Die Verwirklichung des Binnenmarktes für Arzneimittel [1 ed.] 9783428513116, 9783428113118

Arzneimittel werden über die nationalen Grenzen innerhalb Europas im Rahmen des Binnenmarktes in der Europäischen Gemein

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Die Verwirklichung des Binnenmarktes für Arzneimittel [1 ed.]
 9783428513116, 9783428113118

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Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Band 24

Die Verwirklichung des Binnenmarktes für Arzneimittel Von

Barbara Winter

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

BARBARA WINTER

Die Verwirklichung des Binnenmarktes für Arzneimittel

Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Herausgegeben im Auftrag des Instituts für Europäisches Wirtschaftsrecht der Universität Erlangen-Nürnberg durch die Professoren Dr. Dr. Stefan Grundmann und Dr. Karl Albrecht Schachtschneider

Band 24

Die Verwirklichung des Binnenmarktes für Arzneimittel

Von Barbara Winter

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

n2 Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0947-2452 ISBN 3-428-11311-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Diese Arbeit lag der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg im Mai 2003 als Inaugural-Dissertation vor. Herr Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider übernahm dankenswerterweise die Betreuung dieser wissenschaftlichen Arbeit. Ohne seine initiale Anregung und sein Vertrauen in mich, als externe Doktorandin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht zu promovieren, wäre diese Arbeit nie zustande gekommen. Ihm gilt mein besonderer und tiefer Dank, insbesondere für die vielen intensiven Gespräche, die wertvollen Hinweise und Gedanken, die entscheidend zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Aber auch die engen Kontakte zu den Kolleginnen und Kollegen am Lehrstuhl für Öffentliches Recht waren sehr wertvoll für mich während meiner wissenschaftlichen Tätigkeit. Darüber hinaus möchte ich Herrn Prof. Dr. Oliver Schöffski vom Lehrstuhl für Gesundheitsmanagement meinen herzlichen Dank für die Übernahme des Zweitgutachtens aussprechen. Im Rahmen meines Promotionsverfahrens haben mich Herr Prof. Dr. Wolfgang Harbrecht und sein Team am Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre sehr unterstützt. Dafür sei ihnen herzlichst gedankt. Herrn Dr. Wolfgang Niedermaier, Geschäftsführer der Firma Heumann Pharma GmbH in Nürnberg, möchte ich ganz besonders danken. Seine Motivation und Unterstützung haben mich dazu bewogen, die Herausforderung einer wissenschaftlichen Arbeit erst anzunehmen. Außerdem konnte ich durch meine langjährige Mitarbeit im Produktmanagement und in der Marktforschung von Heumann Pharma reichhaltige Erfahrungen im Bereich der Arzneimittelzulassung und in den verschiedenen europäischen Gesundheitssystemen sammeln. Schließlich gilt mein tiefer Dank noch meiner Familie, insbesondere meinem Ehemann Arthur Kaindl und meinen Eltern Hanne und Wolfgang Winter. Sie haben mich über lange Jahre hinweg motiviert, unterstützt und in manch schwierigen Zeiten wieder aufgebaut. Ohne den Rückhalt meiner Familie wäre die Arbeit in dieser Form nicht möglich gewesen. Marloffstein, im November 2003

Barbara Winter

Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Erster Teil Arzneimittelsicherheit und Verfassungsrecht

23

1. Kapitel Die Pflicht zum Gesundheitsschutz nach dem Grundgesetz in Deutschland

23

2. Kapitel Die Pflicht zum Gesundheitsschutz nach französischem Recht

29

3. Kapitel Die Pflicht zum Schutze der Gesundheit der Europäischen Gemeinschaft

32

Zweiter Teil Die Verwirklichung des Binnenmarktes und der Warenverkehrsfreiheit in der Europäischen Gemeinschaft

42

1. Kapitel Der Binnenmarkt in der Europäischen Gemeinschaft

42

2. Kapitel Der Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit

47

3. Kapitel Ausnahmen von der Warenverkehrsfreiheit

53

8

Inhaltsverzeichnis

Dritter Teil Das Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

61

1. Kapitel Definition von Arzneimitteln I.

64

Europäische Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

II. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 III. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Kapitel

I.

Die Harmonisierung der Arzneimittelzulassung

77

Europäische Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Zulassungsverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das dezentrale Zulassungsverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das zentrale Zulassungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Befugnis der Europäischen Gemeinschaft zur Erteilung der Zulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Zulassung als Entscheidung im Sinne von Artikel 249 EG . . . . . . b) Die Zulässigkeit von Artikel 308 EG als Grundlage für die Einführung eines zentralen Zulassungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die zentrale Zulassung als unmittelbarer Vollzug des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79 81 81 88 94 95 100 105

II. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 III. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 3. Kapitel Die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln I.

115

Struktur und Aufgaben der Agentur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

II. Die Befugnis der Europäischen Gemeinschaft zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittelagentur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Subsidiäre Anwendbarkeit von Artikel 308 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesundheits- und Verbraucherschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Verwirklichung von gemeinschaftlichen Zielen im Rahmen des Gemeinsamen Marktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

120 122 122 126 128

Inhaltsverzeichnis 3. Das Tätigwerden der Gemeinschaft ist erforderlich und geeignet . . . . . . 4. Die Errichtung einer vertraglich nicht vorgesehenen Einrichtung . . . . . . a) Prinzip der begrenzten Ermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einstimmigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Institutionelles Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 . . . . .

129 130 130 134 134

III. Kritische Betrachtung der Aufgaben und Befugnisse der Agentur . . . . . . . . . 1. Kontrolle der Agentur durch die Gemeinschaftsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Bedeutung des Gutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hoheitliche Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Gutachten der Agentur als Vorwegnahme der endgültigen Entscheidung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Übertragung einer Ermessensentscheidung auf die Agentur . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

136 137 139 140 142 145 148

4. Kapitel Sonstige Produktregelungen für Arzneimittel I.

149

Europäische Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 1. Verpackung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Packungsbeilage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

II. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Verpackung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. Packungsbeilage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 III. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 1. Verpackung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Packungsbeilage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

5. Kapitel Preisbildung und Kostenerstattung bei Arzneimitteln I.

163

Europäische Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 1. Preisbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 2. Erstattung der Kosten für Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

II. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 1. Preisbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 2. Erstattung der Kosten für Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 III. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Preisbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2. Erstattung der Kosten für Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

10

Inhaltsverzeichnis 6. Kapitel 194

Sonstige Verkaufsmodalitäten für Arzneimittel I.

Europäische Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verschreibungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Werbung und Verkaufsförderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

195 195 198 201

II. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verschreibungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Werbung und Verkaufsförderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

205 205 207 209

III. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verschreibungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Werbung und Verkaufsförderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

211 211 211 212

Zusammenfassung in Thesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl. Abs. AFSSPS AMG

AMPreisV AMuwV Anm. AöR ARSP Artikel ASMR Aufl. BB Bd. Beschl. BfArM BGBl. BMJFG BR-Drs. Bsp. BT-Drs. BtMG Bull. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE CEPS C.S.P. C.S.S. DC ders. d.h.

Andere Ansicht Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Agence française de sécurité sanitaire des produits de santé Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts (Arzneimittelgesetz), v. 24.08.1976, BGBl. I S. 2445, 2448, zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes v. 21.08.2002, BGBl. I S. 3352 Arzneimittelpreisverordnung, BGBl. I v. 14.11.1980 S. 2147 Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel Amélioration du Service Médical Rendu Auflage Betriebs-Berater Band Beschluß Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Bundesgesetzblatt Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit Bundesrats-Drucksache Beispiel Bundestags-Drucksache Betäubungsmittelgesetz Bulletin Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Comité Economique des Produits de Santé Code de la Santé Publique, 16. Aufl. 2002 Code de la Sécurité Sociale, 25. Aufl. 2001 Décision derselbe das heißt

12 dies. div. Dok. DÖV Drs. DVBl. EAG EEA EFPIA EG EG

EGKS EGV ELR EMEA EMRK endg. erw. EU EuGH EuGRZ EUV EuZW EWG EWGV

EWS f., ff. F.A.Z. FCKW FGNV Fn. FS GG h. M. Hrsg. HStR

Abkürzungsverzeichnis dieselbe(n) diverse Dokument Die Öffentliche Verwaltung Drucksache Deutsches Verwaltungsblatt Europäische Atomgemeinschaft Einheitliche Europäische Akte vom 28.02.1986, ABl. Nr. L 169 S. 1 European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations, Europäischer Verband der Arzneimittelindustrie Europäische Gemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung des Amsterdamer Vertrages (in Verbindung mit Artikelangaben), ABl. Nr. C 340 S. 1 Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, ABl. Nr. C 340 S. 50 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung des Maastrichter Vertrages, ABl. Nr. C 191 S. 1 European Law Review European Medical Evaluation Agency, Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln Europäische Menschenrechtskonvention endgültig erweitert(e) Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift Vertrag über die Europäische Union in der Fassung des Amsterdamer Vertrages, ABl. Nr. C 340 v. 10.11.1997, S. 145 ff. Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25.03.1957, BGBl. II Nr. 23 v. 19.08.1957 S. 766, Berichtigung BGBl. II Nr. 35 v. 05.11.1957 S. 1678 u. Nr. 3 v. 05.02.1958 S. 64 Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift) folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Fluorchlorkohlenwasserstoff Festbetragsgruppen-Neubestimmungsverordnung Fußnote Festschrift Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland herrschende Meinung Herausgeber Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland

Abkürzungsverzeichnis HWG

13

Gesetz über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens in der Fassung der Bekanntmachung v. 19.10.1994, BGBl. I S. 3068 insbes. insbesondere i.V. m. in Verbindung mit JO Journal officiel de la République française JöR Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart JuS Juristische Schulung JZ Juristenzeitung Kap. Kapitel KOM Kommission LEEM LEs Entreprises du Médicament LG Landgericht lit. Litera LMBG Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz LS Leitsatz NJW Neue Juristische Wochenschrift Nr. Nummer NZS Neue Zeitschrift für Sozialrecht ÖBIG Österreichisches Bundesinstitut für das Gesundheitswesen OECD Organization for Economic Cooperation and Development, Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OLG Oberlandesgericht O. V. Ohne Verfasser OVG Oberverwaltungsgericht PharmInd. Pharmazeutische Industrie (Zeitschrift) Rdnr. Randnummer RDSanit.Soc. Revue de Droit Sanitaire et Sociale RL Richtlinie Rs. Rechtssache Rspr. Rechtsprechung S. Seite SGB V Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung, BGBl. I v. 20.12.1988 S. 2477, 2482, zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes v. 21.08.2002, BGBl. I S. 3352 Slg. Sammlung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften SNIP Syndicat National de l’Industrie Pharmaceutique (France) Sp. Spiegelstrich u. und u. a. und andere überarb. überarbeitet Unterabs. Unterabsatz Urt. Urteil

14 UWG

v. verb. Verf. VGH vgl. VO VwGO VwVfG ZaöRV Ziff. ZIP ZLR

Abkürzungsverzeichnis Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, RGBl. 1909, S. 499, zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes v. 23.07.2002 (BGBl. I S. 2850) vom (Datum) verbundene Verfassung Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verordnung Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht

Einführung „Zweck der Vollendung des Binnenmarktes für Arzneimittel ist es nicht nur, ein Umfeld zu schaffen, das pharmazeutische Innovationen und unternehmerische Entwicklungen begünstigt, sondern auch, für den Verbraucher die Auswahl an Arzeimitteln der erforderlichen Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit zu erschwinglichen Preisen zu verbessern.“1 Trotz der weitgehend harmonisierten Zulassungsverfahren und der Einführung des zentralen Zulassungsverfahrens innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ist es heute immer noch nicht möglich, ein Arzneimittel auch tatsächlich gleichzeitig in den verschiedenen Mitgliedstaaten auf den Markt zu bringen.2 So besteht weiterhin Handlungsbedarf für die Verwirklichung des Binnenmarktes und damit des freien Verkehrs von Arzneimitteln in der Europäischen Gemeinschaft. Dabei darf die Arzneimittelsicherheit und der Schutz der öffentlichen Gesundheit nicht hinter diesem Ziel zurückgestellt werden.3 Mit den Bemühungen um die Vollendung des Binnenmarktes für Arzneimittel sind die Besonderheiten dieses Sektors zu berücksichtigen.4 So ist 1 Mitteilung der Kommission über den Binnenmarkt für Arzneimittel v. 25.11. 1998, S. 3 (KOM(98)588 endg. – C4-0127/99). 2 „Marketing authorization should mean market access“ European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA), Position Paper „Development of the EU single Market in Pharmaceuticals“, v. Juni 1998; Mitteilung der Kommission über den Binnenmarkt für Arzneimittel v. 25.11.1998, S. 10 (KOM(98)588 endg. – C4-0127/99). 3 Siehe dazu auch Schlußfolgerung des Rates zum Binnenmarkt für Arzneimittel v. 18.05.1998, (8528/98, Schlußfolgerungen, 2094ste Ratstagung); Mitteilung der Kommission über den Binnenmarkt für Arzneimittel v. 25.11.1998 (KOM(98)588 endg. – C4-0127/99); Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik vom Europäischen Parlament über die Mitteilung der Kommission über den Binnenmarkt für Arzneimittel v. 21.04.1999 (PE 229.756/endg.); R. Prodi, Eröffnungsrede anläßlich des EFPIA Jahrestreffen 2000 v. 21.–23.06.2000; EFPIA, Pressemitteilungen Juni 1998, Juni 1999, September 1999 und Juni 2000; Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI), Pharma Recht 1996, S. II; C. FinkAnthe, Liberalisierter Arzneimittelmarkt, PharmInd 1998, S. 245 ff.; P. de Wolf, European harmonization in the pharmaceutical industry: mission in completion?, 1997, S. 1 f. 4 O. Schöffski, Die Regulierung des deutschen Apothekenwesens: Eine ökonomische Analyse, 1. Aufl. 1995, S. 9 ff.; „Unique markets need unique solutions“ R. Prodi, Eröffnungsrede anläßlich des EFPIA Jahrestreffen 2000 v. 21.–23.06.2000;

16

Einführung

die Nachfrage zwischen Patient, verordnendem Arzt und Sozialversicherungsträger aufgespalten.5 Dabei tragen die Krankenkassen als „zahlende Dritte“ die meisten Kosten.6 Der Arzneimittelmarkt ist insbesondere durch die mangelnde Fachkenntnis der Erwerber des Arzneimittels, d.h. der Patienten, gekennzeichnet. In dem Zusammenhang ist auch das Auseinanderfallen von Kauf durch den Erwerber des Arzneimittels und der Finanzierung dieses Kaufs durch die Krankenkassen bestimmend.7 Die Versicherten nehmen die tatsächlich anfallenden Arzneimittelkosten häufig nicht realistisch wahr, sondern „verrechnen“ diese vielmehr mit ihren Krankenkassenbeiträgen.8 Aus der Sicht des Versicherten erscheint es daher nur logisch, wenn mit steigendem Beitrag auch seine Nachfrage nach Arzneimitteln zunimmt. Der dadurch bedingten zusätzlichen Kostensteigerungen in Folge von erhöhten Arzneimittelausgaben versuchen die Krankenkassen mit einer stärkeren Ausgabenkontrolle gegenzusteuern. Diese Maßnahmen richten sich vor allem auf die erstattungsfähigen Preise und Mengen von Arzneimitteln durch die Krankenkassen.9 Den nationalen Entwicklungen, mit ihren Kostendämpfungsmaßnahmen und Preiskontrollen, stehen verstärkt global tätige Unternehmen gegenüber. Der internationale Wettbewerb und der damit verbundene Druck zur Ertragsteigerung zwingt die pharmazeutische Industrie ebenfalls zur Kostenreduzierung. Die Bereiche mit den höchsten Kosten sind in der Regel forschungsintensive Gebiete wie die Biotechnologie und Genforschung. Schlußfolgerung des Rates zum Binnenmarkt für Arzneimittel v. 18.05.1998, Ziff. 1.2.38 (8528/98, Schlußfolgerungen, 2094ste Ratstagung); F.-U. Fricke, Steuerungsinstrumente in der Arzneimittelversorgung, in: O. Schöffski/F.-U. Fricke/W. Guminski/W. Hartmann, Pharmabetriebslehre, 2002, S. 84 ff. 5 V. Ulrich, Nachfragestruktur und Nachfrageverhalten, in: O. Schöffski/F.-U. Fricke/W. Guminski/W. Hartmann, Pharmabetriebslehre, 2002, S. 68 ff. 6 A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, 1998, S. 135; C. König/E. Müller/A. Trafkowski, Internet-Handel mit Arzneimitteln, EWS 2000, S. 97 (97); A. Earl-Slater, Pharmaceuticals, in: P. Johnson (Hrsg.), European Industries: structure, conduct and performance, 1993, S. 76 f. 7 E. Westphal, Arzneimittelmarkt und Verbraucherinteresse, 1982, S. 4 f.; Mitteilung der Kommission 86/C 310/08 v. 04.12.1986 zur Frage der Vereinbarkeit der von den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Arzneimittel-Preiskontrolle und der -Kostenerstattung getroffenen Maßnahmen mit Artikel 30 EWG-Vertrag (ABl. Nr. C 310 v. 04.12.1986, S. 7); J. Vanpé/P. Leguen, La construction de l’Europe pharmaceutique – Le Mortier des Douze, 1990, S. 57; A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, S. 165; F. Dehousse/M. Le Berre, L’Europe du médicament: un marché unique incomplet, Courrier hebdomadaire 1997, S. 1 (39). 8 A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, S. 147; dazu und weitere Gründe für die Preisunelastizität von Arzneimitteln siehe O. Schöffski, Die Regulierung des deutschen Apothekenwesens, S. 14 ff., 20 f. 9 A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, S. 150.

Einführung

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Die pharmazeutische Industrie verändert sich heute sehr dynamisch. Die Konzentrationsphase ist noch lange nicht abgeschlossen. Der europäische Markt für Arzneimittel weist ein stetiges Wachstum auf und expandiert im unionsweiten Durchschnitt in etwa genauso schnell wie der weltweite Pharmamarkt. Die europäische Arzneimittelindustrie nimmt eine herausragende Position in der europäischen Wirtschaft ein und repräsentiert innerhalb der europäischen Industriesektoren einen hochinnovativen Bereich. Daher ist der ökonomische Nutzen der Arzneimittelproduktion, aber auch ihr sozialer Ertrag aufgrund der Schaffung von hochqualifizierten Arbeitsplätzen für die Europäische Gemeinschaft von großer Bedeutung.10 Die wettbewerbliche Position der europäischen Arzneimittelindustrie beruht zu einem erheblichen Teil auf der Qualität der Arzneimittel, deren innovativem Charakter sowie ihrer Wirksamkeit und Sicherheit. Weder die daraus resultierenden Wettbewerbsvorteile noch die Arzneimittelsicherheit sind selbstverständlich. Deshalb ist eine stete Auseinandersetzung mit den Risiken der Arzneimittel notwendig. Solche Risikodiskurse sind ein Teil umfassender Kommunikationsprozesse über wissenschaftliche, unternehmerische, administrative, medizintherapeutische, institutionelle und persönliche Entscheidungen in der Arzneimittelproduktion zur Vermeidung unerwünschter gesundheitsgefährdender Arzneimittelwirkungen.11 In allen Mitgliedstaaten kam es in den letzten Jahren zu Diskussionen über das staatliche Gesundheitswesen und dessen Finanzierung. Die gestiegene Kostenbelastung der Käufer eines Arzneimittels verschärfte den Preiswettbewerb und regte eine intensivere Vermarktung von Generika12 an.13 Mittlerweile besteht zwischen dem Patentablauf eines Arzneimittels und seiner Markteinführung als Generikum keine zeitliche Differenz mehr. Das führt wiederum zu einer Verkürzung des Produktlebenszyklus von Arzneimitteln.14 10 Entschließung des Rates vom 23.04.1996 zur Umsetzung von Leitlinien einer Industriepolitik für den Arzneimittelsektor in der Europäischen Union (ABl. Nr. C 136 v. 08.05.1996, S. 1). 11 E. Westphal, Arzneimittelmarkt und Verbraucherinteresse, S. 15 ff.; R. Pitschas, Rechtliche Verfassung der Arzneimittelrisikokommunikation in der Europäischen Union und Staatshaftungsrecht, in: D. Hart/W. Kemmnitz/Ch. Schnieders (Hrsg.), Arzneimittelrisiken: Kommunikation und Rechtsverfassung, 1. Aufl. 1998, S. 202 f.; D. Hart, Zur Rechtsverfassung der Kommunikation über Arzneimittelrisiken. Risikoinformation, Risikotransparenz, Risikomanagement, in: D. Hart/W. Kemmnitz/Ch. Schnieders (Hrsg.), Arzneimittelrisiken: Kommunikation und Rechtsverfassung, 1. Aufl. 1998, S. 141 f. 12 Generika sind patentfreie Arzneimittel. Sie kommen in der Regel nur mit der Wirkstoffbezeichnung und dem Firmennamen in den Handel. 13 V. Ulrich, Nachfragstruktur und Nachfrageverhalten, S. 78 f.

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Unterschiede im Preisniveau für Arzneimittel innerhalb der Europäischen Gemeinschaft sind auf das Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren zurückzuführen.15 Dazu zählen insbesondere staatliche Reglementierungen von Herstellerpreisen, Handelsspannen für Großhandel und Apotheken oder Steuersätze. Hinzu kommen auf die jeweilige Marktsituation abgestimmte Marketingstrategien der Unternehmen, die unterschiedliche Verbrauchsstrukturen in den Mitgliedstaaten aufgrund von jeweils vorherrschenden Krankheitsbildern und differierenden Verschreibungsgewohnheiten der Ärzte berücksichtigen. Wechselkursschwankungen spielen durch die gemeinsame Währungspolitik sowie infolge der Einführung des Euro mittlerweile nur noch eine untergeordnete Rolle. Zu den umsatzstärksten Märkten in der Europäischen Gemeinschaft zählen Deutschland und Frankreich. Anhand eines Ländervergleichs dieser beiden Märkte wird die Verwirklichung des Binnenmarktes für Arzneimittel näher dargestellt. Auf die anderen großen europäischen Märkte Großbritannien, Italien und Spanien sei hier nicht eingegangen. Die Bundesrepublik Deutschland bildet innerhalb der Europäischen Gemeinschaft den größten Arzneimittelmarkt. Der deutsche Arzneimittelmarkt ist gleichzeitig ein sehr differenzierter Markt: Hochpreisig im Bereich der Markenprodukte, niedrigpreisig im Bereich der Generika. Der Markt für Alternativmedizin sowie homöopathische Arzneimittel wächst. Die meisten produzierenden Pharmahersteller in Deutschland sind kleine und mittlere Unternehmen sowie Apotheken mit eigener Arzneimittelherstellung.16 Daneben sind auch multinationale Unternehmen vertreten. Um die steigende Kostenbelastung im Gesundheitswesen zu dämpfen, wurde im Januar 1993 das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) im Rahmen der zweiten Stufe der Gesundheitsreform verabschiedet. Dieses Gesetz stand am Anfang einer bis heute noch nicht abgeschlossenen Diskussion über eine weitere Regulierung des Gesundheitswesens.17 14 Der Produktlebenszyklus von Arzneimitteln in W. Guminski/M. Rauland, Produktlebenszyklus und die Möglichkeiten seiner Gestaltung, in: O. Schöffski/F.-U. Fricke/W. Guminski/W. Hartmann, Pharmabetriebslehre, 2002, S. 230 ff. 15 N. Reich, Marktrecht, in: D. Hart/N. Reich, Integration und Recht des Arzneimittelmarktes in der EG – eine Untersuchung zum Produkt- und Marktrecht der Gemeinschaft und ausgewählter Mitgliedstaaten, 1. Aufl. 1990, S. 263 ff.; M. Schneider, Kostendämpfung in Deutschland, in: OECD (Hrsg.), Qualitätsstandards in der medizinischen Versorgung, 1994, S. 75; P. J. Belcher, Analysis of Issues and Trends in the EU Pharmaceutical Sector, 1994, S. 95 ff.; O. Schöffski, Die Regulierung des deutschen Apothekenwesens, S. 157 f., 255 ff.; S. Jungbauer/W. Kemper, Europäische Union – Arzneimittel, 1999, S. 10. 16 S. Jungbauer/W. Kemper, Europäische Union – Arzneimittel, S. 40; BPI, Pharma Daten 2000, S. 5 ff.

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Frankreich ist ein Land mit einem hohem Arzneimittelkonsum, einer bedeutenden Pharmaproduktion und eher niedrigen Arzneimittelpreisen.18 Nachahmer-Präparate, die sogenannten Generika, verzeichnen in Frankreich, wie in anderen Mitgliedstaaten auch, hohe Wachstumsraten. Dies wird von den staatlichen Kostendämpfungsmaßnahmen im Gesundheitswesen gefördert.19 Die Geschäftstätigkeit der Pharmaindustrie läuft in einem sehr strengen Rahmen ab, den das französische Volksgesundheitsgesetz, Code de la santé publique, und das Gesetz zur Sozialversicherung, Code de la Securité Social (C.S.S.), abstecken. Die zuständige Behörde für die Zulassung und Überwachung von Arzneimitteln ist die Agence Française de Sécurité Sanitaire des Produits de Santé (AFSSPS). Darüber hinaus ist sie verantwortlich für alle Gesundheitsprodukte zur menschlichen Anwendung, die ökonomische Einschätzung von Pharmainnovationen, gesundheitspolitische Maßnahmen, Arzneimittelforschung und allgemeine Fragen zu Investitionen im Pharmabereich. Sie kontrolliert auch die Tätigkeit der Pharmahersteller. Zu ihren Aufgaben gehört ebenso die Preisfestsetzung sowie die Festlegung des Erstattungssatzes der Kosten eines Arzneimittels, der von der Gesetzlichen Krankenversicherung gewährt wird. Die französische Pharmaindustrie ist stark durch staatliche Reglementierungen beschränkt. In deren Mittelpunkt steht überwiegend die Förderung der nationalen Industrie.20 Daneben gehören, wie in anderen europäischen Ländern auch, Maßnahmen zur Kostendämpfung hinzu.21 Die Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Vermarktung und Entwicklung von Arzneimitteln erfolgt im Spannungsfeld zwischen Gesundheits-22 und Industriepolitik23. Auf der einen Seite stehen die in allen Mitgliedstaaten praktizierten Maßnahmen zur Kostendämpfung im Gesund17 O. Schöffski, System der Krankenversicherung, in: O. Schöffski/F.-U. Fricke/W. Guminski/W. Hartmann, Pharmabetriebslehre, 2002, S. 14 ff.; F.-U. Fricke/O. Schöffski, Evaluationsforschung, in: O. Schöffski/F.-U. Fricke/W. Guminski/W. Hartmann, Pharmabetriebslehre, 2002, S. 101 ff, 107 f. 18 ÖBIG, Arzneimittel. Steuerung der Märkte in neun europäischen Ländern, 1998, S. 68; E. Kucher, Der Europäische Preiskorridor – und wie man ihn implementiert, in: M. Losert/K.-J. Preuß/E. Kucher (Hrsg.), Handbuch Pharma-Management, Bd. 1, 1995, S. 315. 19 S. Jungbauer/W. Kemper, Europäische Union – Arzneimittel, S. 60 f.; weitere Informationen und Zahlen siehe auch ÖBIG, Arzneimittel. Steuerung der Märkte in neun europäischen Ländern, 1998, S. 66 ff. 20 D. Gallois, L’industrie pharmaceutique réclame avec insistance la liberté des prix, Le Monde 1995, S. 7; D. Wilsford, the French pharmaceutical industry, French Politics&Society 1990, S. 10 (12). 21 Promar International, The Future for the Pharmaceutical Industry in Europe, 1997, S. 14.

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heitswesen, auf der anderen Seite stehen industriepolitische Erfordernisse zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit in dieser innovativen und globalisierten Branche. Größtenteils dominieren die gesundheitspolitischen Maßnahmen. Diese verschlechtern nicht selten die Rahmenbedingungen für innovative Marktteilnehmer und führen zu Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der Gemeinschaft.24 Mit der Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes für Arzneimittel könnten diese Wettbewerbsverzerrungen aufgehoben und durch einheitliche Rahmenbedingungen ersetzt werden. Als hinderlich für die Verwirklichung des Binnenmarktes für Arzneimittel haben sich folgende Felder herauskristallisiert: Regelungen der Zulassung und des Marktzugangs, Preisfestsetzung, Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Arzneimittels und Konvergenz der nationalen Sozialversicherungssysteme sowie der Vertrieb von Arzneimitteln.25

22 Siehe beispielsweise Nr. 2 der Begründung der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) oder die Begründung der Verordnung 2309/93/EWG zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 23 Dazu auch Mitteilung der Kommission an den Rat v. 06.05.1982 über die „Parallelimporte von Arzneispezialitäten, deren Inverkehrbringen bereits genehmigt ist“ (ABl. Nr. C 115 v. 06.05.1982, S. 5); Verordnung 1768/92/EWG des Rates v. 18.06.1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel (ABl. Nr. L 182 v. 02.07.1992, S. 1); Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Leitlinien einer Industriepolitik für den Arzneimittelsektor in der Europäischen Gemeinschaft v. 02.02.1994 (KOM(93)718 endg. – C3-0121/94); kritische Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dieser Mitteilung der Kommission in Entschließung des Europäischen Parlaments zur Industriepolitik im Arzneimittelsektor v. 16.04.1996 (ABl. Nr. C 141 v. 13.05.1996, S. 63); Schlußfolgerung des Rates zum Binnenmarkt für Arzneimittel v. 18.05.1998 (8528/98, Schlußfolgerungen, 2094ste Ratstagung); Mitteilung der Kommission über den Binnenmarkt für Arzneimittel v. 25.11.1998 (KOM(98)588 endg. – C40127/99); Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik vom Europäischen Parlament über die Mitteilung der Kommission über den Binnenmarkt für Arzneimittel v. 21.04.1999 (PE 229.756/endg.); Nr. 3 der Begründung der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 24 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat v. 30.10.1996, „Wirkung und Wirksamkeit der Binnenmarktmaßnahmen“, Pkt. 4.4; W. Boroch, Internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU-Arzneimittelindustrie – markttheoretische Grundlagen, empirische Ergebnisse und binnenmarktpolitische Handlungserfordernisse, 1994, S. 180 f. 25 M. C. Donnelly, Harmonisation of the Authorisation of Medicinal Products in the European Union: Problems and Opportunities as viewed by the European Com-

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Bisher bestand der Harmonisierungsbedarf vor allem für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels. Der Marktzugang für Arzneimittel muß aufgrund des möglichen Gefahrenpotentials für die Gesundheit der Patienten von den Behörden geregelt werden, was in jedem Mitgliedstaat in unterschiedlicher Intensität geschah. Durch die Einführung der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (EMEA)26 und der neuen europäischen Zulassungsverfahren27 ist es mittlerweile möglich, für bestimmte Arzneimittel eine gemeinschaftsweite Zulassung für alle Mitgliedstaaten zu erhalten. Auf die Gründung und die Aufgaben der Europäischen Arzneimittelagentur muß aufgrund ihrer Bedeutung in einem eigenen Kapitel eingegangen werden. Ein weiteres Problem ist die Preisfestsetzung von Arzneimitteln. Ein Arzneimittel, das für alle oder mehrere Mitgliedstaaten zugelassen ist, kann dennoch nicht gleichzeitig auf den Markt gebracht werden, weil innerhalb der Europäischen Gemeinschaft verschiedene Vorschriften zur Preisbildung von Arzneimitteln bestehen. Eng mit der Frage nach dem richtigen Preis für ein Arzneimittel ist die Frage nach der Erstattungsfähigkeit der Arzneimittelkosten verknüpft. So stellt sich als für den Warenverkehr zunehmend hinderlich die in den Mitgliedstaaten unterschiedlich geregelte Erstattungsfähigkeit der Kosten von Arzneimitteln durch die Krankenkassen heraus. Nicht zu vergessen sind die Regelungen zum Vertrieb eines Arzneimittels. Die Vertriebskanäle für Arzneimittel sind streng limitiert. Die Zunahme von elektronischem Handel läßt den Konflikt zwischen freiem Warenverkehr und Arzneimittelsicherheit deutlich werden. Es gilt daher zu untersuchen, inwieweit mitgliedstaatliche Vorschriften in bezug auf den Vertrieb von Arzneimitteln den freien Warenverkehr hemmen und damit die Schaffung eines Binnenmarktes für Arzneimittel behindern oder inwieweit sie notwendig sind, um die Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten. Die zentrale Frage dieser Arbeit dreht sich um die Verwirklichung des Binnenmarktes und des freien Verkehrs von Arzneimitteln in der Europäimission, in: T. Ott/F.-W. Hefendehl/P. Grosdanoff (Hrsg.), Arzneimittel und Medizinprodukte Bewertung – Verfahren – Perspektiven, 1998, S. 215. 26 EMEA steht für European Medical Evaluation Agency. Sie wurde durch die Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214, v. 24.8.1993, S. 1) eingeführt und hat ihren Sitz in London. Im nachfolgenden Text wird die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln auch nur „Europäische Arzneimittelagentur“ oder kurz „Agentur“ genannt. Ausführlich zu Aufgaben und Struktur der Agentur siehe 3. Teil, 3. Kapitel. 27 Das dezentrale Zulassungsverfahren für Humanarzneimittel wurde durch die Richtlinie 93/39/EWG (ABl. Nr. L 214, v. 24.08.1993, S. 22) eingeführt und das zentrale durch die Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). Zu den Zulassungsverfahren siehe 3. Teil, 2. Kapitel.

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schen Gemeinschaft unter besonderer Berücksichtigung der Europäischen Arzneimittelagentur. Zunächst ist jedoch die Frage der Zuständigkeit für die Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit zu klären. Durch die fortschreitende Integration der Europäischen Gemeinschaft stellt sich die Frage, welche Behörde nun für den Schutz der öffentlichen Gesundheit zuständig ist. Kann oder muß die Verantwortung von den nationalen Behörden an die europäischen Behörden, etwa an die Kommission oder die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln, abgegeben werden oder sind weiterhin die nationalen Behörden für den Gesundheitsschutz verantwortlich? Die Frage nach der Schutzpflicht stellt sich auch in einem freien und einheitlichen europäischen Binnenmarkt, weil ein freier Markt nicht gleichzusetzen ist mit einem unregulierten Markt.28 Dazu werden zunächst in einem ersten Teil die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Arzneimittelsicherheit in Deutschland, Frankreich und der Europäischen Gemeinschaft beschrieben. Nach der Darlegung der Voraussetzungen zur Verwirklichung des Binnenmarktes und der Warenverkehrsfreiheit in der Europäischen Gemeinschaft folgt die ausführliche Diskussion der Verwirklichung des freien Warenverkehrs für Arzneimittel. Zentrale Fragestellungen sind hier die Zulassungsverfahren auf nationaler und europäischer Ebene sowie die Rolle, die hierbei die Europäische Arzneimittelagentur spielt. Der Schwerpunkt der Diskussion liegt dabei auf den Fragen, inwieweit die Europäische Gemeinschaft befugt ist, eine solche Agentur zu errichten und inwieweit auf die Agentur hoheitliche Aufgaben übertragen wurden. Abschließend werden im Rahmen des direkten Ländervergleichs Deutschland/Frankreich weiterführende Produktregelungen, Preisbildung, Kostenerstattung sowie Verkaufsmodalitäten unter dem Aspekt des freien Warenverkehrs von Arzneimitteln intensiver beleuchtet.

28 Schlußfolgerung des Rates zum Binnenmarkt für Arzneimittel v. 18.05.1998, (8528/98, Schlußfolgerungen, 2094ste Ratstagung); Mitteilung der Kommission über den Binnenmarkt für Arzneimittel v. 25.11.1998, S. 17 (KOM(98)588 endg. – C4-0127/99); daraus folgt, daß der freie Verkehr von Arzneimitteln nur unter der Prämisse erfolgen kann, daß im Zweifel die optimale Arzneimittelsicherheit Vorrang hat vor der Integration der Arzneimittelmärkte. In dem Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik vom Europäischen Parlament über die Mitteilung der Kommission über den Binnenmarkt für Arzneimittel v. 21.04.1999 (PE 229.756/endg.) wird gefordert (Änderungsantrag 5), daß ein einziges Kommissionsmitglied für die Regelungen für Arzneimittel und Gesundheit zuständig ist. Dieser Vorschlag verkennt aber, daß die Gemeinschaft und damit auch die Kommission keine eigenständige allumfassende Befugnis für den Gesundheitsschutz haben. Sie haben wohl aber umfangreiche Befugnisse für Maßnahmen zur Verwirklichung des Binnenmarktes und der Warenverkehrsfreiheit.

Erster Teil

Arzneimittelsicherheit und Verfassungsrecht Arzneimittel dienen dazu, Krankheiten zu heilen oder diese zu lindern. Gleichzeitig birgt die Verwendung von Arzneimitteln Risiken in sich, die der Einzelne nicht abschätzen kann. Diese Wirkungen von Arzneimitteln können die Gesundheit und das Leben der Patienten beeinträchtigen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit gesetzlicher Vorkehrungen, welche die Arzneimittelgesetzgebung in den allgemeinen Rahmen der staatlichen Schutzpflichten für Leben und Gesundheit stellt. In den nachfolgenden Kapiteln werden diese Schutzpflichten und ihre Umsetzung im Gemeinschaftsrecht, aber auch in der Neubewertung des Grundrechts auf Gesundheit durch die Grundrechtecharta der Europäischen Union dargestellt. Wichtig ist diese Untersuchung, um anschließend die Kompetenzverteilung zwischen Mitgliedstaat und Gemeinschaft klären zu können. Denkbar wäre, daß durch den fortschreitenden Integrationsprozeß die Aufgabe, die Gesundheit zu schützen, bereits auf die europäischen Institutionen übergegangen ist, die somit für die Gewährleistung des Gesundheitsschutzes einzutreten hätten.

1. Kapitel Die Pflicht zum Gesundheitsschutz nach dem Grundgesetz in Deutschland Mit den Worten Kants ist der Staat die „Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen“.1 Daraus folgt, daß der Zweck des Staates die Verwirklichung des guten Lebens aller in allgemeiner Freiheit ist.2 Zur Verwirklichung dieser Freiheit gibt sich das Volk ein Verfassungsgesetz, in Deutschland das Grundgesetz.3 Das Grundgesetz enthält in den Grundrechten die Leitprinzipien des Zusammenlebens, des guten Lebens. Die Grund1

Kant, Metaphysik der Sitten, ed. Weischedel, S. 431. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi. Grundlegung einer Allgemeinen Republiklehre. Ein Beitrag zur Freiheits-, Rechts- und Staatslehre, 1994, S. 299 ff., 350 ff., 573 ff., 625 ff. 3 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 16. 2

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1. Teil: Arzneimittelsicherheit und Verfassungsrecht

rechte sollen die in ihnen enthalten Güter schützen und fördern.4 Dazu zählen das Leben und der Schutz der körperlichen Unversehrtheit in Artikel 2 Abs. 2 S. 1 GG.5 Es ist Aufgabe des Staates, den bestmöglichen Schutz der Grundrechte zu gewährleisten.6 Allen voran ist der Gesetzgeber gefordert, im Rahmen der Gesetzgebung dem Grundrechtsschutz nachzukommen. Die staatlichen Organe7 entscheiden, welche Schutzmaßnahmen zweckdienlich und geboten sind. Dabei sind die Grundrechte nicht nur als Abwehrrechte gegenüber staatlichen Maßnahmen zu begreifen. Sie drücken vielmehr objektive Wertentscheidungen aus.8 Aus diesem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte folgt die Verpflichtung des Gesetzgebers, die in den Grundrechten enthaltenen Rechtsgüter auch vor Eingriffen von nichtstaatlicher Seite aus, zu schützen.9 Dies ist insofern von Bedeutung, weil die Rechtsgüter des Einzelnen auch durch Private und Zusammenschlüsse von Privaten gefährdet sind. Die Ausgestaltung des Schutzes hängt von dem geschützten Rechtsgutes ab. Je höher der Rang des in Frage stehenden Rechtsgutes innerhalb der 4

BVerfGE 89, 214 (229). BVerfGE 39, 1 (41); 66, 39 (57 f.); K. A. Schachtschneider (P. Wollenschläger), Fallstudie Umweltschutz (FCKW-Verbot), in: K. A. Schachtschneider (Hrsg.) Fallstudien zum Öffentlichen Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2002, S. 299 (300 f.); ders. (D. Siebold), Fallstudie Transplantationsmedizin in: K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Fallstudien zum Öffentlichen Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2002, S. (414 f.). 6 BVerfGE 39, 1 (42 ff.); 46, 160 (164); 49, 89 (143, 148); 53, 30 (57 ff.); 56, 54 (73, 80 ff.); 88, 203 (254); 90, 145 (195); K. A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff „Stand von Wissenschaft und Technik“, 1988, S. 85 f.; ders., Res publica res populi, S. 16, 126 ff., 145 ff., 153 ff., 275 ff., 519 ff., 637 ff., 868 ff., 978 ff., 990 ff., 1027 ff.; J. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HStR), J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Bd. V, 1992, § 111, Rdnr. 91, 138, 165 ff. 7 BVerfGE 39, 1 (44). Die Schutzpflicht des Staates umfaßt alle staatlichen Organe. K. A. Schachtschneider (P. Wollenschläger), Fallstudie Umweltschutz (FCKWVerbot), S. 299 (319 ff.). 8 BVerfGE 7, 198 (204 ff.); 13, 318 (325 f.); 39, 1 (41); 49, 89 (141 f.); 50, 290 (337 f.); 56, 54 (73); 73, 261 (269); 77, 170 (124); 79, 174 (201 f.); 81, 242 (253); 84, 212 (223); 87, 181 (198); 89. 214 (229 f.); 96, 56 (64); 97, 298 (313 ff.); 97, 350 (370 ff.); J. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, HStR, Bd. V, 1992, § 111, Rdnr. 4, 80 ff., 97 f., 142, 165 f.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rdnr. 350, 364; K. A. Schachtschneider (P. Wollenschläger), Fallstudie Umweltschutz (FCKW-Verbot), S. 299 (300 ff., 306 ff.); G. Leibholz/H. Rinck/D. Hesselberger, GG, Artikel 2 Rdnr. 460, 470. 9 BVerfGE 39, 1 (41); 46, 160 (164); 49, 24 (53); 53, 30 (57); 56, 54 (73); 88, 203 (251); 90, 145 (195); J. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, HStR, Bd. V, 1992, § 111, Rdnr. 3, 97 f.; ders., Grundrechtsvoraussetzungen, HStR, Bd. V, 1992, § 115, Rdnr. 148. 5

1. Kap.: Die Pflicht zum Gesundheitsschutz nach dem Grundgesetz

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Wertordnung des Grundgesetzes ist, desto umfangreicher muß der Staat den Schutz ausgestalten. In der Wertordnung des Grundgesetzes stellt das menschliche Leben10 einen Höchstwert dar.11 Die körperliche Unversehrtheit12 und somit auch die Gesundheit13 haben einen ähnlich hohen Rang, weil Eingriffe in diese Grundrechte das Leben gefährden können. Die Grundsätze der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge dienen dem Gesetzgeber als Maßstab für den Umfang der Schutzmaßnahmen, die sich am Stand von Wissenschaft und Technik orientieren.14 Der erforderliche Umfang an Schutz und Sicherheit ist erreicht, wenn der Bewertung der Gefahren15 keine realistischen wissenschaftlichen Theorien ent10 Dieser Schutzbereich umfaßt das körperliche Dasein. Es beginnt vor der Geburt und endet mit dem Tod, BVerfGE 39, 1 (37, 40 ff.); G. Leibholz/H. Rinck/D. Hesselberger, GG, Artikel 2 Rdnr. 471; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rdnr. 364; kritisch K. A. Schachtschneider (P. Wollenschläger), Fallstudie Umweltschutz (FCKW-Verbot), S. 299 (321 f.). 11 BVerfGE 39, 1 (42); 46, 160 (164); 49, 24 (53 ff.); 88, 203 (251). 12 Der Schutzbereich umfaßt den biologisch-physiologischen Bereich und den geistig-seelischen Bereich. Das Bundesverfassungsgericht hat offen gelassen, ob das soziale Wohlbefinden ebenfalls darunter fällt. BVerfGE 56, 54 (73 ff.); J. Baltes, Immissionsgrenzwerte und Artikel 2 Abs. 2 GG, BB 1978, S. 130 (131 f.); E. Schmidt-Assmann, Anwendungsprobleme des Artikel 2 Abs. 2 GG im Immissionsschutzrecht, AöR 1981, S. 205 (208 ff.); G. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit – Schutzpflicht und Schutzanspruch aus Artikel 2 Abs. Satz 1 GG, 1987, S. 223; G. Dürig, in: T. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz, Kommentar zum GG, Artikel 2 Abs. 2, Rdnr. 29 ff.; G. Leibholz/H. Rinck/ D. Hesselberger, GG, Artikel 2 Rdnr. 510 f. 13 Die Definition von Gesundheit der WHO ist sehr weit gefaßt. Ihr wird häufig nur teilweise zugestimmt. Dazu BVerfGE 17, 108 (114 f.); 47, 239 (248); 52, 214 (220 f.); 56, 54 (74 ff.); J. Baltes, Immissionsgrenzwerte und Artikel 2 Abs. 2 GG, BB 1978, S. 130 (131 f.); E. Schmidt-Assmann, Anwendungsprobleme des Artikel 2 Abs. 2 GG im Immissionsschutzrecht, AöR 1981, S. 205 (209 f.); E. Jung, Das Recht auf Gesundheit, S. 66 ff.; G. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 46 f., 222 ff.; K. A. Schachtschneider (P. Wollenschläger), Fallstudie Umweltschutz (FCKW-Verbot), S. 299 (323.); G. Leibholz/H. Rinck/D. Hesselberger, GG, Artikel 2 Rdnr. 511 f.; Zur Schwierigkeit der Definition des Gesundheitsbegriffs siehe E. Jung, Das Recht auf Gesundheit – Versuch einer Grundlegung des Gesundheitsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1982, S. 2 ff., 93 ff., 103 ff. 14 K. A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff „Stand von Wissenschaft und Technik“, S. 88 ff., 144 ff.; ders. (P. Wollenschläger), Fallstudie Umweltschutz (FCKWVerbot), S. 299 (315 ff.). 15 Der klassische Gefahrenbegriff versteht unter „Gefahr“ eine Sachlage, die in absehbarer Zeit bei ungehindertem Ablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führen wird. Je größer und bedrohlicher die möglichen Folgen sind, desto geringere Anforderungen werden an die Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts gestellt. BVerfGE 77, 170 (237); K. A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff „Stand von Wissenschaft und Technik“, S. 87 ff., 95 ff.; ders. (P. Wollenschläger), Fallstudie Umweltschutz (FCKW-Verbot), S. 299 (312 f., 323 f.); J. Isensee, Das

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1. Teil: Arzneimittelsicherheit und Verfassungsrecht

gegenstehen und Schäden16 theoretisch nicht möglich sind.17 Somit umfaßt die grundgesetzliche Schutzpflicht auch die nur theoretisch vorhersehbare Möglichkeit eines Schadeneintritts.18 Aus dem Prinzip der größtmöglichen Sicherheit, „in dubio pro securitate“, folgt, daß die staatliche Entscheidung letztlich an der Sicherheit der zweifelnden Theorie zu messen ist.19 Bestehen aufgrund anerkannter objektiver Erkenntnisse20 noch Zweifel an der Sicherheit eines Produktes, so verpflichten diese zum Schutz. Dennoch bleibt ein nicht zu vermeidendes Restrisiko21 eines zukünftigen Schadens bestehen.22 Denn ein Schaden, der noch nicht erkannt ist, kann naturgemäß auch nicht ausgeschlossen werden. Deshalb unterliegen die staatlichen Organe auch einer Nachbesserungspflicht23, wenn die Grundlage einer Entscheidung durch neue, vorher noch nicht abzusehende Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt wird.24 Grundrecht als Abwehrrecht und staatliche Schutzpflicht, HStR, Bd. V, 1992, § 111, Rdnr. 106; V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 13. Aufl. 2001, Rdnr. 140 ff. 16 Ein Schaden ist die Verletzung eines Rechtsguts. J. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und staatliche Schutzpflicht, HStR, Bd. V, 1992, § 111, Rdnr. 106; V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 141 ff. 17 K. A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff „Stand von Wissenschaft und Technik“, S. 126, 138. 18 BVerfGE 49, 89 (95, 116 f., 142 f.); 56, 54 (73 ff.); 77, 170 (237); J. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und staatliche Schutzpflicht, HStR, Bd. V, 1992, § 111, Rdnr. 106; G. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 261 ff.; K.-H. Hohm, Arzneimittelsicherheit und Nachmarktkontrolle – eine arzneimittel-, verfassungs- und europarechtliche Untersuchung, 1. Aufl. 1990, S. 83 ff. 19 K. A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff „Stand von Wissenschaft und Technik“, S. 120 f.; ders. (P. Wollenschläger), Fallstudie Umweltschutz (FCKW-Verbot), S. 299 (317). 20 Dabei handelt es sich um alle wissenschaftlichen und technisch vertretbaren Erkenntnisse sowie um kontroverse Theorien, die dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit genügen. BVerfGE 49, 89 (140). 21 Unter Risiko versteht man die objektiv vorstellbare Möglichkeit eines Schadeneintritts. J. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und staatliche Schutzpflicht, HStR Bd. V, 1992, § 111, Rdnr. 106; D. Hart, Zur Rechtsverfassung der Kommunikation über Arzneimittelrisiken, S. 147 ff. 22 BVerfGE 49, 89 (140 ff., 143); 53, 30 (58 f.); 56, 54 (69 ff., 76 ff.); BVerwGE 72, 300 (316); K. A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff „Stand von Wissenschaft und Technik“, S. 86 f., 90, 104, 110, 130 f.; J. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und staatliche Schutzpflicht, HStR, Bd. V, 1992, § 111, Rdnr. 90, 108, 145. 23 BVerfGE 50, 290 (335, 377 f.); 53, 30 (58); 56, 54 (78 f.). 24 So ging der Gesetzgeber im Arzneimittelgesetz von 1961 davon aus, daß die Registrierung von Arzneimitteln ohne weitere Nachweise ausreichend sei. Die Contergan-Katastrophe verdeutlichte, daß umfangreichere Maßnahmen notwendig wa-

1. Kap.: Die Pflicht zum Gesundheitsschutz nach dem Grundgesetz

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Der Gesetzgeber hat für die Erfüllung der Schutzpflicht aus Artikel 2 Abs. 2 S. 1 GG einen weiten Gestaltungsspielraum. Dabei hat er konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen.25 Auch kann die Ausgestaltung der staatlichen Schutzpflicht mit einem anderen Grundrecht kollidieren.26 In dem Fall ist der Wesensgehalt der kollidierenden Grundrechte zu wahren (Artikel 19 Abs. 2 GG).27 Ferner sind die getroffenen Schutzmaßnahmen, die gleichzeitig in die Grundrechte anderer eingreifen, am Verhältnismäßigkeitsprinzip28 zu messen.29 Neben der Beachtung ren. Der Pflicht zum Schutze der Gesundheit für Arzneimittel ist der Gesetzgeber durch den Erlaß des Arzneimittelgesetzes und der Einführung eines materiellen Zulassungsverfahrens nachgekommen. Das Bundesministerium für Gesundheit ist ermächtigt, das Inverkehrbringen von Arzneimitteln, die nicht nach den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes hergestellt sind, zu untersagen, soweit es geboten ist, um eine unmittelbare oder mittelbare Gefährdung der Gesundheit von Menschen durch Arzneimittel zu verhüten (§ 6 AMG). 25 BVerfGE 39, 1 (44 f.); 46, 160 (164 f.); 77, 170 (214 f., 230); 79, 174 (202); 88, 203 (262); 96, 56 (64); 102, 1 (18); J. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und staatliche Schutzpflicht, HStR, Bd. V, 1992, § 111, Rdnr. 162; K. A. Schachtschneider (P. Wollenschläger), Fallstudie Umweltschutz (FCKW-Verbot), S. 299 (318 ff.); G. Leibholz/H. Rinck/D. Hesselberger, GG, Artikel 2 Rdnr. 513. 26 So sind die Regulierungen im Bereich der Arzneimittel zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit mit den Grundrechten der Unternehmer abzuwägen und auf ihre Verhältnismäßigkeit zu überprüfen. So wäre denkbar, daß die Eigentumsgarantie aus Artikel 14 GG oder die Berufsfreiheit aus Artikel 12 GG des Unternehmers eingeschränkt werden könnte. Dabei räumt das BVerfG dem Schutz des Lebens den höchsten Stellenwert ein (BVerfGE 39, 1 (42); 46, 160 (164); 49, 24 (53 ff.). Das Gericht hat es aber offengelassen, inwieweit das Recht am „eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“ unter den Eigentumsschutz des Artikel 14 GG fällt (BVerfGE 51, 193 (221)). Dagegen bejaht der BGH (BGHZ 45, 296 (307); 92, 34 (37); 98, 341 (351)) ein absolutes Recht, das die tatsächliche und rechtliche Zusammenfassung der zu einem Vermögen gehörenden Sachen und Rechte schützt. Zum Grundrecht der Berufsfreiheit, BVerfGE 7, 377 (405 ff.); 33, 125 (160 f.); 49, 89 (141); 55, 185 (196); 57, 121 (130); 64, 72 (82); 69, 209 (218); 73, 301 (316 ff.); 88, 203 (253 ff.); 96, 56 (64 f.). 27 Nach der Lehre vom relativen Wesensgehalt muß der Wesensgehalt der Grundrechte für jedes Grundrecht und für jeden Fall gesondert bestimmt werden. Die Lehre vom absoluten Wesensgehalt geht davon aus, daß der Wesensgehalt eines Grundrechts eine feste und vom Einzelfall unabhängige Größe ist. BVerfGE 22, 180 (219); BVerwGE 47, 330 (358); K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 819 ff., 831 ff.; G. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 253 ff.; J. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und staatliche Schutzpflicht, HStR, Bd. V, 1992, § 111, Rdnr. 139. 28 Die zur Verwirklichung der Schutzpflicht erlassenen Gesetze müssen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein. BVerfGE 48, 396 (402); 50, 217 (227); 80, 103 (107); 83, 1 (19); 88, 203 (254); 90, 145 (172 f.); 98, 45 (172 f.). 29 A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, 2000, S. 143 ff., 336 ff., 353 ff.; K. A. Schacht-

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1. Teil: Arzneimittelsicherheit und Verfassungsrecht

des Übermaßverbots hat der Gesetzgeber auch das Untermaßverbot zu beachten. Das Bundesverfassungsgericht stellt eine Verletzung der Schutzpflicht fest, wenn „die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen hat oder offensichtlich die getroffenen Regelungen und Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das Schutzziel zu erreichen“.30 Die Stellung des deutschen Rechts zum Thema der Wahrung der Schutzrechte im Verhältnis zum Gemeinschaftsrecht ist im Zusammenhang mit den grundlegenden Urteilen des Bundesverfassungsgerichts „Solange I“31, „Solange II“ 32 und „Maastricht“33 zu sehen.34 Grundsätzlich stellt sich für die Schutzrechte die Frage nach dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts nur, wenn unterschiedliche Regelungen in beiden Rechtsordnungen vorliegen.35 schneider (P. Wollenschläger), Fallstudie Umweltschutz (FCKW-Verbot), S. 299 (326 ff.). 30 BVerfGE 79, 174 (202); 88, 203 (262). 31 „Solange der Integrationsprozeß der Gemeinschaft nicht so weit fortgeschritten ist, daß das Gemeinschaftsrecht auch einen von einem Parlament beschlossenen und in Geltung stehenden formulierten Katalog von Grundrechten enthält, der dem Grundrechtskatalog des Grundgesetzes adäquat ist, ist nach Einholung der in Artikel 243 EG geforderten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs die Vorlage eines Gerichts der Bundesrepublik Deutschland an das Bundesverfassungsgericht im Normenkontroll-Verfahren zulässig und geboten, wenn das Gericht die für es entscheidungserhebliche Vorschrift des Gemeinschaftsrechts in der vom Europäischen Gerichtshof gegebenen Auslegung für unanwendbar hält, weil und soweit sie mit einem der Grundrechte des Grundgesetzes kollidiert.“ BVerfGE 37, 271 (285). 32 „Solange die Europäischen Gemeinschaften, insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Gemeinschaft einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewährleisten, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im wesentlichen gleichzuachten ist [. . .] wird das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht [. . .] nicht mehr ausüben und dieses Recht mithin nicht mehr am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes überprüfen.“ BVerfGE 73, 387 (339). 33 „Das Bundesverfassungsgericht übt seine Rechtsprechung über die „Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht in Deutschland in einem „Kooperationsverhältnis“ zum Europäischen Gerichtshof aus, in dem der Europäische Gerichtshof den Grundrechtsschutz in jedem Einzelfall für das gesamte Gebiet der Europäischen Gemeinschaft garantiert, das Bundesverfassungsgericht sich deshalb auf eine generelle Gewährleistung der unabdingbaren Grundrechtsstandards beschränken kann.“ BVerfGE 89, 155 (175). 34 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rdnr. 108; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, in: K. A. Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, Lehrstuhlskript 2000, § 5, S. 113. 35 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, S. 110; K. A.

2. Kap.: Die Pflicht zum Gesundheitsschutz nach französischem Recht

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Auf die Schutzpflicht der Gemeinschaft wird nachfolgend ausführlicher eingegangen.36 2. Kapitel Die Pflicht zum Gesundheitsschutz nach französischem Recht Die Verankerung der Grundrechte in der französischen Verfassung unterscheidet sich vom deutschen Grundrechtsverständnis.37 So enthält die französische Verfassung keinen Grundrechtskatalog, wie er im deutschen Recht bekannt ist.38 Die Präambel der Verfassung von 1958 zählt die Quellen der in Frankreich geltenden Grundrechte auf.39 Die Präambel der französischen Verfassung der V. Republik von 1958 nimmt Bezug sowohl auf die Erklärung der Menschenrechte von 1789 als auch auf die Präambel der Verfassung der IV. Republik von 1946. So heißt es in der Präambel der Verfassung vom Oktober 1958 „Le peuple français proclame solennellement son attachements aux Droits de l’Homme et aux principes de la souveraineté nationale tels qu’ils ont été définis par la Déclaration de 1789, confirmée et complétée par le préambule de la Constitution de 1946“.40 Durch diese Einbindung besitzen die Deklaration von 1789 sowie die Präambel der Verfassung von 1946 dieselbe Verbindlichkeit wie die Präambel selbst, nämlich Verfassungsrang. Dies hat der Conseil constitutionnel, in seiner Entscheidung „Liberté d’association“ deutlich gemacht, indem er der Präambel Verfassungsrang zuerkannt hat.41 Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, in: K. A. Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, Lehrstuhlskript 2000, § 6, 2000, S. 145 f. 36 Insbesondere 1. Teil, 3. Kapitel. 37 Die Begriffe „libertés publiques“ und „libertés fondamentales“ werden synonym verwendet. 38 K. Stahl, Die Sicherung der Grundfreiheiten im Öffentlichen Recht der Fünften französischen Republik, 1970, S. 1 f.; U. Hübner/V. Constantinesco, Einführung in das französische Recht, 4. Aufl. 2001, S. 65 ff.; N. Guimezanes, Introduction au droit français, 2. Aufl. 1999, S. 64 f. 39 Die genannten verfassungsrechtlichen Texte sind abgedruckt in J. Robert/H. Oberdorff (Hrsg.), Libertés fondamentales et droit de l’homme, 4. Aufl. 1999. 40 Präambel der Verfassung vom 27.10.1946: Le peuple français, „il réaffirme solennellement les droits et les libertés de l’homme et du citoyen consacré par la Déclaration des droits de 1789 et les principes fondamentaux reconnus par les lois de la République“. 41 Conseil constitutionnel Décision 71-44 DC v. 16.07.1971, „Loi complétant les dispositions des articles 5 et 7 de la loi du premier juillet 1901 relative au contrat

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1. Teil: Arzneimittelsicherheit und Verfassungsrecht

Die Präambel der Verfassung von 1946 und damit die Verfassung von 1958 hat die in der Menschenrechtserklärung von 1789 angelegten Grundrechte des Individuums noch um die Sozialrechte erweitert.42 Deutlich wird dies auch in Artikel 1 der französischen Verfassung von 1958. Danach ist Frankreich eine unteilbare, weltliche, demokratische und soziale Republik. Die Präambel der Verfassung von 1946 hat die Wirtschafts- und Sozialrechte in den Vordergrund gestellt. Diese beeinflussen ganz wesentlich auch heute noch die Verfassung. Bereits die Entwürfe zur Verfassung von 1946 haben gezeigt, daß der Gesundheitsschutz in den staatlichen Aufgabenbereich fällt. Mit der Verfassung von 1946 findet auch der Gesundheitsschutz seinen Eingang in die Libertés publiques. Dazu heißt es in Abs. 11 der Präambel von 1946 „Elle [la nation] garantit à tous, notamment à l’enfant, à la mère et aux vieux travailleurs, la protection de la santé, la sécurité matérielle, le repos et les loisirs.“ Damit garantiert die Nation43 jedem, insbesondere Kindern, Müttern und alten Arbeitern, ihre Gesundheit zu schützen. Die aktuelle Konzeption des staatlichen Gesundheitsschutzes ergibt sich daher aus der Solidarität und der Stärke der Nation. Im Gegensatz dazu steht das Verständnis des Gesundheitsschutzes als ein persönliches Gut, das durch ein Gesetz im Sinne eines Abwehrrechts geschützt wird.44 Daher wird von der Nation auch gefordert, daß sie eingreifen muß, um zu regulieren, zu genehmigen, zu verbieten oder zu kontrollieren. Dies gilt vor allem, wenn die menschliche Gesundheit45 beeinträchtigen werden kann.46 Diese Forderung ist nicht nur im Sinne eines liberalen Abwehrrechts, sondern als positive Gestaltungsaufgabe zu sehen. Der Conseil constitutionnel hat in seinen Entscheidungen47 den Gesundheitsschutz als ein Verfassungsprinzip „principe de valeur constitutionnelle“ d’association“, JO v. 18.07.1971, S. 7114; N. Guimezanes, Introduction au droit français, S. 65. 42 U. Hübner/V. Constantinesco, Einführung in das französische Recht, S. 68. 43 Zum Begriff der Nation siehe G. Ammon, Der französische Wirtschaftsstil, 2. Aufl. 1994, S. 93 ff. 44 J. Moreau/D. Truchet, Droit de la santé publique, 5. Aufl. 2000, S. 23; C. Devès, Der französische Conseil constitutionnel (Verfassungsrat) und die soziale Republik, DÖV 1989, S. 251. 45 Auch im französischen Recht ist die Definition des Begriffs „Gesundheit“ nicht unumstritten. Die weite Fassung der WHO wird als zu offen für den Bereich des Verfassungsrechts angesehen. J. Moreau/D. Truchet, Droit de la santé publique, S. 27 f. 46 J. Moreau/D. Truchet, Droit de la santé publique, S. 20, 23. 47 Conseil constitutionnel Décision 74-54 DC v. 15.01.1975 „interruption volontaire de grossesse“, JO v. 16.01.1975, S. 671; Conseil constitutionnel Décision 7792 DC v. 18.01.1978 „contre-visite médicale“, JO v. 19.01.1978, S. 422; Conseil constitutionnel Décision 80-117 DC v. 22.07.1980 „protection des matières nucléai-

2. Kap.: Die Pflicht zum Gesundheitsschutz nach französischem Recht

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eingestuft. Der Schutz der Gesundheit ist nicht spezifiziert. Er besteht aus der körperlichen Unversehrtheit und der Unverletzlichkeit. Der Gesundheitsschutz fällt unter den Schutz der Menschenwürde.48 Damit umfaßt die Schutzpflicht zum einen die Abwehr von Gefahren, die den menschlichen Körper und die Würde des Menschen verletzen können. Zum anderen wird dies aber auch so verstanden, daß jeder Bürger eine Reihe positiver Leistungen, insbesondere den Schutz der Gesundheit, einfordern kann.49 Der Auftrag an den Gesetzgeber, den Gesundheitsschutz nicht nur als Abwehrrecht sondern auch als Schutzpflicht zu gestalten, ergibt sich auch aus Artikel 34 der Verfassung.50 In Artikel 34, 1. Sp. heißt es: „La loi est votée par le Parlement. La loi fixe les règles concernant: les droits civiques et les garanties fondamentales accordées aux citoyens pour l’exercice des libertés publiques.“ Das Parlament, mit Nationalversammlung und Senat, ist als Gesetzgeber in erster Linie für die Ausgestaltung des Gesundheitsschutzes verantwortlich, darüber hinaus kann auch die Verwaltung eingreifen.51 Anders als im deutschen Verfassungsrecht, sind die Grundrechte nicht formell verfassungsmäßig gebunden. Auch für den Bereich des Gesundheitsschutzes gilt nach französischem Verständnis, daß im Konfliktfall die Rechtsgüter gegeneinander abgewogen werden.52 Somit ergibt sich die Ausgestaltung des Grundrechts im Sinne einer Schutzpflicht aus der geltenden Verfassung unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung sowie den Urteilen des Conseil constitutionnel.53 Die verfassungsrechtliche Handlungspflicht ergibt sich aus Artikel 34 der res“, JO v. 24.07.1980, S. 1867; Conseil constitutionnel Décision 89-269 DC v. 22.01.1990 „égalité entre français et étrangers“, JO v. 24.10.1990. 48 J. Moreau/D. Truchet, Droit de la santé publique, S. 19. 49 C. Devès, Der französische Conseil constitutionnel (Verfassungsrat) und die soziale Republik, DÖV 1989, S. 250; U. Hübner/V. Constantinesco, Einführung in das französische Recht, S. 64 f.; J. Moreau/D. Truchet, Droit de la santé publique, S. 20. 50 R. Arnold, Ausgestaltung und Begrenzung von Grundrechten im französischen Verfassungsrecht, JöR 1989, S. 197 (197). 51 K. Stahl, Die Sicherung der Grundfreiheiten, S. 9 ff.; U. Hübner/V. Constantinesco, Einführung in das französische Recht, S. 65 ff. 52 Conseil constitutionnel Décision 82-144 DC v. 22.10.1982, „développement des institutions représentatives du personnel“, JO v. 23.10.1982, S. 3210; Conseil constitutionnel Décision 80-119 DC v. 22.07.1980, „validation d’actes administratifs“, JO v. 24.07.1980, S. 1868; Das Verhältnismäßigkeitsprinzip, wie es das deutsche Recht kennt, wird nicht in der gleichen strikten Weise zugrunde gelegt. C. Devès, Der französische Conseil constitutionnel (Verfassungsrat) und die soziale Republik, DÖV 1989, S. 255, 257; R. Arnold, Ausgestaltung und Begrenzung von Grundrechten im französischen Verfassungsrecht, JöR 1989, S. 197 (209, 211 f., 214 f.); A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 166 ff.

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1. Teil: Arzneimittelsicherheit und Verfassungsrecht

Verfassung. Dieser Artikel verknüpft die Kompetenzzuweisung und den Gestaltungsauftrag für die Grundrechte mit einer verfassungsrechtlichen Handlungspflicht. Die zuständigen Organe sind auch für die Verwirklichung der Grundrechte verantwortlich.54 3. Kapitel Die Pflicht zum Schutze der Gesundheit der Europäischen Gemeinschaft Durch die fortschreitende Integration mitgliedstaatlicher Vorschriften auf Gemeinschaftsebene werden immer weniger Lebensbereiche national geregelt. Die Mitgliedstaaten treten immer mehr Befugnisse an die Gemeinschaft ab. So wird die Frage der Zulassung eines Arzneimittels im Rahmen der zentralen Zulassung von der Europäischen Arzneimittelagentur bearbeitet und von der Kommission oder dem Rat entschieden. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach einer „europäischen“ Schutzpflicht und einem „europäischen“ Grundrecht auf Gesundheit. Die Begründung der Schutzpflicht eines Staates stützt sich auf die Friedensfunktion55 des Staates.56 Die Gemeinschaft hat es sich zur Aufgabe ge53 J. Moreau/D. Truchet, Droit de la santé publique, S. 19 f., 23; U. Hübner/V. Constantinesco, Einführung in das französische Recht, S. 63 ff.; R. Arnold, Ausgestaltung und Begrenzung von Grundrechten im französischen Verfassungsrecht, JöR 1989, S. 197 (197 f.). 54 C. D. Classen, Die Ableitung von Schutzpflichten des Gesetzgebers aus Freiheitsrechten, JöR 1987, S. 29 (31); R. Arnold, Ausgestaltung und Begrenzung von Grundrechten im französischen Verfassungsrecht, JöR 1989, S. 197 (200 f., 203, 205). 55 Der Bürger verzichtet weitgehend auf die Verteidigung seiner Rechtsgüter und vertraut dafür auf deren Sicherstellung durch den Staat. Die Europäische Gemeinschaft hat eine Zwangsbefugnis lediglich in dem Umfang, in dem die Mitgliedstaaten Hoheitsrechte übertragen haben. BVerfGE 49, 24 (56 f.); 54, 277 (292); D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik – verfassungsrechtliche Grundlagen und immissionsschutzrechtliche Ausformung, 1985, S. 102 ff.; G. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 77, 148 ff.; G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht – Aspekte der Geschichte, Begründung und Wirkung einer Grundrechtsfunktion, 1. Aufl. 1987, S. 3 f., 127; E. Klein, Grundrechtliche Schutzpflicht des Staates, NJW 1989, 1633 (1635 f.); K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rdnr. 108 ff.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union. Ein Beitrag zur Lehre vom Staat nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag über die Europäische Union von Maastricht in: W. Blomeyer/K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft, 1994, S. 92 ff.; ders., Res publica res populi, S. 253 ff., 493 f., 545 ff., 581 ff., 1033 ff.

3. Kap.: Pflicht zum Schutze der Gesundheit der Europäischen Gemeinschaft 33

macht, für die Aufrechterhaltung des Friedens zu sorgen und dafür einzutreten. Die Friedenssicherung war die ursprüngliche Idee zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.57 Der Zusammenschluß der Wirtschaftskräfte soll einen Beitrag zur Wahrung von Frieden und Freiheit leisten. Die Gemeinschaft tritt für Demokratie, auf der Grundlage der Verfassungen der Mitgliedstaaten, der Europäischen Menschenrechtskonvention58 und der Europäischen Sozialcharta ein.59 Die Gründung der Europäischen Union verstärkte dieses Ziel: „Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben“ (Artikel 6 Abs. 2 EU).60

56 Die Gemeinschaft ist kein eigenständiger Staat, aber sie ist auch mehr als nur ein Staatenbund, weil dieser keine durchsetzbaren Rechte gewährt. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet die Europäische Gemeinschaft als einen europäischen Staatenverbund, der die nationalen Grundrechte zu wahren und zu schützen hat. Dadurch gewährleistet die Gemeinschaft die im Grundgesetz festgelegte Schutzpflicht des Staates. So ist die Gemeinschaft nach Maastricht ein Staat im funktionalen und nicht im existentiellen Sinn. Die existentielle Staatlichkeit bleibt auch weiterhin das bestimmende Prinzip. BVerfGE 73, 339 (387); 89, 155 (175, 188); 22, 293 (296); K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 92 ff. 57 Diese Absicht verkündeten die Mitgliedstaaten bereits in der Präambel des EWG-Vertrages. Sie bekräftigen diese Verpflichtung in der gemeinsamen Erklärung von Parlament, Kommission und Rat v. 5.04.1977 (ABl. Nr. C 103, v. 27.04.1977, S. 1) und wiederholen sie in der Präambel der Einheitlichen Europäischen Akte (ABl. Nr. L 169/1 v. 29.06.1987, S. 1). Die gemeinsame Erklärung enthält zwar keine Rechtsverbindlichkeit, die Gemeinschaftsorgane sind damit aber eine gewisse Selbstbindung eingegangen. So mißt beispielsweise das Bundesverfassungsgericht dieser Erklärung gemeinschaftsintern und im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten rechtserhebliche Bedeutung bei. BVerfGE 73, 339 (383 f.). 58 Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) v. 04.11.1950. 59 Die Europäische Gemeinschaft selbst ist nicht der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) beigetreten. Der Europäischen Gerichtshofes ist in seinem Gutachten v. 28.03.1996 der Ansicht, daß ein Beitritt der Gemeinschaft zur EMRK eine Vertragsänderung voraussetzt. Gutachten des Europäischen Gerichtshofes 2/94 zum Beitritt der Gemeinschaft zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Slg. 1996, I-1759 (Rdnr. 77). Zu allgemeinen Hinweisen auf Grundrechtserklärungen der Gemeinschaftsorgane und ihre Bedeutung siehe Th. Oppermann, Europarecht, 2. Aufl. 1999, Rdnr. 493. 60 Auf eine unmittelbare Anwendbarkeit der Europäischen Menschenrechtskonvention aus Artikel 6 Abs. 2 EU kann nicht geschlossen werden. H.-W. Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft Bestandsaufnahme und Analyse der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Schutz der Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze, 1992, S. 175, 185, 227.

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1. Teil: Arzneimittelsicherheit und Verfassungsrecht

Der Europäische Gerichtshof hat durch seine Rechtsprechung einen Grundrechtskatalog entwickelt.61 Als Grundlage dienten ihm die nationalen Verfassungen der Mitgliedstaaten, die Europäischen Menschenrechtskonvention62 sowie die den Verfassungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen allgemeinen Rechtsgrundsätze63. Dennoch kann die Geltung der Grundrechte im Gemeinschaftsrecht nicht von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs abhängen. Andernfalls wären die Gemeinschaftsorgane erst an die Grundrechte gebunden, wenn sich der Europäischen Gerichtshof dazu geäußert hätte.64 Seit Dezember 2000 gibt es eine durch den Europäischen Rat proklamierte Charta der Grundrechte der Europäischen Union.65 Sie ist eine ge61 EuGH v. 12.11.1969 – Rs. 29/69 (Erich Stauder/Stadt Ulm – Sozialamt), Slg. 1969, 419 (Rdnr. 7); EuGH v. 17.12.1970 – Rs. 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide- und Futtermittel), Slg. 1970, 1125 (Rdnr. 3 f.); EuGH v. 28.10.1975 – Rs. 36/75 (Roland Rutili/Ministre de l’intérieur), Slg. 1975, 1219 (Rdnr. 32); EuGH v. 13.12.1979 – Rs. 44/79 (Liselotte Hauer/Land Rheinland-Pfalz), Slg. 1979, 3727 (Rdnr. 17); EuGH v. 26.06.1980 – Rs. 136/79 (National Panasonic (UK) Limited/Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1980, 2033 (Rdnr. 17 ff.); EuGH v. 10.07.1984 – Rs. 63/83 (Strafverfahren gegen Kent Kirk), Slg. 1984, 2689 (Rdnr. 22); EuGH v. 11.07.1989 – Rs. 265/87 (Hermann Schräder HS Kraftfutter GmbH/Hauptzollamt Gronau), Slg. 1989, 2237 (Rdnr. 14 f.); EuGH v. 13.07.1989 – Rs. 5/88 (Hubert Wachauf/Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft), Slg. 1989, 2609 (Rdnr. 17 f.); S. Ringel, Das deutsche und gemeinschaftliche Lebensmittelrecht: lebensmittelrechtliche Aspekte innerhalb der Europäischen Union, 1996, S. 30; H.-W. Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, S. 13; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Die Grundrechte in der Gemeinschaft, in: K. A. Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, Lehrstuhlskript 2000, § 12, S. 376; M. Silvestro, De la Charte des droits fondamentaux de l’Union européenne à la charte constitutionnelle, Revue du Marché Commun et de l’Union européenne 2001, S. 660 (660 f.). 62 Die Europäische Menschenrechtskonvention hat eine Sonderstellung im Vergleich zu anderen völkerrechtlichen Texten. Es ist allerdings strittig, ob die Konvention unmittelbar als Rechtsquelle oder lediglich als Erkenntnisquelle vom Europäischen Gerichtshof herangezogen werden soll. K. A. Schachtschneider/A. EmmerichFritsche, Die Grundrechte in der Gemeinschaft, S. 379 f.; R. Streinz, Europarecht, 5. Aufl. 2001, Rdnr. 361. 63 Die allgemeinen Rechtsgrundsätze sind geltender Bestandteil des Primärrechts, also der Gemeinschaftsrechtsordnung, müssen aber noch durch den Gerichtshof ausgeformt werden. Im Verhältnis zum Sekundärrecht sind die Grundrechte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs übergeordnet und dienen als Maßstab für die Gültigkeit und die Auslegung des Sekundärrechts. BVerfGE 73, 339 (383 f.); EuGH v. 17.12.1970 – Rs. 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft mbH/ Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide- und Futtermittel), Slg. 1970, 1125 (Rdnr. 4); H.-W. Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, S. 8, 13; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 489 ff.; K. A. Schachtschneider/A. EmmerichFritsche, Die Grundrechte in der Gemeinschaft, S. 376 f. 64 H.-W. Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, S. 13.

3. Kap.: Pflicht zum Schutze der Gesundheit der Europäischen Gemeinschaft 35

meinsame Erklärung des Rates, der Kommission und des Europäischen Parlaments, aber kein Bestandteil der Verträge.66 Großbritannien, Nordirland und Dänemark haben sich von der Charta distanziert. Die Grundrechtecharta löste eine kontroverse Diskussion um Zweck und Inhalt der in ihr aufgeführten „Grundrechte“ aus.67 Wenngleich die Proklamation der Grundrechtecharta ihr keine Rechtsgeltung verschafft, so wird sie doch zu einer politischen Verbindlichkeit führen.68 Weil die Grundrechtsprechung des 65

ABl. Nr. C 364 v. 18.12.2000, S. 1. P. Eeckhout, The EU Charter of fundamental rights and the federal question, Common Market Law Review 2002, S. 945 (946 f.). Die Grundrechtecharta wurde von einem Konvent unter dem Vorsitz von Roman Herzog erarbeitet. Der Konvent bestand aus je einem persönlichen Beauftragten der fünfzehn Staats- und Regierungschefs, je zwei Mitgliedern der Parlamente der fünfzehn Mitgliedstaaten, fünfzehn Mitgliedern des Europäischen Parlaments und je einem Abgeordneten der Kommission und des Europäischen Gerichtshofs zusammen. Problematisch erscheint insbesondere die fehlende demokratische Legitimation der Konventsmitglieder. K. A. Schachtschneider, Ein Oktroi, nicht die gemeinsame Erkenntnis freier Menschen von ihrem Recht – wider diese Fassung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, F.A.Z. 05.09.2000, S. 9. 67 K. A. Schachtschneider, Ein Oktroi, nicht die gemeinsame Erkenntnis freier Menschen von ihrem Recht – wider diese Fassung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, F.A.Z. 05.09.2000, S. 9; ders., Eine Charta der Grundrechte für die Europäische Union, Aus Politik und Zeitgeschichte 2000, S. 13 (13 ff., 20 f.); Ch. Tomuschat, Manche Rechte bedürfen der Konkretisierung, F.A.Z. 07.08.2000, S. 13; P. J. Tettinger, Mehr als eine fleißige Sammlung zum Schutz vor Eurokraten? – zum Entwurf einer Charta der Grundrechte der Europäischen Union, F.A.Z. 26.08.2000, S. 6; S. Tillich, Nicht mehr und nicht weniger – Die Charta der Grundrechte soll die Rechte des Bürgers gegenüber der Europäischen Union benennen, F.A.Z. 25.09.2000, S. 9; A. Weber, Die europäische Grundrechtscharta, NJW 2000, S. 537 (537 ff.); ders., Eine einmalige Chance für eine europäische Verfassungsgesetzgebung – Plädoyer für eine offensive Debatte, F.A.Z., 26.08.2000, S. 6; R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 358 a; C. Calliess, Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, EuZW 2001, S. 261 (261); M. Silvestro, De la Charte des droits fondamentaux de l’Union européenne à la charte constitutionnelle, Revue du Marché Commun et de l’Union européenne 2001, S. 660 (661 f.); P. Eeckhout, The EU Charter of fundamental rights and the federal question, Common Market Law Review 2002, S. 945 (956 ff., 969 ff.). 68 So haben sich der Rat, das Europäische Parlament und die Kommission in einer Erklärung selbst an die Grundrechte gebunden. Ein Grundrechte-Text ist klassischer Bestandteil eines Verfassungsgesetzes, welches ein Volk zum Staat verfaßt. Die Verträge zur Gründung der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft sind keine Verfassungsgesetze, weil sie die Europäische Union nicht zu einem (Bundes-)Staat und die Unionsbürger nicht zu einem Volk im staatsrechtlichen Sinne integrieren. Mit der Charta der Grundrechte wird die Europäische Union ihre existentielle Staatlichkeit vertiefen. K. A. Schachtschneider, Ein Oktroi, nicht die gemeinsame Erkenntnis freier Menschen von ihrem Recht – wider diese Fassung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, F.A.Z. 05.09.2000, S. 9; ders., Eine Charta der Grundrechte für die Europäische Union, Aus Politik und Zeitgeschichte 2000, S. 13 (13 f.); A. Weber, Die europäische Grundrechtscharta, NJW 66

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1. Teil: Arzneimittelsicherheit und Verfassungsrecht

Europäischen Gerichtshofs bisher keine verbindliche Textgrundlage hatte, könnte sich die Charta zur maßgeblichen Grundlage für die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs69 und folglich auch für die Gerichte der Mitgliedstaaten entwickeln.70 Nach Artikel 2 Abs. 1 der Charta hat jede Person ein Recht auf Leben und nach Artikel 3 Abs. 1 ein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Der Gesundheitsschutz wird in den genannten Artikeln zwar ausdrücklich erwähnt, ist jedoch durch Artikel 35 auf den „Zugang zur Gesundheitsvorsorge und Inanspruchnahme von ärztlicher Versorgung nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ reduziert, so daß die objektive Dimension der Artikel 2 und 3 nicht grundrechtlich zur Geltung gebracht wird. Dies wird durch die Ergänzung der Charta bestätigt, indem mit der Festlegung und Durchführung aller Politiken und Maßnahmen der Union ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt werden soll.71 Es gilt abzuwarten, welche Auswirkungen die in Nizza proklamierte Grundrechte-Charta auf die in Ansätzen bestehende Schutzpflicht des Gemeinschaftsgesetzgebers hat. Die Unionsbürger sollen durch die Gemeinschaftsgrundrechte gegen rechtswidrige Handlungen der Gemeinschaftsorgane geschützt werden.72 2000, S. 537 (539); P. Eeckhout, The EU Charter of fundamental rights and the federal question, Common Market Law Review 2002, S. 945 (947, 952); H. Stein, Ziele und Maßnahmen europäischer Gesundheitspolitik, in: O. Schöffski/F.-U. Fricke/W. Guminski/W. Hartmann, Pharmabetriebslehre, 2002, S. 375. 69 Das Europäische Gericht erster Instanz (EuG) hat bereits die Charta zur Urteilsbegründung herangezogen. EuG v. 03.05.2002 – Rs. T-177/01 (Jégo-Quéré & Cie SA/Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 2002, II-2365 (Rdnr. 42, 47); dazu auch H.-P. Schneider, Es gibt noch Richter in Luxemburg – Zum Individualrechtsschutz durch europäische Gerichte, NJW 2002, S. 2927 (2927). 70 K. A. Schachtschneider, Ein Oktroi, nicht die gemeinsame Erkenntnis freier Menschen von ihrem Recht – wider diese Fassung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, F.A.Z. 05.09.2000, S. 9; ders., Eine Charta der Grundrechte für die Europäische Union, Aus Politik und Zeitgeschichte 2000, S. 13 (14 f.); P. Müller, Eine Grundrechte-Charta ist kein politischer Wunschzettel, F.A.Z. 07.09.2000, S. 16; R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 358 a.; B. Beutler, in: B. Beutler/ R. Bieber/J. Pipkorn/J. Streil (Hrsg.), Die Europäische Union, 5. Aufl., 2001, Rdnr. 641 f.; C. Calliess, Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, EuZW 2001, S. 261 (261 f.); P. Eeckhout, The EU Charter of fundamental rights and the federal question, Common Market Law Review 2002, S. 945 (947 ff., 952 ff., 977 ff.). 71 K. A. Schachtschneider, Eine Charta der Grundrechte für die Europäische Union, Aus Politik und Zeitgeschichte 2000, S. 13 (18 f., 21). 72 EuGH v. 12.11.1969 – Rs. 29/69 (Erich Stauder/Stadt Ulm – Sozialamt), Slg. 1969, 419 (Rdnr. 6 f.); EuGH v. 17.12.1970 – Rs. 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide- und Futtermittel), Slg. 1970, 1125 (Rdnr. 3 f.); EuGH v. 14.05.1974 – Rs. 4/73 (J. Nold Kohlen- u. Baustoff-

3. Kap.: Pflicht zum Schutze der Gesundheit der Europäischen Gemeinschaft 37

Dieser Schutz erstreckt sich auch auf die Ausführungen des Gemeinschaftsrechts.73 Diese Betrachtungsweise, die die gemeinschaftlichen Grundrechte lediglich als Abwehrrechte sieht, ist jedoch nicht ausreichend.74 Vielmehr müssen die Grundrechte, wenn die Europäische Gemeinschaft eine Freiheitsordnung der Bürger schaffen soll, darüber hinaus als objektive Werte durch die Normsetzung Einfluß nehmen und als zu realisierende objektive Prinzipien75 die Tätigkeit der Gemeinschaft bestimmen.76 Aus dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem nationalen Recht, der nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch für nationale Grundrechte gilt,77 muß sich notwendigerweise ein Grundrecht zum Schutz der Gesundheit auf europäischer Ebene ergeben.78 Die Pflicht, das Leben zu schützen, ergibt sich für den Gemeinschaftsgesetzgeber aus Artikel 2 Abs. 1, S. 1 EMRK in Verbindung mit Artikel 6 Abs. 2 EU.79 Der Europäische Gerichtshof hat durch seine Rechtgroßhandlung/Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1974, 491 (Rdnr. 13); EuGH v. 26.06.1980 – Rs. 136/79 (National Panasonic (UK) Limited/ Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1980, 2033 (Rdnr. 19). 73 Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 489. 74 Voraussetzung der Schutzpflicht ist eine materielle Verfassung, welche die Gemeinschaft zumindest in Ansätzen besitzt. Hinzu kommt, daß auch eine funktionale Staatlichkeit in einem gewissen Umfang bereits Schutzpflichten begründet. H.-W. Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, S. 207; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Die Grundrechte in der Gemeinschaft, S. 388 ff., 397. 75 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 353, 461 ff., 490 ff., 819 ff.; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1. Aufl. 1986, S. 75 f., 414, 422; ders., Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, Der Staat 1990, S. 49 (49 ff., 61). 76 EuGH v. 14.05.1974 – Rs. 4/73 (J. Nold Kohlen- u. Baustoffgroßhandlung/ Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1974, 491 (Rdnr. 14); H.-W. Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, S. 205 f.; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Die Grundrechte in der Gemeinschaft, S. 398, 390 ff.; I. Pernice, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 164 (alt), Rdnr. 62 e. 77 Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts wurde in vielen Entscheidungen durch den Europäischen Gerichtshof bestätigt: EuGH v. 15.07.1964 – Rs. 6/64 (Flaminio Costa/E.N.E.L.), Slg. 1964, 1253 (1270); EuGH v. 17.12.1970 – Rs. 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide- und Futtermittel), Slg. 1970, 1125 (Rdnr. 3 f.); EuGH v. 09.03.1978 – Rs. 106/77 (Amministrazione delle Finanze dello Stato/Simmenthal SpA), Slg. 1978, 629 (Rdnr. 17 ff.); dazu differenzierend K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, S. 112 ff.; K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 145 f.; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, 3. Aufl. 2002, S. 80 ff. 78 H.-W. Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, S. 2, 179.

