stimmung. Sein Bonmot, daß seit der Nachricht von der Unterzeichnung des Friedensvertrags mit den Vereinigten Staaten «die Briten jetzt mit ihrem Pfunde wuchern können», machte bei den Gästen die Runde. Man bemerkte auch, daß Alexander besorgt wirkte, als er auf Talleyrand zuging, und das noch mehr, nachdem er mit ihm ein kurzes Gespräch geführt hatte. Dazu hatte er allen Grund.15 Zwei Tage später, am 3. Januar, unterzeichneten Castlereagh, Metternich und Talleyrand einen geheimen Bündnisvertrag. Er war denkbar neutral formuliert und tat so, als wolle er nur die Bestimmungen des Pariser Vertrags umsetzen. Aber zusätzlich verfügte er für den Fall, daß einer der drei Vertragspartner angegriffen oder mit einem Angriff bedroht werden sollte, die anderen beiden Partner sofort mit einem Kontingent von jeweils 150 000 Soldaten zur Hilfe kommen würden. Eine Geheimklausel besagte, daß Hannover, Holland und Bayern eingeladen seien, der Allianz beizutreten.16 «Die sogenannte Koalition … ist so gut wie aufgelöst, und für immer», schrieb am 4. Januar ein jubelnder Talleyrand an Ludwig XVIII.
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«Jetzt ist Frankreich nicht nur nicht isoliert, sondern es hat bereits nach allen Seiten hin Bündnisse abgeschlossen. Es geht heute Hand in Hand mit zwei Großmächten, mit drei Staaten zweiten Ranges, und binnen kurzem werden alle diejenigen Staaten sich uns anschließen, deren Regierungen die Grundsätze der Revolution verabscheuen.» Weiter versicherte er seinem König: «Frankreich wird dann die Seele dieser neuen Koalition sein, weil es zuerst für Recht und Gerechtigkeit eingetreten ist.»17 Castlereagh jubelte ebenfalls, wenngleich er sich nicht ganz so überschwenglich ausdrückte. «Beim gegenwärtigen Stand der Verhandlungen empfinde ich es als meine Pflicht, darauf zu drängen, daß man mich zumindest so lange nicht von hier abzieht, wie die jetzt anstehenden wichtigen Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind», schrieb er Liverpool am 4. Januar. «Bei aller Hochachtung vor den Fähigkeiten und der großen persönlichen Autorität des Herzogs von Wellington, so kann er mich nicht übergangslos in den Gepflogenheiten des vertraulichen Gedankenaustauschs ersetzen, die sich während des langen Aufenthalts bei den Hauptakteuren herausgebildet haben.» Er fühlte sich wieder als Herr der Lage und war zuversichtlich, nicht mehr als vier Wochen zu benötigen, um alle wichtigen offenen Probleme abzuarbeiten.18 Castlereagh hatte seine Rechenaufgaben erledigt und kalkuliert, daß die 175 000 Mann starken preußischen Truppen zusammen mit ihren 260 000 russischen Verbündeten auf beträchtliche 435 000 einsatzfähige Soldaten kämen, während die vereinten Armeen, die Österreich, Frankreich und Großbritannien mit Unterstützung der kleineren Verbündeten ins Feld schicken könnten, nicht weniger wären als 535 000 Mann. Durch diese Zahlen ermutigt, habe er Humboldt vertraulich versichert, daß «Großbritannien mit all seiner Macht und seinen Ressourcen Widerstand leisten und im Parlament jeder, gleich welcher Partei, die Regierung darin unterstützen» werde, wie er Liverpool schrieb.19 Einige Stunden, nachdem Castlereagh sein Schreiben an Liverpool verfaßt hatte, wurde er von Hardenberg zu einer, wie der sagte, «vertraulichen Unterredung» aufgesucht. In ihrem Verlauf erklärte der preußische Kanzler, er wünsche die Angelegenheit einvernehmlich zu regeln, und bat Castlereagh, dabei zu vermitteln. Das sah nach einer Kehrtwende aus. «Ich habe guten Grund zu hoffen, daß die Kriegsgefahr vorüber ist», schrieb Castlereagh am nächsten Tag an Liverpool.20
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Um zehn Uhr desselben Abends entdeckte Jean-Gabriel Eynard, der mit seiner Gattin zum Souper bei Lady Castlereagh geladen war, in einem Vorzimmer Castlereagh persönlich, wie er zwei blinden italienischen Musikern in tiefer Versunkenheit lauschte. Dem eintretenden Ehepaar Eynard nickte er nur knapp zu, und auch den anderen Gästen, unter ihnen der Kronprinz von Bayern, der Herzog von Sachsen-Coburg, Talleyrand, Metternich, Kardinal Consalvi und Prinz Eugène, schenkte er bei ihrem Eintreffen kaum mehr Beachtung. Um elf Uhr wurde das Abendessen serviert, aber Castlereagh rührte sich nicht von der Stelle. Als um Mitternacht die Tafel aufgehoben wurde, war er immer noch nicht erschienen. «Während zweier voller Stunden blieb er also, ohne mit jemanden zu sprechen, an eine Wand gelehnt, neben den beiden Italienern stehen, die nicht zu singen aufhörten, wobei sie sich mit einer Gitarre und einer Geige begleiteten», schrieb Eynard. «Endlich baten diese beiden Unglücklichen, von Müdigkeit erschöpft, um Nachsicht, und man schleppte Lord Castlereagh mit Gewalt in einen zum Tanzen vorbereiteten Salon. Und sogleich fing er für eine halbe Stunde Walzer zu tanzen an. In dem Augenblick, als wir glaubten, daß er sich ausruhen würde, spielte man einen schottischen heel, den er sogleich ohne Dame mit drei Engländern zu tanzen begann. Nichts war eigenartiger, als dieses schöne, kalte und unbewegte Gesicht in Verbindung mit einem Körper zu sehen, der alle Bewegungen ausführte, die dieser Tanz zu machen vorschreibt. Schließlich, als die drei Engländer vor Ermüdung blaß wurden, war Lord Castlereagh gezwungen, aufzuhören und sagte: ‹Ach, ich kann nicht mehr.› Da es ein Uhr war, zogen wir uns zurück, ich bin aber überzeugt, daß der Gesandte nochmals wieder zu tanzen anfing.» Castlereagh hatte in der Tat einiges zu feiern.21 In Hardenbergs informellem Besuch verbarg sich ein letzter verzweifelter Versuch, die österreichisch-französisch-britische Front auseinanderzubringen. Er hatte Castlereagh überreden wollen, Preußens Übernahme von Sachsen mitzutragen, mit dem Vorschlag, den sächsischen König mit Luxemburg und einem Streifen Land zwischen Maas und Mosel zu entschädigen, die für Preußen vorgesehen waren. Castlereagh bedeutete ihm, daß dies völlig ausgeschlossen sei, da es die vorgesehene Barriere gegen mögliche französische Übergriffe auf Deutschland durchbrechen würde. Schlimmer noch, setzte man einen grollenden
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und mit Frankreich freundschaftlich verbundenen König an diese Stelle, hätte Frankreich sowohl einen Brückenkopf als auch einen casus belli: Es könnte jeden Augenblick einen legitimierbaren Krieg beginnen, um Sachsen zurückzuerobern und so das Unrecht wiedergutzumachen, wofür ihm ein dankbarer König bereitwillig Luxemburg abtreten würde. Castlereagh war davon derart beunruhigt, daß er zu Alexander ging und ihn bat, Hardenbergs Vorschlag nicht zu unterstützen. Wie sich herausstellte, hätte er sich die Mühe sparen können. Hardenberg hatte sich auch an Talleyrand gewandt und ihm in Aussicht gestellt, daß Frankreich Belgien zurückerhalten könne, wenn es seinen Plan unterstütze. Aber Talleyrand erstaunte den Preußen mit der Erwiderung, er würde die Rücknahme Belgiens durch Frankreich nicht einmal dann billigen, wenn man sie ihm anböte. Später erklärte er Castlereagh, er strebe keine Veränderung der Grenzen an, die im Pariser Vertrag festgelegt worden waren, auch wenn ihm dies als eine Schädigung der militärischen Interessen Frankreichs vorgeworfen werden könnte.22 Castlereagh und Metternich hatten nicht aufgehört, die Einbeziehung Frankreichs in die offi ziellen, am 29. Dezember begonnenen Verhandlungen zu verlangen. Dem widersetzten sich Rußland und Preußen auch weiterhin. Aber Talleyrand erklärte rundheraus, würde Frankreich nicht zugelassen, habe er keine andere Wahl, als wieder abzureisen. Castlereagh stand fest zu ihm, und Metternich ebenso. Alexander wollte sich die Möglichkeit auf eine künftige Allianz mit Frankreich nicht verbauen und gab schließlich seinen Widerstand auf. Preußen war nun isoliert und daher machtlos.23 Das erste offi zielle Treffen der Fünf fand am 7. Januar statt, das zweite folgte zwei Tage darauf, das dritte drei Tage danach, am 12. Januar – es war das erste, an dem auch Talleyrand teilnahm. Viele glaubten nun, der Kongreß habe endlich begonnen, zumal auch regelmäßig Sitzungen der acht Unterzeichner des Pariser Vertrags abgehalten wurden.24 Auf Hardenbergs Bitte hin, eine Einigung zwischen Preußen und Österreich zu vermitteln, hatte Castlereagh am 4. Januar einen eigenen Antrag vorgelegt. Es war die ergänzte Version des österreichischen Vorschlags vom 10. Dezember, die Preußen einen etwas größeren Teil von Sachsen und einen etwas kleineren Teil von Polen zugestand, und Luxemburg aus dem Spiel ließ, das Castlereagh Holland zuschlagen wollte. Eine Entschädigung für Preußen wäre anderswo zu suchen, so-
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wohl in Polen als auch in Deutschland. Mit dem Ziel, eine solche Lösung durchzusetzen, bat Castlereagh Alexander um eine Audienz, vor allem aber, weil er sichergehen wollte, daß der Zar Hardenbergs Plan, den König von Sachsen an den Rhein zu versetzen, nicht unterstützen werde. Als diese Unterredung am 7. Januar stattfand, hatte Castlereagh keine Mühe, Alexander zu erklären, warum Hardenbergs Projekt unannehmbar sei, und Alexander willigte ein, Friedrich Wilhelm mitzuteilen, daß er seinen Minister anweisen solle, von seinem Plan Abstand zu nehmen. Dann jedoch wechselte Alexander abrupt das Thema und fragte Castlereagh nach seiner neuen Allianz mit Frankreich und Österreich. Der überrumpelte Castlereagh bestritt sie nicht, bewahrte aber soweit die Fassung, daß er darauf hinweisen konnte, alle seien sich doch in den grundlegenden Fragen einig, und so habe der Zar weder von Großbritannien noch den anderen beiden Mächten etwas zu befürchten. Er betonte allerdings, daß Hardenbergs Drohungen und Alexanders offensichtliche Unterstützung Preußens die anderen Mächte zu recht alarmiert hatten. Unmittelbar wandte er sich dann der Erläuterung seines Plans einer Entschädigung Preußens zu, der immerhin vorsah, dem König von Sachsen einen beträchtlichen Anteil seines Reiches zu lassen. Alexander wirkte kompromißbereit und versöhnlich und konzedierte, daß ein Kernbereich Sachsens erhalten werden solle. Auf der Konferenz, die später am Nachmittag stattfand, erklärte Rasumowskij, «sein erhabener Herr» habe ihn «autorisiert, den vorgelegten Anträgen im wesentlichen zuzustimmen».25 Der preußische Vorschlag wurde auf der Konferenz der Fünf am 12. Januar beraten. Darin wurde dargelegt, daß Preußen immer noch 3 411 715 Seelen benötige, um seine Bevölkerungszahl von 1805 wieder zu erreichen. Das sei am ehesten mit der 2 051 240 Seelen zählenden Bevölkerung Sachsens möglich (dessen König mit Luxemburg und Gebieten zwischen Maas und Mosel entschädigt werden solle); zu ergänzen sei dieser Zuwachs durch die 810 268 Seelen, die Rußland vom Großherzogtum Warschau abzutreten sich bereiterklärt hatte, durch weitere 299 877 des Herzogtums Berg, 3000 von Königswinter, 131 888 des Herzogtums Westfalen, für das Darmstadt anderswo zu entschädigen wäre, 19 500 von Dortmund und Corvey, 48 628 von einem Teil Fuldas und weiteren 729 288 von vier ehemaligen französischen Départements entlang des Rhein, der Rur, der Maas und der Mosel. Dies würde Preußen einen
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Überschuß von 681 914 Seelen gegenüber 1805 einbringen, was, wie der Vorschlag ausführte, ein wesentlich geringerer Zuwachs wäre als ihn die anderen drei alliierten Mächte jeweils erzielt hatten. Dies traf zumindest auf Österreich nicht zu, das durch die napoleonischen Kriege wesentlich mehr verloren hatte.26 Österreichs Gegenvorschlag verwies auf den Trugschluß in der preußischen Position und griff auf, was Talleyrand zuvor zur Sprache gebracht hatte: daß ein gut ausgebildeter Ladenbesitzer, Handwerker oder Bauer mit eigenem Land in einem wirtschaftlich prosperierenden Teil Sachsens oder des Rheinlands fünfmal soviel wert sei wie ein polnischer Bauer ohne Bildung, ohne Land, ohne handwerkliche Fertigkeiten und sogar ohne eigenes Werkzeug, der in den Weiten Masowiens mühsam sein Leben fristete. Daher würde Preußen mit dem, was es an deutschen Gebieten dazugewönne, um ein Vielfaches bereichert. Mit Zahlen, die die Statistische Kommission bestätigt hatte, führte der Vorschlag weiter aus, daß Preußen aufgrund dieser Berechnung für die 3 400 065 Seelen, die es verloren hatte (und nicht 3 411 715, wie der preußische Entwurf behauptete) mit 3 466 624 anderen entschädigt werden könnte, wofür es nur 792 249 von Sachsen übernehmen würde und damit etwa drei Fünftel des Königreichs bei seinem rechtmäßigen König verblieben. Sollte Preußen dennoch weiterhin auf mehr bestehen, wäre Österreich bereit, auf die 400 000 Seelen zu verzichten, die Rußland ihm in Form des Bezirks Tarnopol zurückzugeben beabsichtigte, es würde in diesem Fall Rußland bitten, eine gleich hohe Zahl von Polen an Preußen abzutreten.27 Gentz konnte seinen Abscheu über den Verlauf der Verhandlungen schlecht verhehlen. «Die großen Phrasen von der ‹Wiederherstellung der gesellschaftlichen Ordnung›, von der ‹Gesundung der europäischen Politik›, von ‹dauerhaftem, auf gerechte Verteilung der Kräfte gegründetem Frieden› usw. bot man feil, um die Massen zu beruhigen und der Versammlung einen Schein von Größe und Würde zu geben», schrieb er noch am selben Tag, «der wahre Sinn des Kongresses war aber der, daß die Sieger unter sich die Beute verteilten, die sie dem Besiegten abgenommen.» Seine Meinung wurde von vielen geteilt. «Es ist ein jämmerlicher Handel der mit Ländern und Menschen!», schrieb der Bruder des österreichischen Kaisers, Erzherzog Johann, in sein Tagebuch. «Napoleon haben wir und seinem System geflucht, und mit
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Recht; er hat die Menschheit herabgewürdigt, und eben jene Fürsten, die dagegen kämpften, treten in seine Fußstapfen.»28 Das nächste formelle Treffen der Fünf fand erst wieder am 28. Januar statt, mehr als zwei Wochen später. In diesen Wochen, während derer Castlereagh zu verhindern suchte, daß sich der Machtkampf in Deutschland zu einem Bürgerkrieg auswuchs, wurde sein Verhandlungsgeschick auf eine harte Probe gestellt. «Niemand ist hier zufrieden und auch der Zuschauer wünscht diesem Leben ein Ende», notierte Graf von Nostitz am 7. Januar. «Wann und wie das nun aber geschieht, das mag Gott wissen. Es wogen und stürmen tagtäglich neue Gerüchte durch die Stadt, die bald den Krieg und bald den Frieden posaunen.» Obgleich dies nicht ganz zutraf und die Bälle und anderen Vernügungen nach wie vor stattfanden, sprach er damit aus, was viele empfanden, und selbst Metternich konnte sich dank seiner tüchtigen Agenten und Kopisten davon überzeugen, wie enttäuscht und verärgert die einfachen Menschen geworden waren, und wie zynisch sie sich inzwischen über die Monarchen und Minister äußerten.29 Der Respekt für die Monarchen hatte einen neuen Tiefstand erreicht. Einerseits nutzten einige Damen die Anonymität der Maskierung oder die intimere körperliche Nähe beim Walzertanzen, um Alexander zu sagen, was sie von ihm hielten, andererseits diskutierten die jungen Frauen von Wien offen über seine Vorzüge und Nachteile als Tanzpartner (die feuchte Aussprache, klamme Hände, die sich auf ihre nackten Schultern legten, usw.) als wäre er irgendein gewöhnlicher Mann. Bei Metternichs Ball am 10. Januar verwechselte Eynard den König von Preußen mit einem Lakaien und wollte ihn bitten, ihm ein Glas Champagner zu bringen, als er ihn gerade noch erkannte. Tags darauf mußte Ferdinand Graf Pálffy Boten ausschicken und die Monarchen bitten, ihre Ankunft zu seinem Ball etwas hinauszuzögern, weil die anderen Gäste noch nicht eingetroffen waren. Die Etikette verlangte – und sie verlangt es noch immer –, daß alle Geladenen bereits anwesend sein mußten, wenn ein Mitglied eines regierenden Hauses erwartet wurde. Daran hatte man sich anfangs peinlich genau gehalten, aber der Wiener Adel und die in der Stadt weilenden Diplomaten und Höflinge waren inzwischen aufgrund ihres täglichen engen Umgangs mit einem halben
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Wie die Außenwelt den Kongreß wahrnahm. Von links nach rechts: Talleyrand, Castlereagh, Franz I., Alexander, Friedrich Wilhelm III., König Friedrich August von Sachsen, die Republik Genua.
Dutzend Staatsoberhäuptern so blasiert, daß sie sich nicht mehr zur Eile bemüßigt fühlten und es vorzogen, ihr Diner in Ruhe zu beenden und sich beim Ankleiden die Zeit zu nehmen, die sie für angemessen hielten. Bei dem verspäteten abendlichen Eintreffen der Monarchen zu Pálffys Ball war nur eine Handvoll Gäste anwesend. Immer weniger Menschen machten sich die Mühe, überhaupt noch auf die festlichen Veranstaltungen zu gehen, und im deutlichen Gegensatz zu dem starken Andrang im Oktober und November waren im Januar viele Bälle so spärlich besucht, daß die Souveräne nicht genug Tanzpartner fanden. Dennoch kam es niemandem in den Sinn, zu durchbrechen, was zur Gewohnheit geworden war, und das gesellschaftliche Leben der letzten drei Monate, mit abendlichen Bällen und den üblichen Vergnügungen, von denen einige recht neuartig waren, ging weiter.30 Wie um seine immer wichtigere Rolle zu betonen, bestellte Talleyrand am 21. Januar 1815, dem Jahrestag der Hinrichtung Ludwigs XVI. durch die Guillotine im Jahre 1793, eine Totenmesse im Stephansdom. Man hatte einen riesigen, bis fast an die Decke reichenden Katafalk im Mittelschiff aufgestellt und in zugleich großartiger und düsterer Weise
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Die kaiserliche Schlittenpartie vom 22. Januar 1815. Ein großer Schlitten, besetzt mit einem Orchester und gezogen von sechs Pferden, eröffnete den festlichen Zug. Es folgte ein Schlitten, den Kaiser Franz in Begleitung der Zarin lenkte; danach kamen 30 weitere; sie waren mit goldbesticktem grünem und blauem Samt gepolstert und mit Pferden bespannt, deren Mähnen Straußenfedern schmückten.
dekoriert, mit einer Krone, einem Szepter und seinen sonstigen königlichen Insignien. Die Trauergemeinde war schwarz gekleidet, die Damen trugen zusätzlich lange Schleier. Salieri dirigierte das Requiem. Talleyrand urteilte: «Es war die schönste, erhabenste und schaurigste Vorstellung.» Allerdings fanden viele auch, daß die weinerliche Stimme des Prälaten den Effekt der von ihm vorgetragenen und selbstverfaßten Trauerrede ruinierte.31 Talleyrand nutzte den feierlichen Anlaß für eine Reihe von Erklärungen zum Thema Legitimität und unveräußerliche Rechte von Monarchen, und um diese auf den Fall Sachsen anzuwenden. Dahinter steckte der Versuch, Alexander und Friedrich Wilhelm als Bösewichte erscheinen zu lassen. Aber obgleich Talleyrand mit der Veranstaltung höchst zufrieden war, ist es unwahrscheinlich, daß sie die gewünschte Wirkung erzielte, denn am Abend dieses Tages tanzten alle, die eben noch um Ludwig XVI. getrauert hatten, auf dem Ball der Gräfin Zichy, allen voran Alexander.
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Am nächsten Tag fand eine der denkwürdigsten und zugleich leichtfertigsten Vergnügungen des gesamten Kongresses statt. Schwere Schneefälle am 15. Januar, auf die ein starker Frost und eine Kälteperiode folgten, hatten Trauttmansdorff ideale Bedingungen geboten, eine große Schlittenpartie zu veranstalten. Zweiunddreißig goldverzierte und in grünem und blauem Samt ausgeschlagene Schlitten, die von Pferden gezogen wurden, denen man Straußenfedern aufgesteckt hatte, versammelten sich dazu auf dem Josephsplatz in der Hofburg. Ein großer, von sechs Pferden gezogener Schlitten, auf dem ein Orchester spielte, eröffnete den Zug. Ihm folgte ein zweiter, den Kaiser Franz persönlich lenkte, an dessen Seite die Zarin saß. Dann kamen die übrigen. «Jeden Schlitten zog ein Doppelgespann; über die Pferde waren goldbestickte Decken gebreitet, sie trugen an dem Kopf und an den Mähnen Federn, über ihren Schultern hingen wie üblich silberne oder vergoldete Glöckchen. Hinten auf jedem Schlitten stand ein Diener in dichtem Pelzmantel, und zwischen jedem achteten drei oder vier Stallmeister, die die Uniformen oder Livreen des Kaisers – oder ihres jeweiligen Herrn – trugen, darauf, daß alles ordnungsgemäß ablief.» Den Abschluß bildete ein weiterer großer Schlitten voller Musiker, diesmal einer «türkischen» Kapelle. Es war, wie Otto Graf von Löwenstern es nannte, «eine große Entfaltung von coquetterie et luxe». «Die fröhlichen Silberglöckchen, die Stickereien, die Troddeln – alles war neu und glitzerte hell wie der frostige Schnee», heißt es bei ihm weiter. «Die cavaliers waren überwiegend beaux; les dames natürlich ausnahmslos très belles, und alle hinreißend geschmackvoll in Samt und Pelz eingemummt.»32 Das Ereignis begann mit einer Posse. Gerade als die Schlitten sich in Bewegung setzen wollten, lenkte der vermutlich betrunkene Stewart seinen Vierspänner auf den Hof und blieb stehen, wodurch er den Ausgang blockierte. Lord Pumpernickel, wie man ihn in Anlehnung an den schwachsinnigen Rüpel aus einem damals populären Singspiel nannte, das damals aufgeführt wurde, trotzte allen Befehlen und Drohungen und gab den Weg nicht frei. Erst nachdem man seine Pferde am Zaumzeug gepackt und die Kutsche fortbewegt hatte, konnte der Ausflug beginnen.33 Der Zug der Schlitten schlängelte sich durch die Straßen bis hinaus nach Schönbrunn, wo er rings um den zugefrorenen Schloßteich aufgestellt wurde; dort führten zwei als Milchmädchen verkleidete holländi-
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sche Schlittschuhläuferinnen ein Ballett auf. Ihrer Darbietung folgte ein englischer Gentleman, der mit seinen Schlittschuhen Monogramme der Souveräne ins Eis ritzte. Danach entstieg die Gesellschaft ihren Schlitten und begab sich in den Palast, wo man sich die Aufführung der Oper Aschenbrödel von Charles-Guillaume Etienne anschaute. Anschließend wurde diniert und getanzt, bis alle wieder die Schlitten bestiegen. Bei Schneetreiben kehrte der Zug im Schein der Fackeln nach Wien zurück. Als er über das Glacis, eine den Stadtmauern vorgelagerte Freifläche, herannahte, ergab sich ein «überwältigender Eindruck», wie ein Beobachter fand. «Der Boden war von tiefem Schnee bedeckt, und der sich entlangwindende Zug hob sich durch die sich mitbewegenden Fackeln darauf ab wie ein brennender Fluß.» Um den Abend abzurunden, gab es in der Hofburg noch einen Maskenball.34 «Da sie der Bälle und Feste überdrüssig ist – die selbst jenen, die am begierigsten darauf gewesen waren, zu viel wurden –, frequentiert unsere grand monde jetzt die Kirchen», berichtete Graf Löwenstern. Sie sei, erläuterte er, von den Predigten des früher evangelischen Dramatikers Zacharias Werner angelockt worden, der katholischer Priester geworden war und die Irrungen des Luthertums und die Wertlosigkeit seiner eigenen Stücke publikumswirksam zu geißeln verstand. Am 28. Januar trug er eine gewaltige Brandrede gegen den Leichtsinn vor, die besonders gut besucht war; nichts weist jedoch darauf hin, daß sie irgendeine Wirkung zeigte.35 Es wurde weiter getanzt, und nach Polizeiberichten «ging, wie es scheint, der Kronprinz von Hessen-Darmstadt eine ernsthafte Beziehung mit der angeblichen Gräfin Waffenberg ein, mit richtigem Namen Lori Toussaint». Der Großherzog von Baden vergnügte sich nach wie vor, obgleich man ihm kürzlich einen ziemlichen Rüffel erteilt hatte. Er hatte Madame Lambert eine, wie es der Polizeiinformant nannte, «visite galante» abgestattet und ihr beim Hinausgehen fünfundzwanzig Gulden in Scheinen hinterlassen. Sie war über seine Geringschätzung ihrer Fertigkeiten so erbost, daß sie fünfzig derselben Währung aus ihrem Portemonnaie zog, sie zu seinen fünfundzwanzig legte, ihm alles in die Hand drückte und ihn hinauswarf.36 Spaß und Spiele konnten jedoch die Spannungen nicht vollständig verdecken. Nicht nur schauten die Preußen zornig auf Österreicher und Franzosen, auch die Russen beäugten die Briten und ihre geheimen
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Verbündeten voller Argwohn und Feindseligkeit. Jedem, der am 10. Januar Metternichs Ball besuchte, fiel die Abwesenheit Alexanders und seines Gefolges auf; sie mieden auch seinen Ball am 23. Januar. Ihr Verhältnis hatte sich derart verschlechtert, daß Alexander es kaum über sich brachte, Metternich anzusehen, und er soll mehr als einmal gesagt haben, wäre er kein Monarch, hätte er sich mit ihm auf Pistolen duelliert.37 Obgleich Castlereagh kontinuierlich mit Alexander, Hardenberg und Metternich sprach, um einen für alle akzeptablen Kompromiß zu erzielen, war auch er aufs Schlimmste gefaßt. Die Allianz vom 3. Januar betrachtete er als ein Mittel, so viele Mächte wie möglich zusammenzubringen, um Rußland friedlichen Widerstand entgegenzusetzen, und unermüdlich sammelte er weiterhin neue Verbündete. Bayern unterschrieb am 13. Januar, Hannover sechs Tage später, und Württemberg und Sardinien wurden mit dem Ziel, sie ins Bündnis zu locken, umworben. Talleyrand wiederum übte auf seine Weise Druck auf Alexander aus – er informierte Czartoryski, daß Frankreich, falls es sich gezwungen sähe, Krieg zu führen, öffentlich verkünden werde, daß sein Ziel die volle Unabhängigkeit Polens sei. Auf diese Weise wären die Versprechen Alexanders an die Polen übertrumpft und dem Zaren nicht nur weitgehend der Wind aus den Segeln genommen, auch die Loyalität seiner 70 000 polnischen Soldaten würde untergraben, von denen ohnehin viele während der letzten beiden Jahrzehnte unter Napoleon gedient hatten.38 All dies brachte Hardenberg in eine höchst mißliche Lage. Die öffentliche Meinung in Berlin verlangte ganz Sachsen. Manche im preußischen Lager dachten darüber nach, wie sich der Tugendbund einsetzen ließe, um überall in Deutschland Guerillakämpfer zu mobilisieren. Mit einer Pressekampagne sollten alle Deutsche davon überzeugt werden, daß Preußen ihr natürlicher Beschützer sei. Andere, wie Humboldts Frau Caroline, glaubten, ein Krieg zum jetzigen Zeitpunkt werde die endgültige Einigung Deutschlands herbeiführen, selbst wenn in dessen Verlauf viel Blut vergossen würde.39 «Besser, alles zu verlieren!», hörte man Hardenberg ausrufen, als er am 29. Januar eine Unterredung mit Metternich verließ. Er kam der Einschätzung gefährlich nahe, daß ein Krieg der einzige Ausweg aus der Sackgasse sei, weil dies Alexander verpflichten würde, sein Versprechen
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einzulösen, Preußen zu unterstützen. Münster meldete dem britischen Prinzregenten am 21. Januar, er habe zwar früher geglaubt, daß sich ein Krieg noch vermeiden ließe, nun fürchte er aber, er könnte doch noch ausbrechen. Hardenberg hatte ihm einige Tage zuvor gesagt, Preußen würde ein Ultimatum stellen und «alle als Feinde betrachten, die nicht auf seiner Seite stünden». Münster glaubte, daß Friedrich Wilhelm keinen Krieg wollte, aber er befürchtete, daß er sich von den Ereignissen mitreißen lassen könnte. «Der Ton in Berlin ist sehr kriegerisch, und dieser Ton hat ähnliche Fragen mehrfach entschieden», schrieb er.40 Metternich befand sich jetzt in einer Lage, die der Hardenbergs nicht unähnlich war, und er wurde gedrängt, eine nicht minder entschiedene Haltung einzunehmen. Gestützt durch die neue Allianz, verspürte er neues Machtbewußtsein und war bereit, Sachsen wieder entschlossener zu verteidigen. Seine Unbeliebtheit in Wien und Sticheleien seitens Rivalen wie Stadion bewirkten, daß er jetzt die Einsätze erhöhte. In seinem ersten Entwurf einer Antwort auf den Vorschlag Preußens vom 12. Januar erhob er eine Reihe von zusätzlichen Forderungen, die Schwarzenberg und das Militär angeregt hatten, wie etwa die, daß Sachsen die Festung Torgau behalten solle. Selbst der sonst so friedfertige Franz spie Feuer. «Ich fand ihn außergewöhnlich fi xiert auf die militärische Frage, und generell war sein Ton kriegerischer als je zuvor», meldete Castlereagh Liverpool nach einer Audienz beim österreichischen Kaiser.41 «Nur sehr wenige sind über das, was in Wien geschieht, besorgt, es sei denn, es gehe um die Kosten», schrieb Liverpool am 16. Januar aus Bath. Er selbst war nur daran interessiert, Castlereagh nach Westminster zurückzuholen. Er hatte Wellington nach Wien geschickt, um ihn abzulösen, und außerdem die Eröffnung des Parlaments so lange wie möglich, bis zum 9. Februar, hinausgezögert. Auch Bathurst hatte ihn zur Rückkehr gedrängt, aber am 30. Januar antwortete Castlereagh: «Ebensogut hätten Sie im letzten Jahr von mir erwarten können, von Leipsick zu fliehen (wenn ich dort gewesen wäre)», als jetzt Wien in einem so kritischen Augenblick zu verlassen.42 Seine Anwesenheit dort war tatsächlich von entscheidender Bedeutung, da er und Talleyrand die einzigen waren, die einen Kriegsausbruch verhinderten, besonders, seitdem Alexander sich vom allgemeinen Säbelrasseln hatte mitreißen lassen. Er versicherte Castlereagh zwar,
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eine Krise verhindern zu wollen, ließ es sich aber nicht nehmen, martialisch aufzutreten und Drohungen auszustoßen. Öffentlich mokierte er sich über die Österreicher und ihre Armee. «Wir werden sehen, wer von uns während des letzten Feldzugs der größere Feldherr war, ich oder Schwarzenberg», prahlte er vor einer Gruppe russischer Generäle und versicherte ihnen, hätte er 1813 das Kommando geführt, hätten die Alliierten Napoleon vernichtend geschlagen; des weiteren freue er sich auf die Möglichkeit, der Welt sein militärisches Können vorzuführen.43 Die ehemaligen Alliierten schienen so restlos zerstritten, daß ein Kammerdiener von Kaiser Franz vorschlug, Napoleon zurückzuholen, um sie wieder zu einen.44
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Am Abend des 1. Februar rumpelte Wellingtons Kutsche in Wien ein und hielt vor Stewarts Botschaft, wo der Herzog Quartier nehmen sollte. «Alle zu seiner Überwachung notwendigen Maßnahmen sind bereits getroffen», meldete ein Agent Hagers am nächsten Morgen und berichtete des weiteren, Stewart habe seine Zuneigung jetzt der Schauspielerin Séraphine Lambert zugewandt, die er in der Nacht zuvor besucht hatte. Hagers Spitzelnetz und der Wiener Tratsch registrierten auch, daß der Herzog Wellington eine Pariser Tänzerin, Mademoiselle Grassini, nach Wien mitgebracht hatte.1 Seine Ankunft wurde von vielen begrüßt, die ihn für entscheidungsfreudiger hielten als Castlereagh und glaubten, daß er mit seiner soldatischen Durchsetzungskraft die Verhandlungen endlich zu einem wie auch immer gearteten Abschluß bringen würde. Auch die inzwischen ermattete Neugier der Einwohner Wiens war wieder geweckt, so daß beim Ball in der Redoute am 2. Februar ein entsetzliches Gedränge herrschte, da die Menschen in Scharen herbeiströmten, um einen Blick auf den Helden von Vitoria zu werfen. «Der Herzog kam in Zivil und wurde zunächst nicht erkannt, aber sobald sich seine Anwesenheit herumgesprochen hatte, stand er im Mittelpunkt einer Aufmerksamkeit, die zu allgemein und trop empressée war, und die Leute umringten ihn, ohne auf gebotene Umgangsformen und Höflichkeit zu achten», berichtete Graf Löwenstern, dem überdies nicht entging, daß Alexander schwungvoll mit einer Reihe von Damen tanzte, die sich gesellschaftlich höchstens durch ihre Schönheit auszeichneten.2 Auf der anderen Seite des Saales machte der Großherzog von Baden der «Gräfin Waffenberg» alias Lori Toussaint und einer weiteren Gruppe leichter Mädchen den Hof. Um fünf Uhr morgens wurde beobachtet, wie er mit einer von ihnen in eine Kutsche stieg. Sie fuhren zur
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Die Ernennung des Herzogs von Wellington, der Castlereagh am 1. Februar 1815 ersetzen sollte, wurde allseits begrüßt; allerdings mußte er Wien im darauffolgenden Monat aufgrund der Flucht Napoleons von Elba wieder verlassen. Porträt von Thomas Lawrence, ca. 1815.
Rumpfgasse 551, wo der Großherzog, nachdem er seine Kutsche zurückgeschickt hatte, bis um sieben Uhr früh blieb. Nach seiner Rückkehr schlief er sich bis um fünf Uhr am Nachmittag aus.3 Am Morgen nach seiner Ankunft bekam Wellington einen ersten Vorgeschmack des kuriosen Wiener Kriegstanzes, als ihn der Zar mit einem Besuch beehrte. Alexander machte ihm zunächst Komplimente und erkundigte sich angelegentlich, wie seine Reise aus Paris verlaufen sei, dann begann er, Besorgnis heuchelnd, über die Tatsache zu klagen, daß sich Frankreich nach allem, was ihm zu Ohren gekommen sei, politisch in einem schlechten Zustand befinde und seine Armee von inneren Konflikten zerrissen und für nahezu nichts zu gebrauchen sei. Wellington widersprach ihm und versicherte nachdrücklich, die Regierung Ludwigs XVIII. sei stabil und die Armee in ausgezeichneter Verfassung. Wie Wellington auffiel, begeisterte diese Nachricht Alexander keineswegs, der, als er ging, besorgter aussah als bei seinem Eintreffen.4 Ebenfalls am 3. Februar sprach Castlereagh bei Friedrich Wilhelm vor. Diese Audienz dauerte volle anderthalb Stunden und war «in jeder
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Hinsicht die peinlichste, der ich mich zu unterziehen hatte, seitdem ich auf dem Kontinent bin», wie Castlereagh Liverpool berichtete. Weil Friedrich Wilhelm und Hardenberg spürten, daß man ihnen nicht ganz Sachsen überlassen werde, hatten sie beschlossen, wenigstens auf einem beträchtlichen Teil dieses Landes zu bestehen, darunter die Stadt Leipzig, die sie als ihren verdienten Preis für die dreitägige Schlacht ansahen. «Es ist unvorstellbar, in was für einen Grad sich S. M. in der Angelegenheit von Leipzig hineingesteigert hatte: die falsche Bedeutung, die er ihr beimaß, und die tiefe Enttäuschung, wenn nicht Groll, mit der er von unserer Regelung der Angelegenheit des sächsischen Königs, entgegen seinen Vorstellungen, sprach», fügte Castlereagh hinzu.5 Das Treffen hatte Friedrich Wilhelm in üble Stimmung versetzt. Das vermochte er auch am Abend während des Diners zu Ehren Wellingtons nicht zu verbergen, als Schwarzenberg offen von Krieg schwadronierte. «Wellingtons Ankunft gefällt den Preußen ganz und gar nicht; sie versuchen, dies mit Späßen herunterzuspielen, wie etwa, sie würden Blücher holen, um ihm Paroli zu bieten», berichtete ein Informant Hagers.6 Am nächsten Tag, dem 4. Februar, machte Castlereagh Alexander seine Aufwartung. Glücklicherweise war der Zar dank der Unterredung, die er am Morgen zuvor mit Wellington geführt hatte, Castlereagh gegenüber erheblich milder gestimmt. Die Nachricht, daß die Franzosen in der Lage seien, Österreich militärisch zu unterstützen, hatte ihn ernüchtert; er war nicht mehr ganz so zuversichtlich und erklärte sich bereit, Friedrich Wilhelm zu besänftigen. Positiv reagierte er auch, als Castlereagh sagte, sie alle müßten Konzessionen machen, um eine Einigung zu erreichen, bevor die Lage außer Kontrolle gerate. Castlereagh teilte Alexander mit, er werde Münster überreden, ein Gebiet von 50 000 Seelen aufzugeben, das Hannover zugedacht gewesen war, und den für Holland bestimmten Gebietszuwachs so weit zu reduzieren, daß Preußen weitere 50 000 Seelen bekommen könne. Dann empfahl er Alexander, sich erkenntlich zu zeigen und anzubieten, Thorn und Umgebung an Preußen zu geben. Alexander willigte ein.7 Hardenberg hatte den Vormittag mit der Ausarbeitung einer neuen Note verbracht, in der er Preußens Anspruch auf den größten Teil Sachsens, einschließlich Leipzigs, wiederholte. Danach ging er mit Wellington zum Diner bei Talleyrand. Erst bei seiner Heimkehr am Abend be-
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gegnete er Castlereagh, der mit der Nachricht zu ihm gekommen war, daß Alexander bereit war, Thorn Preußen zu überlassen. Hardenberg übernahm es, Friedrich Wilhelm davon zu überzeugen, im Gegenzug seinen Anspruch auf Leipzig aufzugeben; er wagte aber nicht, irgendwelche Versprechungen zu machen. Es gelang Hardenberg erst am Abend des folgenden Tages, am 5. Februar, sich von Alexander bestätigen zu lassen, daß er tatsächlich bereit war, Thorn abzutreten, damit er dann Friedrich Wilhelm drängen konnte, seine Forderung hinsichtlich Leipzigs fallenzulassen. «Der König ist immer noch ungehalten und erzürnt über Castlereagh und Österreich», notierte er in seinem Tagebuch. Hardenberg konnte ihn zwar überreden, auf Leipzig zu verzichten, aber nur gegen zusätzliches sächsisches Gebiet anderswo. Als man Castlereagh davon in Kenntnis setzte, suchte er Hardenberg noch am selben Abend auf und bot weitere Gebiete aus dem Bestand Hannovers und Hollands an. Dies war jedoch keineswegs dazu angetan, den preußischen Kanzler zu beschwichtigen, der sich wieder wegen Leipzig, das für das preußische Militär und die Öffentlichkeit die Bedeutung einer Kriegstrophäe erlangt hatte, zu ereifern begann. Oberst Karl von Grolman erklärte überall, die preußische Armee werde diese Stadt niemals kampflos aufgeben.8 «Nach einigen leidenschaftlichen Ausbrüchen hörte Fürst Hardenberg meinen Vorschlag ruhig an und prüfte die Einzelheiten sorgsam», berichtete Castlereagh. Er verließ ihn, damit er die Sache überschlafen konnte, und suchte ihn am nächsten Morgen erneut auf. «Castlereagh wieder bei mir. Die Angelegenheit ist nun endlich so gut es geht ausgehandelt und harrt nur noch der Zustimmung des Königs», lautete Hardenbergs Tagebucheintrag dazu. «Bei Stewart diniert.» Als er am nächsten Tag, dem 7. Februar, das Ergebnis seinem König vortrug, sperrte sich Friedrich Wilhelm zunächst wegen Leipzig, lenkte aber schließlich ein. Der Konflikt war beigelegt. Hardenberg machte sich daran, seine Schlußnote auszuarbeiten, um sie der nächsten Sitzung des Fünferrates vorzulegen, die am folgenden Tag stattfinden sollte.9 Hardenbergs Note begann mit den üblichen Beteuerungen der Wertschätzung für Österreich, gepaart mit Preußens innigem Wunsch, mit diesem Land in größter Harmonie zu leben. Etwas abrupt bestritt sie dann die von Österreich in seinem letzten Memorandum aufgestellte Behauptung, es habe wenig gewonnen, mit dem Hinweis, daß es ent-
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Eine Seite aus den Vorschlägen Hardenbergs zur Wiederherstellung des vormaligen Großmachtstatus Preußens. Das Dokument legt dar, welche Regionen Sachsens die notwendige Anzahl an «Seelen» beisteuern konnten. Im Laufe des Kongresses wurden von den teilnehmenden Parteien unzählige solcher Papiere verfaßt.
sprechend den bisherigen Arrangements 1 761 340 Seelen mehr besitzen würde als 1805. Weiter wurde die Fragilität des vorgesehenen preußischen Staatengebildes betont und beklagt, daß der österreichische Plan Preußen zwar nahezu die Hälfte Sachsens zugestehe, dieses aber der schlechtere Teil sei, ein «armes Land, das aus Sand, Wäldern und Sümpfen besteht, ohne Handel oder Werkstätten und Manufakturen, und ohne jegliche Ressourcen». Ferner solle Leipzig an Preußen fallen, was seinen Bewohnern zugute käme, und schließlich wurde versichert, daß Seine Majestät, der König von Preußen, dennoch bereit sei, «alle Opfer zu bringen, soweit sie mit den Interessen seiner Monarchie nicht gänzlich unvereinbar sind», womit man einlenkte, nicht ohne durch einige kleine Forderungen das Gesicht gewahrt zu haben.
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Die Aufteilung Sachsens
PREUSSEN
Königreich Sachsen An Preußen abgetreten
Torgau Leipzig Dresden
ÖSTERREICH
Königreich Polen Republik Krakau Großherzogtum Posen Internationale Grenzen nach dem Wiener Kongreß
Die Aufteilung Polens Königsberg Danzig
KGR. PREUSSEN
Grodno Białystok
Thorn
Warschau
Posen Kalisch
Brest-Litowsk
RUSSISCHES KAISERREICH Zamosc ´´
ÖSTERREICH Krakau
Lemberg
Tarnopol
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Metternich erwiderte, er müsse die preußischen Vorschläge erst seinem kaiserlich-königlichen Herrn vorlegen, glaube aber sagen zu können, daß er sie für annehmbar halte. Die Unterschrift aller Anwesenden unter das Protokoll dieser Verhandlung brachte den entscheidenden Wendepunkt, mehr als die offi zielle österreichische Erklärung beim Treffen des Fünferkomitees am 10. Februar, in der die preußischen Vorschläge akzeptiert wurden, oder die Unterzeichnung der Artikel, die am 11. Februar den Vereinbarungen über Polen und Sachsen hinzugefügt wurden. Preußen würde nahezu die Hälfte Sachsens erhalten, König Friedrich August jedoch zwei Drittel seiner Untertanen und seine zwei wichtigsten Städte behalten.10 «Sachsen ist gerettet», schrieb Talleyrand an die Herzogin von Kurland, wobei er anmerkte, welch eine verdienstvolle Rolle er dabei gespielt hatte. «Die Angelegenheit ist abgeschlossen: das Prinzip der Legitimität wurde gerettet: der König von Sachsen ist frei: und diese Errungenschaften verdankt Europa unserem König von Frankreich, der diese Prinzipien bei seiner Rückkehr mitbrachte. Als er auf der europäischen Bühne erschien, mußte sich alles wieder der Ordnung fügen. Angesichts dessen bedeuten zwei- oder dreihunderttausend Seelen mehr oder weniger sehr viel für Sachsen, aber sie bedeuten wenig für die europäischen Angelegenheiten und Interessen insgesamt.»11 Talleyrand begann sich jetzt weit hinauszulehnen. Am 15. Februar würde er sich in einem Brief an Ludwig XVIII. beschweren, daß «das Prinzip der Legitimität auf die Gesinnungen Castlereagh’s und selbst des Herzogs von Wellington … von sehr geringem Einfluß ist.» Am Abend dieses Tages aber, im Haus des spanischen Kongreßbevollmächtigten Labrador, drängte er Kardinal Consalvi, dem Pariser Vertrag beizutreten und somit hinzunehmen, daß Frankreich die früheren päpstlichen Territorien in Südfrankreich, Avignon und das Comtat Venaissin, nicht zurückgeben werde. Consalvi erklärte, er werde dem nie zustimmen, und äußerte sein Bedauern, daß Ihre Allerchristlichste Majestät beabsichtige, den Stellvertreter Jesu Christi zu berauben. Talleyrand drohte daraufhin, die Rückgabe der Legationen zu blockieren. Als Consalvi protestierte, daß es keinen Grund gebe, dem Papst zu verweigern, was ihm rechtmäßig gehöre, entgegnete Talleyrand, dieser habe die Legationen vertraglich an Napoleon abgetreten und demzufolge keinen weiteren Anspruch auf sie. Empört ging Consalvi zum Angriff über und
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fragte, wie Ludwig XVIII. irgendeinen Akt Napoleons als rechtmäßig bezeichnen könne, wenn er sich selbst doch für den wahren Herrscher Frankreichs der letzten zwanzig Jahre halte, wie er es von dem Augenblick an, als er Frankreich betrat, verkündet hatte.12 In der Tat sah Castlereagh das ganz anders als Talleyrand; nicht Legitimität, sondern der Vertrag vom 3. Januar habe seiner Meinung nach «all die guten Folgen herbeigeführt», und zwar mehr, als er erhofft hatte. Obgleich die kleine Allianz Österreich allzu selbstbewußt gemacht und damit eine Kriegsgefahr heraufbeschworen hatte, war sie doch zugleich von Alexander, der von der Allianz wußte, wieder zur Vernunft gebracht worden. Großbritannien und Rußland waren die beiden Mächte, die von einem Krieg am wenigsten zu gewinnen und am meisten zu verlieren hatten, aber da sie auch die beiden mächtigsten Akteure waren, hatten sie entscheidenden Druck für das Zustandekommen einer Einigung ausüben können. Castlereagh war mit seiner Arbeit zufrieden und berichtete Liverpool, daß «die wichtigsten territorialen Regelungen in halbwegs guter Stimmung abgeschlossen wurden».13 Wessen Stimmung dagegen kaum als gut bezeichnet werden konnte, war die Metternichs. Der 8. Februar, der Tag, an dem die sächsische Frage endlich gelöst wurde, war zugleich Wilhelmines vierunddreißigster Geburtstag, und er schrieb ihr einen Brief, der nicht dazu angetan war, sie aufzuheitern. «Der Himmel hat über unser Schicksal anders bestimmt, als mein Herz es gewünscht hätte», schrieb er. «Ich hatte mein eigenes Leben aufgegeben, um in Deinem zu leben; von meinen Träumen wurde kein einziger wahr; ich habe Dich mehr geliebt als mich selbst, habe Dir mehr von meinen Fähigkeiten zum Lieben zugewendet, als ich bei mir selbst wußte – ich habe in zwei Jahren mehr Qualen, Schmerzen und Kummer durchlebt als andere in zwanzig Jahren eines geruhsamen Lebens, wie es der überwältigenden Mehrheit der Menschen zuteil wird!» Dennoch wünschte er ihr Glück und gab seiner Hoffnung Ausdruck, daß sie immer von Freunden umgeben sein möge, obgleich er bezweifelte, daß sie jemals einen finden werde, der ihr so ergeben wäre wie er selbst. «Ich bin zu nichts mehr nütze, weil meiner Seele ihre treibende Spannung fehlt», klagte er.14 Ein anderer, der Liebesqualen litt, war Czartoryski. «Meine Seele ist verwelkt», schrieb er nach einem Stelldichein mit der Zarin am 15. Januar in sein Tagebuch. Alexander machte sie so unglücklich, daß sie
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versucht war, den Ratschlag ihrer Mutter zu beherzigen und ihn zu verlassen. Czartoryski konnte es kaum fassen, wie sehr seine alten Gefühle für sie nach zwanzig Jahren wieder aufgeflammt waren. «Ich liebe sie leidenschaftlich», vertraute er seinem Tagebuch weiter an und gestand, daß er von heftigen Eifersuchtsanfällen gepeinigt wurde. Er wünschte sich sehnlichst, daß sie Alexander verlasse, der in den letzten Wochen noch unerträglicher war als sonst. «Inzwischen verwendet er seine Generäle und Diplomaten nicht mehr als Berater, sondern als Werkzeuge seines Willens», fiel einem Mitglied in Alexanders Gefolge auf. «Sie fürchten ihn wie die Diener ihren Herrn.» Alexander wirkte jetzt seltsam distanziert, und Roksandra Sturdza berichtete Jung-Stilling, obwohl «mir unser Geliebter nicht vom guten Weg abgewichen zu sein scheint», entferne er sich von seiner Gemahlin und verbringe seine freie Zeit nur noch mit seinen Schwestern. «Ich muß meine ganze Vernunft zusammennehmen, um nicht eifrig dem Plan zu folgen, den Ihr vorschlagt», schrieb Elisabeth am 24. Januar ihrer Mutter. «Er ist sehr verlockend und mir in jeder Hinsicht genehm.» Aber sie hatte ein starkes Pflichtgefühl und meinte, ihr privates Glück opfern zu müssen.15 Als jemand auf einem Ball am 5. Februar Alexander gegenüber die Schönheit seiner Frau lobte, erklärte er laut und höchst ungalant, er halte sie für unintelligent und keineswegs für hübsch. Dieses Betragen weckte in Czartoryski neue Hoffnung, die sich dann aber offenbar während eines anderen Stelldicheins Anfang Februar zerschlug. Er stürzte wieder in Verzweiflung. «Ich werde gemartert von Kummer und einer Abscheu vor der Welt», schrieb er.16 Als man sich drei Tage später endlich in der sächsischen Frage einigte, war es Aschermittwoch. Der Karneval war am Vortag mit einem großen Maskenball ausgeklungen, und am Morgen strömten die Wiener und die meisten Gäste in die Kirche, um sich die Stirn mit dem Aschekreuz zu versehen. Castlereaghs Abreise stand nun an. Man hatte für sie den 15. Februar festgesetzt, aber er wollte alle Streitpunkte, die seines Erachtens für die Interessen Großbritanniens wesentlich waren, vorher unwiderruflich bereinigt wissen. Genauso entschlossen war er, sich gegen politische Schwierigkeiten in London abzusichern, wo er sich in Fragen zu verantworten haben würde, die der englischen Öffentlichkeit
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am Herzen lagen. Oberste Priorität besaß die Abschaffung des Sklavenhandels. Am 1. Januar hatte Castlereagh ein langes Gespräch mit Alexander über dieses Thema geführt, der bereit zu sein schien, ihn zu unterstützen. Er griff es am 16. Januar bei einem Treffen der acht Unterzeichner des Pariser Vertrags auf und schlug vor, jeder von ihnen solle einen Bevollmächtigten für ein Komitee nominieren, das die Frage behandeln würde. Graf Palmella, der portugiesische Kongreßbevollmächtigte, lehnte dies vehement ab: Nur solche Mächte, die Kolonien mit Sklaven besäßen, sollten einbezogen werden. Er wurde von Labrador unterstützt, der meinte, da alle sich die Abschaffung des Sklavenhandels wünschten, stünde nur noch zur Debatte, wie und wann ein Verbot umzusetzen sei. Er erklärte, die iberischen Monarchen hätten die Wahl «zwischen zwei Ungerechtigkeiten, der gegenüber den Bewohnern Afrikas und der gegenüber ihren eigenen Untertanen». Es seien nicht nur die Sklavenhalter in den Kolonien, deren Interessen leiden würden, sondern auch alle spanischen Untertanen, weil sich ein Verbot dramatisch auf die ganze Wirtschaft auswirken würde. Spanien könne den Sklavenhandel unmöglich innerhalb von acht Jahren abschaffen. Die Versammlung war zwischen den beiden iberischen Mächten auf der einen und den restlichen auf der anderen Seite gespalten, aber die Mehrheit konnte sich nicht durchsetzen, zumal Palmella rundheraus erklärte, seiner Auffassung nach sei diese Frage nicht Gegenstand des Völkerrechts.17 Die Angelegenheit nahm das ganze nächste Treffen der Acht in Anspruch, das vier Tage später, am 20. Januar, stattfand. Castlereagh appellierte an die Moral und bemühte sich, ausführlich zu begründen, warum eine Abschaffung des Handels die Sklavenhalter der Kolonien nicht notwendigerweise schädigen würde. Er legte Unterlagen vor, denen zufolge nach dem Ende des Sklavenhandels das natürliche Wachstum der Sklavenpopulation in britischen und holländischen Kolonien sprunghaft angestiegen sei; der Fortbestand des Angebots von Sklaven sei also gesichert. Er regte an, daß die Konferenz zumindest eine Absichtserklärung zur Abschaffung abgeben solle, und Talleyrand, Nesselrode und andere unterstützten ihn darin. Labrador und Palmella waren einverstanden, jedoch nur unter der Bedingung, daß klargestellt werde, daß jede Macht selber bestimmen dürfe, wann sie den Handel abschaffen wollte. Castlereagh unternahm
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daraufhin den Versuch, Talleyrand zu bewegen, sich einem Zeitraum von drei Jahren anstatt der im Pariser Vertrag vorgesehenen fünf zu fügen. Er versuchte auch, Labrador zu überzeugen, den Aufschub zu verkürzen, doch dieser wies auf die Notwendigkeit hin, daß die Sklavenbevölkerung in Kuba und anderen Kolonien aufgestockt werden müßte. Palmella verteidigte seine Position ebenfalls durch den Hinweis, daß Brasilien die für seine Wirtschaft benötigten Arbeitskräfte fehlten. Er behauptete, der portugiesische Handel sei, was die Lebensbedingungen der Sklaven betreffe, weniger grausam als der der anderen, und forderte mindestens acht Jahre Aufschub.18 Die Widerspenstigkeit der Spanier und Portugiesen verärgerte Castlereagh. «Es scheint, als habe die Erinnerung an unsere Unterstützung es ihnen unmöglich gemacht, irgend etwas zu tun, ohne in höchst überflüssiger und undankbarer Weise auf ihre Unabhängigkeit zu pochen», wie er sich ausdrückte. Dennoch blieb er beharrlich und schöpfte jedes Mittel aus, das ihm zur Verfügung stand. Am 22. Januar wurde zwischen Großbritannien und Portugal ein Vertrag unterzeichnet, nach dem kein portugiesischer Untertan nördlich des Äquators an der Küste Afrikas Sklaven kaufen dürfe; dafür erließ Großbritannien der portugiesischen Regierung die Rückzahlung der 600 000 britischen Pfund, die es ihr 1809 geliehen hatte.19 Beim Treffen der Acht am 28. Januar versuchte es Castlereagh erneut. Er argumentierte, seitdem während der jüngsten Kriege die gesamte westafrikanische Küste nördlich des Äquators unter britische Herrschaft geraten war, sei dort der Sklavenhandel abgeschafft worden. Daher schlug er vor, das Verbot überall nördlich dieser Linie aufrechtzuerhalten. Talleyrand erklärte, Ludwig XVIII. habe dem bereits zugestimmt, beantragte aber, diese Linie bei Cape Palmas zu ziehen, was ein großes Schlupfloch gelassen hätte. Darauf wies Castlereagh hin und bestand auf Cabo Formosa. Da Portugal bereits unterschrieben hatte, gewann nun das Ziel einer sofortigen Abschaffung des Handels in diesem Küstenabschnitt allgemeine Zustimmung, nur Labrador verteidigte weiterhin hartnäckig Spaniens Interessen.20 Beim Treffen der Acht am 4. Februar regte Castlereagh an, eine ständige Kommission einzurichten, um die Sache voranzutreiben, aber Labrador widersprach heftig. Es handele sich um eine innere Angelegenheit jedes Landes, meinte er und erinnerte die Anwesenden daran, daß
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Ein Protokoll, das Gentz während einer Konferenz der fünf Großmächte am 8. Februar 1815 führte. Die Anwesenden sind in der linken Spalte aufgelistet. Von oben nach unten: Metternich, Rasumowskij, Castlereagh, Wellington, Talleyrand, Hardenberg, Wessenberg, Capodistrias, Humboldt. Alle Gespräche wurden auf Französisch geführt und die offi ziellen Schriftstücke in derselben Sprache abgefaßt.
der Kongreß nicht dafür einberufen worden sei, derlei Dinge zu entscheiden oder über Moral zu diskutieren. Castlereagh warf daraufhin die Möglichkeit von Handelssanktionen gegen Produkte auf, die durch Sklavenarbeit erzeugt wurden. Dies löste, liest man zwischen den Zeilen der diplomatischen Sprache, in der das Protokoll abgefaßt wurde, einige häßliche Gegenreden aus. Als sie sich am 8. Februar das nächste Mal trafen, unterzeichneten alle Mächte eine Erklärung, nach der der Sklavenhandel abscheulich und unmoralisch sei. Sie erklärten, ihn ausmerzen und mit Eifer und Nachdruck auf dieses Ziel hinarbeiten zu wollen. Das war nicht gerade ein großer Sieg für Castlereagh, aber es war das Beste, was er unter den gegebenen Umständen erreichen konnte.21 Da die polnischen und sächsischen Streitpunkte beigelegt waren, konnte endlich die Frage von Preußens sonstigen Gebieten und Grenzen
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behandelt werden, und das wiederum bedeutete, daß Castlereagh die Grenzen Hollands und Hannovers einer abschließenden Regelung zuführen konnte. Hannover trat Lauenburg an Preußen ab, das es seinerseits im Austausch gegen Schwedisch-Pommern und Rügen an Dänemark abtrat. Unmittelbar zuvor hatte Dänemark Rügen doch noch von den Schweden erhalten. Der britische Prinzregent war über den Verlust seines angestammten Besitzes Hannover zutiefst bestürzt, wie auch der Lauenburgische Adel, der einen Gesandten nach London schickte, um Protest einzulegen. Aber Castlereagh war zufrieden, weil Hannover dafür die ehemalige preußische Provinz Ostfriesland bekommen hatte, und dadurch wurde das Land Hannover kompakter, es konnte die Emsmündung kontrollieren und stieß entlang seiner gesamten Westgrenze an Holland. Auch die Grenzen Hollands wurden jetzt abschließend festgelegt. Da Preußen aus strategischen Gründen die Provinz Nassau, das Erbe des Hauses Oranien, verlangte, tauschte sie der Souveräne Fürst der Niederlande (der immer noch darauf wartete, in den Rang eines Königs erhoben zu werden) gegen Luxemburg. Er war nicht erfreut, als man ihm erklärte, daß in der eigentlichen Festung Luxemburg zur Verteidigung gegen Frankreich eine preußische Garnison stationiert werden würde. Noch weniger erfreut war er, als ihm klar wurde, daß er als Herzog von Luxemburg verpflichtet wäre, in der Bundesversammlung des Deutschen Bundes zu sitzen; er ließ sich nur dadurch besänftigen, daß Luxemburg zu einem Großherzogtum aufgewertet wurde. Um Alexanders Zustimmung zu diesen Arrangements zu gewinnen, hatte Castlereagh schon im Frühjahr 1814 angeboten, Holland dafür zu gewinnen, die Hälfte der sechs Millionen Pfund Sterling russischer Schulden in den Niederlanden gemeinsam mit Großbritannien zu tilgen. Der Zar jedoch hatte die jüngste Krise genutzt, Castlereagh dazu zu bringen, auch die Rückzahlung der zweiten Hälfte der russischen Schulden zu übernehmen. Am 14. Februar hatten Castlereagh und Wellington eine zweistündige Audienz bei Alexander, auf der alle noch offenen Fragen diskutiert wurden, unter anderem Norditalien, Neapel, die Ionischen Inseln und die Schweiz. Castlereagh schnitt auch das Thema des Balkans und des Osmanischen Reiches an.
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Österreich, dem Rußlands stetiger Vormarsch auf dem Balkan Sorgen bereitete, hatte ursprünglich gehofft, daß dessen jüngste Eroberungen in dieser Region zur Verhandlung gebracht und vielleicht sogar der Hohen Pforte zurückerstattet werden könnten. Es war sogar davon gesprochen worden, dem Sultan anzubieten, einen Bevollmächtigten nach Wien zu schicken. Aber Anfang November hatte sich gezeigt, daß Rußland darauf nicht ansprechbar war, und die Frage war von Problemen in den Hintergrund gedrängt worden, die mehr pressierten. Metternich, Castlereagh und Talleyrand hofften dennoch, weitere russische Eroberungen in dieser Region zu verhindern, indem sie Alexander zwingen wollten, den osmanischen Gebietsbesitz zu garantieren. Der jedoch unterlief ihre Pläne mit der Forderung, formell als Beschützer aller orthodoxen Christen unter osmanischer Herrschaft anerkannt zu werden und das Recht zu erhalten, in deren Interesse zu intervenieren. Castlereagh weigerte sich, dergleichen in Betracht zu ziehen. Aber bei seinem letzten Treffen mit Alexander am 12. Februar unternahm er noch einmal den Versuch, den Zaren, wie auch die anderen Mächte, zu einer Garantieerklärung für die gegenwärtigen Gebiete der Hohen Pforte zu bringen. Alexander schien dafür empfänglich zu sein, und zwei Tage später schrieb Castlereagh dem britischen Botschafter in Konstantinopel, er habe «von Seiner Kaiserlichen Majestät die sehr klare und befriedigende Versicherung seiner Bereitschaft erhalten, gemeinsam mit den anderen Mächten das Osmanische Reich in die allgemeine Garantie einzubeziehen, die der gegenwärtige Kongreß voraussichtlich veranlassen wird».22 Aber er sollte von Alexander gänzlich überlistet werden, der den russischen Botschafter in Konstantinopel anwies, diese Idee dort selber vorzuschlagen, denn er kannte das türkische Mißtrauen gegenüber allem, was von Rußland kam. Und tatsächlich verwarf der Sultan jedes Ansinnen, sich einer Vermittlung zu unterwerfen oder irgendwelche der jüngeren russischen Eroberungen als dauerhaft anzuerkennen. Ein weiteres Thema, das Castlereagh beim Zaren anschnitt, war seine Idee, die unterschiedlichen Vereinbarungen, die in Wien getroffen worden waren, in einer Schlußakte zusammenzufassen, was jede einzelne zum Teil eines Ganzen machen und ihr mehr Gewicht verleihen würde. Er erwog sogar die Möglichkeit, alle Unterzeichner darauf zu verpflichten, für die Einhaltung des Gesamtvertrages einzustehen.
