Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht: Werkstattgespräch aus Anlaß des 60. Geburtstages von Prof. Dr. Eberhard Schmidt-Aßmann [1 ed.] 9783428496969, 9783428096961

Die Verwaltungsrechtswissenschaft hat sich in den letzten Jahren in einem Maße als entwicklungsoffen und innovationsfreu

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German Pages 190 Year 1999

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Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht: Werkstattgespräch aus Anlaß des 60. Geburtstages von Prof. Dr. Eberhard Schmidt-Aßmann [1 ed.]
 9783428496969, 9783428096961

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Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht

DIE VERWALTUNG Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaften

Herausgegeben von Wilfried Berg, Stefan Fisch Walter Schmitt Glaeser, Friedrich Schoch Helmuth Schulze-Fielitz

Beiheft 2

Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht

Werkstattgespräch aus Anlaß des 60. Geburtstages von

Prof. Dr. Eberhard Schmidt-Aßmann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme [Die Verwaltung I Beiheft] Die Verwaltung: Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaften. Beiheft. - Berlin : Duncker und Humblot Fortlaufende Beil. zu: Die Verwaltung ISSN 0946-1892

2. Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht. - 1999 Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht / Werkstattgespräch aus Anlaß des 60. Geburtstages von Prof. Dr. Eberhard Schrnidt-Aßmann.Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Die Verwaltung: Beiheft; 2) ISBN 3-428-09696-7

Alle Rechte, auch die de~. auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Ubersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübemahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0946-1892 ISBN 3-428-09696-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §

Inhaltsverzeichnis I. Leitmotive der Verwaltungsrechtswissenschaft

Hans-Heinrich Trute Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht: Einige Leitmotive zum Werkstattgespräch ......................... .................. .............. .... ..............

9

Hans Christian Rähl Verwaltungsverantwortung als dogmatischer Begriff? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

Thomas Groß Die Beziehungen zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen Verwaltungsrecht .........................................................................

57

n. Sozialwissenschaften im Verwaltungsrecht Wollgang Hoffmann-Riem Sozialwissenschaften im Verwaltungsrecht: Kommunikation in einer multidisziplinären Scientific Community .................................................

83

Gunnar Folke Schuppert Schlüsselbegriffe der Perspektivenverklammerung von Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaft ......................................................... 103

Walter Krebs Sozialwissenschaften im Verwaltungsrecht: Integration oder Multiperspektivität .............................................................................. 127

m. Internationalisierung des Verwaltungsrechts Friedrich Schoch Die Europäisierung des Allgemeinen Verwaltungsrechts und der Verwaltungsrechtswissenschaft ................................................................ 135

lnJ1altsverzeichrris

6

Irena Lipowicz Rechtsvergleichende Perspektiven der Verwaltungsrechtswissenschaft ........ 155

Reiner Schmidt Die Internationalisierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts ................... 165

Iv. Schlußwort

Eberhard Schmidt-Aßmann Einige Überlegungen zum Thema: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht ... 177

Verzeichrris der Mitarbeiter.. . . .. . . . . .. . . .. . . . . . . . . .. . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. 189

I. Leitmotive der Verwaltungsrechtswissenschaft

Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht: Einige Leitmotive zum Werkstattgespräch Von Hans-Heinrich Trute, Dresden Mit dem Thema des Werkstattgespräches wird eine Reflexion angestrebt, die auf unterschiedliche Akzente der Themenstellung bezogen werden kann: Verwaltung - Recht - Wissenschaft. Beabsichtigt ist eine Diskussion der veränderten Aufgaben und Handlungsbedingungen der öffentlichen Verwaltung, ihrer Konsequenzen für das Verwaltungsrecht und die Konzeption der Verwaltungsrechtswissenschaft. Die Verselbständigung gesellschaftlicher Teilsysteme und die begrenzten Ressourcen staatlicher Steuerung bedingen Herausforderungen für den Steuerungsansatz des Verwaltungsrechts ebenso wie für die Verwaltung, die unter veränderten Handlungsbedingungen arbeitet. Die europäische Integration wie auch die Globalisierung von Handlungszusammenhängen verändern ebenfalls die Steuerung der Verwaltung, ihre Rolle und Instrumente, aber auch die Grunddogmen des Verwaltungsrechts und begründen andere Erkenntnisinteressen der Verwaltungsrechtswissenschaft, möglicherweise auch andere Formen von Wissenschaft (und Ausbildung)!. Das Werkstattsgespräch soll dazu dienen, einige dieser Aspekte zu beleuchten. Es soll vor allem zur Diskussion anregen, weniger aber fertige Konzepte vorstellen.

I. Formen zwischen Hierarchie und Kooperation

Eine dominante Entwicklungslinie der gegenwärtigen Diskussion um Verwaltung und Verwaltungsrecht ist es, den Raum neu zu vermessen, der zwischen dem Kern hierarchisch administrativer Verwaltung und dem traditionellen Bereich gesellschaftlicher Selbstorganisation im Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung angesiedelt ist 2 • Ein Rückblick auf die steuerungsorientierte Debatte um die Leistungsfähigkeit von Recht zeigt eine Dazu im Hinblick auf die Europäisierung Schoch, in diesem Heft, S. 135 ff. Zu Recht Wahl, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 301 (319). 1

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Verlagerung der Erkenntnisinteressen der Wissenschaft - und zwar im durchaus intensiven Gespräch von Politikwissenschaft, Soziologie, Ökonomie und Rechtswissenschaft - vom Steuerungssubjekt Staat und seiner internen Verfaßtheit hin zu den Instrumenten rechtlicher Steuerung und den zu steuernden Sozialbereichen, ihren institutionellen Grundstrukturen und den ihnen angemessenen rechtlichen Instrumenten. Die Diskussion um veränderte Handlungsformen des Staates, über informale und kooperative Formen der Steuerung und die Prozeduralisierung des Rechts kann in diesem Kontext verortet werden 3 . Die Veränderung der staatlichen Steuerung hat ihren Grund nicht zuletzt in der funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft in Subsysteme mit je eigenen Handlungsrationalitäten und institutionellen Strukturen, an denen klassische Formen der Steuerung auflaufen oder doch zumindest suboptimal erscheinen. Diese Veränderungen wirken nicht nur auf eine Dogmatik des Organisationsrechts zurück, sondern erfassen auch die übrigen Elemente der verwaltungsrechtlichen Systembildung, das Verfahrensrecht, die Handlungsformen, die Maßstäbe und in den Grundlagen Annahmen zur rechtlichen Steuerung der Verwaltung überhaupt4 . In ihrer Perspektive zielt die Neuvermessung der Zwischenformen auf eine veränderte Architektur von Staatlichkeit5 . Diese Veränderungen werden derzeit vor allem unter den Begriffen von staatlicher Verantwortung6 , Verantwortungsteilungen von staatlichen und privaten Akteuren, staatlicher Steuerung und gesellschaftlicher Selbstregulierung diskutiert 7 • Der Staat, vor allem die öffentliche Verwaltung erscheint eingebunden in vielfältige Verbundbeziehungen mit privaten Akteuren. Erst in dem Zusammenspiel von Staat und privaten Akteuren werden die Gemeinwohlziele verwirklicht. In den Vordergrund treten damit die Regelungsstrukturen dieses Verbundes. Wie - so läßt sich dann fragen - werden die ursprünglich an die Verwaltung adressierten normativen Gemeinwohlbindungen, die institutionellen Arrangements ihrer Sicherung in den komplexen Regelungsstrukturen des Zusammenspiels von staatlichen und privaten Akteuren gesichert? Der Zurücknahme staatlicher Verantwortungen entspricht eine Veränderung staatlicher Steuerung, die auf Zielvorga3 Nachgezeichnet bei Mayntz, in: dies. (Hrsg.), Soziale Dynamik und Politische Steuerung, 1997, S. 263 ff. 4 Der Beitrag von Groß, in diesem Heft, S. 57 ff. reflektiert diese Veränderungen auf der Ebene der Systembildung und plädiert für eine Differenzierung der erkenntnisleitenden Leitbegriffe zur Aufnahme dieser Veränderungen. 5 Dazu Trute, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und "schlankem" Staat: Verantwortungsteilung als Schlüsselbegriff eines sich verändernden Verhältnisses von öffentlichem und privatem Sektor, 1998 (im Erscheinen). 6 Krit. zur zwischen Normativität und Beschreibung changierenden Verwendungsweise dieses Begriffs Röhl, in diesem Heft, S. 33 ff. 7 Vgl. die Beiträge in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und schlankem Staat (FN 5).

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ben ausgerichtet wird, Strukturen institutionalisiert, Organisationen und Verfahren einrichtet und neue Formen von Kontrolle schafft, um etwa durch die Überdetermination privaten Handelns gleichwohl Gemeinwohlziele erreichen zu können, die zuvor durch eigenständige staatliche Aufgabenerfüllung erreicht werden sollten. Nicht zufällig bilden sich die Veränderungen gerade im Verwaltungsorganisationsrecht ab, das, wie Walter Krebs formuliert hat, Erscheinungs- und Verwirklichungsform von Verwaltung schlechthin ist8 . Die Grenzverschiebungen durch Privatisierungen, die Ausdifferenzierung und Pluralisierung der Verwaltung, die Ausbildung von komplexen Netzwerken öffentlicher und privater Akteure, die Veränderungen der binnenorganisatorischen Steuerung, um nur einige der relevanten Aspekte zu nennen, haben Grundannahmen des Organisationsrechts verändert und reflektieren zugleich Veränderungen des Realbereiches 9 • Damit verlagert sich auch das Interesse der Rechtswissenschaft von einzelfallorientierten, auf das Staat-Bürger-Verhältnis bezogenen Dogmenbildungen auf eine eher strukturelle Ebene, auf verfassungsrechtliche Aussagen zur Steuerung gemeinwohlverpflichteter Akteure, auf institutionelle Vorkehrungen zur Sicherung der Gemeinwohlfähigkeit, auf komplexe Regelungsstrukturen, auf Wirkungszusammenhänge, Substitutions- und Ergänzungsverhältnisse zwischen Handlungsmaßstäben, Akteuren, Instituten und Handlungsinstrumenten 10 . Dies hat Folgen für die Verwaltung, das Verwaltungsrecht, aber auch für die Verwaltungsrechtswissenschaft. Der an sich den Kern des Selbstverständnisses ausmachende Bezug auf die Verwaltung als Akteur wird zwar nicht aufgegeben, aber doch sichtbar modifiziert. Werden in komplexen Regelungsstrukturen Private in den Dienst der unmittelbaren Gemeinwohlverwirklichung genommen, dann werden diese auch zum Adressaten institutioneller Gemeinwohlbindungen gemacht. Das verändert die Rolle der Verwaltung, die Aufgaben im Zusammenwirken mit privaten Akteuren wahrzunehmen hat, aber auch den Gegenstandsbereich der Verwaltungsrechtswissenschaft. Konsequenterweise verändert sich die Rolle der Zivilrechtsordnung. Neben das Verwaltungsprivatrecht als Rechtsregime öffentlich-rechtlicher Einheiten, die in Privatrechtsform handeln, tritt ein Privatverwaltungsrecht als Recht gemeinwohlverpflichteter privater Akteure, das die GemeinwohlKrebs, in: HdbStR III, § 69 Rdnr. 1. Dazu ausführlich die Beiträge in Schmidt-Aßmann/ Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997. 10 Dazu Trute, DVB11996, S. 950 ff. 8

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aufträge und institutionellen Gemeinwohlsicherungen privater Akteure in komplexen Regelungsstrukturen verarbeitet l l . Die bisherigen Abgrenzungen der Teilrechtsordnungen werden ergänzt durch Auffang- und Substitutionsverhältnisse beider Teilrechtsordnungen 12 . Darin deutet sich möglicherweise eine Relativierung von Systemzäsuren an, wie sie in anderen Rechtsordnungen ohnehin nicht in vergleichbarer Intensität ausgeformt sind und unter dem Druck der Europäisierung auch weiterhin erodieren werden. Akzeptiert man, daß in diesen Zwischenbereichen der Bezug auf die Verwaltung aufgegeben oder doch modifiziert wird, dann leuchtet es auch ein, daß eine Abwendung von dem Begriff der Aufgaben, der Staatsaufgaben und der Verwaltungsaufgaben stattfindet und der Begriff des Gemeinwohls zunehmend zu einer zentralen Begriffskategorie wird 13 . Dieser Begriff wird in dem Maße erforderlich, wie nicht nur der Bezug auf staatliche Aufgaben abnimmt 14 , sondern die Verwirklichung von Aufgaben durch den per se normativ als gemeinwohlverpflichteten Akteur zugunsten der Bindung Privater für eine Aufgabenerfüllung im öffentlichen Interesse zurücktritt. Dahinter stehen weitreichendere Veränderungen des Bildes der Verwaltung und des Verwaltungsrechts, als es zunächst erscheinen mag. Möglicherweise läßt sich dies als eine Hinwendung zu einem Konzept verstehen, in dem weniger der souveräne Staat als abstraktes Zurechnungssubjekt im Vordergrund steht, als vielmehr öffentliche Funktionen, Verfahren, Institutionen etc. 15 , um deren gemeinwohlorientierte Verfassung es geht. Damit würde sich dann eine Annäherung an anglo-amerikanische Vorstellungen zeigen, die im übrigen unter dem Einfluß der Europäischen Integration ohnehin zunehmen dürften 16 . Ungeachtet dessen liegt in dem Gemeinwohlbegriff ein wichtiger Kontaktbegriff zu politik- und sozialwissenschaftlichen Forschungsanliegen, die diesen viel unbefangener aufnehmen und theoretisch ausformulieren 17.

Verwaltungsrechtswissenschaftlieh lassen sich die Veränderungen im übrigen nur über enge Verbindungen zu und Rezeptionsoffenheit gegenüber 11 Vgl. dazu auch Hoffmann-Riem, in diesem Heft, S. 83 ff.; zuvor schon SchmidtAßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 28. 12 Dazu die Beiträge in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann (FN 11). 13 Wahl (FN 2), S. 301 (335 ff.). 14 In diesem Sinne Wahl (FN 2), S. 301 (335). 15 Vgl. dazu die Überlegungen bei Grimm, in: ders., Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, 1987, S. 53 ff., insbes. S. 83. 16 Vgl. dazu auch Hoffmann-Riem, in diesem Heft, S. 83 ff. 17 Vgl. dazu 8,charpf, Games Real Actors Play, Boulder, 1997; Morlok, in: Engel! Morlok (Hrsg.) Offentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, 1998,

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den Ergebnissen anderer Wissenschaften verarbeiten. In funktionaler Perspektive wird nach der Leistungsfähigkeit bestimmter institutioneller Formen zu fragen sein; die Antworten lassen sich kaum ohne Rückgriff auf sozialwissenschaftliche und ökonomische Erkenntnisse formulieren 18 . Nicht umsonst ist daher die gegenwärtige steuerungs orientierte Debatte durch ein hohes Maß an Interdisziplinarität gekennzeichnet 19 • In der Selbstverständlichkeit der Grenzüberschreitungen liegt eine begrüßenswerte Öffnung der Verwaltungsrechtswissenschaft. Diese Selbstverständlichkeit verlangt indes auch Reflexionen über das Selbstverständnis der Rechtswissenschaft, die ihren normativen Charakter nicht aufgeben kann, ohne ihren Kern zu tangieren.

ll. Verwaltungsrechtswissenschaft - Sozialwissenschaft - Methodik 1. Rezeptionsoffenheit der Verwaltungsrechtswissenschaft

Unbefangener Beobachtung erscheinen interdisziplinäre Grenzüberschreitungen der Rechtswissenschaft zu ihren traditionellen Nachbarwissenschaften, insbesondere auch zu den Sozialwissenschaften, mittlerweile als selbstverständlich2o . Rechtswissenschaftliche Theorienbildung ebenso wie die Rechtspraxis verwenden mit einer gewissen Unbefangenheit nachbarwissenschaftliche Erkenntnisse. Zumal das Öffentliche Recht, insbesondere aber das Verwaltungsrecht, ist in vielfältiger Weise mit den Theoriebeständen anderer Wissenschaften verbunden, traditionell natürlich über das, was mit Verwaltungslehre unzureichend bezeichnet ise 1 . Für diese Verbindung spricht schon der Akteur, die Verwaltung, deren Konstitution, Organisation und Handlungsbedingungen ohne Rückgriff auf Politikwissenschaft, Organisationstheorie, Institutionenökonomik, Managementtheorien kaum angemessen rechtswissenschaftlich reflektiert werden kann. Seine ambivalente Stellung zwischen Politik und Recht verhindert insoweit eine einseitig normative Ausrichtung; eine Multiperspektivität des Zugangs liegt hier besonders nahe. Neuere Referenzgebiete des Verwaltungsrechts sind zudem in besonderer Weise durch die Rezeption von Wissensbeständen der Nachbarwissenschaften in einem Maß gekennzeichnet, die den traditionellen Rechtsgebieten des Besonderen Verwaltungsrechts nicht eigen waren. Das Umwelt- und TechZur Notwendigkeit einer Regulierungstheorie vgl. Trute (FN 5). Dazu Schuppert, in diesem Heft, S. 103 ff. 20 Dazu jüngst instruktiv Engel, Rechtswissenschaft als angewandte Sozialwissenschaft, Preprints aus der Max-Planck-Projektgruppe "Recht der Gemeinschaftsgüter" 1998/1. 21 Dazu Schuppert, in diesem Heft, S. 103 ff. 18 19

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nikrecht, das Wissenschaftsrecht, das Informationsrecht, das Sozialrecht, das Medizinrecht und - früher schon - das Planungsrecht stehen exemplarisch für diese Entwicklung. Sichtbar wird damit eine Grenzüberschreitung, die die bisherigen Felder der Rezeption deutlich überschreitet. Nicht mehr nur Sozialwissenschaften, Ökonomie und Philosophie, sondern ebenso Medizin, Naturwissenschaften, Betriebswirtschaft, Informatik und Medienwissenschaften werden zu Rezeptionsfeldern rechtswissenschaftlicher Theoriebildung. Damit erscheint das Bild einer rezeptionsoffenen Rechtswissenschaft, das sich von den unfruchtbaren Frontstellungen früherer Jahre deutlich und positiv abhebt. Sowohl die Grundlagenfragen einer Steuerung durch Recht wie auch die Aufnahme der Strukturen des Regelungsbereichs der Normen werden in einen intensiven Rekurs auf Nachbarwissenschaften und teilweise auch in interdisziplinärer Forschung aufgenommen und entwickelt. Indes mögen gleichwohl Fragen formuliert werden, die dem Bild nicht eigentlich widerstreiten, aber immerhin Anschlußprobleme thematisieren. Rezeptionsoffenheit in einem pluralen wissenschaftlichen Diskurs ist das eine, sichert aber noch nicht das Spezifische der eigenen wissenschaftlichen Fragestellung und Methode. Man kann auf Georg Jellinek, earl Schmitt, Hermann Heller, Hans-Julius Wolff, Gustav Radbruch, Herbert Krüger oder Ernst Forsthoffverweisen und deren Beitrag zur gesellschaftlichen Wissensproduktion thematisieren22 • Man wird aber auch fragen können, ob der heutige rechtswissenschaftliche Diskurs nicht nur rezeptionsoffen, sondern seinerseits für andere Wissenschaften anschlußfähig ist. Werden rechtswissenschaftliche Forschungsfragen so formuliert, daß die Anschlußfähigkeit eigener Erkenntnis für Nachbarwissenschaften befördert wird, läßt sich insoweit von einer eigenständigen Theoriebildung sprechen oder führt die Parzellierung in Teildisziplinen der Rechtstheorie, Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik nicht eher zu einer Entkoppelung von Theorie und Dogmatik, die den Ansprüchen im multidisziplinären Kontext widerstreitet? Wenn nicht alles täuscht, zeigen sich hier Defizite, die auch etwas über das Selbstverständnis der Disziplin oder von Teildisziplinen aussagen und möglicherweise zudem Spätfolgen früherer unfruchtbarer Frontstellungen sind. So mag die Perspektive eines Rückzuges in die Zitadelle des Rechts, die von den Nachbarwissenschaften nur belagert wird, auch zu einer gewissen Introvertiertheit der rechtswissenschaftlichen Fragestellungen geführt haben, die die Anschlußfähigkeit in beiden Richtungen eher behindert hat. Ungeachtet dessen stellt die beobachtbare Rezeptionsoffenheit Fragen nach einer entsprechenden Konzeption der Rechtswissenschaft, der Verar-

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Dazu Hoffmann-Riem, in diesem Heft, S. 83 ff.

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beitung von Theoriebeständen anderer Wissenschaften in der Dogmatik und entsprechenden methodischen Konzepten 23 .

2. Anfragen an eine steuerungsorientierte Verwaltungsrechtswissenschaft

Es gehört mehr oder weniger zum Konsens der Reformüberlegungen, Verwaltungsrechtswissenschaft in einer steuerungs orientierten Perspektive zu entwickeln. Dabei fließen allgemeine Überlegungen zum Konzept der Verwaltungsrechtswissenschaft, methodische Voraussetzungen wie auch Verbindungen zu den Nachbarwissenschaften ein. Gerade diese Perspektive mag sich daher als Folie zur Formulierung weiterer Fragen eignen, die das Verständnis des Akteurs und der Verwaltung ebenso betreffen wie methodische Vorentscheidungen, die mit der steuerungs orientierten Perspektive verbunden sein können.

a) Gestaltungs/unktion der Verwaltung zwischen rechtlicher Fremd- und Eigensteuerung: Steuerungstheoretische Konzeptionen des Rechts sind älter, als es gegenwärtige Diskussionen um eine steuerungsorientierte Rechtswissenschaft erkennen lassen. Insbesondere im Umkreis des Kritischen Rationalismus ist Recht stets auf die Problematik sozialer Steuerung ausgerichtet worden 2\ freilich vor dem Hintergrund heute etwas angejahrter Vorstellungen einer Einheit der Wissenschaften, die die zugrundeliegenden Probleme im Lichte der Pluralisierung der Erkenntnisperspektiven heute eher unzureichend beleuchtet. Demgegenüber ist die gegenwärtige steuerungsorientierte Diskussion deutlich weniger von Grundkonzeptionen der (Rechts-)Wissenschaft als Sozialtechnologie, denn von der allgemeinen Diskussion um die Möglichkeit politischer Steuerung geprägt25, die eher durch die Ergebnisse der Implementationsforschung und durch systemtheoretisch motivierte Skepsis an gesellschaftlicher Steuerung angeregt ist. Dabei hatte die ältere, stark wissenschaftstheoretisch und methodisch orientierte Debatte sehr wohl eine Folie für eine Diskussion der unterschiedlichen Ansätze und aus ihnen folgenden Konzeptionen von (Verwaltungs-)Rechtswissenschaft geboten 26 . Ausgehend von einer steuerungsorientierten Perspektive mag man fragen, worauf die Erkenntnisinteressen gerichtet sind, auf die Steuerung der 23 Dazu auch Engel (FN 20); Morlok (FN 17), S. 1, insbes. S. 25 ff. 24 Albert, Traktat über rationale Praxis, 1978; ders., in: Jahrbuch für Rechtstheorie und Rechtssoziologie, 1972, hier zitiert nach ders., Konstruktion und Kritik, 2. Auf!. 1975, S. 221 ff.; Harenburg, Die Rechtsdogmatik zwischen Wissenschaft und Praxis, 1986; der Sache nach auch Engel (FN 20). 25 Dazu bei Mayntz, in: dies. (Hrsg.), Soziale Dynamik und politische Steuerung, 1997, S. 263 ff. 26 Dazu ausführlich Harenburg (FN 24).

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Verwaltung durch den Gesetzgeber vermittels des Verwaltungsrechts oder - weitergehend - auf die Steuerung des Verhaltens auch anderer Akteure, vielleicht bestimmter sozialer Teilsysteme? In dem grundlegenden Aufsatz von Gunnar Folke Schuppert, der ein Programm umschreibt und zugleich seinerseits ein Beispiel des Brückenschlages zu den sozialwissenschaftlichen Steuerungsüberlegungen darstellt, sind klare Konturen entwickelt, die in der Funktionsbestimmung einer Bereitstellungsfunktion des Verwaltungsrechts zusammenfließen, die aber auch normativanschlußfähig sind und ihr diesbezügliches Zentrum in der Gesetzesbindung der Exekutive hat2 7 • Das Verwaltungsrecht determiniert also vor allem den Akteur Verwaltung, der freilich nach Maßgabe von Recht konstituiert wird, aber nicht allein nach Maßgabe rechtlicher Kriterien arbeitet. Nicht umsonst wird er daher in der Luhmann'schen Systemtheorie nicht dem Rechtssystem, sondern dem politischen System zugerechnet. Die Verwaltung, so heißt es, realisiert Politik und nicht Recht - wenngleich unter dem Vorbehalt, daß jederzeit die Frage aufgeworfen werden kann, ob dies rechtmäßig oder unrechtmäßig geschieht. Aber mit dieser Frage wechselt die Kommunikation ihre Systemreferenz 28 • Sicher ist diese Position zu eng, da die Verwaltung mindestens insoweit dem Rechtssystem zurechenbar ist, als sie selber Normativakte setzt. Insoweit wird in der Auseinandersetzung mit der Position von Niklas Luhmann durchaus zu Recht betont, daß die Organisation der Verwaltung nicht nur am politischen System teilnimmt, sondern auch an anderen Funktionsbereichen der Gesellschaft, und zwar an Politik, Wirtschaft und Recht 29 . Dann aber liegt es nahe, von einer Gestaltungsfunktion der Verwaltung auszugehen, für die rechtliche Prämissen des Handeins ebenso wie rechtliche Instrumente nur ein Teil sind. Dies ist im übrigen kaum neu und zumal der verwaltungswissenschaftlich informierten Rechtswissenschaft immer gegenwärtig gewesen 30 . Wohl aber schränkt es eine steuerungsorientierte Perspektive ein. Organisationen verarbeiten Impulse ihrer Umwelt nach Maßgabe ihrer eigenen Strukturen. Sie entwickeln aufgrund ihrer internen Eigenlogik eine Selektivität, die dazu führt, daß externe Impulse und damit auch rechtliche Anforderungen nach den internen Strukturbedingungen und Relevanzkri-

27 Schuppert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.),Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 65 ff. 28 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1995, S. 431. 29 Vgl. Dammann, in: Dammann/Grunow I Japp (Hrsg.), Die Verwaltung des politischen Systems, 1994, S. 143 (151 ff.). 30 Vgl. nur Wahl (FN 2), S. 301 (315 ff.) am Beispiel von Organisation; ders., in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (FN 27), S. 177 ff.; Ellwein, Das Dilemma der Verwaltung, 1994, S. 45 f.

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terien verarbeitet werden 31 . Dies setzt einem instrumentellen Verständnis von Organisation und damit auch von Verwaltungsorganisation Grenzen. Die Betonung der Eigenständigkeit der Organisation eröffnet den Blick dafür, daß auch das materielle Recht nur nach Maßgabe der binnenorganisatorischen Struktur umgesetzt wird. In diesem Sinne wird nach Maßgabe des Organisationsrechts nur die Anwendung materiellen Rechts bewirkt; der organisationsinterne Entscheidungsprozeß ist zudem von weiteren Ressourcen und Strukturen abhängig, wie etwa Ausbildung und Orientierung des Personals, Sachmittel, finanzielle Ressourcen und Zeitbudget. Dies hat Rückwirkungen auf das Verständnis von Gesetzesbindung. Das Modell subsumtiven Vollzugs ist nicht nur methodisch 32 , sondern auch aus organisationstheoretischer Perspektive unzulänglich. Das Ergebnis der Rechtskonkretisierung wird durch die Handlungs- und Entscheidungsbedingungen der Verwaltungsorganisation beeinflußt. Nimmt man die Abhängigkeit von Ressourcen und anderen Faktoren als Bedingung organisatorischer Entscheidungs bildung ernst, dann werden die verwaltungseigenen Programme, Konzepte und Leitbilder als Eigensteuerung der Verwaltung erkenn- und in ihrer Bedeutung für ein realistisches Verständnis der Gesetzesbindung beurteilbar. Das gilt nicht zuletzt dort, wo das eigentliche Programm der Verwaltung erst im Prozeß der Konkretisierung nicht zuletzt in Zusammenarbeit mit den Adressaten des Verwaltungshandelns gleichsam experimentell hergestellt wird 33 . Wird hier - so ließe sich fragen - durch das Steuerungsparadigma nicht ein zu instrumentalistisches Verständnis von Recht nahegelegt, das angesichts begrenzter Steuerungsfähigkeit der Gesetzgebung in Enttäuschung enden muß?

b) Voraussetzungen und Wirkungen der Verwaltungsentscheidungen als Maßstäbe der Entscheidungsrichtigkeit? Ohne Zweifel sind die Eigenständigkeit der Organisation, ihre Ressourcen und Entscheidungsbedingungen ein Aspekt von Rechtskonkretisierung, ohne daß diese mit den gängigen normativen Instrumenten vollständig erschließbar und, auch nicht notwendig schon als Entscheidungsmaßstäbe rückübersetzbar sind. Darin liegt ein methodisches Problem, das seine Basis freilich in der Funktion und den Handlungsbedingungen der Verwaltung hat. Man mag als Konsequenz hieraus für eine Beschränkung der Rechtswissenschaft auf den eigentlichen normativen Ausschnitt der Handlungsbedingungen der Verwaltung votieren 34 . Der Preis dürfte allerdings darin liegen, daß die Bedingungen der Rechtskonkretisierung nicht zureichend verarbeitet werden 35 .

31 32 33 34

Scharpf, Jahrbuch Staats- und Verwaltungswissenschaft 1987, S. 112 (118). Vgl. dazu sogleich unter 3. Vgl. zum Ganzen Ladeur, Die Verwaltung 26 (1993), S. 137 ff. Dafür letztlich Krebs, in diesem Heft, S. 127 ff.

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Dementsprechend votiert eine steuerungs orientierte Verwaltungsrechtswissenschaft für eine Aufnahme der sozialwissenschaftlichen und ökonomischen Erkenntnisse. Bezogen werden die wissenschaftlichen Untersuchungen in letzter Konsequenz auf die Leistungsfähigkeit rechtlicher Institute und diese Leistungsfähigkeit hat ihren Bezugspunkt in den zu lösenden sozialen Problemen. Es geht also letztlich um soziale Steuerung durch Recht. Versteht man unter Berufung darauf, daß Recht nicht nur Grenzen des HandeIns, sondern auch Aufträge vermittele, Entscheidungsrichtigkeit als Zusammenspiel von Rechtmäßigkeit, Optimalität, Akzeptabilität und Implementierbarkeit3 6 , dann wird die Weite der in diesem Konzept zu verarbeitenden Anliegen und Wirkungen ausgedeutet. Einbezogen werden, um in der Terminologie der betriebswirtschaftlieh orientierten verwaltungswissenschaftlichen Reformdebatte zu sprechen, nicht nur der output, sondern auch das outcome, also die tatsächlichen Auswirkungen der Entscheidungsergebnisse auf das Verhalten Betroffener oder auf das Bewirken von Wirkungen. Damit ist ein anspruchsvolles Programm formuliert. Wie anspruchsvoll zeigt sich, wenn man Überlegungen zur Steuerung und Selbststeuerung in der sozialwissenschaftlichen Diskussion heranzieht, die die Ergebnisse ausführlicher und empirischer Studien zur Steuerung in staatsnahen Sektoren theoretisch auf den Begriff bringen37 . Anknüpfend an die Unterscheidung von Regelungs- und Leistungsstruktur38 wird angedeutet, daß die Leistungsstruktur zwar von der Regelungsstruktur beeinflußt wird und diese sich wiederum auf die Leistungen auswirkt. Damit wird bereits die nicht unerhebliche Entkoppelung von Regelungsstrukturen, Leistungsstrukturen und Ergebnissen deutlich. Auch wenn theoretisch zunächst einmal nichts gegen die Möglichkeit generalisierbarer Zusammenhänge zwischen Leistungsstrukturen und sektoralen Leistungen spricht, so stellen die Autoren fest: "Schwierigkeiten für generalisierbare Aussagen ergeben sich nicht nur (auf Seiten der unabhängigen Variablen) aus der kombinatorischen Vielfalt - und damit der tendenziellen Einmaligkeit - multidimensionaler Strukturkonstellationen, sondern auch (auf Seiten der abhängigen Variablen) aus 35 Dazu, am Beispiel von Organisationen und Organisationsrecht, Trute, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (FN 9), S. 249 ff. 36 Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S. 19 ff. 37 Mayntz/ Scharpf, in: dies., Gesellschaftliche Selbstregulierung und politische Steuerung, 1995, S. 9 ff. 38 Leistungsstrukturen sind danach alle Einrichtungen, die unmittelbar der Erbringung der Leistungen eines Sektors dienen. Mit dem Begriff der Regelungsstruktur sind die Institutionen und Akteurkonstellationen gemeint, in denen die Leistungsstrukturen eines Sektors und die in diesen wirksamen Verhaltensanreize absichtsvoll gestaltet und verändert werden können, einschließlich der dafür verfügbaren Instrumente, aber auch des Rechts; vgl. dazu Mayntz/ Scharpf(FN 37), S. 9 (19).

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der Existenz inkommensurabler Kriterien der Leistungsbeurteilung. " Hinzu kommt, daß es aufgrund der Äquifunktionalität unterschiedlicher institutioneller Arrangements oft schwierig ist, Unterschiede im Leistungsniveau auszumachen 39 • Beide stellen fest, daß ungeachtet des engen Zusammenhangs zwischen Regelungsstruktur und Leistungsstruktur die Leistungsfähigkeit des betreffenden Sektors der gedankliche Fluchtpunkt der Überlegungen bleibe. Wie eigentlich, so würde dann die Frage lauten, verarbeitet die Rechtswissenschaft die sozialwissenschaftlich nur begrenzt verarbeitbare Komplexität und wird damit zugleich der Funktion gerecht, die sie in ihrem anwendungsorientierten Teil der Dogmatik hat? Überlastet die Konzeption einer steuerungsorientierten Verwaltungsrechtswissenschaft das der Rechtswissenschaft Mögliche, wie sieht die kontrollierte Rezeption sozialwissenschaftlicher (aber auch anderer) Wissens ansprüche aus und nach welchen Regeln sind sie in Dogmatik rückzuübersetzen?

3. Methodische Aspekte der Verwaltungsrechtswissenschaft

Rechtsdogmatik hat für die Praxis die Funktion, Kriterien bereitzustellen, die der Praxis überhaupt erst ein Entscheiden und zweitens ein rechtlich begrundbares Entscheiden ermöglichen4o . Für diese Steuerungsfunktion der Dogmatik sind steuerungsorientierte Erkenntnisse nicht unmittelbar relevant, wenn sich die Rechtspraxis wegen der Gesetzesbindung von den Effektivitätsüberlegungen weitgehend entlasten kann und entlasten muß. Indes ist die Entlastungsfunktion natürlich von der zugrunde liegenden Konzeption des Gesetzesbindungspostulates abhängig. Bezieht man die Multifunktionalität der Verwaltung in dem oben genannten Sinne mit ein, wirkt dies naturgemäß auf das Verständnis von Gesetzesbindung zurück. Dann allerdings bedarf es eines entsprechenden methodischen Arsenals, um die Rechtspraxis mit hinreichend verarbeitbaren Erkenntnissen aus dem Bereich anderer Wissenschaften auszustatten. So liegt etwa in dem normtheoretischen und methodischen Modell Friedrich Müllers - man könnte heute formulieren - eine postmoderne Dogmatikkonzeption vor, deren Vorteil es ist, Normen als nicht nur sprachlich, sondern auch durch einen Ausschnitt sozialer Realität geprägt anzusehen: die Rechtsnorm als ein sachgeprägtes Ordnungsmodell41 • Das Normprogramm wird hauptsächlich durch die Sprachdaten, der Normbereich durch den vom Normprogramm bezeichneten (oder in Bezug genommenen) Realitätsausschnitt bestimmt, der mitkonstituierend zur Norm gehört. Demgemäß 39 40

41 2*

Mayntz/ Scharpf(FN 37), S. 9 (18 f.). Harenburg (FN 24), S. 364. Vgl. zum Ganzen Müller, Strukturierende Rechtslehre, '1984.

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wird Normativität auch als strukturierter Vorgang begriffen, der von einem spezifischen Rechtsstab erzeugt wird. Normen werden also arbeitsteilig unter Einbeziehung von Erkenntnisinteressen über die Realität erzeugt. Ziel der normtheoretischen und methodischen Position ist gerade die strukturierte Verarbeitung von empirischen Daten innerhalb eines arbeitsteiligen Rechtskonkretisierungsmodells. Insofern liegt also durchaus ein - im übrigen auch in steuerungsorientierter Absicht formuliertes - Modell von Dogmatik vor, das eine normativ orientierte Verbindung von Sprach- und Realdaten ermöglicht und damit offen ist für eine methodisch reflektierte Integration der Erkenntnisse über die Voraussetzungen und Folgen von Entscheidungen. Allerdings überschreitet ein solches Modell den Rahmen steuerungstheoretischer Konzeptionen, weil es - sprachtheoretisch wohlbegründet - mit der nur begrenzten Determinationskraft von Gesetzen rechnet. Normtexte, die juristisch interessanten Steuerungsgrößen des Gesetzgebers für die Verwaltung, stoßen den Prozeß der Rechtskonkretisierung an, ohne ihn jedoch zu determinieren. Sie "irritieren" die Rechtsanwendung, die damit nicht in einem engeren Sinne Vollzug, sondern Normproduktion ist 42 . Diese ist eingebunden in eine Handlungspraxis der Institution. Vor diesem Hintergrund ginge es also darum, den immanenten Rationalitätsmaßstab juristischer Arbeit an Texten näher aufzuhellen und vor diesem Hintergrund nicht nur das Gesetzesbindungspostulat realistisch zu reformulieren, sondern auch eine steuerungsorientierte Rechtswissenschaft daran auszurichten. Dabei ist - und hier liegen Gemeinsamkeiten mit den obigen Überlegungen zu organisationstheoretischen Grenzen der Steuerungen von Verwaltung - die spezifische Handlungspraxis der Verwaltung zu rekonstruieren, die sich von der des Richters im übrigen durchaus unterscheidet. Die von der Methodik immer wieder vorgenommene Zentrierung der Überlegungen auf die Rechtsprechung verfehlt angesichts auch verfassungsrechtlich unterschiedlicher Funktionen die Rechtspraxis in ihrer Differenziertheit, auch unter methodischen Gesichtspunkten. Dies wird etwa an einem Punkt wie den Abwägungsspielräumen und ihrer gerichtlichen Konkretisierung deutlich, die den Unterschied von (politischer) Gestaltungsfunktion und rechtlicher Konkretisierung im Spannungsfeld von Verwaltung, politischem System und Rechtssystem zu verarbeiten hat und in einem Modell der Fremdsteuerung durch die Gesetzgebung und einer Selbstprogrammierung durch die Exekutive sinnvoll konzipiert werden muß 43 . Die zunehmende Bedeutung von administrativer Selbstprogrammierung durch Pläne, Konzepte, konkretisierende Verwaltungsvorschriften und ähnliches macht die Bedeutung von 42 Vgl. Müller / Christensen/ Sokolowski, Rechtsarbeit und Textarbeit, 1997, S. 32 ff., 127 ff. 43 Vgl. dazu etwa Ladeur, in: Dammann/ Grunow / Japp (FN 29), S. 99 ff.

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Rechtspraxis und die (veränderten) Instrumente der Rationalisierung deutlich. In ihnen schlagen sich die Konventionsbildungen der Rechtspraxis nieder, die mehr oder weniger reflektierte Selbststeuerung der Praxis vor dem Hintergrund legislativer Fremdsteuerung. Im Lichte dessen wäre ein nichtinstrumentelles Steuerungsmodell zu konzipieren und auf die organisationstheoretisch wie auch methodisch nahegelegte Verbindung von Fremd- und Selbststeuerung hin auszulegen.

m. Supra-, Inter- und Transnationalität als Herausforderung Schon früh hat Niklas Luhmann auf das Problem hingewiesen, daß gesellschaftliche Funktionssysteme wie Wirtschaft, Wissenschaft und Kommunikation längst zu einer Weltgesellschaft zusammengewachsen seien, das positive Recht aber weithin als national gesetztes und nur innerhalb territorialer Grenzen geltendes Recht verstanden werde 44 . Er hatte dies mit der Beobachtung verbunden, daß die Erwartungsstrukturen, die jene universell gewordenen Interaktionsfelder kennzeichnen, eher kognitiv als normativ ausgeprägt sind, also auf Lernen gegründet seien und daran die Hypothese eines evolutionären Führungswechsels zwischen den Erwartungsstilen geknüpft45 . Freilich wird das Rechtssystem von dem Prozeß der Globalisierung nicht unberührt bleiben. Auch wenn die These von einem auf der Ebene der Weltgesellschaft operierenden Funktionssystem "Recht" kaum mit der Perspektive von einem einheitlichen Weltrecht verbunden werden kann46 - eine schon angesichts der Binnendifferenzierung in Staaten nicht absehbare Entwicklung47 - , so schließt das eine rechtliche Ordnungsbildung nicht aus. Insoweit verweist die immer wieder diagnostizierte Globalisierung der Handlungszusammenhänge auf die Frage nach dem normativen Ordnungsrahmen dieser Zusammenhänge. Plausibel (und beobachtbar) ist, daß es zu unterschiedlichen Verbindungen von internationalen, supranationalen, nationalen, aber auch gesellschaftlich gebildeten, staatlich anerkannten oder rezipierten Rechts kommen wird. Die These einer Internationalisierung des Rechts - verstanden als Bedeutungszuwachs des Völkerrechts - ist zu undifferenziert. Die notwendige Rechtsangleichung ist auf unterschiedliche Formen und auf unterschiedliche Ebenen angewiesen. Das sich hier ausbildende Netzwerk48 Luhmann, in: ders., Soziologische Aufklärung 2 (1975), S. 51 (55 ff.). Luhmann, ebd., S. 63 46 Dazu auch Lipowicz, in diesem Heft, S. 155 ff. 47 Luhmann (FN 28), S. 582; vgl. auch Röhl, ZfRSoz 17 (1996), S. 1 (3 f.). 48 Vgl. R. Schmidt, in diesem Heft, S. 165 ff.; StolI, ZaöRV 57 (1997), S. 83 ff.; Schneyder, in: Mestmäcker (Hrsg.), Kommunikation ohne Monopole, Bd. II, 1995, 44 45

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ist in seinen Ebenen, Formen und Verknüpfungen noch nicht zureichend beschrieben und wird in seiner Untersuchung durch die erwähnten territorialen Bindungen des Rechts und den damit einhergehenden Perspektiven einer Verwaltungsrechtswissenschaft nicht befördert. Indes ist absehbar, daß sich das Verwaltungsrecht, die Funktion der Verwaltung ebenso wie die Verwaltungsrechtswissenschaft auf die zunehmende Verzahnung von Recht unterschiedlicher Quellen werden einstellen müssen. Zu Recht spricht Matthias Herdegen davon, daß die bisherige Aufspaltung der Rechtsbeziehungen nach Völkerrecht, nationalem Recht, Privatrecht und Öffentlichem Recht unergiebig sei und sich hier Schwächen eines parzellierenden Trennungsdenkens zeigen, an dem die deutsche Rechtswissenschaft stärker als das anglo-amerikanische Rechtsdenken leide 49 • Entscheidend ist hier weniger eine rechtsquellenorientierte, also auf die Ebenen abstellende, als eine an der Steuerungsfunktion von Recht orientierte Perspektive, die den Ordnungsrahmen von vornherein als Zusammenspiel unterschiedlicher Ebenen und Formen konzipieren muß. Rechtswissenschaftlich bedeutet dies auch, sich stärker als bisher der Rechtvergleichung zuzuwenden50 • Aus einleuchtenden Gründen der nationalen Bindung des Öffentlichen Rechts hat sie seit der modernen Staatsbildung in dem Öffentlichen Recht keine dem Privatrecht vergleichbare Aufmerksamkeit gefunden. Indes führt mindestens die Ausbildung des gemeinsamen europäischen Rechtsraumes zu einem neuen und durch die vertikale Integration nicht etwa erübrigten Anwendungsfeld 51 . Gerade die horizontale Verbindung und Verschleifung der europäischen Rechtsordnungen unter einem europäischen Dach führen zu einem normativ folgenreichen Anwendungsfeld der Ausbildung von gemeinsamen Prinzipien eines Europäischen Verwaltungsrechts. Nichts anderes gilt im übrigen für die Internationalisierung. Die vielfältigen grenzüberschreitenden Handlungszusammenhänge, die eingebettet sind in ein Netzwerk von Regulierungen unterschiedlicher Quellen und Formen, machen ebenfalls die intensive Aufnahme der Regulierungsansätze fremder Rechtsordnungen deutlich. Dies führt absehbar nicht nur zu einer Aufwertung der Rechtsvergleichung, sondern auch zur Notwendigkeit, sich der Grundlagen der Rechtsvergleichung und ihrer Spezifika im Öffentlichen Recht zu vergewissern. Eine steuerungsorientierte Perspektive ist hier von vornherein hilfreich, um die Defizite einer gleichsam hermeneutischen Grundlage, wie sie etwa von den-

s. 211 ff.; Grewlich, Konflikt und Ordnung in der globalen Kommunikation, 1997; allgemeiner Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 1995, § 2. 49 Herdegen (FN 48), § 1 Rdnr. 6 50 Dazu Lipowicz, in diesem Heft, S. 155 ff. 51 Vgl. dazu jüngst aus~lich Trantas, Die Anwendung der Rechtsvergleichung bei der Untersuchung des Offentlichen Rechts, 1998, m. ausf. Nachw.

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jenigen gepflegt wird, die sie als eine fünfte Auslegungsmethode ansehen, sichtbar zu machen. Die Rechtsvergleichung ist sinnvoll nur als eine sozialwissenschaftliche zu konzipieren, wenn sie als eine funktionale verstanden werden soll52. Die Erkenntnisse dazu sind freilich, wie die Erfahrung der zivilrechtlich geprägten Vergleichung zeigt, offenbar nicht ermutigend53. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit lassen sich einige Problemebenen der Internationalisierung abschichten 54.

1. Internationale Koordinierung nationaler Rechtsordnungen

Als Ausgangspunkt mag man die klassische Dimension der internationalen Koordinierung nationaler Rechtsordnungen nennen, wie sie geradezu exemplarisch im Internationalen Privatrecht zum Ausdruck kommt. Sie hat für das Öffentliche Recht eine vergleichbare Bedeutung bisher nicht erlangen können, was nicht zuletzt an der territorialen Bindung des Öffentlichen Rechts liegt55. Dabei dürfte die Zahl der Auslandsbeziehungen von Sachverhalten aufgrund der dargelegten internationalen Verflechtung zunehmen, so daß an der Notwendigkeit eines solchen Kollisionsrechts kaum zu zweifeln sein dürfte 56 . Der an sich naheliegende Einwand, daß die internationale Verflechtung der Handlungszusammenhänge kaum die öffentliche Verwaltung als Akteur erfasse, ist indes, wie die Vielzahl der bilateralen und multilateralen Abkommen zeigt, die grenzüberschreitende Verwaltungsvorgänge regeln, ebenso wie die Vielzahl der materiellen Öffnungsklauseln, aus denen sich allgemeine Grundsätze destillieren ließen, zu einfach57 . Die Bestimmung der Reichweite nationalen Rechts, dessen extraterritoriale Anwendung, die Rezeption fremden Rechts oder die Anerkennung der Rechtsfolgen fremden Rechts dürfte zunehmen und zugleich sektorspezifisch zur Relativierung von Systemzäsuren, wie dem des öffentlichen und privaten Rechts beitragen. Manches, was sich als international privatrechtliche Rechtsbeziehungen gibt, verarbeitet gleichwohl gemeinwohlbezogene Anforderungen. 52 In diesem Sinne auch Lipowicz, in diesem Heft, S. 155 (157 ff.). 53 Vgl. dazu Martinek, in: Simon (Hrsg.), Rechtswissenschaft in der Bonner Republik, 1994, S. 529 (546 ff.). 54 Vgl. dazu auch Röhl, ZfRSoz 17 (1996), S. 1 (3 f.). 55 Dazu Vogel, Internationales Verwaltungsrecht, in: Ergänzbares Lexikon des Rechts 4/520. 56 Vgl. dazu die Skizze von Grof, in: Mellinghoff/Trute (Hrsg.), Die Leistungsfähigkeit des Rechts, 1988, S. 303 ff.; Schneyder (FN 48). 57 Vgl. dazu exemplarisch Eichenhofer, Internationales Sozialrecht und Internationales Privatrecht, 1997; ders., Internationales Sozialrecht, 1994; Herdegen (FN 48), § 2 Rdnr. 47 ff.; Schneyder (FN 48).

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Ein Beispiel ist insoweit Art. 26 Abs. 2 EU-Datenschutzrichtlinie, der ermöglicht, durch vertragliche Gestaltung ein angemessenes Datenschutzniveau bei Datenaustauschvorgängen mit Drittstaaten zu sichern, sofern der für die Datenverarbeitung Verantwortliche ausreichende Garantien und Institute zum Schutz der Privatsphäre sicherstellt. Ein Mittel dazu sind Verträge, die derzeit im wesentlichen als international-privatrechtliche Verträge eingestuft werden. Das ist mindestens insoweit zweifelhaft, als ihr Regelungsgehalt deutlich ordnungsrechtliche Elemente aufweist, sie in einen öffentlich-rechtlichen Funktionskontext eingeordnet sind und teilweise sogar, wie etwa der Vertrag von Citicorp. mit der Deutschen Bahn AG und dem Berliner Datenschutzbeauftragten, den Prüfbereich des Berliner Datenschutzbeauftragten auf Datenverarbeitungsvorgänge in den USA erstrecken58 • Die international-privatrechtliche Auffangordnung wirkt hier möglicherweise als Camouflage von Problemen, die sich ansonsten unter Geltung des völkerrechtlichen Souveränitätsprinzips ergeben könnten, ändert der Sache nach aber nichts an der Entwicklung von vertraglichen Standards transnationaler Art mit deutlichen Gemeinwohlbezügen. Infolge der Deregulierung und Privatisierung dürften sich diejenigen Bereiche eines "Privatverwaltungsrechts" ausdehnen, in denen letztlich die Regelungen starker Gemeinschaftsinteressen sozial-, wirtschafts- und umweltpolitischer Art angestrebt werden 59 • Auch hier finden sich also Ansätze zur Ausbildung eines transnationalen Rechts zur Steuerung globalisierter Handlungszusammenhänge jenseits von internationalen Verträgen und nationalen Regelungsakten, aber durchaus nicht unabhängig von ihnen.

2. Supranationalisierung

Die Supranationalisierung, verstanden als Rechtssystem innerhalb dessen Staaten als korporative Akteure in Organisationsformen agieren, denen eine zumindest relative Autonomie gegenüber den nationalen Rechtsordnungen zukommt, ist als Problemdimension gegenwärtig und in ihren Rückwirkungen auf die nationale Rechtsordnung als Gegenstand der Forschung wie der Rechtspraxis gleichsam normalisiert. Das nationale Verwaltungsrecht hat auf die mit der Europäisierung verbundene Veränderung seiner Grundstrukturen zwar verhältnismäßig spät reagiert und ist insofern einem nicht unerheblichen Innovationsschub ausgesetzt. Indes ist dies mit der Entwicklungsperspektive eines europäischen Rechtsraumes als Forschungsperspektive aufgenommen. Die Verwaltung wird in ein neues Geflecht von 58 BIn. DSB, Jahresbericht 1995, S. 20 H., insbes. S. 23; Mac Donald, in: Daley, Privacy and Self-Regulation in the Infonnation Age, U.S. Dept. of Commerce, 1998, Chap. IIIC. 59 Zu Recht in diesem Sinne Martinek (FN 53), S. 529 (6.09 f.).

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Aufgaben und Einflußbeziehungen eingebettet, das Verwaltungsrecht durch neue Grundlagen, Maßstäbe, Organisationsfonnen, Verfahren und Instrumente verändert, aber auch durch eirie neue europäisierte Rechtskontrolle der Verwaltung in ein anderes Kontrollsystem eingefügt. Die Perspektive ist nicht die der Überformung, sondern der Etablierung eines europäischen Rechtsraumes mit eigenen Prinzipien6o • Dies beinhaltet auch die Aufnahme eines horizontalen Kooperationsrechts der nationalen Verwaltungen unter dem Dach der europäischen Rechtsordnung 61 . Am Umweltrecht, dem bevorzugten Exerzierplatz der Europäisierung, aber auch dem Telekommunikationsrecht und dem Wirtschaftsrecht wird dieses horizontale Kooperationsrecht deutlich. Dessen Strukturen und Regelungsansätze, oft als transnationales Recht bezeichnet, finden derzeit noch weniger Aufmerksamkeit. Die Ausbildung koordinierter Verwaltungsverfahren und in ihren Wirkungen nationale Grenzen überschreitende Entscheidungen erfordern enge Verflechtungen auch horizontaler Art. Unübersehbar wird damit ein weiterer Angleichungprozeß in Gang gesetzt, der zugleich intensive Kenntnisse der Rechtsstrukturen der anderen Kooperationspartner erfordert. Damit geht einher die Veränderung der grundlegenden Orientierungen der Verwaltung als Akteur, die mit der vertikalen Integration und horizontalen Kooperation verbunden sind, oder zumindest sein können. Es liegt an sich auf der Hand, daß eine Einbindung der Verwaltung in supra- und transnationale Strukturen die Verwaltung als Akteur verändert, andere Loyalitäten ausgebildet werden und die Verwaltung in andere Steuerungszusammenhänge eingebunden wird. Das mag sogar in horizontalen Kooperationsbereichen eher zu beobachten sein als in der vertikalen Europäisierung. 3. Die Internationalisierung

Die Internationalisierung greift darüber hinaus und ist letztlich eine bekannte, über die Dogmen des Völkerrechts verarbeitete Überformung der nationalen Rechtsordnung, die sich mit der Supranationalisierung teilweise verbindet, teilweise auch separat von ihr zu verarbeiten ist. Sie ist im Ausgangspunkt gewiß ein klassisches Phänomen nationalstaatlich abgeleiteten Rechts, im Grunde ein extrovertiertes staatliches Recht, dessen Bedeutung zunimmt und das verstärkt der Abstimmung mit den nationalen Rechtsordnungen bedarf. So gibt es eine Reihe von Referenzgebieten, wie etwa das Wirtschaftsrecht62 , Lebensmittelrecht 63 , das Urheberrecht und das Tele60

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Dazu Schoch, in diesem Heft, S. 135 ff., m.w.Nachw. Dazu grundlegend Schmidt-Aßmann, EuR 1996, S. 270 ff. R. Schmidt, in diesem Heft, S. 165 ff.; Herdegen (FN 48).

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kommunikationsrecht 6 \ deren Internationalisierung bereits weit vorangeschritten ist und die als Referenzgebiete einer Verzahnung der Rechtsordnungen dienen können. Am Recht der Informationsinfrastrukturen und der Dienste ließe sich allerdings zeigen, daß die Internationalisierung im Sinne der Ausprägung einer völkerrechtlichen Ordnung nur eine begrenzt wirksame Strategie der Ordnungsbildung ist 65 . Es liegt auf der Hand, daß eine internationale Regelbildung um so schwieriger zu erreichen sein wird, je weniger sie sich auf die technischen Aspekte oder gemeinsame Interessen und Wertvorstellungen bezieht66 . Je stärker die nationalen Interessen, die spezifischen Regelungstraditionen und Wertvorstellungen, desto unwahrscheinlicher der notwendige Konsens. Dies begünstigt im übrigen eine Internationalisierung in den Wirtschaftsbeziehungen, die sozial und kulturell nicht abgefedert werden können; angesichts der mit ihnen einhergehenden Folgeprobleme ergeben sich leicht Legitimationsverluste nationaler Politik.

4. Transnationales Recht

Freilich zeigen sich jenseits der Internationalisierung Regulierungsmöglichkeiten, die es wert sind, genauer auf ihre Leistungsfähigkeit untersucht zu werden.

a) Steuerungsimpulse des nationalen und supranationalen Rechts tür eine transnationale Ordnung: Ein Beispiel ist das des europäischen, grenzüberschreitenden Datenschutzes. Im Zeitalter internationaler Kommunikationsnetze und internationaler Datenaustauschvorgänge sind die Schutz- und Gestaltungsnotwendigkeiten ebenfalls internationale; freilich ist - schon aufgrund unterschiedlicher Regelungstraditionen - eine internationale Harmonisierung durch völkerrechtliche Verträge kaum zu erwarten. Der Regulierungsansatz der EU-Datenschutzrichtlinie erweist sich international gesehen insoweit als interessant, als in Art. 25 Abs. 1 eine Drittlandübermittlung von Daten nur bei einem angemessenen Schutzniveau möglich ist 67 •

R. Schmidt, in diesem Heft, S. 165 (169 ff.); Rabe, ZLR 1998, S. 129 ff. Grewlich (FN 48). 65 Insoweit ist die Perspektive von Grewlich (FN 48) zu sehr auf eine neoliberale nichtinstrumentelle wirtschaftsvölkerrechtliche Ordnung ausgerichtet, die die vielfältigen anderen Ordnungsbildungen nicht in den Blick nimmt; vgl. aber Schneyder (FN 48), S. 211 (226 ff.) zur notwendigen Ergänzung durch andere Lösungsmechanismen. 66 Vgl. dazu am Beispiel der Telekommunikation Leggewie, in: Leggewie/Maar (Hrsg.), Internet und Politik, 1998, S. 15 (22 ff.); Röhl, zmsoz 17 (1996), S. 1 (18 ff.). 67 Dazu Dammann/ Simitis, Die EG-Datenschutzrichtlinie, Art. 25 Rdnr. 8 ff.; Gellmann, in: Kahin/Nesson (eds.), Borders in Cyberspace, 1997, S. 255 ff. 63

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Anders als in vielen anderen Regulierungsbereichen hat dies international gesehen Anstrengungen zur Folge gehabt, die jeweiligen nationalen Regelungen dem europäischen Standard anzugleichen, jedenfalls aber sicherzustellen, daß ein spezifisches Schutzniveau erreicht wird, weil die EU ein hinreichend attraktiver Markt ist, der nicht wegen Datenschutzstandards aufgegeben wird68 . Regulierung in international verflochtenen Handlungszusammenhängen ist unter bestimmten Bedingungen also sehr wohl auch mit dem Ziel einer Anhebung von Standards möglich, ohne daß es zu einer internationalen Vereinbarung kommen muß 69 . Dies wird dadurch erleichtert, daß Art. 26 EU-Datenschutzrichtlinie es den an den Datenaustauschvorgängen beteiligten Privaten unter bestimmten Bedingungen überläßt, durch bilaterale (oder multilaterale) Verträge für ihre Datenaustauschvorgänge ein angemessenes Schutzniveau zu sichern. Hier wirkt die (teilweise fälschlich so qualifizierte) private Vereinbarung als Auffangordnung, die ein hohes Maß an Flexibilität ermöglicht und damit auch an sich auf dezentrale Lösungen setzende Rechtsordnungen, wie etwa der amerikanischen, den angemessenen Umgang mit dieser Regulierungsstrategie ermöglicht. Hier werden durch nationale oder supranationale Regelungen extraterritoriale Wirkungen und damit Rechtsangleichungsprozesse angestrebt. Ungeachtet der völkerrechtlichen Begrenzung erweisen sich diese Wirkungen als Bestandteile eines jeden globalen Ordnungsrahmens 70. Schon dies verweist auf weniger bindungsintensivere Strategien, die dezentrale Anpassungen ermöglichen und damit eine - wenn auch vielleicht nicht gleich schutzintensive, so doch aber immerhin eine - Regelung ermöglichen oder doch zumindest eine Ordnungsbildung fördern. Insoweit wird man sich von der Vorstellung einer ausschließlich bindungsintensiven rechtlichen Koordinierung lösen müssen. So setzt etwa die EU auf einen internationalen Dialog unter Einbeziehung ganz unterschiedlicher Akteure, der nicht nur internationale Organisationen, nationale Regierungen, sondern auch gesellschaftliche Akteure wie Selbstorganisationsinstitutionen etwa 68 Vgl. Greenleaf, in: Journal for Computer Mediated Communication Vol. 2 No. 1 (URL http://www.ascusc.org/jcmc); Maxeiner, Freedom of Infonnation and the EUData Protection Directive, 48 Fed. Comm. LJ 93 ff.; Roch, Filling the void of Data Protection in the United States: Following the European Example, 12 Santa Clara Computer & High Tech. 2. J. 71 ff.; Reidenberg, Setting Standards for Fair Infonnation Practice in the U. S. Private Sector, 80 Iowa Law Review, S. 497 ff.; vgl. auch die Beiträge in: US Department of Commerce, Privacy and Self-Regulation in The Information Age, 1997, Chap. 3 C. 69 Dazu allgemein Scharpf, MPIfG Discussion Paper 97/1, S. 19 ff. 70 In diesem Sinne auch Schneyder (FN 48), S. 211 (216 f.); vgl. dazu auch die bei Grewlich (FN 48), S. 142 ff. referierten und gewürdigten Antitrustentscheidungen United States v. MCI und United States v. Sprint sowie die Entscheidungen der Federal Communications Commission in gleicher Sache, die einen sehr nachhaltigen Impuls für die Liberalisierung des deutschen und französischen Telekommunikationsrechts gehabt haben dürften.

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des Internet umfaßt mit dem Ziel, eine internationale Charta für die globale Kommunikation zu verabschieden 71. EIWartbar sein dürfte, daß der Prozeß der Diskussion selber Rechtsangleichungsphänomene auslösen wird und damit zu einem globalen rechtlichen Rahmen - wenn auch begrenzt - beitragen kann.

b) Selbstregulierung als Element eines transnationalen Ordnungsrahmens: Freilich läßt sich auch eine noch weiter von staatlichen Regulierungen entfernte Koordination beobachten, die mit Selbstregulierung als Kompensat fehlender staatlicher Ordnungsbildung umschrieben, oder - weniger staatszentriert formuliert - als eine gesellschaftliche Regelbildung bezeichnet werden kann. Vor dem Hintergrund der Globalisierung, der Ausbildung oder Intensivierung von Handlungszusammenhängen, die die nationalstaatlichen Grenzen und damit den territorialen Wirkungskreis überschreiten, werden Phänomene der Rechtsbildung erkennbar, die durchaus ähnliche Probleme aufwerfen, wie sie unter dem Gesichtspunkt der Gemeinwohlfähigkeit selbstregulativer Mechanismen im nationalen Rechtsbereich erörtert werden. Durch die Deregulierung, die Institutionalisierung weltweiter Kommunikationsinfrastrukturen und Transportnetze, durch die Internationalisierung der Kapital- und Finanzmärkte entstehen Bedürfnisse an rechtlicher Stabilisierung dieser Handlungszusammenhänge wie auch der Vermeidung von Externalitäten, die von den nationalen Rechtsordnungen oft nicht, jedenfalls nicht zureichend, von dem Internationalen Recht mangels Einigungsmöglichkeiten über Ziele und Instrumente nicht erfüllt werden. In diese Lücke treten Selbstregulierungsinstitutionen72 mit unklarem Geltungsanspruch und einer Regelbildung, deren Gemeinwohlfähigkeit schwer einzuschätzen ist. So ist die Standardisierung in der Informationstechnik gekennzeichnet durch eine Internationalisierung, Fragmentierung und Privatisierung, die zu einem Übergang von einer hierarchischen Integration zu einer horizontalen Koordination in einem internationalen Handlungsgeflecht führt 73 . Die ursprüngliche Koordination durch die nationalen Telekommunikationsanbieter (also letztlich über die staatlichen VeIWaltungen) ist mit der Privatisierung und Deregulierung nicht mehr aufrechtzuerhalten, die Verschmelzung von Telekommunikation und Computertechnik führt hier ohnehin zu einer "Privatisierung" und zu einer Veränderung der Standardisierungsprozesse. Daß dieses System einer Kooperation staatlicher und privater Akteure funktioniert, sagt etwas über die Interessenstrukturen des Bereichs aus. 71 Ausführlich Grünbuch der Europäischen Kommission zur Konvergenz der Branchen Telekommunikation, Medien- und Infonnationstechnologie und ihren ordnungspolitischen Auswirkungen KOM (97) 623 endg. 72 In diesem Sinne auch Martinek (FN 53), S. 529 (610). 73 Dazu ausführlich Genschel, Standards in der Infonnationstechnik, 1995.

