Diversity in Action: Multinationalität in globalen Unternehmen am Beispiel Ford [1. Aufl.] 9783839403778

Globale Unternehmen wollen die kulturelle Heterogenität ihrer Mitarbeiter als personalpolitische Ressource nutzen. Das i

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German Pages 246 Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
1. Theoretischer Rahmen
1.1 Die Herstellung von sozialen Differenzen
1.2 Kontext der Interaktion – die Organisation
1.3 Die Kategorie der Nationalen Herkunft
1.4 Forschungsfragen der Studie
2. Erwartungsstrukturen in der transnationalen Organisation
2.1 Die globale Umstrukturierung der Ford Motor Company »Ford 2000«
2.1.1 Globalisierung in der Automobilindustrie
2.1.2 Die Produktentwicklung als Zeitstraße und die flexible Zuordnung von Stellen
2.1.3 Homogenisierte Arbeitsplätze
2.1.4 Zwischenresümee der formalen Strukturveränderung und einheitlichen Arbeitsplatzarchitektur
2.2 Diversity – der Wiedereintritt der Person in die Organisation?
2.2.1 Entstehungskontext und Konzepte des Managing Diversity
2.2.2 Diversity-Maßnahmen bei Ford
2.2.3 Erwartungen an Mitglieder: die Grenze zwischen Dienstlichem und Persönlichem
2.3 Erwartungsveränderungen bei Ford
3. Membership in Action
3.1 Nationalitäten auf den ersten Blick: visuelle Codes
3.2 Die mündliche Interaktion
3.2.1 Doing Being An Engineer – nomadische Sacharbeiter
3.2.2 Doing Being A Manager – getaktete Kommunikationsmedien
3.3 Muttersprachler, Fremdsprachler und die nationale Herkunft
3.3.1 Die Herstellung von nationaler Indifferenz im Sprachwechsel
3.3.2 Das Kultivieren der Differenz
3.3.3 Stereotypen und Entrüstungsgeschichten
3.4 Doing und Undoing Nationality in der Interaktion
4. Resümee
Literatur
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Diversity in Action: Multinationalität in globalen Unternehmen am Beispiel Ford [1. Aufl.]
 9783839403778

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Diversity in Action

2005-07-05 13-25-03 --- Projekt: T377.typo.sozialtheorie.frohnen / Dokument: FAX ID 021488571489478|(S.

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) T00_01 schmutztitel.p 88571489590

Anja Frohnen (Dr. phil.) ist Diplom-Soziologin, systemischer Coach, Gründerin von Impulsplus und selbstständig als Beraterin für strategische Karriereberatung für WissenschaftlerInnen, Managing Diversity sowie systemische Organisationsberatung.

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) T00_02 autor.p 88571490382

Anja Frohnen

Diversity in Action Multinationalität in globalen Unternehmen am Beispiel Ford

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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2005 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung und Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Projektmanagement: Andreas Hüllinghorst, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-377-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

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Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Theoretischer Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die Herstellung von sozialen Differenzen . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Kontext der Interaktion – die Organisation . . . . . . . . . . . . . 1.3 Die Kategorie der Nationalen Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Forschungsfragen der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Erwartungsstrukturen in der transnationalen Organisation . . . . . . 2.1 Die globale Umstrukturierung der Ford Motor Company »Ford 2000« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Globalisierung in der Automobilindustrie . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Die Produktentwicklung als Zeitstraße und die flexible Zuordnung von Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Homogenisierte Arbeitsplätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Zwischenresümee der formalen Strukturveränderung und einheitlichen Arbeitsplatzarchitektur . . . . . . . . . . . . 2.2 Diversity – der Wiedereintritt der Person in die Organisation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Entstehungskontext und Konzepte des Managing Diversity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Diversity-Maßnahmen bei Ford . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Erwartungen an Mitglieder: die Grenze zwischen Dienstlichem und Persönlichem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Erwartungsveränderungen bei Ford . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Membership in Action . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Nationalitäten auf den ersten Blick: visuelle Codes . . . . . . . 3.2 Die mündliche Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Doing Being An Engineer – nomadische Sacharbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Doing Being A Manager – getaktete Kommunikationsmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Muttersprachler, Fremdsprachler und die nationale Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Die Herstellung von nationaler Indifferenz im Sprachwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Das Kultivieren der Differenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Stereotypen und Entrüstungsgeschichten . . . . . . . . . . . . . 3.4 Doing und Undoing Nationality in der Interaktion . . . . . . .

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4. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

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Transkriptionsnotation | 7

Transkriptionsnotation

Sequenzielle Struktur [ [

Überlappung und Simultansprechen

Pausen (.) (-), (--), (---) 0.5, 0.75 (2.0)

Mirkopause unter 0.25 Sekunden kurze, mittlere und längere Pause von ca. 0.25, Sekunde bis 1 Sekunde Sekundenlänge der Pausen

Sonstige Konventionen Un=äh :,::, ::: äh, öh, AkZENT

schneller Anschluss zwischen zwei Worten Dehnungen, Längungen, je nach Dauer Verzögerungssignale, sogenannte gefüllte Pausen betonter Hauptakzent eines Wortes, bzw. betontes Wort

Tonhöhenbewegungen am Einheitenende ’ , .

hoch steigend gleich bleibend fallend

Verständlichkeit ((hustet)) (solche) (...) (...,...)

parasprachliches Merkmal vermuteter Wortlaut unverständliches Wort mehrere unverständliche Worte

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Einleitung | 9

Einleitung

Seit den frühen 90er Jahren kaufen Unternehmen zunehmend in anderen Ländern Firmen auf und erweitern ihre Standorte geografisch. Unternehmen der unterschiedlichen Branchen haben sich, so wird allenthalben in der Fachpresse berichtet, real- und kapitalwirtschaftlich globalisiert. Fusionen zwischen Daimler-Benz und dem Chrysler-Konzern oder der Aufkauf von Mannesmann Mobilfunk durch Vodafone sind nur zwei Beispiele, die besonders in Deutschland bekannt sind für die Ausweitung der wirtschaftlichen Aktivitäten von Unternehmen. Eine Konsequenz davon ist z.B., dass bei der Deutschen Bank 50 Prozent der Mitarbeiter nicht in Deutschland arbeiten, sondern an Standorten auf der ganzen Welt (Lemmer 2002). Waren noch in den 80er Jahren internationale Aufgaben Führungskräften vorbehalten, so wird der internationale Arbeitskontext in national gemischten Teams und für länderübergreifend medial verbundene Projektmitarbeiter zu einer Alltäglichkeit. Die Kundenstruktur und die Belegschaft der transnationalen Unternehmen haben sich unter demographischen Gesichtspunkten vielfältig verändert (Podsiadlowski 2002). Viele transnationale Unternehmen gehen mit der zunehmenden kulturellen Vielfalt offensiv um. Die Corporate Identity – das einheitliche Erscheinungsbild von Unternehmen geteilte Wertvorstellungen und Verhaltensweisen bei Mitarbeitern, die eigenen Ziele des Unternehmens – wird nun ergänzt um einen aufgeschlossen integrierenden Umgang mit kulturellen Unterschieden, durch die sich die Mitarbeiter auszeichnen. Unternehmen, so ist zu beobachten, integrieren die zunehmende kulturelle Vielfalt der Belegschaft und der Kundenstruktur in ihr Leitbild. Argumentativ unterlegt wird dies mit einem Wettbewerbsvorteil (Meise 2002; Steppan 1999), den man nur dadurch erzielt, indem man multiethnisches, multinationales, weibliches, muslimisches, homosexuelles etc. Humankapital erschließt. Die kulturelle Heterogenität, durch die sich die Märkte, die Gesell-

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10 | Diversity in Action schaft und damit dann auch die Kundenstruktur der Unternehmen auszeichnen, soll auch das Unternehmen selbst repräsentieren. Insbesondere Frauen sowie sexuelle, religiöse und ethnische Minderheiten sollen verstärkt integriert und gefördert werden. Die kulturelle Diversität der Belegschaft, die Einbindung von gesellschaftlichen Minderheiten und die Verbesserung ihrer Aufstiegschancen in den Unternehmensstrukturen werden zum Aushängeschild moderner internationaler Unternehmen wie Ford, Lufthansa, Avon oder der Deutschen Bank. Diversity, »Vielfältigkeit«, ist das aus den USA übernommene Schlagwort, das diese veränderte Unternehmenspolitik bezeichnet. Und doch stößt das Vorhaben, die kulturellen Unterschiede, welche die Mitarbeiter »täglich mit zur Arbeit mitbringen« (Bong 2000), verstärkt als Ressource zu nutzen, schnell an Grenzen, wenn sie etwa den reibungslosen Verlauf von Arbeitsprozessen unterbrechen. Problematisch können kulturelle Unterschiede werden, wenn Kommunikationsprozesse dadurch gestört oder gar ineffizient werden, z.B. durch die unterschiedliche Art von amerikanischen und japanischen Mitarbeitern, Aufgaben anzugehen, Probleme zu besprechen oder überhaupt Gesprächsbeteiligung zu signalisieren. Problematisch sind sie auch in der Hinsicht, dass der Aufstieg von Frauen in einem Unternehmen durch hartnäckige Vorurteile männlicher Vorgesetzter und Kollegen verhindert wird. Kulturelle Unterschiede im Sinne von ungleichen Einstellungen, Werten, Verhaltensweisen und in ihrer Folge auch von Vorurteilen gelten als unbewusste Prägungen von Personen, denen man im Unternehmen durch Sensibilisierungsmaßnahmen begegnen muss. Eine effektive, produktive und chancengleiche Kommunikation zwischen Menschen aus unterschiedlichen Nationalkulturen und Gesellschaftsgruppen stellt sich nicht einfach her, sondern muss vielmehr in einer Organisation gezielt entwickelt werden. Aus einer soziologischen Perspektive sind die Annahmen, die hinter den Diversity-Maßnahmen bzw. Kultursensibilisierungstrainings stecken, überprüfungsbedürftig. Ihnen liegt die Vorstellung zugrunde, dass Mitarbeiter als Personen Träger von zum Teil unbewussten kulturellen Mustern und Prägungen sind, die im interkulturellen Kontakt zu Missverständnissen, Reibungen und letztlich zu ungleichen Chancen von bestimmten Minderheitengruppen in den Unternehmen führen. Damit werden kulturelle Differenzen personalisiert und als etwas behandelt, das den Einzelnen als Individuum auszeichnet. Das Angebot, das eine soziologische Forschung machen kann, ist zu analysieren, durch welche sozialen Prozesse Individuen zu Trägern bestimmter Eigenschaften in einem bestimmten sozialen Kontext gemacht werden. In den Sozialwissenschaften ist die Beschäftigung mit Eigenschaften und Verhaltensweisen von Personen, die von der Mehrheit in der Ge-

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sellschaft abweichen (Hohmeier 1997), ein zentraler Bereich, der unter dem Begriff der Stigmatisierung erforscht wird. Dabei werden vor allem Merkmale und Gruppeneigenschaften untersucht, die zu einer randständigen Position in der Gesellschaft führen und in negativer Weise in einer Gesellschaft definiert werden. Beispiele hierfür sind Behinderung, Homosexualität, Geisteskrankheit oder Obdachlosigkeit. Die Untersuchungen stellen fest, dass z.B. Kriminalität nicht eine bestimmte Qualität des Handelns einer Person an sich ist, sondern das Ergebnis einer gesellschaftlichen Definition, die historischen Veränderungen unterliegt. Howard S. Becker formulierte dies in seiner Studie über Outsiders wie folgt: »Ein Devianter ist eine Person, der ein bestimmtes Etikett erfolgreich zugeschrieben worden ist« (Becker 1963: 9). Ob es sich bei den Zuschreibungen um negative oder positive Eigenschaften handelt, ist dabei zweitrangig. Irrelevant ist auch die Frage, ob Eigenschaften oder Merkmale von Individuen genetisch oder sozialisationsbedingt sind. Wenn man in dieser Weise nun soziologisch an die Veränderungen in internationalen Unternehmen herangeht, dann werden nicht Personen und deren kulturelle Prägung ins Visier genommen, sondern es wird erforscht, wie Menschen in einem bestimmten Kontext zu Amerikanern, zu Frauen, zu Homosexuellen gemacht werden. Diese personendezentrierte Perspektive ermöglicht die Überprüfung der Annahme, dass z.B. in einem Berufsalltag aus den USA stammende Manager immer als amerikanische Manager Verhandlungen führen. Erst wenn man sich von einer personalen Bestimmung kultureller Differenz verabschiedet, ist es denkbar, dass Merkmale von Personen beispielsweise nur in bestimmten Situationen innerhalb des Berufskontextes bedeutungsvoll werden. Analysiert werden soll in dieser Studie also nicht eine theoretisch angenommene Differenz, sondern der Prozess der Differenzierung, durch den Mitarbeiter zu personalen Trägern bestimmter Merkmale und Eigenschaften werden. Um diesen Prozess empirisch zu verfolgen und zu analysieren, muss man ihn kontextualisiert erforschen: Dabei kommen einerseits Interaktionen in den Blick, in denen Mitglieder nach bestimmten Merkmalen sortiert und unterschieden werden, andererseits Erwartungen, welche die Organisation an die Mitarbeiter als Stelleninhaber richtet und die in die beruflichen Interaktionen eingehen. Mit dieser kontextualisierten Perspektive rückt die Forschung an das alltägliche Geschehen in Unternehmen heran, was spezifizierte Forschungsfragen erlaubt: Werden die Mitarbeiter in ihrem Berufsalltag tatsächlich zu Subjekten ihrer nationalen, ethnischen oder geschlechtlichen Zugehörigkeit? Und sind sie den Verhaltens- und Merkmalsmustern so ohnmächtig ausgeliefert, wie dies in den Maßnahmen der Unternehmen angenommen wird, oder verfügen sie über Kompetenzen und Methoden, bestimmte zugeschriebene Merkmale zu minimieren oder gar zu neutrali-

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12 | Diversity in Action sieren? Wenn kulturelle Unterschiede von Mitgliedern tatsächlich den Ablauf einer Kommunikation bestimmen, führen sie dann zwangsweise zu Problemen, Reibungen und Störungen? Die vorliegende Studie fokussiert für die Beantwortung dieser Fragen die Kategorie der nationalen Herkunft. Gerade diese Kategorie wird im Zuge der transnationalen Erweiterung von Unternehmen und in Schulungen prominent behandelt und findet im Kanon der relevanten Personenmerkmale der Diversity-Politik von Unternehmen Aufmerksamkeit. Die Wahl eines geeigneten Forschungsfeldes, in dem ich den alltäglichen Umgang von Teilnehmern und einer Organisation mit der nationalen Herkunft ihrer Mitglieder beobachten konnte, fiel auf ein transnationales Unternehmen, das für diese Forschungsfrage eine ausgewiesene Unternehmensstruktur und -politik aufwies. Es handelte sich um den Automobilhersteller Ford. Als erstes Unternehmen führte Ford einen globalen Entwicklungs- und Vermarktungsprozess mit dem Fahrzeugmodell Mondeo durch und etablierte eine transnationale Organisationsstruktur (Studer-Noguer 2002: 118ff.). International besetzte Teams, Kooperationen mit japanischen und schwedischen Automobilherstellern, länderübergreifende Besprechungen und Produktherstellung, Teams, in denen deutsche Manager mit englischen Kollegen einem amerikanischen Vorgesetzten in den USA Bericht erstatten, versprachen ein geeignetes Feld zu sein, um die lokale Relevanz und die Bedeutung von nationaler Herkunft im Berufsalltag zu untersuchen. Dieses Feld bot darüber hinaus den Vorteil, dass die transnationalen Strukturen bereits seit 1994 in das Unternehmen eingeführt wurden. Die Teilnehmer waren nicht durch eine Fusion mit einer plötzlichen Zusammenarbeit konfrontiert, sondern konnten Kompetenzen und Routinen innerhalb der transnationalen Arbeitsstrukturen im internationalen Arbeitsalltag entwickeln. Zudem war Ford ein amerikanisches Unternehmen, das bereits im Jahre 2000 einschlägig für seine Diversity-Unternehmenspolitik bekannt war. Während deutsche Unternehmen erst seit wenigen Jahren das Thema Diversity für sich entdeckt haben oder dem noch zuweilen skeptisch gegenüberstehen (Foroohar 2002), ist Diversity bei Ford in den Unternehmensleitsätzen des Unternehmens verankert. Vor diesem Hintergrund ist es auch erklärlich, dass meine Anfrage, ein Forschungsprojekt über die Kompetenzen und Routinen im Alltag in internationalen Teams durchzuführen, von der Firma positiv bewertet und unterstützt wurde. Ich führte meine Untersuchung im Forschungs- und Entwicklungszentrum der Ford Werke AG in Merkenich bei Köln und im Zentrum Dunton in England durch. Bei Ford wurde insbesondere im Forschungs- und Entwicklungszentrum in international besetzten Teams und über Ländergrenzen hinweg gearbeitet. Wie erforscht man ein solches Feld am Besten? In einem internationalen Unternehmen, in dem die Mitglieder in der Wahr-

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Einleitung | 13

nehmung und im Umgang mit kulturellen Unterschieden normativ geschult werden, besteht die Gefahr, dass man mittels Interviews nur Interpretationen und Kommentare zu bereits abgeschlossenen Sinnbildungsprozessen erhält. Es bedarf vielmehr einer Methode, welche die Herstellung von Sinnbildung, in meinem Fall der nationalen Differenzierung von Mitgliedern, dokumentiert. Eine Methode, die speziell die Prozesse der Sinnbildung und Ordnungsherstellung in den Situationen expliziert, ist die Ethnographie. Sie versucht, über die Gleichörtlichkeit und Gleichzeitigkeit zum Geschehen eine Begleitung der Sinnbildungsprozesse herzustellen, in der diese als eine gelebte Praxis beobachtbar werden. Als Forschungsmethode verwendete ich die Ethnographie und begleitete sechs Wochen verschiedene Manager und Ingenieure einer funktionalen Abteilung in ihrem beruflichen Alltag. Nach dem ethnomethodologischen Verständnis, das ich im Theoriekapitel noch genauer vorstellen werde, entsteht gesellschaftliche Ordnung weder in den Köpfen von Menschen, noch ist sie in den Strukturen abgelagert, sondern findet immer in actu statt. Die Ethnographie identifiziert ihren Forschungsgegenstand im alltäglichen Vollzug in einem gegebenen Feld. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf dem sich im Handeln manifestierenden Alltagswissen, das von den »Einheimischen« unhinterfragt und routiniert verwendet wird. Auch die einheimische Ethnographie arbeitet ähnlich wie die anthropologische Ethnographie mit der Leitdifferenz Fremdheit/Vertrautheit, sie muss jedoch ihren Gegenstand gezielt befremden (Amann/Hirschauer 1997: 13). Dazu arbeitet man mit der Vorstellung, dass es noch etwas Unbekanntes zu entdecken gibt. Zum anderen tut man aktiv so, als seien einem das Feld, der Gegenstand und die kulturellen Praktiken fremd. Man suspendiert sein Alltagsverständnis und seine wissenschaftlichen Erklärungsmuster und fragt sich, was dort eigentlich passiert: »What the hell is going on here?« (Geertz 1983). Dies gelingt nicht in einem Akt, z.B. in einer einmalig eingenommenen Beobachtungshaltung, jedoch in einem Reflexionsprozess. Reflexion in der Ethnographie geht allerdings immer mit dieser Befremdung einher, die methodisch dadurch erzeugt werden kann, dass man eine starke Auflösung benutzt. Dies leistet beispielsweise die Konversationsanalyse, welche Distanz zum unmittelbaren Kommunikationsgeschehen schafft, indem sie die mündliche Kommunikation verschriftlicht und damit eine fremde und unvertraute Form verwendet. Zugleich ist Befremdung in der Ethnographie auch ein ausgedehnter Schreibprozess. Ich habe mit diesen Formen der Verfremdung gearbeitet und Besprechungen mitgeschnitten, die dann als analysierte Transkriptionen in die Beschreibungen von Szenen in diese Arbeit eingeflossen sind. Die Ethnographie arbeitet systematisch damit, dass die Forscherin in das Feld als »Fremde« integriert wird, dort eine Randposition einnimmt

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14 | Diversity in Action und versucht, die Kompetenzen der Teilnehmer nachzuvollziehen. Dabei ist sie bestrebt, sich von den »Einheimischen« belehren zu lassen. Die kompetenten Feldmitglieder sind nicht Objekte der Beobachtung, sondern Subjekte, die den Forschern ihre Weltsicht oder ihren speziellen Umgang als eine gelebte Praxis beibringen. »Rather then studying people, ethnography means learning from people« (Spradley 1980: 3). Diese methodische Grundhaltung ist insbesondere in einem Feld erkenntnisförderlich, in dem Wissenschaftler systematisch als Experten zur Diagnose und Aufklärung der eigenen Unternehmensführung herangezogen werden. Das Lernen der gelebten Praxis und der anderen Weltsicht geschieht durch die Enkulturation des Forschers in das Feld. Dabei ist immer mit einem Stück Distanzverlust zu rechnen, was als eine Phase des Going Native etikettiert wird (Amann/Hirschauer 1997).1 Diese Anpassung an die Kultur des Feldes hat jedoch ihre Grenzen, da man keine »Frau ohne Eigenschaft« ist. So sind meine deutsche Herkunft und die Tatsache, dass ich Deutsch als Muttersprache gelernt habe und Englisch als erste Fremdsprache, forschungsrelevante Merkmale in einem internationalen Feld, in dem nationale Herkunft thematisch ist. Der Zugang zu deutschsprachigen Mitarbeitern ist daher leichter gewesen als etwa zu Engländern, Japanern oder Amerikanern. Wie wurde ich Teil des Feldes? Meine Integration verdanke ich der Offenheit der Teilnehmer und ihrer Routiniertheit, sich beobachten zu lassen. Die lokale Rolle, die ich zunächst gewählt habe, war ein Job Shadowing. Job Shadowing ist der englische Ausdruck für eine Fördermaßnahme junger Führungsnachwuchskräfte, die erfahrene Führungskräfte in deren Alltag begleiten, um so etwas über die Stelle und die Arbeit zu lernen. Sie müssen dabei keine Aufgaben wie in einem Praktikum selbstständig übernehmen, sondern sind als Beobachter dabei. Da dies normalerweise jedoch nur bei Führungspositionen eine gängige Maßnahme ist, war der Job Shadow im unteren Management und unter den Ingenieuren ein Novum. Die Integration wurde mir hier jedoch dadurch erleichtert, dass im Feld eine lokale Rolle etabliert ist, in der weibliche Mitarbeiterinnen der Personalabteilung in dem sonst männlich dominierten technischen Ingenieur- und Managementbereich arbeiten: Sie arbeiten als so genannte Teamcoachs, als Kommunikationsberaterinnen, die für die Verständigung unter den Teams zuständig sind und die Reibungslosigkeit im Informationsfluss moderieren sollen. Diese Kommunikationsbeobachterinnen werden zu Besprechungen hinzugezogen oder nehmen auf Eigeninitiative an diesen teil. Sie sind im 1 | Retrospektiv betrachtet waren z.B. meine anglisierte Sprechweise, die mit Managementjargon durchsetzt war, und das allgemeine Gefühl, unter Zeitdruck zu stehen und schnell etwas – wissenschaftlich – produzieren zu müssen, deutliche Indizien eines Going Native gewesen.

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Feld als Beobachterinnen etabliert. Als weibliche Ethnographin, die sich mit Kommunikation beschäftigt, bin ich im Erstkontakt oftmals als eine solche »Kommunikationsberaterin« identifiziert worden und wurde auf Tipps und Ratschläge für die eigene Praxis mit schwierigen Kommunikationspartnern hin angefragt. Meine Unabhängigkeit von der Firma und vom Management ermöglichte es, verhältnismäßig schnell das Vertrauen der Ingenieure zu gewinnen sowie die Bereitschaft, sich beobachten zu lassen. Die Manager und Ingenieure, die ich begleitete, wurden von der Abteilung ausgewählt und vorab über das Projekt schriftlich informiert. Sie hatten ihre Einwilligung bekundet, für das Forschungsprojekt, also für einen Tag oder zwei Tage, zur Verfügung zu stehen. So wechselte ich zu Beginn des Feldaufenthaltes tageweise meine Shadow Partners und begleitete sie in fast alle Besprechungen. Der tageweise Wechsel von Positionen, Projektzugehörigkeiten, Arbeitsplätzen, Besprechungstypen und auch Orten entpuppte sich als reflexiv in Bezug auf die Jobrotationsbewegungen der Mitarbeiter. Er erforderte genau das von mir, was sich im Feldaufenthalt als thematisch für die Teilnehmer herausstellte: schnelle örtliche und thematische Wechsel und ein flexibles Zurechtfinden in immer neuen Bezügen. Im Laufe der Zeit und mit mehr Feldkompetenz suchte ich mir gezielt zusätzlich zu den Tagesbegleitungen weitere Interviewpartner, um Hintergrundinformationen zu erhalten, und nahm an von mir ausgesuchten Besprechungen teil. In einem Feld, das hierarchisch über verschiedene Positionen organisiert ist, war der vorab organisierte Wechsel der Personen ein Türöffner zu den verschiedenen Besprechungstypen, die mir ohne die Begleitung von ranghohen Managern nicht zugänglich gewesen wären. So konnte ich die heteronationale Kommunikation in den verschiedensten Situationen und Hierarchieebenen, unter Ingenieuren, im unteren, mittleren und gehobenen Management, begleitend beobachten. Neben der begleitenden Beobachtung, der Transkription von zwölf einstündigen Besprechungen, erhob ich in einem Fragebogen Daten über die berufsbiographische Mobilität und soziale Herkunft meiner Shadow Partners und führte ethnographische Interviews mit diversen Informanten. Mit den von mir tageweise begleiteten Managern und Ingenieuren sowie mit ausgesuchten Interviewpartnern – z.B. mit englischen und deutschen Zulieferern, Arbeitsplatzarchitekten, Diversity-Trainern und -Managern – führte ich zudem thematisch offene Leitfadeninterviews. Nach einer ersten kurzen Reflexionsphase ging ich im Frühjahr 2000 erneut ins Feld, um dort zwei Wochen lang fokussierte Beobachtungen durchzuführen. In der fokussierten Beobachtung geht man auf Basis der ersten Analyse gezielt bestimmten Fragen nach, vertieft seine Beobachtungen und überprüft seinen ersten Eindruck. Ich begleitete in den zwei Wochen ausgesuchte Manager und Ingenieure am deutschen und englischen

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16 | Diversity in Action Standort, die in Projekten mit Japanern und Schweden arbeiteten, und nahm an von mir ausgewählten Besprechungstypen teil. Jenseits dieses Feldzugangs untersuchte ich die Arten und Weisen, wie Mitarbeiter in Bezug auf nationalkulturelle Unterschiede sensibilisiert werden, im Rahmen einer Hospitation bei einem interkulturellen Training eines deutschen Unternehmens. Zudem führte ich einen einjährigen intensiven Sprach- und Kulturaustausch mit einem kanadischen Manager durch, der für diese Zeit in Deutschland in einer deutschen Firma arbeitete. Wie ist die Studie aufgebaut? Im Folgenden gebe ich einen kurzen Leitfaden durch die Untersuchung. Im ersten Kapitel wird meine Forschungsfragestellung entwickelt und in den Theoriekontext platziert. Ich werde in die allgemeinen ethnomethodologischen Konzepte und Begrifflichkeiten einführen, um dann die ethnomethodologische Mitgliedschaftsanalyse vorzustellen, auf deren Logik sich die Studie hauptsächlich bezieht. In diesem Zusammenhang skizziere ich aktuelle Debatten der Geschlechtersoziologie, die sich mit den Fragen der Omnirelevanz, Neutralisierung und der Interferenz von Geschlecht als einer Mitgliedschaftskategorie auseinander setzen. Anschließend stelle ich diejenigen Begriffe und Instrumente vor, die für eine kontextualisierte Analyse in Organisationen benötigt werden. Dazu werde ich selektiv auf die systemtheoretische Vorstellung von Organisation eingehen. Aus einer wissenssoziologischen Perspektive wird in einem dritten Unterkapitel erarbeitet, durch welche alltäglichen Hintergrundannahmen sich die Kategorie der nationalen Herkunft auszeichnet und was daraus für eine Erforschung abgeleitet werden kann. Abschließend bündele ich Forschungsleitfragen der Untersuchung. Im ersten empirischen Teil der Fallstudie (Kapitel 2) untersuche ich die Erwartungsstrukturen des transnationalen Automobilherstellers. Hier analysiere ich empirisch zwei Strukturkomplexe, die zeitgleich in der Organisation eingeführt wurden: zum einen Strukturen, die unmittelbar im Zuge der Globalisierungsstrategie des Unternehmens, die den Namen Ford 2000 trägt, eingeführt wurden, und zum anderen unternehmenspolitische strukturelle Maßnahmen, welche die verschiedenen Identitäten von Menschen als wertvolle Ressource für das Unternehmen deklarieren und unter dem Programmnamen Diversity institutionalisiert sind. Beide Strukturveränderungen betreffen sämtliche Mitarbeiter der untersuchten Abteilung. Empirisch beantwortet werden soll in diesem Kapitel die Frage: Welche Erwartungen werden durch die transnationalen Strukturen und durch die Diversity-Maßnahmen an die Mitarbeiter gerichtet und werden zu ihrem unmittelbaren Interaktionskontext? Während der erste empirische Teil (Kapitel 2) ausschließlich die strukturelle Seite der Organisation kontrastierend analysiert, handelt der zweite (Kapitel 3) von den Praktiken der Mitarbeiter. Theoretisch angeleitet durch

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die Ethnomethodologie beantworte ich die Frage, ob und wie die nationale Herkunft der Mitarbeiter bedeutungsvoll für die Interaktion wird. In der Chronologie einer Interaktion, also vom ersten Blick über anschließend geführte mündliche Interaktion, beschreibe und analysiere ich, in welche Mitgliedschaftsklassen die Teilnehmer sich selbst mobilisieren bzw. welche ihnen zugeschrieben werden. Werden die Teilnehmer hierbei zu Subjekten ihrer nationalen Herkunft, oder kann nationale Differenz neutralisiert werden? In welchem Verhältnis steht diese zur professionsbezogenen Mitgliedschaft der Interaktionsteilnehmer als Stelleninhaber? Ich beschreibe die Darstellungspraktiken der Teilnehmer in der Interaktion und welcher lokale Sinn mit einer nationalen Differenzierung einhergeht, ob und wie es zu wechselnden situationsspezifischen Relevanzen kommt. Im Resümee der Arbeit werden die Ergebnisse der Interaktionsanalyse zusammenführend mit den kontextuellen Erwartungen der Organisationsstrukturen diskutiert und bilanziert. Ich diskutiere, welche praktischen Probleme durch die Neutralisierung und Aktivierung der verschiedenen sozialen Identitäten im Alltag gelöst werden, und formuliere Forschungsfragen, die sich aus diesen Ergebnissen für weiterführende Untersuchungen ergeben.

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1. Theoretischer Rahmen

Wie kann man im Arbeitsalltag von Organisationen die Relevanz von nationaler Herkunft als einer Mitgliedschaftskategorie analysieren? Diese Studie fokussiert auf die Alltagshandlungen der Mitglieder, die innerhalb eines spezifischen Kontextes stattfinden. Nationale Herkunft soll als ein Mitgliedschaftsphänomen spezifiziert und analysiert werden. Ich nähere mich dem Thema mit der Ethnomethodologie, einer soziologischen Perspektive, die das alltägliche Agieren und Kommunizieren der Mitglieder einer Organisation empirisch erforschbar macht. Die Interaktionen, die ich analysiere, finden innerhalb des spezifischen Kontextes einer transnationalen Organisation statt. Der organisationale Kontext setzt durch Strukturen der Interaktion bestimmte Vorgaben und richtet Erwartungen an das Verhalten der Stelleninhaber. Ihre Strukturen bilden den Kontext für die Interaktionen. Um diesen Kontext zu erfassen, werde ich zudem selektiv auf Begriffe und Grundgedanken der systemtheoretischen Organisationskonzeption zurückgreifen. Was ist nun damit gemeint, nationale Herkunft als eine Mitgliedschaftskategorie zu analysieren? »Mitgliedschaft« ist etwas, das wir im deutschen Alltagssprachgebrauch verwenden, um andere oder uns selbst einer Partei oder einem Verein zuzuordnen. Man ist Sozialdemokratin, Christdemokrat oder Mitglied im Kirchenvorstand, im Kinderschutzbund oder im Verband der Siegerländer Industrie- und Handelskammer. »Mitgliedschaft« ist etwas, womit man im Allgemeinen den freiwilligen Beitritt in eine Gemeinschaft bezeichnet, deren Zielen und Zwecken man sich verpflichtet fühlt und sie mit seinem Handeln unterstützt. Es ist etwas, das man durch freiwilligen Beitritt erwirbt oder auch durch das man sich selbst auszeichnet. Eine ganz andere Vorstellung von dem Begriff der Mitgliedschaft wird vertreten, wenn man ihn soziologisch als etwas Prozesshaftes versteht, das von den Teilnehmern in einer Interaktion erst hergestellt wird. Hier hat

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20 | Diversity in Action »Mitgliedschaft« sehr wenig mit einem freiwilligen Beitritt in ein Gemeinwesen oder eine Organisation zu tun. »Mitgliedschaft« ist ein analytischer Begriff, der die Zurechnung von Individuen zu bestimmten kollektiven Kategorien beschreibt. Beispiele für solche kollektiven Kategorien sind das Geschlecht, die nationale Herkunft, die Profession oder auch Verwandtschaftsverhältnisse. Alltagssprachlich referiert man gewöhnlich nicht auf den Ausdruck »Mitgliedschaft«, sondern benutzt Umschreibungen, wenn man auf diese Zugehörigkeiten bzw. Identitätsaspekte direkt angesprochen wird, z.B.: »Ich komme aus Deutschland und bin Akademikerin« etc. In der Kommunikation werden diese Zugehörigkeiten im Vollzug der Interaktion zugeschrieben, z.B. wenn man als Frau Professorin angesprochen wird. Diese Kategorisierungen sind Plazierungsvorgänge in Interaktionen in Bezug auf Individuen. Durch diese Zuschreibungen werden für Individuen Hüllen bereitgestellt, mittels und innerhalb derer sie sich (als Mann, als Deutscher, als Schwester, als Chef etc.) bewegen sollen. Ob nun explizit in einer Anrede oder implizit im Verlauf eines Gespräches, die Kategorisierungen machen die Auswahl bestimmter typischer Kommunikationsanschlüsse in der Interaktion wahrscheinlicher. Mit den Zuschreibungen und Darstellungen gehen Erwartungen über den Verlauf der Interaktion und in Bezug auf Handlungen einher. Die Erwartungen determinieren dennoch keine Handlungs- und Interaktionsverläufe, sondern formen für den Verlauf der Kommunikation die Individuen als Mitglieder bestimmter Kategorien. Im Verlauf der Interaktionen können sich dann die Beteiligten als Träger ganz spezifischer typischer Kategorisierungsmerkmale kenntlich machen, die erst durch die Kategorisierung ermöglicht wurden. Die Kategorisierung von Individuen in bestimmte Kollektive wird im Alltag benutzt, um sie als Personen zu beschreiben und diese als mit bestimmten Eigenschaften und Merkmalen ausgestattet wahrzunehmen, zu sortieren und Grenzen zu anderen Personen zu ziehen. »Mitgliedschaft« meint also in den wissenschaftlichen Modellen, die sich mit Prozessen in der Interaktion beschäftigen, die Angehörigkeit bzw. Zugehörigkeit von Individuen zu bestimmten Kollektiven, die von Alltagsteilnehmern zugeschrieben und von den Beteiligten in Handlungen, in Gesten und den Arten des Sprechens angezeigt wird. Dieser Begriff der Mitgliedschaft liegt dem geläufigen Alltagsverständnis fern, denn Alltagsteilnehmer gehen davon aus, das man diese Form der Zugehörigkeit entweder natürlich durch Geburt (Geschlecht) erhalten hat oder durch die Eltern vererbt bekommt (nationale Herkunft) oder einfach selbst durch eine Ausbildung erworben (Beruf) hat. Soziologisch soll mit dem Begriff der Mitgliedschaft bzw. der Mitgliedschaftskategorisierung nicht das Alltagsdenken gespiegelt werden. Vielmehr werden die sozialen Prozesse der Herstellung einer Zugehörigkeit anvisiert und bezeichnet, und zwar in zwei sich wechselseitig bedingenden Aspekten: Wie

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eine Mitgliedschaft als Kategorie zugeschrieben wird und wie sie von den Beteiligten im Verlauf einer Interaktion dargestellt und kenntlich gemacht wird. Eine Forschungsrichtung in der Soziologie – die Ethnomethodologie – analysiert insbesondere die Praktiken, welche im Alltag verwendet werden, um die Zugehörigkeit sozial herzustellen. Mit der Ethnomethodologie werden die sozialen Prozesse der Herstellung quasi natürlicher Zugehörigkeiten, wie der der Geschlechtszugehörigkeit, in ihrer alltäglichen interaktionalen Herstellung erforschbar. In Interaktionen vollziehen sich die Zuschreibungen oder Darstellungen nicht überall in der gleichen Weise, so wenig wie alle Mitgliedschaftskategorien in sämtlichen Kontexten gleichermaßen bedeutungsvoll sind. Beispielsweise werden Verwandtschaftsverhältnisse besonders bedeutsam auf Familienfeiern. Auch die Darstellung und Zuschreibung von Geschlecht, variiert je nach Kontext – ob man beispielsweise den Berufskontext am Arbeitsplatz oder eine private Feier betrachtet. Die Interaktionen, die meine Studie analysiert, finden im Kontext eines transnationalen Unternehmens statt. Organisationen stellen durch Strukturen bestimmte Erwartungen an den Verlauf von Interaktionen und schränken diesen durch Vorgaben ein. So werden beispielsweise bestimmte Kommunikationswege für Stellen vorgeschrieben, Weisungsbefugnisse erteilt, eine Trennung von Dienstlichem und Persönlichem, sowohl von den Organisationsstrukturen etabliert, als auch von den Mitarbeitern erwartet. Um diese Art von Strukturen und Vorgaben für den Kontext der Interaktion in einer transnationalen Organisation zu beschreiben, greife ich selektiv auf Begriffe und Instrumente der systemtheoretischen Organisationstheorie zurück. Im folgenden Kapitel werde ich die Grundgedanken und Begriffe der Ethnomethodologie einführen. Zwei Forschungsrichtungen weisen die Ethnomethodologie als eine Forschungsmethode aus, welche die Herstellung von Mitgliedschaftskategorisierungen in Sprachhandlungen und nonverbalen Handlungen analysiert. Da meine Forschung zur Relevanz und Neutralisierung der nationalen Herkunft sich am Modell des Doing Gender orientiert, werde ich die aktuellen theoretischen Debatten, die in diesem Konzeptrahmen stattfinden, kurz skizzieren: die Annahme der Omnirelevanz von Geschlecht, die Möglichkeit seiner Neutralisierung und die Interdependenz mit anderen Kategorien. Anschließend führe ich systemtheoretische Begriffe ein, um die Vorgaben und Strukturen der von mir untersuchten Organisation zu beschreiben. Diese theoretische Eröffnung schließt mit einer wissenssoziologischen Einführung in die Kategorie der nationalen Herkunft ab. Vor diesem theoretischen Hintergrund werde ich dann die konkreten Forschungsfragen entwickeln.

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1.1 Die Herstellung von sozialen Differenzen Der Begriff Ethnomethodologie wurde in den sechziger Jahren von Harold Garfinkel geprägt. Er benannte seinen Ansatz in Anlehnung an die anthropologischen Studien der Ethnoscience. Als einer der Hauptvertreter der Ethnosciences gilt Ward Goodenough, der die »Ordnung in den Köpfen« erfassen will und Kultur als ein Wissen definiert, das von Gesellschaftsmitgliedern geteilt wird (Goodenough 1971). »Kognitive Landkarten« (Spradley 1972) oder auch kulturelle Schemata erlauben es Individuen, Verhalten und Ereignisse zu deuten, die sie beobachten, und darüber hinaus Erwartungen in Hinsicht darauf zu entwickeln, was in Situationen jeweils als normal und plausibel gilt. Die Ethnoscience analysiert semantische Felder innerhalb von Sprachgemeinschaften, um deren kulturelle Schemata zu bestimmen. Diese Forschungsrichtung ist kognitiv ausgerichtet und versucht die Struktur der Wissensbestände zu fixieren. Beispielsweise rekonstruiert die Ethnomedizin jeweils das, was in einer Sprachgemeinschaft als Heilungsverfahren bestimmt wird. Garfinkel übernimmt die Vorstellung der Ethnoscience, dass die Mitglieder einer Gemeinschaft ein bestimmtes Wissen teilen, und nennt seine Forschungsrichtung Ethnomethodologie (Garfinkel 1974 [1968]).1 Er interessiert sich dafür, was die Mitglieder einer Gesellschaft in ihren Alltagshandlungen denken, tun und wissen. Dabei untersucht er nicht die Wissensbestände fremder Ethnien, sondern die der Mitglieder der eigenen Gesellschaft. Die Bezeichnung »Ethno« in Namen der Ethnomethodologie bezeichnet dies und steht zudem für eine strikte Binnenperspektive in der Forschung, die keine privilegierte Außenbeobachtung von Gesellschaft für sich behauptet. In einer modernen, funktional differenzierten Gesellschaft sind nicht alle Akteure in allen Kontexten kompetente Teilnehmer, welche spezifische Hintergrundserwartungen routinemäßig nicht verletzen. Beispielsweise sind auf einer Fachtagung für Simulationsverfahren in der Mathematik nicht alle Wissenschaftler kompetente Akteure und werden von den Fachtagungsmitgliedern als kulturelle Kollegen wahrgenommen. Je nach Umfang der Kompetenzen eines Mitglieds lassen sich Grade von Mitgliedschaft und nach den verschiedenen Inhalten der Kompetenzen auch multiple Mitgliedschaften konzeptionalisieren (Patzelt 1987: 59). Akteure können verschie1 | Jörg Bergmann hat besonders gut nachvollziehbare Einführungen in die Ethnomethodologie geschrieben (Bergmann 1987/1988). Ich halte mich in der Begrifflichkeit der Ethnomethodologie an seine Übersetzungen sowie an seine Einführungsgliederung. Zur Entstehung des Begriffs Ethnomethodologie vgl. Garfinkel 1974 (1968).

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dene Mitgliedschaften innehaben und damit Mitglieder verschiedener sozialer Wirklichkeiten sein. Forschungsvorhaben, die auf spezifische Kompetenzen von Personen fokussieren, verwenden als relevante theoretische Einheit Akteure. Akteurzentrierte Modelle, welche die unterschiedlichen Kompetenzen und Identitäten von Individuen statisch fixieren, findet man in der Soziologie beispielsweise in der funktionalistischen Rollentheorie.2 Hier werden soziale Rollen, z.B. die Berufsrolle eines Wissenschaftlers der Landschaftsarchitektur, als Set an spezifischen Verhaltenserwartungen bestimmt, die einer Person bzw. einem Akteur zugeschrieben werden. Die Grundeinheiten der Analyse der Ethnomethodologie sind dagegen nicht die Akteure, sondern die situierten Handlungen in einer Interaktion. Dabei setzt die Ethnomethodologie durchaus voraus, dass die Mitglieder über praktisches Wissen verfügen: sowohl über Kategorien, um Dinge, Handlungen und kulturelle Kollegen zu klassifizieren (z.B. Kategorien wie Männer, Frauen, Kinder, Deutsche, Wissenschaftler, Bäcker, Schaffner, Blinde etc.), als auch über praktische Methoden, um die Klassifikation durchzuführen und sich die Zugehörigkeit zu bestimmten Mitgliedschaftskategorien wechselseitig anzuzeigen. Im Unterschied zu Ethnoscience und Rollentheorie interessiert Garfinkel gerade nicht die einmalige Klassifikation oder Bestimmung von Wissensbeständen in Sprache oder ein Set an Verhaltenserwartungen und -normen, das bestimmten Positionsinhabern zugeschrieben wird. Eine theoretische Rekonstruktion von Verhaltenserwartungen liegt nicht im Interesse der Ethnomethodologie. Ihres liegt auf der interaktiven Sinnproduktion und Sinninterpretation, die im Vollzug des alltäglichen Handelns stattfindet. Die Ethnomethodologie dezentriert von Personen und erforscht in Interaktionen die Prozesse der Herstellung von Ordnung und Sinn. Eine bedeutende Form, wie Alltagsteilnehmer Sinn erzeugen, ist die in Handlungen stattfindende Zuschreibung und Konstruktion von kollektiven Zugehörigkeiten, wie Mann, Frau, Deutscher, Katholik etc. Durch die Zuschreibungen, die kommunikativ oder durch non-verbale Handlungen vollzogen werden, platzieren sich die Teilnehmer wechselseitig für die Interaktion und machen bestimmte Interaktionsverläufe durch die Kategorisierung wahrscheinlicher. Zentral ist hierbei, dass es sich um einen Prozess handelt. Bei der soziologischen Beobachtung des Vollzugs der Interaktion wird darauf geachtet, wie die wechselseitigen Zuschreibungen vollzogen werden. Um diese Forschungsperspektive genauer nachzuvollziehen, gehe ich kurz auf den theoretischen Hintergrund der Ethnomethodologie ein. Die Kategorisierung von Alltagsteilnehmern und ihre jeweiligen kom2 | Vgl. zu soziologischen Rollentheorien Linton 1936; Merton 1957; Parsons 1976. Zur Kritik des Rollenkonzepts vgl. Wrong 1961.

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24 | Diversity in Action munikativen Anschlusshandlungen sind ethnomethodologisch betrachtet Antworten auf die Frage, wie soziale Ordnung möglich ist. Diese grundsätzliche Frage nach der sozialen Ordnung übernimmt Garfinkel von seinem Lehrer Talcott Parsons und entwickelt in Auseinandersetzung mit dem Strukturfunktionalismus die Ethnomethodologie. Parsons legt 1937 eine allgemeine Theorie des sozialen Handelns vorgelegt, die einen allgemeinen Bezugsrahmen für die Soziologie liefern sollte (Parsons 1937). Diese Theorie war bis in die 60er Jahre in den USA dominant. Der Strukturfunktionalismus von Parsons lehnt jede subjektive Perspektive in der Modellierung sozialen Handelns ab. Soziales Handeln wird in der Theorie von Parsons in systemfunktionalen Bezügen quasi aus einer Vogelperspektive erfasst. Garfinkel kritisiert, dass Parsons einen kognitiven Konsensus (Wilson 1981: 54) unter den Gesellschaftsmitgliedern unterstellt und damit die Kardinalfrage des Ordnungsproblems, wie Verständigung möglich ist, theoretisch unbeantwortet lässt. Garfinkel zeigt in seinen späteren Experimenten, wie virtuos Akteure vorgehen, um Sinn und Kooperation in Situationen zu ermöglichen, und was von Akteuren – in banalen Alltagssituationen – getan wird, um Verständigung zu ermöglichen. Er kritisiert an Parsons Theorie, dass hier der Akteur als ein »judgemental dope«, als Beurteilungstrottel, definiert werde, der nach vorgegebenen Handlungsalternativen agiere (Garfinkel 1967: 68). Dem Problem der Verständigung hat sich Alfred Schütz gewidmet (Schütz 1932). Sein Ziel war es, eine Handlungstheorie zu entwickeln, welche die Prozesse der Konstitution von Sinn in sozialen Situationen erfasst und damit an die Verstehende Soziologie bei Max Weber anknüpft. Schütz hat eine Handlungstheorie entwickelt, welche die Konstitution der sozialen Wirklichkeit durch den Menschen erklären will, um damit die Interpretative Soziologie auf ein methodisch abgesichertes Fundament zu stellen. Seine Forschungsmethode war phänomenologisch, d.h. bewusstseins- und erfahrungsanalytisch. Garfinkel bezieht sich in seinen Untersuchungen auf die Theorie von Alfred Schütz, möchte jedoch Verständigung, also Sinnproduktion und Interpretation, nicht im Bewusstsein oder den gesammelten Erfahrungen von Akteuren bestimmen, sondern im alltäglichen Handeln empirisch untersuchen. Die Leitfrage der ethnomethodologischen Forschung lautet: Wie ist Sinnkonstruktion in alltäglichen Handlungen möglich, mit welchen Methoden und Techniken erzeugen die Mitglieder die als selbstverständlich hingenommene sinnhafte Ordnung ihrer sozialen Wirklichkeit? Mit dem Fokus auf die methodische Konstruktion der Wirklichkeit lässt sich die Ethnomethodologie als ein soziologisch konstruktivistisches Forschungsprogramm einordnen.

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1. Theoretischer Rahmen | 25 Ethnomethodological inquiry is guided by the heuristic ›Treat social facts as accomplishments‹. (Garfinkel, 1967) Where others might see »things«, »givens« or »facts of life«, the ethnomethodologist sees (or attempts to see) process; the process through which the perceivedly stable features of socially organized environments are continually created and sustained. (Pollner 1974: 22)

Konstitutive Merkmale alltäglichen Handelns Welche formalen Merkmale von (sprachlichen) Handlungen gibt es, die konstitutiv für das Handeln sind? »Practical Action« – das konstitutive Selektionsproblem von Alltagshandeln Ein Wort, das mit »entnervender Häufigkeit« (Bergmann) in Texten von Garfinkel auftritt, ist das Wort »praktisch«. Bergmann stellt eine Liste mit Formulierungen aus den Texten Garfinkels vor, in der dieser Begriff in Verbindung mit einer Vielzahl von Substantiven gebraucht wird: »practical reasoning«, »for-all-practical-purpose«, »practical action«, »practical theory« etc. (Bergmann 1987/1988: 27). Was meint »praktisch«? Handeln findet immer in Raum und Zeit statt, lokal und fortlaufend, und Handelnde müssen immer eine Entscheidung treffen, was sie als Nächstes tun. Akteure müssen aus einer Fülle an möglichen Handlungen, an möglichen Wahrnehmungen und Interpretationen auswählen und eine Antwort auf die Frage finden: »What to do next«? (Bergmann 1987/1988). Paul Watzlawick hat kommunikationstheoretisch erläutert, dass man nicht nicht kommunizieren kann (Watzlawick et al. 1969: 51f.). Analog dazu lässt sich sagen, dass man nicht nicht entscheiden kann. Garfinkel transformiert also die nicht-hintergehbare Selektivität der menschlichen Existenz in die Perspektive der Handelnden, wo sie praktisch und alltäglich, im Handlungsvollzug selbst, als Zwang zur Entscheidung zwischen alternativen Möglichkeiten gegenwärtig ist. (Bergmann 1987/1988: 28)

Diese unausweichliche Bedingung der Realisierung von Handlungen wird in der Ethnomethodologie praktisch genannt. Für den Entscheidungsdruck, das Auswählen von Situationswahrnehmung und –interpretation gibt es »eingespielte Lösungen« (Bergmann 1987/1988), mit denen wir systematisch die Übermittlung von Sinnbildung organisieren. Dies setzt eine gewisse »interpretative Kompetenz« (Bergmann 1987/1988) voraus – also einen Hintergrund an Erfahrungen und Methoden, der es den Akteuren ermöglicht, Hypothesen und Alltagstheorien über die Situationen zu bilden.

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26 | Diversity in Action Dafür brauchen Akteure praktisches Wissens darüber, wie man beispielsweise in einem Gespräch das Wort erhält, wie man ein Telefonat beendet, wie man ein Geschlecht treffsicher zuschreibt etc. Diese »eingespielten Lösungen« werden von Akteuren routiniert hergestellt, da sie ihnen vertraut und zum Teil als körperliche Routinen eingeschrieben sind. Ich möchte für den Selektionszwang und die routinierten Lösungen ein Beispiel aus dem Schauspielunterricht geben: In der freien Improvisation entwickeln Schauspieler ohne vorgegebenen Text und ohne spezifische Requisiten eine Szene. Die Herausforderung, eine soziale Situation für ein Publikum zu improvisieren, besteht darin, dass die Agierenden zunächst keine Hypothesen und Alltagstheorien über die Situation anhand von kulturellen Zeichen wie der Kleidung des Gegenübers, des Raums, der Uhrzeit etc. entwerfen können. Allein durch die gesprochene Sprache und die körperlichen Darstellungen des Spielpartners müssen sie Sequenz für Sequenz, Schritt für Schritt eine Situation entwerfen. Ihre Aufgabe ist es, sich auf die wechselseitige spontane und recht schnelle Entwicklung einer sozialen Situation einzulassen, und dabei gilt die Regel, dass alles erlaubt und möglich ist (mit Ausnahme körperlicher Schädigungen). Auf der Bühne ist jedoch genau dieses spontane Improvisieren, das von einem Publikum oder dem Regisseur beobachtet und bewertet wird, praktisch schwierig. Denn es setzt voraus, dass die Beteiligten nicht an ihrem in Gedanken entstandenen ersten Situationsentwurf auf Biegen und Brechen festhalten, sondern auf die Äußerungen und die Gesten des anderen spontan reagieren. Da die Schauspieler die Szene in jede Richtung interpretieren und gestalten können (Zahnarztpraxis, Mondlandung, Mutter und Tochter am Frühstückstisch etc.), lähmt dieses Auswahluniversum ihre Entscheidungsfindung. Die Auswahl, also die eingespielten Lösungen, werden nicht routiniert hergestellt, sondern durch Erwartungshaltungen, wie z.B. witzig zu sein oder nicht zu ordinär zu sein, blockiert. Gute Improvisation lebt davon, das Erste zu nehmen, das der betreffenden Person in den Sinn kommt und gleichzeitig flexibel auf die durch Antworten und Gesten angezeigte Situation zu reagieren.3 Regisseure intervenieren dann mit Sätzen wie: »An was hast du zuerst gedacht, nimm das – was willst du tun – tu es – jetzt!« Auf diese explizite Anweisung, das What-to-do-next-Problem mit dem ersten Einfall 3 | Keith Johnstone hat in seinen Büchern eine Vielzahl hoch interessanter Übungen zusammengestellt, um auf der Bühne routiniert mit dem praktischen Problem »What to do next« umzugehen. Da Schauspieler letztlich das echte Leben nachspielen, versuchen sie nichts anderes, als Alltagsteilnehmer (die auch sie sind) zu imitieren. Das setzt ein bemerkenswertes Methodenwissen voraus, wie man sowohl körperlich als auch sprachlich bestimmte Mitglieder (Typen) und soziale Situationen nachspielt und quasi natürlich für ein Publikum anzeigt (Johnstone 1998).

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zu lösen, entwickeln die Akteure sehenswerte Szenen, deren Ende für alle Beteiligten (auch für die Akteure) offen sind. Das sichtbare und sinnhafte Ordnen von Alltagsaktivitäten ist eine Funktion der praktischen Methoden, durch die soziale Ordnung erst ermöglicht wird. Wir zeigen uns wechselseitig den Sinn von Handlungen an, damit er verstehbar wird. Eine Form des sinnhaften Ordnens, das nicht in den Köpfen, sondern in den Handlungen sichtbar und hörbar angezeigt wird, ist die Kategorisierung von Alltagsteilnehmern in kollektive Mitgliedschaftskategorien. Das sinnhafte Ordnen wird für die Interaktionspartner gleichzeitig in den Handlungen sichtbar bzw. hörbar. Weshalb müssen wir Sinn ordnen? Wieso ist das »sichtbar-sinnhafte und berichtbare Ordnen« (Garfinkel 1967: vii) von Aktivitäten etwas, das Mitglieder einer Gesellschaft tun? Ist es schwierig, den Sinn, die Bedeutung von Handlungen und Äußerungen in Situationen zu verstehen? Im Augenblick ist es vielleicht schwierig, die Ethnomethodologie zu verstehen, einzelne Sätze jedoch sind als Sätze der deutschen Sprache für Leser und Leserinnen verstehbar. Das führt uns zum zweiten zentralen Begriff der Ethnomethodologie: Indexikalität – die konstitutive Vagheit von Bedeutungsinhalten Jede Äußerung und jede Handlung ist kontextgebunden: Sie wird von einer bestimmten Person, an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt und unter besonderen Umgebungsbedingungen getätigt. Gerade in der Sprache gibt es eine Vielzahl von Zeichen, die auf den Kontext referieren, in dem sie realisiert werden. Die Zeichen können je nach Kontext verschiedene Bedeutungen annehmen, also einen Index (Liste) an Bedeutungen anzeigen. Prototypen für »indexical expressions« (Garfinkel) sind bestimmte Artikel (der, die, das), unbestimmte Zeit- und Ortsangaben (jetzt, hier), Personalpronomen (du, sie, ich) oder auch Demonstrativpronomen (dies, jenes). Alle diese sprachlichen Zeichen referieren auf etwas, das in einem bestimmten Kontext eine spezifische Bedeutung erhält. In der Linguistik werden diese Zeichen auch deiktische Zeichen (Zeige-Zeichen) genannt, sodass der Hörer pragmatisch auf das Gezeigte zurückgreifen muss, um das Referenzobjekt zu lokalisieren. Die Ethnomethodologie geht davon aus, dass nicht nur einzelne sprachliche Zeichen indexikalisch sind, sondern auch Äußerungen und Handlungen. Je nach Situation erhalten sie eine angemessene, d.h. situationsspezifische Bedeutung.4 Der Satz »Wie geht es dir?« zeigt erst im Kontext an,

4 | Besonders ausführlich behandelt wird das Thema Indexikalität, ebenso wie

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28 | Diversity in Action wer mit »dir« gemeint ist und was der Bedeutungsgehalt des Satzes ist. Ob er eine Grußeröffnung unter Freunden, ein Annäherungsversuch oder die Eröffnung eines Beratungsgesprächs ist, wird erst in der Situation durch die Handlung der Interagierenden festgelegt.5 Diese grundsätzliche Indexikalität, mit der wir uns sprachlich in Situationen verständigen, so argumentiert Garfinkel, ist nicht endgültig aufhebbar oder lösbar. Man kann sprachliche Äußerungen nur durch andere sprachliche Äußerungen ersetzen, die selbst eines bestimmten Kontexts bedürfen, um verstanden zu werden. Die Ethnomethodologie stellt fest, dass im alltäglichen Handeln nicht auf Bedeutungssuche und -fixierung abgezielt wird, sondern diese Bedeutungssuche aus praktischen Gründen, um überhaupt handeln zu können, von den Handelnden abgebrochen wird. Alltagsteilnehmer unterstellen dem Gegenüber, dass er schon irgendwie verstehen wird und dass sich Unklarheiten im Verlauf klären werden. Wie ist dann Verständigung möglich, wenn sie nicht in den sprachlichen Äußerungen mit letzter Klarheit angezeigt werden kann? Die Ethnomethodologie hat herausgefunden, dass gerade dadurch Verständigung möglich ist, dass die Teilnehmer den Bedeutungsgehalt sprachlicher Äußerungen vage halten und nicht alles daran setzen, eine fixe Bedeutung festzulegen. Alltagsteilnehmer brauchen Vagheiten und Bedeutungsunschärfen, um handlungsselektiv vorzugehen und das Nächste zu tun und versuchen nicht, diese endgültig zu bestimmen.6 Garfinkel hat Experimente durchgeführt, in denen systematisch der Vollzug von Interaktionen gestört wurde. Gestört wurden die impliziten und für Alltagsgespräche konstitutiven Basiserwartungen, die erfüllt sein müssen, damit eine Interaktion prinzipiell die Reflexivität, auf die ich im nächsten Absatz eingehen werde, in Garfinkel/Sacks 1970. 5 | Sprachphilosophisch und linguistisch ist viel zu dem Phänomen indexikaler und objektiver – was den Gegenbegriff zu indexikalisch benennt – Zeichen gearbeitet worden, vgl. Richter 1988. Als objektive Zeichen gelten in der Sprachphilosophie Worte wie »der Abendstern«, »die Flasche« etc., deren Bedeutung durch die Sprache begrenzt und fest ist. Garfinkel hebt für die Zwecke der Ethnomethodologie die Unterscheidung zwischen indexikalen und objektiven Zeichen auf. Auch objektive sprachliche Zeichen können je nach Kontext ganz unterschiedliche Bedeutung annehmen. So kann »Zucker« eine kosehafte Bezeichnung einer Person sein, der Ausdruck von großer Begeisterung in Anbetracht einen schönes Kleides, die Aufforderung einer Wohnungsgemeinschaftsgenossin, vom Einkauf Zucker mitzubringen, oder etwas ganz anderes, das erst durch den spezifischen Kontext und die Platzierung innerhalb einer mündlichen Kommunikation seine Bedeutung erhält. 6 | Zur Auseinandersetzung mit der Bedeutungssuche und Bedeutungsfixierung von Wissenschaftlern vgl. Garfinkel/Sacks 1970.

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möglich ist. Durch die experimentelle Anordnung sollten diejenigen Elemente in der Interaktion mobilisiert werden, die die Ordnung der Situation, das wechselseitige Verstehen und Kooperieren ermöglichen. Eine der entscheidenden Basiserwartungen ist die Annahme, dass der andere schon versteht was ich meine, und dass sich Unklarheiten im Verlauf eines Gesprächs aufheben werden.7 Garfinkel forderte Studenten (als Experimentatoren [E]) seines Kurses auf, in einer Alltagskonversation ihr Gegenüber (eine unfreiwillige Versuchsperson [VP]) den Sinn einer alltäglichen Bemerkung erklären zu lassen. Dabei wird das Vertrauen, dass der andere schon verstehen wird, erschüttert: Fall 1: Die Versuchsperson erzählte dem Experimentator, die beide Mitbenutzer desselben Wagenparks waren, gerade davon, dass sie am vorhergehenden Tag während der Fahrt zur Arbeit eine Reifenpanne gehabt habe. (VP): Ich hatte einen platten Reifen. (E): Was meinst du damit, du hattest einen platten Reifen? Der Student berichtet: Sie schien zunächst verblüfft. Dann antwortete sie feindselig: »Was meinst du mit ›Was meinst du damit?‹ Ein platter Reifen ist ein platter Reifen. Das ist es, was ich meine. Nichts Besonderes. Was für eine verrückte Frage!« Fall 6: (VP): Wie geht’s dir? (E): Wie geht es mir mit was? Meiner Gesundheit, meinen Finanzen, meinen Schularbeiten, meinem Seelenfrieden, … (VP): (rot im Gesicht und plötzlich außer Kontrolle) »Schau, ich versuchte gerade höflich zu sein. Ehrlich gesagt ist es mir verdammt egal, wie es dir geht.«8

Die (unfreiwilligen) Versuchsteilnehmer reagierten mit Verwirrung und Ablehnung. Dem Experimentator wurde Unverständnis attestiert oder die böswillige Absicht zu irritieren. Die konstitutive Erwartung der Indexikalitätstoleranz, d.h. der grundsätzlichen Bereitschaft, Vagheit zu tolerieren, wird hier von dem Experimentator verletzt. Die Ethnomethodologie beschreibt Verfahren, mit denen diese notwendige Indexikalitätstoleranz im Alltag gesteuert wird (Patzelt 1987: 85). Das Experiment zeigt, dass gerade 7 | Vgl. zur Verwendung der Schützschen Idealisierungen in den ethnomethodologischen Interpretationsverfahren Patzelt 1987: 83ff. 8 | Die deutsche Übersetzung des Auszugs aus Garfinkels Experimenten findet sich in der Textsammlung »Symbolische Interaktion«, die von Heinz Steinert herausgegeben wird (Steinert 1973: 280-293).

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30 | Diversity in Action die Vagheit der sprachlichen Äußerungen anschlussfähig für die Kommunikation bzw. für den Fortlauf der Interaktion ist. Dezidiertes Nachfragen, das kommunikative Anzeigen von Indexikalität, führt zu Verunsicherung bei den Versuchsteilnehmern und einem überraschenden Verlauf der Interaktion (»Ehrlich gesagt, ist es mir verdammt egal, wie es dir geht«).9 Die Indexikalität von Äußerungen und Handlungen ist letztlich nicht aufhebbar, sondern nur in einem lokalen Kontext praktisch lösbar. Handlungen und Äußerungen verweisen, so ein zentrales Ergebnis der Ethnomethodologie, immer auf einen situativen Kontext, in dem sie realisiert werden. Innerhalb ihres Kontextes erhalten sie – und das ist eine Aktivität der Teilnehmer – praktische Bedeutung. Die Vagheit von Äußerungen gilt in den Alltagshandlungen nicht als Defizit oder als Problem, sondern ist konstitutiv für den situationsadäquaten Gebrauch, und die Situationsteilnehmer vertrauen darauf, dass der andere schon verstehen wird. Reflexivität – die konstitutive Kontextgebundenheit des Handelns Der dritte Schlüsselbegriff, der ein weiteres konstitutives Merkmal aller alltäglichen Handlungen bezeichnet, ist die Reflexivität. Ich möchte die Reflexivität an einem Beispiel von Werner Patzelt verdeutlichen (Patzelt 1987: 66). Patzelt beschreibt die Alltagssituation, dass sich Ego und Alter auf der Straße treffen und Ego Alter das Gesicht zuwendet und lächelt in der Absicht, ein Grußritual zu eröffnen. Es kommt in diesem Moment der Situation darauf an, wie Alter nun auf diese Handlung reagiert und welche anderen möglichen Interpretationsalternativen er ausschließt, damit aus dem Zeichen von Ego der Beginn eines Grußrituals wird. Lächeln ist ein hoch indexikaler Ausdruck wie schon das Zuwenden des Gesichts. Wenn Alter nun gleichermaßen mit einem Lächeln reagiert, werden andere Möglichkeiten wie Gedankenlosigkeit, Ironie, Verachtung, Spott, Mitleid ausgeschlossen und eine Teilmenge als Interpretationskontext selektiert, in der Lächeln den Beginn eines Grußrituals indiziert. Ist dieser Kontext nun durch ein ratifizierendes Lächeln von Alter entindexikalisiert, sind Folgehandlungen wie Aufeinanderzugehen, Händeschütteln und Fragen wie »Wie geht’s?« ohne Probleme anschlussfähig, sodass sich das Gesamtbild einer problemlosen Bekanntschaft ergibt. 9 | Um noch einmal auf das Beispiel der Improvisationsschauspieler zu kommen: Alltagsteilnehmer unterscheiden sich in diesem Punkt nicht von guten Improvisations-Spielern. »Gute Improvisations-Spieler bringen eine Handlung in Gang. […] Die Schauspieler wissen beide nicht genau, worum es in der Szene eigentlich geht; doch sie sind bereit, aufeinander einzugehen und abzuwarten, was dabei herauskommt« (Johnstone 1998: 162).

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Wenn jedoch Alter nicht mit einem Lächeln auf das Zeichen von Ego reagiert, ist der Kontext des Grußrituals gerade nicht realisiert und für Ego (!) nicht weiter verfügbar. Gerade durch die Handlungen, also durch die Interpretation der Zeichen (Lächeln und Gesicht zuwenden) als Begrüßungsinitiation und die Reaktion von Alter, werden die sprachlichen und nichtsprachlichen Zeichen zu einer Begrüßung. Dadurch, dass beide eine geteilte Menge des Bedeutungskontexts selektieren und praktisch durch Handlungen daran anschließen, wird ein gemeinsames Verständnis und eine gemeinsame Situation ermöglicht. Dass dies nicht automatisch, quasi schematisch verläuft, dürfte durch die Ausführungen zur Indexikalität hinreichend verdeutlicht sein. Was meint nun Reflexivität? Patzelt fasst die Bestimmung von Reflexivität wie folgt zusammen: […] die realisierte Möglichkeit, durch Benutzung und Interpretation indexikaler Zeichen aus situativ insgesamt verfügbaren Kontextmengen solche Teilmengen zu selektieren, innerhalb welcher eben diese indexikalen Zeichen ihren der Situation angemessenen Sinn enthalten und ihn, so gedeutet, ihrerseits ›in die Situation einbauen‹ können, wird Reflexivität (indexikaler) Zeichen genannt. (Patzelt 1987: 68)

Reflexivität und Indexikalität sind zwei Seiten der gleichen Medaille: Reflexiv sind Aktivitäten in Bezug auf den Kontext und gleichzeitig in Bezug auf den Handlungsverlauf selbst. Eine Handlung hat eine bestimmte Dauer, und in dieser Dauer wird die Handlung selbst zu ihrem eigenen Kontext. Der Methodenbegriff der Ethnomethodologie Vor dem Hintergrund des praktischen Selektionsproblems, der Indexikalität von sprachlichen und nichtsprachlichen Zeichen und der Reflexivität von Alltagshandlungen ist der Methodenbegriff der Ethnomethodologie zu verstehen. Subjektive Sinngebung ist in diesem handlungstheoretischen Ansatz kein rein kognitiver Vorgang, sondern ein öffentliches Geschehen. Alltagsteilnehmer zeigen sich den Sinn ihrer Handlungen, also die Normalität, die Rationalität, die Wohlgeordnetheit ihrer Handlungen an. Das Aufweisen von Sinn und das Interpretieren von indexikalen Zeichen – also das Entindexikalisieren – sind Verfahren und Techniken, soziale Ordnung herzustellen. Der Ausdruck »Methodologie« bezeichnet den Gegenstand der Ethnomethodologie, also die Lehre derjenigen Methoden, welche die Mitglieder einer Gesellschaft verwenden, um im alltäglichen Handeln das, was sie als gegebene objektive Sachverhalte und von den Subjekten unabhängige soziale Realität wahrnehmen, im alltäglichen Handlungsvollzug herzustellen (Weingarten/Sack 1979). Ein bedeutendes Verfahren, das Interaktionsteil-

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32 | Diversity in Action nehmer verwenden, um sich wechselseitig den Sinn ihrer Handlungen anzuzeigen, ist das »Accounting«. Ethnomethodological Studies analyze everyday activity as members’ methods for making those same activities visibly-rational and reportable for all-practical-purpose, i.e. »accountable«, as organizations of commonplace everyday activities. (Garfinkel 1967: vii) (Hervorhebung von A. Frohnen)

Teilnehmer interpretieren nicht nur die indexikalen Zeichen, sondern sie weisen ihre Handlungen immer als bestimmte Zeichen aus. Account-Verfahren von Alltagsteilnehmern sind sinnaufweisende Verfahren und dienen dazu, eine gemeinsame Interpretation von indexikalen, situativ wichtigen Zeichen zu steuern. Bergmann übersetzt Account mit »praktischer Erklärung«, die die Teilnehmer einer Interaktion sowohl sich selbst, als auch ihrem Gegenüber bereitstellen. Häufig findet man in deutschen Texten für Account oder Accountability auch das Wort »Darstellung«, im Englischen schlägt Michael Lynch vor, diesen Begriff mit »observable and reportable« zu umschreiben (Lynch 1993: 14).10 Im dem oben aufgeführten Beispiel von Patzelt, dem Indizieren einer Begrüßung, wird das Lächeln als Beginn eines Grußrituals ausgewiesen und situativ erkennbar gemacht. Praktische Erklärungen, also das Aufweisen des Sinns einer Handlung, sind nicht etwas, das zusätzlich zu einer Handlung oder Äußerung gegeben wird, sondern etwas, das in sie eingelassen ist. Garfinkel insistiert darauf, dass die Alltagsaktivitäten, mittels derer soziale Handlungszusammenhänge hervorgebracht werden, identisch sind mit denjenigen Methoden, welche die Gesellschaftsmitglieder anwenden, um diese Handlungszusammenhänge praktisch zu erklären, d.h. beobachtbar und beschreibbar zu machen. Die Produktion von Handlungen und die Kognition bilden eine Einheit. Beispielsweise zeigen sich die Teilnehmer eines Seminars an einer Universität (die Studenten, die Dozenten) durch ihr Handeln an, dass sie ein Seminar abhalten. Die Tätigkeit »wir führen hier ein Seminar durch« wird nicht von den Teilnehmern der Situation expliziert, sondern die Erklärung ist in die Handlungen eingelassen. Ein Außenstehender, der aus Versehen den falschen Raum betritt, wird sofort erkennen, dass in diesem Raum ein Seminar stattfindet, ohne dass der Dozent dies sagen muss. Accounts sind wesensmäßig reflexiv, sie erzeugen strukturiert eine Situation und sind gleichzeitig Teil dieser Situation. Sie erhalten erst inner10 | Lynch fächert den Account-Begriff nach Garfinkel in sechs Merkmale auf: Geordnetheit und Beobachtbarkeit, Normalität, Ausgerichtetheit, Rationalität und Beschreibbarkeit von Handlungen (Lynch 1993: 14f.).

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halb dieser Situation ihren praktischen Sinn. Diese reflexive Eigenschaft von Accounts, dass sie sowohl anzeigen als auch konstituieren, was sie anzeigen, wird von den Gesellschaftsmitgliedern ebenso andauernd benutzt wie hartnäckig ignoriert. »Das Account-Konzept umfasst sowohl die sinnhaft-verstehende Aneignung eines Geschehens, als auch – in Umkehrung dieser Außen-Innen-Sequenz – dessen sprachliche Bezeichnung und Weiterverarbeitung« (Bergmann 1987/1988: 45). Die elementaren Ordnungsleistungen des sinnhaften Wahrnehmens und Erkennens, des Identifizierens und Beschreibens will Garfinkel mit dem Ausdruck Account und Accountable benennen. Wirklichkeit wird daher in der Ethnomethodologie als »Vollzugswirklichkeit« (Bergmann 1987/1988) bestimmt. Akteure konstituieren im Verlauf ihrer Handlungen die soziale Wirklichkeit, die sie als äußere Wirklichkeit wahrnehmen, und zeigen sich die Geordnetheit ihrer Handlungen an. Der Forschungsfokus der Ethnomethodologie ist, wie das nachfolgende Zitat akzentuiert, auf das Tun der Mitglieder einer Gesellschaft ausgerichtet: The ethnomethodologist continually asks the technical question, »How is that social activity done?« Harvey Sacks keeps this question in front of him by using the verb »to do« in thinking about social activities. He refers to arguing as doing arguing; being embarrassed as doing embarrassment; exclaiming as doing exclaiming; questioning as doing questioning, etc. In this way he tried to keep focused on the methodical ways in which social activities are produced by members of the culture. (Lindsey 1971), zitiert nach (Bergmann 1987/1988: 54) (Hervorhebungen im Text)

Soziologen können aus dem praktischen Wissen der Teilnehmer ein empirisches Wissen machen, indem sie die methodischen Handlungsweisen der Teilnehmer beobachten und beschreiben. Aber auch dieses am konkreten Material erworbene empirische Wissen zeigt selbst wieder indexikalische Eigenschaften und Reflexivität in der Beschreibung auf. Aus diesem Grund behaupten Ethnomethodologen keine privilegierte Erkenntnisposition für wissenschaftliches Beobachten gegenüber den alltäglichen Beobachtungen und Beschreibungen von so genannten Laien. Die Mitgliedschaftsanalysen und das Doing-Gender-Modell Der Schwerpunkt in diesem Kapitel liegt auf Studien, welche die Herstellung von sozialen Mitgliedschaften erforschen. Ich werde zunächst den ethnomethodologischen Ansatz zur Analyse von Mitgliedschaft in der Konversation skizzieren. Dann stelle ich ausführlich Studien und Konzepte vor, die Geschlecht als eine Mitgliedschaftskategorie analysieren, die durch Handlungen bedeutungsvoll wird. Die Forschungen zu Geschlecht sind ein

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34 | Diversity in Action instruktives Beispiel dafür, wie eine Mitgliedschaftszugehörigkeit in ihrer alltäglichen Herstellung und Neutralisierung untersucht werden kann. Ich werde an dieser Stelle insbesondere auf die Themen der Neutralisierung und der Interferenz mit anderen Mitgliedschaftskategorien eingehen. In den Untersuchungen zur methodischen Konstruktion von Wirklichkeit erwies sich ein Forschungsbereich als besonders fruchtbar: die Konversation, also die Erforschung jener mündlichen Äußerungen, die Emanuel Schegloff als »talk in interaction« präzisierte. Die klassische Konversationsanalyse hat die sequenzielle Organisation, also die Abfolge von Redezügen in Gesprächen, zum primären Analysegegenstand gemacht und eine Reihe von Ergebnissen dazu vorgelegt: die Vergabe von Rederechten und Redezügen, das Turn-Taking-System (Sacks et al. 1978), die Regeln von Paarsequenzen, die insbesondere in Begrüßungen und Verabschiedungen interaktive Bedeutung haben (Schegloff/Sacks 1973).11 Als Material für die konversationsanalytischen Arbeiten dienen Gespräche in alltäglichen Interaktionsvorgängen. Grundlegende Forschungen zur Analyse von Konversationen führten Harvey Sacks und Emanuel Schegloff in den sechziger Jahren durch. Sacks und Schegloff gehen davon aus, dass das Material nicht nur für einen beobachtenden Analytiker Ordnung aufweist, sondern insbesondere auch für die Gesprächsteilnehmer in der Situation. Anhand dieses Materials, also anhand gesprochener natürlicher Sprache, weisen Konversationsanalytiker Muster der sequenziellen Organisation von Gesprächen nach. Mittlerweile sind die Forschungsarbeiten der Konversationsanalyse aufgefächert in verschiedene Richtungen, die sich in ihren Ansätzen unterscheiden.12 Neben den allgemeinen Studien zu Talk in Interaction untersucht eine Forschungsrichtung die Merkmale institutioneller Konversation (Drew/ Heritage 1992). Dabei sollen die konstitutiven Aspekte der Institution selbst erforscht werden, z.B. von Gerichten (Atkinson/Drew 1979), von Schulen (Mehan 1991), von Notrufstellen (Zimmerman 1984) und allgemein von

11 | Eine Paarsequenz ist z.B. die Einheit Frage-Antwort. Wenn jemand eine Frage stellt, erwartet er eine Antwort. Die Frage und die Antwort bilden im sequenziellen Aufbau von Konversationen ein benachbartes Paar. 12 | Im Unterschied zu der orthodoxen Konversationsanalyse zieht die Santa Barbara School eine Verbindung zwischen einer allgemeinen und einer ethnomethodologisch informierten Soziologie (Eberle 1997), die sich den Fragen nach Machtverteilungen und Status zuwendet. Untersuchungen zu Asymmetrien in Gesprächen zwischen Männern und Frauen (West 1979; West/Zimmerman 1975) in Bezug auf Unterbrechungen und Studien zur Interaktion im Arzt-Patienten-Gespräch (West 1984) analysieren den Zusammenhang von Status und Macht.

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Arbeitsorganisationen (Boden 1994).13 Als institutionelle Interaktion wird in diesen Studien eine Interaktion bezeichnet, die aufgaben- und arbeitsbezogen ist und in der die professionelle Identität relevant gemacht wird (Drew/Heritage 1992: 3). Dabei ist nicht der unmittelbare räumliche Kontext der Interaktion entscheidend, sondern der Inhalt der Interaktion. Denn institutionelle Interaktionen können z.B. auch in einem Restaurant während eines Arbeitsessens stattfinden. Die Forschung geht komparativ vor: Ein ungezwungenes Alltagsgespräch zwischen gleichberechtigten Sprechern wird als Referenzmodell angenommen, von dem sich dann die institutionelle Interaktion (asymmetrisch und zielorientiert) in spezifischer Weise unterscheidet.14 Es wurden vor allem solche arbeitsbezogenen Interaktionen analysiert, in denen die gesprochene Sprache das Hauptmittel der Verrichtung der alltäglichen Arbeit darstellt (z.B. Bewerbungsgespräche in interkulturellen Situationen, Gerichtsverhandlungen, Notfallanrufe). Die zweite zentrale Forschungsrichtung der Ethnomethodologie sind die Studies of Work. Dort sind nicht nur die zwischenmenschlichen Gespräche, also der Talk, sondern die Arbeitshandlungen, also auch die nichtsprachlichen Arbeitshandlungen und der Umgang mit technischen Geräten, untersucht worden (Knoblauch/Heath 1999). Auch hier wird die lokale Produktion von Ordnung untersucht, aber es stehen »embodied practices« (Garfinkel 1986), die verkörperten Praktiken der Handelnden im Vordergrund. Es werden die konkreten Arbeitsvollzüge und die darin eingelassenen Kompetenzen (also das praktische Wissen) beschrieben, die erst im Vollzug der Handlung angezeigt werden und zur Anwendung kommen. Dazu sind Studien entstanden, die die Forschungstätigkeiten in der Wissenschaft untersucht haben, wie (Lynch 1985), der die Labortätigkeit von Neurobiologen analysiert. Aber auch Analysen zu Mensch und Maschine, wie z.B. der Kontrollraum eines Fluglotsen (Goodwin/Goodwin 1996) oder die Händlertätigkeiten an der Börse (Heath et al. 1995), sind klassische Arbeiten der Studies of Work.15 Eine zentrale Bedeutung hat die Ethnomethodologie über diese Forschungszweige hinaus in der Analyse der Herstellung sozialer Mitgliedschaften gewonnen: einerseits der sprachlich-kommunikativen Herstellung von Mitgliedschaften (Membership Categorization Analysis) und andererseits der durch Alltagshandlungen stattfindenden Herstellung von Geschlecht (Doing Gender). Die Ethnomethodologie ist insbesondere seit den 80er Jah13 | Zentrale Sammelbände für diese Studien sind von Boden und Drew herausgegeben worden (Boden/Zimmerman 1991; Drew/Heritage 1992). 14 | Die Merkmale finden sich bei Drew/Heritage 1992: 23f. 15 | Für einen Überblick zur wissenssoziologischen und ethnomethodologischen Wissenschaftsforschung und deren Weiterentwicklung vgl. Heintz 1993.