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Alexanders Antwort war ausweichend, aber er schlug vor, das Bündnis am Ende des Kongresses in aller Form zu erneuern, was etwa dieselbe Wirkung haben würde. Castlereagh gefiel dieser Gedanke, der seinem ursprünglichen Konzept eines «Grand Design» für Europa und den Grundsätzen des Vertrags von Chaumont nahekam. Aber er bestand darauf, daß es keine solche Allianz unter Ausschluß Frankreichs geben könne. Alle Mächte, die zum Frieden beigetragen hatten, sollten verpflichtet werden, ein solches Bündnis zu unterstützen – wenn nötig auch militärisch. Alexander «griff diese Idee wohlwollend auf», schrieb Castlereagh. «Insgesamt stellte die Unterredung sowohl den Herzog als auch mich zufrieden und hinterließ bei uns die nicht geringe Hoffnung, daß sich der Kaiser, wenn wir einen versöhnlichen Kurs gegenüber Rußland einschlagen, ohne freilich die von der Vorsicht gebotenen Verbindungen zu lockern, denen wir unsere gegenwärtige starke Position verdanken, dazu bewegen ließe, sich in seiner Heimat zu betätigen, wo er genug zu tun hat, so daß Europa in Frieden leben könnte.»23 Castlereagh nahm am 12. und 13. Februar noch an zwei weiteren Sitzungen des Fünferrats teil, bei denen über eine lange Liste kleinerer Punkte Einigung erzielt wurde. Die Einzelheiten zur polnischen und sächsischen Frage, die die komplizierten Tauschgeschäfte und Abtretungen von Gebieten festlegten, einschließlich der genauen Verortung von Grenzposten und Militärstraßen, Reiseeinschränkungen und Erbregelungen, die sich aus den neuen Grenzziehungen ergaben, wurden verlesen, berichtigt und schließlich beschlossen. Zur großen Enttäuschung Czartoryskis, aber durchaus auch Alexanders, waren für die Polen, die in drei unterschiedlichen Rechtssystemen leben würden, keine politischen Institutionen geschaffen worden. Eine Kommission unter Czartoryski hatte eine Reihe von Empfehlungen vorgebracht, darunter zur grenzüberschreitenden Freizügigkeit für Menschen und Waren, zu mehrfacher Staatszugehörigkeit bei Polen («sujets mixtes»), deren Besitz durch die neuen Grenzen zerschnitten wurde, und sogar zu einer Art gesamtpolnischen Staatsbürgerschaft, die es jedem Polen erlauben würde, in allen drei Teilungsgebieten zu arbeiten oder gar für ein öffentliches Amt zu kandidieren. Aber weder die Fünf noch die Acht hatten sich um diese Fragen gekümmert. Schon im Dezember hatte Liverpool für den Fall, daß Alexander den größten Teil des Großherzogtums Warschau einbehielte, Castlereagh
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angewiesen, er solle verlangen, daß Rußland alle polnischen Gebiete, die es dem ehemaligen Königreich Polen abgenommen hatte, mit dem Großherzogtum zu einem neuen Königreich vereine und ihm eine Verfassung gebe (was im krassen Widerspruch zur bisherigen britischen Politik stand). Castlereagh sollte auch sicherstellen, daß Czartoryski und die anderen Polen dies erfuhren. Ferner sollte er sich auch von jeder Verantwortung für diese erneute Teilung Polens öffentlich reinwaschen, indem er sich von ihr distanzierte und die drei Mächte, die es unter sich aufteilten, aufforderte, auf die Gefühle ihrer polnischen Untertanen Rücksicht zu nehmen.24 Das Abschlußdokument, das Castlereagh auf dieser Grundlage aufsetzte und am 12. Januar verteilen ließ, bekräftigte, daß der ursprüngliche Wunsch seiner Regierung, um dessen Verwirklichung er sich ernsthaft bemüht habe, darin bestehe, «in Polen ein unabhängiges Staatsgebilde von mehr oder weniger bedeutendem Umfang unter einer eigenständigen Dynastie errichtet zu sehen». Nachdem ihm nicht gelungen sei, dies zu bewirken, mahne er jetzt dringlich diejenigen, die über polnische Bevölkerungen herrschen würden, «ein ihnen zuträgliches und sie versöhnendes Regierungssystem» einzuführen. «Die Erfahrung hat gezeigt, daß weder das Glück der Polen noch der Frieden in diesem wichtigen Teil Europas Bestand haben kann, wenn man all den Sitten und Gebräuchen zuwiderhandelt, die sie als Volk kennzeichnen. Zu lange schon und zur Genüge haben Institutionen, denen die Gewohnheiten und Gefühle der Polen fremd sind, den Versuch unternommen, sie ihre Existenz und sogar ihre Sprache vergessen zu machen, und sind gescheitert. Dieses aussichtslose Unterfangen trug nur dazu bei, Gefühle der Unzufriedenheit und Selbsterniedrigung zu verbreiten. So etwas wird nie etwas anderes bewirken, als Unruhen zu provozieren und Erinnerungen an früheres Ungemach wachzurufen.» Er appellierte an die drei betroffenen Monarchen, ihre polnischen Untertanen als Polen zu behandeln und ihnen freiheitliche Institutionen zuzugestehen.25 In seinem Antwortschreiben vom 19. Januar gab Alexander seiner Freude Ausdruck, daß Castlereagh so sehr um das Wohlergehen der Polen besorgt sei, und er versicherte nach allen Seiten, daß man darin auf ihn bauen könne. «Am meisten erstaunt an diesem Papier», schrieb Metternich in seinen Memoiren, «die klare und unverblümte Art, in der den Polen mitgeteilt wird, daß all ihre Hoffnungen auf ein Wiedererlan-
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gen ihrer Unabhängigkeit verloren sind. Es überrascht, daß der Souverän, der sie in den letzten beiden Jahren unermüdlich in dieser Hoffnung bestärkte, eben jener ist, der sie heute über ‹die Unmöglichkeit› informiert, dieses altehrwürdige politische System Europas, zu dem die Unabhängigkeit Polens gehörte, wiederherzustellen.»26 Auch Franz steuerte eine Erklärung bei, in der er versicherte, daß die Wiederherstellung eines freien Polen stets sein Wunsch gewesen sei, den er nur widerwillig den vorrangigen Notwendigkeiten der europäischen Sicherheit unterordne, und versprach, seine polnischen Untertanen mit väterlicher Fürsorglichkeit zu behandeln. Die preußische Erklärung war kürzer, enthielt aber dieselben frommen Beteuerungen. Diese drei Erklärungen würden dem Protokoll des Treffens des Achterrats am 21. Februar angefügt werden.27 Castlereagh verließ Wien schließlich am Morgen des 15. Februar um zehn Uhr, nachdem er eine schlaflose Nacht verbracht hatte. Das Tagebuch des niederländischen Bevollmächtigten von Gagern verzeichnet, daß die britische Delegation die ganze Nacht aufgewesen sei, weil sie möglichst noch jeden unerledigten Punkt abwickeln wollte, bevor der Außenminister abreiste. «Es gab nicht genug Leute für die Arbeit», schrieb er und fügte hinzu, sein eigener Stab sei genauso eifrig damit beschäftigt gewesen, die Details der abschließenden Vereinbarungen bezüglich Hollands niederzuschreiben.28 Castlereaghs Begeisterung für die Idee einer großen Urkunde, die all die verschiedenen Verhandlungsergebnisse enthielte, veranlaßte ihn sogar, eine Erklärung zu entwerfen, die dieser Akte beigefügt werden sollte. Dieser Entwurf stellte teils eine Bitte um Nachsicht dar, indem er zugestand, daß der Kongreß die Hoffnungen vieler nicht erfüllt habe, und teils ein Lob der eigenen Arbeit, indem er unterstrich, wie schwierig es gewesen sei, die anstehenden Probleme zu behandeln. Das Fazit aber war triumphal: Möge überall Sicherheit, Vertrauen und Hoffnung wiedererstehen, und mit ihnen friedliche Arbeit, wirtschaftlicher Fortschritt und sowohl öffentlicher als auch privater Wohlstand! Mögen dunkle Zukunftsängste nicht jene üblen Kräfte wecken oder zurückbringen, deren Wiederkehr die Souveräne zu verhindern und deren letzten Spuren sie auszutilgen wün-
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schen! Mögen religiöse Gefühle, Respekt für legitime Autorität, Gesetzestreue und Abscheu gegenüber allem, was die öffentliche Ordnung stören könnte, wieder zu unauflöslichen Banden der bürgerlichen und der politischen Gesellschaft werden! Mögen brüderliche Beziehungen zwischen allen Ländern zum gegenseitigen Nutzen und Vorteil wiedererstehen! Möge jede Art von Wettstreit aus einem befriedeten Europa verschwinden, mit Ausnahme desjenigen, den das edle Verlangen entzündet, es seinen Nachbarn in den Tugenden, die dem Menschengeschlecht zur Ehre gereichen, in den Künsten, die es erheben, in den Fähigkeiten, die es schmücken, gleichzutun oder sie in ihnen zu übertreffen. Und möge schließlich jenem ewigwährenden Prinzip gehuldigt werden, demzufolge es für Nationen wie für Individuen kein wahres Glück geben kann außer dem Wohlstand aller!29
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Unerledigte Punkte unerledigte punkte
Vor seiner Abreise aus Wien hatte Castlereagh jedem Souverän eine Medaille des Prinzregenten mit der Inschrift «A la Mémoire de la fin du congrès» überreicht. Die Geste könnte etwas voreilig gewesen sein, aber der Optimismus, der sich hinter ihr verbarg, war nicht gänzlich unangebracht. Angesichts des Kraftakts zur Lösung der sächsischen und polnischen Frage, einer wahren Quadratur des Kreises, mußte die Arbeit des Kongresses so gut wie abgeschlossen erscheinen. Auch hatte man sich ernsthaft der vielen kleineren, aber dennoch wichtigen und schwierigen Aufgaben angenommen. Die unterschiedlichen Komitees, die während der letzten vier Monate eingerichtet worden waren, hatten vor allem zwischen den letzten Dezembertagen und Mitte Februar intensiv gearbeitet und ihre Ergebnisse anschließend auf den Sitzungen der acht Mächte vorgelegt, die sich das Ansehen und die Würde einer Kongreßvollversammlung erworben hatten. Am vorbildlichsten war wahrscheinlich die Statistische Kommission, die auf Castlereaghs Geheiß am 24. Dezember eingerichtet worden war. Sie hatte insgesamt sechsmal getagt und am 19. Januar ihre Schlußsitzung abgehalten. Sie hatte sich durch Berge oft zweifelhafter Dokumentationen gewühlt, um schließlich akzeptable Zahlen vorzulegen, die eine abschließende Regelung bezüglich der preußischen Forderungen ermöglichte. Das Komitee zum Reglement über den Rang zwischen den diplomatischen Agenten hatte nicht minder tüchtig gearbeitet. Im Verlauf seiner vier Sitzungen am 16., 24., 27. und 30. Dezember einigte es sich darauf, die Rangfolge der Diplomaten anhand des Datums ihrer Akkreditierung zu bestimmen, wobei die Vertreter der Alliierten und Großmächte keine besonderen Privilegien haben sollten. Bei den Verträgen würde jeder Monarch die für seine Kanzlei bestimmte Abschrift als erster unter-
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zeichnen, gefolgt von den anderen in der Reihenfolge der Daten ihrer Thronbesteigung oder, im Fall von Republiken, ihrer Wahl. Dieselbe Rangordnung sollte auch die Salutschüsse von Schiffen in Häfen und auf See regeln. In allen Fällen genoß der apostolische Legat Vorrang vor allen anderen. Lord Cathcart widersprach in seiner Eigenschaft als Vertreter Großbritanniens; auch wenn sein Land bereit sei, sagte er, ihm aus Höflichkeit Vorrang zu gewähren, geschähe dies nicht de jure; der schwedische Abgesandte unterstützte ihn in diesem Punkt. Beide Mächte wurden schließlich bewogen, nachzugeben.1 Als jedoch diese Empfehlungen am 20. Januar beim Treffen der Acht vorgelegt wurden, waren die versammelten Bevollmächtigten mit dem Begriff von Gleichberechtigung, den sie enthielten, alles andere als zufrieden. Die Sache wurde daher bei ihrer Zusammenkunft am 9. Februar ausführlicher besprochen. Palmella und Labrador regten an, politische Gebilde in zwei Kategorien einzuteilen, denn sie hielten es für absurd, den Gesandten eines winzigen Fürstentums zu behandeln, als sei es Rußland oder Großbritannien ebenbürtig. Auch waren sie nicht der Meinung, daß Republiken dieselbe Hochachtung genießen sollten wie altehrwürdige Königreiche. Rasumowskij, Talleyrand, Metternich, Löwenhjelm und Humboldt setzten sich für eine Unterteilung in drei Kategorien ein. Castlereagh hielt dagegen, all dies würde zu lächerlichen und unnötigen Komplikationen führen. Nach einer hitzigen Debatte wurde die Angelegenheit, einschließlich der Gegenvorschläge, zur weiteren Beratung an das Komitee zurückverwiesen, schließlich aber wurde der überaus vernünftige ursprüngliche Vorschlag angenommen, der seither die Regeln des diplomatischen Protokolls bestimmt hat.2 Das Schweizer Komitee hatte widerspenstigere Probleme bewältigen müssen; seit dem 12. Dezember hatte es regelmäßig getagt. Österreich war darin durch Wessenberg, Großbritannien durch Stewart und später durch Stafford Canning, den britischen Gesandten in der Schweiz, Rußland durch Capodistrias und vom Stein, und Preußen durch Humboldt vertreten. Als Metternich im Dezember 1813 den Durchzug der Alliierten durch die Schweiz vorbereitete, hatte er Agenten dorthin entsandt, die die vormals regierende Aristokratie darin ermutigen sollten, eine Rückkehr zum alten Regime zu fordern und Österreich um Schutz zu bitten. Als österreichische Truppen in Bern einzogen, ergriffen die früheren Oligar-
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unerledigte punkte Schaffhausen
Die Schweiz
ein
Hüningen Basel
Rh
Basel
Pruntrut
Solothurn
FRANKREICH
Aargau
Aarau
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Neuenburg
Neuenburg
Solothurn Luzern Luzern
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Winterthur
Freiburg Waadt
St. Gallen
Zürich
Zürich
Appenzell St. Gallen
ÖSTERREICH
Sal Schwyz Glarus
Bern Bern
B AY E R N Bodensee
Unterwalden
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Uri
Freiburg
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Chur
Graubünden
Lausanne Chiavenna
Genfer See
Versoix
Rhône
Genf
Genf
Bormio
Tessin
Locarno
Veltlin
Wallis
LOMBARDEI KGR. SARINIEN
Kantone, die der Schweizerischen Eidgenossenschaft durch den Wiener Kongreß zugesprochen wurden
chen die Macht und begannen unter stillschweigender Duldung Metternichs die alte Ordnung wieder einzuführen. Andere alte Kantone schlossen sich an, während die neuen rebellierten. Angesichts der Möglichkeit, wieder Bern einverleibt zu werden, spalteten sich die Kantone Waadt und Aargau ab und schworen, ihre Freiheit zu verteidigen. Am 3. Januar 1814 forderten die Alliierten die Kantone auf, einen gemeinsamen Rat, die Tagsatzung, zusammentreten zu lassen und eine Verfassung auszuarbeiten. Die alten aristokratischen Kantone (Bern, Solothurn, Uri, Unterwalden, Luzern, Glarus und Freiburg i.Ü.), die «Alte Schweiz», beriefen eine Tagsatzung in Luzern ein, die demokratischen, der «Bundesverein», eine konkurrierende in Zürich. Ein Bürgerkrieg drohte, aber es gelang den Abgesandten der Alliierten, die beiden Seiten davon abzuhalten, gewaltsam gegeneinander vorzugehen. Die «Alte Schweiz» zog sich schmollend und unter Protest zurück, während die Zürcher «Lange Tagsatzung» über eine erstaunliche Fülle unterschiedlicher Vorschläge für die künftige Struktur des Landes leidenschaftlich und hartnäckig debattierte, wobei die Vertreter jedes Kantons und jeder Interessengruppe nicht nur die anwesenden Agenten der Alliierten – Capodistrias und Lebzeltern – bedrängten,
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sondern sogar ins Hauptquartier der Alliierten fuhren, um für ihr Anliegen zu werben. Die Alliierten waren inzwischen bereits in Chaumont und ließen Anfang März 1814 verlautbaren, daß sie nur eine auf liberale Prinzipien gegründete Verfassung für die Schweiz anerkennen würden, wofür sie versprachen, der zukünftigen Eidgenossenschaft Genf und das Wallis anzugliedern. Auf Druck der Alliierten nahmen selbst die Kantone der «Alten Schweiz» an der Tagsatzung teil, die am 6. April (unter Verlesung einer erbaulichen Predigt Alexanders) eröffnet wurde. Aber sie behinderten nach wie vor die Bemühungen um eine liberale Verfassung, im sicheren Wissen, daß sie Metternichs Unterstützung genossen. Der Pariser Vertrag hatte eine unabhängige Schweiz vorgesehen, mit einer Verfassung, die dem Willen ihres Volkes entsprechen sollte. Aber einer Geheimklausel zufolge bedurfte diese Verfassung einer Zustimmung durch die Alliierten. Diese hatten außerdem beschlossen, der Schweiz nicht nur Genf zu geben, sondern auch das ehemalige Fürstbistum Basel, das zum Heiligen Römischen Reich gehört hatte und von Napoleon annektiert worden war, ferner die Städte Biel und Mülhausen, sowie Neuchâtel / Neuenburg, ein weiteres Fürstentum des Heiligen Römischen Reiches, das Marschall Berthier 1806 als Apanage erhalten hatte. Die Einzelheiten sollten auf dem bevorstehenden Wiener Kongreß ausgehandelt werden, zu dem die Vertreter der Schweiz nur dann zugelassen werden sollten, wenn sie sich vorher auf eine geeignete Verfassung verständigt hätten. Am 12. September 1814 nahm die Schweizer Tagsatzung das Wallis, Genf und Neuchâtel in die Eidgenossenschaft auf, in der somit insgesamt zweiundzwanzig Kantone vertreten waren, und einigte sich am 20. September auf eine neue Verfassung, den Bundesvertrag. Bern drohte jedoch noch immer, das Ganze zu gefährden und die Eidgenossenschaft zu zerstören, solange es nicht den Aargau und das Wallis zurückerhielt. Seine Bürger meinten, daß sie durch die Intervention der Franzosen – die sogar seine zwei Bären, die Wappentiere der Stadt, mitgenommen und in den Pariser Jardin des Plantes gegeben hatten – mehr gelitten hätten als andere. Die Stadt hatte viel Territorium verloren, während ihre Goldreserven, die man in London deponiert hatte, von den Briten zurückbehalten wurden.3 Zur Schweizer Delegation beim Kongreß gehörten Hans von Rein-
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hard, der Bürgermeister von Zürich; Jean de Montenach, ein Patrizier aus Freiburg i. Ü., und Johann Heinrich Wieland, der Bürgermeister von Basel. Was sie durchsetzen wollten, war die Anerkennung der Eidgenossenschaft als unabhängiger Staat und die Bestätigung seiner Neutralität; die Eingliederung Basels und Biels; von Frankreich eine Landverbindung zwischen Genf und der restlichen Eidgenossenschaft; die Wiedererlangung der Stadt Konstanz von Baden und des Veltlin (damals in österreichischer Hand); und eine Entschädigung für Schweizer Immobilienbesitz, der in Österreich und Baden konfisziert worden war. Ihre Aufgabe wurde zusätzlich dadurch erschwert, daß der ständige Gesandte am österreichischen Hof, Baron von Müller d’Aarwangen, der seit Jahren in Wien gelebt hatte, ein eingefleischter Berner Reaktionär war; daß fast jeder Kanton seine eigenen Delegierten entsandte; daß Biel einen Vertreter geschickt hatte, der die Unabhängigkeit der Stadt verlangen sollte; daß zwei Abgesandte aus dem Jura die Wiedererrichtung des Bistums Basel forderten; daß sich Abt Pankraz Vorster für die Wiederherstellung der souveränen Abtei Sankt Gallen einsetzte; und daß die meisten von ihnen offenbar miteinander im Zwist standen. «Ich erkenne alles an, was Sie mir Gutes über Genf gesagt haben», teilte einer der kleineren Bevollmächtigten einem erstaunten Capodistrias mit, «aber für uns Gebirgsbewohner gibt es dort zu viel Reichtum, zu viel Geist und zu viel Kultur.» Selbst Reinhard war nicht wohl bei dem Gedanken, daß Genf zu viel Gebiet von Savoyen dazugewinnen könnte, da dies die Zahl der Katholiken in der Eidgenossenschaft vergrößern würde, was ihm «Angst einjagte». Daß der neue Kanton Waadt als seinen Repräsentanten keinen geringeren als den Revolutionär Frédéric César de La Harpe nach Wien entsandt hatte, stellte für alle eher konservativen Kräfte ein ganz besonderes Hindernis dar.4 Es verwundert nicht, daß Alexander die neuen Kantone und die Liberalen unterstützte, während Bern und die Konservativen Schutz bei Österreich und Preußen suchten. Großbritannien hatte zur Schweiz keine eindeutigen Präferenzen. Stratford Canning favorisierte die Liberalen, Castlereaghs Haltung war vor allem opportunistisch. Talleyrand war darauf aus, französische Interessen zu verteidigen, und sah es als seine Pflicht an, die frankophonen Katholiken des ehemaligen Bistums
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Basel vor der Herrschaft der deutschsprachigen Berner Protestanten zu retten. Auf der ersten Sitzung des Schweizer Komitees am 14. November bat Reinhard als Delegierter der Eidgenossenschaft alle versammelten Bevollmächtigten um die Anerkennung der Schweizer Neutralität und um die Festsetzung seiner Landesgrenzen, damit es sich besser verteidigen könne. Aber die Diskussion wandte sich bald dem Problem zu, wie man Bern dazu bringen könnte, seine Forderungen auf die Waadt und den Aargau fallenzulassen. Wessenberg schlug vor, Bern mit einem Teil des alten Fürstbistums Basel zu entschädigen, worin Humboldt ihn unterstützte. Das wurde auch auf dem nächsten Treffen erörtert und auf dem dritten Treffen, am 30. November, erklärte der Abgesandte Berns, Ludwig Zeerleder, er akzeptiere die Unabhängigkeit der Waadt und verlange nur noch die Rückgabe des Aargau. Auf dem fünften Treffen des Komitees am 10. Dezember verkündete Wessenberg, Österreich sei bereit, das Veltlin an die Schweiz abzutreten, ließ aber dann einige Vertreter dieser Region hereinführen, die verlangten, Teil der österreichischen Lombardei bleiben zu dürfen. Unterdessen war es Talleyrand gelungen, in Gestalt des Herzogs von Dalberg einen französischen Bevollmächtigten im Komitee zu plazieren. Dalberg gab bekannt, daß Frankreich bereit sei, den Landstreifen bei Gex und Versoix am Nordufer des Genfer Sees mit 10–12 000 Seelen abzutreten, den die Abgesandten der Stadt, Pictet und d’Ivernois, so sehr begehrten; dies jedoch nur, wenn es mit einem kleineren Stück von Pruntrut (Porrentruy), einem Teil des ehemaligen Fürstbistums Basel und dem Dappental (Teil der Waadt) entschädigt würde. Stewart mischte sich mit einem Vorschlag von bizarrer Komplexität ein, der eine Kette von Tauschgeschäften dreier Schweizer Kantone, Frankreichs und Sardiniens umfaßte, was zur Folge hatte, daß Frankreich sein Angebot auf der nächsten Sitzung am 13. Dezember wieder zurückzog. Mitte Dezember wurde die Stimmung gereizt, und Beleidigungen flogen hin und her.5 Am Schweizer Komitee wurde überdeutlich, woran der gesamte Kongreß krankte. Die in ihm vertretenen «Zwischenmächte» sollten angeblich unparteiisch sein und sowohl über die Dispute zwischen den Kantonen als auch über eine Reihe von kleineren Grenzkorrekturen entscheiden, die aber mit Ausnahme innerschweizerischer keine vitalen Interessen anderer tangierten. Da aber jede der fünf Mächte in der
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Schweiz eigene Schützlinge hatte, und weil jede von ihnen mit den anderen über Dinge verhandelte, die mit den schweizerischen Angelegenheiten nichts zu tun hatten, wurden diese nicht mehr unvoreingenommen diskutiert, sondern in den Machtkampf um Polen und Sachsen hineingezogen. Die Versuche zur Klärung der Schweizer Frage veranschaulichen auch, wie Parteien, die sonst nichts miteinander zu tun hatten, in Konflikt gebracht wurden. Als die Genfer Bevollmächtigten erfuhren, daß sie keine Landbrücke zum Rest der Eidgenossenschaft bekommen würden, weil Frankreich nicht zuzumuten sei, noch mehr Land abzutreten, schlugen sie vor, ihm als Ersatz dafür einen gleichwertigen Streifen in Belgien zu überlassen. Aber da dieser bereits den Niederlanden zugesprochen war, ärgerte sich deren Bevollmächtigter, und auch Castlereagh war über die Genfer erzürnt, weil sie sein Wunschprojekt einer starken holländischen Barriere gegen eine französische Expansion bedrohten.6 Bern ließ sich schließlich am 18. Dezember, der achten Tagung des Komitees, durch die Hinzufügung des größten Teils der Bistümer Basel und Biel und durch das Versprechen beschwichtigen, es werde das Geld zurückerhalten, das es vor etwa zwanzig Jahren in London hinterlegt hatte. Die Genfer hingegen bekamen nicht, was sie wollten. Weder Castlereagh noch Metternich noch Hardenberg, ja nicht einmal Alexander, waren bereit, sich für die Stadt einzusetzen, und obgleich Talleyrand sich ihnen gegenüber herzlich verhielt und oft beteuerte, ihnen helfen zu wollen, war er doch entschlossen, ihnen die begehrte Landbrücke zu verweigern, ja er schmiedete sogar Pläne, den weit abgelegenen Vorort Carouge von Genf abzuspalten. Im Januar 1815 machte Talleyrand den perfiden Vorschlag, die umstrittenen Gebiete nicht gänzlich in die Eidgenossenschaft zu integrieren, sondern ihnen den Status von assoziierten Mitgliedern zu geben, wodurch sie irgendwann dem Zugriff Frankreichs und Österreichs ausgesetzt gewesen wären.7 Am 16. Januar diskutierte das Komitee den Verfassungsentwurf der Schweizer Tagsatzung und erklärte ihn für «unvollkommen». Dennoch beschloß man, ihn anzunehmen, da man fürchtete, daß jeder Versuch, ihn zu verändern, latente Dispute wiederaufleben lassen könnte. Es war in der Tat ein unvollkommener Kompromiß, ein schwacher Abklatsch der napoleonischen Mediationsakte von 1803, die eine der größten Leistungen darstellte, die er irgendeinem Land hatte angedeihen lassen.8
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Mit Ausnahme des Veltlin (dessen Schicksal, wie Österreich forderte, von der Klärung seiner Ansprüche gegenüber Bayern abhinge), wurde zu den meisten strittigen Punkten auf der zwölften Sitzung des Schweizer Komitees am 5. März 1815 eine Einigung erzielt. Alexander unternahm hier allerdings noch einen plumpen Versuch, Bern von jedweder führenden Rolle in der Eidgenossenschaft auszuschließen. Er versuchte sogar, die Stimme Frankreichs zu kaufen, indem er Talleyrand erneut anbot, ihm bei der Vertreibung Murats aus Neapel zu helfen. Was sonst noch zu verhandeln war, sollte auf der dreizehnten Sitzung am 13. März nachbereitet werden. Die Bevollmächtigten Genfs hatten nichts erreicht, ebensowenig wie Abt Pankraz Vorster. «Traurige Nachricht und wahrhaftig ein Todesurteil für die Abtei Sankt Gallen», schrieb er am 20. März in sein Tagebuch.9 Weit weniger kontrovers ging es in dem Komitee über die freie Schiffahrt auf internationalen Strömen zu, das am 2. Februar zusammentrat. Es befaßte sich mit den Regelungen für Flüsse wie den Rhein, die Maas, den Neckar, den Main oder die Schelde, die durch verschiedene Staaten flossen oder Grenzen zwischen ihnen zogen. Dem Komitee gehörten Vertreter aller Mächte an, deren Ufer direkt betroffen waren, sowie Delegierte Großbritanniens, Österreichs und Frankreichs. Es hielt eine zweite Sitzung am 8. Februar ab; weitere Sitzungen folgten am 20. und 23. Februar, und am 24. Februar hatte man nicht nur die meisten Fragen abgearbeitet, sondern auch die Gründung einer ständigen internationalen Kommission in Mainz oder Frankfurt beschlossen, die bei allen Streitigkeiten und weiteren Entwicklungen steuernd eingreifen sollte. Seine siebte Sitzung am 3. März regelte Einzelheiten zu Zöllen, Steuern und Abgaben; außerdem schuf sie eine Klassifikation von Binnenschiffen. Auf den Konferenzen der Fünf und der Acht, die jetzt regelmäßig tagten, fand man sogar Zeit, sich der Anliegen einiger kleinerer Interessenvertreter anzunehmen. Es wurde ein Ausschuß eingerichtet, der die Rechtmäßigkeit konkurrierender Besitzansprüche auf das alte Herzogtum Bouillon in den Ardennen überprüfte. Man untersuchte die Forderungen verschiedener Personen auf eine erstaunliche Vielfalt von Territorien und Vorrechten – wie etwa den Anspruch des Fürsten von Piombino auf Rückerstattung seiner Insel Elba oder das ererbte Monopol derer von Thurn und Taxis auf den Postverkehr im ganzen Heiligen
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Römischen Reich – und wies sie sehr oft ab. Am 11. Februar erhob der Kongreß auf Antrag Alexanders seinen Vetter, den Herzog von SachsenWeimar, zum Großherzog.10 Am 24. Februar beriet man sich über den Malteserorden. Der Souveräne Ritter- und Hospitalorden vom heiligen Johannes zu Jerusalem, der im zwölften Jahrhundert in der Heiligen Stadt residiert hatte, war nach dem Fall des Kreuzfahrerstaates gezwungen gewesen, sein Hauptquartier auf die Insel Rhodos zu verlegen. Von dort waren die Ordensritter von den Türken vertrieben worden; sie zogen sich diesmal auf die Insel Malta zurück, die ihnen der König von Spanien 1530 vermacht hatte, von wo aus ihre Galeeren das Mittelmeer überwachten und die Piraten der Barbareskenstaaten in Schach hielten. 1798 ergaben sie sich dem nach Ägypten ziehenden General Bonaparte, im Jahr 1800 jedoch wurde die Insel von den Briten erobert. Wie sehr man Legitimität auch sonst hochhielt, hier war allen klar, daß Großbritannien einen hervorragenden Seestützpunkt wie Malta nicht aufgeben würde. Der Orden hatte zwei Bevollmächtigte geschickt, die bereit waren, mehr oder weniger jede Alternative zu akzeptieren, die ihm eine Basis für sein Fortbestehen bot. Als daraus nichts wurde, versuchten sie, von Großbritannien eine Entschädigung in Höhe von etwa dreißig Millionen Francs für die Festungsanlagen, die Kanonen und die Infrastruktur von Valletta zu bekommen. Zusätzlich wurde ihre Lage dadurch erschwert, daß einige Ritter nach dem Fall von Malta nach Rußland gegangen waren und den Zaren Paul zu ihrem Großmeister ernannt hatten, ein Schritt, der ebenso satzungswidrig wie frevelhaft war, denn der Zar war weder katholisch noch echter Ritter. Paul I. hatte die Ehrung angenommen, weil sie nicht nur zu seinen Träumen von einer Eroberung Konstantinopels paßte, sondern auch zu denen von einer Marinebasis im Mittelmeer. Dieser Zwischenfall hatte nicht nur die Legitimität des Ordens untergraben; er machte dessen Bevollmächtigte auch zum Objekt von Beschimpfungen seitens anderer Ordensbrüder. Der schwedische Bevollmächtigte Löwenhjelm schlug vor, Spanien solle dem Orden die Insel Menorca überlassen. Entrüstet erwiderte Labrador, der Orden habe sich als derart feige erwiesen, daß er es nicht verdiene, überhaupt irgend etwas zu erhalten. Aber, fuhr er fort, Spanien könnte ein solches Geschenk vielleicht in Erwägung ziehen, wenn Großbritannien Malta seinem ursprünglichen Besitzer Spanien zurück-
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erstatte. Da aber Großbritannien offenbar so sehr daran gelegen sei, Malta zu behalten, sagte er, solle es den Orden doch mit einem Stück Land in Irland entschädigen.11 Als mögliche Alternativen wurden die Inseln Elba und Korfu ins Gespräch gebracht, aber die Uneinigkeit innerhalb der verbliebenen Ordensleitung, ganz zu schweigen von der jüngsten Anbiederung an Rußland, machte es unwahrscheinlich, daß dem Orden die Ionischen Inseln oder irgendein anderes wichtiges Gebiet zuerkannt werden würde. Am Ende erhielt der Malteserorden, in den Worten eines seiner Bevollmächtigten, «nicht ein einziges Sandkörnchen».12 Die sieben Ionischen Inseln waren auch im Zusammenhang mit Prinz Eugène de Beauharnais erwähnt und sogar für Marie-Louise als Alternative zu Parma vorgeschlagen worden. Aber sie waren zu wichtig, um leichtfertig weggegeben zu werden. Ursprünglich waren die Siebeninseln eine Kolonie der Republik Venedig gewesen, bevor sie von Frankreich und danach von Großbritannien erobert wurden, in dessen Besitz sie sich jetzt befanden. Auch Russen und Österreicher hatten ein begehrliches Auge auf sie geworfen. Aber da voraussichtlich weder Frankreich noch Großbritannien zulassen würden, daß der jeweils andere sie bekam, sahen die einheimischen Patrioten die Gelegenheit gekommen, eine unabhängige Ionische Republik zu gründen. Capodistrias unterstützte diese Idee leidenschaftlich, schließlich war er selbst ein Adliger aus Korfu und entstammte einer für ihren Patriotismus berühmten Familie, die sich sowohl der venezianischen als auch der französischen Herrschaft widersetzt und im Jahr 1800 die «Republik der Sieben Inseln» mitgegründet hatte. Er selber hatte die Errichtung des russischen Protektorats über die Inseln, das 1802 im Vertrag von Amiens beschlossen wurde, mitgetragen und sich 1803 am Verfassungsentwurf beteiligt. Nachdem die Franzosen die Inseln 1807 ein weiteres Mal überrannt hatten, war er in russische Dienste getreten. Gutaussehend, intelligent und freimütig, wie er war, hatte er rasch die Zuneigung Alexanders und die Wertschätzung unter seinesgleichen gewonnen. Er hoffte, daß die Inseln eine gewisse Autonomie, wenn nicht gar die volle Unabhängigkeit erlangen könnten. Über ihren endgültigen Status sollte jedoch nicht beschlossen werden, bevor eine Lösung für Italien gefunden wäre, weil die beiden Fragen eng zusammenhingen. Italien aber war ein Gebiet, auf dem man noch überhaupt keinen Fortschritt erreicht hatte.13
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Verwunderlich ist das nicht. Im Oktober war davon die Rede gewesen, ein Italienisches Komitee einzusetzen, das sich mit den offenen Problemen der Halbinsel auseinandersetzen sollte, was Metternich aber eiligst verhindert hatte. Nach seinem Willen sollte Italien ausschließlich österreichische Einflußzone sein. Das Haus Österreich hatte 1714 das Herzogtum Mailand erworben, und später wurden auch die Toskana und das Herzogtum Modena von österreichischen Erzherzögen regiert. 1797 hatte General Bonaparte all diese Besitztümer an sich gerissen, den Österreichern aber im Austausch die Republik Venedig gegeben (die er sich 1805 wieder nahm). 1813 stand das gesamte italienische Festland unter französischer Herrschaft, und die Alliierten waren damit einverstanden, Österreich hier für seine Verluste in Belgien, Deutschland und Polen zu entschädigen. Österreich hatte daher den größten Teil Oberitaliens eingenommen, als sich die französische Armee zurückzog. Der König von Sardinien hatte seine Festlandsgebiete, die um Genua erweitert worden waren, wieder zurückerhalten. Weder Viktor Emanuel noch sein Bruder Karl Felix verfügten über männliche Erben, und da Viktor Emanuels Tochter, Maria Beatrix von Savoyen, mit dem österreichischen Erzherzog Franz IV. von Modena verheiratet war, hegte Metternich Hoffnungen (die sich zerschlagen sollten), daß Österreich auch dieses Königreich seinem Einflußbereich anschließen könne. Was Süditalien betraf, so hatte sich Murat in Neapel fest eingerichtet; seine Truppen hielten zudem die zum Kirchenstaat gehörende Provinz Marken besetzt, was Metternich daran erinnern mußte, daß ihm laut Vertrag vom Januar 1814 ein Territorium zustand, das ihn um 400 000 zusätzliche Untertanen reicher machen würde. Der Papst war in Rom, wo er lautstark die Vertreibung Murats aus den Marken verlangte. Seine Verzweiflung trieb ihn sogar dazu, mit Murat in Verhandlungen zu treten, der bereit war, den größten Teil der Provinz zurückzugeben und nur Ancona mit Umland zu behalten, sofern der Papst ihn dafür als König von Neapel anerkannte.14 Zusätzlich forderte der Papst den Abzug der österreichischen Truppen aus seiner anderen Provinz, den Legationen. Aber Metternich beabsichtigte nicht, diese oder überhaupt irgendeine Region zu räumen, die Österreich derzeit besetzt hielt – Toskana, Parma, Piacenza (eine wichtige Festung), Guastalla, und andere. Wem auch immer letztlich
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die Legationen zufallen sollten, Metternich war entschlossen, zumindest das strategisch wichtige Ferrara bei Österreich zu halten. Das Doppelherzogtum Parma-Piacenza und das Herzogtum Guastalla waren Marie-Louise im Vertrag von Fontainebleau versprochen worden, und da sie die Tochter des Kaisers Franz war, würden diese Gebiete dem österreichischen Einflußbereich erhalten bleiben. Ungeklärt war jedoch, was nach ihrem Tod mit diesen Herzogtümern geschehen würde, denn die meisten Alliierten lehnten strikt ab, daß Napoleons Sohn jemals einen Thron besteigen könnte, wie unbedeutend dieser auch immer sein mochte. Spanien wollte, daß man die Herzogtümer Maria Luisa zurückerstatte, die Königin von Etrurien und dann Königin ohne Land geworden war. Man hatte sogar erwogen, sie mit den Legationen zu entschädigen, aber für sie als fromme Katholikin kam eine Enteignung des Papstes nicht in Frage. Es wurde gemunkelt, daß Metternich Murat aus Zuneigung für seine ehemalige Geliebte Caroline in Neapel auf dem Thron belasse. Was von ihrem Briefwechsel aus dieser Zeit noch erhalten ist, bestätigt diese Vermutung jedoch nicht; Metternich hatte bessere Gründe, Murat vorerst in Neapel zu halten. Sein Sturz würde vielmehr wieder einem Bourbonen an die Macht verhelfen und damit französischem Einfluß in Italien das Tor öffnen. Und jedes Handeln würde in der gegenwärtigen Pattsituation anderen ermöglichen, Ärger zu machen. So auch sicherlich Alexander, wenn man ihn ließe. Er war auf der Suche nach einem Thron für den Prinzen Eugène Beauharnais. Außerdem wollte er auf der italienischen Halbinsel Freunde und potentielle Schützlinge gewinnen, um Druck auf Österreich ausüben zu können und sich vielleicht sogar einen Marinestützpunkt im Mittelmeer zu verschaffen. Gegen Ende Februar setzte er sich hartnäckig dafür ein, Prinz Eugène in den Legationen oder in Bernadottes ehemaliger Apanage Pontecorvo zu installieren. Auch er hatte es nicht eilig, Murat zu entfernen, aber aus anderen Gründen als Metternich; es hieß, er habe gesagt, daß es in Italien eine unabhängige Macht geben solle, die weder dem Hause Habsburg noch dem der Bourbonen angehöre.15 Die einzigen Mächte, die sich dafür einsetzten, Murat aus Neapel zu beseitigen, waren Frankreich und Großbritannien. Aber Frankreich mußte es vermeiden, den Eindruck zu erwecken, es habe in Italien irgendwelche Absichten, denn dann hätte es das vereinte übrige Europa
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gegen sich. Auch aus persönlichen Gründen mochte Talleyrand der Status quo genehm gewesen sein: Es ist nahezu sicher, daß ihm König Ferdinand von Neapel hohe Summen zukommen ließ, damit er ihn unterstütze, und offenbar erhielt er auch von Murat große Beträge, wenn auch für den genau entgegengesetzten Zweck. Großbritannien wollte Murat aus Neapel entfernt wissen, weil er Napoleon, solange dieser auf Elba war, einen günstigen Brückenkopf bieten könnte. Wellington hatte wiederholt angeregt, zur Vertreibung Murats einen von einem britischen Kontingent unterstützten Verband aus französischen, spanischen, portugiesischen und sizilianischen Truppen zusammenzustellen. Aber Liverpool hielt ihn zurück. In England kamen Militäroperationen, die man mit hohen Steuern gleichsetzte, nicht gut an. Überdies erfreute sich Murat in London vieler Anhänger, die er durch eine beträchtliche Zahl freundlich gestimmter Italientouristen gewonnen hatte, die er schamlos umgarnte, wenn sie durch Neapel kamen.16 Die Interessen Großbritanniens und Frankreichs stimmten, was Italien betraf, fast in jedem Punkt überein, und dennoch mißtrauten Castlereagh und Liverpool Talleyrand so sehr, daß sie über diese Frage mit Ludwig XVIII. und dessen wichtigstem Minister, dem Herzog Pierre-Louis de Blacas, separat verhandelten. Sie stachelten dessen Eifersucht auf Talleyrand auf, womit sie nur ein großes Durcheinander stifteten, das Castlereagh weiter steigerte, indem er Talleyrand von den Gesprächen ausschloß, die er in dieser Sache mit Metternich führte.17 Für die unglückselige Marie-Louise waren die verschiedenen Winkelzüge in Italien höchst entmutigend. Obgleich der Vertrag von Fontainebleau ihr Parma, Piacenza und Guastalla zuerkannt hatte, die später ihr Sohn erben sollte, fürchtete sie, ihre Herrschaft vielleicht nie antreten zu können. Hin und wieder sagte man ihr, es könne vielleicht ein anderes Gebiet in Böhmen, auf den Ionischen Inseln oder anderswo für sie gefunden werden. Alexander besuchte sie regelmäßig, häufig in Begleitung des Prinzen Eugène, um ihr zu versichern, daß sie ihre Herzogtümer bald erhalten werde, aber nichts geschah, so daß sie in beständiger Ungewißheit lebte.18 Die Frage einer deutschen Verfassung war ebenfalls vernachlässigt worden. Dabei war das Deutsche Komitee das erste gewesen, das man –
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am 14. Oktober – einberufen hatte, und eigentlich hätte das Thema keiner größeren Debatten mehr bedurft, da Metternich doch offenbar Hardenbergs ursprünglichen, dem Komitee am 16. Oktober unterbreiteten Vorschlag angenommen hatte. Der Entwurf hatte einen Bund der deutschen Staaten vorgesehen, von dem die preußischen und österreichischen Gebiete ohne deutsche Bevölkerung ausgeschlossen sein sollten, also ein Großteil dieser beiden Länder. Das deutsche Gesamtgebiet sollte in neun oder sieben «Kreise» unterteilt werden, an deren Spitze jeweils ein «Kreisoberst», der Landesherr des mächtigsten Staates des Kreises, stehen sollte. Ein «Rat der Kreisobersten» sollte legislatives und exekutives Organ des Bundes sein; Österreich und Preußen hätten in ihm die Stimmenmehrheit. Ein permanenter «Rat der Fürsten und Stände», eine Art Parlament, hätte legislative Aufgaben gehabt; ein rein österreichisch-preußisches «Bundesdirektorium» sollte überdies zwischen den beiden Organen im Konfliktfall vermitteln. Alle drei Organe zusammen bildeten die regierende «Bundesversammlung» in Frankfurt. Am Widerstand Württembergs und Bayerns war das Projekt fehlgeschlagen. Obgleich das Komitee dreizehnmal tagte, hatte Metternich, der bis dahin mit Hardenberg wegen Sachsen überkreuz lag, sie nicht umstimmen können und nur noch versucht, ihren Zorn auf Preußen zu lenken. Dies sollte ihm später, als sich die Krise verschärfte, noch leid tun, als Württemberg begann, Rußland gegen Österreich zu unterstützen. Ein freiwilliger Konsens über eine Verfassung für Deutschland erschien unwahrscheinlich, da die Variationsbreite der eingebrachten Vorschläge ungemein groß war: etwa eine Wiederherstellung des Alten Reiches, sei es unter habsburgischer Dominanz wie früher oder nun unter preußischer; eine Konföderation gleichberechtigter Staaten; ein stärker integriertes föderales Staatsgebilde; zwei Föderationen, eine unter österreichischer und eine unter preußischer Dominanz; schließlich die völlige Unabhängigkeit aller vorgesehenen Staaten. Nachdem sie während der letzten acht Jahre unter der vergleichsweise zurückhaltenden Oberherrschaft Frankreichs gelebt hatten, konnten sich viele Fürsten nicht mit der Idee einer österreichischen oder preußischen Dominanz anfreunden, während Patrioten und Liberale eher eine stärkere kaiserliche Autorität favorisierten, um die Ambitionen der mittelgroßen
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Staaten zu bremsen, die tendenziell despotischer und weniger nationaldeutsch eingestellt waren. In dieser Hinsicht läßt sich am Freiherrn vom Stein gut veranschaulichen, wie die Umstände eine Vision verformen können. Er hatte sich stets nach einem deutschen Einheitsstaat gesehnt, aber es war ihm auch bewußt, daß dieser sich nicht sofort und ohne Voraussetzungen herstellen ließ. Daher hoffte er, Preußen würde so viele deutsche Gebiete wie möglich absorbieren und den Rest dominieren. Falls dies nicht gelänge, bevorzugte er eine Konföderation, in der Preußen eine führende Rolle spielen sollte. Aber schon Anfang 1815 sah er sich zu einer pragmatischeren Haltung gezwungen. Da er in den Staaten, die ihre Unabhängigkeit erbittert verteidigten – wie Württemberg, Bayern und Baden –, die größte Bedrohung für das Zustandekommen einer wie auch immer gearteten deutschen Einheit sah, plädierte er Anfang Februar für die Rückkehr zu einem Kaiserreich alter Art unter habsburgischer Dominanz. Metternich jedoch, der zutiefst an die traditionellen Formen politischer Herrschaft glaubte, wie sie das Heilige Römische Reich verkörperte, hatte seinerseits eingesehen, daß sich die Welt geändert hatte, und deshalb war ihm jetzt jede Regelung recht, die Deutschland unter österreichischen Einfluß – nicht österreichische Herrschaft – brachte.19 Innerhalb des Komitees wurde mitunter erbittert gestritten, wobei alle Beteiligten sich der Presse in verschiedenen Teilen Deutschlands bedienten, um sich gegenseitig einzuschüchtern oder lächerlich zu machen. Jede Seite kritisierte die mangelnde Bereitschaft der anderen, zum Wohle der Allgemeinheit Opfer zu bringen, und blieb doch extrem empfindlich, wenn es um die eigenen Privilegien und Ansprüche ging. Der Vertreter Württembergs, Graf von Wintzingerode, prüfte jeden Satz jedes gemachten Vorschlags ausschließlich auf die Interessen seines Königs hin, und sobald er der Ansicht war, sie würden auch nur irgendwo verletzt, lehnte er ihn insgesamt ab. Bayern, dessen Außenminister Maximilian Graf von Montgelas es nicht für Wert gehalten hatte, überhaupt nach Wien zu fahren, war im Deutschen Komitee durch Fürst Wrede und Graf Aloys von Rechberg vertreten, die allem empört widersprachen, aus dem sich irgendwelche Einschränkungen der Vorrechte ihres königlichen Herrn ergeben könnten. Der Vertrag von Ried, der 1813 mit Österreich geschlossen worden war, garantierte Bayern schließlich die volle Souveränität.
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Auf seinem dreizehnten Treffen am 16. November erklärten die Delegierten Württembergs rundheraus ihren Rückzug aus dem Deutschen Komitee. Am selben Tag schlossen sich neunundzwanzig deutsche Kleinstaaten zusammen und forderten die volle Gleichberechtigung aller Staaten innerhalb des Deutschen Bundes unter einem wiedereingesetzen habsburgischen Kaiser. Aber Preußen und Österreich waren inzwischen mit anderem beschäftigt. Erst am 24. Dezember unterbreitete Metternich einen neuen, von Wessenberg entworfenen Vorschlag, der einen lockeren Bund souveräner Staaten vorsah. Er kam zur Unzeit, denn es drohte Krieg. Der König von Württemberg verließ Wien am 26. Dezember, womit er beredt die Haltung seiner Bevollmächtigten im Deutschen Komitee unterstrich. Nichts konnte ihn für die Idee eines vereinten Deutschlands erwärmen, nicht einmal Alexanders Vorschlag, daß sein Sohn, der Kronprinz (und Alexanders zukünftiger Schwager), den Oberbefehl über die deutsche Armee erhalten sollte. Er lehnte es ab, irgend etwas zu diskutieren, das zur Aufhebung eines der ihm von Napoleon gewährten Rechte führen konnte. Und um weiteren derartigen Diskussionen vorzubeugen, hatte er beschlossen, vollendete Tatsachen zu schaffen. Nach seiner Rückkehr machte er sich in Stuttgart daran, eine auf den ersten Blick liberale Verfassung einzuführen, mit einem Repräsentativorgan, in dem alle mediatisierten Fürsten und Ritter seines Herrschaftsgebiets einen gleichberechtigten Sitz neben den zahlenmäßig überlegenen bürgerlichen Deputierten der Städte und Gilden, den Vertretern der Kirchen und der Universität Tübingen erhalten sollten. Die Nachricht über diesen vermeintlich liberalen Akt des Königs wurde in Wien wohlwollend aufgenommen, bis das Protestgeheul der Mediatisierten die wahre Natur der Maßnahme offenbarte, nämlich sie gnadenlos zu unterwerfen und den Weg zu einer absolutistischen Herrschaft zu ebnen. Metternich und Hardenberg reagierten energisch; am 31. Januar 1815 kam von Rußland eine kraftvolle Stellungnahme. Aber das konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Großmächte, was Deutschland betraf, nicht mehr Herr der Lage waren. Am 2. Februar veröffentlichten zweiunddreißig nunmehr erboste deutsche Fürsten und Städte eine Deklaration, in der sie sich beklagten, daß Monate vergangen seien, seitdem sie sich hatten legitimieren müssen, und es ihnen noch immer nicht gestattet wurde, ihr Anliegen vor-
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zutragen. Sie verlangten die sofortige Einberufung eines Deutschen Kongresses, in dem sie alle vertreten wären, um die Frage einer Deutschen Verfassung zu behandeln. Ein solcher Kongreß wurde nicht einberufen, aber am 10. Februar legte Preußen einen überarbeiteten Verfassungsentwurf aus der Feder Humboldts vor. Er wurde in zwei Versionen präsentiert: In der einen waren die Kreisobersten enthalten, in der anderen nicht. Die preußische Note empfahl jene Version, in der fünf Kreise vorgesehen waren, von denen jeder einem der größeren Staaten unterstehen sollte: Österreich, Preußen, Bayern, Württemberg und Hannover. Am nächsten Tag machte der Freiherr vom Stein einen von Alexander abgesegneten Gegenvorschlag, der eine Rückkehr zum alten Kaiserreich unter dem Haus Österreich vorsah. Hardenberg protestierte; die österreichische Dynastie und ihre Regierung wären intellektuell wie politisch zu schwach, um einen zukünftigen deutschen Staat führen zu können. Stein jedoch vertrat die Ansicht, daß Österreich mit der Zeit weniger «undeutsch» werden würde, wenn man ihm eine kaiserliche Rolle in Deutschland übertrug.20 So viel Zaudern und Uneinigkeit konnten nur Verwirrung stiften. Damit wurde einerseits persönlicher Ehrgeiz angeheizt, und andererseits irritierte und lähmte es jene nachrangigen Interessenvertreter, die über die Pläne der Großen Bescheid wissen mußten, um ihnen ihre eigenen Forderungen anpassen zu können. So konnten zum Beispiel Kardinal Consalvi, der Bevollmächtigte des Papstes, und die anderen Vertreter der katholischen Kirche in Deutschland noch keine einheitlichen Vorschläge zur Situation der Kirche machen, und auch nicht dazu, was deren Beziehungen zu den gegenwärtigen und zukünftigen politischen Institutionen betraf. Während des letzten halben Jahrhunderts war es allen Herrschern im Falle finanzieller Engpässe ein leichtes gewesen, sich bei der katholischen Kirche zu bedienen. 1750 gab es in Europa gut 15 000 Mönchsund 10 000 Nonnenklöster, dazu Zehntausende Kirchen, Pfarreien und Stiftungen, Hunderte von Bischofspalästen und unzählige andere kirchliche Besitztümer, ganz abgesehen von den unschätzbaren Sammlungen goldener, silberner und juwelenbesetzter liturgischer Gefäße und von Kunstwerken aller Art. Der Kirche gehörten im katholischen Europa um die zwanzig Prozent des Landes und – bei manchen Städten – bis zu
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fünfundzwanzig Prozent der Grundstücke. So umfaßte die Abtei SaintGermain-des-Prés zwei Arrondissements des heutigen Paris. Dieser Reichtum war in der zunehmend säkularen, nachaufklärerischen Welt schwer zu rechtfertigen, und in den Jahrzehnten vor der Französischen Revolution hatten katholische Herrscher, wie etwa Kaiser Joseph II., Hunderte Klöster schließen und deren Eigentum ungestraft konfiszieren können. In Frankreich setzte die Revolution die Enteignung des gesamten Kirchenbesitzes in Gang, und während der nächsten Jahrzehnte führte eine Mischung aus französischen Reformen und opportunistischen Beschlagnahmungen seitens der katholischen Herrscher in Bayern, Württemberg und anderen Gegenden Süddeutschlands dazu, daß bis zum Jahr 1814 in Frankreich, Deutschland, Belgien, der Schweiz, Spanien und Italien so gut wie keine Ordenshäuser mehr bestanden, selbst im Königreich Neapel gab es nur noch vierhundert.21 Als König Ferdinand nach Spanien zurückkehrte, ließ er die Klöster wieder öffnen, die von den Franzosen geschlossen worden waren. Aber so sehr die anderen Könige behaupteten, den Status quo ante wiederherstellen zu wollen, sie folgten ihm in dieser Sache nicht. Und obgleich der Papst es nicht versäumte, alles konfiszierte Kircheneigentum wieder einzufordern, machte er sich keine großen Hoffnungen. Die Restitutionen waren entweder unmöglich oder politisch nicht durchsetzbar. Da die Kirche somit über keine Einnahmequellen mehr verfügte, bestand ihre einzige Hoffnung darin, eine Finanzierung durch den Staat auszuhandeln, wie dies unter dem 1801 mit Frankreich unterzeichneten Konkordat geschehen war und in anderen Teilen des napoleonischen Europas übernommen wurde. Solange der Papst nicht wußte, wer wo herrschen würde, konnte Consalvi nicht damit beginnen, neue Vereinbarungen auszuhandeln. Die Finanzierung war nicht das einzige Problem, vor dem die Kirche stand. Zwei Jahrzehnte Revolution und Krieg hatten sie in der Ausübung ihrer normalen Aufgaben so stark eingeschränkt, daß Bischofsstühle und andere geistliche Ämter vakant geblieben waren, davon einige seit beträchtlicher Zeit, und bei den geistlichen Autoritäten sowohl in der Seelsorge als auch im Verhältnis zu den örtlichen säkularen Strukturen ein Zustand großer Verwirrung herrschte. Der Papst mußte sich unter anderem mit der Weihe eines neuen Bischofs in Louisiana befassen, das mehr als ein Jahrzehnt lang von Rom abgeschnitten ge-
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Der Abgesandte des Papstes auf dem Kongreß, der pragmatische Kardinal Ercole Consalvi. Von Jean-Dominique Ingres, ca. 1814.
wesen war, aber auch mit der neuen Rechtsstellung der belgischen Katholiken im Rahmen des neuen protestantischen Königreichs der Niederlande, wo sie vorher in einem Konkordat mit Frankreich erfaßt waren, und mit der Formulierung von Regeln für die Ernennung irischer Bischöfe. Er ernannte den Bischof von Chioggia zum Administrator des Patriarchats von Venedig, das vakant war; dadurch aber verärgerte er Kaiser Franz, der Venedig erworben hatte und beabsichtigte, dort wie in seinen anderen italienischen Provinzen die Reformen Josephs II. durchzuführen. Derweil hatte Alexander beschlossen, das Amt eines Metropoliten von Wilna mit der Befugnis zu schaffen, in seiner Kirchenprovinz Bischöfe zu ernennen, was für den Papst vollkommen inakzeptabel war. In Frankreich und anderen Ländern, die der französischen Revolutionsregierung unterworfen worden waren, gab es scharfe Konflikte zwischen jenen Bischöfen und Priestern, die die Revolution anerkannt hatten, und jenen, die sich gegen sie gestellt hatten, während in den jahrelang verwaisten Diözesen infolge fehlender geistlicher Leitung liturgische und theologische Konflikte aufgebrochen waren.22
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Am schlimmsten war die Lage in Deutschland. Wie Consalvi am 14. November 1814, kurz nach seinem Eintreffen in Wien, an Metternich schrieb, «finden sich die Kirchen Deutschlands in einer Unordnung und in einem Niedergang, die in den Gemütern der guten Katholiken die lebhafteste Unruhe erregen». Die lange Abwesenheit päpstlicher Autorität hatte unter den katholischen Bischöfen, Priestern und Ordensgemeinschaften zum Aufkommen einer Reihe unterschiedlicher Orientierungen geführt, die unter anderem von den Ideen der Aufklärung, von der Französischen Revolution, vom neuen Nationalismus oder vom protestantischen Pietismus beeinflußt waren. Eine starke Fraktion unter Führung Carl Theodor von Dalbergs, einst letzter Kurfürst-Erzbischof von Mainz und Erzkanzler des Heiligen Römischen Reichs, jetzt Erzbischof und weltlicher Herrscher von Regensburg, setzte sich für eine deutsche katholische Nationalkirche und eine Lockerung der Bindung an Rom ein. Eine andere Fraktion, deren prominenteste Wortführer Franz Freiherr von Wambold, Domdekan in Worms, und Joseph Anton Helfrich, Dompräbendar in Speyer, in Wien als «Oratoren» der deutschen Kirche fungierten, stand für geistliche Erneuerung und engere Bindungen an den Vatikan, während sie zugleich auf dem uralten Recht der Domkapitel bestanden, die Bischöfe zu nominieren. Diese beiden Fraktionen repräsentierten Spaltungen, die es auch in Rom gab.23 Consalvi gehörte der Liberali genannten Partei im Kardinalskollegium an, die pragmatisch und fortschrittlich war und in den wichtigen Punkten die Vorstellungen von Papst Pius VII. teilte. Sie standen gegen die Zelanti, zu denen Consalvis Stellvertreter in Rom, Kardinal Pacca, und auch der päpstliche Nuntius in Wien, Monsignore Severoli gehörten, in dessen Nuntiatur Consalvi Quartier genommen hatte. So wurde Wien zur Bühne eines Machtkampfes zwischen Dalberg, der die Abberufung Consalvis betrieb, und Consalvi, der darum kämpfte, seine Position zu stärken, um in allen Angelegenheiten, die die Katholische Kirche betrafen, als einziger Bevollmächtigter vom Kongreß anerkannt zu werden. Er hoffte, alle regionalen innerkirchlichen Streitigkeiten dadurch zu überwinden, daß die Beziehungen zwischen Katholischer Kirche und Staat einerseits und zwischen Kirche und päpstlicher Oberherrschaft andererseits in der vorgeschlagenen deutschen Verfassung geregelt werden und damit alle Herrscher zur Verfassungstreue und zur An-
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erkennung des päpstlichen Primats gezwungen sein würden. Aber viele dieser Herrscher, besonders die Bayerns und Württembergs, wollten je eigene Konkordate mit Rom abschließen. Solange sich Metternich und Hardenberg nicht auf einen Verfassungsentwurf einigen und ihn durchsetzen konnten, war Consalvi dazu verurteilt, besorgt und beschwichtigend abzuwarten. Aber die Arbeit an einer Verfassung hatte sich hoffnungslos in den Streitereien um die territoriale Neuordnung verfangen. Nachdem das Problem der territorialen «Ausgleiche» für Sachsen und Preußen gelöst worden war, stand nun das bayerische im Mittelpunkt. Nach dem Vertrag von Ried sollte Österreich wieder seine alten Provinzen Tirol und den Innkreis sowie Salzburg in Besitz nehmen und Bayern mit der Pfalz und Mainz entschädigt werden. Aber Großbritannien und Rußland wollten nicht, daß Mainz, das eine große strategische Bedeutung hatte, an Bayern fiel. Die Angst ließ sich nicht zum Schweigen bringen, daß Frankreich eines Tages ein Bündnis mit Bayern und Österreich schließen und eine mächtige Achse bilden könne; nur eine starke deutsche Festung in Mainz konnte das verhindern. Mit viel Druck und einigen verlockenden Angeboten hatte man Bayern bewegen können, seinen Anspruch auf Mainz fallenzulassen, das eine Festung des Bundes mit einer gemischtdeutschen Garnison unter preußischem Befehl werden sollte. Aber Bayern verlangte Ersatz. Es begehrte die Pfalz und andere Gebiete, die gerade zu Württemberg, Hessen und Baden gehörten. Großherzog Karl von Baden war jedoch nicht geneigt, Territorium aufzugeben, und betonte dies unmißverständlich in einem Memorandum vom 2. März 1815. Alexander mochte den genuß- und vergnügungssüchtigen Großherzog nicht, obwohl er sein Schwager war. Auch der Freiherr vom Stein war dem Großherzog nicht gewogen; ohnehin fand er, daß die besonderen Interessen von Herrschern wie ihm hinter denen von Deutschland zurückzutreten hätten. Am 4. März wollte er über die Pfalz eine Einigung erzielen und schickte nach dem Großherzog, um die Angelegenheit persönlich zu regeln, aber der Großherzog war leider infolge einer Reihe anstrengender nächtlicher Aktivitäten vollkommen indisponiert. Vier Tage später ging es ihm immerhin wieder so gut, daß er am Abend in Gesellschaft der Regenten von Hessen-Kassel und Hessen-Homburg mit Madame Morel tändeln konnte.24
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Wenn Steins etwas säuerlicher Charakter schon durch die Ausschweifungen des Großherzogs abgestoßen wurde, so muß das ungemein kindische Naturell seines kaiserlichen Herrn seine Intelligenz ähnlich beleidigt haben. Mit dem Anbruch der Fastenzeit verboten sich Bälle und festlichere Zusammenkünfte, aber das motivierte die Leute nicht dazu, über die Vergänglichkeit irdischer Freuden nachzudenken; sie fühlten sich im Gegenteil veranlaßt, nach immer raffinierteren Genüssen zu suchen. Am 15. Februar gerieten Alexander und die Gräfin Flora von Kageneck-Wrbna im Haus der Gräfin Zichy in eine Debatte darüber, ob Männer oder Frauen länger zum Ankleiden benötigten, und sie beschlossen, die Sache zu überprüfen. Wetten wurden abgeschlossen, als beide sich jeweils mit einem Zeugen beziehungsweise einer Zeugin in ein nahegelegenes Gemach zurückzogen, wo sie sich entkleideten. Auf ein Signal hin zogen sie sich an und kamen heraus; die Gräfin gewann. Alexander kompensierte seine Niederlage, indem er mit seinen Pfeifkünsten prahlte, wozu ihn Sophie Zichy auf dem Klavier begleitete.25 Auch wurde ein einst am Hofe Ludwigs XIV. beliebtes Gesellschaftsspiel erfolgreich wiederbelebt. Jeder brachte kleine Kostbarkeiten und Geschenke ein, die durcheinandergemischt wurden und für die jeder eine Losnummer zog; die Gewinner übergaben dann ihren Preis einer Person des anderen Geschlechts, die sie selbst auswählten. Während einer solchen «Lotterie» bei der Fürstin Esterházy bekam Alexander einen Wutanfall, denn nicht nur fiel das prächtige Geschenk, das er mitgebracht hatte, an Metternichs Tochter Marie, mit der er nicht mehr sprach, er bekam auch das Los nicht, das auf das Mitbringsel von Gabriele Auersperg ging, sondern ein preußischer Offi zier, der es allen Schmeicheleien und Überredungsversuchen des Zaren widerstehend nicht hergab.26 Dieses Benehmen, über das in zunehmend mißbilligenden, wenn nicht gar schockierten Tönen lang und breit berichtet wurde, verletzte Empfindlichkeiten in ganz Europa. Deutschen Patrioten erschien es als nahezu blasphemisch, und es wirkte auf die öffentliche Meinung irritierend, besonders in Preußen. Daß es Friedrich Wilhelm und Hardenberg nicht gelungen war, sich ganz Sachsen oder zumindest Leipzig zu holen, war in Berlin nicht gut angekommen. Zwar hatten die beiden aufgebauschte Darstellungen darüber, wie viel sie hatten durchsetzen können,
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in der Berliner Presse veröffentlichen lassen, aber niemand ließ sich durch sie beeindrucken; eine wütende Menge hatte sogar die Fensterscheiben in Hardenbergs Berliner Haus eingeschlagen. Die Art und Weise, in der man auf dem Kongreß verhandelte, bezeugte ja auch, daß die so getroffenen Entscheidungen durch keinen höheren Wert oder Zweck begründbar waren als die Habgier der jeweiligen Herrscher, und daher mußte an ihnen nichts als endgültig angesehen werden.27 Humboldt versuchte, seine Frau zu beschwichtigen, die die Empörung der deutschen Patrioten teilte, speziell die einer Kriegspartei um Blücher. Er gestand zu, daß nicht genug erreicht worden war, gab aber zu bedenken, daß die Erwartungen, die sich eher auf Preußens militärischen Beitrag im Krieg von 1813 / 14 gründeten als auf politische Realitäten, zu hoch gewesen seien. Preußen habe nicht zu wenig Territorium dazugewonnen, sondern die anderen, die «Bösen», zu viel. «Preußen ist jetzt die größte deutsche Macht, ohngefähr acht Millionen Deutsche, also eine Kriegsmacht in Deutschland von 240 000 Mann», schrieb er ihr am 23. Februar und versicherte: «Der erste Krieg, der entsteht, muß Preußens deutsche Besitzungen da, wo sie lückenhaft sind, vergrößern. … Der Kampf gegen das Böse ist nicht ausgekämpft und wird, wenn auch nicht gleich jetzt, wieder angehn», so seine Überzeugung.28 Aber die Souveräne und Bevollmächtigten in Wien nahmen solche Mißstimmungen nicht wahr. Sie setzten ihre geistlosen Vergnügungen fort, ohne sich durch düstere Vorahnungen beirren zu lassen; am 21. Februar wurden fünfundsechzig Bataillone der Landwehr demobilisiert. Ein Ende war in Sicht. Am 6. März, auf ihrer elften Sitzung, diskutierten die Fünf Großmächte, wie man den König von Sachsen überzeugen könnte, die von ihnen getroffenen Arrangements zu akzeptieren. Man beschloß, daß Talleyrand, Metternich und Wellington nach Preßburg (Bratislava) fahren sollten, um seine Zustimmung einzuholen; dort wartete jener darauf, wieder in sein verkleinertes Reich zurückzukehren. Danach wandte man sich der Frage zu, wie all die erzielten einzelnen Vereinbarungen in einer einzigen Schlußakte zusammenzuführen wären. Nach einer schier endlosen Diskussion wurde ein Komitee unter der Leitung von La Besnardière, Anstett und Gentz geschaffen, das diese Schlußakte ausarbeiten sollte. Dann wurde die Sitzung vertagt. Es war drei Uhr morgens.
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Der Flug des Adlers der flug des adlers
Zur unchristlichen Zeit von sechs Uhr früh wurde Metternich am selben Morgen von seinem Kammerdiener Giroux wachgerüttelt; es war der 7. März 1815. Ein Kurier war mit einer Depesche eingetroffen, die den Vermerk «dringend» trug, weshalb Giroux entschied, seinen Herrn zu wecken, obgleich man ihm aufgetragen hatte, ihn ausschlafen zu lassen. Metternich warf einen Blick auf den Umschlag, auf dem stand: «vom k. k. Generalkonsulate in Genua». Er legte den Brief auf seinen Nachttisch, drehte sich um und schlief wieder ein. Aber man hatte ihn gestört, und sein Schlaf war unruhig. Um 7.30 griff er nach dem Schreiben, öffnete es und las die knappe Mitteilung: «Der englische Kommissär Campbell sei soeben in dem Hafen erschienen, um sich zu erkundigen, ob sich Napoleon zu Genua nicht habe erblicken lassen, denn von der Insel Elba sei er verschwunden; worauf infolge der verneinenden Antwort die englische Fregatte ungesäumt wieder in See gestochen sei.» Metternich sprang aus dem Bett, zog sich hastig an, überquerte eilig den Ballhausplatz, der die Geheime Hofkanzlei von der Hofburg trennte, und stand um acht Uhr vor der Schlafzimmertür des Kaisers. Franz nahm die Nachricht mit der ihm eigenen Gelassenheit, um nicht zu sagen, mit Sanftmut entgegen. «Napoleon scheint den Abenteurer spielen zu wollen, das ist seine Sache», sagte er. «Die unsere ist, die Ruhe, welche er jahrelang störte, der Welt zu sichern.» Als nächstes suchte Metternich Alexander auf, danach Friedrich Wilhelm, und um zehn saß er bereits in einer Beratung mit den Bevollmächtigten der anderen vier Großmächte, während Kuriere in alle Himmelsrichtungen davonstoben.1 Einige Stunden später empfing Wellington von Lord Burghersh, der jetzt in Florenz britischer Minister für das Großherzogtum Toskana war, eine Depesche, die zwar einige zusätzliche Details über die Flucht
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enthielt, aus der sich aber immer noch nicht erschloß, wohin Napoleon wollte und was er vorhatte. Selbst wenn man die Freiwilligen mitrechnete, die sich ihm auf Elba angeschlossen hatten, verfügte er jetzt nur über etwa tausend Mann, und damit stellte er eigentlich keine militärische Bedrohung dar. Sein Ziel war möglicherweise Neapel, wo vielleicht Murat mitsamt einer Armee bereitstand und auf ihn wartete, oder Frankreich, wo er sich eines herzlichen Empfangs nicht sicher sein konnte. Auf dem Unterhaltungsprogramm des Hofs stand an diesem Abend eine Pantomime mit dem Titel Der Kalif von Bagdad, die aufgeführt wurde, als sei nichts geschehen. Die Atmosphäre aber war alles andere als unbeschwert. «Es wäre schwierig, von den verschiedenen Formen von Bestürzung, Furcht, Hoffnung und all den echten oder vorgetäuschten Gefühlen zu berichten, welche die hohen Persönlichkeiten, die an dieser Zusammenkunft teilnahmen, sich anmerken ließen», wie es ein Beobachter beschrieb. Clancarty berichtete Castlereagh, «obwohl jeder Versuch unternommen wurde, die Besorgnis unter einer Maske von Gleichgültigkeit zu verbergen, war leicht zu erkennen, daß unter allen hier versammelten kaiserlichen und königlichen Persönlichkeiten die Angst vorherrschte; und so sehr auch deren wichtigste Beamten sich bemühten, das Ereignis herunterzuspielen, waren sie ihrer Aufgabe, es zu verschleiern, nicht gewachsen.» Der König von Bayern «verlor vor Angst den Appetit», wie ein russischer Offizier beobachtet haben will, und Alexander, laut Erzherzog Johann, war sichtlich erschüttert. Selbst Metternich, der den Anschein erweckte, als lasse ihn die Nachricht völlig unberührt, war deutlich weniger gefaßt, als er nach Hause kam.2 Die möglichen Folgen waren in der Tat alarmierend. Würde Napoleon in Neapel landen, was die meisten vermuteten, könnte er mit Hilfe von Murats Armee ganz Italien mobilisieren und Österreich bedrohen. Österreichs Handlungsspielraum ihm gegenüber wäre in diesem Fall erheblich dadurch eingeschränkt, daß es die möglichen Reaktionen Rußlands und Preußens zu bedenken hatte. Obgleich die Spannungen in den letzten Wochen zurückgegangen waren, hatte die Defensivallianz zwischen Österreich, Frankreich, Großbritannien, Holland, Bayern und Hannover gegen Rußland und Preußen nach wie vor Bestand. Am 5. März, zwei Tage, bevor er von Napoleons Flucht aus Elba erfuhr, hatte Ludwig XVIII. noch an Talleyrand geschrieben und ihm für den Fall eines Kriegsausbruchs Weisungen erteilt. Es war nicht gänzlich
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ausgeschlossen, daß Alexander die Gelegenheit nutzen würde, um mit Napoleon eine Übereinkunft zu erzielen und so aus dem antinapoleonischen Bündnis auszuscheren.3 Die Nachricht, daß Napoleon nicht in Italien, sondern an der Südküste Frankreichs an Land gegangen war, erreichte Wien am Abend des 10. März. Nicht selten heißt es, die Souveräne und ihre Minister seien während eines Balls bei Metternich informiert worden. «Die Kunde verbreitet sich mit der Schnelligkeit eines elektrischen Funkens», schrieb ein Chronist. «Der Walzer wird unterbrochen; vergebens spielt das Orchester weiter; man blickt sich an, man befragt sich.» Außerdem habe Kaiser Franz angeblich erklärt, das Maß sei jetzt voll; es werde keine Feste mehr geben. In der Tat wurde an diesem Abend – wie im übrigen schon seit längerem – kein Ball veranstaltet, denn es war Fastenzeit. Die einzigen Zerstreuungen in dieser Phase bestanden in Diners, Konzerten und gelegentlich einem Theaterstück.4 Daß Napoleon in Frankreich und nicht in Italien gelandet war, entlastete Österreich, barg aber andere Gefahren. Sein Wiederauftauchen in Frankreich bedeutete eine Prüfung für das Bourbonenregime und damit auch eine der Weisheit jener, die es eingesetzt hatten. Alexander, der von Beginn an gegen die Restauration gewesen war, konnte versucht sein, wieder auf seine alten Projekte zurückzugreifen. Die einzigen, die sich über Napoleons Flucht nicht nur gefreut, sondern sie buchstäblich bejubelt hatten, waren enttäuschte deutsche Patrioten und das preußische Militär. Es war nicht schwer zu erraten, daß sie jetzt eine Gelegenheit witterten, den bevorstehenden Krieg gegen Napoleon zu nutzen, um die deutsche Frage wieder aufzurollen und vielleicht sogar Preußens Territorium zu vergrößern. Ein neuer Krieg könnte jedoch einige unangenehme Folgen haben – wenn auch aus ganz anderen Gründen. Graf Münster stand mit seiner Meinung nicht allein, daß sich die Alliierten durch ihr Verhalten während des vergangenen Jahres unglaubwürdig gemacht und in moralischer Hinsicht keinen festen Boden unter den Füßen hatten. «Überall hat man gezeigt, daß man eher gegen die Erfolge Bonapartes Krieg geführt hat und nicht gegen seine Prinzipien!», schrieb er dem Prinzregenten am 18. März. «Den Schwachen wurde keine Gerechtigkeit zuteil. Die Unterdrückung vieler Provinzen in Deutschland wurde fortgesetzt und die Belastungen, die man den Menschen an vielen Orten aufbürdete, wurden vielerorts durch die
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Mißbräuche der provisorischen Regierungen noch vermehrt.» Er bezweifelte sehr, daß man deutsche Soldaten erneut zum Kämpfen bewegen könne. Seine Vorahnungen bestätigten sich nach wenigen Tagen, als verschiedene norddeutsche Kontingente erklärten, daß sie sich weigerten, an der Seite preußischer Truppen Dienst zu tun, geschweige denn, unter preußischem Kommando.5 In Süddeutschland und Westfalen wurde die Nachricht von Napoleons Flucht teilweise sogar mit Begeisterung aufgenommen. «Des Krieges müde, hatten die Menschen 1813 die Alliierten mit Freuden empfangen», schrieb Freiherr von Haynau am 28. April 1815, «aber diese Freude hielt nicht an; der Bauer wurde mit Stockschlägen malträtiert, und als sich die alliierte Armee erlaubt hatte, die größte Unordnung anzurichten, sehnte man sich lebhaft nach den Franzosen zurück, oder besser gesagt, nach dem allgemeinen Frieden.» Die Offiziere der großherzoglichen Garde in Hessen-Darmstadt tranken sogar auf Napoleons Wohl.6 Es gab Befürchtungen, daß es in der Schweiz, besonders im Aargau und in der Waadt, zu pro-napoleonischen Aufständen kommen könnte, und daß an Frankreich angrenzende Staaten wie Bayern es vielleicht für sinnvoll hielten, auszubrechen. «Wenn es Buonaparte gelänge, das Blatt zu wenden, wären seinem élan keine Schranken gesetzt», lautete die Warnung, die Castlereagh aus London Wellington schrieb, «und wir müssen immer daran denken, daß sich hinter unseren Linien Polen, Sachsen und viele Jakobiner befinden.»7 Unangenehmerweise würde Napoleon, falls es ihm tatsächlich gelänge, Paris einzunehmen, in den Archiven des französischen Außenministeriums wahrscheinlich auf eine Kopie des anglo-französischösterreichischen Geheimvertrags gegen Rußland und Preußen stoßen und ließe es sich sicherlich nicht nehmen, ihn öffentlich zu machen. Castlereagh meinte zwar, daß Alexander in diesem Falle nicht heftig reagieren würde, aber er wies Wellington auf diese Möglichkeit hin. Obgleich man versucht hatte, die Nachricht von Napoleons Flucht zurückzuhalten, war sie schnell durchgesickert. «Diese furchtbare Neuigkeit bringt die Geister völlig aus der Fassung», berichtete die Baronin du Montet. «Alles hastet, man bleibt stehen, man befragt sich, in sämtlichen Gassen sieht man Menschenansammlungen.» Ein genaueres Indiz dafür war der Niedergang der österreichischen Währung. Eine Goldmünze, die zuvor für elf Einheiten österreichischen
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Papiergeldes zu haben gewesen war, kostete eine Woche später einundzwanzig.8 Die unübersichtliche Lage gebar eine Flut von Gerüchten – Napoleon sei bezwungen worden und habe auf die Insel zurückkehren müssen; er habe gesiegt und Lyon eingenommen; Monsieur, der Bruder des Königs, habe ihn bei Dijon niedergerungen; Soult, sein ehemaliger Marschall und jetziger französischer Kriegsminister, habe sich ihm angeschlossen; er sei von Ney in die Flucht geschlagen worden; er habe Ludwig XVIII. gefangengenommen, und dergleichen mehr. Die Gerüchte waren der Stoff von vielerlei Mutmaßungen, und in der Korrespondenz von Privatpersonen und Beamten wimmelte es von unwahrscheinlichen Geschichten. Es blühten die Verschwörungstheorien; einige behaupteten, der Kongreß sei von Spionen infiltriert worden, anderen, den ganz paranoiden zufolge steuere Napoleon die Ereignisse mittels eines finsteren Agentennetzes. Nur den Großherzog von Baden schien das alles nicht zu beeindrucken. Nach einem Polizeibericht vom 15. März machte er einer neuen Person den Hof, der Tochter des Direktors des Leopoldstädter Theaters, mit der er jeden Abend dinierte und poussierte.9 Die öffentliche Meinung beschuldigte umgehend die Briten, die allgemein als Napoleons Bewacher galten. Alexander schrieb seinem Bruder Konstantin, daß die Briten «wahrhaft kriminelle Unfähigkeit und Nachlässigkeit» an den Tag gelegt hätten, als sie das Scheusal entkommen ließen. Einige meinten, sie hätten ihm in Wirklichkeit zur Flucht verholfen, sei es, um ihn wieder einzufangen und hart bestrafen zu können, oder um die anderen Mächte einzuschüchtern. «Bonapartes Entweichen hat hohe Wellen geschlagen, und uns bezichtigt man, dessen Verursacher zu sein», berichtete ein britischer Diplomat aus Sankt Petersburg.10 Aber Großbritannien hatte mit Napoleons Exil nicht mehr zu tun gehabt, als das Schiff, das ihn nach Elba brachte, zur Verfügung zu stellen, und es wurde nur deshalb als sein Wächter angesehen, weil es allgemein als die Polizei der Meere galt. Wenn überhaupt irgend jemand verantwortlich zu machen war, dann Alexander, der Elba eigenmächtig zum Exilort Napoleons bestimmt und ihm erlaubt hatte, ein Truppenkontingent zur Verfügung zu haben. Die Franzosen bezichtigten Alexander, seine «sentimentale» Politik habe Napoleon nach Elba gebracht, sie tadelten aber auch das Zögern Metternichs, Murat aus Neapel zu verjagen.