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1. Teil: Arzneimittelsicherheit und Verfassungsrecht

sprechung ein Grundrecht auf Gesundheit und Sicherheit zunächst aus Artikel 36 EGV (jetzt Artikel 30 EG) in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entwickelt.80 Darüber hinaus ist die Verpflichtung der Gemeinschaft, das Leben und die Gesundheit zu schützen, in Artikel 95 EG81 sowie in den Querschnittsklauseln der Artikel 152 Abs. 1 EG und Artikel 153 Abs. 2 EG materialisiert.82 Der Gedanke dahinter ist, daß die Verwirklichung des Binnenmarktes auch den Schutz der Gesundheit sicherstellen muß.83 Neben diesen primärrechtlichen Regelungen verpflichtet auch das Sekundärrecht die Gemeinschaft, das Leben und die Gesundheit zu schützen.84 Im Sekundärrecht wird die Verpflichtung zum Verbraucher- und Gesundheitsschutz durch den Fehlerbegriff der Produktsicherheitsrichtlinie (Richtlinie 92/59/EWG85) sowie der gemeinschaftlichen Verbraucher- und Gesundheitsschutzprogramme verdeutlicht.86 79

Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat der EuGH nur indirekt anerkannt. A. Bleckmann, Europarecht – Das Recht der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaften, 6. Aufl. 1997, Rdnr. 110; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Die Grundrechte in der Gemeinschaft, S. 400. 80 EuGH v. 08.04.92 – Rs. C-62/90 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1992, I-2575 (Rdnr. 23); L. Krämer, EWGVerbraucherrecht, 1. Aufl., 1985, S. 22 ff.; G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 22 f.; N. Reich, Förderung und Schutz diffuser Interessen durch die Europäischen Gemeinschaften: eine problemorientierte Einführung in das europäische Wirtschaftsrecht, 1. Aufl. 1987, S. 60 ff., 65 f., 227 f.; ders., Europäisches Verbraucherschutzrecht, 1993, S. 324; J. Moreau/D. Truchet, Droit de la santé publique, S. 38 f. 81 L. Krämer, EWG-Verbraucherrecht, S. 22 ff.; G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 22 f.; Zu einer Schutzpolitik der Gemeinschaft bereits über Art. 100 EGV (jetzt Art. 94 EG) siehe N. Reich, Förderung und Schutz diffuser Interessen, S. 42 ff.; ders., Europäisches Verbraucherschutzrecht, 1993, S. 324. 82 H.-W. Micklitz, Internationales Produktsicherheitsrecht: zur Begründung einer Rechtsverfassung für den Handel mit risikobehafteten Produkten, 1. Aufl. 1995, S. 186 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 471. 83 Strittig ist allerdings, ob die Grundfreiheiten als Grundrechte anzusehen sind. Für eine solche Sichtweise siehe EuGH v. 19.12.1968 – Rs. 13/68 (SpA Salgoil/Ministero del Commercio con l’Estero), Slg. 1968, 680 (693 f.); A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 115 f., 1519; H.-W. Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, S. 178 ff.; M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht – Das Recht der Europäischen Union – Das Recht der Europäischen Gemeinschaften (EGKS, EG, EAG) – mit Schwerpunkt EG, 5. Aufl. 1996, Rdnr. 788 f.; bedingt zustimmend: K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Die Grundrechte in der Gemeinschaft, S. 375; die Grundfreiheiten bringen zwar allgemeine Rechtsgrundsätze zum Ausdruck und erfüllen so eine Grundrechtsfunktion. Sie sind jedoch an grenzüberschreitende Sachverhalte gebunden. 84 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Die Grundrechte in der Gemeinschaft, S. 393 f. 85 Richtlinie 92/59/EWG des Rates v. 29.06.1992 über die allgemeine Produktsicherheit (ABl. Nr. L 228 v. 11.08.1992, S. 24 ff.). 86 H.-W. Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, S. 179.

3. Kap.: Pflicht zum Schutze der Gesundheit der Europäischen Gemeinschaft 39

Aufgrund ihrer materialen Offenheit87 bedürfen die Grundrechte der Durchsetzung und Ausfüllung durch das Gemeinschaftsrecht.88 Allerdings kann die Europäische Gemeinschaft aufgrund des Prinzips der begrenzten Ermächtigung89 kein umfassendes Sicherheitskonzept bieten; denn die Gemeinschaftsgrundrechte und deren Ausgestaltung haben sich in die Struktur und Ziele der Gemeinschaft einzufügen.90 Die Gemeinschaft kann nur in den vertraglich vorgesehenen Bereichen tätig werden.91 Sie darf diese Verpflichtung nicht zu einer Ausweitung ihrer Befugnisse nutzen.92 Die grundrechtliche Schutzpflicht ist für alle Gemeinschaftsrechtsetzungen zu beachten. Dies gilt selbst dann, wenn sie nicht der politische Zweck der Maßnahme ist.93 Die Gemeinschaftsrechtsakte müssen den Wesensgehalt der Grundrechte achten.94 Der Europäische Gerichtshof hat sich jedoch nicht dazu geäußert, was er unter dem Wesensgehalt der Gemeinschaftsgrundrechte versteht. Er scheint jedoch eher einen relativen Wesensgehalt der Grundrechte anzunehmen.95 87

K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 823 ff. A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 356 f. 89 Ausführlich zum Prinzip der begrenzten Ermächtigung siehe 3. Teil, 3. Kapitel, II. 4. a). 90 EuGH v. 17.12.1970 – Rs. 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft mbH/ Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide- und Futtermittel), Slg. 1970, 1125 (Rdnr. 3 f.); EuGH v. 13.12.1979 – Rs. 44/79, (Liselotte Hauer/Land RheinlandPfalz), Slg. 1979, 3727 (Rdnr. 23); EuGH v. 26.06.1980 – Rs. 136/79 (National Panasonic (UK) Limited/Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1980, 2033 (Rdnr. 19). 91 N. Reich, Förderung und Schutz diffuser Interessen, S. 221 ff.; G. Nicolaysen, Europarecht I – Die europäische Integrationsverfassung, 2. Aufl. 2002, S. 120 f.; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Die Grundrechte in der Gemeinschaft, S. 395 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 354 f.; J. Moreau/D. Truchet, Droit de la santé publique, S. 42. 92 BVerfGE 89, 155 (192 f.); K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 116 ff. 93 N. Reich, Förderung und Schutz diffuser Interessen, S. 36; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Die Grundrechte in der Gemeinschaft, S. 402. 94 EuGH v. 14.05.1974 – Rs. 4/73 (J. Nold Kohlen- u. Baustoffgroßhandlung/ Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1974, 491 (Rdnr. 14); EuGH v. 13.12.1979 – Rs. 44/79, (Liselotte Hauer/Land Rheinland-Pfalz), Slg. 1979, 3727 (Rdnr. 23); EuGH v. 15.06.1978 – Rs. 149/77 (Gabrielle Defrenne/Société anonyme belge de navigation aérienne Sabena), Slg. 1978, 1365 (Rdnr. 19 ff.); EuGH v. 11.07.1989 – Rs. 265/87 (Hermann Schräder HS Kraftfutter GmbH/Hauptzollamt Gronau), Slg. 1989, 2237 (Rdnr. 15); I. Pernice, Grundrechtsgehalte im Europäischen Gemeinschaftsrecht – ein Beitrag zum gemeinschaftsimmanenten Grundrechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof, 1. Aufl. 1979, S. 410. 95 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Die Grundrechte in der Gemeinschaft, S. 395 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 348 ff. 88

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1. Teil: Arzneimittelsicherheit und Verfassungsrecht

Umstritten ist die Höhe des Schutzniveaus.96 Ein europäisches Schutzrecht muß die unterschiedlichen Vorstellungen der Mitgliedstaaten vereinen, wenngleich man davon ausgehen kann, daß der Schutz der Gesundheit von allen Mitgliedstaaten im Wesentlichen identisch ist.97 Der Begriff der „Gesundheit“ hängt von der Kultur98 und der wirtschaftlichen Lage99 eines Landes ab, was sich wiederum auf die Risikobewertung von Produkten sowie die Akzeptanz möglicher gesundheitlicher Schäden auswirkt.100 Ein Schutzniveau, das auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner basiert, kann nicht ausreichend für die Gemeinschaft sein.101 Vielmehr muß es um die bestmögliche Erfüllung der Schutzpflicht gehen.102 Ein bestmögliches Schutzniveau zur Gefahrenabwehr sollte sich maßstäblich am Stand der internationalen Wissenschaft und Technik orientieren, unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit.103 So läßt sich zusammenfassend festhalten, daß eine grundrechtliche Verpflichtung zum Schutz der Gesundheit sowohl in Deutschland als auch in Frankreich besteht. Während in Deutschland der Gesundheitsschutz in einem Artikel des Grundgesetzes verankert ist, ist in Frankreich die Zusammenschau verschiedener Verfassungspräambeln und Menschenrechtserklä96 R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 362; I. Pernice, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 164 (alt), Rdnr. 44 f. 97 S. Ringel, Das deutsche und gemeinschaftliche Lebensmittelrecht als Sicherheitsrecht, S. 30 f., 164 f. 98 Globalisierungstendenzen sind zwar auch in kultureller Beziehung feststellbar, dennoch bleiben weiterhin maßgebliche Unterschiede. Diese können im Rahmen der Risikobewertung eines Arzneimittels durch die jeweiligen nationalen Behörden zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Die unterschiedliche Bewertung kann sich negativ auf die Anerkennung von Zulassungen auswirken. Zum Einfluß der Kultur auf Entscheidungen siehe G. Hofstede, Die Bedeutung von Kultur und ihre Dimension im Internationalen Management, in: B. Kumar/H. Haussmann (Hrsg.), Handbuch der Internationalen Unternehmenstätigkeit: Erfolgs- und Risikofaktoren, Märkte, Export-, Kooperations- und Niederlassungs-Management, 1992, S. 311. 99 Es scheint, daß sich wohlhabendere Länder einen höheren Sicherheitsstandard leisten können als ärmere Länder. E. Lawlor, 1992: Größeres Angebot und Wirtschaftsaufschwung – Aufgabe der Europäischen Verbraucherpolitik, 1988, S. 30 ff. 100 H.-W. Micklitz, Internationales Produktsicherheitsrecht, S. 199. 101 EuGH v. 13.12.1979 – Rs. 44/79, (Liselotte Hauer/Land Rheinland-Pfalz), Slg. 1979, 3727 (Rdnr. 23); H.-W. Micklitz, Internationales Produktsicherheitsrecht, S. 199; S. Ringel, Das deutsche und gemeinschaftliche Lebensmittelrecht als Sicherheitsrecht, S. 30 f., 164 f. 102 A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 356. 103 BVerfGE 49, 89 (143); R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 414, 422; K. A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff „Stand von Wissenschaft und Technik“, S. 85, 116 ff.; H.-W. Micklitz, Internationales Produktsicherheitsrecht, S. 199; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Die Grundrechte in der Gemeinschaft, S. 403 f.; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 356.

3. Kap.: Pflicht zum Schutze der Gesundheit der Europäischen Gemeinschaft 41

rungen für die verfassungsrechtliche Konstitution des Gesundheitsschutzes maßgeblich. Dagegen kann die Frage nach einer Schutzpflicht der Europäischen Gemeinschaft nicht eindeutig beantworten werden. Es gilt zu berücksichtigen, daß die Europäische Gemeinschaft kein existentieller Staat ist. Eine gemeinschaftliche Schutzpflicht kann deshalb immer nur im Rahmen ihrer Politiken sowie der ihr übertragenen Aufgaben und Befugnisse bestehen.

Zweiter Teil

Die Verwirklichung des Binnenmarktes und der Warenverkehrsfreiheit in der Europäischen Gemeinschaft Für die Analyse über die Verwirklichung des Binnenmarktes für Arzneimittel ist zunächst ein dogmatischer Überblick über die Lehre des Binnenmarktes und des freien Warenverkehrs hilfreich. 1. Kapitel Der Binnenmarkt in der Europäischen Gemeinschaft Die Kommission hat erstmals 1985 in ihrem Weißbuch über „die Vollendung des Binnenmarktes“1 den Begriff des Binnenmarktes als feststehenden Ausdruck ins Gemeinschaftsrecht eingeführt. Durch die Einheitliche Europäische Akte2 wurde er in Artikel 7 a EGV (jetzt Artikel 14 EG) Bestandteil des Vertragstextes. Bis dahin war als Begriff im Gemeinschaftsrecht der Gemeinsame Markt vorherrschend. Die Abgrenzung der Begriffe ist deshalb bedeutend, weil einige Artikel ausschließlich auf den Binnenmarkt und andere ausschließlich auf den Gemeinsamen Markt abzielen. So kann der Rat im Rahmen der Rechtsangleichung nach Artikel 94 EG tätig werden, um die Errichtung und das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes zu gewährleisten, während er nach Artikel 95 EG Maßnahmen zur Verwirklichung des Binnenmarktes erlassen kann. Was der Vertrag unter dem Gemeinsamen Markt versteht, kann nur durch eine Gesamtschau der Artikel näher bestimmt werden. Eine eindeutige „Definition“ gibt es nicht. Die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes besteht neben den vier Grundfreiheiten auch aus einer gemeinsamen Agrarpolitik, einer gemeinsamen Verkehrspolitik, der Schaffung eines Systems unverfälschten Wettbewerbs und insbesondere einer gemeinsamen Handelspolitik.3 1 Weißbuch der Kommission „Vollendung des Binnenmarktes“, KOM(85) 310 endg., abgedruckt in BR-Drucks. 289/85 v. 10.07.1985. 2 Einheitliche Europäische Akte (EEA) v. 28.02.1986, ABl. Nr. L 169 v. 29.06. 1987, S. 1.

1. Kap.: Der Binnenmarkt in der Europäischen Gemeinschaft

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Im Gegensatz zum Begriff des Gemeinsamen Marktes enthält der Vertragstext eine Legaldefinition des Binnenmarktes in Artikel 14 Abs. 2 EG: „Der Binnenmarkt umfaßt einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen dieses Vertrags gewährleistet ist“. Wiederholt wird dieser Gedanke in Artikel 3 Abs. 1 lit. c EG: „Die Tätigkeit der Gemeinschaft im Sinne des Artikels 2 umfaßt nach Maßgabe dieses Vertrags und der darin vorgesehenen Zeitfolge einen Binnenmarkt, der durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist“. Artikel 3 Abs. 1 lit. c EG verknüpft durch den Verweis auf Artikel 2 EG den Begriff des Binnenmarktes mit dem des Gemeinsamen Marktes: „Die Tätigkeit der Gemeinschaft im Sinne des Artikels 2 umfaßt nach Maßgabe dieses Vertrags und der darin vorgesehenen Zeitfolge [. . .] einen Binnenmarkt, der durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist.“ Artikel 2 EG sieht die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes als Gemeinschaftsaufgabe: „Aufgabe der Gemeinschaft ist es, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes [. . .] in der ganzen Gemeinschaft eine harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens, [. . .] zu fördern.“ Der sachliche Anwendungsbereich des „Binnenmarktes“ ist allerdings nicht mit dem des „Gemeinsamen Marktes“ identisch. Zum einen sprechen formale Gründe dagegen. So werden in Artikel 15 EG zwar beide Begriffe, jedoch mit unterschiedlichem Bezug verwendet. Außerdem spricht das Festhalten an Artikel 94 EG (ehemals Artikel 100 EGV) neben Artikel 95 EG (ehemals Artikel 100 a EGV) dafür, daß es Aufgaben zur Rechtsangleichung gibt, die zwar den Gemeinsamen Markt, nicht aber den Binnenmarkt betreffen. Schließlich unterscheidet die Kommission in ihrem „Weißbuch über die Vollendung des Binnenmarktes“ ebenfalls zwischen den beiden Begriffen. Zum anderen gibt es inhaltliche Gründe. Im Gegensatz zum Binnenmarkt zählen neben den Grundfreiheiten unter anderem auch die Agrarpolitik, die Verkehrspolitik sowie die Wettbewerbspolitik zum sachlichen Geltungsbereich des Gemeinsamen Marktes. Der Begriff des „Gemeinsamen Marktes“ ist somit weiter als der des „Binnenmarktes“ zu verstehen.4 3

S. Pieper, Freiheit ohne Grenzen – Zum Schlußtermin für die Errichtung des Binnenmarktes, in: A. Bleckmann (Hrsg.), Deutschland im Binnenmarkt 1994, S. 4 ff.; A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 2111 ff.; R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 954; zum Verhältnis Binnenmarkt – Gemeinsamer Markt siehe auch B. Langeheine, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 100 (alt) Rdnr. 25 und Artikel 100 a (alt) Rdnr. 23; andere Ansicht: M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 308 Rdnr. 23.

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2. Teil: Verwirklichung des Binnenmarktes und der Warenverkehrsfreiheit

Der „Raum ohne Binnengrenzen“ des Artikel 14 EG gewährleistet die vier Grundfreiheiten: Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit. Nach dem Binnenmarktkonzept sind diese vier Freiheiten primär zu verwirklichen. Die Einheitliche Europäische Akte5 hat der Gemeinschaft dafür neue Instrumente6 an die Hand gegeben und einen, wenngleich auch nur politisch gültigen, „Fertigstellungstermin“ eingeführt. Der „Fertigstellungstermin“ ist in Artikel 14 Abs. 1 EG festgehalten. Dort ist als rechtlich nicht bindender Termin der 31. Dezember 1992 genannt.7 Zur schnelleren Verwirklichung des Binnenmarktes legte die Kommission bereits 1985 das „Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes“ vor.8 Die Kommission verfolgte damit eine „neue Strategie“. Diese neue Strategie sollte die Harmonisierung mitgliedstaatlichen Rechts auf ein Minimum reduzieren. Die Kommission gibt in ihrem neuen Harmonisierungsansatz lediglich den Rahmen vor, den die Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen haben. Ansonsten setzt sie verstärkt auf die gegenseitige Anerkennung nationaler Regelungen, um den Umfang der Rechtsangleichungsmaßnahmen zu verringern.9 Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung hat die Kommission aus dem Herkunftslandprinzip entwickelt.10 Nach dem Herkunftslandprinzip können 4 Th. C. W. Beyer, Rechtsnormanerkennung im Binnenmarkt. Zur Interpretation von Artikel 100 b des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften im Spannungsfeld von Äquivalenzgrundsatz, Prinzip des gemeinschaftlichen Mindestrechtsgüterschutzes und mitgliedstaatlicher Regelungskompetenz, 1998, S. 105 ff.; R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 953 f.; B. Langeheine, in: E. Grabitz/M. Hilf, EGV, Artikel 100 a (alt) Rdnr. 21 ff.; J. Ukrow, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/ EGV, Artikel 2 Rdnr. 24. 5 Einheitliche Europäische Akte (EEA) v. 28.02.1986, ABl. Nr. L 169 v. 29.06. 1987, S. 1. 6 Als „Instrumente“ wird die Einführung des Mehrheitsprinzip, die qualifizierte Beteiligung des Europäischen Parlaments an der Rechtssetzung in Fragen des Binnenmarktes sowie die Ausweitung von Gemeinschaftskompetenzen, wie beispielsweise für die Umweltpolitik, verstanden. R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 38. 7 EuGH v. 21.09.1999 – Rs. C-378/97 (Strafverfahren gegen Florus Ariël Wijsenbeek), Slg. 1999, I-6207 (Rdnr. 40 ff.); S. Pieper, Freiheit ohne Grenzen, S. 5 f., 14 ff.; A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 7; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 42, 1314; W. Kahl, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 14 Rdnr. 14; R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 37, 947. 8 Weißbuch der Kommission „Vollendung des Binnenmarktes“, KOM(85) 310 endg., abgedruckt in BR-Drucks. 289/85 v. 10.07.1985, S. 6, 17 f. 9 S. Pieper, Freiheit ohne Grenzen, S. 6 ff., 10; A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 2176 ff.; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1216, 1300 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Einführung in das Wirtschaftsrecht der Europäischen Gemeinschaft, Lehrstuhlskript 2000, S. 58 ff.; R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 36, 947, 955 f. 10 Synonym zu „Herkunftslandprinzip“ wird auch der Begriff „Ursprungslandprinzip“ verwendet. Dazu ausführlicher ist Th. C. W. Beyer, Rechtsnormanerkennung im Binnenmarkt, S. 28 ff.

1. Kap.: Der Binnenmarkt in der Europäischen Gemeinschaft

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Waren, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht wurden, uneingeschränkt auch in einem anderen Mitgliedstaat vermarktet werden. Dies beruht auf der Überlegung, daß ein Produkt, das im Herkunftsland rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht wurde, keinen weiteren Voraussetzungen in dem Bestimmungsland unterworfen werden kann. Überwiegend geht es um die gegenseitige Anerkennung unterschiedlicher Qualitätsnormen.11 Der Verbraucher ist in der Lage, durch eine ausreichende Etikettierung, unterschiedliche Qualitätsmerkmale von Produkten selbst zu erkennen. Dagegen sind für die Einschätzung von Sicherheitsanforderungen häufig Fachkenntnisse notwendig. Daher wurde das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung im gesundheitspolitischen Bereich nicht als ein adäquates Mittel angesehen.12 Sicherheitsstandards, die dem Schutz der öffentlichen Gesundheit dienen, sind deshalb von dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung ausgenommen.13 Das Herkunftslandprinzip und damit das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung folgt bereits aus der Warenverkehrsfreiheit.14 Darüber hinaus enthielt Artikel 100 b EGV ein formelles Anerkennungsprinzip. Mit dem Amsterdamer Vertrag entfiel besagter Artikel. Weil das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung implizit in den Grundfreiheiten enthalten ist, hat der Wegfall von Artikel 100 b EGV keine Auswirkung auf die Existenz des Prinzips.15 Genausowenig würde eine Streichung des Artikels 95 EG (ehemals Artikel 100 a EGV) zu einem Wegfall des Anerkennungsprinzips führen.16 Der Europäische Gerichtshof hat das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in seiner Cassis-de-Dijon-Rechtsprechung17 deutlich gemacht.18 In der „neuen Strategie“ der Kommission sollen sich Rechtsangleichung und gegenseitige Anerkennung ergänzen und zur Verwirklichung des Bin11

Th. C. W. Beyer, Rechtsnormanerkennung im Binnenmarkt, S. 25 ff. Weißbuch der Kommission „Vollendung des Binnenmarktes“ (KOM(85) 310 endg., abgedruckt in BR-Drucks. 289/85 v. 10.07.1985, S. 19 f., 22); N. Reich, Förderung und Schutz diffuser Interessen, S. 224 ff.; O. May, Gegenseitige Anerkennung – bei Arzneimitteln möglich oder utopisch?, PharmInd 1992, S. 834 ff.; S. Ringel, Das deutsche und gemeinschaftliche Lebensmittelrecht, S. 125 ff., 144 ff. 13 N. Reich, Förderung und Schutz diffuser Interessen, S. 227 ff.; S. Ringel, Das deutsche und gemeinschaftliche Lebensmittelrecht als Sicherheitsrecht, S. 95 f., 117 f.; Th. C. W. Beyer, Rechtsnormanerkennung im Binnenmarkt, S. 40 f.; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 448, 660. 14 Th. C. W. Beyer, Rechtsnormanerkennung im Binnenmarkt, S. 49, 55 ff. 15 Dazu ausführlich Th. C. W. Beyer, Rechtsnormanerkennung im Binnenmarkt, S. 46 ff., 49 ff., 55 ff., 67 ff. 16 Th. C. W. Beyer, Rechtsnormanerkennung im Binnenmarkt, S. 46 ff., 55 ff., 103 ff. 17 EuGH v. 20.02.1979 – Rs. 120/78 (Rewe-Zentral AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein), Slg. 1979, 649 (Rdnr. 14 f.). 18 Th. C. W. Beyer, Rechtsnormanerkennung im Binnenmarkt, S. 57 ff. 12

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2. Teil: Verwirklichung des Binnenmarktes und der Warenverkehrsfreiheit

nenmarktes beitragen. Die „alte Strategie“ der Kommission sah dagegen vor, daß auf Gemeinschaftsebene detaillierte Produktstandards für alle Mitgliedstaaten ausgearbeitet wurden. Die Entwicklung dieser einheitlichen Standards erwies sich aufgrund des großen Aufgabenfeldes als ineffizient. Die in dem Weißbuch der Kommission vorgesehenen Maßnahmen zur Vollendung des Binnenmarktes gliedern sich in drei Teile mit über 300 Maßnahmen. Im ersten Teil geht es um die Beseitigung der materiellen Schranken, d.h. Personen- und Warenkontrollen, in einem zweiten Teil geht es um die Beseitigung von technischen Schranken, das betrifft vor allem die Gewährleistung des freien Waren-, Personen- und Dienstleistungsverkehr mit der Abschaffung von nichttarifären Handelshemmnissen. Eine dritter Teil umfaßt die Maßnahmen zur Beseitigung der Steuerschranken, insbesondere die Angleichung der indirekten Steuern. Die Kommission veröffentlicht jedes Jahr einen Jahresbericht über den Fortschritt zur Vollendung des Binnenmarktes. 1997 kam ein Aktionsplan für den Binnenmarkt hinzu. Dieser Plan enthält vier strategische Ziele, die allerdings nicht neu sind: die wirksamere Gestaltung der Vorschriften, die Beseitigung der hauptsächlichen Marktverzerrungen, die Beseitigung von sektorspezifischen Schranken für die Marktintegration sowie die Schaffung eines im Dienste aller Bürger stehenden Binnenmarktes. Auch dazu gibt es eine Reihe spezifischer Aktionen. 1999 folgte eine Mitteilung der Kommission über eine „Strategie für den europäischen Binnenmarkt“. Diese Strategie sollte von 2000 bis 2004 verwirklicht werden. Hierbei stehen die Verbesserung der Lebensqualität der Bürger, die Stärkung der Effizienz der gemeinschaftlichen Güter- und Kapitalmärkte, die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und die Nutzung der Errungenschaften des Binnenmarktes im Vordergrund. Allerdings handelt es sich auch diesmal nicht um neue, sondern um bereits bekannte und sehr offen formulierte Ziele. Über den Erfolg der hierfür festgelegten operativen Ziele berichtet regelmäßig der Binnenmarkt-Anzeiger der Kommission.19 Die immer wieder aufgelegten Programme und Aktionspläne der Kommission zeigen bereits, daß der Binnenmarkt in der Europäischen Gemeinschaft noch nicht in zufriedenstellender Weise hergestellt ist. Nimmt man das Weißbuch der Kommission von 1985 als Maßstab, ist der überwiegende Teil der dort festgelegten Maßnahmen bis 1994 entweder verwirklicht oder aber im Laufe der Entwicklung gegenstandslos geworden.20 Es bestehen immer noch Hemmnisse im Binnenhandel. So vor allem im Bereich der Warenverkehrsfreiheit, der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit so19

Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 42; R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 983 f. Entschließung des Rates zum erfolgreichen Funktionieren des Binnenmarktes, v. 07.02.1992 (ABl. Nr. C 334 v. 18.12.1992, S. 1); Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1272; R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 983. 20

2. Kap.: Der Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit

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wie der Steuergrenzen. Unabhängig von der Einordnung des Binnenmarktes zum Gemeinsamen Markt besteht Übereinstimmung darin, daß der Binnenmarkt bis heute noch nicht verwirklicht ist.21 Die Tatsache, daß einige Maßnahmen zurückgezogen und durch geeignetere ersetzt wurden, zeigt, daß das Weißbuch nicht der alleinige Maßstab zur Verwirklichung des Binnenmarktes sein kann. Vor allem ist der Binnenmarkt dann noch nicht verwirklicht, wenn die einheitliche Währung mit einer gemeinschaftlichen Wirtschafts- und Sozialpolitik verknüpft wird. Eine solche gemeinsame Politik hängt wiederum eng mit dem Willen zu einer Politischen Union zusammen.22 2. Kapitel Der Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit Der Vertrag kennt fünf Grundfreiheiten: freier Warenverkehr, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit, Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit.23 Sie sind ihrem Wortlaut nach an die Mitgliedstaaten gerichtet und schützen daher zunächst die Marktteilnehmer gegenüber Maßnahmen der Mitgliedstaaten.24 Die Grundfreiheiten richten Gebote und Verbote an die Mitgliedstaaten zur Verwirklichung des Binnenmarktes, ohne jedoch vorzuschreiben, welcher Handlungsformen sich die Mitgliedstaaten zu bedienen haben.25 21 J. Jickeli, Der Binnenmarkt im Schatten des Subsidiaritätsprinzips, JZ 1995, S. 57 ff.; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 43, 1315; A. Emmerich-Fritsche, Einführung in das Wirtschaftsrecht der Europäischen Gemeinschaft, S. 30; R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 983 f., 985 f. 22 Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 43, 1316. 23 Die allgemeinen Vorschriften der Grundfreiheiten kommen nicht zur Anwendung, wenn der Vertrag Sonderregelungen vorsieht. Für Arzneimittel trifft dies nicht zu. 24 Grundfreiheiten als Grundrechte, siehe dazu: BVerfGE 73, 339 (381); EuGH v. 07.02.1985 – Rs. 240/83 (Procureur de la République/Association de Defense des Bruleurs d’huiles usagées (ADBHU)), Slg. 1985, 531 (548); EuGH v. 15.10.1987 – Rs. 222/86 (Union nationale des entraineurs et cadres techniques professionnels du football (Unectef)/Georges Heylens u. a.), Slg. 1987, 4097 (Rdnr. 14); I. Pernice, Grundrechtsgehalte im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 68; J. Schwarze, Schutz der Grundrechte in der EG, EuGRZ 1986, S. 293 (296); G. Nicolaysen, Europarecht I, S. 125 f.; A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 107 ff., 1519; Grundfreiheiten als Ausdruck allgemeiner Rechtsgrundsätze, die auch Grundrechtsfunktionen erfüllen: K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Die Grundrechte in der Gemeinschaft, S. 375. 25 EuGH v. 07.07.1976 – Rs. 118/75 (Lynne Watson u. Alessandro Belmann), Slg. 1976, 1185 (Rdnr. 11 f., 17 f.); EuGH v. 24.11.1982 – Rs. 249/81 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Irland), Slg. 1982, 4005 (Rdnr. 20 ff.); R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 706.

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2. Teil: Verwirklichung des Binnenmarktes und der Warenverkehrsfreiheit

Die Grundfreiheiten binden auch die Gemeinschaftsorgane, weil ihnen allgemeine Prinzipien wie Handelsfreiheit, Wettbewerbsfreiheit, freie wirtschaftliche Bestätigung oder freie Unternehmensgründung zugrunde liegen.26 In seinen Urteilen hat der Europäische Gerichtshof immer wieder deutlich gemacht, daß es mit der Aufgabe und der Tätigkeit der Gemeinschaft unvereinbar wäre, wenn sie die Handelshemmnisse, die sie den Mitgliedstaaten verbietet, selbst einführen könnte.27 Der Europäische Gerichtshof hat aus Gründen des „effet utile“28 die Grundfreiheiten nicht nur als objektives Gemeinschaftsrecht angesehen, sondern auch als subjektive Rechte jedes einzelnen Bürgers gegenüber den Mitgliedstaaten.29 So hat jeder Bürger das Recht, sich auf die Verletzung von Grundfreiheiten zu berufen; daher gelten die Grundfreiheiten unmittelbar.30 Es sind aber nicht nur die Regelungen zum Schutz bestimmter Rechtsgüter im Interesse des Einzelnen, sondern auch der Abbau von Handelshemmnissen, beispielsweise in Form von nationalen Schutzmaßnahmen zur Verwirklichung von Grundrechten. Das Bundesverfassungsgericht er-

26 I. Pernice, Grundrechtsgehalte im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 93 f.; C. D. Classen, Auf dem Weg zu einer einheitlichen Dogmatik der EG-Grundfreiheiten, 1995, S. 97 ff.; R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 706; S. Leible, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 28 (neu) Rdnr. 44. 27 EuGH v. 29.02.1984 – Rs. 37/83 (RWE-Zentrale/Landwirtschaftskammer Rheinland), Slg. 1984, 1229 (Rdnr. 18); EuGH v. 17.05.1984 – Rs. 15/83 (Denkavit Nederland B.V./Hoofproduktschap voor Akkerbouwprodukten), Slg. 1984, 2171 (Rdnr. 15); EuGH v. 09.08.1994 – Rs. C-51/93 (Meyhui NV/Schott Zwiesel Glaswerke AG), Slg. 1994, I-3879 (Rdnr. 11); EuGH v. 25.06.1997 – Rs. C-114/96 (Strafverfahren gegen René Kieffer und Romain Thill), Slg. 1997, I-3629 (Rdnr. 27). 28 Die Auslegungsmaxime des „effet utile“ zielt auf eine größtmögliche Nutzung der Ermächtigungen, Verfahren und materialen Vorschriften. Damit sind Richtlinien unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne Umsetzung in nationales Recht unmittelbar anwendbar. EuGH v. 06.10.1970 – Rs. 9/70 (Franz Grad/Finanzamt Traunstein), Slg. 1970, 825 (Rdnr. 5); EuGH v. 04.12.1974 – Rs. 41/74 (Yvonne van Duyn/Home Office), Slg. 1974, 1337 (Rdnr. 12); EuGH v. 05.04.1979 – Rs. 148/78 (Strafverfahren gegen Tullio Ratti), Slg. 1979, 1629 (Rdnr. 19 ff.); A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 559; Ch. Claßen, Nichtumsetzung von Gemeinschaftsrichtlinien – von der unmittelbaren Wirkung bis zum Schadensersatzanspruch, 1999, S. 68 ff.; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 528 f.; zu „effet utile“ siehe auch S. 131 ff. 29 EuGH v. 19.12.1968 – Rs. 13/68 (SpA Salgoil/Ministero del Commercio con l’Estero), Slg. 1968, 680 (690 ff.); EuGH v. 04.12.1994 – Rs. 41/74 (Yvonne van Duyn/Home Office), Slg. 1974, 1337 (Rdnr. 5/7); EuGH v. 07.07.1976 – Rs. 118/75 (Lynne Watson und Alessandro Belmann), Slg. 1976, 1185 (Rdnr. 11 f., 16 sowie 1. LS). 30 EuGH v. 05.02.1963 – Rs. 26/62 (Van Gend en Loos/Administratie der Belastingen), Slg. 1963, 1 (24 ff.); EuGH v. 16.06.1966 – Rs. 57/65 (Firma Alfons Lütticke GmbH/Hauptzollamt Saarlouis), Slg. 1966, 257 (266); EuGH v. 22.03.1977 – Rs. 74/76 (Ianelli&Volpi SpA/Firma Paolo Meroni), Slg. 1977, 557 (Rdnr. 13).

2. Kap.: Der Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit

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klärt im Maastricht-Urteil31 „Vertragserweiterungen“, die auf die Lehre des „effet utile“ gestützt sind, für Deutschland als nicht verbindlich.32 Aus dem Abbau von Handelshemmnissen ergibt sich ein Interessenkonflikt zwischen der Öffnung der Märkte sowie dem damit einhergehenden Abbau von Schutzvorschriften und somit zwischen Anbietern und Abnehmern. Aufgrund dieses Interessenkonfliktes und der subjektiven Geltung der Grundfreiheiten hat jeder Einzelne einen Anspruch darauf, daß die Grundfreiheiten durch nationale Schutzmaßnahmen nur im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips33 eingeschränkt werden.34 Die Abwägung von Gemeinschaftsmaßnahmen, die Grundrechte betreffen, und von mitgliedstaatlichen Maßnahmen, die Grundfreiheiten betreffen, ist u. a. aufgrund der mangelnden Befugnis des Europäische Gerichtshofs zur Überprüfung nationalen Rechts problematisch und kann „nur im Sinne praktischer Konkordanz, nicht aber im Sinne eines (ideologischen) Vorrangs der Grundfreiheiten gelöst werden“.35 Unabhängig davon, ob handelsbeschränkende Maßnahmen von der Europäischen Gemeinschaft oder von einem Mitgliedstaat erlassen werden, ist stets zu prüfen, ob eine solche Maßnahme nur vordergründig dem Gesundheits- oder Verbraucherschutz dienlich und nicht eigentlich durch Lobbyismus motiviert ist.36 31

BVerfGE 89, 155 (210). Kritisch zu Kompetenzausweitungen über die Lehre des „effet utile“ K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 126 ff. 33 Dies bedeutet, daß die Maßnahme notwendig ist, um eine „ernstzunehmende Gefahr“ abzuwehren, zur Abwehr dieser Gefahr geeignet ist und das Mittel ist, das den freien Warenverkehr am wenigsten beeinträchtigt. EuGH v. 30.11.1983 – Rs. 227/82 (Strafverfahren gegen Leendert Van Bennekom), Slg. 1983, 3883 (Rdnr. 39); EuGH v. 04.02.1988 – Rs. 261/85 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/ Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland), Slg. 1988, 547 (Rdnr. 12). 34 BVerfGE 22, 293 (295 f.); 31, 173 (174); 37, 271 (285); 73, 339 (387); 89 155 (210); EuGH v. 20.02.1979 – Rs. 120/78 (Rewe-Zentral AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein), Slg. 1979, 649 (Rdnr. 13 f.); A. Emmerich-Fritsche, Einführung in das Wirtschaftsrecht der Europäischen Gemeinschaft, S. 2, 13 ff. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts gilt auch für nationale Schutznormen, aber nur, wenn die Gemeinschaft entsprechende abschließende Schutzmaßnahmen, im Rahmen ihrer Zuständigkeit, erlassen hat. Eine generelle Auslegungsregel „in dubio pro communitate“ kann es nicht geben. Zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts und dem Prinzip der begrenzten Ermächtigung siehe auch: M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, Rdnr. 335 ff., 849 ff.; K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 75 ff.; Th. C. W. Beyer, Die Ermächtigung der Europäischen Union und ihrer Gemeinschaften, Der Staat 1996, S. 189 (191 f., 213 ff., 219 f.); A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 537 ff.; für einen uneingeschränkten Vorrang des Gemeinschaftsrechts siehe G. Nicolaysen, Europarecht I, S. 90 ff. 35 A. Emmerich-Fritsche, Einführung in das Wirtschaftsrecht der Europäischen Gemeinschaft, S. 14 f. 32

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2. Teil: Verwirklichung des Binnenmarktes und der Warenverkehrsfreiheit

Zur Verwirklichung des freien Warenverkehrs37 gemäß den Artikeln 23 ff. EG, ist neben der Einführung der Zollunion das Verbot mengenmäßiger Ein- und Ausfuhrbeschränkungen sowie das Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung notwendig (Artikel 28 ff. EG), weil sich diese genauso negativ auf den Handel auswirken wie Zölle. Der Begriff der „mengenmäßigen Beschränkung“ ist im Vertrag nicht näher erläutert. Der Europäische Gerichtshof hat darunter „sämtliche Maßnahmen, die sich als eine gänzliche oder teilweise Untersagung der Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr darstellen“, subsumiert.38 Dabei kann es sich beispielsweise um Kontingente dem Wert oder der Menge nach oder um ein gänzliches Einfuhrverbot handeln. Allerdings unterscheidet der Europäische 36

G. Nicolaysen, Europarecht II – Das Wirtschaftsrecht im Binnenmarkt, 1. Aufl. 1996, S. 50 f.; A. Emmerich-Fritsche, Einführung in das Wirtschaftsrecht der Europäischen Gemeinschaft, S. 15 f. 37 Als Waren im Sinne dieser Vorschrift gelten alle Erzeugnisse, die einen Geldwert haben und Gegenstand von Handelsgeschäften sein können. Dazu zählen auch Abfälle, Lieferung von Elektrizität, Übertragung von Forderungen. In Abgrenzung zu Dienstleistungen sind Waren all jene Gegenstände, die selbst (körperlich oder unkörperlich) Hauptzweck der grenzüberschreitenden Lieferung sind, während für Dienstleistungen die (Erwerbs-)Tätigkeit im Vordergrund steht. Nach diesem sehr weit gefaßten Warenbegriff sind auch unrechtmäßig hergestellte, bezeichnete, aufgemachte oder zusammengesetzte Arzneimittel eindeutig Waren i. S. der Artikel 28 ff. EG. EuGH v. 10.12.1968 – Rs. 7/68 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Italien), Slg. 1968, 634 (Rdnr. 1); EuGH v. 28.02.1984 – Rs. 294/82 (Senta Einberger/Hauptzollamt Freiburg), Slg. 1984, 1177 (Rdnr. 19); EuGH v. 11.07. 1985 – verb. Rs. 60/84 u. 61/84 (Cinéthèque SA u. a./Fédération nationale des cinémas francais), Slg. 1985, 2605, (Rdnr. 9 ff.); Für Arzneimittel siehe B. Collatz, Rechtliche Entwicklungsgrundlagen des zentralisierten Zulassungsverfahrens und der gegenseitigen Anerkennung, in: B. Collatz (Hrsg.), Handbuch der EU-Zulassung – Zentralisiertes Verfahren und Verfahren der gegenseitigen Anerkennung für Humanund Tierarzneimittel, 1998, S. 25. 38 Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß sich die Artikel 28 ff EG nur auf staatliche Maßnahmen beziehen. In der Regel handelt es sich um Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Strittig ist, inwieweit privatwirtschaftliches Handeln erfaßt wird, weil dieses grundsätzlich unter die Artikel 77 ff. EG fällt. In Einzelfällen wird in der Literatur jedoch eine Drittwirkung der Artikel 28 ff. EG für Rechtsbeziehungen zwischen Privaten bejaht. Dies ist insofern einsichtig, weil der Staat ein solches Handeln gesellschaftlichen Gruppen gesetzlich erlaubt und dieses Handeln daher letztlich als staatliches Handeln eingeordnet werden kann. Unter welchen Umständen Maßnahmen von Privaten dem Staat zugerechnet werden können, ist für jeden Einzelfall zu prüfen. EuGH v. 12.07.1973 – Rs. 2/73 (Riseria Luigi Geddo/Ente Nazionale Risi), Slg. 1973, 865 (Rdnr. 7); EuGH v. 24.11.1982 – Rs. 249/81 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Irland), Slg. 1982, 4005 (Rdnr. 26 ff.); EuGH v. 13.12.1983 – Rs. 222/82 (Apple and Pear Development Council/K. J. Lewis Ltd. u. a.), Slg. 1983, 4083 (Rdnr. 17 ff.); EuGH v. 15.12.1993 – Rs. C-292/92 (Hünermund u. a./Landesapothekerkammer Baden-Württemberg), Slg. 1993, I-6787 (Rdnr. 14 ff.); S. Leible, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 28 (neu) Rdnr. 5 f., 44.

2. Kap.: Der Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit

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Gerichtshof nicht mehr zwischen mengenmäßigen Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung, weil letztere alle mengenmäßigen Beschränkungen mit einbeziehen.39 Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen spielen vor allem im Arzneimittelrecht eine große Rolle. Ebenso sind „Maßnahmen gleicher Wirkung“ im Vertrag nicht definiert. Die Auslegung dieses Begriffs ist schwierig.40 Der Europäische Gerichtshof hat den Begriff der Maßnahme gleicher Wirkung in seinem Dassonville-Urteil relativ weit gefaßt.41 Danach ist eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung „jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern.“ Dabei ist es nach dem Europäischen Gerichtshof gleichgültig, wo sich die Handelsbehinderung auswirkt, ob aus- und inländische Erzeugnisse nach der nationalen Regelung unterschiedslos oder unterschiedlich behandelt werden und ob sie tatsächlich einschränkend wirkt, denn die Eignung zur Importbeeinträchtigung ist bereits ausreichend.42 Die sehr weit gefaßte Dassonville-Formel43 hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil „Keck und Mithouard“44 präzisiert: Nationale Bestimmungen, die Regelungen für Verkaufsmodalitäten enthalten, sind keine Maßnahme gleicher Wirkung, wenn sie erstens für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die im Inland ihre Tätigkeit ausüben (formelles Kriterium) und wenn sie zweitens den Absatz der inländischen und der aus anderen Mitgliedstaaten stammenden Erzeugnisse rechtlich wie tatsächlich in gleicher Weise berühren (materielles Kriterium).45 Rechtfertigungsgründe 39

R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 730. A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 1496 ff.; R. Streinz Europarecht, Rdnr. 731. 41 EuGH v. 11.07.1974 – Rs. 8/74 (Staatsanwaltschaft/Benoit u. Gustave Dassonville), Slg. 1974, 837 (Rdnr. 5). 42 EuGH v. 11.07.1974 – Rs. 8/74 (Staatsanwaltschaft/Benoit u. Gustave Dassonville), Slg. 1974, 837 (Rdnr. 5); EuGH v. 26.02.1976 – Rs. 65/75 (Riccardo Tasca), Slg. 1976, 291 (Rdnr. 21/23, 26/28); EuGH v. 24.11.1982 – Rs. 249/81 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Irland), Slg. 1982, 4005 (Rdnr. 25); EuGH v. 18.05.1993 – Rs. C-126/91 (Schutzverband gegen Unwesen in der Wirtschaft/Yves Rocher GmbH), Slg. 1993, I-2361 (Rdnr. 9 f.). 43 EuGH v. 11.07.1974 – Rs. 8/74 (Staatsanwaltschaft/Benoit u. Gustave Dassonville), Slg. 1974, 837 (Rdnr. 5). 44 EuGH v. 24.11.1993 – verb. Rs. C-267/91 u. C-268/91 (Strafverfahren gegen Bernard Keck u. Daniel Mithouard), Slg. 1993, I-6097 (Rdnr. 11 ff.), bestätigt in: EuGH v. 15.12.1993 – Rs. C-292/92 (Hühnermund u. a./Landesapothekerkammer Baden-Württemberg), Slg. 1993, I-6786 (Rdnr. 21 ff.). 45 Der Gerichtshof führte mit dieser Rechtsprechung eine Unterscheidung in Maßnahmen, die lediglich Verkaufsmodalitäten betreffen, und in warenbezogenen Maßnahmen ein und hat die Anwendung der „Dassonville-Formel“ für Maßnahmen, 40

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2. Teil: Verwirklichung des Binnenmarktes und der Warenverkehrsfreiheit

der Maßnahme sind nicht mehr zu prüfen, weil es sich um keine Maßnahme gleicher Wirkung handelt. So sind Verkaufsmodalitäten keine Maßnahmen gleicher Wirkung, selbst wenn sie faktisch den Handel beschränken. Dies gilt jedoch nur unter den oben genannten Bedingungen. Entfällt eine der beiden Bedingungen, liegt auch im Falle von Verkaufsmodalitäten eine Maßnahme gleicher Wirkung i. S. der Dassonville-Formel vor.46 Problematisch ist, daß es der Europäische Gerichtshof offen gelassen hat, was er unter Verkaufsmodalitäten versteht.47 So fallen beispielsweise öffentlich-rechtliche Regelungen, die bestimmte Formen der Werbung oder bestimmte Methoden der Absatzförderung beschränken oder verbieten, darunter.48 Zudem ist die Unterscheidung zwischen verkaufsfördernden und produktbezogenen Maßnahmen nicht immer verständlich.49 die Verkaufsmodalitäten betreffen, eingeschränkt. EuGH v. 11.07.1974 – Rs. 8/74 (Staatsanwaltschaft/Benoit u. Gustave Dassonville), Slg. 1974, 837 (Rdnr. 5); EuGH v. 24.11.1993 – verb. Rs. C-267/91 u. C-268/91 (Strafverfahren gegen Bernard Keck u. Daniel Mithouard), Slg. 1993, I-6097 (Rdnr. 15 ff.). 46 A. Dubach, Freier Warenverkehr in der EU: Der Gerichtshof auf neuen Pfaden?, DVBl. 1995, S. 595 (599 ff.); R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 733; A. Emmerich-Fritsche, Einführung in das Wirtschaftsrecht der Europäischen Gemeinschaft, S. 40. 47 A. Dubach, Freier Warenverkehr in der EU: Der Gerichtshof auf neuen Pfaden?, DVBl. 1995, S. 595 (602 f.); J. Jickeli, Der Binnenmarkt im Schatten des Subsidiaritätsprinzips, JZ 1995, S. 57 (69). 48 EuGH v. 29.06.1995 – Rs. C-391/92 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Republik Griechenland), Slg. 1995, I-1621 (Rdnr. 11 ff.); A. Mattera. De l’arrêt „Dassonville“ à l’arrêt „Keck“, Revue du Marché Unique Européen 1994, S. 117 ( 147); Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1293 f. 49 Dabei kommt es auch immer auf den speziellen Fall an. Sowohl Preisvorschriften als auch Werbemaßnahmen können nach wie vor unter das Verbot der Maßnahmen gleicher Wirkung fallen. Zur Zulässigkeit von Mindest- und Höchstpreisen siehe EuGH v. 10.01.1985 – Rs. 229/83 (Association des Centres distributeurs Edouard Leclerc und andere/Sàrl „Au blé vert“ und andere), Slg. 1985, 1 (Rdnr. 25 ff.). Die unterschiedslos geltende Festsetzung von Höchstpreisen kann eine Maßnahme gleicher Wirkung sein, wenn der Höchstpreis so niedrig festgesetzt wird, daß der Absatz von importierten Produkten im Vergleich zu heimischen Produkten erschwert oder unmöglich wird. Dazu EuGH v. 26.02.1976 – Rs. 65/75 (Riccardo Tasca), Slg. 1976, 291 (Rdnr. 9/11 ff.); W. Hummer/A. Simmer/Ch. Vedder/F. Emmert, Europarecht in Fällen, 3. Aufl. 1999: in der 2. Aufl. 1994 waren die vorweg genannten Urteile noch den produktbezogenen Regelungen zugeordnet (S. 522 ff.). In der 3. Aufl. fallen sie nun unter die vertriebsbezogenen Regelungen (S. 612 ff.); A. Mattera. De l’arrêt „Dassonville“ à l’arrêt „Keck“, Revue du Marché Unique Européen 1994, S. 117 (118); J. Jickeli, Der Binnenmarkt im Schatten des Subsidiaritätsprinzips, JZ 1995, S. 57 (60, 69); T. Lüder, Anmerkung zum Urteil des EuGH v. 10.11.1994, Rs. C-320/93 Lucien Ortscheit/Eurim-Pharm Arzneimittel GmbH, EuZW 1995, S. 87 (88); T. Lüder, Mars – Zwischen Keck und Cassis, EuZW 1995, S. 609 (609); A. Emmerich-Fritsche, Einführung in das Wirtschaftsrecht der Europäischen Gemeinschaft, S. 40 ff.; zur Werbung siehe EuGH v.

3. Kap.: Ausnahmen von der Warenverkehrsfreiheit

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Handelt es sich dagegen um produktbezogene Maßnahmen, so kommt die Dassonville-Formel50 uneingeschränkt zur Anwendung. Damit ist es den Mitgliedstaaten untersagt, den Handel mittelbar oder unmittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern. Nationale Regelungen über Produktmodalitäten, wie Bezeichnung, Form, Maß, Gewicht, Zusammensetzung, Aufmachung, Etikettierung und Verpackung51 unterliegen uneingeschränkt der Kontrolle durch die Dassonville-Formel52. Das Verbot mengenmäßiger Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung führt zu einer Deregulierung der Marktvorschriften und zu Lücken im Rechtssystem. Dies kann durch Rechtsangleichung geschehen oder zeitund kostensparender durch das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung behoben werden.53 3. Kapitel Ausnahmen von der Warenverkehrsfreiheit Die Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen die Warenverkehrsfreiheit durch nationale Maßnahmen einzuschränken. Handelt es sich um eine unterschiedslos wirkende handelsbeschränkende Maßnahme, kann diese durch die im „Cassis de Dijon-Urteil“54 aufgestellten immanenten Schranken oder nach Artikel 30 EG gerechtfertigt werden.55 Handelt es sich dagegen um eine unterschiedlich wirkende Handelsbeschränkung, kann diese nur auf Artikel 30 EG gestützt werden.56 10.11.1994 – Rs. C-320/93 (Lucien Ortscheit/Eurim-Pharm Arzneimittel GmbH), Slg. 1994, I-5243 (Rdnr. 9 ff.); EuGH v. 09.02.1995 – Rs. C-412/93 (Société d’importation Edouard Leclerc-Siplec/TF 1 Publicité SA u. M 6 Publicité SA), Slg. 1995, I-179 (Rdnr. 19 ff.). 50 EuGH v. 11.07.1974 – Rs. 8/74 (Staatsanwaltschaft/Benoit u. Gustave Dassonville), Slg. 1974, 837 (Rdnr. 5). 51 Mittlerweile hat der EuGH klargestellt, daß Vorschriften, die Verpackungsänderungen von in einem Mitgliedstaat bereits zugelassenem Produkt erzwingen, unter warenbezogene Regelungen fallen. EuGH v. 24.11.1993 – verb. Rs. C-267/91 u. C-268/91 (Strafverfahren gegen Bernard Keck u. Daniel Mithouard), Slg. 1993, I6097 (Rdnr. 15); EuGH v. 02.02.1994 – Rs. C-315/92 (Verband sozialer Wettbewerb/Clinique Laboratories und Estée Lauder), Slg. 1994, I-317 (Rdnr. 13); EuGH v. 06.07.1995 – Rs. C-470/93 (Verein gegen Unwesen in Handel und Gewerbe Köln/ Mars), Slg. 1995, I-1923 (Rdnr. 12 ff.). 52 EuGH v. 11.07.1974 – Rs. 8/74 (Staatsanwaltschaft/Benoit u. Gustave Dassonville), Slg. 1974, 837 (Rdnr. 5). 53 Zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung siehe 2. Teil, 1. Kapitel. 54 EuGH v. 20.02.1979 – Rs. 120/78 (Rewe-Zentral AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein), Slg. 1979, 649 (Rdnr. 8).

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2. Teil: Verwirklichung des Binnenmarktes und der Warenverkehrsfreiheit

In beiden Fällen ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip, Artikel 30 S. 2 EG, zu beachten. Somit darf die den Warenverkehr einschränkende Maßnahme weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung (Artikel 30 S. 2, 1. Alternative)57 noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen (Artikel 30 S. 2, 2. Alternative). Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme in bezug auf den Schutzzweck wird anhand der Kriterien Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit geprüft.58 Die Möglichkeit, handelsbeschränkende nationale Maßnahmen nach Artikel 30 EG oder nach den Anforderungen aus dem „Cassis-Urteil“59 zu ergreifen, ist ausgeschlossen, sobald eine abschließende Regelung im sekundären Gemeinschaftsrecht vorliegt, was für Arzneimittel nicht zutrifft.60 55 Allerdings sind Beschränkungen im Rahmen der Cassis-Rechtsprechung nicht zulässig, wenn die Ware im Herkunftsland ebenso effektiv kontrolliert wurde wie im Einfuhrstaat. Das heißt, ist die Ware in ihrem Herkunftsland zum freien Verkehr zugelassen, lehnt der Europäische Gerichtshof in der Regel weitere Einschränkungen durch einzelne Mitgliedstaaten ab. Dies gilt erst recht, wenn die Beschaffenheit der Ware durch eine europäische Richtlinie vereinheitlicht wurde. EuGH v. 20.02.1979 – Rs. 120/78 (Rewe-Zentral AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein), Slg. 1979, 649 (Rdnr. 8, 14); EuGH v. 26.06.1980 – Rs. 788/79 (Strafverfahren gegen Herbert Gilli und Paul Andres), Slg. 1980, 2071 (Rdnr. 6, 12); EuGH v. 19.02.1981 – Rs. 130/80 (Strafverfahren gegen Fabriek voor Hoogwaardige Voedingsprodukten Kelderman B.V.), Slg. 1981, 527 (Rdnr. 6 ff.); EuGH v. 12.03.1987 – Rs. 178/84 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1987, 1227 (Rdnr. 28, 32 ff.). 56 Berührt eine Regelung der Verkaufsmodalitäten im Sinne der Keck-Formel den Absatz von Erzeugnissen rechtlich oder tatsächlich nicht in gleicher Weise, so ist diese Maßnahme als eine Maßnahme gleicher Wirkung auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. EuGH v. 24.11.1993 – verb. Rs. C-267/91 u. C-268/91 (Strafverfahren gegen Bernard Keck u. Daniel Mithouard), Slg. 1993, I-6097 (Rdnr. 15 ff.). 57 Kann die Differenzierung nicht sachlich begründet werden, sind unterschiedlich wirkende Maßnahmen verboten. 58 Damit muß die Maßnahme erstens notwendig sein, um eine „ernstzunehmende Gefahr“ für die in Artikel 28 EG genannten Schutzgüter zu bekämpfen, wobei die „Ergebnisse der internationalen wissenschaftlichen Forschung“ zu berücksichtigen sind, sie muß zweitens zur Abwehr dieser Gefahr geeignet sein und sie muß drittens das Mittel sein, das den freien Warenverkehr von allen geeigneten Mitteln am wenigsten beeinträchtigt. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit hat der Europäische Gerichtshof in zahlreichen Entscheidungen zu Artikel 28 EG herausgearbeitet: EuGH v. 08.07.1975 – Rs. 4/75 (REWE Zentralfinanz/Landwirtschaftskammer Bonn), Slg. 1975, 843 (Rdnr. 7 ff.); EuGH v. 14.07.1983 – Rs. 174/82 (Strafverfahren gegen Sandoz), Slg. 1983, 2445 (Rdnr. 18 f.); EuGH v. 10.12.1985 – Rs. 247/84 (Strafverfahren gegen Leon Motte), Slg. 1985, 3887 (3905); EuGH v. 11.03.1986 – Rs. 121/85 (Conegate Limited/HM Customs&Excise), Slg. 1986, 1007 (Rdnr. 14 ff.); EuGH v. 13.12.1990 – Rs. C-238/89 (Pall Corp./P. J. Dahlhausen&Co.), Slg. 1990, I4827 (Rdnr. 12); EuGH v. 18.05.1993 – Rs. C-126/91 (Schutzverband gegen Unwesen in der Wirtschaft/Yves Rocher GmbH) Slg. 1993, I-2361 (Rdnr. 18 f.). 59 EuGH v. 20.02.1979 – Rs. 120/78 (Rewe-Zentral AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein), Slg. 1979, 649 (Rdnr. 8).

3. Kap.: Ausnahmen von der Warenverkehrsfreiheit

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Somit können die Mitgliedstaaten nach Artikel 30 S. 1 EG Einfuhrbeschränkungen aus „Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit61, zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert62 oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums63“ für den Bereich der Arzneimittel erlassen.64 Ein solcher Grund könnte im Gesundheits- und Verbraucherschutz liegen.

60 Ist die Gemeinschaft nach dem EG-Vertrag zu einer Regelung befugt und hat davon Gebrauch gemacht, entfällt die mitgliedstaatliche Regelungskompetenz. Liegt also eine abschließende Regelung im sekundären Gemeinschaftsrecht vor, sind Rechtfertigungsmöglichkeiten sowohl über Artikel 30 EG als auch über Cassis de Dijon ausgeschlossen. A. Emmerich-Fritsche, Einführung in das Wirtschaftsrecht der Europäischen Gemeinschaft, S. 53. 61 Nach den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs sind unter „öffentlicher Ordnung und Sicherheit“ grundlegende Interessen des Staates zu verstehen, und zwar sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaates. Beispielsweise die Aufrechterhaltung wesentlicher öffentlicher Dienstleistungen oder das sichere und wirksame Funktionieren des Lebens des Staates. Die hoheitlich festgelegten Grundregeln, die wesentliche Interessen des Staates berühren, müssen durch objektive, den Anforderungen der öffentlichen Sicherheit genügende Umstände gerechtfertigt sein. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit wird von der Rechtsprechung eng ausgelegt, weil sonst jede Gesetzesverletzung einen Rechtfertigungsgrund darstellen könnte. EuGH v. 10.07.1984 – Rs. 72/83 (Campus Oil Limited u. a./Minister for Industry and Energie u. a.), Slg. 1984, 2727 (Rdnr. 34 f.); EuGH v. 27.10.1977 – Rs. 30/77 (Strafverfahren gegen Pierre Bouchereau), Slg. 1977, 1999 (2013); EuGH v. 04.10.1991 – Rs. C-367/89 (Strafverfahren gegen Aime Richardt u. Les Accessoires Scientifiques SNC.), Slg. 1991, 4621 (Rdnr. 20 ff.). 62 Dazu EuGH v. 10.12.1968 – Rs. 7/68 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Italien), Slg. 1968, 634 (Rdnr. 1 ff.); EuGH v. 11.07.1985 – verb. Rs. 60/84 u. 61/84 (Cinéthèque/Fédération nationale des cinémas français), Slg. 1985, 2605 (Rdnr. 20 ff.). 63 Zum Schutz des gewerblichen oder kommerziellen Eigentums zählen Patent-, Warenzeichen-, Urheber-, Muster- und Modellschutz- sowie Sortenschutzrechte und Herkunftsangaben für bestimmte Produkte. EuGH v. 08.06.1971 – Rs. 78/70 (Dt. Grammophon GmbH/Metro-SB-Großmärkte GmbH&Co KG), Slg. 1971, 487 (Rdnr. 4 ff.); EuGH v. 03.07.1974 – Rs. 192/73 (Van Zuylen Frères/Hag AG), Slg. 1974, 731 (Rdnr. 7/10); EuGH v. 31.10.1974 – Rs. 15/74 (Centrafarm B.V. und Adriaan de Peijper/Sterling Drug), Slg. 1974, 1147 (Rdnr. 6/8 ff.); EuGH v. 31.10.1974 – Rs. 16/74 (Centrafarm B.V. und Adriaan de Peijper/Winthrop B.V.), Slg. 1974, 1183 (Rdnr. 4/7 ff.); EuGH v. 22.06.1976 – Rs. 119/75 (Société Terrapin (Overseas) Ltd./Terranova Industrie C. A. Kapferer u. Co.), Slg. 1976, 1039 (Rdnr. 6 f.); EuGH v. 23.05.1978 – Rs. 102/77 (Hoffmann-La Roche&Co. AG/Centrafarm Vertriebsgesellschaft Pharmazeutischer Erzeugnisse mbH), Slg. 1978, 1139 (Rdnr. 6); EuGH v. 14.07.1981 – Rs. 187/80 (Merck & Co. Inc./Stephar B.V. u. Petrus Stephanus Exler), Slg. 1981, 2063 (Rdnr. 9 ff.); EuGH v. 17.10.1990 – Rs. C-10/ 89 (SA CNL-SUCAL NV./HAG GF. AG.), Slg. 1990, 3711 (Rdnr. 13 ff.); EuGH v. 10.11.1992 – Rs. C-3/91 (Exportur SA/LOR SA u. Confiserie du Tech SA) Slg. 1992, I-5529 (5561 ff.); EuGH v. 05.12.1996 – verb. Rs. C-267/95 u. C-268/95

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2. Teil: Verwirklichung des Binnenmarktes und der Warenverkehrsfreiheit

Unter den in Artikel 30 EG geschützten Gütern und Interessen nimmt der Schutz von Gesundheit und Leben den ersten Rang ein. In diesem Bereich ist der Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten angesichts der Unsicherheiten und möglichen Risiken sowie der Bedeutung des Gesundheitsschutzes in der Gemeinschaftsverfassung relativ groß.65 Daher ist es Sache der Mitgliedstaaten, in den durch den Vertrag gesetzten Grenzen zu bestimmen, in welchem Umfang sie den Schutz der Gesundheit gewährleisten wollen, insbesondere wie streng die durchzuführenden Kontrollen ausfallen sollen.66 Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „ist es, soweit beim jeweiligen Stand der Forschung noch Unsicherheiten bestehen, mangels einer Harmonisierung Sache der Mitgliedstaaten, unter Berücksichtigung der Erfordernisse des freien Warenverkehrs innerhalb der Gemeinschaft zu bestimmen, in welchem Umfang sie den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gewährleisten wollen“.67 Das heißt, solange keine abschließende Harmonisierung besteht und beim derzeitigen Stand der Forschung Unsicherheiten auftreten, können die Mitgliedstaaten (Merck u. a./Primecrown u. a.) u. (Beecham Group plc/Europharm of Worthing Ltd.), Slg. 1996, I-6285 (Rdnr. 30 ff.). 64 Grundsätzlich legt der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechung die Ausnahmebestimmung des Artikel 30 EG eng aus und die Aufzählung der Güter, zu deren Schutz Ausnahmen zulässig sind, ist abschließend. Daher kann Artikel 30 EG auf Zielsetzungen, die dort nicht ausdrücklich genannt sind, wie der Verbraucherschutz, nicht ausgedehnt werden. EuGH v. 10.01.1985 – Rs. 229/83 (Association des Centres distributeurs Edouard Leclerc und andere/Sàrl „Au blé vert“ und andere), Slg. 1985, 1 (Rdnr. 30). 65 Vgl. Artikel 28 EG, Artikel 95 Abs. 3 und Abs. 4 EG sowie Artikel 152 EG. 66 Zu den Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen zählen insbesondere gesundheits- und veterinärpolizeiliche und phytosanitäre Maßnahmen sowie technische Sicherheitsnormen. EuGH v. 28.01.1986 – Rs. 188/84 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Republik Frankreich), Slg. 1986, 419 (435 ff.). 67 EuGH v. 25.07.1991 – verb. Rs. C-1/90 u. C-176/90 (Aragonesa de Publicidad Exterior u. Publivia/Deportamento de Sanidad y Seguridad Social de Cataluña), Slg. 1991, I-4151 (Rdnr. 16): „Es ist Sache der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, auf welchem Niveau sie den Schutz der öffentlichen Gesundheit sicherstellen wollen und wie dieses Niveau erreicht werden soll. Sie können dies jedoch nur in dem vom Vertrag vorgesehenen Rahmen, insbesondere unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, tun“. Grundsätzlich behält sich allerdings der Europäische Gerichtshof die Überprüfung der Tragweite der in Artikel 30 EG genannten Schutzgüter vor und überläßt sie nicht allein der Beurteilung durch die Mitgliedstaaten. Ausnahmen sind der Schutz der öffentlichen Sittlichkeit und der Gesundheitsschutz. EuGH v. 14.07.1983 – Rs. 174/82 (Strafverfahren gegen Sandoz), Slg. 1983, 2445 (Rdnr. 16 ff.); EuGH v. 30.11.1983 – Rs. 227/82 (Strafverfahren gegen Leendert Van Bennekom), Slg. 1983, 3883 (Rdnr. 38); EuGH v. 12.03.1987 – Rs. 178/84 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1987, 1227 (Rdnr. 41 ff.); EuGH v. 06.05.1986 – Rs. 304/84 (Ministère Public/Müller), Slg. 1986, 1511 (1528).

3. Kap.: Ausnahmen von der Warenverkehrsfreiheit

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den Schutzumfang der Gesundheit selbst bestimmen. In seiner jüngeren Rechtsprechung schränkt der Europäische Gerichtshof tendentiell die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet weiter ein, um selbst zu bestimmen, was für einen effektiven Gesundheitsschutz erforderlich ist.68 Aus Artikel 30 EG ergibt sich somit, daß eine nationale Regelung oder Praxis, die eine die Einfuhren pharmazeutischer Erzeugnisse beschränkende Wirkung hat oder haben kann, mit dem Vertrag nur vereinbar ist, soweit sie für einen wirksamen Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen notwendig ist. Eine nationale Regelung oder Praxis fällt daher nicht unter die Ausnahmebedingungen des Artikel 30 EG, wenn die Gesundheit oder das Leben von Menschen genauso wirksam durch Maßnahmen geschützt werden können, die den innergemeinschaftlichen Handel weniger beschränken.69 Als Rechtfertigungsgründe im Bereich des Arzneimittelrechts könnte neben dem Gesundheits- und Verbraucherschutz auch der Begriff der „öffentlichen Sittlichkeit“ eine Rolle spielen, etwa für empfängnisverhütende Mittel. Der Europäische Gerichtshof versteht unter „öffentlicher Sittlichkeit“ die Moralvorstellungen einer bestimmten Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit.70 Somit kann nach Artikel 30 S. 1 EG ein Mitgliedstaat Einfuhren aus jedem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig verbieten, wenn die eingeführten Gegenstände i. S. seines innerstaatlichen Rechts anstößigen oder unzüchtigen Charakter besitzen.71 Den Mitgliedstaaten muß es in Ausnahmefällen möglich sein, die Verwendung von Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch in ihrem Hoheitsgebiet zu verbieten, wenn objektiv definierte Grundsätze der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Moral verletzt werden.72 68

EuGH v. 04.06.1992 – verb. Rs. C-13/91 u. C-113/91 (Strafverfahren gegen Michel Debus), Slg. 1992, I-3617 (Rdnr. 15 ff., 24 ff.). 69 Artikel 30 EG kann nicht zur „Rechtfertigung – selbst an sich zweckmäßiger – Regelungen oder Praktiken geltend gemacht werden, deren beschränkende Elemente ihre Ursache im wesentlichen in dem Bestreben finden, die Belastung der Verwaltung oder die öffentlichen Ausgaben zu vermindern, es sei denn, daß ohne diese Regelungen oder Praktiken diese Belastung oder diese Ausgaben deutlich die Grenzen dessen überschreiten, was vernünftigerweise verlangt werden kann“. EuGH v. 20.05.1976 – Rs. 104/75 (Adriaan de Peijper, Geschäftsführer der Firma Centrafarm B. V.), Slg. 1976, 613 (Rdnr. 14/18). 70 Die Materialisierung des Begriffs der „öffentlichen Sittlichkeit“ überläßt der Gerichtshof im Wesentlichen den Mitgliedstaaten. EuGH v. 11.03.1986 – Rs. 121/ 85 (Conegate Limited/HM Customs&Excise), Slg. 1986, 1007 (Rdnr. 14); A. Emmerich-Fritsche, Einführung in das Wirtschaftsrecht der Europäischen Gemeinschaft, S. 46. 71 EuGH v. 14.12.1979 – Rs. 34/79 (Strafverfahren gegen Maurice Donald Henn u. John Frederick Ernest Darby), Slg. 1979, 3795 (Rdnr. 15 ff.). 72 Begründung der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1).

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2. Teil: Verwirklichung des Binnenmarktes und der Warenverkehrsfreiheit

In seinem Urteil „Cassis de Dijon“73 hat der Gerichtshof anerkannt, daß es „in Ermangelung einer gemeinschaftlichen Regelung zur Herstellung und Vermarktung einer Ware, Sache der Mitgliedstaaten ist, alle die Herstellung und Vermarktung dieser Ware betreffenden Vorschriften für ihr Hoheitsgebiet zu erlassen. Die sich aus den Unterschieden der nationalen Regelungen ergebenden Hemmnisse für den Binnenhandel müssen hingenommen werden, soweit diese Bestimmungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen, insbesondere den Erfordernissen einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit74, der Lauterkeit des Handelsverkehrs75 und des Verbraucherschutzes76 gerecht zu werden“. Der Europäische Gerichtshof versteht den Katalog der „zwingenden Erfordernisse“ nicht als abschließend („insbesondere“) und hat ihn auf Umweltschutz77, Kulturpolitik78 und Medienvielfalt79 ausgedehnt. 73 EuGH v. 11.07.1974 – Rs. 8/74 (Staatsanwaltschaft/Benoit u. Gustave Dassonville), Slg. 1974, 837 (Rdnr. 5); EuGH v. 20.02.1979 – Rs. 120/78 (Rewe-Zentral AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein), Slg. 1979, 649 (Rdnr. 7 ff.). In dem Urteil ging es um eine deutsche Vorschrift, die den Mindestalkoholgehalt für bestimmte Liköre festsetzte. Die Regelung schloß Liköre mit niedrigerem Alkoholgehalt vom Absatz in der Bundesrepublik aus, fiel damit unter die Dassonville-Formel und war somit nicht zulässig. In der Rechtssache „Cassis de Dijon“ war der Europäische Gerichtshof erstmals mit einer unterschiedslos anwendbaren Regelung befaßt und hat für diesen Fall den nicht abgeschlossenen Katalog der „zwingende Erfordernisse“ als immanente Schranken des Artikel 28 EG entwickelt. 74 Der Europäische Gerichtshof prüft das Erfordernis des Gesundheitsschutzes nur noch im Rahmen des Artikel 30 EG. EuGH v. 02.02.1989 – Rs. 274/87 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1989, 229 (Rdnr. 6 ff.). 75 Waren, die bereits in einem Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht wurden, benötigen keine landesspezifische Kennzeichnung mehr, wenn der Verbraucher in der Lage ist, die Art und Qualität des Erzeugnisses hinreichend genau zu erkennen und es von anderen Erzeugnissen zu unterscheiden. EuGH v. 02.03.1982 – Rs. 6/81 (B.V. Industrie Diensten Groep/J. A. Beele Handelmaatschappij B.V.), Slg. 1982, 707 (Rdnr. 7 ff., 15); EuGH v. 22.06.1982 – Rs. 220/81 (Strafverfahren gegen Timothy Frederick Robertson u. a.), Slg. 1982, 2349 (Rdnr. 12); EuGH v. 26.11.1985 – Rs. 182/84 (Strafverfahren gegen Miro B.V.), Slg. 1985, 3731 (Rdnr. 25 ff.); EuGH v. 11.05.1989 – Rs. 76/86 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1989, 1021 (Rdnr. 16 f.). 76 EuGH v. 12.03.1987 – Rs. 178/84 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1987, 1227 (Rdnr. 28); EuGH v. 14.07. 1988 – Rs. 407/85 (3 Glocken GmbH u. Gertraud Kritzinger/USL Centro-Sud u. Provincia autonoma di Bolzano), Slg. 1988, 4233 (Rdnr. 10); EuGH v. 11.05.1989 – Rs. 76/86 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1989, 1021 (Rdnr. 13). 77 Der Europäische Gerichtshof sieht den Umweltschutz als ein wesentliches Ziel der Gemeinschaft, das bestimmte Beschränkungen des freien Warenverkehrs rechtfertigen kann. Diese Beurteilung ist durch die Einheitliche Europäische Akte in Artikel 176 EG bestätigt worden. Der Umweltschutz stellt somit ein zwingendes Erfordernis dar, das die Anwendung des Artikel 28 EG einschränken kann. EuGH v.

3. Kap.: Ausnahmen von der Warenverkehrsfreiheit

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Der Gesundheitsschutz wird häufig als Argument für den freien Warenverkehr einschränkende Maßnahmen herangezogen, weil ein Verkehrsverbot einer Ware aus Gründen des Verbraucherschutzes unverhältnismäßig wäre. Der Europäische Gerichtshof verlangt eine angemessene und hinreichende Unterrichtung der Verbraucher, beispielsweise durch eine entsprechende Etikettierung und lehnt in der Regel ein Einfuhrverbot oder eine Schlechterstellung des importierten Produkts gegenüber heimischen Produkten als unverhältnismäßig ab.80 Der Gerichtshof geht von dem Leitbild eines „verständigen“ und „mündigen“ Verbrauchers aus.81

18.03.1980 – Rs. 92/79 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Italien), Slg. 1980, 1115 (Rdnr. 8); EuGH v. 20.09.1988 – Rs. 302/86 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Dänemark), Slg. 1988, 4607 (Rdnr. 7); EuGH v. 09.07.1992 – Rs. C-2/90 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Belgien), Slg. 1992, I-4431 (Rdnr. 23 ff.); S. Leible, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 28 (neu), Rdnr. 19 und Artikel 30 (neu), Rdnr. 3. 78 EuGH v. 11.07.1985 – verb. Rs. 60/84 u. 61/84 (Cinéthèque SA u. a./Fédération nationale des cinémas francais), Slg. 1985, 2605 (Rdnr. 9 ff., 24); EuGH v. 23.11.1989 – Rs. 145/88 (Torfaen Borough Council/B&Q plc.), Slg. 1989, 3851 (Rdnr. 14); S. Leible, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 28 (neu), Rdnr. 19. 79 „Die Aufrechterhaltung der Medienvielfalt kann ein zwingendes Erfordernis darstellen, das eine Beschränkung des freien Warenverkehrs rechtfertigt. Diese Vielfalt trägt nämlich zur Wahrung des Rechts der freien Meinungsäußerung bei, das durch Artikel 10 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten geschützt ist und zu den von der Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten Grundrechten gehört“, EuGH v. 26.06.1997 – Rs. C-368/95 (Vereinigte Familiapress Zeitungsverlags- u. Vertriebs-GmbH/Bauer Verlag), Slg. 1997, I-3689 (Rdnr. 18); EuGH v. 25.07.1991 – Rs. C-353/89 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Königreich der Niederlande), Slg. 1991, I-4069 (Rdnr. 30); EuGH v. 03.02.1993 – Rs. C-148/91 (Veronica Omreop Organisatie/Commissariaat voor de media), Slg. 1993, I-487 (Rdnr. 10). 80 EuGH v. 20.02.1979 – Rs. 120/78 (Rewe-Zentral AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein), Slg. 1979, 649 (Rdnr. 3 ff.). 81 Der Europäische Gerichtshof hält den Verbraucher für kritisch und offen gegenüber neuen Entwicklungen, so daß es ihm zuzumuten ist, bisherige Konsumgewohnheiten zu ändern. So sieht der Europäische Gerichtshof die Verbrauchervorstellungen über die Bedeutung einer Gattungsbezeichnung oder die Zusammensetzung eines Produkts im Importland nicht grundsätzlich als schutzwürdig an, der „mündige“ Verbraucher muß vielmehr aufgeklärt werden. EuGH v. 20.02.1975 – Rs. 12/74 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1975, 181 (Rdnr. 17); EuGH v. 20.02.1979 – Rs. 120/78 (Rewe-Zentral AG/ Bundesmonopolverwaltung für Branntwein), Slg. 1979, 649 (Rdnr. 11 ff.); EuGH v. 09.02.1981 – Rs. 193/80 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Italien), Slg. 1981, 3019 (Rdnr. 26 f.); EuGH v. 07.03.1990 – Rs. C-362/88 (GB-INNO-BM/ Conféderation du commerce), Slg. 1990, I-667 (Rdnr. 13 ff.); EuGH v. 13.12.1990 – Rs. C-238/89 (Pall Corp./P. J. Dahlhausen&Co.), Slg. 1990, I-4827 (Rdnr. 19 ff.); EuGH v. 18.05.1993 – Rs. C-126/91 (Schutzverband gegen Unwesen in der Wirt-

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2. Teil: Verwirklichung des Binnenmarktes und der Warenverkehrsfreiheit

Der Europäische Gerichtshof hat den freien Warenverkehr und die Dassonville-Formel82 durch zwei Schranken eingeengt: zum einen durch den Katalog der „zwingenden Erfordernisse“ des „Cassis-de-Dijon-Urteils“83 und zum anderen durch die Ausnahmevorschrift des Artikel 36 EGV (jetzt Artikel 30 EG). Der Europäische Gerichtshof versucht damit einen Ausgleich zwischen dem Gemeinschaftsinteresse an der Verwirklichung des freien Warenverkehrs und dem jeweiligen nationalen, am Gemeinwohl orientierten Interesse der Mitgliedstaaten zu schaffen.84 Die sehr weite Fassung der Dassonville-Formel85 könnte sonst innerhalb der Gemeinschaft zu dem niedrigsten gemeinsamen Schutzniveau führen.86

schaft/Yves Rocher GmbH), Slg. 1993, I-2361 (Rdnr. 17); EuGH v. 02.02.1994 – Rs. C-315/92 (Verband sozialer Wettbewerb/Clinique Laboratories und Estée Lauder), Slg. 1994, I-317 (Rdnr. 21 ff.); EuGH v. 06.07.1995 – Rs. C-470/93 (Verein gegen Unwesen in Handel u. Gewerbe/Mars), Slg. 1995, I-1923 (Rdnr. 24 f.); EuGH v. 16.07.1998 – Rs. C-210/96 (Gut Springenheide u. Tusky/Oberkreisdirektor des Kreises Steinfurt), Slg. 1998, I-4657 (Rdnr. 31); S. Ringel, Das deutsche und gemeinschaftliche Lebensmittelrecht als Sicherheitsrecht, S. 120; W. Leisner, Der mündige Verbraucher in der Rechtsprechung des EuGH, 1991, S. 500 f. 82 EuGH v. 11.07.1974 – Rs. 8/74 (Staatsanwaltschaft/Benoit u. Gustave Dassonville), Slg. 1974, 837 (Rdnr. 5). 83 EuGH v. 20.02.1979 – Rs. 120/78 (Rewe-Zentral AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein), Slg. 1979, 649 (Rdnr. 8). 84 N. Reich, Förderung und Schutz diffuser Interessen, S. 31. 85 EuGH v. 11.07.1974 – Rs. 8/74 (Staatsanwaltschaft/Benoit u. Gustave Dassonville), Slg. 1974, 837 (Rdnr. 5). 86 N. Reich, Förderung und Schutz diffuser Interessen, S. 224 f.

Dritter Teil

Das Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs Die Grundlage der Regelungen für Arzneimittel in den Mitgliedstaaten und in der Gemeinschaft schuf die Richtlinie 65/65/EWG.1 Diese Richtlinie wurde 1965 aufgrund der „Thalidomid“-Katastrophe erlassen.2 Die Richtlinie sollte dazu beitragen, daß sich eine solche Katastrophe nicht wiederholt und der Gesundheitsschutz der Bevölkerung ausreichend gewährleistet ist. Gleichzeitig stellt sie einen ersten Schritt zur Angleichung der nationalen Regelungen für die Herstellung und den Vertrieb von pharmazeutischen Erzeugnissen dar, um den grenzüberschreitenden Verkehr von Arzneimitteln zu erleichtern.3 Später kamen weitere Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft hinzu. Sie betrafen die Herstellung und die Prüfung von Arzneimitteln, deren Inverkehrbringen, Packungsbeilage, Werbung, Vertrieb sowie die Arzneimittelüberwachung.4 Hinzu kommen noch die Vorschriften für besondere Arz1 Richtlinie 65/65/EWG des Rates v. 26.01.1965 zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel (ABl. Nr. 22 v. 09.02.1965, S. 369). 2 D. MacLean, The regulation of medicines in Europe, in: D. Burley/J. Clarke/L. Lasagna (Hrsg.), Pharmaceutical Medicine, 2. Aufl. 1993, S. 195 f.; K. Davis, An Internationale Drug Administration: Curing Uncertainty in International Pharmaceutical Product Liability, Northwestern Journal of International Law&Business 1998, S. 685 (691 ff.). 3 EuGH v. 30.11.1983 – Rs. 227/82 (Strafverfahren gegen Leendert Van Bennekom), Slg. 1983, 3883 (Rdnr. 11). 4 Beispielsweise die Richtlinie 75/318/EWG des Rates v. 20.05.1975 über die analytischen, toxikologisch-pharmakologischen und ärztlichen oder klinischen Vorschriften und Nachweise über Versuche mit Arzneispezialitäten, die Richtlinie 75/ 319/EWG des Rates v. 20.05.1975 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel (ABl. Nr. L 147 v. 09.06.1975, S. 1 und 13); die Richtlinie 87/18/EWG des Rates v. 18.12.1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Grundsätze der guten Laborpraxis und zur Kontrolle ihrer Anwendung bei Versuchen mit chemischen Stoffen (ABl. Nr. L 15 v. 17.01.1987, S. 29); die Richtlinie 88/320/EWG des Rates v. 09.06.1988 über die Inspektion und Überprüfung der Guten Laborpraxis (GLP) (ABl. Nr. L 145 v. 11.06.1988, S. 35); die Richtlinie 89/105/EWG des Rates v. 21.12.1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme (ABl. Nr. L 40 v. 11.02.1989, S. 8); die Richtlinie

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

neimittel wie Impfstoffe, Sera, Blutprodukte, radioaktive Arzneimittel und homöopathische Arzneimittel.5 Wichtig war auch die einheitliche Regelung des Patentschutzes in der Europäischen Gemeinschaft. Dazu hat der Rat am 18.06.1992 die Verordnung 1768/92/EWG über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel erlassen.6 Aufgrund der großen Anzahl von Rechts- und Verwaltungsvorschriften zum Arzneimittelrecht sowie der daran vorgenommenen Änderungen wurden einige der Richtlinien7 91/356/EWG der Kommission v. 13.06.1991 zur Festlegung der Grundsätze und Leitlinien der guten Herstellungspraxis für zur Anwendung beim Menschen bestimmte Arzneimittel (ABl. Nr. L 193 v. 17.07.1991, S. 30); das Richtlinienpaket des Rates für Humanarzneimittel v. 31.03.1992 mit der Richtlinie 92/25/EWG über den Großhandelsvertrieb, der Richtlinie 92/26/EWG zur Einstufung bei der Abgabe, der Richtlinie 92/27/EWG über die Etikettierung und Packungsbeilage sowie der Richtlinie 92/28 über die Werbung (ABl. Nr. L 113 v. 30.04.1992, S. 1, 5, 8 und 13); Verordnung 540/95 der Kommission v. 10.03.1995 über die Prüfung von Änderungen einer Zulassung, die von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaates erteilt wurde (ABl. Nr. L 55 v. 11.03.1995, S. 7); die Richtlinie 2001/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 04.04.2001 zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln (ABl. Nr. L 121 v. 01.05.2001, S. 34). 5 Richtlinie 89/342/EWG des Rates v. 03.05.1989 zur Erweiterung des Anwendungsbereiches der Richtlinien 65/65/EWG und 75/319/EWG und zur Festlegung zusätzlicher Vorschriften für aus Impfstoffen, Toxinen oder Seren und Allergenen bestehende Arzneimittel (ABl. Nr. L 142 v. 25.05.1989, S. 14); Richtlinie 89/343/ EWG des Rates v. 03.05.1989 zur Erweiterung des Anwendungsbereiches der Richtlinien 65/65/EWG und 75/319/EWG zur Festlegung zusätzlicher Vorschriften für radioaktive Arzneimittel (ABl. Nr. L 142 v. 25.05.1989, S. 16); Richtlinie 89/381/ EWG des Rates v. 14.06.1989 zur Erweiterung des Anwendungsbereiches der Richtlinien 65/65/EWG und 75/319/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten und zur Festlegung besonderer Vorschriften für Arzneimittel aus menschlichem Blut oder Blutplasma (ABl. Nr. L 181 v. 28.06.1989, S. 44); Richtlinie 92/73/EWG des Rates v. 22.09.1992 zur Erweiterung des Anwendungsbereichs der Richtlinien 65/65/EWG und 75/319/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel und zur Festlegung zusätzlicher Vorschriften für homöopathische Arzneimittel (ABl. Nr. L 297 v. 13.10.1992, S. 8); Verordnung 141/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.12.1999 über Arzneimittel und seltene Krankheiten (ABl. Nr. L 18 v. 22.01.2000, S. 1). Für diese Arzneimittel sind häufig eigene Vorschriften notwendig, die ihre jeweilige Besonderheit berücksichtigen. Auf diese Arzneimittel und ihre speziellen Vorschriften wird im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter eingegangen. 6 ABl. Nr. L 182 v. 92.07.1992, S. 1. Dazu auch die Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 06.07.1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen. 7 Im einzelnen handelt es sich um die nachfolgende Richtlinien. Der Übersicht halber sind hier nur die Richtlinien-Nummer und die Fundstelle genannt. Die vollständigen Angaben sind bereits in den vorhergehenden Fußnoten aufgeführt. Richtlinie 65/65/EWG (ABl. Nr. 22 v. 09.02.1965, S. 369), Richtlinie 75/318/EWG u. Richtlinie 75/319/EWG (ABl. Nr. L 147 v. 09.06.1975, S. 1 und 13), Richtlinie

3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs 63

in einem Gemeinschaftskodex für Arzneimittel zusammengefaßt.8 Dieser Kodex betrifft ausschließlich Humanarzneimittel. Er trat am 18.12.2001 in Kraft. Damit wurden die darin zusammengefaßten Richtlinien als einzelne Rechtsakte ungültig.9 Die Richtlinien und Verordnungen werden regelmäßig durch Empfehlungen, Mitteilungen oder Stellungnahmen von der Kommission, dem Rat oder dem Europäischen Parlament ergänzt.10 Die bisher erlassenen Maßnahmen erreichten eine schrittweise Verbesserung der Warenverkehrsfreiheit für Arzneimittel, die aber noch nicht abgeschlossen ist. Der wichtigste Beitrag zur Verwirklichung eines Binnenmarktes für Arzneimittel war die Einführung der neuen Zulassungsverfahren und die Errichtung der Europäischen Agentur für die Beurteilung 89/342/EWG (ABl. Nr. L 142 v. 25.05.1989, S. 14), Richtlinie 89/343/EWG (ABl. Nr. L 142 v. 25.05.1989, S. 16), Richtlinie 89/381/EWG (ABl. Nr. L 181 v. 28.06.1989, S. 44), Richtlinie 92/25/EWG, Richtlinie 92/26/EWG, Richtlinie 92/27/EWG sowie Richtlinie 92/28 (ABl. Nr. L 113 v. 30.04.1992, S. 1, 5, 8 und 13), Richtlinie 92/73/EWG (ABl. Nr. L 297 v. 13.10.1992, S. 8). 8 Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 9 Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67), Anhang II, Teil A. 10 Mitteilung der Kommission an den Rat v. 06.05.1982 über die „Parallelimporte von Arzneispezialitäten, deren Inverkehrbringen bereits genehmigt ist“ (ABl. Nr. C 115 v. 06.05.1982, S. 5); Empfehlung 83/571/EWG des Rates v. 26.10.1983 zu den versuchen mit Arzneispezialitäten im Hinblick auf deren Inverkehrbringen (ABl. Nr. L 332 v. 28.11.1983, S. 11); Mitteilung 86/C 310/08 der Kommission v. 04.12.1986 zur Frage der Vereinbarkeit der von den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Arzneimittel-Preiskontrolle und -Kostenerstattung getroffenen Maßnahmen mit Artikel 30 EWG-Vertrag (ABl. Nr. C 310 v. 04.12.1986, S. 7); Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Leitlinien einer Industriepolitik für den Arzneimittelsektor in der Europäischen Gemeinschaft v. 02.03.1994 (KOM(93)718 endg. – C3-0121/94); Entschließung des Europäischen Parlaments zur Industriepolitik im Arzneimittelsektor v. 16.04.1996 (ABl. Nr. C 141 v. 13.05.1996, S. 63); Mitteilung 94/C 82/04 der Kommission über die Anwendung neuer Verfahren für die Zulassung von Human- und Tierarzneimitteln gemäß der Verordnung 2309/93/EWG und den Richtlinie 93/39/EWG und 93/41/EWG (ABl. Nr. C 82 v. 19.03.1994, S. 4); Leitlinien 94/C 63/03 für die gute Vertriebspraxis von Humanarzneimitteln (ABl. Nr. C 63 v. 01.03.1994, S. 3); Schlußfolgerungen des Rates zum Binnenmarkt für Arzneimittel v. 18.05.1998 (8528/98, Schlußfolgerungen, 2094ste Ratstagung); Mitteilung der Kommission über die gemeinschaftlichen Zulassungsverfahren für Arzneimittel (ABl. Nr. C 229 v. 22.07.1998, S. 4); Mitteilung der Kommission über den Binnenmarkt für Arzneimittel v. 25.11.1998 (KOM(98)588 endg. – C4-0127/99); Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik vom Europäischen Parlament über die Mitteilung der Kommission über den Binnenmarkt für Arzneimittel v. 21.04.1999, S. 10 ff., (PE 229.756/endg.).