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36 | Diversity in Action ren für die Debatte um die Geschlechterkonstruktion in der Geschlechterforschung ein wichtiger theoretischer Forschungsansatz geworden (Gildemeister/Wetterer 1992; Hagemann 1993; Hirschauer 1995). Beiden Forschungsrichtungen ist die Annahme gemeinsam, dass a) die Zugehörigkeit zu einer kollektiven Kategorie, wie Geschlecht, Ethnizität, Klasse etc., nicht an Personen haftet, sondern in der Interaktion hergestellt wird, dass b) die Zugehörigkeit Personen an bestimmte kommunikative Positionen und Plätze sortiert, die gleichzeitig Grenzen für deren kommunikativen und nonverbalen Handlungsspielraum sind, und dass c) nicht alle Mitgliedschaftskategorien in allen Situationen relevant sind und jeweils kontextspezifische Bedeutungen haben. Membership Categorization Analysis Im Gegensatz zu der sequenziellen Analyse von Konversation analysiert die Membership Categorization Analysis (MCA) den »statischen Aspekt« (Hester/Eglin 1997: 2), der die Herstellung von sozialer Identität fokussiert.16 Diese Forschungsrichtung hat ihren Anfang mit Arbeiten von Harvey Sacks genommen, der auf den Gebrauch von Mitgliedschaftskategorien als Membership Categorization Practices fokussierte (Sacks 1992). Mitgliedschaftskategorien (MC’s) sind nach Sacks Klassifikationen oder soziale Typen, die für die Beschreibung von Personen verwendet werden können, also z.B. Frau, Astronaut, Manager, Großmutter. Mitgliedschaftskategorien sind zum Teil praktisch miteinander verbunden (als Sammlung) und werden im Alltag als zusammengehörig verwendet. Das Membership Categorization Device »Family« kann Mitgliedschaftskategorien wie Mutter, Vater, Tochter, Sohn, Onkel etc. enthalten und schließt gewöhnlich andere Mitgliedschaftskategorien wie Polizist, Katze, Neonazi, Brite usw. aus. Harvey Sacks erforscht die formalen Regeln, nach denen Devices (Sammlungen) und einzelne Mitgliedschaftskategorien angewendet werden. Darüber hinaus untersucht er die Aktivitäten und lokalen Erwartungen, die mit den Mitgliedschaftskategorien verbunden werden. In Interaktionen werden nicht nur Mitgliedschaften nach bestimmten Regeln zugeschrieben, sondern auch bestimmte Handlungen mit diesen verbunden.17 Diese nennt Sacks »Cate16 | Ich verwende den Begriff soziale Identität, um die Perspektive der Selbstwahrnehmung von Individuen zu bezeichnen, und visiere damit Personen als Einheit an. Der ethnomethodologische Begriff der Mitgliedschaft, wie ich ihn zuvor eingeführt habe, bezieht sich auf die in Interaktionen hergestellte Zugehörigkeit zu spezifischen kollektiven Mitgliedschaftskategorien. Damit wird die Interaktion, wie bereits betont, in den Forschungsblick gerückt und von den Personen dezentriert. 17 | Sacks hat zwei Regeln herausgearbeitet, nach denen Erwartungen mit den

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gory Bound Activities« (CBA). Die CBA sind Handlungen, die von Mitgliedern einer bestimmten Kategorie (Neonazi, Bedienung, Brite, Mutter etc.) gewöhnlich erwartet werden und die von diesen gewöhnlich auch durchgeführt werden. Beispielsweise werden von einer »Bedienung« in einem Restaurant Handlungen wie »Bestellungen aufnehmen«, »Essen bringen«, »Rechnungen erstellen«, »Geld kassieren« etc. erwartet. Mitgliedschaftskategorisierungen werden in einer Interaktion nicht ein für alle mal zu Beginn zugeschrieben, sondern die Handlungen, die Tätigkeiten und Gesten in einer Interaktion zeigen den Teilnehmern wechselseitig und fortlaufend an, wer sie in der Interaktion füreinander sind. Psathas formuliert diesen Zusammenhang wie folgt: Rather the who I am is accomplished in the doing of the action. What one person does provides for the other person an answer to who I am for present purpose. It is in this sense that we can see that membership categorization is an accomplishment, contingent on the actions of the parties and not a once and for all settled and done matter. (Psathas 1999: 148)

Die Kategorisierungen werden in der Interaktion vollzogen und müssen nicht explizit verbal benannt werden. Durch die Mitgliedschaftskategorisierungen in den sprachlichen und nichtsprachlichen Handlungen sortieren die Teilnehmer der Interaktion sich wechselseitig in Hüllen, die mit bestimmten Erwartungen (CBA’s) verbunden sind. Die Interaktionsteilnehmer sollen sich, so die wechselseitige Erwartung, mit Hilfe dieser Hüllen in der Interaktion bewegen. Damit werden Erwartungsgrenzen gezogen, die bestimmte Handlungen wahrscheinlicher machen. Der praktische Vollzug der Kategorisierung ist jedoch kein einmaliger Akt, sondern wird im Verlauf der Interaktion situativ vollzogen und immer mit kontextueller Bedeutung gefüllt. Die sozialen Kategorien (Frau, Deutscher, Schiffbauer etc.) sind immer vieldeutige, polysemische Kategorien, die erst, wie die Ethnomethodologie durch die Analyse der Indexikalität und Reflexivität plausibilisiert, in einer konkreten Interaktion eine lokale Bedeutung für praktische Zwecke erhalten. Teilnehmer der Situation werden dadurch wechselseitig als Personen mit bestimmten Merkmalen und erwartbaren Handlungen in der Situation spezifiziert. Die Studien zu den Bound Activities, den Devices und Categories sind in verschiedenen Arbeiten fortgesetzt und ausgeweitet worden: Nekvapil erforscht die Mitgliedschaftskategorien, welche im Autowerk Skoda verwendet werden, und analysiert die lokale Verwendung und Bedeutung naKategorien verbunden werden: die Ökonomieregel und die Konsistenzregel. Vgl. hierzu Hester/Eglin 1997: 4.

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38 | Diversity in Action tionaler Mitgliedschaftskategorien wie z.B. Deutscher und Tscheche (Nekvapil 1997). Psathas analysiert mittels der Membership Analysis die kommunikative Darstellung organisationaler Mitgliedschaft (Psathas 1999). Die ethnische Zugehörigkeit als spezielle Mitgliedschaftskategorie wird von Moermann (Moermann 1974) und die nationale Identität von Hester (Hester 2002) untersucht. Prominent sind die Studien zu Kategorisierung und moralischer Ordnung (Jayyusi 1984). Gemeinsam ist den Studien zur Mitgliedschaftskategorisierung die forschungsleitende Annahme, dass die jeweiligen Bedeutungen der Mitgliedschaftskategorien lokal hergestellt werden und nicht in kognitiven Schemata der Sprache vorgegeben sind. Ethnomethodologische Geschlechterforschung als Modell der Mitgliedschaftsanalyse Ethnomethodologische Forschungen, die nicht nur auf Sprachhandlungen zur Herstellung von Mitgliedschaften ausgerichtet sind, haben insbesondere in der Geschlechterforschung stattgefunden.18 Ich möchte die Entwicklungen der Forschung zu Geschlecht beispielhaft vorstellen, weil meine Arbeit die Logik der Doing-Gender-Analysen auf die Erforschung von Mitgliedschaften in internationalen Unternehmen überträgt. Darüber hinaus ist gerade Geschlecht, das lange Zeit in der Wissenschaft als eine rein biologisch-körperliche Gegebenheit betrachtet wurde, ein lehrreiches Beispiel für die Erforschung der alltäglichen sozialen Herstellung. Die in den siebziger Jahren neu entstandene Frauenforschung begann die sozialen Unterschiede zwischen den Geschlechtern, z.B. die Verhaltensunterschiede, aber auch die Unterschiede in den Sprechweisen und der Körpersprache zu erforschen (Becker-Schmidt/Knapp 2001; Hirschauer 2001). Soziale Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die durch gesellschaftliche Strukturen und Prozesse erzeugt wurden, sollten von dem als gegeben und stabil geltenden biologischen Geschlecht abgegrenzt werden. Die Forschung stützte sich dabei auf die angloamerikanische Sex/GenderUnterscheidung, die in der deutschsprachigen Diskussion oftmals mit sozialem und biologischem Geschlecht übersetzt wurde. In den frühen feministischen Untersuchungen werden die sozialen Unterschiede und Konsequenzen der Geschlechterunterscheidung mit »antibiologistischem Impetus« (Knapp 2001: 61) erforscht und zeitgleich die gesellschaftliche Geschlechterdifferenz als Faktum zum Ausgangspunkt der Untersuchungen gemacht. 18 | Andere Mitgliedschaften, die im Alltag konstitutiv für die Identität sind, z.B. Ethnizität, Alter und Klasse, untersuchen Bettie und West (Bettie 2000; West/ Fenstermaker 1995).

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Pollner und Zimmerman haben Forschungsarbeiten der allgemeinen Soziologie aus ethnomethodologischer Sicht die Verwechslung von Gegenstand und Mittel vorgeworfen (Zimmerman/Pollner 1976). So greift die Soziologie, die Erklärung und Ursachen für Delinquenz, Straftaten und allgemein abweichendes Verhalten gibt, auf das Alltagswissen zurück, dass es Straftäter gibt. Sie sollte jedoch dieses Alltagswissen vielmehr zum Gegenstand der Untersuchung machen. Die zwischen den Geschlechtern vergleichend vorgehende Frauenforschung lässt sich entsprechend kritisieren. Das Mittel dieser Untersuchungen (die Unterscheidung von zwei Geschlechtern) sollte eigentlich der Gegenstand der Forschung sein. Die Differenzen zwischen den Geschlechtern in Verhaltensweisen, Sprechweisen, Einkommen und Chancengleichheit machen die Geschlechterunterscheidung zur Ausgangsbasis ihrer Forschungen. Für die Geschlechterforschung mit ethnomethodologischer Ausrichtung ist hingegen kennzeichnend, dass sie die Unterscheidung der Geschlechter, also das »Faktum« der Zweigeschlechtlichkeit, zum Gegenstand ihrer Untersuchungen macht (Hirschauer 1993).19 Wie wird das Unterscheiden zwischen den Geschlechtern alltäglich praktiziert? Wie wird Geschlecht in den alltäglichen Handlungen hergestellt? Die ethnomethodologischen Forschungen untersuchen die Konstruktion der Unterscheidung im Alltag. Eine wichtige Untersuchung, die sich in die Tradition der Ethnomethodologie stellt und die Konstruktionsweisen von Geschlecht untersucht, ist die Arbeit von Suzanne Kessler und Wendy McKenna (1977). Sie geht der Frage nach, welche Leistungen von den Betrachtern erbracht werden, um ein Individuum geschlechtlich zu verorten. Kessler/McKenna erarbeiten in ihren Untersuchungen experimentell die Entscheidungsmuster und Begründungen von Geschlechtsattribution: We argue that the question of what it means to be a male or a female is merely another way of asking how one decides whether another is male or female. (Kessler/McKenna 1977: 3; Hervorhebung im Text)

Die Experimente zur Geschlechtsattribution und deren Begründungen wurden bei US-amerikanischen Kindern, Männern und Frauen durchgeführt. Ein zentrales Ergebnis ihrer Experimente ist, dass Betrachter mit drei axiomatischen und unhinterfragten Annahmen die Geschlechtsattribution 19 | Seit den 90er Jahren wird die Sex/Gender-Unterscheidung in der feministischen Theorie und Geschlechterforschung diskutiert und kritisiert. Der Perspektivwechsel auf die Konstruktion von Geschlecht ist jenseits der ethnomethodologischmikrosoziologischen Forschung mit zentralen Studien in der Philosophie und der Wissenschaftsgeschichte durchgeführt worden, vgl. hierzu Butler 1991 und Haraway 1995.

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40 | Diversity in Action vollziehen: Alle Menschen haben 1. das Geschlecht unverlierbar, 2. entweder das eine oder das andere Geschlecht (bipolar) und dies 3. aus körperlichen Gründen. Das Alltagswissen der Zweigeschlechtlichkeit steuert den Attributionsprozess und führt zu einer zweigeteilten »Wahrnehmung«, die Individuen entweder dem einen oder dem anderen Geschlecht zuordnet. Die Praxis der Geschlechtsattribution ist eine gelernte Praxis. Das kulturelle Alltagswissen um die Zweigeschlechtlichkeit leitet den Wahrnehmungs- und Attributionsprozess in der Weise an, dass es immer nur eine Alternative gibt: Frauen oder Männer.20 Die Wahrnehmung von kulturellen Zeichen und die Attribution stehen in einem reflexiven Verhältnis zueinander: Betrachter »wissen« schon, dass jemand eine Frau oder ein Mann ist, bevor sie »Geschlechtsmerkmale« identifizieren können, die ihre Zuschreibung begründen. Eine Geschlechtszugehörigkeit wird aus Indizien konstruiert, die nur auf dem Hintergrund einer bereits identifizierten Geschlechtszugehörigkeit als »Indizien« erscheinen. (Hirschauer 1993: 36; Hervorhebung im Text)

Die Studien von Kessler und McKenna, welche die Betrachterleistung in den Vordergrund ihrer Untersuchung rücken, nehmen Bezug auf Garfinkels »Agnes«-Studie, in der die Bedeutsamkeit von Geschlechtsdarstellungen herausgearbeitet wird (Garfinkel 1967). Garfinkel erforschte das aktive Aneignen von praktischem Wissen in Bezug auf Geschlecht. Er untersuchte den Prozess der Geschlechtsumwandlung eines jungen Mannes, der sich in eine Frau mit dem Namen »Agnes« verwandelte und analysiert damit den Wechsel einer Person in eine andere Mitgliedschaftsklasse. Wie die Studie zeigt, ist der Wechsel von körperlichen Primär- und Sekundärmerkmalen, also die rein medizinische Behandlung von Transsexuellen, nicht entscheidend dafür, dass die Akteure störungsfrei und kompetent agierende Mitglieder ihrer neuen Geschlechtszugehörigkeit werden. Im Fall von Agnes wird deutlich, dass auch die körperliche Darstellung von Geschlecht (Stimme, Bewegungen) ein Accomplishment, also eine aktive Leis20 | Vgl. hierzu insbesondere das »10-Fragen-Experiment«, in dem Versuchsteilnehmer mit selbst gewählten Fragen das Geschlecht einer nicht anwesenden Person herausfinden sollten. Verboten waren lediglich Fragen wie: Ist es eine Frau, ist es ein Mann? Die zufälligen Antworten der Spielleiterinnen auf Fragen wie: »Is the person over 5’8?« waren »Yes« oder »No« und erzeugten auf Grund der Zufälligkeit widersprüchliche Informationen hinsichtlich des antizipierten Geschlechts. Trotzdem war es den Teilnehmern möglich, daraus sinnvolle Indizien für ihre Attribution zu gewinnen. »Once a gender attribution is made, almost anything can be filtered through it and made sense of« (Kessler/McKenna 1977: 142-145). Zur Kontingenz und Reflexivität der Geschlechtsattribution in Sprechweisen vgl. auch Frohnen 1998.

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tung von Alltagsteilnehmern ist. Agnes eignete sich im Verlauf von ca. sieben Jahren weibliche Ethnomethoden an, um in der US-amerikanischen Gesellschaft der sechziger Jahre störungsfrei die Hintergrunderwartungen zu erfüllen und damit als kompetentes Mitglied der Kategorie Frau wahrgenommen zu werden. Die Leistungen müssen soweit gelernt werden, dass sie nicht mehr als ein aktives Tun, sondern natürlich erscheinen. Auf Grundlage der Interviews übersetzt Garfinkel einen Teil des praktischen Wissens, das sich Agnes beschaffte, um im Alltag von anderen als Frau wahrgenommen zu werden, in empirisches Wissen. Er expliziert einen Teil der Taken-For-Granted-Annahmen, die in den experimentellen Untersuchungen von Kessler/McKenna bestätigt werden. Garfinkels Arbeit und Arbeiten in dieser ethnomethodologischen Tradition heben die Unterscheidung eines quasi natürlichen Sex und des erworbenen sozialen Gender auf. Er analysiert im Alltag die Ethnomethoden der Geschlechtsunterscheidung und -darstellung. Geschlechtszugehörigkeit ist eine Membership Category (Mitgliedschaftskategorie), die Alltagsteilnehmer als Teil ihrer Identität wahrnehmen. Die störungsfreie Darstellung und Attribution der Membership Category Frau und Mann bedarf spezifischer Ethnomethoden. Weil diese Methoden routiniert und präreflexiv angewendet werden, ist der Wechsel von Mitgliedschaftskategorien wie Geschlecht (aber auch von anderen sozialen Identitäten) nicht einfach möglich. Durch den Beitrag von West und Zimmerman bekamen die Forschungen zur Konstruktion von Geschlecht einen programmatischen Namen: Doing Gender. Wie die Konversationsanalyse das Doing Asking, Doing Embarrassment (siehe oben) analysiert, untersucht die ethnomethodologische Geschlechterforschung das Doing Gender. Dabei ist die Unterscheidung in die Zuschreibung von Geschlecht und die Darstellung (Doing) eine analytische Trennung: Im Alltag vollziehen sich Darstellung und Attribution gleichzeitig. Die Omnirelevanz-Debatte – Neutralisierung von Geschlecht In allen Alltagssituationen klassifizieren wir Personen entweder als Männer oder Frauen. Ob am Telefon über die Stimme oder visuell in Face-To-FaceSituationen – die Geschlechterdifferenz wird überall in Anschlag gebracht. Garfinkel geht davon aus, dass die bipolare Geschlechterzugehörigkeit omnirelevant ist, weil es keine soziale Situation gibt, in der die Zuordnung der Person zu der Kategorie Mann oder Frau unwichtig ist. Interaktionen sind erst dann möglich, wenn wir uns sicher sind, wen wir vor uns haben. Ein »geschlechtliches Inkognito« führt zu massiven Irritationen (Hirschauer 1994; Hirschauer 2001). In der Sozialpsychologie wird der Kategorie Geschlecht darüber hinaus ein »primacy effect« zugeschrieben. Geschlecht

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42 | Diversity in Action wird in jeder Situation attribuiert und filtert darüber hinaus als ein »Superschema« jede weitere Subkategorie in Bezug auf Personen und deren Handlungen (Brewer/Lui 1989; Ridgeway 1997). In diesem Sinne ist Geschlecht omnirelevant, da es sich immer als vorgelagerte Mitgliedschaft in die nachfolgenden Identifikationen einschreibt. Jenseits von Interaktionen sind jedoch auch in andere Strukturen, wie z.B. in Sprache, geschlechtliche Differenzierungen eingelassen. So zeigt das grammatikalische Genus von Pronomen (sein Handtuch, ihre Zahnbürste etc.), das Geschlecht eines Individuums zwingend an (Hirschauer 2001: 222). In Institutionen wie der Kleiderordnung oder der Namensgebung findet eine geschlechtliche Differenzierung statt, und auch in scheinbar geschlechtsneutralen Kontexten wie in beruflichen Arbeitsorganisationen kann eine zugrunde liegende »gendered structure« nachgewiesen werden (Acker 1991). Die formal geschlechtsneutralen Regeln lassen die unterschiedlichen Lebenswelten von Frauen und Männern gänzlich unberücksichtigt (Heintz et al. 1997: 217).21 Wie viele in der Frauenforschung gehen West und Zimmerman in ihren empirischen Studien und theoretischen Arbeiten (West/Fenstermaker 1995; West/Zimmerman 1987; West/Zimmerman 1991) von einer Omnirelevanz von Geschlecht im Alltag aus. Die Annahme einer permanenten Bedeutung von Geschlecht in allen Kontexten von Gesellschaft, für die es, wie ich gezeigt habe, gute Gründe gibt, wird jedoch zunehmend aus verschiedenen theoretischen Strömungen der Geschlechtersoziologie kritisiert. Aus einer der Ethnomethodologie nahen Position kritisiert Hirschauer, dass die Annahme der Omnirelevanz in zwei Hinsichten unbefriedigend sei: Zum einen könne man so nicht klären, wann, wo und wie die Geschlechterunterscheidung von Bedeutung sei (Hirschauer 1994; Hirschauer 2001). Zum anderen könne die »relative Signifikanz« (Hirschauer 1994) von Geschlecht zu anderen Mitgliedschaften wie Alter oder Rasse nicht bestimmt werden.22 Aus differenzierungstheoretischer Perspektive argumentiert Bettina Heintz, dass die Geschlechterdifferenz in der Moderne zunehmend »de-institutionalisiert« und damit die Aufrechterhaltung und Reproduktion geschlechtsspezifischer Ungleichheitsverhältnisse mehr auf die interaktive Ebene verlagert werde (Heintz/Nadai 1998). Die soziale Relevanz der Geschlechterunterscheidung sei in der Moderne auf diese Weise zu einem vo-

21 | Weiterführend im Thema geschlechtsdifferenzierende Strukturen in Organisationen sind die Arbeiten von Halford et al. 1997 und Alversson/Billing 1997. 22 | West und Fenstermaker haben selbst ein Konzept dazu vorgeschlagen, ohne jedoch von der Omnirelevanzthese zurückzutreten. Darauf werde ich später genauer eingehen.

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raussetzungsvolleren und fragileren Prozess geworden (Heintz/Nadai 1998; Heintz et al. 1997). Auch sie konstatiert, dass die Frauenforschung die Geschlechterdifferenz lange Zeit zur »Leitdifferenz« gemacht und die »kontextuelle Kontingenz« systematisch unberücksichtigt gelassen habe (Heintz/ Nadai 1998: 78ff.).23 Mittlerweile beschäftigen sich Studien vermehrt sowohl mit der kontextuellen Relevanz von Geschlecht, als auch mit der Interferenz mit anderen Mitgliedschaftskategorien wie Ethnizität und Klasse.24 Im Gegensatz zur These von der Omnirelevanz geht Hirschauer (2001) davon aus, dass die Diskontinuität der Geschlechterkonstruktion in modernen Gesellschaften als Routine praktiziert wird. Er legt die infrastrukturellen und interaktionellen Voraussetzungen neutralisierender Praktiken dar, die ich im Folgenden genauer vorstellen werde. Hirschauer fasst Geschlecht, wie im Abschnitt zur ethnomethodologischen Geschlechterforschung bereits vorgestellt, nicht als eine Eigenschaft von Personen, sondern als eine Interaktionskategorie auf und macht die Praxis des Unterscheidens zum Gegenstand der Forschung (Hirschauer 2001: 209). Er stimmt insoweit mit den bisherigen Forschungen überein, dass Geschlecht in jeder Interaktion registriert werde (Kessler/McKenna 1977). Da es keine alternative Mitgliedschaft gibt, muss die Einordnung einer Person in eine der beiden Mitgliedschaftskategorien Mann oder Frau gesichert sein, sonst wird die Interaktion massiv gestört. Anders als andere Mitgliedschaftskategorien ist Geschlecht vorwiegend durch »kulturell garantierte Sichtbarkeit« (Hirschauer 2001: 214), also visuelle Zeichen, gekennzeichnet. Jedoch – und in diesem Punkt unterscheidet sich seine Position dezidiert von (Fenstermaker/West 1995) – bedeutet eine kulturell garantierte Omnipräsenz nicht, dass Geschlecht auch in jeder Situation relevant gemacht werde (Hirschauer 2001: 215). Durch die visuelle Omnipräsenz kann Geschlecht für die Interaktion (nicht für die Personen als Identität) sozial vergessbar werden. Parallel zu dem Handlungsproblem »What to do next« besteht in Interaktionen die Möglichkeit, nach der initialen Unterscheidung nach Geschlecht diese Unterscheidungspraxis im weiteren Interaktionsvollzug fortzusetzen oder auch nicht.

23 | Im deutschsprachigen Raum ist in der kritischen Debatte um Geschlecht auch Ursula Pasero mit ihrer systemtheoretisch angeleiteten These der »Dethematisierung« von Geschlecht einflussreich (Pasero 1995). Für einen Überblick zur Debatte über den Bedeutungsverlust der Kategorie von Geschlecht, der verschiedene Theorierichtungen betrifft, vgl. Knapp 2001. 24 | Zum Stand der aktuellen theoretischen Diskussion in der Geschlechtersoziologie sowie zu empirischen Forschungen in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft vgl. Heintz 2001.

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44 | Diversity in Action Die Alternative von Aktualisierung und Neutralisierung stellt sich wiederholt an spezifischen Gabelungspunkten des Interaktionsverlaufs: von seiner Präformierung in Kleidungsstil und Dekor über Gruß- und Anredeformen, Blickmuster und Proxemik bis hin zur Wahl von Gesprächsthemen. Interaktionszug für Interaktionszug kann die Geschlechterdifferenz als relevantes Schema aufgerufen oder vernachlässigt werden. In diesem Einsetzen und Aussetzen wird die soziale Relevanz der Geschlechterdifferenz auf- und abgebaut. (Hirschauer 2001: 217)

Hirschauer argumentiert, dass Mitgliedschaften unterschiedliche »Aktivierungsgrade« haben. Analog zu Organisationen, wie etwa Kirchen oder Parteien, die »ruhende Mitgliedschaften« haben, kennen Interaktionen auch »inaktive Kategorien« (2001: 218). Geschlecht hat aufgrund seiner kulturell garantierten Visibilität im Gegensatz zu anderen Mitgliedschaften keine »natürliche Latenz«, sondern ist immer schon »ankonstruiert« und abrufbar für den Fortgang der Interaktion. Wenn die Geschlechterunterscheidung weiter in der Interaktion praktiziert wird, werden Akteure den Mitgliedschaftskategorien Mann bzw. Frau zugeordnet. Hirschauer unterscheidet zwei Arten, wie in Interaktionen die Geschlechterunterscheidung praktiziert werden kann: Entweder wird die Interaktionsbeziehung markiert und Geschlecht als Relationskategorie aufgebaut. Oder aber die Interaktionsteilnehmer selbst werden in ihrer Zugehörigkeit zu einer Mitgliedschaftskategorie gekennzeichnet. Wenn die Interaktionsbeziehung im Blick steht, wird die Interaktion als gleich- oder verschiedengeschlechtlich im Sinne von Goffman gerahmt. Man kommuniziert unter »Freundinnen« oder »von Mann zu Mann«. Wenn die Interaktionsteilnehmer markiert werden, kommt es zu einer Aktualisierung der Akteure als Subjekte eines Kollektivs (eines Geschlechterkollektivs), sodass die Personen »zu Subjekten ihrer Geschlechtszugehörigkeiten« werden. Diese Prozesse bezeichnet Hirschauer als »Mobilisierungsprozesse«, in denen die »ruhenden Mitglieder« der Geschlechtsklassen (Mann, Frau) zu »Geschlechtsaktivisten« werden. In der Praxis geschieht dies u.a. durch evozierende Praktiken (Goffman 1977), wie »Anmache« und Komplimente oder auch durch »Selbstrekrutierung« in ein Kollektiv mittels einer nicht übersehbaren Darstellung seiner Zugehörigkeit etwa durch Kleidung, Frisur und Gestik. Die in der Interaktion wiederholt praktizierte Unterscheidung von Geschlecht (als Mobilisierung) kann jedoch durch spezifische Handlungen »neutralisiert« werden.25 Es kann »kaltgestellt« werden, indem Evokatio25 | Hirschauer hat 1994 den Begriff »undoing gender« für Neutralisierung von Geschlecht vorgeschlagen. Neutralisierung ist damit etwas, das von Akteuren getan wird und einen »negatorischen Charakter« (Hirschauer 1994) aufweist. Die empirische Schwierigkeit, Neutralisierung von Geschlecht festzustellen, liegt darin, dass sie

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nen blockiert werden oder vorauseilend durch den Darstellungsstil die Differenz heruntergespielt wird. So zum Beispiel ist die »Graumäusigkeit« von Sacharbeiterinnen, wie Heintz, Nadai und Fischer (Heintz et al. 1997) in ihrer Studie festgestellt haben, das Ergebnis eines Herunterspielens der Geschlechterdifferenz.26 Die Unterscheidung von Geschlecht lässt sich, so Hirschauer, auch durch die Konkurrenz anderer Mitgliedschaften neutralisieren. Die Teilnehmer der Interaktion können andere Mitgliedschaften, wie Alter oder Status, in den Relevanzraum der Interaktion aktiv »pushen«. Eine Neutralisierung wird dann erreicht, indem die Teilnehmer die Interaktion nicht als Geschlechtsaktivisten, sondern primär als Aktivisten anderer Mitgliedschaften wie Erwachsener, Lehrer, Manager, Deutscher oder US-Amerikaner fortsetzen. Die Forschung zeigt, dass sogar die bisher unter Omnirelevanzverdacht stehende Mitgliedschaftskategorie Geschlecht durch andere Mitgliedschaften neutralisiert werden kann (Hirschauer 2001). Interaktionen werden dann nicht von »Aktivisten« eines Geschlechtskollektivs durchgeführt, sondern von »Karteileichen« der Geschlechtsregistrierung (Hirschauer 2001: 219).27 Die Geschlechterdifferenz wird jedoch nicht einmal neutralisiert und ist einen Bezugspunkt brauche, von dem aus sich ein Undoing Gender von einem schlichten Not-Doing abzeichnet. »Die Neutralisierung der Geschlechtsdifferenz bezeichnet also das Stillstellen einer Unterscheidung, verbleibt aber in deren Horizont« (Hirschauer 2001: 220f.). Als Beispiele für Bezugspunkte nennt Hirschauer die initiale Unterscheidung durch den Gebrauch von Anredeformen (Name, Geschlechtstitel), Offerten im Verlauf der Interaktion, Kleidungskonventionen oder auch Erwartungsstrukturen (wie z.B. Paarsequenzen). 26 | Am Beispiel von Berufsfeldern mit unterschiedlicher geschlechtlicher Zusammensetzung analysieren Heintz und Nadai (1997) die Bedingungen für die Aufrechterhaltung und Neutralisierung der Geschlechterdifferenz. Es handelt sich um eine der wenigen Studien, die sich mit dem Phänomen der Neutralität von Geschlecht befassen. 27 | Hirschauer bleibt nicht bei der reinen Interaktionsanalyse stehen, sondern stellt in Bezug auf Geschlecht Institutionen und auf Dauer gestellte Einrichtungen vor, welche die Geschlechterdifferenz »katalysieren« bzw. »inhibieren« (Hirschauer 2001). Die Kleiderordnung oder die Institution der geschlechtsdifferenzierenden Namensgebung werden als Institutionen benannt, die die Geschlechterunterscheidung »katalysieren«. Aber auch dauerhafte Einrichtungen, wie der grammatikalische Genus, Artefakte wie sanitäre Anlagen oder Parfüms, katalysieren die Geschlechterunterscheidung. In den Strukturen ließen sich jedoch auch dauerhafte Einrichtungen finden, welche die Geschlechterunterscheidung »inhibierten«, wie Unisexparfüms etc.

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46 | Diversity in Action damit ein für allemal für die Interaktion stillgestellt, sondern sie verbleibt immer im Horizont der Interaktion und kann erneut in den Vordergrund kippen. Wesentlich in der Analyse ist hierbei, dass von Neutralisierung nur dann gesprochen werden kann, wenn es sich um ein aktives Tun handelt, also um ein interaktives Absehen von der Geschlechterunterscheidung. Dieses Tun braucht einen Bezugspunkt, um es von einem schlichten NotDoing zu unterscheiden. Um von ihr absehen zu können, muss die Differenz zunächst in Anschlag gebracht werden. Die präzise Bestimmung, was mit Neutralisierung in Bezug auf soziale Mitgliedschaften gemeint ist, ist eine wesentliche Grundlage, um der Herstellung und Neutralisierung der Kategorie nationaler Herkunft auf die Spur zu kommen. Denn damit lassen sich rein theoretisch motivierte Annahmen über die Relevanz von nationaler Herkunft verabschieden und die Aktualisierung und Neutralisierung oder auch ein Not-Doing im Vollzug der alltäglichen Interaktion verorten. Interferenz – Doing Difference Wurde lange Zeit die Bedeutung der Mitgliedschaftskategorie Geschlecht in der Frauenforschung überschätzt, so setzen aktuelle Forschungen bei der Frage an, wie Geschlecht durch andere Mitgliedschaften neutralisiert oder in Wechselwirkung mit anderen Mitgliedschaften reziprok verändert wird. Dabei konzentrieren sich die Arbeiten auf wenige soziale Teilungskategorien, also soziale Mitgliedschaftskategorien, die zentral für die Identität von Gesellschaftsmitgliedern sind und im Zusammenhang mit sozialer Ungleichheit stehen. Dies sind vor allem Ethnizität, Klasse und Geschlecht. Diese Forschungsarbeiten sind von politischen Auseinandersetzungen in den USA angestoßen worden. In einer von schwarzen US-Amerikanerinnen formulierten Kritik wurde die Frauenforschung der frühen Feministinnen als rassen- und klassenblind kritisiert (Glenn 1999; Hooks 1981). Seit Mitte der 80er Jahre versucht man die Wechselwirkungen, die Überlagerung und Überdeckung der unterschiedlichen Teilungskategorien in verschiedenen Theorieströmungen vor allem im US-amerikanischen Raum theoretisch zu fassen (Acker 1999; Glenn 1999). Aber auch die Frauenforschung selbst hat, wie Heintz konstatiert, empirisch die Heterogenität der Kategorie Frau in ihren Untersuchungen immer wieder festgestellt (Heintz/Nadai 1998: 79). Allerdings sind Konzepte der theoretischen Erfassung dieser Heterogenität rar.28 Fenstermaker und West (West/Fenstermaker 1995) haben in einem viel diskutierten Beitrag die Erforschung von Interferenz der verschiedenen Mitgliedschaften in einem ethnomethodolo28 | Zur historischen Genese und konzeptionellen Fassung von Geschlecht und Ethnizität sowie zu Forschungen und Konzepten zur Interferenz vgl. Müller 2003.

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gisch geführten Doing-Difference-Modell ausgearbeitet.29 Darin kritisieren sie Studien, welche die Interferenz zwischen Klasse, Ethnizität und Geschlecht mit mathematischen Metaphern zu erfassen suchen. Hier werden die Benachteiligungen, die durch die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, einer Rasse und zu Klassen entstehen, schlicht addiert. Oder es wird ein Wechselverhältnis zwischen den verschiedenen Kategorien angenommen, analog zu den Regeln der Multiplikation, bei der die Multiplikation zweier negativer Faktoren ein positives Produkt zeitigt. Beispielsweise wandeln sich die negativen Folgen, die sich auf Grund des Status als Frau und als Nichtweiße ergeben, im Produkt zu einem privilegierten Status für »schwarze Frauen« (Fenstermaker/West 1995: 237; West/Fenstermaker 2001: 13). West und Fenstermaker kritisieren die darin enthaltene implizite Vorstellung, einzelne Mitgliedschaften grundsätzlich trennen zu können, und halten dem entgegen, dass im Alltag diese Mitgliedschaften simultan hergestellt würden. Alltagsteilnehmer würden die Zugehörigkeit zu verschiedenen Mitgliedschaftskategorien gleichzeitig erleben. West und Fenstermaker lehnen eine theoretische Trennung und Hierarchisierung der verschiedenen Teilungsdimensionen ab. Sie übertragen das Doing-Gender-Konzept auf die Mitgliedschaften Ethnizität und Klasse, denen sie einen vergleichbaren Herstellungsmodus wie von Geschlecht unterstellen: Sie analysieren Klasse, Ethnizität und Geschlecht als interaktiv hergestellte Differenzen, aus denen dann soziale Ungleichheit resultiere.30 Alltagsteilnehmer, so West und Fenstermaker, werden immer nach ihrer geschlechtlichen, ethnischen und Klassenzugehörigkeit kategorisiert. Der Konstruktionsprozess dieser Zuschreibung und auch Darstellung der Mitgliedschaft werde »naturalisiert«. West und Fenstermaker gehen auch bei Ethnizität und Klasse von einer potenziellen Omnirelevanz aus, wobei sie jedoch anerkennen, dass die interaktionelle Relevanz der verschiedenen Mitgliedschaften je nach Situation variiere (West/Fenstermaker 1995: 25). Conceiving of these [gender, race, and class] as ongoing accomplishments means that we cannot determine their relevance to social action apart from the context in which they are accomplished. While sex category, race category and class category are potentially omnirelevant to social life, individuals inhabit many different identities, and 29 | Einen Ansatz, der die makrostrukturelle Ungleichheitsrelevanz von Geschlecht, Ethnizität und Klasse konzeptionalisiert, hat Meisenhelder vorgelegt (Meisenhelder 2000). Andere Studien haben Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen Mitgliedschaften ausgearbeitet (Glenn 1999). 30 | Zur Kritik der Gleichursprünglichkeit von Differenz und Ungleichheit siehe Gottschall 2000: 308; Müller 2003.

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48 | Diversity in Action these may be stressed or muted, depending on the situation. (West/Fenstermaker 1995: 30)

Allerdings beschränken sie die Omnirelevanzannahme von Ethnizität auf die US-amerikanische Gesellschaft: Within the United States virtually any social activity presents the possibility of categorizing the participants on the basis of race. […] In everyday life, nevertheless, people can and do sort out themselves and others on the basis of membership in racial categories. (West/Fenstermaker 1995: 22)31

Wie schon bei Geschlecht liegt der Untersuchungsfokus auf dem Tun und damit auf dem Accomplishment der Alltagsteilnehmer. In der Aussage, dass die Kategorien Geschlecht, Klasse und Ethnie potenziell omnirelevant sind, sie aber gleichzeitig situativ von lokalen bzw. nationalen Relevanzen abhängen, liegt eine Spannung. Für die Theorie stellen sich hier aber weiterführende Fragen.32 Wie die nachfolgende Studie zeigt, kann damit dennoch bereits empirisch umgegangen werden. Eine empirisch durchgeführte Studie, im Sinne des Doing-DifferenceKonzepts, ist die Arbeit von Julie Bettie (Bettie 2000). Sie analysiert bei Absolventinnen der High School die Interferenz des Doing Race, Doing Class und Doing Gender. Der Titel der Arbeit lautet »Women without class«, und mit ihren Ergebnissen zeigt Bettie, dass die Klassenzugehörigkeit im Alltag von den Interaktionsteilnehmerinnen nicht wahrgenommen wird. Differenzen in der Klassenzugehörigkeit werden auf Unterschiede der Ethnizität und des Geschlechts reduziert. Zwischen Klasse und Ethnizität ziehen die High-School-Mädchen keine Differenz im Alltag ein: »Acting White« bedeutet, zur bürgerlichen Mittelschicht zu gehören. Alltagstheoretisch besteht, so argumentiert Bettie, in den USA die Vorstellung des »American Dream«: Jeder kann auf Grund seiner Leistung alles erreichen. Folglich gibt es keine fixen Klassen und Grenzen. Die Darstellung von Weiblichkeit variiert nach Klassenzugehörigkeit 31 | Nicht in jeder Gesellschaft muss »Ethnizität« im Sinne einer initialen Registratur omnirelevant sein. West und Fenstermaker weisen die Omnirelevanz zu Beginn für die US-amerikanische Gesellschaft aus. Diese Beschränkung erscheint mir sinnvoll. Wie ich im Abschnitt 1.3 zur Kategorie der nationalen Herkunft darlege, hängt es mit der Relationalität und den multiplen Ausprägungen der Kategorie »Ethnizität« zusammen, dass sie je nach gesellschaftlichem Gefüge initial registrierbar ist oder auch nicht. 32 | Zur Auseinandersetzung mit der Kritik am Doing-difference-Modell vergleiche West/Fenstermaker 2001.

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und ethnischer Herkunft. Weiße Mädchen und Mädchen mexikanischer Herkunft aus der Unterschicht tragen sehr starkes Make-up, figurbetonte Kleidung und spezielle Frisuren. Sie signalisieren in Unterhaltungen deutliches Desinteresse an Schule und besonderes Interesse an Themen der Sexualität. Die weißen Mädchen der bürgerlichen Mittelschicht tragen nur wenig Make-up, demonstrieren insgesamt ein unschuldiges Verhalten, unterhielten sich mit Interesse über Themen der Schule und der Berufswahl. Auch innerhalb der Unterschicht werden alltäglich entlang der ethnischen Differenz Grenzen gezogen: Mexikanerinnen tragen sehr dunkle Lippenstifte und Nagellacke, während die weißen Mädchen aus der Unterschicht sich an den Pastelltönen der bürgerlichen Mädchen orientieren – nur dass sie die Farben stärker auftragen. Die verschiedenen Teilungsdimensionen (Geschlecht, Klasse und Rasse) wirken, wie Bettie in der Studie zeigt, zusammen und überlagern sich. Geschlecht wird je nach Klasse unterschiedlich dargestellt, und Klassenzugehörigkeit wird nur zusammen mit Geschlecht bzw. mit der Ethnizität von den High-School-Mädchen wahrgenommen. I have tried to model one way of thinking about class relation to other axes of identity […]. In the end, inequality along multiple axes was reproduced at the school, but the invisibility of class was also reproduced, in that race and gender often took its place in girls own understanding and »the school’s« perception of who they were. (Bettie 2000: 28)

Ich habe bisher die Geschlechterforschung skizziert, die in einer ethnomethodologischen Tradition steht, um deutlich zu machen, dass es sich dabei um einen Forschungsansatz handelt, der soziale Identität als »embodied practice« (Garfinkel 1986), als ein aktives Tun von Gesellschaftsmitgliedern erforscht. Als Modell für die Funktionsweise dieser Forschungsrichtung habe ich Arbeiten der ethnomethodologischen Geschlechtersoziologie vorgestellt, die Debatte um die Omnirelevanz und die Neutralisierung von Geschlecht sowie das Interferenzmodell von West und Fenstermaker. Diesen Arbeiten ist gemeinsam, dass sie eine praxeologische Perspektive auf Mitgliedschaften entwickeln und die alltagspraktische Kategorisierung nicht auf Grund von kognitiven Schemata, sondern als Praxis analysieren. Unabhängig davon, ob man Geschlecht, Ethnizität und Klasse eine omnipräsente Registrierbarkeit und situative Omnirelevanz zuschreibt, werden sie als lokale Relevanzerzeugungen erforscht. Geschlecht kann als eine omnipräsente Mitgliedschaft im Verlauf der Situation auch neutralisiert werden. Eine Form der Neutralisierung ist, dass andere Mitgliedschaftskategorien in den Vordergrund treten. Das Modell zeichnet vor allem aus, dass es keine generellen theoretischen Annahmen über die Relevanz von Mitgliedschaftszugehörigkeiten per se erhebt, sondern die Aktualisierung und Neutralisie-

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50 | Diversity in Action rung als empirisch zu beantwortende Frage an den lokalen Vollzug von Interaktionen spezifiziert. Kontextuell gebundene Mitgliedschaften Nicht alle Mitgliedschaftskategorien, die wir als Gesellschaftsmitglieder anderen zuschreiben, sind so hartnäckig und in Körper eingeschrieben wie Geschlecht. Wir verfügen als Gesellschaftsmitglieder über eine Vielzahl an Mitgliedschaftskategorien, mit denen wir sowohl andere als auch uns selbst wahrnehmen und darstellen. Diese Mitgliedschaftskategorien können im Gegensatz zu Geschlecht aus der Perspektive von Alltagsteilnehmern »personale Teilzeitjobs« (Hirschauer 2001) sein, die in speziellen Kontexten von den Interagierenden relevant gemacht werden. Oder, um die Reflexivität der Darstellung von Mitgliedschaftskategorien zu betonen: Der spezifische Kontext wird von den Interagierenden durch besondere Mitgliedschaftsdarstellungen hergestellt. Ich möchte hierfür schlaglichtartig ein paar Beispiele aus dem Alltag geben. Auf einem Schulhof in der Pause registrieren kompetente Schulmitglieder beim Betrachten des Hofes Lehrer und Schüler. Die Mitgliedschaftskategorie Lehrer wird jedoch außerhalb der Schule nicht ubiquitär registriert und in allen Interaktionen relevant sein. Wenn eine Kundin Schuhe kaufen will und von einem Verkäufer bedient werden möchte, werden die Akteure innerhalb dieses Kontextes die Unterscheidung Kunde/ Verkäufer benutzen und je nach Zugehörigkeit auch darstellen können. Anders als im Fall der für alle Interaktionen konstitutiven Kategorisierungen wie Frau/Mann sind die kulturellen Zeichen der Mitgliedschaftskategorie Verkäufer nicht primär durch Sichtbarkeit garantiert. Eine treffsichere Attribution allein auf Grund visueller Zeichen ist nicht immer möglich. So zum Beispiel, wenn Verkäufer keine Namensschilder tragen, die sie als Mitarbeiter der Firma ausweisen. In solchen Fällen wird man jemanden ansprechen, von dem man durch sein Verhalten und Auftreten, also durch ein Doing vermutet, dass er oder sie ein/e Verkäufer/in ist. Mit einer Frage wie: »Entschuldigung, arbeiten Sie hier?« kann dann die Mitgliedschaftszugehörigkeit und Zuständigkeit für den praktischen Zweck geprüft und hergestellt werden. Aber anders als im Fall von Geschlecht ist eine treffsichere Mitgliedschaftskategorie nicht notwendig für eine Interaktion. Wenn sich der vermutete Verkäufer durch eine Antwort wie: »Nein, ich kaufe selbst hier ein« als Kunde ausweist, kann eine weiterführende Interaktion problemlos über die gemeinsame Suche nach Verkäufern stattfinden. Aus der Perspektive der Ethnomethodologie ist die lokal adäquate und für den praktischen Zweck ausgerichtete Zuschreibung und Darstellung

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von Mitgliedschaftszugehörigkeit eine Kompetenz von Alltagsteilnehmern. Durch ein spezielles Doing wird, wie bereits in den Membership-Categorization-Studien ausgeführt, von Alltagsteilnehmern Sinn erzeugt und damit soziale Ordnung hergestellt. Die genannten Beispiele stammen aus dem allgemeinen Methodenbereich von Gesellschaftsmitgliedern. Nicht alle Gesellschaftsmitglieder verfügen jedoch über das gleiche methodische Wissen, kontextuell die adäquaten Mitgliedschaftskategorien relevant zu machen. In beruflichen Kontexten, also z.B. in Unternehmen, ist die Darstellung und Wahrnehmung der Position und der Profession eine Mitgliedschaftskompetenz, die im alltäglichen Umgang lokal gelernt wird. Ein neuer Mitarbeiter in einem großen deutschen Automobilkonzern berichtete mir, wie er in den ersten Wochen zunächst die Positionszugehörigkeiten und deren Verwendung im Alltag der Firma kennen lernte. Die Positionszugehörigkeit, die gleichzeitig den Firmenmitgliedern Auskunft über die Hierarchieposition gibt, werde in einer Vielzahl von Gesprächen von den Mitarbeitern direkt sprachlich markiert: »Der Müller, ein A4er, hat dem Schmidt, der ist ein A3er, gesagt, dass ..« Ein kompetentes Firmenmitglied würde über das sprachliche Anzeigen der Position im Alltag lernen, in welchen Gesprächen der Status wem gegenüber in dieser Art benannt wird. Diese Mitgliedschaftskategorien sind lokal und zeitlich begrenzte Zugehörigkeiten, die nur in speziellen Kontexten registriert und aktualisiert werden. Sie werden von den »kulturellen Kollegen« (Patzelt) der Firma zur Herstellung der sozialen Ordnung »beobachtbar und beschreibbar« gemacht. Diese Accounts kompetent wahrzunehmen und selbst darzustellen setzt ein lokal erworbenes praktisches Wissen voraus. Institutionelle Kollektivzugehörigkeit (bspw. Positions- oder Professionszugehörigkeit) ist eine Unterscheidungspraxis, die im beruflichen Alltag als Kompetenz gelernt werden muss, um situativ für den praktischen Zweck angewendet zu werden. Neue Firmenmitglieder lernen diese Unterscheidungen als »reality participants« (Pollner 1974).33 Analytisch schlage ich vor, Mitgliedschaftskategorien danach zu unterscheiden, ob sie allerorts initial (wie im Fall von Geschlecht), allerorts im Verlauf der Interaktion (wie in vielen Fällen von Ethnizität) oder einfach kontextuell registriert (wie institutionelle Mitgliedschaftskategorien, z.B. be33 | Oder als Forschungsansatz formuliert: Wenn institutionelle Positionszugehörigkeit etwas ist, das im Kontext relevant ist, dann ist es für die Mitglieder »beobachtbar und beschreibbar«. In den Studien zu »Talk in Institutional Interaction« wird eine andere Form der Interaktion praktiziert und werden auch andere lokale Mitgliedschaftskategorien aktualisiert. Welche das sind, also welche konkreten Mitgliedschaftskategorien relevant gemacht werden, ist eine empirisch zu beantwortende Frage.

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52 | Diversity in Action rufliche Professionen) und erst im Verlauf der Interaktion relevant gemacht werden. Zusammenfassung des ethnomethodologischen Ansatzes Zum Abschluss der theoretischen Perspektive auf Mitgliedschaft werde ich die wichtigsten Punkte der Logik der ethnomethodologischen Forschung zusammenfassen und mich darauf konzentrieren, was mit diesem Forschungsansatz in Bezug auf die Erforschung von sozialen Identitäten bzw. Mitgliedschaften geleistet werden kann. Die Ethnomethodologie ist ein konstruktivistischer Forschungsansatz, der davon ausgeht, dass Gesellschaftsteilnehmer die soziale Wirklichkeit, die sie als gegeben und von sich äußerlich wahrnehmen, in ihren Handlungen selbst herstellen. Sie untersucht die Methoden der Alltagsteilnehmer, die diese als Mitglieder einer Gesellschaft teilen. Untereinander nehmen sich die Mitglieder einer Gesellschaft als »kulturelle Kollegen« wahr und schreiben sich im Alltag die gleichen Mitgliedschaftskompetenzen zu. In einer differenzierten Gesellschaft gibt es verschiedene soziale Wirklichkeiten, in denen nicht alle Alltagsteilnehmer allerorts kompetente Mitglieder sind. Akteure können multiple Mitgliedschaften innehaben, die unterschiedliche Kompetenzen als praktisches Wissen voraussetzen. Die Studien zu sozialen Identitäten zeigen, dass Alltagsteilnehmer sowohl von Taken-For-GrantedAnnahmen ausgehen (z.B. bei Geschlecht), als auch in den praktischen Handlungen die soziale Ordnung durch Zuschreibung und Darstellung wechselseitig beobachtbar und beschreibbar machen. Damit zeigen Alltagsteilnehmer sich wechselseitig den Sinn ihrer Handlung oder, wie Garfinkel dies ausdrückt, »die rationalen Eigenschaften ihrer Handlungen« an (Weingarten/Sack 1979: 19). Sie geben für sich selbst und für die Interaktionspartner praktische Erklärungen (Bergmann 1987/1988). Diese Accounting-Practices sind nicht nur für alle praktischen Zwecke des Alltags beobachtbar und beschreibbar, sondern auch für wissenschaftliche Beobachter. Aufgabe der Forschung im Sinne der Ethnomethodologie ist es, das praktische Wissen in ein empirisches Wissen zu übersetzen. Dieser Aufgabe haben sich verschiedene Strömungen der Ethnomethodologie gestellt: Die Talk-in-Interaction-Studien analysieren die Herstellung sozialer Ordnung in sprachlichen Handlungen. Ich habe hier insbesondere die Forschungsrichtung Membership Categorization Analysis vorgestellt, die nachweist, dass und wie die Bedeutung von Mitgliedschaftskategorien lokal in der Interaktion hergestellt wird und wie sich die Teilnehmer dadurch als Personen mit bestimmten Merkmalen in einer konkreten Interaktion wechselseitig ausweisen. Jenseits dieser auf Sprachhandlungen fokussierten Forschung habe ich die ethnomethodologische Geschlechterfor-

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schung vorgestellt, in der die Herstellung dieser Mitgliedschaft in den Taken-For-Granted-Annahmen (Kessler/McKenna 1977) und den Alltagshandlungen als Doing Gender analysierbar wird. Das Doing-Gender-Konzept ermöglicht die empirische Analyse der Herstellung von Geschlecht. Innerhalb dieser Forschungen gibt es eine Auseinandersetzung über die Omnirelevanz der Mitgliedschaftskategorien, an erster Stelle von Geschlecht, aber auch von Ethnizität und Klasse. West und Fenstermaker gehen von der Omnirelevanz der Geschlechterunterscheidung aus, die von Hirschauer und, aus einer anderen Theorierichtung, auch von Heintz kritisiert wird. Beide rechnen systematisch mit der Möglichkeit der Neutralität von Geschlecht. Hirschauer argumentiert, dass die Praxis des Unterscheidens von Geschlecht nach einer initialen Registrierung in der Interaktion auch unterbrochen werden kann. In spezifischen Kontexten werden von den Teilnehmern andere Mitgliedschaften registriert und relevant gemacht. Die Teilnehmer können zu »Aktivisten« (Hirschauer) ihrer beruflichen Positionen, ihrer Verwandtschaft oder nationalen Herkunft etc. werden. Ich habe in Anlehnung an den ethnomethodologischen Mitgliedschaftsbegriff und die geschlechtersoziologische Debatte argumentiert, dass Akteure eine Vielzahl von Mitgliedschaftskategorien relevant machen, die nicht primär durch kulturelle Sichtbarkeit gesichert werden. Die kontextuell gebundenen Mitgliedschaften sind im Gegensatz zu Geschlecht noch voraussetzungsreicher, da sie immer lokal und zeitlich begrenzt relevante Mitgliedschaften sind. In einer differenzierten Gesellschaft haben Alltagsteilnehmer ein unterschiedliches Wissen darüber, wie man bestimmte Kategorien (beispielsweise institutionelle Positionen oder Professionen) lokal adäquat zuschreibt und darstellt und welche Bedeutungen hierbei für praktische Zwecke relevant gemacht werden. Die Ethnomethodologie zeichnet aus, dass sie keine theoretische Relevanz von bestimmten Mitgliedschaften oder Mitgliedschaftskategorien per se als Beobachtungsschemata annimmt. Die Qualität dieses Ansatzes liegt darin, dass er die Registrierung und Relevanz zu einer empirisch beantwortbaren Forschungsfrage macht, in dem er die Prozesse der Kategorisierung und der Bedeutung dieser Kategorien im Vollzug der Interaktion spezifiziert. Die Ethnomethodologie lässt theoretisch offen, welche Mitgliedschaften von Alltagsteilnehmern wo und wann registriert und mit welchen Bedeutungen relevant oder auch neutralisiert werden. Die Relevanz von Mitgliedschaften wird nicht in den Köpfen, den Einstellungen oder den Strukturen von Institutionen a priori angenommen, sondern im Verlauf der Interaktion nachgewiesen und damit empirisch erschlossen. Der Forschungsansatz ist deshalb für die lokale und kontextuelle Relevanzerzeugung in Interaktionen prädestiniert. Durch den Ansatz wird sehr klar vorgegeben, wie man diese lokalen Relevanzen erforschen kann. Da Relevanzen für die

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54 | Diversity in Action Alltagsteilnehmer »beobachtbar und beschreibbar«, also Accountable sind, sind sie es auch für aufmerksame Beobachter der Situation. Die empirische Offenheit ist, wie ich in der allgemeinen theoretischen Einführung herausgearbeitet habe, durch den Nachweis der Indexikalität und Reflexivität von Handlungen bedingt. Forschungspraktisch wird dem reflexiven Verhältnis von Kontext und Handlung z.B. in der Sequenzanalyse der Konversationsanalyse Rechnung getragen, aber auch im ethnographischen Forschungsansatz, der in den Studies of Work und in den geschlechtersoziologischen Studien verwendet wird.

1.2 Kontext der Interaktion – die Organisation Die Interaktionen der Teilnehmer, die ich in Bezug auf die nationale Herkunft untersuchen will, finden im spezifischen Kontext einer transnationalen Organisation statt. Ich habe in der Einleitung und im Abschnitt ›kontextuell gebundene Mitgliedschaften‹ kurz ausgeführt, dass in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen unterschiedliche Mitgliedschaften bedeutsam werden, sowie dass die Mitglieder über unterschiedliche Kompetenzen verfügen, Mitgliedschaften zuzuschreiben und darzustellen. Nicht in jedem Kontext werden Schüler als Schüler und die Berufszugehörigkeit von Personen, die als Lehrer arbeiten, bedeutsam, nicht in jedem Kontext ist das Geschlecht federführend, nicht in jedem Kontext ist man Ausländer. Die Kontextualität von Äußerungen und Handlungen wird, wie durch die theoretische Einführung deutlich wurde, in der Ethnomethodologie gerade nicht bestritten (Heritage 1984). Kontextuell geformt sind Handlungen in der Ethnomethodologie im doppelten Sinne (Drew/Heritage 1992: 18): Man kann sie nur im spezifischen Kontext verstehen, in dem sie platziert sind, und die Handlungen der Teilnehmer stellen im Vollzug diesen spezifischen Kontext, auf den sie sich beziehen, wieder her. Man kann, wenn man ethnomethodologisch verfährt, in den Handlungen und Interaktionen zeigen, wie durch Verweise von den Teilnehmern auf extrasituationale Zwänge ein spezifischer Kontext durch die Interaktion hergestellt wird. Dies haben die Arbeiten zum Institutional Talk gezeigt (Atkinson/Drew 1979). Der Kontext einer Situation wird dabei in der Ethnomethodologie nicht als ein unabhängiger Rahmen zum Erklären von Handlungen verwendet, sondern als Ressource, die von den Teilnehmern benutzt wird und die durch die Handlungen der Teilnehmer wiederum erneut hergestellt wird. Ich werde von diesem begründeten, aber sehr zeitaufwendigen Vorgehen für einen Teilbereich der Studie abweichen. Zunächst nehme ich unabhängig von den von mir untersuchten konkreten Interaktionen den spezi-

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fischen Kontext der Interaktion ins Visier. Vor diesem Hintergrund werde ich wiederum auf Augenhöhe der Interaktion beschreiben, wie die Teilnehmer mit der nationalen Herkunft umgehen und welche Mitgliedschaftskategorien sie in dem spezifischen Kontext relevant machen. Aus einer ethnomethodologischen Sicht benutze ich daher für den ersten Schritt Glossing Practices (Garfinkel/Sacks 1970). Glossing Practices sind auch von Soziologen benutzte beschönigende Kurzformeln, die sich im Verständnis der Ethnomethodologie letztlich in mikrosoziologischen Prozessanalysen auf interaktive Konstruktionen zurückführen lassen. Diese Kurzbeschreibungen zeichnen sich durch den Vorteil aus, einen Überblick über den Kontext einer Interaktion zu geben und zu beschreiben, welche Vorgaben und Regeln dieser für die Interaktion setzt bzw. welche Handlungen durch den Kontext besonders wahrscheinlich werden. Dabei muss man nicht gleichzeitig von einer determinierenden Wirkung von Strukturen ausgehen, aber durchaus von Einschränkungen des Handlungsspielraums, der einer Interaktion zur Verfügung steht oder problemlos erzeugt werden kann.34 In meinem Forschungsfeld ist der spezifische Kontext der einer Organisation.35 Ich verwende für die Betrachtung dieses Kontextes einen organisationstheoretischen Rahmen und greife dabei auf die systemtheoretische Modellierung von Organisation zurück, die ich im Folgenden kurz skizzieren werde. Dabei werde ich auf eine wenig beachtete Gemeinsamkeit der Ethnomethodologie und der Systemtheorie eingehen. Die organisationssoziologischen Angebote fassen den Mitgliedschaftsbegriff ähnlich zum deut34 | Garfinkel kritisiert vehement die Vorstellung einer »Bucket Theory« (Eimer-Theorie), in der die Interaktion in einem vorab feststehenden sozialen Rahmen platziert ist, der durch Strukturen die Handlungen der Teilnehmer bestimmt. Lynch kritisiert den Umgang von Bourdieu, Giddens und Habermas mit der Ethnomethodologie, die deren Ablehnung determinierender Strukturen nicht stehen lassen können (Lynch 1993: 30ff.). Und Boden grenzt sich in Bezug auf Organisationstheorien eindeutig von interaktionsübergeordneten Strukturbegriffen der Mainstream-Soziologie ab, jedoch mit einer wesentlich aufgeschlosseneren Haltung gegenüber der Strukturationstheorie von Giddens. Vgl. hierzu: Boden 1994: 25ff.; Boden/Molotch 1994. 35 | Forschung über Organisationen findet sich in verschiedenen Disziplinen: in der Ökonomie, der Politikwissenschaft, der Sozialpsychologie und der Soziologie. Die Fragestellungen und Modellierungen, die dabei verwendet werden, weisen eine Paradigmen- und Perspektivenvielfalt auf. Die Organisationsbegriffe, welche in den verschiedenen Disziplinen benutzt werden, variieren erheblich. Quer zu allen Perspektiven und Fragestellungen ist die Annahme gemeinsam, dass Organisationen etwas sind, das moderne Gesellschaften kennzeichnet. Vgl. zur systematischen Einführung in die Klassiker und neuere Strömungen der Organisationstheorien Büschges/Abraham 1997; Kieser 1999; Ortmann et al. 1997; Türk 1989.

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56 | Diversity in Action schen Alltagssprachgebrauch. Sie sprechen von »Mitgliedern« einer Organisation in so vielfältigen Bereichen wie Vereinen, Firmen, Reha-Kliniken, Hochschulen und Unternehmen. Insbesondere Niklas Luhmann hat den Begriff der Mitgliedschaft herausgearbeitet und für eine soziologische Perspektive auf Organisationen konzeptionell zentriert. Die systemtheoretische Vorstellung von Organisation bietet den Vorteil, dass sie einerseits eine eigenständige Beschreibung der Organisation erlaubt, die sich als soziales System von anderen sozialen Systemen unterscheidet, und dass sie anderseits die Interaktion und die Gesellschaft nicht als etwas Äußerliches oder Externes der Organisation gegenüberstellt. Ich werde im Folgenden selektiv auf diese Theorie der Organisation Bezug nehmen, die eingebettet ist in die Theorie der sozialen Systeme. Dabei beziehe ich mich vorwiegend auf Arbeiten von Luhmann (Luhmann 1964; Luhmann 1975b; Luhmann 1981). Mithilfe dieses theoretischen Zuschnitts lässt sich empirisch bestimmen, wie der Kontext der von mir untersuchten Interaktionen beschaffen ist und welche Erwartungen an die Mitglieder der Organisation als Stelleninhaber im Rahmen einer veränderten Organisationsstruktur gerichtet werden. Soziale Systeme und die Systemtypen Die Systemtheorie weist Organisationen als besonderen Typus sozialer Systeme aus, der sich von der Interaktion und der Gesellschaft unterscheidet. Konstitutiv für die Ausdifferenzierung von Organisationen ist die Grenzziehung über die Mitgliedschaft. Luhmann hat den Mitgliedschaftsbegriff besonders zentriert, um die Eigenart des sozialen Systems Organisation zu bestimmen. Organisationen sind soziale Systeme, »welche die Mitgliedschaft an bestimmte Bedingungen knüpfen, also Eintritt und Austritt von Bedingungen abhängig machen« (Luhmann 1975b: 12). Die Theorie der sozialen Systeme geht davon aus, dass nicht Individuen bzw. Personen Teil des sozialen Systems der Organisation sind, sondern nur Handlungen bzw. Kommunikation in Bezug auf bestimmte Aufgaben, Interessen und Zwecke. Durch die Formalisierung von Verhaltenserwartungen werden sehr spezielle Handlungen und Verhaltensweisen festgelegt und berechenbar, weil man die Anerkennung von bestimmten Erwartungen zur Bedingung der Mitgliedschaft macht. Bevor ich die Mitgliedschaftsrolle und die in ihr vollzogene Trennung zwischen Stelle und Person des Stelleninhabers erläutere, skizziere ich in einem ersten Schritt die unterschiedlichen Systemtypen, die Luhmann unterscheidet. Luhmanns Theorie sozialer Systeme geht davon aus, dass die soziale Wirklichkeit aus verschiedenen Bereichen besteht, die in der Art, wie sie funktionieren, nicht aufeinander reduzierbar sind. Die Theorie basiert darauf, dass sich soziale Systeme in erster Linie durch ihre Beziehung zu ihrer

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Umwelt unterscheiden. Eine frühe Definition von sozialen Systemen bietet einen leichteren Zugang zu dem Verständnis des Begriffs: Von sozialen Systemen kann man immer dann sprechen, wenn Handlungen mehrerer Personen sinnhaft aufeinander bezogen werden und dadurch in ihrem Zusammenhang abgrenzbar sind von einer nicht dazugehörigen Umwelt. Sobald überhaupt Kommunikation unter Menschen stattfindet, entstehen soziale Systeme; denn jede Kommunikation beginnt eine Geschichte, die durch aufeinander bezogene Selektionen sich ausdifferenziert, indem sie nur einige von vielen Möglichkeiten realisiert. (Luhmann 1975b: 9)

Ein System grenzt sich somit durch seine Selektionen von einer Umwelt ab. Es gibt eine Innen-Außen-Differenz. So unterscheiden sich Universitäten als Organisationen typischerweise von ihren Umwelten, z.B. von Parteien oder wissenschaftlichen Gemeinschaften. Luhmann hat die eben aufgeführte Definition sozialer Systeme selbst wiederum in einem Paradigmenwechsel revidiert. Soziale Systeme, so der zentrale Paradigmenwechsel innerhalb der Systemtheorie, sind Kommunikationssysteme, sie reproduzieren sich dadurch, dass sie laufend Kommunikation an Kommunikation anschließen. Kommunikation lässt sich nicht auf Handlung reduzieren, sondern ist eine eigene emergente Ordnungsebene. Kommunikation bildet eine dreistellige Einheit, die die Komponenten Information, Mitteilung und Verstehen miteinander synthetisiert. Soziale Systeme sichern sich interne Anknüpfungspunkte dadurch, dass sie Kommunikation als MitteilungsHandlung auffassen und einzelnen Personen zurechnen. (Kneer/Nassehi 1993: 81f.)

Luhmann wechselt damit von einem Systembegriff, der Systeme als relational verbundene Elemente bestimmt, zu einem operationsbezogenen Verständnis von Systemen.36 Der Modus des Operierens ist in jedem sozialen System ein spezifischer. Als Systemtypen unterscheidet Luhmann die Interaktion, die Organisation und die Gesellschaft (Luhmann 1975b). Die sozialen Systeme unterscheiden sich voneinander, aber, und das ist für meine Studie bedeutsam, sie schließen sich nicht wechselseitig aus. Luhmann bestimmt die Interaktion als eine Kommunikation unter Anwesenden. Anwesenheit ist das Strukturmerkmal und die Grenzdefinition des sozialen Systems der Interaktion. Anwesend sind die Beteiligten, 36 | Zur genaueren Bestimmung der Operationsmodi von sozialen Systemen als autopoietische, operativ geschlossene, selbstreferenzielle, rekursive Systeme vgl. Luhmann 1992: 28ff. und 271ff.

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58 | Diversity in Action wenn sie sich wechselseitig wahrnehmen können (Luhmann 1975b: 10). So sind zum Beispiel die Teilnehmer eines gemeinsamen Mittagessens in der Kantine einer Firma füreinander anwesend (nicht aber die restlichen Abteilungskollegen, die nicht mitgekommen sind, oder gar die Abteilung). Auch die stumm in einer Schlange vor einem Schalter der Deutschen Bahn Wartenden sind für sich wechselseitig wahrnehmbar. Die reziproke Wahrnehmung erzeugt dabei immer schon Kommunikation (Luhmann 1975b: 23). Man orientiert sein eigenes Verhalten an dem Verhalten der anderen bzw. an dem Faktum, dass man wahrgenommen wird. Über die Sprache können Abwesende in der Kommunikation behandelt werden. Sprechen ist im Gegensatz zu bloßem wechselseitigen Wahrnehmen von Blicken oder nonverbalen Zeichen ein höherer »Aufmerksamkeitsfänger« (Luhmann 1975b) und gleichzeitig ein erhöhter Störfaktor. Daher fokussiert die Interaktion auf ein Thema und bündelt die Aufmerksamkeit über einen Sprecher und das Nacheinander an Themen. Die Struktur der Interaktion durch ein Thema ist jedoch nicht unabhängig von der Interessensausrichtung der Beteiligten in einer Interaktion. In einer anderen Zusammensetzung werden andere Themen gewählt und andere Interessen verfolgt. Da Anwesenheit das Kriterium der Grenzziehung ist, ist die Interaktion ein recht flüchtiges, aber auch flexibles soziales System. Organisationen hingegen verbinden durch formalisierte Erwartungsgefüge die Kommunikation über die Grenzen der Interaktion hinweg (Schneider 2002: 335). Für das soziale System der Organisation ist die schon eingangs erwähnte Mitgliedschaft, die an bestimmte Bedingungen geknüpft wird, konstitutiv. Diese Mitgliedschaft ermöglicht, dass bestimmte Verhaltensanforderungen stabil und dauerhaft erfüllt werden (Luhmann 1975b: 12). Die Form der Kommunikation ist »reflexives Handeln«: Es wird auf sich selbst angewendet und weist damit verschiedene Handlungsmöglichkeiten auf (Weinbach/Stichweh 2001: 41). Durch die Wahl einer Möglichkeit wird dieses Handeln zur Entscheidung. In Organisationen sind getroffene Entscheidungen wiederum Prämissen für weitere Entscheidungen. Für diesen Modus der Kommunikation ist der Gebrauch der Schrift unabdingbar. Denn diese ermöglicht eine über die flüchtige Interaktion hinausgehende, zuverlässige Verknüpfung von Kommunikation. Der dritte wesentliche Systemtypus in der Systemtheorie, neben Interaktion und Organisation, ist die Gesellschaft. Das soziale System Gesellschaft stellt nicht die Summe aller Interaktionen dar, sondern einen eigenen Typus. Gesellschaft ist das »umfassende Sozialsystem aller kommunikativ füreinander erreichbaren Handlungen« (Luhmann 1975b: 11). Sie umfasst alle erwartbaren Kommunikationen und hebt die Beschränkungen der anderen Systemtypen auf. Gesellschaft wird von Luhmann nicht normativ über die gemeinsame Anerkennung von bestimmten Normen oder Werten

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definiert, sondern über die mögliche Kommunikation. Zentral an dieser Unterscheidung von Systemtypen ist, dass sie sich einerseits nicht aufeinander reduzieren lassen und andererseits sich dennoch nicht wechselseitig ausschließen. Kommunikation kann immer mehreren Systemen zugleich zugerechnet werden. »Soziale Systeme sind daher nicht notwendig wechselseitig exklusiv – so wie Dinge im Raum« (Luhmann 1975b: 18). Eine Abteilungsleiterkonferenz ist ein Interaktionssystem und gleichzeitig organisationales Geschehen. Und Interaktionen und Organisationskommunikationen finden immer in der Gesellschaft statt. Ich möchte hier kurz auf eine wenig beachtete Gemeinsamkeit der Systemtheorie und der Ethnomethodologie eingehen. Wie die Systemtheorie geht auch die Ethnomethodologie von den kontingenten Bedingungen der Sinnproduktion (Messmer 2003) aus und platziert Verstehen nicht in einem sinngebenden Bewusstseinsakt von Akteuren, sondern, wie ich im vergangen Kapitel ausgeführt habe, im Vollzug der immer sequenziell stattfindenden Interaktion. Auf Grund der ›unheilbaren Vagheit‹ sprachlicher Ausdrücke müssen sich Sprecher im Prozess der Verständigung zwangsläufig darüber mitverständigen in was für einem Typus von Situation sie sich artikulieren und wie diese sich in die Handlungsketten eines Verfahrens oder einer Organisation einfügt. Ethnomethodologisch betrachtet sind Interaktionen daher, wie ich weiter oben gezeigt habe, nicht in Kontexten angesiedelt. Luhmann würde in seiner Kommunikationstheorie auch davon ausgehen, dass Interaktionen nicht einfach in Kontexten angesiedelt sind, sondern sich in solchen ansiedeln so wie sich Kommunikationen sachlichthematisch differenzieren. Jedoch geht der Kommunikationsbegriff der Systemtheorie über die Beschränkungen des Interaktionssystems hinaus. Während die Ethnomethodologie das übereinstimmende Prozessieren, also die Herstellung des Verstehens durch sequenzielles Handeln, analysiert, betont die Systemtheorie, dass »das übereinstimmende Verstehen kontingent und keineswegs konstitutiv für die Kommunikation ist« (Schneider 2002: 417). Der Kommunikationsbegriff der Systemtheorie ist weder deckungsgleich mit der mündlichen Kommunikation noch mit der Kommunikation unter Anwesenheit, also der Interaktion. Kommunikation kann weit über den Kreis der Interaktion hinaus stattfinden, z.B. in Form von Massenmedien, in der kein geteiltes Verständnis hergestellt wird.37

37 | Vgl. für die Parallelen und Unterschiede zum Kommunikationsbegriff Messmer 2003; Schneider 1994; Schneider 2000.

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60 | Diversity in Action Organisationsstrukturen Welche Charakteristika weisen nun systemtheoretisch betrachtet Organisationen auf? Organisationssysteme weisen spezifische Strukturen auf. Dabei geht es insbesondere um die Formen der Kommunikation und der Mitgliedschaft, die in Organisationen auftauchen. In Organisationen getroffene Entscheidungen werden mit einer »[…] begrenzten, aber vermehrbaren Anzahl von Stellen« identifiziert (Kieserling 1999: 353). Handeln im Kontext von Organisationen wird einem Stelleninhaber zugeordnet. Damit gehört das Entscheidungsverhalten dem System und nicht der Umwelt an. Wie in anderen sozialen Systemen wird der Stelleninhaber als Handelnder beobachtet, mit dem feinen Unterschied, dass Kommunikation als Entscheidung beobachtet wird. Daher wird in Fällen von Misserfolg die Entscheidung als Resultat falscher Entscheidungen angesehen, was von dem Stelleninhaber verantwortet werden muss. In Ministerien kann dies zu einem Rücktritt führen, auf Vorstandsebene im Fall von Verlusten an Aktienanteilen zu einem Austausch der Vorstandsspitze. Aber auch in den weniger prestigeund öffentlichkeitsorientierten Bereichen wird Kommunikation in Organisationen als Handlung Entscheidern zugerechnet. Damit lässt sich auch die Frage beantworten, was Organisationsstrukturen sind und wie sie sich aus der Perspektive der Organisation darstellen: Die Organisation kennt Strukturen nur als Entscheidungsprämisse, über die sie selbst entschieden hat. Sie garantiert sich dies über das formale Strukturprinzip der (Plan-)Stelle, das es ihr erlaubt, über die Einrichtung solcher Stellen bei der Festlegung des Budgets zu entscheiden und in Bezug auf diese Stellen dann Stelleninhaber, Aufgaben und organisatorische Zuordnungen durch Entscheidungen zu ändern. (Luhmann 1997: 822f.)

Entscheidungsprämissen sind in der systemtheoretischen Begrifflichkeit Entscheidungen, die Prämissen für eine Vielzahl weiterer Entscheidungen festlegen. Die Prämissen bestimmen Voraussetzungen, deren Relevanz nicht weiter geprüft wird (Luhmann 2000: 222). Entscheidungsprämissen machen ein bestimmtes Entscheidungsverhalten wahrscheinlicher. Sie sind eine spezielle Form der Erwartung.38 38 | In der allgemeinen Systemtheorie haben Strukturen die Form von Erwartungen. Vor allem Erwartungen von Erwartungen bilden die Struktur sozialer Systeme. Strukturen, so die systemtheoretische Vorstellung, determinieren keine Ereignisse in der Zukunft, sondern sie zeigen Kommunikationsmöglichkeiten auf und schränken damit den Möglichkeitsraum für weitere Anschlüsse in der Kommunikation ein. Strukturen nehmen eine Auswahl (Selektion) vor, die dafür sorgt, dass be-

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Luhmann unterscheidet drei Typen von Entscheidungsprämissen, die für die empirische Beschreibung des Kontextes und der Veränderungen von Strukturen in einer Organisation hilfreich sind (Luhmann 1981: 366): An erster Stelle stehen Entscheidungsprogramme, die sich an Regeln orientieren, also regulative Bedingungen für richtiges oder fehlerhaftes Entscheiden sind. Der zweite Typus umfasst Prämissen, die Kommunikationswege vorschreiben, die eingehalten werden müssen, damit Entscheidungen in der Organisation Anerkennung finden. Schließlich finden sich noch Prämissen, die für die Regulierung des Personaleinsatzes, z.B. in Form der Zuteilung von Personen an Funktionen oder Stellen, in Anschlag gebracht werden (Luhmann 2000: 225). Andere Formen, in denen Erwartungen auftreten, sind Rollen, Programme und Werte. Während Rollen Bündel von Verhaltenserwartungen sind, die an eine Personen adressiert werden, sind Programme Erwartungsordnungen, welche Tätigkeiten und Rollen verknüpfen (Luhmann 2000: 261ff.). So überschreitet beispielsweise die hochgradig komplexe und arbeitsteilige Entwicklung eines Autos deutlich die Rollen- und Handlungskapazität von Einzelnen. Der Komplexitätsgrad von Programmen kann sehr hoch sein.39 Der Aufbau formaler Organisationen wird durch eine bestimmte Struktur ermöglicht: die Mitgliedschaftsrolle. Luhmann versteht unter Formalität eine Systemstruktur, welche die Identität des Systems gegenüber wechselnden Personen und Orientierungsinhalten sichert (Luhmann 1964: 29). Für diese Identität ist die Mitgliedschaftsrolle konstitutiv. Anders als im Falle des Gesellschaftssystems ist die Mitgliedschaft nicht selbstverständlich oder an Anwesenheit wie in der Interaktion gebunden (Luhmann 1981: 364). Der Eintritt oder Austritt wird an bestimmte Bedingungen, an bestimmte Mitgliedschaftsregeln geknüpft und beruht auf Entscheidung. Die Mitgliedschaftsrolle trennt und verbindet zwei Rollenbereiche des Mitglieds: den »dienstlichen« und den »persönlichen«. Sie hat ein »Doppelgesicht«. Die Trennung dieser beiden Rollenbereiche ist selbst eine Mitgliedschaftsbedingung. Man stellt sich als Mitglied darauf ein, zwischen dem zu trennen, was dienstlich ist, und dem, was persönlich ist. Durch die Formalisierung von Verhaltenserwartungen, also dadurch, dass ihre Anerkennung zur Mitgliedschaftsbedingung gemacht wird, wird Erwartungssicherheit erzeugt. stimmte Elemente wahrscheinlicher gemacht werden, und halten gleichzeitig einen Möglichkeitsspielraum bereit (Luhmann 1984: 388). 39 | Der Ausdruck »Programm« wird uns im nächsten Kapitel in der empirischen Strukturbeschreibung der transnationalen Organisation als ein Ausdruck des Feldes wieder begegnen, der im Sinne des systemtheoretischen Begriffs überpersonale Verhaltenserwartung benennt: die Entwicklung eines Autotyps.