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Sie, und besonders Talleyrand, hatten allen Grund zur Besorgnis. Er war als früherer Helfer Napoleons und dann als Organisator der bourbonischen Restauration in das Geschehen verstrickt. Und seine Position als Bevollmächtigter Frankreichs in Wien hing davon ab, ob der König, den er vertrat, sich auf dem Thron halten konnte. Angeblich erfuhr er von Napoleons Flucht durch Dorothea, die morgens am Fußende seines Bettes zu sitzen und ihm seine Briefe vorzulesen pflegte. Sie soll bestürzt gewesen sein, daß ein Stück, in dem sie hätte auftreten sollen, möglicherweise abgesagt würde; er beruhigte sie und versicherte ihr, alles werde wie geplant weitergehen. Talleyrand war in der Tat ein Meister darin, seine Gefühle zu verbergen. Hardenberg schrieb zwar, die Nachricht von Napoleons Flucht aus Elba habe «M. de Talleyrand von beleidigender Arroganz zu schändlichster Ängstlichkeit wechseln lassen», aber Dokumente aus der Zeit bestätigen das nicht. Rosenkrantz fiel auf, daß Talleyrand, im Gegensatz zu vielen anderen, zuversichtlich wirkte. Als ein französischer Landsmann ihn fragte, was er zu tun gedenke, zuckte Talleyrand mit den Schultern und sagte: «Ich weiß es nicht, ich warte ab.»11 Talleyrand versicherte jedermann, daß Napoleon in Frankreich keine Anhänger habe und niemand ihn willkommen heißen würde, sollte er dort landen. «Falls wir in diesem Fall, wie ich hoffe, umsichtig und entschlossen handeln, falls wir das Übel an der Wurzel packen und ihm keine Zeit lassen, sich auszubreiten, kann dieses Ereignis keine unangenehmen Folgen haben, sondern sogar einige nützliche», schrieb er am Tag, als er die Nachricht erhielt, an seinen Stellvertreter Jaucourt nach Paris. Es würde endlich die Österreicher zwingen, gegen Murat aktiv zu werden, und die Gelegenheit bieten, Napoleon politisch den Garaus zu machen. «Ich bin davon überzeugt, daß Buonapartes Unternehmen keine schlimmen Folgen haben wird und keine Notwendigkeit besteht, auf die ausländischen Mächte zurückzugreifen», schrieb er einige Tage darauf. Gleichwohl wies er Jaucourt an, die Akten im Ministerium zu durchforsten und alle Papiere zu entfernen, die ihn in Verlegenheit bringen könnten, wenn sie Napoleon in die Hände fielen.12 Die ganze Angelegenheit warf einige knifflige internationale Rechtsfragen auf. Talleyrand war der erste, dem eines klar wurde: Würde Napoleon die Bourbonen stürzen und sich zum de facto Herrscher Frankreichs erklären und dann auch die Bedingungen des Pariser Friedens
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annehmen, hätten die anderen Unterzeichner keine juristische Handhabe, ihn nicht anzuerkennen, und vor allem auch keine Berechtigung, ihn zu bekämpfen. Der einzige Weg, dies zu vermeiden, bestand darin, Napoleon als Person zu beschädigen, und dazu schickte sich Talleyrand sofort an. Er überzeugte die Minister der anderen Mächte, eine gemeinsame Erklärung herauszugeben, und legte einen Entwurf vor. Napoleon, hieß es darin, habe, als er die Insel Elba verließ, seine Daseinsberechtigung rechtlich verwirkt und müsse daher als vogelfrei gelten. Als sie am 13. März zusammentrafen, um darüber zu konferieren, protestierten einige der anderen Bevollmächtigten aus juristischen Erwägungen gegen eine derart harsche Formulierung. Metternich widersprach, weil er eine auf dem Verhandlungsweg erzielte Einigung mit Napoleon nicht gänzlich ausschließen wollte, falls diese möglich oder notwendig sein sollte. Nach einigen Diskussionen und viel Geschrei wurde der Text korrigiert. Er behielt zwar das Argument bei, daß sich Napoleon außerhalb des Gesetzes gestellt habe, aber er legitimierte in seiner Endfassung nicht seine Ermordung. Zugleich bekundete man die Entschlossenheit aller acht Unterzeichner des Pariser Vertrags, Ludwig XVIII. in der Verteidigung seines Throns zu unterstützen. Das war etwas fadenscheinig, aber man hatte sich vorerst herauslaviert.13 «Bonys Verhalten ist recht außergewöhnlich», schrieb Wellington am 13. März an Burghersh. Napoleons Entscheidung, in Frankreich an Land zu gehen, komme der eines «Wahnsinnigen» gleich. Aber an Napoleons Schritt war nichts Absonderliches, bedenkt man, in welch unmögliche Lage ihn seine Bezwinger gebracht hatten. Und so verrückt, wie Wellington meinte, war sein Unternehmen nicht.14 Alexanders unverantwortliche Großzügigkeit gegenüber dem besiegten Napoleon hatte sich 1814 im Vertrag von Fontainebleau niedergeschlagen. Dessen drittem Paragraphen zufolge sollte die Insel Elba «solange er lebt, ein eigenes separates Fürstentum bilden, das in aller Souveränität und mit allen Eigentumsansprüchen in seinem Besitz sein wird». Elba bekam eine Flagge (weiß mit einem diagonalen purpurroten Band und den drei napoleonischen Wappenbienen), die von britischen und französischen Kriegsschiffen mit einem Salut begrüßt wurde, wenn sie in den Hafen von Portoferraio einfuhren oder ihn verließen. Nach
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den üblichen internationalen Gepflogenheiten hätte Elbas Herrscher Anspruch gehabt, in allen europäischen Hauptstädten diplomatisch vertreten zu sein und einen Bevollmächtigten zum Wiener Kongreß zu entsenden. Statt dessen wurde er nicht nur wie ein Ausgestoßener, sondern wie ein Gefangener behandelt und durch die Royal Navy und die Spione und Agenten von einem halben Dutzend Mächten scharf überwacht. Selbst die Briefe an seine Frau wurden abgefangen.15 Seine eigenen Agenten und Anhänger in ganz Europa versorgten Napoleon kontinuierlich mit Informationen, aus denen hervorging, daß die Herrscher Europas Überlegungen anstellten, ihn von Elba zu entfernen und auf einer entlegeneren Insel festzusetzen, oder ihn schlicht umbringen zu lassen. Auch wenn sich das alles hauptsächlich auf Gerüchte und Vermutungen stützte, unbegründet war es nicht. Schon im September 1814 hatte Kaiser Franz dem Gesandten des Königs von Sardinien versichert, er werde die erstbeste Gelegenheit ergreifen, um Napoleon von Elba zu entfernen und ihn auf einer weiter abgelegenen Insel unterzubringen, und Metternich bestätigte dies. Bei einem ihrer ersten Treffen waren die Bevollmächtigten der vier Mächte übereingekommen, «sich um Wege zu kümmern, wie Napoleon von der Insel Elba zu entfernen sei», und ihn auf eine spanische oder portugiesische Insel oder in eine südamerikanische Kolonie zu verbringen. Die Azoren und andere Atlantikinseln wurden ins Gespräch gebracht, und am 8. November erfuhr Eynard vom bayerischen König, daß die britische Insel Sankt Helena im Südatlantik ausgewählt worden sei. «In dem Augenblick, in dem ich mit Ihnen spreche, wird die Sache schon erledigt sein», versicherte er ihm.16 Daß es derartige Unterredungen gab, sickerte jedoch durch. Als Lord Holland von einem Korrespondenten in Wien erfuhr, daß man darüber sprach, Napoleon von Elba nach Sankt Helena zu verlegen, brachte er dies im Londoner Oberhaus zur Sprache, wo der Regierungssprecher es weder abstritt noch bestätigte. Dies wurde in den Londoner Zeitungen abgedruckt, die Napoleon regelmäßig bezog. Er könnte außerdem von einem Plan erfahren haben, den Frankreich, Spanien und Sardinien im Oktober 1814 in Turin ausgeheckt hatten, ihn in einer gemeinsamen Aktion zu entführen und einzusperren.17 Nicht einmal die Gerüchte über geplante Attentate auf Napoleon waren aus der Luft gegriffen. In den ultraroyalistischen Kreisen Frank-
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reichs wurden etliche inoffizielle Projekte zu seiner Tötung entwickelt, und die Regierung Ludwigs XVIII. tat nichts, um sie davon abzubringen; sie schien eher darauf bedacht zu sein, die Planungen voranzutreiben. Damit lieferte sie Napoleon eine durchaus nachvollziehbare Begründung, militärisch gegen Frankreich vorzugehen.18 Der Vertrag von Fontainebleau sicherte Napoleon zwar zu, daß ihm alle unterzeichnenden Mächte die zugesagten Rechte garantieren würden, so zum Beispiel, seine Schiffsfrachten vor nordafrikanischen Korsaren zu schützen, aber seine einzigen Beziehungen zu einer anderen Macht wurden im selben Paragraphen drei festgelegt, der festhielt, daß er jeglichen Anspruch auf Besitz und Vermögen in Frankreich aufgab und dieses Land ihm im Austausch dafür eine jährliche Apanage von zwei Millionen Francs zahlen würde. Frankreich gehörte nicht zu den Unterzeichnern des Vertrags, aber am 31. Mai 1814 hatte es sich auf Druck von Alexander offi ziell bereiterklärt, dessen Bedingungen zu respektieren. Talleyrand wurde wiederholt von Castlereagh, Metternich und Alexander gedrängt, die Verpflichtungen Frankreichs zu erfüllen; diese Aufforderungen reichte er treulich weiter, ohne daß je etwas geschah. Die Regierung Ludwigs XVIII. war der Ansicht, daß Napoleon, ebenso wie Murat, zu gehen habe, und zwar je früher, desto besser. Ganz gleich, ob man sich für eine Mordaktion oder eine Invasion entschiede, es wäre auf jeden Fall einfacher, wenn er aus Geldmangel seine Wachen entlassen müßte. Möglich wäre auch, daß Napoleon durch seine mißliche Lage zu einem unbedachten Schritt verleitet werden könnte, der ganz Europa gegen ihn aufbrächte, und man erwartete, daß ihm diesmal, wenn man ihn schließlich stellte, kein Pardon gegeben würde. Die Regierung der Bourbonen ging zu recht davon aus, daß dies der sicherste Weg wäre, das Scheusal ein für alle Mal zu Fall zu bringen, nur hatte es sich gewaltig in dem Preis verrechnet, der dafür zu zahlen war.19 Napoleon wußte, daß er ein ungeheures Risiko einging, wenn er aus Elba ausbrach. Aber er hatte guten Grund zu der Annahme, daß er, wenn ihn nicht vorher ein Attentäter erwischte, eines Morgens feststellen müßte, daß die Insel von der Royal Navy blockiert und vom italienischen Festland her durch österreichische Truppen besetzt sein würde. Ihm war klar, daß er für seine Feinde zu gefährlich war, als daß sie ihn an Ort und Stelle belassen könnten. So glaubte er, keine andere Wahl
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und nicht mehr viel Zeit zu haben. Zudem sah er gute Erfolgschancen, und er behielt recht. Die Zeitplanung war allerdings das, was sich seiner Kontrolle entzog, und sie würde ihn schließlich ins Verderben führen. Napoleon hatte sich am 14. Februar entschlossen zu handeln. Während der nächsten Tage inspizierte er seine Soldaten, denen jeweils ein zusätzliches Paar Stiefel zugeteilt wurde, ließ die Pferde seiner polnischen Kavallerie von der Weide holen und gab Befehl, seine einzige Brigg, die Inconstant, sowie einige Transportschiffe bereitzumachen und Vorräte zum Hafen von Porto Longone zu schaffen. Bei Einbruch der Nacht des 22. Februar begann man die Inconstant zu beladen. Am 24. Februar kehrte die Fregatte der Royal Navy, die den britischen Kommissar Oberst Neil Campbell zum italienischen Festland übergesetzt hatte, mit einer Gruppe von sechs englischen Touristen zurück, denen Kaiser Napoleon eine Audienz gewährte. Den nächsten Tag verbrachte er damit, Proklamationen an das französische Volk zu verfassen. Am Abend weihte er seine Mutter ein. Am Morgen des nächsten Tages, Sonntag, den 26. Februar, wohnte Napoleon um neun Uhr einer Messe bei. Um vier Uhr nachmittags nahmen die Soldaten am Kai ihr Abendessen ein. Eine Stunde später wurden die Trommeln geschlagen und sie gingen an Bord, gefolgt von ihrem Kaiser. Bei Einbruch der Dunkelheit lichtete die kleine Flottille Anker. Am 1. März fuhr die Inconstant in den Golfe Juan ein, und Napoleon betrat französischen Boden. Die Herrschaft der Bourbonen in Frankreich war nicht erfolgreich gewesen. Der Marquis de La Fayette hielt nicht viel von der Restauration; sein Kommentar lautete: «Nie hat jemand mit weniger Ruhm triumphiert», aber Ruhm war es auch nicht, was die Menschen 1814 begehrten. Sie hatten Frieden ersehnt und waren bereit, jedes Regime erleichtert oder gar begeistert zu akzeptieren, das ihn bringen würde. Sie waren auch des zunehmend despotischen und zudringlichen napoleonischen Machtapparats müde gewesen, der ihnen mittels der Wehrpflicht die Söhne und mittels Steuern den Wohlstand entzog.20 In vielerlei Hinsicht war Ludwig XVIII. ein idealer Nachfolger Napoleons. Er brauchte sich an ihm nicht messen zu lassen. Seine Legitimität, die nicht auf militärischem Erfolg oder anderen Talenten beruhte, garantierte nach innen und außen eine Stabilität, über die Napoleon nie würde verfügen können. «Er wußte vortrefflich wie ein König zu
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sprechen», wie ein Beobachter bemerkte, und er war dafür geschaffen, die Rolle des gütigen und harmlosen Vaters einer Nation zu verkörpern, die sich nach Ruhe und Heilung sehnte. Daß er fett war, sich nur mit Mühe auf einem Pferd halten konnte und es ihm an Schneid und Charisma gänzlich mangelte, hätte eigentlich einen liebenswerten Kontrast zu dem Kriegsgiganten bilden müssen, der sie so lange in seinem Bann gehalten und am Ende enttäuscht hatte.21 Aber wie vorherzusehen war, stand Ludwig dem Volk, über das zu herrschen man ihn gerufen hatte, fremd gegenüber, und er beging gleich zu Beginn eine Reihe von schweren Fehlern. Wenn er darauf bestand, 1814 als das neunzehnte Jahr seiner Regierung zu zählen, stellte das eine Entwertung all dessen dar, was im Verlauf dieser Jahre geschehen war. In gleicher Weise wirkte seine Weigerung, die Trikolore zu übernehmen. Daß er nur eine Charta «gewährte», nachdem er zuvor abgelehnt hatte, die Verfassung gutzuheißen, die Talleyrand entworfen hatte und die von der Kammer, die für seine Restauration gestimmt hatte, bestätigt worden war, bedeutete eine absichtliche Beleidigung der Volkssouveränität, die sogar Ludwig XVI. hatte anerkennen müssen. Mit dem Grafen Pierre Louis de Blacas d’Aulps hatte Ludwig einen Premierminister ernannt, der seinem Amt nicht gewachsen war. Er war ein Kleinadliger aus der Provence, durchaus intelligent und kultiviert, aber politisch unerfahren und ohne persönlichen Charme – und überdies machtlos. Monsieur, der Bruder des Königs, übte von seinem Wohnsitz, dem Pavillon de Marsan neben den Tuilerien, seinen üblen Einfluß aus. Der Pavillon war zum Symbol eines Klüngels reaktionärer ehemaliger Emigranten geworden, die das Rad der Zeit zurückdrehen, ihre Ländereien wieder in Besitz nehmen und alle ausrotten wollten, die an der Revolution teilgenommen oder unter Napoleon ein Amt bekleidet hatten. Selbst, wenn er es gewollt hätte, der König war zu schwach, die Franzosen wieder zu einen und die Wunden der letzten fünfundzwanzig Jahre zu heilen. Diese waren bei Hofe augenfällig, wo nahezu jedes Regime und jede Gruppierung, die seit 1789 an der Macht gewesen war, ihre Vertreter hatte. Der alte Adel und besonders die heimgekehrten Emigranten überschlugen sich förmlich, jene, die seit 1789 emporgekommen waren, auszugrenzen, zu verhöhnen und zu beleidigen, worin sich die Frauen besonders hervortaten. «Man machte charmante Scherze
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über ihre Gewohnheiten, ihre Namen, ihre Manieren und ihren Schmuck», so eine Dame aus der alten Aristokratie. «Hatten sie Diamanten angelegt, sagte man in ihrer Gegenwart, daß sie aus den Kelchen und Ziborien der Kirchen Spaniens und Italiens stammten.» Solch ein Betragen bestimmte bei Hofe den Ton. Nicht nur zurückgekehrte Emigranten und ehemalige Diener des Ancien Régime pflegten ihn, sondern auch alle, die unter Napoleon aus dem einen oder anderen Grund in Ungnade gefallen waren und alte Rechnungen zu begleichen hatten.22 Besonders verbohrt und ungerecht war die Art, wie das neue Regime das Militär behandelte. Die Ernennung des verachteten General Dupont zum Kriegsminister, der 1808 bei Bailén vor den Briten kapituliert hatte, war eine der vielen öffentlichen Demütigungen der Armee. Marschall Davout, Napoleons hervorragendsten und unbescholtenen Offizier, hatte man aus Paris verbannt. Die unvermeidlichen Redundanzen, die sich aus dem Truppenabbau ergaben, waren zwangsläufig unpopulär. Daß die kaiserliche Garde und Soldaten, die sich in den vergangenen Jahrzehnten ausgezeichnet hatten, in besonderer Weise angegriffen wurden, verschlimmerte alles. Helden wurden beleidigt und ausgemustert, während man Emigranten über siebzig, die 1789 untere Dienstgrade bekleidet hatten, nun in hohe Ränge beförderte, die sie sicher erreicht hätten, wären sie in den zurückliegenden fünfundzwanzig Jahren im aktiven Dienst gewesen. Bei den meisten Männern im dienstfähigen Alter weckten diese Zustände Abneigung gegenüber dem Regime, und sie beraubten das Land auch einer schlagkräftigen Armee. Die Aufstellung einer neuen Königlichen Garde und aristokratischer Compagnies Rouges des königlichen Haushalts konnten eine solche Armee nicht ersetzen; der Thron war nahezu ungeschützt. Der Unmut der entlassenen Offiziere wurde von denen, die im Dienst verblieben waren, geteilt; es kam zu Komplotten zum Sturz des Regimes und für eine Rückkehr Napoleons. Überall zeigten sich Zeichen von Unruhe, aber Paris schien in den ersten Monaten des Jahres 1815 noch immer ruhig zu sein, so daß es leichtfiel, sie zu übersehen. Erst am 4. Dezember 1814 hatte Ludwig XVIII. Gerüchte über Verschwörungen gegen seine Person als Schwarzmalerei abgetan und Talleyrand versichert: «Ich schlafe … so ruhig wie in meiner Jugend.» Mit dieser Selbsttäuschung war er nicht allein.23
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«Alle tanzten!» entsann sich die Herzogin de Maillé. «Es stimmt, in Paris tanzt man immer: wem 1793 nicht der Kopf abgeschnitten wurde, tanzte; wer während des Kaiserreichs nicht auf den Schlachtfeldern getötet wurde, tanzte, und weil während der Restauration niemand getötet wurde, tanzten alle.»24
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Am 1. März um fünf Uhr nachmittags ging Napoleon am Golfe Juan an Land. In einer von Olivenhainen gesäumten Lichtung wurde ihm ein Zelt aufgebaut, und er setzte sich an ein Biwakfeuer, während General Cambronne mit einem kleinen Trupp ins nahegelegene Cannes ritt, um Pferde und Lebensmittel zu besorgen. Cambronne wurde abgewiesen und kehrte unverrichteter Dinge wieder zurück, woraufhin Napoleon beschloß, so schnell wie möglich direkt nach Grenoble weiterzuziehen. In den nächsten beiden Tagen kämpfte sich seine kleine Gruppe auf holperigen Straßen und zerklüfteten Bergpfaden mühsam voran. Ihr Kaiser mußte immer wieder absitzen, wenn es über steile Abhänge hinaufging, und mehrmals strauchelte er, mißtrauisch beäugt von Bauern hinter Felsen und Steinmauern. Am 4. März sprach er in Digne vor einer kleinen Menschenmenge, die sich auf dem Marktplatz versammelt hatte, und wurde bejubelt. Am nächsten Tag in Sisteron und dann in Gap war die Begeisterung eher verhalten. In Laffrey, am 7. März, wurde ihm der Weg von einem Bataillon des 5. Linienregiments versperrt. Napoleon löste sich von seiner Kolonne und ritt bis auf einen Pistolenschuß Entfernung den Reihen der Infanterie entgegen, die sich quer über die Straße mit ihren Musketen im Anschlag vor ihm aufgestellt hatten. Dann stieg er vom Pferd und schritt auf sie zu. «Soldaten der 5. Linie, seht mich an», rief er. «Wenn es einen unter euch gibt, der seinen General, seinen Kaiser, töten will, kann er es tun; hier bin ich!» Die vordere Reihe senkte die Musketen, und dann erhob sich Jubel, als die Männer nach vorn stürmten und sich um ihren ehemaligen Kommandeur scharten. Am Abend, um neun Uhr, zog er im Triumph in Grenoble ein. Oberst de La Bédoyère mit seinem Regiment, das entsandt worden war, ihn festzunehmen, schloß sich ihm ebenfalls an.1
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Am nächsten Tag erreichte er Lyon, wo er mit frenetischer Freude empfangen wurde, und nahm Quartier in den Gemächern, die am Morgen von Monsieur geräumt worden waren. Ihn hatte Ludwig XVIII. geschickt, Napoleons Niederlage und Verhaftung zu beaufsichtigen. Die zivilen und die Militärbehörden vor Ort, aber auch die Bevölkerung insgesamt, bestätigten Napoleon überreichlich, daß seine Einschätzung der Lage zutreffend gewesen und er das Risiko zu recht eingegangen war. Er setzte seinen Marsch über Villefranche, Mâcon, Tournus, Chalon-sur-Saône und Autun fort. Am 16. März liefen bei Avallon zwei weitere Regimenter zu ihm über, die gegen ihn ausgeschickt worden waren. Zwei Tage später bei Auxerre trat Marschall Ney, der als Kommandeur einer großen Streitmacht entsandt worden war und der Ludwig XVIII. versprochen hatte, er werde ihm das Ungeheuer in einem Käfig bringen, demütig vor den Kaiser und wurde herzlich umarmt. Am Morgen des 20. März fuhr Napoleon in die Cour du Cheval Blanc von Schloß Fontainebleau ein, wo er sich, vor genau elf Monaten, tränenreich von seinen Truppen verabschiedet hatte. Er verließ Fontainebleau um zwei Uhr nachmittags in Richtung Paris. Auf seinem Weg leisteten ihm das Erste, Vierte und Sechste Regiment der Gardejäger zu Pferde und das Erste Lanzenreiter-Regiment die militärische Ehrbezeugung, und um halb elf in der Nacht rollte seine Kutsche durch den Arc de Triomphe du Carrousel zum Tuilerien-Palast. Während sich vor dessen Toren eine Menschenmenge sammelte und ihrem Kaiser zujubelte, hielt der frühere Palastpräfekt, Saint-Didier, Einzug an der Spitze des kaiserlichen Haushalts. «Lakaien, Küchenchefs, Köche, Küchenjungen, jeder hatte seine alte Livree hervorgekramt und nahm triumphal die unordentlichen Gemächer, die noch ungemachten Betten, die noch qualmenden Öfen in Besitz und vertrieb mit Besen und Kratzern, was vom königlichen Haushalt noch da war», wie ein Zeitgenosse es beschrieb.2 Ludwig XVIII. hatte den Palast in den frühen Morgenstunden desselben Tages verlassen. «Ich hoffe, daß Frankreich euer Schwert von nun an nicht mehr benötigt», hatte er Napoleons Marschällen verkündet, als sie sich ihm vor nicht einmal einem Jahr angeschlossen hatten und er seiner Hoffnung Ausdruck gab, sie würden die Säulen seines Throns sein, «aber wenn, meine Herren, die Notwendigkeit es zu ziehen, bei Gott nochmal, sich wieder stellen sollte, werde ich, von der Gicht
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geplagt, wie ich es bin, an eurer Seite marschieren!» Doch als es dazu kam, hatte er sich ängstlich in den Tuilerien versteckt, eine Armee nach der anderen losgeschickt und Geld an die Truppen verteilt, in dem Versuch, sich deren Loyalität zu erkaufen.3 Als sich Napoleon am 18. März Paris näherte, beauftragte der König einen Kammerdiener seines Vertrauens, die Kronjuwelen und vier Millionen Francs in Gold über Lille nach England zu schaffen. Als sich dann abzeichnete, daß Paris nicht zu halten sein würde, schlugen ihm einige seiner Berater vor, sich ins royalistische Bordeaux oder in die Vendée abzusetzen, wo er Menschen für seinen Kampf gewinnen könnte. Aber er fürchtete, Napoleon in die Hände zu fallen. Am 20. März, kurz nach Mitternacht, verließ er die Tuilerien über eine Hintertreppe. Im strömenden Regen rollte seine Kutsche aus Paris hinaus in Richtung England. Seine persönliche Garde, die Maison Militaire, schleppte sich halbherzig durch den Schlamm der Picardie hinter ihm her und wurde mit jedem Schritt kleiner, während sich Deserteure davonstahlen, um sich Napoleon anzuschließen. Da er sich fürchtete, auch nur eine Minute länger in Frankreich zu bleiben, überquerte Ludwig an der nächstbesten Stelle die Grenze nach Belgien, statt in Richtung Calais zu fahren. Er wollte in Ostende ein Schiff nehmen, aber Monsieur überredete ihn, in Gent stehenzubleiben. Auf diese Weise gelang es ihm, diesem schmachvollen Debakel noch einen Rest an Würde und Hoffnung für die Zukunft abzuringen. Napoleons Rückkehr zur Macht vollzog sich nahtlos. Am Morgen nach seiner Ankunft in den Tuilerien versammelte sich der ganze kaiserliche Hof, geführt von den ehemaligen Königinnen von Spanien und Holland sowie den Ehefrauen der Marschälle, zu seiner Begrüßung im Thronsaal. «Die Lilien hatten überall die Bienen vertrieben, und es schien einer Dame, als löste sich eine der Lilien los, welche den Teppich in dem ungeheuren Thronsaale bedeckten», schreibt General de Lavalette. «Sie trat näher hinzu, nahm die Lilie ab, und die Biene erschien hinter derselben. Sogleich fielen nun alle die Damen über die Lilien her, und in weniger, als einer halben Stunde, die wegen des Sonderbaren der Arbeit unter dem allgemeinen Gelächter der ganzen Versammlung verging, waren sämtliche Lilien verschwunden, und die Bienen wieder an deren Stelle getreten; der Saal war nun wieder kaiserlich.»4
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Als Lavalette am Abend seine Aufwartung im Tuilerien-Palast machte, fand er Napoleon inmitten seiner Minister in seiner alten Uniform vor und fühlte sich einen Augenblick lang in die Zeit vor zehn Jahren zurückversetzt. «Der Gegenstand und der Ton der Unterhaltung, die Anwesenheit der vielen Personen, die so lange mit und unter ihm gearbeitet hatten, trugen dazu bei, die Erinnerung an die Bourbonen und deren kurze Herrschaft gänzlich aus dem Gedächtnisse zu verbannen.» Und das, obwohl die Büsten der königlichen Familie noch immer den Raum schmückten.5 Im Gegensatz zu den Bourbonen hatte Napoleon aus den Ereignissen der letzten zwei Jahre einiges gelernt; er war entschlossen, die Fehler nicht zu wiederholen. So unternahm er auch nicht den Versuch, wieder absolutistisch zu regieren, sondern suchte statt dessen, Stärke und politische Legitimität aus der revolutionären Tradition zu ziehen. Schon als er Lyon erreicht hatte, löste er die Kammern der Deputierten und der Pairs auf, schaffte «feudale Titel» ab, vertrieb einige der heimgekehrten Emigranten und beschlagnahmte Ländereien, die sie wieder in Besitz genommen hatten. Auch veröffentlichte er ein Dekret, das die Repräsentanten der ganzen Nation aufforderte, in Anlehnung an das 1790 gefeierte Föderationsfest im Mai nach Paris zu kommen. Er bediente sich einer Rhetorik, in der von «Adligen und Pfaffen» die Rede war, und sprach sogar davon, sie an Laternenpfählen aufzuknüpfen.6 Napoleon hoffte, ein konstitutionelles System einrichten zu können, das die besten Traditionen der Revolution mit denen einer liberalen Monarchie verbinden sollte. Eine seiner ersten Taten bestand darin, den politischen Denker Benjamin Constant rufen zu lassen und dessen Unterstützung zu gewinnen. Constant war kein Freund Napoleons. Dennoch glaubte er, daß in seiner jetzigen Stimmungslage Napoleon die beste Chance darstellte, Frankreich zu einer günstigen Regierungsform zu verhelfen. Ein weiterer, den Napoleon an seiner Seite brauchte, war der Mann, der im März 1814 Talleyrands Rolle übernommen hätte, wäre er zu diesem Zeitpunkt in Paris gewesen – Joseph Fouché, der Herzog von Otranto.7 Es ist nicht leicht, eine angemessene Vorstellung der geistlichen Bildung dieses erstaunlichen Produkts der Oratorianer in nur wenigen Zeilen zu vermitteln. Im Verlauf der Französischen Revolution hatte er sich fast jeder Fraktion angeschlossen, war allen immer einen Schritt
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voraus und hatte auf seinem Weg ehemalige Kampfgenossen und Freunde rücksichtslos ausgeschaltet oder zum Tode verdammt. Er unterstützte den General Bonaparte in seinem Aufstieg zur Macht und wurde dessen Polizeiminister, wofür ihn der Kaiser Napoleon dann mit dem Herzogtum Otranto in Italien belohnte. Bis zum Jahr 1810 blieb er Polizeiminister, als man ihn durch Savary ersetzte, nachdem seine Beziehungen zu den exilierten Bourbonen bekannt geworden waren. Fouché, der entschlossen war, am Ruder zu bleiben, und daher immer schon Ausschau nach dem nächsten Regime hielt, hatte zu ihnen Verbindung aufgenommen, als er Napoleons Stern sinken sah. 1813 hatte Napoleon ihm den Posten eines Gouverneurs von Illyrien übertragen und ihn danach nach Neapel entsandt, hauptsächlich, um ihn in dieser kritischen Zeit von Paris fernzuhalten. Fouché war sich dessen bewußt und sah hilflos von ferne zu, wie das Kaiserreich zerfiel. Sobald es ihm möglich war, eilte er nach Paris, aber er kam zu spät; da lenkte bereits Talleyrand den Lauf der Ereignisse. Trotz seiner revolutionären Vergangenheit und des Makels, für den Tod Ludwigs XVI. gestimmt zu haben, gelang es Fouché, sich die Gunst von Monsieur und eine einflußreiche Position zu sichern. Aber er bezweifelte, daß sich das Bourbonenregime würde halten können, und schmiedete zusammen mit dem General Drouet d’Erlon ein Komplott. Die Garnison von Lille sollte sich für Napoleon erheben, falls der Kaiser zurückkehrte. Letztlich wollte er in Frankreich ein Regime einführen, das in der Lage wäre, etwas vom Erbe der Revolutionszeit und der napoleonischen Ära zu bewahren, und in diesem Rahmen war eine Regentschaft des Königs von Rom, in der er die Zügel der Macht in den Händen halten konnte, seine bevorzugte Option. Aus diesem Grund schrieb er an Napoleon und riet ihm, sein Reich auf Elba gegen ein privates Exil in den Vereinigten Staaten einzutauschen – wäre Napoleon erst einmal auf der anderen Seite des Atlantiks, stünden die Alliierten einer Regentschaft seines Sohnes vielleicht aufgeschlossener gegenüber.8 Als Fouché von Napoleons Landung bei Antibes erfuhr, gab er das Signal für Drouet d’Erlons Verschwörung, die jedoch fehlschlug. Zur gleichen Zeit bat ihn Ludwig XVIII., in die Regierung einzutreten. Seine Zusage zögerte er so lange wie möglich hinaus, bis Napoleons Einzug in Paris ihn davor bewahrte, sich zur zerfallenden Bourbonenmacht bekennen zu müssen. Napoleon mißtraute ihm, aber, ebenso wie Lud-
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wig XVIII., brauchte er ihn auch. Er setzte ihn abermals als Polizeiminister ein, denn nur so würde er die republikanischen Elemente unter Kontrolle halten können. Fouché machte das Spiel mit. «Nun, da ist er ja wieder», lautete sein Kommentar zu Napoleons Rückkehr gegenüber einem Kollegen. «Er ist nicht der, den wir gern gehabt hätten, aber er läßt sich nicht wie ein Bauer vom Schachbrett entfernen. Schauen wir, was sich machen läßt, um ihn im Auge zu behalten.»9 Napoleon bemühte sich, seine Rückkehr an die Macht als interne französische Angelegenheit darzustellen, die andere europäische Mächte nicht zu betreffen hatte. Von Lyon aus schrieb er an Marie-Louise und bat sie, mit dem Sohn zu ihm zu kommen. Zu seinem Außenminister ernannte er den allseits respektierten Caulaincourt, der an Metternich schrieb und ihn der friedlichen Absichten Frankreichs versicherte. Napoleon erklärte, daß er die Bedingungen des Pariser Friedens annehme, und versicherte in einem Schreiben an Alexander, er werde sich daran halten. Auf sein Geheiß schrieb seine Stieftochter, Königin Hortense von Holland, an den Zaren und bemühte sich, ihn davon zu überzeugen, die Situation zu akzeptieren. Um die Gunst der Briten zu gewinnen, schaffte er den Sklavenhandel einfach ab.10 Während Fouché Napoleon als Polizeiminister diente, stand er Caulaincourt auch als eine Art inoffi zieller Außenminister zur Seite. Er schickte einen alten republikanischen Freund La Harpes mit einem Brief an Alexander in die Schweiz, in dem Napoleon seine friedlichen Absichten und seine Bereitschaft erklärte, jedes Arrangement zu akzeptieren, das für die Alliierten annehmbar sei. Auch stellte er den Kontakt zu Metternich her. Metternich brachten die neuen Entwicklungen aus dem Konzept; es widerstrebte ihm, sich vorschnell festzulegen. Sollte es Napoleon gelingen, sich mit einem der Alliierten zu einigen, so wollte er auf jeden Fall dabeisein. Er schrieb Fouché einen Brief in unsichtbarer Tinte, den er von einem Angestellten des Wiener Bankhauses Arnstein & Eskeles bei einem seiner Geschäftstermine in Paris überbringen ließ. Aber Napoleons Spione beobachteten den Mann dabei, wie er das Schreiben ablieferte. Napoleon schickte einen eigenen Agenten, der sich mit dem Metternichs in Basel traf. Die Verhandlungen versandeten in ergebnislosem Gerede, da Metternich sich nicht festlegen wollte.11
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Obgleich er den Aufbau einer schlagkräftigen Armee energisch vorantrieb, hoffte Napoleon einen Konflikt zu vermeiden oder zumindest hinauszuzögern. Er baute auf die allgemeine Kriegsmüdigkeit und die Differenzen, die innerhalb der gegen ihn errichteten Allianz aufgekommen waren. In der Hoffnung, diese noch weiter zuspitzen zu können, trug er Caulaincourt auf, dem abreisenden russischen Geschäftsträger in Paris, Pawel Butjagin, eine Abschrift des britisch-französisch-österreichischen Vertrags gegen Rußland und Preußen vom 3. Januar zu übergeben, den man in den Archiven des französischen Außenministeriums rechtzeitig entdeckt hatte. Er sollte enttäuscht werden. Binnen weniger Stunden, nachdem sie die Nachricht von Napoleons Flucht aus Elba erhalten hatten, und lange, bevor sie ahnten, welche Richtung er einschlagen würde, begannen die Bevollmächtigten der fünf Großmächte ihre Truppen gegen ihn zu mobilisieren. Am 12. März konnte Wellington Castlereagh informieren, daß sie beabsichtigten, drei große Korps einzusetzen: in Italien ein österreichisches mit 150 000 Mann; am Oberrhein eines mit 200 000 Österreichern, Bayern, Badenern und Württembergern und ein drittes, bestehend aus einem österreichischen Kontingent und den holländischen, britischen und preußischen Truppen in Flandern, das er selber kommandieren würde. Eine russische Armee mit 200 000 Mann würde weiter hinten bei Würzburg zusammengezogen. Liverpool begann, Einheiten von Irland nach Holland zu verlegen, um die dort stationierten 4000 britischen Soldaten zu verstärken. Die Österreicher wurden unruhig, als sich abzeichnete, daß alle verfügbaren österreichischen Truppen sich an den Grenzen zu Frankreich konzentrieren würden, während in ihrem Rücken eine riesige russische Armee aufmarschierte. «Wie groß die Gefahr sein mag, die uns von Paris droht, sie ist nicht so groß wie jene, die aus Warschau auf uns zukommt», hörte ein Mitglied aus Alexanders Gefolge einen der österreichischen Erzherzöge sagen. Metternich hoffte mittels komplizierter Vormarschpläne, nach denen sich die russischen Truppen in engen Korridoren bewegten, in denen sie gut versorgt und gut überwacht werden konnten, die Risiken einzugrenzen.12 Alexander bot sich an, den Oberbefehl als «Diktator» zu übernehmen, wobei ihm Friedrich Wilhelm, Schwarzenberg und Wellington als
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Berater dienen könnten; aber letzterer protestierte heftig. Wie er Castlereagh im Vertrauen erklärte, wolle er «lieber eine Muskete tragen» als sich in eine solche Aufgabenverteilung zu fügen. Er verehrte den Zaren weitaus weniger als die meisten seiner Zeitgenossen und hatte auch den Russen gegenüber weniger Respekt, die, wie er es seinem Bruder gegenüber ausdrückte, «weder über Gut und Geld noch über Handel und Wandel verfügen, noch über irgend etwas, wonach sich jemand wünschen könnte, mit Ausnahme von 400 000 Mann, von denen sie mehr Aufhebens machen, als sie es verdienen».13 Indem die Alliierten um das Oberkommando stritten, wurde klar, daß sie erst die Voraussetzungen für eine im Grunde neue Koalition schaffen müßten. Am 16. März wies Castlereagh Wellington darauf hin, daß der Vertrag von Chaumont die einzige Basis war, die ihnen ein weiteres Vorgehen ermöglichte, und Wellington begann, auf dieses Ziel hinzuarbeiten. Aber die Alliierten zu einen, war nicht leicht. Am 17. März eskalierte ein Kriegsrat, der in Wellingtons Wiener Residenz abgehalten wurde, zu einem Kampf zwischen Österreich und Preußen darum, wer von ihnen das Kommando über die Kontingente der kleineren deutschen Staaten übernehmen sollte; letztlich wiederholten sie damit ihre Hakeleien um Deutschland. Österreich schnappte Preußen die 8000 Mann aus Hessen-Darmstadt vor der Nase weg, und Preußen forderte im Gegenzug den Befehl über die Kontingente aller norddeutschen Staaten, mit Ausnahme Hannovers. Wellington lehnte dies ab. Hardenberg versuchte, ihn mit einem Kontingent preußischer Soldaten zu bestechen, sofern er Blücher gestattete, alle anderen zu kommandieren. General von dem Knesebeck wies beharrlich darauf hin, daß die kleineren Kontingente nur dann, wenn sie unter einem preußischen Kommando stünden, das Gefühl hätten, für Deutschland zu kämpfen. Aber auf einer Konferenz der Fünf am 1. April wurde Preußen gezwungen, das Kommando über die Kontingente Braunschweigs, Oldenburgs, Nassaus und der Hansestädte abzutreten, wodurch ihm nur noch Hessen-Kassel und das halbe Sachsen blieb.14 In einer imposanten patriotischen Geste boten Bayern und Württemberg doppelt so viele Soldaten an, wie von ihnen verlangt wurden, aber Metternich ließ sich nicht foppen; er durchschaute, daß sie sich damit für Friedensverhandlungen nach Beendigung des Feldzugs ein größeres Mitspracherecht sichern wollten. Als Bayern aufgefordert wurde, zusam-
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men mit allen kleineren Staaten einer erneuerten Allianz der ursprünglichen vier Alliierten beizutreten, erhob Wrede Einwände; er beharrte auf einem eigenen Vertrag mit den Alliierten, in dem Bayern eigenständiger Bündnispartner wäre, nicht nur Teil der Gruppe kleinerer Beitrittsländer. Nach einigem Hin und Her durften alle Könige separate Verträge unterzeichnen. Nun bestand noch die Frage der Finanzierung.15 Obgleich Alexander gegenüber Talleyrand vollmundig verkündete, er werde Napoleon in der Schlacht persönlich gegenüberstehen, ließ er zugleich Wellington rundheraus wissen, daß er keinen Finger rühren könne, bis britisches Geld geflossen sei; die Bevollmächtigten aller anderen Mächte, die Truppen beisteuern wollten, vertraten denselben Standpunkt. Wellington versicherte ihnen, man werde das Geld aufbringen, und begann mit seiner Regierung in London zu feilschen, die schließlich bereit war, bis zu fünf Millionen Pfund zu zahlen, und als Ersatz für ihren Anteil von 150 000 Soldaten weitere zwei Millionen Pfund.16 Zu diesem Zeitpunkt gingen die Alliierten immer noch davon aus, daß Ludwig XVIII. das Problem allein in den Griff bekommen könne. Es erschien unvorstellbar, daß ein Mann mit knapp tausend Soldaten ein Königreich übernehmen könnte, das über eine 150 000 Mann starke Armee verfügte. Dieser Mann aber hieß Napoleon, und jeder, der in Wien an einem Konferenztisch saß, mit Ausnahme von Wellington und jenen Mitgliedern der britischen Delegation, die zu seinen Glanzzeiten nicht auf dem europäischen Kontinent gewesen waren, hatte irgendwann erlebt, was es hieß, bei seinem Herannahen von panischer Angst ergriffen zu werden. Sie hatten reichlich Gelegenheit, den Allmächtigen anzuflehen, sie von dem Bösen zu erlösen, da die Osterzeit gekommen war. Am 23. März, Gründonnerstag, versammelte sich der ganze Hof in der großen Halle, in der normalerweise Bälle veranstaltet wurden, zum traditionellen Ritual der Fußwaschung. Zwei lange Tische waren auf zwei erhöhten Plattformen errichtet worden, an denen je zwölf arme Wiener Personen, hier männlichen, dort weiblichen Geschlechts, Platz genommen hatten. Der Kaiser und die Kaiserin traten in Begleitung ihrer Erzherzöge und Erzherzoginnen ein; ihnen voran schritten Soldaten der königlich ungarischen Nobelgarde. Wie Tischbedienstete servierten sie den Armen dann ein Dreigängemenü. «Danach wurden die Tische entfernt, und die Kaiserin und ihre Töchter, die Erzherzoginnen, die in schwarz gewan-
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det waren und deren Schleppen von Pagen getragen wurden, traten zu ihnen», berichtet ein britischer Reisender. «Unter die Füße der alten Frauen wurden silberne Schüsseln gestellt. Aus einer goldenen Urne goß der Großkämmerer, in demütig gebeugter Haltung, einer nach der anderen Wasser über die Füße, die die Kaiserin dann mit einem edlen Tuch in ihrer Hand abtrocknete. Der Kaiser vollführte die gleiche Zeremonie an den Füßen der Männer, und begleitet von sakraler Musik ging das Ritual zu Ende.» Die Osterriten setzten sich am nächsten Tag mit den Stationen des Kreuzwegs fort und erreichten am Ostersonntag mit einer feierlichen Messe ihren Höhepunkt, an der alle Souveräne und Minister und der Hof teilnahmen. Die Minister hatten sich zu Karsamstag kurz wieder praktischen Angelegenheiten zugewandt, um einen Vertrag ähnlich dem von Chaumont unter Dach und Fach zu bringen, der aber diesmal auch Frankreich und die zweitrangigen Mächte einbezog. Es geschah keine Minute zu früh.17 Am Dienstag, dem 28. März, traf in Wien die Nachricht ein, daß Napoleon in Paris war. Das bedeutete, daß man in mancher Hinsicht wieder am Ausgangspunkt von 1813 stand. Zu den ersten Reaktionen einiger Staatsmänner gehörte die Befürchtung, daß alles, worum sie sich so lange bemüht hatten, alles, was in den vielen Stunden der Diskussionen und Auseinandersetzungen erreicht worden war, umsonst gewesen sein könnte. Aus London schrieb Castlereagh an Wellington, er schlage vor, so schnell als möglich einen Vertrag fertigzustellen, um zumindest das, worüber bislang Einigkeit erzielt worden war, abzusichern, und es jeder Anzweiflung zu entziehen. Sein Brief kreuzte sich mit einem Schreiben Wellingtons, in dem ihm dieser versicherte, man sei einhellig entschlossen, «alle Kräfte zur Unterstützung des Systems zu vereinen, das durch den Pariser Frieden errichtet worden war», und daß sie sich alle der Brisanz der Lage bewußt seien. «Alle wünschen, die Angelegenheiten des Kongresses zu einem baldigen Abschluß zu bringen, damit sich die volle und ungeteilte Aufmerksamkeit und Anstrengung aller Beteiligten gegen den gemeinsamen Feind richten kann … Im großen und ganzen versichere ich Eurer Lordschaft, daß ich mit dem Geist, der hier bezüglich dieses Ereignisses herrscht, vollauf zufrieden bin», schloß er.18 Alexander und Franz besprachen sich über die Briefe, die sie von Napoleon erhalten hatten, und kamen überein, sie nicht zu beantworten.
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Dies war beruhigend, denn Rußland und Österreich waren die beiden Mächte, denen man zutraute, sich mit dem napoleonischen Frankreich zu verständigen. Als weitere Demonstration ihrer Solidarität wischten die Alliierten öffentlich Napoleons Proklamation vom Tisch, der zufolge niemand außer dem französischen Volk das Recht habe, einen Herrscher für Frankreich zu bestimmen; spezielle Erfordernisse des internationalen Rechts überstiegen eben die Rechte einer Nation, ihren Herrscher selber zu wählen. Zum ersten Mal in den internationalen Beziehungen maßte sich eine Gruppe von Staaten faktisch das Recht an, sich zugunsten des übergeordneten Wohls Europas in die internen Angelegenheiten eines anderen Landes einzumischen.19 Als Butjagin in Wien eintraf und Alexander am 8. April die Kopie des gegen ihn geschlossenen Bündnisvertrags überreichte, die er von Caulaincourt erhalten hatte, blieb der Zar, der die Existenz eines solchen Dokuments schon seit einiger Zeit vermutet hatte, gelassen. Er hielt es Metternich öffentlich unter die Nase, um sogleich zu erklären, er wolle davon nie wieder hören. Dem König von Bayern, der gekommen war, um ihm seine Entschuldigung anzubieten, schnitt er das Wort ab und sagte, man müsse sich darauf konzentrieren, Napoleon zu schlagen. Aber sowohl Nesselrode als auch der Freiherr vom Stein sahen, wie zornig er war.20 Alexander warf nicht nur den Briten vor, daß sie Napoleon hätten entkommen lassen, er versuchte auch, Metternich und Talleyrand zu beschuldigen, daß sie den Kongreß unnötig lange hinausgezögert hätten. Einmal erklärte er sogar, Napoleons Rückkehr sei die Strafe Gottes dafür, daß sie miteinander um Lappalien gestritten hätten. Das Ganze bestätigte ihn einmal mehr in seiner Überzeugung, ein von intriganten moralischen Nieten umstellter einsamer Kämpfer für das Gute zu sein.21 Als Metternich ihm die Nachricht von Napoleons Flucht überbrachte, waren die beiden zum ersten Mal seit ihrer Unterredung vom 24. Oktober 1814 allein, und Alexander nutzte die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß sie beide Christen seien und daher einander ver zeihen und sich umarmen sollten, was sie taten.22 An Ludwig XVIII. schrieb Alexander, «die erste Wirkung, die dieses Ereignis auf die in Wien versammelten Souveräne hatte, war es, die Bande zu festigen, denen Europa den Frieden und Frankreich die Ruhe verdankt, die es jetzt unter seinem legitimen König zu genießen begann».
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Talleyrand behandelte er herzlicher denn je und suchte ihn auf, um ihn zu versichern, er habe ihre vergangenen Meinungsverschiedenheiten ganz aus seinen Gedanken verbannt. «Das Erscheinen Buonaparte’s in Frankreich, dieser im übrigen so unangenehme Zwischenfall, wird wenigstens den Vortheil haben, daß dadurch der Abschluß der Geschäfte hier beschleunigt wird», schrieb Talleyrand an Ludwig XVIII. am 12. März. «Jedermann fühlt seinen Eifer und seine Rührigkeit verdoppeln.» Einige Wochen später meldete er, die Arbeit des Kongresses werde wahrscheinlich Mitte April beendet sein.23 Nur noch drei wichtige Punkte harrten einer Lösung: Die Höhe der Entschädigungen, die Bayern dazu bewegen könnten, Tirol an Österreich zurückzugeben, die deutsche Verfassung und die Frage, wie mit Murat zu verfahren sei. Der letzte Punkt würde sich von allein regeln, denn Napoleons Flucht von Elba hatte Murat zum Handeln veranlaßt. Als erstes bot er den Alliierten seine Dienste an. Der Vorschlag wurde ernstgenommen, und Castlereagh, der noch am 12. März an Wellington geschrieben und ihm nahegelegt hatte, sich mit den Österreichern zusammenzutun, um Murat aus Neapel zu vertreiben, autorisierte ihn nun, keine zwei Wochen später, ein Bündnis mit Murat zu einzugehen, falls er glaube, der König von Neapel handele in lauterer Absicht.24 Aber lange, bevor Wellington das zweite dieser Schreiben erhielt, hatte Murat seine Pläne geändert und war an der Spitze seiner Armee losmarschiert. Am 30. März ließ er in Rimini eine Proklamation an das Volk Italiens herausgeben, die weniger eine Beistandsgeste für Napoleon als eine Kriegserklärung an Österreich war. «Die Vorsehung ruft euch endlich zur Freiheit», hieß es darin. «Ein Schrei ertönt von den Alpen bis zur Meerenge von Skylla, und dieser Schrei lautet: Unabhängigkeit Italiens … Achtzigtausend Italiener des Landes Neapel ziehen unter dem Befehl ihres Königs ins Feld und schwören, nicht zu ruhen, bis Italien befreit ist …»25 «Murat muß bald vernichtet werden, sonst wird er uns schwer zu schaffen machen», schrieb ein aufgeschreckter Wellington am 8. Mai aus Brüssel, wo er sein Hauptquartier eingerichtet hatte. Er hätte sich jedoch keine Sorgen machen müssen, denn Castlereagh hatte Murat, vollkommen widerrechtlich, den Krieg erklärt, und auch Metternich
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war schon aktiv geworden. Wie Napoleon wurde auch Murat für vogelfrei erklärt, und die österreichischen Truppen in Italien bewegten sich zügig voran. Sie besiegten Murat mühelos bei Tolentino, und seine Operettenarmee schmolz dahin. Murat selbst schiffte sich nach Frankreich ein, um Napoleon seine Dienste anzubieten, und Ferdinand VI. kehrte aus Sizilien zurück, um seinen Thron wieder in Besitz zu nehmen. Als erstes unterzeichnete er am 29. April ein Abkommen mit Österreich, in dem er im Gegenzug für eine volle militärische Unterstützung versprach, «keinerlei Veränderung zuzulassen, die sich nicht mit den alten Institutionen des Königtums und nicht mit den Prinzipien vereinbaren lassen, die Seine Kaiserliche und Königliche Apostolische Majestät für die innere Ordnung seiner italienischen Provinzen bestimmt hat». Obgleich mit Ferdinand ein Bourbone aufs italienische Festland zurückgekehrt war, hatte Metternich dafür gesorgt, daß dieser sich Österreich gänzlich verpflichtet fühlte und sich von ihm kontrollieren ließ.26 Die Regelungen für das übrige Italien ergaben sich daraus folgerichtig. Wie im Vertrag von Fontainebleau vorgesehen, wurde Parma MarieLouise übertragen, jedoch nur auf Lebzeiten; ihr Sohn würde in Österreich bedacht werden. Nach ihrem Tod würden die drei Herzogtümer an Maria Luisa von Spanien, der vormaligen Königin von Etrurien, und an deren Kinder fallen. Bis dahin würde Maria Luisa die ehemalige Republik Lucca erhalten, die wiederum, sobald sie Parma übernahm, der Toskana zugeschlagen werden würde, die an Erzherzog Ferdinand fiel. Erzherzog Franz erhielt Modena. Der Papst nahm wieder seine Legationen in Besitz (obgleich Österreich das Recht behielt, in Ravenna eine Garnison zu stationieren), ferner die Marken, die Murat zuvor besetzt gehalten hatte, und die Herzogtümer Pontecorvo und Benevent – wofür Talleyrand, der dies angeblich vermittelt haben sollte, fürstlich belohnt werden würde. Zunächst sah es so aus, als würde nun auch eine Lösung der deutschen Frage beschleunigt angegangen werden, nachdem Napoleons Rückkehr auf die politische Bühne das Solidaritätsgefühl unter den Alliierten wiederbelebt hatte. Aber das sollte nicht sein, hauptsächlich, weil Bayern noch immer wegen territorialer Kompensationen in Auseinandersetzungen mit Österreich stand. Bayern versuchte sogar, die Krise auszunutzen, indem Marschall Wrede begann, Entschädigungsforderungen für die Übergabe von Salzburg und Tirol zu steigern. Er verlangte
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größere Teile von Hanau, Isenburg und Fulda sowie Territorium in Württemberg, Hessen-Darmstadt und Baden. Die Bayern bedienten sich jetzt der zuvor von den Preußen angewendeten Taktik, die mediatisierten Seelen zu «diskontieren» – das heißt, jene Untertanen, die zugleich einem halbautonomen Herrn unterworfen waren, nicht mitzuzählen, weil sie nicht in gleicher Höhe zu besteuern waren wie die übrigen. Auf diese Weise konnte Bayern seine Ansprüche maßlos in die Höhe treiben. Wie Talleyrand es ausdrückte, hatten sie sich mit ihrer Gier und Sturheit den Titel «Preußen des Südens» verdient.27 Obgleich es eigentlich nur um Dinge ging, die zwischen Österreich und Bayern zu verhandeln waren, legte Metternich am 3. April bei dem Treffen der Fünf die ganze Angelegenheit auf den Tisch, so sehr fühlte er sich in dieser Phase unter Druck. Als erstes einigte man sich darauf, daß die Stadt Mainz an Hessen-Darmstadt fallen sollte, während die Festung Mainz Garnison des Bundes werden sollte, in der Truppen aus Hessen-Darmstadt, Kurhessen, dem Herzogtum Nassau und aus Preußen unter preußischem Kommando stationiert wären. Nach einer hitzigen Debatte erhielt der Erzherzog Karl den Oberbefehl über die gemeinsame Garnison. In ihrem Zorn darüber, Mainz nun endgültig verloren zu haben, forderten die Bayern noch mehr und verlangten nun zusätzlich Mannheim und Heidelberg. Aber nach energischem Einspruch Alexanders am 5. April einigte man sich darauf, daß Bayern diese Gebiete nach dem Tod ihres Herrschers erhalten würde, mit dem dessen Linie aussterben würde. Zwar war damit das weitere Schicksal von Mainz entschieden, aber das dahinterliegende Problem wurde nicht gelöst: Die einander widerstreitenden Forderungen Bayerns, Badens und der beiden hessischen Staaten auf Gebiete am Rhein ließen sich nach wie vor nicht vermitteln. Zudem waren Salzburg und Tirol, die beide Österreich hätten zufallen sollen, immer noch von Bayern besetzt. Metternichs Möglichkeiten, noch Gebiete zu finden, mit denen sich Bayern entschädigen ließe, verringerten sich rasch. Im Januar hatte ihn Castlereagh überredet, Preußen etwas Territorium südlich der Mosel zu überlassen, das er eigentlich für Bayern vorgesehen hatte. Immer geheimerer Tauschgeschäfte bedurfte es, um die kleinen Fürsten zu bewegen, die benötigten Gebiete herauszugeben. Der Landgraf von Hessen-Homburg soll sich darüber beklagt haben, man habe ihm einen «Bezirk in China» gegeben, als ihm
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die entlegene pfälzische Region Meisenheim am Glan zugesprochen wurde. Und in dem Maße, wie die Menge der verfügbaren Ländereien abnahm, meldeten alle, die übergangen worden waren, und besonders jene, denen Alexander etwas zugesichert hatte, ihre Wünsche an. Alexander hatte Prinz Eugène de Beauharnais sein Wort gegeben, ihm irgendwo in Europa ein Herrschaftsgebiet zu besorgen, und war entschlossen, es zu halten. Seine Bemühungen, dafür in Italien etwas zu finden, waren an Metternichs Winkelzügen und Talleyrands Widerstand gescheitert. Jetzt suchte er für ihn etwas Geeignetes in Deutschland, und das erzürnte viele. Humboldt erklärte, sollte Prinz Eugen ein Fürstentum in Deutschland erhalten, werde er den Kongreß verlassen. Alexander hielt jedoch daran fest; er wolle aus Wien nicht abreisen, ohne ihm etwas verschafft zu haben. Andere, denen er seine Hilfe versprochen hatte, waren der Herzog von Sachsen-Coburg, sein Schwager, der Herzog von Sachsen-Weimar und sein Cousin, der Herzog von Oldenburg.28 Alexander drängte Münster, einige der Grenzgebiete Hannovers an Oldenburg abzutreten, für die er selbst angemessenes Territorium in Preußen zu finden versprach, das dann an Hannover käme; für diesen Verlust sollte Preußen wiederum durch einige Landstriche entlang des Rheins entschädigt werden, die früher zu Oldenburg gehört hatten. Dies löste eine neue Runde des Schacherns und der Seelenzählerei aus.29 Nachdem sie sich von ihrem Schock über Napoleons Flucht erholt hatten, wandten die verschiedenen Interessenvertreter ihre Aufmerksamkeit wieder ihren alten Anliegen zu und machten weiter wie bisher, mit dem Unterschied, daß sie sich jetzt für einen neuen Wettstreit zu rüsten schienen. Hardenberg hatte die Verhandlungen schon seit einiger Zeit in die Länge gezogen, wobei er sich unterschiedlicher Kunstgriffe bediente. Clancarty beschwerte sich bei Castlereagh, daß Hardenberg in der Übergabe von Dokumenten saumselig sei und ihm Landkarten mit Grenzvorschlägen erst spät in der Nacht zeige, wenn es schwer war, auf den Karten die Farben und Schraffierungen auseinanderzuhalten. Die Preußen versuchten außerdem immer wieder, Streifen französischen Territoriums entlang der Grenze zu «stibitzen». Und Hardenberg begann, die Behandlung der Frage hinauszuzögern, wie alle getroffenen Vereinbarungen in einem einzigen Vertrag zu bündeln seien, der so schnell wie möglich zu unterzeichnen war.30
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All dies wurde von Talleyrand mit Schrecken verfolgt, der darin die Absicht zu erkennen glaubte, man wolle bestimmte Fragen offenhalten, weil man hoffe, daß ein neuer Krieg einen neuen Frieden erforderlich mache. Ein neuer Frieden aber würde für Frankreich nicht so günstig ausfallen wie der Pariser Vertrag. Ihm war klar, daß die Messer gewetzt wurden, um den Kuchen neu aufzuteilen.31
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Auch Wellington war nervös. Er hatte Wien am 29. März verlassen, einen Tag, nachdem ihm gemeldet worden war, daß Napoleon Paris erreicht hatte, und zuvor Cathcart die Aufgabe übertragen, die Geschäfte des britischen Kongreßbevollmächtigten fortzuführen. Er beabsichtigte, den Oberbefehl über die alliierten Kontingente in den Niederlanden zu übernehmen, aber als er in Brüssel eintraf, das er zu seinem Hauptquartier bestimmt hatte, fand er dort kaum Truppen vor. Während der nächsten Wochen drängte er Liverpool, ihm neue zu schicken, und bemühte sich intensiv, die vorhandenen auf Vordermann zu bringen. Es handelte sich hauptsächlich um Milizeinheiten; viele der Männer hatten noch nie aktiv gedient. «Ich habe eine abscheuliche Armee, sehr schwach und schlecht ausgerüstet, und einen sehr unerfahrenen Stab», beschwerte er sich Anfang Mai bei Stewart.1 Seine Bündnispartner stimmten ihn ebenfalls nicht gerade zuversichtlich. Die holländischen Truppen unter seinem Kommando zeigten sich kriegsmüde, während die Preußen unter Blücher, die ihm als Nahunterstützung zur Verfügung stehen sollten, ein Problem für sich darstellten. Bei ihrem Marsch durch die Niederlande nahmen sie sich alles, was sie an Lebensmitteln, Pferden und Ausrüstung benötigten, und behaupteten, daß die Briten die Rechnungen begleichen würden, obwohl ihnen Großbritannien eine großzügige Subvention gezahlt hatte. Auch waren ihr Benehmen und ihr Umgang mit der einheimischen Bevölkerung alles andere als vorbildlich. Gegenüber dem sächsischen Kontingent, das Blüchers Befehl unterstellt worden war, traten sie derart beleidigend auf, daß die Sachsen meuterten und das preußische Hauptquartier angriffen. Blücher, der gemeinsam mit Gneisenau Hals über Kopf hatte fliehen müssen, übte harte Vergeltung und ließ sächsische Soldaten von preußischen Erschie-
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ßungskommandos exekutieren. Es war kein vielversprechender Auftakt zu einem konzertierten Feldzug gegen den besten General Europas.2 Wellington mutmaßte, daß die Allianz nicht in der Lage sein werde, koordiniert loszuschlagen, und ein Unterton echter Besorgnis ist in seinen Briefen zu spüren. Er befürchtete, daß die Österreicher durch ihren Kampf gegen Murat festgehalten werden könnten, während im Süden Sardinien nichts zu unternehmen schien, um Frankreich zu bedrohen oder auch nur in Schach zu halten. Schwarzenberg, der den Rhein zwischen Straßburg und Basel überqueren und an der Spitze von 150 000 Österreichern, Bayern, Württembergern und anderen Deutschen nach Langres vorstoßen sollte, schien es damit nicht sonderlich eilig zu haben. «Mit der Streitmacht, die sich jetzt überall sammelt, und vorausgesetzt, wir gehen mit üblicher Besonnenheit und Ordnung vor, scheint es mir ausgeschlossen zu sein, daß wir in unseren militärischen Operationen scheitern sollten», schrieb Wellington am 20. Mai aus Brüssel an Metternich. Aber er fühlte sich alleingelassen, da es höchst wahrscheinlich war, daß Napoleon versuchen würde, die Korps der Alliierten einzeln zu schlagen, und er vermutlich mit seinem anfangen würde. Die psychologische Brisanz des bevorstehenden Kräftemessens war ihm durchaus bewußt. «Das einzig wahre Mißgeschick, das uns unter den gegenwärtigen Umständen zustoßen könnte, wäre, wenn eine der größeren Einheiten der Alliierten eine Niederlage einstecken müßte, und sei sie noch so begrenzt», schrieb er an den Herzog von Berry in das nahegelegene Gent, wo dieser die Pariser Armee Ludwigs XVIII. kommandierte.3 Da sich Ludwig XVIII. mit seinem Gefolge dort eingerichtet hatte, befand sich Wellington auch in politischer Hinsicht in einer Schlüsselposition. Theoretisch gehörte der französische König, nachdem Frankreich dem Vertrag von Chaumont beigetreten war, zu den Alliierten, aber so eindeutig war die Lage keineswegs. «Was den Krieg gegen Napoleon betrifft, sind wir untrennbar vereint», schrieb Stewart am 15. April aus Wien an Burghersh. «Aber was die Restauration des Königs betrifft, riecht es nach großer Intrige. Der Kaiser von Rußland haßt alle Bourbonen und ist überzeugt, daß sie in Frankreich nicht regieren können. Eine starke Fraktion bevorzugt den Herzog von Orléans … kurzum, ich sehe viel Schurkerei voraus.»4 Das jämmerliche Bild, das Ludwig XVIII. und seine Unterstützer in der gegenwärtigen Krise nach Napoleons Rückkehr geboten hatten, ließ
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die ganze Frage seiner Regierungsführung unweigerlich wieder aufbrechen, und zwar derart, daß Castlereagh davon abriet, schwedische Truppen ins Spiel zu bringen, da dies Bernadotte auf den Gedanken bringen könnte, wieder seine alten Pläne zu verfolgen. Aber nicht einmal Alexander dachte jetzt noch an Bernadotte.5 Alexander fühlte sich durch die Behandlung, die er durch Ludwig XVIII. erfahren hatte, schwer gekränkt, und der französische König hatte seitdem nichts getan, um seinen verletzten Stolz zu besänftigen. In einer langen Unterredung mit Cathcart Anfang Mai sagte der Zar, er bezweifele, daß die Bourbonen fähig seien, ihren Thron zu halten. Napoleon an der Macht zu lassen, in welcher Form auch immer, lehne er ab, und er verfolge auch nicht mehr das Ziel, ihn durch Bernadotte oder einen der anderen Marschälle zu ersetzen. Aber obgleich seine persönlichen Gefühle einer zweiten Restauration nicht im Weg stehen dürften, halte er den Bourbonen und früheren gemäßigten Revolutionär Louis-Philippe, den Herzog von Orléans, für den besten Anwärter auf den französischen Thron. Innerhalb wie außerhalb Frankreichs teilten viele diese Ansicht, und der Herzog selbst machte ihnen weder Hoffnungen, noch entmutigte er sie. Wie Chateaubriand es treffend ausdrückte: «Er konspirierte nicht durch Tat, sondern durch die Zustimmung, die er erfuhr.»6 Die Haltung der britischen Regierung hatte sich seit 1814 nicht geändert; in ihren Augen boten die Bourbonen die beste Garantie für Frieden und Stabilität, nur wäre es falsch und unklug, sie offen zu unterstützen. Ein bedeutender Teil der britischen Öffentlichkeit lehnte es ab, in einen neuen Konflikt gezogen zu werden, und falls die Regierung versuchen sollte, das Land um einer Bourbonen-Restauration willen in einen Krieg zu führen, wäre das für die Opposition ein gefundenes Fressen. Insofern schickte Castlereagh Ludwig XVIII. zwar Geld und einen Gesandten in dessen Hauptquartier nach Gent, gab sich aber gleichzeitig an der Sache desinteressiert. Entsprechend wurde auch der Antrag im Unterhaus, mit dem eine Kriegsbeteiligung durch Abstimmung verhindert werden sollte, abgelehnt.7 Castlereagh drängte Wellington, die Alliierten daran zu hindern, eine vorschnelle Erklärung herauszugeben, «solange die Art des Kampfeinsatzes nicht präziser bestimmt ist; denn obgleich ein Einschreiten der Großmächte Europas, nach Einschätzung der Regierung Seiner
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Majestät, sowohl klug als auch empfehlenswert wäre, sofern es eine angemessene nationale Unterstützung findet, träte jedoch, ganz im Sinne der Prinzipien, entsprechend derer die Alliierten bisher gehandelt haben, ein ganz anderer Fall ein, wenn man nach Frankreich einmarschierte, um einen Monarchen zurückzuführen, der von seinen eigenen Truppen und Untertanen betrogen und verlassen wurde.»8 Hardenberg war derselben Meinung, und in seinen Weisungen an den Grafen von der Goltz, den preußischen Gesandten am Hof Ludwigs XVIII., warnte er: «Trotz des Wunsches der alliierten Mächte, sie wieder auf dem Thron ihrer Vorfahren zu sehen, wäre es gefährlich, sich darüber in der gegenwärtigen Krise allzu eindeutig zu äußern.» Diese Position war gänzlich paradox, denn sowohl die gemeinsame alliierte Proklamation vom 13. März, in der Napoleon für vogelfrei erklärt worden war, als auch der erneuerte Vertrag von Chaumont verpflichteten die Alliierten, Ludwig XVIII. zu Hilfe zu eilen.9 Wellington stand inzwischen mit Fouché in Verbindung, der insgeheim an ihn herangetreten war, um einerseits zu sondieren, ob Großbritannien geneigt wäre, Napoleon unter bestimmten Bedingungen zu akzeptieren, und andererseits, um sich selbst ein Asyl in England zu sichern, falls er vor Napoleons Rache fliehen müßte. Fouché hatte auch Kontakt zu Talleyrand, Metternich und, über Umwege, zu Alexander aufgenommen. Sobald er sich davon überzeugt hatte, daß die Alliierten eine Regentschaft niemals akzeptieren würden und nur Alexander für den Herzog von Orléans war, trat er mit Ludwig XVIII. in Gent in Geheimverhandlungen. Er war nun der Mann der Stunde und würde eine ähnliche Rolle spielen wie Talleyrand ein Jahr zuvor.10 Talleyrand war in einer etwas mißlichen Lage. Seine Loyalität gegenüber Ludwig XVIII. war ungebrochen. Aber er fürchtete, daß der König, sobald Napoleon erst einmal besiegt wäre, den Ultraroyalisten nicht mehr die Stirn bieten könne, die ihrerseits eine reaktionäre Regierung installieren und das ganze Land mit Vergeltungsmaßnahmen überziehen würden, etwas, womit Talleyrand nicht nur nicht in Verbindung gebracht werden wollte, sondern wovor er sich auch persönlich fürchtete. Würde es nicht gelingen, Ludwig vor diesen Leuten zu bewahren, müßte sich Talleyrand anderswo nach einem Herrscher für Frankreich umsehen. Auch wollte er nicht auf der falschen Seite stehen, falls Metter-
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nich und Kaiser Franz sich mit Napoleon über eine Regentschaft von dessen Sohn, dem König von Rom, einigten, was er nicht ausschließen konnte. Talleyrands Position in der österreichischen Hauptstadt war wenig beneidenswert. Kaum hatte Ludwig XVIII. Paris verlassen, schon hörten die französischen Regierungsinstitutionen auf zu funktionieren, was zur Folge hatte, daß Talleyrands Einnahmequellen versiegten. Napoleon konfiszierte seinen gesamten Besitz in Frankreich, so daß er darauf weder zurückgreifen noch einen Kredit aufnehmen konnte. Plötzlich stand er mittellos da und begann, Mitarbeiter zu entlassen. Wellington kam ihm mit einem Darlehen von 10 000 Pfund zur Hilfe. Die Herzogin von Kurland war beim Anmarsch Napoleons von Paris nach Wien geflohen, wo sie bei Talleyrand einzog. Ob er es amüsant fand, seine jetzige und seine vormalige Geliebte, Mutter und Tochter, unter seinem Dach zu beherbergen, läßt sich bezweifeln, zumal Dorothea gerade ihre Leidenschaft mit Clam-Martinitz auslebte. Wie um alles noch komplizierter zu machen, tauchte auch sein alter Freund Casimir de Montrond in Wien auf und wohnte bei ihm. Über geheime Kanäle erreichte Talleyrand das Angebot Napoleons, seinen Besitz zurückzuerstatten, falls er bereit wäre, bei der Aushandlung eines Friedens in seinem, Napoleons, Interesse tätig zu werden. Ein weiterer Abgesandter Napoleons, dessen Hauptaufgabe der Versuch war, Metternich zu bestechen, überbrachte Talleyrand die Drohung, man werde ihn wegen Landesverrats vor Gericht stellen, wenn er nicht kooperiere. Es verwundert nicht, daß man Talleyrand von allen Seiten mißtraute. Obwohl Napoleon einer so erdrückenden Übermacht gegenüberstand, daß seine Überlebenschancen gering schienen, gab es immer noch eine derart tiefsitzende Angst vor ihm, daß sich in Wien eine gewisse Paranoia breitmachte. Jeder Neuankömmling wurde für einen Spion gehalten, und jeder, der Verbindungen zu Frankreich hatte, für einen potentiellen Verschwörer. Dies zeigt sich deutlich in der Behandlung, die man Marie-Louise und ihrer Entourage zuteil werden ließ. Kaum hatte man von Napoleons Flucht von Elba erfahren, ließ Metternich sie einen Brief an ihren Vater, den Kaiser, unterschreiben, in dem sie erklärte, daß sie nie wieder zu Napoleon oder nach Frankreich zurückzukehren wünsche. Metternich bezweckte damit, ein Dokument in
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der Hand zu haben, das er nervösen Alliierten vorzeigen konnte, die vielleicht vermuteten, Österreich wäre für ein Angebot Napoleons offen. Er zwang Marie-Louise auch, die Livreen ihrer Dienerschaft auszuwechseln und das französische Kaiserwappen von ihren Kutschen zu entfernen. Napoleons Briefe an Marie-Louise wurden abgefangen und von Franz und Metternich gelesen, die ihr auch die Antwortschreiben diktierten; sie waren zärtlich, aber ausweichend, und bedauerten, unter widrigen Umständen verfaßt werden zu müssen. Wie sie wirklich empfand, läßt sich schwer einschätzen, da sie auf die Menschen ihrer Umgebung den Eindruck machte, im selben Maße um die Sicherheit Napoleons wie um ihre eigene Aussicht, Parma in Besitz zu nehmen, besorgt zu sein. Alle paar Tage wurde sie zur Audienz bei ihrem Vater nach Wien zitiert, als beabsichtigte sie, auszureißen, und tatsächlich erfand man für sie einen Fluchtplan. Der junge Anatole de Montesquiou-Fézensac, ein ehemaliger Adjutant Napoleons, kam aus Paris nach Wien, um seine Mutter zu besuchen, eine Hofdame von Marie-Louise und Gouvernante des Königs von Rom. Metternich hatte schon lange einen Vorwand gesucht, um Madame de Montesquiou loszuwerden. Sie wurde von ihrem Schützling, der sie «Maman Quiou-quiou» nannte, abgöttisch geliebt, und man glaubte, sie stelle einen übermäßig patriotischen französischen Einfluß auf den Jungen dar. Mit der Ankunft ihres Sohnes bot sich eine ideale Gelegenheit. Marie-Louise wurde in die Hofburg gerufen. Sie sollte den König von Rom mitbringen, der fortan unter den Augen des Kaisers untergebracht werden würde, und Madame de Montesquiou wurde entlassen. Zur Begründung wurde vorgebracht, man habe ein Komplott aufgedeckt, sie und ihren Sohn nach Paris zu entführen; Mutter und Sohn Montesquiou seien darin verwickelt. Man verwies die beiden der Stadt, nahm dann aber den Befehl zurück und zwang sie, in Wien zu bleiben, wo sie unter Beobachtung gestellt werden konnten.11 Die Nachricht von diesem «Komplott» verbreitete sich in Wien mit Windeseile, was Hagers Aufgabe, die Sicherheitsmaßnahmen zu verstärken, erheblich erleichterte. «Die Überwachung wurde in unerträglichem Maße zur Schikane», urteilte Napoleons ehemaliger Sekretär Méneval, der damals zu Marie-Louises Entourage gehörte. «Wie die Wespen fielen die Polizisten beim Vorübergehen über uns her, folgten
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uns überallhin und drangen unter tausenderlei Vorwänden in die Welt häuslicher Geborgenheit ein.» Auch Prinz Eugène de Beauharnais, der sich angesichts seiner engen Beziehungen zum Zaren und zu anderen bedeutenden Persönlichkeiten auf dem Kongreß über jeden Verdacht erhaben wähnte, erlebte die unangenehme Überraschung festzustellen, daß die Zahl seiner Aufpasser verdoppelt worden war.12 Er war nicht das einzige Mitglied der Familie Bonaparte, das überwacht wurde, als stelle es eine große Gefahr dar. Jérôme Bonaparte, der ehemalige König von Westfalen, wurde von der Polizei beschattet, während seine Frau Katharina, inzwischen nur noch Gräfin Hartz genannt, von ihrem Vater, dem König von Württemberg, unter Druck gesetzt wurde, nach Stuttgart zurückzukehren, wo sie dem Einfluß ihres napoleonischen Gefolges entzogen sein würde. «Nichts wird mich je von den Interessen Jérômes oder denen der Familie, der anzugehören ich mich rühme, trennen können», schrieb sie ihrer Schwägerin Elisa, der Schwester Jérômes, die jetzt den Namen einer Herzogin Compignano trug; aber sie müsse Vorkehrungen gegen mögliche Entführungsversuche treffen.13 In einem Bericht erklärte Hager gegenüber Kaiser Franz – und man hört fast den vorwurfsvollen Unterton –, einer seiner Agenten habe in Tschernyschows Wohnung einen Brief an sich genommen, der in unsichtbarer Tinte verfaßt und an ein Fräulein Itzstein in Frankfurt adressiert gewesen sei, tatsächlich aber von Alexander an Louise Bethman gerichtet war. «Gemäß den Anordnungen Eurer Majestät hat das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten beschlossen, diesen Brief keiner chemischen Bearbeitung zu unterziehen und ihn, nachdem er zurückgelegt wurde, so wie er war, abschicken zu lassen. Da diese Operation und Beratung etwas lang dauerte, hat Tschernyschow das Verschwinden seines Briefes bemerkt und ihn von seinem russischen Diener zurückverlangt, den er heftig verprügelte. Dieser, der von der Beschlagnahme des Briefes nichts wußte, konnte sich nicht helfen, und unser Agent war so geschickt, als er von der Manipulation zurückkehrte, den Brief zwischen den Schreibtisch und ein anderes Möbelstück zu stecken, wo man ihn natürlich im Verlauf der Suchaktion wiederfand, die Tschernyschow vor seinen Augen durchzuführen befohlen hatte.»14 Wie stets förderte die Überwachung auch Unzüchtiges zutage, das sich mit möglichen Bedrohungen durch Frankreich nur schwer in Ein-
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klang bringen ließ. Agenten berichteten regelmäßig über die erotischen Eskapaden des Großherzogs von Baden und seines Begleiters bei den amourösen Tändeleien, des Fürsten von Hessen-Darmstadt. Ihre fröhlichen Diners mit jungen Damen in den Räumlichkeiten des großherzoglichen Stallmeisters fanden jetzt, in Ermangelung von Bällen und anderen Vergnügungsangeboten, noch häufiger statt. Da sie bald abreisen wollten, kosteten sie ihre letzten Tage in Wien zur Neige aus, und der Fürst nahm intensiv und zärtlich Abschied von seiner «Gräfin Waffenberg». Am 12. April reiste er schließlich ab, nachdem er die letzte Nacht in ihren Armen verbracht hatte. Der Großherzog, der am 11. hatte fahren wollen, änderte seine Meinung und blieb noch einen weiteren Monat in Wien, möglicherweise, weil er in Josepha Kronsteiner, der Tochter eines Zitronen- und Orangenhändlers, eine neue «Flamme» entdeckt hatte.15 Die Polizeiberichte geben auch Auskunft darüber, daß der schwedische Graf Löwenhjelm einer Frau Werzer beharrlich den Hof machte, während Frederick Lamb offenbar seine frühere Liaison mit Wilhelmine wieder aufgenommen hatte und die Nächte bei ihr verbrachte. Im gegenüberliegenden Flügel genoß ihre Erzfeindin Bagration Freuden in den Armen des Kronprinzen von Württemberg, der vergessen zu haben schien, daß er der Großfürstin Katharina den Hof machte. Als er Wien am 11. April verließ, begleitete sie ihn noch etwa 25 Kilometer in seiner Kutsche zur Stadt hinaus, wobei das Abschiednehmen so liebevoll war, daß der Polizeispitzel vermutete, es könne ein dritter Bastard der Fürstin daraus hervorgehen. Wie ihm auffiel, war sie niedergeschlagen, als sie in die Stadt zurückfuhr. Dazu hatte sie auch allen Grund. Das Geld war ihr ausgegangen, und ihr Koch hatte in die eigene Tasche greifen müssen, um ihre Tafel gedeckt zu halten. Aber nun hatte auch er kein Geld mehr. Solange sie ihn nicht bezahle, sagte er, könne er kein Abendessen mehr bereiten. Da ihre wohlhabenden Gönner abreisten, lief sie Gefahr, am Ende mittellos dazustehen. Sicherlich wäre sie getröstet und erfreut gewesen, hätte sie gewußt, daß auch bei Wilhelmine das Geld knapp wurde und sie begonnen hatte, ihren Schmuck zu verkaufen.16 «Das traurige Geschäft des Kongresses kommt zu seinem Ende, der in seinen Ergebnissen das erbärmlichste Stück Arbeit ist, das man je ge-
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sehen hat», schrieb Dalberg seiner Frau am 11. April. Dieser bittere Ton könnte möglicherweise etwas mit der «maladie galante» zu tun haben, an der er laut bei der Polizei eingehenden Berichten litt. Aber obgleich die Arbeit unermüdlich weiterging, wurden die Problemlösungen immer beliebiger, oder die Themen wurden mit einem kurzen Kopfnicken zur Kenntnis genommen und weiterverwiesen. So geschah es auf jeden Fall auch am 14. April, als der Kongreß in seinen laufenden Verhandlungen innehielt, um über die Petition Carl Bertuchs und Johann Friedrich Cottas für den Schutz des Urheber- und Verlagsrechts zu beraten und sich auf eine Absichtserklärung zu einigen.17 Völlige Prinzipienlosigkeit zeigte sich auch in der Behandlung der Schweizer Frage. Sie war jetzt etwas dringlicher geworden, da befürchtet wurde, daß Napoleon Teile der Schweiz auf seine Seite ziehen oder es ihm irgendwie gelingen könnte, die innerschweizerischen Differenzen zu nutzen und gegen die Alliierten einzusetzen. Den Beschlüssen des Schweizer Komitees stimmte der Rat der Acht am 20. März hastig zu. Zwei Tage später lauschten alle Deputierten der verschiedenen Kantone und die anderen schweizerischen Interessenvertreter, wie Metternich die getroffenen Entscheidungen verlas. Das ganze Beschlußpaket wurde dann zur Ratifi zierung an die Tagsatzung verwiesen. Dieses gebieterische Vorgehen war die Regel. Nachdem sie feierlich verkündet hatten, daß ihnen die Neutralität der Schweiz am Herzen liege, begannen die Mächte Anfang Mai die Eidgenossenschaft zu drängen, sich der Allianz gegen Napoleon anzuschließen. Metternich schickte als «Beobachter» bezeichnete Offi ziere in die Schweiz, die die Lage im Blick behalten sollten. Im Juni schließlich verlangten die Alliierten, ihren Truppen den Marsch durch schweizerisches Gebiet zu gestatten, was die Tagsatzung nicht einfach ablehnen konnte. Napoleons Rückkehr hatte es außerdem unbedingt erforderlich gemacht, sich auf eine deutsche Verfassung zu einigen, bevor die Koalition in den Krieg zog. Die Leidenschaften, die Deutschland zerrissen, ließen alle möglichen Entwicklungen erahnen, sollten die Kräfteverhältnisse umschlagen. Erst kürzlich, am 27. April, hatte Fürst Wilhelm von Sayn-Wittgenstein als Sprecher einer großen Gruppe von Standesherren den Appell an Friedrich Wilhelm gerichtet, Preußen zu einer Schutzmacht für Deutschland zu machen – und damit auch für die klei-
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neren Fürsten, darunter die von Bayern, Württemberg und Baden. Niemand bezweifelte, daß die Monarchen dieser drei Staaten, und gewiß auch einige ihrer weniger mächtigen Kollegen, wenn man sie vor die Wahl stellte, sich eher einer Allianz mit Napoleon anschließen würden, als sich einer solchen Beschneidung ihrer Vorrechte zu fügen.18 Hardenberg und Humboldt hatte diese Initiative ebenso aufgeschreckt wie Metternich, der ihren Urhebern jedoch mit einer Mischung von Drohungen und Tricks eine Reihe von Konzessionen abringen konnte; Mitte Mai hatte man sich dann auf eine endgültige Form der Verfassung geeinigt. Unter dem Zeitdruck, diesen Konsens zu erreichen, wurde die Lösung aller Fragen aufgeschoben, die noch strittig, aber nicht entscheidend waren, darunter Preußens Versuch, eine Klausel unterzubringen, die den künftigen Status der Katholischen Kirche in Deutschland regeln würde. Die langersehnte Versammlung der deutschen Einzelstaaten trat am 23. Mai zusammen. Sie war kaum mehr als ein erweitertes Deutsches Komitee und setzte sich zusammen aus Österreich, Preußen, Hannover, Württemberg (das sich nicht bemüßigt fühlte, einen Vertreter zu schicken) und Bayern; hinzukamen Sachsen, Hessen-Darmstadt, Baden, ein dänischer Bevollmächtigter für Holstein und ein holländischer für Luxemburg, sowie die Delegierten der kleinen Fürsten und der vier Freien Städte. Obwohl dieser Kongreß zehnmal tagen sollte, war sein Beitrag zur Gestaltung der deutschen Verfassung jedoch minimal. Metternich führte die erste Sitzung mit dem ihm eigenen Geschick, indem er den Entwurf verlas, auf den er sich mit Hardenberg geeinigt hatte, dann allen Anwesenden eine Kopie überreichte und erklärte, man werde in drei Tagen wieder zusammentreten. Alle Diskussionen auf diesem Kongreß führten nur zu negativen Ergebnissen, so zum Beispiel, als es um die Bestimmung ging, den Juden gleiche Rechte zu garantieren, auf der Humboldt bestanden hatte. Als Metternich sie vorzulesen begann, brach der bayerische Bevollmächtigte Graf Rechberg in lautes Lachen aus, und die anderen taten es ihm nach. Metternich wollte sie streichen, um die Annahme der übrigen Punkte zu erleichtern, aber Humboldt kämpfte hartnäckig darum, sie beizubehalten. Die Folge war, daß die Bestimmung in einen frommen Wunsch umformuliert und, wie viele andere, an die zukünftige Deutsche Bundesversamm-
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lung verwiesen wurde, die am 1. September in Frankfurt eröffnet werden sollte. Die erweiterte Sitzung am 29. Mai brachte nicht weniger als siebenunddreißig Vertreter zusammen, die sich zum Schluß gegenseitig anbrüllten. Kleine Herrscher verlangten, als «Souverän» eingeordnet zu werden, andere verzankten sich darüber, ob und mit welchem Ziel der Bund Krieg führen dürfe, und alle miteinander protestierten sie gegen das Konzept eines Bundesgerichts. Metternich machte immer wieder Zugeständnisse, um in den Grundsatzfragen eine Einigung erzielen zu können, und immer mehr umstrittene Punkte wurden an die Bundesversammlung zur Beschlußfassung verwiesen. Dennoch verließ der Bevollmächtigte Bayerns die Sitzung am 3. Juni, und eine Reihe anderer Teilnehmer legten auf der nächsten, am 5. Juni, Protest ein. An Ende dieser Sitzung verkündete Metternich, daß die Unterzeichnung der Schlußakte des Kongresses auf den 9. Juni festgesetzt worden sei, weshalb sie sich bis zum 8. Juni auf eine Verfassung geeinigt haben müßten, wenn sie noch aufgenommen werden sollte. Es war nichts anderes als ein Ultimatum und stellte wieder einen Anschein von Ordnung her. Nach einigen kleineren Zugeständnissen war auch Bayern wieder bereit, zurückzukommen, was in letzter Minute auch Württemberg tat, obgleich dessen Zustimmung erst am Morgen des 9. Juni in Wien eintraf. Das Ergebnis von alldem war die am 8. Juni unterzeichnete Bundesakte, die einen ständigen Bund von vierunddreißig souveränen Fürsten und vier freien Städten schuf, die von einer Bundesversammlung mit Sitz in Frankfurt regiert werden sollte. Österreich wurde der Vorsitz über die Bundesversammlung zuerkannt, sowie über einen Engeren Rat von siebzehn Mitgliedern aus Österreich, Preußen, Bayern, Sachsen, Hannover, Württemberg, Baden, Kurhessen, Hessen-Darmstadt, Holstein, Luxemburg, einem Abgeordneten für Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Coburg und andere deutsche Kleinfürstentümer, einem für Braunschweig und Nassau, einem für Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz, einem für Oldenburg und mehrere anhaltinische und schwarzburgische Kleinstaaten, einem für die beiden Hohenzollern, die beiden Reuß, Liechtenstein, Lippe-Detmold, Schaumburg-Lippe und Waldeck, und einem für die vier Freien Städte (Lübeck, Bremen, Hamburg und Frankfurt). Die Bundesversammlung hatte theoretisch die Macht, Kriege zu erklären und zu führen, eine Armee auszuheben
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und alle Dispute zwischen den Mitgliedstaaten zu regeln, aber da sie weder über eine nennenswerte Exekutive noch über einen Bundesgerichtshof verfügte, würde sie auch nicht in der Lage sein, auch nur ein einziges dieser Rechte auszuüben. Es war nichts weiter als das Skelett einer Verfassung, das mit Fleisch zu versehen wäre, wenn die Zeit es erlaubte. «Und so wird die Hoffnung der deutschen Völker getäuscht werden – denn es ist vorherzusehen, daß man in Frankfurt nicht erreichen wird, was man in Wien nicht regeln konnte», mutmaßte Münster am 15. Mai in einem Brief an den Prinzregenten. Die Bundesversammlung nahm ihre Arbeit erst im November 1816 auf, und die empfohlenen Ergänzungen zur Verfassung sollten noch weitere fünf Jahre auf sich warten lassen.19 Während Metternich und Hardenberg sich weiter abmühten, die noch losen Fadenenden zusammenzuknüpfen, damit sich nicht das ganze Gewebe der in der deutschen Frage erreichten Regelungen wieder auflöste, begannen andere, sich zu verabschieden, zu packen und abzureisen. Kaufleute und Gläubiger belagerten die Türen derer, von denen es gerüchteweise hieß, daß sie ihre Abreise vorbereiteten; niederrangigere Kongreßbeteiligte lauerten den Souveränen auf, die Orden und Auszeichnungen, Schnupftabakdosen und andere Geschenke verteilten. Humboldt, der mindestens sieben juwelenbesetzte Schnupftabakdosen erhielt, schlug seiner Frau in einem Brief vor, er könne die Steine entfernen und ihr Schmuck anfertigen lassen, aber ihr mißfiel die Vorstellung, Diamanten zu tragen, und sie riet ihm, vom Erlös der Steine ihre gemeinsamen Schulden zu bezahlen. Er hatte von Alexander außerdem einen niederen Orden bekommen, den zu tragen er niemals beabsichtigte, aber die Diamanten darin waren so klein, daß es kaum der Mühe wert war, sie herauszubrechen. Zugleich jedoch war er tief gerührt, als am 4. Juni ein betagter Abgesandter der Juden von Prag zu ihm kam und ihm drei Smaragd- und Diamantringe als Zeichen des Danks für alles, was er für sie getan hatte, überreichen wollte. Humboldt weigerte sich, sie anzunehmen, darum bot ihm der Abgesandte statt dessen 4000 Dukaten an. Auch diese lehnte Humboldt dankend ab, aber später erfuhr er von Gentz, daß man ihm nun ein silbernes Service schicken würde. Gentz forderte ihn auf, die Geschenke doch anzuneh-
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men, so wie er es selbst gern tue, aber Humboldt erklärte, wenn man von einer Sache so leidenschaftlich überzeugt sei wie er von der Gleichberechtigung der Juden, könne man kein Geld annehmen, woraufhin die beiden alten Freunde sich zankten.20 Die Geschenke, die verteilt wurden, standen kaum im Verhältnis zu irgendwelchen tatsächlich erbrachten Diensten, wie der Fall des Königs von Dänemark zeigt. Niedergeschlagen, nachdem er nichts erreicht hatte, verließ Friedrich VI. am 16. Mai 1815 Wien. «Alle Arbeit, die zur Beförderung dieser höchst gerechten Sache aufgewendet wurde, war vergeblich», klagte er. «Ich wünschte mir, meine Mühen hätten der Aufgabe entsprochen, aber die Menschen hier lassen sich nur durch Einschüchterung umstimmen, und dieses Mittel steht mir nicht zur Verfügung.» Nicht nur war der Kongreß für Dänemark mit Gebietseinbußen ausgegangen, auch die Versuche des Königs, die brachliegende Wirtschaft seines Landes wieder aufzubauen, waren ähnlich erfolglos gewesen. Er hatte sich bei Metternich um einige französische Schiffe bemüht, die Österreich im Adriatischen Meer gekapert hatte; er hatte Großbritannien, das die westindischen Kolonien Dänemarks jahrelang ausgebeutet hatte, zur Zahlung eines Entgelts bewegen wollen und ihm sogar seine westafrikanischen Kolonien zum Kauf angeboten, die ursprünglich Zentren des Sklavenhandels gewesen und jetzt überflüssig geworden waren – alles vergeblich. Dennoch verschenkte er Tabakdosen an alle in Frage kommenden Personen und verteilte üppige Trinkgelder an das Personal der Hofburg, das ihn bedient hatte. Die Kosten der dänischen Teilnahme am Wiener Kongreß beliefen sich auf 460 000 Taler, die noch im Jahr 1817 abgezahlt wurden. Friedrich wurde trotz allem von seinen Untertanen mit Beifall empfangen, als er am 1. Juni in Kopenhagen einfuhr; und seiner Herrschaft, die bis zu seinem Tod 1839 währte, wurde noch lange Zeit danach als der «guten alten Zeit» gedacht. Nur einen sehr kleinen Teil seiner Kosten in Wien, die monatliche Pension von fünfhundert Dukaten für seine damalige Wiener Geliebte, Caroline Petronelle Seufert, kann man als sinnvolle Ausgabe bezeichnen. Sie lebte bis 1873, als sie auf den Straßen Wiens von einer Kutsche überfahren wurde.21 Fürst Leopold von Sizilien gab seiner Wiener Mätresse, der Tochter einer Frau Fischer, Besitzerin einer Weinhandlung, die Summe von 10 000 Gulden in bar und stattete sie mit einer Pension von monatlich
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fünfhundert Gulden aus. Er versprach auch, sie wieder zu besuchen. Friedrich Wilhelm, der die übliche Auswahl an Geschenken und Orden verteilte, gab auch jedem dienstbaren Geist in Julie Zichys Haushalt ein Trinkgeld und vergoß beim Abschied bittere Tränen.22 Es wurden keine Bälle mehr veranstaltet, nur noch Soireen, Abendessen und Zusammenkünfte im kleinen Kreis. Die Gäste nutzten das schöne Sommerwetter, um noch einige letzte sorgenfreie Augenblicke auszukosten, bevor sie in ihr beengtes normales Leben zurückkehrten. Stewart hatte inzwischen eine Affäre mit Wilhelmine und verbrachte fast jede Nacht in ihren Gemächern im Palais Palm. «Sie verfügen über eine gewisse Herberge in der Nähe von Laxenburg, die sie zu einem F …- Salon gemacht haben», berichtete ein Informant. Er fuhr fort, seit Castlereaghs Abreise sei das Haus des britischen Bevollmächtigten, ebenso wie das Palais Starhemberg, zu einem «Bordell und einer Spielhölle» geworden, wo man «Schauspielerinnen der Vorstadttheater und Zimmermädchen» ihre Kunst ausüben sah; und daß zwielichtige Gestalten aller Art sich zum Glücksspiel in Clancartys Kanzlei träfen.23 Obwohl Stewart noch eine Zeitlang Botschafter in Wien bleiben würde, schloß auch er sich Kaiser Franz an, als dieser sich auf den Weg zum Hauptquartier machte. Um seinen Haushalt zu verschlanken, wollte er seine Hundemeute verkaufen, fand aber keine Käufer, da sie sich nur zur Fuchsjagd eigneten, die in Österreich unbekannt war. Inzwischen unterhielt er die Einwohner Wiens nach wie vor mit seinen exzentrischen Auftritten. Am 11. Mai sah man ihn offensichtlich betrunken am Graben reiten und sich an einen großen Strauß Maiglöckchen klammern, mit dem der Kopf seines Pferdes üppig verziert war. Am 16. Mai gaben die Gräfinnen Molly Zichy und Flora Wrbna zwanzig Kilometer flußaufwärts von Wien in Greifenstein an der Donau ein Diner für Alexander und eine Gruppe Auserwählter. Bei den Vergnügungen und Gesellschaftsspielen ging es derart hoch her, daß die ganze Nachbarschaft noch tagelang darüber sprach. «Ich liebe Gabrielle Auersperg so sehr, daß ich sie sicherlich heiraten würde, wäre ich nicht schon verheiratet», hörte man Alexander ausrufen.24 Seine Frau hatte die Stadt bereits am 8. März verlassen. Am Morgen ihrer Abreise hatte Czartoryski sie gebeten, sich von Alexander scheiden zu lassen und ihn zu heiraten. Sie versprach, es sich zu überlegen, obgleich ihr Pflichtgefühl sie mahnte, bei ihrem Mann zu bleiben. Später
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am selben Tag gab Alexander dem Fürsten deutlich zu verstehen, daß er ihr eine Scheidung niemals gestatten würde.25 So schwer ihn dieser Schlag getroffen haben mochte, Czartoryski hatte auch Anlaß zur Freude. Am 15. Mai erließ Friedrich Wilhelm eine Proklamation, nach der seine polnischen Gebiete mit einer eigenen Verfassung zum Großherzogtum Posen vereint würden; Statthalter wurde ein Pole, Herzog Anton Radziwiłł. Am 21. Mai verkündete Alexander offi ziell die Gründung eines Königreichs Polen und gelobte, bevor er Wien verließ, diesem eine Verfassung zu geben, in der alle alten polnischen Freiheiten verankert und neue hinzugefügt würden, wie freie Schulbildung für alle Klassen, umfassende Rechte für die Städte, Emanzipation der Juden und Aufhebung der bäuerlichen Leibeigenschaft. «Eine sonderbare Seele», wunderte sich Czartoryski, der Alexander «Größe» zugestand, aber auch bemerkte: «etwas in ihm ist klein, niedrig, beschränkt». Der Zar verließ Wien am 25. Mai und begab sich zum Hauptquartier in Heilbronn, wohin ihm nach und nach die meisten anderen Teilnehmer des Kongresses folgten. Die Diplomatie wanderte aufs Schlachtfeld zurück.26 Niemanden beunruhigte das stärker als Talleyrand, dem klar war, daß der Pariser Vertrag und alle Vorteile, die Frankreich in seiner Folge erreicht hatte, unter dem Druck des alliierten Militärs in Frage gestellt werden würden. Sein Triumph, Frankreich aus der Isolation und in den Kreis der Fünf geführt zu haben, war durch die Rückkehr Napoleons zunichte gemacht. Dazu kamen persönliche Kümmernisse. Einen Tag, nachdem er die Nachricht von Napoleons Flucht erhalten hatte, am 8. März, war er mit Wellington und Metternich nach Preßburg gefahren, um von Friedrich August von Sachsen die Zustimmung zur Teilung seines Reichs zu erwirken. Mit der einem König geziemenden Würde hatte dieser abgelehnt. Aber nicht deswegen war Talleyrand betrübt. Er hatte die Gelegenheit zu einem Besuch bei Madame de Brionne genutzt, einer alten Flamme seiner Jugendzeit, die 1789 emigriert war und jetzt in Preßburg lebte. Sie hatten sich seither nicht mehr gesehen, waren einander aber durch Korrespondenz verbunden geblieben. Er fand sie krank vor und dem Tode nahe, und ihre Begegnung hatte ihn so mitgenommen, daß er anschließend einen langen Spaziergang am Ufer der Donau machte. Kurz nach seiner Rückkehr nach Wien erfuhr er, daß sie gestorben war.