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

von Arzneimitteln durch die Richtlinie 93/39/EWG11 und die Verordnung 2309/93/EWG12. 1. Kapitel Definition von Arzneimitteln In diesem Kapitel geht es um die schwierige Frage, wann ein Produkt ein Arzneimittel ist und somit aus Gründen des Gesundheits- und Verbraucherschutzes restriktiveren Regelungen unterworfen werden kann als andere Produkte.13 Die Frage nach der Definition eines Mittels ist wichtig, weil an ein Arzneimittel höhere Sicherheitsanforderungen gestellt werden müssen als an eine andere Produktgruppe.14 Es kommt immer wieder zu Meinungsunterschieden, auch zwischen den Zulassungsbehörden der verschiedenen Mitgliedstaaten, über die rechtliche Definition eines Mittels als Arzneimittel, Lebensmittel, Kosmetikum oder Tabakware. Alle vier Produktgruppen wirken auf den Organismus ein und beeinflussen den Zustand des Körpers.15 Eine eindeutige Identifizierung wäre notwendig, ist schon jetzt nicht immer möglich und wird zukünftig immer schwieriger, weil die Grenzen zwischen den einzelnen Produktgruppen immer mehr verschwimmen.16 Aus Gründen der Arzneimittel11 Richtlinie 93/39/EWG des Rates v. 14.06.1993 zur Änderung der Richtlinien 65/65/EWG, 75/318/EWG und 75/319/EWG betreffend Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 22). 12 Verordnung 2309/93/EWG des Rates v. 22.07.1993 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 13 Zur Notwendigkeit erhöhter Sicherheitsanforderungen siehe K. Davis, An Internationale Drug Administration: Curing Uncertainty in International Pharmaceutical Product Liability, Northwestern Journal of International Law&Business 1998, S. 685 (685 f., 740 ff.). 14 So ist das Zulassungserfordernis für Arzneimittel aus Gründen des Verbraucherschutzes und der Arzneimittelsicherheit gerechtfertigt, im Lebensmittelbereich dagegen gegebenenfalls als unverhältnismäßig abzulehnen. 15 Die Überschneidung mit einer anderen Produktgruppe kann schon zu dem Zeitpunkt bestehen, zu dem das Produkt auf den Markt gebracht werden soll, sie kann sich aber auch erst im Laufe der Zeit ergeben, durch einen Wandel der allgemeinen Verkehrsauffassung. Zur Abgrenzung ungeeignet ist der Ort des Verkaufs eines Produktes (Apotheke, Drogerie oder Lebensmittelgeschäft). W. Zipfel, Kommentar zum LMBG, § 1 Rdnr. 36. 16 Vgl. dazu die Diskussion um Nahrungsergänzungsmittel oder Sportlernahrung, auch „functional food“ genannt. Sie enthalten häufig Stoffe und pflanzliche Drogen, die eher dem Arzneimittelbereich als dem Lebensmittelbereich zuzuordnen sind. Häufig sprechen Dosierung, Aufmachung und Werbung eher für arzneiliche als für

1. Kap.: Definition von Arzneimitteln

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sicherheit wäre deshalb eine europaweit homogene Arzneimitteldefinition wünschenswert.17 In den folgenden Kapiteln wird genauer auf die europäischen Regelungen zur Definition von Arzneimitteln und deren Umsetzung in deutsches und französisches Recht eingegangen. I. Europäische Regelungen Nach Artikel 1 Nr. 2 Satz 1 der Richtlinie 2001/83/EG18 sind Arzneimittel „alle Stoffe19 oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bezeichnet werden“. Daneben gelten als Arzneimittel nach Satz 2 „alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die dazu bestimmt sind, im oder am menschlichen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt zu werden“. Diese Definition wurde fast wörtlich aus der Richtlinie 65/65/EWG20 übernommen.21 Alle bisherigen Aussagen und Urteile zum europäischen Arzneimittelbegriff behalten daher ihre Gültigkeit. Die Richtlinie enthält also zwei Definitionen des Arzneimittelbegriffs, die sich nicht strikt unterscheiden lassen: eine „nach der Bezeichnung“ als Arzneimittel; sie wird auch als subjektive Dimension des Arzneimittelbegriffs bezeichnet, und eine „nach der Funktion“ als Arzneimittel; dabei handelt es sich um die objektive Dimension des Arzneimittelbegriffs. Ernährungszwecke. Kloesel/Cyran, Kommentar zum AMG, § 2 Anm. 81; Verfahren zur Abgrenzung von Arzneimitteln und Kosmetika: EuGH v. 20.05.1992 – Rs. C 290/ 90 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1992, I-3317 (Rdnr. 14 ff.); Zur Abgrenzung von Vitaminen als Arzneimittel und Lebensmittel siehe U. Fogel, Vitamin-Produkte: Arznei- oder Lebensmittel?, Pharma Recht 1993, S. 132 ff.; H.-J. Rabe Arzneimittel und Lebensmittel, NJW 1990, S. 1390 (1395 ff.). 17 Durch die in der Gemeinschaft unterschiedliche Zuordnung von Erzeugnissen zu Arzneimitteln, Lebensmitteln etc., zeigt sich das national unterschiedlich eingeschätzte Gefahrenpotential ein und desselben Produktes. 18 Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 06.11. 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 19 Unter Stoffen versteht die Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11. 2001, S. 67) in Artikel 1 Nr. 3 alle Stoffe menschlicher, tierischer, pflanzlicher oder chemischer Herkunft. 20 Richtlinie 65/65/EWG des Rates v. 26.01.1965 zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel (ABl. Nr. 22 v. 09.02.1965, S. 369). 21 So wurde lediglich der Begriff „Körperfunktionen“ durch den Begriff „physische Funktionen“ ersetzt. Es handelt sich um einen Kodex für Humanarzneimittel handelt, deshalb wurden alle Aussagen bezüglich Tierarzneimittel gestrichen.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Ein Erzeugnis gilt als Arzneimittel, wenn es unter eine der beiden Definitionen fällt.22 Grundsätzlich betont der Europäische Gerichtshof in seinen Urteilen immer wieder, daß sich die beiden Kriterien nicht strikt trennen lassen.23 Insbesondere ist das Kriterium der Bezeichnung für jeden Fall genau zu prüfen.24 Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs25 kann ein Erzeugnis als Arzneimittel nach der Bezeichnung angesehen werden, wenn es aufgrund seiner äußeren Form oder seiner Aufmachung einem Arzneimittel genügend ähnelt oder seine Verpackung oder sein Beipackzettel einen Hinweis auf Forschungen pharmazeutischer Laboratorien, auf von Ärzten entwickelte Methoden oder Stoffe oder auch auf bestimmte Zeugnisse von Ärzten zugunsten der Eigenschaften des Erzeugnisses enthalten. Die Angabe, daß das Erzeugnis kein Arzneimittel darstellt, ist ein nützlicher Anhaltspunkt, jedoch nicht allein entscheidend. Dabei kann es sich um eine ausdrückliche oder eine indirekte Bezeichnung oder Empfehlung in Form von Verhaltensweisen, Initiativen oder Maßnahmen, durch den Hersteller, den Verkäufer oder einen Dritten, der nicht in völliger Unabhängigkeit vom Hersteller oder Verkäufer steht, handeln.26 Es ist bereits ausrei22 EuGH v. 30.11.1983 – Rs. 227/82 (Strafverfahren gegen Leendert Van Bennekom), Slg. 1983, 3883 (Rdnr. 22); EuGH v. 21.03.1991 – Rs. C-369/88 (Strafverfahren gegen Jean-Marie Delattre), Slg. 1991, I-1487 (Rdnr. 15); EuGH v. 21.03.1991 – Rs. C-60/89 (Strafverfahren gegen Jean Monteil und Daniel Samanni), Slg 1991, I-1547 (Rdnr. 11); EuGH v. 16.04.1991 – Rs. C-112/89 (Upjohn Company und Upjohn NV/Farzoo Inc. und Jacobus AWMJ Kortmann), Slg 1991, I1703 (Rdnr. 15); EuGH v. 20.05.1992 – Rs. C 290/90 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1992, I-3317 (Rdnr. 14); EuGH v. 28.10.1992 – Rs. C-219/91 (Strafverfahren gegen Johannes Stephanus Wilhelmus Ter Voort), Slg 1992, I-5485 (Rdnr. 11). 23 EuGH v. 16.04.1991 – Rs. C-112/89 (Upjohn Company und Upjohn NV/Farzoo Inc. und Jacobus AWMJ. Kortmann), Slg 1991, I-1703 (Rdnr. 18); EuGH v. 20.05.1992 – Rs. C-290/90 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1992, I-3317 (Rdnr. 14). 24 Die Überprüfung ist Sache der nationalen Gerichte. EuGH v. 16.04.1991 – Rs. C-112/89 (Upjohn Company und Upjohn NV/Farzoo Inc. und Jacobus AWMJ. Kortmann), Slg 1991, I-1703 (Rdnr. 24); EuGH v. 28.10.1992 – Rs. C-219/91 (Strafverfahren gegen Johannes Stephanus Wilhelmus Ter Voort), Slg. 1992, I-5485 (Rdnr. 32). 25 EuGH v. 30.11.1983 – Rs. 227/82 (Strafverfahren gegen Leendert Van Bennekom), Slg. 1983, 3883 (Rdnr. 18 f.); EuGH v. 21.03.1991 – Rs. C-369/88 (Strafverfahren gegen Jean-Marie Delattre), Slg. 1991, I-1487 (Rdnr. 40 f.); EuGH v. 21.03.1991 – Rs. C-60/89 (Strafverfahren gegen Jean Monteil und Daniel Samanni), Slg. 1991, I-1547 (Rdnr. 24); EuGH v. 28.10.1992 – Rs. C-219/91 (Strafverfahren gegen Johannes Stephanus Wilhelmus Ter Voort), Slg 1992, I-5485 (Rdnr. 17 f.). 26 „Dagegen stellt die Verbreitung von Informationen über das Erzeugnis durch einen Dritten, der aus eigenem Antrieb handelt und in völliger – rechtlicher und

1. Kap.: Definition von Arzneimitteln

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chend, daß für einen durchschnittlich informierten Verbraucher27 auch nur schlüssig, aber mit Gewißheit der Eindruck entsteht, daß es sich bei dem fraglichen Erzeugnis um ein Arzneimittel handelt.28 Das Kriterium der „Bezeichnung“ legt der Europäische Gerichtshof weit aus; denn der Verbraucher soll nicht nur vor schädlichen und giftigen Arzneimitteln geschützt werden, sondern auch vor Erzeugnissen, die nicht ausreichend wirksam sind, nicht die Wirkung haben, die der Verbraucher nach ihrer Bezeichnung von ihnen erwarten darf oder anstelle geeigneter Heilmittel verwendet werden.29 Daher fällt ein Erzeugnis unter die Arzneimitteldefinition nach der Bezeichnung, auch wenn keine therapeutischen Wirkungen bekannt sind.30 Die Definition eines Mittels als Arzneimittel nach der „Funktion“ aus Artikel 1 Nr. 2 Satz 2 der Richtlinie 2001/83/EG stellt die objektive Komponente des europäischen Arzneimittelbegriffs dar. Somit fällt „ein Stoff, der im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen Definition ein „Mittel zur Heitatsächlicher – Unabhängigkeit vom Hersteller oder vom Verkäufer handelt, für sich allein keine „Bezeichnung“ i. S. der Richtlinie dar, weil sich daraus nicht entnehmen läßt, daß der Hersteller oder der Verkäufer das Erzeugnis als Arzneimittel in den Verkehr zu bringen beabsichtigt.“ EuGH v. 28.10.1992 – Rs. C-219/91 (Strafverfahren gegen Johannes Stephanus Wilhelmus Ter Voort), Slg. 1992, I-5485 (Rdnr. 26, 31). 27 Der Europäische Gerichtshof führt allerdings in keinem seiner Urteile näher aus, was er unter einem „durchschnittlich informierten Verbraucher“ versteht. Grundsätzlich kann daher von dem Leitbild des „mündigen Verbrauchers“ ausgegangen werden, auf das der Gerichtshof in seinen Urteilen abstellt. Zum „mündigen Verbraucher“ siehe S. Ringel, Das deutsche und gemeinschaftliche Lebensmittelrecht als Sicherheitsrecht, S. 119 ff.; S. Leible, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 28 (neu), Rdnr. 36. 28 Darunter fällt auch der Fall, daß ein durchschnittlich informierter Verbraucher durch Hinweise des Herstellers, des Verkäufers oder durch Hinweise auf dem Erzeugnis dazu angeregt wird, sich bei einem Dritten Informationen über die Eigenschaften des Erzeugnisses zu beschaffen. EuGH v. 30.11.1983 – Rs. 227/82 (Strafverfahren gegen Leendert Van Bennekom), Slg. 1983, 3883 (Rdnr. 18); EuGH v. 21.03.1991 – Rs. C-60/89 (Strafverfahren gegen Jean Monteil und Daniel Samanni), Slg 1991, I-1547 (Rdnr. 23 f.); EuGH v. 28.10.1992 – Rs. C-219/91 (Strafverfahren gegen Johannes Stephanus Wilhelmus Ter Voort), Slg. 1992, I-5485 (Rdnr. 29 f.). 29 EuGH v. 30.11.1983 – Rs. 227/82 (Strafverfahren gegen Leendert Van Bennekom), Slg. 1983, 3883 (Rdnr. 17); EuGH v. 21.03.1991 – Rs. C-369/88 (Strafverfahren gegen Jean-Marie Delattre), Slg. 1991, I-1487 (Rdnr. 39); EuGH v. 16.04. 1991 – Rs. C-112/89 (Upjohn Company und Upjohn NV/Farzoo Inc. und Jacobus AWMJ. Kortmann), Slg 1991, I-1703 (Rdnr. 16); EuGH v. 28.10.1992 – Rs. C-219/91 (Strafverfahren gegen Johannes Stephanus Wilhelmus Ter Voort), Slg 1992, I-5485 (Rdnr. 16). 30 EuGH v. 28.10.1992 – Rs. C-219/91 (Strafverfahren gegen Johannes Stephanus Wilhelmus Ter Voort), Slg 1992, I-5485 (Rdnr. 18).

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

lung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten“ ist, grundsätzlich in den Anwendungsbereich der zweiten gemeinschaftsrechtlichen Definition des Arzneimittels, selbst wenn dieser nicht als ein solches Mittel „bezeichnet“ wird.31 Aus Gründen des Verbraucherschutzes schließt die Definition nach der „Funktion“ alle Stoffe ein, die eine tatsächliche Auswirkung auf die Körperfunktionen haben32, als auch Stoffe, die diese angekündigte Wirkung nicht haben.33 Auch für das Kriterium der „Funktion“ ist der jeweilige Einzelfall zu berücksichtigen. Die erforderliche Qualifizierung erfolgt im Streitfall durch das nationale Gericht anhand der pharmakologischen Eigenschaften, wie sie beim gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse festgestellt werden können, den Anwendungsmodalitäten, dem Umfang seiner Verbreitung und seiner Bekanntheit unter den Verbrauchern.34 Sollte ein Erzeugnis sowohl unter die gemeinschaftsrechtliche Definition eines Arzneimittels als auch eines anderen Produktes, beispielsweise Kosmetikum oder Lebensmittel fallen, so unterliegt das Erzeugnis dem Geltungsbereich der Richtlinie über Arzneispezialitäten. Diese Einordnung ist gerechtfertigt durch die besonderen Gefahren, die dieses Erzeugnis für die öffentliche Gesundheit mit sich bringen kann und die im allgemeinen nicht von einer der anderen Produktgruppen ausgeht.35 31 EuGH v. 30.11.1983 – Rs. 227/82 (Strafverfahren gegen Leendert Van Bennekom), Slg. 1983, 3883 (Rdnr. 22); EuGH v. 20.05.1992 – Rs. C 290/90 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1992, I-3317 (Rdnr. 14). 32 Das heißt alle Erzeugnisse, die zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der Körperfunktionen bestimmt sind und somit Auswirkungen auf die Gesundheit im allgemeinen haben können. Darüber hinaus fallen Erzeugnisse, welche die Körperfunktionen verändern, ohne daß eine Krankheit vorliegt, wie zum Beispiel Verhütungsmittel, ebenfalls in den Anwendungsbereich dieser Definition. EuGH v. 16.04.1991 – Rs. C-112/89 (Upjohn Company und Upjohn NV/Farzoo Inc. und Jacobus AWMJ. Kortmann), Slg 1991, I-1703 (Rdnr. 17, 19). 33 Ein Stoff, der sich jedoch „nicht nennenswert auf den Stoffwechsel auswirkt und somit dessen Funktionsbedingungen nicht wirklich beeinflußt“, fällt nicht unter die Arzneimitteldefinition. EuGH v. 16.04.1991 – Rs. C-112/89 (Upjohn Company und Upjohn NV/Farzoo Inc. und Jacobus AWMJ. Kortmann), Slg 1991, I-1703 (Rdnr. 20 f.). 34 EuGH v. 30.11.1983 – Rs. 227/82 (Strafverfahren gegen Leendert Van Bennekom), Slg. 1983, 3883 (Rdnr. 29); EuGH v. 21.03.1991 – Rs. C-60/89 (Strafverfahren gegen Jean Monteil und Daniel Samanni), Slg 1991, I-1547 (Rdnr. 29); EuGH v. 16.04.1991 – Rs. C-112/89 (Upjohn Company und Upjohn NV/Farzoo Inc. und Jacobus AWMJ. Kortmann), Slg 1991, I-1703 (Rdnr. 23); EuGH v. 20.05.1992 – Rs. C 290/90 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1992, I-3317 (Rdnr. 17). 35 EuGH v. 21.03.1991 – Rs. C-369/88 (Strafverfahren gegen Jean-Marie Delattre), Slg. 1991, I-1487 (Rdnr. 22); EuGH v. 21.03.1991 – Rs. C-60/89 (Strafverfahren gegen Jean Monteil und Daniel Samanni), Slg 1991, I-1547 (Rdnr. 15 ff.);

1. Kap.: Definition von Arzneimitteln

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Ein Erzeugnis, das weder der ersten noch der zweiten Arzneimitteldefinition aus Artikel 1 der Richtlinie 2001/83/EG entspricht, kann nicht als Arzneimittel im Sinne dieser Richtlinie angesehen werden.36 Allerdings kann ein solches Erzeugnis, vorbehaltlich der Regelungen zur Warenverkehrsfreiheit aus den Artikeln 28 ff. EG, im nationalen Recht eines Mitgliedstaates trotzdem der für Arzneimittel geltenden Regelungen unterworfen werden.37 Die Darstellung der europäischen Arzneimitteldefinition zeigt, daß es sich um einen sehr weit gefaßten Begriff handelt, der zu unterschiedlichen Schlußfolgerungen führen kann. Die Einschätzung eines Erzeugnisses als Arzneimittel hängt auch von der Kultur eines Landes sowie der Einstellung und Bewertung gegenüber Krankheitsbildern und Stoffen ab.38 Der Europäische Gerichtshof betont in seinen Urteilen immer wieder, daß es Sache des nationalen Gerichts ist, fallweise die erforderlichen Qualifizierungen vorzunehmen.39 EuGH v. 16.04.1991 – Rs. C-112/89 (Upjohn Company und Upjohn NV/Farzoo Inc. und Jacobus AWMJ. Kortmann), Slg 1991, I-1703 (Rdnr. 30 ff.); EuGH v. 28.10.1992 – Rs. C-219/91 (Strafverfahren gegen Johannes Stephanus Wilhelmus Ter Voort), Slg. 1992, I-5485 (Rdnr. 21). 36 EuGH v. 30.11.1983 – Rs. 227/82 (Strafverfahren gegen Leendert Van Bennekom), Slg. 1983, 3883 (Rdnr. 23). 37 EuGH v. 30.11.1983 – Rs. 227/82 (Strafverfahren gegen Leendert Van Bennekom), Slg. 1983, 3883 (Rdnr. 31); EuGH v. 20.03.1986 – Rs. 35/85 (Procureur de la République/Gerard Tissier), Slg. 1986, 1207 (Rdnr. 22); EuGH v. 28.10.1992 – Rs. C-219/91 (Strafverfahren gegen Johannes Stephanus Wilhelmus Ter Voort), Slg. 1992, I-5485 (Rdnr. 41 f.). 38 Hart, Produktrecht, in: D. Hart/N. Reich, Integration und Recht des Arzneimittelmarktes in der EG – eine Untersuchung zum Produkt- und Marktrecht der Gemeinschaft und ausgewählter Mitgliedstaaten, 1. Aufl. 1990, S. 9, 33 f.; H.-P. Hofmann, Anpassung des nationalen Rechts an das EU-Recht, in: T. Ott/F.-W. Hefendehl/P. Grosdanoff (Hrsg.), Arzneimittel und Medizinprodukte Bewertung – Verfahren – Perspektiven, 1998, S. 200. 39 Die nationalen Behörden haben dabei alle Merkmale des betreffenden Erzeugnisses, insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen Eigenschaften, so wie sie beim gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse festgestellt werden können, die Modalitäten seiner Anwendung, den Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Gefahren, die seine Verwendung mit sich bringen, zu berücksichtigen. EuGH v. 30.11.1983 – Rs. 227/ 82 (Strafverfahren gegen Leendert Van Bennekom), Slg. 1983, 3883 (Rdnr. 18 f., 29, 41); EuGH v. 21.03.1991 – Rs. C-60/89 (Strafverfahren gegen Jean Monteil und Daniel Samanni), Slg 1991, I-1547 (Rdnr. 29 f.); EuGH v. 16.04.1991 – Rs. C112/89 (Upjohn Company und Upjohn NV/Farzoo Inc. und Jacobus AWMJ. Kortmann), Slg 1991, I-1703 (Rdnr. 23 f.); EuGH v. 28.10.1992 – Rs. C-219/91 (Strafverfahren gegen Johannes Stephanus Wilhelmus Ter Voort), Slg. 1992, I-5485 (Rdnr. 32). Der Europäische Gerichtshof hat bisher keine Einordnung eines Erzeugnisses als Arzneimittel seitens der nationalen Behörden beanstandet. T. Jestaedt/C. Hiltl, Anmerkung zum Urteil des EuGH „Augenspüllösungen als Arzneimittel“,

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Die national unterschiedliche Einschätzung40 eines Erzeugnisses erschwert jedoch die Verwirklichung des Binnenmarktes für Arzneimittel, weil das zu einer geringeren Akzeptanz der Zulassungsentscheidungen von anderer Mitgliedstaaten führt. Das kann sich wiederum negativ auf den Marktzugang in anderen Mitgliedstaaten auswirken.41 II. Deutschland Die Definition von Arzneimitteln findet sich im deutschen Recht in § 2 AMG42. Danach sind Arzneimittel alle Stoffe43 und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung44 am oder im menschlichen oder tierischen Körper45 Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden46 zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen, die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder EuZW 1992, S. 454 (455); dies., EuGH: Bezeichnung als Arzneimittel auch in Veröffentlichungen von Dritten, Pharma Recht 1993, S. 130 (131). 40 Gerade das Kriterium der „Bezeichnung“ verdeutlicht, daß ein Arzneimittel mehr ist als nur das stoffliche Produkt und es auch deshalb zu unterschiedlichen Bewertungen kommen kann. Um in einem Binnenmarkt für Arzneimittel auch die erforderliche Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten, sollte eine gemeinschaftsweite Harmonisierung der Arzneimittelinformation wie Packungsbeilage, Beschriftung, weiter verstärkt werden. O. May, Gegenseitige Anerkennung – bei Arzneimitteln möglich oder utopisch?, PharmInd 1992, S. 834 (836); G. Fülgraff, Votum zur Produktpolitik bei Arzneimitteln, in: N. Reich (Hrsg.), Die Europäisierung des Arzneimittelmarktes – Chancen und Risiken, 1. Aufl. 1988, S. 67; D. MacLean, The regulation of medicines in Europe, S. 197. 41 F. Lutz, Kernprobleme des aktuellen Arzneimittelrechts – Gratwanderung zwischen Harmonisierung und Subsidiarität, in: D. Meurer (Hrsg.), Marburger Gespräche zum Pharmamarkt – rechtliche Veränderungen des Wettbewerbs am europäischen Pharmamarkt – Risiken und ihre Vermeidung, 2000, S. 10. 42 Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts – Arzneimittelgesetz (AMG), v. 24.08.1976 (BGBl. I S. 2445, 2448), Bekanntmachung der Neufassung des Arzneimittelgesetzes v. 01.01.1998 (BGBl. I S. 3586); zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes v. 21.08.2002 (BGBl. I S. 3352). 43 Für die Anwendung des Arzneimittelgesetzes und für die Definition eines Mittels als Arzneimittel ist eine Unterscheidung der Begriffe „Stoffe“ und „Zubereitung aus Stoffen“ unerheblich. Der Stoffbegriff ist in § 3 AMG niedergelegt. 44 Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung BVerwGE 71, 318 (321) den Begriff der „Anwendung“ weit ausgelegt. Er umfaßt jedes Einverleiben eines Stoffes oder einer Zubereitung aus Stoffen. Dabei ist gleichgültig auf welchem Wege der Stoff in den menschlichen Körper aufgenommen wird. Entscheidend ist der Ort des bestimmungsgemäßen Wirksamwerdens und nicht der Ort und die Art der Anwendung. Dazu auch VG Münster DÖV 1986, 254 (254); A. Kloesel/W. Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 2 Anm. 14 ff. 45 Mit „Körper“ ist der lebende Körper gemeint, einschließlich seiner Körperteile, Organe, Organteile und sonstigen Bestandteile. A. Kloesel/W. Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 2 Anm. 8.

1. Kap.: Definition von Arzneimitteln

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seelische Zustände erkennen zu lassen oder zu beeinflussen, vom menschlichen oder tierischen Körper erzeugte Wirkstoffe oder Körperflüssigkeiten zu ersetzen sowie Krankheitserreger, Parasiten oder körperfremde Stoffe abzuwehren, zu beseitigen oder unschädlich zu machen (Abs. 1, Nr. 1–5). Obwohl der Wortlaut von § 2 Abs. 1 nur die objektive Dimension einzuschließen scheint, wird tatsächlich auch das Kriterium der „Bezeichnung“ durch die Rechtsprechung unter die Arzneimitteldefinition in § 2 AMG subsumiert.47 Allerdings werden im deutschen Arzneimittelrecht weniger die Definitionskriterien „Funktion“ und „Bezeichnung“ verwendet. Es werden vielmehr die Begriffe „objektive“ und „subjektive Zweckbestimmung“ gebraucht. Die objektive Zweckbestimmung „wird regelmäßig durch die allgemeine Verwendung seitens der Verbraucher bestimmt, die wiederum davon abhängt, welche Verwendungsmöglichkeiten der Stoff seiner Art noch hat. Dabei kann die Vorstellung der Verbraucher auch durch die Auffassungen der pharmazeutischen oder medizinischen Wissenschaft beeinflußt sein, ebenso auch durch die dem Mittel beigefügten oder in Werbeprospekten enthaltenen Indikationshinweise und Gebrauchsanweisungen sowie die Aufmachung, in der das Mittel dem Verbraucher allgemein entgegentritt“. 48 Somit 46

Eine Unterscheidung der Begriffe Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden spielt für die Definition eines Erzeugnisses als Arzneimittel keine Rolle. Im Rahmen des Arzneimittelgesetztes wird unter dem Begriff „Krankheit“, der auch „krankhafte Beschwerden“ umfaßt, „jede, auch nur unerhebliche oder vorübergehende Störung der normalen Beschaffenheit oder der normalen Tätigkeit des Körpers, die geheilt, das heißt beseitigt oder gelindert werden kann“ verstanden. Dagegen erfaßt der Krankheitsbegriff keine „normal verlaufenden Erscheinungen oder Schwankungen der Funktion, denen jeder Körper ausgesetzt ist, die seiner Natur oder dem natürlichen Auf und Ab seiner Leistungsfähigkeit entsprechen“. „Leiden“ schließen die Unheilbarkeit mit ein und „Körperschäden“ gelten als irreparable Veränderungen des Körpers, beispielsweise durch den Verlust eines Körpergliedes oder inneren Organs. BVerwG BB 1963, 60 (60); BVerwGE 37, 209 (214 ff.); BGHZSt 11, 304 (306 f.); A. Kloesel/W. Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 2 Anm. 18 ff. 47 Nach Artikel 249 Abs. 3 EG ist die Richtlinie hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich. Jedoch bleibt den Mitgliedstaaten für die Umsetzung einer Richtlinie die Wahl der Form und Mittel überlassen. Daher kommt es für die Beurteilung der Frage nach der korrekten Umsetzung der Arzneimitteldefinition aus der Richtlinie 2001/83/EG vor allem darauf an, daß ein Erzeugnis sowohl nach der Funktion als auch nach der Bezeichnung als Arzneimittel im deutschen Recht qualifiziert werden kann. Dies ist durch die Rechtsprechung gewährleistet. A. Kloesel/W Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 2 Anm. 2, 9, 10; andere Ansicht: H. J. Rabe, Arzneimittel und Lebensmittel, NJW 1990, S. 1390 (1394) hält zwar nicht den Wortlaut des § 2 AMG für widersprüchlich zu dem der Richtlinie, jedoch deren Auslegung durch Schrifttum und Rechtsprechung, die eine subjektive Zweckbestimmung durch den Hersteller oder Vertreiber eines Erzeugnisses nicht in die Definition einbeziehen.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

richtet sich die Zweckbestimmung eines Erzeugnisses an einer objektiven Betrachtung der verfügbaren Kenntnisse und Erfahrungen über die verwendeten Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen aus. Die Betrachtung eines Erzeugnisses erfolgt getreu dem Wortlaut von § 2 AMG zunächst allein nach der objektiven Zweckbestimmung. Diese ist mit dem Kriterium der „Funktion“ aus der gemeinschaftlichen Arzneimitteldefinition vergleichbar.49 Überschneiden sich Produktgruppen oder ist die objektive Zweckbestimmung nicht feststellbar, ist die subjektive Zweckbestimmung des Herstellers oder des Vertreibers maßgeblich.50 Dieses Kriterium entspricht der Definition eines Erzeugnisses nach der „Bezeichnung“. So folgt aus der objektiven Zweckbestimmung mit ihrem Kriterium der allgemeinen Verkehrsauffassung implizit die Einbeziehung der subjektiven Zweckbestimmung. Dabei wird die Aufmachung des gesamten Erzeugnisses, einschließlich seiner Packungsbeilage und Verpackung, berücksichtigt, welche so gut wie ausschließlich von dem Willen des Herstellers oder Vertreibers abhängt.51 Darüber hinaus gelten als Arzneimittel Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die den Zustand, die Beschaffenheit oder die Funktion des Körpers erkennen lassen oder der Erkennung und Bekämpfung von Krankheitserregern dienen, ohne am oder im menschlichen Körper angewendet zu werden (Abs. 2, Nr. 4) sowie Gegenstände und Instrumente unter den in § 2 Abs. 2 Nr. 1 und 1 a genannten Voraussetzungen. Diese in Absatz 2 genannten „fiktiven Arzneimittel“ gelten auch als Arzneimittel, werden aber außer den in Nr. 1 genannten Gegenständen nicht sämtlichen Vorschriften des Arzneimittelgesetzes unterworfen.52 Dagegen sind weder Lebensmittel, Tabakerzeugnisse, kosmetische Mittel, Medizinprodukte noch Organe im Sinne der jeweiligen Gesetze Arzneimittel (Abs. 3). Als Arzneimittel gelten auch alle Mittel, die nach dem Arzneimittelgesetz als Arzneimittel zugelassen oder von der Zulassung freigestellt sind (Abs. 4). 48 BGH NJW 1995, 1615 (1615 f.); so bereits in BGHZ 23, 184 (195 f.); 44, 208 (213). 49 Kloesel/Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 2 Anm. 2, 9 f. 50 BVerwGE 71, 318 (320 ff.); A. Kloesel/W. Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 2 Anm. 9. 51 Bezeichnet der Hersteller oder Vertreiber ein Erzeugnis als „kein Arzneimittel“, ergibt sich jedoch nach den Kriterien zur objektiven Zweckbestimmung, daß es sich um ein Arzneimittel handelt, so ändert diese subjektive Zweckbestimmung des Herstellers nichts an der Einordnung des Erzeugnisses als Arzneimittel. BVerwGE 97, 132 (135 f.); A. Kloesel/W. Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 2 Anm. 9, 42. 52 Es ist im Einzelfall zu klären, ob diese fiktiven Arzneimittel nicht unter das Medizinproduktegesetz fallen. A. Kloesel/W. Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 2 Anm. 45.

1. Kap.: Definition von Arzneimitteln

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Lehnt jedoch die zuständige Bundesoberbehörde die Zulassung eines Mittels mit der Begründung ab, daß es sich um kein Arzneimittel handelt, so gilt das fragliche Erzeugnis auch nicht als Arzneimittel (Abs. 4). Grundsätzlich ist für die Definition eines Erzeugnisses als Arzneimittel immer der jeweilige Einzelfall zu berücksichtigen, weil ein Stoff sowohl als Arzneimittel als auch als Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden kann.53 III. Frankreich Die Definition von Arzneimitteln54 findet sich im französischen Recht in Artikel L.5111-1 des Code de la santé publique (C.S.P.)55. Nach Satz 1 versteht man unter Arzneimitteln alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten bezeichnet werden und zweitens alle Produkte, die dazu bestimmt sind, im oder am menschlichen oder tierischen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung ihrer Körperfunktionen angewandt zu werden.56 Darüber hinaus gelten nach Satz 2 C.S.P. als Arzneimittel auch diätetische Produkte, 53

BGH NJW 1976 1154 (1154); BGH NJW 1995, 1615 (1615 f.); VGH Mannheim ZLR 1996 582 (586); OVG Hamburg ZLR 1996, 72 (78); OLG München ZLR 2001 885 (888 ff.). Danach wird ein mit Melisse und Johanniskraut versetzter Joghurt noch als Lebensmittel angesehen, nachdem der Hersteller freiwillig auf die gesundheitsbezogene Werbung verzichtet hat. Die Arzneistoffe Melisse und Johanniskraut sind aufgrund ihres Geschmacks beigemischt und nehmen so an der Lebensmitteleigenschaft des Joghurts teil und werden deshalb selbst zu Lebensmitteln. Kritische Anmerkung zu diesem Urteil A. Meyer/S. Schneider/H. Streit, Anmerkung zu OLG München – „Johanniskraut“, ZLR 2001, S. 891 (891 ff., 897 f.); Zur Abgrenzungsproblematik siehe auch A. Klein, Nahrungsergänzung oder Arzneimittel?, NJW 1998, S. 791 (792 ff.); A. Kloesel/W. Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 2 Anm. 80. 54 Es werden, wie in den Kapiteln über das deutsche Arzneimittelrecht, lediglich die Arzneispezialitäten betrachtet. Das sind Arzneimittel, die im voraus und in großen Mengen industriell hergestellt werden. Artikel L.5111-2 C.S.P. 55 16. Aufl. 2002; der Code de la Santé Publique besteht aus den aktuellen Gesetzestexten, Verweisen auf die Rechtsprechung sowie Anmerkungen von J.-M. De Forges/D. Truchet/J. Penneau/G. Viala. 56 Code de la santé publique Artikel L.5111-1 S. 1: „On entend par médicament toute substance ou composition présentée comme possédant des propriétés curatives ou préventives à l’égard des maladies humaines ou animales, ainsi que tout produit pouvant être administré à l’homme ou à l’animal, en vue d’établir un diagnostic médical ou de restaurer, corriger ou modifier leurs fonctions organiques.“ Der Wortlaut des Artikel L.5111-1 S. 1 ist mit dem der Richtlinie 2001/83/EG fast identisch. Im zweiten Teil der Definition heißt es in der Richtlinie „toute substance ou composition“ während der französische Gesetzestext von „tout produit“ spricht.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

welche chemische oder biologische Stoffe enthalten, die man selbst nicht als Nahrungsmittel betrachtet, deren Vorhandensein aber diesen Produkten notwendige spezielle therapeutische Eigenschaften gibt oder diese Produkte als Testnahrung möglich macht.57 Ausdrücklich in Artikel L.5111-1 Satz 3 C.S.P. sind vom Arzneimittelbegriff ausgenommen Desinfektionsmittel für Gegenstände und Zahnprothesen.58 Insgesamt umfaßt der französische Arzneimittelbegriff drei Komponenten. Es ist ausreichend, wenn auf das Erzeugnis eines der drei Kriterien zutrifft. Ein Stoff oder ein Produkt gilt als ein Arzneimittel, wenn es als ein solches bezeichnet (présentation) wird, wenn es die Funktion (fonction) eines Arzneimittels oder drittens eine entsprechende Zusammensetzung (composition) aufweist. Das französische Gesetz hat im Gegensatz zum deutschen Arzneimittelgesetz die subjektive Dimension des gemeinschaftlichen Arzneimittelbegriffs, das Kriterium der Bezeichnung, wörtlich in Artikel L.5111-1 C.S.P. übernommen. Danach gelten Stoff oder Zusammensetzungen aus Stoffen als Arzneimittel, wenn diese zur Heilung oder Verhütung von Krankheiten bezeichnet werden und zwar unabhängig davon, ob das Mittel tatsächlich eine solche Wirkung hat.59 Die tatsächliche Wirkung des Mittels spielt erst für die Zulassung eine Rolle.60 Die französische Rechtsprechung legt genauso wie der Europäische Gerichtshof das Kriterium der „Bezeichnung“ weit aus.61 57 Artikel L.5111-1 S. 2 Code de la santé publique: „Sont notamment considérés comme des médicaments les produits diététiques qui renferment dans leur composition des substances chimiques ou biologiques ne constituant pas elles-mêmes des aliments, mais dont la présence confère à ces produits, soit des propriétés spéciales recherchées en thérapeutique diététique, soit des propriétés de repas d’épreuve.“ 58 Artikel L.5111-1 S. 3 Code de la santé publique: „Les produits utilisés pour la désinfection des locaux et pour la prothèse dentaire ne sont pas considérés comme des médicaments.“ 59 N.-J. Mazen, De l’imprécision de la définition du médicament ou la revolte de la Commission Européenne des Droits de l’Homme, La Gazette du Palais 1996, S. 3 (3). 60 Ausführlicheres zu dem Kriterium der „Bezeichnung“ in diesem Kapitel unter I. „Europäische Regelungen“. 61 Im Hinblick auf die Folgen der sehr weiten Arzneimitteldefinition sei kurz auf die Problematik des Apothekenvertriebsmonopols hingewiesen, das immer wieder zu Streitigkeiten führt. Weil Arzneimittel in Frankreich apothekenpflichtig sind, neigen Großhandelsketten wie Carrefour dazu, den Begriff der Arzneimittel eng zu interpretieren, um Grenzprodukte wie Kosmetika anbieten zu können. Die Apothekenverbände und die Rechtsprechung beziehen sich dagegen auf einen einzelfallbezogenen und sehr weiten Arzneimittelbegriff. N.-J. Mazen, De l’imprécision de la définition du médicament, La Gazette du Palais 1996, S. 3 (4 f.); E. Fouassier, L’influence de la jurisprudence européenne sur la définition française du médicament, RDSanit.Soc. 1997, S. 301 (302); Y. Petit, Médicament, droit français, droit

1. Kap.: Definition von Arzneimitteln

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Das Kriterium der „Bezeichnung“ (présentation, élément subjectif) in Artikel L.5111-1 Satz 1, 1. Halbsatz C.S.P. enthält wiederum zwei Komponenten. Zum einen den Willen des Herstellers, sein Erzeugnis (aktiv) so zu präsentieren, daß es heilende oder vorbeugende Eigenschaften hat (élément intentionnel) und zum anderen die eher passive Darstellung der therapeutischen Eigenschaften des Produkts (élément matériel).62 Die Darstellung der therapeutischen Eigenschaften des Produktes (élément matériel) kann beispielsweise durch die galenische Form des Erzeugnisses (élément objectif direct) erfolgen. Sie kann aber auch indirekt durch die Verpakkung und Packungsbeilage (élément objectif indirect) vorhanden sein.63 Ebenso kann eine nur mündliche Anpreisung der heilenden oder vorbeugenden Eigenschaften des Erzeugnisses, die für einen durchschnittlich informierten Verbraucher64 den Eindruck erweckt, es handle sich um ein Arzneimittel (élément subjectif), dazu beitragen, dieses Produkt auch als ein solches einzustufen.65 Eine äußere Ähnlichkeit eines Erzeugnisses mit einem Arzneimittel, die zu einer Verwechslung führen kann, ist allerdings nicht immer ausreichend, um das Erzeugnis auch als ein Arzneimittel einzustufen.66 Die objektive Dimension, die Definition eines Erzeugnisses als Arzneimittel nach der „Funktion“ (fonction) in Artikel L.5111-1 Satz 1, 2. Halbsatz C.S.P., entspricht den Auslegungen des Europäischen Gerichtshofs.67 Ein Erzeugnis, das nicht als ein Mittel zur Heilung oder Verhütung bezeichnet wird, aber tatsächlich solche Eigenschaften hat, fällt nach dem Kriterium der „Funktion“ auch unter den Arzneimittelbegriff. So gilt ein Produkt68 der „Funktion“ noch als Arzneimittel, wenn es zur medizinischen communautaire et Convention européenne des droits de l’homme, 1997, S. 5 ff.; A. Nobili, La définition du médicament, Bulletin de l’ordre 1999, S. 141 (141 f., 144). 62 N.-J. Mazen, De l’imprécision de la définition du médicament, La Gazette du Palais 1996, S. 3 (3 f.). 63 N.-J. Mazen, De l’imprécision de la définition du médicament, La Gazette du Palais 1996, S. 3 (3). 64 Der französische Ausdruck lautet: „un consommateur moyennement attentif“. M. Lambert/G. Viala, La vitamine C sera-t-elle enfin un médicament?, Petites Affiches 1996, S. 6 (6). 65 J. Moreau/D. Truchet, Droit de la santé publique, S. 287 f.; J.-M. De Forges/ D. Truchet/J. Penneau/G. Viala, Anmerkung Nr. 11 f., 14 ff. zu Artikel L.5111-1 C.S.P. 66 J.-M. De Forges/D. Truchet/J. Penneau/G. Viala, Anmerkung Nr. 11 f., 14 ff., 50 ff., 60, 77 ff. zu Artikel L.5111-1 C.S.P. 67 M. Lambert/G. Viala, La vitamine C sera-t-elle enfin un médicament?, Petites Affiches 1996, S. 6 (7, 10). 68 Während in der ersten Definition, des Artikel L.5111-1 C.S.P. von „Stoffen oder Stoffzusammensetzungen“ gesprochen wird, wird in der zweiten Definition der Begriff „Produkt“ (produit) verwendet.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Diagnose dient oder wenn es zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen Körperfunktionen69 angewandt wird.70 Die dritte Komponente der französischen Arzneimitteldefinition in Artikel L.5111-1 Satz 2 C.S.P. definiert die Produkte anhand ihrer stofflichen Zusammensetzung (composition) als Arzneimittel. Diese Komponente bezieht sich auf bestimmte kosmetische, körperhygienische sowie diätetische Produkte.71 Zur Vereinfachung der Einordnung von Produkten in den Arzneimittelbegriff gibt es eine Aufzählung aller Stoffe und Stoffzusammensetzungen einschließlich ihrer Dosierung, die unter den Arzneimittelbegriff fallen.72 Rein formal betrachtet ist der französische Arzneimittelbegriff und der Wortlaut des einschlägigen Gesetzestextes kürzer und knapper als der deutsche Arzneimittelbegriff und sein Wortlaut im Arzneimittelgesetz. Inhaltlich läßt der Wortlaut des französischen Gesetzestextes einen weiteren Interpretationsspielraum als der deutsche Text, vor allem durch die direkte Übernahme der subjektiven Definitionskomponente von Arzneimitteln aus dem Gemeinschaftsrecht. Dieser sehr weite französische Arzneimittelbegriff hat zeitweise den Anschein, weniger dem Schutz der öffentlichen Gesundheit dienen zu wollen, als vielmehr der Erhaltung und Ausweitung des Apothekenvertriebsmonopols.73 69 Im Vergleich dazu stellt die erste Definition, des Artikel L.5111-1 C.S.P. auf den Krankheitsbegriff ab. 70 Dabei ist es ausreichend, daß die Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung vermutet wird. N.-J. Mazen, De l’imprécision de la définition du médicament, La Gazette du Palais 1996, S. 3 (4); J. Moreau/D. Truchet, Droit de la santé publique, S. 287 f.; J.-M. De Forges/D. Truchet/J. Penneau/G. Viala, Anmerkung Nr. 22 ff. zu Artikel L.5111-1 C.S.P. 71 Ergänzende Vorschriften für Kosmetika und Produkte zur Körperhygiene in den in den Artikeln L.5431-1 ff. geregelt; N.-J. Mazen, De l’imprécision de la définition du médicament, La Gazette du Palais 1996, S. 3 (4); J.-M. De Forges/D. Truchet/J. Penneau/G. Viala, Anmerkung Nr. 34 ff. zu Artikel L.5111-1 C.S.P. 72 N.-J. Mazen, De l’imprécision de la définition du médicament, La Gazette du Palais 1996, S. 3 (4). 73 Nach Artikel L.4211-1 C.S.P. dürfen Arzneimittel nur durch Apotheken an den Endverbraucher und Patienten abgegeben werden. Die kosmetischen Produkte, die durch die dritte Definitionskomponente unter den Arzneimittelbegriff fallen, müssen ebenfalls ausschließlich durch Apotheken vertrieben werden. Der Vorwurf kommt auch von der Direction Général de Concurrence, de la Consommation et de la Répression des Fraudes (Amt für Wettbewerbsfragen, das dem Wirtschaftsministerium (Ministère de l’Economie) untersteht), die aus Gründen der Wettbewerbsfreiheit eine enge Auslegung des Arzneimittelbegriffs fordert. Dagegen ist aus Gründen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit das Gesundheitsministerium für eine weite Interpretation. S. Saint Germain, Étude comparative sur le circuit de distribution du médicament, Echanges Santé 1992, S. 48 (48); N.-J. Mazen, De l’imprécision de la définition du médicament, La Gazette du Palais 1996, S. 3 (5); E. Fouassier,

2. Kap.: Die Harmonisierung der Arzneimittelzulassung

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2. Kapitel Die Harmonisierung der Arzneimittelzulassung Den Marktzugang erhält ein Arzneimittel erst, wenn es das dafür vorgesehene Zulassungsverfahren durchlaufen hat und die zuständige Behörde die Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels erteilt hat.74 Die Zulassung eines Arzneimittels ist notwendig, um die Sicherheit der Verbraucher im Verkehr mit Arzneimitteln zu gewährleisten und sie vor unwirksamen und schädlichen Arzneimitteln zu schützen. Erfahrungen in der Vergangenheit haben deutlich gemacht, daß ein Registrierungsverfahren nicht ausreicht und daher ein Genehmigungsverfahren mit materiellen Zulassungskriterien erforderlich ist. Alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet der Herstellung von Arzneimitteln müssen zuerst dem Schutz der öffentlichen Gesundheit dienen.75 Dennoch muß die Gewährleistung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus im Umgang mit Arzneimitteln durch Mittel erreicht werden, die den Handel mit pharmazeutischen Erzeugnissen innerhalb der Gemeinschaft möglichst wenig hemmen können.76 Die Unterschiede zwischen den mitgliedstaatlichen Zulassungsvorschriften wirken sich unmittelbar auf die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes aus.77 So stellt das Erfordernis einer Genehmigung für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung dar, die, wenngleich für heimische wie für importierte Arzneimittel unterschiedslos gültig, sich negativ auf den freien Warenverkehr mit Arzneimitteln auswirkt.78 Grundsätzlich ist das Erfordernis der Zulassung zum Schutze der Gesundheit nach Artikel 30 Satz 1 EG gerechtfertigt. Dabei darf das Genehmigungsverfahren weder eine willkürliche Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen (Artikel 30 Satz 2 EG). L’influence de la jurisprudence européenne sur la définition française du médicament, RDSanit.Soc. 1997, S. 301 (302); A. Nobili, La définition du médicament, Bulletin de l’ordre 1999, S. 141 (141 f., 144). 74 Artikel 6 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 75 Nr. 2 der Begründung der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 76 Nr. 3 u. 4 der Begründung der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 77 W. Boroch, Internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU-Arzneimittelindustrie, S. 160 ff.; A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, S. 288. 78 EuGH v. 11.07.1974 – Rs. 8/74 (Staatsanwaltschaft/Benoit u. Gustave Dassonville), Slg. 1974, 837 (Rdnr. 5); EuGH v. 30.11.1983 – Rs. 227/82 (Strafverfahren gegen Leendert Van Bennekom), Slg. 1983, 3883 (Rdnr. 33).

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Trotz der bisherigen umfangreichen Harmonisierungsmaßnahmen79 der Gemeinschaftsorgane, vor allem im Bereich der Genehmigungsverfahren für Arzneimittel, bestehen noch erhebliche Differenzen in den nationalen Zulassungsvorschriften sowie der Zulassungspraxis. Dies wirkt sich weiterhin negativ auf den freien Verkehr mit Arzneimitteln aus.80 Ein weiteres Problem der gemeinschaftlichen Regelungen über das Inverkehrbringen von Arzneimitteln liegt in der Offenheit der in den Richtlinien verwendeten Begriffe.81 Dies trägt neben dem individuell unterschiedlichen Sicherheitsbedürfnis der Mitgliedstaaten dazu bei, daß es zu unterschiedlichen Ergebnissen über die Erteilung der Zulassung eines Arzneimittels kommen kann.82 Heute gibt es drei Möglichkeiten der Zulassung eines Arzneimittels in der Europäischen Union: die unionsweit gültige zentrale Zulassung, die dezentrale Zulassung für mehrere Mitgliedstaaten sowie eine rein nationale83 79 Ausführlich dazu siehe Fn. 221 bis 225. Das bezieht die Vorschriften zu den notwendigen Arzneimittelprüfungen mit ein. T. Gorbauch/R. de la Haye, Die Entwicklung eines Arzneimittels, in: O. Schöffski/F.-U. Fricke/W. Guminski/W. Hartmann, Pharmabetriebslehre, 2002, S. 166 ff.; A. P. F. Ehlers/I. Weizel, Rechtsfragen bei der Durchführung klinischer Studien, in: O. Schöffski/F.-U. Fricke/W. Guminski/ W. Hartmann, Pharmabetriebslehre, 2002, S. 314 ff. 80 A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, S. 180; EFPIA, The single market in pharmaceuticals, September 1999, S. 1. 81 So sind beispielsweise die im deutschen Recht (§ 25 Abs. 2 Nr. 4 AMG) verwendeten Begriffe „der gesicherte Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse“ und „das vertretbare Maß schädlicher Wirkungen“ aufgrund ihrer Offenheit interpretationsbedürftig. Beiden Begriffen fehlt ein objektiver, allgemein anerkannter Bewertungsmaßstab. J. Schuster, Votum zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit (D) contra Wirksamkeit und Schädlichkeit (andere EG-Staaten), in: N. Reich (Hrsg.), Die Europäisierung des Arzneimittelmarktes – Chancen und Risiken, 1. Aufl. 1988, S. 56 f.; Ch. König/E. Müller, 5 Jahre EMEA – ein Zwischenruf auf die gemeinschaftlichen Zulassungsverfahren für Arzneimittel, Pharma Recht 2000, S. 148 (153 f., 157). 82 Nationale Zulassungsentscheidungen werden durch unterschiedliche Sicherheitsphilosophien und Verwaltungstraditionen beeinflußt. Darüber hinaus werden die Marktzulassungsverfahren in den Mitgliedstaaten mit unterschiedlicher Strenge gehandhabt. So hat z. B. Frankreich im Vergleich zu Deutschland die strengeren Anforderungen hinsichtlich Sicherheit und Qualität. W. Boroch, Internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU-Arzneimittelindustrie, S. 160; A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, S. 180; P. J. Belcher, Analysis of Issues and Trends in the EU Pharmaceutical Sector, S. 29 ff., 65 ff.; O. May, Gegenseitige Anerkennung – bei Arzneimitteln möglich oder utopisch?, PharmInd 1992, S. 834 (834). 83 Arzneimittel, die nicht im Anhang Teil A der Verordnung 2309/93 aufgeführt sind und die ausschließlich in einem einzigen Mitgliedstaat auf den Markt gebracht werden sollen, können eine nationale Genehmigung in dem entsprechenden Mitgliedstaat beantragen. Sobald jedoch in einem weiteren Mitgliedstaat für dieses Arz-

2. Kap.: Die Harmonisierung der Arzneimittelzulassung

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Zulassung. Für alle drei Verfahren gilt, daß der Antragsteller in der Gemeinschaft niedergelassen sein muß.84 Im folgenden werden zunächst die Zulassungsverfahren85 der Gemeinschaft, beschrieben. So soll insbesondere das zentrale Verfahren die Verwirklichung des Binnenmarktes für Arzneimittel ermöglichen, ohne den Schutz der Gesundheit wirtschaftlichen Interessen unterzuordnen und damit zu vernachlässigen.86 Anschließend an das Kapitel über die gemeinschaftlichen Zulassungsvorschriften wird die Umsetzung der europäischen Richtlinien in nationales Recht anhand der deutschen und französischen Vorschriften dargestellt. I. Europäische Regelungen Die materiellen Zulassungskriterien sind für alle Verfahren gleich:87 Die Zulassung eines Arzneimittels wird versagt, wenn sich durch die Prüfung der Zulassungsunterlagen ergibt, daß das Arzneimittel nicht die angegebene Zusammensetzung nach Art und Menge aufweist, die therapeutische Wirksamkeit fehlt oder unzureichend begründet ist oder das Arzneimittel bei beneimittel ein Zulassungsantrag gestellt wird, wird automatisch das dezentrale Verfahren eingeleitet (Artikel 18 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11. 2001, S. 67)). 84 Artikel 2 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1) für das zentrale Verfahren und Artikel 8 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) für das dezentrale Verfahren. 85 Verordnung 2309/93/EWG des Rates v. 22.07.1993 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1) und Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 86 Durch das neue gemeinschaftliche Zulassungsverfahren sollen die noch bestehenden Unterschiede, etwa hinsichtlich Dosierung, Indikationsangaben, Nebenwirkungen oder Rezeptpflicht beseitigt werden, was eine einheitliche Klassifizierung der im Binnenmarkt zugelassenen Arzneimittel ermöglichen würde und so auch zur Arzneimittelsicherheit beitragen würde. Dies zeigt auch die historische Entwicklung vom Konzertierungsverfahren für technologisch hochwertige Arzneimittel der Richtlinie 87/22/EWG (ABl. Nr. L 15 v. 17.01.1987, S. 38) zum zentralen Zulassungsverfahren der Verordnung 2309/93/EWG. BR-Drs. 991/98 v. 14.12.1998, S. 3; R. Büscher, Konsequenzen der EG-Arzneimittelzulassung für die Pharmaindustrie, in: M. Losert/K.-J. Preuß/E. Kucher (Hrsg.), Handbuch PharmaManagement, Bd. 2, 1995, S. 943; B. Collatz, Die neuen europäischen Zulassungsverfahren für Arzneimittel – insbesondere Verfahren und Rechtsschutz des Antragstellers und Zulassungsinhabers bei Zulassungsentscheidungen, 1996, S. 47 ff. 87 Artikel 26 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) und Artikel 11 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993).

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

stimmungsgemäßem Gebrauch schädlich ist.88 Ein Arzneimittel muß also zum Schutz der öffentlichen Gesundheit den Nachweis erbringen, daß es die erforderliche Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit aufweist, bevor es in den Verkehr gebracht werden kann.89 Diese objektiven wissenschaftlichen Kriterien gelten gemeinschaftsweit und wurden durch die Richtlinien 65/ 65/EWG, 75/319/EWG sowie 75/318/EWG (formal) harmonisiert und in die Richtlinie 2001/83/EG übernommen.90 Die Anforderungen an die Zulassungsunterlagen wurden ebenfalls harmonisiert. Die vom Antragsteller einzureichenden Zulassungsunterlagen sind im dezentralen und zentralen Zulassungsverfahren weitgehend identisch.91 Die Unterlagen enthalten die Bezeichnung des Arzneimittels, eine detaillierte Angabe über die Zusammensetzung nach Art und Menge des Mittels, die Zubereitungsweise, Heilanzeigen, Gegenanzeigen sowie Nebenwirkungen92, ausführliche Angaben zu Dosierung, Darreichungsform, Art und 88 Nur in Ausnahmefällen ist es den Mitgliedstaaten möglich, die Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels zu versagen, obwohl es die Kriterien von Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit erfüllt (Begründung der Verordnung 2309/ 93, ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). Dies ist der Fall, wenn das Arzneimittel gegen objektiv definierte Grundsätze der öffentlichen Ordnung oder Moral verstößt. Das gilt insbesondere für empfängnisverhütende oder schwangerschaftsunterbrechende Arzneimittel. Die Richtlinie 2001/83/EG hält in Artikel 4 Abs. 4 ausdrücklich fest, daß deren Verkauf oder Gebrauch von den Mitgliedstaaten eingeschränkt werden kann. Entsprechende Maßnahmen müssen der Kommission mitgeteilt werden. 89 Begründung Nr. 12 u. Artikel 26 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67), Begründung der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 90 Richtlinie 65/65/EWG (ABl. Nr. 22 v. 09.02.1965, S. 369); Richtlinie 75/319/ EWG (ABl. Nr. L 147 v. 09.06.1975, S. 13), Richtlinie 75/318/EWG (ABl. Nr. L 147 v. 09.06.1975, S. 1), Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 91 Die für den Zulassungsantrag notwendigen Unterlagen sind in Artikel 8 Abs. 3 und in Artikel 11 der Richtlinie 2001/83/EG beschrieben. Die Verordnung 2309/93/ EWG für das zentrale Zulassungsverfahren bezieht sich in Artikel 6 Abs. 2 auf die Zulassungsunterlagen in den Artikeln 8 u. 11 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). Einem Zulassungsantrag für Arzneimittel, die genetisch veränderte Organismen enthalten oder aus solchen bestehen, müssen gemäß Artikel 8 Abs. 2 der Verordnung 2309/93/EWG noch weitere Nachweise zu den genetisch veränderten Organismen hinzugefügt werden. Für das dezentrale Verfahren ist noch der Anhang I der Richtlinie 2001/83/EG zu berücksichtigen. Nach Artikel 12 der Richtlinie 200/83/EG sind Sachverständigenberichte zum Nachweis der geforderten quantitativen und qualitativen Prüfungen aus Artikel 8, 10 oder den Bestimmungen des Anhangs ebenfalls teil der Zulassungsunterlagen. Im Rahmen der bezugnehmenden Zulassung kann unter bestimmten Voraussetzungen auf die Ergebnisse der toxikologischen, pharmakologischen oder klinischen Versuche verzichtet werden (Artikel 10 der Richtlinie 2001/83/EG). Dies folgt aus dem Bemühen, Versuche mit Arzneimitteln zu minimieren, ohne die öffentliche Gesundheit zu gefährden. Dazu auch die Nr. 9 und 10 der Begründung der Richtlinie 2001/83/EG.

2. Kap.: Die Harmonisierung der Arzneimittelzulassung

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Form der Anwendung, Haltbarkeitsdauer, Beschreibung der quantitativen und qualitativen Kontrollmethoden. Es sind die Ergebnisse verschiedener Studien, wie der physikalisch-chemischen, biologischen oder mikrobiologischen, pharmakologisch-toxikologischen und ärztlichen oder klinischen Studien sowie die Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels anzugeben. Die Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels ist die sogenannte Summary of Product Characteristics, kurz SPC genannt. Sie wird vom Antragsteller vorgeschlagen, muß aber noch von den zuständigen Behörden genehmigt werden. Die SPC stellt die Kurzversion der von den Behörden anerkannten Eigenschaften des Arzneimittels dar. Artikel 11 der Richtlinie 2001/83/EG schreibt genau vor, was sie beinhalten muß. Durch die behördliche Genehmigung (Artikel 21 der Richtlinie 2001/83/EG) der SPC kann die Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels (SPC) auch als das „offizielle Profil“ des Arzneimittels bezeichnet werden. Zusätzlich muß ein Verkaufsmodell sowie die Packungsbeilage vorgelegt werden. Darüber hinaus ist der Firmenname und ein Nachweis über die Herstellungsgenehmigung von Arzneimitteln beizufügen. Falls bereits vorhanden, ist dem Zulassungsantrag auch eine Kopie der Erstzulassung des Arzneimittels beizulegen. Unvollständige Zulassungsunterlagen führen sowohl im dezentralen als auch im zentralen Zulassungsverfahren zu einer Ablehnung der Zulassung. 1. Die Zulassungsverfahren Die gemeinschaftlichen Zulassungsverfahren bestehen aus einem dezentralen und einem zentralen Verfahren.93 a) Das dezentrale Zulassungsverfahren Das dezentrale Zulassungsverfahren, in seiner heutigen Form, wurde durch die Richtlinie 93/39/EWG94 auf der Basis des durch die Richtlinie 75/319/EWG eingeführten Verfahrens aktualisiert.95 Die gültigen Vorschrif92 Näheres zu der Begriffsbestimmung „Nebenwirkungen“ in Artikel 1 Abs. 11 bis 13 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 93 Die Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) für das dezentrale Verfahren sowie die Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1) für das zentrale Verfahren. Eine Kurzübersicht in H. Jordan, Regulatory Affairs, in: O. Schöffski/F.-U. Fricke/W. Guminski/W. Hartmann, Pharmabetriebslehre, 2002, S. 185 für das dezentrale Verfahren und auf S. 186 ff. für das zentrale Verfahren.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

ten für das dezentrale Zulassungsverfahren sind jetzt in der Richtlinie 2001/ 83/EG96 enthalten. Das dezentrale Verfahren regelt das Inverkehrbringen von Arzneimitteln, die bereits in einem Mitgliedstaat zugelassen sind und in mindestens einem weiteren Mitgliedstaat in den Verkehr gebracht werden sollen.97 Dabei steht es dem Antragsteller frei, für wieviele Mitgliedstaaten er die dezentrale Zulassung beantragt. Das Grundprinzip dieses Verfahrens beruht auf der Anerkennung98 einer bereits erteilten Zulassung. Daher ist grundsätzlich die bereits erteilte erste Zulassung eines Mitgliedstaates von den anderen beteiligten Mitgliedstaaten anzuerkennen, es sei denn, ein Mitgliedstaat sieht in der Zulassung des Arzneimittels eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit.99 Der Begriff „Gefahr für die öffentliche Gesundheit“ bezieht sich nach Artikel 1 Nr. 28 der Richtlinie 2001/83/EG auf die mangelnde Qualität, Sicherheit oder Wirksamkeit eines Arzneimittels. Von den Mitgliedstaaten wird dieser Begriff sehr weit gefaßt. Das erweckt oftmals den Anschein, daß es sich um ein Argument zur Protektion des heimischen Marktes handelt.

94 Richtlinie 93/39/EWG des Rates v. 14.06.1993 zur Änderung der Richtlinien 65/65/EWG, 75/318/EWG und 75/319/EWG betreffend Arzneimittel (ABl. L 214 v. 24.08.1993, S. 22). 95 Zusätzlich zu den Richtlinien wurde von den Leitern der nationalen Zulassungsbehörden ein „Best Practice Guide im gegenseitigen Anerkennungsverfahren“ verabschiedet. Dadurch sollen die Verfahren zur gegenseitigen Anerkennung effektiver gestaltet werden. Ergänzend zu diesem von den nationalen Behörden veröffentlichten Best Practice Guide hat der europäische Pharmaverband (EFPIA) in Absprache mit weiteren europäischen Verbänden ebenfalls einen „Best Practice Guide for Industry“ veröffentlicht. Beide Dokumente sind im Band 3 des Pharma Kodex, herausgegeben vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI), abgedruckt. 96 Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 97 Die Grundlage für die gegenseitige Anerkennung einer Zulassung ist Artikel 18 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 98 Zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung siehe auch 2. Teil, 1. Kapitel; EuGH v. 20.02.1979 – Rs. 120/78 (Rewe-Zentral AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein), Slg. 1979, 649 (Rdnr. 14 f.); N. Reich, Förderung und Schutz diffuser Interessen, S. 224 f.; A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 2176 ff.; Th. C. W. Beyer, Rechtsnormanerkennung im Binnenmarkt, S. 25 ff., 34 ff., 49 ff., 266 ff.; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1216, 1299 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Einführung in das Wirtschaftsrecht der Europäischen Gemeinschaft, S. 59 f.; Kritisch zu dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung im Bereich der Arzneimittel, siehe insbesondere: O. May, Gegenseitige Anerkennung – bei Arzneimitteln möglich oder utopisch?, PharmInd 1992, S. 834 (835). 99 Artikel 18 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67).

2. Kap.: Die Harmonisierung der Arzneimittelzulassung

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Die dezentrale Zulassung kann für jedes Arzneimittel beantragt werden, das nicht zwingend dem zentralen Verfahren unterliegt.100 Der Unternehmer stellt bei den zuständigen Behörden der entsprechenden Mitgliedstaaten einen schriftlichen Antrag auf Anerkennung der von der Erstbehörde101 bereits erteilten Zulassung.102 Darüber hinaus informiert der Antragsteller die Europäische Arzneimittelagentur (EMEA)103 über die beteiligten Mitgliedstaaten und übermittelt dieser sein Zulassungsdossier.104 Das Zulassungsdossier muß mit den von dem ersten Mitgliedstaat angenommenen Unterlagen identisch sein.105 Aus diesem Grund informiert der Inhaber der Genehmigung den erstzulassenden Mitgliedstaat bereits über sein Vorhaben, bevor er einen Antrag auf Anerkennung stellen wird.106 Gegebenenfalls muß deshalb der Antragsteller bei der erstzulassenden Behörde die Aktualisierung seiner Unterlagen beantragen.107 Vorhandene Änderungen in den Unterlagen müssen deutlich gekennzeichnet sein.108 Das dezentrale Verfahren wird auf der Grundlage des Beurteilungsberichtes der Erstbehörde109 über das Arzneimittel durchgeführt. Dieser Beurteilungsbericht enthält die Ergebnisse der analytischen, pharmakologisch-toxikologischen und klinischen Prüfung. Diesen Beurteilungsbericht übersendet die Erstbehörde den anderen beteiligten Mitgliedstaaten.110 Die an dem de100 Der Teil A des Anhangs der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1) enthält die Arzneimittel, für die das zentrale Verfahren zwingend vorgeschrieben ist. 101 Die Entscheidung über den Zulassungsantrag muß innerhalb von 210 Tagen ab gültiger Antragstellung erfolgen (Artikel 17 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG). Der erstzulassende Mitgliedstaat erstellt einen Beurteilungsbericht, der als Basis für die Entscheidungen der anderen beteiligten Mitgliedstaaten dient. Artikel 21 Abs. 4, Artikel 17 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 102 Artikel 28 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 103 Zu den Aufgaben und zur Organisation der Europäischen Arzneimittelagentur siehe 3. Teil, 3. Kapitel, I. 104 Artikel 28 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 105 Artikel 8, 11 u. 28 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 106 Die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaates überprüft das Zulassungsdossier auf seine Identität mit den ersten Antragsunterlagen. Artikel 28 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 107 Artikel 28 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 108 Artikel 28 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 109 Der Mitgliedstaat, der die erste Zulassung erteilt hat wird auch Referenzmitgliedstaat (Rapporteur) genannt. Artikel 28 Abs. 1 S. 1 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67).

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

zentralen Zulassungsverfahren beteiligten Mitgliedstaaten nehmen anhand dieses Berichtes ihre eigene Einschätzung über das Arzneimittel vor.111 Jeder Mitgliedstaat teilt seine Entscheidung über die Anerkennung oder Ablehnung des Zulassungsantrags dem Antragsteller112, den anderen beteiligten Mitgliedstaaten, der Erstbehörde und dem Ausschuß für Arzneispezialitäten mit.113 Eine gemeinsam getroffene positive Entscheidung der beteiligten nationalen Zulassungsbehörden führt zu einer nationalen Zulassung in jedem der beteiligten Mitgliedstaaten. Diese nationalen Zulassungen sind inhaltlich identisch. Lehnt ein Mitgliedstaat den Zulassungsantrag ab, muß er dies begründen und Maßnahmen zur Abhilfe vorschlagen.114 Den Zulassungsantrag kann ein Mitgliedstaat nur ablehnen, wenn das Arzneimittel eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit i. S. der Richtlinie 2001/83/EG darstellt. Das heißt, das Arzneimittel weist nicht die erforderliche Qualität, Wirksamkeit oder Sicherheit auf. Weitere Gründe für die Ablehnung des Zulassungsantrages sind unvollständige Unterlagen im Sinne der Richtlinie (Artikel 26 der Richtlinie 2001/83/EG). Aus anderen Gründen kann die Zulassung nicht abgelehnt werden (Artikel 126 der Richtlinie 2001/83/EG). Die Uneinigkeit der zuständigen nationalen Behörden über die Zulassung des Arzneimittels führt zu einem Schiedsverfahren. Das Schiedsverfahren entspricht dem zentralen Zulassungsverfahren und wird hier nur knapp dargestellt. Die ausführliche Beschreibung erfolgt in dem Abschnitt über das zentrale Zulassungsverfahren.115 110 Meist wird der englische Ausdruck „concerned member states“ verwendet. Artikel 28 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 111 Die Prüfung hat die Vorgaben aus Artikel 19 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) zu berücksichtigen. Danach hat die zuständige Behörde die vorgelegten Unterlagen auf ihre Vollständigkeit und darauf zu überprüfen, ob das Arzneimittel eine ausreichende Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit aufweist. Die Behörde kann die Ausgangsstoffe, Zwischenprodukte und das Arzneimittel selbst kontrollieren lassen. Die Vorgaben dieses Artikels sind eher allgemein gehalten und verweisen nicht auf ein einheitliches Verfahren. 112 Der Antragsteller hat im Falle einer ablehnenden Entscheidung aus Artikel 29 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) das Recht, mündlich oder schriftliche dazu Stellung zu nehmen. 113 Artikel 29 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 114 Artikel 29 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). Dagegen müßte für den Fall einer Ablehnung des Zulassungsantrages durch alle beteiligten Mitgliedstaaten der erstzulassende Mitgliedstaat seine Zulassung zurücknehmen. Der Antragsteller kann diese Entscheidung in jedem der beteiligten Mitgliedstaaten mit den nationalen Rechtsbehelfen anfechten. Er kann nur einzeln gegen die Entscheidung vorgehen, weil es sich jeweils um eine nationale Zulassung handelt. B. Collatz, Die neuen europäischen Zulassungsverfahren, S. 93; dies., Das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung, in: B. Collatz (Hrsg.), Handbuch der EUZulassung – Zentralisiertes Verfahren und Verfahren der gegenseitigen Anerkennung für Human- und Tierarzneimittel, S. 77.

2. Kap.: Die Harmonisierung der Arzneimittelzulassung

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Kommt es zu einem Schiedsverfahren, wird die Europäische Arzneimittelagentur eingeschaltet.116 Die Agentur erstellt durch ihren Ausschuß für Arzneispezialitäten ein Gutachten über das Arzneimittel. Der Ausschuß für Arzneispezialitäten befaßt sich ausschließlich mit den von den Mitgliedstaaten vorgelegten strittigen Punkten.117 Die Agentur übermittelt das endgültige Gutachten dem Antragsteller, den beteiligten Mitgliedstaaten und der Kommission. Die Kommission fertigt auf der Basis dieses Gutachtens ihren Entscheidungsentwurf an,118 der dem Antragsteller und den Mitgliedstaaten119 übermittelt wird.120 Für die endgültige Entscheidungsfindung121 wird die Kommission vom „Ständigen Ausschuß für Humanarzneimittel für die Anpassung der Richtlinien zur Beseitigung der technischen Handelshemmnisse auf dem Gebiet der Arzneimittel an den technischen Fortschritt“122 unterstützt. Im nachfol115

Siehe 3. Teil, 2. Kapitel unter I. 1. Zu dem Aufbau der Agentur und dem Ausschuß für Arzneispezialitäten (CPMP) siehe 3. Teil, 3. Kapitel, I. 117 Artikel 29 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 118 Die Kommission ist nicht an das Gutachten des Ausschusses für Arzneispezialitäten gebunden. Im Falle einer Abweichung muß sie eine eingehende Begründung beifügen (Artikel 33 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11. 2001, S. 67)). 119 Hat ein Mitgliedstaat nach Erhalt des Entscheidungsentwurfs der Kommission wichtige neue Fragen wissenschaftlicher oder technischer Art, die in dem Gutachten der Agentur nicht behandelt wurden, überprüft die Agentur erneut ihr Gutachten und damit den Antrag. Dies ergibt sich aus Artikel 34 Abs. 2 Unterabs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 120 Artikel 33 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 121 Die endgültige Entscheidung trifft die Kommission nach dem in Artikel 121 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG genannten Verfahren. Das Verfahren ist hier nicht weiter beschrieben, sondern verweist auf das Verfahren in Artikel 5 und unter Berücksichtigung von Artikel 8 des Ratsbeschlusses 1999/468/EG (ABl. Nr. L 184 v. 17.07.1999, S. 23). 122 Die Richtlinie 87/19/EWG (ABl. Nr. L 15 v. 17.01.1987, S. 31) führte durch die Änderung des Artikels 2 b der Richtlinie 75/318/EWG (ABl. Nr. L 147 v. 09.06.1975, S. 1) diesen Ausschuß ein. Er hieß zunächst „Ausschuß für die Anpassung der Richtlinien zur Beseitigung der technischen Handelshemmnisse auf dem Gebiet der Arzneispezialitäten“. Im Rahmen der Richtlinie 93/39/EWG (ABl. Nr. L 147 v. 09.06.1975, S. 13) wurde der Ausschuß umbenannt in den „Ständigen Ausschuß für Humanarzneimittel“. Mit dieser Richtlinie wurde auch das Aufgabenfeld des Ausschusses erweitert. Er wurde daraufhin auch für die Zulassungsverfahren eingeschaltet. Nach Artikel 121 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) heißt der Ausschuß nun „Ständiger Ausschuß für Humanarzneimittel für die Anpassung der Richtlinien zur Beseitigung der technischen Handelshemmnisse auf dem Gebiet der Arzneimittel an den technischen Fortschritt“. Der Ständige Ausschuß gehört nicht der Agentur an. Er setzt sich nach Artikel 121 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/83/EG in Verbindung mit Artikel 5 des Beschlus116

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

genden nur noch „Ständiger Ausschuß“ genannt. Der Ständige Ausschuß gibt in der Regel eine schriftliche Stellungnahme zu diesem Entscheidungsentwurf mit qualifizierter Mehrheit gemäß Artikel 205 Abs. 2 EG ab.123 Der Vorsitzende hat sich der Stimme zu enthalten. Stimmt die Stellungnahme des Ständigen Ausschusses mit dem Entscheidungsentwurf der Kommission überein, so erläßt die Kommission die in ihrem Entscheidungsentwurf vorgesehene Entscheidung.124 Stimmt die Stellungnahme des Ständigen Ausschusses nicht mit dem Entwurf der Kommission überein oder liegt keine Stellungnahme vor, so unterbreitet die Kommission dem Rat einen Vorschlag für die zu treffenden Maßnahmen und unterrichtet das Europäische Parlament.125 Der Rat kann nun entweder innerhalb von drei Monaten mit qualifizierter Mehrheit dem Vorschlag der Kommission zustimmen oder ihn mit einfacher Mehrheit ablehnen.126 Die Kommission überprüft daraufhin ihren Vorschlag und legt ihn, gegebenenfalls verändert, erneut dem Rat vor.127 Hat der Rat jedoch nach Ablauf der drei Monate keinen Beschluß gefaßt, so erläßt die Kommission ihre vorgeschlagenen Maßnahmen.128 Die Entscheidung ist für alle betroffenen Mitgliedstaaten bindend.129 Für die Mitgliedstaaten, in denen der Antragsteller keinen Antrag auf Anerkennung der Zulassung gestellt hat, ist die Entscheidung zunächst nicht relevant. Die Entscheidung ist innerhalb von 30 Tagen durch die beteiligten Mitgliedstaaten umzusetzen.130 Durch die Erteilung der Zulassung erhält ses 1999/468/EG (ABl. Nr. L 184 v. 17.07.1999, S. 23) aus Vertretern der Mitgliedstaaten und einem Kommissionsmitglied, als Vorsitzenden, zusammen. 123 Artikel 121 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) in Verbindung mit Artikel 5 Abs. 2 des Beschlusses 1999/468/EG (ABl. Nr. L 184 v. 17.07.1999, S. 23). Ergänzend zu dem Verfahren im Ständigen Ausschuß auch der Abschnitt über das zentrale Zulassungsverfahren im 3. Teil, 2. Kapitel, I. 1. b) und 2. c) sowie 3. Teil, 3. Kapitel, III. 2. b). 124 Artikel 121 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) in Verbindung mit Artikel 5 Abs. 3 des Beschlusses 1999/468/EG (ABl. Nr. L 184 v. 17.07.1999, S. 23). 125 Artikel 121 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) in Verbindung mit Artikel 5 Abs. 4 f. und Artikel 8 des Beschlusses 1999/ 468/EG (ABl. Nr. L 184 v. 17.07.1999, S. 23). 126 Artikel 121 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) in Verbindung mit Artikel 5 Abs. 6 des Beschlusses 1999/468/EG (ABl. Nr. L 184 v. 17.07.1999, S. 23). 127 Artikel 121 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) in Verbindung mit Artikel 5 Abs. 6 Unterabs. 2 des Beschlusses 1999/468/ EG (ABl. Nr. L 184 v. 17.07.1999, S. 23). 128 Artikel 121 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) in Verbindung mit Artikel 5 Abs. 6 Unterabs. 3 des Beschlusses 1999/468/ EG (ABl. Nr. L 184 v. 17.07.1999, S. 23). 129 Artikel 34 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67).

2. Kap.: Die Harmonisierung der Arzneimittelzulassung

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das Arzneimittel in jedem Mitgliedstaat die nationale Zulassung. Diese wird ausschließlich in den nationalen amtlichen Verlautbarungsorganen veröffentlicht. Die Verfahrensdauer des dezentralen Verfahrens liegt zwischen sechs und vierundzwanzig Monaten, je nachdem ob und wie schnell sich die beteiligten Mitgliedstaaten einigen.131 Das Hauptproblem des dezentralen Verfahrens besteht derzeit darin, daß viele Mitgliedstaaten die Zulassungsdossiers erneut beurteilen und nicht wirklich anerkennen.132 Daher ziehen immer wieder Unternehmen ihren Zulassungsantrag zurück, sobald das relativ langwierige Schiedsverfahren eingeschaltet wird.133 Es wäre denkbar, daß im Zuge der Überarbeitung der gemeinschaftlichen Zulassungsverfahren, das zentrale Verfahren auf weitere Arzneimittelgruppen ausgedehnt wird.134

130 Artikel 34 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 131 Zur ausführlichen Darstellung über die verschiedenen Möglichkeiten der Verfahrensdauer siehe B. Collatz, Das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung, S. 78 ff. 132 Diskussionsdokument der Europäischen Kommission zur Revision der pharmazeutischen Gesetzgebung v. 22.01.2001 (endg. Version); kritische Anmerkungen zur dezentralen Zulassung siehe auch O. May, Gegenseitige Anerkennung – bei Arzneimitteln möglich oder utopisch?, 1992, S. 834 ff. 133 Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß die Entscheidung durch die Kommission bis zu einem Drittel der Gesamtdauer des Zulassungsverfahrens in Anspruch nimmt. In der Überarbeitung der Zulassungsverfahren ist dies einer der kritischsten Punkte. Diskussionsdokument der Europäischen Kommission zur Revision der pharmazeutischen Gesetzgebung, v. 22.01.2001 (endg. Version); CMS Cameron McKenna/Andersen Consulting, Evaluation of the operation of Community procedures for the authorisation of medicinal products, Oktober 2000, http:// pharmacos.eudra.org/F2/pharmacos/docs/Doc2000/nov/reportmk.pdf., abgerufen am 21.02.2003, S. 15 ff.; Bericht der Kommission über die Erfahrungen mit den Verfahren zur Erteilung von Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln gemäß Verordnung (EWG) Nr. 2309/93, Kapitel III der Richtlinie 75/319/EWG und Kapitel IV der Richtlinie 81/851/EWG – Bericht gemäß Artikel 71 der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93, v. 23.10.2001 (KOM(2001)606 endg.), S. 19 f.; Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1), Richtlinie 75/319/EWG (ABl. Nr. L 147 v. 09.06.1975, S. 13), Richtlinie 81/851/EWG des Rates v. 28.09.1981 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Tierarzneimittel (ABl Nr. L 317 v. 06.11.1981, S. 1). 134 Ch. König/E. Müller, 5 Jahre EMEA – ein Zwischenruf auf die gemeinschaftlichen Zulassungsverfahren für Arzneimittel, Pharma Recht 2000, S. 148 (158).