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Die Interoperabilität der Netze, die Abstimmung der Systemkomponenten und die Integration unterschiedlicher Komponenten sind letztlich ein gemeinsames Interesse, das die Einigung der Marktteilnehmer fördert. Zugleich dürfte durch eine starke kognitive Orientierung der an der Normung beteiligten Wissenschaftler eine Einigung auf gemeinsame Standards begünstigt werden. Freilich sagt dies wenig aus über die Regulierung etwaiger Externalitäten, die Verletzung der Interessenposition von Außenseitern, die Berücksichtigung von Aspekten der Systemsicherheit und von Verbraucherschutzinteressen. Was im nationalen Kontext zu einer internen Pluralisierung und prozeduralen Einbindung von Normungsorganisationen führt 74 , ist in diesem Kontext kaum zu gewährleisten, auch kaum zu erzwingen. Im übrigen dürften die institutionellen Voraussetzungen einer assoziativen Pluralisierung im internationalen Kontext noch voraussetzungvoller sein als im nationalen Kontext. Gleichwohl wird die nationale Rechtsordnung an einer Rezeption gar nicht vorbei können. Europäisches Recht wie nationales Recht nehmen an verschiedenen Stellen auf die Standardisierung nach Maßgabe internationaler Maßstäbe Bezug, eine Rezeptionssperre ist eine normativ mögliche, faktisch aber nicht durchhaltbare Position. Hier bedarf es aus normativer Perspektive einer genaueren Analyse der Regelungsinstitutionen, die bisher vor allem Gegenstand sozialwissenschaftlicher Regulierungsdebatten sind. Der Ordnungsrahmen des Internet - um ein zweites Beispiel zu nennen wird auf vielen Ebenen von Selbstregulierungsinstitutionen geprägt75. Schon traditionell wird die Standardsetzung durch ein elaborierteres, auf die Interessen der Nutzer und deren Partizipation ausgerichtetes Verfahren vorbereitet. Offenheit, Transparanz und ständige, auf Konsens ausgerichtete, in reflexiven Schritten entwickelte Prozeduren sollen für alle akzeptable Nutzungsregulierungen entwickeln. Dabei ist dreierlei bemerkenswert: - Zum einen ist das Selbstverständnis der traditionellen Regelungsinstitutionen darauf ausgerichtet, diese Kommunikationsinfrastruktur als ein öffentliches Gut zu erhalten76 . Dieses Selbstverständnis ist historisch gut begründet, aber auch von der Akzeptanz dieser Position durch diejenigen, die die Netzinfrastruktur finanzieren, getragen und auch abhängig. Die Legitimation der Selbstregulierungsinstitutionen ist aus der Perspektive nationaler Rechtsordnungen gering, allein auf die Akzeptanz der Nutzer und Betroffenen gegründet, also auf eine output-Orientierung ge74 Vgl. zu diesem Konzept Voelzkow, Private Regierungen in der Techniksteuerung, 1995. 75 Trute, VVDStRL 57 (1998), S. 216 (244 ff.). 76 Vgl. dazu die Articles of Incorporation der Internet Society; sowie die Darstellung von Heath, Präsident der Internet Society vor dem U.S. House of Representatives am 30. September 1997.

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gründet, die im nationalen Kontext als Legitimationsinstrument weniger geschätzt wird. - Das Verfahren der Selbstregulierung ist durch ein hohes Maß an Reflexivität und Offenheit geprägt77. Es wird ergänzt durch Mechanismen der Streitschlichtung über Streitigkeiten bei den sog. Domain-Names, die an Institutionen, wie etwa die WIPO delegiert werden, die eigene Verfahren und eine eigenständige Möglichkeit der Berufung eingeführt haben 78. Dies wird zu einer Durchformung und Professionalisierung der Regelbildung beitragen, wie sie seit langem auch bei der lex mercatoria zu beobachten ist. - Die Akzeptanz hängt in hohem Maße auch von der Funktionalität für die Nutzer und im Rückschluß von der Expertise der in der Selbstregulierung Tätigen ab. Entsprechend sehen auch die Streitschlichtungsverfahren oft eine internationale Expertise vor. Dies zeigt wiederum einen eher kognitiven Erwartungsstil an, von dem bereits oben die Rede war. Blickt man auf die Diskussion um die Selbstregelungsfähigkeit des Internet, die vor allem im insofern unbefangener argumentierenden amerikanischen Kontext sich abspielt, dann fällt auf, wie sehr die Diskussion unter dem Gesichtspunkt von Recht und Nicht-Recht, von Due Process, von eigenständigem Rechtsraum geführt wird 79 • Die deutsche Wissenschaft nimmt an dieser Debatte wenig teil. Es mag sein, daß die Trennung von öffentlichem und privatem Recht, von Völker-, Europa- und nationalem Recht, von staatlichem Recht und gesellschaftlichen Regelungen mit dazu beiträgt, daß Gemeinwohlprobleme nicht zureichend wahrgenommen oder bearbeitet werden. Auf Dauer wird die Abstinenz den geschilderten Selbstregulierungsansätzen - für die hier die Internet-Regulierung nur exemplarisch steht - schon deshalb nicht gerecht, weil sie ein Kompensat eines fehlenden oder auch kaum erreichbaren staatlich gesetzten oder vereinbarten Ordnungsrahmens globalisierter Handlungszusammenhänge ist. Es mag freilich zweifelhaft sein, ob man insoweit bereits von einem global law without astate sprechen kann, wie es jüngst Günter Teubner in seinem Entwurf einer Globalen Bukowina mit Blick auf die Rechtsbildungsprozesse der lex mercatoria vorgeschlagen hat 80 • Jedenfalls aber wird man sa77 Vgl. dazu etwa die Guidelines and Procedures der Internet Engineering Task Force, die für die Entwicklung der Standards verantwortlich ist, insbesondere den Internet Standards Process RFC: 2026. 78 Vgl. dazu die WIPO Rules for Administrative Challenge Panel Procedures concerning Internet Domain Names. 79 Vgl. etwa Johnson/ Post, in: Kahin/Nesson (eds.), Borders in Cyberspace, 1997, S. 3 ff.; Reidenberg, ebd., S. 84 ff.; Oberding / Norderhaug, in: Journal for Computer Mediated Communication, Vol. 2 Nr. 1 (URL http://www.ascusc.org/jcmc). 80 Teubner (ed.), Global Law without astate, 1997; ders., Rechtshistorisches Journal15 (1996), S. 255 ff.; dazu auch Röhl, ZfRSoz 17 (1996), S. 1 (33 ff.).

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gen können, daß sich hier in spezifischen Funktionsbereichen eine Regelbildung vollzieht, die die fehlende politische Regelsetzung auszugleichen versucht. Sie erfolgt in relativer Nähe zu den Sach- und Interessenstrukturen des betreffenden Sachbereichs, erreicht aber nicht die Unabhängigkeit der staatlichen Rechtsbildung und professionellen Bearbeitung, also die Distanz zu den Sach- und Interessenstrukturen, die wir mit Rechtsstaatlichkeit zu identifizieren gewohnt sind. Darin mag sich - wie etwa an den Selbstregulierungsinstitutionen des Internet zu zeigen wäre - eine begrüßenswerte Flexibilität zeigen, die mit dem kognitiven Erwartungsstil, von dem oben die Rede warBI, zusammenhängen mag. Ungeachtet dessen wären die Selbstregulierungsmechanismen jedenfalls auf ihre Gemeinwohlfähigkeit und ihre Funktion innerhalb eines globalen Ordnungsrahmens zu befragen. Die Autonomie gesellschaftlicher Funktionssysteme wird im übrigen die nationale Rechtsordnung - soviel kann als Prognose gewagt werden - zunehmend mit Rechtsbildungsphänomenen dieser Art konfrontieren. Sie nicht sogleich mit Ohnmachtserfahrungen der Nationalstaaten und ihrer Rechtsordnungen in Verbindung zu bringen, sondern in den Kontext einer Regulierungstheorie einzufügen, die der Verflechtung der Rechtsordnung in territorialer und funktionaler Perspektive Rechnung trägt, wird eine der künftigen Aufgaben auch der Verwaltungsrechtswissenschaft sein.

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Vgl. dazu oben S. 21 f.

Verwaltungsverantwortung als dogmatischer Begriff? Von Hans Christian Röhl, Heidelberg

I. Verwaltungsverantwortung als Leitbegriff

"Verwaltungsverantwortung" soll als "Leitbegriff"\ als "Schlüsselbegriff"2 oder sogar als "interdisziplinärer Verbundbegriff"3 dienen, um die Rolle der Verwaltung im Kooperationsspektrum von Verwaltung und Privaten zu beschreiben. Eine solche Beschreibung erweist sich als erforderlich, weil mit verwaltungsrechtlichen Kategorien, die von einer trennscharfen Unterscheidung zwischen Staat und Privaten ausgehen, die Phänomene des arbeitsteiligen Zusammenwirkens zwischen Staat und Privaten im Hinblick auf Organisation wie auf Bewirkung von Ergebnissen nur schwer zu analysieren sind. Die auf diese Weise eingenommene Perspektive soll im folgenden nicht in Frage gestellt werden. Vielmehr soll dieser Beitrag einige Zweifel an der Eignung des Begriffs der Verwaltungsverantwortung für eine Verwendung in der verwaltungsrechtlichen, jedenfalls aber der verwaltungsrechtsdogmatischen Diskussion formulieren, indem er insbesondere auf seine problematischen Implikationen hinweist. - Der Begriff der Verwaltungsverantwortung wird mit unterschiedlichen Bedeutungen verwandt, als dogmatischer oder - in unserem Zusammenhang zunächst - als modaler oder "heuristischer" Begriff. Angesichts der allgemeinen Verwendung des Ausdrucks "Verantwortung" im Verwaltungsrecht (dazu unter III.) läßt sich eine modale oder " heuristische " Begriffsverwendung jedoch nicht durchhalten; jedenfalls ist sie immer mit der Gefahr belastet, zu normativen Schlüssen zu führen. - Als dogmatischer Begriff ist Verwaltungsverantwortung letztlich nicht sinnvoll einsetzbar. Die weitergehende Anwendung des Begriffs der Verantwortung auf Private führt wegen des ihm innewohnenden normativen Moments in die Versuchung, die grundlegende Unterscheidung zwischen 1 Schmidt-Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 1998, Kap. 3 Tz. 88 ff. 2 Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und " schlankem " Staat: Verantwortungsteilung als Schlüsselbegriff eines sich verändernden Verhältnisses von öffentlichem und privatem Sektor, 1998 (im Erscheinen). 3 Trute, in: Schuppert (FN 2), S. 3 (zit. nach 'lYPoskript).

3 Die Verwaltung, Beiheft 2

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Staat und Gesellschaft, wie sie das Grundgesetz vorzeichnet, zu überspielen (dazu unter rv.). - Schließlich kann die Verwendung des Verantwortungsbegriffs den Blick auf den Perspektivenwechsel verstellen, den die Lehre vom Öffentlichen Recht zur Bewältigung neuer Fragestellungen zu vollziehen im Begriff ist (dazu unter v.).

n. Begriffe als Werkzeug der Verwaltungsrechtswissenschaft Rationalität, "intersubjektive Nachvollziehbarkeit", kann das Verwaltungsrecht nur über seine Sprache vermitteln. Die - jedenfalls vorgebliche Abkehr von einer Begriffsjurisprudenz hat die Bedeutung von Begriffen4 als Element juristischer Kommunikation daher nicht geringer werden lassen. In einer dogmatischen Funktion können Begriffe als Speicher von Antworten dienen, wenn kompliziertere Normengefüge in ein System von Begriffen übersetzt werden 5 . In einer "heuristischen Funktion" leiten Begriffe auf juristische Theoriebildungen zu, ohne selbst schon eine normative Aussage zu treffen. Als "Rezeptions-" oder "Anschlußbegriffe" erfüllen Begriffe eine interdisziplinäre Funktion, wenn sie das Gespräch mit Nachbarwissenschaften erlauben, indem sie zu gemeinsamen Problemen und Fragestellungen hinführen. Begriffe können einem interdisziplinären Diskurs allerdings auch entgegenstehen, wenn sie Vorentscheidungen des jeweiligen Faches enthalten, die nicht mitgeteilt werden. Ohnehin müssen sie in der eigenen Disziplin verankert werden können, damit der Anschluß nicht ein einseitiger bleibt. Zukünftig wichtiger wird die Bedeutung von Begriffen im Rahmen der internationalen wissenschaftlichen Kommunikation, wenn Begriffe und damit die hinter ihnen stehenden Konzepte den gemeinsamen Ausgangspunkt der Überlegungen bestimmen soUen6 . Diese Funktionen erfüllen Begriffe nicht nur im Sinne eines durch den Anwender bewußt gesetzten "Zwecks", sondern als Funktion im Sinne von "Wirkung"; über sie bestimmt der Verwender des Begriffs nicht alleine. Die Wissenschaft bildet zwar ihre Begriffe autonom, dies jedoch nicht durch den einzelnen Autor, sondern im Rahmen des wissenschaftlichen Kommunikationszusammenhangs, weil Begriffe Elemente der hier stattfindenden 4 Im folgenden wird in Anlehnung an den allgemeinen juristischen Sprachgebrauch ein - im sprachwissenschaftlichen Sinne anfechtbarer - Ausdruck "Begriff" verwandt, der den Terminus einschließt, dazu K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 1994, S. 28. 5 K. F. Röhl (FN 4), S. 58. 6 Verantwortung als Anknüpfungspunkt für Rechtsvergleichung findet sich z. B. bei Riedel (Hrsg.), Risikomanagement im öffentlichen Recht, 1996, S. 13 ff.

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Kommunikationen sind. Sobald zudem die Begriffe die wissenschaftlichen Kommunikationszusammenhänge verlassen, endet auch insoweit die autonome Bestimmungsbefugnis über deren Verwendung. Die Begriffsbildung im Hinblick auf einen konkreten Problemzusammenhang muß daher Bedacht darauf nehmen, in welcher Weise der eingesetzte Ausdruck herkömmlich in der Disziplin und in der wissenschaftlich angeleiteten Praxis verwendet wird. Dies zeigt, an welches Verständnis die Anwendung dieses Ausdrucks anknüpfen wird und welche Konnotationen er evozieren kann.

ill. Zur Verwendung des Verantwortungsbegriffs

im Verwaltungsrecht

Die Auswahl eines Ausdrucks zur Beschreibung eines bestimmten Problems muß Bedacht nehmen auf dessen Verwendung in allgemeinen und juristischen Argumentationszusammenhängen. Das dem Begriff hieraus erwachsene Vorverständnis kann zumindest zur Vorsicht, auch zur deutlichen Explikation nötigen. Dies gilt besonders für den Ausdruck "Verantwortung", der Konnotationen aus ethisch-philosophischen, aber auch aus verwaltungsrechtlichen Verwendungszusammenhängen mitbringt. Im folgenden wird zu zeigen sein, daß dem Verantwortungsbegriff im juristischen Gebrauch gemeinhin normative, nicht lediglich beschreibende Bedeutung beigemessen wird. Darüber hinaus variieren jedoch die einzelnen Bedeutungen; die verschiedenen Aspekte, die sich hinter dem Begriff verbergen, lassen es sogar als zweifelhaft erscheinen, ob sich von einem einheitlichen verwaltungsrechtlichen Begriff der Verantwortung sprechen läßt1. Schlüsse aus verschiedenen Verwendungszusammenhängen sind allenfalls mit hinreichender Vorsicht möglich. Aus der folgenden Darstellung lassen sich immerhin unterschiedliche Elemente des Verantwortungsbegriffs erschließen, die für die spätere Beschäftigung mit dem Begriff der Verwaltungsverantwortung hilfreich sind: - Verantwortung ist vorrangig ein Zurechnungsbegriff. Schon im klassischen Sinne verstanden zielt der Begriff der Verantwortung auf die Zurechnung von Handlungsfolgen zu Subjekten, für die diese sich vor einer Instanz "verantworten" müssen 8 . Wer in diesem Sinne für den Nichteintritt eines Ereignisses verantwortlich war, wer wegen seines HandeIns oder Nicht-Handelns die Verantwortung für ein Ereignis trägt, läßt sich nicht logisch erschließen, sondern stellt sich als Ergebnis wertender Zu7 Zu einem einheitlichen Begriff tendiert Voßkuhle, in: Schuppert (FN 2), unter III. 1. (zit. nach 'JYposkript). 8 Bayertz, in: ders. (Hrsg.), Verantwortung - Prinzip oder Problem?, 1995, S. 3 (4 f., 20,45); Birnbacher, ebd., S. 143 (145).

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schreibung darg, für die der Begriff der Verantwortung keine Kriterien bereitstellt. Diese Zurechnung von Verantwortung zu einem Subjekt ist eine komplizierte Operation. Ihre wichtigsten immanenten Grenzen sind begrenzte Macht und begrenztes Wissen 10. - In der Folge zunehmender gesellschaftlicher Komplexität tritt neben

diese klassische Bedeutung, also die Frage, wer für den Eintritt schädigender Ereignisse ex post" verantwortlich" zu machen ist, die Frage, wer - prospektiv - für die Erledigung bestimmter Aufgaben zuständig ist l1 . Mit dieser Veränderung der Zeitperspektive verschiebt sich das Objekt der Verantwortung: Es geht nicht mehr um die Verantwortung für bestimmte Folgen, sondern um eine Verantwortung für bestimmte Zustände oder die Erledigung bestimmter Aufgaben 12. Verantwortung bezeichnet in dieser Form eine in die Zukunft gerichtete Gegenstandsverantwortung, "ex-ante-Verantwortung". Solche ex-ante-Verantwortung formuliert keine direkten Verhaltensge- oder -verbote, sondern ist ereignis- oder zustandsbezogen, legt den Verantwortlichen nicht auf bestimmte Handlungen fest. Die ex-ante-Verwendung des Verantwortungs begriffs ist insofern teleologisch strukturiert 13 , ihr liegt eine funktionale Perspektive zugrunde. Diese Bedeutung ist es insbesondere, die den Verantwortungs begriff zur Verwendung in der neueren verwaltungsrechtlichen Diskussion geeignet erscheinen ließ (s. unten IV.). - In einer speziellen Ausprägung dieses Verständnisses als Aufgabenzuordnung wird Verantwortung als Begriff eingesetzt, der eine Kompetenzsteuerung (dazu unter ur. 2.) dort beschreiben soll, wo herkömmliche Mittel der Definition und Kontrolle von Pflichten versagen 14 : 'lYPischerweise handelt es sich um Fälle, in denen der Aufgabenträger einen Handlungsspielraum durch spezifische eigene Qualitäten ausfüllen soll. "Die Zuweisung von Verantwortung ist also ein Korrelat von Vertrauen in die angemessene Erfüllung einer hinsichtlich ihres Ergebnisses unabsehbaren Aufgabe" 15. Bayertz (FN 8), S. 13 f.; Krawietz, in: Bayertz (FN 8), S. 184 (187 ff.). Bayertz (FN 8), S. 13 (33); Birnbacher, in: Bayertz (FN 8), S. 143 (152). Vgl. auch BVerwGE 95, 237 (248): "Verantwortung reicht nur so weit, wie sie aufgrund hinreichender Sachkunde wahrgenommen werden kann." 11 Bayertz (FN 8), S. 13 (32 f., 45). 12 Zwischen "Zurechnungsverantwortung" und "Gegenstandsverantwortung" unterscheidet von Trotha, JbRSoz 14 (1989), S. 138 ff. Zu diesem Aspekt auch Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 243. 13 Zum Ganzen Birnbacher, in: Bayertz (FN 8), S. 143 (146 f.); Bayertz, ebd., S. 13 (bes. S. 33 - 35, 45); ihm folgend Höfling, in: Lange (Hrsg.), Gesamtverantwortung statt Verantwortungsparzellierung im Umweltrecht, 1997, S. 155 (156). 14 Vgl. Kaufmann, JbRSoz 14 (1989), S. 204 (218 f.). 15 Kaufmann, JbRSoz 14 (1989), S. 204 (210); vgl. auch Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, 3. Aufl. 1976, S. 173 ff. Einen eschatologischen Ur9

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- Der Ausdruck "faktische Verantwortung" beschreibt demgegenüber - im Gegensatz zum herkömmlichen Verständnis - das Ausmaß tatsächlicher Beeinflussung einer Entscheidung, ohne die Folge einer Zurechnung zu ziehen (dazu unter II!. 3.).

1. Verantwortung als Zurechnungsbegriff

In der klassischen Form wird der Begriff der Verantwortung für die Zurechnung von Sekundärfolgen wie Haftung, Handlungspflichten oder Leistungspflichten zu Handlungen oder Handlungsmöglichkeiten eingesetzt 16 , insbesondere, wenn unter einer Vielzahl möglicher Zurechnungssubjekte auszuwählen ist. In diesem Sinne ist der Begriff im Öffentlichen Recht z. B. aus Art. 34 Satz 1, Art. 46 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG oder aus § 9 UGB-E bekannt. Eine Vielzahl von Normen benennen diese Bedeutung wie das Polizeirecht als " Verantwortlichkeit " 17. Als Zurechnungsbegriff fungiert Verantwortung auch in der Verwendung durch die Rechtsprechung, wenn es darum geht, ob bestimmte Ergebnisse Handlungen staatlicher Organe zuzurechnen sein können, z. B. ob eine bestimmte Regelung einen Grundrechtseingriff darstellen kann, weil sie auf Handlungen des (bundesdeutschen) Gesetzgebers zurückgeht 18 . Weiterhin rechnet hierher das Begriffspaar "Aufgabenverantwortung" und "Ausgabenverantwortung", das in der Diskussion um den Reformbedarf des Bundesfinanzverfassungsrechts 19 Verwendung findet. Aufgabensprung hierfür erläutert Picht, in: ders., Wahrheit, Vernunft, Verantwortung, 1969, S. 318 (319 f.). 16 Vgl. Wilke, DÖV 1975, S. 509 (511): "Sanktionsrechtliche Verantwortlichkeit". 17 Vgl. nur §§ 9, 19 AMG; § 11 Abs. 1 BDSG; § 7 MedizinprodukteG; § 5 TelediensteG; § 7 Abs. 2 VwVfG. Ebenfalls hierhin zählen die Regelungen im Zusammenhang des Amtshilferechts, z. B. § 10 Abs. 4, § 15 Abs. 2, § 16 Abs. 2, § 17 Abs. 3 BDSG. 18 BVerfGE 95, 267 (305) für das Verhältnis zu DDR- oder Besatzungsrecht, ebenso die Rspr. des BVerwG zum Restitutionsausschluß des § 1 Abs. 8 lit. aVermG, vgl. nur BVerwGE 96, 8 (13); 98, 1 (2); 101,273 (276). Zur Zurechnung der Auslandsfolgen aufenthaltsbeendender Maßnahmen zu Handlungen eines staatlichen Organs und Art. 3 EMRK: BVerwGE 99, 331 (333 ff.); BVerwG, NVwZ 1997, S. 1127. Dieses Verständnis des Begriffs liegt auch der Frage Hofmanns zugrunde (Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, 1981, S. 262 ff., insbes. S. 273), gegen welche zukünftigen Auswirkungen staatlichen Handelns Grundrechte schützen. 19 Anhand der Kategorie der "Finanzverantwortung" entscheidet sich im Finanzverfassungsrecht, wer im Staat finanzieren muß oder darf (F. Kirchhof, Gutachten D zum 61. DJT, 1996, S. 14. Vogel, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HdbStR IV, § 87, kommt ohne den Begriff der Verantwortung aus.). Verantwortung dient hier allerdings nur als ein Bündel unterschiedlicher Verständnisse des Begriffs "finanzieren". Zusammengefaßt werden unter den Begriff der "Finanzverantwortung" danach die Fragen der Finanzierungskompetenz, das heißt die Frage, wer nach außen, gegenüber Dritten, für die Verausgabung von Mitteln zuständig ist; der Finanzierungslast, aus wessen Haushalt die Mittel hierfür stammen; und schließlich die Frage nach Transfer-

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verantwortung bezeichnet einen Zurechnungsbegriff, der aufgrund einer komplizierten Abwägungsoperation 20 nach der finanzverfassungsrechtlich maßgeblichen Beeinflussung einer Aufgabe fragt21 , nicht aber die Frage nach ihrer ordnungsgemäßen Erfüllung stellt. Ausgabenveranwortung meint demgegenüber die hieraus wegen Art. l04a Abs. 1 GG folgende Verpflichtung, auch die Ausgaben zu tragen. Ebenfalls eine Zurechnungsoperation liegt der in der Rechtsprechung anerkannten Voraussetzung zur Auferlegung von Sonderabgaben 22 , der "Gruppenverantwortung", zugrunde. Diese stellt allerdings nicht auf die Möglichkeit einer Beeinflussung des Ergebnisses, sondern auf die "spezifische Sachnähe" zu einer Aufgabe ab. Schon in dieser klassischen, der Zurechnungsfunktion, ist der Verantwortungsbegriff nicht unproblematisch, weil sein Einsatz die erforderlichen Bewertungsoperationen im Dunkeln lassen kann. Die Figur der Verantwortung stellt Wertungskriterien nicht selbst bereit, sondern setzt sie voraus 23 . Das läßt sich an seiner Verwendung im Mülheim-Kärlich-Beschluß24 zeigen: In dieser Entscheidung sieht das Bundesverfassungsgericht in der Erteilung einer staatlichen Genehmigung eines Kernkraftwerks die Übernahme einer "Mitverantwortung" durch den Staat für die von der Anlage ausgehenden Gefährdungen. Der Begriff der Mitverantwortung ersetzt hier die eigentlich erforderliche Bewertung des Verhältnisses zwischen Staat, Unternehmen und Bürger in bezug auf diese Genehmigungen, welche erst neben der bloßen Mitverursachung auch die Zurechnung der Handlungsfolgen zum Staat begründen könnte. Das ist u. a. von Hermes 25 zu Recht kritisiert worden: Es spricht vieles dafür, daß die beeinträchtigenden Vorgänge, um die es hier befugnissen, also die Frage nach der Verschiebung von Mitteln im Binnenbereich des Staates; F. Kirchhof, ebd. 20 Zu den verschiedenen hierbei zu berücksichtigenden Gesichtspunkten Heun, DVB11996, S. 1020 (1022). 21 Z.B. Henneke, DÖV 1996, S. 713 (716 f.). 22 Aus der jüngeren Rspr. BVerfGE 91, 186 (200 f.) - Kohlepfennig; 93, 319 (344) Wasserpfennig; ebenso BVerwG, NVwZ-RR 1996, S. 107 f. - Deutscher Weinfonds. Dazu Vogel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IV, § 87 Rdnr. 47 f. m.Nachw. Im wesentlichen ist diese Kategorie nur bei "Finanzierungsabgaben" einschlägig, die einen geschlossenen Finanzierungskreis ins Werk setzen - so Fischer-Menshausen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 3, 3. Auf!. 1996, Art. 105 Rdnr. 6d - im Gegensatz zu Kompensations- und Abschöpfungsabgaben, denen es nicht um bestimmte Finanzierungszwecke geht. Vgl. auch zum Gebührenrecht BVerfGE 91, 207 (223): Die Auferlegung von Gebühren muß an eine besondere Verantwortlichkeit der in Anspruch genommenen Personen anknüpfen; es geht um "individuelle Zurechenbarkeit" (S. 223 a.E.). 23 Bayertz (FN 8), S. 65 f. 24 BVerfGE 53, 30 (58). Dem folgend Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 61 ff.; Kleindiek, in: Lange (FN 13), S. 117 (120). 25 Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 219 f.; ebenso Stern, Staatsrecht 11111, 1988, S. 947 f.; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 1992, S. 89; H.H. Klein, DVB11994, S. 489 (496).

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geht, nichtstaatlich bleiben, die Eingriffskategorie also nicht paßt 26 • So bleiben die dogmatischen Konsequenzen der postulierten "Mitverantwortung" in der Mülheim-Kärlich-Entscheidung auch unklar: Ob die Genehmigung wegen dieser Mitverantwortung als Eingriff zu qualifizieren ist, wird nicht festgestellt. Es wird lediglich gefolgert, wegen der Mitverantwortung seien "nicht weniger strenge Maßstäbe anzulegen als bei der Prüfung staatlicher Eingriffsgesetze" , ohne dies allerdings näher zu begründen. Für die Entscheidung bleibt diese Ungenauigkeit folgenlos, weil die Genehmigung wie das zugrundeliegende Atomgesetz nach Auffassung des Gerichts auch den Eingriffsmaßstäben genügen konnte.

2. Verantwortung als Kompetenzbegriff

Ein wichtiges Einsatzfeld des Verantwortungsbegriffs findet sich im Zusammenhang der Kompetenzausübung: Für die fehlende Möglichkeit tatsächlicher wie rechtlicher Art, den Handelnden durch Vorabfestlegungen zu steuern, werden mit dem Begriff der Verantwortung drei Lösungen gesucht: Zunächst beschreibt der Terminus der "eigenen Verantwortung" eine Kontrollgrenze, also gewissermaßen einen Steuerungsverzicht. Die Anforderung einer "eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung" soll dagegen insbesondere als Komplementärbegriff zur Kontrolle die ordnungsgemäße Kompetenzausübung steuern 27 • Schließlich werden unter dem Begriff der Verantwortung weitergehende inhaltliche Bindungen als Ausgleich für die durch eine Befugnis übertragenen weiten Handlungsmöglichkeiten, auch für Private, formuliert. a) Eigene Verantwortung: Vor allem im Organisationsrecht wird der Ausdruck der "Eigenverantwortung" oder "eigenen Verantwortung" verwendet. Er findet sich schon in Art. 28 Abs. 2 Sätze 2 und 3 sowie Art. 65 Satz 2 GG 28 • Hier bezeichnet er einen Raum eigenen Entscheidens, in dem der 26 Zu trennen ist die Verwendung des Verantwortungsarguments in diesem Zusammenhang, als "Mitverantwortung des Staates", von der Figur der "Verantwortung" Privater, insbesondere einer "Umweltverantwortung" (dazu unten 2. c)). 27 Eine "Verantwortungsgrenze" für den Einbau nicht dem Parlament verantwortlicher Stellen in die Verwaltungsorganisation zieht BVerfGE 93, 37 (67, 70 ff.); ebenso BVerwGE 99, 295 (299 f.). In der Verknüpfung mit dem Kontrollbegriff auch die Verwendung des Verantwortungsbegriffs bei Scheuner, in: FS G. Müller, 1970, S. 379 (bes. 384 ff.); Wolf! / Bachof / Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl. 1994, § 2 Rdnr. 25; Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee (FN 1); auch Pitschas, Verwaltungsverantwortung (FN 12), S. 269. Vgl. noch § 62 Abs. 2 S. 2 GemO NW .. 28 Vgl. weiterhin: § 57c Abs. 1 S. 1 HGrG: "Bund und Länder sind verpflichtet, zur Uberwachung des Vergabewesens ihres Bereichs jeweils einen Vergabeüberwachungsausschuß einzurichten, der seine Tätigkeit unabhängig und in eigener Verantwortung ausübt. "; § 2 Abs. 1 S. 1 BauGB: Bauleitpläne sind von der Gemeinde "in eigener Verantwortung aufzustellen"; § 46 Abs. 1 BauGB: Umlegung ist "in eigener Verantwortung" anzuordnen; auch § 76 Abs. 1 AktG: "Der Vorstand hat unter eige-

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Kompetenzträger nicht den Ingerenzen anderer Stellen, etwa durch Weisungs- oder Kontrollrechte ausgesetzt ist. In der Rechtsprechung dient die Formel von "eigener" oder auch "politischer" Verantwortung dazu, Grenzen der bundesverfassungsgerichtlichen Kontrolle des Gesetzgebers 29 oder der Regierung30 wie Grenzen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der Exekutive 31 anzuzeigen. Ebenso markiert sie Bereiche besonderer Eigenständigkeit im Verhältnis verschiedener staatlicher Stellen untereinander 32 , wie auch im Verhältnis des Staates zu Privaten33 • In rechtlicher Hinsicht ist diese Eigenverantwortung Verantwortungsfreiheit34 , denn sie bedeutet gerade, rechtlich nicht zur Rechenschaft gezogen werden zu können; was eine anders geartete Verantwortlichkeit nicht ausschließt.

b) Verantwortung als immanente Begrenzung einer Kompetenz: Auf den Modus der Kompetenzwahrnehmung vor allem in Kooperationszusammenner Verantwortung die Geschäfte der Aktiengesellschaft zu leiten". Daher kann der Vorstand anders als das Leitungsorgan der GmbH nicht an Weisungen der Kapitaleigner gebunden werden, K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 1997, S. 818, 878. Zur Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle jetzt BGH, NJW 1997, S. 1926 (1927 f.). Unter Berufung auf Art. 14 Abs. 2 GG in eine Pflichtenstellung umzuinterpretieren versucht dies Schmidt-Leithoff, Die Verantwortung der Unternehmensleitung, 1989, S. 155 ff. Dies entspricht allerdings der unter 2. c) dargestellten Verwendung und stellt somit wahrscheinlich einen Schluß aus einer Homonymie dar. 29 BVerfGE 46, 160 (164); 56, 54 (80 f.); 96, 56 (64) zur Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten; BVerfGE 33, 303 (333); 75, 40 (68); 90, 107 (116) zur Förderpflicht aus der Leistungsdimension der Grundrechte; zum verfassungsändernden Gesetzgeber BVerfGE 94, 49 (85). Weiterhin BVerfGE 92, 365 (396); auch BVerwGE 95, 188 (204). 30 "Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortung" BVerfGE 67, 100 (139); 68,1 (87); 95, 1 (16); vgl. auch BVerfGE 90, 286 (389 f.). 31 BVerfG, NJW 1998, S. 131 (134); BVerwGE 72, 300 (316); 97, 203 (209); 101,347 (362); BVerwG, DVB11998, S. 596 (596 f.); BayVGH, NVwZ 1996, S. 284 (294). 32 BVerfGE 91, 228 (238 ff.): Eigenverantwortung (Art. 28 Abs. 2 GG) als eigenständige Gestaltungsfähigkeit der Gemeinden; BVerfG, NJW 1996, S. 771, zur "eigenen Verantwortung der Tatgerichte"; BVerwG, NVwZ 1994, S. 583 zur "pädagogischen Eigenverantwortung" in § 35 Abs. 1 NdsSchG als Grenze eines unbeschränkten Weisungsrechts. GmS-OGB, BVerwGE 90, 382 (387) und BVerwGE 100, 83 (86): zur Prüfung der Abgeschlossenheitsbescheinigung durch das Grundbuchamt "in eigener Verantwortung", d. h. ohne Bindungen an die Feststellungen der Baubehörde; BVerwG, NVwZ-RR 1995, S. 330 (332): zur "gesamtunternehmerischen Verantwortung der zentralen Organe der Deutschen Bundespost". 33 BVerfGE 88, 203 (267 ff., 283 ff.) "Letztverantwortung" der werdenden Mutter für den Schwangerschaftsabbruch; BVerfGE 47, 327 (367); 90, 1 (12) zur Wissenschaftsfreiheit als von staatlicher Fremdbestimmung freiem Bereich autonomer Verantwortung; vgl. auch BVerwGE 62, 45 (51 f.) mit Verweis auf Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 5 Abs. III Rdnr. 99: wissenschaftliche Eigenverantwortung; BVerwGE 101, 309 (317): Inhalte theologischer Studiengänge stehen "allein in der Verantwortung der Religionsgesellschaften " . 34 Pitschas, Verwaltungsverantwortung (FN 12), S. 261; vgl. auch Wilke, DÖV 1975, S. 509 (511 f.). In diesem Sinne verwendet Murswiek den Begriff der Verantwortung im Dritten Teil seines Werks [Staatliche Verantwortung (FN 24), S. 288 ff. (insbes. 290, 352 f.)l, im Gegensatz zu den vorigen Teilen, in denen es Murswiek um die Rolle des Staates im Gegensatz bzw. Zusammenwirken mit der Gesellschaft geht.

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hängen bezieht sich der "Grundsatz eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung"35 oder "Eigenverantwortlichkeit" 36. Diesem geht es darum sicherzustellen, daß Kompetenzen nicht nur ausgeübt, sondern auch ausgefüllt werden, indem die Verwaltung die demokratischen und rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen der Kompetenzwahrnehmung beachtet und diese nicht durch eine zu intensive Kooperation mit anderen öffentlichen Stellen 37 , internationalen Stellen 38 oder auch Privaten beeinträchtigt. Das Gebot der "eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung" bzw. der" Verantwortungsklarheit" soll gewährleisten, daß die rechts staatlichen und demokratischen Elemente der Kompetenzzuweisung nicht leerlaufen, insbesondere weil die erforderlichen Kontrollvorgänge unmöglich gemacht werden. An den jeweiligen Inhaber der Organisationsgewalt adressiert ist die mit dem Begriff der "Legitimationsverantwortung"39 bezeichnete Verpflichtung, der es ebenfalls darum geht, unausgesprochene Rahmenbedingungen der Kompetenzausübung zu erhalten: Der Regelfall der Kompetenzzuweisung ist auf deren Ausübung durch öffentlich-rechtlich organisierte demokratisch legitimierte Staatsgewalt zugeschnitten. Hierbei ist die Orientierung dieser Staatsgewalt am Gemeinwohl und damit auch Interessenferne mitgedacht. Bezieht nun der Staat Private in seine Organisation ein oder überträgt er Privaten Teile staatlicher Machtausübung, muß er durch geeignete Begleitmaßnahmen die weitere Ausrichtung auf das Gemeinwohl gewährleisten4o • Dies ist der Kern des Gedankens einer Legitimationsverantwortung. Insoweit dient der Verantwortungsbegriff also dazu, formal bestehende Spielräume des Inhabers der Organisationsgewalt - rechtlich einzuschränken.

c) Besondere Pflichtenbindungen Privater: Auch gegenüber Privaten wird der Begriff der Verantwortung zur Einschränkung ansonsten nicht gebundener Befugnisse verwandt: Weil die bestehenden rechtlichen Grenzen privaten Handelns nicht auszureichen und zu große Spielräume zu eröffnen 35 BVerfGE 61, 1 (41) nach Grawert, Verwaltungs abkommen zwischen Bund und Ländern, 1967, S. 195; Lerche, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 83 Rdnr. 93 ff.; Köstlin, Die Kulturhoheit des Bundes, 1989, S. 137 f. 36 Schon BVerfGE 9, 268 (281 f.: "in eigener Verantwortung") unter Bezugnahme auf BayVfGHE n.F. 4 (II), 30 (47). 37 BayVfGHE n.F. 4 (II), 30 (47): Zulassung zur Rechtsanwaltschaft durch Landesjustizverwaltung darf nicht bindend von einem Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer abhängig gemacht werden. 38 "Gebot der Verantwortungsklarheit" in der EG-Verwaltungskooperation, Schmidt-Aßmann, EuR 1996, S. 270 (296). 39 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329 (366, 373 f.); ders., in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 9 (57 ff.); Trute, ebd., S. 249 (288 ff., bes. S. 289). 40 Trute, DVB11996, S. 950 (955 f.); Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee (FN 1), Kap. 2 Tz. 101 f.

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scheinen41 , soll durch das Postulat einer besonderen, in der Regel sachbezogenen Verantwortung die Freiheitsausübung dort gesteuert werden, wo rechtliche Steuerungsinstrumente versagen42 . In dieser Verwendung bleibt der Verantwortungs begriff als Appell an eine ethische Selbstverpflichtung des Handelnden zunächst nichtjuristisch43 , gerät aber in die Gefahr, mit rechtlichen Gehalten aufgeladen zu werden44 . Allgemein soll dieses Konzept dazu dienen, Private für die Verwirklichung des Gemeininteresses heranzuziehen, indem ihnen hierfür eine Verantwortung zugeschrieben wird. Auf diese Weise will z. B. Saladin "den Inhabern privater Macht ,Ämter' zuerkennen", will den Amtsgedanken für private Positionen fruchtbar machen45 . Ein typisches Beispiel ist die Wendung "Umweltverantwortung"46. Unter diesem Begriff wird gefragt, wie sich die anthropozentrische Perspektive des Rechts in Richtung auf einen schonenderen Umgang mit Umweltgütern ändern lasse, solange die geltende Rechtsordnung eine Rücksichtnahme auf Umweltbelange durch Private "nur" im Rahmen des geltenden Rechts verlangt47. Ein Mittel der Wahl ist die Übertragung einer Verantwortung für die Umwelt auf jeden Einzelnen48 . So sieht z. B. § 3 Abs. 1 UGB-KomE nun41 Zu dem Einsatz des Verantwortungsbegriffs in diesem Kontext F.-x. Kaufmann, JbRSoz 14 (1989), S. 204 (210, 218); Bayertz (FN 8), S. 13 (34 f.). 42 BVerfGE 88, 203 (267 ff., 283 ff.): Verantwortung der werdenden Mutter als außerrechtliches Moment; BVerfGE 94, 372 (391): Verantwortung als Sammelbegriff für besondere Pflichtenbindung des Apothekers. Zu dieser Funktion des Verantwortungsbegriffs F.-x. Kaufmann, Der Ruf nach Verantwortung, 1992, S. 45. 43 Einen Übergang zum Recht versucht zu begründen Wiegand, JöR 43 (1995), S. 31 (43 ff.). 44 Vgl. BVerwG, NJW 1997, S. 2396 (2399): Obwohl keine Wahlpflicht besteht,leitet das BVerwG aus einer "Verantwortung", das Recht auch tatsächlich auszuüben, her, daß die Ablehnung der Zeugen Jehovas, an Wahlen teilzunehmen, ein Zeichen für fehlende Loyalität gegenüber dem Staat darstelle. Eine solche sei aber für eine dauerhafte Zusammenarbeit mit dem Staat erforderlich. Der Verweis des BVerwG auf Berka, VVDStRL 55 (1996), S. 48 (58) kann diese Aussage nicht belegen, dort (S. 59) heißt es vielmehr ausdrücklich: "Jenseits der bemessenen Rechtspflichten wird Bürgerverantwortung nur als sittliche Pflicht faßbar." Zum BVerwG krit. HusteT, JuS 1998, S. 117 (bes. 119 f.). 45 Saladin, Verantwortung als Staatsprinzip, 1984, S. 170. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Pitschas, Verwaltungsverantwortung (FN 12), S. 282, der allerdings die "Solidarbindung der Bürger" zum Ansatzpunkt wählt. 46 Wiegand, JöR 43 (1995), S. 31 (38, 52 ff.). 47 Ganz ähnliche grundrechtsdogmatische Ergebnisse erzielt von einem anderen Ansatz aus die Argumentationslinie, die die Inanspruchnahme von "Umweltgütern" nicht mehr zum Gewährleistungsbereich der Freiheitsgrundrechte zählen will, so Murswiek, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 112 Rdnr. 83; ders., DVBI1994, S. 77 (81 ff.). 48 Zu trennen ist diese Überlegung von Ansätzen, die eine Verantwortung des Staates für die Umwelt postulieren. Allerdings dürfte in Art. 20a GG, in dem es heißt, "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen ... ", der Begriff der Verantwortung nicht in diesem Sinne gebraucht sein: Der Begriff der Verantwortung soll hier dazu anhalten, bei den gebo-

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mehr vor: "Jeder trägt eine eigene Verantwortung für den Schutz der Umwelt. Im Rahmen dieser Verantwortung kann er die Umweltgüter nutzen. Seine Rechte und Pflichten im einzelnen ergeben sich aus der Rechtsordnung." Dazu erläutert die Begründung, daß sich der Regelungsgehalt dieses Absatzes auf eine Appellfunktion beschränke 49 . Ob das auch für den zweiten Satz gilt, scheint nicht sicher. Mit etwas Wohlwollen ließe sich hier ein allgemeiner Umweltvorbehalt hineininterpretieren, der jedenfalls als Abwägungsmaßstab Bedeutung gewinnen könnte. Ganz parallel wurden solche Überlegungen bereits zur Interpretation des Begriffs der "Produktverantwortung" in § 22 Abs. 1 Satz 1 KrW-/ AbfG angestellt 50 . Ähnliche Fragen werden unter dem Begriff der "Folgenverantwortung" im Wissenschaftsrecht behandelt51 . Wegen der grundgesetzlichen Trennung zwischen staatlicher Kompetenz und gesellschaftlicher Freiheit führen diese Versuche, dem einzelnen Rechtspflichten aufzuerlegen, nicht weiter. Letztlich zielen sie darauf ab - durch die zweite oder dritte Gewalt getroffene - ethische Wertungen in Recht umzusetzen. Ein solcher Übergang zu Rechtspflichten ist jedoch - auch über eine Einstufung als "Verfassungserwartung"52 - nicht zu erreichen. Daß z. B. der Schutz der Umwelt Rechtfertigungsgrund zur Einschränkung grundrechtlich geschützter Freiheiten sein kann, dürfte weitgehend unbestritten sein, ebenso aber auch, daß dies nur nach einer hinreichenden Vorzeichnung durch den Gesetzgeber möglich ist, nicht im Wege der Konkretisierung durch Verwaltung und Gerichte53 . Diese hier aufscheitenen Bewertungsoperationen Rücksicht auf die Auswirkungen auf künftige Generationen zu nehmen, s. Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 1998, Art. 20a Rdnr.32. 49 Bundesministerium für Umwelt (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), 1998, S.453. 50 "Wer Erzeugnisse entwickelt, herstellt, be- und verarbeitet oder vertreibt, trägt zur Erfüllung der Ziele der Kreislaufwirtschaft die Produktverantwortung" . Konkrete Pflichten ergeben sich im Grunde erst aus den RVOen in Abs. 4. Gleichwohl wird vertreten, daß Abs. 1 S. 1 zumindest als "Grundpflicht" mittelbare Wirkung zukomme; z. B. Hoffmann, DVBI 1996, S. 898 (899 f.); dagegen Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), S. 160 (166 Fn. 13); Beckmann, UPR 1996, S. 41 (45). 51 Vgl. zunächst BVerfGE 47, 327 (366 ff.) zu § 6 HessUnivG, wo der Begriff der Verantwortung als dogmatisches Argument allerdings nicht verwendet wird. Demgegenüber Dicken, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit, 1991, S. 400: Verantwortung als Tatbestandsmerkmal des Art. 5 Abs. 3 GG; Losch, Wissenschaftsfreiheit, Wissenschaftsschranken, Wissenschaftsverantwortung, 1993, S. 276 ff.: Verantwortung als immanente Pflichtenbindung. Krit. Trute, Die Forschung zwischen grundrechtlicher Freiheit und staatlicher Institutionalisierung, 1994, S. 158 ff.; Kleindiek, Wissenschaft und Freiheit in der Risikogesellschaft, 1998, S. 199 f.; vgl. auch Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, 2. Aufl. 1994, § 27 Rdnr. 28 ff.: Es geht um ethische, nicht rechtliche Standards. 52 Für die Umweltverantwortung Höfling (FN 13), S. 155 (161 ff.), der die Grenzen der mit diesem Begriff verbundenen Rechtsfigur richtig bezeichnet; weitergehend (wohl) Voßkuhle, in: Schuppert (FN 2), unter III. 2. d) (zit. nach 'lYPoskript).

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nende Entscheidung zum Nachteil des individualistischen Grundansatzes, die "Aufgabe der Subjektivität zugunsten einer Quasi-Organfunktion" 54, erscheint durch die Verwendung des Begriffs der Verantwortung in einem rechtlichen BegTÜndungszusammenhang 55 vorgezeichnet: Der Begriff der Verantwortung verteilt in der Anwendung auf Private Argumentationslasten56 zum Nachteil ihrer Freiheit. Das Handeln Privater wird prima facie rechtfertigungs bedürftig, wie es bisher nur das der Verwaltung war.

3. Faktische Verantwortung

Mitunter wird der Begriff der Verantwortung auch als "faktische (Entscheidungs-)Verantwortung" gebraucht57 • Hiermit soll bezeichnet werden, daß trotz rechtlicher Zurechnung einer Entscheidung zu einer staatlichen Stelle ihr Inhalt weitgehend von Vorprägungen durch Private, insbesondere in bestimmten Gremien abhängig ist. Diese Begriffskombination steht quer zum herkömmlichen Begriffsgebrauch, weil dort Verantwortung ein Moment der Zurechenbarkeit beinhaltet. Den bloß faktischen Einfluß ausübenden Gremien wird der Inhalt der Entscheidung rechtlich jedoch nicht zugerechnet, sie übernehmen keine "Verantwortung" für den Inhalt der Entscheidung. Läßt man diese verschiedenen Beispiele noch einmal Revue passieren, ergibt sich, daß der Ausdruck" Verantwortung" keinen von vornherein festliegenden Bedeutungsgehalt aufzuweisen hat. Die verschiedenen Bedeutungen gilt es vielmehr auseinanderzuhalten. Praktisch immer wird der Verantwortungsbegriff allerdings im normativen Sinne verwendet, obwohl auch hier die Bedeutung nicht in jedem Falle präzise ist, ja sogar manches Mal der Einsatz des Verantwortungsbegriffs die nötigen Schlüsse eher verdunkelt, weil er Wertungen voraussetzt, die sich aus dem Begriff selber nicht begründenlassen.

53 So zu den Verfassungserwartungen Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 115 Rdnr. 166 und 172. Ganz parallel zu den in Art. 10 Abs. 2 EMRK genannten "duties and responsibilities" EGMR, Series A, Vol. 239, S. 27 Ziff. 64. 54 Preuß, Die Internalisierung des Subjekts, 1979, S. 246 und 258. 55 Zur Parallele in der Ethik vgl. wiederum Bayertz (FN 8), S. 67 f. 56 Zu dieser Funktion von Begriffen K. F. Röhl (FN 4), S. 188 f. 57 So unterscheidet etwa Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 129, zwischen faktischer und rechtlicher Verantwortung für Entscheidungen, die auf Grundlage des Votums der Kommission nach § 4 GenTG getroffen werden. Vgl. auch Kleindiek, in: Lange (FN 13), S. 124 (132).

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IV. Verwaltungsverantwortung: Die Rolle der Verwaltung im Kooperationsspektrum zwischen staatlichen und privaten Akteuren

In jüngerer Zeit gewinnt der Begriff der Verantwortung zunehmende Bedeutung bei der Beschreibung und Analyse der Rolle der Verwaltung im Kooperationsspektrum zwischen staatlichen und privaten Akteuren, insbesondere im Gefolge der Privatisierung58 . Die Erkenntnis, daß nicht alles, was im öffentlichen Interesse liegt, auch durch Träger öffentlicher Verwaltung geleistet wird und geleistet werden muß, hat zur Herausarbeitung verschiedener Stufen staatlicher Erfüllungsmodalitäten, Stufen der Verwaltungsverantwortung geführt 59 • Beschrieben wird ein Spektrum, das von einer staatlichen Rahmensetzung bis zu einer vollen Erfüllungsverantwortung der Verwaltung reicht. Die verschiedenen Varianten der Verantwortung sollen dazu dienen, den verschiedenen Stufen die entsprechenden Steuerungsinstrumente, Handlungs- und Organisationsformen zuzuordnen und sie so zu analysieren 6o • Ein Ursprung für diese Betrachtungsweise läßt sich möglicherweise in dem Thema der Augsburger Staatsrechtslehrertagung ("Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit") finden: Hier mag der Begriff der Verantwortung zunächst normativ, nämlich in dem oben (lU. 2. a) geschilderten Sinne von "Eigenverantwortung" bzw. als Kompetenz gemeint gewesen sein61 • Auf diese Weise ließ sich jedoch die Aufgabenverteilung zwischen Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht sinnvoll analysieren. Daher haben ihn die Referenten wohl auf einer zurückgenommenen Stufe, als die Situation des Verwaltungshandelns beschreibend62 , in einem eher verwaltungswissenschaftlichen Sinne also, aufgefaßt 63 • In dieser Bedeutung 58 Bauer, VVDStRL 54 (1995), S. 243 (277 ff.): Verwaltungsverantwortung als Chiffre für die Analyse der Pflichten der Verwaltung in be.~timmten Aufgabenbereichen; Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Offentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 167 (197 ff.). 59 Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts - Grundfragen, 1993, S. 11 (43 f.); dies aufnehmend z. B. Schuppen, in: J. Ipsen (Hrsg.), Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 1994, S. 17 (26 ff.); Hoffmann-Riem, in: ders. / J.-P. Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996, S. 9 (24 ff.); Ritter, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (FN 39), S. 207 (231 ff.); Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 152 ff. 60 Schuppen, in: Budäus/Engelhardt (Hrsg.), Großstädtische Aufgabenerfüllung im Wandel, 1996, S. 108 (122). 61 Eher in diese Richtung immerhin Scholz, VVDStRL 34 (1976), S. 145 (149). 62 Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34 (1976), S. 221 (228, 231 f., vgl. auch dort S. 270, These 5). Kritisch zu dieser bloß "heuristischen" Verwendung des Verantwortungsbegriffs, die der normativen Bedeutung des Verantwortungsbegriffs nicht gerecht werde, Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, 1983, S. 255 m. Fn. 530; Pitschas, Verwaltungsverantwortung (FN 12), S. 240 f. 63 Die so gewonnenen Ergebnisse können für die Frage der rechtlichen Grenzen zwischen Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit mittelbar Bedeutung gewin-

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stand der Begriff der Verwaltungsverantwortung zur Verfügung, um als Leitbegriff zur Analyse der Beiträge der Verwaltung im Verhältnis zu Privaten bei der Erbringung von Gemeinwohlleistungen eine neue Verwendung zu finden 64. Der auf diese Weise erzielte Fortschritt, die Leistung der Kategorie der Verantwortung, liegt zunächst darin, einen Ausweg für die Aporie der Staatsaufgabenlehre anzubieten, indem die Dichotomie staatliche Aufgabe oder private Tätigkeit durch den Sammelbegriff Verwaltungsverantwortung abgelöst wurde. Auf diese Weise wurde eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Rollen ermöglicht, die der Staat im Zusammenwirken mit gesellschaftlichen Kräften bei der Verwirklichung des Gemeinwohls einnimmt 65 . Maßgebliche Bedeutung gewinnt die Kategorie der Verwaltungsverantwortung daher unter anderem im Zusammenhang mit der Privatisierung von ehemals staatlich wahrgenommenen Tätigkeiten. Diese gehen zumeist mit einer Regulierung einher, welche die Verwirklichung des weiterhin bestehenden Gemeininteresses in den unterschiedlichen Funktionsbereichen sicherstellen soll66. Die unterschiedlichen Rollen, die der Verwaltung bzw. dem Staat auf diese Weise zukommen, werden nun mit dem Verantwortungsbegriff bezeichnet. Der mit der Verwendung des Verantwortungsbegriffs in diesem Kontext erzielte Erkenntnisgewinn ist allerdings erkauft mit den Schwierigkeiten, die sich aus den unterschiedlichen Bedeutungsebenen des Verantwortungsbegriffs ergeben. Dieser verschiedenen Ebenen und ihrer für die juristische Argumentation problematischen Seiten muß sich der Verwender des Verantwortungsbegriffs bewußt sein.

1. Normative/Modale Bedeutung

Der Begriff der Verantwortung ist in dem oben genannten Sinne zunächst zu heuristischen Zwecken gedacht, also ohne dogmatische Bedeutung gemeint. In der allgemeinen verwaltungsrechtlichen Diskussion wird der Begriff jedoch - wie unter II!. im einzelnen abzulesen - dogmatisch eingesetzt. Dieses normative Vorverständnis kann dazu verleiten, die unter dem Begriff vorgenommenen Sachbereichsanalysen in normative Aussagen umzuformen. nen: Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO, Einleitung Rdnr. 58, 188; Gerhardt, ebd., Vorb. § 113 Rdnr. 24 a.E. 64 Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (FN 59), S. 11 (43 f.). 65 Allerdings auch schon unter dem Aufgabenbegriff Schulze-Fielitz, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staats aufgaben - Sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, S. 11 (16 ff.); ähnlich Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IV, § 57 Rdnr. 139: "Grad des staatlichen Einsatzes in der Erfüllung öffentlicher Aufgaben". 66 Vgl. König / Benz (Hrsg.), Privatisierung und staatliche Regulierung, 1997.

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a) Modales Verständnis: In einem heuristischen Sinne verstanden fragt der Begriff der Verantwortung, welche Funktion der Staat im Zusammenwirken mit der Gesellschaft bei der Bewirkung im öffentlichen Interesse liegender Zustände oder Erfüllung bestimmter Aufgaben einnimmt: Als Stufen solcher Verantwortung werden z. B. Erfüllungs-, Gewährleistungs-, Überwachungs- und Rahmenverantwortung genannt. Es handelt sich um ein modales Konzept 67 , das die Situation des Verwaltungshandelns kennzeichnet. Es geht nicht um die Verantwortung für etwas, sondern um die Art und Weise der Bewältigung eines Zustands I einer Aufgabe, um die Rolle des Staates 68 und um die Instrumente, die der Staat in diesem Zusammenhang einsetzt 69 . Daß die normative Tendenz des Verantwortungsbegriffs bei dieser Verwendung zur Beschreibung der Rolle der Verwaltung im Rahmen der Gemeinwohlhervorbringung nicht sofort ins Auge fällt, mag darin begründet sein, daß die Verwaltung immer normgeleitet tätig wird und daher auch ihre Rolle, ihre "Verantwortung" durch Normen dirigiert wird. So fragt sich, ob die Leistung des modalen Konzepts der Verwaltungsverantwortung nicht gerade auf der solcherart hervorgerufenen, zwischen Normativität und Faktizität balancierenden Unschärfe des Begriffs 70 beruht, dessen normative Konnotationen sich nicht ablegen lassen, wie die oben (unter Irr.) aufgeführten Beispiele zeigen. Unmerklich tendiert die Redeweise von staatlicher Verantwortung dazu, normativ aufgefaßt zu werden 71; ein bloß modaler Begriffsgebrauch läßt sich angesichts des referierten Verständnisses des Begriffs nicht einfach durchhalten.

b) Normatives Verständnis: In einem normativen Sinne läßt sich fragen, welche Verantwortung den Staat in bestimmten Situationen, gegenüber bestimmten Zuständen "trifft ,,72: Der Begriff der Verantwortung dient dann zur normativen Bewältigung tatsächlicher Lagen oder Gefährdungen. Über den Begriff der Verantwortung werden aus solchen tatsächlichen Lagen 67 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee (FN 1), Kap. 3 Tz. 77; präzise Osterloh, VVDStRL 54 (1995), S. 204 (235 ff.); Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), S. 160 (165 f.). "Heuristisch" versteht auch Murswiek (FN 24), S. 26 den Begriff, anders aber die Zusammenfassung S. 276, Thesen 1 und 2. 68 Deutlich Hoffmann-Riem, in: ders. I Schneider (FN 59), S. 9 (20 ff.). 69 Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (FN 59), S. 11 (43 f.); Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (FN .~8), S. 7 (29 f.); Schuppert, in: Budäus/Engelhardt (FN 60), S. 108 (121 f.); ders., DOV 1995, S. 761 (768 f.); Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (FN 58), S. 167 (198). 70 Zum ähnlichen Phänomen für den Begriff der Daseinsvorsorge vgl. Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, 1989, S. 109 ff. 71 Z.B. Ritter, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (FN 39), S. 207 (231); Schuppert, in: König/Benz (FN 66), S. 539 (569 f.); in der Begriffsverwendung changierend König I Benz, ebd., S. 11 ff.; ausdrücklich Hermes (FN 59), etwa S. 341 f.: Gewährleistungsverantwortung frage nach dem "notwendigen Minimum staatlichen Einflusses". 72 Z.B. Schuppert, in: J. Ipsen (FN 59), S. 17 (26).

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- im Grunde nur durch normative Vermittlung über die Verfassung73 - Zuständigkeiten für die Erhaltung oder Bewirkung bestimmter Zustände 74 . Die "Gewährleistungsverantwortung" ist ein solcher Begriff, der zunächst nur beschreibend gedache 5 , schnell in eine normative Fassung wechsele 6 und zu einem Titel wird, "eine staatliche Mitverantwortung für die Dekkung des lebenswichtigen Bedarfs der Bürger" zu postulieren. Hieraus wird z. B. die Verpflichtung des Staates gefolgert 77, für eine gleichmäßige und dauerhafte Leistungserbringung zu sozial verträglichen Preisen in verschiedenen Gebieten wie Verkehrsinfrastruktur, Wasser- und Elektrizitätsversorgung, medizinischen Einrichtungen und ähnlichem zu sorgen. In diesem Sinne gegenstandsbezogen wird der Verantwortungsbegriff z. B. auch als "Infrastrukturverantwortung " 78 oder als "Privatisierungsfolgenverantwortung,m verwendet. Als dogmatische Begriffe sind beide von zweifelhaftem Wert: - "Infrastrukturverantwortung" ist bereits mit dem nur undeutlichen Gehalt des Begriffs " Infrastruktur " belastet. Zwar mag bei den hierunter subsumierten Materien der Schluß von der Sachstruktur auf Anforderungen an den Staat prima facie naheliegen, die Materien dürften jedoch im einzelnen zu heterogen sein, als daß sie sich sinnvoll unter ein einheitliches Konzept fassen ließen. Damit läßt sich aber auch keine einheitliche normative Basis finden, von der aus staatliche Handlungspflichten zu konstruieren wären. - Die Verwendung des Begriffs "Privatisierungsfolgenverantwortung" unterliegt Zweifeln, weil er impliziert, aus der Tatsache, daß bestimmte Gemeinwohlleistungen früher in staatlicher Hand erbracht wurden, resultierten nunmehr Pflichten oder gar Befugnisse des Staates, vergleichbar einer Garantenstellung aus vorangegangenem TIm. Eine solche Figur sieht das Grundgesetz jedoch nicht vor. Handlungspflichten des Staates Hermes (FN 59), S. 158 f. Gegen die parallele Tendenz im moralischen Denken mit Hinweis auf die Eigenschaft der Verantwortung, Ergebnis einer sozialen Konstruktion zu sein, überzeugend Bayertz (FN 8), S. 20 f., 66. 75 Z.B. bei Hoffmann-Riem, in: ders. / Schneider (FN 59), S. 9 (24). 76 Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), S. 160 (172 ff.); Schulte, in: Rengeling (Hrsg.), Umweltnormung, 1998, S. 165 (172). Gewährleistungsverantwortung ist ein Kernbegriff für Hermes (FN 59), S. 337 f.; ausdrücklich zum normativen Gehalt dort S. 341 f.: Er soll darauf zielen, "daß der Staat auf einem bestimmten Gebiet überhaupt tätig wird - sei es regelnd oder leistend, durch Regulierungs- oder durch Leistungsverwaltung. " 77 Bauer, VVDStRL 54 (1995), S. 269 Fn. 130. 78 Er stammt wohl aus der Regierungsbegründung für die Bahnreform, vgl. BTDrs. 12/5015, S. 16 f. zu Nr. 7; aufgegriffen nunmehr insbesondere von Hermes (FN 59); auch Schoch, VVDStRL 57 (1998), S. 158 (198). 79 Bauer, VVDStRL 54 (1995), S. 278 f.; Schoch, VVDStRL 57 (1998), S. 158 (198 f.). 73

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ergeben sich aus Verfassungsaufträgen wie Art. 87e Abs. 4 GG - soweit diese jeweils reichen - oder grundrechtlichen Schutzpflichten, nicht aus der Tatsache, daß es sich um einen privatisierten Bereich handelt. Normativ verstanden wird aus Verantwortung schnell ein Titel zur Herleitung von Kompetenzen und Eingriffsbefugnissen, weil die Zuschreibung von Verantwortung voraussetzt, daß Kompetenzen in hinreichendem Umfang zur Verfügung stehen. Was oben als Grenzen der Verantwortung beschrieben wurde, kehrt hier also in umgekehrter Form wieder: Verantwortlich kann nur sein, wer eine Aufgabe hat und die Kompetenz zu ihrer Durchführung. Sobald eine Verantwortung behauptet wird, wird daher im Grunde das Vorliegen einer Kompetenz implizit mitbehauptet Bo . Als Beispiel läßt sich wiederum der Begriff der "Infrastrukturverantwortung"Bl heranziehen. Geht man davon aus, "die staatliche Verantwortung für die Sicherstellung einer Versorgung aller mit ausreichenden und angemessenen Verkehrsleistungen steh(e) dabei im Grundsatz außer Frage"B2, dann geht es nur noch darum, zur Erfüllung dieser Verantwortung die geeigneten Regulierungsinstrumente aufzuspüren B3 . Wenn hingegen in jedem Einzelfall erst das Vorliegen der tatsächlichen und rechtlichen Handlungsmöglichkeiten überprüft werden muß B4 , dann verliert die Formel von der Verantwortung ihre eigenständige dogmatische Bedeutung, und ihre Funktion kann nur noch in einer überzeugenden, appellierenden Wirkung gesehen werden B5 .