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Aber es gab einen weiteren Grund für seine düstere Stimmung. Bald würde er Abschied von Dorothea nehmen, die er zwar an Clam-Martinitz verloren hatte, die um sich zu haben er gleichwohl sehr genoß, und ebenso von ihrer Mutter, der er in anhaltender Zuneigung und Freundschaft liebevoll verbunden war. «Adieu, tieftraurig verlasse ich Sie», schrieb er ihr. «Die Erinnerung an Sie und Ihre Zärtlichkeit werden mir in meinem Kummer Beistand sein. Ich liebe Sie von ganzem Herzen und für die Dauer meines Lebens, die der Himmel mir noch gewährt. Adieu.» Er fühlte sich krank und besorgt von dem, was die Zukunft für ihn bereithalten würde.27 Nicht weniger beunruhigt war die Fürstin Bagration, die sich in vielen Kreisen außerordentlich unbeliebt gemacht und sogar die Gunst des Zaren verloren hatte. Sie besaß kein Geld mehr und wurde von wütenden Gläubigern belagert. Anfang Juni wurde ihr Besitz beschlagnahmt und sie selber wegen ihrer Schulden, die auf über 300 000 Francs angewachsen waren, von den städtischen Behörden unter Hausarrest gestellt. Verschiedene Freunde hatten sich unter der Bedingung, daß ihr Schwiegervater in Rußland ihre Schulden begleichen würde, bereiterklärt, für sie einzuspringen, aber der weigerte sich entschieden, so daß auch sie, der Kerker drohte, Alexander nach Heilbronn folgte, oder besser gesagt, dorthin floh.28 Gentz hatte sich die Aufgabe, alle ausgehandelten Verträge in einer einzigen Schlußakte zusammenzubringen, ursprünglich mit Anstett und La Besnardière teilen sollen. Aber Anstett litt an einer hartnäckigen und akuten Gichtattacke, die wahrscheinlich durch seinen notorischen Hang zur Flasche zusätzlich verschlimmert wurde, während La Besnadières Nerven von den Ereignissen in Frankreich so angegriffen waren, daß er erkrankte und nach Hause fuhr. So mußte Gentz die Arbeit allein übernehmen, der sich ihr entschlossen widmete und ein Dokument von 121 Artikeln erstellte, in dem alle während der vergangenen Monate getroffenen Entscheidungen und Vereinbarungen zu einem einheitlichen Ganzen zusammengefaßt waren. Es wurde auf den nun häufig stattfindenden Treffen der Fünf, die am 7. Juni zum siebenundvierzigsten Mal seit dem 7. Januar tagten, Stück für Stück in Anwesenheit von Gentz geprüft und gebilligt. Diese Sitzungen arbeiteten zudem verschiedene noch offenstehende Punkte
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ab, damit sie in die Schlußakte aufgenommen werden konnten. Der Tausch bezüglich Lauenburgs und Schwedisch-Pommerns wurde finalisiert, wodurch alle Differenzen zwischen Preußen, Schweden und Dänemark ausgeräumt waren. Und jede Anstrengung wurde unternommen, das anhaltende Gerangel um Mainz beizulegen, denn die Armeen waren auf dem Vormarsch, und dieses Gebiet konnte jederzeit zum Kriegsschauplatz werden. Eine Zeitlang war davon die Rede gewesen, eine allgemeine Garantie für den territorialen Besitzstand jeder der beteiligten Parteien einzufügen, aber Clancarty, der jetzt als britischer Bevollmächtigter Wellington ersetzte, blockierte dieses Vorhaben mit der Begründung, es würde die unterzeichnenden Mächte mehr oder minder verpflichten, bei jedem Verstoß gegen die Schlußakte Krieg zu führen. Auch Alexander hatte die Idee abgelehnt, denn die Gebiete des Osmanischen Reiches wären in diese Garantie einbezogen gewesen, und damit hätte sie Rußlands Expansionspläne auf dem Balkan blockiert. Die Schlußakte lag am 8. Juni fertig vor. Sie sollte zuerst von den acht Unterzeichnern des Pariser Vertrags unterschrieben werden; danach sollten alle anderen beteiligten Parteien hinzutreten. Die Bevollmächtigten der Acht versammelten sich zu diesem Zweck im Beisein aller Vertragspartner am Freitag, dem 9. Juni, in der großen Empfangshalle der Hofburg. Es war dies das erste und zugleich letzte Mal, daß der Kongreß zu einer Vollversammlung zusammenfand, und ihre einzige gemeinsame Tat bestand darin, der Verlesung der Schlußakte zu lauschen. Kardinal Consalvi unterzeichnete nicht; statt dessen griff er den Kongreß in aller Öffentlichkeit an, weil er dem Papst seine französischen Gebiete Avignon und das Comtat Venaissin sowie die Stadt Ferrara nicht zurückerstattet hatte. Auch Labrador verweigerte seine Unterschrift aus Protest gegen Regelungen, die zu Italien getroffen worden waren. Nesselrode erklärte, er sei gern bereit, zu unterzeichen, eröffnete seinen Kollegen aber, daß er dies erst tun könne, wenn Alexander das Dokument persönlich gelesen habe. Er eilte daher spornstreichs ins Hauptquartier, während die anderen ihre Namen und Siegel unter den Vertrag setzten. Erst am 26. Juni hatten alle Beteiligten unterzeichnet. Zu diesem Zeitpunkt war bereits ein Krieg verloren und gewonnen worden.
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Am 21. Juni um elf Uhr abends rollte eine verdreckte Reisekutsche auf den Londoner St.-James-Square und hielt vor der Hausnummer 18. Passanten blieben stehen und schauten neugierig auf zwei Armeestandarten, die von vergoldeten napoleonischen Adlern gekrönt waren und aus einem Fenster der Kutsche ragten. Ihr entstieg Major Henry Percy, ein Adjutant Wellingtons, der die Stufen zu Castlereaghs Haus hinaufeilte. Nachdem er erfahren hatte, daß der Außenminister gemeinsam mit dem Prinzregenten und Lord Liverpool bei Edmund Boehm in Nummer 16 dinierte, ergriff Percy die beiden französischen Standarten und machte sich auf den Weg dorthin. Kurz darauf stürmte er in das Speisezimmer, legte die Standarten dem Prinzregenten zu Füßen und verkündete, Wellington habe einen großen Sieg über Napoleon errungen, der, gefolgt von den zersplitterten Resten seiner Armee, vom Schlachtfeld geflohen sei. Noch bevor er seinen Bericht über das ruhmreiche Ereignis beenden konnte, hatte sich vor dem Haus eine Menschenmenge versammelt, und der Prinzregent trat auf den Balkon. Percy stellte die eroberten französischen Standarten auf, während unten «God Save the King» gesungen wurde. Napoleon hatte alles auf einen raschen Sieg gesetzt. Nur wenn er die gegen ihn aufziehenden Truppen eine nach der anderen schlüge, könnte er vermeiden, hoffnungslos in Unterzahl zu sein. Daher präsentierte er seine neue Armee am 4. Juni mit all ihren Fahnen und zog eine Woche später in den Krieg. Mit 123 000 Mann unter seinem Befehl marschierte er gegen zwei eng kooperierende Armeen, die von Wellington, mit 112 000 britischen, holländischen und deutschen Soldaten, und die von Blücher, mit 116 000 preußischen und norddeutschen. Napoleons einzige Hoffnung bestand darin, einen Keil zwischen sie treiben zu können und sie dann einzeln
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und nacheinander zu besiegen. Am 16. Juni griff er bei Ligny Blücher und seine Preußen an und zwang sie, sich etwas ungeordnet zurückzuziehen, während Marschall Ney die Briten bei Quatre Bras aufhielt. Am nächsten Tag beauftragte er General Grouchy mit der Verfolgung der Preußen, während er sich selbst anschickte, Wellington zu besiegen.1 Die beiden Armeen trafen am Morgen des 18. Juni in der Nähe des Dorfes Waterloo aufeinander. Wellington hatte Verteidigungsstellungen bezogen und ging kein Risiko ein. Napoleon führte mehrere Angriffe hintereinander, die zu den zähesten und erbittertsten Kämpfen der napoleonischen Kriege gehörten und schließlich steckenblieben. Der Ausgang der Schlacht hing bis zum Nachmittag in der Schwebe. Blücher war nicht so arg geschlagen worden, wie Napoleon angenommen hatte, und es war ihm gelungen, der Verfolgung von Grouchy zu entkommen. Um vier Uhr tauchte er an Napoleons Flanke auf, und das Schicksal der französischen Armee war besiegelt. Während die alliierten Armeen von zwei Seiten herandrängten, begann die Grande Armée zu zerfallen und sich aufzulösen; obgleich die Alte Garde und einige andere Einheiten sich heroisch und fast selbstmörderisch bis zum letzten verteidigten, floh der Rest in panischer Unordnung. Napoleon eilte nach Paris zurück und betrat am frühen Morgen des 21. Juni den Elysée-Palast. «Der Schlag, den ich erhalten habe, ist tödlich», vertraute er Caulaincourt an, bevor er ein heißes Bad nahm, wie er es zu tun pflegte, wenn er seine Gedanken sammeln wollte. Die nächsten vier Tage ließ er unentschlossen verstreichen. Schließlich entschied er sich, zugunsten seines Sohnes abzudanken, und verließ Paris mit dem Ziel Malmaison, wo er einige Tage bei seiner Stieftochter und Schwägerin Hortense de Beauharnais verbrachte, der ehemaligen Königin von Holland. Dort überdachte er die verbliebenen Möglichkeiten und machte sich dann zur Westküste auf, wo er ein Schiff nach Amerika nehmen wollte.2 Mit den eroberten französischen Standarten hatte Percy dem Prinzregenten auch eine Depesche von Wellington überbracht. Die «Waterloo-Depesche», als die sie bekannt wurde, wurde sofort veröffentlicht. Gemessen an den historisch verbürgten Fakten ist sie ein faszinierendes Dokument, da sie eindeutig versucht, den Hergang der Ereignisse zu verfälschen, indem sie den preußischen Anteil am Sieg herunterspielt. Vielleicht haben Eitelkeit, Patriotismus oder Staatsräson Wellington ge-
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trieben. Fest steht jedenfalls, daß er Waterloo in erster Linie als britischen Sieg darstellte und seine eigene Rolle beim Vormarsch nach Paris ziemlich ähnlich schilderte wie ein Jahr zuvor Alexander die seine. Und dies machte ihn in politischer Hinsicht zum Herrn der Lage. Der unmittelbare Nutznießer all dessen sollte Ludwig XVIII. sein. Wellington riet ihm, unabhängig von der britischen Armee umgehend nach Paris aufzubrechen, während er selber Kontakt zu Fouché aufnahm und Talleyrand schrieb, er solle sich rasch dem König anschließen. Aber Talleyrand hielt es noch in Wien. Er wollte nicht abreisen, bevor die Schlußakte von allen Beteiligten unterschrieben war; und er ließ Dorothea ungern mit Clam-Martinitz allein. An Ludwig XVIII. schrieb er ein langes Memorandum, in welchem er alle Fehler des Königs auflistete und anregte, Blacas zu entlassen, sich von den Briten zu lösen und sich unter eigener Fahne in eine der großen französischen Städte aufzumachen. Es verwundert daher nicht, daß Talleyrand frostig empfangen wurde, als er schließlich bei Mons doch vor den König trat. Ludwig war unter den Einfluß seines Bruders und dessen ultraroyalistischen Klüngels geraten, die über Talleyrands Vorschlag, der König möge eine liberale Regierung ernennen und öffentlich seine Irrtümer eingestehen, empört waren. Talleyrand wurde von Ludwig entlassen, der in einer Proklamation allen drohte, die sich gegenüber ihm und seiner Sache als «untreu» gezeigt hatten. Daraufhin intervenierte Wellington und zwang Ludwig XVIII., Talleyrand mit der Bildung einer provisorischen Regierung zu beauftragen, mit Fouché als Polizeiminister. Die radikalen Royalisten waren entsetzt. Als Talleyrand, der sich auf Fouchés Arm stützte, den Raum betrat, sah Chateaubriand lediglich, «wie das Verbrechen das Laster führt». Faktisch setzte Wellington, ohne Rücksprache mit den anderen Alliierten, Ludwig XVIII. mit einer liberalen Regierung wieder auf dem Thron. «Er ist ein bewundernswerter Mann», schrieb Talleyrand der Gräfin von Kurland, «mit einem vornehmen und aufrechten Charakter».3 Aber die Lage war ganz anders als 1814, als das Volk von Paris die Alliierten erschöpft und gefaßt, wenn auch nicht begeistert empfangen hatte und die einmarschierenden Armeen sich wie großzügige Befreier benommen hatten. Vom ersten Augenblick ihres Einzugs in Paris am 6. Juli an wurde klar, daß sich die Preußen als Eroberer fühlten, denen
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zustand, an einem am Boden liegenden Feind Rache zu üben. Blücher forderte von der Stadtregierung 100 Millionen Francs und für seine 110 000 Soldaten neue Uniformen und Stiefel. Am 7. Juli suchte ein Herr Friedrich Ribbentrop, Generalintendant der preußischen Armee, den Direktor des Musée Royal, Vivant Denon, auf und verlangte von ihm die Herausgabe aller Kunstwerke, die die Franzosen aus Berlin mitgenommen hatten. Denon berief sich auf die Vereinbarung, die vier Tage zuvor bei der Kapitulation von Paris aufgesetzt worden war und die die Sicherheit allen öffentlichen und privaten Besitzes garantierte. Aber drei Tage später tauchten preußische Soldaten bei ihm auf und begannen, die Bilder von den Wänden zu nehmen. Nachdem sie diejenigen abgehängt hatten, die aus Preußen stammten, verlangten sie Objekte im Namen von Herrschern, deren Territorium durch den Wiener Kongreß an Preußen gekommen war, und schließlich im Namen anderer deutscher Herrscher.4 Blücher entschied, daß der Pont d’Iéna, der seinen Namen zum Andenken an Napoleons Sieg von 1806 über Preußen erhalten hatte, eine Beleidigung der preußischen Waffen sei, und seine Truppen machten sich daran, die Brücke zu verminen, um sie in die Luft zu jagen. Auf Empfehlung Talleyrands verkündete Ludwig XVIII., der zwei Tage nach den Preußen in Paris eingetroffen war, er werde sich auf die Brücke stellen; sie sollten sie zusammen mit ihm sprengen. Er unterzeichnete auch ein Edikt, daß alle Straßen, Plätze und Brücken der Hauptstadt wieder die Namen erhalten sollten, die sie 1790 getragen hatten. Wirkungsvoller war aber wohl, daß Wellington schriftlich bei Blücher protestierte und eine Kompanie britischer Soldaten zum Schutz der Brücke postierte. Am nächsten Tag machte sich Wellington auf den Weg nach SaintCloud, wo Blücher Quartier genommen hatte. Er wurde von Castlereagh begleitet, der von London herbeigeeilt war. Der Preuße zeigte sich für ihre Argumente nicht empfänglich. Auch Metternich, der mit der russischen Vorhut nach Paris geeilt war, versuchte sein Glück, ebenfalls erfolglos. «Er bewohnt dieses schöne Schloß wie ein General der Husaren», schrieb er seiner Tochter Marie nach seinem Besuch bei Blücher am 13. Juli. «Er und seine Adjutanten sitzen herum und rauchen, wo ich den Hof in vollem Staat erlebt hatte; ich dinierte mit ihm im selben Raum, in dem ich so viele Stunden im Gespräch mit Napoleon ver-
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bracht habe. Seine Armeeschneider haben sich dort eingerichtet, wo man früher ins Theater ging, und eine Gruppe Soldaten eines Jägerregiments angelt unter den Fenstern des Schlosses die Goldfische aus dem großen kunstvoll gestalteten Teich.»5 Was Blücher von der Waterloo-Depesche hielt, wäre für den Druck wahrscheinlich ungeeignet; er hielt seinen Beitrag zur endgültigen Niederlage Napoleons sowohl im Jahre 1814 als auch bei Waterloo für entscheidend und war nicht willens, irgend jemandem den Vortritt zu lassen. «Die Preußen sind sehr unverschämt, und den Engländern gegenüber kaum weniger beleidigend als gegenüber den Franzosen», schrieb John Croker, Sekretär der Admiralität, am 13. Juli an seine Frau. «Der Herzog sagt, sie vergessen offenbar, daß in Paris auch eine britische Armee steht.»6 Die Ankunft Alexanders am 10. Juli hätte eine gewisse Ordnung, wenn nicht sogar Einmütigkeit unter den Alliierten bewirken sollen. «Das Benehmen der Preußen ist unfaßbar», schrieb ein schockierter Nesselrode seiner Frau, kurz nachdem er mit dem Zaren in der Stadt eingetroffen war. Auch Alexander war entsetzt und drängte die Preußen, sich zu mäßigen. Aber er verzichtete darauf, sich mittels seiner Autorität durchzusetzen. Sein spiritueller, um nicht zu sagen mentaler, Zustand hatte während der letzten Monate eine weitere Wandlung durchgemacht, und es beschäftigten ihn jetzt andere Dinge.7 Am Abend des 4. Juni, als er im Hauptquartier in Heilbronn eingetroffen war, hatte sich eine Frau in seine Unterkunft durchgekämpft, vorbei an Kutschern, Dienstboten und Adjutanten. Es war Juliane von Krüdener, die fünfzigjährige Witwe eines russischen Diplomaten. Sie war mit ihrem 1803 erschienenen romantischen Briefroman Valérie berühmt geworden, in dem ein junger Mann an der verbotenen Liebe zur Frau seines besten Freundes endlos leidet, bis er dann aus Liebeskummer verscheidet. Aber kurz nach der Veröffentlichung dieses Werkes hatte sie eine spirituelle Krise durchlebt und sich auf die Suche nach Tröstung begeben, die sie zuerst zur Herrnhuter Brüdergemeinde und dann zu Jung-Stilling führte, dessen Jüngerin sie wurde. 1814 war sie zur Überzeugung gelangt, daß Alexander von Gott auserkoren sei, die Welt zu erlösen. Während des Kongresses hatte sie mit Roksandra Sturdza korrespondiert, um sich über seinen spirituellen Fortschritt auf dem laufenden zu halten.
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Sie betrat seine Gemächer in Heilbronn und vekündete ihm, Gott habe sie geschickt, um Seinen «Auserwählten» darüber zu informieren, daß er sich nicht jener Reinigung unterzogen habe, die erforderlich sei, Seinen, des Herrn, Willen zu erfüllen. Sie konnte ihn davon überzeugen, daß Triebfeder all seines Strebens bisher nicht Tugend, sondern Eitelkeit gewesen sei. «Sie haben sich noch nicht vor Jesus gedemütigt», tadelte sie ihn, und gestand, daß auch sie eine Sünderin gewesen sei und Linderung nur in der Buße gefunden habe. Sie befahl Alexander niederzuknien und verbrachte die Nacht bei ihm unter tränenreichen Gebeten. Aus Heilbronn folgte sie ihm nach Heidelberg, wo Alexander am Ufer des Neckar im Haus eines in Deutschland lebenden Engländers namens Pickford wohnte. Die Baronin richtete sich in einem Häuschen in der Nähe ein, und Alexander gesellte sich abends regelmäßig zu ihr und ihrer Tochter zu stundenlangen gemeinsamen Gebeten. Er genoß es, seine Sünden zu beichten, wobei er in besonderem Maße die Widerlichkeit seiner sexuellen Laster verdammte. Als er die Nachricht aus Waterloo erhielt, eilte er zu den beiden, um sich ihrem Gebet anzuschließen. «Oh, wie bin ich glücklich, mein Erlöser ist bei mir!» rief er aus, als er sich von den Knien erhob. «Ich bin ein großer Sünder; und doch läßt Er sich herab, sich meiner zu bedienen, um den Völkern Frieden zu bringen. Oh! Wenn all diese Völker die Wege der Vorsehung verstehen wollten, wenn sie doch dem Evangelium folgen wollten, wie glücklich wären sie!» Um nur nicht übergangen zu werden, reiste er unverzüglich mit Nesselrode, Capodistrias, Cathcart und einer kleinen Eskorte nach Paris ab; seine Armee sollte ihn später einholen.8 Alexanders Stimmungswandel war seinem Gefolge nicht entgangen, und seine Soldaten fanden in ihm einen zunehmend unnachsichtigen Zuchtmeister, der bei ihnen jetzt dieselben strengen Maßstäbe anlegte wie bei sich selbst. Seine Offiziere bestrafte er für die kleinsten Verfehlungen hart. Als eine seiner Kompanien bei einer Truppenparade in Paris aus dem Tritt kam, bekam er einen Wutanfall und ließ die Kommandeure dreier Regimenter einsperren – noch dazu, um die Demütigung vollkommen zu machen, in einem britischen Arrest.9 Um gleichsam zu unterstreichen, wie bedeutsam gerade Alexanders Autorität zu diesem kritischen Zeitpunkt war, suchte Ludwig XVIII. ihn
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nach seiner Ankunft in Paris innerhalb von weniger als zwei Stunden auf und verlieh ihm den Orden vom Heiligen Geist. Aber Alexander blieb gegenüber der ihn umgebenden Wirklichkeit seltsam distanziert. Bei einer Gelegenheit predigte er einer Gruppe von preußischen Offizieren, daß sie alle Christen seien und Rachegelüste aus ihren Herzen verbannen sollten, die den Lehren Christi fremd seien. Aber es schien ihm zu widerstreben, irgend etwas anzupacken. «Wir haben nach wie vor erhebliche Schwierigkeiten mit den Preußen», berichtete am 12. Juli Castlereagh an Liverpool. «In ihrer Armee herrscht ein republikanischer Geist, für den selbst ihre eigene Regierung wenig empfänglich ist.» Berauscht von seinem Sieg über die Franzosen bei Waterloo, schwelgte das preußische Militär in den Gefühlen nationaler Erneuerung und den Träumen von 1813, welche 1814 durch die Diplomaten so sehr enttäuscht worden waren. Viele von ihnen sahen in den britischen Verbündeten kaum etwas Besserers als Verräter an der Sache und verdächtigten sie, gegenüber den geschlagenen Franzosen wieder einmal Milde zu zeigen. Es herrschte eine selbstbewußte, ja revolutionäre Stimmung, und Hardenberg gestand Castlereagh, er habe das Gefühl, von «Prätorianern» umgeben zu sein.10 Hardenberg traf am 15. Juli zusammen mit Humboldt in Paris ein und bezog Quartier im Hôtel particulier des verstorbenen Marschall Lannes in der Rue de Varenne. Gneisenau und andere hatten ihn heftig angegriffen und ihm vorgeworfen, er habe die deutsche Opferbereitschaft vergeudet, weil er sich am Verhandlungstisch nicht energisch genug für Preußen eingesetzt habe, nachdem dessen Soldaten ihr Leben für die nationale Sache gelassen hatten. Die meisten Soldaten bei Waterloo waren Deutsche gewesen, und die Öffentlichkeit in Preußen forderte Blut und Rache. Hardenberg und Humboldt fehlte nicht nur die Macht, Blücher zurückzuhalten, sie selbst standen unter dem Druck, das Blutvergießen fortzusetzen. Kurz nachdem Humboldt Paris erreicht hatte, unterbreitete er den anderen Alliierten ein Memorandum, in dem er behauptete, das sicherste Mittel, Frankreichs Möglichkeiten einzuschränken, den Frieden in Europa in Zukunft zu gefährden, bestehe darin, sein Staatsgebiet zu verkleinern. Zugleich erklärte er, daß die Alliierten jedes Recht hätten, Entschädigung für die Kosten eines Krieges zu fordern, der ihnen aufgezwungen worden war. Er schlug vor, Frankreich Flandern, das Elsaß,
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Teile von Lothringen und die Franche-Comté wegzunehmen, und damit auch die Städte Dünkirchen, Lille, Straßburg, Metz, Mülhausen und Belfort, wobei der Löwenanteil dieser Gebiete an Preußen fallen sollte.11 Die Kämpfe zwischen preußischen Soldaten und französischen Zivilisten auf den Straßen von Paris nahmen bedrohliche Ausmaße an, und es gab Tote auf beiden Seiten. Am 14. Juli warnte Wellington Castlereagh, sollte es ihnen nicht gelingen, die Preußen zu bändigen, könnten sie in eine ähnliche Lage geraten wie die Franzosen in Spanien, die dort eine nationale Guerilla ausgelöst hatten. «Ich versichere Euer Lordschaft, daß alle Informationen, die ich erhalte, zu bestätigen scheinen, daß wir einem sehr kritischen Zustand zusteuern», schrieb er, «und Sie dürfen sich darauf verlassen, sobald in Paris ein einziger Schuß abgefeuert wird, erhebt das ganze Land gegen uns die Waffen.»12 Fouchés geheimpolizeilichen Dossiers nach zu urteilen, war die Situation in der Tat brenzlig. In Paris brodelte es; Menschenansammlungen bildeten sich beim kleinsten Anzeichen, daß es Ärger geben könnte, bereit, sich mit Soldaten der Alliierten anzulegen. Viele, die nicht mit Ludwig emigriert waren oder die Bourbonen unterstützt hatten, waren untergetaucht. Überzeugte Revolutionäre, Republikaner und Anhänger Napoleons fanden nun, daß sie nichts mehr zu verlieren hatten, und brannten darauf, in einem letzten Versuch und mit welchen Mitteln auch immer ihre Ziele durchzusetzen. Royalisten, denen die Restauration von 1814 zu zahm gewesen war, forderten nun blutige Abrechnung. Die Herzogin de Maillé, die Ludwig XVIII. zur Begrüßung entgegenfuhr, als er sich der Stadt näherte, fand ihn erschöpft und bedrückt, aber Monsieur und sein Gefolge spien Feuer. «Sie wollten alles töten», beschrieb sie es. «Jeder war ein Verräter, jeder verdiente den Tod. Sie sprachen von nichts anderem, als die einen zu erschießen und die anderen aufzuhängen.»13 Auch Fouché berichtete, daß «die Sucht zu ächten alle Klassen der royalistischen Partei ergriffen» hatte und Tausende von Denunziationen in sein Büro geschwemmt wurden. «Jeder hatte Angst bekommen, und es gibt nichts Grausameres als Angst», bemerkte die Comtesse de Boigne. In einer «Racheepidemie», wie sie es nannte, kamen Forderungen auf, zu den Foltermethoden und den Marterstrafen des Ancien Régime zurückzukehren. Wie die radikalen Abgeordneten des Konvents während der Schreckensherrschaft von 1793, verlangten nun die Roya-
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listen in der Deputiertenkammer eine Politik der Säuberungen, der épuration.14 Das gleiche Muster wiederholte sich mit regionalen Variationen im ganzen Land, und wenn in Paris die Leidenschaften hochschlugen, gerieten sie in der Provinz häufig außer Kontrolle. Als die Nachricht von Waterloo Marseille erreichte, drangen rachedurstige royalistische Banden in die Stadt ein. Innerhalb von zwei Tagen hatten mindestens fünfzig, vielleicht sogar zweihundertundfünfzig Menschen ihr Leben verloren, während weitere zweihundert schwer verletzt wurden; dabei waren mehr als hundert der aktivsten bonapartistischen Familien bereits geflohen. Nach der Kapitulation von Toulon, das Marschall Brune für Napoleon gehalten hatte, führten selbsternannte royalistische Kommissionen eine épuration durch, in deren Folge mehr als tausend Menschen aus der Stadt flohen und achthundert Männer und fünfundfünfzig Frauen festgenommen wurden. Brune selbst wurde in Avignon ergriffen und umgebracht, seine Leiche verstümmelt und in die Rhône geworfen. Einige Tage später wurde General Ramel bei Toulouse ermordet, als «Legionen», die sich zusammengerottet hatten, die Umgebung dieser Stadt terrorisierten. Vorgeblich royalistische Banden wüteten in vielen Städten, besonders in Südfrankreich, wo sie Häuser und Geschäfte plünderten, wahllos jeden schikanierten, der es ihrer Meinung nach verdiente, und versuchten, in Gefängnisse einzubrechen, um Anhänger Napoleons zu lynchen. Viele dieser Aktionen hatten einen eher kriminellen als einen ideologischen Hintergrund; die Bandbreite der Ziele und Opfer war groß und beruhte oft auf örtlichen und undurchsichtigen Motiven. Fouché brachte die Lage nach und nach unter Kontrolle. Aber in den Provinzen sollte es noch monatelang zu einzelnen Vorfällen kommen; und die Säuberung der staatlichen Institutionen, in deren Verlauf etwa 50 000 bis 80 000 Personen entlassen wurden, die Sympathien für Napoleon gehabt haben sollten, würde noch lange dauern. Zugleich bemühte sich Wellington nach Kräften, ein System zur Einquartierung und Verpflegung der alliierten Soldaten einzuführen, das Frankreich nicht zu sehr belastete, und einige ihrer ärgsten Exzesse im Zaum zu halten.15 Das war alles andere als einfach. Die alliierten Kontingente wurden nicht nur nicht reduziert, es wurden wieder neue aufgestellt, die nach Frankreich hineinströmten, die Bürde für die Bevölkerung vergrößerten
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und neue Probleme schufen. Männer, denen die Gelegenheit zum Kampf versagt geblieben war, brannten jetzt darauf, möglichst jeden Franzosen und vor allem jede Französin zu drangsalieren, und die bayerischen Spätankömmlinge übertrafen sogar die Preußen in ihrer Aggressivität. Die preußischen und bayerischen Kommandeure in den Provinzen weigerten sich, den Aufrufen zu folgen, die Verwaltung der besetzten Gebiete an die Franzosen zu übergeben, und zogen es vor, Steuern und Abgaben selber einzuziehen. Abgesehen davon, daß sie auf diese Weise ungestraft aus einem Ort herauspressen konnten, was sie begehrten, verhinderten sie so auch das Funktionieren der örtlichen Verwaltungen. Sie fühlten sich dazu vollkommen berechtigt, da sie, wie Humboldt anmerkte, genau das taten, was die Franzosen in Preußen getan hatten.16 Weder Wellington noch einer seiner Kollegen hatte die geringste Ahnung, wo Napoleon sich aufhalten könnte, und das trug weiter zu den Spannungen bei. Mehr als alles andere fürchteten sie, er könnte in die Neue Welt entkommen und dort als ständige Bedrohung weiterleben. «Wir wünschen, der König von Frankreich möge Bonaparte aufhängen oder erschießen; das wäre der beste Abschluß dieser Angelegenheit», war Liverpools Meinung. Ansonsten sollte man den Briten alles weitere überlassen. Nicht nur, weil sie über mehr weitabgelegene Orte verfügten, an denen er gefangengehalten werden konnte, sondern auch, weil nicht ganz auszuschließen war, daß er von derjenigen Kontinentalmacht, die ihn übernehmen würde, eines Tages wieder ins politische Spiel gebracht werden könnte.17 Die Angst vor Napoleon war so groß, daß die Alliierten das Problem wie einen ansteckenden Virus behandelten. Am 17. Juli, als man immer noch glaubte, Napoleon könnte es nach Amerika geschafft haben, schlug Castlereagh Liverpool in einem Schreiben vor, die alliierten Mächte sollten sich an den Präsidenten der Vereinigten Staaten, James Madison, wenden und ihn bitten, den Flüchtling in ihre Obhut zurückzuschicken. Er drängte auch darauf, daß man die Bestimmung des Vertrags vom 25. März, in der man Napoleon für vogelfrei erklärt hatte, in das verbindliche europäische Recht aufnehme und dabei auch seine gesamte Familie einbeziehe.18 Zu diesem Zeitpunkt lief Napoleon, ohne Wissen Castlereaghs, Liverpools und Wellingtons, auf dem Deck der HMS Bellerophon auf und ab,
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die nach England unterwegs war. Er hatte ursprünglich nach Amerika fahren wollen, aber viel Zeit bei dem Versuch verschwendet, mit den britischen Marinekapitänen, die die französischen Häfen blockierten, eine sichere Überfahrt auszuhandeln. Als er am 15. Juli fürchtete, von französischen Kräften, die loyal zu den Bourbonen standen, gefangengenommen zu werden, ging er in der Nähe von Rochefort an Bord der Bellerophon des Kapitäns Maitland und lieferte sich dem Prinzregenten aus. Wie der Zufall es wollte, hatten sich die Alliierten eben darauf geeinigt, ihn, wenn sie ihn fingen, nach Großbritannien zu schicken, wo er inhaftiert werden sollte, wahrscheinlich im Fort George in Schottland. Aber bald, nachdem die Bellerophon im Plymouth Sound vor Anker gegangen war, schien die Idee, ihn auf dem britischen Festland gefangenzuhalten, nicht mehr angeraten zu sein. Tausende segelten oder ruderten herbei, um einen Blick auf das gefallene Ungeheuer zu werfen, und Bootsführer vor Ort verdienten ein Vermögen damit, die aus so fernen Gegenden wie London angereisten Besucher einmal um das Kriegsschiff herum zu rudern. Napoleon beobachtete sie durch sein Okular und zog vor den Damen – zu deren großem Entzücken – den Hut. Als die Besatzung es leid war, ständig in Zurufen befragt zu werden, was er tat, wenn er nicht an Deck war, brachten sie ein Schild an, auf das sie mit Kreide «Beim Frühstück», «In der Kabine mit dem Kapitän», «Schreibt mit seinen Offizieren» und so weiter notierten.19 Liverpool wollte Napoleon unbedingt loswerden, nach Malta, Gibraltar, St. Helena, zum Kap der Guten Hoffnung, irgendwohin. Er fürchtete, die englische Neigung, aus einem gestürzten Menschen einen Helden zu machen, könnte politische Dimensionen annehmen. Eine Gruppe von Sympathisanten hatte bereits einen bedeutenden Kronanwalt beauftragt, der für Napoleon eine Vorladung erwirkt hatte, im November vor Gericht, dem Court of King’s Bench, zu erscheinen, aber Captain Maitland drohte dem Boot, das versuchte, dem Kaiser dieses Schriftstück zuzustellen, es in die Luft zu sprengen, wenn es sich noch weiter näherte. Die Regierung hatte ihrerseits juristischen Rat eingeholt, ob ihre Behandlung des Gefangenen angemessen sei, und erfahren, wenn Napoleon an Land ginge, würde dies einige «sehr hübsche rechtliche Fragen aufwerfen».20 Die endgültige Wahl fiel auf die Insel St. Helena im Südatlantik, deren Klima Liverpool als «besonders gesund» erachtete. «In solcher
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Entfernung und an einem solchen Ort», schrieb er am 21. Juli an Castlereagh, «wäre jede Intrige unmöglich; und er würde, abgeschottet von der europäischen Welt, sehr bald vergessen sein.»21 Am 28. Juli verkündete man, daß Napoleon nach St. Helena geschickt wurde, wo ihn die Briten bewachen und wohin die anderen alliierten Mächte, einschließlich Frankreichs, einen Kommissar zur Kontrolle entsenden würden. Die Bellerophon lichtete am 4. August Anker, und am 7. August wurde Napoleon bei Torbay auf die HMS Northumberland umgesetzt, die ihn zum Ort seines Exils bringen sollte. Wellington und Castlereagh waren der Auffassung, daß Ludwig XVIII. gegenüber denjenigen Soldaten und Offi zieren, die ihn verraten hatten, als sie, noch bevor er Paris verlassen hatte, zu Napoleon überliefen, keine Schonung walten lassen solle. Sie beklagten die offensichtliche Entscheidungsschwäche des französischen Königs, die ihn an einem harten Durchgreifen hinderte, und bestanden darauf, daß Marschall Ney, General Labedoyère und General de Lavalette exekutiert werden müßten. Paradoxerweise war es einem britischen Offi zier zu verdanken, daß letzterer aus dem Gefängnis freikommen und in Sicherheit gebracht werden konnte. Die anderen aber wurden ordnungsgemäß erschossen. Es war ein Akt, dessen Rechtmäßigkeit zweifelhaft erschien, und der dem Ruf des Bourbonen-Regimes in den Augen vieler schadete und seinen Gegnern Märtyrer schuf.22
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Der Kongreß war in Paris wieder zusammengetreten, und wenngleich man nun für die Souveräne und ihre Minister keine Bälle und Karussells mehr veranstaltete, war es doch kaum der ideale Ort für nüchternes Nachdenken. Die Stadt war voll britischer, deutscher und russischer Soldaten, die nicht nur in Kasernen, sondern auch in Gärten und auf Plätzen kampierten. Sie füllte sich bald auch mit den Nebendarstellern des Kongresses, mit Ehefrauen, Mätressen und anderen Schlachtenbummlern, und hinzu kamen Touristen, vor allem britische. Die Monumentalität der Schlacht von Waterloo, die auch Napoleons endgültige Nemesis symbolisierte, beflügelte die Phantasie vieler Menschen. Walter Scott und Lord Byron gehörten zu den vielen empfindsamen Besuchern, die das Schlachtfeld zu einen Wallfahrtsziel machen würden. Und wie schon im Jahr zuvor fuhren Scharen britischer Touristen prompt nach Paris. Waren sie damals vor allem gekommen, um sich die Stadt anzusehen und einzukaufen, schien es diesmal vor allem um eine Jagd auf Trophäen zu gehen, die man nach Hause bringen konnte. Lord Apsley berichtete von einem regelrechten Ansturm auf alles mögliche vom Marschallstab bis zur Trikolore, und klagte, der Herzog von Wellington, der bereits Antonio Canovas berühmte Statue von Napoleon ergattert habe, beherrsche fast den ganzen Markt. «Ich werde eine Büste von Boney erstehen», schloß Apsley. Humboldt beschwerte sich, daß die Briten mit Ausnahme von Porzellan alles aufgekauft hätten, was es in Paris zu kaufen gäbe. «Berlin wird plötzlich mit Sèvresporzellan überschwemmt werden», warnte er seine Frau und bedauerte, daß er selber keines mehr habe bekommen können.1 «Wir sind hier dank des Sieges vom 18. Juni und des lieben Gottes, der es gut mit uns meint; wir aber haben nichts Gutes getan», schrieb
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Capodistrias an Stein. «Und ich fürchte, wir werden wie üblich alles verpfuschen.» Genauso kam es.2 In einem Brief an Castlereagh setzte Talleyrand ihm auseinander, der Krieg von 1813 / 14 sei gegen Frankreich geführt worden, und seine Beendigung habe darum eines Vertrages bedurft; da sich hingegen der jüngste Feldzug ausdrücklich gegen einen einzigen Mann gerichtet habe, könne man nach seiner Niederlage und Festnahme den Frieden als wiederhergestellt betrachten. Es bestünde daher kein Bedürfnis und keine Rechtfertigung für irgendeinen neuen Vertrag oder Friedensschluß.3 Das Argument war logisch fehlerfrei, in der herrschenden Stimmung aber galt es nichts. Daß Napoleon scheinbar mühelos wieder die Zügel der Macht ergreifen und eine mächtige Armee aus dem Boden stampfen konnte, hatte alle erschreckt, die in Wien seinen Untergang gefeiert hatten. Selbst die Besonnensten unter ihnen wollten sicher sein, daß so etwas nie wieder geschehen würde, und innerhalb weniger Tage nach ihrem Eintreffen in Paris begannen sich die wichtigen Alliierten über das Thema zu beraten. Die Wurzel des Übels, glaubte Graf Münster, läge darin, daß die Alliierten nicht genau bestimmt hatten, wen sie bekämpften und warum. Sie hatten verkündet, nur gegen Napoleon Krieg zu führen, schickten sich nun aber an, dessen Feind Ludwig XVIII. zu bestrafen, den sie selber auf den Thron zurückgebracht hatten; sie schickten sich an, Frieden mit Frankreich zu schließen, mit dem sie, ihren eigenen Proklamationen zufolge, nicht im Krieg gewesen waren; und obendrein hatten sie wie zum Hohn den König von Frankreich gezwungen, notorische Jakobiner und Königsmörder in seine Regierung aufzunehmen, der das letzte Vierteljahrhundert alles erbittert bekämpft hatte, wofür sie standen.4 Im Auftrag Alexanders legte Capodistrias ein Memorandum vor, in dem betont wurde, das Ziel der Alliierten sei es gewesen, Frankreich von Napoleon und den Kräften der Revolution zu befreien, die Bedingungen des Pariser Vertrags umzusetzen und dafür zu sorgen, daß alle Entscheidungen, die auf dem Wiener Kongreß getroffen worden waren, eingehalten wurden. Nun, da sie Napoleon besiegt hatten und er ihr Gefangener war, und da ihre Armeen Frankreich besetzt hielten, waren die ersten beiden Ziele erreicht, während sich die anderen zwei am besten dadurch erfüllen ließen, daß man Ludwig XVIII. unterstützte. Daher sollten die Alliierten nichts weiter tun, als das militärische Poten-
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tial Frankreichs durch die Zerstörung einer oder zwei seiner Festungen zu verkleinern und finanzielle Entschädigung für die Kosten zu fordern, die ihnen entstanden waren, als sie Ludwig XVIII. halfen, seinen Thron zurückzuerlangen.5 Im großen und ganzen teilte Wellington diese Ansicht. Nachdrücklich beteuerte er, da man nicht gegen Frankreich, sondern nur gegen Napoleon Krieg geführt habe, besäßen «die Alliierten kein Recht, den Pariser Vertrag in seiner Substanz zu schmälern». Er sah das Ganze pragmatisch und warnte davor, sich unbestreitbar französisches Territorium anzueignen; selbst ein so friedfertiger Monarch wie Ludwig XVIII. wäre dann früher oder später gezwungen, es entsprechend dem Wunsch seines Volkes zurückzufordern, und falls er es nicht täte, würde irgendein neuer revolutionärer Diktator es tun. Nichts schweiße ein Land so sehr zusammen wie ein tiefsitzender Groll, und dieser wäre ein mehr als gerechtfertigter Grund für Krieg. «Ein revolutionäres Frankreich bringt die Welt gewiß eher in Bedrängnis als ein Frankreich, das – wie stark es auch immer sein mag – innerhalb seiner Grenzen unter einer ordentlichen Regierung steht», schrieb Wellington an Castlereagh, «und das ist die Lage, in die es zu versetzen wir uns bemühen sollten.» Seiner Auffassung nach bestehe die vorerst beste Chance für eine Friedenssicherung darin, eine Reihe von französischen Verteidigungskapazitäten abzubauen und für einige Jahre strategische Punkte durch alliierte Truppen besetzt zu halten.6 Davon wollten die Preußen nichts wissen. Hardenberg und Humboldt hörte man Überlegungen über eine Aufteilung Frankreichs äußern oder gar darüber, es zu «vernichten». Am 4. August legte Hardenberg eine Note vor, die damit begann, daß Europa Frankreich im Vorjahr großzügig verziehen und es glimpflich habe davonkommen lassen. Angesichts des Verrats durch das französische Volk wäre es jedoch unverzeihlich, erneut eine solche Milde walten zu lassen. Reparationszahlungen brächten zwar zweifellos einen Nutzen, hieß es weiter, sie könnten jedoch weder für die Verluste entschädigen, die die Alliierten erlitten hatten, noch in gleichem Maße Sicherheit garantieren wie eine Abtretung von Territorium. Er untermauerte seine Vorschläge mit erstaunlich fadenscheinigen, auf seiner persönlichen Einschätzung des französischen Nationalcharakters beruhenden Argumenten. «Einer Nation, die über mehr
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Egoismus als Patriotismus verfügt, wird es weniger schwerfallen, Provinzen abzutreten als Geld zu zahlen, weil sich die Bürde einer Zahlung auf jeden einzelnen verteilt, während die Überlassung einiger Bezirke nur das Ganze und die Regierung belastet», behauptete er. Im weiteren würde eine militärische Besetzung für ein solches Volk schwerer zu ertragen sein als der einfache Verlust einiger weniger Grenzgebiete; es wäre daher klüger, sich Territorium zu nehmen als ihm eine zeitweilige Besetzung aufzuerlegen. Schließlich entfaltete er die Theorie, daß jede Nation ihre natürlichen Grenzen habe, innerhalb derer sie sich verteidigen könne, ohne andere zu bedrohen. Das habe für Frankreich zur Zeit der Thronbesteigung Ludwigs XVI. gegolten, seither aber sei dieses Land so weit expandiert, daß es die natürlichen Verteidigungsgrenzen von Nachbarstaaten an sich gerissen habe, wodurch es zu einer ständigen Bedrohung geworden sei. Aus diesem Grund wäre es zum Wohle Frankreichs wie auch Europas, diese Gelegenheit zu nutzen, um es wieder zu verkleinern. Wie diese Theorie sich mit Preußens erstaunlicher Expansion zur gleichen Zeit vertrug, sagte er nicht.7 Die preußische Haltung wurde von den Niederländern geteilt, die die Gelegenheit eines Gebietszuwachses witterten. Ihr Bevollmächtigter, Freiherr von Gagern, hatte mit Hardenberg ein Übereinkommen erzielt, dem zufolge Holland seinen Anspruch auf Luxemburg zugunsten Preußens fallenlassen würde, sofern Preußen im Gegenzug den Anspruch Hollands auf französische, an Belgien grenzende Gebiete, wie zum Beispiel jene um Dünkirchen und Lille, unterstützte. Bayern und Württemberg sahen ebenfalls eine Gelegenheit, ihren Besitzstand mit französischem Territorium zu arrondieren. Sardinien verlangte einen größeren Anteil an Savoyen. «Das unersättliche Bestreben, etwas zu bekommen, ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden, wie man es behalten kann, ist ein seltsames Phänomen», schrieb Castlereagh am 4. September an Clancarty. «Vom Ärmelkanal bis zum Mittelmeer gibt es keine an Frankreich grenzende Macht, wie schwach sie auch sei, die sich nicht, unter dem Vorwand einer Sicherung und offiziellen Bestätigung ihrer Grenzen, irgendein Stück Territorium von ihm aneignen will. Sie scheinen sich vor dem Prankenschlag des Löwen nicht zu fürchten, wenn dessen Fesseln wieder gelöst sind; und sie sind töricht genug anzunehmen, daß die Großmächte
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Gex
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Versoix Genf Chablais
WALLIS
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SAVOYEN Chambéry
Erster Pariser Frieden Zweiter Pariser Frieden
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Europas ihnen stets schützend beistehen werden, damit sie sich ihrer billigen Beute erfreuen können.»8 Was die Schweizer betraf, war Castlereaghs Urteil allerdings ungerecht. Pictet war in der Hoffnung erschienen, endlich eine Landbrücke zwischen Genf und der Schweiz zu bekommen, aber die Stimmung war dafür ungünstig; Castlereagh hielt sich zurück, während die Franzosen noch darüber verärgert waren, wie sich die (angeblich neutralen) Schweizer Truppen bei der alliierten Invasion Frankreichs verhalten hatten. Aber nicht einmal Pictet konnte sich den Ausruf «pauvre France!» verkneifen, als er hörte, was die Preußen vorschlugen.9 Metternich war hin- und hergerissen. Auch er hatte eine heimische Öffentlichkeit zu berücksichtigen, die lautstark Reparationen verlangte. Und obwohl er entschlossen war, daß niemand, am allerwenigsten Preußen und Bayern, irgend etwas dazugewinnen sollten, gefiel ihm doch der Gedanke, daß dies, falls man ihnen in Frankreich Gebiete zubilligen würde, in Deutschland Territorium verfügbar machen könnte, was sich dort wiederum bei der Beilegung widerstreitender Ansprüche hilfreich einsetzen ließe. Aber im wesentlichen ging es ihm wie immer schon darum, daß Frankreich nicht weiter geschwächt werden solle. «Der Krieg von 1815 ist kein Eroberungskrieg», stellte er seinen Vorschlägen voran. «Er wurde einzig mit dem zweifachen Ziel geführt, den Usurpator Napoleon Bonaparte zu stürzen und in Frankreich eine Regierung zu sehen, deren Grundlagen so stabil sind, daß sie in Frankreich und Europa Ruhe garantieren kann.» Er betonte, daß die Hauptgefahr für Europa nicht von Frankreich als Nation, sondern von dem ausgehe, was er «jacobinisme armé» bezeichnete, womit er die Vorgehensweisen der Revolutionäre und Napoleons meinte. Die Alliierten besäßen jedes Recht, fand er, eine finanzielle Entschädigung für die Ausgaben zu verlangen, die ihnen bei der Niederschlagung Napoleons entstanden seien, wie auch Maßnahmen zu ergreifen, die Frankreichs militärisches Potential verringerten. Er schlug vor, Frankreich einige «Angriffspunkte», wie etwa die Festungen an der Grenze zu den Niederlanden und Deutschland, wegzunehmen und andere zu schleifen und damit unschädlich zu machen. Aber er bestand darauf, daß es keine Gebietseinbußen erleiden dürfe. Statt dessen sollten sich die Alliierten darauf konzentrieren, zuverlässige Institutionen in Frankreich aufzubauen und den Frieden zu bewahren; dies solle in Form einer vorübergehenden
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Besetzung strategischer Schlüsselstellungen durch 100 –150 000 Mann geschehen, die von Mächten, die nicht an Frankreich grenzten, aufgeboten werden sollten.10 Hardenberg hoffte natürlich auf Unterstützung durch Rußland. Er hatte den zögerlichen Stein den weiten Weg nach Paris machen lassen, um sich bei Alexander für Preußen einzusetzen, aber der Zar hatte ihn kühl empfangen und ihm das Verhalten seiner Landsleute vorgeworfen. Alexander sah keinen Vorteil für Rußland darin, Mächte wie Preußen und Bayern reicher werden zu lassen. Frankreich stellte für Rußland keine Bedrohung mehr dar und würde sich vielleicht zukünftig als nützlicher Verbündeter erweisen. Indem er sich als dessen Verteidiger aufführte, könnte er ohne Gegenleistung Einfluß gewinnen. Und obwohl die Vermählung seiner jüngsten Schwester Anna mit dem niederländischen Kronprinzen – sie war von Charles Ferdinand d’Artois, dem Herzog von Berry, zurückgewiesen worden – eben erst die Einflußsphäre Rußlands auf die Niederlande ausgedehnt hatte, würde Alexander Holland gerade jetzt nicht gegen Frankreich unterstützen müssen, denn er wußte, daß alle anderen drei Hauptmächte dafür waren, ihm etwas vom französischem Territorium zu geben. Castlereagh befand sich in einer unangenehmen Lage. Er teilte die Ansicht Wellingtons, Alexanders und Metternichs. Aber die öffentliche Meinung in Großbritannien, die den Ersten Pariser Vertrag gescholten hatte, weil er ihr zu milde war, verlangte nun schärfere Maßnahmen, und die britische Presse forderte jetzt, in ebenso schrillen Tönen wie die deutsche, Rache und Entschädigung. Der Prinzregent griff die Stimmung auf, und Liverpool ebenfalls. «In diesem Lande ist der Gedanke vorherrschend, daß wir billigerweise berechtigt sind, uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt die bedeutendsten Eroberungen Ludwigs XVI. von Frankreich zurückzuholen», schrieb er am 15. Juli an Castlereagh, wobei er Argumente anführte, die denen Hardenbergs und Humboldts sehr glichen. Alexanders großzügige Haltung tat er als eigennützige Täuschung ab und befürwortete die preußischen Vorschläge.11 In seiner Erwiderung wies Castlereagh darauf hin, daß Ludwig XVIII. ein Verbündeter sei, dem man nicht einfach einen Teil seines väterlichen Erbes wegnehmen könne. «Es steht uns nicht an, Trophäen zu sammeln, sondern, soweit wir können, nach Möglichkeiten zu suchen, in diese Welt friedliche Gepflogenheiten zurückzubringen», schrieb er.