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

b) Das zentrale Zulassungsverfahren Die Angleichung der Verfahren, wie im dezentralen Zulassungsverfahren geschehen, ist eine wesentliche Bedingung, um zu einheitlichen Entscheidungen über ein Arzneimittel zu finden. Es beeinflussen aber kulturelle und soziale Unterschiede sowie ökonomische und politische Gründe die Auslegung der offenen Rechtsbegriffe im Arzneimittelgesetz der Mitgliedstaaten.135 Das zentrale Verfahren soll die unterschiedliche Einschätzung eines Arzneimittels in der Gemeinschaft vermeiden, damit die nationalen Zulassungsentscheidungen vereinheitlichen und so den Binnenmarkt für pharmazeutische Erzeugnisse verwirklichen.136 Der Anwendungsbereich des zentralen Zulassungsverfahrens ist in dem Anhang der Verordnung 2309/93/EWG festgelegt. Der Anhang besteht aus einem Teil A und einem Teil B. Für die in Teil A aufgeführten Arzneimittel ist die zentrale Zulassung zwingend vorgeschrieben (Artikel 3 Abs. 1). Dabei handelt es sich um Arzneimittel, die mit bestimmten, näher aufgeführten biotechnologischen Verfahren hergestellt werden. Dagegen kann der pharmazeutische Unternehmer für Arzneimittel, die unter Teil B des Anhangs fallen, die zentrale oder die dezentrale Zulassung beantragen (Artikel 3 Abs. 2). Im Wesentlichen geht es in Teil B um Arzneimittel mit hohem Innovationscharakter. Dabei kann das Arzneimittel selbst oder die Art der Verabreichung eine bedeutende Innovation oder von besonderem therapeutischen Interesse sein. Es kann aber auch der Herstellungsprozeß als bedeutender technischer Fortschritt gewertet werden. Die Agentur entscheidet, ob es sich um eine Innovation oder einen therapeutischen Fortschritt handelt. Unter Teil B fallen auch solche Arzneimittel, die aus menschlichem Blut oder Blutplasma gewonnen werden, oder solche Mittel, die einen neuen Wirkstoff137 enthalten, der noch in keinem Mitgliedstaat zugelassen ist. Für diese beiden letztgenannten Mitteln ist die Ansicht der Agentur nicht erforderlich. 135 J. Schuster, Votum zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit, S. 56 f.; H. Blasius/H. Cranz, Arzneimittel und Recht in Europa, 1998, S. 81 f.; F. Lutz, Kernprobleme des aktuellen Arzneimittelrechts, S. 8 f. 136 Mitteilung der Kommission über die gemeinschaftlichen Zulassungsverfahren für Arzneimittel (ABl. Nr. C 229 v. 22.07.1998, S. 4); J. Schuster, Votum zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit, S. 56 f.; F. Lutz, Kernprobleme des aktuellen Arzneimittelrechts, S. 8 f. 137 Ausführlicher dazu, was unter einem „neuem Wirkstoff“ verstanden wird, siehe auch B. Collatz, Das zentralisierte Zulassungsverfahren, in: B. Collatz (Hrsg.), Handbuch der EU-Zulassung – Zentralisiertes Verfahren und Verfahren der gegenseitigen Anerkennung für Human- und Tierarzneimittel, S. 44.

2. Kap.: Die Harmonisierung der Arzneimittelzulassung

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Der pharmazeutische Unternehmer138 stellt den Zulassungsantrag direkt bei der Agentur.139 Innerhalb der Agentur ist der Ausschuß für Arzneispezialitäten für die Bearbeitung des Antrags und der Erstellung des Gutachtens über die Zulassung des Arzneimittels zuständig.140 Er prüft zum einen, ob das Arzneimittel überhaupt nach dem zentralen Verfahren in den Verkehr gebracht werden kann, und zum anderen, ob die Zulassungskriterien vorliegen.141 So darf die Zulassung nur versagt werden, wenn das Arzneimittel nicht die erforderliche Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit aufweist,142 die Unterlagen falsch sind, oder Etikettierung oder Packungsbeilage nicht den Vorschriften143 entsprechen.144 Der Zulassungsantrag muß ein Muster oder zumindest die Druckfahne für die Verpackung des Arzneimittels beinhalten. Für die Beurteilung des Arzneimittels bestellt der Ausschuß für Arzneispezialitäten eines seiner Mitglieder zum Berichterstatter (Rapporteur).145 Er berücksichtigt den Vorschlag des Antragstellers.146 Der Berichterstatter 138

Um einen zentralen Zulassungsantrag stellen zu können, muß der pharmazeutische Unternehmer in der Gemeinschaft niedergelassen sein (Artikel 2 Abs. 1 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1)). 139 Artikel 4 Abs. 1 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08. 1993, S. 1). Der Unternehmer, der das Arzneimittel in den Verkehr bringt, muß in der Europäischen Gemeinschaft niedergelassen sein (Artikel 2 Abs. 2 der Verordnung 2309/93/EWG). 140 Artikel 50 Abs. 3 Unterabs. 3 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 141 Artikel 11 in Verbindung mit Artikel 7 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 142 Artikel 11 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 143 Zu Etikettierung und Packungsbeilage siehe 3. Teil, 4. Kapitel, I. 144 Die Versagensgründe für eine Genehmigung sind nach Artikel 68 der Verordnung 2309/93/EWG in Artikel 11 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1) abschließend aufgeführt. 145 Die nationalen Zulassungsbehörden konkurrieren um die Wahl als Rapporteur oder Co-Rapporteurs. Sie wählen die Sachverständigen zur Beurteilung des Arzneimittels aus und nehmen so erheblichen Einfluß auf den Inhalt der Zulassung. K.-P. Mohrbutter, Das BfArM: eine europäische Behörde, in: T. Ott/F.-W. Hefendehl/P. Grosdanoff (Hrsg.), Arzneimittel und Medizinprodukte Bewertung – Verfahren – Perspektiven, 1998, S. 237. 146 Artikel 53 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). Im Regelfall wird die vom Antragsteller vorgeschlagene Zulassungsbehörde berücksichtigt. Darüber hinaus kann der Ausschuß noch ein zweites Mitglied zum Mitberichterstatter bestellen. Berichterstatter und Mitberichterstatter können externe Sachverständige hinzuziehen, die von den Mitgliedstaaten vorgeschlagen wurden und deren Qualifikation auch von den Mitgliedstaaten überprüft wurde (Artikel 53 der Verordnung 2309/93). Sie können des weiteren verschiedene Überprüfungen unter Einbeziehung staatlicher oder sonstiger Labors anordnen, um die Richtigkeit der Angaben im Antrag sicherzustellen (Artikel 7 b der Verordnung 2309/93/EWG).

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

und der Mitberichterstatter (Co-Rapporteur) unterstützen und beraten den Antragsteller, prüfen das Arzneimittel, erstellen den Bewertungsbericht für den Zulassungsantrag und koordinieren die Klärung von Einwänden seitens der Mitgliedstaaten.147 Auf dieser Grundlage erarbeitet der Ausschuß für Arzneispezialitäten sein wissenschaftliches Gutachten. Das Gutachten der Agentur soll innerhalb von 210 Tagen vorliegen148 und möglichst einstimmig149 verabschiedet werden. Kann keine Einstimmigkeit erzielt werden, so ist ein Beschluß zumindest mit absoluter Mehrheit zu fassen. Für den Fall, daß keine absolute Mehrheit zustande kommt, weist ein internes Arbeitspapier der Agentur150 darauf hin, daß der Zulassungsantrag abzulehnen ist. Befürwortet das Gutachten der Agentur die Zulassung, wird es den Mitgliedstaaten, der Kommission und dem Antragsteller unter Beifügen von Beurteilungsbericht, Textentwurf für Etikettierung und Packungsbeilage, Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels sowie eventuell anfallenden Spezifikationen übermittelt.151 Kommt das Gutachten der Agentur dagegen zu einem negativen Ergebnis, wird zunächst unverzüglich der Antragsteller unterrichtet.152 Dieser hat die Möglichkeit, innerhalb von 15 Tagen bei der Agentur begründeten Widerspruch einzulegen.153 Die Überprüfung des Widerspruchs erfolgt durch den Ausschuß für Arzneispezialitäten selbst. Sie führt zu einem endgültigen Gutachten des Ausschusses, das wiederum den Mitgliedstaaten, der Kommission und dem Antragsteller übermittelt wird. Durch diese Verbindung nationaler Ressourcen und externer Gutachten garantiert die Agentur eine hohe Beurteilungsqualität (Diskussionsdokument der Europäischen Kommission zur Revision der pharmazeutischen Gesetzgebung v. 22.01.2001 (endg. Version)). 147 Artikel 52 und Artikel 53 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 148 Artikel 5 und Artikel 7 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 149 Artikel 52 Abs. 4 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 150 Artikel 9 EMEA/CPMP/622/95/Rev. 1. 151 Artikel 9 Abs. 3 und Abs. 2 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 152 Das kann bedeuten, daß entweder die Genehmigungskriterien nicht erfüllt sind, die Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels verändert werden muß, die Etikettierung oder Packungsbeilage nicht den Vorschriften entspricht oder die Genehmigung nur unter Bedingungen erteilt wird. Dazu Artikel 61 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG, Artikel 11, Artikel 13 Abs. 2, Teil 4 Abschnitt G der Richtlinie 75/318/EWG (ABl. Nr. L 147 v. 09.06.1975, S. 1); Artikel 9 Abs. 1 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 153 Artikel 9 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1).

2. Kap.: Die Harmonisierung der Arzneimittelzulassung

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Innerhalb einer Frist von 30 Tagen erstellt die Kommission, aufbauend auf dem Gutachten der Agentur, ihren Entscheidungsentwurf.154 Sie kann nur ausnahmsweise und mit eingehender Begründung von dem Gutachten der Agentur abweichen.155 Die Mitgliedstaaten haben nur 28 Tage Zeit, ihre Einwände gegen dieses Gutachten vorzubringen.156 Die Kommission entscheidet, ob sich aus den schriftlichen Bemerkungen eines Mitgliedstaates bisher noch nicht behandelte wichtige Aspekte ergeben.157 Der Entscheidungsentwurf der Kommission wird an den „Ständigen Ausschuß für Humanarzneimittel für die Anpassung der Richtlinien zur Beseitigung der technischen Handelshemmnisse auf dem Gebiet der Arzneimittel an den technischen Fortschritt“158 kurz „Ständiger Ausschuß“ genannt, weiter geleitet.159 Der Ständige Ausschuß ist von der Agentur unabhängig und besteht aus Vertretern der Mitgliedstaaten und einem Mitglied der Kommission als Vorsitzenden.160 Der Ausschuß nimmt zu dem Entscheidungsentwurf der Kommission Stellung, wobei sich der Vorsitzende der Stimmabgabe enthält. Das Vorgehen im Ständigen Ausschuß erfolgt in der Regel schriftlich und nur ausnahmsweise mündlich in einer Ausschußsitzung.161 Jedes Ausschuß154 Artikel 9 Abs. 3 lit. a-c und Artikel 10 Abs. 1 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 155 Artikel 10 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 156 Artikel 10 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 157 Artikel 10 Abs. 3 S. 3 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 158 Zur Gründung des Ständigen Ausschusses auch 3. Teil, 2. Kapitel, I, 1 a) „dezentrales Zulassungsverfahren“. 159 In dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission KOM(90)283 endg. (ABl. Nr. C-330, v. 31.12.1990, S. 18) war vorgesehene, daß der Ständige Ausschuß und der Rat nur eingeschaltet werden, wenn der Entscheidungsentwurf der Kommission von dem Gutachten der Europäischen Arzneimittelagentur abweicht. Der Rat hat diesen Vorschlag dahingehend abgeändert, daß der Ständige Ausschuß immer eingeschalten wird und der Rat nur tätig wird, wenn die Entscheidung des Ständigen Ausschusses von dem Entscheidungsentwurf der Kommission abweicht. Diese Verfahrensänderungen des ursprünglichen Vorschlags führten zwar zunächst zu Inkohärenzen, wurden aber durch die Verordnung 1662/95/EWG (ABl. Nr. L 158 v. 08.07.1995, S. 4) vereinfacht und präzisiert. P. Deboyser, Les nouvelles procédures communautaires pour l’autorisation et la surveillance des médicaments, Revue du Marché Unique et Européen 1995, S. 31 (64 f.). 160 Artikel 5 Abs. 1 des Beschlusses 1999/468/EG (ABl. Nr. L 184 v. 17.07. 1999, S. 23). 161 Eine Ausschußsitzung wird notwendig, wenn der Kommissionsentwurf nicht dem Gutachten der Agentur entspricht. Artikel 10 Abs. 3 S. 2 der Verordnung 2309/ 93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1) in Verbindung mit Artikel 5 des Be-

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

mitglied, d.h. jeder Mitgliedstaat, bekommt den Entscheidungsentwurf der Kommission in fernschriftlicher oder elektronischer Form.162 Die Mitgliedstaaten haben 30 Tage Zeit, ihre Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung dem Vorsitzenden des Ständigen Ausschusses mitzuteilen. 163 Kommt von einem Mitgliedstaat keine Rückmeldung, so gilt dies als Zustimmung.164 Die Mitgliedstaaten können ihrer Entscheidung auch schriftliche Bemerkungen hinzufügen. Ergeben sich aus diesen Bemerkungen nach Ansicht der Kommission wichtige Fragen wissenschaftlicher oder technischer Art, die in dem Gutachten der Agentur nicht behandelt wurden, verweist der Vorsitzende des Ständigen Ausschusses das Gutachten zur Überprüfung an die Agentur zurück.165 Artikel 5 Abs. 2 des Beschlusses 1999/468/EG sieht vor, daß die Entscheidung des Ständigen Ausschusses über die Zulassung eines Arzneimittels gemäß dem Verfahren des Artikel 205 Abs. 2 EG mit qualifizierter Mehrheit gefällt wird. Der Vorsitzende hat sich der Stellungnahme zu enthalten.166 Stimmt der Ständige Ausschuß mit der Kommissionsentscheidung überein, wird die Entscheidung der Kommission umgesetzt.167 Stimmt der Ständige Ausschuß nicht mit der Kommission überein oder liegt seine Stellungnahme nicht vor, wird der Rat eingeschaltet und das Europäische Parlament informiert.168 Der Rat hat zur Beschlußfassung drei Monate Zeit. Er kann den Entscheidungsentwurf der Kommission mit qualifizierter Mehrheit gemäß Artikel 205 Abs. 2 EG annehmen oder ablehnen, aber nicht verändern.169 Im Falle einer Ablehnung kann die Kommission ihren Entwurf überarbeiten, sie kann ihn aber auch unverändert dem Rat schlusses 1999/468/EG (ABl. Nr. L 184 v. 17.07.1999, S. 23) und Artikel 2 der Verordnung 1662/95/EWG (ABl. Nr. L 158 v. 08.07.1995, S. 4). Das Verfahren der mündlichen Ausschußsitzung erfolgt gemäß Artikel 6 der Verordnung 1662/95/ EWG. Dazu auch P. Deboyser, Les nouvelles procédures communautaires pour l’autorisation et la surveillance des médicaments, Revue du Marché Unique Européen 1995, S. 31 (66 ff.). 162 Artikel 7 der Verordnung 1662/95/EWG (ABl. Nr. L 158 v. 08.07.1995, S. 4). 163 Die Verordnung 2309/93/EWG sah in Artikel 72 noch eine fallweise Fristsetzung zur Abgabe einer Stellungnahme im Ständigen Ausschuß für Humanarzneimittel vor. 164 Artikel 3 der Verordnung 1662/95/EWG (ABl. Nr. L 158 v. 08.07.1995, S. 4). 165 Artikel 4 der Verordnung 1662/95/EWG (ABl. Nr. L 158 v. 08.07.1995, S. 4). 166 Artikel 5 Abs. 2 des Beschlusses 1999/468/EG (ABl. Nr. L 184 v. 17.07. 1999, S. 23). 167 Artikel 5 Abs. 3 des Beschlusses 1999/468/EG (ABl. Nr. L 184 v. 17.07. 1999, S. 23). 168 Artikel 5 Abs. 4 des Beschlusses 1999/468/EG (ABl. Nr. L 184 v. 17.07. 1999, S. 23). Nach Abs. 5 kann das Europäische Parlament eine Stellungnahme abgeben, wenn es der Ansicht ist, daß die Kommission ihre Durchführungsbefugnisse überschreitet.

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erneut vorlegen.170 Äußert sich der Rat jedoch innerhalb der Frist von drei Monaten nicht, so wird die Kommissionsentscheidung umgesetzt.171 Die zentral zugelassenen Arzneimittel erhalten eine Registriernummer und werden in einem Arzneimittelregister erfaßt.172 Die Zulassungsentscheidung wird im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft bekannt gegeben. Das Zulassungsgutachten kann auf Antrag und nach Löschung der vertraulichen Angaben von jedem eingesehen werden.173 Die so ergangene zentrale Zulassung gilt gemeinschaftsweit.174 Das bedeutet, daß die zentrale Zulassung eines Arzneimittels in ihren Rechten und Pflichten jeder nationalen Zulassung der Mitgliedstaaten entspricht.175 Aufgrund der gemeinschaftsweiten Gültigkeit der zentralen Zulassung muß sowohl die Zusammenfassung der Merkmale eines Arzneimittels (SPC), die Packungsbeilage als auch die Verpackung selbst die vorgeschriebenen Informationen in allen Amtsprachen der Gemeinschaft wiedergeben.176 Ausnahmen von der gemeinschaftsweiten Gültigkeit einer zentralen Zulassung, bestehen für Mitgliedstaaten, die in ihren nationalen Rechtsvorschriften den Gebrauch von empfängnisverhütenden oder schwangerschaftsunterbrechenden Arzneimitteln verbieten oder einschränken, wie beispielsweise Irland.177 169 Artikel 73 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1), in Verbindung mit Artikel 121 Abs. 2 und Artikel 5 Abs. 6 des Beschlusses 1999/468/EG (ABl. Nr. L 184 v. 17.07.1999, S. 23). 170 Artikel 5 Abs. 6 Unterabs. 2 des Beschlusses 1999/468/EG (ABl. Nr. L 184 v. 17.07.1999, S. 23). 171 Artikel 34 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) in Verbindung mit Artikel 121 der Richtlinie 2001/83/EG und dem Beschluß 1999/468/EG (ABl. Nr. L 184 v. 17.07.1999, S. 23). Artikel 10 der Verordnung 2309/93 (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1) in Verbindung mit Artikel 73 der Verordnung 2309/93 und Artikel 121 der Richtlinie 2001/83/EG. 172 Artikel 12 Abs. 2 u. 3 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 173 Artikel 12 Abs. 4 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08. 1993, S. 1). 174 Artikel 12 Abs. 3 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08. 1993, S. 1). Das Arzneimittel ist zwar in allen Mitgliedstaaten verkehrsfähig, aber der Zulassungsinhaber ist natürlich nicht verpflichtet, es auch in allen Mitgliedstaaten in den Verkehr zu bringen. 175 Artikel 12 Abs. 1 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08. 1993, S. 1). 176 Ein zentral zugelassenes Arzneimittel sollte auch mit einer einheitlichen Bezeichnung gemeinschaftsweit auf den Markt kommen. Zur Problematik einer einheitlichen Bezeichnung im Rahmen der zentralen Zulassung siehe Ch. König/E. Müller, 5 Jahre EMEA – ein Zwischenruf auf die gemeinschaftlichen Zulassungsverfahren für Arzneimittel, Pharma Recht 2000, S. 148 (155).

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Wenn die Zulassung eines Arzneimittels nach dem zentralen Verfahren abgelehnt wird, ist das Inverkehrbringen dieses Arzneimittels in der gesamten Gemeinschaft untersagt.178 2. Die Befugnis der Europäischen Gemeinschaft zur Erteilung der Zulassung Wie in dem vorherigen Kapitel bereits dargelegt, erfolgt die zentrale Zulassung eines Arzneimittels durch die Gemeinschaftsorgane. In der Regel erteilt die Kommission, in Ausnahmefällen auch der Rat, dem Antragsteller die Zulassung. Die Gemeinschaftsorgane erlassen direkt gegenüber dem Antragsteller eine verbindliche Entscheidung. Sie wenden das Gemeinschaftsrecht selbst an und führen den Verwaltungsvollzug unmittelbar gegenüber dem Antragsteller durch. Daher ist die Erteilung der zentralen Zulassung Ausfluß einer unmittelbaren Gemeinschaftsverwaltung mit einem direkten Vollzug des Gemeinschaftsrechts.179 Anders ist dies für die dezentrale Zulassung. Hier erfolgt nur mit der Einschaltung des Schiedsverfahrens eine Zulassungsentscheidung der Gemeinschaftsorgane. Die von den Organen getroffene Entscheidung wird an die Behörden der Mitgliedstaaten weitergegeben. Diese müssen sich an die Entscheidung halten und haben ab diesem Zeitpunkt keinen Einfluß mehr auf den Inhalt der Entscheidung. Der Inhalt der Zulassungsentscheidung wird den nationalen Behörden detailliert vorgegeben. Diese setzen anschließend die gemeinschaftliche Zulassungsentscheidung lediglich in ihre nationale Zulassung um. Dabei handelt es sich um einen rein formellen Vorgang. So treffen zwar die Gemeinschaftsorgane im Falle eines Schiedsverfahrens die Verwaltungsentscheidung, der Vollzug dieser Entscheidung obliegt jedoch den Mitgliedstaaten. Trotz eines mangelnden Ermessensspielraums für eine so getroffene Zulassungsentscheidung kann das Schiedsverfahren im dezentralen Verfahren noch als mittelbare Gemeinschaftsverwaltung an177 Artikel 12 Abs. 1 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1); kritisch dieser Ausnahme gegenüber: Ch. König/E. Müller, 5 Jahre EMEA – ein Zwischenruf auf die gemeinschaftlichen Zulassungsverfahren für Arzneimittel, Pharma Recht 2000, S. 148 (153 f.). 178 Artikel 12 Abs. 2 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 179 Zur unmittelbaren, auch direkte Gemeinschaftsverwaltung genannt, siehe J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht – Entstehung und Entwicklung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften, 1. Aufl. 1988, Bd. II, S. 927 ff.; R. Bieber, Die Verwaltungsorganisation der Europäischen Gemeinschaften, in: M. Schweitzer (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsrecht, 1. Aufl. 1991, S. 96 ff.; A. Weber, Das Verwaltungsverfahren, in: M. Schweitzer (Hrsg.), 1. Aufl. 1991, S. 60 f.; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 636; R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 466, 468, 477 f.

2. Kap.: Die Harmonisierung der Arzneimittelzulassung

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gesehen werden.180 Die Entscheidung der Gemeinschaftsorgane bewirkt nicht allein die Zulassung des Arzneimittels. Diese muß erst noch durch die nationalen Behörden umgesetzt werden, um Gültigkeit zu erlangen. Das Gemeinschaftsrecht wird somit indirekt über die Mitgliedstaaten vollzogen. Weil durch die dezentrale Zulassung letztendlich eine nationale Zulassung von den nationalen Behörden erteilt wird und das Schiedsverfahren von dem Kommissionsentwurf bis zur endgültigen Entscheidung mit dem zentralen Verfahren identisch ist, wird insoweit auf die Ausführungen zum zentralen Verfahren verwiesen. Die Erteilung der zentralen Zulassung durch die Gemeinschaftsorgane als unmittelbare Gemeinschaftsverwaltung wirft die Frage auf, ob die Gemeinschaft zu einem solchen direkten Verwaltungshandeln befugt ist. Dazu wird zunächst auf die Zulassung als Verwaltungsakt näher eingegangen,181 um anschließend die Frage nach der Befugnis zum Erlaß der Zulassung durch die Gemeinschaftsorgane kritisch zu betrachten. a) Die Zulassung als Entscheidung im Sinne von Artikel 249 EG Die Möglichkeiten des Verwaltungshandelns der Gemeinschaft beschränken sich auf die in Artikel 249 EG genannten Rechtsakte.182 Danach kann die Gemeinschaft zur Erfüllung ihrer Aufgaben Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen erlassen. Darüber hinaus kann die Gemeinschaft Empfehlungen aussprechen oder Stellungnahmen abgeben. Die Verordnung, die Richtlinie oder die Entscheidung sind in ihren Rechtsfolgen gegenüber dem oder den Adressaten verbindlich, während Empfehlungen oder Stellungnahmen als unverbindlich, d.h. nicht rechtswirksam gelten. Die Zulassungsentscheidung für ein Arzneimittel ist für den Antragsteller jedoch rechtlich verbindlich und daher weder als Empfehlung noch Stellungnahme einzuordnen. Die Richtlinie ist ausschließlich an die Mitgliedstaaten adressiert. Sie muß nicht immer an alle Mitgliedstaaten adressiert sein. Dagegen können 180

Zur mittelbaren Gemeinschaftsverwaltung siehe J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 1058 ff.; A. Weber, Das Verwaltungsverfahren, S. 59 f.; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 636; R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 467, 479. 181 Zu der Frage, ob die Gemeinschaftsorgane mit dem Verfahren der Zulassungsentscheidung und der Gründung der Europäischen Arzneimittelagentur ihre Befugnisse überschreiten, siehe 3. Teil, 2. und 3. Kapitel. 182 Weitere Handlungsformen der Gemeinschaft sind möglich, werden aber nicht dem Verwaltungsverfahren zugerechnet. Sie sind in der Regel auch nicht auf individuell-konkrete Fälle beschränkt. A. Weber, Das Verwaltungsverfahren, S. 59; B. Biervert, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Artikel 249 Rdnr. 5.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Verordnungen und Entscheidungen auch an Personen, Personengruppen oder Unternehmen gerichtet sein.183 Weil die Zulassungsentscheidung eines Arzneimittels ausschließlich an Private adressiert ist, kann es sich dabei nicht um eine Richtlinie handeln. Das entscheidende Abgrenzungsmerkmal zwischen der Verordnung und der Entscheidung ist die „allgemeine Geltung“ der Verordnung (Artikel 249 Abs. 2 EG). Ihr wesentlichstes Merkmal ist daher die generell-abstrakte Regelung für die ganze Gemeinschaft.184 Im Gegensatz dazu ist die Entscheidung gemäß Artikel 249 Abs. 4 EG nur „für diejenigen verbindlich, die sie bezeichnet“. Sie bezieht sich daher auf Einzelfälle. Jedoch ist dieses Tatbestandsmerkmal der „individuellen Geltung“ im Europarecht nicht eindeutig.185 Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs186 reicht die Kennzeichnung des Rechtsaktes als Verordnung oder Entscheidung nicht aus, um festzustellen, ob es sich um eine Verordnung oder eine Entscheidung handelt, das heißt, ob der Rechtsakt an die Allgemeinheit oder an einen be183 B. Biervert, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Artikel 249 Rdnr. 19, 33; M. Ruffert, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 249 Rdnr. 117. 184 A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 401 ff.; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 543 ff. 185 J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 927 ff.; A. Weber, Das Verwaltungsverfahren, S. 57 f.; A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 401 ff.; R. Streinz, Europarecht Rdnr. 413, 478. B. Biervert, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Artikel 249 Rdnr. 19, 33; M. Ruffert, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 249 Rdnr. 39, 116; W. Cremer, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 230 Rdnr. 29 ff.; im deutschen Recht für den Verwaltungsakt gemäß § 35 VwVfG siehe K. A. Schachtschneider (A. Emmerich-Fritsche/ M. Kläver/P. Wollenschläger), Grundbegriffe des Allgemeinen Verwaltungsrechts, Lehrstuhlskript, 1999, S. 4 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 170, 215. 186 Allerdings ist die Rechtsprechung des Gerichtshofs diesbezüglich nicht konsequent. EuGH v. 14.12.1961 – verb Rs. 19/62 bis 22/62 (Fédération nationale de la boucherie en gros et du commerce en gros des viandes u. a./Rat der EWG), Slg. 1962, 1003 (1020 f.); EuGH v. 13.03.1968 – Rs. 30/67 (Industria Molitoria Imolese u. a./Rat der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1968, 173 (183); EuGH v. 16.04.1970 – Rs. 64/69 (Rdnr. 11/12), Slg. 1970, 226 (Rdnr. 11 f.); EuGH v. 17.06.1980 – verb. Rs. 789/79 u. 790/79 (Calpak SpA u. Societa Emiliana Lavorazione Frutta SpA/Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1980, 1949 (Rdnr. 9); EuGH v. 26.02.1981 – Rs. 64/80 (F. Giuffrida u. G. Camogrande/Rat der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1981, 693 (Rdnr. 7); EuGH v. 29.06. 1993 – Rs. C-298/89 (Gibraltar/Rat der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1993, I-3605 (Rdnr. 15, 17); EuGH v. 18.05.1994 – Rs. C-309/89 (Codorníu/Rat der Europäischen Union), Slg. 1994, I-1853 (Rdnr. 18); kritisch zu der Rechtsprechung des EuGH, insbesondere im Zusammenhang mit der Klagebefugnis aus Artikel 230 siehe M. Ruffert, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 249 Rdnr. 39; W. Cremer, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 230 Rdnr. 35 f.; A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 407.

2. Kap.: Die Harmonisierung der Arzneimittelzulassung

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stimmten Adressaten gerichtet ist. Vielmehr folgt die „allgemeine Geltung“ eines Rechtsaktes aus seiner Rechtsnatur und Rechtswirkung.187 Die Zulassung ist ausschließlich für den Antragsteller verbindlich. Sie gewährt ihm Rechte und legt ihm Pflichten auf. Ein positiver Zulassungsbescheid gibt dem Antragsteller das Recht, das Arzneimittel in allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft in den Verkehr zu bringen. Dies kann allerdings mit Pflichten und Auflagen versehen werden, wenn es sich im Laufe des Zulassungsverfahrens als notwendig erweist. Ein negativer Zulassungsbescheid, das heißt eine Ablehnung der Zulassung, führt dazu, daß das Inverkehrbringen des Arzneimittels untersagt ist.188 Daher kann insgesamt betrachtet die Zulassung eines Arzneimittels nur eine Entscheidung im Sinne des Artikel 249 EG sein.189 Die Entscheidung wird als Verwaltungsinstrument zumeist von der Kommission eingesetzt. Sie kommt damit ihrer Aufgabe aus Artikel 211, 4. Sp. EG nach, nämlich für die Durchführung des Gemeinschaftsrechts Sorge zu tragen. Die an Private gerichtete Entscheidung ist dem Verwal187 B. Biervert, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Artikel 249 Rdnr. 18, 33; M. Ruffert, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 249 Rdnr. 39. 188 Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich ist die Zulassung eines Arzneimittels ein Verwaltungsakt (siehe dazu Fußnote 414). Im Gegensatz zum deutschen Recht unterscheidet das Europarecht nicht zwischen einem individuellen Rechtsakt wie in § 35 Abs. 1 S. 2 VwVfG und einer Allgemeinverfügung aus § 35 Abs. 1 S. 2 VwVfG. Nach der Legaldefinition des § 35 Abs. 1 S. 2 VwVfG ist ein Verwaltungsakt „jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahem, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist“. Die Allgemeinverfügung ist gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 VwVfG „ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihrer Benutzer durch die Allgemeinheit betrifft“. Die Allgemeinverfügung fällt als ein Unterfall des Verwaltungsaktes, wie auch der Verwaltungsakt selbst, im Europarecht unter den Begriff der Entscheidung. Aus diesem Grund wird auf die Allgemeinverfügung nicht weiter eingegangen. Zumal die Zulassung eines Arzneimittels einen Verwaltungsakt i. S. des § 35 Abs. 1 S. 1 VwVfG darstellt. Zum Verwaltungsakt siehe F. Kopp/U. Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2000, § 35 Rdnr. 25 ff., 68 ff., 102 ff.; H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2002, § 9 Rdnr. 4 ff., 31 ff., 47 ff.; für das französische Recht siehe H. D. Jarass, Besonderheiten des französischen Verwaltungsrechts im Vergleich, DÖV 1981, S. 813 (819 f.); C. Junker, Der Verwaltungsakt im deutschen und französischen Recht, 1990, S. 5 ff., 59 ff.; für das Gemeinschaftsrecht: J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 935 ff., 940 f., 943 f. 189 So auch B. Collatz, Die neuen europäischen Zulassungsverfahren, S. 138 f.; C. Junker, Der Verwaltungsakt im deutschen und französischen Recht, S. 158; auch aus Gründen des Rechtsschutz kann die Zulassung nur eine Entscheidung und keine Verordnung sein. Siehe dazu beispielsweise J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 928, 935.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

tungsakt190 im deutschen Recht ähnlich.191 Ein wesentliches Merkmal des Verwaltungsaktes ist seine rechtliche Außenwirkung,192 das heißt die Beziehung zwischen den Gemeinschaftsorganen und Einzelnen.193 Genau das trifft auch für die zentrale Zulassung zu. Sie wird von der Kommission oder dem Rat direkt dem Antragsteller erteilt. Die Behörden der Mitgliedstaaten sind in den Vorgang der Erteilung einer zentralen Zulassung nicht formal eingebunden.194 Die Qualifizierung der Zulassung als Entscheidung im Sinne des Artikel 249 Abs. 4 EG ermöglicht ihre richterliche Kontrolle durch den Europäischen Gerichtshof im Rahmen einer Nichtigkeitsklage nach Artikel 230 f. EG.195 Das gibt dem Antragsteller einen ausreichenden Rechtsschutz im Verfahren der zentralen Zulassung.196 So ist als Ergebnis festzuhalten, daß die zentrale Zulassung eine Entscheidung, genauer ein rechtsbegründender Verwaltungsakt des Gemeinschaftsrechts197 ist.198 Die von der Kommission oder dem Rat erteilte Zulassung steht einer von den nationalen Behörden erteilten Zulassung gleich.199 190 Zu den materiellen Voraussetzungen des gemeinschaftlichen Verwaltungsaktes siehe J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 929 ff.; H. W. Rengeling, Quellen des Verwaltungsrechts, in: M. Schweitzer (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsrecht, 1991, S. 37 f. 191 B. Biervert, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Artikel 249 Rdnr. 32; M. Ruffert, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 249 Rdnr. 117. 192 Dazu allgemein H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rdnr. 6 ff., 11 ff., 14 ff., 26 ff.; H.-U. Erichsen, Das Verwaltungshandeln, in: H.-U. Erichsen/W. Martens (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 1991, S. 231 ff., 246 ff.; kritisch: K. A. Schachtschneider (A. Emmerich-Fritsche/M. Kläver/P. Wollenschläger), Grundbegriffe des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 14 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 170 ff., 215 f. 193 J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 932. 194 Generell benötigt die Entscheidung keine Umsetzung in nationales Recht durch die Mitgliedstaaten. B. Biervert, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Artikel 249 Rdnr. 35. 195 J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 928. 196 Zum Rechtsschutz siehe auch R. Wahl/D. Groß, Europäisierung des Genehmigungsrechts, DVBl. 1998, S. 2 (112 f.); B. Collatz, Die neuen europäischen Zulassungsverfahren, S. 109 ff., 125 ff., 136 ff. 197 Zur Arzneimittelzulassung als Verwaltungsakt im deutschen Recht siehe H. Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem: dargestellt unter besonderer Berücksichtigung der Kunststoffkommission des Bundesgesundheitsamtes und der Transparenzkommission, 1987, S. 354 f.; Die Zulassung ist in Frankreich ein „acte administratif individuel“ und stimmt in diesem Fall mit dem deutschen Verständnis des Verwaltungsaktes weitestgehend überein. Zum Verwaltungsrecht in Frankreich siehe H. D. Jarass, Besonderheiten des französischen Verwaltungsrechts im Vergleich, DÖV 1981, S. 813 (819 f.); J. Rivéro/J. Waline, Droit administratif, 17. Aufl. 1998, Rdnr. 90 f.; R. Chapus, Droit administratif général, Bd. 1, 13. Aufl. 1999, Rdnr. 705 ff.; U. Hübner/V. Constantinesco, Einführung in das französische

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Der Erlaß eines solchen Verwaltungsaktes kann aber nur im Rahmen des Vertrages erfolgen.200 Das heißt mit der zentralen Zulassung eines Arzneimittels durch die Kommission oder den Rat vollziehen Gemeinschaftsorgane unmittelbar gemeinschaftliches Verwaltungsrecht gegenüber Individuen. Weil aber jedes Handeln der Gemeinschaftsorgane einer Befugnis in den Verträgen bedarf,201 bedarf auch die Zulassung eines Arzneimittels, als ein solches Verwaltungshandeln, einer vertraglichen Grundlage. Das Prinzip der begrenzten Ermächtigung202 gilt auch für das Verwaltungshandeln der Gemeinschaft.203 Aufgrund ihrer funktionalen Staatlichkeit kann die Gemeinschaft lediglich im Rahmen ihrer Aufgaben und Befugnisse tätig werden. So hat die Gemeinschaft gemäß Artikel 5 EU in Verbindung mit Artikel 7 Abs. 1 EG und Artikel 5 Abs. 1 EG nur die Befugnisse, die ihr aus dem Vertrag zugewiesen sind.204 Die Befugnisse sind daher naturgemäß begrenzt. Grundsätzlich ist der verwaltungsmäßige Vollzug des Gemeinschaftsrechts den Mitgliedstaaten vorbehalten.205 Nur in Ausnahmefällen ist der Recht, S. 92 ff.; C. Junker, Der Verwaltungsakt im deutschen und französischen Recht, S. 1, 59 f., 80 ff. 198 J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 941. 199 Artikel 12 Abs. 1 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08. 1993, S. 1). 200 B. Biervert, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Artikel 249 Rdnr. 12; M. Ruffert, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 249 Rdnr. 9 f.; E. Grabitz, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 189 (alt), Rdnr. 4; zum Prinzip der begrenzten Ermächtigung siehe auch 3. Teil, 3. Kapitel, II. 4. a). 201 K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 118 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 588. 202 Ausführlicher zu dem Prinzip der begrenzten Ermächtigung siehe 3. Teil, 3. Kapitel, II. 4. 203 M. Schweitzer, Die Verwaltung der Europäischen Gemeinschaften, Die Verwaltung 1984, S. 137 (139 ff.); J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht – Entstehung und Entwicklung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft, 1. Aufl. 1988, Bd. I, S. 48; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 644; K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 116 ff.; R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 436 f., 460; B. Beutler in: B. Beutler/R. Bieber/J. Pipkorn/J. Streil (Hrsg.), Die Europäische Gemeinschaft, Rdnr. 121; M. Haag in: B. Beutler/R. Bieber/J. Pipkorn/J. Streil (Hrsg.), Die Europäische Gemeinschaft, Rdnr. 385. 204 BVerfGE 89, 155 (210); M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, Rdnr. 335 ff.; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 513 ff.; K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 118 ff., 122, 127; E. Grabitz, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 235 (alt), Rdnr. 2, 11. 205 EuGH v. 21.09.1983 – verb. Rs. 205 bis 215/82 (Deutsche Milchkontor GmbH u. a./Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1983, 2633 (Rdnr. 17); H. W. Renge-

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

unmittelbare Vollzug des Gemeinschaftsrechts durch die Kommission oder den Rat gegenüber Individuen oder Mitgliedstaaten möglich.206 Ausdrückliche Befugnisse für einen unmittelbaren Vollzug des Gemeinschaftsrechts sieht der Vertrag nur in sehr begrenztem Umfang vor.207 Dazu zählt in erster Linie das Kartell- und Beihilfenrecht im Rahmen des europäischen Wettbewerbsrechts.208 Darüber hinaus unterliegt die Verwaltung der gemeinschaftsinternen Organisation, wie Personalangelegenheiten oder Haushaltsvollzug, dem jeweiligen Organ.209 Dies führt zu der im folgenden Abschnitt behandelten Frage, ob der Rat die Verordnung 2309/93/EWG rechtmäßig auf Artikel 235 EGV (jetzt Artikel 308 EG) gestützt hat. Inwieweit gibt also Artikel 308 EG dem Rat die Befugnis, ein zentrales Zulassungsverfahren einzuführen? b) Die Zulässigkeit von Artikel 308 EG als Grundlage für die Einführung eines zentralen Zulassungsverfahrens Der Rat kann die Verordnung 2309/93/EWG nur auf Artikel 235 EGV (jetzt Artikel 308 EG) stützen, wenn „ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich“ erscheint, „um im Rahmen des gemeinsamen Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen, und [. . .] in diesem Vertrag die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen“ sind. Der Vertrag darf somit keine spezielleren Bestimmungen zur Verwirklichung des Binnenmarktes für Arzneimittel vorsehen; denn Artikel 308 EG ist nur subsidiär anwendbar. Das kann zum einen bedeuten, daß der Vertrag ling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1977, S. 8 ff.; M. Schweitzer, Die Verwaltung der Europäischen Gemeinschaften, Die Verwaltung 1984, S. 137 (141 f.); ders., Einleitung in: M. Schweitzer (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsrecht, 1. Aufl. 1991, S. 26; M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, Rdnr. 425; J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. I, S. 48; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 636 ff., 640; R. Streinz, Vollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts, HStR, Bd. VII, 1992, § 182, Rdnr. 4, 19 ff.; ders., Europarecht, Rdnr. 464; H. D. Jarass, Die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, AöR 1996, S. 173 (182); R. Wahl/D. Groß, Europäisierung des Genehmigungsrechts, DVBl. 1998, S. 2 (10); W. Kahl, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 10 Rdnr. 23. 206 M. Schweitzer, Die Verwaltung der Europäischen Gemeinschaften, Die Verwaltung 1984, S. 137 (139 ff.); M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, Rdnr. 425 f. 207 H. W. Rengeling, Quellen des Verwaltungsrechts, S. 89; R. Bieber, Die Verwaltungsorganisation der Europäischen Gemeinschaften, S. 96 f. 208 R. Bieber, Die Verwaltungsorganisation der Europäischen Gemeinschaften, S. 96 f., 100; R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 466; W. Kahl, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 10 Rdnr. 23. 209 R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 465.

2. Kap.: Die Harmonisierung der Arzneimittelzulassung

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keine spezifische Befugnis vorsieht oder zum anderen wohl eine spezifische Befugnis vorsieht, diese jedoch entweder materiell oder instrumentell zur Zielverwirklichung nicht ausreicht.210 Auch eine, allerdings zu kritisierende, kumulative Anwendung ist nach der herrschenden Lehre möglich.211 Darüber hinaus muß die Errichtung des Binnenmarktes für Arzneimittel ein Ziel der Gemeinschaft im Rahmen des Gemeinsamen Marktes sein. Ebenso muß das Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich sein, um dieses Ziel zu verwirklichen.212 Als speziellere Vorschriften könnten die Angleichungsmaßnahmen nach den Artikeln 94 oder 95 EG sowie die Vorschriften zum Gesundheits- und Verbraucherschutz aus den Artikeln 152 EG und 153 EG in Frage kommen. Die neuen Zulassungsverfahren können jedoch nicht als Rechtsangleichungsmaßnahme eingestuft werden;213 denn es wird vielmehr ein neues Verfahren eingeführt. Dieses führt zu einer Zulassung, die von der Kommission erteilt wird und ohne weitere Anerkennung durch die Mitgliedstaaten gemeinschaftsweit gilt. Die Mitgliedstaaten verlieren für den Anwendungsbereich der zentralen Zulassung ihre Befugnisse. Die Artikel 152 EG und 153 EG betreffen zwar den Gesundheits- und Verbraucherschutz, die Einführung eines zentralen Zulassungsverfahrens geht allerdings über die in diesen Artikeln festgesetzten Befugnisse hinaus.214 Zunächst ist zu berücksichtigen, daß der Vertrag es der Gemeinschaft nicht ermöglicht, über Artikel 152 EG oder Artikel 153 EG eine originäre Schutzpflichtpolitik durchzuführen.215 Die beiden Artikel ergänzen vielmehr eine mitgliedstaatliche Gesundheits- und Verbraucherschutzpolitik.216 Das zentrale Zulassungsverfahren würde aber die mitgliedstaatliche 210

M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 308 Rdnr.

46 ff. 211 Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 525; M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 308 Rdnr. 48 ff. 212 Die ausführliche Darstellung der Voraussetzungen des Artikel 308 EG erfolgt aufgrund der komplexen Frage nach der Befugnis der Gemeinschaft zur Errichtung der Europäischen Arzneimittelagentur im 3. Teil, 3. Kapitel, II. u. III. 213 Ausführlicher dazu 3. Teil, 3. Kapitel, II.; R. Wahl/D. Groß, Europäisierung des Genehmigungsrechts, DVBl. 1998, S. 2 (10 f.); so auch Ch. König/E. Müller, 5 Jahre EMEA – ein Zwischenruf auf die gemeinschaftlichen Zulassungsverfahren für Arzneimittel, Pharma Recht 2000, S. 148 (151). 214 Dazu auch 3. Teil, 3. Kapitel, II. 215 J. C. Wichert, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 152 Rdnr. 6 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 353 ff.; J. Moreau/D. Truchet, Droit de la santé publique, S. 38 f., 42; H. Stein, Ziele und Maßnahmen europäischer Gesundheitspolitik, S. 377 ff., 380 ff. 216 K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 131.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Politik für technologisch hochwertige Arzneimittel ablösen und somit nicht ergänzen. Der Hauptanwendungsbereich von Artikel 152 EG betrifft die Gesundheitsprävention von schwerwiegenden Krankheiten und Drogenabhängigkeit. Die Gemeinschaft koordiniert im wesentlichen die Programme der verschiedenen Mitgliedstaaten und auch Drittländer. Nach Artikel 152 Abs. 4 lit. c EG fallen Maßnahmen der Gemeinschaft, die den Schutz und die Verbesserung der menschlichen Gesundheit betreffen, nicht unter die in Artikel 249 EG genannten Rechtsakte. Die Fördermaßnahmen zum Schutz der Gesundheit schließen daher jede Harmonisierung aus (Artikel 152 Abs. 4 lit. c EG).217 Weil aber die Einführung eines zentralen Zulassungsverfahrens über eine Harmonisierung mitgliedstaatlicher Vorschriften hinausgeht, kann eine weitere Diskussion um den Begriff der „Fördermaßnahmen“ dahingestellt bleiben. Die möglichen Maßnahmen zur Festlegung hoher Qualitätsstandards im Rahmen von Artikel 152 Abs. 4 lit. a EG beinhalten wohl Rechtsangleichungsmaßnahmen, betreffen aber ausschließlich Organe, Substanzen menschlichen Ursprungs sowie Blut und Blutderivate; zum anderen ermöglichen sie den Mitgliedstaaten weiterhin eigene nationale Schutzmaßnahmen. Die zentrale Zulassung betrifft jedoch überwiegend hochtechnologische Arzneimittel und nicht Organe, Substanzen menschlichen Ursprungs oder Blut und Blutderivate. Zudem würde es dem Ziel, den Binnenmarkt für Arzneimittel zu verwirklichen zuwiderlaufen, könnten die Mitgliedstaaten wie in Artikel 152 EG vorgesehen, einen nationalen Sonderweg einschlagen. Artikel 152 EG gibt der Gemeinschaft deshalb keine ausreichende Rechtsgrundlage, eine zentrales Zulassungssystem für Arzneimittel einzuführen.218 Artikel 153 EG betrifft den Verbraucherschutz. Die arzneimittelrechtlichen Regelungen der Gemeinschaft dienen neben der Verwirklichung des 217 A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 2711 ff.; J. C. Wichert, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 152 Rdnr. 16 f., 26; S. Ringel, Das deutsche und gemeinschaftliche Lebensmittelrecht als Sicherheitsrecht, S. 81; H. Stein, Ziele und Maßnahmen europäischer Gesundheitspolitik, S. 380 ff.; andere Ansicht: Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1257, 2056; W. Berg, Gesundheitsschutz als Aufgabe der EU, S. 438 ff.; ders., in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Artikel 152 Rdnr. 19, 29 ff.; K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 129 ff., 132 f. 218 Juristischer Dienst des Rates, Ratsdokument 9525/91, S. 11 f.; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1257; K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 129; J. C. Wichert, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 152 Rdnr. 16 f., 24 f., Artikel 153 Rdnr. 3, 13 f.; W. Berg, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Artikel 152 Rdnr. 30 ff., Artikel 153 Rdnr. 11, 18.

2. Kap.: Die Harmonisierung der Arzneimittelzulassung

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freien Warenverkehrs dem Gesundheitsschutz. Ein verbraucherschutzrechtliches Argument anzuführen, insbesondere, wenn es eine eigene Vorschrift zum Gesundheitsschutz im Gemeinschaftsrecht gibt, wäre lediglich ein Hilfskonstrukt. Sonst könnte beides in einer Vorschrift zusammengefaßt werden. Artikel 153 EG unterscheidet zwischen binnenmarktabhängigen (Artikel 153 Abs. 3 lit. a) und binnenmarktunabhängigen (Artikel 153 Abs. 3 lit. b) Maßnahmen.219 Bei den binnenmarktabhängigen Maßnahmen nach Artikel 153 EG handelt es sich um Maßnahmen, welche die Verwirklichung des Binnenmarktes fördern und in dessen Rahmen die Gemeinschaft lediglich eine akzessorische Gesundheits- und Verbraucherschutzpolitik verfolgen kann.220 Die Regelungen über die Zulassung von Arzneimitteln betreffen auch den freien Warenverkehr, weshalb Artikel 95 EG die Gemeinschaft befugt, Maßnahmen zu erlassen. Insoweit Artikel 153 EG auf die Möglichkeit verweist, Maßnahmen nach Artikel 95 EG ergreifen zu können, sorgt die Vorschrift lediglich für Klarstellung.221 Auf binnenmarktunabhängige Maßnahmen nach Artikel 153 EG wird daher nicht weiter eingegangen. Weil Arzneimittel nicht vom Warenbegriff des Artikel 28 EG ausgenommen sind, gelten auch für sie die Vorschriften zur Warenverkehrsfreiheit sowie die über die Errichtung des Binnenmarktes.222 Unabhängig von der Begriffsabgrenzung Binnenmarkt zu Gemeinsamem Markt ist es soweit unstrittig, daß die Errichtung des Binnenmarktes und die Verwirklichung der Warenverkehrsfreiheit Ziele im Rahmen des Gemeinsamen Marktes sind.223 219 J. C. Wichert, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 153 Rdnr. 17; W. Berg, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Artikel 152 Rdnr. 3. 220 A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 2720 f.; A. Epiney, in: B. Beutler/R. Bieber/J. Pipkorn/J. Streil (Hrsg.), Die Europäische Union, Rdnr. 1156; J. C. Wichert, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 153 Rdnr. 13 ff.; W. Berg, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Artikel 153 Rdnr. 10 f. 221 A. Epiney, in: B. Beutler/R. Bieber/J. Pipkorn/J. Streil (Hrsg.), Die Europäische Union, Rdnr. 1156; J. C. Wichert, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/ EGV, Artikel 153 Rdnr. 13 ff.; W. Berg, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Artikel 153 Rdnr. 10 f. 222 Bericht der Kommission über die Erfahrungen mit den Verfahren zur Erteilung von Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln gemäß Verordnung (EWG) Nr. 2309/93, Kapitel III der Richtlinie 75/319/EWG und Kapitel IV der Richtlinie 81/851/EWG – Bericht gemäß Artikel 71 der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93, v. 23.10.2001 (KOM(2001) 606 endg.), Einleitung; Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1), Richtlinie 75/319/EWG (ABl. Nr. L 147 v. 09.06.1975, S. 13), Richtlinie 81/851/EWG (ABl. Nr. L 317 v. 06.11.1981, S. 1). 223 Dazu auch 3. Teil, 3. Kapitel, II. 2.; EuGH v. 13.07.1966 – verb. Rs. 56 u. 58/64 (Consten GmbH u. Grundig-Verkaufs-GmbH/Kommission der EWG), Slg. 1966, 321 (389 f.); EuGH v. 12.07.1973 – Rs. 8/73 (Hauptzollamt Bremerhaven/MasseyFerguson), Slg. 1973, 897 (Rdnr. 3); L.-J. Constantinesco, Das Recht der Euro-

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Das bisher bestehende dezentrale Verfahren, das die gegenseitige Anerkennung von nationalen Zulassungen vorsieht, konnte den freien Warenverkehr und den Binnenmarkt für Arzneimittel nicht verwirklichen. Ein gleichzeitiges Inverkehrbringen eines Arzneimittels in der gesamten Gemeinschaft war durch dieses Verfahren nicht möglich. Daher wird ein zentrales Genehmigungsverfahren mit einer zentral erteilten Zulassung als ein weiterer Schritt zur Verwirklichung des Binnenmarktes für Arzneimittel angesehen.224 Das zentrale Zulassungsverfahren und die unmittelbare Vollzugskompetenz der Kommission dürfen nicht unverhältnismäßig in die Vollzugskompetenz der Mitgliedstaaten eingreifen.225 Die Gemeinschaft hat auch hier das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu berücksichtigen. Hier ist bedeutsam, daß das zentrale Verfahren nur einem bestimmten Teil von Arzneimitteln offen steht. Der überwiegende Teil der zulassungspflichtigen Arzneimittel wird nach dem dezentralen Verfahren zugelassen. Um Bedenken der Mitgliedstaaten, daß das Gesundheitsschutzniveau absinken könnte, auszuräumen und unter Berücksichtigung der bisherigen Erfahrungen zur gegenseitigen Anerkennung von mitgliedstaatlichen Zulassungen, erscheint ein zentrales Zulassungsverfahren, welches die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten einbezieht, geeignet und auch erforderlich, den freien Verkehr von Arzneimitteln in der Gemeinschaft zu verwirklichen.226 Die obigen Ausführungen haben gezeigt, daß der Rat für Arzneimittel die Befugnis zum unmittelbaren Vollzug des Verwaltungsrechts hat. Es schließt sich nun daran die Frage an, ob er diese auch auf die Kommission delegieren kann. Schließlich ist es Aufgabe der Kommission, die Entscheidung vorzubereiten und sie auch zu vollziehen. päischen Gemeinschaft I, 1. Aufl. 1977, S. 274; E. Grabitz, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 235 (alt), Rdnr. 18, 25, 34 f., 58. 224 D. Hart, Produktrecht, S. 33, 39 ff.; S. Guerrier/J. Rousselot, Le médicament en France et dans le monde: stratégies et marchés, Problèmes économiques 1994, S. 6 (11); A. Earl-Slater, A study of pharmaceutical policies in the EU, Policy Studies 1997, S. 251 (253 f., 266); H. Blasius/H. Cranz, Arzneimittel und Recht in Europa, S. 40 ff.; G. Nicolaysen, Europarecht II, S. 122; Ch. König/E. Müller, 5 Jahre EMEA – ein Zwischenruf auf die gemeinschaftlichen Zulassungsverfahren für Arzneimittel, Pharma Recht 2000, S. 148 (148 f., 158). Den wenn auch geringen Erfolg bestätigt die Kommission in ihrem Bericht über die Erfahrungen mit den Verfahren zur Erteilung von Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln gemäß Verordnung (EWG) Nr. 2309/93, Kapitel III der Richtlinie 75/319/ EWG und Kapitel IV der Richtlinie 81/851/EWG – Bericht gemäß Artikel 71 der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93, v. 23.10.2001 (KOM(2001)606 endg.), S. 12 f. 225 Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 644. 226 P. Deboyser, Les nouvelles procédures communautaires pour l’autorisation et la surveillance des médicaments, Revue du Marché Unique et Européen 1995, S. 31 (77 f.).

2. Kap.: Die Harmonisierung der Arzneimittelzulassung

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Die Rolle der Europäischen Arzneimittelagentur und die Befugnis der Europäischen Gemeinschaft zu ihrer Gründung wird hierbei außer acht gelassen. Aufgrund ihrer Bedeutung werden diese Fragen anschließend im 3. Kapitel kritisch untersucht. c) Die zentrale Zulassung als unmittelbarer Vollzug des Gemeinschaftsrechts Der Rat kann die Durchführung des Gemeinschaftsrechts auf die Kommission übertragen. Dies ergibt sich aus Artikel 211, 4. Sp. EG, der mit Artikel 202, 3. Sp. EG korrespondiert.227 Artikel 202 EG enthält die ausdrückliche Befugnis des Rates, der Kommission die Durchführung des Gemeinschaftsrecht zu übertragen. So erfolgt der Vollzug des Gemeinschaftsrechts in der Regel durch die Kommission, während der Rat das Gemeinschaftsrecht lediglich in Ausnahmefällen vollzieht.228 Damit soll eine Trennung von „Gesetzgebung“ und „Verwaltung“ erreicht werden. Zusätzlich kann das Gemeinschaftsrecht auch durch Verwaltungsstellen mit eigener Rechtspersönlichkeit, wie die Europäische Arzneimittelagentur, vollzogen werden.229 Neben den vertraglichen Vorschriften230 kann die Durchführungsbefugnis der Kommission auch aus Rechtsakten des Rates resultieren.231 Diese Durchführungsbefugnisse der Kommission können den Verwaltungsvollzug einschließen.232 Darüber hinaus hat der Europäische Gerichtshof der Kommission den Erlaß individueller Rechtsakte für den Einzelfall über 227 R. Bieber, Die Verwaltungsorganisation der Europäischen Gemeinschaften, S. 96; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 657; R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 468; J. C. Wichard, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 202 Rdnr. 5. 228 Zum Vollzug des Gemeinschaftsrechts siehe auch M. Schweitzer, Die Verwaltung der Europäischen Gemeinschaften, Die Verwaltung 1984, S. 137 (150 f.); Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 638 ff.; R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 453 ff.; R. Bieber in: B. Beutler/R. Bieber/J. Pipkorn/J. Streil (Hrsg.), Die Europäische Gemeinschaft, Rdnr. 456. 229 R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 468. 230 Überwiegend in der Wettbewerbspolitik (Artikel 83, 85 u. 88 EG), der Haushaltsführung (Artikel 274 EG), der Sozialpolitik (Artikel 144 EG) oder von Auskunftsrechten (Artikel 284 EG). 231 Im Gegensatz zum Rat muß die Kommission nicht als ganzes Gremium handeln. Sie kann die Aufgaben auf einzelne Kommissare übertragen. R. Bieber, Die Verwaltungsorganisation der Europäischen Gemeinschaften, S. 99, 101. 232 EuGH v. 24.10.1989 – Rs. 16/88 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Rat der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1989, 3457 (Rdnr. 11); R. Bieber, Die Verwaltungsorganisation der Europäischen Gemeinschaften, S. 96; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 657 f.; kritisch zum verwaltungsmäßigen Vollzug H. D. Jarass, Die Kompetenzverteilung, AöR 1996, S. 173 (182 f.).

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Artikel 202, 3. Sp. EG zugestanden.233 Der Gerichtshof versteht unter dem Begriff der Durchführung sowohl die Ausarbeitung von Vorschriften als auch die Anwendung von Vorschriften für den Einzelfall durch den Erlaß individueller Rechtsakte.234 Wie oben dargestellt, ist die zentrale Zulassung ein gemeinschaftlicher Verwaltungsakt, der gegenüber einem Einzelnen erteilt wird. Es handelt sich damit um einen individuellen Rechtsakt. Obwohl das Verfahren der zentralen Zulassung systematisiert und institutionalisiert ist, ist der Zugang zum Verfahren auf bestimmte Arzneimittel beschränkt. Der überwiegende Teil der Arzneimittel kann nur nach dem dezentralen Verfahren zugelassen werden. Allerdings kann der Rat bestimmte Regeln zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts treffen. Er hat dies erstmals in seinem „KomitologieBeschluß“235 getan. Dieser ist abgelöst worden durch den Beschluß vom 28. Juni 1999.236 Dieser neue Beschluß enthält als wichtigsten Punkt die Unterrichtung des Europäischen Parlaments über die Tätigkeit der verschiedenen Ausschüsse, die die Kommission mit der Durchführung des Gemeinschaftsrechts unterstützen. Die Kommission wird im Zulassungsverfahren237 für die endgültige Entscheidungsfindung von dem Ständigen Ausschuß unterstützt. Dieser ist als Regelungsausschuß im Wege des Regelungsverfahrens nach Artikel 5 des Beschlusses 1999/468/EG angelegt. Der Ausschuß unterstützt die Kommission, übernimmt aber nicht die endgültige Entscheidung. Allerdings hat ein negatives Votum des Ausschusses zur Folge, daß die endgültige Entscheidung wieder beim Rat liegt und das Europäische Parlament benachrichtigt werden muß. Hat das Parlament Bedenken über den Umfang der Kommissionsbefugnis, richtet es seine Stellungnahme an den Rat. Dieses Verfahren zur endgültigen Entscheidungsfindung scheint sehr aufwendig im Vergleich zu den nationalen Verfahren. Um aber die Befugnisse der Gemeinschaft im unmittelbaren Verwaltungsvollzug nicht zu verletzen, 233 EuGH v. 24.10.1989 – Rs. 16/88 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Rat der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1989, 3457 (Rdnr. 10 f.); dazu auch Th. Oppermann, Europarecht, 1999, Rdnr. 636 ff. 234 EuGH v. 24.10.1989 – Rs. 16/88 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Rat der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1989, 3457 (Rdnr. 11, 15 ff.). 235 Beschluß 87/373/EWG des Rates v. 13.07.1987 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (ABl. Nr. L 197 v. 18.07.1987, S. 33). 236 Beschluß 1999/468/EG des Rates v. 28.06.1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (ABl. Nr. L 184 v. 17.07.1999, S. 23). 237 Das ist im zentralen Zulassungsverfahren regelmäßig der Fall. Im dezentralen nur, wenn das Schiedsverfahren durchgeführt wird (Artikel 34 Abs. 1 in Verb. mit Artikel 121 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG).

2. Kap.: Die Harmonisierung der Arzneimittelzulassung

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muß dieses Verfahren jedoch so umfangreich ausgestaltet werden.238 Es wird sich in der Zukunft noch zeigen, ob es vor allem nach einer Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft auch noch praktikabel erscheint. Insgesamt läßt sich festhalten, daß die Erteilung der Zulassung durch die Gemeinschaftsorgane im Rahmen der Verordnung 2309/93/EWG auf Artikel 235 EGV (jetzt Artikel 308 EG) gestützt werden konnte. Die Betreuung der Kommission und die Einschaltung des Ständigen Ausschusses mit der Durchführung des zentralen Zulassungsverfahrens liegt ebenfalls in der Befugnis des Rates. Daher hat auch die Kommission mit der Erteilung der Zulassung ihre Befugnisse nicht überschritten, solange sie damit das Ziel verfolgt, den Binnenmarkt für Arzneimittel zu verwirklichen. Sie hat dabei ein hohes Gesundheitsschutzniveau zu wahren und kann insoweit auch entsprechende Maßnahmen ergreifen, um dieses für Arzneimittel zu sichern. Sie kann jedoch nicht allein aus gesundheitsschützenden Aspekten die Zulassung von Arzneimitteln an sich ziehen. Eine solche Maßnahme wäre durch die Befugnisse des Vertrages nicht gedeckt. Die Artikel 152 und 153 EG zum Gesundheits- und Verbraucherschutz erlauben keine originäre Schutzpflichtpolitik der Gemeinschaft.239 Die Gemeinschaft kann aufgrund ihrer funktionalen Staatlichkeit lediglich im Rahmen ihrer Aufgaben und Befugnisse tätig werden.240 Daher sind in erster Linie immer noch die Mitgliedstaaten verpflichtet, das Leben und die Gesundheit zu schützen. II. Deutschland Maßgeblich für das Inverkehrbringen241 von Arzneimitteln ist in Deutschland das Arzneimittelgesetz (AMG).242 Der Zweck des Arzneimittelgesetzes ist, „im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimit238

Neben der Befugnis zur Durchführung des Zulassungsverfahrens hat die Europäische Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft das Zulassungsverfahren an rechtsstaatlichen Grundsätzen auszurichten. Zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die sie deshalb zu wahren hat, zählen neben den Grundrechten auch der Anspruch auf rechtliches Gehör, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie der Gleichheitssatz J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 838 ff., 915 f.; H. W. Rengeling, Quellen des Verwaltungsrechts, S. 41 f.; A. Weber, Das Verwaltungsverfahren, S. 72 ff., 75 f.; für das gemeinschaftliche Zulassungsverfahren von Arzneimitteln siehe B. Collatz, Die neuen europäischen Zulassungsverfahren für Arzneimittel, S. 109 ff., 125 ff. 239 A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 353 ff.; J. Moreau/D. Truchet, Droit de la santé publique, S. 42. 240 BVerfGE 89, 155 ff. (210); K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 118 ff.; E. Grabitz, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 235 (alt), Rdnr. 1 f., 11.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

teln, insbesondere für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel nach Maßgabe der folgenden Vorschriften zu sorgen“ (§ 1 AMG). Das heißt, es sollen unwirksame und bedenkliche Arzneimittel243 vom Markt ferngehalten werden. Das heißt aber auch, daß wirksame und innovative Arzneimittel in möglichst kurzer Zeit den Patienten zugänglich gemacht werden sollen, ohne den Gesundheitsschutz zu vernachlässigen.244 Deshalb darf ein Arzneimittel erst in den Verkehr gebracht werden, wenn es zugelassen245 ist. Die Zulassung erteilt die zuständige Bundesoberbehörde oder die Kommission oder der Rat der Europäischen Gemeinschaften246 nach der Verordnung 2309/93/EWG (§ 21 Abs. 1 AMG). Die zuständige Bundesoberbehörde (§ 77 AMG) für Humanarzneimittel ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Das Institut, mit Sitz in Bonn, ist eine selbständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit, deren Aufgabenschwerpunkt die Bearbeitung der Zulassungsanträge von Arzneimitteln ist. Zu den weiteren Aufgaben des Instituts zählt die Registrierung homöopathischer Arzneimittel, die Risikoerfassung und -bewertung, die Überwachung des legalen Verkehrs mit Betäubungsmitteln und Grundstoffen, die Arbeiten zur Sicherheit für Medizinprodukte sowie die Beratung der Bundesregierung unter anderem in Fragen der Arzneimittel- und Medizinproduktesicherheit. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte muß innerhalb von sieben Monaten über den Zulassungsantrag entscheiden (§ 27 Abs. 1 AMG). Geht es um die Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat bereits erteilten Zulassung, bleiben der Behörde ab dem Erhalt des Beurteilungsberichts nur drei Mo241 Das Inverkehrbringen eines Arzneimittels „ist das Vorrätighalten zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe, das Feilhalten, das Feilbieten und die Abgabe an andere (§ 4 Nr. 17 AMG). 242 Eine kurze Übersicht bietet H. Jordan, Regulatory Affairs, S. 179 ff. 243 Unter „Arzneimittel“ wird in diesem Zusammenhang der im Arzneimittelgesetz definierte Terminus „Fertigarzneimittel“ verstanden, das sind nach der Definition in § 4 Abs. 1 AMG „Arzneimittel die im Voraus hergestellt werden und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden“. Der im europäischen Recht verwendet Begriff der Arzneispezialität entspricht dem Begriff der Fertigarzneimittel. 244 Bericht über die Erfahrungen mit dem Arzneimittelgesetz, BT-Drs. 9/1355 v. 12.02.1982, in: A. Sander/O. May, Kommentar zum AMG, A III, S. 60. 245 Der Begriff der „Zulassung“ im deutschen Recht entspricht dem im europäischen Recht verwendeten Terminus der „Genehmigung“ aus Artikel 6 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 246 § 21 Abs. 1 AMG i.V. m. § 37 Abs. 1 AMG stellt eine zentrale Zulassung nach der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1) der nationalen Zulassung gleich. C. König/E. Müller/A. Trafkowski, Internet-Handel mit Arzneimitteln, EWS 2000, S. 97 (98).

2. Kap.: Die Harmonisierung der Arzneimittelzulassung

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nate, um den Anerkennungsantrag zu bewerten (gemäß Artikel 18 der Richtlinie 2001/83/EG). Die Behörde beurteilt das Arzneimittel anhand des eingereichten Zulassungsantrages. Der Zulassungsantrag muß, unter Benutzung amtlicher Antragsformulare, die in § 22 AMG erschöpfend aufgezählten Zulassungsunterlagen enthalten. Grundsätzlich ist der Antrag in deutscher Sprache zu stellen. Eine Ausnahme besteht für die in § 22 Abs. 1 Nr. 11, 15 AMG sowie in den Absätzen 2 und 3 AMG genannten Unterlagen. Diese können auch in englischer Sprache eingereicht werden. Der Antragsteller muß die Zulassungsbehörde umfassend über alle Zulassungs- und zulassungsbezogenen Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten im Zeitpunkt der Antragstellung informieren (§ 22 Abs. 6 AMG). Dies kann auch in einer der anderen Sprachen der Europäischen Gemeinschaft erfolgen, wenn entweder das Original oder eine beglaubigte Kopie vorliegt.247 Im wesentlichen entsprechen die in § 22 AMG aufgeführten Angaben den Forderungen aus Artikel 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG. Allerdings geht § 22 AMG im Vergleich zur Richtlinie detaillierter auf die geforderten Unterlagen ein.248 Der Antragsteller muß in seinem Antrag darlegen, daß das Arzneimittel die inhaltlichen Kriterien der Zulassung erfüllt. Das heißt, er muß die nach den anerkannten pharmazeutischen Regeln249 angemessene Qualität250, Wirksamkeit251 und Unbedenklichkeit252 des Präparates nachweisen (§ 25 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 AMG). Der Nachweis von Qualität, Wirksamkeit und 247

A. Kloesel/W. Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 22 Anm. 10. So fordert Artikel 8 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) lediglich Angaben über die „mutmaßliche Dauer der Haltbarkeit“ sowie „Gründe für etwaige Vorsichts- und Sicherheitsmaßnahmen bei der Lagerung des Produkts“, während in § 22 Abs. 1 Nr. 14 Angaben über „die Art der Haltbarmachung, die Dauer der Haltbarkeit, die Art der Aufbewahrung, die Ergebnisse von Haltbarkeitsversuchen“ verlangt werden. Die Richtlinie 2001/83/EG verlangt auch keine Angaben zur Packungsgröße. Außerdem verlangt § 22 Abs. 2 AMG ausdrücklich, daß selbst die Unterlagen beizufügen sind, die das Arzneimittel ungünstig darstellen. 249 Die anerkannten pharmazeutischen Regeln ergeben sich aus den Bestimmungen des Arzneibuchs (§ 55 AMG) und der Betriebsverordnung (§ 54 AMG). Das Zusammenspiel der Elemente der „anerkannten pharmazeutischen Regeln“ ermöglicht einen permanenten Anpassungsprozeß der gesetzlichen Qualitätsanforderungen an die wissenschaftliche Fortentwicklung. 250 Die Legaldefinition der Qualität eines Arzneimittels ist in § 4 Abs. 15 AMG enthalten. Dabei handelt es sich um die materielle pharmazeutische Beschaffenheit des Präparates. Die Beschaffenheit eines Arzneimittels wird anhand von Identität, Gehalt, Reinheit, sonstigen chemischen, physikalischen, biologischen Eigenschaften und durch das Herstellungsverfahren bestimmt. 251 Der Begriff der Wirksamkeit ist im Arzneimittelgesetz nicht ausdrücklich definiert. Er ergibt sich jedoch aus der Verbindung der §§ 22, 24 und 25 AMG mit der Motivation und Zielsetzung des Gesetzgebers, ein materielles Zulassungsverfah248

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Unbedenklichkeit ist in den Arzneimittelprüfrichtlinien nach § 26 AMG geregelt, die vom Bundesministerium für Gesundheit erlassen werden.253 Der Qualitätsnachweis eines Arzneimittels ist eindeutig und unumstritten. Er erfolgt durch eine analytische Prüfung. Diese enthält physikalische, chemische, biologische und mikrobiologische Versuche. Die Zulassungsunterlagen müssen die Ergebnisse dieser Prüfungen enthalten sowie die zu ihrer Ermittlung angewandten Methoden (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 AMG). Problematischer ist die Prüfung und die Meßbarkeit der Wirksamkeit eines Arzneimittels.254 Die Wirksamkeit eines Präparates hängt mit seiner Wirkung zusammen. Unter der Wirkung eines Arzneimittels versteht man die Gesamtheit von Reaktionen, die in meßbarer, fühlbarer oder sonst erkennbarer Weise durch dieses Mittel bei Menschen und Tieren, in vivo oder in vitro ausgelöst wird.255 Dabei kann es sich um erwünschte und um unerwünschte Wirkungen handeln. Um nun die Wirksamkeit eines Arzneimittels zu beurteilen, werden die tatsächlich festgestellten Wirkungen eines Arzneimittels auf ein konkretes Behandlungsziel bezogen und bewertet.256 Wirksamkeit im Sinne der Zulassungsvorschriften bedeutet also, daß ein Mittel geeignet sein muß, um bei bestimmungsgemäßem Gebrauch einen therapeutischen Erfolg zu erzielen, wobei Zufalls- und Scheinmedikationserfolge ausgeschlossen sein müssen. Aufgrund dieser Zusammenhänge können für den Wirksamkeitsnachweis auch keine allgemein verbindlichen Prüfmethoden vorgeschrieben werden.257 Deshalb kann jede Aussage zur therapeutiren einzuführen. A. Kloesel/W. Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 25 Anm. 27 ff. 252 So ist nach § 5 Abs. 1 AMG das Inverkehrbringen von bedenklichen Arzneimitteln verboten. Bedenkliche Arzneimittel sind nach § 5 Abs. 2 AMG alle Arzneimittel, „bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, daß sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen“. 253 Damit wurden die Anforderungen zu den materiellen Zulassungskriterien aus der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) umgesetzt. Zur Arzneimittelprüfung siehe auch A. P. F. Ehlers/I. Weizel, Rechtsfragen bei der Durchführung klinischer Studien, S. 314 f., 316 ff., 325 f. 254 K. Henning, Der Nachweis der Wirksamkeit von Arzneimitteln, NJW 1978, S. 1671 (1672). 255 J. Schuster, Wirkung und Wirksamkeit, Pharma Recht 1981, S. 57 (57); U. Thier, Das Recht des EG-Arzneimittelmarktes und des freien Warenverkehrs: freier Warenverkehr in der EG, europäisches Arzneimittelsicherheitsrecht und das Verhältnis zu nationalem Arzneimittelpreis- und -versorgungsrecht unter besonderer Berücksichtigung des Rechts der BRD, 1990, S. 90; A. Kloesel/W. Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 25 Anm. 27. 256 J. Schuster, Wirkung und Wirksamkeit, Pharma Recht 1981, S. 57 (57); G. Fülgraff, Votum, S. 66 f.; U. Thier, Das Recht des EG-Arzneimittelmarktes und des freien Warenverkehrs, S. 90.

2. Kap.: Die Harmonisierung der Arzneimittelzulassung

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schen Wirksamkeit eines Arzneimittels lediglich als Wahrscheinlichkeitsaussage gewertet werden.258 Das dritte materielle Prüfkriterium ist der Nachweis der Unbedenklichkeit eines Arzneimittels.259 Dieser Nachweis ist das Ergebnis einer NutzenRisiko-Analyse.260 In dieser Analyse wird festgestellt, inwieweit die schädlichen Eigenschaften eines Arzneimittels über ein vertretbares Maß hinausgehen. Dabei gilt das Arzneimittel nicht durch schädliche Wirkungen als bedenklich, sondern durch die Unvertretbarkeit der schädlichen Wirkungen gegenüber der Wirksamkeit des Arzneimittels im Hinblick auf die Schwere der Krankheit.261 Die Gewichtung von Nutzen und Risiko wird vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte vorgenommen. und kann die bereits am Markt vorhandenen Präparate berücksichtigen.262 Liegt nach Ansicht der Behörde die erforderliche Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels vor und sind die Antragsunterlagen 257

Ausschußbericht des BMJFG, auszugsweise in: A. Kloesel/W. Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 25 Bl. 49; K. Henning, Der Nachweis der Wirksamkeit von Arzneimitteln, NJW 1978, S. 1671 (1675). 258 A. Kloesel/W. Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 25 Anm. 28 ff. 259 Das deutsche Recht spricht zwar nicht wie Artikel 26 lit. a der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) von Unschädlichkeit, sondern von Unbedenklichkeit. Allerdings ist ein Arzneimittel in den seltensten Fällen gänzlich unschädlich. Damit ist der Begriff der Unbedenklichkeit im Wesentlichen identisch mit dem Begriff der Unschädlichkeit, in Abwägung von Wirksamkeit zu Schädlichkeit. G. Glaeske/D. Hart/H. Merkel, Regulierung des europäischen Arzneimittelmarktes durch nationales und europäisches Zulassungs- und Nachmarktkontrollrecht, in: N. Reich (Hrsg.), Die Europäisierung des Arzneimittelmarktes – Chancen und Risiken, 1. Aufl. 1988, S. 31; J. Schuster, Votum zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit, S. 56. 260 Dazu werden die möglichen unerwünschten Wirkungen zu dem zu erwartenden therapeutischen Erfolg und dem Ziel der Therapie in Beziehung gesetzt. Die gebotene Abwägung von Nutzen und Risiko eines Arzneimittels kann nur nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis erfolgen. Deshalb kann ein Urteil über ein Arzneimittel häufig nur vorläufig sein und ist gegebenenfalls aufgrund neuer Erkenntnisse zu modifizieren. Bericht über die Erfahrungen mit dem Arzneimittelgesetz (BT-Drs. 9/1355 v. 12.02.1982, in: A. Sander/O. May, Kommentar zum AMG, A III, S. 62); U. Thier, Das Recht des EG-Arzneimittelmarktes und des freien Warenverkehrs, S. 103. 261 G. Fülgraff, Votum, S. 60 f. 262 Die Nutzen-Risiko-Analyse kann die bereits am Markt befindlichen Präparate berücksichtigen. Es liegt im Ermessen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, in welchem konkreten Fall es die therapeutische Gleichwertigkeit als Kriterium für die Nutzen-Risiko-Analyse heranzieht. Das bedeutet jedoch nicht, daß Arzneimitteln mit einer schlechteren Nutzen-Risiko-Bilanz als vergleichbare, bereits zugelassene Arzneimittel der Marktzugang grundsätzlich verwehrt ist. Dabei handelt es sich aber nicht um eine nach dem Gesetz unzulässige Bedürfnisprüfung. U. Thier, Das Recht des EG-Arzneimittelmarktes und des freien Warenverkehrs, S. 106 f.; A. Kloesel/W. Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 25 Anm. 55.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

vollständig, so muß die Behörde die Zulassung erteilen (§ 25 AMG).263 Die Gründe für eine Versagung der Zulassung sind in § 25 Abs. 2 AMG abschließend aufgeführt.264 Die Zulassung eines Arzneimittels gilt für fünf Jahre. Spätestens drei Monate vor Ablauf der Frist muß ein Antrag auf Verlängerung gestellt werden.265 Die Richtlinien für die Zulassung eines Arzneimittels wurden vollständig in nationales Recht umgesetzt.266 Einige Vorschriften, wie § 22 AMG oder § 25 AMG sind detaillierter als die entsprechenden Artikel der Richtlinien.267 Der Begriff der Unschädlichkeit wird im deutschen Arzneimittelgesetz nicht verwendet, entspricht aber dem Begriff der Unbedenklichkeit. Allerdings ist vor allem § 25 AMG, der die Versagensgründe für eine Zulassung abschließend aufführt, durch offene Rechtsbegriffe gekennzeichnet. Darüber hinaus sind Analysen und Abwägungen notwendig, in die höchstpersönliche Wertungen als mitentscheidende Faktoren einfließen. Daher können innerhalb der Gemeinschaft für ein und dasselbe Arzneimittel unterschiedliche Entscheidungen für ein Arzneimittel getroffen werden.268 Dies ist für die Verwirklichung des Binnenmarktes für Arzneimittel nicht gerade förderlich und trägt zu einer Verunsicherung der Patienten bei. 263 Die Zulassung eines Arzneimittels ist ein begünstigender Verwaltungsakt in Form eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt. Nach § 35 Abs. 1 S. 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt „jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist“. Ein begünstigender Verwaltungsaktes ist gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 VwVfG: „Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlichen erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt“. Der Antragsteller hat deshalb einen Rechtsanspruch auf die Zulassung seines Arzneimittels, wenn er die Voraussetzungen erfüllt. K. A. Schachtschneider (A. Emmerich-Fritsche/M. Kläver/P. Wollenschläger), Grundbegriffe des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 4 ff., 9 ff., 18 f.; H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rdnr. 5 ff., 47; H.-U. Erichsen, Das Verwaltungshandeln, S. 186 ff.; F. Kopp/U. Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 35 Rdnr. 25 ff., 47, 68 f. u. § 48 Rdnr. 61; H. Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, S. 354 ff.; A. Kloesel/W. Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 21 Anm. 40 u. § 25 Anm. 1. 264 § 25 AMG nach Maßgabe von Artikel 18 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 265 § 30 Abs. 1 Nr. 3 AMG aus Artikel 24 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 266 Siehe dazu auch die Amtliche Begründung zum 4. Änderungsgesetz betreffend § 25 Abs. 5 a, b und c AMG; A. Gawrich/R. Ziller, Die wesentlichen Regelungsinhalte der 7. und 8. AMG-Novelle, Pharma Recht 1998, S. 374 (375). 267 Artikel 8 oder 26 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 268 Kloesel/Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 25 Anm. 36, 27.

2. Kap.: Die Harmonisierung der Arzneimittelzulassung

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III. Frankreich In Frankreich ist die Verpflichtung aus Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG, daß Arzneimittel nur in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sie dazu von der zuständigen Behörde eine Genehmigung erhalten haben, in Artikel L.5121-8 C.S.P. umgesetzt worden. Danach bedarf jedes Arzneimittel, das nicht gemäß der Verordnung 2309/93/EWG zugelassen ist, vor seinem Inverkehrbringen oder Vertrieb, gleichgültig ob kostenlos oder im Groß- oder Einzelhandel, einer Zulassung durch die Agènce française de sécurité sanitaire des produits de santé, nachfolgend französische Agentur genannt. Die französische Agentur, die dem Gesundheitsministerium untersteht, ist für die Einhaltung der Regelungen zuständig, die Gesundheitsprodukte zur menschlichen Anwendung betreffen (Artikel L.5311-1 C.S.P.). Dazu zählen vor allem Arzneimittel, diagnostische Mittel, Organe, Genprodukte, dietätische Lebensmittel, Kosmetika, Insektizide, bestimmte Desinfektionsmittel sowie Mittel zur Reinigung und Pflege von Kontaktlinsen. Ihre Tätigkeitsfelder umfassen im Einzelnen die Kontrolle und Anwendung der Gesetze und Richtlinien zu Versuchen und Studien von neuen oder in der Entwicklung befindlichen Produkten, zur Herstellung von Gesundheitsprodukten, zur Werbung, zu Import und Export, die Erstellung von Nutzen-Risiko-Analysen, die Erteilung oder Rücknahme der Genehmigung für das Inverkehrbringen von Produkten sowie die Überwachung der auf dem Markt befindlichen Gesundheitsprodukte (Artikel L 5311-1 C.S.P.). Sie stellt der Öffentlichkeit für jedes neue Arzneimittel Informationsmaterial zur Verfügung und organisiert in regelmäßigen Abständen Konferenzen mit Patienten- und Verbraucherschutzverbänden zu dem Thema der Produktsicherheit und sie verfaßt einen Jahresbericht ihrer Aktivitäten für das Parlament und die Regierung. Die Agentur nimmt auch die Aufgaben einer Gesundheitspolizei wahr. Sollten von einem Produkt gesundheitliche Risiken ausgehen oder auch nur ein Verdacht dafür bestehen, ist die französische Agentur berechtigt, einzuschreiten und notfalls dieses Produkt aus dem Markt zu nehmen (Artikel L.5311-1 C.S.P., Artikel L.5311-2 und Artikel L.5312-1 C.S.P. bis Artikel L.5312-4 C.S.P.). Somit ist die französische Agentur für alle wichtigen Belange des Arzneimittelbereiches wie Zulassung, Preisfestsetzung, Werbung, Qualitäts- und Nachmarktkontrolle zuständig (Artikel R.5128 C.S.P. und Artikel R.5134 C.S.P.). Der pharmazeutische Unternehmer richtet den Zulassungsantrag an den Generaldirektor der französischen Agentur (Artikel R.5128 C.S.P.). Der Generaldirektor der französischen Agentur muß die Entscheidung über den Zulassungsantrag spätestens nach 210 Tagen bekannt geben (Artikel R.5135 C.S.P.). Er hat die Möglichkeit, die Genehmigung für das Inverkehrbringen

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

eines Arzneimittels mit Auflagen zu versehen (Artikel L.5121-8 Abs. 3 C.S.P. und Artikel L.5121-9 C.S.P.) Die Zulassung ist auch in Frankreich fünf Jahre gültig und kann auf Antrag bei der französischen Agentur verlängert werden (Artikel L.5121-8 Abs. 2 C.S.P.). Erhält die französische Agentur einen Antrag auf Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat erteilten Zulassung, so hat der Generaldirektor innerhalb von 120 Tagen seine Zustimmung oder Ablehnung bekannt zu geben. Die Anforderungen an den Zulassungsantrag sind, wie im deutschen Recht auch, nahezu identisch mit den Bestimmungen aus der Richtlinie 2001/83/EG. Der Antrag muß Angaben zur Person des Antragstellers, zur Zusammensetzung des Mittels, eine Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels gemäß Artikel R.5128-2 C.S.P., zur Art und Weise der Herstellung, zu einer eventuell bereits vorhanden Zulassung aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft oder aus einem sonstigem Staat (Artikel R.5129 C.S.P.) enthalten sowie Expertisen zu den analytischen (Artikel R.5130 C.S.P.), pharmakologisch-toxikologischen (Artikel R.5131 C.S.P.) und klinischen (Artikel R.5132 C.S.P.) Studien. So sind auch die materiellen Zulassungskriterien im wesentlichen durch die Analyse von Qualität, Wirksamkeit und Unschädlichkeit geprägt, einschließlich einer Nutzen-Risiko-Analyse (Artikel L.5121-9 C.S.P. und Artikel R.5136 C.S.P.). Die Versagensgründe einer Zulassung beruhen auch im französischen Recht auf unvollständigen Unterlagen und auf der mangelhaften oder fehlerhaft nachgewiesenen Qualität, Wirksamkeit und Unschädlichkeit des Arzneimittels. (Artikel L.5121-9 C.S.P. und Artikel R.5136 C.S.P.). Für die Erstattungsfähigkeit eines Arzneimittels durch die Krankenkassen werden pharma-ökonomische Studien erstellt. Diese Studien wägen das Kosten-Nutzen-Verhältnis des neuen Arzneimittels ab. (Artikel R.5135 C.S.P.). Dabei wird der medizinische Nutzen des neuen Präparates mit dem medizinischen Nutzen bereits auf dem Markt befindlicher Produkte verglichen.269 Die Ergebnisse dieser Studien dürfen nicht die Zulassung verweigern, sie können jedoch durch die Verweigerung der Erstattung faktisch dazu führen.270 Die Gründe für das Zustandekommen von unterschiedlichen Ergebnissen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Zulassung eines 269 Artikel R.5135 C.S.P. Die Beurteilung nach dem therapeutischen Nutzen drückt sich in einer Punkteskala von 1–4 aus. Dabei steht „1“ für ein innovatives Produkt von bedeutendem therapeutischen Nutzen, „2“ für ein Produkt von therapeutischem Nutzen, auch aus ökonomischer Sicht, „3“ bedeutet, daß es bereits äquivalente Arzneimittel auf dem Markt gibt und „4“ steht für ein Produkt, das zwar von geringer Bedeutung, dafür aber ökonomischer ist als bereits vorhandene äquivalente Präparate. 270 A. Monod, Marché unique et égalité d’accès au marché du médicament, in: SNIP (Hrsg.), Droit communautaire et médicament, 1996, S. 34 ff., 39.