80 Vgl. Pitschas (FN 12), S. 243: "Verantwortung entfaltet aus dieser Perspektive unter Berücksichtigung des Verwirklichungs aspekts die Befugnis, das zu tun, was im Zeichen 'praktischer Vernunft' die jeweilige Situation verlangt." Ebenso würdigt Stettner (FN 62), S. 277 den Entwurf zur Revision der Schweizer Bundesverfassung (abgedruckt in: AöR 104 [1979], S. 475 ff.) positiv, weil er in den Art. 48 ff. mit dem Begriff der Verantwortung das Pflichtmoment der Verantwortung herausstelle (Art. 48 Abs. 2 des Entwurfs: "Wer eine Verantwortung trägt, hat das Recht und die Pflicht, die geeigneten Vorkehrungen zur Erfüllung der Staatsaufgaben zu treffen. "). Dies sei eine begrüßenswerte Abkehr von einer "eigensüchtigen Kompetenzreiterei ", von einer "säuberliche(n) Trennung der Kompetenzbereiche"; "isolierende Schrankenziehungen im Bereich des Bund-Länder-Verhältnisses" seien "nicht mehr vorrangig", nicht "kompetenzielle Kleinkrämerei beherrsch(e) das Feld, sondern die Sorge um die Bewältigung der Staatsaufgaben als solcher." Kritisch Zimmer, Funktion Kompetenz - Legitimation, 1979, S. 179 Fn. 147; Schnapp, VVDStRL 43 (1985), S. 172 (191). Vgl. auch BVerwGE 82, 76 (81), das aus einer "Verantwortung für das Geme!,nwohl" der Bundesregierung ihre "Befugnis zur Information und Aufklärung der Offentlichkeit" folgert. Dazu krit. Wahl/ Masing, JZ 1990, S. 553 (555). 81 Hermes (FN 59). 82 Hermes, ebd., z. B. S. 215. 83 Hermes, ebd., S. 216 ff. 84 In diese Richtung eher Fehling, AöR 1996, S. 59 (88 ff.). 85 Wegen der diese Effekte erzeugenden ethischen und moralischen "Aufladung" kritisch Krebs, Kontrolle in staatlichen Entscheidungsprozessen, 1984, S. 44; auch Ossenbühl, AöR 99 (1974), S. 369 (407).

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Hans Christian Röhl 2. Der Träger der Verantwortung

Der Begriff der Verantwortung fragt nach einem individualisierbaren Träger der Verantwortung86 . Die Anwendung auf den Staat bringt daher Schwierigkeiten mit sich: Der "Staat" ist ein vielfältig differenziertes Subjekt. Es muß darum gehen, die Verantwortung den einzelnen verselbständigten Funktionseinheiten zuzuweisen87 • Ohne solche Differenzierung wechselt der Begriff der Verantwortung zwischen normativer und heuristischer Verwendung, wie sich an dem Beipiel der Gewährleistungsverantwortung zeigen läßt: Eine solche Gewährleistungsverantwortung nimmt der Staat möglicherweise in bestimmten Gebieten wahr. Diese Tatsache der Verantwortungswahrnehmung kann dann gegenüber der Verwaltung bedeuten, daß sie eine solche Gewährleistungsverantwortung als rechtliche trifft, weil konkrete Regelungen ihr dahingehende Verpflichtungen auferlegen. Daß der Staat als solcher hingegen zur Wahrnehmung dieser Aufgaben verpflichtet ist, ergibt sich nicht bereits aus dem betroffenen Sachbereich, sondern müßte erst sorgfältig, z. B. aus grundrechtlichen Schutzpflichten, ermittelt werden 88 . Schreibt man zum Beispiel eine "Infrastrukturverantwortung" dem Staat zu, ist damit noch nicht geklärt, welche staatlichen Untereinheiten dieser Verantwortung nachkommen sollen. Leitet man eine "Infrastrukturverantwortung" aus dem Grundgesetz her, nicht zuletzt unter Bezugnahme auf eine Aufgabe des Staates zur staatlichen Einheitsbildung, ergibt sich die Frage, wer die Verantwortung für solche Infrastrukturen trägt, die sich nur auf die Länder- oder gar kommunale Ebene erstrecken. Die Diskussion im Rahmen der Bahnreform hat gezeigt, daß gerade diese Fragen die größten Streitpunkte aufwarfen. Manches spricht daher dafür, daß Art. 87e Abs. 4 GG, das wichtigste Beispiel einer Infrastrukturverantwortung, vor allem Fragen der föderalen Zuständigkeiten und weniger solche einer staatlichen Verantwortung beantwortet89 . Ähnliche Zweifel werfen die Errichtung und der Betrieb von Telekommunikationsnetzen auf: Hier mag keine Erfüllungsverantwortung auf Bundesebene bestehen, wenn ein Wettbewerb gewährleistendes Oligopol hinreichende Dienste anbietet. Gleichwohl ist auf kommunaler Ebene die Frage noch nicht ausgemacht, ob die Kommunen eigene Telekommunikationsnetze betreiben dürfen 90 und es vielleicht sogar sollten, Bayertz (FN 8), S. 7. Pitschas (FN 12), S. 253; zur parallelen Problematik vgl. Bayertz (FN 8), S. 66 f. 88 Vgl. Ritter, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (FN 39), S. 207 (232). 89 Fehling, AöR 1996, S. 59 (78) spricht deshalb auch nur von einer Infrastrukturverantwortung des Bundes; ebenso Schmidt-Aßmann/ Röhl, DÖV 1994, S. 577 (584). 86

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90 Ausdrücklich in ~iesem Sinne jetzt die Fassung des § 107 Abs. 1 S. 1 Nr. 1lit b) GemO NW nach der Anderung durch das Gesetz v. 25. 11. 1997 (GVBl. NW S. 422): "Die Gemeinde darf sich zur Erledigung von Angelegenheiten der örtlichen Gemein-

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jedenfalls in der Umstellungsphase mit einem Netzmonopolisten für die berühmte "letzte Meile". Ebenso müßte noch einmal geprüft werden, ob sich im Hinblick z. B. auf "Rahmensetzung" und "Erfüllung" Verantwortung als einheitliche Oberkategorie eignet: Das eine ist eine normative Aufgabe, die im Staat anderen Instanzen mit anderen Mechanismen der Informationsverarbeitung zugeordnet ist, als die Erfüllung. So wird die rahmensetzende Instanz in der Regel auch den Rahmen für solche Fälle setzen, in denen der Staat eine Erfüllungsverantwortung übernommen hat.

3. Verantwortung Privater

In der neueren Diskussion soll der Begriff der Verantwortung auch dazu beitragen, die bisher verwendeten Kategorien des Beliehenen und Verwaltungshelfers zugunsten einer differenzierteren Betrachtungsweise zu ersetzen: Einzelnen Privaten wird" Verantwortung" im Rahmen der Erbringung öffentlicher Leistungen übertragen, privates Handeln wird im öffentlichen Interesse überdeterminiert91 . So heißt es, Privaten werde im Rahmen des Öko-Audit Eigenverantwortung92 im Umweltrecht übertragen; im Sozialrecht hat der Ausdruck "Eigenverantwortung" Eingang in Gesetze gefunden 93 .

a) Modales Verständnis: Versteht man den Begriff der Verantwortung modal, fragt sich, was die Bezeichnung der Einschaltung des Privaten mit "Verantwortungsübertragung" jenseits der Tatsache an Erkenntnisgewinn bringt, daß die Verwaltung insoweit nicht tätig wird, daß die Verantwortung der Verwaltung bzw. des Staates endet. Jedenfalls die für die Verwaltung erarbeiteten Verantwortungstypen und deren Instrumentenbündel dürften hier gerade nicht passen. Ist das Ziel dieses Begriffs ausschließlich, die Rolle oder Funktion der Privaten zu beschreiben, fragt es sich, warum es nicht mit einer solchen Bezeichnung sein Bewenden haben kann. Die deutliche Trennung der wahrgenommenen Funktion von der rechtlichen Veranlassung für ihre Übernahme durch Private ist um so mehr geboten, als es durchaus schaft wirtschaftlich betätigen, wenn ... die Betätigung erfolgt, um Leitungsnetze für Zwecke der Telekommunikation einschließlich der Telefondienstleistungen allein oder zusammen mit Dritten zu erweitern und / oder zu betreiben" . 91 Trute, DVB11996, S. 950. 92 Zur Übertragung von "Eigenverantwortung" im Öko-Audit und Baurecht Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), S. 160 (194); Pitschas, in: Lüder (Hrsg.), Staat und Verwaltung, 1997, S. 269 (insbes. 282 f.). 93 Erstes und Zweites "Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung", BGBl. I 1997, S. 1518, 1520; §§ 1,2 SGB V; §§ 6, 7 SGB XI. 4"

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einen Unterschied ausmacht, ob eine solche Verantwortung übertragen, d. h. durch den Staat verpflichtend auferlegt wird, oder ob die Privaten sie freiwillig wahrnehmen, weil der Staat insoweit nicht tätig wird. Nicht jede Selbstregulierung ist staatlich hervorgerufen. Sie kann völlig freiwillig oder durch staatliche Organisationsmaßnahmen ermöglicht (Öko-Audit) sein, durch staatliche Handlungen mittelbar (Vergabe öffentlicher Aufträge nur an zertifizierte Dienstleister) oder unmittelbar erzwungen werden. Die Rolle des Privaten mag sich hier jeweils ähneln, die rechtliche Bewertung variiert. Angesichts dieser Vagheit fallen die normativen Konnotationen des Verantwortungsbegriffs um so nachteiliger ins Gewicht.

b) Normatives Verständnis: Diese normative Komponente des Verantwortungsbegriffs wird bei der Anwendung auf Private sofort sichtbar, weil diesen Pflichten nur extern auferlegt werden können 94 . Der Begriff "gemeinsame Verantwortung", z. B. in Formulierungen wie "Gemeinsame Verantwortung für das Gemeinwohl"95, U.u. auch der der "Verantwortungsteilung"96 führen daher - normativ verstanden - zwei unvereinbare Konzepte zusammen. - Wird Privaten durch Gesetz eine solche Verantwortung übertragen, bildet lediglich die Verfassung die Grenze. Unproblematisch ist eine solche Übertragung gleichwohl nicht: Aus demokratischen und rechtsstaatlichen Gründen stellt sich die Frage nach der zulässigen Entkoppelung von staatlichen Steuerungszusammenhängen97 . Die Grundrechte Dritter werden auf den Plan gerufen, wenn der Staat im Zusammenwirken mit den gesellschaftlichen Verantwortungsträgern Grundrechte vielleicht sogar effektiver beeinträchtigt. Auch der "Verantwortungspartner" des Staates ist durch die Übertragung der "Verantwortung" belastet, weil er für die Verwirklichung öffentlicher Zwecke in die Pflicht genommen wird98 . Welche Funktion das Verantwortungs argument bei den hier erforderlichen Abwägungen haben kann, ist nicht klar, weil die Figur der Verantwortung anderweitig getroffene Wertungen voraussetzt. - Erst recht ist Verantwortung kein eigenständiger Eingriffstitel für die Auferlegung von Gemeinwohlbindungen, auch nicht auf der Grundlage einer "Verfassungserwartung"99, selbst wenn der Staat durch die Verant94 Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), S. 160 (166). Zur Verantwortung in Parallele zum Begriff der "Verfassungserwartung" ebenso Sachs, DVBl1995, S. 873 (889), im Anschluß an Isensee, HdbStR V, § 115 Rdnr. 166, 183; weitergehend (wohl) Voßkuhle, in: Schuppert (FN 2), unter III. 2. d) (zit. nach 'JYposkript). 95 Pitschas (FN 12), S. VII. 96 Trute, DVBl1996, S. 950; Schach, VVDStRL 57 (1998), S. 158 (163); die Beiträge in Schuppert (FN 2). 97 Trute, DVBl1996, S. 950 (957). 98 Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), S. 160 (174 f.). 99 Dazu bereits oben bei FN 52 f.

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wortungsübertragung die Erbringung von Gemeinwohlleistungen möglicherweise optimiert. Soweit eine solche, Dritte oder den Betroffenen belastende, Einbeziehung in die staatliche Aufgabenwahrnehmung ohne gesetzliche Grundlage vonstatten geht, wird sie daher zumeist rechtswidrig sein lOO • Als Rechtsgrundlage für die Auferlegung von Gemeinwohlbindungen kommt immerhin ein den Privaten einschaltender Vertrag in Betracht. Nur ergeben sich die Pflichten in diesem Falle nicht aus der übernommenen Aufgabe oder übertragenen Verantwortung, sondern aus den Regelungen des Vertrages, so daß die PflichtensteIlung auf eine freiwillige Übernahme durch den Privaten zurückgeht.

V. Verantwortung als Übergangsbegriff Insgesamt erweist sich der Begriff der Verwaltungsverantwortung für die dogmatische Diskussion als schwierig zu handhaben. Er verbindet im Grunde zwei nicht miteinander vereinbare Konzepte und führt so durch sein Changieren zwischen Faktizität und Normativität leicht zu Fehlschlüssen. - Kernthema des Verantwortungsbegriffs ist die Zurechnung bestimmter Handlungsergebnisse oder Handlungszuständigkeiten zu bestimmten Subjekten. Die Frage nach ihr wird gestellt, wenn durch das Zusammenwirken einer Mehrzahl von Akteuren gerade auch in Organisationen die Zurechnung von Ergebnissen zu Einzelnen schwierig wird. Insofern mag der Einsatz des Verantwortungsbegriffs eine Reaktion auf die Beobachtung komplizierter Verflechtungen lOl zwischen Staat und Privaten, nationalen und internationalen Stellen sein. Diese Komplexität ist mit verwaltungsrechtlichen Kategorien, die individuelle Handlungen zum Thema und als Bild haben, nur schwer zu bearbeiten 102 • Der Begriff der Verwaltungsverantwortung bewirkt einen vorschnellen Rückbezug auf diese eher herkömmlichen Kategorien, weil die aus sachlichen Bedürfnissen gefolgerte Zuweisung einer Verantwortung an den Staat die weitere Frage nach dessen Kompetenz und Leistungsfähigkeit gar nicht mehr stellt. - Verantwortung läßt sich nur dem zuschreiben, der auch tatsächlich in der Lage ist, die geforderten Zustände herzustellen, die geforderten Handlungen zu erbringen. Mehr und mehr wird zweifelhaft, ob der Staat eine ihm zugeschriebene Verantwortung aufgrund seiner begrenzten Mittel Vgl. Trute, DVBl1996, S. 950 (963 f.); Di Fabio, BB 1996, Beil. 16, S. 7 H. Vgl. Kaufmann (FN 42), S. 34 f. 102 Vgl. auch Höfling, in: Lange (FN 13), S. 155, m. Verweis auf Bayertz (FN 8), S. 24 H. 100 101

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Hans Christian Röhl

und Fähigkeiten überhaupt einlösen kann. Lag der Privatisierung und der Übertragung öffentlicher Aufgaben auch die Erkenntnis zugrunde, daß der Staat sich mit seinem Versprechen der Erfüllungsverantwortung übernommen hatte, so wären auch die neuen in Aussicht gestellten Rah,men- und Gewährleistungsverantwortungen daraufhin zu überprüfen, ob der Staat über hinreichend Wissen, Mittel und Fähigkeiten verfügt, ihnen gerecht zu werden. So ist zweifelhaft, wie der Staat dafür die Verantwortung tragen soll, daß in ausdifferenzierten Systemen hinreichende Vorsorge für Risiken getroffen ist, wenn er deren Umfang und Entstehung mit eigenen Kräften gar nicht abschätzen kann 103 . Die Zuschreibung einer Verantwortung jedenfalls impliziert, daß es dem Staat möglich ist, der Verantwortung auch nachzukommen. Mit" Verantwortung", insbesondere in der ex-ante-Bedeutung werden jedoch zunächst einmal bestimmte Aufgaben beschrieben, wie sie sich aus der Struktur der Sachprobleme ergeben. Über das Subjekt der Verantwortung und über seine Fähigkeiten ist damit jedoch noch nichts ausgesagt104, Verantwortung läßt sich einem bestimmten Subjekt nur nach einer Bewertungsoperation zuschreiben. Insofern ist der Verweis auf eine "staatliche" Verantwortung eher eine Verlegenheitsantwort in den Fällen der Privatisierung, in denen Fähigkeiten und angemessene Rolle des Staates noch nicht hinreichend analysiert sind. Die pauschale Zuweisung der Verantwortung an den Staat erfüllt eine beruhigende Funktion, die aber die eigentlichen Fragen verschleiert. - Mit dem Begriff der" Verantwortungsteilung" ist ein weitergehender Perspektivenwechsel verbunden: Ansatzpunkt des wissenschaftlichen Interesses ist nicht mehr allein die Analyse und rechtsstaatliche Einhegung einer Staatsgewalt, die als freiheitsgefährdend oder Existenzvoraussetzungen gewährend erkannt worden ist und für deren Begründung und Begrenzung gesorgt werden SOll105. Vielmehr geht es darum, wie Gemeinwohlrichtigkeit garantiert werden kann, wenn Freiheit und Sicherheit im Zusammenwirken zwischen privaten und staatlichen Stellen erzielt werden, der Staat also nicht mehr als deren einziger Garant verstanden wird 106 : Das läßt sich an einem klassischen Thema wie dem des Verhältnisses von Öffentlichem Recht und Privatrecht zeigen: Unter dem Leitbegriff der "Auffangordnungen" erhält dieses einen neuen Zuschnitt, weil 103 Für das Arzneimittel- und Gentechnikrecht Di Fabio, Risikoentscheidungen (FN 57), passim; vgl. auch dens., VVDStRL 56 (1997), S. 235 (251); für das Atomrecht Hofmann, Privatwirtschaft und Staatskontrolle, 1989, S. 34 H.; für die Bankenaufsicht Artopoeus, Kreditwesen, 1997, S. 1152 H.; für die technische Normsetzung Schulte, in: Rengeling (FN 76), S. 165 (174 f.). 104 Picht, in: ders. (FN 15), S. 318 (336 f.). 105 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 1997, § 3 Rdnr. 13. 106 Vgl. auch die Anknüpfung an die "Verwaltung des Gemeinschaftsraumes" bei Schmidt-Aßmann (FN 1), Kap. 7 Tz. 3 f.

Verwaltungsverantwortung als dogmatischer Begriff?

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das Ziel der Überlegungen nicht mehr allein die trennscharfe Abgrenzung zwischen den Rechtsmaterien, sondern weitergehend die Frage ihrer sinnvollen Kombination ist. Gleiches gilt für aktuelle Themen, wie die der Informationsordnung l07 ; Hier gehen die Gefährdungen nicht mehr alleine und auch nicht mehr vor allem vom Staat aus, wie die EG-Datenschutzrichtlinie zeigt; der Staat ist nur noch ein Akteur unter anderen und hat Schwierigkeiten, mit seinen Instrumenten und Mechanismen der Informationsverarbeitung einer neuen Informationsordnung gerecht zu werden, die sich außerhalb des Staates gebildet hat. Daß, hervorgerufen durch diese Relativierung der Bedeutung der Staatlichkeit, die Wissenschaft in erster Linie einen Perspektivenwechsel vollzogen hat, berücksichtigt möglicherweise nicht hinreichend, wer meint, hiermit werde die Trennung zwischen Staat und Gesellschaft aufgegeben, Errungenschaften würden mit leichter Hand über Bord geworfen 108 • Die Trennung zwischen staatlicher Kompetenz und gesellschaftlicher Freiheit bleibt konstitutiv. Nur wird eine solche präzise Grenzziehung alleine nicht mehr weiterhelfen, wenn der Staat innerhalb der ihm so gezogenen Grenzen nicht mehr die erwartete Lösung aller Probleme bereitstellen kann. Verwaltungsverantwortung und Verantwortungsteilung sind in diesem Zusammenhang Übergangsbegriffe mit ihren typischen Problemen, weil sie einen Perspektivenwechsel verdecken können. Die Wissenschaft muß sich fragen, ob der Begriff der Verantwortung in Rechtsdogmatik und Rechtspraxis langfristig sinnvoll einzusetzen ist: Hiergegen spricht vor allem die Bündelungsfunktion des Verantwortungsbegriffs, die als "Abbreviatur unterschiedlicher Verbindungen von staatlicher Funktion, Handlungsrnaßstäben und -formen" bezeichnet wird 109 . Zu viele Fragen sind in eins gesetzt, die alle jede für sich beantwortet werden müßten. Verantwortung könnte höchstens am Ende eines Schlußverfahrens stehen, das Subjekt der Verantwortung, faktische und rechtliche Kompetenzen und vor allem auch den Grund für die Zuschreibung der Verantwortung exakt benennt. Der Weg dahin muß erst noch gesucht werden, und das heißt, eine dogmatische Restrukturierung ist nötig. Wenn die Kategorie der Verantwortung in diesen Zusammenhängen nicht weiterführt, dann fragt es sich, ob nicht lieber auf sie verzichtet werden sollte. Reiner Schmidt ist zuzustimmen, wenn er ausführt; "Als rechtliche Grundkategorie ist Verantwortung zu unbestimmt, um auch nur allgemeine Grundsätze ableiten zu können. "no.

107 Dazu die Referate von Schoch und Trute, VVDStRL 57 (1998), S. 158 ff. und 216 ff. 108 Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), S. 235 (276). 109 Trute, DVB11996, S. 950 (951). 110 R. Schmidt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 83 Rdnr. 6 Fn. 8.

Die Beziehungen zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen Verwaltungsrecht Von Thomas Groß, Heidelberg

I. Einleitung "Ad hoc enim requiritur quod per practicam procedendem habitum fecerit ad adaptandum generalia particularibus et hoc recta ratione. " Auf diese Weise definiert Bartolus de Saxoferratis den "prudens iurista"l. Auf den Kontext der Refonn des Allgemeinen Verwaltungsrechts übertragen, fonnuliert diese mehr als sechs Jahrhunderte alte Aussage mit dem Verhältnis zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen ein zentrales Problem der verwaltungsrechtswissenschaftlichen Systembildung. Es stellt sich die Frage nach der Rezeptionsoffenheit der allgemeinen Lehren des Verwaltungsrechts gegenüber den Veränderungen in den Bereichen des Besonderen Verwaltungsrechts. Wie können bedeutsame neue Rechtsentwicklungen in diesem weiten Kreis von Referenzgebieten2 für die Weiterentwicklung der allgemeinen Lehren herangezogen werden? Das Problem der methodischen Grundlagen des Verhältnisses zwischen den allgemeinen Lehren und den einzelnen Rechtsgebieten berührt grundsätzliche wissenschaftstheoretische Fragen. Die auf den ersten Blick sehr anschauliche Fonnel, wonach das Allgemeine Verwaltungsrecht durch Abstrahierung und Generalisierung entstehe, ist jedenfalls unzureichend. In der Diskussion um die Kodifikation des Allgemeinen Teils des Verwaltungsrechts ist zu Recht·darauf hingewiesen worden, daß aus den Erfahrungen mit den Besonderen Teilen allein keine Bausteine für das Allgemeine Ver-

1 Zitiert nach Herberger, Dogmatik, 1981, S. 202, der wie folgt übersetzt: "Dazu ist nämlich erforderlich, daß er sich eine praktisch verfahrende Haltung erworben hat, um das Allgemeine dem Besonderen anzupassen, und das mit rechter Vernunft." 2 Vgl. zu diesem Begriff Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Refonn des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 11 (14,26 ff.); s. auch dens., Die Verwaltung 27 (1994), S. 137 (148 ff.). 3 Faber, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufi. 1995, S. 15; Stern, JZ 1962, S. 265 (267); s. auch Badura, Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaats, 1967, S. 25; Mußgnug, in: FS Juristische Fakultät Heidelberg, 1986, S. 203 (206 f.); Kopp, VwVfG, 6. Aufi. 1996, Vorbem. § 1 Rdnr. 23.

ThomasGroß

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waltungsrecht erwartet werden können4 . Dies wirft die für die wissenschaftliche Bearbeitung des Verwaltungsrechts zentrale Frage auf, in welcher Form systematische Aussagen der Dogmatik gewonnen werden können. Wenn die Aussage richtig ist, daß in der Methode Vorentscheidungen über Inhalte fallen 5 , ist eine solche Reflexion der Verwaltungsrechtswissenschaft über ihre Prämissen wichtig als Voraussetzung für die angestrebte Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts 6 . Die Komplexität des Themas macht eine Beschränkung auf einige wenige Grundlinien erforderlich. Die folgenden beiden Abschnitte untersuchen die Frage, wie die Unterscheidung zwischen Allgemeinem und Besonderem Verwaltungsrecht entstanden ist (11.) und ob sich in anderen Rechtsordnungen eine vergleichbare Einteilung findet (Irr.). Auf dieser Grundlage werden einige vorläufige Aussagen über die Bedingungen der Möglichkeit von Änderungen im Allgemeinen Verwaltungsrecht und über den Einfluß der Gebiete des Besonderen Verwaltungsrechts formuliert (IV.).

11. Die Entstehung des Allgemeinen Verwaltungsrechts 1. Die Herausbildung eines Allgemeinen Teils

Der Beginn der modernen wissenschaftlichen Bearbeitung des Allgemeinen Verwaltungsrechts in Deutschland liegt nach einhelliger Auffassung 7 in dem Werk des württembergischen Oberamtmanns Friedrich Franz Mayer 8 • Bemerkenswert ist nicht nur, daß er diesen wesentlichen Grundstein als Verwaltungspraktiker legte, sondern auch, daß er nicht an einer juristischen Fakultät, sondern an der staatswirtschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen ausgebildet worden war 9 . Zu ihrem Fächerkanon gehörte allerdings bereits das Öffentliche Recht, das in seiner Studienzeit von Robert von Mohl gelehrt wurde. Er war der erste, der die öffentliche Verwaltung zum Gegenstand einer ausschließlich rechtlichen Betrachtung machte. Eine explizite Unterscheidung zwischen einem Allgemeinen und einem Besonderen Teil des Verwalvon der Groeben, Referat auf dem 43. DJT, 1960, Band 11, S. D 5 (14). Grimm, in: FS Coing, 1982, Bd. I, S. 469 (470). 6 Vgl. die Zusammenfassung der Reformaufgaben bei Schmidt-Aßmann, Die Verwaltung 27 (1994) S. 137 (142). 7 Vgl. Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 2, 1992, S. 395 f.; Badura (FN 3), S. 11,52 f.; Werner, 43. DJT, 1960,1/2 B, S. 30 f.; Toshiyuki Ishikawa, Friedrich Franz von Mayer, 1992, S. 19 (22 ff.) m.w.Nachw. 8 F. F. Mayer, Grundzüge des Verwaltungsrechts und Rechtsverfahrens, 1857; ders., Grundsätze des Verwaltungsrechts, 1862. 9 Vgl. Ishikawa (FN 7), S. 51 ff. 4

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Beziehungen zwischen Allgemeinem und Besonderem Verwaltungsrecht

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tungsrechts findet sich bei F. F. Mayer zwar noch nicht. Er tat jedoch im Vergleich zu der bis dahin üblichen kompilatorischen Bearbeitung in seinen beiden Werken einen wichtigen Schritt in diese Richtung 10 , indem er sie nicht nach Materien, sondern nach den verschiedenen Rechtsbeziehungen zwischen dem einzelnen und dem Staat sowie im Verhältnis zu den öffentlichen Körperschaften, insbesondere den Gemeinden, gliederte. Einzelne Rechtsgebiete wie das Steuer-, Wasser- oder Gewerberecht dienen im ersten, kleineren Band nur noch als Fundus für Beispiele, anhand derer er allgemeine Fragen erläutert. In seinem zweiten Werk, das wie der erste Teil seines Vorläufers gegliedert ist, sind viele Fragenkomplexe, z. B. des Staatsangehörigkeits-, Ausländer-, Steuer-, Polizei-, Wasser- oder Gemeinderechts, ausführlicher erörtert, aber auch hier innerhalb einer allgemeinen Zuordnung nach Rechtsverhältnissen. F. F. Mayer hat bereits die "Zurückführung des Einzelnen auf das Allgemeine" zum Programm erhoben l l . Er wollte die "eigenthümlichen, der Natur der öffentlichen Verwaltung entsprechenden Formen und Gestaltungen" in einem "System rechtlicher Grundsätze und Einrichtungen" erfassen 12 , ein außerordentlich modern klingendes Programm. Allerdings ist es ihm noch nicht gelungen, termini technici einer Dogmatik zu entwickeln, durch die die von ihm entdeckten systematischen Bezüge in spezielle Rechtsinstitute gefaßt werden konnten 13, wobei diese Feststellung gegenüber einem solchen Pionier natürlich nicht als Vorwurf gemeint sein kann. So erwähnt er zwar öfters den Begriff des Verwaltungsaktes, er benutzt ihn aber ganz allgemein zur Beschreibung des Handelns der Verwaltung 14 . Das Verfahrensrecht wird von ihm nur in den "Grundzügen" kurz beschrieben 15 , mit durchaus auch heute noch bemerkenswerten Ausführungen, etwa zur Präklusion oder zum Amtsermittlungsgrundsatz und seinen Grenzen. Auch hier vermißt man jedoch retrospektiv das dogmatische Rückgrat einer Handlungsformenlehre. Für eine vertiefte Darstellung war die Rechtslage in den verschiedenen Staaten wohl noch zu unterschiedlich 16.

Die ausdrückliche Unterscheidung zwischen einem Allgemeinen und einem Besonderen Teil des Verwaltungsrechts findet sich interessanterweise zum ersten Mal bei einem Autor, der nicht zu den Vertretern der juristischen 10 Weitergehend Ishikawa (FN 7), S. 180 ff., der jedoch sehr niedrige Anforderungen an eine systematische Bearbeitung stellt. 11 F. F. Mayer, Grundsätze (FN 8), S. V. 12 F. F. Mayer, Grundsätze (FN 8), S. 8. 13 Badura (FN 3), S. 11. 14 Vgl. dazu Ishikawa (FN 7), S. 77 f., 128 ff., 188 f., der diese terminologische Frage überbewertet. 15 F. F. Mayer, Grundzüge (FN 8), S. 82 ff. 16 Ishikawa (FN 7), S. 174 f.

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Methode gerechnet wird, bei Lorenz von Stein 17. Dem "Recht der vollziehenden Gewalt", dem er die gemeinsamen Bestimmungen zuordnet, stellt er drei spezielle Zweige, das Recht der Staatswirtschaft, das Recht der Rechtspflege und das Recht der inneren Verwaltung, gegenüber, die die Bedingungen der Tätigkeit des Staates formulieren. An anderer Stelle spricht er auch bereits davon, es gebe ein "Gebiet des allgemeinen und ... des besondern Verwaltungsrechts" 18. Bemerkenswert ist außerdem, daß er diese Unterscheidung als "System des Verwaltungsrechts" bezeichnet 19 . Zum Allgemeinen Teil rechnet er die Kategorien der Verordnung, der Organisation und des Zwanges, die unabhängig von der speziellen Aufgabe für jedes Organ der Staatstätigkeit gelten20 . Unter den Begriff der Verordnung faßt er dabei jeden Willensakt des Staates zur Ausführung von Gesetzen, also auch Verfügungen 21 .

Lorenz von Stein wird folglich Unrecht getan, wenn er allein als Vertreter einer aufgrund der Fülle des Stoffes zum Scheitern verurteilten enzyklopädischen Staatswissenschaft gewürdigt wird22 . Die Systematisierung ist keineswegs notwendig mit der juristischen Methode verbunden, sondern kann auch im Rahmen eines staatswissenschaftlichen Ansatzes verfolgt werden 23 . Die Tatsache, daß er als erster das Prinzip einer Trennung des Allgemeinen vom Besonderen klar formulierte, zeigt, daß auch er den Wert einer dogmatischen Durchdringung des Verwaltungsrechts erkannte. Allerdings fehlte es seinem Begriff der vollziehenden Gewalt an Konturen24 , so daß seine Einteilung sich nicht durchsetzen konnte. Die erste Abtrennung eines Teiles über "Allgemeine Lehren" als Gliederungsprinzip der wissenschaftlichen Darstellung findet sich im "Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechtes" von Georg Meyer25 • Neben eher deskriptiven Abschnitten über die Verwaltungsorganisation, die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die Verwaltungsexecution enthält es einen Paragraphen über die "rechtliche Natur der Verwaltungsacte", der jedoch im wesentlichen nur eine klassifikatorische Behandlung der verschiedenen 'JYpen bietet und noch nicht zu einer systematischen Behandlung vordringt26. 17 von Stein, Die Verwaltungslehre, 2. Aufl. 1869, Teil 1, Abtl. 1, S. 51, 66. 18 von Stein (FN 17), S. 57. von Stein (FN 17), S. 51, 60. von Stein (FN 17), S. 65. 21 von Stein (FN 17), S. 43. 22 Vgl. Stolleis (FN 7), S. 390 f.; anders aber Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 10. Aufl. 1973, S. 46; F. Mayer, in: Schnur (Hrsg.), Staat und Gesellschaft, S. 435 (444). 23 Hueber, Otto Mayer. Die "juristische Methode" im Verwaltungsrecht, 1981, S.139. 24 Dennewitz, Die Systeme des Verwaltungsrechts, 1948, S. 89. 25 Georg Meyer, Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts, Theil1, 1883, S. 15 H. 19

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Otto von Sarwey wählte für sein im Jahr 1884 erschienenes Lehrbuch den Titel "Allgemeines Verwaltungsrecht" . Dabei teilte er einen "speziellen Theil des allgemeinen Verwaltungsrechts" ab 27 , der das "Recht der innern Verwaltung" umfaßt, doch verzichtete er darauf, hier in die Details zu gehen. In den Grundbegriffen ist sein Werk bereits systematisch angelegt, allerdings hat auch er noch keine Handlungsformenlehre entwickelt. Erneut findet sich die Unterscheidung zwischen einem Allgemeinen und einem Besonderen Teil des Verwaltungsrechts bei Albert von Kirchenheim 28 • Dem ersten rechnet er die für alle Zweige der Verwaltung gültigen Grundsätze zu, die er zu einem System verbinden will29 . Der Besondere Teil dagegen dient der Darlegung der Aufgaben der Verwaltung in allen einzelnen Gebieten 3o . Kurz danach erschien mit dem Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechts von Karl von Stengel die erste Darstellung, die ausdrücklich in einen Allgemeinen und einen Besonderen Teil gegliedert war 31 . Dem Allgemeinen Teil ordnete er die Kapitel "Organe und Einrichtungen der Verwaltung", "Mittel und Verfahren der Verwaltung" und "Die Kontrollen der Verwaltung und die Verwaltungsrechtsprechung" zu. Er hatte seine systematischen Vorstellungen bereits im Jahr 1882 in einem programmatischen Aufsatz formuliert 32 . Stengel bezeichnete es dort als ein in der Natur der Dinge liegendes System, daß sich auch im Verwaltungsrecht der Stoff in einen Allgemeinen und einen Besonderen Teil scheide. Der Allgemeine Teil solle alle Lehren enthalten, die für jede Art von Verwaltung gelten, unabhängig von ihrem Gegenstand. Auch er verwendete hierfür den Begriff der Lehre von der vollziehenden Gewalt, so daß eine Befruchtung durch Lorenz von Stein naheliegt. In der Durchführung dieses Prinzips in seinem Lehrbuch bestanden jedoch noch große Mängel 33 .

2. Die Methodik bei Otto Mayer

Ungeachtet der Verdienste seiner Vorgänger ist nach wie vor unumstritten, daß Otto Mayer der eigentliche Schöpfer des Allgemeinen Verwaltungsrechts im heutigen Sinn ist 34 . Auch er gliederte sein Deutsches Verwaltungsrecht in einen Allgemeinen und einen Besonderen Teil. Dabei thematisierte 26 27

28

29 30 31 32

33 34

Dennewitz (FN 24), S. 109. von Sarwey, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1884, S. 56. von Kirchenheim, Einführung in das Verwaltungsrecht, 1885, S. 25 f. von Kirchenheim (FN 28), S. 26 f. von Kirchenheim (FN 28), S. 85. von Stengel, Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechts, 1886. von Stengel, ZStW 1882, S. 219 (257 f.). Vgl. Laband, AöR 2 (1887), S. 162 ff.; Dennewitz (FN 24), S. 116 f. Dennewitz (FN 24), S. 9; Forsthoff(FN 22), S. 54; Stolleis (FN 7), S. 403 ff.

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er die Parallele zur Gliederung des Bürgerlichen Rechts, von ihm noch als Pandektenrecht bezeichnet. Bemerkenswert ist aber, daß er sich dagegen verwahrte, "nur einen Allgemeinen Teil zu liefern", denn" [d]amit wäre wenig gedient, auf die Pandekten selbst kommt es an,,35. Er verneinte also den wissenschaftlichen Wert einer isolierten Betrachtung der allgemeinen Lehren. Allerdings ist sein Besonderer Teil keineswegs vergleichbar mit einem Lehrbuch des Besonderen Verwaltungsrechts im heutigen Sinn. Vielmehr enthält er z.T. Fragenkomplexe, die heute dem Allgemeinen Verwaltungsrecht zugeordnet werden, wie etwa das öffentliche Sachenrecht, das Recht der Anstalten und die Selbstverwaltung. Auch die übrigen Gebiete, die er behandelt, wie das Polizeirecht, das Steuerrecht oder das Beamtenrecht, werden nicht im Sinne einer umfassenden Darstellung der jeweiligen Zweige der Verwaltung behandelt, sondern nur im Hinblick auf einige ausgewählte rechtliche Institute analysiert 36 . Die Vorgehensweise von Otto Mayer eignet sich in besonderer Weise zur Relativierung der Hypothese, das Allgemeine Verwaltungsrecht sei durch Abstrahierung aus den besonderen Gebieten entstanden. Seine Methodik ist zu Recht als eklektisch bezeichnet worden37 . Zwar ist der Einfluß des zivilrechtlichen Konstruktivismus, der mit der seit earl Friedrich von Gerber und Paul Laband sich durchsetzenden Anwendung der juristischen Methode in das Verwaltungsrecht übernommen wurde 38 , bei Otto Mayer unübersehbar. Er hat sich aber immer von einer reinen Arbeit am Begriff distanziert und den notwendigen Wirklichkeitsbezug der Dogmatik betont39 • Man kann vier wesentliche Einflußfaktoren unterscheiden, die seine Herangehensweise an das Verwaltungsrecht geprägt haben. Wie Gerber und Laband kam auch Otto Mayer vom Zivilrecht, in dem er ursprünglich habilitieren wollte40 . Im Vorwort seines Lehrbuches wird offen eingeräumt, daß er in vielen Bereichen Anleihen bei Instituten des Zivilrechts gemacht hat, um sie in das Verwaltungsrecht zu transponieren 41 . Das zweite bekannte Element seiner Methodik ist die Vorbildfunktion des fran35 Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 1895, S. 19 f. Fn. 8; zustimmend Spiegel, Die Verwaltungsrechtswissenschaft, 1909, S. 54 Fn. 9. 36 Vgl. dazu Heyen, Otto Mayer, 1981, S. 198 f.; Dennewitz (FN 24), S. 130 f., 143 ff.; krit. Erich Kaufmann, VerwArch 30 (1925), S. 377 (398). 37 Heyen (FN 36), S. 206; s. auch Wyduckel, Ius Publicum, 1984, S. 272. 38 Zur zeitgenössischen Diskussion vgl. Hueber (FN 23), S. 142 ff.; s. auch Grimm (FN 5), S. 469 (477 ff.). 39 Vgl. Hueber (FN 23), S. 18 ff.; Heyen (FN 36), S. 155 ff.; Wyduckel (FN 37),

S. 271 ff.

Hueber (FN 23), S. 75. O. Mayer (FN 35), S. VIII; s. auch Bachof, VVDStRL 30 (1972), S. 193 (203); Forsthoff(FN 22), S. 52; Hueber (FN 23), S. 74 ff.; Meyer-Hesemann, Methodenwandel in der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1981, S. 37 ff.; Stolleis (FN 7), S. 406. 40 41

Beziehungen zwischen Allgemeinem und Besonderem Verwaltungsrecht

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zösischen VelWaltungsrechts, das an seiner langjährigen Wirkungsstätte Straßburg geltendes Recht war und aus dem er vieles, auch in der Terminologie, übernommen hat 42 . Allerdings widmeten sich auch schon vor ihm die velWaltungsrechtlichen Lehrbücher des 19. Jahrhunderts der europäischen Rechtsvergleichung43 . Die theoretische Basis seiner Konstruktionen und damit der wichtigste Aspekt seiner Methodik war aber ein spezifisches Verständnis des Rechtsstaates, aus dem er das System seiner allgemeinen Kategorien ableitete. Schon Erich Kaufmann hat in seinem Nachruf darauf hingewiesen, daß die von Otto Mayer geformten Rechtsinstitute nicht das in Deutschland geltende Recht wiedergaben, sondern aus dem Wesen des Rechtsstaats entwickelt worden waren44 • Das Ziel der möglichst umfassenden rechtlichen Eingrenzung des Staatstätigkeit verfolgten auch schon seine Vorgänger, doch hat erst er es mit seiner Rechtsformenlehre zu einem vorläufigen Abschluß gebracht. Seine Vorgehensweise entspricht damit der Ableitung velWaltungsrechtlicher Dogmen aus einem verfassungsrechtlichen Konzept, auch wenn der methodische Vorgang damals noch nicht in dieser Form konstruiert werden konnte, da die Lehre von der Normenhierarchie, auch mangels Verfassungsgerichtsbarkeit, noch nicht entwickelt war. Der Sache nach war jedoch die Verfassungs abhängigkeit des VelWaltungsrechts trotz der Betonung der disziplinären Eigenständigkeit schon im 19. Jahrhundert bewußt45 . Schließlich ist noch ein vierter Faktor zu beachten. Auch nachdem ab 1871 die ReichsvelWaltung aufgebaut worden war, lag der Schwerpunkt der VelWaltungstätigkeit im Deutschen Reich bei den Ländern. Dementsprechend war das VelWaltungsrecht in erster Linie Landesrecht. Die Herausbildung eines Allgemeinen VelWaltungsrechts diente in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch der nationalen Rechtseinheit. Es wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als geradezu selbstverständliche Aufgabe der wissenschaftlichen Lehre angesehen, aus dem Reichsrecht und dem Recht der einzelnen Staaten die gemeinsamen Rechtsgrundsätze und 42 Vgl. o. Mayer, Theorie des Französischen Verwaltungsrechts, 1886, passim; Kaufmann, VerwArch 30 (1925), S. 377 (S. 383 f).; Hueber (FN 23), S. 30 H., 77 H. 43 Vgl. z. B. F. F. Mayer, Grundzüge (FN 8), S. V; ders., Grundsätze (FN 8), S. Vu. 49 Fn. 5; von Stein (FN 17), S. 129 f. u.ö.; von Meier, in: von Holtzendorff (Hrsg.), Encyklopädie der Rechtswissenschaft, 4. Auf!. 1882, S. 1141 (1161 H.); von Sarwey (FN 27), S. 34, 46 f., 106 H., 125 f., 129, 135 f., 142, 153 H. u.ö.; von Kirchenheim (FN 28), S. 45 H. 44 Kaufmann (FN 36), S. 381, 388; s. auch Hueber (FN 23), S. 24 H., 46 f.; Heyen (FN 36), S. 116 H.; Meyer-Hesemann (FN 41), S. 24 H. 45 Vgl. F. F. Mayer, Grundsätze (FN 8), S. 47 f. Fn. 1, der dort von der "Aufstellung leitender allgemeiner Rechtssätze für die Verwaltung in der Verfassungsurkunde" spricht; ähnlich O. Mayer (FN 42), S. 17 f.; ders. (FN 35), S. 61 f.; s. auch Heyen (FN 36), S. 125; Meyer-Hesemann (FN 41), S. 33 f.

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Rechtsinstitute herauszuarbeiten46 . Bereits bei F. F. Mayer findet sich die Motivation der Ausformung eines gemeindeutschen Verwaltungsrechts 47 . Die Vereinheitlichung des Verwaltungsrechts durch die Überwindung des Partikularismus war ausdrücklich konzipiert als juristischer Beitrag zum Prozeß des "nation building"48. Auch dieser Vorgang der Herausbildung eines gemeindeutschen Verwaltungsrechts erfolgte nicht allein in der Form eines positivistischen föderalen Rechtsvergleichs. Dieser wäre rasch unfruchtbar geworden, wenn er nicht mit dem methodischen Anliegen, im Rahmen einer systematischen Erschließung des Verwaltungsrechts allgemeine Rechtsinstitute herauszuarbeiten, zusammengetroffen wäre49 . Insofern war Otto Mayer ein früher Vertreter der heute als "wertender Rechtsvergleich" bezeichneten Methode, die der Herausarbeitung einheitlicher Grundgedanken einen höheren Stellenwert einräumt als der Respektierung der Besonderheiten der einzelnen Rechtsordnungen50 .

3. Exkurs: Die Entstehung des Allgemeinen Teils im Bürgerlichen Recht und im Strafrecht

Eine interessante Parallele zeigt ein kurzer Blick auf die Entstehung des Allgemeinen Teils in den beiden anderen großen Teilgebieten der Rechtswissenschaft. In ihnen hat sich eine vergleichbare Entwicklung bereits etwa ein Jahrhundert früher vollzogen. Dem antiken römischen Recht waren allgemeine Begriffe noch ganz fremd gewesen, und auch das ältere Gemeine Recht war der Axiomatik abgeneigt51. Die begriffliche Durchdringung und die Herausbildung eines Systems im Zivilrecht erfolgte erst im 18. Jahrhundert unter dem Einfluß des Vernunftrechts 52 . Die wesentlichen Grundbegriffe wie Rechtssubjekt, Willenserklärung oder Rechtsgeschäft, die heute den Allgemeinen Teil des BGB strukturieren, sind nicht induktiv aus dem Rechtsstoff entwickelt worden, sondern entstammen der moralischen Anthropologie. Es handelt sich um philosophische Konzepte, die natürlich Anknüpfungspunkte im Gemeinen 46 So ausdrücklich Loening, VerwaItungsrecht, 1884, S. 18 ff.; s. auch Hueber (FN 23), S. 29 f. 47 F. F. Mayer, Grundzüge (FN 8), S. IV; ders., Grundsätze (FN 8), S. 48 f. 48 Vgl. Faber (FN 3), S. 15 f.; Stern, JZ 1962, S. 265 (266). 49 Hueber (FN 23), S. 30. 50 Vgl. dazu Groß, Die Autonomie der Wissenschaft im europäischen Rechtsvergleich, 1992, S. 163 f. m.w.Nachw. 51 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. 1967, S. 228 f. 52 Wieacker (FN 51), S. 275 f.; Schwarz, Zur Entstehung des modernen Pandektensystems, SavZ RomA 1921, S. 578 (583 ff.).

Beziehungen zwischen Allgemeinem und Besonderem VeIWaltungsrecht

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Recht fanden, ihren Ursprung aber außerhalb der Privatrechtsdogmatik hatten. Eine wesentliche Rolle spielte insbesondere die Moralphilosophie von Christian Wolff, dessen logischer Rationalismus großen Einfluß auf die Pandektenwissenschaft des 19. Jahrhunderts hatte 53 . Die Entwicklung im Strafrecht verlief weitgehend parallel. Die heutige Verbrechenssystematik als Kern des Allgemeinen Teils bildete sich ebenfalls endgültig im 17. und 18. Jahrhundert unter dem Einfluß des Naturrechts heraus 54 . Die ihm eigene synthetische Methode war die Grundlage für die Herausarbeitung der Grundbegriffe. Die erste europäische Strafrechtskodifikation mit einem Allgemeinen Teil ist der codex juris Bavarici criminalis aus dem Jahr 1751 55 . Erst bei Feuerbach wurde allerdings die vernunftrechtliche Methode mit den philosophischen Inhalten des Naturrechts verbunden56 • Der methodengeschichtliche Vorbildcharakter der Pandektistik für die Neuorientierung des Öffentlichen Rechts, die Gerber und Laband eingeleitet haben 57 , lenkt den Blick auf die Vergleichbarkeit der Vorgehensweise von Dtto Mayer bei der Herausbildung der allgemeinen Lehren. In allen drei Fällen sind die wesentlichen Grundbegriffe zwar nicht völlig neu erfunden worden, doch haben sie ihre zentralen systematischen Funktionen nicht auf induktive Weise, sondern durch die Ableitung aus übergreifenden philosophischen Konzepten erhalten. Gemeinsamer Bezugspunkt des romanistischen Zivilrechts, der aufgeklärten Strafrechtsdogmatik und des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts war jeweils das autonome Subjekt, dessen Freiheit zu gewährleisten als oberste Aufgabe der Rechtsordnung angesehen wurde. Es stellt die theoretische Basis aller drei Systembildungen dar.

4. Zur Terminologie

Angesichts der Querbezüge insbesondere zum Zivilrecht ist es erklärungsbedürftig, daß im Verwaltungsrecht im Gegensatz zum Bürgerlichen Recht und zum Strafrecht nicht ebenfalls von einem "Allgemeinen Teil" ge53 Wieacker (FN 51), S. 318 ff.; Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 2, 1989, S. 42 ff.; Schwarz (FN 52), S. 586. 54 Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, 2. Aufl. 1991, S. 43; Schaffstein, Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen in ihrer Entwicklung durch die Wissenschaft des gemeinen Strafrechts, 1930, S. VI, 26 ff.; Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl. 1965, S. 160 f. 55 Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1996, S.18. 56 Tiedemann, in: FS Baumann, 1992, S. 7 (8 f.); E. Schmidt (FN 54), S. 235 ff. 57 Vgl. Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, 1993, S. 92 ff.

5 Die Verwaltung, Beiheft 2

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sprochen wird. Der stattdessen übliche Begriff "Allgemeines Verwaltungsrecht" wurde zum ersten Mal von Sarwey als Buchtitel verwendet. Eine explizite Begründung für seine Wahl findet sich nicht, doch nennt er als Aufgabe seiner Arbeit, "die dem Rechte der verschiedenen Staaten gemeinsamen und die sie unterscheidenden Grundsätze über die Verwaltungsthätigkeit wissenschaftlich zu erfassen und darzustellen"58. Der Gegenbegriff zu "allgemein" ist in diesem Zusammenhang also "partikular" im Sinne der Rechte der einzelnen deutschen Staaten und nicht "besonders" im Sinne spezieller Gebiete des Verwaltungsrechts. Für diese Interpretation spricht auch, daß er von einem "speziellen Theil des allgemeinen Verwaltungsrechts" spricht59 , der das "Recht der innern Verwaltung", also nach damaligem Sprachgebrauch die Gebiete, die wir heute als Besonderes Verwaltungsrecht bezeichnen, umfasse. Seine Begriffsprägung steht also im Kontext der nationalen Rechtsvereinheitlichung.

Ludwig Spiegel dagegen verwendete denselben Begriff ein Vierteljahrhundert später, um sich von der Parallele mit dem Allgemeinen Teil des Zivilrechts abzugrenzen. Er wollte damit betonen, daß die allgemeinen Lehren alle Gebiete des Verwaltungsrechts erfassen müßten 60 . Sie könnten nur induktiv aus dem positiven Recht entwickelt werden. Er mahnte, die Verwaltungsrechtswissenschaft dürfe die Bearbeitung des Stoffes in seiner Breite nicht vernachlässigen. "Allgemeines Verwaltungsrecht" als Titel findet sich nach Sarwey erst wieder bei Adolf Merkl. In seinem Lehrbuch wird auf die Darstellung der speziellen Gebiete ganz verzichtet. Er vertrat vielmehr die Auffassung, das Allgemeine Verwaltungsrecht sei nicht Teil der Rechtsordnung eines bestimmten Staates, sondern ein selbständiges Rechtssystem, das das positive Recht nur als Material benutzt61 . Merkl grenzte sich explizit von den Darstellungen des Allgemeinen Teils einzelner Verwaltungsrechtsordnungen ab, die lediglich "andeutende Ausführungen eines wirklich ,allgemeinen Verwaltungsrechtes'" seien62 • Die wahre Allgemeinheit könne nur gefunden werden, wenn sie sich aus der Umklammerung des positiven Rechts löse. Gefestigt hat sich der Sprachgebrauch erst nach dem Zweiten Weltkrieg 63 • Friedrich Giese unterschied im Vorwort seines 1948 erschienenen Vorlesungsgrundrisses explizit das "Allgemeine Verwaltungsrecht" mit den 58 von Sarwey (FN 27), S. 5l. 59 von Sarwey (FN 27), S. 56. Spiegel (FN 35), S. 55 fi. Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927, S. VI, 96. 62 Merkl (FN 61), S. 95. 63 Zur Lehrbuchliteratur nach 1945 vgl. Stolleis, in: Simon (Hrsg.), Rechtswissenschaft in der Bonner Republik, 1994, S. 227 (234 fi., 254). 60 61

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allgemeinen Lehren der Verwaltung und das "Besondere Verwaltungsrecht" , dem er die einzelnen Zweige der Verwaltung zuordnete 64 . Von einem universalistischen Ansatz wie bei Merkl grenzte er sich ab 65 . Das - soweit ersichtlich - erste Lehrbuch, das den Titel "Besonderes Verwaltungsrecht" führte, erschien dann im Jahr 1957 66 . Letztlich kann diese terminologische Frage nur nach dem Maßstab der sachlichen Angemessenheit beurteilt werden. Es ist wohl richtig, daß den allgemeinen Lehren im Verwaltungsrecht angesichts der Unüberschaubarkeit der einzelnen Gebiete des Besonderen Verwaltungsrechts ein größeres Gewicht zukommt als im Bürgerlichen Recht oder im Strafrecht. Dies allein rechtfertigt eine scharfe Abgrenzung schon im Sprachgebrauch aber nicht, denn die methodische Parallele der Entlastung und Vereinheitlichung durch die Bildung allgemeiner Begriffe, Grundsätze und Rechtsinstitute bleibt davon unberührt. Ein überpositives System wie bei Merkl wird heute ohnehin nicht mehr vertreten, zumal die Unterschiede zwischen Landes- und Bundesrecht im Allgemeinen Verwaltungsrecht unbedeutend geworden sind. Man kann also nur festhalten, daß der Sprachgebrauch durch eine verfestigte Konvention geprägt worden ist.

m. Rechtsvergleich Die Darstellungen des schweizerischen und des österreichischen Verwaltungsrechts, die durch einen engen Austausch mit der deutschen Wissenschaft geprägt sind, folgen einer parallelen Gliederung und verwenden auch dieselbe Terminologie67 . Größere Unterschiede gibt es dagegen in den französischen, englischen und italienischen Lehrbüchern. Im französischen Verwaltungsrecht findet sich die Unterscheidung zwischen einem Allgemeinen und einem Besonderen Teil zwar in einigen Lehrbüchern, sie wird aber nur am Rande behandelt. Im Titel gebraucht nur Rene Chapus den Begriff des "droit administratif general", dem er die besonderen Materien, die man als "droit administratif special" bezeichnen könne, gegenüberstellt 68 • Auch Guy Braibant grenzt den Stoff seines Lehrbuches auf "l'ensemble des regles d'ordre general qui gouvernent la totalite du droit administratif" ein69 • Giese, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1948, S. 5. Giese (FN 64), S. 31. 66 Bochalli, Besonderes Verwaltungsrecht, 1. Teil 1957, 2. Teil 1959. 67 Vgl. z. B. Häfelin I Müller, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1990, passim; Adamovichl Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Auf!. 1987, S. 71 ff.; Antoniollil Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Auf!. 1996, S. 133 f. 68 Chapus, Droit administratif general, Bd. 1, 10. Auf!. 1996, S. 9; ähnlich Moreau, Droit administratif, 1989, S. 29. 64

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Trotz dieser Parallelen in der Tenninologie ist jedoch das Verhältnis zwischen den allgemeinen Lehren und den besonderen Zweigen des Verwaltungsrechts in Frankreich anders strukturiert. Das französische Verwaltungsrecht ist bis heute in viel geringerem Umfang als in Deutschland gesetzlich geregelt, es ist in erster Linie Richterrecht1°. Die Rechtsprechung hat die allgemeinen Dogmen der Handlungsformenlehre oder des Verfahrensrechts weitgehend eigenständig herausgebildet und sie durch "principes fondamentaux du droit administratif" strukturiert71 . Über die Methodik der Rechtsprechung kann man angesichts der apodiktischen Kürze der Urteilsbegründungen wenige Aussagen machen. Wegen der Fallorientierung ist sie zudem wenig systematisch. Auch der Literatur wird eine eher pragmatische Denkart bescheinigt, die in der Regel die Lösungsansätze der Gerichte, insbesondere des Conseil d'Etat übernehme 72 . In den englischen Lehrbüchern des Verwaltungsrechts finden sich nur einige Hinweise auf die Problematik. Es besteht Einigkeit darin, daß die Aufgabe des Verwaltungsrechts die Herausarbeitung von "general principles" ist1 3 . Von den allgemeinen Grundsätzen unterschieden werden die Regeln, die nur für spezielle Gebiete gelten, die sich zu eigenständigen "recognised subjects of study" entwickelt haben, wie z. B. Planungsrecht, Sozialversicherungsrecht oder Ausländerrecht 74 • Die Rechtsprobleme aus einzelnen Feldern des Verwaltungshandelns dienen den Gerichten als Grundlage, um die allgemeinen Grundsätze zu entwickeln75 . Andererseits wird aber auch die Bedeutung der grundlegenden verfassungsrechtlichen Prinzipien des rule of law, der Souveränität des Parlaments und der Unabhängigkeit der Gerichte für das Verwaltungsrecht betont1 6 • Zu beachten ist, daß sich das englische Verwaltungsrecht erst ab den 50er Jahren dieses Jahrhunderts als eigenständiges Gebiet entwickelt hat, sowohl im akademischen Unterricht 77 als auch in der Praxis der Gerichte 7B • Braibant, Le droit administratiffran~ais, 3. Auf!. 1992, S. 38. Vedel/ Delvolve, Droit administratif, Bd. 1, 12. Auf!. 1992, S. 88 ff.; de Laubadere/V€nezia/Yves Gaudemet, Droit administratif, Bd. 1, 14. Auf!. 1996, S. 15 f.; Schlette, Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Ermessensakten in Frankreich, 1991, S. 96 ff. 71 Vgl. z. B. Braibant (FN 69), S. 165 ff. 72 Schlette (FN 70), S. 107 f. 73 Wade/ Forsyth, Administrative Law, 7. Auf!. 1994, S. 6; Cane, An Introduction to Administrative Law, 3. Auf!. 1996, S. 6; Foulkes, Administrative Law, 7. Auf!. 1990, S.2. 74 Jones, Garner's Administrative Law, 7. Auf!. 1989, S. 4; skeptischer gegenüber der Eigenständigkeit aufgrund der oft geringen Rechtsprechungspraxis bzgl. "most areas of government activity" Cane (FN 73), S. 6. 75 Lester, Public Law 1993, S. 269 (278), spricht sogar ausdrücklich von "judicial law-making" im Verwaltungsrecht. 76 Wade / Forsyth (FN 73), S. 6. 69

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Es hatte also etwa ein Jahrhundert weniger Zeit für seine Entwicklung als in Deutschland oder Frankreich79 • Zudem gilt für England ähnlich wie für Frankreich, daß die verwaltungsrechtlichen Gesetze in der Regel sehr vage und allgemein formuliert sind. Deshalb stehen im Verwaltungsrecht die Ermessenslehre, das Verfahrensrecht und das Prozeßrecht im Vordergrund. Eine Handlungsformenlehre im kontinentalen Sinn ist dagegen bisher nicht entwickelt worden, da die Formen des judicial review trotz gewisser Fortentwicklungen nach wie vor stark vom Common Law beeinflußt sind. In der italienischen Verwaltungsrechtswissenschaft ist die Unterscheidung zwischen einem Allgemeinen und einem Besonderen Teil kein üblicher Sprachgebrauch. In einigen Lehrbüchern wird jedoch darauf hingewiesen, daß sie nur den Allgemeinen Teil, d. h. das Begriffssystem80 bzw. die Gesamtheit der "istituzioni positivi di applicazione generale"81 umfassen. Sabino Cassese verwendet sogar ausdrücklich die Bezeichnungen "diritto amministrativo generale" bzw. "speciale"82. Die einzelnen Zweige des Verwaltungsrechts wie das Kommunalrecht oder das Städtebaurecht sind als eigenständige Subdisziplinen anerkannt 83 .

Im Gegensatz zu England und Frankreich ist das italienische Verwaltungsrecht nicht von den Gerichten, sondern von der Rechtswissenschaft durch Übernahme des französischen Systems geschaffen worden 84 . Bis heute sind die gesetzlichen Regelungen im Verwaltungsrecht unsystematisch und lückenhaft. Immerhin wurde im Jahr 1990 ein Verwaltungsverfahrensgesetz verabschiedet85 . Es regelt jedoch nicht wie das deutsche Verwaltungsverfahrensgesetz auch Fragen des materiellen Verwaltungsrechts, sondern beschränkt sich auf die Festlegung einiger grundlegender Prinzipien und Regeln des Verwaltungshandelns 86 . Die drei untersuchten Rechtsordnungen trennen also ebenfalls der Sache nach zwischen den allgemeinen Lehren des Verwaltungsrechts und den einzelnen speziellen Rechtsgebieten. Die Lehrbücher wenden jedoch dem Problem ihres Verhältnisses und der systematischen Struktur nur wenig Auf77 GameT, in: Heyen (Hrsg.), Geschichte der Verwaltungsrechtswissenschaft in Europa, 1982, S. 51 (55); Wade/ Forsyth (FN 73), S. 21. 78 Gamer (FN 77), S. 60 f.; zur Entwicklung seit Dicey ausführlich Flogaitis, Administrative law et droit administratif, 1986, S. 33 ff. 79 Zu den Ursachen vgl. Riedel, Kontrolle der Verwaltung im englischen Rechtssystem, 1976, S. 174 ff. 80 Landi/ Potenza, Manuale di diritto amministrativo, 8. Aufl. 1987, S. 15. 81 Irelli, Corso di diritto amministrativo, 1994, S. IX. 82 Cassese, Le basi deI diritto amministrativo, 1989, S. 77. 83 Giannini, Istituzioni di diritto amministrativo, 1981, S. 15. 84 Cassese, in: FS Merryman, 1990, S. 353 (357 f.). 85 Vgl. dazu Irelli (FN 81), S. 409 ff.; Masucci, AöR 121 (1996), S. 261 ff. 86 Masucci, AöR 121 (1996), S. 261 (263).

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merksamkeit zu. In England und Frankreich hat sich zudem die starke Prägung durch die Rechtsprechung als hinderlich herausgestellt. In allen drei Ländern fehlen Kodifikationen und damit eine feststehende Gliederung des Verwaltungsrechts. Eine genauere Untersuchung der Frage, inwieweit dennoch der Sache nach eine innere Systematik vorhanden ist, bedarf der Vorbereitung durch detaillierte rechtsvergleichende Untersuchungen, die bisher im Verwaltungsrecht noch nicht in hinreichender Tiefe existieren8 :. Auch die Fortentwicklung eines europäischen Verwaltungsrechts, dessen in vielen Punkten parallele methodische Probleme hier nicht näher thematisiert werden können, könnte dadurch nur befruchtet werden.