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62 | Diversity in Action Man geht davon aus, dass die Verhaltensanforderung des Systems und die Verhaltensmotive der Mitglieder unabhängig voneinander variieren können, sich aber unter Umständen zu relativ dauerhaften Konstellationen verknüpfen lassen. Mit Hilfe solcher Mitgliedschaftsregeln – etwa Autoritätsunterwerfung gegen Gehalt – wird es möglich, trotz frei gewählter, variabler Mitgliedschaft hochgradig künstliche Verhaltensweisen relativ dauerhaft zu reproduzieren. (Luhmann 1975b: 12)

Mit der Übernahme der Mitgliedschaftsrolle erklärt man sich bereit, gewisse Systemerwartungen zu erfüllen: Man akzeptiert pauschal bei Eintritt in eine Mitgliedschaft so etwas wie eine »differenzierte Ämterstruktur, Rechte auf Mittelgebrauch und Verantwortlichkeiten, bestimmte Weisungsketten, wie auch die Stellenstruktur, formale Entscheidungsprozesse und Kontrollmechanismen und ggf. auch die Änderung der Mitgliedschaftsregeln« (Luhmann 1975b: 12). Darüber hinaus erklärt man sich bereit, dass nur von ganz spezifischen persönlichen Merkmalen in der Organisation Gebrauch gemacht wird: in Bezug auf die Stellen- und Systemerwartungen. Individuelle Gründe und Motivationen lässt man als Mitglied bei Eintritt hinter sich. »Man kann im System mit einer homogenisierten Mitgliedermotivation rechnen« (Luhmann 1964: 42). Für diese Anpassung wird man meist durch Geldzahlungen entschädigt. Die Erwartungen, welche die Mitgliedschaftsregeln betreffen, sind sehr begrenzt.40 Die Mitgliedschaftsrolle ist eine Art formalisierter Minimalkonsens und der Generalschlüssel für alle weiteren Sonderrollen und Profile innerhalb der Organisation. In eine Organisation eintreten heißt, mit der Mitgliedschaft eine Stelle zu übernehmen, die von dem konkreten Individuum, dem Stelleninhaber, unabhängig ist. Zwar muss eine Stelle mit einem Stelleninhaber besetzt werden, aber sie kann von verschiedenen Personen besetzt werden. »Jeder Stelleninhaber wird damit an Anforderungen gemessen, die auch anderen Personen gestellt werden« (Luhmann 1975b: 41). Unabhängig von einem konkreten Stelleninhaber werden Aufgaben abgegrenzt, Funktionen einer Stelle bestimmt, spezifische Kommunikationswege und Befugnisse für eine Stelle festgelegt sowie diese in übergeordnete Programme eingebunden. In Bezug auf mein Thema, die Relevanzerzeugung von nationaler Herkunft in der Organisation, bietet Luhmann mit dem nach Dienstlichem und Persönlichem differenzierten Mitgliedschaftsbegriff eine sehr hilfreiche Einsicht. Organisationen nehmen nur sehr reduziert auf Merkmale der Per40 | Nicht alle Verhaltenserwartungen, die im System relevant sind, werden durch die Mitgliedschaftsrolle abgedeckt (Luhmann 1964). Situationsgebundene Vermutungen oder solche, die sich auf Grund der Kenntnis einer Person ergeben, lassen sich nicht in einem System formalisieren (Luhmann 1964: 28f.).

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son Bezug, nämlich insofern, als diese für formalisierte Verhaltenserwartungen bzw. für die Anforderungen an bestimmte Stellen erforderlich sind. Anhand von Zeugnissen und Empfehlungen wird abgeschätzt, ob ein Individuum als Stelleninhaber den Verhaltenserwartungen für eine Stelle entspricht. Durch die Formalisierung der Erwartungen können Organisationssysteme von Individuen mit ihrer Fülle an Merkmalen, Interessen und Orientierungen jedoch abstrahieren. Anders verhält es sich im sozialen System der Interaktion, das sich durch Anwesenheit ausdifferenziert. Im reziproken Wahrnehmungsfeld werden Personenmerkmale, die auf interaktionsexterne Rollenpflichten weisen, nicht vollständig übersehbar oder verdrängbar (Heintz 2003). Da die Anwesenden sich als Personen sichtbar und hörbar aufdrängen, kann an ihnen erkennbar werden, was sie außerhalb der Interaktion sonst noch zu tun haben. Wenn dies sich nicht von selbst versteht, weisen sie darauf hin. (Luhmann 1997: 81)

Heintz (2003) zeigt, dass dies vor allem für hochgradig sichtbare Merkmale der Person wie das Geschlecht gilt, zumal wenn dieses Merkmal darüber hinaus zusätzlich an externe Rollenverpflichtungen gekoppelt ist, z.B. Kinderbetreuung. Da die Systemtypen Organisation und Interaktion, wie eingangs gezeigt, sich wechselseitig nicht ausschließen, finden im sozialen System der Organisation z.B. Besprechungen statt, in denen sich die Anwesenden wahrnehmen. Wahrgenommenes, das auf interaktionsexterne Rollenverpflichtungen weist, so zeigen aus einer systemtheoretischen Perspektive Weinbach und Stichweh (2001), kann den Verlauf einer Interaktion beeinflussen, auch ohne direkt fokussiertes Thema der Interaktion zu werden. Dennoch ist das Organisationssystem mit seiner strikten Trennung von Dienstlichem und Persönlichem, der Festlegung des Verhaltens durch die Mitgliedschaftsregeln und die Formalisierung von organisationalen Rollen im besonderen Maße geeignet, Blindheit und Indifferenz gegenüber personalen Merkmalen zu normieren und durchzusetzen (Weinbach/Stichweh 2001: 43).41 41 | Die Annahme einer vollständigen Indifferenz des Organisationssystems, wie es auch die Modellierung in der klassischen Organisationstheorie postuliert, wurde mit einer Vielzahl an empirischen und theoretischen Arbeiten insbesondere aus der Geschlechtersoziologie und Frauenforschung kritisiert. Besonders prominent sind die Arbeiten von Joan Acker (Acker 1991), die zeigt, dass das Geschlecht wesentlich in Organisationen hergestellt wird. Strukturen der Organisation sind keine unpersönlichen Zuweisungsprozesse. Vielmehr sind in ihnen Annahmen über die Geschlechtlichkeit und über die Unterschiede von Männern und Frauen als eine »gendered structure« eingelagert.

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64 | Diversity in Action In der funktional differenzierten Gesellschaft haben zugeschriebene Personenmerkmale, wie das Geschlecht, die Schicht- oder Klassenzugehörigkeit oder der Verwandtschaftsstatus, ihre Legitimität als alleinige Kriterien für den Erwerb einer Mitgliedschaft verloren (Luhmann 1975a: 43; Weinbach/Stichweh 2001: 34). Die Semantik der modernen Gesellschaft kreist um Begriffe wie Freiheit und Gleichheit, und es ist zunehmend unplausibel geworden, Zugangsbeschränkungen an sozialen Schichtunterschieden oder Geschlechterdifferenzen festzumachen. (Weinbach/Stichweh 2001: 34)

Auch Verwandte, männliche Bewerber, Ehefrauen, Partner, weiße Mittelstandsangehörige müssen gewöhnlich, damit sie als Mitglieder voll anerkannt werden, ein Bewerbungsverfahren durchlaufen und damit formal nachweisen, dass sie den Erwartungen, denen sie als Stelleninhaber gegenüberstehen, gerecht werden. Die grundsätzliche Indifferenz der Systemstrukturen gegenüber Personenmerkmalen schließt dennoch nicht aus, dass askriptive Merkmale für die Mitgliedschaft bedeutungsvoll gemacht werden können. Die Grenzen des Systems sind sinnhafter Natur und bilden eine Erwartungsgrenze, die an die Mitgliedschaft gebunden ist: So wie die Mitgliedschaftsrolle eine Grenze zwischen Stelle und Stelleninhaber zieht, so kann sie auch das Einfallstor für Erwartungen sein, die in anderen Systemen an eine Person gestellt werden (Weinbach/Stichweh 2001). Die Verhaltenserwartungen, die in anderen Systemen Personen zugeschrieben werden, können durch die Mitgliedschaftsrolle in die Organisation transferiert werden. Die Grenze zwischen dem, was dienstlich ist und zur Stelle gehört, und dem, was persönlich ist, kann verändert werden. Luhmann macht dabei jedoch die Einschränkung, dass diese Kriterien spezieller Legitimationen bzw. Begründungen bedürfen (Luhmann 1964: 65f.). Wenn Unpersönlichkeiten durch institutionelle Billigung gestützt werden, so heißt dies lediglich, dass die verschiedenen Rollen, die sich in einer Person verbinden, getrennt zu bleiben haben, genauer: dass nicht aus einem Rollenkreis Ansprüche für einen anderen hergeleitet werden können, bloß weil es sich um verschiedene Rollen derselben Person handelt. Solche Rollenverknüpfung bedarf vielmehr einer sachlichen Begründung an Hand der speziell definierten Interessen des sozialen Systems. (Luhmann 1964: 65f.)

Die Organisation kann durch Reflexion den Umgang mit der System-Umwelt-Grenze ändern: durch eine gezielte Stellenpolitik, die bestimmte Stellen in Förderprogrammen z.B. nur an Frauen vergibt oder die darauf achtet,

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dass bei der Stellenbesetzung mehr Frauen eingestellt werden (Weinbach/ Stichweh 2001: 42f.). Durch die Art der Ausschreibung der Stelle, die bereits Kategorien der Person mit einordnet, kann die Grenze neu definiert werden.42 Ich habe diejenigen systemtheoretischen Theorieelemente ausgewählt, die für die empirische Beschreibung des von mir anvisierten Kontextes von besonderer Bedeutung sind. Die Mitgliedschaftsrolle, die Trennung zwischen Dienstlichem und Persönlichem, die Mitgliedschaftsregeln, die Kommunikation als Entscheidung und Entscheidungsprämissen bilden den Kontext der von mir empirisch untersuchten Interaktionen. Das begriffliche Instrumentarium der Systemtheorie wird damit dazu genutzt, auf Ebene der Organisation zu beschreiben, welche Verhaltenserwartungen in den Strukturen bzw. Entscheidungsprämissen eingelassen sind, die sich an Stelleninhaber richten. Außerdem kann auf diese Weise bestimmt werden, ob und wie spezifische personale Merkmale des Stelleninhabers bedeutungsvoll werden. Ich fasse noch einmal kurz die vorgestellten Begriffe und Vorstellungen des systemtheoretischen Organisationskonzepts zusammen, um dann die Fragen genauer zu formulieren, die die Beschreibung der von mir untersuchten Organisation anleiten sollen. Organisationen sind nach Luhmann ein Typus sozialer Systeme, der sich über das Grenzprinzip der Mitgliedschaft ausdifferenziert. Organisierte Systeme unterscheiden sich vom Interaktionssystem und Gesellschaftssystem. Die Differenzierung zwischen diesen drei Systembildungsebenen fällt nicht mit der System-Umwelt-Unterscheidung zusammen, weil sie sich nicht wechselseitig ausschließen. Die Kommunikation unter Anwesenden kann gleichzeitig Teil des organisationalen Geschehens sein. Die Form der Kommunikation in Organisationen ist die der Entscheidung. Organisationen bilden wie andere soziale Systeme Strukturen aus, die in der Systemtheorie als Erwartungserwartungen definiert werden. In Organisationen haben Strukturen die Form von Entscheidungsprämissen. Über die Strukturen wird in Form von Programmen und Rollen ein Erwartungsgefüge ausgebildet, das bestimmte Kommunikationsanschlüsse wahrscheinlicher macht, sie aber nicht determiniert. Die Mit42 | Weinbach und Stichweh (2001) argumentieren, dass schon bei der Stellendefinition Geschlechterdifferenzen relevant werden. Die Arbeitsteilung in Bezug auf Stellen in Organisationen sei selbst geschlechtlich unterschieden, da sich die Tätigkeiten, die den Stellen zugeordnet werden, auf Vorstellungen über ein typisches geschlechtliches Arbeitsvermögen stützten, das in Familien vorherrsche. So erforderten medizinische Assistenzberufe, aber auch Verwaltungsberufe die »Bereitschaft zu einem persönlichen Dienst«, die »extrafunktionale Qualifikationen« erforderlich mache (Kleber 1993), zitiert nach (Weinbach/Stichweh 2001: 42).

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66 | Diversity in Action gliedschaft zur Organisation wird anders als in anderen sozialen Systemen an bestimmte Regeln gebunden, die von den Mitgliedern anerkannt werden müssen. Die Mitgliedschaftsrolle symbolisiert in ihrer Einheit die Grenze des Systems. Sie trennt und verbindet zwei Bereiche: das, was dienstlich von den Mitgliedern erwartet wird, und das, was als die persönlichen Angelegenheiten der Stelleninhaber angesehen wird. Weil die Systemtheorie so klar in der Mitgliedschaftsrolle die beiden Bereiche unterscheidet, eignet sie sich als Perspektive, um empirisch zu betrachten, ob und wie die Organisation mit bestimmten personalen Merkmalen ihrer Mitglieder umgeht und welche Erwartungen an die Stelleninhaber in der von mir untersuchten Organisation gestellt werden. Ich fasse dafür Strukturen im Sinne der Systemtheorie als Erwartungsstrukturen auf: Erwartungen daran, wie Kommunikation in der Organisation geführt wird, und damit auch Erwartungen an diejenigen, welche Adressaten, Thema und Produkt der Kommunikation sind: die Mitglieder. Ich werde Strukturveränderungen beschreiben, die sich auf die Kommunikationswege, die Entscheidungsprogramme und den Personaleinsatz beziehen, und gehe in den Beschreibungen gewissermaßen von beiden Seiten der Mitgliedschaftsrolle aus: Aus der Perspektive der Organisation werde ich empirisch beschreiben, welche Erwartungen an die Mitglieder als Stelleninhaber gerichtet werden. Dabei möchte ich betonen, dass die Mitgliedschaftsrolle im theoretischen Modell von Luhmann nur die basalen und konsensuell vorausgesetzten Regeln bezeichnet. Die Mitgliedschaftsrolle ist der Generalschlüssel zu weiteren Mitgliedschaftsprofilen, die auf die basalen Regeln aufbauen (Luhmann 1964). Auch die Stelle des Managers setzt die Trennung von Dienstlichem und Persönlichem voraus. Ziel ist es, in einem ersten Schritt Erwartungen der Organisation herauszuarbeiten, die sich durch veränderte Kommunikationswege und eine veränderte Zuordnung von Funktionen an die Stelleninhaber richten. Dies sind in meinem Forschungsfeld vor allem die Stellen von Managern und Ingenieuren, die in der Organisation innerhalb von Programmen platziert werden. Dabei soll die Frage beantwortet werden, was die Strukturen an personalen Merkmalen bei den Stelleninhabern voraussetzen. Wird die nationale Herkunft der Mitglieder bedeutsam? Seitenverkehrt möchte ich der Frage nachgehen, ob es Strukturveränderungen gibt, die durch besondere Legitimierung gezielt spezifische akriptive Merkmale der Person für die Mitgliedschaft bedeutsam machen. Findet eine Verschiebung der Grenzziehung dahingehend statt, dass vormals Persönliches nun in die dienstlichen Erwartungen eingeht? Werden askriptive Merkmale der Person des Stelleninhabers innerhalb der formalen Strukturen relevant gemacht? Da sich die sozialen Systeme Interaktion und Organisation (und auch Gesellschaft) nicht wechselseitig ausschließen, ist es interes-

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sant, empirisch der Frage nachzugehen, wo und wie diese Erwartungen an die Stelleninhaber in der Interaktion ins Spiel kommen. In der Interaktion können sich die Mitglieder als Stelleninhaber mit spezifischen personalen Merkmalen wahrnehmen. Im kommenden Kapitel werde ich genauer bestimmen, wodurch die nationale Herkunft einer Person wahrgenommen werden kann.

1.3 Die Kategorie der Nationalen Herkunft Zentraler Gegenstand meiner Forschung ist die Mitgliedschaftskategorie Nationale Herkunft. Die Studie will beschreiben, wie Alltagsteilnehmer in einem spezifischen Kontext von der Unterscheidung der nationalen Herkunft in Gesprächen und Handlungen praktisch Gebrauch machen und sie auch neutralisieren. Als kompetente Gesellschaftsmitglieder im Sinne der Ethnomethodologie verfügen wir nicht nur über Kategorien wie Geschlecht, Schicht und Ethnizität, sondern auch über die Kategorie Nationale Herkunft mit einer Vielzahl von Klassen, die wir in den sprachlichen Ausdrücken wie Deutscher, Brite, Schweizer, Franzose, Schwede, Südafrikaner oder Japaner fassen. Eine solche Kategorisierung von Personen setzt, wie in den ethnomethodologischen Studien zu Geschlecht vorgestellt, im Alltag ein bestimmtes Wissen voraus, um diese Mitgliedschaftskategorien lokal für praktische Zwecke zu aktualisieren oder auch lokal zu neutralisieren. Ich kontrastiere zunächst in einem ersten Schritt meine Forschungsausrichtung mit Forschungsansätzen der Nationalkultur, die im Bereich der Wirtschaftswissenschaften prominent sind. Diese Ansätze übernehmen Hintergrundannahmen des Alltagsdenkens in Bezug auf die Nationale Herkunft, die ich daran anschließend in Anlehnung an das Doing-GenderModell erläutern und vorstellen werde. Dabei arbeite ich die besonderen Merkmale der Mitgliedschaftskategorie heraus, welche sich deutlich vom Geschlecht unterscheiden. Die Merkmale des Alltagsdenkens stehen, da es sich um kulturell geprägtes Alltagsdenken handelt, wiederum selbst unter dem Verdacht, dass sie vor dem Hintergrund eines bestimmten nationalkulturellen Wissens formuliert werden und nur in bestimmten Nationen oder bestimmten Bereichen in dieser Art das Alltagsdenken anleiten. In einem Exkurs in die historische Genese der Vorstellung von Nationen wird dieses alltagstheoretische Wissen ausgelotet. Abschließend werde ich verdeutlichen, was es vor dem Hintergrund dieses Alltagswissens und einer ethnomethodologischen Perspektive forschungspraktisch und – theoretisch bedeutet, ein Doing Being An American, ein Doing Being A German und dessen Neutralisierung im Kontext einer Organisation zu untersuchen.

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68 | Diversity in Action Alltägliche Hintergrunderwartungen in Bezug auf die nationale Herkunft Die Studien und Ansätze zur Nationalkultur und zur interkulturellen Kommunikation stammen aus verschiedenen Disziplinen: Kulturanthropologie, Ethnologie, Sozio-Linguistik, Soziologie, Psychologie und Wirtschaftswissenschaften. Aus der Fülle der Forschungsansätze und Studien wähle ich zwei kontrastiv vorgehende Forschungsansätze aus, die in der interkulturellen Managementforschung Bedeutung haben und bestimmte Alltagsannahmen in Bezug auf die nationale Herkunft übernehmen. Hofstedes Kulturkonzept basiert auf einer Annahme der Prägung von Personen. Kultur wird bei diesem Ansatz als eine »kollektive Programmierung des Geistes, die die Mitglieder einer Gruppe oder Kategorie von Menschen von einer anderen unterscheidet« (Hofstede 1980: 25), definiert. Diese »Programmierung« vollzieht sich in der Sozialisation und zeichnet sich durch typische Werthaltungen, Einstellungen und daraus resultierende Handlungsmuster aus. Die Programmierung kann sich bezüglich Nationen, Regionen, Geschlechter, Generationen, Schichten oder Organisationen unterscheiden. Das Modell der »Nationalkultur« ist von Hofstede zum Vergleich der internationalen Managementpraxis entwickelt worden und geht von der Annahme aus, dass Menschen sich in diesen Organisationen vorwiegend über nationale Identitäten abgrenzen. Aufgrund der unterschiedlichen Ausprägung der »Nationalkulturen« ergeben sich spezifische Probleme der Verständigung und Zusammenarbeit. In einer quantitativen Studie, die Hofstede für IBM durchführte stellte er fest, dass die Unterschiede zwischen den Nationalkulturen wesentlich prägender waren als die Gemeinsamkeiten durch die Unternehmenskultur. In dieser Studie entwickelte er vier Dimensionen, anhand derer die nationale Kultur bestimmt werden kann: Eine Dimension ist dabei die Machtdistanz, nach der Länder danach unterschieden werden, wie sie mit ungleich verteilter Macht umgehen. So sind in Frankreich, Japan und Russland hierarchische Strukturen stark entwickelt und gelten als völlig legitim im Gegensatz zu Gleichheitskulturen wie den USA und Deutschland. Die zweite Dimension unterscheidet Einstellungen danach, ob die Interessen der Individuen wichtiger sind als die der Gruppe oder umgekehrt (Individualismus vs. Kollektivismus). Drittens werden Nationen danach unterschieden, ob sie die Geschlechterrollendifferenzierung als natürlich gegeben ansehen und ob ihnen Werte wie »Erfolg und Leistung« (USA, Deutschland) oder auch Fürsorge für Benachteiligte wesentlich sind (Skandinavien). Und schließlich unterscheidet Hofstede Nationalkulturen danach, ob sie sehr stark Unsicherheit vermeiden oder eher risikobereit sind. Hofstede geht kontrastiv vor und fokussiert in erster Linie die kulturellen Unterschiede zwischen verschiedenen Nationalkulturen: In diesem Ansatz werden Listen zusammengestellt, in denen die na-

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tionalkulturellen Unterschiede in Tabellen und Skalen einander gegenübergestellt werden (Moosmüller 1993: 49ff.). Der Anthropologe Edward Hall vertritt wie Hofstede einen entschiedenen Kulturalismus, der davon ausgeht, dass kulturelle Muster grundlegend das alltägliche Handeln bestimmen. Er beschäftigt sich mit dem »primary level of culture«, worunter er Folgendes versteht: […] A hidden level of culture that is highly patterned – a set of unspoken, implicit rules of behavior and thought that controls everything we do. This hidden cultural grammar defines the way in which people view the world, determines their values, and establishes the basic tempo and rhythms of life. (Hall/Hall 1983: 6)

Vor allem die Untersuchungen der Unterschiede zwischen US-Amerikanern, Japanern, Deutschen und Franzosen wurden dabei prominent. Hall unterscheidet Kulturen, und in ihnen auch Nationalkulturen, nach ihrem Umgang mit Raum und Zeit: Es gibt monochrone und polychrone Kulturen sowie, in einer weiteren Dimension, Differenzen in ihrem Umgang mit Raum.43 In den monochronen Kulturen werden Zeitabläufe durch Sachzwänge und eine standardisierte Zeit (Uhr) unabhängig von den Bedürfnissen der Menschen bestimmt. Menschen aus monochronen Kulturen legen großen Wert auf Pünktlichkeit, Ordnung und die strikte Beibehaltung von Arbeitsabläufen. Beispiele hierfür sind die USA, die Schweiz, Deutschland und die skandinavischen Länder. Auch in der Basiskategorie Raum unterschieden sich die Kulturen grundlegend. Deutsche bevorzugen separierte Arbeitsplätze mit geschlossenen Räumen und Ruhe, US-Amerikaner hingegen lassen Büroräume meist geöffnet und mögen Sichtbarkeit und Ansprechbarkeit. Hall gibt in seinen Business-Ratgebern ein psychologisches Profil der verschiedenen Nationalkulturen, das sich für Deutsche wie folgt ausnimmt: They certainly don’t expect to have fun at work; work is serious business. Don’t expect to see them smiling a lot, but remember they are not unfriendly; they are simply much more reserved and serious than Americans. Also, Germans keep to themselves. 43 | Halls Konzept weist noch eine andere Dimension auf, unter deren Namen sein Ansatz bekannt ist: High Context und Low Context. Hierbei unterscheidet er Kulturen danach, wie und wodurch Informationen über die Situation gegeben werden. In High-Context-Kulturen sind die Informationen implizit im Setting, in den Personen, dem Status etc. eingelassen, die ein kompetenter Kulturteilnehmer zu dekodieren weiß. Beispiele hierfür sind die japanische, die arabische und die mediterrane Kultur. In Low-Context-Kulturen wird ein Großteil der Informationen explizit gegeben, so z.B. in der deutschen Kultur (Hall/Hall 1983).

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70 | Diversity in Action Their strong feelings of privacy and territoriality gives the average American the idea that they are standoffish and do not like to socialize. (Hall/Hall 1990: 52f.)

Dieser Ansatz zentriert auf Personen und analysiert in einer Art Eigenschaftspsychologie die Unterschiede zwischen nationalkulturell verhafteten Individuen. Die Studien von Hall und Hofstede, die beispielhaft für kulturkontrastiv vorgehende Forschung sind, finden vor allem in der Interkulturellen Managementforschung Anklang. Studien mit diesem Kulturverständnis modellieren Akteure als unbewusste Träger nationaler Kulturtechniken und fokussieren folgerichtig auf Werte-, Einstellungs- und Verhaltensunterschiede. Kommunikative Unterschiede werden allgemein als Ausdruck unterschiedlicher Kulturen analysiert (Hall/Hall 1983). Ein Großteil des frühen International Cross Cultural Management Research (Sackmann 1997) versteht dabei Kultur als eine fundamentale, national modellierte Mitgliedschaftskategorie, der ein Mitglied nicht entrinnen kann und die es Zeit seines Lebens über verschiedene Territorien und Länder mit sich trägt. Ähnlich wie dem Geschlecht in den siebziger, achtziger und auch noch neunziger Jahren wird der Nationalkultur bzw. der nationalen Herkunft ein Superstatus eingeräumt, der die anderen Identitätskategorien von Personen, wie soziale Herkunft, sexuelle Präferenz, Religion etc. überlagert (Sackmann 1997: 18). Omnirelevant durchzieht er alle Kommunikationssituationen und ist für die Beteiligten als eine latente Struktur nicht begreifbar, wie das nachfolgende Zitat betont: Da die Einstellungen und Erwartungen »unsichtbar« sind, in der jeweiligen Kulturgemeinschaft generelle Gültigkeit besitzen […] und weil sie schließlich oft nur interpretativ und metakommunikativ erschlossen werden können, werden sie in der Regel in interkulturellen Managementkontakten auch nicht thematisiert, d.h. sie können in der konkreten Kontaktsituation in der Regel auch nicht thematisiert und expliziert werden. (Baumgarten 1994b zitiert nach Hasenstab 1998)

In diesen Ansätzen wird eine Neutralisierung der nationalkulturellen Herkunft konzeptionell ausgeschlossen. Um die nationalkulturelle Unterscheidung von Personen, die ihre nationalen Merkmale als Eigenschaften ihrer Person besitzen, nicht zur »resource«, sondern vielmehr zum »topic« (Pollner 1974) der Arbeit zu machen, werde ich im Folgenden die Hintergrundannahmen des Alltagsdenkens in Bezug auf die nationale Herkunft herausarbeiten und zeigen, wie die kontrastiven Studien auf das Alltagswissen zurückgreifen.44

44 | Studien zur interkulturellen Wirtschaftskommunikation werden durch na-

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Was verbindet man in Deutschland im Alltag mit der Kategorie der nationalen Herkunft? Was bedeutet es, wenn eine Person als Deutsche, Polin oder Türkin kategorisiert wird? Was verbindet man damit, dass eine Deutsche aus Polen stammt und in Deutschland aufgewachsen ist? Ist die nationalstaatliche Zugehörigkeit einer Person gemeint oder die Verortung einer Person in einem bestimmten Land? Die Zugehörigkeit zu einem oder mehreren miteinander verwobenen Kulturkreisen? Die Identifizierung von Personen? Was sind die Grundmerkmale der Kategorie Nationale Herkunft, die in der deutschen Gesellschaft verwendet werden und das Denken anleiten, wenn man im Alltag Personen nach ihrer nationalen Herkunft verorten will? Die Grundcharakteristika der Kategorie Geschlecht sind recht übersichtlich: Geschlecht hat man qua Natur, ein Leben lang (konstant), und es gibt genau zwei bipolare Klassen (Hirschauer 1994: 517). Ganz so strikt und übersichtlich sind die Grundmerkmale der nationalen Herkunft nicht, was zum einen die Erforschung erschwert, zum anderen aber auch wiederum ein zentrales Kennzeichen der Kategorie ist. Ich unterscheide drei Charakteristika, die ich im Folgenden plausibilisieren möchte. Sie werden relevant, wenn Alltagsteilnehmer Personen nach der nationalen Herkunft differenzieren. Das Ziel ist dabei nicht, die verschiedenen Wege der Zuschreibung von nationaler Herkunft auszuloten oder die kontextuellen Bedingungen einer treffsicheren Attribution zu benennen, ebenso wenig die empirische Variationsbreite möglicher Darstellungen und Zuschreibungen von nationaler Herkunft zu erfassen. Intendiert ist vielmehr, eine genauere Vorstel-

tionalkulturkontrastive Studien dominiert (Knapp/Knapp-Potthoff 1990). Dennoch gibt es zunehmend Forschungen, die Prozesse der Interaktion kontextualisiert im internationalen Management erforschen (Bolten 1995; Müller 1991). Als Beispiel für eine anwendungsbezogene, ethnographisch angelegte Arbeit kann die Studie über deutsch-tschechische Zusammenarbeit von Höhne gelten (Höhne 1997). Kommunikationsschwierigkeiten aufgrund nationaler Kategorisierungen in Joint Ventures sind von Nekvapil (1997) beschrieben. Einen wichtigen Beitrag zur interaktionsorientierten Analyse hat Moosmüller (1997) in seiner Untersuchung zur interkulturellen Zusammenarbeit in deutschen und US-amerikanischen Unternehmen in Japan geleistet. Konkrete Analysen von spezifischen Interaktionssituationen interethnischer Kommunikation sind von Gumperz und seinen Mitarbeitern vorgelegt worden (Gumperz/Cook-Gumperz 1982). Im deutschsprachigen Raum hat Hinnenkamp konversationsanalytisch ausgerichtete Studien zur interkulturellen Kommunikation zwischen Deutschen und Türken vorgelegt (Hinnenkamp 1989). Einen Überblick über die vorhandenen Studien zur interkulturellen Kommunikation bietet Hinnenkamp 1994.

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72 | Diversity in Action lung davon zu entwickeln, was man in den Blick nimmt, wenn man nationale Herkunft als ein Mitgliederphänomen zum Gegenstand seiner Forschung macht. Territorial – kulturalistisch Alltagstheoretisch gehen Gesellschaftsmitglieder davon aus, dass man mindestens eine ethnische Zugehörigkeit hat (Müller 2003). In Bezug auf nationale Zugehörigkeit, die eine Form der ethnischen Zugehörigkeit in soziologischen Konzepten darstellt, ist dies die in westlichen Gesellschaften gängige Vorstellung, dass eine Person zu einem bestimmten Land gehört. Die Vorstellung, dass Personen zu einem Land gehören, ist eine räumlich strukturierte Alltagsvorstellung. Sie bezieht sich immer auf ein Territorium.45 Die Territorialitätsannahme ist selbst wiederum historisch begründet, wie ich im folgenden Exkurs über Nation und Nationalitäten darlegen werde. Exkurs: Nation, Nationalität und nationale Herkunft Von einer nationalen Herkunft von Personen auszugehen, bedeutet in unserem heutigen Alltagsverständnis in Europa von der Annahme auszugehen, dass Personen aus einem bestimmten Territorium stammen, das nationalstaatlich verfasst ist. Die Form der Organisation von politischer Herrschaft als territorial begrenzte Staaten, und hier insbesondere als Nationalstaaten, hat sich zum Ende des 20. Jahrhunderts als weltweites Organisationsprinzip im Anschluss an das Kolonialsystem durchgesetzt (Hofstede 1997: 13). Die Herstellung gesellschaftlicher Ordnung durch Nationen und die Legitimation von Herrschaft in Nationalstaaten ist historisch betrachtet ein neuzeitliches Phänomen. Während im Mittelalter Nation etwas war, womit man sich in der Fremde abgrenzte, wurde die politische Zugehörigkeit zu einem Herrschaftsgebiet durch das Personalitätsprinzip des Lehnswesens hergestellt. Die Entwicklung von Nationen und Staaten ist historisch betrachtet ein sich wechselseitig bedingender Prozess. Staaten bilden durch kulturelle Vereinheitlichungsprozesse Nationen, und die Vorstellung von Nation ist ein zentrales Element des Nationalstaates (Heckmann 1992: 39ff.). Erst der moderne Nationalstaat verbindet die Zugehörigkeit zu einer Nation mit der politischen Zugehörigkeit zu einem territorial begrenzten Staat (Heckmann 1998).46 Dabei bestehen unterschiedliche Gleichheitskri45 | Es gibt Ausnahmen in Bezug auf die Territorialannahmen, zum Beispiel im Fall von Ethnien, die reisen und gerade nicht dauerhaft in bestimmten Ländern leben, z.B. Sinti und Roma. 46 | Zur Bedeutung der nationalistischen Ideen und Bewegungen in Nationen

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terien, welche die Einheit einer Nation bzw. die Zugehörigkeit zu einer Kollektivität bestimmen. Nationen werden von Lepsius als »gedachte Ordnung« definiert, die kulturell eine »Kollektivität von Menschen als Einheit« bestimmt. Er unterscheidet typologisch vier Nationenkonzepte, die historisch meist in Mischformen bestehen oder bestanden und je nach Kriterien unterschiedliche Kollektivitäten von Menschen bilden (Lepsius, 1990: 240ff.).47 In dem ersten Typus, der Volksnation, wird eine Gleichheit und Einheit der Mitglieder durch eine Gleichheit ihrer Abstammung, d.h. durch ethnische Zugehörigkeit zu einem Volk bestimmt. Dazu müssen die Eigenschaften des Volkes bestimmt werden, was – wie Lepsius betont – nur schwer zu leisten ist. Meist wird die behauptete Homogenität letztlich nicht durch biologische Abstammungskriterien, sondern durch kulturelle Gemeinsamkeiten legitimiert, wie eine gemeinsame Sprache und Religion, oder durch vage Kriterien wie z.B. eine »historische Schicksalsgemeinschaft«. Die Volksnation naturalisiert die Zugehörigkeit ihrer Mitglieder. Der zweite Typus, die Kulturnation, nimmt eine kulturelle Gleichheit von Menschen, eine gedachte Ordnung durch eine einheitliche Sprache an. Typisch für dieses Nationenkonzept ist das durch eine politische Fragmentierung gekennzeichnete Deutsche Reich des 18. Jahrhunderts. Zunächst von der Idee her »transpolitisch« orientiert, behauptete die nationalistische Bewegung eine nationale Identität durch die deutsche Sprache, ohne eine einheitliche Staatsorganisation anzustreben. Historisch veränderte sich die transpolitische Vorstellung, und deutschsprachige Länder wie Österreich wurden zu Residuen der deutschen Kulturnation (Lepsius 1990: 237). Die dritte Form des Nationalstaates ist die Staatsbürgernation, die sich durch Gleichheit an Staatsbürgerschaftsrechten und durch Verfahren demokratischer Herrschaftsausübung legitimiert. Modernen Nationen liegt dieser Nationenbegriff zu Grunde. Analog zu den verschiedenen Kriterien für Nationen bestehen auch unterschiedliche Kriterien für die nationale Staatszugehörigkeit, die Nationalität. Völkerrechtlich werden zwei Systeme unterschieden, welche die Staatsund der Nationalstaatenbildung vgl. Hobsbawm 1991; Langenwiesche 2000; Mosse 1996. 47 | Ich werde nur drei Typen vorstellen und spare den Typus der »Klassennation«, der von der DDR-Führung zur nationalstaatlichen Identifikation geschaffen wurde, aus. Vgl. hierzu Lepsius 1990: 240ff. Analoge Typologien lassen sich bei Heckmann (Heckmann 1992) und auch in den Typologien der verschiedenen Staatsbürgerschaftsmodelle wiederfinden. So werden Staatsbürgerschaftsmodelle in der Moderne nach partizipativ-republikanischem und ethnisch-kulturellem Mitgliedschaftsmodell unterschieden (Wobbe 2000: 76).

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74 | Diversity in Action zugehörigkeit zur Zeit der Geburt unterschiedlich bestimmen: das ius solis (Gesetz des Boden) und das ius sanguinis (Gesetz des Blutes). Im ius solis erhält man die Staatszugehörigkeit eines Staates, wenn man in dessen Staatsterritorium geboren wurde (z.B. USA, British Commonwealth), unabhängig von der Staatszugehörigkeit der Eltern. Im ius sanguinis wird die Staatszugehörigkeit von den Eltern vererbt, unabhängig davon, auf welchem Territorium die Person geboren wurde (deutsches Recht bis 1999).48 Entscheidend für die Alltagsvorstellung der nationalen Herkunft von Personen sind nicht die staatsbürgerschaftlichen Rechte in einem Nationalstaat oder der Pass als Dokument dieser Rechte und Zugehörigkeit, sondern dass Menschen immer aus einem bestimmten Territorium, einem Land stammen, das in der Moderne staatlich verfasst ist.49 Die Vorstellung, dass Personen zu einem Land gehören, zu einer Nation, ist somit eine räumlich strukturierende Alltagsvorstellung. Die Annahme, dass Menschen einer bestimmten Nation oder eines Nationalstaats sich durch spezifische kulturelle Gemeinsamkeiten auszeichnen, ist in dem ethnischen und dem kulturellen Nationenbegriff bereits angelegt. Diese Nationenkonzepte behaupten, dass sich die Angehörigen der Nation durch bestimmte kulturelle Muster oder Wesensmerkmale, die dem Volk eigen sind, auszeichnen. Im massenmedialen Diskurs werden die Eigenschaften und Images von Völkern und Nationen durch Reportagen, Nachrichten, die Übertragung internationaler Sportveranstaltungen vermittelt und aktualisiert: Sie vermitteln ein stereotypes Wissen über die Gepflogenheiten, wie Feiertage, Feste, Essensgewohnheiten und spezifische nationale Bilder, die eine Vorstellung davon vermitteln, wodurch sich eine Nationalkultur auszeichnet (Moosmüller 1997: 54). Spezifische Verhaltensweisen, Einstellungen, Gewohnheiten und Kommunikationsstile werden Personen als kollektive Eigenschaften, als nationale Attribute zugeschrieben.50 Die nationalen Stereotype haben sich

48 | Dieses Gesetz wurde 1999 durch das Territorialprinzip ergänzt. Seit dem 1. Januar 2000 wird die deutsche Staatsbürgerschaft auch an alle in Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern vergeben. Die Kinder müssen sich nach der Volljährigkeit bis zum 23. Lebensjahr für eine der beiden Staatsbürgerschaften entscheiden. 49 | Man lässt sich als Alltagsteilnehmer nicht den Pass seines Gegenübers zeigen, um die Klassifikation »Amerikaner« zu treffen. Eine andere Klassifikation findet in Behörden statt, die routiniert die Staatszugehörigkeit von Personen ermitteln und prüfen. Vgl. hierzu: Scheffer 1997; 2001. 50 | Bei Staatsbürgernationen, wie zum Beispiel den USA, die durch eine Vielzahl unterschiedlicher Ethnien qua Einwanderung gekennzeichnet sind, wird in der Forschung davon ausgegangen, dass die kulturellen Gemeinsamkeiten den Staats-

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erst als ein recht junges historisches Phänomen herausgebildet und werden unterschiedlich gefüllt und modifiziert (Hobsbawm 1991). Handlungen und Einstellungen werden als »typisch US-amerikanisch« oder »typisch deutsch« nationalisiert. Beispiele hierfür sind die Ansichten, dass Deutsche für ihre Ordentlichkeit, Reserviertheit und Arroganz bekannt sind. USAmerikaner gelten in Deutschland als oberflächlich, sie hätten keine wirkliche Kultur, seien entweder fitnessfanatisch und schlank oder abhängig von Fastfood und übermäßig fett sowie mit einem überdurchschnittlichen Selbstbewusstsein ausgestattet.51 Ich habe die verschiedenen Nationenvorstellungen und zu Beginn kontrastiv zwei Ansätze in der Nationalkulturforschung vorgestellt, um die alltäglichen Hintergrundannahmen der nationalen Herkunft auszuloten. Wenn man im Alltag Personen nach nationaler Herkunft differenziert, wird als ein erstes Charakteristikum die Territorialitätsannahme bedeutsam, die oft mit der Vorstellung einhergeht, dass Menschen einer bestimmten Nation spezifische kulturelle Merkmale eigen sind.52 Sowohl die kulturalistischen Nationenforschungen als auch die ethnischen und kulturellen Nationenauffassungen vertreten die Annahme, dass Menschen aus unterschiedlichen Ländern eine kulturell stark divergierende Prägung aufweisen und unbewusste Träger ihrer Nationalkultur sind. Die Forschungen setzen am territorial-kulturalistischen Alltagshintergrund an und greifen auf die Alltagsannahme zurück, dass Menschen unterschiedliche nationalkulturelle Merkmale als Eigenschaften ihrer Person besitzen. Kultur wird in kollektiven Eigenschaften verortet und in Personen mit einer bestimmten territorialen Herkunft festgeschrieben: Man ist US-Amerikaner oder Deutscher oder Russe oder Japaner. Die wissenschaftlichen Experten der nationalkulturellen Unterschiede deklinieren die Differenzen zwischen den verschiedenen Nationalkulturen in ihren Forschungen durch und leiten für bestimmte

bürgern durch gemeinsame Massenmedien, die dominante Landessprache, das einheitliche nationale politische System, die nationalen Bildungseinrichtungen, den nationalen Markt sowie die nationale Vertretung bei Sportveranstaltungen weitergegeben werden (Hofstede 1997: 15). 51 | Dieses Wissen um nationale Stereotype hängt auch von den tagespolitischen Berichterstattungen der Massenmedien ab. 52 | Dieses Alltagsdenken praktiziert man als Tourist, als Grenzgänger oder in der eigenen Gesellschaft im Kontakt mit Menschen anderer nationaler Herkunft. Irgendwie »erkennt« man an speziellen Urlaubsorten US-Amerikaner, Japaner und Franzosen, oder man wird als deutscher Tourist auf Mallorca erkannt: an der Kleidung, am Verhalten, zum Teil an der Physiognomie und natürlich an der Sprache und dem nationalen Akzent.

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76 | Diversity in Action Kombinationen Schwierigkeiten in der Interaktion ab. Dabei wird die Relevanz der Kategorie als latent und omnirelevant modelliert. Plural – kontextuell Die zweite strukturierende Hintergrundannahme in Bezug auf nationale Herkunft ist, dass sie eine Kategorie mit einer Vielzahl an möglichen Klassen ist. Die United Nations verzeichnen im Jahr 2002 an die zweihundert Mitgliedsstaaten. Die möglichen Klassen der nationalen Zugehörigkeit, also Spanier, Kenianer, Südafrikaner etc., sind plural und nicht wie bei Geschlecht übersichtlich bipolar strukturiert. Als Alltagsteilnehmer wissen wir, wie eben dargelegt, um die Existenz verschiedener Nationalstaaten und gehen davon aus, dass sich die Menschen aus anderen Ländern z.B. in ihren Nationalsprachen, aber auch Gewohnheiten und Gepflogenheiten von der eigenen Nationalität unterscheiden. Dieses Wissen ist jedoch relativ grob und nur insoweit praktisch geschult, als es im Alltag, in der Interaktion von Bedeutung ist. Beispielsweise werden Europäer, die wenig Kontakt zu Malaien und Thailändern haben, nur ein geringes praktisches Wissen darüber haben, diese Menschen aus verschiedenen Nationalstaaten zu unterscheiden. Die Nationalstaaten sind durch eine bestimmte geographische Ausdehnung gekennzeichnet und erheben einen Exklusivitätsanspruch auf ihr Territorium. Der Kontakt zu vielen verschiedenen Nationalitäten im Alltag ist durch dieses Faktum begrenzt. Man kann als Alltagsteilnehmer nicht mit allen Nationalitäten in Kontakt sein.53 Während Kinder in europäischen Ländern mit einer in der Familienstruktur eingelassenen Dauerpräsenz zweier verschiedener Geschlechter aufwachsen, kommen sie nur in binationalen Familien innerhalb der Familie bereits in direkten und engen Kontakt mit Menschen verschiedener nationaler Herkunft.54 Aber auch z.B. in einer thailändisch-deutschen Familie ist der Kontakt nur zu diesen beiden Nationalkulturen möglich.55 Gerade weil nationale Zugehörigkeit eine 53 | Außer durch mediale Vermittlung, wie z.B. das Internet. 54 | Diese Unterscheidung nimmt jedoch zu: Jede sechste Ehe in Deutschland ist binational (Bundesministerium für Familie 2002: 108). Jenseits der Familienstrukturen sind die interkulturellen Kontaktmöglichkeiten in anderen Institutionen eingeschrieben, z.B. in bikulturellen Kindergärten, etwa im »Türkisch-Deutschen Kindergarten Berlin«, wird der enge alltägliche Kontakt institutionell hergestellt. 55 | Der alltägliche Kontakt mit Menschen aus anderen Nationalkulturen oder mit unterschiedlicher nationaler Herkunft hat durch die weltweite Migration zugenommen, ist jedoch im Vergleich zu Geschlecht nur in speziellen Kontexten besonders intensiv.

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räumlich segregierende Mitgliedschaftskategorie ist, gibt es im Alltag, im Vergleich zu Geschlecht, nur begrenzte heteronationale Interaktionsmöglichkeiten.56 Durch Migration und Einwanderung sowie den europäischen Zusammenschluss findet natürlich eine internationale Begegnung mit bestimmten Nationalitäten auch im Alltag der Gesellschaftsmitglieder statt. In Deutschland besteht engerer kultureller Kontakt einerseits durch politisch-geschichtliche Verbindungen zu anderen europäischen Ländern und den USA. Andererseits leben seit der Einführung des Gastarbeitersystems in Deutschland Türken, Griechen und Italiener, und seit der Auflösung der Sowjetunion immigrieren verstärkt Russlanddeutsche nach Deutschland. Insgesamt hat durch die Vereinigungs- und Erweiterungsprozesse der Europäischen Union die Migration innerhalb der EU zugenommen. Die Kontakte zu anderen Nationalkulturen sind sowohl durch die geographische Lage als auch durch wirtschaftliche und politische Prozesse der Grenzziehung bestimmt. Trotz dieses gesellschaftlichen Potenzials, in heteronationalen Kontakt zu treten, zeigen Studien zum Alltag in der »multikulturellen Stadt« als Lebenswelt, dass das Verhalten im Alltag eher durch Kontaktvermeidung und Indifferenz gekennzeichnet ist (Bukow et al. 2001: 166f.). Alltagsteilnehmer verfügen, wenn sie nicht selbst als Einwanderer oder Migranten in einem Land leben oder in bestimmten Institutionen direkten alltäglichen Kontakt zu Menschen unterschiedlicher Nationalität haben, über relativ geringes und recht grobes praktisches Wissen, wie man nationale Differenzen genau in Anschlag bringt. Denn im Gegensatz zu Geschlecht setzt die Kategorie keine richtige Attribution als notwendige Bedingung für eine Interaktion voraus. Eine treffsichere nationale Attribution ist nicht konstitutiv für eine Interaktion. Alltagsteilnehmer weisen hier eine viel höhere Ambiguitätstoleranz auf. Die nationale Zugehörigkeit ist in dieser Weise nicht konstitutiv für den Vollzug einer Interaktion, aber dennoch sehr folgenreich für den weiteren Verlauf. Wenn man am Bahnhof jemanden anspricht, der dann mit den Schultern zuckt und auf Englisch sagt »Sorry, I don’t understand«, so muss für den Vollzug der Interaktion die nationale Zugehörigkeit des Angesprochenen nicht notwendig attribuiert und erst recht nicht zutreffend attribuiert werden. Nationale Herkunft kann selbst wiederum als Klasse unter eine größere Mitgliedschaftskategorie subsumiert werden: Wir können jemanden anhand von körperlichen Indizien als Afrikaner, Asiaten oder Europäer zuordnen und uns damit auf Kategorien beziehen, für deren Benennung wir auf primär visuelle Indizien zurückgreifen. Allerdings sind die Sprachkompetenzen je nach nationaler 56 | Mit dem Begriff Heteronationalität beziehe ich mich auf einen Begriff von Rüdiger Lautmann, der von homo- und heterosozialen Begegnungen spricht.

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78 | Diversity in Action Herkunft unterschiedlich. Man hat in den verschiedenen Ländern durch die Institution der Nationalsprache(n) spezifische Landessprachen als Muttersprachen gelernt. Im heteronationalen Kontakt muss man sich daher auf eine Sprache einigen, in der man kommuniziert, oder aber es muss mit ›Händen und Füßen‹ geredet werden. Die nationale Mitgliedschaftskategorie ist daher in der Regel gerade keine primär visuelle Kategorie, sondern wird akustisch wahrnehmbar: über die Muttersprache(n) eines Akteurs bzw. über den Akzent, den er in einer Fremdsprache spricht. Der deutsche Akzent, den man im Französischen oder Englischen hat und der sich in der Prosodie oder typischen grammatikalischen Fehlern zeigt, macht die nationale Herkunft akustisch omnipräsent. Diese Zuordnung erfordert jedoch vom Zuhörer die spezifische Kompetenz, über den Akzent die nationale Herkunft herauszuhören. Die nationale Herkunft wird jenseits des Akzents auch über habituelle Merkmale, Gesten, Verhaltensweisen und Namen zugeschrieben. Aber diese Zeichen sind nur schwer treffsicher zuzuordnen und letztlich arbiträr. Anders als bei Geschlecht, das ubiquitär und initial attribuiert wird, ist die nationale Herkunft eine Mitgliedschaftskategorie, die vor allem kontextabhängig registriert und aktualisiert wird. Entscheidend für die Erforschung des Gebrauchs der nationalen Herkunft ist, dass Alltagsteilnehmer einen relativ geringen heteronationalen Kontakt haben und dass andererseits im Unterschied zu Geschlecht eine erhöhte Ambiguitätstoleranz vorhanden ist. Damit ist die nationale Herkunft eine sehr voraussetzungsvolle Mitgliedschaftskategorie, und die Praxis der nationalen Differenz zeichnet sich durch eine hohe kontextuelle Relevanz aus. Es gibt spezifische Kontexte in der Gesellschaft, in denen systematisch der direkte Kontakt mit Mitgliedern verschiedener Nationalitäten institutionell hergestellt wird und alltäglich stattfindet: zum Beispiel in bestimmten Institutionen wie in interkulturellen Vereinen und Begegnungsstätten, in Schulen, in internationalen Organisationen oder an Arbeitsplätzen. Hier werden Personen institutionell zu einem direkten und dauerhaften Kontakt gezwungen. Die Darstellung und das Lesen von nationalkulturellen Accomplishments ist ein lokal zu erwerbendes Wissen, das je nach relevanter nationalkultureller Zugehörigkeit lokal neu gelernt oder lokal verfeinert werden muss. Personen, die z.B. durch ihre Arbeit in heteronationalen Zusammenhängen eine für ihre praktischen Zwecke geübtere Attributions- und Darstellungspraxis haben, haben eine für die jeweiligen Nationalitäten oder auch Ethnien feinere Attributionspraxis entwickelt. Die Studien zur interkulturellen Kommunikation gehen immer davon aus, dass man sein Gegenüber bereits treffsicher als US-Amerikaner, Italiener oder Türke etc. erkennt und zuordnet. Dabei untersuchen sie die Differenzen in der Interaktion oder die statischen Einstellungsunterschiede. Wie die Unterscheidung praktiziert wird und ob sie selbst wiede-

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rum reflexiv in Bezug auf die Merkmale ist, wird in den Forschungen zur interkulturellen Kommunikation nicht als wichtiger Aspekt erforscht. Dass es sich bei der Herstellung von unterschiedlichen Nationalitäten im Alltag um einen reflexiven Prozess handelt, legen die Forschungen zu Ethnizität von Barth nahe (Barth 1969).57 Barth geht nicht davon aus, dass Ethnien als zentrales Definitionsmerkmal eine geteilte Kultur aufweisen, quasi als holistische Ganzheiten durch Sitten und Gebräuche charakteristische Kollektive sind. In seinem Forschungsansatz wird Ethnie als ein Ergebnis interaktionaler Grenzziehungsprozesse verstanden. Ethnien sind Produkte der Interaktion und nicht durch Isolation gekennzeichnet. Die Unterschiede zwischen Ethnien werden von den Akteuren selbst als relevant markiert. Ethnizität wird als eine Organisationsform der Selbst- und Fremdzuschreibung erforscht, mit der man erklären kann, wie es in der Moderne ohne »objektive« Differenz immer wieder zu ethnischen Differenzierungen kommt. A categorial ascription is an ethnic ascription when it classifies a person in terms of his basic, most general identity, presumptively determined by his origin and background. To the extent that actors use ethnic identities to categorize themselves and others for purposes of interaction, they form ethnic groups in this organizational sense. (Barth 1969: 13f.)

Einerseits wissen Alltagsteilnehmer, dass die Kategorie Nationale Herkunft eine Fülle an verschiedenen Klassen hat, alsodass es US-Amerikaner, Libanesen und Schweizer gibt, andererseits ist das methodische Wissen, das benötigt wird, um diese Klassen in Interaktionen in Anschlag zu bringen, eine recht ungeübte Praxis. Nur in bestimmten Kontexten, in denen dauerhaft und im direkten Kontakt Menschen verschiedener Nationalitäten miteinander interagieren, kann diese Unterscheidungspraxis eingeübt, d.h. für praktische Zwecke verwendet werden. Nationale Herkunft ist daher eine voraussetzungsvolle Mitgliederkategorie, die durch eine hohe kontextuelle Relevanz gekennzeichnet ist.

57 | Aus einer soziologischen Perspektive fällt die nationale Herkunft als eine Form der sozialen Identität unter die Kategorie der Ethnizität. Anders als bei nationaler Herkunft ist die ethnische Zugehörigkeit jedoch nicht zwingend territorial, sondern die Kriterien für die Gemeinsamkeit eines Kollektivs können von religiösen bis hin zu rein politischen Gemeinsamkeiten oder biologisierten Kriterien wie Hautfarbe reichen. Vgl. für die historische Genese der Konzepte Rasse und Ethnizität Müller 2003.

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80 | Diversity in Action Konstant – vererbt Einen dritten Bereich in den alltäglichen Hintergrunderwartungen bildet eine Annahme darüber, wie man seine nationale Herkunft erwirbt bzw. wodurch man sie erhält. Die nationale Zugehörigkeit wird in den Alltagsvorstellungen einerseits über die nationale Herkunft der Eltern kulturell vererbt und/oder durch das Aufwachsen in einem bestimmten Nationalstaat/ Land erworben.58 Man wird nicht »über Nacht« Deutscher, Marokkaner, Schweizer oder Inder, sondern nur dann, wenn man z.B. in einer Familie deutscher Abstammung und/oder als Tochter einer italienischen Familie in Deutschland aufwächst. Die nationale Herkunft hat man, einmal vererbt durch die Eltern und in der Sozialisation erworben, sein Leben lang. Da sie den Individuen für ein Leben lang zugeschrieben wird und nicht abgelegt, sondern lediglich durch weitere Zugehörigkeiten ergänzt werden kann, weist sie trotz der kulturellen Vererbung alltagspraktisch einen Naturalisierungseffekt auf. Sie wird zwar nicht wie das Geschlecht anhand bestimmter körperlicher organischer Merkmale festgemacht, alltagspraktisch wird die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation jedoch qua Abstammung und Vererbung bestimmt.59 Durch die Herkunft der Eltern und das Aufwachsen in einer bestimmten Nation, in der man die verschiedenen Kulturtechniken wie die Sprache, aber auch die gesamte Alltagsorientierung lernt, ist man Brite, Türkin, oder Portugiese. Diese Zugehörigkeit wird in einigen Ländern institutionell dokumentiert, so z.B. in Litauen, indem neben der Staatszugehörigkeit die nationale Zugehörigkeit als eine extra Kategorie im Pass aufgeführt wird, in der dann »Russisch«, »Polnisch«, »Lettisch« oder eine andere nationale Zugehörigkeit eingetragen wird. Anders als bei Geschlecht, das im Alltagsverständnis dichotom ist und exklusive Klassenzugehörigkeit aufweist, ist es in der nationalen Herkunft möglich, mischerbige Merkmale und damit doppelte und mehrfache Zugehörigkeit zu erhalten. Kinder aus bikulturellen Familien können z.B. im Alltag eine doppelte kulturelle Zugehörigkeit ausweisen. Die Zugehörigkeit zu mehreren Nationen kann nur über die Dauer von mindestens einer Generation erworben werden.60 58 | Anders kann die Staatsbürgerschaft, wie gezeigt, bei Geburt erteilt werden. 59 | Die körperliche Naturalisierung wird insbesondere in Bezug auf die so genannte rassische Zugehörigkeit unternommen. Vgl. zur wissenschaftshistorischen Einordnung der Rassenkonzepte Schiebinger 1993 und Dittrich/Radtke 1990. 60 | Zu den Schwierigkeiten der Identitätsfindung und Zugehörigkeit bei Kindern aus bikulturellen Familien (Varro/Gebauer 1997). Hinnenkamp zeigt im Gegenzug in seiner Untersuchung über türkisch-deutsche Jugendliche, dass mit der nationalen Identität auch spielerisch umgegangen werden kann (Hinnenkamp 1999).

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Die Studien zu den Alltagsidentifikationen zeigen, dass gerade in Fällen der doppelten oder mehrfachen Zugehörigkeit alltagspraktisch immer wieder Versuche unternommen werden, die Personen auf eine Zugehörigkeit festzulegen. »Die Leute versuchen immer, mich in die eine oder in die andere Gruppe zu stecken« sagt eine Interviewte in der Untersuchung von Varro und Gebauer (1997: 152). Dass je nach Land und Kontext diese Zugehörigkeit aus der Identitätsperspektive, also der auf die Personen bezogenen Perspektive, wechseln kann, zeigt folgendes Zitat einer, wie sie der Text in der Veröffentlichung ausweist, »Französisch-Beninerin«: In Frankreich sprechen mich die Leute auf der Straße auf Kreolisch an, ich muss ihnen erklären, dass ich nicht von den Antillen bin. In Benin fragen sie mich, warum ich eine Haut wie Milchkaffee habe, und ich sage, ich bin Französin. Wenn man mich in Frankreich nach meiner Identität fragt, sage ich: Beninerin. Oder ich sage, ich wäre Mischling (Varro/Gebauer 1997: 152) (Hervorhebung im Text).

Wie schon oben gezeigt, wird hierbei anders als bei der Kategorie Geschlecht mit mehr ›Androgynität‹, also mit mehr kulturellen Grenzgängern im Alltag gerechnet. Ich fasse abschließend die drei Merkmale, die das Alltagsdenken anleiten, noch einmal kurz zusammen: Die alltäglichen Hintergrunderwartungen, die die Zuordnung von Personen nach ihrer nationalen Herkunft anleiten, sind im Gegensatz zu Geschlecht durch eine größere Ambiguität gekennzeichnet. Die nationale Herkunft ist erstens immer territorial mit einem bestimmten Land und in der Regel mit einem modernen Nationalstaat verbunden. Alltagsteilnehmer gehen davon aus, dass sich die Mitglieder des Nationalstaates kulturell durch bestimmte Gemeinsamkeiten ausweisen. Zweitens ist die nationale Herkunft eine plurale Kategorie. Alltagsteilnehmer wissen darum, dass es eine Vielzahl verschiedener Nationen und Nationalstaaten gibt. Alltagspraktisch ist das Veranschlagen der nationalen Differenzen eine recht ungeübte Praxis. Nationale Differenzierung ist ein lokal zu erwerbendes methodisches Wissen, das sozial voraussetzungsvoll ist und nur in spezifischen heteronationalen Kontexten erworben und alltäglich relevant wird (kontextuell). Die nationale Herkunft wird weniger über visuelle Merkmale oder Gestik und Proxemik als vor allem über akustische Indizien erkennbar und omnipräsent gehalten – über die Muttersprache bzw. über den Akzent eines Sprechers – und setzt eine spezifische Zuhörerkompetenz voraus. Drittens wird die nationale Herkunft kulturell von den Eltern vererbt und bleibt konstant. Man behält sie ein Leben lang bei. Sie kann auch kulturell erworben werden, wenn man z.B. als Tochter von Migranten oder Einwanderern in einem Land aufwächst. Welche Bedeutung haben diese alltäglichen Hintergrunderwartungen

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82 | Diversity in Action für die Analyse nationaler Herkunft in einer ethnomethodologischen Herangehensweise? Das Veranschlagen einer eindeutigen nationalen Herkunft setzt ein lokal zu erwerbendes methodisches Wissen voraus, das nur im heteronationalen Kontakt erworben wird. Es ist eine voraussetzungsvolle Praxis. Wenn man die Praxis der nationalen Unterscheidung erforschen will, dann muss man sich an Orte begeben, in denen ein alltäglicher Kontakt zwischen Menschen verschiedener nationaler Herkunft auf Dauer hergestellt wird. Ziel der Studie ist, in einem solchen Kontext zu prüfen, ob ein Doing oder Undoing Nationality in den Interaktionen stattfindet. Dabei gehe ich mit der Ethnomethodologie davon aus, dass es sich um eine Kompetenz und ein aktives Tun von Alltagsteilnehmern handelt und nicht um eine Eigenschaft von Personen. Auch ein direkter Kontakt von Menschen verschiedener nationaler Herkunft führt nicht zu einem Automatismus der nationalen Relevanz. Eine routinierte nationale Differenzierung betrachte ich als ein Tun, mit der die Akteure der Interaktion praktische Probleme lösen. Ziel ist daher nicht, die arbiträren Zeichen der Nationalisierung, wie z.B. unterschiedliche Einstellungen, divergierendes Raum- oder Zeitverhalten, zu beschreiben, sondern die Methoden herauszuarbeiten, die verwendet werden, um praktische Probleme des lokalen Interaktionsvollzugs zu lösen.

1.4 Forschungsfragen der Studie Zum Abschluss der theoretischen und wissenssoziologischen Rahmung stelle ich die Forschungsfragen für die Untersuchung gebündelt vor. Die Ethnomethodologie, die für die Theorie den Hauptbezugsrahmen meiner Studie bildet, ist ein dezidiert empirisches Forschungsprogramm, welches die Herstellung sozialer Ordnung erforscht. Sie ist insbesondere in der Analyse von sozialen Mitgliedschaften als interaktiver Zuschreibung und Darstellung kollektiver Kategorien ausgewiesen. Der Mitgliedschaftsbegriff der Ethnomethodologie ist ein Begriff, der die Zuschreibung und Darstellung kollektiver Kategorien für Personen bezeichnet und die Sortierung von Personen empirisch beobachtbar macht. Mit dem Doing-Gender-Modell stellt sie ein bewährtes Konzept für die Mitgliedschaftsanalyse zur Verfügung. Sie ist ein konstruktivistischer Forschungsansatz, der die Mikrostrukturen aus Perspektive der Teilnehmer als praktische Probleme in der Eigenart der Interaktion, die immer sequenziell operiert, erforscht. Die Ethnomethodologie fokussiert dabei auf die Methoden der Herstellung bestimmter Mitgliedschaften im Vollzug der Interaktion, also nicht auf eine theoretische Differenz, sondern auf den empirisch nachzuvollziehenden Prozess der Differenzierung. Diesem beobachtbaren Prozess der Differenzierung möchte ich für die

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Mitgliedschaftskategorie der nationalen Herkunft nachgehen. Die empirische Analyse findet jedoch nicht in einem allgemeinen gesellschaftlichen Kontext statt, sondern in einem ganz spezifischen: innerhalb einer Organisation. Ich werde daher im ersten empirischen Teil Strukturen beschreiben, die Erwartungen an Stelleninhaber der Organisation richten. Im zweiten Teil werde ich in der Analyse der Interaktion zeigen, wie diese Erwartungen in der Interaktion bedeutsam werden und wie in der Interaktion mit der nationalen Herkunft umgegangen wird. Die Strukturen der Organisation beschreibe ich unter selektivem Rückgriff der genannten systemtheoretischen Organisationsvorstellungen und Begriffe. Die Systemtheorie ermöglicht einen Wechsel der Perspektive, da sie verschiedene soziale Systeme unterscheidet und nicht alles auf Interaktionen oder mikrosoziologische Prozessanalysen zurückführt. Um den organisationalen Kontext zu erfassen, werde ich daher in einem ersten Schritt herausarbeiten, welche Veränderungen in den Entscheidungsprämissen und den Strukturen stattgefunden haben sowie welche Erwartungen sich damit an die Stelleninhaber in der Organisation richten. Ich habe argumentiert, das die Mitgliedschaftsrolle zwischen den organisationsinternen Erwartungen an eine Stelle – das, was »dienstlich« ist – und den organisationsexternen Erwartungen an die Person – das, was »persönlich« ist – kritisch differenziert (Weinbach/Stichweh 2001: 42). Weil die Systemtheorie so klar in der Mitgliedschaftsrolle zwei Rollenbereiche unterscheidet, eignet sie sich als Perspektive, um empirisch zu schauen, ob und wie die Organisation mit bestimmten personalen Merkmalen ihrer Mitglieder umgeht. Wie geht sie mit der nationalen Herkunft ihrer Stelleninhaber um? Ich werde daher die Frage beantworten, welche personalen Merkmale für die Organisationskommunikation in transnationalen Organisationsstrukturen bei den Stelleninhabern vorausgesetzt werden. Zudem möchte ich Veränderungen in den Strukturen beschreiben, die durch besondere Legitimierung gezielt spezifische askriptive Merkmale der Person in den dienstlichen Bereich mit aufnehmen. Ich stelle vor, welche Erwartungen an die Stelleninhaber damit einhergehen. Diese kontextuellen Erwartungen werde ich im nächsten Kapitel vorstellen. Anschließend werde ich auf Augenhöhe der Interaktion die Frage beantworten, ob und wie diese Erwartungen in der Interaktion angeschlossen bzw. produziert werden und welche Erwartungen von den Stelleninhabern gerade nicht bedeutsam gemacht werden. Welche Mitgliedschaftskategorien im Sinne der Ethnomethodologie werden in der organisationsbezogenen Interaktion benutzt? Werden die Interaktionsteilnehmer primär zu Stelleninhabern also zu Managern und Ingenieuren? Oder werden personale Kategorien, die in den veränderten Organisationsstrukturen angelegt sind, in

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84 | Diversity in Action der Interaktion relevant gemacht? Mein besonderes Augenmerk liegt hier auf der Kategorie der nationalen Herkunft. In Bezug auf die Mitgliedschaftskategorie der nationalen Herkunft werde ich dabei drei Forschungsfragen fokussieren: 1. Wenn man nationale Herkunft als ein Mitgliedschaftsphänomen spezifizieren möchte, also als etwas, das in Interaktionen mittels besonderer Methoden vollzogen wird, dann muss man in einem ersten Schritt prüfen, ob diese Differenz tatsächlich in Anschlag gebracht wird. Werden Personen in internationalen Arbeitskontexten zu Subjekten ihrer nationalen Zugehörigkeit, also zu US-Amerikanern, Deutschen, Engländern? Erst durch eine ethnomethodologische Perspektive ist es möglich, konzeptionell eine Nullhypothese in Betracht zu ziehen, gerade weil a priori keine theoretische Relevanz unterstellt wird, sondern vielmehr die Relevanz empirisch nachzuweisen ist. 2. Es soll geklärt werden, wie die Alltagsteilnehmer in ihren (Sprach-) Handlungen von ihrer nationalen Herkunft Gebrauch machen. Wie findet die Praxis des Unterscheidens statt? Durch welche interaktiven Mobilisierungsprozesse werden die Teilnehmer der Interaktion zu Mitgliedern von Nationalitäten? Welches praktische Problem wird mit einer nationalen Differenzierung gelöst? Gibt es Formen der Selbstmobilisierung durch spezielle Kleidung, durch Sprache, durch den Darstellungsstil, durch visuelle Markierungen oder durch Gestik, Raum-, Zeitverhalten? Finden Fremdevokationen statt, also direkte sprachliche Markierungen, in dem Sinne: Wie sehen Sie als Japaner den europäischen Markt? 3. Da ich, wie am Modell des Doing Gender plausibilisiert, nicht von einer Omnirelevanz spezifischer Mitgliedschaftskategorien und, im Gegensatz zur Nationalkulturforschung, auch nicht von einer natürlichen Latenz der nationalen Herkunft ausgehe, soll drittens empirisch geklärt werden, ob die nationale Zugehörigkeit zu einer ruhenden Mitgliedschaft neutralisiert wird. Die dritte Frage lautet daher pointiert: Findet ein Undoing Being An American statt und/oder eine Neutralisierung durch die Aktualisierung anderer Mitgliedschaften? Können die Teilnehmer zu Karteileichen ihrer nationalen Zugehörigkeit werden, und welche anderen Mitgliedschaften werden in dem speziellen Kontext federführend für die Interaktion? Das praktische Wissen der Teilnehmer über die Aktualisierung und Neutralisierung von Nationalitäten soll in ein empirisches, also am Datenmaterial gezeigtes Wissen übersetzt werden, das für die Leser dieser Arbeit beobachtbar ist.

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2. Erwartungsstrukturen in der transnationalen Organisation

In diesem Kapitel wird die weltweite Strukturveränderung von Ford 2000, die sämtliche Mitarbeiter der Organisation betrifft, sowie die Strukturumgestaltungen, die mit dem unternehmenspolitischen Konzept »Diversity« verbunden sind, vorgestellt. Zunächst beschreibe ich die Veränderung in den Entscheidungsprogrammen und Kommunikationswegen, d.h. die Zentralisation der Entwicklung und die Einführung der Matrixorganisation. Im zweiten Abschnitt stelle ich die inhaltliche und zeitliche Standardisierung der Projekte, den Großimpuls des Unternehmens vor und gehe auf die veränderten Personaleinsatzstrukturen ein. Im dritten Abschnitt gehe ich abschließend der Frage nach, welche Erwartungen in den organisationsweit einheitlich umgestalteten Arbeitsplätzen eingelassen sind. Die Leitfrage in den einzelnen Abschnitten ist, welche Verhaltenserwartungen mit diesen Veränderungen verbunden werden. Auf diese gehe ich zum Ende der einzelnen Abschnitte immer wieder gebündelt ein. Das zweite Unterkapitel beschreibt die veränderten Erwartungen an die Mitglieder durch das DiversityKonzept. Ich beginne damit, kurz die großen Internationalisierungsschübe der Automobilindustrie zu skizzieren, in die Ford 2000 eingebettet ist.

2.1 Die globale Umstrukturierung der Ford Motor Company »Ford 2000« Die 90er Jahre werden in der organisationssoziologischen Fachliteratur zur Automobilindustrie als eine Zeit der Globalisierung der Automobilherstel-

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86 | Diversity in Action ler beschrieben (Eckardt et al. 1999a).1 Ich möchte kurz die großen Veränderungslinien der Automobilindustrie vorstellen, an welche die Globalisierung von Ford anschließt. Die erste Periode der Internationalisierung wird auf die 60er Jahre datiert (Eckardt et al. 1999b). Vor allem Ford und General Motors weiteten ihre Aktivitäten in Europa und in Lateinamerika aus. Ford gründete 1968 Ford of Europe, eine Unternehmung, in der die vormals nationalen Tochtergesellschaften der neuen europaweiten Organisation unterstellt wurden.2 In den 70er und 80er Jahren wurde die zweite große Strukturveränderung in der Automobilindustrie durch die japanischen Autohersteller eingeleitet. Diese gewannen zunehmend Marktanteile im nordamerikanischen und europäischen Raum und errichteten Transplants, also Produktionsstätten in England und in Nordamerika, die sich in der Management- und der Arbeitsstruktur an der japanischen Produktionsweise ausrichteten (Lean Production).3 Die dritte Periode der Internationalisierung wurde von den japanischen und den amerikanischen Automobilherstellern vorangetrieben. Einerseits wurden neue komplexe Zulieferer/Hersteller-Beziehungen entwickelt mit einem erhöhten Outsourcing von Entwicklungsteilen, die komplett an Zulieferbetriebe delegiert wurden. Andererseits fand eine Marktverlagerung nach Asien, Lateinamerika und Osteuropa statt mit verstärkter Kooperation unter den Automobilherstellern in Form von Joint Ventures, Mergers, Strategischen Allianzen und Plattformengineering.4 Ford weitete die Kooperationen mit asiatischen, US-amerikanischen und europäischen Automobilherstellern erheblich aus. Bereits 1979 kaufte Ford 25 Prozent der Anteile von Mazda für den japanischen Markt auf (Womak et al. 1991: 221f.), und 1990 schuf das Unternehmen eine gemeinsam Plattform für das Design und Engineering mit Nissan (Studer-Noguer 2002: 120). 1 | Der Begriff ist changierend und wird sowohl innerhalb der Soziologie als auch in anderen Disziplinen sehr unterschiedlich verwendet (Bögenhold 2000; Dürrschmidt 2002). Ich möchte den Begriff nicht in diesen Debatten verorten, sondern verwende ihn als einen Feldbegriff, da Ford den Begriff »Global Strategy« als Bezeichnung der organisationsweiten Veränderung benutzt. 2 | In England wurde seit den 30er Jahren das berühmte Modell Ford Anglia produziert – erneute Prominenz erlangte dieser Wagen in der getunten Ausführung des Arthur Weasley mit dem Invisibility Booster. Weiterführend dazu Rowling 1998: 79f. 3 | Zur sozialwissenschaftlichen Forschung zur Lean Production von Nissan, Honda und Toyota vgl. Eckardt et al. 1999b: 168f. 4 | Im Plattformengineering wird von verschiedenen Firmen ein gemeinsamer Fahrzeuggrundtyp entwickelt. Ab einem definierten Zeitpunkt wird dieser Grundtyp dann firmenspezifisch und alleine zu Ende entwickelt und gefertigt.

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Begründet werden diese Veränderungen in der Kooperation und der Struktur der Automobilunternehmen sowohl von der Forschung als auch von den Vorstandsetagen der Unternehmen mit einer verschärften Wettbewerbssituation. Sowohl im europäischen als auch im nordamerikanischen Raum ist die Automobildichte pro Einwohner bereits so hoch, dass keine großen Steigerungsraten im Absatz mehr zu erzielen sind. Daher fand eine Marktverlagerung nach Asien, Osteuropa und Lateinamerika statt, während derer eine Neuverteilung von Prozessen und Funktionen in den Organisationen durchgeführt wurde (Eckardt et al. 1999a). Die industriesoziologische Fachliteratur beschreibt die Veränderungen in den 90ern als eine Globalisierung: Wir gehen hier von Unternehmensglobalisierung als einer besonderen Qualität der Gleichzeitigkeit und Verbindung von geographischer und produktiver Aktivitätsausweitung mittels neuer Organisations- und Kooperationsformen zwischen Unternehmen aus. (Eckardt et al. 1999a: 168)

Ford hat im Zuge der Veränderungen Produktionsstätten und Teilwerke in 30 Ländern der Erde errichtet, verkauft Autos auf über 200 Märkten und beschäftigt weltweit mehr als 320 000 Menschen (Ford-Report 1994: April). Mitte der 90er Jahre vollzog Ford eine massive Strukturveränderung, welche bis zum Jahre 2001 in dieser Form fortbestand.5 Die gesamte Organisation, alle regionalen Profitzentren wurden in einer »global strategy« integriert. Das Programm heißt Ford 2000. »Mit Ford 2000 im April 1994 begann die größte weltweite Umorganisation in der Geschichte des Unternehmens« (Studer-Noguer 2002: 118ff.). Ein zentrales Ziel von Ford 2000 war es, die Produkt- und Entwicklungsprozesse zu verbessern und dabei erhebliche Kosten, die durch regionale Mehrfach-Entwicklung entstanden, einzusparen. Weltweit sollten einheitliche Prozesse und Systeme in der Produktentwicklung, in der Produktion, in der Zulieferung und dem Verkauf entwickelt werden. Beispiele hierfür sind die Zusammenschlüsse sieben weltweiter Design Operations in eine einzige Gruppe (Ford Corporate Design) und die Integration der regionalen Unternehmen in die weltweite Ford Automotive Operations. Dabei wurde auf Systeme zurückgegriffen, die vor 1994 eingeführt wurden. Wie sieht die Strukturveränderung nun genau aus, die sämtliche Mitarbeiter der Organisation betraf und in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen vollständig durchgeführt wurde? Was wurde geändert und welche Erwartungen für Stelleninhaber sind in die Strukturen bzw. Entscheidungsprämissen eingelassen? 5 | Ab 2001 wurde in bestimmten Bereichen die Globalisierungsstrategie von Ford 2000 wieder reduziert. Ich werde beispielhaft auf diese Reformen verweisen.

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88 | Diversity in Action

Globalisierung in der Automobilindustrie

Abbildung 1: Ford 2000 Organization Ford 2000 Organization

FORD AUTOMOTIVE OPERATIONS

PRODUCT DEVELOPMENT

Aligned Objectives

SMALL & MEDIUM CAR VEHICLE CENTER

FORD BRAZIL & ARGENTINA

LARGE & LUXURY CAR VEHICLE CENTER

TRUCK VEHICLE CENTER

ADVANCED VEHICLE TECHNOLOGY

DESIGN

Aligned Objectives

VEHICLE OPERATIONS

POWERTRAIN OPERATIONS MANUFACTURING

ADVANCED MANUFACTURING ENGENEERING & PROCESS LEADERSHIP MATERIAL PLANNING & LOGISTICS

Aligned Objectives

MARKETING & SALES

Aligned Objectives

PURCHASING QUALITY & PROCESS LEADERSHIP HUMAN RESOURCES FINANCE PRODUCT AND BUSINESS STRATEGY

FORD DIVISION LINCOLN-MERCURY DIVISION EUROPEAN MARKETING & SALES ASIA PACIFIC & NEW MARKET SUPPORT AMERICAS & DIRECT MARKET OPERRATIONS JAGUAR CARS LTD ASTON MARTIN LAGONDA LTD MARKETING PLANS & BRAND DEVELOPMENT MARKETING STRATEGY & BRAND MANAGEMENT CUSTOMER COMMUNICATION & SATISFACTION

Um die bisherige, in der heutigen Zeit nicht mehr effiziente Situation zu verbessern, entschloß sich das Management, Ford in einer weltweiten Reorganisation neu zu ordnen. In einem ersten Schritt wurden zum 1. Januar 1995 die Organisation NAAO (North American Automotive Operations) und EAO (European Automotive Operations) in der neuen Organisation FAO (Ford Automotive Operations) integriert. Alle weiteren Regionen folgen. Die Konsequenzen dieser Reorganisation sind weitreichend. In der Vergangenheit wurde das Geschäftsergebnis einer Region als Gradmesser des Erfolgs betrach-

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2. Erwartungsstrukturen in der transnationalen Organisation | 89 tet. Mit der Einführung von Ford 2000 wurden produktorientierte Fahrzeugzentren gebildet, deren Geschäftsergebnisse der neue Maßstab für den Erfolg sind. Doppeltund Dreifachentwicklungen, wie sie in der alten Organisation vorkamen, sind so ausgeschlossen. Die neue Ford 2000 Organisation ist eine weltweite, nach Produkten und Funktionen gegliederte Matrixorganisation. In dieser Matrixorganisation bilden die produktorientierten Fahrzeugzentren die Spalten und die funktionsorientierten Fachbereiche die Zeilen. Die einzelnen Fahrzeugzentren sind nun weltweit zuständig. In Köln und Dunton (England) ist die Produktentwicklung des Zentrums für kleine und mittlere Fahrzeuge angesiedelt. Die Fertigung dieser Fahrzeuge findet in einem weltweiten Produktions- und Lieferverbund statt. In diesem wichtigen Marktsegment werden etwa 50 % der weltweiten Fahrzeugproduktionen abgesetzt (Ford Werke AG 1998).