3. Kap.: Die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln 115

Arzneimittels liegen auch hier, wie bereits im Kapitel über das deutsche Zulassungsverfahren angesprochen, in der inhaltlichen Bewertung, vor allem der Nutzen-Risiko-Analyse und der damit zusammenhängenden Einschätzung des „Gefahrenpotentials“ eines Arzneimittels. Im französischen Arzneimittelrecht kommt allerdings noch eine Kosten-Nutzen-Bewertung hinzu, die nach deutschem Recht unzulässig ist. 3. Kapitel Die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln Die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln wurde durch die Verordnung 2309/93/EWG271 vom 22.07.1993 geschaffen. Sie hat ihren Sitz in London und nahm 1995 ihre Arbeit auf. Die Agentur bildet den Mittelpunkt des ebenfalls mit dieser Verordnung eingeführten, zentralen Zulassungsverfahrens der Europäischen Gemeinschaft.272 Das allgemeine Ziel der Agentur ist die Förderung des Gesundheitsschutzes von Menschen und Arzneimittelverbrauchern273 sowie die Verwirklichung des Binnenmarktes. Die Agentur soll dazu beitragen, daß einheitliche Verwaltungsentscheidungen auf der Grundlage wissenschaftlicher Kriterien verabschiedet werden.274 Diese Verwaltungsentscheidungen beziehen sich insbesondere auf das Inverkehrbringen und die Verwendung von Arzneimitteln. Hier gilt es, den Mitgliedstaaten und den Organen der Gemeinschaft auf Anforderung den bestmöglichen wissenschaftlichen Rat zu geben. Das umfaßt vor allem die Beurteilung von Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit der Arzneimittel (Artikel 51).

271 Verordnung 2309/93/EWG des Rates v. 22.07.1993 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 272 Die Agentur wurde durch Artikel 49 Abs. 1 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1) eingesetzt. In vielen Veröffentlichungen wird die englische Abkürzung EMEA (European Medical Evaluation Agency) verwendet. Im nachfolgenden Text wird die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln auch nur Europäische Arzneimittelagentur oder kurz Agentur genannt. 273 Unklar und sinnlos ist die Unterscheidung von Mensch und Arzneimittelverbraucher im Text von Artikel 51 S. 1 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 274 Artikel 51 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1).

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

I. Struktur und Aufgaben der Agentur Die Europäische Arzneimittelagentur ist eine juristische Person (Artikel 59 der Verordnung 2309/93/EWG).275 Eine Anerkennung durch die Mitgliedstaaten ist daher nicht notwendig. Die Organisationsstruktur der Europäischen Arzneimittelagentur ergibt sich aus den Artikeln 50 ff. der Verordnung 2309/93/EWG. Geleitet wird die Agentur von einem Verwaltungsdirektor (Artikel 55), als gesetzlichem Vertreter der Agentur, und einem Verwaltungsrat (Artikel 56), als Leitungsgremium. Für die fachlichen Fragen, die die Beurteilung von Arzneimitteln betreffen, ist der Ausschuß für Arzneispezialitäten im Falle der Humanarzneimittel zuständig und der Ausschuß für Tierarzneimittel für diese. Ein Sekretariat unterstützt die beiden Ausschüsse in ihrer Arbeit. Der Verwaltungsrat Der Verwaltungsrat setzt sich aus zwei Vertretern eines jeden Mitgliedstaates sowie je zwei Vertretern der Kommission und des Parlamentes (Artikel 56 Abs. 1) zusammen. Jeweils ein Vertreter ist für Humanarzneimittel, der andere für Tierarzneimittel zuständig. Die insgesamt 34 Mitglieder des Verwaltungsrates wählen ihren Vorsitzenden selbst. Die Amtszeit der Verwaltungsratsmitglieder, die sich übrigens durch Stellvertreter ersetzen lassen können, und des Vorsitzenden beträgt drei Jahre (Artikel 56 Abs. 2 und 3). Die Amtszeit der Verwaltungsratsmitglieder ist verlängerbar. Der Verwaltungsrat genehmigt den Haushaltsplan, genehmigt und verabschiedet den Tätigkeitsbericht der Agentur für das vergangene Jahr sowie das Arbeitsprogramm der Agentur für das kommende Jahr. Der Verwaltungsrat bekommt die dafür notwendigen Unterlagen, wie den Tätigkeitsbericht und die Aufstellung der Jahreskonten für das vergangene Jahr, sowie den Programmentwurf für die Arbeiten der Agentur und den Haushaltsplanvorentwurf für das kommende Jahr vom Verwaltungsdirektor (Artikel 55 Abs. 3). Zur Kontrolle des Haushaltsplans, der Ausgaben und der Einziehung der Einnahmen ernennt der Verwaltungsrat einen Finanzkontrolleur (Artikel 57 Abs. 8). Der Verwaltungsrat trifft alle Entscheidungen mit Zweidrittelmehrheit. Die Berichte und Programme werden anschließend den Mitgliedstaaten, der Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlament durch den Verwaltungsrat vorgelegt (Artikel 55 Abs. 3, Artikel 56 Abs. 5).

275 Zur Rechtspersönlichkeit gemeinschaftlicher Einrichtungen siehe M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften – rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten und Grenzen, 1982, S. 304, 348, 360.

3. Kap.: Die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln 117

Der Verwaltungsdirektor Der Verwaltungsdirektor ist der gesetzliche Vertreter der Agentur. Er wird von der Kommission vorgeschlagen und vom Verwaltungsrat für einen verlängerbaren Zeitraum von fünf Jahren ernannt (Artikel 55 Abs. 1). Durch das Vorschlagsrecht sichert sich die Kommission einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Verwaltung der Agentur, die hauptsächlich dem Verwaltungsdirektor obliegt.276 Der Verwaltungsdirektor ist für die laufende Verwaltung, Personalangelegenheiten sowie den Finanzhaushalt der Agentur zuständig (Artikel 55 Abs. 3). Er erstellt die Tätigkeitsberichte der Agentur, den Programmentwurf und den Haushaltsplanentwurf für das kommende Jahr sowie einen Entwurf der Jahreskonten. Im Bereich der Zulassungsverfahren gewährleistet der Verwaltungsdirektor die Einhaltung der vorgeschriebenen Fristen für die Stellungnahmen der Agentur, unterstützt die Ausschüsse und deren Arbeits- sowie Sachverständigengruppen und koordiniert die Arbeit zwischen den Ausschüssen (Artikel 55 Abs. 2). Der Verwaltungsdirektor genehmigt alle Finanzausgaben der Agentur (Artikel 55 Abs. 4). Die Ausgaben der Agentur bestehen aus Personal-, Verwaltungs-, Infrastruktur- und Betriebskosten sowie Kosten, die sich aus Verträgen mit Dritten ergeben. Die Einnahmen der Agentur setzen sich zusammen aus einem Beitrag der Gemeinschaft und den von den Unternehmen zu entrichtenden Gebühren, wenn sie Leistungen der Agentur in Anspruch nehmen (Artikel 57). Die Höhe der Gebühren legt der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung der Interessenvertretungen der pharmazeutischen Industrie fest (Artikel 58).277 Die Sachverständigenausschüsse Die Sachfragen im Rahmen der Beurteilung von Arzneimitteln übernehmen die beiden Sachverständigenausschüsse: der Ausschuß für Arzneispezialitäten (CPMP)278 für Humanarzneimittel und der Ausschuß für Tierarz276

B. Collatz, Die neuen europäischen Zulassungsverfahren für Arzneimittel,

S. 61. 277 Die Gebühren sind in der Verordnung 297/95/EWG des Rates v. 10.02.1995 über die Gebühren der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. Nr. L 35 v. 15.02.1995, S. 1) festgelegt. Dazu auch Verordnung 2743/98/EG des Rates v. 14.12.1998 zur Änderung der Verordnung 297/95/EWG über die Gebühren der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. Nr. L 345 v. 19.12.19985, S. 3). 278 CMPM steht für Committee for Proprietary Medicinal Products. Der CPMP wurde durch Artikel 8 der Richtlinie 75/319/EWG (ABl. Nr. L 147 v. 09.06.1975,

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

neimittel (CVMP).279 Die Ausschüsse setzen sich aus je einem Vertreter der Mitgliedstaaten zusammen. Jeder Mitgliedstaat wählt einen Mitarbeiter aufgrund seines Sachverstandes und seiner Erfahrung für die Beurteilung von Arzneimitteln aus. Dieser Mitarbeiter vertritt seine nationale Behörde im Rahmen der Ausschußarbeit. Die ausgewählten Mitglieder der Ausschüsse sind keine Angestellten der Agentur. Die nationalen Behörden überwachen die Tätigkeit ihrer Berater und achten auf das wissenschaftliche Niveau der Beurteilungen. Die Mitgliedstaaten können ihren Ausschußmitgliedern auch Weisungen erteilen. Sie sind allerdings nicht berechtigt, einem Ausschußmitglied Weisungen zu erteilen, die mit seinen Aufgaben als Ausschußmitglied und Sachverständigem unvereinbar sind (Artikel 52 Abs. 3). Die Amtszeit der Ausschußmitglieder beträgt drei Jahre und ist verlängerbar (Artikel 52 Abs. 1). Bei Bedarf können sich die Mitglieder der Ausschüsse von Sachverständigen beraten lassen (Artikel 52 Abs. 1) und eigene Arbeitsgruppen oder Sachverständigengruppen einsetzen (Artikel 50 Abs. 2). Der Verwaltungsdirektor der Agentur oder sein Stellvertreter und die Vertreter der Kommission sind berechtigt, an allen Sitzungen der Ausschüsse, ihrer Arbeitsgruppen und Sachverständigengruppen teilzunehmen (Artikel 52 Abs. 1). Die Ausschüsse verwirklichen die im Rahmen der Zulassung an die Agentur gestellten Aufgaben (Artikel 51). Die Aufgaben der Ausschüsse sind vielfältig und in den Artikeln 51, 52 und 53 näher ausgeführt. Ihre Hauptaufgabe liegt in der Erstellung des Gutachtens im Rahmen der zentralen Zulassung (Artikel 5). Kommen die Ausschüsse zu dem Ergebnis, daß die Zulassungsunterlagen oder das Arzneimittel nicht den Anforderungen entsprechen (Artikel 9 der Verordnung 2309/93/EWG), geben sie dem Antragsteller die Möglichkeit zu einer Nachbesserung. Die Agentur entscheidet also, ob ein Zulassungsantrag ausreichend begründet ist und ob das Zulassungsverfahren fortgeführt wird. Die Kommission erstellt ihren Entscheidungsentwurf, mit dem das zentrale Zulassungsverfahren in der Regel endet, auf der Grundlage des Gutachtens der Agentur (Artikel 10 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung 2309/93/EWG). Das Gutachten der Ausschüsse liegt auch im Schiedsverfahren beim dezentralen Zulassungsverfahren der endgültigen Entscheidung zugrunde (Artikel 33 der Richtlinie 2001/83/EG). Nach Artikel 9 Abs. 1 der Rules of procedures280 sollte der Ausschuß für Arzneispezialitäten sein Gutachten einstimmig verabschieden. Ist ihm dies nicht möglich, so hat er mit absoluter Mehrheit zu entscheiden, mindestens mit 16 Zustimmungen. Stimmt eine absolute Mehrheit nicht für die ZulasS. 13) eingesetzt und durch die Verordnung 2309/93/EWG in die Agentur eingegliedert. 279 CVMP steht für Committee for Veterinary Medicinal Products. 280 EMEA/CPMP/622/95/Rev. 1, September 1999.

3. Kap.: Die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln 119

sung oder Änderung einer Zulassung, wird dies als eine ablehnende Haltung des Ausschusses gewertet (Artikel 9 Abs. 4 der Rules of procedures281). Über die Erstellung des Zulassungsgutachtens hinaus koordinieren die Ausschüsse die Arbeiten zwischen der Agentur, den Mitgliedstaaten oder anderen internationalen Behörden (Artikel 49 Abs. 2 und 51 der Verordnung 2309/93/EWG). Das betrifft beispielsweise die wissenschaftliche Beurteilung von Arzneimitteln oder die Überwachung von Arzneimitteln, die bereits auf dem Markt sind (Artikel 51 und 52). Darüber hinaus wirken die Ausschüsse an der Verwaltung einer Datenbank mit. Diese Datenbank ist für die Öffentlichkeit zugänglich und enthält die Arzneimittel, die nach den Gemeinschaftsverfahren zugelassen worden sind (Artikel 51). Das Sekretariat Das Sekretariat steht zum einen den Ausschüssen der Agentur für Verwaltungsfragen oder für technische Probleme zur Seite und koordiniert ihre Tätigkeiten. (Artikel 50 Abs. 1) Das Sekretariat dient im Rahmen des zentralen Zulassungsverfahrens als Ansprechpartner für Unternehmen. Alle Mitarbeiter der Agentur, insbesondere die Verwaltungsrats- und Ausschußmitglieder, Berichterstatter und Sachverständigen müssen unparteiisch und unabhängig von finanziellen oder sonstigen Interessen der pharmazeutischen Industrie sein (Artikel 54 Abs. 2). Im Einzelfall dürften die Kriterien jedoch schwierig zu bestimmen sein.282 Alle indirekten Interessen, die mit der pharmazeutischen Industrie in Zusammenhang stehen könnten, sind in einem Register aufzuführen, das öffentlich zugänglich ist (Artikel 54 Abs. 2). Alle Mitarbeiter der Agentur sind zu Stillschweigen über Berufsgeheimnisse verpflichtet (Artikel 62 f.). Die Agentur ist finanziell nicht selbständig, weil Struktur und Höhe der Gebühren von der Kommission vorgeschlagen werden und nach Maßgabe des Rates beschlossen werden (Artikel 58).283 Dazu erstellt der Verwaltungsdirektor den Haushaltsplanvorentwurf, legt diesen dem Verwaltungsrat vor, der nimmt ihn ab und legt ihn anschließend der Kommission vor (Artikel 58). Die Kommission bezieht den Haushaltsplanvorentwurf der Agen281

EMEA/CPMP/622/95/Rev. 1, September 1999. B. Collatz, Die Europäische Agentur zur Beurteilung von Arzneimitteln, in: B. Collatz (Hrsg.), Handbuch der EU-Zulassung – Zentralisiertes Verfahren und Verfahren der gegenseitigen Anerkennung für Human- und Tierarzneimittel, S. 38. 283 Die Gemeinschaft hat 1995 auch eine Verordnung speziell über die Gebühren der Agentur erlassen: Verordnung 297/95/EWG des Rates v. 10.02.1995 über die Gebühren der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. Nr. L 35 v. 15.02.1995, S. 1). 282

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

tur in den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaft mit ein. Der Rat entscheidet gemäß Artikel 272 EG über den Haushaltsplan. Der Verwaltungsrat der Agentur nimmt den endgültigen Haushaltsplan an. II. Die Befugnis der Europäischen Gemeinschaft zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittelagentur Die Organe der Europäischen Gemeinschaft haben sich auf Artikel 235 EGV (jetzt Artikel 308 EG) als Rechtsgrundlage für die Verordnung 2309/ 93/EWG284 geeinigt. Artikel 308 EG kann als Rechtsgrundlage herangezogen werden, wenn ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich erscheint, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen und die dafür erforderlichen Befugnisse im Vertrag nicht vorgesehen sind. Artikel 308 EG soll die Lücke zwischen den nicht vorhersehbaren und daher nicht vorgesehenen Befugnissen der Gemeinschaft und den im Vertrag festgelegten Zielen schließen.285 Die Gemeinschaft soll dadurch handlungsfähig bleiben, ohne daß der Vertrag verändert werden muß. Insbesondere darf die Anwendung von Artikel 308 EG nicht zu einer Vertragserweiterung führen: „Bei der Auslegung von Befugnisnormen [. . .] ist zu beachten, daß der Unions-Vertrag grundsätzlich zwischen der Wahrnehmung einer begrenzt eingeräumten Hoheitsbefugnis und der Vertragsänderung unterscheidet, seine Auslegung deshalb in ihrem Ergebnis nicht einer Vertragsänderung gleichkommen darf“.286 Damit ist eine Ausweitung der Ziele und Politiken der Gemeinschaft „im Sinne einer ,Vertragsabrundungskompetenz‘“ nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts durch Artikel 308 EG nicht möglich;287 denn für Vertragsänderungen sieht der Vertrag über die Europäische Union ausdrücklich das Verfahren in Artikel 48 EU vor. Danach muß jede Vertragsänderung von den Mitgliedstaaten 284 Zur Wahl der Verordnung als Mittel der gemeinschaftlichen Rechtsetzung siehe A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 409 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 448 ff., 588. Die Wahl der Verordnung als Rechtsetzungsinstrument im Bereich der Arzneimittel siehe auch P. Cassia/E. Saulnier, L’autorisation de mise sur le marché des médicaments à usage humain dans l’union européenne, Revue du Marché Commun et de l’Union Européenne 1996, S. 749 (752). 285 M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, Rdnr. 339 ff.; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 523; K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 124. 286 BVerfGE 89, 155 (210). 287 BVerfGE 89, 155 (210); K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 123; a. A. Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 522 f., 530.

3. Kap.: Die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln 121

ratifiziert werden.288 Die Errichtung neuer Gemeinschaftsorgane und deren Ausstattung mit Befugnissen ist grundsätzlich auf Artikel 48 EU zu stützen.289 Sie fällt in die Befugnis der Mitgliedstaaten und nicht der Gemeinschaftsorgane. Die Anwendung von Artikel 235 EGV (jetzt Artikel 308 EG) wurde in der Vergangenheit sehr großzügig gehandhabt.290 So wurden über Artikel 235 EGV (jetzt Artikel 308 EG) nicht nur die Instrumente, sondern auch die Ziele der Gemeinschaft erweitert.291 Die Aufgaben der Gemeinschaft wurden auf neue, in den Gemeinschaftsverträgen nicht vorgesehene Politikbereiche wie den Umwelt-, Verbraucher- oder Gesundheitsschutz, ausgedehnt.292 Artikel 235 EGV (jetzt Artikel 308 EG) diente somit als Generalermächtigung der Gemeinschaftsorgane, um Aufgaben auf die Gemeinschaft zu übertragen, die im Vertrag in der Form nicht vorgesehene waren. Die Anwendung und der Umfang von Artikel 308 EG sind daher umstritten.293 Aus diesem Grund erfordern die in Artikel 308 EG verwendeten offenen Rechtsbegriffe eine enge Auslegung. Insbesondere ist das Prinzip der begrenzten Ermächtigung zu beachten.294 288 BVerfGE 89, 155 ff. (210); K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 637 ff.; ders., Das Maastricht-Urteil, Recht und Politik 1994, S. 1 (3 f.). 289 K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 121 ff.; C. Calliess, in: C. Calliess/ M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 7 Rdnr. 23; differenziert: Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 448 f. 290 Dies wurde mittlerweile eingeschränkt. Zum einen durch die Aufnahme der entsprechenden Politiken wie die Umweltpolitik in den Vertrag und zum anderen verweist der Europäische Gerichtshof verstärkt auf die Möglichkeit der Vertragsänderung anstelle einer weiten Auslegung des Artikels 308 EG. K. A. Schachtschneider, Das Maastricht-Urteil, Recht und Politik 1994, S. 1 (3 f.); Th. C. W. Beyer, Die Ermächtigung der Europäischen Union, Der Staat 1996, S. 189 (201); K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 122 ff., 135 f.; H. D. Jarass, Die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, AöR 1996, S. 173 (177 f.); Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 513 f., 523 ff.; M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 308 Rdnr. 1, 5. 291 Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 523; A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 397. 292 E. Grabitz, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 235 (alt), Rdnr. 10. 293 Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 523 f.; K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 119 f.; E. Grabitz, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 235 (alt), Rdnr. 9 ff. 294 BVerfGE 89, 155 ff. (210); K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 121; E. Grabitz, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 235 (alt), Rdnr. 1 f.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

1. Subsidiäre Anwendbarkeit von Artikel 308 EG Die Wahl von Artikel 235 EGV (jetzt Artikel 308 EG) als Rechtsgrundlage für die Verordnung setzt voraus, daß der Vertrag keine spezielleren Bestimmungen zur Gründung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln enthält. Artikel 308 EG kann selbst dann als Rechtsgrundlage herangezogen werden, wenn es zwar eine Einzelbefugnis gibt, diese aber nicht ausreicht, das angestrebte Ziel auch zu verwirklichen.295 Sieht der Vertrag eine spezielle Rechtsgrundlage vor, kann auf Artikel 308 EG nicht zurückgegriffen werden.296 Die Verordnung 2309/93/EWG betrifft den freien Verkehr von Arzneimitteln und die Errichtung des Binnenmarktes für Arzneimittel. Dabei soll ein hohes Gesundheitsschutzniveau gewährleistet werden. Als speziellere Rechtsgrundlagen kommen Vorschriften zur Verwirklichung der Grundfreiheiten im allgemeinen und der Warenverkehrsfreiheit im besonderen in Betracht. Die vertraglich festgelegten Vorschriften zur Warenverkehrsfreiheit sehen die Gründung einer neuen Institution nicht vor. Deshalb sind im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit der Artikel 94 EG (Artikel 100 EGV alt) sowie der Artikel 95 EG (Artikel 100 a EGV alt) zur Angleichung der Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten denkbar. Sieht man verstärkt den Gesundheits- oder Verbraucherschutz im Vordergrund, müssen auch die Artikel 152 EG (Artikel 129 EGV alt) oder 153 EG (Artikel 129 a EGV alt) in die Überlegungen miteinbezogen werden.297 a) Rechtsangleichung Zur Verwirklichung der Warenverkehrsfreiheit kann die Gemeinschaft, soweit notwendig, Maßnahmen zur Angleichung mitgliedstaatlicher Vorschriften erlassen. Die Rechtsangleichung kann auf die allgemeinen Rechts295 Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 525; M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 308 Rdnr. 46 ff. 296 M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 308 Rdnr. 41, 44; E. Grabitz, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 235 (alt), Rdnr. 39 ff., 45 ff. 297 Der Europäische Gerichtshof stellt für die Wahl der Rechtsgrundlage nicht nur auf die Begründung des jeweiligen Rechtsaktes, sondern auch auf den objektiv erkennbaren Zweck ab. EuGH v. 11.06.1991 – Rs. C-300/89 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Rat der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1991, I-2867 (Rdnr. 10); EuGH v. 04.10.1991 – Rs. C-70/88 (Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1991, I-4529 (Rdnr. 9); EuGH v. 7.07.1992 Rs. C-295/90 (Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1992, I-4193 (Rdnr. 13); EuGH v. 17.03.1993 – Rs. C-155/91 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Rat der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1993, I-939 (Rdnr. 9).

3. Kap.: Die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln 123

angleichungsvorschriften der Artikel 94 EG oder Artikel 95 EG gestützt werden. Spezielle Vorschriften zur Rechtsangleichung, Harmonisierung oder Koordination von Regelungen,298 die die Warenverkehrsfreiheit betreffen, sieht der Vertrag nicht vor. Artikel 94 EG zielt auf die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die sich spürbar und unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken. Dazu kann der Rat, auf Vorschlag der Kommission, einstimmig Richtlinien erlassen. Die Errichtung des Gemeinsamen Marktes beinhaltet, wie bereits dargestellt, einen freien Verkehr von Waren.299 Arzneimittel sind Waren im Sinne der Vorschrift, daher sind sie nicht von den Vorschriften zur Warenverkehrsfreiheit ausgenommen. Unstrittig ist, daß die in jedem Mitgliedstaat vorhandenen Regelungen zum Inverkehrbringen von Arzneimitteln unmittelbare und auch spürbare Beeinträchtigungen auf den grenzüberschreitenden Verkehr mit Arzneimitteln hatten und auch noch haben.300 Die Vorschriften zum Inverkehrbringen von Arzneimitteln sind generelle Reglungen, die von staatlicher Seite erlassen wurden. Die Beeinträchtigung des Gemeinsamen Marktes durch die mitgliedstaatlichen Regelungen für Arzneimittel führt zu einer Befugnis der Gemeinschaft zur Rechtsangleichung, von der sie bisher auch schon Gebrauch gemacht hat.301 Dabei steht der Gemeinschaft nach Artikel 94 EG als Angleichungsinstrument ausschließlich die Richtlinie zur Verfügung. Diese hat der Rat einstimmig zu erlassen. Die Errichtung einer Europäischen Arzneimittelagentur und die Einführung eines zentralen Zulassungserfordernisses durch eine Richtlinie wäre problematisch. Die Richtlinie ist ein gemeinschaftlicher Rechtsakt, der lediglich hinsichtlich des Ziels verbindlich ist. Den Mitgliedstaaten bleibt es überlassen, in welcher Form und durch welche Mittel sie die Richtlinie in nationales Recht umsetzen.302 298

Die Begriffe „Rechtsangleichung“, „Koordinierung“ oder „Harmonisierung“ sind synonym zu verstehen. A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 2106; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1200; B. Langeheine, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 100 (alt), Rdnr. 8; R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 957; differenzierend Th. C. W. Beyer, Rechtsnormanerkennung im Binnenmarkt, S. 31 ff., 83 ff. 299 Dazu auch Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1209. 300 Beispielhaft für viele G. Nicolaysen, Europarecht II, S. 121 f.; A. Earl-Slater, A study of pharmaceutical policies in the EU, Policy Studies 1997, S. 251 (266); M. C. Donnelly, Harmonisation of the Authorisation of Medicinal Products, S. 215 ff.; B. Langeheine, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 100 (alt), Rdnr. 10. 301 Ausführlich dazu siehe Fußnoten 4 bis 8 in diesem Teil. 302 Zur Problematik der Umsetzung von Richtlinien in nationales Recht siehe Ch. Claßen, Nichtumsetzung von Gemeinschaftsrichtlinien, insbes. S. 47 ff., 68 ff., S. 272 ff.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Die notwendige Umsetzung einer Richtlinie in nationales Recht wäre für ein solch komplexes Thema, das vor allem auch gleichzeitig in den Mitgliedstaaten verwirklicht sein muß, äußerst bedenklich. Die Agentur muß gemeinschaftsweit auf einer einheitlichen Rechtsgrundlage beruhen. Das kann nur durch die Verordnung gewährleistet werden. „Die Verordnung hat allgemeine Geltung“ (Artikel 249 Abs. 2 S. 1 EG). Darüber hinaus ist sie „in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat“ (Artikel 249 Abs. 2 S. 1 EG). In solch einem Fall kann nur die Verordnung als geeignete Rechtsform angesehen werden.303 Dadurch, daß im Rahmen von Artikel 94 EG ausschließlich die Richtlinie als Angleichungsinstrument zur Verfügung steht, kommt dieser Artikel daher als Rechtsgrundlage zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittelagentur nicht in Frage. Die Diskussion über Inhalt und Umfang einer Angleichung mitgliedstaatlicher Verwaltungsvorschriften wird deshalb im Rahmen der Analyse von Artikel 95 EG erfolgen. Artikel 95 EG dient ebenfalls der Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten. Anders als Artikel 94 EG betrifft der Anwendungsbereich von Artikel 95 EG die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes. Dazu gehört, wie oben bereits dargelegt, die Verwirklichung des freien Verkehrs für Arzneimittel.304 So ermöglicht es Artikel 95 EG, mitgliedstaatliche Vorschriften, die beispielsweise die Herstellung, Vermarktung, Verwendung oder Einfuhr von Produkten betreffen, durch Mehrheitsentscheidungen zu beseitigen, wenn sie ein Handelshemmnis darstellen.305 Das Erfordernis einer Zulassung für Arzneimittel ist eine Produktregelung, die das Inverkehrbringen und damit den Marktzugang des Produktes regelt. Dies hat sich bis heute als ein spürbares Hemmnis für den freien Verkehr von Arzneimitteln dargestellt.306 Deshalb hat die Gemeinschaft bereits Maßnahmen hierzu erlassen.307 Auch die Errichtung der Europäischen 303

A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 448 ff.,

588. 304 Artikel 95 EG dient im Wesentlichen der Verwirklichung des freien Warenverkehrs. Die Verwirklichung der anderen Grundfreiheiten ist größtenteils durch Spezialvorschriften geregelt. B. Langeheine, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 100 a (alt), Rdnr. 15, 19. 305 Th. C. W. Beyer, Rechtsnormanerkennung im Binnenmarkt, S. 139 ff. 306 Zum Spürbarkeitskriterium EuGH v. 18.03.1980 – Rs. 91/79 (Europäische Kommission/Republik Italien), Slg. 1980, 1099 (Rdnr. 8); EuGH v. 11.06.1991 – Rs. C-300/89 (Europäische Kommission/Europäischen Rat), Slg. 1991, I-2867 (Rdnr. 23); EuGH v. 05.10.2000 – Rs. C-376/98 (Bundesrepublik Deutschland/ Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union), Slg. 2000, I-8419 (Rdnr. 29).

3. Kap.: Die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln 125

Arzneimittelagentur zielt ausdrücklich auf die Verwirklichung des Binnenmarktes für Arzneimittel. Ist die Verwirklichung des Binnenmarktes ein Nebenaspekt der getroffenen sekundärrechtlichen Maßnahme, kann Artikel 95 EG nicht herangezogen werden.308 Die Gemeinschaft ist mit den Angleichungsmaßnahmen nach Artikel 95 EG nicht auf das Instrument der Richtlinie festgelegt, sondern kann den geeigneten Rechtsakt aus Artikel 249 EG wählen. Insoweit würde die Verordnung 2309/93/EWG zur Errichtung der Europäischen Arzneimittelagentur in den Anwendungsbereich des Artikel 95 EG fallen. Es bleibt aber noch als wesentlicher Punkt zu klären, ob die Errichtung einer Europäischen Arzneimittelagentur noch als Angleichung von mitgliedstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften eingestuft werden kann oder ob sie nicht darüber hinaus geht. Der Begriff der „Angleichung“ ist im Vertrag nicht definiert. Man versteht darunter die Anpassung nationaler Rechts- und Verwaltungsvorschriften an gemeinschaftlich vorgegebene Standards.309 Das läuft darauf hinaus, daß die nationalen Vorschriften vereinheitlicht werden. Es ist allerdings nicht Voraussetzung, daß jeder Mitgliedstaat das betreffende Rechtsgebiet bereits geregelt hat.310 Der Begriff der „Angleichung“ und die jeweiligen Synonyme „Harmonisierung“ und „Koordination“ implizieren, etwas in Einklang zu bringen und gegenseitig abzustimmen oder anzupassen. Aus diesen Gründen gibt weder Artikel 94 EG noch Artikel 95 EG der Gemeinschaft die Befugnis, eine im Vertrag nicht vorgesehene Einrichtung wie die Europäische Arzneimittelagentur zu errichten. Die Errichtung einer zentralen Europäischen Arzneimittelagentur mit eigener Rechtspersönlichkeit, ei307

Siehe Fußnoten 4 bis 8 in diesem Teil. Ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs; so auch in EuGH v. 04.10.1991 – Rs. C-70/88 (Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1991, I-4529 (Rdnr. 17); EuGH v. 17.03.1993 – Rs. C-155/91 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Rat der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1993, I939 (Rdnr. 19); EuGH v. 28.06.1994 – Rs. C-187/93 (Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1994, I-2857 (Rdnr. 25); EuGH v. 12.11.1996 – Rs. C-84/94 (Vereinigtes Königreich/Rat der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1996, I-5755 (Rdnr. 45); EuGH v. 05.10.2000 – Rs. C-376/98 (Bundesrepublik Deutschland/Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union), Slg. 2000, I-8419 (Rdnr. 23, 27, 32 f.). 309 Dazu auch W. Kahl, in: Ch. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 94 Rdnr. 1 f., 5; B. Langeheine, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 100 (alt), Rdnr. 8 ff. und Artikel 100 a (alt), Rdnr. 40. 310 Eine generelle mögliche „präventive Angleichung“, d.h. wenn (noch) kein Mitgliedstaat die in Frage stehende Materie geregelt hat, ist schon aufgrund des Prinzips der begrenzten Ermächtigung abzulehnen. R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 959. 308

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

genen Einnahmequellen und einer gutachterlichen Tätigkeit fällt eindeutig nicht unter den Begriff der Angleichung in den Artikeln 94 und 95 EG.311 b) Gesundheits- und Verbraucherschutz Würde der Gedanke des Gesundheitsschutzes bei der Errichtung der Europäischen Arzneimittelagentur überwiegen, käme gegebenenfalls Artikel 152 EG als Befugnis für die Errichtung der Europäischen Arzneimittelagentur in Frage. In Artikel 152 EG (Artikel 129 EGV alt) wird die Zuständigkeit der Gemeinschaft für generelle gesundheitsrelevante Maßnahmen durch den Amsterdamer Vertrag in engen Grenzen verstärkt.312 Artikel 152 EG ist als Querschnittsaufgabe zu den sonstigen Politiken der Gemeinschaft zu verstehen und wiederholt in dem Zusammenhang die Maxime der Gemeinschaft aus Artikel 3 lit. p EG, mit der Ausübung ihrer Tätigkeit ein hohes Gesundheitsschutzniveau zu wahren. Mit diesem Artikel wurde der Gemeinschaft lediglich eine zu den Mitgliedstaaten ergänzende Gesundheitspolitik möglich, die im wesentlichen aus vorbeugenden Maßnahmen vor Krankheiten besteht.313 Sofern der Gemeinschaft im Rahmen des Artikels 152 EG überhaupt verbindliche Maßnahmen gegenüber den Mitgliedstaaten zugestanden werden, beschränken sich diese auf Maßnahmen zur Rechtsangleichung, die die mitgliedstaatliche Politik im Gesundheitsbereich unterstützen sollen.314 Weil es bei der Errichtung der Agentur keine rechtsangleichende Maßnahme ist, kann auch über Artikel 152 EG die Europäische Arzneimittelagentur nicht geschaffen werden. Sieht man den Verbraucherschutz als objektiven Zweck der Verordnung 2309/93/EWG zur Errichtung der Europäischen Arzneimittelagentur an, so ist in diesem Zusammenhang neben Artikel 152 EG auch Artikel 153 EG als Befugnis der Gemeinschaft zu überprüfen. 311 So auch Juristischer Dienst des Rates, Ratsdokument 9525/91, S. 11 f.; B. Collatz, Die neuen europäischen Zulassungsverfahren für Arzneimittel, S. 64; E. Grabitz, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 235 (alt), Rdnr. 80 ff. 312 Dazu Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1257, 2050 ff., 2052 ff., 2058 ff. 313 Wenngleich der rein präventive Ansatz durch den Amsterdamer Vertrag mit einer stärkeren Betonung der Gesundheitsverbesserung der Bevölkerung ergänzt wurde. Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1250 f.; W. Berg, Gesundheitsschutz als Aufgabe der EU: Entwicklung, Kompetenzen, Perspektiven, 1. Aufl. 1997, S. 455 ff.; ders., in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Artikel 152 Rdnr. 6; J. C. Wichert, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 152 Rdnr. 6. 314 Zu Umfang und Verbindlichkeit von „Fördermaßnahmen“ siehe 3. Teil 2. Kapitel, I. 2. b).

3. Kap.: Die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln 127

Grundsätzlich teilt Artikel 153 EG die Maßnahmen der Gemeinschaft in binnenmarktabhängige und binnenmarktunabhängige Regelungen ein.315 Regelungen zur Vermarktung von Arzneimitteln können nur als binnenmarktabhängig verstanden werden. Für solche binnenmarktabhängigen Verbraucherschutzmaßnahmen steht der Gemeinschaft wiederum Artikel 95 EG als Rechtsangleichungsmaßnahme zur Verfügung.316 Wie oben bereits ausgeführt wurde, ist es nicht möglich, durch Rechtsangleichungsmaßnahmen eine vertraglich nicht vorgesehene Organisation, wie die Europäische Arzneimittelagentur zu errichten. Aus diesem Grund wird auf weitere mit Artikel 153 EG zusammenhängende Problemfelder nicht weiter eingegangen317 und als Ergebnis festgehalten, daß Artikel 153 EG als Rechtsgrundlage hier nicht einschlägig ist. Hinzu kommt, daß die Errichtung der Europäischen Arzneimittelagentur hauptsächlich der Verwirklichung des Binnenmarktes und des freien Verkehrs von Arzneimitteln dient. Der objektive Zweck, eine Europäische Arzneimittelagentur zu errichten, ist die Verbesserung des freien Verkehrs für Arzneimittel unter Beachtung eines hohen Gesundheitsund Verbraucherschutzniveaus, wie es der Vertrag ganz allgemein in Artikel 3 lit. p und lit. s EG fordert. Damit ist als Ergebnis festzuhalten, daß der Vertrag keine spezielle Regelung zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittelagentur vorsieht, die primär anzuwenden wäre. Damit bleibt als nächstes festzustellen, ob die Befugnis in Artikel 308 EG ausreicht, eine Europäische Arzneimittelagentur mit ihren Rechten und Pflichten, wie sie oben beschrieben sind, zu errichten. Dabei geht es zunächst um die Ziele der Gemeinschaft, die im Rahmen des Gemeinsamen Marktes zu verwirklichen sind, anschließend inwieweit die Agentur erforderlich und geeignet ist, diese Ziele zu erreichen. Als letzten und wichtigsten Punkt wird unter III. auf die Frage nach den auf die Agentur übertragenen Befugnissen und die Zulässigkeit einer solchen Übertragung eingegangen. 315 J. C. Wichert, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 153 Rdnr. 17; W. Berg, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Artikel 152 Rdnr. 3. 316 A. Epiney, in: B. Beutler/R. Bieber/J. Pipkorn/J. Streil (Hrsg.), Die Europäische Union, Rdnr. 1156; J. C. Wichert, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/ EGV, Artikel 153 Rdnr. 13 ff.; W. Berg, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Artikel 153 Rdnr. 10 f. 317 Generell zu den Verbraucherschutzmaßnahmen der Gemeinschaft und Artikel 153 EG siehe beispielsweise N. Reich, Europäisches Verbraucherschutzrecht: Binnenmarkt und Verbraucherinteressen, 2. Aufl. 1993, S. 31 ff.; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1258, 2038 ff., 2044 ff.; H.-W. Micklitz/N. Reich, Verbraucherschutz im Vertrag über die Europäische Union, EuZW 1993, S. 593 (595); W. Berg, Gesundheitsschutz als Aufgabe der EU, S. 79 ff.; J. C. Wichert, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 152 Rdnr. 2 ff.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

2. Die Verwirklichung von gemeinschaftlichen Zielen im Rahmen des Gemeinsamen Marktes Eine Maßnahme der Europäischen Gemeinschaft kann auf Artikel 308 EG gestützt werden, wenn sie ein Ziel der Gemeinschaft im Rahmen des Gemeinsamen Marktes verwirklicht.318 Das Ziel der Verordnung 2309/93/EWG zur Errichtung der Europäischen Arzneimittelagentur ist das „reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes“ für Arzneimittel unter Erhaltung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus.319 Weitgehend unbestritten zählt der Aufgabenkatalog des Artikel 3 EG zu den Zielen der Gemeinschaft im Rahmen des Artikel 308 EG.320 Wie bereits diskutiert, ist nach Artikel 3 Abs. 1 lit. c EG die Verwirklichung des Binnenmarktes, einschließlich der Warenverkehrsfreiheit, ein Ziel der Gemeinschaft. Arzneimittel sind als Waren einzustufen, fallen daher unter die Warenverkehrsfreiheit und sind somit ein Bestandteil des Binnenmarktes (Artikel 14 Abs. 2 EG). Das Tätigwerden der Gemeinschaft muß im Rahmen des Gemeinsamen Marktes erfolgen. Wenngleich der Begriff des Gemeinsamen Marktes im Vertrag nicht weiter konkretisiert ist, so lassen sich doch wesentliche Elemente desselben festmachen. Dazu zählen vor allem Marktfreiheit, Marktgleichheit sowie Wettbewerbsfreiheit aus Artikel 2 EG.321 Darüber hinaus ist es nach Artikel 2 EG Aufgabe der Gemeinschaft, einen Gemeinsamen Markt zu errichten. Diese Tätigkeit umfaßt nach Artikel 3 Abs. 1 lit. c EG einen Binnenmarkt, der einen freien Warenverkehr ermöglicht. Über diesen Zusammenhang der Artikel 2 EG und 3 EG ist auch das Tatbestandsmerk318 Der Vertrag selbst enthält keine eindeutige Definition. Die „Ziele der Gemeinschaft“ im Sinne des Artikel 308 EG sind deshalb aus den Vorschriften im Vertrag zu ermitteln. Welche Vorschriften im Einzelnen einbezogen werden ist umstritten. Ebenso ist strittig, ob die Präambel zur Zielbestimmung herangezogen werden kann. L.-J. Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaft I, S. 274; M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 308 Rdnr. 16 ff., 20; K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 123; E. Grabitz, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 235 (alt), Rdnr. 25 ff. 319 Begründung der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 320 EuGH v. 12.07.1973 – Rs. 8/73 (Hauptzollamt Bremerhaven/Massey-Ferguson), Slg. 1973, 897 (Rdnr. 3); E. Grabitz, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 235 (alt), Rdnr. 17 f., 25. 321 Darüber hinaus besteht die Ansicht, daß der Begriff des Gemeinsamen Marktes aus Artikel 308 EG über den in Artikel 2 EG hinaus geht. So beispielsweise S. Schreiber, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Artikel 308 Rdnr. 14; andere Ansicht M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 308 Rdnr. 23; A. v. Bogdandy, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 2 (neu), Rdnr. 38 ff.; E. Grabitz, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 235, Rdnr. 57 f.

3. Kap.: Die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln 129

mal des Artikel 308 EG „im Rahmen des Gemeinsamen Marktes“ erfüllt.322 Die Errichtung und Erhaltung des Gemeinsamen Marktes enthält durch die Gewährleistung der Marktfreiheit, Marktgleichheit und Wettbewerbsfreiheit auch ein „Recht auf Zugang zum Markt“.323 Dieses Recht auf Marktzugang muß für Arzneimittel besonderen Sicherheitsvorkehrungen unterliegen, die durch staatliche Genehmigungsverfahren verwirklicht sind. 3. Das Tätigwerden der Gemeinschaft ist erforderlich und geeignet Die Gemeinschaft kann im Rahmen der konkurrierenden Kompetenz nur handeln, wenn das Subsidiaritätsprinzip nicht entgegensteht.324 Wird die Gemeinschaft tätig, gilt dies als Sperrklausel für die Mitgliedstaaten, in derselben Sache nationale Maßnahmen zu erlassen.325 Dies gilt selbstverständlich nicht, wenn sie Gemeinschaftsrecht beispielsweise aufgrund einer Richtlinie in nationales Recht umsetzt. Ansonsten sind die Mitgliedstaaten solange zuständig, bis die Gemeinschaft regelt.326 Die Gemeinschaft kann nur durch ihre Organe tätig werden. Im Rahmen des Artikel 308 EG hat die Kommission das Initiativrecht. Bevor der Rat über den Vorschlag einstimmig entscheidet, ist noch das Europäische Parlament anzuhören (Artikel 308 2. Halbs. EG). Inwieweit ist aber ein Eingreifen der Gemeinschaft für die Verwirklichung des Binnenmarktes für Arzneimittel erforderlich? Ein Tätigwerden der Gemeinschaft im Rahmen des Artikel 308 EG ist erforderlich, wenn eine Diskrepanz zwischen den Zielen der Gemeinschaft und der Möglichkeit ihrer Verwirklichung besteht.327 Es wird überwiegend, insbesondere 322 M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 308 Rdnr. 25 f.; S. Schreiber, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Artikel 308 Rdnr. 15; E. Grabitz, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 235 (alt), Rdnr. 62. 323 E. Grabitz, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 235 (alt), Rdnr. 34 f.; M. C. Donnelly, Harmonisation of the Authorisation of Medicinal Products in the European Union, S. 215. 324 Ob die Gemeinschaft überhaupt eine ausschließliche Kompetenz besitzt, ist umstritten. Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 518 ff.; A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 392 f., 739, 2109 f.; K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 144 ff., 149 ff. 325 M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 308 Rdnr. 36 f.; E. Grabitz, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 235 (alt), Rdnr. 70 f. 326 K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 145. 327 Dazu K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 121; M. Rossi, in: C. Calliess/ M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 308 Rdnr. 27, 29; E. Grabitz, in: E. Grabitz/ M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 235 (alt), Rdnr. 63 ff.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

von der Kommission sowie den Verbänden der Pharmaindustrie, die Auffassung vertreten, daß der freie Verkehr von Arzneimitteln und damit der Binnenmarkt für Arzneimittel in der Europäischen Gemeinschaft noch nicht verwirklicht ist.328 Daher ist ein Handeln der Europäischen Gemeinschaft für Arzneimittel grundsätzlich erforderlich. Ist die Errichtung der Europäischen Arzneimittelagentur durch die Verordnung 2309/93/EWG auch geeignet, die Mißstände im Bereich der Arzneimittel zu beseitigen? Im Zulassungsverfahren von Arzneimitteln kam es häufig zu unterschiedlichen Bewertungen der Mitgliedstaaten über die Wirksamkeit und Sicherheit eines Arzneimittels.329 Das führte wiederum zu unterschiedlichen Entscheidungen über die Zulassung eines Arzneimittels, weil jedes Arzneimittel vor der Einführung der zentralen Zulassung von der jeweiligen nationalen Behörde eine Marktzutrittsberechtigung erhielt. Eine zentrale Zulassung, die eine europaweit einheitliche Entscheidung über die Sicherheit eines Arzneimittels fällt, ist daher durchaus geeignet, den Binnenmarkt für Arzneimittel zu verwirklichen, ohne die Verbraucher durch unterschiedliche Entscheidungen über ein und dasselbe Arzneimittel zu verunsichern.330 4. Die Errichtung einer vertraglich nicht vorgesehenen Einrichtung Inwieweit die Gemeinschaft mit der Gründung einer solchen Einrichtung ihre Befugnisse überschritten hat, ist für jeden Einzelfall abzuklären. Die Gemeinschaft hat auch bei der Errichtung der Europäischen Arzneimittelagentur die Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und die oben bereits teilweise erörterten Voraussetzungen des Artikel 308 EG zu beachten. a) Prinzip der begrenzten Ermächtigung Das Prinzip der begrenzten Ermächtigung331 ist eines der Grundprinzipien im Gemeinschaftsrecht. Es besagt, daß die Gemeinschaftsorgane nur 328 B. Collatz, Die neuen europäischen Zulassungsverfahren für Arzneimittel, S. 64; A. Earl-Slater, A study of pharmaceutical policies in the EU, Policy Studies 1997, S. 251 (266); P. de Wolf, European harmonization in the pharmaceutical industry: mission in completion?, S. 13; M. C. Donnelly, Harmonisation of the Authorisation of Medicinal Products, S. 212 ff. 329 O. May, Gegenseitige Anerkennung – bei Arzneimitteln möglich oder utopisch?, PharmInd 1992, S. 834 (836); D. Hart, Produktrecht, S. 35 f. 330 D. Hart, Produktrecht, S. 41, 44 ff.; P. de Wolf, European harmonization in the pharmaceutical industry: mission in completion?, S. 1. 331 Häufig wird auch von dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung oder Einzelzuständigkeit gesprochen: BVerfGE 89, 155 (159); M. Hilf, Die Organisations-

3. Kap.: Die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln 131

im Rahmen der im Vertrag vorgesehenen Aufgaben und Befugnisse tätig werden können.332 Dies kommt durch die Artikel 5 Abs. 1 EG und Artikel 5 EU in Verbindung mit Artikel 7 Abs. 1 EG deutlich zum Ausdruck. Im Rahmen des Vertrages sind die Gemeinschaftsorgane nach Artikel 249 Abs. 1 EG zum Erlaß von Rechtshandlungen befugt.333 Diese (begrenzten) Aufgaben334 und Befugnisse haben die Mitgliedstaaten durch den Vertrag auf die Gemeinschaftsorgane übertragen.335 Deshalb können die Gemeinschaftsorgane nur tätig werden, wenn die Vorschriften des materiellen Vertragsrechts Aufgaben definieren und zu deren Verwirklichung Befugnisse vorsehen.336 Dabei sind die Befugnisse der Gemeinschaft eng auszulegen.337 struktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 310 ff.; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 511, 513, 656; B. Beutler in: B. Beutler/R. Bieber/J. Pipkorn/J. Streil (Hrsg.), Die Europäische Gemeinschaft, Rdnr. 121 f.; K. Schmalenbach, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 310 EG Rdnr. 16; J. C. Wichert, in: C. Calliess/ M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 5 EU Rdnr. 3; diesen Begriff ablehnend: E. Grabitz, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 235 (alt), Rdnr. 1; K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 120. 332 BVerfGE 89, 155 (181, 191 ff); M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, Rdnr. 335 ff.; H. D. Jarass, Die Kompetenzverteilung, AöR 1996, S. 173 (174 ff.); Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 513 ff.; K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 118 ff.; J. C. Wichert, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 5 EU Rdnr. 3; E. Grabitz, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 235 (alt), Rdnr. 1 f. 333 Dies ist als Einzelermächtigung zu sehen für die Fälle, in denen der Vertrag dies ausdrücklich vorsieht. K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 118 ff. 334 Aufgaben sind die Felder, auf denen die Gemeinschaft tätig werden soll. Befugnisse sind Ermächtigungen im Vertrag, die der Aufgabenbewältigung dienen. Die Aufgaben implizieren nicht automatisch auch Befugnisse. K. A. Schachtschneider/ Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 117; K. A. Schachtschneider, Fallstudie Produktwarnung (GlykolSkandal), in: K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Fallstudien zum Öffentlichen Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2002, S. 81 (165 f.); differenzierender: V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 176, 179 f. 335 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 69 f.; Zur kritischen Betrachtung der mit dem Amsterdamer Vertrag einhergehenden erweiterten Befugniszuweisungen an die Gemeinschaftsorgane siehe K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 131 ff. 336 BVerfGE 89, 155 (209 f.); K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 116 ff., 120 ff., 129 ff. 337 BVerfGE 89, 155 (210); K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 124.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Nur wenn dieser Artikel 308 EG eng ausgelegt wird und seine Anwendung nicht einer Vertragsänderung gleichkommt, widerspricht Artikel 308 EG nicht dem Prinzip einer durch den Vertrag begrenzten Ermächtigung der Gemeinschaft.338 Artikel 308 EG ist zwar eine Generalbefugnis, die aber in den Vertrag eingebunden ist. Damit ermöglich Artikel 308 EG keine Ausweitung der Aufgabenfelder der Gemeinschaft. Diese sind durch den Vertrag vorgegeben. Sie können im Rahmen einer Vertragsänderung auf der Grundlage von Artikel 48 EU von den Mitgliedstaaten erweitert werden.339 Aufgaben und Befugnisse müssen getrennt sein. Sieht der Vertrag zu deren Zielerreichung die notwendigen Befugnisse nicht vor, so können diese auf der Grundlage des Artikel 308 EG erlassen werden.340 In diesem Zusammenhang sei auch auf die Lehre der „implied powers“ hingewiesen. Danach stehen der Gemeinschaft neben den in den Verträgen festgelegten Befugnissen auch ungeschriebene oder stillschweigend mitgeschriebene Befugnisse zu, die sich aus den vertraglichen Aufgaben der Gemeinschaft ergeben.341 Dies soll die Arbeit der Gemeinschaftsorgane wirksamer gestalten und die Lücke zwischen den vorhandenen Befugnissen und den zur Zielerreichung notwendigen Maßnahmen schließen. Nach dieser Lehre dürfen zur Erfüllung der im Vertrag vorgesehenen Aufgaben auch Hilfsorgane geschaffen werden, die im Vertrag nicht vorgesehen sind.342 Die Lehre des „effet utile“ zielt dagegen auf eine „effektive“ und damit auf die weitest mögliche Auslegung vorhandener Befugnisse der Gemeinschaft ab.343 Auch diese Lehre ist, wie die „implied powers“-Lehre, um338 K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 120 ff., 123 f., 136 f. 339 H. D. Jarass, Die Kompetenzverteilung, AöR 1996, S. 173 (177). 340 K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 121. 341 EuGH v. 15.07.1960 – Rs. 20/59 (Italien/Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl), Slg. 1960, 663 (708); A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 797 ff., 2376; kritisch zur Lehre der implied powers: BVerfGE 89, 155 (210); K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 116 ff., 126 f.; M. Rossi, in: C. Calliess/ M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 308 Rdnr. 45; zustimmend: Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 527 ff.; G. Nicolaysen, Europarecht I, S. 275 f. 342 Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 448, 458; K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 126 f. 343 EuGH v. 04.12.1974 – Rs. 41/74 (Yvonne van Duyn/Home Office), Slg. 1974, 1337 (Rdnr. 12); EuGH v. 06.10.1970 – Rs. 9/70 (Franz Grad/Finanzamt Traunstein), Slg. 1970, 825 (Rdnr. 5); EuGH v. 05.02.1963 – Rs. 26/62 (van Gend en Loos/Administratie der Belastingen), Slg. 1963, 1 (26 f.); Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 528 ff.; A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 559; H. D. Jarass, Die Kompetenzverteilung, AöR 1996, S. 173 (180); M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert

3. Kap.: Die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln 133

stritten.344 Das Bundesverfassungsgericht hat die über die Lehre der „implied powers“ und „effet utile“ angelegte Vertragserweiterung in seinem Maastricht-Urteil für Deutschland in Grenzen gewiesen.345 Anders dagegen der Europäische Gerichtshof; er unterstützt die Auslegung der gemeinschaftlichen Befugnisse nach diesen Lehren.346 Der Europäische Gerichtshof hat dies allerdings insoweit eingeschränkt, als er eine Übertragung hoheitlicher Befugnisse auf Hilfsorgane durch Artikel 308 EG weitgehend ausschließt.347 In der Literatur besteht weitgehend Übereinstimmung, daß die Gründung von Einrichtungen, die im Vertrag nicht vorgesehen sind, grundsätzlich auf Artikel 308 EG gestützt werden kann.348 Das umfaßt auch die Schaffung juristischer Personen.349 Es handelt sich dabei um eine juristische Person des Gemeinschaftsrechts. Von daher liegt es in der Befugnis der Gemeinschaft, die Agentur als eine juristische Person zu gründen. (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 308 Rdnr. 44; kritisch: K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 129 f. 344 Als notwendige Abrundung der gemeinschaftlichen Befugnisse, sieht Th. Oppermann, die „implied powers“-Lehre und die Lehre des „effet utile“ an; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 530; kritisch: M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 308 Rdnr. 44 f.; K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 127. 345 BVerfGE 89, 155 (210). 346 EuGH v. 15.07.1960 – Rs. 20/59 (Italien/Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl), Slg. 1960, 663 (708); EuGH v. 05.02.1963 – Rs. 26/62 (van Gend en Loos/Administratie der Belastingen), Slg. 1963, 1 (26 f.); EuGH v. 04.12.1979 – Rs. 41/74 (Yvonne van Duyn/Home Office), Slg. 1974, 1337 (Rdnr. 12). 347 R. Priebe, Entscheidungsbefugnisse vertragsfremder Einrichtungen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1. Aufl. 1979, S. 105 ff.; M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 319; ausführlicher insbesondere zu dem Begriff „hoheitlich“ siehe S. 140 ff. 348 M. Hilf, Die abhängige Juristische Person des Europäischen Gemeinschaftsrechts, ZaöRV 1976, S. 551 (559 f.); ders., Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, 1982, S. 85, 304 f.; R. Priebe, Entscheidungsbefugnisse vertragsfremder Einrichtungen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 91 ff.; B. Beutler in: B. Beutler/R. Bieber/J. Pipkorn/J. Streil (Hrsg.), Die Europäische Gemeinschaft, Rdnr. 129; M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 308 Rdnr. 61; Nach E. Grabitz setzt Artikel 177 (alt) Abs. 1 lit. c die Zulässigkeit der Errichtung vertraglich nicht vorgesehener Einrichtungen voraus. Dazu E. Grabitz, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 235 (alt), Rdnr. 80. 349 M. Hilf, Die abhängige Juristische Person des Europäischen Gemeinschaftsrechts, ZaöRV 1976, S. 551 (558 f.); ders., Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, 1982, S. 304; L.-J. Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaft I, S. 448; R. Priebe, Entscheidungsbefugnisse vertragsfremder Einrichtungen im europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 91 ff.; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 448.

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b) Einstimmigkeit Ein zu extensiver Einsatz von Artikel 308 EG ist durch das Erfordernis der Einstimmigkeit begrenzt. Das heißt, eine Maßnahme, die auf der Basis von Artikel 308 EG verabschiedet werden soll, muß im Rat einstimmig beschlossen werden. Das bedeutet, daß jedes Ratsmitglied der Maßnahme zustimmen muß. Der Rat ist zwar ein Organ der Gemeinschaft (Artikel 7 EG), dessen Mitglieder vertreten aber die Regierungen der Mitgliedstaaten (Artikel 203 EG). So bedeutet die Einstimmigkeit, daß, vereinfacht ausgedrückt, jeder Mitgliedstaat zustimmen muß und dadurch seine Interessen wahren kann. Einer extensiven Anwendung von Artikel 308 EG sind dadurch doch gewisse Grenzen gesetzt.350 Die demokratische Legitimation eines solchen Rechtsaktes ist jedoch schwach. Dazu fehlt es, vor allem wenn Hoheitsrechte übertragen werden, an der notwendigen Zustimmung der Legislativorgane in den Mitgliedstaaten.351 Diese extensive Interpretation des Artikel 308 EG würde zu einem Ermächtigungsgesetz der Regierung führen und gegen das demokratische und ebenso das rechtsstaatliche Prinzip des Gesetzesvorbehalts in Artikel 20 GG verstoßen.352 c) Institutionelles Gleichgewicht Grundsätzlich kann die Gemeinschaft auf die Agentur auch Befugnisse übertragen.353 Diese Übertragung unterliegt aber gewissen Grenzen.354 So darf die Agentur durch Art und Umfang ihrer Aufgaben nicht das in 350

Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 448. BVerfGE 89, 155 (210 ff.); Zur mangelnden demokratischen Legitimation im Falle einer weiten Auslegung des Artikel 308 EG siehe auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 637 ff.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 76 ff.; ders., Die Republik der Völker Europas, ARSP-Beiheft 71, 1997, S. 153 (154 ff.); K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 124, 127, 130; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht, S. 94. 352 BVerfGE 89, 155 (107 ff.); K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 76 f.; ders., Res publica res populi, S. 637 ff.; ders., Die Republik der Völker Europas, S. 153 (154 ff.); ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 118 f., 243; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht, S. 94; K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 124. 353 Zur Übertragung von Befugnisse auf Hilfsorgane siehe M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 314 f., 319; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 446; C. Calliess, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 351

3. Kap.: Die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln 135

Artikel 7 EG festgelegte institutionelle Gleichgewicht der Organe stören.355 Daher muß die Tätigkeit der Agentur im wesentlichen aus der Vorbereitung oder Durchführung von Entscheidungen für die Organe der Gemeinschaft bestehen.356 Die Durchführungsaufgaben werden zwar weit ausgelegt, müssen aber gerichtlich nachprüfbar sein.357 Dagegen können Befugnisse mit Ermessensspielraum nur ausnahmsweise übertragen werden.358 Ein ErmesArtikel 7 Rdnr. 14 f., 27 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 581, 588 ff. 354 Die wesentlichen Grundsätze dazu hat der Europäische Gerichtshof bereit 1958 in den „Meroni“-Urteilen festgehalten. EuGH v. 13.06.1958 – Rs. 9/56 (Meroni u. Co. Industrie Metallurgiche Spa/Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl), Slg. 1958, 11 (40 ff.); EuGH v. 13.06.1958 – Rs. 10/56 (Meroni u. Co. Industrie Metallurgiche Spa/Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl), Slg. 1958, 53 (78 ff.). Es ist aber zu berücksichtigen, daß die „Meroni“-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs einige Besonderheiten aufweist. So liegt der EGKS-Vertrag den Urteilen zugrunde und nicht der EG-Vertrag. Darüber hinaus handelte es sich um eine private Organisation und nicht um eine öffentliche Stelle. 355 EuGH v. 13.06.1958 – Rs. 9/56 (Meroni u. Co. Industrie Metallurgiche Spa/ Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl), Slg. 1958, 11 (44, 10. LS); EuGH v. 13.06.1958 – Rs. 10/56 (Meroni u. Co. Industrie Metallurgiche Spa/Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl), Slg. 1958, 53 (82); EuGH v. 17.12.1970 – Rs. 25/70 (Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel/Köster, Berodt&Co.), Slg. 1970, 1161 (Rdnr. 4, 2. LS); U. Everling, Zur Errichtung nachgeordneter Behörden der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, in: W. Hallstein/H.-J. Schlochauer, Zur Integration Europas – Festschrift für Carl Friedrich Ophüls, 1965, S. 39 f.; M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 312, 314; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 446 f.; C. Calliess, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 7 Rdnr. 28, 37. 356 M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 304 f.; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 447. 357 EuGH v. 13.06.1958 – Rs. 9/56 (Meroni u. Co. Industrie Metallurgiche Spa/ Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl), Slg. 1958, 11 (42 ff.); EuGH v. 30.10.1975 – Rs. 23/75 (Rey Soda/Cassa Conguaglio Zucchero), Slg. 1975, 1279 (Rdnr. 10/14); EuGH v. 11.03.1987 – verb. Rs. 279/84, 280/84, 285/84, 286/84 (Walter Rau Lebensmittelwerke u. a./Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1987, 1069 (Rdnr. 14); EuGH v. 29.06.1989 – Rs. 22/88 (Industrie- en Handelsonderneming Vreugdenhil B.V. u. a./Minister van Landbouw en Visserij), Slg. 1989, 2049 (Rdnr. 16); EuGH v. 17.10.1995 – verb. Rs. C-478/93 (Königreich der Niederlande/Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1995, I-3081 (Rdnr. 30); EuGH v. 04.02.1997 – verb. Rs. C-9/95, C-23/95 u. C-156/95 (Königreich Belgien u. Bundesrepublik Deutschland/Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1997, I-645 (Rdnr. 36); M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 304 f.; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 345 ff.; C. Calliess, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 7 Rdnr. 29. 358 L.-J. Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften I, S. 279, 400, 401, 404; M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaf-

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sensspielraum der Agentur kann nur akzeptiert werden, wenn der Rat oder die Kommission die Tätigkeit der Agentur kontrollieren und dafür die Verantwortung übernehmen.359 Die Übertragung von Ermessensentscheidungen, die weitreichende politische Entscheidungen beinhalten, ist nicht möglich, weil dies zu Störungen im institutionellen Gleichgewicht führen kann.360 Ebensowenig können hoheitliche Aufgaben übertragen werden.361 Eine Einrichtung, die darüber hinausgehende Befugnissen erhalten soll, muß auf der Basis von Artikel 48 EU durch eine Vertragsänderung gegründet werden.362 Wäre die Agentur als ein neues Organ der Gemeinschaft zu bewerten, wäre somit Artikel 235 EGV (jetzt Artikel 308 EG) für deren Errichtung nicht ausreichend gewesen. III. Kritische Betrachtung der Aufgaben und Befugnisse der Agentur Die Frage, ob die Gemeinschaft bei der Errichtung vertraglich nicht vorgesehener Einrichtungen ihre Befugnisse überschritten hat, ist für den jeweiligen Einzelfall zu überprüfen. Für die Agentur sind es vor allem zwei kritische Aspekte, die möglicherweise für eine Befugnisübertretung seitens der Gemeinschaft sprechen. Dazu gehört als eine der Hauptaufgaben der Agentur die Erstellung des Gutachtens im Rahmen des zentralen Zulassungsverfahrens.363 Die gutachten, S. 83 f., 319; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 447; E. Grabitz, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 235 (alt), Rdnr. 80 ff. 359 L.-J. Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften I, S. 401; R. Priebe, Entscheidungsbefugnisse vertragsfremder Einrichtungen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 121; M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 316, 319; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 447 f. 360 M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 319. 361 Auch der Erlaß von Richtlinien, Verordnungen oder Entscheidungen gemäß Artikel 249 EG sollte den Organen der Gemeinschaft vorbehalten bleiben. U. Everling, Zur Errichtung nachgeordneter Behörden der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, S. 44 f.; M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 316 ff., 319; K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 123 f. 362 U. Everling, Zur Errichtung nachgeordneter Behörden der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, S. 41 ff.; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 449. 363 Die dezentrale Zulassung ist in diesem Zusammenhang unproblematisch. Die Beurteilung und auch die Zulassung eines Arzneimittels erfolgt durch die Mitgliedstaaten. Die dezentrale Zulassung wird direkt bei den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten beantragt, ohne daß die Agentur eingeschaltet wird. Einzige Ausnahme besteht für den Fall, daß sich die Mitgliedstaaten über die Zulassung nicht einig sind und das Schiedsverfahren einleiten. Hier steht am Ende eine Entschei-

3. Kap.: Die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln 137

terliche Tätigkeit der Agentur könnte als Wahrnehmung einer hoheitlichen Aufgabe gelten. Dies würde im Konflikt zu den Befugnissen der Gemeinschaft zur Errichtung der Agentur stehen.364 Ein weiterer kritischer Punkt wäre ein zu weit gehender Ermessensspielraum der Agentur, bei der Auswahl der zum zentralen Zulassungsverfahren geeigneten Arzneimittel. Um diese Punkte richtig beurteilen zu können, ist es wichtig, zunächst den Einfluß der Gemeinschaftsorgane auf den institutionellen Aufbau der Agentur genauer zu betrachten, um anschließend den Einfluß des Gutachtens der Agentur auf die endgültige Zulassungsentscheidung der Agentur zu klären. Als letztes wird der Frage nach dem Ermessensspielraum der Agentur nachgegangen. 1. Kontrolle der Agentur durch die Gemeinschaftsorgane Die Gemeinschaftsorgane müssen in der Lage sein, die Agentur ausreichend kontrollieren zu können. Je umfangreicher die auf die Agentur übertragenen Befugnisse sind, desto umfangreicher muß auch die Kontrolle sein.365 Die betroffenen Gemeinschaftsorgane sind in diesem Zusammenhang überwiegend die Kommission und das Europäische Parlament. Während die Kommission die Aufgabe hat, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um den freien Warenverkehr auch für Arzneimittel zu ermöglichen, steht das Europäische Parlament in der Pflicht, die Kommission dazu aufzufordern. Daher sollten vor allem die Kommission und das Parlament einen Einfluß auf die Organisation der Agentur haben.366 Der Verwaltungsrat der Agentur setzt sich neben den Vertretern der Mitgliedstaaten auch aus jeweils zwei Vertretern der Kommission und des Parlamentes zusammen.367 Diese Vertreter sind zwar stimmberechtigt, haben dung der Kommission oder des Rates, die auf das Gutachten der Agentur gestützt ist. Daher gelten für diesen Fall die Ausführungen für das Zustandekommen der zentralen Zulassung. 364 U. Everling, Zur Errichtung nachgeordneter Behörden der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, S. 44 f.; M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 316 ff., 319; K. A. Schachtschneider/Th. C. W. Beyer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 123 f. 365 M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 305, 319; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 447 f. 366 Allgemein zur internen Organstrukturen solcher Einrichtungen siehe M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 322 ff. 367 Artikel 56 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1) zu den Vorschriften für den Verwaltungsrat.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

aber allein wenig Einfluß auf die Entscheidungen im Verwaltungsrat, weil diese Entscheidungen mit einer Zweidrittel-Mehrheit getroffen werden. Die Geschäftsordnung gibt sich der Verwaltungsrat selbst, ohne daß es einer Zustimmung der Kommission oder des Rates bedarf. Die Kommission hat durch ihr Recht, den Verwaltungsdirektor368 vorzuschlagen, dennoch Einfluß auf die Verwaltung der Agentur. Dieser dürfte jedoch nicht allzu groß sein, weil der Verwaltungsdirektor erst noch vom Verwaltungsrat gewählt werden muß. Diese Wahl wird mehrheitlich entschieden. Die vier Stimmen der Organe der Gemeinschaft spielen hier keine maßgebliche Rolle.369 Die Eigenständigkeit der Agentur370 innerhalb der Organisationsstruktur der Gemeinschaft wird durch die Personalautonomie unterstrichen.371 Daneben trägt die Art und Weise der Finanzierung zum Gradmaß der Unabhängigkeit der Agentur bei. Die Einnahmen der Agentur bestehen aus den Gebühren der antragstellenden Unternehmen sowie aus Zuwendungen der Gemeinschaft.372 Das Ziel ist die Selbstfinanzierung der Agentur allein durch die von den Unternehmen zu entrichtenden Gebühren für die Inanspruchnahme ihrer Dienste.373 Allerdings muß die Höhe der Gebühren durch den Rat genehmigt werden.374 So ist die Agentur jetzt schon teilweise unabhängig von finanziellen Zuwendungen aus der Gemeinschaft. Durch die Genehmigungspflicht der Gebührenordnung behält sich der Rat jedoch einen wesentlichen Einfluß vor. Darüber hinaus fließt der Haushaltsplan der Agentur in den Haushaltsplan der Gemeinschaft ein. Damit haben die Kommission, 368 Zu den Vorschriften für den Verwaltungsdirektor siehe Artikel 55 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 369 B. Collatz sieht allerdings sowohl in den insgesamt vier Vertretern von Kommission und Parlament, als auch in dem Vorschlagsrecht der Kommission maßgebliche Einflußmöglichkeiten von Parlament und Kommission auf die Verwaltung der Agentur. B. Collatz, Die neuen europäischen Zulassungsverfahren für Arzneimittel, S. 61. 370 Artikel 62 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 371 M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 330. 372 Artikel 57 Abs. 1 u. Artikel 58 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1); Verordnung 297/95/EWG des Rates v. 10.02.1995 über die Gebühren der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. Nr. L 35 v. 15.02.1995, S. 1). 373 Diskussionspapier der Kommission für die Finanzierung der Agentur gemäß Artikel 58 der Verordnung 2309/93 (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1); Die Finanzierung wurde leicht verändert durch die Verordnung 2743/98/EG des Rates v. 14.12.1998 zur Änderung der Verordnung 297/95/EWG über die Gebühren der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. Nr. L 345 v. 19.12.19985, S. 3). 374 Dies ist durch die Verordnung 297/95/EWG des Rates v. 10.02.1995 über die Gebühren der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. Nr. L 35 v. 15.02.1995, S. 1) geschehen.

3. Kap.: Die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln 139

das Parlament und der Rat die Möglichkeit, den Haushaltsplan der Agentur zu verändern. Alle Ausgaben der Agentur müssen vom Verwaltungsdirektor genehmigt werden. Die Einnahmen wie die Ausgaben der Agentur werden intern durch einen vom Verwaltungsrat zu ernennenden Finanzkontrolleur und extern durch den Rechnungshof kontrolliert.375 Insgesamt ist die finanzielle Struktur der Agentur und die Kontrolle ihrer Finanzen so aufgestellt, daß noch eine ausreichende Überwachung durch die Gemeinschaftsorgane gewährleistet wird. Je höher die Einnahmen der Agentur aus den Gebühren von Unternehmen werden und je mehr die Zuschüsse von der Gemeinschaft abnehmen, desto unabhängiger wird die Agentur auch insgesamt von den Gemeinschaftsorganen.376 Wie oben dargestellt, ist die Agentur insgesamt wesentlich in die Struktur der Gemeinschaftsorgane eingebunden. Sie unterliegt auch ausreichend deren Kontrolle. Dies erfolgt teilweise indirekt, beispielsweise durch das Vorschlagsrecht der Kommission für den Verwaltungsdirektor, oder direkt durch die Genehmigung der Gebühren und die Einbindung ihrer Finanzen in den Haushaltsplan der Gemeinschaft. So liegt die Kontrolle der Finanzen ganz entscheidend bei den Gemeinschaftsorganen. Dieser Einfluß bleibt selbst dann erhalten, wenn die Agentur sich ausschließlich durch Gebühren finanziert. Es fehlt ihr die autonome Entscheidung über Struktur und Höhe der Gebühren. Diese liegt weiterhin beim Rat. Aus den genannten Gründen gehört die Agentur als abhängige juristische Person zu den Hilfsorganen der Gemeinschaft und ist kein neues Organ der Gemeinschaft.377 Ihr Handeln kann konsequenterweise der Kommission zugerechnet werden. 2. Die Bedeutung des Gutachtens Die Hauptaufgabe der Agentur ist die wissenschaftliche Beratung der Kommission in Form eines Gutachtens. Grundsätzlich ist eine Beratungstätigkeit von einem Hilfsorgan für die Kommission als wenig problematisch zu betrachten.378 Dies obwohl es sich bei der Agentur um eine rechtsfähige 375 Zu den Finanzvorschriften siehe Artikel 57 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 376 M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 334 f. 377 M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, 1982, S. 84 ff., 316 ff.; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 445 ff., 458 f.; G. Nicolaysen, Europarecht II, S. 122 f. 378 Die Durchführungsbefugnisse der Kommission sind weit auszulegen. Dies ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang des Vertrages und der Stellung von Artikel 211 EG sowie aus den Anforderungen der Praxis. Die Grenzen sind „nach den allgemeinen Hauptzielen der Marktorganisation und weniger nach den Buchstaben der Ermächtigung zu beruteilen.“ In diesem Sinne EuGH v. 30.10.1975 – Rs. 23/75 (Rey Soda/Cassa Conguaglio Zucchero), Slg. 1975, 1279 (Rdnr. 10/14); M. Hilf,

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Organisation handelt.379 Wie aus dem vorherigen Abschnitt deutlich wird, zählt die Agentur durch ihre verhältnismäßig starke Anbindung an die Gemeinschaftsorgane und ihre stark begrenzte Außengewalt zur Gemeinschaftsverwaltung. Die Erstellung des Gutachtens für die Kommission ist daher als interne Beratungsleistung zu verstehen. Damit ist auch der kritischere Fall einer externen Beratung auszuschließen.380 Die wissenschaftliche Beratung durch die Agentur könnte aber zum einen eine befugnisüberschreitende Übertragung von Hoheitsrechten und zum anderen bereits die endgültige Zulassungsentscheidung darstellen. Die Zulassungserteilung durch die Kommission wäre somit nur noch eine formale Angelegenheit. a) Hoheitliche Tätigkeit Die öffentlichen oder hoheitlichen Aufgaben des Staates ergeben sich aus der Verfassung oder den Gesetzen.381 Jede Handlung des Staates ist eine hoheitliche Tätigkeit.382 Jede Ausübung von Staatsgewalt ist daher hoheitlich. Eine Unterscheidung in hoheitliche und private Tätigkeit des Staates, wie sie die herrschende Lehre in der Fiskusdoktrin383 vornimmt, ist nicht freiheitlich und widerspricht der Republik.384 Demnach ist die Erstellung Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 304 f.; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 345 ff. 379 Neben der Schaffung einer juristischen Person des Gemeinschaftsrechts ist für die Beantwortung der Frage nach der Übertragung von zu weitgehenden Befugnissen auf die Agentur vor allem der Umfang der übertragenen Handlungsbefugnisse ausschlaggebend. M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 316. 380 Zur Problematik der Beratungstätigkeit siehe W. Brohm, Sachverständige Beratung des Staates, HStR, Bd. II, 1987, § 36 Rdnr. 30 ff., 38. 381 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 17, 519; ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung. Exemplifiziert am Beispiel des staatlichen und kommunalen Vermessungswesens in Bayern, 2003, 2. Teil 3. Kapitel, I., 4. Teil 5. Kapitel. 382 K. A. Schachtschneider, Der Anspruch auf materiale Privatisierung. Exemplifiziert am Beispiel des staatlichen und kommunalen Vermessungswesens in Bayern, 2. Teil 3. Kapitel, 4. Teil 5. Kapitel; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Unrecht gegenüber den Vertragsärzten in der Gesetzlichen Krankenversicherung, 1. Teil 4. Kapitel II., IV. 383 Der Staat als Privatrechtssubjekt. BVerfGE 27, 364 (373); BGHZ 35, 311 (312 f.); 36, 91 (95 f.); 37, 1 (16 f.); 82, 375 (381); BVerwGE 7, 180 (181 f.); 17, 306 (313); 38, 281 (283 f.); 39, 329 (337). 384 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 268 ff.; ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung. Exemplifiziert am Beispiel des staatlichen und kommunalen Vermessungswesens in Bayern, 2. Teil 2. Kapitel, 4. Teil 3. Kapitel, 5. Kapitel, VI., VIII.; K. A. Schachtschneider (A. Emmerich-Fritsche), Fallstudie

3. Kap.: Die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln 141

des Gutachtens der Agentur als eine hoheitliche Aufgabe einzustufen, insbesondere weil diese durch eine feste, der Verwaltung zuordenbare Institution erfolgt.385 Jede staatliche Aufgabe ist eine hoheitliche Aufgabe. Dazu zählen auch die Verwaltungstätigkeiten staatlicher Organe. Die Gemeinschaft ist zwar kein Staat im funktionalen Sinne, dennoch zählt die Kommission als ein staatliches Organ im existentiellen Sinn.386 Die Agentur ist in die Organstruktur der Gemeinschaft eingebunden, ihr Handeln kann der Kommission zugerechnet werden.387 Weil die Agentur nicht privat ist, ist auch ihre Beratungstätigkeit nicht privat sondern hoheitlich.388 Deshalb ist das Kriterium der „hoheitlichen Aufgabenübertragung“ zu undifferenziert. Vielmehr darf die Errichtung der Agentur auf der Grundlage von Artikel 308 EG gemäß dem Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht zu einer Vertragsänderung führen.389 Vertragsänderungen sind den Mitgliedstaaten vorbehalten und können nicht von den Organen der Gemeinschaft beschlossen werden. So kann die Gemeinschaft nicht durch die Verordnung 2309/93/EG Rechtsetzungsbefugnisse auf die ebenfalls durch Sekundärrecht geschaffene Europäische Arzneimittelagentur übertragen.390 Der Europäische Gerichtshof hat ein engeres Verständnis von „hoheitlich“. Nach seiner Auffassung bleibt eine hoheitliche Tätigkeit nur leitenden Kontrollfunktionen in bestimmten Organen vorbehalten.391 Darunter zum Kommunalen Wettbewerb, in: K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Fallstudien zum Öffentlichen Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2002, S. 26 (34 ff., 39); K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Unrecht gegenüber den Vertragsärzten in der Gesetzlichen Krankenversicherung, 1. Teil 4. Kapitel, II.; ders., Freiheit in der Republik, i. E., S. 258 ff. 385 K. A. Schachtschneider, Der Anspruch auf materiale Privatisierung. Exemplifiziert am Beispiel des staatlichen und kommunalen Vermessungswesens in Bayern, 2. Teil 3. Kapitel, 4. Teil 5. Kapitel; W. Brohm, Sachverständige Beratung des Staates, HStR, Bd. II, 1987, § 36 Rdnr. 38 ff., 42. 386 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 92 ff. 387 Genauer S. 130 ff., 136 ff. 388 K. A. Schachtschneider, Der Anspruch auf materiale Privatisierung. Exemplifiziert am Beispiel des staatlichen und kommunalen Vermessungswesens in Bayern, 4. Teil 5. Kapitel, VI. 3. ff. 389 BVerfGE 89, 155 (209 f.). 390 G. Nicolaysen, Europarecht II, S. 123. 391 EuGH v. 17.12.1980 – Rs. 149/79 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Königreich Belgien), Slg. 1980, 3881 (Rdnr. 11 ff.); EuGH v. 26.05.1982 – Rs. 149/79 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Königreich Belgien), Slg. 1982, 1845 (Rdnr. 7 ff.); EuGH v. 03.06.1986 – Rs. 307/84 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Französische Republik), Slg. 1986, 1725 (Rdnr. 12 f.); EuGH v. 03.07.1986 – Rs. 66/85 (Deborah Lawrie-Blum/Land Baden-Württemberg), Slg. 1986, 2121 (Rdnr. 26 ff.); EuGH v. 27.11.1991 – Rs. C-4/91 (Anne-

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

fallen überwiegend die klassischen Verwaltungstätigkeiten wie Polizei, Steuerverwaltung oder der diplomatische Dienst.392 Der Europäische Gerichtshof hat allerdings eingeräumt, „staatliche Leitungs- oder Bearbeitungsfunktionen in wissenschaftlichen und technischen Fragen könnten als Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung im Sinne von Artikel 48 Absatz 4 EWG-Vertrag angesehen werden“.393 Hier hat es der Gerichtshof zumindest offen gelassen, ob die gutachterliche Tätigkeit der Agentur nicht doch als öffentliche Aufgabe und damit als eine hoheitliche Tätigkeit einzustufen wäre. Demnach könnte die Beratungstätigkeit der Agentur auch nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs eine „hoheitliche“ Tätigkeit darstellen. Dennoch führt nicht die Übertragung von Hoheitsbefugnissen an sich zu einer Befugnisüberschreitung seitens der Gemeinschaft, sondern eine mit der Übertragung von Hoheitsbefugnissen einhergehende Verlagerung der Verantwortung.394 Das führt zu dem nächsten kritischen Aspekt, inwieweit das Gutachten der Agentur die endgültige Entscheidung bereits vorwegnimmt;395 denn die Verantwortung für den Zulassungsbescheid, der ein Rechtsakt der Verwaltung ist, muß weiterhin bei den Organen der Gemeinschaft liegen.396

b) Das Gutachten der Agentur als Vorwegnahme der endgültigen Entscheidung? Innerhalb der Agentur ist der Ausschuß für Arzneispezialitäten (CPMP) für die Erstellung des Gutachtens verantwortlich. Der Ausschuß für Arzneispezialitäten besteht aus Wissenschaftlern, die mit der Beurteilung von Arzneimitteln bereits Erfahrungen gesammelt haben (Artikel 52 Abs. 1 und Artikel 53 Abs. 2 der Verordnung 2309/93/EWG). Sie sind Spezialisten auf diesem Gebiet. Sie haben die Fähigkeit dazu, bestmöglich zu beurteilen, ob ein Arzneimittel gesundheitsgefährdend sein könnte. Der Einfluß der Mitgret Bleis/Ministère de l’Education nationale), Slg. 1991, I-5627 (Rdnr. 6 ff.); Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1533 ff.; A. Randelzhofer/U. Forsthoff, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 39 (neu), Rdnr. 223. 392 A. Randelzhofer/U. Forsthoff, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 39 (neu), Rdnr. 222 f. 393 EuGH v. 16.06.1987 – Rs. 225/85 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Republik Italien), Slg. 1987, 2625 (Rdnr. 9); dazu A. Randelzhofer/U. Forsthoff, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 39 (neu), Rdnr. 228. 394 M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 316 ff. 395 Siehe dazu W. Brohm, Sachverständige Beratung des Staates, HStR, Bd. II, 1987, § 36 Rdnr. 30 ff. 396 M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 318 f.

3. Kap.: Die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln 143

gliedstaaten auf den Ausschuß für Arzneispezialitäten durch die Auswahl der Sachverständigen und damit auf den Inhalt der Zulassung ist nicht unerheblich.397 Die Agentur hat daher einen Wissensvorsprung zur Kommission. Sie gibt ihr Wissen in einem Gutachten an die Kommission weiter. Aufgrund dieser Ansammlung von Fachwissen im Ausschuß für Arzneispezialitäten hat die Agentur einen bedeutenden Einfluß auf den Entscheidungsentwurf der Kommission. So gesehen, wird die Kommission vom Gutachten wohl nur aufgrund von formalen Fehlern abweichen.398 Eine Abweichung aus wissenschaftlichen Gründen ist eher unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Artikel 32 Abs. 1 der Verordnung 2309/93/EWG nennt keine Voraussetzungen für eine abweichende Entscheidung der Kommission. Jedoch ist eine Abweichung nur ausnahmsweise gestattet (nach Artikel 32 Abs. 1 S. 3 der Verordnung 2309/93/EWG). Die Kommission hat eine eingehende Begründung beizufügen. Auch der Entscheidungsentwurf der Kommission muß noch nicht mit der endgültigen Entscheidung übereinstimmen.399 Die Mitgliedstaaten können noch Einwände gegen den Entscheidungsentwurf vorbringen. Diese werden von der Kommission überprüft. Sie entscheidet, ob sich aus den Stellungnahmen neue, bisher noch nicht berücksichtigte Aspekte ergeben und ob sie sich auf wissenschaftliche oder technische Fragen beziehen. Eine genauere Begriffsbestimmung sieht die Verordnung 2309/93/EWG diesbezüglich nicht vor. Daher ist zwar theoretisch eine Einflußmöglichkeit seitens der Mitgliedstaaten gegeben, die sich aber eher gering auswirken wird.400 Die Kommission muß auch den Ständigen Ausschuß für Humanarzneimittel in das Zulassungsverfahren einbeziehen.401 Auch dieser Ausschuß ist mit Wissenschaftlern aus den Mitgliedstaaten besetzt (Artikel 3 Beschluß des Rates 1999/468/EG). Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang auch, daß die Sachverständigen des Ausschusses für Humanarzneimittel in einem staatlichen Abhängigkeits- und Verantwortungszusammenhang eingebunden 397 398

K.-P. Mohrbutter, Das BfArM: eine europäische Behörde, S. 237. B. Collatz, Die neuen europäischen Zulassungsverfahren für Arzneimittel,

S. 74. 399 Artikel 10 Abs. 1 S. 3 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). 400 Zu bedenken ist natürlich, daß bereits während der Erstellung des Gutachtens und in der Zusammenarbeit der Sachverständigen aus den Mitgliedstaaten solche Fragen in der Diskussion gelöst werden. Andernfalls könnte sich das Zulassungsverfahren für den Antragsteller unzumutbar in die Länge ziehen. 401 Artikel 121 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). Dazu auch S. 81 ff. sowie Fußnote 122 in diesem Teil.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

sind.402 Sie sind zwar formal in die Organisation der Gemeinschaftsorgane eingebunden. Darüber hinaus vertreten sie aber ihre jeweiligen nationalen Behörden und unterliegen deren Weisungen.403 Nur wenn die Stellungnahme des Ständigen Ausschusses mit dem Entscheidungsentwurf der Kommission übereinstimmt, kann die Kommission ihren Entwurf erlassen. Stimmt der Ständige Ausschuß mit dem Kommissionsentwurf nicht überein, fällt die Ausführung des Gemeinschaftsrechts wieder an den Rat zurück.404 Somit verändert ein negatives Votum des Ständigen Ausschusses die Zuständigkeit der Organe. Ohne einer erneuten Überprüfung des Entwurfs entscheidet anstelle der Kommission nun der Rat. Die Kommission kann also erst ihren Entscheidungsentwurf umsetzen, wenn die Mitgliedstaaten und der Ständige Ausschuß keine Einwände haben. Daher läßt sich durchaus vertreten, daß das Gutachten der Agentur nicht den Inhalt der endgültigen Entscheidung vorweg nimmt. Es ist aber unbestritten, daß das Gutachten der Agentur nicht nur den Entscheidungsentwurf der Kommission sondern auch die endgültige Entscheidung über die Zulassung des Arzneimittels erheblich beeinflußt.405 Der Einfluß der Mitgliedstaaten auf die Sachverständigen, die als „Delegierte der Mitgliedstaaten“ handeln sowie das Letztentscheidungsrecht des Rates mindern erheblich die Bedenken gegen die Europäische Arzneimittel402 Zur Notwendigkeit der Einbindung und der Kontrolle siehe W. Brohm, Sachverständige Beratung des Staates, HStR, Bd. II, 1987, § 36 Rdnr. 10; H.-J. Pabel, Arzneimittel- und Medizinprodukte als res publica, in: T. Ott/F.-W. Hefendehl/P. Grosdanoff (Hrsg.), Arzneimittel und Medizinprodukte Bewertung – Verfahren – Perspektiven, 1998, S. 32 ff.; R. Elbers, Das zentralisierte europäische Arzneimittelzulassungssystem, in: T. Ott/F.-W. Hefendehl/P. Grosdanoff (Hrsg.), Arzneimittel und Medizinprodukte Bewertung – Verfahren – Perspektiven, 1998, S. 250; U. Kleeberg/A. G. Hildebrandt, Regulatorische Aspekte bei der Einführung der somatischen Gentherapie: Die Situation in Deutschland, Europa und den USA, in: T. Ott/F.-W. Hefendehl/P. Grosdanoff (Hrsg.), Arzneimittel und Medizinprodukte Bewertung – Verfahren – Perspektiven, 1998, S. 364. 403 Artikel 52 Abs. 1 und 3 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). P. Deboyser, Les nouvelles procédures communautaires pour l’autorisation et la surveillance des médicaments, Revue du Marché Unique et Européen 1995, S. 31 (65). 404 Das Verfahren der Durchführung von Gemeinschaftsrecht durch die Kommission kann so ausgestaltet werden, daß die Kommission vor der Ausübung ihrer Verwaltungsbefugnisse organisatorisch selbständige Ausschüsse zu konsultieren hat. Das kann dazu führen, daß durch ein negatives Votum des Ausschusses die Durchführung der Verordnung wieder an den Rat zurückfällt. R. Bieber in: B. Beutler/ R. Bieber/J. Pipkorn/J. Streil (Hrsg.), Die Europäische Gemeinschaft, Rdnr. 459; R. Bieber, Die Verwaltungsorganisation der Europäischen Gemeinschaft, 1991, S. 100 f.; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 345 ff., 638. 405 So auch B. Collatz, Die neuen europäischen Zulassungsverfahren für Arzneimittel, S. 60, 137, 139, 152.