Iv. Die Lemfähigkeit des Allgemeinen Verwaltungsrechts 1. Die Funktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts

Die Darstellung der historischen Entstehung des Allgemeinen Verwaltungsrechts und des Rechtsvergleichs hat deutlich gemacht, daß zwischen einem Allgemeinen Teil im Sinne von Regelungen, die für alle Gebiete des Besonderen Verwaltungsrechts gelten, und allgemeinen Lehren in einem systematischen Sinn unterschieden werden muß. Beide Aspekte hängen zwar eng miteinander zusammen und überschneiden sich, sie sind aber nicht deckungsgleich. Ihre Unterscheidung wird auch im Zivilrecht88 und im Strafrecht89 eingefordert. Deutlich wird die Differenz bei den Kodifikationen, in deren als Allgemeiner Teil bezeichnetem Abschnitt nicht nur grundlegende Aussagen und fundamentale Rechtsinstitute geregelt sind, sondern die daneben auch rechtstechnische Einzelheiten enthalten wie z. B. Vorschriften über Fristen, die nur aus Gründen der Vereinfachung vor die Klammer gezogen sind. Nicht jede allgemeine Norm ist auch von grundsätzlicher Bedeutung9o • Andererseits ist wohl keine Kodifikation so vollständig, daß es nicht daneben ungeschriebene allgemeine Rechtsgrundsätze gibt 91 . Auch das Verwaltungsverfahrensgesetz enthält zum einen sachliche Lücken, z. B. bei den administrativen Rechtsetzungsverfahren, und gilt zum anderen nur für einen Teilbereich des VerwaltungshandeIns. Neben ihm enthalten das Zehnte Buch des Sozialgesetzbuches und die Abgabenordnung Regelungen des Allgemeinen Verwaltungsrechts, auch wenn die inAls Grundlage unverzichtbar Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 1988. Vgl. Wieacker (FN 51), S. 486 ff.; Schwarz (FN 52), S. 588. 89 Tiedemann (FN 56), S. 7 (10 ff.). 90 Larenz / Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 316; Stern, JZ 1962, S. 265 (267). 91 Vgl. dazu Mußgnug (FN 3), S. 217 ff.; von Unruh, NVwZ 1988, S. 690 ff. 87

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haltlichen Unterschiede zwischen den drei Teilkodifikationen relativ gering sind. Zur Bezeichnung dieser beiden Aspekte wird im folgenden auf die Unterscheidung zwischen einem äußeren System als der Gliederung des Gesetzes und einem inneren System, das die immanente Ordnung mit den maßgeblichen Wertentscheidungen und Prinzipien enthält, zurückgegriffen 92 • Die Herausarbeitung des inneren Systems ist in erster Linie eine Aufgabe der Wissenschaft 93 , die damit erst die Grundlagen für eine Kodifikation des äußeren Systems schafft. Der Aufbau des Gesetzes ist andererseits ein Hilfsmittel zur Erschließung des inneren Systems. Dieser Unterscheidung können auch die beiden Hauptfunktionen des Allgemeinen Verwaltungsrechts zugeordnet werden. Seine rechtspraktische bzw. rechtstechnische Funktion94 liegt in der Vereinfachung der Rechtsordnung, die dadurch erzielt wird, daß bestimmte Aussagen generalisiert und damit vor die Klammer gezogen werden. Hierzu gehört auch die Bereitstellung fester Begriffe, ein bis heute aktuelles Postulat Otto Mayers 95 • Dadurch werden eine Reduktion der Komplexität des Rechtsstoffes erreicht96 und die Rechtssicherheit gefördert, wodurch ein wichtiges rechtsstaatliches Anliegen erfüllt wird97 • Die technische Abtrennung eines Allgemeinen Teils verbleibt jedoch auf der Ebene des äußeren Systems, wenn durch die Generalisierung nicht gleichzeitig eine rechtliche Ordnung des Verwaltungshandelns geschaffen wird, die ein festes Gerüst von Orientierungspunkten zur Verfügung stellt und bestimmte grundlegende Anforderungen und Institute fixiert, die unabhängig von den Besonderheiten des jeweiligen Aufgabengebietes sind98 . Die rechtsdogmatische Funktion der Systembildung mit ihrer Speicherleistung99 trägt durch das Aufzeigen von Zusammenhängen auch dazu bei, die innere Stimmigkeit von normativen Aussagen zu überprüfen. Die Allge92 Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, 1932, S. 142 f.; Engisch, Studium Generale 1957, S. 173 (180); Larenz I Canaris (FN 90), S. 263 ff.; zu anderen Systembegriffen vgl. Peine, Das Recht als System, 1983, S. 29 ff. 93 Drath, in: Das Rechtswesen - Lenker oder Spiegel der Gesellschaft, 1971, S. 187 (200); Aarnio, Denkweisen der Rechtswissenschaft, 1979, S. 235. 94 Vgl. Schmidt-Aßmann, Die Verwaltung 27 (1994), S. 137 (139 f.); Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1978, S. 330 f. 95 Vgl. die Darstellung bei Hueber (FN 23), S. 67 ff. 96 Adamovichl Funk (FN 67), S. 73. 97 Tiedemann (FN 56), S. 7 (10); Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2. Aufl.1983, S.17. 98 Stern, JZ 1962, S. 265 (267); Bachof, VVDStRL 30 (1972), S. 193 (215); Meyer-Hesemann (FN 41), S. 166. 99 Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee und System, 1982, S. 12 f.; ders., Die Verwaltung 27 (1994), S. 137 (140 f.); LarenzlCanaris (FN 90), S. 55 ff.; Alexy (FN 94), S. 326 ff.

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meinheit sichert die Konsistenz der Wertungsgrundlagen lOo . Schon Cicero hat den Zweck der Ordnung der Rechtssätze in der Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung gesehen lOl . Diese Funktion ist insbesondere wichtig zur Disziplinierung der Einzelfallorientierung der Rechtsprechung l02 . Im Verhältnis zu den einzelnen Rechtsgebieten des Besonderen Verwaltungsrechts kommt deshalb den allgemeinen Lehren die Rolle zu, verläßliche Aussagen auf einer grundsätzlichen Ebene zu treffen, die auf Dauer angelegt sind l03 . Das Allgemeine bildet den ruhenden Gegenpol zu tagespolitischen Aufgeregtheiten und Sonderinteressen, die zwar in einzelnen Gebieten des Besonderen Verwaltungsrechts bis in die Gesetzgebung Wirkung entfalten, aber nicht generalisierbar sind. Grundsätzliche Zweifel, ob angesichts der Fülle des Materials der Gesetzgebung und der Dynamik der Rechtsentwicklung ein Allgemeines Verwaltungsrecht überhaupt möglich und sinnvoll ist, sind zwar gelegentlich geäußert worden l04 . Sie unterschätzen jedoch die Möglichkeiten, der Heterogenität des Rechtsstoffes durch abgestufte Differenzierungen innerhalb des allgemeinen Systems zu begegnen.

2. Die Anpassungsbedürftigkeit des Allgemeinen Verwaltungsrechts

Den Funktionen der Vereinfachung und Verstetigung der Rechtsanwendung kommt zwar eine große Bedeutung, aber kein absoluter Wert zu. Da das Verwaltungsrecht in besonderem Maß durch permanente Änderungen der Rechtsgrundlagen gekennzeichnet ist, stößt seine Stabilisierung durch die allgemeinen Lehren dort auf Grenzen, wo sich die Rechtsentwicklung nicht mehr auf Einzelprobleme beschränkt, sondern grundsätzliche Fragen aufwirft, die die Systemebene des Allgemeinen Verwaltungsrechts berühren. Es darf nicht zu starr sein und sich von der rechtspolitischen Entwicklung abkoppeln. Um seine Ordnungsfunktion bewahren zu können, muß es vielmehr sensibel sein für solche Veränderungen, die sich nicht nur auf einzelne Rechtsgebiete beschränken, sondern von allgemeiner Bedeutung sind 100 Ähnlich Hruschka, JZ 1985, S. 1 (6); Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1972, S. 97 ff. 101 Vgl. Herberger (FN 1), S. 53 f.; die Kritik am Bezug auf den Gleichheitssatz von Peine (FN 92), S. 22 f., ist durch die neue Formel des Bundesverfassungsgerichts, die über das Willkürverbot hinausgeht, überholt. 102 Schmidt-Aßmann (FN 99), S. 65; Harenburg, Die Rechtsdogmatik zwischen Wissenschaft und Praxis, 1986, S. 69 f. 103 Brohm, VVDStRL30 (1972), S. 245 (255); Werner (FN 7), S. 37; s. auch Harenburg (FN 102), S. 8, 71 ff. 104 Laband, AöR 2 (1887), S. 149 (156); Hensel, VVDStRL 3 (1927), S. 63 (74); Bullinger, in: GS Peters, 1967, S. 667 (680 f.); skeptisch auch Stolleis (FN 63), S. 227 (258).

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und folglich generalisiert werden können 105. Weil die Rechtsdogmatik eng mit der Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse verknüpft ist, kann sie nur als offenes System konzipiert werden 106 . Es geht dabei darum, die Tendenz des Allgemeinen zur Statik mit der Dynamik des Besonderen in Einklang zu bringen 107. Gerade für die durch die Wissenschaft entwickelten Systemgedanken gilt, daß ihre "Zwischenstellung zwischen Leben und Konstrukt"108 nicht in Vergessenheit geraten darf. Wenn der Bezug zu den praktischen Problemen entgleitet, ist das System nicht mehr in der Lage, seine Harmonisierungsfunktion wahrzunehmen. Man kann die für das Strafrecht formulierte Erkenntnis, daß das System anpassungsfähig sein muß, wenn es die im Besonderen Teil immer wieder neu auftretenden Sachfragen und Wertungsprobleme durch Abstrahierung einer größeren Rationalität zuführen so1l109, auch auf das Verwaltungsrecht übertragen. Diese Rezeptionsoffenheit ist Voraussetzung für jede Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts. Die entscheidende methodische Frage ist, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit ein Rechtsinstitut oder ein Rechtsgrundsatz als Teil des Allgemeinen Verwaltungsrechts anerkannt werden kann. Auch hier erweist sich die Unterscheidung zwischen äußerem und innerem System als nützlich. Das aktuelle Beispiel der Debatte über die Verfahrensbeschleunigung zeigt, daß sich rechtspolitische Entwicklungen in einzelnen Gebieten des Besonderen Verwaltungsrechts wie dem Straßenrecht oder dem Baurecht zu einem generellen Trend verfestigen können, der eine solche Wirkungsmacht entfaltet, daß er bis in den Allgemeinen Teil durchschlägt, d. h. zu einer Änderung der Verwaltungsverfahrensgesetze führt. In diesem Fall ist in erster Linie der Gesetzgeber der Akteur. Solche oberflächlichen Modifikationen des positiven Rechts greifen jedoch meist nicht auf die Ebene des inneren Systems durch. Für das innere System von Bedeutung sind die langfristigen Entwicklungen, die in der Regel mit weniger rechtspolitischem Getöse daherkommen, aber um so größere Wirkungen auf die Rahmenbedingungen des Verwaltungshandelns entfalten. Dauerhafte Veränderungen haben ihren Ursprung ebenfalls in politischen Prozessen, lassen sich aber meist nicht an einzelnen Entscheidungen des Gesetzgebers festmachen. Ein Beispiel einer solchen grundlegenden Veränderung ist die Privatisierungswelle der letzten Jahre, 105 Schmidt-Aßmann, Die Verwaltung 27 (1994), S. 137; Bachof, VVDStRL 30 (1972), S. 193 (230); Cassese (FN 82), S. 78; Larenz I Canaris (FN 90), S. 314 f. 106 Engisch, Studium Generale 1957, S. 173 (187); ähnlich Esser (FN 100), S. 93. 107 Hoffmann-Riem, DVBl1994, S. 1381 (1390). 108 Heyen (FN 36), S. 190; s. auch Meyer-Hesemann (FN 41), S. 1. 109 Naucke, in: FS Welzel, 1974, S. 761 (772 ff.).

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die neue Regulierungstechniken zur Folge hat. Wesentliche Impulse für die Weiterentwicklung des deutschen Verwaltungsrechts hat auch das EGRecht gegeben l1O • Zum Teil handelt es sich hierbei um Erscheinungen, die nicht neu sind, aber bisher von der Dogmatik nicht hinreichend erfaßt wurden. Als Beispiele sind die nicht-regulativen Formen administrativer Tätigkeit zu nennen, die von der herkömmlichen Rechtsformenlehre nicht erfaßt werden, oder die pluralen Organisationsstrukturen, die sich mit dem Leitbild der Hierarchie nicht vereinbaren lassen. In solchen Fällen wird jedoch die Frage, ob sie in die Kategorie der systemtragenden Elemente des Verwaltungsrechts aufzunehmen sind, erst dann aufgeworfen, wenn ihre Relevanz angesichts von unterschwelligen Veränderungen des Staatsverständnisses und neuen theoretischen Zugängen, wie etwa dem Steuerungsparadigma, stärker in den Vordergrund tritt. Die Aufmerksamkeit des Allgemeinen Verwaltungsrechts wird insbesondere dann geweckt, wenn ein Phänomen nicht nur in einem Rechtsgebiet, sondern in verschiedenen Bereichen auftritt. Die Rezeption solcher Entwicklungen durch die allgemeinen Dogmen des Verwaltungsrechts bedarf einer intensiven Prüfung, eines "juristischen Reifeprozesses"111. Diese sehr abstrakte Ebene ist in der. Regel weder dem Gesetzgeber noch der Rechtsprechung zugänglich. Vielmehr ist es in erster Linie eine Aufgabe der Wissenschaft, solche Entwicklungen aufzuspüren und zu prüfen, ob sie in allgemeine rechtliche Institute gefaßt werden können. Die Frage der Rezeptionsoffenheit des Allgemeinen Verwaltungsrechts betrifft deshalb nicht nur die Bereitschaft, tradierte Dogmen weiterzuentwikkeIn, sondern auch die Prüfung, ob das bisherige System Lücken enthält, d. h. ob es Bereiche des Verwaltungshandelns gibt, dessen Rechtsgrundlagen noch einer Verallgemeinerung harren.

3. Die Prägung durch Leitideen

Eine Reform bzw. Ergänzung des inneren Systems des Allgemeinen Verwaltungsrechts berührt nach dem hier verwendeten Systembegriff wertgebundene Fragen der Grundkonzeption von staatlicher Verwaltung. Um solche prinzipienorientierten Aussagen zu erarbeiten, ist es nicht ausreichend, nach neuen Entwicklungen oder bisher ausgeblendeten Erscheinungen in einzelnen Gebieten des Besonderen Verwaltungsrechts zu suchen. Die Frage, was der Verallgemeinerung fähig ist, läßt sich nur beantworten, wenn 110 Vgl. dazu grundlegend von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, 1996, passim, der allerdings den Akzent stark auf die rezeptionsabwehrende Stabilisierungsfunktion setzt. 111 Stern, JZ 1962, S. 265 (267); ähnlich Häberle, BayVB11977, S. 745 (752).

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die einzelnen Rechtsphänomene durch übergreifende Leitideen zusammengefaßt werden können. Ein System als einheitliche Ordnung bedarf einer erkenntnisleitenden Idee 112 , die die einzelnen Teile zu einem Ganzen verbindet. Die erkenntnistheoretische Kritik der induktiven Vorgehensweise hat herausgearbeitet, daß jede Beobachtung theoriegeleitet ist 113 . Das Besondere Verwaltungsrecht bildet somit zwar einen Fundus von Normmaterial, aus dem sich Anregungen für die Bildung allgemeiner Dogmen ergeben. Die Systembildung erfolgt aber nicht allein durch Generalisierung, sondern bedarf eines externen Anknüpfungspunktes. Diese Katalysatorfunktion nahm bei der Systematik Otto Mayers mit ihrer Beschränkung auf die obrigkeitlichen Handlungsformen sein spezifisches Verständnis eines rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts ein, das die gedankliche Grundlage für das gesamte von ihm geschaffene Beziehungsgefüge bildete 114 . Es ist bemerkenswert, daß die Verengung des Erkenntnishorizontes auf die Rechtsformen der obrigkeitlichen Verwaltung mit dem Verwaltungsakt als Zentralbegriff, wie sie Otto Mayer auf der Grundlage der Ideenwelt des bürgerlichen Rechtsstaates vor über hundert Jahren herausgearbeitet hat 115 , bis heute die Systembildung prägt. Zwar ist die Hypertrophie des Institutes Verwaltungsakt, die nach Kriegsende aufgrund seiner praktisch wichtigen Funktion der Regulierung des Zugangs zum gerichtlichen Rechtsschutz entstanden ist, nach der Einführung der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel und der zunehmenden Anerkennung von Verwaltungsrechtsverhältnissen wieder beseitigt worden. Dennoch ist kein Funktionsverlust des Verwaltungsaktbegriffes eingetreten l16 . Heute bestehen jedoch wenig Zweifel, daß die Beschränkung der klassischen Dogmatik auf die Eingriffsverwaltung unzureichend und eine Erweiterung der Perspektive notwendig ist 117 . Folglich stellt sich die Frage, ob es vergleichbare Leitideen gibt, die geeignet sind, die bewußte Einseitigkeit 112 Canaris (FN 97), S. 11 ff. m.w.Nachw.; s. auch Drath (FN 93), S. 198. 1m Sinne von Peine (FN 92), S. 40 ff., handelt es sich um einen zweibezüglichen Systembegriff; vgl. dort auch zutreffend zur Inkonsequenz des prinzipienbezogenen Systembegriffs von Canaris (S. 49 f.). 113 Vgl. Popper, Logik der Forschung, 9. Aufl. 1989, S. 31, 71 ff.; Feyerabend, Wider den Methodenzwang, 1986, S. 15 f.; Aarnio (FN 93), S. 201 ff.; Schlapp, Theorienstrukturen und Rechtsdogmatik, 1989, S. 17; s. auch Foucault, Les mots et les choses, 1966, S. 256 ff. 114 Hueber (FN 23), S. 72 f.; Heyen (FN 36), S. 207; Meyer-Hesemann (FN 41), S.27f. 115 O. Mayer (FN 35), S. 104 ff.; ähnliche Akzentsetzungen auch bereits bei Loening (FN 46), S. 225; von Sarwey (FN 27), S. 119. 116 Schmidt-Aßmann (FN 2), S. 60; vgl. auch die Zwischenbilanz der Entwicklung nach 1945 bei Bachof, VVDStRL 30 (1972), S. 193 (231); krit. dagegen Drath (FN 93), S. 205 ff. 117 Vgl. z. B. Badura (FN 3), S. 25, 37 ff., 53; Faber, in: FS Ridder, 1989, S. 291 ff.; relativierend dagegen Bachof, VVDStRL 30 (1972), S. 193 (213).

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der Beschränkung auf die hoheitlichen Handlungsformen zu überwinden, so daß durch das Verwaltungsrecht ein breiteres Spektrum rechtserheblicher Aspekte der Realität der Verwaltung erfaßt und einer normativen Ordnung zugeführt werden kann. Allgemein anerkannt ist das Verdienst Ernst Forsthoffs, der durch die Betonung der Leistungsfunktionen der Verwaltung und die Prägung des Begriffs der Daseinsvorsorge die seit dem Ersten Weltkrieg rasch wichtiger werdenden sozialstaatlichen Aufgaben für das Verwaltungsrecht erschlossen hat 118 . Er schuf dadurch eine neue Leitidee, die den Ansatzpunkt bot, um die Bereiche der Leistungsverwaltung in das Aufmerksamkeitsfeld der Verwaltungsrechtswissenschaft einzubeziehen und als einheitliches Phänomen zu begreifen. Das hierfür prägende Rechtsinstitut, das Qtto Mayer noch nicht kannte, ist der begünstigende Verwaltungsakt 119 . Die Dogmatik des Leistungsverwaltungsrechts ist jedoch insgesamt schwächer ausgebildet als die traditionellen eingriffsbezogenen Lehren 120 . Auch die Zweiteilung in Eingriffs- und Leistungsverwaltung ist heute aber nicht mehr ausreichend, um die gesamte Verwaltungswirklichkeit zu erfassen. Eine vergleichbar prägnante Fokussierung einer neuen Perspektive durch einen dritten Begriff ist bisher allerdings nicht gelungen. Zur Beschreibung einer weiteren Dimension des Verwaltungsrechts ist der Begriff der Infrastrukturverwaltung vorgeschlagen worden 121 . Er knüpft an der Beschränkung der Eingriffs- und der Leistungsverwaltung auf bilaterale Beziehungen zwischen Bürger und Staat an und stellt ihnen das Problem der Multilateralität gegenüber 122 . Als wesentliches Merkmal der Infrastrukturverwaltung wird insbesondere die reduzierte materielle Programmierung angesehen, die durch Abwägungspflichten substituiert wird123 . Allerdings handelt es sich dabei der Sache nach um keine neue Erkenntnis 124 . Auch der systematische Wert bleibt zweifelhaft, denn es ist kein vereinheitlichender Grundgedanke erkennbar. Ähnlich zurückhaltend muß die Beurteilung der Rechtsverhältnislehre ausfallen. Auch sie empfiehlt sich als Mittel zur Erweiterung der Perspekti118 Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938; ders., Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959; zu seiner Bedeutung vgl. Meyer-Hesemann (FN 41), S. 81 ff.; Ossenbühl, in: Jeserich/Pohl/von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 5,1987, S. 1143 (1148). 119 Faber (FN 3), S. 250. 120 Stolleis (FN 63), S. 246. 121 Faber (FN 117), S. 291 ff. 122 Faber (FN 3), S. 169, 348; ähnlich Hoffmann-Riem, DVB11994, S. 1381 f. 123 s. auch Ladeur, "Abwägung" - Ein neues Paradigma des Verwaltungsrechts, 1984, passim; ders., in: Heyen (Hrsg.), Wissenschaft und Recht der Verwaltung seit dem Ancien Regime, 1984, S. 189 (207 ff.). 124 Wolff/ Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht 1,10. Aufl. 1994, § 1 Rdnr. 11.

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ve gegenüber der punktuellen Betrachtungsweise der klassischen Dogmatik. Obwohl dieses Anliegen zweifellos berechtigt ist, erscheint es als zweifelhaft, ob die Strukturierung nach Rechtsverhältnissen, wie sie etwa für die Bundestreue125 , das Überwachungsrechtsverhältnis 126 oder das schlichte Verwaltungshandeln 127 vorgeschlagen wurde, als neuer Angelpunkt der verwaltungsrechtlichen Dogmatik taugt. Sie hat ihre systemprägende Kraft bisher noch nicht überzeugend geltend gemacht 128 , weil es ihr an einer erkenntnisleitenden Idee fehlt. Ein möglicherweise besser geeigneter Kandidat für einen neuen Leitbegriff könnte das Stichwort der kooperativen Verwaltung sein 129 . Im Gegensatz zur rechtsstaatlichen Perspektive, die das Staat-Bürger-Verhältnis als einseitige, vertikale Beziehung ansieht, faßt der Kooperationsbegriff alle Phänomene zusammen, die nicht von der hoheitlichen Macht der staatlichen Seite geprägt ist, aber nichtsdestotrotz zumindest potentiell durch Herrschaftsbeziehungen gekennzeichnet sind, die rechtlich diszipliniert werden müssen. Dieser Aspekt kann zur Erschließung ganz verschiedener Phänomene dienen. Hierzu gehört die nach wie vor besonders problembehaftete Dogmatik des öffentlich-rechtlichen Vertrags mit ihrer gesetzlich nur sehr ungenau geregelten Fehlerlehre. Ein zweites Beispiel ist das privatrechtsförmige Handeln der Verwaltung, für das noch kein befriedigendes Rechtsregime entwickelt worden ist, obwohl längst anerkannt ist, daß auch hier besondere Bindungen der Staatsgewalt bestehen, so daß es nicht gänzlich außerhalb des Öffentlichen Rechts angesiedelt werden kann 130 . Ein dritter Bereich ist das Organisationsrecht mit seinen immer vielfältiger werdenden Inklusionsphänomenen 13 1, deren dogmatische Integration einer am Modell der monokratisch-hierarchisch strukturierten Bürokratie ausgerichteten Auffassung nicht gelingen kann. In allen diesen Fällen finden sich besondere horizontal orientierte Regelungsstrukturen, die mit den herkömmlichen Instituten einseitig-hoheitlichen Handeins nicht erlaßt werden können 132 . Bauer, Die Bundestreue, 1992, S. 261 ff. Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, 1992, S. 67 ff., 119 ff. 127 Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, 1995, S. 203 ff. 128 Skeptisch auch Ossenbühl (FN 118), S. 1154; Pietzcker, Die Verwaltung 30 (1997), S. 281 ff.; von Danwitz, Die Verwaltung 30 (1997), S. 339 ff. 129 Grundlegend Ritter, AöR 104 (1979), S. 389 (406 ff.); J. J. Hesse, JbStVw 1987, S. 55 (68 ff.); Benz, Kooperative Verwaltung, 1994, S. 303 ff. 130 Vgl. hierzu Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 172 ff.; Röhl, VerwAreh 86 (1995), S. 531 ff.; Lerche, in: FS Winkler, 1997, S. 581 ff. 131 Vgl. z. B. Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981, S. 5 ff.; H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 211 ff. 132 Vgl. dazu auch Trute, DVBl1996, S. 950 (952 ff.); Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), S. 160 (169), spricht von einer "Prinzipienwende" . 125 126

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ThomasGroß 4. Abstufungen der Allgemeinheit

Die verschiedenen Leitideen schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern können nebeneinander koexistieren. Die Kategorien der Eingriffs- und der Leistungsverwaltung mit ihren spezifischen rechtlichen Instrumenten sind nicht obsolet geworden. Es wird lediglich deutlich, daß die durch sie geprägten Systemelemente nicht differenziert genug sind, um alle Rechtsfragen befriedigend zu lösen. Das Allgemeine Verwaltungsrecht verbreitert durch die Anerkennung mehrerer Leitideen das Spektrum der erfaßten Rechtsprobleme und erhöht dadurch seine innere Komplexität. Indem es eine größere Zahl von Anknüpfungspunkten für Modifikationen und Erweiterungen des inneren Systems schafft, erhöht es seine Lernfähigkeit. Die Integrationskraft des Allgemeinen Verwaltungsrechts wird durch eine stärkere Ausdifferenzierung, eine Anreicherung seines Gehaltes, gestärke 33 • Letztlich wird ein höherer Grad an Allgemeinheit erreicht, da durch die innere Ausdifferenzierung auch die Wechselwirkungen mit den einzelnen Gebieten des Besonderen Verwaltungsrechts intensiviert werden können. Allerdings müssen natürlich auch die Grenzen beachtet werden, jenseits derer die Stabilisierungs- und Vereinfachungsfunktion verloren gehe 34 • Man kann aber im Verwaltungsrecht Allgemeinheit nicht mehr mit einer Einheitlichkeit gleichsetzen, aus der sich ein geschlossenes System ergibt 135 • Nur durch eine begrenzte Pluralität der Systemgedanken kann die Gefahr vermieden werden, daß durch einen zu großen Grad an Verallgemeinerung Wertungsentscheidungen des positiven Rechts, d. h. der demokratischen Gesetzgebung, unter Berufung auf übergreifende Prinzipien überspielt werden 136 • Ebensowenig wie der Pluralismus nationaler Rechtsordnungen durch eine "wertende" europäische Rechtsvergleichung eingeebnet werden darf 137 , hat die Rechtswissenschaft bei dem strukturell parallelen Vorgang der Systembildung ein Mandat zur Vereinheitlichung gegenläufiger Prinzipien, durch die das Verwaltungsrecht ebenso wie das Verfassungsrecht gekennzeichnet ist. Wenn der Gesetzgeber in verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedliche Wertungen vorgenommen hat, die sich innerhalb des von der Verfassung vorgegebenen Rahmens halten, dürfen sie nicht unter Berufung auf allgemeine Systemgedanken gewaltsam harmonisiert werden. Das geltende Ausländer- und Asylrecht wird man z. B. mit dem Konzept des kooperativen Staates kaum erfassen können. Das Steuerrecht ist für Verhand133

134 135

Häberle, BayVB11977, S. 745 (752). Vgl. Schlapp (FN 113), S. 185 f. Davor warnte bereits W. Weber, Referat auf dem 43. DJT, 1960, Band II, S. D 37

(49). 136 Vgl. Drath (FN 93), S. 201 ff.; vgl. auch die am Gesetz ausgerichtete Falsifikationsmethode von Harenburg (FN 102), S. 293 ff. 137 Groß (FN 50), S. 164 m.w.Nachw.

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lungslösungen weniger offen als etwa das Umweltrecht. Das Allgemeine Verwaltungsrecht ist ein Instrument zur Ordnung eines Verwaltungsrechts, das sich in einem permanenten Veränderungsprozeß befindet; es muß sich deshalb selbst anpassen, es darf aber nicht zum Instrument aktiver Rechtsänderung ohne demokratisches Mandat werden. Diese Erkenntnis hat Auswirkungen auf die Struktur des Allgemeinen Verwaltungsrechts. Es ist notwendig, der Frage nach den Abstufungen des Grades der Allgemeinheit von einzelnen Rechtsinstituten stärkere Beachtung zu schenken. Entsprechende Differenzierungen sind auf der Ebene des äußeren Systems bereits in verschiedenen Bereichen gebräuchlich. Ein bekanntes Beispiel ist das Polizeirecht, das in den Polizeigesetzen allgemeine Regelungen enthält, z. B. über den Störerbegriff, die auch für viele verschiedene spezielle polizeirechtliche Regelungen anwendbar sind. Im Wirtschaftsrecht wird ebenfalls ein Allgemeiner und ein Besonderer Teil getrennt dargestellt 138 . Die geplante Kodifikation des Umweltrechts ist in vergleichbarer Weise konzipiert worden 139 . In vergleichbarer Weise kann man auch die normativen Grundlagen der unterschiedlichen Teilbereiche des Verwaltungshandelns bestimmten Leitideen zuordnen. Hieraus ergibt sich eine Relativierung der Allgemeinheit der Dogmatik 14o • So wie die Eingriffsverwaltung mit den Gebieten des Polizei- und des Steuerrechts oder die Leistungsverwaltung mit dem Sozialrecht verbunden ist, kann man der kooperativen Verwaltung z. B. das vorrangig organisationsgesteuerte Wissenschaftsrecht zuordnen 141 • Im Ergebnis führt eine solche differenzierte Betrachtung zu einer mehrfachen Abstufung der Allgemeinheit und zu einer Überwindung der starren Dichotomie zwischen Allgemeinem und Besonderem Teil. In einer solchen differenzierten Konzeption bleibt nach wie vor ein Kern des Allgemeinen Verwaltungsrechts mit genereller Geltung erhalten, zu dem die Rechtsinstitute gehören, die das Grundgerüst der Dogmatik b!lden, sowie die verfassungsrechtlich abgesicherten Grundsätze, die für alle Erscheinungsformen öffentlicher Verwaltung gelten. Sie sind grundsätzlich jeder Änderung entzogen, allenfalls können sie durch einen Umbau des Systems ihre Bedeutung verlieren. Auf einer zweiten Ebene liegen die eben-

.. 138 R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. Allgemeiner Teil, 1990; ders. (Hrsg.), Offentliches Wirtschaftsrecht. Besonderer Teil, 2 Bde, 1995/96. 139 Kloepfer / Rehbinder / Schmidt-Aßmann / Kunig, Umweltgesetzbuch, Allgemeiner Teil, 1990; Jarass / Kloepfer / Kunig / Papier / Peine / Rehbinder / Salzwedel / Schmidt-Aßmann, Umweltgesetzbuch, Besonderer Teil, 1994; Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGBKomE), 1998. 140 Vgl. Meyer-Hesemann (FN 41), S. 169 f.; s. auch bereits Spiegel (FN 35), S. 55. 141 Trute, Die Verwaltung 27 (1994), S. 301 (305 ff.).

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falls allgemeinen, aber nicht typusbestimmenden Ausformungen der Rechtsinstitute und Grundsätze des einfachen Rechts, die Modifikationen zugänglich sind. In diesem Bereich können die Referenzgebiete des Besonderen Verwaltungsrechts fruchtbar gemacht werden. Sie bieten eine Fülle von Normenmaterial, das nach verallgemeinerbaren Rechtssätzen durchsucht werden kann. Schließlich gibt es noch eine dritte Ebene von zwar gebietsübergreifenden, aber dennoch nur teilweise allgemeinen Lehren. Sie führen zu einer Gruppierung des Besonderen Verwaltungsrechts auf einer mittleren Abstraktionsebene. Entscheidend ist, daß über den Bezug auf eine bestimmte Aufgabe oder Handlungsmodalität hinaus gemeinsame Grundprinzipien benannt werden können, die der Teildogmatik eine konzeptionelle Grundlage geben. Mit dem Abschied von der Vorstellung einer einheitlichen Handlungsrationalität der öffentlichen Verwaltung wird das Allgemeine Verwaltungsrecht komplexer, aber nur dadurch kann es seine Leistungsfähigkeit erhalten. Es ist nicht mehr möglich, das Staat-Bürger-Verhältnis und die hierfür geltenden rechtlichen Regeln auf einen einzigen systemprägenden Grundgedanken zurückzuführen. Andererseits besteht auch kein Anlaß, die Möglichkeit allgemeiner dogmatischer Aussagen grundsätzlich in Frage zu stellen. Es ist vielmehr ein Gebot juristischer Klugheit, die Multifunktionalität des modernen Verwaltungshandelns durch eine abgestufte Ausdifferenzierung der allgemeinen Lehren des Verwaltungsrechts aufzunehmen.

11. Sozialwissenschaften im Verwaltungsrecht

6 Die Verwaltung, Beiheft 2

Sozialwissenschaften im Verwaltungsrecht: Kommunikation in einer multidisziplinären Scientific Community Von Wolfgang Hoffmann-Riem, Hamburg Es gab einmal Zeiten, als sich jüngere Wissenschaftler schon dadurch als Outcasts der Zunft stigmatisierten, daß sie allzuoft von Sozialwissenschaften sprachen oder gar Reizformeln wie "Rechtswissenschaft als Sozialwissenschaft"l benutzten. Hoffähig - wenn auch weiterhin verdächtig - waren allenfalls Buchtitel wie "Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften"2, und im Beck-Verlag konnte 1977 eine Ausbildungsserie zu "Sozialwissenschaften im Studium des Rechts,,3 erscheinen, gefolgt von einer weiteren Reihe zur Juristenausbildung im Luchterhand-Verlag, in der der öffentlichrechtliche Band im Jahre 1981 titelte: "Sozialwissenschaften im Öffentlichen Recht,,4. Nunmehr feiern wir Eberhard Schmidt-Aßmann in einem Kolloquium mit einem Abschnitt "Sozialwissenschaften im Verwaltungsrecht" . Vorbei scheint die Zeit zu sein, da den Sozialwissenschaften unterstellt wurde, sich zum Sturm auf die "Zitadelle des Rechts" zu formieren 5 , und da Sozialwissenschaftler die Belagerung unter dem Titel "Soziologie vor den Toren der Jurisprudenz" 6 ankündigten. In der Tat, in dem Zeitraum der bisherigen Professorenlaufbahn von Eberhard Schmidt-Aßmann hat sich vieles getan. Er selbst forscht im interdisziplinären Umfeld des Wissenschaftskollegs Berlin, er kommuniziert intra-, trans- und interdisziplinär in buntgemischten Wissenschaftlergemeinschaften mit Reformanspruch 7 ; Worte wie 1 Allerdings stammt das mit diesem Titel versehene Buch von einem Sozialwissenschaftler: Rottleuthner, Rechtswissenschaft als Sozialwissenschaft, 1973. 2 Grimm (Hrsg.), Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften, Bd. 1 und 2, 1973 (unveränderte 2. Aufl. 1976). 3 Betreut von Horn, erschienen in der Reihe JuS-Didaktik. 4 Hoffmann-Riem (Hrsg.), Sozialwissenschaften im Öffentlichen Recht, 1981. 5 Diese Befürchtung greift der Titel des Aufsatzes von Heldrich, JuS 1974, S. 281 ff., auf. 6 Lautmann, Soziologie vor den Toren der Jurisprudenz, 1971. Lautmann selbst ist Rechts- und Sozialwissenschaftler. 7 Ergebnisse finden sich in den beiden Bänden Hoffmann-Riem I Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. 1 und 2, 1990, sowie in den bisher 5 Bänden der Schriften zur Reform des Verwaltungsrechts, 1993 - 1998.

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die der "sozialwissenschaftlichen Optimierung"a fließen ihm ohne Kleckser aus der Feder. Offensichtlich haben die Sozialwissenschaften - und viele, sicherlich nicht alle Sozialwissenschaftler - ihre Schrecken für Juristen eingebüßt. Zwar sind Gleichgültigkeit und manchmal auch Ignoranz im Verhältnis zu den Sozialwissenschaften weiterhin in der juristischen Profession beobachtbar. Toleranz und Neugier haben aber zugenommen 9 . Manche Rechtswissenschaftler haben sich erkennbar im sozialwissenschaftlichen Fundus bereichert und nutzen Begriffe, Theoriebruchstücke und Einzelbefunde im juristischen Argumentationskontext oder bei der rechtswissenschaftlichen Theoriebildung. Die Möglichkeit und Notwendigkeit einer sozialwissenschaftlich informierten, sozialwissenschaftliche Theorien und Befunde reflektierenden und nach Maßgabe des eigendefinierten Verwendungszusammenhangs nutzenden Rechtslehre 10 und Rechtspraxis ll scheinen zunehmend anerkannt.

I. Verwendung und Zurichtung sozialwissenschaftlicher Wissens bestände Diese Veralltäglichung ist mit einer Zähmung der Sozialwissenschaften einhergegangen. Juristen ist es gelungen, einen Teil des sozialwissenschaftlichen Wissens in ihren sozialen Kontext zu integrieren, d. h. ihren Bedürfnissen, Interessen, evtl. auch Machtverhältnissen anzupassen. Auf der Folie eines interaktionistischen Paradigmas der Sozialwissenschaft lassen sich die Bemühungen von Rechtswissenschaft und Rechtsanwendung als spezifi8 Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 7 (24). 9 So erscheint die Münchener Dissertation von Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip. Möglichkeiten und Grenzen der ökonomischen Analyse des Rechts, 2. Aufl. 1998, nunmehr nach nur kurzer Zeit bereits in zweiter Auflage. 10 Dieses zunehmend positive Verständnis zeigt sich beispielsweise in der aktuellen rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung um Selbstregulierungskonzepte, die in weiten Teilen auf der Grundlage steuerungswissenschaftlicher Erkenntnisse geführt wird. Vgl. Trute, DVBI 1996, S. 950 ff. sowie die gleichnamigen Referate von Schmidt-Preuß und Di Fabio auf der Staatsrechtslehrertagung 1996, VVDStRL 56 (1997), S. 160 und. S. 235 ff. Skeptisch - aus der jüngeren Literatur - allerdings weiterhin Thieme, DOV 1996, S. 757 (759). 11 Vgl. statt vieler - wenn auch unter meist nur impliziter Verwendung sozialwissenschaftlicher Argumentationen - z. B. VGH BW, VBffiW 1998, S. 31 ff. und BGH, NJW 1993, S. 999 (eheähnliche Lebensgemeinschaften); LG Hannover, NJW-RR 1993, S. 1103 (gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften); OVG Hamburg, NJW 1994, S. 71 f. (Recht auf Femsehwahlspots); BSGE 58, 134 ff. (Beitragsunterschiede Krankenkassen); BSGE 54, 79 ff. (Gesundheitsstörungen); BFHE 152, 182 (Ehrenamtliche Arbeit); BVerfGE 79, 311 (338) - Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht; BVerfGE 88, 203 (256 ff.) - Schwangerschaftsabbruch; OLG Schleswig, NStZ 1985, s. 475 (Jugendstrafe).

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sche Ausprägungen einer juristischen Konstruktion von empirischen und normativen Wirklichkeiten deuten. Das Schicksal der Sozialwissenschaft im Kontaktfeld zur Rechtswissenschaft - also im Prozeß der Wirklichkeitskonstruktion der juristischen Profession - läßt sich in den Rastern der sog. Verwendungsforschung beschreiben: Rechtswissenschaft und Rechtspraxis haben die Angebote der Sozialwissenschaft zur Deutung von Realvorgängen, aber z.T. auch von Normen ausschnittweise besehen, z.T. für brauchbar befunden und begrenzt in ihre Handlungszusammenhänge integriert 12 . Die Sozialwissenschaft durchläuft, wenn sie in Lehre und/ oder Praxis folgenreich werden will, Filter einer spezifischen Verwendungstauglichkeit und erlebt einen Gestaltwandel: Theorientransformation, nicht Theorientransfer ist das Schlagwort. Dabei büßt sie zumindest z.T. den ihr vom professionellen Stab der Sozialwissenschaft zugemessenen Erklärungsgehalt ein. Der Tendenz nach führt die Assimilation zur Verwandlung, die häufig in einer Banalisierung und Trivialisierung besteht. "Die Verwendung der Ergebnisse hat nichts mit den Ergebnissen zu tun, die verwendet werden" - so hat der Soziologe Bonß13 seine Beobachtung zum Praktischwerden von Sozialwissenschaften allgemein umschrieben - keineswegs begrenzt auf den Zugriff durch Rechtswissenschaftler. Die Rechtswissenschaft und -praxis fühlt sich zum selektiven Zugriff und zur Reformulierung ermächtigt und produziert auf diese Weise z.T. neues, "anderes" Wissen. In der Zurichtung der sozialwissenschaftlichen Deutungsangebote nach Maßgabe des eigenen Entdeckungs- und Verwendungszusammenhangs fühlen sich Juristen nicht nur durch das Bewußtsein eines homogenen, in Traditionen verwurzelten und mit eigenständigen Methoden arbeitenden Berufsstandes berechtigt. Vor allem sind eS die Bindung an Gesetz und Recht, die Notwendigkeit der Begründung einer Entscheidung anhand gesetzlicher Begriffe und die darauf bezogene juristische Argumentationskultur, die den selektiven Zugriff und die inhaltliche Zurichtung sozialwissenschaftlicher Theorien und Daten legitimieren. Eine so von den Juristen dominierte Verwendung sozialwissenschaftlicher Wissensbestände hat jedoch eine geheime List. In dem Prozeß sozialer Sinnkonstruktion - als der sowohl die rechtswissenschaftliche Theorienbildung als auch die praktische Rechtsanwendung verstanden werden kann - dominieren im ersten Zugriff die Erfahrungen, Interessen und Handlungszwänge der Verwender des Wissens. Ihre Erfahrungen werden aber durch den Umgang mit der je anderen Wissenschaft selbst geprägt. Die Rechtswissen12 Dieser Befund gilt insbesondere für die Aufnahme der Ergebnisse der empirischen Sozialforschung. Dazu vgl. Büllesbach, in: Kaufmann/Hassemer (Hrsg.), Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 6. Aufl. 1994, S. 440 (444 ff.). 13 Bonß, Theorientransfer oder Theorientransformation, S. 444.

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schaft läßt sich auf die Sprachwelt der Sozialwissenschaft ein - auch wenn sie die fachsprachliche Spezialisierung kritisiert (meist ohne ihre eigene fachsprachliche Spezialisierung und damit Abschottung gegenüber juristischen Laien zu thematisieren)14. Sprache aber konstruiert Wirklichkeit. Die unterschiedlichen Sprachzeichen und -gewohnheiten der verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen deuten auf je unterschiedliche Bezugssysteme, d. h. Fragerichtungen, Erklärungsansätze und Handlungsorientierungen. Fachtermini sind meist kondensierte Theorien. Sie transportieren professionelle Prämissen und geben den Schlüssel zu den verwendeten Paradigmen. Wer sich auf sie einläßt - und dies nicht ignorant und borniert tut -, wird in die fremde Sprach- und Theorienwelt verstrickt. Er kann sich den sprachlich vermittelten Handlungszwängen nicht voll entziehen, wenn er zugleich den Vorteil der Anreicherung seiner Fähigkeit zur Problemwahrnehmung, zur Deutung und Prognose, zur Darstellung der Richtigkeit oder sonstwie zur Problemlösung nutzen will. Früher wurde von Sozialwissenschaftlern manchmal abschätzig gesagt, Juristen würden die Sozialwissenschaften als eine Art Steinbruch nutzen und sich Brocken und Splitter heraussuchen, die sie nach Belieben in ihr Argumentationsbauwerk einbauen, um Schlitze und Löcher zu stopfen. Allem Anschein nach ist die Interaktion aber kein einfaches Nehmen und Verwenden. Die rezipierten Brocken und Splitter sind nämlich kein toter Stein, sondern leben weiter und können Setzrisse oder gar Steinverschiebungen im Gemäuer der Rechtswissenschaft verursachen. Die vielfach beobachtbare schleichende Versozialwissenschaftlichung der Alltagssprache und eines Teils der juristischen Argumentationskultur deuten darauf hin, daß dies auch folgenreich geworden ist. Über die veränderte Sprache werden Deutungsmuster und neue Wirklichkeitskonstruktionen rezipiert und weitergetragen. Die Sozialwissenschaften bekommen eine Chance, die Problemwahrnehmung und -lösung der Juristen mit zu beeinflussen. Erkauft wird diese Chance mit der erwähnten Veränderung im Prozeß der Transformation. Ein Anschauungsbeispiel hierfür bietet etwa die rechtswissenschaftliche Rezeption der in den Sozialwissenschaften geführten Steuerungsdiskussion. Ging Luhmann in seiner systemtheoretisch begründeten Theorie der selbstreferentiellen Geschlossenheit der Teilsysteme noch von einer Unmöglichkeit der rechtlichen Steuerung aus 15 , so entwickelten Teubner und 14 Zur Auseinandersetzung über die Nutzung der Terminologie anderer Wissenschaften in der Rechtswissenschaft s. z. B. die Diskussionsbeiträge von Ossenbühl und Hoffmann-Riem auf der Staatsrechtslehrertagung 1996, VVDStRL 56 (1997), S. 283 ff. und S. 291 ff. 15 s. u. a. Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, 1984, S. 58 ff.; ders., Die Wirtschaft der Gesellschaft, 1989, S. 324: "Das politische System kann ... nur sich selbst steuern." Vorsichtiger allerdings ders., Zeitschrift für Rechtssoziologie 12 (1991), S. 142 ff.

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Willke auf der Grundlage systemtheoretischer Argumentation das Konzept einer dezentralen Kontextsteuerung durch Recht 16 • Dies weckte Neugier 17 , stieß aber vielfach auf distanzierte Zurückhaltung oder massive Kritik 18 . Den Rechtswissenschaftlern sagten eher die handlungswissenschaftlichen Steuerungskonzepte - etwa von Mayntz 19 - zu, die sie aber in relativ freier Weise in ihrer Argumentation integrierten2o •

ll. Der Umgang mit Recht im Prozeß sozialer Wirklichkeitskonstruktion In der wechselseitigen Interaktion zeigt sich überdies, daß die Juristen keineswegs über einen so festgefügten Methodenkanon und vor allem eine gänzlich eigenständige, als "genuin juristisch" ausmachbare Methodik verfügen, wie sie gelegentlich suggerieren21 . Zwar hat die Rechtswissenschaft einen eigenen Erkenntnisapparat entwickelt, für den gewisse Mindeststandards in der Profession abgesichert sind. Auch muß sich bei der konkreten Rechtsanwendung letztlich alles in der Darstellung des gefundenen Ergebnisses auf Gesetz und Recht zurückführen lassen. Der binäre Code des Rechts - in der Alternativität von Recht und Unrecht, von legal und illegalist nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Wohl aber relativiert sich zunehmend, was denn Recht und Unrecht ist. Fraglich ist aber auch, ob Rechtsanwendung sich auf die Grenzbestimmung beschränkt und beschränken kann. Wenn nein, würde die Nutzung eines solchen Codes allein nicht viel besagen. Die Zweifel zeigen sich besonders deutlich im Öffentlichen Recht, das häufig multipolare Interessenbeziehungen regelt, multidimensional verankerte Probleme angehen muß und vielfach auf Einschätzungsermächtigun16 Vgl. Teubner / Willke, Zeitschrift für Rechtssoziologie 6 (1984), S. 4 ff.; Willke, in: Glagow/Willke (Hrsg.), Dezentrale Gesellschaftssteuerung, 1987, S. 3 ff.; Teubner, in: Grimm/Maihofer (Hrsg.), Gesetzgebungstheorie und Rechtspolitik, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, 1988, S. 45 ff.; ders., Zeitschrift für Rechtssoziologie 11 (1990), S. 137 ff. 17 s. etwa Schuppert, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, S. 217 (224 ff.). 18 Nocke, KJ 1986, S. 363 ff. 19 s. Mayntz, Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1987, S. 89 ff.; dies., in: von Beyme/Offe (Hrsg.), Politische Theorien in der Ära der Transformation, 1996, S. 148 ff.; s. auch Mayntz/ Scharpf, in: dies. (Hrsg.), Gesellschaftliche Selbstregelung und politische Steuerung, 1995, S. 9 ff. 20 s. etwa Schuppert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 65 ff. 21 Zur gängigen Methodenlehre s. als Standardlehrbücher Larenz / Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995; Zippelius, Juristische Methodenlehre, 6. Aufl. 1994. Erheblich offener demgegenüber schon F. Müller, Juristische Methodik, 7. Aufl.1997.

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gen und Abwägungsgebote angewiesen ise 2 • Probleme und deren Lösungen stellen sich in Netzwerkstrukturen anders dar als in bipolaren Verträgen oder Hoheitsbeziehungen. Wenn das Recht gleichwohl darum bemüht ist, die Konflikte möglichst in bipolaren Häppchen abzuarbeiten - also z. B. in einem Streit um die Anfechtung eines Verwaltungsaktes durch seinen Adressaten -, oder wenn es begrenzt tripolare Betrachtungen zuläßt - etwa bei der Drittanfechtung im Kontext der Schutzbereichstheorie -, dann ist das der Versuch, ein Problem im Interesse juristischer Handhabbarkeit in Teile zu zerlegen. Die Addition der juristisch erheblichen Teile macht aber keineswegs das Ganze aus. Die Karriere der Idee der Mediation 23 verdeutlicht beispielhaft die Suche nach stärker ganzheitlichen Ansätzen mit dem Ziel komplexerer Problembewältigung. Aber auch die Vielfalt relevanter Maßstabskriterien wird größer. Wenn in den neueren Diskussionen z. B. gefragt wird, ob Rechtmäßigkeit wirklich das alleinige Ziel der Rechtsanwendung ist, ob es nicht vielmehr um eine Richtigkeit im übergreifenderen Sinne geht - die etwa neben der Rechtmäßigkeit z. B. die Interessenoptimierung sowie die Akzeptabilität und Implementierbarkeit umfaßt 24 -, dann wird deutlich, daß die Aufgabe der Rechtsanwendung nicht auf die Trennung des Rechts vom Unrecht begrenzt ist, und es wird unübersehbar, daß die anderen Richtigkeitsdimensionen andere oder anders akzentuierte Methoden fordern als die für Hermeneutik und Subsumtion geeigneten. Natürlich bleibt es wichtig, das Recht vom Unrecht (also das Rechtmäßige vom Rechtswidrigen) und das Recht vom Nichtrecht zu scheiden - dafür sind Juristen weiterhin Experten und als Inhaber der Definitionsmacht über Maßstäbe und deren Anwendung unangefochten. Es reicht aber auch häufig bei der Rechtsanwendung nicht, ein rechtlich einwandfreies Ergebnis zu finden oder als solches zu rechtfertigen.Vielfach gibt es mehrere Optionen, und das Recht beläßt dann einen Korridor für mehrere rechtlich mögliche Entscheidungen, innerhalb dessen gleichwohl optimiert werden muß. Ferner zeigt die Geschichte der Rechtswissenschaft und Rechtsanwendung, daß die Grenzen des Korridors rechtlich nicht absolut fixiert, sondern häufig verschiebbar sind, und das manchmal auch ohne formelle Gesetzesänderung. Wo die Grenzpflöcke jeweils gesetzt werden, ist Produkt einer Entscheidung der Inhaber der Entscheidungsmacht.

22 Dazu vgl. etwa Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, Grundfragen, 1993, S. 11 (34 ff.). 23 Dazu s. vor allem die beiden oben in FN 7 erwähnten, von Schmidt-Aßmann mitherausgegebenen Bände "Konfliktbewältigung durch Verhandlungen". 24 Dazu vgl. Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshande1ns, 1994, S. 27; ders., AöR 119 (1994), S. 590 (594 ff.).

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Ihre Entscheidungen müssen Rechtsanwender lege artis, also unter Verwendung anerkannter Topoi, begründen 25 • Die Besonderheit der verwendeten Argumentationstechnik und die Berufung auf das "genuin Juristische" deuten auf eigenständig bestimmte Regeln im Prozeß der sozialen Wirklichkeitskonstruktion. Dieser wird durch diejenigen verwaltet, die professionell mit Recht umgehen. Das, was in der Gemeinschaft der Juristen insoweit anerkannt ist, zählt. Dabei haben bestimmte Inhaber hervorgehobener Definitionsmacht, wie etwa Oberrichter oder "Oberprofessoren" , einen entsprechend vergrößerten Einfluß. Die immer noch relativ homogene Sozialisation des Juristenstandes 26 , auch das in einem modernen Industrie- und Dienstleistungsstaat unabdingbare Streben fast aller nach einem Mindestmaß an Erwartungssicherheit in der Juristensprache nach Rechtssicherheit - sowie die überkommene Organisation und das Verfahren der Rechtsanwendung bedingen eine gewisse Stetigkeit. Die unangefochtene Stellung der Juristen läßt sich bei einer Betonung des Besonderen juristischer Arbeit leichter halten als bei seiner Infragestellung. Insofern wird die "Zitadelle des Rechts" noch immer relativ solidarisch verteidigt27. Es gibt kein Trojanisches Pferd hinter den Mauern. Es könnte aber sein, daß die auch in der sozialwissenschaftlichen Außenwelt verkehrenden Verteidiger der Zitadelle eine veränderte Verteidigungsstrategie wählen. Die überkommenen Glaubenssätze über das "genuin Juristische" werden allerdings nicht nur in der Kommunikation mit Sozialwissenschaftlern und damit im verstärkten Kontakt zur Realität in Frage gestellt. Auch die EUIntegration und die Globalisierung vieler Lebensverhältnisse unterwandern Selbstverständnisse der kontinentalen bzw. deutschen Rechtskultur28 . Ist die dem angelsächsischen Bereich geläufige Steuerung durch Verfahren noch relativ reibungslos - nicht zuletzt mit Hilfe der Grundrechtsdogmatik des Bundesverfassungsgerichts29 - in das Öffentliche Recht einbezogen worden, so fällt es schon schwerer, die im angelsächsischen Bereich lang geübte pragmatische Flexibilität zu übernehmen. Die Entdeckung und Eingemein-

s. die Hinweise oben FN 12. Vgl. Büllesbach (FN 12), S. 452 f. 27 Selbst ein als "alternativ" bezeichneter Kommentar zum Grundgesetz unterscheidet sich daher nicht zufällig relativ wenig von anderen neueren Kommentaren auch nur begrenzt in der Akzentsetzung oder in der Autorenrekrutierung. 28 Daß darauf z.T. auch mit einem Negieren - also einer Art Unterlaufen - reagiert wird, illustriert Schoch, in diesem Heft, S. 135 ff. Vgl. auch Zu leeg und Rengeling, VVDStRL 53 (1994), S. 154 ff. und S. 202 ff. 29 Vgl. etwa BVerfGE 53, 30 (57 f., 65 f., 71 ff.); Schmidt-Aßmann, in: Lerche/ Schmitt Glaeser / Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 1 ff.; Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantien, 1981; Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990. 25

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dung des informalen Verwaltungshandelns 30 - als ein Beispiel unter mehreren - zeigt aber die Lernfähigkeit der Juristen. Mühsam kämpfen sie auch darum, ganzheitliche Ansätze zu rezipieren, wie sie infolge des EU-Drucks etwa im Umweltbereich gefordert sind31 . Zu nennen sind die Umweltverträglichkeitsprüfung 32 , die Managementkonzepte des Umwelt-Audit 33 , die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IPPC)34 oder auch das neue Verpackungsrecht3 5 . Der Professorenentwurf zum Umweltgesetzbuch36 und in Grenzen der Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch (UGB-KomE)37 nehmen davon Kenntnis und bemühen sich um die Integration in das deutsche Recht - wenn auch z.T. noch mit dem trotzigen Versuch möglichst intensiver Bewahrung deutscher Rechtstraditionen. Der effektive und effiziente Einsatz dieser umweltpolitischen und -rechtlichen Instrumente fordert ein Verständnis ihrer empirischen und normativen Prämissen, das durch eine Beschäftigung mit Organisationssoziologie, ökonomischer Analyse oder Managementtheorie gefördert wird. Bei solchen Bemühungen - wie generell im EU-geprägten rechtlichen Umfeld - können auch Selbstverständnisse der Abgrenzung einer dualen Scheidung von Öffentlichem und Privatem oder von Öffentlichem Recht und Privatrecht erschüttert werden. Zumindest werden Anstrengungen provoziert, das Verhältnis neu zu bestimmen. "Die Struktur öffentlicher Aufgaben und gesellschaftlicher Problemlagen folgt weder den Zäsuren der Rechtsdogmatik noch den Feinheiten rechtswissenschaftlicher Disziplinbil-

30 Dazu s. Bohne, VerwArch 75 (1984), S. 343 ff.; Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982), S. 203 ff.; Bauer, VerwArch 78 (1987), S. 241 ff. Aus der Lehrbuchliteratur s. etwa Erichsen, in: ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 1998, S. 457 ff.; Koch/ Rubel, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 1992, S. 48 ff.; Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Auflage 1997, Rdnr. 242 ff. und 486. 31 Vgl. statt vieler Reich/ Heine-Mernik (Hrsg.), Umweltverfassung und nachhaltige Entwicklung in der Europäischen Union, 1997. 32 Dazu s. Erbguth/ Schink, Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung. Kommentar, 2. Aufl. 1996; Schneider, Nachvollziehende Amtsermittlung, 1991. 33 vgl. dazu statt vieler Scherer / Bartsch, in: Landmann / Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, Bd. III, 1997, Kap. 12; Schneider, Die Verwaltung 28 (1995), S. 361 ff.; LübbeWolf!, NuR 1996, S. 217 ff.; Lütkes, NVwZ 1996, S. 230 ff.; Ewer / Lecheltl Theurer, Handbuch Umweltaudit, 1998. 34 Dazu s. statt vieler Koch, Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1997, S. 31 ff. 35 Dazu s. statt vieler Kloepfer, EWS-Beilage 2 zu Heft 7/1997, S. 1 ff.; Finckh, Regulierte Selbstregulierung im Dualen System, 1998. 36 Kloepfer / Rehbinder / Schmidt-Aßmann, Umweltgesetzbuch - Allgemeiner Teil, 1990; Jarass / Kloepfer / Kunig / Papier / Peine / Rehbinder / Salzwedel / Schmidt-Aßmann, Umweltgesetzbuch - Besonderer Teil, 1994. 37 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE). Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 1998.

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dung"38. Die - auch mit sozialwissenschaftlichen Methoden arbeitende Analyse dieser Strukturen gibt den Anstoß, die Teilrechtsordnungen in ein neues Verhältnis zu setzen, die Segmentierung zu überwinden - etwa im Sinne wechselseitiger Auffangordnungen, durch Kombination VOn Instrumenten oder durch wechselseitige Transfers oder Modifikationen. Auch die gegenwärtig vielfach beobachtbaren Trends zur Reformulierung staatlicher Verantwortungsübernahme39 , zur De- und Reregulierung und damit zur Herausbildung neuer Formen der Arbeitsteilung zwischen privatem und öffentlichem Sektor40 oder gar zur Privatisierung bisher öffentlicher Aufgaben 41 sind das Produkt mehrerer Faktoren. Zu ihnen gehören analytische Einsichten in die Aufgabenüberforderung des Staates42 , in die Grenzen von Effektivität und Effizienz regulatorischer Instrumente 43 und in die gewachsene Vernetzung von Lebensbereichen. Wichtig sind aber auch Neubewertungen normativer Konzepte, erkennbar etwa an der Bereitschaft und Notwendigkeit zur Rücknahme bisheriger Erfüllungsverantwortung des Staates oder an der Neubestimmung des instrumentellen Wertes von Autonomie und Selbstregulierung44 . Vielfach werden unterschiedliche Rationalitäten relativ autonomer Felder erkannt und respektiert, wie z. B. Markt, Intimbeziehungen, Wissenschaft oder Medien45 , gewissermaßen eine Pluralität von Autonomien.

So Schmidt-Aßmann (FN 8), S. 8. Weiterführend insbesondere die Begrifflichkeit von Schmidt-Aßmann (FN 22), S. 43; ders. (FN 8), S. 29 f.; s. auch Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981, S. 88 ff.; Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996, S. 44 ff. 40 Dazu s. die umfassende Zusammenstellung von Schuppert, Die Verwaltung 28 (1995), S. 137 ff. 41 Dazu vgl. Hengstschläger und Osterloh, VVDStRL 54 (1995), S. 165 und S. 204 ff.; von Arnim, Rechtsfragen der Privatisierung. Grenzen staatlicher Wirtschaftstätigkeit und Privatisierungsgebote, 1995. 42 Vgl. dazu die Beiträge in Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, sowie Ellweinl Hesse, Der überforderte Staat, 1997. 43 s. schon die "klassische" Untersuchung von Mayntz, in: Matthes (Hrsg.) Sozialer Wandel in Westeuropa, Verhandlungen des 19. Deutschen Soziologentages, 1979, S. 55; Teubner, Das regulatorische Trilemma. Zur Diskussion um postinstrumentale Rechtsmodelle Quaderni Fiorentini per la Doria deI Pensiero Giuridico Moderno, 1984, S. 109, sowie die Beiträge in: Hoffmann-Riem I Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 1998. 44 Aus der ju,~istischen Literaturvgl. die Beiträge in Hoffmann-Rieml Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Offentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996. Zur sozialwissenschaftlichen Diskussion s. auch die in FN 20 erwähnten Literaturhinweise. 45 Dazu s. Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, S. 8, 13 und passim. 38 39

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m. Anstöße für Perspektivenänderungen - Beispiele Veränderte Einsichten in Realitäten und Uminterpretationen von wertenden Prämissen haben Folgen für die wissenschaftlichen Versuche zur Systematisierung - Schmidt-Aßmann spricht gern von der Systembildung46 -, für rechtspolitische Gestaltungsoptionen, aber auch für die juristische Argumentationstechnik und die Entwicklung der juristischen Dogmatik. Ein illustratives Beispiel sind die Anstöße, die von der Implementationsforschung ausgegangen sind 47 • Die von Sozialwissenschaftlern geprägte Frage nach dem Normvollzug setzt viel umfassender an als die traditionelle Frage der Juristen nach der Rechtmäßigkeit des Verhaltens der Umweltbehörden oder die rechtssoziologische Frage nach der Effektivität des Rechts 48 • Die - aus dem angelsächsischen Raum inspirierten - Implementationsforscher waren an politischer Steuerung interessiert; sie erweiterten den Blick vom Gesetz auf das "Programm" unter Einschluß politischer Absichtserklärungen, administrativer Vorverständnisse und Verwaltungsübungen; sie lösten sich von der Fixierung auf den Subsumtionsakt und betrachteten die verschiedenen Stadien des gesamten Entscheidungsprozesses und deren Wechselbezüglichkeit; sie beobachteten Folgen und Folgesfolgen der Entscheidungen und insbesondere dysfunktionale Nebenfolgen; sie interessierten sich für das Wechselspiel von Programmverwirklichung und Programmentstehung und verabschiedeten mechanistische Analysekonzepte; sie untersuchten Handlungsstrategien und -situationen sowie die organisatorischen und verfahrensmäßigen Rahmenbedingungen der Entscheider als Anwendungsbedingungen des Rechts. Diese Forscher arbeiteten meist in Teams aus Sozialwissenschaftlern und Juristen. Vermutlich haben sie sich keine Rechenschaft darüber gegeben, wieweit sie genuin sozialwissenschaftliche oder genuin juristische Methoden anwandten und wieweit der genutzte Methodenmix wissenschaftstheoretischen Reinheitsgeboten entsprach. Ihnen war wichtig, daß sie ein komplexes Problem komplexer erfassen konnten als Sozialwissenschaftler allein oder Rechtswissenschaftler allein. Mit ihren Befunden und Angeboten theoretischer Erklärung haben sie Sozial- und Rechtswissenschaft, aber auch Rechtspraxis und Rechtspolitik befruchtet.

46 s. schon Schmidt-Aßmann, VBffiW 1988, S. 381 ff.; ders., Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 1998. 47 Mayntz u. a., Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, 1980; Mayntz (Hrsg.), Die Irnplementation politischer Programme. Empirische Forschungsberichte, 1980; dies., Irnplementation politischer Programme. Die Ansätze zur Theoriebildung, 1983. 48 Zur Unterschiedlichkeit der Perspektive s. Hoffmann-Riem, in: HoffmannRiem/Mollnau/Rottleuthner (Hrsg.), Rechtssoziologie in der Deutschen Demokratischen Republik und in der Bundesrepublik Deutschland, 1990, S. 126 ff.