Der Text und die Graphik entstammen einer Broschüre, die an Bewerbungsinteressenten verteilt wird und in die verschiedenen Arbeitsbereiche des Unternehmens einführt. Sie umreißt in kurzen Sätzen die formale Strukturveränderung des Unternehmens, welche für den Ablauf im Arbeitsalltag, wie ich ihn in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung untersuchte, weitreichende Konsequenzen hatte. Unterhalb des zitierten Textes ist eine Graphik mit dem Titel »Ford 2000 Organisation« abgebildet, welche die Umstrukturierung in symbolische Bildsprache übersetzt. Graphisch vermittelt die Organisationsdarstellung kein Zentrum. Knotenpunkte in diffuser Wolkenform verbinden zwei Dimensionen miteinander, die als dreidimensionale Puzzlebausteine dargestellt sind und jeweils untereinander kombinierbar scheinen. Vertikal auf der obersten Ebene ist der Baustein Ford Automotive Operations (FAO) abgetragen. Dieser passt zu allen untergeordneten Bausteinen, sowohl horizontal als auch vertikal. Wie aus dem Fließtext hervorgeht, ist FAO die neue weltweite Struktur von Ford, welche die bis dahin regionalen Strukturen aufhebt und in eine nach »Produkten und Funktionen gegliederte Matrixorganisation« weltweit reorganisiert. Die Struktur zeigt graphisch an, dass sie kein örtliches Zentrum (z.B. einen Mutterkonzern) hat, sondern allen Bereichen gleichrangig zugeordnet ist. Damit weist Ford in den Kategorien einer betriebswirtschaftlichen Managementbetrachtung eine »integrierte Organisationsstruktur« auf, die typisch für eine internationale Unternehmung ist.6 6 | In der betriebswirtschaftlichen Managementliteratur werden die Organisationsstrukturen von internationalen Unternehmen danach unterschieden, ob diese Auslands- und Inlandsgeschäfte unterscheiden. Diejenigen, die diese Unterschiede in Form einer »International Division« aufweisen, werden in eine »segregierte Organisationsstruktur« eingeordnet. »Integrierte Organisationsformen« unterscheiden sich

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90 | Diversity in Action Die neue Ford-Organisation weist zweitens eine Strukturierung nach Produkten und Funktionen auf.7 So findet man auch auf der zweiten vertikalen Ebene der Graphik die Kategorie Product Development und horizontal die großen Funktionsbereiche (Produktion, Absatz, Beschaffung etc.) des Unternehmens angezeigt. Auch diese Bausteine scheinen wie Module miteinander kombinierbar zu sein. Der Begleittext weist dieser zweidimensionalen Anordnung den Begriff der Matrixorganisation zu. Dieser Begriff bezeichnet eine zweidimensionale Strukturierung der Organisation.8 Die Gliederungspunkte in einem internationalen Unternehmen können, wie hier im Fall von Ford, einerseits nach Produkten (verschiedenen Fahrzeugtypen) und andererseits nach Funktionen (Verkauf, Beschaffung, Produktion, Absatz, Finanzen etc.) zugeordnet werden. Andere Gliederungskriterien könnten auch Geschäftsbereiche oder Regionen sein (Weinert 1998: 401ff.). Die Matrixorganisation spannt eine eigentümliche und charakteristische Stellenkombination auf, die ich weiter unten noch weiter ausführen werde (Bühner 1993). Matrixorganisationen sind nach der Typologie von (Barleth/Ghoslah 1989) typisch für transnationale Unternehmen.9 Sie rücken nicht eine Dimension in den Mittelpunkt, wie z.B. globale Unternehmen, die allein auf Funktionsstrukturen beruhen, sondern versuchen gleichzeitig unterschiedliche Perspektiven zu verwirklichen. Ford ist durch die Einführung der Strukturmerkmale von Ford 2000, die ich jetzt weiter vorstellen werde, als eine transnationale Organisation zu klassifizieren. Die Matrixorganisation ist auf dieser firmenweiten Ebenendarstellung nach ihrer Art der Spezialisierung: als Funktionalstruktur, Produktstruktur, oder als Regionalstruktur, oder integrierte Matrix- und Tensorstruktur (Kutschker 1999: 1179ff.). 7 | Mit einer Ausnahme, denn mit dem Baustein »Ford Brazil/Argentinien« wird noch die alte regionale Struktur markiert. Wie im Text jedoch aufgeführt, wird auch Ford Brazil in die neue transnationale Organisationsstruktur integriert. 8 | Auch mehrdimensionale Gliederungen werden von der Managementforschung typisiert, so z.B. die Grid-Struktur und die Tensostruktur (Kutschker 1999: 1186ff.). 9 | Barleth/Ghoshal (1989) haben eine Typologie der international tätigen Unternehmen entwickelt, die multinationale, internationale, globale und transnationale Unternehmen voneinander unterscheidet: Multinationale Unternehmen weisen ein umfangreiches Regional- und Ländermanagement auf, internationale Unternehmen werden mit einer integrierten Produktstruktur als Hauptkriterium identifiziert, globale Unternehmen weisen eine Affinität zu rein funktionalen Strukturen auf, die Entscheidungen in der Muttergesellschaft ansiedeln, und transnationale versuchen verschiedene Dimensionen gleichzeitig zu verwirklichen (Barleth/Ghoslah 1989).

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nach Produktzentren und Funktionsbereichskriterien aufgespannt. In der dritten Ebene der Graphik sind in der Vertikalen die Vehicle Center abgetragen, die nach der Größe der dort geplanten und entwickelten Fahrzeuge unterschieden sind (Small/Medium Cars, Large/Luxury Cars und Trucks). Die geographische Verortung der einzelnen Fahrzeugzentren ist aus der Darstellung nicht zu erkennen. Die Bausteine sind räumlichen und zeitlichen Koordinationen enthoben und ordnen allein »Funktionen bzw. Disziplinen« den Fahrzeugzentren zu, die direkt unterhalb der FAO angesiedelt sind. Nur im Begleittext wird einer der drei Fahrzeugzentren geographisch verortet. Das Small and Medium Car Fahrzeugzentrum ist in Köln und Dunton (England). Die anderen zwei Zentren sind in Dearborn/Michigan (USA) angesiedelt. Seit der Zentralisation der Entwicklung auf spezifische Standorte sind die Zentren in ihrem Bereich für die Entwicklung der Autos für alle Märkte weltweit zuständig. »Die Fertigung dieser Fahrzeuge findet in einem weltweiten Produktions- und Lieferverbund statt.« Dies führt dazu, dass die Fertigung der Autos, die in den USA letztlich produziert werden, von Europa aus koordiniert werden muss. Dies betrifft zum Beispiel die Montagewerke Kansas City (USA) oder Cuatitlan (Mexiko) welche von Europa aus gesteuert werden. Die Werkkette wird aufgesplittet und auf verschiedene Länder verteilt. Auch der Einkauf der Vorprodukte und Rohstoffe findet auf allen Weltmärkten statt.10 In der Graphik sind die funktionsorientierten Fachbereiche (Design, Powertrain, Marketing etc.) und die Vehikelzentren durch ein Netz an Linien verbunden, die sich in Wolkenpunktanordnungen treffen. Der Text beschreibt nicht, was diese Wolken zu bedeuten haben. Sind es Stellen, sind es Entscheidungspunkte, ist es Kommunikation? Aus betriebswirtschaftlicher Sicht würde man die Linien als »Befehlslinien« bezeichnen, die anzeigen, dass Stelleninhaber sowohl einem funktionalen Bereich zugeordnet sind als auch einem bestimmten Projekt in einem Fahrzeugzentrum. Sie müssen in beide Richtungen »berichten«, also Vorgesetzte informieren und Stellenverantwortlichkeiten erfüllen. Die Verbindungen bleiben im Text selbst jedoch unkommentiert. Es setzt beim Leser eine Vertrautheit mit Organigrammen voraus, um die Linien richtig zu interpretieren. Was diese Struktur an Verhaltenserwartungen an den Stelleninhaber mit sich bringt und wie sie angelegt ist, bleibt im 10 | Ford hat nicht alle Aktivitäten global integriert, einige sind lokal determiniert (Studer-Noguer 2002). Aber die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen wurden vollständig global integriert. Studer-Noguer weist dem Unternehmen eine »globale Integrationsstrategie« nach, die sie in den Dimensionen »corporate organization«, »vehicle« und »part production«, »product development« und »design« und kompetitiven Strategien wie »sales«, »marketing« und »trade strategies« findet (Studer-Noguer 2002: 120).

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92 | Diversity in Action Text zunächst unkommentiert. Nur im letzten Absatz des Begleittextes wird auf die Erwartungen an neue Mitarbeiter eingegangen: »Ausgebildet und motiviert« sind die expliziten Anforderungen, die an den Bewerber gestellt werden. In der vorgestellten Graphik und dem kommentierenden Begleittext werden die Veränderung der Entscheidungsprämissen, die mit Ford 2000 beschlossen wurden, vorgestellt. Mitglieder als Stelleninhaber tauchen in der Beschreibung der Organisationsstrukturen nicht auf. Beschrieben wird nur die Veränderung der Entscheidungsprämisse, die Zuständigkeit der Produktentwicklung in Fahrzeugzentren zu zentrieren, denen die Funktionen flexibel zugeordnet werden. Diese Entscheidung bedingt eine Vielzahl anderer Entscheidungen innerhalb der Organisation. Mit der Einführung der produktorientierten Matrixorganisation werden neue Kommunikationswege in die Organisation eingezogen. Zukünftige Entscheidungen sollen sich an den beschriebenen Kommunikationswegen entlang ausrichten. Die vormals nationalen Standorte werden durch die transnationale Integrationsstrategie in der formalen Struktur aufgehoben. Auch wenn diese veränderten Entscheidungsprämissen ganz von Stelleninhabern abstrahiert beschrieben werden, hat eine Organisationskommunikation, die sich daran ausrichtet, Auswirkungen auf die Mitglieder der Organisation. Die Matrixorganisation spannt neue Raum/Zeit-Verhältnisse in der Organisation auf. Innerhalb einer transnational vernetzten Werkkette gewinnen Zeitgrenzen, wie die betriebswirtschaftliche Forschung feststellt, für die Wertschöpfung der Unternehmen erhebliche Bedeutung (Reichwald et al. 1998). Um das Prinzip der Wertschöpfung von Gleichörtlichkeit auf Gleichzeitigkeit umzustellen, bedarf es einer Medien- und Transportinfrastruktur, die sowohl Güter, Wissensträger als auch Wissen zu den jeweiligen Orten der Entscheidung disponiert oder in Echtzeit miteinander verbindet. Dazu bedarf es zum einen einer ausgewiesenen Informations- und Kommunikationstechnologie als Infrastruktur in Form von Videokonferenzräumen, einem globalen Intranet und der Möglichkeit, internationale Telefonkonferenzschaltungen durchzuführen. Diese Infrastrukturen wurden geschaffen. Zum anderen setzen diese Medien auch kompetente Mitarbeiter voraus, die in der Lage sind, sowohl technisch die neuen Medien zu bedienen, als auch sozial mittels dieser Medien dauerhafte und produktive Arbeitsbeziehungen aufzubauen. Die systematische raumzeitliche Abstandsvergrößerung (Giddens 1996) verlangt eine Kompetenz der Teilnehmer im Umgang mit der neuen Technologie. Studien zeigen, dass Videokonferenzen eine klarere und direktere Führung vom Leiter verlangen, sowohl verbal in einer sehr expliziten Moderation als auch nonverbal in einer klaren Gestik, die z.B. Rederechtsvergaben markiert. Von allen Teilnehmern wird verlangt, dass sie laut

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sprechen, da die Stimmen nur ab einem gewissen Schwellenwert übertragen werden. Dieses praktische Wissen über den Umgang mit der neuen Technologie wurde bei Ford bereits seit 1987 eingeübt, als Videokonferenzen zwischen England und Deutschland eingeführt wurden. Die neue Organisation und hier vor allem die Plattformkooperation mit anderen Firmen steigert den Schwierigkeitsgrad der Kommunikation. In den Kooperationen werden Videokonferenzen zwischen drei und vier Bildpartien (Schweden, Deutschland, USA, Japan) und Massenkonferenzen mit bis zu 40 Teilnehmern an jedem Standort in Zeitzonen, die bis zu 14 Stunden auseinander liegen, vernetzt. Die sozialwissenschaftlichen Forschungen zeigen, dass durch die technischen Veränderungen wie des Intranet, in der Groupsoftware, in der die Terminplaner für andere sichtbar im Intranet platziert werden, die Einführung der Einwegskommunikation von Email zu neuen Beziehungen und Rollen in Organisationen führen. Die Technik ermöglicht eine Kommunikation vorbei an Sekretärinnen und quer zu Hierarchieebenen, die aber dennoch geteilte Regeln voraussetzen, welche Möglichkeiten der Kommunikation legitimerweise genutzt werden dürfen (Goll 2001; Herrmann/Meier 2001). Notwendige Voraussetzung für eine Interaktion bzw. eine Arbeitsbeziehung via Medien ist ganz basal eine gemeinsame Fachsprache bzw. eine gemeinsame Geschäftssprache. Die soziale und sprachliche Kompetenz wird durch die Strukturen von den Stelleninhabern als Verhaltenserwartung und als kognitives Wissen vorausgesetzt. In einer Veröffentlichung in der Mitarbeiterzeitung formuliert ein Topmanager des Unternehmens die Erwartungen an die Mitarbeiter, die durch die veränderten Kommunikationswege eingeführt werden: Geschäftlich sind wir alle Ford-Bürger und keine Deutschen, Engländer, Franzosen, Taiwanesen, Amerikaner oder Kanadier. […] Mit der Neuorganisation unserer Prozesse und der Organisation wollen wir die traditionellen Grenzen überwinden. Bei den Weltmeisterschaften oder den Olympischen Spielen können Sie Ihr Land anfeuern; aber bei der Arbeit hat die Ford-Flagge über allen Landesfahnen zu stehen. (FordReport 1994)

Als Mitglieder von Ford wird von den Mitarbeitern eine strikte Trennung zwischen personaler nationaler Prägung und transnationaler Fordzugehörigkeit eingefordert. Nationale Zugehörigkeiten werden hier in der expliziten Erwartung wie auch in der Produktionsentwicklung demarkiert. Was zählt, ist die formale Mitgliedschaft als Ford-Mitarbeiter. Die transnationalen Strukturen modellieren die Strukturen eines disnationalized worker.11 11 | Der Ausdruck ist an den Begriff des Disembodied Worker von Acker angelehnt (Acker 1991).

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94 | Diversity in Action Zwar modellieren die Strukturen die Kommunikation primär als ortlose zwischen körperlosen Wissensträgern, letztlich zielen diese Strukturen aber darauf ab, Wissen für die Produktherstellung flexibel einsetzbar zu machen. Und das bedeutet trotz Videokonferenzen und anderen Echtzeitverbindungen, Mitarbeiter von einem Projekt zu einem anderen zu versetzen, um je nach Nachfrage die Fähigkeiten und Kompetenzen passgenau einzuspeisen (Weinert 1998: 635). Von Mitarbeitern in der projektzentrierten Matrixorganisation wird damit eine erhöhte räumliche und arbeitsplatzbezogene Flexibilität erwartet, wie ich in den beiden folgenden Abschnitten zeigen werde.

2.1.2 Die Produktentwicklung als Zeitstraße und die flexible Zuordnung von Stellen Der zweite zentrale Strukturkomplex bezieht sich auf die inhaltlich und zeitlich standardisierte Entwicklung und die räumlich flexible Zuordnung von Stellen auf Projekte. Die Reorganisation des Unternehmens wurde vor allem im Bereich der Produktentwicklung durchgeführt. Hier werden neben der grenzüberschreitenden Entwicklung als weiteres Ziel ein standardisierter Entwicklungsprozess und kürzere Entwicklungstakte angestrebt. Die Zeit der Produktentwicklung wurde von 33 Monaten auf 24 Monate reduziert. Der Projekttakt ist der Großimpuls im Unternehmen, der an allen Standorten gleich verläuft. Im Firmenjargon werden die Projekte »Programme« genannt. Das ist der Herzschlag des Fließbands, die Transportkette, die an den Bauplätzen vorbeizieht. Und alle Arbeiten, die an den Bauplätzen anfallen, müssen in der Zeit erledigt sein, die das Auto braucht, um von einem gelben Strich zum anderen zu kommen. Und der dran arbeitet, der läuft nebenher. (Filmzitat aus Sendung mit der Maus)

Mir wurde das zitierte Video aus der Pressestelle der Firma zugesandt, um Informationen darüber zu erhalten, wie ein Auto in Serie produziert wird. Die »Sendung mit der Maus« zeigt in sechs Filmfolgen, wie Autos hergestellt werden. Die Filme zeigen den Beginn der Produktion im Presswerk der Firma über die verschiedenen Stationen der Produktionsstraße bis zu jener Stelle, an der die neuen fertigen Autos aus dem Fabriktor herausfahren. Wie auch die materielle Produktion in chronologische Einzelschritte zerlegt ist, wird die Entwicklung in verschiedene Planungs-, Bewertungsund Koordinationsschritte sequenziert. Die Entwicklungsarbeit, also die Planung der Herstellung eines neuen Autos, ist zeitlich genau getaktet und

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festgelegt. Anders als die Produktionsstraße, welche einen physisch weiträumigen Schauplatz darstellt, ist der Entwicklungsprozess als Konzept allein auf einer Zeitachse abgetragen, die verschiedene Evaluationsstationen und Prüfungspunkte fixiert. Drei Jahre bzw. 24 Monate sind in der Konzeption auf einzelne Tage genau durchgeplant und festgelegt, bis wann bestimmte Entwicklungsschritte erledigt werden müssen, wann und wie sie überprüft werden. Ziel von Ford 2000 war es darüber hinaus, die komplexen Entwicklungsschritte stärker zu standardisieren und damit zwischen den verschiedenen Standorten kompatibel und verbindbar zu machen. Eine zentrale Funktion haben dabei Targets im Entwicklungsprozess, die als Kontroll- und Messinstrument dienen. Targets werden in Zahlen (Preisen), Zeitschritten (Tage, Wochen, Monaten) und technischen Zielanforderungen (Qualität, Gewicht von bestimmten Bestandteilen etc.) bestimmt. So kann beispielsweise eine Stoßstange für ein bestimmtes Auto in ihrem Endpreis, dem Gewicht und den Unfallbelastungen, also Sicherheitszielen, bestimmt werden. Das Erreichen dieser Ziele bzw. der Stand der Aufgabenerfüllung wird für das Management in die Ampelfarben Grün, Orange und Rot übersetzt. Diese Ampelfarben signalisieren den Abstand zum erreichten Ziel. Ziele können grün und damit voll erfüllt sein, gelb und rot. Wenn Ziele nicht eingehalten werden, wird dies immer an den jeweiligen Vorgesetzten weitergeleitet und dort verhandelt. Die Zielerfüllung wird durch regelmäßige Berichte und Gespräche mit Vorgesetzten, die sich über den Stand der Arbeit informieren, überprüft oder durch Eintragungen der Arbeit im Intranet, wo den Werten automatisch die Farben zugeordnet werden, die von den nächsthöheren Managern eingesehen werden können. Ohne jeweils die technischen Details nachvollziehen zu müssen, kann man die Zielerfüllung anhand der Farben bewerten und bestimmen. Damit wird fachunspezifisch die Aufgabenerfüllung gemessen und auf einen Blick erfassbar für die vielen und komplexen Einzelaufgaben, was noch nicht oder nicht gut erfüllt worden ist. Von Mitarbeitern wird die Einhaltung von programmspezifischen Targets erwartet, also die Aufgabenerfüllung innerhalb bestimmter zeitlicher Fristen. In die Programmzyklen, also in die Entwicklungstakte, sind sämtliche Mitarbeiter integriert. Die Zuordnung von Stellen findet, so die zentrale Änderung der Ford 2000-Struktur, über die Projekte und ihre Phasentaktung statt. Dem Projekt werden je nach Entwicklungsphase aus der Firma Stellen zugeordnet, die für Aufgaben innerhalb des Projektes zuständig sind. Eine Mitarbeitergruppe, die aus den wichtigsten funktionalen Abteilungen zusammengesetzt ist, bildet das so genannte Core Team, also das Kernteam, eines Projektes. Je nach Phase des Projektes werden die Projektmitarbeiter an einem Ort stationiert. Die primäre Zuordnung des Per-

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96 | Diversity in Action Abbildung 2: Phasenspezifische Zuordnung von Mitarbeitern Phase 1: Strategische Planung; Core-Team in den USA

Bewegung der Core-Team-Projekt-Mitarbeiter

Phase 2: Technische Prüfung und Entwicklung Beispiel: Projektbeheimatung in Deutschland

Bewegung des Core-Teams Platzierung am Entwicklungszentrum in D Bewegung der funktionalen Projektmitarbeiter (geografisch oder medial)

Phase 3: Vorproduktion und Produktion im Werk Beispiel: Produktion in Spanien

Bewegung des Core-Teams Bewegung der funktionalen Projektmitarbeiter (geografisch oder medial)

sonals findet über die Projekte, die zeitlich befristet sind, statt. Je nach Projektphase wechselt der Ort des Projektes, was ich im Folgenden kurz skizzieren möchte. Jedes Programm hat einen Programmmanager mit Team, der für die Entwicklung dieses Produktes zuständig ist. Das Core Team reist für den ersten Entwicklungsschritt des Produktes in die USA und ist für die ersten

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drei Monate in Dearborn stationiert.12 Anschließend wird das Programm je nach Autotyp an einen der drei zentralen Entwicklungsstandorte lokalisiert. In den verschiedenen Entwicklungsphasen werden einzelne Abteilungen mit unterschiedlicher Stellenanzahl besetzt. Die absolute Anzahl der Mitarbeiter und Zulieferfirmen wird zu Beginn des Programms festgelegt. Es gibt eine kalkulierte Anzahl und eine begrenzte nachträgliche Menge von Stellen, die in das Projekt eingesetzt werden können. In der strategischen Planungsphase ist das Marketing bedeutsam, mit dem die Wünsche der anvisierten Kunden in Bezug auf Fahrzeugaussehen und -qualität erhoben werden. In der technischen Prüfungsphase wächst der Mitarbeiterstamm des Projektes stark an. In der Zielprüfungsphase werden die einzelnen funktionalen Bereiche stark personell aufgestockt. In dieser Phase wird das Projekt wieder an dem Entwicklungsstandort der Entwicklungszentren, den so genannten Vehicle Centers beheimatet. In der Prüfungsphase werden aus bestimmten funktionalen Bereichen Mitarbeiter für die Arbeit im Projekt abgestellt. Diese Ingenieure sind für die Entwicklung von spezifischen Modulen wie zum Beispiel für die Stoßstange, Türschlösser oder Aufgaben im Soundpackage zuständig. Wenn ein Spezialist für ein Modul an einem anderen Standort (z.B. England) lokalisiert ist und aktuell in keinem Projekt mitarbeitet bzw. Kapazitäten frei hat, wird er für die Entwicklung des neuen Produktes an den anderen europäischen Standort geschickt. Das Programm ist zu dem Zeitpunkt des so genannten Approvals auf dem Höchststand seiner Mitarbeiterstärke, z.B. beim Ford Focus mit 600 Ingenieuren und Designern. Wenn der Prototyp des Produktes entwickelt wurde, werden Mitarbeiter wieder von den einzelnen Projekten abgezogen, und nur das Core Team, das den gesamten Entwicklungsprozess in seiner reduzierten Anzahl begleitet, bearbeitet dann den letzten Realisationsprozess für ein halbes Jahr in den Produktionsstätten. Vielfach liegen die Produktionsstätten durch die globale Integrationsstrategie in einem anderen Land oder einem anderen Kontinent (Mexiko, Spanien, Deutschland, England etc.). Hier wird das gesamte Team zu den Produktionsstätten, die in verschiedenen europäischen oder auch südamerikanischen Ländern liegen, verschickt. Die organisationsweite einheitliche Taktung der Projekte verleiht den Mitgliedschaftsprofilen der Projekte besondere Bedeutung. Die Strukturen evozieren eine Projektzugehörigkeit, die mit Abkürzungen wie J71, C214 oder CD211 bezeichnet wird.13 Durch die immer wieder neue Besetzung 12 | Seit der erneuten Umstrukturierung des Unternehmens von 2001 sind die ersten Entwicklungsschritte jedoch wieder lokalisiert an den Standorten, an denen das Produkt für die Entwicklung beheimatet ist. 13 | Solche Abkürzungen werden für die einzelnen Projekte, bspw. für die Optimierung des Mondeo oder die Weiterentwicklung des Ford Focus, verwendet.

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98 | Diversity in Action der Projekte werden Veränderungen in den kollegialen Beziehungen strukturell evoziert: Die Projektbindung der Stellen führt dazu, dass die Mitarbeiter nur relativ kurzfristige Bindungen zu Kollegen aufbauen können. Dies setzt bei den Mitarbeitern einen relativ geringen Bedarf an einem stabilen und dauerhaften Kollegenumfeld voraus. Von den Mitarbeitern wird darüber hinaus Standortflexibilität erwartet, also die Bereitschaft, in den Projektphasen zu den entsprechenden Standorten zu reisen. Zum anderen werden Sonderrollen innerhalb der Projekte bedeutsam. Da es vom Zeitpunkt der Planung eines neuen Programms bis zu seinem Abschluss festgelegte Meetings gibt, projektphasenspezifische und funktionsspezifische, werden die Leitungspositionen solcher formalen Meetings (z.B. PMT Leader) bedeutsam. Entscheidend für die Sonderrollen und Profile in der Organisation sind die projektbezogenen Stellen. Die Matrixorganisation, die ich im vorangegangenen Kapitel vorgestellt habe, weist über die Projektbeheimatung von Stellen hinaus noch eben auch eine Ordnung nach Funktionen auf. Mitarbeiter werden einer zeitlich befristeten und ortsgebundenen Projektstelle sowie einer zeitlich unbefristeten und ortlosen Funktionsstellen zugeordnet, z.B. Body Engineering, Design, Finance, Manufacturing, Vehicle & Chassis.14 Die Mitglieder bilden ein Scharnier in der Matrixorganisation, das Projekte und Funktionsbereiche miteinander verbindet. Dabei werden alle Mitglieder jenseits ihrer grundlegenden Mitgliedschaftsrolle durch die Struktur systematisch in mindestens zwei Mitgliedschaftsprofile gewiesen: die Projektzugehörigkeit und die Funktionszugehörigkeit. Die offiziellen Organigramme im Matrixformat tragen jenseits der Funktionen und Projekte auch die unterschiedlichen Hierarchiepositionen ab. Dabei werden grundsätzlich in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung Stellen unterschieden, die im Ingenieurbereich bzw. im Management angesiedelt sind. Insgesamt wurden innerhalb von Ford 2000 die Managementebenen von elf auf sieben reduziert. Die unterste Managementebene wird Supervisoren genannt, die einer Gruppe von Ingenieuren als Teamleiter vorstehen. Die nächsthöhere Ebene wird Manager genannt, die entweder für bestimmte Funktionen in einem Autoprojekt zuständig sind oder als Funktionsmanager für einen Bereich eines bestimmten Autoprojektes. Diesen Managern stehen sowohl Programmvorgesetzte (z.B. Chief of C217) vor als auch die Funktionsvorgesetzten (z.B. Chief of Body Engineering). Während die Ingenieure, die einem Funktionsbereich zugeordnet sind, zumeist nur einem Supervisor als direktem Managementvorgesetzten unterstellt sind, kommuniziert jedes Managementlevel immer in einer doppelten Be14 | Die Reformen von 2001 erhielten die Matrixorganisation. Jedoch wurde die Funktionszugehörigkeit aufgewertet, indem die einzelnen Funktionsbereiche wieder räumlich zusammengeschlossen wurden.

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richtslinie. Die funktionalen Abteilungen ziehen sich quer zu den verschiedenen nationalen Standorten bzw. Vehicle Centers der Firma. So kann es sein, dass der Supervisor, dessen funktionale Stelle in den USA zugeordnet, d.h. abgerechnet wird, für ein Projekt nach Deutschland kommt und dort eine bestimmte Zeit in der Entwicklung eines Projektes arbeitet. Gleichzeitig ist er der funktionalen Abteilung in den USA zugeordnet und muss in regelmäßigen Abständen seinem Vorgesetzten berichten und an dessen Meetings teilnehmen. Diese Trennung in funktionale und programmspezifische Zugehörigkeit in Bezug auf einzelne Mitarbeiter ist die Fortsetzung der übergeordneten Matrixorganisation, die ich im vergangenen Kapitel beschrieben habe. Ziehen wir eine Zwischenbilanz: Die Umstrukturierung in eine projektorientierte Matrixorganisation, die in weltweit einheitlichen Zeittakten geplant ist, lässt die persönliche Seite der Mitarbeiter unmarkiert. Sie markiert gerade nicht die nationale Herkunft oder deren persönliche Einstellung zu Nähe und Distanz in der direkten Kommunikation. Ford 2000 stellt mit der Strukturumgestaltung in den Entscheidungsprämissen, den Kommunikationswegen und dem veränderten Personaleinsatz implizite Erwartungen an die Mitarbeiter, die erfüllt werden müssen, damit die Strukturen überhaupt funktionieren. In den Entwicklungsphasen wird von den zeitlich befristeten Projektmitarbeitern ein flexibler Einsatz in immer neu zusammengesetzten Projekten erwartet, mit deren Ortsbeheimatung sich auch der Standort der Stellen bzw. Mitarbeiter, sei es eine Etage, ein Gebäude oder ein nationaler Standort, ändert. Den Entwicklungsprozess modelliert Wissen als disponible Masse auf einer Zeitstraße. Dies gilt für die Position der Ingenieure, die im Vergleich zu früheren Funktionsstrukturen nun in kurzfristigen aufgabenbezogenen Projektteams mitarbeiten, und im verstärkten Maße für das Management. Dienstreisen werden zu einer Alltäglichkeit. Die gilt sowohl für die Ingenieure und Projektmitarbeiter, die mit dem Projekt von den USA nach Europa und zu den Produktionsstätten ziehen, als auch im erhöhten Maße für das Management, das immer zwei Report Lines bedienen muss und dessen funktionale und projektgebundene Bezüge quer zu nationalen Grenzen bzw. Standortgrenzen liegen. Veränderungen in den kollegialen Beziehungen werden strukturell evoziert: Auf Grund der Projektbindung der Stellen müssen die Mitarbeiter mobil sein und dauerhafte Beziehungen zu ihren Kollegen entbehren können. Die körperliche Verfasstheit von Wissensträgern als Stelleninhabern wird in der bisher vorgestellten Struktur nicht markiert. Bisher wurde Wissen und Kommunikation transnational, körperlosen und frei flottierend modelliert. Die Stelleninhaber werden als Wissensträger körperlich mobilisiert, um dem Projekt zu folgen und damit die räumliche Abstandsvergrößerung zwischen Projektteams zu

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100 | Diversity in Action überbrücken bzw. räumliche Distanzen zu überwinden. Für diese neuen Kommunikationswege und Entscheidungsprogramme wurde auch die arbeitsräumliche Umgebung verändert, die ich im Folgenden vorstellen werde.

2.1.3 Homogenisierte Arbeitsplätze Die produktzentrierte Struktur wird auch in der Gestaltung der lokalen Arbeitsplätze und Teamzusammensetzung fortgesetzt. Seit 1995 werden die Mitglieder der Teams sowohl lokal zentriert, als auch in den Gebäuden und Etagen »cross-funktional« zusammengesetzt. Das bedeutet, dass die Mitarbeiter eines Projektes an einem Ort zu den jeweiligen Programmphasen zusammen platziert werden: Marketing, Finance und die verschiedenen technisch-funktionalen Bereiche werden innerhalb eines Gebäudes möglichst in einer Etage zusammen gruppiert. Da in den verschiedenen Projektphasen wie oben beschrieben unterschiedliche Module entwickelt werden, verändert sich die Anzahl der Projektmitarbeiter in den verschiedenen Funktionen. Damit geht ein häufiger Arbeitsplatzwechsel einher. Es kommt zu Rotationsbewegungen, die darauf zielen, eine große Anzahl von Arbeitsplätzen für ein Projekt freizubekommen. Zum Teil werden dafür extra Gebäude gebaut, oder andere Projekte müssen umziehen, damit in einer Etage die Projektmitarbeiter zusammengesetzt werden können. Diese auch physische Mobilisierung der Mitarbeiter wird durch eine organisationsweit einheitlich veränderte Arbeitsplatzarchitektur unterstützt. Die organisationsweit homogenisierten Arbeitsräume von Ford weisen als Grundstruktur eine zelluläre Anordnung auf, die in der Größe und der Besetzungsstärke der Personen variiert.15 Das Großraumbüro, das sich über eine ganze Gebäudeetage erstreckt, wird in kleine, akustisch offene Einheiten parzelliert. Diese Einheiten beherbergen die Arbeitsplätze der Ingenieure und des untersten Managementlevels. Die Trennwände der Zellen zergliedern den akustisch geteilten Großraum in kleinere sehvernetzte Räume. Im Stehen kann man eine ganze Etagenhälfte überblicken. Der Blick erfasst dann alle Personen, die stehen oder gehen. Die Arbeitsplätze des mittleren und gehobenen Managements sind auch in die zelluläre Struktur integriert, jedoch akustisch mit einer Glasfront separiert. Ihre Räume haben deckenhohe Wände und Türen, die unerwünschte Blicke und 15 | Vor der Einführung von Ford 2000 waren die Etagen in den 60er und 70er Jahren in visuell offene Großraumbüros und später ab den 80ern wieder in geschlossene Gruppenbüros untergliedert. Jedoch saßen auf einer Etage alle Mitglieder einer funktionalen Abteilung wie zum Beispiel Body Engineering, welche die Karosserie des Autos entwickelt. Das wurde grundlegend geändert mit Ford 2000.

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Geräusche abfangen können. Wenn man zum ersten Mal und ohne weiteres Orientierungswissen diese zellenförmigen Arbeitsräume betritt, ist man durch ihre Gleichförmigkeit irritiert. Sie bieten dem Organisationsneuling keinerlei Orientierungs- und Wiedererkennungshilfe. Vielmehr zeichnen sie sich farblich und in der Form durch eine massive Gleichförmigkeit aus. Diese Büroarchitektur ist nicht eine beliebige Anordnung der Arbeitsplätze, sondern ein mit eigener Geschichte und Historie versehenes soziologisches Datum. Die Innenarchitektur wird in Unternehmen als ein Steuerungsmittel benutzt, um neue Managementstrategien räumlich zu markieren und zu unterstützen. »Spatial organization in whatever shape, represents and symbolizes social structures and relations of power« (Hofbauer 2000: 174). Physikalische Anordnungen in Organisationen stellen symbolische Ressourcen von Organisationen dar und werden benutzt, um z.B. mehr Teamarbeit, flache Hierarchien oder mehr Selbstdisziplin unter den Mitarbeitern und verstärkte Kontrolle auszuüben. Dabei wird von Designern auf soziologisches und psychologisches Wissen zurückgegriffen und dieses in die Raumkonzepte eingespeist. Sie arbeiten z.B. mit Goffmans Konzepten der »Territorien des Selbst« oder Untersuchungen zur Rollenbildung und Status und versuchen, dieses Wissen direkt für die Steuerung der Kommunikation durch Raumveränderung nutzbar zu machen (Duffy 1990: 25ff.). Designer gehen darüber hinaus davon aus, dass physikalische Anordnungen wie Schlüssel zu Erinnerungstüren funktionieren, die emotionale Erinnerungen (Konstantin Stanislavski) evozieren »and help people to adapt to model behaviour, which has been learnt, trained or merely experienced in other situations« (Berg/Kreiner 1990: 47). Die Pläne der Bürodesigner lassen sich dann wiederum als Texte soziologisch reinterpretieren, wie sich die Körper in ihnen bewegen sollen.16 Designers of space seek to transform social reality, which includes the shaping and reshaping of corpo-reality. The scripts they produce, with drawings and figures, carry and encode messages of conduct and movement. (Hofbauer 2000: 168)

In der Innenarchitektur von Unternehmen kann man verschiedene ökonomische und politische Entwicklungen des Unternehmens ablesen. Eine einheitliche, homogene Corporate Architecture wird als symbolischer Ausdruck für die Politik des Unternehmens eingesetzt. Mitte der 90er Jahre wurde bei Ford zeitgleich zur weltweiten Umstrukturierung von Ford 2000 16 | Wie Hofbauer in ihrer Analyse dreier zentraler Bürodesigns feststellt, zeigen die Pläne der Designer keine Körper in den Räumen. Die Pläne zeigen Botschaften, wie sich die Körper bewegen sollen, durch die Art der Raumorganisation. Dazu benutzen die Pläne eine abstrakte Sprache (Hofbauer 2000: 169ff.).

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102 | Diversity in Action die gesamte Innenraumgestaltung im Entwicklungsbereich der Firma homogenisiert.17 Diese Vereinheitlichung bezog sich nicht nur auf den deutschen Standort, sondern auf die Entwicklungsstandorte der USA und England gleichermaßen. Die Karte zeigt eine Etage eines vierstöckigen Bürogebäudes. Es ist ein Gebäude der Entwicklungsabteilung am deutschen Standort. Die Zellenstruktur, die beim ersten Blick auf diese Inneneinrichtungskarte hervorsticht, ist die charakteristische Grundstruktur des 1995 eingeführten Arbeitsplatzdesigns. Zentriert in der Mitte liegt ein rechteckiger Flurbereich, in dessen Mitte Rolltreppen eingezeichnet sind. Auf seiner linken Seite liegen zwei Fahrstühle. Unten an das Treppenhaus grenzen ein Videokonferenzraum mit runder Tischaufstellung und zwei Besprechungsräume mit rechteckiger Tischaufstellung an. Rechts und links vom Flurbereich direkt an die Wände angrenzend liegen Schächte für die Klimaanlagen, Lastenaufzüge sowie rechts und links Treppenbereiche und Toiletten. Oberhalb des Flurs, im offenen Etagenbereich befinden sich die Managerbüros. Sie sind in sich zu einem Block zusammengestellt. In einem solchen Managementbüroblock sind direkt vor der Etagenfensterfront zwei Theken für Sekretärinnen aufgestellt. Der Plan zeigt auch, welche Räume mit Türen versehen sind: die Managerbüros, die Toiletten, die kleinen Küchen und die Besprechungsräume. Über den Rest der Etagenfläche ziehen sich als Großraumbüro in Zellen gegliedert ohne Türen und mit Sichtblenden von 1,62 m Höhe die Arbeitsplätze der Ingenieure und des untersten Managementlevels. Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass die Zellen in ihrer Größe variieren. Es gibt Zellen, die rundum mit Tischen ausgestattet sind, und andere, die halbiert sind und über einen oder zwei Arbeitsplätze verfügen. Die Stoffzellen sind durchnummeriert mit Ziffern wie 2/B4. Diese Ziffern finden sich auch an den tragenden Etagensäulen und den einzelnen Zellen als kleine Schilder neben der Eingangsöffnung. Sie sind quasi die »Hausnummern« der Zellen und helfen, eine erste Orientierung in den Zellenkorridoren zu entwickeln. Diese zellulären Arbeitsplätze befinden sich in allen Etagen und anderen Gebäuden der Entwicklungsabteilung. Es können auf einer Etage in diesem Gebäude ca. 130 Personen an einem Arbeitsplatz arbeiten. Das Arbeitsraumdesign, welches die Gebäudeetagen in zelluläre Einheiten untergliedert, stellt eine Mischung aus verschiedenen Grundtypen des Bürodesigns dar: Korridor-Office, Bürolandschaft und Open-Plan-Of-

17 | Der Entwicklungsbereich war der erste Firmenbereich, der voll nach den Organisationsprinzipien von Ford 2000 umgestaltet wurde. Andere Abteilungen folgten.

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18 | Dieses Dokument ist von der Raumplanungs- und Ausstattungsabteilung angelegt (»Ford Land«). Das Einrichtungskonzept wurde 1994 entwickelt und ab 1995 in Europa eingeführt, in den USA wurde es bereits früher erprobt. Aktuell werden diese Pläne für die konkrete Besetzungsplanung und -übersicht sowohl von den zuständigen Büros in einzelnen Projekten (Project Offices) verwendet als auch von Ford Land. Sie wird zur Planung und Beschreibung der aktuellen Besetzung von Räumen benutzt.

Abbildung 3: Plan einer Großraumbüroetage18

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104 | Diversity in Action fice. Was steht hinter diesen zentralen Konzepten des Bürodesigns, die versuchen, Körper und Kommunikationsprozesse zu steuern? Die Frühform des Großraumbüros, das Open-Plan-Office, setzte auf eine sehräumliche soziale Kontrolle. Durch die Anordnung der Körper im Raum, ähnlich einer strengen Klassenzimmerordnung, sollte sichtbar gemacht werden, wie die Struktur der Organisation geschaffen war. Die Dynamik von Menschenansammlungen sollte unterbunden werden. Dazu wurde eine hierarchisch strukturierte Raumordnung hergestellt, in der hochgradig arbeitsteilige und standardisierte Bürotätigkeiten isolierter Einzelarbeit erledigt wurden. Informelle Kommunikation wurde stark behindert, direkte hierarchische Kontrolle und formale Kommunikation sehr gut unterstützt (Duffy 1990). Diese entpersonalisierte Arbeitsatmosphäre sollte Einheitlichkeit und Übersichtlichkeit vermitteln. Die Vereinheitlichung bezog nicht nur den seh- und Geräuschraum mit ein, sondern entzog auch das Klima, also die Luft und den Geruchsraum, der Kontrolle der Akteure (Fritz 1982: 109). Um die Leistungsbereitschaft zu erhöhen, werden seit den 50er Jahren Konzepte entwickelt, die mehr die informellen Beziehungen betonen und Mitarbeiter als Teammitglieder modellieren. Der Leitgedanke des neuen Großraumbüros bestand darin, Gruppenarbeit und Kommunikation unter den Mitarbeitern zu erleichtern. Dabei ist der primäre Disziplinierungsaspekt nicht mehr so offensichtlich. Hier steht jetzt durch die Human Relations Bewegung im Vordergrund, dass die Arbeitsplätze den menschlichen Bedürfnissen angepasst werden sollen. The overall goal of modern management, according to current slogans in contemporary literature, is to meet the expectations of workers and thereby arouse their intellectual, emotional and social skills for task. (Hofbauer 2000: 173)

Ein frühes Konzept der Großraumbüros mit Gruppenarbeit ist die Bürolandschaft. Sie ist ein Arbeitsplatzkonzept, das Ende der 50er Jahre in Deutschland entwickelt wurde. Hierzu wurden alle Arbeitsplätze auf einer Etage in einem offenen Raum zu Inselgruppen angeordnet. Pflanzen lockern den offenen Raum auf. In der Bürolandschaft sind alle Mitarbeiter für jeden immer sichtbar. Die offene Raumstruktur wirkt einerseits transparent und zugänglich, jeder scheint für jeden erreichbar, jedoch erzeugt das Großraumbüro eine Disziplinierung der Körper. Im Großraumbüro erhalten die wechselseitigen Verhaltenszwänge zwischen den Raummitgliedern größeres Gewicht. Die gegenseitige Disziplinierung durch die Arbeitskollegen und die damit einhergehende Affektkontrolle (Elias 1988) ist eine wesentliche Zielsetzung, die hinter der Konzeption des Großraumes steht (Hofbauer 2000: 184). Nicht mehr in erster Linie die hierarchische Über-

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wachung, sondern ein lückenloses Beziehungsnetz von Blicken, eine entpersonalisierte Atmosphäre diffuser Aufmerksamkeit, soll die Standardisierung der Verhaltensformen bewirken (Fritz 1982). Der anonymisierte Raum wird durch Sichtschutz für den Einzelnen verbunden. Das Korridor-Office ist ein Büro für einzelne Mitarbeiter, die sich räumlich separieren können. In der Gestaltung bei Ford bleibt dieses akustisch und visuell separierbare Büro allerdings dem mittleren Management vorbehalten. Innerhalb dieser Raumaufteilung stellt die Möglichkeit, durch geschlossene Türen und Sichtblenden Privatheit herzustellen, eine Hierarchiemarkierung dar. Die Räume erlauben eine Individualisierung, denn die Insassen der Zellenbüros haben die Chance, ihren Raum zu kontrollieren: Akustisch und visuell können sie sich vor anderen Blicken schützen, und durch Dekoration mit persönlichen Gegenständen (Postern, Bilder etc.) können sie den Raum als ein eigenes Territorium personalisieren. Das Open-Plan-Office ist auch mit den Raumkonzepten des panoptischen Blicks (Foucault 1994), also der sehräumlichen und akustischen direkten Kontrolle beschreibbar, in dem standardisierte Aufgaben erfüllt werden. Das Einzelbüro ist eine »Zelle der Aktivität«, in der individuelle Leistungen erbracht werden (Duffy 1997: 92). Meist gehen Zellenbüros mit bestimmten Tätigkeiten und einer Statusmarkierung einher. In Großraumbürolandschaften wird Status durch Qualität und Quantität des Arbeitsraums angezeigt. So auch bei Ford. Die Konzepte für interaktive Kooperation im Großraumbüro und in den Zellenbüros werden in modernen Bürogebäuden miteinander verbunden. Trotz der neuen Informations- und Kommunikationsmedien, der immateriellen Infor-mationsvermittlung, zeichnet sich das Denken […] der Großraumplaner und Organisatoren durch ein extremes Verräumlichen der Kommunikationsbeziehungen aus, die doch in Wahrheit mit fortschreitender Automatisierung und Gebäudetechnisierung einem steten Prozeß der Enträumlichung unterliegen. Angesichts eines überwiegend papierlosen, immateriellen, raumunabhängigen Datentransportes sollen räumliche Nähe, ständige Sichtbarkeit und Hörbarkeit der Arbeitskollegen die Informationsübertragung beschleunigen und vereinfachen, sollen kurze Wege in alle Richtungen zwischen verschiedenen Arbeitsplätzen im großräumlichen Standortgefüge die Verlustzeiten der arbeitsräumlichen Datenvermittlung und formellen Kommunikation verringern. (Fritz 1982: 141)

Neben der Bürolandschaft, die noch mit strikten Parametern wie fixen Orten, fixen Zeiten und zentralen Unternehmensstrukturen umgehen, werden im Zuge der Dezentralisierung und raum-zeitlichen Abstandsvergrößerungen (Giddens 1996) von Arbeitstätigkeiten neue Bürokonzepte entwickelt. Die aktuellen Bürokonzepte mit Namen wie Hot-Desking, Non-Terri-

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106 | Diversity in Action torial-Büro oder Flex-Büro nehmen die Enträumlichung der Arbeitsbeziehungen in die Konzepte mit auf (Bullinger et al. 2000). Die Büroarchitektur bei Ford setzt bei Projekten auf räumliche Nähe und hör- und sehräumliche Vernetzung der Teams. Mittels der Zuordnung zu den Bürokonzepten lassen sich die klassischen Verhaltenserwartungen, die damit verbunden werden, herausarbeiten. Die zelluläre Struktur des Großraumbüros weist einerseits ein Element der Korridorbüros auf: Visuell werden die Mitarbeiter voneinander abgeschirmt und sollen ihre komplette Tätigkeit ohne andauernde visuelle Störungen erledigen können. Anderseits befinden sie sich in einem akustisch offenen Großraum. Diese Idee aus der »Gruppenarbeit« der 70er wird in der raumsparenden Zusammensetzung der Viererzellen wieder aufgegriffen. Teams werden in Viererzellen gruppiert und sehräumlich mit den anderen Teammitgliedern durch »Fenster« verbunden. Informelle Besprechungen innerhalb der Teams sollen leicht und schnell geführt werden und durch die akustische Offenheit relevante Informationen im Projekt von Kollegen einfach mitgehört werden können. Die Teamarbeit wird durch die akustische Vernetzung hervorgehoben. Gleichzeitig setzt diese Architektur bei jedem Mitarbeiter die Kompetenz voraus, sich aus der unmittelbaren akustischen Nähe so zu dissoziieren, dass sie zu einem bloßen Hintergrundrauschen wird, um die komplexen Entwicklungstätigkeiten am Computer erledigen zu können. Allein die Supervisoren sind in speziellen Einzelzellen separiert. Und dem mittleren Management ist das Arbeiten in Korridor-Offices, die sich akustisch und visuell abschirmen lassen, vorbehalten. Was ist jenseits dieser allgemeinen Bestimmung innerhalb der Bürokonzepte das charakteristische an dieser Architektur? Welche Mitgliedschaften werden dadurch evoziert, und welche Erwartungen werden damit an die Mitarbeiter gestellt? Transnationale Homogenität: der McDonald-Effekt Ich bin im Engineering-Centre in England angekommen. Im Inneren sehe ich nun sehr vertraute Farbtöne. Die Böden haben denselben unauffälligen Grauton wie in Merkenich, und als ich vom Aufzug die Gebäudeetage betrete, stehe ich auf gänzlich vertrautem Boden. Auch hier gibt es Boxen, bespannt mit graublauem Stoff. Sie bilden in der Anordnung Korridore, auf denen man seine Bahnen ziehen kann. Ich finde hier auch die gleichen Buchstaben- und Ziffermarkierungen an den Zellen und Säulen. Die Ausstattung der Zellen ist identisch mit denen in Merkenich: Es sind die gleichen grauen Schreibtischstühle, die gleichen Tische, Aktenschränke und Rollcontainer. Auch hier tragen die Rollcontainer die Namen der Besitzer. Die Supervisorenzellen haben eine Tafel an der Wand, der Computer steht so in der Ecke wie in allen Supervisorenzellen.

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Das eigentlich Neue an dieser homogenen Innenarchitektur ist nicht, dass sie eine spezifische Disziplinierung der Körper erzeugt oder physikalischer Schlüssel für Erinnerungen ist, die bestimmte gewünschte Körpermuster aktivieren. Diese Maßnahmen wurden bereits mit früheren Designs verfolgt und in Konzepten wie dem Bürolandschafts-Modell versucht durch die materielle Raumgestaltung umzusetzen. Das Neue an dieser zellulären Raumorganisation ist, dass sie an den verschiedenen nationalen Standorten der Organisation völlig einheitlich ist. Die nationalen Standortunterschiede, die vormals in der Raumgestaltung vorhanden waren, sind vollständig neutralisiert worden. Damit sollten, so die Aussagen von Interviewpartnern, die für die Einführung dieses Designs zuständig waren, Neid und Missgunst, die früher zwischen den Standorten bestanden, aufgehoben werden. Gleichzeitig ist auch die Eigentümlichkeit der Standorte getilgt worden. Die Standorte sind optisch und akustisch ununterscheidbar geworden. Damit wird der Raum, der Individuen unterschiedlicher nationaler Herkunft zuerkannt wird, homogen und standardisiert. Die Kulturkonzepte, die ich im Exkurs zu Nationalkulturkonzepten vorgestellt habe, gehen davon aus, dass Mitglieder aus unterschiedlichen Kulturkreisen und Nationalkulturen verschieden mit Raum und Zeit umgehen (Hall 1966). Die neue einheitliche Struktur nivelliert für alle Standorte (USA, England, Deutschland) diese Unterschiede. In Bezug auf die Trennwandhöhe wird jedoch ein nationaler Unterschied eingezogen. Die Trennwandhöhe in dem Entwicklungszentrum der USA beträgt 1,20 m statt 1,60 m wie an den europäischen Standorten. Dies führt dazu, dass man auch im Sitzen die gesamte Etage sehen kann. In kulturwissenschaftlichen Arbeiten wird diese starke sehräumliche Vernetzung, die jede Bewegung im Raum wechselseitig kontrollierbar macht, als etwas beschrieben, das in der amerikanischen Kultur von besonderer Bedeutung ist (Hall/Hall 1990). Dennoch ist der Wiedererkennungsund Vertrautheitseffekt enorm. Es ist, wie wenn man in einem fremden Land, in dem einem die Gerüche, die Sprache, die Menschen unvertraut sind, ein McDonald-Restaurant entdeckt und dort hineingeht. Auch hier trifft man auf die vertrauten Farbtöne, sieht die gleichen Produkte und kann sofort das tun und sich so verhalten wie in einem x-beliebigen McDonald-Restaurant dieser Erde. An dem englischen Standort von Ford hat man nicht das Gefühl, in einem anderen Land zu sein, sondern immer den Eindruck, bei Ford zu sein. Mitarbeiter, die durch die Projektrotationen immer wieder umziehen und durch die phasenspezifischen Ortswechsel auch die Standorte wechseln, sollen sich vertraut fühlen. Die an einem Standort erlernten Bewegungs- und Kommunikationsmuster, die durch die Architektur evoziert werden, können durch die Einheitlichkeit der Gestaltung an den verschiedenen Standorten angewendet werden. Die Orientierungszeit, in der man sich mit einer anderen Ortsaufteilung, einem anderen Klima,

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108 | Diversity in Action einer anderen Farbe und einem anderen Aufbau vertraut macht, wird dadurch eingespart. Gleichzeitig wird aber auch erwartet, dass sich die Mitarbeiter schnell zurechtfinden Professionslose Arbeitsplätze Wie der Lageplan verdeutlicht, ist die gesamte Etage mit einheitlichen Zellen durchzogen. Die Arbeitsplätze der verschiedenen Mitarbeiter der Autoentwicklung sind so gestaltet, dass sowohl eine Marketing-Mitarbeiterin als auch, ausgerüstet mit einem speziellen Computer, ein CAD-Engineer (computeranimiertes Design) dort arbeiten kann. 1995 sollte eine unspezifische, für die unterschiedlichen Funktionsbereiche hoch flexible Arbeitsumgebung geschaffen werden, die hundertprozentig einheitlich ist. Auszug aus einem Interview mit einem Designer von Ford Land: Wie machen Sie das am geschicktesten? Sicherlich ist ganz besonders ungeschickt, wenn Sie immer Mitarbeiter mit ihren unterschiedlichen Arbeitsplätzen hin und herziehen. Das ist ein riesiger logistischer Aufwand, und der ist zeitraubend in der Planung und der Umsetzung. Und der ist zeitraubend in den Ausfallzeiten. Es galt also vor fünf Jahren, eine Umgebung zu schaffen, eine Arbeitsumgebung zu schaffen, in der es uns gelingt, egal ob jemand Body-Ingenieur ist, egal ob jemand CADIngenieur ist, Arbeitsplätze zu schaffen, die zulassen, dass all diese unterschiedlichen Arbeiten an möglichst gleichartigen Arbeitsplätzen ausgeführt werden können.

Abbildung 4: Musterarbeitsplatz FORD-Werke

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Und diese Arbeitsplätze sehen für die Teammitarbeiter wie folgt aus: Die Zellwände sind 1,62 m hoch. Es gibt Vierer-, Zweier- und Einerzellen. Die Mehrheit der Arbeitsplätze befindet sich in einer Viererzelle. Sie umfasst eine Fläche von 26 qm. In jeder Ecke einer Viererzelle steht ein Computer auf einem Ecktisch (der in dieser Zeichnung noch nicht eingetragen ist). Die Computerarbeitstische sind jeweils in den Ecken der Zellen angebracht und heißen im Alltagsjargon Workstation. Die Designer nennen die Eckenkonstruktion der Arbeitsplätze die Corner Unit. Zu jeder Corner Unit gehört ein dunkelgrauer Bürodrehstuhl mit hoher Rückenlehne. Die Ecktische sind durch weitere Tischteile über die Wandseiten miteinander verbunden. Jeder Eckcomputer hat einen eigenen Rollcontainer unter seinem Schreibtisch. Jeder Arbeitsplatz ist mit einem eigenen Telefon ausgestattet. Die Tische sind alle in einem hellgrauen Ton gehalten. In der Mitte jeder Viererzelle steht ein Besprechungstisch mit einem oder zwei weiteren Stühlen. Zwischen den Zellen sind einzelne Wände nur 1,02 m hoch, die »Fenster« genannt werden. Dadurch kann man bequem im Sitzen in die Nachbarzelle sehen. Teams werden in solch sehräumlich verbundenen Zellen gruppiert. Auf den Fluren zwischen den Zellen stehen in Reihen aufgestellt Aktenschränke in dunklen Tönen. Die Grundeinheit, die diese Architektur anlegt, ist zwar die Corner Unit, aber die Einheitlichkeit neutralisiert jegliche fachliche Spezialisierung oder individuelle Aufgabenorientierung der Arbeitsplätze. Der Fluss der Projektkommunikation ist wichtiger als die individuelle Einzelarbeit. Die Mitarbeiter sollen schnell umziehen können, wenn ihr Wissen an einer anderen Stelle gebraucht wird. Eine Human Resource wird hier als flexible Wissensressource mobilisiert. Mitarbeiter sollen sich schnell auf neue Aufgaben und Teamkollegen einstellen können und sich innerhalb dieser Architektur, egal wo sie konkret lokal platziert sind, vertraut fühlen. Das unterste Managementlevel, die Supervisoren, sind in Einzelzellen platziert. Diese Einzelzellen sind halbierte Viererzellen und haben eine Fläche von 13,5 qm. Die andere Hälfte der zergliederten Viererzelle wird mit zwei Einheiten ausgerüstet und mit Ingenieuren oder anderen Projektmitarbeitern besetzt. Die Blickkorridore zwischen den Teammitgliedern sind so ausgerichtet, dass die Supervisoren von ihrer Box das gesamte Team überblicken können. Für die Supervisoren ist die bisher beschriebene Grundausstattung noch um ein Whiteboard und einen Besprechungstisch mit zwei Stühlen vermehrt sowie ein Laptop für das Reisen zwischen den Standorten. In besonderem Maße ist das Arbeitsumfeld der Supervisoren abgestimmt auf die in sie gesteckten Erwartungen. Sie sind erreichbar und können selbst das Team gut im Blick haben. Auch ihre Kommunikation soll von jedem gehört werden können. Alle höheren Positionen haben jeweils die bisher beschriebene Grundausstattung der Corner Unit und darüber

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110 | Diversity in Action hinaus weitere Elemente, die ich im Folgenden aufführen werde. Sie sind jedoch in den akustisch geschlossenen Glasbüros lokalisiert, die geräumiger sind und ungefähr die Größe einer Viererzelle einnehmen (siehe den Lageplan »Management«). Neben der auch hier vorzufindenden Corner Unit gibt es ovale Besprechungstische, an denen bis zu sechs Personen auf Stühlen Platz nehmen können, die in der besonderen Firmenlogofarbe bezogen sind. Hellgraue Sideboards, die als Aktenschränke dienen, zieren eine Wand. Mitglieder des Managements, so zeigt die Architektur, brauchen mehr Besprechungsraum, den sie mit einer Tür akustisch abschließen können. Mit der Größe des Raumes und der Tür wird ein Statusunterschied zu den Supervisoren und Teammitarbeitern markiert. Da in den Büros ansonsten das gleiche Material verwendet wird, wird die Gleichheit und die Zusammengehörigkeit als Ford-Mitarbeiter betont. Auch für die Manager ist das Element »Erreichbarkeit« mit aufgenommen worden. Durch die Glaswände können sich die Manager, die in den parallel zueinander aufgebauten Büros arbeiten, untereinander gut sehen. Modularität der Zellen und ihrer Bewohner Die Zellen sind, wie der Lageplan verdeutlicht, selbst aus einzelnen großen Modulen zusammengesetzt. So lassen sich die Viererzellen problemlos in eine Supervisorenzelle und zwei Ingenieurarbeitsplätze verwandeln, Einzelteile der Zellen austauschen oder mit bestimmten Geräten für die speziellen Aufgaben ausstatten. Die Austauschbarkeit und das Merkmal, Bestandteil eines Gesamtsystems zu sein, sind kennzeichnend für Module. Die arbeitsplatzräumliche Grundmodularität setzt sich fort in der Zusammenstellung und aufgabenspezifischen Besetzung der Zellen. Die Mitarbeiter aus den unterschiedlichen funktionalen Bereichen werden für bestimmte Arbeitsblöcke einem Projekt zugeordnet und dort auch lokal angesiedelt. Ein Projekt kann sich auf die Entwicklung eines ganz neuen Autos beziehen oder beispielsweise auf dessen weitere Optimierung, aber auch die Entwicklung bestimmter Sportvarianten eines schon auf dem Markt erschienenen Fahrzeugs betreffen. In der Stellenbesetzung der Zellen auf einer Etage finden sich die zentralen Bausteine eines Autos wieder. Die einzelnen Module des Autos, die als Aufgaben jeweils Stellen bzw. Teams zugeordnet werden, teilen sich auf einzelne Zellen oder zusammenhängende Zellenkomplexe auf. In einer Zelle werden die Stoßstangen entwickelt, in einer anderen die Seitensäulen der Karosserie, das Dach eines Autos, die Türschlösser, ein anderer Zellenkomplex ist für die Finanzierungskontrolle zuständig und der nächste für den Einkauf. Darüber hinaus sind Zellen von Zulieferfirmen zugeordnet, die für einzelne Bausteine oder auch Module

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(Kabelbaum am Auto, Autositze) zuständig sind und deren Zellen besonders ausgewiesene Schilder mit eigenen Firmenlogos tragen. Diese Modularität in der funktionalen Besetzung der Zellen ist jedoch nicht offensichtlich und durch Schilder ausgewiesen. Nur die Zulieferfirmen applizieren Firmenschilder, die ihre Arbeitplätze als besondere Territorien ausweisen. Die cross-funktionale und modulare Zusammensetzung von Teams zeigt, dass nicht die fachliche Spezifikation, das besondere Fachwissen hier in der Architektur und in der Organisationsstruktur bedeutsam gemacht werden, sondern die Anschlussfähigkeit und Kompatibilität der einzelnen Bausteine zueinander als Teil eines Gesamtsystems. Die Arbeitsplatz-Bauelemente passen alle zueinander und sind so kombiniert und optimiert, dass sie hoch funktional und platzsparend sind. Auch das Produkt, das in diesen Arbeitsräumen entwickelt wird, wird in Modulen entwickelt, die als austauschbare komplexen Einzelteile eines Gesamtsystems ergeben. Die arbeitsräumliche Gestaltung symbolisiert die modulare Herstellungsweise des Produktes, und gleichzeitig werden durch die fachunspezifische Gestaltung der Arbeitsplätze auch die Mitarbeiter als einspeisbare Wissensmodule markiert. Nicht die individuelle Leistung, sondern die modulare Entwicklung im Projekt wird durch diese Architektur mitmarkiert.19

2.1.4 Zwischenresümee der formalen Strukturveränderung und einheitlichen Arbeitsplatzarchitektur Welche Erwartungen werden durch die neue globalisierte Organisationsstruktur an die Mitglieder gestellt? Die globale produktorientierte Matrixorganisation spannt einen transnationalen Arbeitszusammenhang auf, in dem die funktionale Kommunikation auf Gleichzeitigkeit ausgerichtet ist und die eine transnationale Vernetzung zwischen den verschiedenen Standorten erfordert. Damit findet eine stärkere Trennung von Raum und Ort statt. Personen an verschiedenen Orten arbeiten in der funktionalen Kommunikation in einem gemeinsamen Arbeitsraum. Die Orte, an denen die Körper lokalisiert sind, sind nicht die Räume, in denen die Kommunikation stattfindet. Die vormals regionale Werkkette wird durch die produktorientierte Matrixorganisation aufgesplittet. Damit werden Stellen über nationale Grenzen hinweg in eine Arbeitsbeziehung gebracht. Die Strukturen modellieren einen Disnationalized Worker: Von den Mitarbeitern wird innerhalb dieser Struktur vorausgesetzt, dass sie transnational miteinander kommunizieren können. Sie müssen eine geteilte Geschäftssprache be19 | Es gibt organisatorische Mittel, die dieser Austauschbarkeit und Ersetzbarkeit, die architektonisch und strukturell angelegt sind, symbolisch entgegenarbeiten: z.B. Preise, die an Teams für herausragende Leistungen vergeben werden.

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112 | Diversity in Action herrschen, also entweder Fachsprachen im technischen Bereich oder auch schlicht eine geteilte Sprache wie Englisch insoweit beherrschen, dass sie die Aufgaben erfüllen können. Andererseits erfordert die Kommunikation, die auf Gleichzeitigkeit setzt, eine Kompetenz im Umgang mit den neuen Kommunikationstechnologien. Durch die Umstrukturierung wird eine Demarkierung von Standortdifferenzen und nationalen Grenzen erzeugt. Die Zeit wird innerhalb des Organisationsraums standardisiert. Sie wird einem Projekttakt unterworfen, der ortsunabhängig an allen Entwicklungsstandorten gilt. Die Strukturen modellieren Stelleninhaber als räumlich und zeitlich disponible Wissensmodule. Während die funktionale Stellenzuordnung durch Strukturen und Technologien der Gleichzeitigkeit und der zeit-räumlichen Abstandsvergrößerung (Giddens 1996) gekennzeichnet ist, werden die Projekte gleichörtlich gruppiert. Die Zuordnung der Stellen bzw. der Mitarbeiter in global standardisierte Projekte, die je nach Phase des Projektes an einem bestimmten Ort stationiert werden, führt zu einer Mobilisierung der Mitarbeiter. Einerseits führt es zu einer erhöhten Reisetätigkeit, andererseits setzen diese Strukturen voraus, dass sie sich schnell in neue Projektteams und -aufgaben einarbeiten. Die Projekte sind der Großimpuls in der Organisation, innerhalb derer phasenspezifische Mitgliedschaftsprofile strukturell relevant gemacht werden, z.B. wenn man Leiter eines bestimmten Meetings ist. Diese primäre Zuordnung der Stellen über Projekte macht sie wichtiger als die vormals regionalen oder rein funktionalen Mitgliedschaftsprofile. Man ist jetzt Manager des J71, Supervisor beim neuen Mondeo oder Ingenieur im C214 ist. Auch die Vereinheitlichung des Arbeitsplatzes, seine modulare Konstruktion, ebnet bestimmte Mitgliedschaftsprofile, die vormals relevant waren, ein: Sie neutralisiert funktionale Professionszugehörigkeiten (BodyIngenieur, Finance, Manufacturing, Design etc.), die in der Architektur der Arbeitsplätze vorher offensichtlich waren. Die Standorte und Standortunterschiede werden demarkiert und durch die global einheitliche Arbeitsplatzgestaltung neutralisiert. Der vorherrschende Gesamteindruck in Bezug auf die Arbeitsplätze ist der der »Indifferenz« (Hofbauer 2000). Die Zellen sind indifferent in Bezug auf die konkreten Tätigkeiten, die in ihnen verrichtet werden sollen, sie sind indifferent in Bezug auf die Menschen, die Tätigkeiten verrichten, und sie sind indifferent in Bezug auf die Standorte, in die sie eingebettet sind. Unterschiede in den Raumansprüchen von Menschen, die nach Kultur differieren, werden durch diese Arbeitsplatzgestaltung vollständig geglättet und standardisiert. Die spezifischen Merkmale von Orten werden in der Arbeitsplatzgestaltung aufgehoben, und sie werden losgelöst von regionalen, nationalen und funktionalen Eigenarten. Das Interessante und Neue an dieser Architektur ist jedoch nicht, dass sie eine bestimmte Form aufweist, sondern dass sie an allen Standorten völ-

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lig homogen ist. Damit wird die Erwartung aufgebaut, dass sich Mitarbeiter an allen Standorten schneller und leichter zurechtfinden und vertraut fühlen. Kurzfristige Kontakte mit Kollegen, die Versetzung der Mitarbeiter an neue Standorte, in andere Etagen und Gebäude findet in stabilen, gleichförmigen Arbeitsraumbezügen statt. Es wird kein festes kollegiales Bezugssystem auf Dauer gestellt, sondern ein einheitliches Arbeitsplatzdesign stabil gehalten, während sowohl die Körper als auch die Teams mobilisiert werden und als modulare Wissensträger an den jeweiligen Orten stationiert werden. Die Mitarbeiter werden in einer indifferenten transnationalen Projektmaschinerie platziert, die mit einem Corporate Design ausgestattet ist und als Mitgliedschaftsprofil die grundsätzliche Fordmitgliedschaft markiert und nicht funktionale standortspezifische Profile. Mitarbeiter werden durch die Strukturen gerade nicht personalisiert. Diese Seite wird in den Organisationsstrukturen ganz klassisch ausgeblendet.

2.2 Diversity – der Wiedereintritt der Person in die Organisation? Bisher zeigte sich, dass die Stelleninhaber mit ihren spezifischen personalen Merkmalen von den sozialen Strukturen der Organisation nicht markiert oder gar neutralisiert werden: sei es, dass der Arbeitsraum homogenisiert wird und gerade keine fachlichen oder nationalkulturellen Besonderheiten aufweist, oder sei es, dass von den Mitarbeitern eine störungsfreie supranationale Kommunikation erwartet wird und die nationale Bindung, also die kulturelle Verhaftung der Stelleninhaber, dabei unmarkiert bleibt. Eine der Leitfragen für dieses Kapitel lautet, ob es Strukturveränderungen gibt, die durch besondere Legitimierung gezielt spezifische Merkmale der Person für die Mitgliedschaft bedeutsam machen. Findet eine Verschiebung der Grenzziehung statt, die bestimmte persönliche Merkmale von der Seite dessen, was persönlich ist, auf die dienstliche Seite verschiebt? In sehr engem zeitlichen Zusammenhang mit der großen globalen Umstrukturierung wurde 1994 ein Programm eingeführt, das dezidiert auf personale Merkmale von Mitgliedern Bezug nimmt und kategoriale Mitgliedschaften markiert, die gewöhnlicherweise nicht für die Mitgliedschaft in einer Organisation bedeutsam sein sollen. Das Programm wird in den Veröffentlichungen der deutschsprachigen Mitarbeiterzeitung Ford Report in direkten Zusammenhang zu Ford 2000 gebracht. »Diversity« ist der Name für ein personalpolitisches Programm, das an allen Standorten von Ford durchgeführt und strukturell etabliert wird. Es wird anders als die globalisierten Strukturen der Produktherstellung an die nationalen und loka-

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114 | Diversity in Action len Bedingungen angepasst. Diversity wird als eine dauerhafte Maßnahme für die Unternehmenskultur beschrieben und in die Leitsätze des Unternehmens eingeschrieben. Es wird zu Beginn als ein personalpolitisches Konzept etabliert, das jedoch nicht nur die Mitarbeiter als Human-Resource strukturell fokussiert, sondern auch auf Märkte, Kunden und Zulieferer ausgeweitet wird. Aufgenommen als Unternehmenskulturprinzip, wird mit Diversity die personale Heterogenität der Mitarbeiter als Wettbewerbsvorteil für das Unternehmen bewertet. In einem Schreiben an alle Mitarbeiter am deutschen Standort erklärt der Director Human-Resource der Ford-Werke in Europa die Bedeutung von Diversity: Diversity – das bedeutet Vielfalt, Unterschiedlichkeit, Individualität. Bei Ford gehören sie zur Unternehmenskultur. In unserem Unternehmen sind Menschen aus 54 Nationen beschäftigt, Fertigungsspezialisten und Entwicklungsexperten, Ingenieure und Werbefachleute, Automobilmechaniker und Köche. Männer und Frauen, jüngere und ältere Mitarbeiter, Behinderte und Nicht-Behinderte, so bunt wie die Welt ist auch die Welt, in der wir arbeiten. (Auszug aus einem Mitarbeiterbrief des Director Human Resource, Ford Werke AG, 1999)

Diversity als ein personalpolitisches Konzept fokussiert auf spezifische personale Unterschiede, die bisher für die dienstliche Seite der Mitgliedschaftsrolle keine Beachtung finden sollten. Personenmerkmale werden als Ressource für die Autoentwicklung und die Effizienz des Unternehmens, für dessen Erfolg beim Absatz der Autos qualifiziert. Ich stelle zunächst Diversity kurz in seinem Entstehungskonzept vor, um dann die konkreten Maßnahmen, die innerhalb von Ford durchgeführt wurden, zu skizzieren. Anschließend arbeite ich die mit dem Programm verbundenen Erwartungen heraus.

2.2.1 Entstehungskontext und Konzepte des Managing Diversity Managing Diversity ist in den USA entwickelt worden. Anders als frühere Antidiskriminierungskonzepte und Gleichstellungskonzepte hat es keine direkte gesetzliche Grundlage. Mehrheitlich bestätigt jedoch die Forschungsliteratur, dass die USA die kulturelle Grundlage für dieses Konzept bieten: Als Einwanderungsland, das aus einer Vielzahl unterschiedlicher Ethnien besteht, sind sie mit ihrer Ideologie des American Way Of Life die kulturelle Basis für ein Managing-Diversity-Konzept in Organisationen. Es setzt bei der Leistung des Individuums an, ist eine freiwillige Verpflichtung des Unternehmens und wird ökonomisch legitimiert (Blom/Meier 2002; Koall 2002; Krell 1996). Seit den 60er Jahren werden in den USA gesetzli-

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che Regelungen zum fairen Umgang mit Minderheiten und ethnischen Gruppen erlassen, welche die Gruppen vor Diskriminierung schützen und in Bezug auf Chancengleichheit unterstützen sollen. Dafür wurde das Antidiskriminierungsgesetz erlassen. Seit 1971 gilt der Reverse Impact, der beschuldigte Arbeitgeber dazu zwingt, nachzuweisen, dass z.B. ihre Einstellungstests diskriminierungsfrei sind. Seit 1979 ist die Bevorzugung von Minderheiten durch den gesetzlichen Erlass Reverse Discrimination gesetzlich legitimiert. Diese Maßnahmen dienen immer dem Schutz und der Unterstützung von Minderheiten und wurden vor allem in der öffentlichen Verwaltung umgesetzt (Blom/Meier 2002; Koall 2002; Krell 1996). Um das Risiko einer Klage zu vermeiden, haben Unternehmen auf Grund der gesetzlichen Rahmenbedingungen den Anreiz, Minderheiten zu fördern bzw. nicht zu diskriminieren. In der US-amerikanischen Rechtsprechung hat die »Generalprävention« einen hohen Stellenwert, was dazu führen soll, dass Unternehmen präventiv Schutz und Förderung für Minderheiten gewähren sollen (Steppan 1999). Die finanziellen Entschädigungen, die bei Klagen anfallen, sind exorbitant hoch und gehen deutlich über eine angemessene Schadensbemessung für den Einzelnen hinaus. Daher lohnt es sich für US-amerikanische Unternehmen, in Gleichstellungskonzepte zu investieren. Managing Diversity versucht nicht, wie in den Antidiskriminierungsund Minderheitenförderungsansätzen, Chancendefizite qua Abstammung oder kategorialer Zugehörigkeit zu kompensieren (Koall 2002).20 Der Ansatz von Diversity schließt direkt an den individuellen Leistungsgedanken des American Way Of Life an: Individuelle Leistung und Ressourcennutzung werden belohnt. Er fußt erklärtermaßen in einem ökonomischen Ansatz, der die Human-Resource in all ihren Potenzialen, also in all ihrem kulturellen, sozialen Wissen nutzen will (Krell 1996: 237).21 Welche Kategorien werden in den Konzepten in den Blick genommen? Diversity wird typischerweise sehr weit definiert. In der direkten Übersetzung heißt es »Vielfalt«, und begrifflich werden zumeist alle möglichen Unterschiede zwischen Menschen, seien es visuell attribuierte oder latente Unterschiede, mit aufgenommen. Etwas begrenzter erscheint daher die Bestimmung eines renommierten Diversity-Beraters:

20 | Zu Ähnlichkeiten und Unterschieden dieses Ansatzes im Vergleich zum Konzept des Gender Mainstreaming vgl. Höher 2002: 73ff. 21 | Im deutschsprachigem Raum wird Diversity Management vielfach mit internationalem Personalmanagement synonym gesetzt (Blom/Meier 2002), aber es ist weiter gefasst, weil es mehr als nur die nationale Herkunft als kategoriale Mitgliedschaftszugehörigkeit umfasst.

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116 | Diversity in Action Diversity is the variation of social and cultural identities among people existing together in a defined employment or market setting. In this definition the phrase social and cultural identity refers to the personal affiliations with groups that research has shown to have significant influence on people’s major life experiences. These affiliations include gender, race, national origin, religion, age cohort, and work specializations, among others. Employment and market systems include churches, schools, factory work teams, industrial customers, end-use consumers, baseball teams, military units, and so on. (Cox 2001: 3f.) (Hervorhebung im Text)

Die geographische Weite kann zwischen lokalen, regionalen, nationalen und globalen Settings variieren. Es geht somit nicht um alle Unterschiede, die in der Gesellschaft in den verschiedenen Systemen eine Rolle spielen, sondern nur um solche, die in einem »defined setting«, also in Arbeitsverhältnissen und in bestimmten Märkten Relevanz besitzen. Es werden nicht alle personalen und individuellen Merkmale relevant gemacht, und dennoch ist Diversity nicht auf bestimmte Gruppen festgelegt. Je nach Land oder Organisation können die Personenmerkmale unterschiedlich gesetzt werden. Das Versprechen des Diversity-Management-Konzeptes ist es, mehr Effektivität und Produktivität für das Unternehmen zu erzeugen, als eine homogene Organisationskultur und Mitarbeiterzusammensetzung dies leisten kann.22 Als personalpolitisches Konzept in einem Unternehmen will Managing Diversity diejenigen Unterschiede, die im Arbeitsalltag relevant sind, als positive Unterschiede wertschätzen. Legitimiert wird diese neue Strategie durch ökonomische Wettbewerbsvorteile, die damit einhergehen sollen. Insbesondere von den Diversity-Beratern werden diese Wettbewerbsvorteile hervorgehoben (Arentz/Hansen 2002; Höher 2002; Krell 1996: 340): Die Kosten sänken, da ein besseres Arbeitsklima und eine günstigere Umgebung zu geringerer Personalfluktuation führten. Das Personalmarketing finde besseres Personal, da sich gute Arbeitsbedingungen unter Arbeitsnehmern herumsprächen und sich damit unter den Bewerbern High Potentials befänden. In den USA bewerten Rating-Agenturen Unternehmen nach sozialen Kriterien, und in einem Aktienindex werden besonders sozia22 | In den 80er Jahren wurde ein sehr monolithisches Leitbild in der Organisationsberatung vertreten, das Unternehmen wie eine Familie oder einen Clan modellierte (Ouchi 1981). Eine »verschworene Betriebsgemeinschaft« (Krell 1996: 335) wurde propagiert, in der Mitglieder danach ausgesucht wurden, ob sie im Sinne einer kulturellen Gleichheit zueinander passen. Damit wurde sehr stark die Förderung und Einstellung von weißen Männern aus bestimmten Schichten unterstützt. Für Forschungen zu den Stärken und Schwächen dieses Ansatzes vgl. Krell 1996 und Schreyögg 1989.

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le Unternehmen gelistet (Steppan 1999). In Deutschland wird mit dem EQuality-Preis eine Bewertung der Familienfreundlichkeit von Unternehmen eingeführt. Weitere Erwartungen beziehen sich auf die Hetergenität der Teams. Dort steige die Kreativität sowie die Problemlösungskompetenz an. Insgesamt erhöhe sich die Flexibilität des Unternehmens als System, was als ein Vorteil in den sich schnell verändernden Märkten angesehen wird. Die zunehmende Internationalisierung von Unternehmen, von Märkten und die kulturelle Differenzierung der Kunden werden als weiteres Argument für Managing Diversity herangezogen (Höher 2002: 54). Die Ansätze des Diversity Management werden mit verschiedenen Instrumenten und Konzepten in Unternehmen umzusetzen versucht.23 Meist wird Managing Diversity als ein langfristiger Entwicklungsprozess in einem Unternehmen betrachtet, der in verschiedenen Stufen abläuft und ein Bündel an Maßnahmen umfasst: das Personalmanagement, die Organisationsentwicklung in Bezug auf Abteilungen, Arbeitsgestaltung, Entscheidungs- und Kommunikationsstrukturen, die Unternehmenspräsentation nach außen und das Marketing (Höher 2002: 56).24 Nach Krell umfasst Managing Diversity ein Maßnahmenbündel, das darauf zielt, eine multikulturelle Organisation zu erreichen, in der alle Beschäftigten vollständig integriert sind, d.h. auf allen Ebenen repräsentiert sind, und sich gleichermaßen mit der Organisation »identifizieren« (Krell 2000).25 Berater haben verschiedene Prozesse und Instrumente entwickelt, um zu bestimmen, wo ein Unternehmen steht und wie es von einer monokulturellen zu einer multikulturellen Organisation gesteuert werden kann (Cox 1994: 45f.). Ich werde im Folgenden die Maßnahmen vorstellen, welche innerhalb von Ford stattgefunden haben, um Diversity als ein Unternehmenskonzept zu implementieren. 23 | In der sozialwissenschaftlichen Forschung zu Diversity werden drei verschiedene Konzepte unterschieden: erstens der Diskriminierungs- und Fairnessansatz, zweitens das Legitimations- und Zugangskonzept und drittens der integrierte Ansatz. Vgl. hierzu weiterführend Arentz/Hansen 2002; Höher 2002; Koall 2002. 24 | Zu den Entwicklungslinien des Konzeptes, das in der Forschungsliteratur beobachtet wird, vgl. Koall 2002. 25 | Je nach Ansatz werden die Begriffe von inter-, multi- und transkulturell unterschiedlich gefüllt, vgl. Höher 2002: 59 und wiederum anders Blom/Meier 2002. Die jeweilige Füllung der Begriffe unterscheiden Typen von Organisationen, in denen Mitgliedschaftskategorien unterschiedlich strukturell erzeugt und in Interaktionen bewertet werden. Für ausgearbeitete Beratungskonzepte im deutschsprachigen Raum vgl. Koall 2002, sowie die Firmenangebote von »Mitte Consult« aus Berlin, »UngleichBESSER« aus Köln und »DiVersion« (mit Gender-Schwerpunkt) aus Dortmund.