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Um zu zeigen, wie sehr er die zuvor mit dem französischen König getroffenen Arrangements respektiere, ging er sogar so weit, Napoleons Abschaffung des Sklavenhandels außer Betracht zu lassen.12 Er empfahl eher eine langfristige militärische Besetzung statt einer territorialen Verkleinerung, denn die Notwendigkeit, bei der Überwachung Frankreichs zusammenzuarbeiten, würde die Einheit der Alliierten dauerhaft gewährleisten. Wenn man jedem erlaubte, sich seinen Anteil an der Beute zu nehmen und nach Hause zu gehen, wären alle wieder auf ihre individuellen Interessen zurückgeworfen, und das würde es schwer machen, im Bedarfsfall wieder zusammenzufinden. Eine längere militärische Besetzung würde seinem geliebten Plan einer dauerhaften Allianz Substanz verleihen.13 Er akzeptierte Metternichs Sicht, daß Frankreich einige «Angriffspunkte» aufgeben solle, und glaubte, daß man die öffentliche Meinung daheim beschwichtigen könne, indem man ihm einige der Eroberungen abnahm, die man ihm 1814 noch gelassen hatte. Aber obgleich er gegen Liverpools Argument, Großbritannien müsse Preußen unterstützen, keine Einwände haben konnte, da dies der Eckpfeiler auch seiner eigenen Politik gewesen war, warnte er vor der Gefahr einer Übertölpelung durch Rußland. Castlereagh war während des vergangenen Jahres zu der Auffassung gelangt, Frankreich solle Großbritanniens natürlicher Verbündeter sein. Es war daher von größter Wichtigkeit, daß Großbritannien nicht in der Reihe derer auftauchte, die es zerstückeln wollten, während Rußland sich als sein Beschützer aufspielte. Seiner Auffassung nach ließe sich dies am besten erreichen, wenn man Preußens Gier im Zaum hielt und gleichzeitig Alexander zwänge, einigen Abtretungen französischer Gebiete zuzustimmen. Am 17. August berichtete Castlereagh an Liverpool, er habe Alexander davon überzeugt, daß Landau an Deutschland gegeben werde solle und daß verschiedene Gebiete in Belgien und Savoyen, die nach dem Pariser Vertrag bei Frankreich geblieben waren, nunmehr an Holland bzw. an Sardinien gehen würden.14 Castlereagh drängte es, rasch einen neuen Friedensvertrag abzuschließen und heimzukehren. Liverpool mahnte ihn zur Eile, denn die britische Öffentlichkeit und die Opposition murrten über die ständig neuen Kriegsausgaben, die sich jetzt, da Napoleon in Gewahrsam war, nur noch schwer rechtfertigen ließen. Castlereagh wohnte als Gast des
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Botschafters Sir Charles Stewart in der britischen Vertretung, wo auch die meisten Sitzungen der alliierten Minister abgehalten wurden. Es dauerte nicht lange, bis sich Lady Emily und seine Nichte Emma Sophia Edgcumbe dazugesellten. Aber er amüsierte sich nicht, und die Stimmung in der französischen Hauptstadt hatte nichts von der festlichen Atmosphäre des Vorjahrs. Wellington dagegen begann, seinen Aufenthalt sehr zu genießen. Es war ihm gelungen, die Preußen ein wenig zu bändigen, und nachdem nun Napoleon auf einer britischen Fregatte sicher verwahrt wurde, sah er keine ernsthaften Schwierigkeiten voraus. Er hatte ein Hôtel particulier bezogen, wo er Diners und Bälle gab, hauptsächlich für die Scharen britischer Staatsbürger, die in die französische Hauptstadt strömten. Er war der Held der Stunde, und einige der Damen waren eigens angereist, um ihm ihre Anerkennung auf höchst persönliche Weise kundzutun. Auch Metternich hatte es nicht eilig. Nicht, weil ihm sein Aufenthalt Spaß machte – ganz im Gegenteil. In einem Brief, in dem er sich über die endlosen Diskussionen mit den Alliierten beklagte, vertraute er seiner Frau an, er persönlich würde sich wie im Himmel fühlen, könne er nur das schreckliche Geschäft dieser ewigen Koalition hinter sich lassen. Seine Stimmung wird sich durch das angetriebene Strandgut aus seinem früheren Leben kaum gehoben haben, etwa Fürstin Bagration, die vor ihren Gläubigern auf der Flucht war, und Wilhelmine, die bei dem Porträtmaler François Gérard Modell saß.15 Metternich hatte sich hinter eine Fassade von Überlegenheit und Selbstgefälligkeit zurückgezogen und so seine übliche Gelassenheit wiedererlangt. «Die G. von Sagan hier, offenbar ausschließlich in den Armen von Stewart», teilte er seiner Frau mit. «Sie hat mit Windischgrätz gebrochen, sie weint, wenn sie von Lamb spricht, und sie sagt, sie sei Stewarts überdrüssig, daher sehe sie nur noch ihn. Ich sehe sie kaum und bin glücklich, daß sie meiner nicht überdrüssig ist, denn dann liebte sie mich ja, und daß sie mich nicht liebt, denn dann würde ich ihrer überdrüssig werden.» Er erinnerte seine treue Gattin daran, daß dank seiner außerordentlichen Geschicklichkeit und Anstrengungen sein Kaiser und die Monarchie stärker seien als je seit Karl V.; er wartete auch nicht auf ihre Glückwünsche, sondern erledigte dies gleich selber. Er teilte ihr mit, daß er sich auf ihre geplante gemeinsame Reise nach Italien freue, schickte ihr Kleider und andere Geschenke, die er in
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Paris gekauft hatte, und ermahnte sie, sich mit Rücksicht auf das erwartete Kind zu schonen – das Anfang Januar in den Intervallen zwischen seinen verzweifelten Briefen an Wilhelmine gezeugt worden war.16 Metternich hatte Gentz zum Assistieren nach Paris rufen lassen. Der bedauernswerte Sekretär war durch das Verfassen der Schlußakte so erschöpft gewesen, daß er sich, kaum war sie unterschrieben, in eine Villa außerhalb Wiens zurückgezogen hatte. Aber er kam dieser Aufforderung eifrig nach, da er Paris im letzten Jahr ausgelassen hatte und jetzt einiges nachzuholen gedachte. Er bummelte zu den Sehenswürdigkeiten, ging ins Theater und probierte alle Restaurants aus. «Man muß ein entschiedener Pflastertreter, und dabei stark und gesund sein, um diese monstruose Stadt zu genießen», schrieb er einem Freund. Aber er kam prächtig auf seine Kosten und scheint sich mit einigen «englischen Damen» angefreundet zu haben.17 Die Verzögerung paßte Metternich ebenso wie Hardenberg aus Gründen, die nur äußerlich mit den Verhandlungen zu tun hatten: Zu Hause erscholl öffentlich der Ruf nach Vergeltung, und daher hatte es weder der eine noch der andere eilig, die Nachricht von einem weiteren großzügigen Frieden mit Frankreich an die große Glocke zu hängen, und sie bauten darauf, daß sich die erhitzten Gemüter in Berlin und Wien mit der Zeit abkühlen würden. Das Wissen, daß deutsche und österreichische Soldaten Frankreich verwüsteten, beschwichtigte die Rachsüchtigsten, und jede Andeutung eines möglichen Abzugs löste Proteststürme aus. Hardenberg mußte auch mit Blücher rechnen, der über die «Dispotie der Deplomatiquer (sic!)», wie er sich ausdrückte, so wütend war, daß er einmal sogar sein Kommando niederlegte.18 «Solange sie ihre Armeen auf Kosten Frankreichs verproviantieren, kleiden und bezahlen können und sich nebenbei englische Subsidien in die Taschen stecken», schrieb Castlereagh an Liverpool, «ist nicht anzunehmen, daß sie große Eile haben, zu einem Vertragsabschluß zu kommen … Die Preußen haben nicht nur ein komplettes neues corps d’armée von 40 000 Mann anrücken lassen – sehr zum Ärger des König der Niederlande, auf dessen Kosten sie sich übrigens auch ernähren – sie haben auch noch Verstärkungen in gleicher Größe in Marsch gesetzt, um ihre anderen Korps aufzufüllen; die Zahl ihrer Soldaten in Frankreich umfaßt daher ihren eigenen Statistiken zufolge jetzt 200 000, für die sie jetzt Rationen fassen.» Auch die Bayern schickten große
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Mengen neuer Truppenkontingente, und Ende August, zu einem Zeitpunkt, als nicht mehr der geringste Bedarf an ihnen bestand, kündigte Spanien an, weitere 80 000 Mann in Marsch zu setzen. Preußischen Schätzungen zufolge befanden sich nun etwa 900 000 alliierte Soldaten in Frankreich, die zu ernähren das Land ein Vermögen kostete.19 Castlereagh konnte nichts gegen die preußischen Vorschläge unternehmen, solange er sein eigenes Kabinett nicht von der Notwendigkeit überzeugt hatte, eine vergleichsweise großzügige Regelung für Frankreich zu erzielen. In einer Reihe von Depeschen unterbreiteten er und Wellington Liverpool eindringlich ihre Argumente, und Ende August schickte Castlereagh Stewart nach London, der dem Kabinett und dem Prinzregenten die Lage erläutern sollte. Nachdem er endlich deren widerstrebende Zustimmung erhalten hatte, trug Castlereagh am 2. September sein Konzept der Frankreich anzubietenden Bedingungen vor. Demnach sollte Frankreich jene Gebiete an Sardinien und die Schweiz abtreten, die es unter dem ersten Pariser Vertrag hatte behalten dürfen; die Suzeränität über Monaco würde von Frankreich auf Sardinien übergehen, die Regionen Mariembourg und Philippeville würden an die Niederlande und der Bezirk Landau an Deutschland fallen, einige andere Festungen sollten geschleift werden, Frankreich eine Entschädigung über 600 Millionen Francs zahlen, und schließlich sollte ein Heer der Alliierten von 100 000 Mann für die Dauer von fünf Jahren strategische Punkte besetzt halten. Dies löste mehr als zwei Wochen überwiegend gereizte Diskussionen mit Hardenberg und Humboldt aus. Während Castlereagh auf der Grundlage von Reparationen kalkuliert hatte, die Frankreich infolge seines Verstoßens gegen den Pariser Vertrag im Vorjahr schuldig war, führten jetzt die Preußen umfassende Rechnungen über jeden Pfennig an, den Frankreich sie seit 1789 gekostet hatte (wobei sie geflissentlich vergaßen, daß sie 1795 die Angliederung des Rheinlands und 1805 die Hannovers Frankreich verdankten). Sie präsentierten damit eine Geldforderung von 1200 Millionen Francs, das Doppelte dessen, was Castlereagh veranschlagt hatte. Außerdem bestanden sie darauf, daß Preußen durch die Abtretung von Saarlouis durch Frankreich und die Luxemburgs durch die Niederlande gestärkt werden solle. Schließlich forderten sie eine Besatzungszeit nicht von fünf, sondern von sieben Jahren.
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Am 7. September wurde Castlereagh bei einem Spaziergang auf den Champs-Elysées von einem Pferd getreten und mußte länger als eine Woche das Bett hüten, was die Verhandlungen weiter verzögerte. Wenigstens blieb ihm dadurch erspart, einer der absonderlichsten Veranstaltungen während der gesamten Verhandlungen beiwohnen zu müssen, die der Zar zur Erbauung aller organisiert hatte. Alexander hatte die Baronin von Krüdener gebeten, ihm nach Paris zu folgen, und sie war am 14. Juli eingetroffen. Er war im Elysée-Palast einquartiert und brachte sie in einem anderen Haus in der Rue du Faubourg Saint-Honoré unter, das sich durch die Gärten der beiden Häuser erreichen ließ. Er suchte sie fast täglich auf, schlich sich in Zivilkleidung durch die Gärten und ließ sich dann von ihr durch den mühseligen Prozeß der Läuterung und Vorbereitung führen. Eine Schar ihrer Jünger und anderer Mystiker, «religiöse Eiferer», wie Castlereagh sie nannte, hatte sich um sie gesammelt, und Alexander lauschte ihnen und beteiligte sich an ihren Diskussionen.20 Anders als im Jahr zuvor, als er sich gern und viel gezeigt hatte, mied Alexander jetzt gesellige Anlässe. «Er ist überhaupt nicht mehr derjenige, der er letztes Jahr in Paris und auf dem Wiener Kongreß gewesen war und dem man ansehen konnte, wie viel Vergnügen er an Gesellschaften fand», urteilte Aleksandr Michajlovskij-Danilevskij in seinem Tagebuch und fügte hinzu, der Zar sei verschlossen und mißtrauisch geworden, weise alle Anzeichen eines Misantropen auf und wolle oft alleingelassen werden.21 Alexanders Namenstag fiel auf den 11. September, den er in einer von ihm selbst und der Baronin gestalteten Zeremonie zu begehen beschloß. Stattfinden sollte sie auf der Plaine de Vertus, einer günstig gelegenen, weiten und offenen Ebene zwischen Epernay, Brienne und Châlons, die von einem einsamen Berg überragt wurde, dem Mont-Aimé. Dort ließ er seine Armee aufmarschieren, und am 10. September paradierten 150 000 Mann vor ihm und einer großen Zahl von Gästen, darunter nicht nur die anderen Souveräne, deren Minister und Militärkommandeure mit ihrem Gefolge, sondern auch etliche Einwohner von Paris und Besucher aus London. Es war ein in seiner Disziplin und Präzision beeindruckendes Schauspiel, ein minutiös choreographiertes militärisches Ballett. Nach der Parade bewirtete Alexander dreihundert Gäste mit einem von Carême
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zubereiteten Diner; freundlicherweise hatte ihm Talleyrand den Meisterkoch für die Dauer seines Aufenthalts in Paris überlassen. Man begann mit Austern, gefolgt von einer Auswahl dreier Suppen, darunter Kohlsuppe (Schtschi), das Leibgericht russischer Bauern; dann wurden achtundzwanzig verschiedene Hors d’œuvres, achtundzwanzig kalte Vorspeisen und achtundzwanzig «grandes pièces» aufgetischt. Anschließend gab es eine Auswahl an: Steinbuttfilet in Sardellenbutter, Kalbskopf in Schildkrötensauce mit Madeira, Blätterteigpasteten à la Toulouse mit Hühnerfrikassee; weitere Gerichte waren Braten (Wachtel, Huhn und Rinderfilet) und verschiedene Gemüse-Zwischengerichte. Abgerundet wurde das Ganze mit Baisers, gelierten Süßspeisen und anderen Desserts.22 Am folgenden Tag, dem 11. September, dem Festtag von Aleksandr Nevskij, dem Schutzheiligen des russischen Kaiserreichs, traten die Truppen in sieben Korps an und versammelten sich um sieben für diesen Zweck errichtete Altäre. Baronin Krüderer schritt in einem langen schwarzen Gewand Alexander voran, der entblößten Hauptes folgte, und ging von Altar zu Altar. Die Messe wurde mit dem ganzen Pomp zelebriert, der dem orthodoxen Ritus zur Verfügung stand, wobei die Soldaten den Chor bildeten. Die Gesellschaft ließ sich dann zu einem weiteren opulenten Diner Carêmes nieder. «Dieser Tag war der schönste meines Lebens, ich werde ihn nie vergessen!» rief Alexander am Abend der Baronin zu und sagte, er habe für all seine Feinde gebetet, und für die Erlösung Frankreichs. Am nächsten Tag inspizierte er nacheinander alle Korps und verteilte Orden. Barclay de Tolly erhielt den Titel eines Fürsten.23 Alexander arbeitete bereits an seinem eigenen Rezept für einen ewigen Frieden und interessierte sich wenig für die kleinlichen Zankereien über die abschließenden Vereinbarungen bezüglich Frankreichs; das überließ er seinen Bevollmächtigten Nesselrode, Capodistrias und Rasumowskij. Castlereagh konnte daher nicht auf seine Unterstützung gegen Preußen bauen. Aber aus demselben Grund konnte auch Hardenberg nicht auf russische Unterstützung bauen, und das machte ihn gefügiger. Als Kompromiß hatte Castlereagh dem preußischen Anspruch auf Saarlouis zugestimmt und durchklingen lassen, daß er einem für Preußen günstigeren Arrangement hinsichtlich Luxemburgs nicht abgeneigt
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sei, aber er bestand darauf, die Reparationszahlungen auf nicht mehr als 600 Millionen Francs festzulegen. Nach langem Feilschen schlug er vor, daß man von Frankreich doch noch 200 Millionen mehr verlangen könne, die aber in den Bau von Festungen entlang seiner Grenze fließen sollten.24 Damit hatten sich die Alliierten endlich auf die Bedingungen geeinigt, die Frankreich angeboten werden sollten, und diese waren wesentlich vorteilhafter, als sie hätten sein können. Aber wenn auch Castlereagh einige Genugtuung darüber empfinden konnte, Frankreich vor den Rachegelüsten der Deutschen bewahrt zu haben, sollte er doch in der Behandlung eines anderen Problems, das sich nun stellte, weniger erfolgreich sein. Die Art, in der die Preußen sich im Louvre mit dem bedient hatten, was sie als ihr rechtmäßiges Eigentum betrachteten, mußte auch andere Interessenten auf die sich bietenden Möglichkeiten aufmerksam machen. Am 5. August forderte Österreich die Herausgabe aller Kunstwerke, die aus seinem Herrschaftsgebiet, das jetzt auch Venedig und den größten Teil Norditaliens umfaßte, geplündert worden waren. Der Papst entsandte den Bildhauer Antonio Canova, um die Rückerstattung der dem Vatikan geraubten Werke zu verlangen. Dem britischen Prinzregenten war die Idee gekommen, daß er für sich selbst einige der erlesenen Stücke sichern könnte, darunter den Apollo von Belvedere, der ursprünglich aus dem Vatikan stammte. «Die Männer mit Geschmack und virtù unterstützen diese Idee», informierte Liverpool Castlereagh am 3. August. Er war geneigt, sich selbst ihr anzuschließen. Zwar hatte er Verständnis dafür, daß die Franzosen weder Provinzen verlieren noch Entschädigung zahlen wollten. «Aber ich gestehe, daß ich für ihre Gefühle hinsichtlich dessen, was sie aus anderen Ländern geplündert haben, keinen Respekt habe», schrieb er. «Dieses Gefühl ist von einer gänzlichen Eitelkeit getragen, wie sie sich kaum beschreiben läßt; wenn wir dies zulassen, ermutigen wir nur eine Einstellung, die sich hernach gegenüber den gerechten Ansprüchen anderer Länder als feindlich herausstellen wird.»25 Castlereagh war wegen des Museums nicht sonderlich besorgt, aber er teilte Liverpools Meinung nicht, da er Frankreich nicht über die Maßen bestrafen wollte. In seinem Antwortschreiben sprach er sich daher gegen eine Leerung des Louvre aus, worin ihn Wellington unter-
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stützte. Eigentlich hätte er auf den Beistand Rußlands zählen dürfen, das von Restitutionen nichts zu gewinnen hatte. Aber Alexander wollte sich nicht zu weit hinauslehnen. Er hatte selber einen guten Schnitt gemacht, als er heimlich die vollständige Gemäldesammlung der verstorbenen Kaiserin Josephine aufkaufte – ungeachtet der Tatsache, daß ein großer Teil davon Beutegut aus Hessen-Kassel war, dessen regierender Fürst jetzt einiges Geschrei um die Sache machte.26 Am 10. September legte Castlereagh ein Memorandum vor, in dem er groß herausstrich, daß der Prinzregent, obgleich er selbst in arger Versuchung gewesen sei, beschlossen habe, nichts zu nehmen und nicht einmal etwas unter Zwangsbedingungen zu kaufen, da dies bedeutet hätte, napoleonischen Praktiken zu folgen. Aber er setzte hinzu, daß kein gerechter Frieden dem Räuber das Eigentum Unschuldiger überlassen oder das Weiterleben revolutionären Plünderns tolerieren dürfe. Was ihn zu diesem Sinneswandel bewogen hat, ist unklar. Humboldt vermutete, daß er die Belgier, Holländer und verschiedene deutsche Kleinfürsten mit der Rückerstattung ihrer Kunstwerke für seine eigenen territorialen Absichten und Verfassungsideen empfänglicher zu machen hoffte. Wie immer dem auch war, Castlereagh versuchte, distanziert zu bleiben. «Indem wir daher eine neutrale Haltung einnehmen, haben wir im Grunde kein wirkliches Opfer gebracht, und zugleich vermeiden wir es, Haß und Verdrehungen der Wahrheit auf uns zu ziehen», schrieb er Liverpool am nächsten Tag. Er hätte sich kaum mehr irren können.27 Am 20. September einigten sich die Alliierten darauf, daß Raubkunst zurückzugeben sei und Frankreich sich dem beugen müsse. Talleyrand hielt dagegen, daß der Pariser Vertrag den Louvre unversehrt gelassen und damit dessen Inhalt als Besitz der französischen Nation anerkannt hatte; es gebe also keine Berechtigung, diese Tatsache in Frage zu stellen. Denon wies holländischen und anderen Kommandos die Tür und berief sich dabei auf Paragraph 11 des Pariser Kapitulationsvertrages vom 3. Juli, in dem die Sicherheit alles öffentlichen und privaten Besitzes ausdrücklich garantiert worden war. Aber Wellington sandte britische Truppen in den Louvre, um die für Belgien vorgesehenen Werke zu entnehmen, und postierte rund um das Gebäude Wachen.28 In einem weitschweifigen Brief vom 23. September versuchte Wellington, sich mit Spitzfindigkeiten um den Paragraphen des Waffenstillstands, den er selber unterschrieben hatte, herumzulavieren, indem er
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darauf verwies, daß man sich in der mündlichen Aussprache, die der Unterzeichnung vorausgegangen war, einig gewesen sei, den Louvre auszuschließen. Er überzeugte niemanden. Die Rolle, die er und Castlereagh in dieser Angelegenheit spielten, wie auch die Ernennung des Diplomaten und Kunstkenners William Hamilton, der die Restitution beaufsichtigen mußte, hatten zur Folge, daß Großbritannien in diesem Schauspiel als der Schurke gesehen wurde.29 Hamilton machte die Sache nicht besser, als er gegen Denon mit der Feststellung stichelte, die Franzosen seien unfähig, solche Kunstwerke pfleglich zu behandeln, was dadurch bewiesen werde, daß man den Huren des Palais-Royal erlaube, unter den Fenstern des Louvre ihrem Gewerbe nachzugehen. Er ergriff auch vehement die Partei Canovas, der Ende August in Wien eingetroffen war, um den Anspruch des Papstes zu vertreten. Der war ziemlich fragwürdig, da die Objekte, die man aus dem Vatikan mitgenommen hatte, gemäß dem Vertrag von Tolentino an Frankreich abgetreten worden waren und insofern die Kriterien für eine Rückgabe rechtlich nicht erfüllten. Hamilton gelang es jedoch, Castlereagh zu überzeugen, der wiederum die anderen Minister überredete, dem Papst die Rückkehr seines Eigentums zu gestatten.30 Denons großes Werk wurde Schritt für Schritt zerstört, als 2065 Gemälde, 130 Plastiken, 289 Bronzen und 2619 andere Kunstwerke entfernt wurden. Selbst englische Touristen waren darüber entsetzt. «Der Louvre bietet jetzt einen jämmerlichen Anblick, die besten Statuen sind verschwunden, sowie die Hälfte des Übrigen, alles ist voller Staub, Seilen, Gestängekreuzen und Flaschenzügen, Brettern, Walzen, etc.», beobachtete einer von ihnen. Die Bevölkerung von Paris strömte zum Museum, um ein letztes Mal die Werke anzuschauen, und weinte, als diese weggetragen wurden. Humboldt, der den Louvre täglich besucht und ihn als «unendlichen Genuß und wirklich meine einzige Freude hier» empfunden hatte, nannte das Ganze eine «Bilderstürmung». Am 27. September schrieb er seiner Frau: «Daß Paris dadurch einen seiner größten Reize verliert, ist nicht zu leugnen.»31 Das Schlimmste, und was dem Ruf der Briten mehr schadete als alles andere, ereignete sich am 27. September, als österreichische Truppen den Befehl erhielten, nicht nur den großen Paradeplatz vor den Tuilerien, sondern auch angrenzende Straßen von einer johlenden und wütenden Menge zu räumen, während britische Pioniere dabei waren,
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die vier Pferde von San Marco vom Dach des Arc de Triomphe du Carrousel zu entfernen. Die Soldaten alberten in dem Streitwagen herum, während sie ihrer Aufgabe nachgingen, und hinterließen den eigentlichen Bogen in einem erbärmlichen Zustand; Reliefs und Statuen lagen zerbrochen vor seinem Sockel.* Als Wellington einige Tage später die königliche Loge des Theaters betrat, wurde er so heftig ausgebuht, daß er wieder gehen mußte. Ausgerechnet in Großbritannien, der einzigen Besatzungsmacht, die sich nichts genommen hatte, sah man den größten Vandalen.32
* In den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde eine Kopie der Quadriga angefertigt und auf dem Bogen aufgestellt, wo sie bis heute steht.
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Talleyrand war deprimiert. Alles, was er in den letzten achtzehn Monaten erreicht hatte, war zerstört: Die unblutige Rückkehr der Bourbonen 1814 und die Freundlichkeit, mit der sie empfangen worden waren, verschwanden hinter der Rachsucht und Niedertracht der zweiten Restauration; die günstigen Konditionen, die er für Frankreich im Pariser Frieden gewonnen hatte, sollten revidiert werden; und der gleichberechtigte Status seines Landes, den er den anderen unter größten Anstrengungen in Wien abgerungen hatte, war wieder verloren. Und wenn es eines gab, was er mehr haßte als alles andere, dann, daß wichtige Vorgänge ohne ihn stattfanden; jetzt aber war er von den Beratungen der Vier über die Frankreich anzubietenden Bedingungen vollständig ausgeschlossen. Er konnte ihre Absichten nur erraten. Ausgeschlossen war er auch von persönlicheren Vorgängen im eigenen Haus. Dorothea war nach Paris gekommen und hatte es vorgezogen, bei ihm und nicht bei ihrem Ehemann Edmond einzuziehen. Aber ihre Nähe zu Talleyrand wurde ihm durch Clam-Martinitz verdorben, mit dem sie sich täglich traf. Edmond de Périgord forderte ihn zum Duell, hatte aber Pech, denn er erlitt einen Säbelschnitt im Gesicht und zog sich zurück. Clam-Martinitz machte sich, sobald er Urlaub erhielt, auf den Weg nach Wien, wohin er Dorothea mitnahm. Talleyrand erfüllte das mit tiefer Traurigkeit. Ob sich nun seine Gefühle für Dorothea zu jener senilen Obsession entwickelt hatten, als die sie manche Zeitgenossen beschrieben, oder nicht, er hing inzwischen sehr an ihr und schätzte ihre Gesellschaft und Intelligenz. Seine Stimmung wird sich auch nicht aufgehellt haben, als er erfuhr, daß eins seiner Güter, das Napoleon während der Hundert Tage konfisziert hatte, von der preußischen Militärverwaltung, die die betreffende Region besetzt hielt, jetzt zum Kauf angeboten wurde.
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Aber Talleyrand gab nie auf. Es war ihm gelungen, eine einigermaßen leistungsfähige Regierung auf die Beine zu stellen, und er führte verschiedene liberale Regelungen ein, in der Hoffnung, mittels einiger vollendeter Tatsachen dem Land unbemerkt eine liberale Verfassung zu geben. In täglichen scharfen Auseinandersetzungen zwang er den König, neue Pairs zu ernennen, und bestückte das Oberhaus, die Pairskammer, auf diese Weise mit Liberalen. Gleichzeitig kürzte er die Liste der zu bestrafenden «Verräter», von der er etwa Caulaincourt strich, und auch seinen unehelichen Sohn, den Grafen von Flauhaut. Aber jede seiner Handlungen erzürnte Monsieur und die Ultraroyalisten, die nur auf eine Gelegenheit warteten, ihn zu stürzen. Im Wahlkampf zogen sie energisch gegen ihn zu Felde, so daß die Septemberwahlen für ihn sehr ungünstig ausfielen. Dies wiederum schwächte seine Position gegenüber den Alliierten. Am 19. September nominierten sie ihre Bevollmächtigten für die Verhandlungen mit Frankreich. Großbritannien sollte von Wellington und Castlereagh, Rußland von Rasumowskij und Capodistrias, Österreich von Metternich und Schwarzenberg und Preußen von Hardenberg und Humboldt vertreten werden. Sie luden als die drei Bevollmächtigten Frankreichs Talleyrand, Emmerich Joseph von Dalberg und den Finanzminister Joseph-Dominique Louis zu einer Zusammenkunft am folgenden Tag ein. Aber es sollte keine Verhandlungen geben. Man mochte Talleyrand im ungewissen gelassen haben, aber er hatte herausfinden können, daß man Frankreich demütigende Bedingungen in Form eines nicht verhandelbaren Ultimatums anbieten würde. So ging er am 20. September ohne falsche Hoffnungen zu der Konferenz. Sie wurde von Castlereagh mit der kurzen Ermahnung in Richtung der preußischen Bevollmächtigten eröffnet, daß es keine Debatten mehr geben dürfe. Dann präsentierte er den französischen Bevollmächtigten die Bedingungen, auf die sich die Alliierten geeinigt hatten. In ihrer endgültigen Form besagten sie unter anderem, daß Frankreich etwa zwei Drittel des Territoriums aufgeben müsse, das es zwischen 1790 und 1792 erworben hatte und das es nach dem Pariser Vertrag hatte behalten dürfen. Neben allen Gebieten in Savoyen und am Genfer See gehörten dazu die Festungen Condé, Philippeville, Mariembourg, Givet und Charlemont, die an die Niederlande fallen würden; die Exklave Saarlouis, die Preußen erhalten sollte; und das Gebiet um Landau und
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die beiden Festungen l’Écluse und Fort de Joux, die Österreich zu übergeben waren. Die Festung von Hüningen bei Basel sollte geschleift werden. Frankreich hatte 600 Millionen Francs an Kriegsreparationen und weitere 200 Millionen für die Errichtung von Festungen für alliierte Truppen an seiner Grenze zu zahlen. Eine alliierte Armee von 150 000 Soldaten sollte für die Dauer von sieben Jahren die Festungen von Valenciennes, Rocroi, Bouchain, Cambrai, Maubeuge, Landrecies, Laquesnoye, Avesnes, Longwy, Thionville, Bitsch und den Brückenkopf von Fort-Louis bewachen, die auf Kosten Frankreichs zu verproviantieren wären.1 Die vorgeschlagenen Bedingungen waren nicht so hart, wie Preußen es sich gewünscht hätte, aber sie waren dennoch eine Demütigung für Frankreich und für Talleyrand persönlich unannehmbar. Humboldt bemerkte, daß sie auf die französischen Bevollmächtigten eine «tiefe Sensation» machten. «Als ich dieses Aktenstück gelesen hatte, das durch seine indolente Form vielleicht noch mehr, als durch die darin enthaltenen brutalen Forderungen verletzte, wurde ich mit tiefer Entrüstung erfüllt», schrieb Talleyrand in seinen Memoiren. Am nächsten Tag, dem 21. September, präsentierte er seine Antwort.2 Da es keinen Krieg zwischen Frankreich und den anderen Mächten gegeben habe, könnten Eroberungen auch nicht zur Debatte stehen, argumentierte er, und da Ludwig XVIII. ihr Verbündeter sei, könnten sie auch kein Geld aus ihm herauspressen. Mit ihrer Proklamation vom 13. März hätten sie ihn als Alliierten anerkannt und Napoleon für vogelfrei erklärt. Sollten sie beschließen, daß er letztlich doch nicht ihr Verbündeter sei, dann folge daraus, daß sie Napoleon als Herrscher von Frankreich während der Hundert Tage anerkannten. Da Ludwigs Verbündeten beträchtliche Kosten entstanden seien, als sie ihm wieder auf seinen Thron verhalfen, sei es nur gerecht, sie dafür zu entschädigen, aber da sie nicht mit Gebieten bezahlt hätten, könnten sie nicht erwarten, mit Gebieten entschädigt zu werden. Talleyrand betonte, sie seien sich doch alle darin einig, daß die Herrschaft Ludwigs XVIII. bestehenbleiben solle; dann wäre es aber falsch, sie zu untergraben. Er schloß damit, daß der König dennoch bereit sei, etwas von dem Territorium abzutreten, das ihm dem Pariser Vertrag zufolge belassen worden war, und auch ein gewisses Maß an Entschädigungen zu bezahlen. Er sei sogar bereit, den Alliierten die Besetzung einiger Festungen zu gestatten,
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jedoch keinesfalls für die Dauer von sieben Jahren. Die genauen Bedingungen müßten ausgehandelt werden, die Form eines Ultimatums sei unannehmbar.3 Die Antwort, die am folgenden Tag überbracht wurde, bestand in einer knappen Wiederholung der im Ultimatum vom 20. September enthaltenen Bedingungen. Ihr beigefügt war eine Erklärung des Inhalts, daß die Alliierten niemals Eroberungen hätten machen wollen und ihre Gebietsansprüche ausschließlich ihrer eigenen Sicherheit dienen sollten. Was ihnen in dieser Hinsicht 1814 genügt habe, könne ihnen heute nicht mehr genügen.4 Nachdem er das gelesen hatte, suchte Talleyrand Ludwig XVIII. auf und unterbreitete ihm seinen Plan für einen allerletzten Versuch der Selbstbehauptung. Er schlug vor, der König solle einen persönlichen Appell an seine alliierten Mitmonarchen richten und ihnen zu verstehen geben, daß er, wenn er sich diesen Bedingungen füge, seine Glaubwürdigkeit bei seinem eigenen Volk verliere und abdanken werde, sollten sie weiter auf ihnen bestehen. Es war eine raffinierte Strategie, denn falls das künftige Herrschaftssystem in Frankreich erneut zur Diskussion stünde, würde unter den Alliierten wieder Streit aufkommen und Frankreich wahrscheinlich in einen Bürgerkrieg getrieben, in den auch die alliierten Armeen geraten würden. Ludwig weigerte sich, diesen Plan mitzutragen. Er schlug vor, die Forderungen der Alliierten im Prinzip zu akzeptieren und zu versuchen, einige Konzessionen auszuhandeln. Talleyrand konnte dem unmöglich zustimmen: «Ein solches Verfahren würde meine Bemühungen in Wien nutzlos gemacht haben, wo ich meinen ganzen Einfluß eingesetzt hatte, um der Eventualität vorzubeugen, daß die gegen Bonaparte gerichtete Allianz sich nicht später gegen uns selbst kehrte.» Würde der König den vorgeschlagenen Appell nicht ausfertigen, sehe er sich gezwungen, seinen Rücktritt zu erklären. Ludwig blieb fest, und am nächsten Tag, dem 23. September, reichte Talleyrand seinen Rücktritt ein, dem sich sein gesamtes Kabinett anschloß. Ludwig akzeptierte ihn mit der «Miene eines Mannes …, dem ein schwerer Stein vom Herzen gefallen ist», wie Talleyrand es beschrieb.5 Ludwigs Ablehnung des Appells hatte ein Motiv, und zwar eines, das sich auf Alexander zurückführen ließ. Der Zar war immer gegen eine Bestrafung Frankreichs gewesen. Für die gierigen Preußen, Bayern und
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Holländer hegte er wenig Sympathien, von Talleyrand hatte er genug, und nicht zuletzt war ihm auch daran gelegen, in Frankreich ein wenig von seinem Ruf moralischer Überlegenheit zurückzugewinnen. Über Pozzo di Borgo hatte er den König wissen lassen, daß er es gern sähe, wenn Talleyrand entlassen würde, und falls dies geschähe und Ludwig sich mit einer Bitte um Unterstützung direkt an ihn wende, wolle er Frankreich gegen die anderen Alliierten beistehen. Alexander ging es nicht um Garantien gegen eine mögliche französische Aggression, teils, weil sein Reich keine gemeinsame Grenze mit Frankreich besaß, teils, weil er eine eigene Möglichkeit gefunden hatte, das Land unter Kontrolle zu halten: Er würde einen seiner eigenen Leute auf die Stelle Talleyrands plazieren. Dieser Mann war Armand Emmanuel du Plessis, Herzog von Richelieu. 1766 in Paris geboren, war er zu Beginn der Revolution emigriert und zusammen mit seinem Freund, dem Fürsten von Ligne, in russische Dienste getreten. Er hatte sich bei der Belagerung von Ismail ausgezeichnet und war von Katharina der Großen und später von Zar Paul belohnt worden, unter anderem mit dem Rang eines Generalmajors. 1803 wurde er Gouverneur von Odessa, zwei Jahre später des gesamten, damals frisch eroberten Gebietes, das in jener Zeit Neurußland genannt wurde und unter anderem die Krim einschloß. Er war ein intelligenter Vertreter der Aufklärung, der im Verlauf der nächsten elf Jahre den ärmlichen kleinen Hafen in eine moderne Stadt mit einer florierenden Wirtschaft verwandelte. Alexander mochte und bewunderte den kultivierten Franzosen und hielt ihn während der alliierten Invasion in Frankreich 1814 an seiner Seite. Richelieu hatte, als Napoleon herannahte, gemeinsam mit Ludwig XVIII. Paris verlassen. Nach Waterloo hatte ihm Talleyrand einen Posten in seiner Regierung angeboten, aber er hatte mit der Begründung abgelehnt, daß er über das moderne Frankreich nur sehr wenig wisse und dort kaum jemanden kenne. Er zögerte auch jetzt wieder, das ihm angetragene Amt zu übernehmen, aber als ihm klar wurde, daß er damit Frankreich die feste Unterstützung Rußlands sichern würde, willigte er ein. Ludwig fügte sich. Er benötigte dringend einen Verbündeten, der sich für ihn gegen die anderen einsetzen würde, und wenn er auch früher alles andere als ein Verehrer Alexanders gewesen war, so konnte er
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es sich jetzt nicht leisten, wählerisch zu sein. Zudem hatte er Talleyrand nie gemocht und es nur schwer ertragen, von ihm und Fouché abhängig zu sein. Diese beiden eben noch «unentbehrlichen» Männer waren nun entbehrlich geworden. Am 23. September schrieb er den Appell, um den Talleyrand ihn gebeten hatte, nur richtete er ihn allein an Alexander. Am 26. September wurde der Herzog von Richelieu zum neuen Regierungschef Frankreichs berufen, während man Talleyrand mit dem Titel eines Großkammerherrn in den Ruhestand schickte.6 «Ich entsagte der Macht ohne Bedauern», vermerkte Talleyrand in seinen Memoiren. In Wirklichkeit war er wütend. Er schied mit einer düsteren Vorahnung aus dem Amt, wenn man einem Monolog glauben kann, den er eines Abends vor Madame de Rémusat hielt: «Es gibt keine Regierung, es gibt den Willen des Kaisers von Rußland», klagte er. «Ich war gezwungen, gegen ihn für Frankreich anzutreten, und ich unterlag. Aber welch ein Wahnsinn! Für Frankreich zu fechten, wenn man nur den Herzog von Wellington auf seiner Seite hat, und nicht einmal Frankreich, das nichts versteht. Es gibt kein Frankreich mehr, das hätte ich erkennen müssen.» Er war entsetzt, daß man den russischen Zaren eine Position hatte einnehmen lassen, von der aus er Europa seinen Willen aufzwingen und in Frankreich Regierungen ernennen konnte.7 Alexander gab auch seinen anderen Alliierten Anlaß zur Sorge. Einige Tage nach seiner religiösen Zeremonie auf der Plaine de Vertus lud er Metternich ein, mit ihm und der Baronin Krüdener zu dinieren. Metternich wunderte sich darüber, daß noch für eine vierte Person gedeckt war. Als er sich höflich erkundigte, erhielt er die Antwort, der Platz sei Jesus Christus vorbehalten.8 Etwa zur gleichen Zeit entwarf Alexander den Text einer «Heiligen Allianz», der beizutreten er den anderen Monarchen nahelegen wollte. Das Dokument verkündete, die Souveräne hätten «die innige Überzeugung von der Notwendigkeit gewonnen, ihre gegenseitigen Beziehungen auf die erhabenen Wahrheiten zu gründen, welche uns die Religion des göttlichen Heilands lehrt». Infolgedessen erklärten sie feierlich, «daß der gegenwärtige Akt nur den Zweck hat, im Angesicht der ganzen Welt ihren unerschütterlichen Entschluß zu bekunden, zur Richtschnur ihres Verhaltens im Innern ihrer Staaten wie nach außen nur die Vorschriften dieser heiligen Religion, die Vorschriften der Gerechtigkeit, Liebe und Friedseligkeit zu nehmen, welche weit entfernt nur für das
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Privatleben bestimmt zu sein, im Gegenteil besonders die Entschlüsse der Fürsten beeinflussen und alle ihre Pläne bewahren müssen, nur ein Mittel zu sein zur Befestigung der menschlichen Einrichtung und zur Heilung ihrer Unvollkommenheiten». Darum würden die Monarchen «in Gemäßheit der Worte der Heiligen Schrift, welche allen Menschen befiehlt, sich als Brüder zu betrachten, … vereinigt bleiben durch die Bande einer wahren und unauflöslichen Brüderlichkeit, sich als Landsleute ansehen und sich bei jeder Gelegenheit Hilfe und Beistand leisten; sie werden sich ihren Unterthanen und Armeen gegenüber als Familienväter betrachten und dieselben im Geiste der Brüderlichkeit lenken, um Religion, Frieden und Gerechtigkeit zu schützen». Außerdem wollten sie sich als gemeinsame Herrscher einer großen christlichen Familie begreifen und danach streben, nicht nur sich gegenseitig und ihre Untertanen christlich zu behandeln, sondern auch für deren geistliche Entwicklung Sorge zu tragen.9 Capodistrias, dem Alexander sein Projekt zeigte, bemühte sich nach Kräften, es ihm auszureden. Als ihm dies nicht gelang, schlug er vor, es als Proklamation seines persönlichen Glaubens zu veröffentlichen, und nicht in Vertragsform. Aber Alexander ließ sich nicht davon abbringen, und er zeigte es Kaiser Franz. Franz war skeptisch. Er holte Metternichs Rat ein, der das Dokument für abwegig, aber harmlos hielt, und schickte es zu Friedrich Wilhelm, um zu hören, was dieser dazu sagte; der fand es lächerlich. Die beiden Monarchen baten Metternich, mit Alexander zu reden, aber ohne ihn zu verärgern. In letzter Zeit hatte er sich versöhnlich gezeigt, und sie waren bereit, seine Schrullen in Kauf zu nehmen. Nach einigen unwesentlichen Veränderungen, auf denen sie bestanden, waren sie zur Unterschrift bereit, die sie am 26. September leisteten.10 Alexander zeigte das Dokument anschließend Castlereagh und bat ihn, die Unterschrift des Prinzregenten einzuholen. Castlereagh leitete es am 28. September an Liverpool weiter und deutete in seinem Begleitschreiben zart an, daß der Zar von einem schlimmen Anfall religiösen Wahns befallen sei. «Der Herzog von Wellington war gerade bei mir, als der Kaiser mich aufsuchte, und wir hatten Mühe, die Audienz mit dem gebotenen Ernst durchzustehen», berichtete er. Ihm sei bewußt, daß dieser Aberwitz in London nur Gelächter ernten würde. «Da ich die Peinlichkeit voraussah, die diese Mischung von erhabener Mystik und
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Nonsens auslösen würde, vor allem für einen britischen Souverän, habe ich mit Fürst Metternich alle praktischen Möglichkeiten durchgesprochen, wie sich das Ganze aufhalten ließe», versicherte er Liverpool. «Aber als es mich erreichte, war alles schon passiert, und es blieb nichts weiter übrig, der Haltung, auf dem es beruht, Achtung zu zollen, wie auch den Vorteilen, die Europa von drei so mächtigen Souveränen, die ihren ganzen Einfluß auf die Bewahrung des Friedens richten, zu beziehen erhoffen kann.» «Tatsächlich ist der Geist des Kaisers nicht ganz gesund», schrieb er. «Im letzten Jahr bestanden nur allzu gute Gründe zu der Befürchtung, daß seine treibenden Motive die Eroberung und Herrschaft seien. Heute ist man allgemein überzeugt, daß er dazu neigt, seinen Ruhm auf einem Fundament von Frieden und Güte aufbauen zu wollen.» Als ihm Alexander das Dokument überreichte, habe er sich darüber ausgelassen, welch innige Freude es ihm bereitet habe, es in der am wenigsten religiösen Hauptstadt Europas zu unterzeichnen. Castlereagh hatte ihm versichert, der Prinzregent werde sich «de coeur et d’âme (mit Herz und Seele) mit seinen erlauchten Alliierten zusammenschließen», und schlug Liverpool vor, die Unterschrift des Prinzen einzuholen. Immerhin, argumentierte er, könne das Dokument auch als formeller Austausch zwischen Souveränen gewertet werden statt als internationaler Vertrag auf staatlicher Ebene. «Es ist jedoch ganz unmöglich, dem Prinzen zuzuraten, die Beitrittsakte zu unterzeichnen, die ihm vorgelegt wurde», antwortete Liverpool, nachdem er dem Kabinett Castlereaghs Argument vorgetragen hatte. «Ein solcher Schritt würde allen Formen und Prinzipien unserer Regierung widersprechen und jenen, die ihn angeraten haben, eine sehr schwere Verantwortung aufbürden.» Ein Vertrag sei zwangsläufig ein Staatsakt, sobald er von einem Staatsoberhaupt unterschrieben werde, und der einzige Ausweg bestehe darin, daß der Prinzregent einen privaten Brief an Alexander schreibe, der denselben Wortlaut enthalte. Dies tat er schließlich.11 Zwei Tage nach Unterzeichnung der Heiligen Allianz verließ Alexander Paris. Am Vorabend hatte er noch die Baronin Krüdener besucht und ihr erklärt, er werde den Rest seines Lebens der Aufgabe widmen, Rußland die Herrschaft Jesu zu bringen, und lud sie und ihren Kreis ein, nach Sankt Petersburg zu kommen, um ihm dabei zu helfen. Einige
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Wochen später schrieb er seiner Schwester Katharina von seiner Erleichterung, Paris hinter sich gelassen zu haben. «Ich sah mich einzig umgeben von dem Begehren, sich an diesem Frankreich zu bereichern, und jenen Rachegelüsten, die ich zutiefst verachte», schrieb er.12 Nachdem die Minister die Lage auf Druck Alexanders überdacht hatten, beschlossen sie auf einer Zusammenkunft am 2. Oktober, ihre Bedingungen abzumildern, und Givet, Charlemont, Condé und die Festungen Fort de Joux und Fort l’Écluse Frankreich zu lassen, die Reparationsforderungen um 100 Millionen Francs zu senken und die Besatzungszeit auf fünf Jahre zu beschränken, wobei sie die Möglichkeit in Aussicht stellten, diese nach den ersten drei Jahren weiter zu reduzieren. Die neue französische Regierung unter dem Herzog von Richelieu akzeptierte diese Bedingungen zwar im Prinzip, es folgten aber noch Wochen der Diskussionen über Einzelheiten, speziell über die Reparationen und bestimmte Ansprüche, die Alexander angemeldet hatte, der sicherstellen wollte, daß Frankreich nicht in eine royalistische Reaktion abglitt. Castlereagh tat sein Bestes, die Bestrebungen des Zaren abzuschwächen. «Ich habe mich bemüht, die inneren Angelegenheiten Frankreichs im Hintergrund zu halten und unsere Position und unsere eventuellen Eingriffe so europäisch wie möglich erscheinen zu lassen», teilte er Liverpool am 15. Oktober mit – was ihn nicht hinderte, Druck auf Ludwig XVIII. auszuüben, einer sofortigen Abschaffung des Sklavenhandels zuzustimmen. «Um abzumildern, daß der Vertrag sich zwangsläufig gegen Frankreich richtet, habe ich zugleich die Prinzipien vertrauensvoller Abstimmung mit dem legitimen Souverän hinreichend anerkannt, damit verdeutlicht werde, daß sich unsere Vorsichtsmaßnahmen nicht gegen die Regierung oder die Nation richten, sondern gegen eine mögliche politische Strömung in Frankreich.»13 Was immer er auch beteuerte, die Alliierten diktierten Frankreich, wie es zu regieren sei. Gentz fand, der von den Alliierten herbeigeführte gegenwärtige Zustand des Landes sei «gegen die Natur, in direktem Widerspruch zu den Prinzipien, Gefühlen und Wünschen von neunzehn Zwanzigsteln der Nation, und in direktem Widerspruch zu den ewigen Gesetzen der gesellschaftlichen Entwicklung». Und falls Castlereagh meine, er habe, was das betraf, das Land vor dem Schlimmsten
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bewahrt, lag ihm daran nicht mehr ganz so sehr, wenn es um finanzielle Dinge ging.14 Auch die Strategie, die die Briten auf diesem Gebiet einschlugen, sah Gentz äußerst kritisch. Wenngleich sie nicht so habgierig waren wie die Preußen, die ständig neue Reparationen und Entschädigungen forderten, preßten auch die britischen Bevollmächtigten Frankreich aus; später würde Wellington eingestehen, daß sie es übertrieben hatten. «Ich glaube, einer unserer größten Fehler war, daß wir diesen Leuten zu viel Geld abverlangt haben», gestand er Gentz Ende November. «Hätten wir uns mit 400 Millionen zufriedengegeben, hätten wir sie ohne Schwierigkeiten bekommen; jetzt hingegen werden wir Frankreich ruinieren, ohne von ihm irgend etwas zu erhalten, denn ich fürchte, daß die Dinge sich sehr schlecht entwickeln.»15 Der Zweite Pariser Frieden wurde erst am Abend des 20. November unterzeichnet. Die Zwischenzeit verging nicht nur damit, dessen Details zu diskutieren und Vereinbarungen zu unterschiedlichen Problemen auszuarbeiten, die damit in Zusammenhang standen, wie zum Beispiel zu den Rationen, die jeder Offizier und einfache Soldat während der Besatzungszeit in Frankreich empfangen sollte, oder dazu, wie mit Deserteuren zu verfahren sei, wie Spitäler zu führen und Zollvorschriften anzuwenden waren. Zeit wurde auch mit Verhandlungen verbracht, die darauf abzielten, möglichst viele der unerledigten Punkte, die in der Schlußakte liegengeblieben waren, noch zu lösen, um sie in dem neuen Vertrag verankern zu können. Eine dieser offenen Angelegenheiten war die Vorbereitung eines formellen Abkommens, das die Neutralität der Schweiz garantierte. Eine andere war die Zukunft der Ionischen Inseln, die eine gewisse Zahl von Empfindlichkeiten der betroffenen Länder berührte. Rußland hätte sie gern in Besitz genommen, aber angesichts sicherer Proteste von seiten der Türkei und Großbritanniens, die beide hierin eine neue Stufe des schleichenden Vordringens russischer Macht auf dem Balkan gesehen hätten, hielt sich Alexander zurück, in dieser Sache einen Anspruch zu erheben. Castlereagh hätte sie lieber Österreich zugesprochen, da sie zu dessen venezianischen Erwerbungen paßten und sein Einfluß der Region eine gewisse Stabilität garantiert hätte. Aber Rußland lehnte dergleichen energisch ab und zog es vor, daß Großbritannien sie behielt, wenn es sie schon nicht selber bekommen könnte.
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Castlereagh zögerte, Großbritannien mit der Verantwortung und den Kosten zu belasten, die ein Protektorat über die Inseln bedeuten würde, sah aber keine Alternative. Rußlands Bevollmächtigter in dieser Sache war Capodistrias, der es gern gehabt hätte, wenn Rußland die Inseln erwerben und die allmähliche Herausbildung eines autonomen Nationalstaats ermöglicht hätte. Alexander überzeugte ihn von der Undurchführbarkeit dieses Plans und schlug ihm vor, mit Castlereagh zusammenzuarbeiten, um ein ähnliches Ziel unter einem britischen Protektorat zu erreichen. Castlereagh mochte Capodistrias, den er für einen «sehr intelligenten, angenehmen und vernünftigen» Mann hielt, aber für die Pläne des Korfioten hatte er nichts übrig. «Capo d’Istria bereitet uns mit seiner Metaphysik viel Ärger, und es ist schwierig, ihn zu einer klaren Aussage zu bringen, oder sicher zu sein, daß in dem, was er schreibt, nicht irgendeine geheime Bedeutung steckt, aber insgesamt kommen wir im persönlichen Umgang recht gut miteinander aus; nur wenn er uns mit seinen langen Memoranden vom Nordpol (Sankt Petersburg) bombardiert, kann man unmöglich herausbekommen, was er eigentlich meint», schrieb er am 22. Oktober vertraulich an Lord Bathurst. Schließlich schuf man die «Vereinigten Staaten der sieben Inseln», später «der Ionischen Inseln», die von einem britischen Hochkommissar regiert werden sollten, aber auf der Grundlage einer Verfassung, die von einer gewählten «Gesetzgebenden Versammlung» ausgearbeitet werden sollte.16 Capodistrias spielte auch eine aktive Rolle bei der abschließenden Grenzziehung zwischen Frankreich und der Schweiz. Die schweizerische Tagsatzung hatte Pictet nach Paris entsandt, wo er versuchen sollte, eine Landbrücke zwischen Genf und dem Rest der Eidgenossenschaft zu erwirken. Castlereagh, der sich in Wien wenig entgegenkommend gezeigt hatte, wurde jetzt nachgiebiger – vielleicht, weil er und Pictet ihr gemeinsames Interesse an Merinoschafen entdeckt hatten. Es war aber Capodistrias, der Pictet nicht nur zu der Landbrücke durch Versoix und Gex (die an einigen Stellen nicht breiter war als zwei Kilometer) verhalf und somit Genf entlang des Nordufers des Genfer Sees mit der Eidgenossenschaft verband, sondern auch zu einer «Abrundung», die zwei weitere Gebiete Genfer Territoriums verknüpfte, sowie die Schleifung der Festung Hüningen erreichte, die Basel bedrohte.
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In einem Brief an die Genfer Stadtoberen schrieb Pictet am 11. Oktober, würde Capodistrias’ Weg jemals durch die Stadt führen, solle man in Anerkennung all dessen, was er für sie getan hatte, die Glocken läuten. Aber auch Pictet selbst und vor allem sein Kollege François d’Ivernois erzielten einen spektakulären Erfolg. Sie brachten den König von Sardinien dazu, die Neutralität der Schweiz auch auf zwei seiner eigenen Regionen, Faucigny und das Chablais, auszudehnen, wofür ihm ein freier Grenzverkehr für Menschen und Waren gewährt wurde. Während der König sich aller Steuereinkünfte der beiden Regionen erfreuen konnte, ohne für ihre Verteidigung Ausgaben zu haben, erwarb Genf eine Landbrücke zur übrigen Schweiz entlang des Südufers des Sees – was auch das Aostatal, eine beliebte französische Route nach Italien, zu neutralem Gebiet machte. Da beide Seiten hofften, eine Einmischung Frankreichs zu vermeiden, erforderten diese Übereinkünfte Geheimverhandlungen, die im Jahr darauf in Turin abgeschlossen wurden.17 Es waren bei weitem nicht die einzigen zusätzlichen Verhandlungen, die damals in Paris geführt wurden, und ebensowenig waren es die einzigen, die sich bis ins nächste Jahr hineinzogen. Zu den lebhaftesten zählte das Gerangel um die 700 Millionen Francs, die Frankreich zahlen sollte, wobei sich Sardinien, die Schweiz und Dänemark dem Wettstreit der acht Unterzeichner des Pariser Friedens anschlossen. Die Verhandlungen über eine Entschädigung Bayerns für Gebiete, die es an Österreich zurückgeben mußte, waren das ganze Gegenteil. Eine mündliche Einigung wurde schließlich erzielt, aber noch nicht in Vertragsform gegossen; es blieb zunächst bei einer Absichtserklärung, die im nächsten Jahr, auf einer in München vorgesehenen Konferenz, auszuarbeiten war. Großbritannien, Rußland und Preußen verpflichteten sich, die beiden Vertragsparteien, Österreich und Bayern, zu ermutigen, sich bis dahin an ihre vorläufige Einigung zu halten.18 Weitere Verhandlungen aller Art fanden statt, wobei verschiedene Staaten und Interessenvertreter die Anwesenheit der Bevollmächtigten und Minister in Paris nutzten und sie umwarben. Diese Verhandlungen umfaßten thematisch viel Verschiedenes, von den endgültigen Details der Begleichung der holländischen Schulden durch den russischen Staat bis zu komplizierten Fragen des Gebietsaustauschs zwischen Preußen und Hessen-Kassel; nebenbei regelten sie auch noch einige
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Der Deutsche Bund
Nordsee
H O L S T E I N Lübeck Pommern MECKLENBURGSCHWERIN Stettin Hamburg Oldenburg Bremen El OLDENbe PREUSSEN NIEDERBURG HANNOVER LANDE Hannover Posen Berlin Rhein B R A U N - Magdeburg Oder SCHWEIG Münster Dessau ANHALT Kassel Breslau Leipzig PREUSSEN Dresden HESSENKöln SCHLESIEN KASSEL THÜRING. STAATEN SACHSEN HESSENNASSAU DARMSTADT LUXEMBURG
Frankfurt
Würzburg
BAYERN
Nürnberg BAYERN Stuttgart
Straßburg
FRANKREICH
Prag Pilsen BÖHMEN
MÄHREN
Brünn
Regensburg
ÖSTERREICH
WÜRTTEMBERG
Don
au
München BADEN
Wien
Salzburg Zürich Innsbruck
Bern
SCHWEIZ
UNGARN
Genf
SARDINIEN
VENETIEN LOMBARDEI
Adria
Privatangelegenheiten. Gentz beschäftigte sich in lohnender Weise damit, «Bekundungen der Zufriedenheit und Dankbarkeit» von verschiedenen Seiten einzusammeln, unter anderem eine erkleckliche Summe von Richelieu.19 Am 19. Oktober schrieb der noch immer untröstliche Talleyrand, der sich auf seinen Landsitz in Valençay zurückgezogen hatte, an Metternich. Da sie beide persönliche Dinge in Neapel zu erledigen hätten, schlug er vor, sich einen Unterhändler zu teilen, um Kosten zu sparen, und zwar einen gewissen M. Domurey, den französischen Konsul in Ancona. Worin Metternichs Anliegen bestand, ist nicht klar, aber wahrscheinlich unterschied es sich von dem Talleyrands nicht wesentlich.20
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Da Talleyrands napoleonische Apanage, das Fürstentum Benevent, ursprünglich dem Papst gehört hatte, besaß er jetzt darauf kein legitimes Anrecht und würde mit diesem Anspruch ohnehin nicht durchkommen. Er war gleichwohl entschlossen, für einen Verzicht den höchstmöglichen Preis herauszuhandeln. Das Fürstentum lag innerhalb von Murats Königreich Neapel, und der hatte Talleyrand fünf Millionen Francs geboten, zahlbar nach Ende des Kongresses, falls er sich in Wien für ihn stark mache. Aber Ferdinand, der rechtmäßige König von Neapel, war ebenfalls begierig auf die Unterstützung Talleyrands gewesen. Nach Murats Niederlage hatte sich dieser bei den Verhandlungen mit Consalvi unentbehrlich gemacht, der sich bemühte, die Provinz für den Papst zurückzuerlangen. Tatsächlich wurde sie ihm in der Schlußakte zugesprochen, aber ein Geheimvertrag verpflichtete den Papst, Ferdinand finanziell zu entschädigen und die Einnahmen aus der Provinz an Talleyrand zu zahlen, während er selber nur eine Provision dafür erhielt. Eine weitere Übereinkunft zwischen Ferdinand und Talleyrand überließ diesem das neapolitanische Herzogtum Dino mitsamt seinen Einnahmen und zusammen mit einer einmaligen Zahlung von 1,5 Millionen Francs.21 Der größte Verlierer bei alldem war Murat. Nachdem ihn die Österreicher im Juni besiegt hatten, war er in Cannes gelandet und hatte Napoleon schriftlich seine Dienste angeboten. Der jedoch war über seinen Verrat von 1814 verärgert und möglicherweise noch mehr über seine enthusiastische Unterstützung 1815, die Napoleons eigenen Versuchen, sich der Welt als friedliebender Monarch zu präsentieren, ein Ende gesetzt hatte. So reagierte er, wie vorherzusehen war, kühl. Er wies seinen abtrünnigen Schwager an, sich nicht von der Stelle zu rühren. Murat bezog ein Haus außerhalb von Toulon und wartete ab, aber als nach Waterloo der antinapoleonische Terror über Südfrankreich hinwegfegte, sah er sich genötigt, erst unterzutauchen und dann nach Korsika zu fliehen. Ende September marschierte er an der Spitze eines zusammengewürfelten Haufens von fünfhundert Mann nach Ajaccio und nahm es ein. Hier in Ajaccio erreichte ihn ein Brief von Metternich, der ihn darüber informierte, daß seine Frau Caroline an Bord einer britischen Fregatte sicher nach Triest gebracht worden war, und bot ihnen eine beliebige Stadt in Böhmen, Mähren oder Oberösterreich an, wohin sie
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sich als Privatpersonen unter dem Namen Graf und Gräfin von Lipona zurückziehen könnten. Hitzig und töricht wie stets, lehnte Murat ab. Mit einer Streitmacht von 250 Mann schiffte sich Murat nach Neapel ein. Seine Flottille wurde bei schlechtem Wetter auseinandergerissen, so daß er sich mit nur einem Dutzend Mitkämpfern allein auf See sah. Vermutlich beabsichtigte er jetzt, um Italien herum nach Triest zu segeln und Metternichs Bedingungen anzunehmen, sah sich aber gezwungen, den kleinen Hafen Pizzo in Kalabrien anzulaufen. Er ging an Land und verkündete den erstaunten Einwohnern, daß er ihr König sei. Daraufhin wurde er sofort angegriffen und wäre in Stücke gehauen worden, wenn nicht ein einheimischer Adliger interveniert hätte, der ihm Quartier bot. Aber er benachrichtigte auch die örtlichen Behörden, die Murat festnahmen. Der Held von Dutzenden Schlachten wurde in einem Schnellverfahren abgeurteilt und am 13. Oktober 1815 von einem Erschießungskommando hingerichtet. Caroline tröstete sich zunächst in den Armen des Generals Macdonald, eines französischen Offi ziers in der neapolitanischen Armee, und später mit einer langen Reihe anderer Liebhaber. Der Zweite Pariser Frieden, der am Abend des 20. November unterzeichnet wurde, bezog sich auf den Ersten und auf die Schlußakte, mit der wohldurchdachten Absicht, alle Vereinbarungen, die während der letzten achtzehn Monate erzielt worden waren, zu einem Paket zu verknüpfen, dessen Teile aufeinander verwiesen. Er wurde durch die Unterzeichnung eines neuen Vertrags ergänzt, der weit über die aktuellen Geschäfte hinausging und besonders Castlereagh am Herzen lag. Er hatte bereits einige Tage, nachdem er Wellingtons Armee folgend in Paris eingetroffen war, begonnen, für die Gründung einer ständigen Koalition zu werben, die beim Machtantritt eines neuen Bonaparte «oder von irgend jemandem seiner Art in Frankreich» sofort tätig werden sollte und eine automatische «europäische Invasion» dieses Landes herbeizuführen hätte. Es war ihm gelungen, seine Kollegen für diesen Plan zu gewinnen, und am 20. November unterschrieben die Bevollmächtigten Rußlands, Preußens, Österreichs und Großbritanniens die Quadrupelallianz, die dem Vertrag von Chaumont auffällig ähnelte.22 Sie verpflichtete die vier Alliierten, sich gemeinsam für die Einhaltung der von ihnen getroffenen Abmachungen einzusetzen und jedes
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Mitglied der Familie Bonaparte daran zu hindern, je wieder in Frankreich an die Macht zu kommen. Jede Seite sagte zu, im Fall einer solchen Bedrohung das bestehende Besatzungsheer um jeweils 60 000 Mann aufzustocken. Zusätzlich verpflichteten sie sich, regelmäßig Kongresse der Außenminister abzuhalten, um die Lage in Europa einzuschätzen und die für die Erhaltung des Friedens notwendigen Maßnahmen zu koordinieren. Es war ein zeitlich unbeschränktes Engagement, durch das faktisch eine Art Sicherheitsrat entstand, der dem Erhalt des Status quo galt und die vier Großmächte zur Polizei Europas machte. Das neue Abkommen stand in eklatantem Widerspruch zu dem Vertrag, den sie am 25. März in Wien unterzeichnet hatten, und nach dem alle europäischen Mächte, einschließlich Frankreichs, sich verpflichteten, gemeinsam die napoleonische Bedrohung zu bekämpfen; die Quadrupelallianz richtete sich in erster Linie gegen Frankreich selbst, das es als gefährlichen Übeltäter markierte. Es war ein merkwürdiger Neubeginn in der europäischen Politik.
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Gemächlich durchquerte Alexander auf seinem Heimweg die Schweiz, kletterte zuweilen aus seiner Kutsche, um spazierenzugehen oder um Bauernhäuser am Wegesrand aufzusuchen und sich mit deren erstaunten Bewohnern zu unterhalten. Seine Reise führte ihn danach durch Böhmen, und er blieb fünf Tage lang bei Schwarzenberg auf Schloß Frauenburg, offenbar, weil Gabrielle von Auersperg sich hier aufhielt. Weiter ging es nach Warschau, wo er am 27. November die Verfassung des neuen Königreichs Polen unterzeichnete, die von Czartoryski ausgearbeitet worden war. Sie fußte auf der polnischen Verfassung von 1791, sah ein parlamentarisches Zweikammersystem vor und garantierte die Freiheit des Individuums und der Presse. Während Polen durch die Person seines Königs (Alexander I. von Rußland wurde nun zusätzlich Alexander II. von Polen) «unauflöslich» mit Rußland verbunden war, hatte es doch eine eigene Flagge und seine eigene Armee. Anstelle Czartoryskis, dessen Ernennung jeder erwartet hatte, ernannte Alexander einen ehemaligen Jakobiner und napoleonischen General, Józef Zajbczek, zu seinem Stellvertreter in Polen. Denn als Czartoryski die Institutionen des neuen Staates aufbaute, war er mit Großfürst Konstantin in Konfl ikt geraten, der in Warschau Oberkommandierender der polnischen Armee war und sich wie ein wahnsinniger Satrap aufführte. Czartoryski zog sich aus der Politik zurück und widmete sich intellektuellen Fragen. Gemeinsam mit Franz und Friedrich Wilhelm versprach Alexander auch, für die Verfassung der neuen Republik Krakau einzustehen. Dieser Zwergstaat von 1150 Quadratkilometern mit seinen knapp 90 000 Bewohnern verfügte über eine Armee und eine Verfassung, die ebenfalls die Handschrift Czartoryskis trug. Aber während sich Alexander be-
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flissen um das Wohlergehen der Polen kümmerte, vernachlässigte er die Probleme seines eigenes Volkes. Rußlands Wirtschaft befand sich seit Beginn des Jahrhunderts in einer prekären Lage. Sie litt zusätzlich unter den drückenden Militärausgaben seit 1807, an den verheerenden Folgen des Kontinentalsystems zwischen 1807 und 1812, an der französischen Invasion, die den Westen des Landes verwüstet und Moskau zerstört hatte, und schließlich unter den gewaltigen Kosten, die entstanden waren, als man den Krieg nach Europa hineintrug, bis Paris genommen war. Der russische Staat war in seinem innersten Kern geschwächt, da Alexander zunächst Reformen eingeführt hatte, in denen neue Ministerien geschaffen und ihnen Verantwortlichkeit für unterschiedliche Verwaltungsbereiche übertragen wurden, er dann aber deren Handlungsfähigkeit untergrub, indem er alle Zügel wieder selbst in die Hand nahm. Die riesige Armee, deren Mannschaftsstärke bei gut 400 000 lag, schluckte einen beträchtlichen Anteil der Wirtschaftskraft, aber statt sie zu verkleinern, begann Alexander, sogar noch mehr qualifi zierte Offi ziere aus verschiedenen europäischen Ländern zu rekrutieren. Er wollte die Armee dazu zu bringen, sich selbst zu finanzieren, und setzte dafür einen von General Araktschejew ersonnenen Plan um, nach dem einzelnen Militäreinheiten Land zugewiesen wurde, auf dem sie «Militärkolonien» zu gründen hatten, die nicht nur für ihren eigenen Unterhalt sorgen, sondern auch Überschüsse verkaufen sollten. Die Soldaten sahen in diesen Kolonien Straflager, und das Ganze endete in einem Fiasko. Alexander selbst entfernte sich von seinem früheren Liberalismus und tendierte zunehmend zu einem grämlichen, reaktionären Weltbild. Er wurde immer launischer und behandelte die Menschen seiner Umgebung, selbst gestandene Offi ziere, wie verstockte Kinder. Die Zensur wurde verschärft, und die Geheimpolizei hatte ein wachsames Auge auf jeden, den sie verdächtigte, Freidenker oder Liberaler zu sein. Nicht lange, und er begann sich darüber zu ärgern, daß die Polen die Freiheiten, die er ihnen gewährt hatte, allzu bereitwillig nutzten; und so begann er, sie wieder einzuschränken. Die russische Gesellschaft machte sich überwiegend die Sicht des Zaren zu eigen, nach der die Ereignisse zwischen 1812 und 1814 gezeigt hatten, daß Gott Rußland als Sein irdisches Werkzeug erwählt hatte, gerade weil das russische Volk die Aufklärung zurückgewiesen hatte
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und seinen alten Sitten treu geblieben war. 1816 veröffentlichte Alexanders Freund, der Historiker Nikolaj Michajlowitsch Karamsin, den ersten Teil seiner zwölfbändigen «Geschichte des russischen Staates», in der er die Vision eines von Gott erwählten Volkes entfaltete, dessen Pflicht es sei, verderbliche Einflüsse von außen abzuwehren. Nun verschlossen sich die Herzen, die Neugier trocknete aus, und alles Ausländische galt als verdächtig. Dem deutschen katholischen Naturphilosophen Franz von Baader wurde die Einreise nach Rußland verweigert; Admiral Schischkow bezichtigte die Bibelgesellschaft der Verschwörung gegen den russischen Staat, und Alexanders Jugendfreund Aleksandr Golizyn wurde aus dem Amt eines Ministers für Volksaufklärung und geistliche Angelegenheiten entfernt, mit der Anschuldigung, den Glauben an Satan zu verbreiten. Ganz entgegengesetzt war die Stimmung der jungen Offi ziere, die Rußland mit der Waffe verteidigt und Europa von Napoleon befreit hatten. Oberst Majewskij war hocherfreut, als er den Befehl erhielt, seine Brigade zurück nach Rußland zu führen. «Wieviel Pracht und Freuden standen uns plötzlich vor Augen», schrieb er. «Jeder von uns gab seiner Einbildungskraft freien Lauf: Jeder von uns erwartete entweder Ehrungen, wie Suworow sie bekommen hatte, oder eine betörende Dulcinea, die ihn für all seine Anstrengungen – seine Tapferkeit und seinen Sieg – mit einem Kuß belohnen würde.» Statt dessen wurden die Offiziere mit Mißtrauen und strikterer Disziplin belohnt. Wer sich bewundernd darüber äußerte, was er in Westeuropa gesehen hatte, oder laut überlegte, wie Rußland modernisiert werden könnte, lernte rasch, sich nur heimlich zu treffen. Viele dieser Offiziere sollten später, als sie vom Typhustod des 47jährigen Alexander am 19. November 1825 erfuhren, in der Hoffnung revoltieren, Rußland eine Verfassung bringen zu können. Sie wurden hingerichtet oder zu schweren Strafen verurteilt.1 Ein ähnliches Muster von Rückzug in die Reaktion einerseits und einem Gefühl verratener Hoffnungen andererseits überzog Deutschland, wo eine Flut einströmender englischer Manufakturwaren die Wirtschaftskraft untergrub und die katastrophale Ernte im Jahr 1816 Hunger und eine Auswanderungswelle nach Amerika auslöste. Viele Gegenden waren infolge der politischen und territorialen Veränderungen des letzten Jahrzehnts traumatisiert, die religiöse und politische Loyalitäten durchschnitten, traditionelle Handelsbräuche zerstörten und ge-
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sellschaftliche Rechte und Pflichten der Menschen neu festlegten. Fast 60 % der Bevölkerung Deutschlands hatten in der Zeit zwischen 1789 bis 1815 ihre Herrscher gewechselt, oftmals mehrfach. Viel war vom Kongreß erwartet worden, aber er hatte nur zu weiteren territorialen Verschiebungen geführt, und die Enttäuschung saß entsprechend tief.2 Einer, der mehr Grund zur Freude hatte als alle anderen, war Friedrich Wilhelm. Zwar waren seine sächsischen Pläne gescheitert, aber er hatte sich behauptet, und Preußen war zur beherrschenden Macht in Deutschland geworden. Im Osten war es ihm nicht nur gelungen, Ostpreußen und Danzig, sondern auch ein Stück seines ehemals polnischen Gebiets zu halten, das in Großherzogtum Posen umbenannt wurde und eine Landbrücke zwischen Preußen und seiner Provinz Schlesien bildete. Im Norden hatte das Land seine Position an der Ostsee durch den Erwerb Schwedisch-Pommerns konsolidiert. Im Westen hatte es Kleve behalten und auf beiden Seiten des Rheins Land erworben, darunter Westfalen, die alten Herzogtümer Jülich und Berg, das Moseltal und die Städte Köln, Bonn und Trier. In den westlichen Provinzen stieß Preußen allerdings auf Probleme. Die Einwohner des Rheinlands waren überwiegend katholisch und frankophil und hatten sich wenig enthusiastisch gezeigt, als deutsche und österreichische Truppen einmarschierten, um sie zu befreien. In manchen Gegenden hatten Bauern regelrechte Guerillaangriffe gegen die alliierten Truppen geführt, versprengte Soldaten und kleinere Trupps ermordet und damit harsche Vergeltungsmaßnahmen ausgelöst. Selbst unter denen, die es begrüßten, jetzt zu Deutschland zu gehören, waren viele keineswegs glücklich, Preußen geworden zu sein. Städte wie Köln und Aachen forderten lautstark die Wiederherstellung alter Rechte und Privilegien, und die ganze Region erschien sehr verwundbar, sobald Frankreich seine Expansionspolitik wiederaufnehmen würde. Überdies waren die westlichen Provinzen vom Rest des preußischen Staates durch Hannover und Hessen-Kassel getrennt. Aber wie es Humboldt in einem Brief an seine Frau formulierte, «der erste Krieg, der entsteht, muß Preußens Besitzungen da, wo sie noch lückenhaft sind, vergrößern.»3 Preußen war jetzt nicht nur der größte deutsche Staat; es konnte auch, nachdem es die meisten seiner früheren polnischen Untertanen gegen deutsche ausgetauscht hatte, Österreich den Rang als führende deutsche Macht streitig machen.