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Selbst in Lehrbüchern des Öffentlichen Rechts haben die Sichtweisen Einzug gehalten49 . Auch die Vereinigung der Staatsrechtslehrer hat Teilbefunde durch Aufgreifen auf ihren Jahrestagungen juristisch "geadelt"50. Die im "Regulierungslaboratorium des öffentlichen Rechts,,51 - zur Zeit immer noch an erster Stelle das Umweltrecht - durch Rechtsprechung, Lehre und Gesetzgebung aufgegriffenen neuen Ansätze haben das juristische Argumentationsarsenal bereichert. Über das Angebot der analytischen Einordnung des Umweltrechts als "Referenzgebiet" verwaltungsrechtlicher Systembildung52 ist die Verallgemeinerungsfähigkeit plausibilisiert worden bis hin zu Anstößen für die Fortentwicklung des Allgemeinen Verwaltungsrechts 53 . Ein anderes Beispiel ist das Vordringen der ökonomischen Analyse des Rechts 54 und deren Auswirkung auf Rechtspolitik sowie rechtswissenschaftliche Theoriediskussion und Systematisierung. Ohne die Anstöße der public choice-Theorie und das Verdeutlichen der Relevanz von Transaktionskosten55 sähen manche rechtswissenschaftlichen Diskurse anders aus, wohl auch manche Instrumente der Regulierung. Erwähnt sei nur die Karriere der anreiz orientierten Instrumente im Umweltrecht56 . Auch die aktuelle Beschleunigungsdebatte ist inspiriert worden - ohne daß die immensen Schwächen der jüngsten Beschleunigungsgesetzgebung57 stets den beteiligten Wissenschaftlern angelastet werden dürfen. Vielmehr hat es den Anschein, als hätten die in tagespolitischer Hektik handelnden und unter lobbyistischem Beschuß stehenden Ministerialbeamten und Politiker noch viel zu wenig von 49 s. statt vieler Koch/ Rubel, AllgemeinesVerwaltungsrecht (FN 30), S. 48 ff., 172 ff.; Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht (FN 30), Rdnr. 5, 347, 374; Ruland, in: SchmidtAßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, S. 667 ff.; Bender I Sparwasser I Engel, Umweltrecht, 3. Aufl. 1995, § 1 Rdnr. 97, § 3 Rdnr. 221, 258. 50 s. insbesondere die Tagungen zu den Themen Selbstbindungen der Verwaltung (VVDStRL 40); Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag (VVDStRL 41); Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen durch das Verwaltungsrecht (VVDStRL 48); Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung (VVDStRL 56). 51 Formulierung nach Kloepfer, JZ 1991, S. 737. 52 Zur Kategorie der von Schmidt-Aßmann sog. "Referenzgebiete" s. dens. (FN 22), S. 14 f. 53 s. etwa die Beiträge in den in FN 7 genannten Bänden. 54 Zu ihr s. Schäfer / Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 2. Aufl. 1995; Kirchner, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (FN 8), S. 63 ff.; Eidenmüller (FN 9). 55 s. statt vieler Richter I Furubotn, Neue Institutionen-Ökonomik, 1996. 56 s. dazu die Systematisierung der Formen bei Schoch, DVB11994, S. 962 ff.; Bauer und Osterloh, VVDStRL 54 (1995), S. 204 ff. und S. 243 ff.; Schuppert, StWStP 1994, S. 541 ff. 57 Zur Kritik an ihr s. Gromitsaris, SächsVBI 1997, S. 101 (107); Knitsch, ZUR 1996, S. 247 ff.; Koch, NVwZ 1996, S. 215 (219 ff.).

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den voraussetzungsvollen Konzepten aufgenommen oder gar verstanden, die der wissenschaftliche Nährboden der neuen Steuerungswege sind. Auch deutet sich erst allmählich an, daß hinter manchen Trends eine Stoßkraft steht, die Grundfeste des bisherigen juristischen Gebäudes erschüttern könnte. Die zur Zeit forcierte Privatisierung öffentlicher Aufgaben58 führt zu der Frage, wie es denn "Nach der Privatisierung"59 weitergehen soll. Sie darf nicht zu der schlichten Antwort führen, dann gelte eben Privatrecht in den nun in Privatautonomie entlassenen Verantwortungsfeldern. Dazu neigen zwar Privatrechtler, die den Siegeszug der Privatrechtsgesellschaft feiern 6o • Sie sind versucht, vorrangig in Kategorien des Privatrechts zu denken. Dabei können sie aber übersehen, daß das am Marktparadigma orientierte Privatrecht das in Recht gegossene Programm des politischen Liberalismus ist, dessen Sozialmodell in den sozialstaatlich verfaßten Gesellschaften, insbesondere der gegenwärtigen industriellen Massengesellschaft und der aufkommenden globalen Informationsgesellschaft, nicht mehr vorausgesetzt werden kann 61. Dies bedeutet aber noch nicht, daß die Öffentlich-Rechtler "Sieger" sein werden. Öffentlich-Rechtler betonen die Fortgeltung öffentlich-rechtlicher Bindungen, die privat-rechtliche Rechtsbeziehungen durchwirken oder überwölben; sie arbeiten an dem Nebeneinander öffentlich-rechtlicher und privat-rechtlicher Normbündel - etwa als wechselseitige Auffangordnungen 62 . Weitere Anwendungsbeispiele sind Bemühungen um ein besonderes Privatorganisations- und Privatverfahrensrecht63 . Neue Zuordnungen von öffentlich und privat stellen die Rechtsordnung vor neue Herausforderungen. Es liegt nahe, daß die im öffentlich-rechtlichen Umfeld sozialisierten Wissenschaftler die Antworten im Öffentlichen Recht suchen und dabei seine Gestaltbarkeit in politischen, demokratisch-legitimierten Prozessen und in staatlicher Verantwortung herausarbeiten, auch wenn diese eventuell zur bloßen Gewährleistungs- und Auffangverantwortung abgeschwächt wird. Öffentliches Recht kann auch dort gefragt sein, wo bisher öffentliche

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s. dazu Nachweise oben in FN 41. So der Titel eines Vortrags von Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998,

S.8. 60 s. etwa Mestmäcker, Rechtshistorisches Journal 10 (1991), S. 177 ff.; ders., Rechtstheorie 19 (1989), S. 273 ff. 61 Näher dazu Vesting, in: Schlosser (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch 1896 - 1996, 1997, S. 183 ff. 62 s. da~u das Konzept und die Beiträge in dem Band Hoffmann-Riem I SchmidtAßmann, Offentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996. 63 s. etwa die Beiträge in: Hoffmann-Rieml Schneider, Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996; Wahl, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 301 ff.

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Aufgaben in eine Grenzzone zwischen Markt und Staat, in den sog. Dritten Sektor64 , verlagert werden. Es ist aber keineswegs gesagt, daß die alte Dichotomie öffentlich- und privatrechtlich in neuen institutionellen Arrangements aufgehoben werden wird. Es könnte ja sein, daß die Dualität - die auch auf der EU-Ebene unter Druck geraten ist - sich gänzlich als überholt erweist oder gar, daß die bisher über Öffentliches Recht verarbeiteten Problemsegmente doch verstärkt oder allein dem Privatrecht überlassen werden. Vermutlich wird dieses dann aber einem erheblichen Änderungsdruck ausgesetzt. So kommt Teubner65 zu der Einschätzung, das Privatrecht müßte auf die heutige Qualität unterschiedlicher sozialer Räume umgestellt und von seiner Fixierung auf eine an Markteffizienz orientierte Autonomie abgelöst werden; es gäbe neben der ökonomisch geprägten eine Vielzahl von Privatautonomien in unterschiedlichen sozialen Kontexten. Das Risiko dysfunktionaler Folgen sei unübersehbar, wenn die mit diesen unterschiedlichen Autonomien gekoppelten unterschiedlichen Rationalitäten und Normativitäten nicht respektiert würden. Teubner betont Risiken struktureller Korruption sowie sozialer Exklusion und beschreibt Grenzen einer Monetarisierung aller Lebensverhältnisse sowie die Unzulänglichkeit von bilateral gedachten Vertragskonstruktionen in Netzwerkstrukturen. Er erwartet einen Reimport solcher sozialen Konflikte in das Privatrecht, die im Zuge der Herausbildung des alten Dualismus mit den Mitteln des Öffentlichen Rechts bearbeitet, d. h. früher vom Privatrecht ferngehalten wurden. Dennoch folgert er daraus nicht die Vorzugswürdigkeit eines Rückgriffs auf das Problemlösungsarsenal des Öffentlichen Rechts. Vielmehr erwartet er eine Politisierung der Steuerung über Privatrecht. Dies aber könnte dessen Ablösung von überkommenen Prämissen forcieren. Die seit langem in verschiedenen Schutzrechten - etwa im Verbraucherschutzrecht66 - beobachtbare sozialstaatliche Durchdringung des Privatrechts ist dafür allenfalls ein Anfang. Ob diese Sicht sich durchsetzen wird, ist hier nicht von Bedeutung. Der Blick auf diese Alternative fördert aber das Bewußtsein der Vielfalt möglicher Perspektiven bei der Analyse ein und desselben Problems. Ob Teubner - als Jurist im Bereich des Privatrechts sozialisiert - bei seinen Abhandlungen eher als Jurist oder als Sozialwissenschaftler denkt und argumentiert, ist dabei relativ unbedeutend. Sein systemtheoretischer Zugriff erlaubt ihm manche Zuspitzung - wenn auch erheblich moderater und toleranter gegenüber anderen Ansätzen als der öffentlich-rechtlich geprägte Jurist und So64 65 66

Zu seiner Umschreibung s. Schuppert, Die Verwaltung 28 (1995), S. 137 ff. s. oben FN 16. Dazu vgl. Reich, Europäisches Verbraucherschutzrecht, 3. Aufl. 1996.

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ziologe Niklas Luhmann 67 . Die Beobachtungen mögen auch diejenigen zum Nachdenken bringen, die das systemtheoretische Raster nicht akzeptieren und Steuerungsfragen zum Beispiel eher aus handlungstheoretischer Sicht angehen 68 , welche den Juristen meist leichter zugänglich ist als die systemtheoretische Abstraktion. Beide Sichtweisen - die eher auf das Öffentliche Recht oder die eher auf das Privatrecht fixierte - bereichern die Analytik und können bei rechtspolitischen Gestaltungen folgenreich werden. Sie können auch die juristische Argumentation im engeren Sinne, nämlich die bei der Anwendung geltender Normen, befruchten, d. h. letztlich zu juristischer Dogmatik69 (also einer Sammlung verallgemeinerungsfähiger Argumentationsfiguren) gerinnen. So kann die öffentlich-rechtliche Deutungsoption im Verfassungs- und Verwaltungsrecht folgenreich werden, etwa bei Anforderungen an die Regulierungsdichte im Rahmen des Gesetzesvorbehalts, bei der Herausbildung der Konturen privatrechtsgestaltender Verwaltungs akte , im Umgang mit Rechtsfiguren wie der Beleihung oder den verwaltungsrechtlichen Rechtsverhältnissen, bei der Konkretisierung von Übermaß und Untermaß im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, bei der Entwicklung von Obliegenheiten und Nebenpflichten der Kooperation, bei Entscheidungen über den Rechtsweg oder beim Transfer von Instrumenten einer Rechtsordnung in die andere (Beispiel Nachbarrechtfo. Die zivilrechtliche Sichtweise sucht nach rechtlichen Ankern vorrangig in privatrechtlichen Institutionen, so im Verhältnis von Vertrag und Sozialschutz (etwa bei der Einbeziehung von Drittinteressen in den Vertrag oder bei der Konkretisierung des Rechts allgemeiner Geschäftsbedingungen), im Recht der Leistungsstörungen (etwa des Wegfalls der Geschäftsgrundlage) oder im Haftungs- und Beweisrecht (etwa im "Risikoprivatrecht")71. Welcher Weg auch gewählt wird: Letztlich können die sozialwissenschaftlich informierte Analyse und das sozialwissenschaftlich angeleitete "Lernen" über die gesellschaftliche Realität in verschiedenen Schritten über verschiedene Stufen folgenreich für das werden, was Juristen als ihr eigentliches Geschäft ansehen, die Normauslegung und die Subsumtion im konkreten Fall, also die Entscheidungstechnik. 67 Zur Gegenüberstellung des Vorgehens von Teubner und Luhmann s. Bryde, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, S. 109 ff. 68 Dazu vgl. Mayntz, Politische Steuerung (FN 19). 69 Zum Begriff der Rechtsdogmatik s. statt vieler Brohm, VVDStRL 30 (1971), S. 245 f. m.w.Nachw. in Fn. 3. 70 Anregungen in dieser Richtung finden sich in den Beiträgen in dem Band Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996. 71 Zu ihm s. Damm, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (FN 70), S. 85 (114).

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Iv. Rechtsanwendungs- und Grundlagenforschung

in der Rechtswissenschaft

Es wäre jedoch eine unzulässige Verkürzung, das "genuin Juristische" oder gar das "genuin Rechtswissenschaftliche" nur auf dieser Ebene anzusiedeln bzw. die Wissenschaft vom Recht - etwa vom Verwaltungsrecht - auf die Wissenschaft subsumtionsbezogener Argumentation zu begrenzen. Es wäre dann übrigens schwer auszumachen, was das Wissenschaftliche daran wäre 72 . Rechtswissenschaftler haben seit jeher auf das allgemein verfügbare Wissen über das Verhalten einzelner, über Strukturen der Gesellschaft, über Trends der Entwicklung, über Defizite der Normbefolgung u.ä. zurückgegriffen. Auch haben sie ihre Einschätzungen über die empirische Realität, über gesellschaftliche Werte, über Wirkungszusammenhänge u.ä. auch im Rahmen des Umgangs mit dem positiven Recht auf Befunde aufgebaut, die mit den bei Juristen üblichen "Methoden" der Rechtsanwendung 73 gar nicht zu gewinnen sind. Sie haben sich auch an der Erarbeitung übergreifenden gesellschaftlichen Wissens beteiligt - genannt seien etwa earl Schmitt, Hermann Heller, Gustav Radbruch, Herbert Krüger oder Ernst Forsthoff. In diese Reihe paßt sogar Otto Mayer, der seine gesellschaftspolitischen Präferenzen jedoch hinter den Sprachfiguren einer Dogmatik eines neu zu entwickelnden Verwaltungsrechts 74 verbarg75 • Vermutlich haben die erwähnten Autoren sich als Rechtswissenschaftler selbst dann eingeordnet, wenn sie nicht subsumtionstaugliche Thesen verbreiteten oder sich nicht auf die Beschreibung und Systematisierung anerkannter Rechtsinstitute beschränkten. Wir dürfen Autoren wie Otto Mayer allerdings nicht deshalb auf den Leim gehen, weil sie sich als Vertreter der "juristischen Methode" im Verwaltungsrecht feiern ließen - d. h. ein im Positivismus verankertes Selbstverständnis juristischen Arbeitens akzeptierten, das letztlich auf Savigny 72 Es ist vermutlich kein Zufall, daß Rechtswissenschaftler selten definieren, was sie unter Rechtswissenschaft verstehen. Eine gewisse Ausnahme findet sich beispielsweise bei Rinken, Einführung in das juristische Studium, 2. Aufl. 1991, S. 253 ff. sowie Hollerbach, Rechtswissenschaft, in: Staatslexikon Bd. IV, 7. Aufl. 1988, Sp. 751 ff. Meist wird allerdings nur beschrieben, was denn zur Rechtswissenschaft gehört. 73 Wie sie in den Methodenlehrbüchern ausgeführt werden, s. dazu die Hinweise obenFN 21. 74 O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. I und 11, 1895/96. 75 Vgl. zur Kennzeichnung der juristischen Methode die Formulierung von Wilhelm, Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jh., 1958, S. 159: "Die rechtspolitische Funktion der ,juristischen Methode' nach 1870 bestand vornehmlich darin, die neu gegründeten Staatsrechtsverhältnisse des Kaiserreichs zu legitimieren und ihren Bestand durch den Ausschluß jeglicher politischer Kritik zu sichern. Die politische Prämisse der ,juristischen' Staatsrechtslehre Labands war die Bejahung des monarchisch-konservativen Staatsprinzips und der anti-liberalen Politik Bismarcks."

7 Die Verwaltung, Beiheft 2

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zurückging76 und durch von Gerber und Laband in das Staatsrecht übertragen worden war77 . Diese Autoren versuchten (bzw. behaupteten), Erwägungen politischer, geschichtlicher, philosophischer oder ökonomischer Art als "nicht-juristische" auszublenden 78 . Sie sind damit ein Stück ursächlich dafür geworden, daß der Streit um die Eigenständigkeit der Rechtswissenschaft und ihre Unterscheidung zur Sozialwissenschaft in Deutschland soviel härter und kompromißloser ausgetragen worden ist als etwa im angelsächsischen Kulturkreis. Die politischen und gesellschaftlichen Bindungen, unter denen eine so verstandene "juristische Methode" einen Beitrag zur Stabilität der Ordnung leisten und deshalb auf große Akzeptanz stoßen konnte, sind seit langem entfallen. Heute respektieren wir eine Vielfalt gesellschaftlicher Teilsysteme (wirtschaftliche, politische, ökologische, lebensweltliche u. a., die alle vom Recht geprägt sind); es gibt eine Pluralität von Sinnentwürfen, eine Vertiefung und Verbreiterung des gesellschaftlichen Wissens, eine Steigerung der Komplexität von Risiken und Problemlagen, eine starke Ausdifferenzierung der Instrumente staatlicher oder gesellschaftlicher Steuerung von Verhalten und der handlungsleitenden Strukturen sowie Zweifel an der Gewißheit über die einzigartige Richtigkeit des einzuschlagenden Weges. Eines jedenfalls ist nicht leistbar: eine systematische Kenntnis aller relevanten Zusammenhänge. Dies alles wirkt auch auf die Leistungskraft des Rechts zurück. Daß in einer solchen Zeit ausgerechnet die Rechtswissenschaft in der Lage sein sollte, auf das Erkenntnisarsenal anderer Wissenschaftsdisziplinen verzichten zu können, ist kaum vorstellbar. Diese Aussage bedeutet nicht, daß die Juristen nicht über einen eigenständigen Apparat bei der Bewältigung der speziell ihnen anvertrauten Aufgabe verfügen, soweit diese auf Entscheidungen im Sinne der Alternativenwahl unter Anwendung des Rechts und damit seiner spezifischen Bindungen zielt - etwa der Grenzsetzungen, aber auch der programmatischen Vorgaben und Optimierungsaufträge des Rechts. Recht als Entscheidungsprogramm zielt auf eine einzige Entscheidung, also nicht auf das in der Wissenschaft mögliche Hin- und Herwägen und Offenlassen. Ob diese einzige Entscheidung auch einzig richtig ist, bemißt sich nicht nach absolut vorgegebenen Kriterien, sondern letztlich danach, wie die Letztentscheidungsmacht über die Richtigkeit ausgeübt wird. Die Handhabung dieser Letzts. Wilhelm (FN 75). Vgl. etwa von Gerber, Grundzüge eines Systems des Deutschen Staatsrechts, 3. Aufl. 1880; Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, insbesondere im Vorwort zur 2. Aufl. 1878. 78 Dazu vgl. Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 2, 1992, S. 229 ff.; von Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, 1974, S. 214 (249 ff.). 76

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entscheidungsmacht liegt allerdings nicht im Belieben der jeweiligen Akteure, sondern ist vielfältig gebändigt, etwa durch Verfahrensvorgaben, aber auch durch professionelle Verantwortung, die u. a. in Rechtsdogmatik und -methodik sedimentiert ist. Generell ist zu beobachten, daß juristische Argumente auf Anerkennung in der juristischen Profession bzw. des jeweils maßgebenden Teils davon werben. In diesem Sinne zielen sie auf Unangreifbarkeit - etwa vor höheren Gerichtsinstanzen oder in der scientific community. Die Einzelargumente stützen sich auf schon anerkannte Argumentationsfiguren - etwa der Rechtsdogmatik oder der sog. juristischen Methodenlehre - , natürlich nur, soweit diese verfügbar sind. Ist dies nicht oder nicht vollständig der Fall, können neue Figuren entwickelt werden. Im Verwaltungsrecht ist dies zur Zeit etwa im Bereich der vielen Abwägungsermächtigungen zu beobachten, so daß die Wissenschaft sich auf den Weg zu einer "Dogmatik des planerischen Abwägens"79 begeben hat. In einem solchen Feld reicht Subsumtionstechnik nicht. Planerisches Abwägen zielt auf Optimierung innerhalb eines Korridors rechtlich möglicher Entscheidungen, setzt also mehr Fähigkeiten voraus als die richtige Ableitung rechtlicher Grenzen, beispielsweise auch die zur Folgenabschätzung und Interessenbalancierung. Rechtswissenschaft, die dafür Hilfen geben will, ist Entscheidungswissenschaft8o . Sie muß die verschiedenen Dimensionen rechtlichen Entscheidens berücksichtigen81 . Wichtig ist das Abgestimmtsein auf die spezifischen Entscheidungsaufgaben und auf ihren Entscheidungskontext - etwa das Handeln als Verwaltungsbeamter, als Richter oder als anwaltlicher Ratgeber. Die Methoden der Entscheidungsgewinnung müssen spezifisch auf die Beachtung der Rechtsnormen ausgerichtet sein - unterscheiden sich daher z. B. von denen eines Sozialwissenschaftlers, der empirische Feldforschung durchführt oder Theorien sozialen HandeIns entwickelt. Allerdings handeln Juristen nicht nur unter dem Recht, sie reflektieren auch über Recht. So wird Rechtswissenschaft auch als Grundlagenwissenschaft betrieben, die nicht vorrangig auf die Bereitstellung von Entscheidungshilfen zielt. Dies gilt etwa für Rechtssoziologie, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie sowie Rechtsgeschichte82 . Grundlagenwissenschaft ist die Rechtswissenschaft auch insoweit, als es um sonstige Wege zur Gewinnung von Strukturwissen geht, also beispielsweise auch bei dem Bemühen um das wechselseitige Verhältnis von Rechts- und Sozialwissenschaften s. etwa Schmidt-Aßmann, VBlBW 1988, S. 381 ff. Zu diesem Aspekt von Rechtswissenschaft s. Rinken (FN 72), S. 255 ff. 81 Vgl. die Auflistung solcher Dimensionen bei Hoffmann-Riem, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S. 9,31 ff. 82 Vgl. Rinken (FN 72), S. 264 ff. 79

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7"

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Wolfgang Hoffmann-Riem

oder bei der Reflexion über Trends der Rechtsentwicklung oder über das Grundverständnis der Rechtswissenschaft auch als Steuerungswissenschaft. Viele RechtswissenschaftIer verbinden Entscheidungsorientierung und Grundlagenforschung, bemühen sich also im Interesse der Verbesserung der Steuerungskraft des Rechts auch um Einblicke etwa in das Verhältnis zwischen staatlicher Rechtsetzung und gesellschaftlicher Entwicklung oder in die außerrechtliche Prägung empirischer und normativer Prämissen. Dies kann auch für die Systematisierung und Dogmatisierung von Argumentationsfiguren hilfreich sein, auch in einer konkreten Rechtsanwendungssituation. Das Nachdenken über das Recht kann auf das "HandeIn unter dem Recht" zurückwirken. Gerade die kreativsten unter den Wissenschaftlern und Praktikern befassen sich sowohl entscheidungsorientiert mit der Rechtsanwendung oder einer entscheidungsbezogenen Rechtsdogmatik als auch mit Grundlagenforschung. Viele von ihnen nutzen die Befunde anderer wissenschaftlicher Disziplinen, kommunizieren also trans- oder interdisziplinär. Sie verwenden die in den sog. Nachbarwissenschaften geernteten Lernfrüchte bei der Anreicherung ihres Analyse- und Argumentationsmaterials. Was letztlich zählt, ist, ob sie auf Anerkennung bei denen stoßen, die in den jeweiligen Handlungszusammenhängen - etwa bei Gericht, in der Verwaltung, in der akademischen Wissenschaft - als Sachwalter juristischer Definitionsmacht anerkannt sind. Dabei sind die Akzeptanzbedingungen in dem institutionellen Kontext der Rechtsanwendung durch Gerichte oder Verwaltungsbehörden andere als in der theoretisch arbeitenden scientific community. Die Akzeptanzchance wird jedenfalls in entscheidungsorientierten Handlungssystemen meist erhöht, wenn das vorgeschlagene Ergebnis unter Nutzung allgemein anerkannter Argumentationsfiguren dargestellt wird. Auf den möglichen Unterschied zwischen der Herstellung und der Darstellung einer Entscheidung ist schon häufig verwiesen worden B3 . Die juristische Argumentationstechnik ist darstellungs orientiert; der Darstellungszwang mag auch disziplinierend auf den Prozeß der Herstellung wirken, ohne ihn aber vollständig zu programmieren. Eine Entscheidung ist rechtmäßig, wenn sie im Kontext der Gesetzesbindung darstellbar ist. Angesichts der Relativität des Gehalts der dafür nutzbaren Argumentationsfiguren ist es möglich, neue zu entwickeln oder alte neu zu akzentuieren. Dabei können auch Techniken des "trial and error" genutzt werden - etwa bei den angesichts der Begrenztheit der Rechtskraft grundsätzlich zulässigen "Tests", ob ein neues Argument beim Obergericht anerkannt wird. Nicht von vornherein ausgeschlossen ist - immer unter Anerkennung der grundsätzlichen Gesetzesbindung - auch ein pragmatisches Schritt für Schritt "muddling through"B4. 83

s. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 3. Aufl. 1993, S. 66, 124.

Sozialwissenschaften im Verwaltungsrecht

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Nutzbar sind auch die pragmatischen Vorteile eines gewissen Methodeneklektizismus. Dies gilt insbesondere für die Grundlagenforschung der Rechtswissenschaft. Übrigens: Auch andere Wissenschaften gehen methodeneklektisch vor, und manche - etwa die Politik- und Verwaltungswissenschaft - kommen ohne Anleihen bei der Argumentationstechnik und den Befunden der Juristen gar nicht aus. Dort stößt die Grenzüberschreitung auch im Methodischen aber nicht auf so starken Protest wie in weiten Teilen der Rechtswissenschaft - vielleicht nur, weil diese Wissenschaften nicht über eine Tradition verfügen, die dem Anschein nach auf methodische Gewißheiten gebaut war, vielleicht aber auch, weil sie methodenehrlicher sind oder von vornherein Anschluß an die internationale Wissenschaftlergemeinschaft und deren Methodenpragmatismus gesucht haben.

v. "Multikulturalität" der Wissenschaftiergemeinschaft Angesichts der aktuellen Herausforderungen der Industrie- und Informationsgesellschaft sowie der Globalisierung und Internationalisierung und des damit einhergehenden Zusammenbruchs bisheriger Ordnungsmodelle 85 ist es vermutlich verfehlt, auf ein in sich abgeschlossenes und zudem homogenes Selbstverständnis einer Wissenschaftsdisziplin zu drängen. Komplexe Probleme brauchen vielfältige Ansätze der Analyse und Verarbeitung. Disziplinäre Arbeitsteilung ist gut, soweit sie Dinge handhabbar macht, die sonst gar nicht anzupacken sind. So bleibt die Anwendung geltenden Rechts aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit von Verfahren eine Aufgabe der professionellen Juristen. Arbeitsteilung ist aber kein Wert in sich. Sie hat angesichts der begrenzten Kapazitäten der handelnden Individuen auch im Bereich der Grundlagenwissenschaft Vorteile, führt aber wohl nur dann weiter, wenn es zugleich Wege der Interaktion und Kooperation mit den anderen Disziplinen gibt. Transdisziplinäre Interaktion der Wissenschaften und gegebenenfalls Kooperation der Wissenschaftler miteinander erlauben den Zugriff auf das Erkenntnisarsenal der je anderen Teilwissenschaften, also auf die Gesamtheit der Arbeit der multidisziplinären scientific community. Kommunikation setzt dafür geeignete Schnittstellen voraus. Grundlagenwissenschaftler sind bei der Erarbeitung solcher Schnittstellen freier gestellt als Rechtsanwender in konkreten Entscheidungssituationen, etwa als Richter, deren Tätigkeit auf den Streitgegenstand begrenzt ist. Aber Grundsätzlich dazu Lindbiom, Public Administrative Review 19 (1959), S. 79 ff. s. statt vieler die Beiträge in den beiden Bänden von Heitmeyer (Hrsg.), Was treibt die Gesellschaft auseinander? sowie: Was hält die Gesellschaft zusammen?, beide 1997. 84 85

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Wolfgang Hoffmann-Riem

auch für Entscheider im Einzelfall gibt es keine Kommunikationsverbote, soweit die Rechtsnormen Scharnierbegriffe des Zugriffs auf das Erkenntnisarsenal anderer Wissenschaften enthalten. Wichtig ist die Fähigkeit zur sprachlichen Verständigung, also die Kenntnis der jeweiligen Sprach-Codes. Dies setzt die Bereitschaft voraus, sich auf die Relevanzen, Leitbilder und Grundannahmen der jeweils anderen Disziplin soweit einzulassen, daß Verständigung möglich wird. Vermutlich ist die Aufgabe strukturell keine andere als die, die multikulturelle Gesellschaften zu bewältigen haben. Auch Teildisziplinen der Wissenschaft bilden eigene Kulturen heraus, und die Wissenschaftlergemeinschaft könnte in diesem Sinne als "multikulturell" bezeichnet werden. Auch Wissenschaftler müssen daher lernen, sich zu integrieren, ohne dabei genötigt zu sein, ihre Identität aufzugeben. Die bisher häufig benutzten Begriffe der Interdisziplinarität oder Multiperspektivität deuten in diese Richtung. Vielleicht ist der Ausdruck der "Multikulturalität" noch treffender, bezogen auf die Anforderungen der Zusammenarbeit in der Gemeinschaft verschiedener Wissenschaften und unterschiedlicher disziplinärer Kulturen. Jede Teilkultur - auch die der Rechtswissenschaft - muß Entfaltungsmöglichkeiten nach den je vorgegebenen Aufgaben, den zur Aufgabenbewältigung einsetzbaren Methoden und Instrumenten und letztlich auch dem auf die Aufgabe abgestimmten Selbstverständnis haben. Soweit die Rechtswissenschaft sich bei der Aufgabenerfüllung auch der Sozialwissenschaft bedient, darf sie nicht das aufgeben, was eine dem Recht verpflichtete Profession zu beachten hat die Bindung an Recht und Gesetz. In ihrer Funktion als Entscheidungswissenschaft ist sie daher nicht frei, rechtsnormative Bindungen aufzugeben. Der Inhalt dieser Bindungen ist allerdings nicht ein für allemal, jedenfalls häufig nicht eindeutig, vorgegeben. Die tradierten juristischen Argumentationstopoi erleichtern den Zugang zum Bindungsgehalt des Rechts oder besser zu einem Gehalt, der zu je seiner Zeit als bindungsfähig anerkannt ist und damit zur Entscheidungssteuerung genutzt werden darf. Wissenschaft darf aber auch fragen, ob ein unter anderen Voraussetzungen angenommener Bindungsgehalt noch Bestand hat oder ob die veränderten empirischen oder normativen Rahmenbedingungen sich in ihm ändernd auswirken. Dabei kann sie insbesondere Einsichten nutzen, die über Grundlagenforschung ermittelt werden. Wissenschaft kann bei ihrem Bemühen um Systematisierung insbesondere Änderungen registrieren und so aufbereiten, daß sie auch im Bereich der Rechtsdogmatik folgenreich werden. Jedenfalls sind die Grenzen zwischen der Rechtswissenschaft als Grundlagenwissenschaft und der Rechtswissenschaft als entscheidungsorientierter Anwendungswissenschaft fließend.

Schlüsselbegriffe der Perspektivenverklammerung von Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaft Von Gunnar Folke Schuppert, Berlin

I. Einige Beobachtungen zum Verhältnis von Verwaltungsrechtswissenschaft und Verwaltungswissenschaft Über das Verhältnis von Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaft ist viel und engagiert geschrieben worden. Dieser Literaturgattung von "Verhältnis-Aufsätzen", mit deren Blüte in den sechziger und siebziger Jahren! das Fehlen eines sich auch so nennenden Lehrbuches der Verwaltungswissenschaft auffällig kontrastiert2 , soll hier keine weitere Verästelung hinzugefügt werden. Wir beschränken uns an dieser Stelle darauf, drei - wenn man es so nennen darf - Beobachtungsfrüchte zu präsentieren, die sich auf das Verhältnis von Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaft beziehen und aus denen wir anschließend gewisse Folgerungen ziehen wollen.

1. Übereinstimmende Gegenstandsbereiche von Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaft

Ausgangspunkt unserer ersten Beobachtung ist die - wie RaineT Wahl zutreffend konstatiert 3 - "inzwischen überall verbreitete Einsicht in die Pluralität der wissenschaftlichen Bemühungen um die Verwaltung". Zu diesen

1 Zum Verhältnis von Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre s. insbesondere Schmidt und Dammann, beide in: Grimm (Hrsg.), Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften, 2. Auf!. 1976, S. 89 ff. und 107 ff.; ferner FOTsthoff, Anrecht und Aufgabe einer Verwaltungslehre, 1959, und Stern, Verwaltungslehre - Notwendigkeit und Aufgabe im heutigen Sozialstaat, 1967, beide abgedruckt in: Siedentopf (Hrsg.), Verwaltungswissenschaft, 1976, S. 288 (309 ff.); Ausführungen zum Verhältnis beider Wissenschaften finden sich ferner in allen Lehrbüchern der Verwaltungslehre. 2 Das einzige - übrigens auch von einem Juristen geschriebene - Lehrbuch, das der Sache nach ein verwaltungswissenschaftliches Lehrbuch darstellt, ist das von Becker, Öffentliche Verwaltung. Lehrbuch für Wissenschaft und Praxis, 1989; es vermeidet jedoch in seinem Titel aus uns nicht bekannten Gründen eine ausdrückliche Reklamierung als verwaltungswissenschaftliches Werk. 3 Besprechung der "Soziologie der öffentlichen Verwaltung" von Mayntz, Die Verwaltung 13 (1980), S. 515.

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Gunnar Folke Schuppert

"um die Verwaltung bemühten Wissenschaften" gehören zuvörderst4 einmal die Verwaltungsrechtswissenschaft, zum anderen die Verwaltungswissenschaft oder - wie sie von den Juristen gerne bezeichnet wird - die Verwaltungslehre. Will man sich darüber vergewissern, womit sich die beiden Wissenschaftszweige eigentlich gegenständlich beschäftigen, so ist es am einfachsten, wirft man einen Blick auf Inhaltsverzeichnisse entsprechender Lehrbücher. Methodisch absichtsvoll vorgenommene Zufallsstichproben5 ergeben den folgenden Befund6 :

Gegenstandsbereiche, die in Lehrbüchern des Allgemeinen Verwaltungsrechts und der Verwaltungslehre behandelt werden

Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts

Püttner, Verwaltungs lehre

§ 1. Verwaltung. Eigenart und Grenze

§ 1. Verwaltungslehre und Verwaltungswissenschaft § 2. Geschichte und Stand der Verwaltungslehre § 3. Die einzelnen verwaltungswissenschaftlichen Disziplinen § 4. Der Gegenstand der Verwaltungswissenschaften § 5. Natur, System und Reichweite öffentlicher Aufgaben § 6. Verwaltungsaufgaben und Verwaltungsaufbau § 7. Prinzipien der Verwaltungsorganisation § 8. Geschichte und heutiger deutscher Verwaltungsaufbau § 9. Koordination und Kooperation der Verwaltungen

§ 2. Die Epochen der neueren Verwaltungsgeschichte § 3. Geschichte der Verwaltungsrechtswissenschaft § 4. Zur Struktur der modernen Verwaltung § 5. Gebundenheit und Freiheit der Verwaltung § 6. Justiz und Verwaltung

§ 7. Die Quellen des Verwaltungsrechts § 8. Die zeitliche und räumliche Geltung der Verwaltungsrechtssätze § 9. Grundsätze der Rechtsanwendung

4 Neben solchen Disziplinen wie etwa der Verwaltungsoziologie (vgl. etwa Häußermann, Zur Politik der Bürokratie. Einführung in die Soziologie der staatlichen Verwaltung, 1977; Pankoke / Nokielski, Verwaltungsoziologie, 1977; Mayntz, Soziologie der öffentlichen Verwaltung, 1978) und der Verwaltungsbetriebslehre (vgl. etwa Reichard, Betriebswirtschaftslehre der öffentlichen Verwaltung, 2. Aufl. 1987; Steinebach, Verwaltungsbetriebslehre, 4. Aufl. 1991). 5 Herangezogen wurden Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, I. Band. Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 1958 als älterer "Klassiker" sowie - als ein neueres LehrbuchBull, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 1993, sowie die Lehrbücher der Verwaltungslehre von Püttner, Verwaltungslehre, 2. Aufl. 1989, und von Lecheler, Verwaltungslehre, 1988. 6 Die jeweiligen Inhaltsverzeichnisse wurden um der optischen GegenübersteIlbarkeit willen stellenweise "ausgedünnt", nicht aber in ihrem Aussagewert verändert.

Schlüsselbegriffe von Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaft

§ 10. Das Verwaltungsrechtsverhältnis § 11. Der Verwaltungs akt § 12. Der fehlerhafte Verwaltungsakt § 13. Die Rechtsbeständigkeit der Verwaltungsakte § 14. Formen des rechtsgeschäftlichen Handelns § 15. Der Verwaltungszwang § 16. Die Staatshaftung § 17. Enteignung und Aufopferung § 18. Die Gefährdungshaftung § 19. Das Recht der öffentlichen Sachen § 20. Besondere Rechtsverhältnisse in Ansehung der Sachen im Gemeingebrauch § 21. Die anstaltlich gewährte Nutzung öffentlicher Sachen § 22. Das Organisationsrecht § 23. Die Gliederung des Verwaltungsaufbaus

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§ 10. Der innere Aufbau der Verwaltungseinheiten § 11. Ressourcen und Ressourcenbeschaffung - Überblick § 12. Personal, Personalwirtschaft und Personalpolitik § 13. Sachmittel und technische Hilfsmittel § 14. Umgang mit den Ressourcen Wirtschaftlichkeit der Verwaltung § 15. Öffentliche Unternehmen § 16. Führungsgrundsätze und Führungstechniken § 17. Grundsätze der Ablauforganisation § 18. Beteiligung von anderen Behörden und von Bürgern § 19. Planung und Entscheidung § 20. Kontrollgrundsätze und Kontrollinstanzen § 21. Einzelne Kontrollen

§ 24. Die mittelbare Staatsverwaltung und ihre Gliederung § 25. Das System des Rechtsschutzes § 26. Einspruch und Beschwerde § 27. Organisation und Aufgabe der Verwaltungsgerichte § 28. Grundsätze des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens

Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht § 1 Verwaltung §2

Verwaltungsrecht

§3

Grundbegriffe und Prinzipien der Verwaltungsorganisation

§4

Die Gliederung der deutschen öffentlichen Verwaltung

§5

Verfassungsrechtliche Grundlagen des Verwaltungshandelns

§6

Gesetzmäßigkeit der Verwaltung im einzelnen

Lecheler, Verwaltungs lehre §1 §2 §3

Einführung in die verwaltungswissenschaftlichen Materialien Begriff, Geschichte und Methoden der Verwaltungslehre Die Verwaltung I. Materieller und formeller Verwaltungsbegriff 11. Die Eigenart der staatlichen Verwaltung III. Verwaltung als einheitliche und eigenständige Staatsgewalt

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Gunnar Falke Schuppert

§ 7 Richtige Rechtsanwendung und Ermessensausübung § 8 Pflichten der Verwaltung im Verwaltungsverfahren § 9 Die Bedeutung der Handlungsformen und ihre Unterscheidungsmerkmale § 10 Förmlicher Verwaltungsakt und schlichtes Verwaltungsgebot § 11 Wirksamkeit, Nichtigkeit und Aufhebbarkeit von Verwaltungsakten § 12 Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten § 13 Öffentlich-rechtliche Verträge § 14 Arten von Verwaltungsrechtsverhältnissen und allgemeine Regeln § 15 Dienstverhältnisse und andere personenbezogene Verwaltungsrechtsverhältnisse § 16 Verwaltungsrechtliche Rechtsverhältnisse mit Bezug auf Sachen

§4

§5

§6

§7

§ 17 Vollstreckung verwaltungsrechtlicher Verpflichtungen § 18 Übersicht über die Verwaltungskontrollen

§ 19 Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz § 20 Folgenausgleich: Problemüberblick und Entwicklung der einschlägigen Rechtsgrundsätze § 21 Staatshaftung für fehlerhaftes hoheitliches Verhalten § 22 Ausgleich besonderer Belastungen

§8

Die Aufgaben der staatlichen Verwaltung 1. Die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung - der Bestand II. Die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung - rechtliche Vorgaben III. Die Verwaltungsaufgaben Aufgabenkritik Die Verwaltungsorganisation 1. Der organisatorische Bestand 11. Der rechtliche Rahmen für die Organisation der Staatsverwaltung III. Die Ausfüllung des Freiraums Das Verwaltungspersonal 1. Der Bestand 11. Der rechtliche Rahmen III. Die Ausfüllung des rechtlichen Rahmens Die Verwaltungskontrolle 1. Der rechtliche Rahmen der Kontrolle 11. Kritik III. Verbesserungsmöglichkeiten Planen und Entscheiden 1. Die Planung 11. Das Problem der Informationsgewinnung III. Rationale Entscheidungen in der öffentlichen Verwaltung

Liest man diese Inhaltsverzeichnisse - so ungewöhnlich diese Art der Befunderhebung auch sein mag - nebeneinander, so erschließt sich leicht, daß beide Wissenschaftsdisziplinen zu weiten Teilen denselben Gegenstand haben - Strukturen, Organisation, Handlungsformen, Personal und Kontrolle der Verwaltung - und daß nur das perspektivische Licht, in das der nämliche Gegenstand von Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaft ge-

Schlüsselbegriffe von Verwaltungsrecbt und Verwaltungswissenschaft

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taucht wird, ein anderes ist und demgemäß andere Konturen und Eigenschaften desselben Gegenstandes hervortreten läßt. Fast jeder Überschrift in einem Lehrbuch der Verwaltungslehre 7 läßt sich ein Ausschnitt des Allgemeinen oder Besonderen Verwaltungsrechts zuordnen, der den aus verwaltungswissenschaftlicher Perspektive betrachteten Gegenstandsbereich rechtlich strukturiert und umgekehrt; eine kleine Probe belegt diese Aussage:

Untersuchungsgegenstand der Verwaltungslehre

Regelungsgegenstand des Verwaltungsrechts

Aufgaben der Verwaltung

Verwaltung und Verwaltungsrecht im demokratischen und sozialen Recbtsstaat 8

Verwaltungs organisation

Staats- und Verwaltungsorganisationsrecbt - Bundes- und Landesverwaltung - unmittelbare und mittelbare Staatsverwaltung - Organisationstypen: Anstalten, Körperschaften, Stiftungen

Verwaltungspersonal

Recht des öffentlichen Dienstes - Funktionsgarantie des Berufsbeamtenturns - Grundzüge des Rechts des öffentlichen Dienstes, insbesondere des Beamtenrechts

Verwaltungskontrolle

Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz und Widerspruchsverfahren Staatshaftungsrecht

Planen und Entscheiden

Plan als Handlungsform der Verwaltung Grundzüge des Planungsrechts Arten von Verwaltungsentscheidungen (VA, Vertrag etc.) Entscheidungsspielräume (Ermessen und Beurteilungsspielräurne) Verwaltungsverfahrensgesetz

Angesichts dieses Befundes sollte man erwarten, daß der Kommunikationsbedarf zwischen beiden Disziplinen groß ist und daß ein Austausch zwischen ihnen zu einer fruchtbaren Perspektivenverklammerung mit der Eröffnung wenn nicht neuer, so doch zumindest ungewohnter Aussichten führen könnte. Das ist jedoch offenbar - wie eine zweite Beobachtung zeigt nur sehr begrenzt der Fall. Orientierung an den Überschriften im Lehrbuch von Lecheler (FN 5). Vgl. etwa Ehlers, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 1998, S. 1 ff. 7

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Gunnar Folke Schuppert 2. Zur Schrebergartenmentalität im Verhältnis von Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaft (-lehre)

Wie schon ein flüchtiger Blick in die Literatur der siebziger Jahre lehrt 9 , ist das Verhältnis von Verwaltungsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft offenbar problematisch. Die Vertreter des reinen Verwaltungsrechts - nach dem von Michael Stolleis wissenschaftsgeschichtlich nachgezeichneten Sieg über die klassische Verwaltungslehre 10 zu Recht selbstbewußt - neigen dazu, die Verwaltungslehre "in die Rolle eines ... Sammelplatzes für das Nichtjuristische der Verwaltung"n abzudrängen und ihr als Wahlfach ein langes, aber beschauliches Leben zu wünschen. Die Verwaltungswissenschaft reagiert auf vermutete "juristische Dominanzansprüche" 12 empfindlich und brandmarkt sie - so etwa Klaus Dammann 13 - als "verbalen Fachimperialismus" und tut sich darüber hinaus schwer, ihren Charakter als eigenständige wissenschaftliche Disziplin zu begründen 14 . Diese Kontroverse soll hier nicht ausgetragen oder vertieft werden. Wir wollen nur die Beobachtung mitteilen, daß beide Wissenschaftsdisziplinen ausweislich ihrer Lehrbücher 15 offenbar eine Politik der konsequenten Nichteinmischung, ja geradezu der gegenseitigen Ausgrenzung betreiben, in dem die Verwaltungslehre(-wissenschaft) jede Beschäftigung mit juristischen Fragestellungen oder auch nur Begriffen konsequent vermeidet und die Verwaltungsrechtswissenschaft - ebenso konsequent - alles Nichtjuristische - bis auf den Begriff des informalen Verwaltungshandelns 16 - in die s. FN 1. Stolleis, Die Verwaltung 15 (1982), S. 1 ff. 11 So treffend Badura, DÖV 1970, S. 18. 12 Vgl. dazu Battis, Die Verwaltung 8 (1975), S. 413 ff. 13 Dammann (FN 1), S. 107. 14 Typisch ist daher das Bemühen von Lehrbüchern der Verwaltungslehre, die Verwaltungswissenschaft als eigenständige Disziplin zu begründen. Vgl. etwa Siedentopf, in: ders. (Hrsg.), Verwaltungswissenschaft, 1976, S. 1 ff.; Thieme, Verwaltungslehre, 3. Auf!. 1977, S. 1 ff.: "Die Verwaltungslehre als selbständige Disziplin"; Mattem, in: ders. (Hrsg.), Allgemeine Verwaltungslehre, 1982, S. 1 ff.; Wenger, in: ders. / Brünner/Oberndorfer (Hrsg.), Grundriß der Verwaltungslehre, 1983, S. 33 ff.; vgl. ferner den im von Siedentopf herausgegebenen Sammelband (FN 1) abgedruckten Beitrag von Schmid, S. 86 ff.; einschlägig sind ferner die Beiträge von J. J. Hesse, Ellwein und Fach, in: J. J. Hesse (Hrsg.), Politikwissenschaft und Verwaltungswissenschaft, 1982 (Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 13), S. 9 ff., 34 ff. und 55 ff.; vgl. auch Knöpfte, in: ders. /Thieme (Hrsg.), Verwaltungslehre. Einführung und Fälle, 1984, S. 1 ff.; als grundlegender Versuch einer eigenständigen Fundierung der Verwaltungswissenschaft sei verwiesen auf König, Erkenntnisinteressen der Verwaltungswissenschaft, Berlin 1970; ein fast resignativer Abgesang nunmehr bei Püttner, in: FS Stern, 1997, S. 733 ff. 15 Dies gilt auch für das schon erwähnte Lehrbuch von Becker, Öffentliche Verwaltung, 1989. 16 Das informelle Verwaltungshandeln hat inzwischen in einigen Lehrbüchern des Verwaltungsrechts durchaus eine Heimstatt gefunden, so etwa bei Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Auf!. 1997, § 15 Rdnr. 14 ff.; vgl. ferner oben S. 93 FN 49. 9

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Schlüsselbegriffe von Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaft

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Verwaltungslehre abdrängt. Das ist schon ein erstaunliches Phänomen 17: So findet sich etwa der Begriff des Verwaltungs akts - immerhin der Prototyp der Verwaltungsentscheidung - oder auch der Begriff der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung - als Kürzel für die Verwaltung im Rechtsstaat - weder im Stichwortverzeichnis Püttners noch im Sachverzeichnis Lechelers. Auch das Verwaltungsrecht ignoriert - jedenfalls in seinen traditionellen Lehrbüchern 18 - die verwaltungswissenschaftliche Literatur nahezu vollständig und verharrt in normativer Autonomie. Von einer Interdisziplinarität eines lehrbuchgeleiteten Verwaltungsstudiums kann daher keine Rede sein, eher von einer additiven Multidisziplinarität, die nur gelegentlich von grenzgängerhaften Autoren - zu denen wir uns gerne rechnen würden - durchbrochen wird.

3. Zur Notwendigkeit und Karriere interdisziplinärer Verbundbegriffe

In dieser Situation kommt solchen 'lYPen von Begriffen, die einen Dialog zwischen den Disziplinen ermöglichen, ohne ihnen Überfremdungserlebnisse zuzumuten, besondere Bedeutung zu: Solche Begriffe, die wir - etwas umständlich - als Schlüsselbegriffe der Perspektivenverklammerung bezeichnet haben, nennt Hans-Heinrich Trute 19 wesentlich eleganter und daher nachahmenswert interdisziplinäre Verbundbegriffe oder auch Brückenbegriffe. Interdisziplinäre Verbundbegriffe zeichneten sich durch ihre Eigenschaft aus, verschiedene disziplinäre Fachdiskurse und ihre Ergebnisse miteinander zu verkoppeln, was allerdings aus rechtsdogmatischer Sicht ihre Fruchtbarkeit ebenso wie die Gefahr ihrer undifferenzierten Verwendung begriindet. Als Beispiel für einen Brückenbegriff nennt Trute den Begriff der Verantwortung20 , und merkt dazu folgendes an: "Ohne daß eine solche Gefahr geleugnet werden soll, ist der Begriff der Verantwortung, wie alle fruchtbaren Begriffe, in der Lage, sozial- und verwaltungswissenschaftliche sowie rechtswissenschaftliche Erkenntnisse zu strukturieren und dem je17 Vgl. die von W. Schmidt, Einführung in die Probleme des Verwaltungsrechts, 1982, auf eine "neue" Verwaltungslehre zielende Bemerkung: "Eine solche Verwaltungslehre muß jedoch ... zumindest die Grundstrukturen des Verwaltungsrechts in ihre Darstellung mit einbeziehen. Eine in einem rechtsfreien Raum schwebende und dennoch auf die staatliche Verwaltung bezogene Verwaltungslehre wäre ein Widerspruch in sich. " 18 Eine Ausnahme bildet das von Loeser vorgelegte System des Verwaltungsrechts, Band 1, 1993 und Band 2, 1994. 19 Verantwortungsteilung als Schlüsselbegriff eines sich verändernden Verhältnisses von öffentlichem und privatem Sektor, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und "schlankem" Staat: Verantwortungsteilung als Schlüsselbegriff eines sich verändernden Verhältnisses von öffentlichem und privatem Sektor, 1998 (im Erscheinen). 20 Kritisch dazu Röhl, in diesem Heft, S. 33 ff.

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weiligen Fachdiskurs als K~talysator und zugleich als Brückenbegriff zu dienen. Das war bei eineni. ~"o einflußreichen Begriff wie dem der Daseinsvorsorge nicht anders, als es heute bei dem der Verantwortung ist." Genau um solche interdisziplinären Verbundbegriffe, Katalysator- oder Brückenbegriffe geht es uns. Einigen von ihnen wollen wir uns jetzt zuwenden.

11. Brückenbegriffe im Verhältnis von Verwaltungsrechtswissenschaft und Verwaltungswissenschaft An drei Brücken- oder Verbundbegriffen wollen wir zu zeigen versuchen, wie überaus hilfreich sie bei der Verklammerung von Perspektiven verschiedener Wissenschaftsdisziplinen sein können und wie erstaunlich dicht Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaft häufig beieinander liegen, wie insbesondere der erste dieser "notions catalysatrices" zu zeigen vermag:

1. Steuerung

Die Leistungsfähigkeit des Steuerungsbegriffs als Schlüsselbegriff der Perspektivenverklammerung von Rechtswissenschaft und Verwaltungswissenschaft läßt sich an den folgenden drei Punkten ebenso leicht wie eindrucksvoll demonstrieren:

a) Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaates: Inwieweit sich die Verwaltung durch das parlamentarische Gesetz in ihrem Entscheidungsverhalten eigentlich steuern und programmieren läßt, ist natürlich zunächst ein Gegenstand verwaltungswissenschaftlichen Interesses. Aber es ist zugleich ein genuin verfassungsrechtliches (und auch verwaltungsrechtliches) Thema, weil nach der gewaltenteilenden Verfassungsordnung des Grundgesetzes das Gesetz das zentrale Steuerungsinstrument des Rechtsstaates zu sein hat 21 , ihm diese Steuerungsfunktion also von Verfassungs wegen zugewiesen ist: Angesichts dessen sind alle verwaltungswissenschaftlichen Befunde über die Funktionsfähigkeit der Steuerung des Verwaltungshandelns durch Normsetzung notwendig auch verfassungsrechtlich relevante Befunde. Ein Steuerungsversagen des parlamentarischen Gesetzgebers wäre ein verfassungsrechtlich bedenkliches Steuerungsversagen; der in der Funktionsbeschreibung des Gesetzes als zentralem Steuerungsinstrument des Rechtsstaates beschlossene Steuerungsanspruch des Gesetzes 22 kommt nun insbesondere in den folgenden drei Aspekten beredt zum Ausdruck: 21 22

s. Herzog, VVDStRL 40 (1982), S. 10. Eine Formulierung von Schmidt-Aßmann, in: FS Stern (FN 14), S. 745 (747).

Schlüsselbegriffe von Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaft

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(1) Vorbehalt des Gesetzes als Steuerungsvorbehalt: Wenn das Gesetz von Verfassungs wegen das zentrale Steuerungsinstrument des demokratischen Rechtsstaates ist, kann es nicht im Belieben des Gesetzgebers stehen, ob und in welchem Umfang er von diesem Steuerungsinstrument Gebrauch macht oder ob er die in der Regel sachlich begründete Regelungsaktivität anderen Regelungsakteuren überläßt, sei es der normsetzenden Verwaltung, sei es der Selbstregulierung durch die Betroffenen. Meint man es mit dem verfassungsrechtlichen Steuerungsanspruch des parlamentarischen Gesetzes ernst, so hat dem Steuerungsanspruch des Gesetzes eine Steuerungspflicht des Gesetzgebers zu entsprechen, der er sich nicht sanktionslos entziehen kann. Dieser im Steuerungsanspruch des Gesetzes beschlossene Steuerungsvorbehalt des Parlaments kommt am reinsten im Verständnis des sog. Parlamentsvorbehalts als Delegationsverbot zum Ausdruck; in juristischer Ausdrucksweise läßt sich dieser - verwaltungswissenschaftlich formuliert Steuerungsvorbehalt des Parlamentsgesetzes mit Jürgen Staupe 23 wie folgt formulieren: "Mit der Annahme eines Parlamentsvorbehalts wird der Gesetzgeber verpflichtet, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und nicht der Verwaltung zu überlassen (Parlamentsvorbehalt). Grundlegende Entscheidungen oder die Regelung bestimmter Gegenstände in den Grundzügen soll der Gesetzgeber treffen müssen. Damit wird für bestimmte Regelungsgegenstände eine Selbstentscheidungspflicht des parlamentarischen Gesetzgebers formuliert. Wenn der Gesetzgeber aber bestimmte Fragen selbst regeln muß, so folgt daraus im Umkehrschluß, daß er diese Fragen nicht an den Verordnungsgeber oder an den Satzungsgeber delegieren darf. Der Parlamentsvorbehalt besitzt danach eine Regulativfunktion gesetzgeberisch zulässiger Delegation an die untergesetzlichen Normgeber. " (2) Steuerungsanspruch des Gesetzes und Steuerungsintensität. (a) Steuerungsanspruch des Gesetzes und Regelungsdichte: Aus steuerungstheoretischer Perspektive ist leicht erklärbar, daß es beim Thema "Steuerung des Verwaltungshandelns durch normative Vorgaben" nicht nur um die Frage gehen kann, ob für ein bestimmtes Verwaltungshandeln eine gesetzliche Grundlage gefordert werden muß, sondern daß darüber hinaus gefragt werden muß, wie eine vorhandene gesetzliche Handlungsdirektive beschaffen sein muß, um als das Verwaltungshandeln steuernde Grundlage und Grenze der Verwaltungstätigkeit in Betracht zu kommen. Um diese verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Beschaffenheit von das Verwaltungshandeln steuernden Gesetzen zu kennzeichnen, hat sich der Begriff der Regelungsdichte eingebürgert; stellvertretend mag hier 23 Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis. Zur "Wesentlichkeitstheorie" und zur Reichweite legislativer Regelungskompetenz, insbesondere im Schulrecht,

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die prägnante Zusammenfassung durch Michael Kloepfer herangezogen werden 24 : "Die Wesentlichkeitstheorie geht in ihrer Bindung des Gesetzgebers noch über die erwähnten partiellen Delegationsverbote weit hinaus. Sie beansprucht nicht nur eine Entscheidung über das Ob des gesetzgeberischen Handelns, sondern auch über das Wie. Die Wesentlichkeitstheorie fordert eine hinreichende Regelungsdichte des parlamentarischen Gesetzes und limitiert dabei die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen und von Ermessensvorschriften. Wesentliche Entscheidungen dürfen nicht dem Handeln der Verwaltung überlassen bleiben."

(b) Steuerungsanspruch des Gesetzes und Regelungsgegenstände: Die mit der sog. Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts apostrophierte Regelungsdichte bezieht sich nach der neueren Rechtsprechung des Gerichts aber nicht nur auf die inhaltliche Steuerung durch materiellrechtliche Regelungen, sondern auch auf organisations- und verfahrensrechtliche Regelungen, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Josefine-Mutzenbacher-Entscheidung 25 klargestellt hat: "Die Wesentlichkeitstheorie beantwortet nicht nur die Frage, ob überhaupt ein bestimmter Gegenstand gesetzlich geregelt sein muß. Sie ist vielmehr auch dafür maßgeblich, wie weit diese Regelungen im einzelnen gehen müssen. Das ergibt sich aus der Pflicht, mit der Abgrenzung der konkurrierenden Freiheitsrechte der gesetzesanwendenden Verwaltung im einzelnen inhaltlich vorzugeben, bis zu welchem Grade sie den durch die Indizierungsentscheidung betroffenen Freiheitsbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG beschränken darf. Zu der danach vom Gesetzgeber in ihren wesentlichen Leitlinien zu regelnden Materie zählt auch die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens, in welchem die Grenzen der konkurrierenden Freiheitsrechte abgesteckt werden sollen. Hier ist es erforderlich, eine Verfahrensordnung bereitzustellen, die an dieser Aufgabe orientiert und zugleich geeignet ist zu bewirken, was Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleisten will."

(3) Steuerungsversuche und Steuerungsversagen: experimentelle Gesetzgebung und gesetzgeberische Nachbesserungspflicht: Während sich die Erscheinungsformen der experimentellen Gesetzgebung26 und die Verwendung von sog. Experimentierklauseln steuerungstheoretisch unter den Begriff "Steuerungsversuche" subsumieren lassen, sind die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten27 gesetzgeberischen Nachbesserungspflichten eine logische Konsequenz der Steuerungsfunktion des Gesetzes. In der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts erhält diese Nachsteuerungspflicht des Gesetzgebers eine grundrechtliche Fundierung, indem die bereits aus der Steuerungsfunktion des Gesetzes folgende Beobachtungs- und Anpassungsverantwortung mit dem Gedanken der grund24 25

26

27

Kloepfer, JZ 1984, S. 685 ff. BVerfGE 83, 130 (152). Dazu Hoffmann-Riem, in: FS Thieme, 1993, S. 55 ff. Vgl. etwa BVerfGE 54, 11; 56, 56; 62, 256.

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rechtlichen Schutzpflicht verbunden wird und so für in die Sphäre des Bürgers eingreifende Gesetze zur verfassungsrechtlichen Pflicht erstarkt. In besonders prägnanter Weise ist die Nachsteuerungspflicht des Gesetzgebers vom Bundesverfassungsgericht in seiner Kalkar I-Entscheidung28 formuliert worden: "Damit ist jedoch noch nichts darüber ausgesagt, ob und gegebenenfalls wann der Gesetzgeber über die rechtlichen Voraussetzungen der Errichtung und des Betriebes von Schnellen Brutreaktoren neuerlich befinden muß. Hat der Gesetzgeber eine Entscheidung getroffen, deren Grundlage durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehende Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt wird, dann kann er von Verfassungs wegen gehalten sein zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung auch unter den veränderten Umständen aufrechtzuerhalten ist ... "

b) Kompensation inhaltlicher Steuerungsschwächen des Gesetzes: Es ist ein inzwischen sich weitgehender Zustimmung erfreuender Gedanke 29 , daß eine inhaltliche Steuerungsschwäche des Gesetzes rechtsstaatlich "verschmerzt" werden kann, wenn der Gesetzesanwender wegen seiner demokratischen Legitimation, seiner problemspezifischen ürganisation 3o oder wegen des bei der Entscheidungsfindung von ihm anzuwendenden Verfahrens eine erhöhte Richtigkeitsgewähr vermuten läßt. In besonders eindringlicher Weise ist dieser Gedanke einer Kompensation einer inhaltlichen Steuerungsschwäche des Gesetzes von Jost Pietzcker herausgearbeitet worden, der zu den Gründen für die Aufwertung des Verwaltungsverfahrens folgendes ausführt 31 : "Ein zweiter Grund liegt im Verlust des Vertrauens in die Steuerungsfähigkeit der materiellen Norm. Wo unbestimmte Begriffe wie "verunstaltend", "volkswirtschaftlich wertvoll" oder Abwägungsformeln von der "Berücksichtigung aller öffentlichen und privaten Belange" die Verwaltungsentscheidung steuern, ist für den Bürger ein gehöriges Verfahren mit der Möglichkeit, schon dort Sachverhaltshinweise und Interessenaspekte zur Geltung zu bringen, von hervorragender Bedeutung. Das Verständnis von Verwaltungsentscheidungen als Informationsverarbeitungsprozessen bestärkt diese Sichtweise: wer an der Informationssammlung und -verarbeitung teilnimmt, nimmt dadurch an der Sachentscheidung teil. Materielles Recht und Verfahrensrecht bilden einen untrennbaren Verbund, wobei das materielle Recht nur eine unter mehreren Entscheidungsprämissen darstellt. Die Verfahrensabhängigkeit der Entscheidung läßt die bloß materiell-rechtliche Sicht staatlicher Tätigkeit umso unbefriedigender erscheinen, je mehr im Verwaltungsstaat der beherrschte Lebensraum schrumpft und staatlichen Planungen und Zuteilungen Platz macht." BVerfGE 49, 89 (130). s. dazu Schmidt-Aßmann, in: Lerche / Schmitt Glaeser / Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 1 (6 f.). 30 Vgl. Badura, in: Festschrift zum 25jährigen Bestehen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, 1972, S. 157 ff. 31 Pietzcker, VVDStRL 41 (1983), S. 193 (202 f.). 28 29

8 Die Verwaltung, Beiheft 2

114

Gunnar Folke Schuppert

c) Steuerung und Aufsicht: erhöhter Aufsichts- und Regulierungsbedarf als Konsequenz eines sich ausdifferenzierenden Verwaltungsstaats: Es liegt auf der Hand, daß "im Zuge von Privatisierung, Deregulierung und Kommunalisierung ein Anwachsen staatlicher Orientierungs- und Kontrollfunktionen,,32 unvermeidlich wird, daß die "Ausfransung" des öffentlichen Sektors in gewissem Umfang danach verlangt, durch das einigende Band der Aufsicht in Grenzen gehalten zu werden 33 . Damit wächst der klassischen Staatsaufsicht, die uns einerseits als Wirtschaftsaufsicht, zum anderen als innerstaatliche Aufsicht, wie etwa der Kommunalaufsicht, seit langem vertraut ist34 , eine qualitativ neue Dimension zu, so daß - um diese Entwicklung begrifflich einzufangen - von der "Staatsaufsicht im Wandel" gesprochen werden kann.

Die neu dimensionierten Anforderungen an die Staatsaufsicht zeigen sich einmal in der Aufsichtsbedürftigkeit der immer noch zunehmenden Zahl von Verwaltungstrabanten, vor allem aber in der Funktion der Aufsicht als Scharnier des Übergangs von der staatlichen Erfüllungs- zur Gewährleistungsverantwortung. Wenn es richtig ist, daß die eigentliche Rolle des modemen Staates zu allererst in der Steuerung, nicht unbedingt in der Erbringung öffentlicher Aufgaben besteht (vom "providing" zu "enabling")35, dann hat dies weitreichende Konsequenzen für eine steuerungstheoretisch neu zu konzipierende Staatsaufsicht. Denn der harte Kern der Gewährleistungsverantwortung ist die Überwachungs- und Regulierungsverantwortung, die es erforderlich machen könnte, die Staatsaufsicht zukünftig funktional auszudifferenzieren und über Begriffe wie Steuerungsaufsicht, Gewährleistungsaufsicht und Regulierungsaufsicht nachzudenken36 . 2. Verwaltungsverantwortung

Der zweite, überaus erfolgreiche interdisziplinäre Verbundbegriff mit einer offenbar noch nicht abgeschlossenen Karriere ist der der Verwaltungsverantwortung, wie er insbesondere von Eberhard Schmidt-Aßmann mit Konturen versehen worden ist 37 . Ihn daraufhin zu befragen, ob er nur als 32 J. J. Hesse, in: Hoffmann-Riem/Schrnidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen. Informelle und mittlerunterstützte Verhandlungen in Verwaltungsverfahren, 1990, S. 97 (100). 33 H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat. Genese, aktuelle Bedeutung und funktionelle Grenzen eines Bauprinzips der Exekutive, 1991, S. 287 ff. 34 Vgl. Schröder, JuS 1986, S. 371 ff. 35 Vgl. dazu Reinermann, Die Krise als Chance: Wege innovativer Verwaltungen, 1994, S. 26. 36 s. dazu Schuppert, in: ders. (FN 19). 37 Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34 (1976), S. 232 ff.; ders., in: Hoffmann-Riem/ Schrnidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts. Grundfragen, 1993, S. 11 (43 f.).