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2.2.2 Diversity-Maßnahmen bei Ford26 Welche Maßnahmen hat Ford als Diversity umgesetzt, und wie wird hier Diversity konkret legitimiert? Ford ist im deutschsprachigen Raum eines der ersten Unternehmen, die ein Diversity-Programm entwickelt und durchgeführt haben.27 Diversity ist, wie auch die globalen Strukturierungsmaßnahmen bei Ford, zunächst eine Top-down-Maßnahme, die vom obersten Management ausgeht. Im März 1994 wird ein Executive Committee eingerichtet, das sich aus Mitgliedern des obersten Managements aller Bereiche zusammensetzt, um weltweit Diversity-Strategien für das Unternehmen zu entwickeln.28 1996 wird vom Personalvorstand der Ford Werke AG ein Deutsches Diversity Council initiiert (Ford 2002: 7). Der deutsche Rat, der aus freiwilligen Mitgliedern besteht, einigt sich über das Verständnis von Diversity, das am deutschen Standort gelten soll. Diversity bedeutet Vielfalt, Vielfältigkeit, Verschiedenartigkeit und schließt alle Unterschiede ein, die wir als Individuen in das Arbeitsleben einbringen. Unterschiede, die unsere Individualität ausmachen, sind zum Beispiel: Alter, Nationalität und Kultur, Behinderung, Religion, Ansichten und persönliche Werte, soziale, ethnische und geographische Herkunft. (Ford Werke AG 1997)

Um das Konzept zunächst bekannt zu machen, wird eine Broschüre entwickelt, die Diversity 1997 in deutscher, englischer und türkischer Sprache den Mitarbeitern vorstellt. Gemeinsame Intranetseiten werden für die europäischen Standorte zum Themenfeld entwickelt. Als zweite zentrale Maßnahme wird ein Awareness-Training konzeptioniert und zunächst, wie die Beratungsliteratur empfiehlt, im hohen Management durchgeführt. Innerhalb von drei Jahren (1997-1999) wird die 26 | Die vorgestellten Maßnahmen sind in einem Interview mit zuständigen Mitarbeitern im deutschen Diversity Council benannt worden. Darüber hinaus beziehe ich mich auf eine Präsentation der Diversity-Managerin Wilma Borghoff, die 2002 in einer Veranstaltung der Stiftung der Deutschen Wirtschaft die Initiativen und Maßnahmen von Ford vorstellte und mir die Präsentation freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat, und ich greife auf öffentliche Informationen, die im Internet zugänglich sind, zurück. 27 | In Deutschland sind Diversity-Maßnahmen nur in großen Unternehmen durchgeführt worden, wie beispielsweise bei Deutsche Telekom, Siemens, Daimler/ Chrysler, Lufthansa, Avon und anderen. 28 | Das Komitee besteht auch unter der neuen Unternehmensführung weiter als »Excecutive Council on Diversity and Worklife«; vgl. Ford, 2001: www:fordglobe. org/2001/02/27fcn/Embracing Diversity.html (13.02.2002).

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ganze Belegschaft im Angestelltenverhältnis in vierstündigen Maßnahmen geschult. Die Trainer dafür kommen aus den eigenen Reihen, den funktionalen Bereichen. In diesen werden so genannte Champions benannt, die für die Leitung und Betreuung von Diversity-Maßnahmen in ihrem funktionalen Bereich zuständig sind. Aus diesen Bereichen werden dann wiederum Mitarbeiter in Schulungen zu Diversity-Trainern ausgebildet. Diese Awareness-Trainings haben zum Ziel, für die Mitarbeiter zu klären, warum Ford Diversity fördert und welcher Nutzen dahinter steht, sowie nächste Schritte für persönliche Diversity-Initiativen zu entwickeln (Berghoff 2002). In den Seminaren wird versucht, den Mitarbeitern die Erfahrung nahe zu bringen, wie es ist, einer Minderheit anzugehören und über die eigenen Beurteilungskriterien zu reflektieren. Eine Übung, die auf den Seminaren angewendet wird, um dies nachvollziehbar zu machen, ist die so genannte Splitting-Übung oder das Diversity Shuttle, die Plett (2002) benutzt: Alle TeilnehmerInnen stehen auf einer Seite des Raums. Die TrainerIn führt in die Übung ein: ›Ich werde gleich Unterscheidungen von Menschen ausrufen. Ich werde sagen: ›alle, die … sind, gehen bitte auf die andere Seite.‹ Überlegen Sie, ob auf Sie diese Beschreibung zutrifft. Ist dies der Fall, entscheiden Sie, ob Sie dies dadurch zeigen wollen, dass Sie der Aufforderung nachkommen. Das muss nicht sein! Es ist Ihre Entscheidung. Es kommt nicht darauf an, was Sie tun, sondern eher darauf an, was sie empfinden. Sind Sie auf die andere Seite gegangen, sage ich zu allen: ›Schauen Sie sich um, wer mit Ihnen auf Ihrer Seite steht. Schauen Sie, wer auf der anderen Seite steht.‹ […] Ich beginne meist mit der Kategorie ›Frauen‹ und entscheide nach der Zusammensetzung der Gruppe, was hinzukommt. Kategorien sind z.B. aus einer Arbeiterfamilie, aus einer kinderreichen Familie, nicht aus einer deutschen Familie, Jude/Jüdin, Homosexuelle, Alleinerziehende, Zusammenleben mit Schwarzen usw. Heute würde ich hinzufügen: aus der ehemaligen DDR/den neuen Bundesländern . […] Auch wenn niemand bei einer bestimmten Kategorie auf die andere Seite geht, zeigt sich etwas: Entweder fehlen diese Menschen unter uns, wie jüdische Deutsche, oder es ist in der Gruppe nicht möglich, die Zugehörigkeit offen zu zeigen. (Plett 2002: 100)

In dieser Übung werden organisationsexterne Rollenverpflichtungen der Mitglieder, also religiöse, familiäre, sexuelle etc., mitgeteilt und zum Thema der Kommunikation. Einige dieser Kategorien sind visuell offensichtlich, für andere bedarf es zusätzlichen Wissens über die personale Seite eines Mitglieds, die gewöhnlich nur bei längerem privaten Kontakt mitgeteilt wird. Welche externen Rollenverpflichtungen in den jeweiligen Ford-Trainings relevant gemacht werden, ist mir im Detail nicht bekannt. Sehr wahrscheinlich ist jedoch, dass je nach Bereich und Funktionsgruppe spezifische

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120 | Diversity in Action Kategorien hinzugenommen und variiert werden. So zum Beispiel wird man in der Personalabteilung mit »Männern« beginnen, die dort zahlenmäßig eine Minderheit darstellen. In vielen anderen Bereichen werden wahrscheinlich verfeinerte nationale Kategorien, die Elternschaft, der Kontakt zu Behinderten und die Einbindung in nichtchristliche Religionsgemeinschaften thematisiert.29 Diese Awareness-Übungen haben zum Ziel, das Verhalten und die Wahrnehmung dahingehend zu schulen, dass sich die Mitglieder als Träger unterschiedlicher kultureller Hintergründe wahrnehmen und diese positiv bewerten. In den Seminaren werden Beispiele aufgeführt, warum kulturelle und biographische Vielfalt für den Entwicklungsprozess und den Verkauf, also die alltägliche Arbeit in der Firma von Vorteil ist. In einem Interview nannte mir eine Diversity-Trainerin das Beispiel, dass der Autoname KA aus der ägyptischen Mythologie stamme und von einer Mitarbeiterin eingebracht worden sei, die Ägyptologie studiert habe. Ein Manager, der für Diversity in seiner Abteilung zuständig war, erklärte mir den Vorteil, den Frauen bzw. Mütter darstellen. Er erklärte, dass 80 Prozent der Kaufentscheidungen für ein Auto von Frauen getroffen werden. Diversity sei eine Form der »customer-orientation«. Wenn man z.B. mit seiner Familie eine lange Strecke im Auto fährt und die Kinder glücklicherweise hinten eingeschlafen seien, würden sie durch das recht grelle automatische Türlicht beim Aussteigen wieder wach und fingen an zu schreien. Weil Frauen solche Mechanismen kennen und darauf achten, müsse man sie ganz explizit in den Entwicklungsprozess einbeziehen und sie auf Vorschläge hin befragen. Sie hätten jetzt für ein »mum car« einen Dimmer entworfen, der nicht mehr so stark strahle.30 Diversity ist, so geht aus den geführten Interviews hervor, jedoch nicht ausschließlich eine Top-down-Maßnahme, sondern stützt sich auf viel Engagement einzelner Mitarbeiter, insbesondere Manager. Durch deren Initiative sind in vielen Bereichen funktionale Councils und das deutsche Council sowie einzelne themenspezifische Initiativen entstanden. Die geographische Weite im Verbund ist zwischen nationalen, europäischen und

29 | Vgl. für weitere Übungen und Elemente für Diversity-Awareness-Trainings und Verhaltensschulungen Höher 2002: 84ff. 30 | Dieses Diversity-Beispiel des Managers kann man als Bestätigung von Weinbachs These sehen, dass Frauen in Arbeitskontexten auf externe stereotype Rollenverpflichtungen (»Haus und Heim«) hin wahrgenommen werden (Weinbach 2003). Im Konzept von Diversity geschieht dies jedoch nicht implizit in der Interaktion. Sondern dieser stereotype Schematismus wird explizit als Ressource offiziell thematisiert. Ich werde diesen Zusammenhang im Ausblick der Arbeit diskutieren.

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globalen Zusammenschlüssen frei wählbar. Ich möchte kurz für den deutschen Standort die thematische Breite der Initiativen und die Mitgliedschaftsklassen der so genannten Resource Groups abstecken: Ford-PänzKindergarten, die Initiative FIT (Frauen in technischen Berufen) in Kooperation mit Schulen, »40 Jahre Migration aus der Türkei nach Deutschland«, Veranstaltungen und eine Betriebsvereinbarung zum partnerschaftlichen Verhalten am Arbeitsplatz, die 2002 in Kraft getreten ist (gegen Mobbing) (Ford 2002: 7). Darüber hinaus arbeiten nationale, europäische und globale Mitarbeitergruppen, die so genannten Employee Resource Groups, wie z.B. das WEP (Women’s Engineering Panel), das an den Hochschulen junge Frauen für den Ingenieurinnenberuf zu gewinnen versucht. Die Gruppe der IT Women in Leadership versteht sich als Interessensgruppe von Frauen im IT-Bereich, die Lobbyarbeit an den Standorten in den USA, England und Deutschland betreibt. Die Turkish Resource Groups sprechen gezielt türkische Mitarbeiter und Kunden an und sensibilisieren in der Stellenbesetzung für Diversity. Plus 50 ist eine Gruppe, in der thematisch daran gearbeitet wird, wie eine Karriere im Alter von über 50 möglich ist, und Globe – Gay, Lesbian or Bisexual Employees wirbt für Toleranz für andere Lebensformen. Andere Netzwerke sind die Ford African Ancestry Network Europe und Ford Asian Association (Ford 2002: 8-14).31 Die letzte strukturelle Maßnahme bezieht sich direkt auf Stellen und die Stellenbesetzung in der Organisation. Im Jahr 2001 werden Stellen eingerichtet, die hauptamtlich für das Thema Diversity zuständig sind: die Position des Diversity Managers in Deutschland, die des Europäischen Beauftragten für Diversity. Diese Stellen unterstehen direkt dem Chef von Ford of Europe, und damit der unmittelbaren Spitze der Europäischen Unternehmensleitung.32 Zudem wird als Top-down-Maßnahme bestimmt, wie viele Stellen von bestimmten Diversity-Gruppen, je nach funktionalem Bereich und Position, besetzt werden sollen. Seit der Einführung von Diversity sollen die personalzuständigen Managementmitglieder auch diese Diversity-

31 | An den amerikanischen Standorten gibt es darüber hinaus verschiedene Mitarbeitergruppen, die bestimmten ethnischen Minderheiten angehören: z.B. Hispanic Network Group, Ford Chinese Association etc. sowie Mitarbeitergruppen, die für religiöse Toleranz werben. Vgl. Ford, 2003: Careeres, www.careeres.ford.com/ ONTHETEAM.ASP?CIP=15 (14.03.2003). 32 | Ab 2001 werden jährlich Preise gestiftet, mit denen Ford-Mitarbeiter ausgezeichnet werden, »die sich beispielhaft um die Weiterentwicklung von Vielfalt und das Miteinander der Kulturen im Unternehmen verdient gemacht haben und den Diversity-Gedanken über ihren persönlichen Arbeitsbereich hinaus leben« (Ford 2002: 22).

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122 | Diversity in Action Zahlen erfüllen. Sie nehmen Diversity-Zahlen in ihre Jahreszielvereinbarung mit auf.33 Je nachdem, welcher Prozentsatz der verschiedenen Zielvereinbarungen erreicht wurde, wird dann die Bonushöhe bestimmt, die ein Manager im Jahr erhalten wird. Diese Diversity-Zielvereinbarungen betreffen Stellen, aber auch Trainingsmaßnahmen in der Belegschaft. Each individual function/organization is responsible for developing plans to achieve ›equitable representation‹ at each salary band/roll level in their own function/organization. (Ford Dearborn, Intranet 2001)

Es gibt bei Einstellungen oder internen Positionsbesetzungen daher konkrete Vorstellungen darüber, welche Diversity-Kategorien in diesem Bereich von Bedeutung sind. Die Zielvereinbarungen in Bezug auf Stellen, die auch an der Spitze des Unternehmens für das gesamte Unternehmen auf mehrere Jahre entwickelt werden, werden als »Visionen« bezeichnet. Im Gegensatz zu einer festen Quote determinieren diese Diversity-Zahlen nicht per se die Einstellungspraxis, lenken jedoch den Blick auf bestimmte personale Kategorien bei den Bewerbern. Durch das Einschreiben von Diversity in die Unternehmensleitsätze, die Trainingsmaßnahmen, die Etablierung von Councils und lokalen Initiativen sowie die Zielsetzungen für die Stellenbesetzungen wird auf verschiedenen Ebenen der Organisation Diversity in die Selbstbeobachtung und auch Selbstbeschreibung des Unternehmens eingebaut. Ich werde im Folgenden genauer explizieren, welche Erwartungen sich an die Mitglieder richten und wie diese Erwartungsänderungen, die sich auf die Mitgliedschaftsrolle beziehen, offiziell legitimiert werden.

2.2.3 Erwartungen an Mitglieder: die Grenze zwischen Dienstlichem und Persönlichem Ich werde im Folgenden die strukturelle Veränderung durch Diversity auf den theoretischen Rahmen beziehen, um einerseits genau herauszuarbeiten, welche Erwartungen an die Mitglieder gestellt werden, und andererseits zu lokalisieren, worin die Veränderung in Bezug auf die Mitgliedschaftsrolle besteht. Um den theoretischen Rahmen wieder aufzugreifen, möchte ich aus dem Theoriekapitel in Erinnerung rufen, dass die Mitgliedschaftsrolle das Dienstliche vom Persönlichen trennt (Luhmann 1964: 42). Sie trennt und 33 | Allgemeine Zielvereinbarungen werden einmal jährlich von jedem Manager mit seinem Vorgesetzten vereinbart und können Bereiche wie Absatzzahlen, Entwicklungszahlen und Kosten etc. betreffen.

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verbindet die Stelle und die Person. Die Mitglieder stellen sich auf den Unterschied von »persönlich« und »dienstlich« ein. Elternschaft, religiöse Verpflichtungen, sexuelle Neigungen, nationale Herkunft sind in der traditionellen Trennung der Mitgliedschaftsrolle eindeutig dem persönlichen Bereich zugeordnet und vom Dienstlichen zu trennen. Diversity ändert dies: Vormals Persönliches wird nun zur Dienstpflicht. Die Mitgliedschaftsrolle wird auf der dienstlichen Seite mit Erwartungen aus dem personalen Bereich angereichert, und damit wird eine neue Grenzlinie zwischen dem Dienstlichen und Persönlichen gezogen. Mitglieder sollen ihr Wissen als Mütter einbringen, wie es im Beispiel des Mum Car deutlich wurde. Mitglieder sollen als Türken, als Briten, als Amerikaner und als Deutsche nationalkulturelles Wissen für die Entwicklung der Autos und den kundenspezifischen Absatz einbringen. Mitglieder sollen organisiert in Resource Groups als Homosexuelle Wissen über die ästhetischen und politischen Bedürfnisse dieser Gruppe vermitteln. Diese Anforderungen sind zwar keine fixen Mitgliedschaftspflichten, die bei Nichterfüllung zum Ende der Mitgliedschaft führen, jedoch ist die Erfüllung eines diskriminierungsfreien Umgangs eine Mitgliedschaftspflicht, der unbedingt nachzukommen ist.34 Jenseits dieser normativen Erwartungen werden personale Merkmale für die Stellenbesetzungen relevant gemacht. Diese sind vor allem die ethnische und nationale Herkunft, das Geschlecht und die Religionszugehörigkeit. In den Mitarbeiter-Initiativen werden noch Homosexualität, Alter und Behinderung sowie die Elternschaft (Work Life Balance) als relevante Kategorien verstärkt. Je nach Standort thematisieren die Resource Groups, wie ich gezeigt habe, unterschiedliche personale Merkmale. Auf die Erwartungszusammenhänge in der Interaktion sind die Maßnahmen zur Awareness angesiedelt. Stereotypen, Schemata und Vorurteile, die sich auf Minderheiten im Unternehmen beziehen, sollen bewusst gemacht und verändert werden. Da die Interagierenden auch Entscheidungsträger auf Stellen sind, wird eine Kopplung zwischen Wahrnehmungsschulung und Einstellungs- und Entscheidungspraxis der Organisation angenommen. Die Trainingsprogramme zielen auf eine Reflexion über Kategorisierungs- und Stereotypisierungsprozesse von Individuen sowie auf das Nachempfinden des Gefühls, »anders zu sein als die Mehrheit« (vgl. Splitting-Übung, siehe oben) (Höher 2002: 88f.). Erwartet werden ein fairer 34 | Bei wiederholt diskriminierenden Äußerungen, die sich auf Geschlecht, Rasse, Behinderung, Religion etc. beziehen, sei es in Mails oder im Face-To-FaceUmgang, kann dies zum Verlust der »Mitgliedschaft« führen. Der diskriminierungsfreie Umgang mit Kollegen und Kolleginnen ist Bestandteil der formalen Mitgliedschaftsrolle.

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124 | Diversity in Action Umgang, eine tolerante und offene Haltung gegenüber Minderheiten und ein kultursensibler Umgang, der zu einem produktiveren Umgang in den Teams führen soll.35 Durch die Zielvereinbarungen, wie ich sie im vorhergehenden Kapitel vorgestellt habe, und auch durch Stellen, die als einzige Aufgabe die Thematisierung und Bearbeitung von Diversity in der Organisation erhalten (z.B. European Manager of Diversity etc.), wird Diversity mit den spezifischen personalen Merkmalen, auf das es ausgerichtet ist, in der Organisationskommunikation als eine Entscheidungsprämisse etabliert. Über die Richtigkeit von Diversity wird nicht mehr innerhalb der Organisationsentscheidungen verhandelt, lediglich über die Art der Maßnahmen. In Bezug auf Personaleinsatz, Stellenbesetzung und Beförderung normieren die Maßnahmen der Diversity. Von Führungskräften, also Stelleninhabern mit Personalverantwortung, wird erwartet, dass sie bei Beförderung und Einstellung die Diversity-Zahlen erhöhen und Maßnahmen zur Sensibilisierung ihrer Mitarbeiter in ihrer Abteilung durchführen. Das Verhalten der Vorgesetzten wiederum wird durch die firmeneigene Mitarbeiterbefragung in Bezug auf Diversity beobachtet und beschrieben. Die Metrics-Zahlen, die bestimmen, wie die Diversity-Zusammensetzung der Mitglieder in der Zukunft aussehen sollen, sind jedoch keine Regeln, die wie eine Quote funktionieren. Sie schreiben kein richtiges Verhalten vor, z.B. dass der türkische Bewerber der deutschen Bewerberin oder einem männlichen Kollegen vorzuziehen ist. Die Diversity-Maßnahmen fokussieren die Kommunikation auf bestimmte Merkmale der Stelleninhaber. Vor der Einführung von Diversity galten diese als rein persönliche Merkmale der Mitglieder. Dieser Rekurs innerhalb der Organisation auf personale Merkmale muss, wie Luhmann (1964) postuliert, durch besondere Legitimationen, d.h. durch eine sachliche Begründung, abgesichert sein. Wie wird diese Veränderung von Ford legitimiert? In der Mitarbeiterzeitung, in öffentlichen Vorträgen vor potenziellen Bewerbern von Universitäten und Stiftungen wird vor allem eine ökonomische Legitimationsstrategie vorgestellt, die den so genannten, schon mehrfach erwähnten Business Case von Diversity besonders hervorhebt. Dabei wird häufig ein direkter Zusammenhang zwi35 | Zur Darstellung von Übungen vgl. Höher 2002: 89ff. Krell führt aus, dass die Erfolgskontrolle der Diversity-Trainings »sträflich vernachlässigt« wird. Es müssten Messungen durchgeführt werden, welche die Veränderungen im Umgang der Mitarbeiter messen, also in Bezug auf Neueinstellungen, Beurteilung und Beförderung sowie in Bezug auf die Produktivität der Teams. Dass dies nur schwer bei so »weichen Methoden« zu leisten ist, wird jedoch auch kritisch angemerkt (Emmerich/ Krell 2001: 341).

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schen dem Faktum, dass das Unternehmen unter Ford 2000 global operiert, und der Diversity-Maßnahme hergestellt. In den nächsten Jahren, so stellen die Vorträge und die Intranetseiten zu Diversity im Unternehmen fest, werde das Bevölkerungswachstum auf der Welt zu 90 Prozent in Asien, Afrika und Lateinamerika stattfinden, die Kaufkraft von Minderheiten steige signifikant an, und die Altersstruktur in der europäischen Gesellschaft verändere sich. Die Migration habe bereits zu einer Pluralisierung der Bevölkerung geführt, Frauen drängten verstärkt in die Erwerbsarbeit, die Toleranz für Homosexuelle in der Gesellschaft werde weiter zunehmen, Glaubensvorstellungen in der Gesellschaft heterogener werden (Bong 2000). Dieses soziologische und bevölkerungswissenschaftliche Wissen wird vom Unternehmen als relevante Umweltveränderung diagnostiziert, auf die es reagieren müsse, weil sich damit gravierend die Kundenstruktur des Unternehmens ändere. Beispielsweise wird festgestellt, dass der typische Kunde in der deutschen Automobilindustrie ein Ausländer sei (Bong 2000). Der zweite Legitimationsstrang bezieht sich auf die globale Produktion und Entwicklung, die mit Ford 2000 eingeführt wurde. Hier wird konstatiert, dass sich Mitarbeiter in den Kulturen anderer Länder bzw. in den kulturell differenzierten Kundenwünschen auskennen müssen. Sie arbeiten sowohl für Kunden anderer Nationalitäten als auch vielfach für die neuen Märkte in Asien, Lateinamerika und Osteuropa. Mitgliedern im Unternehmen, die einen von der Mehrheit abweichenden kulturellen Hintergrund besitzen, und hier werden häufig die nationalen und ethnischen Unterschiede benannt, wird ein vermarktungs- und entwicklungsrelevantes Wissen zugeschrieben. Untermauert wird die ökonomisch ausgerichtete Argumentation mit wissenschaftlichen Studien, die belegen, dass Kreativität, Problemlösungsfähigkeit und Produktivität in heterogenen Teams zunehmen.36 Zusammenfassend ausgedrückt, wird von der Organisation ein veränderter Markt und ein kulturell veränderter Kundenstamm diagnostiziert. Der Rezeptvorschlag des Diversity Managements ist eine multikulturelle Belegschaft, in der das Wissen als persönliche Anteile funktional effizient gemacht werden soll (Koall 2002).

36 | In der deutschsprachigen Mitarbeiterzeitung werden vor allem aus der Mitarbeiterperspektive Vorteile, die mit dem Diversity Management einhergehen, hervorgehoben, wie z.B. die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die gestiegene Zufriedenheit der Mitarbeiter, es wird aber auch auf den Zusammenhang von Wettbewerbsfähigkeit verwiesen.

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126 | Diversity in Action Exkurs: Rationalität durch Legitimität Eine alternative kritische Erklärungsperspektive für die strukturellen Veränderungen durch Diversity, welche insbesondere Veränderungen in der Umwelt von Organisationen und deren Auswirkungen auf die Organisationen betrachtet, bietet der Neoinstitutionalismus. Durch ihn lassen sich die Maßnahmen der Diversity als die Etablierung eines »Mythos« (Meyer/Rowan) beschreiben: der des fairen globalen Unternehmens. Mittels formaler Strukturen, so eine Kernaussage des Neoinstitutionalismus (Meyer/Rowan 1977), werden gerade nicht Effizienzprobleme gelöst, sondern »Mythen« aus der Umwelt der Organisation aufgegriffen und zeremoniell zur Geltung gebracht. Organisationen, die in ihren formalen Strukturen gesellschaftlich legitimierte und als rational erachtete Elemente aufnehmen, erhöhen ihre Legitimität. Legitimität meint, dass es kulturell bedingt gute Gründe und Rationalisierungen für die Existenz von bestimmten Organisationsstrukturen gibt. Der Neoinstitutionalismus hat die Zweifel gegen die lange Zeit vorherrschende Rationalitätsannahme in den Organisationstheorien stark gemacht. Das zentrale Argument von Meyer/Rowan ist, dass gesellschaftliche Handlungsorientierung in Organisationen repräsentiert wird, und nicht so sehr, dass Organisationen ihnen tatsächlich folgen (Missen 2001). Missen wendet den Neoinstitutionalismus zur Analyse der Gruppenarbeit in Unternehmen an. Gruppenarbeit, so zeigt er, ist eine Form der Darstellung des Unternehmens als moderne Organisation, die aber innerhalb der Organisation mehr als Konzept denn vollständig als Strukturänderung umgesetzt wird. Gruppenarbeit ist ein Symbol für Modernität, das mit Rationalität assoziiert wird. Analog dazu lässt sich mittels des Neoinstitutionalismus untermauern, dass Diversity eine Maßnahme ist, die auf die gesellschaftlich relevanten Mythen bzw. Vorstellungen der Fairness und der Chancengleichheit im Zusammenleben und Zusammenarbeiten zurückgreift. Die gesellschaftlichen Mythen für Diversity stammen dabei aus dem gesellschaftlichen Umfeld der USA: Als Einwanderungsland, das aus einer Vielzahl unterschiedlicher Ethnien besteht, setzt es an den Leistungen, die von Individuen erbracht werden, an. Durch die Verbindung zu globaler Produktion und globalem Absatz, dem kulturell differenzierten Kundenstamm, wird die Einführung von Diversity als eine rationale Maßnahme kommuniziert, die dem Unternehmen weltweit Wettbewerbsvorteile bringt. Damit kann sich das Unternehmen als modern und fair präsentieren und seine Legitimität sowohl intern als auch in Bezug auf seine Umwelt erhöhen. Unternehmen sehen in solchen Imagegewinnen und der Personalrekrutierung den besonderen Nutzen von Diversity (Ivanova und Hauck 2003; Europäische Kommission 2003). Zudem bescheinigen Beratungsfirmen den Diversity-Programmen eine lose

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Kopplung zwischen den Konzepten, die in den Imagebroschüren der Unternehmen benannt werden, und der internen Umsetzung von Diversity Maßnahmen in Strukturen, Projekten und Mitarbeiterzusammensetzungen (Synetz 2004). Aus systemtheoretischer Sicht kann man die mit dem Diversity Management einhergehende Stellenpolitik des Unternehmens auch als Ausdruck seines Selbstverständnisses betrachten (Weinbach/Stichweh 2001: 43). Die Maßnahmen des Diversity Managements reflektieren das Verhältnis von Stelle/Person, und damit die Mitgliedschaftsrolle. Die Mitgliedschaftsrollen symbolisieren als Einheit von organisationsinternen und -externen Rollenverpflichtungen die Grenze des Systems. Die Organisation definiert dieses Verhältnis selbst, sie ist somit in der Lage, sowohl Personalpolitik im Hinblick auf die Stellenbesetzung als auch den Zuschnitt der Stellen – z.B. im Rahmen von Frauenförderprogrammen – gezielt, nämlich durch Reflexion auf den Umgang mit der System/Umwelt-Unterscheidung zu verändern. (Weinbach/Stichweh 2001: 42)

Diversity wird für die Außendarstellung und Abgrenzung zu anderen Organisationen des gleichen Typs, also Zulieferunternehmen und Konkurrenten in der Automobilindustrie verwendet.37 So, wie die Deutsche Telekom sich durch Frauenförderprogramme wie E-Quality als modernes und innovatives Unternehmen präsentiert, wie Weinbach und Stichweh ausführen, bemüht sich Ford durch das Diversity Management darum, ein modernes, innovatives und faires Unternehmen zu sein. Nach innen werden durch die Etablierung von Diversity-Zahlen – d.h. die allgemeine Kategorisierung von Stelleninhabern nach Geschlecht, Nationalität und Religion –, die durch eine Statistik erhoben und sortiert werden, neue Selbstbeschreibungen entwickelt.38 Selbstbeschreibungen in Bezug auf personale Kategorien, die vormals nicht an prominenter Entscheidungsstelle beobachtet wurden. Im nächsten Kapitel soll der Frage nachgegangen werden, ob durch diese strukturellen Veränderungen der kultursensible Umgang in der organisationsbezogenen Interaktion praktiziert wird. 37 | Ein Großteil der vorgestellten Maßnahmen ist den Außendarstellungen der Unternehmen, also Pressemitteilungen, der Mitarbeiterzeitung und Vorträgen auf Bewerberveranstaltungen entnommen. 38 | Die neuen Selbstbeschreibungen werden durch das europäische Datenschutzgesetz und spezifische nationale Interpretationen, welche die Speicherung von sensiblen Mitarbeiterdaten festlegen, begrenzt. In der Diversity Studie der Europäischen Kommission von 2003 wird gerade diese Limitierung als ein Problem für Unternehmen benannt, eine zutreffende Diversity Beschreibung der Belegschaft zu erhalten

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2.3 Erwartungsveränderungen bei Ford Die vorgestellten Veränderungen in der formalen Struktur der Organisation, die Maßnahmen von Ford 2000, die Homogenisierung der Arbeitsplatzgestaltung sowie die Diversity-Maßnahmen spannen in Bezug auf Verhaltenserwartungen an ihre Mitglieder ein ambivalentes Feld auf: Einerseits sehen die Veränderungen von kulturellen Prägungen ihrer Stelleninhaber ab und modellieren Mitarbeiter als ortlose Wissensmodule, die flexibel den standardisierten Projekten zugeordnet werden, andererseits personalisieren die Maßnahmen der Diversity die Mitarbeiter als Träger von wertvollem und wertzuschätzendem kulturellem Wissen. Die Veränderungen der Entscheidungsprämissen in der projektorientierten Zentralisation, die Veränderung der Kommunikationswege in der Matrixorganisation sowie die Vereinheitlichung der Produktherstellungstakte blenden die Mitglieder der Organisation aus. Hier wird die Organisationskommunikation als transnationale, ortlose Kommunikation modelliert, in der Prozesse und Entscheidungen synchronisiert werden sollen. Diese Veränderungen transportieren dennoch für die Mitglieder der Organisation als Stelleninhaber Erwartungen: Sie modellieren einen Disnationalized Worker, der mit fremden, d.h. immer wieder neuen Projektmitarbeitern zusammenarbeiten soll. Die Kommunikation sollte mittels spezieller Medien a-national und a-kulturell geführt werden. Dies setzt eine geteilte Fachbzw. Geschäftssprache voraus. Die Veränderungen mobilisieren die Mitglieder durch Jobrotation, Dienstreisen und Auslandsaufenthalte und setzen bei diesen Bereitschaft zur räumlichen Mobilität bzw. Ortsunabhängigkeit voraus. Die Stelleninhaber werden in der produktzentrierten Matrixorganisation zu disponiblen Wissensträgern in zeitlich getakteten Projekten, den Großimpulsen der Organisation. Vom Mitarbeiter wird Flexibilität erwartet: in Bezug auf das kollegiale Umfeld wie auch in Bezug auf die fachlichen Aufgaben des jeweiligen Projektes. Primär erfolgt der Personeneinsatz in Bezug auf Projekte und nicht wie zuvor in der Organisation über die funktionale Zugehörigkeit. Strukturell werden dadurch bestimmte Mitgliedschaftsprofile wichtig: die Projektzugehörigkeit, über welche die Mitglieder jeweils ihren lokalen Arbeitsplatz erhalten, die Positionszugehörigkeit in der Klasse des Managements und der Ingenieure sowie projektspezifische Positionen als Leiter bestimmter Besprechungen. Weniger prominent, aber durch die Matrixorganisation strukturell vorgegeben, ist die funktionale Zugehörigkeit zu einem Bereich wie dem Body Engineering, Finance, oder beispielsweise Design. Nicht mehr die Zugehörigkeit zu Ford Deutschland oder Ford of Europe wird strukturell markiert, sondern die Zugehörigkeit etwa zum Zentrum für kleine und mittlere Fahrzeuge mit Sitz in England und

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Deutschland. Verstärkt wird dies durch die Entscheidung der Organisation für eine spezielle Innenarchitektur, die eine organisationseinheitliche Homogenisierung der Arbeitsplätze vorsieht. Hier werden Arbeitsplätze für a-nationale, fachunspezifische Bürokörper geschaffen. Die Körper werden nicht in einem nationalkulturell geprägten Raumgefüge, wie dies in anderen Büroarchitekturen der Fall ist, angesiedelt, sondern in einem »indifferenten« Raum (Hofbauer 2000). Die Arbeitsplätze sind indifferent, hinsichtlich der Standorte, der fachlichen Spezifikation der Mitarbeiter und der Personen, die als Mitglieder der Organisation tätig sind. Die standortunspezifische Einheitlichkeit der Architektur evoziert die Zugehörigkeit als Fordmitarbeiter. Im direkten Kontrast scheinen dazu die Diversity-Maßnahmen zu stehen, welche auf spezifische personale Merkmale der Stelleninhaber fokussieren. Kategorien bzw. Rollenverpflichtungen, die vormals eindeutig dem persönlichen Bereich eines Mitglieds zugeordnet waren wie zum Beispiel das Geschlecht, die nationale Zugehörigkeit, die Religion, die sexuelle Präferenz, werden nun in den Bereich des Dienstlichen gerückt. Die Einführung von Diversity als Leitbild in der Unternehmenskultur stellt für die Organisationskommunikation Ausschnitte des Stelleninhabers als Person bereit, die in den anderen Strukturen der globalen Organisation gerade ausgeblendet werden. Während Ford 2000 eine störungsfreie a-nationale und transkulturelle Kommunikation erwartet, soll Diversity für nationale und allgemein kulturelle Unterschiede sensibilisieren. Erwartet wird von den Mitgliedern, dass sie in der Stellenbesetzung einen Fokus auf bestimmte personale Kategorien haben und in der Arbeitsinteraktion einen positiven und produktiven Umgang mit kulturellen Unterschieden aufweisen. Die Erwartungen in Bezug auf das Interaktionsverhalten bleiben recht unbestimmt. Das kulturelle Wissen, das Personen als Angehörigen bestimmter Kategorien zugeschrieben wird, soll für die Produktentwicklung und den Absatz produktiv genutzt werden. Hier werden vor allem nationale und ethnische Kategorien und auch die Geschlechtszugehörigkeit bedeutsam. Dass die Erwartungen der Entscheidungsprämissen der Organisation ein Spannungsverhältnis zueinander aufbauen, ist etwas, das auf der Ebene der Organisationstheorie nicht wirklich überrascht: Es ist bekannt, dass in Organisationen unterschiedliche Erwartungen und auch widersprechende Entscheidungsprämissen entwickelt werden (Luhmann 1964). Für die Forschung ist es nicht interessant, die unterschiedlichen Rollenerwartungen zu konstatieren, sondern den Umgang mit dieser Spannung empirisch zu verfolgen. Ich möchte den Erwartungen, die durch die Strukturen aufgebaut werden und den Kontext der Interaktion bilden, nun in der Interaktion nachgehen.

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In diesem Kapitel sollen die zentralen Forschungsfragen für die Interaktionsebene beantwortet werden: Findet eine Unterscheidung nach nationaler Herkunft in der Interaktion statt? Werden die Teilnehmer in Besprechungen und alltäglichen Begegnungen am Arbeitsplatz zu Subjekten ihrer nationalen Zugehörigkeit, also zu US-Amerikanern, zu Deutschen, zu Engländern? Wie machen die Alltagsteilnehmer von der nationalen Herkunft in ihren Handlungen Gebrauch? Wie findet die Praxis des Unterscheidens statt? Und in welche anderen Mitgliedschaftsklassen mobilisieren sich Interaktionsteilnehmer in Besprechungen, am Arbeitsplatz oder auf dem Weg zur Cafeteria? Wie findet eine Neutralisierung der nationalen Herkunft statt? Gerade vor dem Hintergrund der beschriebenen veränderten Organisationsstrukturen, die neue personenbezogene Kategorien durch die Diversity-Maßnahmen und formale Kategorien durch die Globalisierungsstrategie von Ford 2000 evozieren, ist es interessant, diesen Fragen empirisch auf der Interaktionsebene nachzugehen. Die folgende ethnomethodologische Analyse der alltäglichen Interaktionen nimmt keine präsumtive Relevanz der nationalen Herkunft an: Weder auf Grund der beschriebenen Organisationsstrukturen, noch übernimmt sie die vielfach verbreitete Annahme, dass Personen Träger von nationalkulturellen Eigenschaften sind. Vielmehr wird im Folgenden der Prozess der Differenzierung von Mitarbeitern in verschiedene Kategorien und sein lokaler Sinn beschrieben. Beantwortet werden die Fragen, welche Mitgliedschaftsklassen von den Teilnehmern im Alltag für die Interaktion bedeutungsvoll werden. Diese Forschungsperspektive schließt überhaupt nicht aus, dass sich Individuen in ihrer nationalen Kultur unterscheiden (Nishizaka 1999). Der Vorteil dieses Forschungsansatzes ist, Nationalitätseigenschaften nicht bereits auf allen Dimensionen der alltäglichen Darstellung anzunehmen, son-

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132 | Diversity in Action dern zu beobachten, ob und wie diese Tatsache als Tat-Sache in einem spezifischen Kontext hergestellt wird.

3.1 Nationalitäten auf den ersten Blick: visuelle Codes

Ein Mann kommt in die Supervisorenbox von Martin und fragt ihn: »Hast du nicht Lust, auf einen Kaffee zu uns runterzukommen?« Ich habe den Eindruck, die beiden kennen sich schon länger, es ist ein vertrauter Ton. Sie verabreden, sich gleich vor der Cafeteria zu treffen. Martin erledigt noch etwas, und wir gehen dann zur Cafeteria, die im Erdgeschoss liegt, vor der noch drei Männer stehen und auf uns zu warten scheinen. Zwei sind im Karohemd-Ingenieurstil gekleidet, und ein junger Mann hat eine Anzughose an, aber auch ein einfaches Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln, sieht bodygebuildet und sonnengebräunt aus. Man nickt sich zu, und wir holen uns alle jeweils einen Kaffee, gehen gemeinsam in das angrenzende Gebäude und setzen uns an einen Besprechungstisch in einer freien Box. Martin schaut in Runde und sagt: Martin: We=gonna=talk ENglish are (-) we? B: I HOpe so (-) ((mit gespielter Entrüstung in der Stimme)) ((lachen )) Martin: Eah=sure=that=so (-) ok (we=gonna=talk)=English.1

Martin, ein Supervisor, der von einem Kollegen auf Deutsch gebeten wird, herunterzukommen, eröffnet das Gespräch in der Runde auf Englisch. Er schaut in die Runde und initiiert mit seiner Äußerung »We=gonna=talk ENglish are (-) we?« die Festlegung der weiteren Besprechungssprache. Als Beobachterin der Szene frage ich mich, was Martin veranlasst, von Deutsch in der Vorbesprechung auf Englisch in der neuen Runde zu wechseln. Kannte er B schon oder kann man anhand der Physiognomie Engländer als Engländer und einen Amerikaner als Amerikaner erkennen? Um dann darauf zu schließen, dass man in eine Geschäftssprache wechseln muss, weil nicht alle Beteiligten Deutsch sprechen? Nationale Selbstmobilisierung Wenn man sich längere Zeit in der Entwicklungsabteilung bewegt, in vielen Besprechungen anwesend ist, in denen man nicht alle Teilnehmer persönlich kennt, lernt man, anhand von Kleidungskonventionen die nationale 1 | Ein Verzeichnis der von mir verwendeten Zeichen für die Transkription der mündlichen Kommunikation findet sich im Anhang.

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Zugehörigkeit der Teilnehmer zu unterscheiden. Der folgende Text lädt den Leser ein, kollektive Mitgliedschaften als etwas zu sehen, was sich Akteure durch bestimmte visuelle Praktiken zulegen und von Beobachtern durch ein bestimmtes Wissen zugeschrieben wird. Ich beschreibe, in einer verdichteten Form, welche Mitgliedschaften durch die Kleidungskonventionen zur Schau gestellt werden.2 Der nachfolgende Auszug aus einem Kleidungs-Knigge – den ich auf Basis meiner Beobachtungen erstellt habe – kann das etwas anschaulicher demonstrieren: Der schrille US-Amerikaner Um als Amerikaner auf den ersten Blick erkannt zu werden, brauchen Sie eine stimmige Kleidung. Ihr Umfeld macht es Ihnen ganz einfach, Sie stechen einfach mit ein paar extravaganten Accessoires oder schrillen Kombinationen aus der konservativen Masse heraus. Accessoires, die Ihre deutschen oder britischen Kollegen niemals tragen würden, weil ihnen dazu der Mut fehlt. Besonders geeignet ist Goldschmuck, z.B. große, klotzige, in Gold gefasste Siegelringe, goldener Halsschmuck oder goldene Kettenarmbändchen, auf denen der Name Ihrer Frau eingraviert ist. Das Hervorstechen gelingt Ihnen auch, indem Sie der recht tristen grau-blauen Anzugwelt Ihrer Kollegen bunte Hemden, z.B. lila glänzende Seidenhemden, entgegensetzen, die Sie dann wieder ganz konventionell mit einer dunklen Anzughose kombinieren können. Alternativ bietet sich an, ganz auf einen Anzug zu verzichten und stattdessen als Chef von ca. 600 Mitarbeitern ein lässiges beiges Baumwollhemd mit einem schmalen Stehkragen zu einer beigen Bundfaltenhose mit einem einfachen dunklen Gürtel zu tragen. Am markantesten sticht diese Kleidung in den Monaten November, Dezember und Januar hervor, wo gewöhnlich dunkle Farbtöne bevorzugt werden. Dazu tragen Sie die genannten goldenen Accessoires. Kombinieren lässt sich dies mit einer satten Hautbräune, der Sie, falls Sie ein heller Hauttyp sind, auch durch den regelmäßigen Besuch in einem Sonnenstudio nachhelfen sollten. Wenn Sie noch nicht den Karrieresprung zum Manager geschafft haben und z.B. nur in der Position eines Supervisors eines amerikanischen Zulieferers in Europa sind und dennoch als Amerikaner erkannt werden wollen, sollten Sie sportlich durchtrainiert sein und Muskeln zeigen. Trinken Sie außerdem auf der Arbeit vorwiegend Fruchtsaft und Wasser und essen mittags Salat mit gebratenem Fleisch. Demonstrieren Sie Ihren Kollegen, dass Sie auf gesunde Ernährung achten und für Ihre dauerhafte Leis2 | Ford bietet im Vergleich zu anderen Organisationen einen sehr weiten Gestaltungsraum für die personale Selbstinszenierung mittels Kleidung. Andere Firmen benutzen uniformierte Kleidung, welche die personalen Unterschiede neutralisiert und eine kollektive Firmenmitgliedschaft darstellen soll. Dress-Codes in Unternehmen sollen die Corporate Identity für Betrachter darstellen und legen firmentypische Farbkombinationen und Kleidungsschnitte fest. Einen formellen Dress-Code gibt es bei Ford nicht.

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134 | Diversity in Action tungsfähigkeit auch in Ihrer Freizeit etwas tun. Sie werden in den 25- bis 28-jährigen deutschen und britischen Supervisoren auch Nacheiferer finden. Der stilvolle Brite Seien Sie stilvoll. Tragen Sie komplette Anzüge, was in dieser Firma heißt, dass Sie Zweiteiler tragen. Sie tragen auf keinen Fall gewagte Kombinationen oder überhaupt Kombinationen. Farblich sind alle gedeckten Töne erlaubt: Sie können dunkelblaue Anzüge zu weißen Hemden tragen, für junge Supervisoren oder Manager empfehlen sich auch modische Farben wie Braun oder Anthrazit. Achten Sie darauf, dass Sie wirklich britische Anzüge kaufen, also nicht die global einheitlichen BossAnzüge oder Joop-Marken. Tragen Sie britische Anzüge, die etwas enger auf den Körper geschnitten sind und damit einfach besser sitzen. Jeder sieht den Unterschied, auch wenn man das nicht genau benennen kann oder die Qualität der britischen Anzüge vielleicht nicht erkannt wird. Selbstverständlich tragen Sie immer einen Schlips, der schmal und relativ gerade verläuft und nicht so breit ist wie der Ihrer deutschen Kollegen. Das rundet Ihr Erscheinungsbild ab. Wenn Sie Schmuck tragen, dann nur Ehering. Auf Manschettenknöpfe und Krawattennadeln verzichten Sie ganz – das ist für den Arbeitskontext zu dick aufgetragen. Ein unverkennbares arbeitsbezogenes Accessoire für Sie ist ein festes, kartoniertes A4-Notizbuch, kariert oder liniert, in das Sie alle Ergebnisse wichtiger Meetings eintragen. Sie haben ein eigenes Notizsystem und kommen daher sehr gut ohne den modischen Kleincomputer zurecht, den die jungen Supervisoren jetzt benutzen. Der allgemeinen Regel, im Haus die Anzugjacke auszuziehen, sollten Sie auch entsprechen. Wenn Sie im Haus auch ohne Ihre stilvolle Anzugkombination als Brite erkannt werden wollen, tragen Sie vorzugsweise weiße Businesshemden ohne Unterhemd oder T-Shirt darunter. Das ist zwar nur ein feiner Unterschied, der Ihnen allerdings garantiert, richtig eingeordnet zu werden, weil Ihr weißes Hemd nicht so stark reflektiert. Das macht Ihnen kein deutscher Kollege nach! Der schlichte Deutsche Sie tragen standardisierte Businesskleidung, und das heißt für Ihre Tätigkeit und Ihren Kontext Anzugzweiteiler, kombiniert mit unproblematischen Eterna-Hemden. Die sind nicht zu teuer, aber schon etwas Besseres und als Businesshemd immer zu erkennen durch das eingewebte »e« an der Brusttasche. Farblich sollten Sie vorwiegend Hemden in Uni-Blau oder strahlend weiße Hemden tragen. Alternativ können Sie aber auch fein gestreifte tragen. Selbstverständlich tragen Sie einen Schlips, der farblich zu dem Anzug und dem Hemd passt. Als Manager tragen Sie komplette Anzüge aus Hose und Jackett. Manchmal erlauben Sie sich auch, frei zu kombinieren, aber die Anzüge, die sie tragen, sind schon etwas feiner. Den Dreiteiler überlassen Sie den Kollegen von DaimlerChrysler – das wäre zu viel und ein bisschen zu verspielt. Ihre Bodenständigkeit und Praxisnähe soll man auch sehen.

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Wie kann man diese nationalisierte Kleidungspraxis mit einer ethnomethodologischen Begrifflichkeit beschreiben? Mit dem Account-Begriff der Ethnomethodologie, der bezeichnet, dass sich die Teilnehmer die soziale Wirklichkeit in ihren Handlungen anzeigen, wird jenseits der Sprachdimension auch auf die visuelle soziale Wirklichkeit verwiesen (Hirschauer 1993: 39). Auf dieser visuellen Ebene wird die nationale Herkunft als Differenz in den Kleidungskonventionen der verschiedenen Nationen für die Teilnehmer erkennbar. Die nationale Stilisierung der Kleidung legt für die Teilnehmer die Ausgangsbasis in Face-To-Face-Interaktionen. Es findet durch die Kleidung ein »Zeigen« auf eine national stilisierte Persönlichkeit statt. Die gewählte Kleidung begleitet die Person durch den Tag und ist daher in den verschiedenen Situationen immer dasjenige, was auf den ersten Blick wahrgenommen wird. Dieses augenfällige basale Darstellen erlaubt es den Mitgliedern der Organisation, anhand von Indizien zu erkennen, welche nationale Herkunft ein Teilnehmer hat bzw. welcher Nation er angehört. In der eingangs gezeigten Szene hielt Martin auf Grund von visuellen Indizien den Besprechungsteilnehmer B für einen Briten und schloss von daher auf dessen sprachliche Kompetenzen. Mit der Antwort »I hope so« macht B deutlich, dass er von Englisch als geteilter Besprechungssprache abhängig ist. Es ist die national stilisierte Kleidung, die es Mitgliedern der Organisation ermöglicht, auf die nationale Herkunft von Besprechungsteilnehmern zu schließen. Dadurch können aufwändige Nachfragen an die Teilnehmer wie »Where are you from?« oder »Any English native speaker amongst us?« entfallen und durch das visuelle Erkennen auf die geteilten Sprachkompetenzen in einer konkreten Besprechung geschlossen werden. Kleidung ist im gesellschaftlichen Alltag ein Repertoire des Impression-Managements (Goffman 1959). Durch Kleidung werden Informationen über die eigene Person unter Kontrolle gehalten und gleichzeitig gezeigt. Man trägt und wählt bestimmte Kleidungsstücke und andere nicht. Man wählt bestimmte Kombinationen und Accessoires, bestimmte Schnitte und Farben. Aus systemtheoretischer Perspektive argumentiert Cornelia Bohn (Bohn 2000), dass Kleidung eine Mitteilung ist, die eine Selektion aus einem Universum an Kleidungsalternativen darstellt und dem Gesprächspartner Aufschluss über bestimmte Zugehörigkeiten wie Status oder auch Anlass der Zusammenkunft gibt. Anders als durch somatisch angezeigte Zugehörigkeiten, wie Geschlecht, Rasse und Alter, handelt es sich bei der Auswahl der Kleidung immer um wissentlich von Personen eingesetzte Mittel der Selbstdarstellung. Die Kleidung dient der Selbstinszenierung. In meinem Untersuchungsfeld handelt es sich jedoch weniger um eine aktive nationale Selbststilisierung, die die Teilnehmer bewusst und aktiv be-

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136 | Diversity in Action treiben, wie man es z.B. bei den in Trachten gekleideten Teilnehmern folkloristischer Veranstaltungen annehmen kann, als vielmehr um das habituelle Befolgen von Kleidungskonventionen der einzelnen Länder: die britischen Anzugschnitte, die farblich eintönige und korrekte Businesskleidung der Deutschen und die individualisierte, sehr auffällige und legere Berufskleidung der Amerikaner. Diese unterschiedlichen Kleidungskonventionen, denen man folgt, wenn man seine Kleidung in England, in Amerika oder Deutschland für berufliche Zwecke kauft und sie auch an anderen nationalen Standorten der Firma in der landestypischen Art trägt, sind für die Organisationsmitglieder im Sinne der Ethnomethodologie sichtbare und wahrnehmbare Indizien der nationalen Zugehörigkeit. Das Lesen dieser recht groben Zeichen als »nationale« ist feldspezifisch und mit lokalem, kontextuell erworbenem Wissen gespeist. Man kann nicht direkt vom ersten Tag an die Nationalitäten anhand der Kleidung identifizieren, sondern muss diese Unterscheidungspraxis erst mit der Zeit lernen. Die Zuordnung von Nationalitäten nach Kleidungskonventionen wird dabei für die dominanten Nationen (Deutschland, England und die USA) angezeigt. Alle Mitglieder im Unternehmen verfügen über das kulturelle Wissen, dass bestimmte Nationalitäten in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung arbeiten. Dieses Wissen hilft, die recht groben Kleidungsindizien zumeist treffsicher zuzuordnen. US-Amerikaner sind besonders leicht zu erkennen, da sie durch ihre Abweichung von einem schlichten konservativen Business-Kleidungsstil hervorstechen und eine Minderheit an den deutschen und britischen Standorten bilden. Der nickende Japaner Bei Ihnen tritt die Gestaltung durch Kleidung als markante nationale Inszenierungspraktik in den Hintergrund. Sie werden direkt über körperliche Indizien wie Ihre Augenform, Ihre Haarstruktur und Körpergröße als Asiat eingestuft. Sie können sich darauf verlassen, dass Ihre Kollegen Sie als Mitglied des japanischen Automobilherstellers einordnen, weil sie wissen, dass aktuell diese Kooperation besteht. Um jedoch über den ersten Blick hinaus als Japaner, also in Ihrer nationalen Herkunft, weiterhin bemerkbar zu bleiben, müssen Sie noch einen besonderen Darstellungsstil pflegen, den Sie vor allem in der mündlichen Interaktion ausspielen können. Setzen Sie ein, was Sie von jeder anderen Nationalität im Management abgrenzt: Sprechen Sie schlichtes bis schlechtes Englisch, bilden Sie einfache Hauptsätze, und benutzen Sie einen Akzent, der es Ihrem Kommunikationspartner schwer macht, Sie zu verstehen. Das wird von Ihnen erwartet. Wenn Sie eine hohe Position bekleiden und sicherstellen müssen, dass eine mehr oder weniger erfolgreiche Kommunikation stattfindet, gehen Sie mit einer Übersetzerin in Meetings und reden Sie japanisch. Von Ihnen wird außerdem erwartet, dass Sie nicken. Nicken Sie in Meetings, auch wenn Sie nicht die Meinung Ihres Gegenübers teilen. Die europäischen Kollegen ha-

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3. Membership in Action | 137 ben gelernt, dass Ihr Nicken kein Ja bedeutet, sondern nur anzeigt, dass Sie an dem Gespräch beteiligt sind. Also versuchen Sie nicht, sich den anderen Code, Nicken als Zustimmung, anzueignen. Geben Sie nicht Ihren Kollegen oder Besuchern die Hand, sondern nicken Sie einfach.

Japaner werden nicht durch die unterschiedlichen Kleidungskonventionen erkannt, sondern über somatische Indizien, d.h. über die Zuordnung zu einer Bevölkerungsgruppe eines Erdteils als Asiaten und durch ein spezifisches lokal kulturelles Wissen. Die Zugehörigkeit zur Bevölkerungsgruppe eines Erdteils, seien es Afrikaner, Europäer oder Asiaten, lässt sich nicht wie im Fall der Kleidung verändern. Diese Indizien sind dem Körper eingeschrieben und damit gegenüber willentlichen Veränderungen resistent. Aktiviert wird durch die visuellen körperlichen Indizien zunächst eine Differenz von Asiaten und ›Westlern‹. Erst mit einem spezifischen lokalen kulturellen Wissen werden die asiatischen Mitarbeiter als Mitglieder des japanischen Kooperationspartners Mazda nationalisiert. Denn es finden verstärkt Kooperationen mit anderen Firmen statt, in der Autotypen bis zu einem bestimmten Stadium gemeinsam entwickelt werden, um Kosten zu sparen. Zum Zeitpunkt meiner Forschung gab es Projekte mit Volvo, an denen viele Schweden beteiligt waren, sowie mit Mazda. Die Nationalisierung findet also nicht direkt über die visuellen Zeichen statt, sondern über das lokale kulturelle Wissen. Und diese nationale Differenzierung macht die Mazda Mitarbeiter z.B. von den schwedischen Kooperationspartnern oder auch von Ford-Mitarbeitern unterscheidbar. Die nationale Differenz wird in der mündlichen Interaktion durch den Akzent im Sprechen und durch nationalkulturelle Gesten wie das Nicken wach gehalten.3 Visuelle Indizien sind nicht der primäre Kanal, mit dem die nationale Herkunft jenseits von Ford angezeigt wird. Kleidung und körperliche Indizien allein bieten oftmals keine hundertprozentig eindeutige Attributionsbasis wie z.B. bei der Kategorie Geschlecht. Für die Attribution der nationalen Herkunft ist in erster Linie die akustische Ebene, d.h. die Stimme und die Sprachhandlungen, bedeutungsvoll. Der Akzent zeigt sich beim Sprechen von fremden Sprachen als eine hartnäckige Ablagerung der nationalen Herkunft, was recht treffsicher die nationale Herkunft eines Teilnehmers in

3 | Bei den schwedischen Kooperationspartnern konnte ich keine am Körper getragenen oder somatischen Nationalisierungspraktiken beobachten. Hingegen werden in Besprechungen die Kooperationspartner voneinander durch eine firmenfraktionierte Platzierung unterscheidbar. So gruppieren sich die Mitarbeiter in Besprechungen immer in Gruppen von Ford-, Mazda- und Volvo-Mitarbeitern.

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138 | Diversity in Action einem spezifischen Kontext bestimmen lässt.4 Vor diesem hier nur kurz angerissenen Hintergrund ist es bemerkenswert, dass in der Entwicklungsabteilung durch die landestypischen Kleidungskonventionen die Teilnehmer in ihrer nationalen Herkunft recht treffsicher erkannt werden: Durch die landestypischen Kleidungsschnitte, Kombinationen und Accessoires findet eine Präformierung statt, die es für kompetente Betrachter ermöglicht, Akteure in nationale Mitgliedschaftsklassen zu klassifizieren. Wie zu Beginn dieses Kapitels gezeigt, wird dieses Wissen von den Betrachtern relevant gemacht, um in eine von allen gesprochene Sprache zu wechseln. Im Vergleich zu körperlichen Indizien, die Akteure in bestimmte Bevölkerungsgruppen einteilen, oder zum Akzent, der nur mit viel Aufwand manipuliert werden kann, kann man bei Kleidung noch eher von einer Selbstmobilisierung sprechen. Die Teilnehmer entscheiden sich für das, was sie an Kleidung kaufen, und wenn sie international tätig sind, auch dafür, in welchem Land sie es kaufen. Weniger stark akteurstheoretisch betrachtet werden die Teilnehmer von den Kleidungskonventionen der Länder national markiert. Diese Mobilisierung ist an visuelle Indizien gekoppelt, die damit oftmals initial attribuiert werden. Die nationalisierten Indizien bilden den Auftakt für alltäglich stattfindende Face-To-Face-Interaktionen, bei denen sich die Teilnehmer nicht persönlich kennen. Welche anderen Mitgliedschaftskategorien werden durch eine Präformierung im Kleidungsstil mobilisiert? Professionsbezogene Selbstmobilisierung Die visuellen Accounts, die für einen Beobachter erkennbar sind, zeigen zugleich mehrere Mitgliedschaftsklassen an, aus denen dann in den Interaktionen jeweils ganz spezifische für die weitere Interaktion bedeutungsvoll werden. Der nationalisierte Kleidungsstil der Briten, Amerikaner und Deutschen verweist simultan auch auf die Stellen- bzw. Positionszugehörigkeit der Akteure. Der beschriebene Kleidungsknigge für die Amerikaner, Deutschen und Briten beschreibt gleichzeitig den Kleidungsstil des Managements der Firma. Die Manager werden im Alltag von der anderen großen Gruppe in der Entwicklungsabteilung unterschieden, nämlich den Ingenieuren.

4 | Ich werde auf diese sehr stark habitualisierte Form der Darstellung einer nationalen Zugehörigkeit, die weit weniger willentlichen Veränderungen unterworfen werden kann als die Kleidung, vertiefend im Kapitel (3.3.1): »Die Herstellung von nationaler Indifferenz im Sprachwechsel« eingehen.

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3. Membership in Action | 139 Praktische Ingenieure Um Ihre professionelle Zugehörigkeit eindeutig hervorzuheben, sollten Sie Bluejeans mit Karohemden kombinieren und dazu dann braune Lederschuhe tragen. Diese bequeme und praktische Funktionskleidung verleiht Ihnen den unverkennbaren Charme eines Ingenieurs. Sie strahlen praktische Problemlösungskompetenz und Bodenständigkeit aus. Sie können aber auch zu schicken Gelegenheiten auf einfache Anzughosen zurückgreifen, die Sie mit einem Jackett in anderen Farben und Stoffmaterialien kombinieren. Damit zeigen Sie an, dass Sie sich der Wichtigkeit der Besprechungen, etwa wenn höheres Management anwesend ist, bewusst sind. Dunkle Bundfaltenhosen für die älteren Ingenieur-Jahrgänge oder einfache Anzughosen können Sie dann zu einfarbigen oder Button-Down-Hemden kombinieren. Natürlich können Sie durch die Kleidung auch anzeigen, ob Sie ins Management wollen oder nicht. So sollten Sie als junger Ingenieur darauf achten, dass Sie hier mit Businesshemden und Anzughosen ab und zu feine Signale setzen.

Die Ingenieure stellen in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung die größte Mitarbeitergruppe dar. Durch die Kleidung, die eher leger, bequem und bodenständig aussieht, benutzen sie transportable Indizien, die sie in jedem Meeting, auf dem Flur und an den Arbeitsplätzen sofort zum Ingenieurfeld zurechenbar machen. Die Variationsbreite in der Kleidung ist groß: Die Möglichkeiten reichen von jugendlichen Polohemden bis hin zur Strickjacke, die mit Schlips kombiniert wird und von älteren Ingenieuren getragen wird. Allein durch diesen Kleidungsstil lassen sich Passanten, Besprechungsteilnehmer und Cafeteriabesucher eindeutig dem Management oder der Ingenieursgruppe zuordnen.5 Exkurs: Geschlechtsmobilisierung und ethnische Mobilisierung Die bisherigen Inszenierungsformen markieren neben den Nationalitäten und Professionen auch das Geschlecht, allerdings bin ich bisher nur auf die männlichen Stile eingegangen. Frauen bilden in beiden Professionsgruppen, also im Management und in der Ingenieursposition, in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung zahlenmäßig eine deutliche Minderheit. In der Entwicklungsabteilung findet man sie vorwiegend als Sekretärinnen und als Teamcoaches, die für die Human Ressource und für die Kommunikation in Entwicklungsprogrammen mit Kooperationspartnern arbeiten. Wenige sind als Ingenieurinnen oder Supervisorinnen in der Forschungs- und Entwicklungsarbeit tätig. Den wenigen, die als Ingenieurin5 | Von dieser Uniformierung weichen zum Teil junge Ingenieure ab, die ins Management aufsteigen wollen, da sie, wie auch das deutsche und britische Management, Anzugkombinationen tragen.

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140 | Diversity in Action nen arbeiten, bin ich persönlich vorgestellt worden. Auch habe ich sie während des Feldaufenthalts tageweise begleitet.6 Die Erkennbarkeit von Geschlecht ist auch jenseits von Kleidung durch eine kulturell garantierte Sichtbarkeit sichergestellt (Hirschauer 2001: 214). Wie kleiden sich diese Frauen im Berufsalltag? Findet auch bei ihnen eine nationale Selbstinszenierung statt durch die Kleidung, die Schminke und die Accessoires ähnlich der der Männer? Die Frauen, die in der Entwicklungsarbeit tätig sind, unterscheiden sich deutlich in ihrem Kleidungsstil nach der nationalen Herkunft. Die deutschen Ingenieurinnen, denen ich begegnet bin, trugen bequeme Jeans, schlichte Wolloberteile, hatten kurze Haare, waren gänzlich ungeschminkt und trugen wenig bis keinen Schmuck. Eine legere, bequeme und praktische Kleidung, die sich im Stil wenig von der der Ingenieure unterscheidet.7 Die britischen Supervisorinnen kleiden sich sehr feminin: Zu einer lila Damenbluse trug eine Supervisorin einen rosafarbenen wadenlangen Faltenrock. Die Haare waren offen in einem praktischen Pagenkopf geschnitten, der nicht weiter frisiert war, und sie trug einen auffallenden Brillantring. Eine andere trug ein körperbetontes Business-Kostüm mit Rock in Beige, dazu ein Goldkettchen um den Hals, ein passendes Armkettchen und große Goldohrringe sowie einen Brillantring am Ringfinger. Sie trug ein starkes Make-up und eine perfekt toupierte und fixierte Frisur. Amerikanische Ingenieurinnen oder Managerinnen konnte ich nicht beobachten. Insgesamt sind Frauen so sehr in der Minderheit, dass die Wenigen, die es gibt, trotz der Größe der Abteilungen sehr schnell bekannt sind. Sie fallen als »token« (Kanter 1977) in Meetings, in informellen Besprechungen, auf den Fluren oder in der Kantine auf. Ähnlich verhält es sich mit Angehörigen von ethnischen Minderheiten innerhalb der verschiedenen Nationalitätsgruppen, die bei Ford arbeiten.8 So konnte ich z.B. an den beiden europäischen Standorten keine African Americans beobachten. Aber auch 6 | Dieses Verhältnis zwischen Minderheit und Mehrheit wird, wie ich im Strukturkapitel (2.2) beschrieben habe, mit dem politischen Programm Diversity zu ändern versucht. Um mehr Ingenieurinnen einstellen zu können, werden z.B. Schülerinnen eingeladen, den Beruf vor Ort im Unternehmen praxisnah kennen zu lernen, und Stipendien an Studentinnen vergeben. 7 | Dieser Kleidungsstil erinnert an die von Heintz beschriebenen »grauen Mäuse« der Sachbearbeitung, die mit dem unscheinbaren Kleidungsstil eine Form der Neutralisierung von Geschlecht betreiben (Heintz et al. 1997). 8 | Ich verwende hier einen alltagsweltlichen Begriff von Ethnie. Zur soziologischen Bestimmung von Ethnien und ethnischen Zugehörigkeiten vergleiche, wie im Theoriekapitel vorgestellt Barth (1969) und weiterführend Nagel 1994 und Elwert 1989.

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türkischstämmige Deutsche sind am Kölner Standort der Forschungs- und Entwicklungsabteilung fast gar nicht vertreten. In der Datenerhebung zur sozialen und ethnischen Herkunft, die ich unter den Ingenieuren und Managern sammelte, die ich tageweise begleitete, befand sich unter den zwanzig Befragten ein einziger, dessen Eltern einen Migrationshintergrund aufwiesen. Diese ethnische Zugehörigkeit wurde in den Interaktionen weder visuell durch besondere Kleidung, noch somatisch mobilisiert. Allein der Name des Beteiligten ließ eine ethnische Herkunft vermuten. Auf Grund der geringen Fallzahl konnte ich die Interaktionsrelevanz dieser ethnischen Zugehörigkeiten nicht weiter verfolgen. Dies wäre sicher völlig anders verlaufen, wenn ich die Studie in den Produktionsanlagen der Ford Werke, in der eine Vielzahl türkisch-, italienisch-, russisch- und jugoslawischstämmiger Mitarbeiter beschäftigt ist, oder am amerikanischen Standort durchgeführt hätte. Die Nationalitäten in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung in Deutschland und England sind jedoch ethnisch und geschlechtlich vergleichsweise homogen, d.h. es arbeiten dort vor allem weiße Männer. Die Nationalisierung als Suche nach Statusmarkern Die ethnomethodologische Frage, die sich an den empirischen Befund anschließt, ist, welches praktische Problem mit der Nationalisierung gelöst wird. Welchen lokalen Sinn haben Nationalisierung und Professionalisierung von Kleidung bzw. Personen für die Teilnehmer? Ich habe mit der Eröffnungsszene gefragt, was den Sprecher veranlasst, die Sprache zu wechseln, und gezeigt, dass die Teilnehmer durch Kleidungsindizien auf die sprachliche Kompetenz ihres Gegenübers schließen können. Ohne weitere Nachfragen wird dadurch in eine geteilte Interaktionssprache gewechselt. Aber jenseits dieser sprachlichen Kompetenzen, die mit dem Sprachwechsel relevant gemacht werden, bleibt die Frage: Welcher lokale Sinn wird mit den nationalen und berufsbezogenen Mitgliedschaftsklassen in der Interaktion verbunden? Im Berufsalltag der Managementmitglieder finden Meetings in einer sehr hohen Frequenz statt. Die Größe der Besprechungen variiert von drei bis 50 Teilnehmern. Zumeist sind die Namen der wichtigen ProgrammManager im mittleren Management bekannt, aber nicht immer weiß man ein Gesicht damit zu verbinden. In Face-To-Face-Interaktionen kann man nicht jeden Teilnehmer direkt in seinem Status und seiner Zuständigkeit einordnen. Über die Kleidung sind die Teilnehmer sowohl in ihren Nationalitäten als auch in ihrer Professionszugehörigkeit zu erkennen. Diese beiden Mitgliedschaftsklassen werden verbunden. In der Differenzierung nach nationaler Herkunft und Profession wird eine andere Zugehörigkeit relevant gemacht: der Status eines Mitglieds in einer Besprechung. Die pro-

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142 | Diversity in Action fessionsbezogene Nationalisierung erlaubt eine Hypothese darüber, wie hoch der Status einer Person in einem Meeting ist. Es sind die US-Amerikaner, die als Expatriats für zwei bis drei Jahre an führende Stellen der Organisation in Europa platziert werden. Zu einer Managementkarriere gehört es, an einem Standort außerhalb der USA eine Position als International Assignment innezuhaben. Meetingteilnehmer behandeln die durch die Kleidung dargestellte Zugehörigkeit eines Doing Being An American an europäischen Standorten als Mitgliedschaftsklasse des »mittleren und gehobenen Managements«.9 Über die Kleidung wird somit zwar die Nationalität veranschlagt, aber zusätzlich der Status eines Besprechungsteilnehmers relevant gemacht. Die eindeutige Zuordnung des Status über die Nation gelingt allein in Bezug auf US-Amerikaner, da diese nur in gehobenen Managementpositionen an den europäischen Standorten auf einem International Assignment arbeiten. Deutsche und Briten besetzen Managementpositionen auf allen Ebenen, aber mehrheitlich im mittleren und unteren Managementbereich. Die visuelle nationale Klassifikation stellt ein Nebenprodukt der Suche der Teilnehmer nach Statusmarkern dar. Die Unterscheidung ist distinktiv (Bourdieu 1982) in Bezug auf eine Mitgliedschaftsklasse: die US-Amerikaner. Die Amerikaner sind die markierte Kategorie, von der der Rest unterschieden wird. Dadurch hebt sich ihr Kleidungsmodus, eine Form des US-amerikanischen Individualismus, durch lila Seidenhemden, Goldkettchen und legere Kombinationen deutlich von den uniformen Anzugträgern ab. Das Lesen der nationalen Indizien in der gleichförmigeren Kleidung bei Deutschen und Briten ist im Vergleich schwieriger. Um ganz treffsicher zu sein, bedarf es bei ihnen noch mündlicher Indizien, wie z.B. des Akzents des Sprechers. Auf der Suche nach statushohen Managern werden Teilnehmer als Deutsche und Briten miterfasst. Jedoch ist die anvisierte Kategorie die des Status und nicht die der nationalkulturellen Unterschiede. Mit der Kategorie US-amerikanischer Manager sind bestimmte Erwartungen verbunden, wie z.B., dass dieser das Meeting leitet oder wichtige Informationen einspeist. Während außerhalb des Firmenkontexts im Alltag durch den Dress-Code, z.B. durch Uniformen, Abzeichen, erlesene Kleidung, direkt der Status einer Person angezeigt wird, wird in diesem Kontext über die Nationalisierung und Verflechtung der Professionszugehörigkeit der Status dargestellt und erkennbar. Die Suche der Teilnehmer nach Statusmarkern zeigt sich auch in der treffsicheren Unterscheidbarkeit der Berufsrollen, die sich, egal welcher nationalen Herkunft die Teilnehmer sind, wechselseitig als Ingenieure bzw. Mitglieder des Managements erkennen. In dieser professionsbezogenen 9 | In den Gebäuden der Entwicklungsabteilungen arbeiten auch amerikanische Zulieferer, zumeist Ingenieure und unteres Management.

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Differenzierung wird in der Interaktion eine Statusunterscheidung mit bestimmten Verhaltenserwartungen relevant gemacht. So leiten und führen Manager Besprechungen und sind für die Klärung bestimmter organisatorischer Fragen zuständig, während Ingenieure für Fachfragen und technische Darstellungen und Antworten zur Verfügung stehen. Der empirische Befund, dass die professionsbezogenen und nationalen Kategorisierungen den Status der Teilnehmer in einer Besprechung markieren, ist erst dadurch ermöglicht worden, dass man sich von einer Omnirelevanzannahme verabschiedet und Prozesse der Kategorisierung sowie der Aktualisierung bzw. der Neutralisierung analytisch unterscheidet. Die nationale und professionsbezogene visuelle Sortierung der Teilnehmer ist im Sinne von Heintz/Nadai (1998: 80) ein Angebot, das zur weiteren Differenzierung genutzt werden kann oder auch nicht. Innerhalb von Ford wird die Kombination beider Kategorisierungen nicht dazu genutzt, um die Nationalitäten weiter zu differenzieren oder zu bewerten, sondern um auf den Status eines Teilnehmers zu schließen. Es lassen sich auch innerhalb der Gruppe der Ingenieure nationale Differenzen in der Kleidung finden, z.B. tragen britische Ingenieure auch Anzugkombinationen, die weniger dem praktisch-legeren Stil der Ingenieure entsprechen, sondern eher förmlich und stilvoll sind. Aber diese Zeichen verweisen, im Gegensatz zum Management, nicht auf den Status der Teilnehmer. Anders als die Konversationsanalyse annimmt, die von der Maxime ausgeht, dass jede sprachliche Äußerung, jede Pause und jeder paraverbale Laut bedeutungsvoll ist, steht zu vermuten, dass dies nicht im gleichen Maße für non-verbale und habituelle Zeichen gilt (Kotthoff 2002). Nicht jeder Schlips oder jede in England gekaufte Socke ist ein bedeutungsvolles Zeichen für die lokale Sinnproduktion. Die Kleidung innerhalb der Gruppe der Ingenieure kann schlicht einen nationalen Informationsüberschuss (Hirschauer 2001) aufweisen, auf den in der Interaktion nicht direkt weiter Bezug genommen wird. Anders verhält es sich mit der Markierung der Japaner. Zum einen werden sie über das lokal kulturelle Wissen als Japaner nationalisiert, aber dabei auch in die Kategorie Kooperationspartner sortiert. Alltagspraktisch wird über die visuellen Zeichen und das lokale Wissen auf die Zugehörigkeit zu einem Kooperationspartner geschlossen. Darüber hinaus findet aber auch eine Nationalisierung statt, indem mit der Kategorisierung bestimmte Interpretationshilfen aktualisiert werden. Mit Sacks ausgedrückt werden in diesem Feld mit der »japanischen Herkunft« bestimmte Category Bound Activities verbunden: »Japaner nicken«. Diese Geste wird dabei nicht als Zustimmung zu einer Entscheidung oder als Zustimmung auf eine Frage interpretiert oder angeschlossen, sondern als Ausdruck eines aktiven Zuhörens.

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144 | Diversity in Action Fazit der visuellen Kategorisierungen Auf den ersten Blick, als Ausgangsbasis der Interaktion, unterscheiden sich die Teilnehmer für kompetente Betrachter in ihren nationalisierten Kleidungskonventionen und in ihren Berufsrollen. Der Kleidungsknigge für Amerikaner, Briten und Deutsche verdeutlicht, dass die Teilnehmer entlang der Kleidungsgewohnheiten der Länder in ihrer nationalen Herkunft erkennbar sind. Durch den Kleidungsstil findet eine Präformierung in nationale und gleichzeitig in professionsbezogene Mitgliedschaftsklassen statt. Auf Grund der visuellen Indizien ist es einem kompetenten Betrachter möglich, die Teilnehmer in ihrer Stellen- und nationalen Zugehörigkeit zu klassifizieren. Diese visuelle Unterscheidung wird im Alltag genutzt, um reibungslos und ohne weitere Nachfragen auf die sprachlichen Kompetenzen der Teilnehmer zu schließen und in eine geteilte Interaktionssprache zu wechseln. Jenseits dessen ist die Suche nach nationalen Unterschieden jedoch einer vordergründigen Beobachtung geschuldet. Wenn man mit der Ethnomethodologie nach dem lokalen Sinn der nationalen Differenzierung der Teilnehmer durch visuelle Indizien fragt, stößt man darauf, dass diese Unterscheidung eine Suche nach Statusmarkern und im Fall der Asiaten eine Suche nach Kooperationspartnern ist. Anders formuliert bilden die Organisationshierarchie und die Kooperation von Ford mit anderen Firmen die Suchmaske dafür, nach Nationalitäten bzw. nach Bevölkerungsgruppen zu sortieren. Eine gleichrangige Auflistung der verschiedenen Nationalitäten, die in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung arbeiten, legt daher eine falsche Symmetrie nahe. Die markierte Kategorie ist in Bezug auf den Status der amerikanische Manager. Die restlichen Mitglieder werden lediglich nationalisiert miterfasst. Die Mitgliedschaftsklassen Nationalität und Profession sind nicht unabhängig voneinander, sondern verweisen aufeinander bzw. erlauben eine Hypothese zum Status der Mitglieder. Die Wichtigkeit der Organisationshierarchie als Folie für die Suche nach Statusmarkern ist auch in der auf den ersten Blick angezeigten Unterscheidung von Managern und Ingenieuren angelegt. Diese professionsbezogene Differenz verweist wiederum auf eine interaktionsrelevante Statusdifferenz, die für den weiteren Verlauf einer Interaktion bedeutungsvoll ist. In der Kleidung zeigen die Mitglieder an, ob sie amerikanische Manager oder Ingenieure sind. Die nationale Herkunft wird, auch wenn sie nur eine Interimskategorie auf dem Weg zur Statussuche ist, von den Teilnehmern auf den ersten Blick über die Kleidung registriert. Diese Kategorisierung gelingt jedoch nur, weil die Beteiligten wissen, welche verschiedenen Nationen in den Gebäuden arbeiten. Die multiple Klassifikationsbreite der nationalen Herkunft

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wird sowohl durch das lokale Wissen um die Nationalitäten, die in der Entwicklungsabteilung arbeiten, als auch dadurch, dass asiatisch aussehende Mitarbeiter japanische Kooperationspartner sind, enorm eingeschränkt. Visuelle Indizien in Bezug auf die nationale Herkunft sind, wenn man sie mit der Eindeutigkeit der kulturell garantierten Sichtbarkeit von Geschlecht vergleicht, recht vage. Zwar werden über die sichtbaren körperlichen Merkmale bei Ford Bevölkerungsgruppen nach Erdteilen als Asiaten klassifiziert, aber erst durch das lokale Wissen als Japaner nationalisierbar. Der primäre Kanal für die Darstellung und Zuschreibung der nationalen Herkunft ist nicht die Visualität, sondern die Akustik: In der mündlichen Interaktion weisen der Akzent und typische Sprechmuster auf die nationale Herkunft eines Sprechers.

3.2 Die mündliche Interaktion Soziale Kategorien sind vieldeutig, und es ist eine Frage des Verlaufs der Interaktion, welche Mitgliedschaftskategorien für die Interaktion wesentlich werden. In diesem Kapitel soll der Frage nachgegangen werden, ob die Interaktionsteilnehmer auch über den ersten Blick hinaus in der mündlichen Interaktion sich wechselseitig in den verschiedenen Klassen mobilisieren. Ich möchte dafür in einem ersten analytischen Schritt beschreiben, wodurch sich das organisationsbezogene Handeln der Teilnehmer primär auszeichnet, um dann in einem zweiten Schritt zu zeigen, wie und an welcher Stelle in den alltäglichen mündlichen Interaktionen bei Ford die nationale Herkunft der Mitglieder differenziert und relevant gemacht wird. Ich zeige daher im ersten Schritt, was von den Mitgliedern der Organisation in der Interaktion getan wird, um ihre Professions- und Positionszugehörigkeit als Manager bzw. Ingenieure darzustellen, und wie sie sich wechselseitig in ihren Professionszugehörigkeiten aktualisieren. Im zweiten Schritt lege ich dar, wie innerhalb dieser Mitgliedschaftsklasse nationale Differenzen gezogen bzw. neutralisiert werden. Dieser Zweischritt im Vorgehen begründet sich darin, wirklich die Nullhypothese in Bezug auf die Mitgliedschaftsklasse der nationalen Herkunft zu formulieren und die Relevanz der nationalen Herkunft nicht in allen Handlungen und Äußerungen bereits anzunehmen. Vielmehr soll auf Augenhöhe der Interaktionen beschrieben werden, an welcher Stelle im Alltag diese Mitgliedschaftskategorie aktualisiert und neutralisiert wird. Was tun die Teilnehmer im Alltag? Was tun sie, um zu Mitgliedern der verschiedenen Positionen, also zu Managern und Ingenieuren zu werden?