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Das vergrößerte Preußen
Ostsee
Königsberg Danzig
Nordsee
Hamburg
Stettin Weichse
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Hannover
Warschau
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Berlin Od
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Dresden
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Krakau
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Straßburg München
Wien
Gebietsverluste in Polen Gebietsgewinne in Deutschland
Zudem würde der Besitz der Gebiete an Ruhr und Saar mit ihren großen Kohlevorräten Preußen eines Tages die Herrschaft über das künftige Kraftzentrum des industriellen und wirtschaftlichen Wachstums in Deutschland sichern – obwohl man dies zu jener Zeit noch nicht erkannte. Sehr zum Kummer von Menschen wie dem Freiherrn vom Stein und Wilhelm von Humboldt machte sich Friedrich Wilhelm bald daran, nicht nur einige der Reformen zurückzunehmen, die sie nach 1807 durchgesetzt hatten, sondern auch abweichende Stimmen zum Schweigen zu bringen. Die meisten seiner Untertanen gaben sich damit zufrieden, wieder einzuschlafen, wie Heinrich Heine bemerkte, und Preußen wurde immer reaktionärer. Blücher und Gneisenau schimpften und murrten auch weiterhin über die armseligen Erträge ihres Sieges gegen Frankreich und wurden zu Helden der geheimen Studentenverbindungen; der greise Marschall stieg nach seinem Tod 1819 sogar zu einer nationalen Ikone auf. Aber Friedrich Wilhelm regierte weiter und ver-
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mied es bis zu seinem Tod im Jahre 1840, irgend etwas an dem allgemeinen Dämmerzustand zu ändern. Auch andere deutsche Monarchen legten sich diese Haltung zu, in der Hoffnung, Ruhe und Frieden könnten etwas von jener Normalität zurückbringen, wie sie im Ancien Régime geherrscht hatte. Weder Maximilian von Bayern noch Friedrich August von Sachsen sehnten sich nach etwas anderem. Der etwas rastlosere Großherzog von Baden starb 1818 – ob wegen seines anstrengenden Lebenswandels in Wien oder aus Langeweile, nachdem er ihn hatte aufgeben müssen, ist nicht klar. Selbst der liberal gesonnene Wilhelm I. von Württemberg, der im Oktober 1816 seinem feisten Vater als König nachfolgte, bewegte sich mit aller Vorsicht, wobei er seine Vorrechte und die Sonderstellung seines Königreichs verteidigte. Auch die kleineren Fürsten stimmten darin überein, die «krankhaften politischen Theorien» des letzten Vierteljahrhunderts nicht wieder aufkommen zu lassen. Der Freiherr vom Stein zog sich verbittert aus dem politischen Leben zurück und schimpfte auf die Kleintyrannen, die seinen Traum eines geeinten Deutschlands zerstört hatten. 1819 gründete er die «Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde», die die (bis heute fortgesetzten) «Monumenta Germaniae Historica» herausgab, eine Sammlung von Quellen zur Geschichte «germanischer» Völker, die zunächst auch «ausgewanderte Stämme» bis zu ihrem Untergang einbezog, wie die Westgoten in Spanien, die Langobarden in Italien, die Franken in Frankreich, Belgien und Holland – aber auch andere, selbst in Osteuropa. Er formulierte damit einen Anspruch deutscher kultureller Überlegenheit in Europa, der ihn zweifellos über sein Scheitern hinwegtröstete. Im selben Jahr 1819 übertrug Hardenberg das «Ministerium für ständische Angelegenheiten» an Humboldt. Nach der Unterzeichnung des Pariser Friedens war Humboldt zunächst als preußischer Bevollmächtigter an den Abschlußverhandlungen des Deutschen Bundes in Frankfurt a. M. beteiligt gewesen und dann in Berlin über die Reform des preußischen Staatsrats in Konflikt mit Hardenberg geraten; 1817 hatte man ihn zum Botschafter in London ernannt und damit in Berlin politisch kaltgestellt. Ende 1819 wurde Humboldt wegen seiner Ablehnung der damals verabschiedeten reaktionären Karlsbader Beschlüsse endgültig entlassen; er widmete sich fortan wieder seinen sprach- und geistesgeschichtlichen Studien.
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Der Widerstand gegen den neuen Status quo beschränkte sich auf Studenten, junge Offi ziere und eine Handvoll Intellektueller, und auch sie blieben weitgehend passiv, jedoch nicht im Rheinland. Joseph Görres nutzte seine einflußreiche Zeitung Rheinischer Merkur, um das Wiener Abkommen als Verrat zu brandmarken. Seiner Auffassung nach hatte der Kongreß wenig mehr bewirkt, als die Usurpationen seitens der kleinen deutschen Monarchen abzusegnen, die somit behalten durften, was sie unter Napoleon gestohlen hatten, und die Gelegenheit nutzten, um auf Kosten des deutschen Volkes ihre Vorrechte auszuweiten. Ähnliche Ansichten finden sich in Vers und in Prosa bei den romantischen Dichtern jener Zeit, wie Ernst Moritz Arndt oder Ludwig Uhland. Alle, die gehofft hatten, daß die Unterzeichnung der Schlußakte das Schreckgespenst von 1789 verjagt hätte, bekamen es mit der Angst. Der Rheinische Merkur wurde 1816 durch die preußische Regierung geschlossen, aber diese Maßnahme zeigte kaum Wirkung, außer daß sie die nationalistische Bewegung weiter stärkte.4 Am 18. Oktober 1817 kamen über vierhundert Studenten der Burschenschaften aus zwölf Universitäten auf die Wartburg, wo Luther einst die Bibel übersetzt hatte, um den 300. Jahrestag dieses Ereignisses und den vierten Jahrestag der Völkerschlacht von Leipzig zu feiern. Nachdem sie Gedichten, Reden und Aufrufen gelauscht hatten, sangen sie Choräle, schworen Eide, umarmten sich und versammelten sich zu einem Bankett. Dann schritten sie in einem Fackelzug zu einem nahegelegenen Hügel, wo Angehörige des Landsturms bereits ein Feuer entzündet hatten, und warfen Objekte ihres Hasses hinein. Unter den ersten war ein Exemplar der Schlußakte des Wiener Kongresses. Von diesem Mummenschanz ließen sich die besorgten Konservativen in ganz Europa stark beeindrucken, allen voran Metternich. Nur wenige Wochen zuvor hatte er Nesselrode geschrieben, daß die Welt an «gewissen Krankheiten» litte, die er als «Mystik» bezeichnete. Er war inzwischen von der Idee besessen, daß eine neue Art Häresie mittels verschiedener «Sekten» sich anschicke, das ganze europäische System zu unterminieren, und entdeckte überall deren bedrohlichen Einfluß. Er fürchtete auch, daß selbst Alexander ihr zum Opfer gefallen war: «Seit 1815 hat er sich vom Jakobinismus abgewandt, um sich der Mystik in die Arme zu werfen», schrieb er Kaiser Franz im August 1817. «Und doch, da seine Grundtendenz immer revolutionär ist, sind es auch
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seine religiösen Gefühle.» Auch Gentz schrieb panische Briefe an Metternich, Nesselrode und andere, in denen er vor der «Gärung» in den unruhigen Geistern von ganz Europa warnte, wodurch auch er zur Entstehung einer hysterischen Paranoia beitrug, die sie in allem die Revolution sehen ließ. Liest man den Briefwechsel dieser Apostel des Status quo, die immer neue hanebüchene und schauderhafte Verschwörungstheorien entwickelten und «Irrlehren» auszumachen meinten, muß man an der Klarheit ihres eigenen Verstandes zweifeln.5 Für besonders gefährlich hielt Metternich die Gräfin Krüdener, die inzwischen durch die Schweiz wanderte, christliche Tugend predigte und den Armen Almosen gab. Als er hörte, daß sie beabsichtigte, österreichische Lande zu betreten, ließ er die Grenze schließen und gab die Anweisung, alle Boote auf der Schweizer Seite des Bodensees zu entfernen, damit sie keinen heimlichen Einfall machen konnte. Joseph Görres schrieb dazu: «Frau von Krüdener, wenn auch etwas phantastisch und gespannt in ihrer Frömmigkeit, doch wohlmeinend, liebreich und menschlich in ihrem Thun, war von den Pfaffen verlästert, von der Polizey gehetzt, endlich durch die Gensdarmerie von Brigade zu Brigade nach Rußland zurückgeführt, dafür daß sie gebetet mit den Leuten, ihnen den jüngsten Tag verkündet, und dagegen die Hungernden gespeißt und gerettet hatte.»6 Metternich war am 26. November 1815, recht zufrieden mit dem Verlauf der Verhandlungen und den Bedingungen des Zweiten Pariser Friedens, aus Paris in Richtung Italien abgereist. Um den 4. Dezember war er in Venedig. Seit einiger Zeit schon hatte er sich auf diese Reise gefreut, wie auch seine Frau und seine Kinder, die ihn von Wien aus kommend treffen wollten. Während er aber hoffte, seine Familie möge über ausgiebig Zeit verfügen, um Sehenswürdigkeiten aufzusuchen, war es für ihn kein Familienurlaub. Metternich begleitete Franz auf einer kaiserlichen Inspektion seiner italienischen Besitzungen und Herrschaftsgebiete. Während der nächsten vier Monate war er in Norditalien unterwegs, wobei es ihm gelang, Wilhelmine nicht zu begegnen, die sich gemeinsam mit Stewart für einen etwas gefühlvolleren Aufenthalt auf die Halbinsel begeben hatte. In gleicher Absicht weilte dort auch Dorothea mit Clam-Martinitz, und auch ein Zusammentreffen mit ihr konnte er umgehen. Dennoch gefiel ihm nicht, was er in Italien sah.
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Die Wiener Regelungen hatten Österreich eine unbestrittene Hegemonie über Italien zugestanden. Nicht nur regierte es jetzt die ganze Lombardei, Venetien und Illyrien direkt, es kontrollierte oder beherrschte indirekt auch nach Süden hin alle kleineren Staaten. Eine Abmachung mit Neapel untersagte, daß ohne österreichische Zustimmung irgend etwas in diesem Königreich verändert wurde; und Österreich hatte, indem es das Königreich Sardinien stärkte, eine Barriere gegen Frankreich geschaffen, das dafür eine entsprechend freundliche Haltung gegenüber Österreich bewahren sollte. Aber in dieser Regelung steckte ein grundlegender Schwachpunkt. Einerseits verlieh sie Österreich großen Einfluß in Italien, andererseits fehlten ihm die Machtmittel, eine hegemoniale Kontrolle wirklich auszuüben. Es war von der bereitwilligen und bedingungslosen Unterstützung durch die italienischen Staaten abhängig, die es eigentlich dominieren wollte. Früh schon zeigte sich, daß diese Konstruktion scheitern würde. Das Königreich Sardinien, das immer häufiger als «Piemont» bezeichnet wurde, war auf der Halbinsel der am besten organisierte und effizienteste Staat. Es fühlte sich von Österreich bedroht und sah in ihm bald seinen größten Rivalen um die Macht im übrigen Italien. Diese Mißstimmung wurde von Alexander geschickt genutzt, dessen Diplomaten und Agenten in Turin und an anderen italienischen Höfen alles taten, um österreichischem Einfluß entgegenzuwirken und den Zaren als natürlichen Schutzverbündeten darzustellen. Wenn Metternich dadurch beunruhigt war, so erfüllte ihn das, was er «la prétention italienne», die italienische Anmaßung, nannte, mit Schrecken. Er hatte das Ansinnen, den Italienern einen eigenen Staat zuzubilligen, stets mit dem Einwand zurückgewiesen, sie seien dazu nicht fähig. «Kein Land ist weniger dafür geeignet als Italien, daß man es einer Regierung ihres Volkes übergibt», schrieb er noch 1833. «Denn den Italienern fehlt die Grundvoraussetzung für eine solche Art Regierung; ihrem Charakter mangelt es sowohl an Ernst als auch an dem dafür notwendigen Benehmen; mit einem Wort, sie sind kein Volk.» Er und Kaiser Franz würden im Verlauf der nächsten Jahrzehnte eifrig dazu beitragen, sie zu einem zu machen. Illyrien und Norditalien waren um 1813 der französischen Herrschaft überdrüssig, die sich durch hohe Steuern, durch Konskriptionen, die als Strafaktionen erschienen, und eine beleidigende Arroganz aller
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Beamten diskreditiert hatte. Die Bevölkerung sah einer Befreiung durch die Österreicher daher mit Wohlwollen entgegen. Viele erstrebten zwar eine Art italienischer Unabhängigkeit, aber ein fürsorgliches österreichisches Regime fand im Jahre 1814 bei der Mehrheit noch Anklang. Das änderte sich innerhalb weniger Monate, nachdem die schwerfällige und zentralisierte österreichische Verwaltung die Kontrolle übernommen hatte. Die Besteuerung blieb so hoch wie unter den Franzosen, die Zahl der Konskriptionen wurde nicht verringert, und wo die Franzosen arrogant gewesen waren, zeigten die Österreicher Geringschätzung. Napoleon jedoch hatte die Italiener immerhin darin bestärkt, eine Rolle in der Verwaltung des Königreichs Italien zu übernehmen, die Österreicher taten nichts dergleichen. Gegen den Rat von Marschall Bellegarde bestand Kaiser Franz darauf, die italienische Armee aufzulösen und die italienischen Wehrpflichtigen österreichischen Regimentern zuzuteilen; das aber führte zu Meutereien und zu Streit zwischen den Soldaten beider Nationen. In den nächsten Jahrzehnten wirkte fast jede Maßnahme Metternichs, die Italien betraf, dort als rotes Tuch und weckte Ressentiments, die ihrerseits in Subversion und Aufstände übergingen. Er war auch zu keiner Mäßigung seines Vorgehens bereit, denn er glaubte inzwischen, keine andere Wahl zu haben: Das österreichische Reich, das er mittels des Wiener Kongresses wieder aufgerichtet hatte, bedurfte seiner Auffassung nach einer Zeit der Ruhe, in der es sich nach den Umbrüchen der letzten fünfundzwanzig Jahre wieder festigen und erholen konnte, und er war entschlossen, jede Unruhe durch entschiedenes Handeln im Keim zu ersticken. «Welchen Nutzen bringt es Europa wirklich, daß es sah, wie ein System physischer Eroberungen unter seinem eigenen Gewicht zusammenbrach», schrieb er Ende 1819 an den damaligen österreichischen Gesandten in Paris, Karl Freiherr von Vincent, «wenn an seine Stelle ein System moralischer Zersetzung tritt, das sehr viel schwerer zu bekämpfen ist und das die gesamte Gesellschaft zweifellos stärker bedroht, als es die ephemere Existenz eines Eroberers allein je könnte.»7 Am 23. März 1819 wurde in Mannheim der deutsche Dramatiker August von Kotzebue, der zufällig in Diensten des Zaren stand, von einem begeisterten Burschenschaftler namens Karl Sand ermordet. Die Tat schockierte die Konservativen in ganz Europa und ermöglichte es
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Metternich, eine ganze Reihe von ihm unliebsamen Entwicklungen in Deutschland auszumerzen. Er vereinbarte mit Friedrich Wilhelm ein Treffen in Teplitz, um dessen Unterstützung für ein umfassendes antirevolutionäres Programm zu gewinnen, und rief dann die Minister der führenden deutschen Staaten nach Karlsbad zusammen. Sie trafen eine Reihe von Entscheidungen bezüglich dessen, was von jetzt an «Sicherheit» genannt wurde, und faßten sie in den drakonischen «Karlsbader Beschlüssen» zusammen. Im September wurden sie dem Bundestag in Frankfurt vorgelegt, der sie einstimmig verabschiedete und ihnen damit Gesetzeskraft verlieh. Damit verwandelten sie den Deutschen Bund in ein äußerst repressives politisches Gebilde. Die Bewegungsfreiheit wurde eingeschränkt, die Polizei erhielt weitreichende Sondervollmachten, die Zensur wurde in fast schon grotesker Weise verstärkt, jede Universität bekam einen staatlichen Kurator und jeder Hörsaal seine Spitzel. Selbst Predigten in den Kirchen wurden von Polizisten mitstenographiert. Metternich nutzte das Entsetzen über Kotzebues Ermordung auch dazu, seine eigenen Vorstellungen zur endgültigen Form der deutschen Verfassung durchzusetzen, die im Bundestag noch immer nur beraten wurde. Mehrere ministerielle Treffen in Wien zwischen November 1819 und Mai 1820 mündeten in der «Wiener Schlußakte», die aus 65 Artikeln bestand. Es war nun eine zutiefst illiberale Verfassung, die sowohl die Entwicklungsmöglichkeiten des Bundes, also auch seine Fähigkeit, wirksam zu handeln, einschränkte. Dennoch verabschiedete sie der Bundestag gehorsamst am 15. Mai 1820. Metternichs Vorgehen veranlaßte Castlereagh zu scharfem Protest. Der österreichische Kanzler hatte im Alleingang gehandelt und Friedrich Wilhelm und andere deutsche Monarchen mit rüden Mitteln dazu gebracht, sich ihm anzuschließen, wobei er weder Großbritannien noch Rußland, geschweige denn Frankreich konsultiert und die Solidarität, zu der sie sich in Wien verpflichtet hatten, in erschreckender Weise mißachtet hatte. Castlereagh war dabei nicht nur über Metternichs Selbstherrlichkeit bestürzt, sondern auch über den zunehmenden Dissens hinsichtlich der Ziele und des Geltungsbereichs der Quadrupelallianz, der durch das Handeln Metternichs erkennbar geworden war. Castlereaghs Politik war vom ersten Augenblick an seit seiner Rückkehr aus Paris 1815 kritisiert worden, selbst durch Mitglieder seines eigenen Kabinetts. Die einen fanden, daß er Großbritannien zu tief in
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europäische Angelegenheiten eingebunden hatte, die anderen, daß die Quadrupelallianz ein repressives Instrument sei, das die Freiheiten Europas bedrohe. Die Verträge wurden im Unterhaus mit einem Stimmenverhältnis von 240 zu 77 ratifiziert, aber Castlereagh wußte, daß er in Zukunft sein Land nicht mehr allzu tief in die europäische Politik einbeziehen konnte, selbst wenn er wollte. Großbritannien war nach einem Vierteljahrhundert Krieg erschöpft, und die Höhe der Staatsanleihen in diesem Zeitraum machte es erforderlich, die Ausgaben für die Armee und die Flotte nun drastisch zu senken, die Steuern aber in bisheriger Höhe zu belassen. Großbritannien hatte eine Reihe neuer Kolonien erworben, darunter Malta und die Ionischen Inseln im Mittelmeer, und auf dem Weg nach Indien Gambia, die Insel Ascension, das Kap der Guten Hoffnung, Mauritius, die Seychellen und Ceylon. All das veränderte den Charakter der britischen Besitzungen in Übersee insgesamt und würde ein verstärktes politisches Engagement und mehr Investitionen nach sich ziehen. Selbst wenn es Gelüste auf «ausländische Verwicklungen» gegeben haben sollte, wie Castlereaghs Europapolitik von manchen charakterisiert wurde, es fehlte an Mitteln, ihnen nachzugehen. Aber Castlereagh hörte nicht auf, sich weiterhin um die Lage auf dem Kontinent Sorgen zu machen. Innerhalb weniger Monate nach seiner Rückkehr, schon vor Ende 1815, erhielt er alarmierende Berichte von seinen Diplomaten aus ganz Europa: Preußen rasselte mit dem Säbel und drohte, sich noch mehr von Sachsen und anderen Gebieten anzueignen; Rußland reduzierte nicht nur seine Armee nicht, es rekrutierte zusätzliche ausländische Offi ziere, weil es sich angeblich von einem preußischen Angriff bedroht sah; Bayern weigerte sich, den Übereinkünften, die in Paris erreicht worden waren, zu entsprechen, Österreich drohte ihm mit Krieg; selbst Hessen-Darmstadt leistete sich ein drohendes Getöse. «Ich nutze einen schlechten Tag dazu, die Fasanen zu verschonen und Ihnen eine Depesche zu schicken», schrieb ein beunruhigter Castlereagh am 28. Dezember aus den Tiefen der englischen Provinz an seinen Minister in Berlin und bat ihn dringend, alles in seiner Macht Liegende zu tun, um die Gemüter zu beruhigen. «Möglicherweise wird die jetzige Form der europäischen Beziehungen nicht über die Gefahr hinaus, die sie ursprünglich ins Leben rief, Bestand haben, obwohl sie
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erst kürzlich wieder deren Notwendigkeit bestätigte», fuhr er fort, «aber es ist unsere Pflicht und auch in unserem Interesse, die Rückkehr zu größerer Zerstrittenheit zu verzögern, wenn wir sie nicht schon verhindern können: Unsere Insellage hält uns immerhin so weit von dem Gefahrenbereich entfernt, daß wir uns erlauben können, eine großzügigere und vertrauensvollere Politik zu verfolgen.» Er hoffte noch, daß die Quadrupelallianz als Stabilitätsgarantie wirken und die Alliierten daran hindern könnte, aufeinander einzuschlagen. Aber es kam nicht ganz so, wie er hoffte.8 Der Artikel VI der Allianz legte fest, daß die vier Großmächte über regelmäßige Konferenzen in Verbindung bleiben sollten. Eine Botschafterkonferenz wurde ordnungsgemäß in Paris einberufen, um Probleme geringerer Bedeutung zu besprechen und die Einhaltung der in Wien gemeinsam getroffenen Regelungen zu überprüfen. Als eines der ersten Themen wurde auf ihr die Kontroverse zwischen Spanien und Portugal über ihre jeweiligen Kolonien angesprochen. Wichtigere Punkte sollten durch Kongresse der Außenminister und, in manchen Fällen, der Monarchen erörtert werden. Im September 1818 trat in Aachen ein großer Kongreß zusammen. Flankiert von Nesselrode und Capodistrias nahm Alexander an ihm persönlich teil; Kaiser Franz kam mit Metternich, und Friedrich Wilhelm wurde von Hardenberg und Außenminister Graf Bernstorff begleitet. Castlereagh und Wellington repräsentierten Großbritannien, und Richelieu wurde gestattet, als Vertreter Frankreichs teilzunehmen. Der Kongreß verbreitete einen Hauch von Wien, denn wie auf dem Vorgängerkongreß erschien wieder eine Anzahl kleinerer Fürsten, die unvermeidlich von verschiedenen grandes dames begleitet wurden. Unter ihnen befand sich die Gräfin Lieven, die Gattin des russischen Botschafters in London, die die Gelegenheit nutzte, um, wie sie es in einem Brief an ihren Bruder nannte, ihre «zärtlichen Begegnungen» wieder aufzunehmen. Mit Metternich begann sie ebenfalls eine Affäre, die eine Weile andauerte und der einmal mehr ein faszinierender Briefwechsel entsprang. Metternich hatte sich von den schmerzenden Liebeswunden der Jahre 1814 / 15 erholt und stand selbst mit Wilhelmine wieder auf freundschaftlichem Fuß, die er regelmäßig in Wien sah. Nun tauchte er mit seiner üblichen gefühlvollen Hingabe in diese neue Romanze ein. Unter jenen, die eher nüchterne Absichten nach Aachen geführt hatten,
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befand sich der Maler Sir Thomas Lawrence, der das Ereignis nutzte, um Ganzkörperporträts der Kaiser Alexander und Franz für den Prinzregenten anzufertigen.9 Als vorrangiges Thema hatte der Kongreß über die Notwendigkeit zu befinden, alliierte Truppen in Frankreich zu behalten, aber da das schon zuvor diskutiert und gelöst worden war, wurde es rasch erledigt. Die Alliierten hatten bereits im Vorjahr 30 000 Soldaten der Besatzungskräfte abgezogen und kamen nun überein, dies auch mit dem Rest zu tun. Die alliierten Truppen verließen am 30. November 1818 französischen Boden. Desgleichen wurden die unbezahlten Entschädigungsforderungen an Frankreich abgeschrieben. Aber Richelieus Ersuchen, Frankreich zur Allianz zuzulassen, traf zunächst auf erbitterten Widerspruch. Nach einigen Wortwechseln äußerte jedoch Castlereagh und dann auch Metternich die Ansicht, daß es sicherer wäre, Frankreich aufzunehmen, als es auszuschließen; es wurde aufgenommen. Damit aber stellten sich Fragen zum Zweck der Allianz, die sich ursprünglich ja vor allem gegen Frankreich und die napoleonische Gefahr gebildet hatte. Seit einiger Zeit hatte aber Alexander angeregt, die Allianz solle zur Grundlage eines umfassenden «Systems» werden, und in einem Memorandum vom 8. November schlug er vor, daß sich die Alliierten zu einer engeren Union zusammenschließen und verpflichten sollten, das von ihnen ins Leben gerufene System zu verteidigen. Er setzte sich für die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Streitmacht ein und bot die Dienste der russischen Armee an. Während Metternich und Friedrich Wilhelm einer solchen Verstärkung des Status quo nicht abgeneigt waren und in ihr nicht nur eine Garantie ihres eigenen Besitzstandes, sondern auch einen Schutz vor weiterer russischer Expansion sahen, lehnte Castlereagh die Idee ab. Ihm mißfiel es, wie der Zar hehre Prinzipien beschwor, und er mißtraute den Absichten, die sich dahinter verbargen. Alexanders offenkundiges Interesse an einer Südexpansion auf den Balkan und in die Türkei, seine diplomatischen Machenschaften in Spanien und seine geheimen Verstrickungen auf den Ionischen Inseln beunruhigten Castlereagh; Alexanders wiederholte Vorschläge, die Alliierten sollten einen großen Kriegszug gegen die Piraten der nordafrikanischen Küste unternehmen, deuteten auf einen neuerlichen Versuch hin, Rußland mit List eine Marinebasis im westlichen Mittelmeer zu verschaffen.
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Am 15. November unterzeichneten die in Aachen versammelten Bevollmächtigten eine Deklaration, die aufzählte, was sie während des Kongresses entschieden hatten, und ihrer Befriedigung Ausdruck verlieh, daß in Europa wieder Ruhe eingekehrt sei. Sie betonten abermals die Notwendigkeit, die Allianz weiterzuführen, aber schlossen aus, sie grundlegend zu verändern. «Das Ziel dieser Union ist so einfach, wie es groß und heilsam ist», betonte die Deklaration. «Sie strebt keine politische Neustrukturierung an, keine Veränderung der Beziehungen, die durch bestehende Verträge festgelegt sind. In ihrem Wirken bleibt sie ruhig und unbeirrt und hat kein anderes Ziel als die Bewahrung des Friedens und die Garantie jener politischen Transaktionen, durch die sie geschaffen und konsolidiert wurde.»10 Gleichwohl hatte sich zwischen den Alliierten ein tiefer Graben aufgetan, was den wirklichen Zweck ihrer Allianz betraf. Während Castlereagh an seiner Auffassung festhielt, daß sie zwischen den Mächten stabile Beziehungen garantieren und dadurch Frieden nach Europa bringen solle, sah Alexander in ihr zunehmend ein Mittel, ein neues Zeitalter einzuleiten, eines, das es Rußland zufällig auch gestatten würde, weit jenseits seiner Grenzen eine bedeutende Rolle zu spielen. Metternich wiederum sah in der Allianz ein Mittel, die großen Mächte in einer Art Gegenreformation gegen die liberalen Ideen zu vereinen, die im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert Europa überschwemmt hatten – und natürlich auch gegen alles andere, was ihm mißbehagte. Obwohl das oft unberechenbare Verhalten des Zaren ihn für Österreich zu einem unzuverlässigen Verbündeten machte, stimmten Alexander und Metternich daher in ihren Zielen im wesentlichen überein. Ihre beginnende entente wurde durch die Gegensätze verstärkt, die zwischen ihnen auf der einen und Castlereagh auf der anderen Seite bestanden. Das wurde offensichtlich, als Metternich und Alexander auf die Nachricht hin, daß die französischen Liberalen bei den Wahlen von 1819 erhebliche Stimmengewinne errungen hatten, vorschlugen, die Alliierten sollten militärisch eingreifen. Castlereagh protestierte heftig und stellte nachdrücklich fest, daß die Korrektur irgendwelcher «interner Verschrobenheiten» in Frankreich nicht in den Kompetenzbereich der Allianz falle.11 Alexander und Metternich zurückzuhalten sollte sich im folgenden – sehr ereignisreichen – Jahr als wesentlich schwieriger heraus-
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stellen. Im Januar 1820 zwang in Spanien ein pronunciamiento, eine Meuterei des Militärs, König Ferdinand, der Verfassung von 1812 zuzustimmen, die er selbst abgeschafft hatte. Die Nachricht wirkte auf Alexander wie ein böses Omen, denn mehr als ein Zar war durch Meutereien der Armee gestürzt und / oder ermordet worden. Die Meldung, die einige Wochen später eintraf, daß am 13. Februar der französische Thronfolger, der Herzog von Berry, einem Attentat zum Opfer gefallen war, verstärkte sein Entsetzen noch. Alexander rief die Alliierten auf, gemeinsam zu protestieren und mit einer militärischen Intervention zu drohen, sollte die spanische Verfassung nicht wieder aufgehoben werden. Österreich, Frankreich und Großbritannien verwarfen dies, die ersten beiden hauptsächlich deshalb, weil sie einen Durchmarsch russischer Truppen durch ihr Territorium befürchteten. Im Juli wurde das Königreich Neapel durch eine Revolution erschüttert und der König gezwungen, die spanische Verfassung von 1812 für sein Land zu übernehmen. Er tat es und verletzte damit den Geheimvertrag zwischen Österreich und Neapel vom 12. Juni 1815, der Ferdinand verpflichtete, in seinem Reich keinerlei Veränderungen ohne österreichische Zustimmung vorzunehmen. Metternich hatte damit den perfekten Vorwand für eine Intervention, dem nicht einmal Castlereagh widersprechen konnte. Aber er war sich erstens nicht ganz sicher, ob die Revolte in Neapel nicht von Alexander angezettelt worden war, und zweitens scheute er davor zurück, seine Armeen bis hinab nach Neapel marschieren zu lassen und sein Land dadurch im Osten von Truppen zu entblößen, was es einem möglichen russischen Angriff ungeschützt aussetzte. Er versuchte daher, Rußland an der Niederschlagung der Revolte zu beteiligen. Alexander sah damit die Gelegenheit gekommen, sein Projekt eines «allgemeinen Systems» durchzusetzen, und forderte die Einberufung eines neuen Kongresses, der die spanische und die neapolitanische Frage behandeln sollte. Metternich schlug vor, die Angelegenheit einer Ministerkonferenz in Wien zu überlassen, aber Alexander bestand auf einem erweiterten Kongreß der Monarchien, dem Metternich zustimmen mußte. Als Tagungsort schlug er Troppau in Böhmen vor; dort sollten sie am 20. Oktober ein Regelwerk ausarbeiten, in dem festgelegt würde, wann die Alliierten in die Angelegenheiten anderer Länder eingreifen sollten und wann nicht. Für Castlereagh war auch diese Idee inakzep-
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tabel, und er beschloß, den Kongreß zu boykottieren; er entsandte Stewart als Beobachter. Castlereaghs Ablehnung beruhte nicht auf irgendwelchen liberalen Prinzipien, und die Regierung, deren Mitglied er war, repräsentierte ja selbst ein zunehmend reaktionäres Regime. Mit dem Ende der napoleonischen Kriege war es zu einem Preisverfall in der Landwirtschaft und der Industrie gekommen, die ihrerseits zu hoher Arbeitslosigkeit und schrecklicher Armut führten. Mehr als einmal schlugen Streiks und Demonstrationen in Aufruhr um, es wurden Truppen eingesetzt. 1817 wurden die Habeas-Corpus-Bestimmungen suspendiert. Im August 1819 wurde eine politische Versammlung auf den St. Peter’s Fields bei Manchester mit übermäßiger Brutalität aufgelöst. Dieses «Peterloo-Massaker» begründete die «Knebelgesetze» («Six Acts»), ein Gesetzeswerk, das ebenso repressiv war wie vieles, das auf dem Kontinent verabschiedet wurde; nicht weniger revolutionär waren die Reaktionen darauf. Im Februar deckte die Polizei die Cato-Street-Verschwörung auf, die das gesamte Kabinett in die Luft hatte sprengen wollen. In Troppau fertigten Alexander, Friedrich Wilhelm und Franz ein Protokoll an, das die rechtlichen Grundlagen fi xierte, nach denen ihrer Auffassung nach eine militärische Intervention in die Angelegenheiten anderer Länder gerechtfertigt war: wenn der Wandel von unten her durchgesetzt werden sollte. Der Zar fühlte sich in seiner zielstrebigen Entschlossenheit weiter bestärkt, als er von einer geringfügigen Insubordination von Soldaten seines Leibregiments Semjonowskij in Sankt Petersburg erfuhr; er interpretierte sie als große Meuterei und befahl, sie mit äußerster Strenge niederzuschlagen. Die Monarchen forderten Ferdinand von Neapel auf, ihnen im Januar 1821 auf einem Kongreß in Laibach Rede und Antwort zu stehen, warum er sich nicht an seine Vertragsverpflichtungen gegenüber Österreich gehalten habe. Auch an diesem Kongreß teilzunehmen weigerte sich Castlereagh. Wieder entsandte er Stewart, der eine britische Erklärung verlesen mußte, in der die alliierten Argumente für eine Intervention zurückgewiesen und derartige Aktionen generell abgelehnt wurden, da sie den Prinzipien widersprachen, die sie 1815 gemeinsam angenommenen hatten. König Ferdinand, der wie geheißen nach Laibach gekommen war, wurde von Metternich angewiesen, die Alliierten zu Hilfe zu rufen, und folgerichtig marschierten österreichische Trup-
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pen in Neapel ein. Als noch im selben Jahr das Militär in Piemont einen ähnlichen Aufstand unternahm, intervenierte Österreich wieder, diesmal mit russischer Unterstützung. Die drei autokratischen Mächte handelten gegen den ausdrücklichen Willen Großbritanniens und Frankreichs und rechtfertigten ihr Handeln mit Schutzbehauptungen, die ihr Eigeninteresse nicht verdecken konnten. Aber just als der Abgrund zwischen den beiden Lagern unüberbrückbar zu werden schien, veränderten zwei Ereignisse die Lage vollkommen. Das eine war im Frühjahr 1821 der Ausbruch eines griechischen Aufstandes gegen die türkische Herrschaft; das andere im Dezember desselben Jahres der Sturz der Regierung Richelieu, an deren Stelle ein ultraroyalistisches Kabinett trat. Alexander lag die griechische Unabhängigkeit am Herzen, und sie war in seinem Land auch sehr populär. Sie sprach dort das verbreitete Schicksalsempfinden an und paßte in idealer Weise zu den langfristigen Plänen, den russischen Einfluß über den Balkan hin auszudehnen und Konstantinopel zu erobern. Graf Alexandros Ypsilantis, der den Aufstand herbeigeführt hatte, war Adjutant des Zaren gewesen, und es gab viele andere in Rußland, die darauf warteten, es ihm gleichzutun. Angesichts dieser Verwicklungen fanden Castlereagh und Metternich in ihrem Verdacht gegen Rußland und in ihrem Wunsch, das Osmanische Reich vor russischer Expansion zu bewahren, wieder zusammen. Zur gleichen Zeit erklärte die neue Regierung in Frankreich, daß sie militärisch in Spanien intervenieren wolle, wodurch sich das Land wieder der russischen Position annäherte. Alexander selbst war nun zwischen seinem reaktionären Drang, jedes Anzeichen von Liberalismus in Europa auszumerzen, und seinem Wunsch, einen Volksaufstand in Griechenland zu unterstützen, hin- und hergerissen. Angesichts dieser Auflösungserscheinungen in der Allianz vereinbarte man, einen weiteren Kongreß in Wien abzuhalten, um sich über das Vorgehen bezüglich Griechenlands zu einigen. Ihm sollte ein weiterer Kongreß im September 1822 in Verona folgen, auf dem man alle großen Tagesfragen erörtern und eine gemeinsame Handlungsstrategie vereinbaren wollte. Zu besprechen waren nicht nur Spanien und Italien, sondern auch die Lage der Türkei, die Unabhängigkeit der spanischen Kolonien in Südamerika und der Sklavenhandel. Diesmal beabsichtigte Castlereagh, der inzwischen Marquess of Londonderry
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geworden war, teilzunehmen. Aber im Laufe des Sommers erkrankte er an der großen Anspannung, seine Politik im Parlament verteidigen zu müssen. Er suchte sein Landhaus in Cray in der Grafschaft Kent auf, um sich zu erholen, aber sein Zustand verschlimmerte sich rasch, und er zeigte erste Anzeichen geistiger Verwirrung. Sein Arzt war so umsichtig, seine Rasiermesser zu entfernen, aber am 12. August fand Castlereagh ein Federmesser, schnitt sich den Hals auf und verblutete. Castlereagh hatte schon detaillierte Anweisungen zu der Verhandlungslinie ausgearbeitet, der Großbritannien auf dem bevorstehenden Kongreß in Wien folgen sollte, die man nun Wellington übergab, der sein Land dort vertreten würde. Allerdings interessierte sich Castlereaghs Nachfolger als Außenminister, sein alter Rivale George Canning, nicht sonderlich für Europa, teilte nicht die panische Angst vor Revolutionen seiner europäischen Kollegen und mochte auch die Idee einer gemeinsamen Hegemonie der Großmächte nicht, die er als «das europäische Polizeisystem» bezeichnete. In Verona, wohin der Kongreß verlegt worden war, befand sich Wellington daher auch nicht in einer starken Position.12 Dieser Kongreß zog nicht mehr sehr viele Menschen an, mit der bemerkenswerten Ausnahme der Gräfin Lieven, die die einzige andere weibliche Berühmtheit in Verona, Madame Récamier, als «Niemand» abtat und bald die Hauptrolle übernahm. «Jeden Abend versammelt sich der Kongreß chez moi», schrieb sie ihrem Bruder in Sankt Petersburg. «Sowohl Graf Nesselrode wie Fürst Metternich baten mich dringend, ihnen dies als Zuflucht zu gewähren, und ich halte ein solches Arrangement für sehr vorteilhaft.»13 Wenn die internationalen Angelegenheiten von einer Handvoll Männer im Salon der aufdringlichen Geliebten eines von ihnen besprochen und entschieden wurden, die sich aus Eigeninteresse in alles einmischte, dann paßt das bestens ins Bild – das «Kongreßsystem» hatte keinerlei erkennbare Form besessen, und auch das «europäische Konzert» bestand lediglich in einer Reihe von Auseinandersetzungen zwischen Einzelpersonen, deren Überzeugungen ganz und gar persönlich waren. Um Wellington zu einem Sinneswandel zu bewegen und ihn für die Denkweise ihres kaiserlichen Herrn zu gewinnen, setzte die Gräfin Lieven all ihre weiblichen Reize ein. Von seiner Fähigkeit, ihnen zu
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widerstehen, hing ab, ob sich Großbritannien am Kreuzzug gegen die spanischen Verfassungsfreunde beteiligen würde oder nicht. Alexander war nur bereit, sich mit seinem Wunsch, im griechischen Aufstand einzugreifen, zurückzuhalten, wenn die Allianz in Spanien einschreiten würde. Weder Frankreich noch Österreich wollten jedoch russische Truppen durch Europa marschieren sehen, während Großbritannien die Rückwirkungen fürchtete, die eine alliierte Invasion in Spanien auf die spanischen Kolonien und damit auf den Handel haben könnte. Alle drei boten ihm daher die Stirn, so daß er gezwungen war, sich der öffentlichen Verurteilung des griechischen Aufstandes anzuschließen, ohne sich hinsichtlich Spaniens durchsetzen zu können. Frankreich wurde nicht daran gehindert, auf eigene Initiative in Spanien zu intervenieren, während sich Großbritannien mit wohlklingenden Protesten aus der Affäre zog. Es bedeutete nichts Geringeres als das Ende des Experiments eines «Kongreßsystems» – wie auch für die nächsten Jahrzehnte das Ende der britischen Beteiligung an den europäischen Angelegenheiten.
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Als sich im Sommer 1815 Gentz nach Unterzeichnung der Schlußakte eine Zeitlang in seiner Villa außerhalb Wiens erholte, hatte er einige Überlegungen zu den Ereignissen der vergangenen neun Monate niedergeschrieben. «Niemals waren die Erwartungen der Öffentlichkeit so hochgesteckt wie vor der Eröffnung dieser feierlichen Zusammenkunft», schrieb er. «Von ihr versprach man sich eine allgemeine Reform des politischen Systems Europas, Garantien für einen ewigen Frieden, ja sogar die Rückkehr des Goldenen Zeitalters. Erreicht hat sie nur Restitutionen, die vorab mit Waffengewalt entschieden worden waren, Vereinbarungen zwischen den Großmächten, die einem künftigen Gleichgewicht und der Erhaltung des Friedens in Europa kaum dienlich waren, und einige recht willkürliche Veränderungen im jeweiligen Besitzstand der kleineren Mächte, nicht aber eine einzige etwas erhabenere Tat, nicht eine einzige große Maßnahme zur Beförderung des öffentlichen Wohls, die die Menschheit für einen Teil ihrer langanhaltenden Leiden hätte entschädigen oder ihre Zukunftssorgen hätte mindern können.» Über die Gründe dieses Mißerfolgs hegte er keinen Zweifel. Zu allererst beklagte er das Versäumnis, angemessene Regeln zu vereinbaren. «Da nie genau bestimmt worden war, was der Kongreß als solcher sein sollte, und die Befugnisse seiner Teilnehmer niemals nach einem festen und anerkannten Prinzip festgelegt wurden, trieb man bis zuletzt auf einer Woge von Unsicherheiten und Widersprüchen», erklärte er. Das kam den Großmächten zugute. «Unter derartigen Umständen ist klar, daß allein die Gewalt bestimmte, was rechtmäßig war, und daß die Schwachen auf keine anderen Mittel zurückgreifen konnten als die der Protektion und Intrige.» Jedoch ließ die hieraus genährte Überzeugung der Großmächte, sie könnten tun, wie es ihnen beliebte, nur die Gegensätze zwischen ihnen aufbrechen, und sie schwächte ihre Fähigkeit,
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sich in irgendeiner wichtigen Frage zu einigen. «Im Grunde waren sie sich nur einig, wenn es darum ging, anderen das Recht vorzuschreiben.»1 Das Urteil des Freiherrn vom Stein fiel nicht gnädiger aus: Der Kongreß sei nicht nur eine verpaßte Gelegenheit gewesen, er habe als «Farce» geendet. Für das Scheitern, irgend etwas für Deutschland zu erreichen, machte Stein Alexanders «Zerstreuung, Mangel von Tiefe», verantwortlich, sowie Hardenbergs «Stumpfheit und Kälte des Alters», Nesselrodes «Schwachsinn, Gemeinheit, Abhängigkeit von Metternich» und nicht zuletzt die «Frivolität aller».2 Ihre Kritik mag harsch klingen, aber sie wurde von vielen geteilt. «Unter all den Bevollmächtigten, die zu diesem Kongreß berufen worden sind, haben nur ganz wenige ihn zufrieden verlassen», berichtete der sächsische Diplomat Georg August von Griesinger seinem Monarchen. Unter den Enttäuschten befanden sich vor allem jene, die nicht zu ihrem Recht gekommen waren – die Vertreter Genuas, des Malteserordens, der Republik Lucca und verschiedener Fürstentümer und Klöster. Viele von ihnen veröffentlichten noch in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts Pamphlete, in denen sie ihrem Zorn über die Ungerechtigkeit des Vertragsabschlusses freien Lauf ließen. Der Berner Patrizier Louis Rodolphe Müller d’Aarvangue bombardierte weiterhin Minister und Monarchen mit Protestpetitionen und -pamphleten, in denen er sich darüber beschwerte, daß «illegitime Bauern» im Großen Rat von Bern Rechte erhalten hatten, und erklärte, «die echten Schweizer empfinden an der Vermittlung durch den Wiener Kongreß ebensowenig Gefallen wie einst an der durch Bonaparte.» Er beklagte, daß Bern die Waadt und den Aargau verloren hatte, und behauptete, das alte Bistum Basel, das die Stadt als Entschädigung bekommen hatte, sei wertlos, da es ganz fremden Geistes sei.3 Zumindest damit hatte er recht. Die ehemaligen Untertanen des Bischofs von Basel akzeptierten ihre neue Zuordnung nie. Am 20. Mai 1965 kam es dort anläßlich des 150. Jahrestages der 1815 auf dem Wiener Kongreß beschlossenen Regelungen für die Schweiz zu riesigen Demonstrationen, bei denen überall Flaggen auf Halbmast gehängt wurden. An derartigem örtlichen Unwillen bestand kein Mangel. Hinzu kamen enttäuschte Einzelpersonen, deren Anliegen von den lautstark vertretenen Interessen schwergewichtigerer Mitbewerber aufgerieben wurden.4
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Nachdem man ihm das Blaue vom Himmel versprochen hatte, bot man Eugène de Beauharnais auf Alexanders ausdrücklichen Wunsch Bernadottes alte Apanage, das Herzogtum Pontecorvo, an, aber ohne die finanziellen Mittel, es auch in Besitz nehmen zu können. Immerhin gelang es ihm, für den Verzicht auf diesen territorialen Anspruch beim König von Neapel fünf Millionen Francs Entschädigung herauszuverhandeln. Sein ganzes Eigentum in den Legationen und den Marken wurde vom Papst konfisziert; schließlich jedoch gab sein Schwiegervater, König Maximilian von Bayern, nach und übertrug ihm ein Gebiet und den Titel eines Herzogs von Leuchtenburg. Seinem Onkel Jérôme erging es schlechter. Zu Beginn der Hundert Tage war er mit einem Boot aus Triest entkommen, hatte sich seinem Bruder in Paris angeschlossen und dann bei Waterloo eine Division kommandiert. Sein erster Gedanke nach der Niederlage war es, nach Amerika zu gehen, aber er fürchtete, in diesem Falle seine Frau nie wiederzusehen; ihr Vater, der König von Württemberg, drängte sie, ihn zu verstoßen. Jérôme ging daher nach Württemberg und wurde sofort von seinem Schwiegervater eingesperrt und massiv unter Druck gesetzt, ihm sein gesamtes Eigentum zu überschreiben, wobei er drohte, ihn bis dahin im Kerker festzuhalten. Nach einiger Zeit wurde er wieder mit Frau und Kind vereint, allerdings unter ständiger Bewachung im Schloß Ellwangen. Sie kamen erst frei, nachdem man ihnen alles genommen hatte, was sie besaßen, und gingen nach Österreich, wo Kaiser Franz ihnen gestattete, unter dem Namen eines Fürsten und einer Fürstin von Montfort zu leben. Auf mehrere Appelle an Alexander hin erhielten sie schließlich die Erlaubnis, sich in Rom niederzulassen, was sie 1823 auch taten. Nicht allein die Angehörigen und Gefolgsleute von Napoleon wurden bestraft. Überall in den Gebieten des einstigen Heiligen Römischen Reiches hatte der Kongreß die Ansprüche Hunderter Fürsten und kleiner Adliger, die von Napoleon ihrer Territorien und Rechte beraubt worden waren, unberücksichtigt gelassen; sie waren nun mehr oder weniger verarmt. Darüber hinaus hatten Tausende, bedeutende Persönlichkeiten wie einfache Menschen, in den politischen Umbrüchen ihr Vermögen und ihre gesellschaftliche Position eingebüßt. Der unglückliche Camillo Borghese war von Napoleon genötigt worden, Kunstwerke der Villa Borghese in Rom an die französische Regierung zu übergeben, wofür er etwas Land in der Poebene und einen
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Anteil an den Salzminen in Kreuznach bekam. 1814 hatte der zurückkehrende König von Sardinien seine Territorien in Besitz genommen und sie erst 1816, nachdem die Minister der Großmächte Druck auf ihn ausgeübt hatten, zurückgegeben. Aber die Salzminen lagen in einem Gebiet, das erst an Preußen und dann an Bayern gegeben wurde, und beide weigerten sich, seinen Eigentumsanspruch anzuerkennen. Die Angelegenheit wurde in Wien von seinem Sohn angesprochen, dann in Aachen 1818, in Troppau, in Laibach und in Verona, wo er einer ihm gerechten Lösung nicht näherkam als 1814. Es gab Hunderte derartiger Fälle, manche betrafen Vertreter des Hochadels, manche solche des niederen Adels, zuweilen aber auch einfache Kleineigentümer.5 Es gehört zum Lauf der Welt, daß große Ereignisse Menschen zu Opfern machen; dennoch sollte man über deren Wehklagen nicht die Vorzüge der Neuordnung als Ganzes vergessen. Aber selbst unter zeitgenössischen Historikern und Kommentatoren gab es bislang wenige, die den Kongreß verteidigten, und viele, die ihn unumwunden verurteilten, ja ihn mit Ungerechtigkeit, Inkompetenz und vor allem mit unrühmlichen Praktiken und Intrigen gleichsetzten. Lord Byrons Don Juan enthält eine Schmähung Castlereaghs, in dem der Dichter Wörter wie «pfuschen» (botching), «zusammenflicken» (patching) und zusammenstoppeln (cobbling) verwendet, um die Arbeit des Diplomaten in Wien zu beschreiben.6 Als der amerikanische Präsident Woodrow Wilson ein Jahrhundert später, am 28. Januar 1919, seine Verhandlungsgruppe auf die Pariser Friedenskonferenz vorbereitete, die nach dem Ersten Weltkrieg eine Neuordnung schmieden sollte, äußerte er die Hoffnung, daß die Verhandlungen frei von dem «Odium Wiens» bleiben sollten.7 Es verging noch einige Zeit, bis man, um die Mitte des 20. Jahrhunderts, das in Wien erreichte Abkommen in günstigerem Licht zu sehen begann. Henry Kissinger hatte 1957, einige Jahre, bevor er unter Präsident Richard Nixon amerikanischer Außenminister wurde, seine Doktorarbeit veröffentlicht, in der er den Wiener Kongreß besonders energisch und enthusiastisch verteidigte. Er betonte, in der internationalen Politik sei es unausweichlich, daß Ordnung und Stabilität die Priorität vor Gerechtigkeit oder irgendwelchen anderen Zielsetzungen zu haben hätten. Die Diplomatie bedürfe eines Systems von Bezugspunkten, das alle Seiten akzeptieren und damit als legitim ansehen, denn nur ein
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allgemein anerkannter Rahmen könne einer Verhandlung Kriterien und eine gewisse Verläßlichkeit vermitteln, die ihr auch Glaubwürdigkeit verleihen. Ein solches System bezeichnet er als «Legitimität». Im Verlauf seiner Argumentation stellt er fest, daß die Französische Revolution und die Napoleonischen Kriege die alte Legitimität zerstört hatten und keine neue schaffen konnten, mit der Folge, daß sich alle Parteien, einschließlich Napoleons, ständig bedroht und unsicher fühlten. Seiner Auffassung nach sei es dem Wiener Kongreß gelungen, eine neue «Legitimität» zu schaffen, die hundert Jahre in Kraft und daher für die Menschheit segensreich war. «Ein ganzes Jahrhundert sollte Europa keinen größeren Krieg mehr erfahren», schrieb er, womit er eine damals bereits allgemein gewordene Überzeugung wiedergab, nach der der Kongreß hundert Jahre Frieden garantiert hatte.8 In neuerer Zeit hat Paul W. Schroeder in seinem meisterhaften Werk The Transformation of European Politics, 1783–1884 (1994) die Theorie entwickelt, daß sich mit dem Kongreß der Übergang von einem älteren System des Konflikts zu einem des Zusammenspiels und des politischen Gleichgewichts vollzog, vom Ertasten eines nebulösen Machtgleichgewichts zu einem Verhandlungssystem, das auf der wechselseitigen Akzeptanz der elementaren Interessen des jeweils anderen beruht. «Letztlich führte es dazu, daß die Staaten Europas generell anerkannten, daß sie ihre alten politischen Strategien nicht fortsetzen konnten und etwas Neues und anderes ausprobieren mußten», schreibt er. Er übernimmt die Sicht von einem «Friedensjahrhundert», indem er schätzt, daß das Verhältnis von auf dem Schlachtfeld Gefallenen zur Bevölkerung Europas im 18. Jahrhundert siebenmal größer war als im 19., obwohl er unerwähnt läßt, ob er dabei die bessere medizinische Betreuung, die Kolonialkriege nicht nur des 18., sondern auch des 19. Jahrhunderts oder auch das Sterben auf den Barrikaden, in Straßenkämpfen, die nationalen Aufstände oder die Kolonnen sibirischer Kettensträflinge in seinen «Schlachtfeld»-Zahlen berücksichtigt. Wie auch immer, es ist kein besonders aufschlußreicher Indikator.9 In Wirklichkeit hat es einen «hundertjährigen Frieden» nicht gegeben. Sicherlich brach vier Jahrzehnte lang kein allgemeiner europäischer Krieg aus – aber auch nicht in den drei Jahrzehnten vor 1793. Und selbst ohne allgemeinen Krieg wurde viel gekämpft. In dem Jahrzehnt, das den Unterschriften der Schlußakte folgte, gab es Kriege in
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1815 SCHWEDEN
Europa 1815
RUSSLAND
Ostsee
Nordsee
Kopenhagen
DÄNEMARK
London
Königsberg
PREUSSEN
KGR. DER NIEDERLANDE
HANNOVER
Berlin
Warschau Kgr. Polen (Kongreß-Polen)
SACHSEN
Krakau
Kgr. Böhmen BAYERN
Paris
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I
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FRANKREICH
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OSMANISCHES REICH
STAAT
Adria Korsika
S PA N I E N
Rom
MONTENEGRO
Neapel Sardinien Balearen
KGR. BEIDER SIZILIEN
Mittelmeer Sizilien
Spanien, Italien und Griechenland, die die Intervention Frankreichs, Österreichs und Rußlands, schließlich sogar Großbritanniens und der Türkei nach sich zogen. Zu zwei größeren Kriegen kam es 1830, der eine in Belgien zwischen Frankreich und Holland, der andere zwischen Polen und Rußland. In den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts gab es zwei langwierige und grausame Bürgerkriege in Spanien und Portugal, aber auch eine Welle von Volksaufständen in der Schweiz, die sich 1847 beinahe zu einem Bürgerkrieg ausweiteten. Zwischen 1846 und 1848 brachen ausgewachsene Kriege aus, an denen sich Rußland, Preußen, Sardinien und Österreich beteiligten und die in Polen, Ungarn, in Teilen
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der stillstand europas SCHWEDEN
Europa 1871
DÄNEMARK
Ostsee Kopenhagen
Nordsee
Königsberg Hamburg
NIEDERLANDE
London
Warschau Berlin
RUSSLAND
DEUTSCHES REICH BELGIEN
Krakau
Prag
Frankfurt
Paris Wien
München
FRANKREICH
Budapest
ÖSTERREICH
SCHWEIZ
Florenz MONACO ANDORRA
S PA N I E N
SAN MARINO
K G R . I TA L I E N
Korsika
OSMANISCHES REICH Adria
MONTENEGRO
Rom Neapel
Sardinien Balearen
Mittelmeer Sizilien
Deutschlands und Italien ausgefochten wurden. 1854 führten Großbritannien, Frankreich und Sardinien auf der Krim Krieg gegen Rußland. 1859 / 1860 gab es einen so blutigen Krieg zwischen Frankreich, Sardinien und Österreich, daß er zur Gründung des Roten Kreuzes anregte, und 1866 einen zwischen Preußen, Österreich und Dänemark. Man sollte auch nicht die Kriege übersehen, die Großbritannien und Rußland um Mittelasien führten, in Afghanistan, Georgien, Tschetschenien und anderswo, und deren Gesamtzahl ihrerseits nur ein Bruchteil der 72 verschiedenen britischen Feldzüge während der Regierungszeit Königin Victorias sind. Nicht vergessen sollte man auch die bitteren Ausein-
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andersetzungen in den ehemaligen amerikanischen Kolonien Spaniens, auch nicht Dutzende Revolten und Aufstände, die zwischen 1820 und dem polnischen Aufstand von 1863 / 64 überall in Europa aufflammten. Sie alle wurden mit Militärgewalt niedergeschlagen, sie alle forderten Opfer. Der französisch-preußische Krieg von 1870 brachte Gemetzel in einem bislang unbekannten Ausmaß mit sich und führte zum innerfranzösischen Blutbad der Pariser Commune. Und all das umfaßt gerade einmal die erste Hälfte des «Friedensjahrhunderts». Zweitens ist an Kissingers Sichtweise problematisch, daß die Wiener Friedensordnung selbst nie vollständig verwirklicht wurde und sehr bald in sich zusammenbrach. Das wenige, was es bei den Großmächten an Eintracht gegeben hatte, überlebte den Kongreß von Verona 1822 nicht. Und der neue Zustand wurde 1830, kaum fünfzehn Jahre nach Unterzeichnung der Schlußakte, wieder gekippt. Im Juli dieses Jahres brach eine Revolution in Paris aus. Nach dreitägigen Straßenkämpfen wurde den Bourbonen der Garaus gemacht; man ersetzte sie durch den Herzog von Orléans, der sich nun Louis Philippe, König der Franzosen, nennen durfte. Im Monat darauf folgte eine Revolution in Brüssel gegen die niederländische Herrschaft. Zar Nikolaus I. mobilisierte seine Armee, um einzuschreiten, aber im November brach eine Revolution in Warschau aus; Alexanders gehätscheltes Königreich Polen erklärte seinen Abfall von Rußland und setzte unter Czartoryski eine neue Regierung ein. Dies bewahrte die belgischen Aufständischen vor einer russischen Intervention und führte zur Anerkennung eines neuen Königreichs Belgien, in dem ein über zähliger deutscher Prinz als König regierte. Ihre polnischen Brüder hingegen hatten weniger Glück. Nach einem Feldzug von zehn Monaten wurden sie von den russischen Armeen überwältigt, das Königreich Polen wurde aufgelöst und sein Territorium ins Russische Reich integriert. Eine Nachbildung Czartoryskis, der nach Paris entkommen war, wurde von den Russen symbolisch gehängt. Innerhalb weniger Monate waren zwei der auf dem Kongreß besonders hart umkämpfte Anliegen – Großbritanniens heißbegehrte «Barriere» gegen Frankreich und Alexanders autonomes Königreich Polen – gegenstandslos geworden. Weitere Stützpfeiler des Wiener Abkommens kamen abhanden, als Österreich 1846 die Freie Stadt Krakau annektierte und 1848 ein natio-
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naler Aufstand im Großherzogtum Posen den seit 1840 regierenden Nachfolger Friedrich Wilhelms, Friedrich Wilhelm IV., schließlich veranlaßte, dessen Autonomie zu beseitigen, und als andere Erhebungen in ganz Deutschland den Bundestag aus seinem Dornröschenschlaf weckten und nahezu jenen vereinigten deutschen Staat zustande brachten, den die Liberalen 1814 erträumt hatten. Im selben Jahr kam es zu Revolten überall in Italien und Frankreich, die weitere Bestandteile der Wiener Beschlüsse zerstörten, darunter Österreichs Hegemonie in Italien. Und schließlich wurde 1849 der Kern der Vereinbarung tödlich getroffen, als Louis Napoléon Bonaparte, der Neffe des Scheusals, zum Präsidenten Frankreichs gewählt wurde, was er damit krönte, daß er zwei Jahre später Kaiser wurde. Es war genau das eingetreten, was die Quadrupelallianz hatte verhindern sollen. Zwei Jahrzehnte später wurde Louis Napoléon von den Preußen gestürzt, und es entstand ein Deutsches Reich. Da hatte die politische Karte Europas nur noch wenig Ähnlichkeit mit jener, die erst ein halbes Jahrhundert zuvor so feierlich aus der Taufe gehoben worden war. Diese Ereignisse verweisen auf eine dritte Schwachstelle in Kissingers Argumentation. Der Wiener Kongreß schuf nämlich keineswegs eine neue «Legitimität». Zwar hatten die Bevollmächtigten der Großmächte in der Tat «etwas Neues und anderes» versucht. Aber es war nichts, was diese hehre Bezeichnung verdiente. Sie hatten schlicht beschlossen, Europa im gegenseitigen Einverständnis zu reorganisieren und zu lenken, ohne die kleineren Mächte, geschweige denn die öffentliche Meinung, zu beachten. Das wahrscheinlich bemerkenswerteste Dokument in diesem Zusammenhang ist das Troppauer Protokoll. Es setzte einen Wandel, der von unten her herbeigeführt wurde, mit einer Krankheit gleich, einer, die den Staat untergrub und ihn von den gesunden europäischen Mächten abschnitt. Deren Aufgabe war es, einzugreifen, um den befallenen Staat zu heilen, und ihn in die Gemeinschaft der anderen zurückzuführen. Indem dieses System in Wirklichkeit jede Veränderung ächtete, die aus dem Volk kam, ohne die Macht der Herrscher in irgendeiner Weise zu begrenzen, brachte es normale Entwicklungsprozesse zum Stillstand; und da die absolutistischen Herrscher kaum als Träger der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung anzusehen waren, konnte ein Wandel nur über eine gewaltsame Revolution kommen.
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«Der Frieden von 1815 wurde geschaffen ohne die geringste Bemühung, seine Dauerhaftigkeit durch etwas Stärkeres als Abmachungen und Protokolle zu sichern – etwa indem man die Menschheit durch ein Band gemeinsamer Interessen vereint», schrieb Harriet Martineau in ihrer «History of the Thirty Years’ Peace» 1846 (auch sie glaubte nicht an das «Friedensjahrhundert»). Tatsächlich hatten die Friedenschließenden in Wien versucht, eine europäische Gemeinschaft zu formen, ohne im mindesten auf die Richtung zu achten, in der sich der Kontinent bewegte. Infolgedessen schloß das neue System nicht nur jene aus, die sie als Feinde ansahen, wie Liberale und Revolutionäre: Das neue System stand dem damaligen Zeitgeist derart ablehnend gegenüber, daß es die meisten Gebildeten Europas gegen sich aufbrachte.10 Die Generation, die 1789 im Sturm auf die Bastille ein Vorzeichen besserer Zeiten gesehen hatte, mochte durch vieles, was dann folgte, enttäuscht worden sein. Aber solange sich die Entwicklung, die mit der Revolution begonnen hatte und unter Napoleon fortgeführt wurde, noch immer vollzog, hatten viele von ihnen die Hoffnung nicht aufgegeben. Aus diesem Grunde trauerte der englische Radikale William Hazlitt statt zu feiern, als er die Nachricht von Waterloo erhielt, und ertränkte seinen Kummer über das Ende aller Verheißungen in der Flasche. Selbst Konservative wie der politische Denker Joseph de Maistre oder der Dichter Novalis träumten von geistigeren Idealen und wandten sich, auf der Suche nach einer Art christlichen Einheit, die man den Kräften der Revolution entgegenstellen könnte, dem Mittelalter zu; auch sie wollten sich nicht einfach auf die Bajonette der Armee und die Spitzel der Polizei verlassen. Gerade diese Mittel aber zogen Metternich und seinesgleichen vor. Der Polizeiminister Hager war Ende 1815 erkrankt und im Juli des folgenden Jahres gestorben, die österreichische Polizeimaschinerie wucherte jedoch weiter und erstreckte ihre Tentakel über ganz Europa, wobei sie schließlich sogar in der Lage war, in der Londoner Post Briefe abzufangen und über Dampf zu öffnen. Die anderen Nationen waren kaum im Rückstand. So beklagte sich Cathcart aus Sankt Petersburg bei Castlereagh, daß «jeder Brief geöffnet und gelesen wird, wobei Unterschiede nur im Grade der Sorgfalt gemacht werden, mit der sie nach ihrer Überprüfung zur Auslieferung oder zum Weiterleiten wieder zurechtgemacht werden.» Wie es unter derartigen Umständen oft geschieht,
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wurden die Initiatoren der Überwachung Opfer ihrer eigenen Erfindung. Ein auf den 19. September 1819 datierter Brief der Gräfin Lieven an Metternich wurde ihm mit jeder denkbaren Vorsicht zugesandt: Er reiste im Diplomatengepäck für Sir Charles Stuart nach Paris, und zwar in vier Umschlägen. Der erste trug die Adresse des Sekretärs der österreichischen Botschaft in Paris, Baron Binder, der zweite die Anweisung, ihn ins Diplomatengepäck nach Wien zu legen; der dritte war an Metternichs Sekretär Floret in Wien adressiert, und der vierte trug gar keine Aufschrift, da Floret wußte, wie er mit ihm verfahren sollte. Das alles verhinderte nicht, daß eine penible Abschrift in den Polizeiarchiven von Paris landete.11 Metternichs Methoden gingen über eine Überwachung hinaus. Seine Polizisten verhafteten und verhörten junge Männer in ganz Italien und anderen Herrschaftsgebieten Österreichs, sobald sie unbotmäßige oder feindselige Meinungen witterten. Die Methoden, die sie dabei einsetzten, waren nicht sanft, und viele mußten unter deren Grausamkeit leiden. Die preußische und die russische Repressionsmaschinerie machten sich diese Methoden zu eigen. Das Staatsgefängnis und die Strafkolonien Sibiriens beschäftigten die europäischen Geister nicht weniger, als es einst dank der Schriften Voltaires und seinesgleichen die berüchtigten lettres de cachet und die Bastille getan hatten. Dieser Staatsterror blieb in Österreich bis zu dessen Niederlage 1866 ungebrochen, und in Rußland noch viele weitere Jahrzehnte, was auch neue Generationen immer wieder der neuen «Legitimität» von 1815 entfremdete. Zum System skrupelloser Repression gehörte auch, daß Metternich 1846 die Bauern Galiziens dazu aufrief, gegen ihre Grundbesitzer, die er der Vorbereitung eines nationalen Aufstands verdächtigte, zu rebellieren und sie zu massakrieren; für jeden abgelieferten Kopf versprach er eine Belohnung. Der Versuch Metternichs und seiner Kollegen, das Ancien Régime gewaltsam wieder einzuführen, war zum Scheitern verurteilt. War es im 18. Jahrhundert nur von Intellektuellen wie Voltaire und einer Handvoll radikaler libertins bekämpft worden, lehnte jetzt fast die ganze Gesellschaft seine späte Wiederauferstehung ab. Das konnten Staatsmänner nicht mehr ignorieren, denn die vergangenen 25 Jahre hatten eine neue politische Kraft geweckt und stark werden lassen – die öffentliche Meinung.
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Ein gutes Beispiel dafür ist die Stellung der Juden. Sie wurden in den zurückkehrenden Monarchien überwiegend sehr schlecht behandelt. Trotz der entschiedenen Bemühungen von Humboldt und Hardenberg war die Entscheidung über die Stellung der Juden dem Bundestag des Deutschen Bundes überlassen worden, und das gestattete es lokalen Herrschern, nach Belieben zu verfahren – was überwiegend zur Entrechtung oder gar Vertreibung der Juden führte. Während jedoch vor 1789 nur wenige vereinzelte Stimmen für deren Emanzipation eingetreten waren, hatten die Reformen Napoleons, die sie überall in Europa, wo er regierte, befreiten und ihnen in allem die gleichen Rechte zuerkannten, die Wahrnehmungen in der Bevölkerung verändert, so daß nach 1814 die Wiedereinsetzung drakonischer Einschränkungen und mittelalterlicher Ausgrenzung die gesamte fortschrittliche Welt vor den Kopf stieß. «Ein lebhafter Kampf beschäftigt Europa», schrieb der ehemalige napoleonische Diplomat, Baron Édouard Bignon 1822. «Die geistigen Kräfte der Völker sind auf Verbesserung der staatsbürgerlichen Ordnung gerichtet. In Opposition mit diesem Streben setzen die Cabinette alle ihre geistigen und materiellen Kräfte in Wirksamkeit, um die Bewegung der Völker aufzuhalten, ja um sie auf dem schon gewonnenen Wege wieder zurückzutreiben.» Diese Sicht auf eine von Polizisten gelenkte europäische Zivilisation beschränkte sich nicht auf Sympathisanten Napoleons: Gentz hatte so etwas 1815 in Paris vorhergesehen, während Harriet Martineau schrieb, Castlereagh habe «die besseren Impulse Europas» unterdrückt. Sie sah in ihm das Werkzeug, mittels dessen England die Ketten der Völker zusammengeschraubt habe. Überall auf dem Kontinent speiste und formte diese Vision die Herausbildung der romantischen Bewegung in den Künsten, und sie war dort weitaus politischer gefärbt als in Großbritannien. Sie verband sich wie von selbst mit der Sache der Revolution, der Unterdrückten und Ausgeschlossenen – selbst wenn dabei mitunter Napoleon zum Helden stilisiert wurde.12 Die Nachricht von seinem Tod am 5. Mai 1821 erreichte London am 4. Juli, aber sie wurde von dem großen Interesse der britischen Öffentlichkeit an der kommenden Krönung überschattet, denn der Prinzregent und zukünftige neue König Georg IV. hatte seine widerspenstige Königin davon ausgeschlossen. Als der Bote den Tod des gestürzten Kaisers mit
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den Worten verkündete, «Sire, ich muß Ihnen mitteilen, daß unser größter Feind tot ist», soll der neue König gesagt haben: «Nein! Mein Gott! Sie ist tot?» Aber auf dem Festland weckte die Nachricht tiefe Gefühle, von denen manche sich zu einem geradezu religiösen Kult auswuchsen, einem, in dem die Architekten des Wiener Abkommens und der Heiligen Allianz als böse Geister herumspukten.13 Etwas, das viele liberale Beobachter des Kongresses, selbst die privilegierteren unter ihnen, empört hatte, war die Art, in der man «Seelen» zählte, zu Einheiten zusammenfaßte und wie Vieh über den Verhandlungstisch hin- und hertauschte. Man sah darin vielfach eine «sonderbare Auffassung der Menschenwürde und der Interessen der Völker» schrieb 1815 Dominique de Pradt, einer der Baumeister der BourbonenRestauration, die in den Augen vieler die Arbeit des Kongresses insgesamt befleckte. Es handelte sich außerdem um einen großen politischen Fehler. Eine solche Behandlung von Untertanen durchschnitt die Bande der Loyalität, die sie die Herrschaft eines Souveräns ohne Murren hatte hinnehmen lassen. Das Hin- und Herschieben von Bevölkerungen untergrub die traditionellen Netze von Kontrolle und Disziplin. Damit wuchs nicht nur deutlich die Unzufriedenheit in den unteren Ständen der Gesellschaft, sondern auch ein neuer Geist des rebellischen Widerstands gegenüber der Autorität, der künftig jedem Staat in Europa das Regieren schwerer machen würde. «Der Wiener Kongreß hat gezeigt, daß es leichter ist, sich Seelen anzueignen als Herzen zu gewinnen» schrieb Pradt, «und dennoch sind die einen ohne die anderen wenig wert.» Der Fehler wurde noch gravierender, wo es nicht nur um gebündelte Seelen, sondern um ganze Völker ging; und das größte Versagen des Kongresses bestand in seiner Weigerung, das Problem der Nationen ohne Staat anzugehen, wie der Deutschen, der Polen und der Italiener.14 Verteidiger des Wiener Abkommens haben argumentiert, daß die Staatsmänner von 1815 nicht dafür getadelt werden können, die Wucht des Nationalismus nicht berücksichtigt zu haben, denn sie konnten noch nicht ahnen, wie mächtig er anschwellen würde. Als Menschen ihrer Zeit, heißt es, waren sie sich des Phänomens des modernen Nationalismus nicht bewußt und konnten seine potentielle Kraft nicht vorhersehen. Aber das ist absurd. In den zwei oder drei Jahrzehnten vor 1815 war
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es zu großen Verschiebungen der allgemeinen Wahrnehmung gekommen, und selbst die altmodischsten Beobachter sahen inzwischen im Staat mehr als nur das Erbe seiner Herrscher. Der Aufschrei nach den Teilungen Polens und später Sachsens, die selbst Alexander als Verbrechen ansah, kam daher, daß der Staat nunmehr als moralische Einheit mit dem Recht auf ein Eigenleben gesehen wurde. Wohl war die Zahl jener, die sich der Heilsbotschaft des Nationalismus verschrieben hatten, sehr klein. Aber ihr Einfluß war tiefgreifend, und das wußten die Staatsmänner jener Zeit. Die Sehnsucht der Deutschen nach einem eigenen deutschen Staat durchdrang seit den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts die Schriften ihrer Dichter und Intellektuellen; sie wurde nach 1806 zu einem Bestandteil des politischen Lebens; sie formte sich in Organisationen wie dem Tugendbund; sie wurde 1809 in Österreich eingesetzt, um im Volk Unterstützung für die Armee zu gewinnen; sie wurde durch Napoleon und seine Beamten anerkannt, wurde durch den Freiherrn vom Stein und das preußische Militär propagandistisch aufgegriffen und war 1813 von allen gekrönten Häuptern Deutschlands gefürchtet. Zu behaupten, Hardenberg, Alexander und Metternich könnten sich dieser Kraft aus irgendeinem Grund nicht bewußt gewesen sein, wäre lächerlich. Selbst die Briten, als sie versuchten, in Tirol einen Volksaufstand gegen Frankreichs bayerische Verbündete anzuzetteln, erkannten sie. Das gilt weitgehend auch für Italien, das viele Kongreßteilnehmer gern geeint gesehen hätten und in dem allein schon Metternich die größte Bedrohung des Habsburgerreichs sah. Und was die Polen anging, so standen sie fast sprichwörtlich für Nationalgefühl. Zwischen 1797 und 1815 konnten sowohl das revolutionäre Frankreich wie Napoleon auf das Versprechen hin, die Wiedererstehung Polens zu betreiben, auf die enthusiastische Unterstützung von mehr als 100 000 Polen rechnen. Alexander benutzte 1805 das polnische Nationalgefühl als Drohung gegen Preußen und versuchte auch 1811, es gegen Frankreich einzusetzen. Schließlich war eines der Kernprobleme der Verhandlungen in Wien die Furcht, daß ein irgendwie unabhängiges Polen für Rußland, Preußen und Österreich lebensbedrohlich sei. Selbst Castlereagh war sich der Stärke nationaler Gefühle in heimatlicheren Gefilden bewußt, hatte er sich doch zunächst von ihnen tragen lassen und sie dann in Irland gewaltsam unterdrücken wollen.15
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Oftmals wurde bezweifelt, ob diese Nationen fähig seien, einen funktionstüchtigen Staat aufzubauen – unklar bleibt allerdings, warum man die Italiener dessen für fähig hielt, sofern sie von dem nahezu schwachsinnigen Viktor Emmanuel regiert wurden und nicht, wenn man ihnen gestattete, sich selbst zu regieren. Auf jeden Fall jedoch war die Präsenz eines starken Nationalgefühls in Deutschland, Polen und Italien keineswegs unbekannt, und die Architekten des Abkommens, die es nicht berücksichtigten, vereitelten so die Verwirklichung ihrer eigenen Absichten und brachten die Saat für unermeßliche künftige Probleme aus. In rein praktischer Hinsicht bestand ein bemerkenswerter Aspekt des Wiener Kongresses in dem Ausmaß, in dem einige seiner Teilnehmer rückwärtsgewandt waren, wenn es um die Garantie einer sicheren Zukunft ging. Castlereaghs geradezu besessenes Beharren auf einer Sicherung Belgiens und der Scheldemündung, das er mit den meisten Angehörigen seines Kabinetts teilte, entsprang einer dreihundertjährigen Furcht vor einer Invasion, die inzwischen völlig unzeitgemäß war. Der Friede hätte Monate früher und zu geringeren Kosten geschlossen werden können, wenn Castlereagh bereit gewesen wäre, diese Region Frankreich zu überlassen, aber er sah in ihr vermutlich seine höchste Priorität und widmete ihr einen beträchtlichen Teil seiner Verhandlungsressourcen. Ausgerechnet seine geliebte Barriere in Belgien wurde 1830 eingerissen. Großbritannien mußte ein unabhängiges Belgien anerkennen, für dessen Souveränität es im 20. Jahrhundert in den Krieg ziehen würde; Castlereaghs Versuche, ein Bollwerk gegen eine französische Invasion zu errichten, öffneten Deutschland schließlich eine Hintertür nach Frankreich hinein, die Großbritannien 1914 und 1940, unter immensen Verlusten an Leib und Gut, wieder zu schließen versuchen mußte. Metternichs ähnlich besessener Wunsch, Italien zu beherrschen, um es nicht an Frankreich fallen zu lassen, entsprang den Kriegen zwischen dem französischen König Franz I. und dem Kaiser Karl V. im 16. Jahrhundert, und für ein halbes Jahrhundert nach dem Wiener Kongreß sollte er der Habsburger Monarchie den größten Verlust an Ressourcen eintragen. Indem er das Königreich Sardinien zur Barriere gegen einen französischen Einfluß machte, schuf er die Macht, die Österreich aus Italien vertreiben würde. Und Metternich hätte keine prophetischen
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Gaben benötigt, um dies zu sehen. 1816 veröffentlichte der Genuesische Repräsentant auf dem Kongreß, Antoine de Brignole-Sale, eine Flugschrift, in der er darauf hinwies, daß Österreich keineswegs eine Barriere gegen Frankreich errichtet, sondern das Königreich Sardinien auf einen Expansionskurs gebracht habe, auf dem es Frankreich gegen Österreich ausspielen werde. «Ermutigt durch einen so bedeutenden Zuwachs (den Erwerb Genuas) wird diese Macht eine politische Strategie des Aushandelns seiner Allianzen fortsetzen, wie sie es in der Vergangenheit immer getan hat, um schrittweise und mit der Hilfe Frankreichs ganz Italien einzunehmen», schrieb er.16 Eine vergleichbare, durch historische oder atavistische Obsessionen bedingte Kurzsichtigkeit findet sich bei den meisten Beteiligten an den Verhandlungen, und auch sie hatte ähnlich schädliche Folgen. Polen würde für Rußland zu einer schrecklichen Bürde werden und seine Stärke im ganzen nächsten Jahrhundert untergraben; das Rheinland würde Preußen zur Expansion verführen und schließlich zum Krieg mit Frankreich; Schweden würde durch Norwegen nichts gewinnen und es schließlich aufgeben müssen. Und so weiter. Die Unfähigkeit, die Dinge in einem neuen Licht zu sehen und aus Fehlern zu lernen, kennzeichnete in den Jahrzehnten nach dem Wiener Kongreß die Politik der Großmächte in vielen Bereichen. Metternich verkörperte diese Haltung exemplarisch, indem er allen Anzeichen von Gegnerschaft zu seinem System nachspürte und sie austreten wollte, bevor sie sich politisch formierten, und gerade dadurch eine ständige, wilde und sich selbst fortpflanzende Spirale der Repression in Gang setzte. Dieser Haltung entsprach vollkommen sein warnender Brief an Georg IV., nachdem er 1825 erfahren hatte, daß eine neue Universität in London gegründet werden sollte: Der britische König solle einen solchen Keim des Aufstands nicht zulassen. Er betrachtete das, was er für die Laxheit des britischen Kabinetts hielt, mit der besorgten Herablassung desjenigen, der es besser weiß, und er veränderte nicht einmal dann seine Auffassung grundlegend, als ihn 1848 die Revolution in Wien zwang, Zuflucht in London zu nehmen, der einzigen europäischen Hauptstadt, die nicht von einem politischen Umsturz erschüttert wurde. Von dort aus beobachtete er den Zusammenbruch seines Lebenswerks, ohne daß er sich einer verwandten Seele anvertrauen konnte.