Schlüsselbegriffe von Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaft

115

heuristischer oder darüber hinaus auch als dogmatischer Begriff taugt38, ist nicht unser Anliegen. Uns geht es um seine Tauglichkeit als Brückenbegriff, die besonders klar hervortritt, wenn wir den Begriff der Verwaltungsverantwortung weiter ausdifferenzieren und im folgenden von Verantwortungsstufen, Verantwortungsteilung und Verantwortungsstrukturen sprechen.

a) Begriff und Funktion der Verantwortungsstufung: Der Begriff der Verantwortungsstufung ist von seiner Funktion her "eine Chiffre für die Intensität staatlicher Aufgabenwahrnehmung in bezug auf die eigenhändige Zielverwirklichung durch den Staat,,39. In einem anderen disziplinären, aber durchaus anschlußfähigen Sprachgebrauch kann man dem Begriff der Verantwortungsstufung die Funktion zuweisen, die Leistungstiefe der staatlichen Aufgabenwahrnehmung40 genauer zu bestimmen; er ist auf diese Weise in der Lage, die Diskussion über die Beschränkung des Staates auf seine Kemaufgaben aufzunehmen41 und die Nähe oder Feme von einzelnen Aufgabenfeldern zum "Kern des Staates" in sich graduell unterscheidende Verantwortungsstufen zu übersetzen. Wir haben es also bei der Verantwortungsstufung mit einer zentralen Stellschraube zu tun - und hier besteht eine gewisse Verwandtschaft zu Begriffen wie "Regelungs dichte" und "Kontrolldichte" -, mit der zweierlei reguliert werden kann, nämlich einmal die Intensität der staatlichen Aufgabenwahrnehmung und zum anderen - was damit zusammenhängt - die Aufgabenverteilung zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren. Gleichzeitig wird damit das Problem aufgeworfen, nach welchen Kriterien die Verantwortungsstufung justiert, also über die Intensität und die Trägerschaft öffentlicher Aufgabenerfüllung entschieden wird. Inzwischen ist man sich mehr oder weniger einig darüber, daß man drei Grundtypen der Verwaltungsverantwortung unterscheiden sollte42 , die sich graphisch wie folgt darstellen lassen:

Dazu Röhl (FN 20). Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 171 (198). 40 Dazu Naschold u. a., Leistungstiefe im öffentlichen Sektor. Erfahrungen, Konzepte, Methoden, 1996. 41 Vgl. dazu materialreich den "Bericht der Enquete-Kommission zur Verbesserung der Effizienz der öffentlichen Verwaltung" des Schleswig-Holsteinischen Landtages vom 8. 11. 1994, LT-Drs. 13/2270. 42 Vgl. stellvertretend Hoffmann-Riem, DÖV 1997, S. 433 ff. 38 39

8*

116

Gunnar Falke Schuppert

V E

R

Erfüllungsverantwortung

A L E I S T U N

N T W

o

R T U N G S S T U F E

Erfüllungsverantwortung - Überwachungsverantwortung - Regulierungsverantwortung

G S T I E F E

Auffangverantwortung

Man kann die verschiedenen Verantwortungsstufen aber auch in anderer Weise einander modellhaft zuordnen und statt eines Leistungstiefemodells ein phasenspezifisches Modell entwerfen, indem man mit Andreas Voßkuhle 43 verschiedene Verwirklichungsphasen arbeitsteiliger Gemeinwohlkonkretisierung unterscheidet. Voßkuhle schlägt dazu vor, die unterschiedlichen Verwirklichungsphasen arbeitsteiliger Gemeinwohlkonkretisierung in den folgenden Verantwortungsstufen abzubilden, die sich in einem Phasenmodell wie folgt darstellen ließen: V

Vorbereitungsverantwortung

L

Verfahrensverantwortung

I C H U N

Implementationsverantwortung

G S P

Kontrollverantwortung

H

Realisationsverantwortung

A S E N 43

Maßstabsverantwortung

E R W I R K

Folgenverantwortung

Voßkuhle, in: Schuppert (FN 19).

Schlüsselbegriffe von Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaft

117

b) Begriff und Funktion der Verantwortungsteilung: So interessant und hilfreich diese phasenspezifische Differenzierung der Verwaltungsverantwortung auch ist, uns interessiert vor allem der Begriff der arbeitsteiligen Gemeinwohlkonkretisierung, weil hieqni.t die für das Konzept der Verantwortungsteilung zentrale akteurspezifische Perspektive in den Vordergrund rückt. Denn im Konzept der Verantwortungsteilung geht es um Arbeitsteilung und Kooperation von staatlichen, halbstaatlichen und privaten Akteuren, die in einem bestimmten Politikfeld tätig sind, und darum, daß jeder von ihnen seinen spezifischen Beitrag zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe leistet. Trute trifft genau den hier gemeinten Punkt, wenn er zum Begriff der Verwaltungsverantwortung folgendes anmerkt44 : "Der heuristische Begriff der staatlichen Verantwortung zielt ... darauf, die Verantwortungsteilung zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren in bestimmten Aufgabenfeldern zu umschreiben." Es geht also nicht nur darum, auf einer vertikalen Achse verschiedene Verantwortungsstufen einzutragen, sondern auf einer horizontalen Schiene die Rollen staatlicher und privater Akteure abzubilden. Nimmt man zur Veranschaulichung einen bestimmten Politikbereich als Beispiel, so ließe sich das Konzept der Verantwortungsteilung - etwa für den Bereich der Sozialpolitik - graphisch wie folgt darstellen: Verwaltungsverantwortung für den Bereich Sozialpolitik

Private Akteure

Staatliche Akteure

Freie Träger, insb. Wohlfahrtsverbände

Sozialverwaltung

VERANTWORTUNGSTEILUNG

44

Trute (FN 39), S. 171 (198).

Unternehmen

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Gunnar Folke Schuppert

Der Begriff der Verantwortungsteilung knüpft also an das soeben vorgestellte Konzept einer abgestuften Verwaltungsverantwortung an und übersetzt es gewissermaßen für die im Verzahnungsbereich von öffentlichem und privatem Sektor handelnde Verwaltung: Die kooperierende Verwaltung handelt als verantwortungsteilende Verwaltung, wobei das dabei angemessene Ausmaß von Verantwortungsteilung nach Maßgabe verfassungsrechtlicher Vorgaben jeweils aufgaben- und politikbereichsspezifisch zu dosieren ist, wie gleich unter dem Stichwort "Verantwortungsstrukturen" zu zeigen sein wird. c) Anwendungsfälle dualer Verantwortungsstrukturen: Geht es also bei dem Konzept der Verantwortungsteilung um die arbeitsteilige Zuordnung von Rollen privater, staatlicher und halbstaatlicher Akteure im Konzert der öffentlichen Leistungserbringung, so reicht eine Sichtweise nicht aus, die allein auf den Staat als klassischen Gemeinwohlakteur zentriert ist, sondern es bedarf eines Blicks auf zahlreiche Akteure mit je eigenen Handlungsrationalitäten, deren Verhältnis zueinander irgendwie geordnet werden muß: Wessen es also bedarf, ist eine Strukturierungsleistung, die aus der unübersichtlichen Gemengelage der Akteure ein irgendwie koordiniertes und zugleich diszipliniertes Zusammenwirken der Akteure zur Erreichung bestimmter, im öffentlichen Interesse liegenden Ziele werden läßt. Was liegt daher näher, als einen Blick auf verschiedene Referenzgebiete zu werfen, in denen Verantwortungsteilung normativ vorgeschrieben oder tatsächlich praktiziert wird, um die dabei vorkommenden oder sich gerade ausbildenden Verantwortungsstrukturen und die dabei eingesetzten Regelungsinstrumente zu studieren. Zwei Beispiele mögen hierfür genügen: (1) Die Altauto-Verordnung: Die "Verordnung über die Entsorgung von Altautos und die Anpassung verkehrsrechtlicher Vorschriften" vom Juli 1997, die sog. Altauto-Verordnung stellt wegen ihres Wirkungsmixes von Selbstregulierung und staatlicher Steuerung nach Auffassung von Sachkennern einen fast idealtypischen Anwendungsfall der Funktionsbedingungen dualer Verwaltungsverantwortung dar; Schmidt-Preuß führt dazu aus 45 : "Die für die Theorie der gesteuerten Selbstregulierung kennzeichnende Facette liegt in einer geradezu symptomatischen Verzahnung der Altautoverordnung - also der steuernden staatlichen Rahmenregelung - mit seinem selbstregulativen Pendant - hier einer flankierenden privaten Selbstbeschränkungsabrede. Sie wurde im Februar 1996 vom federführenden Verband der Automobilindustrie (VDA) und 14 nahestehenden Branchenverbänden abgeschlossen. In ihr verpflichten sich die im einzelnen aufgeführten privaten Verbände zum einen, eine flächendeckende Infrastruktur zur Annahme und Verwertung von PKW - gemeint sind Altautos - in Deutschland aufzubauen. Zum anderen sagt die Automobilindustrie zu, neu in den Verkehr gebrachte Personenkraftwagen bis zwölf Jahre nach der ab 1998 erfolgen-

45

Schinidt-Preuß, in: Schuppert (FN 19).

Schlüsselbegriffe von Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaft

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den Erstzulassung kostenlos zurückzunehmen und zu entsorgen. Um diesen bemerkenswerten Wirkungsmix von Selbstregulierung und Steuerung auch ad oculos zu demonstrieren, ja zu legitimieren, hat der Verordnungsgeber in der amtlichen Begründung ausdrücklich auf die private Selbstbeschränkungsvereinbarung Bezug genommen: ,Die Verordnung tritt ... an die Stelle einer umfassenden rechtlichen Regelung und ergänzt die getroffene kooperative Lösung um einen ordnungsrechtlichen Rahmen, damit die Selbstverpflichtung zum Tragen kommt ... ' Damit hat der staatliche Verordnungsgeber die private Selbstbeschränkungsvereinbarung als integralen Bestandteil der von ihm gesetzten Norm anerkannt. Zugleich ist dies ein besonders markantes Beispiel für die Induzierung kollektiver Eigenvornahme: Mit der Selbstbeschränkungsvereinbarung kam die Automobilindustrie einer sonst drohenden verordnungsrechtlichen Vollregelung zuvor."

(2) Duale Verantwortungsstrukturen im Recht der Anlagenüberwachung: In der Diskussion um eine Staatsentlastung im Überwachungsbereich durch eine verstärkte Eigenüberwachung seitens der Anlagenbetreiber steht gegenwärtig die Frage im Mittelpunkt, wie sich selbst-regulatives Öko-Audit und staatliches Umweltordnungsrecht zueinander verhalten, ob also ihr Verhältnis zueinander als ein solches der Alternativität, der Ergänzung oder als eines der Verzahnung von Öko-Audit und staatlicher Überwachung verstanden werden muß. Nahezu alle Vorschläge haben die Tendenz, die behördliche Überwachung zugunsten einer Ausweitung der betrieblichen Eigenkontrolle zurückzudrängen, wenn das Umwelt-Audit im Verhältnis zu den zurücktretenden ordnungsrechtlichen Instrumenten als funktional gleichwertig zu betrachten ist, und zwar im Hinblick auf die intendierte Wirkung, die Zielsetzung und die Steuerungstiefe beider Instrumente: "Dieser Betrachtung liegt der Gedanke zugrunde, daß das Umwelt-Audit die Möglichkeit einer qualitativen und quantitativen Rücknahme der staatlichen Prüfungen und Kontrollen ohne Abbau materieller Umweltstandards dann bieten kann, wenn die entsprechenden gesetzlichen Regelungen durch das Öko-Audit-System funktional äquivalent substituiert werden. Soweit sich also hinsichtlich eines bestimmten ordnungsrechtlichen Kontrollinstruments oder einer bestimmten Informationspflicht im System des Umwelt-Audits eine solche funktionale Äquivalenz feststellen läßt, werden Vollzugserleichterungen im Bereich der Anlagenüberwachung für die Betreiber angeregt, damit demselben Unternehmen nicht ordnungsrechtlich noch einmal das abverlangt wird, was es bereits freiwillig im Auditverfahren geleistet hat,,46.

Die Instrumente zur Austarierung von Behördenüberwachung und Eigenkontrolle heißen Substitutionskataloge und Öffnungsklauseln. Ein Beispiel für einen Substitutionskatalog ist etwa der vom Umweltpakt Bayern (eine freiwillige Vereinbarung der Bayerischen Wirtschaft mit der Bayerischen Staatsregierung) vorgelegte, der bezüglich der in verschiedenen Umweltgesetzen vorgesehenen Melde- und Informationspflichten der Betreiber eine Substitution durch freiwillige Eigenüberwachung vorsieht und als funktio46

Laskowski, in: Schuppert (FN 19).

120

Gunnar Folke Schuppert

nal äquivalent bewertet. Verschiedene 'JYpen von Öffnungsklauseln hat der Sachverständigenrat "Schlanker Staat" in seinem Abschlußbericht vorgeschlagen47 ; Silke Ruth Laskowski berichtet dazu folgendes 48 : "Dabei geht der Sachverständigenrat davon aus, daß in den Fällen, in denen hinsichtlich bestimmter ordnungsrechtlicher Kontrollen und Informationspflichten im Hinblick auf das System des Umwelt-Audits funktionale Äquivalenz festzustellen ist, in den jeweiligen ordnungsrechtlichen Vorschriften zukünftig verschiedene Öffnungsklauseln vorgesehen werden sollen. In der Diskussion befinden sich sog. bedingungsfreie Öffnungsklauseln, die auditierte Unternehmen von ordnungsrechtlichen Anforderungen ,befreien' sollen, also einen kategorischen Wegfall ordnungsrechtlicher Pflichten bei auditierten Unternehmen vorsehen. Darüber hinaus werden sog. konditionale Öffnungsklauseln in Betracht gezogen, das heißt solche, die gesetzliche Erleichterungen für auditierte Betriebsstandorte an bestimmte Bedingungen knüpfen. Schließlich sollen im Rahmen sog. optionaler Öffnungsklauseln für auditierte Betriebe Erleichterungen auf gesetzlicher Grundlage in das Ermessen der Umweltverwaltung gestellt werden."

3. Kommunikation und Entscheidung

Zwei weitere, miteinander zusammenhängende interdisziplinäre Verbundbegriffe, die die Eigenschaft haben, verschiedene disziplinäre Fachdiskurse und ihre Ergebnisse problembezogen miteinander verkoppeln zu können, heißen Kommunikation und Entscheidung - womit zugleich auf den gleichnamigen Titel des Jahrbuches 1996 des Wissenschaftszentrums Berlin49 Bezug genommen werden kann, an dessen Befunde wir für unsere nachfolgenden Überlegungen anknüpfen wollen.

a) Steigender Kommunikationsbedarf: Es scheint so etwas wie einen disziplinenübergreifenden Konsens darüber zu geben, daß der moderne Staat und seine Verwaltung durch einen ständig zunehmenden Kommunikationsbedarf gekennzeichnet sind. Wolfgang van den Daele und Friedhelm Neidhardt beschreiben diesen Befund wie folgt50: "In der politik- und staatsrechtlichen Diskussion werden Anzeichen dafür registriert, daß verständigungsorientierte Kommunikationen wachsende Bedeutung im Prozeß der Politikformulierung gewinnen und hierarchische Entscheidungen ersetzen bzw. ergänzen können. Zugleich geraten die im Entscheidungssystem bislang etablierten Formen von Deliberation und Verhandlung zunehmend unter Demokratisierungsdruck ,von unten'. Es wird eine breitere Beteiligung und Inklusion 47 Sachverständigenrat "Schlanker Staat", Abschlußbericht 1998, S. 96 f.; s. ferner Köck, ZUR 1996, S. 177 ff. 48 Laskowski (FN 46). 49 van den Daele I Neidhardt (Hrsg.), Kommunikation und Entscheidung. Politische Funktionen öffentlicher Meinungsbildung und diskursiver Verfahren, WZBJahrbuch 1996,1996. 50 van den Daelel Neidhardt (FN 49), S. 9 (14).

Schlüsselbegriffe von Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaft

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von Entscheidungsbetroffenen und Entscheidungsinteressierten eingefordert. Politikdialoge, ,Runde Tische', Mediationsverfahren, Planungszellen, Konsensuskonferenzen werden als Modelle für eine erweiterte Repräsentation von Bürgerkommunikation und als Mechanismen ,alternativer' Konfliktbewältigung ins Spiel gebracht."

Für diesen beobachtbaren Trend zu mehr Verhandlung, Dialog und Partizipation werden im wesentlichen zwei Erklärungen angeboten: "zum einen gilt er als Reaktion auf die steigende Komplexität politischer Problemlagen und die relativ dazu sinkende Steuerungskapazität des Staates"51, zum anderen gelten Akzeptanzprobleme als wichtiger Erklärungsgesichtspunkt, da in wichtigen Problemfeldern die "Abnahme beschlossener Politiken,,52 offenbar nicht mehr gewährleistet ist. Diese Einschätzung, daß der Kommunikationsfunktion von Staat und Verwaltung eine ständig zunehmende Bedeutung zukomme, wird auch von der Rechts- und Verwaltungswissenschaft53 geteilt; der nahezu übereinstimmende Befund ist von Edwin Czerwick wie folgt formuliert worden 54: "Mit der rasanten Entwicklung zur Informations- oder Kommunikationsgesellschaft hat nicht nur die gesellschaftliche Bedeutung von ,Kommunikation' zugenommen, sondern parallel dazu hat auch die Kommunikationsfunktion der öffentlichen Verwaltung an Gewicht gewonnen. Ebenso wie die Verwaltung von sich aus den Dialog mit ihrer Umwelt seither intensiviert hat, so sucht auch die Umwelt immer mehr den Kontakt zum administrativen Geschehen. Selbst wenn die Ursachen und Motive zur Aufnahme der Kommunikation recht unterschiedlich waren, so änderte dies doch nichts daran, daß die Kommunikation zwischen der Verwaltung und ihrer Umwelt inzwischen zu einer wichtigen Bedingung für die Stabilität und Leistungsfähigkeit der gesellschaftlichen Ordnung geworden ist. Die Verwaltungskommunikation wird demgemäß immer häufiger als eine zentrale administrative Funktion verstanden, über die staatliche Prozesse vorbereitet, gesteuert, durchgesetzt und gerechtfertigt werden. Kommunikation ist insofern zu einer unverzichtbaren Aufgabe administrativer Instanzen geworden. "

b) Moderne Gesellschaften als Verfahrensgesellschaften: "Man kann" - so lesen wir in einem weiteren Beitrag des WZB-Jahrbuches 1996 - "moderne Gesellschaften ohne Übertreibung als Verfahrensgesellschaften par excellence bezeichnen"55, da die Koordination des sozialen HandeIns sich über weite Strecken verfahrensförmig vollziehe, ein Befund, der in der sozialwissenschaftlichen Literatur fast gar nicht zur Kenntnis genommen werde. Anders hingegen bei den Juristen: "Die Juristen haben schon immer mit Ver51

van den Daele I Neidhardt (FN 49), S. 14 f.

52 van den Daele I Neidhardt (FN 49), S. 15. 53 s. Pitschas, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, Grundfragen, 1993, S. 219 ff.; Hill, in: Blümell Pitschas (Hrsg.), Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, 1994, S. 339 ff. 54 Czerwick, DÖV 1997, S. 973. 55 Döbert, in: van den Daele/Neidhardt (FN 49), S. 327 (328).

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Gunnar Folke Schuppert

fahren zu tun, und zwar mit Verfahren, die zu einer Sonderwelt mit eigenen Relevanzen ausdifferenziert und von den Alltagsdisputen abgehoben sind. Wenn ein Alltagskonflikt die Schwelle des Rechts überschreitet, so impliziert dies (idealtypisch) immer, daß wohldefinierte "Parteien" und Rechtsvertreter an einem wohldefinierten Ort zu festgelegter Zeit einem mit öffentlicher Autorität ausgestatteten Dritten ihren Fall zur Entscheidung vorlegen dürfen"56. Verläßt man nun wieder die juristische Sonderwelt-Perspektive und versucht man, als Bestandteil einer allgemeinen Verfahrenstheorie eine allgemeine Verfahrensdefinition57 und - darüber hinaus - einzelne Verfahrenstypen zu entwickeln, so kann man dies hinsichtlich des letzteren mit Alfons Bora tun, der in seinem Beitrag über "Öffentlichkeitsbeteiligung im Recht,,58 die folgenden Verfahrenstypen vorgestellt hat:

s:

Entscheidungen nicht programmiert (keine bindenden Regeln, Normbildung)

Prozedurale Ebene

Entscheidungen programmiert (förmliche, bindende Regeln, Normanwendung)

Entscheidungen programmiert

Verfahrensprograr.nrn Sachprograr.nrn

Verfahrensprograr.nrn Sachebene offen

(förmlich, Verfahrensvorschriften sind bindend)

Beispiele: justizförmige bzw. administrative Entscheidungsverfahren

Beispiele: Verfahren parlamentarischer Gesetzgebung, administrative Planungsentscheidungen im engeren Sinne

Entscheidungen nicht programmiert

Verfahrensebene offen Sachprograr.nrn

Verfahrensebene offen Sachebene offen

(nicht förmlich, Verfahrensregeln sind nicht bindend)

Beispiele: Schlichtung, Konfliktmittlung

Beispiele: Politikdialoge, Runde Tische, partizipative Technikfolgenabschätzung

Dieser - hier nur überaus flüchtig mögliche - Blick auf die Entwicklung einer disziplinenübergreifenden allgemeinen Verfahrenstheorie soll uns an dieser Stelle nur animieren, die ausgetretenen Trampelpfade der juristischen Verfahrensdiskussion, die immer wieder um die alte Gegenüberstellung von administrativer Informationsgewinnung und vorverlagertem 56 Döbert (FN 55), S. 327 (329). 57 Dazu Döbert (FN 55), S. 327 (331 f.). 58 Bora, in: van den Daele/Neidhardt (FN 49), S. 371 (397).

Schlüsselbegriffe von Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaft

123

Rechtsschutz 59 kreist, zu verlassen und uns zum Abschluß unserer kurzen Skizze den Funktionen des Verwaltungsverfahrens jenseits von Effizienzsteigerung und Vorverlagerung des Rechtsschutzes zuzuwenden. c) Funktionen des Verwaltungsverfahrens jenseits von Effizienzsteigerung und Vorverlagerung des Rechtsschutzes: Mit der Hervorhebung der folgenden vier Funktionen von Verwaltungsverfahren kann - so will es UnS scheinen - die Anschlußfähigkeit der juristischen Verfahrensdiskussion an die Fachdiskurse anderer Disziplinen besonders problemlos hergestellt werden; sie sollen hier wenigstens in Stichworten notiert werden: (1) Kompensationsfunktion: Auf die Funktion von Verwaltungsverfahren, die "nachlassende Exaktheit gesetzgeberischer Steuerung"60 auszugleichen, also als kompensatorisches Instrument eingesetzt zu werden, ist - was in der Sache auch keiner weiteren Ergänzung bedarf - bereits hingewiesen worden. Unter dem Gesichtspunkt der Brückentauglichkeit von Begriffen sei hier nur noch einmal vermerkt, daß die Hervorhebung der Kompensationsfunktion von Verwaltungsverfahren sowohl die allgemeine Steuerungsdiskussion, insbesondere durch das Gesetz als zentralem Steuerungsinstrument des Rechtsstaates, aufnehmen kann als auch zum Begriff der Kontrolldichte anschlußfähig ist: In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Raumplanungs- und Umweltrecht ist nicht von ungefähr der Gedanke eines kompensatorischen Verhältnisses von Verfahrensrichtigkeit und Begrenzung der materiellen Gerichtskontrolle hervorgehoben worden 61 .

(2) Akzeptanzsicherungsfunktion: Von der zentralen Bedeutung von Kommunikationsprozessen für "die Abnahme beschlossener Politiken" war bereits die Rede. Dies gilt nicht nur für Normbildungssysteme (z. B. Parlamente), sondern auch und gerade für Normanwendungssysteme (z. B. Verwaltungen) und die Abnahme der von ihnen produzierten Verwaltungsentscheidungen, z. B. von Verwaltungsakten zur Regelung und Gestaltung komplexer Interessenkonstellationen. Die Abnahme getroffener Entscheidungen gelingt dabei in der Regel um so leichter, je mehr sie an die Betroffenen als einsehbar vermittelt werden können; Eberhard Schmidt-Aßmann hat dazu zutreffend folgendes angemerkt 62 : "Herrschaft wird heute primär nicht in punktuellen Kontakten und in den Formen des kurzen Befehls akzeptiert, sondern in länger andauernden Begegnungen, Gesprächen und Erklärungen, in der Vermittlung von Einsehbarkeit. Damit braucht nicht auf Entscheidungen selbst und auf die Autorität staatlicher Herrschaft ver-

59

So Schmidt-Aßmann (FN 29), S. 1 (9).

60

Schmidt-Aßmann (FN 29), S. 1 (7).

61 BVerwGE 34, 301; 45, 309. 62

Schmidt-Aßmann (FN 29), S. 1 (9).

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Gunnar Folke Schuppert

zichtet werden ... Aber es ist die Art der Entscheidungsfindung sowie ihrer Vermittlung und Durchsetzung, an die heute andere Anforderungen gestellt werden als zu Zeiten, in denen das Gesetz Ausdruck der Vernunft war und die Regierungsverordnung und der Polizeibefehl die Hauptgegenstände öffentlich-rechtlicher Betrachtung sein durften."

(3) Konfliktlösungsfunktion: Auch zu dieser wichtigen Verfahrensfunktion hat sich die "Anlaßperson" dieses Werkstattgesprächs geäußert und im Anschluß an Überlegungen Peter Lerches zur Funktion von Verfahren als Vorklärungs- und Ausgleichsmechanismen63 zu Recht auf die konfliktlösende Funktion von Verwaltungsverfahren hingewiesen und dazu folgendes ausgeführt 64 : "Unter Verfahren versteht Lerche primär nicht die im Grundgesetz geregelten parlamentarischen Entscheidungsprozesse, sondern jene Verfahrensabläufe, die der Gesetzgeber bei der vorangehenden Erschließung und Erfassung der grundrechtlich relevanten Positionen ins Werk setzt, um einen zureichenden Ausgleich der Interessen durch das spätere Gesetzeswerk vorzubereiten und zu ermöglichen. Anders als bei der vielfach behandelten grundrechtsverwirklichenden Funktion z. B. asyl- und umweltrechtlicher Verwaltungsverfahren geht es hier darum, den Verfahrensgedanken kollisionslösend einzusetzen:· Verfahren als Instrument nicht, um feste Positionen noch fester zu machen, sondern um Positionen im Vorfeld grundrechtlicher Verfestigung mit gegenläufigen verfassungsrechtlichen Postulaten zu konfrontieren, die Existenz von Kollisionen erkennbar zu machen und abzugleichen."

(4) Verzahnungsfunktion: Abgeschlossen werden soll der kurze Überblick über die Verfahrensfunktionen mit einer Funktion, die an die Überlegungen zur Verantwortungsstufung und Verantwortungsteilung anschließt und die Stellung der Verwaltung im Kooperationsspektrum staatlicher und privater Aufgabenerfüllung 65 verfahrensrechtlich abbildet. Gemeint ist die funktion von Verwaltungsverfahren - insbesondere im Planungs- und Umweltbereich -, den öffentlichen und privaten Sektor miteinander zu verzahnen, eine Funktion, die wir Verzahnungsfunktion nennen wollen und zu der Walter Schmitt Glaeser in überzeugender Weise folgendes ausgeführt hat 66 : "Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, wie insgesamt fragwiirdig bei Verwaltungsverfahren und vor allem im Hinblick auf eine Zielbestimmung der Verfahrensbeteiligung eine hartleibig-scharfe Trennung von öffentlichen und privaten Interessen ist. Ganz abgesehen davon, daß die Belange ,der Staatlichkeit als solcher' noch nie einwandfrei fixiert werden konnten, öffentliche und private Interessen sich immer schon überschnitten, zuweilen sogar deckungsgleich waren, auch Transformationen privater in öffentliche Interessen möglich sind und umgekehrt, ist wohl auf keinem Bereich die Verwobenheit von privaten und öffentlichen Inter-

63 64

65

66

Lerche, in: ders. / Schmitt Glaeser / Schmidt-Aßmann (FN 29), S. 97 ff. Schmidt-Aßmann (FN 29), S. 1 (11). Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/ders./Schuppert (FN 37), S.l1 (43 f.). Schmitt Glaeser, in: Lerche / ders. / Schmidt-Aßmann (FN 29), S. 35 (59).

Schlüsselbegriffe von Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaft

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essen so ausgeprägt wie beim Planungsverfahren, in Besonderheit, wenn es sich um Massenverfahren handelt. Hier zeigt sich in hervorragender Weise die allgemein zu beobachtende schwindende Distanz von Staat und Gesellschaft, und die Beteiligung von Privaten im staatlichen Verfahren ist ein Symptom dieser Entwicklung par excellence."

Damit sind wir am Ende unserer tour d'horinzon zu interdisziplinären Verbundbegriffen angelangt, einem 'lYPus von Begriffen, zu dessen Karriere und Profil Eberhard Schmidt-Aßmann - dem diese Überlegungen gewidmet sind - maßgeblich beigetragen hat.

Sozialwissenschaften im Verwaltungsrecht: Integration oder Multiperspektivität Von Walter Krebs, Berlin

I. Einleitung

Das Rahmenthema der zweiten Vormittagshälfte stellt die Bedeutung der Sozialwissenschaften für das Verwaltungsrecht, und damit auch für die Verwaltungsrechtswissenschaft, zu Recht nicht in Frage. Gefragt ist nach dem vorzugswürdigen Umgang mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen. Zur Wahl stehen ein "Integrationsmodell" und ein "Trennungsmodell ". Eine Entscheidung zwischen den Alternativen setzt zum einen deren Analyse und zum anderen die Angabe relevanter Entscheidungsgesichtspunkte voraus. Bevor man sich dem letzteren zuwenden kann, müssen demnach zunächst die Funktionen und Dysfunktionen beider Wissenschaftsmodelle betrachtet werden. Umfassend und gründlich ist das hier kaum möglich. Zu meiner Entlastung verstehe ich aber das Werkstattprogramm als Regieanweisung zu arbeitsteiligem Vorgehen und sehe meine Aufgabe darin, Anmerkungen aus rechtsdogmatischer Sicht zu machen. Daher darf ich mich auf die Analyse des Trennungsmodells beschränken und sehe mich zudem legitimiert, wenn nicht gar aufgefordert, dessen Funktionen besonders herauszustreichen.

n. Funktionen / Dysfunktionen des Trennungsmodells 1. Funktionen

a) "Disziplintunktionen u; Zu Beginn des Jahrhunderts, 1906, hat Fritz Fleiner in seiner akademischen Antrittsrede eine Bemerkung zu den Funk-

tionen des Trennungsmodells gemacht. Mit unverkennbarer Genugtuung sagt er über den Weg, den die Verwaltungsrechtswissenschaft damals genommen hatte: "Aus einer Mischlehre, welche Geschichte, Politik und Nationalökonomie bunt vermengte, ist die Wissenschaft des deutschen Verwaltungsrechtes zum Range einer juristischen Disziplin herangewachsen, die mit derselben streng juristischen Methode, durch welche die Wissenschaft

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des Zivilrechtes gross geworden ist, es unternommen hat, die Rechtsgrundsätze für die Beurteilung der Verhältnisse der öffentlichen Verwaltung zu gewinnen"l. Die Funktionen, die Fleiner mit der Propagierung einer Trennung von Gesichtspunkten und einer Beschränkung der wissenschaftlichen Vorgehensweise auf die "streng juristische Methode" hervorhebt, lassen sich als "Disziplinfunktionen " beschreiben. Sie bestehen - aus historischer Sicht - zunächst darin, der Verwaltungsrechtswissenschaft die Konstituierung als (moderne) Wissenschaftsdisziplin zu ermöglichen, zumindest aber diese Entwicklung gefördert zu haben. In der Redeweise unseres Themas: Die Bevorzugung des Trennungsmodells unter Aufgabe des Integrationsmodells diente der Herausbildung der Disziplin. Wenn dieser Zusammenhang stimmt, birgt - aus heutiger Sicht - eine umgekehrte Modellentscheidung die Gefahr, die Disziplin zu gefährden. Das mag man - je nach Geschmack bedauern oder begrüßen. Nur muß man sich vergegenwärtigen, daß das Verlassen der Disziplin zur Disziplinlosigkeit führen kann (nicht muß!), d. h., in der Sprache Fleiners, zur Rückführung der Disziplin in eine "Mischlehre, welche Geschichte, Politik und Nationalökonomie bunt vermengt(e)". Auf eine weitere Funktion der Disziplinierung sei hingewiesen, die Fleiner mit dem Hinweis andeutet, daß mit ihrer Hilfe die" Wissenschaft des Zivilrechtes gross geworden" sei. Die Konzentration auf eine Disziplin fördert Höchstleistungen. Ein banales Anschauungsbeispiel bietet der Sport: Ein Zehnkämpfer mag noch so viel Bewunderung verdienen; gleichwohl springt ein Weitspringer weiter, ein Hochspringer höher und läuft ein Läufer schneller. In der Wissenschaft fördert die Beschränkung auf das Fach Fachkunde und verhindert Dilettantismus. Vielleicht ist der Respekt vor meinem eigenen Fach und gerade deswegen auch der Respekt vor anderen Disziplinen zu groß. Jedenfalls gehe ich davon aus, daß das multidisziplinäre Arbeiten mehr verlangt als das Einüben verschiedener Fachterminologien. Positiv gewendet: Das Finden des "nur" rechtlich Richtigen arte legis, d. h. das rechtsdogmatische Arbeiten wird zum Kunsthandwerk durch hinreichende, langwährende und ständig praktizierte Übung. Auch bei Beschränkung auf die Rechtsdogmatik ist Rechtswissenschaft ein ausfüllender Beruf.

b) Rechtsstaatliche Funktion: Die Disziplinfunktionen können kein Selbstzweck sein. Sie dienen einer anderen, wichtigeren Funktion, die als die "rechtsstaatliche Funktion" des Trennungsmodells gekennzeichnet werden kann. Insofern kann ich mich sehr kurz fassen. Anläßlich des Geburtstages von Herrn Schmidt-Aßmann und in seiner Gegenwart sind angesichts seiner Arbeiten eigene Reflexionen zum Thema "Rechtsstaat" unnötig. Stattdessen zitiere ich zur Hervorhebung des hier relevanten Aspektes aus 1 Fleiner, Ueber die Umbildung zivilrechtlicher Institute durch das öffentliche Recht, 1906, S. 8 (Hervorhebung im Original).

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seinen 1997 veröffentlichten Überlegungen zu den (so der Titel) "Gefährdungen der Rechts- und Gesetzesbindung der Exekutive,,2. "Rechtsstaatliche Berechenbarkeit und demokratische Legitimation, Gewaltenteilung, parlamentarische Steuerung und gerichtliche Kontrolle der Exekutive - sie alle werden durch den in Art. 20 Abs. 3 GG festgelegten Bindungsanspruch vermittelt. Die Dogmatik des Verwaltungsrechts findet hier einen ihrer Angelpunkte"3. Der Rechtsstaat ist in seinem Kern der mit Hilfe des Rechts rational gesteuerte, rational entscheidende und rational kontrollierte Staat. Die Rechtsdogmatik setzt die Rationalitätsgebote des Rechtsstaats in die Rechtswirklichkeit um. Damit verhindert Rechtsdogmatik zugleich die Ersetzung der Rechtsordnung durch das eigene Dafürhalten des Entscheiders. Rechtsdogmatik verhindert also die nicht legitimierte autonome Rechtsetzung des Rechtsanwenders und vermittelt dem verbindlich Entscheidenden die Legitimation des Gesetzes. Die wenigen Hinweise mögen zur Andeutung der rechtsstaatlichen Funktion des Trennungsmodells genügen. Sie verstehen sich nicht in erster Linie als ein unnötiges Plädoyer für ihre Unverzichtbarkeit. Sie dienen vielmehr der Betonung des Zusammenhanges zwischen einer Modellentscheidung und der damit - notwendig - verbundenen Stärkung oder Schwächung bestimmter Funktionen. Man soll die Disziplin "Rechtsdogmatik" gewiß nicht überschätzen, aber ihre Funktionen erfüllt sie nur bei ihrer Beherrschung. Selbst höchstrichterliche Entscheidungen zeugen gelegentlich von "Undiszipliniertheiten"4.

2. Dysfunktionen

Das Trennungsmodell als Ausdifferenzierung von Disziplinen ist nicht zuletzt als Reaktion der Wissenschaft auf die Zunahme des Problemstoffes zu erklären. Ausdifferenzierung ist offenkundig kein einmaliger Akt, sondern neigt zu weiterer Ausdifferenzierung. Die Dysfunktionen einer derartigen Entwicklung sind nicht zu übersehen, müssen hier aber nicht ausgebreitet werden. Ich muß hier nicht erklären, wie sehr etwa die Ausdifferenzierung in Strafrechts-, Zivilrechts- sowie Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft das Gespräch der beteiligten Wissenschaftler mit allen Problemen interdisziplinärer Kommunikation belastet. Welche Probleme bei Ausdifferenzierung entstehen können, zeigt ein Blick auf die Medizin. Ein Kardiologe wird sich heute nicht mehr verantwortlich zur benachbarten Lunge äußern. 2

3 4

Schmidt-Aßmann, in: FS Stern, 1997, S. 745 ff. Schmidt-Aßmann, ebd., S. 745. Vgl. Krebs, Jura 1996, S. 181 ff.

9 Die Verwaltung, Beiheft 2

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Formuliert man eine Dysfunktion des Trennungsmodells abstrakt, so besteht die Gefahr dieses Modells der Separierung der Disziplinen in der wachsenden Distanz der Disziplinen zueinander. Aus "Multiperspektivität" droht Armut an Perspektiven zu werden bis hin zu einer Perspektivlosigkeit, die letztlich die eigene Disziplin, die Rechtsdogmatik, bewegungsunfähig macht. Die Entwicklung, die Staatsrecht und Staatslehre, die Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre in der akademischen Ausbildung seit Fleiners Zeiten genommen hat, mögen diese These belegen.

m. Modellentscheidung Mit diesen Überlegungen ist allerdings eine Re-Integration verschiedener staatsbezogener Disziplinen noch nicht befürwortet. Die Betrachtung von Funktionen und Dysfunktionen der zur Wahl gestellten Alternativen kann die Entscheidung zwischen ihnen nur vorbereiten, löst das eigentliche Entscheidungsproblem aber noch nicht. Man könnte gerade als Jurist auf die Idee verfallen, die Modellentscheidung durch eine Abwägung der Funktionen und Dysfunktionen, ihrer Chancen und Risiken vorzunehmen. Abwägung ist immerhin ein gebräuchliches, verwaltungsrechtswissenschaftliches Instrument. Allerdings ist die hier zu treffende Entscheidung nicht im engeren Sinne rechtswissenschaftlicher Natur und fragt eine Wahl zwischen Alternativen immer nach den Entscheidungskriterien. Aus Sicht der Verwaltungswissenschaft bietet sich an, das Entscheidungskriterium in der Aufgabe zu suchen. Es geht also darum, welche Aufgabe das Integrationsmodell bzw. das Trennungsmodell zu erfüllen hat. Die entscheidende Frage lautet somit: Wozu dient eigentlich die Verwaltungsrechtswissenschaft? Die Frage so zu formulieren mahnt, die Antwort weder vorschnell noch leichtfertig zu geben und hat daher den Vorteil, sie hier nicht abschließend beantworten zu müssen. Es sei deshalb nur ein Aspekt des damit eröffneten Fragenkreises angesprochen. Dem Trennungsmodell stellt sich, will man seinen Dysfunktionen begegnen, in besonderem Maße ein Koordinationsproblem: Wie läßt sich eine Perspektivenvielfalt trotz strenger Separierung der Disziplinen herstellen oder bewahren? Dieses Koordinationsproblem stellt sich z. B. den zitierten Ausdifferenzierungen der Medizinwissenschaft deshalb so dringlich, weil die Medizin die Gesundheit des ganzen Menschen zur Gesamtaufgabe hat. Hat eine solche Gesamtaufgabe auch die Verwaltungsrechtswissenschaft? Wenn man die Frage bejaht, spricht das wohl eher für die Vorzugswürdigkeit des Integrationsmodells.

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In der Schlußbemerkung seiner eingangs zitierten akademischen Antrittsrede sagt Fritz Fleiner: "Welche neuen geistigen Werte die junge Disziplin der wissenschaftlichen Doktrin zuführen wird, darüber vennag erst die Zukunft zu richten. Die Wissenschaft des deutschen Verwaltungsrechtes befindet sich zur Stunde noch in den Anfängen. Doch unverrückbar steht vor ihr das eine Ziel: mitzuhelfen, daß selbst gegen den Herrscher Staat dem letzten Bürger im Lande sein Recht wird" 5. Das würde man heute nicht mehr so sagen. Und das nicht alleine deswegen, weil einem diese schöne Sprache abhanden gekommen ist. Das Aufgabenspektrum der Verwaltungsrechtswissenschaft geht über die Zuteilung und Sicherung individueller Rechtspositionen weit hinaus. Aber ist es deswegen schon das Wohl des gesamten Staatswesens schlechthin? Wenn man der Auffassung ist, die Verwaltungsrechtswissenschaft würde sich mit der Aufbürdung dieser Gesamtaufgabe überheben, wird man eher das Trennungsmodell bevorzugen und andere Disziplinen als Mitstreiter betrachten, mit denen zusammen die gewaltige Aufgabe bewältigt werden kann.

5

9*

Fleiner (FN 1), S. 24 (Hervorhebung im Original).

Irr. Internationalisierung des Verwaltungsrechts

Die Europäisierung des Allgemeinen Verwaltungsrechts und der Verwaltungsrechtswissenschaft Von Friedrich Schoch, Freiburg i. Br.

I. Europäisierung des Verwaltungsrechts als fortwährender Prozeß 1. Institutionelle und verfahrensrechtliche Autonomie der EG-Mitgliedstaaten?

In der dem Vertrag von Maastricht beigefügten Erklärung Nr. 19 zur Anwendung des Europäischen Gemeinschaftsrechts durch die EG-Mitgliedstaaten wird einerseits an die "Richtlinientreue" der Staaten appelliert\ andererseits wird in bezug auf den mitgliedstaatlichen Vollzug des Gemeinschaftsrechts das Diskriminierungsverbot hervorgehoben. Zum sog. indirekten Vollzug des EG-Rechts 2 , um den es im folgenden vornehmlich gehen wird, sagt die Erklärung, daß es "Sache jedes Mitgliedstaats ist zu bestimmen, wie die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts unter Berücksichtigung der Besonderheit seiner Institutionen, seiner Rechtsordnung und anderer Gegebenheiten ... am besten anzuwenden sind, es jedoch für die reibungslose Arbeit der Gemeinschaft von wesentlicher Bedeutung ist, daß die in den einzelnen Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen dazu führen, daß das Gemeinschaftsrecht dort mit gleicher Wirksamkeit und Strenge Anwendung findet, wie dies bei der Durchführung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften der Fall ist". Der Text dieser Erklärung zum EU-Vertrag vermittelt den Eindruck, als herrsche bei der Umsetzung und dem Vollzug des EG-Rechts eine institutionelle und verfahrensrechtliche Autonomie der Mitgliedstaaten. Der Präsident des EuGH hat unlängst sogar davon gesprochen, diese Autonomie stelle einen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz dar, den man freilich in der deutschsprachigen europarechtlichen Literatur nicht oder kaum vorfinde 3 . 1 In der Erklärung Nr. 19 zum Vertrag über die Europäische Union wird ausdrücklich hervorgehoben, "daß es für die innere Geschlossenheit und die Einheit des europäischen Aufbauwerks von wesentlicher Bedeutung ist, daß jeder Mitgliedstaat die an ihn gerichteten Richtlinien der Gemeinschaft innerhalb der darin festgesetzten Fristen vollständig und getreu in innerstaatliches Recht umsetzt". 2 Zur 'lYPologie des Verwaltungsvollzugs von Europäischem Gemeinschaftsrecht vgl. Rengeling, VVDStRL 53 (1994), S. 202 (205 f.). 3 Rodriguez Iglesias, EuGRZ 1997, S. 289.

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Friedrich Schoch 2. Verzahnung der Rechtsordnungen mit Vorrang des EG-Rechts

Die Rechtswissenschaft ist richtig beraten, auf euphemistische Begrifflichkeiten zu verzichten. Die Realanalyse zeigt, daß Richtlinien (entgegen dem Wortlaut des Art. 189 Abs. 3 EGV) aufgrund der Rechtsprechung des EuGH unter bestimmten Voraussetzungen seit langem eine unmittelbare Wirkung entfalten4 ; und beim indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts kommt nicht etwa dem Gebot der Nichtdiskriminierung, sondern dem vom EuGH entwickelten Gebot der Herstellung praktischer Wirksamkeit des EG-Rechts 5 die entscheidende Bedeutung zu. Damit sind zwei wesentliche "Katalysatoren" für den Prozeß der Europäisierung des nationalen Verwaltungsrechts genannt. Nimmt man die sonstigen Erscheinungsformen und Wirkungsmechanismen6 der fortwährenden Beeinflussung, Wandlung und Überformung des Verwaltungsrechts durch das Europäische Recht (EG-Recht, EU-Recht, EMRK) und das in ihnen wirksame Rechtsdenken hinzu (vor allem den Anwendungsvorrang des EGRechts gegenüber dem nationalen Recht), verbietet sich jegliche statisch angelegte Vorstellung zweier in monolithische Blöcke gegossener Rechtsrnassen. Sichtbar wird vielmehr "ein Netzwerk von Wirkungen und gegenseitigen Einflußnahmen"7; monokausale Deutungsmuster sind fehl am Platze. Zu registrieren sind eine tiefgestaffelte normative Verkoppelung sowie vertikal und horizontal angelegte administrative Verzahnungen der beiden Teil-Rechtsmassen8 .

11. Strukturelle Tiefenwirkung des Europäisierungsprozesses Vor diesem Hintergrund deutet sich die analytische Aufgabenstellung der Verwaltungsrechtswissenschaft an: Ihr ist die systematische Durchdringung der rechtlichen Vernetzung, die Strukturierung von Realbefund und Rechtsstoff sowie die Systembildung aufgrund einer normativ geleiteten und wirklichkeitswissenschaftlich rückgebundenen Rechtsdogmatik abverlangt. Doch bevor einige Überlegungen zur Europäisierung der Verwaltungsrechtswissenschaft angestellt werden (unten 111.), muß die strukturelle Tie-

4 Vgl. dazu etwa Winter, DVBl1991, S. 657 ff.; Classen, EuZW 1993, S. 83 ff.; Steinberg I Klößner, BayVBl1994, S. 33 ff.; Stadie, NVwZ 1994, 435 ff.; Epiney, DVBl1996, S. 409 ff.; zuletzt zu der Thematik (m. w. Nachw.) Giegerich, JuS 1997, S. 619 (621 f.). 5 Vgl. dazu die knappe Übersicht bei Pernice, in: Grabitz I Hilf (Hrsg.), Kommentar zur Europäischen Union, Art. 164 EGV Rdnr. 27. 6 Vgl. die Zusammenstellung bei Schoch, JZ 1995, S. 109 (113). 7 Schmidt-Aßmann, in: FS Lerche, 1993, S. 513. 8 Schmidt-Aßmann, JZ 1994, S. 832 (833).

Die Europäisierung des Allgemeinen Verwaltungsrechts

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fenwirkung des Europäisierungsprozesses in das Bewußtsein gerückt wer-

den. Hierfür eignet sich das Allgemeine Verwaltungsrecht als Anschauungsobjekt vorzüglich. Denn anders als auf den Teilgebieten des Besonderen Verwaltungsrechts lassen sich die Wirkungen der Europäisierung nicht sektoral begrenzen. Erfaßt sind vielmehr mit den allgemeinen Rechtsinstituten gleichsam die tragenden Bauelemente des Systems. Ich erwähne stichwortartig -

die Verwaltungsorganisation 9 , die Rechtsquellenlehre sowie die Handlungsformen der Verwaltung lO , das Konzept subjektiver öffentlicher Rechtell, die Gesetzesbindung der Verwaltung 12 , das Verwaltungsverfahren 13 , den Vertrauensschutz im Verwaltungsrecht 14 , den gerichtlichen (vorläufigen) Rechtsschutz 15 , und den sog. Sekundärrechtsschutz durch das Staatshaftungsrecht 16 ,

9 Dazu Kahl, Die Verwaltung 29 (1996), S. 341 ff. - BVerwGE 99, 315 (319 f.) betont, "daß das Gemeinschaftsrecht grundsätzlich keine Bestimmungen über die Behördenorganisation trifft, mit der die Mitgliedstaaten die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen durchführen". 10 Dazu am Beispiel der Unzulässigkeit der Umsetzung von EG-Richtlinien durch Verwaltungsvorschriften EuGH, Slg. I 1991, 2567 = JZ 1991, S. 1031 (m. Anm. Rupp); EuGH, Slg. I 1991,2607 = JZ 1991, S. 1032 (m. Anm. Rupp); EuGH, Slg. I 1991, 4983; vgl. auch von Danwitz, VerwArch 84 (1993), S. 73 ff. 11 Vgl. dazu Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 121 ff.; von Danwitz, DÖV 1996, S. 481 ff.; Triantafyllou, DÖV 1997, S. 192 ff.; Classen, VerwArch 88 (1997), S. 645 ff.; Ruffert, DVBl1998, S. 69 ff.; umfassend Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts - Europäische Impulse für eine Revision der Lehre vom subjektiv-öffentlichen Recht, 1997. 12 Zu den "Lockerungen" wegen des Anwendungsvorrangs des EG-Rechts, Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO, Einl. Rdnr.110. 13 Vgl. dazu Gassner, DVBl 1995, S. 16 ff.; Classen, Die Verwaltung 31 (1998), S. 307 ff. 14 Vgl. dazu Triantafyllou, NVwZ 1992, S. 436 ff.; Schulze, EuZW 1993, S. 279 ff.; Kokott, DVBl 1993, S. 1235 ff.; Pache, NVwZ 1994, S. 318 ff.; Richter, DÖV 1995, S. 846 ff. - Für die Praxis grundlegend zum europarechtskonformen Verständnis des § 48 VwVfG BVerwGE 92, 81; zur aktuellen Entwicklung unten 11. 1. a). - Vgl. ferner den instruktiven Rechtsvergleich von Guian, GewArch 1993, S. 361 ff. Zu dem Gesamtkomplex zuletzt Fastenrath, Die Verwaltung 31 (1998), S. 277 ff. 15 Ausführlich Burgi, Verwaltungsprozeß und Europarecht, 1996, S. 30 ff.; Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996, passim. - Speziell zum Eilverfahren zuletzt Schoch, DVBl1997, S. 289 ff.; Jannasch, VBlBW 1997, S. 361 ff.; monographisch Kaessner, Der einstweilige Rechtsschutz im Europarecht, 1996; Lehr, Einstweiliger Rechtsschutz und Europäische Union, 1997; von Fragstein, Die Einwirkungen des EG-Rechts auf den vorläufigen Rechtsschutz nach deutschem Verwaltungsrecht, 1997. - Zu Grundlagen des europäisierten verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes Brenner, Die Verwaltung 31 (1998), S. 1 ff. - Zu dem Gesamtkomplex zuletzt Kokott, Die Verwaltung 31 (1998), S. 335 ff.

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um deutlich zu machen, daß keine der "tragenden Säulen" unseres Allgemeinen Verwaltungsrechts von dem Europäisierungsprozeß unberührt geblieben ist. Geht es im folgenden also um ein strukturelles Erkenntnisinteresse, so können die Tiefenwirkungen des Europäisierungsprozesses selbst auf dem Gebiet des Allgemeinen Verwaltungsrechts nur erfaßt werden, wenn man nicht bei - gewiß verdienstvollen - Deskriptionen zur Entwicklung stehen bleibt, sondern auch eine Bewertung wagt17. Dabei sollte mittlerweile die Phase überwunden sein, in der gewissermaßen mit einem "antieuropäischen Affekt" belegt wurde, wer es auch nur wagte, verhaltene Kritik am "Wie" des Europäisierungsprozesses zu üben. Eine Rechtswissenschaft, die die Europäisierung des Allgemeinen Verwaltungsrechts nur unkritisch begleitete, verdiente es nicht, "Wissenschaft" genannt zu werden. Die rechtsdogmatisch geleitete, kritische Reflexion ist und bleibt Kernelement jeder Rechtswissenschaft. Dies ist im vorliegenden Zusammenhang um so dringender angesagt, als Motor der Entwicklung nicht etwa die Rechtsetzung mittels Verordnungen und Richtlinien, sondern die Rechtsprechung des EuGH ist 18 .

1. Erscheinungsformen der Europäisierung im Allgemeinen Verwaltungsrecht (Beispiele)

Um den Befund zu verdeutlichen und die Europäisierungseffekte im Allgemeinen Verwaltungsrecht zu veranschaulichen, empfiehlt es sich, zunächst einmal die Rechtswirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen. Zur Illustration seien drei Beispiele aus der aktuellen Judikatur des EuGH herangezo-

16 Richtungsweisend die "Francovich"-Entscheidung EuGH, Slg. I 1991, 5403; dazu Bespr. von Hailbronner, JZ 1992, S. 284 ff.; Häde, BayVBI 1992, S. 449 ff.; Ossenbühl, DVBI 1992, S. 993 ff.; Nettesheim, DÖV 1992, S. 999 ff.; Pieper, NJW 1992, S. 2454 ff.; Gellermann, EuR 1994, S. 342 ff. - Seine Rechtsprechung bestätigend EuGH, Slg. I 1994, 3325 =JZ 1995, S. 149 (m. Anm. Heß) - Faccini Dori; dazu Bespr. Ukrow, NJW 1994, S. 2469 f., sowie Gassner, JuS 1996, S. 303 ff. - Vgl. ferner (die Bundesrepublik Deutschland betreffend) EuGH, Slg. I 1996, 4845 - Pauschalreiserichtlinie; dazu Bespr. Reich, EuZW 1996, S. 709 ff. - Zuletzt zu der Thematik Hermes, Die Verwaltung 31 (1998), S. 371 ff. 17 Vgl. dazu einerseits etwa (den EuGH unterstützend) Classen, NJW 1995, S. 2457 ff.; ders., in: Kreuzer / Scheuing / Sieber (Hrsg.), Die Europäisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Europäischen Union, 1997, S. 107 ff.; Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Das Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, 1996, S. 789 ff.; andererseits (mit kritischen rechtsdogmatischen Nachfragen zu dem Europäisierungsprozeß) Schmidt-Aßmann, DVBI 1993, S. 924 ff.; Schoch, JZ 1995, S. 109 ff.; von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, 1996, S. 334 ff.; um (pragmatischen) Ausgleich bemüht Jannasch, VBlBW 1996, S. 163 ff. 18 Darstellung hierzu bei Schwarze, EuR 1997, S. 419 ff.

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gen, und zwar zum Vertrauensschutz im Verwaltungsrecht, zum Rechtsschutz und zum Staatshaftungsrecht.

a) Rücknahme von Verwaltungsakten und Vertrauensschutz: Am Beispiel der Rückforderung (wegen Verstoßes gegen Art. 92, 93 Abs. 3 EGV) rechtswidriger staatlicher Beihilfen kann gezeigt werden, wie § 48 VwVfG eine komplette europarechtliche Überformung und Durchdringung erfahren hat. In der Entscheidung "Alcan II" (vom 20. März 1997)19 hat der EuGH zum Ausgangspunkt zwar betont, die Rückforderung der Beihilfe finde nach Maßgabe nationalen Rechts statt; allerdings dürfe dessen Anwendung die gemeinschaftsrechtlich vorgegebene Rückforderung nicht praktisch unmöglich machen 20 . Damit wirkt auf die Auslegung (und Rechtsgültigkeit?) des § 48 VwVfG ein gemeinschaftsrechtliches Rechtsdurchsetzungsinteresse ein 21, das - die Regelvermutung für Vertrauensschutz nach Verbrauch der gewährten Leistung durch den Begünstigten (§ 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG) kategorisch widerlegt22, - die Rücknahmefrist von einem Jahr (§ 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG) derogiert 23 , - das Rücknahmeermessen (§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) eliminiert24 und - den öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruch (§ 49 a Abs. 1 Satz 1 VwVfG) nach erfolgter Rücknahme des Bewilligungsbescheides gegenüber einem Entreicherungseinwand des Begünstigten (§ 49 a Abs. 2 VwVfG) immunisiert 25 . Zum Gesamteffekt der Europäisierung des § 48 VwVfG ist nüchtern zu konstatieren: Von der These, daß sich die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger Beihilfen nach nationalem Recht richte, bleibt substantiell kaum etwas übrig 26 . Dem nationalen Recht kommt nur noch die Funktion zu, die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zu vollziehen. § 48 VwVfG verliert seinen materiellen Eigenwert und dient lediglich als Ermächtigung zur Durchsetzung des EG-Rechts 27 . 19 EuGH, Slg. 1 1997,1591 =JZ 1997, S. 722 (m. Anm. Classen) =EuR 1997, S. 148 (m. Anm. Berrisch); dazu Bespr. Happe, NVwZ 1998, S. 26 ff. 20 EuGH, Slg. 1 1997, 1591- Tz. 24. 21 Vgl. zu diesem Aspekt Classen, in: Kreuzer/Scheuing/Sieber (FN 17), S. 107 (110 ff.). 22 EuGH, Slg. 1 1997, 1591- Tz. 25, 31. 23 EuGH, Slg. 1 1997, 1591 - Tz. 33 f. - Zum Lauf der Jahresfrist ferner VGH BW, NVwZ 1998, S .. 87 (89). 24 EuGH, Slg. 1 1997, 1591- Tz. 34. 25 EuGH, Slg. 1 1997, 1591- Tz. 50 f. 26 Hoenike, EuZW 1997, S. 279. 27 Zur Parallele im Staatshaftungsrecht vgl. unten 11. 1. c).

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b) Vorläufiger Rechtsschutz: Auf dem Gebiet des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes hat eine durchgreifende Europäisierung zum vorläufigen Rechtsschutz stattgefunden28 . Der Präsident der EuGH bezeichnet das aus dieser Entwicklung hervorgegangene Resultat als "die intensivste Auswirkung des Gemeinschaftsrechts auf die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten u29 • In der Tat, der EuGH hat zu Fallgestaltungen mit Gemeinschaftsrechtsbezug in einer Serie von Entscheidungen - den verfahrensrechtlichen Rechtsschutz der bei einem Anfechtungsrechtsbehelf kraft Gesetzes eintretenden aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO) eliminiert und die als Ausnahmetatbestand konzipierte Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) im Rechtsdurchsetzungsinteresse der EG instrumentalisiert30 , - den Entscheidungsmaßstab im gerichtlichen Aussetzungsverfahren (§ 80 Abs. 5 VwGO) durch Anpassung an das eigene Entscheidungsprogramm (Art. 185 EGV) europäisiert3 1, - die Kriterien für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 VwGO) mit dem Maßstab im Aussetzungsverfahren vereinheitlicht 32 und - eine in Art. 177 Abs. 2 EGV nicht vorgesehene Vorlagepflicht dekretiert, wenn ein mitgliedstaatliches Instanzgericht einen nationalen Verwaltungsakt wegen Zweifel an der Gültigkeit des zugrunde liegenden Gemeinschaftsaktes aussetzt 33 . Was speziell die zentrale Frage des Entscheidungsmaßstabs im Eilverfahren betrifft, hat der EuGH das Gebot der Kohärenz mit seinen eigenen Entscheidungsdeterminanten postuliert34 . Die genaue Analyse des Befundes zeigt jedoch, daß Resultat der EuGH-Judikatur eine Atomisierung des Entscheidungsprogramms beim vorläufigen Rechtsschutz ist 35 . Neuerdings werden sogar die Grundlagen (d. h. das "Ob U ) des vorläufigen Rechtsschutzes durch Unsicherheiten gekennzeichnet. Im sog. "Bananenstreit hat der EuGH die gemeinschaftsrechtliche Unzulässigkeit der einstweiligen AnordU

28 Zusammenfassend hierzu Schach, in: ders./Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO, Vorb. § 80 Rdnr. 18 H. 29 Rodriguez Iglesias, EuGRZ 1997, S. 289 (294). 30 EuGH, Slg. I 1990, 2899 (2905 H.) - Tz. 25 H. 31 EuGH, Slg. I 1991, 533 (542 H.) = JZ 1992, S. 36 f. (m. Anm. Gornig) - Tz. 23 H.; dazu Bespr. Schlemmer-Schulte, EuZW 1991, S. 307 H.; DänzeT-Vanotti, BB 1991, S. 1015 H.; Schoch, SGb. 1992, S. 118 H. 32 EuGH, Slg. I 1995, 3761 (3792 H.) - Tz. 39 H. 33 Zuletzt in diesem Sinne (seine frühere Rechtsprechung bestätigend) EuGH, Slg. 11997,4517 (4554 f.) - Tz. 48 H. - Vgl. auch Reiche, EuZW 1995, S. 569 f.; Koch, NJW 1995, S. 2331 f. 34 EuGH, Slg. I 1991, 533 - Tz. 26 f.; EuGH, Slg. I 1995, 3761- Tz. 39. 35 Vgl. dazu unten III. 1. (Text zu FN 96 H.).

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nung gern. § 123 VwGO beim mitgliedstaatlichen Vollzug der Gemeinsamen Marktorganisation dekretiert, solange nicht die EG-Kommission einen Rechtsakt zur Regelung der bei den Marktbeteiligten vorliegenden Härtefälle erlassen hat 36 . Das BVerfG sieht dies anders und verlangt verwaltungsgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutz gerade wegen des Vorliegens eines Härtefalles 37 . Im übrigen bleibt der EuGH eine Erklärung dafür schuldig, wie sich die den nationalen Gerichten auferlegte Rechtsschutzverweigerung zu dem "Anspruch auf umfassenden und effektiven Rechtsschutz" verhält, "den der einzelne nach dem Gemeinschaftsrecht hat,,38. c) Staats haftungs recht: Für das deutsche Staatshaftungsrecht schließlich sind die Folgen der Europäisierung39 nach der Entscheidung "Brasserie du pecheur" (vom 5. März 1996)40 noch gar nicht absehbar. Angemahnt hat der EuGH bei Gemeinschaftsrechtsverstößen von Mitgliedstaaten jedenfalls - die Staatshaftung auch für sog. legislatives Unrecht41 , - den Verzicht auf das Verschulden als eigenständige Haftungsvoraussetzung42 , - die Entkoppelung staatlicher Ersatzleistungen von der Verletzung bestimmter, besonders geschützter individueller Rechtsgüter (wie z. B. Eigentum)43 und - die prinzipielle Einbeziehung auch des entgangenen Gewinns in den ersatzfähigen Schaden44 . Maßgebend für die Entwicklung dieses Staatshaftungsanspruchs, der - nach ausdrücklicher Betonung seitens des EuGH - "seine Grundlage unmittelbar im Gemeinschaftsrecht findet,,45 , waren zuvörderst "die volle Wirksamkeit der Gemeinschaftsnormen und der effektive Schutz der durch 36 EuGH, Slg. I 1996, 6065 (6101 ff.) - Tz. 46 ff.; dazu krit. Bespr. Koenig, EuZW 1997, S. 206 ff.; Ohler/Weiß, NJW 1997, S. 2221 ff. 37 BVerfG, NJW 1995, S. 950 = JZ 1995, S. 352 (m. Anm. Rupp) = EuR 1995, S. 91 (m. Anm. Fache); dazu Bespr. Leupold, NVwZ 1995, S. 553 ff.; Nettesheim, NJW 1995, S. 2083 ff.; Besse, JuS 1996, S. 396 ff. - Bemerkenswert auch BFHE 179, 501: Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wegen erheblicher Zweifel an der GATT-Konformität der EG-Bananenmarktordnung; ob diese in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt angewandt werden dürfe, sei wegen Art. 234 EGV sehr fraglich. 38 So (m. w. Nachw.) EuGH, Beschluß des Präsidenten, Slg. I 1997,441 (456 f.) - Tz. 36. 39 Zuletzt zur Thematik von Danwitz, DVB11997, S. 1 ff.; Böhm, JZ 1997, S. 53 ff.; Deckert, EuR 1997, S. 203 ff.; von Bogdandy, AöR 122 (1997), S. 268 ff. 40 EuGH, Slg. I 1996, 1029; dazu Bespr. Streinz, EuZW 1996, S. 201 ff.; Meier, NVwZ 1996, S. 660 f.; Ehlers, JZ 1996, S. 776 ff.; Bröhmer, JuS 1997, S. 117 ff. 41 EuGH, Slg. I 1996, 1029 - Tz. 32 ff. 42 EuGH, Slg. I 1996, 1029 - Tz. 75 ff. 43 EuGH, Slg. I 1996, 1029 - Tz. 90. 44 EuGH, Slg. I 1996, 1029 - Tz. 87.