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3.2.1 Doing Being An Engineer – nomadische Sacharbeiter Die Arbeit der Ingenieure, die technische Entwicklung eines Fahrzeugs, ist ein hoch iterativer und interdependenter Prozess. Alle Pläne und kleinsten Änderungen müssen aneinander orientiert sein und wechselseitig kontrolliert und geprüft werden. Eine winzige Änderung im Material, im Gewicht oder in der Form hat Auswirkungen auf eine Vielzahl anderer Entwicklungsbereiche, die miteinander systematisch koordiniert werden müssen. Die Tagesabläufe von Ingenieuren sind, je nach konkreter Aufgabe und Projektphase, sehr heterogen. Die Ingenieure, die ich begleitete, waren zu großen Teilen an ihrem Computer mit Zeichnungen und Berechnungen beschäftigt. Ingenieure sprechen eine Vielzahl ihrer Tätigkeiten untereinander in selbstständig organisierten Zweier- und Kleingruppengesprächen ab. Neben diesen selbstständig informellen Besprechungen nehmen sie regelmäßig für ihren Aufgabenbereich an programmphasenspezifischen technischen Meetings teil. Sie haben Besprechungen mit Zulieferern, deren Entwicklungsarbeit sie koordinieren, oder treffen sich mit Kooperationspartnern, mit denen zusammen sie die Entwicklungsarbeit an einem spezifischen Auto firmenübergreifend koordinieren. Sie nehmen an Tagesworkshops mit Partnern teil, in denen es darum geht, dass sie ihre Kooperationspartner persönlich kennen lernen, je nach konkreter Tätigkeit und Aufgabenstellung organisieren sie einen Workshop mit Zulieferern und versuchen, Ideen für Entwicklungstätigkeiten zu entwickeln, die die Preise drücken sollen. Aber, so wurde mir berichtet, ihre Haupttätigkeit sei es, vor dem Computer zu sitzen und Berechnungen und Zeichnungen zu erstellen. Visuelle Experten Frau Schmidt fängt an, mir ihre Tätigkeit zu erklären. Ihr Bereich sei der »Side-Impact«. Sie schildert mir die verschiedenen Anforderungen und Tabellen für Aufprallsimulation und zeigt mir, welche Werte für einen Seitenaufprall erwartet werden. Da gibt es vom Gesetzgeber bestimmte Werte, die sich auf Kategorien wie Hüfte, Rippe und die Weichteile eines Körpers beziehen, erklärt sie mir. Man versucht unter diese gesetzlich angesetzten Werte zu kommen und berechnet dann Kraft und Geschwindigkeit eines Aufpralls und welche Auswirkungen er hat. Ihre Aufgabe ist es, die verschiedenen Varianten am Computer zu simulieren und Werte zu prognostizieren. Dann erst gibt es richtige Crash-Tests, in denen die Werte getestet werden und geschaut wird, wie nah man mit der Simulation an der Wirklichkeit ist. Sie – so beschreibt sie ihre Aufgabe – spielen Worst-Case-Szenarien durch und berechnen, was mit den »Dummies« dann passiert. Sie zeigt mir am Computerbild, mit welcher Feintechnik die ganzen Sachen berechnet werden. Auf dem Bildschirm sehe ich

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3. Membership in Action | 147 kleine Quadrate und werde sofort darüber informiert, dass das »Meshings« sind. In den Quadraten könne man gut die Kraftrichtung berechnen, und der Rechner berechne dann die Entwicklung von Punkt zu Punkt. Und so was zu berechnen, fügt sie mit Stolz in der Stimme hinzu, das schafft nur unser Super-Rechner, »die Cray«.

Die Szene ist ein Ausschnitt aus einer längeren Aufgabendarstellung einer Ingenieurin. Ohne jemals mit Computersimulation in Kontakt gekommen zu sein, hatte ich nach ihren Ausführungen eine ganz konkrete Vorstellung davon, was ihre Aufgabe ist. Diese fachlich-sachlichen Aufgabenbeschreibungen sind typisch für Ingenieure. In den Tätigkeitsbeschreibungen weisen sie ihre Arbeit mit viel Liebe zum Detail als eine professionsbezogene Sacharbeit aus, die sie ganz anschaulich an Computerbildern, Zeichnungen oder handfesten Karosserieteilen vermitteln können. Wie (Henderson 1999) in ihrer Untersuchung zur Arbeitstätigkeitskultur von Design-Ingenieuren zeigt, zeichnet sich ihre Tätigkeiten durch eine visuelle Kultur aus: Sie erstellen Zeichnungen am Computer oder auf dem Papier und fertigen damit eine visuelle Repräsentation des Produktes an. Diese visuelle Kultur zeigte sich auch in Besprechungen mit Kollegen. Ein junger Ingenieur, etwa 26 Jahre alt, kommt in die Box und setzt sich direkt an den Besprechungstisch, er hat eine Zeichnung dabei. Herr Frese, der schon 36 Jahre bei Ford arbeitet, spricht ihn an: »Na, was is, ham’ ses gemacht?« I: »Ja, das habe ich schon mal so weit durch, ich hab grade ’ne Meldung, die is nich so schön, ja, mit gestern oder so was hat Lear festgestellt, dass se hier die Kabel herlegen (zeigt auf die Zeichnung), wo se eigentlich unterschrieben haben, dass se das nicht brauchen, und das blockieren wir jetzt erst mal. Wir haben ja unsere Riesenfreigabe jetzt über Monate endlich mal durchgequält, und jetzt ham die auf einmal festgestellt, wenn se’ nen CD-Player daherlegen, dann müssen jetzt hier da doch das Loch haben (zeigt auf Zeichnung) und hier müssen se auch das Loch haben.« Er fragt Frese, ob die Zulieferer jetzt diese Veränderung vornehmen können, ob das jetzt überhaupt noch geht und ob es das schon bei vergangenen Modellen gegeben habe. Frese geht zum Aktenschrank und holt eine Zeichnung raus. Er zeigt ihm, wie sie das Problem bei einem anderen Fahrzeug gleichen Typs gelöst haben. Er spricht ihm ermutigend zu, dass er sich da nicht was vorgaukeln lassen soll.

In der Besprechung beratschlagen die beiden Ingenieure anhand von Zeichnungen die anstehenden technischen und verhandlungsstrategischen Veränderungen. Ingenieure stellen nicht nur ihre Arbeit mittels Zeichnungen und handfester Automodellteile vor, sondern erörtern technische Veränderungen oder – wie in dieser Szene – technische Abweichungen, die von Zulieferern vorgenommen werden, anhand von Zeichnungen. Durch ein Zeigen auf einen bestimmten Bereich der Zeichnung wer-

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148 | Diversity in Action den die hoch indexikalischen sprachlichen Begleitzeichen (»hier die Kabel herlegen«, »jetzt hier da doch das Loch«) sehr präzise in ihrem Bedeutungsgehalt gefasst. Der Sachverhalt wird dabei gerade nicht mündlich oder durch eine bestimmte Sequenzabfolge benannt, sondern vielmehr gezeigt. Ingenieure zeigen auf Zeichnungsausschnitte und führen dadurch Gespräche über Gestaltungsveränderungen. Dies ist kennzeichnend für eine visuelle Arbeitskultur, die hier nur kurz angerissen werden soll.10 Die Szene zeigt darüber hinaus noch etwas anderes, das typisch für die Arbeit der Ingenieure ist. Ingenieure fragen sich wechselseitig als Experten an. Insbesondere die älteren Ingenieure, die bereits 15 bis 30 Jahre Entwicklungs- und Firmenerfahrung haben, werden um einen Expertenrat gefragt, wenn es um technische Fragen geht, um die richtige Zusammensetzung von Meetings oder den Umgang mit Arbeiten von Zulieferern. Aus ethnographischer Perspektive waren sie perfekte Informanten, da sie mir sehr geduldig scheinbar selbstverständliches Wissen wie die Abkürzungen, Prozesse und Verfahren erklärten. Sie werden aber nicht nur von anderen Ingenieuren, sondern auch von den jüngeren Supervisoren auf ihr Erfahrungswissen in Bezug auf technische Probleme, Prozessfragen und Einschätzungen über die Qualität der Arbeit und Zuverlässigkeit von Personen angefragt. Erfahrung wird dabei direkt an das Alter der Person bzw. ihre Firmenjahre gekoppelt. Auch in den Selbstbeschreibungen der älteren Ingenieure wird dieser Erfahrungsunterschied immer betont: »Wenn Sie Ihren Job kennen und ein bisschen Erfahrung haben und sich nicht von dem Job treiben lassen, dann sind Sie sattelfest. Sind Sie neu in dem Job, verstehen Sie nicht, was redet der überhaupt, wenn so einer wie ich, also ich kann das natürlich leicht sagen, vor 30 Jahren hatte ich auch nicht das Wissen, nicht, das kann man auch gar nicht, erwarte ich auch gar nicht, auch keiner hier, aber dann kommen ja auch viele Faktoren in der Richtung zusammen.« (Interview mit einem Ingenieur)

Ältere Ingenieure inszenieren technische Prozesserfahrung, die man nicht durch ein Fachstudium nachweisen kann, sondern erst durch die Arbeit an konkreten Projekten und Aufgaben in bestimmten Entwicklungsbereichen 10 | Eine vollständige Arbeitstätigkeitsanalyse müsste eine genaue Beschreibung der Embodied Practices (Garfinkel 1986) umfassen, wie dies aus ethnomethodologischer Richtung Suchman (2000) untersucht, oder ihrer visuellen Arbeitskultur im CAD und Papier-Design, der Henderson (1999) nachgeht. Der Fokus meiner Arbeit liegt hingegen auf einem Ausschnitt der Tätigkeiten von Ingenieuren, die für ihren Alltag bei Ford typisch sind, indem ich der Frage nachgehe, in welche Mitgliedschaftskategorien sich Ingenieure mobilisieren und wie sie mit den veränderten Erwartungen in ihrem unmittelbaren Arbeitskontext umgehen.

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erwirbt. In ihrem Job, so wird in den Selbstbeschreibungen betont, sind sie »sattelfest«, und sie können die Qualität von technischen Lösungen oder verwendeten Materialien auf einen Blick erfassen. Damit vermitteln sie auch, dass sie nicht ohne weiteres austauschbar sind, sondern über personengebundenes Wissen verfügen. Diese Art Wissen schreiben sich Ingenieure wechselseitig zu. »Das ist der Herr Laute, der ist in meiner Position, macht aber für das Safety-Programm-Team. Der ist vom Safety-Core-Team, ist verantwortlich, dass in Amerika, was ich eben gesagt habe, die Zertifizierung des Programms läuft. Er hat den direkten Draht nach Amerika. Ich kann auch selbst in Amerika anrufen, ich kenn die Leute auch, aber ich kann ihn nicht übergehen, sonst sagt der hinterher, ja, hab ich nicht gewusst. Er hat einen Mitarbeiter im Trafford-Haus sitzen in England, er müsste mir eigentlich in diesem Meeting, ich=werde=ich auch einladen, wird auch dabei sein, aber Peter Kay is mir wichtiger, weil er die Arbeit macht, der macht auch die Pläne und so weiter. Und der Roland Hallman ist vom Safety-Core-Team ein, also der Laute macht nur die Pläne und so weiter, dass das alles läuft, während der Roland Hallman ist Fachmann, der mir sagt, den Test müsst ihr so machen, ich würde das so vorschlagen, da kann der Gesetzgeber in Amerika mit leben, das kann der Laute mir nicht sagen. Deswegen ist der Hallman für mich äußerst wichtig. Der Herr Hallman hat vorher in der Homologierungsgruppe für Europa gearbeitet. Und da hat er also die Sitzteste, Sicherheitsgurtteste, die Airbagteste und so weiter mit mir mitgemacht. Er war mein, ihm musste ich für die Homologierung meine Testreports geben und er musste dann das Papier für den TÜV für Flensburg für Luxemburg zusammenstellen. So ist der Ablauf.« (Interview mit einem Ingenieur)

In diesem Auszug berichtet ein Ingenieur über seine Tätigkeit in der Zertifizierung, also der rechtlichen Absicherung von Prüfungsverfahren, die durchgeführt werden, um die Erlaubnis zu erhalten, ein Auto auf den Markt zu bringen. Dazu müssen nach länderspezifischen Normen Prüfungsverfahren durchgeführt werden, die z.B. die Sicherheit von Airbags, Sicherheitsgurten und Sitzen testen und rechtssicher nachweisen. In der Zusammenstellung des Meetings stellt der Ingenieur verschiedene Personen vor, die bestimmte Positionen innehaben und die er für ein Meeting zusammenbringen muss. Er betont, dass er die Kollegen in den USA selbst kenne, aber er einen Kollegen in der Hierarchieordnung nicht übergehen dürfe. Auffällig ist, dass er einen Kollegen als »Fachmann« bezeichnet und dessen Sachkenntnis vorstellt. Ingenieure sprechen sich wechselseitig als Fachmänner oder Experten für bestimmte technische Bereiche an. Sie mobilisieren sich in der Zusammenstellung von Besprechungen und in spontanen Anfragen in eine Expertenposition. Um dies jedoch in der auf personelle Jobrotation und räumliche Arbeitsplatzflexibilität ausgerichteten Or-

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150 | Diversity in Action ganisationsstruktur zu bewerkstelligen, braucht man aktuelles Wissen über die Positions- und Erfahrungsträger: In welchen Projekten arbeiten die ehemaligen Kollegen und über welche fachliche Expertise verfügen sie? Dieses Wissen zu erwerben, zu haben und zu halten ist in der stark auf Jobrotation setzenden Matrixorganisation nicht leicht. Bevor ich auf die Methoden eingehe, mit denen Ingenieure dies bewerkstelligen, möchte ich vorher ein wesentliches Charakteristikum ihrer alltäglichen Arbeit vorstellen. Wodurch zeichnet sich ihr Handeln denn eigentlich jenseits der Erstellung der Berechnungen, Zeichnungen, des wechselseitigen Anfragens als Experten und der fachlichen Selbstbeschreibung aus? »Wolfgang«, ruft da jemand vom Gang aus, »lieber Wolfgang«, und kommt schnurstracks in die Box und geht auf Wolfgang zu. Wolfgang begrüßt ihn mit »Hallo Michael.« Michael: »Du, hast du die aktuellen Werte für die letzten Berechnungen für die B-Pillar?« Wolfgang klickt eine Datei in seinem Computer an und zeigt dem Kollegen ein paar Werte, der sagt: »Ach super, und wie habt ihr das jetzt gemacht?« Wolfgang erklärt technische Details, er nimmt einen Ordner und rollt an den Besprechungstisch, die beiden beugen sich über die Papiere. Wolfgang bietet an, ihm die Datei zu schicken: »Wenn du den Chart haben willst, musst du dich an den Keith McNeal für Body wenden, der macht das in England für den C214er.« Der Kollege bedankt sich und geht wieder.

Trotz Internet, E-Mail und Telefon gehen Ingenieure zu anderen Kollegen an deren Arbeitsplatz, um Informationen zu beschaffen, Koordinierungen miteinander zu klären, Terminfristen und Bitten aufeinander abzustimmen. Ingenieure suchen Personen an bestimmten Orten auf. Sie koordinieren ihre Tätigkeiten mit Personen in direkter Face-To-Face-Interaktion und an fixen Orten. Die Personenorientierung zeigt sich in einer geläufigen Höflichkeit, mit der man Individuen gegenübertritt. Es beginnt mit einer namentlichen Begrüßung (»Wolfgang«, »Hallo Michael«), die auf eine gewisse Bekanntschaft und Vertrautheit schließen lässt, da die Teilnehmer sich duzen. Wolfgang wird im weiteren Verlauf der Interaktion dann als Zuständiger für eine bestimmte Aufgabe (»B-Pillar«, ein Bereich der Autokarosserie) angefragt. Er wird dabei aber nicht auf eine Informationsübermittlungsstelle reduziert, sondern als Kenner angesprochen, der ein bestimmtes technisches Problem gelöst hat. Der Kollege gibt über seine Kenntnis Auskunft und fügt unaufgefordert dem Fragenden eine weitere Anlaufstelle für weitere Informationen hinzu. Ingenieure verweisen häufig an andere Fachkollegen weiter, die sie dann in ihrer funktionalen Zugehörigkeit (»Body« in England) und oftmals mit deren aktueller Projektadresse benennen (C214er). Die Interaktion wird abgeschlossen durch höfliches Danken. Dieses Vorgehen beim Beschaffen von Informationen oder Be-

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sprechen von Zeichnungen und Entwürfen erscheint fachlich Arbeitenden vertraut: namentliche Begrüßung, höfliches Anfragen, fachliches Gespräch führen und für Informationen danken. Es zeigt sich darin ein gleichrangiger Kontakt, der keine Statusdifferenzen qua Position in der Interaktion aufbaut, sondern auf Reziprozität basiert. Auch Porschen stellt fest, dass unter Ingenieuren ein gleichrangiger Umgang gepflegt wird, in dem keine positionsspezifischen Statusdifferenzen aufgebaut werden. Sie beschreibt diese Art der Kooperation als eine horizontal dialogische (Porschen 2002: 30ff.). Ingenieure führen Besprechungen im Alltag an diesen Arbeitsplätzen als direkte kopräsente Interaktionen. Mediale Alternativen wie das Telefon, die E-Mail, das Fax oder Intranet werden durchaus benutzt, um Einladungen für Meetings rauszuschicken, Dateien zu übermitteln, Protokolle zu verteilen oder Zeichnungen und Berechnungen nach Disziplinen und Projekten für Kollegen an anderen Standorten zugänglich zu machen. Aber ein großer Teil der Besprechungen und Tätigkeitskoordination findet in persönlichem direkten Kontakt statt. Diese kopräsente Tätigkeit hängt, so legt die eingangs kurz vorgestellte visuelle Arbeitskultur nahe, eben mit diesen Arbeitspraktiken zusammen: indem Ingenieure mit einem Fingerzeig Besprechungen führen, Modelle und Zeichnungen sprechen lassen. »Ich liebe persönliche Kontakte und ich weiß, wenn man persönlich mit Leuten spricht, ist das viel besser, und deshalb fahre ich auch überall hin, wenn ich mit jemanden am Telefon spreche, der wimmelt mich erst ab. Aber es sind alles nur Menschen, wenn sie jemanden am Arbeitsplatz besuchen und später noch was wollen, dann ist das ’ne ganz andere Sache, das ist halt so. Das werden wir aus den Menschen auch nicht rauskriegen. Sie kriegen ja auch viel mehr Informationen mit, wenn Sie mit denen persönlich reden, was für die Firma gut ist, das dauert zwar fünf Minuten länger, aber das spart mir hinterher viel Zeit.« (Interview mit einem Ingenieur)

Vor dem Hintergrund der Organisationsveränderungen lässt sich diese Feststellung als eine Kritik an den veränderten Organisationsstrukturen verstehen, die von den Mitarbeitern verlangen, Kontakte in virtuellen Räumen aufzubauen und zu halten, sowie einen flexiblen Umgang mit kurzfristig Teambesetzten erwarten. Wie wird denn, wenn eine personalisierte Interaktion von den Ingenieuren praktiziert wird, der Kontakt zu Kollegen gehalten? Wie gehen die Ingenieure mit den regelmäßigen Arbeitsplatzwechseln um, die durch die Matrixorganisation und die standortübergreifende Projektarbeit strukturell erzeugt werden?

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152 | Diversity in Action Fußgänger und nomadische Wanderer Ingenieure suchen ihre Kollegen für ein Vis-à-vis-Gespräch an bestimmten Orten, an denen diese ansässig sind, auf: am Arbeitsplatz. Ich bin in der Simulationsberechnung für Crash-Tests. Wie bei allen Ingenieuren steht in der Corner Unit der Computer. Drumherum sind persönliche Gegenstände gruppiert. Ein Stofftier thront neben einer Zimmerpflanze, die auf dem Übertopf den Namen von der Corner-Unit-Besitzerin trägt, eine Keksdose steht direkt neben dem Bildschirm. Daneben hängt eine Zeichnung, auf der ein Dummy in einem Auto sitzt und hängt eine Liste mit Werten, die zum Teil gelb, rot und grün markiert sind. Der Nachbar hat ein vergilbtes Plakat mit einem Mädchen in kurzem Rock drauf mit dem Untertitel: »Wissen ist Macht«, daneben hängen Postkarten aus aller Welt und noch ein paar Cartoons. Auch er hat eine Pflanze an das Fenster zwischen den Boxen gestellt und einen Bildschirmschoner mit einem Foto von ihm. Auf dem Boden zwischen den Workstations, erkenne eine türkisfarbene Innentür. In der nächsten Box hat ein Ingenieur alle möglichen Türschlösser unter seinem Schreibtisch in einem flachen Karton liegen, und auf dem Schrank liegt das Modell eines Autotürfensters.

Durch die Gestaltung des Arbeitsplatzes werden der konkrete Arbeitsbereich und die Aufgabe des Ingenieurs durch Zeichnungen und Gegenstände augenfällig: sei es, dass Zeichnungen von den Entwicklungsteilen an den Boxenwänden um den Bildschirm hängen oder ganze Autoteile auf dem Boxenboden, den Schränken und den Tischen verteilt sind. Ingenieure zeigen damit an, ob ihr Tätigkeitsbereich z.B. in der Simulation liegt oder ob er in der Konstruktion von Türschlössern, der Frontteile, der Stoßstange etc. liegt. Neben den Gegenständen sieht man auch immer Schaubilder, welche die Aufgaben in der firmeneinheitlichen Messtypik anzeigen, welche die Aufgabenerfüllung in den Ampelfarben Rot, Orange, Grün misst. Auffallend ist zudem neben der Gestaltung die Personalisierung der Arbeitsplätze. Ingenieure bewohnen ihre Arbeitsplätze als persönliche Territorien, indem sie Familien- und Urlaubsfotos, Postkarten und sonstige Gegenstände um den Bildschirm drapieren, die den persönlichen Humor spiegeln. Früher, so beklagen sich viele Ingenieure, habe man gewusst, wer »Spiegel« macht, und heute, wenn man einen Experten sucht und in die Box geht, dann sitze der da nicht mehr und mache auch jetzt was ganz anderes.

Die neue Raum- und Projektverteilung erzeugt für die Suche nach speziellen Experten oder den Erhalt enger Kontakte zu Kollegen Schwierigkeiten. Die Dezentralisierung der Funktionsbereiche, die ich im Strukturkapitel

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beschrieben habe, wurde durch die Gestaltung von Ford 2000 aufgelöst zugunsten einer projektzentrierten Arbeitszusammensetzung. Experten für Schlösser und Autodächer sitzen jetzt nicht mehr zusammen in einer Etage, sondern sind verteilt auf die verschiedenen Gebäude und z.T. auch Standorte. Ich laufe mit einem älteren Ingenieur, etwa 50 Jahre alt, in ein anderes Gebäude, um dort einen Kollegen aufzusuchen. Auf dem Weg dorthin erklärt er mir: Früher sei man eine große Familie gewesen, »Familie in Gänsefüßchen«, schiebt er erklärend nach. Da hätten die Body-Leute alle auf einer Etage gesessen. Heute säßen die Leute, die an Programmen arbeiten, zusammen. Den großen Zusammenhalt von »Body«, den gebe es jetzt nicht mehr. Man kenne schon viele Leute nicht mehr. Man sei jetzt dezentralisiert, erklärt er, und deshalb diese ganze »Wanderei«.

Es wird versucht, den dauernden Ortswechsel von Personen in neue Teams durch ein nomadisches Wandern der Ingenieure auszugleichen. Um Fachliches kopräsent auszuhandeln, werden am Tag einige Meter in Kauf genommen, um Kollegen in anderen Gebäuden oder Etagen aufzusuchen. Wenn man alltäglich durch die Boxen läuft, entwickelt man eine Art kognitiver Landkarte, nach der man routiniert die Richtung einschlägt und dann quasi-automatisch auf seinen Wegen an den Boxen mehrerer Kollegen vorbeikommt. Ich brauche gut vier Wochen, bis ich mich sicher auf den Etagen bewegen kann und immer auf Anhieb die richtige Richtung einschlage und die richtige Box für den Tag finde. Irgendwann, so bemerke ich, orientiere ich mich nicht mehr an den Nummern der Raumsäulen, sondern an einem diffusen Körpergefühl und vagen kognitiven Landkarten (»die Box vom XY war rechts«) und gehe, wenn ich aus dem Treppengebäude komme, direkt in die richtige Richtung und zielstrebig auf die Box zu.

Wenn man so nach Routinen seine Wege und Gesprächspartner sucht, muss man sich durch das Umziehen häufig umstellen. Die Kollegen sitzen vielleicht drei Monate an dem gleichen Arbeitsplatz, vielleicht auch kürzer oder auch ein bis zwei Jahre. Da kommt es häufiger vor, dass man vor der falschen Box steht und der gesuchte Kollege umgezogen ist. Alle Mitarbeiter können im Internet nachsehen, welche aktuelle Adresse ein Mitarbeiter hat, also welchem Projekt er zugeordnet ist und wo sein Arbeitsplatz ist, aber oft wissen auch die neuen Mieter der Box, wohin ein Kollege gezogen ist. »Wart ihr schon frühstücken?« Ein Kollege schaut rüber durch das Fenster und richtet die Frage an Heinz und Wolfgang. Wolfgang verneint und sagt: »Nee, aber wir

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154 | Diversity in Action wollen jetzt gehen. Kommste mit?« fragt er Heinz. Alle zusammen gehen in die Cafeteria, die im Parterre liegt. Hier ist viel los. Frühstücks-Rush-Hour. An den runden Tischen sitzen kleine Gruppen oder Zweiergruppen zusammen über einem Kaffeebecher mit Brötchen oder Müsli. Wir stellen uns an die Stehtische im Nichtraucherbereich. Da sagt Heinz: »Oh, wart mal einen Moment, ich bin gleich wieder da«, und geht zu einer Gruppe von älteren Herren, die in einer Ecke sitzen, er begrüßt sie und wechselt ein paar Worte. Dann kommt er zurück. »Ach, das war gut, mit dem Dieter wollte ich mich die ganze Zeit schon mal treffen, der hat im letzten C23 in der Noise Reduction gearbeitet und sitzt jetzt drüben bei dem J71. Ich geh gleich mal bei ihm vorbei.«

Einen stabilen und gleich bleibenden Ort bildet die Cafeteria im Parterre. Um den persönlichen Kontakt zu Kollegen aus vergangenen Projekten zu pflegen oder zu solchen, mit denen man früher in den funktionalen Abteilungen zusammengearbeitet hat, um sein Wissen über deren aktuelle Expertise auf dem Laufenden zu halten, trifft man sich systematisch zufällig in der Cafeteria. Die Cafeteria wird zu bestimmten Uhrzeiten rege besucht. Zwischen neun und zehn Uhr, in der Mittagspausenzeit und noch mal zwischen 15 und 16 Uhr ist sie stark frequentiert. In der Cafeteria begrüßt man sich beiläufig und gibt kurze Handzeichen, dass man jemanden wahrgenommen hat. Darüber hinaus werden auch regelmäßig Verabredungen mit Kollegen getroffen. Gewöhnlich trifft man sich mit einem oder mehreren Kollegen, um dort für 15 bis 30 Minuten zusammenzusitzen und ein kleines Frühstück oder ein Nachmittagsgebäck oder einfach ein Getränk zu sich zu nehmen. Viele erzählen mir, dass sie wissen, wann jenseits der großen Stoßzeiten bestimmte Exkollegen, wenn sie am Standort sind, hier ihren Kaffee trinken. Die Cafeteria liegt aber auch am Tag auf dem Weg oder sie wird auf den Weg gelegt, von einem Meeting zum nächsten. Die Cafeteria ist ein Ort, um Kontakte und alte Verbindungen, die durch die vielen Umzüge in verschiedene Projekte aufgelöst wurden, zu pflegen. Zufällig und durch die institutionalisierten Frühstücks- und Mittagszeiten trifft man auf alte Kollegen, die nun in neuen Projekten, in anderen Etagen und Gebäuden sitzen. Die Cafeteria wird nicht nur von Ingenieuren, sondern auch von Supervisoren und auch dem mittleren Management besucht. Die Verweildauer ist allerdings kürzer als bei den Ingenieuren, man holt sich einen Kaffee und geht wieder an den Arbeitsplatz. Die Cafeteria ist ein Ort, an dem sich alle, ungeachtet ihres Status treffen. Ganz früher, so wird mir berichtet, gab es eine »Manager-Kantine«, aber die sei abgeschafft worden, und jetzt gingen alle hierhin. In der Cafeteria wird über die laufenden Projekte gesprochen, die neue Unternehmenspolitik kritisiert, aber auch Privates findet seinen Raum. In den Gesprächen wurde immer wieder deutlich, dass an

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diesem Ort ungezwungener und freier gesprochen wurde. So kam bei einigen Gesprächspartnern der Dialekt stärker zum Vorschein, wenn sie in der Cafeteria etwas erzählten, die Bewertungen des Managements wurden deutlicher, man nahm kein Blatt vor den Mund. Dies ist bemerkenswert, da man den Gesprächen der Nachbartische akustisch durchaus gut folgen kann. Im Unterschied zu der Arbeitsplatzbesetzung in den Boxen findet hier jedoch eine freiwillige Gruppierung der Personen statt. Sie stehen auf und setzen sich, wie es gerade passt, oder gehen durch die Sitzplatzwahl bestimmten Zuhörern aus dem Weg. Während in den Boxen das personelle Umfeld nicht im Entscheidungsbereich der Individuen liegt, wählen die Besucher der Cafeteria ihr Gesprächsgegenüber und das Zuhörerumfeld selbst aus.

3.2.2 Doing Being A Manager – getaktete Kommunikationsmedien Manager und Supervisoren betreiben die Koordination und Kontrolle von Produktionsentwicklungsprozessen. Sie synchronisieren hochgradig arbeitsteilige Kommunikationsvorgänge über verschiedene Kommunikationsmedien. Die Masse an Kommunikationen, die sie zu bewältigen haben, ist rein quantitativ betrachtet enorm. Manager verschaffen sich in der Besprechung einen Überblick über den Entwicklungsstand und kontrollieren den Status von Projekten und Aktivitäten. Es wird geklärt, welches Maß an Zeit, an personellen und finanziellen Ressourcen bereitgestellt werden muss, um bestimmte Teilprodukte herzustellen oder ein bestimmtes Produktionsziel zu erreichen. Diese Tätigkeiten spielen sich alltäglich vor allem in einem bestimmten Interaktionstypus ab, der »Besprechung«. Temporalisierte Interaktion 7 Uhr: Der Senior Manager fährt den Computer hoch und startet den Tageskalender und das E-Mail-Programm. Er ruft E-Mails ab und beginnt sie durchzuarbeiten. Ein Mitarbeiter ruft an und fragt, ob er vorbeikommen kann. Fünf Minuten später steht er in der offenen Bürotür und stellt seine Frage. Der Senior Manager sitzt vor seinem Computer und rollt kurz an den Besprechungstisch. Nach dem Gespräch verlässt der Mitarbeiter grußlos den Raum. Der Senior beantwortet weiter E-Mails. Es ist acht Uhr, die Sekretärin kommt und ruft ein »Good morning to you« in den Raum und startet ihren Computer. Dann ruft er einen Manager an und bittet ihn, jetzt sofort in sein Büro zu kommen. Drei Minuten später steht der Manager in der Tür, der Senior rollt mit seinem Bürostuhl an den Besprechungstisch, und der Manager setzt sich mit dem Rücken zur Wand. Die Bürotür bleibt während der Besprechung offen. Danach führt der Senior zwei weitere Gespräche mit Mitarbeitern am Telefon, geht kurz

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156 | Diversity in Action vor die Tür zur Sekretärin und unterschreibt einen Brief. Drei Minuten vor neun klemmt er sich eine Mappe unter den Arm, und wir gehen zusammen zu seinem Staff Meeting. Der Videokonferenzraum ist eine Etage tiefer, alle anderen Manager sind bereits dort im Raum versammelt. Das Meeting ist eine Konferenz aller Department Manager und daher eine Videokonferenzschaltung nach England. Um 10.40 Uhr ist das Staff Meeting beendet. Im Büro sitzen bereits drei Supervisoren, die einen Termin für 10.30 Uhr zum Mentorengespräch hatten. Die Tür bleibt die ganze Zeit während der Besprechung offen. Das Beraten der Nachwuchskräfte dauert bis 12.15 Uhr. Der Senior checkt seine E-Mails, er hat in den letzten vier Stunden 30 Mails bekommen und geht diese systematisch durch. Er geht kurz in die Cafeteria und holt sich einen Joghurt und eine Banane. Er druckt Briefe und E-Mails aus, schreibt und tippt. Um 13 Uhr ist der nächste Termin, zwei ältere Mitarbeiter werden geehrt und eingeladen zu ihrem 35-jährigen Mitarbeiterjubiläum. Der Senior schenkt Kaffee aus und bietet Kekse an. Das Englisch der beiden deutschsprachigen Ingenieure ist gebrochen. Die Konversation wird in einfachstem Englisch geführt. Um 14 Uhr rollt der Senior wieder vor seinen Computer und beantwortet E-Mails, um 14.10 Uhr steht ein Mitarbeiter in der Tür, klopft an den Türrahmen und fragt auf Englisch, ob er stören könne. Er klärt etwas und geht dann wieder. Um 14.20 Uhr kommt die Sekretärin mit den Worten »Will McDonald« herein, der Senior nimmt im Stehen den Telefonhörer ab und beantwortet die Fragen in kurzen Sätzen. Die Sekretärin hat die Türe im Hinausgehen geschlossen. Das Telefonat dauert fünf Minuten. Danach geht der Senior kurz hinaus, holt Ausdrucke und beantwortet weiter E-Mails. Um 15 Uhr wählt er sich in ein Telefonmeeting ein. Die Bürotür ist wieder offen, ein Mitarbeiter kommt hinzu, nimmt sich einen Stuhl und rückt an das Telefon heran, das auf Lautsprecher gestellt ist. Zwei weitere Mitarbeiter trudeln in seinem Büro ein und nehmen sich einen Stuhl. Nach dem ersten Agendapunkt des Telefonmeetings wendet sich der Senior ab und rollt vor seinen Computer. Er arbeitet weiter E-Mails ab. Gegen 16 Uhr wird die Audiokonferenz beendet. Die Teilnehmer verlassen das Büro grußlos. Vor der Tür wartet ein Manager, und ein zweiter klärt einen Termin mit der Sekretärin ab. Der Manager kommt herein, und der Senior schließt die Tür. Es findet ein One-to-one über Personalangelegenheiten statt. Um 16 Uhr warten zwei Supervisoren vor der Tür, der Manager geht, und die beiden kommen herein, der Senior checkt seine E-Mails kurz und rollt dann an den Tisch heran. Das Meeting dauert bis 18 Uhr. Die Sekretärin packt draußen ihre Sachen. Ein letztes Meeting ist an dem Tag für 18 Uhr angesetzt, ein Einzelgespräch mit einem Supervisor. Es dauert bis 19 Uhr. Draußen wartet keiner mehr. Der Senior checkt zum letzten Mal seine E-Mails und beantwortet die eine oder andere. Im Schnitt bekommt er 120 E-Mails am Tag, und in alle schaut er hinein. Er räumt die letzten Papiere ordentlich vom Tisch und verlässt einen sauberen Schreibtisch gegen 19.30 Uhr.

Zeit wird im Tagesrhythmus eines Managers im Besprechungstakt gemessen und ist eine knappe Ressource. Alle Handlungen der Manager sind in

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diesen Grundrhythmus eingespannt, der einerseits durch bestimmte Infrastrukturen vorgegeben, aber auch selbst tagtäglich erneut interaktiv hergestellt wird. Die Besprechungstypen sind, wenn man sie nach den benutzten Medien unterscheidet, Face-To-Face-Konferenzen, Videokonferenzen oder auch Audiokonferenzen, die gewöhnlich an jedem Tag stattfinden. Im Alltag werden sie mit dem englischen Ausdruck Meeting bezeichnet. Wenn man sie nach den Orten, an denen sie stattfinden, unterscheidet, dann setzt nur die Face-To-Face-Besprechung eine Gleichzeitigkeit und Gleichörtlichkeit der Teilnehmer voraus. In der gezeigten Szene ist es das Büro des Managers. Die anderen Typen von Besprechungen finden in einem geteilten virtuellen Raum statt, der Kommunikationspartner an verschiedenen Orten miteinander verbindet. Meetings dauern zwischen einer halben bis zu zwei Stunden. Sie sind immer für eine bestimmte Zeit zur vollen oder halben Stunde angesetzt.11 Die Zeitbegrenzung von Meetings wird in der Regel eingehalten. Wenige wichtige Meetings, die Face-To-Face geführt werden, sind für eine unbestimmte Zeit angesetzt. Meetings sind der Basistakt im Alltag, und dieser Basistakt wird global einheitlich praktiziert. Das Typische an einem Manageralltag ist, dass in diesem Takt sowohl der einzelne Tag vollständig strukturiert wird als auch die Arbeitswochen und Programmphasen der Autoentwicklung. Die Besprechungen werden in der Tagesplanung so organisiert, dass sie passgenau, Schlag auf Schlag aneinander anschließen. Zum Teil sind sie wiederkehrend und haben einen festen Platz im Terminkalender. Neben dieser mündlichen Form der Kommunikation benutzen Manager Medien, die auf Schriftlichkeit basieren: E-Mail, Briefe, Dokumente und Eintragungen im Intranet.12 Eine zentrale Funktion der Schriftlichkeit der Kommunikation ist, dass sie das Gedächtnis der Organisation für Entscheidungen und natürlich auch eine Form des Gedächtnisses der Entscheidungsträger bildet. Ihr zentrales Kennzeichen für den Kommunikationsalltag ist, dass sie nicht die Gleichzeitigkeit und Gleichörtlichkeit des Gegenübers, also des Adressaten, voraussetzt und daher jederzeit vom Autor aufgenommen oder abgebrochen werden kann. Diese unterbrechbare Kommunikation zieht sich wie ein zweiter Faden durch den Tag der Manager. Dabei gilt es, folgende Frage zu klären: Was tun Manager, um die Grundeinheiten zu erzeugen? Wie und mit welchen Methoden werden die Besprechungstakte hergestellt und an welchen Orten finden die Besprechun11 | Es gibt Meetingblöcke, die auch für ganze Tage angesetzt sind, oder Blöcke von vier bis sechs Stunden. 12 | Sie verfügen darüber hinaus auch über Fax und Anrufbeantworter, wobei die Sekretärinnen höherer Manager den direkten Empfang der Anrufe und der mündlichen Nachrichtenannahme übernehmen und in ihrer Wichtigkeit sortieren.

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158 | Diversity in Action gen statt? Zunächst fällt allgemein auf, dass es im Tagesablauf keinerlei Pausen gibt, sondern ein beständiges Tun. Es gibt keine Erholungspausen, keine Denkpausen im Tag, sondern ein konstantes, für einen Beobachter sichtbares Tun: Besprechungen durchführen, telefonieren, E-Mails lesen, sortieren und beantworten, den Status von Programmen und Tätigkeiten kontrollieren, Excel-Tabellen lesen, Termine mit der Sekretärin absprechen.13 Zu Beginn des Arbeitstages werden die neuesten E-Mails abgerufen. Viele Manager kommen bereits zwischen 6 und 7 Uhr ins Büro, um ungestört von Besprechungen in aller Ruhe E-Mails abzuarbeiten. Aufgrund der Zeitunterschiede zwischen den Standorten (USA und Deutschland) kommen über Nacht immer neue Aufträge und Anfragen hinzu. Manager erhalten am Tag ca. 100 bis 130 E-Mails, Supervisoren je nach Programmtätigkeiten bis zu 60. Je höher die Position eines Managers, desto mehr E-Mails erhält und bearbeitet er. Diese Sisyphosarbeit ist eine alle Besprechungsfreiräume ausfüllende Tätigkeit, die immer abgebrochen und jederzeit wieder aufgegriffen werden kann. Sie wird von Supervisoren und Managern kontinuierlich und diszipliniert durchgeführt. Die abgearbeiteten Aufgaben werden dokumentiert, zum einem durch Eintragungen in vorgegebene Projekttabellen, die den operativen Alltag strukturieren, und zum anderen symbolisch durch einen sauberen Schreibtisch. Erreichbarkeit Manager und Supervisoren sind trotz des dichten Besprechungsrhythmus für ungeplante Anfragen von Mitarbeitern erreichbar. Approachability (Zugänglichkeit) ist eine soziale Praktik, durch die sich Führungskräfte in ihrem Berufsalltag auszeichnen sollen und die in den formalen Bewertungsverfahren als ein Bewertungskriterium für Vorgesetzte herangezogen wird. Technisch gibt es verschiedene Möglichkeiten der Erreichbarkeit bzw. Zugänglichkeit. Erreichbarkeit kann über das Telefon, über einen Termin mit der Sekretärin oder einen Blick in die vernetzte Computeranlage, in der man Zeiten und Termine selbstständig mit dem Manager festlegen kann, erzielt werden. Als soziale Praktik wird Erreichbarkeit und Ansprechbarkeit durch Sichtbarkeit, den einheitlichen Tagesrhythmus und durch die Darstellung von relativer Zeitflexibilität interaktiv hergestellt.

13 | Vgl. hierzu die einschlägige Studie über Managerkommunikation Mintzberg 1973.

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Chiefs und Manager Sichtbar sind Manager in verschiedenen Weisen: zum einem durch den häufigen Wechsel von Meetingräumen und das zwangsweise Durchkreuzen der Boxenebene. Auf dem Managerlevel führt das Passieren des Flures auf dem Weg zu einem Videokonferenzraum oder das kurze Aufsuchen eines Supervisors in der Box zu einer kurzen Anwesenheit des Managers. Mitarbeiter wissen dann, dass der Manager XY heute im Haus ist. Sichtbar wird ein Manager im Tagesablauf darüber hinaus durch einen für alle im Intranet zugreifbaren Zeitplan, an dem Mitarbeiter sehen können, wo noch Besprechungslücken in seinem Tag frei sind. Manager sind nie lange weg, sie machen nur kurz Urlaub. Im Senior Management beträgt die Urlaubsspanne höchstens zwei Wochen am Stück. Die Erreichbarkeit wird jedoch dabei auch sichergestellt, da die E-Mails auch aus dem Urlaub abgerufen werden. Wie die Tagesnotizen zeigen, werden für spontane Anfragen bei Managern ganz bestimmte Tageszeiten gewählt: vor 8 Uhr, in der Mittagszeit 12.30 bis 13.30 Uhr und nach 17 Uhr. Ad-hoc-Anfragen werden auf den Abend (nach 17 Uhr) gelegt und sind zumeist mit der Sekretärin abgesprochen, die den Manager fragt, ob er den Termin noch in den Abend nimmt. Da in allen frei werdenden Zwischenräumen Manager E-Mails beantworten, wird die Erreichbarkeit gerade über ein Medium hergestellt, das nicht auf Synchronizität und Gleichörtlichkeit der Teilnehmer basiert. Jenseits der grundsätzlichen Erlaubnis, ohne Termin Anfragen zu stellen, wird die Ansprechbarkeit interaktiv durch das wechselseitige Anzeigen von Zeitflexibilität hergestellt. Manager, wie alle anderen Mitarbeiter im Gebäude auch, sind grundsätzlich ansprechbar, wenn sie alleine vor ihrem Computer sitzen. Die ansprechbare Position wird für Passanten durch die offene Tür, die einen Blick in das Managerbüro erlaubt, erkennbar. Spontane Anfragen werden in Ruhe aufgenommen. Trotz oftmals passgenau geplanten Terminkalenders sprechen Manager in Ad-hoc-Besprechungen nicht schneller und schauen nicht dauernd auf die Uhr, was dem Gegenüber signalisieren könnte, dass sie nur wenig Zeit haben. Sie bauen Blickkontakt auf, drehen sich in Richtung des Besuchers und führen die Kommunikation. Die Ansprechbarkeit wird durch eine Darstellungspraxis des »Ich habe Zeit« oder »Ich nehme mir Zeit« gewährleistet. Gleichzeitig geht mit dieser Praxis die Darstellung »Ich habe alles unter Kontrolle« einher, eine Form der Souveränitätsdarstellung. Wie Chirurgen in schwierigen Operationsphasen durch Ruhe in der Stimme und präzise Anweisungen Souveränität und Kompetenz vermitteln, lassen sich im Kontext genereller Zeitknappheit Gewinne über eine klare und ruhige Interaktionsführung erzielen. Der Luxus des Zeit-Habens für ein Ad-hoc-Gespräch, einen Termin

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160 | Diversity in Action am Abend oder zwischendurch ist damit gleichzeitig die Darstellung von Professionalität und Souveränität. Anders als bei Supervisoren, auf die ich weiter unten genauer eingehen werde, wird das Büroterritorium eines Managers nicht einfach betreten, sondern der Besucher bleibt an der Türschwelle der offenen Türe stehen und macht deutlich, dass er Kontakt aufnehmen möchte. Die Person klopft an den Türrahmen oder sagt einleitend: »Excuse me …« Der Manager bewilligt den Eintritt mit einem »come in …« oder »just a second«, schließt gewöhnlich die E-Mail noch ab, die er gerade bearbeitet, dreht seinen Bürostuhl zum Eintretenden und eröffnet das Gespräch damit, dass er an den Besprechungstisch rollt. Spontane Besprechungen dauern nur wenige Minuten und werden zügig beendet. Bestimmte Zeitrhythmen müssen dennoch eingehalten werden. Dies hat zur Konsequenz, dass für längere Besprechungen ein Termin immer im Gesprächstakt eines Meetings gemacht wird. Die Koordination dieser Termine und auch mündliche Anfragen übernehmen Sekretärinnen. Trotz der grundsätzlichen Zeitknappheit und der Herstellung von »Ansprechbarkeit« wird zudem eine Haltung dargestellt, die man mit »jede freie Minute nutzen« umschreiben kann. Wie der Tagesverlauf zeigt, gibt es keine sichtbaren Pausen, auch die Mittagspause wird in die Berufstätigkeiten integriert. Die meisten amerikanischen und britischen Manager holen sich Früchte aus der Cafeteria und beantworten E-Mails in der Mittagspause. Deutsche Manager gehen in die Kantine zum Mittagessen. Wenn sie an einem anderen Betriebsstandort sind, gehen sie in das Gastzimmer für Manager und arbeiten dort an ihrem Laptop. Die Passagen wie das Fliegen oder andere Zeiträume, die Pausen sein könnten, werden genutzt, um Vor- oder Nacharbeiten zu erledigen. Die Darstellung von »Erreichbarkeit« ist eine soziale Praxis, die, wenn man sie soziologisch betrachtet, auf die Frage der Synchronisation von Kommunikation antwortet. Chiefs und Manager haben, wie der Tagesablauf zeigt, eine Mehrzahl vorgeplanter Besprechungen, seien es Videokonferenzen, Audiokonferenzen oder auch kopräsente Besprechungen im Büro eines Managers. Einen Teil der Synchronisationsarbeit übernehmen die Sekretärinnen der höheren Manager, die über die Dringlichkeit und Durchlässigkeit von Telefonanfragen entscheiden und dabei auch auf das Wissen zurückgreifen, welchen übergeordneten Personen oder welchen Themen der Vorrang eingeräumt werden muss. So kommt die Sekretärin in das Büro und ruft: »Will McDonald«, woraufhin der Manager das Gespräch sofort annimmt. Ein Teil der geplanten Besprechungen wird via Intranet gebucht oder ist durch regelmäßig stattfindende Besprechungen blockiert. Eine Vielzahl an Kommunikationen, die Manager über den Tag führen, wird so über die Vorausplanung von Terminen sequenziert. Alternativ wird die

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Kommunikation über asynchrone Medien, koordiniert, wie die der elektronischen Post oder Eintragungen im Intranet. Supervisoren Auch der Tag des unteren Managements der Supervisoren ist in einem Besprechungstakt strukturiert. Anders als Manager und Chiefs sind sie jedoch im höheren Maße erreichbar und ansprechbar für Mitarbeiter und Kollegen, da sie die Kommunikation nicht so sehr über vorgeplante Besprechungen koordinieren, sondern in kopräsenten Ad-hoc-Besprechungen. Supervisoren fungieren als Boten und Vermittler zwischen der Stellenposition der Manager und ihrem Team, den Ingenieuren. Zu ihrem Aufgabenbereich gehören sowohl die Koordination technischer und finanzieller Probleme als auch Personalführungsaufgaben. An manchen Tagen haben Supervisoren eine ähnlich vorgeplante Schlag-auf-Schlag-Meetingfrequenz wie Manager. Diese Tage werden dann als »volle« Tage bezeichnet. Durch die offene Großraumstruktur und ihre Platzierung in unmittelbarer Nähe ihres Teams werden sie immer wieder direkt angesprochen. Dabei werden Ad-hoc-Besprechungen vereinbart oder diese an Ort und Stelle durchgeführt. Ad-hocBesprechungen werden auf verschiedene Art vereinbart: – Typischerweise werden im Laufe eines Arbeitstages über Telefonanrufe neue, kurzfristige Besprechungstermine ausgehandelt, andere verschoben und neu datiert. – Supervisoren werden auf dem Gang, auf dem Weg von der Cafeteria, vom Drucker, von einem Meetingraum zurück zur eigenen Box angesprochen und ein Termin wird vereinbart oder auf dem Weg ein Gespräch geführt und eine Frage geklärt. – Supervisoren werden ohne vorherige Ankündigung von Mitgliedern anderer Abteilungen/Gruppen in der Box besucht und mit einer oder mehreren Fragen beansprucht. – Teammitglieder kommen mit Fragen mehrfach am Tage in die Supervisorenbox. Der Supervisor ist immer auf Interaktionssprung. Wie auch für andere Managementpositionen beschrieben, gilt die Erlaubnisregel, eine spontane Besprechung oder Frage zu stellen, wenn die Person allein vor dem Computer sitzt. Dabei wird jedoch nicht wie im höheren Management auf eine Erlaubnis gewartet, in das Büro zu treten, sondern ein Supervisor wird über die Trennwand hinweg namentlich angesprochen: »Peter, kannst du mal schaun …«; »Peter, bist du da?« Oder jemand geht direkt in die Box zu ihm

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162 | Diversity in Action an den Computer und spricht ihn an. Durch die vermehrte Ansprechbarkeit und die gleichzeitige Aufgabe, bestimmte Aufgaben innerhalb fester Fristen zu erledigen, entsteht ein Balanceakt: Einerseits gilt es, die Aufgaben diszipliniert abzuarbeiten, technische Fragen zu klären, andererseits sind Supervisoren im erhöhten Maße »ansprechbar« und damit auch zeitlich für einzelne Kollegen und Teammitglieder verfügbar. Innerhalb dieses Balanceaktes versuchen Supervisoren -ebenso wie höhere Manager – auf Anfragen mit Ruhe zu reagieren und dem Gegenüber zu signalisieren: »Ich habe alles unter Kontrolle«. Mobile Körper Eine andere Form der Erreichbarkeit, die nicht in dem beispielhaften Tagesablauf offensichtlich wird, ist die standortübergreifende Mobilität. Manager kommunizieren nicht nur via Telefon und Videokonferenz transnational, sondern reisen routinehaft zu den anderen Entwicklungsstandorten der Firma. Sie sind mobil. »Fliegen tun alle«, erzählte mir ein Manager. Während Ingenieure nur zu bestimmten Projektphasen im Ausland sind, reisen Supervisoren und Manager regelmäßig zumeist in wöchentlichen Abständen an den englischen Standort oder vice versa. In firmeneigenen Flugzeugen und Shuttle-Bussen werden sie zu den verschiedenen Entwicklungszentren transportiert. Dieser Wechsel zwischen den Standorten wird »Reisen« genannt. Reisen zum US-amerikanischen Standort werden zumeist für eine Woche oder bis zu einem Monat geblockt. »Ich war gestern in England, vier Stunden ist etwa die Reisezeit, eine Richtung. Also das ist ein 15-Stunden-Tag ungefähr und dann hat man sieben Stunden davon effizient gearbeitet. Dann ein bisschen Mail und ein bisschen telefonieren, da bleiben dann fünf Stunden für Gespräche mit Leuten vor Ort, und das ist wenig Zeit im Vergleich zu Bürotagen mit normalen zehn, elf Stunden Möglichkeit zu agieren.« (Interview mit einem Supervisor)

Es verwundert, dass hier in Arbeitskontexten, in denen akute Zeitknappheit herrscht und gleichzeitig Kommunikationsmedien omnipräsent verfügbar sind, Reisezeitkosten von sieben Stunden in Kauf genommen werden. Weshalb brauchen Manager, Supervisoren und Chiefs kopräsente Besprechungen? Boden bezeichnet kopräsente Besprechungen im Rahmen von globalen transnationalen Vernetzungsmöglichkeiten als eine »dichte Kommunikation« (Boden/Molotch 1994). »Copresence is ›thick‹ with information« (Boden/Molotch 1994: 259). Direkte Kommunikation vermittelt durch die routinierten Praktiken von Alltagsteilnehmern eine Vielzahl an Informationen,

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die gar nicht oder nur unzureichend von Kommunikationsmedien wie der Videokonferenz, dem Telefon oder der E-Mail vermittelt werden können. So kann allein an Körperhaltungen und Bewegungen der Status eines Teilnehmers abgelesen werden, der in einer Audiokonferenz nur über die explizite Positionsbezeichnung vermittelbar wäre. Boden nennt beispielhaft die entspannte Muskulatur von Personen mit hohem Status in statusgemischten Zusammenhängen. Über die Standfestigkeit des Blickkontakts prüfen Amerikaner, so Boden, die Wahrhaftigkeit von Aussagen ihres Gegenübers. In der Übereinstimmung von körperlichen und sprachlichen Zeichen, wie der Haltung, des Blicks oder der gesamten Ausrichtung der Aufmerksamkeit, werden subtile und wesentliche Informationen übermittelt. Manager demonstrieren in kopräsenten Besprechungen ihren Status und damit Macht und versichern sich des »Commitments« (Boden/Moloch 1994) ihrer Mitarbeiter. »When we are in copresence we have some evidence that the other party has indeed made a commitment, if nothing else than by being there« (Boden/Molotch 1994: 263). Allein dadurch, dass man während einer Besprechung keiner anderen Tätigkeit gleichzeitig nachgehen kann, ohne damit selbst wiederum in der aktuellen Interaktion zu kommunizieren, wird die Verbindlichkeit gegenüber dem Gesprächsteilnehmer oder dessen Anliegen mitgeteilt. Man kann natürlich auch in der direkten Interaktion durch abschweifende Blicke aus dem Fenster oder die Annahme eines Telefonanrufs sehr leicht den Grad der Verbindlichkeit variieren, den man einem Anliegen, einer Anfrage oder einer Aufgabe entgegenbringt (Boden/Molotch 1994: 264). In dem gleichen Maße, wie es leichter ist, Verbindlichkeit darzustellen, ist sie auch besser in der Interaktion zu prüfen als durch Briefe, Telefonanrufe oder Faxe. Zudem hat Boden in einer Untersuchung festgestellt, dass Teilnehmer immer dann, wenn Entscheidungen schwierig, unsicher oder komplex werden, von der E-Mail oder dem Telefon auf ein direktes Gespräch wechseln (Boden/Molotch 1994: 270). Manager, so meine These im Anschluss an Boden, treffen komplexe, unsichere und heikle Entscheidungen eher innerhalb des komplexen Kommunikationsmediums kopräsenter Interaktion, indem sie über die Zeichen der Kommunikation voll verfügen und dies auch kontrollieren und prüfen können. Vor diesem Hintergrund ist es in einem Kontext, in dem Zeit eine knappe Ressource ist, nicht abwegig, Kopräsenz trotz hoher Reisekosten für die Teilnehmer in Kauf zu nehmen. Um eine strategische Entscheidung zu treffen, die Verbindlichkeit und Aufmerksamkeit der Mitarbeiter zu prüfen oder die Dringlichkeit und Wichtigkeit einer Aufgabe zu betonen, bietet das Medium der dichten Kommunikation bessere und mehr Anhaltspunkte.14 14 | Die zweite Form der räumlichen Mobilität ist der International Service Ex-

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164 | Diversity in Action Gesprächswechsel: Switchen Eine Tätigkeit, die sich im Tagesablauf nur implizit zeigt, ist der praktisch stattfindende Gesprächs- und Situationswechsel. Wenn der Tagesablauf durch ein hohes Maß an Besprechungen und spontanen Anfragen ausgefüllt ist, müssen Manager Praktiken beherrschen, die es ihnen erlauben, schnell und reibungslos von einer Situation in die nächste wechseln zu können. Wodurch ist dies so leicht möglich? Der Wechsel von einer Gesprächssituation zur nächsten wird durch verschiedene soziale Praktiken hergestellt: Zunächst werden vorgeplante Meetings, wie bereits beschrieben, so getaktet, dass sie aneinander anschließen, sich aber nicht überlappen. Sie werden sequenzialisiert. Wenn das Meeting in einem Managementbüro einberufen wird, findet der Wechsel durch Austritt der einen Gruppe aus dem Raum und Eintritt der nächsten statt. Alle Beteiligten werden über das Treffen und die Themen vorab schriftlich informiert. Innerhalb von Besprechungen mit Fordmitarbeitern des Managements grüßt man sich nur mit Kopfnicken oder einem kurzen »Hallo«. Es ist kennzeichnend, dass keine Begrüßung mit Händeschütteln und einer verbalen persönlichen Ansprache stattfindet. Durch den minimalen Ortwechsel, das Heranrollen des Vorgesetzten an den Besprechungstisch wird der Gesprächsbeginn initiiert. Der Gesprächsabschluss findet mit einem »That’s it« ohne weitere Verabschiedungsformeln statt, und die Teilnehmer verlassen grußlos das Büro. Die im Vergleich zu den höflichen Begrüßungen und dem Umgang der Ingenieure sehr verknappten Rahmungen der Interaktion bei Managern ermöglichen einen schnellen Wechsel. Die Kommunikation hält sich nicht mit den eintretenden Personen auf, sondern startet direkt mit den Funktionen, dem Arbeitsanliegen oder der Aufgabe. Die zweite Form des Wechsels ist das gemeinsame Eintreffen zu einem verabredeten Zeitpunkt an einem fixen Besprechungsort, der mit entsprechender Apparatur (Videotechnik, Tische und Stühle) ausgestattet ist. Hier wird mit dem Schauplatzwechsel gleichzeitig der Wechsel von einem Meeting zum nächsten vollzogen. Offizielle Meetings sind immer an einen Ort change. Ihn zu absolvieren ist eine zentrale Voraussetzung für führende Positionen im Management, wie sich in den berufsbiographischen Fragebögen zeigte. In den Daten, die ich durch Fragebögen erhoben habe, zeigt sich, dass alle Manager eine solche Position aktuell innehaben oder in ihrem Karriereverlauf innehatten. Die Zeiträume der Auslandspositionen variieren zwischen drei Monaten bis zu fünf Jahren im Ausland. Besonders die Achse USA-Deutschland/Deutschland-USA wird im Austausch praktiziert. Der Auslandsaufenthalt ist eine Voraussetzung, um weitere Positionen im Senior Management zu erreichen.

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und an eine Zeit gebunden (z.B. Videokonferenzen und Telefonmeetings). Mit dem Ortswechsel wird gleichzeitig ein Situationswechsel vollzogen und eine Überleitung geschaffen von der informellen Besprechung mit Teammitgliedern zu einem offiziellen Review mit Programmmanagern. Unangemeldete Besprechungen finden, wie ich schon ausgeführt habe, dann statt, wenn der Angesprochene alleine in der Grundposition vor dem Computer sitzt.15 Dann gibt es eine Erlaubnisregel, die Person direkt anzusprechen. Anders formuliert, fungiert der Computer als Scharnier oder auch als Interimstätigkeit zwischen verschiedenen Besprechungen. Der Wechsel von der unterbrechbaren Paperwork zur Besprechung wird von dem Ankommenden initiiert, indem er an der Türschwelle den Manager anspricht, z.B. »Excuse me …?«, »Haben Sie einen Moment?«. Wie ich weiter oben gezeigt habe, ist das Ansprechen je nach Position im Management unterschiedlich. Gleich ist hingegen, dass die angesprochene Person das Gespräch mit dem Heranrollen an den Tisch eröffnet. Es wird allgemein die Regel praktiziert, Besprechungen und Fragen den Vorrang zu geben und nicht weiter schriftlich am Computer zu arbeiten. Innerhalb von Besprechungen dienen Telefone als Schnittstelle, um Wechsel einzuleiten. Alle Telefone verfügen über ein Display, welches den Namen (innerhalb der Organisation) und die Telefonnummer des Anrufenden anzeigt. In einer Besprechung, die im Büro eines Managers oder Supervisors stattfindet, ist es für ihn möglich, zu sehen, wer ihn anruft. Mit dem Anzeigen des Namens wird gleichzeitig das Wissen um die Position und gegebenenfalls die Angelegenheit aktualisiert. Der Wechsel zwischen einer Besprechung und einem Telefonat wird dann mit »Oh sorry, das ist XY, da muss ich jetzt rangehen« eingeleitet und mit dem Verstummen der Teilnehmer der Besprechung ratifiziert. Hier wird nach der Regel gehandelt: Vorgesetzte und Übergeordnete erhalten das Recht, eine laufende Besprechung zu unterbrechen. Kommunikatives Repertoire Manager und Supervisoren sind, wie der Tagesablauf verdeutlichte, einen Großteil ihrer Zeit mit dem Abhalten von Besprechungen beschäftigt. Ich habe bisher beschrieben, wie sie die Übergänge zwischen den Meetings bewerkstelligen und trotz des dichten Rhythmus darstellen, dass sie ansprechbar sind. Im Folgenden wird ein spezielles kommunikatives Repertoire beschrieben, das die Mitglieder des Managements auszeichnet. Ich 15 | In den Managementbüros wird zudem die Zugänglichkeit durch die offene Tür angezeigt. Bei geschlossener Türe ist er, auch wenn er alleine vor dem Computer sitzt, nicht ansprechbar.

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166 | Diversity in Action stelle zentrale Elemente innerhalb der Besprechungen vor, die im Management typischerweise benutzt werden, um den zeitlichen Rahmen von Meetings zu fixieren, Aufgaben zu kontrollieren und Dringlichkeit zu vermitteln. Timing in Besprechungen Besprechungen weisen eine strikte Formgestalt auf, die routiniert erzeugt und eingehalten wird. Aus den Studien der Konversationsanalyse wissen wir, dass nicht Einzelne eine Formgestalt erzeugen, sondern dass dies interaktiv hergestellt wird. Im Folgenden soll jedoch nicht sequenzlogisch detailliert die interaktive Herstellung lokaler Rollen, wie des Leiters in Meetings, oder die interaktive Herstellung der Zeitbegrenzung in Meetings aufgezeigt werden. Vielmehr wende ich mich dem einheitlichen Repertoire der Manager zu, das sie zum Manager macht. Daher reduziere ich die folgenden Punkte auf Typen von Aussagen, die immer in Sequenzen und spezifische lokale Konversationskontexte eingebettet sind.16 Insbesondere in Videokonferenzen und Audiokonferenzen wird deutlich, dass Eröffnungen, Diskussion und Aufgabenklärung von den Leitern auf ihre Zeitspanne beobachtet und geprüft werden. Audio- und Videokonferenzen werden, wenn die gebuchte Zeit überschritten wird, schlicht von einer Zentrale unterbrochen bzw. die nächste gebuchte Verbindung aktiviert. Aber auch in den informellen Face-To-Face-Meetings im Management wird der zeitlich festgelegte Rahmen immer eingehalten. Üblicherweise sind Meetings in Videokonferenzen und Audiomeetings so strukturiert, dass ein Leiter das Meeting mit einer Ortsangabe des lokalen Standorts der Beteiligten eröffnet: »Hello, this is Merkenich, Rainer Seefeld speaking.« Er leitet dann eine Vorstellungsrunde ein, in der alle Beteiligten sich mit dem eigenen Namen und ihren Funktionen vorstellen, und liest dann die Tagesordnung vor.17

16 | Meyer nimmt die Arbeitsbesprechungen via Videokonferenz aus einer konversationsanalytischen Perspektive in den Blick (Meier 1997). Boden legt eine ethnomethodologische Analyse von Besprechungen für die lokale kopräsente Besprechung vor (Boden 1994). 17 | Ein Teilnehmer ist nur dann in einem Telefonmeeting präsent, wenn er sich namentlich vorstellt. Die Technik stellt kein Zeichen, wie z.B. das Aufscheinen des Namens im Display, zur Verfügung, um die Anwesenheit eines Teilnehmers anzuzeigen, der sich in ein Telefonmeeting zuschaltet. Wie Länger in ihrer kultursoziologischen Studie über Blindheit zeigt, müssen für Teilnehmer, die nicht über Blickkontakt Anwesenheit herstellen können, andere Methoden benutzt werden, um die

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In formellen Meetings, die im Verlauf einer bestimmten Programmphase strukturell vorgesehen sind und feststehende programmspezifische Namen tragen, wird vorab vom Leiter eine Sitzungsgliederung verschickt. Spezifisches Managementmaterial, das den Teilnehmern zugeleitet wird, gibt anhand von Zeichnungen und Tabellen Aufschluss über den Stand der Arbeit, der dann in der Besprechung durchgegangen wird. In Videokonferenzen wird den einzelnen Sitzungspunkten ein fixer zeitlicher Rahmen auf der schriftlich vorliegenden Tagesordnung zugewiesen (»1. Introduction 5 Minutes, 2. R & VT Recommended Strategies 30 Minutes« etc.). Am Ende einer Besprechung ist dann in der Regel eine zusammenfassende »wrap up« für fünf Minuten vorgesehen. Formelle Meetings zeichnen sich dadurch aus, dass es immer einen Leiter gibt und dass ein Protokoll geschrieben wird, das an eine feststehende Liste von Adressaten verschickt wird. Die Sitzungsgliederung wird in jedem Meeting vorab, so auch z.B. in den Mitarbeiterbesprechungen der einzelnen Manager und Chiefs, mündlich vorgetragen und durch Punkte der Anwesenden ergänzt. Jenseits dieser schriftlichen und initialen Zeitbegrenzungen werden im Verlauf der Besprechung immer wieder Sprechzeitgrenzen von den Leitern thematisiert und gezogen: – Die Leiter der Meetings thematisieren selbst Zeitgrenzen in Bezug auf ihren eigenen Beitrag und verwenden diese, um zum nächsten Agendapunkt zu wechseln: So I think I already excceded my 5 minutes on introduction on next event. So I think the next point on the agenda, which is also part of the programs, is the extended service intervals I am not to sure, Toni, do we have Christine Fugerson?

– Leiter unterbinden Diskussionen und fordern die Beteiligten auf, offene Fragen untereinander oder mit den Zuständigen außerhalb des stattfindenden Meetings zu klären. That’s something you can discuss outside. I’m just kicking this a bit further, I believe there were hundreds of discussions (…,…) already. I just wanna continue the discussion, or tell me (there’s no way), ok?

– Leiter würgen Teilnehmer in der Interaktion ab, indem sie darauf verweisen, dass man die Agenda einhalten müsse. – Leiter weisen Agendapunkten eine erwartete Zeitspanne zu (»briefly«) und achten in der folgenden Diskussion darauf, dass diese eingehalten wird.

Anwesenheit von Personen herzustellen, z.B. eine explizite namentliche Begrüßung (Länger 2001).

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168 | Diversity in Action Okay I think that’s enough on (persons). Now let’s just talk briefly about the (false body update). I just wonder where we were on this one, Ralf?

Der Schluss einer Besprechung wird durch eine Zusammenfassung »Let me summarize« oder durch die Frage »Anything to add?« angekündigt. Danach wird dann vom Leiter das Meeting beendet, und die Teilnehmer werden verabschiedet. Das Timing ist selbst ein Thema in den Besprechungen und wird von Managern angesprochen. Ein großer Teil der Meetings beschäftigt sich thematisch mit dem zeitlichen Kontrollieren und Koordinieren von Entwicklungsschritten. Das Management verschafft sich in der Besprechung einen Überblick über den Entwicklungsstand und klärt, welches Maß an Zeit, an personellen und finanziellen Ressourcen bereitgestellt werden muss, um bestimmte Teilprodukte herzustellen oder ein bestimmtes Produktionsziel zu erreichen. Wie ich im Kapitel Organisationsstrukturen aufgezeigt habe, gibt es programmspezifische Targets, die inhaltlich, zeitlich oder in Bezug auf Ressourcen definiert sind. In den Programmphasen sind Targets immer zeitlich gesetzt. Der folgende Auszug aus einem Audiomeeting eines Programmteams in England und Deutschland zeigt, wie in der Bearbeitung von Aufgaben auf die zeitlich fixierten Programmpunkte zurückgegriffen wird, um einen nächsten Teilschritt selbst zeitlich festzulegen.18 Chief: Okay, and I think the next step clearly needs to be that we go through the LIST from your side, Robert indicate what you will consider as the priorities, B (Telefonteilnehmer): Yep. Chief: And then we need to find out ähm according to these priorities what are the piece cost investment information from the suppliers and ä:h can we price for these items B: Mhm Chief: Will we get an additional review’ B: Yep. (1.0) B: Yeah, that’s fine. Chief: Ok. And I think the (…) needs to be ä::h to have that finalized, ä::h, a for NEXT we::ek TUESday. B: That could be an issue to be honest. C (Telefonteilnehmer): Robert Decan, (…) I sorry I am so late Chief: (…) Welcome to the conference. 18 | Das Telefonmeeting wurde von dem Apparat in Deutschland aufgezeichnet.

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3. Membership in Action | 169 C: Yep. Chief: I mean, I=I clear recognize that is an issue (-) from the timing point of view, but I don’t think we have much choice here. Obviously we can not move ä:h towards the SI Gateway without even having a proper definition of the program. Toni (Telefonteilnehmer): And=And=And we gonna (…) the targets as well. We have (…) clearly identified program targets. You send the review the (cost) ability shareholder values (-) we ne::ed to have a (clear) (business and marketing strategy) and confirm the=what we (suppose) to do at the details (…) also strategies and at the level of program we belief (-) yes correct (me they mention they spent) (…,…) ((wendet sich an einen Kollegen in England, für die Telefonteilnehmer in Deutschland unverständlich)) Toni: Yes 25 Million investment, äh:m we=we=we that=that gonna be enclosed by (…,…) Chief: Well, it is in TWO weeks. Toni: It’s, it’s MORE than just going through the shopping list. Ähm, (…,…) (1.0) Chief: Okay. I mean, I think (…) I appreciate your concern, but=but I think we don’t have=don’t have any opportunities, (-) we need to finalize that, ä:hs for next week’s Tuesday’s meeting in order to be in the position to do the rest in the given time frame.

Das SI Gateway ist ein spezifischer Kontrollpunkt zu Beginn eines Projektes, bis zu dem allgemeine Programmdefinitionsarbeiten erledigt sein müssen. In diesem Auszug eines Meetings wird vom Chief Manager das SI Gateway als Zeitpunkt benannt, um einen fixen und unverschiebbaren Zeitrahmen für eine Teilschrittaufgabe zu setzen. Der Chief geht zu Beginn durch die nächsten Arbeitsschritte, die von B kurz mit »yep« bestätigt werden. Er legt einen Zeitpunkt fest, bis zu dem dieser Arbeitsschritt erledigt sein muss (»NEXT we::ek TUESday«). Der Mitarbeiter wendet dabei ein, dass es ein »issue« geben könnte, das sich in dieser Sequenzstelle auf den zeitlichen Rahmen bezieht. Der Chief bestätigt die zeitliche Schwierigkeit, verweist aber auf einen zeitlichen Rahmen, der außerhalb des eigenen Machtbereichs liegt (»I don’t think we have much choice here«), und nennt das SI Gateway als einen Fixpunkt, den man nicht verschieben könne. Auch nach einer Zwischendiskussion mit einem anderen Teilnehmer zur Aufgabenstellung und Zeiteinteilung wiederholt der Chief seine zeitliche Rahmenfestlegung mit dem Verweis auf das nicht verschiebbare SI Gateway und spitzt die Unveränderlichkeit der Situation zu (»don’t have any opportunities«). Timing ist ein wiederkehrendes Thema, das oft als ein »issue« im Sinne eines Problems besprochen wird und in dem mit dem Verweis auf nicht verschiebbare Programmtermine ausgehandelt wird, bis zu welchem Tag

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170 | Diversity in Action welche Werte, Berechnungen, Materialien, Tests, Personen erstellt bzw. eingestellt sein müssen. Manager legen systematisch mit Verweis auf die programmphasenspezifischen Abschnitte Zwischenschritte und Aufgaben fest. Der repetitive Appell In Besprechungen mit Mitarbeitern und Untergebenen benutzen Manager spezifische Begriffe und kommunikative Muster, um Verhaltenserwartungen Dringlichkeit zu verleihen. Die sprachlichen Muster zeichnen sich durch Repetition und durch eine bestimmte Betonung aus: Emphase und Eindringlichkeit. Die Sequenzen beschreiben dem angesprochenen Gegenüber ein allgemein richtiges Verhalten, eine Haltung, die er in Zukunft einnehmen soll. Die Erwartungen beziehen sich typischerweise auf das Einhalten von Fristen, Preisstandards, das selbstständige Einspeisen von Informationen zwischen den Abteilungen und Firmen, die für andere Prozesse von Bedeutung sind. Die Häufigkeit dieses Aussagetypus nimmt zu, je höher man in der Managerhierarchie steigt. Ich möchte im Folgenden zwei Szenen zeigen, in denen dieser repetitive Appell verwendet wird. Die erste Szene ist einem Beobachtungsprotokoll entnommen, in dem ich die Form der Repetition notiert habe, die zweite Szene ist eine Transkription. Beide Monologe sind Sequenzen in einer Besprechung zwischen Managern und Supervisoren. »Let me maybe repeat myself.« Er redet nachdrücklich mit Händen, die in der Luft etwas greifen. »How we handle flow path. What I=like=to=DO is not to list up (…) .there should be an issue list and that issue should be on the next meeting. We NEED today (…,…) we NEED (…,…), we NEED a list, a ISSUE process list, a LIST (…,…) keep on issue that. The rest of the team NEED to have the same information. The reason was to create a common frame. Try to keep the process CORRECT.«

Die Gesprächsmelodie dieser Sequenzen ist von einem Singsang getragen, der dadurch entsteht, dass immer wieder zu Satzbeginn die gleichen Worte verwendet werden und diese gleichzeitig akzentuiert ausgesprochen werden (»We NEED«). Typisch am Ablauf ist, dass zunächst ein Verhalten beschrieben wird, das als nicht zufrieden stellend spezifiziert wird (»What I=like=to=DO is not …«). Dann werden Erwartungen formuliert, die das gewünschte Verhalten beschreiben und die in diesem Falle mit einem repetitiven »We NEED« eingeleitet werden. Die Sequenz wird mit einem abschließenden allgemeinen Appell abgeschlossen. Oftmals werden für die repetitiven Appelle firmenspezifische Begriffe benutzt, wie die folgende Szene zeigt. Es handelt sich um eine Besprechung zwischen einem Mana-

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ger und einem Supervisoren von zwei Zulieferunternehmen, die in einem Fordprojekt mitarbeiten. Manager: (…) yeah, you äh work much (Italian) where=where you have to put the INput to the system and where you give an OUTput to the system as well. And it’s a as I said FAST TRACK Iteration PROcess. We expect that you keeping your timeline. When you HAVE your timeline In=in line with fpds (if) delivering what we expected to (deliver and) A::LSO to be proACtive. (0.5) proACtive is regardless of what you just said. You are giving INput to the programme not only producing an OUTput. (So not reporting) You also should TELL us we NE::ED to do THIS, we NE::ED to do THIS and that’s what we found on madimo here and there and there and (-) WE have to deliver things TO it. For example pulse=pulse measures, (geometry) data äh which I believe we have DONE. An= And it’s iterating as WELL because we ALL in the in a PArallel development process here between the seats supplier for example the instrument panel supplier ähm you are (obviously) and and the structural people. ((mhm aus dem Raum)) Manager: Which basically are (quite to produce the final crash test) for you. ((räuspert sich und die Tonhöhe der folgenden Sequenz ist deutlich höher als bisher )) But for example (-) if yo=if YOU have (-) things which YOU need to (-) tell the programme you should DO (-) and not not doing the (route via Carlinville). You should DO so. (-) You should be PROACtive and not RE::ACtive. That’s what we currently seeing in your (currently) only reactive in a sense that you’re SLOW reacting.

Zunächst wird vom Manager der spezifische Arbeitsablauf beschrieben, der für die Tätigkeit als typisch dargestellt wird (»you have to put the INput to the system and where you give an OUTput«). Er definiert die Beschreibung zusammenfassend mit einem gebräuchlichen Managementausdruck: »FAST TRACK Iteration PROcess«. Anschließend markiert er seine Verhaltenserwartungen (»keeping your timeline«) und ergänzt sie betont ausgesprochen mit einem Managementbegriff: »be proactive«. Das richtige Verhalten wird in einer Kreuzstellung (»… to be proACtive. (0.5) proACtive …«) durch die ummittelbare Doppelung betont.19 Anschließend wird der Begriff, der für eine spezifische Verhaltenserwartung steht, detailliert erläutert (»You also should TELL us we«). Die Verhaltenserwartungen werden wiederholend exemplifiziert (»For example puls measures«). 19 | In der Rhetorik wird die so genannte »Kreuzstellung« empfohlen, um einen Begriff zu betonen, ohne in der Intonation oder Geschwindigkeit große Veränderungen einzubauen. Allein durch die Stelle, in der der Begriff benutzt wird, also zum Satzende und direkt wieder zu Beginn des nächsten, wird der Begriff betont und bleibt so besser im Gedächtnis der Zuhörer haften (Franck 2001).