3. Kap.: Die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln 145

agentur. Es handelt sich wohl ähnlich den Entscheidungen im Rat um ein Kompromißverfahren, das dem Binnenmarkt dient. Problematisch ist die Übertragung von Befugnissen mit Ermessensspielraum auf Hilfsorgane. Dies bleibt als letzter Punkt in diesem Zusammenhang zu untersuchen. 3. Übertragung einer Ermessensentscheidung auf die Agentur Im Rahmen der zentralen Zulassung hat die Agentur einen Ermessensspielraum für die Zuordnung eines Arzneimittels zu Teil B des Anhangs der Verordnung 2309/93/EWG. Bevor die Europäische Arzneimittelagentur ein Arzneimittel auf dessen Sicherheit und Wirksamkeit begutachtet, überprüft sie, ob das Arzneimittel das zentrale Verfahren überhaupt durchlaufen kann. Fällt das Arzneimittel unter die im Anhang Teil A der Verordnung 2309/ 93/EWG beschriebenen Kriterien, muß es sogar das zentrale Verfahren durchlaufen. Teil A des Anhangs betrifft biotechnologische Arzneimittel und ist so detailliert, daß die Agentur hier praktisch keinen Gestaltungsspielraum hat. Anders ist dies für Teil B der Verordnung 2309/93/EWG.406 Fällt das Arzneimittel unter Teil B des Anhangs, kann der Unternehmer anstelle der dezentralen Zulassung auch einen Antrag auf eine zentrale Zulassung stellen. Dieser Teil arbeitet mit offenen Begriffen und es liegt an der Agentur zu beurteilen, ob ein Arzneimittel darunter fällt. Das heißt, die Agentur beurteilt, ob das Arzneimittel einen bedeutenden technischen Fortschritt darstellt, eine bedeutende Innovation ist oder von bedeutendem therapeutischen Interesse ist. Es liegt im Ermessen der Agentur, die zur Beurteilung notwendigen Kriterien aufzustellen. Bejaht die Agentur die Zugehörigkeit des Arzneimittels zu Teil B des Anhangs, so stehen dem Antragsteller sowohl das zentrale als auch das dezentrale Zulassungsverfahren offen. Verneint die Agentur eine Zuordnung, so kann das betreffende Arzneimittel ausschließlich im Rahmen des dezentralen Verfahrens auf den Markt gebracht werden, was für den Antragsteller durchaus nachteilig wäre.407 Die Kommission fällt oder vermittelt nicht einmal formal die Entscheidung. Insoweit ist die Agentur nicht nur mit Durchführungsmaßnahmen betraut, sondern faßt auch Ermessensentscheidungen. Die Übertragung einer Ermes406 Dazu auch B. Collatz, Die neuen europäischen Zulassungsverfahren für Arzneimittel, S. 65, 134 ff.; dies., Die Europäische Agentur zur Beurteilung von Arzneimitteln, S. 39 f. 407 Dies betrifft die Geschwindigkeit der Markteinführung und vor allem die Laufzeit des Schutzzertifikats. B. Collatz, Die neuen europäischen Zulassungsverfahren für Arzneimittel, S. 140.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

sensentscheidung führt zu Problemen, wenn das institutionelle Gleichgewicht sowie der Individualrechtsschutz dadurch beeinträchtigt werden.408 Die Gemeinschaft hat bei der Errichtung der Agentur das institutionelle Gleichgewicht zu wahren.409 Es darf aber durch die Agentur und die ihr übertragenen Aufgaben und Befugnisse nicht zu einer wesentlichen Verschiebung der Organstruktur und damit des Verhältnisses von Rat, Kommission und Parlament kommen. Eine solche Verschiebung kann vorliegen, wenn ein einzelnes Organ Befugnisse auf neugeschaffene, selbständige Personen, wie die Agentur, überträgt.410 Dies ist hier nicht der Fall. Die Agentur erhielt ihre Aufgaben durch die Verordnung 2309/93/EWG, die der Rat auf Vorschlag der Kommission und mit der Zustimmung der anderen Organe verabschiedet hat. Genausowenig trägt das Bestehen der Agentur zu einem Aufbau einer gemeinschaftlichen Verwaltung bei, die ohne Zustimmung der Kommission erfolgt.411 Im Gegenteil, die Kommission hat, wie bereits dargestellt, einen ausreichenden Einfluß auf die Organisation der Agentur. Darüber hinaus leistet die Agentur eine vorbereitende Tätigkeit, während die endgültige Entscheidung in der Befugnis der Kommission oder des Rates bleibt. Die einzige endgültige Entscheidung, die die Agentur selbst trifft, ist die Einordnung eines Arzneimittels zu Teil B des Anhangs der Verordnung 2309/93/EWG und damit der Zulassung des Arzneimittels zum zentralen Verfahren. Diese Entscheidung führt nicht zu einer Verschiebung der Organstruktur und ist somit nicht geeignet, das institutionelle Gleichgewicht zu beeinträchtigen. Wesentlich bedenklicher ist in diesem Zusammenhang, ob für den Antragsteller der Rechtsschutz ausreichend gewahrt ist.412 Die Verordnung 2309/93/EWG selbst sieht keine Vorschriften über die Rechts- und Fachauf408 R. Priebe, Entscheidungsbefugnisse vertragsfremder Einrichtungen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 121; M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 313. 409 EuGH v. 13.06.1958 – Rs. 9/56 (Meroni u. Co. Industrie Metallurgiche Spa/ Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl), Slg. 1958, 11 (44); EuGH v. 13.06.1958 – Rs. 10/56 (Meroni u. Co. Industrie Metallurgiche Spa/ Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl), Slg. 1958, 53 (82); EuGH v. 17.12.1970 – Rs. 25/70 (Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel/Köster u. Berodt&Co. KG), Slg. 1970, 1161 (Rdnr. 4, 2. LS); M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 312 ff. 410 M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 314. 411 Ein solcher Verwaltungsaufbau könnte zu einer Verschiebung des institutionellen Gleichgewichts führen. M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 315. 412 Auch die Wahrnehmung von reinen Durchführungsaufgaben kann Rechte Dritter verletzen. R. Priebe, Entscheidungsbefugnisse vertragsfremder Einrichtungen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 142 ff.; M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 349.

3. Kap.: Die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln 147

sicht der Agentur durch die Gemeinschaftsorgane vor. Unbefriedigend scheint zunächst die fehlende Rechtsaufsicht der Agentur vor allem im Zusammenhang mit der Ermessensentscheidung der Agentur, ob ein Arzneimittel das zentrale Zulassungsverfahren durchlaufen kann. Dies betrifft in erster Linie Arzneimittel, die unter die sehr offen formulierten Kriterien des Teil B im Anhang der Verordnung 2309/93/EWG fallen. Hier tritt die Agentur unmittelbar gegenüber dem Antragsteller als Entscheider auf. Die Entscheidung der Agentur ist rechtswirksam und endgültig.413 Für den Fall einer abschlägigen Entscheidung hat der Antragsteller keinen Zugang zum zentralen Verfahren mehr. Die Verordnung 2309/93/EWG sieht kein Verfahren vor, diese Entscheidung durch ein Gericht klären zu lassen. Das Widerspruchsrecht des Antragstellers führt lediglich zu einer erneuten Überprüfung durch die Agentur selbst.414 Weil, wie bereits dargelegt, das Handeln der Agentur jedoch der Kommission zugerechnet werden kann, erhalten der Antragsteller sowie andere durch die Entscheidungen der Agentur Betroffene ausreichenden Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof.415 413 So auch B. Collatz, Die neuen europäischen Zulassungsverfahren für Arzneimittel, S. 137, 140. 414 Der EuGH hat den Grundsatz auf rechtliches Gehör auch für Verwaltungsverfahren im Gemeinschaftsrecht betont. Demnach hat der Antragsteller bereits vor dem Erlaß einer endgültigen Entscheidung einen Anspruch auf rechtliches Gehör. EuGH v. 23.10.1974 – Rs. 17/74 (Transocean Marine Paint Association/Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1974, 1063 (Rdnr. 15); EuGH v. 13.02.1979 – Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche&Co. AG/Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1979, 461 (Rdnr. 9); EuGH verb. Rs. 100/80 bis 103/80 (SA Musique Diffusion Francaise u. a./Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1983, 1825 (Rdnr. 10, 2. LS); In der Praxis hat sich der Anspruch auf rechtliches Gehör bisher als mangelhaft erwiesen. B. Collatz, Die Beteiligungsrechte des Betroffenen bei der Durchführung der Zulassungsverfahren, in: B. Collatz (Hrsg.), Handbuch der EU-Zulassung – Zentralisiertes Verfahren und Verfahren der gegenseitigen Anerkennung für Human- und Tierarzneimittel, S. 245 ff. 415 U. Everling, Zur Errichtung nachgeordneter Behörden der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, S. 47 ff.; P. Deboyser, Les nouvelles procédures communautaires pour l’autorisation et la surveillance des médicaments, Revue du Marché Unique et Européen 1995, S. 31 (72 ff.); B. Collatz, Die neuen europäischen Zulassungsverfahren für Arzneimittel, 1996, S. 62, 136 ff. Der Europäische Gerichtshof versteht den Zugang zu den Gerichten als einen wesentlichen Bestandteil jeder Rechtsgemeinschaft. Dieser wird im Gemeinschaftsrecht dadurch garantiert, daß der Vertrag ein vollständiges Rechtsschutzsystem geschaffen hat: EuGH v. 23.04.1986 – Rs. 294/83 (Les Verts/Parlament), Slg. 1986, 1339 (Rdnr. 23); EuGH v. 25.07.2002 – Rs. C-50/00 P (Unión de Pequenˇos Agricultores/Rat der Europäischen Union), Slg. 2002, I-6677 (Rdnr. 38 f., 62); Der Europäische Gerichtshof erster Instanz hat in seinem Urteil v. 03.05.2002 – Rs. T-177/01 (JégoQuéré&CieSA/Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 2002, II-2365 (Rdnr. 35 ff., 41 ff., 50 f.) die für den Rechtsschutz notwendige Voraussetzung der „individuellen Betroffenheit“ für den Fall ausgedehnt, daß sonst kein wirksamer ge-

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Weil das Handeln der Agentur der Kommission zugerechnet werden kann, besteht die Möglichkeit, gegen die Entscheidung der Agentur mit einer Nichtigkeitsklage gemäß Artikel 230 Abs. 4 EG gerichtlich vorzugehen.416 Würde dieses Handeln nicht der Kommission zugerechnet werden, wäre der Vertrag durch Artikel 3 Abs. 2 der Verordnung 2309/93/EWG in Verbindung mit Teil B des Anhangs der Verordnung 2309/93/EWG verletzt. Der Antragsteller hätte keinen ausreichenden Rechtsschutz.417 4. Ergebnis Die Beratung der Kommission als hoheitliche Tätigkeit ist in diesem Fall für die Frage nach einer Befugnisüberschreitung nicht ausschlaggebend. Die Funktion der Agentur ist als interne Beratung der Kommission einzustufen, weil sie insgesamt noch zu stark in die Struktur und Verantwortung der Gemeinschaftsorgane eingebunden ist, als daß sie als eigenständig gewertet werden kann. Sie unterliegt damit einer starken Kontrolle der Gemeinschaftsorgane. Hinzu kommt, daß das Gutachten der Agentur zwar einen wesentlichen Einfluß auf die endgültige Entscheidung hat, diese aber nicht vorweg nimmt. Die endgültige Entscheidung über die Zulassung eines Arzneimittels wird in einem mehrstufigen Verfahren getroffen. An der inhaltlichen Entscheidungsfindung sind die Mitgliedstaaten durch den Ausschuß für Humanarzneimittel, dem Ständigen Ausschuß sowie eigenen Stellungnahmen wesentlich beteiligt. Die Ausschußmitglieder sind in die Verantwortung ihrer richtlicher Rechtsschutz möglich ist. Allerdings hat dies der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil v. 25.07.2002 – Rs. C-50/00 P (Unión de Pequenˇos Agricultores/Rat der Europäischen Union), Slg. 2002, I-6677 (Rdnr. 40 ff., 44 f.) anders entschieden. Ein fehlender Gerichtsschutz sei keine Begründung, das Kriterium der „individuellen Betroffenheit“ nachzuweisen. Dazu H.-P. Schneider, Es gibt noch Richter in Luxemburg – Zum Individualrechtsschutz durch europäische Gerichte, NJW 2002, S. 2927 (2928). Allgemein zum Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof siehe beispielsweise H.-W. Rengeling/A. Middeke/M. Gellermann, Rechtsschutz in der Europäischen Union – Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts vor europäischen und deutschen Gerichten, 1994, S. 31 ff., 276 ff., 314 ff. 416 Nach B. Collatz (Die neuen europäischen Zulassungsverfahren für Arzneimittel, S. 65, 135 ff., 138 ff., 187) liegen die dafür notwendigen Voraussetzungen vor. Insbesondere kann die Entscheidung der Agentur über die Zuordnung eines Arzneimittels zum zentralen Verfahren als eine Entscheidung i. S. des Artikel 230 Abs. 4 EG angesehen werden. Ausführlich zu den Voraussetzungen und dem Ablauf der Nichtigkeitsklage in einem solchen Fall siehe P. Deboyser, Les nouvelles procédures communautaires pour l’autorisation et la surveillance des médicaments, Revue du Marché Unique et Européen 1995, S. 31 (72 ff.); B. Collatz, Die neuen europäischen Zulassungsverfahren für Arzneimittel, S. 135 ff. 417 B. Collatz, Die neuen europäischen Zulassungsverfahren für Arzneimittel, S. 137.

4. Kap.: Sonstige Produktregelungen für Arzneimittel

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nationalen Behörde eingebettet. Kritisch anzumerken ist jedoch der Modus zur Entscheidungsfindung in den Ausschüssen. Die Einstimmigkeit ist lediglich eine Soll-Vorgabe, aber keine Muß-Bestimmung. Einzelne Mitgliedstaaten können daher auf dem wichtigen Gebiet des Gesundheitsschutzes für Arzneimittel überstimmt und damit gezwungen werden, das Mittel trotz eigener Bedenken zuzulassen. Formal wird die endgültige Entscheidung von Kommission oder Rat getroffen und erlassen.418 Zudem entfaltet das Gutachten der Agentur keine Rechtswirkung nach außen. Es ist das Ergebnis eines mehrstufigen internen Verfahrens. Einzige Außenwirkung der Agentur ist die Einordnung eines Arzneimittels unter Teil B des Anhangs der Verordnung 2309/93/EWG.419 Das räumt der Agentur in ganz engen Grenzen ein Ermessen ein. Der Rechtsschutz bleibt gewahrt. So läßt sich nach der Analyse der Aufgaben und Struktur der Europäischen Arzneimittelagentur festhalten, daß die Gemeinschaft mit der Errichtung der Agentur auf der Grundlage von Artikel 235 EGV (jetzt Artikel 308 EG) ihre Befugnisse nicht überschritten hat.420 4. Kapitel Sonstige Produktregelungen für Arzneimittel Ein Arzneimittel besteht nicht nur aus dem stofflichen Produkt, sondern auch aus der zu ihm gehörenden Produktinformation. So hat der Europäische Gerichtshof in mehreren Urteilen eindeutig Stellung genommen und bezieht die Verpackung421 sowie die Packungsbeilage422 in die Definition von Arzneimitteln ein.423 418 Die Wahrung des institutionellen Gleichgewichts umfaßt sowohl die Aufbaustruktur als auch die Entscheidungsstruktur. M. Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 324. 419 ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1. 420 Dazu auch B. Collatz, Die neuen europäischen Zulassungsverfahren für Arzneimittel, S. 65, 137; G. Nicolaysen, Europarecht II, S. 123; Wäre die Entscheidung der Kommission lediglich eine Formalie und das Gutachten der Agentur tatsächlich die eigentliche Entscheidung, wäre eine Vertragsänderung notwendig gewesen und die Gemeinschaft hätte ihre Kompetenzen überschritten. P. Deboyser, Les nouvelles procédures communautaires pour l’autorisation et la surveillance des médicaments, Revue du Marché Unique et Européen 1995, S. 31 (64). 421 Damit ist die äußere Umhüllung des Arzneimittels gemeint, auf der die Hinweise angebracht sind. Das ist nach Artikel 1 Nr. 24 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) jene Verpackung, in der die Primärverpakkung, die unmittelbar mit dem Arzneimittel in Berührung kommt, enthalten ist. Fehlt eine äußere Verpackung, gilt die Primärverpackung als Verpackung. Die Pri-

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Die Verpackung, wie auch die Packungsbeilage sind demnach als produktbezogene Reglungen einzustufen und an dem Verbot der Maßnahme gleicher Wirkung des Artikel 28 EG zu messen.424 Inwieweit jedoch die Werbung für Arzneimittel, als weiterer Bestandteil der Produktinformation, als Produktregelung angesehen werden muß oder nach der Keck-Rechtsprechung425 des Europäischen Gerichtshofs unter Verkaufsmodalitäten fällt, ist offen.426 märverpackung ist gemäß Artikel 1 Nr. 23 der Richtlinie 2001/83/EG „das Behältnis oder jede andere Form der Arzneimittelverpackung, die unmittelbar mit dem Arzneimittel in Berührung kommt“. 422 Nach Artikel 1 Nr. 26 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) ist die Packungsbeilage „der dem Arzneimittel beigefügte Beipackzettel für den Verbraucher“. 423 EuGH v. 30.11.1983 – Rs. 227/82 (Strafverfahren gegen Leendert Van Bennekom), Slg. 1983, 3883 (Rdnr. 18); EuGH v. 21.03.1991 – Rs. C-369/88 (Strafverfahren gegen Jean-Marie Delattre), Slg. 1991, I-1487 (Rdnr. 41); EuGH v. 21.03.1991 – Rs. C-60/89 (Strafverfahren gegen Jean Monteil und Daniel Samanni), Slg 1991, I-1547 (Rdnr. 23); EuGH v. 28.10.1992 – Rs. C-219/91 (Strafverfahren gegen Johannes Stephanus Wilhelmus Ter Voort), Slg 1992, I-5485 (Rdnr. 17). 424 Grundsätzlich hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil „Mars“ festgestellt, daß diese Regelung keine Verkaufsmodalität im Sinne der Keck-Rechtsprechung (EuGH v. 24.11.1993 – verb. Rs. C-267/91 u. C-268/91 (Strafverfahren gegen Bernard Keck u. Daniel Mithouard), Slg. 1993, I-6097 (Rdnr. 15 ff.)) ist; denn ein nationales Werbeverbot kann sich unmittelbar auf die Produktdarbietung und dessen physische Erscheinung auswirken, so daß dem Importeur durch die nationale Sonderverpackung Mehrkosten entstehen. Daher fällt eine solche Maßnahmen unter das Verbot der Maßnahme gleicher Wirkung aus Artikel 28 EG. EuGH v. 06.07.1995 – Rs. C-470/93 (Verein gegen Unwesen in Handel und Gewerbe Köln/ Mars), Slg. 1995, I-1923 (Rdnr. 12 ff.); A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 1512. 425 EuGH v. 24.11.1993 – verb. Rs. C-267/91 u. C-268/91 (Strafverfahren gegen Bernard Keck u. Daniel Mithouard), Slg. 1993, I-6097 (Rdnr. 11 ff.). 426 Fraglich ist, inwieweit der Europäische Gerichtshof von seiner bisherigen Rechtsprechung zum Verbot von Eigenpreisvergleichen oder zu grenzüberschreitenden Werbestrategien zukünftig abweichen wird. Zum Werbeverbot von Eigenpreisvergleichen hat der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung „Yves Rocher“ dieses Werbeverbot als Maßnahme gleicher Wirkung eingestuft. Obwohl das Verbot rechtlich für heimische wie für importierte Produkte galt, schien es jedoch geeignet, tatsächlich importierte wie heimische Produkte ungleich zu behandeln und so den Import von Waren zu beeinträchtigen. EuGH v. 15.12.1982 – Rs. 286/81 (Strafverfahren gegen Oosthök’s Uitgeversmaatschappij B. V.), Slg. 1982, 4575 (Rdnr. 15); EuGH v. 16.05.1989 – Rs. 382/87 (R. Büt u. a./Ministère public), Slg. 1989, 1235 (Rdnr. 7); EuGH v. 07.03.1990 – Rs. C-362/88 (GB-INNO-BM/Conféderation du commerce), Slg. 1990, I-667 (Rdnr. 7); EuGH v. 25.07.1991 – verb. Rs. C-1/90 u. C-176/90 (Aragonesa de Publicidad Exterior und Publivia/Deportamento de Sanidad y Seguridad Social de Cataluña), Slg. 1991, I-4151 (Rdnr. 10); EuGH v. 18.05.1993 – Rs. C-126/91 (Schutzverband gegen Unwesen in der Wirtschaft/ Yves Rocher GmbH), Slg. 1993, I-2361 (Rdnr. 10 f.); A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 1515; R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 733.

4. Kap.: Sonstige Produktregelungen für Arzneimittel

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Wirkt sich eine nationale Werbebestimmung nicht unmittelbar auf die physische Erscheinung des Produktes aus, sondern erfolgt diese beispielsweise durch Werbetafeln oder Prospekte, so ist für jeden Einzelfall zu entscheiden, inwieweit diese Reglung gegenüber importierten Arzneimitteln diskriminierend wirkt oder ob sie als Verkaufsmodalität im Sinne der KeckRechtsprechung427 angesehen werden muß und somit nicht unter das Verbot des Artikel 28 EG fällt.428 In der Entscheidung „Hünermund“429 hat der Europäische Gerichtshof die Anwendbarkeit des Artikel 30 EGV (jetzt Artikel 28 EG) auf ein Werbeverbot für apothekenübliche Waren außerhalb der Apotheke verneint. Die von der Apothekerkammer erlassene Standesregel,430 die allen Apotheken die Werbung außerhalb der Apotheke für apothekenübliche Waren verbietet, fällt nicht unter Artikel 30 EGV (jetzt Artikel 28 EG) und ist somit keine Maßnahme gleicher Wirkung. Sie gilt für alle Apotheken, die in dem Zuständigkeitsbereich der Kammer ihre Tätigkeit ausüben, und berührt den Absatz von heimischen wie von importierten Produkten rechtlich und tatsächlich in der gleichen Art und Weise.431 Dagegen fällt ein Werbeverbot, das sich auf im Importstaat nicht zugelassene Arzneimittel bezieht, unter Artikel 30 EGV (jetzt Artikel 28 EG) und wird vom Europäischen Gerichtshof als Maßnahme gleicher Wirkung angesehen, weil es nur eingeführte Arzneimittel betrifft. Jedoch ist dieses Werbeverbot nach Artikel 36 EGV (jetzt Artikel 30 EG) zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt.432 Der Europäische Gerichtshof weist in dem Zusammenhang aber ausdrücklich darauf hin, daß 427 EuGH v. 24.11.1993 – verb. Rs. C-267/91 u. C-268/91 (Strafverfahren gegen Bernard Keck u. Daniel Mithouard), Slg. 1993, I-6097 (Rdnr. 11 ff.). 428 A. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 1514. 429 EuGH v. 15.12.1993 – Rs. C-292/92 (Ruth Hünermund u. a./Landesapothekerkammer Baden-Württemberg), Slg. 1993, I-6787 (Rdnr. 21 ff.). 430 Diese Standesregel der Apothekerkammer gilt als „Maßnahme“ i. S. von Artikel 28 EG. Die Apothekerkammer ist eine unter staatlicher Aufsicht stehende Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Apotheker müssen Mitglied der Kammer sein, wenn sie in deren Zuständigkeitsbereich ihren Beruf ausüben wollen. Die Apothekerkammer erläßt die für Apotheker geltenden Standesregelungen und überwacht deren Erfüllung. Darüber hinaus können die Berufsgerichte der Kammer Disziplinarmaßnahmen für Apotheker erlassen, die gegen die Standesregeln verstoßen haben. EuGH v. 18.05.1989 – verb. Rs. 266/87 u. 267/87 (The Queen/Royal Pharmaceutical Society of Great Britain, ex parte Association of Pharmaceutical Importers), Slg. 1989, 1295 (Rdnr. 15); EuGH v. 15.12.1993 – Rs. C-292/92 (Ruth Hünermund u. a./ Landesapothekerkammer Baden-Württemberg), Slg. 1993, I-6787 (Rdnr. 14 ff.). 431 EuGH v. 15.12.1993 – Rs. C-292/92 (Ruth Hünermund u. a./Landesapothekerkammer Baden-Württemberg), Slg. 1993, I-6787 (Rdnr. 21 ff.). 432 EuGH v. 10.11.1994 – Rs. C-320/93 (Lucien Ortscheit GmbH/Eurim-Pharm Arzneimittel GmbH), Slg. 1994, I-5243 (Rdnr. 12, 21).

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

die Richtlinie 92/28/EWG433 über die Werbung für Humanarzneimittel in diesem Verfahren nicht anwendbar ist, weil die Mitgliedstaaten zu diesem Zeitpunkt die Richtlinie noch nicht umsetzen mußten. Daher ist offen, wie der Europäische Gerichtshof nun nach der Umsetzung dieser Richtlinie entscheiden würde. Wie dargelegt ist die Zuordnung von Regelungen, die Arzneimittel betreffen, zu Produkt- oder Verkaufsmodalitäten nicht generell möglich und für jeden Einzelfall zu prüfen. Hinzu kommt, daß auch mit dieser Richtlinie die Werbung von Arzneimitteln in der Europäischen Gemeinschaft nicht abschließend geregelt ist, so daß es weiterhin in der Verantwortung der Mitgliedstaaten liegt, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Eindeutig zu den Produktregelungen gehören die Vorschriften zur Verpackung und Packungsbeilage. Diese wurden durch die Richtlinie 92/27/ EWG434 weitgehend vereinheitlicht und in den Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel435 übernommen. I. Europäische Regelungen Für die sachgerechte Anwendung eines Arzneimittels ist die Bereitstellung umfassender wissenschaftlicher Informationen besonders wichtig. Dazu dienen vor allem die Verpackung mit der Etikettierung436 sowie die Packungsbeilage. Gerade bei Arzneimitteln zur Selbstmedikation muß sich der Patient auf die Produktinformation verlassen können. Auch die Kommission betont, daß eine vollständige und verständliche Information zur Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit beiträgt. Ausnahmen für die Verpackung und die Produktinformation könnte nur für verschreibungspflich433 Die Richtlinie 92/28/EWG des Rates v. 31.03.1992 über die Werbung für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 113 v. 30.04.1992) verpflichtete die Mitgliedstaaten, die Arzneimittelwerbung für Angehörige von Berufen des Gesundheitswesens strengen Voraussetzungen und einer wirksamen Kontrolle zu unterwerfen. Die entsprechenden Vorschriften sind in die Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) übernommen worden. 434 Richtlinie 92/27/EWG des Rates v. 31.03.1992 über die Etikettierung und Packungsbeilage von Humanarzneimitteln (ABl. Nr. L 113 v. 30.04.1992, S. 8). 435 Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 436 Unter Etikettierung versteht die Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) in Artikel 1 Nr. 25 die „auf der äußeren Umhüllung oder der Primärverpackung angebrachten Hinweise“. Dabei ist die „äußere Umhüllung“, die Verpackung, in der die Primärverpackung enthalten ist (Artikel 1 Nr. 24). Die Primärverpackung ist gemäß Artikel 1 Nr. 19 der Richtlinie 2001/83/EG „das Behältnis oder jede andere Form der Arzneimittelverpackung, die unmittelbar mit dem Arzneimittel in Berührung kommt“.

4. Kap.: Sonstige Produktregelungen für Arzneimittel

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tige Arzneimittel gestattet werden und nicht für Medikamente zur Selbstmedikation, weil für verschreibungspflichtige Präparate in der Regel der Arzt die erforderlichen Informationen bereitstellt.437 Der Rat der Europäischen Gemeinschaften hat zu diesem Thema 1992 die Richtlinie 92/27/EWG438 über die Etikettierung und die Packungsbeilage von Humanarzneimitteln erlassen. Sie faßte die in der Richtlinie 75/ 319/EWG439 unvollständig aufgeführten Anforderungen an die Packungsbeilage in einem einzigen Text zusammen. Durch die Richtlinie 92/27/ EWG wurde eine erhebliche Verbesserung, wenn auch nicht vollständige Harmonisierung der gesetzlichen Anforderungen an die Fach- und die Patienteninformation erreicht. Diese Anforderungen wurden jetzt in den Titel V, der die Artikel 58 bis 69 enthält, der Richtlinie 2001/83/EG440 übertragen. Artikel 65 der Richtlinie 2001/83/EG ermöglicht der Europäischen Kommission, Leitlinien für die Formulierung von Warnhinweisen oder Informationen für die Lesbarkeit von Etikettierung und Packungsbeilage, für Methoden der Identifizierung und Feststellung der Echtheit von Arzneimitteln sowie für die Art und Weise der Angaben von Arzneiträgerstoffen auf der Verpackung festzulegen.441 Im Mai 2000 wurde eine Leitlinie zur Lesbarkeit von Kennzeichnung und Packungsbeilage sowie zur Erläuterung der Vorschriften betreffend die Einstufung der Arzneimittel als rezeptfrei oder rezeptpflichtig sowie der Werbung erlassen.442 Die Leitlinie nennt in einem 437 Artikel 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 438 Richtlinie 92/27/EWG des Rates v. 31.03.1992 über die Etikettierung und Packungsbeilage von Humanarzneimitteln (ABl. Nr. L 113 v. 30.04.1992, S. 8). 439 Richtlinie 75/319/EWG des Rates v. 20.05.1975 zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. Nr. L 147 v. 09.06.1975, S. 13). 440 Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 06.11. 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 441 Gemäß Artikel 65 S. 2 werden die Leitlinien als Richtlinien nach dem in Artikel 121 Abs. 2 EG beschriebenen Verfahren von der Gemeinschaft erlassen. 442 „Guideline on the Readability of the Label and the Package Leaflet of Medicinal Products for Human Use“, vom 29.11.1998; dazu auch vom August 2000 Notice to Applicants – Guideline on the packaging information of medicinal products for human use authorised by the Community, nachfolgend als Leitlinie zur Lesbarkeit von Kennzeichnung und Packungsbeilage zitiert. Zur Verbindlichkeit von Leitlinien siehe P. von Czettritz, Patientenfreundliche Packungsbeilage – Einfluß der „Guideline on the Readability of the Label and Package Leaflet of Medicinal Products for Human Use“ auf die Gebrauchsinformationstexte für Fertigarzneimittel, 05.09.2000, veröffentlicht unter http://www.generika.de/wiss/vc_gutachten_ 18092000.pdf (abgerufen am 10.02.2003), S. 11 ff., 17 ff.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Anhang zusammengefaßt die von den Mitgliedstaaten verlangten jeweiligen Sonderkennzeichnungen auf den Arzneimittelverpackungen. Als Grundlage für die Abfassung der Etikettierung sowie der Packungsbeilage dient die im Zulassungsverfahren genehmigte Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels (SPC).443 Der Antragsteller darf für die Verpackung und die Packungsbeilage nur die Wortwahl, nicht jedoch den Inhalt der genehmigten Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels verändern. Nach Artikel 61 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG ist mit dem Zulassungsantrag bei den zuständigen Behörden auch ein Muster der äußeren Umhüllung, der Primärverpackung und der Packungsbeilage vorzulegen. Die zuständigen Behörden können nach Artikel 65 der Richtlinie 2001/83/ EG die Zulassung des Arzneimittels solange aussetzen, bis die Etikettierung und Packungsbeilage den Anforderungen entspricht. Werden die Vorschriften eingehalten, können die Mitgliedstaaten das Inverkehrbringen eines Arzneimittels aus Gründen, die mit der Etikettierung oder der Packungsbeilage zusammenhängen, weder untersagen noch behindern.444 Die erforderlichen Angaben auf der Verpackung sowie der Packungsbeilage müssen in der Amtssprache des Mitgliedstaates abgefaßt sein, in dem das Arzneimittel in den Verkehr gebracht wird (Artikel 63 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/83/EG). Die zuständige Behörde des Mitgliedstaates kann davon absehen, solange das Mittel nicht zur Selbstmedikation dient (Artikel 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG). Darüber hinaus können die Angaben auch in weiteren Sprachen erfolgen, sofern es sich jeweils um dieselben Angaben handelt. Allerdings müssen Verpackung und Packungsbeilage immer in derselben Sprache abgefaßt sein.445 1. Verpackung Die Anforderungen an die Etikettierung der äußeren Umhüllung oder Primärverpackung sind im Titel V der Richtlinie 2001/83/EG zusammengefaßt.446 Aufgrund der besonderen Art der Verpackungen sind sie begrenzt. 443 Artikel 11 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) für das dezentrale Verfahren und Artikel 9 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1) für das zentrale Verfahren. Zum Inhalt der SPC siehe S. 80 f. 444 Artikel 60 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 445 Sektion C Nr. 3 der Leitlinie zur Lesbarkeit von Kennzeichnung und Pakkungsbeilage vom August 2000. 446 Befindet sich die Primärverpackung in einer äußeren Umhüllung genügen reduzierte Angaben. Nach Artikel 55 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) sind auf der Primärverpackung lediglich der Name des Arzneimittels, der Name der zum Inverkehrbringen berechtigten Person, das Verfalldatum und die Nummer der Herstellungscharge zwingend vorgeschrieben.

4. Kap.: Sonstige Produktregelungen für Arzneimittel

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Alle Angaben müssen gut lesbar, klar verständlich und unauslöschlich auf den Verpackungen angegeben sein.447 Zu den Angaben, die sich auf der Verpackung des Arzneimittels befinden müssen, gehört der Name448 des Arzneimittels, die Wirkstoffe in ihrer qualitativen und quantitativen Zusammensetzung, die Darreichungsform und der Inhalt in Gewicht, Volumen oder Dosierungseinheit, die Liste der Trägerstoffe449, die Art und Weise der Verabreichung, verschiedene Warnhinweise zur Aufbewahrung des Arzneimittels, zur Einnahme oder zur Beseitigung von Resten, Name und Anschrift der zum Inverkehrbringen berechtigten Person, die Nummer der Genehmigung für das Inverkehrbringen450, die Nummer der Herstellungscharge und, sehr wichtig, das unverschlüsselte Verfalldatum451. Für Arzneimittel zur Selbstmedikation muß bereits auf der Verpackung der Verwendungszweck des Arzneimittels angegeben werden.452 Auf kleinen Primärverpackungen müssen mindestens der Name des Arzneimittels und gegebenenfalls die Art und Weise der Einnahme, das Verfalldatum, die Nummer der Herstellungscharge sowie der Inhalt nach Gewicht und Volumen oder Einheiten genannt sein (Artikel 55 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG). 447 Artikel 56 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 448 Der Name des Arzneimittels kann gemäß Artikel 1 Nr. 20 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) eine Phantasiebezeichnung oder eine gebräuchliche oder wissenschaftliche Bezeichnung jeweils in Verbindung mit einem Warenzeichen oder dem Namen des Herstellers sein. Wird eine Phantasiebezeichnung gewählt, darf sie nicht zu Verwechslungen mit der gebräuchlichen Bezeichnung führen. Ist der Name eine Phantasiebezeichnung und enthält das Arzneimittel nur einen einzigen Wirkstoff, so muß neben dem Namen auch die gebräuchliche Bezeichnung angegeben werden. Gibt es mehrere pharmazeutische Formen oder Stärken, so ist zumindest eines davon im Namen des Arzneimittels anzugeben. 449 Für einen Injektionsstoff, eine Zubereitung zur lokalen Verwendung oder für Augentropfen müssen alle Trägerstoffe aufgeführt werden, Artikel 54 Abs. 1 lit. d der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 450 Für Arzneimittel, die nach dem zentralen Verfahren zugelassen wurden, handelt es sich um eine neunstellige Nummer, der „EU“ vorangestellt wird. Leitlinie zur Lesbarkeit von Kennzeichnung und Packungsbeilage vom August 2000. 451 Nationale Regelungen, die das Verfalldatum betreffen, können ein Hindernis für den freien Warenverkehr darstellen und als eine Maßnahme gleicher Wirkung gelten. Der EuGH läßt das Argument des Gesundheitsschutzes als Rechtfertigung für eine solche Maßnahme nicht generell gelten. EuGH v. 01.06.1994 – Rs. C-317/ 92 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1994, I-2039 (Rdnr. 12 ff.). 452 Darüber hinaus können die Pflichtangaben durch geeignete Zeichen oder Piktogramme auf die äußere Umhüllung oder auf die Packungsbeilage veranschaulicht werden. Weitere Informationen, die der Gesundheitsaufklärung dienen, aber keinen Werbecharakter haben, können ebenfalls ergänzt werden. Dazu Artikel 62 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). Diese Zeichen oder Piktogramme sind aufgrund von unterschiedlichen nationalen Auffassungen und Interpretationsmöglichkeiten gemeinschaftsweit nicht standardisiert. H. Blasius/H. Cranz, Arzneimittel und Recht in Europa, S. 106.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Zu diesen Pflichtangaben können von jedem Mitgliedstaat individuell noch zusätzlich Angaben über den Preis des Arzneimittels, die Erstattungsbedingungen der Kosten eines Arzneimittels durch die Krankenkassen, Angaben zur Verschreibungspflicht oder Merkmale zur Identifizierung und Echtheit des Arzneimittels verlangt werden.453 Zur Unterstützung der Gesundheitsaufklärung können ebenfalls Zeichen oder Piktogramme zur Veranschaulichung der Pflichtangaben aus Artikel 54 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG verwendet werden.454 Dagegen dürfen weder auf der Verpackung noch in der Packungsbeilage verkaufsfördernde Hinweise angebracht werden.455 2. Packungsbeilage Gemäß Artikel 58 der Richtlinie 2001/83/EG456 gehört zu jedem Arzneimittel zwingend eine Packungsbeilage, es sei denn, alle erforderlichen Informationen sind direkt auf der Verpackung aufgeführt. Auch für die Pakkungsbeilage gilt, daß sie lesbar, verständlich und unauflöslich sein müssen. Die Pflichtangaben aus Artikel 59 Abs. 1 können wie für die Verpackung auch, mit Zeichen oder Piktogrammen veranschaulicht werden. Die Packungsbeilage enthält Angaben zur Identifizierung des Arzneimittels, beispielsweise den Namen des Mittels und seine Zusammensetzung oder Name und Anschrift der zum Inverkehrbringen berechtigten Person und des Herstellers457, therapeutische Angaben458, eine Aufzählung an In453 Artikel 57 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). Hierzu schlägt die Leitlinie zur Lesbarkeit von Kennzeichnung und Pakkungsbeilage vom August 2000 in der Sektion A unter Punkt 4 vor, diese länderspezifischen Informationen als „blue box“ am Packungsrand immer nur in der für den entsprechenden Mitgliedstaat geltenden Sprache anzubringen. In dieser „blue box“ muß auch die nationale Zulassungsnummer angebracht werden (Sektion A, Punkt 5 der Leitlinie). Für zentral zugelassene Arzneimittel kann neben der Adresse des Verantwortlichen für das Inverkehrbringen auch eine länderspezifische Vertretung angegeben werden. Es sollte aber für jeden Mitgliedstaat ein Ansprechpartner angegeben werden (Sektion C Nr. 5 der Leitlinie). 454 Artikel 62 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 455 Artikel 62 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 456 ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67. 457 Neben dem Namen der für das Inverkehrbringen berechtigten Person kann für zentral zugelassene Arzneimittel auf der Packungsbeilage auch Name, Anschrift und Telefonnummer einer länderspezifischen Vertretung angegeben sein. Wie auch für die Etikettierung gilt, daß für jedes Land ein Ansprechpartner angegeben werden sollte. Sektion C Nr. 5 der Leitlinie zur Lesbarkeit von Kennzeichnung und Pakkungsbeilage vom August 2000. 458 Die zuständigen Behörden haben die Möglichkeit, bestimmte Heilanzeigen von dem Angabezwang auf der Packungsbeilage auszunehmen, wenn sie der An-

4. Kap.: Sonstige Produktregelungen für Arzneimittel

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formationen, die vor der Einnahme des Arzneimittels bekannt sein müssen, wie Gegenanzeigen oder Wechselwirkungen und Informationen für eine ordnungsgemäße Verwendung wie Dosierung, Art und Weise der Einnahme, Behandlungsdauer, Angaben zur Über- oder Unterdosierung, eine Beschreibug der unerwünschten Wirkungen und entsprechender Gegenmaßnahmen, ein Verweis auf das Verfalldatum sowie das Datum der letzten Überarbeitung der Packungsbeilage.459 Die Richtlinie legt nicht nur den Inhalt der Packungsbeilage fest, sondern auch in welcher Rangfolge die einzelnen Bereiche angesprochen werden müssen. In äußerst sensiblen Fällen können die zuständigen Behörden beschließen, daß bestimmte Heilanzeigen nicht auf der Packungsbeilage angegeben werden müssen. Damit sollen schwerwiegende Nachteile für den Patienten vermieden werden, die eine Verbreitung dieser Information zur Folge haben kann. Der Gedanke war, daß Patienten, die beispielsweise an Krebs leiden und (noch) nicht über ihre Diagnose informiert wurden, in so einem schwerwiegenden Fall nicht über die Pakkungsbeilage davon in Kenntnis gesetzt werden.460 Sind alle diese Informationen bereits auf der äußeren Umhüllung oder der Primärverpackung des Arzneimittels enthalten, kann die Packungsbeilage entfallen.461 Insgesamt betrachtet bestehen trotz der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften zur Etikettierung und Packungsbeilage weiterhin Unterschiede in der Europäischen Gemeinschaft, die den freien Verkehr von Arzneimitteln in der Gemeinschaft behindern können.462 Diese Unterschiede betreffen vor sicht sind, daß die Verbreitung dieser Informationen schwerwiegende Nachteile für den Patienten zur Folge haben kann. Die Entscheidung darüber bleibt den jeweiligen zuständigen Behörden überlassen. Dies kann durch eine unterschiedliche Einschätzung des Gefahrenpotentials zu unterschiedlichen Angaben in der Packungsbeilage führen. Artikel 59 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 459 Artikel 59 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 460 Sektion C Nr. 6 der Leitlinie zur Lesbarkeit von Kennzeichnung und Pakkungsbeilage vom August 2000. Die Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1) verweist in Artikel 9 Nr. 3 lit. c auf diese Möglichkeit in Artikel 59 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 461 Artikel 58 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 462 Sicherlich sind nicht alle Unterschiede auf den Einfluß von mitgliedstaatlichen Regelungen zurückzuführen, sondern auch auf eine entsprechende Unternehmenspolitik. Schwierig ist jedoch herauszufinden, was actio und was reactio ist. Daher ist insgesamt eine Verbesserung der Transparenz auf dem Arzneimittelmarkt notwendig, die laut Kommission einen stärkeren Wettbewerb zwischen den Pharmaunternehmen fördert und den Informationsfluß verbessert. Dabei soll auch eine Europäische Datenbank für Arzneimittel helfen, welche die Kommission in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten aufbauen möchte. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Leitlinien einer Industriepolitik für

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

allem die Angaben zu Indikationen, Dosierung, Nebenwirkungen, Darreichungsformen, Packungsgrößen463 sowie Verpackung. Sie werden am Beispiel von Frankreich und Deutschland nachfolgend aufgezeigt. II. Deutschland Die Vorschriften zur Kennzeichnung sowie zur Packungsbeilage von Arzneimitteln finden sich in den Paragraphen 10 bis 12 AMG. Diese haben die entsprechenden Vorschriften aus der Richtlinie 2001/83/EG in nationales Recht umgesetzt. Die Richtlinie betrifft die Produktinformation für den Verbraucher und nicht die Produktinformation für die Fachkreise (Artikel 1 Nr. 2), weshalb in dem Ländervergleich ausschließlich auf die Packungsbeilage464 und nicht auf die Fachinformation eingegangen wird. 1. Verpackung Der Teil der Richtlinie 2001/83/EG, der die Etikettierung von Arzneimitteln betrifft, ist in § 10 AMG in deutsches Recht umgesetzt worden. Die Richtlinie wurde vollständig umgesetzt, wobei keine zusätzlichen Angaben zu den in der Richtlinie aufgezählten, aber als Mindestanforderungen gekennzeichneten Angaben aufgenommen wurden. Einzige Ausnahme sind die in Artikel 75 der Richtlinie 2001/83/EG vorgeschlagenen, weiteren möglichen Angaben zum Preis eines Arzneimittels, zu den Erstattungsbeden Arzneimittelsektor in der Europäischen Gemeinschaft v. 02.03.1994 (KOM (93)718 endg. – C3-0121/94). Das Europäische Parlament rügt in seiner Entschließung zur Industriepolitik im Arzneimittelsektor v. 16.04.1996 Rdnr. 5 ff. (ABl. Nr. C 141 v. 13.05.1996, S. 63) eine zu industriefreundliche Einstellung der Kommission, die zu wenig Anreize zur Kostenreduzierung und Innovation in der pharmazeutischen Industrie bietet. 463 Zur Lösung des Problems unterschiedlicher Packungsgrößen in der Europäischen Gemeinschaft schlägt die Kommission das Instrument der Normung vor. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Leitlinien einer Industriepolitik für den Arzneimittelsektor in der Europäischen Gemeinschaft v. 02.03.1994 (KOM(93)718 endg. – C3-0121/94). 464 Die Packungsbeilage dient der Information und Aufklärung des Patienten selbst. Der Durchschnittsverbraucher soll den Text verstehen können und nicht der Arzt. Deshalb sind die Angaben allgemein verständlich und in deutscher Sprache abzufassen. Damit der Patient als mündiger Partner des Arztes entscheiden kann, ob er ein Arzneimittel einnimmt, sind in der Packungsbeilage u. a. die Anwendungsgebiete, also die zu behandelnde Krankheit, die Gegenanzeigen und v. a. die Nebenwirkungen anzugeben. H. Hasskarl, Rechtliche Rahmenbedingungen und Verbandsdirektiven als neuer Handlungsrahmen – Marketing und Recht: Management einer Wechselbeziehung, in: M. Losert/K.-J. Preuß/E. Kucher (Hrsg.), Handbuch PharmaManagement, Bd. 2, 1995, S. 958.

4. Kap.: Sonstige Produktregelungen für Arzneimittel

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dingungen seiner Kosten durch die Sozialversicherungsträger, den Identifizierungsmöglichkeiten sowie den Regelungen zur Abgabe eines Arzneimittels an den Patienten. So wurde in § 10 Abs. 1 Nr. 10 AMG aufgenommen, daß Arzneimittel mit „verschreibungspflichtig“ zu kennzeichnen sind, die ausschließlich auf ärztliche Verschreibung abgegeben werden dürfen. Sonstige Arzneimittel, die nur in Apotheken an Verbraucher abgegeben werden dürfen, müssen den Aufdruck465 „apothekenpflichtig“ erhalten. Nach § 10 AMG darf selbst ein zugelassenes Arzneimittel erst in den Verkehr gebracht werden, wenn die in diesem Paragraphen aufgeführten Informationen auf der äußeren Umhüllung, der Verpackung, oder dem Behältnis466 des Mittels selbst dauerhaft, gut lesbar und in deutscher Sprache angebracht sind (§ 10 Abs. 1 AMG). Welche Anforderungen an das Kriterium „gut lesbar“ zu stellen sind, ist umstritten. Die Lesbarkeit ist wichtig, damit die Informationen im Interesse der Arzneimittelsicherheit zuverlässig wahrgenommen werden. Der Bundesgerichtshof fordert in einer Entscheidung zum Heilmittelwerbegesetz, daß die Pflichtangaben ohne besondere Konzentration und Anstrengungen lesbar sein müssen.467 Eine dauerhafte Festlegung der Schriftgröße ist deshalb nicht möglich, weil sie von dem gewählten Schrifttyp, der Farbe, dem Kontrast, der Papierqualität sowie der Papieroberfläche abhängig ist.468 2. Packungsbeilage Neben der Etikettierung muß auch die Packungsbeilage eines Arzneimittels den gesetzlichen Vorschriften entsprechen, damit es in den Verkehr gebracht werden darf. Die maßgeblichen Vorschriften zur Verbraucherinformation, insbesondere aus den Artikeln 58, 59 und 60 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG, wurden in § 11 AMG übertragen. Nach § 11 AMG ist die Zugabe einer Packungsbeilage zwingend vorgeschrieben. Die Möglichkeit 465 In der Regel wird Druck verlangt, um das Kriterium der Dauerhaftigkeit aus § 10 Abs. 1 AMG zu erfüllten. Als „dauerhaft“ gilt eine Kennzeichnung, wenn sie sich nicht leicht entfernen, ändern oder verwischen läßt. So stellt ein Haftetikett eine dauerhafte Kennzeichnung dar, wenn es nicht ohne Beschädigung des Untergrunds entfernt werden kann. A. Kloesel/W. Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 10 Anm. 12. 466 Als Behältnis für Fertigarzneimittel werden überwiegen Flaschen, Dosen, Schachteln, Glas- oder Kunststoffröhrchen, Ampullen oder Tuben verwendet. Äußere Umhüllungen bestehen überwiegend aus Pappschachteln oder Folien; denn sie dienen dazu, die Behältnisse zu umschließen. A. Kloesel/W. Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 10 Anm. 8. 467 BGH NJW 1988, 766 (766); BGH NJW 1988 767 (769). 468 BGH NJW 1988, 766 (766); A. Kloesel/W. Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht § 10 Anm. 10.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

aus Artikel 58 der Richtlinie 2001/83/EG, daß die Packungsbeilage entfallen kann, wenn alle erforderlichen Informationen direkt auf der äußeren Umhüllung oder auf der Primärverpackung angegeben sind, ist in § 11 Abs. 6 AMG übernommen worden. Der Inhalt der Packungsbeilage muß mit dem Inhalt des Zulassungsbescheids übereinstimmen. Die mit dem Zulassungsantrag vorgelegten Entwürfe zur Etikettierung, Fachinformation und Packungsbeilage müssen deshalb mit den Zulassungsunterlagen identisch sein. Dazu kann die Zulassungsbehörde die Erteilung der Zulassung mit notwendigen Auflagen verbinden (§ 77 in Verbindung mit § 28 Abs. 2 und 3 AMG; Artikel 59 der Richtlinie 2001/83/EG). Die Packungsbeilage ist mit der Überschrift „Gebrauchsinformation“ zu versehen und ebenso wie die Etikettierung in deutscher469, allgemeinverständlicher Sprache470 und in einer gut lesbaren Schrift471 abzufassen (§ 11 Abs. 1 AMG). Die Themengebiete und ihre Reihenfolge sind in § 11 AMG vorgegeben und mit Artikel 59 der Richtlinie 2001/83/EG weitestgehend identisch.472 Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat „Empfehlungen zur Gestaltung von Packungsbeilagen“ veröffentlicht, die technische Hinweise sowie Gestaltungsvorschläge enthalten. Zudem gibt das Bundesinstitut im Rahmen des Zulassungsverfahrens Hilfestellungen 469 Die Angaben können zusätzlich noch in einer anderen Sprache wiedergegeben werden, aber nur mit den identischen Inhalten. § 11 Abs. 1 S. 3 AMG, Artikel 63 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 470 Die Packungsbeilage soll möglichst vollständig von den Patienten verstanden werden, weshalb es erforderlich sein kann, Fachausdrücke in ein deutschsprachiges Äquivalent zu übersetzen oder zu umschreiben. Die fachliche Bezeichnung kann zur Ergänzung hinzugefügt werden. In Einzelfällen ist das Fachwort voranzustellen und die deutsche Erklärung anzufügen. Grundsätzlich gehören aber zur deutschen Sprache auch Fremdwörter aus dem Lateinischen wie Injektion oder Infusion. Diese Fremdwörter können verwendet werden, wenn eine deutsche Übersetzung die Verständlichkeit vermindert anstatt sie zu verbessern. A. Kloesel/W. Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 11 Anm. 17. Kritisch zu der Forderung einer verständlichen Packungsbeilage im Hinblick auf die „Guideline on the Readability of the Label and Package Leaflet of Medicinal Products for Human Use“ siehe P. von Czettritz, Patientenfreundliche Packungsbeilage, S. 4 ff. 471 Die Überwachungsbehörden stellen an das Kriterium der Lesbarkeit für die Packungsbeilage folgende Anforderungen: Die Schriftgröße muß mindestens 6-Punkt betragen und die Anforderungen der DIN 1450 zur Schriftenleserlichkeit betreffend Linienbreite, Kontraste, Zeichenabstand, sind zu beachten. A. Kloesel/W. Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 11 Anm. 19. 472 Darüber hinausgehende Angaben können unter bestimmten Voraussetzungen erfolgen. Beispielsweise sind weitere Angaben zur Verwendung des Arzneimittels oder zur gesundheitlichen Aufklärung zulässig (§ 11 Abs. 1 S. 4 AMG). Dabei dürfen diese zusätzlich aufgeführten Informationen nicht den Angaben zur Fachinformation aus § 11 a AMG widersprechen.

4. Kap.: Sonstige Produktregelungen für Arzneimittel

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(§ 22 Abs. 7 S. 1 AMG), welche Anforderungen an den Wortlaut der Pakkungsbeilage gestellt werden. III. Frankreich Die in Frankreich anzuwendenden Vorschriften über die Etikettierung und Packungsbeilage für zulassungspflichtige Arzneimittel finden sich in den Artikeln R.5143 C.S.P. bis R.5143-5 C.S.P. Die Vorschriften zur Etikettierung und Packungsbeilage aus der Richtlinie 2001/83/EG sind teilweise wörtlich in die nationalen Vorschriften übernommen worden. So ist Artikel R.5143 C.S.P. nahezu identisch mit Artikel 45 der Richtlinie 2001/83/EG, der die erforderlichen Angaben für die Verpackung enthält. 1. Verpackung Auch im französischen Text stehen die Anforderungen an die Lesbarkeit und das Verständnis der Etikettierung an erster Stelle. Artikel R.5143 C.S.P. fordert, daß der Text leicht lesbar, eindeutig zu verstehen und unauslöschlich ist. In Artikel R.5143 C.S.P. wurde als letztes in der Aufzählung Artikel 57 der Richtlinie 2001/83/EG eingearbeitet. Artikel 57 stellt den Mitgliedstaaten frei, über die Pflichtangaben aus Artikel 54 der Richtlinie 2001/83/EG hinaus noch Angaben zu verlangen, die den Preis des Arzneimittels, die Bedingungen für die Kostenerstattung, die Regelungen der Abgabe an die Verbraucher sowie die Identifizierung und Echtheit des Arzneimittels betreffen. Nach Artikel R.5143 C.S.P. werden in Frankreich Angaben zu den ersten drei Punkten, nämlich Preis, Kostenerstattung und Abgabestatus verlangt. Die Angabe des Preises ist für Arzneimittel notwendig, die nicht nur auf den Krankenhausbereich beschränkt sind und von der Krankenversicherung erstattet werden. Der Preis muß mittels eines Aufklebers, der je nach Erstattungsrate der Arzneimittelkosten farblich gekennzeichnet ist, auf der Verpackung angebracht sein. Der Aufkleber muß mit dem Wort „vignette“ gekennzeichnet sein. Der Abgabestatus eines Arzneimittels wird als Text in der „blue box“473 verdeutlicht. Der verschiedenfarbige Rahmen der „blue box“ kennzeichnet die Erstattungsrate der Arzneimittelkosten. Darüber hinaus wird ausdrücklich darauf verwiesen, daß die äußere Umhüllung eines Arzneimittels auch Piktogramme zur Veranschaulichung enthalten kann sowie weitere Angaben zu den Produktmerkmalen, die mit den Zulassungsunterlagen in Einklang stehen müssen. Diese Angaben müssen 473 Annex der Leitlinie der Europäischen Kommission zur Etikettierung und Pakkungsbeilage, August 2000.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

für die Gesundheitsaufklärung nützlich sein und dürfen keinen Werbecharakter aufweisen. Zum Abschluß von Artikel R.5143 C.S.P. wird auch hier darauf verwiesen, daß die Etikettierung in französisch zu erfolgen hat. Zusätzlich können die identischen Informationen noch in einer anderen Sprache angegeben werden. In Artikel R.5143-1 C.S.P. wurde Artikel 55 Abs. 2 der Richtlinie 2001/ 83/EG umgesetzt, der die Mindestangaben für Primärverpackungen von Arzneimitteln betrifft, deren äußere Umhüllung den in Artikel R.5143 C.S.P. genannten Kriterien entspricht. Die Mindestangaben für Ampullen oder andere kleine Primärverpackungen, auf denen die in Artikel R.5143-1 C.S.P. geforderte Beschriftung nicht möglich ist, auf die Artikel 55 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG eingeht, finden sich wörtlich übertragen in Artikel R.5143-2 C.S.P.

2. Packungsbeilage Auch die Artikel R.5143-4 C.S.P. und Artikel 5143-5 C.S.P. zur Pakkungsbeilage von zulassungspflichtigen Arzneimitteln sind im wesentlichen wörtlich aus den Artikeln 58, 59 und 63 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG übernommen worden. Die geringfügigen Abweichungen zu den Artikeln der Richtlinie betreffen lediglich die Wortwahl, aber nicht den Inhalt. So bezieht sich Artikel R.5143-4 C.S.P. auf die Artikel 59 der Richtlinie 2001/ 83/EG und legt die Pflicht zur Beifügung einer Packungsbeilage fest, es sei denn, alle in Artikel R.5143-5 C.S.P. geforderten Angaben sind in der richtigen Reihenfolge bereits auf der äußeren Umhüllung oder der Primärverpackung vorhanden. Die Informationen sind auf französisch und für den Verbraucher leicht verständlich anzugeben. Allerdings beschränkt sich Artikel R.5143-4 C.S.P. auf eine ausreichende Lesbarkeit (suffisament lisible) während die Richtlinie 2001/83/EG in Artikel 63 Abs. 2 eine leichte Lesbarkeit (facilement lisible) fordert. Auch für die Packungsbeilage kann der pharmazeutische Unternehmer nach Artikel R.5143-5 Abs. 2 C.S.P. auf Piktogramme zurückgreifen sowie weitere Angaben anführen. Alle gemachten Angaben müssen mit der Zusammenfassung der Produktmerkmale in den Zulassungsunterlagen übereinstimmen. Diese Zusatzangaben dürfen, wie für die Etikettierung, nur der Gesundheitsaufklärung dienen und nicht für Werbezwecke genutzt werden. Artikel 59 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG wurde in Artikel R.5143 Abs. 3 C.S.P. übernommen, wonach der Generaldirektor der französischen Agentur die Möglichkeit hat, bestimmte Indikationen nicht auf der Pakkungsbeilage anzugeben, um schwerwiegende Nachteile für Patienten durch die Verbreitung dieser therapeutischen Angaben zu vermeiden.

5. Kap.: Preisbildung und Kostenerstattung bei Arzneimitteln

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Die Pflichtangaben für Verpackung und Packungsbeilage wurden vollständig in nationales Recht umgesetzt. Die optionalen Angaben wurden nicht von jedem Mitgliedstaat übernommen. So sieht das deutsche Arzneimittelrecht keine ausdrückliche Kennzeichnung über die Erstattungshöhe der Arzneimittelkosten durch die gesetzliche Krankenversicherung vor, während in Frankreich die Verpackungen entsprechend gekennzeichnet werden müssen. 5. Kapitel Preisbildung und Kostenerstattung bei Arzneimitteln Die Harmonisierungsmaßnahmen von der Kommission und dem Rat haben den Marktzugang und damit den grenzüberschreitenden Warenverkehr für Arzneimittel innerhalb der Europäischen Gemeinschaft durch das neue Zulassungsverfahren von Arzneimitteln erheblich erleichtert. Dennoch bestehen weiterhin Barrieren für den Marktzugang sowie den grenzüberschreitenden Verkehr von bereits zugelassenen Arzneimitteln durch unterschiedliche nationale Regelungen zur Preisbildung und Erstattung der Kosten für Arzneimittel.474 Dies hat beispielsweise zur Folge, daß aufgrund der häufig fehlenden Trennung von Preisbildung und Marktzugang oder Erstattung der Arzneimittelkosten und Marktzugang neu zugelassene Arzneimittel gemeinschaftsweit nicht gleichzeitig auf den Markt gebracht werden können, so daß sie in einzelnen Mitgliedstaaten erst mit Verzögerung auf den Markt kommen.475 474

S. Guerrier/J. Rousselot, Le médicament en Frrance et dans le monde: stratégies et marchés, Problèmes économiques 1994, S. 6 (8 f.); A. Earl-Slater, A study of pharmaceutical policies in the EU, Policy Studies 1997, S. 251 (254, 260 f.); Mitteilung der Kommission über den Binnenmarkt für Arzneimittel v. 25.11.1998 (KOM(98)588 endg. – C4-0127/99); Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik vom Europäischen Parlament über die Mitteilung der Kommission über den Binnenmarkt für Arzneimittel v. 21.04.1999, S. 10 ff., S. 11 f. (PE 229.756/endg.); W. Boroch, Internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU-Arzneimittelindustrie, S. 165 ff., 195 f.; R. Büscher, Konsequenzen der EG-Arzneimittelzulassung für die Pharmaindustrie, S. 941; O. V., Price deregulation rejected by EU institutions, Pharma Pricing Review 1996, S. 81 (83); F. Dehousse/M. Le Berre, L’Europe du médicament: un marché unique incomplet, Courrier hebdomadaire 1997, S. 1 (30 ff.); P. de Wolf, European harmonization in the pharmaceutical industry: mission in completion?, S. 11 ff.; S. Jungbauer/W. Kemper, Europäische Union – Arzneimittel, S. 10; EFPIA, The single market in pharmaceuticals, September 1999, S. 1; F. Lutz, Kernprobleme des aktuellen Arzneimittelrechts, S. 17; Ch. König/E. Müller, 5 Jahre EMEA – ein Zwischenruf auf die gemeinschaftlichen Zulassungsverfahren für Arzneimittel, Pharma Recht 2000, S. 148 (148). 475 A. Earl-Slater, A study of pharmaceutical policies in the EU, Policy Studies 1997, S. 251 (260); M. Egler/R. Geursen, Preisfestsetzungsmethoden für Arzneimittel, Teil I, PharmInd 1998, S. 373 (374).

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Die Besonderheiten des Arzneimittelmarktes im Vergleich zu anderen Verbrauchsgütern wirken sich selbstverständlich auf die Politik zur Regelung der Arzneimittelpreise und der Erstattung der Arzneimittelkosten aus. So hat der Endverbraucher vor allem bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nur einen sehr geringen Einfluß auf die Wahl eines Arzneimittels. Die Nachfrage nach einem bestimmten Arzneimittel ist abhängig von der vom Arzt diagnostizierten Krankheit und daher nur in einem geringem Maß austauschbar.476 Darüber hinaus tragen die Gesetzlichen Krankenversicherungen den größten Teil der Kosten für Arzneimittel.477 Aufgrund fehlender Marktmechanismen versuchen die Mitgliedstaaten die Arzneimittelausgaben durch staatliche Maßnahmen zur Preisbildung sowie zur Erstattungshöhe der Arzneimittelkosten zu dämpfen. Dabei soll ein bestmögliches Behandlungsniveau für alle gewahrt sowie die Leistungsfähigkeit der Arzneimittelforschung, -entwicklung und -produktion gefördert werden.478 Die staatliche Regulierung der Herstellerpreise479 nimmt neben den Preiseingriffen auf Nachfrager- und Distributionsebene480 die zentrale Stellung 476 In manchen Ländern kann der Arzt im Fall von Generika die Auswahl des konkreten Medikaments an die Apotheke abgeben. Das heißt, der Arzt verschreibt Wirkstoff und Wirkstärke, überläßt aber der Apotheke die Wahl der Herstellerfirma, so daß es im Bereich der Generika durchaus zu einem Wettbewerb kommt, der über den Preis bestimmt ist. Grundsätzlich kann aber davon ausgegangen werden, daß es sich um eine monopolistische Konkurrenzsituation handelt, die auch mit der Freigabe der Preisfindung nicht zwangsläufig zu einem Preiswettbewerb führt. Mitteilung der Kommission 86/C 310/08 v. 04.12.1986 zur Frage der Vereinbarkeit der von den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Arzneimittel-Preiskontrolle und der -Kostenerstattung getroffenen Maßnahmen mit Artikel 30 EWG-Vertrag (ABl. Nr. C 310 v. 04.12.1986, S. 7); C. Le Pen, Les prix du médicament en Europe, Revue d’Economie Financière 1995, S. 123 (128). 477 Es wird hierbei auch von einer monopolähnlichen Nachfrage durch die Sozialversicherungsträger gesprochen, so daß evtl. über das europäische Wettbewerbsrecht eine Liberalisierung erreicht werden könnte. M. Egler/R. Geursen, Preisfestsetzungsmethoden für Arzneimittel, Teil I, PharmInd 1998, S. 373 (374). 478 Alle europäischen Krankenversicherungssysteme stehen unter dem Druck steigender Kosten, einer alternden Bevölkerung, wachsenden Erwartungen der Bürger sowie neuen Entwicklungen von Diagnose und Behandlung. Dazu Mitteilung der Kommission zur Frage der Vereinbarkeit der von den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Arzneimittel-Preiskontrolle und der -Kostenerstattung getroffenen Maßnahmen mit Artikel 30 EWG-Vertrag, (ABl. Nr. C 310 v. 04.12.1986, S. 7); Richtlinie 89/105/EWG des Rates v. 21.12.1988, betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme (ABl. Nr. L 40 v. 11.02.1989, S. 8); Strategic Forecasting Services, Pricing in Europe, 1993, S. 1, 10; C. Le Pen, Les prix du médicament en Europe, Revue d’Economie Financière 1995, S. 123 (127). 479 Ein freies Preissystem, ohne staatliche Regulierung, gilt in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Medikamente zur Selbstindikation. Die Preisunterschiede sind hier nicht künstlich durch staatliche Preiseingriffe hervorge-

5. Kap.: Preisbildung und Kostenerstattung bei Arzneimitteln

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ein.481 Es gibt auf der Herstellerstufe die Möglichkeit, die Preisbildung direkt482, indirekt über die Erstattung von Arzneimittelkosten483 oder durch eine Gewinnkontrolle484 zu beeinflussen.485 rufen, sondern durch Unterschiede in der Nachfrage, die sich beispielsweise aus den Unterschieden in der medizinischen Tradition, im Konsumverhalten oder den medizinischen Schulen ergeben. Jedes Land hat auf diese Weise seinen eigenen Schwerpunkt in Krankheitsbildern/Indikation und bevorzugten Medikamenten. C. Le Pen, Les prix du médicament en Europe, Revue d’Economie Financière 1995, S. 123 (126 f.). 480 In keinem Mitgliedstaat ist die Preisbildung auf den Handelsstufen freigestellt, zum Teil bestehen erhebliche Unterschiede in den eingeräumten Handelsspannen. Auf der Großhandels- und Apothekerebene gibt es zur Wahrung einheitlicher Endverbraucherpreise staatlich festgelegte Taxationsordnungen. 481 In verschiedenen Studien wird betont, daß administrative Preiseingriffe der entscheidende Bestimmungsfaktor für internationale Preisdifferenzen sind. Daneben werden als Einflußfaktoren die Größe therapeutischer Teilmärkte, die bestehenden Konkurrenzbedingungen, die Nachfragestrukturen, die existierenden Faktoreinsatzkosten sowie Wechselkursschwankungen genannt. Die Preisunterschiede in den Mitgliedstaaten führen zu Parallelimporten, d.h. Importe von im Ausland produzierten Arzneimitteln, die auch im Inland hergestellt werden und zugelassen sind. Wirtschaftlich lukrativ sind diese Importe aufgrund der Preisdifferenzen in den Mitgliedstaaten. Die Anforderungen an Parallelimporte, beispielsweise an deren Zulassung und die dafür notwendigen Unterlagen, Etikettierung, Patienteninformation oder das Umpacken etc., werden von den Mitgliedstaaten festgelegt. Sie haben dabei die vom Europäischen Gerichtshof in seinen Urteilen aufgestellten Grundsätze zu beachten. Parallelimporte sind die Konsequenz aus der unvollständigen Harmonisierung des Arzneimittelsektors. N. Reich, Marktrecht, S. 264 ff.; W. Boroch, Internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU-Arzneimittelindustrie, S. 165 ff., 174 f.; C. Le Pen, Les prix du médicament en Europe, Revue d’Economie Financière 1995, S. 123 (126 f., 130 f.); Ch. Hénin, Libre circulation, conditionnement des médicaments et marques, in: SNIP (Hrsg.), Droit communautaire et médicament, 1996, S. 65 ff.; A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, S. 208; S. Jungbauer/ W. Kemper, Europäische Union – Arzneimittel, S. 10; M. Egler/R. Geursen, Preisfestsetzungsmethoden für Arzneimittel, Teil I, PharmInd 1998, S. 373 (374); H. Blasius/H. Cranz, Arzneimittel und Recht in Europa, S. 90; F. Lutz, Kernprobleme des aktuellen Arzneimittelrechts, S. 20 f. 482 Ein administratives Preisregulierungssystem gibt es unter anderem in Frankreich, Spanien und Italien. Insbesondere gegenüber ausländischen Anbietern stellen direkte Preiseingriffe häufig bewußte Diskriminierungen dar. W. Boroch, Internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU-Arzneimittelindustrie, S. 46 f.; C. Le Pen, Les prix du médicament en Europe, Revue d’Economie Financière 1995, S. 123 (126). 483 Die Preisbildung selbst ist frei und nicht durch staatliche Vorgaben eingeschränkt. Allerdings ist die Höhe der Erstattung der Arzneimittelkosten festgeschrieben und wirkt sich so de-facto als Preiskontrolle aus. Die indirekte, auch de-factoPreiskontrolle genannt, erfolgt in Deutschland durch das System der Festbeträge. W. Boroch, Internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU-Arzneimittelindustrie, S. 165 ff.; C. Le Pen, Les prix du médicament en Europe, Revue d’Economie Financière 1995, S. 123 (126). 484 Diese indirekte Form der Preisregulierung wird beispielsweise in Großbritannien praktiziert. C. Le Pen, Les prix du médicament en Europe, Revue d’Economie

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Die pharmazeutische Industrie sah die Preisregulierungen immer schon als unvereinbar mit Artikel 30 EGV (jetzt Artikel 28 EG) an.486 Sie hat sich deshalb mehrmals an die Kommission gewandt und ein Einschreiten gegen die Behinderungen des freien Warenverkehrs gefordert. Gestützt auf frühere Urteile des Europäischen Gerichtshofs487 vertritt die pharmazeutische Industrie die Auffassung, daß Höchstpreisvorschriften für importierte Fertigarzneimittel oder Vorstufen solcher Arzneimittel gegen Artikel 28 EG verstoßen, wenn sie Einfuhren in Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell488 beeinträchtigen.489 Demzufolge brauchen Einfuhrbehinderungen nach Ansicht der Arzneimittelhersteller nicht in jedem Falle anhand von Wettbewerbsverfälschungen oder Diskriminierungen nachgewiesen werden. Seitdem der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung „Keck und Mithouard“490 zwischen produkt- und vertriebsbezogenen Maßnahmen zur Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit durch die Mitgliedstaaten unterschieden hat, gilt die „Dassonville-Formel“ nur noch für produktbezogene Beschränkungen.491 Dagegen stellen vertriebsbezogene Maßnahmen keine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Artikel 28 EG dar, sofern sie „für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren“.492 Dies gilt selbst, wenn sie im Ergebnis zu einer Behinderung des freien Warenverkehrs führen.

Financière 1995, S. 123 126; A. Earl-Slater, A study of pharmaceutical policies in the EU, Policy Studies 1997, S. 251 (260 f.). 485 Alle drei Kontrollformen der Herstellerabgabepreise werden in den Mitgliedstaaten angewendet. Sie sind alle interventionistischer Art mit einer unterschiedlichen Eingriffsintensität. W. Boroch, Internationale Wettbewerbsfähigkeit der EUArzneimittelindustrie, S. 46 f. 486 C. Le Pen, Les prix du médicament en Europe, Revue d’Economie Financière 1995, S. 123 (129); A. Earl-Slater, A study of pharmaceutical policies in the EU, Policy Studies 1997, S. 251 (261). 487 EuGH v. 23.01.1975 – Rs. 31/74 (Filippo Galli), Slg. 1975, 47 (Rdnr. 15); EuGH v. 26.02.1976 – Rs. 65/75 (Riccardo Tasca), Slg. 1976, 291 (Rdnr. 12/14, 26/28); EuGH v. 26.02.1976 – verb. Rs. 88/75 bis 90/75 (Società SADAM u. a./Comitato interministeriale dei prezzi), Slg. 1976, 323 (Rdnr. 9/11 ff.). 488 EuGH v. 11.07.1974 – Rs. 8/74 (Staatsanwaltschaft/Benoit u. Gustave Dassonville), Slg. 1974, 837 (Rdnr. 5). 489 H. Vorderwülbecke, Perspektiven der pharmazeutischen Industrie, 1985, S. 187 f. 490 EuGH v. 24.11.1993 – verb. Rs. C-267/91 u. C-268/91 (Strafverfahren gegen Bernard Keck u. Daniel Mithouard), Slg. 1993, I-6097 (Rdnr. 11 ff.). 491 Ausführlicher zu dem Urteil „Keck und Mithouard“ siehe 2. Teil, 2. Kapitel.

5. Kap.: Preisbildung und Kostenerstattung bei Arzneimitteln

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Die Vorschriften zu Mindest- oder Höchstpreisen sowie zur Erstattung der Arzneimittelkosten können gemäß dem Urteil „Keck und Mithouard“ des Europäischen Gerichtshofs493 zu Verkaufsmodalitäten gezählt werden.494 Das bedeutet, daß nationale Preis- und Kostenerstattungsvorschriften von Arzneimitteln, die unterschiedslos für einheimische und importierte Arzneimittel gelten und außerdem den Marktzugang für Arzneimittel aus anderen Mitgliedstaaten nicht erschweren, gemäß der Rechtsprechung „Keck und Mithouard“495 als vertriebsbezogene Maßnahmen gelten. Das führt wiederum dazu, daß sie nicht unter das Verbot des Artikel 28 EG fallen, weil sie keine Maßnahme gleicher Wirkung sind. Diese mitgliedstaatlichen Regelungen bedürfen deshalb keiner Rechtfertigung, auch keiner aus gesundheits- oder verbraucherschützenden Überlegungen. Die Kommission erkennt die Notwendigkeit nationaler, staatlicher Eingriffe in die Preisgestaltungs- und Kostenerstattungssysteme zum Zwecke der Kostendämpfung grundsätzlich an, solange das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt und inländische wie ausländischer Erzeugnisse unterschiedslos behandelt werden.496 Dennoch sind auch solche Maßnahmen nicht frei von Protektionismus. Das Argument des Verbraucherschutzes („Wahrung eines hohen Behandlungsniveaus“) ist häufig nur vorgeschoben.497 492 EuGH v. 24.11.1993 – verb. Rs. C-267/91 u. C-268/91 (Strafverfahren gegen Bernard Keck u. Daniel Mithouard), Slg. 1993, I-6097 (Rdnr. 16 f.); EuGH v. 15.12.1993 – Rs. C-292/92 (Ruth Hünermund u. a./Landesapothekerkammer BadenWürttemberg), Slg. 1993, I-6787 (Rdnr. 21). 493 EuGH v. 24.11.1993 – verb. Rs. C-267/91 u. C-268/91 (Strafverfahren gegen Bernard Keck u. Daniel Mithouard), Slg. 1993, I-6097 (Rdnr. 11 ff.). 494 W. Hummer/A. Simmer/Ch. Vedder/F. Emmert, Europarecht in Fällen, S. 612 ff.; Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1293; W. Palm/J. Nickless/H. Lewalle/A. Coheur, Auswirkungen der jüngsten Rechtsprechung über die Koordinierung des Systeme zum Schutz gegen das Krankheitsrisiko, 2000, S. 17. 495 EuGH v. 24.11.1993 – verb. Rs. C-267/91 u. C-268/91 (Strafverfahren gegen Bernard Keck u. Daniel Mithouard), Slg. 1993, I-6097 (Rdnr. 11 ff.). 496 Mitteilung der Kommission 86/C 310/08 v. 04.12.1986 zur Frage der Vereinbarkeit der von den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Arzneimittel-Preiskontrolle und der -Kostenerstattung getroffenen Maßnahmen mit Artikel 30 EWG-Vertrag, (ABl. Nr. C 310 v. 04.12.1986, S. 7); Richtlinie 89/105/EWG des Rates v. 21.12. 1988, betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme (ABl. Nr. L 40 v. 11.02.1989, S. 8); Kapitel 2 der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Leitlinien einer Industriepolitik für den Arzneimittelsektor in der Europäischen Gemeinschaft v. 02.03.1994 (KOM(93)718 endg. – C3-0121/94). 497 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat v. 30.10.1996, „Wirkung und Wirksamkeit der Binnenmarktmaßnahmen“, Pkt. 4.4; D. Gallois, L’industrie pharmaceutique réclame avec insistance la liberté des prix, Le

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Die vorangestellten Ausführungen zur Warenverkehrsfreiheit betreffen ausschließlich öffentlich-rechtliche Maßnahmen. Privatrechtliches Handeln von Unternehmen wird an den Vorschriften zum europäische Wettbewerbsrecht, den Artikeln 81 f. EG gemessen.498 Der Unternehmensbegriff der Artikel 81 und 82 EG ist sehr weit gefaßt und enthält als wesentliches Element die wirtschaftliche Tätigkeit.499 Unwichtig ist die Rechtsform des Unternehmens und die Art seiner Finanzierung, so daß die Praxis sogar Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts als Unternehmen behandelt.500 Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs fallen die Gesetzlichen Krankenkassen nicht unter den Unternehmensbegriff des europäischen Wettbewerbsrecht, weil ihnen das entscheidende Merkmal der wirtschaftlichen Tätigkeit501 fehle.502 Die Gesetzlichen Krankenkassen seien Monde 1995, S. 7; O. Schöffski, Die Regulierung des deutschen Apothekenwesens: eine ökonomische Analyse, 1995, S. 39 f.; A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, S. 291; C. Jarrige, La pharmacie en Allemagne – online ou offline?, Pharmaceutiques 2000, S. 39 (40). 498 F. Dehousse/M. Le Berre, L’Europe du médicament: un marché unique incomplet, Courrier hebdomadaire 1997, S. 1 (40 f., 44); Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1294; Dazu zählt beispielsweise das Problem der künstlichen Marktabschottung von Unternehmen. Dazu R. Gilbey, Le règlement (CEE) nº2309/93 et l’exigence d’une marque unique pour le territoire communautaire, in: SNIP (Hrsg.), Droit communautaire et médicament, 1996, S. 47 ff.; Ch. Hénin, Libre circulation, conditionnement des médicaments et marques, S. 66 ff., 92 ff. 499 EuGH v. 23.04.1991 – Rs. C-41/90 (Klaus Höfner u. Fritz Elser/Macrotron GmbH), Slg. 1991, I-1979 (Rdnr. 21); EuGH v. 17.02.1993 – verb. Rs. C-159/91 u. C-160/91 (Christian Poucet/Assurances Generales de France u. Caisse Mutuelle Regionale du Languedoc-Roussillon) u. (Daniel Pistre/Caisse Autonome Nationale de Compensation de l’Assurance Vieillesse des Artisans), Slg. 1993, I-637 (Rdnr. 17). 500 EuGH v. 23.04.1991 – Rs. C-41/90 (Klaus Höfner u. Fritz Elser/Macrotron GmbH), Slg. 1991, I-1979 (Rdnr. 21 ff.); Th. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1053; W. Weiß, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 81 Rdnr. 35; I. Brinker, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Artikel 81, Rdnr. 23; W. Mummenhoff, Die sozialrechtlichen Grenzen einer Bewertung verschreibungsfähiger Arzneimittel durch die Verbände der gesetzlichen Krankenversicherung, 1. Aufl. 1999, S. 15. 501 Eine Gewinnerzielungsabsicht setzt der Europäische Gerichtshof nicht voraus. EuGH v. 19.01.1994 – Rs. C-364/92 (SAT Fluggesellschaft mbH/Eurocontrol), Slg. 1994, I-43 (Rdnr. 18); EuGH v. 16.11.1995 – Rs. C-244/94 (Fédération Francaise des Sociétés d’Assurance, u. a./Ministère de l’Agriculture et de la Pêche), Slg. 1995, I-4013 (Rdnr. 14). 502 EuGH v. 17.02.1993 – verb. Rs. C-159/91 u. C-160/91 (Christian Poucet/Assurances Generales de France u. Caisse Mutuelle Regionale du Languedoc-Roussillon) u. (Daniel Pistre/Caisse Autonome Nationale de Compensation de l’Assurance Vieillesse des Artisans), Slg. 1993, I-637 (Rdnr. 19); dazu auch OLG Düsseldorf NZS 1998 567 (567 f.); W. Weiß, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Artikel 81 Rdnr. 36 f.; I. Brinker, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Artikel 81,

5. Kap.: Preisbildung und Kostenerstattung bei Arzneimitteln

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nicht wirtschaftlich tätig, weil sie „eine Aufgabe mit ausschließlich sozialem Charakter“ erfüllen würden. Der Gerichtshof sieht deshalb in der Tätigkeit der Gesetzlichen Kassen auch keinen Gewinnzweck.503 Vielmehr beruhe ihre Tätigkeit auf dem Grundsatz der Solidarität.504 So ist auch der Grundsatz der Solidarität der wesentliche Grund, weshalb der Europäische Gerichtshof den Gesetzlichen Krankenkassen die Unternehmenseigenschaft abspricht. Unabhängig von dem individuellen Beitrag erhält jedes Mitglied die gleiche Versicherungsleistung. Der individuelle Beitrag bemißt sich nach der Höhe des Arbeitseinkommens oder der Rente (§§ 220, 226, 228 ff., 241 ff. SGB V). Ist eine besondere Bedürftigkeit festgestellt, so kann eine Beitragszahlung auch ganz entfallen. Dieses Finanzierungssystem führt zu einer Einkommensumverteilung; denn die Mitglieder der Kassen mit höherem Arbeitseinkommen unterstützen durch ihren höheren Beitrag die mit geringerem Arbeitseinkommen. Über diese Solidarität der Mitglieder einer Kasse untereinander besteht auch eine Solidarität zwischen den Kassen; denn die Kassen, die einen Überschuß erwirtschaften, helfen den Kassen mit strukturellen finanziellen Schwierigkeiten.505 Voraussetzung für die Anwendung des Solidaritätsgrundsatzes sowie für die Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts ist eine möglichst umfassende Versicherungspflicht.