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sie verliehenen Rechte,,46. Daß der BGH in der nachfolgenden Entscheidung47 , die der Konkretisierung des gemeinschaftsrechtlich fundierten Haftungsanspruchs im nationalen Staatshaftungsrecht dienen sollte48 , die Vorgaben des EuGH verkannt hat, steht auf einem anderen Blatt. Der BGH führt aus, für eine Staatshaftung für sog. legislatives Unrecht biete das nationale Recht keine Anspruchsgrundlage; daher sei zu prüfen, ob sich der geltend gemachte Haftungsanspruch unmittelbar aus europäischem Gemeinschaftsrecht herleiten lasse49 (was im konkreten Fall schließlich verneint wurde). Diese Thesen kommen einer "judiziel1en Obstruktionspolitik" gleich. Der BGH ignoriert die vom EuGH angemahnte europarechtskonforme Auslegung sowohl des Amthaftungstatbestandes als auch der Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff. Das letzte Wort zur Haftung der Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht dürfte damit noch nicht gesprochen sein.

2. Relative Eindimensionalität des Gemeinschaftsrechts

a) Doppelauftrag des Verwaltungsrechts: Versucht man - unter Einbeziehung weiterer Erscheinungsformen des Europäisierungsprozesses - eine Beurteilung der skizzierten Entwicklung, benötigt man einen Beurteilungsmaßstab. Hier nun kehrt eine gewisse Ratlosigkeit ein. Ein spanischer Kollege hat unlängst geschrieben, die Europäisierung des Verwaltungsrechts erfolge "ohne Kriterien und Ziele"5o, und er monierte das "Fehlen einer Ordnungsidee und eines Systems" sowie die "Asymmetrie mit dem Verwaltungsrecht der EG-Mitgliedstaaten"51. In der Tat ist nicht zu leugnen, daß die auf eine funktionale Integration angelegte EG-Rechtsordnung52 einerseits durch eine gewisse inhaltliche Maßstabsarmut gekennzeichnet ist und andererseits zugleich aufgrund gewisser Maximalvorstellungen des EuGH in eine Konfrontation mit dem nationalen Verwaltungsrecht gebracht wird, in der die Parole - getragen vom "effet utile"-Rechtsdenken -lautet: wirksame Rechtsdurchsetzung53 • Die Verknüpfung zwischen Maßstabsarmut 45 EuGH, Slg. I 1996, 1029 - Tz. 67. 46 EuGH, Slg. I 1996, 1029 - Tz. 39. 47 Vgl. auch die Vorlageentscheidung BGH, NVwZ 1993, 601; dazu Bespr. Streinz, EuZW 1993, S. 599 ff. 48 EuGH, Slg. I 1996, 1029 - Tz. 67. 49 BGHZ 134, 30 (32 f.) =EuR 1997, S. 291 (m. Anm. Hatje). 50 Gonzalez-Varas, SächsVBI1997, S. 173 (176). 51 Gonzales-Varas, SächsVBI1997, S. 173 (177). 52 Einzelheiten zu diesem Konzept bei von Danwitz (FN 17), S. 95 ff. 53 Schmidt-Aßmann, Besprechung des Werkes von von Danwitz (FN 17), NWVBI 1997, S. 447.

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und Rechtsdurchsetzungseffektivität führt zu einer strukturellen Eigenheit, die auf das deutsche Rechtsdenken befremdlich wirken muß: relative Eindimensionalität des Gemeinschaftsrechts 54 • Diese Bewertung gewinnt man aus der Perspektive der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft unwillkürlich deshalb, weil man hierzulande von einem Doppelauftrag des Verwaltungsrechts ausgeht: Sicherung der Handlungsfähigkeit der Verwaltung und Garantie des Rechtsschutzes des Bürgers 55. Gefordert ist danach ein Ausgleich zwischen dem öffentlichen Interesse und dem Individualinteresse, nicht aber eine kategorische Durchsetzung eines der Interessen zu Lasten des anderen Interesses.

b) Methoden zur Vergemeinschaftung des Verwaltungsrechts: Überprüft man anhand dieses "binären Codes" (Handlungsfähigkeit der Verwaltung, Rechtsschutz des Bürgers) die Europäisierung des Verwaltungsrechts genauer, gelangt man zu differenzierten Einsichten. Ich möchte im folgenden - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - drei Kategorien unterscheiden: [(1.)]Innovation durch Europarecht, [(2.)]Rechtsbereinigung durch Europarecht und [(3.)]Systemveränderung durch Europarecht. (1) Innovation durch Europarecht: Das deutsche Verwaltungsrecht hat unzweifelhaft innovative Fortentwicklungen über das Europarecht erfahren 56 . In der Regel hat es sich dabei weniger um Rezeptionsanforderungen an das geltende Verwaltungsrecht als vielmehr um - von außen herangetragene - Ergänzungen der Verwaltungsrechtsordnung gehandelt. Beispielhaft zu erwähnen sind - die Umweltverträglichkeitsprufung, - das Umweltinformationsrecht, - die Liberalisierung des Telekommunikationsrechts, - die Novellierung der Femsehrichtlinie, - die Einführung des Kommunalwahlrechts für Ausländer.

54 Zu den Erscheinungsformen der relativen Eindimensionalität des EG-Rechts (strukturell, inhaltlich, kompetentiell) Schoch, JZ 1995, S. 109 (117 f.); krit. auch Jannasch, VBlBW 1996, S. 163 (168). - Die relative inhaltliche Eindimensionalität des EG-Rechts hat in den letzten Jahren in dem Maße abgenommen, in dem EG-Vertrag und EuGH-Rechtsprechung ihre "Wirtschaftszentriertheit" aufgegeben haben. Vgl. nur etwa die jüngere Rechtsprechung zu Art. 30 EGV: EuGH, Slg. I 1995, 2467; Slg. I 1995, 4663; EuGH, RIW 1998, 70; zur Thematik ferner LüdeT, EuZW 1996, S. 615 ff.; Ebenroth, in: FS Piper, 1996, S. 133 ff. 55 Schmidt-Aßmann, DVB11993, S. 924 (931); Wahl, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 53 (1994), S. 268 ff. 56 Allg. zu Innovationen im und durch Recht Hoffmann-Riem, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1997, S. 19 ff.

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Immer gab es gute Gründe für die europarechtliche Innovation, so daß durchaus von einem Modernisierungsschub für das deutsche Verwaltungsrecht gesprochen werden kann: - Die zunehmende Bedeutung des Umweltschutzes (vgl. Art. 20a GG) verlangt wenigstens eine verfahrensrechtlich induzierte Berücksichtigung von Umweltbelangen bei behördlichen Zulassungen. - Das rückständige deutsche Recht der Verwaltungsöffentlichkeit bedarf - auch und gerade unter europarechtlichen und rechtsvergleichenden Vorzeichen - dringend der Fortentwicklung. - Die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes ist sachlich geboten und mittlerweile auch verfassungsrechtlich (Art. 87f Abs. 2 LV.m. Art. 12 Abs. 1 GG) gefordert. - Die ungeschönte Erfassung des Privatrundfunks als Wirtschaftstätigkeit (und weniger als kulturelle Veranstaltung) ist der Realität geschuldet und der EMRK (Art. 10) angemessen. - Das kommunale Wahlrecht für Ausländer trägt der Einsicht Rechnung, daß die europäische Integration nicht nur wirtschaftlich (und monetär) begründet sein darf, sondern auch politisch gestützt sein sollte. Die erwähnten Beispiele sind im Besonderen Verwaltungsrecht angesiedelt und im vorliegenden Zusammenhang daher nicht unmittelbar einschlägig. Das bedeutet allerdings nicht, daß es keine Querbezüge zum Allgemeinen Verwaltungsrecht gäbe 57 , und es heißt auch nicht, daß die Ergänzung des deutschen Verwaltungsrechts immer bruchlos vonstatten gegangen wäre 58 . Wichtig ist im vorliegenden Zusammenhang, daß man im Ergebnis von einer europarechtlichen Stärkung der Rechtsstellung des Bürgers wird sprechen dürfen. (2) Rechtsbereinigung durch Europarecht: Unter Rechtsbereinigung durch Europarecht verstehe ich die system- bzw. norminterne Fortentwicklung der Verwaltungsrechtsdogmatik aufgrund europarechtlicher Impulse. Zumeist geht es in den einschlägigen Beispielen um das Aufbrechen ohnehin umstrittener Dogmen, um das Auflösen von Verkrustungen, also gleichsam um die Beseitigung eines rechtlichen Reformstaus, der vielfach durch die nationale Rechtsprechung verursacht ist.

57 Vgl. etwa zum Verhältnis zwischen Umweltverträglichkeitsprüfung und gebundenen Zulassungsentscheidungen im Verwaltungsrecht Schmidt-Aßmann, in: FS Lerche, S. 513 (523). 58 Vgl. etwa zu den Divergenzen zwischen der Umweltinformationsrichtlinie und dem Konzept des § 29 VwVfG Breuer, NVwZ 1997, S. 833 (839).

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Insoweit bietet das Allgemeine Verwaltungsrecht signifikante Beispiele: - Die Ablehnung von Verwaltungsvorschriften als tauglichem Instrumentarium zur Umsetzung von EG-Richtlinien59 vollzieht europarechtlich nur, was nach innerstaatlichem Recht ohnehin überfällig war 60 . - Der prinzipielle Ausschluß der Amtshaftung für sog. legislatives Unrecht in der Rechtsprechung des BGH61 überzeugt schon lange nicht mehr 62 ; Modernisierungseffekte des EG-Rechts 63 sind daher nur zu begrüßen. - Noch weniger einsichtig ist die Reduktion der sog. Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff auf eigentumsmäßig geschützte Rechtspositionen. Wer die mitunter fragwürdige Rechtsprechung des BGH zur Abgrenzung der Schutzbereiche von Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG 64 verfolgt, vermag kein Verständnis dafür aufzubringen, wieso z. B. irreparable Verletzungen der Berufsausübungsfreiheit mit Schadensfolgen einer Entschädigung apriori nicht zugänglich sein sollten65 . - Im Verwaltungsverfahren begegnet die restriktive Haltung der Rechtsprechung zum rechtlichen Gehör (Anhörung nur bei Eingriffsverwaltungsakten)66 seit geraumer Zeit Bedenken. Auch hier könnte das Europarecht, das der verwaltungsverfahrensrechtlichen Anhörung zunehmend einen höheren Stellenwert beimißt67 , dafür sorgen, daß rechtliches Gehör auch zu gewähren ist, wenn die behördliche Versagung einer Vergünstigung einem Eingriff gleichkommt (z. B. Kontrollerlaubnis)68. Auch diese Beispiele stehen für überfällige Stärkungen der Rechtsposition des Bürgers gegenüber der Verwaltung. Europarecht wirkt als "Impulsgeber" für methodisch unbedenkliche Fortentwicklungen der Gesetzesinterpretation und den Ausbau der Rechtsdogmatik im nationalen Verwaltungsrecht. (3) Systemveränderung durch Europarecht: Besondere Aufmerksamkeit verdienen Europäisierungsprozesse, die Systemveränderungen im Allgemeinen Verwaltungsrecht bewirken69 . Nicht selten ist mit ihnen die - zu59

Vgl. Nachw. oben FN 10.

60 Vgl. aber auch Breuer, Entwicklungen des europäischen Umweltrechts - Ziele, Wege und Irrwege, 1993, S. 9 ff.; ferner Pernice, EuR 1994, S. 325 ff. 61 BGH, NJW 1989, S. 101; BGH, DVB11993, S. 718; ebenso BayObLG, NJW 1997, S. 1514 (1515). 62 Schenke I Guttenberg, DÖV 1991, S. 945 ff. 63 Vgl. Nachw. oben FN 41. 64 Vgl. BGHZ 111, 349 =JZ 1991, S. 36 (m. Anm. Maurer); BGHZ 132, 181. 65 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 244 ff. 66 BVerwGE 66, 184 (186). 67 EuGH, Slg. I 1994, 2885 (2909 f.) - Tz. 39 ff.; EuG, Slg. 11 1995, 2844 (2856 ff.) Tz. 30 ff.; vgl. auch Bast, RIW 1992, S. 742 ff. 68 Ehlers, Jura 1996, S. 617 (619).

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mindest offene Frage - nach der Verbandskompetenz der EG und der Organkompetenz des EuGH verknüpft7°. Hier sind die Fälle der einseitigen Rechtsdurchsetzungseffektivität einzuordnen. Und hier sind auch die besonders irritierenden und juristisch nur schwer zu verarbeitenden "spillover"-Effekte der EuGH-Rechtsprechung anzusiedeln, die dadurch entstehen, daß unreflektiert punktuell in ein austariertes Gesamtsystem eingegriffen wird, in dem die Fern- und Folgewirkungen des Eingriffs kaum abschätzbar sind71 • Die Europäisierung des vorläufigen Rechtsschutzes stellt insoweit ein markantes Beispiel dar 72 , möglicherweise auch die Minimierung des Vertrauensschutzes bei der Rücknahme von Verwaltungsakten. Sieht man genauer hin, so vollzieht sich eine Vergemeinschaftung des Allgemeinen Verwaltungsrechts durch Richterrecht. Das - vom EuGH mitunter offen ausgesprochene - "Zauberwort" hierfür lautet "Kohärenz,m. Mit dem ebenso plausibel klingenden wie leicht eingängigen "Kohärenzargument" läßt sich nun allerdings fast das gesamte Verwaltungsrecht "vergemeinschaften". Daß der rechtspolitische Impetus eine tragfähige Basis im EGVertrag hat, muß jedoch vielfach bezweifelt werden 74 • Wie dem auch sei, ist der "filterlose" Zugang zum EG-Recht erst einmal geebnet, steht das nationale Verwaltungsrecht den Wertungen des EGRechts offen. Aus hiesiger Sicht findet eine Umwertung statt, soweit EGRecht und nationales Recht auf unterschiedlichen Wertungsgrundlagen beruhen75. Etliche Beispiele sind bereits genannt worden. Als weitere, besonders plastische - strukturelle - Erscheinungsform möchte ich die Instrumentalisierung des Bürgers zur Durchsetzung des EG-Rechts hervorheben76 • Die Beobachtung ist auf verschiedenen Rechtsgebieten zu machen: - Im Staatshaftungsrecht läßt sich die Francovich-Entscheidung77 vor dem Hintergrund notorisch EG-rechtswidrigen Verhaltens der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Richtlinien 78 dahingehend deuten, daß der Allg. dazu von Danwitz (FN 17), S. 334 ff. Vgl. dazu Kahl, NVwZ 1996, S. 865 ff. 71 LadeuT, EuR 1995, S. 227 (228). 72 Vgl. dazu unten III. 1. (Text zu FN 96 ff.). 73 Vgl. Nachw. oben FN 34; ausdrücklich die "Kohärenz des Systems des vorläufigen Rechtsschutzes" betonend EuGH, Slg. I 1996, 6065 - Tz. 49. 74 Am Beispiel der EuGH-Rechtsprechung zum vorläufigen Rechtsschutz Schoch, DVB11997, S. 289 (293 f.). 75 Vgl. dazu von Danwitz (FN 17), S. 374 ff. 76 Vgl. dazu auch Nachw. oben FN 11. 77 Vgl. Nachw. FN 16. 78 Die unterbliebene, nicht rechtzeitig erfolgte oder unzureichend vorgenommene Umsetzung von EG-Richtlinien in das nationale Recht (auch durch die Bundesrepu69

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Bürger zum Zwecke der Durchsetzung von Gemeinschaftsinteressen instrumentalisiert worden ist. Dahinter stand gewiß ein objektives Interesse der EG, aber man muß auch die mittelbar bewirkte Stärkung der individuellen Rechtsposition sehen 79. - Die Ableitung subjektiver Rechte aus der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien stellt eine der deutschen Schutznormlehre fremde funktionale Subjektivierung dar und bezieht von daher den Marktbürger in eine dezentral organisierte Vollzugskontrolle ein 8o • - Eine Parallele hierzu kann man (im Umweltrecht) in der europarechtlich fortentwickelten Verwaltungsöffentlichkeit sehen. Auch darin liegt eine sektorale Systemänderung durch Europarecht81 , indem die Mobilisierung der Öffentlichkeit (und ihrer Medien) zu den überkommenen parlamentarischen und gerichtlichen Kontrollen als Instrument der behördlichen Vollzugskontrolle hinzutritt 82 . Um die strukturelle Tiefenwirkung des Europäisierungsprozesses in ihrer gesamten Dimension erfassen zu können, muß man freilich über die Umwertungsprozesse noch einen Schritt hinausgehen und die strukturellen Verschiebungen in mehrseitigen Rechtsschutzkonstellationen analysieren. Spätestens hier erweist sich, daß der vertraute Doppelauftrag des deutschen Verwaltungsrechts 83 als Erklärungsmuster und Beurteilungskriterium unzureichend wird. Das Beispiel der Rücknahme von Subventionsbescheiden unter dem Einfluß des EG-Rechts belegt nicht nur die Instrumentalisierung des ehemals Begünstigten als "Maßregelung" gegenüber den Art. 93 EGV notorisch mißachtenden Mitgliedstaaten; die Versagung des Vertrauensschutzes zu Lasten des Begünstigten dient außerdem der Sicherung der europäischen Wettbewerbsordnung84 . Dadurch sollen letztlich Dritte (wirtschaftliche Konkurrenten des Begünstigten) geschützt werden 85 • Das Dilemma ist perfekt: Bildlich gesehen haben wir es nicht nur mit einem auf dem Kopf stehenden Dreieck zu tun, an dem neben dem Subventionsbegünstigten und der EG auch der Mitgliedstaat beteiligt ist - so daß § 50 VwVfG

bUk Deutschland) ist geradezu Legion; vgl. aus jüngerer Zeit etwa EuGH, SIg. I 1997, 1653; SIg. I 1996, 2423. 79 Ladeur, EuR 1995, S. 227 (230 f.). 80 Ruffert, DVBI1998, S. 69 (71). 81 Erichsen, NVwZ 1992, S. 409 (418 f.). 82 Schmidt-Aßmann, in: FS Lerche, S. 513 (525). 83 Vgl. oben Text zu FN 55. 84 Classen, in: Kreuzer / Scheuing / Sieber (FN 17), S. 107 (111). 85 Rodriguez Iglesias, EuGRZ 1997, S. 289 (293 f.): Der ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteil, der ja gerade aufgrund der gemeinschaftsrechtlichen Regeln zu beseitigen sei, dürfe durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes bei zu Unrecht gezahlten nationalen Beihilfen nicht geschützt werden. 10'

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schon nach dieser Konstellation die Vertrauensschutzproblematik nicht zu lösen vermag 86 -, sondern es entsteht ein Vieleck, das auch noch weitere Marktteilnehmer erfaßt. Gleichwohl bleibt die Frage, ob die vom EuGH gefundene Lösung ausschließlich zu Lasten des ehemals Begünstigten der Problemlage angemessen ist. Doch auf diese inhaltliche Frage ist im Rahmen meiner Strukturüberlegungen nicht einzugehen.

111. Anforderungen an die Verwaltungsrechtswissenschaft Vielmehr sollen abschließend - dem Rahmenthema unserer Veranstaltung gemäß - einige Gedanken zu den Anforderungen an die Verwaltungsrechtswissenschaft in dem skizzierten Europäisierungsprozeß angestellt werden. Daß die Bedeutung der Rechtswissenschaft den Rang einer Rechtsquelle erreichen kann, zeigt Art. 38 IGH-Statut. Danach werden die Lehren der anerkanntesten Autoren der verschiedenen Völker als Hilfsmittel zur Feststellung der Völkerrechtsnormen eingestuft. Nun wollen wir so vermessen nicht sein, um vom Olymp des Völkerrechts auch nur zu träumen. Angezeigt ist allerdings eine Überwindung der "Sprachlosigkeit", die zwischen Europarecht und nationalem Verwaltungsrecht allzu lange bestand. Dazu ist auf vielen Seiten Änderungsbedarf vonnöten. Europarechtler müssen den Eigenwert des nationalen Verwaltungsrechts zur Kenntnis nehmen; die deutsche Verwaltungsrechtswissenschaft muß sich dem Europarecht noch stärker öffnen, als dies in den letzten Jahren geschehen ist. Voraussetzungslos ist dies alles nicht. Drei Prämissen seien wenigstens kurz angesprochen.

1. Systematische Erfassung der Europäisierung des Verwaltungsrechts

"Rechtswissenschaft zumindest ist systematisch oder sie ist nicht"87. Dieser bekannte Satz Hans Julius Wolffs gilt auch und gerade in unserem Zusammenhang8s . Ohne systematisches Denken können die Einzelentwicklungen des Europäisierungsprozesses, die in Rechtspolitik und Rechtsprechung ja nicht immer in dem notwendigen Maß reflektiert werden, nicht erfaßt, können die zentrifugalen Kräfte nicht beherrscht werden. Größere Zusammenhänge würden nicht erkannt, eine Entwicklungsperspektive könnte nicht geboten werden. Purer Pragmatismus herrschte vor. Dem sind die 86 Für analoge Anwendung des § 50 VwVfG Polley, EuZW 1996, S. 300 (304); zur Heranziehung des in § 50 VwVfG verankerten Rechtsgedankens Classen, in: Kreuzer /Scheuing/Sieber (FN 17), S. 107 (111). 87 Hans J. Wolf!, Studium Generale 1952, S. 195 (205). 88 Nachdrücklich Schmidt-Aßmann, in: FS Winkler, 1997, S. 995 ff.

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dogmatische Kraft wissenschaftlichen Denkens und die systembildende Aufgabe der Verwaltungsrechtswissenschaft entgegenzusetzen. Nur so ist es möglich, die hochgradigen Vernetzungen zu erkennen, in denen der Europäisierungsprozeß abläuft. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen: - Wer die Europäisierung des subjektiven öffentlichen Rechts analysiert 89 , darf hierbei nicht stehen bleiben, sondern muß - angesichts der europarechtlich bewirkten Ausweitung subjektiver Berechtigungen 90 - die Folgen für die verwaltungsprozessuale Klagebefugnis ebenfalls untersuchen. Zeigt sich insoweit, daß der Europäisierung über eine erweiternde Auslegung des § 42 Abs. 2 VwGO Rechnung getragen werden kann 91, ist die Systemanalyse noch nicht abgeschlossen. Denn nun ist zu gewärtigen, daß der über das subjektive Recht initiierte "Europäisierungsschub" von denjenigen EG-Mitgliedstaaten einigermaßen zu "verkraften" ist, die aus spezifischen Gründen ihres Gewaltenteilungssystems nur eine geringe verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte gegenüber der Verwaltung kennen 92 . Aber wie stellt sich das auf der Grundlage von Art. 19 Abs. 4 GG, §§ 113, 114 VwGO entwickelte deutsche System zur gerichtlichen Kontrolldichte 93 auf den Zuwachs an europarechtlich induzierten Klagemöglichkeiten ein 94? Die Konsequenzen eines erweiterten Zugangs zum gerichtlichen Rechtsschutz bei umfassenden richterlichen Kontrollkompetenzen können in Deutschland am Beispiel des § 47 VwGO a. F. studiert werden 95 . Auch insoweit geht es mir nicht um eine inhaltliche Bewertung.

Vgl. Nachw. oben FN 1l. Einzelheiten dazu (in rechtsvergleichender Perspektive) bei Classen (FN 15), S. 82 ff.; vgl. auch Burgi (FN 15), S. 51 ff. 91 Vgl. i. e. zu der Problematik Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO, Vorb. § 42 Abs. 2 Rdnr. 127 f.; Ruthig, BayVB11997, S. 289 ff.; Ruffert, DVB11998, S. 69 (74). 92 Dazu Classen (FN 15), S. 141 ff., 175 ff.; ferner Brenner, Die Verwaltung 31 (1998), S. 1 (23 ff.). 93 Vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO, Einl. Rdnr. 181 ff. 94 Die im Text aufgezeigten Vernetzungen sind nicht erkannt von Classen, in: Kreuzer / Scheuing/ Sieber (FN 17), S. 107 (129), der infolgedessen meint, es "ist z. B. kein Grund zu erkennen, warum die ... deutschen Regeln über die verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte aus Gründen einer europäischen Harmonisierung aufgegeben werden sollten". - Dem ist nicht nur mit Hinweis auf die Ausweitung subjektiver öffentlicher Rechte zu begegnen, die über die Klagebefugnis auf die gerichtliche Kontrolldichte "durchschlagen", was allein schon Grund zum Nachdenken ist. Hinzu kommt in Deutschland das Konzept der materiellen Verwaltungskontrolle, dem andernorts das Konzept einer stärkeren Verfahrenskontrolle gegenübersteht (vgl. dazu auch unten Text zu FN 113, 114). Führt man beide Entwicklungslinien zusammen, könnte man unter dem Eindruck der Europäisierung des Verwaltungsrechts(schutzes) beinahe schon die "System"-Frage stellen. Gleichsam auf der ganzen Linie zeigt sich: vernetztes Denken ist angesagt! 89 90

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Wir müssen allerdings sehen, daß eine Ausweitung subjektiver Rechte Konsequenzen zeitigt bis hin zur verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte. - Das zweite Beispiel bezieht sich auf den Entscheidungsmaßstab beim verwaltungsgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutz. Insoweit hat der EuGH sein Entscheidungsprogramm gern. Art. 185, 186 EGV mit dem "Kohärenz"-Argument den nationalen Gerichten für die Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO (§ 69 Abs. 3 FGO) und § 123 VwGO (§ 114 FGO) dekretiert 96 . Untersucht man die These von der Rechtsvereinheitlichung systematisch, zeigt sich, daß der EuGH in Wahrheit eine Atomisierung des Entscheidungsprogramms im vorläufigen Rechtsschutz bewirkt hat 97 . Denn es bleibt bei den "normalen" Entscheidungskriterien, wenn ein Sachverhalt keinen EG-Rechtsbezug aufweist oder das sekundäre Gemeinschaftsrecht, auf dem der Einzelakt beruht, keinem Gültigkeitszweifel unterliegt. Schon vor diesem Hintergrund deutet sich ein "gespaltenes" Prüfprogramm in den gerichtlichen Eilentscheidungen an. Die Uneinheitlichkeit der Kontrollrnaßstäbe nimmt zu, wenn man den behördlichen vorläufigen Rechtsschutz (§ 80 Abs. 4 VwGO, § 361 AO) mit einbezieht und auch noch das positivierte Entscheidungsprogramm im Zollkodex für den vorläufigen Rechtsschutz (Art. 244 Abs. 2 ZK) berücksichtigt. In dem zuletzt genannten Bereich läßt sich eine Harmonisierung sogar innerhalb des EG-Rechts in der Sache nur erzielen, wenn man den EuGH darin ermuntert, seinen kompetenzwidrig eingeschlagenen Weg weiter zu gehen und Art. 244 Abs. 2 ZK gegen den klaren Wortlaut mit Vorgaben aus Art. 185 EGV "anzureichern"98. Die beiden Beispiele sollen zeigen, daß sich die Verwaltungsrechtswissenschaft nicht damit begnügen darf, die "guten" oder "schlechten" Gründe des EuGH für die von ihm im konkreten Fall betriebene Rechtsfortbildung zu analysieren. Dem wissenschaftlichen Auftrag wird man nur gerecht, wenn der größere Bezugsrahmen hergestellt wird, in dem die Lösung eines Einzelproblems erfolgt. Ohne systematisches Denken kann es ein "europäisiertes" Verwaltungsrecht, das seine Stabilisierungsfunktion wenigstens in einem Mindestmaß erfüllt, nicht geben 99 .

95 Dazu Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO, § 47 Rdnr. 39 H. 96 Vgl. Nachw. oben FN 34 und FN 7"3. 97 Zum folgenden genauer Schach, DVBl1997, S. 289 (296). 98 In diesem Sinne Ehlersl Pünder, EuR 1997, S. 74 H. 99 Schmidt-Aßmann, in: FS Winkler, S. 995 (1000).

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2. Europarechtskonforme Auslegung

Dort, wo das nationale Verwaltungsrecht Rezeptionsleistungen zu erbringen vermag, muß die europarechtskonjorme Auslegung zum selbstverständlichen Element im Kanon der Auslegu~gsmethoden werden 1OO • Dies ist ein schonender Weg, um Kohärenz zwischen den Teil-Rechtsmassen herzustellen 101 . Auch dazu gibt es anschauliche Beispiele: - Das "öffentliche Interesse" für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) läßt sich auch als Gemeinschaftsrechtsinteresse begreifen 102. - Die Rezeption von richtlinienförmig statuierten gemeinschaftsrechtlichen Individualrechtspositionen hat in den Kategorien des deutschen Verwaltungsrechts in der Rechtsfigur des subjektiven öffentlichen Rechts zu erfolgen 103 . - Die Auslegungsspielräume, die das ohnehin richterrechtlich geprägte Staatshaftungsrecht beläßt, sind europarechtskonform zu nutzen. Hierhin gehören die erwähnten Problemlagen der Haftung für sog. legislatives Unrecht 104 sowie der überfälligen Ablösung des sog. Sekundärrechtsschutzes im Entschädigungsrecht nur für bestimmte Rechtsgüter105 • Um methodisch korrekt zu bleiben, müssen freilich auch die Grenzen der europarechtskonformen Auslegung offen gelegt werden. Unüberbrückbare Wertungswidersprüche zwischen den Teil-Rechtsmassen sind darzustellen und nicht etwa - durch vermeintliche Interpretation - zu verdecken. Das kann dazu führen, daß neben dem Anwendungsvorrang106 auch der Geltungsvorrang 107 des EG-Rechts auf den Plan tritt. Dann muß die Rechtswirksamkeit einschlägiger Normen des nationalen Verwaltungsrechts diskutiert werden. Ein Beispiel hierfür könnte die Rücknahmefrist gem. § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG sein 108 . 100 Seit langem anerkannt ist die richtlinienkonforme Auslegung des nationa~~n Rechts; dazu Di Fabio, NJW 1990, S. 947 ff.; Jarass, EuR 1991, S. 211 ff.; Ress, DOV 1994, S. 489 ff.; monographisch Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 1994. 101 Jarass, DVBl1995, S. 954 (957 f.); Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union, 1996, S. 92 f. 102 Schoch, in: ders.lSchmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO, § 80 Rdnr. 157. 103 Ruffert, DVBl1998, S. 69 (74). 104 Vgl. Nachw. oben FN 41, 61, 62. 105 Vgl. Nachw. oben FN 43, 64, 65. 106 Instruktiv hierzu Jarass, DVBl1995, S. 954 (958 ff.). 107 Ausführlich zu den Facetten beim Vorrang des EG-Rechts gegenüber dem nationalen Recht von Danwitz (FN 17), S. 109 ff. 108 Classen, JZ 1997, S. 724 (726) erachtet § 48 Abs. 4 VwVfG für gemeinschaftsrechtswidrig.

152

Friedrich Schoch 3. Rechtsvergleichung

Unter den hier zu erwähnenden Herausforderungen an die Verwaltungsrechtswissenschaft verdient ein dritter Punkt der Hervorhebung, nämlich die Rechtsvergleichung109 • Ihr Stellenwert im Öffentlichen Recht muß erheblich gesteigert werden llO . Dabei versteht sich, daß Rechtsvergleichung - schon aufgrund nicht zu leugnender sprachlicher Barrieren, aber auch wegen der nicht zu unterschätzenden Anforderungen bei der Kenntnis fremder Rechtsordnungen - substantiell nur in Form einer echten Gemeinschaftsleistung von Rechtswissenschaftlern bewerkstelligt werden kann. In der Sache geht es neben dem Rechtsvergleich der nationalen Verwaltungsrechtsordnungen vor allem auch um die Einbeziehung des EG-Eigenverwaltungsrechts. Wenn es zutreffen sollte, daß der EuGH Grundfragen des Verwaltungsrechts unter Berücksichtigung der in Gesetzgebung, Lehre und Rechtsprechung der Mitgliedstaaten anerkannten Regeln entscheidet ll 1, finden wir - bei allen Unterschieden in den einzelnen Rechtsordnungen gewissermaßen einen "Speicher" an Wertannahmen, Dogmen und Entscheidungsstrukturen, den es zu nutzen gilt. Die konkrete Umsetzung des Rechtsvergleichs bei der Auslegung und Anwendung des nationalen Verwaltungsrechts bleibt gleichwohl heikel. Die Stichworte "Konkretisierungsproblem" und "Legitimationsproblem" markieren offene Fragen und zeigen einen nicht unerheblichen Forschungsbedarf an 1l2 . Rechtsvergleichende Faktoren können am ehesten wohl als teleologische Auslegungselemente verarbeitet werden. Nicht minder bedeutsam erscheint mir der Rechtsvergleich für die Rechtspolitik zu sein; Fehlentwicklungen im nationalen Verwaltungsrecht kann möglicherweise frühzeitig gegengesteuert werden, und spätere Kompatibiliätsprobleme lassen sich womöglich vermeiden. Um ein Beispiel zu geben: Eine unter Umständen verhängnisvolle Introvertiertheit des deutschen Verwaltungsrechts zeigt sich aktuell an der Gesetzgebung zur Demontage der praktischen Bedeutung von Verwaltungsverfahrensrecht 1l3 . Keineswegs überraschend werden 109 Zu ihrer Bedeutung bei der Europäisierung des Verwaltungsrechts auch Gonzales-Varas, SächsVB11997, S. 173 (178 f.). 110 Allg. Starck, JZ 1997, S. 1021 ff. 111 In diesem Sinne frühzeitig EuGH, Slg. 1957, 83 (118). - Erwähnenswert in diesem Zusammenhang auch Art. 215 Abs. 2 EGV zur außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft "nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind"; ferner Art. F Abs. 2 EUV zur Beachtung der Grundrechte, wie sie in der EMRK "gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben". 112 Vgl. Le. Schmidt-Aßmann, in: FS Lerche, S. 513 (517 ff.). 113 Vgl. dazu Bonk, NVwZ 1997, S. 320 ff.; Hat je, DÖV 1997, S. 477 ff.; BracheT, DVB11997, S. 534 ff.

Die Europäisierung des Allgemeinen Verwaltungsrechts

153

neuerdings - mit Blick auf die Funktionen des Verfahrensrechts in der französischen Rechtsordnung sowie in der Rechtsprechung des EuGH - Zweifel daran geäußert, ob das neue Fehlerfolgenregime des deutschen Verwaltungsrechts (§§ 45, 46 VwVfG, auch § 114 Satz 2 VwGO) mit dem europäischen Recht konform geht 114 .

IV. Perspektiven des Europäisierungsprozesses Die "Wissenschaft vom Verwaltungsrecht" als "Aufgabe der Systembildung" kann gewiß als Credo von Eberhard Schmidt-Aßmann bezeichnet werden 115 . Doch damit hat es nicht sein Bewenden. Unnachgiebig fordert er zudem ein, daß Perspektiven geboten werden, die ebenfalls systematisch zu entfalten sind. Letzteres kann hier nicht mehr geleistet werden. Gestattet seien aber wenigstens zwei abschließende Bemerkungen zu Chancen und Weiterungen des Europäisierungsprozesses sowie zur künftigen Kanalisierung der Entwicklung. Zum ersten Punkt versteht sich, daß die Europäisierung des Verwaltungsrechts von jeder einzelstaatlichen Rechtsordnung einen Preis verlangt. Dabei müssen wir sehen, daß manches, was uns in Deutschland als Abbau von Standards erscheint, beispielsweise in Frankreich oder Großbritannien als Ausbau der Verwaltungsrechtsordnung anzusehen ist; ich verweise hierzu auf den gerichtlichen Rechtsschutz 116 und auf das Staatshaftungsrecht 117 . Sodann sollten wir die Chance erkennen, daß uns der Europäisierungsprozeß in Deutschland die Möglichkeit zur Überprüfung einiger Grundannahmen unserer Verwaltungsrechtsdogmatik bietet; als Stichworte hierfür nenne ich das Begriffspaar "unbestimmter Rechtsbegriff - Ermessen" sowie die Ausdifferenzierung unseres vorläufigen Rechtsschutzes. Hinzuweisen ist aber auch auf die aufgrund des Europäisierungsprozesses notwendig werdende Folgenbetrachtung im nationalen Verwaltungsrecht 118 . Faktisch werden auch diejenigen Bereiche von der Europäisierung erfaßt, in denen es nicht um den Vollzug von EG-Recht geht. Gerade die allgemeinen Lehren des Verwaltungsrechts werden sich auf Dauer "nicht getrennt für den mit114 Classen, Die Verwaltung 31 (1998), S. 307 (329 f.); Kokott, Die Verwaltung 31 (1998), S. 335 (367 f.). 115 Vgl. zuletzt Schmidt-Aßmann, in: FS Winkler, S. 995. 116 Einzelheiten bei Schwarze, EuR 1997, S. 419 (429); Classen, in: Kreuzer / Scheuing/Sieber (FN 17), S. 107 (114 f.); spez.~ell zu Frankreich Schwarze, NVwZ 1996, S. 22 ff.; speziell zu England Schwarze, DOV 1996, S. 771 ff. 117 Die in FN 40 nachgewiesene Entscheidung des EuGH zur Haftung der EG-Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht betraf neben Deutschland auch Großbritannien. 118 Dazu bereits Schoch, JZ 1995, S. 109 (116 f.).

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Friedrich Schoch

telbaren Vollzug von Gemeinschaftsrecht und die sonstigen VeIWaltungsvorgänge formulieren lassen" 119. Man stelle sich nur etwa das Gefälle beim Vertrauensschutz im Rahmen des § 48 VwVfG oder die Divergenzen bei der Staatshaftung vor. Haben wir also neben der normativ geleiteten Rezeption europarechtlicher Einwirkungen auch eine weiterreichende faktische Europäisierung des VeIWaltungsrechts zu gewärtigen, stellt sich am Ende die Frage nach einer umfassenden Kanalisierung der Entwicklungsprozesse. Dazu wird neuerdings verstärkt der Vorschlag einer Kodifikation allgemeiner veIWaltungsrechtlicher Regeln auf Gemeinschaftsebene diskutiert 12o . Diese Perspektive veIWeist die Wissenschaft nicht auf ein Nachzeichnen, Analysieren und Kritisieren des Europäisierungsprozesses im VeIWaltungsrecht, sondern traut ihr auch eine gestaltende Kraft zu. Die Idee der Kodifikation kommt freilich einem "Jahrhundertauftrag" gleich. Die Bemühungen bei der Schaffung des VwVfG oder eines Umweltgesetzbuches nehmen sich daneben vergleichsweise bescheiden aus. Doch da wir dem Ende und dem Beginn eines Jahrhunderts gleichermaßen entgegensehen, sollten wir vielleicht wirklich nicht allzu bescheiden sein. Der angesprochene Kodifikationsgedanke könnte so zu einer Wissenschaft vom VeIWaltungsrecht beitragen, die wahrhaft europäisch wäre und die den "alten Kontinent" in eine Zukunft begleitete, die ihre Lehren aus dem zu Ende gehenden 20. Jahrhundert zieht.

Schmidt-Aßmann, in: FS Lerche, S. 513 (515). Schwarze (FN 17), S. 789 (834 ff.); ders., DVBI 1996, S. 881 (886 ff.); ders. (FN 18), EuR 1997, S. 419 (430 f.); skeptisch demgegenüber Sommermann, DVBI 1996, S. 889 (896 ff.); Classen, in: Kreuzer/Scheuing/Sieber (FN 17), S. 107 (129). 119 120

Rechtsvergleichende Perspektiven der Verwaltungsrechtswissenschaft Von Irena Lipowicz, Warschau/Kattowitz

I.

Nach der Vorhersage von Rudolf Jhering 1 sollte die "echte" Rechtsvergleichung die juristische Methode der Zukunft sein. Diese Zukunft erleben wir immer noch nicht, trotz aller Fortschritte der Rechtsvergleichung. Rene Dawid betonte in seinen Untersuchungen in einer Zeit, in der die Rechtsordnungen noch wirklich getrennt waren: "Die Isolation ist für die Rechtswissenschaft wie für jede Wissenschaft immer ein Fehler gewesen. Sie wird zur Absurdität und zu einer tatsächlichen Unmöglichkeit in einer Welt, in der Entfernungen keine Rolle mehr spielen und die Grenzen weitgehend ihren Sinn verloren haben"2. Wenn man bedenkt, daß diese Aussagen aus Zeiten stammten, in denen dogmatisch getrennte "Rechtsfamilien" - wie man damals sagte - eine Realität waren und die praktische Rechtsvergleichung nur selten in einzelnen Rechtsgebieten vorkam, klingt sie erst richtig modern. Was wir der Lektüre von Rene David zu verdanken haben, ist eine historische Perspektive. Präzise zeigte er, daß die Trennung der Rechtsordnungen eigentlich erst im 19. Jahrhundert zustande kam. Zuvor war die Tendenz der Lehre und eine der wichtigsten Aufgaben der Universitäten eine andere. Der Autor zeigte, wie man zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als man noch glaubte, durch Zivilgesetzbücher "die Vernunft perfektioniert zu haben", allmählich die Tradition der Universitäten aus den Augen verlor, die darin bestand "zur Suche nach einem gerechten Recht anzuleiten" und ein Modellrecht zu entwerfen, statt nur das Recht eines einzigen Landes zu erläutern. Die These, daß die Suche nach dem Recht und die Auslegung der Gesetze dasselbe sei, war danach eine illusion mit gravierenden Folgen. Statt wie Zaccharia (1827) ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu betonen ("mindestens 1 Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Bd. 1, 1924, S. 23. 2 David / Grassmann, Einführung in die großen Rechtssysteme der Gegenwart, 1961, S. 161 f.

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Irena Lipowicz

unter europäischen Juristen") das nach seiner Überzeugung von keinen politischen Auseinandersetzungen erschüttert werden sollte (!), ging man zurück zu den nationalen Rechtsordnungen. "Das Recht ist für die Juristen fortan ihr nationales Recht geworden"3. Die Direktive von Marquis de Plombal aus dem Jahre 1772 für die Universität Coimbra, wonach das Recht nicht in den Einzelvorschriften des römischen Rechts, sondern in den Rechtsgrundsätzen, die den zivilisierten Nationen gemeinsam sind, zu suchen sei, wurde für Jahrzehnte vergessen. Das Recht wurde zu dem, was der nationale Machthaber verordnet hat. Wenn wir diese rechtsvergleichende Perspektive annehmen, ist die Epoche des Rechtspositivismus und der Separation nationaler Rechtsordnungen eher als eine "Krisenzeit" zu betrachten, eine Zeit, in der vor allem solche Länder wie Frankreich und Deutschland wegen der Bedeutung ihrer Lehre und Rechtsprechung "glauben machen wollten, sie würden sich selbst genügen". Bis jetzt hat man freilich die Kodifikationsepoche ausschließlich als einen Fortschritt in der Rechtsgeschichte dargestellt. In dieser Epoche hat man zwar die fremden Rechtsordnungen studiert, aber eher in der Weise, wie man exotische Reisen unternahm. Die Ergebnisse waren interessant, manchmal lustig, manchmal anregend, aber die Rechtsvergleichung war eher eine Randerscheinung. Die Ausnahmen, wie große völkerrechtliche Verträge oder das Recht der Meere, bestätigten die Regel. Interesse für fremde Rechtsordnungen war eine Sache für Kenner, die sich für polnisches oder slowenisches Recht interessierten. Der große Erfolg der Kodifikationsidee, die Fälle einer weitgehenden Rezeption der fremden Rechtssysteme in Japan, Indien und Griechenland stärkten in dieser Zeit das Gefühl, man brauche wenig Rechtsvergleichung, aber mehr Rezeption.

ß. Die Lage Polens war indes eine andere. Erstens suchte man in der Epoche der Teilungen unter dem Einfluß der eigenen Tradition die eigene Identität über 100 Jahre in drei Staatsordnungen und Rechtssystemen in "bessere" politische Perioden zu retten. Zweitens gab es nach 1918 keine nationalistisch-revolutionäre Beseitigung der fremden Rechtsordnungen. Umgekehrt: Die letzten Vorschriften, die nur vorsichtig und allmählich beseitigt wurden, gab es bis 1947 - vereinzelt bis 1961 4 • Erst in den Dreißiger Jahren - zwischen den Kriegen - kamen die großen Kodifikationen. Die RechtsverEbd., S. 66 f. Vgl. Gesetz von 2.08.1926 ,,0 prawie wlasciwym dIa stosunk6w prywatnych wewnetrznych." Näher dartiber Tokarczyk, Komparatystyka prawnicza, 1997, S. 212. 3

4

Rechtsvergleichende Perspektiven der VeIWaltungsrechtswissenschaft

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gleichung und -vereinheitlichung wurden so zur Aufgabe der innerstaatlichen Ordnung. Die Zusammensetzung der Rechtsordnung ist für unsere Erwägungen besonders interessant. In Polen galt russisches, preußisches, österreichisches und ungarisches Recht, dazu der Code Civil, in napoleonischer Zeit rezipiert. Als Gesetz über interregionales Recht war das Kollisionsrecht - "Prawo miedzydzielnicowe" - eingeführt worden. Polen machte auch eine andere Erfahrung, die aktuelle Bezüge hat. Solange die Richter sich der polnischen Tradition verbunden fühlten, war es eine verborgene, alles andere als offizielle Politik, die Rechtsidentität und Rechtsunterschiede zu pflegen. Oft war eine tatsächliche Ablehnung bei äußerer Anpassung sichtbar. Auch heute, unter ganz anderen Bedingungen, ist die für die EU wesentliche Gesetzgebung auf die Akzeptanz der Richter angewiesen. Sonst kann es bei der hochentwickelten und selbstbewussten Rechtskultur vieler Länder zu einer Ablehnung bei äußerer Anpassung kommen. Das Niveau der Akzeptanz bei den Normadressaten in der EU scheint insoweit nicht besonders hoch zu sein5 .

m. Erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und noch stärker im 20. Jahrhundert begann man den Wert des rechtsvergleichenden Studiums zu betonen. Nicht nur der Begriff der Rechtsvergleichung wurde geprägt, sondern auch die Rechtsinstitute wurden gegründet. Die Rechtsvergleichung wurde jahrelang in einer zwar geschätzten und allgemein anerkannten, aber doch eher geschlossenen Gesellschaft betrieben. Die Freude, die man noch in den 1960er Jahren ausdrückte, daß überhaupt internationale Kolloquien und Kongresse in diesem Bereich veranstaltet wurden, zeigte den langen Weg, der noch zurückzulegen war. In den 1960er und 1970er Jahren hat man dann sorgfältig die Grundlagen für die Entwicklung der Rechtsvergleichung vorbereitet. Dank der Karriere der Soziologie des Rechts und der öffentlichen Verwaltung 6 sowie auch der politischen Wissenschaften konnte man viel besser als früher die Einflüsse verschiedener Kulturen und der Geschichte des Landes auf die Rechtsinstitutionen beurteilen und beschreiben. Auch die methodologischen Fragen wurden gründlich erforscht 7 • 5 Harris, Rola Parlamentu Europejskiego w procesie rozszerzenia Unii Europejskiej. [Die Rolle des Europäischen Parlaments im Prozess der EIWeiterung der Europäischen Union], Studia Europejskie, 1/97, S. 37 f. 6 Mayntz, Soziologie der öffentlicher VeIWaltung, 1978. 7 Ancel, Znaczenie i Metody prawa porownawczego [Bedeutung und Methoden der Rechtsvergleichung], 1979.

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Irena Lipowicz

Die stürmische Entwicklung des Europäischen Rechts als Aquis Communitaire, mit eigenem Verfahren, Rechtsprechung und der Frage nach einer Europäischen VerfassungS überholte weit die Erwartungen und Prognosen der Klassiker der Rechtsvergleichung. Es ist nicht die Aufgabe dieses Referats, an die für dieses Gebiet spezifischen Fragen zu erinnern. Zwar gibt es bedeutende "europarechtsfreie" Gebiete wie z. B. das Kommunalrecht, aber die Perspektive der Entwicklung ist klar. Was ist also heute das "vergleichende Recht" - comparative law -, eine Disziplin, die sich schon seit 100 Jahren entwickelt, aber die ersten 50 Jahre ungeachtet der Veröffentlichung großer Studien keine gemeinsame Definition erarbeiten konnte? Ist die Suche nach einer gemeinsamen Gesetzgebung das heutige Ziel? Oder ist es die Suche nach gemeinsamen Rechtsbegriffen, wie Ernst Rabel 9 meinte? Die nüchterne Feststellung lautet: Es ist einfach eine rechtsvergleichende Methode, die neue Impulse mit sich bringt, typisch und unentbehrlich für jede Rechtsdisziplin; für das Staatsrecht, das Verwaltungsrecht ebenso wie für das Strafrecht. Eröffnete früher - in den 1960er Jahren - die Rechtsvergleichung neue Perspektiven, so hat heute - paradoxerweise - in Europa die politische Rechtsvereinheitlichung die Rechtsvergleichung überholt. Die vorsichtige Annäherung der Rechtssysteme, auf Jahrzehnte gerechnet, ist plötzlich für Europa in großen Teilen nicht mehr aktuell 1o . Die Integration ist Wirklichkeit geworden. Die These ist freilich, daß eine Erneuerung in der Situation der mangelhaften demokratischen Legitimation der Union durch eine neue Rolle der Universitäten kommen müßte. Sonst werden wir uns bald in der Lage befinden, wo "die Suche nach dem gemeinsamen Recht" der Rechtsprechung vollständig überlassen ist. Das mag als Ergebnis zwar eine stürmische Entwicklung der Rechtsvereinheitlichung mit sich bringen und schließt nicht die Verbesserung der Qualität aus, aber "Ordnungsidee und System" wie Eberhard Schmidt-Aßmann ll das ausdrückt, werden dabei verloren gehen. Nur "ein Denken in Grundlinien ... ermöglicht es, die Institute unserer Rechtsordnung in den größeren Zusammenhängen der gesellschaftlichen und staatlichen Entwicklung zu sehen und nach Ausgleichs- und Ersatzmitteln ... dort suchen zu können, wo überkommene Entscheidungszüge ihren Aufgaben nicht mehr gerecht werden". Die größeren Zusammenhänge werden in internationaler Perspektive noch besser sichtbar - aber dazu ist tatsächlich die Feststellung der "Grundlinien" notwendig. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, 1995, S. 5 ff. Rabel, Louisiana Law Review, 1950, S. 1 ff. 10 Rowat, Public Administration in Developed Democracies. A Comparative Study, 1988, S. 7 ff.; vgl. Holt/Turner (Hrsg.), The methodology of comparatists research, 1970. 11 Schmidt-Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee und System, 1982, S. 8 ff., 67. 8 9

Rechtsvergleichende Perspektiven der Verwaltungsrechtswissenschaft

159

Die Lehre kann sich also weiter entwickeln, aber die Richtung und das Ziel werden noch nicht ganz klar12 .

IV.

Es ist durchaus eine große Herausforderung, die Rechtsvergleichung in der heutigen Welt zu betreiben, da sich die Dinge grundlegend geändert haben. Erstens wird die wirkungsmächtige Überzeugung vom höheren Wert der zwei großen Rechtssysteme der Gegenwart, des römisch-germanischen und des common-Iaw Systems zunehmend in Frage gestellt. Als spektakuläres Beispiel kann die Debatte über den universelleri Charakter der Menschenrechte und über die "asiatischen Werte" angesehen werden. Immer öfter werden auch die Elemente anderer Rechtssysteme ("Rechtsfamilien ") implementiert. Die Universalität der Menschenrechte mußte von der UNO erst erkämpft werden. Die neuen Länder der GUS übernehmen etwa Elemente des moslemischen Rechtssystems, auch das schafft eine ganz neue Situation. Der Vorrang der zwei großen Rechtssysteme ist also nicht mehr selbstverständlich. Zweitens ist eine "Rechtsfamilie" , die des sozialistischen Rechts, praktisch verschwunden. Als "Waisen" dieser Familie, die bekanntlich nicht freiwillig entstanden ist, verstehen wir in Polen am besten, daß dies kein spurloses Verschwinden ist. Bis heute hat man in Polen schon über 300 Gesetze geändert; gleichwohl gibt es noch immer viele Elemente des alten Rechtssystems sowohl in den Strukturen, im Verfahren wie auch im materiellen Recht. In den Ländern, in denen - anders als in Deutschland - keine vollständige Rezeption des "Westrechts" möglich war, in denen man auch die Beamten und Richter nicht ersetzen konnte, hat das gravierende Konsequenzen. Diese "Überreste" des sozialistischen Rechts müssen auch in der Forschung berücksichtigt werden 13.

v. Man kann zwar behaupten, daß die gemeinsamen Grundlagen des Rechts ausreichend sind, und daß deren weitere Entwicklung nur eine Frage der Zeit ist. Unklar sind aber die Folgen der Globalisierung. Bis jetzt war die 12 Sokolewicz, Obywatelstwo a narodowosc. Uwagi w zwiazku z ustanowieniem obywatelstwa Unii Europejskiej, Studia Europejskie, 1/97, S. 14 f. 13 Stanczyk, Zmiany systemowe w postsocjalistycznych panstwach Europy Srodkowej i Wschodniej. Studia Europejskie 3/1997, S. 27 f.; Krzysztofek, Kultura i integracja Europejska. Implikacje dla Polski. Studia Europejskie 3/1997, S. 11.

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Berührung der Systeme umfassend (die Rezeption oder eine andere Form der Überordnung Europas) oder punktuell. Wie wird aber der Einfluß sehr alter Auffassungen Chinas oder Japans in der Zukunft aussehen? Eines Systems, wo die Klassiker - wie Chu-Chong - sagten: "Die Gesetze können zwar einer guten Regierung nützlich sein" und weiter: "aber sie sind nicht der wesentliche Faktor für die Herstellung des Friedens und Harmonie,,14. Die Europäisierung und Amerikanisierung der Rechtsordnung schienen bisher eine Einbahnstraße zu sein. Sie werden jetzt aber in Frage gestellt. Oft bleibt die Rezeption nur eine äußere Erscheinung in der Ländern, wo 15 Jahre lang kein Gesetz für verfassungswidrig erklärt wurde und wo ein Prozeß immer noch einen Verlust des Gesichts bedeutet. Eine grundsätzliche Frage ist auch, wie weit die Aussagen der Rechtsvergleichung gehen sollten. Nach Mark Ancel sind die Erkenntnisse und das Verständnis der fremden Rechtssysteme die Hauptziele. Eine genaue Analogie und Verständnis sind schon - so die Autoren dieser Generation - kompliziert und anspruchsvoll genug. Besonders signifikant sind etwa die Auffassungen von Ancel: Es sei nicht die Aufgabe der Rechtsvergleichung, die Gesetzgebungssysteme "von außen" zu vereinheitlichen, selbst wenn sie "vergleichbar" sind. Um so weniger seien Beurteilungen und Bewertungen über diese Rechtssysteme zu formulieren, die nicht unmittelbar und direkt vergleichbar sind 15 . Die "echte" Vergleichung mit Beurteilung sollte keine Aufgabe des Komparatisten werden. Vielmehr sollte er eher mit Zurückhaltung diese Systeme beschreiben. Nur die Rechtshistoriker, Philosophen und die Personen, die diese Methode anwenden, dürften weiter in ihrer Forschung gehen. Wir sehen den langen Weg, den die Rechtsvergleichung zurücklegte. Lange nach der Zeit der Werke von Montesquieu und de Tocqueville entwikkelte sich eine genauere Forschung mit exakteren Methoden. Aber durch die Anerkennung unendlicher Komplexität und aus Angst arrogant und europazentrisch zu werden, verlor die Rechtsvergleichung manchmal die Fähigkeit, Konsequenzen zu ziehen und mutige Folgerungen zu formulieren. Die Suche nach einem gerechten Recht wurde - trotz der schönen Devise "Lex multiplex, ius unum"16 - praktisch aufgegeben.

VI.

Es scheint heute, daß diese Phase notwendig war, aber ihre Möglichkeiten schon erschöpft sind. Die rechtvergleichende Methode und das Ziel der Uni14 Chu-Chong, On the reconstruction of the Chinese System Law, 1947; vgl. Tokarczyk (FN 4), S. 125 fi. 15 Mark Ancel (FN 7), S. 176. 16 David / Grassmann (FN 2); vgl. Ancel (FN 7), S. 177.

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fikation des Rechts sind wieder in verschiedene Rechtwissenschaften integriert und bringen dort neue Impulse. Im Grundsatz weiß man heute, daß man keine bloßen Rechtsvorschriften vergleichen darf. Nicht nur die Rechtsprechung und die Doktrin, sondern auch der historisch-kulturelle und politische Kontext müssen berücksichtigt werden 17. Das schlägt sich immer öfter in multinationalen Studien nieder. Das Bewußtsein, daß jede Kategorie von Rechtsproblemen in der Rechtsvergleichung eine neue Methode erfordert, wie das G. Gorla betont, daß wir unterschiedliche Methoden der Rechtsvergleichung für die verschiedenen Ebenen brauchen, und daß die äußere Ähnlichkeit der Institutionen noch kein hinreichendes Zeichen ihrer Identität ist - das alles ist jetzt durch eine reiche Literatur und gute Forschungsstudien belegt. Wird in der Zukunft die Internationalisierung der Rechtsinstitutionen ein Aspekt der Globalisierung werden? Es ist nicht einfach, diese Frage zu beantworten. Wir können feststellen, daß immer mehr Institutionen und Rechtskategorien, wie "Rechtsstaat" - rule of law state~, Verwaltungsentscheidung und Selbstverwaltung international angenommen werden, und das als vergleichbare Rechtsbegriffe. Ob im Ergebnis ein "universelles Rechtsbewußtsein", basierend auf einem "Weltethos" entsteht, bleibt allerdings offen. Die Alternative könnte die Vereinheitlichung im Rahmen der großen Rechtssysteme sein, die ihre Identität eher vertiefen und die in globaler Konkurrenz stehen werden. Die Frage betrifft vor allem die weitere Entwicklung des moslemischen und asiatischen Rechts. Es ist nicht klar, inwieweit sie sich weiter unterscheiden werden; die Dynamik ist schwer vorherzusehen. Die ökonomische Krise in der Region kann die Suche nach einer eigenen - weniger nationalen, mehr regionalen - Identität auch im Recht verstärken. Einige Stimmen während der Malaysia-Krise wiesen in diese Richtung. Es wäre dann zu erwarten, daß sich die Unterschiede zwischen amerikanischem und europäischem Recht weiter verringern werden. Es ist spannend zu beobachten, wie die weitere Entwicklung verlaufen wird. Wie wird vor allem die Zukunft des Verwaltungsrechts aussehen? Kommt in der Zukunft wieder eine Kodifikationsperiode l8 ? Wird die alte Idee, den Allgemeinen Teil des Verwaltungsrechts zu kodifizieren, wiederkehren? Die gemeinschaftliche Rechtsordnung brachte in die Alltagssprache der Union ihre abstrakten Begriffe: die Harmonisierung, die Anpassung und Koordinierung der Rechtsordnungen. Weisungen und Empfehlungen, die einst Instrumente der Unifikation des Rechts sein sollten, sind praktische, alltägliche Instrumente des EU-Rechts. 17 Jezewski, 0 poroWI).awczym badaniu koncepcji prawnych, Acta Universitatis Wratislavientis nr 163, 1972, S. 62 f. 18 Wasilewski, Kodyfikacja prawa administracyjnego [Kodifizierung des Verwaltungsrechtsl, 1988, S. 8 ff.

11 Die Verwaltung, Beiheft 2

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Der Traum am Beginn des 20. Jahrhunderts von einem Weltrecht ist aufgegeben worden, zusammen mit anderen Träumen von dem ewigen Frieden und Verständigung der Völker nach dem Weltkrieg. Aber eine freiwillige Rezeption, Übernahme von Gesetzgebungslösungen, Harmonisierung, sind heute die Wirklichkeit, die eine entsprechende staatsrechtliche Bearbeitung erfordern.

Dieter Grimm hat darauf hingewiesen 19 , daß europäische Entscheidungen einschließlich solcher legislativer Art eher exekutivisch bestimmt sind. Das Parlament bleibt auch nach seiner Aufwertung durch den Maastricht-Vertrag auf Vetorechte beschränkt. Über Demokratiedefizite und Bürokratie in der EU wird allgemein geklagt. Die Tatsache, daß eine Verfassung legitimationsstärkend wirken würde, scheint unbestritten. Warum also fand der Entwurf der Verfassung, vom ständigen Ausschuß des Europäischen Parlaments im Jahre 1993 verabschiedet, nicht nur keine Anerkennung, sondern auch keine Resonanz in der öffentlichen Meinung? Wurde das Thema tabuisiert? Wird eine Verfassung als endgültiges Ende der Souveränität der unabhängigen Staaten empfunden, die mehr als ein gemeinsames Geld einen symbolischen Status hat, oder werden mehr die konkreten, rechtsstaatlichen Folgen befürchtet? Wenn man annimmt, daß die Verfassung vor allem ein Faktor der gesellschaftlichen Integration und ein Zeugnis eines Grundkonsensus ist, zudem eine Institution, die "Stabilität im Wandel" garantiert, kann man zwei Schlüsse ziehen: Entweder ist man nicht bereit für eine solche Institution, weil der Prozeß der Integration noch nicht abgeschlossen ist - oder sie existiert schon in Form von vielen Verträgen. Man sieht also, daß die Unifikation ihre Grenzen erreichen kann. Die Geschichte der nicht erreichten europäischen Verfassung ist ein deutliches Beispiel. Überzeugend wirkt die Analyse, die zeigt, daß zwar die formellen Voraussetzungen der europäischen Zusammenarbeit für eine Verfassung erfüllt wurden, aber daß die weiteren, materiellen, demokratischen Elemente für eine gemeinsame Verfassung - wie die tatsächliche öffentliche Debatte, die europäischen, supranationalen Medien, Organisationen, eine öffentliche Meinung, insgesamt eine "civil society" - noch nicht existieren. Man kann zwar deren Anfänge beobachten, aber hinreichend entwickelt sind sie noch nicht. Es ist dann verständlich, warum der Entwurf eigentlich kein Interesse gefunden hat. Das Thema wurde " tabuisiert " - ein gemeinsames Geld wurde leichter angenommen als der entscheidende Schritt in Richtung Staat. Es ist faszinierend zu beobachten, wie eine Struktur mit zunehmend einheitlichen Vorschriften, gemeinsamen Organen und Politik sich als eine "supranationale Struktur" oder "Staat sui generis" bezeichnet und wie schließlich - noch vor der Verfassungsstufe und bei. allgemein beklagtem 19

Grimm (FN 8), S. 14; vgl. eassen, Internationale Politik 11/97, S. 13 ff.

Rechtsvergleichende Perspektiven der Verwaltungsrechtswissenschaft

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Demokratiedefizit - festgestellt wurde: "Die Grenzen der Integration wurden erreicht,,2o. VB.