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Wilhelmine war 1839 gestorben, nachdem es ihr gelungen war, die Liste ihrer Männer um einige Liebhaber und einen vierten Ehemann zu erweitern. Es hieß, sie sei an ihrem Schminktisch gestorben, als sie sich für eine Soiree zurechtmachte. Eine herzlose Seele witzelte: «Sie starb auf ihrem Posten wie ein braver Soldat auf seiner Schanze.» Metternich konnte seine alte Flamme, die Fürstin Bagration besuchen, die einen englischen General, Lord Howden, geheiratet hatte und nach London gezogen war. Er begegnete ihr zufällig in Richmond und war erstaunt, daß sie noch immer die durchsichtigen Kleider trug, die ihr vor vierzig Jahren den Spitznamen «nackter Engel» eingebracht hatten. Sie sollte bis 1857 leben, als die meisten Akteure des Kongresses längst tot waren.17 1822 verschied als erster Castlereagh. Der nächste war Hardenberg, der sich im selben Jahr während des Kongresses von Verona mit einer neuen Geliebten überanstrengte und kurz danach einer Lungenentzündung erlag. Alexanders Leben endete 1825 in Taganrog. Capodistrias, Präsident des erst wenige Jahre zuvor unabhängig gewordenen Griechenlands, wurde 1831 ermordet. Gentz starb 1832 während einer letzten Tändelei mit einer Ballerina. Kaiser Franz I. folgte ihm drei Jahre später, Friedrich Wilhelm III. 1840. Nesselrode starb 1862 und überlebte Metternich damit um drei Jahre; auch er veränderte seine Haltung eines wachsamen Polizisten nie. Der einzige unter ihnen, der sich weiterentwickelte und ein neues Leben begann, das der neuen Zeit entsprach, war Talleyrand. Seine Entlassung 1815 hatte ihn verbittert, und obwohl er vorgab, sich aus der Politik zurückzuziehen, konnte er der Versuchung nicht widerstehen, Ludwig XVIII. und seiner Regierung Schwierigkeiten zu machen. Dafür schloß er sogar opportunistische Bündnisse mit den Ultraroyalisten. Seine geistvollen Sticheleien brachten ihn bei Hof zwar in Ungnade, aber er triumphierte dennoch. Finanziell hatte ihm der Kongreß sehr gut getan, und 1817 verkaufte er einen beträchtlichen Teil des Archivs des französischen Außenministeriums, den er irgendwie hatte abzweigen können, an Metternich – für 500 000 Francs und gegen das Versprechen, daß er in Österreich Asyl erhielte, wenn es für ihn in Frankreich gefährlich werde. Dorothea war Clam-Martinitz’ überdrüssig geworden und bei Talleyrand eingezogen, jetzt als seine offi zielle Geliebte. In der Revolution von 1830 ergriff er die sich bietende Chance
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und ließ sich vom neuen König Louis-Philippe nach London entsenden, um die britische Zustimmung zur neuen Lage in Frankreich und später zur Bildung eines unabhängigen Belgiens einzuholen. Mit Dorothea an seiner Seite genoß er die letzte Zeit seines Ruhms als französischer Botschafter in London, bevor er sich auf seinen Landsitz Valençay zurückzog, wo er 1838 starb. Dorothea verschied 1862 in Sagan. Auch wenn es an der Arbeit der Friedensstifter von 1815 vieles auszusetzen gibt, muß man ihnen zugute halten, daß sie sich einer gewaltigen Aufgabe stellen mußten, einer, die sich jeder idealen Lösung entzog. Wenn es sich erwies, daß manche ihrer Arrangements böse Folgen hatten, folgt daraus keineswegs, daß eine völlig andere Strategie günstigere Ergebnisse gezeitigt hätte. Und ihr Hauptziel, Frieden zu schließen nach einem Vierteljahrhundert des Kriegs, hatten sie sehr wohl erreicht. Der Kongreß stellt zweifellos einen Wendepunkt der Weltpolitik dar, und sei es nur wegen der Dinge, die auf ihm gesagt und diskutiert wurden. Selbst wenn sich der Fortschritt nur stolpernd durchsetzte, so begründete er doch einen neuen Ansatz in den internationalen Beziehungen und löste Folgeprozesse aus, die in den festen Bestand der Weltpolitik eingehen sollten. Obwohl das Kongreßsystem nach Verona 1822 zusammenbrach, überlebten die Idee und die Praxis der Beratung und Kooperation. Von nun an wurden anläßlich jeder größeren Krise Konferenzen oder Kongresse einberufen. Zusammenkünfte von Ministern und Botschaftern hatten sich nunmehr mit besonderen Problemen zu beschäftigen, wodurch sie eine gewisse Solidarität zwischen den Staaten förderten. Aber diese Solidarität blieb brüchig. Sie wurde durch wechselseitiges Mißtrauen und Angst unterminiert, denn die Vereinbarung hatte keinerlei Machtbalance herstellen können. Großbritannien war nun weitaus stärker und nahezu unverwundbar, außer vielleicht durch russische Versuche, seine Herrschaft in Indien zu untergraben. Rußland hatte sich im Westen eine Pufferzone verschafft, die es ihm ermöglichte, Eroberungsträumen auf dem Balkan und in Asien nachzugehen. Österreich hingegen hatte den Friedensprozeß als höchst verwundbarer Staat überstanden, der gänzlich vom guten Willen seiner Nachbarn abhing. Preußen hatte zwar an Größe und Macht zugenommen, war aber nun von allen Seiten her angreifbar. Während daher Großbritannien und
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Rußland ihren Gelüsten außerhalb Europas nachgehen konnten, ohne von dort einen Angriff befürchten zu müssen, durfte Österreich nur auf eine Fortsetzung des Status quo hoffen, während Preußen auf Krieg setzen mußte, den einzigen Weg, auf dem es seine «Besitzungen da, wo sie noch lückenhaft sind, vergrößern» konnte, wie sich Humboldt ausgedrückt hatte. Der preußische Staat blieb bis 1870 ein unfertiges, im Entstehen begriffenes Projekt. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte er sich zu einer direkten Bedrohung Frankreichs und Rußlands ausgewachsen, und das provozierte neue Herausforderungen, denen nur durch Krieg zu begegnen war. Die Wiener Friedensregelung und die Quadrupelallianz brachten Frankreich in eine Position, die seine Bürger nur als demütigend empfinden konnten. Der daraus erwachsende Drang zur Beseitigung dieses Unrechts führte unaufhaltsam zum Säbelrasseln von 1840, dem Krieg von 1870, zu 1914 und darüber hinaus. Die Art, in der der Wiener Kongreß alle kleineren Staaten ausschloß und die Macht bei den Großmächten konzentrierte, führte zum Abstieg einst mächtiger Staaten wie Schweden, Dänemark, den Niederlanden und Neapel. Entsprechend verkleinerte sich die Zahl möglicher Allianzen, was die Möglichkeit eines Kräftegleichgewichts zusätzlich verringerte. Auch erzeugte es noch arrogantere Haltungen bei den Großmächten. Als der preußische Kanzler Otto von Bismarck 1863 von einem britischen Diplomaten davor gewarnt wurde, daß er sich dem Risiko einer Mißbilligung durch Europa aussetze, blaffte er zurück: «Wer ist Europa?»18 Der Wiener Kongreß war ein Wendepunkt auch darin, daß die Rechte der Menschen und der Nationen in die Beratungen der Monarchen und Minister Einzug gehalten hatten. Die Friedensstifter hatten 1814 in Paris dem Schutz der Unantastbarkeit und Wahrung der Interessen von Privatpersonen viel Aufmerksamkeit und den Rechten der Völker viel Tinte gewidmet. Noch bemerkenswerter war, daß das Schicksal der Juden es auf die Tagesordnung geschafft hatte; sie wurden bisher nicht als Mitmenschen, sondern als ein fremdartiger Bodensatz der Gesellschaft angesehen. Und noch erstaunlicher war, daß das unglückliche Los der schwarzen Sklaven Gegenstand langwieriger Diskussionen geworden war und Eingang in die Gesetzgebung gefunden hatte.
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Aber weder die Juden noch die Sklaven, und auch nicht die staatenlosen Völker erlebten eine wesentliche und sofortige Verbesserung ihrer Lage – die Juden blieben noch jahrzehntelang vielerorts Beschränkungen unterworfen, während der Sklavenhandel nur schrittweise ausgemerzt und die Institution der Sklaverei selbst erst 1838 in den britischen Kolonien, fast dreißig Jahre später in den Vereinigten Staaten und erst am Ende des Jahrhunderts in Brasilien beseitigt wurde. In mancher Hinsicht verstärkte dieses neue Bewußtsein rassischen, religiösen oder nationalen Unrechts bei den betroffenen Individuen und sozialen Gruppen ihr Gefühl von Ausgrenzung und der damit einhergehenden Entfremdung. Die Deutschen, deren Hoffnungen auf ein eigenes Vaterland enttäuscht worden waren, gaben ihr politisches Streben auf und wandten sich einer Kultur zu, mittels derer sie sich in ihrem verletzten Stolz durch die Vorstellung einer besonderen deutschen Innerlichkeit trösteten – ein gefährlicher Rückzug, der sie vom Rest der Welt abschnitt. Auch die Dänen, die durch den Verlust Norwegens und ihres früheren Ruhms traumatisiert waren, suchten Tröstung in einer neuen patriotischen Literatur. Nachdem die Franzosen den Ruhm und viele soziale Errungenschaften hatten aufgeben müssen, die die Revolution und Napoleons Herrschaft trotz allem mit sich gebracht hatten, standen sie in einem sinnlosen und oft blutigen Kreislauf von Revolution und Reaktion; fast ein ganzes Jahrhundert lang fühlte sich mal der eine, mal der andere Teil der Nation fremd im eigenen Land. 1870 erlangten nicht nur die Deutschen, sondern auch die Italiener die nationale Einheit, aber in den Jahren zuvor waren sie wie die Polen zu einer unnatürlichen, unterdrückten und heimlichen Existenz verdammt, die sie auf Subversion und letztlich auch auf Aggression einstimmte. Davon war nur ein Teil der Bevölkerung betroffen, aber es handelte sich bei ihm um die unruhigsten Elemente, und um sie würden die Legenden entstehen, die die Massen künftig in sich aufnahmen; es würde keine gesunde Kost sein. Obgleich der Wiener Kongreß mit der Absicht scheiterte, ein Jahrhundert des Friedens zu garantieren, schuf er doch ein Trugbild von Stabilität, eine Art Pax Europaea, die mit Gesetz und Ordnung, ordentlichen öffentlichen Einrichtungen, wissenschaftlichem Fortschritt, Wohlstand für eine wachsende Mittelschicht, Eisenbahnen, elektrischem Licht, Opern und vielen anderen Bestandteilen der Zivilisation gleich-
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gesetzt wurde. Aber all dies entstand unter immensen Kosten, die sowohl in Europa wie in Übersee, vor allem jedoch in Afrika zusammengerafft wurden; hier lagen auch die Keime seiner Selbstzerstörung. Die Wiener Friedensordnung setzte ein politisches Weltbild durch, das nicht nur vielen Nationen eine politische Existenz absprach; sie konservierte eine besonders groteske Form monarchischer Herrschaft; sie institutionalisierte soziale Hierarchien, die so starr waren wie alle, die es im Ancien Régime gegeben hatte; und sie bewahrte archaische soziale Verkrüppelungen – erst ein halbes Jahrhundert nach dem Kongreß wurde in Rußland die Leibeigenschaft abgeschafft. Indem dieses System ganzen Klassen und Nationen ihren Anteil am gesellschaftlichen Wohlstand vorenthielt, nährte es Neid und Ressentiments, die zu Sozialismus und aggressivem Nationalismus fortwucherten. Nachdem das «europäische Konzert» sich im Ersten Weltkrieg kämpfend vernichtet hatte und diese Kräfte schließlich von der Kette gelassen waren, brachten sie über Europa schlimmere Schrecken, als Metternich und seine Kollegen hatten befürchten können. Zu behaupten, die Vereinbarungen von 1815 seien die Ursache für die schrecklichen Verheerungen des 20. Jahrhunderts gewesen, wäre abwegig. Aber wer behaupten wollte, daß das, was in Rußland nach 1917, in Italien und Deutschland in den zwanziger, dreißiger und vierziger Jahren, oder in diesem Zeitraum anderswo in Mittel- und Südeuropa geschehen sei, keinen Bezug zum Wiener Kongreß habe, würde sich der Lächerlichkeit aussetzen.
Anhang
Anmerkungen anmerkungen
Abkürzungen AE – Ministère des Affaires Étrangères, Paris BC – Biblioteka Ksibxbt Czartoryskich, Krakau BL – British Library, London BPU – Bibliothèque Publique et Universitaire, Genf HHSA – Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien NA – National Archives, Kew ON – Österreichische Nationalbibliothek, Wien PRONI – Public Record Office of Northern Ireland, Belfast SUA – Státní Ústˇrední Archiv, Prag
1. Der aufgeschreckte Löwe 1 Caulaincourt, Unter vier Augen, S. 191 f.; Bourgoing, Itininéraire de Napoléon Ier, S. 98–101. Die verschiedenen Darstellungen über Napoleons Heimkehr gehen weit auseinander. Ich habe mich aufgrund der Tatsache, daß Caulaincourt sowohl in Anwesenheit als auch mental dem Kaiser die ganze Zeit am nächsten war, für seine Schilderung entschieden. 2 Bourgoing, Itininéraire de Napoléon Ier, S. 21, 29. 3 Kircheisen, Briefe Napoleons III, S. 166 –168; siehe auch Caulaincourt, Mémoires II, S. 339 f. 4 Napoléon, Correspondance XXXIV, S. 369. 5 Napoléon, Correspondance XXIV, S. 340. 6 Driault, Napoléon et l’Europe V, S. 59. 7 Caulaincourt, Mémoires II, S. 389 f., 393 f. 8 Caulaincourt, Unter vier Augen, S. 159. 9 Cambacérès, Mémoires II, S. 429. 10 Napoléon, Correspondance XXIV, S. 380 f. 11 Fain, Manuscript von Achtzehnhundertunddreizehn I, S. 179.
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anmerkungen zu s. 29–57
12 Fain, Manuscrit de mil huit cent treize I, S. 238–241, 296 –299, 301–303, 306 f. (Zitat auf Deutsch in: Fain, Manuscript von Achtzehnhundertunddreizehn I, S. 253); Abrantès, Mémoires XI, S. 90 f.; Castellane, Journal I, S. 222; Broglie, Souvenirs I, S. 214, 218, 220. 13 Fain, Manuscript von Achtzehnhundertunddreizehn I, S. 188. anmerkungen zu s. 29–57
2. Der Retter Europas 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
11 12 13
14 15 16 17
Šilder, Imperator Aleksandr Pervij III, S. 134. Choiseul-Gouffier, Reminiscences, S. 166. Czartoryski, Mémoires I, S. 345; Ley, Alexandre Ier, S. 62. Kukiel, Czartoryski and European Unity, S. 30 f.; siehe auch Skowronek, Antynapoleomskie Koncepcje Czartoryskiego. Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 54–58. Martin, Romantics, Reformers, Reactionaries, S. 9. Schroeder, Transformation of European Politics, S. 24; Grunewald, Baron Stein, S. 61. Šiškov, Zapiski I, S. 167, 244; Zorin, Kormja dvuglavogo orla, S. 251, 264. Stein, Briefwechsel IV, S. 188. Kraehe, Metternich’s German Policy I, S. 151; Steins «Denkschrift über Deutschlands künftige Verfassung», in: Pertz, Aus Stein’s Leben I, S. 536 –539 (Zitat 538). Hardenberg, Mémoires XII, S. 17. Hardenberg, Mémoires XII, S. 13–15; Fain, Manuscrit de mil huit cent treize I, S. 231–237. Kügelgen, Jugenderinnerungen, S. 136; Bruun, Europe and the French Empire, S. 173 (aus der englischen Übersetzung übernommen); Pichler, Denkwürdigkeiten II, S. 224. Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 1 f.; Martens, Sobranie Traktatov VII, S. 74. Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 7 f. Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 5–7. Hardenberg, Mémoires XII, S. 42.
3. Die Friedensstifter 1 Sorel, Essais, S. 5. 2 Kraehe, Metternich’s German Policy I, S. 43; Gentz, Gesammelte Schriften XI / 3, S. 44.
anmerkungen zu s. 57–83
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3 Gentz, Dépêches I, S. 8. 4 Gentz, Dépêches I / 13; Oncken, Österreich und Preußen I, S. 416–420. 5 Buckland, Gentz’ Relations, S. 459 ff., 491 ff.; Fain, Manuscrit de mil huit cent treize I, S. 296 –299. 6 Wilson, Narrative, S. 234; Stanislavskaja, Russko-anglijskie otnošenija, S. 66 ff.; Maistre, Lettres I, S. 324. 7 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 2–4; Martens, Nouveau Recueil I, S. 558. 8 Chamberlain, Lord Aberdeen, S. 106; Levey, Sir Thomas, Slave Trade Lawrence, S. 182. anmerkungen zu s. 57–83
4. Ein Krieg für den Frieden 1 Napoléon, Correspondance XXIV, S. 521. 2 Napoléon, Correspondance XXIV, S. 464, 468, 500, 539. 3 Napoléon, Correspondance XXV, S. 61– 63; Driault, Napoléon et l’Europe V, S. 76. 4 Fain, Manuscrit de mil huit cent treize I, S. 247–275; Driault, Napoléon et l’Europe V, S. 76. 5 Oncken, Österreich und Preußen I, S. 439; Méneval, Mémoires III, S. 129. 6 Oncken, Österreich und Preußen II, S. 624. 7 Bonnefons, Un Allié de Napoléon, S. 377; Koch, Histoire abrégée X, S. 200 –203. 8 BL, Bunbury Papers I, S. 12; Londonderry, Narrative of the War, S. 32 f. 9 Beauharnais, Mémoires IX, S. 94. 10 Alexander, Correspondance, S. 150 (Zitat); Rochechouart, Souvenirs, S. 217, 219 f.; BL, Bunbury Papers I, 18; Londonderry, Narrative, S. 25 f., 31. 11 Driault, Napoléon et l’Europe V, S. 51. 12 Kraehe, Metternich’s German Policy I, S. 154; Oncken, Österreich und Preußen im Befreiungsungskriege I, S. 130 (Zitat). 13 Nesselrode, Lettres et papiers V, S. 3 (Zitat), 14, 20, 38 f., 50, 65, 69, 75. 14 Oncken, Österreich und Preußen I, S. 421–425; Driault, Napoléon et l’Europe V, S. 74; Nicholas Mikhaïlovitch, L’Empéreur Alexandre Ier II, S. 138 ff., 166 (Zitat 138). 15 Bibl, Kaiser Franz, S. 13. 16 Oncken, Österreich und Preußen I, S. 446; Kraehe, Metternich’s German Policy I, S. 172; Driault, Napoléon et l’Europe, S. 91 f (Zitat). 17 Oncken, Österreich und Preußen II, S. 672– 678. 18 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 13; Metternich, Mémoires I, S. 250; Fain, Manuscrit de mil huit cent treize, S. 390.
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anmerkungen zu s. 84–99
19 Broglie, Souvenirs I, S. 223; Müffl ing, Memoirs, S. 31, 45–50; BL, Bunbury Papers I, 25; Hardenberg, Mémoires XII, S. 83 f.; Londonderry, Narrative, S. 33 (Zitat). 20 Londonderry, Narrative of the War, S. 34; AE, Russie 25, 142. 21 Löwenstern, Mémoires II, S. 131 f.; Müffling, Memoirs, S. 45. 22 Vionnet, Souvenirs, S. 81–83; Fain, Manuscrit de mil huit cent treize I, S. 430; Fouché, Mémoires (1945) II, S. 388 f. 23 Fain, Manuscrit de mil huit cent treize I, S. 426 f.; AE, Russie 25, 130.
anmerkungen zu s. 84–99
5. Diskrete Verhandlungen 1 Broglie, Souvenirs I, S. 224 f.; Metternich, Mémoires I, S. 139 f.; Nicholas Mikhaïlovitch, L’Empéreur Alexandre Ier II, S. 167, 175 etc. 2 Nesselrode, Lettres et papiers V, S. 103. 3 SUA , Acta Clementina 12, 33 / 4, 7 / 9. 4 Gentz, Briefe an Pilat I, S. 8 5 Maevskij, Moj vek, S. 256; Metternich, Mémoires I, S. 251. 6 Šiškov, Zapiski I, S. 206 f. 7 Grimsted, Foreign Ministers, S. 198, 207. 8 Wilson, Private Diary II, S. 45 f.; Webster, British Diplomacy, S. 69. 9 Kraehe, Metternich’s German Policy II, S. 4; Sweet, Erich Bollmann; Humboldt, Wilhelm und Caroline IV, S. 25–27, 28–35, 41 f. (Zitat S. 42); siehe auch Benkendorf, Zapiski, S. 331. 10 Jackson, Further Selection II, S. 204 f. 11 Londonderry, Narrative of the War, S. 76; Jackson, Further Selection II, S. 149. 12 Aroutunova, Lives in Letters, S. 99, 101. 13 Jackson, Further Selection II, S. 204. 14 Oncken, Österreich und Preußen II, S. 640 f. 15 Castlereagh, Correspondence IX, S. 22. 16 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 9 –12. 17 Londonderry, Narrative of the War, S. 68. 18 Sorel, L’Europe et la Révolution Française VIII, S. 136 –138; Nicholas Mikhaïlovitch, L’Empereur Alexandre Ier II, S. 184; Driault, Napoléon et l’Europe V, S. 118. 19 Nesselrode, Lettres et papiers II, S. 99 (deutsches Zitat in: McGuigan, Metternich, Napoleon und die Herzogin von Sagan, S. 104); Martens, Sobranie traktatov III, S. 107. 20 Gentz, Gesammelte Schriften X.1, S. 12 f.; SUA , Acta Clementina 12, 33 / 8; Gentz, Briefe an Pilat I, S. 12 f.; SUA , Acta Clementina 5, 2 / 19–80; Klinkowström, Aus der alten Registratur, S. 79 –83.
anmerkungen zu s. 99–112
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21 BL, Aberdeen Papers XXXV, 52. 22 BL, Aberdeen Papers XXXV, 56, 60; Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 144 f., 148 f.; Webster, British Diplomacy, S. 8 (Zitat), 9, 14 f.; Castlereagh, Correspondence IX, S. 22, 30 –32 (Zitat 30, 32). 23 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 13–17. 24 SUA , Acta Clementina 12, 33 / 9 ; Metternich, Denkwürdigkeiten I, S. 246 –253 (Zitate 246 f.), II, S. 461–463 (Zitat 462 f.); Nesselrode, Lettres et papiers V, S. 10 –115; Fain, Manuscrit de mil huit cent treize II, S. 36 – 44. 25 SUA , Acta Clementina 12, 33 / 9. 26 Fain, Manuscript von Achtzehnhundertunddreizehn II, S. 48. 27 SUA , Acta Clementina 12, 33 / 9; Acta Clementina 14a, 5 / 19. 28 Metternich, Lettres à la comtesse de Lieven, S. 111 f.; Rzewuska, Mémoires I, S. 261. 29 Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 24–28. 30 Gentz und Wessenburg, S. 78 f. 31 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 18 f.; Gentz und Wessenburg, S. 81; Metternich, Denkwürdigkeiten I, S. 154–159 (Zitat 159); Fain, Manuscrit de mil huit cent treize II, S. 45 ff. anmerkungen zu s. 99–112
6. Farce in Prag 1 Fouché, Mémoires (1824) II, S. 196 f.; Fain, Manuscrit de mil huit cent treize II, S. 66 f.; Fouché, Mémoires (1945) II, S. 404. 2 Fain, Manuscript von Achtzehnhundertunddreizehn II, S. 68. 3 Londonderry, Narrative of the War, S. 372 f.; Humboldt, Wilhelm und Caroline IV, S. 78. 4 Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 32. 5 Bertier, Metternich et son temps, S. 106, 116 f.; Bibl, Die Wiener Polizei, S. 257–329. 6 HHSA , St K. Interiora Archiv, Intercepte 1, 7 passim. 7 Nesselrode, Lettres et Papiers II, S. 99 f.; Humboldt, Wilhelm und Caroline IV, S. 52, 76; Hardenberg, Mémoires XII, S. 207; Gentz und Wessenburg, S. 81; SUA , Acta Clementina 12, 33 / 12 ff.; Aus Metternich’s nachgelassenen Papieren I, S. 255 f.; Sorel, L’Europe et la Révolution française VIII, S. 173; HHSA , St K. Interiora 78, 3. 8 Humboldt, Wilhelm und Caroline IV, S. 69; AE, France 666, 219; Sorel, L’Europe et la Révolution française VIII, S. 158 f. 9 AE, France 667, 75; SUA , Acta Clementina 12, 33 / 20. 10 Broglie, Souvenirs I / , S. 235–239; HHSA , St K. Interiora 78, 3.
636
anmerkungen zu s. 112–127
11 Gentz, Briefe an Pilat I, S. 40; Humboldt, Wilhelm und Caroline IV, S. 62 f., 79; Sweet, Wilhelm von Humboldt II, S. 138. 12 Kraehe, Metternich’s German Policy I, S. 182 f.; Jackson, Further Selection II, S. 206 –208. 13 SUA , Acta Clementina 12, 33 / 21; Humboldt, Wilhelm und Caroline IV, S. 92. 14 SUA , Acta Clementina 12, 33 / 20. 15 Fain, Manuscrit de mil huit cent treize II, S. 205–217; SUA , Acta Clementina 12, 33 / 1. 16 Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 38 f. 17 PRONI, D.3030 / P, 74; Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 47; SUA , Acta Clementina 12, 33 / 22. 18 BL, Aberdeen Papers XXXVI, 161–163. 19 Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 157; PRONI, D.3030 / P, 72; Fouché, Mémoires (1824) II, S. 159; Talleyrand, Lettres à Caulaincort, S. 176. 20 Jackson, Further Selection II, S. 218; PRONI, D.3030 / P, 75. 21 Beugnot, Mémoires II, S. 4– 6 (Zitat 4); Beauharnais, Mémoires IX, S. 108 u. 117. 22 Nesselrode, Lettres et papiers II, S. 103; Garros, Quel roman, S. 424. 23 SUA , Acta Clementina 12, 7 / 12. 24 Hardenberg, Mémoires XII, S. 51–54 (Zitat 51); Benkendorf, Zapiski, S. 331; Löwenstern, Mémoires II, S. 101–103. 25 Angeberg, Le Congrès de Vienne I, S. 25 f.; BL, Bunbury Papers I, 84; Londonderry, Narrative of the War, S. 101 f. 26 Jackson, Further Selection II, S. 293; Metternich, Denkwürdigkeiten I, S. 264–266, 270 (Zitat); Londonderry, Narrative of the War, S. 132; PRONI, D.3030 / P, 79, 76; siehe auch Wilson, Private Diary II, S. 109. 27 Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 54, 59 u. 80. 28 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 50 –52. 29 Metternich, Denkwürdigkeiten I, S. 263. 30 Metternich, Mémoires I, S. 161, 168 f. anmerkungen zu s. 112–127 127–144
7. Das Spiel um Deutschland 1 Aus Metternich’s nachgelassenen Papieren I, S. 258. 2 Gentz und Wessenburg, S. 64. 3 Balfour, Life of … Aberdeen I, S. 69, 71; Chamberlain, Lord Aberdeen, S. 126. 4 BL, Aberdeen Papers XXXV, 293; Chamberlain, Lord Aberdeen, S. 128, 130.
anmerkungen zu s. 127–144
637
5 BL, Aberdeen Papers XXXVI, 1, 3, 9; PRONI, D.3030 / P, 82, 84. 6 Flamand, Frederik den Sjettes Hof, S. 331 f.; Nørregaard, Danmark og Wienerkongressen, S. 30; Langslet, Christian Frederik Del I, S. 20, 66, 70. 7 BL, Aberdeen Papers XXXVI, 200. 8 Langslet, Christian Frederik Del I, S. 76 –80; Hardenberg, Mémoires XII, S. 97 f.; Castlereagh, Correspondence X, S. 77. 9 Webster, British Diplomacy, S. 97. 10 Rochechouart, Souvenirs, S. 243; Jackson, Further Selection II, S. 286 – 289 (Zitate 287); PRONI, D.3030 / P, 88. 11 Londonderry, Narrative of the War, S. 77; siehe auch Wilson, Private Diary II, S. 74, 154; Méneval, Mémoires III, S. 213–215; Hardenberg, Mémoires XII, 180 f. 12 Scott, Bernadotte and the Throne of France, S. 468; Rochechouart, Souvenirs, S. 251; Londonderry, Narrative of the War, S. 233; Driault, Napoléon et l’Europe V, S. 160; Rain, L’Europe et la restauration des Bourbons, S. 29 f.; Staël, Choix de lettres, S. 446, 460; Stein, Briefwechsel IV, S. 239. 13 PRONI, D.3030 / P, 90, 91; Ordioni, S. 110. 14 PRONI, D.3030 / P, 88; Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 56; BL, Aberdeen Papers XXXVI, 15. 15 Webster, British Diplomacy, S. 19, 24 f. 16 Webster, British Diplomacy, S. 31 f. 17 Capodistrias, Zapiski, S. 175; Šiškov, Zapiski I, S. 349 f. 18 Balfour, Life of … Aberdeen I, S. 96, 99. 19 Sydow, Federn und Schwerter, S. 114; Sweet, Wilhelm von Humboldt II, S. 150 f.; Metternich an Wilhelmine v. Sagan am 1. 11. 1813, in: Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 93 f. 20 Kraehe, Metternich’s German Policy I, S. 151, 193; Stein, «Ueber eine teutsche Verfassung», in: Ompteda, Politischer Nachlaß III, S. 224–231, hier 225. 21 Klinkowström, Aus der alten Registratur, S. 56. 22 Driault, Napoléon et l’Europe V, S. 183. 23 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 56 – 60. 24 Bonnefons, Un allié de Napoléon, S. 457 f., 463; Rochechouart, Souvenirs, S. 267; Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 197. 25 Hardenberg, Mémoires XII, S. 258. 26 SUA , Acta Clementina 12, 33 / 39; Stein, Briefwechsel IV, S. 439. 27 Chamberlain, Lord Aberdeen, S. 134. 28 Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 82. 29 McGuigan, Metternich, Napoleon und die Herzogin von Sagan, S. 185. 30 Ley, Alexandre Ier, S. 72; Aroutunova, Lives in Letters, S. 111. 31 Metternich, Mémoires I, S. 168 f.; Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 60 – 63.
638
anmerkungen zu s. 144–159
32 Sydow, Federn und Schwerter, S. 114 f. (Zitat S. 115) u. 155 f. 33 Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 87 u. 90. 34 Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 88.
anmerkungen zu s. 144–159
8. Die ersten Walzertakte 1 2 3 4
5
6 7 8 9
10 11 12 13 14 15 16 17 18
19 20 21 22 23 24
Pasquier, Erinnerungen I, S. 214. Beugnot, Mémoires II, S. 38. Beauharnais, Mémoires IX, S. 299 ff., 284 f., 295. Martineau, Caroline Bonaparte, S. 7; Fouché, Mémoires (1824) II, S. 437; Sorel, L’Europe et la Révolution française VIII, S. 194, 237; Webster, British Diplomacy, S. 95. Pasquier, Erinnerungen I, S. 217; Cambacérès, Mémoires II, S. 491; Rowe, From Reich to State, S. 217 f.; Pradt, Récit historique, S. 18; Cambacérès, Lettres II, S. 1099, 1112. Beugnot, Mémoires II, S. 54; Pasquier, Mémoires II, S. 100. Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 98 ff. Šiškov, Zapiski I, S. 373. SUA , Acta Clementina 12, 33 / 48; PRONI, D.3030 / P, 114; Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 105; McGuigan, Metternich and the Duchess, S. 171; Burghersh, Briefe aus dem Hauptquartier, S. 53. SUA , Acta Clementina 12, 7 / 20. Jackson, Further Selection II, S. 340 f.; Stein, Briefwechsel IV, S. 476 u. 469. Sydow, Federn und Schwerter, S. 178. Metternich, Mémoires I, S. 163; Šiškov, Zapiski I, S. 238–242. BL, Aberdeen Papers XXXVII, 114, 146; PRONI, D.3030 / P, 115; Londonderry, Narrative of the War, S. 387 f.; Müffling, Memoirs, S. 395–397. Müffling, Memoirs, S. 92; Weil, Campagne de 1814 I, S. 1 f. Webster, British Diplomacy, S. 98, 111, 103 (Zitat), 102. AE, France 669, 7 ff.; Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 74–78. Angeberg, Le Congrès de Vienne I, S. 77 f.; Sorel, L’Europe et la Révolution française VIII, S. 220 f.; Fain, Manuscrit de mil huit cent quatorze, S. 5, 20, 49 –56. Chamberlain, Lord Aberdeen, S. 162; siehe auch BL, Aberdeen Papers XXXVII, 317. PRONI, D.3030 / P, 108. Webster, British Diplomacy, S. 35; BL, Aberdeen Papers XXXVI, 307. Chamberlain, Lord Aberdeen, S. 139, 141. BL, Aberdeen Papers XXXVI, 12. PRONI, D.3030 / P, 108, 113; BL, Aberdeen Papers XXXVII, 205; Chamber-
anmerkungen zu s. 160–175
25 26 27 28 29 30 31
32 33 34 35
36
639
lain, Lord Aberdeen, S. 155; Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 175 (Zitat). Chamberlain, Lord Aberdeen, S. 150; Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 181, 184 f., 198. BL, Aberdeen Papers XXXVII, 217. PRONI, D.3030 / P, 112–15; BL, Aberdeen Papers XXXVII, 166, 203. ON, 6 / 86, 3; Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 134, 140, 147. Metternich, Denkwürdigkeiten I, S. 392; Humboldt, Wilhelm und Caroline, S. 128; SUA , Acta Clementina 12, 33 / 53. Angeberg, Le Congrès de Vienne I, S. 78 f. Lebzeltern, Mémoires; Capodistrias, Zapiski III, S. 178 ff.; Rappard, L’individu et l’état, S. 92 ; Chapuisat, La Suisse et les traités de 1815; Alexander am 15. 12. 1813, in: ders., Correspondance, S. 160 (Zitat). Stein, Briefwechsel IV, S. 508. PRONI, D.3030 / P, 115; Jackson, Further Selection II, S. 383; BL, Aberdeen Papers XXXVII, 317. Chamberlain, Lord Aberdeen, S. 160; Hardenberg, Tagebücher, S. 755; Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 79. Castlereagh, Correspondence IX, S. 454; Schroeder, Transformation of European Politics, S. 486; Chamberlain, Lord Aberdeen, S. 161; Webster, British Diplomacy, 62 f. Buckingham, Memoirs II, S. 45 f. anmerkungen zu s. 160–175
9. Ein Stück vom Kuchen 1 Brownlow, Slight Reminiscences, S. 29 –31. 2 Fraser, The Unruly Queen, S, 236 f.; Hogendorp, Brieven IV, S. 222–235, 262–265, 269 (Zitat), 271. 3 Renier, Great Britain, S. 214. 4 Hogendorp, Brieven V, S. 228 f.; Löwenstern, Mémoires II, S. 101–103. 5 PRONI, D.3030 / T / MC3, 292. 6 Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 181; Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 200; Sydow, Federn und Schwerter, S. 226. 7 Webster, British Diplomacy, S. 131; Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 180. 8 Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 183 u. 202.; Metternich, Mémoires I, S. 181; Klinkowström, Österreichs Theilnahme, S. 797, 800; siehe auch Fournier, Congress von Châtillon, S. 251. 9 Webster, British Diplomacy, S. 123–128. 10 Metternich, Mémoires II, S. 182; Fournier, Congress von Châtillon, S. 349; Gentz, Dépêches I, S. 51; Weil, Campagne de 1814 I, S. 69.
640
anmerkungen zu s. 176–187
11 Webster, British Diplomacy, S. 133, 136 –138. 12 Webster, British Diplomacy, S. 138–144 (Zitat 139). 13 Fournier, Congress von Châtillon, S. 299; Hardenberg, Mémoires XII, S. 378; Michajlovskij-Danilevskij, Memuary, S. 28; NA, FO 92, 3; Nesselrode, Lettres et papiers V, S. 152; Londonderry, Narrative of the War, S. 245 f. 14 Grunewald, Baron Stein, S. 259–261; Gentz, Dépêches I, S. 60 f.; Hardenberg, Tagebücher, S. 770; Weil, Campagne de 1814 I, S. 351–358, II, S. 68, 70. 15 Webster, British Diplomacy, S. 144 f. 16 Nicholas Mikhaïlovitch, L’Empéreur Alexandre Ier I, S. 132 f.; Zorin, Kormja dvuglavogo orla, S. 278. 17 Chamberlain, Lord Aberdeen, S. 165. 18 Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 198–201. 19 Webster, British Diplomacy, S. 145; Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 201; SUA , Acta Clementina 5, Gentziana III, 15. 20 Webster, British Diplomacy, S. 141–144 (Zitat 144). 21 Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 209. 22 Webster, British Diplomacy, S. 146.
176–187 anmerkungen zu s. 187–198
10. Diplomatie des Schlachtfelds 1 SUA , Acta Clementina 14a, 5 / 250 f. (aus der englischen Übersetzung übertragen). 2 Caulaincourt, Mémoires III, S. 13; Hortense, Memoiren, S. 265, 267. 3 Fain, Manuscrit de mil huit cent quatorze, S. 64– 66, 72–75. 4 Vionnet, Souvenirs, S. 105. 5 PRONI, D.3030 / T / MC3, 292. 6 Burghersh, Briefe aus dem Hauptquartier, S. 107 f.; Hardenberg, Tagebücher, S. 771 f.; Webster, British Diplomacy, S. 147 f. 7 Webster, British Diplomacy, S. 149 8 Webster, British Diplomacy, S. 150 f., 154 f. 9 Castlereagh, Correspondence IX, S. 266 –273, 312. 10 Fournier, Congress von Châtillon, S. 289, 291, 293; Hardenberg, Tagebücher, S. 772; siehe auch Metternich, Mémoires I, S. 185 f.; Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 207. 11 Hardenberg, Tagebücher, S. 773; Brunov, Aperçu, 377 ff.; Hardenberg, Tagebücher, 773 f.; NA, FO 92, 1, 3 (26. Februar 1814); Weil, Campagne de 1814 II, S. 314 (Zitat), 349, 397. 12 Benkendorf, Zapiski, S. 349; NA, FO 92, 3; siehe auch Metternich, Mémoires I, S. 190.
anmerkungen zu s. 187–198
641
13 Caulaincourt, Mémoires III, S. 15 f.; Montbas, Caulaincourt à Châtillon, S. 805 f.; Fain, Manuscrit de mil huit cent quatorze, S. 75–78, S. 284 f. 14 Fournier, Congress von Châtillon, S. 308, 369 –373. 15 Fournier, Congress von Châtillon, S. 316, 308, 311–313, 318; Caulaincourt, Mémoires III, S. 33. 16 Gash, Lord Liverpool, S. 108; Jackson, Further Selection II, S. 411; Chamberlain, Lord Aberdeen, S. 169. 17 Londonderry, Narrative of the War, S. 275; Fournier, Congress von Châtillon, S. 318. 18 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 105–107; AE, France 669, 62–80. 19 Alison, Lives of Castlereagh and Stewart II, S. 272 ff.; Caulaincourt, Mémoires III, S. 15–24; Fournier, Congress von Châtillon, S. 310; siehe auch Gentz, Dépêches I, S. 62–70; Fain, Manuscrit de mil huit cent quatorze, S. 255–257, 289 –294; Montbas, Caulaincourt à Châtillon, S. 815–818; AE, France 668, 179–182, 205. 20 Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 505 f.; Fournier, Congress von Châtillon, S. 315; BL, Bunbury Papers I, 179. 21 Londonderry, Geschichte des Kriegs, S. 93; Burghersh, Briefe aus dem Hauptquartier, S. 111–113; Sydow, Federn und Schwerter, S. 259 f. 22 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 111–15; AE, France 668, 250, France 669, 95. 23 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 120 –129; AE, France 669, 136–177. 24 AE, France 669, 178–198, France 670 passim, France 668, 321–322, 328, 455–458; Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 130 –142; Hardenberg, Tagebücher, S. 781; Montbas, Caulaincourt à Châtillon; AE, France 668, 461. 25 Martens, Sobranie traktatov III, S. 107, 123. 26 Brunov, Aperçu, S. 301; Grunewald, Baron Stein, S. 225; Edling, Mémoires, S. 208 27 Hardenberg, Tagebücher, S. 767. 28 Londonderry, Geschichte des Kriegs, S. 90 f.; Alison, Lives of Castlereagh and Stewart II, S. 341 f. 29 BC, 5239 / IV, 3; Webster, British Diplomacy, S. 163. 30 Hardenberg, Tagebücher, S. 777; Klinkowström, Österreichs Theilnahme, S. 819; Fournier, Congress von Châtillon, S. 303 f. (Zitat). 31 PRONI, D.3030 / T / MC3, 292. 32 Londonderry, Narrative, S. 288–290. 33 PRONI, D.3030 / T / MC3, 292. 34 SUA , Acta Clementina 12, 34 / 24. 35 Jackson, Further Selection II, S. 418; Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 506.
642
anmerkungen zu s. 199–216
36 Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 427; Webster, British Diplomacy, S. 157, 165. 37 Castlereagh an Hamilton am 10. 3. 1814, in: ders., Denkschriften V, S. 42 f.
11. Triumph in Paris anmerkungen zu s. 199–216
1 Hardenberg, Tagebücher, S. 782; Castlereagh, Correspondence IX, S. 336 f.; BL, Bunbury Papers I, 181. 2 AE, France 669, 78; Cambacérès, Lettres II, S. 1130 f. 3 Webster, British Diplomacy, S. 168–171; Vitrolles, Mémoires I, S. 216 f.; siehe auch Rochechouart, Souvenirs, S. 285–291. 4 Vitrolles, Mémoires I, S. 226; siehe auch Waresquiel, Talleyrand, S. 437; Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 243. 5 Weil, Campagne de 1814 III, S. 34 f., 505, 512, 553. 6 Webster, British Diplomacy, S. 171 f.; Hardenberg, Tagebücher, S. 784. 7 Webster, British Diplomacy, S. 173 f.; Scott, Bernadotte and the Throne of France, S. 467; Beugnot, Mémoires II, S. 78–80; NA, FO 92, 4 (3. Mai 1814). 8 Guizot, Mémoires I, S. 24 f. 9 Jackson, Further Selection II, S. 400, 405; siehe auch Humboldt, Wilhelm und Caroline IV, S. 231. 10 Talleyrand, Mémoires II, S. 265 ff., 306 (Zitat auf Deutsch: Memoiren II, S. 111); Waresquiel, Talleyrand, S. 424. 11 Talleyrand, Memoiren II, S. 113. 12 Sorel, L’Europe et la Révolution Française VIII, S. 311 f.; Talleyrand Intime, S. 170; Coigny, Mémoires, S. 240 ff. 13 Boigne, Récits I, S. 328; Maevskij, Moj vek, S. 383–384; Rochechouart, Souvenirs, S. 325; Boigne, Récits I, S. 330 f. 14 Rémusat, Mémoires I, S. 270 f.; Nesselrode, Lettres et Papiers II, S. 114. 15 Talleyrand, Mémoires II, S. 314; siehe auch Beugnot, Mémoires II, S. 103 ; Rochechouart, Souvenirs, S. 346 ff.; Bourienne, Mémoires X, S. 37–42; Pasquier, Mémoires II, S. 246; Boigne, Récits I, S. 332 f.; Choiseul-Gouffier, Reminiscences, S. I; Gentz, Dépêches inédites I, S. 77. 16 Rain, L’Europe et la restauration des Bourbons, S. 79; Pasquier, Mémoires II, S. 313, 327; Waresquiel, Talleyrand, S. 446 f.; zur Maubreuil-Affäre siehe: Vitrolles, Mémoires I, S. 422 ff.; Pasquier, Mémoires II, S. 366 ff. 17 Fain, Manuscrit de mil huit cent quatorze, S. 398 ff. 18 Beugnot, Mémoires II, S. 100. 19 Caulaincourt, Mémoires III, S. 156 f.; Broglie, Souvenirs II, S. 263; Webster, British Diplomacy, S. 176; Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 250. 20 Berry, Extracts, S. 24; Brownlow, Slight Reminiscences, 76 f.
anmerkungen zu s. 216–230
643
21 PRONI, D.3030 / T / MC3, 292; SUA , Acta Clementina 12, 7 / 27 (aus der englischen Übersetzung übertragen); Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 241. 22 Hardenberg, Tagebücher, S. 786; Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 244, 248. anmerkungen zu s. 216–230
12. Frieden 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
19 20 21
Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 157–160; Bonnal, Les Royalistes I, S. 3. Pasquier, Mémoires II, S. 237 f. Mansel, Louis XVIII, S. 147. Boigne, Récits I, S. 383 f.; Šilder, Imperator Aleksandr Pervyi III, S. 227 f., 231. Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 243. Talleyrand, Mémoires II, S. 320; Waresquiel, Talleyrand, S. 737 f. Beauharnais, Mémoires X, S. 255, 288, 291 f. Beugnot, Mémoires II, S. 99. Londonderry, Narrative of the War, S. 328–330; Boigne, Récits I, S. 401 f. Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 243; Fouché, Mémoires (1824) II, S. 180; Coigny, Mémoires, S. 245 f.; SUA , Acta Clementina 12, 34 / 28. Hardenberg, Tagebücher, S. 786 –788; Löwenstern, Mémoires II, S. 424; Montet, Souvenirs, S. 122. SUA , Acta Clementina 12, 34 / 32 (aus der englischen Übersetzung übertragen). Chapuisat, La Suisse et les traités de 1815, S. 34; McGuigan, Metternich, Napoleon und die Herzogin von Sagan, S. 276. Lord Burghersh, Correspondence, S. 58; Nesselrode, Lettres et papiers II, S. 63; Stein, Briefwechsel IV, S. 627; Bourienne, Mémoires IX, S. 146. Löwenstern, Mémoires II, S. 431; Chatelain, Dominique Vivant Denon, S. 218–221; Chamberlain, Lord Aberdeen, S. 168; AE, France 671, 217. Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 252. Talleyrand Intime, S. 259. AE, France 673, 91 ff.; Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 273; Sorel, L’Europe et la Révolution française VIII, S. 349; Münster, Political Sketches, S. 176 f. NA, FO 92, 4 (5. Mai 1814), 105 f.; Stein, Briefwechsel IV, S. 642 f. Šilder, Imperator Aleksandr Pervyi III, S. 223, 232 f.; Nicholas Mikhaïlovitch, L’Empereur Alexandre Ier, S. 135 (Zitat). Kukiel, Czatoryski and European Unity, S. 115; Zawadzki, Man of Honour, S. 226; Šilder, Imperator Alexandr Pervyi III, S. 235–237; Potocka, Mémoires, S. 361.
644 22 23 24 25
26 27 28 29 30 31 32 33
anmerkungen zu s. 231–244
Castlereagh, Denkschriften V, S. 182. Talleyrand Intime, S. 281. Talleyrand, Mémoires II, S. 368. Thomas, The Slave Trade, S. 235, 573; AE, France 673, 51, 57 f.; GesetzSammlung für die Königlichen Preußischen Staaten. 1814, Nr. 17, S. 127 (Zitat); Angeberg, Le Congrès de Vienne I, S. 173; Considérations importantes; Labrador, Mélanges, S. 36 (Zitat); Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 576. Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 413 (Zitat); Pollock, Wilberforce, S. 204. Wellington, Dispatches VII, S. 534. Wellington, Dispatches VII, S. 545, 557–559, 574. NA, FO 92, 4 (30. Mai 1814). AE, France 673, 326 (dort fälschlicherweise als Brief an Fürstin Lieven angegeben). Münster, Political Sketches, S. 163; Martens, III, S. 168. Hardenberg, Mémoires XIII, S. 445; Zorin, Kormia dvuglavogo orla, S. 250 f.; Creevey, Papers I, S. 191. Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 170; AE, France 673, 326; SUA , Acta Clementina 12, 34 / 33; McGuigan, Metternich and the Duchess, S. 298.
13. Die Londoner Runde anmerkungen zu s. 231–244
1 Alexander, Correspondance, S. 227 f. 2 Alexander, Correspondance, S. 229, 179 f. 3 Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 299, 451; siehe auch Renier, Great Britain, S. 181. 4 Alexander, Correspondance, S. 169–176. 5 Castlereagh, Correspondence X, S. 53 (Zitat); Brownlow, Slight Reminiscences, S. 107 (Zitat); Castlereagh, Correspondence X, S. 61; Hogendorp, Brieven V, S. 401. 6 Renier, Great Britain, S. 200, 225 f.; Castlereagh, Correspondence IX, S. 255, 307, 317, 340 f., 354 f.; Mémoire adressé …; Castlereagh, Correspondence X, S. 23; Renier, Great Britain, S. 268, 234 f., 275; Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 304 f.; Castlereagh, Correspondence X, S. 41, 54; Renier, Great Britain, S. 324–333. 7 Festing, John Hookham Frere, S. 192; Jackson, Further Selection II, S. 435 f., 441 (Zitat); siehe auch Shelley, Diary, S. 58 f.; Brownlow, Reminiscences, S. 108. 8 Creevey, Papers I, S. 196.
anmerkungen zu s. 245–267
645
9 Hardenberg, Tagebücher, S. 790 f. 10 Nesselrode, Lettres et Papiers V, S. 195 f.; SUA , Acta Clementina 12, 34 / 38 (aus der englischen Übersetzung übertragen). 11 Alexander, Correspondance, S. 238 f. 12 Pollock, Wilberforce, S. 243; Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 413 ff. 13 Creevey, Papers I, S. 196 (Zitat); Nicholas Mikhailovich, L’Empereur Alexandre Ier I, S. 150. 14 Kukiel, Czartoryski and European Unity, S. 116; Zawadzki, Man of Honour, S. 229; Fournier, Londoner Präludien, S. 209. 15 Alexander, Correspondance, S. 242–244. 16 Shelley, Diary, S. 62, 157 f., 63. 17 NA, FO 92, 5 / 2, 3, 4, 6, 14, 16. 18 Humboldt, Wilhelm und Caroline IV, S. 348; SUA , Acta Clementina 12, 34 / 39 (aus der englischen Übersetzung übertragen). 19 Gentz, Dépêches I, S. 89 – 93. 20 Fournier, Londoner Präludien I, S. 206–208, 209 f., 212, II, S. 24 f., 30 f. 21 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 183; NA, FO 92, 8, 9, 13. anmerkungen zu s. 245–267
14. Gerechte Vereinbarungen 1 Senancourt, Simples observations, S. 7; Croft, Réflexions, S. 8; Metternich, Mémoires I, S. 203 2 Talleyrand, Miroir, S. 114; Martens, II, S. 486. 3 Šilder, Imperator Aleksandr Pervyi III, S. 499 f.; Martens, Nouveau recueil III, S. 234. 4 Bartlett, Castlereagh, S. 145; Alison, Lives of Castlereagh and Stewart II, S. 241 (Anmerkung). 5 Beales, Prosperity and Plunder, S. 3. 6 Rinieri, Congresso di Vienna, S. 129; Dyroff, Der Wiener Kongreß, S. 181. 7 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 91–104; Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 306, 542, 308 f. 8 Weil, Dessous du congrès de Vienne I / 243–4; Dolgorukov, Iz zapisok knjazja, 272 9 Castlereagh, Denkschriften V, S. 215. 10 Wellington, Dispatches VII, S. 486; Castlereagh, Correspondence X, S. 27. 11 Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 310 –313; Wellington, Dispatches VII, S. 503, 504–507. 12 Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 255 f. 13 Beauharnais, Mémoires IX, S. 299 ff.; Hortense, Mémoires II, S. 178.
646
anmerkungen zu s. 268–289
14 Wilson, Private Diary II, S. 344. 15 Rath, The Habsburgs and Public Opinion, S. 309 f.; Bianchi, Storia Documentata I, S. 48, 339 –343; Verga, La Deputazione dei Collegi Elettorali, S. 318; Haas, Metternich, S. 27. 16 Eynard, Journal I, S. 173. 17 Castlereagh, Denkschriften V, S. 204; Correspondence X, S. 17 f. 18 Castlereagh, Correspondence X, S. 17 f.; Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 314. 19 Gallenga, History of Piedmont III, S. 311–314; Boigne, Récits II, S. 75. 20 Boigne, Récits II, S. 82. 21 Castlereagh, Correspondence X, S. 114 f. 22 Rinieri, Congresso di Vienna, S. 126, 131, 152–156; Buschkuhl, Great Britain and the Holy See, S. 51. 23 O’Dwyer, Papacy in the Age of Napoleon, S. 135. anmerkungen zu s. 268–289
15. Die Bühne wird gerichtet 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
14 15 16 17 18 19
Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 258. McGuigan, Metternich and the Duchess, S. 318 f. Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 262; Gentz, Tagebücher, S. 286. Kraehe, Metternich’s German Policy II, S. 80. Fournier, Londoner Präludien, S. 28. Kraehe, Metternich’s German Policy II, S. 19. Kraehe, Metternich’s German Policy II, S. 321. Humboldt, Wilhelm und Caroline IV, S. 165. Sweet, Wilhelm von Humboldt II, S. 140 ff. Kraehe, Metternich’s German Policy II, S. 120. Fournier, Londoner Präludien, S. 32. Kraehe, Metternich’s German Policy II, S. 76 f.; Stein, Briefwechsel V, S. 8 f., 11–13. Gagern, Mein Antheil II, S. 44 (Zitat), 46; Kraehe, Metternich’s German Policy II, S. 183 f.; Branig, Briefwechsel Hardenberg-Wittgenstein, S. 212. Nesselrode, Lettres et papiers V, S. 196 f.; Pozzo, Correspondance diplomatique, S. 15, 16, 49 etc. Talleyrand, Briefwechsel, S. 1. Wilson, Private Diary II, S. 338. Metternich, Aus Diplomatie und Leben, S. 52. Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 10 f. Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. XXIII, 123 f.
anmerkungen zu s. 291–311
647
20 HHSA , Zeremoniell Protokoll, 47; Krog, Danmark, S. 224. 21 Eynard, Journal I, S. 4 f.; Méneval, Mémoires III, S. 267. 22 Castlereagh, Denkschriften V, S. 236; Kraehe, Metternich’s German Policy II, S. 85; Michailovskij-Danilevskij, Memuary, S. 186. 23 Spiel, Der Wiener Kongreß, S. 120 –122. 24 Kraehe, Metternich’s German Policy II, S. 118; La Garde, Fêtes et souvenirs, S. 3. 25 Jackson, Further Selection II, S. 353; Eynard, Journal I, S. 46. 26 AE, France 673, 37; Montet, Erinnerungen, S. 98; Boncompagni, Mémoire, S. 27; AE, France 688; Kraehe, Metternich’s German Policy II, S. 189. 27 Nikolaj Michajlovic, Russkie Portrety I, S. 49. anmerkungen zu s. 291–311
16. Punkte auf der Tagesordnung 1 Schremmer, Metternich, S. 244; Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 263 f. 2 Fournier, Londoner Präludien, S. 27 f., 211, 215; Gentz, Briefe an Pilat I, S. 152; Fournier, Geheimpolizei, S. 109 –116. 3 Castlereagh, Correspondence X, S. 93. 4 Castlereagh, Correspondence X, S. 76, 92; Webster, British Diplomacy, S. 191 f. 5 Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 332; Ivanov, Zapiski II, S. 22; BPU, 38. 6 Šilder, Imperator Aleksandr Pervyj III, S. 271. 7 Castlereagh, Correspondence X, S. 95– 97. 8 HHSA , St K. Kongreßakten 2, 1. 9 HHSA , St K. Kongreßakten 1, 46, 54 f. 10 HHSA , St K. Kongreßakten 1, 68, 71. 11 Humboldt, Gesammelte Schriften XI, S. 165; Webster, Congress of Vienna, S. 175–183; Webster, British Diplomacy, S. 194 f. 12 Gentz, Dépêches I, S. 106; Sorel, L’Europe et la Révolution française VIII, S. 383. 13 Hardenberg, Tagebücher, S. 796, 798. 14 Dyroff, Wiener Kongreß, S. 36 f.; HHSA , St K. Kongreßakten 2, 7–10; Talleyrand, Correspondance, S. 340 –346; HHSA , St K. Kongreßakten 1, 1; Gentz, Tagebücher, S. 288. 15 Webster, British Diplomacy, S. 195. 16 Pasquier, Mémoires III, S. 67, 69. 17 Talleyrand, Correspondance, 38–40; Gagern, Mein Antheil II, S. 50. 18 Les Classiques de la table, S. 363.
648 19 20 21 22 23 24 25 26 27
28 29 30 31 32 33 34
anmerkungen zu s. 313–327
Dino, Souvenirs, S. 137–139; Noël, Énigmatique Talleyrand, S. 111. Gentz, Dépêches I, S. 100; Fournier, Londoner Präludien, S. 213. Šilder, Imperator Aleksandr Pervyj III, S. 242. Nicholas Mikhaïlovitch, L’Impératrice Élisabeth II, S. 504 f. Ley, Alexandre Ier, S. 86; Zorin, Kormia dvuglavogo orla, S. 279. Šilder, Imperator Aleksandr Pervyj III, S. 246, 231, 254, 256 f., 272; Kraehe, Metternich’s German Policy II, S. 131 f. Šilder, Imperator Aleksandr Pervyj III, S. 534–536. Šilder, Imperator Aleksandr Pervyj III, S. 537–540. Askenazy, Szkice i Portrety, S. 127, 369–373; Kukiel, Czartoryski and European Unity, S. 119; Zawadzki, Man of Honour, S. 231–233; Šilder, Imperator Aleksandr Pervyj III, S. 264–268. Metternich / Sagan, Briefwechsel, 265. Nicholas Mikhailovich, L’Impératrice Élisabeth II, S. 582; Pozzo, Correspondance diplomatique, S. 82. Webster, British Diplomacy, S. 197. Webster, British Diplomacy, S. 199 f. Hardenberg, Tagebücher, S. 798; Johann, Aus dem Tagebuche, S. 174. Weil, Dessous du Congrès de Vienne I, S. 14, 28 f., 65, 92 (Zitat), 99, 101, 111, 127. Gentz, Tagebücher, S. 290 f.; Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 252 f. anmerkungen zu s. 313–327
17. Noten und Bälle 1 Villa-Urrutia, España en el congreso de Viena, S. 123. 2 AE, France 682, 4; HHSA , St K. Kongreßakten 1, 250; Labrador, Mélanges, S. 35. 3 In seinen Memoiren (Talleyrand, Mémoires II, S. 396) schreibt Talleyrand, er habe zwischen Metternich und Hardenberg gesessen; HHSA , St K. Kongreßakten 1, 4; Talleyrand, Correspondance, S. 10 –18 (deutsches Zitat: Talleyrand, Briefwechsel, S. 11); AE, France 672, 17–48, France 682, 10; Talleyrand, Mémoires II, S. 395–398; Gentz, Tagebücher, S. 289, 320; hierzu und zu den folgenden Treffen s. a.: NA,FO 92, 7. 4 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 191, 193, 205. 5 Talleyrand, Memoiren II, S. 252–254. 6 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 200; Hardenberg, Tagebücher, S. 799; Gentz, Dépêches I, S. 113; Talleyrand, Correspondance, S. 26. 7 Webster, British Diplomacy, S. 202 f.; HHSA , St K. Kongreßakten 2, 14. 8 Historical Manuscripts Commission, S. 297; Rinieri, Corrispondenza, S. LVIII; Bertuch, Tagebuch, S. 21; Perth, Kongreßtagebuch, S. 45.
anmerkungen zu s. 328–341 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33
649
Bernstorff, Ein Bild aus der Zeit I, S. 155. Hardenberg, Tagebücher, S. 799. Spiel, Der Wiener Kongreß, S. 137. Angeberg, Congrès de Vienne I / 264 HHSA , St K. Kongreßakten 1, 352; Eynard, Der tanzende Kongreß, S. 177. Perth, Kongreßtagebuch, S. 47. Hardenberg, Tagebücher, S. 800; Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 270 – 272. Gentz, Dépêches I, S. 107, 110; ders., Tagebücher, S. 322; ders., Dépêches I, S. 115–117 (Deutsch in: Klein, Die Befreiung, S. 434 f.). La Garde, Fêtes et souvenirs, S. 78; Eynard, Der tanzende Kongreß, S. 26 f. Bernstorff, Ein Bild aus der Zeit I, S. 156. Talleyrand, Memoiren II, S. 268. Labrador, Mélanges, S. 45. Talleyrand, Memoiren II, S. 270 f.; Gentz, Tagebücher, S. 324. Jackson, Further Selection II, S. 449; Talleyrand, Miroir, S. 52, 55. Talleyrand, Memoiren II, S. 279; Gagern, Mein Antheil II, S. 70. Talleyrand, Miroir, S. 43. Eynard, Der tanzende Kongreß, S. 30. Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 11 f., 171 f. (Zitate), 185 f.; Webster, British Diplomacy, S. 201 f. Angeberg Congrès de Vienne I, S. 276–278; Gentz, Briefe III, S. 303; Gagern, Mein Antheil II, S. 62, 96. Webster, British Diplomacy, S. 203–205. BPU, 11. Rinieri, La Diplomazia Pontificia, S. LVIII; BPU, 14 f. BPU, 16; Bertuch, Tagebuch, S. 51; Pichler, Denkwürdigkeiten III, S. 49 f. Talleyrand, Miroir, S. 48; Castlereagh, Correspondence X, S. 162. Šilder, Imperator Aleksandr Pervyj I, S. 288; Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 261. 328–341 anmerkungen zu s. 342–357
18. Ferienzeiten für die Fürsten 1 2 3 4
Montet, Erinnerungen, S. 94– 97. Talleyrand, Miroir, S. 40; Gentz, Tagebücher, S. 321. Rosenkrantz, Journal, S. 38 (Zitat), 50. Rinieri, La Diplomazia Pontificia, S. LIX; Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 139 (Zitat), 364 f., 442, 475. 5 Nørregaard, Danmark og Wienerkongressen, S. 49 f., 25 f., 31 f., 62, 102 (Zitat).
650
anmerkungen zu s. 342–357
6 Weil, Dessous du Congrès de Vienne I, S. 139, 364 f., 422 (Zitat), 475; Rosenkrantz, Journal, S. 38, 50; Beauharnais, Mémoires X, S. 304. 7 Panam, Memoiren II, S. 29. 8 Beauharnais, Mémoires X, S. 305, 312, 322. 9 Pictet, Biographie, S. 169. 10 Vogler, Abt Pankraz Vorster von St. Gallen, S. 8; Brignole, Quelques erreurs réfutées, S. 10, 20 ff. 11 Renier, Great Britain, S. 291. 12 Eynard, Journal I, S. 194. 13 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 239. 14 Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 17 passim, 8, I, 237, 326, 557, 422 f., 247. 15 Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 45, 63, 89, 102 f., 106, 109, 111 etc. 16 Gachot, Marie-Louise Intime II, S. 113. 17 HHSA , Zeremoniell Protokoll, 47; Rinieri, La Diplomazia Pontificia, S. LV. 18 Rzewuska, Mémoires, S. 263; Bernstorff, Ein Bild aus der Zeit, S. 164. 19 Gräffer, Memoiren, S. 1–4. 20 Mann, Gentz, 264 f.; Nesselrode, Lettres et papiers II, S. 35. 21 Eynard, Journal I, S. 180, 119 (Deutsch: Der tanzende Kongress, S. 133). 22 Bernstorff, Ein Bild aus der Zeit I, S. 173. 23 BPU, 148 f. 24 Bright, Travels, S. 10; La Garde, Gemälde I, S. 336. 25 Rosenkrantz, Journal, S. 134; Rinieri, La Diplomazia Pontificia, S. LX; Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 259, 268. 26 Villa-Urrutia, España en el congreso de Viena, S. 123; La Garde, Gemälde II, S. 81. 27 Weil, Dessous Du congrès de Vienne I, S. 351 (Zitat), 272, 759. 28 Montet, Erinnerungen, S. 98. 29 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 317, 364, 576 f. 30 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 560, 498 (Zitat). 31 Michajlovskij-Danilevskij, Memuary, S. 195; Spiel, Congress of Vienna, S. 277 f.; Mann, Gentz, 267; Dolgorukov, Iz zapisok knjazja, S. 2754. 32 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 282, 316, 317. 33 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 650, 478 (Zitat). 34 Panam, Memoiren II, S. 42 f. 35 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 495, 506, 650, 665. 36 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 207, 257; Nostitz, Leben und Briefwechsel, S. 131; Talleyrand, Briefwechsel, S. 90; BPU, 60 f.; C. Pictet, Correspondance I, S. XXI; Pichler, Denkwürdigkeiten III, S. 43.
anmerkungen zu s. 357–370
651
37 Thürheim, Mein Leben II, S. 91 f., 99; Eynard, Journal I, S. 15; Bernstorff, Ein Bild aus der Zeit, S. 151, 154; Perth, Kongreßtagebuch, S. 75. 38 BPU, 62. anmerkungen zu s. 357–370
19. Ein Friedensfest 1 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 280 –288 (Zitat 287). 2 Webster, British Diplomacy, S. 206–208; Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 282. 3 BC, 5238 / IV, 15–21; Denkschrift Pozzo di Borgos für Alexander, in: Golovine, Histoire d’Alexandre Ier, S. 249–263, hier S. 254 (Deutsch teilweise in: Das neue Portfolio II, S. 33–39, hier S. 35). 4 Nesselrode, Lettres et Papiers IV, S. 316; Stein, Briefwechsel V, S. 180. 5 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 291–293. 6 Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 345. 7 Bertier, Metternich et son temps, S. 148; McGuigan, Metternich, Napoleon und die Herzogin von Sagan, S. 83 (Zitat). 8 Gentz, Tagebücher, S. 327. 9 Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 267; McGuigan, Metternich and the Duchess, S. 362, 367. 10 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 316. 11 Aus Metternich’s nachgelassenen Papieren II, S. 475–477. 12 Stein, Briefwechsel V, S. 183; Bertuch, Tagebuch, S. 55 f.; Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 442. 13 Gagern, Mein Antheil I, S. 81 f.; Talleyrand, Miroir, S. 60; Gentz, Tagebücher, S. 335. 14 Stein, Briefwechsel V, S. 179. 15 Pichler, Denkwürdigkeiten III, S. 33–35; La Garde, Fêtes et souvenirs, S. 23–25; Eynard, Journal I, S. 40. 16 BPU, 25, 30. 17 BPU, 31 f.; Eynard, Journal I, S. 42; Thürheim, Mein Leben, S. 108; Metternich, Mémoires I, S. 268. 18 Bernstorff, Ein Bild aus der Zeit I, S. 158 f. 19 Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 267–269; Gentz, Tagebücher, S. 330. 20 Müller, Quellen, S. 214–219 (Zitat 216). 21 Webster, British Diplomacy, S. 212–15; McGuigan, Metternich and the Duchess, S. 372; Hardenberg, Tagebücher, S. 802; Wellington, Supplementary Despatches IX, S. 374 ff. 22 Talleyrand, Memoiren II, S. 312.
652
anmerkungen zu s. 370–383
23 Webster, British Diplomacy, 212–13, 217–19; Talleyrand, Correspondance, 61–3 24 Talleyrand, Memoiren II, S. 313 f.; zu Talleyrands wirklichen Ansichten über Polen vgl.: AE, France 672, 41–44. 25 Kraehe, Metternich’s German Policy II, S. 209, 229; Webster, Congress of Vienna, S. 710; Metternich, Mémoires I, S. 483; Webster, British Diplomacy, S. 229; Dolgorukov, Iz zapisok knjazja, S. 273; Bourgoing, Wiener Kongress, S. 134 (Zitat). 26 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 351 f. 27 Eynard, Der tanzende Kongreß, S. 70. 28 HHSA , St K. Kongreßakten 1, 38–41; Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 358–362; Pictet, Correspondance Diplomatique, S. 197. anmerkungen zu s. 370–383
20. Guerre de plume 1 Talleyrand, Correspondance, S. 87 f.; Webster, British Diplomacy, S. 229; Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 495; Stein, Briefwechsel V, S. 185; Thürheim, Mein Leben II, S. 93. 2 Wellington, Supplementary Despatches IX, S. 473; Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 443. 3 Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 269. 4 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 316, 444. 5 Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 270. 6 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 423 f. 7 Chuquet, L’Année 1814, S. 453 f.; BC, 6032, 109. 8 Eynard, Der tanzende Kongress, S. 68; Chuquet, 1814, S. 461. 9 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 275 ff.; Humboldt, Wilhelm und Caroline IV, S. 400. 10 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 276; Eynard, Journal I, S. 147; Talleyrand, Miroir, S. 56, 70. 11 BC, 6032, 104. 12 BL, Liverpool Papers XXI, 49; Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 352–358. 13 Webster, British Diplomacy, S. 222–224; BC, 6164, 38, BC, 6032, 110; Handelsman, Adam Czartoryski I, S. 104. 14 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 393. 15 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 394–401. 16 Hardenberg, Tagebücher, S. 803 f.; Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 406– 408; Hardenberg, Mémoires XII, S. 457 f. 17 Gentz, Dépêches I, S. 120. 18 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 483 f.
anmerkungen zu s. 383–395
653
19 20 21 22 23
BPU, 65– 67. Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 450 –456 (Zitate 450 f., 455). Eynard, Der tanzende Kongress, S. 94; Bright, Travels, S. 18 f. BPU, 70 –71; Gachot, Marie-Louise Intime II, S. 133. McGuigan, Metternich and the Duchess, S. 396; Chuquet, L’Année 1814, S. 453; Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 521 f. 24 Rosenkrantz, Journal, S. 74.
anmerkungen zu s. 383–395
21. Ein politisches Karussell 1 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 424–427. 2 Webster, British Diplomacy, S. 210 f. (Deutsch teilweise in: Dyroff, Wiener Kongreß, S. 70), 219 f.; BL, Liverpool Papers XXI, 242; Gash, Lord Liverpool, S. 112. 3 Webster, British Diplomacy, S. 221. 4 Webster, British Diplomacy, S. 217. 5 Webster, British Diplomacy, S. 231–233. 6 Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 352; Rosenkrantz, Journal, S. 45. 7 Eynard, Der tanzende Kongress, S. 47. 8 Bertuch, Tagebuch, S. 51; Nostitz, Leben und Briefwechsel, S. 147; Eynard, Der tanzende Kongress, S. 106; Pictet, Biographie, S. 176; Weil, Dessous du Congrès de Vienne I, S. 498. 9 Edling, Mémoires, S. 179; Nostitz, Leben und Briefwechsel, S. 143; Montet, Erinnerungen, S. 117; Eynard, Der tanzende Kongreß, S. 133. 10 Edling, Mémoires, S. 178 f.; La Garde, Gemälde I, S. 344; Nicholas Mikhailovich, L’Impératrice Élisabeth II, S. 585. 11 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 434; Eynard, Journal I, S. 89 f., 97; La Garde, Fêtes et Souvenirs, S. 191. 12 Eynard, Journal I, S. 52. 13 Eynard, Journal I, S. 8–10; Rosenkrantz, Journal, S. 48. 14 Webster, British Diplomacy, S. 215 f. 15 Webster, British Diplomacy, S. 236 –40. 16 Jaucourt, Correspondance, S. 36 (Zitat), 90, 103. 17 Castlereagh, Correspondence X, S. 202; Wellington, Supplementary Despatches IX, S. 424–426; Stein, Briefwechsel V, S. 103. 18 Aus Metternich’s nachgelassenen Papieren II, S. 481; Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 446. 19 Stein, Briefwechsel V, S. 104 20 Bertier, Metternich et son temps, S. 104.