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172 | Diversity in Action Nach einem Räuspern und einer kurzen Pause setzt der Manager in deutlich erhöhter Tonhöhe an (»if YOU«), die er für die ganze folgende Sequenz beibehält. Die Intonation ist in der folgenden Sequenz wesentlich akzentuierter, und es werden repetitiv zwei Appelle formuliert (»You should DO so (-) You should be PROACtive«). Auffällig in der gesamten Sequenz ist die Verwendung von »you« und »we«. You und we werden häufig zu Aussagenbeginn gesetzt, wenn vorher durch die Stimme und Aussagenstellung das Ende einer Aussage angezeigt wurde (»you are giving«, »you should tell«, »you need«, »you should«). Ähnlich wie in der ersten Szene wird diese Stellung zu Aussagebeginn benutzt, um einen direkt adressierten Verhaltensappell zu formulieren (»you should«, »we need«). Diese Stellung wird insbesondere in der letzten Sequenz verwendet, um Verhaltensappelle einzuleiten, die dann mit betont ausgesprochenen Verben »proactiv«, »do« angeschlossen werden. Im repetitiven Appellieren werden verschiedene Verhaltenserwartungen eindringlich und mit Emphase formuliert. Manager stehen selbst unter dem Druck, Ziele zu erfüllen, wie z.B. die Targets im »grünen Bereich« zu halten. Dieser Druck wird in Form von Dringlichkeiten in Bezug auf Aufgaben, Anliegen oder allgemeinen Verhaltensanweisungen weitergegeben. Die Eindringlichkeit entsteht sowohl durch die schlichte Wiederholung, die Gleichförmigkeit der Satzstellung und Wortwahl als auch durch die Akzentuierung und Tonhöhenveränderungen. Der repetitive Appell ist das typische kommunikative Repertoire der vorgesetzten Manager gegenüber Mitarbeitern. Diese kommunikative Form weist gleichzeitig den Status des Managers in einem Meeting aus. Appelle dieser Form werden nur an untergeordnete Mitarbeiter gerichtet, und sie aktualisieren damit den Status des Sprechers als Ranghöheren. Nomadische Sacharbeiter und getaktete Kommunikationsmedien Ich habe in diesem Kapitel gezeigt, wie sich die Mitglieder der Organisation über ein gleichartig praktiziertes Verhaltensrepertoire in der Interaktion als Mitglieder des Managements oder der Ingenieursgruppe ausweisen. Ingenieure sind Sacharbeiter, die in Zeichnungen Modelle entwickeln und Berechnungen erstellen, um sie in kopräsenten Interaktionen mit Kollegen zu beratschlagen. Manager synchronisieren hingegen hochgradig arbeitsteilige Kommunikationsvorgänge. Ihr Handwerkszeug ist dabei die Sprache in schriftlicher oder mündlicher Form. Sie benutzen verschiedene Kommunikationsmedien, um Informationen, Mitteilungen und Entscheidungen zu vermitteln: In ihren Arbeiten sind Manager eine Art Kommunikationsmedium. Die Arbeitskultur der Ingenieure ist durch eine visuelle Kultur (Hen-

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derson 1999) der Computerzeichnungen und Papierzeichnungen gekennzeichnet. Durch das Zeigen auf eine Zeichnung kann ohne große Worte sehr präzise ein technischer Zusammenhang, eine komplexe Veränderung markiert werden. Diese Art des Zeigens setzt jedoch eine kopräsente Interaktion voraus, in der die Gesprächspartner gleichzeitig sehen können, an welcher Stelle ein Finger oder Stift auf eine Skizze zeigt. Vor diesem Hintergrund ist es erklärlich, weswegen Ingenieure, obwohl sie über die Projektrotation in den Etagen, Gebäuden und auch standortübergreifend mobilisiert werden, eine Vielzahl ihrer Tätigkeiten in direkten Face-To-Face-Interaktionen koordinieren. Dabei werden Fragen des Ortes, der Kommunikationsschauplätze wichtiger als Fragen der zeitlichen Koordination. Anders hingegen die Tätigkeit der Manager. Die Menge an Kommunikation, die sie zu führen haben, muss synchronisiert und sequenziert werden. Dabei werden Fragen der zeitlichen Koordination der Kommunikation vorrangiger als ihr Schauplatz. Ich habe beschrieben, was Manager dafür tun, um einen uniform gestalteten transnationalen Besprechungstakt herzustellen, der die arbeitsteiligen Kommunikationen synchronisiert. Alle Handlungen werden innerhalb des Besprechungstaktes eingebettet oder um diesen herum arrangiert. Zudem greifen sie auf technische Medien zurück, die bestimmte Rahmenerfordernisse der Kommunikation verschieben können und die Kommunikation sequenzieren. Sie benutzen im sehr hohen Maße Medien wie E-Mail, die weder eine Gleichörtlichkeit der Teilnehmer noch deren Synchronizität für eine Kommunikation voraussetzt. Je höher man in der Hierarchie steigt, desto mehr Entscheidungen, Weisungen und Fragen werden über E-Mail-Korrespondenz bewältigt, die jederzeit abgebrochen oder wieder aufgenommen werden kann. Über Audio- und Videokonferenzen wird eine gleichzeitige Kommunikation von dislozierten Kommunikationsteilnehmern geschaffen, die ortsunabhängig die Teilnehmer transnational zusammenschließt. Ingenieure koordinieren hingegen ihre Tätigkeit einerseits über Personen, die Experten sind auf ihren Gebieten, andererseits über Orte. Sie fragen sich wechselseitig als Experten und Zuständige für technische Aufgaben an. Dabei markieren sie im direkten Umgang keine Positionshierarchie, sondern führen eine horizontale gleichrangige Kooperation. Die Vielzahl kopräsenter persönlicher Interaktion setzt zweierlei voraus: einerseits ein Wissen um die fachliche Kompetenz eines Kollegen und andererseits ein Wissen, in welchem Projekt er aktuell arbeitet bzw. wo man ihn treffen kann. Damit werden Fragen der Lokalität wichtig. Sie suchen ihre Kollegen an deren Arbeitsplätzen auf, die von Ingenieuren als persönliche Territorien ausgewiesen werden und ihre fachliche Ausrichtung augenfällig machen. Manager demonstrieren innerhalb akuter Zeitknappheit und eines dis-

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174 | Diversity in Action ziplinierten Abarbeitens von Aufgaben Ansprechbarkeit für ihre Mitarbeiter. Die Zeitknappheit, die ihre Arbeit kennzeichnet, wird auch innerhalb von Besprechungen aktualisiert: So takten sie als Leiter einer Besprechung die Sprechzeiten und verweisen auf Redezeitgrenzen. Durch den kommunikativen Rückgriff auf programmspezifische zeitliche Erwartungsstrukturen legen sie die Zeitmargen der nächsten Arbeitsschritte ihrer Mitarbeiter fest und verleihen mittels des repetitiven Appells den Verhaltenserwartungen und Aufgaben Dringlichkeit. In diesen kommunikativen Mustern aktualisieren sie immer ihren Status als ranghöchste Manager innerhalb einer Besprechung. Fragen der Örtlichkeiten, der Schauplätze von Kommunikation, verschwinden dennoch nicht ganz aus dem Alltag von Managern. Sie sind mit ihren Körpern immer an einem Ort, platziert vorzugsweise in ihrem Büro, und führen von dort aus internationale Besprechungen via Audiokonferenz, Videokonferenz, aber auch kopräsente Besprechungen durch. Bemerkenswert ist zudem, dass Manager trotz akuter Zeitknappheit und der omnipräsenten Verfügbarkeit von technischen Kommunikationshilfen hohe Reisekosten für kopräsente Kommunikation in Kauf nehmen. So reisen sie für Verhandlungen mit Kooperationspartnern oder Gesprächen mit Statushöheren regelmäßig an andere Standorte. Ich habe argumentiert, dass im komplexen Kommunikationsmedium der kopräsenten Interaktion leichter der Status zu demonstrieren und die Loyalität und Verbindlichkeit zu prüfen ist als in den reduzierten technischen medialen Alternativen. Schwierige Entscheidungen, sensible Verhandlungen oder heikle Strategieentscheidungen lassen sich in einem Setting, in dem man das Display der Kommunikation voll beherrschen und unmittelbar auf Spannungen reagieren kann, leichter bewältigen. Durch verschiedene Techniken des »Switchens« sind Manager aller Ebenen in der Lage, schnell zwischen den eng aufeinander getakteten Gesprächskontexten zu wechseln. Eine Technik dabei ist, dass auf persönliche Begrüßungen und Verabschiedungen in direkten Interaktionen verzichtet wird. In Video- und Audiokonferenzen werden die Orte (Merkenich, Dunton) und die Funktionen (Body Engineering, Chief Programm Manager, Mazda Side) adressiert und damit die Teilnehmer immer in ihrer Mitgliedschaftsrolle bzw. in ihren Sonderrollen adressiert. Der persönliche Kontakt, eine namentliche Begrüßung, die man bei Ingenieuren beobachten kann, tritt im Alltag des höheren Managements in den Hintergrund. Ingenieure nomadisieren ihren ehemaligen Kollegen an neue Arbeitsplätze und bei systematisch zufälligen Treffen in der Cafeteria hinterher. Sie sind Fußgänger, die in ihren lokalen Arbeitsbezügen ansässig sind. Managern hingegen bleibt nur die Zeit, die Berufsrolle bzw. Sonderrollen zu markieren und darzustellen. Das Personsein, das im Organisationsalltag durch Nachfragen, Begrüßung oder in der Mittagspause adressiert wird,

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nimmt, je höher man in der Hierarchie steigt, ab. Manager sind ortsflexible, getaktete Kommunikationsmedien.

3.3 Muttersprachler, Fremdsprachler und die nationale Herkunft Bisher habe ich gezeigt, wie sich die Akteure im Alltag als Mitglieder der Klasse des Managements und der Ingenieure darstellen und ausweisen. Diese Selbst- und Fremdmobilisierung in die Professionsmitgliedschaftsklassen durchziehen alle berufsbezogenen Interaktionen. Interaktionsteilnehmer begegnen sich im Alltag immer als Mitglieder ihrer Professionsklassen. Im zweiten analytischen Schritt möchte ich der Frage nachgehen, an welcher Stelle der alltäglichen Interaktion die nationale Herkunft der Mitglieder relevant gemacht wird. Finden Markierungen statt, welche die nationale Zugehörigkeit für die Interaktion in einem aktivierten Zustand halten? Wird die durch die visuellen Indizien in der Kleidung ankonstruierte nationale Mitgliedschaft zu einer ruhenden in der Interaktion? Und mit welchen Methoden wird sie neutralisiert?

3.3.1 Die Herstellung von nationaler Indifferenz im Sprachwechsel Alle Teilnehmer haben bei Gesprächen am Arbeitsplatz, in Teambesprechungen, auf dem Flur oder bei Telefonaten ein immer wiederkehrendes praktisches Problem zu lösen: Sie müssen eine Sprache sprechen, die von den Interaktionsteilnehmern geteilt wird. Sowohl Manager als auch Ingenieure müssen in den international besetzten Teams und Besprechungen mit diesem Problem umgehen. Wie wechseln die Mitglieder auf eine gemeinsame Sprache? Welche Sprachen werden als gemeinsam geteilte Sprachen benutzt? Welche eingespielten Lösungen gibt es dafür? Und wie wird dabei mit der nationalen Herkunft der Teilnehmer umgegangen, wird diese aktualisiert? Ich stelle im Folgenden drei typische Methoden vor, mit denen Mitglieder des Managements mit dem Problem umgehen, und zeige, wie sie dabei in einer spezifischen Art die nationale Differenz handhaben. Situativer Sprachcodewechsel Der Leiter der Videokonferenz beginnt mit einer Begrüßung auf Englisch, und man hört unverkennbar einen britischen Akzent in seiner Sprache. Er leitet eine Vorstellungsrunde ein, indem er seinen Namen und den des jungen Mannes an seiner Seite nennt: »Good afternoon, it’s Graham Fry speaking. I’ve got Rainer Hirsch here sitt-

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176 | Diversity in Action ing next to me, my right hand.« Mit einem Kopfnicken designiert er den Nächsten in der Vorstellungsrunde. Dieser winkt kurz in die Kamera und sagt seinen Namen: »Thorsten Neidt, RVT.« Sein Nachbar schließt sich an mit: »Günther Hackenbroich, Body«, und es geht der Reihe nach durch. Alle schauen während der Vorstellungsrunde zur Kamera, also zum Fernseher, und sprechen ihren Namen und die Abteilungskürzel englisch aus. Anschließend stellen sich in der gleichen Weise die Konferenzpartner in England, die im Fernseher zu sehen sind, vor. Danach übernimmt der Leiter die Moderation mit den Worten: »Let me briefly go through what we intend to do today«, und er geht durch die Tagesordnung. Es wird ein dicker Stapel Papiere herumgereicht, auf dem die Sitzungsgliederung als erster Bogen obenauf liegt. Alle Unterlagen, es ist ein dicker Stapel von ca. 50 Seiten, sind in englischer Sprache verfasst.

Video- und Telefonkonferenzen, die Teilnehmer an verschiedenen Orten in Echtzeit synchronisieren, gehören zum Alltag in der Organisation. Für diese Besprechungen ist die Interaktionssprache bereits festgelegt. Videokonferenzen sind immer heteronational besetzt und werden grundsätzlich auf Englisch gehalten. Die Unterlagen sind in englischer Sprache verfasst, die Einladungen werden auf Englisch geschrieben, und die Beteiligten starten solche Besprechungen immer auf Englisch. Die Sprache wird konsequent durchgehalten. Man redet in diesen Besprechungen untereinander kein Deutsch. Wie Meier (Meier 1997) zeigt, ist die Interaktionsordnung von Videokonferenzen eine besondere, da die »Anwesenheit« von Personen durch explizite kommunikative Muster hergestellt werden muss, die in der kopräsenten Interaktion durch Proxemik und Blickkontakt und körperliche Nähe in Besprechungen routiniert ablaufen. So zeigt die Szene, dass der Leiter der Sitzung mit einer Begrüßung und strikt anmoderierten Vorstellungsrunde beginnt, die von allen Beteiligten zum Fernseher, d.h. zur Kamera gerichtet wird. Der Leiter initiiert die Vorstellung auf Englisch und alle Beteiligten sprechen ihren Namen und ihre Abteilung in Englisch aus. Die Regelsprache in national heterogenen Besprechungen bei Ford ist ein einfaches Business-Englisch, eine Form des Pidgin English.20 In dieses Englisch wechseln die englischsprachigen Muttersprachler wie auch die Deutschen. Ein Strukturelement der Organisation, das in allen Interaktio-

20 | Der Begriff Pidgin verweist in seiner Etymologie auf das sprachlich deformierte Wort »Business« (Dittmar 1997: 235). Als Pidgin-Englisch wird in der Linguistik eine Zweitsprache bezeichnet mit Merkmalen wie stark reduziertem Wortschatz, mit der Tendenz zu Umschreibungen sowie starken syntaktischen Reduktionen gegenüber der Muttersprache (Bauer 1987: 345 zitiert nach Dittmar 1997: 236).

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nen interaktiv hergestellt wird, besteht darin, dass die Lingua franca Englisch ist. Dies hat für die Mitglieder, für den Ablauf von Interaktionen, für Statusfragen innerhalb der Organisation und nicht zuletzt für die Relevanz der nationalen Herkunft in Interaktionen weit reichende Konsequenzen, auf die ich in diesem Kapitel genauer eingehen werde. Wenn man sich unabhängig von der Sprachregelung bei Ford fragt, welchen Anforderungen eine ideale Verständigungssprache bzw. eine Sprachregelung für heteronationale Kontakte genügen sollte, könnte man zu folgenden Antworten gelangen: Zunächst sollte die gewählte Sprache allen Beteiligten ermöglichen, sich in gleicher Weise an der Kommunikation zu beteiligen. Die Sprache sollte alle inkludieren und nicht situativ Anwesende aufgrund unterschiedlicher Sprachkompetenzen ausschließen. Auch sollten alle Beteiligten gleiche Chancen haben, sich auf einem ähnlichen Niveau in dieser Sprache auszudrücken. Idealerweise unterscheidet die Verständigungssprache nicht zwischen Muttersprachlern mit akzentfreiem Sprechen, umfassendem Vokabular und Ausdrucksschatz einerseits und sprachlich eingeschränkten Fremdsprachlern andererseits, sondern alle Beteiligen sollten vergleichbare Lernhürden oder – ökonomisch ausgedrückt – Sprachanschaffungskosten aufzuweisen haben. In politischen internationalen Verhandlungen wäre es außerdem bedeutsam, eine neutrale Sprache in dem Sinne zu wählen, dass diese nicht gleichzeitig die Nationalsprache einer der Verhandlungspartner darstellt, vielmehr eine geschichtlich und politisch neutrale Sprache. Eine ideale heteronationale Verständigungssprache wäre in diesem Sinne eine neutrale Sprache, die symmetrische Beteiligungschancen den Anwesenden bietet. Eine Sprache, die diesen Anforderungen entspricht, ist schwerlich zu finden. Allerdings wurde im 19. Jahrhundert die Kunstsprache Esperanto von dem polnischen Arzt Ludwig Zamenhof (1859-1917) erfunden. Jedoch wird Esperanto nur von Wenigen gesprochen. Mir ist kein Unternehmen bekannt, welches seine Mitarbeiter in Esperanto schult und alle Kommunikation in dieser neutralen Sprache durchführt. Tatsächlich werden in aller Regel internationale Verständigungssprachen in Unternehmen auf andere Weise gewählt: Man orientiert sich traditionell an der territorialen Nationalsprache des Mutterkonzerns und ist daher in der Konsequenz für die heteronationale und internationale Verständigung weder neutral noch symmetrisch. So hat beispielsweise Bosch, als ein deutsches, global operierendes Unternehmen formal zwei Konzernsprachen: Deutsch und Englisch. Französische Konzerne werden mit hoher Wahrscheinlichkeit Französisch als Konzernsprache aufweisen und auch in schwedischen Konzernen wird die Nationalsprache Schwedisch bedeutungsvoll sein. Als erste oder zweite offizielle Verständigungssprache in internationalen Unternehmen wird häufig Englisch gewählt. Englisch hat

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178 | Diversity in Action sich als eine der Weltsprachen für internationale Verhandlungen und Auftritte als gängige Sprache durchgesetzt. Bei Ford fällt nun diese internationale Verständigungssprache mit der Nationalsprache des Mutterkonzerns zusammen: Hier gilt Englisch für die heteronationale schriftliche und mündliche Kommunikation als die zu wählende Verständigungssprache. Unabhängig von dem Territorium, auf dem die Kommunikation stattfindet, ist in heteronationalen Besprechungen ins Englische zu wechseln. Es ist daher gerade nicht so, dass an deutschen Standorten die angereisten Amerikaner oder Briten sich der territorialen Ortsprache als Fremdsprachler anpassen müssen, wie dies innerhalb der Gesellschaft normalerweise erwartet wird. Innerhalb von Ford-Land ist der Zugereiste aus den USA oder England nicht der Fremdsprachler, sondern der ortsansässige deutsche Mitarbeiter. Die Wahl des Englischen als der gängigen geteilten Sprache in heteronationalen Beziehungen erzeugt eine Asymmetrie, weil Englisch keine neutrale Sprache ist, sondern die Muttersprache von amerikanischen und britischen Mitarbeitern. Englisch als partikulare Sprache wird als universelle Sprache für alle heteronationalen Situationen gesetzt. Wie diese Sprachregelung zu ungleichen Beteiligungschancen führt und welche Bedeutung dadurch die nationale Herkunft in Besprechungen erhält, werde ich im Folgenden weiter vorstellen. Zunächst zeige ich, wie die Mitarbeiter reibungslos den Sprachwechsel ins Englisch vollziehen und was durch den Codewechsel in Bezug auf die nationale Herkunft erzeugt wird. Personenbezogener Sprachcodewechsel

Albert: Du kannst=du kannst auch bis jetzt nichts gesehen haben, Bertram, weil die immer me:hr, oder wir=die sind ja mittlerweile vom Iterationsschritt Nummer VIER (-) das heißt, die hatten meiner Meinung nach in der Zwischenzeit gar keine Möglichkeit gehabt, Bertram: [jamhm Albert: [irgendwelche Tests zu machen, die werden ja zunichte gemacht, weil man die (um noch mal die Boots) noch reinmachen. Morning Simon, Simon: Morning (leise und schnufft laut) (0.5.) Albert: What HAPPend’ Simon: A::h it got’s (…, nose) in the morning. Bertram: Mhm, well don’t touch me ((abwehrende, schützende Hände )) ((lachen)) Albert: Ok (-) ok, the purpose of today’s meeting is (.) pretty simple (.) well it sounds

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3. Membership in Action | 179 simple but unfortunate it is not that. Ä::hm (-) we are looking for (-) the reason why (-) we need to (-) wait for (-) iteration four (seats) (-) or (.) if (.) we can continue with CURRent productions seats (-) for the crash test.

Die Szene zeigt, wie von der einen Sprache, in der Albert und Bertram sprechen, in eine andere gewechselt wird, in einer Form, wie sie typischerweise im Alltag praktiziert wird. Ich werde sequenzanalytisch im Folgenden durch die Szene gehen und beschreiben, was von den Teilnehmern interaktiv hergestellt wird. Wie ich in der theoretischen Einleitung vorgestellt habe, suspendiert die Konversationsanalyse zum Zwecke der detailgenauen Analyse das Wissen um Merkmale der Person (z.B. die Profession etc.). Ich werde zunächst ohne dieses Wissen beschreiben, was von den Beteiligten hier interaktiv hergestellt wird. Albert spricht auf Deutsch über einen technischen Sachverhalt mit Bertram. Als ein Kollege dazukommt, begrüßt Albert ihn mit »Morning Simon«, also auf Englisch. Simon erwidert die Begrüßung mit einem »Morning« und übernimmt dabei die Sprache, in der er angesprochen wurde. Albert adressiert direkt an Simon seinen nächsten Redezug mit »What HAPPend’«, und Simon beantwortet die Frage in Bezug auf seinen Gesundheitszustand mit einer kurzen Erklärung, dass heute Morgen etwas passiert sei. Was er sagt, ist in der Aufnahme nicht ganz verständlich. Im nächsten Redezug schließt sich Bertram an das Thema und an den Sprachwechsel an und sagt in Englisch an Simon adressiert, »well, don’t touch me«. Das wird von den Beteiligten als humorige Aussage aufgefasst und alle stimmen in ein Lachen ein. Mit einer kurzen Pause kündigt Albert einen Themenwechsel an (»Ok (-) ok«) und verlässt das Thema »Simon«. Er trifft die Aussage »the purpose of today’s meeting« und gibt eine Bewertung darüber, dass das Anliegen des Treffens nicht so leicht sei, wie es erscheint. Er wechselt in ein »wir« (»we are looking for«), das sich an alle Beteiligten richtet und alle in einer bestimmten Funktion adressiert: als Beteiligte einer Besprechung, in der bestimmte Fragen beantwortet werden, die Albert im weiteren Verlauf seines Redezugs auflistet. Was wird hier interaktiv hergestellt? Wie wird mit dem praktischen Problem, in eine geteilte Sprache zu wechseln, umgegangen? Zunächst wird von Albert durch den Wechsel der Sprache eine Differenz veranschlagt und dann durch die Redezug-Übernahme der anderen Teilnehmer in der markierten Sprache Englisch ein kommunikativer Kreis geschlossen. Alle schließen sich nacheinander dem Sprachwechsel an und erzeugen damit eine lokale Besprechungsgruppe, die von dem Leiter (»we are looking«) explizit adressiert wird. Mit dem Sprachcodewechsel wird die Differenz gleich/verschieden veranschlagt. Hirschauer (2001) argumentiert für die Kategorie Geschlecht, dass

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180 | Diversity in Action nicht nur die Teilnehmer, sondern auch die Interaktionsbeziehung markiert werden kann und Geschlecht damit in der Interaktion aktualisiert wird. Die Geschlechtszugehörigkeit wird als Relationskategorie aufgebaut und in eine Unterscheidung von gleich/verschieden übersetzt. Damit wird, so Hirschauer, zugleich auch die Interaktion als gleich- oder verschiedengeschlechtlich markiert. Analog verhält es sich mit der Kategorie der nationalen Herkunft. Auch hier wird die Differenz in Bezug auf die nationale Herkunft in eine Relationskategorie übersetzt. In der Szene wird die nationale Differenz mit dem Vorzeichen »verschieden« versehen. Kommunikativ wird dies durch den Sprachwechsel von Deutsch auf Englisch interaktiv vollzogen, der von Simon und dem anwesenden Bertram ratifiziert wird. Anders als im Fall der bipolaren Kategorie Geschlecht werden hier »gleich« und »verschieden« nicht an zwei Kategorien entschieden und damit zwei spezifische Klassen fokussiert. Der Sprachenwechsel markiert nicht gleichzeitig, dass Simon Engländer ist, sondern markiert nur, dass in der Interaktion ein Teilnehmer einer anderen Nationalität hinzugetreten ist. Es wird eine Heteronationalität markiert. Mit der Mitgliedschaftskategorie Nationale Herkunft gehen »category bound predicts« (Sacks 1992) einher, die sich auf die sprachlichen Kompetenzen der Teilnehmer beziehen. So wird mit der Zuordnung »Engländer« oder »Schwede« verbunden, dass die Person auch Englisch bzw. Schwedisch als Muttersprache spricht und über typische Fremdsprachenkompetenzen verfügt. Mit dem Sprachwechsel klassifizieren sich die Teilnehmer als »verschieden« in ihrer nationalen Herkunft und machen mit dem Sprachwechsel die verschiedenen sprachlichen Kompetenzen relevant, die mit der nationalen Herkunft verbunden werden. Es ist sowohl typisch, dass der Sprachencodewechsel direkt bei der Begrüßung einer Person vollzogen wird, als auch, dass er für die weitere Interaktion gilt. Im Fall dieses Sprachwechsel wird die Interaktionsbeziehung als »verschieden« markiert und, egal welche nationale Herkunft die Person darstellt, in ein Pidgin English gewechselt. Mit der Referenz auf die Interaktionsbeziehung wird daher nicht ein spezifisches nationales Gegenüber oder eine Menge an spezifisch anderen Nationalitäten simultan mitmarkiert.21 Die Regel, die 21 | Hirschauer argumentiert, dass die Markierung von Geschlecht als einer Relationskategorie im Sinne Goffmans wie ein Rahmen funktioniert und dass damit die gesamte Interaktion als Durchführung einer Geschlechterbeziehung konnotiert werden könne. Die Teilnehmer behandeln einander nicht mehr als »eine Frau« oder »ein Mann«, sondern als »die Frau« und »den Mann«. Die Geschlechtergrenze, so seine topologische Metapher, verlaufe entweder um die Teilnehmer herum oder zwischen ihnen (Hirschauer 2001: 220). Im Unterschied zu Geschlecht wird die Beziehung in meinem Fall jedoch nicht als eine binationale, sondern, da es mehrere Mit-

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3. Membership in Action | 181

von Mitgliedern des Managements praktiziert wird, lautet: Bei Eintritt einer Person, die »verschieden« in ihrer nationalen Herkunft zu den anderen Teilnehmern ist, wird, wenn die bisherige Interaktionssprache Deutsch war, vom Deutsch in ein einfaches Business-Englisch gewechselt.22 Dieser Wechsel erzeugt eine Indifferenz gegenüber der spezifischen nationalen Zugehörigkeit einer Person (Hirschauer 2001).23 Denn auch in der Interaktion zwischen Schweden, Deutschen, Japanern und Briten wird Englisch als die geteilte Verkehrssprache gewählt. Englisch bzw. eine bestimmte firmenspezifische Fassung eines technisch orientierten Business-Englisch, wird als Lingua franca verwendet, die es ermöglicht, von der spezifischen Nationalität der Beteiligten abzusehen.24 Gerade dadurch, dass Englisch als Lingua franca in der Mehrheit der Interaktionen verwendet wird, wird von den Teilnehmern keine nationalitätsspezifische Relationskategorie aufgebaut. Was »verschieden« ist, bleibt durch die multiple Klassenzugehörigkeit der Kategorie Nationale Herkunft unbestimmt.25 Dabei wird diese Art des Wechsels von den Supervisoren, den Managern oder Chiefs, also von den Mitgliedern der unterschiedlichen Managementpositionen, initiiert. Wie ich weiter unten zeigen werde, gehen Ingenieure anders mit dem Sprachwechsel um, und daher anders mit der Aktualisierung und Neutralisierung der nationalen Herkunft. Supervisoren, Manager und Chiefs initiieren als Erste in Besprechungen den Sprachwechsel ins Englische, sobald ein Engländer/ Amerikaner einen bisher in Deutsch geführten Gesprächsraum betritt – so in der oben vorgestellten Szene der Supervisor Albert. Mit dem Sprachgliedschaftsklassen für die nationale Herkunft gibt, als internationale Beziehung gerahmt. 22 | Diese Regel gilt selbstverständlich auch für die Sprachwechsel der Kooperationspartner, die sich untereinander auf Schwedisch oder Japanisch unterhalten. 23 | Hirschauer (2001) verwendet den Begriff »In-differenz«, um zu beschreiben, dass die Geschlechterattribution an Alter nicht zu einer Unterscheidung der Interaktionsbeziehung genutzt wird und dass damit die Zugehörigkeit gleichgültig für die Interaktion wird. 24 | Wenn Briten und Amerikaner in der Firma aufeinander treffen, wird selbstverständlich nicht die Sprache oder in ein Pidgin-Englisch gewechselt. Man könnte meinen, dass es zwischen ihnen zu keinen linguistischen Missverständnissen kommt. Mir wurde jedoch im Unternehmen von deutschen Managern berichtet, dass sie wegen idiomatischen Missverständnissen zwischen Amerikanern und Briten häufiger vermitteln müssten und die unterschiedlichen Bedeutungen übersetzten. 25 | Alternativ lässt sich man argumentieren: Das, was »verschieden« bleibt, bleibt nicht durch die multiple Klassenzugehörigkeit der nationalen Herkunft unbestimmt, sondern durch die Dominanz des Englischen als Sprache, für die alle anderen Sprachen unbestimmte »Andere« sind.

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182 | Diversity in Action codewechsel und der Besprechungseröffnung »Ok (-) ok, the purpose of today’s meeting is (.) pretty simple«, die von den Interaktionsteilnehmern als Besprechung angeschlossen wird, wird eine lokale Rolle erzeugt: die des Leiters, der den formellen Teil der Besprechung eröffnet. Es ist üblich, dass die Leiter der Meetings den Codewechsel initiieren sowie die Besprechungssequenz mit Phrasen eröffnen wie: »the purpose of the meeting is«, »what we intend to do today«, »alright, with that oomh I would like to make a start«. Der Sprachwechsel findet nicht nur einseitig von Deutsch ins Pidgin English statt, sondern wird auch von amerikanischen und britischen Mitarbeitern in Interaktionen mit Deutschen praktiziert. Hier wird nicht die Sprache komplett gewechselt, sondern von der englischen Muttersprache in ein einfaches Englisch, das mit dem soziolinguistischen Begriff des Fremdsprachenregisters bezeichnet werden kann. Das Fremdsprachenregister von Muttersprachlern zeichnet sich durch eine sehr vereinfachte Form und Funktion aus, indem langsamer gesprochen wird und die ausformulierten Formen benutzt, idiomatische oder umgangssprachliche Ausdrücke vermieden und Wörter wiederholt werden (Dittmar 1997). Die Alltagsteilnehmer wissen gewöhnlich um die nationale Herkunft und die sprachlichen Kompetenzen ihrer unmittelbaren Teamkollegen und Mitarbeiter. Sie wissen, ob Kollegen oder Vorgesetzte mono- oder bilinguale Sprachkompetenzen haben.26 Personen, die sich nicht kennen, wenn z.B. Teams neu zusammengestellt werden, wenn ein Manager eine neue Position übernimmt oder schlicht im Gebäude umgezogen wird, werden für gewöhnlich in Face-To-Face-Situationen einander vorgestellt. Dies gilt für das unmittelbare Arbeitsumfeld. In der ersten Begegnung wird in Bezug auf Personen eine gemeinsame Sprache festgelegt, die für alle weiteren Treffen mit der jeweiligen Person in den Zweiergesprächen, sei es Face-ToFace oder am Telefon, verwendet wird. Dennoch gibt es auf allen Ebenen Besprechungen, in denen die Beteiligten sich typischerweise nicht kennen, also kein Wissen darüber haben, aus welchem Land sie kommen und welche sprachlichen Kompetenzen sie besitzen. Die nationale Selbstmobilisierung der Teilnehmer durch die Kleidung bahnt, wie ich bereits eingangs dieses Kapitels gezeigt habe, eine Lösung für das praktische Problem: die Wahl der Sprache, in der in Besprechungen die mündliche Interaktion angeschlossen wird.

26 | Studien, welche die Ordnung des Sprachwechsels von bilingualen Sprechern, z.B. unter jugendlichen Zuwanderern der zweiten Generation in Deutschland, untersuchen, stellen spezifische Muster fest, mit denen diese den Sprachwechsel als Ganzes oder in einzelnen Worten markieren. Vgl. hierzu Auer 1988.

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3. Membership in Action | 183

Geteilte Sprache festlegen bei Unbekannten Wie im Kapitel (3.1) »Nationalitäten auf den ersten Blick« beschrieben, präformieren sich die Teilnehmer durch den Kleidungsstil in nationale Mitgliedschaften. In dieser am Eingang des Kapitels vorgestellten Szene, in der Martin auf Englisch mit der Frage startet: »We=gonna=talk ENglish are (-) we?«, wird in der Besprechungseröffnung eine nationale Differenz in der Interaktionsbeziehung veranschlagt. Durch die Frage aktualisiert Martin sich gleichzeitig in die Mitgliedschaftskategorie eines bilingualen Sprechers, der sowohl auf Englisch als auch in Deutsch die Besprechung führen kann. Von B wird die Differenz »verschieden« durch den sich unmittelbar anschließenden Ausspruch »I hope so« aufgegriffen und bestätigt. Er weist sich in Bezug auf die lokalen alternativen Sprachen eine monolinguistische Identität zu (Gafaranga 2001).27 Alle Besprechungsteilnehmer stimmen in ein amüsiertes Lachen ein. B spricht »I hope so« mit dem Brustton gespielter Entrüstung aus. Martin ratifiziert dann die Sprachfestlegung mit »Eeah, sure, that’s so, ok, we gonna talk English«. In dieser Szene wird damit direkt in Bezug auf die anwesenden Personen ein Sprachwechsel vorgenommen. Der Grad, mit dem hier explizit die Sprache festgelegt wird, ist nur nötig, wenn die Besprechung informell ist und sich die Beteiligten nicht persönlich kennen. Das kommt vor, häufiger ist jedoch, dass der Codewechsel mit bestimmten Typen von Besprechungen gleichzeitig und ohne explizierte Festlegung erfolgt. Die Lingua franca wird dabei nicht in Bezug auf Personen veranschlagt, sondern mittelbar über die Interaktionstypik, also die Situation, wie z.B. in Videokonferenzen. In den drei Szenen habe ich gezeigt, dass der Sprachwechsel in eine geteilte Interaktionssprache reibungslos und durch eingespielte Lösungen funktioniert. Die Differenz gleich/verschieden wird durch den Sprachwechsel in Anschlag gebracht, und es wird die Möglichkeit erzeugt, von der spezifischen nationalen Herkunft abzusehen. Sei es, dass er beim Zutritt einer bekannten Person, die national »verschieden« ist, initiiert wird, sei es, dass 27 | Gafaranga (2001) zeigt in einer Membership-Categorization-Analyse des Sprachwechsels bei bilingualen Sprechern, dass der Wechsel von den Teilnehmern durch die lokalen, in der Interaktion verhandelten linguistischen Identitäten erzeugt wird. Er argumentiert, dass die Teilnehmer sich und die anderen als mono- und bilinguale Mitglieder eines »language-based categorization device« aktualisieren (Gafaranga 2001: 1916). Diese Studie geht mit einer ethnomethodologischen Sicht nicht davon aus, dass Mitglieder einer Interaktion eine bestimmte Sprache »haben« oder die Kompetenz haben, diese zu wechseln, sondern dass der Wechsel und das »Haben« einer Sprache durch die Interaktion wechselseitig dargestellt werden.

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184 | Diversity in Action der Sprachwechsel explizit für eine Besprechung bereits festgelegt wird, oder sei es, dass er für einen bestimmten Typus einer Besprechung etabliert ist. Gerade dadurch, dass der Sprachwechsel so reibungslos funktioniert, wie in den Szenen beschrieben, wird die nationale Mitgliedschaft in einem diffusen, nur ankonstruierten Status gehalten. Durch den Akzent der Sprecher bleibt die nationale Herkunft immer im Anliegerbereich der Interaktion, worauf ich im folgenden Abschnitt genauer eingehen werde. Aber als Lingua franca verwendet, rahmt der Sprachcode »Business-Englisch« die Situation als eine heteronationale und nicht binationale Begegnung. Akustische Omnipräsenz – Sprachwechselirritation In der nächsten Szene möchte ich exemplarisch zeigen, was passiert, wenn diese Maßgabe der Reibungslosigkeit im Sprachwechsel verletzt wird. Es ist 16:30 Uhr. Ich gehe zurück ins Sekretariat, um mir den Besucherausweis unterzeichnen zu lassen und meine Jacke zu holen: Dort ist die Tür zu Paul Simons Büro offen. Vor der Sekretariatstheke steht ein Mann. Frau Hofer schließt die Bürotür mit den Worten: »Da können Sie jetzt nicht rein, das ist ein Meeting.« Ich stehe hinter dem Mann, der mich noch nicht bemerkt hat, und ziehe mir die Jacke an. Frau Hofer erklärt ihm, dass das Meeting mindestens 10 Minuten dauert, es sei extra bestellt worden, und sich direkt danach ein weiteres Meeting anschließt, das eine bis anderthalb Stunden dauert. Der Mann sagt mit deutlichem britischen Akzent: »Da bringt mich meine Frau um.« Frau Hofer fragt: »Wollen Sie was aufschreiben?« und reicht ihm einen Zettel und einen Stift. Dann stellt sie mich auf Deutsch vor. Ich gebe dem Mann die Hand, er sagt: »Guten Tag«, und ich sage: »Nice to meet you«. Mann: »Are you practicing your English?« Ich: »Yes, a little bit«, lächele und werde rot. Frau Hofer erklärt dann auf Deutsch an mich und den anderen Mann an der Theke gerichtet: »Ach, er vergisst schon sein Englisch, dabei ist er ja eigentlich Brite!« Dann scherzen die beiden auf Englisch weiter, und ich verabschiede mich mit einem »Have a nice weekend!«

Anders als in den bisherigen Situationen, die ich im Text vorgestellt habe und die ich bis zu diesem Zeitpunkt in der Feldforschung kennen gelernt hatte, wurde der Sprachwechsel meist von deutschen Muttersprachlern ausgeführt, wenn Teilnehmer anderer nationaler Herkunft in die Interaktion hinzutraten. Hier ist die Situation anders. Zunächst trete ich hinzu, als deutsche Muttersprachlerin, und die Referenzsprache der geführten Interaktion ist Deutsch. Wie bei fast allen Personen, die in einer Sprache sprechen, wird die nationale Herkunft durch den Akzent immer wach gehalten. Es ist eine Kompetenz, die im Kontext internationaler Arbeitsteams verfeinert und geschult wird, anhand des Akzentes eine Person routiniert natio-

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nal zu erkennen, insbesondere dann, wenn dies durch visuelle Indizien unterstützt wird. So hört man im Englischen die harte, monotone und abgehackte Aussprache von deutschen Muttersprachlern heraus, die melodische Intonation und Verschleifungen von Briten, die Deutsch sprechen, und den breiten Akzent von US-Amerikanern, der sie von britischem Englisch unterscheidet. Die Prosodie und der Rhythmus des Sprechens, den man in seiner Muttersprache gelernt hat, ist ein habitualisiertes Inszenierungsverfahren (Kotthoff 2002).28 Der Akzent eines Sprechers ist eine verkörperlichte Praxis der nationalen Herkunft, die als Kontur immer mitläuft, jedoch normalerweise im Hintergrund der Interaktion liegt. Im Akzent zeigt sich die akustische Naturalisierung der nationalen Herkunft, die man ein Leben lang hat und nicht einfach wie ein Kleidungsstück ablegen kann. Kinder aus bilingualen oder Migrationsfamilien können, wenn sie recht früh die zweite Sprache lernen, akzentfrei die Landessprache sprechen. Erwachsene müssen auf aufwändige Sprecherziehungsmaßnahmen zurückgreifen, um den eigenen Akzent in einer Fremdsprache zu minimieren. Die nationale Herkunft wird durch den Akzent eines Sprechers akustisch in einem omnipräsenten Zustand gehalten. Auf dieses Wissen rekurriere ich in der oben aufgeführten Szene, und in der Anwendung der bis zu dem Zeitpunkt von mir gelernten Regel, bei heteronationalen Kontakten auf Englisch zu wechseln, veranschlage ich die nationale Differenz. Der von mir als »verschieden« Attribuierte schließt an den Sprachenwechsel an und interpretiert den unvermittelten Sprachwechsel der Interaktionssprache als eine Übungsabsicht für mein Englisch. Er schließt damit den Wechsel gerade nicht als einen Hinweis auf seine spezifische nationale Herkunft oder die nationale Differenz an. Erst die Sekretärin, die erneut ins Deutsche wechselt, erklärt: »Ach, er vergisst schon sein Englisch, dabei ist er ja eigentlich Brite!« Sie greift sowohl das Thema »Üben einer Sprache« als auch die Referenz der nationalen Herkunft auf, und damit die von mir gezogene Differenz gleich/verschieden. Diese Art des Wechsels, den ich praktiziert habe, ist gänzlich unüblich unter den Mitgliedern der Organisation. Wenn man kann, so ist es höflich, in die Referenzsprache einer Interaktion zu wechseln. In der Regel können das für die englische Sprache jedoch nur deutsche Mitarbeiter und schwedische Kooperationspartner. Hier beherrscht, und das ist eine Ausnahme, ein britischer Manager die lokale Sprache und macht von dieser Kompetenz 28 | Kotthoff (2002) analysiert die Prosodie von Geschlecht, als ein Doing Gender, das jedoch normalerweise nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit einer Interaktion steht, sondern im Hintergrund mitläuft. Sie unterscheidet verschiedene Relevanzebenen von Geschlecht in Bezug auf die Aufmerksamkeit, die ihnen in der Interaktion in der Regel zukommen.

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186 | Diversity in Action in der Interaktion mit anderen deutschen Muttersprachlern Gebrauch. Die umgekehrte Situation, dass ein dazutretender Brite oder US-Amerikaner in eine Interaktion, die auf Deutsch geführt wird, auf Englisch einsteigt, ist ja gerade die Regel in der Firma. Der Unterschied zu der gerade gezeigten Szene ist, dass er bereits auf Englisch angesprochen und vorgestellt und dann auf Englisch weitergeredet worden wäre. In der Regel wird, mit Ausnahmen besonderer sprachlicher bilingualer Identitäten, von Deutsch in ein Business-Englisch bzw. von Englisch in ein einfaches Englisch gewechselt. Ich habe diese Reibungslosigkeit des Codewechsels verletzt und damit genau das aktualisiert, was durch den reibungslos praktizierten Wechsel in den Hintergrund der Interaktion rückt: eine indifferente nationale Herkunft. Diese Reibungslosigkeit wird durch den initialen personalen Sprachwechsel erzeugt, der, wie ich in diesem Kapitel gezeigt habe, durch verschiedene Methoden in seiner Reibungslosigkeit hergestellt wird: Er ist mit bestimmten Interaktionstypen (Videokonferenz und transnationales Audiomeeting) aktualisiert oder wird personenspezifisch initiiert. Oder der Sprachwechsel wird, wenn die Interaktionsteilnehmer einander nicht kennen, explizit festgelegt. Jedoch bleibt die nationale Herkunft auch in der geteilten Interaktionssprache akustisch omnipräsent. In dem Ausmaß, wie die nationale Differenz durch das Sprechen einer Lingua franca absorbiert bzw. indifferent gehandhabt wird, ist sie dennoch in der Interaktion enthalten. Der systematische Grund liegt darin, dass die Indifferenz durch das Medium erzeugt wird, das auch die nationale Differenz herstellt. Das Medium der Relativierung der nationalen Differenz ist das Medium seiner Herstellung: Es ist die gesprochene Sprache. Daher verschwindet die nationale Herkunft auch nicht ganz aus der Interaktion.29 Man kann sie nicht durch den Wechsel auf eine Lingua franca abschalten, sondern sie wird in einem diffusen Schwebezustand gehalten, mit der beständigen Möglichkeit, dass sie doch wieder in den Vordergrund der Interaktion kippt. Im Folgenden zeige ich, was während des Sprechens getan wird, um diesen diffusen Schwebezustand aufrechtzuerhalten. Störungsfreies Business-Englisch sprechen Von den Mitgliedern des Managements wird nicht nur ein reibungsloser Wechsel in das Business-Englisch betrieben, sondern man spricht diese Interaktionssprache in einer besonders störungsfreien Weise. Dieses stö-

29 | So argumentiert auch Hirschauer (2001), der mit Neutralisierung auch nicht ein vollständiges Verschwinden von Geschlecht aus der Interaktion meint.

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rungsfreie Sprechen ist jedoch allein ein Problem und eine Darstellungspraxis von nichtenglischen/-amerikanischen Muttersprachlern. Die folgende Szene ist die Eröffnung einer Besprechung durch einen deutschen Manager in einem Face-To-Face-Meeting mit amerikanischen Mitarbeitern. Manager: OK’: A::h (.) I’ve CALLED for=the=MEEting, because we’ve seen some difficulties in the program, in the (-) in the äh PAST weeks and months. (-) And RÜdiger äh:: had already (.) several meetings with you (.) as regard to (.) enginEEring supPORt (-) Mitarbeiter: [Mhm Manager: [Which I believe is an issue (-) for (-) trw support in the j71 program, and these speCIFIics are (.) in the cae supPORT so you got to manimo (-) support (-) in timeline (-) QUAlity. (--) And ä:h (.) that’s something (.) we need to discuss=today. (-) and äh I=don’t=know=whether you wanna get some speCIFIcs up’ or whether you wanna – comment on the – overALL issue, – o:r (-) ah: (--) Were you awARE of these =of this issue? Mitarbeiter: We’ve=seen=the=mails=back=an=forth obviously and conversation with CRIS an CONversation that=you=had with JOHN. And I with STEVE (.) as well.

Wie man erkennt, wird hier kein kompliziertes Englisch gesprochen, es ist ein Business-Englisch mit einfachen Standardformulierungen. Auffällig ist, dass der deutsche Manager sehr viele Mikropausen verwendet, also sehr langsam spricht und deutliche Akzente als Betonungen setzt. Insgesamt wirkt sein Sprechen bedächtig. Man gewinnt den Eindruck, dass der Sprecher genau weiß, was er sagt, und mit voller Absicht so ruhig und langsam spricht. Im Vergleich zu dem amerikanischen Mitarbeiter, der die Worte direkt aneinander bindet, werden von dem Manager einzelne Worte durch Pausen und Betonungen hervorgehoben. Diese Art des Sprechens ist typisch für deutsche Supervisoren und Manager. Neben dieser betonten Art zu sprechen, kommt hinzu, dass weder sprachliche Verständnisschwierigkeiten innerhalb eines Meetings thematisiert werden, noch unverständliche englische Ausdrücke nachgefragt werden. Eine Ausnahme bilden ganz selten vorkommende Nachfragen innerhalb von Videokonferenzen, die von den Sprechern aber immer der schlechten Akustik der Lautsprecher und Mikrofone zugeschrieben werden und gerade nicht dem eigenen Vokabelschatz oder idiomatischen Ausdrücken, die man nicht versteht. Schwierigkeiten im Ausdrücken in der Fremdsprache sind vorhanden, wie mir in Interviews berichtet wurde. Sie werden jedoch von Supervisoren und Managern ganz selten in Besprechungen – und wenn, nur sehr ungern – öffentlich gezeigt und von englischen Muttersprachlern höflich überhört und nicht weiter beachtet.

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188 | Diversity in Action In einem englischsprachigen Meeting mit Vertretern verschiedener Firmen und hohem Management gibt ein Supervisor Antworten auf Fragen, die ihm direkt gestellt werden. Plötzlich stockt er innerhalb eines Satzes und ringt hörbar mit einer Vokabel. Er baut in seinen englischen Satz ein Wort auf Deutsch ein und schlägt mit der Faust auf den Tisch und sagt zu sich: »Verdammt – gründlich?« Eine Kollegin, die direkt neben ihm sitzt, souffliert ihm leise die fehlende Vokabel. Er bedankt sich und wird dabei rot im Gesicht und spricht weiter auf Englisch.

Es gibt eine moralische Verpflichtung, die Lingua franca im Management störungsfrei zu sprechen. Deutsche Manager dürfen nicht zeigen, dass sie das Business-Englisch lernen und dass sie nicht alle Vokabeln und Ausdrücke flüssig beherrschen. Wenn dies nicht gelingt, wie in dieser Szene, wird dies als ausgesprochen peinlich für den Sprecher erlebt. Mitglieder des Managements müssen immer schon in der Business-Sprache agieren. Das ist für nichtenglische Muttersprachler selbstverständlich erheblich schwieriger als für Briten oder Amerikaner, die ihre Sprachkompetenzen lediglich auf ein Fremdsprachregister runterfahren müssen. Dadurch, dass so störungsfrei agiert wird, ohne gleichzeitig darzustellen, dass man sich auf begrenztem Ausdrucks- und Verständigungsterrain bewegt, wird die nationale Differenz auch im Verlauf der Interaktion indifferent gehalten. Auf diese Weise wird Interaktion in Kooperation mit den englischsprachigen Muttersprachlern hergestellt, die grammatikalische Patzer überhören, durch Variation in den Vokabeln eine breitere Verständigungsbasis aufbauen und damit präventiv Störungen vermeiden. Wortfindungsschwierigkeiten oder sprachliche Missverständnisse sind der tabuisierte Fall, der nicht eintreten darf und durch verschiedene Manöver umschifft wird. Zwar wissen alle Beteiligten, dass es zu Missverständnissen kommen kann, dass unterschiedliche sprachliche Kompetenzen in einem Besprechungsraum vorhanden sind, aber dies darf nicht weiter thematisiert werden. Der Peinlichkeitsfall für die Neutralisierung der nationalen Herkunft ist das Thematisieren eines Missverstehens. Deutsche Supervisoren beschreiben in Interviews, dass sie sich erst nach fünf Jahren in Besprechungen wirklich sattelsicher und vollkommen reaktionsfähig gefühlt haben. Sie erleben die Geschäftssprache als eine Behinderung ihrer Beteiligungs- und Durchsetzungschancen in Besprechungen: Ein junger Supervisor erzählt, dass seine Abteilung durch Ford 2000 umstrukturiert worden sei und sie seitdem für die Amerikaner zuständig seien. Das sei schwer gewesen am Anfang, erzählt er, denn sie seien nicht ernst genommen worden. Mit der Zeit pendele sich das ein, und jetzt gehe es, aber man spreche einfach nie so gut Englisch wie ein Native Speaker und sei daher nie ganz gleich. Man brauche Zeit, bis

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3. Membership in Action | 189 man in der Argumentationskette mit den Natives gleichziehen könne. Ethnographin: Wie lange braucht man, um so richtig sattelsicher in Videokonferenzen zu sein? Er: So ein paar Jahre schon, vielleicht fünf, um sich richtig zu trauen, was zu sagen und auch mal nachzufragen.

»Man ist nie ganz gleich«, sagt der deutsche Supervisor. Die Lingua franca ist nicht eine neutrale Sprache, in die alle mit gleichen Ausgangsbedingungen und Beteiligungschancen wechseln, sondern sie erzeugt eine Ungleichheit, nichtenglische Muttersprachler müssen eine viel höhere Anpassungsleistung erbringen als die englischsprachigen Muttersprachler. Dabei kann diese Asymmetrie in der Anpassungsleistung auch zu (Selbst-) Ausschlüssen führen, wie dies bei Ingenieuren, wie ich weiter unten zeigen werde, der Fall ist. Jedoch stellt das reibungslose Sprechen die Professionalität der Manager dar und gilt als Karrierevoraussetzung für alle Managementpositionen. Das hat seine systematische Ursache darin, dass die Sprache ein entscheidendes Medium ihrer professionellen Tätigkeit ist: Manager sind Kommunikationsmedien. Und im Kontext eines transnationalen Unternehmens wird diese sprachliche Kompetenz für Managementpositionen vorausgesetzt. Nichtenglischsprachige Muttersprachler vertiefen daher ihre Englischkenntnisse als Supervisoren in der Regel durch einen zweiten Universitätsabschluss an einer englischsprachigen Kooperationsuniversität, sowohl mündlich als auch schriftlich. Deutsche Manager erweitern ihre englischen Sprachkenntnisse während eines längeren Auslandsaufenthaltes an einem amerikanischen oder britischen Standort.30 Zusammenfassung Von den Mitgliedern des Managements wird durch den reibungslosen Wechsel in ein Business-Englisch die nationale Herkunft indifferent gehalten. Dazu wird jedoch in einem ersten Schritt eine nationale Differenz veranschlagt, aber durch die Übersetzung in die Relationskategorie gleich/verschieden für die Interaktion indifferent gehalten. In Bezug auf den Sprachwechsel konnte festgestellt werden, dass sich die Teilnehmer gerade nicht in spezifische einzelne nationale Klassen pushen oder selbst mobilisieren, sondern dass durch den reibungslos praktizierten Wechsel in eine Lingua franca die nationale Herkunft neutralisiert wird. Die Teilnehmer stellen die 30 | Amerikanische oder englische Manager erhalten, wenn sie an einem deutschen Standort arbeiten, Deutschunterricht. Jedoch brauchen sie nach eigener Aussage innerhalb der Firma die deutsche Sprache nicht. Erst wenn sie sich außerhalb des Firmengeländes bewegen, werden Deutschkenntnisse im Alltag wichtig.

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190 | Diversity in Action Praxis der Indifferenz aktiv her. So, wie durch die Wahl der Kleidung aktiv eine Mobilisierung stattfindet, wird durch die Methode des reibungslosen Sprachwechsels die nationale Differenz für die Interaktion neutralisiert. Jedoch verbleibt die nationale Herkunft im Anliegerbereich der Interaktion: Sie ist akustisch durch den Akzent eines Sprechers omnipräsent. Im weiteren Verlauf der Interaktion, in der durch Verständigungsschwierigkeiten die nationale Differenz wieder aufblitzen könnte, wird diese durch eine störungsfreie Kommunikation kontinuierlich neutralisiert. Die Lingua franca störungsfrei zu sprechen ist für die Mitglieder des Managements eine moralische Pflicht. Da Sprache das entscheidende Medium der alltäglichen Arbeit der Manager ist, verweisen Defizite in der Lingua franca auf potenzielle Schwierigkeiten in der professionellen Kommunikation als Manager. Kann ein Manager, der nicht gut Englisch spricht, in diesem Kontext gute Arbeit leisten? Bei der Stellenbesetzung wird diese Frage sicher ab dem mittleren Management mit nein beantwortet werden. Das Beherrschen der Verkehrssprache ist direkt verwoben mit der professionellen Kompetenz eines Managers. Die Leistung wird dabei vor allem von den deutschen bzw. nichtenglischen Muttersprachlern erbracht. Sie gelingt jedoch nur durch die Kooperation der englischen Muttersprachler, die Fehler, grammatikalische Patzer, falsch platzierte idiomatische Ausdrücke aktiv überhören. Die Lingua franca erzeugt keine Gleichheit zwischen den Teilnehmern, sondern asymmetrische Beteiligungschancen. In dem Maße, wie die nationale Herkunft durch den Sprachwechsel absorbiert wird, ist sie in der Interaktion auch vorhanden, da sie durch das gleiche Medium, das sie relativiert, auch hergestellt wird: die Sprache.

3.3.2 Das Kultivieren der Differenz In die Box kommt ein junger Mann zu Heinz und zeigt ihm einen Zettel. Franc, ein britischer Ingenieur der eine Box weiter sitzt, schaut neugierig durchs Fenster und steht dann auf und kommt rüber. Er stellt sich dazu und hört aufmerksam zu. Heinz und der junge Mann reden auf Deutsch weiter. Dann sagt Heinz zu Franc: »That will be new?«, und Franc reagiert darauf und gibt einen Kommentar auf Englisch. Dann spricht Heinz wieder auf Deutsch zu dem jungen Mann. Franc geht nach einer Weile wieder um die Ecke an seinen Arbeitsplatz.

Ingenieure wechseln die Sprache personenbezogen, aber nicht situationell, wie dies von Managern getan wird. Wenn britische Ingenieure in den Boxen arbeiten, wird zwar der britische Ingenieur, wenn er direkt adressiert wird, auf Englisch angesprochen (»That will be new?«), aber die gesamte andere Kommunikation in der Box oder in der Kaffeepause, wenn mehrere Kollegen zusammenstehen, findet auf Deutsch statt. Um mitzubekommen,

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was in der Box passiert, womit sich die Kollegen beschäftigen, was geredet wird und worüber gelacht wird, müssen an den deutschen Standorten ausländische Ingenieure die deutsche Sprache lernen. Diese Art Box Flow, also Informationen im Team, die man dadurch mitbekommt, dass man seinen Kollegen bei einem Telefonat hören kann oder eine Besprechung mit einem Zulieferer am Besprechungstisch stattfindet, erhält man nur, wenn man Deutsch versteht. Mit dieser Praxis wird zwar in Bezug auf einen konkreten Teilnehmer eine nationale Differenz als Relationskategorie (gleich/verschieden) veranschlagt, aber nicht die ganze Interaktion als eine heteronationale gerahmt. Damit wird die nationale Herkunft gerade nicht für die Interaktion indifferent gesetzt. Vielmehr wird sie in Bezug auf einzelne Teilnehmer immer wieder relevant gemacht, indem in der direkten Ansprache in Englisch oder Deutsch gewechselt wird. Die erste mündliche Interaktionssprache unter den Ingenieuren an den deutschen Standorten ist Deutsch. An den britischen Standorten, an denen mehrheitlich britische Ingenieure arbeiten, wird in den Boxen vorwiegend Englisch gesprochen. Die Lokalsprachen der Ingenieure sind somit die Landessprachen der Standorte. Es gibt von Seiten der deutschen Ingenieure die Erwartung, dass sich die britischen Kollegen, aber auch Positionsinhaber des Managements, bemühen, Deutsch zu lernen: »Da krieg ich einen Hals, wenn Engländer hier sind, seit mehreren Monaten, und immer noch kein Wort Deutsch reden können, während wir ja, wenn wir rübergehen, Englisch sprechen« (Interview mit einem Ingenieur). Anders als das mittlere Management sind die Ingenieure am deutschen Standort in ihrer Arbeitsplatzumgebung immer von deutschen Sprachfeldern umgeben. Manager und höhere Positionen haben diese durch die Arbeitsplatzarchitektur hergestellte akustische Nähe nicht. Carsten steht auf und schaut übers Fenster in der Box, dreht sich um und sagt an Davids Rücken gerichtet: »Dave, wie nennt man im Englischen ›Narbung‹?« Der steht auf und stellt sich neben Carsten und sagt mit dem Blick auf die E-Mail, die Carsten schreibt, »›grain‹ und ›pattern‹ allgemein.« Carsten fragt ungläubig: »Das nennt man auch grain?« Er nickt Dave dankend zu und schreibt seine E-Mail weiter.

Hier wird ein Ingenieur direkt auf seine Muttersprachlerkompetenz angesprochen. Es gibt eine Reihe britischer Ingenieure, die schon seit Jahren bzw. Jahrzehnten in Deutschland leben und die deutsche Sprache perfekt beherrschen. Mit ihnen wird unter deutschen Ingenieuren immer auf Deutsch gesprochen. In Zweiergesprächen am Arbeitsplatz wird ab und an eine Vokabel erfragt, dabei werden britische Ingenieure als lebende Lexika angesprochen. Anders zum Management besteht hier bei den britischen Ingenieuren die Kompetenz, dass sie den Sprachcode von Englisch auf

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192 | Diversity in Action Deutsch wechseln können. Diese britischen Ingenieure symmetrisieren die im Management sonst so einseitige Anpassung an das Business-Englisch, die auch von deutschen Ingenieuren erwartet wird. Bemerkenswert ist, dass im Gegensatz zur Praxis des Managements Sprachschwierigkeiten angezeigt werden. Holger schaut nicht in einem Wörterbuch nach, sondern macht seine Wortschatzlücke durch die Frage für seinen Kollegen offensichtlich. Ingenieure dürfen zeigen, dass sie das Business-Englisch und die Fachausdrücke im Englischen lernen. Lernen zeigen Ich möchte auf die Szene zurückkommen, deren Beginn ich bereits vorgestellt habe, um zu zeigen, wie die nationale Herkunft auf Grund von visuellen Zeichen erschlossen werden kann. Es ist die Besprechung zwischen Martin, einem britischen Supervisor, Brian, einem britischen Zulieferer, dem deutschen Ingenieur Harald und zwei weiteren deutschen Ingenieuren. Martin: We=gonna= talk ENglish are – we? Brian: I HOpe so (-) ((lachen, )) Martin: Eah=sure=that=so (-) ok (we=gonna=talk)=English, ((beugt sich zum Mikro und sagt lachend hinein): ENGlish ((lachen)) (X): There is only one ignorant. Martin: Ähm [(Harald) Harald: [ja ok ja (.) The=the reason for our meeting is (-) ä::hm hhh. CAmpaign prevention (--) What is it. (-) could you short explain (-) Martin: [A short=explanation? Harald: [What we have to do I in=in =in Martin: On the process? Harald: Ja Martin: Äh:mm there=is a CamPaign (-) prevention PROcess existing (-) at=the MOment, (X): Mhm Martin: And (.) And (.) the various Stages (would) in the=the program itself are (sections actually hasn’t every car doesn’t fulfill) the=first=section which comes about is (.) the various engineering dis=disciplines= ((an X gewand)) IF you DOn’t understAND what I am saying, You know I just=I›ll=I’ll=I’ll say it in German (.) We got various engineering DIS=DISciplines and basically what it is it is a presentation which I›ll gave to you. (…)

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Nachdem der Sprachcode von Martin bestätigt wird, schließt X mit der Aussage in Englisch an: »There is only one ignorant.« Der Teilnehmer thematisiert sein eigenes Sprachdefizit, das sich in dieser Sequenz auf die Festlegung auf das Business-Englisch bezieht. Martin kündigt an, später etwas zu »CamPaign (-) prevention« zu berichten. In seinen beginnenden Ausführungen unterbricht er sich jedoch und bietet X an, die Erklärungen auch auf Deutsch zu geben. Er bezieht sich damit auf das Anzeigen des Sprachdefizits in Englisch. Es wird von ihm thematisch aufgegriffen, und er weist sich eine bilinguistische Kompetenz als Übersetzer zu. Dann nach einer kurzen Pause spricht er jedoch weiter auf Englisch über den Campaign Prevention Process. Das Business-Englisch zu sprechen, ist auch für Ingenieure eine Notwendigkeit, um die sie in Verhandlungen in heteronational besetzten Besprechungen nicht herumkommen. Wie die Szene zeigt, kann Brian mit dem Ausdruck »I hope so« auf die Sprachregel Englisch als heteronationale Konzernsprache erfolgreich rekurrieren, jedoch nicht so der Sprecher X. Außerdem wird hier deutlich, dass im Arbeitsalltag Englisch die dominante Sprache ist, die man leicht durchsetzen kann, ohne auf viel Widerstand zu stoßen. Brian kann mit einem gespielt entrüsteten »I hope so« Rücksicht auf sein mangelhaftes Deutsch einklagen, jedoch nicht der deutsche X, der mit dem Verstehenssauschluss leben muss. Anders als im Management wird jedoch von Ingenieuren nicht gezeigt, dass sie Englisch gut und fließend beherrschen. Vielmehr wird, wie in diesem Fall, in einer Form der Selbstbezichtigung das Nichtwissen direkt markiert mit dem Ausdruck »ignorant«. Häufiger als das direkte Markieren eines Sprachdefizits ist, dass in grammatikalisch einfachsten, kurzen Sätzen gesprochen wird, in denen technische Vokabeln dominieren und die gängigen Firmenabkürzungen benutzt werden, um die zeitlichen und technischen Abläufe zu beschreiben. Der deutsche Ingenieur, der die Besprechung als Leiter mit »ok ja (.) The=the reason for our meeting is (-) ä::hm hhh. CAmpaign prevention (--) What is it. (-) could you short explain« anmoderiert, benutzt solche sehr kurzen Sätze mit einem elementaren Vokabular. Deutsche Ingenieure sprechen einen »restringierten Code« (Bernstein 1960), der sich durch ein einfaches technisches Vokabular auszeichnet, während sich das Management um einen »elaborierten Code« bemüht, d.h. darum, ein störungsfreies und flüssiges Business-Englisch zu sprechen.31 Durch diese Art des Sprechens, d.h. das wechselseitige Thematisie31 | Die Begriffe stammen aus den soziolinguistischen Studien von Basil Bernstein (Bernstein 1960), der den Erwerb des Sprachgebrauchs in der Mittel- und Unterschicht in England untersuchte. Das Schulsystem ist dabei einseitig an dem elaborierten Code, der an der Hochsprache orientiert ist, ausgerichtet, sodass für die Un-

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194 | Diversity in Action ren sprachlicher Kompetenzunterschiede, wird die nationale Differenz in der Interaktion immer wieder wach gehalten und kann nicht wie unter Mitgliedern des Managements zu einer ruhenden Mitgliedschaftskategorie für die Interaktion werden. Ein zentraler Grund für den restringierten Code liegt in der Ausbildung zum Ingenieur in Deutschland. Ältere Ingenieurgenerationen oder solche, die in der DDR ihre Ausbildung erworben haben, haben Englisch nicht als eine Verkehrssprache für die tägliche Arbeit gelernt. Erst seit ein paar Jahren werden an den Universitäten und Fachhochschulen Studiengänge für Ingenieure in englischer Sprache angeboten. Viele der Jüngeren (25- bis 35Jährigen) haben selbstverständlich gelernt, Zeichnungen mit einem englischen Fachvokabular zu versehen, aber auch sie können meist nicht auf eine im Studium institutionalisierte Praxis zurückgreifen, in der Englisch gesprochen wurde. Für Ingenieure bzw. allgemein für Teilnehmer, die einen restringierten Business-Englisch-Code sprechen, führt dies in Interaktionstypen, in denen der Sprachcode bereits festgelegt ist, zu asymmetrischen Beteiligungschancen. So wird in Videokonferenzen sehr schnell gesprochen, und durch den fehlenden Blickkontakt zum Gegenüber sowie das verzögerte Anzeigen von nonverbalen Reaktionen gehen viele wichtige »dichte« Kommunikationsinformationen (Boden/Molotch 1994) verloren. Muttersprachler können in diesen Konferenzen, wo aus technischen Gründen nicht jedes Wort gut zu verstehen ist, immer noch einen Sinnzusammenhang herstellen und Verständnisschwierigkeiten überzeugend auf die technische Übertragung attribuieren. Für Teilnehmer mit einem restringierten Code ist dies jedoch erheblich schwieriger. Obwohl viele Muttersprachler Rücksicht auf die unterschiedlichen Kompetenzen nehmen, nehmen einige Ingenieure systematisch nie an Videokonferenzen teil, weil sie der schnellen Kommunikation so nicht folgen können: Ein Ingenieur berichtet mir über die Beteiligungschancen in Meetings seines chinesischstämmigen Kollegen. »Er geht selten zu Meetings. Hat da ja kaum eine Chance. Der hat ja so einen asiatischen Akzent in Deutsch und Englisch und spricht unglaublich langsam. Für Meetings ist das schwierig. Das ist hier eine amerikanische Firma. Die meisten Amerikaner nehmen zwar Rücksicht und sprechen langsamer, aber gerade in den Videokonferenzen wird schneller gesprochen. Es wäre einfacher, wenn die Amis sich die Mühe machen würden und Deutsch lernen. Aber die meisten, mit terschicht Lernbarrieren qua sozialer Herkunft entstehen. Die Begriffe lassen sich insofern übertragen, als für die Managementpositionen, die gegenüber Ingenieuren Weisungsbefugnis haben, eine flüssige und störungsfrei gesprochene Lingua franca vorausgesetzt wird.

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3. Membership in Action | 195 denen ich aus der Nachbarabteilung zusammenarbeiten muss, sitzen in den USA. Jetzt sag ich mal gehässig: Typisch Amerikaner, immer in Amerika geblieben und nie rausgekommen. Die reden nur Englisch.« (Interview mit einem Ingenieur)

Es wird in Besprechungen eine bestimmte Sprechgeschwindigkeit und Verständlichkeit als Grundkompetenz für die Teilnahme verlangt. Ein starker asiatischer Akzent scheint dem im Wege zu stehen und würde die sonst so reibungslose Indifferenz stören. Die Asymmetrie wird von dem Sprecher jedoch nicht nur auf die Ungleichheit in den mündlichen sprachlichen Kompetenzen und auf den Akzent zurückgeführt, sondern auch auf die Tatsache, dass es sich um ein US-amerikanisches Unternehmen handelt. Die Landessprache des Mutterkonzerns, wie bereits eingangs in diesem Kapitel argumentiert, wird als Generalsprache festgelegt. Der Interviewauszug legt nahe, dass sich Geschwindigkeit und Verständlichkeit an einem amerikanischen Englisch messen lassen müssen. Es wird daher nicht eine Anpassung an die in internationalen Bereichen gängige Verkehrssprache erwartet, sondern an die Landessprache des Mutterkonzerns, die als normal gesetzt wird, eine Dominanz entwickelt und neutralisierende Anpassungsleistungen von Nicht-Angelsachsen erwartet. Die neutralisierende Fachsprache Andreas kommt mit einer dicken Präsentationsmappe wieder und setzt sich zwischen die beiden Japaner. Der dickere Japaner stellt kurze Fragen auf Englisch, während sie durch die Präsentation gehen, kurze Hauptsätze wie »What is this for?«, »Do you have this hinge in C81, too?«. Andreas spricht wirklich langsam und direkt zur Übersetzerin, die seine Sätze ins Japanische übersetzt. Dann wird über die Lautsprecher gesprochen, und Andreas malt die Form der Ford-Lautsprecher auf seiner offenen Hand und fragt: »And yours?« Daraufhin packt der Mazda-Mann eine Zeichnung aus, und alle drei beugen sich darüber. Andreas schaut sich in Ruhe die Zeichnung an, der Mazda-Mann hebt dann irgendwann den Kopf und schaut ihn erwartungsvoll an. Er spricht kein Wort. Andreas tippt, ohne die Zeichnung direkt zu berühren, zielgenau auf einen Ausschnitt in der Zeichnung und stellt dazu Fragen, in sehr einfachem Englisch und mit lauter Fachausdrücken. Der Mazda-Mann beantwortet in einfachem Englisch die Fragen und zeigt immer wieder mal auf die Zeichnung, die vor ihm ausgebreitet ist. Die Übersetzerin springt jetzt nur noch ab und zu ein.

Zunächst wird in der Szene die Kommunikation mit Hilfe einer Übersetzerin bewerkstelligt. Dann jedoch wird von dem japanischen Kooperationspartner eine technische Zeichnung ausgepackt. Mittels der Zeichnung können sich die Ingenieure fast ohne die Hilfe der Übersetzerin allein über die

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196 | Diversity in Action Zeichnung und technische englische Fachausdrücke unterhalten. Denn Ingenieure verfügen über eine weitere zentrale Verkehrssprache. In der schriftlichen und auch mündlichen Kommunikation unter Ingenieuren wird, wie ich schon gezeigt habe, mittels Zeichnungen in einer Fachsprache kommuniziert. Dabei können die Zeichnungen die nationale Herkunft und die damit verbundenen verschiedenen sprachlichen Kompetenzen überbrücken. Die japanischen Kooperationspartner sprechen sehr wenig Englisch. Ingenieure sind jedoch durch ihre technische Zeichensprache in der Lage, ohne Übersetzerin direkt miteinander zu kommunizieren. Mit dieser geteilten Sprache wird die nationale Differenz in den Hintergrund gerückt und die geteilte Mitgliedschaft als Ingenieure, als technische Experten, mobilisiert. Wie wird mit der nationalen Herkunft innerhalb des Doing Being An Engineer umgegangen? Anders als im Management wird in der Verkehrssprache in den Boxen eine stärkere symmetrische Anpassung an die lokale Standortsprache von britischen Kollegen erwartet und betrieben. Der Sprachwechsel, der von den Managementmitgliedern initiativ praktiziert wird und so die nationale Herkunft indifferent hält, wird gerade nicht an den deutschen Standorten praktiziert. Deutsche Ingenieure sprechen an erster Stelle Deutsch in den Boxen. Damit halten sie die nationale Differenz wach. Sie wechseln auf Boxenebene nur personenbezogen, aber nicht situational den Sprachcode. Zweitens fragen sie englische Kollegen als Übersetzer an und verweisen auf ihre eigenen Verständnisschwierigkeiten in der Lingua franca. Sie sprechen einen restringierten Code. Im Unterschied zu Managern tangiert und beschadet dies jedoch nicht ihr professionelles Image. Ingenieure können auch ohne perfekte Englischkenntnisse gute Sacharbeit leisten. Defizite im Pidgin English verweisen nicht auf Lücken in der professionellen Tätigkeit. Daher ist es ihnen auch so leicht möglich, Fremdsprachenmängel zu verbalisieren und beharrlich in ihrer Muttersprache zu sprechen. Ingenieure inszenieren dabei eine Form der Gemeinschaft, in die sie Kollegen, die das Business-Englisch nicht beherrschen, eingemeinden. Dies wird besonders deutlich durch die zweite Verkehrssprache, die geteilte Fachsprache technischer Zeichnungen. Mittels dieser überbrücken sie fachlich nationale sprachliche Differenzen und erzeugen eine professionelle Gleichheit, welche die nationale Herkunft für die Interaktion neutralisiert. In heteronationalen offiziellen Besprechungen mit dem Management können sie jedoch nicht ganz auf die Praxis der Lingua franca verzichten. Sie haben dabei im Unterschied zu den deutschen Managern noch einmal verringerte Beteiligungschancen, die sogar zum Selbstausschluss führen können. Auch von ihnen wird eine Anpassung an die Landessprache des Mutterkonzerns verlangt.

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3.3.3 Stereotypen und Entrüstungsgeschichten Der Wechsel auf eine geteilte Sprache geschieht im Alltag andauernd. Aber an welchen Stellen und in Bezug auf welche konkreten Mitgliedschaften wird darüber hinaus die nationale Herkunft aktualisiert? Gibt es andere Formen, in denen die Differenz veranschlagt oder auch neutralisiert wird? Im Verlauf der Tagesbeobachtungen berichteten mir die Ingenieure immer wieder, dass es zwischen deutschen und amerikanischen Ingenieuren Unterschiede gebe. »Wissen ’se, wie wir die amerikanischen Ingenieure hier nennen: Hollywood Engineers, die machen immer viel Blabla, aber da ist nichts hinter. Sieht gut aus, ist aber ist technisch reine Fantasie, das funktioniert bei genauerem Hinsehen einfach nicht. Und an die Deadlines halten die sich auch nicht immer. Wenn die Next Friday sagen, na das sagen die dann vier Wochen, das ist schon bei uns so ein fester Ausdruck Next Friday.«

Über das fachliche Expertentum, das alltäglich dargestellt und in Anfragen der Kollegen immer wieder aktiviert wird, werden auch nationale Abgrenzungen gezogen. Die amerikanischen Ingenieure sind meist nicht an den britischen und deutschen Standorten präsent. Ingenieure, die für den amerikanischen Markt ein Projekt machen, haben viel mit amerikanischen Kollegen via Telefonkonferenzen zu tun. Wenn beispielsweise ein Auto für den amerikanischen Markt entwickelt wird und dort letztlich auch produziert werden soll, dann müssen die Ingenieure die Arbeit mit amerikanischen Zulieferfirmen und mit amerikanischen Ford-Ingenieuren koordinieren, die in den USA für die Produktion zuständig sind. Die verbalen Abgrenzungen laufen, so die Interviewdaten, über Unterschiede in der zeitlichen Zuverlässigkeit und technischen Machbarkeit und Exaktheit der Arbeiten. Von den deutschen Ingenieuren wird betont, dass die Amerikaner gut darin seien, Projekte zu präsentieren, etwa in Zeichnungen oder an Flipcharts, sowie Probleme darzustellen. Wenn es dagegen darum gehe, die Machbarkeit und Qualität zu zeigen, stelle man fest, dass es Mängel gebe in dem, was die Kollegen in den Zeichnungen und Entwürfen vorstellten. »Ne, wenn wir also hier sprechen von Fugen, das werden Sie ja auch noch hören, die Türfugen und so weiter, und da haben die gar kein Problem und sagen: 6 Millimeter, das nimmt uns der Kunde genauso ab. Dass aber jeder Millimeter Fugenbreite auch Windgeräusche bedeutet, das haben wir denen erst mal versucht beizubringen mit dem Fokus.«

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198 | Diversity in Action Zum anderen wurde mangelnde Eigeninitiative kritisiert. »Also mit der Arbeitsmoral mein ich, dass die nur darauf warten, dass Sie ihnen Informationen geben. Warten drauf, dass sie Informationen bekommen. Zeigen keine Eigeninitiative. Und sitzen in Meetings rum.«

Was ist das für ein Darstellungsrepertoire, wenn in Geschichten Stereotypen und moralische Entrüstungen über amerikanische Ingenieure formuliert werden? Eine Forschung, die ausschließlich Interviewdaten oder Fragebogendaten erhebt, steht in Gefahr, dies kontextfrei für eine nationalisierende soziale Praxis zu halten, mit der die Teilnehmer sozialen Sinn und damit soziale Ordnung erzeugen. Die Ethnomethodologie und eine ethnomethodologisch informierte Ethnographie fasst jedoch die soziale Herstellung von Sinn als ein empirisches Phänomen, das sich in und an sozialen Aktivitäten zeigen muss (Amann 1997: 304). Man kann vermuten, dass die europäischen Ingenieure hier in der Form von Geschichten eine nationale Differenz beschreiben, in situ konnte ich dies jedoch nicht beobachten. Interpretativ mit dem Interviewmaterial als Datenmaterial umgegangen, lässt sich die Hypothese aufstellen, dass das lokal Abwesende durch Geschichten repräsentiert wird. Denn augenfällig ist, dass diese auf den fachlichen Arbeitsstil bezogenen stereotypen Entrüstungen (Nazarkiewicz 1997) sich auf die dislozierten Arbeitskollegen beziehen und eben nicht auf britische oder japanische Ingenieure. Die amerikanischen Ingenieure werden quasi als fehlendes Glied in stereotypen Geschichten repräsentiert. Die Äußerungen und Geschichten, so interpretiere ich, markieren daher weniger eine nationale Differenz als die Repräsentation des Abwesenden, mit dem man aber immer in Kontakt ist. Differenzen wurden jedoch im Management in Bezug auf Amerikaner auch in Handlungen gemacht, deren Aktualisierung ich in einem Fall in einer Interaktion beobachten konnte. Es ist ein Vier-Augen-Gespräch zwischen einem amerikanischen Vorgesetzten und einem deutschen Manager. Es geht um die Frührente eines Mitarbeiters, und ich werde gebeten, wie immer bei Personalangelegenheiten, das Aufnahmegerät auszuschalten. Der deutsche Manager berichtet über einen Ingenieur, der seit 37 Jahren bei Ford arbeitet und nun in Rente gehen möchte. Der deutsche Manager plädiert dafür, ihm eine Abfindung zu geben. Erstaunt fragt der amerikanische Vorgesetzte: »Why should I pay money just for leaving?« und erkundigt sich genauer nach dem Mitarbeiter: »What kind of employee is that?« Der deutsche Manager lobt den Mitarbeiter als Experten: »He was an expert in his field.« Nach einigem Hin und Her kommt heraus, dass der Mitarbeiter mit oder ohne Abfindung gehen würde. Sie würden dann einen Auflösungsvertrag aufsetzen, und das war’s dann. Der deutsche Manager

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3. Membership in Action | 199 plädiert abschließend »from an ethical point of view« für eine Abfindung für den loyalen Mitarbeiter. Aber er schränkt in seiner Argumentation ein: »I know where you come from.« Der amerikanische Manager schlägt seinem Mitarbeiter mit leichter Ironie in der Stimme vor, dass er aus dem eigenen persönlichen Jahresbonus die Summe für die Abfindung bestreiten könne, worauf der deutsche Manager in ruhigem, ernstem Ton kontert: »I am thinking about that!« An mich gerichtet kommentiert der amerikanische Manager: »He is such a good guy!«

In der Situation wird über die Abfindung für einen Mitarbeiter verhandelt. Die Teilnehmer schlagen ein unterschiedliches Vorgehen vor. An einer Stelle lenkt der Untergebene mit einem »I know where you come from« ein und signalisiert, dass er die Position des anderen nachvollziehen bzw. zuordnen kann. Die Äußerung lässt lokal zwei Anschlussmöglichkeiten zu: Die nationale Herkunft des Vorgesetzten kann durch diese Äußerung adressiert sein oder eine bestimmte persönliche Haltung zum Thema Abfindung. Der amerikanische Vorgesetzte bezieht die Diskrepanz in den Vorschlägen jedoch nicht auf nationale Einstellungsunterschiede, sondern personalisiert den Vorschlag auf eine ethische Haltung, indem er seinen Mitarbeiter mir gegenüber als einen »good guy« bewertet. In einem nachträglichen Interview konnte ich den deutschen Manager auf diese Situation hin befragen. Er erklärte mir, wieso die Verhandlung so gelaufen ist: »Das ist ein ganz typischer Fall. Das ist was, was man von der deutschen Seite rein aus ethischen Gründen nicht machen würde. Man würde nicht jemanden, der 37 Jahre bei Ford ist und 60 Jahre alt ist, dem einfach sagen, wenn du nicht bleibst, dann musste halt selber kündigen. Wobei ich, mit einem gegenseitigen Aufhebungsvertrag könnte ich dem noch was Gutes tun, als langjähriger Mitarbeiter, mit dem wir alle immer zufrieden waren. Der muss jetzt selber kündigen, damit er hier rauskommt. Ich glaube, das würde von einem deutschen Vorgesetzten anders gesehen als von einem amerikanischen. Die Amerikaner haben für so was kein Gefühl.« Auf meine Frage, ob der amerikanische Vorgesetzte es auch anders handhaben könnte, antwortet er: »Ach so, also es gibt jetzt keine Restriktion darüber, dass es eine amerikanische Firma ist, ne, okay, er müsste etwas Geld aus seinem Topf nehmen. – Das haben sie nie gelernt! Ist kein Vorwurf, – das ham die nie gelernt.«

In dem Interview bezieht der Manager die unterschiedlichen Haltungen direkt auf eine nationale Differenz. Er spricht von einer »deutschen Seite« und dem fehlenden »Gefühl der Amerikaner«. Er klassifiziert sowohl sich selbst als auch den Vorgesetzten direkt in nationale Mitgliedschaften. Alternativ hätte der Manager die Verhaltensunterschiede im Gegenzug zur »good guy«-Zuschreibung personalisiert erklären können, in der Art: »Der

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200 | Diversity in Action denkt nur ans Geschäft und was für die Firma dabei rumkommt. Ist halt kein sozial denkender Mensch.« Diese Alternative wird jedoch im Interview nicht gewählt. Die Differenzen werden auf eine moralische Einstellung bezogen, der er eine nationale Basis zuweist: »von der deutschen Seite … aus ethischen Gründen«. Die Sichtweisen auf das Thema Aufhebungsvertrag werden explizit nationalisiert. Mit dem Satz »das ham die nie gelernt« wird die unterschiedliche Verhaltensweise darüber hinaus kulturalisiert. Es handelt sich um ein kulturelles Wissen bzw. das Fehlen eines kulturellen Wissens über die europäischen Sozialstaatsgrundsätze, die sich deutlich von einem US-amerikanischen »Hire and Fire«-Liberalismus unterscheiden. Insgesamt habe ich die Interviewdaten meiner Shadow-Partner mit Vorsicht behandelt und mehr als Hinweise für meine weiteren Beobachtungen und als Reflexionsanregungen aufgefasst denn als Tatsachenbeschreibungen der alltäglichen Praxis. Die Vorsicht ist über die ethnomethodologische Skepsis hinaus deshalb geboten, weil die Interviewpartner immer schon mit einer Relevanz der nationalen Differenz durch meine Anfragen und meine Beobachtungsrolle konfrontiert wurden. Mehrheitlich bestritten sie denn auch die Relevanz. In der Szene der »Abfindungsverhandlung« liegt der Fall jedoch anders. Hier bat ich den Manager nachträglich um eine Erklärung der Situation. Seine retrospektiv explizite Nationalisierung der Szene – er spricht von der »deutschen und amerikanischen Seite« – lässt vermuten, dass mit der Aussage »I know where you come from« eine nationale Differenz von ihm veranschlagt wurde. Interessanterweise wird diese Differenzierung von dem amerikanischen Vorgesetzen nicht als eine nationale Differenz (als Teilnehmerkategorie Amerikaner) aufgegriffen, sondern als eine Differenz in der Einstellung personalisiert: »a good guy«. Damit wird die nationale Brisanz herausgenommen, die in der Zuschreibung »I know where you come from« gelegen hat. Die veranschlagte Differenz wird durch den asymmetrischen Anschluss für die weitere Interaktion neutralisiert. Wechselseitige Nationalisierungen im Alltag der Manager konnte ich darüber hinaus nicht beobachten. Dennoch habe ich auch andere Manager begleitend zu den Beobachtungen nach nationalen Unterschieden im Verhalten und in den Arbeitsstilen ihrer deutschen, amerikanischen und britischen Kollegen befragt. Auffällig war dabei in allen Interviews, dass die Antworten auf die Fragen nach nationalen Differenzen sehr zögerlich gegeben wurden. In der überwiegenden Mehrheit stellten die Befragten keine oder nur geringe nationale Differenzen bei Kollegen und Vorgesetzten fest: So wurde von Briten bestritten, dass ihre deutschen Vorgesetzten typisch deutsch seien. Überwiegend wurde den Managementkollegen zugeschrieben, dass sie sich als typische FordManager behandeln würden, und das sei sehr einheitlich. Dieses einheitli-

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che Auftreten wurde von Einzelnen wiederum nationalisiert, nämlich in Form einer nationalisierten Unternehmenskultur. »If you want to be successful in Ford then you tend to have to become anglicized, I don’t know whether anglicized is the right word, but become like the parent company, so become more American, so though I have worked for a German manager he was not, or what I would call a typical German person. He was very American in his view and his outlooks in a work environment and I suspect that’s the way the culture makes you, it makes you speak English, it makes you do things what is expected to be the American way and so and the people who get on tend to be (the few) attached to that.«

In dem Interview beschreibt ein britischer Supervisor, dass die Mitglieder des Managements in ihrer Sprechweise und ihren Verhaltensweisen »amerikanischer« werden müssen. Sie passen sich an die Kultur des Mutterkonzerns an. Erfolg stelle sich nur ein, wenn man sich an diese Kultur anpasse. Der eigentliche Motor einer Nationalisierung wird hier in der Anpassung an eine amerikanische Unternehmenskultur gesehen, vor der sich die eigene personale nationale Herkunft und Kultur abhebt. Auch andere Manager beschrieben bestimmte Muster und Erwartungen in der alltäglichen Arbeit als etwas, was die Firma Ford auszeichnet: wo Zeitpläne heilig seien und Entscheidungen schnell und auf Grund von Zahlen getroffen werden. Wie auch die Lingua franca eine Asymmetrie in den Beteiligungschancen erzeugt, scheint hier eine Asymmetrie in der Kultur eingezogen zu werden. Eine amerikanische Hochkultur, die in der Sprache, im Auftreten und im Arbeitsstil internalisiert ist, verspricht Aufstiegschancen, die mit einer europäischen Low Culture nicht zu erreichen sind.