Es dürfte sich die Auffassung durchsetzen, daß der Kenner eines einzigen Rechtssystems zu wenig Impulse und Anregungen für die wissenschaftliche Arbeit hat und seine eigene Forschungsperspektive freiwillig beschränkt. Es scheint so, daß in der Komparatistik die Forschung der Rechtsinstitutionen Vorrang haben wird, daß die funktionelle Methode ihre Bedeutung behalten wird und daß weniger die Vergleichung der ganzen Rechtskulturen (Rechtsfamilien nach David)21 im Vordergrund stehen wird, die eher die Sache der Rechtsphilosophie bleibt, als vielmehr die Vergleichung in dem Rahmen von Rechtsdisziplinen (Rechtsgebieten)22. Wenn wir annehmen, daß die Rechtsvergleichung dem allgemeinen philosophischen, politischen Zeitgeist entspricht, dann sind die heutigen verstärkten Bemühungen um rechtsvergleichende Perspektiven mit dem Ziel der Harmonisierung und Unifikation des Rechts auch Merkmale dieser Epoche. Pessimistisch wirkt aber die Erkenntnis, daß es in der Vergangenheit immer schon solche Perioden gab, die dann durch Konfrontation und Nationalismus vernichtet wurden. Optimistisch stimmt dagegen, daß jede solche Periode der Annäherung und Harmonisierung ihre Spuren für die Zukunft hinterläßt. Zu den illusionen, die aufzugeben sind, gehört auch die Suche nach einem einzigen "besten" Recht eines Landes. Vielmehr werden gute Elemente in verschiedenen Rechtssystemen (Rechtskulturen) zu suchen und zu nutzen sein. Es scheint auch, daß der Traum von einem einzigen "Weltrecht" nicht mehr ernst genommen wird23 . Was bleibt und auch existiert, ist, die Trends der Regionalisierungen mit komplexen Methoden zu untersuchen. Von vielen Arten der Rechtsvergleichung - von Vergleichung der Rechtsnormen über Rechtsinstitutionen und Rechtsbereichen (Rechtswissenschaftlichen Zweigen), kann man - folgt man Tokarczuk - feststellen, daß die am meisten geschätzte Methode die Rechtsvergleichung der Institutionen bleibt24 . Die 20 Financial Times, 16. Mai 1998. (Tony Blair beim Europagipfel in Cardiff); vgl. auch Bergedorfer Gesprächskreis, Wie ist Europa zu sichern? Die Suche nach konzeptioneller Gestaltungskraft, 1997, S. 27,45 f. . 21 David / Grassmann (FN 2); Watson, Legal Tranplants. An Approach to comparative Law, 1974; vgl. Varga (Hrsg.), Comparative Legal Cultures, 1992. 22 GZendon, Comparative Law as Schock Treatment, 1993. 23 DeZ Vecchio, Die Idee einer vergleichenden universalen Rechtswissenschaft, 1914. 24 Tokarczyk (FN 4), S. 68 f.; vgl. Zweigert/ Kötz, An Introduction to Comparative Law. The Framework, 1997.

11'

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Vergleichung von Normen gibt uns zu wenig Materialien über das soziale, historische und politische Umfeld dieser Normen, die Rechtsvergleichung der ganzen Rechtssysteme erscheint dagegen meistens zu komplex. Die Zukunft der Rechtsvergleichung liegt zudem in den einzelnen Rechtszweigen, wie etwa dem Zivilrecht, dem Arbeitsrecht und dem Verwaltungsrecht. Die wissenschaftliche Entwicklung orientiert sich an diesen Rechtsgebieten; dort wird die Internationalisierung der Debatte ausgetragen. Allerdings ist nicht zu übersehen, daß die Lage des Öffentlichen Rechts viel komplizierter erscheint. Viel stärker ist dort der Kontext von Ideologie und Politik sichtbar. Andererseits aber kann man hier auch von dem rasantesten, teilweise durch die europäische Integration erzwungenen Fortschritt sprechen. Jahrzehntelang haben die Universitäten und die Lehre im allgemeinen eine führende Rolle in der Herausbildung oder der Suche nach einem gemeinsamen Recht gehabt. Im Gesetzgebungsprozess bei der zentralen Rolle des Parlaments haben auch "Professoren" durch Entwürfe und Gutachten diese Rolle in gewisser Weise beibehalten. Die Entwicklung des Europarechts hat nun die Vollzugsgewalt und Rechtsprechung an die erste Stelle gesetzt. Gerade hier kann die verlorene Gemeinsamkeit der Universitäten wieder eine neue Aufgabe gewinnen. Die Entscheidungen für eine "offene Staatlichkeit", die sich in der deutschen, aber auch schon in der polnischen Verfassung findet (bzw. vorbereitet wird), wird die weitere Europäisierung des Verwaltungsrechts bringen. Wie gezeigt wurde, bedeutet das nicht nur, daß die Gesetze rezeptionstauglich gestaltet werden müssen, sondern daß unter dem Einfluß des EGRechts eine "tiefgreifende Änderung im gesamten Verwaltungsverständnis" kommen wird 25 .

25 Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts. Grundfragen, 1993, S. 25.

Die Internationalisierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts Von Reiner Schmidt, Augsburg*

I. Einführung

Im Zeitalter einer weltweiten ökonomischen Verflechtung nationaler, supra- und internationaler Wirtschaftsbeziehungen gewinnt das Zusammenspiel der Normen, mit denen die nationalen Rechtsordnungen, das Europäische Gemeinschaftsrecht und das Völkerrecht den internationalen Wirtschaftsverkehr steuern, an Bedeutung l . Für die Rechtswissenschaft stellt sich dabei die Aufgabe, nicht nur deskriptiv den Normenkranz für die am grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr beteiligten Rechtssubjekte darzustellen, sondern den Internationalisierungsprozeß auch auf seine Wirkungsweisen und Durchsetzungsmechanismen zu untersuchen und Lösungsmodelle für unvermeidliche Verwerfungen der sich überlagernden Teilrechtssysteme anzubieten. Entsprechende Anstrengungen wurden bislang unter dem Topos Internationales Wirtschaftsrecht unternommen2 . Hierunter fällt entgegen der anglo-amerikanischen Sichtweise nicht nur das Völkerrecht, sondern auch das europäische und nationale Reche. Da sich die verschiedenen Ebenen im Sinne eines Gegenstromprinzips wechselseitig beeinflussen und miteinander verzahnt sind, vermag eine isolierte Betrachtungsweise die auftretenden Schlüsselprobleme nicht zu bewältigen 4 • Überlegt werden muß allerdings, ob sich nicht ein Internationales Wirtschaftsverwaltungsrecht aussondern läßt. Dem Gedanken wird entgegenge-

* Herrn Assessor Thomas Vollmöller danke ich für einfallsreiche Unterstützung. Aus dem unüberschaubaren Schrifttum zur Globalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft vgl. etwa Beck, Was ist Globalisierung?, 3. Aufl. 1997; R. Schmidt, VVDStRL 36 (1978), S. 65 ff. 2 Vgl. Erler, Grundprobleme des Internationalen Wirtschaftsrechts, 1956; Gloria, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 1990, §§ 39 ff.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1995; Meessen, AöR 110 (1985), S. 398 ff.; Seidl-Hohenveldern, International Economic Law, 2. Aufl. 1992. 3 Vgl. Schwarzenberger, RdC 117 (1966 I), S. 5 ff. 4 Graf Vitzthum, in: ders., Völkerrecht, 1997, Abschnitt V, Rdnr. 171 f.; zur "konstitutionellen Verschränkung" von Welthandels- und nationaler Außenhandelsverfassung vgl. Stoll, ZaöRV 57 (1997), S. 83 ff. 1

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halten, auch mit einer Aufspaltung der Rechtsbeziehungen nach Privatrecht und Öffentlichem Recht würden sachlich begründete Zusammenhänge auseinandergerissen5 • Darüber hinaus erscheint es fraglich, ob ein neu zu konstituierendes Internationales Wirtschaftsverwaltungsrecht wirklich mehr sein könnte als bloßes Kollisionsrecht 6 . Allgemeine Lehren eines internationalen Einheitsrechts7 unter Ausschluß des privaten Wirtschaftsrechts haben sich bis heute noch kaum herausgebildet und können sich wohl auch in der Zukunft angesichts der "funktionalen Einheit des ( ... ) öffentlichen und privaten Rechts der internationalen Wirtschaft"s nicht isolieren lassen. Schwerpunkt wissenschaftlicher Tätigkeit muß deshalb zunächst die problembezogene Arbeit an einzelnen Referenzgebieten der Internationalisierung sein. Einige Überlegungen zum Mit- und Gegeneinander von Europäisierung und Internationalisierung sollen vorangestellt werden.

11. Internationalisierung und Europäisierung 1. Gemeinschaftsrecht als Medium der Internationalisierung

Der weltweite Trend zur Regionalisierung durch die Schaffung von Zollunionen und Freihandelszonen kann im Zusammenspiel mit der neuen Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) als Katalysator eines immer liberaleren Welthandels beschrieben werden. Gleichzeitig sind aber erhebliche Hindernisse für den freien Handel durch Blockbildung zu erwarten9 • Die Beziehung zwischen Internationalisierung und Europäisierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts läßt sich deshalb als ambivalent charakterisieren. Im Völkervertragsrecht wurzelnde Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland teilten sich schon in der Vergangenheit vor allem über das Medium des Gemeinschaftsrechts mit. Dies besonders dort, wo die Gemeinschaft in vormalige Rechtsbeziehungen der Mitgliedsländer quasi "eingerückt" war (GATT 1947) und auf sie qua Vertragsrecht der Gemeinschaft auch die einschlägigen Kompetenzen übergegangen waren, wie in der Agrar- oder Handelspolitik lO • Aus historischer Sicht läßt sich für die Ge5 Herdegen (FN 2), § 1 Rdnr. 6; a.A. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 11. Aufl. 1988, S. 33. 6 So das heute herrschende Verständnis des Internationalen Wirtschaftsverwaltungsrechts als Gegenstück zum Internationalen Privatrecht; vgl. A. Weber, internationales Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: Lexikon des Rechts der Wirtschaft. 7 Vgl. zu den Begrifflichkeiten Kropholler, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1997, S. 1. 8 Meessen, AöR 110 (1985), S. 398 (403). 9 Graf Vitzthum (FN 4), Rdnr. 205; zum Stichwort "Globalisierung versus Regionalisierung" vgl. auch Oppermann, RIW 1995, S. 919 (921) und Ebenroth, RIW 1994, S. 1 (6 f.).

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meinschaft und das GATI' 1947 "eine Art von prästabilierter Harmonie"u erkennen, denn die Verhandlungen über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft bewegten sich im begrifflichen und rechtlichen Rahmen des GA'IT. Insbesondere die EG-Vertragsvorschriften über die innergemeinschaftliche Beseitigung der Zölle, Mengenbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung beruhen zum Teil wörtlich auf den GATI'-Verpflichtungen der EG-Mitgliedstaaten12 . Über den Transmissionsriemen des Gemeinschaftsrechts kann das Völkervertragsrecht innerstaatlich aber auch einen anderen Rang gewinnen. Nach der monistischen Grundauffassung des EuGH sind Völkerrechts abkommen der EG "integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung" und im Rang zwischen primärem und sekundärem Gemeinschaftsrecht angesiedelt (vgl. Art. 228 Abs. 7 EGV)13. Das GATI'- und WTO-Recht nimmt damit am supranationalen Vorrang des Gemeinschaftsrechts teil 14. Prägnantes Beispiel für die "Vorbildfunktion"15 internationalen Rechts ist die Eigenkapital-Empfehlung des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) von 1988, die als Ausgangspunkt für eine Internationalisierung des Bankenaufsichtsrechts angesehen werden kann 16 . Sie bestimmte maßgeblich den Inhalt der Eigenmittelrichtlinie, die schließlich durch die 4. KWG-Novelle ins deutsche öffentliche Wirtschaftsrecht umgesetzt wurde.

2. Konßikte

Daß Internationalisierung und Europäisierung in einem spannungsreichen Verhältnis zueinander stehen, wurde nicht erst durch den Bananenkonflikt deutlich 17 . Obwohl das EG-Recht die Volkerrechtsverbindlichkeit des GATI' auch für die Außenhandelsbeziehungen grundsätzlich anerkennt (vgl. Art. 229, 234 EGV), hat der EuGH die völkerrechtlichen Bindungen der Gemeinschaft bisher ignoriert 18 . Kernproblem ist dabei die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit des GATI'- bzw. WTO-Rechts. Trotz aller 10 R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Allgemeiner Teil, 1990, S. 202; vgl. auch Hilf, in: ders.lPetersmann, GATT und Europäische Gemeinschaft, 1986, S. 11 (20 ff.). 11 Pescatore, in: Hilf/Petersmann (FN 10), S. 11. 12 Petersmann, EuZW 1997, S. 325 (326). 13 St. Rspr. seit EuGH, SIg. 1972, 1219 (1227 f.) - International Fruit Company. 14 Vgl. Bryde, in: R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, BT 2, 1996, § 14 Rdnr. 40. 15 Möschel, in: FS Steindorff, 1990, S. 427 (439 f.). 16 Vgl. Schulte-Mattler, EuZW 1994, S. 494 (495); Gramlich, in: R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, BT 1, 1995, § 5 Rdnr. 114. 17 Vgl. etwa Petersmann, in: Hilf/ ders. (FN 10), S. 119 ff. 18 Petersmann, EuZW 1997, S. 325 (327).

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Kritik aus dem Schrifttum konnten sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs bislang weder das einzelne Wirtschaftssubjekt 19 noch die Mitgliedstaaten 20 mit Erfolg auf eine Verletzung des GATT 1947 durch sekundäres Gemeinschaftsrecht berufen. Nur dort, wo das Gemeinschaftsrecht Verweisungen auf das GA'IT enthielt oder dieses ausdrücklich umsetzte, war ausnahmsweise eine unmittelbare Anwendung möglich21 . Nach der Ratifizierung des WTO-Abkommens stellt sich die Lage insofern anders dar, als das wesentliche Argument des EuGH gegen eine unmittelbare Anwendung, die zu große Flexibilität der GATT-Vorschriften, durch die stärkere Juridifizierung des neuen WTO-Systems ausgeräumt erscheint. Im Sinne einer Minimallösung könnte der EuGH zumindest den zwingenden Beschlüssen des WTO-Streitbeilegungsgremiums Drittwirkung zuerkennen. Die Entscheidung des EG-Ministerrats zum Abschluß der Uruguay-Runde, wonach eine direkte Berufung auf das GATT 1994 kraft seiner " Natur " ausscheide22 , steht dem wohl mangels Bindungswirkung nicht entgegen23 . Sollte der EuGH bei nächster Gelegenheit tatsächlich in diesem Sinn entscheiden, würde das auch den Grundsatz fehlender unmittelbarer Anwendbarkeit im nationalen Recht weiter einschränken. Schon jetzt geht der deutsche Gesetzgeber für das Übereinkommen über handels bezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS-Übereinkommen) von einer - zumindest partiellen - unmittelbaren innerstaatlichen Anwendbarkeit aus 24 .

3. Europäische Menschenrechtskonvention

Die Stellung des einzelnen wird völkerrechtlich vor allem durch die Menschenrechtskonventionen gestärkt. Damit verbunden ist eine erhebliche Einflußnahme auf die nationale Wirtschaftsordnung, denn der internationale Menschenrechtsschutz erfaßt auch die unternehmerische Betätigung. Eine starke politische und wirtschaftliche Homogenität der Vertragsstaaten begünstigt diese Interdependenzen, wie das Beispiel der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zeigt25. Einfluß auf das deutsche Verwaltungsrecht nimmt hier vor allem die Rechtsprechung zu Art. 6 EMRK, die trotz der oft betonten Überlegenheit der nationalen Verfahrensrechte zu ei19 20 21 22 23

Vgl. zuletzt EuGH, EuZW 1996, S. 118 (119) - Chiquita. EuGH, Slg. I 1994, 4973 (5073 f.) - Deutschland/Rat. EuGH, Slg. 1989, 1781 (1830 f.) - Fediol; Slg. I 1991, 2069 (2177 f.) - Nakajima. ABlEG 1994 Nr. L 336, S. 2. Schmid, NJW 1998, S. 190 (195 f.); vgl. auch Ott, GATT und WTO im Gemeinschaftsrecht, 1997. 24 BT-Drucks. 12/7655, S. 337. 25 Herdegen (FN 2), § 4 Rdnr. 13 f.

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nem teils höheren Standard - insbesondere beim Gebot rechtzeitigen Rechtsschutzes - geführt hat 26 . Spezifische Auswirkungen auf das öffentliche Wirtschaftsrecht lassen sich im Medienrecht beobachten. Art. 10 EMRK unterstützt hier die grundrechtlich verankerte Informationsfreiheit in ihrer (begrenzten) Wirkung als Hebel zur Umgestaltung der Medienordnung27 . Von grundsätzlicherem Interesse für die Frage der Internationalisierung der Rechtsordnung ist die EMRK, weil sie über den Rang einfachen Bundesrechts hinausgreift 28 . Das BVerfG zieht die Konvention nicht nur zur Auslegung des Grundgesetzes heran, sondern schränkt auch den "lex posterior"Grundsatz insofern ein, als später erlassene Gesetze im Einklang mit völkerrechtlichen Verträgen auszulegen und anzuwenden sind29 • Ferner tritt hier das schon anfangs angesprochene Gegenstromprinzip in besonders prägnanter Weise hervor: "Vom Grundrechtsschutz läßt sich sagen, er habe sich von den nationalen Rechtsordnungen über die EMRK in das EG-Recht und von dort über das Gemeinschaftsrecht wiederum in die Rechtsanwendung der nationalen Verwaltungsinstanzen entwickelt,,3o.

m. Referenzgebiete 1. Lebensmittelrecht

Das Lebensmittelrecht gehört zu den Teilbereichen des öffentlichen Wirtschaftsrechts, die am deutlichsten vom europäischen Recht überlagert sind. Neben der Rechtsprechung des EuGH ist dies vor allem auf die "rege Normierungstätigkeit" durch Verordnungen und Richtlinien zurückzuführen 31 . Aufgrund der WTO-Abkommen sind nunmehr aber auch die Regelungen der FAO/WHO Codex Alimentarius Kommission (CAK) stärker ins Blickfeld des deutschen und europäischen Lebensmittelrechts gelangt. Der schon 15 Jahre andauernde Hormonstreit zwischen der EG und den USA sowie Kanada konnte nach Einführung des zwingenden Streitbeilegungsverfahrens erstmals Gegenstand einer juristischen Auseinandersetzung werden, womit neben dem Bananenstreit in einem weiteren Fall die Kollisionslage zwischen WTO- und Gemeinschaftsrecht einprägsam zutagetrat. a) Der Codex Alimentarius: Die CAK ist eine gemeinsame Unterorganisation der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO)

Schmidt-Aßmann, in: FS Lerche, 1993, S. 513 (516). Vgl. Hoffmann-Riem, in: R. Schmidt (FN 16), § 6 Rdnr. 13,51 ff. 28 Schmidt-Aßmann, in: FS Lerche, 1993, S. 503 (516). 29 BVerfGE 74, 358 (370). 30 Schmidt-Aßmann, DVBl1993, S. 924 (928 f.). 31 Hufen, in: R. Schmidt (FN 14), § 12 Rdnr. 42. 26

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und der World Health Organization (WHO), der zwar alle EG-Mitgliedstaaten, jedoch nicht die Gemeinschaft selbst angehört. Im Codex Alimentarius sind die in einem achtstufigen Verfahren festgelegten Anforderungen an die Zusammensetzung, Qualität und Kennzeichnung von Lebensmitteln zusammengefaßt. Bis zur Ratifikation des WTO-Abkommens war die Relevanz dieser Standards eher gering. Als bloße Empfehlungen wurden sie erst mit förmlicher Annahme und Umsetzung durch die einzelnen Mitgliedstaaten rechtsverbindlich. Zu einer solchen Annahme durch die EG-Mitgliedstaaten kam es angesichts des niedrigeren Niveaus im gesundheitlichen Verbraucherschutz - von einzelnen Ausnahmen abgesehen - jedoch nicht 32 . b) Das SPS-Übereinkommen: Das Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPSÜbereinkommen)33, welches als multilaterale Handelsübereinkunft für alle WTO-Mitglieder verbindlich ist (Art. II Abs. 2 WTO-Übereinkommen), nimmt auf die Regelungen der CAK Bezug. Gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen der Mitglieder werden jedenfalls dann - prima facie - für notwendig zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen erklärt, wenn sie internationalen Normen, Richtlinien oder Empfehlungen entsprechen (Art. 3 II SPSÜbereinkommen). Hinsichtlich der Nahrungsmittelsicherheit sind dies nach Nr. 3a des Anhangs A die Regelungen des Codex Alimentarius. Strengere Maßnahmen der Mitglieder sind nicht ausgeschlossen, müssen aber durch eine vorzulegende wissenschaftliche Begründung oder eine Risikobewertung nach Maßgabe des SPS-Abkommens gerechtfertigt werden (Art. 3 III SPS-Übereinkommen). Zudem dürfen die Maßnahmen keine willkürliche oder ungerechtfertigte Diskriminierung bewirken und nicht so angewendet werden, daß sie zu einer verschleierten Beschränkung des internationalen Handels führen (Art. 2 III SPS-Übereinkommen). c) Der EG / USA-Hormonstreit: Trotz der gewandelten Bedeutung des Codex Alimentarius und den 1995 von der CAK beschlossenen Standards für Hormonrückstände in Rindfleisch erließ der Rat der EU 1996 die Richtlinie 96/22/EG34 , wonach der Import hormonbehandelten Rindfleisches weiterhin verboten bleibt. Das auf Antrag der USA und Kanadas vom Dispute Settlement Body (DSB) der WTO eingesetzte Panel entschied zu Lasten der Gemeinschaft, das Importverbot für hormonbehandeltes Rindfleisch 32 Hilf/ Eggers, EuZW 1997, S. 559 (560); Ritter, EuZW 1997, S. 133 (135). Allerdings wirkten die Codex-Standards indirekt auf Rechtsetzung und Rechtsprechung der Gemeinschaft ein; vgl. Eckert, ZLR 1995, S. 363 (379 f.); Streinz, in: Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1996, S. 435 (453 f.) und ausführlich Merkle, Der Codex Alimentarius der FAO und WHO, 1994. 33 Agreement on the Application of Sanitary and Phytosanitary Measures, BTDrucks. 12/7986, S. 84 ff. =ABlEG 1994 Nr. L 336, S. 40. 34 ABlEG 1996 Nr. L 125, S. 3.

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stelle eine unzulässige Handelsbarriere dar 35 • Alle existierenden CodexStandards seien Bezugsnormen für das SPS-Abkommen. Damit schien sich die Prognose aus dem Schrifttum zu bestätigen, daß die Regelungen der CAK eine "exorbitante Bedeutung" für das deutsche und europäische Lebensmittelrecht erfahren hätten 36 . Die strenge Überprüfung unterschiedslos anwendbarer Lebensmittelgesetze anhand kaum zu erfüllender Anforderungen wurde in ihrer Bedeutung mit der "Cassis de Dijon"-Entscheidung des EuGH verglichen und als "Anstoß zu einem grenzenlosen Weltbinnenmarkt für Lebensmittel" gewertee 7 . Die Berufungsentscheidung des Appellate Body vom 16. Januar 1998 hat den Wert international vereinbarter Standards für den Gesundheitsschutz jedoch relativiert 38 • Die WTO-Berufungsinstanz korrigierte das Panel in seiner indirekten Aufwertung der Codex-Standards in den Rang verpflichtender WTO-Vorschriften, die angesichts der brüchigen Legitimationskette vom europäischen Verbraucher zur CAK schon in der Literatur Kritik erfahren hatte 39 • Den WTO-Parteien wird in der Berufungsentscheidung ausdrücklich das Recht zu einer eigenständigen Gesundheitsschutzpolitik auf dem Boden wissenschaftlicher Erkenntnisse zugestanden. Den Mitgliedern kommt danach bei der Bewertung der zugrundeliegenden wissenschaftlichen Fakten ein Beurteilungsspielraum zu; sie können sich grundsätzlich auch auf wissenschaftliche Mindermeinungen stützen. Eine entsprechende Risikobewertung wird die EG allerdings noch nachliefern müssen40.

2. Telekommunikationsrecht

a) Abgeschlossene Marktöffnung auf europäischer Ebene: Daß Europäisierung und Internationalisierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts auch miteinander harmonieren können, zeigt das Beispiel der Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte. Die neue Welthandelsorganisation konnte bei ihren Bemühungen um eine Liberalisierung des internationalen Telekommunikationshandels auf die Vorleistungen einer in vielen Ländern schon begonnenen Öffnung der traditionell monopolistisch oder oligopolistisch organisierten Telekommunikationsmärkte aufbauen. Wie anderenorts ist auch im Telekommunikationssektor zunächst vorrangig das Europarecht als "Motor der Deregulierung und damit Markterweiterung und -öffnung" 35 36

37 38 39

40

Vgl. dazu Hilf / Eggers, EuZW 1997, S. 559 ff. Ritter, EuZW 1997, S. 133 (138). Hilf/ Eggers, EuZW 1997, S. 559. Die Entscheidung ist auszugsweise abgedruckt in EuZW 1998, S. 157 ff. Hilfl Eggers, EuZW 1997, S. 559 (565). Vgl. im einzelnen Eggers, EuZW 1998, S. 147 ff. und Rabe, ZLR 1998, S. 129 ff.

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tätig geworden41 . Die Liberalisierungsschritte setzten zwar vergleichsweise spät erst Mitte der 1980er Jahre mit einer Empfehlung des Rates (1984) und der Veröffentlichung des Grünbuchs über die Entwicklung des Gemeinsamen Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen und Telekommunikationsgeräte (1987) durch die Kommission ein. Die in der Folgezeit erlassenen Richtlinien haben jedoch zum 1. Januar diesen Jahres auf europäischer Ebene die Rahmenbedingungen für einen liberalisierten Telekommunikationsmarkt geschaffen42 .

b) Erfolge der WTO- Verhandlungen: Eine multilaterale Dimension wurde diesen Liberalisierungsschritten durch die am 15. Februar des letzten Jahres abgeschlossenen WTO-Verhandlungen über Telekommunikationsdienstleistungen verliehen43 . Grundlage dieses Verhandlungserfolgs ist das am 1. Januar 1995 in Kraft getretene Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services GATS)44. Das GATS enthält in Teil II allgemeine Verpflichtungen und Regeln, die unmittelbar durch das Übereinkommen entstehen und in deren Mittelpunkt das Prinzip der Meistbegünstigung (Art. II GATS) steht. Die in Teil III enthaltenen Bestimmungen über die eigentlichen Liberalisierungsverpflichtungen (Pflicht zur Gewährung von Marktzugang und Inländerbehandlung) bedürfen dagegen bilateraler Verhandlungen, in denen jedes Mitgliedsland die betroffenen Dienstleistungssektoren in einer Liste spezifischer Verpflichtungen selbst bestimmt. Sonderregelungen für bestimmte Dienstleistungssektoren enthalten die Anhänge des Abkommens, die gern. Art. XXIX einen integrierenden Bestandteil des Abkommens bilden. Die Anwendung der Grundsätze des GATS wird hier bezüglich Finanz-, Luftverkehrs- und Telekommunikationsdienstleistungen konkretisiert. Der Annex über Telekommunikationsdienstleistungen stellt allerdings unmittelbar nur sicher, daß Dienstleistungsanbieter Zugang zu Telekommunikationsnetzen und -diensten sowie deren Nutzung zu angemessenen und nichtdiskriminierenden Bedingungen erhalten. Eigentliche Telekommunikationsdienstleistungen dürfen dagegen nur erbracht werden, wenn sie im "schedule" des Empfängerlandes aufgeführt sind. Entsprechende Liberalisierungspflichten hatte die EG nur für sog. Mehrwertdienstleistungen, elektronische Post und Online-Informations- und Datendienste übernommen, nicht aber für die sog. Basis-Telekommunikationsdienste. "Handelspolitischer Preis,,45 für die weitgehende Erhaltung des status quo im Tele41

Hoffmann-Riem, in: R. Schmidt (FN 16), § 6 Rdnr. 39.

42 Vgl. zur Entwicklung Ordemann, Archiv PT 1997, S. 109 ff. 43 Vgl. zum folgenden Barth, Archiv PT 1997, S. 112 ff.; Ellger, in: ders./Kluth, Das Wirtschaftsrecht der Internationalen Telekommunikation in der Bundesrepublik Deutschland, 1992, S. 171 (207 ff.); Fredebeul-Kreinl Freytag, FAZ Nr. 44 v. 21. 2. 1998, S. 13 und Heilbock, MMR 1998, S. 129 ff. 44 Vgl. allgemein zum GATS Barth, EuZW 1994, S. 455 ff.

Die Internationalisierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts

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kommunikationsbereich war jedoch die Teilnahme an Verhandlungen der "Negotiating Group on Basic Telecommunications" (NGBT) bzw. der später eingesetzten Arbeitsgruppe "Group on Basic Telecommunications" (GBT), deren am 5. Februar diesen Jahres in Kraft getretene Verhandlungsergebnisse zur multilateralen Marktöffnung und Inländerbehandlung für BasisTelekommunikationsdienstleistungen führten 46. Die EG-Verpflichtungsliste garantiert den WTO-Ländern den mit der Abschaffung der öffentlichen Monopole und der Öffnung der Telekommunikationsmärkte europaweit erreichten Liberalisierungsstand47 .

3. Subventionsrecht

Die zentrale Bedeutung des universellen Zusammenhangs der internationalen Wirtschaftsbeziehungen läßt sich auch am Subventionsrecht zeigen48 . Der im Rahmen des GATT entwickelte Subventionscodex 1994 ist ein wesentlicher Markstein auf der Suche nach der international akzeptablen Subvention. Man mag gegen dessen 'JYpenabgrenzung im einzelnen skeptisch sein. Aber immerhin hat dadurch das materielle Subventionsrecht eine wesentliche Verfestigung erfahren. Nach der neuen Begrifflichkeit wird zwischen verbotener, anfechtbarer und nicht anfechtbarer Subvention unterschieden. Unter den prohibited subsidies (Art. 3 I Subventionscodex 1994) werden im wesentlichen die bisherigen Exportsubventionen verstanden, während bei der zweiten Kategorie (Art. 5 Subventionscodex 1994), den anfechtbaren Subventionen, Fälle ernsthafter Schädigung in vier Fällen vermutet werden, nämlich wenn: a) die Summe der wertmäßigen Subventionierung einer Ware 5% überschreitet; b) die Subvention zur Deckung von Betriebsverlusten eines Wirtschaftszweigs dient; c) die Subvention zur Dekkung von Betriebsverlusten eines einzelnen Unternehmens dient und es sich nicht um eine einmalige Maßnahme handelt oder d) die Subvention in dem direkten Erlaß von Schulden gegenüber dem Staat besteht. Nicht anfechtbare Subventionen sollen Beihilfen für Forschungstätigkeit von Unternehmen, für benachteiligte Regionen und zur Förderung der Anpassung an neue rechtliche Umweltstandards sein. Es ist zweifelhaft, inwieweit das internationale Antisubventionsrecht im Rahmen notwendigen zwischenstaatlichen Ausgleichs praktikabel ist. Eine Inkongruenz materiellrechtlicher und sanktionsrechtlicher Maßstäbe ist Mestmäcker, in: ders., Kommunikation ohne Monopole 11, 1995, S. 13 (87). BGBl. 11 1997, S. 1990 ff. 47 Barth, Archiv PT 1997, S. 112 (115). 48 Zur Rechtslage unter dem GATT 1947 vgl. Adamantopoulos, Das Subventionsrecht des GATT in der EWG, 1988. 45

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nicht zu übersehen 49 • Praktisch kommt es nämlich im wesentlichen auf ein einziges Kriterium, die "Schädigung eines inländischen Wirtschaftszweigs", an. Immerhin ist die Sanktionsmöglichkeit, nämlich die Erhebung von Ausgleichszöllen nicht unwirksam und auch das Streitbeilegungsverfahren (sogenannter Trak 11) hat eine quasi judikative Funktion übernommen. Eine gewisse Homogenisierung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen durch den Subventionscodex 1994 wurde jedenfalls erreicht. Dies läßt sich letztlich auch mit einem politikwissenschaftlichen Argument unterstreichen. Die staatliche Mediatisierung internationaler Wirtschaftspolitik fördert durchaus auch die Bewältigung innerstaatlicher Konflikte. Nach der Theorie der "domestic policy functions" dienen die zwischenstaatlichen Bindungen weniger der Lösung von Konflikten zwischen den Staaten als der Überwindung der Widerstände innerstaatlicher Lobbys und Protektionsinteressen5o .

IV. Schluß

Das öffentliche Wirtschaftsrecht befindet sich, so zeigen die Referenzgebiete, in einem anhaltenden Internationalisierungsprozeß. Auch andere Teilbereiche wie das Vergaberecht51 oder die Bankenaufsicht52 sind betroffen. Als Motor der Internationalisierung fungiert die WTO, wie auch das jüngste Abkommen zur Marktöffnung für Finanzdienste belegt53. Neue Verhandlungsrunden, beispielsweise zum Telekommunikationsrecht, werden auch in Zukunft zur Dynamik der Entwicklung beitragen. Viel wird dabei von der Rechtsprechungspraxis der WTO-Streitbeilegungsgremien abhängen. Die Berufungsentscheidung im Hormonstreit läßt hoffen, daß der Balanceakt zwischen notwendiger Rechtsvereinheitlichung einerseits und nicht gerechtfertigten Eingriffen in die Souveränität der Mitgliedstaaten andererseits weiterhin gelingen wird. Ob sich aber tatsächlich eine neue internationale Wirtschaftsverfassung, die ihren Namen verdient, abzeichnet, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilt werden. Die zunehmende VerzahnUng der Rechtsebenen scheint jedenfalls dafür zu sprechen.

49 Langer, Grundlagen einer internationalen Wirtschaftsverfassung, 1995, S. 266 m.Fn.64. 50 Langer (FN 49), S. 71. 51 Vgl. etwa Haase, Internationale Harmonisierung des öffentlichen Auftragswesens, 1997. 52 Vgl. etwa Schulte-Mattler, EuZW 1994, S. 494 ff. 53 FAZ Nr. 291 v. 15. 12. 1997, S. 17 und FAZ Nr. 298 v. 23. 12. 1997, S. 17.

IV. Schlußwort

Einige Überlegungen zum Thema: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht Von Eberhard Schmidt-Aßmann, Heidelberg

I. Die drei Fragestellungen

Das Thema leitet auf drei grundlegende Fragestellungen zu. Zum ersten geht es um die Abgrenzung der Verwaltung von anderen Subsystemen in Staat und Gesellschaft: Inwiefern ist Verwaltung ein eigener Regelungsgegenstand des Rechts? Gefragt wird zweitens nach der Funktion, die gerade dem Recht unter den unterschiedlichen (z. B. wirtschafts-, sozial- oder politikwissenschaftlichen) Zugängen zum Untersuchungsgegenstand zukommt. Schließlich geht es drittens um die Wissenschaftlichkeit des Verwaltungsrechts und hier insbesondere um das Verhältnis der verwaltungsrechtlichen Forschung zur administrativen und judikativen Praxis. Zusammen wollen diese drei Perspektiven dazu veranlassen, sich des gegenwärtigen Standes des Verwaltungsrechts zu vergewissern und über Notwendigkeiten und Richtungen seiner Fortentwicklung nachzudenken. Welche Vorstellungen von den Erscheinungsformen, Aufgaben und Handlungsweisen der Verwaltung und ihres Rechts bestimmen unser Denken, und welche müssen es künftig tun? Die Frage nach dem dogmenprägenden "Administrativ-Modell" tritt in das Zentrum der Überlegung. Die aufgeworfenen Fragen lassen sich leichter beantworten, wenn man sich zunächst noch einmal das überkommene Verwaltungsrechtskonzept vergegenwärtigt, wie es üblicherweise dem liberal-rechtstaatlichen Denken zugeordnet wird. Verwaltung wird dort rechtlich von dem Gewaltenteilungsprinzip her gedacht. Sie ist die Tätigkeit des Staates, die nicht Gesetzgebung oder Justiz ist. Verwaltung erscheint hier im Gewande einer Subtraktionsdefinition, aber doch als geschlossener Block, hierarchisch geordnet und durch die Formel von der "Einheit der Verwaltung" im Innern zusammengehalten. Das Gesetz steuert die Verwaltung nach möglichst genauen materiellen Programmen. Die Verwaltung vollzieht das Gesetz in förmlicher Entscheidung unter Anwendung juristischer Subsumtionstechniken. Die Gerichte kontrollieren die Rechtmäßigkeit der administrativen Entscheidungen in eben diesen gedanklichen Schritten. Insgesamt wird ein 12 Die Verwaltung, Beiheft 2

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geschlossenes Modell vorgelegt, das sich auf die Trias von Einheits-, Formalitäts- und Vollzugs doktrin zurückführen läßt. Natürlich überzeichnet eine solche Charakterisierung. Natürlich waren die Verwaltungsvorstellungen auch früher vielfältiger, und natürlich hat die Entwicklung des Verwaltungsrechts in den zurückliegenden Jahrzehnten mit der Analyse der leistenden und der planenden Verwaltung, mit der Behandlung der komplexen Verwaltungsentscheidungen und der mehrpoligen Verwaltungsrechtsverhältnisse viel getan, um die "dogmatische Grundsituation" (Forsthoff) komplexer zu fassen. Aber der reduktionistische Grundansatz ist geblieben. Auf dieser Basis fällt es nach wie vor nicht leicht, neben der Staatsverwaltung auch die Selbstverwaltung, neben dem Hierarchieprinzip auch das Kollegialprinzip, neben dem einseitigen auch das konsensuale Verwaltungshandeln als Normalität der Verwaltungspraxis und als gleichberechtigten Systemteil des Verwaltungsrechts anzuerkennen. Immer wieder besetzen Vorstellungen vom Vollzugs- und Subsumtionsmechanismus die Vorstellungen, wenn es um Fragen des Verhältnisses von Gesetz und Verwaltung geht, und drängen Fragen des Verwaltungsermessens, der Abwägungsermächtigungen und der Entscheidungsfindung in Kollegialgremien an den Rand. Gerade in seiner Reduktion liegt die Faszination des überkommenen Konzepts; denn sie gestattet es, mit leicht einsichtigen Vorstellungen von "oben" und "unten", "innen" und "außen" - in "rein juristischer" Betrachtung - zu eindeutigen Zuordnungen und klaren Ergebnissen zu gelangen.

1. Der Untersuchungsgegenstand: Verwaltung

Das Leben in Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik läßt sich jedoch nicht auf solche einfachen Vorstellungen zurückführen. Folglich kann auch ein Recht, das einen Steuerungsanspruch gegenüber diesen Vorgängen erhebt, nicht nach so einfachen Mustern gewirkt sein. Das zeigt sich für das Verwaltungsrecht bereits an seinem Regelungsgegenstand. Wenn die Verfassung in Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 2 und 3 und Art. 19 Abs. 4 GG an die Ausübung staatlicher Herrschaft besondere Anforderungen stellt, die für den administrativen Bereich im Verwaltungsrecht auszuarbeiten sind, dann ist der Regelungsgegenstand entscheidend durch die Abgrenzung der Verantwortungssphären zwischen Gesellschaft und organisierter Staatlichkeit bestimmt. Hier und nicht in der Anknüpfung an das Gewaltenteilungsprinzip, die erst eine nachfolgende Thematik darstellt, liegen die wichtigsten Aufgaben zur systematischen Entfaltung des Verwaltungsrechts. Ein solches System kann nur als ein flexibles System gedacht werden, denn die Grenzen der Verantwortungssphären sind fortgesetzt in Bewegung und überhaupt nur als breite Grenzzone greifbar, die als Kooperationsbereich erscheint. Die jüngeren Privatisierungsdiskussionen haben das besonders

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deutlich gemacht. Die Problematik ist jedoch wesentlich breiter und struktureller Natur. Privatisierungen sind nur ein Ausdruck dafür, daß sich Verwaltung und Gesellschaft in ihren Handlungen und Organisationen tagtäglich in immer wieder neuer Weise zusammenfinden und separieren: Alte Aufgaben, wie der Postdienst, werden aus dem Bestand der Hoheitsaufgaben entlassen, während sich für andere Aufgaben, z. B. die Ordnung der Organtransplantation, ihre Einbeziehung in die administrative Verantwortungssphäre als notwendig erweist. Immer wieder ändert sich das Mischungsverhältnis zwischen gesellschaftlicher und staatlicher Leistungserbringung. Zur Analyse dieser Vorgänge hat sich die Erarbeitung einer Typologie der Verantwortlichkeiten als nützlich erwiesen. Verantwortung wird so zu einem heuristischen Begriff, der die unterschiedlichen Arten und Intensitätsgrade staatlich-gesellschaftlicher Kooperation ausdrückt und zu den elementaren Schutzanforderungen der oben genannten Verfassungsbestimmungen in Beziehung setzt. Die Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes "Verwaltung" erhält neben ihrer statischen auf diese Weise eine dynamische Komponente. Zum Verwaltungsrecht gehören folglich nicht nur die öffentlich-rechtlichen Organisations- und Handlungsformen sowie die Verwaltung in Privatrechtsform, sondern auch die immer wieder neu zu erarbeitenden Regelungsbedürfnisse des administrativ-gesellschaftlichen Kooperation.sbereichs, die im Gedanken, Öffentliches Recht und Privatrecht als sich gegenseitig ergänzende "Auffangordnungen" zu betrachten, das dynamische Elemente der Systembildung sind.

2. Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaften

Bei der Behandlung dieser mit manchem traditionellen Ballast behafteten zweiten Fragestellung ist es zunächst notwendig sich zu verdeutlichen, daß die Verwaltung ganz selbstverständlich Untersuchungsgegenstand zahlreicher Wissenschaften ist, die ihr mit unterschiedlichen Erkenntnisinteressen gegenübertreten. Diese sind teils empirischer, teils normativer Natur. Die Rechtswissenschaft repräsentiert in diesem Kontext die normative Seite nicht allein; auch Verwaltungsökonomie und Verwaltungspolitik besitzen deutliche normative Komponenten. Vor diesem Hintergrund erscheint es von zweifelhaftem Wert, alle nicht-rechtsnormativen Wissenschaften unter dem Begriff der "Verwaltungslehre" oder "der" Verwaltungswissenschaft zusammenzufassen. Weder bilden diese einen geschlossenen Kanon, noch sollte sich eine Frontstellung zwischen der Verwaltungsrechtswissenschaft und allen anderen Disziplinen, die sich mit der Verwaltung beschäftigen, konstruieren lassen. 12"

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Der Ausgangsbefund lautet: Die Verwaltung ist ein multidisziplinärer Forschungsgegenstand, ohne daß sich daraus besondere Rangzuweisungen der beteiligten Fachdisziplinen ergeben. Ein solcher Vorrang wird auch dort nicht beansprucht, wo es heißt, eine Fachwissenschaft benutze die Erkenntnisse anderer. Diese Vorstellung von einer "dienenden Funktion" gilt zwischen Wissenschaften wechselseitig und ist eigentlich selbstverständlich. Wichtig ist, daß die Nutzung von Forschungen anderer Wissenschaften richtig, d. h. informiert und methodenbewußt erfolgt. In diesem Sinne nutzt auch die Verwaltungsrechtswissenschaft in ihrer täglichen dogmatischen Arbeit fortlaufend die Erkenntnisse anderer Verwaltungswissenschaften: Über Fragen des Entwicklungsgebots nach § 8 Abs. 2 BauGB läßt sich eine rechtsnormative Entscheidung nur treffen, wenn planungswissenschaftliche Kenntnisse einbezogen werden. Ebenso kann das von Art. 20 Abs. 2 GG geforderte Legitimationsniveau juristisch nur unter Einbeziehung politikwissenschaftlicher Forschung bestimmt werden. Besonders deutlich ist die Angewiesenheit des Verwaltungsrechts auf die Erkenntnisse anderer Fachwissenschaften bei den Verwaltungsmaßstäben, insbesondere bei der Konkretisierung des Verhältnismäßigkeits- und des Wirtschaftlichkeitsprinzips. Die Beispiele zeigen, daß es eine Option für eine "streng juristische" Methode, die ohne diese Bezugnahmen auszukommen vermöchte, nicht geben kann. Lassen sich die Erkenntnisse einer multidisziplinären Praxis zu einem interdisziplinären Forschungskonzept fortentwickeln? Unter einem solchen Konzept verstehe ich die aufeinander abgestimmte Analyse bestimmter Forschungsfelder durch mehrere Fachwissenschaften und die Entwicklung gemeinsamer Forschungsperspektiven. Interdisziplinarität verlangt nicht einheitliche Methoden, und sie zielt nicht auf die Schaffung eines ganz neuen, nur integral zu erfassenden Forschungsgegenstandes (Transdisziplinarität). Sie setzt aber eine gründliche Verständigung über die Identität bzw. Differenziertheit gemeinsam genutzter Begriffe und Parameter voraus. Daß die öffentliche Verwaltung unbeschadet der Variabilität ihrer Erscheinungsformen und Handlungsweisen, ja vielleicht gerade wegen dieser Variabilität ein bedeutungsvoller Gegenstand eines interdisziplinären Forschungskonzepts sein sollte, steht außer Streit. Vieles deutet darauf hin, daß der Weg zu einem solchen Forschungskonzept auch längst beschritten ist. Der Umgang der beteiligten Wissenschaften miteinander ist in den zurückliegenden drei Jahrzehnten unbefangener geworden. So spielt in der politikwissenschaftlichen Implementations- und Policyforschung selbstverständlich auch das Verwaltungsrecht eine wichtige Rolle, während die verwaltungsrechtliche Systematik durch Erkenntnisse empirischer Verwaltungswissenschaften auf neue Phänomene wie das informale Verwaltungshandeln aufmerksam gemacht wird und neue Lösungsmuster unter Rückgriff auf sozialwissenschaftliche Paradigmen entwickelt. Die Bedeutung von Referenzgebieten

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des Besonderen Verwaltungsrechts für die Fortentwicklung des Allgemeinen Verwaltungsrechts zu betonen, verfolgt auch den Zweck, die in diesen Gebieten gespeicherten Erfahrungen und ihr Instrumentenarsenal der normativ-systematischen Arbeit zu erschließen. Der wichtigste Ausdruck eines interdisziplinären Forschungskonzepts sind die in der Zwischenzeit entfalteten Vermittlungs- oder Brückenbegriffe. Auf die Bedeutung des Verantwortungsbegriffs ist oben bereits hingewiesen worden. Über " Steuerung" , " Kommunikation " und "Entscheidung" kann an anderer Stelle (oben S. 103 ff.) nachgelesen werden. Auch der Begriff der "Öffentlichkeit" gehört in diesen ·Zusammenhang. Gerade an ihm wird die Notwendigkeit eines interdisziplinären Konzepts deutlich; denn ohne Abstimmung der notwendigen ideengeschichtlichen, politik- und kommunikationswissenschaftlichen, soziologischen und verwaltungsrechtlichen Forschungsansätze läßt sich dieses " Medium " wissenschaftlich nicht erfassen.

3. Zur Wissenschaftlichkeit des Verwaltungsrechts

Verwaltungsrecht ist eine Gemeinschaftsleistung, zu der Justiz, Gesetzgebung, Verwaltung und Wissenschaft beigetragen haben. Unser Thema will den Part der Wissenschaft besonders hervorheben. Das Verwaltungsrecht tritt der wissenschaftlichen Betrachtung nicht nur als Beobachtungsobjekt gegenüber, sondern es geht (auch) aus wissenschaftlicher Beschäftigung hervor und trägt folglich wissenschaftliche Züge. Wissenschaft wird hier nicht in einen bewußten Gegensatz zur Praxis gestellt. Wie die Rechtswissenschaft insgesamt, so arbeitet auch die Verwaltungsrechtswissenschaft grundlagenorientiert und praxisorientiert zugleich. Ein großes Aufgabenfeld der Verwaltungsrechtswissenschaft liegt heute in der Rechtsvergleichung. Die grundlagenorientierte Forschung ist nicht auf die Universitäten beschränkt, sie findet sich auch in der Publikationstätigkeit von Anwälten und Richtern. Die Rechtswissenschaften verfügen so über Wege des "Transfers" .wissenschaftlicher Erkenntnisse, deren Fehlen in anderen Wissenschaften häufig beklagt wird. Gerade deshalb muß die Wissenschaftlichkeit des Verwaltungsrechts immer wieder herausgestellt werden. Die gelegentlich anzutreffende Selbstgenügsamkeit, es doch nur bei der kommentierenden Bestandsaufnahme der gesetzgeberischen und judikativen Praxis zu belassen, verfehlt den Auftrag der Wissenschaft, einen Rahmen für tiefergreifende Reflexionen zu bieten und längerfristige Entwicklungstendenzen aufzuzeigen. Daß das nicht mit einer geschlossenen Systemidee zu leisten ist, liegt auf der Hand. Aber relative Distanz gegenüber der an Einzelentscheidungen ausgerichteten gerichtlichen Praxis und gegenüber dem Verwaltungsalltag läßt sich gewin-

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nen, wenn immer wieder auf Grundfragen nach der Stellung des Individuums, nach dem Gemeinwohl, nach Transparenz, Öffentlichkeit und Rationalität zugegriffen wird. Gerade seine Wissenschaftlichkeit ist ein wichtiger Garant dafür, daß das Recht seine Aufgaben, handlungsleitende Orientierung zu bieten, wahrnehmen kann.

11. Die Aufgaben des Allgemeinen Verwaltungsrechts

Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht beschäftigt sich grundsätzlich mit allen Teilen dieses Rechtsgebietes. Besonders eng sind ihre Bindungen jedoch an das Allgemeine Verwaltungsrecht. Gerade hier können sich die wissenschaftlichen Interessen an einer fortlaufenden Überprüfung überkommener Erkenntnisse und an ihrer Fortentwicklung zur Geltung bringen. Das Allgemeine Verwaltungsrecht stellt sich weit weniger als Gegenstand von Kodifikationen denn als Rahmen für Reflexionen und für die Rezeption neuer Entwicklungsanstöße dar. Die in ihm zusammengefaßten Rechtsinstitute und Rechtsgrundsätze bieten, weil sie oft Prinzipien- und Rahmencharakter besitzen, Anknüpfungspunkte für jene tiefergreifenden Diskurse, die die Wissenschaftlichkeit des Verwaltungsrechts ausmachen. Wenn heute neben der nationalstaatlichen die europäische Perspektive der Verwaltungsrechtsentwicklung betont wird, so sind die Forschungsinteressen besonders auf den Aufbau eines Allgemeinen Teils eines Europäischen Verwaltungsrechts zu richten (vgl. unter III.).

1. Neue Referenzgebiete

Die Entwicklung allgemeiner Lehren hat sich in fortlaufender Auseinandersetzung mit der Rechtssituation in den Gebieten des Besonderen Verwaltungsrechts zu vollziehen, wenn sie nicht blasse Konstruktion bleiben will. Die Beobachtung des Besonderen Verwaltungsrechts leitet auf neue Probleme und Lösungen zu, zwingt die allgemeinen Lehren zur Überprüfung und ggf. Anpassung ihrer Aussagen und bindet sie an die Verwaltungsrealität zurück. Die richtige Auswahl der für das Allgemeine Verwaltungsrecht prägenden Gebiete des Besonderen Verwaltungsrechts ist folglich eine wichtige Aufgabe. Sie muß sicherstellen, daß die für die zeitgenössische Verwaltungssituation repräsentativen Interessenkonstellationen wahrgenommen werden. Der Begriff der Referenzgebiete soll dieses anzeigen (s. dazu oben S. 57 ff. und S. 169 ff.). Am Beispiel des Umweltverwaltungsrechts ist auf diese Zusammenhänge in jüngerer Zeit mehrfach hingewiesen worden. Vor allem das Verwaltungs-

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verfahrensrecht hat von diesem Rechtsgebiet wesentliche Entwicklungsanstöße erfahren. Sie bestehen allerdings nicht darin, daß sogleich neue allgemeine Lehrsätze fixiert werden. Vielmehr geht es zunächst regelmäßig darum, einen überkommenen Bestand im Lichte neuer Erfahrungen in einem repräsentativen Rechtsgebiet der Diskussion zu öffnen. Dieses ist z. B. durch das Umweltinformationsrecht für die Problematik der allgemeinen Aktenöffentlichkeit angestoßen worden. Auch das Institut der Umweltverträglichkeitsprüfung enthält über seine Bedeutung für die Umweltpolitik hinaus ein allgemein nutzbares Innovationspotential. Es läßt nach Vorklärungsverfahren auch in anderen Gebieten, z. B. im Bereiche des Finanzund Haushaltsrechts fragen, die zu einem Zeitpunkt stattfinden, in dem eine integrale Analyse und eine Darstellung mehrerer Handlungsoptionen noch möglich sind. Unter dem Einfluß des EG-Rechts gewinnt das Wirtschaftsverwaltungsrecht gesteigerte Bedeutung als Referenzgebiet für das Allgemeine Verwaltungsrecht. Unterschiedliche Formen von Privatisierungen werden deutlich und verlangen nach verwaltungsrechtlicher Strukturierung. Privatisierungen führen ja keineswegs dazu, daß alle staatlichen Regelungsnotwendigkeiten entfallen. Verlangt wird vielmehr regelmäßig eine Umstellung der Steuerungsansätze. Die administrative Regulierungstätigkeit im Bereich des Telekommunikationswesens ist dafür das beste Beispiel. Die marktordnende Verwaltung hebt die bisherigen Ansätze "verteilender Verwaltung" auf eine neue Ebene.

2. Neue Kommunikationsmuster

Die Veränderung der Kommunikationsformen zwischen Verwaltung, Bürgern, Unternehmen und Öffentlichkeit ist zum einen in der Rechtsfigur der mehrpoligen Verwaltungsverhältnisse aufgenommen worden. Die Vorgänge der sog. kooperativen Verwaltung verdeutlichen darüber hinaus, daß die punktuelle Begegnung, wie sie dem Konzept des älteren Polizei- und Überwachungsrechts zugrundeliegt, um die Kommunikationsform des Dauerkontakts ergänzt werden muß. In ihr steht das gemeinsame Bewirken im Vordergrund, das ein anderes Rollenverständnis voraussetzt. Die Kommunikationsmuster des Verwaltungsrechts haben sich ferner unter dem Einfluß neuer Kommunikationstechniken geändert. Das Datenschutzrecht des bisherigen Konzepts nimmt jedoch nur einen begrenzten Teil dieser Problematik auf. Ein noch zu entwickelndes Verwaltungsinformationsrecht muß sehr viel breiter ansetzen. Es mllB neben dem Schutz der Daten vor allem den Datenzugang und die Datenqualität sichern.

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Ein herausragendes Thema ist die Funktion von Öffentlichkeit im Verwaltungsrecht. Ihre im deutschen Recht eher restriktiv definierte Rolle wird durch das EG-Recht deutlich aufgewertet. Rechtssystematisch fällt es nicht schwer, dieses als Entwicklung eines demokratischen, aber auch eines rechtstaatlichen Verwaltungsrechts auszuweisen, das die Rationalität administrativen Handeins sicherstellen soll. Insbesondere für das Konzept der Verwaltungskontrollen ist die Öffentlichkeit ein wichtiges Bauelement. Freilich darf dabei nicht übersehen werden, daß damit auf ein in seinen Erscheinungsformen und Aggregatzuständen außerordentlich wandlungsfähiges und unbeständiges Medium Bezug genommen wird. Die Entwicklung stabilisierender Faktoren, ohne die eine Einbeziehung der Öffentlichkeit in die verwaltungsrechtliche Systematik von zweifelhaftem Erfolg bleiben wird, setzt interdisziplinäre Forschung zwischen Verwaltungsrechtswissenschaft und Kommunikationswissenschaft voraus.

3. Neue Verwaltungsstmkturen

Neue Verwaltungsstrukturen bilden sich zum einen im Gefolge des sog. Neuen Steuerungsmodells. Der damit angestrebte Aufbau einer unternehmensähnlichen, dezentralen Führungs- und Organisationsstruktur drängt hierarchische Entscheidungszüge zurück und verlangt nach neuen Koordinationsmechanismen. Leistungsvereinbarungen und Kontraktmanagement, Controlling und Innovation treten in der verwaltungsrechtlichen Systematik neben die vertrauten Formen von Weisung und Fachaufsicht. Ein zweiter Veränderungsanstoß geht auch hier vom EG-Recht aus. Die mitgliedstaatlichen Verwaltungen werden Teile eines Netzwerkes der Verwaltungskooperation im Gemeinschaftsraum. Diese Konsequenz ist angesichts des vorrangig dezentralen Vollzuges von Gemeinschaftsrecht unvermeidlich. Sie ist bisher freilich im Verwaltungsrecht zu wenig beachtet worden. Die europäische Perspektive des Verwaltungsrechts darf sich jedoch nicht in Fragen der Rechtsangleichung und der punktuellen Rechtsdurchsetzung nach Maßgabe der EuGH-Rechtsprechung erschöpfen. Sie muß sich vor allem mit der täglichen Rechtsanwendung beschäftigen. Zutreffend wird in neueren Dokumenten der Kommission die Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungsstellen der EG und den mitgliedstaatlichen Verwaltungen als ein Schlüsselelement für das Gelingen des Binnenmarktes herausgestellt. Die Kooperationsbeziehungen verlaufen vertikal zwischen EGAdministration und Mitgliedstaaten, aber auch horizontal zwischen den mitgliedstaatlichen Verwaltungen: Kontaktstellen sind zu schaffen, der Austausch und die gemeinsame Ausbildung der zuständigen Beamten zu organisieren. Europaweites Zusammenwirken in Datennetzen wird zur Nor-

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malität des nationalen Verwaltungsalltags. Damit bilden sich neue, gemeinsame Denkmuster heraus, die nicht nur an Rechtsrnaßstäben, sondern auch an Maßstäben der Betriebswirtschaftslehre ausgerichtet sind. Die Handlungsformen der Kooperation und die Orientierung an den Lehren des N ew Public Managements bilden den Boden, auf dem sich ein gemeinsames Selbstverständnis europäischen Verwaltens ausformt.

m. Thesen zur Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsrechts Zur Ausformung eines Europäischen Verwaltungsrechts, die die wichtigste Entwicklungsaufgabe der Zukunft darstellt, sollen folgende zehn Thesen formuliert werden: 1. Das Europäische Verwaltungsrecht tritt gegenwärtig in eine dritte

Phase seiner Entwicklung: Nach einer (ersten) Periode der "Bestandsaufnahme", in der vor allem die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs referiert wurden, und einer (zweiten) Periode der "Europäisierung", die sich mit den Veränderungen des nationalen Verwaltungsrechts vor allem durch EG-Richtlinien und durch die Rechtsprechung beschäftigte, ist es jetzt notwendig, die Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts systematisch zu entwickeln. 2. Die Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts ergeben sich aus den Anforderungen des Gemeinschaftsraumes. Als Raum des Binnenmarktes und der Währungsunion und als Lebensbereich der Unionsbürger stellt der Gemeinschaftsraum vielfältige Anforderungen an die öffentliche Verwaltung: Arbeitsplatzsicherheit, Schutz des Wettbewerbs, Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltschutz, soziale Sicherheit und Infrastruktur. Die Unionsbürger und Unternehmen erwarten, daß diese Aufgaben von allen beteiligten Verwaltungen effizient, effektiv und in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Rechtsstaates und der Demokratie erfüllt werden. 3. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben müssen die Verwaltungen der Mitgliedstaaten vertikal mit der EG-Administration und horizontal untereinander kooperieren. Das wird dadurch erleichtert, daß die EG-Administration und die Administrationen der Mitgliedstaaten nicht feste Blöcke, sondern polyzentrische Gefüge sind, in denen sich direkte Beziehungen auch zwischen Behörden unterer Ebenen oder zwischen speziellen Ressorts ergeben. Nicht die Trennung isolierter Verwaltungs sphären, sondern Verwaltungskooperation in einem Mehrebenen-Modell ist das Konzept einer modernen öffentlichen Verwaltung des Gemeinschaftsraumes.

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4. Die wichtigsten Aufgaben des Europäischen Verwaltungsrechts bestehen darin, - eine wirksame, transparente und verantwortliche Verwaltungskooperation zu sichern; - die erforderliche Verwaltungsmodernisierung auf allen Ebenen zu ermöglichen und zu initiieren (Privatisierung, Deregulierung, New Public Management). 5. Das Europäische Verwaltungsrecht muß für die Verwaltung des Gemeinschaftsraumes gemeinsame Werte und Rechtsüberzeugungen ausdrücken: Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Subsidiarität (vgl. Art. 6 EUV in der Fassung des Vertrages von Amsterdam). Es muß individuelle Rechte schützen und institutionelle Sicherungen des politischen Prozesses formulieren, die unter den Bedingungen moderner Verwaltung im Mehrebenen-Modell wirksam sind: Transparenz, Öffentlichkeit, Verantwortlichkeit. 6. Das Europäische Verwaltungsrecht wird definiert als das Recht aller Verwaltungshandlungen, die von der EG-Administration oder von Behörden der Mitgliedstaaten im Gebiet der Europäischen Gemeinschaft vorgenommen werden. Es besteht aus folgenden Schichten: - EG-Recht für die EG-Administration (Recht des direkten Vollzuges; Eigenverwaltungsrecht); - EG-Recht für die Verwaltungen der EG-Mitgliedstaaten (Recht des indirekten Vollzuges, Gemeinschaftsverwaltungsrecht), - das von den Behörden unmittelbar angewandt wird (vor allem Verordnungen und direkt wirkende Richtlinien) oder - das von den Mitgliedstaaten in ihr eigenes Recht transformiert werden muß (vor allem Richtlinien); - Recht der Mitgliedstaaten, - das das EG-Recht transformiert hat, - sonstiges Verwaltungsrecht der Mitgliedstaaten (auch dieses wird heute vielfach durch EG-Recht, z. B. Art. 5, 6, 8 ff., 3D, 36, 48 EGV, beeinflußt). 7. Die Schaffung eines Europäischen Verwaltungsrechts zielt nicht auf Kodifikation. Vielmehr geht es darum, aus gemeinsamen Rechtsprinzipien ein Ordnungsgefüge zu entwickeln, in das die vielfältigen Einzelentwicklungen in Gesetzgebung und Judikatur unter bewußter Reflexion ihrer Voraussetzungen und Konsequenzen eingestellt werden können.

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8. Der Aufbau und die wichtigsten Kapitel des Europäischen Verwaltungsrecht können sich an den Lehrbüchern zum nationalen Verwaltungsrecht orientieren: - Legalität der Verwaltung; - Organisation der Verwaltung; - Rechtsformen des VerwaltungshandeIns; - Verwaltungsverfahrensrecht; - Staatshaftungsrecht; - Verwaltungskontrollen, insbesondere Gerichtsschutz. Die Art der Darstellung sollte integrierend und nicht nur summierend sein. Das bedeutet, daß jedes Kapitel intern entsprechend den Schichten des Europäischen Verwaltungsrechts gegliedert wird. 9. Besonders strukturprägende Gegenstände der Darstellung müssen sein: - der Begriff der Verwaltung und das Prinzip der Gewaltenteilung; - die Verwaltungskooperationsbeziehungen; - die mehrstufigen Verwaltungsverhältnisse zwischen EG, Behörden der Mitgliedstaaten und Unternehmen bzw. Bürgern, die aus der Verwaltungskooperation folgen; - das Verwaltungsinformationsrecht (Datenflüsse, Gemeinschaftsstatistik, Datenschutz); - transnationale Verwaltungsakte, die von der Verwaltung eines Mitgliedstaates kraft Anerkennungsprinzip mit Wirkung auch für die anderen Mitgliedstaaten getroffen werden; - die Rolle der Öffentlichkeit als kommunikative Komponente des Europäischen Verwaltungsrechts. 10. Parallel zur Schaffung eines Europäischen Verwaltungsrechts muß sich eine Europäische Verwaltungsrechtswissenschaft entwickeln. Eine Verwissenschaftlichung ist auch im europäischen Entwicklungszusammenhang unverzichtbar (dazu oben S. 148 ff.)

Verzeichnis der Mitarbeiter Priv.-Doz. Dr. Thomas Groß, Institut für deutsches und europäisches Verwaltungsrecht, Friedrich-Ebert-Anlage 6 -10, D-69117 Heidelberg Prof. Dr. Wollgang Hoffmann-Riem, Universität Hamburg, FB Rechtswissenschaft, Edmund-Siemers-Allee 1, D-20146 Hamburg Prof. Dr. Walter Krebs, Freie Universität Berlin, Boltzmannstraße 4, D-14195 Berlin Prof. Dr. Irena Lipowicz, Posel na Sejm R. P., ul. Pocztowa 16 p. 2, PL-40-022 Katowice Dr. Hans Christian Röhl, Institut für deutsches und europäisches Verwaltungsrecht, Friedrich-Ebert-Anlage 6 -10, D-69117 Heidelberg Prof. Dr. Reiner Schmidt, Universität Augsburg, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Universitätsstraße 2, D-86135 Augsburg Prof. Dr. Eberhard Schmidt-Aßmann, Institut für deutsches und europäisches Verwaltungsrecht, Friedrich-Ebert-Anlage 6 -10, D-69117 Heidelberg Prof. Dr. Friedrich Schoch, Albert-Ludwigs-Universität, Institut für Öffentliches Recht, Europaplatz 1, D-79098 Freiburg i. Br. Prof. Dr. Gunnar Folke Schuppert, Humboldt-Universität, Ziegelstraße 13, D-I0099 Berlin Prof. Dr. Hans-Heinrich Trute, Technische Universität Dresden, Juristische Fakultät, Mommsenstraße 13, D-OI062 Dresden