Rdnr. 25. Noch ohne Ergebnis liegt dem Europäischen Gerichtshof eine weitere Frage zur Vorabentscheidung über die Anwendbarkeit von europäischem Wettbewerbsrecht auf Gesetzliche Krankenkassen vor. Vorgelegt hat der Bundesgerichtshof mit seinem Beschluß v. 03.07.2001 (Az.: KZR 31/99 u. 32/99). 503 Wobei der Europäische Gerichtshof eine Gewinnerzielungsabsicht nicht unbedingt als erforderlich ansieht, um eine Tätigkeit als wirtschaftlich einzustufen. Dazu EuGH v. 16.11.1995 – Rs. C-244/94 (Fédération Francaise des Sociétés d’Assurance, u. a./Ministère de l’Agriculture et de la Pêche), Slg. 1995, I-4013 (Rdnr. 14, 21); EuGH v. 21.09.1999 – Rs. C-219/97 (Maatschappij Drijvende Bokken B.V./Stichting Pensioenfonds voor de Vervoer-en Havenbedrijven), Slg. 1999, I-6121 (Rdnr. 61); EuGH v. 21.09.1999 – verb Rs. C-115/97 bis 117/97 (Brentjens’ Handelsonderneming B.V./Stichting Bedrijfspensioenfonds voor de Handel in Bouwmaterialen), Slg. 1999, 6025 (Rdnr. 71); EuGH v. 21.11.1999 – Rs. C-67/96 (Albany International B.V./Stichting Bedrijfspensioenfonds Textielindustrie), Slg. 1999, I-5751 (Rdnr. 71). 504 EuGH v. 17.02.1993 – verb. Rs. C-159/91 u. C-160/91 (Christian Poucet/Assurances Generales de France u. Caisse Mutuelle Regionale du Languedoc-Roussillon) u. (Daniel Pistre/Caisse Autonome Nationale de Compensation de l’Assurance Vieillesse des Artisans), Slg. 1993, I-637 (Rdnr. 18). 505 Der Europäische Gerichtshof sieht in der verb. Rs. C-159//91 „Poucet“ und C-160/91 „Pistre“ das Solidarprinzip in der Solidarität der Leistungsfinanzierung, der Solidarität der Leistungsgestaltung, der nationalen Solidarität durch Zwangsmitgliedschaft der Bevölkerung sowie der Solidarität der Kassen untereinander verwirklicht. Dazu auch Veröffentlichung des Bundesfinanzministeriums (BFM), Freizügigkeit und soziale Sicherung in Europa, 2000, Punkt II, C.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Es ist allerdings fragwürdig, ob die Gesetzlichen Krankenkassen auch heute noch eine Solidargemeinschaft darstellen.506. So sind in Deutschland fast 90% der Bevölkerung zwangsweise in der Gesetzlichen Krankenversicherung erfaßt.507 Eine Zwangsmitgliedschaft ohne Berücksichtigung von vereinenden Merkmalen ist allerdings nicht die richtige Voraussetzung dafür, daß die Mitglieder sich einander solidarisch erklären und für einander einstehen.508 Dafür fehlt die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft und eine spezifische Homogenität der Mitglieder, die sie verbindet509 sowie die Beschränkung auf eine überschaubare Gruppe.510 Darüber hinaus kommen verschiedene deutsche Gerichte trotz der Anerkennung des Solidaritätsgrundsatzes in der Gesetzlichen Krankenversicherung dennoch zu dem Ergebnis, daß die Gesetzlichen Krankenkassen als Unternehmen im Sinne der Artikel 85 und 86 EGV (jetzt Artikel 81 und 82 EG) zu behandeln sind.511 506

Ausdrücklich verneinend: K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Unrecht gegenüber den Vertragsärzten in der Gesetzlichen Krankenversicherung, 2003, insbes. 1. Teil 1. Kapitel, I, II, III und 2. Kapitel; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche mit W. Hankel, Revolution der Krankenversicherung. Prinzipien, Thesen und Gesetz, 2002, S. 18 ff., 21 f., 23. 507 Zum Zeitpunkt der Gründung der Gesetzlichen Krankenversicherung war das Verhältnis genau umgekehrt. Damals waren lediglich ca. 10% der Bevölkerung Mitglieder. M. Arnold. Solidarität 2000 – Die medizinische Versorgung und ihre Finanzierung nach der Jahrtausendwende, 2. Aufl. 1995, S. 26 f.; F. Beske/J. G. Brecht/ A.-M. Reinkemeier, Das Gesundheitswesen in Deutschland: Struktur – Leistungen – Weiterentwicklung, 1993, S. 44. 508 M. Arnold. Solidarität 2000, S. 29 ff.; K. A. Schachtschneider/A. EmmerichFritsche, Das Unrecht gegenüber den Vertragsärzten in der Gesetzlichen Krankenversicherung, 1. Teil 1. Kapitel, III. 509 Der Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen ist anderer Ansicht. Er hält bereits das Interesse aller an bedarfsgerechter medizinischer Versorgung im Krankheitsfall für ein ausreichendes Homogenitätsmerkmal. Sachstandsbericht von 1994, S. 47 Rdnr. 40. 510 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche mit W. Hankel, Revolution der Krankenversicherung. Prinzipien, Thesen und Gesetz, S 22 f. 511 BGHZ 36, 91 (102); 102, 280 (284 f.); 97, 312 (316); OLG Düsseldorf NZS 1998, 567 (569 f.); in diesem Sinne auch LG Düsseldorf G+G 1999, 48 (48 f.). Das LG Düsseldorf hat in seinem Urteil vom 06.01.1999 entschieden, daß die Gesetzlichen Krankenkassen, ungeachtet ihrer Rechtsform, als Unternehmen im Sinne von Artikel 85 EGV (jetzt Artikel 81 EG) anzusehen seien, soweit sie die Preise für Arzneimittel marktrelevant über die Festbetragsfestsetzung beeinflussen. Die Verbände der Gesetzlichen Krankenkassen werden entsprechend als Unternehmensverbände im Sinne des Artikels 85 EGV (jetzt Artikel 81 EG) eingestuft. Dazu auch die Vorlagefrage des BGH. Darüber hinaus müssen Eingriffe der Sozialversicherungsträger in den Wettbewerb am Markt Artikel 12 GG beachten. BVerwGE 71, 183 (194 ff.); W. Mummenhoff, Die sozialrechtlichen Grenzen einer Bewertung verschreibungsfähiger Arzneimittel durch die Verbände der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 15, 31; M. Arndt, Gutachten zur Positivliste, PharmInd 2001, S. 2 (9).

5. Kap.: Preisbildung und Kostenerstattung bei Arzneimitteln

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Welche Maßnahmen die Europäische Gemeinschaft bisher hinsichtlich der Beseitigung von Handelshemmnissen, die aufgrund von unterschiedlichen nationalen Regelungen zur Preisbildung und Kostenerstattung von Arzneimitteln bestehen, unternommen hat, wird nachfolgend dargestellt. Diese Betrachtung schließt die Umsetzung in französisches und deutsches Recht mit ein. Die wettbewerbsrechtliche Komponente der Kostenerstattung von medizinischen und arzneilichen Leistungen durch die Gesetzlichen Krankenkassen wird dabei nicht weiter berücksichtigt.512 Weil die Regelungen zur Preisbildung und Kostenerstattung von Arzneimitteln häufig aneinander gekoppelt sind,513 werden sie in einem Kapitel zusammengefaßt. Dabei geht es überwiegend um die Regulierungen auf der Herstellerebene von verschreibungspflichtigen und erstattungsfähigen Arzneimitteln aus Apotheken. I. Europäische Regelungen Die Kommission hat im Rahmen ihrer Möglichkeiten bereits einige Maßnahmen ergriffen, um den grenzüberschreitenden Verkehr von Arzneimitteln zu erleichtern. Es liegen aber noch Hemmnisse für den freien Arzneimittelverkehr vor, die aus den nationalen Sozialversicherungssystemen resultieren.514 Die Befugnis für den Bereich der Sozialversicherungen und damit Eingriffe in die Preis- und Erstattungssysteme der Krankenversicherungen liegen weiterhin in den Händen der Mitgliedstaaten, weshalb die Kommission speziell hierfür keine Regelungsbefugnis besitzt.515 Dennoch sind auch mit den Sozialversicherungssystemen die vertraglichen Vereinbarungen zur Warenverkehrsfreiheit einzuhalten.516 Dies hat die 512 Das Wettbewerbsrecht ist neben den Grundfreiheiten die zweite wesentliche Komponente des Binnenmarktes. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt jedoch auf der Warenverkehrsfreiheit. Aus diesem Grund wird die Problematik im Wettbewerbsrecht nicht weiter vertieft. 513 M. Egler/R. Geursen, Preisfestsetzungsmethoden für Arzneimittel, Teil I, PharmInd 1998, S. 373 (374); C. Le Pen, Les prix du médicament en Europe, Revue d’Economie Financière 1995, S. 123 (127). 514 Ist die Kostenerstattung eines Arzneimittels an eine Preisgenehmigung durch staatliche Stellen gebunden, kann es vorkommen, daß heimische Produkte preislich besser gestellt werden, als gleichwertige Importe oder es werden importierte Arzneimittel gänzlich von der Kostenerstattung ausgeschlossen. Der Erstattungsausschluß wirkt sich faktisch wie ein Einfuhrverbot aus, wenn gleichwertige inländische Präparate erstattungsfähig sind. N. Reich, Marktrecht, S. 323; W. Boroch, Internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU-Arzneimittelindustrie, S. 180; H. Blasius/H. Cranz, Arzneimittel und Recht in Europa, S. 143. 515 Dies wird deutlich durch Artikel 1 der Verordnung 2309/93/EWG (ABl. Nr. L 214 v. 24.08.1993, S. 1). Artikel 1 betont, daß die Mitgliedstaaten weiterhin für die Einbeziehung von Arzneimitteln in die nationalen Krankenversicherungssysteme und in der Festsetzung von Arzneimittelpreisen zuständig bleiben.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Kommission bereits 1986 in ihrer Mitteilung517 zur Frage der Vereinbarkeit von mitgliedstaatlichen Regelungen zur Preis- und Kostenkontrolle mit Artikel 30 EGV (jetzt Artikel 28 EG) deutlich gemacht und in ihrer Mitteilung518 über die Leitlinien einer Industriepolitik für den Arzneimittelsektor wiederholt.519 Weiterführend dazu hat der Europäische Rat 1989 die Richtlinie 89/105/EWG520 zur Transparenz von mitgliedstaatlichen Preiseingrif516 EuGH v. 29.11.1983 – Rs. 181/82 (Roussel Laboratoria B.V. u. a./niederländischer Staat), Slg. 1983, 3849 (Rdnr. 17 ff.); EuGH v. 07.02.1984 – Rs. 238/82 (Duphar B.V. u. a./niederländischer Staat), Slg. 1984, 523 (Rdnr. 16 ff.); EuGH v. 26.01.1984 – Rs. 301/82 (SA Clin-Midy u. a./belgischer Staat), Slg. 1984, 251 (Rdnr. 5 ff., 12); EuGH v. 28.04.1998 – Rs. C-120/95 (Nicolas Decker/Caisse de maladie des employés privés), Slg. 1998, I-1831 (Rdnr. 21 ff.); Mitteilung der Kommission 86/C 310/08 v. 04.12.1986 zur Frage der Vereinbarkeit der von den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Arzneimittel-Preiskontrolle und der -Kostenerstattung getroffenen Maßnahmen mit Artikel 30 EWG-Vertrag (ABl. Nr. C 310 v. 04.12.1986, S. 7); Mitteilung der Kommission über den Binnenmarkt für Arzneimittel v. 25.11.1998, S. 6 (KOM(98)588 endg. – C4-0127/99); Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik vom Europäischen Parlament über die Mitteilung der Kommission über den Binnenmarkt für Arzneimittel v. 21.04.1999 (PE 229.756/endg.); W. Boroch/D. Cassel, Integration regulierter Märkte: Das Beispiel eines einheitlichen EG-Arzneimittelmarktes, in: H. Gröner/A. Schüller (Hrsg.), Die europäische Integration als ordnungspolitische Aufgabe, 1993, S. 372 f.; Strategic Forecasting Services, Pricing in Europe, 1993, S. 74; R. Büscher, Konsequenzen der EG-Arzneimittelzulassung für die Pharmaindustrie, S. 941; F. Lutz, Kernprobleme des aktuellen Arzneimittelrechts, S. 17. 517 Mitteilung der Kommission 86/C 310/08 v. 04.12.1986 zur Frage der Vereinbarkeit der von den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Arzneimittel-Preiskontrolle und der -Kostenerstattung getroffenen Maßnahmen mit Artikel 30 EWG-Vertrag (ABl. Nr. C 310 v. 04.12.1986, S. 7). Die in dieser Mitteilung eingeschlagene Linie setzt die Kommission in ihrer Mitteilung über den Binnenmarkt für Arzneimittel v. 25.11.1998 (KOM(98)588 endg. – C4-0127/99) fort. 518 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Leitlinien einer Industriepolitik für den Arzneimittelsektor in der Europäischen Gemeinschaft v. 02.03.1994 (KOM(93)718 endg. – C3-0121/94); Das Europäische Parlament nimmt zu dieser Mitteilung der Kommission in seiner Entschließung zur Industriepolitik im Arzneimittelsektor v. 16.04.1996 (ABl. Nr. C 141 v. 13.05.1996, S. 63) kritisch Stellung. 519 In der Mitteilung der Kommission 86/C 310/08 v. 04.12.1986 (ABl. Nr. C 310 v. 04.12.1986, S. 7) sind die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aufgrund der Bestimmungen des EG-Vertrages dargelegt, wie diese vom Europäischen Gerichtshof ausgelegt wurden und wie sie die Kommission anwenden wird, um die Einheit des Binnenmarktes der Gemeinschaft zu verwirklichen. Eine Mitteilung ist lediglich eine Empfehlung der Kommission i. S. von Artikel 249 EG, deren Inhalt rechtlich nicht verbindlich ist. 520 Richtlinie 89/105/EWG des Rates v. 21.12.1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme (ABl. Nr. L 40 v. 11.02.1989, S. 8), auch Transparenzrichtlinie genannt. Diese Richtlinie ist ebenfalls auf Artikel 95 EG gestützt.

5. Kap.: Preisbildung und Kostenerstattung bei Arzneimitteln

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fen sowie Erstattungssystemen als bisher einzige verbindliche Maßnahme dazu erlassen.521 Diese Richtlinie wird häufig auch als Transparenzrichtlinie bezeichnet. 1. Preisbildung Es gibt bis heute keine abschließenden Gemeinschaftsbestimmungen zur Festsetzung der Arzneimittelpreise. Aus diesem Grund steht es den Mitgliedstaaten frei, jeweils für ihr Hoheitsgebiet Preiskontrollvorschriften für pharmazeutische Erzeugnisse zu erlassen.522 Wie zunächst dargestellt, sind Regelungen zur Bestimmung von Mindestoder Höchstpreisen als Verkaufsmodalitäten anzusehen, die grundsätzlich nicht unter das Verbot des Artikel 28 EG fallen. Dies ändert sich jedoch, wenn sich diese Regelungen diskriminierend auf importierte Produkte auswirken oder den Gemeinsamen Markt in einzelne Teilmärkte aufspalten. Sie fallen dadurch wieder unter das Verbot des Artikel 28 EG und dürfen den innergemeinschaftlichen Handel weder unmittelbar noch mittelbar, tatsächlich oder potentiell behindern.523 521 Die Kommission ist der Ansicht, daß die Richtlinie vollständig und korrekt umgesetzt wurde, sie zieht aber keine Schlußfolgerung über ihre Auswirkung in den Mitgliedstaaten. O. V., Price deregulation rejected by EU institutions, Pharma Pricing Review 1996, S. 83 (84). 522 Der EuGH betont in seinen Urteilen, daß die Richtlinie 65/65/EWG nicht in die Befugnisse der Mitgliedstaaten für Preisregulierungen pharmazeutischer Erzeugnisse eingreift. EuGH v. 26.01.1984 – Rs. 301/82 (SA Clin-Midy u. a./belgischer Staat), Slg. 1984, 251 (Rdnr. 4, 10 ff.); Weil sich bezüglich dieser Problematik im Inhalt der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) im Vergleich zur Richtlinie 65/65/EWG keine wesentlichen Änderungen vorgenommen wurden, sind die Aussagen des Europäischen Gerichtshofs übertragbar. Mitteilung der Kommission 86/C 310/08 v. 04.12.1986 zur Frage der Vereinbarkeit der von den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Arzneimittel-Preiskontrolle und der -Kostenerstattung getroffenen Maßnahmen mit Artikel 30 EWG-Vertrag (ABl. Nr. C 310 v. 04.12.1986, S. 7); Schlußfolgerungen des Rates zum Binnenmarkt für Arzneimittel v. 18.05.1998 (8528/98, Schlußfolgerungen, 2094ste Ratstagung); Mitteilung der Kommission über den Binnenmarkt für Arzneimittel v. 25.11.1998 (KOM(98)588 endg. – C4-0127/99); Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik vom Europäischen Parlament über die Mitteilung der Kommission über den Binnenmarkt für Arzneimittel v. 21.04.1999, S. 10 ff., (PE 229.756/endg.). 523 EuGH v. 11.07.1974 – Rs. 8/74 (Staatsanwaltschaft/Benoit u. Gustave Dassonville), Slg. 1974, 837 (Rdnr. 5). Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil „Danis“ deutlich gemacht, daß diese Grundsätze auch für Preiskontrollregelungen gelten. EuGH v. 06.11.1979 – verb. Rs. 16/79 bis 20/79 (Strafverfahren gegen Joseph Danis u. a.), Slg. 1979, 3327 (Rdnr. 8 ff.), bestätigt in EuGH v. 29.11.1983 – Rs. 181/82 (Roussel Laboratoria B.V. u. a./niederländischer Staat), Slg. 1983, 3849 (Rdnr. 18 f.). Zu berücksichtigen sind die bereits erwähnten Modifikationen

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Grundsätzlich widersprechen unterschiedslos geltende Preiskontrollsysteme der Mitgliedstaaten nicht den Grundsätzen des freien Warenverkehrs. Damit sind Preisregelungen, die für inländische wie für eingeführte Erzeugnisse unterschiedslos gelten, als solche keine Maßnahme gleicher Wirkung. Wird jedoch der Preis so niedrig festgesetzt, daß der Absatz der importierten Arzneimittel im Vergleich zu einheimischen Erzeugnissen erschwert wird, entfalten auch unterschiedslos geltende Preisregelungen eine handelsbeschränkende Wirkung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs.524 Dagegen muß eine nationale Preisregelung, die einheimische und eingeführte Arzneimittel unterschiedlich behandelt, als Maßnahme gleicher Wirkung angesehen werden, sofern sie geeignet ist, den Absatz der eingeführten Erzeugnisse in irgendeiner Weise zu erschweren.525 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Preis für Arzneimittel nach dem Fabrikpreis, der zu einem bestimmten Zeitpunkt für den Verkauf im Herstellungsland berechnet worden ist, festgelegt wird.526 Dadurch würde für ein pharmazeutisches Unternehmen eine Preiserhöhung für ein importiertes Arzneimittel, die die mit dem Import verbundenen Kosten einbezieht, unmöglich werden. Allerdings ist die Vereinbarkeit einer nationalen Preisvorschrift, die zwischen einheimischen und eingeführten Arzneimitteln differenziert, mit Artikel 28 EG immer unter Berücksichtigung der Marktverhältnisse des einführenden Mitgliedstaates zu beurteilen.527 Die Handelsbehinderungen und Verzerrungen, die sich aus den in den Mitgliedstaaten bestehenden unterschiedlichen Preissystemen ergeben, sind nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs durch Maßnahmen der Gedurch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs v. 24.11.1993 – verb. Rs. C-267/91 u. C-268/91 (Strafverfahren gegen Keck u. Mithouard), Slg. 1993, I-6097 (Rdnr. 11 ff.). 524 EuGH v. 26.02.1976 – Rs. 65/75 (Riccardo Tasca), Slg. 1976, 291 (Rdnr. 26/ 28); EuGH v. 26.02.1976 – verb. Rs. 88/75 bis 90/75 (Società SADAM u. a./Comitato interministeriale dei prezzi), Slg. 1976, 323 (Rdnr. 33/36); EuGH v. 24.01.1978 – Rs. 82/77 (Staatsanwaltschaft des Königreichs der Niederlande/Jacobus Philippus Van Tiggele), Slg. 1978, 25 (Rdnr. 13/15); EuGH v. 06.11.1979 – verb. Rs. 16/79 bis 20/79 (Strafverfahren gegen Joseph Danis u. a.), Slg. 1979, 3327 (Rdnr. 10); EuGH v. 29.11.1983 – Rs. 181/82 (Roussel Laboratoria B.V. u. a./niederländischer Staat), Slg. 1983, 3849 (Rdnr. 17). 525 EuGH v. 29.11.1983 – Rs. 181/82 (Roussel Laboratoria B.V. u. a./niederländischer Staat), Slg. 1983, 3849 (Rdnr. 18 f.). 526 Zu der Problematik von Preisstops auf der Basis von Fabrikpreisen siehe die Ausführungen des EuGH in seinem Urteil „Roussel“ zu den in den Niederlande geltenden unterschiedlichen Preisvorschriften für heimische und eingeführte Erzeugnisse: EuGH v. 29.11.1983 – Rs. 181/82 (Roussel Laboratoria B.V. u. a./niederländischer Staat), Slg. 1983, 3849 (Rdnr. 8 ff.). 527 EuGH v. 29.11.1983 – Rs. 181/82 (Roussel Laboratoria B.V. u. a./niederländischer Staat), Slg. 1983, 3849 (Rdnr. 20).

5. Kap.: Preisbildung und Kostenerstattung bei Arzneimitteln

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meinschaftsbehörden auszuschalten.528 Die Transparenzrichtlinie529 gilt als der bisher weiteste Vorstoß der Gemeinschaft in Richtung auf eine Angleichung der einzelstaatlichen Preis- und Erstattungssysteme und soll einen Überblick über die mitgliedstaatlichen Systeme der Preisfestsetzung von Arzneimitteln geben.530 Die Richtlinie schreibt den Mitgliedstaaten keine Preisfestsetzungsverfahren vor, sondern gibt ihnen die Aufgabe, die bestehenden Verfahren transparenter531 zu gestalten.532 Die Richtlinie hat an 528

EuGH v. 31.10.1974 – Rs. 16/74 (Centrafarm B.V. und Adriaan De Peijper/ Winthrop B.V.), Slg. 1974, 1183 (Rdnr. 16/17); EuGH v. 20.01.1981 – verb. Rs. 55/80 u. 57/80 (Musik Vertrieb Membran GmbH u. K-tel International/GEMA), Slg. 1981, 147 (Rdnr. 24); EuGH v. 11.07.1996 – verb. Rs. C-427/93, C-429/93 u. C-436/93 (Bristol-Myers Squibb, Böhringer, Bayer/Paranova), Slg. 1996, I-3457 (Rdnr. 46); EuGH v. 05.12.1996 – verb. Rs. C-267/95 u. C-268/95 (Merck u. a./Primecrown u. a.) u. (Beecham Group plc/Europharm of Worthing Ltd.), Slg. 1996, I6285 (Rdnr. 47); Mitteilung der Kommission über den Binnenmarkt für Arzneimittel v. 25.11.1998 (KOM(98)588 endg. – C4-0127/99); Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik vom Europäischen Parlament über die Mitteilung der Kommission über den Binnenmarkt für Arzneimittel v. 21.04.1999 (PE 229.756/endg.). 529 Richtlinie 89/105/EWG des Rates v. 21.12.1988, betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme (ABl. Nr. L 40 v. 11.02.1989, S. 8). 530 Einführung der Richtlinie 89/105/EWG v. 21.12.1988 (ABl. Nr. L 40 v. 11.02.1989, S. 8). Die Kommission hat sich in Artikel 9 der Richtlinie 89/105/ EWG vorbehalten, die Richtlinie fortzuschreiben. Hierzu hat sie 1992 einen vorläufigen Ergänzungsentwurf verabschiedet, worin, u. a. die Berücksichtigung des Festbetragssystems, die Einführung von Werbekostenbegrenzungen, die Förderung der Arzneimittelsubstitution und die Einführung standardisierter Packungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft vorgesehen ist. Es handelt sich hierbei nur um Empfehlungen zur Gesundheitspolitik, deshalb ist die Wirkung des Ergänzungsentwurfs für die Angleichung der Gesundheitssysteme nahezu bedeutungslos. Inzwischen ist die Fortschreibung der Transparenzrichtlinie zurückgestellt worden. Statt dessen wurde eine „Industrial Policy Task Force“ gebildet. Diese Arbeitsgruppe, die aus Vertretern der Kommission und der mitgliedstaatlichen Arzneimittelindustrie besteht, soll über die künftige gesundheitspolitische Ausgestaltung des europäischen Arzneimittelmarktes beraten. Seitens der Mitgliedstaaten gab es keinen Aktualisierungsbedarf der Richtlinie 89/105/EWG. Strategic Forecasting Services, Pricing in Europe, 1993, S. 77; W. Boroch, Internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU-Arzneimittelindustrie, S. 195 ff.; R. Pitschas, Rechtliche Verfassung der Arzneimittelrisikokommunikation, S. 208. 531 Transparenz bedeutet in diesem Zusammenhang die Schaffung einer größeren Entscheidungstransparenz seitens der Behörde oder der zuständigen Sozialversicherungsträger zugunsten der Arzneimittelhersteller. N. Reich, Marktrecht, S. 323. 532 Die Transparenzrichtlinie (ABl. Nr. L 40 v. 11.02.1989, S. 8) strebt weder eine strukturelle Angleichung der bestehenden Regulierungssysteme noch deren Beseitigung an und läßt die Festsetzung der Preise in der Hand der Mitgliedstaaten. C. Le Pen, Les prix du médicament en Europe, Revue d’Economie Financière 1995, S. 123 (129); W. Boroch/D. Cassel, Integration regulierter Märkte, S. 372 f.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

die Preisgenehmigungsverfahren533 beim Inverkehrbringen eines Arzneimittels, an die Preiserhöhung eines bereits auf dem Markt befindlichen Präparates oder an Preisstops534 die Anforderungen an die Nachprüfbarkeit und Objektivität erhöht.535 Problematisch ist Artikel 2 der Transparenzrichtlinie. Dieser legt die Anforderungen für den Fall fest, daß das Inverkehrbringen eines Arzneimittels nur zulässig ist, wenn die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats den Preis des Arzneimittels genehmigt haben. Allerdings beziehen sich die in Artikel 26 der Richtlinie 2001/83/EG abschließend aufgezählten Versagensgründe für die Erteilung der Zulassung des Arzneimittels lediglich auf die mangelnde Qualität, Wirksamkeit oder Sicherheit des Präparats, was zu einer Gesundheitsgefährdung des Arzneimittelanwenders führen würde.536 Somit kann die Zulassung eines Arzneimittels nicht deshalb versagt werden, weil der Preis zu hoch erscheint.537 533 Sowohl für Preisgenehmigungen als auch für Preiserhöhung sind Fristen seitens der Behörde einzuhalten. Das gleiche gilt für die Entscheidung über die Aufnahme eines Arzneimittels in die Positivliste. In der Regel muß eine Entscheidung innerhalb von 90 Tagen getroffen sein. Eine Ablehnung des von dem Unternehmen vorgeschlagenen Preises, muß die Behörde begründen. Alljährlich muß die Behörde eine Liste der Arzneimittel veröffentlichen, deren Preis während des Berichtszeitraums festgelegt wurde und sie der Kommission zur Kenntnisnahme zukommen lassen (Artikel 2 und Artikel 3 der Richtlinie 89/105/EWG (ABl. Nr. L 40 v. 11.02.1989, S. 8)). Die Begründungspflicht gegenüber der Kommission erstreckt sich auf die Maßnahmen und Methoden der Gewinnkontroll-Systeme, die Verzeichnisse der erstattungsfähigen Arzneimittel durch die Krankenkassen (Positivliste) einschließlich der festgelegten Preise sowie die von der Kostenerstattung ausgeschlossenen Arzneimittel (Negativliste). 534 Verfügen die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats einen Preisstopp für alle Arzneimittel, so überprüft dieser Mitgliedstaat einmal jährlich, ob nach der gesamtwirtschaftlichen Lage die Beibehaltung des Preisstopps gerechtfertigt ist. In Ausnahmefällen kann eine Abweichung von einem Preisstopp beantragt werden, wenn dies durch besondere Gründe gerechtfertigt ist. Artikel 4 der Richtlinie 89/ 105/EWG (ABl. Nr. L 40 v. 11.02.1989, S. 8). 535 J. Vanpé/P. Leguen, La construction de l’Europe pharmaceutique, S. 60 f. 536 Sollte ein Mitgliedstaat die Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) und die in Artikel 26 abschließend aufgeführten Versagensgründe der Zulassung nicht in nationales Recht umgesetzt haben, so ist die Richtlinie unmittelbar wirksam. Die Vorschriften für die Erteilung der Zulassung sind hinreichend genau. EuGH v. 26.01.1984 – Rs. 301/82 (SA Clin-Midy u. a./belgischer Staat), Slg. 1984, 251 (Rdnr. 4). Auch die Transparenzrichtlinie (ABl. Nr. L 40 v. 11.02.1989, S. 8) betont, daß die Zulassung eines Arzneimittels nur aus Gründen der Qualität, Sicherheit oder Wirksamkeit der betreffenden Arzneimittel verweigert werden kann. 537 Die Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels darf nur aus den in der Richtlinie vorgesehenen Gründen zum Schutz der Gesundheit versagt werden. Regelungen zur Preisfestsetzung sowie deren Kontrolle können die Mitgliedstaaten einführen, wenn sie sicherstellen, daß Artikel 28 EG nicht verletzt

5. Kap.: Preisbildung und Kostenerstattung bei Arzneimitteln

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2. Erstattung der Kosten für Arzneimittel Für die Gestaltung der Sozialversicherung sind ausschließlich die Mitgliedstaaten zuständig, wobei sie mit der Ausübung dieser Befugnis das Gemeinschaftsrecht zu beachten haben.538 Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ermöglicht den Gemeinschaftsorganen nur in sehr engen Grenzen, in die sozialen Belange der Mitgliedstaaten einzugreifen. Die Eingriffe erfolgen überwiegend zur Förderung der Kooperation und Koordination der mitgliedstaatlichen Sozialpolitik.539 Darüber hinaus betreffen die im Vertrag enthaltenen Vorschriften zur Sozialpolitik hauptsächlich die Freizügigkeit der Arbeitnehmer unter Einbeziehung der Arbeitsumwelt, der Arbeitsbedingungen sowie der Förderung und Entwicklung der strukturellen Anpassung.540 Somit unterliegen alle Regelungen, welche die Erstattung von Arzneimittelkosten betreffen, der Kompetenz der Mitgliedstaaten.541 Dies führt zu eiwird. EuGH v. 26.01.1984 – Rs. 301/82 (SA Clin-Midy u. a./belgischer Staat), Slg. 1984, 251 (Rdnr. 5 ff.). 538 EuGH v. 24.04.1980 – Rs. 110/79 (Una Coonan/Insurance Officer), Slg. 1980, 1445 (Rdnr. 12); EuGH v. 04.10.1991 – Rs. C-349/87 (Elissavet Paraschi/ Landesversicherungsanstalt Württemberg), Slg. 1991, I-4501 (Rdnr. 22); EuGH v. 30.01.1997 – verb. Rs. C-4/95 u. Rs. 5/95 (Fritz Stöber und José Manuel Piosa Pereira/Bundesanstalt für Arbeit), Slg. 1997, I-511 (Rdnr. 36); EuGH v. 17.06.1997 – Rs. C-70/95 (Sodemare SA u. a./Regione Lombardia), Slg. 1997, I-3395 (Rdnr. 27); EuGH v. 28.04.1998 – Rs. C-120/95 (Nicolas Decker/Caisse de maladie des employés privés), Slg. 1998, I-1831 (Rdnr. 21 ff.); W. Boroch/D. Cassel, Integration regulierter Märkte, S. 368 f.; W. Boroch, Internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU-Arzneimittelindustrie, S. 186 f.; J. Vanpé/P. Leguen, La construction de l’Europe pharmaceutique, S. 63 f.; H. Stein, Ziele und Maßnahmen europäischer Gesundheitspolitik, S. 376 f.; G. Danner, Harmonisierungstendenzen in der sozialen Sicherung der Länder der EU, in: O. Schöffski/F.-U. Fricke/W. Guminski/W. Hartmann, Pharmabetriebslehre, 2002, S. 403 ff. 539 R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 909 f. 540 Mit Artikel 42 EG, einer Norm, die einen maßgeblichen Einfluß auf die soziale Sicherung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft hat, wird die Freizügigkeit der Arbeitnehmer explizit auf Regelungen der sozialen Sicherheit ausgedehnt. Damit soll verhindert werden, daß Arbeitnehmer aufgrund ihrer Wanderungsbewegungen zwischen den Mitgliedstaaten in sozialen Belangen benachteiligt werden. In diesem Zusammenhang sei auch die Verordnung 1408/71/EWG des Rates v. 14.07.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern erwähnt (ABl. Nr. L 149 v. 05.07.1971, S. 2). Die Artikel 136-148 EG verlangen eine Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in sozialen Fragen, wie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und des Gesundheitsschutzes sowie Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten. P. Oberender/E.-M. Reißmann, Sozialpolitik und Sozialversicherung in der europäischen Integration, in: H. Gröner/A. Schüller (Hrsg.), Die europäische Integration als ordnungspolitische Aufgabe, 1993, S. 381 ff.; R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 904 ff.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

ner vielfältigen Ausprägung an Erstattungssystemen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Die Mitgliedstaaten haben unterschiedliche Vorschriften, ob und in welcher Höhe ein Arzneimittel von der Gesetzlichen Krankenversicherung erstattet wird. Diese Regelungen können zu einem erschwerten Inverkehrbringen des Arzneimittels führen, als auch den grenzüberschreitenden Verkehr von Arzneimitteln behindern.542 Hinzu kommen die aus gesundheitspolitischen Zielsetzungen abgeleiteten und mit dem Sozialversicherungssystem verbundenen Kostendämpfungsmaßnahmen, welche sich häufig ebenfalls negativ auf den freien Verkehr von Arzneimitteln auswirken.543 Ein Mitgliedstaat muß für die Ausgestaltung seiner Erstattungsregelungen für Arzneimittel jedoch gewisse Voraussetzungen beachten, um den Anforderungen aus Artikel 28 EG gerecht zu werden, so daß die aufgestellten Positiv- oder Negativlisten544 keine Maßnahme gleicher Wirkung darstellen.545 Die Auswahl der Arzneimittel muß auf objektiven und nachprüfba541 Auch wenn die Gemeinschaft keine Regelungsbefugnis für die Sozialversicherungen hat, sind die mitgliedstaatlichen Maßnahmen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit nicht von den Regelungen der Grundfreiheiten ausgenommen, EuGH v. 07.02.1984 – Rs. 238/82 (Duphar B.V. u. a./niederländischer Staat), Slg. 1984, 523 (Rdnr. 16 ff., 20 ff.); EuGH v. 07.05.1986 – Rs. C-131/85 (Emir Gül/Regierungspräsident Düsseldorf), Slg. 1986, 1573 (Rdnr. 17); EuGH v. 28.04.1998 – Rs. C120/95 (Nicolas Decker/Caisse de maladie des employés privés), Slg. 1998, I-1831 (Rdnr. 24 f.); EuGH v. 28.04.1998 – Rs. C-158/96 (Raymond Kohll/Union des caisses de maladie), Slg. 1998, I-9131 (Rdnr. 41); EuGH v. 12.07.2001 – Rs. C-157/99 (B.S.M. Smits/Stichting Ziekenfonds VGZ u. H.T.M. Peerbooms/Stichting CZ Groep Zorgverzekeringen), Slg. 2001, I-05473 (Rdnr. 97, 105). 542 EuGH v. 07.02.1984 – Rs. 238/82 (Duphar B.V. u. a./niederländischer Staat), Slg. 1984, 523 (Rdnr. 17 ff.). Die Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) hat keine Änderungen zu den bisherigen Vorschriften über die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten über die Sozialversicherungssysteme getroffen (ausdrücklich in Nr. 33 der Begründung der Richtlinie 2001/83/EG). Deshalb sind die Aussagen des Europäischen Gerichtshofs weiterhin zutreffend. 543 W. Boroch/D. Cassel, Integration regulierter Märkte, S. 364; M. McKee/E. Mossialos/P. Belcher, The influence of European law on national health policy, Journal of European Social Policy 1996, S. 263 (279 f.); R. Streinz, Europarecht, Rdnr. 914; A. Monod, Marché unique et égalité d’accès au marché du médicament, S. 39. 544 Die Positivliste umfaßt alle Arzneimittel, die von den Gesetzlichen Sozialversicherungen erstattet werden (Artikel 6 der Richtlinie 89/105/EWG, ABl. Nr. L 40 v. 11.02.1989, S. 8). Die Negativliste umfaßt alle Arzneimittel oder Arzneimittelkategorien, die von ihrem staatlichen Krankenversicherungssystem ausgeschlossen sind und somit nicht erstattet werden (Artikel 7 der Richtlinie 89/105/EWG). 545 Das heißt, daß die Grundfreiheiten auch auf den Bereich der nationalen Systeme zur sozialen Sicherheit anzuwenden sind. EuGH v. 07.02.1984 – Rs. 238/82 (Duphar B.V. u. a./niederländischer Staat), Slg. 1984, 523 (Rdnr. 20 ff.); EuGH v. 28.04.1998 – Rs. C-120/95 (Nicolas Decker/Caisse de maladie des employés privés), Slg. 1998, I-1831 (Rdnr. 24); für Dienstleistungen siehe EuGH v. 28.04.1998

5. Kap.: Preisbildung und Kostenerstattung bei Arzneimitteln

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ren Kriterien beruhen, und sie darf die ausgewählten Arzneimittel nicht aufgrund ihrer Herkunft diskriminieren.546 Diese Anforderungen wurden in der Transparenzrichtlinie547 umgesetzt, ohne jedoch in das Recht der Mitgliedstaaten zur Gestaltung ihrer Sozialversicherungssysteme regulierend einzugreifen oder die Sozialversicherungssysteme europaweit zu harmonisieren.548 Wichtig ist, daß die objektiven Beurteilungsmaßstäbe nicht an die Nationalität des Arzneimittels geknüpft sind.549 Der Ausschluß von der Liste der erstattungsfähigen Arzneimittel kann nach Erzeugnisgruppe oder nach Erzeugnis erfolgen, je nachdem ob bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Die Kommission550 vertritt die Auffassung, daß die Behandlungskosten das einzige Kriterium wirtschaftlicher Art sein dürfen, das für oder gegen die Erstattung der Kosten eines bestimmten Arzneimittels spricht.551 Während nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs ein wirtschaftlicher Vergleich auch Indikation und Nebenwirkungen zu beachten hat.552 Darüber hinaus hält die Kommission den Ausschluß einer oder mehrerer therapeutischer Klassen von der Kostenerstattung oder die ausschließliche Erstattung der Kosten von Generika553, unabhängig von ihrem Preisniveau, sowie einer zuvor festgelegten Zahl von Medikamenten in einer bestimmten therapeuti– Rs. C-158/96 (Raymond Kohll/Union des caisses de maladie), Slg. 1998, I-9131 (Rdnr. 41). 546 EuGH v. 07.02.1984 – Rs. 238/82 (Duphar B.V. u. a./niederländischer Staat), Slg. 1984, 523 (Rdnr. 21 ff.). 547 Richtlinie 89/105/EWG (ABl. Nr. L 40 v. 11.02.1989, S. 8). 548 Insbesondere Artikel 6 und 7 der Richtlinie 89/105/EWG (ABl. Nr. L 40 v. 11.02.1989, S. 8). Dazu bereits Mitteilung der Kommission 86/C 310/08 v. 04.12.1986 zur Frage der Vereinbarkeit der von den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Arzneimittel-Preiskontrolle und -Kostenerstattung getroffenen Maßnahmen mit Artikel 30 EWG-Vertrag (ABl. Nr. C 310 v. 04.12.1986, S. 7). 549 Die Beurteilungskriterien sowie die Entscheidung der Behörden sind in einer geeigneten amtlichen Bekanntmachung zu veröffentlichen und der Kommission mitzuteilen. (Artikel 6 für die Positivliste und Artikel 7 für die Negativliste der Richtlinie 89/105/EWG (ABl. Nr. L 40 v. 11.02.1989, S. 8)). 550 Mitteilung der Kommission 86/C 310/08 v. 04.12.1986 zur Frage der Vereinbarkeit der von den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Arzneimittel-Preiskontrolle und der -Kostenerstattung getroffenen Maßnahmen mit Artikel 30 EWG-Vertrag, (ABl. Nr. C 310 v. 04.12.1986, S. 7). 551 Beim Vergleich der Behandlungskosten sind die voraussichtliche Dosierung und Behandlungsdauer zu beachten. Dies verdeutlicht die Kommission in ihrer Mitteilung 86/C 310/08 v. 04.12.1986 (ABl. Nr. C 310 v. 04.12.1986, S. 7). 552 Es entspricht den oben genannten Grundsätzen aus dem Urteil des EuGH v. 07.02.1984 – Rs. 238/82 (Duphar B.V. u. a./niederländischer Staat), Slg. 1984, 523 (Rdnr. 20 f.), daß die Gesetzlichen Krankenkassen Arzneimittel, die nicht ärztlich verordnet sind, von der Kostenerstattung ausschließen können. 553 Definition Generika siehe Fußnote 12 der Einführung.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

schen Klasse oder in allen therapeutischen Klassen mit den vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Grundsätzen554 für unvereinbar.555 Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so hat der Europäische Gerichtshof556 keine Einwände gegen die Anwendung von Positiv- oder Negativlisten, die im Rahmen eines nationalen Systems der Pflichtversicherung angewendet werden.557 Würden diese Listen Maßnahmen gleicher Wirkung darstellen, so könnten sie nur aufgrund von nichtwirtschaftlichen Gründen durch Artikel 30 EG gerechtfertigt werden. Eine Rechtfertigung ist jedoch nicht möglich, wenn durch die Verringerung der laufenden Kosten eines Krankenversicherungssystems überwiegend ein haushaltspolitisches Ziel verfolgt wird.558 Allerdings kann eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts der Sozialversicherungssysteme einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit rechtfertigen würde.559 Insgesamt betrachtet gibt es zwar keine europaweit gültigen Regelungen über die Aufnahme zur Erstattung von Arzneimittelkosten, wohl aber müssen die von den Mitgliedstaaten getroffenen Entscheidungen zur Einordnung von Arzneimitteln in eine Positiv- oder Negativliste bestimmten Form- und Verfahrensbedingungen genügen.560 554 EuGH v. 07.02.1984 – Rs. 238/82 (Duphar B.V. u. a./niederländischer Staat), Slg. 1984, 523 (Rdnr. 20 ff.). 555 Mitteilung der Kommission 86/C 310/08 v. 04.12.1986 zur Frage der Vereinbarkeit der von den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Arzneimittel-Preiskontrolle und der -Kostenerstattung getroffenen Maßnahmen mit Artikel EWG-Vertrag (ABl. Nr. C 310 v. 04.12.1986, S. 7). 556 EuGH v. 07.02.1984 – Rs. 238/82 (Duphar B.V. u. a./niederländischer Staat), Slg. 1984, 523 (Rdnr. 20 ff.). 557 Grundsätzlich hat der Europäische Gerichtshof jedoch festgestellt, daß das Gemeinschaftsrecht der Verwendung von Negativlisten nicht entgegensteht, weil eine solche Regelung nicht den Zugang zum Markt im Sinne der beiden genannten Richtlinien betrifft. Eine bereits erteilte Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln bleibt gültig, auch wenn die Kosten für das Arzneimittel nicht von der Krankenversicherung übernommen werden. EuGH v. 07.02.1984 – Rs. 238/ 82 (Duphar B.V. u. a./niederländischer Staat), Slg. 1984, 523 (Rdnr. 28). 558 EuGH v. 07.02.1984 – Rs. 238/82 (Duphar B.V. u. a./niederländischer Staat), Slg. 1984, 523 (Rdnr. 23). 559 Auf der anderen Seite hat der Europäische Gerichtshof betont, daß die Mitgliedstaaten über Artikel 30 EG keine Maßnahmen rechtfertigen können, die in erster Linie haushaltspolitische Ziele verfolgen. EuGH v. 07.02.1984 – Rs. 238/82 (Duphar B.V. u. a./niederländischer Staat), Slg. 1984, 523 (Rdnr. 23); EuGH v. 28.04.1998 – Rs. C-120/95 (Nicolas Decker/Caisse de maladie des employés privés), Slg. 1998, I-1831 (Rdnr. 39); EuGH v. 28.04.1998 – Rs. C-158/96 (Raymond Kohll/Union des caisses de maladie), Slg. 1998, I-9131 (Rdnr. 41); EuGH v. 12.07.2001, Rs. C-157/99 (B.S.M. Smits/Stichting Ziekenfonds VGZ u. H.T.M. Peerbooms/Stichting CZ Groep Zorgverzekeringen), Slg. 2001, I-5473 (Rdnr. 97, 105).

5. Kap.: Preisbildung und Kostenerstattung bei Arzneimitteln

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Die unterschiedlichen Ausprägungen der mitgliedstaatlichen Preis- und Erstattungssysteme werden in den anschließenden Kapiteln am Beispiel eines Rechtsvergleichs von französischen und deutschen Vorschriften dargestellt. II. Deutschland Obwohl in Deutschland die Preisbildung und die Kostenerstattung für Arzneimittel eng verknüpft ist, erfolgt eine getrennte Betrachtung beider Einflußgrößen. 1. Preisbildung In Deutschland unterliegen die Herstellerpreise für Arzneimittel keiner staatlichen Preisfestsetzung.561 Der Staat beeinflußt die Preisbildung von Arzneimitteln auf der Herstellerebene nicht direkt. Die Unternehmen haben freie Preisgestaltung und können frei von staatlichen Zwängen Preisänderungen durchführen.562 560 Eine weitere Einschränkung des freien Verkehrs von Arzneimitteln liegt vor, wenn ein Verbraucher in einem anderen Mitgliedstaat ein Arzneimittel (legal) kauft und dieses in seinem Heimatland von der Krankenkasse ersetzt haben möchte. Der Europäische Gerichthof hat in seinem Urteil Decker (v. 28.04.1998 – Rs. C-120/95 (Nicolas Decker/Caisse de maladie des employés privés), Slg. 1998, I-1831 (Rdnr. 46)) betont, daß eine nationale Regelung gegen die Artikel 28 und 30 EG verstößt, die es einem Träger der sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaates erlaubt, die pauschale Kostenerstattung von in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen medizinischen Erzeugnissen von einer vorherigen Genehmigung abhängig zu machen. Eine solche Regelung kann nicht aus Gründen des Gesundheitsschutzes nach Artikel 30 EG gerechtfertigt werden. Diese Rechtsprechung ist insbesondere für verschreibungspflichtige Arzneimittel zu berücksichtigen, weil die Bedingungen zur Berufsausübung auch für Ärzte und Apotheker gemeinschaftsweit durch die Richtlinie 89/ 48/EWG (ergänzt durch die Richtlinie 92/51/EWG), harmonisiert wurden. Richtlinie 89/48/EWG des Rates v. 21.12.1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen (ABl. Nr. L 19 v. 24.01.1989, S. 16); Richtlinie 92/51/EWG des Rates v. 18.06.1992 über eine zweite allgemeine Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung zur Richtlinie 89/48/EWG (ABl. Nr. L 209 v. 24.07.1992, S. 25); M. McKee/E. Mossialos/P. Belcher, The influence of European law on national health policy, Journal of European Social Policy 1996, S. 263 (270 ff.); P. Mavridis, Libéralisation des soins de santé en Europe, Revue du Marché Unique Européen 1998, S. 145 ff. 561 A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, S. 195 f.; EFPIA, Overview of pricing and reimbursement, Revised Working Document v. 21.09.1999, S. 12; E. Bauer, Pharma-Länder-Dossiers: Die Arzneimittelversorgung in Europa, 2001, S. 45. 562 EFPIA, Overview of pricing and reimbursement, Revised Working Document v. 21.09.1999, S. 12; für eine kurze und übersichtliche Darstellung von Strategien für

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Allerdings werden die Preise indirekt durch das in Deutschland bestehende Festbetragssystem der Gesetzlichen Krankenversicherungen reguliert.563 Der Festbetrag ist der maximale Betrag, den die Gesetzlichen Krankenkassen für ein Arzneimittel erstatten (§ 31 Abs. 1 SGB V). Alles was darüber liegt, muß der Käufer selbst bezahlen. Deshalb orientieren sich die Hersteller mit ihren Preisen an dem Festbetrag. Die Festbetragsregelung wird ausführlicher im nächsten Kapitel dargestellt, weil es sich um eine Maßnahme handelt, die zunächst nur die Höhe der Kostenerstattung betrifft. Anders als die Herstellerpreise sind die Preisspannen des Großhandels und der Apotheken in der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV)564 gesetzlich geregelt.565 Diese enthält in § 2 AMPreisV die gültigen Höchstzuschlagssätze für den Großhandel sowie die in § 3 AMPreisV die Preisspannen für Fertigarzneimittel für Apotheken. Der Abgabepreis in der Apotheke beruht für Arzneimittel, die über den Großhandel bezogen werden, auf dem nach § 2 AMPreisV zulässigen Großhandelsabgabepreis und dem darauf erhobenen Festzuschlag gemäß § 3 Abs. 3 oder Abs. 4 AMPreisV, sozusagen der Einzelhandelsspanne des Apothekers.566 Wird ein Arzneimittel direkt über den Hersteller bezogen, so sind die Zuschläge nach § 3 Abs. 3 oder 4 AMPreisV direkt auf den Herstellerabgabepreis zu verrechnen. 2. Erstattung der Kosten für Arzneimittel Der Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung ist weitgehend durch das Fünfte Buch des Sozialgesetzbuches (SGB V)567 festgelegt. Es werden all die apothekenpflichtigen Arzneimittel durch die Gesetzlichen Krankenkassen erstattet, die nicht nach § 34 SGB V von der ErstatHerstellerabgabepreise siehe O. Pirk, Preisbildung und Erstattung, in: O. Schöffski/ F.-U. Fricke/W. Guminski/W. Hartmann, Pharmabetriebslehre, 2002, S. 198 ff.; W. Guminski/M. Rauland, Produktlebenszyklus und die Möglichkeiten seiner Gestaltung, S. 230 f., 238 ff. 563 W. Boroch/D. Cassel, Integration regulierter Märkte, S. 366; W. Boroch, Internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU-Arzneimittelindustrie, S. 166 ff.; A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, S. 214. 564 Arzneimittelpreisverordnung v. 14.11.1980, BGBl. I S. 2147. 565 E. Bauer, Pharma-Länder-Dossiers: Die Arzneimittelversorgung in Europa, S. 45 f.; O. Schöffski, Die Regulierung des deutschen Apothekenwesens, S. 147 ff., 164 f.; E. Dambacher/O. Schöffski, Vertriebswege und Vertriebswegeentscheidungen, in: O. Schöffski/F.-U. Fricke/W. Guminski/W. Hartmann, Pharmabetriebslehre, 2002, S. 249 ff. 566 E. Bauer, Pharma-Länder-Dossiers: Die Arzneimittelversorgung in Europa, S. 46 f. 567 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) – Gesetzliche Krankenversicherung v. 20.12.1988, BGBl. I, S. 2477.

5. Kap.: Preisbildung und Kostenerstattung bei Arzneimitteln

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tung ausgeschlossen sind (§ 31 SGB V).568 Von der Erstattung ausgeschlossen sind Arzneimittel für die in § 34 Abs. 1 SGB V genannten Anwendungsgebiete. Weiterhin können durch Rechtsverordnung Arzneimittel, die üblicherweise für geringfügige Gesundheitsstörungen angewendet werden (§ 34 Abs. 2 SGB V), sowie unwirtschaftliche Arzneimittel 569 (§ 34 Abs. 3 in Verb. mit § 2 und § 12 SGB V) ebenfalls von der Erstattung ausgeschlossen werden.570 Alle nicht-erstattungsfähigen Arzneimittel sind auf einer Negativliste verzeichnet.571 Bis jetzt gab es noch keine Beanstandungen, daß die in Deutschland existierende Negativliste und die ihr zugrundeliegenden Kriterien nicht den Anforderungen der Transparenzrichtlinie572 entsprechen. Darüber hinaus haben das Bundesverfassungsgericht sowie das Bundessozialgericht die Vereinbarkeit der Negativliste mit dem Grundgesetz, insbesondere mit Artikel 12 GG bejaht.573 568 Dabei handelt es sich um Arzneimittel für bestimmte „Bagatellerkrankungen“ wie Erkältungskrankheiten, grippalen Infekten und Reisekrankheiten sowie Mundund Rachentherapeutika, Abführmittel und Reisekrankheiten (§ 34 Abs. 1 SGB V). 569 Hierunter fallen Arzneimittel, die für das Therapieziel nicht erforderliche Bestandteile enthalten, Kombinationsarzneimittel mit zahlreichen Wirkstoffen oder Arzneimittel, deren therapeutischer Nutzen nicht nachgewiesen ist (§ 34 Abs. 3 SGB V); dazu W. Mummenhoff, Die sozialrechtlichen Grenzen einer Bewertung verschreibungsfähiger Arzneimittel durch die Verbände der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 18 f. 570 Ebenfalls gänzlich ausgenommen von den Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung sind zulassungspflichtige Arzneimittel, denen die Zulassung versagt wurde. Nach Auffassung des Bundessozialgericht ergibt sich dies aus § 12 SGB V in Verbindung mit dem Arzneimittelgesetz, insbesondere mit seiner Entstehungsgeschichte sowie § 1 AMG. Das gleiche gilt für Arzneimittel, deren Zulassungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist. BVerwGE 58, 167 (173); BSGE 7, 252 (256 f.); Kloesel/Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 25 Anm. 1 a. 571 Die erste Negativliste trat 1983 in Kraft und schließt gemäß § 34 Abs. 2 SGB V vor allem Arzneimittel gegen Bagatellerkrankungen von der Kostenerstattung aus. Auf der Grundlage des § 34 Abs. 3 SGB V wurde 1991 die „Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der Gesetzlichen Krankenversicherung“ erlassen. Sie erweitert, als eine zweite Liste, die Indikationsbereiche und Präparate der Negativlisten von 1983. Die Negativliste ist im Bundesanzeiger Nr. 170 a vom 11.09.2002 veröffentlicht. W. Kaesbach/K.-H. Schönbach, Perspektiven der Arzneimittelversorgung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, in: M. Losert/K.J. Preuß/E. Kucher (Hrsg.), Handbuch Pharma-Management, Bd. 1, 1995, S. 71; H. Hasskarl, Rechtliche Rahmenbedingungen und Verbandsdirektiven als neuer Handlungsrahmen, S. 961 f.; ÖBIG, Arzneimittel. Steuerung der Märkte in neun europäischen Ländern, 1998, S. 40, 44; W. Mummenhoff, Die sozialrechtlichen Grenzen einer Bewertung verschreibungsfähiger Arzneimittel durch die Verbände der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 16 f. 572 Die Transparenzrichtlinie (ABl. Nr. L 40 v. 11.02.1989, S. 8) fordert, daß für die Erstellung und Handhabung einer Negativliste die Auswahlkriterien objektiv und nachprüfbar sein müssen. Sowohl die Kriterien als auch die ausgewählten Arzneimittel müssen in einer amtlichen Bekanntmachung veröffentlich werden. Dazu auch 3. Teil, 5. Kapitel, I.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Dagegen ist die in Deutschland geplante Positivliste stark umstritten.574 Es wurde sowohl das Verfahren zur Erstellung der Positivliste kritisiert, als auch die Kriterien zu deren Erstellung. Insgesamt wurde der gesamte Vorgang, von der Auswahl der Experten bis zur Erstellung der Liste selbst als zu wenig transparent angesehen.575 Dies verstößt damit gegen die bereits 1988 erlassene Transparenzrichtlinie576 der Europäischen Gemeinschaft. Darüber hinaus werden Grundrechtsbeeinträchtigungen, insbesondere Artikel 12 und 14 GG, angemahnt.577 Ein notwendiges Antrags- und Anhörungsrecht für den pharmazeutischen Unternehmer fehle außerdem.578 Arzneimittel, die von der Krankenkasse erstattet werden, also nicht auf der Negativliste stehen, werden dennoch nicht in voller Höhe ihres Apothekenverkaufspreises erstattet. Die Höhe des Erstattungsbetrages wird durch das System der Festbeträge begrenzt (§ 31 Abs. 2 SGB V). Die Festbeträge579 werden in einem zweistufigen Verfahren bestimmt. Zunächst legt der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen580 gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 SGB V fest, welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge erhalten. Die Festlegung erfolgt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V. Es werden drei Festbetragsgruppen unterschieden: Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen, Arzneimittel mit pharmakologisch-the573

BVerfG NJW 1992, 735 (736); BSG NZS 1997, 172 (172 ff.). Bereits der erste Versuch in Deutschland eine Positivliste einzuführen, stieß auf starke Vorbehalte. H. Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, S. 335 f.; P. von Czettritz/M. Runge, Die Positivliste, PharmaRecht 1994, S. 258 (260 f.); H. Wartensleben, Neue Entwicklungen und Tendenzen im Arzt-, Vertragsarzt- und Haftungsrecht der pharmazeutischen Unternehmer, in: M. Losert/K.-J. Preuß/E. Kucher (Hrsg.), Handbuch Pharma-Management, Bd. 2, 1995, S. 983, 999 ff.; H. Hasskarl, Rechtliche Rahmenbedingungen und Verbandsdirektiven als neuer Handlungsrahmen, S. 961 f.; W. Kaesbach/K.-H. Schönbach, Perspektiven der Arzneimittelversorgung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 72; A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, S. 210 f.; W. Mummenhoff, Die sozialrechtlichen Grenzen einer Bewertung verschreibungsfähiger Arzneimittel durch die Verbände der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 28 ff. 575 M. Arndt, Gutachten zur Positivliste, PharmInd 2001, S. 2 (12 ff.). 576 Richtlinie 89/105/EWG des Rates v. 21.12.1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme (ABl. Nr. L 40 v. 11.02.1989, S. 8). 577 M. Arndt, Gutachten zur Positivliste, PharmInd 2001, S. 2 (6 ff.). 578 M. Arndt, Gutachten zur Positivliste, PharmInd 2001, S. 2 (12 ff.). 579 Der Festbetrag ist der maximale Betrag, den die Krankenkassen für ein Arzneimittel erstatten, abzüglich der vom Versicherten zu leistenden Zahlung (§ 31 Abs. 1 SGB V). 580 Ein Überblick über die Zusammensetzung und Aufgaben der Bundesausschüsse von K. Kamke, Die Bundesausschüsse, in: O. Schöffski/F.-U. Fricke/W. Guminski/W. Hartmann, Pharmabetriebslehre, 2002, S. 23 ff., 26 ff. 574

5. Kap.: Preisbildung und Kostenerstattung bei Arzneimitteln

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rapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen, und Arzneimittel mit therapeutisch vergleichbarer Wirkung, insbesondere Arzneimittelkombinationen (§ 35 Abs. 1 SGB V).581 Für Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen werden nur Festbeträge der ersten Gruppe gebildet (§ 35 Abs. 1 a SGB V). Ausgenommen von den Festbetragsregelungen sind innovative Arzneimittel. Das sind Arzneimittel mit „patentgeschützten Wirkstoffen, deren Wirkungsweise neuartig ist und die eine therapeutische Verbesserung auch wegen geringerer Nebenwirkungen bedeuten“ (§ 35 Abs. 1 SGB V).582 Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen ermittelt die zur Festbetragsfestlegung notwendigen rechnerischen mittleren Tages- oder Einzeldosen oder andere geeignete Vergleichsgrößen. Anschließend setzen die Spitzenverbände der Krankenkassen gemäß § 35 Abs. 3 SGB V nach dem Verfahren des § 213 Abs. 2 und 3 SGB V die Höhe des Festbetrags anhand der vom Bundesausschuß ermittelten Größen fest. Die Höhe des Festbetrages ist so anzusetzen, daß „im allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung“ gewährleistet ist (§ 35 Abs. 5 S. 1 SGB V). Aufgrund von verfassungsrechtlichen Bedenken wurden die Festbeträge für eine Übergangszeit vom Bundesministerium für Gesundheit gesetzlich festgelegt. Diese vorläufige Regelung, war bis zum Jahr 2002 gültig. Wie das Verfahren zur Festsetzung der Festbeträge danach geregelt wird, hing von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ab.583 Das Gericht prüfte aufgrund einer Vorlage des Bundessozialgerichts584, ob die Spitzenverbände der Krankenkassen die Festbeträge für Arzneimittel festlegen dürfen oder ob dies durch Rechtsetzungsorgane zu erfolgen hat.585 Mit dem 581 W. Mummenhoff, Die sozialrechtlichen Grenzen einer Bewertung verschreibungsfähiger Arzneimittel durch die Verbände der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 20 f.; F.-U. Fricke, Steuerungsinstrumente in der Arzneimittelversorgung, S. 93 ff. 582 § 35 Abs. 1 SGB V: „Als neuartig gilt ein Wirkstoff, solange derjenige Wirkstoff, der als erster dieser Gruppe in Verkehr gebracht worden ist, unter Patentschutz steht.“ 583 Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung hat im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit eine Verordnung zur Neubestimmung von Arzneimittel-Festbetragsgruppen (Festbetragsgruppen-Neubestimmungsverordnung FGNV) erlassen. Diese Verordnung basiert auf § 35 a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB V. Die Verordnung ist am 24. Januar im Bundesgesetzblatt Teil I Nr. 3 S. 93 ff. verkündet worden und tritt am 1.03.2003 in Kraft. 584 Der Beschluß vom 14.06.1995 ist abgedruckt in NZS 1995, 502 (502). 585 Das Bundessozialgericht wertet die Gesetzlichen Krankenversicherungen als Verwaltungsbehörde. Die Festbeträge müßten aber nach Ansicht des Gerichts von einem zur Rechtsetzung befugten Organ festgelegt werden. Das Gericht sieht deshalb in den Bestimmungen zur Festsetzung der Festbeträge für Arzneimittel durch

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Urteil vom 17.12.2002 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß „die Vorschriften über das Verfahren der Festbetragsfestsetzung [. . .] mit dem Grundgesetz in Einklang“ stehen.586 Darüber hinaus prüft derzeit der Europäische Gerichtshof, ob die Festsetzung der Festbeträge durch die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherungen gegen europäisches Wettbewerbsrecht verstößt.587 In Deutschland ist dies bereits vom Oberlandesgericht wie auch vom Landgericht Düsseldorf bejaht worden.588 Das Landgericht Düsseldorf sieht die Festbetragsfestsetzung durch die Spitzenverbände der Gesetzlichen Krankenkassen als nicht vereinbar mit dem Verbot der wettbewerbswidrigen Kartellbildung nach Artikel 81 EG an. Die Festbeträge sollen einen wirksamen Preiswettbewerb auslösen und gleichzeitig eine hinreichende Arzneimittelauswahl sicherstellen (§ 35 Abs. 5 S. 2 SGB V).589 Die Festbeträge bewahren zwar dem Hersteller das Recht zur Preisgestaltung, halten aber doch davon ab, den Preis so anzusetzen, daß der Apothekenverkaufspreis durch den Großhandels- und Apothekenaufschlag über dem Festbetrag liegt und wirken sich daher wie eine administrative Preisfestsetzung aus.590 Die Differenz zwischen dem Festbetrag die Kassen einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip aus Artikel 80 GG sowie gegen die Berufsfreiheit der Hersteller (Artikel 12 GG). 586 BVerfG 1 BvL 28/95 v. 17.12.2002, Rdnr. 105 ff. 587 Im Gegensatz zum BSG hat der BGH die Anwendung des deutschen Kartellrechts zugunsten des Sozialversicherungsrechts abgelehnt. Zur Klärung der Vereinbarkeit mit dem europäischen Kartellrecht hat es den Fall dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt. Bisher hat der Europäische Gerichtshof die Anwendung des europäischen Kartellrechts abgelehnt, weil die Gesetzlichen Krankenkassen keine Unternehmen im Sinne des Artikels 81 EG in Ermangelung einer wirtschaftlichen Tätigkeit, darstellen. EuGH v. 17.02.1993 – verb. Rs. C-159/ 91 (Christian Poucet/Assurances Generales de France u. Caisse Mutuelle Regionale du Languedoc-Roussillon) u. C-160/91 (Daniel Pistre/Caisse Autonome Nationale de Compensation de l’Assurance Vieillesse des Artisans), Slg. 1993, I-637 (Rdnr. 18 ff.); dazu auch G. Schwerdtfeger, Verfassungswidrige und EG-widrige Vorschlagsrechte im Entwurf eines Festbetrags-Neuordnungsgesetzes (§ 35 SGB V neu), NZS 2000, S. 67 (68); K. Engelmann, Sozialrechtsweg in Streitigkeiten zwischen Institutionen der gesetzlichen Krankenversicherungen und Leistungserbringern bei wettbewerbs- und kartellrechtlichem Bezug, NZS 2000, S. 213 (216 f.). 588 OLG Düsseldorf NZS 1998, 567 (569 f.). Das OLG Düsseldorf wertet die Festsetzung der Festbeträge als unternehmerisches, wettbewerbsbezogenes Verhalten im Sinne von Artikel 85 Abs. 1 EGV (jetzt Artikel 81 Abs. 1 EG) und nicht im Sinne von Artikel 86 EGV (jetzt Artikel 82 EG) gesehen werden. Dazu K.-P. Schultz, Krankenkassen als Adressaten des Kartellrechts, NZS 1998, S. 269 (270). 589 § 36 Abs. 5 S. 3 SGB V: „Die Festbeträge für Arzneimittel sollen den höchsten Abgabepreis des unteren Drittels des Abstandes zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Preis der Arzneimittel der jeweiligen Vergleichsgruppe nicht übersteigen.“

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und dem Apothekenverkaufspreis hat der Verbraucher zu tragen. Außerdem hat der Verbraucher in jedem Fall einen bestimmten Betrag, gestaffelt nach Packungsgröße, selbst zu zahlen (§ 31 Abs. 3 SGB V).591 Nach erstmaliger Bestimmung der Festbeträge verzeichneten Arzneimittel, die mit ihrem Preis über diesem Niveau lagen, hohe Umsatzeinbußen.592 Die betroffenen Originalhersteller senkten daher ihre Preise auf den Festbetrag ab, um massive Marktanteilsverluste zu vermeiden. Die Preisbildungsfreiheit auf der Herstellerstufe wird also indirekt für solche Arzneimittel unterbrochen, die in die Gruppe der festbetragsrelevanten Arzneimittel fallen.593 Allerdings geht, im Unterschied zu direkten, staatlichen Herstellerpreisregulierungen, der Preisanpassungsdruck für die Festbetragsregelung von der Nachfrageseite aus. Mit dem Festbetragssystem herrscht in Deutschland de facto eine Preiskontrolle, obwohl de jure keine Preisregulierung, sondern eine Regulierung der Erstattung von Arzneimittelkosten stattfindet. Die einzige Ausnahme bilden patentgeschützte Wirkstoffe, deren Wirkungsweisen neuartig sind. Sie unterliegen keiner Festbetragsbildung und genießen vollständige Preisbildungsfreiheit auf der Herstellerstufe.

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Es werden nur 13% der Festbetragsarzneimittel zu Preisen oberhalb der Festbeträge angeboten. E. Kucher, Der Europäische Preiskorridor, S. 367; W. Boroch, Internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU-Arzneimittelindustrie, S. 167. 591 Einzelheiten zu den Festbeträgen und der Zuzahlung kann der Bundesminister für Gesundheit durch Rechtsverordnung bestimmen (§ 31 Abs. 4 SGB V). 592 Wer seine Preise oberhalb des Festbetrags festsetzt, riskiert den Verlust von Marktanteilen. Aus dem gleichen Grund enthält das System außerdem Anreize für die Apotheker, Produkte abzugeben, deren Preise nicht über den Festbeträgen liegen. Der Hauptstreitpunkt zwischen den Herstellern und den Krankenkassen besteht natürlich in der Frage, wie hoch der Festbetrag sein soll. Ein hoher Festbetrag und damit ein hoher Preis führt nicht zu einer Ausgabensenkung und ein niedriger Festbetrag/Preis führt dazu, daß doch einige Hersteller vom Markt fernbleiben. Ein niedriger Preis vermindert auch die für Forschungsarbeiten notwendigen Einnahmen. W. Boroch/D. Cassel, Integration regulierter Märkte, S. 373 ff.; W. Boroch, Internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU-Arzneimittelindustrie, S. 167; M. Dickson, Die Bezahlung verordneter Arzneimittel in Europa, in: OECD (Hrsg.), Qualitätsstandards in der medizinischen Versorgung, 1994, S. 101; A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, S. 214. 593 Der Arzneimittelumsatz wird indirekt durch weitere Instrumente beeinflußt. Indirekt deswegen, weil diese Instrumente am Verordnungsverhalten der Ärzte ansetzen. Dazu zählte beispielsweise das bundeseinheitliche Arzneimittelbudget für Ärzte. Eine entscheidende Rolle spielt auch das Wirtschaftlichkeitsgebot für Arzneimittel (§ 34 Abs. 3 SGB V). So gelten beispielsweise Arzneimittel, die mehr als drei arzneilich wirksame Bestandteile enthalten als unwirtschaftlich (§ 34 Abs. 3 S. 2 SGB V in Verbindung mit § 2 AMuwV). H. Hasskarl, Rechtliche Rahmenbedingungen und Verbandsdirektiven als neuer Handlungsrahmen, S. 962.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

III. Frankreich Die Vorschriften über den Verkehr von Arzneimitteln verfolgen zwei Zielsetzungen: den Schutz der Gesundheit und die Kostenreduzierung für die Sozialversicherungen. Eine freie Preisbildung wird als nicht kompatibel mit dem Ziel der Kostendämpfung angesehen.594 1. Preisbildung Die Preisgestaltung eines Arzneimittels hängt in Frankreich davon ab, ob ein Arzneimittel von den Gesetzlichen Krankenversicherungen erstattet wird oder nicht. Weil über 85% der Arzneimittel, die in Frankreich auf dem Markt sind, von den Krankenkassen erstattet werden, kann man sagen, daß im Gegensatz zu Deutschland eine freie Preisfestsetzung für Arzneimittel auf der Herstellerstufe grundsätzlich nicht möglich ist. Für alle Arzneimittel, die nicht erstattungsfähig sind oder für die kein Antrag auf Aufnahme in die Positivliste (Artikel L.162-17 C.S.S.) gestellt wurde,595 ist die Preisbildung frei.596 Dagegen unterliegen die Preise für erstattungsfähige Arzneimittel dem staatlichen Preiskontrollsystem (Artikel L.5123-1 C.S.P., Artikel R.163-1 C.S.S. und Artikel R.163-2 C.S.S.).597 Nach Artikel L.162-16-4 C.S.S. erfolgt für jedes erstattungsfähige Arzneimittel durch die Krankenversicherungen eine staatliche Festsetzung der Höhe des Herstellerabgabepreises. Die Festlegung erfolgt nach dem Verfahren in Artikel L.162-17-4 C.S.S.598 Danach wird der Preis eines erstattungs594 D. Truchet, Médicaments: première décision sur le nouveau régime applicable au prix des médicaments remboursable par l’assurance maladie, La Semaine juridique 2001, S. 1225 (1225). 595 Das sind die Arzneimittel, für die auch direkt beim Endverbraucher geworben werden darf. 596 ÖBIG, Arzneimittel. Steuerung der Märkte in neun europäischen Ländern, 1998, S. 69; S. Jungbauer/W. Kemper, Europäische Union – Arzneimittel, S. 52; EFPIA, Overview of pricing and reimbursement, Revised Working Document v. 21.09.1999, S. 10. 597 W. Boroch, Internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU-Arzneimittelindustrie, S. 166; M. Dickson, Die Bezahlung verordneter Arzneimittel in Europa, S. 91; A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, S. 199; S. Jungbauer/ W. Kemper, Europäische Union – Arzneimittel, S. 62; EFPIA, Overview of pricing and reimbursement, Revised Working Document v. 21.09.1999, S. 10 f.; E. Bauer, Pharma-Länder-Dossiers: Die Arzneimittelversorgung in Europa, S. 56 f.; D. Truchet, Médicaments: première décision sur le nouveau régime applicable au prix des médicaments remboursable par l’assurance maladie, La Semaine juridique 2001, S. 1225 (1226). 598 Dem liegt die Bewertung des therapeutischen Nutzens (Amélioration du Service Médical Rendu, ASMR) des Arzneimittels zugrunde. Diese Bewertung wird

5. Kap.: Preisbildung und Kostenerstattung bei Arzneimitteln

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fähigen Arzneimittels mit dem Wirtschaftskomitee für Gesundheitsprodukte (Comité Economique des Produits de Santé, CEPS) verhandelt. Dieses Komitee wurde mit Artikel 162-17-3 C.S.S. eingeführt. Das Komitee gehört nicht mehr zu der französischen Agentur für Gesundheit (AFSSPS). Es ist nicht selbständig und setzt sich aus Vertretern der zentralen Verwaltung (wie den Ministerien für Wirtschaft und Finanzen, Industrie Gesundheit und Sozialversicherung) sowie aus Vertretern der nationalen Sozialversicherungen zusammen (Artikel D.162-2-3 Abs. 1 C.S.S.). Bei Bedarf kann der Teilnehmerkreis erweitert werden (Artikel D.162-2-3 Abs. 2 C.S.S.). Das Komitee ermittelt zur Preisfindung das Verhältnis von Kosten und Wirksamkeit des Arzneimittels. Die Höhe der in diesen Verträgen ausgehandelten Preise wird von weiteren, ganz unterschiedlichen Faktoren beeinflußt. So spielen Herstellungskosten, die Entwicklungskosten, die Vertriebskosten, die Jahresumsätze der erstattungsfähigen Arzneimittel des gesamten Unternehmens, die abgeschätzten zukünftigen Verkäufe, die Kosten der Tagesdosis sowie der Preis des Arzneimittels in anderen Mitgliedstaaten eine Rolle. Der Preis ist auch von bereits auf dem französischen Markt befindlichen Arzneimitteln oder der jährlichen Wachstumsrate der verschiedenen Therapieklassen abhängig.599 Frankreich räumt Arzneimittelherstellern in diesen Einzelverträgen höhere Preise ein, wenn sie sich zu lokalen Investitionen verpflichten, damit Arbeitsplätze schaffen und die Forschung und Entwicklung in Frankreich stärken.600 Aber auch die freiwillige Beschränkung der Hersteller, die Werbekosten zu begrenzen und die Ärzte über einen „vernünftigen Gebrauch“ des Arzneimittels zu informieren, wird entsprechend berücksichtigt.601 Darüber von der Transparenzkommission vorgenommen. Aufbau und Zusammensetzung der Transparenzkommission in Artikel R.163-8 C.S.S. und Artikel R.163-9 C.S.S. Dazu nächstes Kapitel über die Erstattung von Arzneimitteln in Frankreich. 599 Zu den Kriterien der Preisfestsetzung siehe W. Boroch, Internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU-Arzneimittelindustrie, S. 169; EFPIA, Overview of pricing and reimbursement, Revised Working Document v. 21.09.1999, S. 10; C. Le Pen, Les prix du médicament en Europe, Revue d’Economie Financière 1995, S. 123 (134); E. Bauer, Pharma-Länder-Dossiers: Die Arzneimittelversorgung in Europa, S. 56; D. Truchet, Médicaments: première décision sur le nouveau régime applicable au prix des médicaments remboursable par l’assurance maladie, La Semaine juridique 2001, S. 1225 (1227). 600 S. Guerrier/J. Rousselot, Le médicament en France et dans le monde: stratégies et marchés, Problèmes économiques 1994, S. 6 (8 f.); A. Earl-Slater, A study of pharmaceutical policies in the EU, Policy Studies 1997, S. 251 (262 f.). 601 Diese Art der Politik wird auch „good citizen policy“ genannt. Zu den im Text genannten Einflüssen der Preisbildung in Frankreich siehe D. Wilsford, the French pharmaceutical industry, French Politics&Society 1990, S. 10 (12); Strategic Forecasting Services, Pricing in Europe, 1993, S. 31; Datamonitor, Pharmaceutical pricing in the world’s major markets: the challenge of change, 1994, S. 19; W. Boroch, Internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU-Arzneimittelindustrie, S. 169; D.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

hinaus werden Zugeständnisse in der Höhe des Preises für innovative, therapeutisch fortschrittliche Arzneimittel gemacht.602 Ein Unternehmen kann daher einen höheren Preis durchsetzen, wenn es eine geringere Absatzmenge akzeptiert.603 Weil die Kostenerstattung eines Arzneimittels jedoch nur für eine limitierte Zeitspanne garantiert wird, muß der Hersteller damit rechnen, daß durch eine Überschreitung des festgelegten Absatzes der Preis für die verbleibende Zeit herabgesetzt wird.604 In der Regel endet das Preisfestsetzungsverfahren mit einem Vergleich des von staatlicher Seite kalkulierten und des von Seiten des Herstellers beantragten Preises.605 Können sich der Hersteller und das Wirtschaftskomitee für Gesundheitsprodukte nicht einigen, wird der Preis durch einen ministeriellen Erlaß festgelegt (Artikel L.162-16-1 C.S.S., L.162-17-3 C.S.S. und Artikel L.162-17-4 C.S.S.). Andernfalls werden die Kosten für das Arzneimittel nicht von der Krankenkasse ersetzt (Artikel R.163-1 C.S.S. bis Artikel R.163-6 C.S.S.) und das Mittel kann kaum vermarktet werden. Neben den Einzelverträgen existiert noch ein Rahmenabkommen (accordcadre) von 1994 zwischen dem französischen Pharmaverband (LEs Entreprises du Médicament, LEEM606) und dem Staat bzw. dem Wirtschaftskomitee für Gesundheitsprodukte.607 Das Abkommen betrifft hauptsächlich inGallois, L’industrie pharmaceutique réclame avec insistance la liberté des prix, Le Monde 1995, S. 7; F. Dehousse/M. Le Berre, L’Europe du médicament: un marché unique incomplet, Courrier hebdomadaire 1997, S. 1 (31); A. Earl-Slater, A study of pharmaceutical policies in the EU, Policy Studies 1997, S. 251 (262 f.); ÖBIG, Arzneimittel. Steuerung der Märkte in neun europäischen Ländern, 1998, S. 69; Ashurst Morris Crisp und Executive Perspective S.A., Impact of Electronic Commerce on the European Pharmaceutical Sector, S. 31 f. 602 Strategic Forecasting Services, Pricing in Europe, 1993, S. 15, 30; A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, S. 198; S. Jungbauer/W. Kemper, Europäische Union – Arzneimittel, S. 62 f. 603 S. Guerrier/J. Rousselot, Le médicament en France et dans le monde: stratégies et marchés, Problèmes économiques 1994, S. 6 (9 f.). 604 Es existiert sozusagen ein halboffizieller Preissenkungsmodus, der volumenabhängig ist: überschreitet ein Präparat einen mit Aufnahme in die Positivliste festgesetzten Sollabsatz, weil das Arzneimittel wesentlich besser verkauft wird als geplant, droht ein Ausschluß von der Kostenerstattung. Diesem begegnen die Hersteller üblicherweise mit Preissenkungen. Strategic Forecasting Services, Pricing in Europe, 1993, S. 17; A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, S. 196 f. 605 H. Vorderwülbecke, Perspektiven der pharmazeutischen Industrie, 1985, S. 187; A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, S. 1997. 606 Ehemals Syndicat national de l’industrie pharmaceutique (SNIP). 607 Ch. Huttin, Prix et remboursement des médicaments dans l’Union Européenne, Journal d’Economie Médicale 1996, S. 439 (443); EFPIA, Overview of pri-

5. Kap.: Preisbildung und Kostenerstattung bei Arzneimitteln

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novative Arzneimittel. Es präzisiert noch einmal genauer, daß die Höhe des Preises vor allem von drei Komponenten abhängt: der voraussichtlich abgesetzten Menge des Arzneimittels, die medizinisch gerechtfertigt ist, reduzierten Werbeausgaben für therapeutische Strategien sowie, daß das Arzneimittel gegebenenfalls nicht für alle zugelassenen Indikationen erstattet wird. Dieses Abkommen ermöglicht einen größeren Verhandlungsspielraum für die Unternehmen als die Einzelverträge.608 Daran schloß sich 1999 ein sektorspezifisches Abkommen (accord sectoriel) zwischen dem Staat und der Pharmaindustrie an.609 De facto sind somit die Arzneimittelpreise eingefroren und ändern sich nur sporadisch. Jede Preiserhöhung eines bereits eingeführten erstattungsfähigen Arzneimittels ist zustimmungspflichtig und unterliegt der staatlichen Aufsicht. Nach welchen Regeln die Höhe der Änderung bestimmt wird, ist wenig transparent und wird immer wieder kritisiert.610 Wie in Deutschland auch sind die Gewinnmargen von Großhandel und Apotheken staatlich festgelegt.611 Das bedeutet, daß Apotheken keinen höheren Preis als den, der in der Verordnung bekannt gegeben wurde, verlangen dürfen (Artikel L.5123-1 C.S.P.). 2. Erstattung der Kosten für Arzneimittel Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in Frankreich eine Positivliste. Alle Arzneimittel, die sich auf dieser Liste befinden, werden von der Krankenkasse erstattet (Artikel L.162-17 C.S.S. und Artikel R.163-2 C.S.S.). Es gibt zwei Listen mit erstattungsfähigen Arzneimitteln: eine Liste für den allgecing and reimbursement, Revised Working Document v. 21.09.1999, S. 10; P. Pauriche/F. Rupprecht, Le secteur pharmaceutique, un secteur aux multiples enjeux, Économie et Statistique 1998, S. 7 (9, 18 f.). 608 Andererseits erfolgt für einen Verstoß des Herstellers gegen den Rahmenvertrag eine rigide staatliche Preisfestsetzung auf einem niedrigeren Niveau. ÖBIG, Arzneimittel. Steuerung der Märkte in neun europäischen Ländern, 1998, S. 69. 609 Zu den Abkommen siehe auch LEEM 2003, Internet-Veröffentlichung unter http://www.leem.org/industrie/medic1_frame.htm, abgerufen am 10.01.2003. 610 Strategic Forecasting Services, Pricing in Europe, 1993, S. 30; Le Pen, Le prix du médicament aujourd’hui et demain, Journal de la Société de Statistique de Paris, 1995, S. 51 (57 ff.); W. Boroch, Internationale Wettbewerbsfähigkeit der EUArzneimittelindustrie, S. 195; S. Jungbauer/W. Kemper, Europäische Union – Arzneimittel, S. 62 f.; D. Truchet, Médicaments: première décision sur le nouveau régime applicable au prix des médicaments remboursable par l’assurance maladie, La Semaine juridique 2001, S. 1225 (1226 f.). 611 Dabei stehen dem Hersteller 65,4% des letztendlichen Verbraucherpreises zu, dem Apotheker 25,5%. A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, S. 193; S. Jungbauer/W. Kemper, Europäische Union – Arzneimittel, S. 63; E. Bauer, Pharma-Länder-Dossiers: Die Arzneimittelversorgung in Europa, S. 57 f.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

meinen Bereich des Arzneimittelvertriebs über Apotheken (la liste des médicaments remboursables agrées aux assurés sociaux) und eine Liste für den Krankenhausbereich (la liste des médicaments agrées aux collectivités). Insgesamt sind mehr als die Hälfte der zugelassenen Humanarzneimittel als erstattungsfähig eingestuft.612 Soll das Arzneimittel von der Krankenversicherung erstattet werden, muß der pharmazeutische Unternehmer gemäß Artikel R.163-8 C.S.S. einen Antrag bei der französischen Agentur (AFSSPS) stellen. Der Antrag wird zunächst von der Transparenzkommission (Commission de la Transparence)613 bearbeitet (Artikel R.163-4 C.S.S. sowie Artikel R.163-7 C.S.S. bis Artikel R.163-9 C.S.S.).614 Die Transparenzkommission erstellt dazu (nach Artikel R.163-2 C.S.S und Artikel R.163-3 C.S.S.) eine wissenschaftliche Bewertung über die Verbesserung des therapeutischen Nutzens (Amélioration du Service Médical Rendu, ASMR).615 Dazu vergleicht sie die Eigenschaften des neuen Arzneimittels mit bereits auf dem Markt befindlichen Arzneimitteln. Ein Arzneimittel wird dann als erstattungsfähig angesehen, wenn es entweder eine therapeutische Verbesserung darstellt oder die Therapiekosten senkt (Artikel 163-3 C.S.S.). Die Überprüfung der Erstattungsfähigkeit erfolgt sozusagen durch eine Kosten-Nutzen-Analyse. Diese ist nicht zu Verwechseln mit der Nutzen-Risiko-Analyse, die im Mittelpunkt des Zulassungsverfahrens steht. Die Transparenzkommission entscheidet sowohl über die Erstattungsfähigkeit als auch über die Höhe des Erstattungssatzes.616 Die Höhe des Er612 A. Monod, Marché unique et égalité d’accès au marché du médicament, S. 39 f.; ÖBIG, Arzneimittel. Steuerung der Märkte in neun europäischen Ländern, 1998, S. 70 f. 613 Die Transparenzkommission gehört zur französischen Agentur (AFSSPS). Zusammensetzung und Aufgaben der Transparenzkommission in Artikel R.163-8 C.S.S. und Artikel R.163-9 C.S.S.; B. Avouac, La Commission de la Transparence, Journal d’Economie Médicale 1992, S. 297 (299 ff.); C. Le Pen, Les prix du médicament en Europe, Revue d’Economie Financière 1995, S. 123 (134); ders., Le prix du médicament aujourd’hui et demain, Journal de la Société de Statistique de Paris, 1995, S. 51 (56 f.). 614 E. Cadeau, Le médicament en droit public, S. 212 ff.; P. Pauriche/F. Rupprecht, Le secteur pharmaceutique, un secteur aux mulitples enjeux, Économie et Statistique 1998, S. 7 (9); D. Truchet, Médicaments: première décision sur le nouveau régime applicable au prix des médicaments remboursable par l’assurance maladie, La Semaine juridique 2001, S. 1225 (1226); LEEM 2003, Internet-Veröffentlichung unter www.leem.fr., abgerufen am 10.01.2003. 615 P. Pauriche/F. Rupprecht, Le secteur pharmaceutique, un secteur aux multiples enjeux, Économie et Statistique 1998, S. 7 (9); LEEM 2003, Internet-Veröffentlichung unter http://www.leem.org/industrie/medic1_frame.htm, abgerufen am 10.01.2003; dazu genauer das nachfolgende Kapitel über die Erstattung von Arzneimitteln in Frankreich.

5. Kap.: Preisbildung und Kostenerstattung bei Arzneimitteln

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stattungssatzes bemißt sich nach der Wirksamkeit des Mittels sowie nach der Indikation. In Frankreich kommt bei gleichen Kosten und gleicher Wirksamkeit hinzu, ob das Arzneimittel das Ergebnis eigener Forschung des Herstellers ist. Generell ausgenommen von der Aufnahme in die Positivliste und damit von der Kostenerstattung sind die in Artikel R.163-4 C.S.S. genannten Produkte sowie gemäß Artikel L.162-17-1 C.S.S die in Artikel L.5121-1 C.S.P. genannten Mittel. Die Höhe der Kostenerstattung von Arzneimitteln kann entweder zu 100% für alle unentbehrlichen und besonders teueren Arzneimittel, für Arzneimittel gegen Diabetes, AIDS, Krebs, chronische Krankheiten und für alle den Krankenhäusern vorbehaltenen Präparate, zu 65% für alle wichtigen Arzneimittel, wie Antibiotika oder Arzneimittel gegen bestimmte Infektionskrankheiten oder zu 35% für diverse Arzneimittel, zum Beispiel für Akuterkrankungen, erfolgen (Artikel L.5123-1 C.S.P. und Artikel L.16238 C.S.S.).617 Daran anschließend erfolgt, wie oben beschrieben, die Preisfestsetzung durch das Wirtschaftskomitee für Gesundheitsprodukte. Erst mit Abschluß dieser Phase kann das Arzneimittel vermarktet werden, obwohl die Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels längst vorliegt. Insgesamt läßt sich festhalten, daß die Positivliste in Frankreich weiter nicht zu Beanstandungen führt. Im Gegensatz zu der in Deutschland geplanten Positivliste. Während in Deutschland die Unternehmen die Möglichkeit haben, den Preis für erstattungsfähige Arzneimittel weitgehend frei zu wählen, liegt in Frankreich ein umstrittenes und wenig transparentes Preissystem vor. Zum einen sind die Regelungen zur Preisfestlegung auf mehrere Artikel im Code de la Santé publique sowie im Code de la Sécurité Social verteilt, zum anderen wird ein höherer Preis häufig über politische Netzwerke erreicht.