3.4 Doing und Undoing Nationality in der Interaktion Kommen wir zu den Ausgangsfragen dieses Kapitels zurück. Dabei ging es zunächst darum, ob sich in den alltäglichen Interaktionen die Teilnehmer in national differenzierte Mitgliedschaftsklassen mobilisieren und sich wechselseitig als Amerikaner, Briten und Deutsche markieren. Werden im Verlauf der Interaktion andere Mitgliedschaften, z.B. auf Profession bezogene, bedeutungsvoll? Und die dritte Leitfrage dieses Kapitels lautet: Welche Methoden benutzen die Teilnehmer, um die nationale Mitgliedschaft für die Interaktion zu einer ruhenden Mitgliedschaft werden zu lassen? Die Alltagsteilnehmer gehen beobachtbar mit der nationalen Herkunft ihres Gegenübers um. Quantitativ betrachtet wird im Alltag nationale Her-

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202 | Diversity in Action kunft von Gesprächspartnern zu Beginn einer Interaktion immer registriert und veranschlagt. Die Nationalisierung findet dabei vor allen Dingen auf der akustischen Ebene statt, durch die Stimme, also den sprachlichen Akzent der Sprecher. Durch die Stimme wird die nationale Herkunft in einem omnipräsenten akustischen Zustand gehalten. Aber sie wird auch durch visuelle, etwa körperliche Merkmale und Kleidungskonventionen markiert. Ich habe die Beantwortung der Forschungsfragen chronologisch in die Sequenzlogik der Interaktion gegliedert und mit der Frage begonnen, ob es visuelle Indizien gibt, die es den Teilnehmern erlauben, ihr Gegenüber national zu kategorisieren, und welcher lokale Sinn damit verbunden wird. Visuell werden die Teilnehmer durch die Kleidungskonventionen der Länder in unterschiedliche Mitgliedschaftsklassen mobilisiert: als Amerikaner, als Deutsche und als Briten. Asiaten werden anhand von somatischen Indizien, durch die Augenform, die Haarstruktur und durch lokales kulturelles Wissen als japanische Kooperationspartner relevant gemacht. Simultan zur nationalen Differenz mobilisieren sich die Teilnehmer durch die stilisierte Kleidung in eindeutig attribuierbare professionsbezogene Klassen als Manager und als Ingenieur. Wenn man jedoch nach dem lokalen Sinn der nationalen Differenzierung der Teilnehmer fragt, wird ersichtlich, dass diese Klassifikation nur ein Nebenprodukt der Suche der Teilnehmer nach Statusmarkern ist. Die eigentlich markierte und distinktive Kategorie ist der Amerikaner. Durch die nationalisierte und professionsstilisierte Kleidung sind Akteure als »amerikanische Manager« und damit als ranghöchste Manager in einer Besprechung zu erkennen. Die anderen Nationalitäten (Deutsche, Briten) werden miterfasst, sind aber letztlich nur eine Interimskategorie auf der Suche nach Amerikanern und damit: der Suche nach dem Statushöchsten in einer Besprechung. Auch die Nationalisierung der Japaner durch ihren Akzent erzeugt keine nationalkulturelle Relevanzunterscheidung, sondern sortiert die Teilnehmer in die Kategorie Kooperationspartner mit den Klassen Mazda-Mitarbeiter und Volvo-Mitarbeiter. Anders formuliert bilden die Organisationshierarchie und die Kooperation von Ford mit anderen Firmen die Suchmaske dafür, nach Nationalitäten bzw. nach Bevölkerungsgruppen zu sortieren. Eine gleichrangige Auflistung der verschiedenen Nationalitäten, die in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung arbeiten, legt daher eine falsche Symmetrie nahe. Für eine weiterführende soziologisch theoretische Diskussion lässt sich an diesem Befund zeigen, dass es in der Analyse anzuraten ist, zwischen der Kategorisierung bzw. Differenzierung und Prozessen der Relevanz dieser Differenzierungen für die Interaktion zu unterscheiden. Die nationale Kategorisierung und auch akustische Omnipräsenz der nationalen Zugehörigkeit der Teilnehmer ist nicht gleichbedeutend mit der Relevanz der Nationalität in der Interaktion.

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Was passiert in der mündlichen organisationsbezogenen Interaktion? Die Teilnehmer stellen sich in der verbalen Interaktion immer innerhalb ihrer Mitgliedschaftsrollen in ihren Berufsrollen dar: als Manager und Ingenieure. Sie aktualisieren sich immer als Mitglieder ihrer Professionsklassen. Ingenieure und Manager haben unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen und benutzen dazu unterschiedliche Kommunikationsmedien. Manager synchronisieren hochgradig arbeitsteilige Kommunikationsvorgänge in einem einheitlich getakteten Besprechungsrhythmus. Ingenieure sind Sacharbeiter, die eine stark visuelle Arbeitskultur haben. Durch diese Tätigkeiten werden sie in sehr unterschiedlicher Weise mobilisiert. Ingenieure sind lokal an ihren Standorten ansässig und halten Kontakt zu alten Kollegen, etwa durch ständiges nomadisches Wandern durch die Bürogebäude oder institutionalisierte zufällige Begegnungen in der Cafeteria. Sie sind Fußgänger. Sie koordinieren ihre Tätigkeiten nicht in einem transnationalen synchronisierten Besprechungstakt, sondern über Personen in direkter Face-To-Face-Interaktion und über fixe Orte wie der Cafeteria. Sie aktualisieren sich als erfahrene Experten und weisen ihre beruflichen Handlungen als fachspezifische Tätigkeiten aus. Insbesondere werden dabei Alter bzw. Erfahrung und Firmenjahre in der Interaktion relevant gemacht. Manager hingegen sind transnationale Kommunikationsmedien, die dafür Sorge tragen müssen, dass die richtigen Informationen zum richtigen Zeitpunkt an alle zuständigen Adressaten gelangen. Dafür rollen sie vom Computer in ihrem Büro an das Telefon und führen eine Audiokonferenz mit Japan, den USA und Schweden, oder sie gehen in einen Videokonferenzraum auf der gleichen Etage. Interaktionen werden durch einen einheitlichen Besprechungsrhythmus zeitlich synchronisiert und durch Videound Audiokonferenzen transnational angeschlossen. Trotzdem verschwindet die Lokalität nicht ganz aus der Tätigkeit der Manager, auch sie fliegen an andere Standorte, um eine informationsdichte Face-To-Face-Kommunikation zu führen. Mit ihrem kommunikativen Repertoire vermitteln sie Dringlichkeit und ziehen Statusdifferenzen ein. Während bei Managern die Frage nach dem Wann, dem Zeitpunkt einer Kommunikation, im Vordergrund steht, ist für Ingenieure die Frage nach dem Wo, dem Schauplatz der Kommunikation, wichtig. Wesentlich in der alltäglichen Interaktion ist, dass der Spielraum für das Personsein mit aufsteigender Stellenposition hin abnimmt. Während die statusniedrigeren Ingenieure sich durch persönliche Anrede immer als Personen mit charakteristischen Merkmalen adressieren und ihre Arbeitsplätze als persönliche Territorien ausweisen, treten die Stelleninhaber im Management stärker hinter die Zwecke der Organisation zurück. Manager begrüßen, adressieren in Besprechungen Orte (»This is Merkenich speak-

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204 | Diversity in Action ing«) oder Funktionen (Body Engineering) und betonen in der Ausrüstung und Dekoration ihres Arbeitsplatzes ihre Flexibilität und Mobilität. Ihnen bleibt in der Interaktion nur die Zeit, ihre Berufsrollen zu markieren. Analog zu diesem unterschiedlichen personalen Spielraum verwenden Manager und Ingenieure verschiedene Methoden, um nationale Differenzen zu veranschlagen oder zu neutralisieren. In dem internationalen Kontext müssen alle mit dem praktischen Problem der verschiedenen Landessprachen umgehen, d.h. eine heteronationale Interaktionssprache etablieren. Mit diesem praktischen Problem wird je nach Professionszugehörigkeit unterschiedlich umgegangen und die nationale Herkunft in einem Fall neutralisiert, im anderen aktualisiert. So wie das Personsein der Manager in ihrer Professionskommunikation in den Hintergrund der Interaktion rückt, darf die Nationalität der Person des Managers keine prominente Rolle in der Interaktion spielen – und zwar umso weniger, je höher der Manager in der Organisationshierarchie aufsteigt. Es sind daher die Mitglieder des Managements, die den Wechsel in eine geteilte Lingua franca initiieren und diese für den Verlauf der Interaktion störungsfrei halten. Personale und situative Sprachwechsel, die interaktiv von Managern und Leitern einer Interaktion vorgenommen werden, veranschlagen die nationale Differenz dabei als eine Relationskategorie gleich/verschieden. Durch eine Aktualisierung der Interaktionsbeziehung als eine heteronationale Differenz wird jedoch gerade keine spezifische nationale Kategorie aktualisiert. Es werden also keine Amerikaner, Briten oder Deutsche damit veranschlagt. Die Teilnehmer erzeugen mit den Methoden des personalen und situativen Sprachwechsels eine nationale Indifferenz. Anders als bei Geschlecht, das eine bipolare Mitgliedschaftskategorie aufweist, habe ich gezeigt, dass die multiple Mitgliedschaftskategorie Nationale Herkunft durch den reibungslosen Sprachwechsel in eine Lingua franca für die Interaktion indifferent gehalten wird. Diese aktive Tätigkeit, die nationale Differenz in einem Schwebezustand hält, gelingt jedoch nur durch die Kooperation zwischen Fremdsprachlern und englischen Muttersprachlern. Goffman hat eindrücklich in den Beschreibungen des »civil inattention« (Goffman 1963) gezeigt, dass das Absehen und Übersehen von Personen und Dingen eine aktive Praxis ist. So fahren britische und amerikanische Manager in heteronationalen Besprechungen auf ein einfacheres BusinessEnglisch herunter und überhören höflich grammatikalische Fehlschläge ihres Gegenübers. Sie wechseln je nach dessen Sprachkompetenz in einen Fremdsprachencode, der deutlich weniger idiomatische Ausdrücke aufweist. Deutsche Manager erzeugen mittels eines elaborierten Codes im Business-Englisch eine störungsfreie heteronationale Kommunikation. Verständigungsschwierigkeiten sind der tabuisierte Peinlichkeitsfall für die fleißige Neutralisierungsarbeit der international tätigen Manager.

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Dabei werden offensichtlich unterschiedliche Anpassungsleistungen von den Teilnehmern verlangt. Die vermeintlich neutralisierende Sprache Englisch erzeugt Ungleichheit in den Beteiligungschancen und damit letztlich auch asymmetrische Karrierechancen. An diesem empirischen Beispiel lässt sich der Zusammenhang, wie eine personale Differenz in eine sozial signifikante und hierarchische Unterscheidung transformiert wird, gut zeigen: Die verschiedenen nationalen Gruppen innerhalb der Firma verfügen über unterschiedliche sprachliche, d.h. Muttersprachlerkompetenzen. Die zunächst gleichrangige sprachliche Verschiedenheit wird durch organisationale Regeln und Praktiken in einer bestimmten Weise bewertet und in eine Hierarchie des Oben und Unten, des Besser und Schlechter überführt. Wodurch und wie geschieht diese Transformation? Englisch ist als Konzernsprache innerhalb von Ford als universale Verständigungssprache etabliert und wird bei den Mitarbeitern als Sprachkompetenz vorausgesetzt. Englisch ist jedoch keine neutrale Sprache, sondern die Muttersprache zweier bedeutender nationaler Gruppen, sowie die Nationalsprache des Mutterkonzerns. Die Regel, die im Berufsalltag praktiziert wird, bei heteronationalen Kontakten in ein einfaches Business-Englisch zu wechseln, führt zu einer Hierarchisierung der Nationalsprachen, die von den Mitarbeitern bei Ford gesprochen werden. Und in dieser Hierarchie steht Englisch an erster Stelle. Die sprachliche Norm, Englisch zu sprechen, können Muttersprachlern immer besser erfüllen als Fremdsprachler. Diese asymmetrische Normierung bedeutet eine höhere und einseitige Anpassungsleistung von Nicht-Angelsachen. Die Transformation der sprachlichen Differenz in ungleiche Beteiligungs- und Karrierechancen geschieht jedoch insbesondere im Management. Hier wird die Hierarchisierung durch einen zusätzlichen Prozess verstärkt: Die sprachliche Kompetenz im Englischen wird mit der professionsgruppenspezifischen Tätigkeiten verbunden. Als Kommunikationsmedium ist die Sprache, ob schriftlich oder mündlich, das entscheidende Medium der Profession eines Managers. Defizite in diesem Medium können direkt die Kompetenz sabotieren. In der schriftlichen Kommunikation lassen sich Probleme im Englischen durch die Hilfe einer Fremdsprachensekretärin im mittleren Management noch kaschieren, jedoch nicht in der mündlichen Kommunikation. Die Professionssprache ist in diesem Kontext jedoch die Landessprache des Mutterkonzerns sowie der zweiten großen Nationalitätengruppe in der Entwicklungsabteilung: der Briten. Die sprachlich größte und asymmetrisch verteilte Neutralisierungsarbeit leisten daher die deutschen Managementmitglieder. Der Sprachwechsel in eine geteilte Lingua franca absorbiert zwar die nationale Differenz, ist aber genau in dem Maße auch in der Interaktion

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206 | Diversity in Action enthalten. Das Medium der Indifferenzerzeugung ist gleichzeitig das Medium der Herstellung der nationalen Differenz: die Sprache. Durch den Akzent und die unterschiedlichen sprachlichen Kompetenzen verbleibt die nationale Herkunft im Anliegerbereich der Interaktion. Sie könnte, wenn nicht aktiv gegengesteuert wird, jederzeit in den Vordergrund kippen. Die Differenz kann, ganz ähnlich wie bei Geschlecht, nicht zu Beginn einer Interaktion einmal neutralisiert und damit aus der Interaktion ausgesperrt werden. Vielmehr ist, wie Hirschauer (2001) argumentiert, die Neutralisierung ein Prozess, der die Kategorie Geschlecht für die Interaktion nicht ganz verschwinden lässt. Durch die Verquickung der professionsspezifischen Tätigkeit als Manager mit den Sprachkompetenzen im Englischen wird ein personales Merkmal in eine Kompetenzhierarchie übersetzt, der englische Muttersprachler qua Herkunft schon immer besser entsprechen. Gestützt wird diese Hierarchie durch den Umstand, dass eine Vielzahl von Angelsachsen an den europäischen Standorten der Firma in führenden Managementpositionen platziert sind. Nach Untersuchungen von Ridgeway (1997/2001) entstehen in Interaktionen in Organisationen so genannte »status beliefs« (Ridgeway 2001). Es entwickeln sich Einfluss- und Prestigehierarchien, die direkt mit den unterschiedlichen Ressourcen korrespondieren, über welche die Organisationsmitglieder verfügen. Wenn sich die statushöhern Mitglieder dann hinsichtlich eines persönlichen Distinktionsmerkmals unterschieden, entsteht leicht die Vorstellung, dass Personen mit diesem Merkmal im Zweifelsfall kompetenter und besser geeignet sind. Ridgeway zeigt dies für »gender status beliefs« und weist nach, wie sich trotz Veränderungen in Arbeitsorganisationen durch gender status beliefs und geschlechtliche Stereotypen hartnäckig Ungleichheiten im Beruf zwischen Männer und Frauen (re)produziert werden. Übertragen auf meine Ergebnisse dürften im Zweifelsfall Angelsachsen für gehobene Managementpositionen als besser geeignet und kompetenter gelten. Anders verhält es sich in der Gruppe der Ingenieure. Auch Ingenieure müssen sich in heteronationalen Besprechungen der Norm beugen und in ein einfaches Englisch wechseln – sie kultivieren dennoch die nationale Differenz in der Sprache. Die erste Interaktionssprache am deutschen Standort unter Ingenieuren ist Deutsch. Anderssprachige Kollegen müssen sich anpassen. Verständigungsschwierigkeiten im Deutschen oder Englischen dürfen gezeigt werden und sind gerade nicht tabuisiert. Englische Muttersprachler werden offen als Übersetzer angefragt. Ihre Professionalität wird durch einen restringierten Code in der Lingua franca nicht beschädigt, weil sie Sacharbeiter sind. Dennoch können sie durch die technische Fachsprache (in Form von Zeichnungen) die nationale Differenz zugunsten einer geteilten professionsbezogenen Fachmitgliedschaft indifferent halten.

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Ingenieure gemeinden Kollegen mit unterschiedlichen sprachlichen Kompetenzen ein. Jenseits dieses ständig durch die Sprache erzeugten Veranschlagens, Aktualisierens und Neutralisierens der nationalen Differenz werden von Ingenieuren Unterschiede im Arbeitsstil nationalisiert. In Erzählungen wird die nationale Gruppe der amerikanischen Ingenieure, die an den europäischen Standorten abwesend sind, repräsentiert und deren Arbeitsstil als »Hollywood Engineering« nationalisiert. In den Interviewaussagen der Manager dominierte hingegen die Sicht, dass sich ihre Kollegen in ihrem Arbeitsstil nicht national unterscheiden, sondern dass von ihnen eine Anpassung an eine nationalisierte, amerikanische Unternehmenskultur eingefordert werde. Von den europäischen Managern wird eine Anpassung an die Organisationszwecke verlangt, wie auch eine Anpassung an die »parent company«, die amerikanische Unternehmenskultur.

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4. Resümee

Zusammen mit dem deutschen Supervisor und Managementmitgliedern der schwedischen Kooperationspartner gehen wir in die Kantine zum Mittagessen. Ich werde gefragt, was ich genau in der Studie mache, und ein schwedischer Supervisor fängt an, von seinen Erfahrungen mit deutschen Ingenieuren zu erzählen: Diese, so entrüstet er sich, könnten einfach keine Fehler zugeben, sondern redeten sich immer mit irgendwelchen Randbedingungen heraus. Da seien die Briten doch anders, die sagten, o.k., unser Fehler, kein Problem, das machen wir dann anders. Wie denn meine Einschätzung sei, möchte er wissen.

Im Feld wurde ich zu verschiedenen Gelegenheiten als nationalkulturelle Ratgeberin angefragt und sollte die Richtigkeit von nationalisierten Einschätzungen und Erfahrungen bestätigen oder korrigieren. Aber auch in anderen Kontexten begannen die Teilnehmer ein Gespräch über erlebte Unterschiede bei Auslandsaufenthalten oder in internationalen Projekten und wollten meine Einschätzung hören. Nationale Herkunft wird in diesen Anekdoten und Anfragen durchgehend als etwas beschrieben, was Personen als Eigenschaft mit sich herumtragen und das sich z.B. in einem besonderen Arbeitsstil zeigt. Allerdings beschreibt diese Untersuchung keine typischen Eigenschaften von amerikanischen Managern oder das typisch Deutsche an deutschen Ingenieuren. Ein Leser, der auf der Suche nach nationalen Eigenarten und Verhaltensratschlägen für den Umgang mit Angehörigen einer anderen nationalen Kultur war, ist leer ausgegangen. Die vorliegende Interaktionsanalyse macht vielmehr die Alltagsvorstellung, nationale Herkunft als eine Eigenschaft von Personen zu denken und zu behandeln, zu ihrem Gegenstand. Sie beschreibt, durch welche sozialen Prozesse die nationale Herkunft von Teilnehmern innerhalb einer Interaktion in einem spezifischen organisationalen Kontext bedeutungsvoll gemacht wird und wie Teilnehmer einer Interaktion zu »Amerikanern« oder

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210 | Diversity in Action »Engländern«, also zu Subjekten ihrer nationalen Herkunft werden. Insbesondere kommt dabei in den Blick, wie diese Zugehörigkeit im Verlauf der Interaktion auch wieder neutralisiert werden kann. Betrachtet werden nicht Personen – vielmehr werden interaktive Muster und Abläufe fokussiert. Forschungspraktisch arbeitet die Studie mit der Ethnographie, theoretisch mit dem ethnomethodologischen Mitgliedsbegriff (1.1). Sie überträgt das Doing-Gender-Konzept bzw. Doing-Difference-Konzept (West/Fenstermaker 1995) auf die Erforschung der nationalen Herkunft und zeigt Gemeinsamkeiten der Kategorien sowie auch deutliche Unterschiede auf. Nationale Herkunft wird dabei nicht als eine omnirelevante Eigenschaft von Akteuren modelliert, sondern als ein lokaler Prozess einer sozialen Differenzierung, der von den Teilnehmern durch ein aktives und kompetentes Zuschreiben und Darstellen kontextspezifisch hergestellt, aber auch neutralisiert werden kann. Diese Prozesse der Differenzierung von Personen werden in einem spezifischen Kontext analysiert, in dem Akteure alltäglich in heteronationalen Kontakt kommen: innerhalb einer transnationalen Organisation. Dieser Kontext zeichnet sich durch besondere Charakteristika aus. Organisationen entscheiden und strukturieren den Personaleinsatz, machen Vorgaben für die Kommunikationswege und die Stellenverknüpfungen, richten spezifische Erwartungen an Stelleninhaber. Die spezifischen Vorgaben und Erwartungen der transnationalen Organisation werden mit ausgewählten Begriffen und Instrumenten der systemtheoretischen Organisationskonzeption erfasst (1.2). Die Beschreibungen fokussieren dabei auf die Fragen, welche Erwartungen durch transnationale Organisationsstrukturen an die Stelleninhaber gerichtet werden und welche personalen Merkmale, welches Wissen und welche Kompetenzen, die bisher dem persönlichen Bereich der Stelleninhaber zugeschrieben wurden, nun in den dienstlichen einbezogen werden. Die Ergebnisse der beiden Zugangsweisen, die Betrachtung der kontextuellen Erwartungen und Vorgaben der Organisation einerseits, sowie die auf Augenhöhe der Interaktion fokussierte Mitgliedschaftsanalyse andererseits, sollen nun abschließend zusammengeführt werden. Dabei rekapituliere ich die Hauptergebnisse und bilanziere, was durch den erweiterten Blick auf die kontextuellen Organisationsvorgaben festgestellt werden kann. Anschließend formuliere ich Ausblicke für die Forschung, die sich auf Basis meiner Arbeit ergeben. Die Strukturen von Ford 2000 und die Einführung des personalpolitischen Konzeptes von Diversity stellen widersprüchliche Erwartungen an Stelleninhaber. Während die transnationalen Strukturen von Ford 2000 von konkreten Stelleninhabern mit spezifischen personalen Merkmalen wie ihrer nationalen Herkunft abstrahieren und sie als disponible Wissensmodule

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mobilisieren, personalisiert das Diversity-Konzept die Mitarbeiter als Träger wertvoller kultureller Unterschiede (2.1, 2.2). Trotz dieser Widersprüchlichkeit ergänzen sich die beiden Programme. Zunächst fasse ich die zentralen Ergebnisse der Strukturanalyse zusammen: Die Umstrukturierung des gesamten Unternehmens ab 1994 im Rahmen der so genannten Ford 2000 Organisation spannt einen transnationalen Arbeitszusammenhang auf (2.1). Erhöhte Kosten, die durch regionale Mehrfachentwicklungen entstanden sind, sollten eingespart werden. Alle Entwicklungsprozesse wurden daher auf drei große Entwicklungszentren konzentriert, die in Europa und den USA angesiedelt sind. Die Strukturen von Ford 2000, d.h. die Zentralisation der Entwicklung, die Zuordnung von Stellen auf eine Matrixorganisation, der gestraffte Projektakt und das organisationsweite vereinheitlichte Arbeitsplatzdesign, abstrahieren von konkreten Stelleninhabern und modellieren ortlose und kulturell losgelöste Organisationskommunikation, in der Prozesse und Entscheidungen in standardisierten Projekten transnational synchronisiert werden. Es findet eine verstärkte Trennung von Kommunikationsraum und -ort statt. Der Ort, an dem ein Mitarbeiter aktuell arbeitet, ist nicht deckungsgleich mit den Räumen, in denen er kommuniziert. Ford 2000 erzeugt eine »raum-zeitliche Abstandsvergrößerung« (Giddens 1991). Soziale Beziehungen werden durch den transnationalen Personaleinsatz und länderübergreifende Kommunikationswege aus ortsgebundenen Interaktionszusammenhängen herausgehoben. Mit Giddens kann man von »entbetteten« sozialen Beziehungen sprechen (Giddens 1996: 33). Diese Strukturveränderung stellt bestimmte Erwartungen an die Stelleninhaber. Stelleninhaber sollen als Disnationalized Worker Tätigkeiten und Aufgaben verrichten. Eine transnationale Vernetzung der Kommunikation setzt voraus, dass die Mitglieder eine geteilte Fach- bzw. Geschäftssprache in der Weise beherrschen, dass sie unabhängig von ihrer unterschiedlichen nationalen Sprach- und Kulturprägung reibungslos miteinander kommunizieren können. Die Kommunikation zwischen den Mitarbeitern soll die neue Vernetzung gerade nicht durch nationale oder kulturelle Besonderheiten behindern. Die Strukturen modellieren die Kommunikation ohne Ort zwischen körperlosen Wissensträgern. Die Strukturen zielen letztlich darauf ab, Wissen für die Produktherstellung flexibel einsetzbar zu machen. Mitarbeiter werden durch Projektrotation, Dienstreisen und Auslandsaufenthalte mobilisiert. Anstelle eines festen Kollegennetzes wird ein einheitliches Arbeitsplatzdesign auf Dauer gestellt. Die häufigen Projektrotationen setzen bei den Mitarbeitern die Fähigkeit für einen reibungslosen Umgang mit immer neuen und fremden Kollegen voraus. Im Zuge der großen organisationsweiten Umstrukturierung wurde 1994 ein Programm eingeführt, das direkt auf askriptive personale Merk-

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212 | Diversity in Action male von Mitgliedern Bezug nimmt und daher im Widerspruch zum Erwartungszusammenhang und den Relevanzen der transnationalen Strukturen steht (2.2). Die Maßnahmen des Diversity-Programms markieren Merkmale von Stelleninhabern, die gewöhnlicherweise nicht für die Organisationsmitgliedschaft oder bei Beförderung oder Stellenwechsel innerhalb der Organisation bedeutsam sein sollen: Geschlecht, Nationalität, Religion, Behinderung, Homosexualität etc. Die personale Heterogenität wird als Wettbewerbsvorteil für das Unternehmen bewertet. Der Anteil von Personen, die in Bezug auf diese Merkmale Minderheiten im Unternehmen, in speziellen Abteilungen oder auf bestimmten Positionen darstellen, soll erhöht werden. Personenmerkmale werden als Ressource für die Effizienz des Unternehmens, für die Produktentwicklung und schließlich auch für den Absatz des Produktes qualifiziert. Das personalpolitische Programm wird an allen Standorten von Ford durchgeführt und strukturell etabliert. Managing-Diversity wurde in den USA entwickelt und weist starke nationalkulturelle Bezüge auf (2.2.1). Im Einwanderungsland USA, das aus einer Vielzahl unterschiedlicher Ethnien besteht, ist die Ideologie des American Way Of Life die kulturelle Basis für ein Managing-Konzept. Das Konzept wird im Unternehmen und für die Organisationsumwelt ökonomisch und gerade nicht politisch im Sinne einer Minderheitenförderung oder Chancengleichheit gerechtfertigt. Es setzt an den Leistungen an, die von Individuen im Einwanderungsland USA erbracht werden, und ist eine freiwillige Verpflichtung der Unternehmen. Ich habe mit Rückgriff auf den Neoinstitutionalismus (Meyer/Rowan 1977) ausgeführt, dass sich Unternehmen durch Diversity-Programme als moderne und faire Unternehmen in einer Gesellschaft legitimieren (2.2.3). Zwar wird und muss eine wirtschaftliche Rationalität der Maßnahmen im so genannten Business Case von Diversity behauptet werden, soziologisch betrachtet sind jedoch gesellschaftliche und politische Vorstellungen maßgeblich für die Etablierung solcher Mythen in Unternehmen. Für diese neoinstitutionalistische Betrachtung spricht, dass in den 90er Jahren in den USA eine Vielzahl von Unternehmen Diversity-Programme etabliert haben. Im europäischen Raum werden Diversity-Programme zunächst vor allem von amerikanischen Unternehmen forciert, so auch bei Ford. Dabei ist auffällig, dass die Diversity-Konzepte und Inhalte an das europäische bzw. deutsche gesellschaftliche Umfeld angepasst werden. Eine zentrale Diversity-Kategorie an den deutschen Standorten ist »Frau« und nicht wie in den USA diverse ethnische Einwanderungsgruppen. Die Kategorie schließt an europäische gesellschaftliche Wertvorstellungen in Bezug auf Chancengleichheit an, die durch die Frauenbewegung initiiert und politisch durch Gesetze der Länder und der Europäische Union normiert wurden. Ich habe in den empirischen Kapiteln analysiert, dass die Globalisie-

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rungsstrategie und Diversity widersprechende Erwartungen an die Stelleninhaber richten. Hier im Resümee möchte ich diesen Widerspruch diskutieren. Diversity lässt sich als eine unterstützende Maßnahme für die Anforderungen an Stelleninhaber der Ford 2000-Struktur betrachten. In europäischen Studien nennen Unternehmen als Hauptgrund für ihre Diversity-Programme die fortschreitende Globalisierung und die Internationalisierung von Märkten (Ivanova 2003, Europäische Kommission 2003). Die Strukturen der forcierten Globalisierung erwarten von den Mitarbeitern, sich immer wieder auf neue und fremde Kollegen einzulassen. Fremde Kollegen aus anderen Ländern, Firmen und Fachrichtungen: Die Proklamation von Diversity kann daher als eine flankierende Maßnahme beschrieben werden, die den Umgang mit fremden Mitarbeitern, der durch die Transnationalisierung strukturell erzeugt wird, positiv normiert. Dieser Umgang wird in Awareness-Maßnahmen geschult (2.2.2). Ziel ist ein toleranter und produktiver Umgang im Alltag. Es wird ein Zusammenhang zwischen Wahrnehmungsschulung und Einstellungspraxis angenommen, weil die geschulten Mitarbeiter auch Entscheidungsträger auf Stellen sind. Von Führungskräften wird erwartet, dass sie bei Beförderung und Einstellung die Anzahl von Mitarbeitern mit Minderheitenmerkmalen erhöhen und Maßnahmen zur Sensibilisierung ihrer Mitarbeiter in ihrer Abteilung durchführen. Durch eine multikulturelle Stellenbesetzung soll Wissen aus dem persönlichen Bereich funktional effizient gemacht werden (Koall 2002). Mitglieder sollen ihr Wissen als Mütter, als Briten oder als Türken für die Entwicklung der Autos und den kundenspezifischen Absatz einbringen. Auffällig ist dabei, dass die normativen Wahrnehmungs- und Verhaltenserwartungen in Bezug auf Diversity recht vage gehalten sind. Zwar gibt es Diversity-Zahlen, welche mittelfristig die Rekrutierung bestimmter Mitarbeitergruppen steuern sollen. Bindende Erwartungen werden innerhalb von Ford jedoch nur in Bezug auf den diskriminierungsfreien Umgang gestellt. Wenn Diversity-Awareness bedeutet, alle möglichen Merkmale der neuen und fremden Leistungsträger in Interaktionen zugleich und unterschiedslos zu Bewusstsein kommen zu lassen, dann heißt es letztlich, dass in der Interaktion von persönlichen Merkmalen abstrahiert werden soll. Ein Diversity-Programm, das Stigmata in dieser Weise inflationiert, ist ein gesteigerter Fall von Indifferenz. Indifferenz ist im schnell rotierenden Projektalltag hilfreich, ermöglicht sie doch ein Übersehen des Persönlichen bzw. des Differenten, wie ich in den Interaktionsstudien für die Profession der Manager gezeigt habe. Ist nun die Einführung von Diversity, wie ich in den Kapiteln argumentiert habe, eine Veränderung in der Mitgliedschaftsrolle? Wird dadurch vormals Persönliches zur Dienstpflicht? Ja und Nein. Ja, insofern Diversity-

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214 | Diversity in Action Kategorien bei der Rekrutierung von Stelleninhabern relevant gemacht werden können und sollen. Damit werden personale Merkmale aktiv einbezogen, die es vorher zu übersehen galt. Ja auch insofern, da die DiversityMaßnahmen die Kommunikation auf bestimmte Merkmale der Stelleninhaber ausrichtet. Vor der Einführung von Diversity galten diese als rein persönliche Merkmale der Mitglieder. Nein, wenn Diversity-Programme, wie gerade argumentiert, eine gesteigerte Indifferenz in den Interaktionen erzeugen und keine bindenden Erwartungen an die Mitarbeiter stellen. Nein, wenn man weiterhin annimmt, dass Organisationen generell indifferent gegenüber persönlichen Merkmalen sind, um funktionieren zu können. Gerade im Fall von Transnationalisierung der Märkte sind Unternehmen bestrebt, ihre Arbeitskräfte zu vergrößern und zunehmend nach solchen Diversity-Merkmalen zu rekrutieren. Die Proklamation von Diversity ist dann eine Inklusionsstrategie eines Einwanderungsunternehmens für alle möglichen Leistungsträger, das nun auch diese Merkmale zu funktionalen Merkmalen von Stelleninhabern kürt. Die bisher resümierte Strukturanalyse ist nur ein Teilbereich der Untersuchung. Die beschriebenen Strukturen bilden den Kontext der Interaktionen, die in der Organisation stattfinden. Wenn man die in den Strukturen angelegten Erwartungen unabhängig von den konkreten Interaktionen beschreibt, erhält man einen einheitlichen Erwartungskontext, der sich an alle Stelleninhaber der Entwicklungsabteilung gleichermaßen richtet. Ein differenziertes Bild ergibt sich, wenn man in der Interaktion untersucht, wie die Erwartungen der Programme in den kopräsenten Umgang, also in die mündliche Kommunikation und in das Verhalten, Eingang finden und wie die Interaktionsteilnehmer mit dem personalen Merkmal der nationalen Herkunft umgehen. Die Interaktionsanalyse zeigt in ihrer detailgenauen Beschreibung auch umgekehrt, wie Stelleninhaber – im Vollzug ihrer Arbeit – den Kontext und die strukturellen Erwartungen herstellen und modifizieren. Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass die Professionszugehörigkeit der Mitarbeiter in zwei Hinsichten wesentlich ist: Erstens wirken sich die kontextuellen Erwartungen und Vorgaben der Ford 2000-Strukturen je nach Professionszugehörigkeit unterschiedlich aus und werden verschiedenartig in der Interaktion von den Stelleninhabern angeschlossen bzw. hervorgebracht. Zweitens unterscheidet sich auch der Umgang mit der nationalen Herkunft entlang der Professionsdifferenz bzw. es besteht eine Interferenz zwischen der Herstellung der Professionszugehörigkeit und der Aktualisierung und Neutralisierung der nationalen Herkunft. Als drittes zentrales Ergebnis zeigt die Studie, dass die nationale Herkunft der

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Mitglieder erst vor dem Hintergrund des organisationalen Kontextes relevant gemacht wird und nicht allein dadurch, wie in vielen Studien angenommen, dass Menschen heteronationale Interaktionen durchführen. Unterschiede in der nationalen Herkunft werden dabei in soziale Ungleichheit transformiert. Die drei Ergebnisse sollen nachträglich noch einmal erläutert werden. 1. In den Interaktionen stellen sich die Teilnehmer immer innerhalb der professionsbezogenen Mitgliedschaftskategorien dar, also im ethnomethodologischen Sinne als Mitglieder des Managements oder als Ingenieure. Ich habe gezeigt, dass sie sich in den Kleidungskonventionen eindeutig unterscheiden (3.1). Auf einen Blick sind Vorbeigehende auf dem Korridor oder die Teilnehmer in einer Besprechung dem Management oder der Gruppe der Ingenieure zuzuordnen. Darüber hinaus benutzt jeder ein typisches Repertoire an Verhaltens- und Kommunikationsmustern (3.2). Ich habe diese Art der Darstellung in der Interaktionsanalyse nachgezeichnet und werde sie hier kurz pointiert skizzieren. Die transnationalen Kommunikationswege, welche die Ford 2000Struktur vorgibt, werden von Managern ausagiert: Sie erzeugen in einem sehr eng getakteten Tagesablauf einen transnationalen Kommunikationsraum, in dem der Zeitpunkt einer Besprechung wesentlicher ist als Fragen der aktuellen Lokalität der Körper der Besprechungsteilnehmer. Manager führen, vermitteln und verknüpfen eine enorme Fülle an Kommunikation auf schriftlichem oder mündlichem Wege. Sie sind Kommunikationsmedien (3.2.2). Sie synchronisieren und sequenzieren hochgradig arbeitsteilige Kommunikationsvorgänge. Ich habe an einem typischen Arbeitstagablauf gezeigt, dass Manager diese arbeitsteilige Kommunikation über einen uniform gestalteten transnational einheitlichen Besprechungstakt synchronisieren. Sie greifen für ihre Arbeitstätigkeit auf Medien zurück, die weniger die Gleichörtlichkeit als die Gleichzeitigkeit der Kommunikationsteilnehmer voraussetzen. Je höher man in der Hierarchie steigt und je mehr Anfragen und komplexe Entscheidungen zu bewältigen sind, desto mehr wird auf unterbrechbare Kommunikationsmedien wie Email und Intranet zurückgegriffen. Wichtige Besprechungen werden jedoch kopräsent geführt. Die Örtlichkeit verschwindet nicht ganz aus dem Alltag eines Managers, denn in der kopräsenten Interaktion ist es leichter, Status zu demonstrieren und die Loyalität und Verbindlichkeit der Mitarbeiter zu prüfen, als in den reduzierten technischen medialen Alternativen (Boden/Molotch 1994). Pointiert formuliert sind die Strukturen von Ford 2000 auf die Professionsaufgaben und -tätigkeiten von Managern maßgeschneidert: Sie agieren in einem einheitlich getakteten Kommunikationsraum und überprüfen

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216 | Diversity in Action fachunspezifisch die Projektziele, sind mobil und flexibel in verschiedenen Projekten und Standorten einsetzbar. Ihr Handwerkszeug ist dabei die Sprache in mündlicher und schriftlicher Form. Ingenieure gehen mit der »raum-zeitlichen Abstandsvergrößerung« (Giddens 1991) der transnationalen Organisationsstrukturen ganz anders um (3.2.1). Selbstverständlich werden auch sie durch Projektrotation in den Etagen, Gebäuden und auch standortübergreifend mobilisiert und arbeitsplatzräumlich in immer wieder neu zusammengesetzte Projektteams platziert. Dennoch ist festzustellen, dass sie innerhalb dieses Rahmens die »entbetteten« sozialen Beziehungen relokalisieren: Sie beratschlagen sich in Face-To-Face-Interaktionen mit ihren Kollegen, die sie als Experten für fachliche Gebiete anfragen, treffen sich systematisch zufällig an fixen Orten wie der Cafeteria und nomadisieren alten Kollegen im Gebäude hinterher. Die kopräsente Form der Kommunikation von Ingenieuren steht in direkter Verbindung zu ihrer Arbeitskultur. Es ist eine visuelle Kultur (Henderson 1999), in der Sachverhalte und komplexe Verbindungen durch ein Zeigen auf eine Zeichnung ohne viele Worte benannt werden können. Ingenieure sind Sacharbeiter, die Modelle an Zeichnungen entwickeln und Berechnungen erstellen. Ihr Handwerkszeug sind eine technische Fachsprache und technische Zeichnungen. Um effektiv zu arbeiten, brauchen sie kopräsente Kommunikation. Gleichörtlichkeit ist somit genauso zentral wie die Gleichzeitigkeit der Kommunikationsteilnehmer. In den Interaktionen wird keine Hierarchie qua Position gebildet, sondern eine horizontale, gleichrangige fachliche Kooperation geführt, in der man persönlich miteinander umgeht. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Ford 2000-Strukturen lokale und dauerhafte soziale Beziehungen behindern. Durch ihr Verhalten relokalisieren die Ingenieure die strukturell entbetteten sozialen Beziehungen, während die Mitglieder des Managements als Kommunikationsmedien in einem transnationalen Kommunikationsraum agieren. 2. Wie gehen die Manager und Ingenieure in der Interaktion nun mit der nationalen Herkunft um? Werden sie zu ohnmächtigen Subjekten ihrer nationalen Herkunft, wie in den Kulturvorstellungen der internationalen Managementberatung angenommen wird? Wie erfüllen die Manager und Ingenieure die Maßgabe der reibungslosen transnationalen Kommunikation? Manager müssen, wie ich schon ausführte, eine enorme Fülle an Kommunikation bewältigen. Sie stehen unter erheblichem Zeitdruck (3.3.1). Besprechungen sind in einem Schlag-auf-Schlag-Rhythmus sequenzialisiert. Einen schnellen und reibungslosen Wechsel von einer Situation in die nächste bewerkstelligen Manager unter anderem durch den Verzicht auf persönliche Begrüßungen und Verabschiedungen in direkten Interaktionen. Das Personsein eines Managers nimmt ab, je höher er in der Organi-

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sationshierarchie aufsteigt. Managern bleibt nur die Zeit, die Berufsrollen, die Funktions- und Projektzugehörigkeiten von Interaktionsteilnehmern zu markieren und sich selbst in diesen darzustellen. In dem Maße, wie das Personsein der Manager in der Professionskommunikation in den Hintergrund rückt, geschieht dies auch mit der Nationalität der Person. Manager stellen aktiv eine nationale Indifferenz her. Dabei wird die nationale Herkunft als ein Identitätsmerkmal für die Teilnehmer selbst nicht irrelevant, wohl aber für den Ablauf der Interaktion, sodass eine reibungslose und störungsfreie Kommunikation geführt werden kann. Das erfordert besondere Methoden, da im Interaktionssystem, in dem sich die Teilnehmer wechselseitig wahrnehmen können, personale Merkmale nicht vollständig verdrängbar sind (Heintz 2003). Bevor eine Indifferenz, also eine Form der Neutralisierung, festgestellt werden kann, muss die nationale Herkunft in irgendeiner Form markiert worden sein. Das Undoing braucht einen Bezugspunkt, um es von einem schlichten Not-Doing zu unterscheiden (Hirschauer 1994; 2001). Interaktionsteilnehmer beobachten sich in der Interaktion visuell und akustisch wahr: So nehmen sie beispielsweise das Geschlecht, das ungefähre Alter eines Besprechungsteilnehmers, den Akzent eines Sprechers und auch Besonderheiten der Kleidung der Person wahr. Ich habe in den visuellen Ausgangslagen der Interaktion zunächst gezeigt, dass Manager durch die Kleidungskonventionen der Länder in unterschiedliche Mitgliedschaftsklassen mobilisiert werden: Sie sind in diesem Kontext anhand von länderspezifischen Kleidungsregeln als Amerikaner, als Deutsche und als Briten zu erkennen. Asiaten werden anhand von somatischen Indizien, durch die Augenform, die Haarstruktur und durch lokales kulturelles Wissen als japanische Kooperationspartner relevant gemacht. Alle Teilnehmer von Interaktionen (auch die Ingenieure) gehen beobachtbar mit der nationalen Herkunft ihres Gegenübers um. Quantitativ betrachtet wird die nationale Herkunft von Gesprächspartnern zu Beginn einer Interaktion sowohl visuell als auch akustisch immer registriert und veranschlagt. Ein zentrales Charakteristikum der Kategorie nationale Herkunft ist, dass sie nicht primär über visuelle Indizien, sondern vor allen Dingen über akustische Zeichen registriert und dargestellt wird. Ich habe alltägliche Hintergrunderwartungen, welche die Zuordnung von Personen in eine nationale Kategorie anleiten, herausgearbeitet (1.3). Für die Untersuchung haben sich dafür mehrere Charakteristika als zentral erwiesen: Die nationale Herkunft ist eine plurale Kategorie. Die Praxis der nationalen Differenzierung ist sozial voraussetzungsvoll. Die Methoden können nur in spezifischen heteronationalen Kontexten erworben werden, in denen die Differenz alltäglich relevant wird. Eine treffsichere nationale Attribution ist nicht konstitutiv für eine Interaktion, aber eine nationale Differenz ist folgen-

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218 | Diversity in Action reich. Die Teilnehmer in heteronationalen Interaktionen müssen mit den unterschiedlichen Sprachkompetenzen umgehen und sich darüber verständigen, in welcher Sprache sie kommunizieren wollen bzw. können. Die nationale Herkunft wird weniger über visuelle Merkmale, Gestik oder Proxemik, als vor allem über akustische Indizien erkennbar und omnipräsent gehalten. Es ist vor allem die akustische Dimension, die in der vorliegenden Untersuchung von zentraler Bedeutung ist: Im Akzent, den man über die Muttersprache gelernt hat und der sich in den Fremdsprachen als eine hartnäckige Ablagerung der nationalen Herkunft zeigt, lässt sich recht treffsicher die nationale Herkunft eines Teilnehmers in einem spezifischen Kontext bestimmen. Die Prosodie und der Rhythmus des Sprechens, die man in seiner Muttersprache gelernt hat, sind ein habitualisiertes Inszenierungsverfahren (Kotthoff 2002), das sich willentlich nur in begrenztem Umfang minimieren lässt. Durch die Stimme wird die nationale Herkunft in einem omnipräsenten akustischen Zustand gehalten, was auf der speziellen Zuhörerkompetenz basiert, den Akzent herauszuhören. In der Entwicklungsabteilung wissen die Teilnehmer, welche Nationalitäten am häufigsten in der Firma vertreten sind, und durch ihren alltäglichen Kontakt lernen sie, britische, amerikanische, deutsche und schwedische Mitarbeiter am Akzent sicher zu unterscheiden. Diese hartnäckige Ablagerung der nationalen Herkunft ist auch in den Kommunikationsmedien wie Audio- und Videokonferenzen präsent, die von den Managern häufig benutzt werden. In der mündlichen Kommunikation, in der die unterschiedlichen sprachlichen Kompetenzen der Teilnehmer zu Störungen und Reibungen führen würden, initiieren die Mitglieder des Managements den Wechsel in eine geteilte Lingua franca. Die Verkehrssprache, die in jeder Form des heteronationalen Kontakts gewählt wird, sei es mündlich oder schriftlich, ist ein einfaches Business-Englisch. Die nationale Differenz wird durch den Sprachwechsel in die Lingua franca als eine Relationskategorie (gleich/verschieden) veranschlagt. Die Differenz wird sowohl personal als auch situational markiert – wie z.B. in Videokonferenzen, die grundsätzlich in der Lingua franca abgehalten werden. Indem die Interaktionsbeziehung (Hirschauer 2001) als ungleich oder gleich markiert wird, werden gerade keine spezifischen nationalen Kategorien aktualisiert. Es werden also keine Amerikaner, Briten oder Deutsche durch den Sprachwechsel markiert, weil die nationale Herkunft eine plurale Kategorie ist. Die Teilnehmer erzeugen eine nationale Indifferenz. Diese aktive Tätigkeit gelingt nur durch die Kooperation zwischen englischen Muttersprachlern einerseits, die höflich grammatikalische Fehlschläge überhören und einfaches Englisch verwenden, und den Fremdsprachlern, den deutschen Managern andererseits, die durch einen elaborierten Code, in dem keine Verständigungsschwierigkeiten angezeigt werden, eine störungsfreie heteronationale Kommunikation

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etablieren. Für die Neutralisierungsarbeit der international tätigen Manager sind Verständigungsschwierigkeiten tabuisiert. Die Sprache ist sowohl das Medium der Herstellung einer nationalen Differenz, als auch das Medium der Erzeugung der Indifferenz, sodass auch der Sprachwechsel in die Lingua franca die nationale Differenz zwar absorbiert, aber in dem gleichen Maße auch in der Interaktion enthalten ist. Die nationale Herkunft verbleibt durch den Akzent und die verschiedenen sprachlichen Kompetenzen im Anliegerbereich der Interaktion. Sie ist damit zwar für die Interaktion randständig, kann aber jederzeit, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden, ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Manager erfüllen durch die nationale Indifferenz und die störungsfrei gehaltene heteronationale Kommunikation die kontextuellen Anforderungen von Ford 2000. Verständigungsschwierigkeiten oder Behinderungen wegen sprachlicher Kompetenzunterschiede wären jedoch nicht nur für den Ablauf einer Kommunikation via Videokonferenz oder auch Face-To-Face hinderlich, sie sabotieren zudem direkt die Professionalität eines Managers. Dessen zentrales Handwerkszeug ist die natürliche Sprache in schriftlicher oder mündlicher Form. Die Neutralisierung der nationalen Differenz interferiert mit der Darstellung der Professionszugehörigkeit. Im Unterschied zu Managern beschädigen Defizite in der Lingua franca nicht das professionelle Image von Ingenieuren (3.3.2). Ingenieure können auch ohne perfekte Englischkenntnisse gute Sacharbeit leisten und sich über ihre technische Fachsprache in Form von Zeichnungen ohne viele Worte verständigen. Deutsche Ingenieure sprechen einen restringierten Code im Business-Englisch und kultivieren in der Interaktion nationale Differenzen. So wie Ingenieure die sozialen Beziehungen durch das Umherwandern und einen personalen Umgang relokalisieren, wird die Verkehrssprache unter Ingenieuren relokalisiert. Ingenieure erwarten eine Anpassung an die lokale Standortsprache: Deutsche Ingenieure sprechen an den deutschen Standorten Deutsch und erwarten von ausländischen Kollegen, dass sie die deutsche Sprache lernen. Durch ihre zweite Verkehrssprache, die geteilte Fachsprache in Form von technischen Zeichnungen, überbrücken sie nationale sprachliche Differenzen und erzeugen eine professionelle Gleichheit, welche die nationale Herkunft für die Interaktion neutralisiert. Während die Neutralisierung der nationalen Herkunft direkt mit der Professionszugehörigkeit bei den Managern interferiert, ist die nationale Differenzierung der Ingenieure eine Form, entbettete soziale Beziehungen zu relokalisieren. Was hat die Studie gezeigt in Bezug auf die Erwartungen des DiversityProgramms, und hier fokussiert auf die nationale Herkunft? Werden die kontextuellen Erwartungen in der Interaktion bedeutsam? Mit den Ergeb-

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220 | Diversity in Action nissen der Neutralisierung der nationalen Herkunft im Management kann man auf Schwierigkeiten mit spezifischen Erwartungen des Diversity-Konzepts in der Interaktion schließen. Um »aware«, wie in den Trainingsmaßnahmen gelernt, mit personalen Differenzen umzugehen, müssen diese zunächst in der Interaktion markiert werden, d.h. die Teilnehmer müssen sich wechselseitig in einer Interaktion als Zugehörige dieser Kategorien ausweisen. Es lässt sich feststellen, dass Manager nicht zu Subjekten ihrer nationalen Zugehörigkeit werden. Sie führen nicht als deutsche Manager eine Besprechung, sondern als Manager. Zwar sind sie visuell etwa anhand der Kleidung in den nationalen Gruppen klassifizierbar und durch den Akzent verbleibt die nationale Differenz immer im Anliegerbereich der Interaktion, aber Manager neutralisieren durch den initiativen Sprachwechsel und die Kooperation von Fremdsprachlern und Muttersprachlern die nationale Mitgliedschaftskategorie der Teilnehmer. Sie stellen aktiv eine nationale Indifferenz her, die gerade das Absehen von dieser personalen Differenz ermöglicht. Mit Blick auf die kontextuellen Vorgaben des Ford 2000-Programms ist feststellbar, dass dies nicht einer mangelnden Aufmerksamkeit oder fehlenden Schulung von Managern geschuldet ist, sondern der Tatsache, dass die Tätigkeitsanforderungen im Management – die enorme Kommunikationsmenge, die enge Besprechungstaktung, die transnationale Synchronisationsarbeit – eine reibungslose, störungsfreie und unpersönliche Kommunikation erfordern. Der Spielraum für Personalisierung der Interaktionsteilnehmer in dieser funktional und effizient ausgerichteten Kommunikation wird stark eingeschränkt (Heintz 2003: 218). Nationale Differenzen der Teilnehmer werden dafür ganz methodisch aus dem Zentrum der Interaktion herausgedrängt. In dem Maße, so lässt sich das Ergebnis zuspitzen, wie die kontextuellen Erwartungen von Ford 2000 in der Interaktion hervorgebracht werden, Manager als Manager in der Interaktion ihre Arbeit verrichten und die nationale Differenz als eine Mitgliedschaftskategorie im heteronationalen Kontakt bedeutungslos bleibt, werden die Maßgaben von Diversity für einen kultursensiblen Umgang in der Interaktion nicht bedeutsam. Natürlich können in einem störungsfrei gehaltenen Business-Englisch nationale Unterschiede thematisch werden. Diversity sabotiert ja gerade das »Beobachtungsverbot« (Heintz 2003) von personalen Kategorien wie Geschlecht oder nationale Herkunft, aber es inflationiert zugleich, wie ich oben herausgestellt habe, die personalen Unterscheidungen. Dadurch kann auch eine gesteigerte Indifferenz gegenüber personalen Merkmalen erzeugt werden. Ich konnte nur an sehr wenigen Besprechungen, in denen Stellenbesetzungen thematisiert wurden, und in denen Diversity-Zahlen direkt behandelt wurden, teilnehmen. In diesen wenigen wurde die nationale Herkunft zu einem Kriterium für die Stellenbesetzung und mit Sätzen wie

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»We want a German on that position« evoziert. Dennoch konnte ich in einem Fall beobachten, dass der dezidierte Versuch, eine Abfindungsentscheidung auf nationalkulturelle Unterschiede zwischen Amerikanern und Deutschen zurückzuführen, in der Interaktion von amerikanischen Vorgesetzten als eine Differenz in der persönlichen Einstellung personalisiert und gerade nicht nationalisiert angeschlossen wurde. In den meisten Besprechungen, in denen die Koordination von Entwicklungsschritten, bestimmte Kontrollzahlen und technische Ziele thematisch sind, werden Teilnehmer gerade nicht in ihren nationalen Mitgliedschaftsklassen veranschlagt. 3. Im letzten zusammenfassenden Abschnitt möchte ich zum einen das Ergebnis diskutieren, dass die nationale Herkunft von Teilnehmern nicht schon deswegen automatisch relevant wird, weil Menschen aus verschiedenen Ländern miteinander kommunizieren. Vielmehr wird die nationale Herkunft erst vor dem Hintergrund einer spezifischen Organisationsstruktur bedeutsam. Zum anderen soll besprochen werden, dass die Sprachkompetenzunterschiede der Mitglieder als ein Merkmal von nationaler Herkunft in soziale Ungleichheit transformiert wird. Wenn man die Organisationsvorgaben berücksichtigt, muss man teilweise Beschreibungen von Nationalisierungen in der Interaktion als oberflächliche Beobachtungen korrigieren. Nicht immer, wenn eine nationale Differenz markiert ist, wird auch eine nationalkulturelle Differenz relevant. Der lokale Sinn, den die Teilnehmer mit der Differenzierung verbinden, bzw. das praktische Problem, das mit der Differenzierung gelöst wird, muss beachtet werden. Dann zeigt sich, dass die nationale Mitgliedschaft eine Transferkategorie für den Status eines Teilnehmers ist. Die Kleidungskonventionen der Länder sind verschieden: Mit etwas Übung und lokalem Wissen lassen sich auf einen Blick amerikanische, britische und deutsche Manager voneinander unterscheiden. Nationalisierte Indizien bilden den Auftakt für alltäglich stattfindende Face-To-Face-Interaktionen, bei denen sich die Teilnehmer nicht persönlich kennen. Sie ermöglichen es den Teilnehmern einerseits, das praktische Problem zu lösen, zügig in eine geteilte Verkehrssprache zu wechseln. Andererseits wird durch die nationale Kategorisierung der ranghöchste Manager in einem Meeting markiert (3.1). Meetingteilnehmer behandeln die durch die Kleidung dargestellte Zugehörigkeit eines Doing Being An American an europäischen Standorten als Mitgliedschaftsklasse des mittleren und gehobenen Managements. Amerikanische Manager wurden innerhalb der Strukturveränderungen von Ford 2000 verstärkt nach Europa mobilisiert und auf gehobene Managementpositionen an den europäischen Standorten platziert. Auch Deutsche und Briten besetzten auf allen Ebenen Stellen, aber mehr-

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222 | Diversity in Action heitlich im mittleren und unteren Managementbereich. Die nationale Differenzierung der Teilnehmer ist daher ein Abfallprodukt der Suche der Teilnehmer nach Statusmarkern. Und die eigentlich distinktive Kategorie (Bourdieu 1982) ist der US-Amerikaner. Der organisationale Kontext, der amerikanische Manager an die europäischen Standorte mobilisiert, bildet die Suchmaske für die Teilnehmer, nach Nationalitäten zu sortieren. Eine falsche Symmetrie wird daher durch eine gleichrangige Auflistung der verschiedenen Nationalitäten nahe gelegt, wie sie in den Diversity-Darstellungen des Unternehmens praktiziert wird. Die zunächst gleichrangige sprachliche Verschiedenheit wird durch organisationale Regeln in einer bestimmten Weise bewertet und in eine Kompetenzhierarchie des Besser-oderSchlechter überführt. Was löst diese Transformation aus und wie vollzieht sie sich? Obgleich in einer Vielzahl transnationaler Unternehmen Englisch als Verkehrssprache gesprochen wird, ist sie in dem von mir untersuchten konkreten Unternehmen a) die Landessprache des Mutterkonzerns und b) die Muttersprache der zahlenmäßig am europäischen Standort stark vertretenen britischen Mitarbeiter. Die Lingua franca ist selbst eine partikulare Sprache, also selbst nationalisiert, auch wenn es eine vereinfachte Form der englischen oder amerikanischen Hochsprache ist. Die Regel, in heteronationalen Berufskontakten in ein einfaches Business Englisch zu wechseln, führt zu einer Hierarchisierung der Nationalsprachen, die bei Ford von der Belegschaft gesprochen werden. Die sprachliche Norm, Englisch zu sprechen, können Muttersprachler immer besser erfüllen. In der Lingua franca sind die Intonation und die Prosodie von Muttersprachlern das Normale und Neutrale, während akzentuelles Sprechen die prosodische Abweichung darstellt. Diese Rahmenbedingungen führen dazu, dass die nationale Herkunft der Beteiligten zwar in der Interaktion indifferent gehalten wird, aber von den Fremdsprachlern (mehrheitlich Deutsche) die größte Neutralisierungsarbeit geleistet werden muss. Die Lingua franca erzeugt keine Gleichheit zwischen den Teilnehmern, sondern asymmetrische Beteiligungschancen für die Fremdsprachler, was bis zum Selbstausschluss aus bestimmten Situationen führen kann. Die Transformation der sprachlichen Differenz in ungleiche Beteiligungschancen geschieht verstärkt im Management. Die professionsgruppenspezifische Tätigkeit als Manager wird verquickt mit der Sprachkompetenz im Englischen. Damit wird ein personales Merkmal, nämlich Muttersprachler oder Fremdsprachler im Englischen zu sein, in eine Kompetenzhierarchie des Besser-oder-Schlechter überführt. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass amerikanische und britische Manager, die am deutschen Standort arbeiten und von der Organisation verpflichtend Deutschunterricht erhalten, freimütig bekennen: »I have no desire to learn German.«

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Forschungsausblick Der zentrale Ausgangspunkt dieser Arbeit war es, die nationale Herkunft als eine Mitgliedschaftskategorie dezentriert von Personen in der Interaktion und kontextualisiert durch die Strukturen des Organisationssystems zu untersuchen. Zunächst möchte ich festhalten, dass eine differenzierte empirische Analyse, die Herstellungsprozesse von Mitgliedschaften und sozialer Ungleichheit auf Augenhöhe von Teilnehmern beschreibt, empirisch fruchtbar ist und für die Theorieentwicklung wesentliche Impulse geben kann. Auch die Übertragung des Doing-Ansatzes auf die Analyse der nationalen Herkunft hat sich als sinnvoll erwiesen. Abschließend werde ich einerseits herausarbeiten, was weitere Forschungen in Bezug auf nationale Herkunft berücksichtigen sollten, und andererseits Hinweise geben, an welchen Stellen eine Weiterentwicklung des ethnomethodologischen Forschungsansatzes angeraten erscheint. Wie bei Geschlecht, Rasse oder Klasse bleibt auch die nationale Herkunft gewöhnlich im Hintergrund der Interaktion (Kotthoff 2002). Das macht ihre Erforschung schwierig, insbesondere in Berufskontexten, in denen die Norm der Sachrationalität (Heintz 2003) zentral ist. Selten wird sie direkt durch Evokationen thematisch. Gerade in einem solchen Kontext liegt es forschungspraktisch nahe, auf ein Alltagsdenken zurückzugreifen, das die nationale Herkunft als nationalkulturelle Eigenschaften von Personen begreift, diese Eigenschaften als Schablonen der Beobachtung nutzt und von einer Latenz der nationalen Herkunft für die Teilnehmer ausgeht. In dem von mir untersuchten Feld hätte man damit jedoch nicht nur Alltagsdenken reproduziert, sondern auch die kulturalistische Diagnose des Unternehmens selbst übernommen, die auf einem solchen Alltagsdenken aufsattelt bzw. die personalisierte Forschungsperspektive der Studien adaptiert. Mit dem Analysebesteck der ethnomethodologischen Doing-Analyse, die auf Augenhöhe der Teilnehmer ansetzt und keine Omnirelevanz annimmt, ist man vor naturalisierenden Personalisierungen gefeit. Mit ihm lassen sich die Prozesse der nationalen Indifferenz sowie Differenzierungen, welche die Teilnehmer methodisch erzeugen, aufzeigen, ohne dabei Alltagsdenken zu reproduzieren. Die Studie zeigt, dass die Teilnehmer in einer transnationalen Organisation in heteronationalen Interaktionen beobachtbar nationale Differenzierungen betreiben. Die nationale Herkunft durchzieht jedoch nicht omnirelevant alle heteronationalen Beziehungen. Manager führen Besprechung nicht immer als amerikanische Manager. Eine Omnirelevanzannahme, wie sie in der internationalen Managementforschung angestellt wird, ist weder empirisch haltbar, noch theoretisch überzeugend. Die Akteure sind keine ohnmächtigen Träger nationaler Muster, sondern sie können durch spezifi-

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224 | Diversity in Action sche Methoden die nationale Differenz für die Interaktion indifferent halten, d.h. neutralisieren. Meiner Einschätzung nach ist es für die weitere Forschung wesentlich, bei einer nationalen Differenzierung nicht dekontextualisiert auf eine nationalkulturelle Relevanzerzeugung in einer Interaktion zu schließen. Um die Bedeutung zu ermessen, also den lokalen Sinn und die praktischen Probleme, die Handelnde mit spezifischen Differenzierungen lösen, muss man situational forschen, das heißt aus der Perspektive der Teilnehmer einer Situation, die sich auch immer in anderen Mitgliedschaften ausweisen und deren soziale Herstellung sich überlappen kann. Diese Forschungsaufforderung richtet sich dabei weniger an soziologische Studien, in der die Analyse von sozial wirksamen Kategorien betrieben wird, als stärker an die Vielzahl sozialpsychologischer oder internationaler Management-Beratungsstudien, die im Zuge der zunehmenden Internationalisierung der Märkte und von Diversity-Programmen entstanden sind. Die dekontextualisierte Erforschung nationalkulturrelevanter Unterschiede steht dabei im Verdacht, schlichte Stereotypen zu reproduzieren und tatsächliche Konfliktlinien oder soziale Hierarchisierungen mit Kulturkitt zu verdecken. Was ist jedoch für die soziologische Forschung und hier für die ethnomethodologische Forschung im Bereich der Mitgliedschaftsanalysen weiterführend? Zum Ersten erscheint es mir sinnvoll, zwischen verschiedenen Relevanzstufen zu unterscheiden. Dabei sollten auch Relevanzerzeugungen in Betracht gezogen werden, die nicht nur im Handlungsradius von Einzelnen liegen, was erlauben würde, über eine reine Interaktionsanalyse hinauszugehen. Zum Zweiten ist es für die weitere Forschung hilfreich, verschiedene Prozesse, die in den Interaktionen miteinander verwoben sind, analytisch zu unterscheiden. Zum Dritten halte ich es gerade vor dem Hintergrund der Diversity-Programme, welche die Kategorien als gleichrangige und unabhängige Mitgliedschaften behandeln, für zentral, genau herauszuarbeiten, wodurch sich die einzelnen Kategorien auszeichnen und in welcher Wechselwirkung sie zueinander stehen. Der Vorteil der ethnomethodologischen Doing-Analyse liegt darin, dass die Inszenierungen der Akteure, also ihre Prozesse der Darstellung und Zuschreibung, zentral gesetzt werden. Damit wird jedoch gleichzeitig – und das kritisiert Kotthoff (2002) – alles gleichermaßen als Relevanzerzeugungen von Geschlecht oder der nationalen Herkunft aufgefasst. Um den Grad in der Relevanzerzeugung der nationalen Herkunft zu messen, müsste man für die weitergehende Forschung den Vorschlag von Kotthoff aufgreifen und Relevanzstufen eines Doing danach unterscheiden, ob sie erstens habitualisierte verkörperlichte Praktiken sind, die im Hintergrund mitlaufen, zweitens intentionale Praktiken oder gar drittens Relevanzerzeugungen darstellen, die außerhalb des Handlungsbereichs von einzelnen Akteuren

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liegen, wie z.B. stereotype Geschlechtsbilder in den Massenmedien. Damit würde gleichzeitig die durchaus kritisch zu betrachtende ethnomethodologische Vorstellung eines omnipotenten Akteurs relativiert. Wenn man diesen Vorschlag auf die nationale Herkunft überträgt, müsste man daher Relevanzebenen unterscheiden, die etwa den immer mitlaufenden Akzent eines Sprechers von direkten Evokationen wie ›we want a German on that position‹ trennen. Die Stereotypen, welche über die Diversity-Programme in den Trainingsmaßnahmen, in der medialen Inszenierung einer fairen diversen Belegschaft und in der Unternehmenskultur aktualisiert werden, sind als Relevanzen beschreibbar, die außerhalb des Aktionsradius von einzelnen Individuen liegen. Mit einer auf die Organisationsstrukturen kontextualisierten Perspektive ging die vorliegende Studie bereits über eine reine und strikte Interaktionsanalyse der Relevanzerzeugungen hinaus. Ich fokussierte auch auf Relevanzen und Vorgaben des organisierten Sozialsystems, die ambivalente Erwartungen an die Stelleninhaber richten. Ich sehe den wesentlichen Vorteil einer detaillierten und prozesshaften Interaktionsanalyse darin, dass die Praktiken der Teilnehmer nicht im deterministischen Sinne in Abhängigkeit von formalisierten Strukturen analysiert werden, sondern in ihrer eigentümlichen Dynamik der Interaktion, in der Personenmerkmale nicht vollständig verdrängbar sind (Heintz 2003; Luhmann 1975b). Dennoch halte ich es für wesentlich, in weiteren Studien den Forschungsblick auf Strukturen und Erwartungszusammenhänge im organisationalen Kontext zu richten. Zum einen, weil gerade die Relevanz der nationalen Herkunft in der Interaktion stark durch den Kontext bedingt wird. Zum anderen wird durch die Strukturanalyse deutlich, wie ein partikularer Unterschied in eine Hierarchie des Besser-oder-Schlechter überführt wird. Obgleich zwar die Hervorbringungen der sozialen Ungleichheit erst in den Interaktionen durch den permanent vollzogenen Sprachwechsel erzeugt wird, ist dieser Wechsel und die globalisierten Arbeitsstrukturen in der Strukturentscheidung der Organisation verankert. Zudem erscheint es mir sinnvoll, für weitere Forschungen zur nationalen Herkunft – das gilt aber genauso für Ethnie, Geschlecht und Klasse – die Prozesse der Kategorisierung von der Relevanzerzeugung in der Interaktion zu trennen. Außerdem gilt es, diese von der Transformation in soziale Ungleichheit analytisch zu unterscheiden und hierbei den Blick auch auf organisationale Regelungen, also den Kontext zu richten. Empirisch hat die Studie die verschiedenen Prozesse unterschieden und gezeigt, wie es hierbei zu Verschiebungen kommt. Es ist gerade nicht so, dass die visuelle nationale Differenzierung Ungleichheit erzeugt. Es ist auch nicht so, dass durch nationale Differenzierung von Organisationsmitgliedern kulturelle Unterschiede relevant werden. Vielmehr markiert eine

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226 | Diversity in Action distinktive nationale Unterscheidung den Status einer bestimmten nationalen Gruppe, den der Amerikaner. Strukturentscheidungen bringen das partikulare Merkmal der verschiedenen Sprachkompetenzen in eine Hierarchie des Besser-oder-Schlechter mit asymmetrischen Ausgangslagen für die beteiligten Mitarbeiter. West und Fenstermaker (2001) sehen den Kern von sozialer Ungleichheit in der »ständigen Hervorbringung« von Ethnie, Klasse und Geschlecht. Und in der Tat steht die Differenzierung – also das Sortieren von Menschen in verschiedene Gruppen – in einem direkten und engen Wechselverhältnis mit der Entstehung von sozialer Ungleichheit. Dies haben eindrücklich die kultursoziologischen Studien von Bourdieu (z.B.: 1982) gezeigt. Dennoch ist es nicht die Differenz an sich, die soziale Ungleichheit erzeugt. Die Bedingungen für die Transformation der Differenz in soziale Ungleichheit sind im vorliegenden Fall in den Strukturentscheidungen des organisationalen Sozialsystems verankert, obgleich sie immer wieder in der Interaktion hervorgebracht werden. Um die Muster der Übersetzung zu untersuchen und herauszufinden, in welchen sozialen Systemen sie stattfinden, ist es wesentlich, die Prozesse der Differenzierung und Transformation analytisch zu unterscheiden – und dort, wo sie verwoben sind, die Form der Differenzierung zu analysieren. In dem von mir beschriebenen Fall wurde nationale Differenz distinktiv und damit asymmetrisch gezogen. Andere Formen eines asymmetrischen Unterscheidungsmusters, in dem eine Seite zur Dominierenden und die andere zur Inferioren wird, sind beispielsweise Diskriminierung, Stigmatisierung und Segregation (Hirschauer 1993; Kößler/Schiel 1995). Kategorisierung und Relevanz analytisch und empirisch zu trennen, ist bereits in der Omnirelevanzdebatte von Geschlecht diskutiert und theoretisch wie empirisch überzeugend plausibilisiert worden (1.1). Dennoch proklamieren Fenstermaker und West (2001) weiterhin die potentielle Omnirelevanz von Geschlecht, Klasse und Ethnie. Mir ist dies wenig plausibel, insbesondere dann, wenn man sich einem Forschungsprogramm verpflichtet, das wenig theoretische Annahmen macht, um desto mehr empirisch beantworten zu können. So zeigt denn auch meine Studie für die Kategorie der nationalen Herkunft, dass es sinnvoll ist, keine Omnirelevanz anzunehmen. Studien, die aus einer ethnomethodologischen Perspektive allein Kategorisierungsprozesse analysieren, sind seltener. Prominent sind hier die Arbeiten von Kessler und McKenna (1977), die grundlegende Muster der Geschlechtsattribution erforschten. Hilfreich wäre es, solche Studien für andere Kategorien auch durchzuführen, um deren spezifische Attributionsprämissen herauszuarbeiten. Meine Studie hat das Alltagsdenken rekonstruiert, das mit der Zuweisung von nationaler Herkunft verbunden ist. Es handelt sich um eine omniakustische Kategorie, die stark kontextabhängig ist. Weiterführende Forschungen könnten ermitteln, wieviel Kontext-

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wissen benötigt wird, um Personen national oder ethnisch zu attribuieren. Denn gerade vor dem Hintergrund der Diversity-Programme, die Mitgliedschaften als gleichrangig und unabhängig behandeln, ist es wichtig, die Kategorien und ihre Wechselwirkung untereinander zu erforschen.

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Die Neuerscheinungen dieser Reihe:

Michael Helmbrecht Erosion des »Sozialkapitals«? Eine kritische Diskussion der Thesen Robert D. Putnams Oktober 2005, ca. 100 Seiten, kart., ca. 13,80 €, ISBN: 3-89942-358-5

Gudrun Quenzel Konstruktionen von Europa Die europäische Identität und die Kulturpolitik der Europäischen Union September 2005, ca. 240 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 3-89942-414-X

Nicole Grothe InnenStadtAktion – Kunst oder Politik? Künstlerische Praxis in der neoliberalen Stadt

Georg Glasze, Robert Pütz, Manfred Rolfes (Hg.) Diskurs – Stadt – Kriminalität Städtische (Un-)Sicherheiten aus der Perspektive von Stadtforschung und Kritischer Kriminalgeographie September 2005, ca. 250 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN: 3-89942-408-5

Armin Stickler Nichtregierungsorganisationen, soziale Bewegungen und Global Governance Eine kritische Bestandsaufnahme August 2005, ca. 420 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 3-89942-407-7

September 2005, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 25,80 €, ISBN: 3-89942-413-1

Rudolf Stichweh Inklusion und Exklusion Studien zur Gesellschaftstheorie

Heike Hartung (Hg.) Alter und Geschlecht Repräsentationen, Geschichten und Theorien des Alter(n)s

August 2005, ca. 224 Seiten, kart., ca. 23,80 €, ISBN: 3-89942-390-9

September 2005, ca. 300 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN: 3-89942-349-6

Sabine Brombach, Bettina Wahrig (Hg.) LebensBilder Leben und Subjektivität in neueren Ansätzen der Gender Studies August 2005, ca. 250 Seiten, kart., zahl. z.T. farbige Abb., ca. 26,00 €, ISBN: 3-89942-334-8

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

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Die Neuerscheinungen dieser Reihe: Anja Frohnen Diversity in Action Multinationalität in globalen Unternehmen am Beispiel Ford

Gerald Willms Scientology Kulturbeobachtungen jenseits der Devianz

Oktober 2005, ca. 240 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 3-89942-377-1

März 2005, 422 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 3-89942-330-5

Marcus Termeer Verkörperungen des Waldes Eine Körper-, Geschlechterund Herrschaftsgeschichte

Matthias Groß, Holger Hoffmann-Riem, Wolfgang Krohn Realexperimente Ökologische Gestaltungsprozesse in der Wissensgesellschaft

Juli 2005, 646 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN: 3-89942-388-7

Christoph Wulf Zur Genese des Sozialen Mimesis, Performativität, Ritual

Juni 2005, 236 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 3-89942-304-6

Juli 2005, 178 Seiten, kart., 17,80 €, ISBN: 3-89942-415-8

Peter Fuchs Konturen der Modernität Systemtheoretische Essays II. hrsg. von Marie-Christin Fuchs

Angela Schwarz (Hg.) Der Park in der Metropole Urbanes Wachstum und städtische Parks im 19. Jahrhundert

Juni 2005, 196 Seiten, kart., 21,80 €, ISBN: 3-89942-335-6

Juli 2005, 224 Seiten, kart., zahlr. Abb., 23,80 €, ISBN: 3-89942-306-2

Barbara Christophe Metamorphosen des Leviathan in einer post-sozialistischen Gesellschaft Georgiens Provinz zwischen Fassaden der Anarchie und regulativer Allmacht Juni 2005, 264 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-323-2

Hannelore Bublitz In der Zerstreuung organisiert Paradoxien und Phantasmen der Massenkultur Mai 2005, 172 Seiten, kart., 17,80 €, ISBN: 3-89942-195-7

Helmut König, Manfred Sicking (Hg.) Gehört die Türkei zu Europa? Wegweisungen für ein Europa am Scheideweg März 2005, 222 Seiten, kart., 22,80 €, ISBN: 3-89942-328-3

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Die Neuerscheinungen dieser Reihe: Michael Guggenheim Organisierte Umwelt Umweltdienstleistungsfirmen zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik März 2005, 338 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 3-89942-296-1

Thomas Kunz Der Sicherheitsdiskurs Die Innere Sicherheitspolitik und ihre Kritik Februar 2005, 422 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 3-89942-293-7

Uwe Lewitzky Kunst für alle? Kunst im öffentlichen Raum zwischen Partizipation, Intervention und Neuer Urbanität Januar 2005, 138 Seiten, kart., 14,80 €, ISBN: 3-89942-285-6

Jacqueline Holzer Linguistische Anthropologie Eine Rekonstruktion Januar 2005, 322 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 3-89942-301-1

Karl H. Hörning, Julia Reuter (Hg.) Doing Culture Neue Positionen zum Verhältnis von Kultur und sozialer Praxis

Frankfurter Arbeitskreis für politische Theorie & Philosophie (Hg.) Autonomie und Heteronomie der Politik Politisches Denken zwischen Post-Marxismus und Poststrukturalismus 2004, 206 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 3-89942-262-7

Johannes Glückler Reputationsnetze Zur Internationalisierung von Unternehmensberatern. Eine relationale Theorie 2004, 306 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 3-89942-265-1

Jan Kruse Arbeit und Ambivalenz Die Professionalisierung Sozialer und Informatisierter Arbeit 2004, 370 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 3-89942-230-9

Gabriele Klein (Hg.) Bewegung Sozial- und kulturwissenschaftliche Konzepte 2004, 306 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-199-X

2004, 264 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-243-0

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