654
anmerkungen zu s. 396–411
21 Gentz, Tagebücher, S. 300, 332, 336, 337 (Zitat). 22 Rzewuska, Mémoires I, S. 257; Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 266 f. 23 Thürheim, Mein Leben II, S. 93. 24 Edling, Mémoires, S. 199; Ley, Alexandre Ier, S. 97. 25 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 282, 460 –462, 318; Nostitz, Leben und Briefwechsel, S. 143 f. 26 Rzewuska, Mémoires I, S. 259. 27 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 282, 317, 665, 569 (Zitat); Thürheim, Mein Leben II, 94 f. 28 Rosenkrantz, Journal, S. 37; Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 591. 29 BC, 6164, 38, 40. 30 Bright, Travels, S. 14. 31 Bertuch, Tagebuch, S. 58 f.; BPU, 83; Thürheim, Mein Leben II, S. 11 f.; Eynard, Journal I, S. 161; La Garde, Gemälde, S. 285. 32 Eynard, Der tanzende Kongreß, S. 122. 33 Edling, Mémoires, S. 178; Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 273 f. 34 Gagern, Mein Antheil II, S. 79. 35 Krog, Danmark, S. 182; Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 619. 36 Eynard, Der tanzende Kongreß, S. 221. 37 Michajlovskij-Danilevskij, Memuary, S. 171 f., 128; Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 644 f., 422, 557. anmerkungen zu s. 396–411
22. Diplomatische Explosionen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Stein, Briefwechsel V, S. 82; Humboldt, Wilhelm und Caroline IV, S. 418. Stein, Briefwechsel V, S. 187, S. 190 f. Kraehe, Metternich’s German Policy II, S. 257. BC, 5238 / IV, 177; Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 485–491; Stein, Briefwechsel V, S. 99. Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 505–509. Aus Metternichs nachgelassenen Papieren II, S. 490; Alison, Castlereagh II, S. 508 (Deutsch in: Talleyrand, Briefwechsel, S. 115). BL, Liverpool Papers LXXI, 336. Weil, Dessous du Congrès de Vienne I, S. 669; Gentz, Tagebücher, S. 347; Stein, Briefwechsel V, S. 198. Kraehe, Metternich’s German Policy II, S. 241 f., 269; Wellington, Supplementary Despatches IX, S. 484. Webster, British Diplomacy, S. 259; Eynard, Journal I, S. 207. Metternich, Mémoires II, S. 486; BL, Liverpool Papers XXI, S. 336; Web-
anmerkungen zu s. 411–420
12 13 14 15 16 17 18
19 20 21 22 23
24 25 26 27 28 29 30 31 32
655
ster, British Diplomacy, S. 257–259; Gentz, Dépêches I, S. 124; Aus Metternichs nachgelassenen Papieren I, S. 326 f.; Hardenberg, Tagebücher, S. 807. BL, Liverpool Papers XXI, 396. Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 531–535. Bertuch, Tagebuch, S. 71; Stein, Briefwechsel V, S. 199; Eynard, Journal I, S. 214; siehe auch Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 689. Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 172. Gentz, Dépêches I, S. 87, 113–115. Castlereagh, Correspondence X, S. 160 f., 173–175. Talleyrand, Correspondance, S. 58, 71; Jaucourt, Correspondance, S. 53; Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 464; Webster, British Diplomacy, S. 227; Rinieri, La Diplomazia Pontificia, S. 135. Gentz, Dépêches I, S. 122 f. Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 512. Talleyrand, Memoiren II, S. 357. Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 356, 558. Webster, British Diplomacy, S. 244 (Deutsch in: Dyroff, Wiener Kongreß, S. 78), 240; Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 551–555; Kraehe, Metternich’s German Policy II, S. 241. Michajlovskij-Danilevskij, Memuary, S. 126; Rosenkrantz, Journal, S. 90. Webster, British Diplomacy, S. 246; Stein, Briefwechsel V, S. 102–104. Webster, British Diplomacy, S. 248; ders., Foreign Policy of Castlereagh, S. 555. Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 357; Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 648. Meinecke, Boyen II, S. 14; Dyroff, Wiener Kongreß, S. 81. Gagern, Mein Antheil II, S. 85; Eynard, Journal I, S. 182; Bertuch, Tagebuch, S. 67. Rosenkrantz, Journal, S. 90, 113; Sorel, L’Europe et la Révolution française VIII, S. 403. Webster, British Diplomacy, S. 252–254. Gentz, Dépêches I, S. 127; Metternich, Mémoires I, S. 479 f.; Wellington, Supplementary Despatches IX, S. 473 f.; Talleyrand, Briefwechsel, S. 169. anmerkungen zu s. 411–420
23. Kriegstanz 1 Müller, Quellen, S. 268–273 (Zitat 271). 2 Talleyrand, Briefwechsel, S. 63–71 (Zitat 68).
656
anmerkungen zu s. 421–433
3 Historical Manuscripts Commission, S. 314 f.; Talleyrand, Correspondance, S. 157. 4 Webster, British Diplomacy, S. 314 f. 5 Webster, British Diplomacy, S. 265 f. 6 Talleyrand, Memoiren II, S. 388–392 (Zitat S. 391 f.); Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 647. 7 Eynard, Der tanzende Kongreß, S. 137; La Garde, Fêtes et souvenirs, S. 200. 8 La Garde, Fêtes et souvenirs, S. 133 f.; BPU, 145–148. 9 Montet, Erinnerungen, S. 113. 10 La Garde, Fêtes et souvenirs, S. 94; Montet, Souvenirs, S. 115; La Garde, Fêtes et souvenirs, S. 394–396; McGuigan, Metternich and the Duchess, S. 419. 11 Eynard, Journal I, S. 194; La Garde, Fêtes et souvenirs, S. 239; Jackson, Further Selection II, S. 465; Mansel, Prince of Europe, S. 261. 12 Krog, Danmark, S. 184. 13 Münster, Politische Skizzen, S. 204; BC, 6164, 38. 14 Webster, British Diplomacy, S. 268–270. 15 Fournier, Geheimpolizei, S. 308. 16 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 553–556. 17 Eynard, Journal I, S. 214; Rosenkrantz, Journal, S. 114; Humboldt, Wilhelm und Caroline IV, S. 441. 18 Humboldt, Wilhelm und Caroline IV, S. 441; Nostitz, Leben und Briefwechsel, S. 140. 19 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 709 (Zitat), 751. 20 Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 543; Kohler, Jewish Rights, S. 45 f. 21 Webster, British Diplomacy, S. 272 f. 22 Talleyrand, Memoiren II, S. 410. 23 Castlereagh, Correspondence X, S. 509; BPU, 148–156. 24 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 735 f.; Gentz, Tagebücher, S. 350. 25 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 752. 26 Montet, Erinnerungen, S. 116; Jaucourt, Correspondance, S. 218; Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 443. 27 Gentz, Tagebücher, S. 352 f. (Deutsch in: Mann, Gentz, S. 266). 28 Augusta, In Napoleonic Days, S. 147. 29 McGuigan, Metternich, Napoleon und die Herzogin von Sagan, S. 399; Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 276. 30 Spiel, Wiener Kongreß, S. 184. anmerkungen zu s. 421–433
anmerkungen zu s. 435–444
657
24. Krieg und Frieden anmerkungen zu s. 435–444
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
Humboldt, Wilhelm und Caroline IV, S. 434 f. NA, FO 92, 9 / 203. AE, France 686 passim. Nørregaard, Danmark og Wienerkongressen, S. 60. Nørregaard, Danmark og Wienerkongressen, S. 71 f. Nørregaard, Danmark og Wienerkongressen, S. 74 f., 104, 150 f.; Thorsøe, Den Danske Stats Historie, S. 65. Spiel, Congress of Vienna, S. 82; Angeberg, Congrès de Vienne II, S. 1858; NA, FO 92, 10 / 18, 20, 21, 23, 37. NA, FO 92, 10 / 13. NA, FO 92, 10 / 58; Dyroff, Der Wiener Kongreß, S. 84 f.; Hardenberg, Tagebücher, S. 810. Humboldt, Wilhelm und Caroline IV, S. 436, 448 (Zitat). Hardenberg, Tagebücher, S. 810 f. NA, FO 92, 10 / 58; Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 579 –582; Rosenkrantz, Journal, S. 121. NA, FO 92, 10 / 58; Webster, British Diplomacy, S. 277 f. Historical Manuscripts Commission, S. 319; Wellington, Supplementary Despatches IX, S. 521; Colenbrander, Gedenkstukken VII, S. 719. Gagern, Mein Antheil II, S. 95; Eynard, Journal I, S. 236 f. Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 589 –592. Talleyrand, Memoiren II, S. 417 f. Webster, British Diplomacy, S. 281 f. Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 372. Hardenberg, Tagebücher, S. 810 f.; Alison, Lives of Castlereagh and Stewart II, S. 556; Webster, British Diplomacy, S. 282 f. Eynard, Der tanzende Kongress, S. 168 f. Webster, British Diplomacy, S. 282–284; Hardenberg, Tagebücher, S. 811. NA, FO 92, 10 / 98. Die Forschung ist sich nicht darüber einig, zu welchem Zeitpunkt genau die Treffen der Vier zu Treffen der Fünf wurden. Laut Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 594, 597, u. II, S. 1881–1883, fand das erste Treffen der Fünf am 7. Januar statt, das zweite am 9. und das dritte am 12. Aber das Protokoll des Treffens der Vier vom 9. Januar enthält Castlereaghs formellen Antrag, Frankreich zuzulassen, und über die ersten beiden Treffen der Fünf sind keine Protokolle erhalten. HSSA , St. K. Kongreßakten 3,3 beginnt mit dem dritten Treffen, wie auch Angeberg II, S. 1883. Aus alldem und FO 92, 10 / 13, S. 58, 98, 103, den British and Foreign State Papers, S. 597– 601, und Klinkowström, Österreichs Theilnahme, S. 487, ließe sich
658
25 26 27 28 29 30 31 32 33 34
35 36 37 38 39 40 41 42 43 44
anmerkungen zu s. 445–456 schließen, daß die Diskrepanz darauf beruht, daß das Teilnahmerecht Frankreich bereits früh zugestanden worden war und auf der vierten Konferenz der Vier am 7. Januar auch beschlossen, Talleyrand jedoch erst am 12. Januar tatsächlich zugelassen wurde. NA, FO 92, 10, 103; HHSA , St K. Kongreßakten 2, 42. Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 602– 604; AE, France 682, 69; HHSA , St K. Kongreßakten 3, 3. Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 677– 683. Aus Metternichs nachgelassenen Papieren II, S. 474 (Deutsch in: Mann, Gentz, S. 266); Johann, Aus dem Tagebuche, S. 185. Nostitz, Leben und Briefwechsel, S. 141; HHSA , St K. Interiora Archiv 7. Weil, Dessous du Congrès de Vienne II, S. 217; Eynard, Journal I, S. 251; BPU, 255. Talleyrand, Miroir, S. 106; Bright, Travels, S. 37; Montet, Souvenirs, S. 133 f. Bright, Travels, S. 34 f.; Jackson, Further Selection II, S. 467. Spiel, Congress of Vienna, S. 221. Bright, Travels, S. 34 f.; McGuigan, Metternich and the Duchess, S. 435; La Garde, Fêtes et souvenirs, S. 304 ff.; Eynard, Journal I, S. 291–293; BPU, 230 –239. Jackson, Further Selection II, S. 465. Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 113, 108. Rosenkrantz, Journal, S. 122 f. Alison, Lives of Castlereagh and Stewart II, S. 556; BC, 6164, 40. Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 14, 116. Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 107; Münster, Politische Skizzen, S. 226. Webster, British Diplomacy, S. 294–296. Webster, British Diplomacy, S. 290. Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 2 f. Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 57. anmerkungen zu s. 445–456
25. Der sächsische Handel 1 Spiel, Congress of Vienna, S. 233, 236; Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 121 (Zitat), 127. 2 Rosenkrantz, Journal, S. 135; Hardenberg, Tagebücher, S. 814; Jackson, Further Selection II, S. 469 (Zitat). 3 Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 152. 4 Talleyrand, Correspondance, S. 260 –262.
anmerkungen zu s. 457–474
659
5 Webster, British Diplomacy, S. 297, 299–302 (Zitat auf Deutsch in: Dyroff, Wiener Kongreß, S. 89). 6 Rosenkrantz, Journal, S. 140; Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 127. 7 Webster, British Diplomacy, S. 299–301; Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 384. 8 Hardenberg, Tagebücher, S. 815; Rosenkrantz, Journal, S. 143. 9 Hardenberg, Tagebücher, S. 815; Webster, British Diplomacy, S. 302. 10 HHSA , St K. Kongreßakten 3, 32; Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 706– 724 (Zitate S. 709, 711). 11 Talleyrand, Miroir, S. 114. 12 Talleyrand, Briefwechsel, S. 250; Rinieri, La Diplomazia Pontificia, S. 279; Gallavresi, Le Prince de Talleyrand, S. 7. 13 Webster, British Diplomacy, S. 303–305. 14 Metternich / Sagan, Briefwechsel, S. 277. 15 BC, 6164, 40; HHSA , St K. Interiora Archiv, Intercepte 7, 212. 16 BC, 6164, 38, 40, 41; Michajlovskij-Danilevskij, Memuary, S. 149; Ley, Alexandre Ier, S. 98; Weil, Dessous du Congrès de Vienne II, S. 166. 17 Webster, British Diplomacy, S. 274 f.; Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 612– 614. 18 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 660 –760. 19 Webster, British Diplomacy, S. 412; Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 670 – 672. 20 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 684– 687. 21 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 697–703, 724–727; AE, France 685, 259 ff. 22 Gentz, Dépêches I, S. 145–147; Webster, Some Aspects, S. 69, 73 (Zitat). 23 Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 429; ders., Congress of Vienna, S. 79; ders., British Diplomacy, 303 f. 24 Webster, British Diplomacy, S. 263 f. 25 HHSA , St K. Kongreßakten 3, 85–88; Webster, British Diplomacy, S. 287 f. 26 HHSA , St K. Kongreßakten 3, 94 ff.; Metternich, Mémoires II, S. 487. 27 HHSA , St K. Kongreßakten 3, 100 ff., 104. 28 Gagern, Mein Antheil II, S. 133. 29 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 866. anmerkungen zu s. 457–474 476–495
26. Unerledigte Punkte 1 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 503; HHSA , St K. Kongreßakten 1, 29 ff.; Rinieri, La Diplomazia Pontificia, S. 193. 2 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 735.
660
anmerkungen zu s. 476–495
3 Rappard, L’Individu et l’État, S. 111–118; Müller, Respectueuse adresse; Colloque Patriotisme. 4 Pictet, Biographie, S. 180; Chapuisat, La Suisse, S. 30. 5 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 521, 513–515; Pictet, Biographie, S. 187. 6 Gagern, Mein Antheil II, S. 78. 7 Pictet, Biographie, S. 193, 154–157, 178, 182 f. 8 Rappard, L’Individu et l’État, S. 123. 9 Talleyrand, Correspondance, S. 310; Vogler, Abt Pankraz Vorster von St. Gallen, S. 10 (aus der englischen Übersetzung übertragen). 10 Angeberg, Congrès de Vienne II, S. 1890; AE, France 688. 11 Labrador, Mélanges, S. 37 f. 12 Flassan, Lettre, S. 11 (Zitat), 12, 19 –21. 13 Grimsted, Foreign Ministers, S. 226 –229; Valsamachi, Note. 14 Consalvi, Correspondance, S. 58 f. 15 Talleyrand, Correspondance, S. 145 f.; SUA , Acta Clementina 1, 29; Jaucourt, Correspondance, S. 213 f.; Rinieri, Corrispondenza, S. 619. 16 Noël, Énigmatique Talleyrand, S. 109. 17 Webster, Congress of Vienna, S. 126 f. 18 Méneval, Mémoires III, S. 374 f., 398. 19 Stein, Briefwechsel V, S. 214. 20 Kraehe, Metternich’s German Policy II, S. 321; Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 688, 737; Stein, Briefwechsel V, S. 214; Humboldt, Wilhelm und Caroline IV, S. 483 f. 21 Beales, Prosperity and Plunder, S. 2 f., 8, 86, 286 f. 22 Consalvi, Correspondance, S. 33–40, 45; Ruck, Die Römische Kurie, S. 85; Rinieri, Congresso di Vienna; Buschkuhl, Great Britain and the Holy See, S. 48 f., 55. 23 Ruck, Die Römische Kurie, S. 116; Müller, Quellen, S. 372. 24 Stein, Briefwechsel V, S. 219 f.; Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 302. 25 Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 211, 217; Thürheim, Mein Leben II, S. 117 f.; Michajlovskij-Danilevskij, Memuary, S. 150; Humboldt, Wilhelm und Caroline IV, S. 485. 26 Talleyrand, Briefwechsel, S. 277. 27 Jaucourt, Correspondance, S. 218 f.; Rosenkrantz, Journal, S. 181; Weil, Dessous du Congrès de Vienne II, S. 247, 251, 259; Humboldt, Wilhelm und Caroline IV, S. 481. 28 Humboldt, Wilhelm und Caroline IV, S. 481 f., 485.
anmerkungen zu s. 496–507
661
27. Der Flug des Adlers anmerkungen zu s. 496–507
1 Metternich, Denkwürdigkeiten I, S. 320. 2 Hardenberg, Tagebücher, S. 818; Méneval, Mémoires III, S. 412; Castlereagh, Correspondence X, S. 264 f.; Michajlovskij-Danilevskij, Memuary, S. 173; Weil, Dessous II, S. 297. 3 Talleyrand, Correspondance, S. 314. 4 La Garde, Gemälde II, S. 408 f. 5 Münster, Politische Skizzen, S. 230, 236; Müffl ing, Memoirs, S. 204. 6 Driault, Napoléon et l’Europe V, S. 346 f.; Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 513. 7 Pictet, Biographie, S. 213, 235; Wellington, Supplementary Despatches IX, S. 623. 8 Webster, British Diplomacy, S. 318; Montet, Erinnerungen, S. 117; Michajlovskij-Danilevskij, Memuary, S. 173. 9 Méneval, Mémoires III, S. 415; HHSA , St K. Interiora Archiv, Intercepte 7 passim; Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 354. 10 Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 297 f.; Castlereagh, Correspondence X, S. 287; Šilder, Imperator Aleksandr Pervyj III, S. 548. 11 La Garde, Fêtes et souvenirs, S. 434; Hardenberg, Mémoires XII, S. 475; Rosenkrantz, Journal, S. 176; Méneval, Mémoires III, S. 439; SUA , Acta Clementina 3, 36, 58 ff. 12 Jaucourt, Correspondance, S. 222 f., 232, 242; Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 312. 13 Kraehe, Metternich’s German Policy II, S. 330; Talleyrand, Correspondance, S. 326; Angeberg, Congrès de Vienne II, S. 912 f.; HHSA , St K. Kongreßakten 2, 94; Humboldt, Wilhelm und Caroline IV, S. 494. 14 Wellington, Supplementary Despatches XIV, S. 539. 15 Angeberg, Congrès de Vienne II, S. 147–155 (Zitat 148). 16 Bianchi, Storia Documentata I, S. 12; Münster, Political Sketches, S. 186; Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 438; HHSA , St K. Kongreßakten 1, 70; Eynard, Der tanzende Kongreß, S. 82; siehe auch Talleyrand, Correspondance, S. 43. 17 Holland, Foreign Reminiscences, S. 196; Bianchi, Storia documentata I, S. 395. 18 Sorel, L’Europe et la Révolution française VIII, S. 415; Bonnal, Les Royalistes I, S. 47– 65; Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 404 f. 19 Talleyrand, Correspondance, S. 42, 285, 288 f. 20 Lafayette, Mémoires V, S. 301. 21 Maillé, Souvenirs, S. 12. 22 Maillé, Souvenirs, S. 19.
662
anmerkungen zu s. 507–521
23 Talleyrand, Briefwechsel, S. 140. 24 Maillé, Souvenirs, S. 23.
anmerkungen zu s. 507–521
28. Die Hundert Tage 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26
Garros, Quel Roman, S. 460. Garros, Quel Roman, S. 459 –462; Broglie, Souvenirs I, S. 297. Reiset, Souvenirs, S. 504. Mansel, Louis XVIII, S. 226; Romberg / Malet, Louis XVIII, S. 55; Lavalette, Im Dienste Napoleons II, S. 124 f. Lavalette, Im Dienste Napoleons II, S. 127. Alexander, Bonapartism, S. 2; Castellane, Journal I, S. 283–285. Constant, Mémoires, S. 17, 132. Fonché, Mémoires (1824) II, S. 286 –289. Méneval, Mémoires III, S. 525. SUA , Acta Clementina 1, 23, 198; Šilder, Imperator Aleksandr Pervyj III, S. 549 f. Talleyrand, Correspondance, S. 380 ff.; Jaucourt, Correspondance, S. 273 f.; Metternich, Mémoires I, S. 208; Madelin, Fouché, S. 242 f. Michajlovskij-Danilevskij, Memuary, S. 184; Kraehe, Metternich’s German Policy II, S. 329. Wellington, Dispatches VIII, S. 2 f., IX, S. 606. Webster, British Diplomacy, S. 313, 316 f.; Kraehe, Metternich’s German Policy II, S. 332 f., 335 f. Kraehe, Metternich’s German Policy II, S. 340 f. Talleyrand, Correspondance, S. 365; Wellington, Dispatches VIII, S. 3, 55, 99, 101. Bright, Travels, S. 38 f. Wellington, Dispatches VIII, S. 1 f.; ders., Supplementary Despatches IX, S. 590 f. Webster, British Diplomacy, S. 331. Pozzo, Correspondance diplomatique, S. 143; Stein, Briefwechsel V, S. 231; Šilder, Imperator Aleksandr Pervyj III, S. 308. Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 344 f.; Ley, Alexandre Ier, S. 100. Metternich, Mémoires I, S. 328. Romberg / Malet, Louis XVIII, S. 9; Talleyrand, Correspondance, S. 365, 328, 368 (Zitat auf Deutsch in: Talleyrand, Briefwechsel, S. 292). Webster, British Diplomacy, S. 310, 314 f. Straus, Attitude, S. 102; Orloff, Mémoires II, S. 441 f. Wellington, Dispatches VIII, S. 68; Chod´zko, Recueil des traités, S. 203.
anmerkungen zu s. 522–537 27 28 29 30 31
Gagern, Mein Antheil II, S. 138, 166. Straus, Attitude, S. 33; Beauharnais, Mémoires X, S. 324 f. Münster, Political Sketches, S. 247. Castlereagh, Correspondence X, S. 262. Bourgoing, Vom Wiener Kongreß, S. 71.
663
anmerkungen zu s. 522–537
29. Der Weg nach Waterloo 1 Wellington, Dispatches VIII, S. 66. 2 Wellington, Dispatches VIII, S. 84 f., 106; Flockerzie, Saxony, Austria, and the German Question, S. 668; Kraehe, Metternich’s German Policy II, S. 354; Müffling, Memoirs, S. 208 ff. 3 Wellington, Dispatches VIII, S. 98 f., 71, 72–74, 117 f. 4 Lord Burghersh, Correspondence, S. 175. 5 Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 452. 6 Castlereagh, Correspondence X, S. 350; Pozzo, Correspondance diplomatique, S. 142–149, 165 ff.; Sorel, L’Europe et la Révolution française VIII, S. 428 f.; Rain, L’Europe et la restauration des Bourbons, S. 126 f., 133–152; Chateaubriand, Mémoires d’outre-tombe I, S. 947; Webster, British Diplomacy, S. 330 f., 357–373. 7 Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 443–446, 452. 8 Webster, British Diplomacy, S. 313 f. 9 Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 605. 10 Madelin, Fouché, S. 330 f.; Pozzo, Correspondance diplomatique, S. 93 f.; Sorel, L’Europe et la Révolution française VIII, S. 432 f. 11 Noël, Énigmatique Talleyrand, S. 106; McGuigan, Metternich and the Duchess, S. 461 f.; SUA , Acta Clementina 1, 23, 198 ff.; Méneval, Mémoires III, S. 412, 415, 446, 422 f., 428 f.; Montesquiou, Souvenirs, S. 365 ff., 414. 12 Méneval, Mémoires III, S. 413; Beauharnais, Mémoires X, S. 330. 13 Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 509, 515 f. (Zitat). 14 Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 561. 15 Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 398, 419, 427, 442, 462, 466. 16 Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 259, 427, 450 (vgl. eine andere Darstellung dieser Szene in Thürheim, Mein Leben, S. 101), 220. 17 Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 470 (Zitat), 648. 18 Angeberg, Congrès de Vienne I, S. 618– 638, II, S. 934; Chapuisat, La Suisse, S. 64; Kraehe, Metternich’s German Policy II, S. 355 f. 19 Münster, Politische Skizzen, S. 274. 20 Humboldt, Wilhelm und Caroline IV, S. 450 –456, 565. 21 Nørregaard, Danmark og Wienerkongressen, S. 137 (Zitat); Flamand, Fre-
664
22 23 24 25 26 27 28
anmerkungen zu s. 538–550
derik den Sjettes Hof, S. 412; Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 588; Nørregaard, Danmark og Wienerkongressen, S. 197. Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 549, 600. Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 517, 571, 598, 613 f., 620, 642, 555, 623 (Zitat). Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 588, 427, 435, 505 (Zitat), 722. Kukiel, Czartoryski and European Unity, S. 132; BC, 6164, 41. Handelsman, Adam Czartoryski I, S. 113. Talleyrand, Miroir, S. 199. Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 626, 644 f., 651, 663, 666, 686, 716.
anmerkungen zu s. 538–550
30. Wellingtons Sieg 1 Oman, Britain against Napoleon, S. 338; Roberts, Waterloo, S. 20 f.; Garros, Quel Roman, S. 466 f. 2 Garros, Quel Roman, S. 470. 3 Talleyrand, Mémoires II, S. 457–464; siehe auch Waresquiel, Talleyrand, S. 495–505. 4 Chatelain, Dominique Vivant Denon, S. 227–234; Gentz, Briefe an Pilat, S. 173. 5 Webster, British Diplomacy, S. 341; Wellington, Supplementary Despatches XI, S. 3, 20; SUA , Acta Clementina 12, 8, 4 (aus der englischen Übersetzung übertragen). 6 Croker, Papers I, S. 62. 7 Weil, Dessous du congrès de Vienne II, S. 691 f.; BC, 5444 / IV, 407. 8 Ley, Alexandre Ier, S. 111; Empaytaz, Notice sur Alexandre, S. 12–27 (Zitate 12, 25); Edling, Mémoires, S. 232–235. 9 Michajlovskij-Danilevskij, Memuary, S. 250. 10 Empaytaz, Notice sur Alexandre, S. 34; Webster, British Diplomacy, S. 341 f.; Hardenberg, Tagebücher, S. 825; Webster, British Diplomacy, S. 370 f. 11 Sweet, Wilhelm von Humboldt II, S. 211; AE, France 672, 83– 91. 12 Wellington, Dispatches XII, S. 558; siehe auch Pozzo, Correspondance diplomatique, S. 242 f. 13 Maillé, Souvenirs, S. 38. 14 Boigne, Récits II, S. 133, 155 f.; siehe auch: Castellane, Journal I, S. 309; Fouché, Mémoires (1824) II, S. 381; Broglie, Souvenirs I, S. 319; Boigne, Récits II, S. 122; Resnick, White Terror, S. 9, 11, 17, 52 etc. 15 Mansel, Louis XVIII, S. 327.
anmerkungen zu s. 551–565
665
16 Humboldt, Wilhelm und Caroline V, S. 17. 17 Wellington, Supplementary Despatches XI, S. 47; Gash, Liverpool, S. 121; Castlereagh, Correspondence X, S. 416, 430. 18 Webster, British Diplomacy, S. 347–349. 19 ON, 6 / 86, 10. 20 Gash, Lord Liverpool, S. 121; Oman, Britain against Napoleon, S. 346; Castlereagh, Correspondence X, S. 434; Historical Manuscripts Commission, S. 376 ff.; Webster, British Diplomacy, S. 342, 350. 21 Castlereagh, Correspondence X, S. 434. 22 Webster, British Diplomacy, S. 339–341, 344, 345–347. anmerkungen zu s. 551–565
31. Die Bestrafung Frankreichs 1 Historical Manuscripts Commission, S. 372 f.; Humboldt, Wilhelm und Caroline V, S. 17. 2 Stein, Briefwechsel V, S. 256 f. 3 Talleyrand, Mémoires II, S. 475. 4 Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 562–569. 5 AE, France 672, 75 ff. 6 Wellington, Dispatches XII, S. 596– 600; Webster, British Diplomacy, S. 357. 7 Angeberg, Congrès de Vienne II, S. 1479 –1482. 8 Webster, British Diplomacy, S. 375. 9 Pictet, Biographie, S. 259, 268. 10 Gentz, Dépêches I, S. 174; AE, France 672, 98. 11 Castlereagh, Correspondence X, S. 431 f. 12 Castlereagh, Correspondence X, S. 490; Angeberg, Dessous II, S. 1469. 13 Webster, British Diplomacy, S. 361 f. 14 Webster, British Diplomacy, S. 362–366; Castlereagh, Correspondence X, S. 485; Webster, Foreign Policy of Castlereagh, S. 469. 15 Castlereagh, Correspondence X, S. 476; SUA , Acta Clementina 12, 35 / 9, 20. 16 SUA , Acta Clementina 12, 35 / 15, 20, 22, Acta Clementina 14a, 373 f. (aus der englischen Übersetzung übertragen). 17 Mann, Secretary of Europe, 233; Gentz, Briefe an Pilat, S. 176. 18 Delbrück, Gneisenau IV, S. 594 f. 19 Castlereagh, Correspondence X, S. 484–491 (Zitat 485 f.). 20 Gentz, Briefe an Pilat, S. 179; Ley, Alexandre, S. 130; Edling, Mémoires, S. 241; Webster, British Diplomacy, S. 382; Michajlovskij-Danilevskij, Memuary, S. 284. 21 Hortense, Mémoires III; Nesselrode, Lettres et Papiers V, S. 215, 221; Michajlovskij-Danilevskij, Memuary, S. 281.
666
anmerkungen zu s. 566–576
22 Carême, Le Maître d’hôtel Français II, S. 126 –131. 23 Empaytaz, Notice sur Alexandre, S. 40; Michajlovskij-Danilevskij, Memuary, S. 264–266; Šilder, Imperator Aleksandr Pervyj III, S. 341 f. 24 Castlereagh, Correspondence X, S. 497 f.; Webster, British Diplomacy, S. 378. 25 Freeman, Horses of St Mark’s, S. 208; Castlereagh, Correspondence X, S. 453, XI, S. 27 f. 26 Castlereagh, Correspondence X, S. 435; Freeman, Horses of St Mark’s, S. 208; Michajlovskij-Danilevskij, Memuary, S. 279. 27 Angeberg, Congrès de Vienne II, S. 1510 –1514; Humboldt, Wilhelm und Caroline V, S. 78; Castlereagh, Correspondence XI, S. 12. 28 Angeberg, Congrès de Vienne II, S. 1520 –1522; Humboldt, Wilhelm und Caroline V, S. 74. 29 Angeberg, Congrès de Vienne II, S. 1543–1546. 30 Freeman, Horses of St Mark’s, S. 209, 214. 31 Chatelain, Dominique Vivant Denon, S. 250; Freeman, Horses of St Mark’s, S. 210 (Zitat); Humboldt, Wilhelm und Caroline V, S. 17, 78, 82, 84. 32 Freeman, Horses of St Mark’s, S. 220; Brownlow, Slight Reminiscences, S. 171; Pictet, Biographie, S. 289; Humboldt, Wilhelm und Caroline V, S. 74, 78. anmerkungen zu s. 566–576
32. Letzte Riten 1 Angeberg, Congrès de Vienne II, S. 1523–1526, 1528. 2 Humboldt, Wilhelm und Caroline V, S. 74 ; Talleyrand, Memoiren III, S. 234 f. 3 Talleyrand, Mémoires II, S. 479; Angeberg, Congrès de Vienne II, S. 1531– 1533; AE, France 672, 126. 4 Angeberg, Congrès de Vienne II, S. 1535–1537. 5 Talleyrand, Mémoiren III, S. 245 f.; Waresquiel, Talleyrand, S. 522 f., schreibt, daß Talleyrands Audienz bei Ludwig und sein Rücktritt am 19. September stattfanden und daß Talleyrand daher nicht mehr im Amt war, als er an der Konferenz vom 20. September teilnahm. Ich habe es vorgezogen, mich an den Verlauf der Ereignisse zu halten, wie Talleyrand ihn in seinen Memoiren schildert, da er denen anderer Quellen eher entspricht und auch plausibler erscheint – es fällt mir schwer zu glauben, daß Talleyrand auf beiden Sitzungen, am 20. und 21. September, gewesen sein und weiterhin für Frankreich gerungen haben soll, wäre er nicht mehr im Amt gewesen. 6 Pozzo, Correspondance Diplomatique, S. 209 –211.
anmerkungen zu s. 576–599
667
7 Talleyrand, Mémoiren III, S. 299; Rémusat, Mémoires I, S. 237. 8 McGuigan, Metternich and the Duchess, S. 492. 9 Empaytaz, Notice sur Alexandre, S. 39 f.; Angeberg, Congrès de Vienne II, S. 1547–1549 (deutsch in: Jäger, Auswahl wichtiger Aktenstücke, S. 38 f.); Zorin, Karmia Dvuglavovo Orla, S. 299 –335. 10 Capodistrias, Zapiski, S. 201; Metternich, Mémoires I, S. 210 –212. 11 Webster, British Diplomacy, S. 382–384. 12 Empaytaz, Notice sur Alexandre, S. 46; Alexander, Correspondance, S. 203. 13 Webster, British Diplomacy, S. 387. 14 Nesselrode, Lettres et Papiers V, S. 236. 15 HHSA , St K. Interiora 78, 11; Nesselrode, Lettres et Papiers V, S. 234. 16 Historical Manuscripts Commission, 389 –391. 17 Pictet, Biographie, S. 330. 18 HHSA , St K. Interiora 79; Angeberg, Congrès de Vienne II, S. 1557, 1570. 19 HHSA , St K. Interiora 78, 7, 11. 20 Bourgoing, Vom Wiener Kongreß, S. 74. 21 Waresquiel, Talleyrand, S. 488 f.; Rinieri, Congresso di Vienna, S. 555– 576. 22 Webster, Congress of Vienna, S. 142.
anmerkungen zu s. 576–599
33. Disharmonisches Konzert 1 2 3 4
5 6
7
8
Maevskij, Moj vek, S. 289. Breuilly, The State of Germany, S. 50. Humboldt, Wilhelm und Caroline IV, S. 482. Sweet, Wilhelm von Humboldt II, S. 194; Ramm, Congrès de Vienne; Rowe, From Reich to State; Perth, Kongreßtagebuch, S. 108; Schenk, Aftermath, S. 86 f.; Görres, Germany and the Revolution, S. XVI, 14. Metternich, Mémoires II, S. 59, III, S. 51–54 (Zitate); Schenk, Aftermath, S. 117 f.; Nesselrode, Lettres et papiers VI, S. 29 –37. Görres, Teutschland, S. 107; Reinerman, Metternich; Bianchi, Storia documentata S. 437–448; Webster, Some Aspects, S. 82 f.; Metternich, Mémoires II, S. 90. Bertier, Metternich et son temps, S. 172; Haas, Metternich; Rath, Provisional Austrian Regime; Wawrzkowicz, Anglia a Sprawa Polska; Bianchi, Storia documentata, S. 442–455; Perth, Kongreßtagebuch, S. 109; Metternich, Aus Diplomatie und Leben, S. 73. Nikolaj Michajlovic, Donyesenija avstrijskogo poslannika, S. 1–5; Castlereagh, Correspondence XI, S. 99, 104 f. (Zitat), 114, 119, 137 passim, 104– 106.
668
anmerkungen zu s. 600–625
9 10 11 12
Angeberg, Congrès de Vienne II, S. 1638; Lieven, Letters, S. 37. Angeberg, Congrès de Vienne II, S. 1760. Ward / Gooch, British Foreign Policy II, S. 32. Green, Castlereagh’s Instructions; Ward / Gooch, British Foreign Policy II, S. 57. 13 Lieven, Letters, S. 59.
anmerkungen zu s. 600–625
34. Der Stillstand Europas 1 Gentz, Dépêches I, S. 153–157. 2 Grunewald, Baron Stein, S. 296; Stein, Briefwechsel V, S. 220. 3 Flockerzie, Saxony, Austria, and the German Question, S. 670; Müller, Respectueuse adresse; ders., Aux vrais Suisses; ders., Réponse. 4 Heraud / Beguelin, Europe-Jura, S. 18, 33. 5 Aldobrandini, Requête. 6 Pradt, Du Congrès de Vienne; ders., L’Europe après le congrès de Aix-laChapelle ; ders., Congrès de Carlsbad ; ders., Rappel de quelques prédictions; Capefigue, Congrès de Vienne; Martineau, A History; Bignon, Du Congrès de Troppau, Les Cabinets et les peuples, Souvenirs; Derry, Castlereagh, S. 4. 7 Webster, The Congress of Vienna and the Conference of Paris, S. 3. 8 Kissinger, Großmacht Diplomatie, S. 361. 9 Schroeder, Transformation of European Politics, S. VII f. 10 Martineau, A History I, S. 11. 11 Castlereagh, Correspondence XI, S. 102; Bertier, Metternich et son temps, S. 116 f. 12 Bignon, Les Cabinets et les Peuples, S. 3; Derry, Castlereagh, S. 2. 13 Oman, Britain against Napoleon, S. 352. 14 Pradt, Du Congrès de Vienne I, S. 55, II, S. 108–117; ders., Congrès de Carlsbad, S. 11 (Zitat). 15 Weil, Dessous du congrès de Vienne I, S. 286; Pradt, Du Congrès de Vienne II, S. 25 ff. 16 Brignole, Quelques erreurs réfutées, S. 56. 17 Rzewuska, Mémoires I, S. 263. 18 Barraclough, European Unity, S. 33.
Literatur literatur
Quellen Archivalien Biblioteka Ksia˛z˙a˛t Czartoryskich, Krakau: Adam Czartoryski Unterlagen: 5214 / V, 26; 5219 / V, 1, 9; 5220 / IV; 5227 / IV, 3, 4; 5238 / IV (Pozzo di Borgo, Stein Memoranden & Noten); 5239 / IV (Memoranden & Noten), 2, 3, 4, 7; 5242 / IV (Entwürfe & Memoranden); 5444 / IV (Briefe von Capodistrias, etc.); 5516 / IV; 6029 / IV; 6032 / IV (Briefe an den Vater); 6092 / IV (Briefe an die Mutter); 6164 / IV (Tagebuch Adam Czartoryskis). Bibliothèque Publique et Universitaire, Genf: Journal d’Anna Eynard, Ms. Suppl. 1959 British Library, London: Liverpool Papers, LXXI, Add. 38260 Bunbury Papers, I, Add. 37051 Beauvale Papers, I, Add. 60399 Aberdeen Papers, XXXV, XXXVI, XXXVII, Add. 43073–5 Lamb Papers, I, V, Add. 45546, 45550 Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien: St. K. Interiora, 67, Korrespondenz Metternich-Hudelist; 75, Korrespondenz Metternich-Gentz; 78, Gentz; 79, Korrespondenz Wessenberg. St. K. Interiora Archiv, Intercepte 1, 7 St. K. Kongreßakten, 1, 2, 3 Zeremoniell-Protokoll 47 Ministère des affaires étrangères, Paris: Mémoires et Documents Frankreich: 666 –7, Congrès de Prague; 668–71, Congrès de Châtillon; 672, Prince de Talleyrand; 673–4, Conventions et traité de Paris 1814; 681, Congrès de Vienne, Correspondance; 682–3, Congrès de Vienne, Protocoles de conférences; 684, Congrès de Vienne, Naples, Russie et Pologne, Savoie, Gênes, etc.; 685, Congrès de Vienne, Navigation des rivières et
670
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Seite 353: Dänisches Nationalhistorisches Museum, Schloß Frederiksborg, Foto: Lennart Larsen Seite 400: Gesellschaft der Musikfreunde, Wien Seite 456: V&A Images / © Victoria and Albert Museum, London Seite 459, 466: aus der Sammlung des Autors Leider war es nicht in allen Fällen möglich, die Inhaber der Rechte zu ermitteln. Wir bitten deshalb gegebenenfalls um Mitteilung. Der Verlag ist bereit, berechtigte Ansprüche abzugelten.
Personenregister
Aberdeen, George Hamilton Gordon, Earl of 123 f., 126 f., 129, 133, 135, 142, 154, 156 –160, 165, 172, 178, 180, 188, 190, 227, 250, 275, 300 f. Abrantès, Laure Junot, Duchesse d’ 215, 224 Alexander I., Zar von Russland 7, 27, 30 –36, 43–50, 54 f., 63, 71–74, 76, 78, 82–84, 87– 92, 94 f., 97 f., 100, 107 f., 110, 114–116, 119 f., 122 f., 125, 127–138, 140 –144, 150 f., 153 f., 156, 158–164, 172 f., 175–179, 184–186, 188–191, 193–195, 198, 201 f., 205, 208 f., 211–217, 221–223, 228–230, 235, 238 f., 243–246, 248–252, 256, 260, 262, 277 f., 283 f., 286 f., 292 f., 297, 299 f., 302 f., 311, 314–320, 325–327, 333, 335, 340 –342, 344– 347, 351, 353–355, 357–362, 364– 366, 369 –372, 374–376, 378–384, 386, 389 f., 392, 394–399, 403–412, 414–417, 420 –426, 429, 431, 433, 436 –441, 444 f., 447–449, 452 f., 455–458, 462–464, 467–470, 476 f., 479 –482, 484 f., 488 f., 491, 493 f., 496 –500, 502, 504, 514 f., 517–519, 522 f., 527 f., 531, 536, 538–541, 544, 546 –548, 555, 560 f., 565 f., 568, 574–581, 587–589, 593, 595, 599 – 604, 606, 608 f., 614, 620, 623 Angoulême, Louis Antoine de Bourbon, Duc d’ 201, 204
personenregister
Anker, Carsten 262 Anna Pawlowna, Großfürstin von Rußland 213, 285, 560 Anstett, Johann Protasius von 110, 112 f., 154, 379, 396, 495, 540 Araktschejew, Alexander Andrejewitsch 588 Arndt, Ernst Moritz 41, 136, 593 Arnstein, Fanny Freifrau von 348, 430 Artois, Charles Philippe de Bourbon, Comte d’ (Monsieur), später König Karl X. von Frankreich 201 f., 204, 220, 286 f. Auersperg, Gabriele Fürstin 357, 398, 494, 538, 587 Augereau, Charles Pierre François, Duc de Castiglione 85, 219 Baader, Franz von 589 Baden, Karl Ludwig Friedrich, Großherzog von 125, 153, 286, 311, 317, 355 f., 383, 427, 434, 451, 455, 493, 500, 532, 534, 592 Bagration, Katharina, Fürstin 297 f., 308, 325 f., 347, 353 f., 365, 372 f., 397, 422 f., 429, 532, 540, 562, 623 Balaschow, Aleksandr Dmitrijewitsch 90 Barclay de Tolly, Michail Bogdanowitch, Fürst 115, 135, 224, 566 Bathurst, Henry George, 3rd Earl
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personenregister
Bathurst, Lord Apsley 230, 302, 327 f., 416, 420 f., 441, 453 f., 581 Beauharnais, Eugène de, Vizekönig von Italien 69 f., 73, 116, 139 f., 147, 161, 189, 201, 218, 222–224, 267, 269, 286, 317, 342, 345, 355, 396 f., 403, 417, 429 f., 443, 482, 484 f., 523, 531, 609 Beauharnais, Hortense de 543 Beauharnais, Joséphine de, erste Gemahlin Napoleons I. 215, 221 f., 286, 568 Beauharnais, Stéphanie de 125, 153, 286, 355 Beethoven, Ludwig van 255, 274, 346, 403 f., 425 Bellegarde, Heinrich Joseph, Graf von 267–269, 596 Belliard, Augustin Daniel 208 Benckendorff, Alexander von 187 Bentham, Jeremy 246, 255 Bentinck, Lord William Charles Cavendish 265–270, 388 Bernadotte, Jean-Baptiste-Jules, als Karl XIV. Johann König von Schweden 59, 63, 115, 118, 130 –133, 141, 160, 175 f., 184, 187, 201, 203, 212, 225, 262, 341, 437 f., 484, 527, 609 Bernstorff, Elise, Gräfi n von 327 f., 331, 350, 368 Berry, Charles Ferdinand de Bourbon, Duc de 201, 213, 285, 526, 560, 602 Berthier, Louis Alexandre, Prince de Neufchâtel et de Wagram 28, 107, 294, 476 Bertuch, Carl 327 f., 390, 412, 417, 533 Bertuch, Friedrich Justin 296 Bessières, Jean-Baptiste, Duc d’Istrie 85 Bethmann, Simon Moritz 151 Beugnot, Jacques Claude, Comte de 146, 214, 223
Bignon, Louis Pierre Édouard, Baron 618 Bigottini, Émilie 355, 427 Bismarck, Otto, Fürst von 625 Blacas d’Aulps, Pierre Louis, Comte de 485, 506, 544 Blücher, Gebhard Leberecht, Fürst 41, 71 f., 115, 117 f., 131, 141, 155, 161, 176 f., 184, 186 f., 195, 200, 243–245, 457, 495, 516, 525, 542 f., 545 f., 548, 563, 591 Bonaparte, Jérôme, König von Westfalen 125, 137, 146, 286 f., 531, 609 Bonaparte, Joseph, König von Spanien 21, 107, 182, 207, 219 Borghese, Camillo Filippo, Fürst 609 f. Borghese, Pauline Bonaparte, Fürstin 220, 224, 300 Boyen, Hermann von 41 Brentano, Clemens von 78 Brignole-Sale, Antonio, Marchese di Groppoli 294, 622 Brionne, Louise de Rohan, Comtesse de 539 Brougham, Henry, Lord 195 Brune, Guillaume 550 Bubna und Littitz, Ferdinand Graf von 26, 57 f., 82 f., 88 Buchholz, Carl August 296, 427 Burghersh, Lady Priscilla 150 f., 184, 190, 197, 200, 202, 223 Burghersh, Lord 150, 225, 496 f., 502, 526 Butjagin, Pawel 515, 519 Byron, George Gordon, Lord 124, 190, 554, 610 Cambacérès, Jean-Jacques Régis, Duc de 19, 27 Cambronne, Pierre-Jean-Étienne 509 Canning, George 61, 247, 605 Canning, Stratford 430, 435, 474, 477
personenregister Canova, Antonio 554, 567, 569 Capodistrias, Ioannis Antonios, Graf 134, 163, 193, 377 f., 383, 435, 439, 466, 474 f. , 477, 482, 547, 555, 566, 572, 577, 581 f., 599, 623 Caracciolo, Lucio, Duca della Roccaromana 295 Carême, Marie-Antoine 311, 334, 347, 565 f. Cariati, Fürst 295 Carl Friedrich, Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach 125, 228 f., 308, 317, 481, 523 Caroline von Braunschweig-Wolfenbüttel, Prinzessin von Wales 239, 248, 285, 619 Castlereagh, Lady Emily 167, 171, 173, 184, 189, 197 f., 215 f., 222, 225, 301 f., 328, 347, 360, 383, 390, 443, 562 Castlereagh, Robert Stewart, Viscount, später 2nd Marquess of Londonderry 7 f., 60 – 64, 66 – 68, 81, 95, 99 f., 115, 123 f., 126 f., 129 f., 132–135, 142, 148, 150, 156, 158–160, 165–181, 184–191, 193–195, 197–199, 201 f., 216 f., 227–230, 233–236, 240 –242, 245–247, 249 –251, 254, 264, 267–269, 271 f., 283, 292, 299 – 302, 304–306, 308 f., 319 f., 323 f., 327–330, 332, 334–338, 341, 343– 345, 359 f., 362, 364, 369 –372, 374, 379 –384, 387–395, 400, 403, 405, 407–411, 414–421, 424–431, 435 f., 438–445, 447 f., 452 f., 455–458, 461–471, 473 f., 477, 479, 485, 497, 499, 504, 515 f., 518, 520, 522 f., 527, 538, 542, 545, 548 f., 551, 553, 555– 557, 559 –561, 563–569, 572, 577– 581, 585, 597– 605, 610, 616, 618, 620 f., 623 Cathcart, Charles Murray, 2nd Earl Cathcart 66 f., 95 f., 99 f., 115, 119,
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127, 130, 133 f., 158 f., 172, 180, 195, 224, 300, 424, 474, 525, 527, 547, 616 Caulaincourt, Armand Augustin, Duc de Vicence 15–19, 26 f., 83 f., 87, 110 –115, 157, 165, 174, 180, 187–191, 200, 204, 214, 227, 514 f., 519, 543, 572 Charlotte Augusta Mathilda, Prinzessin von Wales 125, 170, 240, 284 f. Charlotte Auguste, Prinzessin von Bayern 125, 285 Christian Friedrich, Kronprinz von Dänemark, später König Christian VIII. 128, 262 Clam-Martinitz, Graf von 366, 529, 540, 544, 571, 594, 623 Clancarty, Richard Trench, Earl of 240, 301, 497, 523, 538, 541, 557 Consalvi, Kardinal Ercole 271 f., 295 f., 343 f., 414, 422, 430, 443, 461, 489 – 493, 541, 584 Constant, Benjamin 132, 512 Cooke, Edward 301, 335, 370, 418 Cotta, Johann Friedrich von 296, 348, 533 Creevey, Thomas 244 Czartoryski, Adam Jerzy, Fürst 32–36, 125, 134, 191, 194 f., 246 f., 312, 317, 362, 370, 379, 381, 399, 407, 411, 425 f., 452, 462 f., 469 f., 538 f., 587, 614 Dalberg, Emmerich Joseph, Herzog von 313, 424, 435, 478, 533, 572 Dalberg, Karl Theodor, Freiherr von 206, 492 David, Jacques-Louis 17 Davout, Louis-Nicolas, Duc d’Auserstaedt, Prince d’Eckmühl 228, 507 Denon, Dominique Vivant, Baron 226, 545, 568 f.
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personenregister
Dupont, Pierre 507 Duroc, Géraud Christophe, Duc de Frioul 85 f. Edgcumbe, Lady Emma Sophia 167, 215 f., 240, 562 Elisabeth, Zarin von Rußland 35, 125, 315, 319, 330, 337, 397, 425, 429, 449 f., 462 f. Engeström, Lars von 262 Erlon, Jean-Baptiste Drouet, Comte d’ 513 Esterházy, Marie Françoise, Gräfi n, Marquise de Roisin 320 f., 382, 398, 423, 494 Esterházy, Paul Fürst 318, 321, 398 Eynard, Anna 336 f., 357 f., 366, 383, 385, 401, 429, 443 Eynard, Jean-Gabriel 331, 334, 343, 349, 377, 385, 390 f., 402, 404, 417, 422, 429, 443, 447, 503 Ferdinand IV., König von Neapel 125, 148, 265 f., 271, 295, 305, 310, 324, 485, 521, 584, 602 f. Ferdinand VII., König von Spanien 149, 263–265, 285, 322, 490, 602 Fichte, Johann Gottlieb 43, 49, 136 Fouché, Victor Marie Joseph Louis, Duc d’Otrante 147, 512–514, 528, 544, 549 f., 576 Franz I., Kaiser von Österreich, König von Ungarn und König von Böhmen, als Franz II. Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 22, 26, 28 f., 52 f., 56, 78–80, 87 f., 101 f., 106, 109 f., 115 f., 122, 125 f., 156, 160, 164, 173, 175 f., 183, 202, 216, 219, 250 f., 269, 277 f., 290, 317 f., 330, 341, 346, 357, 369, 372, 374, 400, 409 f., 415, 422, 426, 429, 438, 448–450, 453 f., 471, 484, 491, 496, 498, 503, 518,
529 –531, 538, 577, 587, 593–596, 599 f., 603, 609, 623 Friedrich I., König von Württemberg 125, 153, 280, 283, 286, 293, 311, 317, 330, 333, 351, 357, 385, 430, 488, 531, 592, 609 Friedrich August I., König von Sachsen 22, 71 f., 125, 140 –142, 277, 326, 335, 407, 412, 426, 448, 461, 539, 592 Friedrich II., der Große, König von Preußen 40, 45 f. Friedrich VI., König von Dänemark 22, 127–129, 293, 340 –342, 352 f., 436 –438, 537 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 22, 28, 43, 45–49, 51, 71– 74, 82, 93 f., 110, 116, 125, 135 f., 142, 155 f., 172 f., 176, 186, 188, 195, 200, 211, 224, 243, 245, 247, 251, 293, 297, 299, 302 f., 311, 314, 317 f., 320, 335, 340, 351, 357, 371 f., 374, 379, 382, 396, 403, 405, 411, 422, 427, 431, 439, 445, 448 f., 453, 456 –458, 494, 496, 515, 533, 538 f., 577, 587, 590 –592, 597, 599 f., 603, 615, 623 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 28, 615 Gagern, Hans Christoph, Freiherr von 284, 308, 336, 363, 366, 403, 417, 430, 471, 557 Gärtner, Franz, Freiherr von 283, 356, 427 Gentz, Friedrich von 57 f., 77 f., 89 – 91, 99, 105, 112, 123, 137, 172, 276, 280, 308 f., 321, 323 f., 330 f., 333– 335, 340, 348, 354, 365, 369, 382, 396, 409, 411, 413, 418, 424, 430 f., 434, 438, 446, 466, 495, 536 f., 540, 563, 579 f., 582, 594, 607, 618, 623 Georg, Großherzog von Oldenburg 125, 239
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George III., König von Großbritannien, Irland und Hannover 75, 125, 174, 176 George IV., König von Großbritannien, Irland und Hannover, 1811– 1820 Prinzregent 137, 164, 170, 174, 176, 185, 188, 195, 220, 230, 235, 238–240, 243–249, 251, 256, 271 f., 416, 425, 453, 467, 473, 498, 536, 542 f., 552, 560, 564, 567 f., 577 f., 600, 618, 622 Gneisenau, August Wilhelm Antonius, Graf Neidhardt von 41, 43, 154, 177, 416, 525, 548, 591 Goethe, Johann Wolfgang von 144, 348 Görres, Joseph von 283, 593 f. Grassini, Giuseppina 455 Grey, Charles, 2nd Earl 246 f. Grolmann, Karl von 458 Grotius, Hugo 255, 426 Grouchy, Émmanuel Marquis de 543 Guizot, François 203
Hatzfeldt, Friedrich Wilhelm Fürst 28, 47 Hazlitt, William 616 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 78 Hertford, Lady 239, 248 Hobbes, Thomas 255 Hogendorp, Gijsbert Karel van 170 f. Holland, Henry Vassal Fox, Lord 246, 503 Howden, Lord 623 Humboldt, Alexander von 78, 92, 224 Humboldt, Wilhelm von 41, 43, 77 f., 92 f., 98, 106, 110 –113, 135, 142, 144, 152, 161, 172, 180, 188–190, 216, 224, 250, 281 f., 302, 305, 308 f., 323, 332 f., 354, 377, 405, 416, 424, 426 – 428, 434 f., 439, 442, 452, 466, 474, 478, 489, 495, 523, 534, 536 f., 548, 551, 554, 556, 560, 564, 568 f., 572 f., 590 –592, 618, 625
Hager Freiherr von Allentsteig, Franz 288–290, 320, 345, 356, 365, 376, 382, 404, 414, 455, 457, 530 f., 616 Hamilton, Sir William 199, 569 Hardenberg, Karl August, Freiherr von 47, 51, 75 f., 81, 92, 95– 98, 106, 110 – 112, 119 f., 131, 137, 142, 155, 161, 164 f., 172–174, 179, 185 f., 191, 193 f., 200, 202, 216 f., 224, 228 f., 235 f., 243–245, 249–251, 273, 277 f., 281– 284, 299, 302 f., 305, 307 f., 320, 323, 327 f., 330, 332, 334–336, 341, 353, 362–364, 369–374, 377, 379, 382, 394, 405–412, 416 f., 424, 426, 428, 430, 436 f., 439 f., 442–445, 452 f., 457–459, 466, 479, 486, 488 f., 493– 495, 501, 516, 523, 528, 534, 536, 548, 556 f., 560, 563 f., 566, 572, 592, 599, 608, 618, 620, 623
Jackson, George 94 f., 116, 120, 130, 165, 188, 198, 203, 293 Jahn, Friedrich Ludwig 41, 136 Johann, Erzherzog von Österreich 81, 320, 446 f., 497 Jomini, Antoine Henri 120 Joseph II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 79, 490 Jung-Stilling, Johann Heinrich 315, 397, 463, 546
Isabey, Jean-Baptiste 297, 423 f. Ivernois, François d’ 343, 478, 582
Kant, Immanuel 77, 255 Karamsin, Nikolaj Michajlowitsch 589 Karl, Erzherzog von Österreich 160, 284 f., 522 Katharina II., die Große, Zarin von Rußland 34, 125, 349, 575
700
personenregister
Katharina Pawlowna, Großfürstin von Rußland 73, 125, 151, 160, 238 f., 243, 284 f., 342, 414, 422, 426, 532, 579 Katharina von Württemberg, Königin von Westfalen 286 f., 531, 609 Kissinger, Henry 610, 614 f. Kleist, Heinrich von 41 Knesebeck, Karl Friedrich von dem 48, 308, 516 Konstantin Pawlowitsch, Großfürst von Rußland 125, 223, 230, 240, 338, 352 f., 355, 357, 386, 417, 500, 587 Körner, Theodor 41 Kotciuszko, Tadeusz 230 Kotzebue, August von 596 f. Krüdener, Juliane, Baronin von 546, 565, 576, 578, 594 Kurland, Dorothea, Herzogin von 89, 222, 228, 231, 312 f., 333 f., 337, 340, 366, 461, 529, 544 Kurland, Peter von Biron, Herzog von 89, 312 Kutusow, Michail Illarionowitsch, Fürst 44, 50 La Besnardière, Jean Baptiste de Gouey, Comte de 313, 495, 540 La Fayette, Marie Joseph du Motier, Marquis de 505 La Harpe, Frédéric César de 132, 163, 315 f., 477, 514 La Tour du Pin, Frédéric-Séraphin, Comte de 313 Labedoyère, General de 553 Labrador, Don Pedro Gomez Havela, Marqués de 322–324, 330, 332, 343, 352, 387, 424, 428, 461, 464– 466, 474, 481, 541 Lamb, Frederick 275, 292, 301, 532, 562 Lambert, Séraphine 355, 451, 455
Langeron, Alexandre-Louis Andrault, Comte de 84, 115, 210 Lavalette, Antoine Marie Chamans, Comte de 511 f., 553 Lawrence, Sir Thomas 31, 55, 61, 67, 76, 91, 93, 124, 244, 301, 456, 600 Lebzeltern, Ludwig, Graf von 78, 88, 95, 163, 475 Leibniz, Gottfried Wilhelm 255 Leopold von Sizilien, Fürst 357, 537 Levin, Rahel 78 Lieven, Christoph Heinrich, Graf, später Fürst 185, 238, 243, 248, 416, 599 Lieven, Dorothea, Gräfi n, später Fürstin 238 f., 246 –248, 599, 605, 617 Ligne, Karl-Joseph, Fürst de 308, 349, 383, 424 f., 575 Liverpool, Robert Banks Jenkinson, 2nd Earl of 100, 167, 169, 173, 175, 177 f., 180 f., 187 f., 199, 201 f., 220, 230, 240, 242, 245, 262, 267, 269, 299, 302, 309, 336, 360, 364, 381, 388–390, 392 f., 407 f., 411, 415–418, 420 f., 425, 428 f., 439 –442, 453, 457, 462, 469, 485, 515, 525, 542, 548, 551 f., 560 f., 563 f., 567 f., 577– 579 Löwenhjelm, Karl Axel, Graf von 424, 437, 474, 481, 532 Löwenstern, Otto, Graf von 450 f., 455 Ludwig, Erbprinz von Hessen-Darmstadt 356, 427, 451, 532 Ludwig, Kronprinz von Bayern, später König Ludwig I. 139, 351, 430, 443 Ludwig XVI., König von Frankreich 53, 174, 449, 506, 560 Ludwig XVIII., König von Frankreich 174 f., 184, 212 f., 220 –223, 227, 229, 283, 285, 300, 323, 325, 333, 370, 393, 418, 441, 461 f., 465, 485, 497, 500, 502, 505, 507, 510, 513, 517,
personenregister 519 f., 526 –529, 544 f., 547–549, 553, 555 f., 560, 573–575, 579, 623 Lützow, Adolf von 49 Macdonald, Jacques-Étienne, Duc de Tarente 23, 117, 214, 585 Madison, James 551 Maistre, Joseph de 294, 616 Majewskij, Oberst 589 Malet, Claude François de 19 f. Maret, Hugues Bernard, Duc de Bassano 27, 71, 100, 102, 105, 114, 118, 157, 200 Maria Karolina, Erzherzogin von Österreich, Königin von NeapelSizilien 125, 265 Maria Luisa von Spanien, Königin von Etrurien 322, 484, 521 Marie-Louise, Erzherzogin von Österreich, zweite Gemahlin Napoleons I. 16, 29, 52, 56, 58, 70, 80, 182 f., 207, 214, 216, 219, 287, 294 f., 308, 346 f., 385, 482, 484 f., 514, 521, 529 f. Marmont, Auguste, Duc de Raguse 200, 208 f., 213 Martineau, Harriet 616, 618 Maximilian I. Joseph, König von Bayern 125, 139 f., 147 f., 222, 267, 286, 293, 311, 333, 342, 422, 497, 503, 519, 592, 609 Metternich, Clemens Wenzel Nepomuk Lothar, Fürst von 7, 29, 52– 58, 68, 70, 72, 74–83, 87– 91, 93, 95–115, 119 –123, 126 f., 129 f., 133– 135, 137–140, 142–144, 148, 150 –153, 156 –165, 172–175, 178–180, 182, 185–189, 191, 193–195, 197, 201 f., 216, 219, 222–225, 227–230, 235 f., 245, 250 –252, 254, 260, 267, 269, 271, 273–280, 282 f., 287 f., 290, 292, 297, 299, 302–309, 314, 318– 320, 322–325, 327, 329 f., 332,
701
334 f., 342–344, 346 f., 349, 355, 362–366, 368–370, 372–377, 379, 383, 387, 394–396, 399 f., 402 f., 405–410, 414, 417–420, 424, 426, 428, 430, 432, 435 f., 438–441, 443 f., 447, 452 f., 461 f., 466, 468, 470, 474–476, 479, 483–488, 492– 498, 500, 502–504, 514–516, 519 – 523, 526, 528–530, 533–537, 539, 545, 559 –563, 572, 576 –578, 583– 585, 593–597, 599 – 605, 608, 616 f., 620 – 623, 627 Montagu, William 168, 171 Montesquiou, Comtesse (Madame de) 287, 530 Montesquiou-Fézensac, Anatole de 530 Moreau, Jean Victor 119 f. Morel, Joséphine 356, 383, 493 Müller, Adam 279 f. Müller d’Aarvangue, Louis Rodolphe, Baron 347, 477, 608 Münster, Ernst Graf von 137, 195, 235, 249, 283, 416, 425, 430, 453, 457, 498, 523, 536, 555 Murat, Caroline, Königin von Neapel 56, 224, 147 f., 484, 584 f. Murat, Joachim, König von Neapel 18, 23, 26, 69, 117, 127, 132, 147 f., 189, 267 f., 271, 295, 305, 310, 324, 332 f., 370 f., 414 f., 417, 480, 483–485, 497, 500 f., 504, 520 f., 526, 584 f. Napoleon I. 7, 16 –22, 26 –30, 33, 35– 37, 40 –48, 50 –53, 56 – 60, 62– 66, 69 –75, 77, 79 –89, 91 f., 95–103, 105–108, 110 –119, 121 f., 127–129, 131–133, 136 –157, 161–163, 165, 168 f., 174 f., 177–179, 182–189, 191, 193, 200 –208, 210, 212–216, 218– 226, 229 f., 231, 236, 256 f., 260, 263–265, 268 f., 271 f., 280 f., 286 – 288, 294–296, 300, 306, 308, 310 –
702
personenregister
313, 315 f., 326, 333, 355, 363, 377 f., 380, 382, 384, 386 f., 395, 407, 412 f., 415, 417, 420, 432, 437, 446, 452, 454, 456, 461 f., 476, 479, 484 f., 488, 490, 496 –507, 509 –515, 517– 521, 523, 525–531, 533 f., 539, 542 f., 545 f., 549 –556, 559, 561 f., 568, 571, 573, 575, 584, 586 f., 589, 593, 596, 600, 603, 609, 611, 615 f., 618, 620, 626 Napoleon II., König von Rom, Herzog von Reichstadt 20, 29, 175, 183, 207, 212, 215, 219, 287, 347, 513 f., 521, 529 f., 543 Narbonne-Lara, Louis Marie, Comte de 29, 70, 81 f., 87, 110 –113, 147 Naryschkina, Marija Antonowna, Fürstin 397 Neipperg, Adam Adalbert, Graf von 219 f., 287 Nenadovid, Matija 427 Nesselrode, Karl Robert, Graf von 77, 81, 83, 88, 90 f., 98, 106, 110, 115, 117, 152, 156 f., 159, 161, 164 f., 179, 188, 193, 210 f., 214, 222, 225, 243, 245, 285, 302 Ney, Michel, Duc d’Elchingen, Prince de la Moskowa 118, 214, 500, 510, 543, 553 Nikolaus I., Zar von Rußland 125, 614 Noailles, Alexis, Comte de 313, 424 Nostitz, Karl von 356, 390 f., 397 f., 427, 447 Nowosilzow, Nikolaj, Graf 33 Oranien-Nassau, Wilhelm, Prinz, später König Wilhelm II. der Niederlande 168–170, 240 Oranien-Nassau, Wilhelm Friedrich, Souveräner Fürst, später König Wilhelm I. der Niederlande 168– 170, 284 f., 414, 467 Orléans, Louis-Philippe, Duc d’, spä-
ter Louis-Philippe I., König der Franzosen 184, 213, 526 –528, 614 Orlow, Alexej Fjodorowitsch, Graf 208, 210 Otto, Louis-Guillaume, Comte de Moslav 29 Oudinot, Nicolas Charles, Duc de Reggio 117 f. Oÿarowski, Adam 409 Pálffy, Franz Graf 355, 398, 447 f. Palmella, Conde de 424, 464 f., 474 Paul I., Zar von Rußland 32, 90, 125, 481 Penn, William 255 Périgord, Dorothéa, Comtesse de 222, 312 f., 334, 337, 366, 381, 401, 501, 529, 540, 544, 571, 594, 623 f. Périgord, Edmond, Comte de 312 f., 571 Pichler, Caroline 49, 348 Pictet de Rochemont, Charles 343, 357, 373, 478, 559, 581 f. Pilat, Josef von 279 Piombino, Luigi Boncompagni Ludovisi, Fürst von 294, 480 Pitt, William d. J. 34 f., 61 f., 64, 66, 126, 134, 198, 256, 392 Pius VII., Papst 29, 492 Planta, Joseph 168, 171, 301 Platow, Matweij Iwanowitch, Graf 244 Poniatowski, Józef Anton, Fürst 23, 75, 88, 371 Pozzo di Borgo, Carlo Andrea 91 f., 133, 141, 154, 165, 168, 177, 179, 193, 285, 316, 360 –362, 575 Pradt, Dominique Georges Dufour de 206, 619 Pufendorf, Samuel 255 Radziwiłł, Anton Heinrich, Fürst 539 Rasumowskij, Andrej Kirillowitsch,
personenregister Graf 177, 179 f., 184, 188–190, 308, 347, 422, 425, 432 f., 438 f., 445, 474, 566, 572 Rechberg, Aloys, Graf von 487, 534 Reinhard, Hans von 149, 163, 476, 478 Richelieu, Armand Emmanuel du Plessis, Duc de 575 f., 579, 583, 599 f., 604 Richter, Jean Paul Friedrich 78 Robinson, Frederick, später Lord Goderich 168, 171 f. Rosenkrantz, Niels, Baron 128 f., 340, 386, 392, 415, 427, 437, 501 Rousseau, Jean-Jacques 255 Rumjanzew, Nikolaj Petrowitsch, Graf 90, 302 Rzewuska, Rosalia, Gräfin 103, 398 Sagan, Wilhelmine von Biron, Herzogin von 89, 98, 103, 108, 112, 114, 120, 135, 143–145, 150, 160, 173, 178, 185, 197, 217, 222, 224, 227, 235 f., 250, 254, 275 f., 296, 298, 312, 318, 325, 347, 364 f., 368, 372 f., 375 f., 396, 401–403, 432, 462, 532, 538, 562 f., 594, 599, 623 Saint-Aignan, Baron de 156 f. Saint-Marsan, Antoine Marie Philippe Asinari, Comte de 28, 48, 337 Saint-Pierre, Abbé de 255 Saint-Priest, Emmanuel de 200 Sand, Karl 596 Sachsen-Coburg-Saalfeld, Herzog von 229, 342, 355, 443, 523 Sachsen-Coburg-Saalfeld, Herzogin von 431 Scharnhorst, Gerhard Johann von 41, 74 Schischkow, Alexander Semjonowitsch 44, 90, 134, 150, 154, 236, 589 Schlegel, Friedrich 78, 280 Schleiermacher, Friedrich Daniel 78
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Schoeler, Friedrich von 335 Schönholz, Friedrich Anton, Graf von 292 f., 328, 432 Schroeder, Paul W. 611 Schulenburg, Friedrich, Graf von der 277 Schwarz, Madame 345 Schwarzenberg, Karl Philipp, Fürst zu 23, 52, 70 f., 74, 82, 87, 115–117, 120, 161, 163 f., 173, 176, 183, 186, 195, 200, 202, 213, 216, 225, 301, 364, 404, 415, 453 f., 457, 515, 526, 572, 587 Seufert, Caroline Petronelle 353, 537 Shelley, Frances, Lady 248 Smith, Sir Sidney 430 f. Soult, Nicolas Jean-de-Dieu 200, 218, 500 Stackelberg, Gustav Ernst, Graf von 78, 308, 402, 424 Stadion, Johann Philipp, Graf von 79 –81, 88, 95, 106, 179 f., 187–190, 355, 364, 375, 394, 453 Staël, Germaine de 132, 215, 221, 343 Stein, Heinrich Friedrich Karl, Freiherr vom 41–51, 91 f., 97, 122, 136 – 138, 140, 142–144, 152, 154, 164, 177, 193, 225, 229, 235, 280 –284, 308, 315, 361 f., 366, 394 f., 407, 412, 426, 434 f., 474, 487, 489, 493 f., 519, 555, 560, 591 f., 608, 620 Stewart, Sir Charles, später Lord 67, 84, 92, 94– 96, 99, 116, 119 f., 127, 132, 141, 150, 154, 158–160, 165, 175, 180, 189 f., 194–196, 223, 244 f., 300, 302, 333, 337, 355, 391, 424, 431, 435, 450, 455, 458, 474, 478, 525 f., 538, 562, 564, 594, 603 Stuart, Sir Charles 300, 617 Sturdza, Roksandra, Gräfin Edling 390 f., 397, 402, 463, 546 Talleyrand-Périgord, Charles Maurice, Prince de Bénévent 7, 27, 90, 204–
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personenregister
215, 220 –223, 227 f., 231–233, 236, 256, 285, 293, 297, 300, 309 –314, 322–327, 329 –334, 336 f., 340 f., 345, 347–349, 356, 362, 364, 366, 370 f., 373 f., 378, 388, 393, 414, 418–422, 424–426, 428 f., 431, 435 f., 440 f., 443 f., 446, 448 f., 452 f., 457, 461 f., 464–466, 468, 474, 477–480, 485, 495, 497, 501 f., 504, 506 f., 512 f., 517, 519 –524, 528 f., 539, 544 f., 555, 566, 568, 571–576, 583 f., 623 Tatischtschew, Dimitrij, Graf 240 Trauttmansdorff, Ferdinand von und zu, Graf und Reichsfürst 289, 291, 308, 355 f., 450 Vandamme, Dominique Joseph René, Comte d’Unsebourg 117, 130 Vattel, Emer de 255, 426 Viktor Emmanuel I., König von Sardinien 270, 483, 621 Vitrolles, Eugène François Auguste d’Arnauld, Baron de 201 f., 206 Voltaire 255, 617 Wallmoden, Ludwig Georg, Graf von 119, 131 Wellesley, General Arthur siehe Wellington, Duke of Wellesley, Sir Henry 263 f. Wellington, Arthur Wellesley, Duke of 8, 21, 62, 67, 107, 149, 169, 200 –202, 204, 218, 234, 263 f., 271, 299 f., 338, 370, 390, 393 f., 403, 411, 413, 415 f.,
421, 424, 442, 453, 455–457, 461, 466 f., 485, 495 f., 499, 502, 515– 518, 520, 525–529, 539, 541–545, 549 –551, 553 f., 556, 560, 562, 564, 567 f., 570, 572, 576 f., 580, 585, 599, 605 Werner, Zacharias 451 Wessenberg, Johann Philipp, Freiherr von 58, 68, 99, 105, 197, 424, 435, 466, 474, 478, 488 Wilberforce, William 234, 246 f. Wilhelm, Kronprinz von Württemberg, später König Wilhelm I. 125, 285 Wilson, Sir Robert Thomas 268 f., 286 Wilson, Woodrow 610 Windischgrätz, Alfred, Fürst zu 89, 105, 114, 222, 364 f., 372, 375, 386, 432, 562 Wintzingerode, Ferdinand, Graf von 72, 487 Wolkonskaja, Sinaida, Fürstin 94, 143, 150, 352 Wolkonskij, Fürst 352 f. Wolters, Josephine 352 Wrede, Carl Philipp, Fürst von 146, 186, 299, 351, 363, 416, 487, 517, 521 Yorck von Wartenburg, Hans David Ludwig, Graf 28, 45, 75 f., 115, 186 Ypsilantis, Alexandros, Graf 604 Zichy, Julie, Gräfin 351, 358, 376, 398, 414, 423, 427, 449, 494, 538 Zichy, Molly, Gräfin 347, 369, 538