616 Für die Kriterien zur Erstattungsfähigkeit wurde die Richtlinie 89/105/EWG (ABl. Nr. L 40 v. 11.02.1989) zugrundegelegt. A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, S. 210; Ch. Huttin, Prix et remboursement des médicaments dans l’Union Européenne, Journal d’Economie Médicale 1996, S. 439 (450); A. Monod, Marché unique et égalité d’accès au marché du médicament, S. 36 ff.; ÖBIG, Arzneimittel. Steuerung der Märkte in neun europäischen Ländern, 1998, S. 69; EFPIA, Overview of pricing and reimbursement, Revised Working Document v. 21.09.1999, S. 11; E. Cadeau, Le médicament en droit public, 2000, S. 209 f. 617 M. Dickson, Die Bezahlung verordneter Arzneimittel in Europa, S. 88 f.; A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, S. 213; ÖBIG, Arzneimittel. Steuerung der Märkte in neun europäischen Ländern, 1998, S. 70.

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

6. Kapitel Sonstige Verkaufsmodalitäten für Arzneimittel Wie in dem Kapitel über den freien Warenverkehr dargelegt, hat der Europäische Gerichtshof bis heute keine Definition von „Verkaufsmodalitäten“ gegeben, sondern entscheidet fallweise. So versteht er unter Verkaufsmodalitäten beispielsweise Ladenschlußregelungen, Beschränkung der Fernsehwerbung oder Verkaufsvorbehalte für Apotheken.618 Unter Berücksichtigung dieser Entscheidungen können der Abgabestatus eines Arzneimittels (verschreibungspflichtig oder rezeptfrei), der Vertrieb und die Werbung zu Verkaufsmodalitäten gezählt werden. Die Europäische Gemeinschaft hat zu diesen Themen bereits verschiedene Richtlinien619 und eine Leitlinie620 erlassen. Die Richtlinien wurden zusammengefaßt und ohne wesentliche Änderungen in den Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel eingearbeitet.621 Es kann jedoch nicht von einer abschließenden gemeinschaftlichen Regulierung im Arzneimittelrecht gesprochen werden. Der Weg eines Arzneimittels führt in der Regel vom Hersteller über den Großhandel und die Apotheke hin zum Endverbraucher. Dies kann in den 618 EuGH v. 29.06.1995 – Rs. C-391/92 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Republik Griechenland), Slg. 1995, I-1621 (Rdnr. 11 ff.); EuGH v. 09.02. 1995 – Rs. C-412/93 (Société d’importation Edouard Leclerc-Siplec/TF 1 Publicité SA u. M 6 Publicité SA), Slg. 1995, I-179 (Rdnr. 19 ff.); A. Epiney, in: B. Beutler/ R. Bieber/J. Pipkorn/J. Streil (Hrsg.), Die Europäische Union, Rdnr. 748; S. Leible, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), EGV, Artikel 28 (neu), Rdnr. 28. 619 Richtlinie 92/26/EWG des Rates v. 31.03.1992 zur Einstufung bei der Abgabe von Humanarzneimitteln (ABl. Nr. L 113 v. 30.04.1992); Richtlinie 92/25/ EWG des Rates v. 31.03.1992 über den Großhandelsvertrieb von Humanarzneimitteln (ABl. Nr. L 113 v. 30.04.1992); Richtlinie 92/28/EWG des Rates v. 31.03. 1992 über die Werbung für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 113 v. 30.04.1992); Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.05.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz – Erklärung des Rates und des Parlaments zu Artikel 6 Abs. 1 – Erklärung der Kommission zu Artikel 3 Abs. 1, 1. Sp. (ABl. Nr. L 144 v. 04.06.1997, S. 19); Richtlinie 89/552/EWG des Rates v. 03.10.1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (ABl. Nr. L 298 v. 17.10.1989, S. 23); Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 08.06.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) (ABl. Nr. L 178 v. 17.07. 2000, S. 1). 620 Leitlinien 94/C63/03 für die gute Vertriebspraxis von Humanarzneimitteln (ABl. Nr. C 63 v. 01.03.1994, S. 3). 621 Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67).

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Mitgliedstaaten im Detail unterschiedlich geregelt sein.622 Über diesen traditionellen Absatzweg hinaus gewinnt auch der Handel mit Arzneimitteln über das Internet weiter an Bedeutung.623 Gemeinsam ist allen Mitgliedstaaten, daß verschreibungspflichtige Arzneimittel nur in Apotheken auf Rezept erworben werden können. Die weite Fassung des Arzneimittelbegriffs sowie die unterschiedliche Einordnung als verschreibungspflichtiges oder rezeptfreies Arzneimittel kann dazu führen, daß in manchen Mitgliedstaaten ein Präparat unter die Verschreibungspflicht fällt, während es in anderen Mitgliedstaaten rezeptfrei ist.624 Zunächst werden die Richtlinien zu den oben genannten Bereichen, Verschreibungspflicht, Werbung und Vertrieb mit dem Spezialfall des Internethandels von Arzneimitteln aufgezeigt, um anschließend ihre Umsetzung in nationales Recht und die Überprüfung der unterschiedslosen Anwendung zu analysieren. I. Europäische Regelungen Die Werbung und der Vertrieb eines Arzneimittels hängen davon ab, ob es als verschreibungspflichtig oder rezeptfrei eingestuft wird. Deshalb wird zunächst auf die Maßnahmen der Kommission zu dem Thema Verschreibungspflicht eingegangen. 1. Verschreibungspflicht Der Rat hat zur Vereinheitlichung der Regelungen, die den Abgabestatus eines Arzneimittels betreffen, die Richtlinie 92/26/EWG625 erlassen. Mit der Richtlinie 92/26/EWG wurde erstmals in der gesamten Europäischen Gemeinschaft deutlich zwischen verschreibungspflichtigen und nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln unterschieden.626 Diese Richtlinie ist als Titel VI in den Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel627 eingefügt worden. 622

Gelegentlich werden Apotheken auch direkt vom Hersteller beliefert. A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, S. 176. 623 C. König/E. Müller/A. Trafkowski, Internet-Handel mit Arzneimitteln, EWS 2000, S. 97 (99). 624 A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, S. 187 ff.; F. Lutz, Kernprobleme des aktuellen Arzneimittelrechts, S. 16. 625 Richtlinie 92/26/EWG des Rates v. 31.03.1992 zur Einstufung bei der Abgabe von Humanarzneimitteln (ABl. Nr. L 113 v. 30.04.1992, S. 5). 626 H. Blasius/H. Cranz, Arzneimittel und Recht in Europa, S. 119. 627 Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67).

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Die Europäische Gemeinschaft sieht in den national unterschiedlichen Einstufungen eines Arzneimittels als rezeptpflichtig oder rezeptfrei eine Behinderung des freien Warenverkehrs.628 Die Vorschriften zur Einstufung von Arzneimitteln als verschreibungspflichtig oder rezeptfrei sollen jedem ermöglichen, die Menge an Arzneimitteln bei sich zu führen oder sich schikken zu lassen, die er für seinen persönlichen Bedarf benötigt.629 Dies sollte auch für den Fall einer Grenzüberschreitung gelten. Auch die Richtlinie 2001/83/EG,630 genauso wie bereits die Richtlinie 92/26/EWG, betont, daß die Verschreibungspflicht keinen Einfluß auf die Erstattungsfähigkeit eines Arzneimittels hat und somit auch keine Auswirkung auf die mitgliedstaatlichen Systeme zur Sozialversicherung.631 Der Abgabestatus eines Arzneimittels als rezeptpflichtig oder rezeptfrei wird im Rahmen des Zulassungsverfahrens von der hierfür zuständigen Behörde festgelegt.632 Mit der Erneuerung der Zulassung alle fünf Jahre wird von dieser Behörde auch die Verschreibungspflicht überprüft und gegebenenfalls geändert. Eine Überprüfung und gegebenenfalls eine Änderung der Einstufung erfolgt, sobald sich neue Erkenntnisse über das Arzneimittel ergeben.633 Die Arzneimittel, die als verschreibungspflichtig eingestuft sind, werden in einem Verzeichnis erfaßt.634 Die Kriterien für die Einstufung eines Arzneimittels als verschreibungspflichtig635 sind in Artikel 71 der Richtlinie 2001/83/EG genannt. Nach Artikel 71 Abs. 1 unterliegen alle Arzneimittel der ärztlichen Verordnung, die bei normalem Gebrauch und ohne ärztliche Überwachung eine Gefahr darstellen können. Weiter unterliegen alle Stoffe oder Zubereitungen aus diesen Stoffen der Verschreibungspflicht, deren Wirkungen wie Nebenwirkungen entweder noch genauer erforscht werden müssen oder mit Ausnahmen zur parenteralen Anwendung vorgesehen sind. Als verschreibungspflichtig gelten auch Arzneimittel, die einen Suchtstoff oder psychotropen Stoff in der Höhe einer verschreibungspflichtigen Dosierung enthalten. Dar628 Nr. 29 u. 32 der Begründung der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 629 Nr. 30 der Begründung der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11. 2001, S. 67). 630 Die Vorschriften der Richtlinie 92/26/EWG für die Abgabe von Humanarzneimitteln wurden inhaltlich unverändert in die Richtlinie 2001/83/EG eingearbeitet. 631 Nr. 33 der Begründung der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11. 2001, S. 67). 632 Artikel 70 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 633 Artikel 74 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 634 Artikel 73 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 635 Unter „ärztlicher Verschreibung“ versteht die Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) in Artikel 1 Nr. 19 „jede Verschreibung von Arzneimitteln eines Angehörigen eines Gesundheitsberufes, der dazu befugt ist“.

6. Kap.: Sonstige Verkaufsmodalitäten für Arzneimittel

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über hinaus sind die Arzneimittel verschreibungspflichtig, die bei anormalem Gebrauch Risiken des Mißbrauchs in sich bergen, indem sie die Gesundheit gefährden, süchtig machen, für illegale Zwecke eingesetzt werden können oder die Stoffe enthalten, die den voran genannten Risiken zugeordnet werden können. Für diese Gruppe der Arzneimittel können die Mitgliedstaaten die Unterkategorie „Arzneimittel, die nur auf besondere ärztliche Verordnung abgegeben werden“ bilden.636 Als dritte Gruppe verschreibungspflichtiger Arzneimittel gelten solche Arzneimittel, die aus Gesundheitsschutzgründen zur Behandlung ausschließlich im Krankenhaus vorgesehen sind637 oder jene Arzneimittel, die gegen Krankheiten eingesetzt werden, die zwar im Krankenhaus diagnostiziert werden, deren Behandlung aber außerhalb erfolgen kann.638 Dazu zählen auch Arzneimittel, die ambulant verabreicht werden, deren Einnahme jedoch aufgrund der möglicherweise schwerwiegenden Folgen von einem Facharzt besonders überwacht werden müssen.639 Diese dritte Gruppe von Arzneimitteln können die Mitgliedstaaten in der Unterkategorie „Arzneimittel, die nur auf beschränkte ärztliche Verschreibung abgegeben werden dürfen“ zusammenfassen.640 Jede zuständige Behörde hat aber die Möglichkeit, Ausnahmen von den oben genannten Kriterien zu gewähren. Die Ausnahmen ergeben sich aus Artikel 71 Abs. 4 der Richtlinie 2001/83/EG. Für die Erteilung von Ausnahmen hat die Behörde die Einzel- oder Tageshöchstdosis, die Wirkstärke, die pharmazeutische Darreichungsform, bestimmte Aufmachungen und andere von ihr angegebene Verwendungsbedingungen zu berücksichtigen. Alle anderen Arzneimittel, die nicht den Kriterien aus Artikel 71 entsprechen, sind rezeptfrei erhältlich. Insgesamt läßt sich festhalten, daß sowohl die Kriterien, als auch die Ausnahmeregelungen durch offene Begrifflichkeiten und „Kann“-Bestimmungen gekennzeichnet sind. Die Risikoabwägung liegt bei der Zulassungsbehörde. In der Regel handelt es sich um die Behörden der Mitgliedstaaten, weil die meisten Arzneimittel dezentral zugelassen werden. Auch für die 636 Artikel 71 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 637 Gemäß Artikel 71 Abs. 3, 1. Sp. der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) kann dies aufgrund der pharmakologischen Eigenschaften des Arzneimittels, seiner Neuartigkeit oder ganz allgemein aus Gründen der öffentlichen Gesundheit bestehen. 638 Artikel 71 Abs. 3, 2. Sp. der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 639 Artikel 71 Abs. 3, 3. Sp. der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 640 Artikel 71 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67).

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Einordnung eines Arzneimittels unter die Verschreibungspflicht spielen kulturelle Unterschiede eine Rolle.641 2. Werbung und Verkaufsförderung Die Werbemaßnahmen, die ein Unternehmen für ein Arzneimittel ergreifen kann, hängen von der Einstufung eines Arzneimittels unter die ärztliche Verordnungspflicht ab. Speziell mit der Werbung für Arzneimittel setzte sich die Richtlinie 92/28/EWG642 auseinander. Die Vorschriften über die Werbung für Arzneimittel sind in die Artikel 86 bis 100 der Richtlinie 2001/83/EG eingeflossen.643 Diese ist ebenso wie alle anderen Richtlinien im Arzneimittelbereich auf Artikel 95 EG gestützt. Zur Begründung der Rechtsgrundlage führt die Europäische Gemeinschaft in Nr. 43 der Einleitung der Richtlinie 2001/83/EG an, daß sich die unterschiedlichen Maßnahmen der Mitgliedstaaten auch für die Arzneimittelwerbung negativ auf den Binnenmarkt für Arzneimittel auswirken können. Zu der speziellen Richtlinie über die Arzneimittelwerbung kommen noch die Richtlinie 84/450/ EWG644 über irreführende Werbung und die Richtlinie 89/552/EWG645 über Fernsehwerbung hinzu. Sie betreffen die Produktwerbung im allgemeinen. Ausdrücklich wird in Nr. 42 der Einleitung der Richtlinie 2001/83/EG darauf hingewiesen, daß sie die Maßnahmen der Richtlinie 84/450/EWG zur irreführenden und vergleichenden Werbung nicht berührt. Arzneimittelwerbung im Sinne der Richtlinie 2001/83/EG umfaßt alle Maßnahmen, die der Information sowie der Marktuntersuchung dienen. Anreizsysteme, die die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln fördern, fallen unter den Werbebegriff. Dazu ge641 B. Eberwein, Kritische Anmerkungen zur Verschreibungspflicht in der Europäischen Union, in: T. Ott/F.-W. Hefendehl/P. Grosdanoff (Hrsg.), Arzneimittel und Medizinprodukte Bewertung – Verfahren – Perspektiven, 1998, S. 273 f. 642 Richtlinie 92/28/EWG des Rates v. 31.03.1992 über die Werbung für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 113 v. 30.04.1992, S. 13). 643 Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). Auch hier sind keine wesentlichen Änderungen des Inhalts vorgenommen worden. 644 Richtlinie 84/450/EWG des Rates v. 10.09.1984 zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet der irreführenden Werbung (ABl. Nr. L 250 v. 19.09.1984, S. 17). 645 Richtlinie 89/552/EWG des Rates v. 03.10.1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (ABl. Nr. L 298 v. 17.10.1989, S. 23). So verbietet die Richtlinie 89/552/EWG jede Werbung im Fernsehen und in den übrigen Medien für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Dabei sind die Vorschriften des Mitgliedstaates zu berücksichtigen, dessen Hoheitsgewalt der Fernsehveranstalter unterworfen ist.

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hören insbesondere die Öffentlichkeitswerbung, die Fachwerbung, Außendienstbesuche bei Apotheken und Ärzten, Arzneimittelmuster, finanzielle oder materielle Anreize zur Verschreibung oder Abgabe, Sponsoring von Verkaufsförderungstagungen oder Kongressen, vor allem die Übernahme von Reise- und Aufenthaltskosten.646 Die Richtlinie ist in Vorschriften für die Öffentlichkeitswerbung und in Vorschriften für die Fachwerbung unterteilt. Gleichgültig, für welchen Adressatenkreis die Werbung gedacht ist, darf nur für zugelassene Arzneimittel geworben werden.647 Die Öffentlichkeitswerbung ist nur für rezeptfreie Arzneimittel möglich.648 Sie bedarf besonderer Sorgfalt, weil sich übertriebene und unvernünftige Werbung negativ auf die Gesundheit auswirken kann. Für verschreibungspflichtige Arzneimittel und für Arzneimittel, die psychotrope Substanzen oder Suchtstoffe enthalten, ist aus Gründen des Gesundheitsschutzes in allen Mitgliedstaaten jegliche Öffentlichkeitswerbung verboten.649 Die direkte Abgabe von Arzneimittelmustern an die Öffentlichkeit zum Zwecke der Verkaufsförderung ist untersagt.650 Darüber hinaus steht es im Ermessen jedes Mitgliedstaates, die Öffentlichkeitswerbung für erstattungsfähige Arzneimittel ebenfalls zu untersagen. Sofern Öffentlichkeitswerbung gestattet ist, unterliegt sie zahlreichen Auflagen und ist auf bestimmte Medien beschränkt.651 Grundlegend ist, daß der Werbecharakter der Mitteilung deutlich zum Ausdruck kommen muß. Das beworbene Produkt muß eindeutig als Arzneimittel erkennbar sein und damit als ein Mittel, das für Krankheiten angewendet wird und mit entsprechenden Nebenwirkungen behaftet ist.652 Es muß deutlich werden, daß die Einnahme des beworbenen Produktes die ärztliche Diagnose oder einen möglicherweise notwendigen chirurgischen Eingriff nicht überflüssig macht.653 Die Werbung darf keine Elemente enthalten, die durch wissen646 Artikel 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 647 Artikel 87 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 648 Artikel 88 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 649 Davon ausgenommen sind Impfkampagnen der Industrie, die von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten genehmigt wurden. Artikel 88 Abs. 4 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 650 Zu anderen Zwecken als zur Verkaufsförderung können die Mitgliedstaaten ausnahmsweise die direkte Abgabe von Arzneimittelmustern an die Öffentlichkeit genehmigen. Artikel 88 Abs. 6 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 651 Artikel 90 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) enthält eine genaue Liste der Elemente, die nicht in der Öffentlichkeitswerbung enthalten sein dürfen. 652 Artikel 89 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67).

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

schaftliche Empfehlungen, Verharmlosung oder drohende Gesundheitseinbußen zu einem leichtfertigen Konsum veranlassen, oder durch ausführliche Beschreibung der Anamnese zu falschen Selbstdiagnosen verleiten. Auch bezüglich der Krankheitsbilder werden Einschränkungen vorgenommen. So darf die Öffentlichkeitswerbung keine therapeutischen Anweisungen gegen bestimmte Krankheiten wie Tuberkulose, Krebs oder Diabetes enthalten.654 Erlaubt ist die sogenannte Erinnerungswerbung, die lediglich die Arzneimittelbezeichnung, nicht jedoch Informationen zur Indikation oder sonstigen Gebieten angibt.655 Neben der Öffentlichkeitswerbung gibt es noch die Fachwerbung, an die ebenfalls spezifische Anforderungen gestellt werden. Die Fachwerbung ist jede Werbung bei den Personen, die zur Verschreibung oder zur Abgabe von Arzneimitteln berechtigt sind. Die Werbung in Fachkreisen muß mindestens die wichtigsten Informationen aus der von der Zulassungsbehörde genehmigten Zusammenfassung der Merkmale eines Arzneimittels (SPC) enthalten und darauf hinweisen, ob das Mittel als verschreibungspflichtig oder rezeptfrei eingestuft ist.656 Den Mitgliedstaaten bleibt es überlassen, ob der Einzelhandelsverkaufspreis oder die Erstattungsbedingungen angegeben sein müssen.657 Die Informationen müssen genau, aktuell, vollständig und überprüfbar sein, so daß sich der Empfänger ein eigenes Bild über die Wirksamkeit des Arzneimittels machen kann.658 Der für seine Aufgabe von dem Unternehmen entsprechend ausgebildete Außendienst hat die Pflicht, für jedes angebotene Arzneimittel die Zusammenfassung der Produkteigenschaften weiterzugeben, hat aber auch die Möglichkeit, sofern dies von dem Mitgliedstaat gestattet ist, weitere Informationen zum Verkaufspreis und zu den Erstattungsbedingungen zu vertreiben. Muster dürfen nur in einem begrenzten Umfang auf schriftliches Ersuchen des Empfängers, in der Größe der kleinsten im Handel erhältlichen Packung und als unverkäufliches Gratisärztemuster gekennzeichnet, zusammen mit einer Kopie der Zusammenfassung der Produkteigenschaften abge653 Artikel 90 lit. a der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 654 Artikel 88 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 655 Artikel 89 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 656 Artikel 91 Abs. 1 S. 1 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 657 Artikel 91 Abs. 1 S. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 658 Artikel 92 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67).

6. Kap.: Sonstige Verkaufsmodalitäten für Arzneimittel

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geben werden.659 Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten strengere Vorschriften zur Abgabe von Gratismustern erlassen.660 Finanzielle oder materielle Anreize zur Verkaufsförderung jeglicher Art sind grundsätzlich verboten. Sie können ausnahmsweise erfolgen, wenn die Anreize nur einen geringen Wert haben und sie im Zusammenhang mit der medizinischen oder pharmazeutischen Praxis stehen.661 Bewirtungen für ausschließlich berufsbezogene und wissenschaftliche Veranstaltungen sind in einem vertretbaren Rahmen ebenfalls möglich.662 Die Kontrolle der Werbemaßnahmen sowie die Wahl der geeigneten und wirksamen Mittel zu deren Überwachung obliegen den Mitgliedstaaten.663 Weiterhin ist auch der pharmazeutische Unternehmer, der Inhaber der Zulassung ist, verpflichtet, in seinem Unternehmen eine wissenschaftliche Stelle einzurichten, die Informationen über die in den Verkehr gebrachten Arzneimittel zur Verfügung stellt und die Vereinbarkeit der Werbemaßnahmen mit der Richtlinie oder den entsprechenden nationalen Gesetzen gewährleistet.664 Darüber hinaus erfolgt in den meisten Mitgliedstaaten eine freiwillige Selbstkontrolle durch den jeweiligen Pharmaverband.665 3. Vertrieb Als dritter und letzter Punkt soll im Rahmen der Verkaufsmodalitäten noch der Vertrieb von Arzneimitteln angesprochen werden. Der Vertrieb von Arzneimitteln bedarf einer besonderen Sorgfalt. Es muß gewährleistet sein, daß von der Herstellung bis zur Abgabe an die Öffentlichkeit das Arzneimittel unter angemessenen Bedingungen gelagert und transportiert wird. Dies soll sicherstellen, daß die Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels aufrecht erhalten bleibt.666 Darüber hinaus ist die Öffentlichkeit vor ge659 Von Arzneimitteln, die psychotrope Substanzen oder Suchtstoffe enthalten, dürfen keine Muster abgegeben werden. Artikel 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/ EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 660 Artikel 96 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 661 Artikel 94 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 662 Artikel 95 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 663 Artikel 97 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). Die Kontrollmechanismen sollten in Anlehnung an die Richtlinie 84/450/EWG (ABl. Nr. L 250 v. 19.09.1984, S. 17) ausgewählt werden. 664 Artikel 98 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 665 R. Pitschas, Rechtliche Verfassung der Arzneimittelrisikokommunikation, S. 205; A. Mehnert, Regulierung auf europäischen Arzneimittelmärkten, S. 203 f. 666 Zur Qualitätssicherung siehe Richtlinie 91/356/EWG des Rates v. 31.03.1991 zur Festlegung der Grundsätze und Leitlinien der guten Herstellungspraxis für zur Anwendung beim Menschen bestimmte Arzneimittel (ABl. Nr. L 193 v. 17.07.1991,

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

fälschten Arzneimitteln zu schützen.667 Aus diesem Grund soll nur an Großhändler668 oder an Personen, die befugt sind, Arzneimittel an die Öffentlichkeit abzugeben, geliefert werden.669 Alle Personen, die Vertrieb und Verkauf von Arzneimitteln vornehmen, müssen ausreichend qualifiziert sein.670 Jeder Großhändler benötigt eine Genehmigung für den Vertrieb in dem jeweiligen Mitgliedstaat.671 Jeder Mitgliedstaat muß die von einem anderen Mitgliedstaat gewährte Genehmigung anerkennen.672 Gegebenenfalls benötigt der Großhändler auch eine Herstellungserlaubnis, wenn er das Arzneimittel ganz oder teilweise abfüllt oder abpackt.673 Genauso benötigen Personen, die Arzneimittel an die Öffentlichkeit abgeben, dafür eine Genehmigung. Auch diese Kriterien sind mittlerweile gemeinschaftsweit durch verschiedene Richtlinien angeglichen worden.674 S. 30), Leitlinien 94/C 63/03 für die gute Vertriebspraxis von Humanarzneimitteln (ABl. Nr. C 63 v. 01.03.1994, S. 3) sowie die allgemeinen Grundlagen von Qualitätssicherung und Qualitätssystem in den CEN-Normen, Reihe 29 000. 667 E. Dambacher/O. Schöffski, Vertriebswege und Vertriebswegeentscheidungen, S. 255. 668 Als Großhandelsvertrieb von Arzneimitteln gilt gemäß Artikel 1 Nr. 17 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) „jede Tätigkeit, die in der Beschaffung, der Lagerung, der Lieferung oder der Ausfuhr von Arzneimitteln besteht, mit Ausnahme der Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit; diese Tätigkeiten werden über Hersteller oder deren Kommissionäre, Importeure oder sonstige Großhändler oder aber über Apotheker und Personen abgewickelt, die in dem betreffenden Mitgliedstaat zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit ermächtigt oder befugt sind“. 669 Leitlinien 94/C 63/03 für die gute Vertriebspraxis von Humanarzneimitteln (ABl. Nr. C 63 v. 01.03.1994, S. 3). 670 Aus den Leitlinien 94/C 63/03 für die gute Vertriebspraxis von Humanarzneimitteln (ABl. Nr. C 63 v. 01.03.1994, S. 3) folgt, daß der Mitgliedstaat, in dem der Großhändler niedergelassen ist, die Qualitätsanforderungen festlegen kann. 671 Nr. 36 der Begründung in Verbindung mit Artikel 1 Nr. 17 Richtlinie 2001/ 83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 672 Nr. 37 der Begründung in Verbindung mit Artikel 1 Nr. 17 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 673 Nach Artikel 40 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) ist die Herstellung von Arzneimitteln, auch wenn diese ausschließlich für den Export bestimmt sind, erlaubnispflichtig. Das gilt nach Artikel 40 Abs. 2 S. 1 der Richtlinie 2001/83/EG auch für das Abfüllen oder Abpacken. Ausgenommen von dieser Erlaubnispflicht sind Vorgänge, die lediglich im Hinblick auf die Abgabe durch Apotheker oder andere autorisierte Personen in der Apotheke vorgenommen werden (Artikel 40 Abs. 2 S. 2 der Richtlinie 2001/83/EG). Die Anforderungen an die Herstellungserlaubnis und die daraus folgenden Pflichten sind in den Artikeln 41 ff. der Richtlinie 2001/83/EG zusammengefaßt. 674 Richtlinie 85/432/EWG des Rates v. 16.09.1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über bestimmte pharmazeutische Tätigkeiten (ABl. Nr. L 253 v. 24.09.1985, S. 34); Richtlinie 85/433/EWG des Rates v.

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Die Vertriebskanäle zur Abgabe der Arzneimittel an den Endverbraucher sind in den Mitgliedstaaten nicht harmonisiert. Deren Regelung bleibt weiterhin in der Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten.675 Gemäß dem Europäischen Gerichtshof kann das Apothekenmonopol ein Einfuhrhindernis darstellen.676 Allerdings sieht der Europäische Gerichtshof das Apothekenmonopol bis zum Beweis des Gegenteils als gerechtfertigt an. Betrachtet man die unterschiedlichen nationalen Regelungen über die Vertriebskanäle sowie das Apothekenmonopol unter dem Blickwinkel des „Keck-Urteils“677, ist dies als Verkaufsmodalität einzustufen.678 So ist das Apothekenmonopol, obwohl es den Warenverkehr behindern kann, auf jeden Fall solange hinzunehmen, bis die Gemeinschaft eine einheitliche Regelung getroffen hat. Die Einfuhr von Arzneimitteln durch Privatpersonen ist grundsätzlich nicht gestattet. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs beschränkt aber eine nationale Regelung, die es Privatpersonen untersagt, im Einfuhr- wie im Ausfuhrmitgliedstaat zugelassene Arzneimittel in einer Apotheke zu kaufen und für ihren persönlichen Bedarf einzuführen, den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr, ohne daß sie zum Schutz der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt wäre. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, „daß der Kauf eines Arzneimittels in einer Apotheke in einem anderen Mitgliedstaat eine Garantie bietet, die derjenigen gleichwertig ist, die auf dem Verkauf des Arzneimittels durch eine Apotheke in dem Mitgliedstaat beruht, in den das Arzneimittel von einer Privatperson eingeführt wird, und daß dies um so mehr gilt, als die Voraussetzungen für den Zugang zum Beruf des Apothekers und die Bedingungen für die Ausübung dieses Berufs in den Richtlinien 85/432 und 85/433679 geregelt sind“.680

16.09.1985 über die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweisen des Apothekers und über Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts für bestimmte pharmazeutische Tätigkeiten (ABl. Nr. L 253 v. 24.09.1985, S. 37). 675 H. Blasius/H. Cranz, Arzneimittel und Recht in Europa, S. 122. 676 EuGH v. 21.03.1991 – Rs. C-369/88 (Strafverfahren gegen Jean-Marie Delattre), Slg. 1991, I-1487 (Rdnr. 44 ff.); EuGH v. 21.03.1991 – Rs. C-60/89 (Monteil u. Samanni), Slg. 1991, I-1547 (Rdnr. 31 ff.). 677 EuGH v. 24.11.1993 – verb. Rs. C-267/91 u. C-268/91 (Strafverfahren gegen Bernard Keck u. Daniel Mithouard), Slg. 1993, I-6097 (Rdnr. 11 ff.). 678 So auch LG Frankfurt ZIP 2000 2080 (2084). 679 Die Voraussetzungen für den Zugang zum Apothekerberuf und die Modalitäten seiner Ausübung sind Gegenstand der Richtlinie 85/432/EWG des Rates v. 16.09.1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über bestimmte pharmazeutische Tätigkeiten (ABl. Nr. L 253, S. 34) sowie der Richtlinie 85/433/EWG des Rates vom 16.09.1985 über die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Apothekers

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Kritisch ist der grenzüberschreitende Arzneimittelkauf von Privatpersonen durch das Internet.681 Die arzneimittelrechtlichen Regelungen werden ergänzt mit den Grundsätzen aus der Fernabsatz-Richtlinie, der Richtlinie 97/7/EWG682. Hinzu kommt noch die Richtlinie 2000/31/EG683 über den elektronischen Geschäftverkehr. Dies bedeutet jedoch nicht, daß diese Richtlinie die Mitgliedstaaten verpflichtet, den Versandhandel mit Arzneimitteln durch das Internet auch zuzulassen.684 Nach Artikel 14 der Fernabsatz-Richtlinie haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, für Arzneimittel strengere Bestimmungen zu erlassen oder aufrechtzuerhalten, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher sicherzustellen. Dabei müssen die Bestimmungen zur Warenverkehrsfreiheit berücksichtigt werden. Es liegt im Ermessen des einzelnen Mitgliedstaates, den Versandhandel mit Arzneimitteln aus Gründen des Gesundheitsschutzes einzuschränken oder ganz zu verbieten.685 Ein solches Verbot widerspricht nicht dem Verhältnismäßigkeitsprinzip.686 In Ermangelung umfassender europäischer Maßnahmen fallen die Regelungen über die Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit weiterhin und über Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts für bestimmte pharmazeutische Tätigkeiten (ABl. Nr. L 253, S. 37). 680 EuGH v. 07.03.1989 – Rs. 215/87 (Heinz Schumacher/Hauptzollamt Frankfurt am Main-Ost), Slg. 1989, 617 (Rdnr. 20 ff.); EuGH v. 08.04.1992 – Rs. C-62/90 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1992, I-2575 (Rdnr. 17). 681 Eine durchaus kritische Betrachtung des Internethandels von Arzneimitteln in R. Däinghaus, E-Commerce als Vertriebsweg für Arzneimittel, in: O. Schöffski/ F.-U. Fricke/W. Guminski/W. Hartmann, Pharmabetriebslehre, 2002, S. 258 ff., 263 ff. 682 Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.05.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz – Erklärung des Rates und des Parlaments zu Artikel 6 Abs. 1 – Erklärung der Kommission zu Artikel 3 Abs. 1, 1. Sp. (ABl. Nr. L 144 v. 04.06.1997, S. 19). 683 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 08.06.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABl. Nr. L 178 v. 17.07. 2000, S. 1. 684 Bedenken zum Internet-Handel mit Arzneimitteln äußert auch der Europäische Verband der Arzneimittelindustrie (EFPIA). Siehe dazu die Veröffentlichung vom März 1999 „Impact of electronic commerce on the European pharmaceutical sector“. 685 LG Frankfurt ZIP 2000, 2080 (2084 f.); F. Lutz, Kernprobleme des aktuellen Arzneimittelrechts, S. 16; C. König/E. Müller/A. Trafkowski, Internet-Handel mit Arzneimitteln, EWS 2000, S. 97 (101); zum E-Commerce bei Arzneimitteln siehe auch die Studie von Ashurst Morris Crisp und Executive Perspective S.A., Impact of Electronic Commerce on the European Pharmaceutical Sector, S. 3 ff., 9 ff., 21 f. 686 LG Frankfurt ZIP 2000, 2080 (2085).

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in den Bereich der nationalen Zuständigkeit. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, den Vertrieb pharmazeutischer Erzeugnisse an die Öffentlichkeit zu regeln sowie Einschränkungen der Vertriebswege vorzusehen. II. Deutschland 1. Verschreibungspflicht Die in Deutschland gültigen Regelungen zur Verschreibungspflicht von Arzneimitteln sind in den §§ 48, 49, 50 AMG sowie in nach § 48 Abs. 2 AMG erlassenen Rechtsverordnungen niedergelegt. Bereits die Richtlinie 92/26/EWG687 mußte nicht mehr in deutsches Recht umgesetzt werden, weil die darin enthaltenen Grundsätze bereits im deutschen Recht vorhanden waren.688 In Deutschland wurde die Einstufung in verschreibungspflichtige und rezeptfreie Arzneimittel bereits seit 1978 anhand einer Risikoprüfung vorgenommen. Welche Arzneimittel unter die Verschreibungspflicht zu stellen sind (§ 48 AMG), bestimmt das Bundesministerium für Gesundheit durch Rechtsverordnung. Mittels Rechtsverordnung erstellt das Bundesministerium für Gesundheit mit Zustimmung des Bundesministeriums für Wirtschaft und nach der Anhörung von Sachverständigen eine Liste von Arzneimitteln, die nur auf ärztliche 689 Verschreibung abgegeben werden dürfen. Als verschreibungspflichtig werden alle Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen angesehen, die selbst bei bestimmungsgemäßem Gebrauch unmittelbar oder mittelbar die Gesundheit gefährden können, sofern sie nicht unter ärztlicher Aufsicht angewendet werden. Das gleiche gilt für Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die überwiegend nicht bestimmungsgemäß gebraucht werden und deshalb eine Gesundheitsgefährdung darstellen können (§ 48 Abs. 2 Nr. 1 AMG).690 Die Einstufung eines Stoffes oder einer Zubereitung aus Stoffen als verschreibungspflichtig kann in der Rechtsverord687 Das gilt gerade für die Vorschriften aus der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67), die inhaltlich mit der Richtlinie 92/26/EWG identisch sind. 688 B. Eberwein, Kritische Anmerkungen zur Verschreibungspflicht in der Europäischen Union, S. 272. 689 Für Hebammen und Entbindungspfleger kann eine Ausnahme von der Verschreibungspflicht erfolgen, wenn dies zur ordentlichen Berufsausübung erforderlich ist, § 48 Abs. 3, S. 2 AMG von Artikel 71 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 690 Der Teil entspricht Artikel 71 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67), 1. und 2. Sp.: „Arzneimittel dürfen nur auf ärztliche Verordnung abgegeben werden, wenn sie selbst bei normalem Gebrauch ohne ärztliche Überwachung direkt oder indirekt eine Gefahr darstellen können oder häu-

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nung auf bestimmte Dosierungen, Darreichungsformen oder Anwendungsgebiete beschränkt werden (§ 48 Abs. 3 AMG).691 Neben der fallweisen Entscheidung gibt es auch eine automatische Verschreibungspflicht. Das Bundesministerium für Gesundheit kann durch Rechtsverordnung näher bestimmen, welche Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen unter die automatische Verschreibungspflicht fallen. Die automatische Verschreibungspflicht gilt für alle Arzneimittel, die neue Wirkstoffe beinhalten (§ 49 AMG). Handelt es sich um eine Zubereitung aus mehreren Stoffen, deren Wirkung in ihrer Gesamtheit nicht bekannt ist, fällt diese Zubereitung auch unter die automatische Verschreibungspflicht. Dies gilt selbst für Stoffe, deren Wirkung im Einzelnen bekannt ist (§ 49 Abs. 1 AMG).692 Die automatische Verschreibungspflicht endet nach dem Ablauf von fünf Jahren, gerechnet ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Rechtsverordnung (§ 49 Abs. 3 AMG). Sind die Wirkungen des Arzneimittels weiterhin nicht bekannt oder liegen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 Nr. 1 AMG vor, wird die Verschreibungspflicht verlängert. Das Bundesministerium kann die Verschreibungspflicht bereits nach drei Jahren aufheben, wenn feststeht, daß der bestimmungsgemäße Gebrauch des Arzneimittels sichergestellt ist und das Arzneimittel die Gesundheit auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch weder mittelbar noch unmittelbar gefährdet (§ 49 Abs. 4 Nr. 3 AMG in Verb. mit § 48 Abs. 2 Nr. 1 AMG).693 Das Bundesgesundheitsministerium hat außerdem die Möglichkeit, die Verschreibung für Arzneimittel einzuschränken, so daß bestimmte Arzneimittel nur in einer bestimmten Höchstmenge und nicht wiederholt verschrieben werden dürfen oder ausschließlich von bestimmten Fachärzten verordnet werden dürfen (§ 48 Abs. 2 Nr. 2, 3 und 3 a AMG).694 fig und in sehr starkem Maße unter anormalen Bedingungen verwendet werden und dies die Gesundheit direkt oder indirekt gefährden kann“. 691 Artikel 71 Abs. 4 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 692 Dazu Artikel 71 Abs. 1, 3. Sp. der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67): Arzneimittel dürfen nur auf ärztliche Verordnung abgegeben werden, „wenn sie Stoffe oder Zubereitungen aus diesen Stoffen enthalten, deren Wirkung und/oder Nebenwirkungen unbedingt noch genauer erforscht werden müssen“. 693 Die Beendigung der Verschreibungspflicht oder die Änderungen des Abgabestatus sind in Artikel 74 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) festgelegt: „Wenn die zuständigen Behörden die Genehmigung für das Inverkehrbringen erneuern, was alle fünf Jahre erforderlich ist, oder wenn ihnen neue Erkenntnisse mitgeteilt werden, überprüfen und ändern sie gegebenenfalls die Einstufung eines Arzneimittels unter Anwendung der Kriterien des Artikel 71“.

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Die Vorschriften zur Einstufung von Arzneimitteln als verschreibungspflichtig oder rezeptfrei aus der Richtlinie 2001/83/EG sind somit vollständig im deutschen Arzneimittelgesetz enthalten. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß die Richtlinie einen sehr weiten Rahmen vorgibt, der nicht zu einer Harmonisierung in diesem Bereich führen kann. Aus diesem Grund unterliegen weiterhin Arzneimittel in einem Mitgliedstaat der Verschreibungspflicht, während sie in einem anderen Mitgliedstaat ohne ärztliche Verordnung erhältlich sind. Dagegen führt die Richtlinie zumindest bei der Kommission zu einem besseren Überblick über die verschreibungspflichtigen Arzneimittel in den einzelnen Mitgliedstaaten durch ihre in Artikel 73 und in Artikel 75 der Richtlinie 2001/83/EG aufgegeben Pflicht an die Mitgliedstaaten zur Erstellung eines Verzeichnisses der in ihrem Hoheitsgebiet verschreibungspflichtigen Arzneimittel. 2. Werbung und Verkaufsförderung Die Vorschriften für die Werbung mit Arzneimitteln sind bereits aufgrund der Richtlinie 92/28/EWG in das Gesetz über die Werbung auf dem Gebiet des Heilwesens, kurz Heilmittelwerbegesetz (HWG),695 eingearbeitet worden.696 Im Sinne der Richtlinie 2001/83/EG697 ist die Öffentlichkeitswerbung ausschließlich für rezeptfreie Arzneimittel möglich.698 Verschreibungspflichtige Arzneimittel sowie Arzneimittel gegen Schlaflosigkeit oder psychische Störungen können nur in Fachkreisen699 beworben werden (§ 10 Abs. 1 HWG). Darüber hinaus ist die Werbung für Arzneimittel zur Verhü694 Die Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) sieht diese Möglichkeit in Artikel 70 Abs. 2 vor und nennt die dazugehörigen Kriterien in Artikel 71 Abs. 2 und 3. 695 Das Gesetz über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.10.1994 (BGBl. I S. 3068). 696 Von den Vorschriften des Heilmittelwerbegesetzes unberührt bleiben nach § 17 HWG: Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), § 21 des Gesetzes zu Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und die Zugabeverordnung. 697 Ehemals die Richtlinie 92/28/EWG, jetzt die Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 698 Artikel 88 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) fordert ein Verbot der Öffentlichkeitswerbung für bestimmte Arzneimittel. Das wurde durch die Paragraphen 10 und 12 HWG umgesetzt. Nicht übernommen wurde die Möglichkeit eines Verbots von erstattungsfähigen Arzneimitteln aus Artikel 88 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG. 699 Zu den Fachkreisen zählen Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und Personen, die mit diesen Arzneimitteln erlaubterweise Handel treiben. Nach § 2 HWG zählen dazu „Angehörige der Heilberufe oder des Heilgewerbes, Einrichtungen, die der Gesundheit von Mensch und Tier dienen, oder sonstige Personen, soweit sie mit

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tung, Erkennung, Beseitigung oder Linderung bestimmter Krankheiten, die in Anlage 1 dem Gesetz angefügt sind, ebenfalls ausschließlich für Fachkreise gestattet (§ 12 Abs. 1 HWG).700 Die sich aus der Richtlinie ergebenden Anforderungen an die Werbevorschriften für Arzneimittel wurden in das Heilmittelwerbegesetz voll übernommen. Der Wortlaut der Richtlinie läßt aber einen hohen Auslegungsspielraum. Das wird beispielsweise an der Formulierung deutlich, daß die Arzneimittelwerbung einen „zweckmäßigen Einsatz“ fördern soll (Artikel 87 Abs. 3, 1. Sp. der Richtlinie 2001/83/EWG701), ohne daß der Begriff des „zweckmäßigen Einsatzes“ näher erläutert wird. Daher kommt es zwangsläufig in den Mitgliedstaaten zu unterschiedlichen Vorschriften. So sind in Deutschland diese Vorschriften in die §§ 3, 4, 6 und 11 HWG umgesetzt worden.702 Ebenso ist der im deutschen Recht vorgeschriebene Satz für die Öffentlichkeitswerbung zum Hinweis auf Risiken und Nebenwirkungen so in der Richtlinie nicht angeführt (§ 4 Abs. 3 HWG). Allerdings gilt es zu bedenken, daß diese Unterschiede lediglich die Ausgestaltung der Werbung betreffen, die in jedem Fall länderspezifisch anzupassen ist. Die Werbebotschaft muß sich ohnehin an der Kultur des jeweiligen Landes orientieren. Sie hat damit keine Auswirkungen auf die Produktgestaltung selbst. Die Vorschriften zur Etikettierung und Packungsbeilage aus der Richtlinie 2001/83/EG bleiben von deren Vorschriften zur Werbung unberührt. Wichtig ist, daß die Öffentlichkeitswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel verboten ist (§ 10 HWG), daß für Arzneimittel, die der Zulassungspflicht unterliegen, aber nicht zugelassen sind, ebenfalls nicht geworben werden darf,703 daß die Werbung für den Versandhandel und das Teleshopping von apothekenpflichtigen Arzneimitteln verboten ist, sowie Werbeabgaben grundsätzlich nicht gestattet sind.704 Damit haben sich die Arzneimitteln, Verfahren, Behandlungen, Gegenständen oder anderen Mitteln erlaubterweise Handel treiben oder in Ausübung ihres Berufes anwenden“. 700 Dazu auch W. Guminski/M. Rauland, Produktlebenszyklus und die Möglichkeiten seiner Gestaltung, S. 230 f., 240 ff. 701 Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 311 v. 28.11.2001, S. 67). 702 Besonders zu beachten ist § 4 HWG, der die Pflichtangaben für Arzneimittel enthält (Firma und Sitz des pharmazeutischen Unternehmens, Bezeichnung des Arzneimittels, Zusammensetzung, Anwendungsgebiete, Gegenanzeigen, Nebenwirkungen, Warnhinweise). Zusätzliche Angaben müssen deutlich abgesetzt, abgegrenzt und gut lesbar sein (§ 4 Abs. 4 HWG). 703 A. P. F. Ehlers/I. Weizel, Rechtsfragen bei der Durchführung klinischer Studien, S. 327 f.

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mitgliedstaatlichen Vorschriften zumindest weitgehend angenähert, wenn sie auch noch nicht vollends übereinstimmen. 3. Vertrieb Vertriebliche Themen sind in Deutschland im siebten Abschnitt des Arzneimittelgesetzes unter der Überschrift „Abgabe von Arzneimitteln“ zusammengefaßt. Aus Gründen des Gesundheitsschutzes und zur Sicherstellung der Arzneimittelqualität erfolgt die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln gemäß § 43 Abs. 1 AMG grundsätzlich durch Apotheken. Das Bundesverfassungsgericht705 bezeichnet dies als „natürliches Monopol“ der Apotheken. Verschreibungspflichtige Arzneimittel sind immer apothekenpflichtig (§ 43 Abs. 3 AMG, wiederholt in § 44 Abs. 3 Nr. 1 AMG und § 45 Abs. 1 Nr. 1 AMG).706 Ausnahmen von der Apothekenpflicht sind in den §§ 44 und 45 AMG detailliert aufgeführt. Soweit rezeptfreie Arzneimittel nicht zur Beseitigung oder Linderung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden dienen, dürfen sie auch außerhalb der Apotheke (§ 44 Abs. 1 AMG) verkauft werden.707 Hinzu kommt eine Reihe von Heilwässern, Heilerde oder anderen pflanzlichen Arzneimitteln, die nach § 44 Abs. 2 AMG ebenfalls von der Apothekenpflicht freigestellt sind. Es darf beispielsweise keine unmittelbare oder mittelbare Gesundheitsgefährdung, auch nicht durch unsachgemäße Lagerung von diesen Arzneimitteln ausgehen und die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung darf dadurch nicht gefährdet werden (§ 45 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AMG). Darüber hinaus kann das Bundesministerium nach § 45 AMG durch Rechtsverordnung unter bestimmten Voraussetzungen Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen für den Verkehr außerhalb der Apotheke frei geben.708 Umgekehrt kann es aber nach § 46 AMG auch die Apothekenpflicht ausweiten, wenn ein Arzneimittel unmittelbar oder mittelbar die Gesundheit gefährdet. Die Einschränkung oder Ausweitung 704 Zur Werbung insbesondere der Werbemöglichkeiten von Apotheken in O. Schöffski, Die Regulierung des deutschen Apothekenwesens, S. 134 ff. 705 BVerfGE 7, 377 (431). 706 Zur Apotheken- und Verschreibungspflicht O. Schöffski, Die Regulierung des deutschen Apothekenwesens, S. 140 ff., 143 ff. 707 Gemäß § 50 AMG darf mit ihnen auch außerhalb von Apotheken gehandelt werden, wenn der Unternehmer die erforderliche Sachkenntnis besitzt oder nach § 51 AMG im Reisegewerbe. Grundsätzlich ist die Abgabe von Arzneimitteln durch Automaten oder andere Formen der Selbstbedienung nicht gestattet (§ 52 Abs. 1 AMG), es sei denn, sie erfüllen die Voraussetzungen in § 51 Abs. 2 und 3 AMG. 708 Verordnung über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel, v. 24.11.1988 (BGBl. I S. 2150), zuletzt geändert durch die Verordnung v. 28.09.1993 (BGBl. I S. 1671).

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der Apothekenpflicht kann auf bestimmte Dosierungen, Anwendungsgebiete oder Darreichungsformen beschränkt werden (§ 45 Abs. 2 AMG). Der Vertriebsweg eines Arzneimittels ist ebenfalls gesetzlich vorgegeben: Der pharmazeutische Unternehmer vertreibt das Arzneimittel an pharmazeutische Großhändler, die es ihrerseits an die Apotheken weiterveräußern.709 Alternativ kann der pharmazeutische Unternehmer die Arzneimittel auch im Direktvertrieb an die Apotheken liefern (§ 47 Abs. 1 AMG). Apothekenpflichtige Arzneimittel dürfen nur in Ausnahmefällen und unter bestimmten Voraussetzungen an andere pharmazeutische Unternehmer oder Großhändler, Krankenhäuser, Ärzte, Gesundheitsämter sowie weitere genau aufgezählte Einrichtungen abgegeben werden (§ 47 AMG). In dieser Vertriebsstufe ist die Wahl des Vertriebsmittels nicht vorgegeben. Verboten ist weder die Bestellung von Arzneimitteln über das Internet noch der Versandhandel, der die Regel ist;710 denn es besteht insoweit auch keine gleichartige Gefährdungslage für die öffentliche Gesundheit wie beim Versandhandel an den Endverbraucher.711 Dagegen ist der Versandhandel und damit auch der Internethandel mit Arzneimitteln für den Endverbraucher nach § 43 Abs. 1 S. 1 AMG für apothekenpflichtige Arzneimittel ausdrücklich verboten.712 Eine Sonderregelung findet sich in § 73 Abs. 2 Nr. 6 a AMG: Soweit Arzneimittel in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind, dürfen sie in einer dem üblichen persönlichen Bedarf entsprechenden Menge bezogen werden.713 Über welches Medium, also Telefon, Fax oder Internet dieser Bezug erfolgt, ist dabei unerheblich. Dies schließt auch verschreibungspflichtige Arzneimittel ein.714 Es darf allerdings keine berufs- oder gewerbsmäßige Vermittlung zugrunde liegen.715 709 Dazu auch E. Dambacher/O. Schöffski, Vertriebswege und Vertriebswegeentscheidungen, S. 245 ff.; O. Schöffski, Die Regulierung des deutschen Apothekenwesens, S. 145 ff., 164 ff. 710 Im Verhältnis pharmazeutischer Unternehmer-Großhändler hat dabei der Internet-Handel in Europa schon heute einige Bedeutung erlangt. Im Verhältnis der Großhändler zu den Einzelhändlern beschränken sich Internetangebote dagegen meist noch auf Informationsangebote. C. König/E. Müller/A. Trafkowski, InternetHandel mit Arzneimitteln, EWS 2000, S. 97 (100). 711 Der Großhandel ist im Gegensatz zu den Endkunden nicht auf ein hohes Maß an Beratung angewiesen. C. König/E. Müller/A. Trafkowski, Internet-Handel mit Arzneimitteln, EWS 2000, S. 97 (100). 712 LG Frankfurt ZIP 2000, 2080 (2083 f.) zum Verbot des Internethandels mit Arzneimitteln. Zum Versandhandel siehe auch OLG Köln, Urt. v. 07.09.2001, Rs. 6 U 185/00; E. Bauer, Pharma-Länder-Dossiers: Die Arzneimittelversorgung in Europa, S. 48. 713 Dazu auch 3. Teil, 2. Kapitel, das die Zulassung von Arzneimitteln betrifft. 714 R. Däinghaus, E-Commerce als Vertriebsweg für Arzneimittel, S. 257 f. 715 LG Frankfurt ZIP 2000, 2080 (2083).

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III. Frankreich 1. Verschreibungspflicht Mit der Erteilung der Zulassung wird auch der Abgabestatus des Arzneimittels durch den Generaldirektor der französischen Agentur festgelegt (Artikel R.5135 C.S.P.). Die als verschreibungspflichtig festgelegten Arzneimittel werden nach Artikel R.5135, lit. a-c C.S.P. in drei verschiedene Kategorien eingeordnet: verschreibungspflichtige Arzneimittel (médicament soumis à prescription), speziell verschreibungspflichtige Arzneimittel (médicament soumis à prescription spéciale) oder beschränkt verordnungsfähige Arzneimittel (médicament soumis à prescription restreinte). Die erste Kategorie der verschreibungspflichtigen Arzneimittel ist wiederum in Listen unterteilt, die zweite Kategorie enthält Betäubungsmittel, während die dritte Kategorie alle Krankenhausprodukte zusammenfaßt. Die Arzneimittel unterliegen in den einzelnen Kategorien wieder verschiedenen Verschreibungsvorschriften, beispielsweise der Verordnung nur durch Fachärzte oder der Verabreichung in Spezialkliniken. Auch im französischen Recht wird eindeutig zwischen verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und rezeptfreien Arzneimitteln unterschieden.716 Insofern sind die Artikel 1 der Richtlinie 2001/83/EG erfüllt. Allerdings führen die immer feiner werdenden Verzweigungen und Verweise auf weitere Artikel im Code de la santé publique717 und die damit zusammenhängenden detaillierteren Regelungen zur Verschreibungspflicht schließlich zu einer relativ großen Intransparenz. Die formalen Anforderungen aus Artikel 73 der Richtlinie 2001/83/EG zur Erstellung von Listen über verschreibungspflichtige Arzneimittel sind dennoch erfüllt (Artikel R.5135 C.S.P.). 2. Werbung und Verkaufsförderung Die französischen Vorschriften zur Werbung sind, wie das deutsche Heilmittelwerbegesetz, in Öffentlichkeitswerbung (Artikel L.5122-6 C.S.P. und Artikel R.5046 ff. C.S.P.) und Fachwerbung (Artikel L.5122-9 C.S.P. und Artikel R.5047 ff. C.S.P.) unterteilt. So wie es auch die Richtlinie 2001/83/ EG vorgibt. Die Definition der Arzneimittelwerbung im französische Recht findet sich in Artikel L.5122-1 C.S.P. Eine ähnliche Beschreibung liegt im deutschen Recht nicht vor. 716 Artikel R.5135 C.S.P.: „Elle [l’autorisation de mise sur le marché] indique, le cas échéant, le classement du médicament dans les catégorie suivantes“. 717 Artikel R.5135, R.5204, R.5208-1, R.5218-1, R.5143-5-1 bis R.5143-5-7 C.S.P.

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Allgemein gilt, daß jede Arzneimittelwerbung das Produkt als Arzneimittel kennzeichnet und objektiv darüber informiert (Artikel L.5122-2 C.S.P.). Irreführende Werbung ist unzulässig (Artikel L.5122-2 C.S.P.).718 Darüber hinaus müssen die Werbeaussagen mit der Zusammenfassung der Produktmerkmale aus den Zulassungsunterlagen übereinstimmen (Artikel R.5045 C.S.P.). Ebenso darf nur für zugelassene Arzneimittel geworben werden (Artikel L.5122-3 C.S.P.). Öffentlichkeitswerbung ist nur für rezeptfreie Arzneimittel sowie für nicht erstattungsfähige Arzneimittel möglich (Artikel L.5122-2 C.S.P.). Bereits die Zulassung des Arzneimittels kann die Öffentlichkeitswerbung aus Gesundheitsschutzgründen einschränken (Artikel L.5112-1 C.S.P.). Die Werbung für ein Arzneimittel in der Öffentlichkeit wird von einem entsprechenden Warnhinweis und der Aufforderung, gegebenenfalls einen Arzt aufzusuchen, begleitet (Artikel L.5122-6 C.S.P.). Die Zulassung des Arzneimittels kann Einschränkungen in der Öffentlichkeitswerbung zum Schutze der Gesundheit enthalten, die einzuhalten sind (Artikel L.5122-6 C.S.P.). Strenger als in der Richtlinie gefordert, muß jede Öffentlichkeitswerbung von der französischen Agentur im Voraus genehmigt werden (Artikel L.5122-6 C.S.P. und Artikel R.5046-2 C.S.P.). Die Dauer der Genehmigung entspricht der Zulassungsdauer. Ein Dossier über die Werbung in Fachkreisen ist dagegen erst nach dem Anlauf der Werbemaßnahmen innerhalb von acht Tagen bei der französischen Agentur zur Überprüfung einzureichen (Artikel L.5122-9 C.S.P.). In Fachkreisen darf auch für verschreibungspflichtige Arzneimittel geworben werden; entsprechende Maßnahmen wie Werbeabgaben, kostenlose Arzneimittelproben und persönliche Besuche sind entsprechend der Richtlinie 2001/83/EG strengen Regelungen unterworfen.719 Unterliegt allerdings ein Arzneimittel der beschränkten Verordnungsfähigkeit (Artikel R.5143-5-1 bis Artikel R.5143-5-5 C.S.P.), so ist auch die Werbung auf die Fachkreise beschränkt, die zur Verordnung autorisiert sind (Artikel R.5047-2 C.S.P.). 3. Vertrieb Die Belieferung der Apotheken mit Arzneimitteln erfolgt, wie in Deutschland, durch Großhändler. Sie sind das einzige Bindeglied zwischen dem Hersteller und der Apotheke, um eine größtmögliche Arzneimittel718 Die detaillierteren Ausführungen dazu finden sich in den jeweiligen Abschnitten zur Öffentlichkeits- und zur Fachwerbung, den Artikel R.5046 C.S.P. und Artikel R.5046-1 C.S.P sowie in Artikel R.5047 C.S.P, Artikel R.5047-1 C.S.P. und Artikel R.5047-3 C.S.P. 719 Artikel R.5047-3 C.S.P. bis Artikel R.5047-5048 C.S.P.

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sicherheit zu gewährleisten. Die Diskussion in Frankreich dreht sich dabei vor allem auch um gefälschte Produkte.720 Grundsätzlich besteht in Frankreich ein Apothekenmonopol auf die Abgabe von Arzneimitteln an den Verbraucher (Artikel L.4211-1 C.S.P. und Artikel L.4221-1 C.S.P.). Der Vertrieb von Arzneimitteln an den Verbraucher erfolgt somit fast ausschließlich über Apotheken. Die wenigen Ausnahmen betreffen die Abgabe von Arzneimitteln durch Ärzte oder den Import von Arzneimitteln zum persönlichen Gebrauch durch Privatpersonen.721 Die Menge der apothekenpflichtigen Arzneimittel ist daher weitaus größer als in Deutschland. Auch nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind ausschließlich in der Apotheke erhältlich. Das immer wieder kritisierte Apothekenmonopol wird für notwendig erachtet, um den Schutz der öffentlichen Gesundheit zu gewährleisten.722 Es kollidiert nicht mit dem Recht der Europäischen Gemeinschaft.723 Das Urteil „Schumacher“ des Europäischen Gerichtshofs724 zum Arzneimittelimport durch Private ist in Artikel R.5142-13 C.S.P. geregelt. Wie in Deutschland, ist die Einführung von Arzneimitteln durch Private ausschließlich für den persönlichen Gebrauch gestattet. Die eingeführte Menge darf nur zu einer Therapie von drei Monaten herangezogen werden oder die Anordnungen des Arztes nicht übersteigen. Werden die Arzneimittel persönlich eingeführt, ist eine französische Zulassung für das Arzneimittel nicht notwendig (Artikel R.5142-14 C.S.P.). In Frankreich ist ebenfalls ein Versandhandel von Arzneimitteln verboten.725 Dieses Verbot resultiert aus dem Apothekenmonopol, dem Verbot andere als apothekenpflichtige Produkte in der Apotheke anzubieten, dem Verbot Arzneimittel aufgrund von telefonischen oder ähnlichen Bestellungen in der Apotheke anzunehmen sowie dem Verbot, Arzneimittel auszuliefern (Artikel L.4211-1 C.S.P., 720 Nach Schätzungen beträgt das Volumen des Handels mit gefälschten Pharmaprodukten weltweit 48 Milliarden Francs. V. Jacoberger, Die französische Pharmaindustrie ist in Bewegung geraten, Label France 1998, S. 22 (23). 721 Artikel L.594 C.S.P., Artikel L.596 C.S.P., Artikel R.5142-13 sowie Artikel L.597 C.S.P. Siehe auch 3. Teil, 2. Kapitel, III. 722 J. Peigné, L’Internet dans l’univers de la pharmacie: les frontières et les perspectives, La Gazette du Palais 2002, S. 18 (19). 723 Das Apothekenmonopol ist durch das Argument des Gesundheitsschutzes in Artikel 30 EG gerechtfertigt. Dazu auch: EuGH v. 21.03.1991 – Rs. C-369/88 (Strafverfahren gegen Jean-Marie Delattre), Slg. 1991, I-1487 (Rdnr. 15); EuGH v. 21.03.1991 – Rs. C-60/89 (Strafverfahren gegen Jean Monteil und Daniel Samanni), Slg 1991, I-1547 (Rdnr. 35 ff., 42 ff.). 724 EuGH v. 07.03.1989 – Rs. 215/87 (Heinz Schumacher/Hauptzollamt Frankfurt am Main-Ost), Slg. 1989, 617 (Rdnr. 9 ff.). 725 E. Bauer, Pharma-Länder-Dossiers: Die Arzneimittelversorgung in Europa, S. 60; J. Peigné, L’Internet dans l’univers de la pharmacie, La Gazette du Palais 2002, S. 18 (18, 24 f.).

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3. Teil: Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs

Artikel L.5125-24 C.S.P., Artikel L.5125-25 C.S.P., Artikel L.5015-55 C.S.P.).726 Darüber hinaus darf nicht für erstattungsfähige Arzneimittel geworben werden. Auch dürfen Apotheken keine Öffentlichkeitswerbung veranlassen. Die Werbeverbotsmaßnahmen erschweren zumindest einen Internethandel mit Arzneimitteln.

726 J. Peigné, L’Internet dans l’univers de la pharmacie, La Gazette du Palais 2002, S. 18 (19 ff.).

Zusammenfassung in Thesen 1. Teil Arzneimittelsicherheit und Verfassungsrecht 1. Die Europäische Gemeinschaft hat seit 1965 eine hohe Regulierungsdichte für den Arzneimittelbereich geschaffen. Aufgrund von mittlerweile unübersichtlichen Ergänzungs- und Änderungsmaßnahmen der bestehenden Rechtsakte wurden einige Richtlinien zusammengefaßt und als Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel verabschiedet. Die Gemeinschaft folgt laut eigenen Aussagen dabei zwei übergeordneten Zielen, ein hohes Gesundheitsschutzniveau für die Bevölkerung zu sichern und den Binnenmarkt für Arzneimittel zu vollenden. Die Vollendung des Binnenmarktes für Arzneimittel soll die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Arzneimittelindustrie stärken. Laut EG-Vertrag sind diese übergeordneten Ziele genau in umgekehrter Reihenfolge priorisiert: Vollendung des Binnenmarktes und Gewährleistung eines hohen Gesundheitsschutzes. Dabei sollte es sich um die bestmögliche Erfüllung der gesundheitlichen Schutzpflicht handeln, die sich am Stand der internationalen Wissenschaft und Technik orientiert. 2. Die Europäische Gemeinschaft hat bei der Ausführung des Gemeinschaftsrechts die Grundrechte zu achten, nicht nur als Abwehrrechte, sondern als Gestaltungsgrundsätze für die Normsetzung. Der Schutz von Leben und Gesundheit ist dabei ein Gut ersten Ranges. Wenngleich die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft keinen gemeinschaftlichen Grundrechtskatalog in das Primärrecht eingefügt haben, so hat die Gemeinschaft dennoch bei ihrer Tätigkeit die Grundrechte zu achten. Der Europäische Gerichtshof hat auf der Grundlage der den Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundrechtstexte einzelne Grundrechte anerkannt und näher ausgestaltet. Im Rahmen ihrer Aufgaben hat die Gemeinschaft deshalb bei der Verwirklichung des Binnenmarktes für Arzneimittel aus Artikel 2 Abs. 1, S. 1 EMRK in Verbindung mit Artikel 6 Abs. 2 EU die Pflicht, das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. Eine Schutzpflicht der Gemeinschaft kann nur im Rahmen ihrer Politiken, also der ihr übertragenen Aufgaben und Befugnisse bestehen. So folgt aus dem Prinzip der begrenzten Ermächtigung, daß die Gemeinschaft arzneimittelrechtliche Regelungen, die den Gesundheitsschutz zum Ziel haben, nicht zu erlassen befugt ist.

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Zusammenfassung in Thesen

3. Eine grundrechtliche Schutzpflicht kann ohne besondere Ermächtigung von der Gemeinschaft nicht wahrgenommen werden. Es ist Aufgabe des existentiellen Staates, den bestmöglichen Schutz der Grundrechte zu gewährleisten. Aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte folgt die Verpflichtung des Gesetzgebers, die in den Grundrechten enthaltenen Rechtsgüter auch vor Eingriffen von nichtstaatlicher Seite zu schützen. 2. Teil Die Verwirklichung des Binnenmarktes und die Warenverkehrsfreiheit 4. Nach Artikel 14 EG ist es Aufgabe der Gemeinschaft, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um einen Raum ohne Binnengrenzen, der die fünf Grundfreiheiten des Vertrages gewährleistet, zu verwirklichen. Es ist Aufgabe der Kommission, den freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen dieses Vertrags zu gewährleisten. Weil eine vollständige Harmonisierung der Rechtsordnungen nicht möglich ist, beruht der „neue Ansatz“ der Kommission zur Verwirklichung des Binnenmarktes auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung. 5. Um den freien Warenverkehr zu verwirklichen, ist es den Mitgliedstaaten untersagt, den Handel durch Zölle oder mengenmäßige Beschränkungen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung einzuschränken (Artikel 28 EG). Unter bestimmten Voraussetzungen sind nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Verkaufsmodalitäten davon ausgenommen. Solange die Gemeinschaft auf einem Gebiet noch keine abschließende Regelung getroffen hat, können die Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen, beispielsweise zum Zwecke des Gesundheitsschutzes gemäß Artikel 30 EG, Handelsbeschränkungen einführen. Diese dürfen weder diskriminierend wirken noch eine verschleierte Beschränkung des Handels darstellen. Die Vorschriften können durchaus dazu führen, daß ein Interessenkonflikt zwischen der Öffnung der Märkte und dem damit einhergehenden Abbau von Schutzvorschriften entsteht. 3. Teil Das Arzneimittelrecht unter dem Blickwinkel der Warenverkehrsfreiheit 6. Die bisherigen Maßnahmen der Gemeinschaft haben bereits zu einer weitgehenden Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Regelungen von Arzneimitteln geführt. Der bisher größte Fortschritt zur Verwirklichung eines

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Binnenmarktes für Arzneimittel war die Neuregelung der Zulassungsverfahren sowie die Errichtung der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln. 7. Jedes Arzneimittel, das in der Europäischen Gemeinschaft in den Verkehr gebracht werden soll, benötigt dafür eine Genehmigung. Aufgrund der hohen Sicherheitsanforderungen, die an Arzneimittel gestellt werden müssen, ist der Arzneimittelbegriff weit gefaßt. Er umfaßt zum einen die Funktion eines Mittels als Arzneimittel und zum anderen die Präsentation eines Mittels als Arzneimittel. Ein Mittel gilt als Arzneimittel, wenn es unter eine der beiden Definitionen fällt. Der Arzneimittelbegriff des Gemeinschaftsrechts ist in die nationalen Bestimmungen der Mitgliedstaaten eingegangen. Gegebenenfalls muß für den Einzelfall geklärt werden, ob das fragliche Mittel ein Arzneimittel ist. Daher kann es innerhalb der Mitgliedstaaten zu unterschiedlichen Einschätzungen über ein Mittel kommen. Im Zweifelsfall ist es Sache des nationalen Gerichts, dieses zu klären. Sollte ein Mittel sowohl unter die Definition eines Arzneimittels als auch unter die eines anderen Produktes fallen, so unterliegt es aus Gründen des Gesundheitsschutzes den strengeren Regelungen für Arzneimittel und muß ein Zulassungsverfahren durchlaufen. 8. Die Zulassung eines Arzneimittels ist erforderlich und geeignet, um unwirksame oder schädliche Arzneimittel vom Markt fernhalten zu können. Gleichzeitig stellen die nationalen Zulassungsverfahren auch ein Hemmnis für den grenzüberschreitenden Warenverkehr dar. Die inhaltliche Bewertung der Zulassungskriterien Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit führt insbesondere durch die Relativität der Begriffe zu unterschiedlichen Zulassungsentscheidungen. In Frankreich verzögert sich die Markteinführung zusätzlich noch durch eine Kosten-Nutzen-Bewertung des Arzneimittels, um seine Kostenerstattungsfähigkeit im Rahmen der Sozialversicherungen festzustellen. Aus diesem Grund wurde die nationale Zulassung für mehr als einen Mitgliedstaat im Rahmen des dezentralen Verfahrens vereinfacht und mit einem Gemeinschaftsverfahren für hochinnovative oder biotechnologische Arzneimittel, dem zentralen Zulassungsverfahren, ergänzt. 9. Die nationale Zulassung für mehrere Mitgliedstaaten basiert auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung und wird im Rahmen des dezentralen Zulassungsverfahrens erteilt. Der Zulassungsantrag wird in einem Mitgliedstaat gestellt. Dieser prüft die Unterlagen und verteilt seinen Beurteilungsbericht an die anderen beteiligten Mitgliedstaaten. Lediglich bei Uneinigkeiten der zuständigen nationalen Behörden über die Bewertung der Zulassungsunterlagen wird die Kommission über eine institutionalisiertes Schiedsverfahren eingeschaltet. Die im Schiedsverfahren getroffene Entscheidung ist für alle Mitgliedstaaten bindend und in nationales Recht umzusetzen.

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10. Dagegen ist die zentrale Zulassung von Anfang an ein gemeinschaftliches Verfahren. Der Zulassungsantrag wird direkt bei der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln gestellt, die ihn bearbeitet. Das von der Agentur erstellte Gutachten dient der Kommission als Grundlage für ihre Entscheidung. Anschließend nimmt der „Ständige Ausschuß für Humanarzneimittel für die Anpassung der Richtlinien zur Beseitigung der technischen Handelshemmnisse auf dem Gebiet der Arzneimittel an den technischen Fortschritt“ zu dem Entscheidungsentwurf der Kommission Stellung. 11. Zur Bewältigung der Zulassung von Arzneimitteln hat der Rat der Kommission zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts den Ständigen Ausschuß an die Seite gestellt. Bei diesem Ausschußverfahren handelt es sich um das Regelungsverfahrens gemäß Artikel 5 des Beschlusses 1999/ 468/EG. Der Ausschuß gibt seine Stellungnahme im dezentralen Verfahren nur ab, wenn das Schiedsverfahren zustande kam. Im zentralen Verfahren ist der Ständige Ausschuß immer beteiligt. 12. Sowohl die Einführung des zentralen Zulassungsverfahrens als auch die Errichtung der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln wurden durch die Verordnung 2309/93/EWG auf der Grundlage von Artikel 235 EGV (jetzt Artikel 308 EG) eingeführt. Artikel 235 EGV dient den Gemeinschaftsorganen häufig als Generalermächtigung zur Ausweitung nicht nur der fehlenden Instrumente zur Zielerreichung, sondern auch zur Erweiterung der Ziele selbst. Die Verwirklichung des Binnenmarktes für Arzneimittel ist aber ein Ziel im Rahmen des Gemeinsamen Marktes. Ein zentrales Zulassungsverfahren, zu dessen Durchführung die Agentur unter anderem errichtet wurde, ist auch geeignet und erforderlich, dieses Ziel zu erreichen. Die gegenseitige Anerkennung als ein milderes Mittel im Vergleich zu einem zentralisierten Verfahren hat bis jetzt nicht den gewünschten Erfolg gezeigt. 13. Der EG-Vertrag kennt keine spezielle Rechtsgrundlage zur Einführung eines zentralen Zulassungsverfahrens. Die zentrale Zulassung ist eine Zulassung der Gemeinschaft und wird durch die Organe erteilt. In der Regel ist es die Kommission, in Ausnahmefällen auch der Rat, die ohne Einschaltung der Mitgliedstaaten unmittelbar die Zulassung erteilen und so das Gemeinschaftsrecht vollziehen. Dabei ist der unmittelbare Vollzug des Gemeinschaftsrechts grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten. Die Tatbestandsmerkmale des Artikel 308 EG sind erfüllt. Das zentrale Zulassungsverfahren mit seiner unmittelbaren Vollzugskompetenz der Gemeinschaftsorgane greift auch nicht unverhältnismäßig in die Vollzugskompetenz der Mitgliedstaaten ein. Die Verordnung zur Einführung der zentralen Zulassung konnte deshalb auf Artikel 235 EGV (jetzt Artikel 308 EG) gestützt werden. Entscheidend ist dabei auch, daß der überwiegende Teil der Arzneimittel durch

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das dezentrale Verfahren zugelassen wird und nur einer begrenzten Anzahl von Arzneimitteln eine zentrale Zulassung offen steht. 14. Die Mitgliedstaaten werden nicht unverhältnismäßig in ihrer Vollzugskompetenz eingeschränkt. Der Rat kann nach Artikel 202, 3. Sp. EG die Durchführung des Gemeinschaftsrechts auch an die Kommission delegieren und die Modalitäten zu dessen Durchführung festlegen. Durch den Beschluß 1999/468/EG von Parlament und Rat wird die Kommission verpflichtet, zur Entscheidungsfindung den Ständigen Ausschuß einzubeziehen. Solange die Gemeinschaft mit dem zentralen Zulassungsverfahren den Binnenmarkt für Arzneimittel verwirklichen will und dieses Verfahren auf den wesentlich kleineren Teil an Arzneimitteln beschränkt bleibt, überschreitet die Gemeinschaft ihre Befugnisse nicht, weil die Mitgliedstaaten nicht unverhältnismäßig in ihrer Vollzugskompetenz eingeschränkt werden. 15. Die Gemeinschaft hätte jedoch ihre Befugnisse überschritten, wenn sie die Gewährleistung eines hohen Gesundheitsschutzes als Ziel ansehen würde. Sie hat bisher keine Befugnis, eine eigenständige Schutzpflicht auszuüben. Dies ergibt sich auch nicht aus den durch den Amsterdamer Vertrag geänderten Gesundheits- und Verbraucherschutzaufgaben in den Artikeln 152 und 153 EG. Die Veröffentlichungen, insbesondere die der Kommission, erwecken jedoch den Anschein, daß die Gemeinschaft immer umfangreicher in die arzneimittelrechtlichen Regelungen eingreift, um einer Schutzpflicht nachzukommen, die ihr in diesem Umfang nicht übertragen ist. 16. Auch die Schaffung der Europäischen Arzneimittelagentur wirft die Frage auf, ob die Gemeinschaft damit ihre Befugnisse, die durch den EGVertrag notwendigerweise begrenzt sind, nicht überschritten hat. Der Vertrag sieht keine speziellen Bestimmungen zur Schaffung einer Europäischen Arzneimittelagentur vor. Nach herrschender Meinung kann die Gründung von vertraglich nicht vorgesehenen Einrichtungen auf Artikel 308 EG gestützt werden. Daher lag es durchaus in der Befugnis der Gemeinschaft, eine solche Agentur zu gründen. Durch das Einstimmigkeitserfordernis in Artikel 308 EG hatte jeder Mitgliedstaat die Möglichkeit, sein Veto einzulegen und die Verabschiedung der Verordnung zu verhindern. 17. Die Gemeinschaft hatte bei der Errichtung der Agentur auf der Grundlage von Artikel 235 EGV (jetzt Artikel 308 EG) darauf zu achten, daß durch die Art und den Umfang der der Agentur übertragenen Aufgaben das in den Verträgen festgelegte institutionelle Gleichgewicht nicht gestört wird. Bis jetzt beschränkt sich die Tätigkeit der Agentur auf die Vorbereitung oder Durchführung von Entscheidungen der Gemeinschaftsorgane. Sie erstellt zwar das Gutachten über den Zulassungsantrag, die endgültige Entscheidung über die Erteilung der Zulassung nimmt sie damit aber nicht vor-

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weg. Das anschließende Verfahren zur Erteilung der endgültigen Zulassung ist so aufgebaut, daß sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Kommission und der Ständige Ausschuß noch Einfluß nehmen können. Die Agentur trifft nur mit der Zuordnung eines Arzneimittels unter das zentrale Zulassungsverfahren eine Entscheidung, die endgültig ist und unmittelbar gegenüber dem Antragsteller rechtswirksam wird. Der Antragsteller erhält ausreichenden Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof. Er kann durch eine Nichtigkeitsklage gegen die Entscheidung der Agentur vorgehen, weil ihr Handeln der Kommission zugerechnet werden kann. Die Gemeinschaft hat daher bei der Errichtung der Agentur auf der Grundlage von Artikel 235 EGV (jetzt Artikel 308 EG) ihre Befugnisse nicht überschritten. 18. Erhielte die Agentur jedoch darüberhinausgehende Befugnisse, käme dies einer Veränderung des institutionellen Aufbaus der Gemeinschaft nahe und müßte durch eine Vertragsänderung gemäß Artikel 48 EU beschlossen werden. Dies sollte die Kommission bei ihrer Reform der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für Arzneimittel bedenken, zumal ein Kernpunkt des Reformvorschlags auf einer Stärkung der Agentur beruht.1 19. Die in dieser Arbeit betrachteten Maßnahmen der Gemeinschaft zur Verwirklichung des Binnenmarktes für Arzneimittel sind im Rahmen der Rechtsangleichung erfolgt und in nationales Recht umgesetzt. Die einzelnen Richtlinien sind mittlerweile in dem Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel zusammengefaßt. Die Regelungen zur Verpackung eines Arzneimittels und zur Packungsbeilage sind sehr detailliert, lassen aber den Mitgliedstaaten den notwendigen Gestaltungsfreiraum, um eigene Vorschriften, die beispielsweise mit den Sozialversicherungssystemen zusammenhängen, einzubringen. Aus diesem Grund ist eine vollständige Harmonisierung im Sinne einer völligen Gleichheit der Verpackungen und Packungsbeilagen nicht erreicht. Allerdings dürfen die Mitgliedstaaten die Zulassung eines Arzneimittels nicht verweigern, das den gemeinschaftlichen Vorschriften entspricht. Dennoch erschweren die bestehenden Unterschiede, die vor allem die Angaben zu Indikationen, Dosierung, Nebenwirkungen, Darreichungsformen oder Packungsgrößen betreffen, den grenzüberschreitenden Arzneimittelverkehr. 20. Auch die unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Maßnahmen zur Preisbildung von Arzneimitteln sowie zur Kostenerstattung durch die Sozialver1

Zu den von der Kommission vorgeschlagenen Aufgabenerweiterungen in den Zulassungsverfahren sowie den Aufgaben der Europäischen Arzneimittelagentur siehe Bericht der Kommission über die Erfahrungen mit den Verfahren zur Erteilung von Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln gemäß Verordnung (EWG) Nr. 2309/93, Kapitel III der Richtlinie 75/319/EWG und Kapitel IV der Richtlinie 81/851/EWG – Bericht gemäß Artikel 71 der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93, v. 23.10.2001 (KOM(2001)606 endg.), insbes. S. 14 f., 18, 20 f.

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sicherungen wirken sich negativ auf den Binnenmarkt für Arzneimittel aus. In Deutschland gibt es keine direkten Preisvorschriften für Arzneimittel, sie werden jedoch indirekt durch die Festbeträge beeinflußt. 21. In Frankreich unterliegen dagegen die Preise für Arzneimittel, deren Kosten von den Gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden, einer staatlichen Genehmigungspflicht. Während in Deutschland alle Arzneimittelkosten von der Gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt werden, die nicht auf der Negativliste verzeichnet sind, werden in Frankreich ausschließlich die Kosten der Arzneimittel erstattet, die auf der Positivliste aufgeführt sind. Die Mitgliedstaaten müssen aber ihre Regelungen im Bereich der Sozialversicherungen so ausgestalten, daß sie die Grundfreiheiten nicht beeinträchtigen. Ansonsten hat die Gemeinschaft keine Befugnis, in die staatliche Sozialversicherungssysteme einzugreifen. Die Richtlinie 89/105/ EWG betrifft deshalb auch nicht die Versicherungssysteme selbst, sondern die Transparenz der Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung sowie der Kostenerstattung durch die Gesetzlichen Krankenversicherungen. Danach müssen die von den Mitgliedstaaten getroffenen Entscheidungen über die Maßnahmen zur Erstattung von Arzneimittelkosten bestimmte Formund Verfahrensbedingungen berücksichtigen, insbesondere darf die Erstattungsfähigkeit von Arzneimittelkosten nicht von der Nationalität der Vermarkter abhängen. Eine mangelnde Transparenz wirft man der geplanten Positivliste in Deutschland vor. Obwohl die Gemeinschaft nicht in die Verfahrensregelungen der Kostenerstattung von Arzneimitteln eingreifen darf, sind bereits transparentere Preisbildungs- und Erstattungsregelungen ein Fortschritt zu einem Binnenmarkt. 23. Die Kommission war auch der Ansicht, daß die mitgliedstaatlichen Maßnahmen zur Verschreibungspflicht, zum Vertrieb und zur Werbung für Arzneimittel, den Binnenmarkt beeinträchtigen. Auch die hierzu erlassenen Richtlinien sind in den Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel eingearbeitet worden. Der Vertrieb und die Werbung für Arzneimittel hängen davon ab, ob ein Arzneimittel als verschreibungspflichtig oder rezeptfrei eingestuft wird. Ob das Mittel verschreibungspflichtig ist, legt die zuständige Behörde bereits im Zulassungsverfahren fest. Die in der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmemöglichkeiten für eine mitgliedstaatliche Regelung sowie die Risikoabwägung durch die jeweils zuständige Behörde können weiterhin zu unterschiedlichen Einstufungen führen, die sich wiederum auf die Werbung oder den Verkaufsort auswirken können. Für verschreibungspflichtige Arzneimittel darf weder in Deutschland noch in Frankreich in der Öffentlichkeit geworben werden. Die Öffentlichkeitswerbung ist aus Gründen des Gesundheitsschutzes stärker eingeschränkt als die Werbung in Fachkreisen. Gleichgültig, an welchen Adressatenkreis sich die Werbung richtet, darf sie nur zugelassene Arzneimittel betreffen. Neben den spezifisch arz-

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neimittelrechtlichen Regelungen sind noch die Vorschriften der Richtlinie 89/552/EWG zur Fernsehwerbung sowie der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zu beachten. 24. Verschreibungspflichtige Arzneimittel dürfen auch nicht außerhalb von Apotheken verkauft werden. Während in Frankreich alle Arzneimittel der Apothekenpflicht unterliegen, sind in Deutschland bestimmte rezeptfreie Arzneimittel davon ausgenommen. Insgesamt sind die Vertriebskanäle in der Europäischen Gemeinschaft nicht harmonisiert. Die Regulierung der Vertriebswege liegt in der Befugnis der Mitgliedstaaten. Die Richtlinie 97/7/EWG zum Fernabsatz sowie die Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftverkehr regeln gewisse Grundzüge zum Internethandel, überlassen es aber den Mitgliedstaaten, den Internethandel für Arzneimittel zuzulassen. Die Regelungen über den Vertrieb von Arzneimitteln sollen sicherstellen, daß die Qualität und die Wirksamkeit durch den Transport vom Hersteller zum Endabnehmer erhalten bleibt und die Öffentlichkeit vor gefälschten Arzneimitteln geschützt wird. 25. Dieses dichte Netz an gemeinschaftlichen Regelungen zum Arzneimittelbereich hat den grenzüberschreitenden Verkehr für Arzneimittel Schritt für Schritt erleichtert, den Binnenmarkt aber noch nicht komplett verwirklicht. Die mitgliedstaatlichen Regelungen zur Preisbildung und Kostenerstattung von Arzneimitteln im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherungssysteme bilden noch immer ein Hemmnis. Das dadurch entstehende Preisgefälle innerhalb der Europäischen Gemeinschaft führt damit weiterhin zu erheblichen Marktverzerrungen.

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Sachwortverzeichnis Agence Française de Sécurité Sanitaire des Produits de Santé 19 Apothekenmonopol 203, 209, 213 Arzneimittel – Binnenmarkt 61 – Definition 64 – dezentrales Zulassungsverfahren 81 – Import 213 – Kostenerstattung 177, 182, 191 – Packungsbeilage 149, 156, 159, 162 – Preise 173, 181, 188 – SPC 81, 154, 200 – Verkaufsförderung 198, 207, 211 – Verpackung 53, 89, 149, 154, 158, 161 – Verschreibungspflicht 195, 205, 211 – Vertrieb 201, 212 – Werbung 150, 198, 207, 211 – zentrales Zulassungsverfahren 88 – Zulassungsantrag 89 – Zulassungskriterien 77, 79, 89, 114 – Zulassungsunterlagen 80 – Zulassungsverfahren 77, 81, 100 Ausschuß für Arzneispezialitäten 85, 89, 116–117, 142 Binnenmarkt 42, 46, 77, 103, 124 Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 108 BVerfG-Urteile – Maastricht 28, 49, 133, 141 – Solange I 28 – Solange II 28 Comité Economique des Produits de Santé 189 Commission de la Transparence 192

Durchführungsbefugnis 105 effet utile 48, 132–133 Einheitliche Europäische Akte 42, 58 EMRK 33 EuGH-Urteile – Cassis de Dijon 45, 53, 58, 60 – Dassonville 51–52, 60, 166 – Hünermund 151 – Keck und Mithouard 51, 166, 203 – Schumacher 203, 213 Europäische Arzneimittelagentur 115– 116 Festbeträge 182, 184 Gefahrenabwehr 25 Gemeinsamer Markt 42, 128 Gemeinschaftskodex für Arzneimittel 63, 152, 194, 220 Gemeinschaftsverwaltung 94–95, 140 Gesundheitsschutz 23, 29, 32, 56, 59, 77, 103, 107, 126 Grundfreiheiten 47 Grundrechte 23, 29, 32 Grundrechte-Charta 34 implied powers 132–133 in dubio pro securitate 26 Internethandel 204, 210, 213 Komitologie-Beschluß 106 Krankenkassen 168 libertés publiques 30 Negativliste 178, 183

240

Sachwortverzeichnis

Positivliste 178, 184, 191 principe de valeur constitutionnelle 30 Prinzip – begrenzte Ermächtigung 39, 130 – gegenseitige Anerkennung 44

Ständiger Ausschuß 86, 91 Übermaßverbot 28 Untermaßverbot 28

Rapporteur 89 Rechtsangleichung 122 Risikovorsorge 25

Verbraucherleitbild 59 Verbraucherschutz 126 Verhältnismäßigkeitsprinzip 27 Vorrang des Gemeinschaftsrechts 49

Schiedsverfahren 84, 94 Schutzpflicht 23, 29, 32, 101, 107

Warenverkehrsfreiheit 42, 45, 47, 53, 122

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